Phänomen und Begriff der Metapher: Vorschlag zur Systematisierung der Theoriegeschichte [1 ed.] 311057652X, 9783110576528, 9783110585353, 9783110583014, 2018951867

This examination of the history of theories of metaphor presents a new organizational framework for categorizing the var

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Phänomen und Begriff der Metapher: Vorschlag zur Systematisierung der Theoriegeschichte [1 ed.]
 311057652X, 9783110576528, 9783110585353, 9783110583014, 2018951867

Table of contents :
Inhalt
1. Auftakt
2. Ouvertüre: Aristoteles (384–322 v. Chr.)
3. Metapher und Wahrheit
4. Metapher und Rede
5. Metapher und Schrift
6. Metapher und Zeichen
7. Metapher und Sprache
8. Metapher und Phänomen
9. Metapher und Kognition
10. Fine
Literaturverzeichnis
Register

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Luzia Goldmann Phänomen und Begriff der Metapher

Hermaea

Germanistische Forschungen Neue Folge Herausgegeben von Christine Lubkoll und Stephan Müller

Band 145

Luzia Goldmann

Phänomen und Begriff der Metapher Vorschlag zur Systematisierung der Theoriegeschichte

Dissertation an der Philosophischen Fakultät der Universität zu Köln

ISBN 978-3-11-057652-8 e-ISBN (PDF) 978-3-11-058535-3 e-ISBN (EPUB) 978-3-11-058301-4 ISSN 0440-7164 Library of Congress Control Number: 2018951867 Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.dnb.de abrufbar. © 2019 Walter de Gruyter GmbH, Berlin/Boston Satz: Dörlemann Satz, Lemförde Druck und Bindung: CPI books GmbH, Leck www.degruyter.com

Inhalt 1 Auftakt   1 1.1 Zielsetzung und Prämissen  1.2 Vorgehen   6

 1

 20

2

Ouvertüre: Aristoteles (384–322 v. Chr.) 

3 3.1 3.2 3.3

 42 Metapher und Wahrheit  Max Black (1909–1988)   42 Monroe C. Beardsley (1915–1985)   56 Donald Davidson (1917–2003)   71

4 4.1 4.2 4.3

 78 Metapher und Rede  Cicero (107–44 v. Chr.) und Quintilian (35–100 n. Chr.)   79 Desiderius Erasmus von Rotterdam (ca. 1466–1536)   91 Emanuele Tesauro (1592–1675)   102

5 5.1 5.2 5.3

 116 Metapher und Schrift  Augustinus (354–430)   117 Thomas von Aquin (1225–1274)   127 Philipp Melanchthon (1459–1508)   135

6 6.1 6.2 6.3

 144 Metapher und Zeichen  Giambattista Vico (1668–1744)   144 Jacques Derrida (1930–2004)   157 Jacques Lacan (1901–1981)   177

 192 7 Metapher und Sprache  7.1 Roman Jakobson (1896–1982)   193 7.2 Herbert Paul Grice (1913–1988) und Dan Sperber (*1942)/ Deirdre Wilson (*1941)   206 7.3 Harald Weinrich (*1927)   221 8 8.1 8.2 8.3

 235 Metapher und Phänomen  Friedrich Nietzsche (1844–1900)   235 Hans Blumenberg (1920–1996)   251 Paul Ricoeur (1913–2005)   269

VI 

 Inhalt

9 Metapher und Kognition   299 George Lakoff (*1941) und Joseph Grady (unbekannt)  9.1  300 George Lakoff (*1941): Neural Theory of Metaphor  9.2  325 Gerard Steen (*1957): Deliberate Metaphor Theory  9.3  335 Zoltán Kövecses (*1946): Metaphor in Culture  9.4  344 9.5 Gilles Fauconnier (*1944) und Mark Turner (*1954): Mental spaces und Blending Theory   353 9.6 Synkope: Theorie und Methode   367  373 10 Fine  10.1 Resümee   373 10.2 Koordinierung von Vielfalt: Von Möglichkeiten des Umgangs mit den Theorien der Metapher   381 Literaturverzeichnis  Register 

 407

 383

1 Auftakt 1.1 Zielsetzung und Prämissen Die Metapher ist weder ein genuines Problem der Literaturwissenschaft, noch sind die Theorien zu ihrer Bestimmung und Beschreibung ausschließlich oder auch nur überwiegend literaturwissenschaftlicher Herkunft. Im Gegenteil kommen Theorien der Metapher schon seit der Antike aus verschiedenen Strömungen der Philosophie, aus Theologie, Rhetorik, Poetik, Linguistik, Semiotik, aber auch zunehmend aus Psychologie, Psycholinguistik und dem breiten Feld der sogenannten Kognitionswissenschaften. Viele dieser disziplinären Diskurse hat die heutige Literaturwissenschaft nichtsdestotrotz zumindest teilweise operationalisiert und anschlussfähig gefunden, manche erweisen sich jedoch als schwer kompatibel mit literaturwissenschaftlichen Fragestellungen. (Fast) keine dieser Theorien der Metapher ist dabei Theoriebildung rein um der Metapher willen. In der Regel treten die Theorien der Metapher im Zusammenhang größerer zum Beispiel sprachphilosophischer oder theologischer Überlegungen auf und sind entscheidend durch die jeweilige Theorie und deren zentralem Erkenntnisinteresse bedingt und geprägt. Daher beschränken sich Metapherntheorien in der Regel nicht auf die definitorische Frage nach dem Was der Metapher – dies wird meist in wenigen Sätzen und oft ohne besondere Originalität beantwortet –, sondern versuchen zum Beispiel mittels einer funktionalen Bestimmung der Metapher und ihrer Effekte eine spezifische Position in einem theoretischen Gesamtbild zu besetzen. Die Literaturwissenschaft ist mithin nur eine von vielen, im historischen Rückblick auch durchaus veränderlichen Disziplinen, die sich der Metapher widmet, und bringt eigene, spezifische Problemstellungen mit, für deren Beantwortung sie einer Theorie der Metapher bedarf. In erster Annäherung ließe sich die Problemstellung der Literaturwissenschaft hier im Kern als die der Identifikation und Beschreibung von Textphänomenen umreißen, auf deren Grundlage dann je nach konkreter Fragestellung weitere Verfahren anschließen. Oft genug bedient sich die Literaturwissenschaft dabei mehr oder weniger offen bei Theorien aus anderen Disziplinen, deren disziplin- und epochenspezifische Diskurse und Leitfragen sich in ihren jeweiligen Metapherntheorien niedergeschlagen haben und keineswegs immer in direktem Zusammenhang mit den jeweiligen Fragen der Literaturwissenschaft stehen. Als erstes Ziel dieser Arbeit kann an dieser Stelle die Darstellung und Relationierung von Metapherntheorien aus verschiedenen historischen Perioden und disziplinären Diskursen festgehalten werden. Eine kurze Diskussion von Aristotelesʼ Theorie der Metapher und den bereits dort retrospektiv als diskurs- beziehungsweise disziplinspezifisch idenhttps://doi.org/10.1515/9783110585353-001

2 

 Auftakt

tifizierbaren Ausführungen soll dazu gleichsam die Ouvertüre bilden, von der ausgehend anhand ausgewählter Autoren Theorien verschiedener Epochen und Diskurse bis hin zur zeitgenössischen Theoriebildung aufgegriffen werden. Die Verwendung von Theorien unterschiedlicher diskursiver Ursprünge für die Bearbeitung literaturwissenschaftlicher Fragestellungen hat zwar eine lange Tradition, scheint aber nichtsdestotrotz in der Regel mit mehr oder weniger kontroversen theoretischen Diskussionen und zum Teil erheblichen Adaptionen vorgefundener Theorien für die Literaturwissenschaft einherzugehen. Für die Mehrzahl der im Rahmen dieser Arbeit diskutierten Theorien lassen sich Adaptions- und Transformationsprozesse aufzeigen, die bereits vor Jahrhunderten eingesetzt haben und zum Teil noch anhalten. Prominentestes Beispiel ist hier mit Sicherheit Aristoteles, dessen metapherntheoretische Spur sich durch die antike Rhetorik verfolgen lässt, in deren Adaption sie sich durch das Mittelalter zieht, bevor mit der Frühen Neuzeit wiederum eine Aristoteles-Renaissance einsetzt – die trotz aller gegenteiligen Bemühungen keineswegs zum ‚Original‘ zurückkehrt, sondern eine weitere Variation der Metapherntheorie hervorbringt. Die anhaltenden Adaptions- und Austauschprozesse zwischen einzelnen metapherntheoretischen Diskurssträngen im Rahmen ihrer Relationierung sichtbar zu machen, ist meines Erachtens auch grundlegend für eine Einordnung und Bewertung zeitgenössischer Theoriebildung im Verhältnis zur Literaturwissenschaft. Vor dem Hintergrund der historischen Theoriebildung wird am Ende dieser Arbeit die zeitgenössische, vor allem im anglophonen Forschungsraum unter dem Sammelbegriff kognitive Metapherntheorie (cognitive theory of metaphor) erfolgreiche Strömung dahingehend diskutiert werden. Aufgrund ihres aktuell kontroversen Status wird ihrer differenzierten Darstellung und Diskussion ein besonderer Raum in dieser Arbeit zugestanden. Dabei steht die Frage im Raum, ob und inwieweit diese Theorien als einheitliche Gruppe zu verstehen sind und in welchem Maß sie sich als anschlussfähig an die Literaturwissenschaft erweisen beziehungsweise inwiefern sie einen Bruch zur bisherigen Theoriebildung darstellen.1 Im Lichte der zum Teil erheblichen Transformationen, die andere heute in der Literaturwissenschaft etablierte Theorien durchlaufen haben – so die These dieser Diskussion –, scheinen sich die mitunter heftigen Kontroversen um die potenzielle Fruchtbar-

1 Einen radikalen Bruch im Verhältnis zur älteren Theoriebildung proklamieren mitunter sowohl die Autoren kognitiver Theorien (vgl. George Lakoff/Mark Johnson: Metaphors We Live By. 3. Aufl. Chicago/London: University of Chicago Press 2003, S. 244–246) als auch von traditionell literaturwissenschaftlicher Seite bspw. Thomas Eder: Zur kognitiven Theorie der Metapher. Eine kritische Bestandsaufnahme. In: Zur Metapher. Die Metapher in Philosophie, Wissenschaft und Literatur. Hrsg. von Franz Josef Czernin/Thomas Eder. München: Fink 2007, S. 167–195.

Zielsetzung und Prämissen 

 3

keit dieser Theorien jedoch zu relativieren. Wie im Fall der kognitiven Theorien die Operationalisierung für die Literaturwissenschaft erfolgen kann beziehungsweise inwiefern sich Anknüpfungspunkte für die weitere Theoriebildung ergeben, soll anhand der aufgearbeiteten Metapherntheorien exemplifiziert werden, um anschließend Schlussfolgerungen speziell über die zeitgenössische Metapherntheoriebildung für die literaturwissenschaftliche Arbeit ableiten zu können. Dies kann als zweites Kernziel dieser Arbeit festgehalten werden. Die Erreichung dieses zweiten Ziels scheint jedoch die Beantwortung der Frage nach dem Gegenstand und der allgemeinen Forschungsfrage der Literaturwissenschaft vorauszusetzen, um vor diesem Hintergrund die Anschlussfähigkeit und Operationalisierbarkeit der verschiedenen Metapherntheorien ermessen zu können. Eine solche Definition kann jedoch im Rahmen dieser Untersuchung nicht erarbeitet werden und scheint zudem der (historischen) Realität des Faches unangemessen. Allenfalls ließen sich Momentaufnahmen zeitgenössischer Forschungsinteressen darlegen, ohne dass diese die Frageperspektiven, Bezugspunkte oder Methoden der Literaturwissenschaft abschließend festlegen würden. Als notwendige Grundlage für die Bearbeitung der Eingangsfragen wird in dieser Arbeit daher ein möglichst breites Verständnis der Literaturwissenschaft angesetzt. Einerseits umfasst dieses Verständnis eine traditionelle Literaturwissenschaft, in deren Fokus der Text im weitesten Sinne mit seinen intrinsischen Charakteristika, aber auch seinen vielfältigen externen Bezugspunkten wie Genretraditionen, Epoche, Autor, Rezipient etc. steht und die sich, schematisch gesprochen, vorwiegend der Analyse beziehungsweise Beschreibung des Textes und dessen Interpretation widmet.2 Für diesen Ansatz ist die Metapher entsprechend eines der Phänomene, die in erster Linie im Text zu identifizieren und gegebenenfalls zu interpretieren oder in Bezug zu textexternen Phänomenen zu setzen sind. Andererseits sollen kursorisch auch Tendenzen der Literaturwissenschaft aufgegriffen werden, die unter dem Label der empirischen Literaturwissenschaft3 in Deutschland seit den Siebzigerjahren bekannt sind, die den Fokus vom Text weg auf dessen (experimentell-)empirisch messbare Effekte auf Individuen und Gruppen legen. Nichtsdestotrotz ist auch diese literaturwissenschaftliche

2 Schematische Versuche, das Feld zu umreißen, finden sich im Beitrag von Tilmann Köppe/ Simone Winko: Theorie und Methode der Literaturwissenschaft. In: Handbuch Literaturwissenschaft. Bd. 2. Methoden und Theorien. Hrsg. von Thomas Anz. Stuttgart/Weimar: Metzler 2007, S. 285–371. 3 Vgl. für eine programmatische Schrift Helmut Hauptmeier: Einführung in die empirische Literaturwissenschaft. Braunschweig u. a.: Vieweg 1985. Einen deutlich weiteren Begriff von Empirie in der Literaturwissenschaft vertritt Philip Ajouri/Katja Mellmann/Christoph Rauen (Hrsg.): Empirie in der Literaturwissenschaft. Münster: Mentis 2013.

4 

 Auftakt

Strömung auf ein analytisches Instrumentarium zur Beschreibung von Texten angewiesen, da die empirische Erforschung von Texteffekten erst dann sinnvoll operationalisierbar ist, wenn Texte zu Gruppen mit gemeinsamen oder verschiedenen Charakteristika zusammengestellt werden können, auf deren Effekte hin im Anschluss getestet werden kann. Von dieser provisorischen Skizze des Faches ausgehend lassen sich drei Kerninteressen mit Bezug zur Metapher festhalten: Erstens die Identifikation4 beziehungsweise analytische Beschreibung von Metaphern, auf die sowohl traditionelle als auch empirische Literaturwissenschaft grundlegend angewiesen sind. Darauf aufbauend zweitens die Interpretation metaphorischer Textelemente beziehungsweise drittens die ausführliche Beschreibung metaphorischer Textstrukturen im Fall der traditionellen Literaturwissenschaft sowie viertens die Beschreibung beziehungsweise Erfassung von Effekten metaphorischer Textelemente in empirisch orientierter Literaturwissenschaft. Diese vier Interessen lassen sich als operationalisierungsorientierte Interessen zusammenfassen, für die vorgefundene Theorien einen Ausgangspunkt für die Auseinandersetzung mit Textphänomenen und deren Effekten bieten. Zentrale Fragen solcher Zugänge zu einer Metapherntheorie würden sich darauf richten, was durch sie in einem Text als Metapher sichtbar gemacht werden kann und welche Leitlinien die Theorie gegebenenfalls für die Interpretation der identifizierten Textelemente bietet oder welche Prognosen über deren Effekte sie nahelegt. Anschlussfragen können sein, inwiefern eine Theorie dem gängigen Fragenspektrum der Literaturwissenschaft potenziell neue Frageperspektiven hinzufügt, wie diese konkret lauten, mit welchen Verfahren sie beantwortet werden können und was ihre Beantwortung zur literaturwissenschaftlichen Diskussion über Texte und ihre Effekte beiträgt. Darüber hinaus bieten jede bestehende Theorie der Metapher und das in ihr vorgeschlagene Modell auch den Ansatz zur weiteren Theoriebildung und zur Weiterentwicklung des Modells. Ein solches metatheoretisches Interesse kann auch in der Literaturwissenschaft zunächst zumindest angenommen werden. Die basale Unterscheidung der literaturwissenschaftlichen Interessen in eine eher operationalisierungsorientierte Perspektive, die eine gewählte Theorie als Orientierungsmodell für die Auseinandersetzung mit Texten einsetzt, und eine Theoriebildungsperspektive, die vorgefundene Modelle einer kritischen Prüfung, Adaption und Weiterentwicklung unterzieht, um eine präzisere oder umfassendere Beschreibung des Phänomens zu ermöglichen, soll die Grundlage für die

4 Vgl. zu diesem Problem umfänglich Lutz Danneberg: Sinn und Unsinn einer Metapherngeschichte. In: Begriffsgeschichte, Diskursgeschichte, Metapherngeschichte. Hrsg. von Hans Erich Bödeker. Göttingen: Wallstein 2002, S. 259–421.

Zielsetzung und Prämissen 

 5

folgenden Diskussionen der Fruchtbarkeit einzelner Metapherntheorien für die Literaturwissenschaft sein. Operationalisierbarkeit und Anschlussfähigkeit der zahlreichen Theorien werden entsprechend in zwei Dimensionen untersucht werden: einmal hinsichtlich der Operationalisierbarkeit einzelner Theorien für die oben umrissenen Kerninteressen der Literaturwissenschaft. Andererseits wird die Frage zu diskutieren sein, welche Perspektiven sich aus einzelnen Theorien für eine Literaturwissenschaft ergeben, die sich über die Operationalisierung hinaus an der Theoriebildung beteiligen möchte, um die zeitgenössische Diskussion um den reichen Fundus ihrer Kenntnisse der theoretischen Traditionen und ihrer kritischen Expertise zu bereichern. Eine derartig interessierte Literaturwissenschaft müsste sich der Frage widmen, was aus der Theorienvielfalt und mit Blick auf die historische Entwicklung für die weitere Theoriebildung folgt. Die bisherige Theorielandschaft, so die zentrale These für die metatheoretische Fragestellung, gibt keinen Anlass zu der Annahme, dass sich einzelne Hypothesen und Theorien über die Metapher schlicht als ‚falsch‘ erweisen könnten oder sich auf lange Sicht eine ‚richtige‘ Theorie durchsetzen würde. Die epistemologischen Parameter zur Bestimmung des Phänomens Metapher erweisen sich über die Zeit als so veränderlich, dass man in einem direkten Theorienvergleich Wahrheitsanspruch gegen Wahrheitsanspruch stellen müsste, ohne dabei dem Fallstrick der eigenen historischen Verortung entgehen zu können. Allerdings kann die Identifizierung einer wahren Theorie der Metapher auch nicht das Hauptanliegen der Literaturwissenschaft sein und ist mit Sicherheit nicht das Anliegen dieser Arbeit. Vielmehr scheint die Herausforderung in der Fruchtbarmachung einzelner Theorien für verschiedene Fragestellungen und in der Koordination einer theoretischen und methodischen Vielfalt zu bestehen. Der historische Durchgang durch die Theorien und die in ihm nachgezeichneten Anknüpfungspunkte und Bruchlinien zwischen den einzelnen Ansätzen dient in diesem Zusammenhang als Grundlage für die weitere Diskussion einer solchen Koordinierung. Nicht Ziel der Arbeit sind dagegen die Entwicklung einer eigenen Theorie der Metapher oder eine Synthese der bisherigen Theorien unter einem bestimmten Gesichtspunkt.5

5 Jüngere Arbeiten, die eine solche Synthese anstreben, sind Christian Strub: Kalkulierte Absurditäten. Versuch einer historisch reflektierten sprachanalytischen Metaphorologie. Freiburg/ München: Alber 1991, Bernhard Debatin: Die Rationalität der Metapher. Eine sprachphilosophische und kommunikationstheoretische Untersuchung. Berlin/New York: de Gruyter [1995] und Katrin Kohl: Metapher. Stuttgart/Weimar: Metzler 2007.

6 

 Auftakt

1.2 Vorgehen Da die Metapher als Phänomen aus wechselnden historischen und disziplinären Perspektiven begreifbar gemacht werden soll, verbietet sich an dieser Stelle ein rein systematisches Vorgehen, das zum Beispiel existierende Metapherndefinitionen auf Gemeinsamkeiten und Unterschiede befragt, um einen Minimalbegriff der Metapher zu ermitteln.6 Stattdessen sollen die historischen, epistemologischen und diskursiven Indizes, die sich meiner Eingangsannahme zufolge in die jeweiligen Metapherntheorien eintragen, sichtbar gemacht und nicht als reine Akzidenzien behandelt werden. Daher gilt es zunächst, für die jeweiligen Metapherntheorien einen historischen und theoretischen Rahmen zu skizzieren. Erst vor dem Hintergrund dieses Rahmens, das wird zu zeigen sein, werden fundamentale Verschiebungen auch bei scheinbaren Konstanten (zum Beispiel Sprache, Bezeichnung, Namen, aber auch Denken, Wahrnehmung oder Gegenstände) erkennbar. Was es bedeutet, wenn die Metapher beispielsweise als ‚Übertragung eines Namens von einer Sache auf eine andere‘ bestimmt wird, lässt sich aus der hier eingenommenen Perspektive erst dann wirklich ermessen, wenn sich erahnen lässt, welche grundsätzlichen Annahmen über das Verhältnis von Sachen zu Namen zugrunde liegen – schon die Antike führt über diesen Zusammenhang heftige Kontroversen – und welche Instanz überhaupt die Übertragung leistet – ein genialer Rhetor, eine göttliche Setzung oder das Sprachsystem selbst? Entsprechend wird ein erheblicher Teil dieser Arbeit sich damit beschäftigen, den spezifischen Ausgangspunkt der einzelnen Autoren für ihre Auseinandersetzung mit der Metapher zu skizzieren und die jeweiligen Theorien mit ihren Charakteristika darzustellen und zu erläutern. Darauf aufbauend erfolgt die Relationierung der Theorien zueinander, durch das Nachzeichnen von Fragekomplexen oder thematischen Clustern, die auch durch die historischen Verschiebungen hindurch wiederkehren. Seinen offensichtlichsten Niederschlag findet dieses Verfahren der Relationierung der Theorien in ihrer Darstellung entlang von Leitfragen in der Gliederung der Arbeit. Unter sieben thematischen Überschriften finden sich Autoren unterschiedlichster Epochen zusammengestellt nach einer verbindenden Leitfrage. Als solche Fragekomplexe kann man zum Beispiel die nach der spezifischen Erkenntnisleistung der Metapher, ihrem rhetorischen Effekt oder ihrer kognitiven Grundlage identifizieren. Die verbindenden Leitfragen der einzelnen Komplexe sind dabei keineswegs gleichbedeutend mit einem identischen epistemischen Rahmen oder einem gemeinsamen

6 Ein solches Projekt liegt bereits vor mit Hans-Heinrich Lieb: Der Umfang des historischen Metaphernbegriffs. Dissertation. Köln: Universität zu Köln 1964.

Vorgehen 

 7

Forschungsprogramm der Autoren. Im Gegenteil erlaubt die Clusterbildung nach Leitfragen, historische Differenzen besonders deutlich herauszuarbeiten: Auch wenn sowohl Aristoteles als auch Max Black die spezifische Rolle der Metapher im Erkenntnisprozess entlang der analytischen Leitunterscheidung wahr/falsch diskutieren, so liegen beiden Argumentationen doch grundlegend unterschiedliche epistemologische Prämissen zugrunde. Die Prämissen, so ließe sich abstrahieren, sind also bei verschiedenen Autoren klar unterschieden, ungeachtet der konkreten Ergebnisse und Aussagen über die Metapher, zu denen die beiden Autoren gelangen. Mithilfe der Fragecluster können solche historischen Kontinuitäten und Brüche sowohl auf Ebene der allgemeinen (sprach-)philosophischen und epistemologischen Prämissen als auch auf Ebene der metapherntheoretischen Schlussfolgerungen sichtbar gemacht werden. Neben den historischen sollen aber auch diskursive Differenzen und Überschneidungen aufgezeigt werden, die einzelne Theorien zum Teil unabhängig von ihrem historischen Kontext durch eine disziplinär bestimmte Perspektive verbinden beziehungsweise trennen. Zwei Prämissen sind grundlegend, um die Bildung solcher thematischen Cluster überhaupt als legitimes Verfahren einer metatheoretischen Arbeit zu betrachten: Erstens die Annahme, dass alle theoretischen Entwürfe in Abhängigkeit von einem spezifischen geistesgeschichtlichen Kontext entstehen und mit ihrer Rekontextualisierung im Laufe der Rezeption Veränderungen unterliegen; zweitens, dass diese Veränderungen nicht nur entlang einer linearen Chronologie zu beobachten sind, sondern sowohl innerhalb einzelner diskursiver Sphären als auch parallel beobachtet werden können. Die Festlegung auf einzelne Leitfragen als Gliederungselemente der Arbeit ist zum einen grundsätzlich durch Bedingungen der Darstellbarkeit begründet: Irgendeine Entscheidung für Struktur und Abfolge muss getroffen werden.7 Zum

7 Die Liste der Autoren und Theorien, deren Fehlen in dieser Darstellung sich bemängeln ließe, ist lang. Sie beginnt in der Antike mit Aristotelesʼ Konterpart Platon, setzt sich fort mit Longinius und seiner Schrift Peri hypsous (Über das Erhabene), die sich in die Gruppe der rhetorischen Leitfrage einordnen ließe (vgl. für eine ausführlichere Diskussion der antiken Theorien der Metapher Dieter Lau: Metaphertheorien der Antike und ihre philosophischen Prinzipien. Ein Beitrag zur Grundlagenforschung in der Literaturwissenschaft. Frankfurt am Main u. a.: Lang 2006), und den spätantiken und mittelalterlichen Kompilatoren Donatus und Isidor von Sevilla (vgl. zu Metapherntheorie des Mittelalters Ulrich Krewitt: Metapher und tropische Rede in der Auffassung des Mittelalters. PhD Dissertation. Münster: Westfälische Wilhelms-Universität Münster 1971) über den die Frühe Neuzeit prägenden Petrus Ramus bis zu aufklärerischen Positionen wie der von Gotthold Ephraim Lessing (vgl. Klaus Müller-Richter/Arturo Larcati: „Kampf der Metapher!“. Studien zum Widerstreit des eigentlichen und uneigentlichen Sprechens. Zur Reflexion des Metaphorischen im philosophischen und poetologischen Diskurs. Wien: Verlag der österreichischen Akademie der Wissenschaften 1996, S. 121–145) oder Immanuel Kant (vgl. dazu

8 

 Auftakt

anderen orientiert sich die Auswahl der Leitfragen an historischen und disziplinären Abgrenzungen von Diskursen, die besonders intensiv an der Theoriebildung zur Metapher teilgehabt haben: Philosophie, Rhetorik, Theologie, Semiotik, Linguistik und in jüngster Zeit die sogenannten Kognitionswissenschaften. Die historische Veränderlichkeit der Disziplinen selbst, ihrer epistemologischen Vorannahmen und ihrer Erkenntnisinteressen, bringt es jedoch mit sich, dass auch so nicht unbedingt überzeitlich konstante Unterscheidungskriterien gewonnen werden können. Diese abstrakte These soll an dieser Stelle kurz anhand der im Lauf der Arbeit diskutierten Diskurstraditionen mit den jeweiligen Leitfragen illustriert werden, auch wenn in dieser gerafften Skizze die zum Teil erheblichen Verschiebungen innerhalb einer Diskurslinie zunächst nicht gefasst werden können. Der Diskurs über ‚Metapher und Wahrheit‘ (Max Black, Monroe C. Beardsley, Donald Davidson) lässt sich als eine der zwei genuin philosophisch geprägten Frageperspektiven verstehen. In ihr finden sich Autoren versammelt, die – entgegen durchaus verbreiteter philosophischer Trends, die Metapher als Teil der Rhetorik als überflüssigen Wortschmuck oder gar gefährliches Blendwerk abzutun oder zu verdammen – sie im Gegenteil als potenzielles Erkenntnisinstrument betrachten. Nichtsdestotrotz halten diese Autoren an einer Perspektive fest, die die wahre Erkenntnis als zentrales Interesse verfolgt und somit in der Paarung wahr/falsch ihre grundlegende Unterscheidung findet. Die Leitfrage ließe sich folgendermaßen zuspitzen: Wie kann die Metapher einen Erkenntnisbeitrag leisten, wenn doch ihre wörtliche Bedeutung formal unwahr ist? Die Bestimmungen dessen, was in den Bereich der Erkenntnis fallen kann, und die Argumentation, mit der die Zugehörigkeit der Metapher zu diesem Bereich begründet wird, variieren zwischen den Autoren; die Feststellung des Erkenntniswertes der Metapher teilen sie dessen unbenommen. Im Cluster ‚Metapher und Rede‘ findet sich die seit der Antike immer wieder zum Konterpart der Philosophie aufgebaute rhetorische Tradition wieder. Diese stellt das Erkenntnispotenzial der Metapher keineswegs in Abrede, stellt aber grundsätzlich eine andere Kernfrage: Wann sind welche Metaphern rhetorisch

Tassilo Eichberger: Kants Architektur der Vernunft. Zur methodenleitenden Metaphorik der Kritik der reinen Vernunft. Freiburg u. a.: K. Alber 1999) ebenso wie Johann Gottfried Herder, Johann Georg Hamann (vgl. Klaus Müller-Richter/Arturo Larcati: „Kampf der Metapher!“, S. 145–187) und Pierre Fontanier im 18. Jahrhundert. Ab dem 19. Jahrhundert wird das Feld schließlich gänzlich uferlos – sei dies auch nur der Tatsache geschuldet, dass die unvermeidlichen Verluste in der Überlieferung noch geringer sind. Ernst Cassierer, Ludwig Wittgenstein und schließlich Thomas William Empson und Ivor A. Richards gehören zu den schon klassischen Autoren, die in die Arbeit hätten eingehen können. Weniger bekannt aber inhaltlich keineswegs nebensächlicher wären die Werke von Stephen Coburn Pepper und Jost Trier.

Vorgehen 

 9

wirksam? Erkenntniseffekte können für die Wirksamkeit durchaus eine Rolle spielen, sie sind dieser jedoch im Zweifel untergeordnet und eher ein Mittel zum Zweck. Dass rhetorische Wirksamkeit dagegen keineswegs an konstante Charakteristika eines Textes gekoppelt ist, sondern stattdessen stark von den soziokulturellen Entstehungs- und Rezeptionsbedingungen bestimmt ist, schlägt sich in den veränderlichen Akzenten nieder, die die einzelnen Autoren in ihren Metapherntheorien setzen. Von der pragmatischen Orientierung aus, die die Rhetoriker stellenweise in die Nähe des Frageclusters ‚Metapher und Sprache‘ rückt, reflektieren diese Autoren im Rahmen ihrer pädagogischen Mission die Rhetorik als lehr- und lernbare Praxis, auch im Hinblick auf grundlegende Funktionen der Metapher als Element zur Erkenntnisgewinnung, als Sediment der Kulturgeschichte und als Fundus des Allgemeinwissens. Mit ‚Metapher und Schrift‘ soll ein dritter, oft vernachlässigter Fragekomplex aufgegriffen werden, der vor allem zwischen Spätmittelalter und Früher Neuzeit großen Einfluss auch auf die Entwicklung anderer Diskursstränge hatte: die christlich-theologische Metapherndiskussion. Diese übernimmt einerseits Elemente der antiken Rhetorik und greift andererseits die aus der philosophischen Diskussion bekannte Frage nach der Wahrheit der Metapher auf, wendet sie aber auf das zentrale Erkenntnisziel der christlichen Theologie an: die göttliche Wahrheit beziehungsweise deren Offenbarung in der Heiligen Schrift. Zentral wird das Problem der Metapher daher im Zusammenhang mit der Exegese der Heiligen Schrift, für die sie zum grundlegenden Instrument zur Erzeugung von hermeneutischer Konsistenz avanciert. Welche Annahmen von metaphorischer Bedeutung und Deutungsstrategien müssen zugrunde gelegt werden, um zu einer konsistenten Exegese zu gelangen? – so ließe sich die Leitfrage dieser Gruppe pointieren. Die bewegte Geschichte der christlichen Religion lässt entsprechend die metapherntheoretischen Grundlagen der Exegese nicht unberührt, sondern prägt sich vielmehr in deren Bewertung und vor allem in unterschiedliche Auslegungsregularien ein. So entfernt der dogmatische Hintergrund dieser Tradition dem heutigen Zeitgenossen scheinen mag, darf man sich nicht über ihre langanhaltende Nachwirkung in die verschiedenen anderen Metapherndiskurse hinein täuschen. Obwohl die meisten Metapherntheorien früher oder später auf die Zeichenproblematik zu sprechen kommen, rückt diese nur bei wenigen als zentrales Problem der Metapher in den Fokus. Spezifisch für die unter ‚Metapher und Zeichen‘ zusammengefassten Theorien ist dagegen der Versuch, zeichentheoretische Probleme als Metaphernstrukturen zu beschreiben. Welche Charakteristika liegen Zeichenstrukturen zugrunde, so ließe sich die Frageperspektive fassen, und wie manifestieren sich diese an der (sprachlichen) Oberfläche konkret verwendeter Zeichen? Die größten Überschneidungen weist die semiotische Frageperspektive mit der nach Metapher und Sprache und der nach Metapher und Phänomen auf,

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 Auftakt

insofern als sprachliche Zeichen als (paradigmatischer) Sonderfall von Zeichen betrachtet werden können und Teil der phänomenalen Umwelt sind. Spätestens die saussuresche Bestimmung des Zeichens etabliert jedoch die semiotische Perspektive auf Sprache als eine spezifische und – das wird in Gegenüberstellung mit dem Kapitel ‚Metapher und Sprache‘ deutlich – als nur eine mögliche. In grober Abgrenzung ließe sich formulieren, dass die Frage nach Metapher und Zeichen einerseits abstrakter ist als die Frage nach Metapher und Sprache, weil sie eine rein kommunikativ-funktionale Betrachtungsweise von Sprachzeichen überschreitet, und andererseits spezifischer, weil sie sich angesichts der vielfältigen Aspekte, die in der linguistischen Perspektive zur Beschreibung von Sprache in Betracht kommen, auf die semiotische Perspektive konzentriert. Die Überschneidungen mit dem Fragekomplex ‚Metapher und Phänomen‘ liegen insbesondere in der Frage der Zeichengenese und ihrem Verhältnis zu Wahrnehmungsphänomenen. Im Unterschied zu diesem bleibt in der semiotischen Perspektive das Hauptinteresse jedoch auf die internen Strukturzusammenhänge und Verhältnisse zwischen Zeichen gerichtet. Der Fragecluster ‚Metapher und Sprache‘ ist geprägt durch die Etablierung der Linguistik als eigenständiger Disziplin. Die in dieser thematischen Gruppe versammelten Autoren entwerfen ihre Theorien der Metapher auf der Grundlage eines Verständnisses von Sprache als Kommunikationsmittel mit verschiedenen funktionalen Aspekten. Die Metapher wird damit als Phänomen der alltäglichen Kommunikation begriffen. Erfolgreiche Metaphernkommunikation muss über einen der funktionalen Aspekte der Sprache begründbar sein. Leitend für diese Gruppe ließe sich die Frage formulieren: Wie ist systematisches Verstehen erklärbar in Fällen, in denen etwas anderes gesagt als gemeint wird, wobei nicht übergangen werden darf, dass die verschiedenen Autoren durchaus sehr unterschiedliche Konzepte von ‚Verstehen‘ zugrunde legen. Der Fragekomplex ‚Metapher und Phänomen‘ kann als zweiter philosophischer Fragecluster verstanden werden, der im Gegensatz zum ersten durch eine grundsätzlich erkenntniskritische Haltung geprägt ist, nichtsdestotrotz aber in der Metapher gerade den Mechanismus sieht, der die bedingte Phänomenerkenntnis, die dem Menschen zugestanden wird, ermöglicht. Welches Bild der Lebenswelt können wir mittels unserer immer schon indirekten und übertragenen Wahrnehmungs- und Erkenntnisstrukturen erlangen?, steht als Frage im Zentrum dieser Gruppe. Die Metapher ist mithin nicht nur – wie für die erste philosophische Gruppe – ein möglicher Erkenntnismechanismus, sondern vielmehr der zentrale, wenn nicht gar einzige und avanciert damit zur konstitutiven und existenzsichernden Zugriffsweise des Menschen auf die Phänomene der Welt. Der letzte Themenkomplex fasst unter ‚Metapher und Kognition‘ zeitgenössische Theorien, die sich selbst als ‚kognitive Theorien der Metapher‘ bezeichnen

Vorgehen 

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und mit zum Teil erheblicher Abgrenzungsrhetorik eine Trendwende in der Theoriebildung durch die Etablierung der ‚kognitiven Metapher‘ als neuen epistemischen Gegenstand verkünden. Die Metapher als sprachliches Phänomen verliert in diesem Diskurs insgesamt an Bedeutung. Stattdessen wird gefragt: Welche voroder nicht-sprachlichen Übertragungsmechanismen können wir annehmen (und nachweisen), die unsere Wahrnehmungs- und Verarbeitungsprozesse bedingen und sich unter anderem in sprachlichen Metaphern manifestieren? Die Untersuchung dieser Manifestationen erfolgt vor allem im Bereich der Alltagssprache, deren grundlegende Prägung durch kognitive Metaphern eine der zentralen Thesen dieses Theoriestranges ist. Trotz des revolutionären Gestus weisen die einzelnen Beispiele für kognitive Theorien klare Übereinstimmungen der Hypothesen zur Metapher mit den Theorien der Gruppen ‚Metapher und Phänomen‘ sowie ‚Metapher und Wahrheit‘ auf, aber hinsichtlich des Schwerpunkts auf alltäglicher Sprache auch mit der Gruppe ‚Metapher und Sprache‘, von denen sie selbst sich in erster Linie durch ihren methodologischen Anspruch abgrenzen – ein Anspruch, der zu diskutieren sein wird. Sowohl die vorgenommenen Gruppierungen und die damit einhergehende Festlegung auf diese sieben Bereiche als auch die konkret innerhalb der sieben Gruppen behandelten Autoren sollen als potenzielle Ausgangspunkte für umfangreichere Diskussionen betrachtet werden. Die Setzung kann für sich weder in Anspruch nehmen notwendig noch alternativlos zu sein. Im Gegenteil: Alternative Clusterbildungen oder zusätzliche, im Rahmen dieser Leitfragen nicht abgebildete, Kumulationspunkte zwischen einzelnen Theorien lassen sich mit Sicherheit nachweisen und sollen auch gleichsam quer zu den gewählten Clustern durch systematische Fußnotenverweise zwischen den einzelnen Theorieclustern zumindest angedeutet werden. Die hier entworfene Struktur der Arbeit zielt darauf, wie jede Kategorisierung, Gliederung oder Anordnung, bestimmte Charakteristika des Dargestellten sichtbar zu machen. In diesem Fall sollen durch die Neuanordnung mit ihrer Verschränkung von diachronen Linien und systematischen Schwerpunkten bislang nicht offengelegte Kontinuitäten und Brüche der Theoriebildung hervorgehoben werden. Nicht geleistet werden kann in diesem Rahmen eine systematische, epochenweise Bestimmung des Metaphernbegriffes in Abgrenzung zu seinen wechselnden tropologischen Nachbarbegriffen (Metonymie, Symbol, Gleichnis, Vergleich, Allegorie),8 der poetologischen Alternativ-

8 Vgl. für exemplarische Untersuchungen, die das Verhältnis von Allegorie und Symbol zu einem gegebenen historischen Zeitpunkt untersuchen, Michael Titzmann: Allegorie und Symbol im Denksystem der Goethezeit. In: Formen und Funktionen der Allegorie. DFG-Symposion 1978. Hrsg. von Walter Haug. Stuttgart: Metzler 1979, S. 642–665 sowie für ein ausführlicheres Beispiel

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Verfahren beziehungsweise Termini (Sprachbild, uneigentliche Regel)9 oder angrenzenden philosophischen Erkenntnisprinzipien (Analogie, Ähnlichkeit,

aus der Antike Marsh H. McCall, Jr.: Ancient Rhetorical Theories of Simile and Comparison. Cambridge: Harvard University Press 1969. Eine systematisch angelegte Übersicht über die traditionellen Tropen findet sich bei Lausberg. Dieser notiert zur Metapher: „a) metaphora (§§ 228–231) 228. Die metaphora […] ist der Ersatz (immutatio: § 174) eines verbum proprium (›Krieger‹) durch ein Wort, dessen eigene proprie-Bedeutung mit der des ersetzten Wortes in einem Abbild-Verhältnis (similitudo: § 401) steht (›Löwe‹: § 226). Die Metapher wird deshalb auch als ›gekürzter Vergleich‹ definiert, in dem das Verglichene mit dem Abbild in eins gesetzt wird. Dem Vergleich (similitudo) ›Achill kämpfte wie ein Löwe‹ entspricht die Metapher ›Achill war ein Löwe in der Schlacht‹.“ (Heinrich Lausberg: Elemente der literarischen Rhetorik. Eine Einführung für Studierende der klassischen, romanischen, englischen und deutschen Philologie. 10. Aufl. Ismaning: Hueber 1963, S. 78). Zur Metonymie: „216. Die metonymia […] besteht in einer Verschiebung der Benennung außerhalb der Ebene des Begriffsinhalts (§§ 184–185). Diese Verschiebung bewegt sich in den Ebenen, die der Verflechtung einer Erscheinung der Realität mit den umgebenden Realitäten entsprechen, welche im Inventions-Hexameter (§ 41) aufgezählt sind. Für die Metonymie treten die folgenden (§§ 217–224) Verflechtungen als Grundlagen der Benennung hervor. 217. In der realen Verflechtung (§ 216) von Ursache und Wirkung (§ 41: quibus auxiliis?) ist die Grundlage gegeben für die Benennung der Wirkung durch die Ursache (§ 218) und der Ursache durch die Wirkung (§ 219). […]. 220. In der realen Verflechtung (§ 216) von Gefäß und Inhalt (§ 41: ubi?) ist die Grundlage gegeben für die Benennung des Inhalts durch das Gefäß (§ 221) oder des Gefäßes durch den Inhalt (§ 222). […] 223. In der realen Verflechtung (§ 116) von QuaIitätsträger und Qualität (§ 41: quomodo?) ist die Grundlage gegeben für die abstrahierende Benennung des Qualitätsträgers durch die Qualität: vicinitas ›in der Nachbarschaft wohnende Menschen‹ (Cic. Verr. II 4, 44, 96), […]. 224. In der realen Verflechtung (§ 116) von soziaIem Phänomen und SymboI […] ist die Grundlage (§ 41: quibus auxiliis?) gegeben für die konkretisierende Benennung eines sozialen Phänomens durch sein instrumentales (oder konventionelles) Symbol: toga ›pax‹, arma ›bellum‹, tela ›bellum‹ (Cic. de or. 3, 41, 167); […]. 225. Die Grenzen zwischen Metonymie und Metapher (§ 2.2.8) sind fließend, da die Metonymie die Ebene des Begriffsinhalts verläßt (§ 116) und zwischen Verschiebung (§ 216) und Sprung (§ 226) dann kein deutlicher Unterschied mehr gemacht werden kann: 1) Entscheidend für die Metonymie ist die reale Partizipation des proprie-Bereichs am tropischen Bereich (§ 216), während die Metapher (§ 118) eine rein gedankliche Bereichs-Beziehung zur Grundlage hat. In magischer Auffassung allerdings liegt der metaphorischen Benennung durchaus eine reale Partizipation zugrunde, da Achill als ›Löwe‹ wirklich Löwennatur angenommen hat (§ 228), so daß die Metapher eine magische Metonymie darstellt. 2) Das Verlassen der Ebene des Begriffsinhalts in der Metonymie ergibt ausbaufähige Analogien zwischen der Ebene des proprie-Begriffs und der Ebene des tropischen Begriffs, so daß die Metonymie zur Allegorie (§ 413) erweitert werden kann. Derartige Allegorien sind besonders für die mythologische Metonymie (Ter. Eun. 732 sine Cerere et Libero friget Venus) und für die symbolische Metonymie (Menteur 1, 1, 1: § 224) ausgebaut worden.“ (Ebd., S. 75–78). 9 Vgl. zum poetologischen Diskurs Katrin Kohl: Poetologische Metaphern. Formen und Funktionen in der deutschen Literatur. Berlin/New York: de Gruyter 2007 oder Klaus Müller-Richter/ Arturo Larcati (Hrsg.): Der Streit um die Metapher. Poetologische Texte von Nietzsche bis Handke. Mit kommentierten Studien. Darmstadt: Wissenschaftliche Buchgesellschaft 1998.

Vorgehen 

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Modell).10 Stattdessen können die wichtigsten Grenzbegriffe und -konzepte innerhalb der einzelnen Diskurse und in den Texten der einzelnen Autoren nur punktuell dargestellt werden, in der Hoffnung, dass über die Gegenüberstellung dieser Ausschnitte Verschiebungen zwischen den einzelnen Begriffen und Konzepten erahnbar werden. Ebenso nicht geleistet werden kann eine über die konkreten Theoriearbeiten der Einzelautoren hinausgehende ausführliche Diskussion ihrer eigenen literarischen oder literaturwissenschaftlichen Arbeiten. Diese sollen lediglich dann aufgegriffen werden, wenn sie entscheidend für das Verständnis und die Einordnung sind. Zuletzt muss auch die wünschenswerte Gesamtschau der Literatur in dieser Arbeit als Desiderat unerfüllt bleiben: Zur älteren Literatur zur Metapher existieren drei umfangreiche Bibliografien,11 deren Erfassungszeitraum jedoch mit dem Jahr 1990 endet, just in dem Moment also, in dem die Produktivität der ‚kognitiven‘ Theoriebildung sich in einer enormen Publikationsaktivität manifestiert. Hinzu kommt die wiederum unüberschaubare Literatur zu den in dieser Arbeit behandelten einzelnen klassischen Autoren. Vor diesem Hintergrund kann hier nur versucht werden, die Breite der existierenden Diskussionen über die konkreten Referenztitel hinaus anzudeuten, indem auf ausführlichere Abhandlungen und Literaturübersichten zu Einzelautoren beziehungsweise -themen verwiesen wird. Die Relevanz der verschiedenen Metapherntheorien für die Literaturwissenschaft ergibt sich jedoch, wie oben formuliert, in einem hohen Maß aus ihrer Leistungsfähigkeit für die analytische Identifikation von sprachlichen Metaphern. Das jeweils von einer Theorie als Metapher identifizierte Phänomen bleibt im Rahmen der Theorien selbst jedoch meist abstrakt, sieht man von einzelnen illustrierenden Sätzen ab. Die Verschiedenheit der jeweils unter dem Terminus ‚Metapher‘ gefassten Phänomene wird dabei in der Regel nur unzureichend fassbar. Daher sollen die analytischen Konsequenzen der einzelnen Theorien im Rahmen dieser Arbeit zusätzlich illustriert werden durch die exemplarische Applikation einzelner Theorien auf einen Text. Hierbei kann es nicht darum gehen, diesen Text

10 Vgl. zu Einzelaspekten dieses Problemkreises als exemplarische Arbeiten Martin Gaier/Jeanette Kohl/Alberto Saviello (Hrsg.): Similitudo. Konzepte der Ähnlichkeit in Mittelalter und Früher Neuzeit. München: Fink 2012 oder E. E. Pender: Plato on Metaphors and Models. In: Metaphor, Allegory, and the Classical Tradition: Ancient Thought and Modern Revisions. Hrsg. von G. R. Boys-Stones. Oxford: Oxford University Press, 2003, S. 55–82. 11 Warren A. Shibles: Metaphor. An Annotated Bibliography and History. Whitewater, WI: The Language Press 1971; Jean-Pierre van Noppen (Hrsg.): Metaphor. A Bibliography of post-1970 Publications. Amsterdam/Philadelphia: Benjamins 1985, Jean-Pierre van Noppen/Edith Hols (Hrsg.): Metaphor II. A Classified Bibliography of Publications from 1985 to 1990. Amsterdam/ Philadelphia: Benjamins 1990.

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umfänglich zu analysieren, zu interpretieren oder auf seine potenziellen Effekte hin zu befragen. Stattdessen soll lediglich klar gemacht werden, welche Elemente des Beispieltextes auf der Grundlage einer jeweiligen Theorie begründet als Metaphern markiert werden könnten und welche interpretatorischen Schlüssel die Theorie zur weiteren Bearbeitung geben würde. Ein Beispiel für die potenzielle Ergiebigkeit eines solchen Vorgehens findet sich in Harald Weinrichs Aufsatz „Streit um Metaphern“,12 in dem er drei theoretische Positionen zur Metapher und deren analytische Konsequenzen an Walter Benjamins Text Möwen illustriert.13 Verfahren und Textbeispiel sollen in dieser Arbeit übernommen und kursorisch im Zusammenhang mit konkreten Theorien aufgegriffen werden. An dieser Stelle sei der, in den folgenden Beispielanalysen nur noch auszugsweise gebotene, Text in Gänze wiedergegeben: Möwen. Abends, das Herz bleischwer, voller Beklemmung, auf Deck. Lange verfolge ich das Spiel der Möwen. Immer sitzt eine auf dem höchsten Mast und beschreibt die Pendelbewegungen mit, die er stoßweise in den Himmel zeichnet. Aber es ist nie auf lange Zeit ein und dieselbe. Eine andere kommt, mit zwei Flügelschlägen hat sie die erste, – ich weiß es nicht: erbeten oder verjagt. Bis mit einem Male die Spitze leer bleibt. Aber die Möwen haben nicht aufgehört, dem Schiffe zu folgen. Unübersehbar wie immer, beschreiben sie ihre Kreise. Etwas anderes ist es, was eine Ordnung in sie hineinbringt. Die Sonne ist längst untergegangen, im Osten ist es sehr dunkel. Das Schiff fährt südwärts. Einige Helle ist im Westen geblieben. Was sich nun an den Vögeln vollzog – oder an mir? – das geschah kraft des Platzes, den ich so beherrschend, so einsam in der Mitte des Achterdecks mir aus Schwermütigkeit gewählt hatte. Mit einem Male gab es zwei Möwenvölker, eines die östlichen, eines die west-

12 Harald Weinrich: Streit um Metaphern. In: Sprache in Texten. Stuttgart: Klett 1976, S. 328–342. 13 Das grundsätzliche Verfahren, die Konsequenzen theoretischer Annahmen für literaturwissenschaftliche Arbeit am Text anhand eines Textbeispiels zu illustrieren, hat sich zudem in David E. Wellberys Beispielanalysen der Marquise von O. als besonders instruktiv erwiesen. Aufgrund des exemplarisch-illustrativen Status bezüglich der einzelnen Theorien, der dem Text im Rahmen dieser Arbeit zukommt, muss von einer umfassenden Interpretation abgesehen werden. Ebenso wenig können hier die literaturtheoretischen Aspekte von Benjamins eigenem Schaffen aufgearbeitet werden, auch wenn diese in der vorliegenden Diskussion besonders hinsichtlich seines Allegorie-Konzeptes anschlussfähig wären. (Vgl. für eine Übersicht über die ältere Literatur zu Benjamins Allegorie-Begriff Harald Steinhagen: Zu Walter Benjamins Begriff der Allegorie. In: Formen und Funktionen der Allegorie. Symposion Wolfenbüttel 1978. Hrsg. von Walter Haug. Stuttgart: Metzler 1979, S. 666–685; außerdem Burckhardt Lindner: Allegorie. In: Benjamins Begriffe. Bd. 2. Hrsg. von Michael Opitz/Erdmut Wizisla. Frankfurt am Main: Suhrkamp 2000, S. 50–94; zu den allegorischen ‚Bilder‘-Texten Burkhardt Lindner (Hrsg.): Benjamin-Handbuch. Leben – Werk – Wirkung. Stuttgart/Weimar: Metzler 2006, bes. S. 626–643). Folgt man Steinhagens Argument, so lässt sich anhand des benjaminschen Allegoriebegriffes eine ebensolche Verschiebung der Allegoriekonzeption im Vergleich zu ihren mittelalterlichen und barocken Vorläufern konstatieren, wie sie in dieser Arbeit für die Metapher gezeigt werden soll.

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lichen, linke und rechte, so ganz verschieden, daß der Name Möwen von ihnen abfiel. Die linken Vögel behielten gegen den Grund des erstorbenen Himmels etwas von ihrer Helle, blitzten mit jeder Wendung auf und unter, vertrugen oder mieden sich und schienen nicht aufzuhören, eine ununterbrochene, unabsehbare Folge von Zeichen, ein ganzes, unsäglich veränderliches, flüchtiges Schwingengeflecht – aber ein lesbares – vor mich hinzuweben. Nur daß ich abglitt, um mich stets von neuem bei den andern zurückzufinden. Hier stand mir nichts mehr bevor, nichts sprach zu mir. Kaum war ich denen im Osten gefolgt, wie sie, im Fluge gegen einen letzten Schimmer, ein paar tiefschwarzer, scharfer Schwingen, sich in die Ferne verloren und wiederkehrten, so hätte ich ihren Zug schon nicht mehr beschreiben können. So ganz ergriff er mich, daß ich mir selber, schwarz vom Erlittenen, eine lautlose Flügelschar, aus der Ferne zurückkam. Links hatte noch alles sich zu enträtseln, und mein Geschick hing an jedem Wink, rechts war es schon vorzeiten gewesen, und ein einziges stilles Winken. Lange dauerte dieses Widerspiel, bis ich selbst nur noch die Schwelle war, über der die unnennbaren Boten schwarz und weiß in den Lüften tauschten.14

Mittels der Beispielanalysen anhand von Möwen wird auch die Frage nach der Operationalisierbarkeit einzelner Metapherntheorien für die Literaturwissenschaft besser diskutierbar werden. Betrachtet man, wie eingangs formuliert, die Beschreibung von Textphänomenen und -strukturen als ein zentrales Element literaturwissenschaftlichen Arbeitens, so lässt sich der Grad der Operationalisierbarkeit zumindest versuchsweise daran ablesen, ob und wenn ja was im Text Möwen durch die Perspektive einer bestimmten Theorie als Metapher sichtbar gemacht werden kann. Mit der Festlegung auf diesen Text ist wiederum ein winziger, exemplarischer Ausschnitt aus dem Spektrum potenziell wählbarer Texte als Basis für diese Arbeit gesetzt und die Evidenz, die auf seiner Grundlage im Zusammenspiel mit den ausgewählten Theorien erzeugt werden kann, soll nicht Alternativen in der Besetzung einzelner Positionen im Gesamtaufbau der Arbeit leugnen. Stattdessen soll ein alternativer Zugang zum Thema der Metapherntheorie vorgeschlagen werden, der weder eine nach vollständiger Darstellung strebende, der Diachronie verpflichtete Historie der Metapherntheorie zum Ziel hat, noch eine ahistorisch operierende, nach der Integration einzelner Theorien in ein konsistentes Raster strebende Systematik durchsetzen will.15

14 Walter Benjamin: Denkbilder. Frankfurt am Main: Suhrkamp, S. 51–52. 15 Typischerweise folgen Handbücher und Lexika wie der Beitrag im Handbuch für Ästhetische Grundbegriffe von Stefan Willer: Metapher/metaphorisch. In: Ästhetische Grundbegriffe. Hrsg. von Karlheinz Barck u. a. 7. Supplemente, Register. Stuttgart/Weimar: Metzler, S. 89–148 oder das Lemma von Ekkehard Eggs: Metapher. In: Historisches Wörterbuch der Rhetorik. Hrsg. von Gert Ueding. Bd. 5. Tübingen: Niemeyer 2001, S. 1099–1183 im Historischen Wörterbuch der Rhetorik einer chronologischen Darstellung. Daneben existieren auch verschiedene historische Studien mit unterschiedlicher Reichweite und Tiefe wie Terence Hawkes: Metaphor. London: Methuen 1972, das insgesamt sehr schlank ist im Gegensatz zu Klaus Müller-Richter/Arturo Larcati: „Kampf

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Das bis hierher positiv skizzierte Vorgehen lässt sich umgekehrt noch einmal negativ in Abgrenzung zu anderen Projekten beschreiben, die ebenfalls mit unterschiedlichen Zielen und Verfahren das Feld der Metapherntheorien darstellen, gliedern und ordnen. Die dem vorliegenden Projekt am ähnlichsten gelagerten Arbeiten der neueren Zeit sind wohl Eckard Rolfs Band Metaphertheorien16 sowie Miriam Taverniers’17 Studie Metaphor and Metaphorology. Diese sollen kurz in ihrer Stoßrichtung und ihrem Verfahren skizziert und die Differenz zum vorliegenden Projekt deutlich gemacht werden. Beide Projekte lassen sich als Grenzfälle an jeweils entgegengesetzten Enden meines eigenen Projektes verstehen, da sie im Fall Taverniers’ als Aufarbeitung der Metapherntheorien entlang der Diachronie und im Falle Rolfs vor dem Raster einer Systematik betrachtet werden können.18 Taverniers’ Dissertation formuliert die ontologisch anmutende Frage „what is ‘metaphor’“19 als Kerninteresse der Arbeit, auch wenn sie sich nahezu ausschließlich mit der Theoriebildung zur Metapher auseinandersetzt und keine eigenen Analysen entwickelt. Die Prämissen für dieses Vorgehen müssen daher lauten, dass erstens die Theorien der Metapher tatsächlich als Abbild des Wesens der Metapher betrachtet werden können und dass zweitens dieses Wesen sich in der genealogischen Perspektive der Arbeit zu einem einheitlichen Ganzen heraus-

der Metapher!“. Umfassende systematische Darstellungen finden sich seltener, zu erwähnen ist hier besonders Eckard Rolf: Metaphertheorien. Typologie, Darstellung, Bibliographie. Berlin/ New York: de Gruyter 2005 und der begriffsanalytisch verfahrende Hans-Heinrich Lieb: Der Umfang des historischen Metaphernbegriffs. 16 Eckard Rolf: Metaphertheorien. 17 Miriam Taverniers: Metaphor and Metaphorology. A Selective Genealogy of Philosophical and Linguistic Conceptions of Metaphor from Aristotle to the 1990s. Gent: Academia Press 2002. 18 Weniger Ähnlichkeit scheint zwischen dem hier gewählten Ansatz und der umfangreichen Sammelbandliteratur zur Metapher zu bestehen. Hier reicht die Bandbreite von Sammelbänden mit klarem thematischen Schwerpunkt bei theoretischer und methodischer Varianz der Arbeiten (zum Thema der potenziellen Innovationskraft der Metapher bspw. Lutz Danneberg/Andreas Graeser/Klaus Petrus (Hrsg.): Metapher und Innovation. Die Rolle der Metapher im Wandel von Sprache und Wissenschaft. Bern u. a.: Haupt 1995) über solche, die sich als Zusammenstellung unterschiedlicher Fragestellungen und Verfahren unter einer gemeinsamen theoretischen Perspektive verstehen (bspw. Francisco Gonzálvez-García/María S. Peña Cervel/Lorena Pérez Hernández (Hrsg.): Metaphor and Metonymy Revisited beyond the Contemporary Theory of Metaphor. Recent Developments and Applications. Amsterdam/Philadelphia: Benjamins 2013 unter einer gemeinsamen kognitiven Theorieperspektive oder Matthias Kroß/Rüdiger Zill: Metapherngeschichten. Perspektiven einer Theorie der Unbegrifflichkeit. Berlin: Parerga 2011 unter einer metaphorologischen Perspektive) bis zu sehr breit angelegten Bänden unter einem weiten Metaphernbegriff mit unterschiedlichen Fragestellungen und Verfahren (bspw. Franz J. Czernin/Thomas Eder (Hrsg.): Zur Metapher. Die Metapher in Philosophie, Wissenschaft und Literatur. München: Fink 2007). 19 Miriam Taverniers: Metaphor and Metaphorology, S. 1.

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präparieren lässt. Bereits diese beiden Prämissen unterscheiden sich klar von den diesem Projekt zugrunde liegenden Vorannahmen. Im Verfahren ähnelt Taverniers’ Zugang dem hier vorgeschlagenen insofern als sie ihre Arbeit ebenfalls grundsätzlich chronologisch aufbaut, womit auch sie mit den Problemen der Auswahl und Reduktion der behandelten Theorien sowie der Darstellungsproblematik umgehen muss.20 Anders als im vorliegenden Projekt ist Taverniers’ Arbeit jedoch durch einen klaren Schwerpunkt auf der linguistischen und kognitiven Theoriebildung21 des zwanzigsten und einundzwanzigsten Jahrhunderts geprägt und hat hier sowohl im Umfang als auch in der Sachkenntnis ihre klare Stärke. Die früheren Epochen werden eher wie Vorläufer einer zeitgenössischen umfassenden und korrekten Theoriebildung behandelt, wobei ihre Komplexität drastisch reduziert22 und ihre historische Verortung ausgeblendet wird. Die Darstellung ist bei Taverniers streng chronologisch angelegt; das historische Nebenund Ineinander verschiedener Theorieströmungen wird lediglich in der Karte der historischen Theorieströmungen im Anhang erahnbar, selbstverständlich ohne dass hier Differenzen, Ähnlichkeiten und Übergänge inhaltlich ausgeführt werden könnten. Diese Einebnung historischer Differenzen scheint vor dem Hintergrund von Taverniers’ Fragestellung zwar zielführend, markiert damit aber auch gleichzeitig eine fundamentale Differenz zum hier vorgeschlagenen Frageansatz und Vorgehen. Mit der hier gewählten Darstellung von Diskurslinien23 sollen genau diese Aspekte von historischer und diskursiver Differenz und Kontinuität klarer sichtbar gemacht werden, ohne eine teleologische Perspektive zu präsupponieren. Insofern lassen sich Taverniers’ Arbeit und das hier vorliegende Projekt sowohl hinsichtlich der Prämissen als auch hinsichtlich der Schwerpunktsetzung als komplementäre Entwürfe einer historischen Perspektivierung der Metapherntheoriebildung betrachten.

20 Taverniers bezeichnet ihr eigenes Vorgehen als genealogisch beziehungsweise als metaphorologisch, verwendet den Begriff jedoch offenbar unabhängig von seiner blumenbergschen Prägung und ohne Erwähnung des dazugehörigen Autors oder der damit verbundenen Theorie der Metapher. 21 Die semiotische und dekonstruktivistische Theoriebildung findet dagegen keine Beachtung. 22 Taverniers bewertet die fast zweitausend Jahre zwischen Aristoteles und dem 20. Jahrhundert bezeichnenderweise als „relatively barren period in the history of metaphorology“ (ebd., S. 169). Dünn scheint mir allerdings weniger die Produktivität dieser Periode insgesamt als vielmehr die Aufmerksamkeit, die Taverniers ihr schenkt und entsprechend ihre Darstellung im Rahmen der Arbeit. Taverniers widmet dem Zeitraum zwischen Aristoteles und dem 20. Jahrhundert im Ganzen elf Seiten. 23 Stärker als von Tavernier ist meine Darstellung in der Tat von Haverkamps Anordnung in Paradoxe Metapher inspiriert. (Vgl. Anselm Haverkamp (Hrsg.): Die paradoxe Metapher. Frankfurt am Main: Suhrkamp 1998).

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Während die strenge Chronologie Taverniers’ mein Vorgehen zur einen Seite hin begrenzt, lässt sich auf der anderen Seite Eckard Rolfs systematisch angelegte Aufarbeitung von 25 Metapherntheorien positionieren.24 Rolfs Prämissen sind den hier unterliegenden insofern ähnlicher als Taverniers’, als er von Metapherntheorien grundsätzlich im Plural spricht und seine Darstellung nicht den Eindruck einer einfachen Synthetisierbarkeit der Theorien weckt. Als systematische Grundlage der Darstellung dient Rolf ein selbst entwickeltes System aus vier Kategorien, nach denen die Theorien zunächst in semiotische und semiosische Ansätze unterschieden werden. Semiotische Theorien widmen sich nach Rolf in erster Linie der Frage, ob die Metapher eher als semantisches25 oder eher als pragmatisches26 Phänomen zu behandeln ist und lassen sich dementsprechend in bedeutungsbezogene und gebrauchsbezogene Ansätze unterteilen. Den semiosischen Theorien spricht Rolf dagegen eine Perspektive auf die Metapher als Element des Zeichenprozesses zu, wobei er hier wiederum eine funktions-27 und eine formbezogene28 Perspektive unterscheidet. Unter einer Theorie versteht Rolf nicht notwendigerweise die theo-

24 Der Umfang, in dem die einzelnen Theorien behandelt werden, variiert auch bei Rolf erheblich: Die Referenzverdopplungstheorie Glucksbergs umfasst in Rolfs Darstellung zwei Seiten, während die Cicero zugeordnete ‚Vergleichstheorie‘ 14 Seiten umfasst. 25 Hier behandelt Rolf Patti D. Nogales (‚Rekonzeptualisierungstheorie der Metapher‘); Samuel R. Levin (‚von der Merkmalstransfer- zur Konzeptionstheorie der Metapher‘); Earl McCormac (‚Kognitionstheorie der Metapher‘); Paul Ricoeur (‚Paradoxietheorie der Metapher‘), Sam Glucksberg (‚Referenzverdopplungstheorie der Metapher‘); Arthur C. Danto und David E. Wellbery (‚Intensionstheorie der Metapher‘) und Joseph Stern und Michiel Leezenberg (‚Kontextabhängigkeitstheorie der Metapher‘). (Vgl. Eckard Rolf: Metaphertheorien, S. 167–213). 26 Hier präsentiert Rolf die Theorien von Ted Cohen (‚Sprechakttheorie der Metapher‘); John R. Searle (‚Divergenztheorie der Metapher‘); Colin Murray Turbayne, Paul Grice, Aloysius P Martiniche (‚Prätentionstheorie der Metapher‘); Dan Sperber/Deirdre Wilson, Robyn Carston (‚Sinnauflockerungstheorie der Metapher‘) und Donald Davidson (‚Extensionstheorie der Metapher‘). (Vgl. ebd., S. 127–159). 27 Hier finden sich Karl Bühler (‚Gestalttheorie der Metapher‘); George Lakoff/Mark Johnson, Zoltán Kövecses (‚Konzeptualisierungstheorie der Metapher‘); Hans Blumenberg (ohne Paul de Man) (‚Epistemologietheorie der Metapher‘); Bernhard Debatin (‚Rationalitätstheorie der Metapher‘); Jean-Jacques Rousseau mit Jacques Derrida (‚Emotionstheorie der Metapher‘). (Vgl. ebd., S. 225–265). 28 Hier werden Cicero (‚Vergleichstheorie der Metapher‘); Ivor A. Richards, Max Black (‚Interaktionstheorie der Metapher‘); Monroe C. Beardsley, Christian Strub (‚Absurditätstheorie der Metapher‘); Eva F. Kittay (‚Inhaltverdopplungstheorie der Metapher‘); Walter Porzig, Eugenio Coseriu, Harald Weinrich, Nelson Goodman, Catherine Z. Elgin (‚Feldtheorie der Metapher‘); Aristoteles, Hans Georg Coenen (‚Analogietheorie der Metapher‘); Lynne Tirrell (‚Anaphertheorie der Metapher‘) und Quintilian, Roman Jakobson, die Gruppe µ, Jacques Lacan (‚Substitutionstheorie der Metapher‘) angeführt. (Vgl. ebd., S. 19–127).

Vorgehen 

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retische Arbeit eines einzelnen Autors. Stattdessen schlägt er 25 Theorien mit jeweils eigenem Namen29 vor, unter die sich die Positionen eines oder mehrerer Autoren subsumieren lassen. So behandelt Rolf beispielsweise unter dem Titel ‚Substitutionstheorie‘30 Quintilian, Roman Jakobson, die Gruppe µ und Jacques Lacan, während unter ‚Paradoxietheorie‘31 nur Paul Ricoeur behandelt wird. Die in dieser Weise behandelten und gruppierten Autoren umfassen Aristoteles und die zwei lateinischen Klassiker Cicero und Quintilian und – zahlmäßig deutlich überwiegend – Autoren des zwanzigsten und einundzwanzigsten Jahrhunderts. Dazwischen steht einzig Jean-Jacques Rousseau, während beispielsweise Giambattista Vico oder Friedrich Nietzsche fehlen. Der systematische Zugang Rolfs schafft ein breites, klar gegliedertes Tableau, der historische Index der Theorien und ihre Verwurzelung in einem spezifischen epistemischen Rahmen müssen dabei jedoch weitgehend vernachlässigt werden. Ebenso können die vielfachen Bezüge der einzelnen Autoren über die Theoriegruppen hinaus nur bedingt sichtbar gemacht werden, etwa wenn Rolf die Rezeption Monroe C. Beardsleys durch John Searle thematisiert.32 Kategorienübergreifende Relationierungen, wie sie sich beispielsweise zwischen der ‚Inhaltsverdopplungstheorie‘ (Federer, semiosisch-formbezogener Ansatz) und der ‚Referenzverdopplungstheorie‘ (Glucksberg, semiotisch-semantischer Ansatz) anbieten, nimmt Rolf dagegen nicht vor, sieht man einmal von dem lakonischen Verweis auf die Existenz der anderen Theorie ab.33 Strukturelle und funktionale Ähnlichkeiten und Äquivalente, die sich trotz unterschiedlicher Zugänge und Terminologien in Theorien unterschiedlichster Provenienz aufzeigen lassen,34 entziehen sich in der gewählten Systematik der Darstellbarkeit. Für das vorliegende Projekt zentrale Fragen nach der Langzeitwirkung einer theoretischen Konzeption innerhalb eines Diskurses beziehungsweise seiner Adaptierbarkeit durch andere Diskurse sind damit nicht fassbar.

29 Die Genese der Namen führt Rolf weitgehend auf Elemente und Begriffe zurück, die in den jeweiligen Theorien ein entscheidendes Merkmal der Metapher bilden. Dass diese Namensgebung durchaus diskutierbar wäre, wird an der Benennung von Lakoff/Johnsons Theorie besonders deutlich, der Rolf tatsächlich ‚kognitive‘ Merkmale entgegen der Eigendarstellung der Autoren explizit abspricht. 30 Vgl. ebd., S. 93–127. 31 Vgl. ebd., S. 195–205. 32 Vgl. ebd., S. 137–141. 33 Vgl. ebd., S. 53. 34 Im Rahmen dieser Arbeit wird sich beispielsweise die Fundierung der Metapher auf kollektiven Gemeinplätzen unter verschiedensten Begriffen als wiederkehrender Theoriebaustein bei Autoren unterschiedlicher Epochen erweisen.

2 Ouvertüre: Aristoteles (384–322 v. Chr.) Der Weg meiner Worte führt mitten durch die Taten des Chares.1

Aristotelesʼ Theorie der Metapher steht traditionellerweise am Anfang einer Diskussion von Metapherntheorien überhaupt und bildet für spätere Theorien bis in die Gegenwart einen mehr oder weniger direkten Referenzpunkt.2 Für einige Autoren scheint mit Aristoteles im Grunde schon alles über die Metapher gesagt zu sein,3 viele verwenden seine Thesen als Ausgangspunkt4 und als gern zitierte Autorität,5 wieder andere entwickeln ihre eigene Position als Kontrapunkt zur aristotelischen.6 Besonders bemerkenswert ist diese anhaltende Präsenz, wenn man sich vor Augen führt, dass die Behandlung der Metapher bei Aristoteles weder an besonders prominenter Stelle noch besonders ausführlich erfolgt.7 Vielmehr scheint sie zunächst ein Randprodukt8 innerhalb übergeordneter Dis-

1 Aristoteles: Rhetorik. Hrsg. von Christof Rapp. Berlin: Akademie-Verlag 2002, 1411 b 2. 2 Entsprechende Bezugnahmen einzelner Autoren auf die aristotelischen Thesen, aber auch Bezugnahmen der übrigen Theorien aufeinander, werden im Folgenden an den jeweiligen Stellen in Fußnoten vermerkt. Für eine ältere Studie, die sich auführlich einer Rekonstruktion der aristotelischen Theorie widmet, vgl. Johannes Sinnreich: Die aristotelische Theorie der Metapher. Ein Versuch ihrer Rekonstruktion. München 1969. 3 Hier lässt sich Emanuele Tesauro anführen, der Aristoteles als den Meister der Metapherntheorie zitiert, nichtsdestotrotz aber selbst ein außergewöhnlich umfängliches Werk zur Metapher verfasst, das sich keineswegs nur auf Aristoteles bezieht. Vgl. zu Emanuele Tesauro Kap. 4.3. 4 Vgl. hierzu beispielsweise die Metapherntheorie von Hans Georg Coenen, die ihren Ausgangspunkt an der aristotelischen Analogie-Metapher nimmt (Hans G. Coenen: Analogie und Metapher. Grundlegung einer Theorie der bildlichen Rede. Berlin/New York: de Gruyter 2002). Vgl. für Autoren, die Aristoteles an den Ausgangspunkt ihrer Theoriebildung stellen, außerdem zu Max Black Kap. 3.1. und zu Paul Ricoeur Kap. 8.3. 5 Vgl. hierzu besonders Emanuele Tesauro Kap. 4.3. 6 Vgl. hierzu beispielsweise George Lakoffs Conceptual Metaphor Theory (CMT) Kap. 9.1. 7 Auch wenn der Großteil der hier behandelten Autoren Metapherntheorie wie Aristoteles eher unter anderem verfasst, steht sie bei einigen dennoch als zentrales Thema im Zentrum, von dem aus andere Fragekomplexe behandelt werden. Vgl. für solche genuinen Metapherntheorien Emanuele Tesauro Kap. 4.3., zu Paul Ricoeur Kap. 8.3. sowie zu George Lakoff Kap. 9.1. und 9.2. 8 Rekurse auf die Metapher und ihre Effekte und Funktionen finden sich vor allem in der Poetik und Rhetorik, aber auch in der Topik, der Analytica posteriora und sogar in seinen naturwissenschaftlichen Schriften. Damit ist das Thema zwar über die beiden klassischen Bereiche Rhetorik und Poetik hinaus präsent, aber mit Blick auf das Gesamtwerk doch noch breiter gestreut, jedoch nie von absolut zentraler konzeptioneller Bedeutung wie zum Beispiel die philosophisch fundamentalen Konzepte hyle/eidos und dynamis/energeia. (Vgl. dazu Ingemar Düring: Aristoteles. Darstellung und Interpretation seines Denkens. Heidelberg: Winter 1966, S. 25–32). Die Diskussion zentraler Passagen der jeweiligen Schriften folgt hier ihrer ‚relativen‘ Chronologie wie https://doi.org/10.1515/9783110585353-002

Ouvertüre: Aristoteles (384–322 v. Chr.) 

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kurse9 zu sein und sich nicht zuletzt aus der kontroversen Auseinandersetzung

sie von Düring nahegelegt wird (vgl. ebd., S. 48–53) und sich in einschlägigen zeitgenössischen Einführungswerken wiederfindet. (Vgl. Oliver Primavesi: Werk und Überlieferung. In: AristotelesHandbuch. Leben – Werk – Wirkung. Hrsg. von Christof Rapp/Klaus Corcilius. Stuttgart/Weimar: Metzler 2011, S. 57–64). 9 Aristotelesʼ Behandlung der Metapher ist eng verknüpft mit seiner Ontologie, seiner Erkenntnistheorie und Sprachphilosophie. Wolfram Ax beschreibt die enge Verknüpfung von Sprachphilosophie und Ontologie bei Aristoteles als Herausforderung: „Eine Auswertung dieser und anderer Passagen [Ax bezieht sich auf die Kategorien-Schrift] für die Sprachphilosophie des Aristoteles ist erstens deshalb schwierig, weil er durchweg seiner primären Neigung zum Begrifflichen entsprechend, überwiegend onomasiologisch verfährt, d. h. nicht von sprachlichen, sondern von begrifflichen und sachlichen Gegebenheiten ausgeht, und dann nach deren sprachlicher Bezeichnung fragt […]. So ergibt sich aus dem onomasiologischen Beschreibungsansatz des Aristoteles ein oft irritierendes, kaum trennbares Ineinander einer linguistischen, begrifflichen und ontologischen Perspektive, was übrigens keineswegs bedeutet, daß er sie nicht im Prinzip klar geschieden hätte,  […].“ (Wolfram Ax: Aristoteles (384–322). In: Lexis und Logos. Studien zur antiken Grammatik und Rhetorik. Hrsg. von Farouk Grewing. Stuttgart: Steiner 2000, S. 48–72, hier auf S. 50). Ansatzpunkt für Aristotelesʼ philosophische Untersuchung ist immer das empirisch wirklich Seiende. (Vgl. zu Aristotelesʼ ‚Empirismus‘ Micheal Ferejohn: Empiricism and the First Principles of Aristotelian Science. In: A Companion to Aristotle. Hrsg. von Georgios Anagnostopoulos. Malden u. a.: Blackwell 2009, S. 66–80). In der Konsequenz misst er auch der sinnlichen Wahrnehmung des singulär Gegebenen eine hohe Bedeutung für dessen Erkenntnis bei. Die Frage nach der Leistungsfähigkeit der Sprache zur Wiedergabe von erkannten Wahrheiten beantwortet Aristoteles vor dem Hintergrund einer weiter entwickelten Satzlogik und Grammatik nicht wie Platon auf der Ebene des einzelnen Begriffs (vgl. zu Platon Josef Derbolav: Platons Sprachphilosophie im Kratylos und in den späteren Schriften. Darmstadt: Wissenschaftliche Buchgesellschaft 1972, v. a. S. 32–33), sondern auf der Ebene von kombinierten Begriffen. (Vgl. Aristoteles: Peri hermeneias. Hrsg. von Hermann Weidemann. Berlin: Akademie-Verlag 1994, 16 a 13–17. Vgl. außerdem dazu David Sedley: Aristotle’s De interpretatione and Ancient Semantics. In: Knowledge Through Signs. Ancient Semiotic Theories and Practices. Hrsg. von Giovanni Manetti. Bologna: Brepols 1996, S. 87–108, hier auf S. 96–97 sowie Wolfram Ax: Zum isolierten ῤῆμα in Aristotelesʼ de interpretatione 16 b 19–25. In: Lexis und Logos. Studien zur antiken Grammatik und Rhetorik. Hrsg. von Farouk Grewing. Stuttgart: Steiner 2000, S. 40–47, hier auf S. 42). Das einzelne Wort ist damit nicht wahr oder falsch, sondern bestimmte Kombinationen von Worten führen zu wahren und falschen Aussagen. Das einzelne Wort ist dagegen Symbol für einen psychischen Prozess. Das Verhältnis des sprachlichen Zeichensystems zu seinem ontischen Bezugssystem ist bei Aristoteles also über die Psyche vermittelt: „Nun sind die (sprachlichen) Äußerungen unserer Stimme ein Symbol für das, was (beim Sprechen) unserer Seele widerfährt, und das, was wir schriftlich äußern, (ist wiederum Symbol) für die (sprachliche) Äußerung unserer Stimme. Und wie nicht alle (Menschen) mit denselben Buchstaben schreiben, so sprechen sie auch nicht alle dieselbe Sprache. Die seelischen Widerfahrnisse aber, für welche dieses (Gesprochene und Geschriebene) an erster Stelle ein Zeichen ist, sind bei allen (Menschen) dieselben; und überdies sind auch schon die Dinge, von denen diese (seelischen Widerfahrnisse) Abbildungen sind (für alle dieselben).“ (Aristoteles: Peri hermeneias, 16 a 1–9). Das Vertrauen,

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mit der platonischen Lehre zu motivieren.10 Was die bemerkenswerte Präsenz der aristotelischen Theorie begründet, wird dabei jedoch selten thematisiert und soll daher auf den folgenden Seiten im Fokus des Interesses stehen. Was, so lässt sich zugespitzt fragen, macht die aristotelische Theorie der Metapher zu einem historisch so erfolgreichen Entwurf? Zur Beantwortung dieser Frage sollen die verstreuten metapherntheoretischen Passagen zunächst einzeln verortet und diskutiert werden. Frühe Spuren des Metaphernproblems finden sich in Buch sechs der Topik,11 in dem Aristoteles sich der Funktion von Definitionen12 für das Führen eines Disputes widmet. Der Verwendung übertragener oder metaphorischer13 Formulierungen schreibt er eine strategische Rolle sowohl für die rhetorisch-argumen-

das Aristoteles in die Sprache setzt, erwächst aus der Annahme, dass die gleichen wahrgenommenen Dinge zu den gleichen Eindrücken führen, die dann in konventionalisierten Zeichen ausgedrückt werden können. Zwischen Sprache und Welt besteht damit eine ontologisch fundierte Isomorphie, auf der die wahre Rede über die Dinge der Welt aufbaut. Andreas Graeser formuliert in diesem Sinne: „Language, which he takes to consist of symbols of mental events that in turn are approximations to and likenesses of real entities (pragmata), supposedly mirrors this basic structure. Just as a sentence ʻSocrates is whiteʼ purports to articulate a thing-like-relation that holds between two underlying things, so sentences (logoi) in general are true similarly as things are.“ (Andreas Graeser: On Language, Thought, and Reality in Ancient Greek Philosophy. In: Dialectica 31:3–4 (1977), S. 359–388, hier auf S. 374). Trotz seines Eintretens für eine grundsätzliche Wahrheitsfähigkeit sprachlicher Äußerungen und einer elaborierten Begründung ihrer Funktionsweise, vertritt Aristoteles keine naive Abbildtheorie der Sprache. Irrtum und Täuschung sind in ihrem Bereich nicht nur möglich, sondern auch häufig. In der Praxis bleibt die wahre Rede indes weitgehend limitiert auf philosophisch-wissenschaftliche Diskurse. 10 Eine ausführliche Behandlung der hier besonders relevanten Auseinandersetzungspunkte findet sich in Dürings klassischem Werk zu Aristoteles an prominenter erster Position unter dem Gliederungspunkt „Sprache, Meinung und Wahrheit“ (Ingemar Düring: Aristoteles, S. 53–183. Vgl. zudem für die philosophischen Grundkonflikte um die Ideenlehre ebd., S. 245–281). 11 Die Topik gehört zu den (wahrscheinlich posthum) im Organon zusammengefassten frühen Schriften des Aristoteles und behandelt die strategischen Ausgangspunkte des argumentativen Disputes. Vgl. für eine Synopse sowie die strategische Verortung der Schrift im Gesamtwerk: ebd., S. 55–56. 12 Die Definition selbst bestimmt Aristoteles folgendermaßen: „Eine Definition ist eine Begriffsbestimmung, die das Was-es-hieß-dies-zu-sein bezeichnet, aber nur dieser Sache zukommt und an ihrer Stelle ausgesagt werden kann.“ (Aristoteles: Topik. Hrsg. von Tim Wagner u. Christof Rapp. Stuttgart: Reclam 2002, 101 b 38–39). Ex negativo findet die Metapher im Zusammenhang mit der Definition sogar Eingang in die Analytica posteriora, in der Aristoteles die Metapher grundsätzlich aus der Definition und der reinen Dialektik ausschließt. (Vgl. Aristoteles: Analytica posteriora. Hrsg. von Wolfgang Detel. Berlin: Akademie-Verlag 1993, II, 97 b 37 (Buch II, Kap. 13)). 13 Aristoteles verwendet hier bereits das Wort μεταφορὰ, wenn auch ohne spezifische Bestimmung, die erst in der berühmten Definition der Poetik erfolgt.

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tative Verteidigung als auch für den Angriff zu und markiert damit ihre kommunikativ-pragmatische Dimension: „Ferner ist ein Topos für den Angriff, das Wort gemäß der Analogie im übertragenen Sinn zu verwenden, als ob es angemessener wäre, das Wort in diesem Sinn zu verstehen als im üblichen.“14 Auch wenn die berühmte Metapherndefinition der Poetik wohl erst zu einem späteren Zeitpunkt in Aristotelesʼ Schaffen entstanden ist, scheint diese frühe Passage bereits in einem wichtigen Punkt vorzugreifen: Die Übertragung, die die Basis für den Angriff bildet, soll gemäß der Analogie erfolgen. Die Analogie dient damit bei Aristoteles von Anbeginn als ein Funktionsprinzip15 für die Metapher,16 durch das dieser, wie im Folgenden zu sehen sein wird, entscheidende Charakteristika und Effekte zukommen. Aristoteles bestimmt zunächst jedoch parallel zum obigen Angriffstopos den entsprechenden Verteidigungstopos:

14 Aristoteles: Topik, 112 a 32–33. 15 Dass die Metapher selbst bei Aristoteles eine Funktion (im Gegensatz zu einer Substanz) ist, hat Haverkamp gezeigt, ohne dabei gleichzeitig ihre Gebundenheit an die ontologischen Substanzbegriffe abzustreiten (vgl. Anselm Haverkamp: Beispiel, Metapher, Äquivalenz: Poetik nach Aristoteles. In: Poetik. Historische Narrative, aktuelle Positionen. Hrsg. von Armen Avanessian/ Jan Niklas Howe. Berlin: Kadmos 2014, S. 15–29, hier auf S. 23). Dass Aristoteles bei der Setzung des ontologischen Bezugsrahmens, der die Korrelation zwischen Kosmos und Logos (vgl. Hans Blumenberg: Paradigmen zu einer Metaphorologie. Frankfurt am Main: Suhrkamp 1998, S. 12– 31) bedingt, die unausweichliche kulturelle Prägung der ontologischen Bezugskategorie nicht reflektiert, zeigt Umberto Eco: The Scandal of Metaphor. In: Poetics Today 4:2 (1983), S. 217–257, hier auf S. 224. 16 Vgl. für eine ausführliche ältere Studie der Analogie als Instrument der Wissenschaft bei Aristoteles Wilfried Fiedler: Analogiemodelle bei Aristoteles. Untersuchungen zu den Vergleichen zwischen den einzelnen Wissenschaften und Künsten. Amsterdam: Grüner 1978. Eine umfangreiche Diskussion des aristotelischen Analogie- und Metaphernkonzeptes findet sich zudem bei Dieter Lau, der die aristotelische mit der platonischen Vorstellung kontrastiert. Die Analogie wird nach Lau bei Aristoteles zum strukturierenden Prinzip oberhalb der Gattungen auf Ebene der Seinsprinzipien. Diese Konstellation setzt voraus, dass der aristotelische Gattungsbegriff grundsätzlich nach oben hin abgeschlossen sein muss, damit die Analogie tatsächlich eine eigene Kategorie darstellt. Gleichzeitig bleibt die generische Teilhabe jedoch qualitativ verschieden von der Analogie, auch wenn sich analoge Strukturen zwischen ihren Mitgliedern finden lassen mögen. Auch wenn Lau einräumt, dass die zentrale Annahme dieser Auflösung einerseits durch den unklaren Gattungsbegriff in den frühen aristotelischen Schriften und andererseits durch die teilweise inkonsistente Begriffsverwendung in Poetik und Rhetorik zumindest angreifbar bleibt, so sieht er die Bestätigung für sein Modell letztlich in der strikteren Terminologie von Historia animalium und De partibus animalium bestätigt, wo er vier mögliche Stufen der Einheit des Seienden bestimmt: nach der Zahl, nach der Art, nach der Gattung und nach der Analogie. Die Zusammenschau des Verschiedenen in Einem ist so systematisch geregelt und kann damit als Fundament für einen Erkenntnisprozess dienen. (Vgl. Dieter Lau: Metaphertheorien der Antike, S. 70–209).

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Ein anderer (Topos besteht darin zu prüfen), ob ein metaphorischer Ausdruck verwendet wurde, […]. Alles metaphorisch Gesagte ist nämlich unklar. Es ist aber auch möglich, demjenigen, der sich metaphorisch ausdrückt, den Vorwurf zu machen, als habe er im eigentlichen Sinn gesprochen. Denn die (metaphorische) Definition passt nicht, wie zum Beispiel bei der Besonnenheit.17

Hier klingt in der aristotelischen Anleitung zum Angriff auf eine metaphorische Definition jene Metaphernkritik an, die bei bestimmten Autoren schließlich zu ihrer vollkommenen Verdammung führt.18 Allerdings verwirft Aristoteles die Metapher keineswegs gänzlich und rehabilitiert sie in der Rhetorik wieder vom Unklarheitsvorwurf.19 Sowohl Verteidigung als auch Angriff mittels der Metapher stellen bis hierher lediglich strategische Verfahrensweisen für den Disputanten dar, ohne dass der kognitive oder epistemologische Status der Metapher selbst diskutiert wurde. Der negative Aspekt der zuletzt zitierten Passagen wird bereits wenige Zeilen später relativiert: Manches wird aber weder homonym noch metaphorisch noch buchstäblich verwendet, zum Beispiel: „Das Gesetz ist das Maß oder das Bild des von Natur aus Gerechten.“ Derartiges ist noch schlechter als die Metapher, denn die Metapher macht das Bezeichnete irgendwie mit Hilfe der Ähnlichkeit bekannt – denn alle, die Metaphern bilden, tun dies mit Hinblick auf eine bestimmte Ähnlichkeit , derartiges aber macht nichts bekannt, denn weder herrscht eine Ähnlichkeit, gemäß welcher das Gesetz ein Maß oder ein Bild ist, noch wird es üblicherweise gesagt.20

Hier ist bereits in nuce der relative Erkenntniswert beschrieben, den Aristoteles später systematisch für die Metapher begründen wird. Zwar reicht sie nicht an die Klarheit und Wahrheit einer echten Definition heran, so viel lässt sich bereits hier festhalten, leistet aber dennoch einen bedingten Beitrag zur Erkenntnis oder

17 Aristoteles: Topik, 139 b 36–140 a. 18 Als ein besonders radikales sei hier John Locke genannt, der in der Metapher einen Urgrund des philosophischen Irrtums sieht: „But that this is a mistake will appear, if we consider, that the reason why sometimes men who sincerely aim at truth are imposed upon by such loose, and, as they are called, rhetorical discourses, is, that their fancies being struck with some lively metaphorical representations, they neglect to observe, or do not easily perceive, what are the true ideas upon which the inference depends.“ (John Locke: An Essay Concerning Human Understanding. Hrsg. von Peter H. Nidditch. Oxford: Oxford University Press 1998, S. 676). 19 Die widersprüchlichen Positionen der Rhetorik und Theologie, die die zentrale Qualität der Metapher entweder in der obscuritas (vgl. dazu Erasmus von Rotterdam, Kap. 4.2., und Augustinus, Kap. 5.1.) oder der besonderen claritas sehen (vgl. dazu Quintilian, Kap. 4.1.) sind also schon in der scheinbar ambivalenten Beschreibung des Aristoteles angelegt. 20 Aristoteles: Topik, 140 a 7–14.

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Erklärung des Unbekannten mithilfe des Ähnlichen. Die Kerncharakteristika Analogie beziehungsweise Ähnlichkeit21 sowie die ihr zugeschriebene Erkenntnisleistung bleiben für die Weiterentwicklung der aristotelischen Theorie von essenzieller Bedeutung, die jedoch erst in der Rhetorik vollständig zur Ausprägung kommt. Die zentrale Definition der Metapher wird derweil schon vorher in der Poetik formuliert, mit deren Thema Aristoteles bereits Neuland betritt22 und eine philosophisch begründete Verteidigung der Dichtung gegen die Dichterschelte Platos23 entwirft. Die ersten Kapitel der Poetik widmen sich der grundsätzlichen Natur24 und Funktion25 der dramatischen Dichtung sowie Fragen nach der Wahl des Stoffs, dem zugrundeliegenden Mythos, den Personen. Wichtig festzuhalten scheint aus diesen Kapiteln die Tatsache, dass Aristoteles die dramatische Dichtung

21 Die Beispiele, von denen Aristoteles auch später in der Topik spricht, weisen durchweg die Struktur der Analogie auf. Vgl. ebd., S. 292 (Kommentar). Die generischen Strukturen der Meta­ pher, die auf dem Art-Gattungs-Verhältnis basieren, tauchen dagegen erst in der Poetik auf und beruhen auf einem essenziellen Wesensverhältnis der Elemente zueinander. Dass die terminologisch saubere Trennung zwischen Analogie und Ähnlichkeit sich jedoch nicht durch alle aristotelischen Schriften durchhält weist Lau nach, argumentiert aber nichtsdestotrotz für eine grundlegende konzeptionelle Trennung der beiden. (Vgl. Dieter Lau: Metaphertheorien der Antike, S. 146–147). 22 Arbogast Schmitt kommentiert zum Sonderstatus von Aristotelesʼ Poetik: „Als Aristoteles seine Rhetorik verfaßte, gab es bereits seit langem eine rhetorische Tradition und mancherlei rhetorische Schriften – wir können daher versuchen, die aristotelische Rhetorik in die Tradition einer dieser Disziplinen einzuordnen. Mit der Poetik hingegen hat es eine andere Bewandtnis. […] Aristoteles betrat mit seiner Poetik Neuland, und wir können zwar versuchen, das Verhältnis seiner Schrift zu jenen früheren Werturteilen, insbesondere zu denen Platons zu bestimmen, wir können sie jedoch nicht in eine eigentliche Tradition des Nachdenkens über Dichtung einordnen.“ (Aristoteles: Poetik. Hrsg. von Arbogast Schmitt. Berlin: Akademie-Verlag 2008, S. 150–151) (Nachwort). 23 Vgl. dazu Platon: Der Staat: über das Gerechte. Hrsg. von Otto Apelt. Hamburg: Meiner 1961, X.605b. 24 „Epische und tragische Dichtung also, außerdem die Komödie, die Dithyrambendichtung und der größte Teil der Kunst des Aulos- und des Kitharaspiels sind grundsätzlich alle Nachahmungen.“ (Aristoteles: Poetik (Schmitt), 1447 a 14–15). „Gegenstand dichterischer Nachahmung sind handelnde Menschen.“ (Ebd., 1448 a 1). Das dialektische Verhältnis von mimesis und poiesis in Arisotelesʼ Poetik wird der zentrale Ansatzpunkt für Paul Ricoeurs Aristoteles-Rezeption (vgl. zu Paul Ricoeur Kap. 8.3.). 25 „Die Tragödie ist also Nachahmung einer bedeutenden Handlung, die vollständig ist und eine gewisse Größe hat. In kunstgemäß geformter Sprache setzt sie die einzelnen Medien in ihren Teilen je für sich ein, lässt die Handelnden selbst auftreten und stellt nicht in Form des Berichts geschehene Handlungen dar. Durch Mitleid und Furcht bewirkt sie eine Reinigung eben dieser Gefühle.“ (Aristoteles: Poetik (Schmitt), 1449 b 25–29).

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grundsätzlich auf das Prinzip der Wahrscheinlichkeit26 verpflichtet, nicht, wie die Geschichtsschreibung, auf das der Wahrheit. Die Metapher, die als ein ausgezeichnetes Mittel für die sprachliche Gestaltung aufgeführt wird, steht damit in der Poetik im Kontext einer nach Wahrscheinlichkeit27 strebenden Kunst, ein Status, der auch in der Rhetorik erhalten bleibt. Den direkten Kontext der Metapherndiskussion bildet das Kapitel über die ideale sprachliche Form der dramatischen Dichtung,28 in dem sie als eine von vier grundlegenden Typen von

26 In der Poetik lautet die bekannte Formulierung: „Aufgrund des Gesagten ist auch klar, daß nicht dies, die geschichtliche Wirklichkeit wiederzugeben, die Aufgabe eines Dichters ist, sondern etwas so darzustellen, wie es gemäß Wahrscheinlichkeit oder Notwendigkeit geschehen würde, d. h., was möglich ist.“ (Ebd., 1451 a 36–1451 b 1). Vgl. zum Wahrscheinlichkeits-Konzept in Aristotelesʼ Epistemologie Emanuele Sgherri: Die Wahrscheinlichkeitsfrage bei Aristoteles. PhD Dissertation. Berlin: Freie Universität 2003. http://www.diss.fu-berlin.de/diss/receive/­ FUDISS_thesis_000000001657 (16. 10. 2015), hier v. a. Kap. 5 zur Wahrscheinlichkeit in Rhetorik und Poetik. Sgherri legt dar, dass die Wahrscheinlichkeitskategorie zwar keineswegs von Aristoteles neu entdeckt wurde, aber von ihm systematisch auf ein epistemisches Fundament gestellt wurde. Dadurch erst kann für den Bereich der Wahrscheinlichkeit die Unterscheidung zwischen absoluter und bezogener Wahrscheinlichkeit getroffen werden und damit eine Grundlage für die Qualität von Wahrscheinlichkeitsschlüssen gelegt werden. (Vgl. dazu ebd., S. 108–111). 27 Die Wahrscheinlichkeit definiert Aristoteles in der Rhetorik in Abgrenzung zur Wahrheit: „Denn unter Wahrscheinlichkeit versteht man das, was zumeist zutrifft, aber nicht in jedem Fall, wie manche sie definieren, sondern das, was sich bei Sachverhalten, die auch anders sein können, sich zu dem, bezüglich dessen es wahrscheinlich ist, so verhält wie das Allgemeine zum Besonderen.“ (Aristoteles: Rhetorik, 1357 b 1). Mit dieser Bestimmung wird deutlich, dass die Reichweite der Aussagen in Rhetorik und Poetik den Rahmen des Notwendigen und damit unweigerlich immer Gleichen überschreiten. Während das Notwendige die Bereiche einerseits des naturgemäß Notwendigen und andererseits der logischen Notwendigkeit umfasst und die echte Theorie und Wissenschaft auf Aussagen über diese Bereiche limitiert sind, können in Poetik und Rhetorik auch andere Erfahrungswerte gefasst werden, wie die über die Gewohnheiten. Diese bestimmt Aristoteles in Abgrenzung zu Natur: „Ebenso ist es mit den Gewohnheiten, denn auch das, woran man sich gewöhnt hat, geschieht, als sei es schon von Natur aus so entstanden. Die Gewohnheit ist nämlich in gewisser Hinsicht der Natur ähnlich, denn nahe beieinander liegen »oft« und »immer«, Natur aber bedeutet in etwa ‚immer‘, Gewohnheit ‚oft‘.“ (Ebd., 1370 a 6). Die keineswegs immer auf den ersten Blick trennscharfen Unterscheidungslinien zwischen Notwendigkeit und Wahrscheinlichkeit ebenso wie zwischen Natur und Gewohnheit sowie die praktisch aber teilweise auch epistemologisch weitreichenden Konsequenzen der jeweils letzteren werden in Aristotelesʼ Rhetorik und Poetik systematisch ausgelotet und in ihrer Relevanz neu gegen die platonische Epistemologie positioniert. 28 „Die vollkommene sprachliche Form ist klar und zugleich nicht banal. Die sprachliche Form ist am klarsten, wenn sie aus lauter üblichen Wörtern besteht; aber dann ist sie banal. […] Die sprachliche Form ist erhaben und vermeidet, das Gewöhnliche, wenn sie fremdartige Ausdrücke verwendet. Als fremdartig bezeichne ich die Glosse, die Metapher, die Erweiterung und überhaupt alles, was nicht üblicher Ausdruck ist. Doch wenn jemand nur derartige Wörter verwenden wollte,

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Ausdrücken29 behandelt wird. Ihre Definition soll hier ausnahmsweise auf Griechisch wiedergegeben werden: „μεταφορὰ δέ ἐστιν ὀνόματος ἀλλοτρίου ἐπιφορὰ ἢ ἀπὸ τοῦ γένους ἐπὶ εἶδος ἢ ἀπὸ τοῦ εἴδους ἐπὶ τὸ γένος ἢ ἀπὸ τοῦ εἴδους ἐπὶ εἶδος ἢ κατὰ τὸ ἀνάλογον.“30 Der Blick ins Original lohnt an dieser Stelle besonders aufgrund der zahlreichen, zum Teil sehr unterschiedlichen Übersetzungen dieser zentralen Definition. Die Worte ‚ὀνόματος ἀλλοτρίου ἐπιφορὰ‘ werden je nach Übersetzung sehr unterschiedlich wiedergegeben. Wörtlich können sie am ehesten mit ‚Übertragung eines fremden Wortes‘ oder ‚Übertragung eines zu etwas anderen gehörigen Namens‘ übersetzt werden. Begriffe wie ‚eigentlicher‘ beziehungsweise ‚uneigentlicher Ausdruck‘,31 die die Terminologie der späteren Metapherndiskussionen in unterschiedlicher Weise prägen,32 legt der aristotelische Text meines Erachtens dagegen nicht nahe. Unabhängig von den Details der Übersetzung jedoch, kann diese Formulierung als Ausgangspunkt einer bis in die Gegenwart stark semantisch orientierten Metapherntheorie betrachtet werden.33

dann wäre das Ergebnis entweder ein Rätsel oder ein Barbarismus: wenn das Erzeugnis aus Metaphern besteht, ein Rätsel, wenn es aus Glossen besteht, ein Barbarismus. Denn das Wesen des Rätsels besteht darin, unvereinbare Wörter miteinander zu verknüpfen und hiermit gleichwohl etwas wirklich Vorhandenes zu bezeichnen.“ (Aristoteles: Poetik (Schmitt), 1458 a 17–28). 29 „Jedes Wort ist entweder ein üblicher Ausdruck, oder eine Glosse, oder eine Metapher, oder ein Schmuckwort, oder eine Neubildung, oder eine Erweiterung, oder eine Verkürzung, oder eine Abwandlung.“ (Ebd., 1457 b 1–2). Auf diese Verortung lässt sich die Tradition zurückführen, die die Metapher später als ein Problem des ornatus, des Wortschmucks und Bestandteil der elocutio behandeln wird (vgl. hier z. B. zu Quintilian, Kap. 4.1). Von der römischen Rhetorik ausgehend, setzt sich die gesonderte Behandlung der Metapher als einer unter vielen sprachlichen Schmuckformen über einflussreiche Schriften wie Donats ars grammatica minor (4. Jh. n. Chr.), Alexander de Villas Deis Doctrinale (Anfang 12. Jh.) und Eberhard von Béthunes Graecismus (1212) fort. Vgl. für eine einführende Übersicht zur Entwicklung rhetorischer Lehrbücher Gert Ueding/Bernd Steinbrink: Grundriß der Rhetorik. Geschichte. Technik. Methode. 5. Aufl. Stuttgart/Weimar: Metzler 2011 sowie Joachim Knape: Allgemeine Rhetorik. Stationen der Theoriegeschichte. Stuttgart: Reclam 2000). Auch Jacques Derridas Aristoteles-Rezeption unterstreicht diese Verortung der Metapher bei Aristoteles als Ausgangspunkt für die eigene kritische Theorie (vgl. Kap. 6.2. zu Jacques Derrida). 30 Aristoteles: Poetik (Schmitt), 1457 b 7–9 RK. „Die Metapher ist die Übertragung eines Wortes, das der Name für etwas anderes ist, entweder von der Gattung auf die Art oder von der Art auf die Gattung oder von einer Art auf eine Art oder gemäß einer Analogie.“ (Übersetzung Arbogast Schmitt). 31 Vgl. so z. B. in der Übersetzung von Manfred Fuhrmann (Aristoteles: Poetik. Griechisch/ Deutsch. Hrsg. von Manfred Fuhrmann. Stuttgart: Reclam 1994, 1457 b 7–9). 32 In den Schriften der lateinischen Rhetoriker wird der Terminus proprium noch nicht im Sinne von eigentlich/wörtlich verwendet, was erst später die dominante Lesart werden wird. (Vgl. Kap. 4). 33 Vgl. für semantisch orientierte Perspektiven v. a. Harald Weinrich (vgl. Kap. 7.3.), aber auch über weite Strecken Monroe C. Beardsley (vgl. Kap. 3.2.). Als dezidierte Versuche, die Metapher

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Die Leistung der Definition liegt sicherlich einerseits in der Bestimmung der Metapher als Übertragung,34 die jedoch bereits in den früheren Passagen angelegt war. Darüber hinaus liefert Aristoteles neben der statischen Definition einen systematischen Bildungs- und Interpretationsalgorithmus für Metaphern.35 Diese Ergänzung bildet die Grundlage für eine lange Tradition rhetorischer Metaphernregularien36 und birgt entscheidende Implikationen hinsichtlich des epistemologischen Status der Metapher: Mit seinen Bildungsregeln bietet Aristoteles eine (onto)logisch fundierte Reglementierung37 der zulässigen Übertragungsmodi und macht damit die zunächst philosophisch suspekte, unkontrollierte Bewegung der Übertragung systematisch nutzbar. Die grundlegenden Art- und Gattungsbeziehungen,38 nach denen Aristoteles Dinge und Sachverhalte einteilt, werden hier durch die Analogierelation ergänzt, die sich auch in der neueren philosophischen Tradition als Erkenntnisstrategie behauptet.39 Im Unterschied zu den ersten drei

nicht über die Semantik zu begründen, kann man Donald Davidson (vgl. Kap. 3.3.) und Paul Grice (vgl. Kap. 7.2.) betrachten. 34 Die meisten Theorien greifen eine Variation dieser Transfer-Vorstellung auf (für Ausnahmen vgl. hierzu Paul Grice und die Relevance Theory, ebd.). Dabei lassen sich jedoch fundamentale Unterschiede bei der Art des Transfers (Projektion/Substitution), aber auch bei den Dimensionen, innerhalb derer der jeweilige Transfer erfolgt, identifizieren. Die Spannbreite reicht hier von Bewegungen auf der semantischen Ebene (vgl. bspw. Harald Weinrich, Kap. 7.3.), innerhalb des sprachlichen Systems (vgl. bspw. Jacques Derrida, Kap. 6.2.), in psychologischen (vgl. dazu Kap. 6.3., Jacques Lacan), wahrnehmungspsychologischen (vgl. bspw. Giambattista Vico, Kap. 6.1., zu Friedrich Nietzsche Kap. 8.1. und zu George Lakoff Kap. 9.2. und kognitiven Prozessen (vgl. dazu Hans Blumenberg Kap. 8.2., George Lakoff und Joseph Grady Kap. 9.1., zu Zoltán Kövecses Kap. 9.4.) und zu Gilles Fauconnier und Mark Turner Kap. 9.5.). 35 Aristoteles zielt mit seinem Algorithmus zwar eher auf die Bildung, ist aber auch Ausgangspunkt für Interpretations-/Exegesestrategien. (Vgl. Kap. 5). 36 Vgl. hierzu Quintilian, bei dem die Übertragungskategorien belebt/unbelebt zentral werden (vgl. Kap. 4.1.), sowie Emanuele Tesauro, der insgesamt acht Übertragungsvorgänge beschreibt (vgl. Kap. 4.3.). 37 Die Termini ‚ontologisch‘ und ‚Ontologie‘ werden hier und im weiteren Text im weiten Sinn verwendet, verweisen also nicht auf eine spezifische Ontologie, sondern auf die ontologische Bezugskategorie im Allgemeinen. In der aristotelischen Definition der Metapher können ‚Art‘ und ‚Gattung‘ als Beschreibungskategorien mit ontologischem Anspruch betrachtet werden. 38 Vgl. hierfür die entsprechende Definition von Art und Gattung, vgl. Aristoteles: Topik. (Tim Wagner/Christof Rapp), 102 a 31 f. Vgl. außerdem zu den Konzepten von Art und Gattung bei Aristoteles Dea-Ho Cho: Art und Gattung. In: Aristoteles-Handbuch. Leben – Werk – Wirkung. Hrsg. von Christof Rapp/Klaus Corcilius. Stuttgart/Weimar: Metzler 2011, S. 183–187. 39 Vgl. z. B. Max Black, auch wenn dieser den Status der Analogie selbst gänzlich anders bewertet (vgl. Kap. 3.1.). Die explizite Unterscheidung von Metapher und Analogie nach ihrem epistemologischen Status und die konsequente Trennung der beiden bei Thomas von Aquin ist ein prominentes Gegenbeispiel (vgl. Kap. 5.2.). Daniel Vázquez argumentiert für eine klare Un-

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Übertragungsmodi lässt sich die Analogie so als den Schritt von der Ontologie zur Logik verstehen: Statt wesensmäßiger Verwandtschaft konstituiert hier die Ähnlichkeit der Verhältnisse die Erkenntnisgrundlage.40 Die gekreuzte Struktur, aus der die Analogie-Metapher resultiert (zum Beispiel ‚das Schild ist die Schale des Ares‘) markiert dabei jedoch die fundamentale Differenz zu einem logisch korrekten, vollständigen Syllogismus41 und rückt die Metapher näher an das Enthymem,42 den

terscheidung zwischen mathematischer Analogie und Metapher schon bei Aristoteles aufgrund des auch in der Analogie-Metapher fehlenden Prinzips der mathematischen Umformbarkeit. Allerdings berücksichtigt Vázquez in seiner Untersuchung nicht die naturwissenschaftlichen Schriften, in denen die Analogie nach biologischen Funktionen eine entscheidende erkenntnistheoretische Rolle spielt, jedoch ebenfalls nicht nach mathematischen Prinzipien umformbar ist. (Vgl. Daniel Vázquez: Metafora y Analogia en Aristoteles. Su distinción y uso en la ciencia y la filosofía. In: Tópicos. Revista de Filosofía 38 (2010), S. 85–116). 40 Ob sich die ersten drei Übertragungsmodi letztlich in die Analogie auflösen lassen oder tatsächlich eigene Formen darstellen, ist in der Sekundärliteratur umstritten. Salvatore Cariati und Vincenzo Cicero votieren für die erste (vgl. Tò metaphorikón, S. 58), Ekkehard Eggs (vgl. Metapher, S. 1106) und Dieter Lau (Metaphertheorien der Antike) für die zweite Position. Eggs argumentiert anders als Lau (vgl. zu Lau FN 16 in diesem Kapitel), dass die Übertragungsmodi Gattung > Art und Art > Gattung letztlich in späteren Diskussionen unter den Terminus Synekdoche und nur noch die Übertragungen Art > Art sowie die Analogie unter Metapher fallen. Erhellend für diese Diskussion scheint jedoch Hans Georg Coenens Differenzierung des Analogiebegriffs nach trivialer und nicht-trivialer Analogie sowie kontinuierlicher und diskreter Analogie (vgl. Hans G. Coenen: Analogie und Metapher, S. 2–14). Vor dem Hintergrund dieser Differenzierung ließe sich zugunsten von Cariati/Cicero argumentieren, dass die ersten beiden Übertragungsmodi dem Modell der trivialen Analogie folgen, während der dritte der nicht-trivialen kontinuierlichen Analogie entspricht. 41 Marko Malink: Syllogismos. In: Aristoteles-Handbuch. Leben – Werk – Wirkung. Hrsg. von Christof Rapp/Klaus Corcilius. Stuttgart/Weimar: Metzler 2011, S. 343–348. 42 Zum Verhältnis zwischen Enthymem und Syllogismus notiert Düring: „Mit einem gewissen Recht vergleicht Aristoteles das Ethymem mit dem Syllogismus. Die zwei Schlußformen unterscheiden sich 1) dadurch, daß in jenen die Prämissen allgemeine Behauptungen, in diesen wahre Sätze sind, 2) dadurch, daß in jenen der Schluß zwingend, in diesen wahrscheinlich ist. Im Enthymem fehlt gewöhnlicher Weise eine der Prämissen. Mit psychologischem Scharfblick konstatiert Aristoteles, daß die Enthymeme eine größere Wirkung haben; philosophisch ungebildete Redner scheuen sich nicht, banale Gemeinplätze heranzuziehen, und erringen daher oft größeren Erfolg, als besser gebildete Redner.“ (Ingemar Düring: Aristoteles, S. 143). Vgl. Christof Rapp: Öffentliche Rede. In: Aristoteles-Handbuch. Leben  – Werk  – Wirkung. Hrsg. von Christof Rapp/Klaus Corcilius. Stuttgart/Weimar: Metzler 2011, S. 280–285. Einen direkten formalen und funktionalen Zusammenhang zwischen Enthymem und Metapher sieht Arthur C. Danto: Die Verklärung des Gewöhnlichen. Frankfurt am Main: Suhrkamp 1984, S. 260 ff.

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unvollständigen Syllogismus. Dieser Zusammenhang gewinnt jedoch erst in der Rhetorik zentrale Bedeutung.43 Den Sonderstatus der Metapher gegenüber den anderen Ausdruckstypen hebt Aristoteles abschließend hervor: Es ist wichtig, daß man alle die genannten Wortarten passend verwendet, auch die zwiefachen Wörter und die Glossen; es ist aber bei weitem das Wichtigste, daß man Metaphern zu finden weiß. Denn dies ist das Einzige, das man nicht von einem anderen erlernen kann, und ein Zeichen von Begabung. Denn gute Metaphern zu bilden bedeutet, daß man Ähnlichkeiten zu erkennen vermag.44

In dieser Passage ruht die Anlage für eine Bewertung der Metapher als Indikator für das Genie.45 Die grundlegende Einsicht, auf der eine (neue, kreative) Metapher beruht, bedarf einer besonderen Begabung, die zunächst verschieden ist von der Gabe, die sprachliche Metapher korrekt einzusetzen. Kognitive Leistung beziehungsweise epistemologischer Effekt und rhetorische Begabung sind zwar in Aristoteles’ Modell des idealen Redners vereint, lassen sich aber in der theoretischen Beschreibung der Metapher bereits differenzieren.46 Mit dem letzten Satz richtet Aristoteles den Fokus auf den kognitiven Status der Metapher,47 der in der Rhetorik eine zentrale Rolle spielt. Das Erkennen von Ähnlichkeiten, so viel kann hier schon festgehalten werden, ist eine Fähigkeit, die nicht nur den metaphernbegabten Dichter auszeichnet, sondern auch den Philosophen48 und den Redner.49 Philosophie und Rhetorik, oft als konfligierende Positionen wahrgenommen und dargestellt, führt die aristotelische Rhetorik zusammen, indem sie die Rhetorik als

43 Wie die Rhetorik insgesamt, so lässt sich mit Villwock auch das Enthymem als ein Effekt der consuentudo altera natura verstehen, wenn dieser das Enthymem etymologisch mit dem thumos, dem Atem in Verbindung bringt, der die Verquickung zwischen Essenz und Akzidenz, zwischen Natur und Kultur markiert. (Vgl. Jörg Villwock: Rhetorik. Formen ihrer Entfaltung in Philosophie und Dichtung. Hamburg: Kovač 2000, S. 206–207). 44 Aristoteles: Poetik (Schmitt), 1459 a 4–11. 45 Vgl. hierzu Emanuele Tesauro (Kap. 4.3.). 46 Eine klare Unterscheidung der beiden Dimensionen erfolgt später mit der Differenzierung zwischen pragmatisch und analytisch-philosophisch orientierten Metapherntheorien. 47 Die sogenannte kognitive Komponente der aristotelischen Metaphertheorie wird in der jüngeren Sekundärliteratur wiederholt im Unterschied zur rein rhetorischen Tradition unterstrichen (vgl. dazu z. B. Ekkehard Eggs: Metapher, S. 1107–1108, Aristoteles: Rhetorik, S. 885–892 sowie 921–928 und Dieter Lau: Metapherntheorien der Antike, S. 238–260). 48 Aristoteles: Rhetorik, 1412 a 9–12. Vgl. zur Rolle der Ähnlichkeit für die Metapher auch FN 64 in diesem Kapitel. 49 Vgl. ebd., 1412 a 5.

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Teil der Dialektik50 und damit in erster Linie als argumentatives Metier beschreibt.51 Damit ist das rhetorische Verfahren in Aristotelesʼ Augen ein transdisziplinäres52 und stützt sich auf philosophische Grundprinzipien der Beweisführung: Weil es die kunstgemäße Methode offensichtlich mit den Formen der Überzeugung zu tun hat, die Überzeugung aber eine Art von Beweis ist – wir sind nämlich dann am meisten überzeugt, wenn wir annehmen, dass etwas bewiesen wurde –, weil aber der rhetorische Beweis ein Enthymem ist, und dies ist, um es geradeheraus zu sagen eine Art von Deduktion – die Untersuchung von jeder Art von Deduktion unterliegt aber ohne Unterschied der Dialektik, entweder ihr als ganzer oder einem Teil von ihr –, dann müsste offenbar derjenige, der am besten in der Lage ist zu betrachten, woraus und wie Deduktion entsteht, auch am besten mit dem Enthymem vertraut sein, wenn er außerdem erfasst hat, mit was für einer Art von Dingen es das Enthymem zu tun hat und welche Unterschiede es zu den Deduktionen der Logik aufweist. Das Wahre und das dem Wahren Ähnliche zu sehen ist nämlich ein und dieselben Fähigkeit.53

Die Fundierung der Rhetorik auf das Enthymem, auf das Wahrscheinlichkeitsargument sichert einerseits die philosophische Legitimität der Rhetorik und stellt andererseits eine zentrale Gemeinsamkeit zwischen Poetik und Rhetorik her.54 Beide

50 „So ergibt sich, dass die Rhetorik so etwas wie ein Seitenzweig der Dialektik und der Untersuchung über den Charakter ist, welche zu Recht auch als politische Wissenschaft bezeichnet wird.“ (Ebd., 1356 a 25–26). Für eine kurze Verortung des aristotelischen Rhetorik-Konzeptes im Verhältnis zum platonischen vgl. ebd., S. 212–235. Vgl. zudem für eine Einordnung der beiden Positionen in ihren jeweiligen gesamtphilosophischen Kontext Ingemar Düring: Aristoteles, S. 144–149. 51 „Die Rhetorik ist ein Gegenstück zur Dialektik; beide handeln nämlich von solchen Dingen, die zu erkennen auf gewisse Weise allen gemeinsam und nicht Sache einer begrenzten Wissenschaft ist. Deswegen haben auch alle auf gewisse Weise an beiden Anteil: alle haben nämlich zu einem gewissen Grad damit zu tun, ein Argument zu prüfen und zu stützen, sich zu verteidigen und anzuklagen.“ (Aristoteles: Rhetorik, 1354 a 1–5). 52 „Dass also die Rhetorik nicht zu einem einzigen begrenzten Gegenstandsbereich gehört, sondern so ist wie die Dialektik, und dass sie nützlich ist, ist somit klar, und dass nicht das Überzeugen ihre Aufgabe ist, sondern (dass ihre Aufgabe darin besteht,) an jeder Sache das vorhandene Überzeugende zu sehen, wie das auch bei anderen Künsten der Fall ist […]; außerdem (ist klar), dass es Sache derselben (Fähigkeit) ist, das Überzeugende und das nur scheinbar Überzeugende zu sehen, wie auch bei der Dialektik die Deduktion und die nur scheinbare Deduktion: Die Sophistik liegt nämlich nicht in der Befähigung, sondern in der Absicht.“ (Ebd., 1355 b 7–10). 53 Ebd., 1355 b 1 1–16. 54 Zur gemeinsamen argumentativen Struktur von Rhetorik und Poetik formuliert Arbogast Schmitt in seinem Poetik-Kommentar: „Beide haben daher die Aufgabe, von den Einzelfällen, die ihr jeweiliger Gegenstand sind, ausgehend, Ähnlichkeiten, d. h. etwas, was im Verschiedenen identisch ist, zu finden und von daher aufzuzeigen, dass etwas gegen anderes abgegrenzt oder genauso beurteilt werden muss.“ (Aristoteles: Poetik (Schmitt), S. 598). Diese Bestimmung deckt

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Disziplinen werden von Aristoteles durch die Etablierung der Wahrscheinlichkeit als Alternative zur reinen wahr/falsch Dichotomie rehabilitiert, können in diesem Rahmen einen begrenzten Erkenntnisbeitrag leisten und haben in der Sprache und nicht zuletzt in der Metapher zentrale Instrumente zur Formulierung und zur Kommunikation dieser Erkenntnisse. Durch die positive Einordnung der Rhetorik in den Bereich der logisch-argumentativen und potenziell erkenntnisfördernden Disziplinen gilt auch für sie eine von Aristoteles formulierte anthropologische Grundannahme: „Alle Menschen streben von Natur aus nach Wissen.“55 Die herausragende Funktion der Metapher für die Rhetorik begründet Aristoteles entsprechend über ihre besondere Leistung bei der medialen Vermittlung von Einsichten. Leicht zu lernen ist nämlich von Natur aus für alle angenehm, die Nomen aber bezeichnen etwas, so dass alle die Nomen, die für uns einen Lernprozess bewirken, am angenehmsten sind. Nun sind die fremdartigen Ausdrücke unverständlich, die üblichen kennen wir aber schon, die Metapher hingegen bewirkt dies (den Lernprozess) am ehesten.56

Die Eignung der Metapher für die Vermittlung von Erkenntnis mag als Kumulationspunkt Jahrhunderte andauernder Kontroversen zwischen Metapherngegnern und ihren Verteidigern betrachtet werden.57 Bei Aristoteles findet sich das von Teilen der späteren Metapherntheoretikern aufgegriffene Erkenntnisargument jedoch mit einer bemerkenswerten Verkehrung der Kausalität. Während in späteren Rhetoriken58 die Metapher durch ihre ästhetischen Effekte Wohlgefallen erzeugt, das im besten Fall ausreichende Aufmerksamkeit beim Zuhörer generiert, damit dieser auch noch eine inhaltliche Botschaft mitnimmt, ist die Ursache

sich bemerkenswert genau mit Dieter Laus Charakterisierung des metaphorischen Prozesses als Vieles-in-Einem-Sehen und mit Aristotelesʼ eigener Definition der Bildung der Metapher, die im Entdecken der Ähnlichkeiten besteht. Vgl. Dieter Lau: Metaphertheorien der Antike, S. 86. 55 Aristoteles: Metaphysik. Hrsg. von Christof Rapp. Berlin: Akademie-Verlag 2003, A 1 980 a 21–27. Aristoteles wiederholt diese Grundannahme an entsprechender Stelle in der Rhetorik. (Vgl. folgende FN). 56 Aristoteles: Rhetorik, 1410 b 10–17. 57 Für die ersten steht die Metapher (wie die figürliche Sprache im Allgemeinen) stets unter dem Verdacht der (gezielten) Täuschung des Zuhörers (vgl. als radikale Position des Täuschungsvorwurfs John Locke, in positiver Wendung des Täuschungsgedankens aber auch Emanuele Tesauro (Kap. 4.3.) und für eine hinsichtlich der menschlichen Metaphernschöpfungen zumindest skeptische Position Augustinus (Kap. 5.1.); die anderen sehen die Metapher als einen oder sogar den einen Modus menschlicher Welterkenntnis (vgl. für die erste Spielart Max Black, Kap. 3.1., Monroe C. Beardsley, Kap. 3.2., und Donald Davisdon, Kap. 3.3., aber auch Hans Blumenberg, Kap. 8.2., Georg Lakoff, Kap. 9.2., Mark Turner, Kap. 9.5., und für die zweite Spielart Friedrich Nietzsche, Kap. 8.1.). 58 Vgl. hier wiederum Kap. 4.

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für die Freude bei Aristoteles die Erkenntnis59 selbst und die Metapher ihr strategisches Vehikel. Die buchstäbliche Einsicht beim Rezipienten befördert die Metapher dabei nicht zuletzt durch ihren illustrativen Charakter, der bei Aristoteles als ἐνεργείας60 (‚Augenscheinlichkeit‘ oder ‚vor-Augen-führen‘) bezeichnet wird. Es muss noch gesagt werden, was wir unter „vor Augen führen“ verstehen und was man tun muss, damit dies zustande kommt. Ich sage nämlich von alle dem, daß es vor Augen führt, was etwas in einer Aktivität Befindliches bezeichnet. Zum Beispiel handelt es sich, wenn man sagt, daß der gute Mann ein Quadrat sei, um eine Metapher; denn beides ist vollkommen, aber es ist keine Aktivität. Hingegen bezeichnet die Formulierung „in der vollen Blüte der Jahre stehend“ eine Aktivität, ebenso „du, wie ein losgelassenes Tier“, und „wie da also die Griechen auf ihren Füßen dahinschossen“; „wie sie dahinschossen“ ist eine Aktivität und eine Metapher, denn es meint „schnell“.61

Erkenntnistheoretisch relevant ist diese Passage wegen der Sonderrolle, die Aristoteles der optischen Wahrnehmung für die Erkenntnis beimisst62 und die in der Metapher wirksam werden kann. Die Verknüpfung der Metapher mit der optischen Wahrnehmung schlägt sich – teilweise unabhängig vom Erkenntnisdiskurs – in einer langen Tradition nieder, die die Metapher als sprachliches Bild behandelt.63 Auch aufseiten des Produzenten ist das Erkenntnismoment essenziell für die Bildung guter, neuer Metaphern:

59 Vgl. FN 56 in diesem Kapitel. 60 Die direkte Wortbedeutung kann mit ‚Akt‘ wiedergegeben werden. (Vgl. Jonathan Beere: Akt und Potenz. In: Aristoteles-Handbuch. Leben – Werk – Wirkung. Hrsg. von Christof Rapp/Klaus Corcilius. Stuttgart/Weimar: Metzler 2011, S. 177–182). 61 Aristoteles: Rhetorik, 1411 b 24–30. 62 „Alle Menschen streben von Natur aus nach Wissen. Ein deutliches Zeichen dafür ist die Liebe zu den Sinneswahrnehmungen. Denn abgesehen vom Nutzen werden diese um ihrer selbst willen geliebt, und von allen besonders die Sinneswahrnehmungen, die durch die Augen zustande kommen. Denn nicht nur, um zu handeln, sondern auch, wenn wir keine Handlung vorhaben, geben wir dem Sehen sozusagen vor allem anderen den Vorzug. Dies ist dazu begründet, daß dieser Sinn uns am meisten befähigt zu erkennen und uns viele Unterschiede klarmacht.“ (Aristoteles: Metaphysik, A 1 980 a 21–27). 63 Vgl. zum visuellen Moment der Metapher Paul Ricoeur (Kap. 8.3.). Dass das Phänomen des Vor-Augen-Stellens eigentlich über das der Metapher hinausgeht scheint bei Aristoteles angelegt und wird von Rüdiger Campe ausgeführt. (Vgl. Rüdiger Campe: Vor Augen Stellen. Über den Rahmen rhetorischer Bildgebung. In: Poststrukturalismus. Herausforderung an die Literaturwissenschaft. Beiträge des von der Deutschen Forschungsgemeinschaft vom 9. bis 13. Oktober 1995 in Steinheim bei Marbach veranstalteten Symposions. Hrsg. von Gerhard Neumann. Stuttgart/ Weimar: Metzler 1997, S. 208–225).

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Man muss, wie früher gesagt, vom Eigentümlichen und nicht Offenkundigen die Übertragung vornehmen, wie es auch in der Philosophie Sache eines zielsicheren (Philosophen) ist, auch in den weit auseinander liegenden Dingen das Ähnliche zu erkennen; […].64

Die in der Metapher vereinten Dinge müssen von dem, der die Metapher bildet, dem Wesen nach erkannt worden sein, um ihre Ähnlichkeiten identifizieren zu können. Die sprachliche Metapher stellt eine medial realisierte Form dieser Einsicht dar. Die charakteristische Erkenntnisstruktur der Metapher ist, so legt es diese Passage nahe, die Erkenntnis von Ähnlichkeiten trotz Differenzen und Distanzen, das Sehen des Einen im Vielen.65 Nähe und Entfernung kehren als metapherntheoretische Motive mit Variationen, zum Beispiel als Ähnlichkeit und Differenz, bei den meisten Autoren wieder. Ihr Status sowohl in ihrem Verhältnis zueinander66 als auch aus epistemologischer Sicht67 wird in späteren Theorien zum Teil sehr kontrovers bewertet, für die aristotelische Theorie ist aber davon auszugehen, dass die erkannte Ähnlichkeit tatsächlich eine Erkenntnis der Natur von Dingen und Sachverhalten bietet.68 Die volle Konsequenz dieser Annahme schlägt sich in den Metaphernkommentaren in seinen naturwissenschaftlichen Schriften nieder.

64 Aristoteles: Rhetorik, 1412 a 9–12. 65 Zu diesem grundsätzlichen Gedanken bei Aristoteles vgl. Dieter Lau: Metaphertheorien der Antike, S. 141–148. 66 Einige Theorien tendieren dazu, den Ähnlichkeits- bzw. Näheaspekt gegenüber der Differenz oder Entfernung zu akzentuieren (vgl. dazu Cicero/Quintilian Kap. 4.1.; Roman Jakobson Kap. 7.1. und Harald Weinrich Kap. 7.3.), einige Autoren heben aber auch die Bedeutung der Differenz hervor (vgl. dazu Emanuele Tesauro Kap. 4.3., Monroe Beardsley Kap. 3.2.; Jacques Derrida Kap. 6.2. und Jacques Lacan Kap. 6.3.). 67 Entscheidend für diese Einschätzung ist in einer jeweiligen Theorie, wo Ähnlichkeit und Differenz bzw. Nähe und Ferne verortet werden. Dabei reicht die Spannbreite von den Dingen selbst als Träger von ähnlichen/differierenden Merkmalen über semantische Entitäten mit ähnlichen/ verschiedenen Feldern bis zu ähnlichen kognitiven Mechanismen (vgl. Lakoff Kap. 9.1., Turner Kap. 9.5., Kövecses Kap. 9.4.) und Ähnlichkeiten auf der Ebene der Reizverarbeitung im neuronalen System (vgl. Lakoff/Gallese Kap. 9.2.). Je nach Verortung von Ähnlichkeit und Differenz wird die Ähnlichkeit eher als ontologisch im Objekt gegeben oder durch den Beobachter und seine Wahrnehmungsstrukturen konstruiert betrachtet werden. Entsprechend tendieren die Theorien eher dazu, Metaphern als Aussagen über die Dinge von denen sie handeln zu betrachten oder als Aussagen über die wahrnehmungspsychologischen oder kognitiven Kapazitäten und Prozesse desjenigen, der sie verwendet. 68 Vgl. für eine knappe Übersicht über Begriff und Reichweite des aristotelischen Wissenschaftsbegriffes sowie zu seinen wichtigsten Auslegungen Wolfgang Detel: Wissenschaft. In: Aristoteles-Handbuch. Leben – Werk – Wirkung. Hrsg. von Christof Rapp/Klaus Corcilius. Stuttgart/Weimar: Metzler 2011, S. 393–397.

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Auch wenn die Genie-These der Poetik im vorangegangenen Zitat wiederum mitgelesen werden kann, wenn auch weniger im Sinne eines poetischen denn eines analytisch-philosophischen Genies, so folgt daraus keineswegs, dass die Metapher bei Aristoteles als Ausnahmephänomen künstlerisch oder philosophisch elaborierter Äußerungen behandelt wird. Im Gegenteil begründet Aristoteles die Legitimität der Metapher als eines der wenigen in der Rhetorik gestatteten stilistischen Mittel mit ihrer Verbreitung auch in der Alltagssprache, wenn er schreibt: […] der übliche und der eigentümliche Ausdruck sowie die Metapher sind als einzige für die sprachliche Form der ungebundenen Rede nützlich. Ein Zeichen dafür ist, dass alle allein diese gebrauchen; alle nämlich unterreden sich mit Metaphern und den eigentümlichen und den üblichen Ausdrücken.69

Die Metapher als Ausnahme70 oder als Regelphänomen71  – kaum eine Dichotomie hat für zeitgenössische Theoriediskussionen eine stärker polarisierende Wirkung, die über das theoretische Level hinaus entscheidende Implikationen für die Anlage von Forschungsfragen, Verfahren und Methoden hat. Bereits in Aristotelesʼ Ansatz wird jedoch deutlich, dass sich die beiden Perspektiven zunächst auf dem theoretischen Level nicht ausschließen, dass jedoch die konkrete Auseinandersetzung mit exemplarischen Metaphern der jeweiligen Theorie in der Regel einen Einschlag in eine der beiden Richtungen gibt. Die scheinbar enge Grenze, die Aristoteles der Rhetorik setzt, wenn er ihr stilistisches Repertoire auf die Metapher beschränkt, erweist sich als deutlich weiter als es spätere Autoren nahelegen. Die Metapher, in den elaborierten Rhetoriken der römischen Antike,72 der Frühen Neuzeit73 und des Barock74 eine von zahlreichen Tropen, scheint bei Aristoteles eher als Oberbegriff zu dienen. Den Unter-

69 Aristoteles: Rhetorik, 1404 a 32–35. 70 Einen Fokus auf die Metapher als Ausnahmephänomen oder auch auf die Ausnahmephänomene von Metaphorik spiegeln der Theorieansatz von Augustinus (vgl. Kap. 5.1.), aber auch die Positionen von Erasmus von Rotterdam (vgl. Kap. 4.2.), Emanuele Tesauro (vgl. Kap. 4.3.) und Paul Ricoeur (vgl. Kap. 8.3.). 71 Die Metapher grundsätzlich als Phänomen von alltäglicher Kognition und Sprache zu verstehen ist ein zentraler Aspekt der sog. kognitiven Theorien der Metapher (vgl. Lakoff, Kövecses, Turner, Sperber/Wilson, eine Ausnahme hier Steen), findet sich aber bereits bei Friedrich Nietzsche, Hans Blumenberg und Giambattista Vico. Ein Ubiquitätspostulat der Metapher anderen Zuschnitts unterstützen außerdem Roman Jakobsons, Jacques Derridas und Jacques Lacans Theorien. 72 Vgl. Cicero/Quintilian Kap. 4.1. 73 Vgl. Erasmus von Rotterdam Kap. 4.2. 74 Vgl. Emanuele Tesauro Kap. 4.3.

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schied zwischen Metapher und Gleichnis erachtet er als gering,75 das Rätsel ist im Grunde eine Verdichtung von Metaphern76 deren implizite argumentative Struktur jedoch nur noch schwer zu entschlüsseln ist, und auch die Sprichwörter sind Metaphern.77 Auch wenn Aristoteles selbst im Grunde keine Tropologie betreibt, so legen seine Relationierungen der Metapher zu anderen Tropen im Verbund mit der Definition aus der Poetik – die mit der Definition der Übertragungen von der Art auf die Gattung und der Gattung auf die Art als Metapher nach dem Verständnis vieler Autoren Synekdochen zu Metaphern erklärt – ein uneinheitliches Fundament für die unzähligen tropologischen Einordnungen der Metapher.78 In einigen späteren Rhetoriken scheint sich die Diskussion der Metapher nahezu auf diese klassifikatorischen Probleme beschränkt zu haben. Bei Aristoteles lässt sich das Metaphernproblem jedoch bis in die naturwissenschaftlichen Schriften verfolgen, von denen hier exemplarisch Auszüge aus der Schrift Über die Zeugung der Arten betrachtet werden sollen.79 Grundsätzlich sieht Aristoteles die Metapher zur Formulierung von wahren Aussagen kritisch, wie seine Kommentare in der zweiten Analytik zeigen.80 Diese kritische Haltung schlägt sich auch in seinen naturwissenschaftlichen Schriften über weite Strecken nieder, wenn Aristoteles beispielsweise die naturphilosophischen Texte vorsokratischer Philosophen als reine Metaphorik und damit unwissenschaftlich

75 „Auch das Gleichnis ist eine Metapher; denn der Unterschied ist geringfügig. Wenn man nämlich sagt: ‚wie in Löwe stürzt er (auf ihn)‘, ist es eine Metapher. Weil nämlich beide tapfer sind, sprach er, indem er eine Übertragung vornahm, von Achill als von einem Löwen. Nützlich aber ist das Gleichnis auch in der Rede, jedoch zu wenigen Gelegenheiten; denn es hat den Charakter der Dichtung. Man muss sie aber wie die Metaphern einbringen; denn sie sind Metaphern; denn die Metaphern sind (nur) in der besagten Weise unterschieden.“ (Aristoteles: Rhetorik, 1406 b 20–27). 76 „Aus demselben Grund ist, was trefflich in Form eines Rätsels gesagt ist, vergnüglich, denn es bedeutet einen Wissensgewinn und ist in einer Metapher formuliert.“ (Ebd., 1412 a 24). 77 „Auch die Sprichwörter sind Metaphern von der Art auf die Art, […].“ (Ebd., 1413 a 15–17). 78 Im Lauf der Theoriebildung nimmt sie dabei gleichsam alle möglichen Positionen ein: Als Oberbegriff wird sie ein Äquivalent zum Terminus Tropus (vgl. Melanchthon Kap. 5.3., Tesauro Kap. 4.3.), als spezifisch eng definiertes Phänomen reiht sie sich in die 14 Tropen umfassende Kategorisierung des Quintilian ein (vgl. Kap. 4.1.), als Pol der Sprache bildet sie bei Roman Jakobson (vgl. Kap. 7.1.) gemeinsam mit der Metonymie die fundamentale Dichotomie der Sprache. 79 Lau führt als weitere Beispiele Passagen mit metapherntheoretischen Aspekten in De partibus animalium und Metereologica auf. Vgl. Dieter Lau: Metaphertheorien der Antike, S. 189–200 sowie S. 251–259. 80 Vgl. Aristoteles: Analytica posteriora, 97 b 37 (Buch II, Kap 13). Hier hält Aristoteles fest, dass Metaphern zur Formulierung von Definitionen ungeeignet sind und damit nicht zu einem strengen Wahrheitsdiskurs taugen.

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kritisiert.81 Hier scheint bereits die grundlegende Spaltung zwischen poetischer und wissenschaftlicher Sprache angelegt, die die Metapherndiskussion lange prägt und die Metapher regelmäßig der unwissenschaftlichen Unklarheit bezichtigt.82 Eine gewisse Erkenntnisleistung erkennt Aristoteles jedoch auch hier der Metapher zu, wenn er schreibt: Sehr schön also ist das Bild der Dichter in den Lustspielen, wenn sie spottend sagen, die grauen Haare seien des Alters schimmliger Reif, das eine stimmt in der Gattung, das andere in der Art damit überein, der Reif in der Gattung, weil beides Ausdünstung ist, der Schimmel in der Art, weil beides Fäulnis ist.83

Dass die Metapher zwar keine begrifflich-definitorisch wahre Aussage macht, aber nichtsdestotrotz die Erkenntnis wahrer Verhältnisse ermöglicht, ist ein Paradox, das seit Aristoteles zahlreiche Theoretiker angeregt hat, diese Wahrheit in der offensichtlichen Absurdität der Aussage schlüssig zu begründen.84 Betrachtet man die bis hierher aufgeführten Passagen zur Metapher aus Aristotelesʼ Werk, so scheint es zunächst schwierig, überhaupt eine konsistente Theorie jenseits der Definition in der Poetik auszumachen,85 geschweige denn diese Theorie disziplinär zu verorten. Das Lob der Metapher als Vehikel der Erkenntnis in der Rhetorik findet seinen (scheinbaren) Widerspruch in ihrer Kritik als unklare Definition in der Analytik; die geniale Metaphernschöpfung des Dichters oder Rhetors ihren Konterpart in der alltäglichen Konversationsmetaphorik. Der Metapher werden bereits im ersten uns bekannten Versuch ihrer Beschreibung verschiedene Funktionen zugeschrieben, die in zentraler Abhängigkeit von ihrem Kontext stehen. Klar erkennbar ist damit, dass die Metapher als ein polyvalentes Phänomen bestimmt wird, das in unterschiedlichen Kontexten verschiedene Beschreibungen und Bewertungen erfährt. Die scheinbare Inkon-

81 Die Tatsache, dass stets die Erkenntnisse vorangegangener Epochen als reine Metaphorik identifiziert werden, nicht jedoch die eigenen, lässt hier schon die Fragestellungen der blumenbergschen Metaphorologie aufscheinen (vgl. Kap. 8.2.). 82 Hierzu zählt neben den radikalen Metapherngegnern auch Thomas von Aquin, der die Metapher strategisch von der Analogie trennt und nur letzterer Erkenntniswert zuspricht (vgl. Kap. 5.2.). 83 Aristoteles: Über die Zeugung der Geschöpfe. Paderborn: Schöningh 1959, V, 4, 84 b. 84 Die oberflächliche Falschheit der Aussage avanciert bei vielen Autoren letztlich zu einem Kernkriterium für die Metapher. Vgl. dazu u. a. Max Black, Monroe C. Beardsley, Donald Davidson, Paul Grice und Paul Ricoeur. Systematisch entwickelt diese Perspektive Christian Strub: Kalkulierte Absurditäten. 85 Besonders sichtbar wird dieses Problem an der terminologischen Inkonsistenz, die Lau für die zentralen Begriffe Analogie und Ähnlichkeit in Aristotelesʼ Schriften konstatiert (Metaphertheorien der Antike, S. 146).

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sistenz der aristotelischen Metaphernbeschreibung mag daher in Wahrheit ihr historisches Erfolgsrezept sein: Indem sie die Metapher aus verschiedenen Perspektiven beleuchtet, legt sie den Grundstein einer bis heute anhaltenden interdisziplinären Debatte. Sie ist damit nicht nur für konkrete Einzeldisziplinen wie die Rhetorik direkt operationalisierbar, sondern bietet zahlreiche Anschlussstellen für die weiterführende Theoriebildung. Das bedeutet aber keineswegs, dass mit Aristoteles das Phänomen Metapher abschließend behandelt worden sei. Der Durchgang durch die einzelnen Passagen sollte bereits deutlich gemacht haben, dass viele Aspekte der Metapher sich allenfalls am Rande oder andeutungsweise finden lassen und erst durch die Rezeption und Weiterentwicklung der folgenden Theoriebildung ihre vollen Konsequenzen deutlich werden. Gerade für die Literaturwissenschaft, die sich gern auf die aristotelische Theorie beruft, scheinen die systematischeren Ausführungen späterer Theoretiker für eine Operationalisierung entscheidende Unterstützung zu liefern. Rein anhand der aristotelischen Metapher müsste die Untersuchung eines konkreten Textes vergleichsweise undifferenziert86 verschiedene Textphänomene wie Synekdoche,87 Vergleich,88 aber auch die Allegorie89 unter dem Terminus Metapher fassen und müsste auf der anderen Seite zahllose Aspekte jenseits des Textes (Hörerpsychologie, Wahrheitsstatus der Metapher) mit einbeziehen.90 Nichtsdes-

86 Zu diesem Ergebnis kommt auch die umfangreiche ältere Studie von Marsh H. McCall, Jr.: Ancient Rhetorical Theories of Simile and Comparison, S. 52–53, der auch ein Kontinuum zwischen den einzelnen Begriffen Vergleich, Gleichnis und Metapher konstatiert. 87 „Die synecdoche  […] besteht in einer Verschiebung (§ 184) der Benennung der gemeinten Sache innerhalb der Ebene des Begriffsinhalts (§ 185), wobei die Grenze des Begriffsinhalts von der tropischen Benennung überschritten (locus a maiore ad minus: § 185, 1b) oder unterschritten (locus a minore ad maius; § 185, 1b) werden kann: es gibt also eine Synekdoche vom Weiteren (§ 193) und eine Synekdoche vom Engeren (§ 198).“ (Heinrich Lausberg: Elemente der literarischen Rhetorik, S. 69). 88 „Das Ähnliche […], das als Beweis-locus (§ 41) und als ornatus (§ 385) angewandt wird, besteht in der Gemeinsamkeit einer Eigenschaft zwischen mehreren (mindestens zwei) Dingen. Die den ähnlichen Dingen gemeinsame Eigenschaft heißt tertium comparationis (z. B. die Stärke und Plötzlichkeit des Löwen und des Odysseus: § 403). Die nicht dem tertium comparationis angehörenden Phänomene der ähnlichen Dinge sind unähnlich (dissimile): jedem Ahnlichen ist also etwas Unähnliches beigemischt, wobei der Mischungsgrad variieren kann.“ (Ebd., S. 132). 89 „Die allegoria […] ist die als Gedanken-Tropus (§ 417) fortgesetzte Metapher (§ 228) und besteht im Ersatz des gemeinten Gedankens durch einen anderen Gedanken, der zum gemeinten Gedanken in einem Ähnlichkeits-Verhältnis (§ 400) steht.“ (Ebd., S. 139). 90 Theoretische Inkonsistenz und praktische Nutzlosigkeit der zentralen metapherntheoretischen Formel werden daher auch in der Sekundärliteratur immer wieder gegen die aristotelische Theorie ins Feld geführt. Vgl. dazu Zusammenfassung der Kritik bei Samuel R. Levis: Aristotle’s Theory of Metaphor. In: Philosophy & Rhetoric 15:1 (1982), S. 24–46, hier auf S. 24–25.

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totrotz bietet er eine erste und historisch erfolgreiche Technik zur systematischen Produktion von Metaphern ebenso wie zu ihrer Auflösung. Die immense Wirksamkeit der aristotelischen Theorie in der folgenden Theoriebildung führt zudem zu einer erheblichen Ausdifferenzierung und Vertiefung vieler der von Aristoteles nur angerissenen oder angedeuteten Punkte. Die außerordentlich zahlreichen, oft nur andeutungsweise präsenten Facetten der aristotelischen Thesen müssen daher vor dem Hintergrund ihrer späteren Vertiefung und Akzentuierung einem gegenwärtigen, theoriebewanderten Leser besonders evident erscheinen. Die nach-aristotelische Rezeption und Theoriebildung schreibt sich an dieser Stelle mithin fast unbemerkt in jede Auseinandersetzung mit den aristotelischen Texten ein, ein Charakteristikum, das Haverkamp als die „vollendete paläonyme Gegebenheit“91 des Textes beschreibt. Angelegt, so ließe sich zusammenfassen, ist bei Aristoteles in der Tat bereits ein Großteil der Themen, zu denen die spätere Theoriediskussion zurückkehren wird. Ausgeführt oder vertieft sind jedoch nur die wenigsten. Trotz ihrer enormen Anschlussfähigkeit für die Theoriebildung in und außerhalb der Literaturwissenschaft, mag eine Operationalisierung der Metapherntheorie im engen Sinne der Poetik daher ernüchtern. Mit der aristotelischen Theorie der Metapher lässt sich in Walter Benjamins Text bereits die wenig spektakuläre Formulierung des ‚Spiels der Möwen‘ als Metapher identifizieren, zudem als eine, der die vom Verfasser geschätzte Dynamik und damit der Effekt des ‚vor-Augen-führens‘ zugesprochen werden kann. Die aristotelische Metapherndefinition mit ihrer systematischen Fallunterscheidung bleibt hier als interpretativer Schlüssel jedoch uneindeutig. Einerseits kann das ‚Spiel der Möwen‘ als Übertragung von der Art auf die Art analysiert werden, andererseits aber auch als Analogiemetapher. Beispielsweise ließe sich die Bewegung als gemeinsame Art von Spiel und Flug bestimmen. Indem die menschliche Spielbewegung auf den Flug der Möwen übertragen wird, werden diesem spezifische Qualitäten zugeschrieben, die dem Spiel eigen sind. Eine der zahlreichen Definitionen des Spiels fasst es als

91 Anselm Haverkamp: Beispiel, Metapher, Äquivalenz, S. 15. Haverkamp bezieht sich hier nur auf die Poetik, doch scheint sich die Aussage auch für das Konglomerat der metapherntheoretischen Äußerungen jenseits dieser einen Schrift zu bewahrheiten. Im Detail herausgearbeitet hat Otto Wendel das Problem in seiner Dissertation, die sich besonders mit der Rezeption und Adaption der aristotelischen Theorie durch Derrida und Ricoeur sowie seinem Verhältnis zur nietzscheanischen Theorie der Metapher befasst. Wendel argumentiert im Übrigen für die theoretische Offenheit und Nichtreduzierbarkeit der aristotelischen Theorie, die hier als Hauptursache für ihre große interdisziplinäre Produktivität betrachtet wird. (Vgl. Detlef Otto: Wendungen der Metapher. Zur Übertragung in poetologischer, rhetorischer und erkenntnistheoretischer Hinsicht bei Aristoteles und Nietzsche. München: Fink 1998).

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freiwillige Handlung oder Beschäftigung, die innerhalb gewisser festgesetzter Grenzen von Zeit und Raum nach freiwillig angenommenen, aber unbedingt bindenden Regeln verrichtet wird, ihr Ziel in sich selber hat und begleitet wird von einem Gefühl der Spannung und Freude und einem Bewusstsein des „Andersseins“ als das „gewöhnliche Leben“.92

Der Flug der Möwen wird durch die Spielmetapher – in sicherlich konventioneller Manier – als freie Bewegung charakterisiert, die ihren Zweck in sich selbst hat. Das Prinzip dieser Analyse lässt sich in der Theoriegeschichte als Kerngedanke der Metapher als Merkmalsübertragung verfolgen, die auch noch einigen der zeitgenössischen Theorien zugrunde liegen.93 Ebenso gültig wie die Analyse des ‚Spiels der Möwen‘ als Übertragung von der Art auf die Art scheint jedoch auch die als Analogie nach dem Schema a:b wie c:d. Folgt man dieser Linie, so wäre ein analoges Verhältnis zwischen Mensch:Spiel zu Möwen:Flug zu postulieren. Hier wird nun der fundamentale Unterschied zwischen einer auf Basis von Art und Gattung funktionierenden Metapher und einer Analogiemetapher deutlich. Während die erste über eine wesensmäßige Verwandtschaft zu übertragenen Zuschreibungen gelangt, werden mit der zweiten Verhältnisähnlichkeiten festgestellt, die genau solche Zuschreibungen von Wesensmerkmalen im Grunde nicht vornehmen. Wie das ‚Spiel der Möwen‘, so lässt sich auf Grundlage der aristotelischen Theorie wohl auch die ‚Pendelbewegung‘ des Mastes markieren, wobei sich hier argumentieren ließe, dass für die andersherum ausgerichtete Bewegung des Mastes kein eigentlicher Begriff existiert und darum über die Analogiemetapher (wie im Fall der ‚Strahlen der Sonne‘ und dem Verb ‚säen‘)94 eine Beschreibung generiert wird. Gleiches lässt sich für das ‚Zeichnen‘ des Mastes in den Himmel geltend machen. Noch identifizierbar, aber nur schwerlich aufklärbar scheint das ‚lesbare Schwingengeflecht‘ vor dem Hintergrund einer aristotelischen Theorie zu sein. Hier könnte man versucht sein, sowohl die ‚lesbaren‘ Schwingen als auch die Identifikation der Möwen als ‚Boten‘ am Ende des Textes mit der Unterstellung eines gewissen antiken Aberglaubens aus einer aristotelischen Perspektive als

92 Johan Huizinga: Homo Ludens. Vom Ursprung der Kultur im Spiel. 24. Aufl. Reinbek bei Hamburg: Rowohlt 2015, S. 37. 93 Vgl. für eine Gegenüberstellung verschiedener zeitgenössicher Analysemuster des Satzes ‚This surgeon is a butcher‘ Zoltán Kövecses: Recent Developments in Metaphor Theory. Are the new Views Rival Ones? In: Metaphor and Metonymy Revisited beyond the Contemporary Theory of Metaphor. Recent Developments and Applications. Hrsg. von Francisco Gonzálvez-García/ María Sandra Peña Cervel/Lorena Pérez Hernández. Amsterdam/Philadelphia: Benjamins 2013, S. 11–25, hier auf S. 11–25. 94 Aristoteles: Poetik (Schmitt), 1457 b 27.

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wörtlich zu nehmen. An dieser Stelle eröffnet sich eine erste methodologische Untiefe, der sich Literaturwissenschaft und Philologie beim Umgang mit ihren zum Teil historischen Quellen stellen müssen und die eine entscheidende Differenz zu rein an synchronen Phänomenen interessierten Forschungsfragen darstellt. Die elementare Unterscheidung zwischen einer metaphorischen und einer nicht-metaphorischen Formulierung wird methodisch dort problematisch, wo sie auf retrospektiver Zuschreibung zu (fragmentarischen) sprachlichen und nichtsprachlichen Überlieferungen beruht. Die historische Dimension der Metapher, die in späteren Theorien Konjunktur hat, wird von Aristoteles jedoch nicht adressiert.95 Die methodische Souveränität, mit der auch jüngere synchron orientierte Ansätze96 auftreten, muss bereits an dieser Stelle zweifelhaft werden, womit letztlich auch die engen Grenzen dieser Souveränität sichtbar werden.97 Andere Formen der Metaphorik, die diesen Text prägen (zum Beispiel die links-rechts-Metaphorik mit ihren politischen Implikationen) und in den folgenden Kapiteln aufgezeigt werden sollen, scheinen mit der aristotelischen Theorie kaum fassbar. Ebenso nicht von der aristotelischen Theorie thematisiert wird die Systematik der Metaphorik, die sich in diesem konkreten Text98 beziehungsweise in Sprache im Allgemeinen99 mit anderen Theorien aufzeigen lässt. Das Phänomen einer Reihung von Metaphern fasst Aristoteles zwar als Rätsel, jedoch ohne sich näher mit dem Verhältnis der einzelnen Metaphern zueinander zu beschäftigen. Die Systematik bestimmter Metaphern in einzelnen Texten, Gattungen, Epochen oder auch Sprachgemeinschaften nehmen so erst spätere Theorien in den Blick.

95 Mit Eco ließe sich hier argumentieren, dass das Fehlen der historischen Dimension darauf zurückzuführen ist, dass Aristoteles die Metapher als ‚Natur‘ und nicht als ‚Kultur‘ denkt. (Vgl. Umberto Eco: The Scandal of Metaphor, S. 224). 96 Vgl. für andere synchron orientierte Ansätze mit klaren Analysekriterien Max Black (Kap. 3.1.), Paul Grice (Kap. 7.2.) George Lakoff (Kap. 9.1. und Kap. 9.2.). 97 Vgl. für eine ausführliche Diskussion dieses Problems Kap. 9.6 und 10. 98 Vgl. Max Black (Kap. 3.1.) und Harald Weinrich (Kap. 7.3.). 99 Vgl. CMT (Kap. 9.1.), NTM (Kap. 9.2.), Deliberate Metaphor Theory (Kap. 9.3.).

3 Metapher und Wahrheit Die analytisch-philosophische Diskussion über die Metapher erfolgt über weite Strecken unter der Leitunterscheidung wahr/falsch. In dieser Leitunterscheidung impliziert ist die Präferenz für die wahre Aussage: Sie ist es, die philosophisch oder wissenschaftlich angestrebt und als Erkenntnis gefeiert wird. Die problematische Position, in die die Metapher vor dem Hintergrund dieser Leitunterscheidung gerät, offenbart sich am deutlichsten in ihrer vehementen Ablehnung durch Philosophen wie John Locke.1 Die entgegengesetzte Position, dass nämlich die Metapher trotz der in ihr augenscheinlich verkörperten Falschaussage einen relevanten Beitrag zur Erkenntnis leisten kann, wird unter Zuhilfenahme verschiedener Argumentationen jedoch ebenso konsequent vertreten. Prägnante Beispiele für positivere Positionierungen der Metapher vor dem Hintergrund der Leitunterscheidung wahr/falsch finden sich in den Theorien von Max Black, Monroe C. Beardsley und Donald Davidson.

3.1 Max Black (1909–1988) Man is a wolf.2

Die detaillierte Beschreibung der metaphorischen Funktionsweise als Interaktion zwischen zwei Elementen erscheint auf den ersten Blick als eine der Hauptleistungen von Max Blacks Ansatz.3 Dabei greift er auf eine von Ivor

1 „But that this is a mistake will appear, if we consider, that the reason why sometimes men who sincerely aim at truth are imposed upon by such loose, and, as they are called, rhetorical discourses, is, that their fancies being struck with some lively metaphorical representations, they neglect to observe, or do not easily perceive, what are the true ideas upon which the inference depends.“ John Locke: An Essay Concerning Human Understanding, S. 676. Vgl. Kap. 2., FN 18. 2 Max Black: Metaphor. In: Models and Metaphors. Studies in Language and Philosophy. Ithaca, NY: Cornell University Press 1962, S. 25–47, hier auf S. 39. Max Black verwendet diese Metapher als zentrales Beispiel in seinem Schlüssel-Aufsatz „Metaphor“ und erläutert daran seine Interaktionstheorie. 3 Blacks erster Entwurf der „interaction view of metaphor“ erscheint 1954 unter dem Titel „Metaphor“ (im Folgenden zitiert nach dem Sammelband Models and Metaphors), eine detailliertere Ausarbeitung sowie die Auseinandersetzung mit kritischen Kommentaren folgt 1977 unter dem Titel „More about Metaphor“. Eine Reaktion auf die heftige Kritik von Donald Davidson folgt 1979. Eine umfangreiche Darstellung von Blacks Theorie sowie ein Rekonstruktionsversuch aus analytisch-philosophischer Perspektive des dahinterstehenden Bedeutungsbegriffs findet sich bei Jakub Mácha: Analytische Theorien der Metapher. Untersuchungen zum Konzept der metaphorischen Bedeutung. Berlin: LIT-Verlag 2010, S. 77–103. Eine umfangreiche, vorwiegend https://doi.org/10.1515/9783110585353-003

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Armstrong Richards4 festgeschriebene, zentrale Differenzierung zweier Komponenten einer Metapher5 mit den Begriffen frame beziehungsweise principial subject und focus beziehungsweise subsidiary subject6 zurück.7 Mit dieser Differenzierung vollzieht Black mit Richards einen entscheidenden analytischen Schritt: Indem die Metapher als zweiteilige Struktur hervorgehoben wird, in der beide Komponenten gleichermaßen relevant sind, wird die Grundlage für eine genaue Untersuchung von Verhältnis und Wechselwirkung zwischen beiden geschaffen. Die bei Richards vage gehaltene Interaktionsbeziehung wird von Black in dem ersten Aufsatz „Metaphor“ soweit präzisiert, dass mit ihr eine Erkenntnisleistung der Metapher begründbar wird.8 Die Interaktion zwischen frame und focus besteht letztlich in einer Interaktion der mit ihnen verknüpften systems of associated commonplaces als sprachlich codierten Wissensbeständen:9

kritische Diskussion von Blacks Position findet sich bei Eva F. Kittay: Metaphor: Its Cognitive Force and Linguistic Structre. Oxford: Clarendon Press 1987. Berechtigt in Schutz genommen wird Black gegen diese Kritik von Charles Forceville: Pictorial Metaphor in Advertising. London/New York: Routledge 1996, S. 12–22. Insgesamt positiv bewerten auch Paul Ricoeur und Monroe C. Beardsley Blacks Theorie, die, wie sich im Verlauf dieses Kapitels zeigen wird, in zentralen Punkten mit ihrer jeweils eigenen Theorie übereinstimmt. 4 Vgl. entsprechend Ivor A. Richards: The Philosophy of Rhetoric. 2. Aufl. New York: Oxford University Press 1950. Vergleiche zur Metapher besonders S. 89–115 (entspricht Lecture V und VI). 5 Richards verwendet die Begriffe tenor and vehicle (vgl. ebd., S. 100). Black verweist selbst auf seinen Rückgriff auf Richards in „More about Metaphor“, S. 441. 6 In „More about Metaphor“ spricht Black stattdessen von primary und secondary subject. Dort definiert er auch explizit den focus als „word or words used not literally“ und dem entgegen den „surrounding literal frame“. (Ebd.). 7 Wolfgang Künne weist darauf hin, dass diese gewöhnlich mit Richards identifizierte Differenzierung schon in Johann Martin Chladenius’ Traktat „Einleitung zur richtigen Auslegung vernünftiger Reden und Schriften“ von 1742 vorgenommen wird. (Vgl. Wolfgang Künne: ‘Im übertragenen Sinne’. Zur Theorie der Metapher. In: Conceptus: Zeitschrift für Philosophie 17:40–41 (1983), S. 181–200, hier auf S. 190). 8 Für eine umfangreichere Diskussion des Interaktionsprozesses vgl. Charles Forceville: Pictorial Metaphor in Advertising, S. 5–12. 9 Die Differenzierung zwischen den Dingen der Welt und den verschiedenen Formen ihrer Repräsentation ist einer der fundamentalen Unterschiede zwischen der aristotelischen Theorie der Metapher und semantisch orientierten jüngeren Theorien wie der Blacks, aber auch Monroe C. Beardsleys, Harald Weinrichs sowie Hans Blumenbergs und Paul Ricoeurs. Statt der Charakteristika des Dings an sich, fungiert bei den letzteren das (sprachlich verfasste) Konzept dieses Dings als zentraler Referenzpunkt für die Diskussion der Metapher.

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(i) the presence of the primary subject incites the hearer to select some of the secondary subject’s properties; and (ii) invites him to construct a parallel “implicative complex” that can fit the primary subject; and (iii) reciprocally induces parallel changes in the secondary subject.10

Die für die Metapher relevanten Einheiten gehen in Blacks Beschreibung über die einzelnen Begriffe insofern hinaus, als sie mit den systems of associated commonplaces auch semantisches und enzyklopädisches Hintergrundwissen umfassen,11 das über die lexikalisch-semantischen Charakteristika der gegebenen Formulierung hinausreicht. Die Interaktion findet also weniger zwischen den einzelnen Begriffen, als vielmehr zwischen den mit ihnen assoziierten Systemen statt. Als vor allem aus Gemeinplätzen bestehende Systeme sind diese jedoch nur sehr bedingt wahr.12 Die Interaktion beschreibt Black wiederum mit verschiedenen Metaphern, darunter die des Filters. Die systems of associated commonplaces von frame und focus werden übereinander gelegt und die dem focus entsprechenden Elemente des frames dadurch hervorgehoben. Alternativ beschreibt Black die metaphorische Funktionsweise auch als Projektionsprozess13 und kehrt damit letztlich die Blickrichtung um. In beiden Fällen besteht die Funktion der Metapher jedoch in der Auswahl, Betonung und Unterdrückung von charakteristischen Elementen eines einem Begriff zugeordneten Bedeutungskonzeptes.14 Diese Funktionen

10 Max Black: More about Metaphor, S. 442. 11 Eckard Rolf unterstreicht die Bedeutung, die geteiltes enzyklopädisches Wissen damit für die Funktionsweise der Metapher nicht nur im Kontext der Theorie Blacks spielt. Er verweist zudem auf Monroe C. Beardsley als Vertreter einer auf enzyklopädischem Wissen aufbauenden Metapherntheorie. (Vgl. Eckard Rolf: Metaphertheorien, S. 41). Bei Beardsley werden jedoch enzyklopädisches und semantisches Wissen in ihrer Rolle für die Metapherninterpretation noch einmal differenziert (vgl. zu Monroe C. Beardsley Kap. 3.2.). Das vergleichsweise undifferenzierte Verhältnis von semantischem und enzyklopädischem Wissen in Blacks Theorie bewertet Peter Koch als ein Charakteristikum der nordamerikanischen Semantik-Tradition. (Vgl. Peter Koch: Der Beitrag der Prototypentheorie zur Historischen Semantik. Eine kritische Bestandsaufnahme. In: Romanistisches Jahrbuch 46:1 (1995), S. 27–46, hier auf S. 36). 12 Black selbst qualifiziert die associated commonplaces als „standard beliefs“ (vgl. Max Black: Metaphor, S. 40), Eckard Rolf sieht sie als Stereotypen (vgl. Eckard Rolf: Metaphertheorien, S. 44). In Aristotelesʼ Terminologie scheinen sie den doxa zu entsprechen. Mit der kulturellen Variabilität sowie der weitgehend automatischen und unbewussten Funktionsweise (vgl. Max Black: Metaphor, S. 40) der associated commonplaces, die Black ihnen zuschreibt, teilen sie außerdem zentrale Eigenschaften der Prototypen in George Lakoffs Conceptual Metaphor Theory (vgl. Kap. 9.1.). 13 Vgl. Max Black: More about Metaphor, S. 442. 14 Vgl. Max Black: Metaphor, S. 44. Den Grad, in dem eine Metapher wirksam wird, betrachtet Black jedoch als eine Frage von Intention und Pragmatik, die der Auffassung Steens (vgl.

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sind es, die in Blacks Perspektive auch den entscheidenden Erkenntniswert der Metapher ausmachen. Entscheidend ist die Feststellung: Die Metapher beeinflusst die Konzeptualisierung des von ihr beschriebenen Gegenstandes, indem sie die Wahrnehmung des mit ihm verknüpften Systems verändert.15 Hierin liegt nach Black auch der fundamentale Unterschied zum Vergleich: Während bei diesem zwei diskrete Einheiten in ihren Charakteristika unangetastet bleiben und lediglich Relationen zwischen diesen Charakteristika aufgezeigt werden, erfolgt mit der Metapher ein fundamentaler Eingriff in die Struktur des primary subject. Dass es sich bei der Veränderung des primary subject nicht ausschließlich um einen kurzfristigen, subjektiven Effekt handelt, sondern um wirkungsvolle, intersubjektiv stabilisierbare Strukturierungen von Welt, zeigen Blacks Beispiele aus naturwissenschaftlicher Metaphorik, bei denen von dem primary subject selbst vergleichsweise wenig bekannt ist und die Metapher zu seiner Entdeckung und ersten Charakterisierung beiträgt. Auf diese Beispiele wird später zurückzukommen sein. Festzuhalten bleibt zunächst, dass sowohl Aristoteles als auch Black der Metapher sowohl als Instrument zur Erlangung von Einsicht als auch zu deren Kommunikation zentrale positive Eigenschaften zuschreiben. Dies mag überraschen, da ihre Ausgangspositionen hinsichtlich der Möglichkeit von Erkenntnis und ihrer Vermittlung in Sprache sich deutlich unterscheiden. Die Grundannahme einer Isomorphie zwischen Welt und Sprache, auf die sich Aristotelesʼ positives Metaphernkonzept stützen konnte, wird von Max Black jedoch rundheraus abgelehnt: „To anybody who still feels that there must be an

Kap. 9.3.) ähnelt. (Vgl. Max Black: Metaphor, S. 30). Gänzlich der Pragmatik zugeschlagen wird das Problem der Metapher von Davidson (vgl. Kap. 3.3.). 15 Vgl. Max Black: Metaphor, S. 41–42. In einzelnen Fällen erschafft die Metapher auch erst ihren Gegenstand, wie weiter unten gezeigt wird. Die bei Black terminologisch nicht näher spezifizierte Veränderung des Gegenstandskonzeptes fasst Monroe C. Beardsley präziser als Veränderung der Intension und damit auf begrifflicher Ebene (vgl. Kap. 3.2.). Einen ontologischen Rückbezug der neu geschaffenen Konzepte auf die Welt, wie er sich bei Black für die wissenschaftliche Metaphernnutzung in der Theoriebildung abzeichnet, stellt bei Paul Ricoeur eine zentrale Funktion auch der poetischen Metapher dar, die durch Neuperspektivierung die Gegenstände ihrer Beschreibung erst schafft (vgl. Kap. 8.3.). Eine kompakte Ausformulierung des philosophisch grundlegenden Problems des Erkennens vs. des Schaffens von Ähnlichkeiten leistet Christian Strub in seinem Aufsatz „Abbilden und Schaffen von Ähnlichkeiten“, in dem er die hinterliegenden Konzepte der Welt als Entdeckungswelt bzw. Erfindungswelt beschreibt. (Vgl. Christian Strub: Abbilden und Schaffen von Ähnlichkeiten. Systematische und historische Thesen zum Zusammenhang von Metaphorik und Ontologie. In: Metapher und Innovation. Die Rolle der Metapher im Wandel von Sprache und Wissenschaft. Hrsg. von Lutz Danneberg/Andreas Graeser/Klaus Petrus. Bern u. a.: Haupt 1995, S. 110–125).

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identity of logical form between language and reality, I can only plead that the conception of language as a mirror of reality is radically mistaken.“16 Eine noch schwerwiegendere Differenz liegt in Blacks grundsätzlicher Skepsis gegenüber der Möglichkeit einer objektiven Gegebenheit und Erkenntnis der Welt, auf deren Grundlage Ähnlichkeitsaussagen getroffen werden können. […] I still wish to contend that some metaphors enable us to see aspects of reality that the metaphors construction helps to constitute. But that is not surprising if one believes that the “world” is necessarily a world under a certain description  – or a world seen from a certain perspective.17

In Blacks Metapherntheorie zeigen sich die Konsequenzen dieser Ausgangsannahmen. Die bei Aristoteles fundamentale Ähnlichkeitsbeziehung zwischen den Dingen in der Welt ist als Basis der Metapher zweifelhaft geworden; die in der Metapher proklamierte Identität lässt sich nicht mehr auf sie zurückführen. Offenbar geht Black davon aus, dass Ähnlichkeiten keineswegs objektiv gegeben sind: We are supposed to be puzzled as to how some expression (M), used metaphorically, can function in place of some literal expression (L) that is held to be an approximate synonyme; and the answer offered is that what M stands for (in its literal use) is similar to what L stands for. But how informative is this? There is some temptation to think of similarities as “objecitively” given, so that a question of the form, “Is A like B in respect of P?” has a definite and predetermined answer. If this were so, similes might be governed by rules as strict as those controlling the statements of physics.18

Man mag geneigt sein, im aristotelischen Metaphernalgorithmus diese streng reglementierten Kriterien zu sehen. Allerdings lässt Black keinen Zweifel daran, dass diese für ihn wiederum bereits Teil einer Welt „under a certain description“19 wären und nicht unausweichliche objektive Gegebenheiten. Entsprechend erscheint die Ähnlichkeit nicht ausschließlich eine Voraussetzung der Erkenntnis, sondern kann sehr wohl als ihr Ergebnis charakterisiert werden: „It would be more illuminating in some of these cases to say that the metaphor creates the

16 Max Black: Language and Reality. In: Models and Metaphors. Studies in Language and Philosophy. Ithaca, NY: Cornell University Press 1962, S. 1–16, hier auf S. 16. Otto Apel sieht in dieser Haltung ein Charakteristikum der analytischen Philosophie der dritten Generation, deren Ursprung er in Wittgensteins Philosophischen Untersuchungen ausmacht. (Vgl. Karl-Otto Apel: Die Entfaltung der „sprachanalytischen“ Philosophie und das Problem der „Geisteswissenschaften“. In: Philosophisches Jahrbuch 72:2 (1964), S. 239–290). 17 Max Black: More about Metaphor, S. 454. 18 Max Black: Metaphor, S. 37. 19 Ebd.

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similarity than to say that it formulates some similarity antedecently existing.“20 An diesem Punkt scheint Black sich nun in maximaler Distanz zur an Erkenntnis oder Wahrheit orientierten Metapherntheorie des Aristoteles zu befinden: Er lehnt die Sprache als Spiegel der Wirklichkeit ab, bezweifelt den objektiv-ontologischen Status der in der Metapher aufgezeigten Ähnlichkeitsrelation und erklärt stattdessen deren konstruktive Kraft zum zentralen Charakteristikum. Die strong creativity-These, die Black in „More about Metaphor“ zuspitzt, scheint nichts mehr mit der Erkenntnis objektiver Fakten zu tun zu haben.21 Nichtsdestotrotz geht Black davon aus, dass Metaphern nicht nur nach einem beschreibbaren Mechanismus funktionieren und auf nachvollziehbaren Grundlagen aufbauen, sondern dass die durch sie behaupteten Sachverhalte durchaus eine Einsicht in die Welt und gelegentlich auch das Wesen der Dinge bieten können. Um diesen Zusammenhang zu klären, scheint es jedoch notwendig, eine Unterscheidung zu betonen, die Black selbst nur implizit zu machen scheint: die Unterscheidung zwischen einem metaphorischen Ausdruck und metaphorischem Denken.22 Die Unterscheidung dieser beiden Ebenen hilft, einen scheinbaren Widerspruch in Blacks Aussagen verständlich zu machen: einerseits die Zusammenfassung seiner Überlegungen zum Wahrheitswert von Metaphern, in der er festhält: „With such considerations in mind, we can readily dismiss the question about whether metaphorical statements have truth-values“,23 sowie andererseits das programmatisch formulierte Ziel desselben Aufsatzes: „My interest in this paper is particularly directed toward the ʻcognitive aspectsʼ of certain metaphors, whether in science, philosophy, theology or ordinary life, and their power to present in a distinctive and irreplacable way, insight into ʻhow things areʼ“.24 Betrachtet man die diesen Feststellungen zugrunde liegenden Argumentationen, so fällt auf, dass sich die erste Aussage auf den linguistisch-pragmatischen Umgang mit verbal geäußerten Metaphern bezieht. Black stützt die Ablehnung

20 Ebd. Black betont im späteren Aufsatz „More about Metaphor“ noch einmal den konjunktivischen Charakter dieser Aussage und führt fünf Beispiele an, anhand derer er das Verhältnis von Beobachtung und Konstruktion von Phänomenen illustriert. Die Skala der Beispiele reicht von der Frage „Did the other side of the moon exist before it was seen?“ (S. 453) zu „Did the slow motion appearance of a galloping horse exist before the invention of cinematography?“ (S. 454), womit Black sowohl einen radikalen Objektivismus als auch einen radikalen Konstruktivismus als absurd erscheinen lässt. 21 Vgl. für eine Auslegung von Blacks Theorie auf die strong creativity-These Charles Forceville: Pictorial Metaphor in Advertising, S. 22–24. 22 Vgl. Max Black: More about Metaphor, S. 446. 23 Ebd., S. 456. 24 Ebd., S. 434.

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eines Wahrheitswertes als adäquate Kategorie für Metaphern auf die Beobachtung, dass typischerweise mit wahrheitswert-relevanten Aussagen verknüpfte Reaktionen  – wie die Frage nach der Sicherheit oder dem Ursprung der Information – bei Metaphern aus pragmatischer Sicht schlicht unangebracht sind.25 Die erkenntnisstiftende Leistung der Metapher ist dagegen eher im Bereich des konzeptuellen Denkens und der Vorstellung angesiedelt: „Metaphorical thought is a distinctive mode of achieving insight, not to be construed as an ornamental substitute for plain thought.“26 Auf dieser Ebene nun sind die entworfenen Metaphern durchaus hinsichtlich ihrer Korrektheit prüfbar: „We can determine the validity of a given model by checking the extent of its isomorphism with its intended application.“27 Die Trennung des logischen Wahrheitswertes eines metaphorischen Ausdruckes von der konzeptuellen Korrektheit eines metaphorischen Modells kann als ein fundamentales Element für Blacks erklärtes Ziel einer positiven Bestimmung der Metapher als Erkenntnis-Instrument betrachtet werden. Damit gelangt Black, wenn auch auf anderem Weg, zu einer ähnlichen Einschätzung wie Aristoteles: Während Aristoteles die Metapher aus einer zuallererst philosophisch-wissenschaftlichen, also einer rein an theoria orientierten Perspektive verteidigt, verschiebt Black den Ausgangspunkt der Argumentation auf die soziologische Ebene des allgemeinen Sprachgebrauchs und dem dort konservierten Wissen. Doch seine positive Bewertung geht über Aristotelesʼ bedingte Akzeptanz der Metapher für den Bereich der Wahrscheinlichkeit und die damit verbundenen Disziplinen hinaus. Im Gegenteil liegt für Black ein Hauptwert der Metapher in ihrer erkenntnisfördernden Funktion in der Wissenschaft. Der allgemeine Sprachgebrauch und die in ihm wirksamen Konzepte beweisen damit für Black eine gewisse Wirksamkeit in die Wissenschaft hinein. Zu diesem Ergebnis gelangt Black über eine zweite Unterscheidung, in der er die Metaphern nach der Qualität der zu ihrer Bildung herangezogenen Informationen beurteilt. Die programmatische Verschiebung des Bezugspunktes der metaphorischen Operation von den Dingen auf die systems of associated commonplaces28 ermög-

25 Vgl. ebd., S. 455. Diese Perspektive scheint Aristoteles weitgehend fremd zu sein, der zwar bereits eine differenzierte Zuhörerpsychologie entwickelt, jedoch nicht in der typisch analytischen Manier argumentiert, in der Black an dieser Stelle den Status eines Begriffs über seine Verwendungsweisen inklusive Reaktionsoptionen zu bestimmten versucht. 26 Max Black: Models and Archetypes. In: Models and Metaphors. Studies in Language and Philosophy. Ithaca, NY: Cornell University Press 1962, S. 219–243, hier auf S. 237. 27 Ebd., S. 238. 28 Später im Text verwendet Black dafür den Ausdruck der „implications“. Vgl. Models and Metaphors, S. 41. In „More about Metaphor“ verwendet er dagegen synonym den Begriff „implicative complex“ (vgl. S. 441).

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licht diese Unterscheidung. Dadurch wird der Erkenntniswert einer Metapher zentral von dem ihr zugrunde liegenden Wissen über die involvierten Entitäten abhängig gemacht und nicht direkt von den Qualitäten der Entitäten selbst.29 Der Zweifel an der objektiven Gegebenheit dieser Qualitäten, der eingangs zunächst problematisch schien, wird so produktiv kompensiert und bringt Blacks Theorie den Vorteil einer begründeten Differenzierungsmöglichkeit zwischen erkenntnistheoretisch wirksamen und eher banalen Metaphern.30 Diese Unterscheidung scheint sich in Blacks Beschreibung von Alltagsmetaphern und wissenschaftlichen Metaphern widerzuspiegeln. Im Kontext des Aufsatzes „Metaphor“ scheinen die ersteren im Zentrum zu stehen. Für diese ist die objektive Wahrheit der associated commonplaces zunächst nebensächlich,31 wichtig für den metaphorischen Effekt ist ihr Zuhandensein, das in einer Festschreibung der associated commonplaces zu den lexikalischen Entitäten einer Sprache und Kultur besteht.32 Die Funktion einer Metapher basiert damit auf ihrer Übereinstimmung mit den geteilten commonplaces,33 die durch sie erlangte Erkenntnis schlägt sich wiederum auch in diesem System nieder:34 Das System und damit die Konzeption eines bestimmten Gegenstandes wird dadurch neu organisiert.35 Die Erkenntnis ist damit keine der absoluten Wahrheit

29 Die an die Stelle des Dings an sich tretende Einheit wird in der Conceptual Metaphor Theory als Konzept benannt; Monroe C. Beardsley verwendet den von Charles Morris etablierten (vgl. Charles W. Morris: Grundlagen der Zeichentheorie. Ästhetik und Zeichentheorie. Frankfurt am Main: Fischer Taschenbuch Verlag 1988, S. 21), in der Linguistik geläufigen Terminus Designat (vgl. Charles W. Morris: Grundlagen der Zeichentheorie: Semiotik. In: Sprachwissenschaft. Ein Reader. Hrsg. von Ludger Hoffmann. 3. Aufl. Berlin/New York: de Gruyter 2010, S. 112–113, hier auf S. 112). 30 Aus literaturwissenschaftlicher Sicht lässt sich hier die heikle Frage nach dem Wahrheitsgehalt der poetischen Metapher anknüpfen, die bei Black undiskutiert bleibt und die vor allem Monroe C. Beardsley und Paul Ricoeur in je unterschiedlicher Weise diskutieren (vgl. Kap. 3.2. und Kap. 8.3.). 31 Vgl. Max Black: Metaphor, S. 40. 32 „In addition I am suggesting, literal uses of the word normally commit the speaker to acceptance of a set of standard beliefs about wolves (current platitudes) that are the common possession of the members of some speech community.“ (Vgl. ebd.). 33 Der Wahrheitswert der commonplaces lässt sich feststellen und Black tut dies selbst auch explizit. Damit scheint die Grundlage der metaphorischen Äußerung zumindest in zweiter Hand verifizier- oder falsifizierbar. Allerdings gelingt oder scheitert eine Metapher nicht durch die Wahrheit oder Falschheit der zugrunde gelegten commonplaces. 34 Hier setzt eine zentrale Kritik von Donald Davidson an, der diese Verschiebung im semantischen Bereich als grundsätzlich im Widerspruch zu zentralen Anforderungen an die Erlernbarkeit natürlicher Sprache sieht. 35 Vgl. ebd., S. 41.

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verschriebene, sondern erfolgt im Sediment der (oft begründeten) Annahmen, auf deren Grundlage kulturelle Gemeinschaften im Alltag operieren. Dies macht die Metapher bei Black – wie schon bei Aristoteles – zunächst zu einem eher fraglichen Instrument für eine auf absolute Wahrheit abzielende (wissenschaftliche) Sprache, ihre Effektivität auf Ebene der doxa bleibt ihnen jedoch unbenommen. Darüber hinaus kann die im metaphorischen Ausdruck gefasste Relation sich potenziell auch in der detaillierten, wissenschaftlichen Prüfung als tragfähig erweisen: „Metaphors that survive such critical examination can properly be held to convey, in indispensable fashion, insight into the systems to which they refer. In this way they can, and sometimes do, generate insight into ʻhow things are in realityʼ.“36 Trotz der vorsichtigen Formulierung wird bei Black damit explizit, was Aristoteles lediglich stillschweigend selbst praktiziert: die Tauglichkeit von Metaphern für die wissenschaftliche Erkenntnis. Anders als Aristoteles, arbeitet Black den Zusammenhang detailliert aus und begründet die Legitimität der wissenschaftlichen Metapher zentral über seine Einschätzung der Welt als „world under a certain description“.37 Auch die wissenschaftliche Beschreibung ist Beschreibung, die trotz größtmöglicher Korrektheit verschieden ist von ihren Gegenständen. Die metaphorische Übertragung zwischen den Einheiten dieser Beschreibung – im Kontext der Wissenschaft spricht Black zunächst von Modellen – ist auch für die auf Wahrheitserkenntnis ausgerichteten Wissenschaften inklusive der hard sciences fundamental: The difference is between thinking of the electrical field as if it were filled with a material medium, and thinking of it as being such. One approach uses the detached comparison reminiscent of simile and argument from analogy. The other requires an identification typical of metaphor.  […]. The existential use of models seems to me characteristic of the practice of the great theorists in physics.38

Notwendige Bedingung für den erfolgreichen Einsatz einer wissenschaftlichen Metapher  – erfolgreich im Sinne eines Erkenntnisgewinns  – ist nun die möglichst genaue Kenntnis des Ausgangssystems, von dem aus ein bislang weniger bekanntes System beschrieben werden kann. Insofern gehen die Anforderungen an erkenntnistheoretisch wertvolle Metaphern im Bereich der Wissenschaft über die Anforderungen an Alltagsmetaphern hinaus: Während für die ersteren gilt: „[they] may include half-truths or downright mistakes“,39 sind die zweiten darauf

36 Max Black: More about Metaphor, S. 456. 37 Ebd., S. 454. 38 Max Black: Models and Archetypes, S. 228. 39 Max Black: Metaphor, S. 40.

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angewiesen, dass „the maker of a scientific model […] prior control of a well-knit scientific theory“40 hat. Das Schlagwort strong creativity thesis41 fasst den Kerneffekt der wissenschaftlichen Metaphernbildung. ‚Kreativ‘ bezieht sich in diesem Sinne weniger auf die Einzigartigkeit eines sprachlichen Ausdrucks, als vielmehr auf die konzeptuelle Kraft der Metapher, bislang unbeschriebene Domänen zu strukturieren und zu organisieren und damit intellektuell zugänglich zu machen.42 Black geht so weit, der Metapher auch die Schaffung der beschriebenen Einheiten zuzuschreiben. Im Rahmen des älteren Modell-Begriffs formuliert Black: „In stretching the language by which the model is described in such a way as to fit the new domain, we pin our hopes upon the existence of a common structure in both fields.“43 Die Metapher stellt damit eine Hypothese über das Wesen der unbekannten Domäne auf44  – eine Hypothese, die sich als zutreffend herausstellen kann und damit über die bereits aus „Metaphor“ bekannten Funktionsweisen der Metapher durch Betonung und Unterdrückung eine erste Beschreibung der Domäne liefert.45 Diese ist zutreffend, deshalb allerdings nicht vollständig, denn die metaphorische Beschreibung hebt eben nur bestimmte Aspekte des von ihr gefassten Gegenstan-

40 Max Black: Models and Archetypes, S. 239. 41 Für eine ausführlichere Darstellung der Kreativitätsthese vgl. Charles Forceville: Pictorial Metaphor in Advertising, S. 5–12. Die ontologischen Grundannahmen, die die Vorstellung einer kreativen Metaphorik überhaupt erst möglich machen, diskutiert Christian Strub: Abbilden und Schaffen von Ähnlichkeiten. 42 „More about Metaphor“ unternimmt die Verteidigung der starken Kreativitätsthese, allerdings konzentriert sich der Aufsatz auch auf die Metaphern der Wissenschaft. In „Metaphor“ scheint sich die Möglichkeit einer gewissen Kreativität auch für literarische Metaphern oder grundsätzlich bereits bekannte Metaphern dadurch zu ergeben, dass durch den die Metapher umgebenden Text die relevanten systems of associated commonplaces im radikalsten Fall neu geschaffen werden können. Eine konventionelle Metapher kann in einem solchen Textsetting durchaus innovativ sein. Vgl. Max Black: Metaphor, S. 43. 43 Max Black: Models and Archetypes, S. 238. 44 Versteht man Blacks starke Kreativitätsthese in diesem Sinn als Hypothesenbildung, scheint sich einige Kritik als unbegründet zu erweisen. Siehe dazu z. B. die Kritik von Haig Khatchadourian: Metaphor. In: British Journal of Aesthetics 8:3 (1968), S. 227–243, hier auf S. 236. 45 Hier liegt der fundamentale Unterschied zwischen der Kreativität der Metapher bei Paul Ricoeur und bei Black: Die in der Metapher entworfene Hypothese unterliegt im wissenschaftlichen Kontext Blacks der Verifizierungspflicht. Eine größere Nähe scheint hier zwischen Blacks und Hans Blumenbergs Theorien zu bestehen, die beide die Funktionalität des in bzw. hinter der Metapher liegenden Modells von seiner Kompatibilität mit wissenschaftlichen bzw. lebensweltlichen Erkenntnissen und Erfahrungen abhängig machen. Die Erkenntnisleistung einer Metapher über eine nicht direkt zugängliche Entität reicht bis zu dem Punkt, an dem eine oder mehrere Erfahrungen zum Modell hinter der Metapher im Widerspruch stehen.

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des hervor. Die Metapher ist damit im zweifachen Sinne kreativ: Erstens schafft sie die erste Beschreibung einer bislang unbeschriebenen Domäne. Zweitens schafft sie über diese Beschreibung überhaupt erst ein kognitiv fassbares Konzept dieser Domäne.46 Die Korrektheit der metaphorischen Beschreibung erweist sich schließlich in der Feststellung der Isomorphie zwischen primary und subsidiary subject.47 Auch wenn die Anforderungen an den Erkenntniswert unterschiedlich rigide sind – im Fall der Alltagsmetapher genügt die aristotelische Wahrscheinlichkeit von commonplaces, im Fall der wissenschaftlichen Metapher ist größtmögliche Validierbarkeit gefragt –, funktionieren Metaphern als Erkenntnisinstrumente in beiden Fällen gleich: Sie basieren auf metaphorischem Denken.48 Während eine spezifische Form des analogischen Denkens zunächst nur in einem IsomorphieVerhältnis zur Metapher zu stehen scheint, konkretisiert Black in seinem späteren Text diese Beziehung. In „Models and Archetypes“ scheint der Begriff Metapher eher der Illustration eines bestimmten Modell-Typs zu dienen,49 dagegen spitzt Black seine Position später mit Fokus auf die Metapher zu: „Every ʻimplication complexʼ supported by a metaphor’s secondary subject, I now think, is a model of the ascriptions imputed to the primary subject: every metaphor is the tip of a submerged model.“50 Die sprachlich manifeste Metapher wird damit zum Symptom für kognitive Konzepte sowohl im alltagsanalogischen Denken als auch in der wissenschaftlich-analogischen Modellentwicklung. Damit avanciert die Metapher zu einem Indikator für kognitive Konzepte, und zwar sowohl für solche, die unter intellektuellem Aufwand neu konstruiert und gezielt eingesetzt werden, als auch für solche, die eher ungewollt oder zumindest gegen die explizierte Absicht eines Autors dessen Text und Aussagen prägen.51 Dies lässt vermuten, dass auch das Verhältnis zwi-

46 Dass die vielen Alltagsmetaphern insofern weniger kreativ sind, liegt auf der Hand: Statt der Beschreibung einer gänzlich unbekannten Domäne, liefern sie in der Regel höchstens Neubeschreibungen bereits beschriebener Domänen oder fungieren gar lediglich als Phrasen zur Kommunikation einer bestimmten, bereits bekannten Beschreibung. 47 Vgl. dazu Max Black: Models and Archetypes, S. 238. 48 Vgl. Max Black: More about Metaphor, S. 448. 49 Black formuliert vergleichsweise vorsichtig: „Certainly there is some similarity between the use of a model and the use of metaphors – perhaps we should say, of sustained and systematic metaphor“ (Max Black: Models and Archetypes, S. 236). 50 Max Black: More about Metaphor, S. 445. Ein ähnliches Verhältnis zwischen Modell und Metapher formuliert auch Paul Ricoeur, der auf Blacks Theorie zurückgreift (vgl. Kap. 8.3.). 51 Black führt als Beispiel für eine solche ungewollte Kolonisierung eines erklärtermaßen metaphern- und modellfreien Diskurses durch fremde Konzepte und Vokabeln Kurt Lewins Field Theory of Social Science an (vgl. Max Black: Models and Archetypes, S. 241).

Max Black (1909–1988) 

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schen Alltagsmetapher und wissenschaftlichem Modell nicht als dichotomisch zu begreifen ist. Metapher und Modell verhalten sich eher wie die Pole eines Kontinuums und auch wissenschaftliche Modelle können auf unkontrollierten conceptual archetypes52 basieren. Diese stellen das „systematic repertoire of ideas by means of which a given thinker describes by analogical extension, some domain to which those ideas do not immediately and literally apply“.53 Der Archetyp besitzt einen massiven Einfluss, denn: „[…] while it channels its master’s thought, it does not do so inflexibly.“54 Das Verhältnis zwischen der Determination des Denkens durch vorhandene Archetypen und dem Potenzial, diese kreativ zu erweitern und dadurch neue Einsichten in bislang weitgehend unbekannte Domänen zu gewinnen, scheint bei Black in der Schwebe zu bleiben.55 Beide Varianten werden beschrieben und der letzteren der eigentliche Erkenntniswert zugesprochen. Diese Unentschiedenheit kann durchaus als eine Stärke des blackschen Modells betrachtet werden, das so einerseits die Funktion banaler Alltagsmetaphern und andererseits auch kreative wissenschaftliche Metaphern abdeckt. If I have so much emphasized the importance of scientific models and archetypes, it is because of a conviction that the imaginative aspects of scientific thought have in the past been too much neglected. For science, like the humanities, like literature, is an affair of the imagination.56

52 Black verwendet diesen Begriff in Anlehnung an Stephen C. Pepper, der jedoch bemerkenswerterweise von root metaphors spricht. (Vgl. Stephen C. Pepper: World Hypotheses. A Study in Evidence. Berkeley: University of California Press 1942). Die root metaphors entsprechen in ihrer Funktion weitgehend den vicoschen generi fantastici (vgl. Kap. 6.1.) bzw. den sich daraus ergebenden Metaphern, Blumenbergs absoluten Metaphern (vgl. Kap. 8.2.), aber auch den physiologisch verankerten basis metaphors bzw. den primary metaphors Lakoffs (vgl. Kap. 9.1.). Das gemeinsame Prinzip dieser drei Konzepte lässt sich als Übertragung von Bekanntem auf Unbekanntes beschreiben: „A man desiring to understand the world looks about for a clue to its comprehension. He pitches upon some area of common-sense fact and tries if he cannot understand other areas in terms of this one. This original area becomes then his basic analogy or root metaphor.“ (Stephen C. Pepper: World Hypotheses, S. 91). Die root metaphors determinieren bei Pepper die world hypotheses von Individuen und Gruppen. Eine entgegengesetzte Funktion der Metapher, nämlich als Quelle der Unsicherheit und des Verkennens, schreibt dagegen Derrida der Metapher zu (vgl. Kap. 6.2.). 53 Max Black: Models and Archetypes, S. 239. 54 Ebd., S. 242. 55 Dieses Spannungsfeld ist auch bei Hans Blumenberg zentral, wobei dieser die entsprechende Diskussion vor allem auf der Ebene der absoluten Metaphern führt, die in Blacks Theorie keine echte Entsprechung findet. 56 Ebd., S. 243.

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Der Effekt des metaphorischen Ausdrucks geht im Zuge der detaillierten Analyse und Ausbuchstabierung freilich verlustig.57 Mit der Verschiebung des Bezugssystems weg von den Dingen selbst, von denen eine metaphorische Aussage handelt, hin zu den mit den Begriffen verbundenen Gemeinplätzen, gelingt Black die Rettung der Metapher als Erkenntnisinstrument für den Bereich der Alltagserkenntnis. Die folgende Entwicklung und Verteidigung der starken Kreativitätsthese fokussiert die Erkenntnisleistung wissenschaftlicher Metaphorik und kann diese plausibel verteidigen. Der so argumentativ abgesteckte Raum möglicher metaphorischer Einsicht ist Teil eines Gesamtgebäudes mit erkenntniskritischen Bausteinen. Die Restunsicherheit, die Aristoteles der metaphorischen Wahrscheinlichkeit anlastet, scheint in Blacks Modell eher ein konstitutives Moment für die meisten Erkenntnisse zu sein, sein Urteil über die Metapher kann damit umso emphatischer ausfallen. Auch wenn Max Blacks Schriften zur Metapher diese in erster Linie im Kontext alltagssprachlicher Konversation und im Kontext wissenschaftlicher Theoriebildung verorten, erscheint Blacks Theorie intuitiv auch für die Literaturwissenschaft operationalisierbar. Mit Blacks Thesen zur Metapher wird hinsichtlich der markierten Elemente zum ersten Mal expliziert, dass eine Metapher immer aus mindestens zwei Elementen bestehen muss, wobei Black noch keine detaillierteren Überlegungen anstellt, worin diese bestehen beziehungsweise welchen Umfang sie in einem Text einnehmen. Eine Schwierigkeit bei der Arbeit mit Blacks Theorie ist also in der genauen Abgrenzung der zur Metapher gehörigen Elemente eines Textes zu vermuten. Während die Metapher des ‚Menschen als Wolf‘, die Black in seinem ersten Aufsatz diskutiert, zwei Konzepte, die zwei Begriffen und zwei Worten entsprechen, gegenüberstellt, scheinen seine späteren Diskussionen wissenschaftlicher Modelle und Metaphern durchaus von einem konzeptuell und kognitiv breiteren metaphorischen Setting auszugehen, dem die knappe Metapher auf textuellem Level korrespondiert. Die Metapher ist deshalb auch nicht das vollständige Modell, sondern nur die Spitze des Eisberges. Vergleichsweise einfach scheint der Umgang nichtsdestotrotz mit Metaphern, die dem Model A is B entsprechen, das Blacks eigenem Metaphernbeispiel des ‚Menschen als Wolf‘ unterliegt. In Benjamins Text lassen sich Metaphern dieses Typus erst ganz am Ende mit Sicherheit ausmachen, wenn der Erzähler sich selbst als ‚Schwelle‘ bezeichnet und die Möwen als ‚Boten‘. Die Metapher des Erzählers als ‚Schwelle‘ ist im Gegensatz zu Blacks Beispiel keine hochgradig konventionalisierte Metapher, entsprechend schwierig fällt es, ihre Bedeutung bezie-

57 Vgl. Max Black: Metaphor, S. 35–36. Hierin sieht Black auch den fundamentalen Unterschied zwischen Vergleich und Metapher.

Max Black (1909–1988) 

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hungsweise Intention festzulegen. Während Blacks Analyse sich in erster Linie darauf konzentriert, ex post zu erklären, was in der Regel von allen verstanden wird beziehungsweise wofür eine konventionelle Paraphrasierung verfügbar ist, besteht die Herausforderung an dieser Stelle darin, eine Metapher mithilfe von Blacks Theorie zu erklären, die möglicherweise gar nicht eindeutig verstehbar ist. Dem blackschen Procedere folgend, wären nun hier diejenigen Aspekte der associated commonplaces von Schwelle beziehungsweise Mensch zu diskutieren, die durch die metaphorische Interaktion jeweils hervorgehoben oder verdrängt werden. Dies scheint insofern problematisch, als Black keine präziseren Anhaltspunkte gibt, wie genau die Intersubjektivität dieser associated commonplaces generiert wird und wie sie im Einzelfall überprüft werden kann. Naheliegend scheint die Konsultation von Enzyklopädien und Wörterbüchern an dieser Stelle, doch solche Verfahrensdetails beschäftigen Black nicht: Seine Theorie bietet jedoch keine Anleitung für die Ermittlung dieser Bedeutung für den Fall, dass eine Metapher zunächst unklar bleibt. Nur durch die Etablierung einer (kollektiv) akzeptierten Interpretation werden die in Blacks Theorie beschriebenen Elemente der associated commonplaces tatsächlich sichtbar, die in einer konkreten Metapher hervorgehoben werden. Erst wenn die Metapher schon verstanden ist, wird ersichtlich, was es zu verstehen gab. Im Fall von ‚Schwelle‘ und ‚Mensch‘ scheint es noch keine Standard-Interpretation zu geben. Besser fassbar scheinen dagegen die ‚Möwen‘ als ‚Boten‘ zu sein. Für den geflügelten Boten, eine gängige Metapher seit der Antike, scheinen ad hoc Elemente klar, die in der metaphorischen Interaktion hervorgehoben werden: Geschwindigkeit, Leichtigkeit und ungehinderte Fortbewegung, die sowohl den Vogel als auch den guten Boten charakterisieren, ließen sich als Bedeutung (im Sinne Blacks) dieser Metapher identifizieren. Gleichzeitig werden in der Interaktion zwischen ‚Möwe‘ und ‚Boten’ auch associated commonplaces des Begriffs Boten aktiviert: ein Bote überbringt in der Regel eine Botschaft an einen Empfänger. Die Bewegung der Möwen gewinnt durch diese Interaktion plötzlich einen spezifischen Sinn und die Metapher vom ‚lesbaren Schwingengeflecht‘ steht in sinnvollem Zusammenhang zum associated commonplace der Botschaft.58 Unsere Sicht auf Boten durch das System Vogel zu organisieren beziehungsweise im vorliegenden Fall eher umgekehrt unsere Sicht auf die Vögel durch das System Boten neu zu strukturieren, scheint eine plausible Erklärung für das Funktionieren der vorliegenden Metapher.

58 Die Vernetzung der beiden Metaphern scheint hier auf der Hand zu liegen, wird von Black selbst jedoch nicht theoretisch thematisiert. Diesen Aspekt greift dagegen die Theorie Weinrichs auf. (Vgl. Kap. 7.3.).

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 Metapher und Wahrheit

Neben der Operationalisierbarkeit zur Beschreibung von weitgehend konventionalisierten Metaphern, erweist sich Blacks Theorie zudem als enorm anschlussfähig. Die grundlegende Perspektive auf die Metapher als kognitiven Vorgang, die Black vor allem in seinen wissenschaftstheoretischen Schriften zur Metapher stark macht, wird zur dominanten Perspektive in der zeitgenössischen kognitiven Theoriebildung.59 Darüber hinaus etabliert sich einerseits das Konzept der zweigliedrigen Metapher und der Interaktion als Alternative zu Substitution und Vergleich,60 andererseits setzen Theoretiker wie Monroe C. Beardsley scheinbar genau dort an, wo die Erklärungskraft der blackschen Theorie für die Gegenstände der Literaturwissenschaft endet, nämlich bei der Frage nach den Verfahren für einen Umgang mit nicht ad hoc verständlichen Metaphern.

3.2 Monroe C. Beardsley (1915–1985) The Cambridge ladies who live in furnished souls61

Ähnlich wie Max Black steht auch Monroe C. Beardsley in der Tradition der analytischen Philosophie,62 hat sich jedoch vor allem mit Arbeiten zur Ästhetik hervorgetan.63 Seine Theorie der Metapher lässt sich mithin innerhalb eines kunst- und literaturtheoretischen Fragehorizonts verorten, der sich um eine intersubjektiv begründbare Fundierung literaturwissenschaftlicher beziehungsweise literaturkritischer64 Arbeit bemüht.65 Im Zentrum stehen dabei immer wieder die Fragen

59 Vgl. Kap. 9. 60 Vgl. für ähnliche Modelle George Lakoff und Joseph Grady Kap. 9.1., aber auch Paul Ricoeur Kap. 8.3. 61 Monroe C. Beardsley: Aesthetics. Problems in the Philosophy of Criticism. New York: Harcourt, Brace & World 1958, S. 431. Beardsley zitiert diese Passage als Beispiel einer Metapher aus E. E. Cummings, The Cambridge ladies who live in furnished souls. 62 Als Hauptinspiratoren Beardsleys werden John Dewey, Edward Bullough, Ivor A. Richards und Immanuel Kant genannt. Vgl. George Dickie: The Origins of Beardsley’s Aesthetics. In: The Journal of Aesthetics and Art Criticism 63:2 (2005), S. 175–178, hier auf S. 177. 63 Vgl. Nicholas Wolterstorff: Beardsley’s Approach. In: The Journal of Aesthetics and Art Criticism 63:2 (2005), S. 191–195, hier auf S. 191. 64 Auch wenn Beardsleys Kerninteresse der Literaturkritik gilt, so entsprechen die von ihm entfalteten Verfahren wie explication und interpretation, auf denen seine intersubjektiv begründbare Literaturkritik aufbaut, über weite Strecken gängigen Verfahrensschritten der interpretierenden Literaturwissenschaft. 65 Wolterstorff formuliert den Ansatz Beardsleys wie folgt: „Aesthetics is not discourse about art, but discourse about discourse about art. The philosopher probes the meaning and the grounds of what the critic says.“ (Ebd.).

Monroe C. Beardsley (1915–1985) 

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nach einem möglichen Wahrheitsgehalt von Literatur beziehungsweise der Metapher66 und nach dessen logisch-analytischer Begründung.67 Die Metapher wird von Beardsley in seinen ästhetischen Schriften wiederholt als eine spezifische Form der selbstwidersprüchlichen Proposition beschrieben,68 zu deren intersubjektiv nachvollziehbarem Verständnis Beardsley ein systematisches Procedere vorschlägt und für deren Erkenntniswert er argumentiert.69 Mit der Selbstwidersprüchlichkeit als Kerncharakteristikum umfasst die von Beardsley vorgeschlagene Beschreibung der metaphorischen Funktionsweise auch das Oxymoron.70 Ausschlaggebend für Beardsleys erste umfangreichere Auseinandersetzung mit der Metapher ist sein Versuch, literaturwissenschaftliches beziehungsweise kritisches Arbeiten gegen den Vorwurf (oder Anspruch) eines unvermeidlichen Relativismus zu verteidigen.71 Die Metapher fungiert hier zunächst als Beispiel für ambigue literarische Sprache, die jedoch – so Beardsleys Überzeugung – im geordneten kritischen Verfahren hinsichtlich ihrer Bedeutung expliziert,72 erläu-

66 „Of the still disputed questions, perhaps the most salient from the philosophical point of view is one concerning the cognitive status of metaphors: whether metaphorical sentences can properly be called true or false.“ (Monroe C. Beardsley: Metaphorical Senses. In: Noûs 12:1 (1978), S. 3–16, hier auf S. 3). 67 „It may seem strange to apply to poetry the cold machinery of formal logic. But poetic statements, like all statements, have a logical form, and I am arguing that it is just their peculiarities of logical form on which their poetic power depends.“ (Monroe C. Beardsley: Aesthetics. Problems in the Philosophy of Criticism. New York: Harcourt, Brace & World 1958, S. 140). 68 Vgl. Eckard Rolf: Metaphertheorien, S. 50–51. Rolf sieht auch in Christian Strubs Arbeit Kalkulierte Absurditäten eine Version des von ihm als Absurditätstheorie titulierten Theorietypus. 69 Lars Aagaard-Mogensen: Aesthetic Qualities. In: Essays on Aesthetics. Perspectives on the Work of Monroe C. Beardsley. Hrsg. von John Fisher. Philadelphia: Temple University Press 1983, S. 21–34, hier auf S. 30–31. 70 Beardsley entwirft eine Klassifikation der leeren Attributionen, zu denen auch die Metapher zählt. Während das Oxymoron äquivalent ist mit direkt-selbstwidersprüchlichen Attributionen, entspricht die Metapher den indirekt-selbstwidersprüchlichen Attributionen. (Vgl. Monroe C. Beardsley: Aesthetics, S. 142). 71 Vgl. für Beardsleys dezidiert anti-relativistische Literaturbeschreibung und -analyse ebd., S. 131–147. 72 „To explicate a linguistic expression is to declare its meaning. It will be convenient, however, to restrict the term ‘explicate’ by distinguishing it from another way of declaring meaning, definition. If you ask what a word means in a specific context, you are asking the kind of meaningquestion that the explicator answers. […] Although explication is often—more often than not— called ‘interpretation,’ I propose the latter term for something different, […]. The distinction is not sharp, but a critic is explicating, when he talks about relatively localized parts of a poem, the meaning of a metaphor, the connotation of a word, the implications of a fragment of ambiguous syntax. Since, from one point of view, a poem is a complex of meanings, explication-statements can be counted as part of the description of the poem.“ (Ebd., S. 130).

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tert73 und interpretiert74 und gegebenenfalls im Anschluss hinsichtlich ihres Wahrheitsgehalts geprüft werden kann. Zunächst gilt es daher, die offensichtliche Selbstwidersprüchlichkeit metaphorischer Aussagen zu erklären und von einer simplen Unwahrheit oder Lüge zu unterscheiden: Consider first the kind of discourse, to be called Self-Controverting Discourse. Its essential principle is that the speaker or writer utters a statement explicitly but in such a way as to show that he does not believe what he states, or is not primarily interested in what he states and thereby calls attention to something else that he has not explicitly stated – “If he wins, I’ll eat my hat.”75

Die offensichtliche Unwahrscheinlichkeit bestimmter Aussagen  – darunter auch Metaphern  –, die vom Rezipienten dennoch verstanden und als sinnvoll bewertet werden, ist ein im Kontext der Metapherntheorien wiederkehrendes Phänomen.76 Auch wenn Beardsley sich mit diesem Problem nicht in derselben Systematik auseinandersetzt wie beispielsweise Paul Grice, teilt er doch zwei entscheidende Beobachtungen mit diesem: Erstens geht er davon aus, dass es eine Form von Selbstwidersprüchlichkeit gibt, die durch ihren ostentativen Charakter von der Lüge oder Täuschung zu unterscheiden ist, und die den Rezipienten einer verbalen Botschaft dazu zwingt, eine Bedeutung jenseits der propositionalen Ebene zu suchen. Implizit liegt hier die erst in der Relevance Theory ausformulierte Annahme zugrunde, dass ein Rezipient immer schon annimmt, dass eine verbale Botschaft per se bedeutungsvoll ist.77 Zweitens geht Beardsley davon aus, dass diese Form von ostentativer Selbstwidersprüchlichkeit ein notwendiges Charakteristikum der Metapher ist.78

73 „Clearly elucidation is simply causal inference, but the difference between fiction and life must not be lost from view. In any work of fiction it will always be possible to ask questions that are not answered by the work itself. […] We must therefore conceive of a line beyond which elucidation cannot go. And it is easy to see that it is where evidence runs out. However, whether a given fact F is evidence for a hypotheses H does not depend upon F alone: to put the matter very simply, it depends also on the law, or generalisation G that connects F with H.“ (Ebd., S. 245). 74 „The process of determining the theme, or themes, and the thesis, or theses (if any), of a literary work I shall call interpretation. […] I have given the term ‘interpretation’ a more restricted sense than it is customary, because I think the three processes of understanding literature are different enough in method to demand different names.“ (Ebd., S. 403). 75 Ebd., S. 138. 76 Vgl. zu Paul Grice und zur Relevance Theory Kap. 7.2. aber auch Davidson Kap. 3.3. 77 Vgl. zur Relevance Theory Kap. 7.2. 78 Sowohl für Beardsley als auch für Paul Grice ist zu ergänzen, dass ostentative Selbstwidersprüchlichkeit keineswegs ein hinreichendes Kriterium für Metaphern ist, da bspw. auch andere

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In dieser Bewertung des inhärenten Widerspruchs als grundlegendem Mechanismus der Metapher zeichnet sich eine Perspektivverschiebung im Vergleich zu Aristotelesʼ oder Max Blacks Metapherntheorie ab.79 Während diese den entscheidenden Mechanismus der Metapher in der Erkenntnis oder Konstruktion von Ähnlichkeit lokalisierten, setzt Beardsley einen Schritt vorher an: beim Stolpern über einen Widerspruch auf Ebene der Proposition.80 Doch dieser erste Schritt gereicht noch nicht zur Metapher. Vielmehr muss die Differenz im zweiten Schritt überwunden werden: A self-contradictory attribution is one in which the modifier designates some characteristic incompatible with the characteristics designated by the subject […]. A bare self-contradiction is just that; but when the modifier connotes some characteristic that can be meaningfully attributed to the subject, the reader maps over the evident self-contradiction and construes it indirectly, on the principle that the writer knows he is contradicting himself and wouldn’t utter anything at all unless he had something sensible in mind. Then the expression becomes a significant self-contradiction.81

Um den Schritt vom reinen Selbstwiderspruch hin zur bedeutungsvollen Metapher zu begründen, entwirft Beardsley ein Modell der Sinnfunktion der Sprache,

Tropen damit operieren. Grundsätzlichere Zweifel am Kriterium der Widersprüchlichkeit als geeignetem Identifikationsmerkmal der Metapher formuliert Wolfgang Künne. Er sieht damit bestimmte Formen der Metapher wie den Satz: „Meine Freundin Katja ist keine Zicke“, nicht erfasst, weil der Satz in einer wörtlichen Interpretation keineswegs einen semantischen Widerspruch beinhaltet, aber dennoch eine metaphorische Interpretation möglich und naheliegend ist. (Vgl. Wolfgang Künne: Im übertragenen Sinne, S. 187). 79 Aristoteles scheint Beardsley dabei jedoch noch etwas näher zu stehen, weil er immerhin einen Zusammenhang zwischen Metapher und Rätsel sieht, ohne dass er jedoch den semantisch inhärenten Widerspruch als Charakteristikum der Metapher beschreibt. (Vgl. Aristoteles: Rhetorik, 1405 a 35–1405 b 5 sowie 1412 a 20–25 außerdem Aristoteles: Poetik (Schmitt), 1458 a 25–30). 80 Ergänzend sei hier bemerkt, dass diese Akzentverschiebung von Gemeinsamkeiten auf Widersprüchlichkeit scheinbar daran geknüpft ist, dass Aristoteles und Max Black stärker die Produzentenseite in den Blick nehmen, während Beardsley ausschließlich danach fragt, wie das Verstehen der Metapher möglich ist. Ähnlich wie Beardsley unterstreichen auch Paul Ricoeur (vgl. Kap. 8.3.) und Harald Weinrich (vgl. Kap. 7.3.) die semantische Inkongruenz der Metapher. Eine Perspektive, die diese zum zentralen Charakteristikum der Metapher erklärt, vertritt Christian Strub (vgl. Christian Strub: Kalkulierte Absurditäten). 81 Monroe C. Beardsley: Aesthetics, S. 140–141.

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in dem er zwischen designation82 und connotation83  – in durchaus konventioneller Weise  – unterscheidet.84 Die Metapher ist durch die Möglichkeit einer bedeutungsvollen Zuschreibung einer Konnotation eines der involvierten Begriffe zum anderen – in Beardsleys Terminologie ein „subject of the attribution“85 und „modifier“86 – gekennzeichnet. „A metaphor is a significant attribution that is either indirectly self-contradictory or obviously false in its context, and in which the modifier connotes characteristics that can be attributed, truly or falsely, to the subject.“87 Zwei Punkte sind an dieser knappen ersten Definition der Metapher festzuhalten. Zentral ist zunächst der Unterschied zwischen bedeutsam und wahr, den Beardsley ins Spiel bringt: Eine Metapher muss notwendigerweise bedeutsam sein; wahr kann sie möglicherweise sein. In welchem Sinne, wird im Folgenden zu klären sein, wenn diese Differenzierung mit Blick auf Beardsleys später diskutiertes Programm einer intersubjektiv begründeten Literaturkritik entscheidend wird. Zudem fällt die Bestimmung der Metapher als Attribution, also als Konstruktion aus mindestens zwei Elementen ins Auge. In diesem Punkt folgt Beardsley wie Max Black dem Modell von I. A. Richards, das die Metapher prägnant als zweigliedrige Struktur entwirft. Beardsley legt in seinen späteren Arbeiten zur Metapher besonderen Wert auf die Feststellung, dass für die Attribution zwar mindestens zwei Wörter notwendig sind, diese aber nicht darauf beschränkt ist, sondern durchaus aus Sätzen oder sogar längeren Textelementen bestehen kann. In seinem Aufsatz „Metaphorical Senses“ von 1978 ändert Beardsley die Terminologie und spricht von metaphorical sequences, um den attributiven Abschnitt zu bezeichnen, der eine Metapher enthält und von metaphorical segment, um genau die Elemente der Attribution herauszuheben, die sich zum gegebenen Kontext der metaphorical sequence abweichend oder widersprüchlich verhalten. Dabei kann, so lassen sich Beardsleys Beispiele im entsprechenden Aufsatz verstehen,

82 Erste Verwendung findet der Begriff designation in Charles W. Morrisʼ Foundation of the Theory of Signs und etabliert sich zu einem Kernbegriff der Zeichentheorie mit dem das perzeptuell-konzeptuelle Korrelat eines sprachlichen Ausdrucks bezeichnet wird. (Vgl. Wolfgang Raible: Zur Einleitung. In: Zur Semantik des Französischen. Beiträge zum Regensburger Romanistentag, 1981. Hrsg. von Helmut Stimm/Wolfgang Raible. Wiesbaden: Steiner 1983, S. 1–24, hier auf S. 5). 83 Konnotation steht hier im linguistischen Sinn als Gegensatz zur Denotation. 84 „The word sea designates certain characteristics, such as being a large body of salt water; this is its primary meaning. It also connotes certain other characteristics such as being sometimes dangerous, being changeable in mood but endless in motion, being a thoroughfare, being a barrier and so on.“ (Monroe C. Beardsley: Aesthetics, S. 125). 85 Ebd., S. 139. 86 Ebd. 87 Ebd., S. 142.

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das metaphorical segment durchaus mehr als eine Attribution umfassen und wiederum eine Attribution innerhalb eines längeren Kontextes zum eigentlichen metaphorical segment werden. Entscheidend bleibt festzuhalten, dass sich für Beardsley die Bestimmung ‚metaphorical‘ für einen einzelnen Ausdruck oder auch eine ganze Attribution immer erst aus deren Relation zu anderen Ausdrücken oder Aussagen ergibt. Im Aufsatz von 1978 bringt Beardsley die Konsequenz dieser Überzeugung noch einmal auf den Punkt, wenn er feststellt: „But this means that for any statement a (verbal) context can be constructed in which it becomes a metaphorical segmet, in virtue of an explicit or implicit predication.“88 Mit dieser erweiterten Perspektive auf die Metapher als Kontextphänomen wird Beardsleys Theorie anschlussfähig an den textsemantischen Entwurf von Harald Weinrich.89 Während Weinrichs Theorie die Funktion der Metapher über das Konzept des Bildfeldes90 bestimmt, ist für Beardsleys Controversion Theory die Funktionsweise der Konnotation entscheidend für den Mechanismus der Metapher und deren Verständnis. Die Widersprüchlichkeit, die die Metapher zunächst ausmacht, bezieht sich – so viel ist bereits an dieser Stelle deutlich – auf ihre designation, also auf ihren Objektbezug. Die Verschiebung der Aufmerksamkeit des Rezipienten bei seiner Suche nach einer potenziellen Bedeutung einer Äußerung lässt sich damit auch als Verschiebung weg von der zentralen designation auf die peripheren Bedeutungsaspekte des modifiers verstehen. Finden sich unter diesen Bedeutungsaspekten einer oder mehrere, die eine bedeutungsvolle Aussage ermöglichen, avanciert dieser Randaspekt im gegebenen Kontext zur neuen Zentralbedeutung des modifiers. Dieses Prinzip der Verschiebung zwischen den Bedeutungselementen bezeichnet Beardsley prägnant als metaphorical twist. Das dazugehörige Prinzip entfaltet er vollständig im gleichnamigen Aufsatz: I said that when a term is combined with others in such a way that there would be a logical opposition between its central meaning and that of the other terms, there occurs that shift from central to marginal meaning which shows us the word is to be taken in a metaphorical way. It is the only way it can be taken without absurdity. The term “logical opposition” here includes both direct incompatibility of designated properties and a more indirect incompatibility between the presuppositions of the terms – as when our concept of the sun rules out the possibility of voluntary behaviour that is presupposed by the term “spiteful”. The logical opposition is what gives the modifier its metaphorical twist. A metaphorical

88 Monroe C. Beardsley: Metaphorical Senses, S. 4. 89 Vgl. Kap. 7.3. 90 Vgl. ebd. S. 195.

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attribution, then, involves two ingredients: a semantical distinction between two levels of meaning, and a logical opposition at one level. Thus there is no question of “spiteful”, in a metaphorical context, denoting spiteful people and injecting them for the purpose of comparison; the price it pays for admission to this context is that it functions there to signify only its connoted characteristics.91

Beardsley verortet damit die Metapher eindeutig in der Bedeutungsstruktur von verbalen Formulierungen und beschreibt sie als eine Veränderung der Intension92 des modifiers.93 Die Annahme einer Existenz doppelter und veränderlicher semantischer Gehalte von sprachlichen Elementen ist Beardsleys zentrale Annahme und der entscheidende Unterschied zu Donald Davidson, dessen Theorie der Metapher, wie im folgenden Kapitel zu zeigen ist, deren Funktion gerade ohne diese Annahme erklären soll. Auch wenn die Identifikation einer

91 Monroe C. Beardsley: The Metaphorical Twist. In: Philosophy and phenomenological research 22:3 (1962), S. 293–307, hier auf S. 299. Am Ende des Aufsatzes formuliert Beardsley seine Definition der Metapher noch einmal als logische Bedingungen: „(A) An expression E is a metaphorical segment of sequence S iff (i) E is a proper part of S and is a predicate or modifier of part or all of the (literal) remainder of S (SE) (note that this allows for metaphors within metaphors); (ii) the combination of E with SE is barred by a rule; (iii) some credence-properties of the extension of E (in one of its standard senses) are such that it is possible for them to be properties of members of the extension of (part or all of) SE (in one of its standard senses). (B) The intension of E in S consists of the set of all credence-properties of the extension of E (in the relevant standard sense) that are not denied of members of the extension of SE (in the relevant standard sense) by the context, verbal or situational, of S.“ (Monroe C. Beardsley: Metaphorical Senses, S. 7). Die Funktion der Regel B ist dabei für die intersubjektive Prüfbarkeit von Interpretationen entscheidend, da sie festschreibt, welche Eigenschaften und damit welche Bedeutungsaspekte einer Metapher legitimerweise zugeordnet werden können: „Principle (B) allows for all non-denied credence-properties of the extension of the metaphorical segment (in the relevant standard sense) to be included in its intension.“ (Ebd., S. 12). 92 Beardsley verwendet die begriffslogische Kategorie der Intension als entscheidenden Orientierungspunkt: „I shall focus on the intension of the metaphorical segment, considering the intension as a set of properties (including, of course, relational ones); and each distinguishable intension I shall also call a sense. A standard sense of an expression is a sense that remains invariant through some range of verbal or situational contexts that are of the same kind, though varied.“ (Ebd., S. 5). 93 „Constancy theories hold that when an expression enters into metaphorical combination as a metaphorical segment, it brings along one of its standard senses and retains it in that metaphorical posture. Conversion theories hold that when an expression becomes a metaphorical segment it acquires a sense different from any of its standard senses.“ (Ebd.).

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Diskrepanz zwischen Gesagtem und Gemeinten für den ersten Schritt des Metaphernverständnisses zentral ist, so liegt die Motivation für diese für Beardsley doch in der Struktur der Äußerung selbst und nicht – wie es später bei Paul Grice zu zeigen sein wird  – in geteilten Vorannahmen über die Regeln kooperativer Kommunikation.94 Entscheidend für die unterschiedliche Herangehensweise von Beardsley und Paul Grice bei ähnlichen Prämissen scheint der Fokus auf unterschiedlichen Sprachphänomenen zu sein. Während Grice sich in erster Linie mit synchroner face-to-face-Kommunikation beschäftigt, steht für Beardsley Literatur im Fokus. Zu dieser formuliert er entsprechend: We do not decide that a word in a poem is used metaphorically because we know what the poet was thinking; rather we know what he was thinking because we see that the word is used metaphorically. The clues to this fact must somehow be in the poem itself, or we should seldom be able to read poetry.95

Die Tatsache, dass die Plausibilität von Paul Grices Ansatz am Beispiel von Literatur an ihre Grenzen zu geraten scheint, während umgekehrt Beardsleys Modell die Bedingungen von Alltagskommunikation kaum berücksichtigt, ist in meinen Augen ein Indiz dafür, dass die Leistungsfähigkeit einzelner Theorien zur Metapher natürlicherweise in Bezug auf die jeweils im Rahmen der Theorie diskutierten Beispiele besonders groß ist. Die erheblichen Unterschiede der innerhalb einzelner Theorien zum explanandum bestimmten Beispiele lassen bereits die sehr unterschiedlichen Perspektiven auf das Phänomen erahnen.96 Von einem direkten Theorievergleich kann mithin keine Identifikation der richtigen oder richtigeren Theorie der Metapher erwartet werden. Stattdessen kann immer nur die für eine gewisse Fragestellung und ein gewisses Metaphernphänomen geeignetste Theorie gesucht werden. Entscheidend für Monroe C. Beardsleys weitere Argumentation in Richtung einer wahrheitsfähigen Literaturwissenschaft und Metapherninterpretation ist sein Versuch, die connotation klar von einer kontingenten Assoziation zu unterscheiden: […] connotations come from the way these objects appear in human experience. […] Thus, more abstractly, the connotations of “desert”, are a function of the designation of “desert”, and in principle of two people who know the designation of “desert” and have all the relevant facts about the nature of deserts, and the current beliefs about them and the past

94 Vgl. hierzu Paul Grice Kap. 7.2. 95 Monroe C. Beardsley: The Metaphorical Twist, S. 298. 96 Der Zusammenhang zwischen allgemeinen (sprach-)philosophischen Vorannahmen, Beispielen und einzelnen Metapherntheorien wird im Schlusskapitel noch einmal vertieft.

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verbal contexts in which deserts have been spoken of, by explorers, engineers, and historians, then they can, within narrow limits, agree on which characteristics are or are not connoted by the word.97

Eine intersubjektiv zustimmungsfähige connotation stützt sich bei Beardsley damit auf drei Elemente: erstens die in seinen Augen weitgehend ähnlichen Wahrnehmungskapazitäten von Menschen, die zu ähnlichen Wahrnehmungen identischer Objekte führen.98 Zweitens die im Lauf der Kulturgeschichte tradierten Wissensbestände über diese Objekte und drittens die in der Sprachgemeinschaft etablierten Verwendungsweisen der Begriffe zur Bezeichnung dieser Objekte. Während für den ersten Aspekt die synchrone Situation einzelner Individuen und ihre jeweiligen Wahrnehmungen zentral sind, stützen sich die beiden zweiten Aspekte auf die diachrone Entwicklungsstruktur von Sprache und Kultur, die jedes Individuum immer schon vorfindet und erlernt.99 Die gemeinsame Wahrnehmungsbasis kann als fundamentale Grundlage für die Ausprägung intersubjektiv geteilter connotations verstanden werden,100 die sich durch die Effekte der Tradition in Sprach- und Kulturgemeinschaften zu stabilen Konnotationen entwickeln können, die zum Beispiel das ad hoc Verstehen im Fall von Katachresen101 erklärbar machen. Grundsätzlich betrachtet Beardsley einen Konsens über die connotations als erreichbar, und zwar auf der Basis von intersubjektiven Evidenzen sowohl über den diskutierten Gegenstand als auch über Begriffsverwendung. Enzyklopädien und Wörterbücher statt individueller Assoziation müssen damit die Grundlage für die Diskussion von Metaphern sein. Die bereits in Aesthetics angelegte Beschreibung der Metapher als sowohl vom ontologischen Status der Dinge beziehungsweise ihrer jeweiligen Wahrnehmung als auch von semantischen Kategorien bedingtes Phänomen setzt sich

97 Monroe C. Beardsley: Aesthetics, S. 133. 98 Beardsley deutet diesen Punkt, der sich auch bei Giambattista Vico (vgl. Kap. 6.1.), Friedrich Nietzsche (vgl. Kap. 8.1.) und verschiedenen kognitiven Theorien (vgl. Kap. 9.) finden lässt, nur an. Zum zentralen Argument avanciert die These über die gemeinsamen Wahrnehmungsstrukturen der Menschen und ihre Bedeutung in der Conceptual Metaphor Theory und ihren Folgetheorien (vgl. Kap. 9.1.). 99 Beardsleys Konzept der connotations unterscheidet sich durch diese explizite Berücksichtigung der historischen Dimension entscheidend von Aristotelesʼ doxa und Max Blacks systems of associated commonplaces. 100 In der Bewertung der geteilten Wahrnehmung scheinen sich wiederum Beardsley und Aristoteles weitgehend einig zu sein (vgl. Aristoteles: Peri hermeneias, 16 a 1–9). 101 „Ein Tropus, der zur Bezeichnung einer der Bezeichnung bedürfenden Sache kein verbum proprium neben sich hat, sondern selbst die Stelle des verbum proprium in der consuetudo vertritt, heißt catachre s i s  […].“ (Heinrich Lausberg: Elemente der literarischen Rhetorik, 178).

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in „The Metaphorical Twist“ fort, wo sich Beardsley zunehmend mit der Frage auseinandersetzt, wie wahrgenommene Eigenschaften von Dingen oder Sachverhalten sich in semantischen Kategorien niederschlagen. Hierzu entwickelt er ein dreistufiges Modell der Metapherngenese, das den Übergang von ontologischer Eigenschaft eines Dings oder Sachverhalts zur Semantik, genauer zur Intension eines Begriffs aus der Perspektive einer Sprechergemeinschaft beschreibt. Damit expliziert Beardsley einen entscheidenden Punkt, der sowohl bei Aristoteles als auch bei Max Black nur implizit ist. It seems to me that we probably have to distinguish at least three stages in this metamorphosis of verbal meaning, even though the points of transition are not clearly marked. In the first stage we have a word and properties that are definitely not part of the intension of that word. Some of those properties are eligible to become part of the intension, to join the range of connotation. In order to be eligible, they have to be fairly common (actual or imputed) properties, typical properties – not just in the statistical sense, but normally or characteristically present in the objects denoted by the word. […] When the word comes to be used metaphorically in a certain sort of context, then what was previously only a property is made, at least temporarily, into a meaning.102

Dass dieser schematische Prozess durchaus im Sinne einer sprachgeschichtlichen Entwicklung von Standardbedeutungen verstanden werden kann,103 zeigen Beardsleys Beispiele: Let us suppose that when the metaphor “th’inconstant moon” is first constructed in English, it is the first time that “inconstant” has been used metaphorically  – or at least the first time it has been applied to an inanimate object. […] At this moment the word “inconstant” has no connotations. When, therefore, we find “inconstant moon,” we seize upon verbal opposition, but when we look for relevant connotations we are balked. How, then, can we explicate it? Given the surrounding syntax and the prevailing tone, it claims to make sense; therefore we must try to make it make sense. And so we look about among the accidental or contingent properties of inconstant people in general, and attribute these properties, or as many of them as we can, to the moon. And these properties would, for the moment at least, become part of the meaning of “inconstant,” though previously they were only properties of those people. Then we might say that the metaphor transforms a property (actual or attributed) into a sense.104

102 Monroe C. Beardsley: The Metaphorical Twist, S. 303. 103 „When a connotation becomes so standardized for certain types of context, it may be shifted to a new status, where it becomes a necessary condition for applying the word in that context. It then constitutes a standard sense.“ (Ebd., S. 305). 104 Ebd., S. 301.

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Anhand eines Beispiels aus der klassischen Literatur illustriert Beardsley hier, wie im Fall einer völlig neuen Metapher das rein semantisch gestützte Verfahren des Metaphernverstehens an seine Grenze stößt und der Rückgriff auf ontologische Kategorien unvermeidlich scheint.105 In dem Moment, in dem das Durchsuchen der etablierten Sinnvarianten eines Ausdrucks auch in dessen Peripherie keine sinnvoll zuschreibbaren Bedeutungen zutage fördert, scheint eine genauere Betrachtung des mit dem Ausdruck bezeichneten Dings oder Sachverhalts unvermeidlich. Die Absurdität einer sprachlichen Formulierung kann damit zum Anlass einer Neuorientierung in ontologischen Kategorien werden.106 In dieser Entdeckung sieht Beardsley auch die Leistung seiner reformulierten Metapherntheorie: „It admits the unpredictability of metaphor, the surprising ideas that may emerge even from chance juxtapositions of words.“107 Bemerkenswerterweise bedient sich Beardsley zur Exemplifizierung dieses Prozesses zudem eines Beispiels, das eher der Alltagssprache denn notwendigerweise einer literarischen Quelle zu entstammen scheint und entsprechend in der Conceptual Metaphor Theory prominent wird: die Übertragung des Ausdrucks ‚warm‘ von einem an konkrete Temperaturverhältnisse geknüpften Sinnesdatum in ein emotionales Vokabular.108 I should think that the first application of “warm” to a person had to chance some accidental properties of warm things into part of a new meaning of the word, though now we easily think these properties as connotations of “warm” – for example approachable, pleasureable-in-acquaintance, inviting. These qualities were part of the potential range of connotation of “warm” even before they were noted in warm things, which may not have been until they were noted in people and until someone, casting about for a word that would metaphorically describe those people, hit upon the word “warm”. But before those qualities could come to belong to the staple connotation of “warm,” it had to be discovered that they could be meant by the word when used in an appropriate metaphor.109

Mit der Modellierung der Metaphernbildung als systematische, intersubjektive Prozesse in einer Kultur- oder Sprechergemeinschaft legt Beardsley auch das Fun-

105 An dieser Stelle seines Arguments gesteht Beardsley denn auch dem von ihm bis dahin strikt abgelehnten thing approach oder comparision approach der Metapherntheorie eine gewisse Erklärungsmacht zu. 106 Eine vergleichbare Funktion schreibt auch Paul Ricoeur der Metapher zu (vgl. Kap. 8.3.). 107 Monroe C. Beardsley: The Metaphorical Twist, S. 305. 108 Vgl. dazu für die Conceptual Metaphor Theory Kap. 9.1. und für das Beispiel von Wärme als Zuneigung George Lakoff/Mark Johnson: Philosophy in the Flesh. The Embodied Mind and its Challenge to Western Thought. New York: Basic Books 1999, S. 50. 109 Monroe C. Beardsley: The Metaphorical Twist, S. 304.

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dament für sein Modell einer wahrheitsfähigen Literaturwissenschaft. In seiner Grundstruktur lässt sich das Kernargument in zwei Etappen gliedern: Erstens geht Beardsley davon aus, dass sprachliche Aussagen – auch poetische – grundsätzlich auf ihre propositionalen Gehalte hin untersucht werden können und diese als wahr oder falsch kategorisiert werden können. If the referent(s) of the subject of a metaphorical statement does in fact have all the properties of the intension of the metaphorical predicate, I see no bar to calling the statement “true”. In many cases, of course, the referent(s) will have only some of those properties, so the statement will be false. Yet if many of the properties are there – those most important to that context – we may say the statement is “largely true” (the way we would with a complex historical narrative that includes some errors but is right about the main things) – or, if one likes, “apt”.110

Die Analyse einer Metapher nach Beardsleys Modell würde also stets mit dem Bewusstsein operieren, die Metapher nur in Ausschnitten zu beschreiben, nur Teile ihres Bedeutungspotenzials zu erfassen und nur über diese Teile auch Bewertungen abgeben zu können. Insofern scheint der Anspruch bescheidener als in den Modellen von Max Black und Aristoteles; nichtsdestotrotz wird an der Möglichkeit, die Metapher in den Kategorien wahr/falsch zu bewerten, festgehalten. Die Einführung des Begriffs ‚apt‘ scheint zwar auf die Bewertungskategorien der Rhetorik zu rekurrieren, bezeichnet bei Beardsley aber nur eine Abstufung von wahr, nicht eine in Abhängigkeit vom Auditorium zu bestimmende Eignung. Die Metapher ist damit in Beardsleys Perspektive grundsätzlich paraphrasierbar, wenn auch in der Regel eine einzelne Paraphrase nicht alle Bedeutungsfacetten abdeckt. Auch wenn Beardsley nicht so weit geht, die Paraphrase mit der Metapher gleichzusetzen,111 so sieht er doch in der richtigen Paraphrase zumindest einen gültigen Ausschnitt des Bedeutungsspektrums der Metapher. Die Richtigkeit einer Paraphrase, also ihre Äquivalenz mit bestimmten Bedeutungsgehalten der Metapher sieht Beardsley über die regelgeleiteten, vorwiegend semantischen Verfahren der von ihm beschriebenen Literaturwissenschaft sichergestellt.112 Zweitens geht Beardsley davon aus, dass die Paraphrase als wahr oder falsch kategorisiert werden kann. Das Testverfahren, das Beardsley zur Bestimmung

110 Monroe C. Beardsley: Metaphorical Senses, S. 15. 111 „[…]; in assembling, or feeling out, the admissible connotations of words in a poem, we are guided by logical and physical possibilities. But second, there is the Principle of Plenitude. All the connotations that can be found to fit are to be attributed to the poem: it means all it can mean, so to speak.“ (Monroe C. Beardsley: Aesthetics, S. 144). 112 Vgl. FN 12 ff. sowie 31 in diesem Kapitel.

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der Wahrheit/Falschheit einzelner Metaphern vorschlägt, setzt die empirische Prüfung als Standard der Verifizierung: Suppose for some reason we wished to know whether the first line of E. E. Cummingsʼ sonnet on the Cambridge ladies is true or false: The Cambridge ladies who live in furnished souls; or for comparison, T. S. Eliots description: I am aware of the damp souls of housemaids Sprouting despondently at area gates. These are general predications, which we would test, presumably, by some sort of casestudy method, in order to find out, by depth-interviewing a carefully selected sample, what percentage of Cambridge ladies live in furnished souls, or what percentage of London housemaids have damp souls. But obviously, it would be hopeless to give our interviewers such instructions […]. One way out this difficulty presents itself, of course: suppose we begin by taking the predication in its context and explicating it, that is, drawing up a set of literal statements that are equivalent to the metaphor, and giving our interviewers and statistical experts not the metaphor but the literal statements to work with.113

Die Wahrheit, die Beardsley in Metaphern findet oder nicht findet, wäre mithin grundsätzlich empirisch überprüfbar, die verifizierte Aussage entspricht jedoch in der Regel nur einem Bruchteil der in einer (literarischen) Metapher enthaltenen Aussage, nicht-propositionale Elemente eines metaphorischen Ausdrucks bleiben völlig außerhalb der Betrachtung. Die Verifizierbarkeit der Metapher erfolgt bei Beardsley damit um den Preis ihrer Zersplitterung in einzelne Propositionen. Insofern stellt Beardsleys Modell von Explikation und Paraphrase bereits eine komplexe Version eines simpleren Eins-zu-eins-Verhältnisses von metaphorischen Formulierungen zu ihren Paraphrasen dar: Die Menge der Paraphrasen, die für eine Metapher adäquat sind, ist zunächst unbestimmt und für jede Metapher auf dem Weg der Explikation zu ermitteln. Das Bewusstsein für die potenzielle Vielfalt von Paraphrasen scheint bei Beardsley eng an die intensive Auseinandersetzung mit der historischen Dimension der Metaphernentwicklung gekoppelt zu sein: Erst in dieser Perspektive werden die Metamorphosen von Bedeutungen erkennbar, die unterschiedliche Verstehensweisen in verschiedenen historischen Epochen begründbar machen. Wie erheblich die Metapher bei Beschränkung auf

113 Ebd., S. 431. Beardsley verallgemeinert das Argument im Anschluss: „The Empiricist Theory of poetic truth is that all the true implicit predications in poetry are empirically confirmable in this indirect way.“ (Ebd., S. 432).

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eine synchrone Perspektive und eine gültige Paraphrase an Bedeutungskomplexität einbüßt, wird besonders in der Diskussion der Conceptual Metaphor Theory,114 aber auch bei Paul Grices115 Metaphernmodell deutlich werden. Für die literaturwissenschaftliche Arbeit scheint Beardsleys Theorie ob seiner ausgearbeiteten Verfahrensweise und seiner genuinen Orientierung an literarischen Texten als Haupterkenntnisinteresse in erster Linie gut operationalisierbar. Zur Operationalisierung im Sinne der klassischen Literaturwissenschaft ist zunächst festzuhalten, dass durch den Fokus auf die semantische Widersprüchlichkeit als Charakteristikum der Metapher die Identifikation im Vergleich zu Max Blacks und zu Aristotelesʼ Theorie ein deutlich trennschärferes Kriterium erhält.116 Die Metapher besteht wie bei Black aus zwei Elementen (metaphorical sequence und metaphorical segment), zwischen denen ein semantischer Widerspruch bestehen muss und deren jeweilige Länge variieren kann. Für die Beispiele von Metaphern, die mittels Blacks Theorie in Benjamins Möwen identifiziert wurden, ließe sich nun auch eine Begründung für diese Identifikation anführen: Der Begriff ‚Boten‘ kann als ein metaphorisches Segment in der metaphorischen Sequenz des umgebenden Satzes beschrieben werden. Ebenso lässt sich die ‚Schwelle‘ als ein metaphorisches Segment innerhalb einer metaphorischen Sequenz hervorheben, die an dieser Stelle zum Beispiel mit dem umgebenden Satz gleichgesetzt werden könnte, aber auch durchaus auf den übrigen Text ausgedehnt werden kann. Mit dem Widerspruchskriterium können darüber hinaus zahlreiche andere Elemente des Textes als Metapher markiert werden, die hier nicht im Detail diskutiert werden können.117 Stattdessen sollen hier noch einmal die beiden Beispiele ‚Möwen als Boten‘ und ‚Mensch als Schwelle‘ aufgegriffen werden, da anhand des im obigen Abschnitt zu Max Black bereits herausgearbeiteten Unterschieds zwischen den beiden Beispielen die Funktion von Beardsleys Verfahren zur Erklärung und Interpretation von Metaphern sehr deutlich gemacht werden kann. Die Metapher von ‚Möwen als Boten‘ war bereits als eher konventionalisierte Metapher charakterisiert worden, bei der von einem spontanen Verstehen und einer vergleichsweise hohen Übereinstimmung von Interpretationen bei verschiedenen Rezipienten auszugehen ist. Mit Beardsleys Verfahren würde

114 Vgl. Kap. 9.1. 115 Vgl. Kap. 7.2. 116 Eine Operationalisierung in Richtung einer experimentell-empirisch orientierten Literaturwissenschaft, wie sie Beardsley selbst andeutet, wenn er über die Möglichkeit einer empirischen Verifizierung von Metaphern spricht, scheint zwar grundsätzlich denkbar, würde jedoch wenig zur Erkenntnis über die Metapher als sprachliche Struktur selbst beitragen. 117 Als relativ eindeutige Fälle ließen sich mit Bearsley beispielsweise noch das ‚lesbare Schwingengeflecht‘, aber auch der ‚erstorbene Himmel‘ identifizieren.

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in diesem Fall nicht viel mehr Zusätzliches gewonnen, als dass sich eine Begründung für die gefundene Interpretation angeben ließe, die über eine individuelle Intuition hinausgeht. Zwischen den Begriffen ‚Möwen‘ und ‚Boten‘ lassen sich etablierte Konnotationen ausfindig machen, die eine entsprechende Ausweitung der Intension stützen.118 Ergiebiger scheint das Verfahren dagegen im Fall der schwer verständlichen Metapher ‚Mensch als Schwelle‘ zu sein. Während Max Black in diesem Fall wenig instruktiv war, lässt sich mit Beardsley zunächst feststellen, dass für die eher ungewöhnliche Metapher zunächst keine gemeinsamen Begriffskonnotationen verfügbar sind,119 sodass die (akzidentiellen) Eigenschaften von Menschen, beziehungsweise in diesem Fall konkret dem Erzähler und Schwellen, in Betracht gezogen werden müssen, um eine momentane und lokale Bedeutung der Metapher zu etablieren. Im Kontext des umgebenden Textes ergibt sich als verbindendes Akzidens der Vorgang des Überschreitens oder Überquerens, der bei der Schwelle zur fixen Konnotation gehört, im Fall des Erzählers jedoch konkret durch die Erzählsituation mit den über ihn hinwegfliegenden Möwen bedingt ist. Mit Beardsleys Theorie wird an dieser Stelle fassbar, warum eine Metapher wie die des ‚Menschen als Schwelle‘ zwar zunächst in der Isolation unverständlich scheint, jedoch unter Berücksichtigung ihres direkten Kontextes verstehbar wird. Dieser Kontext, die metaphorical sequence, in der hier das metaphorical segment ‚Schwelle‘ steht, umfasst nicht mehr nur den Satz, in dem das Wort ‚Schwelle‘ auftaucht. Stattdessen muss der ganze Textabschnitt Möwen als metaphorical sequence berücksichtigt werden und insbesondere die scheinbar ganz unmetaphorische Beschreibung der Erzählerposition auf dem Schiff zu Beginn des Textes. Erst vor ihrem Hintergrund wird die Metapher des ‚Menschen als Schwelle‘ in diesem konkreten Text verstehbar und erweist sich als in ihm strukturell verankert und nicht als ein isoliertes Phänomen.120

118 Ein Blick in die entsprechenden Wörterbucheinträge belegt die starke Lexikalisierung der ‚Vögel als Boten‘-Metapher mit der Auflistung von „die Taube ist der Bote des Friedens“ (vgl. Bote. In: Digitales Wörterbuch der deutschen Sprache. Hrsg. von Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften. https://www.dwds.de/wb/Bote (13. 02. 2017)) als Beispiel für eine Bedeutung von Boten im Sinne von Anzeichen. 119 Vgl. Schwelle. In: Digitales Wörterbuch der deutschen Sprache. Hrsg. von Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften. https://www.dwds.de/wb/Schwelle (13. 02. 2017). 120 Die Bedeutung des textuellen Kontextes für die Identifizierung aber auch die Interpretation von Metaphern, der Beardsley im Gegensatz zu Max Black einige Aufmerksamkeit schenkt, gewinnt in Harald Weinrichs Theorie noch einmal entscheidend an Bedeutung (vgl. Kap. 7.3.).

Donald Davidson (1917–2003) 

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3.3 Donald Davidson (1917–2003) […] the spirit of God moved upon the face of the waters.121

Donald Davidsons Metapherntheorie, die er im Aufsatz „What Metaphors Mean“ formuliert,122 wirkt zunächst paradox: „This paper is concerned with what metaphors mean, and its thesis is that metaphors mean what the words, in their most literal interpretation mean, and nothing more.“123 Davidsons Eingangsclaim in „What Metaphors Mean“ scheint auf den ersten Blick absurd, vor allem im Verein mit der späteren Aussage: This is not to deny that there is such a thing as metaphorical truth, only to deny it of sentences. Metaphor does lead us to notice what might not otherwise be noticed, and there is no reason, I suppose, not to say these vision, thoughts, and feelings inspired by the metaphor, are true or false.124

Einerseits bestreitet Davidson eine besondere Bedeutung einer metaphorischen Äußerung kategorisch, geht andererseits aber davon aus, dass eine Form der metaphorischen Wahrheit existiert. Eine Ahnung seiner Argumentationsrichtung ergibt sich aus seiner zweiten Kernaussage: „[…]: I depend on the distinction of what words mean and what they are used to do. I think metaphor belongs exclusively to the domain of use.“125 Davidson beansprucht mit seiner Theorie die Konfusion zu bereinigen, die in seinen Augen die Debatten um die Metapher seit ihren Anfängen prägt: Die falsche Annahme, dass die Metapher über die literale Bedeutung hinaus noch irgendeine andere, beispielsweise übertragene Bedeutung besitzt:126 Die Dekonstruktion dieser angenommenen übertragenen Bedeutung, die er als ein Phantom der Semantik identifiziert, ist dementsprechend sein Kerninteresse.

121 Donald Davidson: What Metaphors Mean. In: Critical Inquiry 5:1 (1978), S. 31–47, hier auf S. 34. Davidson verwendet hier als Beispielmetapher eine Zeile aus Genesis 1.2. 122 Davidson führt einen umfangreichen Angriff gegen unterschiedliche Punkte bisheriger semantischer Theorien, bevor er zur Formulierung seiner eigenen Thesen gelangt. Zur Reduktion von Redundanz werden seine Argumente gegen semantische Theorien hier nicht durchgespielt. Für eine umfassende Darstellung vgl. Jakub Mácha: Analytische Theorien der Metapher, S. 103– 130. 123 Donald Davidson: What Metaphors Mean, S. 31–32. 124 Ebd., S. 41. 125 Ebd., S. 33. Diesen pragmatischen Gesichtspunkt Davidsons greift auch Anselm Haverkamp in Paradoxe Metapher auf. 126 Vgl. ebd., S. 32.

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Die Verweisung der Metapher an die Pragmatik bei Davidson lässt sich in erster Linie als Versuch verstehen, das Phänomen Metapher kompatibel mit seiner sonstigen Sprachphilosophie zu machen. Der Ausschluss einer zweiten, übertragenen Bedeutung, die Davidson als Grundlage aller bisherigen Theorien sieht, ist damit ausgeschlossen: „Es kann sie nicht geben, es darf sie aber auch nicht geben, wenn das semantische Gesamt-Projekt, das Davidson vorschwebt nicht gefährdet sein soll.“127 Aus diesem weitreichenden Gesamtprojekt sollen an dieser Stelle lediglich zwei Punkte aufgegriffen werden, ohne deren Berücksichtigung Davidsons Argumentation kaum verständlich wird: das Argument über die Lernbarkeit der Sprache und das Konzept der Wahrheits-Semantik. Als Ausgangspunkt kann Davidsons Argument zur Lernbarkeit der Sprache betrachtet werden. Ludwig Kirk fasst dies folgendermaßen zusammen: […]: we are finite beings. We come into the world without language. We become, in a finite amount of time, fully competent speakers of languages that include an infinite number of nonsynonymous sentences. On the assumption that we cannot “intuit the meanings of sentences on no rule at all, and that each new item of vocabulary, or new grammatical rule, takes finite time to be learned” (p. 9), we can conclude that there are a finite number of semantical primitives, and that we are put in a position to understand the rest of the expressions we are able to understand because their meanings are determinable from our mastery of the semantic primitives contained in them and rules governing how the meanings of complexes are determined by the meanings the simples and their modes of combination.128

Diese durchaus plausible Argumentation hat weitreichende Konsequenzen: Die minimale Leistung einer solchen Theorie läge darin, alle Äußerungen einer Sprache, derer man mächtig ist, zu verstehen, das heißt in die Metasprache der Theorie zu übersetzen.129 Eine einfache Referenz von semantical primitives130 auf Dinge scheint dafür für Davidson ebenso unbrauchbar, wie deren Referenz auf abstrakte Entitäten wie Bedeutungen. Ludwig Kirk fasst das darin liegende Problem zusammen:

127 Eckard Rolf: Metaphertheorien, S. 160. 128 Ernest LePore/Kirk Ludwig: Truth and Meaning. In: Donald Davidson. Hrsg. von Kirk Ludwig. Cambridge u. a.: Cambridge University Press 2003, S. 35–63, hier auf S. 36. 129 Ebd., S. 37–38. 130 Davidson definiert diese zunächst: „Let us call an expression a semantical primitive provided the rules which give the meaning for the sentences in which it does not appear do not suffice to determine the meaning of the sentences in which it does appear.“ (Donald Davidson: Theories of Meaning and Learnable Languages. In: Inquiries into Truth and Interpretation. 2. Aufl. Oxford: Clarendon Press 2001, S. 3–16, hier auf S. 9).

Donald Davidson (1917–2003) 

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It is not clear that associating entities with terms, or with their concatenation, could itself ever yield appropriate knowledge. What is missing is a rule attaching to the combination that yields in the theorizer’s language a sentence understanding of which suffices (perhaps with some auxiliary knowledge) to understand the complex object language expression.131

Davidson zieht daraus eine ebenso einleuchtende wie radikale Schlussfolgerung: „We decided a while back not to assume that parts of sentences have meanings except in the ontologically neutral sense of making a systematic contribution to the meaning of the sentences in which they occur.“132 Die Referenz, falls man an dieser Stelle von einer solchen sprechen möchte, legt Davidson also nicht zwischen einem sprachlichen Ausdruck und einer nicht-sprachlichen Entität an; Ausdrücke (Sätze) referieren stattdessen immer nur auf andere Ausdrücke (Sätze).133 Eine solche Definition von Bedeutung lehnt explizit die Verankerung von Bedeutung in Umwelteindrücken ab134 – Davidson steht damit auf einem fundamental anderen Standpunkt als Aristoteles. Bereits hier scheint damit auch das zentrale Charakteristikum von Davidsons Metapherntheorie auf: Die klassische Definition einer Übertragung von Bezeichnungen von einem Gegenstand auf einen anderen ist genauso inakzeptabel wie die Vorstellung einer zweiten Bedeutung. Davidsons Eliminierungsversuch der allgemein sprachphilosophischen Probleme besteht in der Verankerung135 der kompositionalen Sprachtheorie in einer Wahrheitstheorie:136

131 Ernest LePore/Kirk Ludwig: Truth and Meaning, S. 38. 132 Donald Davidson: Truth and Meaning. In: Synthese 7:1 (1967), S. 304–323, hier auf S. 306. 133 Diese Schlussfolgerung teilt Davidson – wie Samuel C. Wheeler richtig bemerkt – mit poststrukturalistischen Positionen. (Vgl. Samuel C. Wheeler, III: Language and Literature. In: Donald Davidson. Hrsg. von Kirk Ludwig. Cambridge u. a.: Cambridge University Press 2003, S. 183–206, hier auf S. 183). Die Konsequenzen sind bei Davidson freilich andere als beispielsweise bei Derrida (vgl. Kap. 6.2.). 134 „Quine and Dummett agree on a basic principle, which is that whatever there is to meaning must be traced back somehow to experience, the given, or patterns of sensory stimulation, something intermediate between belief and the usual objects our beliefs are about.“ (Donald Davidson: A Coherence Theory of Truth and Knowledge. In: Truth and Interpretarion. Perspectives on the Philosophy of Donald Davidson. Hrsg. von Ernest LePore. Oxford: Blackwell 1986, S. 307–319, hier auf S. 313). 135 Ludwig Kirk und Ernest LePore verteidigen Davidson gegen den Vorwurf, eine Ersetzung aller Semantik durch eine Wahrheitstheorie anzustreben und argumentieren, er habe diese in den Dienst jener stellen wollen. Dass seine Schriften jedoch auch die gegenteilige Lesart stützen, räumen sie ein. (Vgl. Ernest LePore/Kirk Ludwig: Donald Davidson. Meaning, Truth, Language, and Reality. Oxford: Oxford University Press 2005, S. 93–112). 136 Davidson greift auf die von Alfred Tarski vorgeschlagene Wahrheitstheorie auf Grundlage von Konvention W (im Englischen convention T) zurück. Tarski schlägt die Formalisierung aller

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 Metapher und Wahrheit

The definition works by giving necessary and sufficient conditions for the truth of every sentence, and to give truth conditions is a way of giving the meaning of a sentence. To know the semantic concept of truth for a language is to know what it is for a sentence—any sentence—to be true, and this amounts, in one good sense we can give to the phrase, to understanding the language. […] Indeed, since a Tarsky-type truth definition supplies all we have asked so far of a theory of meaning, it is clear that such theory falls comfortably within what Quine terms theory of reference.137

Das Verstehen einer Aussage in einer beliebigen Sprache beruht damit letztlich auf der Fähigkeit, diese als wahr oder falsch zu identifizieren. Als wahr kann eine Aussage identifiziert werden, wenn ihr eine Gegebenheit in der Welt korrespondiert. So, for example, when the speaker with whom we are engaged uses a certain sequence of sounds repeatedly in the presence of what we believe to be a rabbit, we can, as a preliminary hypothesis, interpret those sounds as utterances about rabbits or about some particular rabbit. Once we have arrived at a preliminary assignment of meanings for a significant body of utterances, we can test our assignments against further linguistic behaviour on the part of the speaker, modifying those assignments in accordance with the results.138

Der Zusammenhang zwischen einem sprachlichen Ausdruck und Dingen besteht damit nicht in einem Bedeutungszusammenhang zwischen Zeichen und Bezeichnetem, sondern in einer empirischen Praxis, in der bestimmte Äußerungen in Korrelation mit bestimmten Gegenständen oder Sachverhalten auftreten. Der Unterschied wird klar, wenn man sich beispielsweise Augustinus’ Modell des Spracherwerbs vor Augen hält: In der ersten Etappe, in der eine Person die Bezeichnung eines bestimmten Gegenstandes oder Sachverhaltes noch nicht kennt, soll er diese nach Augustinus über hinweisende Gesten auf den Gegenstand lernen. Die Korrelation zwischen einem Gegenstand und einer Äußerung muss zunächst explizit gemacht werden, bevor dadurch die Bedeutung der

(möglichen) Aussagen in einer Metasprache vor, die die Formulierung einer präzisen Wahrheitsbedingung gestattet. Bsp.: φ(s) if and only if ψ wobei ψ die metasprachliche Formalisierung von φ(s) ist. (Vgl. Wilfrid Hodges: Tarski’s Truth Definitions. In: The Stanford Encyclopedia of Philosophy. Hrsg. von Edward N Zalta. Metaphysics Research Lab, Stanford University. https:// plato.stanford.edu/archives/fall2014/entries/tarski-truth/(30. 09. 2015), hier auf §1.1). Vgl. dazu umfangreicher Ernest LePore/Kirk Ludwig: Donald Davidson, S. 38–62. Davidsons Argument ist zu umfangreich und komplex, um hier in Gänze wiedergegeben zu werden. 137 Donald Davidson: Truth and Meaning. Hier S. 96. 138 Jeff Malpas: Donald Davidson. In: The Stanford Encyclopedia of Philosophy. Hrsg. von Edward N. Zalta. Metaphysics Research Lab, Stanford University. https://plato.stanford.edu/archives/fall2015/entries/davidson (25. 09. 2015), hier unter § 3.

Donald Davidson (1917–2003) 

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Äußerung gelernt werden kann.139 Davidson nun würde den zweiten Schritt als relevant oder auch nur möglich bestreiten und den Lernvorgang beim Bemerken der Korrespondenz beenden. Die scheinbar widersprüchlichen Aussagen, die Davidson zur Metapher trifft, werden im Lichte dieser Prämissen klarer. Grundsätzlich kann in seiner Theorie eine Äußerung Sinn überhaupt nur im Rahmen der sehr engen, in einer Wahrheitstheorie fassbare Charakteristika haben. Dementsprechend gilt auch: „[…] a metaphor doesn’t say anything beyond the literal meaning (nor does its maker say anything, in using the metaphor, beyond the literal). This is not, of course, to deny that a metaphor has a point, nor that that point can be brought out by using further words.“140 Seine definitorische Begrenzung von meaning auf die in einer Wahrheitstheorie fassbaren Charakteristika lässt hinsichtlich der Metapher in den meisten Fällen nur eine Schlussfolgerung zu: „If a sentence used metaphorically is true or false in the ordinary sense, then it is clear that it is usually false. The most obvious semantic difference between simile and metaphor is that all similes are true and most metaphors are false.“141 Wesentlich für diese Differenzierung ist der logisch entscheidende Unterschied zwischen der Behauptung einer Ähnlichkeit im Fall des Vergleichs und der Behauptung einer Identität oder zumindest Synonymität im Fall der Metapher. Hinsichtlich ihrer Wahrheitswerte – und das ist es letztlich, was in Davidsons Theorie weitgehend die Position semantischer Gehalte übernimmt142  – kann den meisten Metaphern damit die Wahrheit nur abgesprochen werden. Nichtsdestotrotz insistiert Davidson – wie oben schon gesehen – auf seiner Einigkeit mit Max Black, unter anderem wenn es um die Existenz einer metaphorischen Wahrheit geht: „Metaphor does lead us to notice what might not otherwise be noticed, and there is no reason, I suppose, not to say these vision, thoughts, and feelings inspired by the metaphor, are true or false.“143 Diese Wahrheit ist nun aber – so tatsächlich in einem konkreten Fall gegeben – ausschließlich in den Gegenständen und Sachverhalten der Welt zu suchen, die mit einer solchen Äußerung korreliert werden. Die Vieldeutigkeit einer metaphorischen Äußerung und die daraus resultierende Schwierigkeit, ihre übertragene Bedeutung genau zu identifizieren und zu paraphrasieren, ergibt sich unter diesem Gesichtspunkt

139 Augustinus: De Magistro. Über den Lehrer. Hrsg. von Burkhard Mojsisch. Stuttgart: Reclam 1998, 11.33–36. 140 Donald Davidson: What Metaphors Mean, S. 32. 141 Ebd., S. 41. 142 Vgl. Ernest LePore/Kirk Ludwig: Donald Davidson S. 37–49. 143 Donald Davidson: What Metaphors Mean, S. 41.

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 Metapher und Wahrheit

nun aus der unendlichen Zahl der möglichen Korrelationen, die zu einer Metapher hergestellt werden können: If what the metaphor makes us notice were finite in scope and propositional in nature, this would not in itself make trouble; we would simply project the content the metaphor brought to mind onto the metaphor. But in fact there is no limit to what the metaphor calls to our attention, and much of what we are caused to notice is no propositional in character.144

An genau diesem Punkt tritt der Unterschied zwischen dem, was in Davidsons Perspektive ein literaler Ausdruck tut und dem, was ein metaphorischer Ausdruck leistet klar zu Tage: Im ersten Fall verweist die Äußerung auf eine begrenzte und entscheidbare Menge von Entitäten oder Sachverhalten. Der scope, auf den der Einsatz des literalen Ausdruckes hindeuten soll, begrenzt den Bedeutungsgehalt und macht ihn damit für die Leitunterscheidung wahr/falsch brauchbar und den Gehalt der Äußerung damit wahrheitstheorietauglich. Die Rückprojektion des durch den Ausdruck Bemerkten als semantischen Gehalt in einen verwendeten Ausdruck kann in diesem Fall irritationsfrei erfolgen. Im zweiten Fall wird eine Aussage dafür eingesetzt, auf etwas hinzuweisen, das außerhalb ihrer konventionellen Korrelation liegt und damit hinsichtlich des Wahrheitswertes als falsch zu klassifizieren ist und hinsichtlich der gewiesenen Entität als unentscheidbar. Das sonst angenommene Verhältnis einer über Bedeutungen stabilisierten Beziehung von Äußerungen zu Gegenständen der Welt, muss sich an dieser Stelle in Davidsons Augen als falsch erweisen. Da die Metapher unterschiedliche Elemente der Welt ins Bewusstsein rücken kann, kann ihr kein eindeutiger semantischer Gehalt zugeordnet werden. Davidsons Ablehnung zusätzlicher semantischer Gehalte einer metaphorischen Äußerung fußt zunächst auf einem grundsätzlichen Zweifel an der Existenz semantischer Gehalte als Entitäten. Am Beispiel der Metapher wird für Davidson die verkehrte Anlage einer solchen Annahme besonders deutlich: „It is no help in explaining how words work in metaphor to posit metaphorical or figurative meanings, or special kinds of poetic or metaphorical truth. These ideas don’t explain metaphor, metaphor explains them.“145 Diese Beobachtung trifft meines Erachtens in gewissem Sinne den Kern des Problems: Metapher fungiert als Label für die theoretische Eingrenzung und explanatorische Regulierung bestimmter sprachlicher Phänomene, die im Rahmen der Standard-Theorie des jeweiligen Autors sonst als unerklärliche Phänomene ausfallen würden. Für eine mit semantischen Gehalten operierende Theorie bedeu-

144 Ebd., S. 46. 145 Ebd., S. 33.

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tet das: Ein irreguläres Verhalten semantischer Gehalte wird damit erklärt, dass dieses Verhalten mit dem Terminus Metapher bezeichnet wird, dessen Definition eben diese Irregularität beschreibt. Wahrscheinlich intendiert Davidson diese Aussage jedoch etwas anders als hier ausgelegt, denn diese Kritik würde sich schließlich umstandslos auch gegen seinen eigenen Ansatz richten: Eine Theorie der Sprache, die den Zusammenhang zwischen sprachlichen Äußerungen und Gegenständen beziehungsweise Entitäten der Welt über Korrelationen herstellt und die Funktion der Worte in diesem Zusammenhang als hinweisend beschreibt, gewinnt für die Beschreibung der Metapher wenig, wenn sie bestimmte Formen der Hinweise, deren Korrelat sich nicht eindeutig benennen lässt, als metaphorisch bestimmt. Die Verteidigung der Metapher gegen den Lügenverdacht und ihre Rettung für die Erkenntnis scheint durch ihre Verlagerung aus der Semantik in die Pragmatik wenig zu gewinnen und ihre positive kognitive Leistung erscheint noch unersichtlicher als zuvor, da der Metapher selbst jeglicher kognitiver Gehalt abgesprochen wird. Mit der Entfernung der Metapher aus dem Bereich der Semantik verschließt sich auch ein zentraler Anknüpfungspunkt für die klassische Literaturwissenschaft. Der Text, dem sich diese widmet, ist in der Regel nicht Teil einer direkten interpersonalen Kommunikation, wie in den Beispielen, die Davidson konstruiert. Hier muss aus literaturwissenschaftlicher Sicht wohl von einer theoretischen Sackgasse ausgegangen werden, die jedoch immerhin deutlich macht, dass nicht alle Probleme, die sich im Zusammenhang mit der Metapher stellen, tatsächlich von den Interessensbereichen der Literaturwissenschaft im weiteren Sinne abgedeckt werden. Metapherntheorie ist, wie eingangs als These formuliert, kein rein literaturwissenschaftliches Feld.

4 Metapher und Rede In der rhetorischen Tradition hat die Metapher im Verein mit den anderen Tropen ihr unangefochtenes Refugium. Statt dem philosophischen Kriterium nach Wahrheit oder Unwahrheit ist sie hier der pragmatischen Beurteilung nach persuasiver Wirksamkeit unterworfen. Wenn in der zeitgenössischen philosophischen Diskussion von Metapherntheorien der rhetorischen Tradition beziehungsweise ihren verschiedenen Vertretern ein Mangel an philosophischer Tiefe vorgeworfen wird,1 so ist dieser Beobachtung hinzuzufügen, dass sich darin wiederum nur symptomatisch am Beispiel der Metapher manifestiert, was offenbar als grundlegendes Movens einer Differenzierung von Disziplinen zu verstehen ist: Die Rhetorik operiert auf Grundlage anderer Bewertungsparameter als die Philosophie. Spätestens mit der Einrichtung eines staatlichen Lehrstuhls für Rhetorik mit Quintilian als seinem Inhaber2 kann diese Disziplin als vorläufig institutionell etabliert gelten und die Lehrschriften Quintilians zeugen in gleichem Maße von der Etablierung disziplinärer Leitunterscheidungen und Zielsetzungen. Die in der rhetorischen Tradition, hier vertreten durch Quintilian, Erasmus von Rotterdam und Emanuele Tesauro, etablierten Definitionen der Metapher setzen weniger auf das Warum ihrer Funktionalität, sondern auf die Identifikation und Operationalisierung eines persuasiv-instrumentellen Wie. Diese Definitionen werden in den folgenden Jahrhunderten zu festen Bezugspunkten inner- und intradisziplinärer Diskussionen und gleichzeitig Gegenstand zum Teil gravierender Modifikationen. Während Quintilian im Kontext der politischen und forensischen Rhetorik der römischen Republik die Metapher dem Gebot der Klarheit unterstellt, argumentiert bereits Erasmus für den Effekt einer gewissen Unklarheit der Metaphorik vor allem im Kontext der Gelehrtenrhetorik. Mit Tesauro findet diese Tendenz ihren Höhepunkt in einer Ästhetik der Überwältigung. Der gemeinsame Fokus der drei

1 Vgl. dazu bspw. Ekkehard Eggs: Metapher, S. 1107, der dies als allgemeines Phänomen der lateinischen Rhetorik ansieht, bzw. Dieter Lau: Metaphertheorien der Antike, S. 356, der eine graduelle Abnahme philosophischer Fundierung von Aristoteles über Cicero bis zu Quintilian konstatiert. Die eigenständigen Funktionsmechanismen der Rhetorik und der durch sie produzierten zusätzlichen Differenzierungsmuster und Funktionen zeigt Rüdiger Campe: Form und Leben in der Theorie des Romans. In: Vita aesthetica. Szenarien ästhetischer Lebendigkeit. Hrsg. von Armen Avanessian/Winfried Menninghaus/Jan Völker. Zürich/Berlin: Diaphanes 2009, S. 193–212, hier auf S. 205, vergleichbar gesteht auch Roland Barthes: L’aventure sémiologique. Paris: Seuil 1985, S. 85–166 der antiken Rhetorik eine erhebliche Sammlungs- und vor allem Ordnungsleistung für den gesamten rhetorischen Diskurs zu, der seine Wirksamkeit in Barthes Darstellung bis in die strukturale Zeichenanalyse vererbt. 2 Vgl. Reimar Müller: Kulturgeschichte der Antike. Rom: Akademie-Verlag 1976, S. 421–422. https://doi.org/10.1515/9783110585353-004

Cicero (107–44 v. Chr.) und Quintilian (35–100 n. Chr.) 

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Autoren auf Identifikation und Operationalisierung korreliert mit dem pädagogischen Impetus eines (positiven) Rhetorikverständnisses, das die Rhetorik als grundsätzlich lehrbare Disziplin konzipiert, die Bildung des Redners immer als Bildung des ganzen Menschen auffasst und sich bis zur Neuen Rhetorik eines Roland Barthes verfolgen lässt. In der Verwendung der Metapher kumulieren dabei die verschiedenen intellektuellen, künstlerisch-kreativen, aber auch ethischen Anforderungen, die an einen perfectus orator3 gestellt werden können. Im Laufe der historischen Entwicklung ist dieses Idealbild jedoch starken Variationen unterworfen.4 Diese spiegeln sich prominent in den Regularien zur Verwendung der Metapher. Innerhalb rhetorischer Diskurse sind diese Regularien vor allem hinsichtlich des instrumentellen Einsatzes von Metaphern radikalen Umwertungen unterworfen, die, parallel zu sich wandelnden Konzepten des idealen Redners, unter verschiedenen Kommunikationsbedingungen verlaufen. Die Einflussfaktoren auf die Verschiebung dieser Konzepte reichen dabei von machtpolitischen bis zu medialen Umständen.

4.1 Cicero (107–44 v. Chr.) und Quintilian (35–100 n. Chr.) Leo est.5

Obgleich Marcus Tullius Cicero parallel zur rhetorischen Position immer wieder die Bedeutung der Philosophie für die Rhetorik betont, unterwirft bereits er die Metapher nicht in erster Linie dem philosophischen Kriterium der Wahrheit, sondern dem rhetorischen Kriterium der persuasiven Funktionalität. Dennoch ist die ciceronische Rhetorik charakterisiert durch den doppelten Anspruch, auf

3 „der perfekte Redner“ (eigene Übesetzung). Das Konzept des perfectus orator geht bei Cicero mit einem umfassenden intellektuellen und ethischen Anspruch einher und verlangt eine breite Bildung in allen Themenbereichen, bevor das Problem der rednerischen Praxis überhaupt relevant werden kann. Vgl. zum perfectus orator ausführlich die klassische Studie von Karl Barwick: Das rednerische Bildungsideal Ciceros. Berlin: Akademie-Verlag 1963 sowie jüngeren Datums zu den historischen und politischen Rahmenbedingungen in denen dieses Konzept steht Jonathan Zarecki: Cicero’s Ideal Statesman in Theory and Practice. London/New York: Bloomsbury Publishing 2014. 4 Vgl. für Einführungen in die historische Rhetorikforschung Manfred Fuhrmann: Die antike Rhetorik. Eine Einführung. München/Zürich: Artemis 1984, Gert Ueding/Bernd Steinbrink: Grundriß der Rhetorik. Eine alternative Darstellung findet sich bei Roland Barthes: L’aventure sémiologique, S. 85–166. 5 Quintilian verwendet dieses Beispiel, um das Prinzip der Metapher als verkürztem Vergleich zu illustrieren.

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 Metapher und Rede

der einen Seite über philosophisch valide Kenntnis der res zu verfügen und auf der anderen Seite auf Grundlage dieser Kenntnis mithilfe der richtigen verba rhetorisch gewandt gezielten und kontrollierten Einfluss auf seine Mitmenschen nehmen zu können.6 Das Verhältnis zwischen Worten und Dingen aber, zu dem es in der antiken Philosophie komplexe Entwürfe gab,7 ist für die Rhetoriker nur am Rande von Interesse. Eine solche Position, die zwar einen positiven Zusammenhang zwischen verba und res animmt, jedoch ohne dabei eine differenzierte Erklärung zu liefern, formuliert Marcus Fabius Quintilian. Seine pragmatischrhetorische Perspektive formuliert dabei auch eine klare Abgrenzung gegen die (offenen) philosophischen Debatten darüber: genus eius unum quidam putaverunt, in hoc ipso diversas opiniones secuti. nam hci, quia verborum mutatio sensus quoque verteret, omnes figuras in verbis esse dixerunt; illi, quia verba rebus accommodarentur, omnes in sensibus. quarum utraque manifesta cavillatio est. nam ut eadem dici solent aliter, manetque sensus elocutione mutata, et figura sententiae plures habere verborum figuras potest. illa est enim posita in concipienda cogitatione haec in enuntianda; sed frequentissime coeunt, ut in hoc: […]. quod sciam, consensus est duas eius esse partes, διανοίας, id est mentis vel sensus vel sententiarum, nam his omnibus modis dictum est, et λέξεως id est verborum vel dictionis vel elocutionis vel sermonis vel orationis; nam et variatur et nihil refert.8

6 Vgl. bei Marcus T. Cicero: De Oratore - Über den Redner. Lateinisch/Deutsch. Hrsg. von Harald Merklin. Stuttgart: Reclam 2006, I, bes. 17–19. Bei Quintilian dazu Institutio Oratoria. Buch 1. Hrsg. von Helmut Rahn. 5. Aufl. Darmstadt: Wissenschaftliche Buchgesellschaft 2011, S. 19–20. Zum Konzept des perfectus orator bei Cicero vgl. außerdem Carl J. Classen: Ciceros orator perfectus: ein vir bonus dicendi peritus? In: Die Welt der Römer. Studien zu ihrer Literatur, Geschichte und Religion. Hrsg. von Meinolf Vielberg. Berlin/New York: de Gruyter 1993, S. 155–168. Außerdem Manfred Fuhrmann: Die antike Rhetorik, bes. S. 52–65. Vgl. außerdem FN 3 in diesem Kapitel. 7 Für eine Übersicht vgl. Jochem Hennigfeld: Geschichte der Sprachphilosophie. Antike und Mittelalter. Berlin/New York: de Gruyter 1994; Eugenio Coseriu: Geschichte der Sprachphilosophie. Von den Anfängen bis Rousseau. Tübingen/Basel: Francke 2003; Giovanni Manetti (Hrsg.): Knowledge Through Signs. Ancient Semiotic Theories and Practices. Bologna: Brepols 1996. 8 Quintilian: Institutio Oratoria, 9.1.15–17. „Manche haben nun die Auffassung vertreten, es gäbe nur eine Gattung von Figuren, wobei sie wieder entgegengesetzten Annahmen gefolgt sind. Denn weil die Veränderung der Worte auch ihren Sinn verwandle, haben die einen behauptet, beruhten alle Figuren auf den Worten, die anderen aber, weil die Worte sich den inhaltlichen Gegebenheiten anpaßten, sie beruhten alle auf deren Sinn. Beides ist ja nun ein offensichtliches Gezänk um Worte; denn einerseits läßt sich das Gleiche bald so, bald anders ausdrücken, und der Sinn bleibt bestehen, auch wenn der Ausdruck verändert ist, andererseits kann eine Gedankenfigur mehrere Wortfiguren enthalten. Die erstere nämlich beruht auf der inneren Erfassung eines Denkinhalts, die letztere auf seiner äußeren Darstellung, sehr häufig aber kommt beides zusammen: […]. Unter den meisten nämlich besteht meines Wissens darüber Übereinstimmung, daß die Figuren in zwei Abteilungen zerfallen, solche διανοίας, d. h. des Denkens oder des Sinnes oder Gedankens – denn alle diese Übersetzungsweisen hat man gebraucht – und solche λέξεως,

Cicero (107–44 v. Chr.) und Quintilian (35–100 n. Chr.) 

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Bereits die Tatsache, dass dieses Verhältnis in dieser Form zur Diskussion gestellt wird, macht deutlich, dass die für Aristoteles gültige, relativ geradlinige Relation zwischen res und verba über die menschliche psyche9 an dieser Stelle nicht mehr Konsens ist. Zwar geht auch Quintilian noch von einer fundamentalen Verbindung zwischen res und verba aus, doch ist das Verhältnis der beiden zueinander keinesfalls mehr statisch. Die strittige philosophische Frage bringt Quintilian auf den Punkt, ohne für eine von beiden Stellung zu beziehen: Die ganze Diskussion scheint ihm im Kontext der rhetorischen Zielsetzung fruchtlos,10 sodass der philosophisch unbefriedigende Kompromiss schließlich lautet: Figuren haben sowohl mit den Worten als auch mit dem Sinn zu tun.11 Die von Quintilian verwendete Kategorisierung der rhetorischen Variationen nach adiectio, detractio, transmutatio und immutatio12 haben sich nichtsdestotrotz als erfolgreiches Orientierungsschema durch die Geschichte hindurch erwiesen.13 Quintilians Antwort zielt letztlich nicht auf die Lösung der Frage nach philosophischen Kriterien, sondern soll diese in einem anschaulichen Vergleich ad acta legen,14 um zu den Aspekten der rhetorischen Praxis zu gelangen: „sin praeparata dicendi vis fuerit, erunt in officio, non ut requisita respondere, sed

d. h. der Worte, des Ausdrucks, des Stiles, des Sprechens oder der Rede – denn auch hier sind die Ausdrücke verschieden und es kommt nicht darauf an.“ (Übersetzung: Helmuth Rahn). 9 Vgl. für die These einer intersubjektiv weitgehend einheitlichen Wahrnehmung Aristoteles: Peri hermeneias, 16 a 1–9 sowie Kap. 2., FN 9. 10 Die reale Komplexität und terminologische Uneinheitlichkeiten, denen bereits Quintilian bei der Diksussion der Tropen gegenüberstand, lassen sich anhand der Arbeiten von Marsh H. McCall, Jr.: Ancient Rhetorical Theories of Simile and Comparison, S. 178–237 sowie Mireille Armisen-Marchetti: Histoire des notions rhétoriques de métaphore et de comparaison, des origines à Quintilien. In: Bulletin de l’Association Guillaume Budé 1:1 (1991), S. 19–44 nachvollziehen. 11 In diesem Sinne kommt den Figuren damit auch immer eine doppelte Funktion zu, vgl. Caesare M. Calcante: La similitudo in Quintiliano tra argumentum e ornatus. In: RIL 132 (1998), S. 249–264. 12 Vgl. zu den vier Kategorien Heinrich Lausberg: Elemente der literarischen Rhetorik, S. 55–63. 13 Vgl. zur historischen Entwicklung des Systems Wolfram Ax: Quadripertita ratio. Bemerkungen zur Geschichte eines aktuellen Kategoriensystems (adiectio, detractio, transmutatio, immutatio). In: The history of linguistics 13:2 (1986), S. 191–214. 14 Eggs bemerkt zu den lateinischen Rhetoriken im Allgemeinen: „Die Begrifflichkeit der lateinischen Tropenlehre, insbesondere die der Herennius-Rhetorik, läßt noch starken Einfluß der stoischen Sprach- und Tropenlehre erkennen. Barwick hat plausibel gemacht, daß die Stoiker drei Übertragungsarten unterschieden haben: similitudo, vicinitas, contrarium.  […] Dennoch hat diese nach sachlogischen Relationen aufgebaute ‚Dreierlehre‘ zu keiner lateinischen systematischen Tropenlehre geführt, der diese Übertragungsarten als Einteilungsprinzip zugrunde lägen. Dies deshalb, weil es den Lateinern gar nicht um sachlogische oder logische Fragen geht, sondern um das semiotische Problem des Etwas-anderes-Sagen-als-Meinen.“ (Ekkehard Eggs:

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ut semper sensibus inhaerere videantur atque eos ut umbra corpus sequi.“15 Der Rhetor beantwortet die philosophische Streitfrage  – der eigenen Diskurslogik getreu  – mit einem bildlichen Analogie-Vergleich. Für den guten Rhetor stehen Worte und Dinge im gleichen Verhältnis zueinander wie die Schatten zu den Körpern: Sie sind zwar kausal und zwingend mit ihnen verbunden, ihre konkrete Form ist dabei jedoch variabel und der kontrollierte Umgang mit dieser Vielgestaltigkeit ist ein zentrales Charakteristikum des Rhetors. Bereits in diesem Vergleich offenbart sich ein Auseinandertreten von res und verba, von Worten und ihren Gegenständen, das noch auf Grundlage der aristotelischen Konzeption des Verhältnisses von Sprache zu Welt undenkbar scheint. Der verbale Spielraum, in dem sich Rhetorik und Poetik bei Aristoteles bewegen, ist streng von den sachlichen Notwendigkeiten der res her gedacht, seine Untersuchung richtet sich in erster Linie auf die Analyse der strukturellen Anforderungen von Rhetorik und Poesie beim Umgang mit den res.16 Die Frage nach der ontologischen Qualität des Schattens und seiner Wahrheit17 tritt dagegen bei Quintilian hinter der Frage nach seiner richtigen Instrumentalisierung oder Inszenierung zurück. Damit rückt die Frage nach den Techniken und Verfahren der Verfügungsgewalt über die verba ins Zentrum, eine Kompetenz, die durch intensive rhetorische Ausbildung erworben wird. In der Notwendigkeit dieses Trainings offenbart sich die Charakteristik der Rhetorik als „consuetudine quasi alteram quandam naturam“.18 Das Moment der Kontrolle manifestiert sich an der Metapher überall,

Metapher, S. 1110). Vergleiche zur Sprachlehre der Stoiker Karl Barwick: Probleme der stoischen Sprachlehre und Rhetorik. Berlin: Akademie-Verlag 1957. 15 Quintilian: Institutio Oratoria, 8. Proömium. 29–30. „Wenn aber die Redegewalt schon ausgebildet ist, wird der Ausdruck zu Gebote stehen, nicht so, als ob er sich einstelle, wenn man ihn suche, sondern als ob er immer mit dem Sinn verwachsen sei und ihm folge wie der Schatten dem Körper.“ (Übersetzung Helmuth Rahn). 16 In der Poetik gilt ein Großteil der Auseinandersetzung Bestandteilen, Prinzipien und Strukturen von Literatur bzw. tragischer Dichtung, wie dem Prinzip der Mimesis im Allgemeinen, den Prinzipien des Plot, Stoff, Figuren etc. Auch die Rhetorik widmet sich nur am Rande der elocutio, nachdem der Findung und dem Aufbau von Argumenten viel Raum gewidmet worden ist. 17 Das klassische Beispiel ist hier sicher Platons Höhlengleichnis. (Vgl. Plato: Platons Höhlengleichnis. Das Siebte Buch der Politeia. Griechisch – Deutsch. Hrsg. von Rudolf Rehn. Mainz: Dieterich 2005). 18 Cicero, De finibus, V. 25. 74. „Gewohnheit [durch die] gewissermaßen eine zweite Natur entstehe“ (Übersetzung Olof Gigon/Laura Straume-Zimmermann). Vgl. umfangreich zum Begriff der Gewohnheit Gerhard Funke: Gewohnheit. Bonn: Bouvier 1961. Vgl. dazu außerdem Jörg Villwock: Rhetorik, S. 206–207. Vgl. Kap. 2., FN 43.

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wo in der Diskussion von Metaphern diesen ihre wörtliche Paraphrase zur Seite gestellt und damit ihre Bedeutung festgelegt wird.19 Das beginnende Auseinandertreten von res und verba, das im Laufe der Rhetorikgeschichte zu einem epistemologisch folgenschweren Bruch führen wird, geht in der römischen Rhetorik zunächst mit einer erheblichen Akzentverschiebung zugunsten der verba einher, die sich in dem umfangreichen sprachlichen Ausbildungsprogramm manifestiert, das die quintilianschen Institutiones beginnend mit der grammatischen bis hin zur rhetorischen Ausbildung vorsehen. Die philosophische Frage nach wahr/falsch wird auf der ersten Stufe der Ausbildung, der bei dem grammaticus, durch die grammatische Frage nach richtig/ falsch ersetzt. Der charakteristische Zug der Rhetorik – die bei Quintilian wie bei Aristoteles im Bereich der Wahrscheinlichkeiten operiert – schlägt sich in diesem Ausbildungsprogramm20 nieder, wenn in der zweiten Ausbildungsphase, der bei dem rhetoricus, das System von richtig/falsch systematisch durchbrochen wird und die Abweichung von der grammatischen Regel in der Trope zum Hauptinteresse avanciert. Die Rhetorik operiert mithin aus Prinzip gegen die strenge Gesetzmäßigkeit, sei es jene der Grammatik oder die der Logik. Dass sie dennoch auf Basis von Regeln operiert, sei damit nicht bestritten, doch beanspruchen ihre Regeln nicht, immer gültig zu sein, sondern nur in der Regel. Wie stark das im rhetorischen Diskurs entscheidende Angemessenheitsurteil21 von einem jeweils konkreten Kontext abhängt und damit jenseits des philosophisch oder grammatisch absoluten wahr/falsch oder richtig/falsch ope-

19 Die Haltung zur Paraphrase, in der sich letztlich die Verfügungsgewalt des Sprechers bzw. Autors über die Sprache manifestiert, einen identischen Inhalt in verschiedenen Weisen auszudrücken, wird besonders von dekonstruktiven Theorien radikal in Frage gestellt und kann als entscheidender Prüfstein gelten, ob eine Theorie der Metapher eher von ihrer grundsätzlichen Verstehbarkeit oder von ihrer Unverständlichkeit ausgeht. Vgl. Kap. 6.2. 20 In der zeitgenössischen Sekundärliteratur wird die pädagogische Leistung Quintilians bei der Entwicklung des umfangreichen Ausbildungsprogramms in den zwölf Büchern seiner Institutio oratoria umfangreich diskutiert. Vgl. Gert Ueding/Bernd Steinbrink: Grundriß der Rhetorik, S. 42–48; außerdem Ezio Bolaffi: Quintilian als Pädagoge und als Lehrer. In: Erziehung und Bildung in der heidnischen und christlichen Antike. Hrsg. von Horst Theodor Johann. Darmstadt: Wissenschaftliche Buchgesellschaft 1976, S. 433–448. 21 Vgl. Heinrich Lausberg: Elemente der literarischen Rhetorik, S. 48. Aptum steht sowohl als die Bedingung für den Erfolg am Anfang der Vorbereitung als auch als Qualitätsurteil am Ende der Rede. Dabei ist der Begriff des aptums selbst sehr flexibel und entspricht damit den Anforderungen an den Redner, auf verschiedenste Rede-Situationen und Gegenstände stets angemessen zu reagieren. Vergleiche zur Unterscheidung zwischen innerem und äußerem aptum Dietmar Till: Rhetorik und Poetik. In: Handbuch Literaturwissenschaft. Band 1: Gegenstände und Grundbegriffe. Hrsg. von Thomas Anz. Stuttgart: Metzler 2013, S. 435–465.

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riert, zeigt Quintilians Diskussion der proprietas,22 die in die rhetorische Tradition mit der Dichotomie eigentlich/uneigentlich (synonym zu unmetaphorisch/ metaphorisch) eingegangen ist.23 Wenn Quintilian proprietas verlangt, so wird diese in seinem Verständnis nicht allein durch das Benennen der Dinge mit ihren eigenen Namen erreicht, da sich das verbum proprium nicht nur mit Blick auf den bezeichneten Gegenstand, sondern auch mit Blick auf seine kalkulierbare situative Wirkung im Kontext einer Rede als ‚eigentliche‘ Benennung beweist.24 Die eigenen Namen können durchaus im Kontext der Rede unpassend sein, sind also nicht per se zu favorisieren. Nicht nur beim gänzlichen Fehlen einer dem Gegenstand eigentlichen Bezeichnung25 kann daher gerade der Metapher in bestimmten Fällen eine besondere Form der proprietas zugeschrieben werden: „translatio quoque, in qua vel maximus est orationis ornatus, verba non suis rebus accommodat. quare proprietas non ad nomen, sed ad vim significandi refertur nec auditu, sed intellectu perpendenda est.“26 Der angemessene Begriff ist in diesem Fall nicht der eigene; das verbum proprium im Sinne der eigentlichen Bezeichnung eines Gegenstands kann

22 Mögliche Übersetzungen für proprietas sind: ‚Eigentümlichkeit‘, für proprium: ‚wesentlich, gewöhnlich, eigentlich, charakteristisch‘ sowie ‚eigen, entsprechend‘ (vgl. Joseph M. Stowasser u. a.: Stowasser. Lateinisch-deutsches Schulwörterbuch. München: Oldenbourg Schulbuchverlag 2006, S. 412). Andreas Hetzel verweist auf die unterschiedlichen Verwendungen, die der Begriff schon bei Cicero und Quintilian findet: „Gerald Posselt hat mich darauf aufmerksam gemacht, dass Cicero und Quintilian kein einheitliches Konzept des ›Eigentlichen‹ kennen; dessen jeweiliger Sinn bleibt bei den römischen Rhetorikern vielmehr immer an eine Ökonomie des Angemessenen und des Schicklichen gebunden. Quintilian unterstreicht eine Mannigfaltigkeit des ›Eigentlichen‹, die von Davidson und Searle gerade eingeebnet wird.“ (Andreas Hetzel: Die Wirksamkeit der Rede. Zur Aktualität klassischer Rhetorik für die moderne Sprachphilosophie. Bielefeld: transcript 2011, S. 302). 23 Das Kriterium der Uneigentlichkeit avanciert bis hin zum konstitutiven Merkmal der rhetorischen Mittel. (Für Arbeiten, die das Uneigentlichkeits-Kriterium im Allgemeinen bzw. für spezifische Darstellungsformen adressieren, vgl. Wolfgang Berg: Uneigentliches Sprechen. Zur Pragmatik und Semantik von Metapher, Metonymie, Ironie, Litotes und rhetorischer Frage. Tübingen: Narr 1978 bzw. Lutz Danneberg/Jürg Niederhauser (Hrsg.): Darstellungsformen der Wissenschaften im Kontrast. Aspekte der Methodik, Theorie und Empirie. Tübingen: Narr 1998). 24 Vgl. Quintilian: Institutio Oratoria, 8.2.2–4. 25 In der quintilianschen Terminologie wird dieser Fall als catachrese bezeichnet und ist durch Notwendigkeit motiviert. Vgl. ebd., 8.2.6. 26 Ebd. „Auch der übertragene Gebrauch (die Metapher), in dem ja wohl der wichtigste Schmuck der Rede besteht, macht Worte für Dinge passend, die es eigentlich nicht sind. Deshalb bezieht sich die eigentliche Bedeutung des Ausdrucks nicht auf die Benennung, sondern auf die Kraft zu kennzeichnen, und läßt sich nicht nach dem Klang, sondern nach dem Sinn abwägen.“ (Übersetzung Helmuth Rahn).

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durchaus den Vorwurf der improprietas hervorrufen, weil an dieser Stelle nicht der semantische Gehalt des Wortes, sondern seine situative Bedeutung und Wirkung zur Diskussion stehen.27 Die Instanz, die über die Zuschreibung der proprietas befindet, ist letztlich der Zuhörer. Das verbum proprium umfasst in dieser Definition sowohl die korrekte Bezeichnung, den gewöhnlichen Begriff einer Sache, als auch die vom Begriff abweichende, aber sinn- und kontextgemäß bessere Formulierung.28 Für die Metapher gilt daher: „metaphora enim aut vacantem occupare locum debet aut, si id alienum venit, plus valere eo quod expellet.“29 Dieses Verständnis der Metapher als dem wertvolleren, angemesseneren und wirkungsvolleren Ausdruck reflektiert das Kerninteresse des Rhetors, nachdem das movere/ flectere30 im Kontext einer spezifischen politischen Kommunikationspraxis, in der Wortmächtigkeit im doppelten wörtlichen Sinn zu verstehen ist. Grundsätzlich ist die Macht über Worte durch die Kenntnis ihrer richtigen Anwendung möglich.31 Mittels der Macht über die Worte wird aber direkt auch Macht über die Zuhörer gewonnen. In der institutionalisierten Rhetorik gilt es daher, die persuasiv-funktionalen Effekte der Metapher in ein Gesamtkonzept der wirkungsorientierten ars

27 Typische Beispiele, die auch die Diskussion der Verwendung übertragener Rede im Mittelalter weiter beschäftigen, sind Bezeichnungen für Geschlechtsteile und Exkremente, die nahezu kategorisch als der öffentlichen Rede unangemessen beurteilt werden. Vgl. z. B. Augustinus: De Magistro, 9.26. 28 In der späteren Verwendung der Begriffe eigentliches/uneigentliches Sprechen findet sich das komplexe, rezipientenorientierte Konzept Quintilians kaum wieder. Stattdessen wird die Dichotomie eigentlich/uneigentlich zusammengedacht mit der Substitutions-Idee: Der uneigentliche Ausdruck ersetzt den eigentlichen. Die Zusammenfassung der quintilianschen Konzeption als Substitutionstheorie kritisiert Eggs als „Lausbergsche Reduktion“ (vgl. Ekkehard Eggs: Metapher, S. 1110), wobei jedoch nicht ganz klar wird, ob Eggs sich hier bezüglich der Metapher oder der Tropen insgesamt äußert. Die entscheidenden Implikationen der beiden Lesarten liegen in der Frage, wie sich die Elemente der in den metaphorischen Vorgang involvierten Bedeutungen zueinander verhalten. Mit Eggs sehe ich jedoch eine solche Lesart der quintilianschen Metapherntheorie als reduktionistisch an. Vor allem scheint mir das ‚A statt B‘-Schema, das der Substitution zugrunde liegt, nicht identisch mit der Formel des verkürzten Vergleiches. 29 Quintilian: Institutio Oratoria, 8.6.17. „Denn die Metapher muß entweder einen freien Platz einnehmen, oder wenn sie auf einen Platz kommt, der einem anderen gehört, mehr leisten als das, was sie verdrängen will.“ (Übersetzung Helmuth Rahn). 30 Probare (beweisen/belehren), delectare (unterhalten) und flectere (lenken/beherrschen) formuliert Cicero als Hauptaufgaben des Redners, die sich auch als Kernaufgaben in der Tradition durchsetzen. (Vgl. Gert Ueding/Bernd Steinbrink: Grundriß der Rhetorik, S. 37). 31 Die poststrukturalistische Übermacht der Zeichen und die Unbeherrschbarkeit der Metaphorik sind in diesem Konzept undenkbar. Mit dieser Grundannahme einer grundsätzlichen Instrumentalisierbarkeit und Steuerbarkeit von Sprache steht die Rhetorik dagegen am Anfang einer pragmatischen Perspektive auf die Sprache und die Metapher.

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bene dicendi zu integrieren und ihre potenzielle Komplexität soweit zu regulieren, dass die positiven Effekte gezielt eingesetzt werden können, ohne den Erfolg von Redner und Rede durch die drohenden Fehler aufs Spiel zu setzen.32 Traditionell erfolgt diese Integration durch die rückstandslose Eingliederung der Metapher in ein System von Tropen.33 Quintilian formuliert dies als Schema der Übertragungsbewegungen: 1. belebt für belebt, 2. unbelebt für unbelebt, 3. unbelebt für belegt und 4. belebt für unbelebt.34 Der Terminus Metapher bezeichnet nicht mehr, wie bei Aristoteles, das Prinzip der Übertragung schlechthin; das Prinzip der Analogie-Metapher entfällt gänzlich. Die philosophisch schwierige Frage nach den Verhältnisähnlichkeiten wird eliminiert zugunsten deutlich einfacherer lehr- und memorierbarer Formeln, für deren praktische Umsetzung die oberflächlichste Kenntnis der behandelten Gegenstände genügt.35 An die Stelle der tiefen Einsicht in die ontischen Zusammenhänge und Verhältnisse zwischen den Dingen tritt das Ringen um den wirksamsten Ausdruck in einer gegebenen Situation.36

32 In diesem Interesse stimmt Quintilians Rhetorik grundsätzlich mit der aristotelischen überein. 33 Die Tropen-Listen der verschiedenen Autoren unterscheiden sich dabei von Beginn an z. T. erheblich und schon bei Quintilian lässt sich ein deutlicher Überdruss an der Kategorisierungswut und den damit einhergehenden Diskussionen zwischen Rhetoren, Philosophen und Grammatikern konstatieren: „circa quem inexplicabilis et grammaticis inter ipsos et philosophis pugna est, quae sint genera, quae species, qui numerus, quis cuique subiiciatur.“ (Quintilian: Institutio Oratoria, 8.6.1). Die andauernden Systematisierungsversuche sind als Teil der pädagogischen Aufbereitung rhetorisch-kommunikativer Erfahrungswerte zu verstehen. Die Uneinheitlichkeit und teilweise innere Inkohärenz der Ausführungen ist, wie Quintilians Kommentar zeigt, aus Sicht der praktischen Redner eher ein Scheinproblem. Entscheidend ist, dass die Metapher in die entstehenden tropologischen Systeme integriert und damit als rhetorisches Instrument operationalisiert wird. 34 Vgl. ebd., 8.6.9–10. Auch bei Aristoteles findet sich diese Unterscheidung (vgl. Aristoteles: Rhetorik, 1412 a 32) allerdings erscheint sie eher als eine mögliche Ausformulierung seiner grundlegenderen ersten drei Übertragungsalgorithmen. 35 Diese Klassifikation der Übertragung gibt Aelius Donatus (ca. 320–380) in seiner Ars grammatica (vgl. Ars grammatica Maior, „De tropis“, 1) ebenso wieder wie Isidor von Sevilla (ca. 536–630) in seiner Enzyklopädie Etymologiarum sive Originum (vgl. Etymologiarum sive Originum, XXXVII, 1). Damit hat sich die quintiliansche Definition in zwei der herausragenden Standardwerke des Mittelalters durchgesetzt und wandert darin als vom Kontext einer umfassenden Rhetoriklehre isoliertes Element durch den Lehrbetrieb. 36 Eggs formuliert die zentrale Erkenntnis der lateinischen Rhetoriken als Erkenntnis der Metapher als „semiotisches Problem des Etwas-anderes-Sagen-als-Meinen“. Die Metapher funktioniert mithin in diesem Konzept als Phänomen von Zeichen(-austausch), nicht mehr als genuiner Erkenntnisprozess.

Cicero (107–44 v. Chr.) und Quintilian (35–100 n. Chr.) 

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Sowohl Cicero37 als auch Quintilian sprechen der Metapher in diesem Ringen grundsätzlich drei Funktionen zu: „id facimus, aut quia necesse est aut quia significantius est aut (ut dixi) quia decentius.“38 Die beiden Punkte (1) Verwendung nach Notwendigkeit und (2) zum Schmuck führen die Argumentation fort, die seit Aristoteles immer wieder auf der einen Seite eine selbstverständliche Verwendung von Metaphern in der Alltagssprache aufgrund mangelnder Ausdrücke konstatiert, auf der anderen Seite aber auch die außergewöhnlichen Effekte einer kunstvoll vom Rhetor eingesetzten Metaphorik hervorhebt. Auch der Aspekt der Klarheit findet sich sowohl bei Aristoteles als auch bei Cicero, hier jedoch nicht mehr mit dem Fokus auf der Klarheit einer gewonnenen (wahren) Erkenntnis, sondern mit dem Augenmerk auf einem klaren sinnlichen Eindruck,39 der beim Zuhörer gezielt hervorgerufen werden kann: „nam translatio permovendis animis plerumque et signandis rebus ac sub oculos subiiciendis reperta est: […].“40 Der Zuhörer ist in dieser Darstellung Quintilians der Gelenkte, den der Redner durch den richtigen Einsatz seiner Metapher bestimmten Eindrücken aussetzen kann. Fehler beim Metapherngebrauch resultieren dagegen direkt in Missfallen auf Seiten des Zuhörers – delectare-movere-flectere scheitert schon auf der ersten Stufe. Erfolg oder Misserfolg der Rede werden in der klassischen Rhetorik durch den bereits erwähnten Leitbegriff der Angemessenheit, des aptums, charakterisiert, dem auch die Metapher untergeordnet wird. Die Ratschläge für angemessene Metaphern umfassen die Mäßigung in Anzahl und Qualität: „Ut modicus autem atque opportunus eius usus illustrat orationem, ita frequens et obscurat et taedio complet, continuus vero id allegorias et aenigmata exit.“41 Anstelle des besonders hohen intellektuellen Anspruchs rätselhafter Metaphorik42 stellt Quintilian

37 Vgl. bei Cicero zur Metapher aus Notwendigkeit Marcus T. Cicero: De Oratore - Über den Redner, III, 155; zu den Funktionen der Klarheit ebd., III, 157 sowie zum ästhetischen surplus ebd., III, 159–160. 38 Quintilian: Institutio Oratoria, 8.6.6. „Wir tun dies entweder, weil wir es müssen, oder weil so der Ausdruck bezeichnender oder weil er so, wie schon gesagt, schöner wird.“ (Übersetzung Helmuth Rahn). 39 Klarheit des sinnlichen Eindrucks und Klarheit der Erkenntnis stehen bei Aristoteles keineswegs im Widerspruch, doch die Verengung auf einen Aspekt des sinnlichen Eindrucks und seiner Abkopplung von epistemologischen Fragen charakterisiert den rhetorischen Zugriff auf das charakterisierte Phänomen. 40 Ebd., 8.6.19. „Denn die Metapher ist größtenteils dazu erfunden, auf das Gefühl zu wirken und die Dinge deutlich zu bezeichnen und vor Augen zu stellen; […].“ (Übersetzung Helmuth Rahn). 41 Ebd., 8.6.14. „Wie aber maßvoller und passender Gebrauch der Metapher der Rede Glanz und Helle gibt, so macht ihr häufiger Gebrauch sie dunkel und erfüllt uns mit Überdruß, ihr dauernder Gebrauch aber läuft auf Allegorie und Rätsel hinaus.“ (Übersetzung Helmuth Rahn). 42 Vgl. dazu Aristoteles: Rhetorik, 1412 a 23.

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die Abneigung des Publikums dagegen in den Vordergrund und damit eine in erster Linie emotionale und nicht zwingend intellektuelle Reaktion. Dass der Hörer auf dieser Ebene gerade nicht überfordert werden darf, macht die Warnung vor weit hergeholten Metaphern klar: „sunt et durae, id est a longinqua similitudine ductae.“43 Die als kalkulier- und kontrollierbar angenommene positive Wirkung einzelner Metaphern in der Rede darf in diesem Konzept nicht durch eine übermäßig intellektuelle Herausforderung riskiert werden. Die von Aristoteles postulierte natürliche Freude an der intellektuellen Anstrengung beim Auflösen rätselhafter Metaphorik sieht Quintilian offensichtlich nicht. Freude generiert sich im Gegensatz zu Aristoteles nicht aus dem Erkenntniseffekt, sondern aus der rhetorischen Ästhetik. Eine große Distanz zwischen den in der Metapher vereinten Gegenständen oder Begriffen ist in der quintilianschen Rhetorik nicht mehr wie bei Aristoteles Merkmal des genialen Denkers, sondern des ungeschickten Redners. Dass diese Einschätzung in anderen historischen Perioden mit anderen Idealvorstellungen des Redners keineswegs geteilt wird, zeigt besonders drastisch die Metapherntheorie Emanuele Tesauros.44 Abhilfe gegen diese Bedrohung der kalkulierten Metaphorizität sieht Quintilian bemerkenswerterweise bereits in der Ergänzung des Vergleichswortes ‚wie‘, durch das die Härte der kühnen Metapher reduziert wird.45 Die bei Aristoteles ontologisch begründete Distanz zwischen den Gegenständen der Metapher wird damit in der rhetorischen Konzeption schon durch eine grammatikalische Ergänzung überbrückbar. Diese Definition der Metapher ist ungeachtet aller Kritik46 im Schulbetrieb tradiert worden: „totum autem metaphora brevior est similitudo, eoque distat, quod illa comparatur rei quam volumus exprimere, haec pro ipsa re dicitur.“47 Die Verkürzung wird dabei traditionell in der Streichung des Vergleichswortes ‚wie‘ gesehen.48 Dieser Formalisierungsversuch scheint in erster

43 Quintilian: Institutio Oratoria, 8.6.17. „Es gibt auch noch harte Metaphern, die aus einer zu weitläufigen Ähnlichkeit gewonnen sind, […].“ (Übersetzung Helmuth Rahn) 44 Vgl. Kap. 4.3. 45 Vgl. Marcus T. Cicero: De Oratore - Über den Redner, III, 165–166. 46 Vgl. z. B. Max Black: Metaphor, S. 35–37; aber auch Donald Davidson: What Metaphors Mean, S. 39–40. 47 Quintilian: Institutio Oratoria, 8.6.8. „Im Ganzen aber ist die Metapher ein kürzeres Gleichnis und unterscheidet sich dadurch, daß das Gleichnis einen Vergleich mit dem Sachverhalt bietet, den wir darstellen, während die Metapher für die Sache selbst steht.“ (Übersetzung Helmuth Rahn). 48 Als Beispiel führt Quintilian den Satz „Er ist wie ein Löwe“ (hominem ut leonem) für den Vergleich und „Er ist ein Löwe“ (leo est) als Beispiel der Metapher an. Besonders die in der englischsprachigen Nomenklatur getroffene Unterscheidung zwischen simile (in Abgrenzung zu einer längeren comparison) und metaphor schreibt die quintiliansche Tradition fort.

Cicero (107–44 v. Chr.) und Quintilian (35–100 n. Chr.) 

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Linie dazu zu dienen, ein aus der rhetorischen Praxis evidentes Phänomen unter einem Begriff zu fassen und im Verhältnis zu anderen Begriffen (den anderen Tropen) zu systematisieren und damit handhabbar und in der disziplinär installierten Rhetorik lehrbar zu machen. Diese zunehmend differenzierten Systematiken, die die rhetorische Tradition in verschiedensten Formen hervorgebracht hat und die jeweils unterschiedliche Verortungen der Metapher präsentieren, tragen zwar stets einen historischen Index, können aber nichtsdestotrotz auch davon unabhängig als wertvolles Instrumentarium zur literaturwissenschaftlichen und philologischen Textbeschreibung dienen. In der antiken Tropenlehre entsprichen beispielsweise die Verfahren zur Einordnung des Redestils49 auf Grundlage der Tropendichte im Grundsatz den stilistischen Verfahren der Literaturwissenschaft zur Beschreibung von Textgenres. In Benjamins Möwen ließe sich beispielsweise die Metapher der ‚zeichnenden Pendelwegung des Mastes‘ als besonders anschauliche Form der belebt-unbelebt-Übertragung charakterisieren, die zentral zur Dynamik der Beschreibung beiträgt. Der Erzähler, der sich selbst als ‚Schwelle‘ bezeichnet, setzt dazu den unbeweglichen Kontrapunkt als Übertragung vom Belebten auf das Unbelebte. Das literaturwissenschaftliche Interesse ist hier eher ein formal-deskriptives denn ein hermeneutisches, bieten doch die antiken Rhetoriken in der Regel keine hermeneutischen Verfahrensregeln. Die Leistung von Stilistik50 und der angrenzenden Textlinguistik liegt vielmehr im Vergleich und der Relationierung von Phänomenen sowohl innerhalb eines Textes, wie am Beispiel der Möwen skizziert, als auch zwischen verschiedenen Texten. Erst auf dieser Grundlage können so fundamentale Unterscheidungen wie die zwischen Literatur und nicht-Literatur sinnvoll diskutiert werden, aber auch die detaillierten Fragen wie die nach der Autorschaft eines Textes oder dessen historische Einordnung durch vergleichende Analysen bearbeitet werden. Die Etablierung eines differenzierten, wenn auch keineswegs einheitlichen Instrumentariums zur Beschreibung von Sprachphänomenen kann daher als eine zentrale Leistung der Rhetorik für die Literaturwissenschaft betrachtet werden, auch wenn die Operationalisierung in der Literaturwissenschaft den ursprünglich praktisch-

49 Vgl. für die drei klassischen Stilgattungen hoher, mittlerer und niedriger Stil Heinrich Lausberg: Elemente der literarischen Rhetorik, S. 465–469. 50 Vgl. Elena Semino/Gerard J. Steen: Metaphor in Literature. In: The Cambridge Handbook of Metaphor and Thought. Hrsg. von Raymond W. Gibbs Jr., Cambridge u. a.: Cambridge University Press 2008, S. 232–246 für eine metapherntheoretische Diskussion der Stilistik, allgemein zur Stilistik und Literaturwissenschaft Zofia Bilut-Homplewicz u. a. (Hrsg.): Text und Stil. Frankfurt am Main: Lang 2010, bes. S. 15–38; Ulrike Krieg-Holz/Lars Bülow: Linguistische Stil- und Textanalyse. Eine Einführung. Tübingen: Narr 2016; Hans-Werner Eroms: Stil und Stilistik. Eine Einführung. ESV Basics 2014, bes. S. 216–227.

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kommunikativen Zweck der Rhetorik in der Regel nicht berücksichtigt. Die Metapherndefinition Quintilians erscheint insofern als charakteristisches Element einer Rhetorik-Lehrtradition mit doppelter Funktionalität: Einerseits dient sie der pädagogischen Instruktion und Anleitung für die praktische Rhetorik, andererseits kann sie auch als rein deskriptives Instrument der Textuntersuchung dienen. In der rhetorischen Tradition manifestiert sich die Verknüpfung beider Aspekte in der Tatsache, dass das Studium beispielhafter Autoren und die Analyse ihres Stils durch die Jahrhunderte und die verschiedenen Rhetorik-Traditionen hindurch Teil des pädagogischen Konzeptes zur Vermittlung der Rhetorik war. Dennoch bleibt der Metapher in der Rhetorik das grundsätzlich unkalkulierbare anhaften, das der Deskription fehlt: Trotz aller praecepta und exempla ist ihre Meisterschaft letztlich nur mit Talent zu erreichen, mithin nicht vollständig kalkulierbar.51 Die entscheidende Charakterisierung der Metapher über das Vorhandensein beziehungsweise das Fehlen des Vergleichswortes, das auf den ersten Blick lediglich den Fokus der lateinischen Rhetoriker auf linguistische Detailfragen zu bestätigen scheint, offenbart jedoch auch die profunde Einsicht, die sie im Zuge der rhetorische Praxis in die Hörerpsychologie gewinnen konnten. Die von Quintilian gewonnene Einsicht findet fast zwei Jahrtausende später Berücksichtigung und Bestätigung mit anderen Mitteln im Zuge der kognitiven Linguistik, in der experimentell belegt wurde, dass sich der beschriebene Effekt einer ‚Milderung der zu harten Metapher‘ in Form schnellerer Verarbeitungszeiten empirisch belegen lässt.52 Solche Wiedergeburten von Erkenntnissen über die Metapher, mit grundsätzlich anderen Ausgangsfragen und methodischen Ansätzen, scheinen ein Charakteristikum der metapherntheoretischen Debatte zu sein, das besonders prägnant zutage tritt, wenn sie sich im Zuge einer neuen Konjunktur

51 Für Aristoteles fällt konkret das Finden der Metapher dezidiert in den Bereich der natura, des Talents (vgl. Aristoteles: Poetik (Schmitt), 1459 a 4–8). Cicero und Quintilian diskutieren dagegen als Elemente der natura v. a. physiologische Charakteristika des Redners wie seine Statur und Stimme (vgl. dazu bei Marcus T. Cicero: De Oratore - Über den Redner, I, 113–117 bzw. bei Quintilian: Institutio Oratoria, II, 19.1). Die Irreduzibilität der Metapher als intrinsischem Merkmal der Sprache, so mag man mit poststrukturalistischer Retrospektive mutmaßen, bricht an dieser Stelle durch die natürliche Bruchlinie der römischen Rhetorik-Theorie, die sich – unter Voraussetzung einer vielversprechenden natürlichen Begabung – als Kunst der kontrollierten Rede etabliert. 52 Vgl. dazu Brian F. Bowdle/Dedre Gentner: The Career of Metaphor. In: Psychological Review 112:1 (2005), S. 193–216.

Desiderius Erasmus von Rotterdam (ca. 1466–1536) 

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intensiviert.53 Dass der metapherntheoretische Diskurs innerhalb der Rhetorik jedoch keineswegs kontinuierlich verläuft, sondern im Zusammenhang mit konkreten Anforderungen der, durch soziale Strukturen mitgeprägten, jeweiligen Kommunikationsverfahren und üblichen Kommunikationssituationen erhebliche Veränderungen erfährt, zeigen die rhetorischen Traktate von Erasmus von Rotterdam und Emanuele Tesauro.

4.2 Desiderius Erasmus von Rotterdam (ca. 1466–1536) Nam ut pro gubernatore aurigam, itam pro auriga gubernatorem recte dixeris.54

Desiderius Erasmus von Rotterdam steht für den gebildeten und rhetorisch gewandten Humanisten schlechthin und kann als Prototyp für ein aufkommendes neues Rednerideal im ausgehenden Mittelalter gelten, für den die Metapher ein unerlässliches Instrument zur Erreichung der für den Redner essenziellen copia verborum55 ist. Zentrale Schriften, in denen Erasmus Funktion und Eigenschaften der Metapher aus rhetorischer Perspektive verhandelt, sind De duplici copia verborum ac rerum sowie Parabolae sive simila. Im Spätwerk Ecclesiastis,56 einem Lehrbuch für Prediger, thematisiert er darüber hinaus die hermeneutische Funktion der Metapher. Das letztere fügt sich eher in einen theologischen Diskurs ein, wie er im Rahmen dieser Arbeit in einem gesonderten Abschnitt behandelt wird, und soll an dieser Stelle nicht weiter diskutiert werden.57 Dass Erasmus neben der rheto-

53 Vgl. für zeitgenössische Rhetorik-Programme Jacques Dubois: Allgemeine Rhetorik. München: Fink 1974 sowie Chaim Perelman: Die neue Rhetorik. Stuttgart-Bad Cannstatt: FrommannHolzboog 2004. 54 Vgl. FN 46 in diesem Kapitel. „As you can call a steersman a charioteer, so you can call a charioteer a steersman.“ (Übersetzung Craig R. Thompson). (Da für die hier diskutierten Schriften Erasmus’ teilweise keine deutsche Übersetzung verfügbar war, wird in diesen Fällen hier und im Folgenden die englische Übersetzung zitiert.) An der Metapher des Staatsmannes als Steuermann erklärt Erasmus seine metaphora reciproca. 55 „Fülle der Worte“ (eigene Übersetzung). 56 Eine umfangreiche Analyse der Funktion der Metapher in der allgemeinen Hermeneutik des Erasmus findet sich bei Peter Walter: Theologie aus dem Geist der Rhetorik. Zur Schriftauslegung des Erasmus von Rotterdam. Mainz: Grünewald 1991. Zu Ecclesiastes vgl. hier v. a. S. 226–246. 57 Vgl. zum Verhältnis zwischen Rhetorik und Theologie bei Erasmus ebd., bes. S. 225–250. Walter hat gezeigt, dass sich die im Folgenden erläuterten Einordnungen der Tropen auch in Erasmus’ exegetischen bzw. homiletischen Schriften widerspiegeln, die sich wandelnde Systematik ist damit kein idiosynkratisches Manko der rhetorischen Schriften. Walter gelangt darüber hinaus zu dem für diese Untersuchung interessanten Befund, dass Erasmus im Ecclesiastis die

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rischen auch die hermeneutische Funktion der Metapher reflektiert ist insofern bemerkenswert, als er damit ein Pendant zu Augustinus58 und Philipp Melanchthon59 darstellt, die mit umgekehrter Gewichtung von der rhetorischen Funktion der Metapher ausgehend den Fokus auf ihre hermeneutische Funktion legen. An dieser Stelle gilt das Interesse jedoch zunächst den zwei erwähnten rhetorischen Schriften, die zu den einflussreichsten Lehrbüchern der frühen Neuzeit gehören. Das in ihnen vertretene und von Erasmus selbst verkörperte Bildungsideal prägte die folgenden Jahrhunderte. Obgleich Erasmus hinsichtlich seines Einflusses auf die Rhetorik und ihre Vermittlung sicherlich mit Quintilian verglichen werden kann, spiegelt seine Vita deutlich die stark veränderten Rahmenbedingungen und Anforderungen der rhetorischen Praxis in der Renaissance wider. Während Quintilian immerhin zwanzig Jahre auf einem staatlichen Rhetorik-Lehrstuhl in Rom verbrachte, zeichnet sich Erasmusʼ Vita vor allem durch atemberaubende Reiseund Publikations-Aktivitäten aus, langfristige Positionen als Lehrer oder Beamter sucht man dagegen vergebens.60 Aus rhetorischer Perspektive interessant ist vor allem seine dezidiert anti-ciceronianische Position in der Rhetoriktradition der Renaissance.61 Seine Position kann als historisch ironische Verkehrung der augustinischen verstanden werden: Während jener die Heilige Schrift gegen die stilistischen Vorwürfe der klassisch gebildeten Heiden verteidigte, setzt dieser alles daran, die heidnischen Dichter und Rhetoren als Vorbilder für gepflegte Sprache zu rehabilitieren. Die theoretische Kenntnis rhetorischer Grundterminologie und Theorie der Antike bedarf für Erasmus jedoch der zeitgemäßen Adaption, was sich in der Ablehnung einer Rhetorik-Renaissance in Form der absoluten Nachahmung des ciceronischen Ideals, aber einer nichtsdestoweniger nachdrücklichen Forderung einer Akzeptanz der Rhetorik auch aus christlich-theologischer Perspektive äußert. Die Diskussion zwischen Ciceronianern und Erasmus kann

Allegorie „mit anderen (abusio, allegoria, similitudo, imago, eccictio) als eine Untergruppe innerhalb der Gattung Metapher betrachtet“, eine Gruppierung, wie sie bei Aristoteles rekonstruiert werden kann. Der vermutete breite Metaphernbegriff des Erasmus scheint sich hier zu bestätigen. 58 Vgl. Kap. 5.1. 59 Vgl. Kap. 5.3. 60 Eine Übersicht seines bewegten Lebens findet sich in der ausführlichen Biografie von Robert Stupperich: Erasmus von Rotterdam und seine Welt. Berlin/New York: de Gruyter 1977, S. 187–189. 61 Vgl. dazu und zur Übersicht Peter Mack: A History of Renaissance Rhetoric 1380–1620. Oxford/New York: Oxford University Press 2011. Die wohl umfangreichste Arbeit zu Erasmusʼ Rhetorik- und Grammatik-Verständnis ist Jacques Chomarats zweibändige Dissertation Grammaire et rhétorique chez Érasme. Eine umfassende Analyse von Erasmusʼ Rolle für die Entwicklung des Renaissance-Humanismus mit einer Übersicht über die ältere Forschung bietet Hanan Yoran: Between Utopia and Dystopia. Erasmus, Thomas More, and the Humanist Republic of Letters. Lanham: Lexington 2010.

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als Neuverhandlung disziplinärer Zielsetzungen verstanden werden: Während die ersteren ihre Konzentration auf die Reanimierung und Konservierung eines singulären antiken Vokabulars und Stils verpflichten, sieht Erasmus die Hauptaufgabe der rhetorischen Bemühungen in der Ausbildung einer zeitgemäßen und gepflegten Kommunikationsfähigkeit über mediale Grenzen hinweg.62 Damit liegt er grundsätzlich auf der pragmatischen Linie der antiken Vorbilder, sieht jedoch die Notwendigkeit ihrer Anpassung an die neuen Kommunikationsbedingungen. Neben die öffentliche politische Rede, auf die die Handbücher der klassischen Rhetoren abzielen,63 tritt im Kontext der Frühen Neuzeit verstärkt die schriftliche Kommunikation im privaten, öffentlichen und offiziellen Brief.64 Es scheint vor diesem Hintergrund charakteristisch, dass Erasmus selbst kein klassisches Rhetorik-Handbuch verfasst,65 das die öffentliche Rede umfassend behandelt,66 sondern stattdessen mit De duplici copia verborum ac rerum und De conscribendis epistolis inhaltlich eher komplementäre Handbücher vorlegt, die den Fokus auf das Erlernen reicher Ausdrucksmöglichkeiten,67 die Adaption des sprachlichen Stils an verschiedene kommunikative Situationen und Modi sowie auf die Entwicklung eines variablen, individuellen Stils legen.68 Die klassischen Rhetorik-Bücher werden damit in ihrer Gültigkeit belassen und nicht substituiert,

62 Hier wendet er sich gegen die v. a. in Italien verbreitete Position des Ciceronianismus, vertreten z. B. von Pietro Bembo. (Vgl. Carl J. Classen: Cicero in der Romania. In: Antike Rhetorik im Zeitalter des Humanismus. München/Leipzig: Saur 2003, S. 1–71, hier auf S. 35). 63 Wegen der politischen Relevanz der öffentlichen Rede die antike Rhetorik-Tradition kategorisch auf die Mündlichkeit zu verpflichten, scheint jedoch ein Trugschluss. Von Platon bis Quintilian wird die Bedeutung der Schriftlichkeit für die Vorbereitung der Rede thematisiert. Vgl. ausführlicher zum Spannungsverhältnis zwischen Mündlichkeit und Schriftlichkeit in der historischen Praxis der griechischen und lateinischen Antike Eugen Bader: Rede-Rhetorik, SchreibRhetorik, Konversationsrhetorik. Eine historisch-systematische Analyse. Tübingen: Narr 1994, S. 50–62. 64 Die rasante Entwicklung von frühneuzeitlicher Postinfrastruktur und Briefverkehr hat Wolfgang Behringer eindrucksvoll aufgezeigt. Bemerkenswert scheint besonders, dass sich das neu entstehende kommunikative Netzwerk ungeachtet der gravierenden Effekte von Krieg und Seuchen kontinuierlich entwickelte (vgl. Wolfgang Behringer: ‚Von der Gutenberg-Galaxis zur Taxis-Galaxis‘. Die Kommunikationsrevolution - ein Konzept zum besseren Verständnis der Frühen Neuzeit. In: Kommunikation und Medien in der frühen Neuzeit. Hrsg. von Johannes Burkhardt/ Christine Werkstetter. München: Oldenbourg 2005, S. 39–56, hier auf S. 44). 65 Vgl. Peter Mack: A History of Renaissance Rhetoric 1380–1620, S. 103. 66 Vgl. dagegen Kap. 5.3. zu Philipp Melanchthon. 67 Mack betont, dass Erasmusʼ De copia das erste rhetorische Werk überhaut ist, das sich ausschließlich der Fülle des Ausdrucks widmet. (Vgl. Peter Mack: A History of Renaissance Rhetoric 1380–1620, S. 81). 68 Vgl. ebd., S. 103.

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sondern ergänzt.69 Erasmusʼ beide Texte gelten als erfolgreichste Rhetorik-Schriften der Renaissance70 und beweisen damit den praktischen Bedarf und die Relevanz dieser Ergänzungen der klassischen Lehre.71 Indem er neben die klassische Rhetorik der Antike die Rhetorik des Briefes stellt, ebnet er die sonst medientheoretisch und sprachphilosophisch fundamentale Differenz72 zwischen Mündlichkeit und Schriftlichkeit vor dem Hintergrund eines umfassenden rhetorischpragmatischen Kerninteresses ein. Der rhetorische Diskurs erweist sich an dieser Stelle zwar als sensibel für die spezifischen Bedingungen und Anforderungen, die mündliche und schriftliche Kommunikation mit sich bringen, verbindet jedoch beide Sphären durch ihre Funktionalisierung auf ein kommunikatives Interesse hin. Die steigende Relevanz der Schriftlichkeit, die Erasmus in für seine Zeit ungekannter Weise für sich einzusetzen weiß, verdankt sich dem Buchdruck und manifestiert sich in der Verschiebung des Erfolgsindikators für Rhetorik-Lehrer: Nicht mehr der Lehrstuhl macht den Rhetorik-Meister, sondern die Auflage.

69 Diese Lesart deckt sich mit Hanan Yorans Beschreibung des „civic humanist“ in Abgrenzung zu den ersten Humanistengenerationen Italiens als „critical and creative“ im Umgang mit ihren klassischen Quellen. (Vgl. Hanan Yoran: Between Utopia and Dystopia, S. 22). 70 Dies mag einerseits den auf zeitgemäße Bedürfnisse abgestimmten Inhalten geschuldet sein, doch sicher auch der Tatsache, dass Erasmus „may have been the first northern Humanist to exploit the possibilities of printing to ensure wide circulation of new works and editions“ (Peter Mack: A History of Renaissance Rhetoric 1380–1620, S. 76), und der Tatsache, dass seine Schriften strategisch angelegt waren „to fit in to the grammar-school syllabus“ (ebd., S. 87). 71 Nach Mack sind für De copia 168 Ausgaben zwischen 1512 und 1580 nachgewiesen, für De conscribendis epistolaris insgesamt 90 (vgl. ebd., S. 76). Hinter dem von Behringer beschriebenen Aufbau der Post-Infrastruktur und dem Brief-Boom steht allerdings in erster Linie die Etablierung und Ausbreitung von Kanzleistuben. Die Motivation ist mithin zunächst praktischer ökonomischer Natur. (Vgl. Wolfgang Behringer: ‚Von der Gutenberg-Galaxis zur Taxis-Galaxis‘, S. 41). Die Festlegung kommunikativer Standards der Kanzlei- und Briefkommunikation als Teil der Rhetorik belegt für den deutschsprachigen Raum schon Friedrich Riederers umfangreicher Spiegel der wahren Rhetorik (1493; Erasmus verlässt in diesem Jahr als noch unbekannter Mönch das Kloster), in dem klassische Lehre und zeitgenössische Bedürfnisse in Form eines umfangreichen Abschnitts zum Verfassen von (Kanzlei-)Briefen verbunden werden. (Vgl. hierzu Joachim Knapes Einleitung zu dem von ihm herausgegebenen Spiegel der wahren Rhetorik, bes. S. XIV– XV). Während Riederer in deutscher Sprache vor allem das volkssprachliche Publikum deutscher Kanzleien adressiert, richtet sich Erasmusʼ spätere Brieflehre in Latein an die gesamte europäische Gelehrtenwelt. 72 Besonders Derrida arbeitet sich (im Anschluss an und in kritischer Wende gegen Heidegger) unter dem Schlagwort des Logozentrismus an dieser Differenz ab und versucht die Schriftlichkeit, die Erasmus im rhetorischen Diskurs der Mündlichkeit umstandslos beigesellen kann, im philosophischen Diskurs gegen die Dominanz der Mündlichkeit in Position zu bringen. Vgl. Kap. 6.2., FN 19.

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Neben dieser rhetorik-internen Debatte verteidigt Erasmus die Rhetorik auch gegen grundsätzliche Rhetorik-Skeptiker des logisch-scholastischen Lagers,73 für die eine rhetorische Fülle überflüssig oder gar suspekt ist. Fülle, copia,74 ist jedoch für Erasmus konstitutiv für den guten Stil.75 Die Notwendigkeit eines vielseitigen Ausdrucks ist begründet durch die zentrale Einsicht, dass es keine synonymen Formulierungen gibt,76 eine Auffassung, die in der modernen Linguistik wieder prominent wird. Selbst bei gleichem semantischem Gehalte bringt jede Variation eigene Implikationen mit sich, die sie für bestimmte Kontexte mehr oder weniger geeignet machen. Die Variation des Ausdrucks ist damit keine Arbeit am ornatus, sondern an den Nuancen der kommunikativen Botschaft und damit für deren Erfolg von elementarer Bedeutung. Der scholastische Glaube an die Wirkmacht des streng formallogischen Arguments wird hier durch die wiederbelebte rhetorische Einsicht in die pragmatische Dimension von Sprache abgelöst. Der logische Formalismus der Scholastiker auf der einen Seite und die restriktiv-normative Stilistik der Ciceronianer auf der anderen Seite macht die Insistenz auf Fülle zu einem charakteristischen Punkt von Erasmus’ Rhetorik. Die pragmatischen Aspekte der Kommunikation, die sowohl von einem radikal konservativen Ciceronianismus als auch von einer scholastischen Sprachkonzeption nur unzu-

73 Dabei greift er scharf die Verachtung der gepflegten Sprache und der Literatur an, indem er sich in gleicher Weise gegen Vertreter verschiedener Positionen der Scholastik wie Dun Scotus und Thomas von Aquin, aber auch gegen die Anhänger einer konservativen Rhetorik (Cicerionanismus) wendet. Zeugnisse dieser Position sind Erasmusʼ satirische Polemik in Epistolae Obscurorum Virorum und seine Schrift Antibarbari. Vgl. dazu außerdem Jacques Chromarat: Grammaire et rhétorique chez Érasme. Paris: Le Belles Lettre 1981, S. 15–16 sowie ebd., S. 422 ff. An dieser Frontlinie zeigen sich durchaus Parallelen zur Position Philipp Melanchthons, den er jedoch aus theologischer Perspektive scharf kritisiert. 74 Vgl. für die Begriffsgeschichte von copia Terence Cave: The Cornucopian Text. Problems of Writing in the French Renaissance. Oxford: Clarendon Press 1979, S. 3–34. 75 Mack identifiziert vier Begründungen bei Erasmus: „Excercise in varying phrases will assist pupils to acquire a good style. It will help them avoid repetition. It will enable them to express themselves with a variety which will delight their audience. It will be of great assistance in commenting on authors, translating, and writing poetry.“ (Peter Mack: A History of Renaissance Rhetoric 1380–1620, S. 80). Bemerkenswert scheint das fehlende flectere, nur das Wohlgefallen der Zuhörer wird aus der alten Trias aufgegriffen. Dagegen scheint der Verweis auf Kommentar- und Übersetzungstätigkeit das Selbstbewusstsein des Humanisten zu spiegeln, für den Gelehrsamkeit und entsprechende Tätigkeiten einen Wert an sich darstellen, der keiner weiteren Legitimation bedarf. 76 Vgl. Desiderius Erasmus: De duplici copia verborum ac rerum. Hrsg. von Betty I. Knott. Amsterdam u. a.: North-Holland 1988, § CXXVI, 40–52.

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reichend berücksichtigt werden,77 versucht Erasmus wieder in ihr Recht zu setzen und ihnen in ihrer kommunikativ-sozialen Funktion gerecht zu werden.78 Der variierende kommunikative Kontext und die diversen Relationen zwischen den Kommunikationspartnern gewinnen zentrale Relevanz für die Wahl der Worte.79 Neben der internen Neubeschreibung rhetorischer Kernziele verhandelt Erasmus damit (erneut) auch ihr Verhältnis zur Theologie.80 Das Verfügen über eine Fülle von Worten und ihre gekonnte Variation stehen in Erasmusʼ Schriften für eine zentrale kommunikative Grundkompetenz des gebildeten Menschen und stellen das zentrale Ziel der Rhetorik dar.81 Die rhetorische Bildung ist damit auch bei Erasmus als ganzheitliches Bildungsprojekt angelegt, auch wenn dies unter gänzlich anderen Bedingungen erfolgt als noch bei Quintilian. Mit dem gedruckten Buch als neuem Medium beschleunigt sich die Zirkulation von Wissensbeständen und der Zugang wird durch die steigende Bedeutung von persönlicher Lektüre und Studium individualisierbar. Die mit dem

77 Vgl. die konzise Zusammenfassung der Kernpunkte scholastischer Sprachkonzeption in Hanan Yoran: Between Utopia and Dystopia, S. 25–26 sowie für die Zusammenfassung der humanistischen Gegenposition, ebd., S. 26–30. 78 Yoran beschreibt dies als fundamentalen Bestandteil des humanistischen Projekts; Erasmus stellt darin einen zentralen Vertreter mit rhetorischem Schwerpunkt dar (vgl. ebd., S. 28). 79 Vgl. hierzu v. a. Desiderius Erasmus: De conscribendis epistolis. Hrsg. von Jean-Claude Margolin 1971, S. 209–215. Im hier zitierten ersten Abschnitt der Schrift „Quis epistolae character“ wendet sich Erasmus gegen einen schulmeisterlichen Formalismus, der die Länge des Genres Brief kategorisch auf zwölf Zeilen festlegen will und argumentiert stattdessen mit der Metapher des Schuhs, der für den jeweiligen Fuß des Trägers angepasst sein muss, für formale Freiheiten der Sprache bei strikter Respektierung der kommunikativen Bedingungen und Ziele sowie des guten Stils. 80 Vgl. dazu u. a. Brian Vickers: The Recovery of Rhetoric. Petrarca, Erasmus, Perelman. In: History of the Human Science 3:3 (1990), S. 415–441, vor allem S. 426 f. Außerdem Hanan Yoran: Between Utopia and Dystopia, S. 31. 81 Bildung und Eloquenz werden damit zur Grundlage politischen Engagements und sozialen Aufstiegs. Der gelehrte, eloquente Humanist schließt so an das ciceronianische Ideal des perfectus orator an, und zwar sowohl hinsichtlich der intellektuellen Anforderung, seiner Ziele als auch hinsichtlich seiner Idealisierung. Yoran unterstreicht jedoch eine gewisse Indifferenz humanistischer Gelehrter hinsichtlich verschiedener Herrschaftssysteme. Für eine detaillierte Diskussion des Verhältnisses von Humanisten und politischer Macht und Herrschaft vgl. ebd., S. 35 sowie S. 38–41. Auch wenn sich in Erasmusʼ Verständnis bspw. über die Sprachkenntnisse eher ein Bildungsadel herausschält, als dass man von einer echten ‚Demokratisierung‘ von Bildung sprechen kann, so entwickelt sie sich nichtsdestotrotz zunehmend zu einem Faktor sozialer Differenzierung gegenüber einer auf Erbrecht basierenden Aristokratie. Auf der anderen Seite steht die Ausbildung eines ebenso elitären und exklusiven ‚Bildungs-Adels‘, wie er als Hintergrund für Emanuele Tesauros Rhetorik- und Metaphernkonzeption angenommen werden kann. Vgl. zu Tesauro Kap. 4.3.

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Buchdruck ebenfalls einhergehende Möglichkeit der weitreichenden Standardisierung, als deren Manifestation das Projekt der Ciceronianer betrachtet werden kann, unterläuft Erasmus durch die Vermeidung eines dogmatischen Kanons und mit dem Plädoyer für individuelle und ausschweifende Lektüre.82 Für die Erzeugung von Fülle betrachtet Erasmus denn auch die Verschriftlichung des rhetorischen Wissens im Sammeln von Ausdrücken, das Anlegen eines persönlichen Fundus an Formulierungen, auf den im Zweifel zurückgegriffen werden kann, als unerlässlich. Anders als Quintilian scheint er mithin nicht davon auszugehen, dass sich mit einmal ausgeprägter Redegewalt ein Automatismus einstelle, in dem die Worte automatisch der Sache folgten wie Schatten dem Körper, und es keiner Suche nach Worten mehr bedürfe. Das Verfahren des Erasmus scheint dagegen das eines beständigen Sammelns und Suchens zu sein. Seine Lehrbücher sind entsprechend in erster Linie umfassende Sammlungen instruktiver aber auch verfüg- und einsetzbarer Beispiele. In diesen Sammlungen manifestiert sich jedoch nicht nur eine spezifische rhetorische Praxis, sondern es manifestiert sich auch eine neue Organisationsform von Wissen in der Struktur von Topoi, die dem scholastischen Mittelalter fremd war. Erasmusʼ Lehrbücher markieren damit sowohl eine rhetorische als auch eine epistemologische Wende.83 In De duplici copia verborum ac rerum und Parabolae sive simila behandelt er auch die Metapher als Instrument für die Fülle des Ausdrucks. Vor dem Hintergrund des zentralen Stellenwerts, den Erasmus einem vielfältigen und abwechslungsreichen Stil beimisst, wird die Metapher geradezu zum Allzweckmittel für die Variation des Ausdrucks angesichts verschiedener Zielsetzungen: Ceterorum ornamentorum singular suam quondam ad peculiarem aferunt gratiam, et comodiatem oration, metafora sola cumulatius praesta uniuersa, quam exornationis reliquae singule. Delectare vis? nulla plus habet festiuitatis. Docere studes? non alia probat, vel efficatius, vel apertius. Flectere paras? nulla plus addit acrimoniae. Studes copiae? nusquam supellex locupletior. Placet Laconismus? nulla plus cogitationi reliquit. Sublimitatem affectas? haec quiduis quantomutis attollit. Est quod velis extenuare? nulla magis dejicit. Εναργειαν captas ac lucem? nulla melius rem ob oculis ponet. […]. Tolle metaphorae supellectilem ex orationibus, ieiuna erunt omnia. Tolle parabolas e propheticis et evangelicis literis, magniam gratiae partem detraxeris.84

82 Als Vorbilder zitiert Erasmus neben Augustinus und Hieronimus auch die heidnischen Autoren von Platon über Cicero bis Plinius. Vgl. Desiderius Erasmus: De conscribendis epistolis, S. 211. 83 Vgl. Wilhelm Schmidt-Biggemann: Topica universalis. Eine Modellgeschichte humanistischer und barocker Wissenschaft. Hamburg: Meiner 1983, S. 16–18. 84 Desiderius Erasmus: Opus epistolarum Des. Erasmi Roterodami. Vol. 2: 1514–1517. Hrsg. von Percy Stafford Allen. Oxford: Oxford University Press 1910, S. 34. „Of the other ornaments of style each makes its own particular contribution to its charm and flexibility, metaphor taken alone

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Die vielfältigen Effekte, die Erasmus der Metapher zuschreibt, lassen bereits einen ebenso breiten Metaphernbegriff erahnen. Gleichzeitig findet sich in dieser Passage kondensiert ein ganzes Spektrum gegensätzlicher theoretischer Zuschreibungen zur Metapher, die einzeln auch bei anderen Autoren wiederkehren, ohne das die scheinbare Widersprüchlichkeit der Zuschreibungen untereinander an dieser Stelle problematisch wäre. Die funktionale Flexibilität der Metapher in der Rhetorik ist stattdessen ihre große Qualität. Deren Fülle wird damit erst in der individuellen, angemessenen Handhabung zur Qualität. Die Metapher wird mit dieser Zielsetzung als ein Verfahren zur Variation des Ausdrucks definiert. Mit Blick auf den Status der copia als Indiz für den idealen humanistischen Gelehrten, Redner und Autor kommt der Metapher damit wiederum eine zentrale Funktion zu. Dieses Verständnis in den frühen Schriften De Copia und Parabolae entspricht der breiten rhetorischen Metapherndefinition, wie sie bei Aristoteles angelegt ist.85 Mit der Konkretisierung von propria durch genuina wird hier der quintilianschen Unklarheit zwischen angemessen und übertragen abgeholfen. Auf systematischer Ebene der Tropologie zeigt sich Erasmus zwar nicht konsistent, schafft aber eine Legitimation über die Berufung auf die Tradition.86 Dies kann mit Blick auf die schon bei Quintilian zum Ausdruck gebrachte Enervierung des praktizierenden Redners ob der Querelen der theoretisierenden Systematiker jedoch als Charakteristikum des auf die Praxis abzielenden Rhetors betrachtet werden. Die Systematisierung der Tropen ist wohl bis zu einem bestimmten Grad begründet und von propädeutischem Wert, jedoch ist sie keineswegs Interessensgegenstand als solcher, sondern nur die Vorarbeit, aus der eine echte Beherrschung der copia verborum hervorgeht. Erasmus übernimmt Quintilians Über-

adds everything in fuller measure, while all the other kinds of ornament add only one thing each. Do you wish to entertain? Nothing adds more sparkle. Are you concerned to convey information? Nothing else makes your point so clear. Do you intend to persuade? Nothing gives you greater penetration. Have you a mind to expatiate? Nowhere is plenty readier at hand. Or to be brief? Nothing leaves more to the understanding. Have you a fancy to be grand? Metaphor can exalt anything, and to any height you please. Is there something you want to play down? Nothing is more effective for bringing things down to earth. Would you be vivid and picturesque? Metaphor brings it before ones eyes better than anything else. […] Deprive the orators of their arsenal of metaphor, and all will be thin and dull. Take metaphor and parable, parabolê, from the Prophets and the Gospels and you will find that a great part of their charms is gone.“ (Übersetzung Craig R. Thompson). 85 Vgl. Aristoteles: Poetik (Schmitt), 1457 b 10. Auf diese Definition verweist Aristoteles auch in: Rhetorik, 1405 a 5. 86 Vgl. Peter Walter: Theologie aus dem Geist der Rhetorik, S. 225–250 (vgl. FN 4 in diesem Kapitel).

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tragung „ab irrationali ad rationale“,87 die Übertragungen „ab animali ad non animal, aut contra“,88 „ab animali ad animal“89 sowie „ab inanimato ad animatum“.90 Mit Verweis auf Cicero91 beschreibt er anschließend das Vergleichsprinzip der Metapher.92 Nicht auf die beiden Klassiker rückführbar scheinen dagegen die beiden Kategorien der deflexione und der metaphora reciproca. Die deflexione93 wird bestimmt als: „Primum deflexione quoties vox è propinque ad rem proximam deflectitur, vt video pro intelligo  […].“94 Das hier beschriebene Prinzip der Übertragung nach Nähe scheint zunächst dem Übertragungsmodell zu entsprechen, das in späteren Tropenlehren der Metonymie zugeschrieben wird.95 Die Beispiele, wie ‚Sehen für Verstehen‘, würden jedoch auch unter heutigen Gesichtspunkten als typische Metaphernbeispiele gelten, die dem Grundsatz „quod est corporis, ad animum transferuntur“96 entsprechen. In der Sprache der kognitiven Theorien finden sich ähnliche Aussagen im Grundsatz der Übertragung konkreter (physischer) Konzepte auf abstrakte Konzepte wieder.97 Damit

87 Desiderius Erasmus: De duplici copia verborum ac rerum, § CXVI. „from irrational to rational“ (Übersetzung Craig R. Thompson). Quintilian führt dies als Unterart der Übertragung vom Lebenden zum Lebenden, also rationale Lebewesen zu irrationalen und vice versa. 88 Ebd. „from an animal to an inanimate and vice versa“ (Übersetzung Craig R. Thompson). 89 Ebd. „from one animale to another“ (Übersetzung Craig R. Thompson). 90 Ebd. „from inanimate to inanimate“ (Übersetzung Craig R. Thompson). Hiermit vervollständigt Erasmus seine Aufzählung der quintilianschen Kategorien. 91 Erasmus verweist hier zwar konkret auf das dritte Buch von Ciceros De oratore, die angegebene Definition ähnelt jedoch deutlich stärker der Quintilians in Institutio Oratoria, 8.6.8. Bei Cicero findet sich dagegen die Formulierung: „Similitudinis est ad verbum unum contracta brevitas, quod verbum in alieno loco tamquam in suo positum si agnoscitur, delectat, si simile nihil habet, repudiatur; sed ea transferri oportet, quae aut clariorem faciunt rem.“ (Marcus T. Cicero: De Oratore - Über den Redner, III, 157). 92 „In universum omnis metaphora est brevis similitudo.“ (Desiderius Erasmus: De duplici copia verborum ac rerum, § CXVI). 93 Vgl. ebd. 94 Ebd. „First of all deflection; when a word is deflected to some closely related concept, like ‘see’ for ‘understand’ […]“ (Übersetzung Craig R. Thompson). 95 Vgl. Heinrich Lausberg: Elemente der literarischen Rhetorik, S. 216 ff. 96 Desiderius Erasmus: De duplici copia verborum ac rerum, § CXVI. „a word is transferred from the physical to the mental sphere“ (Übersetzung Craig R. Thompson). Erasmus vermerkt, dass dies die häufigste Art der Metapher sei, was sowohl mit dem Vicoschen als auch mit Lakoffs Metaphernkonzept kongruent ist. 97 Vgl. dazu v. a. die frühe Metapherntheorie von George Lakoff und Mark Johnson, die bis zur aktuell von George Lakoff vertretenen Conceptual Metaphor Theory jedoch verschiedene Revisionen erfahren hat. Für einen Überblick über die Differenzen vgl. Zoltán Kövecses: Recent Developments in Metaphor Theory, bes. S. 13–16.

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scheint Erasmus eine wichtige Funktion der Übertragung wieder unter den Begriff Metapher zu ordnen, die nicht von Quintilians Kategorien abgedeckt ist. Die metaphora reciproca98 beschreibt Erasmus wie folgt: „Quaedam translationes reciproca sunt sive communes, quas Graecis vocant ἁκολούθαι. Nam ut pro gubernatore aurigam, itam pro auriga gubernatorem recte dixeris.“99 Mit dieser Unterscheidung von einseitigen und beidseitigen Metaphern100 geht Erasmus in seiner systematischen Beobachtung und Beschreibung der Metapher einen deutlichen Schritt über die bis hierher zitierte Tradition hinaus, die die Übertragungsbewegungen der Metapher bislang nicht auf Reversibilität befragt hatte.101 Mit Blick auf sein erklärtes Ziel, der copia, lässt sich die Hervorhebung des reziproken Charakters bestimmter Metaphern als Zeichen einer gewissen Ökonomie verstehen, die aus jeder intellektuellen Operation maximales Wortkapital zu schlagen versucht. Jede einmal geglückte Übertragung ist auf die Möglichkeit ihrer Inversion und damit ihrer doppelten Verwertbarkeit in verschiedenen Zusammenhängen zu prüfen. Strukturell entspricht das von Erasmus hier entfaltete Prinzip dem aristotelischen Argumentations-Grundsatz, jedes Argument in beide Richtungen zu prüfen und zu entfalten. Die logische Struktur des Arguments findet so also eine verbale Entsprechung in der Rhetorik. Auch hier jedoch zeigt sich wiederum der grundlegende Unterschied zwischen Logik und Rhetorik: Während Aristotelesʼ Aussage Gültigkeit für alle Argumente beansprucht, geht Erasmus davon aus, dass die Reziprozität nur für manche Metaphern gilt. Neben der reinen Fülle des Ausdrucks kann die Metapher in Erasmusʼ Verständnis außerdem dazu dienen, die Rede gezielt kompliziert zu gestalten. Hier zeigt sich der elitäre Charakter von Erasmusʼ Rhetorik- und Metaphernkonzep-

98 Reziproke Metapher. Desiderius Erasmus: De duplici copia verborum ac rerum, § CVII. 99 Ebd., § CXVI. „Some metaphors are reciprocal or common, and these the Greeks call ἁκολούθαι [consequent]. As you can call a steersman a charioteer, so you can call a charioteer a steersman.“ (Übersetzung Craig R. Thompson). 100 Eine ähnliche Diskussion findet sich in der kognitiven Theoriebildung unter dem Schlagwort Unidirektionalitäts-These wieder. Vgl. dazu George Lakoff/Mark Johnson: Metaphors We Live By, S. 105 u. 109; George Lakoff/Mark Turner: More than Cool Reason. A Field Guide to Poetic Metaphor. Chicago/London: University of Chicago Press 1989, S. 132; George Lakoff: The Contemporary Theory of Metaphor. In: Metaphor and Thought. Hrsg. von Andrew Ortony. 2. Aufl. Cambridge u. a.: Cambridge University Press 1993, S. 202–251, hier auf S. 245; außerdem Olaf Jäkel: Is Metaphor Really a One-way Street? One of the Basic Tenets of the Cognitive Theory of Metaphor Put to the Test. In: Issues in Cognitive Linguistics. 1993 Proceedings of the International Cognitive Linguistics Conference. Hrsg. von Leon George de Stadler/Christoph Eyrich. Berlin/New York: de Gruyter 1999, S. 367–388. 101 Hinweise darauf finden sich in Cassiodors Psalmexegese, doch sind diese nicht systematisch formuliert.

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tion, die in klarem Widerspruch zur einhelligen obscuritas-Warnung in den klassischen Rhetoriken steht:102 „Neque [td?] erit viciosum si doctis vel loquaris vel scribas. Imo ne tum quidem si vulgo. Neque enim ita scribendum, ut omnis omnia intellegant, sed ut quaedam etiam investigare ac discere cogantur.“103 Die Zurschaustellung der eigenen Gelehrsamkeit durch einen komplexen Ausdruck ist in Erasmusʼ Rhetorik auch intrinsisches Eigeninteresse des Rhetors und Autors. Die Metapher, der seit ihrer aristotelischen Konzeption immer wieder sowohl das Potenzial zur claritas als auch zur obscuritas zugeschrieben wird, ist damit für Erasmus in beiden Funktionen interessant. Das grundsätzliche claritas-Gebot wird mit einem von Aristoteles104 und Augustinus her bekannten Argument aufgehoben: Was unter Mühe gefunden wurde, wird umso freudiger begrüßt.105 Was sich bei Augustinus jedoch ausschließlich auf die Heilige Schrift bezieht, nimmt Erasmus hier für sein eigenes Reden und Schreiben in Anspruch und überschreitet damit die von Augustinus aus theologischer Sicht gezogene Grenze für die Metaphernverwendung – auch hier zeigt sich Erasmusʼ kreativer Umgang mit seinen Referenzautoritäten, aber auch die Flexibilität, die Variabilität, mit der rhetorische Prinzipien, den pragmatischen Anforderungen entsprechend, an die kommunikativen Rahmenbedingungen angepasst werden. Die Metapher als zentrales Instrument zur Entwicklung rhetorischer Fülle und die Rechtfertigung damit einhergehender Verständnisschwierigkeiten können als Kernpunkte von Erasmusʼ Metaphernkonzept zusammengefasst werden, die sowohl die produktive Aneignung klassischer Rhetoriken durch den Humanisten widerspiegeln als auch die elitäre Tendenz dieser Bildungselite, die sich, wie das Beispiel des Emanuele Tesauro im Folgenden zeigt, radikal zuspitzt.106

102 Vgl. hierzu z. B. bei Quintilian: Institutio Oratoria, 8.6.8.14: „Vt modicus autem atque opportunus eius usus illustrat orationem, ita frequens et obscurat et taedio complet, continuus vero id allegorias et aenigmata exit.“ 103 Desiderius Erasmus: De duplici copia verborum ac rerum, CXVII. „This is no bad thing if you are speaking or writing for an educated audience, and not even if you are writing for the general public, for one should not write so that everyone can understand everything, but so that people should be compelled to investigate and learn some things themselves.“ (Übersetzung Craig R. Thompson). 104 Aristoteles führt die Freude am Lösen von Rätseln, die in seinem Konzept als eine Häufung von Metaphern beschrieben werden, auf diese intellektuelle Anstrengung und die Befriedigung durch die Einsicht zurück (vgl. Kap. 2.). 105 Vgl. entsprechend bei Augustinus: Die christliche Bildung (De doctrina christiana). Hrsg. von Karla Pollmann. Stuttgart: Reclam 2002, II, VI.8.12. 106 Zu diesem Zug der ciceronischen Rhetorik-Lehre vergleiche Peter Prestel: Die Rezeption der ciceronischen Rhetorik durch Augustinus in «de doctrina Christiana». Frankfurt am Main u. a.: Lang 1992, S. 213 ff.

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4.3 Emanuele Tesauro (1592–1675) Peroche se per gioco viene alcun percosso così di furto, che non conosca la mano: ò se col sottrarre altrui destramente lo scanno di sotto, il fai senza suo danno improuidamente cader riuerso; ognuno ne ride, e gode; […].107

Die humanistische copia als Qualitätsmerkmal der Rede findet sich in potenzierter und kondensierter Form in den rhetorischen Idealen des Manierismus und späteren Barock wieder, die auf die Überwältigung des Hörers durch Überfülle zielen und dabei Irritation, Verwirrung und Täuschung nicht nur billigend in Kauf nehmen, sondern geradezu anstreben.108 Im Cannocchiale aristotelico109 von Emanuele Tesauro wird die Metapher dabei zur Chiffre einer ästhetizistischen Rhetorik, die (gewaltsame) Vereinigung des Widersprüchlichen durch den genialen Geist des Individuums zu ihrem künstlerischen Grundprinzip.110 Tesauro führt für den wirkungsvollsten Einsatz der Metaphern folgerichtig auch andere Maßgaben ein, als die Autoren, auf die er sich beruft.111 Die Mäßigung der Metapher, die Aristoteles empfiehlt und die sich durch die klassische Tradition zieht, lehnt Tesauro explizit ab:112

107 „Denn wenn jemand von einem spielerischen Raub erschüttert wird, dass er die Hand nicht erkennt; oder wenn jemand einen anderen durch geschicktes Entziehen des Stuhls unter dem Hintern hervor diesen ohne Schaden überraschend nach hinten fallen lässt; lacht jeder und jeder genießt;  […].“ (Emanuele Tesauro: Il Cannocchiale aristotelico. Hrsg. von August Buck. Bad Homburg u. a.: Gehlen 1968, S. 460. Eigene Übersetzung). Bei Tesauro umfasst das Feld der ingeniösen Metapher sogar Streiche, wie im Fall der decettione. 108 Vgl. dazu bspw. Rüdiger Zymner: Manierismus und Metapher. In: Epoche und Metapher. Systematik und Geschichte kultureller Bildlichkeit. Hrsg. von Benjamin Specht. Berlin/Boston: de Gruyter 2014, S. 145–157, hier auf S. 146–147. 109 Il Cannocchiale aristotelico findet sich öfter auch den Poetiken zugeordnet (vgl. z. B. August Bucks Einleitung seiner Ausgabe des Cannocchiale). Meines Erachtens greift die Perspektivierung des Werkes über die Literatur im heutigen, engeren Sinne jedoch zu kurz. Sowohl der Bildungshintergrund des Verfassers als auch seine zentralen Bezugsautoren führen zurück auf die klassische Rhetorik und die Allgemeingültigkeit, die er für das leitende Konzept der argutezza (wörtl. Geist, Scharfsinn, Witz) als Grundlage aller Kulturprodukte beansprucht, lassen es sinnvoll erscheinen, die rhetorischen Traditionslinien in seiner Schrift nachzuverfolgen. 110 Vgl. Stefan Willer: Metapher/metaphorisch, S. 98–99. 111 In allererster Linie Aristoteles, gelegentlich auch Cicero und Quintilian. 112 Eine gewisse Berücksichtigung findet das aptum, das gewöhnlich als Regulativ gegen ausufernde Metaphorik angeführt wird, mit Blick auf die Konstruktion der konkreten Metaphern für spezifische Fälle: „Peroche quante son le differenze de’ Suggetti; tanti sono i Decori fra lor differenti; che richiedono differenti Metafore.“ (Emanuele Tesauro: Il Cannocchiale aristotelico, S. 270). Metaphorik als Prinzip ist vor dem Hintergrund dieser Argumentation also universal erlaubt und wünschenswert, muss in der konkreten Ausformung aber dem Gegenstand angepasst

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Ne ti sgomenti punto il rigor delle quattro leggi, che l’Autor nostro prefigge alla Metafora: cioè, ch’ella non sia Impropria, ne Ridicola, ne Rigonfia, ne Lontana, quasi e’ voglia tarpare i vanni all’Ingegno, & conchiuderlo nelle stinche di quelle limitationi.113

Von den zwei widerstreitenden Qualitäten der Metapher, Rätselhaftigkeit und Anschaulichkeit, die seit Aristoteles in den Theorien gegeneinander ausgespielt werden, ist in Tesauros rhetorischem Programm einzig erstere von Relevanz. Damit stellt sein Ansatz den rhetorischen Gegenentwurf zu Quintilian dar. Der (politische) Orator, den Quintilian auf allgemein verständliche Metaphern festschreibt, agiert zu Tesauros Zeiten jedoch unter gänzlich anderen Rahmenbedingungen und entsprechend veränderten Zielsetzungen. Der poetische Redner, für den Tesauro schreibt, bewegt sich in der höfischen Gesellschaft, die vom Ideal des Cortegiano114 und dessen zentralen Qualitäten  – ingegno, accutezza und sprezzatura115 geprägt ist. Das Cannocchiale Tesauros präsentiert praecepta und exempla zum möglichst vollständigen Erreichen dieser Qualitäten. Die scheinbare Paradoxie dieses Programmes liegt in der Tatsache, dass, wie die sprezzatura die der Cortegiano lehrt, auch der ingegno um jeden Preis wie eine natürliche Begabung erscheinen muss. Studium, Training und jeden Hauch von Gesuchtheit gilt

werden. Doch sprach er an dieser Stelle über die Metaphern des Redners, nicht des Poeten oder irgendeines anderen genialen Komponisten. 113 Ebd., S. 273–274. „Fürchte nicht die vier Gesetzmäßigkeiten, die unser Autor für die Metapher aufsetzt: dass sie also nicht unangemessen sei, nicht lächerlich, nicht aufgeblasen und nicht zu weithergeholt. Das ist als wolle man dem Geist die Flügel stutzen um ihn in den Kerker dieser Begrenzungen zu sperren.“ (Eigene Übersetzung). 114 Prinzipien und Praktiken der Selbstinszenierung finden ihre für die Renaissance und bis ins 18. Jahrhundert paradigmatische Formulierung in Baldassare Castigliones Il Libro del Cortegiano. Das darin beschriebene Modell des idealen Höflings stellt den Grundsatz der sprezzatura, die als Maßgabe für jede öffentliche Äußerung oder Tätigkeit eine Einheit aus Vollendung und Mühelosigkeit vorschreibt, ins Zentrum. Die in den letzten Jahrzehnten wohl prominenteste Arbeit zur Selbstinszenierung in der Frühen Neuzeit ist wohl Steven Greenblatts Renaissance SelfFashioning, das Simulation und Täuschung als zentrale Elemente der zeitgenössischen Kulturpraktiken identifiziert. 115 Das Prinzip der sprezzatura, gelegentlich als Nonchalance oder „artful art of artlessness“ paraphrasiert, ist in Tesauros Schrift dergestalt verankert, dass er von den vorgeführten Kenntnissen als einer Art Geheimwissen redet. An die Stelle des auf Verbreitung setzenden Lehrbuchs, mit dem auch die Zurschaustellung von (mühsamem) Studium einhergeht, und das die Quelle von grundlegenden Kenntnissen potenziell für andere transparent außerhalb des Redners verortet, tritt hier eine Art geheimes Training, dessen Anstrengung jedoch um jeden Preis zu verbergen ist, um den Eindruck einer natürlichen Ingeniosität nicht zu gefährden. (Vgl. für eine kurze Zusammenfassung von Il Cortegiano sowie eine ausführliche Analyse des darin entwickelten sprezzatura-Konzeptes Eugen Bader: Rede-Rhetorik, Schreib-Rhetorik, Konversationsrhetorik, S. 117–132).

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es noch in den gekünsteltsten und affektiertesten Wendungen zu leugnen und zu verbergen. Das Studium der Rhetorik, bei Quintilian noch im Rahmen einer öffentlichen Einrichtung verankert, bei Erasmus schon eher Privatsache des belesenen Gelehrten, wird bei Tesauro geradezu zur verborgenen Aneignung von Geheimwissen. Für Tesauro kommt es mit Baldassare Castiglione darauf an, die zweite Natur als die eigentliche Natürlichkeit zu inszenieren. Die Konzeption des Höflings als Schauspieler, wie in Il Cortegiano entworfen, scheint sich in Tesauros barockem Kontext nun konsequent zum teatrum mundi gesteigert zu haben,116 in dem der höfische Redner in erster Linie sich selbst spielt. Der Metapher kommt in diesem Spiel eine herausragende Funktion zu, ist sie doch selbst ein „pien teatro di meraviglie“.117 Sie avanciert zur höchsten Form der Selbstinszenierung, die wiederum in bisher ungeahntem Umfang für den Metaphernproduzenten relevant wird, der sich selbst als genial kreativen Geist in Szene setzen möchte. Er steht im Zentrum eines elitären Kreises, der seine Produkte goutiert118  – je fantastischer, desto besser: „Similmente, più ingegnosa & acuta è la Metafora, quando le notioni son tanto Lontane, che fia mestieri di scendere molti gradi in vn’attamo, per arriuaruici.“119 Tesauro führt für die wirkungsvollste Instrumentalisierung der Metaphern folgerichtig auch andere Maßgaben ein, als die Autoren, auf die er sich beruft.120

116 August Buck kommentiert dazu in seiner Einleitung zum Cannocchiale: „Wenn also der Dichter mit Hilfe der Metapher perspektivische Durchblicke auf die Wirklichkeit geben soll, rückt ihn Tesauro damit nicht nur in die Nähe des barocken Malers, der sich der Illusionsperspektive bediente, sondern deutet zugleich an, daß jede Kunst eine Illusion der Wirklichkeit vermittelt, d. h. in ihrem Wesen theatralisch ist.“ (Emanuele Tesauro: Il Cannocchiale aristotelico, S. XX). 117 Ebd., S. 267, „ein Theater voll des Staunens“ (eigene Übersetzung). 118 Vgl. Yves Hersant: „Ce jeu élitiste, conçu dans un milieu d’aristocrates mais ouvert au « populaire », Tesauro l’a pratiqué en grand virtuose ; et s’il n’en est pas l’inventeur, il en a fixé les règles formellles. Il s’y intéresse dès 1630 : à la grande époque du conceptisme, tandis que fleurit le style pointu, et peu après la mort de Marino, dont enchantaient les métaphores et l‘asianisme rhétorique « fine » (dont l’original semble perdu) et un petit livre sur les devises (tardivement redecouvert).“ (Yves Hersant: La métaphore baroque. D’Aristote à Tesauro. Extraits du Cannocchiale aristotelico et autres textes. Paris: Seuil 2001, S. 11). 119 Emanuele Tesauro: Il Cannocchiale aristotelico, S. 270: „Genauso ist die Metapher genialer und scharfsinniger, wenn die Begriffe weit voneinander entfernt sind, denn so wird es notwendig sein, viele Grade in einem Moment hinabzusteigen, um dort anzukommen.“ (Eigene Übersetzung). 120 Hier v. a. Aristoteles, außerdem Cicero und Quintilian.

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Quinci ell’è di tutte l’altre la più Pellegrina, per la nouità dell’ingegnoso accoppiamento: senza laqual nouità, l’ingegno perde la sua gloria. […] Et di quì nasce la Marauiglia: mentreche l’animo dell’vditore, dalla nouità soprafatto; considera l’acutezza dell’ingegno rappresentante; & la inaspettata imagine dell’obietto rappresentato.121

Entscheidende erste Effekte der genialen Metapher sind Überraschung und Staunen; die Neuheit der Metapher wird damit zum ausschlaggebenden Charakteristikum ihres Erfolges und „dalla marauiglia nasce il diletto“.122 Überwältigtes Staunen des Publikums ist das zentrale Ziel dieser Metaphorik; Verständlichkeit der Metapher im Sinne einer nachfolgenden Einsicht oder Erkenntnis spielt scheinbar eher eine Nebenrolle.123 Statt philosophisch oder religiös fundierter Wahrheiten rückt die potenziell trügerische Erscheinung an den Ausgangspunkt einer hoch stilisierten Metaphorik. Die sinnlich wahrnehmbare Erscheinung, die sonst unter dem Verdacht der Täuschung stehend für die Ontologie unbrauchbar schien, ist das unsichere Fundament, auf dem Tesauro seine Metapherntheorie entwickelt:124 E ancora, la forma ‘cornuta’ della Luna non appartiene alla sua essenza, ma è risultato della percezione e di fattori accidentali legati allo spazio e ai moti celesti. La figura è dunque apparato necessario all’ente, ma non è necessario il modo con cui si realizza, vale a dire il suo fenomeno. È proprio su questo fenomeno, sul ‘ciò che appare’ che Tesauro punta per costruire figure vaghe e piacevoli, ma lega questa ‘apparenza’, il ‘ciò che si mostra’, a cate-

121 Ebd., S. 266: „Sie ist also von allen die sonderbarste wegen der Neuheit der geistreichen Verbindung; ohne diese Neuheit verliert der Geist seinen Glanz. […] Und von hier wird das Staunen geboren, während die Seele des Zuhörers, von der Neuheit überwältigt, die Scharfsinnigkeit des präsentierenden Geistes und das unerwartete Bild des präsentierten Objektes betrachtet.“ (Eigene Übersetzung). 122 Ebd., „aus dem Staunen wird der Genuss geboren“ (eigene Übersetzung). 123 Den epistemologischen Zusammenhang zwischen Staunen, Überwältigung und Neugier erarbeitet Matuscheck in seiner Ideengeschichte des Staunens. Zwischen Platon und Aristoteles identifiziert er einen epistemologischen Bruch, der den ersteren als einen Vertreter eines Konzeptes der Überwältigung der Metapher grundsätzlich skeptisch gegenüberstehen lässt, während der andere eine Epistemologie des Staunens und der folgenden Neugier für eine metaphernfreundliche Theorie fruchtbar macht. (Vgl. Stefan Matuschek: Über das Staunen. Eine ideengeschichtliche Analyse. Tübingen: Niemeyer 1991, S. 8–22). Tesauro wäre hier zwischen Aristoteles und Platon zu verorten, da er zwar die Überwältigung als essenzielles Moment betrachtet, aus ihr jedoch erkenntnistheoretisch fruchtbares Staunen ableitet und aus dem Erlebnis der Überwältigung und der Täuschung selbst noch Erkenntnisgewinn generiert. 124 Monica Bisi unterstreicht in diesem Zusammenhang die Bedeutung aufkommender empiristischer Tendenzen, wie sie bspw. den Arbeiten von Tesauros Zeitgenossen Galileo Galilei zugrunde liegen. Vgl. Monica Bisi: Il velo di Alcesti. Metafora, dissmulazione e verità nell‘opera di Emanuele Tesauro. Pisa: ETS 2011, S. 27.

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gorie che nell’ambito filosofico-scientifico a lui contemporaneo erano strettamente legate alla conoscenza: questo confermerebbe un significativo legame tra metafora e conoscenza, un tipo di conoscenza diverso da quello di matrice platonica e aristotelica e molto vicino alla sensibilità secentesca. Conoscenza di fenomini, dunque, e non di essenze.125

Das Spannungsfeld zwischen dinglicher Erscheinung und Wahrnehmung auf der einen und Wissen um deren potenzielle Scheinbarkeit auf der anderen Seite ist es, aus dem heraus der menschliche Geist in Tesauros Metapherntheorie wirksam wird. Die Erscheinung wird über die Vermittlung der Sinne wahrgenommen und bildet den Ausgangspunkt aller möglichen Erkenntnis. Zur Beschreibung des Erkenntnisprozesses greift Tesauro auf die klassischen Termini126 fantasia127 und intelletto zurück,128 zu denen sich bei ihm aber noch der ingegno129 gesellt, der

125 Ebd., S. 24. „Noch einmal: die Sichelform des Mondes gehört nicht zu seiner Essenz, sondern ist das Ergebnis der Wahrnehmung, sowie akzidentieller Faktoren verbunden mit dem himmlischen Raum und seinen Bewegungen. Die Figur ist damit ein notwendiger Aspekt des Seienden, aber nicht die konkrete Art und Weise in der es sich realisiert, d. h. seine Erscheinung. Es ist genau diese Erscheinung, dieses das ‚was erscheint‘, auf die Tesauro bei der Bildung vager und angenehmer Figuren setzt, aber er verbindet diese ‚Erscheinung‘, das ‚was sich zeigt‘ mit philosophisch-wissenschaftlichen Kategorien seiner Zeit, die eng mit der Erkenntnis verknüpft sind: so würde eine wichtige Verbindung zwischen Metapher und Erkenntnis bestätigt werden, eine Art von Erkenntnis, die sich von den Schablonen-Formen Platos und Aristotelsʼ unterscheidet und der Sensibilität des 16. Jahrhunderts sehr nahe steht. Eine Erkenntnis der Phänomene also, nicht der Essenzen.“ (Eigene Übersetzung). 126 In Anlehnung an die aristotelische Unterscheidung der Seelenvermögen. Vgl. hierzu Aristoteles, De Anima, v. a. Buch III, 2–3. Vgl. für eine Übersicht zur Strukturierung der aristotelischen Seelenvermögen Aristoteles: Aristoteles’ “Über die Seele”. Ein systematischer Kommentar. Hrsg. von Andree Hahmann. Stuttgart: Reclam 2016, S. 83–87. 127 Bisi kommentiert hier in meinen Augen richtig, dass Tesauros fantasia sich durch ein aktives Potenzial von der rezeptiv konzipierten fantasia des Aristoteles unterscheidet. Vgl. zum perzeptiven Charakter der aristotelischen fantasia Gerard Watson: Phantasia in Classical Thought. Galway: Galway University Press 1988, S. 14–28. 128 „Intelletto e ingegno sono entrambi abili nel penetrare le cose e riconoscere somiglianze fra loro, ma, mentra l’intelletto è più acuto osservatore e indagatore dei principi primi, l’ingegno non sa vedere così in profondità: esso preferisce stabilire – creare, appunto – legami fra le qualità sensibili delle cose.“ (Monica Bisi: Il velo di Alcesti, S. 33). 129 Yves Hersant definiert den Ausdruck ingegno im Kontext von Tesauros Schriften als „une force à la fois naturelle et inventive. D’une parte une puissance créatrice à l’oeuvre dans toute la nature, des plus basses formes de vie jusqu’ à Dieu, d’autre par tune activité intellectuelle intérieure (in), indifferente selon chaque genus.“ (Vgl. Yves Hersant: La métaphore baroque, S. 18). Die Rolle des ingegno im Ensemble der Erkenntniskräfte scheint jedoch nicht eindeutig: Tesauro bezeichnet sie zwar als „vna marauigliosa forza dell’Intelletto“ (Emanuele Tesauro: Il Cannocchiale aristotelico, S. 82), August Buck beschreibt sie dagegen als „über dem ‚intelletto‛ stehende Fähigkeit der Phantasie, die Welt in einer subjektiven Vision zu erfassen. Tesauro iden-

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im Gegensatz zum intelletto weniger der analytischen Erkenntnis, sondern vielmehr der kreativen Verbindung der Sinneseindrücke dient und damit die zentrale Instanz bei der Schöpfung von Metaphern ist: „Onde conchiude il nostro Autore, che il fabricar Metafore sia fatica di vn perspicace & agilissimo ingegno.“130 Die Spannung, in der sich Tesauros barockes Modell der Metapher zu ontologischen und ethischen Grundannahmen früherer Autoren befindet, tritt am deutlichsten zu Tage, wenn es um die Wirkung der Metaphern des letzten Typus, der decettione131 geht: Egli è dunque vna segreta & innata delitia dell’Intelletto humano, l’auuedersi di essere stato scherzeuolmente ingannato: peroche quel trapasso dall inganno al disinganno, è vna maniera d’imparamento, per via non aspettata; & perciò piaceuolissima.132

Die bewusste, aber spielerische Täuschung durch die Metapher, deren Auflösung zur Erkenntnis führt, kann als das epistemologische Programm Tesauros umrissen werden. Der trügerische Charakter der Metapher, der oft genug argumentativ gegen sie verwendet wird, wird damit bei Tesauro zum zentralen Qualitätsmerkmal:

tifiziert diese Fähigkeit mit dem platonischen Furor. […] Zweifellos schreibt er dem ‚ingegno‘ eine schöpferische Kraft zu, die in Analogie zur göttlichen ‚creatio ex nihilo‘ definiert wird als die Fähigkeit aus etwas Nicht-Seienden (‚non ente‘) etwas Seiendes (‚ente‘) zu machen, z. B aus einem Löwen einen Menschen.“ (Ebd., S. XVII–XVIII). Monica Bisi interpretiert Tesauros Architektur des geistigen Vermögens gänzlich anders: „Sensi, fantasia, intelletto: queste le facoltà che, nell’ordine, operano all’edificazione del sapere. Grazie alla sua sinergia con i sensi e con la fantasia, l’intelletto può procedere in modo induttivo, oltre che deduttivo; a causa della stretta parentela tra fantasia e ingegno, però, il medesimo intelletto si trova a convivere con la possibilità di un ‘percorso alternativo’ che conduce alla conoscenza, quello innescato dall’intervento dell’ingegno sulle immagini vive prodotte dalla fantasia. La metafora sembra essere il risultato migliore di questo ‘percorso alternativo’, all’interno del quale l’ingegno si sforza di legare insieme grazie alla fantasia, le nozioni più distanti che riceve dalle immagini delle qualità sensibile e di formare di lì concetti nuovi.“ (Monica Bisi: Il velo di Alcesti, S. 29). Der ingegno wird bei Bisi damit zu einer alternativen Interpretation neben der des intelletto, ohne diesem grundsätzlich über- oder untergeordnet zu sein. 130 Emanuele Tesauro: Il Cannocchiale aristotelico, S. 266. „Damit schließt unser Autor, dass das Schaffen von Metaphern das mühevolle Geschäft eines höchst klarsichtigen und beweglichen Geistes sei.“ (Eigene Übersetzung). 131 Decettione: Täuschung. 132 Ebd., S. 460. „Es ist also eine heimliche und angeborene Freude des menschlichen Intellekts, sich scherzhaft betrogen zu finden, denn dieser Schritt von der Täuschung zur Erkenntnis ist ein Lernen über einen nicht erwarteten Weg und daher höchst erfreulich.“ (Eigene Übersetzung).

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L’vltima & principalissima differenza è nella FORMA ESSENTIALE della Vrbanità. Peroche, sebene ogni Cauillatione Vrbana sia vna fallacia; non perciò qualunque fallacia sarà Cauallatione Vrbana: ma quella solamente, che senza dolo malo, scherzeuolmente imita la verità, ma non l’opprime: & imita la falsità in guisa, che il vero vi traspaia come per vn velo: accioche da quel che si dice, velocemente tu intendi quel che si tace: & in quell’imparamento veloce (come dimostrammo) è posta la vera essenza della Metafora. […] Et questa è la CAVILLATIONE VRBANA, che tu cercaui. Per contro la Cauillation Dialettica, vuol che tu intendi le sue proposte com’elle suonano. Et come quella sotto imagine di falso t’insegna il vero: questa sotto apparenza di vero, sfrontatamente t’insegna il falso.133

Die Metapher vermittelt also, in Tesauros Argumentation, gezielt das Wahre unter dem Deckmantel des Falschen und unterscheidet sich darin grundlegend von reinen dialektischen Trugschlüssen, die unter dem Deckmantel einer Wahrheit proklamierenden logischen Form Falsches vermitteln. Den entscheidenden Aspekt der Täuschung und deren Entdeckung sieht Tesauro in der grundsätzlichen Erkenntnisbewegung dieses Prozesses: In dem Moment, in dem der Hörer seine eigene Täuschung durch die Metapher erkennt, wenn er also der grundsätzlichen Möglichkeit der Täuschung durch die Erscheinung – das vor-AugenGeführte  – gewahr wird, liegt darin die Chance, auch zu einer philosophisch profunden Erkenntnis zu gelangen, die hinter dem Schleiertanz der Erscheinung aufblinkt.134 Das argomento metaphorico wird unter diesen Prämissen zu einem legitimen Erkenntnisinstrument mit besonderer Leistungsfähigkeit, denn, so argumentiert Tesauro im Anschluss an Aristoteles: Che se il diletto recatoci dalle Retoriche Figure; procede (come ci’nsegna il nostro Autore) da quella cupidità delle menti humane, d’imparar cose nuoue senza fatica; & molte cose in piccol volume: certamente più diletteuole di tutte l’altre Ingegnose Figure sarà la Metafora;

133 Ebd., S. 494–495. „Der letzte und wesentlichste Unterschied liegt in der grundlegenden Form der Urbanität: Denn wenn auch wohl jede Urbanität ein Fehlschluss sein mag, so ist doch noch nicht jeder Fehlschluss eine Urbanität, sondern bloß die, die ohne argen Betrug, scherzhaft die Wahrheit nachahmt, aber sie nicht unterdrückt; und die Falschheit in einer Weise nachahmt, durch die die Wahrheit wie durch einen Schleier hindurchscheint; auf dass du aus dem was man sagt, schnell das verstehst, von dem man schweigt: Und in diesem schnellen Verstehen liegt (wie wir zeigten) die wahre Essenz der Metapher. Und dies ist die spitzfindige Urbanität, die du suchtest. Die dialektische Spitzfindigkeit dagegen will, dass du ihre Aussagen verstehst, so wie sie scheinen. Und wie jene unter falschen Bildern das wahre lehrt, lehrt dich diese dagegen unter der Erscheinung des Wahren das Falsche.“ (Eigene Übersetzung). 134 Vgl. umfassender über die Täuschung als zentrales Element der barocken Kunst und Kultur Achille Bonito Oliva: Die Ideologie des Verräters. Manieristische Kunst - Kunst des Manierismus. Köln: DuMont 2000, S. 58–76. Dies ist der entscheidende argumentative Schritt, über den Tesauro auch aus der Überwältigung und dem Trug noch Erkenntnis generiert.

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che portando à volo la nostra mente da vn genere all’altro; ci fà trauedere in vna sola parola più di vn’obietto.135

Der Zusammenhang zwischen Enthymem und Metapher, der bei Aristoteles eher implizit vorhanden scheint, wird von Tesauro expliziert: Raccogliendo adunque le quattro circonstanze che ti hò discorse; conchiudo l’ENTIMEMA VRBANO, essere vna Cauillatione Ingegnosa, in Materia ciuile: scherzeuolmente persuasiua: senza intera forma di Sillogismo: fondata sopra vna Metafora. Et questa è quella Perfettissima Argutezza, di cui discorriamo in questo luogo.136

Damit siedelt Tesauro die Metapher im Gegensatz zu vielen antiken Quellen nicht bei den Wortfiguren an, sondern bei den Gedankenfiguren.137 Die formale sprachliche Form wird damit zu einem Nebenaspekt der Metaphernbildung, der die entscheidende Aktivität auf konzeptueller Ebene vorangeht: Et per consequente ell’è frà le Figure la più Acuta: peroche l’altre, quasi grammaticalmente si formano & si fermano nella superfice del Vocabulo; ma questa riflessiuamente penetra & inuestiga le più astruse notioni per accoppiarle; & doue quelle vestono i Concetti di parole: questa veste le parole medesime di Concetti.138

135 Emanuele Tesauro: Il Cannocchiale aristotelico, S. 267. „Wenn das durch die rhetorischen Figuren hervorgerufene Vergnügen hervorgeht (wie wir von unserem Autor lernen) aus der Gier des menschlichen Geistes, Neues ohne Mühe und viele Dinge durch geringe Mittel zu lernen; so ist mit Sicherheit die Metapher die vergnüglichste der geistreichen Figuren, die unsere Gedanken im Flug von einer Art zur nächsten trägt; die mit einem Wort mehr als ein Objekt aufscheinen lässt.“ (Eigene Übersetzung). 136 Vgl. ebd., S. 495. „Nehmen wir nun die vier Bedingungen zusammen, die ich dir beschrieben habe, so schließe ich damit: Das urbane Enthymem sei eine geistreiche Spitzfindigkeit zu einem höfischen Gegenstand; scherzhaft überzeugend; ohne vollständige Form des Syllogismus, sondern auf einer Metapher basierend. Und das ist diese perfekteste Scharfsinnigkeit, von der ich hier schreibe.“ (Eigene Übersetzung). 137 Vgl. Yves Hersant: La métaphore baroque, S. 18. Tesauro selbst definiert die gelungene Metapher wie folgt: „Talche la Metafora meritevole si può chiamare Vrbanità ingegnosa: Concetto della Mente: Arguto acume: & Lume dell’Oratione.“ (Emanuele Tesauro: Il Cannocchiale aristotelico, S. 302). 138 Ebd., S. 266. „Und in der Konsequenz ist sie [die Metapher] unter den Figuren die scharfsinnigste; denn die anderen formen sich gleichsam grammatikalisch an der Oberfläche der Worte und verharren dort; aber diese durchdringt und erforscht die verworrensten Begriffe und verbindet sie; und wo jene die Konzepte in Worte kleiden, bekleidet diese die Worte mit Konzepten.“ (Eigene Übersetzung).

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Während die übrigen Figuren von einer Vorgängigkeit der concetti139 ausgehen und diese in sprachliche Formen kleiden, geht die Metapher den umgekehrten Weg und bekleidet die Worte mit concetti.140 Diese Sonderfunktion der Metapher stellt eine außergewöhnliche Abweichung von dem Verhältnis von res und verba dar, das Quintilian noch mit dem Verhältnis zwischen Körper und Schatten verglich. Die concetti scheinen in Tesauros Modell eine Mittelstellung zwischen der Welt und den Wortzeichen einzunehmen und den eigentlichen kreativen Raum der Metapher darzustellen. Sie können hier als manipulier- und kreativ einsetzbare Bedeutungskonfigurationen verstanden werden und weisen damit eine bemerkenswerte Ähnlichkeit zu den namensgleichen concepts der Conceptual Metaphor Theory141 auf. Diese Verortung der Metapher auf konzeptueller Ebene lässt Tesauro den Begriff des Metaphorischen dann auch deutlich ausdehnen: Nicht nur Worte und die Rede können metaphorisch sein, sondern das Metaphorische ist die Grundlage jeder (künstlerischen) Repräsentation.142 Damit scheint sich schon bei Tesauro eine grundlegende Überzeugung in nuce zu finden, die in Friedrich Nietzsches und Paul Ricoeurs Theorien der Metapher eine zentrale Funktion einnehmen wird. Die Fähigkeit zur Metaphernbildung ist die elementare Grundlage jeder schöpferisch-produktiven Tätigkeit des Menschen. Während bei Nietzsche vor allem die Metaphorik der Wahrnehmungsprozesse die unausweichliche Grundlage für die Schaffung der Begriffswelt beziehungsweise ihrem Gegenstück, den künstlerischen Metaphern, darstellt, ist bei Ricoeur besonders die konzeptionelle Perspektivverschiebung bei der Erfassung der Welt Grundlage und Effekt der poetischen Metapher.143

139 „[C]oncetto: Idee, Konzept, Einfall; Pl. concetti: Sammelbegriff für semantische Figuren und übergreifende Gestaltungsweisen, deren gemeinsame Funktion es ist, den Rezipienten zu verblüffen.“ (Burdorf, Dieter/Fasbender, Christoph/Moennighoff, Burkhard (Hrsg.): Metzler Lexikon Literatur. Begriffe und Definitionen. 3. Aufl. Stuttgart/Weimar: Metzler 2007., S. 132–133); Hersant kommentiert außerdem dazu: „Le mot italien, comme son équivalent espagnol, désigne aussi bien le « concept poétique » que le « concept philosophique » : aussi bien, diraient les Anglais, le conceit que le concept. En français, le traducteur est condamné à l’embarras : car contrairement à la tradition italienne, qui pendant des siècles a évité des dissocier philosophie et rhétorique, la nôtre fait du « concept » un act du seul intellect. D’où l’impossibilité, dans la plupart des cas, de traduire per « concept » le concetto tésaurien ; loin de se réduire à une opération abstraite de l’ententdement, il est sensibile et imagé, ludique et para-logique.” (Yves Hersant: La métaphore baroque, S. 178). 140 Vgl. zu diesem Sonderstatus der Metapher bei Tesauro auch Stefan Willer: Metapher/metaphorisch, S. 99. 141 Vgl. Kap. 9.1. 142 Vgl. Yves Hersant: La métaphore baroque, S. 17. 143 Vgl. Kap. 8.1. zu Friedrich Nietzsche und Kap. 8.3. zu Paul Ricoeur.

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Im klaren Unterschied zu ‚unserem Autor‛, wie Tesauro Aristoteles bezeichnet, betrachtet er jedoch die potenzielle obscuritas der metaphorischen Repräsentation nicht als problematisch und tröstet den Leser prophylaktisch, dass das daraus resultierende Unverständnis durch eingehende Analyse der betreffenden Äußerung aufzulösen sei: Che sebene alcuna Metafora non ti è perauentura facile di primo incontro à penetrare, come gli Enimmi, e i Laconismi. Nondimeno, poi la penetrasti; tu vedi quel concetto assai più chiaro, & l’hai più fitto nella mente; che se stato ti fosse recitato con parole communi.144

Mit dem Versprechen, dass auf die tiefste Dunkelheit des Ausdrucks ein umso helleres Licht der Erkenntnis folgt, legitimiert Tesauro auch die in seiner Metaphernkonzeption angelegte kalkulierte Täuschung: L’VLTIMA dunque delle Figure Ingeniose dicemmo essere la DECETTIONE, ò sia l’INASPETTATO: […] Di questa natura son tutti gli Scherzi giocosi; & le burle innocentemente noceuoli, che nelle conuersationi ciuili, si van per gabbo facendo l’vno all’altro alla sproueduta. Peroche se per gioco viene alcun percosso così di furto, che non conosca la mano: ò se col sottrarre altrui destramente lo scanno di sotto, il fai senza suo danno improuidamente cader riuerso; ognun ne ride, e gode: percioche ad vn tempo si conosce l’ingegno dell’ingannatore: & l’ingannato ride di se medesimo; ilqual credendosi sedere, si trova in terra; imparando à starsi più attento & auueduto. Questi scherzi adunque, doue non passino da’ limiti della ciuiltà, à quegli della villania con alcun atto noceuole ò noieuole al compagno: […].145

144 Emanuele Tesauro: Il Cannocchiale aristotelico, S. 302. „Gleichwohl mag dir manche Metapher auf den ersten Blick schwer zu durchdringen scheinen, wie die Rätsel und die Lakonismen. Nichtsdestotrotz, wenn du sie durchdrungen hast, erscheint dir dieses Konzept umso klarer und du hast es in größerer Fülle in Gedanken, als wenn man es dir nur mit einfachen Worten gesagt hätte.“ (Eigene Übersetzung). 145 Ebd., S. 460–461. „Die letzte nun der geistreichen Figuren nannten wir die Täuschung oder das Unerwartete.  […] Von dieser Natur sind alle spielerischen Scherze und jeder unschuldig schädliche Schabernack, die man in den höflichen Konversationen im Spott unerwartet austauscht. Denn wenn jemand von einem spielerischen Raub erschüttert wird, dass er die Hand nicht erkennt; oder wenn jemand einen anderen durch geschicktes Entziehen des Stuhls unter dem Hintern hervor diesen ohne Schaden überraschend nach hinten fallen lässt; lacht jeder und jeder genießt; denn in diesem Moment erkennt man den Geist des Betrügers: und der Betrogene lacht über sich selbst, denn dieser im Glauben sich zu setzen findet sich auf der Erde und lernt dabei achtsamer und umsichtiger zu sein. Diese Scherze nun, wo sie nicht die Grenzen des Anstands überschreiten zu den Grobheiten mit schädlichen oder störenden Akten gegen den Gefährten: […].“ (Eigene Übersetzung).

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Indem er verschiedenste Formen der Täuschung aber auch durchaus derbe Späße zu dieser Gruppe zählt, macht Tesauro deutlich, wie weit er sich trotz aller Verweise auf Aristoteles und Cicero von einer Rhetoriktradition entfernt. Tesauro selbst sieht zwar die Grenzen des Scherzes in einer Art common sense des guten Geschmacks und der guten Sitten sowie in der nicht böswilligen Intention ihres Urhebers, doch scheint dies im Vergleich zu den strikten Anforderungen an den Idealredner als vir bonus dicendi peritus146 einen deutlich weiteren Spielraum bis hin zur schlichten Schadenfreude zu lassen. Die Metapher wird bei Tesauro zum zentralen Kernelement verschiedener Formen der Illusion und Täuschung, diese jedoch erfahren durch die veränderten erkenntnistheoretischen und poetologischen Vorzeichen eine neue, positive Bewertung. Zur systematischen Entwicklung kontrolliert irreführender Metaphern schlägt Tesauro acht Übertragungsmuster beziehungsweise acht Metaphernarten vor: „di somiglianza“, „di attribuzione“, „di equivoco“, „di hipotiposi“, „di laconismo“, „di opposizione“ und die bereits besprochene decettione. Diese fallen in zwei Klassen;147 bei der Darstellung ihrer Unterformen folgt Tesauro einem Schema, das er aus den Kategorien des Aristoteles herleitet. In der gut hundert Seiten umfassenden hochschematischen Anleitung zur Metaphernbildung offenbart sich deutlich das Paradox der sprezzatura, die eine hochgradige Künstlichkeit hinter dem Schein von Natürlichkeit verbirgt. Der erste Metapherntyp, mit dem Zusatz di somiglianza oder di proporzione, steht den traditionellen Definitionen offensichtlich am nächsten: Incominciamo adunque dalla METAFORA DI PROPORTIONE; dico, questa essere vna VOCE INGENIOSA CHE TI FA VELOCEMENTE CONOSCERE VN’OBIETTO, PER VIA DEL SVO SIMILE. Peroche se due cose simili, necessariamente conuengono in qualche terza cosa commune: […] Se dunque ogni simile, necessariamente è simile per qualche Cosa: & tutte le cose si comprendono sotto le dieci Categoríe, delle quali ti ragionai: discorri il tuo INDICE delle CATEGORIE: & quante son queste; altretante Specie Infime ritrouerai delle Metafore. Percioche altre cose saran simile per ragion della SOSTANZA: altre per la QVANTITA: altre per la QVALITA: altre per alcuna RELATIONE: ò per l’ATTIONE: ò per la PASSIONE: ò per il SITO: ò per il TEMPO: ò per il LVUOGO e MOVIMENTO: ò per il PORTAMENTO.148

146 Vgl. zum vir bonus dicendi peritus im Verhältnis zum perfectus orator Carl J. Classen: Ciceros orator perfectus. 147 Vgl. hierzu Tesauros grafische Darstellung, Emanuele Tesauro: Il Cannocchiale aristotelico, S. 304. 148 Ebd., S. 306. „Beginnen wir also mit der Metapher der Proportion; ich sage, dies ist ein genialer Ausdruck, der dich schnell ein Objekt über ein Ähnliches erkennen lässt. Denn zwei ähnliche Dinge treffen notwendigerweise beide in einer gemeinsamen dritten Sache zusammen […]. Wenn also jede Gleichheit notwendigerweise aufgrund einer Sache gleich ist: und alle Sachen

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Auf das formal relevante Verhältnis von Metapher und Vergleich geht er im Zusammenhang mit der metafora di proportione ein und folgt hier Aristoteles dahingehend, dass er den Unterschied für unerheblich erachtet: Man kann vom einen zum anderen gelangen und vice versa.149 Ebenfalls aristotelischen Ursprungs scheint die Nähe von Metapher und Allegorie: Erst in der Allegorie finden die einfachen Metaphern, die Tesauro mit ihren acht Arten vorstellt, ihre ganze Entfaltung und Vollendung.150 Die zweite Metaphernart, die metafora di attributione, folgt dem Kontinuitätsprinzip, das in der traditionellen Klassifikation unter dem Begriff Metonymie gefasst wird:151 „IL SECONDO GENERE adunque delle Metafore, è la METAFORA DI ATTRIBVTIONE: laqual traporta il Vocabulo, non da Simile à Simile, ma da qualche cosa congiunta.“152 Das als dritte Metaphernart präsentierte equivoco wird üblicherweise ebenfalls gesondert aufgeführt und fällt meist nicht einmal in den Bereich der Tropen: Vengo io dunque al Terzo GENERE; cioè, all’EQVIVOCO: ingeniosissimo comento dell’humano intelletto: onde si deriua la maggior parte delle acutezze, auuiuatrici vgualmente delle Frasi, & de’ Concetti Poetici od Oratorij: & de’ Motti arguti e faceti.153

Die vierte Metaphernart greift das seit Aristoteles wiederholte Motiv des vorAugen-Stellens auf und erklärt es zu einem eigenen metaphorischen Prinzip:

in den zehn Kategorien enthalten sind, von denen ich dir schon sprach: überschaue deine Liste der Kategorien: und wie viele sie sind; so viele Unterarten der Metapher wirst du finden. Denn manche Dinge sind ähnlich aufgrund der Substanz, andere aufgrund der Menge, andere aufgrund der Qualität, andere aufgrund einer Relation, oder wegen einer Aktion, oder wegen der Passion, oder wegen des Zustands, oder wegen der Zeit, oder wegen des Ortes und Bewegung, oder wegen ihres an sich Habens.“ (Eigene Übersetzung). 149 Vgl. ebd., S. 404. 150 Vgl. ebd., S. 495. 151 Vgl. Heinrich Lausberg: Elemente der literarischen Rhetorik, S. 206–217. Mit dieser Einordnung unter den Terminus der Metapher greift Tesauro augenscheinlich den weiten Metaphernbegriff des Aristoteles auf, der, wie Ekkehard Eggs zeigt, eben die Metonymie einschließt. (Vgl. Ekkehard Eggs: Metapher, S. 1104). 152 Emanuele Tesauro: Il Cannocchiale aristotelico, S. 342. „Die zweite Art der Metapher nun ist die Metapher der Attribution: Diese trägt das Wort nicht vom Gleichen zum Gleichen, sondern zu einer verbundenen Sache.“ (Eigene Übersetzung). 153 Ebd., S. 365. „Ich komme nun zur dritten Art, und zwar zur Äquivokation; geistreichster Kommentar des menschlichen Verstandes, von dort stammen der größte Teil der Scharfsinnigkeiten, belebend gleichermaßen Sätze, poetische Konzepte oder Reden: und scharfsinnige und witzige Motti.“ (Eigene Übersetzung).

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Hora io vengo alla HIPOTIPOSI, qual dicemmo essere il Quarto Genere delle Figure Ingeniose. Questa è quella, che pon sotto gli occhi con viuezza ogni Vocabulo: & consequentemente, ogni Continuata Oratione, ogni Motto, ogni Concetto, ogni Simbolo, ogni Pittura; & qualunque faceto ò tragico ritrouamento: siche possian chiamarla Spirito, Vita & Mouimento delle Figure Ingeniose; […].154

Unter hipotiposi155 fasst Tesauro allerdings auch nicht-sprachliche Phänomene und erweitert damit den Funktionsbereich der Metaphorik mindestens auch auf die bildende Kunst.156 Auch die Hyperbole157 wird von Tesauro entgegen tradierter Tropus-Lehre nicht als eigener Tropus der Übertreibung geführt, sondern als eine Art der Metapher: DALLA Hipotipósi passo alla HIPERBOLE, quinto Genere delle Metafore: dintorno alquale soperchio è horamai consumare inchiostro, potendone tu da ciascuna Categoría fabricare infinite, così per ingrandire, come per impiccolire il tuo concetto, sicome già dimostrai: […].158

Mit dem laconismo159 führt Tesauro eine weitere Form als Spezies der Metapher ein, die gewöhnlich nicht in den Bereich der Tropen oder Figuren fällt, sondern eher als Bezeichnung für einen besonders knappen Stil geführt wird: „VENGO al LACONISMO, Sesta Scaturigine delle Metafore: laqual, come parla il nostro Autore; consiste nel farti’ntendere più ch’ella non dice.“160 Entscheidend für den metaphorischen Wert des laconismo scheint im Sinne Tesauros das Spannungs-

154 Ebd., S. 396. „Jetzt komme ich zur Hipotypose, die wir die vierte Art der geistreichen Figuren nennen wollen. Es ist jene, die jedes Wort lebhaft vor Augen stellt; und damit jede zusammenhängende Rede, jedes Motto, jedes Konzept, jedes Symbol, jedes Bild und jede witzige oder tragische Erfindung; sodass wir sie nennen mögen Geist, Leben und Bewegung der geistreichen Figuren; […].“ (Eigene Übersetzung). 155 Vgl. hierzu auch evidentia in Heinrich Lausberg: Elemente der literarischen Rhetorik, 369. 156 Yves Hersant geht so weit, zu schließen: „Consequence: discursifs ou non, tous les arts métaphorisent.“ (Yves Hersant: La métaphore baroque, S. 17). 157 Vgl. hierzu auch Heinrich Lausberg: Elemente der literarischen Rhetorik, S. 212–215. 158 Emanuele Tesauro: Il Cannocchiale aristotelico, S. 426. „Von der Hipotypose komme ich zur Hyperbel, die fünfte Art der Metapher; über die zu schreiben ein überflüssiger Verbrauch von Tinte ist; denn du kannst sie aus jeder Kategorie endlos schöpfen um dein Konzept zu vergrößern oder zu verkleinern; wie ich schon zeigte; […].“ (Eigene Übersetzung). 159 Lakonismus: knappe, und pointiert-sachlich, ‚unterkühlte‘ Ausdrucksweise. (Burdorf, Dieter/Fasbender, Christoph/Moennighoff, Burkhard (Hrsg.): Metzler Lexikon Literatur, S. 418). 160 Emanuele Tesauro: Il Cannocchiale aristotelico, S. 434. „Ich komme zum Lakonismus, sechste Quelle der Metapher: die, wie uns unser Autor sagt; darin besteht, dich mehr verstehen zu machen, als diese sagt.“ (Eigene Übersetzung).

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verhältnis zwischen intendierter Bedeutung und benutztem Ausdruck zu sein. Die metafora di opposizione, Tesauros siebente Metaphernart, ist scheinbar in ihrer Grundstruktur mir der sonst als Antithese161 unter den Gedankenfiguren geführten Gegenüberstellung widersprüchlicher Gedanken oder Konzepte identisch: „VENGO à quel Settimo Genere di Metafore, ilqual chiamammo di OPPOSITIONE: Argutezza sopra tutte le Ingeniose spiritosissima; risuegliatrice degli’ntelletti, & illuminatrice d’ogni Oratione.“162 Weder Erasmus noch Tesauro scheinen sich für eine Operationalisierung für die Literaturwissenschaft zu eignen, da ihr stark pragmatisch-rhetorischer Fokus sich der Analyse höchstens zu propädeutischen Zwecken widmet und auch eine Anwendung von Tesauros Metaphernkategorien als Beschreibungskategorien zumindest hermeneutisch funktionslos bliebe. Weiterführende Schlussfolgerungen über einen Text auf Grundlage dieser Kategorien bedürften mithin der theoretischen Erweiterung und Adaptation an die Erkenntnisinteressen der Literaturwissenschaft. Anschlussfähig ist jedoch die bei Erasmus angedeutete Verschiebung der exegetischen Prinzipien in Richtung profaner Texte. Indem er für seine eigene Rede das Recht auf eine gewisse obscuritas einfordert, beansprucht er für diese eine pragmatische Funktion, die bislang dem Wort Gottes vorbehalten war und sich besonders im theologischen Diskurs niederschlägt.163 Tesauros epistemologisches und ästhetisches Programm erweist sich dagegen als eng anknüpfbar an die Diskussionen über die intrinsische Produktivität der (literarischen) Metapher, die als spezifische Form von Weltzugriff verhandelt wird.

161 Heinrich Lausberg: Elemente der literarischen Rhetorik, S. 386. 162 Emanuele Tesauro: Il Cannocchiale aristotelico, S. 441. „Ich komme zur siebenten Art der Metapher, die ich die des Gegensatzes nannte: Scharfsinnigkeit vor allen geistreichsten Witzen; Wiedererweckerin des Verstandes und Erleuchterin jeder Rede.“ (Eigene Übersetzung). 163 Vgl. hierzu Augustinus, Kap. 5.1.

5 Metapher und Schrift Die Einflüsse antiker Diskurse über die Metapher vererben sich auch in die spätantiken Diskurse der Patristik, die jedoch zunehmend auf dem Feld der Theologie ausgetragen werden. Das Christentum etabliert eigene ontologische Paradigmen, die in einer sich als Wissenschaft begreifenden systematischen Theologie münden.1 Die Diskussionen über die Metapher werden in den theologisch orientierten Diskursen in erster Linie von der Frage geprägt, welche Rolle der Metapher bei der Gotteserkenntnis zukommt. Dieser Erkenntnisdiskurs unterscheidet sich von dem bereits besprochenen philosophischen Diskurs dadurch, dass er im Grunde auf ein transzendentes Erkenntnisobjekt (Gott) abzielt und die vollständige Erkenntnis damit als grundsätzlich ausgeschlossen gelten kann. Damit sind die epistemologischen Vorannahmen gänzlich andere als im analytisch-philosophischen Diskurs. Die Leitfrage hinsichtlich der Metapher ist mithin auch weniger die nach ihrer Wahrheit oder Falschheit, sondern die nach ihrer Angemessenheit bei der Beschreibung des transzendenten Erkenntnisobjektes. Die Einflüsse aus Philosophie und Rhetorik werden in der christlichen Theologie immer aufs Neue kontrovers verhandelt. Dabei ist auch dieser Diskurs  – wie der rhetorische  – von regelmäßigen Rückgriffen auf etablierte Autoritäten aus dem eigenen Diskursfeld geprägt, deren Deutung und Lesart jedoch immer wieder den zeitgenössischen Diskussionen angepasst werden. So bleibt der Kirchenvater Augustinus sowohl für den Scholastiker Thomas von Aquin als auch für den Reformator Philipp Melanchthon eine relevante und gültige Bezugsgröße.2 Die jeweilige Rolle jedoch, die die drei Autoren der Metapher im theologischen Diskurs zuweisen, zeugt von den grundlegend unterschiedlichen Vorstellungen von Funktion und Prinzipien dieses Diskurses. In der Bewertung der Metapher hinsichtlich der Gotteserkenntnis kulminieren diese Differenzen.

1 Vgl. für einschlägige Übersichten Henry de Lubac: Exégèse médiévale. Les quatre sens de l’Écriture. Paris: Aubier 1959–1964; Friedrich Ohly (Hrsg.): Schriften zur mittelalterlichen Bedeutungsforschung. Darmstadt: Wissenschaftliche Buchgesellschaft 1977 sowie jüngeren Datums Oda Wischmeyer (Hrsg.): Handbuch der Bibelhermeneutiken. Von Origenes bis zu Gegenwart. Berlin/Boston: de Gruyter 2016. 2 Vgl. Wilhelm Schwendemann: Melanchthon und die Patristik in der frühen Neuzeit. Die Relektüre der Kirchenväter in den Wissenschaften des 15.–18. Jahrhunderts – Melanchthon, Maimonides und Averroes: Aristoteles Rezeption und Exegese gegen religiösen Fundamentalismus. Vortrag auf dem Internationalen Kongress des Melanchthonhauses, Bretten 17.–20.02.2003. In: Reformation und Humanismus. Philipp Melanchthon und Johannes Calvin. Hrsg. von Wilhelm Schwendemann. Frankfurt am Main: Lang 2013, S. 83–120. https://doi.org/10.1515/9783110585353-005

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5.1 Augustinus (354–430) Nisi manducaveritis, inquit, carnem filii hominis, et sanguinem biberitis, non habebitis vitam in nobis.3

In Augustinus’ Schriften kreuzen sich Metapherndiskurse aus verschiedenen Kontexten, die seine Schnittstellenfunktion am Übergang von einer vorwiegend polytheistisch geprägten Gesellschaft zu einer zunehmend christianisierten hervortreten lassen. In Augustinus’ Vita schreibt sich dieser religionsgeschichtliche Umschwung deutlich ein.4 Seine Schriften zeugen von der enormen synthetischkreativen Energie, mit der er die kulturellen Wissensbestände der Spätantike, darunter besonders die platonische Philosophie5 und die antike Rhetorik,6 transformierend in eine christliche Lehre integriert7 und damit das Fundament des Christentums entscheidend prägt.8 Greifbar wird diese Synthese bereits im Titel der auch für die Metapherntheorie zentralen Schrift De doctrina chris-

3 Augustinus zitiert hier eine Passage aus dem Johannesevangelium (Johannes VI, 54) als Beispiel für eine Anweisung, die im Wortsinn zunächst unmoralisch scheint: „Wenn ihr nicht das Fleisch des Menschensohnes eßt und sein Blut trinkt, werdet ich nicht das Leben in euch haben.“ (Vgl. Augustinus: Die christliche Bildung, III, XVI.24.55). 4 Augustinus’ Konversion zum Christentum wird etwa auf das Jahr 386 angesetzt. (Therese Fuhrer: Augustinus. Darmstadt: Wissenschaftliche Buchgesellschaft 2004, S. 10). Vgl. außerdem zur Schlüsselstellung von Augustinus zwischen Antike und Mittelalter: Peter Seele: Philosophie der Epochenschwelle. Augustin zwischen Antike und Mittelalter. Berlin/New York: de Gruyter 2008, S. 78–115; sowie Therese Fuhrer: Augustinus, S. 5–13. 5 Vgl. dazu zur Übersicht Augustine Casiday/Frederick W. Norris (Hrsg.): The Cambridge History of Christianity. Bd. 2. Constantine to c.600. Cambridge: Cambridge University Press 2007, S. 30; Kurt Flasch: Augustin. Einführung in sein Denken. 3. Aufl. Stuttgart: Reclam 2003, S. 36–41, sowie ausführlicher Volker H. Drecoll: Lateinischer Mittelplatonismus. In: Augustin-Handbuch. Hrsg. von Volker Henning Drecoll. Tübingen: Mohr Siebeck 2007, S. 66–71 sowie Volker H. Drecoll: Neoplatonismus. In: Augustin-Handbuch. Hrsg. von Volker Henning Drecoll. Tübingen: Mohr Siebeck 2007, S. 72–84. 6 Vgl. dazu Wolfgang Hübner: Klassische lateinische Literatur und Rhetorik. In: AugustinHandbuch. Hrsg. von Volker Henning Drecoll. Tübingen: Mohr Siebeck 2007, S. 49–60; vgl. außerdem Kathy Eden: Hermeneutics and the Rhetorical Tradition. Chapters in the Ancient Legacy and its Humanist Reception. New Haven/London: Yale University Press 1997, S. 41–64. 7 Vgl. zu diesem Thema Peter Gemeinhardt: Das lateinische Christentum und die antike pagane Bildung. Tübingen: Mohr Siebeck 2007. 8 Zu den Kirchenvätern vgl. die Bibliographie von Hermann J. Sieben: Exegesis patrum. Saggio bibliografico sull’esegesi biblica dei Padri della Chiesa. Rom: Istituto Patristico Augustinianum 1983. Zu Augustinus’ Einfluss insbesondere auf die christliche Exegese-Tradition Henning Reventlow: Epochen der Bibelauslegung. Bd. 2. Von der Spätantike bis zum Ausgang des Mittelalters. München: Beck 1994 sowie Jochen Schultheiß: Augustinus. De doctrina christiana. In:

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tiana, der einerseits mit dem Terminus doctrina auf die klassischen Handbücher paganer Bildungstraditionen zurückgreift, sich von diesen mit dem Zusatz christiana aber gleichzeitig absetzt.9 Für die folgende Diskussion der metapherntheoretischen Überlegungen bei Augustinus ist vor allem die rhetorische Tradition entscheidend. Als junger Mann und Rhetorikprofessor in Mailand10 verteidigt er die praktische Rhetorik und das Wissen um ihre Funktionsweisen ebenso wie in seinen späteren christlich-pädagogischen und exegetischen Schriften, die hier im Fokus stehen werden. Augustinus’ Schriften vereinen daher zunächst den Einfluss der griechischrömischen Rhetorik-Tradition,11 weiterhin die auf paganen Hermeneutik-Praktiken aufbauende12 frühchristliche Diskussion über den richtigen Umgang mit und die richtige Interpretation der Heiligen Schrift13 und schließlich die Frage nach der richtigen Vermittlung der Glaubenswahrheiten.14 Alle drei Diskussionsstränge sind geprägt sowohl von den Elementen der klassischen römischen

Handbuch der Bibelhermeneutiken. Von Origenes bis zu Gegenwart. Hrsg. von Oda Wischmeyer. Berlin/Boston: de Gruyter 2016, S. 47–62. 9 Ebd., S. 48. 10 Vgl. Therese Fuhrer: Augustinus, S. 11 sowie Martin Wallraff: Rom und Mailand in den Jahren 383–388. In: Augustin-Handbuch. Hrsg. von Volker Henning Drecoll. Tübingen: Mohr Siebeck 2007, S. 27–35. 11 Augustinus’ klassische Rhetorikausbildung und seine Karriere als Rhetor und Rhetoriklehrer liegen hier zugrunde. Die häufigste Referenzfigur in Augustinus’ Schriften ist Cicero. Vgl. hierzu ausführlich Peter Prestel: Die Rezeption der ciceronischen Rhetorik. Vgl. zum spezifisch metapherntheoretischen Vokabular bei Cicero und Augustinus Wanda Zemler-Cizewski: From Metaphor to Theology. Proprium and translatum in Cicero, Augustine, Eriugena, and Abelard. In: Florilegium 13 (1994), S. 37–52. 12 Vgl. hierzu Jochen Schultheiß: Augustinus. De doctrina christiana, S. 48 und S. 59–60. Schultheiß schlägt hier einen Bogen von den antiken Praktiken der Homer-Auslegung über Hieronymusʼ Forderung einer wissenschaftlich fundierten Bibelexegese bis zur von Augustinus in De doctrina christiana entwickelten eklektischen Exegese. 13 Vgl. zur historischen Entwicklung der mittelalterlichen Exegese-Praktiken und -theorien umfangreich v. a. Henry de Lubac: Exégèse médiévale sowie neueren Datums Henning Reventlow: Epochen der Bibelauslegung bes. Bde. I und II, außerdem Gilbert Dahan: Lire la Bible au moyen âge. Essais d’herméneutique médiévale. Genève: Droz 2009 sowie Hennig Brinkmann: Mittelalterliche Hermeneutik. Tübingen: Niemeyer 1980 sowie jüngsten Datums Oda Wischmeyer: Handbuch der Bibelhermeneutiken. 14 Zentrale Schriften für diese Diskussionen sind De magistro, De Dialectica, De Doctrina christiana, De Mendacio, Contra Mendacium sowie die Confessiones. Die Schriften und die darin umrissenen Problemlagen sowie die gebotenen Lösungsansätze bleiben durch das ganze Mittelalter hindurch einflussreich. Die lateinischen Passagen zitiere ich im Folgenden nach Augustinus: S. Aurelii Augustini OPERA OMNIA. Editio latina. http://www.augustinus.it/latino/index.htm (16. 10. 2015).

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Bildungstradition, die Augustinus weitestmöglich integrieren möchte,15 als auch von dem absoluten Wahrheitsanspruch des sich etablierenden Christentums. Für die klassische ars rhetorica sieht Augustinus grundsätzlich zwei Funktionen im Dienste des Christentums: Die Rhetorik als Praxis will er in den Dienst der Predigt und Mission stellen;16 die theoretische Kenntnis der rhetorischen Regeln soll bei der Auslegung der Heiligen Schrift zur Anwendung kommen.17 Die beiden Aspekte ‚Auslegung‘ und ‚Lehre‘18 bestimmen Augustinus’ Diskussion und Bewertung von Metaphern und metaphorischer Rede:19 Im Rahmen der praktischen Rhetorik ist die Metapher für Augustinus Teil der von den Menschen gemachten (Rede-) Ordnung. In der christlichen Schriftauslegung wird jedoch über die Metaphorik der Zugang zu einem Verständnis der göttlichen Sphäre geöffnet. Diese höhere Erkenntnis gründet auf dem Sonderstatus der Bibel als Wort Gottes. Die Metapher in der Rede der Menschen20 ist damit grundsätzlich verschieden von der Meta-

15 „Denn weil durch die Rhetorik sowohl von Wahrem als auch von Falschem überzeugt wird, wer wagt da zu sagen, daß die Wahrheit mit ihren Verteidigern waffenlos gegen die Lüge bestehen muß, so daß jene, die offensichtlich von falschen Dingen zu überzeugen versuchen, verstehen, den Hörer beim Einleitungsteil ihrer Rede wohlwollend, aufmerksam oder aufnahmefähig zu machen, diese solches aber nicht vermögen? Sollten jene Falsches bündig, klar und plausibel erzählen, diese aber Wahres so, daß es langweilig anzuhören und nicht zu verstehen ist und deswegen schließlich nicht gerne geglaubt wird? Sollten jene, die die Gemüter ihrer Zuhörer zum Irrtum verführen und zwingen und dabei in ihrer Rede erschrecken, betrüben, aufheitern und glühend ermahnen, diese dagegen träge und emotionslos für die Wahrheit einschlafen? Wer könnte so töricht sein, dies für Weise zu halten?“ (Augustinus: Die christliche Bildung, IV, II.3.4) Gegenüber nicht-christlichen Vertretern antiker Bildungs- und Rhetorik-Ideale verteidigt er dagegen die rhetorisch-stilistischen Qualitäten des biblischen Textes. 16 Vgl. dazu FN 4 in diesem Kapitel. 17 Vgl. ebd., III, XXIX.40.87. 18 In den Formulierungen modus inveniendi und modus proferendi sind damit auch die zwei grundsätzlichen Stufen gefasst, in die Augustinus die Auseinandersetzung mit der Schrift in De Doctrina christiana gliedert. Vgl. dazu Peter Prestel: Die Rezeption der ciceronischen Rhetorik, S. 50. 19 Die augustinische Unterscheidung zwischen Metapher, Allegorie und Rätsel ist nicht ganz eindeutig, ein Befund, der sich scheinbar für das übrige Mittelalter bestätigt. Entscheidend scheint vor allem die Verortung der Metapher im Verhältnis zur Analogie und zur Allegorie (verstanden als metaphora continuata) zu sein. Grundsätzlich jedoch beurteilt Augustinus die Metapher wohl nach dem Grad ihrer Verständlichkeit. (Vgl. Augustinus: Die christliche Bildung, III, XI.17.39. Vgl. FN 34 in diesem Kapitel). Augustinus’ Unterscheidung ähnelt denen der klassischen Autoren insofern, als sie (auch) das Rätselhafte als eine Verdichtung des Metaphorischen beschreibt. 20 In der Kommunikation der Menschen untereinander ist die Metapher dagegen in der problematischen Verwandtschaft zur Lüge angesiedelt und in Abgrenzung zu dieser knapp definiert als: „de re propria ad rem non propriam verbi alcuius translatio“. Damit ist die formale Definition

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pher in der Heiligen Schrift.21 Diese strukturelle Trennung findet eine Grundlage in der Unterscheidung von allegoria in verbis und allegoria in factis.22 Die allegoria in verbis behält die klassische Bedeutung der Allegorie (als ausgeführte Metapher) bei, nach der die Zeichen des Textes (zusätzlich) etwas anderes bedeuten, als es ihrem gewöhnlichen Wortsinn entspricht und damit die Gesamtbedeutung des Textes eine vom Wortlaut verschiedene ist. Die allegoria in factis bezeichnet dagegen nicht-sprachliche Einheiten wie Personen, Tiere, Gegenstände oder Ereignisse, die für andere Einheiten (Personen etc.) stehen.23 Die entscheidende Ausweitung der allegoria factis betrifft bereits Verständnis der signa, deren Definition Augustinus bereits in De magistro festschreibt: alles ist signum, was auf etwas anderes als sich selbst verweist. Danach ist jede Einheit ein Zeichen, deren Hauptsache nicht in ihr selbst, sondern jenseits ihrer selbst liegt und zu der sie nur in einer Verweisbeziehung steht.24 Damit wird der Bereich der als Zeichen diskutierbaren Einheiten im Vergleich zum verba-Konzept der klassischen Rhetorik ausgeweitet. Grundsätzlich sind nicht mehr nur (wenn auch in erster Linie) Worte als kommunikative Zeichen mit potenziell übertragenen Bedeutungen zu

der Metapher zunächst eng an den Vorlagen der klassischen Rhetorik orientiert, unterscheidet sich jedoch von diesen radikal durch ihre Verortung im Diskurs um die Lüge, die eine zentrale Funktion in Augustinus’ Theologie und Ontologie einnimmt. 21 Hier liegt zunächst die grundsätzliche Unterscheidung von menschlicher und göttlicher Sprache zugrunde, die durch das ganze Mittelalter hindurch weitgehende Gültigkeit behalten wird: Der Mensch spricht nur in voces, also lautsprachlichen Gebilden, die in einem arbiträren Verweisungsbezug zur Umwelt stehen. Gott dagegen spricht zu den Menschen auch in res, d. h. in den Dingen und Ereignissen seiner Schöpfung, die in komplexen Verweisungszusammenhängen sowohl aufeinander als auch auf Transzendentes verweisen. Vgl. hierzu ausführlich Hennig Brinkmann: Mittelalterliche Hermeneutik, bes. S. 21–51 sowie zur göttlichen Sprache ebd., S. 74–153. 22 Luisa Valente: Une sémantique particulière. La pluralité des sens dans les Saintes Écritures (XIIe siècle). In: Sprachtheorien in Spätantike und Mittelalter. Hrsg. von Sten Ebbesen. Tübingen: Narr 1995, S. 12–32, bes. S. 21. Außerdem Armand Strubel: ‘Allegoria in factis’ et ‘Allegoria in verbis’. In: Poétique 23 (1975), S. 342–357. 23 Vgl. Stefano Arduini/Matteo Damiani: Dizionario di retorica. Covilhã: Livros LabCom 2010, S. 6. Heinrich Lausberg geht auf diese mittelalterliche Unterscheidung nicht ein. 24 Vgl. Cornelius P. Mayer: «Res per signa». Der Grundgedanke des Prologs in Augustins Schrift De doctrina christiana und das Problem seiner Datierung. In: Revue d’études augustiniennes et patristiques 20:1–2 (1974), S. 100–112, hier auf S. 101. Grundsätzlich unterscheidet Augustinus zusätzlich zwischen natürlichen Zeichen wie z. B. Rauch für Feuer (signa naturalia) und durch menschliche Konventionen festgesetzte Zeichen wie Worte. Die zweiten sind entscheidend für die Bibelhermeneutik und lassen sich als verba (Worte) und litterea (Buchstaben), die das signum verborum bilden, beschreiben. (Vgl. Jochen Schultheiß: Augustinus. De doctrina christiana, S. 51–52).

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behandeln, sondern alle Entitäten, die in Verweisbeziehung zu anderen stehen können. Die res sind fortan ausschließlich die Entitäten, die mit Sicherheit nur für sich selbst stehen. Während die signa verborum im Bereich der menschlichen Rhetorik verortet sind und unter die allegorische Verwendung und Interpretation von voces oder verba fallen, verfügt über die übrigen signa, die in der allegoria in factis ins Spiel kommen, allein Gott. Was für den Menschen nur res ist, kann in der göttlichen Sprache auch signum sein.25 Die Frage nach dem richtigen Einsatz oder der Funktion der Metapher stellt sich an dieser Stelle nicht mehr als die klassisch rhetorische Frage nach Talent, Kunstfertigkeit oder Übung. Stattdessen steht zur Debatte, in welchen Arten von Texten und Reden Metaphern von welchen Urhebern verwendet werden dürfen und welche Deutungsverfahren den unterschiedlichen Verwendungen angemessen sind. Die legitimierende Instanz für den Einsatz von Metapher und Allegorie ist letztlich Gott beziehungsweise die von ihm mit Autorität ausgestatteten Menschen, die auctores. Die Metaphern in der göttlich legitimierten Heiligen Schrift können daher grundsätzlich nur angemessen sein. Eine andere Wahrnehmung ist einem mangelnden Verständnis des Lesers anzulasten.26 Augustinus versucht eine Begründung und Verteidigung der metaphorischen Sprache der auctores – die von klassischen Stil- und Verständlichkeitsnormen oft stark abweicht – durch drei zentrale Punkte: Aus dogmatischer Perspektive ist die Heilige Schrift als zentrale Botschaft Gottes nicht nach menschlichen Maßstäben zu kritisieren. Philosophisch-theologisch argumentiert Augustinus, dass in der Rede über Gott alle menschlichen Begriffe versagen müssten, was der grundsätzlichen Nicht-Übersetzbarkeit eines verbum cordis27 in äußere Sprache entspricht.28 Der gezielte Einsatz metaphorischer Rede stellt eine alternative Form der Rede über das unsagbare Göttliche dar, die die Heilige Schrift qualitativ von anderen Texten unterscheidet. Zuletzt begründet Augustinus die Verwendung metaphorischer Sprache didaktisch mit dem größeren Gefallen, das dadurch hervorgerufen werden kann: „Nunc tamen

25 Vgl. Thomas Prügl: Thomas von Aquin. Summa Theologiae, I, 1, 9–10. In: Handbuch der Bibelhermeneutiken. Von Origenes bis zu Gegenwart. Hrsg. von Oda Wischmeyer. Berlin/Boston: de Gruyter 2016, S. 191–206, hier auf S. 202–204. Prügl erläutert, dass diese grundlegende Annahme bei Augustinus entwickelt und von Thomas von Aquin übernommen wird. 26 Vgl. Augustinus: Die christliche Bildung, III, XXIX.40.87. 27 Wort des Herzens (eigene Übersetzung). 28 Vgl. Hans Arens: ‘Verbum Cordis’. Zur Sprachphilosophie des Mittelalters. In: Historiographia Linguistica 7:1–2 (1980), S. 13–27.

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nemo ambigit, et per similitudinem libentius quaeque conosci, et cum aliqua difficultate quaesita multo gratius inveniri.“29 Den praktizierenden christlichen Rhetor sieht Augustinus dagegen nicht mit der nötigen Autorität ausgestattet,30 die eine stark metaphorische Rede legitimieren würde: „In ihrer – ihnen pädagogisch wertvollen – obscuritas dürfen die auctores vielmehr vom tractator keinesfalls nachgeahmt werden! Diese obscuritas der auctores konstituiert auf Seiten des tractator vielmehr die perspicuitas.“31 Diese Annahme gestattet den mittelalterlichen Autoren auch die Trennung zwischen Heiliger Schrift und profaner Literatur, denn nur die erste kann für sich die allegoria factis als Auslegungsschlüssel beanspruchen.32 Mit der Metapher im engen rhetorischen Sinne33 hängt dagegen zunächst nur die allegoria verbis als rein sprachliche Figuration zusammen. In diesem Sinne bezieht sich Augustinus auf sie, wenn er beispielsweise die stilistischen Qualitäten der Bibel gegen Kritik verteidigt:34 „Quamvis paene omnis hi tropi quae liberali dicuntur arte cognisci, etiam in eorum reperiantur loquelis, qui nullos grammaticos audierunt, et eo, quo vulgus utitur sermone contenti sunt.“35

29 Augustinus: Die christliche Bildung, II, VI.8.12. „Nun zweifelt trotzdem niemand daran, daß lieber alles aus einer allegorischen Ausdrucksweise erkannt wird und daß, was mit einiger Schwierigkeit gesucht wurde, viel dankbarer gefunden wird.“ (Übersetzung Karla Pollmann). 30 Vgl. dazu ebd., IV, 8.22. 31 Peter Prestel: Die Rezeption der ciceronischen Rhetorik, S. 182. Unter auctores sind die Verfasser der Heiligen Schrift zu verstehen, die gleichsam als menschliche Mediatoren des göttlichen Geistes fungierten; die tractatores hingegen sind die zeitgenössischen Prediger Augustinus’, die auf Grundlage der Heiligen Schrift predigen. 32 Vgl. hierzu Hennig Brinkmann: Mittelalterliche Hermeneutik, S. 23–24. 33 Die Definition von Allegorie als metaphora continuata scheint im Hintergrund von Augustinus’ Allegorieverständnis zu stehen, wenn er formuliert: „Sed non tam multa sunt vel ita posita, ut obtegant sensum et allegoriam vel aenigma faciant, quam proprie figuratam locutionem voco.“ (Augustinus: Die christliche Bildung, III, XI.17.39). Hier führt die Ansammlung übertragener Ausdrücke entweder zur Allegorie (metaphora continuata) oder zum Rätsel. 34 Danuta Shanzer: “Incessu humilem, successu excelsam”. Augustine, Sermo humilis, and Scriptural ὕψος. In: Magnificence and the Sublime in Medieval Aesthetics. Art, Architecture, Literature, Music. Hrsg. von Charles Stephen Jaeger. New York: Palgrave MacMillan 2010, S. 51–78, hier auf S. 53–58. 35 Augustinus: Die christliche Bildung, III, XXIX.40.87. „Die Gelehrten aber sollten wissen, daß unsere biblischen Autoren alle Arten der Redeweise, die die Grammatiklehrer mit der griechischen Bezeichnung Tropen nennen, verwendet haben, und zwar vielfacher und reicher als diejenigen beurteilen oder glauben können, die unsere Autoren nicht kennen und die Tropen bei anderen Autoren kennengelernt haben.“ (Übersetzung Karla Pollmann). Vgl. außerdem dazu Peter Prestel: Die Rezeption der ciceronischen Rhetorik, S. 184.

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Dennoch verwendet Augustinus die Terminologie der signa translata entscheidend auch in Zusammenhang mit der allegoria factis, und zwar im spezifischen Kontext des biblischen Textes, der diese Auslegung der figürlichen Lautsprache als göttliche Dingsprache legitimiert: „Sunt autem signa vel propria vel translata. Propria dicuntur, cum his rebus significandis adhibentur, propter quas sunt instituta, […]. Translata sunt, cum et ipsae res quas propriis verbis significamus, ad aliquid aliud significandum usurpantur, […].“36 Die doppelte Übertragungsstruktur zeugt in den Augen von Arturo Lacarti und Klaus Müller-Richter von mehrfachen Korrenspondenzverhältnissen der christlichen Kosmologie.37 Die Metapher und ihre Ausdehnung zur Allegorie wachsen in diesem System weit über die Grenze eines dekorativen Wortornatus hinaus, wie Lacarti und MüllerRichter in vier Thesen zuspitzen: Die zweite [These] besagt, daß die metaphorische Inbezugsetzung des Seienden und das Überschreiten des positiv Gegebenen auf einen opaken spirituellen Sinn hin zum bevorrechteten Modus des Denkens erhoben wird. Das ist die epistemologische oder erkenntnismetaphysische Dimension der Metaphernproblematik. Die dritte These behauptet, daß der analogische Aufbau der Welt zum kosmisch-ontologischen Grundprinzip avanciert. Die vierte These betrifft die Relation des Logos auf den Kosmos und die sprachtheoretischen Folgerungen, die sich aus diesem Verhältnis ableiten lassen. Soweit die Struktur der Sprache und die Struktur des Kosmos kongruent gedacht werden, folgt aus der dritten These, d. h. der prinzipientheoretischen Interpretation der Analogie als kosmologischer Ordnungsbegriff, die metaphysische Würde der Übertragungsfiguren.38

Eine derartige Verwendung des Metaphernbegriffs hat den Boden der rhetorischen Tradition deutlich hinter sich gelassen, rückt die Auslegung eines sakralisierten und damit allgültigen Textkompendiums in den Fokus und markiert damit

36 Augustinus: Die christliche Bildung, II, X.15.32–33. „Doch Zeichen sind entweder eigentlich oder übertragen. Sie werden eigentlich genannt, wenn sie zur Bezeichnung, derjenigen Dinge herangezogen werden, um derentwillen sie eingerichtet sind, […]. Es handelt sich um übertragene Zeichen, wenn sogar die Dinge selbst, die wir mit den entsprechenden Worten bezeichnen dazu benutzt werden, um etwas anderes zu bezeichnen, […].“ (Übersetzung Karla Pollmann). 37 Die mittelalterliche Sicht der Wirklichkeit geht von Korrespondenzrelationen zwischen den Entitäten in zwei ontologisch differenzierbare Richtungen aus. In einer Hinsicht besteht Similarität zwischen den Schöpfungsebenen, deren Entfaltung und unbedingter Ausgangspunkt in der göttlichen Perseität, also in dem Durch-sich-selbst-Sein Gottes liegt. Und in der anderen Hinsicht garantiert der Rekurs auf die veracitas divina Analogstrukturen zwischen den Entitäten auf den jeweils einzelnen Seinsebenen. Die Gegenstände sind zugleich Index des Göttlichen und ikonisch verbunden mit dem auf gleicher Stufe Situierten. (Vgl. Klaus Müller-Richter/Arturo Larcati: „Kampf der Metapher!“, S. 78). 38 Ebd., S. 77.

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 Metapher und Schrift

vor dem Hintergrund eines anderen Kerninteresses – Exegese statt Persuasion – ein Prinzip zur kontrollierten Produktion39 von Bedeutung. Die Metapher kann dabei als Scharnier zwischen weltlicher und transzendenter Sinnebene betrachtet werden, denn durch sie werden unsinnige oder unverständliche Passagen als metaphorisch markierbar und entsprechend flexibler deutbar. Die Regulation liegt dabei in den Vorannahmen, die mit der Sakralisierung des Texts einhergehen und die inhaltliche Bandbreite der legitimen Bedeutungen von vornherein beschränken40 und damit auch den Rahmen für die Legitimität der deutenden Übertragung setzen: Huic autem observationi qua cavemus figuratam locutionem, id est translatam quasi propriam sequi, adiungenda etiam illa est, ne propriam quasi figuratam velimus accipere. Demonstrandus est igitur, prius modus inveniendae locutionis propriana an figurata sit. Et iste omnino modus est, ut, quidquid in sermone divino necque ad morum honestam, necque ad fidei veritatem propriei riferri potest, figuratam esse cognoscas.41

Die auf Basis des Übertragungsprinzips mögliche Transzendierung des Schriftsinns wird später in der Lehre vom vierfachen Schriftsinn42 klar reguliert und tradiert. Die vier Sinnebenen sind als historische Realität, das Präfigurationsbeziehungsweise Erfüllungs-Verhältnis der beiden Testamente zueinander, die Auslegung auf die individuell-moralische Position des Lesers und letztlich mit

39 Augustinus nimmt immer wieder Stellung gegen pneumatisch-charismatische Konzepte der inspirierten Exegese und die Tendenz in der Tradition des Origines, für jede einzelne Bibelpassage grundsätzlich immer mehrere Bedeutungsebenen zu suchen. Für ihn liegt die Kunst in der Unterscheidung, eine rein allegorische Auslegung führe zur gleichen Unklarheit wie eine rein literale Auslegung: „Sed multis et multiplicibus obscuritatibus et ambiguitatibus decipiuntur qui temere legunt, aliud pro alio sentientes; quibusdam autem locis quid vel falso suspicentur non inveniunt, ita obscure dicta quaedam densissimam caliginem obducunt.“ (Augustinus: Die christliche Bildung, II, VI.7.10). 40 Es gilt das Prinzip der widerspruchsfreien Deutung des gesamten Textes und der Widerspruchsfreiheit zu dem, was – aus der jeweiligen Autorenperspektive durchaus variabel – als Glaubensgrundsätze gilt. 41 Ebd., III, X.14.33. „Dieser Regel, daß wir uns davor hüten sollen, einer figürlichen, d. h. einer übertragenen Redeweise wie einer eigentlichen zu folgen, muß auch jene hinzugefügt werden, daß wir nicht eine eigentliche Redeweise als eine figürliche auffassen wollen. Es muß also zuerst das Kriterium gezeigt werden, wie man herausfindet, ob eine Redeweise wörtlich oder figürlich ist. Dieses Kriterium ist folgendes: Alles, was in der Bibel im wörtlichen Sinn weder auf die Lauterkeit der Sitten noch auf die Wahrheit des Glaubens bezogen werden kann, muß für figürlich gehalten werden.“ (Übersetzung Karla Pollmann). 42 Die erste theoretische Formulierung des vierfachen Schriftsinnes findet sich in Origenes De principiis (Vgl. ebd., S. 241 (Kommentar), als kirchliche Lehre erfolgreich etabliert wird der vierfache Schriftsinn jedoch erst durch Cassiodor (Vgl. Thomas Prügl: Thomas von Aquin).

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Blick auf das Heilsversprechen umrissen und abgegrenzt.43 In der elaborierten Lehre des vierfachen Schriftsinns treten die Schwierigkeiten, die eine literaturwissenschaftliche Perspektive mit diesem Ansatz haben muss, anhand der klar festgelegten vier Bedeutungsdimensionen deutlich zutage, die grundsätzlichen Probleme bestehen jedoch schon bei Augustinus. Indem dieser überhaupt nur die Heilige Schrift als legitimen Gegenstand der hermeneutischen Arbeit identifiziert, schließt er den allergrößten Teil der für die heutige Literaturwissenschaft interessanten Texte kategorisch aus. Eine Aufweichung dieser grundsätzlichen Trennung von biblischen und profanen Texten deutet sich erst in der Renaissance mit Dantes Convivio an, in dem eine Ausweitung der exegetischen Prinzipien auch auf literarische Texte gefordert wird. Grundsätzlich ist aus heutiger Perspektive nichtsdestotrotz ein Analyseversuch des Benjamin-Textes im Sinne des vierfachen Schriftsinns denkbar.44 Die wörtliche Auslegung würde die Reise weitestgehend als historische Begebenheit fassen, wie es auch Weinrich als eine der möglichen Lesarten des Textes skizziert.45 Die typologische Auslegung müsste zunächst konstatieren, dass die Möwe als Motiv in der traditionellen christlichen Ikonografie weitgehend unbekannt scheint.46 Andere Elemente lassen sich dagegen sehr wohl in ein Entsprechungsverhältnis setzten, wie der Schiffsmast zum Kreuz Christi.47 Das Schiff selbst hat als Kirchenschiff auf dem stürmischen Meer der Welt eine lange Tradition in der christlichen Exegese,48 präfiguriert durch die

43 Die vier Bedeutungsebenen firmieren unter den Begriffen Literalsinn, tropologischer Sinn, typologischer Sinn und anagogischer Sinn. Vgl zur Gesamtstrutktur der christlichen Verstehenslehre vom vierfachen Schriftsinn Hennig Brinkmann: Mittelalterliche Hermeneutik, S. 226 ff. 44 Eine solche Analyse würde dabei notwendigerweise neben den Prämissen der mittelalterlichen Exegese zum Status der Heiligen Schrift an dieser Stelle gleichermaßen die benjaminsche Allegorie-Konzeption ignorieren müssen (vgl. zu letzterer Harald Steinhagen: Zu Walter Benjamins Begriff der Allegorie). 45 Vgl. dazu Weinrich Kap. 7.3. Weinrich stellt in seiner Interpretation enge Verbindungen zwischen Benjamins persönlicher und historischer Situation und dem Text her. 46 Sie findet sich bspw. nicht in Sabine Poeschel: Handbuch der Ikonographie. Sakrale und profane Themen der bildenden Kunst. 6. Aufl. Darmstadt: von Zabern 2016. In der Bibel selbst findet sich die Möwe nur in 3. Mose 11,16 bzw. 5. Mose 14,15, wo sie in der Liste der unreinen und damit nicht zu verzehrenden Tiere geführt wird. Das hebräischen shachaph (Seemöwe) wird jedoch auch gelegentlich als ‚Kuckuck‘ übersetzt. (Vgl. Andreas Hardt/Dietrich Runkel: Bibel-Lexikon. https://www.bibelkommentare.de/index.php?page=dict&article_id=3920 (12. 02. 2017)). 47 Ambrosius, Zeitgenosse Augustinus’, beschreibt die Kirche als ein sicher auf hoher See segelndes Schiff, dessen Segel am Mast des Kreuzes im Wind des Heiligen Geistes blähen. (Vgl. Ambrosius: De virginitate. Liber unus. Hrsg. von Egnatius Cazzaniga. Aug. Taurinorum [Turin]: Paraviae [Paravia] 1954, 18,118). 48 Vgl. Christoph Hönig: Die Lebensfahrt auf dem Meer der Welt. Der Topos. Texte und Interpretationen. Würzburg: Königshausen & Neumann 2000, S. 22–23.

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rettende Arche. Die moralische Bedeutungsebene scheint hier direkt anschlussfähig: Im Sturm des Lebens bedarf es sicherer Zeichen und Glücks beziehungsweise göttlicher Gnade, um nicht in die Katastrophe zu treiben.49 Für eine eschatologische Auslegung lassen sich zudem die schwarz/weiß-Spaltung der Möwen in Richtung der Teilung der Seelen in gerettete und verworfene deuten sowie der dazwischen schwankende Kreuzesmast als die Mahnung des für jeden Sterblichen unsicheren Gnadenaktes. Auch wenn eine solche Herangehensweise an diesen Text aus den genannten Gründen unsachgemäß scheint, so produziert sie nichtsdestotrotz ein hermeneutisches Ergebnis. Wie anschlussfähig eine Ausweitung der christlichen Hermeneutik über die Praxis des vierfachen Schriftsinns hinaus ist, beweist die Hartnäckigkeit, mit der sich grundlegende Prinzipien der augustinischen Hermeneutik und Metapherntheorie langfristig in der Literaturwissenschaft durchgesetzt haben. Das von Augustinus formulierte Prinzip, dass alles als Metapher zu identifizieren sei, was im Wortsinn einen Widerspruch zum Text darstellen würde, kann als frühchristliche Entsprechung der These von der Metapher als semantischem Widerspruch gelten. Obwohl für Augustinus in diese Kategorie auch dogmatisch begründete Widersprüche fallen, beruht das Prinzip in erster Linie auf der Annahme des Textes als geschlossenem und konsistentem Sinnganzen, eine These die in HansGeorg Gadamers Hermeneutik ihre bislang letzte große Renaissance hatte. Ebenfalls als konstantes, fundamentales Prinzip der Hermeneutik lässt sich schon bei Augustinus die Prämisse eines Verständnisses des Textes identifizieren, das in Augustinus’ konkretem Fall als absolut wahres, nicht-widersprüchliches und moralisch unbedingt unzweifelhaftes Wort Gottes gilt. Bevor jedoch die Gültigkeit der hermeneutischen und metapherntheoretischen Thesen Augustinus’ auf nicht-biblische Texte übertragen wird, kommt es zu einer starken Weiterentwicklung und Ausdifferenzierung dieser Thesen innerhalb der christlichen Exegese. Die konkrete Position der Metapher ist dabei durchaus nicht konstant. Während die Ausführungen Augustinus’ Begriff und Prinzip der translatio50 sowohl mit Blick auf die figurierte Lautrede als auch auf die allegorisch zu deu-

49 Augustinus beginnt mit dieser Seefahrts-Metaphorik seine Schrift De beata vita, die er nach seiner Konversion zum Christentum verfasst. Er beschreibt darin drei Sorten von ‚Seefahrern auf dem Meer des Lebens‘ und drei Verhaltensweisen, die mit unterschiedlichen Wahrscheinlichkeiten (aber keiner mit absoluter Sicherheit!) in den sicheren Hafen des glücklichen Lebens oder in die Katastrophe führen können. (Vgl. Augustinus: De beata vita. Über das Glück. Lateinisch/ Deutsch. Hrsg. von Ingeborg Schwarz-Kirchenbauer. Stuttgart: Reclam 2006, 1, 1–5). 50 Augustinus übernimmt hier den seit Cicero gebräuchlichen lateinischen Ausdruck, verwendet parallel dazu aber weitgehend synonym den weiteren Begriff figurata im Kontrast zum ebenfalls von Cicero übernommenen verbum proprium und dehnt damit den Metaphernbegriff im

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tende Dingrede verwenden, werden diese beiden Ebenen in der Folge klarer differenziert. In den Schriften des Thomas von Aquin spiegelt sich denn das scholastisch bereinigte System, das der Metapher einen klaren Ort in Theologie und Exegese zuweist.

5.2 Thomas von Aquin (1225–1274) Sed nomina creaturarum metaphorice dicuntur de Deo, sicut cum dicitur Deus est lapis, vel leo, vel aliquid huiusmodi.51

Thomas von Aquins Kommentare zur Metapher52 entstehen 800 Jahre nach Augustinus vor dem Hintergrund einer anderen philosophischen Grundanschauung und damit einer gewandelten theologischen Perspektive und münden in einer neuen Definition und Bewertung der Metapher insbesondere in ihrem Verhältnis zur Analogie. Die Metapher als rhetorisches Element ist verpönt, das Problem der Übertragung bleibt jedoch auf theologischer Ebene vor allem in der wissenschaftlichen Rede über Gott bestehen, das bei Thomas in einer neuen Konzeption der Analogie jenseits der Metapher seine Auflösung findet. Während für Augustinus noch der frühchristliche Neuplatonismus ein entscheidender Einfluss gewesen war, steht Thomas in der Tradition der spätmittelalterlichen AristotelesRezeption. Thomasʼ Entwurf der Theologie als Wissenschaft auf Grundlage der aristotelischen Logik kann als Höhepunkt der Scholastik gesehen werden,53 die mit ihren streng logisch-deduktiven Prinzipien der Metapher gegenüber grundsätzlich misstrauisch sein muss. Während Augustinus’ eigene Verwurzelung in der Tradition der Rhetorik noch eine grundsätzliche Verteidigung der Metapher im

Vergleich zu Ciceros Definition aus. (Vgl. Wanda Zemler-Cizewski: From Metaphor to Theology, bes. S. 40–42). 51 Thomas behandelt das Problem der Gottesnamen ausführlich und kommt dabei immer wieder zu dem Schluss, dass die Benennungen stets metaphorische sein müssen. Thomas von Aquin: Summa theologica. Bd. I. Leipzig/Salzburg: Pustet 1934, q. 13 a. 3. „Die Namen der Kreaturen aber werden nur im figürlichen Sinne von Gott ausgesagt: wie daß Gott ein Fels ist oder Löwe oder dergleichen.“ (Deutsche Thomas-Ausgabe, übers. und kommentiert von Dominikanern und Benediktinern Deutschlands und Österreichs). 52 Thomas verwendet sowohl den Terminus metaphora als auch metaphorice im Sinne von ‚übertragen‘ und synonym dazu metaphoricus, translative und transumptive. Vgl. die entsprechenden Lemmata in Ludwig Schütz: Thomas-Lexikon. http://www.corpusthomisticum.org/ tl.html (03. 03. 2017). Vgl. darüber hinaus zur Begriffsverwendung bei Thomas Gilbert Dahan: Lire la Bible au moyen âge, S. 249–282. 53 Vgl. Thomas Prügl: Thomas von Aquin, S. 191–192.

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Dienste der Religion führt, wird in der logik-zentrierten Perspektive des Thomas die Metapher um das Prinzip der Analogie gebracht und nur letzteres theologisch fruchtbar gemacht.54 Gleichzeitig sieht sich die scholastische Dialektik mit einem keineswegs ihren Regeln konformen Ausgangstext konfrontiert: der Bibel.55 In der Summa theologica bearbeitet Thomas sowohl die Frage nach der wissenschaftlich-theologischen Redeweise56 über Gott als auch die Probleme der biblischen Sprache. Die theologische Reflexion ist dabei streng aussagelogisch und unterteilt die möglichen Redeweisen über Gott nach Attributen, die im eigentlichen Sinne nur Gott zukommen57 und solchen, die im eigentlichen Sinne auf seine Schöpfung bezogen sind, aber dennoch auf ihn angewendet werden.58 Im ersten Fall geht es um absolute Attribute wie beispielsweise Güte. Die Anwendung dieser Begriffe auf Gott ist insofern eine eigentliche, als sie in ihrer vollständigen Bedeutung nur Gott zukommen: Nur Gott ist allgütig. Da die Möglichkeit einer eigentlichen Rede über Gott jedoch erkenntnistheoretisch ausgeschlossen ist, da wir die nur Gott zukommende Allgüte ebensowenig vollständig erkennen können wie Gott selbst, ist unsere Erkenntnis auch dieser Begriffe unvollständig und beschränkt auf das, was wir aus der Schöpfung über sie erkennen können.59 Aus dieser erkenntnistheoretischen Überlegung folgt für Thomas:

54 Vgl. hierzu E. Jennifer Ashworth: Metaphor and the Logicians from Aristotle to Cajetan. In: Vivarium 45:2–3 (2007), S. 311–327 zum ambivalenten Verhältnis von Metapher zur Analogie. Vgl. außderdem zur Metapher und dem Status von Aussagen der Theologie (exemplarisch Thomas) über Gott Anthony J. P. Kenny: Theology as Metaphor. In: God, Mind and Knowledge. Hrsg. von Andrew Moore. Farnham/Burlington: Ashgate 2014, S. 147–155; sowie zur analogie-fundierten Aussageweise über Gott Olivier-Thomas Venard: Metaphor, Between Necessitas and Delectatio. In: Reading Sacred Scripture with Thomas Aquinas. Hermeneutical Tools, Theological Questions and New Perspectives. Hrsg. von Piotr Roszak/Jörgen Vijgen. Turnhout: Brepols 2015, S. 199–228. Die wohl umfangreichste jüngere Studie zu Thomas’ Sprachphilosophie ist von Hans-Gregor Nissing: Sprache als Akt bei Thomas von Aquin. Leiden/Boston: Brill 2006. 55 „Précisément, pendant le XIIIe siècle, la théologie s’est constituée en science, avec ses méthodes et ses outils conceptuels : un langage théologique s’est formé, précis, rigoureux ; en tant que discipline, la théologie se sépare de l’exégèse biblique, mais évidemment pas de la Bible, qui ne peut cesser d’être son texte de référence, de même que le corpus aristotélicien est le cadre dans lequel se développe le travail du philosophe. […] D’où le problème qu’auront à surmonter moitié du XIIIe siècle : la théologie est une science, mais le texte sur lequel elle se fonde n’est pas un texte « scientifique ».“ (Gilbert Dahan: Lire la Bible au moyen âge, S. 279). 56 Anders als bei Augustinus (und später bei Melanchthon), ist damit hier nicht das Problem der Exegese Ausgangspunkt und Zentrum der Theoriebildung. 57 Vgl. Thomas von Aquin: Summa theologica, q. 13 a. 3. 58 Vgl. ebd., q. 13 a. 6. 59 Vgl. hierzu ebd., q. 13 a. 2. Für eine detaillierte Analyse vgl. Rudi te Velde: Die Gottesnamen. Thomas’ Analyse des Sprechens über Gott unter besonderer Berücksichtigung der Analogie

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„Quantum igitur ad id quod significant hujusmodi nomina, proprie competunt Deo, et magis proprie quam ipsis creaturis, et per prius de Deo dicuntur. Quantum vero ad modus significandi, non proprie dicuntur de Deo: habent enim modus significandi hunc qui creaturis competit.“60 Die Bedeutung der Vollkommenheitsattribute kommt in Gänze ausschließlich Gott (quod significant) zu; da sich unser Erkennen dieser Begriffe und ihrer Bedeutung jedoch nur aus der relativen Vollkommenheit der Schöpfung speist, ist unsere Anwendung (modus significandi) dieser Begriffe letztlich auf diese relative Vollkommenheit beschränkt und Gott unangemessen. Es gibt demnach eigentliche Namen Gottes, die aber in der menschlichen Anwendung stets uneigentlich sein müssen: Unde, secundum hoc, dicendum est quod, quantum ad rem significatam per nomen, per prius dicuntur de Deo quam de creaturis, quia a Deo huiusmodi perfectiones in creaturas manant. Sed quantum ad impositionem nominis, per prius a nobis imponuntur creaturis, quas prius cognoscimus. Unde et modum significandi habent qui competit creaturis, ut supra dictum est.61

Die klassische Dichotomie der Metapher eigentlich-uneigentlich wird an dieser Stelle, jedoch weitestgehend unter Auslassung des Begriffs, diskutiert. Im Verständnis von Gilbert Dahan folgt dennoch bereits für die Verwendung der absoluten Attribute der metaphorischen Übertragungsbewegung, wenn auch in paradoxer Verkehrung: Die absoluten Attribute werden aus dem Bereich ihrer Ersterkenntnis, der kreatürlichen Welt, zu der sie sich inhaltlich uneigentlich verhalten, übertragen in den, der Erkenntnis letztlich unzugänglichen, Bereich Gottes, zu dem sie sich inhaltlich jedoch eigentlich verhalten.62 Die Metaphorisierung würde in dieser paradoxen Variante von der uneigentlichen hin zur eigentlichen Bedeutung erfolgen. Auch Rudi te Velde identifiziert diese Übertragungsbewegung, ohne sie jedoch eindeutig als Metaphorik zu kategorisieren.

(S.th. I, q. 13). In: Thomas von Aquin: Die Summa theologiae. Werkinterpretationen. Hrsg. von Andreas Speer. Berlin/New York: de Gruyter 2005, S. 51–76, hier auf S. 53 ff. 60 Thomas von Aquin: Summa theologica, q. 13 a. 3. „Dann kommt die Art und Weise wie sie bezeichnen in Betracht; – und nach dieser Seite werden sie nicht im eigentlichen Sinne von Gott ausgesagt, sondern insofern sie den Kreaturen eine unvollkommene Seinsweise ausdrücken.“ (Übersetzung Deutsche Thomas Ausgabe). 61 Ebd., q. 13 a. 6. „Danach ist also zu sagen: diese Namen gelten in bezug auf ihren Inhalt zuerst von Gott und hernach von den Geschöpfen, weil diese Vollkommenheiten den Geschöpfen von Gott her zukommen. In bezug auf ihre Anwendung dagegen kommen sie zuerst den Geschöpfen zu, da wir diese zuerst erkennen. Darum entspricht die Art und Weise der Bezeichnung den Geschöpfen.“ (Übersetzung Deutsche Thomas Ausgabe). 62 Vgl. Gilbert Dahan: Lire la Bible au moyen âge, S. 258.

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Echtes metaphorisches Sprechen, worunter für ihn der im Folgenden als analogia proportionis beschriebene Modus der Übertragung von physischen Bezeichnungen auf Gott fällt, bleibt in seinem Verständnis in gewissem Sinne auf dem festen Boden der Endlichkeit. Die kategorial bestimmten Bedeutungen innerhalb der menschlichen Welt bleiben der feste Bezugspunkt. Man muß daher die Analogie streng von der Metapher unterscheiden, was nicht ausschließt, daß auch das analoge Sprechen eine metaphorische Dimension hat.63

In der kategorischen Unterscheidung zwischen analoger und metaphorischer Rede wird die erste als im doppelten Sinn uneigentlich angesehen: Die Bezeichnung ist sowohl hinsichtlich des modus significandis64 uneigentlich als auch hinsichtlich des res significata.65 Diese Differenzierung erscheint der Position angemessen, die Thomas zwischen metaphorischem und analogem Sprechen entwickelt.66 Allerdings wird dabei unterschlagen, dass die Analogie – zumindest im aristotelischen Sinn – ein entscheidendes Strukturprinzip der Metaphorik bildet. Schon in den frühen mittelalterlichen Grammatiken67 und Enzyklopädien68 fehlt jedoch der Verweis auf die analogische Struktur.69 Entsprechend folgerichtig scheint Thomasʼ gesonderte Betrachtung der Analogie. Bemerkenswerterweise vollzieht seine Reflexion der Analogie eine ähnliche Spaltungsbewegung wie zuvor der Metapherndiskurs: Thomas unterscheidet nach analogia proportionis und analogia proportionalitatis und nur die letztere ist für die theologische, nach Erkenntnis und Wahrheit strebende Rede über Gott adäquat. Der analogia proportionis liegt ein definites Verhältnis von Einheiten zueinander zugrunde,70 was diese Redeweise der indefiniten Distanz Gottes zu den Geschöpfen unangemessen macht. Dieser Indefinitheit kann nur mit der analogia proportionalitatis entsprochen werden, die der aristotelischen Analogiestruktur a:b wie c:d entspricht.71 Die von Thomas für die wissenschaftlich-theologische Rede abgelehnte analogia

63 Rudi te Velde: Die Gottesnamen, S. 63–64. 64 Die Weise des Bedeutens. 65 Die bezeichnete/bedeutete Sache. 66 Vgl. hierzu ausführlich Bernard Montagnes: The Doctrine of the Analogy of Being According to Thomas Aquinas. Milwaukee: Marquette University Press 2004, S. 23–80. 67 Vgl. z. B. Aelius Donatus: Ars grammatica Maior, De tropis, 1. 68 Vgl. z. B. Isidor von Sevillas Enzyklopädie Etymologiarum sive Originum, I, XXXVII, 1. 69 Auch Ekkehard Eggs verweist auf die systematische Abspaltung der vierten Metaphernart in der nach-aristotelischen Metapherndebatte (vgl. Ekkehard Eggs: Metapher, S. 1106). 70 Bernard Montagnes zeigt, dass die von Thomas in früheren Schriften verwendeten Unterarten der Analogie letztlich alle unter die analogia proportionis fallen. 71 Vgl. Bernard Montagnes: The Doctrine of the Analogy of Being, S. 69–70.

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proportionis entspricht in ihrer Übertragungsstruktur eher den ersten drei Metaphernarten des Aristoteles, bei denen es einen verbindenden Mittelwert gibt, zu dem sich die beiden Vergleichsterme in einem bestimmten Verhältnis befinden. In der theologischen Rede über Gott ist eine solche, für Thomas im strengen Sinne metaphorische Redeweise jedoch zu meiden.72 Legitimiert werden dagegen die entsprechenden Beispiele der biblischen Offenbarung. Hier werden sie zunächst anhand von mittelalterlichen Standardbeispielen der Metapher erläutert und aufgelöst: Sic ergo omnia nomia quae metaphorice de Deo dicuntur, per prius dicuntur de creaturis, quam de Deo: quia dicta de Deo, nihil aliud significat quam similitudinem ad tales creaturas. Sicut ridere, dictum de prato, nihil aliud significat quam quod pratum similiter se habet in decore cum floret, sicut homo cum ridet, secundum similitudinem proportionis; sic leones nomen dictum de Deo, nihil aliud significat quam quod Deus similiter se habet, ut fortiter operetur in suis operibus, sicut leo in suis.73

Die Rechtfertigung der biblischen Metaphorik beruht wiederum auf dem Sonderstatus der Heiligen Schrift als Quelle axiomatischer Glaubenswahrheiten,74 die Ausgangspunkt der wissenschaftlichen Beweisführung sind, aber selbst nicht unter das Beweisprinzip der Scholastik75 fallen. Die metaphorische Bibelsprache wird von Thomas zunächst mit ihrer funktionalen Angemessenheit für die Bekehrung des Menschen legitimiert.

72 „Ad decimum dicendum, quod de his quae dicuntur de Deo et creaturis, quaedam sunt quorum res significatae per prius inveniuntur in Deo quam in creaturis, quamvis nomina prius fuerint creaturis imposita; et talia proprie dicuntur de Deo, ut bonitas sapientia, et huiusmodi. Quaedam vero sunt nomina quorum res significatae Deo non conveniunt, sed aliquid simile illis rebus; et huiusmodi dicuntur metaphorice de Deo, sicut dicimus Deum leonem vel ambulantem. Dico ergo, quod verbum in divinis dicitur ad similitudinem nostri verbi, ratione impositionis nominis, non propter ordinem rei; unde non oportet quod metaphorice dicatur.“ (Thomas von Aquin: Von der Wahrheit – De veritate (Quaestio I). Lateinisch/Deutsch. Hrsg. von Albert Zimmermann. Hamburg: Meiner 1986, q. 4 a 1 ad 10). 73 Thomas von Aquin: Summa theologica, q.13 a. 6. „Alle Namen sonach, welche figürlich von Gott gelten, werden an erster Stelle von den Kreaturen ausgesagt und erst an zweiter von Gott, denn sie bezeichnen nur gewisse Ähnlichkeiten in Gott mit jenen; nicht daß diese Namen einen Vorzug in Gott ausdrückten. Denn wenn z. B. von der ‚lachenden Wiese‘ gesprochen, so heißt das nicht, daß in der Wiese etwas wirklich Lachendes wäre, sondem dieselbe verhält sich in der Pracht ihrer Blüten ähnlich wie ein Mensch, der lacht; es besteht da eine gewisse Proportion. So wird nun der Ausdruck ‚Löwe‘ von Gott gebraucht; denn das bezeichnet nur, daß Gott in seinen Werken große Kraft zeige, ähnlich wie der Löwe in den seinigen.“ (Übersetzung Deutsche Thomas Ausgabe). 74 Vgl. ebd., q. 1 a. 2. 75 Vgl. ebd., q. 1 a. 8.

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Deus enim omnibus providet secundum quod competit eorum naturae. Est autem naturale homini ut per sensibilia ad intelligibilia veniat, quia omnis nostra cognitio a sensu initium habet. Unde convenienter in sacra Scriptura traduntur nobis spiritualia sub metaphoris corporalium.76

Während Augustinus sich genötigt sah, den stilistischen Wert des biblischen Textes u. a. unter Verweis auf dessen reiche Metaphorik zu verteidigen, betont Thomas hier vor allem die Differenz, die sich durch den sakralen Charakter der Heiligen Schrift für die Schlussfolgerungen aus den Metaphern ergibt. In Abgrenzung zur Literatur argumentiert er, dass „poeta utitur metaphoris propter repraesentationem, repraesentatio enim naturaliter homini delectabilis est. Sed sacra doctrina utitur metaphoris propter necessitatem et utilitatem, ut dictum est“.77 Aus der in seinen Augen niedrigen Stellung der Literatur macht Thomas dabei keinen Hehl: „Procedere autem per similitudines varias et repraesentationes, est proprium poeticae, quae est infima inter omnes doctrinas. Ergo hujusmodi similitudinibus uti non est conveniens huic scientiae.“78 Die gleichzeitige Abwertung von Metapher und Poetik als unwissenschaftlich bleibt später bei den rationalistischen Aufklärern79 und englischen Empirikern80 bestehen, obgleich sich das Verständnis von Wissenschaft grundlegend verändert. Trotz der grundsätzlichen Vorbehalte bleibt jedoch das Faktum der metaphorischen Bibelsprache für Thomas erklärungsbedürftig. Begründung ist wiederum die begrenzte Erkenntnisfähigkeit des Menschen, die für das sinnlich Wahrnehmbare empfänglicher ist als für das Abstrakte.81 Der Verweis auf die bessere Verständlichkeit der Metapher in diesem Kontext setzt wiederum

76 Ebd., q. 1 a. 9. „Gott sorgt nämlich für alle Wesen so, wie es ihrer Natur entspricht. Es ist dem Menschen durchaus natürlich, daß er durch die Sinnendinge zu den geistigen geführt wird, denn alle unsere Erkenntnis geht aus von den Sinnen.“ (Übersetzung Deutsche Thomas Ausgabe). 77 Ebd., q. 1 a. 9 ad 1. „Zu 1. Der Dichter bedient sich der bildlichen Ausdrucksweise um der lebendigen Vorstellung willen, denn solche Anschaulichkeit ist dem Menschen von Natur aus eine Lust. Die Hl. Schrift aber bedient sich der Bilder und Gleichnisse, weil es notwendig und nützlich ist.“ (Übersetzung Deutsche Thomas Ausgabe). Vgl. zur Diskussion von necessitas und delectatio Olivier-Thomas Venard: Metaphor, Between Necessitas and Delectatio. 78 Ebd., I. q. 1. a. 9 ad 1. „Der Gebrauch von Bildern und Gleichnissen aber ist das Eigentümliche der Poetik, die doch die letzte unter allen Wissenschaften ist. Also ist der Gebrauch von Gleichnissen für diese Wissenschaft [die Theologie, eigene Ergänzung] nicht angebracht.“ (Übersetzung Deutsche Thomas Ausgabe). 79 Vgl. Klaus Müller-Richter/Arturo Larcati: „Kampf der Metapher!“, S. 92–97. 80 Vgl. ebd., S. 102–107. 81 Vgl. Thomas Prügl: Thomas von Aquin, S. 199.

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ein Verständnis der Metapher als ‚vor-Augen-stellen‘ voraus, eine Funktion, die bereits von Aristoteles im Zusammenhang mit der Metapher gesehen, mit dieser aber nicht gleichgesetzt wurde.82 Insofern folgt die Metapher in der Bibel einer didaktischen Notwendigkeit, während sie in der Poesie bloß der Zerstreuung dient. Die klassische Doppelfunktion der Metapher zu erfreuen und eine Notwendigkeit zu erfüllen, bietet hier die Grundlage für eine funktionale Unterteilung verschiedener Typen von Schrift und der besonderen Auszeichnung der Heiligen Schrift im Gegensatz zur Literatur. Dementsprechend sind auch die Regeln der Exegese streng auf die Bibel bezogen,83 was sie für die literaturwissenschaftliche Operationalisierung ebenso problematisch macht wie die Augustinus’, von dem Thomas auch grundlegende Elemente der Zeichentheorie übernimmt.84 Ebenfalls wenig revolutionär nimmt sich Thomasʼ grundsätzliche Position zur Exegese, insbesondere zur Lehre vom vierfachen Schriftsinn aus,85 seine darüber hinausgehende Theoriebildung berührt die Exegese selbst nicht. Eine Operationalisierung seiner Theorie im Sinne einer hermeneutisch orientierten Literaturwissenschaft lässt daher wenig andere Resultate erwarten als bei Augustinus. Nichtsdestotrotz ist mit Blick auf Augustinus eine entscheidende Verschiebung bei der Verortung der Metapher in diesem Schriftsinn zu konstatieren:86 Die Metapher als rhetorische Figur wird dem literalen Schriftsinn zugeordnet und ist in diesen auflösbar, indem das Gemeinte hinter der Figur aufgedeckt wird. Die grundsätzliche Verfügungsgewalt, die ein menschlicher Autor über die sprachliche Form, also die verbalen Metaphern, hat sowie umgekehrt die Möglichkeit, diese in nicht-metaphorische Paraphrasen aufzulösen, liefern hier die entscheidenden Argumente für die Zuordnung der Metapher zum Literalsinn. Mit dieser Vorstellung der verbalen Metapher als grundsätzlich paraphrasierbar, steht Thomas in einer Linie mit antiken Rhetorikern wie Quintilian87 und zeitgenös-

82 Vgl. Kap. 2. zu Aristoteles und Rüdiger Campe: Vor Augen Stellen. 83 Eine beginnenden Aufweichung dieser Begrenzung wird in der Sekundärliteratur z. B. in Dantes Convivio zur Divina Comedia verortet. (Vgl. Umberto Eco: La metafora nel Medioevo latino. In: Doctor Virtualis 3 (2004), S. 35–75). 84 Vgl. Thomas Prügl: Thomas von Aquin, S. 202–204. 85 Vgl. ebd., S. 201–206. 86 „Il est vrai d’autre part que cette distinction essentielle trouve une application plus rigoureuse dans le langage de saint Thomas que dans celui comme beaucoup d’autres avant lui, puisqu’il range «  l’allégorie, la parabole, la métaphore dans le sens littéral  »  […]“ (Henry de Lubac: Exégèse médiévale, S. 290). 87 Vgl. dazu Quintilian Kap. 4.1.

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sischen kognitiven Ansätzen,88 die ebenfalls von der Möglichkeit einer (verlustfreien) Paraphrase ausgehen. Die Vorstellung der Metapher als in Paraphrasen auflösbar steht im Einklang mit ihrer Verortung als Teil des Literalsinns, womit eine entscheidende Verschiebung erfolgt. Das noch bei Augustinus nicht eindeutige Verhältnis von rhetorischer Figur und mehrfachen Schriftsinnebenen findet sich bei Thomas festgelegt und die Metapher ist nicht länger ein Prinzip zur Bedeutungstranszendierung. Mit der Herauslösung der argumentationslogisch instrumentalisierbaren Analogie als erkenntnistheoretisch wertvollem Prinzip aus der aristotelischen Definition der Metapher gelingt Thomas die Verpflichtung einer spezifischen Form des Übertragungsprinzips auf die Wahrheit und damit die Fruchtbarmachung für die theologische Diskussion. Mit der strikten Bindung der rhetorischen Metapher an den intendierten Wortsinn der Schrift in der Exegese schränkt er die beliebige Anwendbarkeit des Metaphernbegriffs und die damit einhergehende potenzielle Vieldeutigkeit ein.89 Der legitime Anwendungsraum für den Begriff Metapher ist damit drastisch begrenzt, das erkenntnistheoretisch funktionale Element jedoch separat unter anderer Terminologie eingeführt. Dieses enge rhetorische Verständnis der Metapher und ihre relativ eindeutige Auflösbarkeit auf eine intendierte Bedeutung hin markieren einen exegetischen Wendepunkt, der sich im reformatorischen Schriftverständnis radikalisieren wird. Während die Weiterentwicklung des hermeneutischen Diskurses sich in einer Ausdehnung seiner Prinzipien auf die Literatur manifestiert,90 kann diese reformatorische Exegese als Rückkehr der Rhetorik in die Hermeneutik charakterisiert werden.

88 Vgl. hierzu die ‚Standardbedeutungen‘ bestimmter Metaphern, die in der CMT i. d. R. die Ausgangsgrundlage der Diskussion darstellen (vgl. Kap. 9.1.). 89 Vgl. Christian Strub: Abbilden und Schaffen von Ähnlichkeiten. 90 Vgl. FN 33 in diesem Kapitel.

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5.3 Philipp Melanchthon (1459–1508) Quantum dignitatis addit apibus Virgilius, cum ait, Ipsae regem paruosque Quirites sufficiunt.91

In Philipp Melanchthons Elementa rhetorices92 wird die Position der Metapher durch zwei zentrale Verschiebungen neu bestimmt: Die erste ist die radikale Abwendung von der Scholastik, die zweite die Ablehnung des vierfachen Schriftsinns.93 Während der zweite Punkt in Abkehr von der patristischen Tradition einen neuen Umgang mit den, bislang auf diesem Weg gelösten, Problempassagen der Heiligen Schrift und damit letztlich eine neue Hermeneutik fordert, kehrt der erste das Verhältnis von Rhetorik und Dialektik als theologische Verfahren ein weiteres Mal um. Diese Umkehrung mag sich aus Melanchthons eigenem Ausbildungsweg und seiner Verortung im intellektuellen Spektrum seiner Zeit begründen lassen.94 Wie Augustinus durchläuft auch Melanchthon zunächst eine rhetorisch-literarische Ausbildung, bevor er sich der Theologie und der reformatorischen Bewegung

91 Philipp Melanchthon: Elementa rhetorices. Grundbegriffe der Rhetorik. Mit den Briefen Senecas, Plinius’ d. J. und den „Gegensätzlichen Briefen“ Giovanni Picos della Mirandola und Franz Burchards. Hrsg. von Volkhard Wels. 2. Aufl. Potsdam: Postprints der Universität Potsdam 2001, S. 184. Melanchthon bestimmt die Metapher ausschließlich als Übertragung nach der Ähnlichkeit. „Wieviel Würde gibt Vergil den Bienen, wenn er sagt: Sie versorgen den König und die kleinen Quiriten selbst.“ (Übersetzung Volkhard Wels). 92 Als Ersterscheinungsdatum gibt Volkhard Wels 1531 an und führt mindestens drei Überarbeitungen (1532, 1536 und 1539) des insgesamt zu Lebzeiten des Verfassers fast 50 Mal aufgelegten Werkes auf. (Für eine knappe Editionsgeschichte vgl. ebd., S. 465–470). Die folgenden Ausführungen referieren auf die Ausgabe von 1539, die der Ausgabe von Wels zugrunde liegt. 93 Vgl. dazu Philipp Melanchthon: Philipp Melanchthons ›Rhetorik‹. Hrsg. von Joachim Knape. Tübingen: Niemeyer 1993, S. 12–15. 94 Zu Melanchthon vgl. Karl Hartfelder: Philipp Melanchthon als Praeceptor Germaniae. Nieuwkoop: De Graaf 1889; Heinz Scheible: Melanchthon, Philipp (1497–1560). In: Theologische Realenzyklopädie. Hrsg. von Gerhard Krause/Gerhard Müller. Bd. 22. Berlin/New York: de Gruyter 2000, S. 371–410 (mit reichen Literaturangaben) und ders. Melanchthon und die Reformation sowie Melanchthon. Eine Biographie; zu seiner Exegese Hansjörg Sick: Melanchthon als Ausleger des Alten Testaments. Tübingen: Mohr 1959; Timothy J. Wengert: Philip Melanchthon’s “Annotationes in Johannem” in Relation to its Predecessors and Contemporaries. Genève: Droz 1987; John R. Schneider: Philip Melanchthon’s Rhetorical Construal of Biblical Authority: Oratio Sacra. Lewiston/New York: Mellen 1990; Timothy J. Wengert/M. P. Graham (Hrsg.): Philip Melanchthon (1497–1560) and the Commentary. Sheffield: Sheffield Academic Press 1997 und Timothy J. Wengert: Human Freedom, Christian Righteousness. Philip Melanchthon’s Exegetical Dispute with Erasmus of Rotterdam. New York/Oxford: Oxford University Press 1998.

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zuwendet.95 Melanchthon steht damit Augustinus  – trotz aller Differenzen  – in doppelter Hinsicht näher als Thomas: erstens wegen seiner starken Verwurzelung in der Rhetorik,96 die sich in seinen späteren Schriften niederschlägt; zweitens wegen seines Wirkens zu einem religions- und kulturgeschichtlichen Wendepunkt,97 der das Christentum bis heute prägt. Die reformatorische Bewegung Melanchthons steht in Konkurrenz mit der katholischen Kirche um die Zustimmung der Gläubigen, ähnlich wie das von Augustinus vertretene frühe Christentum gegenüber seinem polytheistischen Umfeld. Sowohl Augustinus, in seiner Auseinandersetzung mit nicht-Christen und Charismatikern, als auch Melanchthon, in seiner Konfrontation mit der katholischen Kirche, setzen auf die Rhetorik sowohl als Mittel der Überzeugung als auch als Instrument zum Schriftverständnis.98 Während die scholastische Theologie die Rhetorik zugunsten der Dialektik marginalisierte, stellt Melanchthon wiederholt die unauflösbare Verschlungenheit der beiden fest: „Tanta est Dialaecticae et Rhetoricae cognatio, uix ut discrimen deprehendi possit.“99 Mit dieser Feststellung stellt Melanchthon sich selbst

95 Vgl. Wilhelm Schmidt-Biggemann: Topik und Loci Communes: Melanchthons Traditionen. In: Der Philosoph Melanchthon. Hrsg. von Günter Frank/Felix Mundt. Berlin/Boston: de Gruyter 2012, S. 77–93, hier auf S. 87–88. Zu Melanchthons intellektueller Entwicklung zwischen Theologie und Humanismus ausführlicher Carl J. Classen: Die Bedeutung der Rhetorik für Melanchthons Interpretation profaner und biblischer Texte. In: Nachrichten der Akademie der Wissenschaften in Göttingen. I, Philologisch-Historische Klasse. Bd. 5. Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht, S. 236–272. 96 Freilich greifen beide auf unterschiedliche Konzepte der Rhetorik zurück, bezieht sich doch Melanchthon neben den klassischen Autoritäten Quintilian und Cicero vor allem auf den Anticiceronianer Erasmus. Vgl. zum Verhältnis von Melanchthons Rhetorik zu Cicero und Quintilian William P. Weaver: Triplex est Copia. Philip Melanchthon’s Invention of the Rhetorical Figures. In: Rhetorica: A Journal of the History of Rhetoric 29:4 (2011), S. 367–402. Ausführlich zum Verhältnis Erasmus-Melanchthon: Timothy J. Wengert: Human Freedom, Christian Righteousness. 97 Besonders herauszustreichen ist hier einerseits sein konkretes Wirken im Kontext der reformatorischen Bewegung Luthers (vgl. Thomas Kaufmann: Luthers Bibelhermeneutik anhand seiner Vorrede auf das Neue Testament und De servo arbitrio. In: Handbuch der Bibelhermeneutiken. Von Origenes bis zu Gegenwart. Hrsg. von Oda Wischmeyer. Berlin/Boston: de Gruyter 2016, S. 313–322, hier auf S. 317) sowie sein weitreichender und langfristiger Einfluss als praeceptor germaniae, als der er, ähnlich wie die antiken Rhetoriklehrer, ein umfassendes Bildungsprogramm als Grundlage für Rhetorik und Theologie propagierte (vgl. Kap. 4.1., FN 2). 98 Vgl. hierzu Joachim Knape: Rhetorische und ästhetische Impulse der Reformation. Luther: neuer Cicero – Melanchthon: neuer Quintilian? In: Philipp Melanchthon. Seine Bedeutung für Kirche und Theologie, Bildung und Wissenschaft. Hrsg. von Friedrich Schweitzer/Sönke Lorenz/ Ernst Seidl. Neukirchen-Vluyn: Neukirchener Verlagsgesellschaft 2010, S. 58–74. 99 Philipp Melanchthon: Elementa rhetorices, S. 27. „Die Verwandtschaft zwischen Dialektik und Rhetorik ist so groß, daß man einen Unterschied kaum ausmachen kann.“ (S. 26, Überset-

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in die direkte Tradition von Aristoteles, Cicero und Quintilian. Sein Verständnis des Zuständigkeitsbereichs der Rhetorik scheint jedoch noch über das dieser beiden hinauszugehen: Für Melanchthon ist die Rhetorik auch die Grundlage für das korrekte Verständnis von Texten100 – vor allem natürlich der Bibel: Quare et nos ad hunc usum trademus Rhetoricen, ut adolescentes adiuuent in bonis autoribus legendis, qui quidem sine hac uia nullo modo intelligi possunt. Quod cum ita sit satis apparet haec praecepta necessaria esse omnibus. Deinde autores intellectos imitari, non difficile erit his, qui a natura ad dicendum adiuuantur. Etenim neque sine imitacione effici oratores possunt, neque imitacio sine praeceptorum cognitione procedit.101

Der Zusammenhang zwischen Hermeneutik und Rhetorik ist durch den direkten Einfluss der rhetorischen Tradition bereits bei Augustinus präsent. Nichtsdestotrotz bleibt er aber aufgrund der dogmatischen Prämisse, die die Bibel als Wort Gottes kategorisch von der Rede der Menschen unterscheidet, bei dem Kirchenvater nur latent. Statt sich mit der inhärenten Verbindung zwischen der rhetorischen und der hermeneutischen Funktion rhetorischer Figuren auseinanderzusetzen beschränkt sich Augustinus darauf, über ihren Nachweis die stilistische Qualität des biblischen Textes zu verteidigen. Bei Melanchthon rückt die hermeneutische Funktion unter einer veränderten Prämisse über den Status des göttlichen Wortes in den Fokus:102 Indem der exegetische Sonderstatus der Bibel, der vierfache Schriftsinn, aufgegeben wird, öffnet sich die Perspektive für einen direkten

zung Volkhard Wels ). Vgl. zur Entwicklung des Verhältnisses von Dialektik und Rhetorik auch ebd., S. 344–349. 100 Vgl. ebd., S. 457. Wie fundamental diese persönliche Überzeugung war, mag sich daran ablesen lassen, dass Melanchthon trotz zahlreicher theologisch-exegetischer Vorlesungen nie die theologische Doktorwürde anstrebte, sondern der sprachlich-rhetorischen ‚Grundausbildung‘ in der artistischen Fakultät treu blieb. (Vgl. Nicole Kuropka: Philipp Melanchthon: Wissenschaft und Gesellschaft. Ein Gelehrter im Dienst der Kirche (1526–1532). Tübingen: Mohr Siebeck 2002, S. 52–53). 101 Philipp Melanchthon: Elementa rhetorices, S. 22. „Deshalb lehre auch ich die Rhetorik mit dem Zweck, junge Leute bei der Lektüre guter Autoren, die man ohne diese Methode gar nicht verstehen kann, zu unterstützen. Aus diesen Gründen dürfte klar sein, daß diese Regeln für alle notwendig sind. Für diejenigen, die ein natürliches Talent zum Sprechen haben, wird es dann auch nicht mehr schwer sein, die Autoren, hat man sie erst einmal verstanden, nachzuahmen. Denn weder können Redner ohne imitatio zu solchen werden, noch sich die imitatio ohne ein Verständnis der Regeln weiterentwickeln.“ (Übersetzung Volkhard Wels). 102 Vgl. dazu auch Martin Leiner: Die Anfänge der protestantischen Hermeneutik bei Philipp Melanchthon. Ein Kapitel zum Verhältnis von Rhetorik und Hermeneutik. In: Zeitschrift für Theologie und Kirche (1997), S. 468–487, hier auf S. 472–473. Leiner spricht in diesem Zusammenhang auch von einer Demokratisierung, Problematisierung und methodischen Systematisierung als Merkmale der Hermeneutik seit Melanchthon. Zumindest hinsichtlich der Systematisierung sind

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Zusammenhang zwischen Rhetorik und Exegese. Diese letzte Verschiebung in der Perspektive auf die Heilige Schrift markiert den eindeutig reformatorischen Zug von Melanchthons rhetoriktheoretischem und exegetischem Programm. Genau hier lässt sich der entscheidende Unterschied zu Erasmus markieren, der, obgleich er mit seiner Bemühung einer humanistischen Wiederbelebung der Rhetorik gemeinsam mit Melanchthon gegen die Scholastik steht, den theologisch fundamentalen Schritt der Reformation nicht mitgeht.103 Während Erasmus, wie seine Exegesehandbücher zeigen, am Prinzip des vierfachen Schriftsinns festhält, fallen für Melanchthon die Regeln des menschlichen und des göttlichen Wortes, des Sprechens und des Verstehens in eins. In der Schlussfolgerung kommt bei Melanchthon der Kenntnis der rhetorischen Regularien eine grundlegend hermeneutische Funktion zu: Nemo etim potest longas contentiones et perplexas disputationes animo complecti, nisi arte aliqua ad iuuevtur, quae ostendit seriam partim, et interualla et dicendum consilia, et uiam tradat, res obscuras explicandi et patefacendi. Haec utilitas mouit homines prudentes ad excogitanda praecepta, ut in commune consulerent omnibus, et non tam ad recte dicendum, tam ad prudenter intelligenda aliena scripta praepararent.104

Nicht mehr die Ausbildung des Redners ist mithin das erste Ziel von Melanchthons Rhetorik, sondern die Vermittlung einer hermeneutischen Methode. Diese Zielsetzung trägt klar die Züge des reformatorischen Programms einer Öffnung der Heiligen Schrift für alle Gläubigen,105 für die es jedoch propädeutischer Maßnahmen bedarf. Dass der ars rhetorica eine hermeneutisch-exegetische Funktion zukommt, ist eine zentrale These von Melanchthons Rhetorikschrift, was sich bereits daran zeigt, dass die hier angeführte Definition schon in der Einleitung als zentrale Funktion genannt wird, was später durch die wiederholte Einfügung

jedoch in meinen Augen mit Blick auf die umfangreichen hermeneutischen Grundlegungen vor Melanchthon hier Einschränkungen zu machen. 103 Vgl. zum schwierigen Verhältnis zwischen Erasmus und Melanchthon Timothy J. Wengert: Human Freedom, Christian Righteousness. 104 Philipp Melanchthon: Elementa rhetorices, S. 22. „Denn niemand kann komplizierte Diskussionen und verschlungene theoretische Erörterungen geistig erfassen, wenn ihm dabei nicht irgendeine Kunst hilft, die ihm die Anordnung von deren einzelnen Teilen, die Pausen und die Absichten der Sprechenden zeigt – und die ihm den Weg zeigt, schwer verständliche Sachverhalt zu erklären und zugänglich zu machen.“ (S. 23, Übersetzung Volkhard Wels). 105 In diesem Punkt schließt Melanchthon durchaus auch an Erasmusʼ Bibelhumanismus mit seiner Forderung nach einem individuellen Bibelstudium an. Vgl. Martin Leiner: Die Anfänge der protestantischen Hermeneutik bei Philipp Melanchthon, S. 472.

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hermeneutisch-exegetischer Exkurse106 bestätigt wird. Der formale Aufbau der antiken Rhetoriken wird durch diese Ergänzungen zwangsläufig irritiert; die typischen Abschnitte107 erfahren dagegen zum Teil erhebliche Kürzungen.108 Die Bedeutung der Tropen und insbesondere der Metapher109 für das Verständnis von komplexen Texten hebt Melanchthon immer wieder hervor, gepaart mit vernichtender Kritik an der traditionellen Auslegungspraxis: Sed has nugas commenti sunt homines illiterati, qui cum nullam dicendi rationem tenerent, et tamen uiderent scripturam plenam esse figurarum, non potuerunt apte de figuris iudicare. Itaque coacti sunt nouam quandam Rhetoricam comminisci, ut interpreta bantur hanc sententiam.110

Melanchthon artikuliert, verpackt in der Kritik an der traditionellen Auslegungsmethode,111 ein klares Unbehagen am Bedeutungspluralismus und den sprachlichen Unsicherheiten, die er durch die Metapher markiert sieht. Diese Kritik macht deutlich, wie sehr Melanchthon die Exegese von der Rhetorik her denkt:

106 Zu den Charakteristika von Melanchthons Rhetorik-Konzeption vgl. Carl J. Classen: Neue Elemente in einer alten Disziplin. Zu Melanchthons De Rhetorica libri tres. In: Antike Rhetorik im Zeitalter des Humanismus. München/Leipzig: Saur 2003, S. 254–309 sowie Philipp Melanchthon: Elementa rhetorices, S. 448–464. 107 Die Produktionsstadien der Rede werden in den klassisch-römischen Rhetoriken in die sechs Schritte gegliedert: intellectio (Klärung des Redegegenstandes), inventio (Auffinden des Redestoffes), dispositio (Gliederung des Redestoffes), elocutio (sprachliche Gestaltung/Ausführung des Stoffes), memoria (Einprägen des Redetextes), pronuntiatio bzw. actio (Vortrag/Perfomance inklusive Gestik und Mimik). (Vgl. dazu Gert Ueding/Bernd Steinbrink: Grundriß der Rhetorik, S. 211–237). 108 Eine Übersicht über die inhaltlichen Verschiebungen zwischen den verschiedenen Ausgaben von Melanchthons Rhetorik findet sich bei Philipp Melanchthon: Philipp Melanchthons ›Rhetorik‹, S. 30. An dieser Übersicht lässt sich bereits ablesen, dass der Teil der elocutio, in den auch die Tropendiskussion und in der letzten Ausgabe eine Einlassung zur Bibelexegese fallen, im Lauf der Bearbeitung deutlich an Raum gewinnt. 109 Für Melanchthon ist die Definition der Metapher letztlich fast synonym mit der Definition der Tropen. Siehe dazu weiter unten. 110 Philipp Melanchthon: Elementa rhetorices, S. 192. „Es ist nun leicht zu erkennen wie verkehrt das ist [die Theorie des vierfachen Schriftsinns], denn die Sprache wird, wenn sie in so viele Sinne zerpflückt wird, unsicher. Diesen Unsinn haben sich Menschen ausgedacht, die keine wissenschaftliche Ausbildung hatten und die zwar sahen, dass die Schrift voll von Figuren ist, aber, weil sie sich an keine Methode des Sprechens hielten, diese Figuren nicht angemessen beurteilen konnten. Deshalb waren sie gezwungen sich eine Art neue Rhetorik auszudenken.“ (S. 193, Übersetzung Volkhard Wels). 111 Die durchaus ein systematisches Fundament besitzt, auch wenn dieses nicht in der Sprache, sondern im angenommenen göttlichen Bezugsrahmen liegt.

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Aus der rhetorischen Praxis heraus ist die Identifizierung einer Intention und die eindeutige Zuweisung einer Äußerung zu einem Sinn existenziell.112 Das Verfügen über sprachliche Mittel als Instrumente zum Erreichen eines Ziels ist die Kernidee der Rhetorik als Lehre. Während die Patristik und die Scholastik über den Sonderstatus der Heiligen Schrift eine Ausnahmesituation schaffen und mehrere Sinnebenen zulassen, überträgt Melanchthon das rhetorische Prinzip auf das exegetische: Caeterum non meminerimus unam quandam ac certam et simplicem sententiam ubique quaeredam esse iuxta praecepta Grammaticae, Dialecticae, et Rhetoricae. Nam oratio, quae non habet unam ac simplicem sententiam, nihil certi docet. Si quae figurae occurrent, haec non debent multos sensus parere, sed iuxta consuetudinem sermonis unam aliquam sententiam, quae ad caetera quadret, quae dicuntur. Et ad hunc usum haec puerilis doctrina de figuris et omni ratione dicendi reperta est, ut discamus iudicare de sermone et unam aliquam ac certam sententiam ex qualibet oratione colligere. Proinde in sacris literis illa sententia retinda est, quam consuetudo sermone parit, haec certo docet coscientias de his rebus quae ibi traduntur, […].113

Der ontologische Sonderstatus der Heiligen Schrift ist hier aufgehoben und sie wird dem rhetorischen Verdikt der Klarheit und Eindeutigkeit untergeordnet, dem auch alle menschliche Rede unterliegt. Bemerkenswerterweise bleiben stilistischästhetische Gesichtspunkte, die noch bei Augustinus eine zentrale Rolle spielten, außen vor: Die Bibel bedarf dieser Apologie nicht mehr. Die Metapher als zentrale Trope behandelt Melanchthon im entsprechenden Abschnitt der elocutio114 und stellt dort eingangs fest: „Nos prius recensebimus

112 Davon zeugen schon die frühesten Rhetorikschriften und die darin enthaltenen Diskussionen der Metapher: Die Metapher wird immer als ein Mittel zur Erreichung eines klaren kommunikativen Ziels verstanden, als kunstvoller Ausdruck einer möglicherweise komplexen, aber eindeutigen Botschaft, über die der Rhetor verfügt. Ein potenzieller Bedeutungspluralismus des Gesagten wäre ein Angriff auf die Autorität des Redners. 113 Ebd., S. 196–197. „Wir dagegen möchten daran erinnern, daß man überall eine einzige, feste und einfache Bedeutung suchen muß, nach den Regeln der Grammatik, Dialektik und Rhetorik. Denn ein Satz, der nicht einen einzigen und einfachen Sinn hat, unterrichtet uns über nichts mit Gewißheit. Wenn irgendwelche Figuren vorkommen, dürfen diese nicht viele Sinne erzeugen, sondern gemäß dem Sprachgebrauch nur einen einzigen, der zu dem übrigen, was gesagt wird, paßt. Und zu diesem Zweck ist diese elementare Ausbildung in den Figuren und in der ganzen Methode des Sprechens entwickelt worden – damit man lernt, eine Äußerung zu beurteilen und irgendeinen einzigen und festen Sinn aus jedem beliebigen Satz herauszuholen. Dementsprechend muß man auch in der Heiligen Schrift den Sinn beibehalten, der dem Sparchgebrauch entspricht. Dies unterrichtet uns mit Gewißheit über die Sachverhalte, die dort vermittelt werden.“ (S. 199, Übersetzung Volkhard Wels). 114 Vgl. FN 17 in diesem Kapitel.

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tropos, quos tamen non est necesse substiliter discernere, sed Metaphorae nomine saepe etiam in alija speciubus utimur.“115 Die grundsätzliche Schwierigkeit bei der feinen Differenzierung der Tropen beklagt schon Quintilian; die Perspektive auf die Metapher als Überbegriff der Tropen ist von Aristoteles her bekannt.116 Die potenzielle Deckungsgleichheit eines weiten Metaphernbegriffs mit dem Überbegriff tropus ist immer dort latent, wo ihre Definitionen inhaltlich beinahe identisch sind, was in der Regel dort geschieht, wo das Grundprinzip ‚Übertragung‘ für alle Tropen behauptet wird und sich im Fall der Metapher keine Konkretisierung für die Übertragungsstruktur findet.117 Bei Melanchthon gibt es eine minimale Konkretisierung: „μεταφορὰ est, cum propter similitudinem transfertur vocabulum a propria significatione, ut ferrum pectus, pro eo quod flecti aut terreri non potest.“118 Die Definition der Metapher als Übertragung nach dem Prinzip der Ähnlichkeit bedeutet eine an Thomas erinnernde Aussparung der Analogie aus den Funktionsprinzipien der Metapher. Da es sich bei der metaphorischen Übertragung bei Melanchthon jedoch um eine rein rhetorische Übertragungsleistung auf linguistischem Niveau handelt und das Verstehen der Metapher grundsätzlich der Formulierung einer Paraphrase entsprechen würde, scheint die besondere Leistung der Analogie, wie sie Thomas ausarbeitet, bei Melanchthon nicht mehr nötig. Der Anwendungsraum für den Begriff Metapher ist bei Melanchthon also deutlich größer als bei Thomas von Aquin, jedoch funktional schwächer als bei Augustinus. Sowohl bei Thomas als auch bei Melanchthon findet sich die Kernidee, dass die Metapher letztlich die figurierte Form eines Wortsinns ist, der eindeutig identifiziert werden kann und nicht mit einer Transzendierung von Bedeutung einhergeht. Letztere lehnt Melanchthon grundsätzlich ab. Die humanistisch gestärkte Position der Rhetorik als Grundlegung der Hermeneutik geht damit einher mit einer verstärkten Legitimierung der Metapher als Strukturelement eines Textes, lehnt aber eine epistemologische oder ontologische Referenz auf Grundlage einer Überschreitung des Textes ab. Die konkrete Operationali-

115 Ebd., S. 182. „Ich werde nun zuerst die Tropen aufzählen, die man aber nicht fein unterscheiden muß. Man benutzt ja die Bezeichnung ‚Metapher‘ auch oft für die anderen Arten.“ (S. 183, Übersetzung Volkhard Wels). 116 Vgl. Kap. 2., FN 75. 117 Eine ähnlich breite Definition der Metapher findet sich bei Erasmus; um systematische Eingrenzung hatte sich dagegen Quintilian bemüht. 118 Philipp Melanchthon: Elementa rhetorices, S. 184. „Um eine Metapher handelt es sich wenn ein Wort aufgrund einer Ähnlichkeit [similitudo] von seiner eigentümlichen Bedeutung auf etwas anderes übertragen wird, wie z. B. ‚eiserne Brust‘ für etwas, das man nicht rühren oder erschrecken kann.“ (S. 185, Übersetzung Volkhard Wels).

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sierung seiner allgemeinen exegetischen Prinzipien erläutert und demonstriert Melanchthon unter anderem in seiner Auslegung des Kolosserbriefes,119 aber auch im Rahmen seiner Rhetorik-Schrift, in der er den Satz „Tu Christe es sacerdos secundum ordinem Melchisedech.“ als Beispiel anführt.120 Grundlegend für die richtige Erkenntnis der einen Bedeutung der Tropen ist immer ihre konkrete Verortung in einem Textzusammenhang,121 der überdies in einen kommunikativen Kontext gestellt wird, indem Sender, Botschaft und Empfänger klarzustellen sind. Entsprechend sieht Melanchthons Zugang zu einem Text(-element) stets eine systematische Gliederung der Textumgebung nach rhetorischen Kategorien der Textteile vor.122 Erst wenn über diese Punkte Klarheit erlangt ist, kann in Melanchthons Verfahren die Identifikation und Auslegung der Metapher erfolgen. Im konkreten Fall des Benjamin-Textes Möwen wäre also der erste Schritt die Einordnung des Textabschnittes in einen Gesamtzusammenhang, zum Beispiel den der zwischen 1925 und 1930 entstandenen und später als zusammenhängender Text publizierten Städtebilder, durch den der Eindruck einer realen Reisebeschreibung entsteht. Davon ausgehend ließe sich die Erörterung der Charakteristika einer Seereise anschließen,123 analog zu Melanchthons Erörterung der Bedeutung von Priestertum. Aus dieser Erörterung heraus lassen sich zahlreiche Elemente des Textes zunächst als nicht-metaphorisch, weil zu den Charakteristika der Seereise gehörig identifizieren, die mit anderen Theorien als Metaphern markierbar wären: der Mast, das Schiff und auch das Schwanken. Übrig blieben Elemente wie die ‚Möwenvölker‘ oder der Erzähler als ‚Schwelle‘, die nun nach dem Ähnlichkeitsprinzip der melanchthonschen Metapherntheorie erläuternd zu paraphrasieren wären, um ihre Bedeutung festzustellen. Die Ähnlichkeit der Möwenvölker zu Völkern ließe sich darin sehen, dass sie trotz Zugehörigkeit zur gleichen Art äußerlich klar unterscheidbar sind, wie menschliche Völker sich beispielsweise durch traditionelle Kleidung oder Habitus unterscheiden lassen. Die Ähnlichkeit des Erzählers mit der Schwelle ließe sich schlicht mit der überquerenden Bewegung der Möwen begründen. Als Verfahren zur Produktion einer einzigen Textbedeutung erweist sich Melanchthons Vorgehen als funktional.124 Aus heutiger

119 Vgl. hierzu Nicole Kuropka: Philipp Melanchthon: Wissenschaft und Gesellschaft, S. 55–69. 120 Philipp Melanchthon: Elementa rhetorices, S. 196. „Du, Christus, bist Priester nach der Ordnung des Melkisedek.“ (S. 197, Übersetzung Volkhard Wels). 121 Melanchthon formuliert, man müsse die ganze narratio durchgehen. Vgl. ebd., S. 199. 122 Ebd., S. 196. 123 Dies ist im Übrigen der dialektische Teil von Melanchthons exegetischer Praxis, die auf der syllogistischen Struktur und den loci communes zu einer Sache aufbaut. (Vgl. ebd., S. 195–197). 124 Die auf diese Weise produzierte Auslegung des Textes wäre der von Weinrich skizzierten ‚wörtlichen‘ Lesart des Textes verwandt. (Vgl. Harald Weinrich: Streit um Metaphern, S. 340).

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Sicht diskutierbare Aspekte sind die zugrunde liegende Vorstellung des Textes als notwendig geschlossene und zusammenhängende Ganzheit, aus der das Kontextualisierungsverfahren seine Legitimität bezieht. Sowohl für die Bibel selbst als auch für Benjamins Text erweist sich diese Vorstellung als schwer begründbar. Nichtsdestotrotz erweisen sich gerade diese grundlegenden exegetischen und hermeneutischen Überlegungen als anschlussfähig in der protestantischen Tradition, die in Friedrich Schleiermachers Schriften zur Grundlage auch der literaturwissenschaftlichen Hermeneutik-Diskussion kulminieren.125 Bemerkenswert scheint überdies, dass in der jüngeren Vergangenheit wieder vermehrt literaturwissenschaftliche Konzepte der Textuntersuchung126 ihren Eingang in theologische Diskurse gefunden haben. Ein intrinsischer Zusammenhang zwischen beiden Diskurssphären mag im Sonderstatus des Textes liegen, den beide Fragepositionen privilegieren. Eine besonders radikale Privilegierung des Textes findet sich in der Literaturwissenschaft strukturalistischer und dekonstruktivistischer Prägung, also in einem Diskurs, der Text und Sprache als Zeichensysteme in den Fokus rückt.

125 Vgl. als Übersicht zu Schleiermacher: Andreas Arndt/Jörg Dierken (Hrsg.): Friedrich Schleiermachers Hermeneutik. Interpretationen und Perspektiven. Berlin/Boston: de Gruyter 2016. Zur historischen Entwicklung der Hermeneutik dagegen Karen Joisten: Philosophische Hermeneutik. Berlin: Akademie-Verlag 2009. 126 Vgl. weitere Entwicklungen der Hermeneutik wie die Ricoeurs, aber auch die Überlegungen der Dekonstruktion. Vgl. hierzu z. B. die Beiträge des Sammelbandes Peter Zeillinger/Matthias Flatscher (Hrsg.): Kreuzungen Jacques Derridas. Geistergespräche zwischen Philosophie und Theologie. Wien: Turia und Kant 2004. Außerdem sowohl zu Derrida als auch zu Ricoeurs Einfluss Arie W. Zwiep: Bible Hermeneutics from 1950 to the Present. Trends and Developments. In: Handbuch der Bibelhermeneutiken. Von Origenes bis zu Gegenwart. Hrsg. von Oda Wischmeyer. Berlin/Boston: de Gruyter 2016, S. 933–1008.

6 Metapher und Zeichen Die Bedingungen der Möglichkeit der menschlichen Zeichenverwendung sowie die Konsequenzen der durch Zeichengebrauch geprägten Existenz des Menschen stehen im Fokus der in diesem Kapitel versammelten Autoren: Giambattista Vico, Jacques Derrida und Jacques Lacan. Ihre Analysen beschreiben die Metapher hinsichtlich ihres Status für Ursprung beziehungsweise Genese der menschlichen Zeichen(-systeme), ihrer intrinsischen Charakteristika und Effekte auf menschliche Existenz und Vermögen. Die gesonderte Behandlung von Zeichen als systematisch organisiertem, eigenständig beschreibbarem Untersuchungsgegenstand, der die Begründung einer eigenen Theoriebildung, der Semiotik, rechtfertig, etablierte sich im Anschluss an Ferdinand de Saussure. In dessen Zeichentheorie findet sich zur Metapher jedoch nur bemerkenswertes Schweigen, umso bemerkenswerter, als das Phänomen bei den von Saussure inspirierten Autoren (Derrida, Lacan, aber auch Roman Jakobson) eine zentrale Rolle erhält. Mit der Eingliederung Vicos in dieses Kapitel soll der Tatsache Rechnung getragen werden, dass diese spezifisch semiotische Perspektive keineswegs erst mit Saussure beginnt, auch wenn sie bis dahin noch nicht explizit als Einzeltheorie auftritt.1

6.1 Giambattista Vico (1668–1744) Natura simpatetica.2

Die monumentale Scienza nuova ist gleichzeitig Entwurf und exemplarische Durchführung eines neuen, für das 18. Jahrhundert unzeitgemäßen Forschungsprogramms,3 das zwar weit über das Problem der Metapher hinaus-

1 Tatsächlich finden sich schon in Aristoteles’ Hermeneutik-Schrift und durch das Mittelalter hindurch beispielsweise in Augustinus’ De magistro zeichentheoretische Überlegungen. Vicos Arbeit ist insofern bemerkenswert, als sie die Semiose in den Fokus rückt. 2 Giambattista Vico: La scienza nuova. Giusta l’edizione del 1744 con le varianti dell’edizione del 1730 e di due redazioni intermedie inedite. Hrsg. von Fausto Nicolini. Bari: Laterza 1928, S. 378. Die Personifikation natürlicher Ereignisse in Göttern ist in Vicos Verständnis die erste und grundlegend metaphorische Etappe der menschlichen Zeichennutzung. Ein analoges Beispiel findet sich später im Kapitel zu Jupiter. 3 Vgl. für Vicos zeitgenössische Kontroversen zur Rhetorik David L. Marshall: Vico and the Transformation of Rhetoric in Early Modern Europe. Cambridge u. a.: Cambridge University Press 2010. Für seine erkenntnistheoretische Position v. a. im Verhältnis zu René Descartes vgl. Karl Löwith: Vicos Grundsatz: verum et factum convertuntur. Seine theologische Prämisse und deren säkulare Konsequenzen. Heidelberg: Winter 1968. https://doi.org/10.1515/9783110585353-006

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geht,4 diese aber als Kernprozess sowohl der Zeichengenese als auch -entwicklung ansieht. Giambattista Vicos Programm versteht sich als Alternative zum cartesianischen Projekt und basiert auf der erkenntnistheoretischen Annahme „che il vero si convertisse nel fatto“.5 Dieses Axiom impliziert für Vico, dass überhaupt nur die Phänomene und Gegenstände wissenschaftlich sicher erkannt

4 Dem umfassenden Erklärungsanspruch des Werkes ist es geschuldet, dass es verschiedenste, heute getrennt behandelte Wissenszweige argumentativ zusammenführt, was sich in einer extremen Diversität in der Rezeption niederschlägt. Eine umfassende Bibliografie findet sich in derzeit acht Ausgaben der Bibliografia vichiana. http://www.giambattistavico.it/risorse/ bibliografie (08. 04. 2017). Eine übersichtlichere, nach Rezeptionsströmungen gegliederte Zusammenfassung der Sekundärliteratur zu Vico findet sich bei Eugenio Coseriu: Geschichte der Sprachphilosophie, S. 275–279. Coseriu greift bei dieser Darstellung die ältere Gliederung der Rezeption nach Karl-Otto Apel auf (vgl. Karl-Otto Apel: Die Idee der Sprache in der Tradition des Humanismus von Dante bis Vico. Bonn: Bouvier 1963). Eine weitere umfassende Bibliografie jüngeren Datums sowie eine Übersicht der Werkausgaben findet sich bei Thomas Gilbhard: Vicos Denkbild. Studien zur Dipintura der Scienza Nuova und der Lehre vom Ingenium. Berlin: Akademie-Verlag 2012, S. 147–167. Auch innerhalb der sprachphilosophischen Rezeption zeigt sich eine bemerkenswerte Bandbreite, die hier auf die Dichotomie zwischen einer diachronen und einer synchronen Lesart reduziert werden soll. Prominenter Repräsentant der ersten Lesart ist Eugenio Coseriu (vgl. Eugenio Coseriu: Geschichte der Sprachphilosophie, S. 280–300). Vertreter der zweiten Perspektive ist Antonino Pagliaro (Vgl. Antonino Pagliaro: Lingua e poesia secondo G. B. Vico. In: Altri saggi di critica semantica. Messina/Firenze: D’Anna 1961, S. 299–444). Die Tatsache, dass sich für beide Perspektiven bei Vico hinreichende Anhaltspunkte finden lassen, legt meines Erachtens Jürgen Trabants Schluss nahe, dass eben die Verquickung einer diachronen mit einer synchronen Perspektive ebenso wie der Fokus auf verschiedene Zeichen als Untersuchungsgegenstand Charakteristika seiner Perspektive sind, die ihn in besonderer Weise interessant für den semiotischen Diskurs machen (vgl. Jürgen Trabant: Neue Wissenschaft von alten Zeichen. Vicos Semantologie. Frankfurt am Main: Suhrkamp 1994). Unberührt von dieser Zuordnung Vicos belegt Apels Arbeit die Anschlussfähigkeit Vicos an andere Diskurse, die in den unterschiedlichen Rezeptionslinien resultiert. 5 Giambattista Vico: Le orazioni inaugurali, il De Italorum sapientia, e le polemiche. Hrsg. von Giovanni Gentile/Fausto Nicolini. Bari: Laterza 1914, S. 249. Sinngemäß bedeutet diese von Vico in verschiedenen Formulierungen präsentierte Überzeugung: „das Wahre ist das (selbst) Geschaffene“ (eigene Übersetzung). In diesem Satz kumulieren die drei erkenntnistheoretischen Kategorien Vicos: verum, certum und factum. Die erste betrifft das Erkenntnisobjekt, das gleichsam ‚wahrheitsfähig‘ sein kann; die zweite die Qualität und damit die Sicherheit der Erkenntnis; die dritte betrifft die Herkunft, also die Kreationsbedingung des Gegenstandes. Wissenschaftliche Erkenntnis ist nur dort möglich, wo verum und factum zusammenfallen, nur dort ist auch das certum verbürgt. Karl Löwith formuliert Vicos spezifische Position mit Blick auf die epistemologischen Traditionen: „Im Horizont der christlichen Tradition, aber im Unterschied zu ihrer scholastischen Formulierung, betont Vico jedoch nicht das Erkennen als Bedingung des machens, sondern umgekehrt das Machenkönnen als Bedingung wahrer Erkenntnis.“ (Karl Löwith: Vicos Grundsatz: verum et factum convertuntur, S. 9).

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werden können, die wir selbst erschaffen haben, deren Genese uns also bekannt und nachvollziehbar ist. Entsprechend bestimmt Vico den Gegenstandsbereich der Wissenschaft als den mondo civile,6 dem der unzugängliche mondo naturale7 gegenübersteht. Für Vico muss damit eine vollständige, funktionale Erklärung immer auch eine Erklärung der Genese beinhalten. Sein Ziel ist dementsprechend eine Beschreibung und Erklärung der menschlichen Natur und Gesellschaft aus ihrer Entwicklung und Geschichte heraus. Diese Erklärung soll, aufbauend auf wenigen allgemeinen Axiomen, die vielfältige historische Entwicklung der Menschheit erklären. Von den explizit anti-rationalistischen Axiomen Vicos seien hier exemplarisch zwei genannt, die für die folgenden Ausführungen relevant sind. Das erste postuliert: „L’uomo, per l’indiffinita natura della mente umana, ove questa si rovesci nell’ignoranza, egli fa sé regola dell’universo“, das zweite: „È altra proprietà della menta umana ch’ove gli uomini delle cose lontane e non conosciute non possono fare niuna idea, le stimano dalle cose loro conosciute e presenti.“8 Beide Axiome stellen einerseits grundlegende erkenntnistheoretische Annahmen dar und nehmen andererseits eine zentrale Funktion in Vicos Metapherntheorie ein. Wie die übrigen Axiome werden auch die beiden obigen zur menschlichen Konstitution und ihrer Produktivität von Vico als historisch weitgehend konstant angenommen und bilden die Basis seines sprach- und kulturhistorischen Programms. Die entwicklungsgeschichtlich unüberwindbar scheinende Kluft zwischen mondo naturale, aus dem die bestioni hervorgehen9 und dem mondo

6 Die Bandbreite der Übersetzungen für dieses Konzept reicht von geschichtlicher, politischer bis zu kultureller Welt (vgl. Eugenio Coseriu: Geschichte der Sprachphilosophie, S. 300). Die erkenntnistheoretischen Kategorien verum, factum und certum fallen hier zusammen (vgl. ebd., S. 283). 7 Der nicht vom Menschen geschaffenen Natur kommt das verum zu, diese ist aber für den Menschen nicht als certum zugänglich, da sie eben außerhalb seines factum liegt (vgl. Karl Löwith: Vicos Grundsatz: verum et factum convertuntur, S. 24). 8 Giambattista Vico: La scienza nuova, S. 73. Axiom 120+122. „120. Der Mensch macht aufgrund der unbegrenzten Natur des menschlichen Geistes, wo dieser sich in Unwissenheit verliert, sich selbst zur Regel des Weltalls. […] 122. Es ist eine andere Eigenschaft des menschlichen Geistes, daß die Menschen dort, wo sie sich von den entfernten und unbekannten Dingen keine Vorstellung machen können, diese nach den ihnen bekannten und gegenwärtigen Dingen beurteilen.“ (Übersetzung Vittorio Hösle/Christoph Jermann). 9 Ebd., S. 30. „Da sì infatti primi uomini, stupidi, insensati ed orribili bestioni, tutti i filosofi e filologi dovevan incominciar a ragionare la sapienza degli antichi gentili, cioe da’ giganti, […].“ Die ersten Vorfahren der Menschen bezeichnet Vico also als schreckliche, blöde Bestien, die nichtsdestotrotz die grundlegende Erkenntnisfähigkeit bereits besitzen, die der Mensch mit den Tieren teilt: die sinnliche Wahrnehmung der Umwelt. „e la natura umana, in quanto ella è

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civile der Menschen überbrückt Vico, indem er, statt ein singuläres, schlagartiges Ereignis anzunehmen, die Geschichte der Sprache über den Umweg von zwei quasi vorsprachlichen Kommunikationsformen ausführt, in denen jedoch immer die gleichen Axiome gelten. Diese Stufen werden zugleich als historische Zeitalter und politische Epochen begriffen: Convenevolmente a tali tre sorte di natura e governi, si parlarono tre spezie di lingue, che compogono il vocabolario di questa Scienza: la prima nel tempo delle famiglie, che gli uomini gentili che si erano di fresco ricevuti all’umanità; la qual si truova essere stata una lingua muta per cenni o corpi ch’avessero naturali rapporti all’idee ch’essi volevan significare; – la seconda si parlò per imprese eroiche, o sia somiglianze, comparazioni, immagini, metafore e naturalidescrizioni, che fanno il maggior corpo della lingua eroica, che si truova essersi parlata nel tempo che regnaron gli eroi; – la terza fu la lingua umana per voci convenute da’ popoli, della quale sono assoluti signori i popoli, propria delle Repubbliche popolari e degli Stati monarchici, perché i popoli dieno i sensi alle leggi, a’ quali debbano stare con la plebe anco i nobili; […].10

Die menschliche Sprache folgt in diesem Modell der göttlichen Sprache der Giganten, und der heroischen Sprache der Helden, die beide als poetische11 Sprachen bezeichnet werden und auf einer poetischen Metaphysik aufbauen.12 Sprache im

comune con le bestie, porta seco questa proprietà: ch’i sensi sieno le sole vie ond’ella conosce le cose.“ (Ebd., S. 155). 10 Ebd., S. 27. „In Übereinstimmung mit diesen drei Arten von Naturen und Regierungen sprach man drei Arten von Sprachen, die das Wörterbuch dieser Wissenschaft ausmachen: die erste in der Zeit der Familien, als die heidnischen Menschen sich gerade eben zur Humanität gewendet hatten; diese war, wie sich zeigt, eine stumme Sprache durch Zeichen oder Körper, die eine natürliche Beziehung zu den Ideen hatten, die sie bezeichnen sollten; – die zweite sprach man durch heroische Sinnbilder, das heißt Gleichnisse, Vergleiche, Bilder, Metaphern, natürliche Beschreibungen, die den Hauptbestandteil der heroischen Sprache ausmachen, die offenbar zu der Zeit gesprochen wurde, als die Heroen herrschten; die dritte war die menschliche Sprache durch Wörter, auf die sich die Völker durch Konventionen geeinigt hatten; über sie sind die Völker unumschränkte Herren, sie ist den demokratischen Republiken und den monarchischen Staaten eigentümlich, damit die Völker im Sinne der Gesetze bestimmen, dem mit der Plebs auch die Adligen gehorchen müssen; […].“ (Übersetzung Vittorio Hösle/Christoph Jermann). 11 Trabant verweist darauf, dass poetisch hier im Sinne von Poiesis, weniger im Sinne von dichterisch zu verstehen ist. (Vgl. Jürgen Trabant: Neue Wissenschaft von alten Zeichen, S. 46). 12 „Adunque la sapienza poetica, che fu la prima sapienza della gentilità, dovette incominciare da una metafisica, non ragionata ed astratta qual è questa or degli addottrinati, ma sentita ed immaginata quale dovett’essere di tai primi uomini, siccome quelli ch’erano di niuno raziocino e tutti robusti sensi e vigorissime fantasie, […].“ (Giambattista Vico: La scienza nuova, S. 145).

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Sinne des zeitgenössischen mondo civile baut damit auf vorgängige semiosische Prozesse auf.13 Den Begriff Metapher verwendet Vico bereits im Kontext der ‚göttlichen Sprache‘, die er als grundsätzlich metaphorisch verfasst charakterisiert14 und als Keimzelle späterer verbaler Tropen: „Di questa logica poetica sono corollari tutti i primi tropi, de’ quali la più luminosa e, perché più luminosa, più necessaria e più spessa è la metafora, ch’allora è vieppiù lodata metafisica sopra qui ragionata, […]“.15 Die ‚erste Sprache‘ scheint aus metapherntheoretischer Perspektive aus zwei Gründen interessant: erstens weist Vicos Beschreibung der Entstehung dieser ersten Sprache verblüffende Parallelen zu späteren Metapherntheorien auf und zweitens bildet diese ‚erste Sprache‘ in der vicoschen Sprachgenealogie die Grundlage und Begründung dafür, warum auch die folgenden Sprachen als in ihrem Kern metaphorisch betrachtet werden können. Für die Genese der ‚göttlichen Sprache‘ sind zwei Charakteristika der Giganten zentral: erstens ihr Dasein als reine Körperwesen16 und zweitens das in Axiom 122 notierte Prinzip des Schließens von der eigenen Konstitution auf alles Fremde. Den ersten Punkt, die Definition der Giganten über ihre reine Körperlichkeit, setzt Vico in direkten Gegensatz zur Bestimmung der gegenwärtigen Menschen mit ihrem „umane menti, troppo ritirata da’ sensi nel medesimo volgo con le tante astrazioni di quante sono piene le lingue con tanti vocabolo astratti,

13 Trabant verwendet für die historische Dimension bei Vico auch den Begriff ‚Sematogenese‘; hier soll jedoch der geläufigere Begriff Semiose beibehalten werden. (Vgl. Jürgen Trabant: Neue Wissenschaft von alten Zeichen, S. 60). 14 Trabant verortet daher auch die ‚Ur-Metapher‘ in der Übertragung vom Belebten auf das Unbelebte im Stadium der ‚göttlichen Sprache‘. (Vgl. ebd., S. 85). Tatsächlich legt Vico in der poetischen Sprache neben der Metapher noch die Metonymie, die Synekdoche und die Ironie zugrunde, die vier Tropen also, die, wie Ekkehard Eggs bemerkt, von Petrus Ramus als die vier Haupttropen identifiziert wurden. (Vgl. Ekkehard Eggs: Metapher, S. 1126). Hayden White arbeitet die kulturgeschichtliche Dimension heraus, die die Tropenfolge in Vicos Text ebenfalls mitträgt. (Vgl. Hayden White: The Tropics of History. The Deep Structure of the New Science. In: Giambattista Vico’s Science of Humanity. Hrsg. von Giorgio Tagliacozzo/Donald Phillip Verene. Baltimore/ London: The Johns Hopkins University Press 1976, S. 65–85). Vgl. auch FN 35 in diesem Kapitel. 15 Giambattista Vico: La scienza nuova, S. 164. „Folgesätze dieser poetischen Logik sind alle ersten Tropen, deren lichtvollster und, weil lichtvollster, notwendigster und häufigster die Metapher ist, die dann am meisten gerühmt wird, wenn sie nach der hier oben behandelten Metaphysik (402) den empfindungslosen Dingen Sinn und Leidenschaft verleiht: […].“ (Übersetzung Vittorio Hösle/Christoph Jermann). 16 „E questi [bambini]  – dovendosi rotolare dentro le loro fecce, le quali co’ sali nitri maravigliosamente ingrassano i campi; – e sforzarsi per penetrare la gran selva, che per lo diluvio doveva esser foltissima, per gli quali sforzi dovevano dilatar altri muscoli per tenderne altri, onde i sali nitri in maggior copia s’insinuavano ne’ loro corpi; […].“ (Ebd., S. 141).

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e di troppo assottigliata con l’arte dello scivere, e quasi spiritualezzaua con la pratica de’ numeri, […]“,17 und begründet damit die entscheidende Bedeutung einer wahrnehmenden und nicht zuerst abstrakt denkenden Physis für die erste Semiose: 377  […] Quivi pochi giganti, che dovetter esser gli più robusti, ch’erano dispersi per gli boschi sull’alture de’ monti, spaventati ed attoniti dal grad’effetto di che non sapevano la cagione, alzarono gli occhi ed avvertirono il cielo. E perché in tal caso la natura della menta umana porta ch’ella attribuisca all’effetto la sua natura,  […], e la natura loro era in tale stato, d’uomini tutti robusti forze di corpo, che, urlando, brontolando, spiegavano le loro violentissime passioni; si finsero il cielo esser un gran corpo animato, che per la tal aspetto charmarono Giove, […].18

Die entscheidende semiosische Leistung der Giganten liegt in der Wahrnehmung des Himmels als diskreter Einheit, der Annahme einer Beziehung zwischen dieser Einheit und dem schrecklichen Phänomen des Gewitters und schließlich der über Projektion erfolgenden Sinnstiftung durch die Knüpfung dieser Wahrnehmungen an ihre eigenen Verhaltensweisen. Das Ergebnis ist ein im physischen Empfinden verankertes Bild eines drohenden, seinen heftigen Leidenschaften Ausdruck

17 Ebd., S. 148. „menschlichen Geiste, der durch die so vielen Abstraktionen, von denen die Sprache mit ihren so zahlreichen abstrakten Wörtern voll sind, selbst beim Volk den Sinnen allzu entfremdet, durch die Kunst des Schreibens allzu verfeinert und durch den Gebrauch der Zahlen fast spiritualisiert ist […].“ (Übersetzung Vittorio Hösle/Christoph Jermann). 18 Ebd., S. 147. „Da erhoben einige wenige Giganten – die die kräftigsten sein mussten, denn sie lebten verstreut in den Wäldern auf den Höhen der Berge, so wie die kräftigsten der wilden Tiere dort ihre Lager haben –, erschreckt und entsetzt von der mächtigen Erscheinung, deren Ursache sie nicht kannten, die Augen und gewahrten den Himmel. Und weil in einem solchen Fall die Natur des menschlichen Geistes es mit sich bringt, daß er der Wirkung seine eigene Natur zuschreibt, wie in den Grundsätzen gesagt worden ist [181], ihre Natur aber in einem solchen Zustand die von Menschen war, die alle riesige Körperkräfte hatten und schreiend und brüllend ihre äußerst heftigen Leidenschaften kundtaten, so bildeten sie sich ein, der Himmel sei ein großer belebter Körper, den sie unter diesem Gesichtspunkt Jupiter nannten, […].“ (Übersetzung Vittorio Hösle/Christoph Jermann). Jürgen Trabant beschreibt die Charakteristika, die dieser ersten Semiose zugrunde liegen, als sprachphilosophische Einzigartigkeit: „Vico’s semiotische Wende ist radikaler als die Condillacs, sofern sie Denken und ‚Sprechen‘ (Semiose) synthetisch miteinander verbindet und in der Identifizierung von Mythos und Logos die Anfänge des SprachDenkens als ‚wilde‘ Kreationen der Phantasie faßt. […] Bei Vico dagegen entsteht die Fabel-Idee als ‚ideales Bild‘ (ritratto ideale), das zugleich in einen Signifikanten ‚transportiert‘ ist, zu dem es eine ‚natürliche‘ Beziehung hat, daß heißt, mit dem es identisch ist: der Baum ist ein göttlicher Sinn, der Donner ist Jupiter.“ (Vgl. Jürgen Trabant: Neue Wissenschaft von alten Zeichen, S. 178).

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gebenden Gottes, verkörpert im Himmel.19 Solche Vorstellungsbilder, in späteren Sprachen Konzepte, konstituieren nach Vicos Vorstellung die generi fantastici,20 aus denen sich das vocabolario mentale der Menschheit (in all ihren Entwicklungsstufen) zusammensetzt, zu dem er mit seiner Scienza nuova den Schlüssel bieten will. Die Grundidee der generi fantastici als gleichsam konzeptuelles Gemeingut der Menschen ermöglicht den Anschluss Vicos an die kognitive Theoriebildung.21 Die Leitidee dieser generi fantastici und der darauf aufsetzenden konkreten Metaphern als historische Gegenstände stellt ihn dagegen in eine Tradition mit den späteren Projekten der Metaphorologie wie beispielsweise dem Hans Blumenbergs.22 Jürgen Trabant konzentriert sich in seiner Analyse vor allem auf die Verwandlung von bedeutungslosen Körpern in sich selbst bezeichnende Zeichenkörper23 in Folge dieser ersten Semiose. Die funktionale Rolle der realen Körper der Giganten in dieser Semiose beschreibt er allerdings erst ab dem Moment, in dem diese schon identisch mit Zeichen sind.24 In Vicos Text haben diese Körper jedoch auch eine entscheidende Funktion zu erfüllen, damit sie überhaupt zu Zeichen werden können.

19 Trabant sieht darin die ‚Natürlichkeit‘ der ersten Sprache: „Selbst wenn Vico zwischen dem ‚Körper‘ als dem Signifikanten und der zu bezeichnenden ‚Idee‘ unterscheidet, so ist doch durch die Beispiele klar, daß die ‚Natürlichkeit‘ der semiotischen Entitäten des Anganges in struktureller Hinsicht gerade die Verschmelzung – das Amalgam – von Ausdruck und Inhalt, von Signifikant und Idee, meint, eine Synthese von Materiellem und Geistigem.“ (Ebd., S. 69). Zudem hält Trabant fest: „Die thetische ‚Natürlichkeit‘ des Verhältnisses zwischen Signifikant und Idee ist nun zunächst nicht nur eine strukturelle Gleichförmigkeit, Isomorphie, sondern geradezu Identität, Zusammenfallen von Signifikant und Idee, Synthese.“ (Vgl. ebd., S. 68). 20 Fantastische Kategorien (eigene Übersetzung). 21 Vgl. hier Kap. 9. 22 Vgl. Ralf Konersmann: Vorwort. Figuratives Wissen. In: Wörterbuch der philosophischen Metaphern. Hrsg. von Ralf Konersmann. 3. Aufl. Darmstadt: Wissenschaftliche Buchgesellschaft 2014, S. 7–20, hier auf S. 7–8. 23 „Die vorgefundenen ‚Körper‘ bedeuten ja nicht von selbst, sondern müssen erst in den Rang von Zeichen erhoben werden. Das Schaffen der Signifikanten besteht hier noch nicht in der Kreation materieller semiotischer Größen, die ihre Semiotizität selbst indizieren, sondern in einem stummen Zeichen oder Vorzeigen von schon existenten Gegenständen: […].“ (Jürgen Trabant: Neue Wissenschaft von alten Zeichen, S. 71). 24 Deutlich wird dieser Fokus in Trabants prägnanter Beschreibung des als Zeichen fungierenden menschlichen Körpers: „In die an sich sinnlose Bewegung des menschlichen Körpers werden Sinn und Seele hineingelegt, die Bewegung wird zur Gebärde. Sie realisiert die ‚natürliche Beziehung‘ als mimetischen Tanz, in dem der ‚schreibende‘ Körper sich dem (gegenständlichen) Sinn gleich macht.“ (Vgl. ebd., S. 68).

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Die Dominanz der Physis, konkretisiert als sinnliche Wahrnehmung und Leidenschaften, determiniert entsprechend dem zweiten Punkt (Axiom 122) den Weltzugriff der Giganten, der bei Vico immer ein schöpferischer ist: In cotal guisa i primi uomini delle nazioni gentili, come fanciulli del nascente gener umano, […], dalla lor idea criavan essi le cose, ma con infinita differenza però dal crirare che fa Iddio: perocché Iddio nel suo purissimo intendimento conosce e, conoscendole cria le cose; essi per la loro robusta ignoranza il facevano in forza d’una corpolentissima fantasia, e perch’era corpolentissima, il facevano, con una maravigliosa sublimità, […].25

Die schöpferische Semiose der Giganten basiert nicht auf einem vorgängigen (abstrakten) Gedanken, sondern auf einer Physis mit charakteristischen Funktionsprinzipien. Auch wenn Vico selbst den Begriff der Metapher in diesem Stadium der Zeichenverwendung noch nicht anwendet, so ist doch das Übertragungsmoment zentral. Zudem zeigen sich verblüffende Parallelen zwischen Vicos Beschreibung der ersten Semiose und Friedrich Nietzsches Verortung des metaphorischen Prozesses in der sinnlichen Wahrnehmung,26 aber auch zu dem noch späteren embodiment-Modell der Metapher von Joseph Grady.27 Der Weltzugriff der Giganten, die physisch verankerten Konzepte, die sie von der Welt entwerfen, sind in Vicos Vorstellung einerseits für die heutigen Menschen in ihrer ursprünglichen, vollständig körperlichen Bedeutung unzugänglich,28 sind aber gleichzeitig das Fundament für die Bedeutungsstrukturen der menschlichen Sprache. Die Metaphern der menschlichen Sprache bilden damit für Vico einen Rückverweis auf die Ur-Metapher und ihre Geschichte.

25 Giambattista Vico: La scienza nuova, S. 146. „Auf diese Weise schufen die ersten Menschen der heidnischen Völker, gleichsam als Kinder des werdenden Menschengeschlechts,  […], aus ihrer Idee die Dinge, aber mit einem unendlichen Unterschied zu dem Schaffen, das Gott eigen ist: denn Gott erkennt in seinem reinsten Begreifen die Dinge und schafft sie, indem er sie erkennt; sie hingegen taten es infolge ihrer starken Unwissenheit kraft einer ganz körperlichen Phantasie (378,819) und weil diese ganz körperlich war, taten sie es mit wunderbarer Erhabenheit, […].“ (Übersetzung Vittorio Hösle/Christoph Jermann). 26 Vgl. Kap. 8.1. zu Friedrich Nietzsche. 27 Hier mag man in nuce die bei Joseph Grady als Kernprozess der kognitiven Metaphernbildung modellierte Verknüpfung von physischer Objektwahrnehmung und subjektiv-emotionaler Bewertung dieser Objektwahrnehmung vorausahnen. Vgl. Kap. 9.1. 28 Vico parallelisiert jedoch immer wieder den Weltzugang der Giganten mit dem Weltzugang von Kindern und bezeichnet die Giganten wiederholt als „fanciulli del nascente gener umano“. (Vgl. Giambattista Vico: La scienza nuova, S. 7). Unter diesem Gesichtspunkt diskutiert Marcel Danesi Vico im Kontext der heutigen Glottodidaktik. (Vgl. Marcel Danesi: Vico, Metaphor, and the Origin of Language. Bloomington/Indianapolis: Indiana University Press 1993).

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404 Di questa logica poetica sono corollari tutti i primi tropi, de’ quali la più luminosa e, perché più luminosa, più necessaria e più spessa è la metafora, ch’allora è vieppiù lodata quando alle cose insensate ella dà senso e passione, per la metafisica sopra qui ragionata: ch’i primi poeti dieder a’ corpi l’esser di sostanze animate, sol di tanto capaci di quanto essi potevano, cioè di senso e di passione, e sì ne fecero le favole. Talchè ogni metafora sì fatta vien ad essere una picciola favoletta. Quindi se ne dà questa critica d’intorno al tempo che nacquero nelle lingue: che tutte le metafore portate con simiglianze prese da’ corpi a significare lavori di mente astratte debbon essere de’ tempi ne’ quali s’eran incominciate a dirozzar le filosofie.29

Die formal-linguistische Metapher in der Sprache der Menschen ist damit, durch den Umweg über die ‚heroische Sprache‘, der Sprachzeichen gewordene Rückverweis auf die vorgängige Semiose. Auch die zweite Stufe, die ‚heroische Sprache‘, ist noch eine stumme Sprache, allerdings verfährt sie nicht mehr nach dem Prinzip der Identität, sondern nach dem Prinzip der Ähnlichkeit.30 Statt der Übertragung eines Sinns auf die existierenden Körper der Umwelt, erfolgt in dieser zweiten Stufe die physische Schaffung von Gegenständen, die den ursprünglich bedeutungsgeladenen Körpern der Umwelt ähnlich sind und gleichzeitig auf diese Körper und ihre Bedeutung verweisen. Paradigmatisch sind für Vico auf dieser Stufe die Wappen, Embleme, Münzprägungen und Waffenschmuck.31 Die erste Semiose, die Übertragung eines geistigen Sinnes auf die angetroffene Physis, ist damit beendet und wird abgelöst durch neue, physische Kreationen, die als indexikalische Zeichen auf

29 Giambattista Vico: La scienza nuova, S. 164. „Folgesätze dieser poetischen Logik sind alle ersten Tropen, deren lichtvollster und, weil lichtvollster, notwendigster und häufigster die Metapher ist, die dann am meisten gerühmt wird, wenn sie nach der hier oben behandelten Metaphysik (402) den empfindungslosen Dingen Sinn und Leidenschaft verleiht; denn die ersten Dichter gaben den Körpern das Sein beseelter Substanzen, die allerdings nur für das empfänglich waren, nämlich für Sinn und Leidenschaft, und schufen aus ihnen die Mythen; so wird jede derartige Metapher zu einem kleinen Mythos.“ (Übersetzung Vittorio Hösle/Christoph Jermann). 30 Vgl. Jürgen Trabant: Neue Wissenschaft von alten Zeichen, S. 81. „Schon auf der zweiten Stufe der semiotischen Entwicklung löst sich die ‚natürliche‘ Beziehung, die Synthese von Signifikant und Signifikat, langsam auf, wenn zwischen den Signifikanten und den Ideen nur noch Beziehungen der ‚Ähnlichkeit‘ bestehen. Auf der dritten Stufe scheint mit der ‚arbiträren‘ nichtabbildlichen Relation zwischen Signifikat und Signifikant die Seele aus dem Körper des Zeichens gewichen zu sein ([…]).“ (Vgl. ebd., S. 69). 31 Diese Auswahl spezifischer Symbolträger ist eine Konsequenz der Vorstellung des heroischen Zeitalters als einer Epoche des Klassen- und Verteilungskampfes, in der die Markierung von Eigentum die entscheidende kommunikative Funktion zu sein scheint. (Vgl. Giambattista Vico: Prinzipien einer neuen Wissenschaft über die gemeinsame Natur der Völker. Bd. 1. Mit einer Einleitung „Vico und die Idee der Kulturwissenschaft“ von Vittorio Hösle. Hrsg. von Vittorio Hösle. Hamburg: Meiner 1990, S. CXCIV ff.).

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die ersten Körper verweisen. Die vollständige, nur im physischen Erleben realisierte Bedeutung der ersten Metapher verstummt an dieser Stelle, wird in der Bedeutung des Zeichens, in seinem doppelten Verweis auf den ersten Körper und seine affektiven Korrelate eingeschlossen. In der Schaffung physischer Körper mit zeichenhafter Eigenschaft liegt der notwendige Schritt im Übergang zur ‚menschlichen Sprache‘ mit ihren arbiträren Zeichen. Der auf der Ebene der Semiose beschriebene Prozess wird von Vico auch um eine Beschreibung der kognitiven Ebene ergänzt. Auch wenn er den Zusammenhang zwischen den semiotischen Strukturen der drei Zeitalter und den ihnen zugrunde liegenden kognitiven Operationen nicht in unserem heutigen Verständnis expliziert, so zieht er doch eine direkte Verbindung von der Zeichenkonstitution über die Grade ihrer Konkretheit und Abstraktion zu den intellektuellen Kapazitäten der sie Verwendenden. Der Zusammenfall von Signifikant und Signifikat in der ersten Sprache beruht auf einer fehlenden Abstraktionsleistung:32 „Quarto e finalmente, s’aggiugne la proprietá de’ primi popoli, che sopra nella Logica poetica si è ragionata, di non saper astrarre le qualitá da’ subbietti, e, non sappiendolo astrarre, per appellare le qualitá appelavan essi subbietti.“33 Die Zeichen nach der Ähnlichkeit erfordern einen zusätzlichen Schritt der Abstraktion, eine Abstraktion schematischer Formen oder Qualitäten, die auf die neu geschaffenen Zeichen übertragen werden. Die neue Stufe des abstrakten Verstehens geht mit einem Nachlassen der fantasia einher: Ma essi poeti teologi, non potendo far uso dell’intendimento, con uno più sublime lavoro tutto contrario, diedero sensi e passioni, come testé si è veduto, a’ corpi, e vastissimi corpi quanto sono cielo, terra, mare; che poi, impicciolendosi così vaste fantasie e invigorendo l’astrazione, furono per piccioli loro segni.34

32 Bei Vico ist dieses Fehlen keineswegs als negativ bewerteter Mangel zu verstehen, wird er doch kompensiert durch eine für die Menschen unerreichbare Imaginationsleistung. 33 Giambattista Vico: La scienza nuova, S. 373–374. „Viertens und letztens tritt die Eigentümlichkeit der ersten Völker hinzu, die oben in der Poetischen Logik erörtert worden ist, daß sie die Qualitäten nicht von den Subjekten abstrahieren konnten, und da sie diese nicht zu abstrahieren wussten, nannten sie die Subjekte selbst, statt die Qualitäten zu nennen.“ (Übersetzung Vittorio Hösle/Christoph Jermann). 34 Ebd., S. 162. „Aber da die theologischen Dichter vom Verstand keinen Gebrauch machen konnten, verliehen sie durch einen ganz entgegengesetzten, erhabeneren Akt Sinn und Leidenschaften, […], den Körpern und zwar so ungeheuren Körpern, wie es Himmel, Erde, Meer sind; diese wurden später, als eine so ungeheure Phantasie verarmte und die Abstraktionen die Oberhand gewannen, als kleine Zeichen ihrer selbst genommen.“ (Übersetzung Vittorio Hösle/Christoph Jermann).

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Die dem Ähnlichkeitsprinzip folgende Sprache der Heroen vollzieht zwar diesen zusätzlichen Abstraktionsschritt, belässt es aber bei einer direkten Begründungsbeziehung des Zeichens durch das Bezeichnete. Insofern bleibt auch die Sprache der Heroen eine poetische Sprache, basierend auf poetischer Metaphysik und Logik. Dieser Prozess der zunehmenden Abstraktionsleistung bei nachlassender fantasia-Leistung ist für Vico die große Linie, die die kognitive Entwicklung der Völker durchzieht.35 Die unterschiedlichen kognitiven Ausstattungen begründen damit auch, warum die vorgängigen Sprachstufen nicht mehr voll verständlich sind. Die Inkompatibilitäten zwischen ihnen zeichnen sich besonders deutlich an den verschiedenen Produktionsmechanismen von Figurationen ab.36 Was in der ‚göttlichen Sprache‘ als eigentlicher und identischer ‚Ausdruck‘ entsteht, erweist sich im Rückblick, nach dem Sieg der Abstraktion, als übertragener Ausdruck: La sineddoche passò in trasporto poi con l’arzarsi i particolari agli universali o comporsi le parti con le altre con le quali facessero i lor intieri. […]. Il «capo», per l’«uomo» o per la «persona», che’è tanto frequente in volgar latino, perché dentro le boscaglie vedevano di lontano solo capo dell’uomo: la qual voce «uomo» è voce astratta, che comprende, come in un genere filosofico, il corpo e tutte la parte del corpo, la mente e tutte le facultà della mente, l’animo e tutti gli abiti dell’animo.37

Der Übergang von einer wörtlich gemeinten Synekdoche zu einer echten Übertragung markiert den Übergang zur dritten Stufe, der ‚menschlichen Sprache‘. Sie

35 David Marshall spricht in diesem Zusammenhang von einer „retrospective rationalization of semiotic interaction“ (David L. Marshall: Vico and the Transformation of Rhetoric in Early Modern Europe, S. 84). 36 Eine explizite Zuordnung der vier Figuren Vicos (Metapher, Metonymie, Synekdoche und Ironie) zu den Entwicklungsstufen der Menschheit (Metapher zum Zeitalter der Giganten; Metonymie und Synekdoche zum Zeitalter der Heroen und Ironie zum Zeitalter der Menschen) schlägt bereits Hayden White vor. Er geht in seinem Aufsatz jedoch nicht auf Entwicklung und Latenz ‚älterer‘ Tropen in ‚jüngeren‘ Entwicklungsstufen ein. (Vgl. Hayden White: The Tropics of History). 37 Giambattista Vico: La scienza nuova, S. 166. „Die Synekdoche erhielt später eine übertragene Bedeutung, als sich das Besondere zum Allgemeinen erhob und sich Teile mit anderen zusammensetzten, um mit ihnen das zusammengehörige Ganze auszumachen. […]. ‚Haupt‘ für ‚Mensch‘ oder ‚Person‘, was so häufig ist im gewöhnlichen Latein, weil man im Waldgebüsch von weitem nur das Haupt des Menschen sah; dieses Wort ‚Mensch‘ ist ein abstrakter Ausdruck, der wie in einem philosophischen Gattungsbegriff den Körper und alle Teile des Körpers, den Geist und alle Vermögen des Geistes, das Gemüt und alle Gewohnheiten des Gemüts umfasst.“ (Übersetzung Vittorio Hösle/Christoph Jermann). Die Einsicht, dass Gattungsbegriffe in der kognitiven Entwicklung erst nachträglich über die Abstraktion aus konkreteren Begriffen abgeleitet werden, deckt sich mit den Befunden der heutigen Prototypentheorie, auf der die Conceptual Metaphor Theory aufbaut.

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ist einerseits auf Ebene der Zeichen mit ihrer herkömmlichen Schrift ein System arbiträrer Zeichen,38 andererseits damit auf kognitiver Ebene der höchste Abstraktionsgrad. Hier enden für Vico die poetische Metaphysik, Logik und Sprache von Giganten und Heroen.39 Die abstrakten, arbiträren Begriffe dominieren die Kommunikation und die Wahrnehmung. Die Metamorphose der Synekdoche zeigt, dass auch der metaphorische Prozess in der poetischen Sprache ein grundsätzlich anderer ist als in der philosophischen Sprache der Menschen. Was Giganten und Helden der konkreteste aller Eindrücke ist, erfährt der Mensch nur als über Abstraktion aufzulösende Metapher. Das scheinbar Unmetaphorische der ersten beiden Sprachen generiert in der dritten Sprache Metaphern, die jedoch einer anderen Logik folgen. In diesem Sprachstadium erweist sich daher der Status der Metapher als höchst komplexe Frage, die drei mögliche Verquickungen mit sich bringt. Zunächst finden sich eindeutige Metaphern, die sich als solche auf ihren metaphorischen Ursprung zurückführen lassen. Der in der menschlichen Sprache klassischen Metapher des ‚Blitzes‘ als metaphorisches Sprachzeichen für das Zeichen ‚Jupiter‘ entspricht auf Ebene der poetischen Sprache der Heroen die Abstraktion nach Ähnlichkeit, die sich in Emblemen mit Blitzdarstellungen findet, und in der Sprache der Giganten die Identifikation des Gottes Jupiter mit dem Gewitter durch die Projektion der eigenen Belebtheit auf das Naturereignis. Zweitens finden sich die offensichtlichen Übertragungen, wie das oben angeführte Beispiel des ‚Hauptes‘ für ‚Mensch‘, die jedoch in Vicos Modell auf einen unmetaphorischen Ursprung zurückgeführt werden.40 Drittens gibt es Begriffe, die gänzlich unmetaphorisch erscheinen, bei einer genauen Rückverfolgung aber ihren metaphorischen Ursprung in der poetischen Sprache offenbaren. Diese schwierige Operation der Rückverfolgung der Sprachentwicklung über verschiedene metaphorische Prozesse stellt ein Kerninteresse von Vicos Forschungsprogramm dar. Die Schwierigkeit dieser Operation und damit der Grund, warum die bisherige (Sprach-)Philosophie so lange im Irrtum über den Ursprung der Sprache war, ist Vico zufolge die bereits angesprochene Unzugänglichkeit der auf

38 Dieser Übergang wird von Trabant als der eigentlich entscheidende identifiziert und gleichzeitig als der am wenigsten plausible in Vicos Modell betrachtet, was jedoch der teilweisen Korrektheit seiner „semiotischen Intuition“ nach heutigem Maßstab keinen Abbruch tut. (Vgl. Jürgen Trabant: Neue Wissenschaft von alten Zeichen, S. 91). 39 Vgl. ebd., S. 85. 40 Vico macht nicht klar, ob er die Prägung von ‚Haupt‘ für den ganzen Menschen im gigantischen oder im heroischen Zeitalter verortet. In jedem Fall sieht er es aber als Element der poetischen, nicht abstrakt geprägten Sprache, die sich nur auf die konkreten Eindrücke bezieht und damit sein ‚eigentlicher‘ Ausdruck ist. Nicht einmal die ‚Ur-Metapher‘ der Übertragung des Lebendigen auf das Leblose scheint hier am Werk.

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sinnliche Wahrnehmung fokussierten kognitiven Struktur, die den beiden poetischen Sprachen zugrunde liegt. Eine graduell veränderte Wahrnehmung und Konzeption der bezeichneten Entitäten, also eine Verschiebung innerhalb der kognitiven Prozesse, ist damit dafür verantwortlich, dass die Ausdrücke als übertragen oder eigentlich zu beurteilen sind, nicht etwa eine veränderte Auswahl aus dem vorhandenen Zeichenmaterial. Dies führt denn auch zu der von Vico beschriebenen Komplikation, dass die zurückliegenden Zeitalter nicht mehr in ihrer Gänze verstanden werden können. Die Dynamik metaphorischer Prozesse, das wird an dieser Stelle deutlich, entzieht sich in Vicos Modell einer bewussten Kontrolle im Verstehen oder Verwenden, da – und darin liegt die metapherntheoretische Pointe, Vicos Modell als zugleich synchron und diachron anzusehen – sich die Sprache der Menschen als nachhaltig von den Metaphern der Giganten und Helden durchdrungen zeigt. Dieser Kontrollverlust wird – ein Novum in der Metapherntheorie – auf die Genese der kognitiven Kapazitäten für die Bildung und das Verstehen von Metaphern zurückgeführt. Hinsichtlich einer direkten Operationalisierung für die Literaturwissenschaft scheint die Theorie Vicos wegen des erheblich diversen geistesgeschichtlichen Kontextes, aus dem sie entspringt und der sich in vielen ihrer Prämissen niederschlägt, schwierig. Nichtdestotrotz ist wiederholt ihre enorme Anschlussfähigkeit betont worden, aufgrund derer Vico häufig als Vorreiter verschiedener literaturwissenschaftlicher Theorieentwicklungen genannt wird.41 Aus metapherntheoretischer Sicht scheint besonders die Prominenz der historischen Dimension in Vicos Ansatz zentral. Die grundsätzliche Annahme einer Verfolgbarkeit der Metapher durch die Geschichte, das Verständnis der Metapher als Chiffre der Geschichte,42 macht ihn zu einem Begründer des metaphorologischen Gedankens.43 Die gleichzeitige Anschlussfähigkeit an aktuelle kognitive Theorien der Metapher begründet sich durch Vicos starke, in seinem historischen Umfeld wohl einzigartige Verkörperungsvorstellung. Die gedankliche Verknüpfung von historischer Perspektive und Verkörperlichung findet sich bei Vico in einzigartiger Weise, die auch für die aktuelle Entwicklung der kognitiven Theorie noch Potenzial bietet.44 Die ‚Entkörperlichung‘ der Signifikate im Sinne ihrer Materialisierung in eigenständigen, semiotisch autonomen Zeichen wurde von letzteren bislang vollstän-

41 Vgl. z. B. hinsichtlich der Hermeneutik Stefanie Woidich: Vico und die Hermeneutik. Eine rezeptionsgeschichtliche Annäherung. Würzburg: Königshausen & Neumann 2007. 42 Vgl. Roland Barthes: Das Rauschen der Sprache. Frankfurt am Main: Suhrkamp 2006, S. 238. 43 Vgl. zu Vico als Vorreiter der Metaphorologie Ralf Konersmann: Vorwort, S. 7–8. Außerdem Stefan Willer: Metapher/metaphorisch, S. 115–116. 44 Vgl. zur chronischen Unterbelichtung der historischen Dimension in den kognitiven Theorien Kap. 9.6.

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dig vernachlässigt. Ihre ausschließliche Konzentration auf die Rückführung der autonomen Zeichen in die menschliche Physis lässt das gegenläufige Phänomen völlig ins Hintertreffen geraten. Dabei scheint es, dass die von Jürgen Trabant für Vico vorgeschlagene Lesart einer parallelen Existenz und potenziellen Wirksamkeit unterschiedlicher Zeichenstrukturen durchaus auch mit diesem Ansatz kompatibel ist und eine für sie unschätzbare Erweiterung einer sonst potenziell reduktionistisch-naturalistischen Perspektive wäre. Semiose über (menschliche) Physis und ‚sematologischer Tod‘45 in von Menschen geschaffenen Zeichenstrukturen scheinen zwei widerläufige, aber daher notwendigerweise andauernde, einander ausgleichende Prozesse zu sein. Relevant für die Wirksamkeit von Zeichen und Sprache – so könnte ein Denkanstoß in Richtung aktueller embodiment-Theorien gehen – sind letztlich alle Ebenen in unterschiedlichem Maße, denn der ‚sematologische Tod‘ bedeutet schließlich nicht das Ende der semantischen Funktion, sondern eröffnet sie auf einer anderen Ebene neu. Die toten Zeichen sind eher Untote, die sich jedoch dem semiosischen Prozess-Zugang entziehen und damit einem vollständigen, historisch endgültigen Verstehen. Bei Vico findet sich diese Erkenntnis, wenn er die Schwierigkeit beschreibt, die Etymologien bestimmter Sprachen und Worte vollständig nachzuverfolgen. Die Konsequenz, die dieses Charakteristikum der ‚untoten Zeichen‘ für die Funktion von Zeichen und Sprache hat, konnte wahrscheinlich erst Derrida ermessen.

6.2 Jacques Derrida (1930–2004) semant une lumière divine46

Die Annahmen und Schlussfolgerungen, die als Jacques Derridas Metapherntheorie verhandelt werden können, erscheinen vor dem Hintergrund seiner übrigen Überlegungen47 wie ein Kondensat. Zentraler Ausgangspunkt ist auch für Derri-

45 Vgl. FN 29 in diesem Kapitel. 46 Jacques Derrida: La mythologie blanche. La métaphore dans le texte philosophique. In: Marges de la philosophie. Paris: Les Éditions de Minuit 1972, S. 247–324, hier auf S. 290. „Säend das göttliche Licht“ (Übersetzung Gerhard Ahrens u. a.). Mit dieser Metapher, die Derrida aus Aristoteles’ Poetik (1458 b) entnimmt, leitet er sein Argument über den systematischen Referenzverlust durch die inhärent metaphorische Dynamik der Sprache ein. Die Sonne als zentraler, einzigartiger Teil des Sonnensystems dient dabei als temporärer Ausgangspunkt, um das Spiel zwischen Eigentlichkeit, Präsenz und Referenz der zentralen philosophischen Gründerbegriffe zur beschreiben. 47 Vgl. für einen Überblick über zentrale Themen von Derridas Philosophie Uwe Dreisholtkamp: Jacques Derrida. München: Beck 1999 (insbesondere zu seiner Husserl-Lektüre und zur

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das sprachphilosophische Überlegungen das von Saussure entworfene Konzept der Sprache als strukturales semiotisches System. Derridas radikal-konsequente Weiterentwicklung des Prinzips der Differenz der Zeichen als Grundlage für ihre Bedeutsamkeit markiert die poststrukturalistisch-dekonstruktive Denklinie, die, wie die strukturalistische Denklinie, Saussure als ihren Ausgangspunkt nimmt.48 Die zentralen Texte, in denen Derrida explizit von Metaphorik spricht,49 greifen zurück auf Ausführungen und Erkenntnisse zu Sprache und Philosophie, die er bereits in früheren Schriften entwickelt50 und die in der Metapherndiskussion ihre Konsequenz finden. Was für das in rhetorischer und philosophischer Tradition distinkte Phänomen der Metapher gilt, gilt bei Derrida ebenso für jede Form von sprachlicher Zeichenverwendung, wobei in der Schwebe bleibt, ob es an dieser Stelle sinnvoller ist, von einer grundsätzlichen Metaphorik der Sprache oder einfach von der Sprachlichkeit der Sprache zu reden. Die Auflösung solcher distinkten Kategorien steht im Zentrum von Derridas Kritik von Schrift und Metaphysik, bedient sich jedoch zunächst nicht des traditions- und bedeutungsgeladenen Ausdrucks ‚Metapher‘. Die Konsequenzen, die sich für die Perspektive auf Sprache, ihr Verhältnis zur Welt und zur Möglichkeit der Erkenntnis bei Derrida ergeben, sind dramatisch und werden am Ende des Kapitels diskutiert. Zunächst seien einige Grundannahmen Derridas und ihre Implikationen für seine Metapherntheorie skizziert.

Sprachphilosphie und Ethik); Klaus Englert: Jacques Derrida. Paderborn: Fink 2009; Susanne Lüdemann: Jacques Derrida zur Einführung. Hamburg: Junius 2011 (besonders zur Metaphysikund Logozentrismus-Kritik). 48 Auch wenn von Saussure selbst keine Äußerungen über die Metapher überliefert sind, so ist sein Entwurf der Sprache als System mit zwei Achsen und zwei Funktionsprinzipien metapherntheoretisch enorm fruchtbar gewesen. Vgl. dazu Kap. 6.3. zu Jacques Lacan sowie Kap. 7.1. zu Roman Jakobson. Ein Versuch, die historische Genese der post-strukturalistischen Positionen zu skizzieren, findet sich bei Johanna Bossinade: Poststrukturalistische Literaturtheorie. Stuttgart/ Weimar: Metzler 2000, S. 1–24; zur Bedeutung von Saussures Zeichentheorie für Strukturalismus und Poststrukturalismus ebd., S. 26–31. 49 Die zentralen Texte sind „La mythologie blanche“ (1971), „La double séance“ (1970), „Le retrait de la métaphore“ (1978). 50 Vgl. für eine umfassende Analyse von Derridas sprachphilosophischen Überlegungen und ihrem Zusammenhang mit seiner Metaphysik-Kritik Ulrich Tewes: Schrift und Metaphysik. Die Sprachphilosophie Jacques Derridas im Zusammenhang von Metaphysik und Metaphysikkritik. Würzburg: Königshausen & Neumann 1994. Für eine kurze Einführung zum Poststrukturalismus außerdem: Stefan Münker/Alexander Roesler: Poststrukturalismus. Stuttgart/Weimar: Metzler 2000.

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Für die Beschreibung der grundlegenden funktionalen Struktur der Sprache, die als semiotisches System beschrieben wird,51 entwickelt Derrida das Wort différance,52 mit dem er im gleichnamigen Aufsatz die konstitutiven Differenzierungs- und Austauschbewegungen des Systems Sprache beschreibt. Tout concept est en droit et essentiellement inscrit dans une chaîne ou dans un système à l’intérieur duquel il renvoie à l’autre, aux autres concepts, par jeu systématique de différences. Un tel jeu, la différance, n’est plus alors simplement un concept mais la possibilité de la conceptualité, du procès et du système conceptuels en général.53

Das ‚Spiel der Differenzen‘ ist für den Begriff konstitutiv, weil es die einzige Möglichkeit bietet, in einem semiotischen System Bedeutung zu genieren, ohne den bedeutenden Elementen, den Zeichen, eine positive Charakteristik, zum Beispiel im Sinne einer gegebenen Bedeutung, zuzuschreiben. Diese lehnt Derrida als sprachphilosophische Illusion ab54 und entwirft ein semiotisches System, in dem Bedeutung über Differenzierung und Dynamik generiert wird und für das Struk-

51 Tewes fasst die Anforderungen an eine rein semiotisch begründete Bedeutungstheorie zusammen: „Eine Theorie der Bedeutung, wie sie Derrida zu etablieren sucht, die allein aus der Struktur der Sprache hergeleitet werden soll, enthält sich natürlich einer Rückbindung der Bedeutung an ihren jeweiligen Gebrauch ebenso selbstverständlich wie der Legitimation von Sinn durch das jeweils setzende Bewusstsein. Allein aus der Struktur der Sprache soll die Möglichkeit der Bedeutung resultieren.“ (Ulrich Tewes: Schrift und Metaphysik, S. 65). 52 Problematisch ist die différance insofern als sie in Derridas eigenem Verständnis weder einen philosophischen Begriff noch ein Konzept darstellen soll, da sie sonst unvermeidlich wieder Teil des metaphysischen Diskurses wäre, den sie ja eben transzendieren soll (vgl. Ulrich Tewes: Schrift und Metaphysik, S. 109–110). In „La différance“ (Votrag im Rahmen der „Conférence prononcée à la Société française de philosophie“ (1968) und Veröffentlichung in Bulletin de la société française de philosophie (Juli/September 1968) und in Théorie d’ensemble (Tel Quel) (1968)) bemüht sich Derrida, diesen Status seines Neologismus klar zu machen (vgl. Jacques Derrida: La différance. In: Marges de la philosophie. Paris: Les Éditions de Minuit 1972, S. 1–29, hier auf S. 7–15). Allerdings bedient er sich dazu wiederum unvermeidlich wieder der Sprache, deren nicht-sprachliche Grundlagen mit der différance gefasst werden sollen. 53 Ebd., S. 11: „Jeder Begriff ist seinem Gesetz nach in eine Kette oder ein System eingeschrieben, worin er durch das systematische Spiel von Differenzen auf den anderen, auf die anderen Begriffe verweist. Ein solches Spiel, die différance, ist nicht einfach ein Begriff, sondern die Möglichkeit der Begrifflichkeit, des Begriffsprozesses und -systems überhaupt.“ (Übersetzung Gerhard Ahrens u. a.). 54 Derridas Kritik entfaltet sich exemplarisch an der Phänomenologie Husserls, den er als Vertreter einer Metaphysik der Präsenz, die die gesamte abendländische Philosophie prägt, identifiziert. Aus dieser Metaphysik der Präsenz resultieren nach Derridas Analyse die Favorisierung der gesprochenen Sprache gegenüber der Schrift und die Annahme einer positiven Bestimmbarkeit von sprachlicher Bedeutung. Vgl. dazu v. a. Jacques Derrida: La voix et le phénomène. Introduction au problème du signe dans la phénoménologie de Husserl. Paris: PUF 1993.

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turen der Verschiebung, Verzögerung und Ersetzung charakteristisch sind.55 Der ausschließliche Fokus auf dem strukturalen System der Sprache zur Herleitung von Bedeutung und zur Beschreibung von Sprache stellt Versuche, Derridas Position an andere anzuschließen, zum Teil vor erhebliche Schwierigkeiten, die am Ende dieses Kapitels diskutiert werden. Die différance als zentrales Ordnungs- und Funktionsprinzip von Sprache macht sich in wesentlichen Charakteristika dieses Zeichensystems bemerkbar. Zum einen ist hier die Supplementarität zu nennen, die für Derrida eine entscheidende Funktion für die Konstitution von Bedeutung aus dem semiotischen System heraus hat: En tant que supplément, le signifiant ne re-présente pas d’abord et seulement le signifié absent, il se substitue à un autre signifiant, à un autre ordre de signifiant entrentant avec la présence manquante un autre rapport, plus valorisé per le jeu de la différance. Plus valorisé parce que le jeu de la différance est le mouvement de l’idéalisation et que plus le signifiant est idéal, plus il augmente la puissance de répétition de la présence, plus il garde, réserve et capitalise le sens.56

Die Reinhaltung des Sinns, die durch den idealisierenden Effekt der Austauschund Abgrenzungsdynamik bewirkt wird, könnte als notwendige Struktur zur Etablierung einer ‚stabilen‘ Bedeutung im Verständnis betrachtet werden.57 Die gleiche Dynamik gestattet Derrida aber auch eine rigorose Dekonstruktion eben dieses klassischen Bedeutungs-Verständnisses, indem er die Instabilität und Unfixierbarkeit der Bedeutung im semiotischen System aufzeigt. Das Spiel der Differenz und seine Nachverfolgung führt nicht etwa zu einer stabilen, rekonstruierbaren Ursprungsbedeutung, wie sie zum Beispiel Vicos Etymologien

55 Vgl. hierzu Ulrich Tewes: Schrift und Metaphysik, S. 66–67. 56 Jacques Derrida: La voix et le phénomène, S. 99. „Als Supplement re-präsentiert der Signifikant nicht zunächst schlicht ein abwesendes Signifikat, sondern er unterschiebt sich vielmehr einem anderen Signifikanten, einer anderen Ordnung des Signifikanten, die mit der fehlenden Präsenz eine andere Beziehung unterhält, um dann vom Spiel der Differenz aufgewertet zu werden – aufgewertet, weil das Spiel der Differenz die Idealisierungsbewegung ist und weil der Signifikant in dem Maße, wie er ideal wird, zunehmend die Kraft der Wiederholung von Präsenz gewinnt und den Sinn hütet, reinhält und aufspart.“ (Übersetzung Hans-Dieter Gondek). 57 Annahmen solcher vergleichsweise stabilen Bedeutungskerne sind in der Sprachphilosophie verbreitet und lassen sich über verschiedene Konstellationen theoretischer Vorannahmen begründen. So lässt sich die Bedeutung eines sprachlichen Ausdrucks über die Intention des Urhebers, den umgebenden sprachlichen und nicht-sprachlichen Kontext, oder über die Annahme einer strikten oder relativen Repräsentations- oder Abbildfunktion der Sprachzeichen begründen. Derridas Position leitet sich aus einer Kritik dieser Modelle ab und ist daher mit ihnen weitgehend inkompatibel.

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erhoffen lassen, sondern kann allenfalls auf die Spur der Bewegungen führen. Die Spurhaftigkeit,58 für Derrida neben dem supplement ein fundamentales Charakteristikum der Sprache, bedingt die Unsicherheit, die die (Schrift-)Sprache als Erkenntnisquelle bietet: La trace n’étant pas une présence mais le simulacre d’une présence qui se disloque, se déplace, se renvoie, n’a proprement pas lieu, l’effacement appartient à sa structure. Non seulement quoi elle ne serait pas trace mais indestructible e monumentale substance, mais l’effacement qui la constitue d’entrée de jeu en trace, qui l’installe en changement de lieu et la fait disparaître dans son apparition, sortir de soi en sa position.59

Die im Bild der Spur konkretisierte mehrfache Verweisungsstruktur sowohl in räumlicher als in auch in zeitlicher Relation und die konstitutive Abwesenheit einer positiven Bedeutung, die nach Derrida zentrale Funktionsweisen des sprachlichen Zeichensystems darstellen, lassen sich bereits als Postulat einer grundlegenden Metaphorizität der Sprache verstehen.60 Die Bewegung, Verschiebung und Verdrängung, die für andere Autoren als Charakteristika der Metapher verhandelt werden, sind hier – unter anderen sprachphilosophischen Prämissen61  – konstitutiv für die Bedeutungsfunktion jedes sprachlichen Zeichens. Auch wenn diese Bedeutung nicht mehr im Sinne beispielsweise einer analytischen Sprachphilosophie stabil ist, so folgt nicht zwingend ein absoluter

58 Vgl. zur Spur Stefan Münker/Alexander Roesler: Poststrukturalismus, S. 45–46. 59 Jacques Derrida: La différance, S. 25. „Da die Spur kein Anwesen ist, sondern Simulacrum eines Anwesens das sich auflöst, verschiebt, verweist, eigentlich nicht stattfindet, gehört das Erlöschen zu ihrer Struktur. Nicht nur jenes Erlöschen, dem sie stets muß unterliegen können, sonst wäre sie nicht Spur, sondern unzerstörbare und monumentale Substanz, vielmehr jenes Erlöschen, welches sie von Anfang an als Spur konstituiert, als Ortsveränderung einführt und in ihrem Erscheinen verschwinden, in ihrer Position aus sich hinausgehen läßt.“ (Übersetzung Gerhard Ahrens u. a.). 60 Vgl. ähnlich Schrift und Differenz: „Avant d’être procédé rhétorique dans le langage, la métaphore serait le surgissement du langage lui-même.“ (Jacques Derrida: Violence et métaphysique. Essai sur la pensée d’Emmanuel Levinas. In: L’écriture et la différence. Paris: Seuil 1967, S. 117–228, hier auf S. 166). 61 Damit sei jedoch nicht der von Wellbery identifizierten „unhaltbaren Plattitüde“ (David E. Wellbery: Retrait/Re-entry. Zur poststrukturalistischen Metapherndiskussion. In: Poststrukturalismus. Herausforderung an die Literaturwissenschaft. Beiträge des von der Deutschen Forschungsgemeinschaft vom 9. bis 13. Oktober 1995 in Steinheim bei Marbach veranstalteten Symposions. Hrsg. von Gerhard Neumann. Stuttgart/Weimar: Metzler 1997, S. 194–207, hier auf S. 200) das Wort geredet, auf die die analytische Philosophie die dekonstruktivistische Sprachphilosophie reduziert. Vielmehr soll an dieser Stelle nur auf die Charakteristika hingewiesen werden, die in einem Großteil der Metapherntheorien das Spezifikum des Tropus ausmachen, im Dekonstruktivismus jedoch der Sprache insgesamt eignen.

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Bedeutungs-Nihilismus, kann doch über Differenzialität, Supplementarität und Spurhaftigkeit immerhin eine je momentane Bedeutung etabliert werden.62 Dieselbe generelle Supplementarität, Differenzialität und Spurhaftigkeit der Sprache charakterisiert diese aber auch als immer schon metaphorisch.63 Damit wird die Verwendung der Bezeichnung Metapher im Kontext von Derridas Sprachphilosophie selbst problematisch, da das metaphorische Zeichen nicht mehr in der sonst konstitutiven Abgrenzung und Opposition zum nicht-metaphorischen gedacht werden kann. Explizit wird Derridas Diskussion der Metapher erst in seiner Auseinandersetzung mit Positionen, denen er den Glauben an die Dichotomie Begriff-Metapher zunächst unterstellt, um diese anschließend zu dekonstruieren. Die Begriffsgläubigkeit par excellence sieht er in der Philosophie, genauer in der Metaphysik verkörpert, die sich auf Begriffe stützt, deren eigentliche Metaphorizität soweit ‚abgenutzt‘64 ist, dass sie als stabiles begriffliches Fundament erscheinen. Die zentrale Täuschung des philosophischen Diskurses besteht darin, von ihrem Begriffsfundament ausgehend metaphernfrei sprechen und wiederum die Metapher selbst definieren zu können. Der Dekonstruktion dieser Definition der Metapher über den Begriff und der damit einhergehenden Unterordnung der Metapher unter ein begrifflich-funktionales Sprachsystem dienen Derridas mit Aristoteles65 beginnende Ausführungen in „La mythologie blanche“. Hier hält er zunächst fest, dass die begriffliche Definition der Metapher in Philosophie und Rhetorik insofern zum Scheitern verurteilt ist, als sie selbst immer nur auf dem Wege der Metaphorik vorgenommen werden könne: Chaque fois qu’une rhétorique définit la métaphore, elle implique non seulement une philosophie mais un réseau conceptuel dans lequel la philosophie s’est constituée. Chaque fil, dans ce réseau, forme de surcroît un tour, on dirait une métaphore si cette notion n’était ici trop dérivée. Le défini est donc impliqué dans le définissant de la définition.66

62 Vgl. hierzu Wellbery, der die dekonstruktivistische Position gegen den Vorwurf der Gehaltlosigkeit verteidigt. (Ebd., S. 198–199). 63 Vgl. dazu auch Johanna Bossinade: Poststrukturalistische Literaturtheorie, S. 1–24. 64 Um die Gebrauchs- und Abnutzungseffekte der Metapher zu beschreiben, greift Derrida das Bild der abgegriffenen Münze auf und entwickelt den Topos weiter. Vgl. Jacques Derrida: La mythologie blanche, S. 256 und 259–261. 65 Für Aristoteles siehe Kap. 2., den Derrida jedoch durch seine überwiegende Konzentration auf die Poetik wenn auch unter anderen Vorzeichen, reproduziert. 66 Jacques Derrida: La mythologie blanche, S. 274. „Jedesmal, wenn eine Rhetorik die Metapher definiert, schließt diese nicht eine Philosophie, sondern ein begriffliches Netz mit ein, innerhalb dessen die Philosophie sich konstituiert. Überdies bildet jeder Faden in diesem Netz eine Wendung, eine Metapher, könnte man meinen, wenn dieser Begriff hier nicht zu weit hergeholt

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Mit der immer schon metaphorischen Definition der Metapher schließt sich der Kreis der metaphorischen Verschiebungsbewegungen, die Derrida für alle philosophischen und vermeintlich nicht-metaphorischen Begriffe nachweist. Entscheidend für die Einsicht, dass keiner dieser Begriffe als eigentlich aufgefasst werden kann, ist auch hier die Tatsache, dass sie als Zeichen stets über den Verweis auf und die différance zu anderen Zeichen funktionieren und dass an keiner Stelle des philosophischen Diskurses der Begriff mit einer substanziellen Erkenntnis eines Signifikats korrespondiert oder auch nur korrespondieren kann: „La taxinomie générale des métaphores — des métaphores dites philosophiques en particulier — supposerait donc résolus des problèmes importants et d‘abord des problèmes qui construisent toute la philosophie en son histoire.“67 Die Ungelöstheit und institutionelle Unlösbarkeit ihrer konstituierenden Probleme nötigt die Philosophie somit stets zur Metapher. Erst durch die Festsetzung der eigentlichen Bedeutung der philosophischen Begriffe ohne die Hilfe weiterer philosophischer Begriffe wäre diese notwendige Bedingung erfüllt, um die Außenposition einzunehmen, von der aus die Philosophie ihre eigene Metaphorik unmetaphorisch verhandeln könnte. Dies ist für Derrida – nimmt man die programmatische Ausrichtung auf eine Erklärung der Sprache aus dieser heraus ernst – kategorisch ausgeschlossen. Entsprechend muss die philosophische Definition der Metapher68 ebenso wie die Diskussion ihrer Metaphern69 in den unvermeidlichen Verschiebungsbewegungen des Zeichensystems verbleiben. Die Begriffe der Philosophie, von denen aus erst die Metapher als Gegenelement und potenzielles Substitut konstruierbar wird, erweisen sich in Derridas Analyse als die Ur-Metaphern der Philosophie, die für diese nicht hintergehbar sind:

wäre. Das Definierte ist also im Definierenden der Definition mit eingeschlossen.“ (Übersetzung Gerhard Ahrens u. a.). 67 Ebd., S. 272. „Eine allgemeine Taxonomie der Metaphern  – der philosophisch genannten Metaphern im Besonderen – würde also voraussetzen, daß die wichtigsten Probleme, zuallererst jene, die das Gerüst der gesamten Philosophie in ihrer Geschichte bilden, gelöst seien.“ (Übersetzung Gerhard Ahrens u. a.). 68 Vgl. ebd., S. 315. 69 Derrida kritisiert die verschiedenen Versuche, im Rahmen philosophischer (Goldschmidt) und epistemologischer (Bachelard) Programme systematische Analysen und Interpretationen philosophischer oder wissenschaftlicher Metaphoriken vorzulegen. Solche Ansätze gehen mit dem methodologischen Grundproblem einher, dass die ‚Bedeutung‘ der untersuchten Metaphorik, die sich im Grunde erst über Analyse und Interpretation erschließen sollte, bereits die Vorannahme für systematische Gliederung und Gruppierung darstellt, bevor überhaupt einzelne Metaphern untersucht werden können. (Vgl. ebd., v. a. S. 315).

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On emprunterait donc à un discours philosophique dérivé les critères d’une classification des métaphores philosophiques. Cela serait peut-être légitime si ces figures étaient gouvernées, avec la conscience du calcul, par l’auteur identifiable d’un système, ou si l’on avait à décrire une rhétorique philosophique aux ordres d’une théorie autonome, constituée avant et hors de son langage, manœuvrant ses tropes comme des instruments. […] Les difficultés que nous venons de signaler s’aggravent quand il s’agit des tropes « archaïques » qui ont donné aux concepts «  fondateurs  » (theoria, eidos, logos, etc.) les déterminations d’une langue « naturelle ».70

Da kein Außerhalb der Sprache als Ausgangspunkt für den philosophischen Diskurs zur Verfügung steht,71 bleibt dieser inhärent metaphorisch, auch dort, wo er sich im reinen Begriff wähnt. Die tropes archaïques oder concepts fondateurs, die als metaphernfreie Elemente erscheinen mögen, sind es, die Derrida als die weiße Mythologie charakterisiert, als Metaphern, deren ursprüngliche und kategorische Metaphorizität gänzlich durchsichtig geworden ist.72 Letztlich, und das versucht Derrida im Durchgang durch die Metapherndefinition von Aristoteles, Du Marsais und Fontanier deutlich zu machen, beherrscht aber der philosophische Diskurs seine Metaphern nicht, weder die gezielt eingesetzten Metaphern73

70 Ebd., S. 266–267. „Man entlehnt also einem abgeleiteten philosophischen Diskurs die Klassifikationskriterien der philosophischen Metaphern. Dies wäre vielleicht legitim, wenn diese Figuren von einem in bezug auf ein System identifizierbaren Autor mit dem Bewusstsein der Berechnung gelenkt wären, oder wenn man eine philosophische Rhetorik nach der Ordnung einer autonomen Theorie zu beschreiben hätte, die vor uns außerhalb ihrer Sprache besteht, indem deren Tropen wie Instrumente gehandhabt werden.  […] Die Schwierigkeit, auf die wir eben hingewiesen haben, erhöhen sich, sobald es sich um die ‚archaischen‘ Tropen handelt, von denen die ‚Gründer‘-Begriffe (theoria, eidos, logos und so weiter) als ‚natürliche‘ Sprache bestimmt wurden.“ (Übersetzung Gerhard Ahrens u. a.). 71 Der nicht-sprachliche, situative Kontext einer sprachlichen Äußerung, dem i. d. R. eine entscheidende desambiguierende Funktion zukommt, wird von Derrida zurückgewiesen und durch ein rein sprachliches Konzept eines Co-Textes ersetzt. Sprache, die immer nur auf Sprache verweisen kann, verweist damit auch immer nur auf andere Texte und kann sich selbst nicht auf etwas Außersprachliches hin transzendieren. Vgl. dazu auch Leslie Hill: The Cambridge Introduction to Jacques Derrida. Cambridge u. a.: Cambridge University Press 2007, S. 24–25. 72 Vgl. Jacques Derrida: La mythologie blanche, S. 267. 73 Die Problematik einer Perspektive auf die Metapher als philosophisch-pädagogisches Vehikel fasst Derrida in seiner Kritik an Goldschmidts Untersuchung der platonischen Metaphern zusammen: „Mais, dans le cas présent, la justification méthodologique est soutenue par toute une philosophie implicite dont les titres ne sont jamais interrogés : la métaphore serait chargée d’exprimer une idée, de mettre dehors ou de représenter le contenu d’une pensée qu’on appellerait naturellement « idée », comme si chacun de ces mots ou de ces concepts n’avait pas toute une histoire (à laquelle Platon n’est pas étranger) et comme si toute une métaphorique ou, plus généralement, une tropique n’y avait pas laissé quelques marques.“ (Ebd., S. 266).

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noch die unbemerkte transparente, gleichsam untote Metaphorik der Begriffe. Die Konsequenz: „La métaphore est moins dans le texte philosophique (et dans le texte rhétorique qui s’y coordonne) que celui-ci n’est dans la métaphore.“74 Ihre Transparenz verdanken die philosophischen Gründer-Begriffe der Auslöschungsbewegung, die der metaphorischen Dynamik der Sprache inhärent ist. Derrida formuliert zwei Wege dieser Auslöschung, beginnend mit der Selbstauslöschung der Metapher: Cette auto-destruction aura toujours pu suivre deux trajets qui sont presque tangents et pourtant différents, se répètent, se miment et s’écartent selon certaines lois. L’un de ces trajets suit la ligne d’une résistance à la dissémination du métaphorique dans une syntactique comportant quelque part et d’abord une perte irréductible du sens : c’est la relève métaphysique de la métaphore dans le sens propre de l’être. […] Cette fin de la métaphore n’est pas interprétée comme une mort ou une dislocation, mais comme une anamnèse intériorisante (Erinnerung), une recollection du sens, une relève de la métaphoricité vivante dans une propriété vivante. Désir philosophique —irrépressible— de résumer-relever-intérioriser-dialectiser-maîtriser l’écart métaphorique entre l’origine et elle-même, la différence orientale.75

Eine Form der Selbstaufhebung, die der Metapher in Derridas Modell inhärent ist, führt über ihre Identifikation und Definition innerhalb eines Diskurses, der sich selbst wörtlich nimmt und seine eigene Ur-Metapher damit aus seiner internen Definition der Metapher ausschließt. Der Effekt ist eine scheinbar universelle Definition von Wörtlichkeit und Metaphorizität, die jedoch erst durch den Diskurs als Dichotomie produziert und etabliert wird. Zur Ausprägung gelangt sieht Derrida diese Bewegung im metaphysischen Diskurs.76 Der Effekt ist eben die scheinbare

74 Ebd., S. 308 „Die Metapher ist weniger im philosophischen Text (und im rhetorischen Texte, der darauf abgestimmt ist) vorhanden, als jener in der Metapher.“ (Übersetzung Gerhard Ahrens u. a.). 75 Ebd., S. 320–321. „Diese Selbst-Vernichtung vermochte stets zwei Wegen zu folgen, die einander beinahe berühren und die dennoch verschieden sind, sich wiederholen, sich nachahmen und nach bestimmten Gesetzmäßigkeiten auseinanderlaufen. Der eine dieser Wege folgt der Linie eines Widerstandes gegen die Ausstreuung (dissémination) des Metaphorischen im Syntaktischen, was irgendwo zunächst einen irreduziblen Sinnverlust nach sich zieht: darin liegt die metaphysische Aufhebung der Metapher im eigentlichen Sinn von Sein. […] Dieses Ende der Metapher gilt nicht als Tod oder Auseinanderbrechen, sondern als verinnerlichte Anamnese, als Erinnerung, als Sinneinkehr und Aufhebung der lebendigen Metaphorizität in einer lebendigen Eigentlichkeit.“ (Übersetzung Gerhard Ahrens u. a.). 76 „L’être n’étant rien, n’étant pas un étant, il ne saurait être dit ou nommé more metaphorico. Et donc il n’a pas, dans un tel contexte de l’usage métaphysique dominant du mot « métaphore », un sens propre ou littéral qui pourrait être visé métaphoriquement par la métaphysique. Dès lors,

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Beherrschbarkeit der Metaphorik, die sich in den von Derrida kritisierten Versuchen systematischer Analysen der philosophischen Metaphorik artikuliert. Die Gegenbewegung, die die zweite Form der Selbstaufhebung markiert, erfolgt entsprechend in der Metaphysik-Kritik, die, indem sie die scheinbare Wörtlichkeit des metaphysischen Diskurses als metaphorisch aufzeigt,77 die Metapher als identifizierbares Phänomen auflöst und verallgemeinert: Cette auto-destruction aurait encore la forme d’une généralisation mais cette fois, il ne s’agirait plus d’étendre et de confirmer un philosophème; plutôt, en le déployant sans limite, de lui arracher ses bordures de propriété. Et par conséquent de faire sauter l’opposition rassurante du métaphorique et du propre dans laquelle l’un et l’autre ne faisaient jamais que se réfléchir et se renvoyer leur rayonnement.78

Entscheidend für die Unhintergehbarkeit der Metaphorik in derridascher Definition ist mithin, dass die Aufdeckung einer metaphorischen Struktur, die Rückverfolgung einer metaphorischen Bewegung eben mitnichten zu einer ursprünglichen ‚Wörtlichkeit‘ zurückführen, die in Derridas Sprachphilosophie grundsätzlich bezweifelt wird. Stattdessen fügt jeder Versuch einer Rückkehr zu einem Ursprung einer Metapher nur immer eine weitere Metapher hinzu; die Rückwärtsbewegung ist nicht als kreis-, sondern als spiral- oder faltenförmig zu denken. Die Dichotomie zwischen Metapher und nicht-Metapher wird an dieser aufgelöst. Derrida bezeichnet konsequenterweise auch jede Metapher gleichzeitig als Quasi-Metapher.79 Die doppelte Bewegung, die der Metapher in Derridas

si à son sujet on ne peut parler métaphoriquement, selon une métaphore der métaphore, avec la surcharge d’un trait supplémentaire, d’un re-trait. Un pli supplémentaire de la métaphore articule ca retraite, répétant en la déplaçant la métaphore intra-métaphysique, celle-là même que le retraite de l’être aura rendue possible.“ (Jacques Derrida: Le retrait de la métaphore. In: Psyché. Inventions de l’autre. Paris: Galilée 1987, S. 63–93, hier auf S. 80). 77 „Le discours dit métaphysique ne peut être débordé, en tant qu’il correspond à un retrait de l’être, que selon un retrait de la métaphysique, un retrait du retrait de l’être. Mais comme ce retrait du métaphorique ne laisse pas la place libre à un discours du propre o du littéral, il aura à la fois le sens du re-pli, de ce qui se retire comme une vague sur le littéral, et d’un re-tour, de la répétition surchargeant d’un re-trait supplémentaire, d’un métaphore de plus, d’un re-trait de métaphore, un discours dont la bordure rhétorique n’est plus déterminable selon une ligne simple et indivisible, selon un trait linéaire et indécomposable. (Ebd.). 78 Jacques Derrida: La mythologie blanche, S. 323. „Diese Selbst-Vernichtung hätte wiederum die Form einer Generalisierung, dieses Mal würde es sich jedoch nicht mehr um die Erweiterung und Bestätigung eines Philosophems handeln, sondern eher darum, diesem in seiner grenzenlosen Entfaltung die Bordüren der Eigentlichkeit wegzureißen.“ (Übersetzung Gerhard Ahrens u. a.). 79 Vgl. Jacques Derrida: Le retrait de la métaphore, S. 80.

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Konzept zukommt und durch die die Metapher gleichzeitig immer auch nur QuasiMetapher ist, macht sie für eine der fundamentalen Funktionen unbrauchbar, die ihr in der Regel zugewiesen werden: das Erkennen des Unbekannten über das Bekannte.80 Die Verunsicherung der Dichotomie zwischen Metapher und nichtMetapher zeitigt eine ebensolche Verunsicherung auch für das Verhältnis zwischen Bekanntem und nicht-Bekanntem. Mit dem Entzug der Metapher kündigt sich für Derrida eine katastrophische Verunsicherung des Bekannten an. Die Metapher ist mithin nicht, wie bei Giambattista Vico und Hans Blumenberg, aber auch bei Aristoteles und Max Black, Paul Ricoeur81 und George Lakoff, lebenspraktisches Instrument zur Erschließung der Welt, sondern bedroht im Gegenteil ähnlich wie Friedrich Nietzsches künstlerische Metapher, ihre (begriffliche) Konstitution. Diese Bewegung beschränkt sich nicht auf eine limitierte Substitutionsbewegung abgrenzbarer semantischer Komponenten (zum Beispiel Substantive), sondern durchwandert den gesamten Text, etwa durch die Verteilung der Signifikanten entlang der syntaktischen Textstruktur: La dissémination des blancs (nous ne dirons pas de la blancheur) produit une structure tropologique qui circule infiniment sur elle-même par le supplément incessant d’un tour de trop : plus de métaphore, plus de métonymie. Tout devenant métaphorique, il n’y a plus de sens propre et donc plus de métaphore. Tout devenant métonymique, la partie étant chaque fois plus grande que le tout, le tout plus petit que la partie, comment arrêter une métonymie ou une synecdoque ? Comment arrêter les marges d’une rhétorique ? S’il n’y a ni sens total ni sens propre, c’est que le blanc se plie.82

80 Vgl. hierzu Anja Lemke: Konstellation ohne Sterne. Zur poetischen und geschichtlichen Zäsur bei Martin Heidegger und Paul Celan. München: Fink 2002, S. 216 ff. 81 Die bei Ricoeur durchaus im metaphorischen Prozess enthaltene, katastrophische Szene des Zusammenbruchs der konventionellen Kategorien wird in der lebendigen Metapher letztlich überwunden. Vgl. Kap. 8.3. 82 Jacques Derrida: La double séance, S. 290. „Die Dissemination der Weißen/Leerstellen (wir werden nicht von Weißheit sprechen) bringt eine tropologische Struktur hervor, die aufgrund des nicht aufhörenden Supplements einer Drehung zuviel unendlich um sich selbst zirkuliert: mehr Metapher/keine Metapher mehr, mehr Metonymie/keine Metonymie mehr (plus de métapher [sic!], plus de métonymie). Wenn alles metaphorisch wird, gibt es keinen eigentlichen Sinn und folglich auch keine Metapher mehr. Wenn alles metonymisch wird, wenn der Teil jedes Mal größer ist als das Ganze, und das Ganze kleiner als der Teil, wie dann eine Metonymie oder eine Synekdoche zum Halten bringen? Wie die Ränder/Spielräume (marges) einer Rhetorik festhalten? Wenn es weder totalen Sinn noch eigentlichen Sinn gibt, so deshalb, weil das Weiße sich faltet.“ (Übersetzung Hans-Dieter Gondek).

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 Metapher und Zeichen

Die Kritik an Aristoteles,83 bei dem er eine unzulässige Fixierung auf die semantische Funktionsweise der metaphorischen Bewegung feststellt, findet hier ihr Gegenbeispiel. Das Spannungsfeld, in der unentscheidbaren Bewegung des Signifikanten, das zuvor argumentativ in den Bahnen zwischen Metapher und Begriff aufgespannt wurde, wird hier als Effekt einer syntaktischen Konstellation aufgezeigt: Die Bewegung der Signifikanten und ihre immer neuen Konstellationen tragen ebenso zu den Verschiebungen von Bedeutungen bei wie die Idee einer metaphorischen Substitution von Substantiven, die letztlich auch eine Form der syntaktischen Neulokalisierung mit sich bringt. Die Metapher wird vor diesem Hintergrund auch als Effekt der Metonymie verstehbar, da ihre grundlegende Struktur auf der Austauschbewegung der Signifikanten beruht und der zentrale Effekt dieses Austauschs nicht im Einbringen eines positiven, fremden Bedeutungswertes an einer ungewöhnlichen Stelle besteht, sondern erst die wechselnden Kontiguitätsverhältnisse, die wechselnde Verkettung der Signifikanten untereinander die Fremdheit der Bedeutung konstituieren.84 Aus der Unumgänglichkeit dieser semiotischen Dynamiken folgt jedoch keine Undifferenzierbarkeit aller sprachlichen Äußerungen (Texte). Auch wenn es kein Eigentliches im eigentlichen Sinn mehr gibt, so scheint es doch verschiedene, differenzierbare Umgänge mit dem Uneigentlichen zu geben. Als exemplarisch für solche verschiedenen Umgänge können der literarische und der philosophische Diskurs betrachtet werden.85 Im philosophischen Diskurs (zum Beispiel dem über die Metapher in „Mythologie blanche“), sieht er die textinternen Metaphern vor allem Strategien der Verschleierung unterworfen. Der literarische Diskurs, exemplifiziert an Mallarmés Mimique in „La double séance“, ist dagegen durch Strategien des Aufzeigens und Ausstellens seiner eigenen metaphorischen Bewegung geprägt. Anders als im

83 Derridas Aristoteles-Interpretation konzentriert sich auf die Poetik, wodurch bestimmte Aspekte der aristotelischen Theorie, die dieser in erster Linie in der Rhetorik verhandelt, bei Derrida wenig Beachtung finden. Derrida zufolge klammert Aristoteles die dianoia aus seiner Poetik und damit seiner Theorie der Metapher aus (vgl. Jacques Derrida: La mythologie blanche, S. 267). 84 Dirk Mende formuliert: „Für Derrida beschreibt die Metonymie die semantische Struktur der Metapher. Die Metapher ist die Manifestation der latenten metonymischen Verknüpfungen einer sprachlich-kulturellen Syntax. Als eine Theorie der metonymischen Latenz stellt Derridas metaphysische Metapher(n)theorie das Projekt einer metaphorisch-begriffsgeschichtlichen Archäologie dar.“ (Dirk Mende: Metapher – Zwischen Metaphysik und Archäologie. Schelling, Heidegger, Derrida, Blumenberg. München/Paderborn: Fink 2013, S. 201). 85 Selbst wenn auch diese Kategorien letztlich dekonstruiert werden und statt klar unterschiedener Diskurse das verflochtene Wirken unterschiedlicher diskursiver Regeln aufgedeckt wird, greift auch Derrida immer wieder auf diese beiden Begriffe zurück.

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philosophischen Diskurs sieht Derrida den literarischen Diskurs und die literarische Lektüre damit nicht auf die Identifizierung von begrifflichen Bedeutungen hin orientiert, sondern erkennt in ihnen den Raum für die Akzeptanz der konstitutiven Ambivalenzen der Sprache, in dem Bedeutung sich nach dem Muster der metaphorischen Bewegung und Verteilung dynamisch entfaltet. Der Text wehrt sich mit seinen semiotischen Mitteln gegen eine Vereindeutigung, indem er verschiedene Lesarten explizit anbietet: Les deux pôles de la lecture ne sont pas également actuels: du moins la syntaxe a-t-elle ménagé un effet de flottaison indéfinie entre deux possibles. […]. Mais nous la posons sur textes, et publiés : comment expliquer que l’alternative syntaxique se libère seulement dans la troisième version du texte ? Comment expliquer que des mots étant déplacés, d’autres supprimés, un temps transformé, une virgule ajoutée, alors seulement la lecture à sens unique, la seule que l’on puisse pratiquer dans les deux premières versions, en vienne à basculer, sans repos désormais ? […]. Peut-être ne savait-il [Mallarmé] pas ce qu’il faisait ? Peut-être n’en avait-il pas conscience ? Peut-être n’était-il pas tout à fait l’auteur de ce qui s’écrivait alors ? L’éclat de rire qui résonne au fond de l’antre, dans Mimique, répond à ces questions. Celles-ci ne peuvent se formuler qu’en recourant à des oppositions, en supposant des possibilités de décision dont la pertinence fut rigoureusement emportée par le texte même qu’elles devraient interroger.86

Der Vorschlag zweier theoretisch diskreter, aber praktisch interagierender und widerstreitender Mechanismen eines Textes, die von der Lektüre offengelegt werden können, spiegelt die Struktur, die Derrida schon für das Verhältnis von wörtlicher und metaphorischer Sprache zeigt. Anders als bei den philosophischen Texten, in denen der Nachweis dieser Unentscheidbarkeit im Gestus des Aufweises der Selbstwidersprüchlichkeit und Unzulänglichkeit des philosophischen Diskurses gegenüber seinen eigenen Prinzipien erbracht wurde, erfolgt ein

86 Jacques Derrida: La double séance, S. 254–255. „Die beiden Pole der Lesart sind nicht in gleicher Weise gegenwärtig: zumindest hat die Syntax einen Effekt des endlosen Gleitens zwischen beiden Möglichkeiten eingerichtet. […] Wie erklärt es sich, daß die syntaktische Alternative allein in der dritten Version des Textes freigesetzt wird? Wie erklärt es sich, daß nur dann, wenn Wörter verschoben, andere entfernt, ein Tempus umgewandelt und ein Komma hinzugefügt wird, die auf einheitlichen Sinn abhebende Lektüre, die einzige, die in den ersten beiden Versionen hatte praktiziert werden können, nun ins Kippen gerät, ohne je wieder zur Ruhe zu kommen? […] Vielleicht wußte er nicht, was er tat? War es ihm vielleicht nicht bewußt? Vielleicht war er nicht gänzlich Autor dessen, was zu jener Zeit geschrieben wurde? Das berstende Lachen, das auf dem Grund der Höhle, in Mimique widerhallt, antwortet auf diese Fragen. Diese lassen sich nur Formulieren, wenn man auf Oppositionen zurückgreift, indem man Entscheidungsmöglichkeiten voraussetzt, deren Trefflichkeit von eben dem Text, den sie eigentlich befragen sollten, strikt aus dem Weg geräumt worden war.“ (Übersetzung Hans-Dieter Gondek).

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 Metapher und Zeichen

Nachweis derselben Natur hier am literarischen Text, jedoch scheinbar als konstitutives Qualitätsmerkmal. Das Verständnis von Literatur als durch die Unentscheidbarkeit der Bedeutung charakterisierter Text87 drängt sich zunächst als konstitutiver Unterschied zwischen den in „La mythologie blanche“ untersuchten philosophischen Texten und den literarischen Beispielen der „Double séance“ auf. En passant, so scheint es, lässt sich hier ein Kriterium der Literarizität deduzieren: eine unentscheidbare Metaphorik.88 Allerdings, und das ergibt sich letztlich bereits aus Derridas Überlegungen zur Bedeutungsfunktion von sprachlichen Zeichen im Allgemeinen, ist die Unentscheidbarkeit eben kein konstitutives Merkmal von Literatur, sondern allen Texten inhärent, bedienen sie sich doch alle der gleichen Zeichen. Entscheidender, und darauf weisen die zahlreichen Fragen hin, die Derrida zunächst formuliert, um sie dann zurückzuweisen, sind die strategischen Verfahren im Umgang mit diesen Zeichen, und zwar sowohl auf Seiten eines Produzenten als auch eines Rezipienten89 im Rahmen eines Diskurses. Mit der unvermeidlichen Metaphorizität und damit einhergehenden différance des sprachlichen Systems können beide auf verschiedene Weisen verfahren und sie entweder leugnen, wie Derrida es dem philosophischen Diskurs diagnostiziert, oder sie in maximaler Weise zur Schau stellen, wie es die „Double séance“ für den literarischen Diskurs nachzuweisen versucht.90 Statt klarer Unterscheidungskriterien für Textarten offeriert Derrida damit die Grundlagen für eine Differenzierung von Textstrategien im Rahmen unterschiedlicher Diskurse, sprich Texte.

87 „C’est donc de la possibilité de la critique thématique qu’il sera précisément question : exemple d’une critique moderne, à l’œuvre partout où l’on vise à déterminer un sens à travers un texte, à en décider, à décider qu’il est un sens et qu’il est sens, sens posé, posable ou transposable comme tel, thème.“ (Ebd., S. 276). Wer, was oder wen für wen liest ist eine der exemplarischen Fragen, an denen Derrida die ‚Unentschiedenheit‘/‚Unentscheidbarkeit‘ von Mallarmés Text demonstriert. 88 Die Auswirkungen der Anerkennung der dekonstruktivistischen Position nach Derrida auf Selbstverständnis, Zielsetzungen und Verfahren der Literaturwissenschaft diskutiert ausführlich Jonathan D. Culler: On Deconstruction. Theory and Criticism after Structuralism. Ithaca, NY: Cornell University Press 1982, v. a. S. 180–225. Johanna Bossinade identifiziert denn auch die Metapher als Paradigma der poststrukturalistischen Literaturtheorie. Johanna Bossinade: Poststrukturalistische Literaturtheorie, S. 1–24. 89 Diese Kategorien sind im Kontext von Derridas Denken allerdings ebenfalls verdächtig und letztlich austauschbar: „Mallarmé lit. Il écrit en lisant. En lisant le texte écrit par le Mime ; qui lui-même lit pour écrire ; […].“ (Jacques Derrida: La double séance, S. 253). 90 Jonathan Culler sieht in dieser ostentativen Differenz des Textes von sich selbst bei gleichzeitiger Selbstreflexivität des Textes die entscheidenden Merkmale der Literatur. (Vgl. Jonathan D. Culler: On Deconstruction, S. 189).

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Die Nachverfolgung der literarischen oder auch rhetorischen Strategien in Texten ist es denn auch, die in der dekonstruktivistischen Literaturwissenschaft zentrale Aufmerksamkeit erfährt. Die aus dem philosophischen Diskurs bekannten Fragen, die auf das entweder-oder der Interpretation, auf die Identifizierung einer Bedeutung abzielen,91 müssen sich damit gegenüber der rhetorischen Funktion von Texten als schlicht inkompatibel erweisen und sind mithin durch andere Fragen und Beschreibungsverfahren zu ergänzen. Diese Konsequenz hinsichtlich der Anforderungen an eine literaturwissenschaftliche Auseinandersetzung mit diesem Textgegenstand ist wohl in Paul de Mans Arbeiten zur Reinform gekommen und führt zu einer weiteren Wendung in der Perspektivierung des Metaphernbegriffs.92 In seiner Proust-Lektüre führt de Man die auffindbaren Metaphern auf das Prinzip der Metonymie zurück und weist damit eine diskursiv etablierte und vom untersuchten Text selbst auf Aussageebene propagierte Überlegenheit der Metapher gegenüber der Metonymie als irrführend aus.93 Derridas und de Mans Position die Diskussion von Sprache und Text vollständig auf die strukturale Perspektive zu begrenzen, hat die wohl umfassendste und komplexeste Auslotung des semiotischen Systems Sprache hervorgebracht und hat, nimmt man sie ernst, erhebliche epistemologische Konsequenzen. Infrage stehen mit der dekonstruktivistischen Perspektive grundlegende hierarchische Dichotomien wie Literatur/nicht-Literatur, metaphorisch/wörtlich, aber auch die daran gebundenen Verfahren und Fragestellungen der Literaturwissenschaft. Paradigmatisch mag auf der Verfahrensseite die Ersetzung der Interpretation durch das reading als Ziel von Literaturwissenschaft/criticism betrachtet werden. Auf der Seite der Fragen ist damit die Etablierung bis dahin (diskursiv) vernachlässigter Texte und Aspekte von Texten verbunden, wie sie zum Beispiel von der feministischen Literaturwissenschaft betrieben wird, sowie die Etablierung thematischer Strukturen wie der Falte.94 Ihr Potenzial für die Literaturwissenschaft hinsichtlich der Metapher ist zwar für die Erschließung völlig neuer Fragedimensionen für die Untersuchung von Texten enorm, wie de Mans Beispiel ahnen lassen sollte. Dennoch läuft die dekonstruktivistische Position immer wieder

91 Nicht ausgeschlossen aus dem philosophischen Diskurs ist dagegen die Polysemie, deren Konzept bereits eine durch den philosophischen Diskurs hervorgebrachte Begrenzung potenzieller Bedeutungspluralität und mithin eine Entscheidbarkeit mit sich bringt. (Vgl. Jacques Derrida: La mythologie blanche, S. 267). 92 Culler spricht hier von den „turns of metaphor“ (Jonathan D. Culler: The Pursuit of Signs. Semiotics, Literature, Deconstruction. London/New York: Routledge 1981, S. 210–233). 93 Paul de Man: Allegories of Reading. Figural Language in Rousseau, Nietzsche, Rilke, and Proust. New Haven/London: Yale University Press 1979, S. 67–72. 94 Vgl. Jonathan D. Culler: On Deconstruction, S. 206–219.

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Gefahr, in einen unterscheidungslosen Relativismus zu münden: „In der metaphorischen Nacht, die die These [Derridas] heraufruft, ist die Metapher selber, wie jede andere Sprachkuh, schwarz; die These löscht sich selber aus“,95 fasst Wellbery diesen oft kritisierten Punkt zusammen. Dieser scheint nicht zuletzt Anlass für das Aufkommen naturwissenschaftlich orientierter Positionen in der Metapherntheorie gewesen zu sein.96 Tatsächlich lässt sich dieser Kritikpunkt jedoch im Sinne Wellberys weitgehen ausräumen, wenn man eben die Grenzen der Aussagekraft der dekonstruktivistischen Perspektive selbst einbezieht. Mit Blick auf Walter Benjamins Möwen, lassen sich hier durchaus interessante Beobachtungen machen, die die subversiven Momente eines Textes gegen die Vorstellung einer kontrollierbaren Metaphorik in Position bringen. Benjamins Text lässt sich mit Derrida als paradigmatisches Beispiel für eine Literatur lesen, in der die innere Dynamik des Zeichensystems Sprache ausgespielt und zur Schau gestellt ist. Als zentrales Moment dieser Inszenierung lässt sich die Stelle verstehen, in der der Name von den Möwen ‚abfällt‘. Das wörtlich/metaphorische Auseinanderfallen von signifiant und signifier geht mit der Einsicht einher, dass die zuvor natürlich geglaubte Verbindung zwischen den beiden auf einer Täuschung beruht. Die Zusammengehörigkeit von Name, eigentlicher Bezeichnung und Sache und damit auch die vermeintliche Sicherheit, die die Kenntnis des Namens im Umgang mit der Sache verspricht, löst sich mit dem Abfallen des Namens auf. Gleichzeitig beginnt damit die Dynamik aus Zug und Entzug der Metapher an der Oberfläche des Textes. Während die Analyse Harald Weinrichs an dieser Stelle auf eine Interpretation der statischen Aufteilung der Möwen in ein rechtes und ein linkes Volk, mit entsprechender politischer Implikation, abhebt,97 scheint hier vor allem die unaufhörliche Austauschbewegung zwischen den Möwen interessant. Die Möwen, zuvor bereits mit Zeichen assoziiert, tauschen in der Luft schwarz und weiß und weben ein ‚lesbares Schwingengeflecht‘ – die Struktur des Textes als Gewebe98 wird auf der metaphorischen Ebene des Textes wörtlich reproduziert. Gerhard Kurz greift die historische Semantik des Wortes Text auf und zeigt, wie hier die längst erstorbene Metapher des textus99 in der webenden Bewegung

95 David E. Wellbery: Retrait/Re-entry, S. 198. 96 Vgl. dazu z. B. Mark Turners programmatische Einleitung in Death is the Mother of Beauty, in der er die kognitive Metapherntheorie als explizite Alternative und Ausweg aus einem lähmenden Relativismus benennt. (Vgl. Mark Turner: Death is the Mother of Beauty. Mind, Metaphor, Criticism. Chicago/London: University of Chicago Press 1987, S. 3–15). 97 Vgl. Weinrichs Lektüre in Harald Weinrich: Streit um Metaphern, S. 37–40. 98 Auf die historische Semantik des Textes als textus geht Gerhard Kurz allerdings im Zusammenhang seines Allegorie-Kapitels ein. (Gerhard Kurz: Metapher, Allegorie, Symbol, S. 30–37). 99 Textus: Geflecht, Gewebe.

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des Möwenfluges reaktualisiert wird. Mit Derrida läge damit ein typischer Fall von literarischer Unentscheidbarkeit vor. Die von einer zeithistorisch-politischen Lektüre identifizierte politische Aussage des Textes wird hier fraglich. Vielmehr drängt sich die unaufhaltsame Wechselbewegung der Möwen, ihr Oszillieren, das die Bewegung der Zeichen in Derridas Metapherntheorie mit ihrer Bewegung zwischen Begriff und Metapher spiegelt, in den Vordergrund. Der Erzähler (und der Leser), der versucht, dem Flug in die eine Richtung zu folgen, gleitet plötzlich ab, findet sich unversehens auf der anderen Seite wieder – schwarz von Erlittenem. Es ist dieses Abgleiten ins Metaphorische/quasi-Metaphorische, das dem Erzähler/Leser in seiner Beobachtung widerfährt und das Derrida selbst zu Beginn von „Le retrait de la métaphore“100 als charakteristische Dynamik der Unentscheidbarkeit und Unbeherrschbarkeit der Metapher thematisiert. Die Zeichen stehen ebenso wenig zur Verfügung wie die schwirrenden Möwen. Eine Entscheidung für eine Richtung muss, wie die Entscheidung der Philosophie für die begriffliche Sprache, unversehens feststellen, dass sie sich bereits wieder auf der Seite der Metaphorik befindet, selbst wenn sie noch den (farblichen) Anschein des Begriffes nach außen hin trägt. Die Unentscheidbarkeit zwischen Möwen/Zeichen und deren Zugehörigkeit zu weiß/schwarz, rechts/links durchzieht den Text und projiziert damit die metaphorische/quasi-metaphorische Unentschiedenheit auf seine Oberfläche. Die ordnende Kraft der Oppositionen, die die politische Aussageebene des Textes konstituiert, wird durch die nicht feststellbare Bewegung der Zeichen/Möwen unterwandert. Das Verhältnis Möwe-Zeichen erweist sich als ein unsicheres, keiner der beiden Begriffe kann mehr als vertraut gelten. Die metaphysische Aufhebung der Metapher wird an der Oberfläche dieses Textes konterkariert. Hier zeigt sich im Syntagma des Textes ein charakteristischer Zug der Metapher beziehungsweise der Sprache, der unabhängig von einer potenziellen Aussageintention des Autors oder einer Kontextbedeutung101 nur als Effekt des semiotischen Systems operiert. Die Allaussagen der Dekonstruktion über Sprache betreffen diese als semiotisches System – nicht mehr und nicht weniger. Allerdings macht die weitgehende Hermetik von Derridas sprachlichem System den Anschluss an andere Modelle schwierig und schließt gleichzeitig die von diesen Modellen eingefangenen Fragen kategorisch aus.102 Dieses Problem spiegelt sich schon in der (pole-

100 Vgl. Jacques Derrida: Le retrait de la métaphore, S. 63–65. 101 Weinrichs Interpretation der Möwen zielt genau auf diese beiden Instanzen als Referenzpunkte. Vgl. entsprechend Kap. 7.3. 102 Vgl. die ‚literaturwissenschaftlichen‘ Fragen, die Derrida in „La double séance“ mit reinem Gelächter beantwortet. Mit Blick auf die Metapherntheorie könnte ein Beispiel die postulierte

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 Metapher und Zeichen

mischen) Auseinandersetzung Derridas mit seinem Zeitgenossen Paul Ricoeur über die Metapher wieder, die sich in erster Linie in Ricoeurs Reaktion auf die „Mythologie blanche“ im Rahmen seiner achten Studie in La métaphore vive niederschlägt sowie in Derridas Reaktion auf diese Kritik im Rahmen von „Retrait de la métaphore“.103 Die Kontroverse zwischen Derrida und Ricoeur kann an dieser Stelle nicht im Detail diskutiert werden.104 Hingewiesen sei jedoch auf die fundamentale Verschiedenheit der Dimension, in denen die beiden das Thema der Metapher diskutieren. Derrida diskutiert die Metapher im Zusammenhang mit einem allen Diskursen gleichermaßen zugrundeliegenden und für alle Diskurse homogenen semiotischen System, das mit seinen inhärenten Kräften in allen Diskursen gleichmäßig wirksam ist. Die Kräfte dieses Systems entfalten ihre Dynamiken in den unterschiedlichen Diskursen, wie Literatur und Philosophie, gleichermaßen und lassen sich durch diese nicht oder nur sehr bedingt kanalisieren. Die metaphorischen Kräfte des Systems brechen sich immer Bahn und manifestieren sich mal als Paradox, mal als Transparenz. Die Diskurse können sich der Metapher gegenüber nur unterschiedlich verhalten – durch Affirmation oder Verleugnung –, sie liegt aber letztlich außerhalb ihres Verfügungsbereiches. Für Ricoeur ist die Metapher dagegen nicht ein Effekt des semiotischen Systems, dessen Homogenität und Kontinuität über verschiedene Organisations- und Manifestationsebenen hinweg

Unauflösbarkeit der sprachlichen Metaphorik sein, die einerseits auf semiologischer Ebene von Derrida eindrucksvoll nachgewiesen wird, andererseits aus pragmatischer Perspektive doch i. d. R. in Alltagskommunikation und -verhalten zu eindeutigen Bedeutungsidentifikationen und entsprechendem Verhalten führt. Ungeachtet der stets ambivalenten Verweisungsstruktur von Zeichen, reproduzieren die (nicht-sprachlichen) Reaktionen auf diese doch immer wieder entweder-oder-Effekte. Angesichts einer (metaphorisch formulierten) Aufforderung kann ich dieser entweder nachkommen oder nicht. Dass dieser Effekt von sprachlichen Zeichen auf außersprachliche Phänomene keineswegs aus einer Eigenschaft der Zeichen (eben etwas eindeutig zu bedeuten) folgt, scheint ein Ergebnis der dekonstruktivistischen Theorie zu sein. Die scheinbare Eindeutigkeit der semiotischen Bedeutung, die der pragmatische Umgang mit Alltagsäußerungen zu belegen scheint, ist aus dekonstruktivistischer Perspektive weder als Frage sinnvoll formulierbar noch beantwortbar. 103 Vgl. Kap. 8.3. Vgl. außerdem für ausführliche Versuche, die Problemlinien dieser Diskussion nachzuzeichnen, vor allem Leonard R. Lawlor: Imagination and Chance. The Difference between the Thought of Ricoeur and Derrida. Albany, NY: State University of New York Press 1992 und Morny Joy: Derrida and Ricoeur: A Case of Mistaken Identity (and Difference). In: The Journal of Religion 68:4 (1988), S. 508–526. 104 Dem Versuch, die Auseinandersetzung aufzuarbeiten, widmen sich Leonard R. Lawlor: Imagination and Chance, Eftichis Pirovolakis: Reading Derrida and Ricoeur. Improbable Encounters between Deconstruction and Hermeneutics. Albany, NY: State University of New York Press 2010, Morny Joy: Derrida and Ricoeur: A Case of Mistaken Identity (and Difference).

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er im Übrigen infrage stellt, sondern vielmehr ein Produkt der einzelnen Diskurse und ihrer jeweiligen Regeln. Der hermeneutisch orientierten Grundanlage seiner Philosophie folgend, fokussiert Ricoeur weniger auf Strukturen und deren Beschreibung – dies ist nur Mittel zum Zweck –, als vielmehr auf die Bedingungen und Momente von Bedeutungserzeugung und Verstehen. Dies ereignet sich immer schon jenseits des semiotischen Systems. Dieses steht für Ricoeur immer in einem Anwendungszusammenhang, dem Diskurs. Die prägende Macht der Diskurse schlägt sich für Ricoeur in der unterschiedlichen Verwendung der Metapher nieder, einer Verwendung, die bei Derrida aufgrund der weitgehenden Autonomie des Systems gar nicht möglich ist. Die Metapher – und für diese Einsicht argumentiert Ricoeur durch die ganze Métaphore vive hindurch – ist ein Produkt auf Ebene des Diskurses, des Sprachgebrauchs, der Bedeutungskonstruktion und des Verstehens. Damit wird das Phänomen in einer gänzlich anderen Dimension angesiedelt und analysiert, als das bei Derrida der Fall ist. Insofern scheint auch Derridas Missverständnisvorwurf gegen Ricoeur in „Le retrait de la métaphore“ begründet. Daraus folgt jedoch keineswegs eine pauschale Überlegenheit der einen Position gegenüber der anderen. Vielmehr scheinen sie durch ihre verschiedene Verortung grundsätzlich nicht gegeneinander ausspielbar zu sein, sondern vielmehr komplementäre Aspekte des Phänomens zu beschreiben. Ähnlich scheint es sich mit Derridas kritischer Perspektive zu Projekten der Metaphorologie, in dieser Arbeit prominent durch Giambattista Vico und Hans Blumenberg vertreten, zu verhalten.105 Während die genannten Autoren in der Rückverfolgung historischer Verschiebungen von Metaphern und Begriffen insofern ein positives Unterfangen sehen, als sie dadurch zumindest relative Einsicht in historische Begriffs- und Konzeptbildungsbewegungen erwarten, betrachtet Derrida dieses Vorhaben schlicht als unmöglich, die damit zusammenhängenden Fragen als nicht beantwortbar. Die absolute Systematik, die Derrida einer Metaphorologie als notwendig unterstellt, ist vor dem Hintergrund der notorischen Instabilität des semiotischen Systems nicht zu erreichen; die Metaphorologie müsste immer nur neuen, außerhalb ihrer selbst liegenden Metaphern zum Opfer fallen. Dass dies möglicherweise weniger problematisch als von Derrida dargestellt ist, lässt sich argumentieren, wenn man in der Metaphorologie keineswegs ein absolutes Projekt mit dem Ziel der Beherrschung der Metapher sieht (wie es Blumenbergs Texte in meinen Augen auch nahelegen), sondern ein stets auf den konkreten Einzelfall fokussiertes und auf Relationierung und nicht auf Verabsolutierung ausgerichtetes Projekt, das seine eigene zeitliche Verortung mitreflektiert. Die grundsätzlich verschiedene Verortung des Phänomens Metapher,

105 Vgl. Kap. 6.1. zu Vico und Kap. 8.3. zu Ricoeur.

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 Metapher und Zeichen

einmal als systematisches und einmal als historisches Phänomen, legt auch hier den Verdacht nahe, dass es sich letztlich nicht um widersprüchliche, sondern komplementäre Beschreibungsperspektiven handelt.106 Ebenfalls besonders deutlich zeigen sich diese Anschlussschwierigkeiten im Verhältnis der Conceptual Metaphor Theory (CMT)107 im weiteren Sinn zum Dekonstruktivismus. Hier gewinnt die Gemengelage zusätzliche Brisanz durch die Tatsache, dass sich die Theorien auf den ersten Blick in zentralen Aussagen einig zu sein scheinen. Das Postulat einer grundlegenden Metaphorik der Sprache lässt sich meines Erachtens beiden Positionen legitim zuschreiben108 – und stellt doch in beiden Fällen kategorisch vollständig unterschiedliche Aussagen mit verschiedenen Prämissen und Konsequenzen dar. Ist in der CMT vom metaphorischen Denken die Rede, so geht die Argumentation genau in die Derrida entgegengesetzte Richtung: Das Denken ist noch im vor-sprachlichen Stadium metaphorisch, die formierende Macht des Zeichenkosmos wird von der CMT weitgehend vernachlässigt. Derrida dagegen unterstellt das Denken der Logik des Zeichenkosmos, dessen es sich zu seiner Artikulation bedienen muss, und kommt damit von der anderen Seite der Argumentation her. Der Schnittpunkt beider Theorien ist mithin ein trügerischer, produziert durch eine rein aussagensystematische, zweidimensionale Aufsicht auf die Theorien unter Vernachlässigung der Tiefendimension, die sich über das, von der jeweiligen Theorie gebildete, Begriffsnetzwerk eröffnet beziehungsweise in bestimmten Spielarten der CMT (konkret der Neural Theory of Metaphor, NTM) eben sogar versucht, die Sprache als Diskursmedium für die Verhandlung der Metapher zu verlassen. Derridas Definition der Metapher als das nicht-Definierbare109 bezieht sich auf deren sprachliche Definition. Die Versuche der neuronal-funktionalen Bestimmung der Metapher im Rahmen der NTM scheinen eben gerade aus dem als unzuverlässig erwiesenen sprachlichen Kosmos an dieser Stelle heraustreten zu wollen – die Erfolgsaussichten werden im entsprechenden Abschnitt zu diskutieren sein.110 Nichtsdestotrotz scheint eben die Zusammenführung von Metapherneffekten auf Ebene des Zeichensystems

106 Vgl. in diesem Sinne auch Dirk Mende: Histories of Technicization. On the Relation of Conceptual History and Metaphorology in Hans Blumenberg. In: Telos 158 (2012), S. 59–79, hier auf S. 59. 107 Vgl. Kap. 9.1. zur Conceptual Metaphor Theory. 108 Grundsätzlich ließe sich dies auch von Giambattista Vicos, Friedrich Nietzsches und Hans Blumenbergs Theorien behaupten, doch scheint die gesamttheoretische, methodologische und epistemologische Diskrepanz zwischen diesen und Derrida nicht so frappierend wie zwischen Derrida und der CMT. 109 Vgl. David E. Wellbery: Retrait/Re-entry, S. 202. 110 Vgl. Kap. 9.2. sowie Kap. 9.6.

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mit psychologischen und physiologischen Effekten in einer Theorie, wie sie sich bei Vico andeutet, auch nach dem Siegeszug der Semiotik ebenso reizvoll wie schwierig, wie sich an der Theorie Jacques Lacans zeigen lässt.

6.3 Jacques Lacan (1901–1981) Sa gerbe n’était pas avare ni haineuse.111

In den metapherntheoretischen Texten Jacques Lacans laufen zentrale Thesen Sigmund Freuds und Ferdinand de Saussures in kontroverser Weise zu einer linguistisch geprägten psychoanalytischen Theorie der Metapher zusammen. Kontrovers deshalb, weil in der lacanschen Synthese die ursprünglichen Theorien Freuds und Saussures gelinde gesagt stark modifiziert werden. Funktion und Rolle der Metapher in Lacans psychoanalytischer Theorie lassen sich nicht abgetrennt von seiner Sprachtheorie begreifen, weshalb auf diese beiden Bezugspunkte kurz eingegangen werden muss, bevor seine Metapherntheorie im Detail erläutert werden kann. Lacans eklektisches Vorgehen zeigt sich exemplarisch im folgenden Zitat: „Si la psychanalyse doit se constituer comme science de l’inconscient, il convient de partir de ce que l’inconscient est structuré comme un langage.“112 Hier lassen sich bereits die zentralen theoretischen Annahmen identifizieren, die die Grundlage für Lacans Metapherntheorie bilden: 1. Freuds Idee des Unbewussten113 und 2. Saussures Modell der Sprache als Struktur.114 Beide Aspekte fließen bei Lacan wiederholt in der zentralen These zusammen: „L’inconscient

111 Jacques Lacan: L’instance de la lettre dans l’inconscient ou la raison depuis Freud. In: Écrits. Paris: Seuil 1966, S. 493–528, hier auf S. 493. Die Zeile stammt aus dem Gedicht Booz endormi von Victor Hugo, in dem der Dichter die biblische Erzählung von Boas aus dem Buch Ruth aufgreift. 112 Jacques Lacan: Le sujet et l’Autre. L’aliènation. In: Le seminaire de Jacques Lacan Livre XI. Les quatre concepts fondamentaux de la psychanalyse. Hrsg. von Jacques-Alain Miller. Paris: Seuil 1973, S. 185–196, hier auf S. 185. „Soll die Psychoanalyse sich als Wissenschaft vom Unbewußten konstituieren, ist davon auszugehen, daß das Unbewußte wie eine Sprache strukturiert ist.“ (Übersetzung Norbert Haas). 113 Vgl. für eine Übersicht über Charakteristika des Unbewussten bei Freud und Lacan Alain Juranville: Lacan und die Philosophie. München: Boer 1990, S. 24–54. 114 Vgl. Dylan Evans: An Introductory Dictionary of Lacanian Psychoanalysis. London/New York: Routledge 1996, S. 33. Vgl. für Lacans Saussure-Rezeption Michel Arrivé: Linguistics and Psychoanalysis. Freud, Saussure, Hjelmslev, Lacan and Others. Amsterdam/Philadelphia: Benjamins 1992, S. 123–134. Neben Saussure sind Claude Lévi-Strauss und Roman Jakobson mit seinen Arbeiten zur Aphasie als zentrale strukturalistische Einflüsse auf Lacan zu nennen.

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 Metapher und Zeichen

est structuré comme un langage“.115 Die Metapher gerät damit unversehens von einem sprachlichen zu einem psychologischen Phänomen mit sprachähnlicher Struktur und Funktionsmechanismen. Da sowohl Freuds als auch Saussures Position über Lacans Theorie hinaus als hochgradig einflussreich für die metapherntheoretische Debatte betrachtet werden können, sollen sie im Folgenden in aller Kürze skizziert werden, um im Anschluss Lacans Abwandlungen und seine eigene These klarer herausarbeiten zu können. Freud, mit dem Lacan gegen den Trend seiner Zeit versucht, eine neue Form der Psychoanalyse zu etablieren,116 bestimmt das Unbewusste in Abgrenzung zum Bewussten und Vorbewussten als Bereich nicht introspektierbarer und damit verdrängter psychischer Gehalte und identifiziert besonders in sprachlichen Fehlleistungen und Träumen manifeste Effekte des Unbewussten. Für letztere entwirft er einen Modellmechanismus der Traumarbeit, die er in die vier Mechanismen Verdichtung, Verschiebung, Berücksichtigung der Darstellbarkeit und schließlich eine (optionale) sekundäre Bearbeitung differenziert.117 In diesen vier Mechanismen sieht Freud die Ursache für eine zunächst fundamentale Diskrepanz zwischen dem, was er Trauminhalt und Traumgedanken, oder auch manifesten und latenten Trauminhalt nennt.118 Aus metapherntheoretischer Perspektive sind besonders die ersten beiden Mechanismen interessant, sie sind es auch, die Lacan später aufgreift. Die Verdichtung ist zu verstehen als Auswahlvorgang, in dem die Fülle des latenten Trauminhaltes auf die lakonische Knappheit des manifesten Trauminhalts reduziert wird,119 und wird von Lacan mit der Metapher iden-

115 Vgl. mit ähnlicher Aussage FN 2 in diesem Kapitel. Jacques Lacan: L’inconscient et la répétition. In: Le seminaire de Jacques Lacan Livre XI. Les quatre concepts fondamentaux de la psychanalyse. Hrsg. von Jacques-Alain Miller. Paris: Seuil 1973, S. 21–65, hier auf S. 23. „Das Unbewusste ist strukturiert wie eine Sprache.“ (Übersetzung Norbert Haas) 116 Vgl. hierzu das Standardwerk von Samuel Weber: Rückkehr zu Freud. Jacques Lacans Entstellung der Psychoanalyse. Frankfurt am Main: Ullstein 1978. 117 Vgl. Christa Rohde-Dachser u. a.: Theorie des Unbewußten. In: Freud-Handbuch. Leben – Werk – Wirkung. Hrsg. von Hans-Martin Lohmann/Joachim Pfeiffer. Stuttgart/Weimar: Metzler 2013, S. 118–133. 118 Vgl. Heinrich Deserno: Schriften zur Traumdeutung. In: Freud-Handbuch. Leben – Werk – Wirkung. Hrsg. von Hans-Martin Lohmann/Joachim Pfeiffer. Stuttgart/Weimar: Metzler 2013, S. 106–117, hier auf S. 111. 119 Vgl. Sigmund Freud: Die Traumdeutung. 5. Aufl. Frankfurt am Main: Fischer Taschenbuch Verlag 2015, S. 285 ff. Die Traumanalyse verkompliziert sich entscheidend dadurch, dass sowohl die einzelnen Elemente des manifesten Trauminhaltes überdeterminiert sind, also mehrfach auf Elemente des latenten Trauminhaltes verweisen, als auch die einzelnen Elemente des latenten Trauminhaltes durch verschiedene Elemente des manifesten Traums ausgedrückt werden können. Vgl. ebd., S. 290.

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tifiziert.120 Die Verschiebung bedeutet eine Refokussierung des manifesten Trauminhaltes im Verhältnis zum latenten Trauminhalt121 und wird von Lacan in der Folge als Metonymie reinterpretiert.122 Damit einher geht eine grundsätzliche Einschätzung der Prozesse des Unbewussten als zu entziffernde Rätsel, da sie, wie die Trauminhalte, überdeterminiert sind. Diese Überdetermination, als Unmöglichkeit einer eineindeutigen Zuordnung von Signifikanten zu Signifikaten, bleibt ein charakteristisches Merkmal von Lacans Sprachtheorie. Prägend für diese ist Saussures Zeichenmodell, das allerdings eine derart fundamentale Neuinterpretation erfährt, dass wiederholt der Vorwurf einer massiven Verzerrung erhoben wurde.123 In der Tat lässt sich Lacans Auslegung von Saussure am ehesten als kreative Aneignung verstehen. Als zentrale Punkte übernimmt er die Idee der Sprache als geschlossene, autonome Ordnung, die auf dem Prinzip der Differenzierung mittels Phonemen beruht.124 Damit sieht er sich in der Lage, die Bedeutungsfunktion der Sprache als Illusion zu entlarven,125 die Bedeutung als eigentliches Element der Sprache auszuklammern und ihre Funktionalität radikal auf Differenzierung an sich bedeutungsloser Elemente zu reduzieren. Dazu eignet er sich das bekannte Zeichenmodell126 an (s. Abb. 1) und

120 „La Verdichtung, condensation, c’est la structure de surimposition des signifiants où prend son champ la métaphore, et dont le nom pour condenser en lui-même la Dichtung indique la connaturalité du mécanisme à la poésie, jusqu’au point où il enveloppe la fonction proprement traditionnelle de celle-ci. La Verschiebung ou déplacement, c’est plus près du terme allemand ce virement de la signification que la métonymie démontre et qui, dès son apparition dans Freud, est présenté comme le moyen de l’inconscient le plus propre à déjouer la censure.“ (Jacques Lacan: L’instance de la lettre dans l’inconscient ou la raison depuis Freud, S. 511). 121 Vgl. Sigmund Freud: Die Traumdeutung, S. 309–310. 122 Jacques Lacan: L’instance de la lettre dans l’inconscient ou la raison depuis Freud, S. 511. 123 Vgl. hierzu bspw. Georges Mounin: Introduction à la sémiologie. Paris: Les Éditions de Minuit 1970, S. 187. 124 Vgl. Jacques Lacan: L’instance de la lettre dans l’inconscient ou la raison depuis Freud, S. 501. 125 „Ces considérations, si existantes qu’elles soient pour le philosophe, nous détournent du lieu d’où le langage nous interroge sur sa nature. Et l’on échouera à en soutenir la question, tant qu’on ne se sera pas dépris de l’illusion que le signifiant répond à la fonction de représenter le signifié, disons mieux : que le signifiant ait à répondre de son existence au titre de quelque signification que ce soit.“ (Ebd., S. 498). 126 Ferdinand de Saussure: Cours de linguistique générale. Hrsg. von Charles Bally/Albert Sechehaye. Paris: Payot 1967, S. 99.

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 Metapher und Zeichen

Concept arbor

Image acouslique

Abb. 1: Neuinterpretation des saussureschen Zeichenmodells nach Lacan

unterzieht es einer Neuinterpretation.127  Ss 128 – diese Neufassung, in Lacans Verständnis ein Algorithmus, liest sich zunächst schlicht: signifiant über signifier.129 Die Zweiteilung des Zeichens in signifier und signifiant wird in ihrer Struktur umgekehrt, womit der signifiant schon symbolisch in seine bei Lacan charakteristische dominante Position rückt.130 Abhanden kommen in dieser Interpretation die Pfeile, die bei Saussure die Verbindung zwischen signifiant und signifier darstellen, ebenso wie die ihre Einheit markierende Ellipse, die beide umschließt.131 Zentrale Bedeutung gewinnt dagegen der Trennbalken, der signifiant und signifier trennt und der, während er bei Saussure keine gesonderte Interpretation erfährt, bei Lacan eine zentrale, unaufhebbar trennende Funktion132 bekommt. Die Ebenen von signifiant und signifier sind damit zunächst radikal geschieden. Das Gleiten des signifier unter den signifiant erscheint als die aus Saussure abgeleitete

127 Vgl. hierzu ausführlicher Michel Arrivé: Linguistics and Psychoanalysis, S. 133–134. Auf Saussure, in dessen Werk die Metapher selbst allerdings bezeichnend abwesend ist, und dessen Grundlegung der Sprachwissenschaft greifen neben Lacan auch Roman Jakobson (vgl. Kap. 7.1.) und Jacques Derrida (vgl. Kap. 6.2.) zurück. Vgl. zur Position Saussures Johanna Bossinade: Poststrukturalistische Literaturtheorie, S. 25–29. 128 Jacques Lacan: L’instance de la lettre dans l’inconscient ou la raison depuis Freud, S. 493. 129 Vgl. Dylan Evans: An Introductory Dictionary of Lacanian Psychoanalysis, S. 8. Beachtenswert hier vor allem der Hinweis, dass S in insgesamt drei verschiedenen Bedeutungen verwendet wird und die hier relevante Bedeutung als signifiant ab 1957 zentral wird. 130 Evans fasst zusammen: „Thus for Lacan language is not a system of signs (as it was for Saussure) but a system of signifiers.“ (Ebd., S. 189). Bossinade spricht von einer Unterordnung von Zeichen, Bezeichnetem aber auch von Subjekt und Unbewusstem unter den Signifikanten. (Vgl. Johanna Bossinade: Poststrukturalistische Literaturtheorie, S. 39–44). 131 Michel Arrivé: Linguistics and Psychoanalysis, S. 133–134. 132 „La thématique de cette science est dès lors en effet suspendue à la position primordiale du signifiant et du signifié, comme d’ordres distincts et séparés initialement par une barrière résistante à la signification.“ (Jacques Lacan: L’instance de la lettre dans l’inconscient ou la raison depuis Freud, S. 497).

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Begründung für die Absage an eine schlichte Bedeutungsfunktion der Sprache.133 Durch die Betonung der trennenden Funktion des Balkens im saussureschen Diagramm lassen sich die Ebenen von signifiant und signifier in unterschiedlichen Dynamiken denken: La notion d’un glissement incessant du signifié sous le signifiant s’impose donc, – que F. de Saussure illustre d’une image qui ressemble aux deux sinuosités des Eaux supérieures et inférieures dans les miniatures des manuscrits de la Genèse. Double flux où le repère semble mince des fines raies de pluie qu’y dessinent les pointillés verticaux censés y li miter des segments de correspondance.134

Sinn oder Bedeutung der Sprache und des Zeichens stellen sich damit nur über die spezifische Topographie der Signifikanten-Kette ein. Lacans Neufassung von Saussures Darstellung ist jedoch keine rein linguistische Analyse, sondern zielt auf psychoanalytische Implikationen des Zeichenverständnisses: S 135 wird von Lacan in f(S)  I 136 umgeformt. s s

In der zweiten Formel soll die Signifizierung als Effekt f(S) dargestellt werden. Deutlich wird aber auch der grundsätzlich labile Zusammenhang zwischen S und s, das Gleiten des signifier unter den signifiant, der ebenfalls als ein Effekt des Unbewussten verstanden werden kann und von Lacan direkt mit der freudschen Verschiebung in der Traumarbeit in Verbindung gebracht wird. Psychische Normalität entspricht von dieser Warte aus dem normal-funktionalen Sprachverstehen, das wie gesagt auf Grundlage einer funktionalen Topographie der signifiants, der Signifikanten-Kette erfolgt. Sinnlosigkeit der Sprache und die Psychose resultieren dagegen aus einer Störung dieser Topographie.137

133 Vgl. aber Michel Arrivé: Linguistics and Psychoanalysis, S. 132 zur Etablierung der normalen Bedeutungsfunktion durch ‚Polsterknöpfe‘ im Gegensatz zur Psychose. 134 Jacques Lacan: L’instance de la lettre dans l’inconscient ou la raison depuis Freud, S. 502– 503. „Es drängt sich also der Gedanke auf, daß das Signifizierte unaufhörlich unter den Signifikanten gleitet – was F. de Saussure an einem Bild illustriert, das den zwei Windungen des Oberen und des Unteren Wassers gleicht, wie sie auf den Miniaturen der dargestellt sind. Ein doppelter Fluß, der markiert ist von feinen Regenstreifen, wodurch sich punktierte vertikale Linien bilden, die die korrespondierenden Elemente eingrenzen.“ (Übersetzung Norbert Haas). 135 Ebd., S. 493. 136 Ebd., S. 515. 137 Vgl. Claus v. Bormann: Das Spiel des Signifikanten. Zur Struktur des Diskurses bei Lacan. In: Diskurstheorie und Literaturwissenschaft. Hrsg. von Jürgen Fohrmann/Harro Müller. Frankfurt am Main 1988, S. 53–81, hier auf S. 65.

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 Metapher und Zeichen

Der signifiant wird damit die dominante Größe nicht nur von Lacans Sprachtheorie, sondern auch seiner psychoanalytischen Überlegungen, da die Sprache über den signifiant an der symbolischen Ordnung138 teilhat, jener Ordnung, die sich im Gegensatz zum Realen139 und zum Imaginären140 über die reine Differenzialität ihrer Elemente konstituiert,141 die dadurch nur in der Differenz und nicht als rein positiver Befund, also nicht im Realen existieren. Durch das Gesetz der Differenzialität entspricht die symbolische Ordnung auch dem Bereich des radikal Anderen und des Unbewussten.142 Das Unbewusste, und darin liegt Lacans Pointe in der Verbindung von Sprachtheorie und Psychoanalyse, ist der absolute Bereich der symbolischen Ordnung, an der die Sprache über den signifiant teilhat. Als zentrale Funktion des Unbewussten wirkt die symbolische Ordnung auf die Konstitution der Wirklichkeit: „C’est le monde des mots qui crée le monde des choses,  […]“,143 was das Individuum einschließt, das durch den signifiant eine fundamentale Spaltung erfährt,144 und sich in der Folge sowohl in der sym-

138 Die symbolische Ordnung ist zunächst fundamental bestimmt als Struktur, die als linguistische Struktur verstanden werden kann. Dennoch ist die Sprache nicht gleich der symbolischen Ordnung, sondern lediglich der autonome signifiant ist ihr zuzurechnen. (Vgl. Dylan Evans: An Introductory Dictionary of Lacanian Psychoanalysis, S. 203–204). Mit dem signifier hat das sprachliche Zeichen darüber hinaus teil an der imaginären Ordnung (vgl. folgende FN). 139 Das Reale, neben dem Symbolischen und dem Imaginären die dritte Ordnung bei Lacan, bestimmt sich letztlich durch die Abwesenheit dieser beiden Ordnungen. Damit ist das Reale im Gegensatz zum Symbolischen grundsätzlich undifferenziert. Da das menschliche Subjekt immer schon durch die symbolische und imaginäre Ordnung konstituiert ist, zu denen das absolut Reale in einem Ausschlussverhältnis steht, ist dieses gleichzeitig das Undenkbare, Unmögliche. (Vgl. ebd., S. 162–163). 140 Will man das Symbolische und das Imaginäre wie das Verhältnis von signifiant zu signifier verstehen (vgl. Jean-Pierre Cléro: Le vocabulaire de Lacan. Paris: ellipses 2002, S. 37), so bildet das Imaginären einen durch die symbolische Ordnung strukturierten, dieser aber nicht identischen Bereich, der in etwa Bildern im weitesten Sinne entspricht (vgl. Ellie Ragland-Sullivan: Jacques Lacan and the Philosophy of Psychoanalysis. Urbana/Chicago: University of Illinois Press 1987, S. 146). Im Spiegelstadium ordnet das menschliche Individuum in der Identifikation mit dem anderen, dem symbolischen, unbewussten Subjekt zum ersten Mal ein imaginäres, bildhaftes moi zu. 141 „Dans l’ordre symbolique, tout élément vaut comme oppose à un autre.“ (Jacques Lacan: Les psychoses: 1955–1956. Hrsg. von Russell Grigg. New York/London: Norton & Company 1981, S. 17). 142 Vgl. Dylan Evans: An Introductory Dictionary of Lacanian Psychoanalysis, S. 203. 143 Jacques Lacan: Fonction et champ de la parole et du langage en psychanalyse. In: Écrits. Paris: Seuil 1966, 237–322, hier auf S. 276. „Es ist vielmehr die Welt der Worte, die die Welt der Dinge schafft, […].“ (Übersetzung Hans-Dieter Gondek). 144 „In einer ersten Bewegung des Signifikanten, mit der eine irgendwie vorstellbare Einheit des Subjekts und ein vorgegebener Sinn von Wirklichkeit gebannt werden, wird der Spalt des Unbewußten geöffnet. […] Zunächst gibt es nichts außer diese autonome Bewegung des Signifikanten,

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bolischen als auch in der imaginären Ordnung konstituiert, und zwar als je145 beziehungsweise als moi.146 Die Funktion des signifiants in Bezug auf das Subjekt ist jedoch die unausweichliche Schaffung von diskursiver Intersubjektivität,147 in der sich die Subjekte wechselseitig konstituieren: „Notre définition du signifiant (il n’y en a pas d’autre) est : un signifiant, c’est ce qui représente le sujet pour un autre signifiant.“148 Die Betonung der konstituierenden Diskursivität gründet in der Annahme einer notwendigen Verwiesenheit menschlicher Individuen aufeinander149 zur wechselseitigen Konstituierung als Subjekte (s. Abb. 2).

in der das Subjekt eine ursprüngliche Spaltung (refente) erfährt und durch sie in einer Situation der Entfremdung festgelegt wird. Das heißt nichts anderes, als daß in dieser Bewegung das Subjekt erst entsteht und zugleich durch die Sprachwirkung nur in einer ‚Teilung mit sich sich selbst‘ ist.“ (Claus v. Bormann: Das Spiel des Signifikanten, S. 58). Diese Spaltung ist allerdings keineswegs ein psychopathisches Phänomen, sondern im Gegenteil konstitutiv für den Menschen, der erst in dieser Spaltung Mensch ist. (Vgl. Dylan Evans: An Introductory Dictionary of Lacanian Psychoanalysis, S. 195). 145 „As the subject of linguistic distinctions and differences, the je stabilizes the moi by anchoring its sliding identifications and spontaneous fusions through naming and labelling these responses. In this way, the speaking je provides a sense of unity to the opaque yet potent force.“ (Ellie Ragland-Sullivan: Jacques Lacan and the Philosophy of Psychoanalysis, S. 59). Vgl. ebd., S. 58–67 für eine detaillierte Beschreibung einzelner Differenz- und Interaktionspunkte von je und moi. 146 „As nonverbal agent of specularity and identification, the moi leads the game of human interaction. But it is essentially in an unstable posture. Subjects reconstitute themselves for each other, Lacan says, by exchanging ego (moi) through language (je) as symbols.“ (Ebd., S. 43). Vgl. ebd., S. 42–52 für eine ausführlichere Darstellung des moi in seinen Relationen zu je und a/Autre. 147 Vgl. ebd., S. 212–213. 148 Jacques Lacan: Subversion du sujet et dialectique du désir dans l’inconscient freudien. In: Écrits. Paris: Seuil 1966, S. 793–828, hier auf S. 819. „Unsere Definition des Signifikanten – es gibt keine andere – lautet: Ein Signifikant ist, was für einen anderen Signifikanten das Subjekt vorstellt.“ (Übersetzung Norbert Haas). 149 Paradigmatisch kann hier die Angewiesenheit des, in Lacans Verständnis zu früh geborenen, unfertigen Säuglings auf die Mutter betrachtet werden, die sowohl physiologisch notwendiger Versorger als auch psychologisch zentraler Identifikationspunkt ist, anhand dessen die Relationierung des Säuglings mit seiner Umwelt via imagos erfolgt. (Vgl. dazu Jacques Lacan: Le stade du miroir comme formateur de la function du Je. In: Écrits. Paris: Seuil 1966, S. 93–100). Diese Identifikationsstruktur prägt dauerhaft das menschliche Individuum und führt zu seiner notwendigen, zunächst nicht-pathologischen Spaltung und der daraus folgenden charakteristischen Interaktionsstruktur, die sich in Schema L niederschlägt. Vgl. zum Spiegelstadium und seinen Effekten die ausführliche Erläuterung bei Ellie Ragland-Sullivan: Jacques Lacan and the Philosophy of Psychoanalysis, S. 16–30).

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 Metapher und Zeichen

(Es) S

schéma L:

(moi) a

a ’utre

ire na i ag im inc n on tio sc la ie e r n

t

A utre

Abb. 2: Schema L nach Lacan150

Die zentrale Funktion des kommunikativen Diskurses liegt bei Lacan nicht mehr in der Übermittlung von Informationen, sondern in der Formierung des Subjektes, das über Anrede, Frage und Antwort mittels Effekten der signifier geprägt und definiert wird,151 beziehungsweise darin, dass dieses Subjekt in der Analyse zur Sprache kommt.152 Die als Diskurs organisierte Kommunikation wird zentral bestimmt von den Regeln der symbolischen Ordnung, durch die verketteten signifiants.153 Die zentrale, sinnstiftende Verbindung liegt, wie oben gezeigt, nicht mehr zwischen signifiant und signifier, sondern zwischen signifiants: „D’où l’on peut dire que c’est dans la chaîne du signifiant que le sens insiste, mais qu’aucun

150 Jacques Lacan: Le séminaire sur « la Lettre volée ». In: Écrits. Paris: Seuil 1966, S. 11–61, hier auf S. 53. Eine hilfreiche Erläuterung des Schemas findet sich bei Ragland-Sullivan: „Moi is both an alienated subject and the object of the Other (A)S denotes the subject of speech, the je that directs its discourse towards others who in turn catalyse the impact of the other upon the moi. Akin to the Saussurean bar […] Lacan used solid lines to depict the unconscious relationship between Autre and moi and between autre and moi. The broken lines that Lacan sketched in from the point where the imaginary and unconscious intersect infer the unconscious acting indirectly upon speech, writing, and human interrelations.“ (Ellie Ragland-Sullivan: Jacques Lacan and the Philosophy of Psychoanalysis, S. 3). 151 Diese für das Subjekt konstitutive Funktion des Diskurses steht hinter der lacanschen Formel: „L’inconscient est le discours de l’autre.“ (Jacques Lacan: Introduction au commentaire de Jean Hyppolite sur la « Verneinung » de Freud. In: Écrits. Paris: Seuil 1966, S. 369–380, hier auf S. 379. Vgl. Dylan Evans: An Introductory Dictionary of Lacanian Psychoanalysis, S. 45). Vgl. außerdem für eine umfassende Erläuterung dieser Funktion des Diskurses Hermann Lang: Die Sprache und das Unbewusste. Jacques Lacans Grundlegung der Psychoanalyse. Frankfurt am Main: Suhrkamp 1973, S. 61–101. 152 Vgl. hierzu besonders Lacans Beitrag auf dem SPP-Kongress im Herbst 1953, später veröffentlicht in „Actes du congrès de Rome“ in: La psychanalyse, 1 (1956). S. 202–211 bzw. das Kapitel Jacques Lacan: Fonction et champ de la parole et du langage en psychanalyse. 153 Vgl. Dylan Evans: An Introductory Dictionary of Lacanian Psychoanalysis, S. 101. Vgl. ausführlicher zur symbolischen Ordnung Ellie Ragland-Sullivan: Jacques Lacan and the Philosophy of Psychoanalysis, S. 162–183.

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des éléments de la chaîne ne consiste dans la signification dont il est capable au moment même.“154 Diese signifizierende Funktion der Sprache über die Verkettung ihrer Elemente wird mit der Metonymie identifiziert:155 „La fonction proprement signifiante qui se dépeint ainsi dans le langage, a un nom. […] Ce nom, c’est la métonymie.“156 Als Formel fasst Lacan sie so: ~ S(—) s157 f(S … S′) S =

Linksseitig wiederum die Notation der signifizierenden Funktion für den Fall einer Signifikanten-Kette, die rechtsseitig durch das (-) als fundamental zweigeteilt dargestellt wird. Der metonymische Effekt, das Verketten der signifiants, lässt die Zweiteilung zwischen signifiant und signifier unberührt, die Strukturen beider Ordnungen irritieren sich nicht wechselseitig, sondern bleiben autonom. Die metonymische Verbindung beispielsweise zwischen Segel und Schiff, die traditionell durch eine kontinuierliche Verbindung der bezeichneten Entitäten zueinander und deren Wiedergabe in Sprache begründet wird, reformuliert Lacan als genuinen Effekt der Signifikanten-Kette: „A quoi se voit que la connexion du navire et de la voile n’est pas ailleurs que dans le signifiant, et que c’est dans le mot à mot de cette connexion que s’appuie la métonymie.“158 Als zweite Funktion der Sprache identifiziert Lacan in Anlehnung an Roman Jakobson159 die Metapher, die er als Substitution, oder drastischer als (gewaltsame) Verdrängung versteht:

154 Jacques Lacan: L’instance de la lettre dans l’inconscient ou la raison depuis Freud, S. 502. „Man kann also sagen, daß der Sinn in der Signifikanten-Kette insistiert, daß aber nicht ein Element der Kette seine Konsistenz hat in der Bedeutung, deren es im Augenblick gerade fähig ist.“ (Übersetzung Norbert Haas). 155 Vgl. auch zu dieser Einsicht über die metonymische Grundstruktur der Sprache Derrida Kap. 6.1. 156 Jacques Lacan: L’instance de la lettre dans l’inconscient ou la raison depuis Freud, S. 505. „Die sich dergestalt in der Sprache abzeichnende eigentliche signifikante Funktion hat einen Namen. […] Dieser Name ist: Metonymie.“ (Übersetzung Norbert Haas). 157 Ebd., S. 515. 158 Ebd., S. 506. „Man erkennt daraus, daß die Verknüpfung von Schiff und Segel im Signifikanten statthat und nirgendwo sonst, und daß die Metonymie getragen wird von dem Wort für Wort dieser Verknüpfungen.“ (Übersetzung Norbert Haas). 159 Vgl. zur Jakobson-Adaption Lacans Samuel Weber: Rückkehr zu Freud, S. 83–86. Zu Jakobson vgl. Kap. 7.1.

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 Metapher und Zeichen

L’étincelle créatrice de la métaphore ne jaillit pas de la mise en présence de deux images, c’est-à-dire de deux signifia s’également actualisés. Elle jaillit entre deux signifiants dont l’un s’est substitué à l’autre en prenant sa place dans la chaîne signifiante, le signifiant occulté restant présent de sa connexion (métonymique) au reste de la chaîne.160

Auch diese Substitution gibt Lacan in einer gleichungsartigen Darstellung wieder:

()

~ S(+) s161 f S′   S = S

Eine erste hilfreiche Erläuterung dieser kryptischen Formel findet sich bei Dylan Evans: This formula is to be read as follows. On the lefthand side of the equation, outside the brackets, Lacan writes f S, the signifying function, which is to say the effect of signification. Inside the brackets, he writes S’/S, which means ‘the substitution of one signifier for another’. On the right-hand side of the equation there is S, the signifier, and s, the signified. Between these two symbols there is the symbol (+) which represents the crossing of the BAR (−) of the Saussurean algorithm, and which represents ‘the emergence of signification’. ~ is to be read: ‘is congruent with’. Thus the whole formula reads: the signifying The sign = function of the substitution of one signifier for another is congruent with the crossing of the bar.162

In Verbindung mit der vorangegangenen Charakterisierung der Metapher durch Lacan ließe sich erläutern: Die signifizierende Funktion wird hier gebildet über den spezifischen Fall der Ersetzung eines signifiants durch einen anderen. Damit wird der ersetzte signifiant in die Position verschoben, die sonst dem signifier als dem Untergeordneten zukommt. Dies- und jenseits des Balkens finden sich damit ausnahmsweise einmal homogene Elemente, sprich Elemente derselben Ordnung, der symbolischen Ordnung. Damit wird im Fall der Metapher das Überspringen des Balkens möglich, wie die zweite Seite der Gleichung verdeutlicht: S (+) s lässt sich lesen als Schaffung eines neuen signifier, dadurch, dass ein signifiant den Balken überspringt und nun als signifier fungiert.163 Durch diesen Über-

160 Jacques Lacan: L’instance de la lettre dans l’inconscient ou la raison depuis Freud, S. 507. „Der schöpferische Funke der Metapher entspringt nicht der Vergegenwärtigung zweier Bilder, das heißt zweier gleicherweise aktualisierter Signifikanten. Er entspringt zwischen zwei Signifikanten, deren einer sich dem anderen substituiert hat, indem er dessen Stelle in der Signifikantenkette einnahm, wobei der verdeckte Signifikant gegenwärtig bleibt durch seine (metonymische) Verknüpfung mit dem Rest der Kette.“ (Übersetzung Norbert Haas). 161 Ebd., S. 515. 162 Dylan Evans: An Introductory Dictionary of Lacanian Psychoanalysis, S. 114–115. 163 Vgl. ebd., S. 115; Samuel Weber: Rückkehr zu Freud, S. 59.

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sprung wird eine Irritation in der Ordnung der signifiers erzeugt, indem ihnen ein solcher hinzugefügt wird und somit ein neuer Sinn entsteht. Daher positioniert Lacan sie dort, „où le sens se produit dans le non-sens“.164 In einer Reaktion auf Chaim Perelmans Analogie-Theorie der Metapher reformuliert Lacan seine Metaphernformel wie folgt:

()

′  S′   ·   S 2  → S I   165 S1 x s″

Offensichtlich greift er damit die traditionelle Analogie-Struktur auf, die seit Aristoteles immer wieder der Metapher zugeordnet wird, a : b = c : d. Lacan wendet sich hier, seiner ersten Formel folgend, vehement gegen die Vorstellung, dass die Analogiestruktur der Metapher als Verhältnisrelation homogener Elemente zu verstehen ist. Der Balken, der bei Perelman die Relationierung im homogenisierenden mathematischen Raum bedeutet, markiert bei Lacan konsequent die kategorische Scheidung der heterogenen Ordnungen von signifiant und signifier, während die s″ der neuen Bedeutung entspricht, die sich durch den Eingang eines signifiants in die Ordnung der signifiers konstituiert. Die Metapher wird damit zur ursprünglichen und essenziellen Operation für die Generierung von Bedeutung in der Sprache.166 Ursprünglich ist sie deshalb, weil sie in Form der Vater-Metapher am Anfang der Formierung des kindlichen Unbewussten steht. In der Vater-Metapher wird der Name-des-Vaters (symbolischer Vater), der zentrale signifiant bei Lacan, durch Das-Begehren-der-Mutter ersetzt und damit gleichermaßen durch die erste metaphorische Verdrängung die Grundlage aller weiteren Metaphern geschaffen und die Grundstruktur des Ödipus-Komplexes konstituiert.167 Essenziell ist sie, weil sie die bedeutungsgenerierende Funktion der Sprache schlechthin darstellt. Der entscheidende Unterschied zwischen einer psychotischen Ausprägung der Metapher und einer solchen, die mit normaler Bedeutungsgenerierung konform geht, ist die Wirkung der Metonymie in der metaphorischen Verdrängungsoperation. Der verdrängte signifiant behält im Fall der normalen Bedeutungsgenerierung eine metonymische Verbindung zum ihn verdrängenden signifiant. Dadurch konstituiert sich eine Kopräsenz beider signifiants und der Verdrängte wird über den Verdränger identifizierbar. Wird jedoch die metony-

164 Jacques Lacan: L’instance de la lettre dans l’inconscient ou la raison depuis Freud, S. 508. „Wo Sinn im Un-Sinn entsteht“ (Übersetzung Norbert Haas). 165 Jacques Lacan: La Métaphore du Sujet. In: Écrits. Paris: Seuil 1966, S. 889–892, hier auf S. 890. 166 Vgl. Claus v. Bormann: Das Spiel des Signifikanten, S. 64–65. 167 Vgl. Dylan Evans: An Introductory Dictionary of Lacanian Psychoanalysis, S. 140.

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mische Verbindung unterbrochen, die in der Regel das Verhältnis zwischen den signifiants bestimmt, erfolgt keine Verdrängung, sondern eine Verwerfung,168 in der der verworfene signifiant aus der symbolischen Ordnung gelöscht wird und mithin nicht mehr in Kopräsenz mit dem es ersetzenden signifiant existiert. Was bleibt, ist eine Bedeutung ohne Bezug, im lacanschen Verständnis damit ein an sich sinnloses Zeichen, ein Symptom:169 „Car le symptôme est une métaphore, que l’on veuille ou non se le dire, comme le désir est une métonymie, même si l’homme s’en gausse.“170 Als eine literaturwissenschaftlich relevante Implikation der lacanschen Theorie insgesamt können die spezifischen Interpretationsprämissen verstanden werden, die sich aus ihr gewinnen lassen.171 Sieht man von Interpretationsansätzen ab, die das Unbewusste in der von Lacan beschriebenen Form als ernsthafte Prämisse setzen, bleibt ein Fokus auf die linguistischen Aspekte seiner Theorie. Konkret mit Blick auf die Metapher lässt sich die Implikation anhand eines von Lacan selbst ausgeführten Beispiels illustrieren: „Sa gerbe n’était pas avare ni haineuse.“172 Entlang seiner These über die Struktur der Metapher, führt Lacan hier die signifizierenden Effekte aus, die die Ersetzung, die Verdrängung von Booz durch seine ‚Garbe‘ zeitigt: Mais dès lors c’est de Booz que la gerbe a fait cette place nette; rejeté qu’il est maintenant dans les ténèbres du dehors où l’avarice et la haine l’hébergent dans le creux de leur négation. Mais une fois que sa gerbe a ainsi usurpé sa place, Booz ne saurait y revenir, le mince fil du petit sa qui l’y rattache y étant un obstacle de plus, à lier ce retour d’un titre de possession qui le retiendrait au sein de l’avarice et de la haine.173

168 Vgl. für den Unterschied ebd., S. 65–67. 169 Vgl. Claus v. Bormann: Das Spiel des Signifikanten, S. 65. 170 Jacques Lacan: L’instance de la lettre dans l’inconscient ou la raison depuis Freud, S. 528. „Denn das Symptom ist eine Metapher ob man es sich nun eingestehen will oder nicht, wie das Begehren eine Metonymie ist, selbst wenn der Mensch sich darüber lustig macht.“ (Übersetzung Norbert Haas). 171 Vgl. für eine kurze Übersicht Johanna Bossinade: Poststrukturalistische Literaturtheorie, S. 171–176. 172 Michel Arrivé: Linguistics and Psychoanalysis; Jacques Lacan: L’instance de la lettre dans l’inconscient ou la raison depuis Freud, S. 493. Vgl. FN 1 in diesem Kapitel. 173 Ebd., S. 507. „Jedoch von Booz hat die Garbe diesen Platz nun gereinigt, denn er ist jetzt hinausgestoßen in die Finsternis, wo Geiz und Haß in der Hohlform ihrer Negation hausen. Aber da nun einmal seine Garbe dergestalt seinen Platz usurpiert hat, kann Booz nicht auf ihn zurückkehren, weil der winzige Faden des kleinen sein, der ihn noch daran bindet ein Hindernis mehr ist, das seine Rückkehr an seinen Besitztitel heftet, der ihn aus Geiz und Haß nicht herauskommen ließe.“ (Übersetzung Norbert Haas).

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Die Verdrängung Boozʼ durch die Garbe verschiebt entscheidend seine Relation zu den zunächst ihm, dann der Garbe zugeschriebenen Charakteristika und illustriert den Effekt des Signifikanten als gewaltsames Element. Die Verbindung, die zunächst Booz mit der Abwesenheit von Geiz und Hass in der Signifikanten-Kette sinnhaft verknüpft, besteht durch die metaphorische Verdrängung nun zwischen der Garbe und diesen Eigenschaften. Booz hingegen, verdrängt auf die Ebene des signifier, auf das die Garbe nur noch verweist, sieht sich durch das Verlassen seines ursprünglichen Platzes in der Signifikanten-Kette nun mit den gegenteiligen Charakteristika konfrontiert: „Sa générosité affirmée se voit réduite à moins que rien par la munificence de la gerbe […]“.174 Die Metapher kann so als Struktur einer Negativzuschreibung verstanden werden: Während in einem klassischen Verständnis mit dem metaphorischen Transfer eine Zuschreibung weitgehend identischer oder ähnlicher Merkmale auf zwei verschiedene sprachliche Elemente erfolgt, ist der Effekt der Metapher bei Lacan praktisch der gegenteilige. Mit der metaphorischen Verdrängung werden dem Verdrängten die ursprünglichen Charakteristika nur ex negativo angeheftet. Nichtsdestotrotz lassen sich auch Anschlussstellen zwischen Lacans Metaphernmodell und anderen Theorien identifizieren. Zunächst verbindet der gemeinsame Rückgriff auf Saussure ihn mit Jakobson, dessen Dichotomie zwischen Metapher und Metonymie er direkt aufgreift,175 jedoch psychoanalytisch adaptiert. Gemeinsam scheint ihm mit Derrida die Identifizierung der Metonymie, der Verschiebung entlang der Signifikanten-Kette als Grundlagenoperation der Metapher.176 Jede Metapher, so wären sich beide wohl einig, basiert letztlich auf einer vorgängigen Metonymie, obgleich Lacans ‚Phonozentrismus‘ Derridas Schriftfixierung entgegensteht.177 Eine vergleichbare Vorstellung vom Verhältnis von Metapher und Metonymie findet sich auch in einigen Positionen der kognitiven Theorie wieder. Dort wird die physiologische Fundierung der Metapher als Ergebnis einer Korrelationserscheinung zwischen wiederholt gemeinsam auftretenden Reizen erklärt und damit ein Kontiguitätsverhältnis zwischen zwei Reizerfahrungen als metonymische Basis der Metapher angenommen.178 Die

174 Ebd. „Sein behaupteter Großmut sieht sich auf weniger als nichts reduziert durch die Freigiebigkeit der Garbe, […].“ (Übersetzung Norbert Haas). 175 Ebd., S. 506. Vgl. dazu Kap. 7.1. zu Jakobson. 176 Vgl. Kap. 6.2. 177 Zentrale Kritikpunkte Derridas an Lacan fasst Wolfgang Welsch zusammen: Phallozentrismus, Phonozentrismus, Logozentrismus und Präsensgebundenheit. Vgl. Wolfgang Welsch: Vernunft. Die zeitgenössische Vernunftkritik und das Konzept der transversalen Vernunft. Frankfurt am Main: Suhrkamp 1995, S. 284. 178 Vgl. Kap. 9.1.

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 Metapher und Zeichen

Vorstellung, dass metaphorische Prozesse im Unbewussten stattfinden, scheint oberflächlich eine weitere Gemeinsamkeit von Lacans Position mit kognitiven Theorien, aber auch mit Nietzsches Position zu sein. Jedoch unterscheidet sich Lacans Konzept des Unbewussten als grundlegend symbolischer Ordnung so fundamental von den beiden anderen Standpunkten, dass sie als inkompatible Verwendungen des gleichen Begriffs eingeordnet werden müssen. Interessant bleibt dagegen die Frage, ob diese augenscheinlichen Inkompatibilitäten zwischen Lacans Ansatz und kognitiven Theorien nichtsdestotrotz erlauben, diese als komplementär zu betrachten. Die symbolische Dimension, auf die sich Lacan konzentriert und die in seiner Theorie der eigentliche Ort der Metapher ist, wurde in kognitiven Theorien lange zugunsten einer Konzentration auf physiologische Grundlagen ausgeblendet und selbst neuere diskurs- oder kulturorientierte kognitive Theorien haben die Frage nach dem spezifischen Effekt und Charakteristika sprachlicher Zeichen oder gar dem signifiant bislang ausgelassen. Gerade vor dem Hintergrund der zunehmenden Debatte um multi-modal metaphors,179 also metaphorische Charakteristika von bildlichen oder gestischen Darstellungen, scheint es aber erneut fraglich, welche Rolle sprachliche Zeichen und ihre spezifische Struktur für Metaphern und ihre Effekte überhaupt spielen. Linguistische und semiotische Vorschläge zur Beschreibung von Sprach- und Zeichenstrukturen könnten hier ein fruchtbarer Ausgangspunkt zur Bestimmung der sprachlichen Metapher aus kognitiver Perspektive sein. Insgesamt hat sich der semiotische Zugang zur Metapher in seinen verschiedenen Varianten in der geistes- und literaturwissenschaftlichen Operationalisierung als sehr fruchtbar erwiesen.180 Der starke Fokus der Theorien auf dem sprachlichen Material und die Neubeschreibung des Phänomens Metapher aus semiotischer Perspektive lassen dies logisch erscheinen. Zudem liefern alle vorgestellten Theorien vergleichsweise spezifische und innovative Interpretationsschlüssel für die identifizierten Phänomene und proklamieren weitreichende Konsequenzen metaphorischer Verschiebungen. In der grundsätzlichen Annahme der Sprache als System besteht eine weitgehende Übereinstimmung zwischen Lacan und Derrida. Im Gegensatz zum letzten zieht der erstere jedoch aus der Struktur des Zeichensystems fundamentale Konsequenzen für das Subjekt. Das Einschreiben der Zeichen in das Subjekt lässt sich in Walter Benjamins Möwen auch auf der Textebene zeigen. Bereits zu Beginn des Textes erweist sich das Ver-

179 Vgl. für diese Forschungsrichtung exemplarisch den Sammelband Charles Forceville/Eduardo Urios-Aparisi (Hrsg.): Multimodal Metaphor. Berlin/New York: de Gruyter 2009. 180 Verweisen lässt sich hier auf die Arbeiten, die Bossinade zusammengetragen hat. Vgl. Johanna Bossinade: Poststrukturalistische Literaturtheorie, S. 174–176.

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hältnis zwischen Subjekt und Möwen/Zeichen als verunsichert, wenn der Erzähler offen lässt, ob die erfolgende Metamorphose der Möwen sich tatsächlich an ihnen oder in Wahrheit an ihm vollzieht. Das Schlüsselmoment des ‚abfallenden Namens‘ wird in der lacanschen Lesart zum Moment des Zusammenbruchs einer erlernten, in das Subjekt eingeschriebenen, es prägenden Zeichenordnung. Die Fluktuation der Möwen/Zeichen über ihm parallelisiert das Fluktuieren der Signifikanten über den Signifikaten. Der Erzähler selbst, wie Booz in Lacans Beispielanalyse unter den trennenden Balken gedrängt, ist wie dieser aus der symbolischen Ordnung verdrängt worden und findet sich am Ende des Textes selbst nur noch als ‚Schwelle‘ unterhalb der die Positionen und die Farben tauschenden Möwen wieder. Die Dynamik der symbolischen Ordnung, dies wäre die lacansche Konsequenz dieser Passage, kann durch ihre Einschreibung einen prägend-orientierenden Effekt auf das Subjekt haben, indem sie es als solches konstituiert. Ihre essenzielle Instabilität, die sich in der Fluktuation der Signifikate manifestiert, bedroht diese Konstitution jedoch gleichzeitig. Kollabiert die orientierendprägende Leistung der symbolischen Ordnung, bleibt das quasi-Subjekt nur noch als Übergangsposition, ‚schwarz vom Erlittenen‘, gezeichnet zurück.

7 Metapher und Sprache Die drei hier versammelten Ansätze eint eine Perspektive auf die Metapher als Phänomen der Sprache, welche wiederum als eigenes Untersuchungsfeld mit verschiedenen Dimensionen verstanden wird. Die Implikationen dieser scheinbar banalen Formulierung werden in Relation zu bisher verhandelten Theorielinien am besten erkennbar. Neben die philosophisch oder auch theologisch orientierten Fragen nach einer potenziellen Wahrheit oder Erkenntnis tritt die zentrale Frage, wie das Verstehen und der Gebrauch von Metaphern vor dem Hintergrund nicht-metaphorischen Sprechens eigentlich begründbar sind. Die Frage lautet hier also weniger, ob die Metapher eine Wahrheit transportiert, sondern vielmehr, wie es angesichts der oft paradoxen Struktur der Metapher möglich ist, dass wir diese verstehen. Von den vor allem semiotisch orientierten Ansätzen lässt sich die linguistische Perspektive trotz aller Überschneidungen dadurch differenzieren, dass sie Fragen nach der Funktionalität von Metaphern in verschiedenen Formen von Kommunikation stärker in den Blick rückt als die Frage nach der Konstituierung metaphorisch verwendeter oder verwendbarer Zeichen. Der entscheidende Bezugsrahmen der linguistischen Theorie ist damit weniger das Zeichensystem und seine intrinsischen Bedingungen als vielmehr das kommunikative System, in dem diese Zeichen in sehr unterschiedlicher Weise verwendet werden können. In Roman Jakobsons Theorie der Metapher manifestiert sich diese Perspektive durch die Einbeziehung einerseits poetischer und andererseits pathologischer Sprachphänomene unter der gemeinsamen Frage nach der Struktur1 der Äußerung, aber auch nach ihrem kommunikativen Effekt. Die Sprache, und die Metapher mit ihr, erscheint damit nicht nur als ein Problem der Zeichen, sondern als Fall ihrer konkreten und oft erfolgreichen Verwendung. Besonders prägnant wird dieser Aspekt2 in Paul Grices Pragmatik und ihrer Behandlung der Metapher3 sowie der daran anschließenden Relevance Theory. Eine semantisch orientierte, aber nichtsdestotrotz auf die praktisch-kommunikativen Effekte von metaphorischen

1 In der Frage nach der Struktur liegt eine entscheidende Schnittstelle zur semiotischen Perspektive, die in unterschiedlichem Umfang auf strukturalistische Positionen zurückgreift und über diese hinausgeht. 2 Daraus begründen sich auch die zahlreichen Überschneidungen zwischen Grices Theorie und den Positionen der klassisch lateinischen Rhetorik. 3 Als weitere Vertreter pragmatisch orientierter Metapherntheorien wären John Searle und John Austin zu nennen. Zu Searles Theorie vgl. John R. Searle: Metaphor. In: Metaphor and Thought. Hrsg. von Andrew Ortony. 2. Aufl. Cambridge u. a.: Cambridge University Press 1993, S. 83–111. https://doi.org/10.1515/9783110585353-007

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Äußerungen konzentrierte Position wird dagegen von Harald Weinrichs BildfeldTheorie vertreten.

7.1 Roman Jakobson (1896–1982) Ja … es ist ein … Ich weiß, wozu es gehört, aber ich kann den Fach-Ausdruck nicht finden … ja … Richtung … um die Richtung zeigen … ein Magnet zeigt nach Norden.4

Roman Jakobsons Theorie der Metapher ist neben seiner Bestimmung der poetischen Funktion vielleicht der in der Literaturwissenschaft am stärksten rezipierte Teil seiner Arbeit. Jakobsons Theorie begreift die Metapher nicht nur als singuläre, klar abgrenzbare Trope  – hier scheint er von einem nicht weiter spezifizierten, auf traditionelle Tropologie gestützten Grundverständnis auszugehen –, sondern identifiziert sie auch mit einem der beiden grundlegenden Operationstypen des sprachlichen Systems. Aus einer interdisziplinär angelegten strukturalistischen Perspektive identifiziert Jakobson mit der Metapher ein grundlegendes Funktionsprinzip, dessen Wirken er von Literatur über Alltagssprache bis in die Sprachpathologie verfolgt und untersucht. Die Grundvorstellung der Sprache als System mit zwei Operationsrichtungen übernimmt Jakobson von Saussure;5 seine linguistische Perspektive insgesamt ist zudem stark durch den russischen Formalismus geprägt.6 Zurückverfolgen lassen sich Ansätze von

4 Mit diesem Beispiel eines aphasischen Patienten, dem das Bild eines Kompasses mit der Aufforderung, den Gegenstand zu benennen, gezeigt wurde, illustriert Jakobson die Similaritätsstörung. Die Konsequenz der Störung erläutert Jakobson dort: „Ebenso verursacht das Bild eines Objektes die Hemmung seiner Benennung: Es wird also ein verbales Zeichen durch ein bildliches verdrängt.“ (Roman Jakobson: Zwei Seiten der Sprache und zwei Typen aphatischer Störungen. In: Aufsätze zur Linguistik und Poetik. Hrsg. von Wofgang Raible. München: Nymphenburger Verlagshandlung 1974, S. 117–142, hier auf S. 126). 5 Eine ausgesprochen kritische Einschätzung von Qualität und Umfang der jakobsonschen Saussure-Rezeption findet sich bei Roy Harris: Saussure and his Interpreters. Edinburgh: Edinburgh University Press 2001, S. 94–109. Unabhängig davon, ob der von Harris gegen Jakobson erhobene Vorwurf eines weitgehenden Unverständnisses der theoretischen Tiefe Saussures zutreffend ist, scheint letzterer nichtsdestotrotz ein wichtiger Impulsgeber für Jakobsons Arbeit gewesen zu sein. Neben dem Einfluss Saussures betont Elmar Holenstein noch den der husserlschen Phänomenologie auf Jakobson. (Vgl. Elmar Holenstein: Roman Jakobsons phänomenologischer Strukturalismus. Frankfurt am Main: Suhrkamp 1975, S. 11–15). 6 Vgl. ebd., S. 18–19. Eine umfangreiche Biografie sowie ausführliche Beiträge zu den jeweiligen intellektuellen und kulturellen Einflusssphären, in denen Jakobson sich bewegte, finden sich im ersten Band der von Margaret Thomas zusammengetragenen, vierbändigen Sammelban-

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Jakobsons Metapherntheorie bereits bis zu einem frühen Aufsatz über Majakowski und Pasternak, in dem sich die Fundamentaldichotomie zwischen Metapher und Metonymie ausmachen lässt,7 die im metapherntheoretisch zentralen Aufsatz „Two Aspects of Language and Two Types of Aphasic Disturbances“8 als ‚Polarität der Sprache‘ bezeichnet wird. Dass Jakobsons Metapherntheorie sich zuerst (in Andeutungen) in einer Arbeit über Literatur findet und ausgerechnet in einem Text über pathologische Sprachstörungen prägnante Form annimmt, scheint einerseits für sein Verständnis von Reichweite und Methoden der Linguistik insgesamt charakteristisch, deutet aber andererseits auch schon darauf hin, wie weit der Metaphernbegriff durch die Identifikation mit der paradigmatischen Sprachfunktion gedehnt wird. Jakobsons Perspektive reduziert den Forschungsbereich der Linguistik also keineswegs auf den Bereich einer (idealisierten) empirischen Alltagssprache,9 sondern identifiziert gerade in Literatur,10 aber auch in sprachpathologischen Erscheinungen besonders charakteristische Ausprägungen bestimmter Sprach-

dreihe zu Roman Jakobson in der Reihe Critical Assessments of Leading Linguists. Speziell zu seiner Moskauer Zeit vgl. Linda R. Waugh/Monique Monville-Burston: Introduction: the Life, Work, and Influence of Roman Jakobson. In: Roman Jakobson. Hrsg. von Margaret Ann Thomas. Bd. 1. London/New York: Routledge 2014, S. 70–142, hier auf S. 70–74. 7 In den Randbemerkungen zur Prosa des Dichters Pasternak (1935) identifiziert Jakobson Majakowski mit dem metaphorischen und Pasternak mit dem metonymischen Prinzip. (Vgl. Roman Jakobson: Poetik. Ausgewählte Aufsätze 1921–1971. Hrsg. von Elmar Holenstein u. Tarcisius Schelbert. Frankfurt am Main: Suhrkamp 1979, S. 192–212). 8 Zuerst in Roman Jakobson/Morris Halle: Fundamentals of Language. ’s-Gravenhage: Mouton 1956, S. 55–82. 9 Ein solcher Fokus findet sich eher in Saussures Linguistik angelegt. Obwohl Saussures Arbeit einen erheblichen Einfluss sowohl auf Jakobson als auch auf die nachfolgende strukturalistische Schule gehabt hat, lässt sich hier ein grundlegender Unterschied in der Perspektivierung und Auswahl der sprachlichen Untersuchungsgegenstände ausmachen. 10 In seinem programmatischen Abschlusskommentar „Linguistics and Poetics“ zur „Conference on Style“ (1958, Indiana University) bewertet Jakobson die Literaturwissenschaft und speziell die Poetik als integrale Elemente der linguistischen Forschung und plädiert mithin gegen eine kategorische Trennung von Literaturwissenschaft und Linguistik: „All of us here, however, definitely realize that a linguist deaf to the poetic function of language and a literary scholar indifferent to linguistic problems and unconversant with linguistic methods are equally flagrant anachronisms.“ (Roman Jakobson: Linguistics and Poetics. In: Style in Language. Hrsg. von Thomas Alber Sebeok. Cambridge, MA: Technology Press of MA Institute of Technology 1960, S. 351–377, hier auf S. 377). Diese Grundeinstellung zu Literaturwissenschaft und Linguistik mag der Grund sein, warum Jakobson wie kaum ein anderer in beiden Disziplinen rezipiert wurde. Vgl. für eine ausführliche Analyse und Diskussion von Jakobsons Essay Derek Attridge: Closing Statement: Linguistics and Poetics in Retrospect. In: The Linguistics of Writing. Arguments between Language and Literature. Hrsg. von Nigel Fabb u. a. Manchester: Manchester University Press 1987, S. 15–32.

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phänomene. Die integrale Bedeutung der Poetik für die Linguistik begründet Jakobson, indem er die drei bekannten Sprachfunktionen von Bühlers OrganonModell11 um die poetische Funktion ergänzt und damit ein plurifunktionales Modell von Sprache annimmt.12 Die poetische Funktion ist durch die Einstellung auf die Botschaft selbst charakterisiert.13 Diese Einstellung auf die Botschaft kann als eine Form von Aufmerksamkeit für eine bestimmte Dimension einer (sprachlichen) Mitteilung verstanden werden, nämlich für die Dimension ihrer sprachlichen Verfasstheit und Form selbst. Diese Grundvorstellung einer gewissen Art von Aufmerksamkeitslenkung kehrt als Grundvoraussetzung von Kommunikation sowohl in der Relevance Theory als auch konkret mit Bezug auf die Metapher in Weinrichs Textmetaphorik und in Gerard Steens Deliberate Metaphor Theory wieder. Jakobsons phänomenologisch inspirierte Bestimmung der poetischen Funktion14 wird ergänzt durch eine empirisch-linguistische: „The poetic function projects the principle of equivalence from the axis of selection into the axis of contiguity.“15 Diese ebenso prägnante wie zunächst kryptisch wirkende Definition der poetischen Funktion und ihre inhärente Verknüpfung mit der Theorie der Metapher soll im Folgenden zunächst erläutert werden. Zunächst sei festgehalten, dass die Etablierung der poetischen Funktion als Dominante16 unter mehreren zusammenwirkenden Funktionen die Poetik zu

11 Vgl. Karl Bühler: Sprachtheorie. Die Darstellungsfunktion der Sprache. 3. Aufl. Stuttgart: Lucius & Lucius 1999, S. 33. Bühler bestimmt in seinem Modell ursprünglich eine Ausdrucks‑, eine Appellativ- und eine Darstellungsfunktion der Sprache. Eine erste Ergänzung um eine ‚ästhetische Funktion‘, die der poetischen Funktion Jakobsons ähnelt, schlug Jan Mukařovsky bereits 1938 vor. Zudem fanden die metasprachliche und die phatische Funktion (vorgeschlagen von Bronislaw Malinkowski 1956) in das von Jakobson verwendete Organon-Modell Eingang. (Vgl. Elmar Holenstein: Einführung. Von der Poesie und Plurifunktionalität der Sprache. In: Poetik. Ausgewählte Aufsätze 1921 - 1971. Hrsg. von Elmar Holenstein/Tarcisius Schelbert. Frankfurt am Main: Suhrkamp 1979, S. 7–62, hier auf S. 14–15). 12 Besondere Beachtung findet dieser Aspekt der Plurifunktionalität in Elmar Holensteins Aufarbeitung von Jakobsons Theorie, die er als ‚phänomenologischen Strukturalismus‛ betitelt. Das Set der sechs Grundkomponenten jeder Äußerung (Sprecher, Rezipient, Kontext, Mitteilung, Kontakt, Code) und die korrespondierenden sechs Funktionen (emotive, konative, referenzielle, poetische, phatische und metasprachliche Funktion) bilden in Holensteins Sicht das Fundament einer Analyse, die sich besonders für die komplexen Interdependenzen zwischen den einzelnen Komponenten und Funktionen interessiert, die sich z. B. in den verschiedenen Konfigurationen sprachlicher Äußerungen manifestieren. (Vgl. ebd., S. 25–27). 13 Vgl. Roman Jakobson: Linguistics and Poetics, S. 356. 14 Vgl. Elmar Holenstein: Roman Jakobsons phänomenologischer Strukturalismus, S. 59. 15 Roman Jakobson: Linguistics and Poetics, S. 358. 16 Die Dominante definiert Jakobson als „diejenige Komponente eines Kunstwerkes  […], an der sich alle anderen orientieren: sie regiert, determiniert und transformiert die restlichen Kom-

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einem unentbehrlichen Element strukturalistischer Linguistik macht: „Die Definition der ästhetischen Funktion als die Dominante eines dichterischen Werkes erlaubt es uns, die Hierarchie diverser sprachlicher Funktionen innerhalb des Dichtwerkes aufzuzeigen.“17 Die poetische Funktion als dominante Funktion, so das Argument, findet sich in Poesie und lässt sich dort deshalb besonders gut studieren. Darüber hinaus wirkt die poetische Funktion weniger dominant auch in anderen sprachlichen Äußerungen mit und gehört damit notwendig in den größeren Rahmen aller linguistischen Untersuchungen. Als Teil einer umfassenderen Semiotik schließt Jakobson Literatur und Poesie, in ihrem Verhältnis zum System aller übrigen (möglichen) Äußerungen, in das ‚Universum des Diskurses‘ ein.18 Die Konzentration auf die (statistischen) Randformen sprachlicher Äußerungen (Aphasie und Literatur) und ihre prägnanten Phänomene scheint entscheidend für ein Polaritätsmodell der Sprache zu sein, an dessen einem Pol die Metapher als sprachliche Operation verortet ist. Dagegen liegt für Jakobson die Frage nach dem mit Wahrheitswerten assoziierten Verhältnis von Sprache zur nicht-diskursiven Welt kategorisch außerhalb von Linguistik und Literaturwissenschaft – eine Einschätzung, die bereits im beschränkten Panorama der hier diskutierten Autoren auf kategorischen Widerspruch stößt.19 Die Idee des sprachlichen Systems als komplexer aber strukturierter Ganzheit prägt Jakobsons methodischen Zugang zur Sprache und seine Modelle zu ihrer Beschreibung und Erklärung. Charakteristisch für diesen Zugang scheint die Beschreibung sprachlicher Funktionen20 mittels binärer Oppositionen zu sein, deren Grundidee Jakobson bei Saussure und dessen Schüler Charles Bally angelegt sieht.21 Die Effektivität der Gliederung sprachlicher Elemente nach binären

ponenten.“ (Roman Jakobson: Die Dominante. In: Poetik. Ausgewählte Aufsätze 1921 - 1971. Hrsg. von Elmar Holenstein/Tarcisius Schelbert. Frankfurt am Main: Suhrkamp 1979, S. 212–219, hier auf S. 212). 17 Ebd., S. 215. 18 Roman Jakobson: Linguistics and Poetics, S. 351. 19 Vgl. dazu Ricoeur und seine Referenztheorie der Metapher Kap. 8.3. Eine große Nähe besteht zudem zwischen Jakobsons und Jacques Derridas Perspektive, da beide die Sprache als autonomes System untersuchen, auch wenn die Bestimmungen der Metapher sich bei beiden Autoren erheblich unterscheiden. 20 Vgl. Roman Jakobson: Aufsätze zur Linguistik und Poetik. Hrsg. von Wolfgang Raible. München: Nymphenburger Verlagshandlung 1974, S. 10. 21 „Selon la formule fondamentale de F. de Saussure, le langage peut se contenter de l’opposition de quelque chose avec rien, et, justement, ce ‹ rien › opposé à ‹ quelque chose › ou, en d’autres termes, le signe zéro a suggéré des vues personnelles et fécondes à Charles Bally.“ (Roman Jakobson: Signe zéro. In: Selected Writings. II: Word and Language. The Hague/Paris: Mouton 1971, S. 211–219, hier auf S. 211).

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Oppositionen zeigt sich besonders in Jakobsons phonologischen Analysen.22 Jakobson betrachtet sie jedoch über die Phonetik hinaus als prägendes Ordnungsprinzip sowohl der syntagmatischen23 als auch der paradigmatischen24 Strukturierung der Sprache. Die Begriffe Syntagmatik25 und Paradigmatik26 übernimmt

22 Vgl. zur ideengeschichtlichen Verortung der Binaritätshypothese Morris Halle: On the Origins of the Distinctive Features. In: Roman Jakobson. Hrsg. von Margaret Ann Thomas. Bd. 2. London/New York: Routledge 2014, S. 145–154. Vgl. zum Status und zur Kritik an der Hypothese binärer Oppositionen in der Phonologie Juana Gil: The Binarity Hypothesis in Phonology: 1938– 1985. In: Roman Jakobson. Hrsg. von Margaret Ann Thomas. Bd. 2. London/New York: Routledge 2014, S. 120–142. Aus Gils Ausführungen wird deutlich, dass die binäre Opposition eher ein in einzelnen Fällen nützliches Vereinfachungsmodell zur Beschreibung der Sprache darstellt als eine realistische Abbildung ihrer Struktur. Da dieser Befund auf die meisten wissenschaftlichen Hypothesen zutrifft, scheint die Kritik jedoch etwas generisch. Richard Bradford identifiziert neben dem binären zwei weitere Fundamentalkonzepte in Jakobsons linguistischem Ansatz: „The three most important concepts are: distinctive features, binary oppositions; markedness. The theory of distinctive features is based on the premises that the phomens of a language can be analysed and broken down into a small number of components or features. […] The binary principle gives each feature two ‘values’, symbolised ‘+’ and ‘–’. […] The concept of markedness is the most important of the three since it functions as a bridge between the traditional perception of speech sounds as inert phenomena and their function as meaning-differentiating elements within the applied linguistic system.“ (Richard Bradford: Roman Jakobson. Life, Language, Art. London/New York: Routledge 1994, S. 110). Von diesen drei Prinzipien sieht Bradford markedness als nicht mit dem saussureschen Sprachkonzept vereinbar, da sie eine regelhafte Verbindung zwischen Zeichenqualitäten und Bedeutung der Zeichen impliziert. (Vgl. ebd., S. 112). 23 „C’est justement sur ‹ l’opposition de quelque chose avec rien ›, c’est-à-dire sur l’opposition contradictoire selon la terminologie de la logique formelle, qu’est basé l’agencement du système grammatical, comme j’ai essayé de le démontrer ailleurs.“ (Roman Jakobson: Signe zéro, S. 213). 24 „Les signifiés peuvent être opposés l’un à l’autre, comme quelque chose et rien, non seulement en grammaire, mais aussi dans le domaine du vocabulaire; l’un de deux synonymes peut se distinguer par une détermination supplémentaire inconnue à l’autre.“ (Ebd., S. 215). 25 Die Syntagmatik bestimmt Saussure als eine der beiden grundlegenden Verhältnisse der sprachlichen Elemente zueinander: „Le syntagme se compose donc toujours de deux ou plusieurs unités consécutives (par exemple: re-lire; contre tous ; la vie humaine ; Dieu est bon ; s’il fait beau temps, nous sortirons, etc.) Placé dans un syntagme, un terme n’acquiert sa valeur que parce qu’il est oposé à ce qui précède ou se qui suit, ou à tous les deux. […] Le rapport syntagmatique est in praesentia; il repose sur deux ou plusieurs termes également présents dans une série effective.“ (Ferdinand de Saussure: Cours de linguistique générale, S. 170–171). 26 Das Gegenstück zur Syntagmatik sind bei Saussure die ‚rapports associatifs‘: „D’autre part, en dehors du discours, les mots offrant quelque chose de commun s’associent dans la mémoire, et il se forme ainsi des groupes au sein desquels régnent des rapports très divers. Ainsi le mot enseignement fera surgir inconsciemment devant l’esprit une foule d’autres mots (enseigner, renseigner, etc., ou bien armement, changement, etc., ou bien éducation, apprentissage) ; par un côté ou un autre, tous ont quelque chose de commun entre eux. […]. On voit que ces coordinations sont d’une tout autre espèce que les premières. Elles n’ont pas pour supporter l’étendue ; leur

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Jakobson von Saussure27 beziehungsweise von Louis Hjelmslev28 als die beiden grundlegenden Ordnungssysteme oder ‚Aspekte‘ der Sprache, nach denen sich jedes Sprachelement analysieren und beschreiben lässt und zu denen sich entsprechend jedes Sprachelement irgendwie verhält. Der syntagmatischen Ordnung entsprechen bei Jakobson die Operationen der Kombination und Kontextbildung, der paradigmatischen Ordnung die Operationen der Selektion (zum Beispiel aus dem lexikalischen Repertoire) und Substitution.29 Die radikale Wirksamkeit beider Operationen illustriert Jakobson anhand der Aphasie-Kasuistik Kurt Goldsteins:30 Den Ausfall von Selektion und Substitution bezeichnet er als Similaritätsstörung, den Ausfall von Kombination und Kontextbildung als Kontiguitätsstörung.31 Während nach Jakobson im ersten Fall die Rede in der kritischen Phase nur noch aus weitgehend semantisch leeren Funktionsworten besteht, bleiben im zweiten Fall die Substantive als unkoordinierter Worthaufen zurück.32 Aufgrund des theoretischen Unterbaus und der pathologischen Beispiele gelangt Jakobson zur Anordnung der pathologischen Sprachphänomene als Gegensatzpaar; erst in der Aphasie wird diese Opposition klar sichtbar. Die Ausweitung der Perspektive führt zu einer Verallgemeinerung dieser Opposition und ihrer Verknüpfung mit den Tropen Metapher und Metonymie.

siège est dans le cerveau  ; elles font partie de ce trésor intérieut qui constitue la langue che chaque individu. Nous les appellerons rapports associatifs.“ (Ebd.). 27 Vgl. ebd. 28 Hjelmslev ersetzt mit dem Terminus ‚paradigmatisch‘ die saussuresche Beschreibung ‚rapports associatifs‘ (vgl. Roy Harris: Saussure and his Interpreters, S. 90). 29 Daher kategorisiert Eckard Rolf Jakobson auch mit Quintilian und Lacan als Vertreter einer Substitutionstheorie der Metapher. (Vgl. Eckard Rolf: Metaphertheorien, S. 93–126). 30 Vgl. zu dem Verhältnis Jakobson-Goldstein Janette Friedrich: Psychopathology and the Essence of Language. The Interpretation of Aphasia by Kurt Goldstein and Roman Jakobson. In: History of Psychiatry 17:4 (2006), S. 419–436. Ein jüngerer Aufsatz aus der Aphasie-Forschung scheint Jakobsons Vorhersagen zumindest zum Teil zu bestätigen: Helene Uri: Roman Jakobson’s Aphasia Model. Empirical Evidence from Four Norwegian Case Studies. In: Roman Jakobson. Hrsg. von Margaret Ann Thomas. Bd. 3. London/New York: Routledge 2014, S. 205–217. 31 Vgl. Roman Jakobson/Morris Halle: Fundamentals of Language, S. 63–70 und S. 70–75. 32 Für die Similaritätsstörung fasst Jakobson zusammen: „Words with an inherent reference to the context like pronouns and pronominal adverbs, and words serving merely to construct the context, such as connectives and auxiliaries, are particularly prone to survive.“ (Ebd., S. 64–65). Zur Kontiguitätsstörung bemerkt er: „The syntactical rules organizing words into a higher unit are lost; this loss called agrammatism causes the degeneration of the sentence into a mere ‘word heap’, […]. As might be expected, words endowed with purely grammatical functions, like conjunctions, prepositions, pronouns and articles disappear first, […]. Thus the ‘kernel subject word’ is the first to fall out of the sentence in cases of similarity disorder and, conversely, it is the least destructible in the opposite type of aphasia.“ (Ebd., S. 72).

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Die in der Similaritätsstörung intakten Operationen folgen dem Prinzip der Kontiguität, die in der Kontiguitätsstörung verbliebenen dem der Ähnlichkeit beziehungsweise Unähnlichkeit. Metonymie und Metapher  – in ihren traditionellen Definitionen33  – scheinen die logischen Pendants aus dem Bereich der Tropen zu diesen beiden Grundoperationen zu sein. Beide Tropen identifiziert Jakobson entsprechend als die funktionalen Oppositionen, zwischen denen sich jede sprachliche Äußerung bewegt. Metapher und Metonymie avancieren gleichsam – dem binären Prinzip getreu – zu den zwei Master-Tropen und bezeichnen

33 Vgl. hier wie in der Einleitung die Definitionen Heinrich Lausbergs. Zu Metonymie: „[§ 216] Die metonymia  […] besteht in einer Verschiebung der Benennung außerhalb der Ebene des Begriffsinhalts (§§ 184­–185). Diese Verschiebung bewegt sich in den Ebenen, die der Verflechtung einer Erscheinung der Realität mit den umgebenden Realitäten entsprechen, welche im Inventions-Hexameter (§ 41) aufgezählt sind. Für die Metonymie treten die folgenden (§§ 217–224) Verflechtungen als Grundlagen der Benennung hervor. [§ 217] In der realen Verflechtung (§ 216) von Ur s ache und Wirku ng (§ 41: quibus auxiliis, cur?) ist die Grundlage gegeben für die Benennung der Wirkung durch die Ursache (§ 218) und der Ursache durch die Wirkung (§ 219). […] [§ 220] In der realen Verflechtung (§ 216) von G e f ä ß u n d I n h a It (§ 41: ubi?) ist die Grundlage gegeben für die Benennung des Inhalts durch das Gefäß (§ 221) oder des Gefäßes durch den Inhalt (§ 222). […] [§ 223] In der realen Verflechtung (§ 116) von Q u a I i t ä t s tr äger u n d Q ua l i t ä t (§ 41: quomodo?) ist die Grundlage gegeben für die abstrahierende Benennung des Qualitätsträgers durch die Qualität: vicinitas ›in der Nachbarschaft wohnende Menschen‹ (Cic. Verr. II 4, 44, 96), […] [§ 224] In der realen Verflechtung (§ 116) von s oz i a l em Phä n o m e n u n d Symb o I  […] ist die Grundlage (§ 41: quibus auxiliis?) gegeben für die konkretisierende Benennung eines sozialen Phänomens durch sein instrumentales (oder konventionelles) Symbol: toga ›pax‹, arma ›bellum‹, tela ›bellum‹ (Cic. de or. 3, 41, 167); […] [§ 225] Die Grenzen zwischen Metonymie und Metapher (§ 228) sind fließend, da die Metonymie die Ebene des Begriffsinhalts verläßt (§ 216) und zwischen Verschiebung (§ 216) und Sprung (§ 226) dann kein deutlicher Unterschied mehr gemacht werden kann: 1) Entscheidend für die Metonymie ist die reale Partizipation des proprie-Bereichs am tropischen Bereich (§ 216), während die Metapher (§ 228) eine rein gedankliche Bereichs-Beziehung zur Grundlage hat. In magischer Auffassung allerdings liegt der metaphorischen Benennung durchaus eine reale Partizipation zugrunde, da Achill als ›Löwe‹ wirklich Löwennatur angenommen hat (§ 228), so daß die Metapher eine magische Metonymie darstellt. 2) Das Verlassen der Ebene des Begriffsinhalts in der Metonymie ergibt ausbaufähige Analogien zwischen der Ebene des proprie-Begriffs und der Ebene des tropischen Begriffs, so daß die Metonymie zur Allegorie (§ 423) erweitert werden kann. Derartige Allegorien sind besonders für die mythologische Metonymie (Ter. Eun. 732 sine Cerere et Libero friget Venus) und für die symbolische Metonymie (Menteur I, I, I: § 224) ausgebaut worden.“ (Heinrich Lausberg: Elemente der literarischen Rhetorik, S. 75–77). Zur Metapher: „[§ 228] Die metaphora […] ist der Ersatz (immutatio: § 174) eines verbum proprium (›Krieger‹) durch ein Wort, dessen eigene proprie-Bedeutung mit der des ersetzten Wortes in einem Abbild-Verhältnis (similitudo: § 401) steht (›Löwe‹: § 226). Die Metapher wird deshalb auch als ›gekürzter Vergleich‹ definiert, in dem das Verglichene mit dem Abbild in eins gesetzt wird. Dem Vergleich (similitudo) ›Achill kämpfte wie ein Löwe‹ entspricht die Metapher ›Achill war ein Löwe in der Schlacht‹.“ (Ebd., S. 78; vgl. auch Kap. 1.2., FN 8).

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gleichzeitig die zwei grundlegenden Operationstypen des sprachlichen Systems. In dieser Zuspitzung mag man mit Ricoeur einen fatalen Reduktionismus sehen.34 Berücksichtigt man jedoch, dass über diese binären Oppositionen immer auch die sprachlichen Funktionen und ihr hierarchisches Prinzip betrachtet werden müssen, bleibt festzuhalten, dass Jakobsons Modell der Sprache eine komplex vernetzte, stratifizierte und plurifunktionale Struktur ergibt.35 Das in der Sprachstruktur von Jakobson als Opposition beschriebene Verhältnis von Metapher und Metonymie erweist sich bei der Analyse von literarischen Äußerungen darüber hinaus als polar, also nicht diskret, sondern von einem Kontinuum verbunden. Die Reinform beider Strukturen findet sich mithin im Grunde nur in den Beispielen pathologischer Aphasie, die Jakobson zitiert; in nichtpathologischer Sprachverwendung ist dagegen immer von einer gewissen Gemengelage aus metaphorischen und metonymischen Elementen auszugehen. Was auf analytischer Ebene klar trennbar ist, dessen scheint sich Jakobson bewusst zu sein, stellt sich in der Mehrzahl der realen Phänomene als komplexes System von Funktionsprinzipien dar, denen eine einzige Analyse kaum abschließend gerecht wird.36 Mit Blick auf literarische Texte werden schnell die Wechselbeziehungen zwischen metaphorischem und metonymischem Prinzip klar. Schaut man zurück auf die eingangs zitierte Bestimmung der poetischen Funktion als Projektion des Prinzips der Äquivalenz von der Achse der Paradigmatik auf die Achse der Kontiguität,37 so wird nun deutlich, dass dies die Projektion des code-internen, metaphorischen Prinzips auf die metonymisch gereihte Botschaft bedeutet. In bestimmten literarischen Texten, so ließe sich pointieren, werden damit die paradigmatischen Strukturgesetze der Sprache an der Oberfläche, also in der kontinuierlichen Reihung der Botschaft sichtbar. Diesen Prozess der Projektion der internen Prinzipen auf die äußere Oberfläche der Sprache betrachtet Jakobson – wie die übrigen Funktionen der Sprache – als in der Mehrzahl der sprachlichen

34 Vgl. zu Ricoeur Kap. 8.3. 35 „Die beiden wichtigsten Strukturen in Jakobsons Sprachsystem sind die hierarchische Stratifikation und die Opposition.“ (Elmar Holenstein: Roman Jakobsons phänomenologischer Strukturalismus, S. 46). 36 „Gesetzmäßig ist die Bestrebung, eine Übereinstimmung zwischen den einzelnen Plänen der Realität zu finden, gesetzmäßig sind auch die Versuche, die Tatsachen des einen Planes aus den entsprechenden Tatsachen des anderen Planes zu folgern – als Methode, eine vieldimensionale Wirklichkeit auf einer Fläche zu projizieren. Es wäre aber verfehlt, diese Projektion mit der Wirklichkeit zu verwechseln und die eigentümliche Struktur sowie die Selbstbewegung der einzelnen Pläne, d. h. ihre Verwandlung in mechanische Aufstockungen, nicht zu berücksichtigen.“ (Roman Jakobson: Randbemerkungen zur Prosa des Dichters Pasternak, S. 208). 37 Vgl. Roman Jakobson: Linguistics and Poetics, S. 358.

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Äußerungen in unterschiedlicher Stärke präsent. Die poetische Funktion, das sei hier noch einmal unterstrichen, und damit das in ihr kondensierte Wirkungsprinzip der jakobsonschen Metapher (und Metonymie), ist also eine intrinsische Funktion der Sprache und nicht nur Element einzelner kultureller Produkte.38 In dominanter Weise, und so analytisch besonders gut fassbar, sieht Jakobson die Projektionsleistung der poetischen Funktion und damit das metaphorische Prinzip der Äquivalenz in bestimmten Formen der Dichtung39 vertreten: In poetry, not only the phonological sequence but in the same way any sequence of semantic units strives to build an equation. Similarity superimposed on contiguity imparts to poetry it thoroughgoing symbolic, multiplex, polysemantic essence which is beautifully suggested by Goethe “Alles Vergängliche ist nur ein Gleichnis.” […]. Said more technically: anything sequent is a simile. In poetry, where similarity is superinduced upon contiguity, any metonymy is slightly metaphorical and any metaphor has a metonymical tint.40

Der Status der Dichtung für die linguistische Analyse wird in dieser Aussage unzweifelhaft deutlich, nämlich angesichts dieser spezifischen Charakteristika, die sie von anderen Äußerungsformen abheben. Gleichzeitig wird deutlich, dass das binäre Analyseschema im Fall der Dichtung nicht ebenso trennscharf greift, wie es in der pathologischen Aphasie der Fall war. Wenn Jakobson hier jede Metonymie als leicht metaphorisch und jede Metapher als leicht metonymisch beschreibt, wird das Kontinuum deutlich, das zwischen beiden Polen der Sprache vermutet werden muss. Während die (zunehmend afunktionalen) pathologischen Äußerungen zu den Extremen der Pole tendieren und so Gefahr laufen, unter die absolute Herrschaft der Metapher (oder Metonymie) zu fallen und unverständlich zu werden, hält die poetische Sprache durch die Projektion der ersten auf die zweite Operation die Spannung zwischen den beiden Polen Metapher und Metonymie, dem Potenzial zur Referenz und dem Potenzial zur Selbstreferenz, aufrecht und stellt sie zur Schau. Dieses grundsätzliche Bewusstsein Jakobsons für die komplexen Interaktionen von Strukturen und ihren Funktionen innerhalb von Äußerungen und literarischen Texten gilt es bei der Lektüre seiner Kommentare zur Übertragung des polaren Modells der Sprache auf die Beschreibung literarischer Genres zu berücksichtigen. So mündet der Aphasie-Aufsatz in eine scheinbar eindeutige These über das Verhältnis von Prosa und Poesie zu den beiden Sprachpolen:

38 Vgl. Richard Bradford: Roman Jakobson, S. 119–120. 39 Wiederholt verweist Jakobson in diesem Zusammenhang auf traditionelle russische Literatur. Vgl. Roman Jakobson/Morris Halle: Fundamentals of Language, S. 77–78. 40 Roman Jakobson: Linguistics and Poetics, S. 370.

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The principle of similarity underlies poetry: the metrical parallelism of lines or the phonic equivalences of rhyming words prompts the question of semantic similarity and contrast; there exist, for instance, grammatical and anti-grammatical but never agrammatical rhymes. Prose, on the contrary is forwarded essentially by contiguity. Thus, for poetry, metaphor, and for prose, metonymy is the line of least resistance and consequently, the study of poetical tropes is directed chiefly toward metaphor.41

Diese Aussage scheint zunächst die Präferenz für poetische Texte zur Untersuchung der metaphorischen Äquivalenz-Effekte zu bestätigen und gleichzeitig simple Unterteilungen und Beschreibungen von Dichtung und Prosa nach dem Grad ihrer Metaphoriziät zu reproduzieren. Allerdings macht die Formulierung vom ‚Weg des geringsten Widerstandes‘, der Metapher mit Dichtung und Metonymie mit Prosa verbindet, deutlich, dass es sich hier wohl um eine intrinsische Affinität, keineswegs aber um hinreichende oder notwendige Kriterien zur Bestimmung von Prosa und Poesie handelt. Dass die scherenschnittartige Darstellung dieser Affinitäten die komplexen Bedingungen, die zur Konstitution einzelner literarischer Texte oder eines spezifischen Autorenstils beitragen, völlig unzureichend wiedergibt, wird vor allem in Jakobsons Aufsatz zu Pasternaks und Majakowskis Texten deutlich. Zum dichterischen Schaffen Pasternaks bemerkt er: Mögen Pasternaks Metaphern noch so verfeinert und reich sein, nicht sie sind es, die sein lyrisches Thema bestimmten und führen. […] Pasternaks Lyrik ist in den Gedichten wie in der Prosa von Metonymität durchdrungen, mit anderen Worten: die Berührungsassoziation herrscht hier vor.42

Neben die funktionalen Verknüpfungen von Dichtung und Metapher beziehungsweise Prosa und Metonymie43 treten ihre Pendants auf Seiten der Produzenten, die nicht nur im Falle der Aphasie eigene, spezifische Präferenzen zeigen.44 Diese

41 Roman Jakobson/Morris Halle: Fundamentals of Language, S. 82. 42 Roman Jakobson: Randbemerkungen zur Prosa des Dichters Pasternak, S. 199. 43 Solche Dichotomien entlang von Genre-Grenzen finden sich immer wieder in der Folge der strukturalistischen Tradition, wenn auch die Identifikation nicht immer in der gleichen Weise erfolgt wie bei Jakobson. Während Juri Lotmann ebenfalls die Lyrik als Paradigma der Metapher betrachtet (vgl. Jurij M. Lotman: Vorlesungen zu einer strukturalen Poetik. Einführung, Theorie des Verses. Hrsg. von Karl Eimermacher. München: Fink 1972, S. 66–169, bes. S. 98), sieht Roland Barthes im Gegenteil die Erzählung auf metaphorischen Prinzipien folgenden Indizien gegründet (vgl. Roland Barthes: L’aventure sémiologique, S. 178). 44 „In manipulating these two kinds of connection (similarity and contiguity) in both their aspects (positional and semantic)  – selecting, combining, and ranking them  – an individual exhibits his personal style, his verbal predilections and preferences.“ (Roman Jakobson/Morris Halle: Fundamentals of Language, S. 77).

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schlagen sich im Fall literarischer Autoren als eigener Stil im jeweiligen Werk nieder.45 Potenziell einflussreich auf die Ausprägung dieser eigenen Präferenzen sind in Jakobsons Augen viele Faktoren; die vorherrschenden literarischen Moden oder der literaturhistorische Hintergrund im Kontext eines Autors sind nur zwei davon. Metaphorizität und Metonymizität der pasternakschen Dichtung sind daher nicht rein am Aufweis von einzelnen Metaphern und Metonymien messbar. Vielmehr stehen diese jeweils in einem größeren Schaffenskontext und grenzen sich in diesem erst von ihrem jeweiligen Pendant ab. Ihre Koexistenz ist dagegen kein Argument gegen eine mögliche Dominanz einer der beiden – in diesem Fall der Metonymie. Über den Kontext des Schaffens Pasternaks hinaus wird diese Metonymizität seines Stils in Jakobsons Augen erst in Abgrenzung zum metaphorischen Stil Majakowskis deutlich. Die analytisch absoluten Bestimmungen von Metapher und Metonymie als Pole der Sprache werden – das zeigt sich in Jakobsons eigener literaturwissenschaftlicher Operationalisierung46  – im Rahmen der konkreten Textanalyse und -beschreibung durch ihr Wechselverhältnis in der poetischen Funktion zu relationalen Begriffen, die erst in Koordination mit anderen Sprachkomponenten beziehungsweise -funktionen sowie durch Kontrastierung aussagekräftig werden. Die gelegentlich beklagte Statik der jakobsonschen Binäroppositionen scheint vor diesem Hintergrund nicht zuletzt durch das Ausblenden dieser größeren Kontexte motiviert zu sein. In ihrer analytischen Schärfe kann Jakobsons Opposition dazu dienen – und hierin kann ihre Fruchtbarkeit für die Literaturwissenschaft gesehen werden –, ein metaphorisches (oder metonymisches) Sprachprinzip in komplexen Textzusammenhängen sichtbar zu machen oder unterschiedliche Texte zu vergleichen.47 Über diese beschreibende Funktion hinaus scheint jedoch immer die Einbeziehung weiterer Untersuchungsparameter notwendig. Die analytische Trennung hat darüber hinaus auch Implikationen für die theoretische Verortung von Metapher und Metonymie beziehungsweise die Verortung ihrer charakteristischen Beziehungen Ähnlichkeit und Kontiguität. Während die für die Metapher charakteristische Ähnlichkeitsrelation zwischen zwei Elementen zum Beispiel in der aristotelischen Theorie als ontologische Ähnlichkeit zwischen Dingen oder Sachverhalten begriffen wird, bezieht sich die von

45 Vgl. Roman Jakobson: Randbemerkungen zur Prosa des Dichters Pasternak. 46 Vgl. bspw. ebd. 47 Neben Jurij Lotman und Roland Barthes greift auch David E. Wellbery die Jakobsonsche Theorie auf und führt sie kritisch weiter. (Vgl. David E. Wellbery: Das Gedicht. Zwischen Literatursemiotik und Systemtheorie. In: Systemtheorie der Literatur. Hrsg. von Jürgen Fohrmann/Harro Müller. München: Fink 1996, S. 366–383).

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 Metapher und Sprache

Jakobson beschriebene Ähnlichkeit auf Elemente des lexikalischen Codes – entsprechend seiner Fokussierung der Linguistik auf das Universum des Diskurses, kann es auch nicht anders sein. Ähnlichkeit und Unähnlichkeit stellen mithin keine ontologischen Qualifikationen dar, sondern klassifizieren den Grad der Synonymität lexikalischer Entitäten. Die metaphorische Beziehung zwischen zwei Entitäten des sprachlichen Codes wird von Jakobson daher auch als sprachinterne Relation bezeichnet. Diesen Befund teilt Jakobson mit anderen Theoretikern, die unter dem Einfluss der strukturalistischen Metapherntheorie stehen.48 Klar von zum Beispiel Jacques Derridas Modell verschieden sind jedoch der Mechanismus der Metonymie und ihr Verhältnis zur Metapher. Die Kontiguitätsbeziehung, die das metonymische Verhältnis zweier Elemente zueinander prägt, kommt in Jakobsons Theorie über eine äußere Relation der sprachlichen Elemente zueinander zustande: „The constituents of any message are neccessarily linked with the code by an interal relation and with the message by an external relation.“49 Mit der Positionierung der metonymischen Verbindung außerhalb des sprachlichen Codes50 lässt sich das jakobsonsche Oppositionsverhältnis zwischen Metapher und Metonymie zusätzlich begründen: Eine operiert über Verbindungen zwischen Entitäten innerhalb des Sprachcodes, die andere über die Verbindung mit oder von Entitäten außerhalb des Sprachcodes. Das Funktionsprinzip Metapher entspricht damit der potenziellen Selbstreferenzialität der Sprache; die Metonymie dagegen ihrer potenziellen Außenreferenz. In der Klassifizierung dieser zweiten Verbindung als metonymisch und code-extern scheint die fundamentale Differenz zu Derrida zu liegen, der eben in solchen konzeptuellen Verknüpfungen einen metonymischen Effekt zwischen den Elementen des Codes sieht. Die Metapher kann daher aus Derridas Perspektive auch nicht mehr in Opposition zur Metonymie gedacht werden, sondern ist vielmehr ein Effekt dieser.51 Blickt man mit Jakobson auf Walter Benjamins Möwen, so lässt sich zunächst festhalten, dass der Text überwiegend durch die Relationen der textexternen Elemente zueinander strukturiert zu sein scheint. Insofern ist der Text auch kompati-

48 Vgl. dazu in dieser Arbeit Jacques Derrida (Kap. 6.2.), Jacques Lacan (Kap. 6.3.) und in Teilen auch Harald Weinrich (vgl. Kap. 7.3.). 49 Roman Jakobson/Morris Halle: Fundamentals of Language, S. 61–62. 50 Jakobson führt aus den Fallbeispielen für die Similaritätsstörung sowohl die erlebte, kontingente Verbindung zwischen nicht-sprachlichen Objekten in der Umwelt (z. B. die Reihenfolge, in der Tiere bei einem bestimmten Zoobesuch gesehen wurden) als auch Verbindung von konventionalisierten, konzeptuell verknüpften Elementen (z. B. ‚tot‘ für ‚schwarz‘) an. (Vgl. ebd., S. 66 und S. 69). 51 Vgl. Kap. 6.2.

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bel mit dem jakobsonschen Schema, nach dem die Prosa von der metonymischen Struktur dominiert wird. Die recht ausführliche Beschreibungen der Position des Erzählers, der Fahrtrichtung des Schiffes und der Bewegungsrichtung der Möwen, aber auch die Beschreibung der Lichtverhältnisse folgen zunächst dem metonymischen Prinzip und schaffen entlang der syntagmatischen Achse im Wortsinn einen Kontext. Davon unbenommen bleibt die Möglichkeit der Metaphorik, der Austauschbewegung entlang der paradigmatischen Achse. Als aus jakobsonscher Perspektive besonders augenfällige Metaphernstruktur kann die Beschreibung der zwei Möwenvölker als ‚östliche und westliche, linke und rechte‘ identifiziert werden. Diese Struktur der jeweils doppelten Benennung der beiden Möwenvölker mit alternativen Bezeichnungen aus demselben Paradigma beruht auf der metaphorischen Funktion der Sprache und entspricht in der Struktur den von Jakobson als inhaltlich redundant52 bewerteten Strukturen der slawischen Volksdichtung und der eingangs beschriebenen aphasischen Störung. Jakobsons Theorie erweist sich nicht nur als gut operationalisierbar, sondern auch als hochgradig anschlussfähig für die spätere Theoriebildung. Erhalten bleibt das von Jakobson begründete oppositionelle Verhältnis von Metapher und Metonymie bei Jacques Lacan, der Jakobson aufgreift und ihn nichtsdestotrotz fundamental adaptiert. Die Trennung zwischen code-interner und code-externer Ebene, zwischen Signifikant und Signifikat leuchtet Lacan ebenso ein wie die Opposition von Metapher und Metonymie. Die Metonymie lokalisiert er mit Jakobson in der Verkettung der Signifikate. Diese sieht Lacan jedoch als vom Signifikanten losgelöst und volatil. Die Metapher ereignet sich bei Lacan im Übersprung von der Ebene der Signifikanten auf die Ebene der Signifikate, die anders als bei Jakobson nicht den Charakter der technischen Substitution, sondern den der gewaltsamen (psychischen) Verdrängung trägt.53 Während die Positionierung der Metapher innerhalb des sprachlichen Systems, trotz unterschiedlicher Ausführungen über deren genaue Struktur, von strukturalistischen und dekonstruktivistischen Perspektiven geteilt wird, steht sie zur folgenden, pragmatisch orientierten Theorie von Paul Grice in klarem

52 Wie die frühere Behauptung, die in einer metaphorischen Operation ausgetauschten Ausdrücke seien tatsächlich synonym, kann auch die Behauptung der Redundanz hier mit guten Gründen angezweifelt werden. Die Linguistik geht mittlerweile grundsätzlich davon aus, dass es keine echten Synonyme gibt. Dass die Variation des Ausdrucks für den vorliegenden Text entscheidende politische Implikationen der Passage unterstreicht, zeigt sich besonders in Harald Weinrichs Analyse. (Vgl. Harald Weinrich: Streit um Metaphern, S. 337–339). 53 Vgl. Kap. 7.1. Vgl. auch Richard Bradford: Roman Jakobson, S. 135–136. Bradford sieht in der Fusion mit der freudschen Bestimmung von Metapher und Metonymie die zentrale Ursache für die, in seinen Augen unrechtmäßige, Verzerrung von Jakobsons Modell.

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Kontrast. Grices für die pragmatisch orientierte Linguistik, wie die aktuelle Relevance Theory, wegweisende Perspektive auf die Sprache und ihre Funktionen in der zwischenmenschlichen Kommunikation verschiebt die Parameter für die Bestimmung und Einordnung der Metapher im Verhältnis zu anderen Sprachphänomenen komplett.

7.2 Herbert Paul Grice (1913–1988) und Dan Sperber (*1942)/ Deirdre Wilson (*1941) You are the cream in my coffee.54

Die von Herbert Paul Grice formulierte Unterscheidung zwischen sagen55 und meinen steckt den Rahmen seiner theoretischen Beschreibung der Metapher insofern ab, als seine leitende Frage an dieses Phänomen lauten könnte: Wie kann das, was ein Kommunikationsteilnehmer äußert, als kooperativer Beitrag zur Kommunikation betrachtet werden, obwohl es hinsichtlich seiner logischen Aussagestruktur schlicht paradox zu sein scheint. Grices sprachphilosophische Überlegungen behandeln die Metapher nur am Rande, als Teil eines sehr viel größeren Bereichs kommunikativer Phänomene, den es mit pragmatischen Prinzipien zu erklären gilt. Die sprachliche Metapher lässt sich, wie im Folgenden zu zeigen sein wird, bei Grice zunächst als Abweichung charakterisieren,56 kann aber mithilfe des Implikatur57-Konzeptes dennoch als Teil rationalen und zielorientierten kommunikativen Handelns analysiert werden.

54 Vgl. Paul H. Grice: Logic and Conversation. In: Studies in the Way of Words. Cambridge, MA/ London: Harvard University Press 1989, S. 22–41, hier auf S. 34. Vgl. für eine umfassende deutschsprachige Einführung in Grices Sprachphilosophie: Eckard Rolf: Sagen und Meinen. Paul Grices Theorie der Konversations-Implikaturen. Opladen: Westdeutscher Verlag 1994. 55 „By saying, Grice meant not the mere locutionary act of uttering certain words. Instead, Grice focused on the illocutionary act of saying that something is the case.“ (Wayne E. Davis: Implicature. Intention, Convention, and Principle in the Failure of Gricean Theory. Cambridge: Cambridge University Press 1998, S. 5). 56 Die Perspektive auf die Metapher als regelhafte, beherrschbare Abweichung von der Sprachnorm teilt Grice mit den Rhetorikern. Darüber hinaus überschneiden sich die Positionen in ihrem Fokus auf die kommunikativ-pragmatischen Effekte der Metapher in der synchronen Kommunikation und die Annahme, dass zumindest in diesem Kontext ein eindeutiges Verstehen der Metapher möglich und unterscheidbar vom Nicht-Verstehen ist. (Vgl. Kap. 4., insbesondere Kap. 4.1.). 57 Vgl. für eine knappe Einführung: Lawrence Horn: Implicature. In: The Handbook of Pragmatics. Hrsg. von Lawrence R.Horn/Gregory Ward. Malden u. a.: Blackwell 2006, S. 3–28. Vgl. für eine ausführliche und kritische Diskussion des Konzeptes Wayne E. Davis: Implicature.

Herbert Paul Grice (1913–1988) und Dan Sperber (*1942)/Deirdre Wilson (*1941) 

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Grundannahme der ordinary language philosophy,58 der Grice in der Regel zugerechnet wird, ist zunächst, dass die alltägliche Sprache, auch wenn sie in bisherigen Versuchen logischer Analysen stets als defizitär erschien, funktionalen und regelhaften Eigengesetzlichkeiten folgt, auch wenn diese sich nicht im Versuch einer Übersetzung normalsprachlicher Ausdrücke in logische Ausdrücke fassen lassen.59 Anders als in der analytischen Philosophie muss er damit über die reine Begriffsanalyse hinaus den Kommunikationsprozess einbeziehen. Grice entwirft ausgehend von der Logik eine Pragmatik, um kommunikativ-funktionale Prozesse der ordinary language zu beschreiben. Damit schlägt er eine Brücke zwischen der logischen Ebene der Wahrheitswerte und der pragmatischen Ebene der erfolgreichen Kommunikation.60 Aus metapherntheoretischer Sicht ist in Grices Sprachphilosophie vor allem das Konzept der Implikatur interessant, das gleichsam die Differenz zwischen dem Gesagten und dem Gemeinten ausmacht. Grices pragmatischer Ansatz unterscheidet sich von bisher diskutierten grundlegend durch seinen Fokus auf Sprache als kommunikativem Handeln.61 Dem Sprecher werden in diesem Modell in der Regel konkrete kommunikative Ziele und ein – im Hinblick auf diese Ziele – rationales und zielorientiertes kommunikatives Handeln unterstellt, das über den Begriff der Intention operationalisiert wird. Damit setzt auch dieser Ansatz für eine adäquate Beschreibung der Sprache eine essenzielle Beziehung zu Außersprachlichem voraus, allerdings nicht zum Bezeichneten, sondern zum Sprecher. Diese Beziehung zwischen dem Sprecher und den von ihm verwendeten Ausdrücken, das kommunikative

58 Für eine historische Verortung von Grice vgl. Anita Avramides: Meaning and Mind. An Examination of a Gricean Account of Language. Cambridge, MA/London: MIT Press 1989, S. 1–33. Zur Eingrenzung der ordinary language philosophy vgl. Sally Parker-Ryan: Ordinary Language Philosophy. In: The Internet Encyclopedia of Philosophy https://www.iep.utm.edu/ord-lang/ (16.09.2018). Für eine Übersicht zu Grices sprachphilsophischen Leistungen vgl. Stephen Neale: Paul Grice and the Philosophy of Language. In: Linguistics and Philosophy 15:5 (1992), S. 509–559. 59 Ein gängiges Beispiel für eine solche scheiternde ‚Übersetzung‘ ist der Ausdruck ‚einige‘: „And (3) (a) implicates (3) (b). (3) (a) Some died, (b) Not all died. For speakers would not normally use (3) (a) without that implicature. Just as a speaker can implicate something the sentence he uttered does not implicate, so the sentence uttered can implicate something the speaker did not implicate. For example, someone uttering (3) (a) may have been engaging in understatement, knowing full well that everyone was massacred. S implicates a proposition which the sentence he uttered implicates only if S intended to provide an indication that he believes that proposition.“ (Wayne E. Davis: Implicature, S. 7). 60 Der Brückenschlag gelingt letzten Endes durch eine Verschiebung des Wahrheitswertkriteriums von der Ebene des Gesagten auf die Ebene des Gemeinten. 61 Vgl. für die Parallelen zwischen Handlungstheorie und gricescher Sprachphilosophie Eckard Rolf: Sagen und Meinen, S. 44–62.

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 Metapher und Sprache

Handeln, versucht Grice denn auch über grundlegende Prinzipien, das Kooperationsprinzip62 und die Konversationsmaximen,63 zu beschreiben, die als notwendige Grundannahmen64 fungieren, um sprachliches Handeln als zielgerichtet beschreiben zu können.65 Die Intention, die sich zunächst allgemein als Absicht des Sprechers, einen spezifischen Effekt bei seinen Rezipienten hervorzurufen beschreiben ließe, ist das Kernkriterium für Grices Konzept der nicht-natürlichen Bedeutung,66 die er in der Regel der menschlichen Sprache zurechnet. „A first shot would be to suggest that ‘x meantNN something’ would be true if x was intended by its utterer to induce a belief in some ‘audience’ and that to say what the belief was would be to say what x

62 „Make your conversational contribution such as is required, at the stage at which it occurs, by the accepted purpose or direction of the talk in which you are engaged.“ (Paul H. Grice: Logic and Conversation, S. 26). 63 Die Konversationsmaximen gliedern sich in Aussagen über Quantität, Qualität, Relation und Modalität eines Kommunikationsbeitrags. Zur Quantität formuliert Grice: „1. Make your contribution as informative as required (for the current purpose of exchange). 2. Do not make your contribution more informative as required.“; für die Qualität ebenfalls zwei Maximen: „1. Do not say what you believe to be false. 2. Do not say that for which you lack adequate evidence.“ Unter Relation fällt nur eine einzige, dankbar kurze Maxime: „Be relevant.“, während der Modalität ganze vier Maximen zugeordnet werden: „1. Avoid obscurity of expression. 2. Avoid ambiguity. 3. Be brief (avoid unnecessary prolixity). 4. Be orderly.“ (Ebd., S. 26–27). Die besonders umfangreichen Maximen unter dem letzten Punkt erinnern an zentrale Kriterien, die sowohl die antiken Rhetoriken als auch ihre Nachfolger immer wieder als praktische Hinweise für den Redner anführen. Die Vermeidung von Unverständlichkeit und Ambiguität erscheint dort als Aufforderung zur claritas ebenso wie die zur brevitas, zur Kürze. Bereits in der rhetorischen Tradition zeigt sich auch das potenzielle Spannungsverhältnis zwischen Klarheit und Kürze, das in der Metapher besondere Ausprägung findet: Die Kürze der verständlichen Metapher kann eine Steigerung der Klarheit der Rede bewirken. Gleichzeitig kann die Metapher jedoch eben wegen ihrer Kürze enigmatisch wirken und die Rede verdunkeln und rätselhaft werden lassen. Ähnliche Spannungsverhältnisse sind auch zwischen den einzelnen Konversationsmaximen angelegt und können – wie weiter unten zu zeigen ist – ausschlaggebend für das Auftreten einer Implikatur und damit einer Metapher sein. 64 Grices Prinzipien und Maximen sind weder als normative Vorschriften an Sprecher zu verstehen – hier unterscheiden sie sich klar von den pädagogisch-normativen Rhetoriken – noch als gültige und wahre Beschreibung aller kommunikativen Ereignisse. Vielmehr handelt es sich um Prinzipien, deren Gültigkeit Teilnehmer einer Kommunikation nach Grice implizit voraussetzen und deren Berücksichtigung sie zunächst erwarten bzw. deren Einhaltung sie in der Mehrzahl der Fälle unterstellen. 65 Vgl. Eckard Rolf: Sagen und Meinen, S. 145. 66 Rolf identifiziert bei Grice fünf Kriterien für nicht-natürliche Bedeutung: „das erste als das Kriterium der Annullierbarkeit, das zweite als das Kriterium des Kommunikationsinhalts, das dritte als das Kriterium des Kommunikationsvollzugs, das vierte als das Kriterium der Inhaltsangabe oder der Zitation, das fünfte schließlich als das Kriterium der Faktizität“. (Ebd., S. 23–24).

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meantNN.“67 Die Bedeutung einer Äußerung wäre nach dieser Definition identisch mit der angestrebten Überzeugung, die die Äußerung bei einem Hörer auslöst. Bereits in diesem ersten Versuch, nicht-natürliche Bedeutung zu bestimmen, wird die Frage nach der semantischen Bedeutung der Aussage unauflöslich an psychologische Zustände geknüpft.68 Nur die Kenntnis (oder die Unterstellung) bestimmter Zustände ermöglicht das Verstehen entsprechender Äußerungen. Diese grundlegende Verknüpfung manifestiert sich in der Struktur von Grices bikonditionaler Analyse der Bedeutung, die kurz skizziert werden soll.69 So gibt Grice beispielsweise eine spätere Definition von ‚mean‘ in der folgenden Form: “U meant something by uttering x” is true iff (1) U intended, by uttering x, to induce a certain response in A (2)  U intended A to recognize, at least in part from the utterance of x, that U intended to produce that response (3)  U intended the fulfilment of the intention mentioned in (2) to be at least in part A’s reason for fulfilling the intention mentioned in (1).70

Diese erweiterte Definition zeigt bereits den deutlichen Zusammenhang zwischen Intention und einer wie auch immer gearteten Handlung71 oder Reaktion, die beim Zuhörer ausgelöst werden soll. Die intendierte Reaktion bestimmt die Bedeutung der Äußerung, die durchaus von semantisch konventionellen Bedeutungen verschieden sein kann. Bedingung (3) rückt die sprachliche Äußerung ins Zentrum der Analyse und wird damit der angestrebten Darstellung von Bedeutung eher gerecht als vorhergehende Versionen der Definition, da sie die Reaktion von A zentral von der Äußerung x abhängig macht.72 Die entsprechende Äußerung x

67 Paul H. Grice: Meaning. In: Studies in the Way of Words. Cambridge, MA/London: Harvard University Press 1989, S. 213–223, hier auf S. 217. 68 Diese Verbindung wird in der Literatur häufig als Reduktion des Semantischen auf das Psychische bezeichnet (vgl. Eckard Rolf: Sagen und Meinen, S. 93), wobei umstritten ist, inwieweit bereits Grices eigener Ansatz hier im engen Sinn reduktionistisch ist und inwieweit sich eine radikale Reduktion erst in den sich auf Grice beziehenden theoretischen Weiterentwicklungen vollzieht. Vgl. hierzu Anita Avramides: Meaning and Mind, bes. S. 33–38. Avramides verteidigt Grices Modell gegen den Reduktionismus-Vorwurf. 69 Vgl. für eine erschöpfende Darstellung ebd., bes. S. 39–75. 70 Paul H. Grice: Utterer’s Meaning and Intentions. In: Studies in the Way of Words. Cambridge, MA/London: Harvard University Press 1989, S. 86–116, hier auf S. 94. 71 Der Begriff der Handlung muss hier sehr weit aufgefasst werden, da er z. B. auch Glauben oder Denken umfasst. 72 Diese zweite Version entwickelte Grice denn auch als Reaktion auf ein Gegenbeispiel, in dem eine identische Handlung einmal als im Sinne der Intention bedeutungsvoll und einmal als bedeutungslos betrachtet werden muss. (Vgl. ebd., S. 93–94).

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 Metapher und Sprache

wird erst an dieser Stelle das zentrale Instrument zur kommunikativen Übermittlung einer Intention. Dass x in der Regel aufgrund bestimmter Konventionen und geteilten Wissens beider Kommunikationsteilnehmer über diese Konventionen von U als Mittel zur Übermittlung seiner Intention ausgewählt wird, wird in der nächsten Erweiterung der Analyse deutlich: “U meant something by uttering x” is true iff, U uttered x intending (1) A to think x possesses f (2) A to think U intends (1) (3) A to think of f as correlate in way c with the type to which r belongs (4) A to think U intends (3) (5) A to think on the basis of the fulfilment of (1) and (3) that U intends A to produce r (6) A, on the basis of fulfilment of (5), to produce r (7) A to think U intends (6).73

Mit dieser Erweiterung rücken die konversationellen Qualitäten der Äußerung x in den Vordergrund. Die Reaktion von A ist zentral davon anhängig, dass er der Äußerung von U eine bestimmte Eigenschaft zuschreibt, die – zumindest in seiner Wahrnehmung und der ihm von A unterstellten – in konventioneller Weise mit einer bestimmten Reaktion korreliert. An dieser Stelle sollten bereits mehrere Punkte deutlich geworden sein. Der erste betrifft den Charakter der griceschen Argumentation. Diese erfolgt im Stil einer analytischen Sprachuntersuchung, die auf eine möglichst logisch-präzise Begrenzung einzelner Begriffe durch ihre Verwendungsbedingungen und ‑möglichkeiten abzielt. Gültigkeit haben innerhalb einer solchen Argumentation in erster Linie das (konstruierte) Beispiel, seine Analyse und Bewertung und gegebenenfalls Gegenbeispiele. Die griceschen Argumentationen zur Pragmatik stützen sich damit in erster Linie auf die sprachlichen Intuitionen einzelner Sprecher (meist die argumentierenden Philosophen) und nicht etwa auf Verwendungskorpora oder erhobene Bewertungen mehrerer Sprecher. Die Leistung dieser Analyse scheint zunächst darin zu bestehen, dass sie Bedeutung, die wir in (sprachlicher) Kommunikation austauschen, nicht vollständig auf die semantischen Charakteristika der Äußerungen reduziert. Stattdessen treten Intentionen und Annahmen über gültige Kommunikationsverhalten hinzu. Die eingangs zitierte Differenz zwischen sagen und meinen lässt sich als Versuch verstehen, diese beiden Perspektiven in ein geordnetes Verhältnis zueinander zu setzen und dabei der alltäglichen Erfahrung Rechnung zu tragen, dass das Gesagte nicht immer mit dem Gemeinten identisch ist.

73 Ebd., S. 104–105.

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Um zu erklären, warum sagen und meinen, wie zum Beispiel im Fall der Metapher, nicht immer deckungsgleich, ja gelegentlich sogar kontradiktorisch zueinander sich verhalten (ein Beispiel ist die Ironie), entwickelt Grice das Konzept der Implikatur, präziser der konversationellen Implikatur. Anders als die konventionelle Implikatur, die gleichsam ein stabiler Abweichungs- oder Ergänzungseffekt bestimmter Ausdrücke der normalen Sprache ist, die diese von ihren rein logischen Übersetzungen unterscheidet,74 basiert die konversationelle Implikatur im Grunde auf einem Konflikt zwischen der Äußerung und den von Grice skizzierten Konversationsmaximen.75 Die Grundkonstellation eines solchen Konfliktes stellt den Zuhörer in Grices Augen vor das eingangs angesprochene Grundproblem: „How can his saying what he did be reconciled with the supposition that he is observing the overall Cooperative Principle? This situation is one that characteristically gives rise to a conversational implicature; […].“76 Das gricesche Modell geht also davon aus, dass ein Rezipient – außer wenn er klare Gegenevidenz hat – zunächst trotz eines nicht maximentreuen Kommunikationsbeitrags von einer Einhaltung des grundlegenden kooperativen Prinzips ausgeht. Diese Annahme erscheint vor dem Hintergrund des bereits angedeuteten intrinsischen Spannungsverhältnisses zwischen den Maximen und der dadurch angelegten Kollisionsgefahr77 jedoch kaum allzeit erfüllbar. Von den vier ver-

74 Vgl. Paul H. Grice: Indicative Conditionals. In: Studies in the Way of Words. Cambridge, MA/ London: Harvard University Press 1989, S. 58–85, hier auf S. 58. 75 Vgl. Eckard Rolf: Sagen und Meinen, S. 105. Die genaue Definition der konversationellen Implikatur scheint umstritten; Alan Cruse listet jedoch folgende Merkmale: 1. „Context dependence: An expression with a single meaning (i. e. expressing the same proposition) can give rise to different conversational implicatures in different contexts. […] The purpose of this criterion is to distinguish conversational implicatures from, on the one hand, entailments, and on the other hand, what have been called conventional implicatures.“ 2. „Defeasibility/cancellability: Conversational implicatures can be cancelled by additional material without contradiction or anomaly. […] Although defeasibility or cancellability is one of the standard criteria for CI, it is none the less questionable. The reason is that adding material changes the context: there is no way of suppressing the implicature without doing this. In other words, this criterion adds nothing that is not covered by the criterion of context dependence.“ 3. „Non-detachability: The same propositional content in the same context will always give rise to the same conversational implicature, in whatever form it is expressed (that is to say, the implicature is tied to meaning, and not to form): […]. This is not the case with conventional implicatures.“ 4. „Calculability: A conversational implicature must be calculable, using statable general principles, on the basis of conventional meaning together with contextual information.“ (David A. Cruse: Meaning in Language. An Introduction to Semantics and Pragmatics. 2. Aufl. Oxford/New York: Oxford University Press 2000, S. 349–351). 76 Paul H. Grice: Logic and Conversation, S. 30. 77 Vgl. ebd. Die Einhaltung bspw. der Maxime 1.1 („Make your contribution as informative as required“) kann einen Kommunikationsteilnehmer in die Lage versetzen, dass von ihm Informa-

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schiedenen Formen des Verstoßes78 gegen Maximen erachtet Grice insbesondere eine als verantwortlich für das Entstehen von Implikaturen: „He [the participant in a talk exchange] may flout a maxim; that is he may blatantly fail to fulfill it.“79 Dass ein Kommunikationsbeitrag trotz offensiver Maximenverletzung als bedeutungsvoll erachtet wird, ist der entscheidende Faktor, weiterhin als relevanter Teil der Kommunikation zu gelten. Den Mechanismus, der nun den Rezipienten vom Gesagten zum Gemeinten, zur Bedeutung der Implikatur führt, skizziert Grice folgendermaßen: He has said that q; there is no reason to suppose that he is not observing the maxims, or at least the Cooperative Principle; he could not be doing this unless he thought that p; he knows (and knows that I know that he knows) that I can see that the supposition that he thinks that p is required; he has done nothing to stop me thinking that p; he intends me to think, or is at least willing to allow me to think, that p; and so he has implicated that p.80

Ein Rezipient wird also das Gemeinte der Aussage „You are the cream in my coffee“,81 die auf Ebene des Gesagten kategorisch falsch ist, dadurch verstehen, dass er zunächst unterstellt, dass sie über ein kooperatives Gemeintes verfügt. Obwohl auf der Ebene des Gesagten ein klarer Verstoß gegen die erste Qualitätsmaxime vorliegt, unterstellt er seinem Kommunikationspartner, mit der Äußerung einen irgendwie kooperativen Beitrag zur Kommunikation leisten zu wollen. Dem Sprecher einer solchen Äußerung wird hier also zunächst eine klare Intention, Beachtung des Kooperationsprinzips und eine gezielte Missachtung und damit

tionen erwartet werden, die er nicht beibringen kann – jedenfalls nicht, ohne ggf. die Maxime 2.2 („Do not say that for which you lack adequate evidence“) zu verletzten, indem er Dinge beiträgt, die er nicht mit Sicherheit weiß. 78 Grice spezifiziert vier verschiedene Formen des Verstoßes gegen Maximen, die sich in ihren Konsequenzen erheblich unterscheiden: „A participant in a talk exchange may fail to fulfill a maxime in various ways, which include the following: 1. He may quietly and unostentatiously violate a maxim; if so in some cases he will be liable to mislead. 2. He may pot out from the operation both of the maxim and of the Cooperative Principle; he may say, indicate or allow it to become plain that he is unwilling to cooperate in the way the maxim requires. He may say, for example, I cannot say more; my lips are sealed. 3. He may be faced by a clash: He may be unable for example to fulfill the first maxim of Quantity (be as informative as is required) without violation the second maxim of Quality (Have adequate evidence for what you say). 4. He may flout a maxim; that is he may blatantly fail to fulfill it.“ (Ebd.). 79 Ebd. Daneben kann auch der weiter oben angesprochene Konflikt zwischen zwei Maximen zur Ziehung einer Implikatur führen. 80 Ebd., S. 31. 81 Vgl. ebd., S. 34.

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Ausbeutung82 einer bestimmten Maxime unterstellt. Der (ideale) gricesche Sprecher muss also – dem Konzept von Sprechen als rationalem Handeln gemäß – als hochgradig kompetent in der Handhabung der kommunikativen Situation betrachtet werden. Die Äußerung einer Metapher erscheint bis hierher als hochgradig kalkulierter und kontrollierter Akt zur Erreichung eines kommunikativen Interesses. Der (ideale) Rezipient muss nun, unter Annahme eines solchen Sprechers und unter Einbeziehung von geteiltem Wissen (he knows that I know that he knows), eine These über die intendierte Bedeutung der Aussage, also das Gemeinte entwickeln. Mit dem Auseinandertreten von Gesagtem und Gemeintem gerät die Ebene des Gesagten aus gricescher Sicht zu einer Art kommunikativem Ablenkungsmanöver: „the speaker has made as if to say“.83 Der Sprecher tut in dem Moment nur so, als ob er meinen würde, was er sagt.84 Einen Zusammenfall mit diesen Positionen verhindert jedoch Grices Insistenz auf der Offensichtlichkeit der Maximenverletzung, durch deren unweigerliche Bemerkung die Metapher erst von einer scheinbar absurden zu einer bedeutungsvollen Äußerung wird, und die eine elegante Trennung von Lüge und Metapher ermöglicht. Ununterscheidbar bleiben jedoch vor diesem Hintergrund die verschiedenen Formen figurativen Sprechens, sie alle fallen unter den gleichen Verstehensmechanismus. Diese mangelnde Differenziertheit auf Ebene der semiotischen Struktur einer Äußerung85 kann aus literaturwissenschaftlicher Sicht als problematisch gelten, da auf dieser Grundlage eine detaillierte Beschreibung von Texten kaum möglich scheint. Die Grundanlage der griceschen Theorie und ihr Erkenntnisinteresse macht sie für literaturwissenschaftliche Fragestellungen aus weiteren Gründen schwierig operationalisierbar. Die Relevanz der griceschen Theorie scheint daher weniger in ihrer konkreten literaturwissenschaftlichen Operationalisierbarkeit zu liegen als vielmehr in den Impulsen, die sie für die weitere Theoriebildung gegeben hat.

82 Grice formuliert dieses Prinzip der Maximenausbeutung (in Abgrenzung z. B. zu dem ‚heimlichen‘ Verstoß) aus Perspektive des Rezipienten: „How can his [the utterers] saying what he did say be reconciled with the supposition that he is observing the overall Cooperative Principle? This situation is one that characteristically gives rise to a conversational implicature; and when a conversational implicature is generated in this way, I shall say that a maxim is being exploited.“ (Ebd., S. 30). 83 Ebd., S. 34. 84 Dieser Aspekt der griceschen Theorie lässt ihn scheinbar in die Nähe der Positionen rücken, die die Metapher mit rhetorischen Täuschungsmanövern oder glattweg der Lüge assoziieren. Vgl. für eine der radikalsten Versionen dieser Position John Locke, vgl. Kap. 3.1., FN 1. 85 Bemüht man wiederum den Vergleich mit der rhetorischen Tradition, so fällt auf, dass viele der Phänomene, die letztere in einer (je nach Autor) differenzierteren Tropen- und Figurenlehre unterscheidet, in der griceschen Implikatur zusammenfallen.

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Eine Weiterentwicklung der griceschen Annahme86 findet sich in der vor allem von Deirdre Wilson und Dan Sperber entwickelten Relevance Theory, die der Metapher ebenfalls keinen Sonderstatus mit Blick auf die Sprachverarbeitung zuerkennt. Die Relevance Theory versucht, die bereits in früheren Theorien als verstehensrelevant identifizierten Faktoren Sprache (als Zeichencode)87 und Kontext (im weitesten Sinne)88 in einem systematischen Zusammenhang zu beschreiben.89 Wilson/Sperber remodellieren die Prozesse von Ausdruck und Verstehen von Intentionen als Kombination von Prozessen der Decodierung90 und Prozes-

86 „Relevance theory may be seen as an attempt to work out in detail one of Grice’s central claims: that an essential feature of most human communication is the expression and recognition of intentions.“ (Deirdre Wilson/Dan Sperber: Relevance Theory. In: The Handbook of Pragmatics. Hrsg. von Lawrence R. Horn/Gregory Ward. Malden u. a.: Blackwell 2006, S. 607–632, hier auf S. 609). Für eine direkte Gegenüberstellung von Grice und der frühen Relevanztheorie vgl. Jonathan E. Adler: Comparisons with Grice. In: Behavioral and Brain Sciences 10:4 (1987), S. 710–711, hier auf S. 710–711. Vgl. für weitere (kritische) Reviews von Relevance ebendort. Für eine Selbstpositionierung der Relevance Theory v. a. gegenüber der traditionellen Pragmatik nach Grice vgl. Neil Smith/Deirdre Wilson: Introduction. In: Lingua 87:1–2 (1992), S. 1–10. Grundsätzlich kritisch wird die Vorstellung kommunikativer Maximen (z. B. des Kooperationsprinzips) als einzuhaltende Regeln gesehen. 87 Wilson/Sperber betonen die Charakteristika, die menschliche Sprache von rein formalen Codes unterscheiden: „Formally speaking, human languages are also codes: they are systems of sound-sense pairs generated by an underlying grammar. But although they are codes, human languages are vastly different from the codes of animal communication. First, and most obvious, they are incomparably richer. Languages not only contain a vast repertoire of expressive elements—the lexicon—with no counterpart in animal signalling systems, but these elements are combined by a syntax with unbounded generative capacities. Human languages differ from animal codes in another respect that should be equally obvious but is hardly ever mentioned: they are grossly defective as codes.“ (Deirdre Wilson/Dan Sperber: A Deflationary Account of Metaphors. In: The Cambridge Handbook of Metaphor and Thought. Hrsg. von Raymond W. Gibbs Jr., Cambridge u. a.: Cambridge University Press 2008, S. 84–105, hier auf S. 85). 88 Für eine konzise Zusammenfassung des Kontext-Modells der Relevance Theory vgl. Francisco Y. Ramos: A Decade of Relevance Theory. In: Journal of Pragmatics 30 (1998), S. 305–345, hier auf S. 307–309. Entscheidend ist der flexible und konstruktive Charakter des Kontextes: „There would be, then, a bidirectional contextual influence: speakers determine the context during interaction, but at the same time the context constrains the signification that utterances eventually acquire.“ (Ebd., S. 307). 89 Ausgangsbeispiel ist hier unter anderem die Problematik unklarer Referenzen. 90 Decodierung ist im Verständnis der Relevanztheorie bestimmt durch die Prozesse der Erweiterung bzw. Verengung codierter Konzepte, und zwar in inferenzieller Abhängigkeit von den kontextuellen Gegebenheiten. Über das codierte Konzept werden zunächst semantische und enzyklopädische Elemente dieser Konzepte zugänglich, ihre Aktivierung und damit letztlich die

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sen der Inferenz.91 Dabei werden relevante Inputs92 in der Verarbeitung bevorzugt. Dieses Verständnis von Decodierung beruht auf der Annahme, dass jedes in einem Zeichen codierte Konzept zunächst grundsätzlich und unvermeidlich ambigue und über- oder unterspezifisch ist93 und dass dementsprechend ein Verstehen in einem konkreten Kontext daher immer der Adaptionen dieses Konzeptes durch Erweiterung oder Verengung bedarf.94 Der Sinngehalt, der in sprachlicher Kommunikation transportiert wird, lässt sich daher wie bei Grice nicht allein über ein eindeutiges Kodierungs-Dekodierungs-Prinzip erklären.95 Die Metapher stellt daher auch für die Relevance Theory

Bedeutung, die einer bestimmten Äußerung beigemessen wird, hängt jedoch entscheidend von ihrem Kontext ab. 91 Die hier beschriebene Inferenz unterscheidet sich jedoch von logischer Inferenz und wird daher auch als nicht-demonstrative Inferenz bezeichnet. „In demonstrative inference  […] the truth of the premises guarantees the truth of the conclusions. In nondemonstrative inference, the truth of the premises merely makes the truth of the conclusion probable.“ (Dan Sperber/Deirdre Wilson: Précis of Relevance: Communication and Cognition. In: Behavioral and Brain Sciences 10 (1987), S. 697–754, hier auf S. 701). Die Wahrscheinlichkeit nimmt damit hier wie schon bei Aristoteles eine zentrale Funktion für den Erfolg von Metaphern- und Sprachverstehen ein. 92 Das Konzept der relevance trägt die Haupterklärungslast von Wilson/Sperbers Theorie. Die Relevanz eines Inputs wird durch zwei komplementäre Faktoren bestimmt: „Relevance is defined in terms of contextual effect and processing effort. Contextual effects are achieved when newlypresented information interacts with a context of existing assumptions in one of three ways: by strengthening an existing assumption, by contradicting and eliminating an existing assumption, or by combining with an existing assumption to yield a contextual implication: […]. Contextual effects, however do not come for free: they cost some mental effort to derive. The effort needed to compute the contextual effect of an utterance depends on three main factors: the linguistic complexity of the utterance; the accessibility of the context; and the inferential effort needed to compute the contextual effects of the utterance in the chosen context.“ (Neil Smith/Deirdre Wilson: Introduction, S. 4). 93 „Rather than seeing the fully coded communication of a well-defined paraphrasable meaning as the norm, we treat it as a limiting case that is never encountered in reality. Rather than seeing a mixture of explicitness and implicitness, and of paraphrasable and unparaphrasable effects, as a departure from the norm, we treat them as typical of ordinary, normal communication.“ (Dan Sperber/Deirdre Wilson: Rhetoric and Relevance. In: Meaning and Relevance. Cambridge u. a.: Cambridge University Press 2012, S. 84–96, hier auf S. 87). 94 Deirdre Wilson/Dan Sperber: Parallels and Differences in the Treatment of Metaphor in Relevance Theory and Cognitive Linguistics. In: Intercultural Pragmatics 8:2 (2011), S. 177–196, hier auf S. 191. 95 Eine solche Code-Perspektive auf die Sprache wird sowohl von Relevanztheoretikern als auch von kognitiven Linguisten unter der Bezeichnung conduit-metaphor als eben nur Metapher mit einer begrenzten Reichweite identifiziert und abgelehnt. (Vgl. z. B. ebd., S. 192).

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nur eine besondere Ausprägung eines grundsätzlichen Charakteristikums der Sprache dar: So although a language is formally a code, and human communication involves linguistic coding and decoding, there is a considerable gap between the semantic structure a sentence encodes and the meaning a speaker manages to convey by uttering that sentence in a given situation. In the case of metaphors and other tropes, this gap is often acknowledged as if it were an exception, and described in terms of a distinction between literal and figurative meaning. We claim that metaphors are not exceptional, and that the linguistic content of all utterances, even those that are literally understood, vastly underdetermines their interpretation.96

Anders als Grice richten Wilson und Sperber ihre Aufmerksamkeit jedoch stärker auf den kognitiven Prozess, durch den der Rezipient von den unterdeterminierten Bedeutungen des Codes zur Bedeutung einer kontextualisierten Aussage gelangt.97 Dieser Prozess bezieht grundsätzlich auch non-verbale Stimuli98 mit ein. Der menschlichen Sprache und Kommunikation wird jedoch in Sperber/ Wilsons Modell Priorität bei der Verarbeitung aufgrund eines besonderen Sinnverdachtes, einer besonderen Relevanzerwartung99 zugesprochen. Die bereits bei Jakobson angesprochene Aufmerksamkeit spielt bei Sperber/Wilson damit auf

96 Deirdre Wilson/Dan Sperber: A Deflationary Account of Metaphors, S. 85. 97 Ausgehend von evolutionsbiologischen Annahmen, stellen Wilson/Sperber zwei zentrale Axiome zur menschlichen Kognition auf, von denen aus sie ihre Kommunikationstheorie entwickeln: „Cognitive Principle of Relevance: Human cognition tends to be geared to the maximisation of relevance. Communicative Principle of Relevance: Every act of overt intentional communication conveys a presumption of its own optimal relevance.“ (Deirdre Wilson/Dan Sperber: Parallels and Differences in the Treatment of Metaphor in Relevance Theory and Cognitive Linguistics, S. 185). 98 Die Relevance Theory unterteilt Stimuli in ostensiv und nicht-ostensiv. Elemente der Kommunikation – vom Wort bis zur Geste – fallen in der Regel in die Kategorie der ostensiven Stimuli, wenn sie mit einer kommunikativen Intention einhergehen, wenn sie also in erster Linie darauf angelegt sind, die Aufmerksamkeit eines potenziellen Rezipienten von den potenziell unzähligen anderen Stimuli auf den Versuch der Kommunikation einer Information selbst zu lenken. Der Effekt solcher ostensiven Stimuli, die offenbar durch Erfahrungs- und Gewohnheitseffekte gleichsam automatisch identifiziert werden, liegt eben in einer besonderen Relevanzerwartung, der Hoffnung auf besondere positive cognitive effects, die durch sie ausgelöst wird. 99 „More generally, ostensive-inferential communication involves the use of an ostensive stimulus, designed to attract an audience’s attention and focus it on the communicator’s meaning. Relevance theory claims that use of an ostensive stimulus may create precise and predictable expectations of relevance not raised by other stimuli.“ (Deirdre Wilson/Dan Sperber: Relevance Theory, S. 611). Kommunikative Stimuli werden in der Relevanztheorie grundlegend nach dem Vorliegen einer informativen Intention und einer kommunikativen Intention bewertet. Ostensive Kommunikation liegt vor, wenn eine informative und kommunikative Intention erkennbar sind.

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Ebene der Stimuli-Verarbeitung eine zentrale, selektive Rolle, die eine Präferenz der menschlichen Kommunikation sichert. Der Code fungiert dabei lediglich als Evidenz, noch dazu als Evidenz für unterschiedliche Bedeutungen: „every single sentence may give rise to an open array of interpretations which go well beyond the encoded senses. Some of the best illustrations of this are, of course, creative metaphors“.100 Der ‚open array of interpretations‘, als den Sperber/Wilson grundsätzlich jede sprachliche Äußerung betrachten, erweist sich als eine ideale Anknüpfungsstelle für eine literaturwissenschaftliche Adaption der pragmatischen Theorie: A speaker’s meaning, so understood, is an intention, a mental state. The mental states of others cannot be simply perceived or decoded, but must be inferred from their behaviour, together with background information. What is special about a speaker’s meaning as compared with other mental states (which people usually keep to themselves) is that speakers intend their audience to discover their meaning, and provide evidence to that effect, in the form of communicative behaviour.101

Das Verständnis des sprachlichen Ausdrucks als Evidenz eröffnet den Raum für die Realität interpretativer Spielräume in der Reaktion auf eine sprachliche Äußerung. Diese ist dann besonders breit, wenn eine Aussage wenige starke Implikationen enthält. Der Verstehensprozess wird in der Analyse als ein iterativer Prozess aus Hypothesenbildung und Suche nach Bestätigung und nicht als finaler kombinatorischer Akt dargestellt.102 Der Sinn auch der simpelsten Aussage konstituiert sich nach dem Modell von Wilson/Sperber in der Bewegung zwischen semantischen Schlüsseln der Aussagen, Kontextwissen und Relevanzerwartung, eine Struktur, in der sich unschwer die Grundstruktur des hermeneutischen Zirkels wiederfinden lässt. Der Moment des Verstehens ist weniger durch das Identifizieren einer objektiv gegebenen Bedeutung bestimmt, als vielmehr durch das Erreichen eines subjektiv-situativ definierten Equilibriums zwischen (noch) erwartetem kognitiven Effekt bei (weiterer) Verarbeitung eines Inputs und dem dafür notwendigen kognitiven Aufwand.103

Vgl. für eine systematische Übersicht zur Klassifizierung von Stimuli Deirdre Wilson/Dan Sperber: Linguistic Form and Relevance. In: Lingua 90 (1993), S. 1–25, hier auf S. 4. 100 Deirdre Wilson/Dan Sperber: A Deflationary Account of Metaphors, S. 87. 101 Ebd. 102 Für den Aufbau der Analyse sowie für exemplarische Analysen einzelner Aussagen vgl. z. B Deirdre Wilson/Dan Sperber: Relevance Theory, S. 616–617. 103 Wilson und Sperber fassen den Verstehensvorgang knapp in zwei Etappen zusammen: „a. Follow a path of least effort in computing cognitive effects: Test interpretive hypotheses (dis-

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Der Verstehensprozess bleibt jedoch in jedem Fall sowohl durch Decodierungsprozesse inklusive Verengung und Erweiterung als auch durch Inferenzprozesse aus der kommunikativen Situation heraus bestimmt und der identifizierte Sinn einer Aussage wird in der Regel entscheidend auch durch das Verwerfen anderer möglicher Implikationen erreicht. Das Verstehen von Metaphern wird als ein Grenzfall auf einem Kontinuum von wörtlicher, hyperbolischer und metaphorischer Deutung verortet.104 Diese Einordnung greift zurück auf rhetorische Definitionen der Metapher, um diese als Strukturelement eines sprachlichen Ausdrucks zu identifizieren, zeigt aber in der Analyse, dass dieser speziellen Sprachstruktur kein charakteristischer kognitiver Verarbeitungsprozess zugrunde liegt. Vielmehr erfolgt die Verarbeitung von Metaphern über die gleichen Prozesse von Verengung und Erweiterung wie alles Sprachverstehen und der konkrete Einzelfall ist dabei fundamental durch die Einbettung einer metaphorischen Formulierung in einen situativen Kontext aber auch zum Beispiel langfristig wirksame Sprachkonventionen determiniert. Mit der Relevance Theory bleibt die Identifikation von Metaphern auf Grundlage formaler Textkriterien ein zentrales Verfahren, weil die sprachliche Form zunächst nur in einem Evidenz-Verhältnis zur konzeptuellen Ebene gesehen wird und zudem auf der kognitiv-konzeptuellen Ebene für die Metapher gar kein Spezialfall angenommen wird. Die Metapher ist damit wieder zuerst ein Phänomen der sprachlichen Form, das in einem bestimmten Kontext bestimmte kognitive Effekte zeitigen kann. Entsprechend sind auch sprachliche Strukturen und ihre Verwendungen der Ausgangspunkt bei der Begründung von systematischen Alltagsmetaphern. Die kognitive Verankerung wird hier als das vom Gebrauch hervorgerufene, nachträgliche Phänomen betrachtet, wie Wilson unterstreicht: Repeated encounters with linguistic metaphors linking two conceptual domains (e. g. the domains of marriage and voyages, or women and flowers) may lead to the setting up of systematic cross-domain correspondences of the type familiar from cognitive linguistics, so that thoughts of marriage may automatically activate aspects of our encyclopaedic information about journeys, and thoughts of women may automatically activate aspects of our encyclopaedic knowledge of flowers, just as cognitive linguists predict. These cross-domain correspondences would in turn facilitate the production and interpretation of new linguistic metaphors based on the same conceptual activation patterns, resulting in thematically-

ambiguations, reference resolutions, implicatures, etc.) in order of accessibility. b. Stop when your expectations of relevance are satisfied (or abandoned).“ (Ebd., S. 613). 104 Entscheidend ist, dass die Relevance Theory also keinen spezifischen Verarbeitungsprozess der Metapher kennt. Hier liegt ein zentraler Unterschied zu den Theorien im Anschluss an die CMT (vgl. Kap. 9.1. bis Kap. 9.4.).

Herbert Paul Grice (1913–1988) und Dan Sperber (*1942)/Deirdre Wilson (*1941) 

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related clusters of linguistic metaphors, just as cognitive linguists predict. On relevance theoryʼs account, these patterns of activation would ultimately derive from the repeated use of linguistic metaphors, and thus arise for communicative rather than purely cognitive reasons.105

In der Relevance Theory bietet sich damit eine auf kognitive Prozesse und Effekte hin orientierte Theorie, die den formalen Details sprachlicher Ausdrücke eine Bedeutung beimisst, die anderen kognitiven Ansätzen abgeht. Sprache ist hier nicht nur ein Oberflächenphänomen fundamentalerer kognitiver Prozesse, sondern in ihrer Form selbst entscheidender Faktor und Medium für die Funktion dieser Prozesse.106 In dieser Berücksichtigung der durch Gebrauch konstituierten Bedeutung sprachlicher Form liegt meines Erachtens auch die grundsätzliche Affinität der Relevance Theory zu einer Literaturwissenschaft begründet, die sich für die besondere Wirkung einzelner Formulierungen und einzelner Metaphern in bestimmten Kontexten interessiert. Die nach heuristischen Maßstäben unterschiedlichen Effekte, die bestimmte poetische und alltägliche Metaphern in der Lesewahrnehmung hervorrufen, sind mit der Relevance Theory identifizier- und beschreibbar. In beiden Fällen von Metaphorik ist das Erreichen optimaler Relevanz und damit maximaler positive cognitive effects möglich,107 jedoch in seinem Erfolg entscheidend vom kommunikativen Kontext determiniert. Dies mag als eine Reformulierung und Präzisierung einer allgemeinen literaturwissenschaftlichen Position verstanden werden, die die zentrale Variable für die Bestimmung von Literarizität im Leser verortet.108 Mit der Relevance Theory

105 Deirdre Wilson/Dan Sperber: Parallels and Differences in the Treatment of Metaphor in Relevance Theory and Cognitive Linguistics, S. 192. 106 „However, these differences in the treatment of metaphor can be traced to a more fundamental difference in the relative priority that the two approaches assign to the study of communication (as opposed to cognition). Both relevance theory and cognitive linguistics reject the Conduit metaphor (i. e. the code model of communication) as inadequate, and both advocate an inferential approach to communication. But while cognitive linguists tend to assume that understanding utterances is simply a matter of applying general-purpose cognitive and linguistic abilities to the communicative domain, relevance theorists have argued that understanding utterances involves special-purpose inferential procedures that apply only in the communicative domain.“ (Ebd.). 107 Vgl. Deirdre Wilson/Dan Sperber: A Deflationary Account of Metaphors, S. 100. 108 Vgl. hierzu die Lesesozialisations-Forschung (vgl. für eine Übersicht über Programm und Annahmen Jan Boelmann: Leseforschung. In: Methodengeschichte der Germanistik. Hrsg. von Jost Schneider. Berlin/New York: de Gruyter 2009, S. 309–321, hier auf S. 309–313) im Rahmen der empirischen Literaturwissenschaft aber auch z. T. rezeptionsästhetische Positionen (vgl. für eine Übersicht über Programm und Annahmen Hans-Edwin Friedrich: Rezeptionsästhetik/ Rezeptionstheorie. In: Methodengeschichte der Germanistik. Hrsg. von Jost Schneider. Berlin/ New York: de Gruyter 2009, S. 597–628, hier auf S. 598–609).

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 Metapher und Sprache

ließe sich formulieren, dass sowohl langfristig, beispielsweise über die literarische Sozialisation, erworbene Elemente im lexikalischen und enzyklopädischen Gedächtnis als auch der situative Kontext einer sprachlichen Formulierung in Form von direkt vorhergehenden Formulierungen, Gedanken etc. entscheidende Faktoren dafür sind, welche Aspekte einer konkreten metaphorischen Formulierung von einem Rezipienten als relevant verarbeitet werden und wie viel Energie er in das Verständnis dieser Metapher zu investieren bereit ist.109 Entscheidend ist, dass sich mit der Annahme verschieden starker und zahlreicher Implikaturen unterschiedlicher Formulierungen in der Relevance Theory überhaupt erst eine Differenzierungsmöglichkeit innerhalb der Metaphorik bietet, die auch für eine Bandbreite an Reaktionen auf Metaphern sensitiv ist. Texte stellen zweifellos andere kommunikative Bedingungen,110 als die von der Relevance Theory in erster Linie beschriebene direkte Gesprächssituation. Die besonderen Formen der kognitiven Auseinandersetzung mit literarischen Texten, zum Beispiel ihre wiederholte Lektüre oder die gezielte Erweiterung des Kontextes durch Hinzuziehen zusätzlicher Texte, stellen jedoch in meinen Augen einen Spezialfall dar, der nichtsdestotrotz mit entsprechenden Adaptionen des Verfahrens in den Erklärungsrahmen der Relevance Theory fällt. Exemplarisch für eine solche Adaption relevanztheoretischer Grundannahmen an literaturwissenschaftliche Verfahren scheint Adrian Pilkingtons Aufsatz „Poetic Effects“ zu sein, in dem er unter anderem eine knappe Beispielanalyse von Seamus Heaneys Gedicht Digging entwickelt. Pilkington identifiziert unterschiedliche Effekte der Metapher in der ersten und in der letzten Zeile des Gedichtes und führt diese zentral auf den in den dazwischen liegenden Zeilen entwickelten (Kon-)Text zurück, der zu einer stärkeren Relevanzerwartung gegenüber der letzten Metapher führt und gleichzeitig Ansatzpunkte für umfangreichere Inferenzen bietet. Die Grundannahmen der Relevance Theory werden auf diese Weise mit einem close reading Verfahren verknüpft, dessen Erkenntnisinteresse letztlich als eine

109 Vgl. für eine entsprechende Argumentation die Beispielanalyse von Adrian Pilkington: Poetic Effects. In: Lingua 87:1–2 (1992), S. 29–51 sowie David Trotter: Analysing Literary Prose. The Relevance of Relevance Theory. In: Lingua 87:1–2 (1992), S. 11–27. Die Studien von Pilkington und Trotter machen deutlich, dass eine relevanztheoretische Perspektive die Möglichkeit eröffnet, die oft intuitiv-assoziativen Zusammenhänge, auf die bspw. eine hermeneutische Interpretation zurückgreift, als solche zu thematisieren und zu diskutieren. Damit wird das hermeneutische Verfahren weder ersetzt noch kalkulierbar gemacht, aber als Verfahren selbst explizit und theoretisch fundiert reflektierbar. 110 Vgl. Ian MacKenzie: Paradigms of Reading. Relevance Theory and Deconstruction. Basingstoke/Houndmills: Palgrave MacMillan 2002, bes. S. 30 ­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­–33 und 50–55; Francisco Y. Ramos: A Decade of Relevance Theory, S. 331.

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ex post Erklärung der hermeneutischen und ästhetischen Erfahrungen der Erstlektüre beschrieben werden kann.111 Versucht man eine ähnliche Perspektive auf Walter Benjamins Text einzunehmen, so fällt besonders die Verteilung des Möwenmotives im Text auf. Bereits die prominente Positionierung der Möwen im Titel des Textabschnittes impliziert für den mit westlichen Lesekonventionen vertrauten Leser eine besondere Relevanzerwartung gegenüber dem Begriff, der in diesem Moment noch weitestgehend unterdeterminiert ist. Die folgenden Sätze legen zunächst eine Bedeutungseinengung in Richtung der Seevögel nahe. Diese Einengung wird jedoch durch die Metapher des ‚Spiels der Möwen‘ und die ab der Mitte des Textes einsetztende Metaphorik der Möwen als ‚Volk‘ und ‚Zeichen‘ konterkariert. Statt einer eindeutigen Bedeutungseinengung lassen sich hier mit der Relevance Theory zahlreiche der open arrays of interpretation aufzeigen, durch die die vielfältigen Lesarten des Textes begründbar werden. Der psychologische Reiz für den Leser lässt sich im cognitive effect der provozierten Einengung und Ausweitung des codierten Möwen-Konzeptes identifizieren, die durch den Text hindurch unabschließbar in Bewegung bleiben und auch bei einer Relektüre, aufgrund der nun veränderten Erwartungshaltung, noch Zusatzeffekte verspricht.

7.3 Harald Weinrich (*1927) Mit einem Male gab es zwei Möwenvölker, […].112

Harald Weinrichs Bildfeldtheorie113 steht im Kontext des breiteren Programms einer umfassenden Textsemantik114 und bestimmt die Metapher zunächst als

111 Vgl. entsprechend Adrian Pilkington: Poetic Effects. A Relevance Theory Perspective. Amsterdam/Philadelphia: Benjamins 2000, S. 106. 112 Harald Weinrich: Streit um Metaphern. S. 328. Anhand von Benjamins Möwen illustriert Weinrich sein Konzept der Textmetaphorik, das Kompositum ‚Möwenvölker‘ ist für ihn exemplarisch für eine Metapher, die zunächst einen niedrigen Appellwert hat, doch im Zusammenhang des Textes bedeutsam wird und Aufmerksamkeit generiert. 113 Vgl. Harald Weinrich: Münze und Wort. Untersuchungen an einem Bildfeld. In: Sprache in Texten. Stuttgart: Klett 1976, S. 276–290, hier auf S. 283. Vgl. für einen Einstieg zum Bildfeldbegriff Dietmar Peil: Zum Problem des Bildfeldbegriffs. In: Studien zur Wortfeldtheorie. Studies on Lexical Field Theory. Hrsg. von Peter Rolf Lutzeier. Tübingen: Niemeyer 1993, S. 185–202 sowie Dietmar Peil: Überlegungen zur Bildfeldtheorie. In: Beiträge zur Geschichte der deutschen Sprache und Literatur 112:2 (1990), S. 209–241. 114 Vgl. hierzu Harald Weinrich: Zur Einführung: Kommunikation, Instruktion, Text. In: Sprache in Texten. Stuttgart: Klett 1976, S. 11–20. Im Folgenden werden die Aufsätze Weinrichs nach diesem Sammelband zitiert.

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 Metapher und Sprache

„Wort in einem konterdeterminierenden Kontext“.115 Spezifische Fragestellungen, die Weinrich an die Metapher als Wort in einem konterdeterminierenden Kontext knüpft, sind die bemerkenswerte Systematik bestimmter Metaphern und Metapherngruppen,116 der unterschiedliche Grad von Erfolg, der sich für Metaphern in der Sprach- und Literaturgeschichte verzeichnen lässt,117 und schließlich die verschiedenen möglichen Reaktionen konkreter Rezipienten auf einzelne Metaphern.118 Dem textsemantischen Programm entsprechend, basiert Weinrichs Theorie einerseits auf einem semantischen Modell im Anschluss an die Wortfeldtheorie,119 welche ausgehend von bestimmten Prämissen der strukturellen Linguistik prominent von Jost Trier120 etabliert wurde. Andererseits begreift Weinrich die sprachliche Äußerung und auch den Text als kommunikativen und damit zielgerichteten Akt,121 der an konkrete situative Kontexte und Kommunikationsteilnehmer geknüpft ist und auf konkrete Effekte aufseiten des Rezipienten zielt.122

115 Harald Weinrich: Allgemeine Semantik der Metapher. In: Sprache in Texten. Stuttgart: Klett 1976, S. 317–327, hier auf S. 320. Vgl. für eine andere Position, die einen semantischen Konflikt als Charakteristikum der Metapher betrachten Beardsley Kap. 3.2. und Ricoeur Kap. 8.3. Entscheidend scheint auch, zu bemerken, dass dieses Modell im Grunde die Inversion einer Perspektive ist, die die Ähnlichkeit zwischen den Entitäten als Grundlage für die Wahl der Metapher betrachtet. Vgl. zu solchen Positionen Aristoteles Kap. 2., Quintilian Kap. 4.1. und Jakobson Kap. 7.1. Obgleich beide Perspektiven sowohl Ähnlichkeit als auch Differenzen thematisieren, unterscheiden sie sich durch die Schwerpunktsetzung. 116 Weinrich spricht von der „außerordentlich weitgehende[n] Übereinstimmung im Metapherngebrauch bei den Angehörigen eines Kulturkreises, zumal einer Epoche“ (Harald Weinrich: Münze und Wort, S. 277). Das Interesse an der Systematik der Metaphern teilt Weinrich mit den Gründungsvätern der Conceptual Metaphor Theory, erhebliche Differenzen zwischen beiden bestehen jedoch hinsichtlich der Art der untersuchten Metaphern sowie in der Begründung der Systematik. Vgl. Kap. 9.1. 117 Harald Weinrich: Münze und Wort, S. 286. 118 Vgl. Harald Weinrich: Streit um Metaphern, S. 340. 119 Als Initiationsschrift der Worftfeldtheorie kann Jost Triers Habilitation Der deutsche Wortschatz im Sinnbezirk des Verstandes (1931) angesehen werden. Grundlegende Annahme Triers ist, dass der semantische Gehalt einzelner Worte entscheidend durch ihre Verortung in einem Beziehungsnetz mit anderen Worten mit ähnlicher Bedeutung bedingt ist. Vgl. Jost Trier: Aufsätze und Vorträge zur Wortfeldtheorie. Hrsg. von Anthony van der Lee u. Oskar Reichmann. The Hague/Paris: Mouton 1973, S. 12. 120 Auch für die Struktur der Wortfelder und ihr Verhältnis zueinander ist das von Saussure beschriebene differenzielle Prinzip grundlegend. Der Vergleich von Wortfeldern mit Mosaik-Flächen macht dies deutlich. (Vgl. ebd., S. 13). 121 Vgl. hierzu Harald Weinrich: Zur Einführung: Kommunikation, Instruktion, Text, S. 11. 122 Weinrich sieht im Text als Kommunikationsbeitrag auch grundsätzlich eine bestimmte Instruktion angelegt und spricht in diesem Zusammenhang von einer Instruktionslinguistik: „Man sollte sich diese vom Sprecher bewirkte Anleitung des Verhaltens allerdings bei dem Rezipienten

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Diese pragmatischen Aspekte der weinrichschen Textsemantik schlagen sich auch in seiner Metapherntheorie nieder und deuteten damit bereits auf eine Verwandtschaft zu Paul Grice hinsichtlich der spezifischen Fragestellung mit Blick auf die Metapher123 hin. Wie Grice unterscheidet auch Weinrich zwischen zwei Ebenen von ‚Bedeutung‘, zwischen ‚bedeuten‘ und ‚meinen‘.124 Anders als bei Grice konstituiert sich die ‚Meinung‘ eines Ausdrucks oder einer Äußerung jedoch nicht durch Thesen über die Intention des Sprechers, sondern durch das Zusammentreffen von allgemeiner Determinationserwartung und konkreter Kontextdeterminierung125 in Bezug auf einen bestimmten Ausdruck. Diese beiden Mechanismen fungieren bei Weinrich als semantische Prinzipien zur Ermittlung des Gemeinten, was bei Grice im Zweifelsfall durch die Unterstellung des Kooperationsprinzips gewährleistet wird. Die Bedeutung eines Ausdrucks, so ließe sich pointieren, ist die Summe der potenziellen Meinungen, die ein Rezipient von diesem Ausdruck erwartet.126 Die Meinung eines Wortes ist dagegen die durch den Kontext determinierte konkrete Bedeutung, die ein Ausdruck zwischen anderen Ausdrücken annehmen kann.127

eines literarischen Textes nicht unbedingt als grob-materiell als Anweisung zu einem handelnd tätigen Leben vorstellen. […] Der Leser erfüllt die literarische Anweisung des Autors [in diesem Fall Max Frisch] bereits dann adäquat, wenn er nach der Lektüre dieses kleinen Textes anders über Raum und Zeit, anders über das Reisen und Fliegen, anders über Japan, anders vielleicht auch über Vietnam denkt oder nachdenkt.“ (Ebd., S. 19–20). 123 Weinrich bezieht sich zwar nicht auf Grice, jedoch setzen beide einen vergleichbaren Handlungsbegriff an den Beginn einer Diskussion der sprachlichen Kommunikation als Form des Handelns. Vgl. dazu Harald Weinrich: Um einen linguistischen Handlungsbegriff. In: Sprache in Texten. Stuttgart: Klett 1976, S. 21–44 sowie zu Grice Kap. 7.2. 124 „Die Textsemantik unterscheidet daher zwischen der Kode-Bedeutung (manchmal auch schlicht Bedeutung genannt) und der Textbedeutung (Meinung) eines Wortes.“ (Harald Weinrich: Zur Einführung: Kommunikation, Instruktion, Text, S. 13). 125 „Wir gebrauchen nämlich die Wörter der Sprache nicht in der Isolierung, sondern zusammen mit anderen Wörtern in Texten. Hier geben sich die Wörter gegenseitig Kontext und determinieren einander, d. h. sie reduzieren gegenseitig ihren Bedeutungsumfang. […] Je mehr Kontext ich hinzugebe, umso mehr Möglichkeiten fallen aus. Im Text hat daher ein Wort nicht mehr seine Bedeutung, sondern nur noch eine gegenüber seiner Bedeutung dem Umfang nach reduzierte Meinung.“ (Harald Weinrich: Allgemeine Semantik der Metapher, S. 318). 126 „Die Bedeutung eines Wortes, so wollen wir daraus ableiten, ist wesentlich eine bestimmte Determinationserwartung.“ (Ebd., S. 319). 127 „Die Textbedeutung oder Meinung der Wörter in einem Text entsteht dadurch, daß die Wörter mit ihren jeweiligen Kode-Bedeutungen einander Kontext geben und ihre Bedeutung im Hinblick auf deren Verträglichkeit oder Unverträglichkeit wechselseitig einschränken.“ (Harald Weinrich: Zur Einführung: Kommunikation, Instruktion, Text, S. 13).

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 Metapher und Sprache

Das Verstehen eines nicht-metaphorischen Satzes lässt sich damit als die Begegnung eines Rezipienten mit bestimmten Determinationserwartungen zu einem konkreten Ausdruck beschreiben, dessen kontextualisierte Meinung diesen Erwartungen zumindest in Teilen entspricht. Während die Meinung, die mit einem Ausdruck verbunden wird, also in Maßen flexibel und kontextsensitiv ist, bleibt die Bedeutung weitgehend stabil. Die naturgemäß verschiedene Vagheit oder Präzision einzelner Ausdrucksbedeutungen, operationalisierbar durch Ausdrucksintension und -extension, fasst Weinrich in der Idee der semantischen Skala: Für jedes Wort erhalten wir auf ihr zwei Werte, den invariablen, aber vagen Bedeutungswert und den variablen aber präzisen Meinungswert. […] Auch für die Metapher erhalten wir zwei Werte, den Bedeutungswert und einen von ihm abweichenden Meinungswert, der durch den Kontext bestimmt ist.128

Die Bestimmung der Metapher als Ausdruck mit differierendem Bedeutungs- und Meinungswert erscheint auf den ersten Blick wie eine Reproduktion der griceschen Implikatur; die bisher skizzierten Prämissen Weinrichs sollten jedoch die grundlegenden Unterschiede zwischen beiden Zugängen erahnbar gemacht haben. Statt die Metapher in der Differenz zwischen kommunikativer Intention eines Sprechers und Ausdrucksbedeutung zu identifizieren, verortet Weinrich sie in der Differenz zwischen einer an der langue geschulten Determinationserwartung des Rezipienten und der mit der parole, also dem Kontext des Ausdrucks kompatiblen Meinungsbestimmung. Die einzelne Metapher ist somit nicht der Effekt zwischen der Kalkulation eines per Annahme kooperativen Kommunikationsbeitrags und einem scheinbar nicht-kooperativen Ausdruck, sondern eine Abweichung auf der semantischen Skala. Das Kriterium zur Bestimmung der Metapher ist damit dem Sprachsystem immanent. Zur Erklärung der eingangs formulierten Leitfragen aus dem System der Sprache heraus entwickelt Weinrich das Modell des Bildfeldes, ein Begriff, den er in „Analogie zu dem in der Linguistik bekannten Begriff des Wortfeldes oder Bedeutungsfeldes“129 verstanden sehen will. Wie die Wortfelder als systematische Strukturen einer Sprache (langue) angenommen werden können, charakterisiert Weinrich die Bildfelder als „überindividuelle Bildwelt, als objektiven, materialen Metaphernbesitz einer Gemeinschaft“.130 Die einzelne Metapher ist damit (in der Mehrzahl der Fälle) nicht Ergebnis einer instantanen Operation mit beliebigen sprachlichen oder mentalen Entitäten, sondern eine Manifestation der in der

128 Harald Weinrich: Allgemeine Semantik der Metapher, S. 319. 129 Harald Weinrich: Münze und Wort, S. 283. 130 Ebd., S. 277.

Harald Weinrich (*1927) 

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Struktur der Sprache angelegten Bildfelder. Diese bezeichnet Weinrich wiederum als „unverwechselbare, geistige und materiale Gebilde der Sprache (langue)“.131 Die Sprache „denkt uns solche Metaphern vor und legt sie uns in den Mund“.132 Mehr Aufschluss über die Charakteristika und Funktionsweise der Bildfelder scheint die Beschreibung ihrer Entstehung zu liefern: „Denn konstitutiv für die Bildfelder ist ja, daß zwei Sinnbezirke durch einen geistigen, analogiestiftenden Akt zusammengekoppelt sind.“133 Die Wortfelder stellen also die Grundeinheiten dar, aus denen Bildfelder generiert werden können. Den Geneseprozess selbst, den geistigen, analogiestiftenden Akt, versteht Weinrich offenbar als eindeutig kognitive Leistung im Umgang mit den in der Sprache vorgefundenen semantischen Konfigurationen, den Wortfeldern. Die Analogie wird gestiftet, nicht vorgefunden. Die kognitive Operation verbindet dabei zwei präexistente, bislang unverbundene Entitäten. Eine strukturelle Ähnlichkeit zum nur vier Jahre vor dem ersten ‚Bildfeld-Aufsatz‘134 publizierten Interaktionsmodell von Max Black drängt sich hier bereits auf und lässt sich wiederkehrend vermerken.135 Ein entscheidender Unterschied sei daher schon hier festgehalten: Während die Wortfelder bei Weinrich eindeutig sprachimmanente, semantische Entitäten sind und die kognitive Operation der Bildfeldgenese auf dem (theoretischen) Fundament der langue steht, ist der Status der associated commonplaces, die bei Black die Elemente zur Konstitution von Metaphern bereitstellen, weit weniger klar. Es scheint sich jedoch eher um mentale Entitäten im Sinne von Wissensbeständen über die Welt zu handeln.136 Dem sprachlichen System kommt bei Weinrich zur

131 Ebd., S. 285. 132 Harald Weinrich: Allgemeine Semantik der Metapher, S. 326. 133 Harald Weinrich: Münze und Wort, S. 286. 134 Münze und Wort, 1958. 135 Eine grundsätzliche Ähnlichkeit zwischen Black und Weinrich lässt sich auf Ebene der Struktur feststellen, mittels derer die beiden die Metapher beschreiben: Beide betonen die zweiteilige Struktur der Metapher. Analog zu Blacks primary und subsidiary subject etabliert Weinrich die Begriffe Bildspender und Bildempfänger (vgl. Harald Weinrich: Semantik der kühnen Metapher. In: Sprache in Texten. Stuttgart: Klett 1976, S. 295–316, hier auf S. 297). Als weitere Ähnlichkeit sei genannt, dass Weinrich wie Black die Metapher in die Nähe des (wissenschaftlichen) Modells rückt: „Metaphern, zumal wenn sie in der Konsistenz von Bildfeldern auftreten, haben den Wert von (hypothetischen) Denkmodellen.“ (Harald Weinrich: Metaphora memoriae. In: Sprache in Texten. Stuttgart: Klett 1976, S. 291–294, hier auf S. 294). Bemerkenswerterweise zeugt weder Blacks noch Weinrichs Literaturverzeichnis von irgendeiner Notiz, die die beiden Zeitgenossen voneinander genommen hätten. 136 Bereits die Tatsache, dass Black die associated commonplaces als Wissen über bestimmte Gegenstände oder Sachverhalte beschreibt und als mit den Kategorien Wahrheit/Falschheit beschreibbar betrachtet, scheint diese Vermutung zu bestätigen. (Vgl. Max Black: Metaphor, S. 40).

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 Metapher und Sprache

Konstitution von Bildfeldern aus Wortfeldern und in der Folge von Metaphern eine ungleich dominantere Rolle zu als bei Black. Der kognitive Akt der Bildfeldgenese bedient sich der Sprache, ohne die in ihr vorgefundene Struktur, die Wortfelder,137 scheint die weinrichsche Theorie der Metapher undenkbar. Die associated commonplaces im blackschen Verständnis scheinen sich zwar zunächst nicht auf solche innersprachlichen konstituierten Entitäten zu beschränken, jedoch gibt es Fortentwicklungen des Konzeptes in diese Richtungen.138 Das Bildfeld kann vor dem Hintergrund der Wortfeldtheorie als eine Art konzeptueller Rahmen für einzelne Metaphern betrachtet werden:139 Im Maße, wie das Einzelwort in der Sprache keine isolierte Existenz hat, gehört auch die Einzelmetapher in den Zusammenhang ihres Bildfeldes. Sie ist eine Stelle in einem Bildfeld. In der Metapher Wortmünze ist nicht nur die Sache ‚Wort‘ mit der Sache ‚Münze‘ verbunden, sondern jeder Terminus bringt seine Nachbarn mit, das Wort den Sinnbezirk der Sprache, die Münze den Sinnbezirk des Finanzwesens.140

Das systematische Wesen der Sprache selbst und der aus ihr generierten Metaphern ist daher aus Weinrichs Perspektive verantwortlich für die Systematik, die sich für in Alltagssprache und Literatur ausgemachte, konkrete Einzelmetaphern zeigen lässt.141 Das Bildfeld als den Einzelmetaphern im Sprachsystem übergeordnete, virtuelle Struktur legt die potenzielle Verbindung zwischen einzelnen Bereichen des Sprachsystems fest, die sich in Form konkreter Einzelmetaphern aktualisiert.142 Die Bedeutung der unterliegenden Bildfeld-Struktur für die Leis-

137 Zum Verhältnis zwischen Sprachstruktur und Welt aus Sicht der Wortfeldtheorie vgl. Jost Trier: Aufsätze und Vorträge zur Wortfeldtheorie, S. 14. 138 Feilke formuliert diesen Zusammenhang direkt in Helmuth Feilke: Common sense-Kompetenz. Überlegungen zu einer Theorie des „sympathischen“ und „natürlichen“ Meinens und Verstehens. Frankfurt am Main: Suhrkamp 1994. 139 Auf die hierin angelegte Nähe zwischen der Bildfeldtheorie und der CMT weist Jäkel hin. Vgl. Olaf Jäkel: Kant, Blumenberg, Weinrich. Some Forgotten Contributions to the Cognitive Theory of Metaphor. In: Metaphor in Cognitive Linguistics. Selected Papers from the 5th International Cognitive Linguistics Conference, Amsterdam, 1997. Hrsg. von Raymond W. Gibbs Jr./Gerard J. Steen. Amsterdam/Philadelphia: Benjamins 1999, S. 9–27. 140 Harald Weinrich: Münze und Wort, S. 283. 141 Damit bietet Weinrich scheinbar eine invertierte Erklärungsstruktur im Verhältnis zur Erklärung der CMT an, bei der die Systematik aus der Sprache selbst und ihrer Struktur begründet wird. 142 „Wir dürfen daher wohl sagen, daß das Bildfeld nicht nur als objektives, soziales Gebilde im Gesamt der Sprache vorhanden ist, sondern daß es auch im einzelnen metaphorischen Sprechakt subjektiv vergegenwärtigt wird, indem es vom Sprechenden mitgemeint und vom Hörenden mitverstanden wird.“ (Ebd., S. 288).

Harald Weinrich (*1927) 

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tungsfähigkeit der metaphorischen Kommunikation bewertet Weinrich als erheblich, wenn er formuliert: Die gemeinsame Teilhabe an den durch die erlernte Sprache oder gelesene Literatur vermittelten Bildfeldern unseres Kulturkreises ist eine Bedingung zivilisierter Verständigung. Die Bildfelder sind immer unsere Bildfelder. So wird verständlich, daß unser Weltbild entscheidend von unseren Bildfeldern (mehr als von unseren Wortfeldern!) bestimmt ist.143

Dass der Wirkungskreis der Bildfelder sich, anders als der einzelner Wortfelder, über die Grenzen einzelner Sprachen hinweg auf ganze Kulturkreise erstrecken soll, lässt sich als Hinweis darauf deuten, dass die konkreten Verbindungen zwischen den, in den Einzelsprachen eines Kulturkreises durchaus sehr unterschiedlichen, Wortfeldern144 die Grenzen einer langue überwinden können. Offen bleiben muss, inwiefern dadurch nicht fraglich wird, ob die Bildfelder dann überhaupt noch streng auf der Ebene der langue der Einzelsprachen verortbar sind. Weinrich selbst verweist im Zusammenhang mit der von ihm konstatierten Tradierung und Verbreitung von Bildfeldern immer wieder auf die literarische Tradition, in der Bildfelder über die Einzelsprachen hinaus transportierbar sind und formuliert nur an einer Stelle eine These über universale Bildfelder: Bildfelder also, etwa das hier kurz skizzierte Bildfeld vom ‚geflügelten Boten‘, gehören zum semantischen Bestand der einzelnen Sprachen und sind diesen sogar häufig über die Sprachgrenzen hinweg gemeinsam, soweit es sich nämlich um die Sprachen eines mehr oder weniger geschlossenen Kulturkreises handelt. Ich will nicht einmal ausschließen, daß es auch zwischen verschiedenen Kulturkreisen überraschend ähnliche Bildfelder gibt, die dann wohl gewisse anthropologische Grunderfahrungen des ganzen Menschengeschlechtes zum Ausdruck bringen.145

Die außerordentlich vorsichtige Formulierung zu potenziellen Grunderfahrungen scheint ein schwacher Hinweis auf eine mögliche Begründung von Bildfeldern auch aus nicht-sprachlichen Erfahrungen zu sein. Auch wenn dieser Hinweis gegenüber den umfangreichen Ausführungen zum dezidiert sprachlich konstituierten Wesen der Bildfelder kaum ins Gewicht zu fallen scheint, signalisiert er dennoch eine theoretische Offenheit, die einen Anschluss an Metapherntheorien denkbar macht, die die nicht-sprachliche Erfahrung ins Zentrum rücken.146

143 Ebd. 144 Hieraus leitet Weinrich die sicherlich diskutable These ab, dass sich Metaphern leichter übersetzen lassen als nicht-metaphorische Ausdrücke. Vgl. ebd., S. 287. 145 Harald Weinrich: Streit um Metaphern, S. 335. 146 Dazu zählen neben den sog. kognitiven Metapherntheorien auch die Ausführungen Giambattista Vicos (vgl. Kap. 6.1.), Hans Blumenbergs (vgl. Kap. 8.2.), und in Teilen auch Friedrich

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Von weiteren Spekulationen in dieser Richtung sieht Weinrich jedoch ab und konzentriert sich auf eine Präzisierung der Funktionen des Bildfeldes und der Metaphern in ihnen. Wiederholt beschreibt Weinrich – der eigenen topologischen Metaphorik treu bleibend – die einzelne Metapher als Stelle in einem Bildfeld.147 Neben der räumlichen Struktur, die in Analogie zu den Wortfeldern steht, schreibt Weinrich den Bildfeldern und den Metaphern auch zeitliche Dynamik zu. An dieser zusätzlichen Dimension wird die historisch orientierte Perspektive der Bildfeldtheorie erkennbar und das Problem der lexikalisierten Metaphern integriert: Heute ist die Metapher des classicus scriptore in allen Sprachen zum Terminus erstarrt. Aber das Bildfeld der Sprache als eines Finanzwesens, das schon vorher da war, ist so lebendig wie eh und je. So beobachten wir hier das Werden und Vergehen einer Metapher innerhalb eines in größerem Rhythmus lebenden Bildfeldes. Seitdem sie zur Exmetapher verblaßt ist, hat das Bildfeld eine freie Stelle. Sie kann jederzeit neu besetzt werden.148

Das Verblassen einer einzelnen Metapher hinterlässt bei Weinrich eine Vakanz, ohne dass davon die metaphorische Produktivität des übrigen Bildfeldes betroffen wäre. Ebenso wenig bedeutet dieses Verblassen das Verschwinden einer bestimmten, ursprünglich metaphorischen Formulierung aus dem Sprachgebrauch – im Gegenteil. Das Verblassen einer Metapher ist demnachein Zeichen für den unerhörten Erfolg einer Metapher, also ihren häufigen Gebrauch; es ließe sich also auch bei Weinrich als ein Verblassen zum Begriff verstehen. Dass sich dieser Effekt damit ironischerweise auch als geradezu übermäßiger Erfolg einer Metapher beschreiben lässt, liegt an der weinrichschen Definition der guten, erfolgreichen Metapher. Diese ist – anders als bei zahlreichen anderen Autoren149 – nicht die besonders außergewöhnliche Metapher. Weinrich widerlegt zunächst ausführlich, dass sich die Güte von Metaphern anhand ihrer empfundenen Kühnheit150

Nietzsches (vgl. Kap. 8.1.). Besonders die strukturellen Übereinstimmungen der theoretischen Modelle von Weinrich und George Lakoff (vgl. Kap. 9.1.) wurden bereits von Olaf Jäkel herausgearbeitet. Vernachlässigt wird bei Jäkel jedoch meines Erachtens die theoretische Verankerung Weinrichs in der traditionellen Linguistik, sodass die strukturelle Analogie bei Jäkel nahezu wie eine Identität scheint. Vgl. Olaf Jäkel: Kant, Blumenberg, Weinrich. 147 Vgl. Harald Weinrich: Münze und Wort, S. 283. 148 Ebd., S. 282. 149 Vgl. hierzu einen Gutteil der rhetorischen Tradition (vgl. Kap. 4.2. und Kap. 4.3.), aber auch ein Teil der philosophischen Theorien (vgl. Kap. 2. oder Kap. 3.1.). 150 Als eine experimentell-empirische Operationalisierung zur Untersuchung des Phänomens der Kühnheit und seiner kognitiven Effekte lässt sich Brian F. Bowdle/Dedre Gentner: The Career of Metaphor betrachten.

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ablesen ließe151 und argumentiert dagegen für die Qualitäten der unauffälligen Metaphern: Ein Fluß und die menschliche Rede, eine Wachstafel und das Gedächtnis, eine brennende Kerze und die Wahrheit – zwischen ihnen haben wir uns jeweils fast den gesamten Baum des Porphyrios zu denken und doch sprechen wir ganz geläufig vom Redefluß, vom Gedächtniseindruck und vom Licht der Wahrheit. Keine Kühnheit ist uns dabei bewußt. Metaphern gerade dieser Art, die Stoffliches und Geistiges verbinden, sind so geläufig, daß wir uns anstrengen müssten und oft genug vergeblich, wenn wir sie vermeiden wollen. Es ist fast kühner, solche Metaphern zu vermeiden als zu verwenden.152

Den Befund der Unauffälligkeit, mit der solche Metaphern die Alltagssprache durchwirken, teilt Weinrich mit Hans Blumenberg und George Lakoff und sieht diese Verbreitung als Nachweis des Erfolgs einer Metapher an. Dieser Erfolg begründet sich theoretisch im weinrichschen Modell dadurch, dass die einzelnen Metaphern meist nicht absolut kreativ, sondern durch ein bereits vorhandenes, habitualisiertes Bildfeld gestützt sind und sich in dieses integrieren lassen. Die beliebige, isolierte Metapher ist allezeit möglich. Aber sie ist seltener als man denkt und – was wichtiger ist – sie hat gewöhnlich keinen Erfolg bei der Sprachgemeinschaft. […]. Die in einem Bildfeld integrierte Metapher hat alle Aussichten, von der Sprachgemeinschaft angenommen zu werden und die Sprachmeister wissen das.153

Das Kriterium des ‚Erfolgs bei der Sprachgemeinschaft‘ scheint charakteristisch für eine linguistische Perspektive, die den realen Sprachgebrauch im Blick hat,154 bedeutet bei Weinrich allerdings keine Beschränkung der Linguistik auf ‚Alltagssprache‘, wie der Verweis auf die ‚Sprachmeister‘ ahnen lässt.155 Während die beiden ersten Fragen, die Weinrichs Theorie behandelt – Systematik der Metaphern und ihr unterschiedlicher Erfolg – über sprachimmanente Charakteristika der Metapher und des Bildfeldes beantwortet werden, wird mit der dritten Frage die Grenze der Sprache hin zur Pragmatik geöffnet. Die möglichen Reaktionen potenzieller empirischer Rezipienten sind in Weinrichs Modell nicht nur durch immanente Charakteristika der Sprache determiniert, sondern hängen entscheidend von den linguistischen, literarischen, kulturgeschicht-

151 Vgl. Harald Weinrich: Allgemeine Semantik der Metapher, S. 302. 152 Harald Weinrich: Semantik der kühnen Metapher, S. 300. 153 Harald Weinrich: Münze und Wort, S. 286. 154 Diese teilt Weinrich mit den kognitiven Theorien. 155 Wie Jakobson (vgl. Kap. 7.1.) entwickelt auch Weinrich seine Thesen in der Regel auf der Grundlage literarischer Texte, betrachtet sie jedoch über diese Beispiele hinaus für Texte im Allgemeinen als gütlig.

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lichen und historischen Kenntnissen des Rezipienten ab, ebenso wie von seinem theoretischen Standpunkt. Die ersten beiden Punkte liegen auf der Hand, ruft man sich Weinrichs Definition der Metapher als ‚Wort in einem konterdeterminierenden Kontext‘ ins Gedächtnis. Gerade die unscheinbare Alltagsmetaphorik setzt in Weinrichs Augen ein linguistisch geschultes Auge voraus, um überhaupt bemerkt zu werden.156 Andere Metaphern sind für den einzelnen Rezipienten nur dann verständlich und als solche akzeptabel, wenn er mit dem vielleicht historisch oder kulturell entlegeneren Bildfeld vertraut ist, in das sie gehören. Schließlich fordert Weinrich für die Diskussion der sogenannten Textmetaphorik157 auch möglichst detaillierte Kenntnisse der Entstehungskontexte einzelner Texte. Diese zahlreichen möglichen Variablen auf Seiten des Rezipienten führen Weinrich zu der realistischen Feststellung, dass es um Metaphern wohl immer ‚Streit‘ geben werde, den Weinrich auf die Frage zuspitzt: „Ist das (schon, noch, überhaupt, …) eine Metapher?“158 Diese Einsicht verschließt sich oft den Theoretikern, die sich auf ‚Alltagsmetaphern‘ fokussieren und den ‚Verstehensfall‘ der Metapher als Standardsituation betrachten.159 Für Weinrichs Theorie lässt sich damit vermerken, dass sie sowohl dem empirischen Regelfall der problemlos verständlichen Alltagsmetapher als auch dem Sonderfall obskurerer literarischer Metaphorik gerecht zu werden versucht und dabei sowohl die historischen als auch die synchron-systematischen Faktoren literarischer Textgenese und -rezeption einbezieht. Die konkrete literarische Operationalisierbarkeit seiner Theorie exemplifiziert Weinrich selbst anhand der Analyse von Walter Benjamins Text Möwen. Im Detail zeigt Weinrich, wie einzelne Metaphern, wie die ‚Pendelbewegung‘ des Mastes, die ‚Möwenvölker‘, das ‚lesbare Schwingengeflecht‘ und die ‚unnennbaren Boten‘, zwar einzeln zunächst vor dem Hintergrund der Seereise-Beschreibung einen niedrigen Appellwert haben und somit nicht notwendigerweise die

156 Die Identifikation dieser Mikrometaphorik wird in Weinrichs Augen u. a. von der Sem-Analyse in den Fokus genommen, wird von ihm allerdings als insgesamt zu eingeschränkte Perspektive und Methode bewertet. Vgl. Harald Weinrich: Streit um Metaphern, S. 330–333. 157 „Text-Metaphorik soll heißen, als Ort des Metaphernereignisses den Text-in-der-Situation anzusehen. Ein Text wird in seiner Situation analysiert, wenn die (‚pragmatischen‘) Bedingungen der Kommunikation, die das Metaphernereignis möglich machen, mit analysiert werden.“ (Ebd., S. 337). 158 Ebd., S. 340. 159 Vgl. dazu besonders die Conceptual Metaphor Theory, die Neural Theory of Metaphor und Blending Theory, aber auch Relevance und Deliberate Metaphor Theory. Sie alle gehen grundsätzlich von der allgemein verstandenen und grundsätzlich recht eindeutig verstehbaren Metapher aus.

Harald Weinrich (*1927) 

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Aufmerksamkeit und die hermeneutischen Bemühungen des Lesers auf sich ziehen. Da sie jedoch gemeinsam in kurzer Abfolge hintereinander auftreten, kumulieren die Effekte der Einzelmetaphern. Diese gegenseitige Verstärkung, durch die die Aufmerksamkeit des Lesers auf die metaphorische Dimension des Textes gelenkt wird, ist mit Weinrich entscheidend darauf zurückzuführen, dass diese im Nachbarschaftsverhältnis des Bildfeldes zueinander stehen. Die Möwen als ‚Boten‘ greifen nach Weinrich ein kulturell fest verankertes Motiv auf, das ‚lesbare Schwingengeflecht‘ schließt an die mit dem Boten verknüpfte Botschaft an, die ‚Möwenvölker‘ greifen die Personifikation auf. Indem Weinrich an diesen und weiteren Beispielen die Dominanz eines bestimmten Bildfeldes im Text nachweist, begründet er, warum eine zeithistorisch-politische Lesart des Textes sich dem Leser geradezu aufdrängt und sich zumindest als Alternative neben die Lesart des Textes als reine Reisebeschreibung schiebt. In der von Weinrich vorgeschlagenen metaphorischen Lesart, sieht er/man in der konsequenten Metaphorik des Textes klare Indizien für eine literarische Verarbeitung der konkreten historischen Situation des (melancholischen) Autors Walter Benjamin und seiner Position in der politisch aufgeheizten Atmosphäre der 1920er Jahre.160 Aufschlussreich ist die Studie zu Walter Benjamins Möwen neben dem Nachweis der Operationalisierbarkeit besonders, weil in ihr drei verschiedene theoretische Modelle der Metapher, ihre Produktivität in der literarischen Analyse und Interpretation und ihr Erklärungswert für alltägliche Funktionsweisen von Metaphern in (Text-)Kommunikation konfrontiert werden. Weinrich identifiziert als mögliche theoretische Zugänge die Sem-Analyse161 und die hermeneutische Analyse, die er neben seinen eigenen Ansatz einer diskursiv verorteten Analyse stellt. In der Sem-Analyse162 sieht er einerseits einen aus linguistischer Perspektive sehr leistungsstarken Ansatz, durch den über den Aufweis von Konterdeterminationen einzelner Seme in einem Text sogar die im Alltag unbemerkten Metaphern aufgespürt werden können. Weinrich bezeichnet dies auch als Mikrometaphorik. Dieses Verfahren wird aus Weinrichs Sicht jedoch nicht jeden Rezipienten davon überzeugen, es mit Metaphern zu tun zu haben. Die Konterdetermination ist zwar mit dem entsprechend kleinteiligen und voraussetzungsreichen linguistischen

160 Vgl. ebd. 161 Die Sem- oder auch Komponenten-Analyse zerlegt sprachliche Äußerungen in ihre semantischen Merkmalskomponenten. Der Begriff des Sems als kleinste merkmaltragende Komponente geht zurück auf Algirdas Julien Greimas. (Vgl. Doris Mosbach: Semiotik. In: Methodengeschichte der Germanistik. Hrsg. von Jost Schneider. Berlin/New York: de Gruyter 2009, S. 629–660, hier auf S. 643). 162 Vgl. für eine exemplarische Analyse von ‚Mast‘ und ‚Pendel‘ Harald Weinrich: Streit um Metaphern, S. 332.

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 Metapher und Sprache

Verfahren aufzeigbar, ein signifikanter Effekt auf den empirischen Leser folgt daraus jedoch keineswegs zwangsläufig.163 Die hermeneutische Analyse identifiziert Weinrich mit einer Perspektive, die über die direkte Vergleichung einzelner Seme eines Textes auch den Text als sinnstiftende Struktur einbezieht und also die einzelnen Seme nicht paarweise abgleicht, sondern jedes Sem in ein Verhältnis zum gesamten übrigen Text setzt. Der Text als Ganzheit spielt daher in dieser Perspektive eine entscheidende Rolle, eine Ganzheit, die zu Beginn der Lektüre in erster Linie durch die Erwartungshaltung des Lesers an die Beschaffenheit dieser Ganzheit konstituiert wird. Mit dieser Perspektive wird begründbar, warum einige mit der Sem-Analyse identifizierte Metaphern nur mittels dieses methodischen Verfahrens (und der entsprechenden theoretischen Begründung der Metapher) evident scheinen, nicht aber jenseits dieses Verfahrens. Die in der Sem-Analyse identifizierten konterdeterminierten Seme werden  – so Weinrichs These  – nur dann auch bei weniger methodischem Vorgehen in der Rezeption evident, wenn sie von anderen Semen des Textes gestützt werden. Der breitere Kontext eines Sems ist mithin dafür entscheidend, ob seine konterdeterminierte Disposition im Verhältnis zu einem spezifischen anderen Sem in der Rezeption übergangen werden kann oder nicht. Das Vorhandensein mehrerer, einander in den gleichen semantischen Aspekten konterdeterminierender Seme in einem Text erhöht die Wahrscheinlich, dass die Reizschwelle zu einer evidenten Metapher überschritten wird. In der hermeneutischen Perspektive wird damit die von Weinrich sogenannte Kontextmetaphorik identifiziert.164 Gleichzeitig können die Ergebnisse einer hermeneutischen Lektüre auch als Testfall für die Metaphernfunde der Sem-Analyse gelten: Wirksamkeit entfalten die Mikro-Metaphern nur dann, wenn sie durch entsprechende Systematik innerhalb eines Texts eine so starke einheitliche Konterdetermination generieren, dass sie nicht ignoriert werden können, sondern „makro-metaphorisch verstanden werden müssen“.165 Der letzte von Weinrich vorgeschlagene Zugang erweitert die Perspektive nochmals und stellt den Text und seine (potenziellen) Metaphern gemäß seinem instruktionslinguistischen Prinzip in einen konkreten kommunikativen und damit hier historischen Entstehungskontext. Dies setzt nun wiederum einen literaturgeschichtlich und historisch erheblich bewanderten und damit statistisch wohl selteneren Leser voraus. Entsprechend vorsichtig bewertet Weinrich trotz

163 Ebd., S. 330–333. 164 Vgl. ebd., S. 333–336. 165 Ebd., S. 334.

Harald Weinrich (*1927) 

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aller Sympathie für den erweiterten Ansatz dessen Erklärungskraft als alltägliches Rezeptionsmodell. Unabhängig davon, ob man Weinrichs Einteilung und Bewertung der Zugänge als zutreffend erachtet, lassen sich aus seiner Gegenüberstellung der Ansätze grundlegende Einsichten in das Wesen der Metapherntheorien und selbst die Perspektiven der Theoriebildung gewinnen. Zunächst scheint sich hier explizit die These dieser Arbeit zu bestätigen, dass es keine voraussetzungslose Definition der Metapher gibt, die von allen Rezipienten geteilt wird und zu einer einheitlichen Identifikation textueller Metaphern führen würde. Die Identifikation und die gegebenenfalls folgende Interpretation von Metaphern basieren dagegen immer auf unterschiedlich ausgeprägten theoretischen Vorannahmen beziehungsweise ‚Vorwissen‘ über die Charakteristika einer Metapher. Schon die drei Beispiele Weinrichs machen dabei erhebliche Unterschiede in den Metapherndefinitionen, methodischen Zugängen und den so identifizierten Metaphern deutlich. Der ‚Streit‘ um die Metapher scheint vor diesem Hintergrund unvermeidlich, umso mehr, wenn man den Blick auf die enorme Zahl der jenseits der von Weinrich aufgegriffenen Ansätze zur Verfügung stehenden Theorien richtet. Gleichzeitig wird durch Weinrichs Vorgehen jedoch auch deutlich, dass die einzelnen Theorien und Verfahren das Phänomen Metapher letztlich auf verschiedenen Beschreibungsebenen beleuchten. Die Ergebnisse dieser unterschiedlichen Beschreibungsebenen müssen zwangsläufig verschieden ausfallen, schließen einander dadurch jedoch keineswegs aus. Im Gegenteil scheint erst die Zusammenschau der drei Ansätze die Interdependenz zwischen den analytisch trennbaren Beschreibungsebenen für die empirischen Funktionsweisen der Metapher zu erhellen. Indem er die Ergebnisse der Sem-Analyse und der Hermeneutik auf ihrer Beschreibungsebene anerkennt, jedoch gleichzeitig die Gültigkeit dieser Ergebnisse präzise auf diese Ebene beschränkt, kann Weinrich zeigen, dass reine Semantik beziehungsweise Hermeneutik jeweils nur einen Aspekt der Metapher erfassen können, während diese Effekte jedoch in Wahrheit interagieren. Insofern ist auch verständlich, dass Weinrich den Streit um die Metaphern nicht als problematisch, sondern eher als produktiv betrachtet. Die Beschreibung jeder Ebene produziert damit für ihren eigenen Rahmen eine gültige Antwort auf die Frage „Ist das (schon, noch, überhaupt, …) eine Metapher?“,166 die jedoch nur begrenzte Gültigkeit für andere Ebenen hat. Eine sorgfältige Analyse von Differenzen und Überschneidungen dieser Befunde scheint die einzige Möglichkeit zu sein, einerseits analytisch sauber vorzugehen und andererseits die komplexen Funktionszusammenhänge von Metaphern aufzuzeigen. Konkret von Weinrich ließe sich

166 Ebd., S. 340.

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 Metapher und Sprache

beispielsweise eine These darüber ableiten, warum bei weitem nicht alle von der Sem-Analyse identifizierten Metaphern als solche in der hermeneutischen Rezeption, also dem Versuch, dem Text einen kohärenten Sinn zu geben, als Fälle von eigentlich inkohärenter Konterdetermination auffallen. Aus Weinrichs Perspektive spielt die Disposition des Rezipienten hierfür eine entscheidende Rolle. Am Beispiel des weinrichschen Umgangs mit Metapherntheorien kann daher meines Erachtens bereits eine Perspektive für eine interdisziplinäre Theoriebildung entwickelt werden, die am Ende dieser Arbeit zur Diskussion stehen wird.

8 Metapher und Phänomen Die Metapher nicht nur als sprachliche Operation oder als ontologische Relation, sondern in erster Linie als nicht- oder vorsprachlichen Prozess der Weltzuwendung zu betrachten, lässt sich als vereinende These den Metapherntheorien Friedrich Nietzsches, Hans Blumenbergs und Paul Ricoeurs voranstellen. Im Kern stimmen die drei Autoren dabei vielen Aussagen zur Erkenntnisleistung der Metapher zu, die bereits aus dem Abschnitt Metapher und Wahrheit bekannt sind, gelangen zu diesen Aussagen jedoch auf Grundlage zum Teil sehr unterschiedlicher epistemologischer Prämissen. Statt der Abbildungskraft rückt die Produktivkraft der Metapher im Prozess der menschlichen Hinwendung zu und Auseinandersetzung mit den Phänomenen der Welt in den Fokus. Damit reden die Autoren keineswegs einem schlichten Subjektivismus das Wort, sondern insistieren auf der spätestens durch die Phänomenologie etablierten Einsicht, dass jede Beschreibung der Welt immer aus einer bestimmten Perspektive heraus erfolgt, die die Beschreibung bedingt und beschränkt. Entsprechend findet sich hier keine Rechtfertigung der Metapher über ihr Potenzial zur Gewinnung von Erkenntnissen über das Wesen der Dinge, sondern vielmehr eine Beschreibung des menschlichen Weltzugriffs als schlechthin und unvermeidlich metaphorisch. Für Friedrich Nietzsche setzt die Übertragung dabei konkret auf der Ebene einzelner Sinneseindrücke und ihrer Verarbeitung ein, Hans Blumenberg beschreibt sie als abstrahierenden Mechanismus zur Erweiterung der beschränkten sinnlichen Vermögen und Paul Ricoeur sieht in ihr in letzter Konsequenz die originäre Form kreativer Weltschöpfung.

8.1 Friedrich Nietzsche (1844–1900) Man kann sich einen Menschen denken, der ganz taub ist und nie eine Empfindung des Tones und der Musik gehabt hat: wie dieser etwa die Chladnischen Klangfiguren im Sande anstaunt, ihre Ursachen im Erzittern der Saite findet und nun darauf schwören wird, jetzt müsse er wissen, was die Menschen den Ton nennen, so geht es uns allen mit der Sprache.1

Als Friedrich Nietzsches zentraler Beitrag zur Metapherntheorie wird in der Regel der posthum veröffentliche Aufsatz „Ueber Wahrheit und Lüge im aussermora-

1 Nietzsche, Friedrich: „Ueber Wahrheit und Lüge im aussermoralischen Sinne“. Zitiert wird hier und im Folgenden nach der Digitalen Kritischen Gesamtausgabe Werke und Briefe: Friedrich Nietzsche: Nietzsche Source. Digitale Kritische Gesamtausgabe Werke und Briefe (eKGWB). Basiert auf Friedrich Nietzsche, Digitale Kritische Gesamtausgabe. Werke und Briefe, https://doi.org/10.1515/9783110585353-008

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 Metapher und Phänomen

lischen Sinne“ (WL) genannt.2 Verwandte Gedankengänge ziehen sich – wenngleich weniger konzise  – auch durch seine fragmentarischen Schriften.3 Die Radikalität, mit der Nietzsche in WL die Unzulänglichkeit der Sprache für die Erkenntnis der Welt als solcher, also einer wahren Erkenntnis, vorführt, indem er ihre intrinsische Ver- und Geschiedenheit von den Gegenständen ihrer Erkenntnis aufdeckt, mag vergessen machen, dass viele der Gedankengänge hier zwar besonders pointiert und stilistisch wirksam formuliert vorliegen, aber dennoch kein sprachphilosophisches Neuland darstellen.4 Interessant ist im vorliegenden Kontext jedoch, dass Nietzsche eben auf den Terminus Metapher zurückgreift, um dieses Problem zu beschreiben und den Terminus dabei eindeutig über seine bisherige Anwendung auf sprachliche Gegenstände und Phänomene hinaus führt. Die Metapher charakterisiert bei Nietzsche einerseits die grundsätzliche Verfasstheit der Sprache, andererseits beschreibt er mit ihr aber auch die Voraussetzungen und Prozesse, die die Entstehung und Verwendung von Sprache bedingen. Diese verortet Nietzsche in der menschlichen Physis und steht

Hrsg. von Giorgio Colli and Mazzino Montinari, Berlin/New York, de Gruyter 1967. http://www. nietzschesource.org/ (20. 03. 2017). Am Beispiel der Klangfiguren im Sand illustriert Nietzsche den zentralen Punkt seiner Metapherntheorie, die darauf insistiert, dass jede Transformation zwischen Ding, Reiz und Sinneswahrnehmung aber auch und insbesondere zwischen Wahrnehmung und Sprache oder anderen Medialisierungen immer schon im Kern metaphorisch ist. 2 Vgl. hierzu z. B. Klaus Müller-Richter/Arturo Larcati: „Kampf der Metapher!“, S. 215–236. 3 Die umfassendste Studie zur Metapher bei Nietzsche ist wohl nach wie vor von Sarah Kofman: Nietzsche und die Metapher. Berlin: Wolff 2015. Die methodischen Probleme der Arbeit an Texten und Fragmenten von Nietzsches unterschiedlichen Schaffensperioden finden sich bei Gerold Ungeheuer: Nietzsche über Sprache und Sprechen, über Wahrheit und Traum. In: Nietzsche-Studien 12:1 (1983), S. 134–213, hier auf S. 138–140 skizziert. Besonders zu berücksichtigen scheint für den vorliegenden Fall das Problem der „Nietzsche-Semantik“, das vor allem dann virulent wird, wenn Nietzsches Formulierungen mit denen anderer Theorien in Zusammenhang gebracht werden sollen. Die Möglichkeiten einer spezifischen Semantik von Termini wie ‚unbewusst‘, ‚Reiz‘, ‚Trieb‘ und deren konkrete Bedeutungsrahmen müssen hier vor einer schnellen Gleichsetzung mit Termini der gegenwärtigen kognitiven Theorien ausgelotet werden. 4 Für umfangreiche Studien zu Quellen von und Einflüssen auf Nietzsches Sprachphilosophie vgl. Claudia Crawford: The beginnings of Nietzsche’s theory of language. Berlin/New York: de Gruyter 1988. Neben Schopenhauer sind nach Crawford Eduard von Hartmann, Kant und Friedrich A. Lang zentrale Quellen für Nietzsches Sprachphilosophie. Konkret mit Blick auf den Aufsatz „Ueber Wahrheit und Lüge im aussermoralischen Sinne“ wird als zentrale Quelle Gustav Gerbers Sprache als Kunst angenommen. (Vgl. Anthonie Meijers/Martin Stingelin: Konkordanz zu den wörtlichen Abschriften und Übernahmen von Beispielen und Zitaten aus Gustav Gerber. Die Sprache als Kunst (Bromberg 1871) in Nietzsches Rhetorik-Vorlesung und in ‚Über Wahrheit und Lüge im außermoralischen Sinne‘. In: Nietzsche-Studien 17 (1988), S. 369–390, hier auf S. 369–390).

Friedrich Nietzsche (1844–1900) 

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damit in einer Tradition prä-strukturalistischer Bedeutungslehre5 und scheint gleichzeitig zentralen Thesen kognitiver Metapherntheorien vorzugreifen. Mit beiden Positionen teilt er Annahmen über die unbewussten, nicht-introspektierbaren Prozesse als zentralen Bausteinen menschlichen Bewusstseins, menschlicher Sprachverwendung und Erkenntnis. Gleichzeitig wird Nietzsches Position jedoch durch seine grundlegende Skepsis und seine ästhetischen Implikationen entscheidend abgegrenzt.6 Anders als bei Aristoteles und Max Black wird durch die Metapher keine Erkenntnis über die Dinge oder Sachverhalte an sich erwartet, vielmehr steht die Phänomenalität des Metaphorischen selbst im Zentrum. Nietzsches Metapherntheorie, das soll im folgenden Abschnitt gezeigt werden, kann daher als frühe Variante einer ebenso naturwissenschaftlich informierten7 wie naturwissenschaftskritischen Position betrachtet werden, wobei die Produktivität auch mit Blick auf die zu diskutierende Adaption empirischer Erkenntnisse der Kognitionswissenschaften in der gegenwärtigen Theorieentwicklung als exemplarisch gelten kann. Gleichzeitig wird an Nietzsches Position besonders deutlich, dass ein solcher Umgang mit dem Terminus Metapher zwangsläufig verschiedenste Ebenen und Prozesse unter dem Begriff subsumiert,8 wodurch seine analytische Schärfe an ihre Grenze gerät. Zunächst soll es daher darum gehen, das Anwendungsspektrum zwischen Reiz und Begriff auszuloten, in dem sich Nietzsches Begriff der Metapher bewegt. Der jeweilige Ort und die Charakteristik der Metapher werden im Folgenden zu erörtern sein, bevor die Frage nach dem ästhetisch-schöpferischen Moment in Nietzsches Metapherntheorie geklärt werden kann.

5 Vgl. Benedetta Zavatta: Nietzschean Linguistics. In: Nietzsche-Studien 42:1 (2013), S. 21–43, hier auf S. 23–24. Zavatta nennt hier als Vertreter der prästrukturalistischen Bedeutungslehre in Deutschland Christian Karl Reisig, Friedrich Haase und Karl Ferdinand Heerdegen, weist aber darauf hin, dass eine umfassende Erforschung ihrer Beiträge in diesem Zusammenhang noch aussteht. 6 Vgl. hierzu Günter Abel: Logik und Ästhetik. In: Nietzsche-Studien 16:1 (1987), S. 112–148, hier auf S. 118–120. 7 Vgl. Aldo Venturelli: Kunst, Wissenschaft und Geschichte bei Nietzsche. Quellenkritische Untersuchungen. Berlin/New York: de Gruyter 2008, S. 49–84. 8 Slobodan Žunjić unterscheidet drei grundlegend verschiedene Verwendungen des Metaphernbegriffs bei Nietzsche: 1. die Metapher als sprachliche Trope im Sinne der klassischen Rhetorik, 2. im Sinne eines stellvertretenden Bildes, das für einen sinnlichen Eindruck steht und 3. im Sinne einer Metapher dieser zweiten Metapher, also als Begriff, der sich auf Grundlage des stellvertretenden Bildes bildet. (Vgl. Slobodan Žunjić: Begrifflichkeit und Metapher. Einige Bemerkungen zu Nietzsches Kritik der philosophischen Sprache. In: Nietzsche-Studien 16:1 (1987), S. 149–163, hier auf S. 154). Im Folgenden werden insbesondere die zweiten Formen der Metaphorik im Fokus stehen.

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 Metapher und Phänomen

Schon in WL wird deutlich, wie weit Nietzsche bereit ist, den Metaphernbegriff zu dehnen, um alles das zu fassen, was in seinen Augen die menschliche Erkenntnis von den wahren Dingen trennt und sie somit indirekt, uneigentlich und unwahr macht. „Ein Nervenreiz zuerst übertragen in ein Bild! erste Metapher. Das Bild wieder nachgeformt in einen Laut! Zweite Metapher. Und jedesmal vollständiges Ueberspringen der Sphäre, mitten hinein in eine ganz andere und neue.“9 Deutlich werden hier bereits zwei Übertragungsetappen: die Übertragung eines physiologischen Reizes in ein Vorstellungsbild oder eine Repräsentation sowie in zweiter Übertragung die Verbindung dieser Repräsentation mit einem sprachlichen Ausdruck. Beide Etappen sind entscheidend charakterisiert durch das ‚Überspringen der Sphäre‘ – die rein linguistische Metapher im Sinne einer Vertauschung von Bezeichnungen scheint an dieser Stelle nebensächlich.10 Während die erste Etappe vollständig im Rahmen einer individuellen Physis erfolgt und deren Vollzug unkommunizierbar bleibt, erfolgt erst mit der Metapher zweiter Ordnung11 eine symbolische Abstraktion,12 die die Metaphern kommunizierbar macht. Beide Schritte, die als Procedere der Begriffsbildung vertraut scheinen,13 werden von Nietzsche als Metaphern charakterisiert. Ein zentrales Anliegen von WL kann eben darin gesehen werden, gerade diese Etappen der Begriffsbildung als metaphorische Prozesse zu offenbaren. Der Text konzentriert sich mithin zunächst auf die Metaphern zweiter Ordnung. Dies geschieht, indem die Funktionsweise und Leistungsfähigkeit der Begriffe hinsichtlich ihrer Fähigkeit, wahre Erkenntnis über die Gegebenheiten der Welt zu enthalten und zu kommunizieren, kritisch befragt werden.

9 Friedrich Nietzsche: Ueber Wahrheit und Lüge im aussermoralischen Sinne. 10 Benedetta Zavatta zeigt an Nietzsches Einlassungen zur antiken Rhetorik, dass die klassisch definierten Tropen sich von den hier beschriebenen Phänomenen vor allem dadurch unterscheiden, dass sie bewusst eingesetzt werden. (Vgl. Benedetta Zavatta: Nietzschean Linguistics, S. 26–27). Der zentrale Unterschied zwischen bewusstem und unbewusstem Einsatz wird später zu diskutieren sein, wenn die ästhetischen Implikationen aus Nietzsches Metaphernkonzept gezogen werden sollen. 11 Vgl. dazu auch Slobodan Žunjić: Begrifflichkeit und Metapher, S. 154. 12 Dass die Sprache hierbei nur eine mögliche symbolische Form und Ordnung ist, die die Abstraktion annehmen kann, lassen die Illustrationen Nietzsches, die chladnische Skulptur und der Maler ohne Hände erahnen. Vgl. Sarah Kofman: Nietzsche und die Metapher, S. 65–67. 13 Für Aristoteles ist die Übertragung der ‚Widerfahrnisse der Seele‘ in Symbole der entscheidende Mechanismus der Begriffsbildung. Garant für die Funktionalität dieses Mechanismus ist für Aristoteles die Tatsache, dass diese Widerfahrnisse für alle Menschen gleich sind, nur die Symbole sich unterscheiden. (Vgl. Aristoteles: Peri hermeneias, 16 a 1–9). Hier liegt der entscheidende Unterschied zu Nietzsche, der die persönliche Erfahrung als irreduzibel individuell und grundsätzlich nicht direkt vergleichbar ansieht.

Friedrich Nietzsche (1844–1900) 

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Denken wir besonders noch an die Bildung der Begriffe: jedes Wort wird sofort dadurch Begriff, dass es eben nicht für das einmalige ganz und gar individualisirte Urerlebniss, dem es sein Entstehen verdankt, etwa als Erinnerung dienen soll, sondern zugleich für zahllose, mehr oder weniger ähnliche, d. h. streng genommen niemals gleiche, also auf lauter ungleiche Fälle passen muss. Jeder Begriff entsteht durch Gleichsetzen des Nicht-Gleichen.14

Das Subsumieren verschiedener Repräsentationen oder Urerlebnisse unter das vereinheitlichende Schema der begrifflichen Sprache erfolgt mit Nietzsche als das Gleichsetzen des Ungleichen. Die Erkenntnis des Gleichen im Ungleichen – seit Aristoteles bekannt als das Prinzip kunstvoller Metaphernbildung15  – wird bei Nietzsche als Grundprinzip der Begriffssprache erkannt. In der Konsequenz entfaltet sich Nietzsches tiefe Skepsis gegenüber der Erkenntnisleistung der begrifflichen Sprache in seiner vielleicht bekanntesten Formulierung zur Metapher: Was ist also Wahrheit? Ein bewegliches Heer von Metaphern, Metonymien, Anthropomorphismen kurz eine Summe von menschlichen Relationen, die, poetisch und rhetorisch gesteigert, übertragen, geschmückt wurden, und die nach langem Gebrauche einem Volke fest, canonisch und verbindlich dünken: die Wahrheiten sind Illusionen, von denen man vergessen hat, dass sie welche sind, Metaphern, die abgenutzt und sinnlich kraftlos geworden sind, Münzen, die ihr Bild verloren haben und nun als Metall, nicht mehr als Münzen in Betracht kommen.16

Das scheinbar vernichtende Urteil, das Nietzsche über die begriffliche Sprache als gewohnheitsmäßige Illusion fällt, und die negativen Charakteristika, die der Begriff gegenüber der Metapher trägt (‚abgenutzt‘, ‚kraftlos‘), darf nicht über die enorme Macht hinwegtäuschen, die die Begriffe in Nietzsches Modell haben. Die Begriffe, auch wenn sie nicht mehr wahrer Ausdruck des Wesens der Dinge sind, sind nichtsdestotrotz „[j]enes ungeheure Gebälk und Bretterwerk […], an das sich klammernd der bedürftige Mensch sich durch das Leben rettet“.17 Begriffliche Sprache versteht sich hier nur nicht mehr als Instrument zur Wahrheitsfindung,

14 Friedrich Nietzsche: Ueber Wahrheit und Lüge im aussermoralischen Sinne. 15 Vgl. Kap. 2. zu Aristoteles. Bei Nietzsche findet sich in den Fragmenten eine ähnliche Definition der Metapher: „Metapher heißt etwas als gleich behandeln, was man in einem Punkte als ähnlich erkannt hat.“ (Friedrich Nietzsche: Nachgelassene Fragmente 1872. Gruppe 19. http:// www.nietzschesource.org/ (20. 03. 2017), F 249). 16 Friedrich Nietzsche: Ueber Wahrheit und Lüge im aussermoralischen Sinne. 17 Ebd. In der Metapher vom ‚lebenssichernden Bretterwerk der Sprache‘ radikalisiert Nietzsche einen Punkt, der bei Aristoteles und Max Black zumindest angelegt ist: Die doxa bzw. die

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 Metapher und Phänomen

sondern als existenzielles Muster zur Alltags- und Lebensbewältigung.18 Die Täuschung, die der Mensch durch die ordnende, angleichende Macht der Begriffe erschafft, ist ihm nicht bedrohlich, sondern hat überlebenssichernde Effekte: Nur durch das Vergessen jener primitiven Metapherwelt, nur durch das Hart- und StarrWerden einer ursprünglich in hitziger Flüssigkeit aus dem Urvermögen menschlicher Phantasie hervorströmenden Bildermasse, nur durch den unbesiegbaren Glauben, d i es e Sonne, dieses Fenster, di e s e r Tisch sei eine Wahrheit an sich, kurz nur dadurch, dass der Mensch sich als Subjekt und zwar als kü n s t l e r i s ch s ch a f f e n d e s Subjekt vergisst, lebt er mit einiger Ruhe, Sicherheit und Consequenz; wenn er einen Augenblick nur aus den Gefängnisswänden dieses Glaubens heraus könnte, so wäre es sofort mit seinem „Selbstbewusstsein“ vorbei.19

Der Preis für die Sicherheit ist die Kreativität. Ruhe und Konsequenz der Existenz stellen sich nur um den Preis des Vergessens der eigenen produktiven Funktion für die Konstitution dieser Existenz ein.20 Die beiden Pole, die begriffliche Kühle der starr gewordenen Metaphern, die in ihrer Verhärtung wie unverrückbare Tatsachen scheinen, und die undifferenzierte, fluide Hitze als Biotop der Metapher, folgen in ihrer Struktur der nietzscheschen Unterscheidung apollinisch-dionysisch.21 Ähnlich wie das dionysische und das apollinische Prinzip sind auch lebendige Metapher und erstarrter Begriff aufeinander angewiesen.22 Diese Angewiesenheit lässt sich einerseits systematisch aus dem Denkmodell heraus begründen.23 Auf der anderen Seite lassen sich auch jenseits von WL in

systems of associated commonplaces sind keineswegs zu eliminierende Lügen, die ihre schädliche Funktion in der metaphorischen Konstellation offenbaren, sondern vielmehr alltagspraktische Orientierungspunkte und Kommunikationsmuster, die weniger auf eine wahrheitsgemäße Abbildung der Wirklichkeit abzielen, sondern vielmehr zur Schaffung einer intersubjektiven, konventionellen und konsensuellen Kommunikationsbasis dienen. 18 Wie bei Nietzsche ist die Metapher auch bei Hans Blumenberg (vgl. Kap. 8.2.), Paul Ricoeur (vgl. Kap. 8.3.), George Lakoff und Joseph Grady (vgl. Kap. 9.1. und Kap. 9.2.), bei Zoltàn Kövecses (vgl. Kap. 9.4.) und Mark Turner (vgl. Kap. 9.5.) eine zentrale lebensweltliche Orientierungshilfe, ohne dabei auf Wahrheit im strengen Sinne festgelegt zu sein. 19 Friedrich Nietzsche: Ueber Wahrheit und Lüge im aussermoralischen Sinne. 20 Vgl. hierzu Sarah Kofman, die den Prozess der begrifflichen ‚Sicherung‘ der durch nachträgliche Rationalisierung metaphorisch motivierten Begriffe umfassend erläutert. Sarah Kofman: Nietzsche und die Metapher, S. 59–64. 21 Vgl. hierzu z. B. Klaus Müller-Richter/Arturo Larcati: „Kampf der Metapher!“, S. 215–236. 22 Vgl. zum Begriffspaar apollinisch-dionysisch das entsprechende Lemma im Nietzsche-Handbuch von Christian Schüle: Appolinisch-dionysisch. In: Nietzsche-Handbuch. Hrsg. von Henning Ottmann. Stuttgart/Weimar: Metzler 2000, S. 187–190. 23 Zur Angewiesenheit von Begriff und Metapher aufeinander vgl. Slobodan Žunjić: Begrifflichkeit und Metapher, S. 156.

Friedrich Nietzsche (1844–1900) 

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Nietzsches Werk Passagen mit Bezug zur Metapher finden, in denen er sich vor allem mit ihrer physiologischen Fundierung auseinandersetzt und die darauf hindeuten, dass ein physiologisches Verständnis metaphorischer Prozesse bei Nietzsche wiederum ein Bewusstsein für die notwendigen Wechselwirkungen der fluiden Urmetaphorik und der Metapher zweiter Ordnung, dem starren Begriff als kommunizierbarem Ordnungsmittel erzeugt. Die Formulierung vom ‚Nervenreiz übertragen in ein Bild‘, die in WL noch der einzige Hinweis auf diese physiologische Dimension der Metaphorik ist, findet ergänzende Überlegungen vor allem in den Fragmenten. Sie stehen damit zumindest im zeitlichen Zusammenhang mit Überlegungen zum Status des Bewusstseins, die in der jüngeren Forschung mit bestimmten neurowissenschaftlichen Konzepten des Bewusstseins verglichen worden sind.24 Als ein grober Übereinstimmungspunkt zwischen beiden kann gelten, dass sie das Bewusstsein als eher ephemeres Produkt verschiedenster organischer Aktivitäten einstufen. Nietzsche formuliert dazu in einem Fragment unter den Stichworten ‚Moral und Physiologie‘:25 Wir halten es für eine Voreiligkeit, daß gerade das menschliche Bewußtsein so lange als die höchste Stufe der organischen Entwickelung und als das Erstaunlichste aller irdischen Dinge, ja gleichsam als deren Blüthe und „Ziel“ angesehen wurde. Das Erstaunlichere ist vielmehr der Leib: man kann es nicht zu Ende bewundern, wie der menschliche Leib möglich geworden ist: wie eine solche ungeheure Vereinigung von lebenden Wesen, jedes abhängig und unterthänig und doch in gewissem Sinne wiederum befehlend und aus eignem Willen handelnd, als Ganzes leben, wachsen und eine Zeit lang bestehen kann – : und dieß geschieht ersichtlich nicht durch das Bewußtsein! […] Es giebt also im Menschen so viele „Bewußtseins“ als es Wesen giebt, in jedem Augenblicke seines Daseins, die seinen Leib constituiren. Das Auszeichnende an dem gewöhnlich als einzig gedachten „Bewußtsein“, am Intellecte, ist gerade, daß er vor dem unzählig Vielfachen in den Erlebnissen dieser vielen Bewußtseins geschützt und abgeschlossen bleibt und, als ein Bewußtsein höheren Ranges, als eine regierende Vielheit und Aristokratie, nur eine Auswahl von Erlebnissen vorgelegt bekommt, dazu noch lauter vereinfachte, übersichtlich und faßlich gemachte, also gefälschte Erlebnisse, — damit er seinerseits in diesem Vereinfachen und Übersichtlichmachen, also Fälschen fortfahre und das vorbereite, was man gemeinhin „einen Willen“ nennt, — jeder solche Willensakt setzt gleichsam die Ernennung eines Diktators voraus.26

24 Vgl. z. B. den Aufsatz von Günter Abel: Consciousness, Language, and Nature. Nietzsche’s Philosophy of Mind and Nature. In: Nietzsche on Mind and Nature. Hrsg. von Manuel Dries/Peter J. E. Kail. Oxford: Oxford University Press 2015, S. 37–56. 25 Das Fragment ist ca. zwei Seiten lang, eine relativ lange Passage musste hier ausgelassen werden, in der Nietzsche den Körper als eine komplexe Organisation verschiedener Wesen beschreibt, denen er auch je ein eigenes Bewusstsein zuschreibt. 26 Friedrich Nietzsche: Nachgelassene Fragmente 1885. Gruppe 37. http://www.nietzschesource.org/ (20. 03. 2017), F 4.

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Das introspektierbare, phänomenale und qualitative Bewusstsein, wie es die heutige Philosophy of Mind27 nennen würde, ist in dieser späten Einlassung Nietzsches nur das Endprodukt einer Kette von Übertragungen und Transferprozessen zwischen den verschiedenen Wesen innerhalb des menschlichen Körpers. Der Schritt von der Wahrnehmung eines Reizes zu einer bewussten Vorstellung des Wahrgenommenen ist hier schon als ein Schritt der Abstraktion und Verallgemeinerung beschrieben, wie er in WL als charakteristisch für die Metapher gefasst wurde. Die ersten Abstraktionen, Vereinfachungen und Metaphern erfolgen in dieser Lesart bereits in der Übertragung von Nervenreizen unterhalb des personalen Bewusstseins. Was das Bewusstsein erreicht, ist bereits durch vielfältige Vorgänge gefiltert und geformt. Die Metapher ist mithin nicht erst ein Effekt der existierenden Sprache, sondern bereits die in unseren Bewusstseinsstrukturen angelegte, normierende Vorbedingung für die Entwicklung sprachlicher Symbole. Die Plattform des Bewusstseins ist damit nur eine Oberfläche für die Formierung erster Zeichen, erster innerer Bilder, die relationierbar und gegeneinander austauschbar sind und damit die Grundlage für Kommunikation schaffen.28 Die reduktiven und selektiven Prozesse jedoch, die zur Formierung dieser Bilder notwendig sind, verortet Nietzsche unterhalb der Bewusstseinsebene. Das

27 Vgl. für eine basale Definition dieser Bewusstseinsform in Abgrenzung zu z. B. nicht-bewussten, nicht-introspektierbaren kognitiven Prozessen Robert van Gulick: What would count as explaining consciousness. In: Conscious experience. Hrsg. von Thomas Metzinger. Thorverton: Imprint Academic 1995, S. 61–81, hier auf S. 62–65. Für das Problem der explanatorischen Lücke zwischen einer reinen Erklärung physiologischer Funktionen und dem phänomenalen Bewusstsein, die auch die zeitgenössischen Neurowissenschaften und die Philosophie noch nicht überbrückt haben, vgl. David J. Chalmers: The character of consciousness. Oxford/New York: Oxford University Press 2010, S. 1–19, bes. S. 8. Bemerkenswerterweise entspricht Nietzsches, für seine Zeit revolutionäre, Beschreibung der nicht-introspektierbaren Reizverarbeitung, die er als unzugängliche Hintergrundprozesse des Bewusstseins versteht, weitestgehend den Prozessen, die auch die gegenwärtige Neurobiologie im Zusammenhang mit dem Bewusstseinsproblem erforscht und die als funktionale Erklärungen auch Eingang in die gegenwärtige philosophische Debatte gefunden haben. 28 „Unsre Handlungen sind im Grunde allesammt auf eine unvergleichliche Weise persönlich, einzig, unbegrenzt-individuell, es ist kein Zweifel; aber sobald wir sie in’s Bewusstsein übersetzen, scheinen si e es n i ch t m e h r … Diess ist der eigentliche Phänomenalismus und Perspektivismus, wie ich ihn verstehe: die Natur des t h i e r i s ch e n B e w u s s t s e i ns bringt es mit sich, das die Welt, deren wir bewusst werden können, nur eine Oberflächen- und Zeichenwelt ist, eine verallgemeinerte, eine vergemeinerte Welt, — dass Alles, was bewusst wird, ebendamit flach, dünn, relativ-dumm, generell, Zeichen, Heerden-Merkzeichen w i rd , dass mit allem Bewusstwerden eine grosse gründliche Verderbniss, Fälschung, Veroberflächlichung und Generalisation verbunden ist.“ (Friedrich Nietzsche: Die fröhliche Wissenschaft. http://www.nietzschesource.org/ (20. 03. 2017), 354).

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häufigste Beispiel, an dem Nietzsche seine Überlegungen zu diesen Prozessen entfaltet, ist, wie in der ganzen Theorietradition, das Auge. Dieses zentrale Wahrnehmungsorgan ist einerseits Bedingung der Möglichkeit direkter Wahrnehmung und gleichzeitig durch einen, erst im Lauf der persönlichen Entwicklung sich verfestigenden Habitus trainiertes, bereits filterndes und formierendes Organ, das „nur sehen kann, wozu es sich geübt hat“.29 Ich vermuthe, daß wir nur sehen, was wir kennen; unser Auge ist in der Handhabung zahlloser Formen fortwährend in Übung:  — der größte Theil des Bildes ist nicht Sinneneindruck, sondern Phantasie-Erzeugniß. Es werden nur kleine Anlässe und Motive aus den Sinnen genommen und dies wird dann ausgedichtet.30

Die distinkten Formen, und daran lässt Nietzsche schon in WL keinen Zweifel, sind nicht Charakteristika der Dinge der Welt,31 sondern werden von den Verarbeitungs- und Übertragungsmechanismen des Organs selbst erst geschaffen. Zur Beschreibung dieser verborgenen Prozesse unterhalb der Bewusstseinsebene greift Nietzsche zunächst, wenn auch mit Skepsis, den Begriff der ‚unbewussten Schlüsse‘ auf, den er wahrscheinlich aus Eduard von Hartmanns Philosophie des Unbewußten entnimmt32 und der die automatischen, unbewussten und nichtsteuerbaren Prozesse der Verarbeitung von Sinnesdaten zu einer repräsentationsfähigen Wahrnehmung beschreibt. „Die unbewußten S c h lü s s e erregen mein Bedenken: es wird wohl jenes Übergehn von B i l d zu B i l d sein: das letzterreichte Bild wirkt dann als Reiz und Motiv. Das unbewußte Denken muß sich ohne Begriffe vollziehn: also in A n s ch auu nge n .“33 In dem kurzen Fragment drängen sich konfligierende Schlüsselbegriffe wie auf der einen Seite ‚Schluss‘ und ‚Denken‘, die in der Regel dem bewusst-rationalen Verstand zugeschrieben

29 Friedrich Nietzsche: Nachgelassene Fragmente 1880. Gruppe 6. http://www.nietzschesource.org/ (20. 03. 2017), 401. 30 Friedrich Nietzsche: Nachgelassene Fragmente 1881. Gruppe 11. http://www.nietzschesource.org/ (20. 03. 2017), 13. Nietzsches Vermutung deckt sich bemerkenswert mit den empirischen Ergebnissen der Wahrnehmungspsychologie, die die Selektivität der optischen Wahrnehmung bestätigen. 31 „Das Wort Erscheinung enthält viele Verführungen, weshalb ich es möglichst vermeide: denn es ist nicht wahr, dass das Wesen der Dinge in der empirischen Welt erscheint.“ Friedrich Nietzsche: Ueber Wahrheit und Lüge im aussermoralischen Sinne. 32 Ursprünglich geprägt hat den Begriff Hermann von Helmholtz in seinem Handbuch der physiologischen Optik. Vgl. zu den Details des Einflusses der helmholtzschen Theorie auf Nietzsche Sören Reuter: Reiz – Bild – unbewusste Anschauung. Nietzsches Auseinandersetzung mit Hermann Helmholtz’ Theorie der unbewussten Schlüsse in ‚Über Wahrheit und Lüge im aussermoralischen Sinne‘. In: Nietzsche-Studien:33 (2004), S. 351–372. 33 Friedrich Nietzsche: Nachgelassene Fragmente 1872, F 107.

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werden, und auf der anderen Seite ‚Reiz‘ und ‚Bild‘, die eher der prä-rationalen Wahrnehmung zuzugehören scheinen. Sinn dieses gemeinsamen Aufbringens scheint der Versuch zu sein, eben die eigene Logik der prä-rationalen Verarbeitungsstrukturen der menschlichen Wahrnehmung zu beschreiben, die letztlich erst zu ‚Anschauungen‘ führt. Doch scheint die Formulierung des ‚unbewussten Schlusses‘ für Nietzsche nicht völlig befriedigend, findet sich doch in einer späteren Notiz desselben Jahres 1872 die Einsicht: „Tropen sind’s, nicht unbewußte Schlüsse, auf denen unsre Sinneswahrnehmungen beruhn. Ähnliches mit Ähnlichem identificiren  — irgendwelche Ähnlichkeit an einem und einem andern Ding ausfindig machen ist der Urprozeß.“34 Damit wird das Prinzip der Metapher, das Ausfindigmachen von Ähnlichkeiten, von Nietzsche schon für die erste Reaktion auf Umweltreize, die Verarbeitung von Sinnesdaten, zum Grundprinzip erklärt.35 Die Metapher als Modus des Denkens und eben auch vorbewusster, nicht-introspektierbarer Prozesse, deren ganze Macht Nietzsche bereits zu ahnen scheint, liegt in diesen Notizen in nuce vor. Die Wahrnehmungsbedingungen der Organe als bereits dem Prinzip der Metapher entsprechende, konstituierende Grundlage der zutiefst metaphorischen menschlichen Kognition lassen Nietzsche in eine Traditionslinie mit der CMT und ihren Folgetheorien rücken, deren Thesen er zum Teil in verblüffender Präzision vorwegnimmt.36 Das Tastgefühl, und zugleich das Gesichtsbild geben zwei Empfindungen nebeneinander empirisch, diese, weil sie immer mit einander erscheinen, erwecken die Vorstellung eines Zusammenhangs (durch Metapher  — denn nicht alles Miteinander-Erscheinende hängt zusammen).37

34 Ebd., F 217. Eine Engführung zwischen Metapher und Schluss findet sich auch bei Aristoteles, der die Verknüpfung von Enthymem und Metapher als besonders wirkungsvoll hervorhebt: „Solcherlei Enthymeme finden Gefallen bezüglich der Absicht des Gesagten, hinsichtlich des Stils aber auf Grund ihrer besonders figurierten Darstellung,  […]. Ferner finden sie durch die Worte selbst Gefallen, wenn sie eine Metapher bilden, freilich weder eine fremdartige – die ist schwer zu verstehen – noch eine wenig tiefgründige, die löst nämlich keinerlei Empfindung aus. Schließlich dadurch, daß man etwas vor Augen führt.“ (Aristoteles: Rhetorik, 1410 b 25–30). Bei Aristoteles wird diese Verbindung jedoch als besonderes rhetorisches Verfahren diskutiert, als Argument in idealer sprachlicher Form und nicht als ein unhintergehbarer Mechanismus des Weltbezuges. 35 Damit verschiebt sich der Status dieser Fähigkeit im Verhältnis zu ihrem Stellenwert in Aristotelesʼ und Max Blacks Theorie erheblich. Dort Ausdruck des philosophischen, rhetorischen oder poetischen Genies, ist es hier unhintergehbare Grundlage aller menschlichen Bezugnahme auf die Welt. 36 Vgl. Kap. 9.1. zur Conceptual Metaphor Theory. 37 Friedrich Nietzsche: Nachgelassene Fragmente 1872, F 217.

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Dies ließe sich als ein Vorgriff auf Joseph Gradys theoretische Begründung der primary metaphors lesen, die ausgehend von regelmäßiger Kookkurrenz zweier Wahrnehmungsdaten diese Verbindung als langfristig stabile kognitive Verknüpfung speichern und damit die Grundlage für die metaphorische Kognition der Conceptual Metaphor Theory (CMT) bilden. Die nichtsdestotrotz fundamentalen Unterschiede zwischen Nietzsche und heutigen kognitiven Theorien liegen vor allem im epistemologischen Anspruch und der daraus folgenden Methodik. Bereits eingangs wurde auf die grundlegende Schwierigkeit hingewiesen, angesichts der nietzscheschen Skepsis oder zumindest seines Perspektivismus-Paradigmas38 eindeutig-positive Aussagen aus seinen Schriften zu kondensieren. Zu oft wartet der Widerspruch schon in der nächsten Zeile und auch die bisher zitierten Hypothesen werden in ihrer Aussagekraft relativiert: Unser Gehirn, unser Auge ist bereits ein extra nos oder praeter nos: es ist nicht die Welt eine Gehirnqualität, sondern das Gehirn selbst ist ein Theil dieser Empfindungen und Vorstellungen. Nicht das Gehirn denkt, sondern wir denken das Gehirn: das selbst an sich durchaus keine Realität hat.39

Das Gehirn als Vorstellung und Repräsentation und damit letztlich als Metapher seiner selbst ist als kritischer Topos auch der Neural Theory of Metaphor (NTM) entgegengehalten worden40  – Nietzsche greift auch dieser Kritik vor, wodurch sich sein Verhältnis zur NTM grundsätzlich relativiert. Während für die NTM die Etablierung empirischer Parameter für ihre Theorien und Methoden als Grund-

38 Den Terminus ‚kognitiver Perspektivismus‘ schreibt Ernst Behler Karl Jaspers zu. (Vgl. Ernst Behler: Die frühromantische Sprachtheorie und ihre Auswirkung auf Nietzsche und Foucault. In: Athenäum. Jahrbuch der Friedrich Schlegel-Gesellschaft 11 (2001), S. 193–214, hier auf S. 212). Vgl. zum kognitiven Perspektivismus auch Wiebrecht Ries: Friedrich Nietzsche. Zur Einführung. Hamburg: Junius 2004, S. 65. 39 Friedrich Nietzsche: Nachgelassene Fragmente 1873. Gruppe 27. http://www.nietzschesource.org/ (20. 03. 2017), F 37. 40 Dass die Gleichsetzung kognitiver Prozesse mit neuralen Prozessen des Gehirns eine unzulässige Reduktion darstellt, wird von Vertretern eines sog. radikalen embodiments vertreten, die eine stärkere Einbeziehung des übrigen menschlichen Körpers ebenso wie der ihn umgebenden materiellen Objekte, deren er sich bei der Durchführung bestimmter kognitiver Operationen bedient (z. B. Stift und Papier beim Rechnen, aber auch das Smartphone für verschiedenste Verrichtungen im Alltag), annehmen. Vgl. für eine solche Position des erweiterten embodiments z. B. Andy Clark: Supersizing the mind. Embodiment, action, and cognitive extension. Oxford: Oxford University Press 2011. Das Beispiel des Smartphones als extended mind führt Clark in der Einleitung aus (vgl. ebd., S. ix–xvi).

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stein für deren Wahrheitsanspruch ein zentrales Anliegen ist,41 versieht Nietzsche seine, in der Kernaussage ähnlichen, Thesen mit einer perspektivistischen Fußnote, durch die jede Aussage über Wahrheit unversehens selbst zur Metapher gerät. Dem Gehirn, für die NTM der zentrale Schauplatz empirisch nachweisbarer metaphorischer Übertragungsprozesse, wird die empirische Realität abgesprochen und es zeigt sich selbst als perspektivische Metapher, Ergebnis der unvermeidlich metaphorischen Verarbeitung, Repräsentation und Kommunikation, mit der der Mensch auf die Reize und Phänomene seiner Umwelt reagiert. Eine Umwelt, zu der in Nietzsches Verständnis alles außerhalb des eigenen Bewusstseins gehört, damit auch der eigene Körper und mithin das Gehirn, die metaphorisch konstruiert werden.42 Die empirisch begründete Wahrheit der CMT scheint vor Nietzsches Denkhorizont nur mehr Interpretation ohne privilegierten Wahrheitsanspruch zu sein. Nietzsche selbst geht über Hypothesen zu den physiologischen Mechanismen hinaus und entwickelt die Konsequenzen solcher Annahmen im Hinblick auf die Entwicklung und Funktionsweise der Sprache. Hier kehrt die Notwendigkeitsthese, die gelegentlich für die Motivation der Metapher angeführt wird,43 als Begründung für die Entwicklung der Sprache insgesamt wieder. Sprache und Bewusstsein sind für diese Entwicklung wechselseitige Bedingungen; das konkrete Kommunikationsbedürfnis ist der ursprüngliche Grund für die Entstehung von Bewusstsein: Wozu überhaupt Bewusstsein, wenn es in der Hauptsache ü b e r f lü s s ig ist?  — Nun scheint mir, […], die Feinheit und Stärke des Bewusstseins immer im Verhältniss zur Mi ttheilungs-Fäh igke i t eines Menschen (oder Thiers) zu stehn, die Mittheilungs-Fähigkeit wiederum im Verhältniss zur Mi t t h e i lu ngs- B e dür f t igke i t : […]. Dass uns unsre Handlungen, Gedanken, Gefühle, Bewegungen selbst in’s Bewusstsein kommen  — wenigstens ein Theil derselben —, das ist die Folge eines furchtbaren langen über dem Menschen waltenden „Muss“: er b r au ch te , als das gefährdetste Thier, Hülfe, Schutz, er brauchte SeinesGleichen, er musste seine Noth auszudrücken, sich verständlich zu machen wissen — und zu dem Allen hatte er zuerst „Bewusstsein“ nöthig, also selbst zu „wissen“ was ihm fehlt, zu „wissen“, wie es ihm zu Muthe ist, zu „wissen“, was er denkt. Denn nochmals gesagt: der Mensch, wie jedes lebende Geschöpf, denkt immerfort, aber weiss es nicht; das b e wu s s t werdende Denken ist nur der kleinste Theil davon, sagen wir: der oberflächlichste, der

41 Vgl. dazu v. a. George Lakoff: Women, Fire, and Dangerous Things. What Categories Reveal about the Mind. Chicago/London: University of Chicago Press 1987, S. xi–xvii. 42 „Das Auge wie das Gehirn ist uns absolut nur als Empfindung gegeben, in keiner Weise mehr als alle Dinge extra nos. Unser Leib ist ebenso etwas außer uns, wie alles andre, d. h. er ist ebenso uns als Empfindung bekannt, wie die andern Dinge.“ (Friedrich Nietzsche: Nachgelassene Fragmente 1873, F 77). 43 Vgl. für Metapher aus Mangel und Notwendigkeit Quintilian Kap. 4.1.

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schlechteste Theil: — denn allein dieses bewusste Denken ge s ch i e h t i n Wo r te n , d a s heisst in Mitth e i lu ngsz ei ch en , womit sich die Herkunft des Bewusstseins selber aufdeckt.44

Das Bewusstsein als existenzsicherndes Instrument des kooperationsbedürftigen Menschen kehrt das rousseausche Bild des selbstständig-selbstgenügsamen Urzustandes des Menschen um und weicht auch von Giambattista Vicos Narrativ der Sprachgenese ab.45 Einig ist sich Nietzsche aber mit letzterem, dass schon die ersten Repräsentationen oder Anschauungen auf einem metaphorischen Prozess beruhen und dieser essenziell für die Kommunikationsfähigkeit ist. Kommunikation durch Sprache ist sowohl bei Vico als auch bei Nietzsche mithin ein Austausch von Zeichen, die durch mehrfache metaphorische Übertragung auf Grundlage von physiologischer Wahrnehmung und Abstraktion als vergleichbare Einheiten gebildet werden und deren formale Abstraktheit letztlich ihre physisch-metaphorische Genese vergessen macht.46 Das Vergessen der Metapher ist zunächst elementar und notwendig für die Konstruktion einer rationalen, dem Menschen berechen- und handhabbar scheinenden Welt. Vico glaubt an die Möglichkeit der Rückverfolgung der Übertragungen. Nietzsche sieht den Menschen dagegen unentrinnbar in seinem Bewusstsein eingeschlossen47 und die unbewussten metaphorischen Prozesse somit als absolut unzugänglich an. Die Metaphorik erster Ordnung bleibt damit uneinholbar. Die grundsätzliche Sinnkonstitution der Zeichen, die essenziell auf physiologische Prozesse zurückgeführt wird, wird jedoch auf der nächsten Stufe der Metaphorik innerhalb des Zeichensystems immerhin reflektierbar. Die im begrifflichen System versteinerte Metaphorik zweiter Ordnung kann um den Preis ihrer orientierungsstiftenden Funktion gebrochen werden beziehungsweise entlang rhetorischer Prinzipien strategisch eingesetzt werden, wodurch die Metaphorik erster Ordnung immerhin in ihrem Funktionsprinzip gespiegelt wird.48

44 Friedrich Nietzsche: Die fröhliche Wissenschaft, 354. 45 Vgl. hierzu Vico Kap. 6.1. 46 Vgl. Sarah Kofman: Nietzsche und die Metapher, S. 41–91. 47 „Dem Menschen geziemt aber allein der Glaube an die erreichbare Wahrheit, an die zutrauensvoll sich nahende Illusion. Lebt er nicht eigentlich du rch ein fortwährendes Getäuschtwerden? Verschweigt ihm die Natur nicht das Allermeiste, ja gerade das Allernächste z. B. seinen eignen Leib, von dem er nur ein gauklerisches ‚Bewußtsein‘ hat? In dieses Bewußtsein ist er eingeschlossen, und die Natur warf den Schlüssel weg.“ (Friedrich Nietzsche: Fünf Vorreden zu fünf ungeschriebenen Büchern. 1. Über das Pathos der Wahrheit. http://www.nietzschesource. org/ (20. 03. 2017)). 48 Die Grundunterscheidung zwischen rhetorischem und künstlerischem Einsatz der Metapher

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Diese Brechung kann zunächst simpel als kreativer, künstlerischer Einsatz der Metapher verstanden werden. Dieser Einsatz unterscheidet sich grundlegend von der bisher beschriebenen, durch die Notwendigkeit bedingten Funktionsweise der Metapher, und zwar weniger in ihrer konstruktiven Funktionsweise, als vielmehr in Rahmenbedingung und Zielsetzung der Konstruktion. Während die unausweichliche Metaphorik der Wahrnehmung den Gesetzen der Notwendigkeit und Existenzsicherung folgt, eröffnet sich in der künstlerisch-kreativen Metaphorik ein darüber hinausgehender Freiraum. Die Täuschung, die aus der künstlerischen Metaphorik erwächst, ist dabei zwar nicht direkt dem Selbsterhalt verpflichtet, aber dennoch unschädlich: Der Mensch selbst aber hat einen unbesiegbaren Hang, sich täuschen zu lassen und ist wie bezaubert vor Glück, wenn der Rhapsode ihm epische Märchen wie wahr erzählt oder der Schauspieler im Schauspiel den König noch königlicher agirt, als ihn die Wirklichkeit zeigt. Der Intellekt, jener Meister der Verstellung, ist so lange frei, und seinem sonstigen Sklavendienste enthoben, als er täuschen kann, ohne zu s ch a de n und feiert dann seine Saturnalien; nie ist er üppiger, reicher, stolzer, gewandter und verwegener. Mit schöpferischem Behagen wirft er die Metaphern durcheinander und verrückt die Gränzsteine der Abstraktion, so dass er z. B. den Strom als den beweglichen Weg bezeichnet, der den Menschen trägt, dorthin, wohin er sonst geht.49

Diese unschädliche Täuschung der Metapher als Ausdruck der höchsten Form menschlichen Intellekts ist dem Metaphernmodell Emanuele Tesauros ähnlich.50 Die Fähigkeit des Menschen zur Kreation der eigenen Wirklichkeit, die im Alltagsfall durch die Bedingungen des Selbsterhalts begrenzt wird, gelangt in der künstlerischen Freiheit zur vollen Blüte. Seine Schöpfungen sind hier zwar nicht weniger wahr oder unwahr  – dies stellt in Nietzsches Metapherntheorie keine Kategorie dar  – sondern zeichnen sich durch ihre Außergewöhnlichkeit aus. Diese ist in ihrer Abweichung vom regulären Metaphernsystem der Begriffe begründet: Nun aber giebt es keine „eigentlichen“ Ausdrücke und ke i n e ige n t l iche s E r ke n n en ohne M etaph e r. Aber die Täuschung darüber besteht, d. h. der G l au b e an eine Wa h rheit des Sinneneindrucks. Die gewöhnlichsten Metaphern, die usuellen, gelten jetzt als Wahrheiten und als Maaß für die seltneren. An sich herrscht hier nur der Unterschied zwischen Gewöhnung und Neuheit, Häufigkeit und Seltenheit. Das E r ke n n e n ist nur ein

bei Nietzsche entwickelt Kofman. Vgl. Sarah Kofman: Nietzsche und die Metapher, S. 48–55. 49 Friedrich Nietzsche: Ueber Wahrheit und Lüge im aussermoralischen Sinne. 50 Vgl. Kap. 4.3.

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Arbeiten in den beliebtesten Metaphern, also ein nicht mehr als Nachahmung empfundenes Nachahmen. Es kann also natürlich nicht ins Reich der Wahrheit dringen.51

Die beiden Funktionsweisen der Metapher und ihre jeweilige Ausformung erweisen sich bei Nietzsche als nicht kompatibel und unübersetzbar. Wie das Apollinische und das Dionysische zwar als komplementäre aber nicht kompatible Zustände zu betrachten sind, so verhalten sich auch die zwei Umgangsmodi mit der Metapher zueinander: Im rhetorischen Paradigma folgt der Zeichengebrauch gezielt den unbewussten Regularien, die zur Konstitution der Begriffssysteme führt.52 Damit wird das metaphorische Prinzip in seiner alltäglichen, scheinbar wahrheitsstiftenden Funktion erkennbar. Das künstlerische Paradigma zeichnet sich dagegen durch die explizite Abweichung von der, durch das Gewohnheitsprinzip konsentierten, kollektiven Wahrheit aus, besser, es verfolgt andere Prinzipien als diese und ist damit nicht auf die Leitunterscheidung wahr/falsch zu reduzieren:53 Von diesen Intuitionen aus führt kein regelmässiger Weg in das Land der gespenstischen Schemata, der Abstraktionen: für sie ist das Wort nicht gemacht, der Mensch verstummt, wenn er sie sieht, oder redet in lauter verbotenen Metaphern und unerhörten Begriffsfügungen, um wenigstens durch das Zertrümmern und Verhöhnen der alten Begriffsschranken dem Eindrucke der mächtigen gegenwärtigen Intuition schöpferisch zu entsprechen.54

Damit scheint sich ein Schluss, der der nietzscheschen Metaphernkonzeption unterstellt wurde, als Fehlschluss zu erweisen: Jede Metapher ist künstlerische Schöpfung. Nietzsche unterscheidet in meinen Augen akribisch zwischen den notwendigen Metaphern des Alltags und ihrem strategisch-rhetorischen Einsatz und der künstlerischen Metapher. Zwar ist jede Äußerung des Menschen auf einer gewissen Ebene metaphorisch und schöpferisch-konstruktiv in dem Sinn, dass sie nicht in einem Abbildungsverhältnis zur Welt steht. Nicht jede ist dabei aber zwingend künstlerisch. Beide Formen der Metaphernverwendung sind im weiten Sinne kreativ, da sie zur essenziellen Schöpfung von Wahrnehmung, Anschauung und Lebenswelt beitragen. Erst das Heraustreten aus den Begrenzungen gültiger Metaphorik ermöglicht jedoch das, was die künstlerische Metaphorik im engen Sinne auszeichnet und sie gleichzeitig zu einer Bedrohung für die alltägliche Stabilität der Konvention macht.

51 Friedrich Nietzsche: Nachgelassene Fragmente 1872, F 228. 52 Vgl. Sarah Kofman: Nietzsche und die Metapher, S. 55. 53 Hier liegt damit auch ein fundamentaler Unterschied zu Blacks Positionierung zur Metapher, bei dem diese immer wieder auf ihre Wahrheitsleistung, z. B. für die Wissenschaft, hin befragt wird. Vgl. Kap. 3.1. 54 Friedrich Nietzsche: Ueber Wahrheit und Lüge im aussermoralischen Sinne.

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Dieses Heraustreten macht die künstlerische Metaphorik also potenziell gefährlich. Indem die gewohnten Kategorien der alltäglichen, existenzsichernden Funktion verlassen werden, begibt sich der Mensch, dieses ‚zutiefst hilfsbedürftige Tier‘, auch aus seinem Schutzraum kollektiver Kommunikation heraus. Im Zerbrechen der orientierungsstiftenden Leitplanken der begrifflichen Sprache, die den Rahmen einer intersubjektiv etablierbaren, kommunizierbaren und bewussten Individualität bilden, sieht Nietzsche die Chance, einer vorbewussten, durch die Singularität jeder Wahrnehmung geprägten Individualität Ausdruck zu verleihen. Die künstlerische Metapher verdeutlicht hier in der scheinbaren Gleichsetzung des Ungleichen nur die grundlegende Ungleichheit sinnlicher Eindrücke, über die die Kategorien der alltäglichen Sprache hinweggehen. Der ambivalente Status der Kunst bei Nietzsche als Steigerung und Bedrohung des Lebens kann damit auch für die künstlerische, unkonventionelle Metapher konstatiert werden. Eine direkte Operationalisierung der nietzscheschen Metaphernkonzeption für eine systematisch verfahrende Literaturwissenschaft erscheint eine paradoxe Vorstellung, konterkarieren doch Nietzsches Prämissen die Ansprüche von Wissenschaftlichkeit selbst. Der unschätzbare Beitrag Nietzsches liegt in seiner Verschiebung der Metapherndiskussion auf eine grundlegend epistemologische Ebene und ihre Öffnung für eine erkenntniskritische Perspektive. Mit Nietzsches Position wird die Metapher zu einer kritischen aber produktiven Figur, die eine allzu selbstsichere (Sprach-)Philosophie grundlegend erschüttert. Insofern scheint es auch konsequent, dass Nietzsches Konzept den Begriff der Metapher selbst an seine analytischen Grenzen treibt: Wo alles per se metaphorisch ist, verliert der Terminus Metapher seine analytische Unterscheidungskraft. Die Unterscheidung zwischen einer erstarrten Begriffsmetaphorik und der individuellen, lebendigen Künstlermetapher zielt ebenso eher auf die Bestimmung eines Grundfunktionsprinzips der Sprache als auf eine Beschreibung ihrer Einzelphänomene ab. Das Hauptinteresse von Nietzsches Metapherntheorie ist daher nicht, das Instrumentarium zur sprachlichen Detailbeschreibung oder gar Analyse zu liefern, sondern eine grundlegend neue Problemperspektive zu eröffnen. Daher liegt ihre auch für die Literaturwissenschaft zentrale Leistung in einer Verschiebung der Perspektive auf die Sprache selbst und damit in der Eröffnung neuer Diskursdimensionen, deren weitere Auslotung in eine Richtung man zum Beispiel in der derridaschen Theorie der Metapher, in eine andere in der Conceptual Metaphor Theory sehen kann. Die verschiedenen Formen von Übertragungen, die Nietzsche in den unterschiedlichen Prozessen menschlicher Wahrnehmung und Sprachverwendung identifiziert, müssen, nimmt man sie ernst, den alltäglichintuitiven Umgang mit Sprache und die Vorstellung der Metapher als eines gezielt

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einsetzbaren und steuerbaren stilistischen Mittels nachhaltig verunsichern.55 Damit regt sie zu einer neuen Reflexion an über die Sprache selbst sowie die Möglichkeiten, die sie dem Individuum eröffnet, als auch die Zwänge, denen sie es unterwirft. Deutlich weniger disruptiv wirken die Effekte der Metaphorik in der Metaphorologie Hans Blumenbergs, der, anders als Nietzsche, dem Prinzip der Wissenschaftlichkeit keine Absage erteilt und statt der nietzscheschen Grundunterscheidung Kunst/Nicht-Kunst die Dichotomie Wissenschaft/Nicht-Wissenschaft als Leitlinien seiner Metapherndiskussion einsetzt. Entsprechend entfernt er sich auch von der individuellen Wahrnehmungsperspektive und ihrer potenziellen Zerrüttung hin zum Allgemeinen und fasst den historischen Längsschnitt durch die tradierte Metaphorik ins Auge. Die kaum wahrnehmbaren Verschiebungen der Metaphorik, die Blumenberg nachzeichnet, verhalten sich zu Nietzsches Modell wohl wie die Beschreibung unbemerkter tektonischer Plattenverschiebungen zu der eines eines Erdbebens. Ihre Effekte sind jedoch ebenso weitreichend.

8.2 Hans Blumenberg (1920–1996) Domine, cuius oculis nuda est abyssus humanae conscientiae.56

Hans Blumenbergs57 Reflexionen über die Metapher sollen hier vor dem Hintergrund seiner anthropologisch orientierten Philosophie diskutiert werden,58 die

55 Hiermit steht Nietzsche quer zu den rhetorischen Positionen, die grundsätzlich die Beherrschung der Metapher annehmen müssen. Vgl. Kap. 3.1. und Kap. 7.2. 56 Augustinus: Confessiones. Bekenntnisse. Lateinisch/Deutsch. Hrsg. von Kurt Flasch u. Burkhard Mojsisch. Stuttgart: Reclam 2009, X, 2.2. „Nackt liegt vor deinen Augen Herr der Abgrund des menschlichen Gewissens.“ (Übersetzung Kurt Flasch/Burkardt Mojsisch). Dieses Zitat aus Augustinus’ Bekenntnissen ist eines von Blumenbergs zahlreichen Beispielen für die Metapher der ‚nackten Wahrheit‘, die er in seinen Paradigmen zu einer Metaphorologie exemplarisch als absolute Metapher untersucht. (Vgl. Hans Blumenberg: Paradigmen zu einer Metaphorologie, S. 63). 57 Zur Einführung vgl. z. B. Franz J. Wetz: Hans Blumenberg. Zur Einführung. Hamburg: Junius 2004 Außerdem die Sammelbände: Franz J. Wetz/Hermann Timm (Hrsg.): Die Kunst des Überlebens. Nachdenken über Hans Blumenberg. Frankfurt: Suhrkamp 1999 und Robert Buch/Daniel Weidner (Hrsg.): Blumenberg lesen. Ein Glossar. Berlin: Suhrkamp 2014. Im selben Band im speziellen Zusammenhang insbesondere Petra Gehring: Metapher, S. 201–213. Außerdem Margarita Kranz: Blumenbergs Begriffsgeschichte. Vom Anfang und Ende aller Dienstbarkeiten. In: Hans Blumenberg beobachtet. Wissenschaft, Technik und Philosophie. Hrsg. von Cornelius Borck. Freiburg u. a.: Alber 2013, S. 231–253. 58 Eine starke Rezeptionslinie, die Blumenberg dezidiert nicht-anthropologisch liest, kann hier nicht ausführlich diskutiert werden, soll ob ihrer starken Verbreitung vor allem in der ame-

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in der Beschreibung des Menschen als Mängelwesen59 gipfelt, dessen Überleben fundamental von rhetorischen und metaphorischen Strategien des Wirklichkeitsbezuges abhängig ist. 60 Der Mangel des Menschen an spezifischen Dispositionen zu reaktivem Verhalten gegenüber der Wirklichkeit, seine Instinktarmut also, ist der Ausgangspunkt für die anthropologische Zentralfrage, wie dieses Wesen trotz seiner biologischen Indisposition zu existieren vermag. Die Antwort lässt sich auf die Formel bringen: indem es sich nicht unmittelbar mit dieser Wirklichkeit einlässt. Der menschliche Wirklichkeitsbezug ist indirekt, umständlich, verzögert, selektiv und vor allem ‚metaphorisch‘.61

rikanischen Literaturwissenschaft aber dennoch erwähnt werden. Zentrale Arbeiten dieser Rezeptionslinie finden sich u. a. in Paul Fleming/Rüdiger Campe/Kirk Wetters (Hrsg.): Hans Blumenberg. New York: Telos Pr. Publ 2012. Als prominenter Vertreter dieser Rezeption zudem Anselm Haverkamp: Die Technik der Rhetorik. Blumenbergs Projekt. In: Ästhetische und metaphorologische Schriften. Frankfurt am Main: Suhrkamp 2001, S. 435–454, Anselm Haverkamp (Hrsg.): Metaphorologie. Zur Praxis von Theorie. Frankfurt am Main: Suhrkamp 2009 sowie Dirk Mende: Metapher – Zwischen Metaphysik und Archäologie. Wenn hier nun besonders die anthropologische Perspektive diskutiert werden soll, so ohne damit anderen Perspektiven ihre Legitimität absprechen zu wollen. Die anthropologische Lesart setzt Blumenberg jedoch auch in eine anthropologisch orientierte metapherntheoretische Tradition, als deren prominentester Vertreter wohl außer Blumenberg hier Ernst Cassirer zu nennen wäre (vgl. Ernst Cassirer: Philosophie der symbolischen Formen III. Phänomenologie der Erkenntnis. Hrsg. von Claus Rosenkranz. Hamburg: Meiner 2010, S. 224–226). Diese anthropologische Perspektive soll durch die getroffene Entscheidung für eine der beiden Lesarten Blumenbergs in das Spektrum der in dieser Arbeit diskutierten Positionen Eingang finden. 59 „Die Metapher – als das signifikante Element der Rhetorik – zeigt auf einen anthropologischen Mangel und entspricht ihrer Funktion einer Anthropologie eines Mängelwesens.“ (Hans Blumenberg: Theorie der Unbegrifflichkeit. Hrsg. von Anselm Haverkamp. Frankfurt am Main: Suhrkamp 2007, S. 88). Vgl. außerdem dazu Philipp Stoellger: Metapher und Lebenswelt. Hans Blumenbergs Metaphorologie als Lebenswelthermeneutik und ihr religionsphänomenologischer Horizont. Tübingen: Mohr Siebeck 2000, S. 259. 60 Zur anthropologischen Perspektive Blumenbergs als Bedingung für seine (erweiterte) Metaphorologie vgl. ebd., S. 108–109. Stoellgers Dissertation ist die umfangreichste der jüngeren Arbeiten zu Blumenbergs Metaphorologie mit detaillierter Aufarbeitung Blumenbergs einzelner Schriften. Daneben sind erwähnenswert die ältere und kursorischere Arbeit von Jürg Haefliger: Imaginationssysteme. Erkenntnistheoretische, anthropologische und mentalitätshistorische Aspekte der Metaphorologie Hans Blumenbergs. Bern u. a.: Lang 1996. Außerdem die vergleichende Arbeit von Dirk Mende: Metapher – Zwischen Metaphysik und Archäologie. Zuletzt die systematischer strukturierte Arbeit mit Rückbezug auf antike Metapherntheorie von Theodoros Konstantakopoulos: Zur Normativität des Unbegrifflichen: die Metapher und ihre ›Hintergründe‹ vor und bei Hans Blumenberg. Berlin: Logos-Verlag 2014. 61 Hans Blumenberg: Anthropologische Annäherung an die Aktualität der Rhetorik. In: Ästhetische und metaphorologische Schriften. Hrsg. von Anselm Haverkamp. Frankfurt am Main: Suhrkamp 2001, S. 406–431, hier auf S. 415.

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Der metaphorische Wirklichkeitsbezug charakterisiert die grundsätzliche Angewiesenheit des Menschen in seinem alltäglichen Umgang mit seiner Wirklichkeit auf rhetorische Strategien. Die Metapher wird bei Blumenberg damit zunächst zu einer Überlebensstrategie. Der natürlichen Wirklichkeit aufgrund seiner biologischen Mängel nicht gewachsen, ist der Mensch zur Fortexistenz auf die Etablierung einer Ersatz- oder Zwischeninstanz angewiesen, auf die er sich beziehen kann. Statt Instinkt und Reaktion installiert der Mensch Institution beziehungsweise Konvention62 und Handlung63 als stabilisierende Parameter seines Wirklichkeitsbezugs. Der Mensch bedarf dieser, um den alltäglichen Herausforderungen seiner Umwelt zu begegnen: „Evidenzmangel und Handlungszwang sind die Voraussetzungen der rhetorischen Situation.“64 Evidenzmangel und Handlungszwang sind die zwei einander bedingenden Konditionen, denen sich der Mensch in seiner täglichen Auseinandersetzung mit einer potenziell tödlichen Wirklichkeit gegenüber sieht. Evidenzmangel ist begründet durch die mangelnde Zeit zur Erreichung einer end- und allgültigen Einsicht in einen gegebenen Sachverhalt, während die Notwendigkeit auf Anforderungen der Umwelt zu reagieren den zeitlich limitierenden Faktor darstellt.65 Die essenzielle Leistung der Rhetorik für den Menschen besteht nun in der Schaffung einer zumindest provisorisch als Handlungsgrundlage akzeptablen Evidenz. Dabei umfassen diese rhetorischen Strategien in Blumenbergs Sicht nicht nur Prozesse konkreten verbalen Austausches, sondern stellen grundlegende Strukturen von Verhalten und Reflexion dar. Die Handlungen, deren institutionalisierte Strukturen mangelnde instinktive Reaktivität kompensieren können, ermöglichen auch die Selbstsetzung und das Selbstverständnis des Menschen als Handelndem, also in einer Rolle: „Rhetorik ist nicht nur ein System, um Mandate zum Handeln zu werben, sondern um eine sich formierende und sich formierte Selbstauffassung bei sich selbst und vor anderen durchzusetzen und zu verteidigen.“66 Die Selbstsetzung des Menschen erfolgt innerhalb eines bereits von ihm und seinesgleichen gesetzten, institutionalisierten Systems, einer ‚künstlichen‘, vermittelten Wirklichkeit.67 Die bis hierher skizzierte Positionierung des

62 Ebd., S. 413–414. 63 Vgl. ebd., S. 409. 64 Ebd., S. 417. 65 Ebd., S. 418. 66 Ebd. 67 „Ich sehe keinen anderen wissenschaftlichen Weg für eine Anthropologie, als das vermeintlich ‚Natürliche‘ auf analoge Weise zu destruieren und seiner ‚Künstlichkeit‘ im Funktionssystem der menschlichen Elementarleistung ‚Leben‘ zu überführen.“ (Hans Blumenberg: Anthropologische Annäherung an die Aktualität der Rhetorik, S. 415). Vgl. dazu auch Jörg Villwock: Mythos und Rhetorik. Zum inneren Zusammenhang zwischen Mythologie und Metaphorologie in der

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 Metapher und Phänomen

Menschen macht seine Abhängigkeit von metaphorischen Verfahren deutlich, ohne dass ihr genauer Mechanismus ersichtlich wird. Dieser ließe sich wiederum als Erkenntnismechanismus beschreiben, wenn auch unter Annahme einer anderen Bedeutung von Erkenntnis als im ersten Abschnitt68 diskutiert. Das Moment der Erkenntnis als Leistung der Metapher, das bei Aristoteles, Max Black und Donald Davidson als selbstständiges, theoretisch orientiertes Phänomen im Mittelpunkt stand, ist bei Blumenberg vor allem in Bezug auf seine lebenspraktischen Implikationen relevant. Der Metapher kommt schon in den frühen Schriften Blumenbergs für diese lebenspraktisch orientierte Erkenntnis eine zentrale Rolle zu: Sie fungiert als zentraler Mechanismus des Weltbezugs. Die Metapher ist deutlich charakterisiert als Modell in pragmatischer Funktion, an dem eine Regel der Reflexion gewonnen werden soll, die sich im Gebrauch der Vernunftidee anwenden läßt, also ein Prinzip nicht der theoretischen Bestimmung des Gegenstandes …, was er an sich, sondern der praktischen, was die Idee von ihm für uns und den zweckmäßigen Gebrauch desselben werden soll.69

Die Metapher nimmt somit eine Position mit existenzsichernder Funktion ein zwischen der (zumindest vorstellbaren) vollkommenen Theorie70 und den (zumin-

Philosophie Hans Blumenbergs. In: Philosophische Rundschau 32:1 (1985), S. 68–91. Die Setzung des Menschen in einer menschlich konstituierten Umwelt sozialer Grundregeln hat eine Entsprechung einmal in den Grundbedingungen der Rhetorik, die Aristoteles beschreibt, und andererseits – deutlich umfangreicher – in Giambattista Vicos Konzept des mondo civile. Vgl. Kap. 6.1. 68 Vgl. Kap. 3. 69 Hans Blumenberg: Paradigmen zu einer Metaphorologie, S. 12. 70 Charakterisiert ist die Theorie in diesem Zusammenhang vor allem durch Abstraktion im Sinne der Erhebung von konkreten lebensweltlichen Details. Blumenberg sieht diese Abstraktion in der Astronomie manifestiert: „Das bedeutet: der Blick ist nicht auf den Horizont, den räumlichen und den zeitlichen, fixiert, um zu erwarten und zu handeln an dem, was kommt, sondern der schon um neunzig Grad aus der Richtung der Erde hin in die Horizontale aufgerichtete Blick wird nochmals um neunzig Grad erhoben und auf den Sternenhimmel gerichtet. Er trifft hier auf einen Gegenstand, dessen Eigenschaften sich folgendermaßen bestimmten lasen: 1. Er enthält kein Moment der Erwartung und Prävention, so lange nicht die Furcht vor bestimmten Zeichen am Himmel und die damit verbundene Vorhersage außerordentlicher Himmelserscheinungen eine Rolle spielt; 2. der Gegenstand ist auch für jede Art von Handlung von Praxis, von Technik unerreichbar; er ist ein rein theoretischer, […]; 3. […] Der zum Himmel gerichtete Blick wechselt nicht nur den Gegenstand, wenn er den alltäglich-lebensweltlichen Horizont der Einzeldinge und des Umgangs verläßt, sondern er erhebt sich über die Einzelheit des Gegenständlichen, seiner Differenzierbarkeit, zu dem letzten Ganzen, das noch erreicht werden kann, auch wenn er immer wieder durch bestimmte Phänomene von dieser Totalität abgehalten wird.“ (Hans Blumenberg: Theorie der Unbegrifflichkeit, S. 16). Die Astronomie und ihr Gegenstand sind insofern nur ein idealtypischer und nicht der einzige Fall von Theorie, als auch die Lebenswelt und ihre Phä-

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dest vorstellbaren) vollkommenen Einzelphänomenen der Welt, aus denen die Theorie einerseits zwar hervorgeht, von denen sie sich aber in der Abstraktion entfernt, auf die sie aber letztlich auch wieder in der Lebenspraxis zurückbezogen werden muss. Einerseits schafft die Metapher zu bestimmten Erkenntnisdimensionen erst Zugang, indem sie eine Struktur für das „nie erfahrbare, nie übersehbare Ganze der Realität“71 anbietet; andererseits sind wir aber in unserem Weltbezug auch schon „durch Bildervorrat und Bilderwahl bestimmt, ‚kanalisiert‘ in dem, was überhaupt sich uns zu zeigen vermag und was wir in Erfahrung bringen können“.72 Vollkommene Theorie, deren Vollendung den menschlichen Zeithorizont überschreitet, und reines Phänomen, das die menschliche Wahrnehmung überfordert, sind damit immer schon nur hypothetisch.73 Die Metapher fungiert als nicht- oder vortheoretische Etappe des Weltbezugs, durch die eine Theorie über die Welt erst denkbar wird und wodurch diese auch wieder auf die Welt beziehbar wird, sondern ist der Einsatzpunkt der Theoriebildung, der Rede vom Allgemeinen.74 Entsprechend den verschiedenen Funktionen, die der Metapher an der Übergangsstelle zwischen Lebenswelt75 und theoretischer Erkenntnis

nomene in ihrer Vollständigkeit nicht für die Handhabung zur Verfügung stehen. Gegen eine absolute Unterscheidung zwischen Lebenswelt und Theorie argumentiert Rüdiger Zill: »Substrukturen des Denkens«. Grenzen und Perspektiven einer Metapherngeschichte nach Hans Blumenberg. In: Begriffsgeschichte, Diskursgeschichte, Metapherngeschichte. Hrsg. von Hans Erich Bödeker. Göttingen: Wallstein 2002, S. 209–258 71 Hans Blumenberg: Paradigmen zu einer Metaphorologie, S. 25. 72 Ebd., S. 92. 73 Vgl. für eine umfangreichere Beschreibung des Wechselverhältnisses von Theorie und Lebenswelt Philipp Stoellger: Metapher und Lebenswelt, S. 262–263. 74 Vgl. Hans Blumenberg: Ästhetische und metaphorologische Schriften, S. 179. 75 Einen Einstieg in Blumenbergs Lebenswelt-Konzept bietet Manfred Sommer: Lebenswelt. In: Blumenberg lesen. Ein Glossar. Hrsg. von Robert Buch/Daniel Weidner. Berlin: Suhrkamp 2014, S. 160–171. Sommer sieht im Lebensweltkonzept die entscheidende Brücke zwischen Phänomenologie und Anthropologie in Blumenbergs Philosophie. Eine detaillierte Diskussion des an Husserl anschließenden Lebenswelt-Begriffs bei Blumenberg findet sich in Philipp Stoellger: Metapher und Lebenswelt, S. 257–259. Zentral scheint die Differenzierung, die Stoellger für Blumenbergs Begriffsverwendung zwischen Lebenswelt und Lebenswelten herausarbeitet. Die erstere Verwendung, die „singularische Lebenswelt ist ‚stets schon verlassen‘ unter den Bedingungen der Geschichte“ (ebd., S. 257) und kann unter diesen nicht wieder eingeholt werden, fungiert mithin eher als hypothetischer Grenzwert. Die Lebenswelten im Plural meinen dagegen die „kulturell-geschichtlichen ‚Wirklichkeiten, in denen wir leben‘“ (ebd., S. 257–258) und ihre Variabilität. In der Verfolgung und Beschreibung der historischen Möglichkeitsvielfalt dieser historischen Lebenswelten identifiziert Stoellger das eigentliche Projekt der blumenbergschen Metaphorologie. Die folgende Verwendung des Lebenswelt-Begriffs in diesem Kapitel ist daher auch in diesem zweiten Sinn von pluraler Lebenswelt zu verstehen.

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 Metapher und Phänomen

zukommen können, differenziert Blumenberg die Funktionsweise der Metapher: Sie ist vortheoretischer Ausgangsrahmen der Erkenntnis; sie prägt und normiert diese und sie kann letztlich das theoretische Modell in Beziehung zu lebensweltlichen Phänomenen bringen.76 Diese drei Funktionsweisen greifen in der Praxis, das heißt in der Synthese von Wirklichkeit77 aus Phänomen und Theorie freilich ineinander, sollen aber hier zunächst getrennt ausgeführt werden. Den Ausgang für die Erkenntnis bildet die Metapher insofern als sie Ausdruck der Disposition zur theoretischen Neugier ist und den Rahmen der Reflexion bildet. Damit ist die Reihenfolge zwischen Ding und Wort, die in der Tradition der Rhetorik klar die res an die erste Stelle setzte,78 hier umgekehrt: „Metaphern stehen nur deshalb im Verruf, rein illustrative Erläuterungen zu sein, weil sie als das Nachträgliche und daher genetisch Akzessorische erscheinen und so als entbehrlicher Zierrat und Zitat. Aber der sekundäre Stellenwert der Metapher ist der Schein, den ein Autor durch die Umkehrung des genetischen Verhältnisses in der Darstellung erzeugt: […].“79 Als solche schafft die Metapher den Rahmen für den theoretischen Weltzugang. Da der Weltbezug angesichts der grundsätzlich beschränkten Erkenntnisfähigkeit des Menschen immer ein partieller sein muss, lässt sich die zweite Funktion der Metapher zunächst als eine Reduktion von Komplexität zur Etablierung einer (intersubjektiv teilbaren) händelbaren Wirklichkeit als Bezugsrahmen für alle Erkenntnisse und Handlungen zusammenfassen. Der metaphorische Umweg, von dem thematischen Gegenstand weg auf einen anderen zu blicken, der vorgreifend als aufschlußreich vermutet wird, nimmt das Gegebene als das Fremde, das Andere als das vertauter und handlicher Verfügbare. […] Das animalum symbolicum beherrscht die ihm genuin tödliche Wirklichkeit, indem es sie vertreten läßt; es sieht weg von dem, was ihm unheimlich ist, auf das, was ihm vertraut ist. Am deutlichsten wird das dort, wo das Urteil mit seinem Identitätsanspruch überhaupt nicht ans Ziel kommen kann, entweder weil sein Gegenstand das Verfahren überfordert (die ‚Welt‘, das ‚Leben‘, die ‚Geschichte‘, das ‚Bewußtsein‘) oder weil der Spielraum für das Verfahren nicht ausreicht, wie in Situationen des Handlungszwangs, in denen rasche Orientierung und drastische Plausibilität vonnöten sind.80

76 Dass die verschiedenen Funktionen der Metapher in der Entwicklung der Metaphorologie eine unterschiedliche Akzentuierung erfahren, lässt sich aus den Periodisierungen von Haverkamp und Stoellger ableiten. Vgl. Anselm Haverkamp: Metaphorologie zweiten Grades. Unbegrifflichkeit, Vorform der Idee. In: Metaphorologie. Zur Praxis von Theorie. Frankfurt am Main: Suhrkamp 2009, S. 237–256 bzw. Mende, der jedoch auf die grundsätzlichen Kontinuitäten des Projektes hinweist. Vgl. Dirk Mende: Metapher – Zwischen Metaphysik und Archäologie, S. 223. 77 Vgl. Philipp Stoellger: Metapher und Lebenswelt, S. 259. 78 Vgl. Cicero Kap. 4.1. 79 Hans Blumenberg: Ästhetische und metaphorologische Schriften, S. 179. 80 Hans Blumenberg: Anthropologische Annäherung an die Aktualität der Rhetorik, S. 416.

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Aus dieser funktionalen Bestimmung der Metapher ergeben sich weitreichende Implikationen einerseits für ihr Verhältnis zur Wahrheit und andererseits für ihr Verhältnis zum Begriff,81 über die die spezifische Position der blumenbergschen Metapherntheorie in Abgrenzung beispielsweise zu denen von Aristoteles, Max Black und Monroe C. Beardsley,82 aber auch zu denen Giambattista Vicos und Jacques Derridas bestimmt werden kann. Hinsichtlich der Wahrheit der Metapher notiert Blumenberg: „Ohne weiteres ist klar, daß sich solche Metaphern wie die von Macht oder Ohnmacht der Wahrheit nicht verifizieren lassen und daß die in ihnen entscheidbaren Alternativen theoretisch gar nicht entscheidbar sind.“83 Die hier exemplarisch aufgegriffene Metapher von der (Ohn-)Macht der Wahrheit zeigt, dass der Aussagegehalt dieser Metapher jenseits der (philosophisch-) theoretischen Dichotomie wahr/falsch liegt. Ob die Wahrheit mächtig oder ohnmächtig ist, erweist sich als ein nicht theoretisch operationalisierbares Problem, das mithin mit den Mitteln des theoretischen Beweises nicht entschieden werden kann. Das gilt nicht nur für diese konkrete Metapher, sondern für alle. Metaphern sind nicht falsifizierbar: „Auch die Metaphorik kennt die Negation nicht, es sei denn, in der begrifflichen Feststellung gegenüber dem Kontext der Metaphorik, daß eine Metapher mit der anderen sich nicht verträgt, daß Interferenz zwischen Ihnen besteht und so weiter.“84 Die Metaphern liegen also kategorisch außerhalb eines Wahrheitsbegriffs, der mittels der Relationierung von Begriffen über die Dichotomie wahr/falsch operiert. Die Metapher ist jedoch immer nur mit anderen Metaphern relationierbar, was noch zu diskutieren ist. Dass die Metapher außerhalb des Bereichs überhaupt wahrheitsfähiger Aussagen zu liegen scheint, bedeutet aber nicht, dass sie als von diesem Bereich losgelöst betrachtet werden könnte. Im Gegenteil ist die Metapher gleichsam die Bedingung wahrheitsfähiger Aussagen:

81 In Metapher und Begriff identifiziert Blumenberg zwei grundsätzlich verschiedene Zugriffsweisen auf die Wirklichkeit: „Wie der Mensch mit dem Übermaß der Anforderungen aus seinem Wirklichkeitsverhältnis fertig wird, ist in der nominalistischen Interpretation des Urteils seit langem vorgeführt worden. Prädikate sind ‚Institutionen‘; etwas Konkretes wird begriffen, indem es aufgelöst wird in seine Zugehörigkeiten zu diesen Institutionen.“ (Ebd., S. 415). 82 Im Gegensatz zu diesen drei Autoren kann mit Blumenberg nicht davon ausgegangen werden, dass die Metapher an der absoluten Dichotomie wahr/falsch messbar ist. 83 Hans Blumenberg: Paradigmen zu einer Metaphorologie, S. 23. 84 Hans Blumenberg: Theorie der Unbegrifflichkeit, S. 76.

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 Metapher und Phänomen

Metaphorik kann auch dort im Spiel sein, wo ausschließlich terminologische Aussagen auftreten, die aber ohne Hinblick auf eine Leitvorstellung, an der sie induziert und ‚abgelesen‘ sind, in ihrer umschließenden Sinneinheit gar nicht mehr verstanden werden können.85

Begriffe und Terminologien, die Aussagen über die Dinge der Welt machen, tun dies letztlich nicht in direktem Bezug auf diese, sondern durch den Umweg über ein – oft implizites – metaphorisches Weltbild,86 einen Bezugsrahmen, innerhalb dessen die Termini erst Bedeutung und die Aussagen ihren Sinn erhalten. Hier handelt es sich also um die dritte Funktion der Metapher: die Inbezugsetzung eines theoretischen Weltmodells zur lebensweltlich sinnhaften Praxis.87 Das Problem der Unverständlichkeit ergibt sich für Blumenberg damit an der Stelle, wo eine Aussage auf einem uns fremden Bezugsrahmen, mithin einem fremden metaphorischen Weltbild basiert: Haben wir den Kunstbau spekulativer Aussagen vor uns, so wird die Interpretation uns erst dann ‚aufgehen‘, wenn es uns gelungen ist, nachvollziehend in den Vorstellungshorizont des Autors einzutreten, seine ‚Übertragungen‘ ausfindig zu machen.88

85 Hans Blumenberg: Paradigmen zu einer Metaphorologie, S. 91. 86 Die Differenz Weltbild/Weltmodell führt Blumenberg zunächst ein, um zwei verschiedene epistemische Epochen in der Menschheitsgeschichte zu unterscheiden. Die Epoche der Weltbilder, die von der Antike bis in die frühe Neuzeit reicht, und die Epoche der Weltmodelle, die mit Descartes einsetzt. Das Weltbild ist definiert als „Inbegriff der Wirklichkeit, in dem und durch den der Mensch sich selbst versteht, seine Wertungen und Handlungsziele orientiert, seine Möglichkeiten und Notwendigkeiten erfaßt und sich in seinen wesentlichen Bedürfnissen entwirft. Das Weltbild hat ‚praktische Kraft‘, wie Kant gesagt hätte.“ (Hans Blumenberg: Weltbilder und Weltmodelle. In: Schriften zur Technik. Hrsg. von Alexander Schmitz/Bernd Stiegler. Berlin: Suhrkamp 2015, S. 126–138, hier auf S. 128). Weltmodelle sind dagegen „die, vom jeweiligen stand der Naturwissenschaften abhängige und die Gesamtheit ihrer Aussagen berücksichtigende Totalvorstellung der empirischen Wirklichkeit“ (ebd.). Auch wenn Blumenberg die Weltbilder zunächst als Produkte früherer, philosophisch geprägter Epochen beschreibt und die Weltmodelle als Produkte der Naturwissenschaft bestimmt, erschöpft sich ihr Verhältnis nicht in diesem einfachen Dualismus. Stattdessen diagnostiziert Blumenberg, dass aufgrund des offensichtlich anthropologisch stabilen Bilderbedürfnisses des Menschen eine schleichende funktionale Substitution der Weltbilder durch Weltmodelle stattgefunden hat. Weltmodelle, mit ursprünglich klar begrenzten Aussagebereichen, avancieren zu neuen Weltbildern: „In Wirklichkeit war es so, daß das ‚Weltmodell‘ die Stelle des ‚Weltbildes‘ besetzte und noch immer dabei ist, die Restsubstanz des Weltbildbestandes aufzuzehren. Daß es so etwas wie Wissenschaftsgläubigkeit geben kann, beruht darauf, daß die Wissenschaft ihre Bedingtheit durch einen Weltbildglauben verloren hat.“ (Ebd., S. 130). 87 „Das Weltbild enthielt die Sinngebung und sozusagen die ‚Gebrauchsanweisung‘ für alle je denkbaren Weltmodelle.“ (Ebd., S. 129). 88 Hans Blumenberg: Paradigmen zu einer Metaphorologie, S. 69.

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Hier wird deutlich, wie sehr das Problem der Metapher in Blumenbergs Theorie nicht nur ein spezieller Problemfall der Hermeneutik89 ist, sondern als ihre grundsätzliche Herausforderung betrachtet werden kann. Die Metapher als Bezugsrahmen oder Vorstellungshorizont, vor dem theoretische Aussagen erst sinnvoll werden, muss auch zum Verstehen dieser Aussagen immer erst rekonstruiert werden. Hier liegt außerdem schon implizit die später näher zu erläuternde Vorstellung Blumenbergs vor, dass die metaphorischen Bezugsrahmen von Aussagen und damit die Modelle der Welt einem historischen Wandel unterliegen. Das Verhältnis von Metapher zur Wahrheit ist mithin ein zwiespältiges. Zunächst wird der Begriff der Wahrheit selbst problematisch unter der Prämisse, dass ihre Feststellung immer nur in Bezug auf ein in irgendeiner Form zugrunde liegendes metaphorisches Modell erfolgt.90 Gleichzeitig ermöglicht die Metapher die Anbindung theoretischer Aussagen an die Lebenswelt und etabliert damit erst deren Bedeutsamkeit für unsere Lebenspraxis und unser Handeln. Beispielhaft für diese Struktur ist in Blumenbergs Texten immer wieder die Astronomie, die theoretische Erkenntnis par excellence ist.91

89 Als solcher wird die Metapher z. B. im Rahmen der biblischen Exegese identifiziert. Vgl. Kap. 5. 90 „Im Medium der Metaphorik erweist sich der Wahrheitsbezug in unserer Tradition als viel zwiespältiger, als es in einer terminologisch-systematischen Analyse je hervortreten könnte.“ (Hans Blumenberg: Paradigmen zu einer Metaphorologie, S. 67). 91 Vgl. Hans Blumenberg: Theorie der Unbegrifflichkeit, S. 15–16. Was dies bedeutet, lässt sich exemplarisch an Blumenbergs Analyse der Auswirkungen des ptolemäischen Weltbildes erahnen: „Der mit dem ptolemäischen System in der Astronomie herrschend gewordene Hypothesenbegriff schloß ja eine dem Gegenstand sich anmessende Erkenntnis, eine nachahmende Darstellung der wirklichen Struktur der Gestirnläufe aus; die phronomische Verifizierbarkeit war das einzige Kriterium astronomischer Hypothesen. Für die Aufstellung eines Modells war also der menschliche Geist auf seine originäre Konstruktionsfähigkeit angewiesen; deshalb wird dem Cusaner diese Leistung exemplarisch für seinen Begriff von Menschgeist, der im Bereich des rationalen und künstlichen Seins genauso schöpferisch ist, wie Gott im Bereich des Realen und der Naturwesenheiten. Die mechanische Konstruktion steht damit durchaus eigenwesentlich dem Naturphänomen gegenüber, das wir nicht durchschauen, es sei denn das Produkt des Menschengeistes ließe sich gleichsam an die Stelle des Produktes des Gottesgeistes setzen. Und eben diese Möglichkeit wird abgelesen an der Funktion des astronomischen Modells; das Modell wird projiziert an die Stelle dessen, was dem theoretischen Objektivationsanspruch essentiell entzogen zu sein schien. Die Struktur dieses Vorganges ist uns schon ganz vertraut: es ist die Struktur der ‚absoluten Metapher‘. Der neuzeitlich kosmologischen Metapher, deren Voraussetzung eine neue Konzeption des menschlichen Geistes war.“ (Hans Blumenberg: Paradigmen zu einer Metaphorologie, S. 98).

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 Metapher und Phänomen

Das spezifische Verhältnis der Metapher zur Wahrheit steht bei Blumenberg in direkter Verbindung zu ihrem Verhältnis zum Begriff.92 Dieses kann – ähnlich wie schon bei Derrida93  – als grundsätzlich dynamisches Verhältnis gedacht werden und auch bei Blumenberg wird das Primat des Begriffs grundlegend infrage gestellt.94 Stattdessen bildet die Metapher hier genealogisch das „Vorfeld des Begriffs“.95 Das ‚Vorfeld‘ meint damit keineswegs nur eine unvermeidliche Durchgangsstation auf dem Weg zum leistungsfähigen Begriff, wie man sie noch Vicos Metapher-Begriff-Genealogie zuschreiben könnte. Neben die Vorstellung, dass die Metapher sich nach hinreichender Anstrengung in den Begriff auflösen lässt,96 setzt Blumenberg auch die umgekehrte Bewegung, die Metaphorisierung von Begriffen, wie sie sich ereignet, wenn aus astronomischen Modellen zum Zwecke der menschlichen Selbstdeutung auf den Status des Menschen im Kosmos geschlossen wird: Dieser Sachverhalt wird zum ersten Mal deutlich an der Art, wie das Kopernikanische System (als Weltmodell doch nur von sehr partieller Reichweite) die Bewußtseinsbedeutunge eines Weltbildes übernahm. Als theoretische Aussage, so wie es 1543 von Kopernikus vorgelegt wurde, enthielt es über den Menschen und seine Weltstellung nichts. Daß der Mensch dennoch in diesem Modell nach einer bildhaften Orientierung für sein kosmisches Selbstbewusstsein suchte, verrät den Bedeutungswandel der primär theoretischen Konstruktion.97

Zentral aber scheint im gesamten Werk Blumenbergs eine dritte Beziehungsstruktur:

92 Letzteren bestimmt Blumenberg als ein Produkt der actio per distans, dem Handeln über räumliche und zeitliche Entfernung hinweg, und darüber hinaus durchaus klassisch als abstraktes Klassifikationsinstrument: „Der Begriff ist der Komplex der Merkmale, nach denen wir Vorstellungen als zugehörig oder unzugehörig zu einem Gegenstand ein- oder aussortieren können. Er ist eine Vorstellung von Vorstellungen, eine Regel für die Komplexion von Vorstellungen.“ (Hans Blumenberg: Theorie der Unbegrifflichkeit, S. 108). 93 Vgl. ausführlicher zu Parallelen zwischen beiden Positionen Dirk Mende: Metapher – Zwischen Metaphysik und Archäologie, S. 223–240. 94 Vgl. zu Jacques Derrida Kap. 6.2. 95 Vgl. Hans Blumenberg: Ästhetische und metaphorologische Schriften, S. 193. 96 „Zunächst können Metaphern Restbestände sein, Rudimente auf dem Wege vom Mythos zum Logos; als solche indizieren sie die cartesische Vorläufigkeit der jeweiligen geschichtlichen Situation der Philosophie, die sich an der regulativen Idealität des puren Logos zu messen hat.“ (Ebd., S. 10). Vgl. für eine Zusammenfassung der Bewegungen von der Metapher zum Begriff am Beispiel der Wahrscheinlichkeit Philipp Stoellger: Metapher und Lebenswelt, S. 161–163. 97 Hans Blumenberg: Weltbilder und Weltmodelle, S. 128. Vgl. hierzu auch Hans Blumenberg: Paradigmen zu einer Metaphorologie, S. 142–165 und Philipp Stoellger: Metapher und Lebenswelt, S. 163–165.

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Dann aber können Metaphern, zunächst rein hypothetisch auch Grundbestände der philosophischen Sprache sein, ‚Übertragungen‘, die sich nicht ins Eigentliche, in die Logizität zurückholen lassen.98

Die Metapher als irreduziblen Grundbestand philosophischen Denkens und Sprechens zu verstehen, statt sie nur als defiziente Vorstufe der philosophischen Begrifflichkeit abzutun,99 kann als die entscheidende Einsicht der blumenbergschen Analyse betrachtet werden. Anders als die begrifflich arbeitende Philosophie der Aufklärung hoffte, so diese Erkenntnis, baut auch die Philosophie auf grundlegende, metaphorische Strukturen auf, die eben nicht in die Begrifflichkeit übersetzt werden können. Für diese Metaphern prägt Blumenberg den Terminus der absoluten Metaphern, die „sich gegenüber dem terminologischen Anspruch als resistent erweisen, nicht in Begrifflichkeit aufgelöst werden können“.100 Sie bilden stattdessen einerseits, wie oben bereits erwähnt, den Bezugsrahmen, in dem theoretische Begriffe bedeutungsvoll werden. Andererseits gehört die Metapher als Vorfeld auch gleichsam zu den Entstehungsbedingungen des Begriffs: Der Aufweis absoluter Metaphern müßte uns wohl überhaupt veranlassen, das Verhältnis von Phantasie und Logos neu zu durchdenken, und zwar in dem Sinne, den Bereich der Phantasie nicht nur als Substrat für die Transformation ins Begriffliche zu nehmen – wobei sozusagen Element für Element aufgearbeitet und umgewandelt werden könnte bis zum Aufbrauch des Bildervorrats –, sondern als eine katalysatorische Sphäre, an der sich zwar ständig die Begriffswelt bereichert, aber ohne diesen fundierten Bestand dabei umzuwandeln und aufzuzehren.101

Dieses Verständnis der Metapher als Grundlage der Begriffsgenese102 vervollständigt das dynamische Prinzip zwischen Metapher und Begriff als drittem Beziehungsmuster. Die Metapher als vorbegriffliche Setzung fungiert als unerschöpfliche Quelle des Begriffs und gleichzeitig als sinnkonstituierender Rahmen, auf den sich der einmal geprägte Begriff zurückbezieht. Die Aufdeckung der drei

98 Hans Blumenberg: Paradigmen zu einer Metaphorologie, S. 10. 99 Für eine ausführlichere Beschreibung des Unterschiedes zwischen Metaphern als Grundund Restbestand vgl. Theodoros Konstantakopoulos: Zur Normativität des Unbegrifflichen: die Metapher und ihre ›Hintergründe‹ vor und bei Hans Blumenberg, S. 170–177. 100 Hans Blumenberg: Paradigmen zu einer Metaphorologie, S. 12. 101 Ebd., S. 11. 102 Vgl. in diesem Sinne auch Dirk Mende: Technisierungsgeschichten. Zum Verhältnis von Begriffsgeschichte und Metaphorologie bei Hans Blumenberg. In: Metaphorologie. Zur Praxis von Theorie. Hrsg. von Anselm Haverkamp. Frankfurt am Main: Suhrkamp 2009, S. 85–108, hier auf S. 89–90.

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 Metapher und Phänomen

möglichen Dynamiken von Metapher und Begriff erfolgt bei Blumenberg über die exemplarische Analyse historischer Beispiele, die Frage welches der drei Verhältnisse also die Regel wäre, muss damit offen bleiben103 und für jeden konkreten Diskursfall neu ermittelt werden. Als exemplarisches Beispiel aus Benjamins Text Möwen ließe sich hier die ‚untergehende Sonne‘ identifizieren.104 Im Untergehen der Sonne manifestiert sich zunächst in einer transparenten Hintergrundmetapher der sinnlich wahrgenommene Eindruck einer Wirklichkeit, die seit Menschengedenken beobachtet und beschrieben wird. Die Begründung der Metapher in einer konkreten Wahrnehmung der Umwelt scheint an diesem Beispiel evident. Gleichzeitig wird deutlich, dass die Metapher weit mehr leistet, als die Beschreibung eines konkreten Sinneseindruckes, schließt an die Metapher von der untergehenden Sonne doch eine ganze Reihe unterschiedlicher Weltmodelle an, die die Erde als fixen Punkt im Verhältnis zu einer beweglichen Sonne, sei es als sie umkreisender Stern, sei es als die Himmelsbahn durchlaufender Gott, entwirft. Die weitreichenden Implikationen dieser Modelle für den Selbstentwurf des Menschen als Betrachter beschreibt Blumenberg eindrucksvoll in seiner Genesis der kopernikanischen Welt.105 Ein dritter Aspekt, der sich mit Blumenberg an dieser Metapher zeigen lässt, ist zudem die Konservierungskraft der Sprache selbst in ihrer Wechselwirkung zur Wahrnehmung. Die Metapher der untergehenden Sonne, so kann hier nur spekuliert werden, wird sich wohl so lange als erfolgreicher Ausdruck durchsetzen, wie sie einer Erfahrung korrespondiert. Da der sinnlich-wahrgenommene alltägliche Eindruck der Sonne über die Jahrtausende hinweg kontinuierlich durch das Untergehen beschrieben werden kann, scheint das Refugium dieser Metapher eine alltägliche Sprache und Sprechsituation zu sein, die, ursprünglich von einer umfassenden Kosmologie begleitet, heute wider besserer wissenschaftlicher Beschreibung der adäquate Ausdruck eines Eindrucks scheint. Ein solider Beleg dieser spekulativen Interpretation müsste mit Blumenberg hier jedoch die Ebene des einzelnen Beispiels und auch des einzelnen Textes verlassen und sich vergleichbaren Beispielen aus unterschiedlichen historischen Epochen und eventuell auch Genres widmen, um mögliche Verschiebungen in der Gestalt, im Gebrauch und im Status dieser Metapher auszumachen.

103 Blumenbergs eigene Beispielanalysen konzentrieren sich zumindest in der Mehrzahl auf das Modell der Metapher als Grundbestand. 104 Eine gänzlich andere Wendung erfährt die Sonne bei Derrida. Vgl. Kap. 6.2., FN 1. 105 Vgl. zur lebensweltlichen Orientierungsleistung von Himmelsphänomenen Manfred Sommer: Suchen und Finden: lebensweltliche Formen. Frankfurt am Main: Suhrkamp 2002, S. 67–104.

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Für alle drei Beziehungsmuster zwischen Metapher und Begriff kann jedoch eine vitale Abhängigkeit zwischen Begriff und Metapher sowohl in der Genese als auch in der Verwendung konstatiert werden.106 Nichtsdestotrotz bleiben Metapher und Begriff als diskrete Phänomene im historischen Fallbeispiel identifizierbar und ihre spezifische Leistung in konkreten Diskursen unangetastet.107 Hier liegt denn auch der genuine Unterschied zwischen Blumenbergs und Derridas Theorie. Aus der Möglichkeit der sicheren Unterscheidung zwischen Metapher und Begriff im Einzelfall generiert sich das Forschungsprogramm der Metaphorologie. Während Blumenberg in der Rückverfolgung historischer Verschiebungen von Metaphern und Begriffen insofern ein positives Unterfangen sieht, als er davon zumindest relative Einsicht in historische Begriffs- und Konzeptbildungsbewegungen erwartet, betrachtet Derrida dieses Unterfangen schlicht als unmöglich, die damit zusammenhängenden Fragen als auf grundsätzlich falschen Annahmen aufgebaut.108 Die absolute Systematik, die Derrida einer Metaphorologie als notwendig unterstellt, ist vor dem Hintergrund der notorischen Instabilität des semiotischen Systems nicht zu erreichen: Die Metaphorologie müsste immer nur neuen, außerhalb ihrer selbst liegenden Metaphern zum Opfer fallen. Dass dies möglicherweise weniger problematisch als von Derrida dargestellt ist, lässt sich argumentieren, wenn man in der Metaphorologie keineswegs ein absolutes

106 Die Problematiken, die sich aus dieser Dynamik für die Möglichkeiten und Bedingungen von Metaphorologie und Begriffsgeschichte ergeben, können hier nicht vertieft werden. Einen Eindruck der Diskussion geben die Beiträge von Gottfried Gabriel: Kategoriale Unterscheidung und „absolute Metaphern“. Zur systematischen Bedeutung von Begriffsgeschichte und Metaphorologie. In: Metaphorologie. Zur Praxis von Theorie. Hrsg. von Anselm Haverkamp. Frankfurt am Main: Suhrkamp 2009, S. 65–85 und Dirk Mende: Vorwort: Begriffsgeschichte, Metaphorologie, Unbegrifflichkeit. In: Metaphorologie. Zur Praxis von Theorie. Hrsg. von Anselm Haverkamp. Frankfurt am Main: Suhrkamp 2009, S. 7–33. 107 „Der Begriff ist der Komplex der Merkmale, nach denen wir Vorstellungen als zugehörig oder unzugehörig zu einem Gegenstand ein- oder aussortieren. Er ist eine Vorstellung von Vorstellungen, eine Regel für die Komplexion von Vorstellungen. […] Der Begriff ist also kein Surrogat der Gegenstände; aber er ist zur Enttäuschung der auf ihn gesetzten philosophischen Erwartungen nicht Erfüllung aller Intentionen der Vernunft, sondern nur eines ihrer Mittel sich zu orientieren und Richtung zu nehmen auf das, worauf es ankommt.“ (Hans Blumenberg: Theorie der Unbegrifflichkeit, S. 109). 108 Als eine solche Prämisse ließe sich hier die schiere Möglichkeit einer (auch nur temporären) Position vor oder außerhalb der différance formulieren. (Vgl. Philipp Stoellger: Metapher und Lebenswelt, S. 207–215). Die Metaphorologie müsste meines Erachtens zu ihrem Geschäft mindestens zwei solcher (wenigstens temporärer) Positionen reklamieren, von denen eine die einer Beobachterposition wäre, von der die Metaphorologie ihr Geschäft betreibt, und die andere die der von ihr beschriebenen und damit systematisch verorteten Metapher wäre.

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 Metapher und Phänomen

Projekt mit dem Ziel der Beherrschung der Metapher sieht (wie es Blumenbergs Texte in meinen Augen auch nahelegen), sondern ein stets auf den konkreten Einzelfall fokussiertes und auf Relationierung und nicht auf Verabsolutierung ausgerichtetes Projekt. Eine relationale Metaphorologie stünde Derridas Projekt deutlich näher als eine systematisch absolut gedachte. Die grundsätzlich ahistorisch motivierte potenzielle Rückwendung eines jeden vermeintlichen Begriffs ins Metaphorische über die fluide Verkettung mit anderen Elementen des semiotischen Systems, die bei Derrida die Unausweichlichkeit der Metapher ausmacht, fehlt bei Blumenberg. Sie muss fehlen, schlicht weil die Perspektive, aus der das Phänomen Metapher heraus bestimmt wird, eine grundsätzlich andere ist. Derrida beschreibt ihre Funktion als Ergebnis der inhärenten Mechanismen des sprachlichen Systems, für das die Bezugnahme auf Außersprachliches letztlich keine Rolle spielt und die in der Metapher die Grundbewegung einer potenziell unauflöslichen Polysemie des sprachlichen Systems aufdeckt. Für Blumenbergs anthropologischen Ansatz dagegen ist die lebenspraktische Bezugnahme und Kategorisierungsleistung der Sprache zentral,109 wenn auch anders beschrieben als in einer klassischen Bedeutungslehre. Bezugnahme ist bei Blumenberg vor allem von praktischer, handlungsweisender Relevanz. Die Metapher leistet durch die Etablierung abstrakter Grundmodelle eine Form von Bezugnahme dort, wo der Begriff sie nicht zu leisten vermag,110 und umgekehrt leistet der Begriff im Detail eine Präzision der Referenz, die der Metapher abgeht. Damit ist diese weniger als eine systemimmanente Notwendigkeit der Sprache charakterisiert, als vielmehr als eine anthropologische Notwendigkeit für unseren Weltbezug, wodurch Blumenbergs Position eher in einer Linie mit Giambattista Vico als mit Derrida zu stehen scheint.111 Grundlegende Prinzipien der anthropologischen Perspektive wie Begrenztheit und Endlichkeit können im semiotischen System Derridas keine Entsprechung haben, ebenso wie umgekehrt die différance als anthropologisches Prinzip nicht zu greifen scheint. Nichtsdestotrotz treffen sich die von unterschiedli-

109 Vgl. ebd., S. 262. 110 Wenn Blumenberg von einer „begreifend-begrifflich nicht erfüllbaren Lücke und Leerstelle“ (Hans Blumenberg: Paradigmen zu einer Metaphorologie, S. 177) schreibt, in die die Metapher einspringt, so scheint hier die schon im aristotelischen Metaphernverständnis nachweisbare Rolle der Metapher als notwendige Ausfüllung begrifflicher Lücken (vgl. Quintilian Kap. 4.1.) mit neuer Dominanz wiederzukehren. 111 Vgl. Blumenbergs Selbstverortung im Verhältnis zu Vico: Hans Blumenberg: Paradigmen zu einer Metaphorologie, S. 11. Die Epochen-Lesart von Vicos Theorie, die in Blumenbergs Augen die fundamentale Schwäche dieses Ansatzes ausmacht, ist zwar eine naheliegende und in der Vico-Rezeption stark vertretene Lesart, stellt aber, wie im Kap. 6.1., FN 3 im Anschluss an Jürgen Trabant gezeigt wurde, nicht die einzige Interpretation dar.

Hans Blumenberg (1920–1996) 

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chen Prämissen herkommenden Theorien Derridas, Vicos und Blumenbergs in der Konsequenz einer unhintergehbaren Metaphorik der Sprache. Bei Derrida gründet diese auf systematischen Grundannahmen über die Sprache. Blumenbergs Metaphorologie fußt dagegen auf evolutionär-anthropologischen Prämissen und zielt auf den historischen Nachweis der unhintergehbaren absoluten Metapher ab. Die entscheidende Prämisse, die Blumenbergs Metaphorologie als historisches Projekt konstituiert, ist die Annahme, dass absolute Metaphern historischen Veränderungen unterliegen: Daß diese Metaphern absolut genannt werden, bedeutet nur, daß sie sich gegenüber dem terminologischen Anspruch als resistent erweisen, nicht in Begrifflichkeit aufgelöst werden können, nicht aber daß nicht eine Metapher durch eine andere ersetzt bzw. vertreten oder durch eine genauere korrigiert werden kann.112

Die Idee der Ersetzung einer absoluten Metapher durch eine andere scheint eine innovative Alternative zur Vorstellung der wörtlichen Paraphrase113 zu bieten, mit der einerseits der genuinen Metaphorizität der Sprache Rechnung getragen werden kann114 und dabei nichtsdestotrotz eine Differenzierung innerhalb dieser metaphorischen Grundbestände ermöglicht wird, die sich aus der Veränderlichkeit ihrer Formationen ergibt. Zentrales Interesse der Metaphorologie ist die Verfolgung und der Nachweis der absoluten Metaphern in historischen Diskursen sowie der Verschiebungen und Brüche, die sich bei der Ablösung einer absoluten Metapher durch eine andere ergeben. Blumenberg sieht in diesen Bewegungen die „Metakinetik geschichtlicher Sinnhorizonte“.115 Im historischen Längsschnitt116 zeigt er

112 Hans Blumenberg: Paradigmen zu einer Metaphorologie, S. 12. 113 Damit wird die Dichotomie metaphorisch-wörtlich, die beispielsweise in der klassisch lateinischen Rhetorik dominiert, bei Blumenberg ersetzt durch die Scheindichotomie metaphorischmetaphorisch. 114 Hier liegt ein zentraler Überschneidungspunkt zwischen Derridas und Blumenbergs Theorien. Ausführlicher beschreibt Dirk Mende diese Nähe zwischen Blumenberg und Derrida, indem er die absolute Metapher Blumenbergs den Gründertropen Derridas gegenüberstellt. Mende bemerkt zudem die Tatsache, dass sich die Zeitgenossen Blumenberg und Derrida gegenseitig nicht zur Kenntnis genommen zu haben scheinen, obgleich die zentralen metapherntheoretischen Texte Paradigmen einer Metaphorologie und „La mythologie blanche“ mit nur zehn Jahren Distanz zueinander erschienen sind. (Vgl. Dirk Mende: Metapher – Zwischen Metaphysik und Archäologie, S. 226–227). 115 Hans Blumenberg: Paradigmen zu einer Metaphorologie, S. 13. Als paradigmatisch für eine solche Ablösung betrachtet Blumenberg die Wechsel von einer organischen zu einer mechanischen Hintergrundmetaphorik zur Beschreibung der jeweils anderen, also mechanischen oder organischen Sphäre. Vgl. ebd., S. 92–111. 116 Vgl. ebd., S. 13.

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 Metapher und Phänomen

an verschiedenen Beispielen epochale Konjunkturen bestimmter Metaphern. Dass diese nicht nur Phänomene der textuellen Oberfläche sind, sondern auf epochenund kulturspezifische Denkmuster verweisen, ergibt sich aus der engen Verknüpfung, die Blumenberg zwischen Sprache, Denken117 und Lebenswelt annimmt. Die Metapher wirkt einerseits normierend auf das Denken, wird andererseits aber auch durch die lebensweltlichen Gegebenheiten einer Epoche determiniert.118 Spätestens hier sollte deutlich werden, dass Blumenbergs historisch-anthropologische Perspektive auf die Metapher diese als ein im Kern kognitives Phänomen begreift: Die Metaphorologie soll heranführen an die „Substrukturen des Denkens“.119 Was Blumenberg als Hintergrundmetaphorik beschreibt, weist dabei bemerkenswerte Schnittmengen mit bestimmten Lesarten der konzeptuellen Metapher auf.120 Betrachtet man diese nämlich nicht als ausschließlich physiologisch, sondern wie in der neueren Forschung immer wieder getan, auch als kulturell determiniert121 und flexibel, so bleiben als charakteristische Merkmale vor allem ihre kognitive, das Denken und die Sprache leitende Funktion, ihr oft unbewusster Einsatz und ihre Modularität. All diese Eigenschaften, das sei zunächst festgehalten, sind im Rahmen von Blumenbergs Metaphorologie reformulierbar. Die Metaphorik erweist sich damit auch bei Blumenberg als textuelle Manifestation von Weltsicht und wirkt als solche gleichzeitig fundamental auf diese zurück: Nicht nur die Sprache denkt uns vor und steht uns bei unserer Weltsicht gleichsam ‚im Rücken‘; noch zwingender sind wir durch Bildervorrat und Bilderwahl bestimmt, ‚kanalisiert‘, in dem, was überhaupt sich uns zu zeigen vermag und was wir in Erfahrung bringen können.122

Sprachliche Ausdrucksmittel und Bildervorrat konstituieren somit die jeweiligen Grenzen eines menschlichen Sinnhorizonts. Dabei bietet derselbe Bildervorrat durchaus alternative Verstehens- und Deutungsmuster für den gleichen Sachverhalt. Die Entscheidung für eine und gegen eine andere absolute Metapher spiegelt, so Blumenbergs Annahme, den Verstehens- und Beschreibungshorizont eines Autors und gelegentlich einer ganzen Epoche. Diese vorbegriffliche, zum

117 Der Begriff mag hier gleichzusetzen sein mit ‚Kognition‘. 118 Vgl. umfänglicher hierzu Theodoros Konstantakopoulos: Zur Normativität des Unbegrifflichen: die Metapher und ihre ›Hintergründe‹ vor und bei Hans Blumenberg, S. 177–181. 119 Hans Blumenberg: Paradigmen zu einer Metaphorologie, S. 13. 120 Vgl. für eine ähnliche Einschätzung des Verhältnisses von Blumenberg zur kognitiven Metapherntheorie Olaf Jäkel: Kant, Blumenberg, Weinrich. 121 Vgl. hierzu Kap. 9.4. zu Zoltán Kövecses. 122 Hans Blumenberg: Paradigmen zu einer Metaphorologie, S. 92.

Hans Blumenberg (1920–1996) 

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Teil unbewusste Normierung des Denkens durch Metaphern fasst Blumenberg mit dem Begriff der Hintergrundmetaphorik. Als Exempel für diese Form der unbegrifflichen Vorentscheidung, die sich durch Epochen historischer Diskurse zieht und in der fundamentale Prämissen der herrschenden Weltsicht implizit kulminieren, führt Blumenberg die organische beziehungsweise alternativ dazu die mechanische Weltmetaphorik an.123 Die Metapher ließe sich im Sinne der Metaphorologie als Manifestation von Substrukturen des Denkens beschreiben, die in Abhängigkeit von konkreten lebensweltlichen Bedingungen Veränderungen unterworfen sind und sich besonders gut im historischen Rückblick entlang dieser Veränderungen aufdecken und untersuchen lassen. Ein solches Verständnis der Metapher scheint nicht nur hochrelevant für eine literatur- und diskurshistorisch interessierte Literaturwissenschaft, sondern kann sich gleichermaßen als Anknüpfungspunkt für neuere Theorien erweisen, in denen die konzeptuelle Metapher zunehmend als historisch variables Phänomen in den Blick gerät.124 Während sich diese linguistisch orientierte Strömung jedoch bislang weitgehend darauf zu beschränken scheint, kleinteilige Veränderungen oder Verschiebungen einzelner textueller Manifestationen von Metaphorik nachzuweisen, scheint ein größerer theoretischer Bogen, wie er in Blumenbergs drei Beziehungsstrukturen von Begriff und Metapher gesehen werden kann, zu fehlen. Als exemplarisch hierfür kann die Arbeit von Caroline Gevaert gelten, die die semantische und konzeptuelle Strukturierung des modernen Konzeptes anger vom Altenglischen bin ins frühneuzeitliche Englisch verfolgt und dabei im Speziellen sprachliche und kulturelle Einflüsse aus dem Lateinischen und anderen romanischen Sprachen berücksichtigt.125 Gevaert kann unter anderem zeigen, dass diese von George Lakoff und Mark Johnson als universal angenommene metaphorische Konzeptualisierung anger is a hot fluid in a container erst mit der Konjunktur der Humorallehre in der europäischen Renaissance aufkommt, mit der die Vorstellung des menschlichen Körpers als Container für Flüssigkeiten einhergeht, während die Konzeptualisierung anger is heat bereits früher vorkommt. Gevaerts korpuslinguistische Arbeit ist naturgemäß weitgehend auf quantitative Häufigkeitsnachweise aus, die gelegentlich um qualitative Analysen ergänzt werden. Das Ergebnis könnte man im Sinne von Blumenbergs metaphorologischem Längs-

123 Vgl. ebd., S. 91–110. 124 Vgl. hierzu vor allem die Arbeiten von Dirk Geeraerts. 125 Vgl. Caroline Gevaert: The History of Anger. The Lexical Field of Anger from Old to Early Modern English. PhD Dissertation. Leuven: Katholieke Universiteit Leuven 2007. https://lirias. kuleuven.be/bitstream/1979/893/2/considered (31. 05. 2016).

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 Metapher und Phänomen

schnitt verstehen, der hier freilich eher durch statistische Auswahlprinzipien konstituiert ist als durch geistesgeschichtliche Prominenz. Damit könnte die Arbeit eine philologische Basis bieten für die literaturwissenschaftlich bearbeitbaren Fragen nach der konkreten Funktionsweise dieser Metaphern beziehungsweise ihrer Konkurrenten in einzelnen Texten.126 Was Gevaert nur lakonisch als Kopplung zweier Metaphern127 diagnostiziert, kann in meinen Augen vor dem Hintergrund des blumenbergschen Theoriehorizontes als literaturwissenschaftliche Frage reformuliert werden: Wie vollzieht sich die Verbindung zweier Metaphern aus nicht-kompatiblen kultur- oder geistesgeschichtlichen Kontexten? Aus dieser Perspektive ließe sich beleuchten, welche textuellen Strategien in diese Kopplung involviert sind, welche Textgenres solche Fusionen begünstigen beziehungsweise verhindern oder wie sich die unterschiedlichen metaphorischen Elemente in den verschiedenen Texten eines Autors zueinander verhalten und entwickeln. Die von Blumenberg diagnostizierte Kopplung von Metaphern und Kognition und die auch vonseiten der kognitiven Linguistik immer wieder benannte Einflussnahme der ‚kulturellen Sphäre‘ ließen sich so mit dem übergreifenderen blumenbergschen Theorieansatz konkreter ausleuchten und die Formen und Strukturen dieser Interaktion genauer nachzeichnen. So könnten die kleinteiligen Analyseraster der kognitiven Linguistik dienstbar gemacht werden, um die von Blumenberg mehr exemplarisch belegte als methodisch explizierte Metaphorologie konkreter zu operationalisieren. Die Theorie Blumenbergs scheint damit neben ihrer Leistungsfähigkeit auf der Ebene der operativen Analyse darüber hinaus durch ihre breite anthropologische Perspektive auch auf der Ebene der weiteren Theoriebildung vielversprechend. Ebenso verhält es sich mit der letzten Theorie dieses Abschnitts von Paul Ricoeur, an der sich das Potenzial einer integrativen Theoriebildung besonders deutlich zeigen lässt und die die Metapher selbst nicht nur als Phänomen mit verschiedenen Beschreibungsebenen erkennbar macht.

126 Hier bewegt man sich im Bereich dessen, was Blumenberg als metaphorologischen Querschnitt an Laktanz exemplifiziert. Vgl. Hans Blumenberg: Paradigmen zu einer Metaphorologie, S. 50–62. 127 Anger is heat und body is a container of fluids. Vgl. Caroline Gevaert: The History of ANGER, S. 263.

Paul Ricoeur (1913–2005) 

8.3 Paul Ricoeur (1913–2005)

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Worte, wie Blumen.128

La métaphore vive (1975) bildet das Herzstück von Paul Ricoeurs Metapherntheorie129 und stellt gleichzeitig neben Emanuele Tesauros Cannocchiale aristotelico130 die umfangreichste zusammenhängende Theorieschrift zur Metapher dar, die im Rahmen dieser Arbeit bisher diskutiert wurde. Das lässt bereits ahnen, dass die Metapher für Ricoeur kein linguistisches Epiphänomen darstellt, sondern dass ihr im Gegenteil eine zentrale Funktion auch mit Blick auf seine phänomenologische Hermeneutik131 zukommt. Die Hermeneutik nimmt in dieser Philosophie eine doppelte Rolle ein: Einerseits ist sie condition humaine, das Verstehen ist mithin Modus der Existenz, andererseits ist sie nicht vollständig identisch mit dieser Existenz, sondern immer auch schon Verfahren, das auf diese Existenz immer nur über Umwege zugreifen kann.132 Ausgangsprämissen sind dabei eine Scheinautonomie des descarteschen cogito,133 die daraus folgende unhintergeh-

128 Diese Metapher Hölderlins (vgl. Friedrich Hölderlin: Sämtliche Werke und Briefe, Band 1: Gedichte. Band 1. Hrsg. von Jochen Schmidt. Berlin: Deutscher Klassiker Verlag 1992, S. 276) diskutiert bereits Heidegger (Martin Heidegger: Unterwegs zur Sprache. Klett-Cotta 2007, S. 205– 208), dessen Interpretation Ricoeur aufgreift, jedoch für den Status der Formulierung als métaphore vive und damit für die Stiftung einer neuen, poetischen Referenz argumentiert. (Vgl. Paul Ricoeur: La métaphore vive. Paris: Seuil 1975, S. 392). 129 In kondensierter Form finden sich die Kernaussagen in dem Aufsatz von Paul Ricoeur: Die Metapher und das Hauptproblem der Hermeneutik. In: Theorie der Metapher. Hrsg. von Anselm Haverkamp. Darmstadt: Wissenschaftliche Buchgesellschaft 1983, S. 356–375 wieder; ergänzende Überlegungen liefert außerdem der Aufsatz Paul Ricoeur: The Metaphorical Process as Cognition, Imagination, and Feeling. In: Philosophical Perspectives on Metaphor. Hrsg. von Mark Johnson. Minneapolis: University of Minnesota Press 1981, S. 228–248. 130 Siehe Kap. 4.3. zu Emanuele Tesauro. 131 Zur scheinbaren Paradoxie dieser Position und ihrer Synthese bei Ricoeur vgl. Alberto Martinengo: Filosofie della metafora. Mailand: Guerini 2016, S. 58. 132 Vgl. zu den verschiedenen Ebenen der hermeneutischen Prozesse und Verfahren Paul Ricoeur: Existence et herméneutique. In: Le Conflit des Interprétations. Paris: Seuil 1969, S. 7–31. Vgl. für eine Einführung in das Thema Jens Mattern: Paul Ricoeur zur Einführung. Hamburg: Junius 1996, S. 52. Eine ausführliche Diskussion des Zusammenhangs zwischen Philosophie und Hermeneutik aus religionswissenschaftlicher Perspektive findet sich bei Christian Ferber: Der wirkliche Mensch als möglicher. Paul Ricœurs Anthropologie als Grundlagenreflexion der Theologie. Göttingen: v&r unipress 2012. Zur grundsätzlichen Vermitteltheit des Seins wie es Pierre Gisel formuliert vgl. ebd., S. 27–33; zur produktiven Funktion der Sprachvermittlung vgl. ebd., S. 152–195 und schließlich zur Metapher als Vermittlung zwischen imaginatio und intellectio vgl. ebd., S. 242–250 und Morny Joy: Derrida and Ricoeur: A Case of Mistaken Identity (and Difference). 133 „Mais le Cogito n’est pas seulement une vérité aussi vaine qu’invincible  ; il faut ajouter encore qu’il est comme une place vide qui a, dès toujours, été emplie par un faux Cogito ; nous

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bare Vermittlung des Seins in seiner Selbstwahrnehmung und schließlich die zentrale Funktion von Zeichen beziehungsweise Kultur bei dieser Vermittlung. Mit dem ersten Punkt schließt Ricoeur an die Phänomenologie Edmund Husserls an, in der das „Ich“ bereits als der Reflexion nicht direkt zugänglich angenommen wird und stattdessen auf dem Umweg über die manifesten Lebensäußerungen und Zeichen, die es in die Welt setzt,134 erforscht werden muss.135 Ricoeurs cogito brisé ist somit zutiefst verwurzelt und bestimmt über seine Leiblichkeit, sein Verhältnis zu anderen und seine Verortung in Kultur und Sprache.136 Der Fokus auf sprachlicher oder zeichenhafter Vermittlung und das anschließende Problem der Hermeneutik ergibt sich aus Ricoeurs Wende zu einer Phänomenologie des Willens und der Möglichkeit und Realität des Bösen137 und gipfelt in seinem dreibändigen opus magnum Temps et récit. In diesem vermisst er das Verhältnis zwischen Zeit, Zeiterfahrung und Erzählung neu und identifiziert dabei im menschlichen Verständnis der zeitlichen Struktur von Erfahrung und Handlung die Grundlage für die narrative Refiguration von zeitlichen Zusammenhängen und Abläufen sowohl in der historischen Erzählung als auch

avons en effet appris, par toutes les disciplines exégétiques et par la psychanalyse en particulier, que la conscience prétendument immédiate est est d’abord ‘conscience fausse’“ (Paul Ricoeur: Existence et herméneutique, S. 21–22). Ferber fasst Ricoeurs cogito-Kritik zusammen: „Ricoeur gesteht im Anschluß an Husserl, so hatten wir es gerade in der Auseinandersetzung mit Freud gesehen, der Philosophie durchaus jenes radikal-unbedingte Moment ihres Anhebens zu, daß sich im Cogito als thetischer Setzung ereignet. Dem ‚Ich denke‘ kommt jene Apodiktizität zu, die aber – und dies ist alles entscheidend – nicht mit einem selbstbezüglichen unmittelbaren Perzeptionsakt verwechselt werden darf. Genau hierin sieht Ricoeur den Fehler der Cartesianischen Cogito-Bestimmung.“ (Christian Ferber: Der wirkliche Mensch als möglicher, S. 189–190). 134 „Il faut donc délibérément sortir du cercle enchanté de la problématique du sujet et de l’objet, et s’interroger sur l’être en général, il faut d’abord s’interroger sur cet être qui est le ‘là’ de tout être, le Dasein, c’est-à-dire sur cet être qui existe sur le mode de comprendre l’être. Comprendre n’est plus alors un mode de connaissance, mais un mode d’être, le mode de cet être qui existe en comprenant.“ (Paul Ricoeur: Existence et herméneutique, S. 21). 135 Vgl. Pierre Giselle: Paul Ricoeur. Eine Einführung in sein Denken. In: Metapher. Zur Hermeneutik religiöser Sprache. Hrsg. von Eberhard Jüngel/Paul Ricoeur. München: Kaiser 1974, hier auf S. 6. Vgl. ausführlich zu diesem Problem bei Husserl Wilhelm Szilasi: Einführung in die Phänomenologie Edmund Husserls. Tübingen: Niemeyer 1959, S. 56–57. 136 Vgl. für eine ausführlichere Bestimmung des Konzeptes des cogito brisé Olivier Abel: Le vocabulaire de Paul Ricœur. Paris: ellipses 2007, S. 17–19. 137 Bei dessen Untersuchung stößt für Ricoeur die reine Reflexion an ihre Grenzen, weshalb er auf den interpretativen Umweg über den Mythos als kulturell-sprachlich konstituierte Ausdrucksform des Bösen und der Schuld zurückgreift. Vgl. Pierre Giselle: Paul Ricoeur. Eine Einführung in sein Denken, S. 9.

Paul Ricoeur (1913–2005) 

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in der fiktionalen Erzählung.138 Die gemeinsame Grundlage, das Vorverständnis der zeitlichen Struktur, stellt denn auch eine Konstante für das Verständnis von Lebenswelt und für das Verständnis von Literatur dar. Die spezifische Leistung der Erzählung, die Refiguration der zeitlichen Struktur in der narrativen Komposition, ist wiederum eng verwandt mit der produktiven Kraft, die Ricoeur der métaphore vive zuschreibt. Das zentrale Anliegen Ricoeurs besteht nun in der Entwicklung oder Weiterentwicklung einer Hermeneutik,139 die (literarische) Texte und alle kulturellen Produkte zunächst im Kern als interpretationsbedürftige und interpretierbare Lebensäußerungen versteht, durch die das Subjekt zu einem Selbstverständnis gelangt.140 Die Metapher avanciert zu einem Kernelement141 der ricoeurschen Hermeneutik, da er in ihr – in Übereinstimmung mit Hans Georg Gadamer142 – die fundamentale Funktionsweise der Sprache niedergeschlagen findet, die immer schon vorgegeben, aber gleichzeitig offen für Innovation ist. Was in Blumenbergs Metaphorologie implizite Prämisse scheint – das spurhafte Verhältnis sprachlich-textlicher Äußerungen zum (real-physischen) Sein und Denken, die in einer analytisch-hermeneutischen Operation aufgeführt und verfolgt werden können  – versucht Ricoeur explizit in einer hermeneutischen Theorie zu formulieren. Deutlich werden in dieser detaillierten Darstellung die vielfältigen Effekte, die sich für die Metapher auf verschiedenen analytischen

138 Vgl. Paul Ricoeur: Temps et récit. Bd. 1 Temps et récit, Bd. 2 Le temps raconté, Bd.  3. La configuration du temps dans le récit de fiction. Paris: Seuil 1983–1985. Ricoeur unterscheidet hier terminologisch in mimesis I, II und III. Mimesis I entspricht dem Vorverständnis der Handlung als strukturiertem Ablauf, wohingegen mimesis II die Verfahren der sprachlichen, narrativen Konfiguration dieses Ablaufs bezeichnet und mimesis III das aus dieser Konfiguration im Akt des hermeneutischen Lesens generierte Verstehen. Vgl. für eine ausführlichere Zusammenfassung Ansgar Nünning/Roy Sommer: Die Vertextung der Zeit. Zur Narratologischen und phänomenologischen Rekonstruktion erzählerisch inszenierter Zeiterfahrungen und Zeitkonzeptionen. In: Zeit und Roman. Zeiterfahrung im historischen Wandel und ästhetischer Paradigmenwechsel vom sechzehnten Jahrhundert bis zur Postmoderne. Hrsg. von Martin Middeke. Würzburg: Königshausen & Neumann 2002, S. 33–57, hier auf S. 36–39. 139 Für einen Überblick über die Entwicklung von Ricoeurs Hermeneutik vgl. Domenico Jervolino: Paul Ricoeur. Une hérmeneutique de la condition humaine. Paris: ellipses 2002, S. 32–35. 140 Diese Funktion der Hermeneutik zur (Selbst-)bestimmung des Subjekts erinnert an Lacan, trägt aber nicht die negativ-gewaltsamen Züge, die die Macht der Zeichen bei diesem ausübt (vgl. Kap. 6.3.). 141 Am Beginn setzt sich Ricoeur zunächst vor allem mit dem Begriff und dem Konzept des Symbols auseinander, bevor er zur Metapher gelangt. Für eine Rekonstruktion dieser Entwicklung vgl. Alberto Martinengo: Filosofie della metafora, S. 77–79. 142 Vgl. hierzu. Hans G. Gadamer: Wahrheit und Methode. Grundzüge einer philosophischen Hermeneutik. Gesammelte Werke 1. Hermeneutik I. Tübingen: Mohr Siebeck 1999, S. 434–436.

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 Metapher und Phänomen

Ebenen identifizieren lassen. Die Metapher verändert damit ihren Status des rein operativen Terminus mit vorwiegend identifikatorischer Funktion (also als Markierung einer bestimmten sprachlichen oder konzeptuellen Konfiguration) und wird als Phänomen und damit nur unter einem bestimmten Blickwinkel und ausschnittsweise wahrnehmbare komplexe Entität erkennbar. Die Metapher als Phänomen mit verschiedenen Entfaltungs- und Wirkungsebenen wird in La métaphore vive in acht Studien143 untersucht, die sich als aufeinander aufbauende Etappen mit zunehmend weiter werdender Perspektive verstehen lassen. Umfang und Tiefe von Ricoeurs Text sind der einmaligen Weise zu verdanken, in der er andere Metapherntheorien aufgreift, ausführt und in seine eigene Argumentation integriert. Dank dieses Vorgehens findet sich in La métaphore vive nicht die sonst gelegentlich geübte rasche Klassifizierung des metapherntheoretischen Feldes als Folie für den eigenen Ansatz, sondern eine ernsthafte Auseinandersetzung mit verschiedenen philosophischen144 und linguistischen145 Metapherntheorien, die in ihrer jeweiligen Perspektive, ihrem Beschreibungsniveau und ihrem Geltungsbereich ernst genommen und für weitere Überlegungen fruchtbar gemacht werden. In der folgenden Diskussion von La métaphore vive werden daher noch einmal einflussreiche Metapherntheorien traditionell geisteswissenschaftlicher Prägung in kondensierter Form Revue passieren gelassen und eine dezidiert metatheoretische Perspektive geöffnet, mit der einerseits die Reichweite und Aussagekraft der einzelnen Theorien im Verhältnis zueinander thematisiert werden kann und andererseits die Dynamiken von Rezeption, Revision und Adaption, die zwischen den Metapherntheorien verschiedener Strömungen stattfinden, in besonders deutlicher Weise sichtbar werden. Zu zeigen sein wird im Folgenden, dass Ricoeur nicht nur chronologisch gesehen oder aus der Dramatik des vorliegenden Textes heraus, sondern auch aus argumentativer Sicht als Markstein einer kontinuierlichen Vermittlung unterschiedlicher theoretischer Perspektiven betrachtet werden kann. Damit kann seine Arbeit als Beleg für einen erfolgreichen Umgang mit der spezifischen Interdisziplinarität und der notwendigen Multiperspektivität bei der Diskussion der Metapher als vielschichtigem Phänomen betrachtet werden.

143 In der deutschen Ausgabe werden diese in sechs Studien zusammengefasst, die eigenständigen Abschnitte II („Le déclin de la rhétorique : la tropologie“) und V („La métaphore et la nouvelle rhétorique“) der französischen Originalausgabe werden in die übrigen integriert. 144 Hier stützt sich Ricoeur besonders auf Aristoteles, Ivor A. Richards, Max Black, Monroe C. Beardsley und Philip Wheelwright und greift in eher kursorischer Kritik Jacques Derrida auf. 145 Hier besonders Emile Beneviste, den er mit Roman Jakobson und den Rhetorikern der Gruppe μ kontrastiert.

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Nichtsdestotrotz hat auch Ricoeurs Metapherntheorie einen klaren Interessensfokus: das Konzept der métaphore vive. Der Begriff, der zunächst nur wie das Antonym der in der Rhetorik gängigen toten Metapher beziehungsweise Katachrese erscheint, präziser aber als das Gegenstück der lexikalisierten Metapher zu verstehen ist und mithin mit Novität oder Originalität assoziiert ist, steht für ein umfangreiches Konzept mit Implikationen auf unterschiedlichen Untersuchungsebenen.146 Ein schlüssiges Bild der métaphore vive verlangt daher meines Erachtens einen Nachvollzug der ricoeurschen Analyseebenen und Leitunterscheidungen.147 Den historischen Einstieg und gleichsam Stichwortgeber für die Metapherndiskussion sieht auch Ricoeur in Aristoteles, dessen Einlassungen zentrale argumentative Funktionen im gesamten Werk einnehmen. Zur Redundanzvermeidung seien hier nur entscheidende Punkte aus der Aristoteles-Studie Ricoeurs aufgegriffen, die zentral für die folgende Argumentation sein werden. Zunächst werden Merkmale eines allgemeinen strukturellen Kerns der Metapher herausgearbeitet,148 der jedoch in den Feldern der Poetik und Rhetorik jeweils spe-

146 Einen Eindruck der Reichweite des ricoeurschen Konzeptes geben seine einleitenden Thesen zur Metapher: „Je propose trois hypothèses interprétatives : dʼabord elle invite à considérer en toute métaphore non seulement le mot ou le nom unique, dont le sens est déplacé, mais la paire de termes, ou la paire de rapports, entre lesquels la transposition opère : […]. Cette remarque porte loin : comme le diront les auteurs anglo-saxons, il faut toujours deux idées pour faire une métaphore. […] Une seconde ligne de réflexion paraît suggérée par l’idée de transgression catégoriale, comprise comme écart par rapport à un ordre logique déjà constitué, comme désordre dans la classification. Cette transgression n’est intéressante que parce quʼelle produit du sens : […]. Si lʼon va jusquʼau bout de cette suggestion, il faut dire que la métaphore porte une information, parce quʼelle « re-décrit » la réalité. […] Une troisième hypothèse, plus aventurée, pointe à l’horizon de la précédente. Si la métaphore relève dʼune heuristique de la pensée, ne peut-on supposer que le procédé qui dérange et déplace un certain ordre logique, une certaine hiérarchie conceptuelle, un certain classement, est le même que celui dʼoù procède toute classification ?“ (Paul Ricoeur: La métaphore vive, S. 31–32). 147 Ein noch detaillierteres und sehr textnahes Resümee von La métaphore vive findet sich bei Raimund Fellinger/Jörg Villwock: Die Metapher als Ereignis. Zu Paul Ricoeurs La métaphore vive. In: Germanisch-Romanische Monatsschrift 26 (NF) (1976), 451–466. 148 Vgl. Paul Ricoeur: La métaphore vive, S. 20–31. Zusammengefasst lässt sich die aristotelische Metapher bei Ricoeur charakterisieren als etwas, das 1) dem Nomen widerfährt, womit die Theorie der Wortfiguren in nuce gegeben ist; 2) durch Bewegung, die Epiphora, charakterisiert ist; 3) den Eintritt eines Nomens an einen fremden Ort bezeichnet, worin die Theorien der Abweichung und Substitution angelegt sind und 4) seine Wirkung stets vor dem Hintergrund bereits gegebener kategorialer und begriffslogischer Einteilungen zeitigt, woran die Theorie der Metapher als Kategorienfehler anschließt.

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zifische Funktionen einnimmt und entsprechende Effekte entfaltet.149 In beiden Feldern ist die Metapher Teil der lexis, der jedoch jeweils ein anderer Status zukommt. Während sie in der Rhetorik die Rolle des Bindeglieds zwischen den persuasiv-kommunikativen und den argumentativ-belehrenden Aspekten der Rede einnimmt,150 sieht Ricoeur sie in der Poetik in erster Linie als Kreuzungspunkt zwischen einer Vorstellung von reproduktiver Mimesis und produktiver weil strukturierender und ordnender Poiesis:151 Quant à la mimesis, elle cesse de faire difficulté et scandale dès lors quʼelle nʼest plus comprise en termes de « copie » mais de redescription. Le rapport entre mythos et mimesis doit être lu dans les deux sens : si la tragédie nʼatteint son effet de mimesis que par l’invention du mythos, le mythos est au service de la mimesis et de son caractère foncièrement dénotatif ; […].152

Die Wechselwirkung zwischen Mimesis und Poiesis in der Kreation des Mythos wird ab Studie drei von wachsender Bedeutung sein, wenn die Fragen nach Referenz und Wahrheitswert der Metapher in den Blick geraten.

149 Vgl. ebd., S. 40–50. 150 Hinsichtlich der Rhetorik fassen Villwock/Felliger zusammen: „Um den von der Sophistik erhobenen Anspruch auf Autonomie der Überredungstechnik wirksam bestreiten zu können, mußte die philosophische Rhetorik die in der Redepraxis verwendeten Beeinflussungsmittel an die Logik zurückbinden und die Theorie des sprachlichen Ausdrucks in einer Theorie der Argumentation fundieren, wodurch allein sichergestellt werden konnte, daß das durch die sprachliche Darbietung beim Hörer erweckte Gefallen auch der Durchsetzung begründbarer Wahrheiten und Einsichten dienstbar blieb.“ (Raimund Fellinger/Jörg Villwock: Die Metapher als Ereignis, S. 452). 151 Diese sprachliche Funktion innerhalb der Poetik kann hier schon als Vorverweis auf die von Ricoeur in seinem Hauptwerk Temps et récit entfalteten drei Stufen der Mimesis gelesen werden. Michaël Fœssel fasst dieses dreistufige Konzept der Mimesis so zusammen: „La réponses à ces questions [nach dem Verhältnis zwischen Textualität, Interpretation und Erfahrung] se trouvent dans la transition aménagée par Ricoeur entre la ‹ configuration › des événements par le récit et leur ‹ refiguration › dans la lecture. […] : le structure prénarrative de l’action (mimèsis I), la mise en forme du temps dans le récit (mimèsis II) et sa reconfiguration dans l’acte de lecture (mimèsis III).“ (Michaël Fœssel: Monde du texte et monde de la vie : Deux paradigmes contradictoires. In: Du texte au phénomène : parcours de Paul Ricoeur. Hrsg. von Marc-Antoine Vallée. Mailand: Éditions Mimèsis 2015, S. 91–109, hier auf S. 100). 152 Paul Ricoeur: La métaphore vive, S. 308. „Was die mimesis angeht, so stellt sie weder eine Schwierigkeit noch einen Stein des Anstoßes mehr dar, wenn sie nicht mehr im Sinne einer ‚Abbildung‘, sondern als Neubeschreibung verstanden wird. Das Verhältnis zwischen mythos und mimesis muß in beide Richtungen gedeutet werden: wenn die Tragödie ihre Mimesiswirkung nur durch die die Erfindung des mythos erzielt, so steht umgekehrt der mythos im Dienste der mimesis und ihres zutiefst denotativen Charakters […].“ (Übersetzung Rainer Rochlitz).

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Zunächst setzt Ricoeur jedoch mit der Analyse von Wort- oder Substitutionstheorien der Metapher an und beginnt damit auf der Ebene der kleinsten linguistischen Einheit, die als Metapher bezeichnet werden kann,153 um im Zuge der Arbeit zu Satz und Werk fortzuschreiten. Grundlegend für die hier einsetzende Argumentation scheint eine Einsicht zu sein, die Ricoeur von Émile Beneviste übernimmt: Mais la présupposition qui précède toutes les autres analyses, et sur laquelle les auteurs passent très vite, est que tous les niveaux de décomposition, dans le sens descendant, et dʼintégration, dans le sens ascendant, sont homogènes. Nous reconnaissons là ce que nous avons appelé le postulat sémiotique. On emprunte, certes, à Benveniste son idée de la hiérarchie des niveaux, mais on en brise la pointe en la privant de son corollaire fondamental, la dualité entre les unités sémiotiques ou signes et les unités sémantiques ou phrases.154

Die Möglichkeit eines stufenlosen Übergangs zwischen einzelnen analytischen Ebenen der Sprache, also zum Beispiel vom Morphem zum Wort, vom Wort zum Satz, vom Satz zum Text, wird von Ricoeur grundlegend angezweifelt. Er geht vielmehr davon aus, dass die jeweils identifizierbaren Elemente der einzelnen analytischen Stufen zwar stets Teile der jeweils nächsthöheren Stufe sind – ein Satz besteht aus Wörtern –, dass aber nichtsdestotrotz die Elemente jeder nächsthöheren Stufe mehr sind als die Summe ihrer Teile.155 Sie haben daher eigene analysierbare Charakteristika und Funktionalitäten innerhalb der neu konstituierten Ebene. Diese Grundannahme erlaubt es Ricoeur, verschiedene Theorien der Metapher als adäquate Beschreibungen einer bestimmten Ebene der sprachlichen Analyse-Einheiten zu analysieren, die Charakteristika der métaphore vive auf jeder Ebene herauszustellen und eine ebenenübergreifende Beschreibung des Phänomens zu entwerfen. Besonders plastisch wird sein integratives Verfahren

153 Ricoeur spricht im Zusammenhang mit der Substitutionstheorie stets vom Wort, das Sem scheint in dieser Hinsicht aber vergleichbar, wie sich aus seiner Diskussion der Sem-Analyse schließen lässt. Vgl. ebd., S. 174–177. 154 Ebd., S. 200. „Die Voraussetzung, die allen anderen Untersuchungen zugrunde liegt und über die alle Autoren sehr rasch hinweggehen, besteht jedoch in der Annahme, daß alle Ebenen der Zergliederung (im absteigenden Sinne) und der Integration (im aufsteigenden Sinne) zueinander homogen sind. Hier erkennen wir, was wir oben das semiotische Postulat nannten, wieder. Zwar wird Benevistes Idee der Hierarchie der Ebenen übernommen, doch wird ihr die Spitze abgebrochen, indem man sie ihrer grundlegenden Folgerung beraubt: der Dualität von semiotischen Einheiten oder Zeichen und semantischen Einheiten oder Sätzen.“ (Übersetzung Rainer Rochlitz). 155 Vgl. für das Bespiel Wortebene-Satzebene ebd., S. 88–91.

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in seiner Diskussion der semiotischen und prädikativen Metapherntheorien, zu denen er notiert: Il nʼy a donc pas, à proprement parler, de conflit entre la théorie de la substitution (ou de lʼécart) et la théorie de lʼinteraction ; celle-ci décrit la dynamique de lʼénoncé métaphorique ; seule elle mérite dʼêtre appelée une théorie sémantique de la métaphore. La théorie de la substitution décrit lʼimpact de cette dynamique sur le code lexical où elle lit un écart : ce faisant, elle offre un équivalent sémiotique du procès sémantique. Les deux approches sont fondées dans le caractère double du mot : en tant que lexème, il est une différence dans le code lexical ; cʼest à ce premier titre quʼil est affecté par lʼécart paradigmatique que décrit Jean Cohen; en tant que partie du discours, il porte une partie du sens qui appartient à lʼénoncé entier ; cʼest à ce deuxième titre quʼil est affecté par l’interaction que décrit la théorie dite elle-même de lʼinteraction.156

Das ‚semiotische Postulat‘ bedingt die Theorien der Substitution oder Abweichung. Ricoeur bestimmt es ausgehend von Saussure als Beschreibung der Sprache als differenziellem Code, als dessen analytische Ebene er das Wort identifiziert. Am Beispiel der Gruppe μ157 und Roman Jakobsons zeigt Ricoeur, dass die semiotischen Theorien einerseits analytisch detailliert und andererseits hinsichtlich der angenommenen explanatorischen Mechanismen extrem sparsam sind. Die Metapher fügt sich in der Sem-Analyse der Gruppe μ nahtlos in ein Schema, das alle Figuren zunächst als Abweichungen klassifiziert und alle Formen der Abweichung auf drei Grundoperationen zurückführt.158 Die Meta-

156 Ebd., S. 200. „Es gibt also keinen eigentlichen Konflikt zwischen der Theorie der Substitution (oder der Abweichung) und der Theorie der Wechselwirkung; diese beschreibt die Dynamik der metaphorischen Aussage, nur sie verdient den Namen einer semantischen Metapherntheorie. Die Substitutionstheorie beschreibt die Wirkung dieser Dynamik auf den lexikalischen Code, in dem sie eine Abweichung feststellt: dadurch gibt sie ein semiotisches Äquivalent für den semantischen Prozess. Beide Theorien haben ihre Grundlage im Doppelcharakter des Wortes: als Lexem ist es ein Differenzmoment im lexikalischen Code; in dieser ersteren Hinsicht wird es von der paradigmatischen Abweichung betroffen, die Jean Cohen beschreibt; als Teil der Rede trägt es einen Teil des Sinnes, der der gesamten Aussage zukommt; in dieser zweiten Hinsicht wird es von der Wechselwirkung betroffen, die von der danach benannten Theorie beschrieben wird.“ (Übersetzung Rainer Rochlitz). 157 Unter dem Namen Gruppe µ arbeiteten ab den 60er Jahren Francis Édeline, Jean-Marie Klinkenberg, Jacques Dubois, Francis Pire, Hadelin Trinon, Philippe Minguet und andere gemeinsam an einem formal-semiotischen Projekt zu dessen Ergebnissen u. a. die Rhétorique générale (1970) gehört. 158 Diese vier Operationen finden sich bei Quintilian unter dem Überbegriff der quadripartita ratio: (i) die ‚adiectio‘ (die Hinzufügung), (ii) die ‚detractio‘ (die Auslassung), (iii) die ‚immutatio‘ (die Ersetzung) und die ‚transmutatio‘ (die Vertauschung). (Vgl. Quintilian: Institutio Oratoria,

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pher wird hier als Summe zweier Synekdochen analysierbar.159 Gleiche analytische Eleganz gesteht Ricoeur der Metapherntheorie Roman Jakobsons160 zu, dessen These von der Polarität der Sprache die Metapher zum exemplarischen Fall der Funktionsweise der paradigmatischen Substitution macht.161 Trotzdem entgeht diesen beiden Theoriemodellen in Ricoeurs Augen der fundamentale Sinneffekt der Metapher. Er muss ihnen entgehen, weil die semiotische Analyse den Satz nicht als eine distinkte, spezifischen Funktionsprinzipien und Leitunterscheidungen folgende Ebene der Sprache auffasst, sondern ihn nur als Reihe von Semen analysieren kann. Die weitreichenden Schwierigkeiten, die Ricoeur bei einer ausschließlichen Fokussierung auf die Ebene des Wortes oder des Sems ausführt, betreffen einerseits den historischen Charakter der Sprache als solcher, andererseits den Identifikationsrahmen der konstatierten Abweichung. Die semiotische Perspektive muss in Ricoeurs Augen diesen historischen Charakter verfehlen, da sie die Metapher nur als systematische Abweichung fassen kann. In der historischen Perspektive bildet sich jedoch die Regel, von der sich die Abweichung absetzen kann, erst mit der Zeit durch Wiederholung heraus. Sie ist weder gesetzt noch unveränderlich, eine Tatsache, für die eine reine Systematik blind bleiben muss162 – ein Problem, das in seiner ganzen Struktur und Reichweite auch die im Folgenden noch zu diskutierenden, vor allem auf eine systematische Perspektive setzenden kognitiven Theorien der Metapher betrifft und am Ende dieser Arbeit unter den Schlagworten diachrone versus synchrone Metaphernforschung auch in seinen methodologischen Konsequenzen zu diskutieren sein wird.163 Im Phänomen der Polysemie sieht Ricoeur seine Annahme über das Zusammenwirken von systematischen und diachronischen Aspekten, von langue und parole bestätigt. Die Polysemie lässt sich einerseits systematisch mit der Listung paralleler Bedeutungen feststellen, kann aber gleichermaßen diachron über die stufenweise Veränderung von Bedeutungen nachgezeichnet werden.164 Am Anfang jeder Polysemie steht in diachroner Perspektive eine Abweichung

Buch 1.5.5). Die Gruppe μ übertragen diese Operationen über eine enge Vorstellung von Rhetorik hinaus auf alle Operationen der Rede. Vgl. Jacques Dubois: Allgemeine Rhetorik. 159 Vgl. ebd., S. 176–187. Die Synekdoche übernimmt damit im System der Gruppe µ die Funktion einer irreduziblen Master-Trope, die sonst in der Regel der Metapher zugeschrieben wird (z. B. durch Jakobson). 160 Vgl. zu Jakobson Kap. 7.1. 161 Vgl. ebd. S. 172. 162 Vgl. Paul Ricoeur: La métaphore vive, S. 156 ff. 163 Vgl. dazu Kap. 9.6. 164 Vgl. Paul Ricoeur: La métaphore vive, S. 156–158.

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(Impertinenz), die im Fall der métaphore vive von einer neuen Pertinenz und damit einer nachhaltigen Veränderung des Systems gefolgt wird. Die métaphore vive schlägt sich aus Perspektive der Sem-Analyse letztlich nur als weitere Variante im System des Codes nieder; ihr Mechanismus, der die Impertinenz einer neuen Metapher begründet, bleibt unfasslich. Die semantische Innovation, die Ricoeur der métaphore vive zuschreibt, muss daher auf einer anderen Ebene fassbar gemacht werden: auf der Ebene des Satzes oder der Prädikation. Pate auf dieser Ebene stehen Ricoeur Ivor A. Richards und Max Black.165 Erst in der Prädikation, in der mindestens zwei Seme koordiniert miteinander interagieren, tritt die charakteristische Abweichung der Metapher zutage, die Ricoeur mit Jean Cohen als Impertinenz bezeichnet. Mit der impertinenten Prädikation bringt Ricoeur an dieser Stelle auch die theoretische Linie ins Spiel, die die Metapher als Kategorienfehler oder -verletzung beschreibt und die ihre vollen Konsequenzen in der folgenden Studie zur metaphorischen Wahrheit entfalten wird.166 Mit der notwendig syntagmatischen Struktur der Prädikation ist aber der zumindest von Jakobson für die Metapher gesteckte Rahmen der Paradigmatik verlassen; die Interaktion der impertinenten Prädikation entfaltet sich erst entlang der syntagmatischen Achse, im Diskurs.167 Die Pointe von Ricoeurs Analyse besteht nun in der Koordinierung der beiden Beschreibungsebenen: Statt konkurrierender, einander ausschließender Perspektiven ergibt sich eine komplementäre Perspektive. An dieser Stelle sollte bereits die integrative Vorgehensweise Ricoeurs deutlich geworden sein, die seine Studie in meinen Augen entscheidend von anderen Theorieschriften absetzt. Bekannte theoretische Positionen  – hier die Wort- beziehungsweise Substitutionstheorie und die Aussage- beziehungsweise Prädikationstheorie – werden aufgegriffen und vermittelnd zusammengeführt, um daraus einen neuen Ansatzpunkt für die weitere Beschreibung des metaphorischen Phänomens zu gewinnen. Dieses lässt sich, so die erste Erkenntnis aus Ricoeurs Theorielektüre und Rekonstruktion, nicht ausschließlich innerhalb einer der Ebenen der Sprachanalyse verorten, sondern ist als Austauschprozess zwischen den Ebenen charakterisiert. Enfin, il est possible de formuler ce mécanisme tour à tour en termes dʼénoncé et en termes de mot. Les deux analyses deviennent non seulement complémentaires, mais réciproques.

165 Vgl. Kap. 3.1. 166 Vgl. Paul Ricoeur: La métaphore vive, S. 310–325. Als Vertreter der category mistake theory führt Ricoeur hier Gilbert Ryle und später Colin Murray Turbayne an (vgl. ebd., S. 115). 167 Vgl. ebd., S. 88–90.

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De même que la métaphore-énoncé a pour « foyer » un mot en mutation de sens, le changement de sens du mot a pour « cadre » une énonciation complète en tension de sens.168

Hier wird eine weitere, metatheoretische Erkenntnis von Ricoeurs Vorgehen erkennbar. Dazu muss man noch einmal zu Ricoeurs (und Benevistes) Annahme über die Analyse-Einheiten und Ebenen der Sprache (Wort, Satz, Rede/Werk) zurückkehren, die lautete, dass jede Analyse-Einheit eigene Funktionsprinzipien hat und dass jede höhere Einheit zwar aus Einheiten der jeweils darunter liegenden Ebene zusammengesetzt ist, aber dennoch mehr ist als die Summe ihrer Teile. Die Idee des kontinuierlichen Aufbaus der Ebenen aufeinander lässt es wahrscheinlich werden, dass analytisch fassbare ‚Abweichungen‘, wie die mit dem ‚semiotischen Postulat‘ gefasste Wort-Metapher, auch auf allen höheren Ebenen (Satz, Rede/Werk) Effekte zeitigen müssen. Eine Beschreibung der Metapher ausschließlich auf einer der analytischen Ebenen muss daher mit Blick auf die vielfältigen Effekte des Phänomens Stückwerk bleiben. In einer Variation über das berühmte Derrida-Diktum ließe sich sagen, dass jede Definition der Metapher nicht eine neue Metapher der Metapher, sondern ein weiteres pars pro toto der Metapher generiert. Nichtsdestotrotz ist die Beschreibung der metaphorischen Effekte auf den Einzelebenen notwendig, da die jeweiligen Effekte der Metapher anhand der ebenenspezifischen Funktionsmechanismen der Sprache am präzisesten greifbar und analysierbar werden. Entsprechend ist mit der Verortung des metaphorischen Prozesses zwischen Satz und Wort das Konzept der métaphore vive noch nicht in vollem Umfang klar, da der beschriebene Prozess entscheidende Auswirkungen auf die nächsthöhere sprachliche Analyse-Einheit – bei Ricoeur die Rede oder das Werk – hat. Am Anfang der Diskussion des Phänomens Metapher im Zusammenhang mit Rede/Text169 führt Ricoeur die analytischen Kategorien für diese Ebene in Form von fünf Begriffspaaren ein: 1. Ereignis und Sinn; 2. Identifikation und Prädikation; 3. Lokution versus Illokution; 4. Sinn und Referenz; 5. Referenz auf die Wirk-

168 Ebd., S. 171. „Zum Abschluß dieser Studie sei gesagt, daß die Metapher ein Mechanismus des Austausches zwischen Wort und Satz ist. Man kann diesen Mechanismus als Aussage- und als Wortphänomen formulieren. Beide Analysen werden nicht nur komplementär, sondern auch reziprok. Wie die Aussagemetapher ein Wort mit Sinnabweichung zum ‚Fokus‘ hat, so hat die Sinnabweichung den ‚Rahmen‘ einer vollständigen Aussage mit gespanntem Inhalt.“ (Übersetzung Rainer Rochlitz). 169 Anders als Gadamer scheint Ricoeur eher die Rede als Text zu begreifen, denn den Text als Rede, indem er zunächst auf die grundlegenden Unterschiede zwischen beiden hinweist und anschließend den (literarischen) Text als Paradigma der Hermeneutik behandelt. Vgl. Paul Ricoeur: La métaphore et le problème central de l’herméneutique. In: Revue Philosophique de Louvain 70:5 (1972), S. 93–112, hier auf S. 106–107.

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lichkeit und Referenz auf den Sprecher.170 Alle fünf Unterscheidungen zielen darauf ab, die Polarität der Sprache als einerseits systematisch-stabiles und autonomes Zeichensystem und gleichzeitig als durch die Aktualisierung in der Rede situationsgebundenes, flüchtiges und flexibles Geschehen zu beschreiben. Für die Bestimmung der métaphore vive ist vor allem dieser zweite Aspekt entscheidend, denn erst er schafft überhaupt die Möglichkeit der Innovation. Während in einem autonomen, in sich geschlossenen Sprachsystem nur die Rekombination des schon Bestehenden möglich scheint, besteht durch die Aktualität der Rede und ihre situative Kontextbindung die Chance auf Bedeutungsinnovation.171

170 Das erste Begriffspaar kontrastiert eine rein semantische Analytik des Satz-Sinns mit der Ergänzung um das redespezifische Charakteristikum der situationsgebundenen Ereignishaftigkeit. In der Rede kommen beide Elemente zusammen: Ein Rede-Ereignis ist flüchtig und gleichzeitig identifizier- und reproduzierbar. (Vgl. Paul Ricoeur: La métaphore vive, S. 92). Das zweite Paar unterscheidet die spezifisch identifizierende Denominationsfunktion der Sprache von ihrer allgemein beschreibenden Funktion. (Vgl. ebd., S. 93). Konkret bezeichnet Ricoeur dieses Paar als funktionale Polarität der Sprache: „Dʼoù la polarité fondamentale du langage qui, dʼune part, sʼenracine dans des individus dénommés, dʼautre part, prédique des qualités, des classes, des relations et des actions qui sont en droit universelles. Le langage fonctionne sur la base de cette dissymétrie entre deux fonctions.“ (Ebd., S. 94). Die ganze Tragkraft dieser Unterscheidung tritt erst im spezifischen Identifikationskontext einer konkreten, situationsgebundenen Rede zu Tage. Hinzu tritt die Unterscheidung Illokution/Lokution, mit der die performativen und die konstativen Charakteristika der Rede beschreibbar gemacht werden. Ricoeur übernimmt die Terminologie von John Langshaw Austin, spart aber die Perlokution als nicht zum Problembereich der Metapherndiskussion zugehörig aus. Durch diese Unterscheidung können psychologische Elemente, die die Sprache als ein von einem Sprecher Gesprochenes ausweisen, wie Glauben, Wunsch, Zweifel, markiert werden. (Vgl. ebd., S. 96). Mit dem Unterscheidungspaar Sinn und Referenz schließt Ricoeur an Gottlob Freges Unterscheidung SinnBedeutung an und sieht darin die entscheidende Selbsttranszendierung der Sprache (vgl. ebd., S. 97), die erst die sprachliche Bezugnahme auf Außersprachliches ermöglicht. Das Verständnis eines Satzes wird nicht nur über die sprachinterne ex negativo Bestimmung der Zeichen geleistet, sondern auch durch die Möglichkeit der referenziellen Bezugnahme auf Außersprachliches. (Vgl. ebd., S. 97–98). Die letzte Unterscheidung zwischen Referenz auf die Wirklichkeit und Referenz auf den Sprecher erlaubt schließlich, im Phänomen der Referenz selbst die redespezifischen Charakteristika zu markieren, nämlich die Teile, die erst referenzielle Bedeutung erlangen, wenn jemand spricht, wie z. B. die Personalpronomen (ebd., S. 98). Eine kondensierte Zusammenfassung dieser Unterscheidungen und ihrer Beziehung zur Metapher findet sich auch im Aufsatz Paul Ricoeur: La métaphore et le problème central de l’herméneutique, S. 106–109. 171 Christian Strubs Modelle der ‚Entdeckungswelt‘ und der ‚Erfindungswelt‘ scheinen hier im semiotischen System bzw. in den lebensweltlichen Kontextbedingungen ihre jeweilige Entsprechung zu finden. Vgl. Christian Strub: Abbilden und Schaffen von Ähnlichkeiten.

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Dans lʼénoncé métaphorique (nous ne parlerons donc plus de métaphore comme mot, mais de métaphore comme phrase), lʼaction contextuelle crée une nouvelle signification qui a bien le statut de lʼévénement, puisquʼelle existe seulement dans ce contexte-ci. Mais, en même temps, on peut lʼidentifier comme la même, puisque sa construction peut être répétée ; ainsi, lʼinnovation dʼune signification émergente peut être tenue pour une création linguistique. Si elle est adoptée par une partie influente de la communauté linguistique, elle peut à son tour devenir une signification usuelle et sʼajouter à la polysémie des entités lexicales, contribuant ainsi à lʼhistoire du langage comme langue, code ou système. Mais, à ce stade ultime, lorsque lʼeffet de sens que nous appelons métaphore a rejoint le changement de sens qui augmente la polysémie, la métaphore nʼest déjà plus métaphore vive, mais métaphore morte. Seules les métaphores authentiques, cʼest-à-dire les métaphores vives, sont en même temps événement et sens.172

Die Charakterisierung der métaphore vive als Sinn und Ereignis, als systematisch stabilisierbar und flexibel, lenkt den Fokus der Analyse auf den Kontext. Nur durch den Kontext, also den Bezug auf ein Außerhalb der metaphorischen Aussage wird deren Flexibilität denkbar. Hier rückt, formalisiert in der vierten Unterscheidung, das Problem der Referenz in den Fokus, das in der vorletzten Studie zentral werden wird. Zunächst nimmt Ricoeur jedoch die nächstgrößere sprachliche Einheit, das nächsthöhere Analyselevel in den Blick: das sprachliche Kunstwerk, den Text,173 an dem sich die Charakteristika der Rede entfalten

172 Paul Ricoeur: La métaphore vive, S. 127. „In der metaphorischen Aussage (wir sprechen also nicht mehr von der Metapher als Wort, sondern als Satz) schafft die Kontextwirkung eine neue Bedeutung, die durchaus den Stellenwert eines Ereignisses hat, da sie nur in diesem Kontext existiert. Zugleich jedoch läßt sie sich als identisch festhalten, da sie wiederholt konstruiert werden kann; so kann die Innovation einer aufblitzenden Bedeutung als sprachliche Schöpfung gelten. Wird sie von einem einflußreichen Teil der Sprachgemeinschaft übernommen, so kann sie wieder zu einer gewöhnlichen Bedeutungen und zu der Polysemie der lexikalischen Elemente hinzukommen, so daß sie in die Geschichte der Sprache als langue, Code oder System eingeht. Auf dieser letzten Stufe jedoch, wenn die Sinnwirkung die wir Metapher nennen zu einer Sinnveränderung geworden ist, die die Polysemie vermehrt, ist die Metapher schon keine lebendige mehr, sondern eine tote. Nur die echten, also die lebendigen Metaphern sind zugleich Sinn und Ereignis.“ (Übersetzung Rainer Rochlitz). 173 Diesen definiert Ricoeur in erster Linie als Effekt der Poiesis: „Le texte est une entité complexe de discours dont les caractères ne se réduisent pas à ceux de lʼunité de discours ou phrase. Par texte, je nʼentends pas seulement ni même principalement lʼécriture, bien que lʼécriture pose par elle-même des problèmes originaux qui intéressent directement le sort de la référence ; jʼentends, par priorité, la production du discours comme une œuvre. Avec lʼœuvre, comme le mot lʼindique, de nouvelles catégories entrent dans le champ du discours, essentiellement des catégories pratiques, des catégories de la production et du travail dʼabord, le discours est le siège dʼun travail de composition,  […] qui fait dʼun poème ou dʼun roman une totalité irréductible à une simple somme de phrases. Ensuite, cette « disposition » obéit à des règles formelles, à

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lassen. Wie der Übergang vom Wort zum Satz, so ist auch der Übergang vom Satz zum Werk kein homogener: Mais lʼœuvre littéraire nʼest pas seulement une entité linguistique homogène à la phrase et qui nʼen différerait que par la longueur  : c’est une totalité organisée à un niveau propre, […]. […] : qui, à la différence de la distinction précédente entre lʼimplicite et lʼexplicite, nʼest discernable quʼau plan de lʼœuvre prise comme un tout, bien quʼelle ait encore son fondement dans la sémantique de la phrase ; mais cʼest lʼœuvre, en tant que telle, qui révèle après coup cette propriété du discours.174

Bei der Beschreibung dieser Ebene stützt sich Ricoeur einerseits auf Monroe C. Beardsley, andererseits greift er zurück auf die erste Studie des Bandes, in der er die aristotelische Metapherntheorie untersucht und in ihrem Kern die enge Interaktion von mimesis und poiesis entdeckt: „La mimêsis est poiêsis, et réciproquement.“175 Das Werk folgt hier nicht nur der Logik einer rein imitierenden Mimesis, sondern gleichzeitig der konstruktiven Logik der Poiesis, als Komposition und damit Schöpfung.176 In der Tragödie schlägt sich diese Logik in der geordneten Struktur des Mythos und in dessen sprachlicher Form177 nieder, zu deren Gestaltung die Metapher anempfohlen wird: Replacée sur le fond de la mimêsis, la métaphore perd tout caractère gratuit. Considérée comme simple fait de langage, elle pourrait être tenue pour un simple écart par rapport au langage ordinaire, à côté du mot rare, insolite, allongé, abrégé, forgé. La subordination de la lexis au muthos place déjà la métaphore au service du « dire », du « poématiser », qui s’exerce non plus au niveau du mot, mais du poème entier ; à son tour la subordination du

une codification, qui n’est plus de langue, mais de discours, et qui fait de celui-ci ce que nous venons dʼappeler un poème ou un roman. […] Enfin, cette production codifiée se termine dans une œuvre singulière : tel poème, tel roman ce troisième trait est finalement le plus important ; on peut lʼappeler le style, […] ; il est le plus important parce que cʼest lui qui distingue de façon irréductible les catégories pratiques des catégories théoriques ; […].“ (Ebd., S. 277). 174 Ebd., S. 118–119. „Das literarische Kunstwerk ist jedoch nicht nur eine dem Satz entsprechende linguistische Wesenheit, die sich von ihm nur durch ihre Länge unterschiede; es ist eine auf spezifischer Stufe strukturierte Totalität, […]. […] : im Gegensatz zur vorherigen Unterscheidung zwischen dem Impliziten und Expliziten läßt sich diese Unterscheidung innerhalb der Bedeutung nur auf der Ebene des Werks als Ganzem vornehmen, obwohl sie immer noch eine Grundlage in der Semantik des Satzes hat; erst das Werk als solches läßt nachträglich diese Eigenschaft der Rede erkennen.“ (Übersetzung Rainer Rochlitz). 175 Ebd., S. 56. „Die mimesis ist poiesis und umgekehrt.“ (Übersetzung Rainer Rochlitz). 176 In diesem zentralen Gedanken liegt die enge Verbindung zwischen der Métaphore vive und Temps et récit. 177 Vgl. ebd., S. 57–58.

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muthos à la mimêsis donne au procédé de style une visée globale, comparable à celle de la persuasion en rhétorique.178

Durch die Strukturierung des Werks unter anderem durch die Metapher eröffnet sich eine neue analytische Dimension, in der Ricoeur mit Beardsley die ‚Welt des Werkes‘ und das ‚Wesen des Werkes‘ unterscheidet,179 den potenziellen referenziellen Bezug eines Textes einerseits und die intrinsische semantische Sinn-Struktur andererseits. Indem die Literaturkritik nach Ricoeur den ersten Punkt suspendiert und ihr Hauptaugenmerk auf den zweiten Punkt richtet, bewegt sie sich im Bereich des Sinns, jenseits der Referenz. Für Bestimmung und Beschreibung des Sinns eines Werkes zitiert Ricoeur Beardsleys Prinzip der Selektion von Sinn und das Prinzip der Fülle von Sinn.180 Diese zwei funktionalen Prinzipien weisen eine hohe Übereinstimmung mit den Verstehensprinzipien der Relevance Theory auf beziehungsweise mit deren Anwendung auf das Verstehen literarischer Texte:181 Das Werk wie die Metapher bieten in beiden Perspektiven statt eines konventionalisierten Sinns zunächst eine Bandbreite von Sinnoptionen, die sich, obwohl einige Optionen wegen ihrer gegenseitigen Inkompatibilität entfallen, nicht auf eine einzige Option reduzieren lassen. Die Suggestion einer grundlegenden Sinnhaftigkeit, die vom Text ausgeht, im Verbund mit der Unmöglichkeit einer eineindeutigen Festlegung dieses Sinns sind jedoch die zentralen Charakteristika der métaphore vive als Sinn und Ereignis.182

178 Ebd., S. 57. „Vor dem Hintergrund der mimesis verliert die Metapher alles Willkürliche. Als bloßes Sprachphänomen betrachtet, könnte man sie für eine einfache Abweichung von der gewöhnlichen Sprache […] halten. Die Unterordnung der lexis unter den mythos stellt bereits die Metapher in den Dienst des ‚Sagens‘, des ‚Dichtens‘, das nicht mehr auf der Ebene des Wortes, sondern auf der des gesamten Gedichtes wirkt; die Unterordnung des mythos unter die mimesis wiederum verleiht dem Stilmittel eine Orientierung auf das Ganze, die der der Überzeugung in der Rhetorik vergleichbar ist.“ (Übersetzung Rainer Rochlitz). 179 Vgl. ebd., S. 277–278. 180 „Ce premier principe est plutôt un principe de sélection  ; dans la lecture dʼune phrase poétique, nous refermons progressivement lʼamplitude de lʼéventail des connotations, jusquʼà ne retenir que celles des significations secondaires susceptibles de survivre dans le contexte total. Le second principe corrige le premier ; cʼest un principe de plénitude : toutes les connotations qui peuvent « aller avec » le reste du contexte doivent être attribuées au poème : celui-ci « signifie tout ce quʼil peut signifier » ; ce principe corrige le précédent, en ce sens que la lecture poétique, à la différence de celle dʼun discours technique ou scientifique, nʼest pas placée sous la règle de choisir entre deux significations également admissibles dans le contexte.“ (Ebd., S. 124). 181 Vgl. Kap. 7.2. 182 Paul Ricoeur: La métaphore vive, S. 126 ff.

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Auch wenn man Ricoeurs Definition der Literaturkritik nicht folgen möchte, so bringt seine explizite Ausweitung der Fragestellung auf die Ebene des literarischen Werkes die Metapher so explizit wie selten in den Mittelpunkt auch literaturwissenschaftlicher Fragestellungen und löst sie von einer Diskussion des Phänomens auf Satzebene. Semiotische oder philosophisch-analytische Beschreibungen der Metapher auf Wort- oder Satzebene lassen sich vor diesem Hintergrund als reine Vorstufen der Interpretation erkennen, da sie die Einheit des Werkes als strukturiertes Ganzes183 unberücksichtigt lassen müssen. Indem an die Metapher eine Wirkung auf die Gesamtheit des Werkes geknüpft wird, erfolgt der hermeneutische Zirkelschlag von den Einzelkonstituenten (Wort und Satz) zum Werk als strukturierter Gesamtheit. Die hermeneutische Wechselwirkung zwischen Metapher (als Aussagephänomen) und Werk bringt Ricoeur mit dem Begriffspaar Erklären-Interpretieren auf den Punkt: D’un premier point de vue, c’est la compréhension de la métaphore qui peut servir de guide à la compréhension de textes plus longs, disons d’une œuvre littéraire. Ce point de vue est celui de l’explication  ; il met seulement en cause cet aspect de la signification que nous appelons le «  sens  », c’est-à-dire le dessin immanent du discours. Mais d’un autre point de vue, c’est la compréhension d’une œuvre prise comme un tout qui donne la clé de la métaphore ; cet autre point de vue est celui de l’interprétation proprement dite, laquelle développe le second aspect de la signification que nous avons appelé la référence, c’est-àdire la direction intentionnelle vers un monde et la direction reflexive vers un soi.184

183 Auf die komplexe Frage nach einer klaren Definition von Werk oder Text und den Problemen solcher Definition kann hier nicht eingegangen werden. Erwähnt sei lediglich, dass Ricoeur dieses Problem im Sinne einer Minimaldefinition löst, wenn er schreibt: „Une première chose frappe : les deux sortes d’entités que nous considérons maintenant sont de longueurs différentes ; on peut les comparer, à cet égard, à l’unité de base du discours, la phrase. Sans doute, un texte peut se réduire à une seule phrase, comme dans les proverbes ou les aphorismes ; mais les textes ont une longueur maximum qui peut aller d’un paragraphe à un chapitre, à un livre, à un ensemble d’« œuvres choisies », jusqu’au corpus des « œuvres complètes » d’un auteur. Appelons œuvre la séquence close de discours qui peut être considérée comme un texte.“ (Paul Ricoeur: La métaphore et le problème central de l’herméneutique, S. 94). 184 Ebd., S. 100. „[…]: von einem Standpunkt aus liefert das Verstehen einer Metapher den Schlüssel zum Verständnis längerer Texte, etwa literarischer Werke. Das ist der Standpunkt der Erklärung, der nur denjenigen Aspekt der Bedeutung in Betracht zieht, den wir den Sinn genannt haben, d. h. die immanente Absicht der Rede. Aber von einem anderen Standpunkt aus liefert das Verstehen des Werkes als Ganzes den Schlüssel zur Metapher; dieser andere Standpunkt ist derjenige der Interpretation im eigentlich Sinn; er entwickelt den zweiten Aspekt der Bedeutung, den wir die Referenz genannt haben, d. h. die intentionale Gerichtetheit auf eine Welt und die reflexive Gerichtetheit auf ein Selbst.“ (Übersetzung Rainer Rochlitz).

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Mit Beardsley verbleibt Ricoeur jedoch zunächst auf der Ebene des Sinns des Werkes, der Schritt in Richtung der Referenz der Metapher wird durch den Umweg über die Ähnlichkeit in Angriff genommen. Nach umfangreicher Rekapitulation der Argumente gegen eine Theorie der Ähnlichkeit der Metapher,185 schreitet Ricoeur zu seinem Plädoyer für die Ähnlichkeit, die in seinen Augen ein notwendiges Element einer Spannungstheorie der Metapher und sowohl Ausgangspunkt als auch Ergebnis der metaphorischen Aussage ist, die einen logischen Stellenwert besitzen kann und der letztlich ein spezifisch ikonischer Charakter mit semantischem Moment zukommt.186 Zentral für den ersten Punkt scheint das in der Metapher seit Aristoteles verankerte Prinzip der Ähnlichkeit in der Differenz zu sein: „[…] tension, contradiction, controversion ne sont que lʼenvers de la sorte de rapprochement par quoi la métaphore ‹ fait sens ›. […], la ressemblance est elle-même un fait de prédication, qui opère entre les termes mêmes que la contradiction met en tension ; […]“.187 Die Ähnlichkeit bedarf mithin der Differenz, um nicht in Identität zu kippen; die Differenz ist für die Metapher als Tropus der Ähnlichkeit von gleicher Bedeutung wie die Übereinstimmung. Indem Ricoeur die Ähnlichkeit als einen Effekt der Prädikation bestimmt, will er die Ähnlichkeit der Metapher zugleich als einen Effekt der Apperzeption und der Konstruktion verstanden wissen.188 Das ‚Sehen als‘ der Apperzeption wird in der metaphorischen Aussage als eine semantische Impertinenz konstruiert und gelangt erst mit der Etablierung einer neuen Pertinenz (zum Beispiel durch den Rezipienten) zu einem sinnstiftenden Effekt. Die Ähnlichkeit als das Verbindende in der Differenz muss in allen drei Etappen wirksam werden, damit der Sinneffekt der Metapher eintritt. Hier erkennt Ricoeur nun auch den logischen Stellenwert der Ähnlichkeit: Sie ist die logische Kategorie, die dem prädikativen Vorgang entspricht.189 Für die Metapher als Prädikation gilt damit: „la métaphore montre le travail de la ressemblance, parce que, dans l’énoncé métaphorique, la contradiction littérale maintient la différence“.190

185 Vgl. Paul Ricoeur: La métaphore vive, S. 242–245. 186 Vgl. ebd., S. 258 sowie ebd., S. 264. 187 Ebd., S. 247. „[…] Spannung, Widerspruch und Kontroversheit [sind] die Kehrseiten der Art von Ähnlichkeit, durch die die Metapher Sinn ergibt. […] Ähnlichkeit selbst [beruht] auf Prädikation und [tritt] zwischen eben den Begriffen [ein], zwischen denen die Spannung des Widerspruchs besteht.“ (Übersetzung Rainer Rochlitz). 188 Vgl. ebd., S. 248. 189 Vgl. ebd., S. 249. 190 Ebd., S. 249–250. „[…], die Metapher zeigt das Wirken der Ähnlichkeit, weil in der metaphorischen Aussage der Widerspruch auf der Ebene der wörtlichen Bedeutung die Differenz aufrecht erhält.“ (Übersetzung Rainer Rochlitz).

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Diese in sich widersprüchliche Aussagestruktur identifiziert Ricoeur mit der Idee des Kategorienfehlers,191 der nur auf Grundlage alter Kategorisierungen und dem Grundprinzip der Kategorisierung selbst folgend möglich ist: „[…] le pouvoir de la métaphore serait de briser une catégorisation antérieure, afin dʼétablir de nouvelles frontières logiques sur les ruines des précédentes“.192 Die métaphore vive lässt sich zentral durch diesen Effekt auf der Ebene des Sinns charakterisieren. Die Zertrümmerung alter Kategorien und die Errichtung neuer gilt damit auf der Ebene des Werkes als analog zum Eintreten einer semantischen Impertinenz und der Etablierung einer neuen Pertinenz auf Ebene der Aussage beziehungsweise zur Abweichung von der Code-Norm auf semiotischer Ebene.193 An dieser Stelle scheinen wir wieder an einem Punkt angelangt zu sein, von dem aus sich getrost die unhintergehbare Metaphorizität aller Sprache postulieren lässt. Das Verfahren, das zur Kategorisierung führt, wird in seiner Struktur mit dem Verfahren der Metapher gleichgesetzt. Am Anfang steht das vorbegriffliche, produktive Sehen194 einer Ähnlichkeit, das Ricoeur mit dem Begriff des Ikons zu beschreiben versucht, am Ende eine reproduktive Illustration. Mit dem Ikon,195 das den vierten Aspekt in Ricoeurs Ähnlichkeitsdiskussion ausmacht, tritt ein bildliches Element in die semantische Diskussion der Metapher ein.196 Damit bekommt die sinnliche Dimension der Metapher, die sowohl in der (post-) strukturalistischen und analytischen als auch – wie wir noch sehen werden – in der kognitiven Diskussion weitgehend aus dem Blick gerät, wieder eine prominente Funktion in einer Theorie der Metapher. Mit dem Ikon versucht Ricoeur, das bildlich-vorbegriffliche Element der Imagination als Bedingung der Möglichkeit der Metapher zu begründen: „De même donc que le schème est la matrice de la catégorie, lʼicône est celle de la nouvelle pertinence sémantique qui naît du

191 Vgl. ebd., S. 251. 192 Ebd. „[…] die Gewalt der Metapher bestünde darin, eine frühere Kategorisierung zu brechen, um auf den Trümmern der älteren logischen Grenzen neue zu errichten.“ (Übersetzung Rainer Rochlitz). 193 Der destruktive Charakter der semantischen Impertinenz erinnert zunächst an Friedrich Nietzsche, der in den künstlerischen, verbotenen Metaphern ebenso einen Angriff auf das konventionelle Gebälk der Begriffe sieht (vgl. Kap. 8.1.). Ein entscheidender Unterschied zwischen Nietzsche und Ricoeur offenbart sich jedoch in dem Moment, wenn die beiden aus dieser gemeinsamen sprachphilosophischen Betrachtung Konsequenzen für die Ontologie ziehen. 194 Ricoeur verweist hier auf die Bestimmung der produktiven Einbildungskraft bei Kant. Vgl. Paul Ricoeur: La métaphore vive, S. 253. 195 Ricoeur greift hier zunächst zurück auf die Ikon-Definitionen von Charles Sanders Peirce und zieht Arbeiten von Paul Henle und Marcus Hesters hinzu. Vgl. ebd., S. 192–208. 196 Die zentrale Funktion des Bildes für Ricoeurs Theorie betont auch Alberto Martinengo: Filosofie della metafora, S. 107–115.

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démantèlement des aires sémantiques sous le choc de la contradiction.“197 Damit ist auch die Grenze der Semantik bei der Analyse der Metapher erreicht; die Metapher im Sinne Ricoeurs ist jedoch noch nicht umfassend erklärt. Die Semantik kann in seinem Verständnis letztlich nur das Auftreten der Impertinenz erklären; die neue Pertinenz wird jedoch nur durch das ikonische Element ersichtlich: „Sʼil en est bien ainsi, le voir comme… désigne la médiation non verbale de lʼénoncé métaphorique. Ce disant, la sémantique reconnaît sa frontière ; et, ce faisant, elle achève son œuvre.“198 Damit führt Ricoeur auch die Prädikationstheorie der Metapher an ihre Grenzen, die durch ihre spezifische Fragestellung und disziplinären Prämissen gegeben sind. Die Notwendigkeit einer Integration weiterer Theorieelemente aus anderen Disziplinen wird an dieser Stelle sichtbar. Für eine fortgesetzte Beschreibung auch des ikonischen Teils der Metapher beruft sich Ricoeur unter anderem auf die Psycholinguistik,199 aber auch auf die Gestaltpsychologie und das in ihr beschriebene Phänomen der Kipp- oder Inversionsfiguren. Die für den plötzlichen Umschlag in der Wahrnehmung dieser Figuren verantwortliche multistabile Wahrnehmung, also die spontane, zeitlich nicht vorhersehbare Reinterpretation eines optischen Stimulus als eine andere Gestalt, bildet in Ricoeurs Augen auf visueller Ebene ein strukturelles Äquivalent zum metaphorischen Prozess und ist „à demi pensée et à demi expérience“.200 Die aktiv-konstruierenden und passiv-rezeptiven Komponenten, die Ricoeur bei Aristoteles in mimesis und poiesis identifiziert, kehren hier unter anderen Vorzeichen als konstitutive Elemente der Wahrnehmung und der Metapher wieder. In der vorletzten Studie zur metaphorischen Referenz führt Ricoeur die Leerstelle der dritten Studie zur Bedeutung der Metapher zusammen mit den Befunden der Studie zur konstruktiv-imaginativen Natur der metaphorischen Sinnstiftung. Ausgehend von dem Begriffspaar Sinn-Bedeutung bei Gottlob Frege, versucht Ricoeur nun eine Reformulierung unter dem schon eingeführten Begriffspaar Sinn-Referenz:

197 Paul Ricoeur: La métaphore vive, S. 253.: „Wie also das Schema die Matrix der Kategorie ist, so ist das Ikon dasjenige der neuen semantischen Pertinenz, die aus dem Abbau der semantischen Felder unter der Schockwirkung des Widerspruchs entsteht.“ (Übersetzung Rainer Rochlitz). 198 Ebd., S. 271. „Wenn das zutrifft, bezeichnet das Sehen als … die nichtsprachliche Vermittlung der metaphorischen Aussage. Indem die Semantik dies sagt, erkennt sie ihre Grenzen an; und indem sie dies tut vollendet sie ihr Werk.“ (Übersetzung Rainer Rochlitz). 199 In der französischen Ausgabe ist ihr ein ganzer Abschnitt gewidmet (vgl. ebd., S. 254–262), der in der deutschen Ausgabe erheblich reduziert ist. 200 Ebd., S. 269. „halb Denken, halb Erfahrung“ (Übersetzung Rainer Rochlitz).

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Toute mon entreprise vise à lever cette limitation de la dénotation aux énoncés scientifiques. Cʼest pourquoi elle implique une discussion distincte appropriée à lʼœuvre littéraire, et une seconde formulation du postulat de la référence, plus complexe que la première qui doublait simplement le postulat général selon lequel tout sens appelle référence ou dénotation. Celle-ci sʼénonce ainsi : par sa structure propre, lʼœuvre littéraire ne déploie un monde que sous la condition que soit suspendue la référence du discours descriptif. Ou, pour le dire autrement : dans lʼœuvre littéraire, le discours déploie sa dénotation comme une dénotation de second rang, à la faveur de la suspension de la dénotation de premier rang du discours.201

Das fregesche Diktum, nachdem wir zu jeder Aussage, der wir einen Sinn beimessen können, auch eine Bedeutung vermuten,202 reformuliert Ricoeur als Verdacht der Referenz. In der metaphorischen Rede der Dichtung besteht die Schwierigkeit nun darin, neben der nachgewiesenen Sinnstiftung nun auch die Frage der Referenz zu klären. Auch hier rekonstruiert Ricoeur wieder einen zweistufigen Prozess von Destruktion und Neukonstruktion, nur dass dieses Mal der Prozess zweigleisig verläuft. Parallel zur Selbstaufhebung des wörtlichen Sinns erfolgt die Aufhebung der ‚wörtlichen Referenz‘. Parallel zur Konstruktion des metaphorischen Sinns muss dann aber wieder auch von einer Rekonstruktion einer metaphorischen Referenz ausgegangen werden.203 Um den ontologischen Status dieser Referenz zu klären, greift Ricoeur zurück auf Max Blacks204 beziehungsweise Mary Hesses205 Modell-Theorie der wissenschaftlichen Metapher und entwirft eine analoge Theorie der literarischen Metapher:

201 Ebd., S. 278–279. „Es ist nun mein Hauptbestreben, diese Einschränkung der Bedeutung auf die wissenschaftlichen Aussagen zu sprengen. Darum ist eine gesonderte, dem literarischen Werk entsprechende Erörterung und eine zweite, komplexere Formulierung notwendig; denn die erste wiederholte nur das allgemeine Postulat, demzufolge jeder Sinn eine Bedeutung oder Referenz fordert. Die zweite Formulierung lautet folgendermaßen: aufgrund seiner spezifischen Struktur entfaltet das literarische Kunstwerk eine Welt unter der Bedingung, daß die Referenz der deskriptiven Rede suspendiert wird. Mit anderen Worten, im literarischen Kunstwerk entfaltet die Rede ihre Bedeutung als Bedeutung zweiten Grades, und zwar durch die Suspension der erstgradigen Bedeutung der Rede.“ (Übersetzung Rainer Rochlitz). 202 Vgl. Gottlob Frege: Über Sinn und Bedeutung. In: Zeitschrift für Philosophie und philosophische Kritik, 100 (1892), S. 25–50. 203 Vgl. Paul Ricoeur: La métaphore vive, S. 302. 204 Vgl. hierzu Kap. 3.1. Die große Ähnlichkeit zwischen dem Verhältnis zwischen Metapher und Modell in Ricoeurs und Blacks Verständnis lässt sich wohl durch die Rezeption des zweiten durch den ersten erklären. 205 Mary B. Hesse: Models and analogies in science. Notre Dame, Indiana: University of Notre Dame Press 1966.

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Lʼargument central est que la métaphore est au langage poétique ce que le modèle est au langage scientifique quant à la relation au réel. Or, dans le langage scientifique, le modèle est essentiellement un instrument heuristique qui vise, par le moyen de la fiction, à briser une interprétation inadéquate et à frayer la voie à une interprétation nouvelle plus adéquate.206

Hier drängt sich nun – besonders in Verbindung mit der von Ricoeur zuvor verwendeten Kategorie der ‚Welt des Werkes‘, in der sich schon hier die potenzielle Referenz der poetischen Metapher vermuten lässt, eine nahezu romantische Vorstellung des weltenschaffenden Dichters auf,207 dessen zentrales Instrument die Metapher wäre. Die Sprache der Dichtung stünde damit unter dem Anspruch, der Ausdruck einer überlegenen Wahrheit zu sein. Allerdings – das wird sich in Ricoeurs letzter Studie zum Status der Metapher in dichterischem und spekulativem Diskurs zeigen – betrachtet er den Geltungsbereich der Dichtung und damit die ontologische Beschreibungsleistung der dichterischen Metaphern trotz aller zugeschriebenen Leistungsfähigkeit als begrenzt.208 Zunächst begnügt er sich mit der Korrektur, dass nicht die einzelne Metapher, sondern nur die systematisch ausgeführte Metapher tatsächlich ein vollständiges Äquivalent eines Modells wäre,209 dass also mithin die Referenzfunktion weniger für eine einzelne, isolierte Metapher ausgemacht werden kann als vielmehr für das entfaltete Metaphernnetz – dies mag als konsistent mit Blacks Bemerkung gesehen werden, dass die Metapher eben nur die Spitze eines unterliegenden Modells, nicht aber das ganze Modell ist.210 An dieser Stelle wird nun auch ersichtlich, welche metaphorischen Effekte sich erst auf der Ebene des Werkes niederschlagen. Die Referenzfunktion der Metapher und mithin ihr potenzieller ontologischer Beschreibungswert entfalten sich erst in der strukturierten Ganzheit des Werkes. Dem Metaphernnetz selbst kommt dabei eine strukturierende Funktion zu, es gewinnt damit einen

206 Paul Ricoeur: La métaphore vive, S. 302. „Das zentrale Argument ist die Idee, daß sich die Metapher zur dichterischen Sprache verhält wie das Modell zur Wissenschaftssprache, soweit man nämlich in beiden Fällen die Wirklichkeitsbeziehung betrachtet. In der Wissenschaftssprache ist nun aber das Modell hauptsächlich ein heuristisches Instrument, das vermittels der Fiktion eine inadäquate Interpretation sprengen und einer neuen adäquateren den Weg bahnen soll.“ (Übersetzung Rainer Rochlitz). 207 Vgl. für ‚romantische‘ Metapherntheorien Terence Hawkes: Metaphor, S. 34–57. 208 Hierin besteht denn auch der fundamentale Unterschied zu Nietzsche, der keine grundlegende Unterscheidung in der epistemologischen Qualität von wissenschaftlichem und künstlerischem Diskurs macht (vgl. Kap. 8.1.). 209 Vgl. Paul Ricoeur: La métaphore vive, S. 306. 210 Vgl. Kap. 3.1.

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ordnenden Einfluss auf die im Werk vorgenommene Weltbeschreibung,211 womit sich für Ricoeur der Bogen zurück zu der aus Aristoteles gewonnenen Unterscheidung zwischen Mimesis und Mythos schließt:212 Le mythos tragique, en effet, présente tous les traits de « radicalité » et dʼ« organisation en réseau  » que Max Black conférait aux archétypes, cʼest-à-dire aux métaphores de même rang que les modèles ; la métaphoricité nʼest pas seulement un trait de la lexis, mais du mythos lui-même, et cette métaphoricité consiste, comme celle des modèles, à décrire un domaine moins connu — la réalité humaine — en fonction des relations dʼun domaine fictif mais mieux connu — la fable tragique —, en usant de toutes les vertus de « déployabilité systématique » contenues dans cette fable.213

Hier scheinen nun wissenschaftliches Modell und fiktionale Dichtung nahezu auf gleicher epistemologischer Stufe angelangt zu sein; die kritische Wende gegen einen naiven Glauben an die Wahrheit der Metaphorik folgt jedoch umgehend und mit ihr die Frage der vorletzten Studie nach dem Gültigkeitsbereich der Metapher als Mittel der Heuristik und Neubeschreibung der Welt. Der Missbrauch der Metapher tritt nach Ricoeur dann ein, wenn zur Poesie der Glaube hinzutritt, wenn also nicht mehr die Dynamik der Kategoriendekonstruktion und Neukonstruktion im metaphorischen und dichterischen Prozess erkannt wird, sondern sich die dort entworfenen Kategorien als Fakten etablieren: „Ce que nous avons appelé plus haut fonction heuristique nʼest donc pas une feinte innocente ; elle tend à sʼoublier comme fiction pour se faire prendre pour croyance perceptive […].“214 Hier wäre damit auch auf Ebene des Werkes ein weiterer Grenzwert der métaphore vive erreicht, die bisher durch die Effekte von Impertinenz und neuer Pertinenz (auf Wortebene), durch Kategorienzertrümmerung und Neuschöpfung (auf Aussageebene) charakterisiert ist. Auf Werkebene bestünde der Effekt der métaphore vive nun in der heuristischen Funktion und Neubeschreibung. Dieser Effekt erlischt dadurch, dass die von der Metapher (oder dem metaphorischen

211 Vgl. Paul Ricoeur: La métaphore vive, S. 307–308. 212 Vgl. ebd., S. 308. 213 Ebd. „Der tragische Mythos weist nicht tatsächlich alle Züge der ‚Radikalität‘ und der ‚Vernetzung‘ auf, die Max Black den Archetypen, also den Metaphern vom gleichen Rang wie die Modelle, zuschrieb; das Metaphorische ist nicht nur ein Merkmal der lexis sondern des mythos selbst, und dieses Metaphorische besteht wie das der Modelle darin, einen weniger bekannten Bereich  – das Menschliche  – durch die Beziehung eines fiktiven, doch besser bekannten Bereiches – der tragischen Fabel – zu beschreiben und dabei alle Möglichkeiten zu benutzen, die in dieser Fabel enthalten sind.“ (Übersetzung Rainer Rochlitz). 214 Ebd., S. 317. „Was wir oben die heuristische Funktion nannten, ist also kein unschuldiges Vortäuschen; sie neigt dazu sich als Fiktion zu vergessen, um als Wahrnehmungsglaube angesehen zu werden […].“ (Übersetzung Rainer Rochlitz).

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Netz) entworfene Beschreibung nicht mehr die Neu-, sondern die konventionelle Standardbeschreibung eines Phänomens wird, also den Status eines common sense Faktums erreicht, statt den Prozess von Referenzzertrümmerung und Referenzentwurf sichtbar zu machen.215 Aus der innovativen Neubeschreibung der Welt, die der charakteristische Effekt der métaphore vive auf der Ebene des Werkes ist, wird ein Mythos,216 da der metaphernspezifische inhärente Widerspruch des als ob, des ist/ist nicht zugunsten eines existenzialen ist vergessen wird.217 Diese letzte Reflexion der Metapher bildet den Auftakt zur letzten Studie, die vor dem Hintergrund von Leistungsfähigkeit und Gefahrenpotenzial der Metapher deren Geltungsbereich abzustecken versucht. Als Ausgangspunkt dient Ricoeur hier das heideggersche Diktum „Das Metaphorische gibt es nur innerhalb der Metaphysik“,218 von dem aus er eine kritische Diskussion dieser Zuordnung bei Martin Heidegger und Jacques Derrida anschließt. In der Metaphernanalyse beider Autoren identifiziert er einen performativen Selbstwiderspruch, wenn sie in ihrer Kritik der Metaphysik dem Gegensatz wörtlich-metaphorisch gleichsam wieder metaphysische Qualität zuschreiben, indem den Worten – zumindest zum Schein – zunächst ein eigentlicher Sinn gegeben wird, um ihn in der Folge zu dekonstruieren.219 Das theoretische Konfliktpotenzial zwischen Ricoeurs und Derridas Theorie der Metapher kann hier nicht in ganzer Tiefe ausgelotet werden,220 einige Aspekte seien aber dennoch aufgegriffen. Zunächst scheint an dieser Stelle die Diskrepanz zwischen beiden vornehmlich eine der Fragestellung zu sein: Während Ricoeur die lebendige, schockierende und außergewöhnliche Metapher im Fokus hat, konzentriert sich Derrida auf die bis zur Transparenz verblassten, ‚abgenutzten‘ und gewöhnlich gewordenen Metaphern. Ein Teil der ricoeurschen Kritik an Derrida lässt sich denn auch als direkte Kritik am Erkenntniswert des dekonstruktivistischen Unternehmens lesen: Im reinen Aufzeigen des metaphorischen Vorlebens vermeintlicher Begriffe liegt in seinen Augen noch kein relevanter Erkenntnis-

215 Hier entspricht die erstorbene Metapher Ricoeurs dem Begriffs-Gebälk Nietzsches. Vgl. Kap. 8.1. 216 Hier nicht im engen aristotelischen Sinn, sondern im umgangssprachlichen Sinn zu verstehen. 217 Vgl. Paul Ricoeur: La métaphore vive, S. 317. 218 Martin Heidegger: Der Satz vom Grund. Stuttgart: Klett-Cotta 1957, S. 89. 219 Vgl. Paul Ricoeur: La métaphore vive, S. 368–369. Inwiefern bei Derrida tatsächlich eine solche Zuschreibung stattfindet, kann bezweifelt werden. 220 Vgl. dazu detailliertert Leonard R. Lawlor: Imagination and Chance.

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gewinn,221 da der Prozess der ‚Abnutzung‘, der bei Ricoeur mit dem Übergang von der métaphore vive zur konventionellen, lexikalisierten Metapher parallelisiert werden kann, letztlich zusätzliche abstrakte Bedeutung produziert, die in der ursprünglichen Metapher noch nicht gegeben ist. Die Genese des Begriffs, so ließe sich Ricoeurs These zuspitzen, erschöpft sich eben nicht in der Abnutzung der Metapher.222 Es muss hier offengelassen werden, ob Derrida eine simple Abnutzungsrhetorik überhaupt legitim unterstellt werden kann. Der aus einer Metapher hervorgegangene Begriff unterscheidet sich stattdessen in Ricoeurs Augen kategorisch von der ihn hervorbringenden Metapher. So scheint auch das Paradox der stets metaphorischen Definition der Metapher lösbar: Parler métaphoriquement de la métaphore nʼest aucunement circulaire, dès lors que la position du concept procède dialectiquement de la métaphore elle-même. Ainsi, quand Aristote définit la métaphore par lʼépiphore du mot, lʼexpression épiphore est qualifiée conceptuellement par son insertion dans un réseau dʼinter-significations où la notion dʼépiphore est encadrée par les concepts majeurs de phusis, de logos, dʼonoma, de sêmainein, etc. L’epiphora est ainsi arrachée à sa métaphoricité et constituée en sens propre, […].223

Zusätzlich zur Abgrenzung des neuen Begriffs durch umgebende Ausdrücke, die auch Derrida in der Differenzialitätsthese des Zeichens zugesteht, führt Ricoeur die Exemplifizierung224 als entscheidendes Verfahren zur Konstituierung des

221 Vgl. Paul Ricoeur: La métaphore vive, S. 369–373. 222 Vgl. ebd., S. 371. 223 Ebd. „Metaphorisch von der Metapher zu sprechen, ist damit keineswegs zirkulär, wenn die Begriffssetzung dialektisch aus der Metapher selbst hervorgeht. Indem daher Aristoteles die Metapher durch die epiphora des Wortes definiert, worin der Ausdruck epiphora durch die zentralen Begriffe der physis, des logos, der onoma, des semainein usw. umrahmt wird. Die Epiphora wird somit ihrer Metaphorizität entrissen und zum eigentlichen Sinn konstituiert, […].“ (Übersetzung Rainer Rochlitz). 224 Ricoeur formuliert die Stabilisierung der begrifflichen Sprache durchaus als dynamisch, nichtsdestotrotz aber als Prozess, der zu einer stabilen, praktisch beherrschbaren Bedeutungskonstitution führt: „Dans le langage ordinaire, en effet, nous ne maîtrisons les significations abstraites en position de prédicat quʼen les rapportant à des objets que nous désignons sur le mode référentiel. Cela est possible parce que le prédicat ne fonctionne selon sa nature propre que dans le contexte de la phrase, en visant, dans un réfèrent déterminé, tel ou tel aspect relativement isolable. Le terme lexical nʼest, à cet égard, quʼune règle pour son emploi dans un contexte de phrase. Cʼest donc en faisant varier ces conditions dʼemploi, rapportées à des référents différents, quʼon en maîtrise le sens. Inversement, nous nʼexplorons des référents nouveaux quʼen les décrivant aussi exactement que possible. Ainsi le champ référentiel peut-il sʼétendre au-delà des choses que nous pouvons montrer, et même au-delà des choses visibles et perceptibles. Le langage sʼy prête, en permettant la construction dʼexpressions référentielles complexes utilisant des termes abstraits préalablement compris, telles que les descriptions définies au sens de Russell.

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Begriffs als solchem an, das ein surplus abstrakter Bedeutung des Begriffs gegenüber einer nur konventionellen Metapher bedingt. Die tote Metapher weist damit in Ricoeurs Augen auf das frühere Wirken der métaphore vive hin, lässt sich aber nicht auf deren Effekt reduzieren. Auch ihrer Funktion nach sind tote Metapher und métaphore vive klar unterschieden. Während die tote Metapher  – wie es Aristoteles und die antiken Rhetoriken mit Blick auf die Alltagsmetapher andeuten – als Abhilfe für einen Mangel der Sprache fungiert, kann die métaphore vive eher als Ursache dieser Denominationskarenz betrachtet werden, da sie eben die Genese neuer Bedeutung bewirkt.225 Aus dem Schock der semantischen Impertinenz, der Störaktion gegen die herkömmliche Kategorisierung, folgt für Ricoeur zwar eine Begriffsforderung, aber noch kein begriffliches Wissen. Die Metapher ist damit zwar eine notwendige, aber keine hinreichende Bedingung des Begrifflichen.226 Entlang dieser vergleichsweise klaren funktionalen Trennlinie zwischen Metapher und Begriff lässt sich nun auch die letzte Unterscheidung Ricoeurs, die zwischen poetischem und spekulativem Diskurs, nachvollziehen, die jeweils als Gültigkeitsbereiche für Metapher beziehungsweise Begriff gelten können. Mit der Ebene des Diskurses erreicht Ricoeur gleichzeitig das höchste sprachliche Organisationsniveau, auf dem sich gleichsam die Regularien und Geltungsbedingungen der Werkebene ablesen lassen und das einem weiten Begriff des Textes als schriftlich fixiertem Diskurs entspricht.227 Der poetische Diskurs kann dabei als der Bereich der fiktionalen Neubeschreibungen und Entwürfe gelten und ist der genuine Wirkungsbereich der métaphore vive. Der spekulative Diskurs ist dagegen der genuine Bereich des Begriffs: Je dirai que le discours spéculatif est celui qui met en place les notions premières, les principes, qui articulent à titre primordial lʼespace du concept. Si le concept, tant dans le langage ordinaire que dans le langage scientifique, ne peut jamais être effectivement dérivé de la perception ou de lʼimage, cʼest parce que la discontinuité des niveaux de discours est instaurée, au moins à titre virtuel, par la structure même de lʼespace conceptuel dans lequel sʼinscrivent les significations quand elles sʼarrachent au procès de nature métaphorique, dont on a pu dire quʼil engendre tous les champs sémantiques.228

C’est ainsi que prédication et référence se prêtent mutuellement appui, soit que nous mettions en rapport des prédicats nouveaux avec des référents familiers, soit que, pour explorer un champ référentiel non directement accessible, nous utilisions des expressions prédicatives dont le sens est déjà maîtrisé.“ (Ebd., S. 377). 225 Vgl. ebd., S. 370. 226 Vgl. ebd., S. 375–376. 227 Vgl. Domenico Jervolino: Paul Ricoeur. Une hérmeneutique de la condition humaine, S. 32. 228 Paul Ricoeur: La métaphore vive, S. 380. „Ich nenne spekulativ den Diskurs, der die ersten

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Damit hat der spekulative Diskurs zwar seine Möglichkeitsbedingung im poetischen Diskurs, nicht aber seine eigentliche Funktion oder Notwendigkeit.229 Die konstitutive Spannung zwischen ist/ist nicht, die den poetischen Diskurs prägt, wird in der Systematik des begrifflichen Diskurses aufgelöst.230 Das Verhältnis zwischen poetischem und spekulativem Diskurs beschreibt Ricoeur als Verhältnis von Attraktion und Repulsion, in dem sich kein absolutes Wissen stabilisieren kann. Die permanente (mögliche) Neubeschreibung von Teilen der Welt durch die métaphore vive, die in einer begrifflich-systematischen Erschließung dieser Aspekte münden kann, macht das absolute Wissen unmöglich. Die Erfindung neuer, lebendiger Metaphern mit ihrem Effekt, eine Neubeschreibung der Welt zu liefern, stellt damit den Nährboden der durch diese Begriffsforderung angestoßenen Begriffsproduktion des spekulativen Diskurses dar. Die Herausforderung des poetischen Diskurses an den spekulativen und damit die genuine Funktion der métaphore vive auf Diskursebene kann damit gefasst werden als die Herausforderung, „à pensé plus“.231 Jedoch erschöpft sich die Leistung des spekulativen Diskurses nicht in der nachträglichen Rationalisierung und Systematisierung metaphorischer Entwürfe. Vielmehr lässt sich die Struktur des poetischen Diskurses, die Wirkung der métaphore vive, erst im spekulativen Diskurs fassen. Poetischer und spekulativer Diskurs verhalten sich in Ricoeurs Augen zueinander wie Text und Interpretation, indem der erste den vorkategorialen Bedeutungsentwurf gibt, dessen Bedeutung und die Struktur, in der sich die Bedeutung konstituiert, sich jedoch erst im zweiten erschließt. Mit dem Beispiel Heideggers schließend formuliert Ricoeur: „A la puissance imaginative de la poésie pensante, le poète répond par la puissance spéculative de la pensée poétisante.“232 Es zeigt sich nun, dass der scheinbare Unterschied im Fokus der metapherntheoretischen Fragestellung zwischen Ricoeur und Derrida in Wahrheit die vollständige Konzeption

Begriffe, die Prinzipien festlegt, die den Bereich des Begriffes ursprünglich artikulieren. Daß der Begriff weder in der Umgangssprache noch in der Wissenschaftssprache nie wirklich aus der Wahrnehmung oder aus dem Bilde abgeleitet werden kann, beruht darauf, daß die Diskontinuität der Diskursebenen zumindest virtuell eben durch die Struktur des Begriffsbereichs gesetzt wird, in den die Bedeutungen eintreten, wenn sie sich von dem metaphorischen Prozeß losreißen, von dem gesagt werden konnte, daß er alle semantischen Bereiche hervorbringt.“ (Übersetzung Rainer Rochlitz). 229 Dirk Mende: Metapher – Zwischen Metaphysik und Archäologie, S. 202–205. 230 „Parce quʼil fait système, lʼordre conceptuel est capable de sʼaffranchir du jeu de la double signification, donc du dynamisme sémantique caractéristique de lʼordre métaphorique.“ (Paul Ricoeur: La métaphore vive, S. 382). 231 Ebd., S. 383–384. „mehr zu denken“ (Übersetzung Rainer Rochlitz). 232 Ebd., S. 394. „Dem Imaginationsvermögen der denkenden Dichtung antwortet der Dichter mit dem spekulativen Vermögen des dichtenden Denkers.“ (Übersetzung Rainer Rochlitz).

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von Sprache betrifft und damit die Möglichkeiten und Grenzen der sprachlich verfassten Philosophie. Welche Schlüsse lassen sich aus Ricoeurs Darstellung der Metapher für die Literaturwissenschaft ziehen? Eine Beschränkung auf den Bereich, den er als Literaturkritik beschreibt, wird der Breite des Fachs sicherlich nicht gerecht, wenn auch eine Beschreibung von Texten nach immanenten Charakteristika und Kriterien sicherlich zu ihren zentralen Aufgaben gehört. Für dieses Unterfangen kann Ricoeurs Durchgang durch die Theorielandschaft als hilfreicher Leitfaden für die Verortung der eigenen Analyse aufgefasst werden. Abhängig davon, ob man sich einem Text als Reihung von strukturell beschreibbaren Semen oder Worten, als in seinem intrinsischen Sinn zu erfassendem Werk oder als über sich selbst hinausweisendem Teil eines Diskurses mit Bezug auf die Welt nähert, stehen unterschiedliche theoretische Instrumentarien zur Beschreibung zur Verfügung. Hier lässt sich ein zentraler metatheoretischer Punkt erahnen: Schon Identifikation und Beschreibung einer Metapher setzen weitreichende implizite theoretische Vorentscheidungen über die Sprache, ihre Funktionen und Struktur und ihr Verhältnis zur Welt voraus. Eine naive, theoriefreie Diskussion der Metapher erscheint unmöglich. Aufgrund der Bandbreite der möglichen Verortungen der Metapher mit ihren verschiedenen interpretatorischen Implikationen, die bis hierher diskutiert wurden, scheint darüber hinaus eine explizite Formulierung dieser Vorannahmen für einen gelingenden Dialog über den Gegenstand dringend angeraten zu sein. Ricoeurs eigene Formulierung des Konzeptes der métaphore vive kann für die Literaturwissenschaft zugleich als Ansporn und als Herausforderung betrachtet werden. Ein Ansporn erwächst mit Sicherheit aus der zentralen Rolle, die dem hermeneutischen Geschäft im Kontext anderer Wissenschaften zukommt. Ähnlich wie Hans Blumenbergs absolute Metaphern rückt auch das Konzept der métaphore vive die Hermeneutik der Metapher ins Zentrum der Beschreibung aller menschlichen Tätigkeiten und Äußerungen, seien sie künstlerischer oder wissenschaftlicher Natur. Selbstverständnis und Selbstentwurf des Menschen schlagen sich in Metaphern nieder; ihre Veränderlichkeit indiziert die Flexibilität dieser Entwürfe. Die Metapher ist mithin nicht nur – wenn auch bei Ricoeur in erster Linie – ein Element der Literatur, sondern führt im Gegenteil die in der Hermeneutik geschulte Literaturwissenschaft auch in zunächst fremd scheinende Diskurssphären. Hier deutet sich nun die Herausforderung der métaphore vive an die Literaturwissenschaft an, und sie kann als zweigeteilt betrachtet werden. Der erste Teil betrifft eben die praktische Umsetzung einer derart erweiterten Hermeneutik der Metapher; der zweite die Weiterentwicklung der Theorie(n) der Metapher. Eine Operationalisierung des Konzepts der métaphore vive scheint wegen ihrer vielfäl-

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 Metapher und Phänomen

tigen Effekte auf unterschiedlichen Beschreibungsebenen, die in der klassischen literaturwissenschaftlichen Analyse kaum alle und vollständig zu fassen sind, äußerst anspruchsvoll. Während bestimmte Aspekte wie die semantische Spannung, die Innovativität innerhalb eines Diskurses oder die Interaktion zwischen Diskursen um eine Metapher herum sich noch auf der Ebene des Textmaterials identifizieren und nachweisen lassen, bleibt der zentrale kognitive Aspekt der métaphore vive schwer fassbar: das Sehen als, das sich letztlich nur im und durch den Leser konstituiert. Im Fall der Möwen mag man mit Ricoeur jedoch eine interessante Inszenierung dieses Vorgangs erkennen. Das Phänomen, das Ricoeur mit seiner Theorie zu beschreiben versucht, das der métaphore vive, scheint im Gegensatz zu den im Rahmen der theoretischen Schau referierten nicht auf Ebene einzelner Worte oder auch Sätze fassbar. Stattdessen scheint es sich um ein Phänomen zu handeln, das sich innerhalb eines mimetischen und gleichzeitig poetischen Diskurses manifestiert. Entsprechend werden die Konsequenzen aus dieser Theorie nur unter Berücksichtigung eines Diskurszusammenhanges, nicht einzelner Stücke sichtbar. Mithin wäre hier der ganze Text Walter Benjamins in seiner mimetisch-poetischen Struktur zu berücksichtigen. Einzelne Metaphern auf Wort- oder Satzebene ließen sich auch hier mit den von Ricoeur diskutierten Theorien identifizieren, wobei das ‚lesbare Schwingengeflecht‘, der Mensch als ‚Schwelle‘ und die Vögel als ‚Boten‘ aufgrund der von Ricoeur unterstützten These der Metapher als Fall semantischer Impertinenz hier mit Sicherheit im Fokus stehen würden. Mit der Ausweitung der Perspektive auf den ganzen Text als Teil des poetischen Diskurses müssen diese Metaphern jedoch in einem Zusammen verortet werden und gleichzeitig stellt sich mit Ricoeur die Frage nach der métaphore vive. Folgt man dem Text, so gewinnt ein Befund, der schon in vorangegangenen Kapiteln angesprochen wurde, bei Ricoeur plötzlich an entscheidender Bedeutung: der metaphorische Umschwung des Textes im elften Satz. Das Prinzip der mimesis als poiesis scheint sich hier dann zu offenbaren, wenn die betont nicht-metaphorische Beschreibung der Position des Schiffes und der Lichtverhältnisse in dem Moment der Fokussierung auf die Erzählerfigur ins ostentativ-metaphorische umschlägt. Die ‚Kraft des Platzes‘ der Erzählerfigur, mithin die individuelle Perspektive eines mimetisch-poetisch tätigen Menschen, offenbart sich als entscheidender Dreh- und Angelpunkt der erzählten Szenerie, die vor dessen Offenlegen ebenso poetisch konstruiert ist wie danach in der ostentativen Metaphorik. Während man vor dem Überschreiten dieser erzählerischen Schwelle jedoch in erster Linie konventionellen, zum Teil lexikalisierten Metaphern begegnet, manifestiert sich im Moment des Gewahrwerdens der poetischen Kraft des Erzählers jedoch die métaphore vive in der Rede vom ‚lesbaren Schwingengeflecht‘. Für diese Einschätzung der letzteren Metapher scheint die Tatsache, dass sie verglichen mit den übrigen Metaphern des Textes

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wohl die originellste ist, zwar zuträglich sein, jedoch nicht unbedingt ausschlaggebend. Der charakteristische Effekt der métaphore vive, die Neuperspektivierung einer scheinbar bekannten Entität und der damit einhergehende kognitive Effekt, ist hier vielmehr im erzählerischen Text selbst inszeniert. Die métaphore vive lässt sich mithin nicht in einem einzelnen Wort oder Satz identifizieren, sondern ereignet sich im Verlauf eines kurzen Textabschnittes im Umschwung in der erzählerischen Konstruktion und Repräsentation der erzählten Welt. Hinsichtlich der Theoriebildung scheint Ricoeurs Perspektive auf die Metapher insofern herausfordernd, als sie eine theoretische Einschränkung des Phänomens Metapher auf Einzelaspekte zumindest begründungswürdig macht und eher eine zunehmend integrative Theoriebildung zu fordern scheint. Exemplarisch mag hier Ricoeurs Rekurs auf die Psycholinguistik sein, von der er sich fruchtbare Beiträge erhofft, ohne jedoch konkrete Anhaltspunkte zu geben.233 Während Ricoeur für die Ebenen von Wort, Satz und Werk auf bereits etablierte Theorien mit elaborierten Begriffsinstrumentarien zurückgreifen kann, erscheint sein Verweis auf die Psycholinguistik eher als Öffnung der Perspektive denn als tiefgehende konzeptionelle Auseinandersetzung.234 In der folgenden Diskussion der kognitiven Theorien der Metapher wird sich zeigen, dass hier ein zentraler Anknüpfungs- und Erweiterungspunkt zu empirisch und experimentell arbeitender Forschung und ihrer Theoriebildung besteht. Im Kontext des kognitiven Paradigmas ist jedoch gerade die Psycholinguistik zu einer der Leitdisziplinen der kognitiven Metaphernforschung avanciert. Der Fokus dieser Theorien liegt, wie im Folgenden gezeigt wird, weniger auf der analytisch-deskriptiven Untersuchung von Textstrukturen oder auf der hermeneutischinterpretativen Diskussion ihres Sinns, sondern – verallgemeinernd formuliert – auf der Untersuchung und Beschreibung der (psycho-physischen) Bedingungen und Möglichkeiten des Eintretens von Sinn in der Interaktion von Mensch und Text. Insofern lassen sich diese Bestrebungen in erster Näherung als komplementär zu den typisch literaturwissenschaftlichen Fragebereichen auffassen, die den Kontext, in dem das Phänomen Metapher lokalisiert wird, erneut verschieben und das Spektrum der dem Phänomen Metapher zuordenbaren Effekte erneut erweitert. Geht man in Anlehnung an Ricoeurs Integration verschiedener Theorien der Metapher von einzelnen Ebenen und Dimensionen aus, die eigenen Gesetzmäßigkeiten und Kategorisierungen folgen und daher spezifische Forschung und Theoriebildung zu fordern scheinen, so wird die vollständige Beschreibung des

233 Vgl. hierzu die Kritik von Raimund Fellinger/Jörg Villwock: Die Metapher als Ereignis, S. 461. 234 Vgl. Paul Ricoeur: La métaphore vive, S. 254 ff.

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 Metapher und Phänomen

metaphorischen Phänomenkomplexes auf allen Ebenen im Rahmen einer einzigen geschlossenen Theorie kaum zu leisten sein. Nichtsdestotrotz mag das Beispiel Ricoeurs als ermutigend aufgefasst werden, da es zeigt, dass zumindest eine Koordinierung der Einzeltheorien geleistet werden kann, die es erlaubt, Gültigkeit und Reichweite der unterschiedlichen Positionen und der durch sie produzierten Beschreibungs- und Analyseergebnisse einzuordnen.

9 Metapher und Kognition Die Diskussion über die Metapher im Kontext der kognitiven Theorie ist – logischerweise – stets eine Diskussion über die Metapher als Funktionselement von Kognition.1 Diese triviale Feststellung hat weitreichende Konsequenzen für die im Rahmen dieser Diskussion legitimen Fragen und unterscheidet diese deutlich von früheren. Zusammen mit den legitimen Fragen ändern sich auch die als legitim erachteten Verfahren, Methoden und Argumente für die Untersuchung und die Diskussion der Metapher entscheidend. ‚Metapher‘ markiert im Rahmen der frühen Phase der kognitiven Theorie in erster Linie ein kognitives Funktionsprinzip, das sich nicht auf das Prozessieren von propositionalen Gehalten entlang abstrakt-logischer Strukturen reduzieren lässt. Die Wahl des Terminus ‚Metapher‘ für dieses anspruchsvolle und weitreichende Funktionsprinzip lässt sich mit Blick auf die ältere Theoriebildung der Metapher durchaus als traditio-

1 Eine maximal weite Definition des Begriffs Kognition findet sich wie folgt bei Vyvyan Evans: „Relates to all aspects of conscious and unconscious mental function. In particular, cognition constitutes the mental events (mechanisms and processes) and knowledge involved in a whole host of tasks ranging from ‘low-level’ object perception to ‘high-level’ decision making tasks.“ (Vyvyan Evans: A Glossary of Cognitive Linguistics. Edinburgh: Edinburgh University Press 2007, S. 16). Die Weite dieser Definition erlaubt eine Vielzahl keineswegs kongruenter Verwendungen. Unbewusste, nicht-introspektierbare Vorgänge wie das Zusammenführen von unterschiedlichen sensorischen Reizen zu einer als Gestalt wahrnehm- und erkennbaren Einheit beim Erkennen eines Gegenstandes (vgl. Denis G. Pelli u. a.: Grouping in object recognition. The role of a Gestalt law in letter identification. In: Cognitive Neuropsychology 26:1 (2009), S. 36–49), das Ausführen und Erlernen von einfachen motorischen sowie komplexen intellektuellen Leistungen, aber auch die scheinbar kontingenten Effekte physischer Einflüsse beim Ausführen unterschiedlicher intellektueller Aufgaben, wie z. B. das Halten eines warmen bzw. kalten Gegenstandes beim Bewerten von Personen als freundlich bzw. unfreundlich, werden gleichermaßen als Aspekte der Kognition untersucht (vgl. Lawrence E. Williams/John A. Bargh: Experiencing Physical Warmth Promotes Interpersonal Warmth. In: Science 322:5901 (2008), S. 606–607). Ein umfassendes Konzept, das eine Integration der unterschiedlichen Aspekte in einen widerspruchsfreien Zusammenhang bringen würde, liegt bislang nicht vor. Zudem ist zu verzeichnen, dass sich die bisherige Theoriebildung und experimentelle Forschung innerhalb des kognitiven Paradigmas in erster Linie auf unbewusste und nicht-introspektierbare Prozesse konzentriert zu haben scheint. Gegenwärtige Debatten um den Status unterschiedlicher kognitiver Prozesse (z. B. Bewusstsein und Aufmerksamkeit; vgl. Kap. 9.3.), die Rolle von Emotionen sowie des Körpers jenseits des Gehirns machen jedoch deutlich, dass diese Verengung der Perspektive zunehmend in die Kritik gerät (vgl. für eine kritische Einleitung Piotr Winkielman u. a.: Embodiment of cognition and emotion. In: APA Handbook of Personality and Social Psychology. 1. Attitudes and social cognition. Hrsg. von Mario Mikulincer. Washington, DC: American Psychological Association 2015, S. 151–175). Eine erfolgreiche Reduktion aller kognitiven Vorgänger auf eine Handvoll physiologischer Basisoperationen scheint damit inzwischen selbst innerhalb des kognitiven Feldes fragwürdig geworden zu sein. https://doi.org/10.1515/9783110585353-009

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 Metapher und Kognition

nell gestützt betrachten.2 Metapher als „not just a matter of language but of thought and reason“3 und als eine Grundbewegung des menschlichen Geistes oder der Kognition scheint vor dem Hintergrund der diskutierten Theorien, von Aristoteles über Giambattista Vico bis Friedrich Nietzsche und Hans Blumenberg, deutlich weniger revolutionär als gegenüber den dominanten Diskursen der anglo-amerikanischen Wissenschaft der 70er und 80er Jahre. Denken und Leben in Metaphern scheint für die Vertreter der ersteren Traditionen eine unkontroverse Annahme zu sein. Das strategische Ziel bei der Etablierung des Terminus im Zuge des cognitive turn scheint allerdings auf eine weitgehende Vernachlässigung dieser älteren Traditionslinien zu setzen und die ‚kognitive Metapher‘ stattdessen gegen eine reduktionistische Kognitions-Definition im Rahmen einer abstrakten Logik und gegen eine technisch-formale Stilistik in Stellung zu bringen. Die Metapher als das bislang von Philosophie und Rhetorik fehlinterpretierte Phänomen wird damit zum Ausgangpunkt und paradigmatischen Funktionsprinzip einer weitreichenden Theorie über Kognition und Körper. Die folgende Darstellung der kognitiven Metapherntheorien und ihrer Entwicklung verfolgt den Gedanken, dass die Differenzen zu früheren Theorien weniger in unvereinbaren theoretischen Konzepten des Phänomens Metapher liegen, sondern vielmehr in den verschobenen Parametern hinsichtlich der Fragestellungen und Methoden, kurz einer Veränderung des Diskurses über die Metapher.

9.1 George Lakoff (*1941) und Joseph Grady (unbekannt) I’ve fallen in love, […].4

Als Ausgangspunkt für die Skizzierung der ersten Version der Conceptual Metaphor Theory (CMT)5 soll an dieser Stelle die folgende Bestimmung der Metapher von George Lakoff dienen: „Do we systematically use inference patterns from one

2 Vgl. dazu v. a. Aristoteles und Max Black, aber auch Emanuele Tesauro, Giambattista Vico, Paul Ricoeur und Friedrich Nietzsche. 3 George Lakoff: The Contemporary Theory of Metaphor, S. 208. 4 George Lakoff/Mark Johnson: Metaphors We Live By, S. 258. 5 Unter diesem Kürzel werden hier die theoretischen Positionen von der ersten Formulierung der Conceptual Metaphor Theory in Metaphors We Live By (1980) bis mindestens zur ersten Fassung der Contemporary Theory of Metaphor (1992) behandelt. Außerdem fasse ich darunter auch jüngere Weiterentwicklungen, die sich auf das konzeptuelle Level konzentrieren und den Status der Konzepte, wie ihn Lakoff entwirft und die damit verknüpfte Funktionsweise aller Metaphern als cross domain mappings als Prämisse verwenden (siehe dazu weiter unten Joseph Grady und Kap. 9.4. zu Zoltán Kövecses, anders dagegen ebenfalls weiter unten Gerard Steen).

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conceptual domain to reason about another conceptual domain? The empirically established answer is ‘yes’. We call that phenomenon conceptual metaphor, and we call the systematic correspondences across such domains metaphorical mappings.“6 Die Terminologie, mit der dieses Leben mit, durch und in Metaphern beschrieben wird, ist offensichtlich neu. Die zentralen Begriffe domain, concept und mapping beziehungsweise cross-domain mapping sind nicht nur – wie man argwöhnen könnte – neue Etiketten für alte Kategorien, sondern markieren das Eintreten neuer epistemischer Gegenstände7 und Phänomene in den Metapherndiskurs. Ihre Untersuchung gestattet es außerdem, anhand ihrer Entwicklung und ihrer sich verschiebenden Referenzen die internen Verschiebungen und Revisionen innerhalb der kognitiven Theoriebildung zu verfolgen. Die Metapher als cross-domain mapping kann wohl als ein kleinster gemeinsamer Nenner verschiedener kognitiver Theorien gelten, ist aber auch ein kritischer Punkt für die Bestimmung deutlich divergierender Gegenstände und Prozesse innerhalb der kognitiven Theorie. Die domain bildet dabei Ausgangs- und Zielpunkt der metaphorischen Prozesse und setzt damit den Rahmen für deren Verortung. In Metaphors We Live By erscheint der Begriff zunächst im gänzlich unspezifischen Sinne von ‚Bereich‘ und wird dann präzisiert und unterschieden in domains of experience und domains of activities, wobei die erste Gruppe die deutlich umfangreichere Diskussion und definitorischen Bemühungen erfährt. Sie ist als eine hierarchisch strukturierte Gruppe verschiedener möglicher Erfahrungsbereiche unserer täglichen Interaktion mit der Welt zu verstehen. Hierarchisch gegliedert sind diese insofern, als Lakoff und Mark Johnson bestimmte domains als grundlegend und natürlich betrachten: What constitutes a ‘basic domain of experience’? Each such domain is a structured whole within our experience that is conceptualized as what we have called an experiential gestalt. Such gestalts are experientially basic because they characterize structured wholes within recurrent human experiences. They represent coherent organizations of our experiences

6 George Lakoff/Mark Johnson: Metaphors We Live By, S. 246. 7 Den Terminus prägt Hans-Jörg Rheinberger und beschreibt dabei die in, mit und durch ein Experimentalsystem (bspw. eine bestimmte Versuchsanordnung) konfiguierten Entitäten, die erst unter den Bedingungen der sie umgebenden technischen Gegenstände (Instrumente der Versuchsanordnung) beschreibbar werden. Der epistemische Gegenstand markiert eine noch nicht ganz klar umrissene, aber bereits eingrenzbare Zone in der experimentell-empirischen Wissensgenese. (Vgl. Stefanie Samida/Manfred K. H. Eggert/Hans P. Hahn (Hrsg.): Handbuch materielle Kultur. Bedeutungen, Konzepte, Disziplinen. Darmstadt: Wissenschaftliche Buchgesellschaft 2014, S. 193).

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in terms of natural dimensions (parts, stages, causes, etc.) domains of experience that are organized as gestalts in terms of such natural dimensions seem to us to be natural kinds of experience.8

Physische Erfahrbarkeit stellt ein zentrales definitorisches Charakteristikum der grundlegenden Erfahrungsbereiche dar,9 wobei die ‚Natürlichkeit‘ dieser Erfahrungen eine grundlegende Prämisse der kognitiven Theorien darstellt und als Abgrenzung zu rein abstrakt-rationalen Prozessen gesetzt wird.10 Die basale physische Erfahrung wird als fundamentale Form von Wissen oder Konzept verstanden, die folgend auch auf andere Erfahrungsbereiche angewendet wird. Die Idee der domain basiert damit an ihrem Ausgangspunkt auf einer Klassifizierung verschiedener Interaktionsmöglichkeiten mit der Umwelt, die sich als Strukturierungselemente in unseren Zugriff auf die Welt einprägen. Ein wiederkehrendes Beispiel für eine basic domain ist die räumliche Wahrnehmung. Ihre strukturierende Funktion beim Zugriff auf abstraktere Konzepte sehen Lakoff und Johnson beispielsweise bei der Übertragung des räumlichen Prinzips von ‚being in the kitchen‘ auf soziale Partizipation als ‚being in a club‘ und auf das emotionale Konzept Liebe in der Formulierung ‚being in love‘: These sentences refer to three different domains of experience: spatial, social, and emotional. None of these has experiential priority over the others; they are all equally basic kinds of experience. But with respect to conceptual structuring there is a difference. The concept in of the first sentence emerges directly from spatial experience in a clearly delineated fashion. It is not an instance of a metaphorical concept. The other two sentences, however, are instances of metaphorical concepts.11

Das räumliche in sollte damit als nicht-metaphorisches Konzept grundlegende Gestaltstruktur12 haben und gleichzeitig in metaphorischer Weise unseren

8 George Lakoff/Mark Johnson: Metaphors We Live By, S. 113. 9 Vgl. ebd. 10 Die Annahme weitgehend einheitlicher grundlegender Erfahrungen und damit einheitlicher konzeptueller Strukturen wird in der späteren kognitiven Theoriebildung vor dem Hintergrund einer verstärkten Berücksichtigung kultureller Variation zunehmend kontrovers diskutiert. Vgl. hierzu vor allem die theoretische Weiterentwicklung von Kövecses (vgl. Kap. 9.4.). Mit der zunehmenden Berücksichtigung der Kultur scheint diese wiederum in ihrer schon bei Aristoteles vermerkten Funktion als altera natura eingesetzt zu werden (vgl. Kap. 2., FN 43 und Kap. 4.1.). 11 George Lakoff/Mark Johnson: Metaphors We Live By, S. 60. 12 Lakoff/Johnson greifen hier offensichtlich, wenn auch ohne Verweis, auf das Konzept der Gestalt zurück, wie es von Gestaltpsychologen des 20. Jahrhunderts entwickelt wurde (vgl. für eine Übersicht zur Gestalttheorie Hellmuth Metz-Göckel: Einführung in die Gestaltpsychologie –

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Zugriff auf abstrakte Bereiche strukturieren, die nicht in direkter Verbindung mit physischer Interaktion stehen: The nonphysical domains – emotions, language, social institutions etc. – are perhaps the most important ones for the study of human mind. Since the conceptual structure of such domains cannot be viewed as merely the mirror of nature, the study of such domains may thus provide a clearer guide to the workings of the mind.13

Der physischen Realität der mit einer basic experience verknüpften Entitäten oder Sachverhalten entspricht im kognitiven System des Menschen an diesem Punkt der Theoriebildung ein concept, das zunächst als abstrakte Repräsentation verstanden werden kann.14 Das metaphorische mapping erfolgt auf Ebene der Repräsentation von Erfahrungsbereichen mit physischen Korrelaten auf solche ohne konkrete physische Korrelate. Prinzipiell erscheint das Modell der metaphorischen Übertragung damit weitgehend anschlussfähig beispielsweise an Blumenbergs konzeptuell orientierte Theorie der Metapher,15 aber auch an Max Blacks Theorie der interaction16  – ein Befund, der sich mit der Verschiebung der Verwendung von domain von einer Verwendung im Sinne einer abstrakten Erfahrungskategorie auf die Anwendung auf konkrete Hirnareale in der Neural Theory of Metaphor (NTM) jedoch ändert, wie ich später zeigen werde. An dieser Stelle sollen jedoch zunächst die Implikationen aus dem allgemeinen Modell und die von Lakoff/Johnson daraus abgeleiteten Fragen diskutiert

Klassische Annahmen und neuere Forschung. In: Gestalttheorie aktuell. Handbuch zur Gestalttheorie. 1. Gestalttheoretische Inspirationen. Anwendungen der Gestalttherapie. Wien: Krammer 2008, S. 15–38). Expliziert wird die theoretische Nähe der frühen kognitiven Theoriebildung zur Gestalttheorie von Peter Stockwell: Cognitive Poetics. An Introduction. London/New York: Routledge 2002. Ein entwicklungspsychologisches Modell für den Übergang von sensorisch-perzeptuell wahrgenommener Gestaltstruktur bei Kleinstkindern zu Konzepten mit image schema entwirft Jean M. Mandler: The Foundations of Mind. Origins of Conceptual Thought. Oxford: Oxford University Press 2006, v. a. S. 59–143. Der Zusammenhang ist insofern relevant, als das image schema in der weiteren Diskussion eine zentrale explanatorische Funktion der konzeptuellen Metapherntheorie einnimmt. 13 George Lakoff: Women, Fire, and Dangerous Things, S. 180. 14 Eine entsprechende Gleichsetzung findet sich bei Evans: „concept (also representation): The fundamental unit of knowledge central to categorisation and conceptualisation“. (Vyvyan Evans: A Glossary of Cognitive Linguistics, S. 31). 15 Eine entsprechende Einordnung der Theorie Blumenbergs findet sich bei Olaf Jäkel: Kant, Blumenberg, Weinrich. 16 Vgl. hierzu Kap. ‚Metapher und Wahrheit‘. Ein zentraler Unterschied mag in der Tatsache liegen, dass Black mit Kategorien der Semantik argumentiert. Inwiefern diese begriffliche Differenz jedoch auch inhaltlich entscheidend ist, bleibt zu diskutieren.

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werden, an denen sich bereits die alternative Stoßrichtung der frühen CMT abzeichnet. Die Fragestellung der kognitiven Theorie scheint zunächst einmal weniger darauf gerichtet, was wir genau verstehen, sondern eher wie/wieso wir verstehen.17 Die Beispiele sind folgerichtig in erster Linie Fälle, die wir schlicht ‚verstehen‘  – im pragmatischen Sinne, dass wir die vorgefundene Äußerung spontan als sinnhaft bewerten, ungeachtet der Frage, ob wir sie für wahr oder angemessen halten. Den kognitiven Theorien ist gemeinsam, dass sie ausgehend von intuitiv verständlichen Satzbeispielen zunächst zeigen, dass es sich gemäß ihrer Metapherndefinition um ein cross-domain mapping-Phänomen handelt, um dann Erklärungen zu entwickeln, wie der Prozess des metaphorischen Verstehens im Verhältnis zu einem nicht-metaphorischen Verstehen verläuft. Dazu werden nicht-metaphorische Ausgangsdomains (re-)konstruiert und Vorschläge für die Funktionsprozesse innerhalb der Metapher entworfen.18 Weitestgehend ausgeblendet bleibt die Frage, welche genaue Bedeutung der als metaphorisch identifizierten Formulierung beigemessen wird. Damit verhält sich die generelle Stoßrichtung kognitiver Theorien komplementär zu bestimmten klassischliteraturwissenschaftlichen Fragestellungen, die sich beispielsweise der Identifizierung möglicher Bedeutungen (Interpretation) einzelner Metaphern, ihrer kulturellen Bedingtheit und deren historischer Rekonstruktion oder ihrer semiotischen Mechanismen widmen. Theoriebildung und Fragestellungen der kognitiven Metapherntheorien stellen daher meines Erachtens kein Substitut für die traditionellen Fragestellungen dar – nichtsdestotrotz scheinen ihre Theorien und Befunde wertvolle Impulse für deren Bearbeitung zu offerieren. Zentrale Differenzpunkte, die als Ansatz für solche Impulse dienen, sind der Schwerpunkt der CMT auf Ubiquität, Automatizität und Unbewusstheit von Metaphernverstehen und -produktion. Lakoff/Johnson heben im Versuch der Abgrenzung ihres Metaphernverständnisses vor allem den ubiquitären und automatischen Charakter kognitiv-metaphorischer Prozesse hervor, zu denen sich manifeste linguistische Metaphern eher wie ein Oberflächenphänomen verhalten. Beide Aspekte werden über grund-

17 Im Vorwort zu Metaphors We Live By heißt es: „This book grew out, on both our parts, with how people understand their language and their experience.“ (George Lakoff/Mark Johnson: Metaphors We Live By, S. ix). 18 Entsprechend der Eigenschaften der Beispielmetaphern wurden im Lauf der Zeit unterschiedliche Modelle vorgeschlagen, wie eine Projektion, das gegenwärtig geläufige mapping und das ebenfalls gängige blending. Eine Analyse des Beispiels ‚This surgeon is a butcher‘ auf Grundlage verschiedener Funktionsmodelle findet sich in Zoltán Kövecses: Recent Developments in Metaphor Theory.

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sätzliche Verankerung metaphorischer Prozesse in der physischen Konstitution des Menschen begründet, die jedoch in den Anfängen der Theorie noch keine enge Definition oder Spezifizierung erfährt. Obwohl sich beide Befunde über die Metapher im Allgemeinen bereits in früheren Theorien finden lassen,19 ziehen Lakoff und Johnson andere Konsequenzen daraus. Die Ubiquität der Metapher folgt für beide aus der Notwendigkeit, auf Basis der verfügbaren konkreten Erkenntnisse über konkrete Ereignisse abstrakte Konzepte zu generieren, die die Grundlage für zahlreiche kognitive Prozesse bilden. Die Metapher als Teil des Denkens ist nicht hintergehbar, die Metapher charakterisiert vielmehr den alltäglichen menschlichen Zugriff auf die Welt. Damit rückt hier die Metapher als Instrument besonderer Erkenntnis, wie sie bei Aristoteles und Black unterstrichen wird, an den Rand des Interesses und statt ihrer steht die alltägliche Metaphorizität des Denkens im Zentrum, wie sie sich bei Nietzsche erahnen lässt. Die Automatizität ist ein notwendig folgendes Charakteristikum dieser Alltagsmetaphorik, die nicht auf außergewöhnliche, einmalige Einsicht angelegt ist, sondern auf eine Sicherung basaler Verstehens- beziehungsweise Sinnstiftungsfunktionen als Grundlage für unsere tägliche Interaktion mit der Umwelt. Insgesamt ist diese Verschiebung des Fokus von partikularen Metaphern mit potenziell außergewöhnlichem kognitiven Potenzial auf ubiquitäre metaphorische Prozesse und Muster eine paradigmatische Wende in der Konzeptionierung von Metapher mit Implikationen auch für mögliche Fragen in der traditionellen Literaturwissenschaft:20 Das Verhältnis von automatischen und allgegenwärtigen metaphorischen Prozessen zu partikularen Metaphern bedarf einer neuen und sorgfältigen Diskussion. Dass hier  – entgegen gewisser Tendenzen von kognitiver Seite, an dieser Stelle keinen Differenzierungsbedarf zu sehen21 – durchaus auch auf kognitiver Ebene relevante Unterschiede zu vermuten sind, legen auf den ersten Blick die unterschiedlichen Schwierigkeiten beim Verständnis verschiedener Metaphern unterschiedlicher Textsorten, Kontexte

19 Die Ubiquität der Metapher konstatieren bspw. bereits die Rhetoriken von Aristoteles und Black und Cicero (vgl. die Kapitel zu ‚Metapher und Wahrheit‘ bzw. zu ‚Metapher und Rede‘), aber ebenso die Konzepte von Blumenberg und Derrida (vgl. ‚Metapher und Zeichen‘) bzw. zur zentrale Funktion des Physis und der Wahrnehmung bei Nietzsche (vgl. ‚Metapher und Phänomen‘). 20 Vgl. dazu zum Bereich der hier berücksichtigten Fragestellungen der Literaturwissenschaft in ‚Metapher und Literaturwissenschaft‘. 21 Vgl. hierzu bes. die vier Variationsformen, die Lakoff/Turner poetischen Metaphern im Gegensatz zu alltäglichen zugestehen, die jedoch grundsätzlich auf den gleichen konzeptuellkognitiven Grundfunktionen wie die letzteren aufbauen (vgl. George Lakoff/Mark Turner: More than Cool Reason, S. 67–71).

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und Epochen nahe:22 Es gibt schlicht Metaphern, die wir nicht automatisch verstehen. Auch wenn also eine grundsätzliche und weitverbreitete kognitive Fähigkeit zur Metapher in der menschlichen Konstitution anzunehmen ist, sind die Einzelfälle von Metaphorik, auf die sich das literaturwissenschaftliche Interesse richtet, doch offenbar durch deutlich mehr Faktoren als diese grundlegende Fähigkeit determiniert. Die Identifikation und Charakterisierung partikularer Metaphorik mit ihren Entstehens- und Verstehensbedingungen sowie ihre Differenz zu einer ubiquitären ‚Hintergrundmetaphorik‘ muss meines Erachtens ein zentrales Interesse der Literaturwissenschaft sein, um ihre heuristisch begründeten und konventionell etablierten Kategorien von partikularer Metaphorik beispielsweise in der Lyrik vor dem Hintergrund der Ubiquitäts-These erneut zu verhandeln. Einen Ausgangspunkt innerhalb der kognitiven Theorien selbst für eine theoretische Integration ubiquitärer, automatischer Hintergrundmetaphern und einer Vorstellung von möglichen partikularen Metaphern mit einem zu vermutenden besonderen kognitiven Anspruch bietet meines Erachtens die im Anschluss an Lakoff und Johnson von Joseph Grady entwickelte Theorie von primary und complex metaphors.23 Diese stellt im Zusammenhang der kognitiven Theoriebildung vor allem einen Versuch dar, die physische Fundierung, das grounding24 konzeptueller Metaphern genauer zu beschreiben.25 Dazu entwickelt Grady nicht nur die zwei Kategorien der primary und complex metaphors, sondern entwirft auch unter der Verwendung großenteils psychologischer Terminologie ein zwei-

22 Vehemente Kritik von literaturwissenschaftlicher Seite an der Idee einer funktionalen Gleichheit aller Metaphern in der Verarbeitung kam schon früh von Reuven Tsur (vgl. Reuven Tsur: Lakoff’s Roads Not Taken. In: Pragmatics and Cognition 7:2 (1999), S. 339–359, hier auf S. 339). Zu dieser Kritik gesellen sich in der jüngeren Zeit auch Ergebnisse der empirischen Verarbeitungsforschung (vgl. Brian F. Bowdle/Dedre Gentner: The Career of Metaphor), die unterschiedliche Verarbeitungsgeschwindigkeiten verschiedener metaphorischer Ausdrücke belegen. Die Skala, auf der im Rahmen dieser Forschung Differenzen nachgewiesen werden, liegt allerdings im Millisekundenbereich und es scheint jedoch noch unklar, wie Reuvens an einem formalistischen Entautomatisierungskonzept und damit einer wahrgenommenen Verlangsamung des Rezeptionsprozesses orientierte Position in einen konsistenten Zusammenhang mit den nichtintrospektierbaren behavioralen Verarbeitungsdaten, die die Grundlage von Gentner/Bowldes Forschung bilden, gebracht werden können. 23 Joseph Edward Grady entwickelte die Theorie in ihren Grundzügen im Rahmen seiner Dissertation Foundations of Meaning: Primary Metaphors and Primary Scenes (1997) als Doktorand von George Lakoff. 24 Vgl. für eine Definition Vyvyan Evans: A Glossary of Cognitive Linguistics, S. 31. 25 Vgl. hierzu Lakoffs Einschätzung des Stellenwerts der Theorie in Metaphors We Live By, S. 255.

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stufiges Prozessschema, auf dessen Basis die Überführung einzelner, bestimmter Erfahrungen in ein Set einfacher primary metaphors und im zweiten Schritt deren Kombination zu complex metaphors begründbar werden. Ausgangspunkt der Überlegung, wie bereits in Metaphors We Live By skizziert, ist die Feststellung, dass metaphorische Prozesse der Strukturierung unseres Weltverständnisses sich durch ihre Adaptierbarkeit an verschiedene Erfahrungen, logische Widersprüchlichkeiten und die Komplexität unseres täglichen Lebens auszeichnen. In Gradys Theorie wird dies durch die gleichsam modulare Kombination metaphorischer Grundbausteine ermöglicht: Der Tatsache, dass sich subjektive Wahrnehmungen und Bewertungen von Situationen und Gegenständen unterscheiden und ändern können, wird durch das Vorhandensein unterschiedlicher Kombinationsmöglichkeiten der verfügbaren primary metaphors zur Strukturierung dieser Situationen und Gegenstände Rechnung getragen. Dies legt die interessante und durchaus innovative These von konsistenten und inkonsistenten metaphorischen Clustern aus modularen Metaphernbausteinen nahe.26 Die grundlegenden primary metaphors basieren auf frühkindlichen Korrelationserfahrungen verschiedener Erfahrungsbereiche: „Early conflations in everyday experience should lead to the automatic formation of hundreds of primary metaphors that pair subjective experience and judgement with sensorimotor experience.“27 Die Tendenz, bestimmte Typen von Wahrnehmungsmustern als basaler als andere zu betrachten und in ihnen den Prototyp für metaphorische Strukturierungen anderer konzeptueller Bereiche zu suchen, stabilisiert sich auf dieser Stufe der Theorieentwicklung durch ihre schrittweise Festlegung auf den Bereich der sensomotorischen Erfahrung.28 Die bis zu diesem Punkt noch sehr vage Beschreibung von Lakoff/Johnson der physischen Fundierung von Metaphern gewinnt hier Kontur. Ebenso der Prozess der metaphorischen Übertragung: Das Konzept des image schema als einer abstrakten Struktur, die aus sensomotorischen Erfahrungen abgeleitet und auf andere Erfahrungsbereiche übertragen wird, fungiert als Transfermechanismus von basalen zu abstrakteren Konzepten.29 Die primary metaphor wird damit konstituiert durch die wieder-

26 Lakoff und Johnson führen in diesem Zusammenhang zunächst den Befund kompatibler, genauer konsistenter bzw. kohärenter oder kontradiktorischer metaphorischer Strukturierungen einzelner konzeptueller Bereiche aus. Vgl. ebd., S. 107–110. 27 George Lakoff/Mark Johnson: Philosophy in the Flesh, S. 49. 28 Vgl. zum Status der sensomotorischen Erfahrung in der Primary Metaphor Theory auch später Joseph E. Grady: Image Schemas and Perception. Refining a Definition. In: From Perception to Meaning. Image Schemas in Cognitive Linguistics. Hrsg. von Beate Hampe. Berlin/New York: de Gruyter 2008, S. 35–55. 29 Vgl. Vyvyan Evans: A Glossary of Cognitive Linguistics, S. 106–108.

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holte Korrelation bestimmter Erfahrungen, die zu einer conflation30 führt, das heißt, dass vielfältige Wahrnehmungselemente zu einer konzeptuellen Struktur zusammengeführt werden. So sind etwa die vielfältigen Reize bei der Interaktion mit Gegenständen unter dem Gesetz der Schwerkraft die Grundlage für die Konzeptualisierung unserer vertikalen Achse. Solche basalen Konzeptualisierungen manifestieren sich in sogenannten image schemas31 und bilden die Grundlage für die Strukturierung abstrakterer Konzepte, wie beispielsweise die Strukturierung der abstrakten Konzepte good/bad durch up/down. Das image schema des konkreten, physiologischen Erfahrungsbereiches wird hier auf den abstrakten, nicht konkret erfahrbaren Bereich übertragen (mapping) und eine primary metaphor wird geschaffen.32 Die Klassifizierung nach konkreten und abstrakten Erfahrungsbereichen ist dabei von Anbeginn ein Anlass andauernder Revision und Diskussion,33 die jedoch hier nicht weiter ausgeführt werden können. Entscheidend festzuhalten ist die Modellstruktur der primary metaphor als einer Übertragung einer konzeptuellen Struktur von einer domain auf eine andere, die vollständig in nichtintrospektiven Prozessen verankert ist: Primary metaphors als atomare Grundbau-

30 Vgl. ebd., S. 59. 31 Vgl. ebd., S. 106–107. 32 Bemerkenswert ist hier die Diskussion über die Interaktionsweise der image schemas und der target domain. Kontrovers ist hier die Frage, ob die Anwendung eines image schemas auf eine target domain durch die Struktur dieser target domain vorbedingt ist. Der Invariance-Hypothesis (vgl. George Lakoff: The Invariance Hypothesis. Is Abstract Reason Based on Image-Schemas? In: Cognitive Linguistics 1:1 (1990), S. 39–74) zufolge, kann die Übertragung eines image schemas nur erfolgen, wenn es bereits strukturelle Ähnlichkeiten mit der target domain hat. Grady argumentiert jedoch in der 2005er Revision seiner Theorie in meinen Augen schlüssig, dass die angenommene konzeptuelle Undefiniertheit der target domain, die erst in der primary metaphor Struktur gewinnt, die Annahme einer vorgängigen Struktur in der target domain ausschließt: „If we adopt the notions of image content and response content above and the proposed definition of image schemas as representations of sensory experience, then the invariance constraint cannot apply to primary metaphors, though it may apply to other types of metaphors. Since the target concepts of the pervasive metaphors have no perceptual content, and therefore no image schematic structure, there is none to preserve.“ (Joseph E. Grady: Image Schemas and Perception, S. 47). Diese Variation des primary metaphor-Modells ist in seiner funktionalen Struktur analog zu Blacks Beschreibung der Strukturierung unbekannter Phänomenbereiche durch bekannte in der wissenschaftlichen Hypothesenbildung – mit dem zentralen Unterschied, dass Grady sich auf automatische und nicht-introspektierbare Prozesse konzentriert, während Black sich eher im Bereich grundsätzlich introspektierbarer Vorgänge zu bewegen scheint und den Schwerpunkt statt auf die Erklärung fundamentaler Alltagsvorgänge auf epistemologische Sonderfälle legt. 33 Vgl. dazu exemplarisch Joseph E. Grady: Theories are Buildings Revisited. In: Cognitive Linguistics 8:4 (1997), S. 267–290.

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steine unseres Weltzugangs und späterer Metaphorik entstehen ab unserer ersten Interaktion mit der Umwelt; werden also nicht bewusst gesucht, gebildet oder gefunden. Sie funktionieren, einmal erlernt, entsprechend bei der Strukturierung von Welt automatisch und auf nicht-introspektierbarem34 Prozessniveau. Eine bewusste Beobachtung oder Steuerung ihrer Bildung und ihrer Funktion scheint unmöglich. Im Laufe der Theorieentwicklung wurden verschiedene Listen mit primary metaphors vorgeschlagen  – ihre wiederholte Revision mit den anhängenden Diskussionen verdeutlicht die anfänglichen Unklarheiten über das Verständnis von ‚grundlegenden‘ oder ‚basalen‘ Erfahrungen und Konzepten, die sich in der Primary Metaphor Theory zugunsten einer Gleichsetzung von ‚grundlegend‘ mit ‚sensomotorisch‘ klären lassen. Damit wird eine analytische Unterteilung vorgenommen, die einerseits versucht, eine Basis für die systematische Analyse vorgefundener (meist linguistischer) Metaphern und ihre systematischen Verknüpfungen zu bieten,35 und andererseits, Metaphern nach Motivationen, ihren Ursprungsbedingungen zu gruppieren, die als Begründung für die gezeigte Systematik dienen sollen. Im Fall der primary metaphors werden die systematischen Befunde über eine Verknüpfung von zum Beispiel Höhe und Menge (more is up) durch die Korrelationen von Erfahrungen seit frühester Kindheit erklärt.36 Beispiele der ersten Formulierung der CMT nach Lakoff/Johnson, wie theories are buildings, werden auf dieser Grundlage als komplexe Metaphern analysierbar, anstatt eine direkte Erfahrbarkeit des Konzeptes ‚Gebäude‘ behaupten zu müssen.37 Aufgrund der ähnlichen sensomotorischen Konstitution aller Menschen wird für diese Sorte der Metaphern immer wieder ein sehr allgemeingültiger, nahezu universeller Charakter vermutet.38

34 Introspektierbare Erfahrungen sind nicht notwendig im direkten phänomenalen Bewusstsein präsent (entscheidend ist hier Aufmerksamkeit), aber grundsätzlich dem phänomenalen Bewusstsein zugänglich. Für nicht-introspektierbare Prozesse besteht diese Möglichkeit dagegen nicht. Typische Beispiele für nicht-introspektierbare Prozesse sind z. B. Pupillenbewegungen beim Lesen aber auch neuronale Aktivitäten im Gehirn. 35 Vgl. dazu Joseph E. Grady: Foundations of Meaning. Primary Metaphors and Primary Scenes. PhD Dissertation. Berkeley: University of California 1997. http://escholarship.org/uc/ item/3g9427m2 (12. 11. 2015), hier auf S. 6. 36 Grady spricht daher auch von correlation metaphors, denen keine Ähnlichkeitsqualität der Objekte zugrunde liegt. Vgl. dazu ebd., S. 223. 37 Vgl. Joseph E. Grady: Theories are Buildings Revisited. 38 Vgl. bspw. Joseph E. Grady: Primary Metaphors as Inputs to Conceptual Integration. In: Journal of Pragmatics 37:10 (2005), S. 1595–1614, hier auf S. 1611. Kritisch bewertet werden neben der Universalität v. a. auch die Eins-zu-eins-Verbindung sowie die kausale Einflussrelation von Konzepten auf sprachliche Ausdrücke, die Grady im Anschluss an Lakoff zwischen sprachlichem

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Diversität und Komplexität metaphorischer Strukturen werden mit dem nächsten Modellschritt erreicht: der Zusammenführung von mehreren primary metaphors zu complex metaphors. Diese lassen sich definieren als „metaphor formed by unification of more primitive metaphors“.39 Die Kombination von primary metaphors zu complex metaphors ist dabei als „monotonic process“ gedacht, einer Eins-zu-eins-Übernahme der Informationen der Teilmetaphern, was Joseph Grady anhand von Listungen korrespondierender Elemente in target domain und source domain40 sichtbar machen will.41 Die Kombination zu komplexen Metaphern scheint jedoch nach wie vor in Einzelfällen schwierig motivierbar, auch wenn sich unbestreitbar Beispiele finden lassen, in denen sich vorliegende metaphorische Strukturen mit dem vorgeschlagenen Instrumentarium analysieren lassen. Grady selbst schlägt für Fälle, in denen eine Auflösung der Metapher in physiologisch motivierte primary metaphors unmöglich scheint  – darunter auch das unausrottbare Beispiel des Löwen Achill  –, einen weiteren Typus von Metaphern vor: die resemblance metaphors.42 Diese basieren auf einer wahrgenommenen Ähnlichkeit zwischen zwei Entitäten innerhalb eines Wahrnehmungsbereiches, zum Beispiel visueller Wahrnehmung.43 Auch wenn diese klassifikatorische Ergänzung die explanatorische Reichweite der Primary Metaphor Theory erweitert, scheinen die Zusammenhänge und Wechselwirkungen zwischen primary und resemblance metaphors und ihr potenzielles Zusammenwirken zunächst unklar. Ein funktionales Modell für die Kombination verschiedener primary metaphors zu einer komplexen Metapher scheint dagegen die Blending Theory zu bilden, die in einem gesonderten Abschnitt weiter unten dis-

Ausdruck und konzeptueller Ebene annimmt. Besonders pointierte Kritik findet sich bei Daniel Casasanto: Experiential Origins of Mental Metaphors. Language, Culture, and the Body. In: The Power of Metaphor. Examining Its Influence on Social Life. Hrsg. von Mark J. Landau/Michael D. Robinson/Brian P. Meier. Washington, DC: American Psychological Association 2014, S. 249–268. 39 Vyvyan Evans: A Glossary of Cognitive Linguistics, S. 30. 40 Source domain und target domain sind die strukturellen Entsprechungen der CMT zu I. A. Richards tenor und vehicle bzw. Harald Weinrichs Bildspender und Bildempfänger. 41 Vgl. Joseph E. Grady: Foundations of Meaning, S. 48. 42 Vgl. ebd., S. 228–232. 43 Grady legt bei dieser Kategorie größten Wert auf die Tatsache, dass es sich bei dieser Form der Ähnlichkeit nicht um objektive Charakteristika der Entitäten handelt, sondern vielmehr um Ähnlichkeitskonstruktionen unserer Wahrnehmungsprozesse. Nichtsdestotrotz ist die Ähnlichkeit der von ihm am Ende präsentierten Metaphernklassifikation und der Typologie des Aristoteles frappierend. Der fundamentale Punkt, der die Geister hier scheidet, liegt, und so formuliert auch Grady, in einem anderen Zusammenhang, in einer grundlegend anderen Auffassung über den Zusammenhang von Wahrnehmung und Welt. (Vgl. ebd., S. 48).

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kutiert wird. Grady selbst schlägt eine Integration der beiden Ansätze vor, in der (primary) metaphors als input für blending spaces betrachtet werden können.44 Die Primary Metaphor Theory, wie sie hier in erster Linie als Elaboration der CMT verstanden wird, markiert eine epistemologisch brisante Scharnierstelle der Theoriebildung: Zunächst versucht sie, ein abstrakt-konzeptuelles Modell systematischer Metaphorik in der Alltagssprache weiterzuentwickeln und schlägt dabei eine Brücke zur grundsätzlich verschieden motivierten, aber zunächst kompatiblen Blending Theory von Gilles Fauconnier und Mark Turner. Die Blending Theory und ihr Gesamtmodell der menschlichen Kognition, in dem die Metapher nur eine Variation allgegenwärtiger blending-Prozesse45 ist, wird in dieser Arbeit in einem eigenen Kapitel behandelt.46 Festgehalten sei an dieser Stelle nur, dass sowohl die Primary Metaphor Theory als auch die Blending Theory die Prozesse und Mechanismen der metaphorischen Konzeptualisierungen stärker theoretisch abbilden, die in der CMT nur sehr allgemein beschrieben werden. Gleichzeitig wird die Primary Metaphor Theory aber auch als theoretischer Baustein für die NTM47 beansprucht, die eine konkrete Verortung dieser metaphorischen Mechanismen und Prozesse in neuronalen Korrelaten entwirft und mit neurowissenschaftlichen Methoden belegen will und die im folgenden Kapitel behandelt wird. George Lakoffs Rückblicke auf die Theorieentwicklung stellen diese stets als eine lineare Folge von Erkenntnisstufen von der CMT über die Primary Metaphor Theory bis zur NTM dar.48 Dabei bleibt unberücksichtigt, dass sich aus jeder der historisch chronologischen Etappen parallele Theoriestränge herausgebildet haben, die keineswegs alle notwendig auf eine neuronal begründete Theorie der Metapher hinauslaufen. Der epistemologisch und methodisch

44 Vgl. Joseph E. Grady: Primary Metaphors as Inputs to Conceptual Integration, S. 1611. 45 Blending oder auch conceptual integration bezeichnet im Allgemeinen die unbewussten Prozesse, in denen verschiedene mögliche Repräsentationselemente sowohl aus Wahrnehmungssignalen als auch aus Gedächtniselementen in konkreten aktuellen Repräsentationen zusammengeführt werden, die unserem Bewusstsein zugänglich sind. Vgl. Vyvyan Evans: A Glossary of Cognitive Linguistics, S. 12–13. 46 Vgl. hierzu Kap. 9.5. 47 Vgl. Kap. 9.2. 48 Vgl. dazu die Darstellung in George Lakoff/Mark Johnson: Metaphors We Live By, S. 255– 256; George Lakoff: The Neural Theory of Metaphor. In: The Cambridge Handbook of Metaphor and Thought. Hrsg. von Raymond W. Gibbs Jr. Cambridge u. a.: Cambridge University Press 2008, S. 17–38, hier auf S. 26–27; George Lakoff/Mark Johnson: Philosophy in the Flesh, S. 45–46. In Gradys eigenen Darstellungen finden sich dagegen eher verhaltene Reaktionen auf die Annahme neuronaler Korrelate für metaphorische Prozesse. Zwar hält er sie grundsätzlich für möglich, bezieht sie jedoch (bislang) nicht fundamental in seine eigene Argumentation oder Theoriebildung ein. (Vgl. dazu z. B. Joseph E. Grady: Image Schemas and Perception, S. 51).

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problematische Übergang von einer konzeptuellen Theorie der Metapher zu einer neuronalen ist jedoch keine zwingende Konsequenz aus einer Akzeptanz eines konzeptuellen Modells. Bevor anhand von zwei Beispielen nicht-neuronale Fortsetzungen der konzeptuellen Metapherntheorie mit ihren Schwerpunkten und Implikationen diskutiert werden sollen, seien jedoch zunächst die möglichen Fragestellungen aufgezeigt, die sich aus literaturwissenschaftlicher Perspektive aus den bis hierher diskutierten theoretischen Modellen ergeben. Die Grundidee einer Schichtung metaphorischer Prozesse über mehrere Ebenen scheint vor dem Hintergrund der bisher diskutierten Theorien und potenziellen Fragestellungen der Literaturwissenschaft hochbrisant. Ist man gewillt, die nicht-introspektierbaren, automatischen und durch physische Erfahrung konstituierten primary metaphors als fundamentale Bausteine für menschliche Kognition und alltägliche Metaphorik zu akzeptieren, so ergeben sich für die vorwiegend auf metaphorische Einzelphänomene in literarischen Texten fokussierte Literaturwissenschaft fundamentale Fragen für das Verhältnis zwischen den beiden Fragestellungen und den daraus folgend theoretisch modellierten Phänomenbereichen. Der Blick in die Theoriegeschichte zeigt, dass die Doppelnatur der Metapher als Phänomen der Alltagssprache und als Identifikationsmerkmal für als außergewöhnliche bewertete intellektuelle und künstlerische Leistung für viele Autoren auf der Hand liegt. Eine umfassende Theorie der Alltagsmetaphorik zeichnet sich allerdings tatsächlich erst mit Beginn der kognitiven Metapherntheorie, hier in Gestalt der CMT, und ihrem dezidierten Interesse an den allgemeinen statt den besonderen Prozessen und Ergebnissen menschlicher Kognition ab. Vor diesem Hintergrund wirft einerseits der heuristisch konstatierte Sonderstatus literarischer Metaphorik die Frage nach dessen spezifischen Qualitäten erneut auf, andererseits muss die, bislang fast ausschließlich auf synchroner Ebene untersuchte, Alltagsmetaphorik auf ihre Konstellationen in der diachronen Perspektive hin befragt werden. Diese beiden Punkte lassen sich spezifizieren auf: (1) die Frage nach der Topologie metaphorischer Strukturen literarischer Texte auf unterschiedlichen Ebenen der Metaphorik, (2) die Frage nach Möglichkeiten und Bedingungen eines partikularen Einsatzes von Metaphern in literarischem Schreiben und (3) die Frage nach der Relation von Metaphern als physisch-individuell fundierten Phänomenen und Metaphern als in Zeichen manifestierten und überindividuell auch über lange Zeiträume hin konservierbaren kulturellen Produkten. In der Primary Metaphor Theory sehe ich Ansätze, die – in Kombination mit Prämissen anderer Metapherntheorien – den Rahmen für vielversprechende Zugänge zu diesen Fragen bilden können. Die erste Frage begründet sich in der Priorisierung bestimmter Sprachelemente und -register, die in literaturwissenschaftlichen

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Metapherndiskussionen bislang wenig beleuchtet wurden und die als ein zentraler Ansatzpunkt für eine literaturwissenschaftliche Auseinandersetzung mit der CMT in ihren verschiedenen Varianten gelten kann. Präpositionen, Adjektive und Verben stehen in der literaturwissenschaftlichen Textanalyse im Schatten dominanter Substantive. Die durch die CMT begründete Annahme, dass gerade Präpositionen in vielen Verwendungen als die Manifestation eines zu irgendeinem Zeitpunkt der Sprachentwicklung oder der persönlichen Entwicklung gebildeten cross-domain mappings interpretiert werden können und entsprechende Annahmen für konzeptuell fundamentale Adjektive und Verben49 erschließen hier systematisch eine Perspektive auf bislang unverdächtige Elemente von Texten als potenziell interpretationsbedürftig und zweifelhaft. Es eröffnet sich gleichsam eine Perspektive auf ein weiteres Stratum von Texten, dessen Ausdehnung und Relevanz potenziell für jeden einzelnen Text zu prüfen ist. Eine Akzeptanz dieser Sprach- und Textmerkmale als relevante Phänomene der Metaphorik würde zu einer neuen Sensibilisierung für Texte führen. Während aus linguistischer Sicht die untersuchten Formen als fundamental für bestimmte Arten der Erkenntnis und unproblematisch für das Verstehen in der täglichen Kommunikation erachtet werden, ergibt sich aus literaturwissenschaftlicher Sicht die Frage, in welchem Verhältnis die Mikrometaphorik50 bestimmter Texte zu ihrer Makrometaphorik, also den mit den bisherigen Verfahren identifizierten, vorwiegend in Substantiven manifestierten Übertragungsstrukturen zwischen bereits komplexen semantischen Einheiten, steht. Der Nachweis mikrometaphorischer Strukturen ausgehend von den primary metaphors ist für literarische Texte oder andere künstlerische Artefakte schon mehrfach erbracht worden,51 ohne dass jedoch die Makrometaphorik damit hinreichend beschrieben und in ihrer Ambivalenz charakterisierbar gemacht worden wäre.

49 Vgl. dazu die Beispielsammlung von George Lakoff u. a.: Master Metaphor List. http://araw. mede.uic.edu/~alansz/metaphor/METAPHORLIST.pdf (1991) (27. 03. 2017). 50 Mit dem Begriff Mikrometaphorik möchte ich hier einerseits den v. a. im Fall der Präpositionen verschwindenden Anteil am gesamten Wortmaterial eines Textes markieren und andererseits – damit einhergehend – den scheinbar vernachlässigbaren Beitrag zur Bedeutungskonstruktion, der diesen Elementen in traditionellen Herangehensweisen beigemessen wird. Gleichzeitig soll dieser Terminus gemeinsam mit dem der Makrometaphorik implizieren, dass die beiden Ebenen nicht als diskrete Entitäten, sondern als theoretisch unterscheidbare Manifestationsstadien eines Kontinuums zu betrachten sind. Der Terminus ist in seiner Bedeutung damit ähnlich, aber nicht identisch zu Weinrichs Begriff der Mikrometaphorik, dem dieser den Begriff der Textmetaphorik entgegensetzt (vgl. Kap. 7.3.). 51 Der erste Beleg für die grundsätzliche Anwendbarkeit der CMT als analytische Grundlage für die Untersuchung von Literatur ist George Lakoff/Mark Turner: More than Cool Reason.

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Dies mag für die frühen Arbeiten mit dem grundsätzlichen Paradigma der CMT zusammenhängen, demzufolge grundlegende Verstehens- und Sinnstiftungsprozesse genuin metaphorisch sind. Das erste Interesse bei der Auseinandersetzung auch mit literarischen Texten liegt damit für diese Theorieströmung naturgemäß im Nachweis, dass auch oder gerade ad hoc verständliche Texte umfassenden Gebrauch von grundlegenden metaphorischen Konzepten machen. Auch wenn man diesen Punkt anerkennt, verkompliziert sich die Lage für historisch entfernte und komplexe Texte jedoch: Eine Theorie, die die grundsätzlich verständliche Metapher als Paradigma betrachtet, kann, so scheint es, die regelmäßige Erfahrung identifizierbarer aber nichtsdestotrotz unverständlicher oder uneindeutiger Metaphorik nicht hinlänglich fassen. Dirk Geeraertz brachte diese Problematik kürzlich in vier Trugschlüssen auf den Punkt, zu denen ein rein analytisches Verständnis der CMT verleiten kann: 1. „dominant reading only“,52 2. „semasiology only“,53 3. „natural experience only“54 und 4. „metaphorization only“.55 Die hier aus diachron-linguistischer Sicht formulierten Kritikpunkte

52 „In a target is source pattern, the meaning that is selected as the Source is very often taken to be the current dominant literal reading, but that is not necessarily historically correct. To achieve a historically adequate picture of the emergence of metaphor, the birth of the metaphor needs to be checked against the individual word histories of the expression in question: the meaning of the Source item that provides the historical basis for the metaphorical expression may be a different one than the most readily available candidates.“ (Dirk Geeraerts: Four Guidelines for Diachronic Metaphor Research. In: Metaphor and Metonymy across Time and Culture. Perspectives on the Sociohistorical Linguistics of Figurative Language. Hrsg. von Javier E. DíazVera. Berlin u. a.: de Gruyter 2015, S. 15–27, hier auf S. 16). 53 „The fact that meaning is structured both semasiologically and onomasiologically implies that both the semasiological and the onomasiological perspectives need to be taken into account when studying historical metaphorical patterns, i. e. establishing the importance of a target is source pattern is often done by merely charting the presence of Target in the semasiological range of Source without checking the importance of Source in the onomasiological range of Target. This may hugely overestimate the importance of the pattern for the conceptualization of the target.“ (Ebd., S. 19). 54 „The fact that meaning is embodied in natural and cultural experience implies that diachronic metaphor theory needs to take into account the cultural background of experience just as well as its physiological basis, i. e. diachronic metaphor theory should take into account the history of ideas, and the history of daily life. […] Regardless of whether the anger is heat of a fluid in a container metaphor is exclusively based on the humoral theory or whether it is a combination of the humoral theory and physiological impulse, a proper understanding of conceptual metaphors implies an awareness of the cultural and scientific traditions that may have influenced the language.“ (Ebd., S. 20–21). 55 „The fact that meaning is transmitted through language implies metaphors do not just arise through metaphorization, but that they may also arise through a ‘deliteralizing’ reinterpretation process: while a new target is source pattern is usually formed by figuratively categorizing the

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scheinen mir auch für eine literaturwissenschaftliche Integration der CMT relevant, solange sich deren Forschungsinteresse auf die Beschreibung historischer Textgegenstände richtet. Diese sind entsprechend aus literaturwissenschaftlicher Perspektive nicht auf die analytisch-synchron zugänglichen dominant readings zu reduzieren, stattdessen könnte es gelten, synchron präferierte Lesarten über ihre historische Entwicklung zu begründen beziehungsweise sie mit dieser zu kontrastieren.56 Der literaturwissenschaftliche Fokus liegt damit weniger auf den ad hoc zugänglichen Aspekten, die literarische Metaphern mit zeitgenössischer Alltagsmetaphorik teilen, sondern richtet sich gleichermaßen auf die Fälle, in denen „relatively strenuous cognitive work is required to make meaning from the evocative language of poetry and highly abstract prose“.57 Reines Aufzeigen konzeptueller Metaphern oder mikrometaphorischer Strukturen erscheint daher in vielen Fällen zwar als ein notwendiger erster Schritt, dessen Ergebnis jedoch oft zwar nachvollziehbar begründet, aber dennoch unbefriedigend mit Blick auf die Komplexität vieler literarischer Texte und ihrer Metaphorik scheint. Ein Text ließe sich dafür, wie in den Beispielen bereits untersuchter Mikrometaphorik, ausgehend von den von der Primary Metaphor Theory vorgeschlagenen Sets von basalen Metaphern in strukturalistischer Manier auf seine Mikrometaphorik hin befragen. Im Fall von Walter Benjamins Möwen wird man fündig: Das ‚bleischwere Herz‘ des Erzählers und die ‚Schwermut‘, infolge derer er seinen Platz wählt, lassen sich mit der CMT als Spielarten der basic metaphor sadness is a burden identifizieren, die wiederum dem Grundschema bad is down folgt.58 Die angenommene metaphorische Übertragung würde hier der

Target as Source, it may also happen, that an existing literal categorization is reinterpreted as figurative target is source pattern, because the literal motivation of the original expression is no longer accessible.“ (Ebd., S. 24–25). 56 Ellen Spolsky formuliert programmatisch: „One of the hardest questions indeed turned out to be how it is that literary systems (both of production and interpretation) change through time, leaving us in the situation of being able to read and appreciate Beowulf, for example, but with no chance of that three-thousand-line poetic epic being written now.“ (Ellen Spolsky: Cognitive Literary Historicism. A Response to Adler and Gross. In: Poetics Today 24:2 (2003), S. 161–183, hier auf S. 164). Die Frage bezieht sich gleichermaßen sowohl auf die Funktionsweise kognitiver Mechanismen im Allgemeinen sowie deren Reichweite und Funktion beim Textverständnis als auch auf die spezifischen Funktions- und Transmissionsbedingungen von als literarisch klassifizierten Texten. 57 Antonina Harbus: Cognitive Approaches to Old English Poetry. Cambridge: Brewer 2012, S. 11. 58 Vgl. Anatol Stefanowitsch: Words and Their Metaphors. A Corpus Based Approach. In: Corpus-based Approaches to Metaphor and Metonymy. Hrsg. von Anatol Stefanowitsch/Stefan Thomas Gries. Berlin/New York: de Gruyter 2007, S. 63–105, hier auf S. 85.

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physiologischen Korrelationserfahrung von gut und oben beziehungsweise schlecht und unten folgen, die sich aus den physischen Erfahrungen des Menschen ableitet, der sich im gesunden, optimistischen Zustand aufrecht hält und dagegen im Fall von Krankheit, Angeschlagenheit oder Tod zur Horizontalen tendiert. Für die Dominanz von verschiedenen Variationen dieser basic metaphor zur Konzeptualisierung von Trauer gibt es korpuslinguistische Evidenz59 und die Formulierungen selbst lassen sich als Standardwendungen charakterisieren. Die Metaphorik Benjamins wäre an dieser Stelle gänzlich konventionell und im Fall des Begriffs ‚Schwermut‘ mehr oder weniger ein Nebeneffekt einer in den Sprachgebrauch eingegossenen, physiologisch fundierten Metapher. Weitet man die Perspektive auf den Gesamttext aus, fällt auf, dass die vertikale Orientierung entlang des Mastes, an dessen einem Ende die Möwen ihr Spiel treiben und an dessen anderem Ende sich der melancholische Erzähler befindet, den Text mindestens ebenso gliedert und prägt wie die horizontale links/rechts beziehungsweise Ost/West-Orientierung. Während die letztere hinlänglich von Harald Weinrich in seiner Analyse der Möwen thematisiert wird, bleibt die erstere jedoch dem bis hierher diskutierten metapherntheoretischen Instrumentarium weitgehend unzugänglich. Mit der CMT eröffnet sich hier jedoch eine Perspektive auf eine neue metaphorische Schicht des Textes, die diesen systematisch durchzieht. Die aufgefundenen Metaphern der Trauer mit den von der Primary Metaphor Theory implizierten Deutungen ließen sich nun im Anschluss traditionellen Befunden über die Makrometaphorik dieses Textes gegenüberstellen – im Fall von Benjamins Text den verschiedenen Metaphern, die beispielsweise Weinrichs Analyse vorschlägt. Dieses Vorgehen könnte nun von der Frage geleitet sein, ob die beiden metaphorischen Dimensionen (oben/unten und rechts/links) im konkreten Text als konsistent und kohärent betrachtet werden können. Im Fall der Möwen scheinen die beiden metaphorischen Systeme zunächst weitgehend unabhängig voneinander zu funktionieren: Die vertikale Metaphorik entspricht der Gemütslage des Erzählers, während die horizontale Metaphorik eine politische Botschaft kodiert. Ihre Verknüpfung scheint im benjaminschen Text selbst unter anderem durch die zusätzliche Farbkodierung der Möwen zu erfolgen, die sich mit der CMT auf das Schema happiness is light beziehungsweise umgekehrt absence of happiness is a shadow zurückführen ließe. Die emotionale Aufladung der Farbmetaphorik würde damit die emotionale Grundanlage der vertikalen Metaphorik auf die politisch deutbare vertikale Metaphorik projizieren. Interessant an den beiden hier skizzierten Metaphoriken des Textes und ihrer Interaktion scheint, dass die rechts/links-Metaphorik mit ihrer politischen Implikation als eines der Beispiele

59 Vgl. ebd., bes. S. 85–86 sowie S. 94.

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gewertet werden kann, die der Ursprungstheorie der CMT widersprechen, die für alle physiologisch verankerten basic metaphors die sensuelle Erfahrung als Ausgangspunkt sieht. Im Fall der politischen links/rechts-Metaphorik scheint es sich eher um eine durch die Erfahrung von kultureller und sprachlicher Praxis etablierte Metapher zu handeln.60 Auf der Ebene des spontanen Textverstehens scheinen jedoch beide Metaphoriken gleich wirksam. An die Möglichkeit dieser Einflussnahme knüpft eine Weiterentwicklung der CMT in Richtung der kulturellen Dimension an.61 Als weiteres Beispiel für eine mögliche Anwendung des skizzierten Verfahrens sei hier kurz Antonia Harbus’ kognitiv informierte Studie altenglischer Texte diskutiert, in der die Reichweite verschiedener kognitiver Theorien anhand einzelner Interpretationen demonstriert wird. Für die Metapher diskutiert Harbus zwei Gedichte62 aus Perspektive der CMT, sie geht also anders als die oben skizzierte Untersuchung des benjaminschen Textes über einen singulären Text hinaus und macht damit das vergleichende Potenzial der CMT deutlich. Es gelingt ihr meines Erachtens überzeugend, die Komplikationen innerhalb der Gedichte durch konfligierende metaphorische Konzepte der Seele aufzuzeigen. Allerdings scheinen die von ihr identifizierten Basiskonzepte body is container, soul is container und soul is a moving object selbst bereits hochkomplexe Strukturen zu sein, deren innere metaphorische Struktur nicht thematisiert wird. Hier wäre meines Erachtens eine kleinteiligere Analyse und Untersuchung der mikrometaphorischen Elemente, die an der Konstitution der drei Konzepte beteiligt sind, hilfreich.63 Diese Analyse würde die mehrfache Schichtung metaphorischer Strukturen innerhalb der Gedichte noch deutlicher machen und gleichzeitig historische Vergleichbarkeiten eben dieser Mikrostrukturen in verschiedenen Seelen-Konzepten ermöglichen. Ein interessanter Hinweis auf die zu erwartende Vielschichtigkeit dieser Konzepte über die Zeit kommt aus der kognitiven Linguistik. Juan Gabriel Vásquez Gonzáles zeigt in einer diachronen Untersuchung des Konzeptes ghost im Englischen die potenzielle Unverträglichkeit christlicher Varianten des seele-Konzeptes mit heidnischen an dessen Schnittstelle zum ghost-Konzept:

60 Vgl. Daniel Casasanto: Experiential Origins of Mental Metaphors, S. 249–259. 61 Vgl. Kap. 9.4. 62 Der hier relevante Teil von Harbus’ Dissertation beschäftigt sich mit den altenglischen Texten The Wanderer und Soul and Body II. Vgl. Antonina Harbus: Cognitive Approaches to Old English Poetry, S. 24–52. 63 Vgl. dazu auch Gradys Diskussion der building-Metapher. Für die vorliegenden Beispiele z. B. ist container als komplexe Struktur aus being-in is being in a container und insideoutside-structure is a container etc. denkbar.

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Out of 3100 occurrences in the doec, the reading ghost, spectre is only attested in 5 occurrences for oe gāst. It is not difficult to guess the metonymical chaining that develops the idea of the soul from that of breath, the first sense according to the doe. What is not so clearly perceived is the way in which a central Catholic dogma, the belief in the existence of a spiritus, accommodates to a cultural model that is common to many ancient cultures by which breath is just the ultimate reflection of the person within the person, […]. According to the doe, a similar metonymical process also in common West Germanic is responsible for the existence of the cited ghost reading. The scarcity of occurrences (5) maybe somehow due to taboo on religious ground as the oe translators preferred, on the whole, to avoid this term [ghost] and use other ghost words instead.64

Eine vertiefte Analyse dieser konzeptuellen Konstellation unter Berücksichtigung a) linguistischer Befunde, b) kultur- und literaturgeschichtlicher Kontexte und c) kognitiver Grundparadigmen stellt in meinen Augen eine fruchtbare Vertiefung der identifizierten Problemkonstellation dar. Mögliche Fragen, die in diesem Zuge beantwortet werden könnten, wären a) Wo finden sich genau die ‚Ausnahmen‘ in denen ghost im Sinne von spiritus verwendet wird? b) Lassen sich Motivationen für diesen statistisch nicht normalen Gebrauch identifizieren? Wenn ja, welche? Ein Schritt hin zu einer angemesseneren Erfassung der konzeptuellen Komplexität dieser hochgradig historisch-kulturell determinierten Metaphorik scheint mir daher im bisher nicht ausreichend diskutierten Verhältnis von mikro- zu makrometaphorischen Strukturen innerhalb von komplexen Texten zu liegen. Spannungsverhältnisse wie das oben skizzierte werfen die Frage nach ihrer gezielten Produzierbarkeit beziehungsweise ihrer Emergenz auf. Während die Makrometaphorik in der traditionellen Poetik und einigen philosophischen Positionen als genuiner Gestaltungsbereich künstlerischer Kreativität und wissenschaftlicher Innovation betrachtet und damit innerhalb des personalen Bewusstseins verortet wird, konzentriert sich die frühe CMT weitestgehend auf Vorgänge außerhalb der personalen und introspektierbaren Verfügbarkeit und damit potenziell auch außerhalb kreativer Manipulierbarkeit. Daraus ergibt sich die zweite Frage, die nach der Möglichkeit und den Bedingungen eines partikularen Metapherngebrauchs. Die Vorstellung eines physiologischen Determinismus aller Metaphorik steht hier scheinbar der grundlegenden Annahme bestimmter Positionen der Literaturwissenschaft, die von einem besonderen Verhältnis oder Umgang literarischer Produzenten zum sprachlichen Material ausgehen, kontra-

64 Juan G. Vázquez González: ‘Thou com’st in such a questionable shape’. Embodying the Cultural Model for GHOST Across the History of English. In: Metaphor and Metonymy across Time and Culture. Perspectives on the Sociohistorical Linguistics of Figurative Language. Hrsg. von Javier E. Díaz-Vera. Berlin u. a.: de Gruyter 2015, S. 319–348, hier auf S. 327.

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diktorisch gegenüber. Eine Differenzierung, die die unterschiedliche Funktionsweise metaphorischer Ausdrücke an deren introspektierbare beziehungsweise nicht-introspektierbare Verwendung koppelt und damit den Übergang zwischen zwei reduktionistischen Polen beschreiben könnte, wurde innerhalb der kognitiven Theoriebildung von Gerard Steen vorgeschlagen und wird weiter unten als eine für die Literaturwissenschaft vielversprechende Weiterentwicklung der CMT diskutiert. Für viele Formen der literarischen Produktion kann wohl zumindest eine erhöhte Reflexion des Sprachmaterials in Form eines Nachdenkens über verschiedene mögliche Ausdrucksvarianten und möglicherweise deren Implikationen im Verlauf der Textproduktion vermutet werden, die eine entsprechend sensible Theorie notwendig scheinen lässt.65 Gleichzeitig ist davon auszugehen, dass neben dem besonders reflektierten Spracheinsatz auch ein Verfasser hochstilisierter Lyrik über die Modi der Alltagskommunikation verfügt, die zudem innerhalb bestimmter Kommunikations- oder Textformen wahrscheinlicher ist als in anderen. Mit den Mitteln der Literaturwissenschaft ließen sich über die systematische Untersuchung des Schreibens einer Person in unterschiedlichen Kontexten (beispielsweise zur Publikation bestimmte Texte gegenüber privaten Briefen, Tagebucheinträgen oder Notizzetteln) Thesen über den Grad der Verfügungsgewalt beziehungsweise der Unhintergehbarkeit physiologisch fundierter Mikrometaphorik in ihrer Wechselwirkung mit den angenommenen verschiedenen Graden der bewussten Konzentration auf deren Verwendung aufstellen. Anders formuliert stellt sich die Frage nach dem Grad des physiologischen Determinismus allen Metapherngebrauchs beziehungsweise der Möglichkeit des tatsächlichen kreativen oder innovativen Einsatzes. Lakoff und Turner scheinen den allergrößten Teil der möglichen Metaphorik auf die fixen physiologischen Parameter zurückzuführen: Poetische Metaphern sind Variationen auf ein Thema aufbauend auf einem überschaubaren Set von kognitiven Variationsmechanismen. Diachrone und interkulturelle Vergleichsstudien jüngster Zeit zeichnen jedoch ein differenzierteres Bild. Der Status verschiedener kommunikativer Rahmungen, wie sie etwa in literarischen Genres oder alltagskommunikativen Kontexten identifiziert werden könnten, rückt als potenzieller Einflussfaktor auf den Metapherngebrauch ebenfalls zunehmend in den Blick.66 Damit eröffnet sich ein Zugang zu der Frage, wie der bewusste beziehungsweise reflektierte Einsatz von Metaphorik die Spurungen der Alltagsmetaphorik vari-

65 Exemplarisch ließe sich bier beispielsweise an die Hölderlin-Manuskripte denken, in die die Reflexion in Form der Revision sichtbar eingeschrieben ist. 66 Vgl. dazu weiter unten Steens three dimension model of metaphor.

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ieren, reflektieren oder brechen kann67 beziehungsweise unter welchen Konstellationen eine Emergenz innovativer oder kreativer Metaphorik konstatiert werden kann.68 Exemplarisch für einen solchen Versuch, die historische Emergenz eines metaphorischen Konzeptes zu zeigen, kann beispielsweise ein Aufsatz von Cristóbal Pagán Cánovas über die Emergenz der ‚Pfeile der Liebe‘ zwischen archaischer und klassischer Periode der griechischen Kunst gelten, der neben der konkret inhaltlichen Einsicht über ein kulturelles Phänomen auch ein dezidiert programmatisches Ziel verfolgt, das mit dem hier diskutierten deckungsgleich scheint:69 eine gleichberechtigte Kombination kognitiver Theorie mit philologischen und kulturwissenschaftlichen Methoden zur Erforschung konkreter literatur- und kulturwissenschaftlicher Fragestellungen, wie dem Auftreten eines neuen Motives. Canovás gelingt es dabei meines Erachtens in überzeugender Weise, das Aufkommen der Liebes-Pfeil-Metapher aus einer Vielzahl komplexer, kulturhistorisch vorgängiger Elemente mit Hilfe eines kognitiven Theoriemodells zu beschreiben als culmination of a long creative process in Greek mythology. Both their invention and their initial success drew crucially on conceptual materials available from early archai culture: Apollo the Archer personifying the cause of death and mortal disease, his action structured as an emission coming from a deity in a superior position; erotic emissions in lyric imagery; the link between passion and extreme illness; and the possible arrows of glance. Thus the first extant documents – texts and vase paintings – to use the symbol should be considered

67 In abgewandelter Form stellt sich damit in der Literaturwissenschaft die Frage nach dem Status des Bewusstseins, der Introspektierbarkeit und der Aufmerksamkeit vor dem Hintergrund der in der derzeitigen Diskussion dominanten Konzentration auf unbewusste und automatische kognitive Prozesse, wie sie auch in der Philosophie oder Psychologie formuliert wird. 68 Dass die neurologische Hardware unseres Gehirns auch nach den prägenden frühkindlichen Erfahrungen noch z. T. erhebliche Veränderungen z. B. durch Gewöhnungs- und Trainingseffekte erfahren kann, ist inzwischen in der Neurowissenschaft weitgehend unumstritten. (Vgl. dazu bspw. eine kurze Zusammenfassung der bahnbrechenden Arbeiten von Eric Kandel in Gerhard Roths Vorwort Eric R. Kandel: Psychiatrie, Psychoanalyse und die neue Biologie des Geistes. Frankfurt am Main: Suhrkamp 2006, S. 9–16. (Übersetzung Michael Bischoff/Jürgen Schröder)). 69 „I will show how combining an adequate conceptual analyses with traditional attention to textual details can yield more accurate results. This means using the best tools we can find in cognitive science and related disciplines, together with the historical and philological approach familiar to classicists. Neither approach goes very far in isolation.“ (Cristóbal Pagán Cánovas: The Genesis of the Arrows of Love. Diachronic Conceptual Integration in Greek Mythology. In: American Journal of Philology 132:4 (2011), S. 553–579, hier auf S. 554). Neben Textbeispielen bezieht Cánovas auch figürliche Darstellungen der bildenden Kunst ein.

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as the result of a long cultural process, which assigned the arrows to the relevant deity – probably Aphrodite before Eros – and produced the powerful vehicle of erotic passion that is still meaningful to modern minds.70

Canovás’ Beitrag reflektiert dabei typische Probleme der Altphilologie hinsichtlich der Quellenlage71 und konstatiert, dass die Frage nach einem individuellen Begründer der Metapher wegen der mangelhaften philologischen Datenlage besser durch die, mit kognitiven Modellen beschreibbare, Frage nach den vorgängigen, bedingenden konzeptuellen Konstellationen innerhalb der griechischen Kultur ersetzt werden sollte.72 Die Frage nach dem Wer wird zur Frage nach dem Wie. Entscheidend scheint mir hier, dass die Verschiebung der Frage über eine historisch-philologische Argumentation erfolgt, diese also ernst nimmt, ihre Grenzen zeigt und an entscheidender Stelle um das kognitive Modell ergänzt. Diese Entscheidung ist damit beeinflusst durch die konkreten Bedingungen der zunächst philologisch motivierten Fragestellung. Die Entscheidung, den Ursprung der Metapher als ‚Emergenz‘ oder als ‚Kreation‘ zu beschreiben, hängt damit genuin mit dem verfügbaren (Text‑)Material zusammen, auf das sich die Analyse stützt. Für die Epochen und Autoren mit besserer Überlieferungslage mag diese Entscheidung gegebenenfalls anders ausfallen. Die Probleme bei umfangreichen Überlieferungen werden dagegen wohl eher in der Vorauswahl des zu analysierenden Materials begründet liegen. Dieses Problem potenziert sich, wenn man von der Diskussion einzelner historisch begrenzbarer Emergenz- oder Kreationsprobleme aus die epochenübergreifende Entwicklung von Metaphorik in den Blick nehmen will, wie oben in Punkt drei formuliert. Neben der aufwendigen Detailanalyse des Textmaterials wird die systematische und ausreichende Beschreibung des kulturellen Kontextes über verschiedene Epochen hinweg eine Hauptherausforderung eines solchen Projektes darstellen. Die grundlegende Frage ist dabei, wie sich die individuell physiologisch fundierten Metaphern langfristig auf kultureller Ebene zu stabilen Zeichenstrukturen sedimentieren und damit als Strukturen unabhängig von konkreten Individuen und ihren Umwelterfahrungen konserviert werden können, aber dabei gleichzeitig auch immer wieder außerhalb ihres historischen und geografischen Produktionskontextes von physischen Individuen der aktualisierenden Lektüre unterzogenen werden können. Die in der Zeichenstruktur konservierte Metapher ist, und diese Einsicht verdankt sich der dekonstruktivistischen Tradition, Paläonym

70 Ebd. 71 Vgl. ebd., v. a. S. 557–558. 72 Vgl. ebd., S. 558.

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komplexer, historisch bedingter kultureller Kontexte, die zwar in ihrer Vollständigkeit unwiederbringlich sind, aber nichtsdestotrotz relevant, weil ihre Spuren in synchrone Kontexte hineinwirken.73 Dies steht zunächst in keinem Widerspruch zu einer ursprünglich auf physiologische Erfahrung konkreter Individuen zurückgehende Übertragungsleistung, doch kann so die bislang weitgehend vernachlässigte historisch-diachrone Dimension von Metaphernstrukturen in den Blickpunkt gerückt werden.74 Ein Ansatz, diese beiden Aspekte aus einer dezidiert kognitiven Perspektive zu integrieren, wird anhand von Zoltán Kövecses weiter unten diskutiert. Aus der philosophisch-hermeneutischen Tradition hat daneben Hans Blumenbergs bereits diskutiertes Konzept der absoluten Metapher und ihrer Wirkmächtigkeit als grundlegende konzeptuelle Strukturierung ganzer geistesgeschichtlicher Epochen ihren Eingang in die literaturwissenschaftliche Metapherndiskussion gefunden und bietet einen Anknüpfungspunkt an diese Problemstelle. Die von Blumenberg konstatierten Verschiebungen metaphorischer Strukturen stehen scheinbar quer zur vermuteten Stabilität von auf primary scenes begründeten primary metaphors. Die auf den ersten Blick je für sich offenbar nachvollziehbar begründeten, aber unvereinbaren Befunde von Blumenbergs Metaphorologie und der primary metaphor theory markieren die offene Frage nach der Wechselwirkung von metaphorischer Zeichenstruktur als paradigmatischem Produkt von Kultur und physiologisch verankerter Metaphorik. Diese Frage lässt sich meines Erachtens aus literaturwissenschaftlicher Perspektive durch eine Neuuntersuchung geistesgeschichtlicher Entwicklungslinien auf das Vorhandensein, die Ausgestaltung und vor allem die Kombination von primary metaphors angehen. Blumenbergs Analyse überblickt historisch sehr große Distanzen und zeichnet dementsprechend notwendig große Bögen: Seine Analyse der Licht-Metaphorik spannt den Bogen auf Grundlage von ideengeschichtlichen Marksteinen von Plato bis zur Aufklärung und zeigt anhand einer (detaillierten) Analyse, aber unter Inkaufnahme eines eher groben historischen Rasters, fundamentale Verschiebungen in der Konstitution, kommunikativen Verwendung und Bedeutung der Licht-Metapher.75 Im Fokus stehen hier dem-

73 Vgl. Anselm Haverkamp: Metapher. Die Ästhetik in der Rhetorik. Bilanz eines exemplarischen Begriffs. München: Fink 2007. 74 Die diachrone Entwicklung von Metaphern formuliert Steen, wenn auch mit Fokus auf eine potenziell zu zeigende Entwicklung von deliberate metaphors zu non-deliberate metaphors im Laufe der Sprachentwicklung, als ein Desiderat für die konzeptuelle Metaphernforschung. 75 Vgl. Hans Blumenberg: Licht als Metapher der Wahrheit. Im Vorfeld der philosophischen Begriffsbildung. In: Ästhetische und metaphorologische Schriften. Hrsg. von Anselm Haverkamp. Frankfurt am Main: Suhrkamp 2001, S. 139–171.

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entsprechend wieder eher makrometaphorische Strukturen (die nichtsdestotrotz transparent oder unsichtbar sein können): Die absolute Metapher, die weniger in einer konkreten linguistischen Form als vielmehr in einer konzeptuellen Disposition zu bestehen scheint, identifiziert zentrale Konzepte einzelner geistesgeschichtlicher Epochen, ohne jedoch detailliert auf deren Konstitution und die Übergänge zwischen zwei konzeptuellen Dispositiven einzugehen. So gewinnbringend diese Beschreibung für die Identifikation eines großen Rahmens ist, so legitim scheint gleichzeitig auch die Frage nach den erheblichen Leerstellen zwischen den Marksteinen und der Möglichkeit, die sie verbindenden Entwicklungsrouten so genau wie möglich zu beschreiben beziehungsweise auch konkurrierende Wege zu identifizieren. Eine erneute Analyse der Mikrometaphorik der diskutierten Texte lässt eine Einsicht darüber erhoffen, ob die Variabilität der grundlegenden Bausteine unserer Metaphorik nicht doch deutlich größer ist als zunächst angenommen, oder ob nicht möglicherweise die auf Ebene der Makrometaphern konstatierte Variabilität durch unterschiedliche Kombinationsstrukturen der Mikrometaphern zu begründen ist. Die These, dass es sich bei diesen metaphorischen Clustern um komplex geschichtete und kombinierte kognitive Bausteine handelt, lässt es jedoch möglich erscheinen, zunächst linguistisch abstrakte Befunde ins Verhältnis zu traditionellen Fragen der Ideenoder Kulturgeschichte zu setzen, wie sie zum Beispiel Douwe Draaisma in Metaphors of Memory verfolgt.76 Diese ließe sich als eine typische Ideengeschichte klassifizieren, die sich ausgezeichnet unter dem kognitiven Paradigma nach Konstanten rekapitulieren ließe. Obwohl er kein zeitgenössisches kognitivistisches Vokabular verwendet, bezieht sich Draaisma konkret auf Max Black, dessen Status als Vorläufer der kognitiven Theorie bereits diskutiert wurde. Draaisma diskutiert unter Fokus auf die differenzierten Details von Einzelfällen metaphorische Konzeptionen von Erinnerung und kann damit die historische Kumulation unterschiedlichster Metaphern zeigen. Das hier, wenn auch ohne die Schlagworte zeitgenössischer kognitiver Theorien, Kernfragen einer potenziellen kognitiven Kulturgeschichte diskutiert werden, liegt auf der Hand. Entsprechend sollten solche Ergebnisse als unschätzbarer Beitrag synchron orientierte kognitive Modelle ergänzen: Die Entwicklung und die Brüche, die Draaisma zeigt, erfolgen nach Grundsätzen der lebensweltlichen Erfahrung/Verfügbarkeit bestimmter Vergleichsbereiche, die

76 Seine metapherntheoretische Referenz scheint neben zeitgenössischen Autoren in erster Linie Max Black mit seiner starken Kreativitätsthese zu sein, in der die kognitive Dimension der Metapher, wie bereits gezeigt, zentral ist.

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sich in metaphorischer Form niederschlagen77 und die sich möglicherweise in der primary metaphors-Struktur fassen ließen. Auf diese Weise die offensichtlichen und untergründigeren Differenzen der Leitmetaphern angemessen zu berücksichtigen, würde im Gegenzug die Diskussionen und Analysen durch Einsatz des kognitiven Paradigmas aufwerten. Dazu müsste eine möglichst detaillierte Analyse der innerhalb einer ideengeschichtlichen Darstellung wie der von Draaisma identifizierten Metaphern in der gleichen Weise durchgeführt werden, die bereits oben für Harbus diskutiert wurde. Eine kognitive Kulturgeschichte würde jedoch weniger die potenziellen Problematiken konfligierender Konzepte innerhalb eines Textes diskutieren, sondern vielmehr die historische Entwicklung und Veränderung der Metaphern als eine Verschiebung in mikro- und makrometaphorischen Konstellationen sichtbar machen. In dieser Perspektive ließe sich denn auch die Interaktion der von Geeraerts beschriebenen unterschiedlichen Aspekte78 bei der Entstehung von Metaphern an einzelnen kulturgeschichtlichen Punkten diskutieren. Alle vorgeschlagenen Fragestellungen und methodischen Zugänge betrachte ich als genuin literaturwissenschaftlich, da sie sich zunächst auf konkretes Textmaterial und seine methodische Untersuchung richten. Ihre Aussagen betreffen damit zunächst nur die sprachlich-manifesten Metaphern und stehen mit den Ergebnissen linguistischer oder psychologischer Forschung im Paradigma der CMT zunächst nur insofern im Zusammenhang, als auch diese Befunde über linguistisch manifeste Metaphern als fundamentalen Bestandteil ihrer Argumentationen verwenden. Die Grundannahmen der CMT legitimieren grundsätzliche eine integrierte Perspektive zwischen Sprache, anderen Kulturphänomenen und kognitiven Prozessen, auch wenn die Details der Zusammenhänge oft noch kontrovers und unklar sind.79 Der nach wie vor besonders problematische Schluss von sprachlich manifesten Metaphern auf konkrete psychologische oder neurophysiologische Prozesse scheint in diesem Zusammenhang zunächst nicht notwendig. Die CMT dient als alternative Beschreibung einer weiteren Form metaphorischer Prozesse, die als Prämisse für eine neue Perspektive Zugänge für die Textuntersuchung eröffnen und deren empirische Validität zunächst außerhalb des methodischen Zugriffsbereichs der Literaturwissenschaft liegt. Ihre Grundthesen erlauben es jedoch, Sprache und ihre systematisch metaphorische Struktur (wieder)

77 Vgl. Douwe Draaisma: Metaphors of Memory. A History of Ideas About the Mind. Cambridge u. a.: Cambridge University Press 2000, v. a. S. 230–231. 78 Vgl. Dirk Geeraerts: Four Guidelines for Diachronic Metaphor Research. 79 So z. B. der bereits oben angesprochene Zusammenhang zwischen konzeptueller und linguistischer Ebene.

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als in direkter Interaktion mit anderen Ebenen kognitiver und kultureller Produktivität stehend zu diskutieren. Die Aufgabe der Literaturwissenschaft verorte ich hier genuin an der Schnittstelle zwischen einer spezifischen Untersuchung und Beschreibung sprachlicher Strukturen und einer Einordnung dieser in einen, wie auch immer konkret definierten, kulturellen oder kulturgeschichtlichen Kontext. Umgekehrt scheint es bisher den übrigen Disziplinen an Interesse, aber auch an einer hinreichenden Methodik und Expertise für die Untersuchung historischer Dimensionen und komplexer Textstrukturen zu mangeln. Über den Abgleich der Befunde über die linguistisch manifesten Metaphern aus anderen Disziplinen lässt sich hier die Möglichkeit eines tatsächlich fruchtbaren, interdisziplinären Austauschen erhoffen.

9.2 George Lakoff (*1941): Neural Theory of Metaphor He grasped the idea.80

Mit der sogenannten Neural Theory of Metaphor (NTM) kann eine grundlegende Verschiebung der Conceptual Metaphor Theory (CMT) vom konzeptuellen auf ein physiologisch-neurales Niveau konstatiert werden. Als Ausgangspunkt der Theorie werden von George Lakoff wiederholt die Ergebnisse von Srinivas Sankara Narayanans Dissertation81 angegeben, die auf den Grundannahmen der Neural Theory of Language aufbaut.82 Die Arbeit, die in einer Simulation der computationalen Zusammenhänge zwischen einem idealisierten Aktions- beziehungsweise Handlungsablauf und analogen Strukturen in linguistischen Strukturen auf Grundlage einer gemeinsamen Kontrollstruktur besteht, markiert aber auch den nach wie vor existenziellen Zusammenhang zwischen experimenteller Hirnforschung und artificial intelligence (AI).83 Während die AI, als Disziplin eigent-

80 Vittorio Gallese/George Lakoff: The Brain’s Concepts. The Role of the Sensory-Motor System in Conceptual Knowledge. In: Cognitive Neuropsychology 22:3 (2005), S. 455–479, hier auf S. 472. 81 Srinivas S. Narayanan: Knowledge-based Action Representations for Metaphor and Aspect (KARMA). PhD Dissertation. Berkeley: University of California 1997. http://www1.icsi.berkeley. edu/~snarayan/thesis.pdf (02. 04. 2017). 82 Vgl. für eine Übersicht dazu Jerome A. Feldman: From molecule to metaphor. A neural theory of language. Cambridge, MA: MIT Press 2006, S. 246–335. 83 Jerome Feldman beschreibt umfassend einerseits die grundlegenden Probleme, die beim Versuch der Modellierung von Hirnprozessen in computationalen Codes auftreten, verteidigt aber gleichzeitig dieses Vorgehen als den derzeit besten Weg, testbare Verarbeitungsmodelle für noch vergleichsweise junge Techniken der Hirnforschung, allen voran das fMRI zu entwerfen. Vgl. ebd., S. 3–9.

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lich mit der Optimierung und Weiterentwicklung mathematisch-computationaler Prozesse befasst, Verarbeitungsmodelle für die Hirnforschung liefert, erhält sie von dieser im Gegenzug Befunde und Hinweise auf Abweichungen der Modelle von realen Hirnprozessen und damit für bestimmte Fälle auch Anregungen für die Veränderung der computationalen Modelle. Die Entdeckung der sogenannten Spiegelneuronen84 sowie die schrittweise Beschreibung einer funktionalen Topologie des Gehirns85 sind Beispiele für solche Ergebnisse, die für die Entwicklung der NTM zentrale argumentative Bedeutung haben. Mit Blick auf die Metapher bedeutet dies konkret nichts anderes als die Eröffnung beziehungsweise Schaffung eines neuen Phänomenbereichs, in dem nun mit dem Konzept ‚Metapher‘ computationale respektive neurale Verknüpfungen beschrieben werden sollen. Entsprechend gänzlich neu im Vergleich zu früheren Theorien (inklusive der ersten Version der CMT) sind somit auch die relevanten Fragestellungen sowohl im Zusammenhang mit diesem Konzept als auch hinsichtlich der legitimen Argumente. Während bislang auch im Rahmen der CMT linguistische (oder auch literaturwissenschaftliche) Textbefunde neben psychologischen Verhaltensbefunden verhandelt wurden und werden, stehen nun die Darstellung neuronaler Aktivität, deren Zuverlässigkeit und mögliche Interpretationen im Zentrum dieser Theoriediskussion.86 Die Grundannahme der NTM besteht in der weitgehenden Identifikation konzeptueller Charakteristika mit neuronaler Aktivität. Die Übertragungsfunktion der Metapher wird damit auf die zunächst parallele und später gekoppelte Aktivität neuronaler Strukturen mit unterschiedlichen spezifischen konzeptuellen Zuschreibungen abgebildet: Universal early experiences lead to universal conflations, which then develop into universal (or widespread) conventional conceptual metaphors. […] The “associations” made during the period of conflation are realized neurally in simultaneously activations that result in permanent neural connections being made across the neural networks that define conceptual domains. These connections form the anatomical basis of source-to-target activations that constitute metaphorical entailments.87

84 Vgl. Giuseppe Di Pellegrino u. a.: Understanding motor events. A neurophysiological study. In: Experimental Brain Research 91:1 (1992), S. 176–180, hier auf S. 176–180. 85 Vgl. für eine einführende Übersicht z. B. Rainer M. Bösel: Das Gehirn. Ein Lehrbuch der funktionellen Anatomie für die Psychologie. Stuttgart: Kohlhammer 2006, S. 32–62. 86 Vgl. für eine kritische Zusammenfassung zum Stand der fMRI-Technik inklusive einer Literaturüberischt Craig M. Bennett/Michael B. Miller: How reliable are the results from functional magnetic resonance imaging? In: Annals of the New York Academy of Sciences 1191 (2010), S. 133–155. 87 George Lakoff/Mark Johnson: Philosophy in the Flesh, S. 46.

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Zentrale Prozesse der Gehirnentwicklung in frühester Kindheit bilden in der NTM die Grundlage für die Verknüpfung neuronaler Strukturen im Gehirn, vor allem Vernetzungen des prämotorischen Kortex, der in diesem Zusammenhang wohl prominentesten Hirnregion,88 mit anderen Hirnregionen. Die primary metaphors erfahren vor diesem Hintergrund eine neuronale Neuinterpretation: A primary metaphor like More Is Up arises via a neurally instantiated correlation between (1) a sensorimotor operation (such as a determination of a degree of change of verticality) and (2) a subjective experience or judgement (such as a judgement of degree or change of quantity). The conflation of these two is the simultaneous activation of their respective neural networks. Neural connections are established in early childhood during such a period of conflation, when the networks characterizing the domains are coactivated in everyday experience, as when we pile more books on a desk and their height goes up.89

Die grundlegende Annahme der zeitgenössischen Neurologie, dass sich in der Struktur des Gehirns funktionale Areale bestimmen lassen, bildet eine notwendige aber nicht hinreichende Bedingung dieser Formulierung. Eine weitere Vorannahme besteht in der grundsätzlichen Identifikation von neuronaler Aktivität mit semantischer Bedeutung: NTL, following the theory of simulation semantics, suggests that the neural circuitry characterizing the meaning of “grasp” is the neural circuitry in the mirror neurons that are activated when imagining either performing or perceiving grasping. The meaning of abstract concepts is directly embodied in this manner.90

Die Identifikation von semantischer Bedeutung mit Hirnaktivität geht damit auf grundlegende Annahmen der computationalen AI über Verarbeitungsprozesse und ihrem Modell des menschlichen Sprachverstehensprozesses zurück, die in diesem Fall in erster Linie von dem neurologischen Befund der Spiegelneuronen als biologischem Korrelat gestützt werden. Spiegelneuronen im prämotorischen Kortex, die nicht nur bei der Ausführung von bestimmten Bewegungen aktiv sind, sondern auch bei deren Beobachtung beziehungsweise bei der Wahrnehmung von mit der Bewegung oder Handlung verbundenen Geräuschen, werden seit

88 Für eine Übersicht über die Leistungsfähigkeit derzeitiger bildgebender Verfahren sowie eine Beschreibung der identifizierten Hirnareale mit ihren Funktionen vgl. Martin Lotze: Zerebrale Repräsentation von Bewegung. In: neuroreha 3:01 (2011), S. 10–17. Für den angenommenen Zusammenhang zwischen der Funktion des prämotorischen Kortex im Zusammenhang von Spiegelneuronen, Simulation und Sprache vgl. Giacomo Rizzolatti/Michael A. Arbib: Language within our grasp. In: Trends in Neurosciences 21:5 (1998), S. 188–194. 89 George Lakoff/Mark Johnson: Philosophy in the Flesh, S. 54. 90 George Lakoff: The Neural Theory of Metaphor, S. 19.

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ihrer Entdeckung als mögliche embodied representations, als neuronal manifeste Konzepte diskutiert.91 Der Relevanzanspruch der NTM geht damit zu einem guten Teil auf die Überzeugung zurück, mit den computationalen Modellen die besten verfügbaren Vorhersagen über neuronale Prozesse der Sprachverarbeitung zu machen,92 eine These, deren kontroverser Status weiter unten diskutiert werden soll. Es geht der NTM damit also weder um eine detaillierte Theorie zur Erfassung und Beschreibung linguistisch manifester Metaphern noch um ein detailliertes Modell der konkreten biologischen Prozesse: What is important for the study of thought is not the study of precise neural circuitry but rather the study of the kinds of computations that neural circuitry can carry out. An important topic in the neural theory of language is exactly what kinds of circuit types are necessary for human thought – for frames, image-schemas, conceptual metaphor, lexical items, grammatical constructions, and so on.93

In logischer Folge lässt sich Lakoffs Version der NTM über weite Strecken als eine Übersetzung früherer Elemente der CMT in verschiedene Typen von computationalen Prozessmodellen lesen. Die Metapher, in der CMT auf abstrakter Ebene als cross-domain mapping beschrieben, findet sich wieder als mapping circuit: Dieser besteht in Lakoffs Computationsmodell aus drei Einheiten, von denen zwei bereits als kleinere Computationsstrukturen beschrieben sind.94

91 Vgl. hierzu einen Umriss der Diskussion bei Lawrence W. Barsalou: Grounded cognition. In: Annual review of psychology 59 (2008), S. 617–645 sowie für eine jüngere Rekapitulation der Theorieentwicklung bisher Lawrence W. Barsalou: Grounded cognition: past, present, and future. In: Topics in cognitive science 2:4 (2010), S. 716–724. 92 Vgl. hier die Übersicht über die Computationsvorschläge im Laufe der Zeit Jerome A. Feldman: From molecule to metaphor, S. 105–122. Erkenntnisse über die Strukturen biologischer Verarbeitungsprozesse fungieren dabei vor allem als Differenzkriterien, die die besonderen Anforderungen bei der computationalen Modellierung menschlicher Kognition operationalisierbar machen sollen. 93 George Lakoff: The Neural Theory of Metaphor, S. 21. Ähnlich außerdem in Vittorio Gallese/ George Lakoff: The Brain’s Concepts, S. 457. 94 Der linking circuit besteht in einer Verbindung von zwei nodes A1 und A2 über eine dritte I sowie einer kontrollierenden node G. Die Aktivierung von A1 und I aktiviert nun in diesem Modell automatisch auch A2, aber nicht umgekehrt. A1 Aktivität führt nicht zwangsläufig zur L Aktivität; fehlt letztere, ist auch die kontrollierende node G aktiv. Die synchrone Aktivität von A1 und A2 bedeutet dagegen automatisch die Aktivität der verbindenden node I und der kontrollierenden node G. Die zweite Computationsstruktur innerhalb des mapping circuit mit dem Namen gestalt circuit besteht aus nodes A, B, C, und D sowie einer gestalt node G. Deren Aktivierung führt hinreichend und notwendig zu einer Aktivierung von A, B, C, und D; umgekehrt kann ihre Aktivität ausgelöst

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• Two groups of nodes: A1, B1, C1, D1, E1 and A2, B2, C2, D2, E2. • Linking nodes LA, LB, LC, LD, LE in linking circuits that, respectively, link A1 to A2, B1 to B2, and so on. • A gestalt circuit with nodes LA, LB, LC, LD, and LE with M as the gestalt node.95

Die früheren zwei domains finden sich übersetzt in den Gruppen A1-D1 und A2-D2, deren Verbindungen durch den linking circuit modelliert werden. Das gestalt schema, das beim mapping übertragen wird, ist im gestalt circuit computational beschrieben. Das cross-domain mapping der Metapher ist entsprechend: • When M is inhibited, the linking circuits are all inhibited. • When M is activated, all the linking circuits from A1 to A2, from B1 to B2, and so on are activated.96

Dieses Modell mag eine bestimmte Form metaphorischer Übertragung im Sinne der CMT im Wortsinn in einer Simulation berechenbar machen und ist gleichzeitig grundsätzlich neurologisch falsifizierbar. Lakoff formuliert dafür explizite Vorhersagen: For example, in the case of the concept of grasping, one would expect the parietal-premotor circuits that form functional clusters for grasping to be active not only when actually grasping, but also when understanding sentences involving the concept of grasping. […] A further prediction of our theory is that such results should be obtained in fMRI studies, not only with literal sentences, but also with the corresponding metaphorical sentences.97

Mit diesen Vorhersagen und ihrer expliziten Kopplung an eine bestimmte Technik für ihren Nachweis, verlagert sich mit der NTM der Rahmen der legitimen Fragen und Argumente ein weiteres Mal. Daten, zum Beispiel über Vorkommen und Häufigkeit von linguistischen Metaphern, sind an diesem Punkt der Theorie weitgehend irrelevant. Zentral sind dagegen die seit den 1990er Jahren verfügbaren Techniken zur Messung von Hirnaktivitäten sowie die Entwicklung und Testung von Hypothesen über Verarbeitungsprozesse mithilfe dieser Verfahren. Linguis-

werden, wenn eine kritische Zahl von A, B, C, und D aktiviert ist. Desaktivität von G bei Aktivität von A, B, C, und D ist ausgeschlossen. (Vgl. George Lakoff: The Neural Theory of Metaphor, S. 21). 95 Ebd., S. 22. 96 Ebd. 97 Vittorio Gallese/George Lakoff: The Brain’s Concepts, S. 472.

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tisches Material spielt in diesem Zusammenhang häufig entweder keine98 Rolle oder fungiert als (oft zu wenig diskutierter)99 Stimulus. Die Konsequenzen, die Lakoff aus dieser computationalen Neubeschreibung für den täglichen (auch) linguistischen Metapherngebrauch zieht, decken sich jedoch weitestgehend mit den Grundannahmen der früheren CMT. Metaphorische Sprache gilt nach wie vor als eine mögliche Manifestation von konzeptuellen Metaphern, die zum größten Teil auf nicht-introspektierbarer kognitiver (jetzt neuraler) Ebene operieren und die Grundlage für unsere Sinnzuschreibung an Phänomene der Umwelt determinieren. Komplexe metaphorische Strukturen werden dabei ebenso wie scheinbar innovative Metaphorik durch unterschiedliche Verknüpfungen der im Grunde gleichen (jetzt neuronal verankerten) konzeptuellen mappings begründet.100 Vielfältige Kritik101 an den Modellen der NTM wurde in den vergangenen Jahrzehnten aus unterschiedlichsten Disziplinen geäußert. Die Kritik entspringt dabei sowohl grundlegenden philosophischen Problemen, die die Identifikation von neuronaler Aktivität und Repräsentation mit sich bringt, als auch Zweifeln an den empirischen Verfahren, Daten und ihrer Interpretation, die bisher zur Stützung der NTM herangezogen werden. Beide Typen der Kritik sollen hier nur in ihrer Struktur an zwei Beispielen exemplifiziert werden. Die philosophische Kritik betrifft in erster Linie die Plausibilität der Übertragung der computationalen Modelle auf die neurophysiologischen Realbedingungen, wo die computationalen Operationen immer in Verbindung mit zahllo-

98 Bei der empirischen Prüfung der psychologischen und neurologischen Realität von Konzepten wird oft ein Versuchsaufbau ohne verbale Komponenten angestrebt, gerade um die Unabhängigkeit der Konzepte von konkreten sprachlichen Realisierungen zu testen. 99 Vgl. dazu Eileen R. Cardillo u. a.: Stimulus design is an obstacle course: 560 matched literal and metaphorical sentences for testing neural hypotheses about metaphor. In: Behavior research methods 42:3 (2010), S. 651–664. 100 Vgl. George Lakoff: The Neural Theory of Metaphor, S. 24. 101 Aus philosophischer Sicht kommt Kritik am zugrunde liegenden Konzept des embodiment, das den Körper im vollständigen Sinne vernachlässigt (vgl. Valentina Cuccio/Gerard J. Steen: Attention to Metaphor. From Neurons to Representations. Amsterdam: Benjamins forthcoming). Aus neurowissenschaftlicher Sicht sowie aus der Sicht von Steen (vgl. Kap. 9.3.) steht die absolute Stabilität und Unveränderlichkeit der neuronalen Basis und die Annahme einer damit einhergehenden absolut stabilen und stets uniformen Verarbeitung von sprachlichen Stimuli in Frage. Aus literaturwissenschaftlicher Sicht ist die radikale Reduktion der Metapher auf ein neuronales Korrelat zu kritisieren, durch die, anders als noch in der CMT auch keine produktive Diskussion über die Texte (für die NTM schlicht Stimuli) mehr möglich ist (vgl. Thomas Eder: Zur kognitiven Theorie der Metapher; angemerkt sei hier, dass Eders Kritik nicht zwischen CMT und NTM differenziert).

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sen anderen beobachtbaren biochemischen Prozessen und Verhaltensvorgängen sinnvoll sein müssen. Konkrete Problempunkte an der NTM formuliert in diesem Zusammenhang unter anderen Valentina Cuccio, die in diesem Zusammenhang auf drei konkrete Erklärungslücken hinweist: 1) der Übergang beziehungsweise die Unterscheidung von Form und Inhalt neuronaler Aktivitäten, wenn diese gleichzeitig mit mentalen Gehalten/Repräsentationen identisch sein sollen; 2) die plausible Existenz einer Repräsentation unabhängig von einem Stimulus; 3) die plausible Unterscheidung von Repräsentation und Simulation von tatsächlicher Aktion.102 Das erste Problem stellt sich beispielsweise bei dem Versuch, einen direkten Zusammenhang zwischen neurophysiologischen Prozessdaten und personal erlebten Repräsentationen herzustellen: Mithilfe eines fMRI kann zwar für einen konkreten Fall getestet werden, welche Hirnareale bei der Verarbeitung eines bestimmten Stimulus aktiv werden. Aus einem Aktivitätsmuster kann aber umgekehrt nicht auf eine bestimmte Repräsentation geschlossen werden. Die direkte Gleichsetzung bestimmter (metaphorischer) Konzepte mit neuronaler Aktivität scheint damit (philosophisch) unzulässig. Der zweite Punkt zielt darauf, dass die bisherigen computationalen Modelle mentaler Repräsentationen immer nur in Anwesenheit des auslösenden Stimulus funktionieren. Eine Repräsentation ohne Stimulus bleibt dagegen ein beobachtbares, aber auf dieser Grundlage nicht erklärbares Phänomen. Gleiches gilt für das Problem des Übergangs von neuronaler Simulation ohne Ausführung einer Handlung zu tatsächlicher Aktivität. Dass Spiegelneuronen, wie die computationalen Modelle nahelegen, sowohl bei echter Aktivität als auch bei deren folgenloser Simulation aktiv sind, scheint die, von einer Vorstellung einer funktionalen Topologie des Gehirns ausgehende, Annahme von modalitätsspezifischen Verarbeitungsprozessen nicht erklären zu können, solange nicht beispielsweise ein Mechanismus der Inhibition einer Handlung ergänzt wird. Bis dato ist damit zu konstatieren, dass es mit Blick auf beobachtbares Verhalten wohl einen klaren Unterschied zwischen beispielsweise der bewegungslosen Lektüre des Satzes „Ich greife die Tasse“ und dem tatsächlichen Ausführen einer solchen Bewegung gibt, dieser Unterschied mit den aktuellen Modellen der embodied cognition, auf die sich die NTM stützt, jedoch nicht erklärt werden kann. Fundamentale methodische Kritik an den bisherigen neurologischen Belegen für das embodiment von (metaphorischen) Konzepten kommt zum Beispiel von Daniel Casasanto, der, selbst Neurowissenschaftler, die bisherige empirische Datenlage als nicht hinreichend für die Annahme einer neuronalen Verankerung von Konzepten beurteilt. Die Ergebnisse seien entweder mit alternativen Modellen

102 Vgl. Valentina Cuccio/Gerard J. Steen: Attention to Metaphor.

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 Metapher und Kognition

vollständig erklärbar103 oder würden die von der NTM gemachten Vorhersagen schlicht nicht bestätigen.104 Die derzeit uneinheitlichen empirischen Befunde geben dagegen Anlass zu entscheidenden Alternativmodellen wie Gerard Steens Modell der deliberate metaphor, das sich explizit als Versuch versteht, eine bessere Erklärung für die vor dem Hintergrund der NTM widersprüchlichen Befunde zu liefern.105 Welche Implikationen erwachsen aus der NTM und ihrer Kritik für literaturwissenschaftliche Versuche, diese ernsthaft zu einem Teil des literaturwissenschaftlichen Instrumentariums zu machen? Mit dem neural turn überschreitet die Metapherntheorie die bis dahin gültigen Grenzen der Geistes- und Sozialwissenschaften, aber auch der konzeptuellen Theorien, indem die entscheidenden Gegenstände der Untersuchung – Metaphern – mit neuronaler Aktivität gleichgesetzt werden. Dem Begriff Metapher wird damit ein weiteres Phänomen in einem neuen Forschungs- und Gegenstandsbereich zugeordnet,106 in dem mit neuen technischen Verfahren Daten zu bislang nicht beschriebenen Prozessen erhoben werden. Das Sprach- oder Textphänomen, das in der Conceptual Metaphor Theory zwar theoretisch untergeordnet, aber nichtsdestotrotz noch relevanter Gegenstand der Beschreibung und Analyse war, wird im Rahmen dieser Theorieanlage endgültig Element einer Versuchsanordnung, die ein gänzlich anderes Phänomen ins Zentrum ihres Interesses setzt. Die Zusammenhänge zwischen den beiden Phänomenbereichen – Text auf der einen, neuronale Aktivität auf der anderen Seite – können derzeit wohl noch als weitgehend unklar betrachtet werden, wohl nicht zuletzt auch weil die Erforschung der neuronalen Aktivität als solcher weitgehendes Neuland ist. Ein zentrales methodisches Problem scheint daher auch

103 „Non-embodied alternative explanations are readily available for the source-target congruity effects reviewed above – explanations that rely on basic principles of perception, language, and memory that are much older and better-established than embodied simulation is. […] To make this point clear: the theory of embodied simulation could be 100% false, and the spacevalence congruity effects reviewed above (and related effects) would still be easy to predict and explain, on the basis of well-established principles of perception, language, and memory that predate embodied cognition.“ (Daniel Casasanto/Tom Gijssels: What makes a metaphor an embodied metaphor? In: Linguistics Vanguard 1:1 (2015), S. 327–337, hier auf S. 331) sowie grundsätzlicher Daniel Casasanto: The hierarchical structure of mental metaphors. In: Embodied Cognition and Discourse. Hrsg. von Beate Hampe. Cambridge u. a.: Cambridge University Press forthcoming 2017. Vgl. außerdem für eine fMRI-Studie, die eine differenziertere Sicht der neuronalen Prozesse in der Metaphernverarbeitung nahe legt, Rutvik H. Desai u. a.: The neural career of sensory-motor metaphors. In: Journal of cognitive neuroscience 23:9 (2011), S. 2376–2386. 104 Vgl. Daniel Casasanto/Tom Gijssels: What makes a metaphor an embodied metaphor? 105 Vgl. Kap. 9.3. 106 Vgl. zu Rheinbergers Begriff ‚epistemische Gegenstände‘ Kap. 9.1, FN 4.

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die Validierung der entsprechenden Forschungsergebnisse und ihrer Relation zu mit anderen Verfahren erhobenen Ergebnissen zu sein. Für die Literaturwissenschaft scheint dies zunächst dort besonders kritisch, wo sie versucht, ihre eigenen Methoden und Ergebnisse mit Verweis auf die Daten und Verfahren der neuroscience zu untermauern.107 Die methodologischen Komplikationen dieser Übertragungen werden in Kapitel 9.6 gesondert diskutiert, da die entsprechenden Probleme zum Teil auch die Metapherntheorien aus dem Bereich der Relevance Theory betreffen, die sich ebenfalls auf die Erhebung und Auswertung von Daten zu nicht-introspektierbaren Prozessen konzentrieren. Diese Unklarheit angesichts der methodologisch undurchsichtigen Gemengelage hinsichtlich der epistemologischen Legitimität manifestiert sich einerseits in fundamentaler Kritik an den Verfahren der kognitiven Theorien und deren Übertragbarkeit auf die Geisteswissenschaften und andererseits in teilweise übereifrig scheinenden Applikationen der kognitiven Befunde bei der Entwicklung literaturwissenschaftlicher Fragestellungen und der Bearbeitung von Texten.108 Die starke Polarisierung mag für den Moment verdecken, dass beide Wege in der Regel auf zwei verschiedenen Diskussionsebenen verlaufen, die durchaus die Möglichkeit bieten, konsistent verschiedene Standpunkte auf den unterschiedlichen Ebenen einzunehmen. Während die Einbeziehung von Befunden der kognitiven Theorien bei der Entwicklung von Interpretationen109 oder auch bei der Rekonstruktion

107 Vgl. dazu die dezidiert vorsichtige Formulierung einer indirekten Empirie, mit der Sophia Wege den literaturwissenschaftlichen Rückgriff auf genuin neurologische Forschungsergebnisse für die eigenen Argumentationen befürwortet (vgl. Sophia Wege: Aufgehender Mond und der Kubikinhalt des Herzens. Zum Verhältnis von Empirie und Literatur in der Kognitiven Literaturwissenschaft. In: Empirie in der Literaturwissenschaft. Hrsg. von Philip Ajouri/Katja Mellmann/ Christoph Rauen. Münster: Mentis 2013, S. 395–418). 108 Vgl. für eine ausführliche Zusammenfassung der Diskussion Mark J. Bruhn: Introduction. Exchange Values: Poetics and Cognitive Science. In: Poetics Today 32:3 (2011), S. 403–460 im Special Issue von Poetics Today. Bruhn identifiziert als wiederkehrende Kritikpunkte an den kognitiven Theorien (im Allgemeinen, also über die kognitive Metapherntheorie hinaus): 1) Redundanz, 2) Undifferenziertheit, 3) Inkommensurabilität und 4) Disziplinären Imperialismus. 109 Im anglophonen Sprachraum finden sich hier Unmengen von Studien (vgl. für eine Sammlung exemplarischer Positionen die Sonderausgabe von Poetics Today 24:2 (2003)). Im deutschsprachigen Raum dagegen vergleichsweise wenige. Vgl. hierzu z. B. umfangreiche Interpretationen im kognitiven Paradigma bei Sophia Wege: Wahrnehmung, Wiederholung, Vertikalität. Zur Theorie und Praxis der Kognitiven Literaturwissenschaft. Bielefeld: Aisthesis 2013, Kapitel 7 bis 11. Außerdem die Arbeiten die Monika Fludernik versammelt in Monika Fludernik (Hrsg.): Beyond Cognitive Metaphor Theory. Perspectives on Literary Metaphor. New York/London: Routledge 2011. In der Einleitung zu dem Sammelband kommentiert Fludernik auch die unterschiedlichen Reaktionsweisen der anglophonen Literaturwissenschaft im Vergleich mit der deutschsprachigen

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 Metapher und Kognition

historischer Reflexionen über die Manifestation kognitiver Mechanismen in literarischen Texten110 weitgehend reibungslos durchführbar scheint, sieht sich der Übertrag von Verfahren und Methoden der Kognitionswissenschaft anhaltender und epistemologisch durchaus gerechtfertigter Kritik gegenüber. Zwischen den Aussagen über Texte und den Aussagen über Kognition, besonders wenn diese sich auf biologische Daten stützen, klafft eine bislang nicht zuverlässig überbrückte epistemologische Lücke. Fragestellungen und Methoden scheinen hier nur sehr bedingt übertragbar.111 Unabhängig von den methodologischen Details scheint die Idee einer Koppelung von Konzepten an die konkreten neurologischen Strukturen in der (angelsächsischen) Literaturwissenschaft jedoch eine interessante Neubelebung des totgesagten Autors ausgelöst zu haben.112 Dies lässt sich als eine Variante des ersten Weges verstehen, also einer Einbeziehung von Prämissen der NTM in die Ausgangsannahmen der literaturwissenschaftlichen Arbeit. Konzepte sind in dieser Perspektive spätestens mit der NTM nicht mehr nur als abstrakte Konstrukte von Diskurs und sozialen, systematischen oder kulturellen Bedingungen zu diskutieren, sondern erfordern gerade für den literaturwissenschaftlich interessanten Einzelfall eine konkrete, individuelle Verkörperung, einen Autor. Dessen Einbettung in kulturelle, soziale und diskursive Dimensionen soll dabei durch den Anschluss an die literaturwissenschaftlichen Strömungen New Historicism und Cultural Materialism theoretisch abgedeckt werden, während konkrete Textbeschreibungen unter Rückbezug auf strukturalistische Kategorien erfolgen

Literaturwissenschaft gegenüber den kognitiven Theorien und konstatiert eine mangelnde Kommunikation zwischen den einzelnen Theorie-Strömungen. (Vgl. Monika Fludernik: Introduction: The Rise of Cognitive Metaphor Theory and Its Literary Repercussions. In: Beyond Cognitive Metaphor Theory. Perspectives on Literary Metaphor. Hrsg. von Monika Fludernik. New York/London: Routledge 2011, S. 1–19, hier auf S. 6). Letztlich finden sich in der Geschichte der Literaturwissenschaft zahlreiche Beispiele für einen solchen Transfer von medizinisch-naturwissenschaftlichen oder psychologischen Grundannahmen in die Prämissen von Interpretationen. Die psychoanalytische Literaturwissenschaft ist im deutschsprachigen Raum vllt. das prominenteste Beispiel dafür. 110 Vgl. für eine programmatische Skizze des cognitive historicism Ellen Spolsky: Cognitive Literary Historicism sowie für eine exemplarische Umsetzung Ellen Spolsky: Gaps in nature. Literary interpretation and the modular mind. Albany, NY: State University of New York Press 1993. 111 Vgl. Sophia Wege: Aufgehender Mond und der Kubikinhalt des Herzens. 112 Vgl. Mark J. Bruhn: Introduction. Integrating the Study of Cognition, Literature, and History. In: Cognition, Literature, and History. Hrsg. von Mark J. Bruhn/Donald R. Wehrs. New York: Routledge 2014, S. 1–16, hier auf S. 3. Auch wenn weder Bruhns Einleitung noch die Beiträge des Sammelbandes konkret mit kognitiven Theorien der Metapher arbeiten, scheinen die von Bruhn skizzierten Fragestellungen einer kognitiv informierten Literaturwissenschaft ebenso auf diesen konkreten Teilbereich übertragbar zu sein.

Gerard Steen (*1957): Deliberate Metaphor Theory 

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sollen. Die Wiederbelebung des Autors durch die Entdeckung seiner Neuronen erscheint damit weniger als eine revolutionäre Neuentdeckung in der Literaturwissenschaft als vielmehr als eine Möglichkeit, zwischenzeitlich vernachlässigte Kategorien der literarischen Produktion unter einem neuen Paradigma zu diskutieren. Dass die beschworene Neuperspektivierung durch den cognitive turn hier die Form einer Reperspektivierung bekannter Kategorien annimmt, scheint in diesem Fall keineswegs redundant oder obsolet. Stattdessen zeigt sich hier die gleichsam natürliche Schnittstelle zwischen Literaturwissenschaft und cognitive science in der Beschreibung und Diskussion menschlicher Artefakte als Manifestationen kognitiver Prozesse. Die Literaturwissenschaft zeigt sich damit hier als schon immer an Kognition im weiteren Sinn interessierte Disziplin. Die oben angesprochenen methodologischen Probleme werden in diesem Fall umgangen, indem lediglich theoretische Beschreibungsmöglichkeiten kognitiver Modelle als solche für die Beschreibung klassischer Texte verwendet werden. Damit dienen die kognitiven Theorien wie alle anderen Ansätze als mögliche Perspektiven für eine Rekonstruktion historischer Textproduktion und Bedeutungskonstruktion.

9.3 Gerard Steen (*1957): Deliberate Metaphor Theory Shall I compare thee to a summer’s day? Thou art more lovely and more temperate. Rough winds do shake the darling buds of May, And summer’s lease hath all too short a date. Sometime too hot the eye of heaven shines, And often is his gold complexion dimmed; And every fair from fair sometime declines, By chance, or nature’s changing course, untrimmed; But thy eternal summer shall not fade, Nor lose possession of that fair thou ow’st, Nor shall death brag thou wand’rest in his shade, When in eternal lines to Time thou grow’st. So long as men can breathe, or eyes can see, So long lives this, and this gives life to thee.113

Das Konzept der deliberate metaphor, das zu den jüngsten Entwicklungen in der kognitiven Metapherntheorie gezählt werden kann, bringt Aspekte der Sprachund Metaphernverwendung zurück in den Fokus, die im Rahmen der frühen

113 Vgl. Gerard J. Steen: Deliberate Metaphor Affords Conscious Metaphorical Cognition. In: Journal of Cognitive Semiotics 5:1–2 (2013), S. 179–197, hier auf S. 181. Die erste Zeile aus Shake-

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 Metapher und Kognition

Conceptual Metaphor Theory (CMT) ebenso wie der Neural Theory of Metaphor (NTM) ins Abseits geraten waren: Bewusstsein und Intentionalität von Sprachund Metaphernverwendung und -verstehen. The power of metaphor may reside not in its unconscious use, as CMT has claimed, but in its conscious and  – more generally  – in its deliberate use. Essential to conscious and deliberate metaphor is that they involve observable, online, cross-domain mappings (i. e. processing by comparison); non-deliberate metaphor does not necessarily require the use of such online mappings.114

Während die beiden früheren Theorien die Metapher programmatisch als unbewusste und nicht-introspektierbare Prozesse weitgehend außerhalb der Reichweite einer gezielten Verwendung verortet hatten, etabliert Gerard Steens Unterscheidung von Metaphern in deliberate oder non-deliberate eine Kategorie von gezielt eingesetzten Metaphern, die durch bestimmte kommunikative Rahmenbedingungen beeinflusst werden und bestimmten kommunikativen Zielen dienen. Nur deliberate metaphors werden Steen zufolge als Metaphern verwendet  – mit entscheidenden Implikationen für ihre Verarbeitung,115 wie noch zu zeigen sein wird. Der Rahmen für die Diskussion der Metapher hat sich jedoch zunächst einmal von der (idealisierten) Ebene rein individueller Metaphernverarbeitung und -verstehens gelöst und nimmt stattdessen die Metapher auf der notwendig komplexeren Diskursebene in den Blick: „This analysis reveals the complex interaction between three realities that always partake in discourse: (a) semiotic meaning potential, (b) unconscious and conscious cognition, and (c) social interaction.“116 Das potenzielle Bedeutungs- und Interpretationsspektrum einer Metapher kann aus Steens Perspektive nur durch die Berücksichtigung aller drei Aspekte angemessen erfasst und beschrieben werden. Die Metapher ist damit gleichermaßen durch ein (gegebenes) semiotisches System, bewusste und unbewusste kognitive Prozesse und kommunikative und soziale Kontexte bedingt.117 Die

speares Sonett 18 bildet in Steens Deutung den Auftakt zu einer Reihe von deliberate metaphors, deren Metaphorizität durch die erste Zeile in den Fokus der Aufmerksamkeit gerückt wird. 114 Ebd., S. 180. 115 Behaviorale Verarbeitungsdaten, die mit dem frühen Modell der CMT bislang inkonsistent scheinen, stellen ein zentrales Argument in Steens Modell dar. 116 Ebd., S. 188. 117 Für eine ausführlichere Beschreibung des three dimension models vgl. Gerard J. Steen: The Paradox of Metaphor. Why We Need a Three-Dimensional Model of Metaphor. In: Metaphor and Symbol 28 (2008), S. 213–241. Grundsätzlich scheint das aus diskursanalytischen Vorlagen abgeleitete Modell aber kompatibel mit auch in der Semiotik und Literaturwissenschaft gängi-

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individuelle Verarbeitung, wie sie im Fokus der psycholinguistischen Forschung zur konzeptuellen Metapher steht, bildet damit nur einen Teil der involvierten Prozesse ab, nämlich die ersten Sekundenbruchteile nicht-introspektierbarer Verarbeitungsprozesse.118 Steens Modell bezieht diese Prozesse zwar als Basis mit ein, sieht sie aber in einem komplexen Abhängigkeitsverhältnis zu anderen kognitiven Prozessen und zu kommunikativen Rahmenbedingungen: Ob eine verbale Metapher als deliberate oder non-deliberate einzuschätzen ist, hängt unter anderem von ihrer konkreten Formulierung, aber auch vom kommunikativen Kontext ihrer Äußerung ab. Die Unterscheidung zwischen verschiedenen Verwendungs- und Verarbeitungsarten verbaler Metaphern gestattet eine entsprechende Differenzierung auch bei der Interpretation sowohl linguistischer als auch behavioraler und neuronaler Daten. Auf diese Weise fungiert das Modell einerseits als eine Verbindung verschiedener Ebenen von Sprachverarbeitung und -verständnis119 und versucht andererseits, eine alternative Interpretation für vorliegende und im Lichte der bisherigen Theorien inkonsistente Ergebnisse aus Psycholinguistik und Neurowissenschaften zu bieten.120 Die entscheidende Differenz zwischen frühen CMT-Modellen und dem deliberate metaphor-Modell liegt in ihren Annahmen über Verhältnis und Interaktion zwischen non-verbalen Konzepten und verbalisierten Metaphern. Statt einer unausweichlichen Eins-zu-eins-Korrelation verbaler Metaphern mit konzeptuellem cross-domain mapping, wie es sowohl die CMT als auch die NTM annehmen,

gen Modellen wie dem semiotischen Dreieck nach Kay Odgen/Ivor Armstrong Richards: „The distinction between surface text, text base and situation model can be seen as a reflection at the level of discourse analysis of the generally accepted semiotic distinction between symbol, concept, and referent.“ (Gerard J. Steen: From Three Dimensions to Five Steps. In: Metaphorik. de: 21 (2011), S. 83–110, hier auf S. 91). Alternative und komplexere Modelle wie Roman Jakobsons Organonmodell (vgl. Kap. 7.1., FN 8) oder das hier ursprünglich zugrunde liegende Diskurskonzept von Teun A. van Dijk (vgl. Teun A. van Dijk: Preface. In: Discourse and Literature. Hrsg. von Tein Adrianus van Dijk. Philadelphia/Amsterdam: Benjamins 1985, S. 3–11) scheinen bei dem grundsätzlich ähnlich angelegten Versuch eines umfassenden Kommunikationsmodells unterschiedliche Schwerpunkte z. B. auf Sprachverständnis oder die Funktion von Zeichen zu legen. 118 Vgl. für eine typische Studie mit einem Priming-Ansatz Raymond W. Gibbs Jr. u. a.: Metaphor in Idiom Comprehension. In: Journal of Memory and Language 37:2 (1997), S. 141–154. 119 Steen schlägt hier eine Brücke zwischen der Betrachtung des online-processing (also der synchronen Erforschung der Verarbeitung während der Rezeption bzw. durch Blickbewegungsstudien) und post-processing (also der weiteren Verarbeitung nach der eigentlichen Rezeption bspw. durch Befragung über das Rezipierte) vor. 120 Vgl. hier für Studien, die die CMT infrage stellen, v. a. Daniel Casasanto: Experiential Origins of Mental Metaphors sowie die klassische Studie Boaz Keysar u. a.: Conventional Language. How Metaphorical Is It? In: Journal of Memory and Language 43:4 (2000), S. 576–593.

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geht die Deliberate Metaphor Theory davon aus, dass das metaphorische mapping in der Verarbeitung in starker Abhängigkeit vom (verbalen) Kontext steht. Steen formuliert seine zentrale These gegen diese Vorstellung als paradox of metaphor: To rephrase, many or most cross-domain mappings “in language” (if defined as corpus data) may not be processed as cross-domain mappings in “in thought” (if defined as on-line processing). This is the paradox of metaphor: a lot of metaphor may not be processed metaphorically, that is, with language users activating two comparable or parallel domains and retrieving or (re)constructing a mapping between them.121

Die analytische Unterscheidung deliberate/non-deliberate soll hier zwei verschiedene Wege der Verarbeitung in Abhängigkeit von linguistischen Formen und kommunikativen Kontextfaktoren analytisch darstellbar und prognostizierbar machen. Während ein herkömmlicher Gebrauch einer non-deliberate metaphor wie dem traditionellen Präpositionsbeispiel ‚being in love‘ Steen zufolge auf dem Wege einer semantischen Disambiguierung verstanden werden kann,122 sind es lediglich die deliberate metaphors, die eine Verarbeitung über das die Metapher definierende cross-domain mapping auf konzeptueller Ebene nahelegen: Spontaneous metaphor recognition is possible because deliberate metaphor forces people to shift their attention away from the target domain referent and adopt another referential standpoint created by a deliberately introduced “alien” concept – than use that as a source from which to re-view the target. […] These cross-domain mappings are the focus of attention when people read the text  – allowing them to recognize the references as involving metaphor and to producing conscious metaphorical cognition. Yet this is not an obligatory consequence of processing deliberate metaphor. It is more correct to claim that deliberate metaphor affords conscious metaphorical cognition.123

Entscheidend für den Status deliberate/non-deliberate ist dabei weniger die Innovativität einer Metapher124 als vielmehr ihr Potenzial, in den Bereich der aufmerksamen Wahrnehmung zu rücken. Eine Metapher wird damit erst zur deliberate

121 Gerard J. Steen: The Paradox of Metaphor, S. 220. 122 Gerard J. Steen: Deliberate Metaphor Affords Conscious Metaphorical Cognition, S. 181. 123 Ebd., S. 182. 124 Ebd., S. 183. Steen beruft sich bei seinem Vorschlag der Reaktivierung von Metaphern als Metaphern durch einen entsprechenden Kontext auf die Studie von Cornelia Müller: Metaphors dead and alive, sleeping and waking. A dynamic view. Chicago: University of Chicago Press 2008. Darin scheint sich Steens Modell denn auch der klassischen Unterteilung von Metapher und Katachresis anzuschließen, sie aber gleichzeitig durch ein elaborierteres Modell der möglichen ‚Wiederbelebung‘ toter Metaphern zu erweitern. Die dekonstruktivistische Tradition dürfte sich hier insoweit bestätigt sehen, als auch die totgesagte Metapher offenbar wiederbelebt werden kann, also stets und trotz allem Metapher ist und bleibt.

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metaphor, wenn sie als Metapher verarbeitet wird. Dies kann durch linguistische Strukturen wie explizite Vergleichsformulierungen oder die direkte Gegenüberstellung von widersprüchlichen Konzepten erfolgen. Die Verarbeitung einer Metapher als Metapher und ihre explizite Identifikation und Interpretation als solche stellen wiederum zwei Etappen des umfassenden Verstehensprozesses dar, von denen die erste notwendig aber nicht hinreichend für die zweite ist. Yet awareness of metaphor as metaphor is not a necessary precondition for metaphor being used deliberately: the intentional use of metaphor as metaphor need not become conscious, just as many other intentional actions need not become conscious. Deliberate metaphor affords conscious metaphorical thought but is not the same. I define deliberate metaphor as an instruction for addressees to adopt an “alien” perspective on a target referent so as to formulate specific thoughts about the target from the standpoint of the alien perspective.125

Bei der Differenzierung zwischen Intentionalität, Aufmerksamkeit und Bewusstsein greift Steen auf psychologische Unterscheidungen zurück, denen zufolge die Intentionalität einer Handlung nicht automatisch auch eine direkt bewusste Handlung bedeutet, sondern lediglich, dass diese Handlung grundsätzlich für die Introspektion zugänglich und damit potenziell dem Bewusstsein verfügbar ist.126 Aufmerksamkeit und Intentionalität charakterisieren daher zunächst die deliberate metaphor und sollten sich einerseits in einem psycholinguistisch und neurowissenschaftlich nachweisbar metaphorischen Verarbeitungsprozess niederschlagen,127 aber andererseits auch in linguistischen Strukturen oder spezifischen Genre- oder Kontextcharakteristika manifestieren. Erst eine spezifische

125 Gerard J. Steen: Deliberate Metaphor Affords Conscious Metaphorical Cognition, S. 180. 126 Vgl. zu Bewusstsein Martin Davies: Consciousness. In: The MIT Encyclopedia of the Cognitive Sciences. Hrsg. von Robert A. Wilson/Frank C. Keil. Cambridge, MA/London: MIT Press 2001, S. 190–192. Davies referiert hier unter anderem die Unterscheidung zwischen zugänglichem, also introspektierbarem Bewusstsein, das die Grundlage für bewusste Überlegungen, Entscheidungen und Handlungen darstellt, und einem rein phänomenalen Bewusstsein, das hierfür nicht zugänglich ist. Reize, die innerhalb des introspektierbaren Bewusstseins liegen, müssen nicht notwendigerweise auch wirklich immer bewusst wahrgenommen werden. (Ein Beispiel wäre die Zahl der Stufen einer Treppe, die in der Regel niemand beachtet, die jedoch durch entsprechende Lenkung der Aufmerksamkeit ins Bewusstsein gebracht werden kann.) Für ein Beispiel von Aufmerksamkeitslenkung aus dem Bereich der empirischen Sprachverarbeitungsforschung vgl. Alison J. S. Sanford u. a.: Shallow Processing and Attention Capture in Written and Spoken Discourse. In: Discourse Processes 42:2 (2006), S. 109–130. 127 Um das deliberate metaphor-Modell empirisch auf Verarbeitungsebene zu testen, bedarf es zunächst fixer Kriterien für die Erstellung entsprechender deliberate/non-deliberate Stimuli und somit eines Identifizierungsverfahrens für die beiden Sorten in Texten. Als Grundlage dafür schlägt Steen sein Five-Steps-Model zur Identifizierung konzeptueller Metaphern vor (vgl. Gerard

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linguistische Form der Verwendung macht die Aktivierung der konzeptuellen Ebene hochwahrscheinlich: Metaphor in language gives rise to metaphor in thought when it is used deliberately as metaphor—whether or not this turns into conscious metaphorical thought. This alternative account of the power of metaphor raises the question whether its conceptual power is as great as Lakoff and other cognitive linguists make it out to be. If people do not activate many metaphorical models during regular discourse processing—unless they are used deliberately—if most metaphor is used non-deliberately, then the effect of metaphor on people’s lives may be much smaller than often claimed.128

Steens Einschätzung, dass seine Perspektive auf die Metapher ihren Stellenwert für die konzeptuelle Ebene im Vergleich zur frühen CMT drastisch verändern würde, ist mit Sicherheit korrekt. Allerdings scheint nicht zwangsläufig zu folgen, dass die Relevanz der Metapher dadurch geringer wird. Ihre Funktion und Rolle wird zunächst eine andere: Die frühe CMT etabliert die Metapher als unbewussten, nicht-introspektiven Basisprozess der Kognition, der unsere Interaktion mit der Umwelt fundamental determiniert und durch seine Ubiquität und Systematik gleichsam das Grundgerüst von Alltagslogik und -sinnstiftung bildet. Dieses Verständnis von Metapher macht sie zu einer soliden, aber wenig spektakulären Basis für Alltagskognition mit tendenziell geringem revolutionärem Potenzial. Die Metapher dient schlicht dem täglichen Fortkommen, nicht in erster Linie der Innovation; eine Perspektive, die grundsätzlich an Max Blacks Formulierungen zur stereotypenbasierten Alltagsmetapher anschließbar scheint ebenso wie an Aristoteles’ knappe Einlassung zur Allgegenwart von Metaphern im Alltagsgespräch. Wenn Steen diese grundsätzlich in Zweifel zieht, scheint es naheliegend, seine Position eher der historisch dominanteren Tradition der Metapher als Instrument und Ausdrucksform von kognitiver Innovation zuzuordnen. Tatsächlich formuliert er dieses explizit als Potenzial der deliberate metaphor: „Conscious metaphorical cognition can change one’s experience of the world.“129 Was Steens Modell bei aller Ähnlichkeit mit Aussagen von Black, Aristoteles und anderen Vertretern einer Innovative-Metaphern-Position von diesen unterscheidet und letztere dagegen eher mit der frühen CMT verbindet, ist seine Insistenz auf die Splittung der Verarbeitung verbaler Metaphern, die ausgehend von grundsätzlich unterschiedlichen kognitiven Prozessen verschiedene Wege der Ver-

J. Steen: From Three Dimensions to Five Steps, S. 94ff), an dessen Finalisierung derzeit im Rahmen eines PhD-Projektes gerarbeitet wird. 128 Gerard J. Steen: Deliberate Metaphor Affords Conscious Metaphorical Cognition, S. 193. 129 Ebd., S. 192.

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arbeitung und des Verständnisses prognostiziert. Aristoteles diskutiert das Verstehen von Sprache grundsätzlich nicht als geteilten Akt, die frühe CMT fokussiert dagegen ausschließlich auf einen Teilprozess. Den Status einer Metapher und ihren Effekt als Metapher in einem von verschiedenen kognitiven Teilprozessen zu verorten, scheint mir eine wertvolle Erweiterung, um das analytische Instrumentarium der kognitiven Metapherntheorie sensibler zu machen für die Bandbreite von real existierenden Reaktionen auf immer gleiche verbale Metaphern (auch in der historischen Dimension). Gleichzeitig erlaubt der Versuch einer Differenzierung unterschiedlicher Etappen und Formen von Sprachverarbeitung und -verständnis, wie es hier skizziert ist, den in früheren Theoriemodellen vergleichsweise wenig beleuchteten Verstehensprozess als einen in sich komplexen Faktor neben die bereits deutlich detaillierter modellierten Faktoren des formal-linguistischen Ausdrucks sowie der Referenz und des Kontextes zu stellen. Inwieweit sich das Modell als empirisch haltbar erweisen wird, bleibt abzuwarten. Für die Literaturwissenschaft scheint es jedoch gerade wegen der Überschneidungen der grundlegenden Kommunikations- und Zeichenmodelle auf theoretischer Ebene an verschiedenen Punkten fruchtbare Anknüpfungspunkte zu geben, da diese den Rahmen für anschlussfähige Fragestellungen modellieren. Außerdem hilfreich scheint, dass Steen die Grenzen seiner eigenen Fragestellung innerhalb dieses Rahmens explizit formuliert: „Some deliberate metaphors may still have great consequences, or may have had great consequences historically; but this is a different research question.“130 Trotz der grundsätzlichen Orientierung auf synchrone Phänomene finden sich bereits bei Steen erste Anlagen für diese ‚anderen Forschungsfragen‘: For the sake of argument, I suggest evaluating CMT in relation to deliberate and conscious metaphor starting from the following challenging supposition: at any moment in recorded modern culture and history, thought-based metaphor begins with deliberate metaphor, which may impinge on consciousness. As I have shown, both deliberate metaphor and its potentially conscious realization may be either quite restricted or extended. Deliberate metaphor need not be new at the moment it is used: it may well involve the revitalization of a familiar linguistic metaphor, or the coining of the novel linguistic expression of a fully conventional metaphor in thought. When this happens, deliberate and conscious metaphors triggers the inferential reasoning at the centre of discussion in cognitive-linguistic treatments of cognitive metaphor’s power.131

Die historische Dimension von Literaturproduktion, Transformation und Rezeption sowie Verständnis als entscheidendes Charakteristikum kultureller Prozesse

130 Ebd., S. 193. 131 Ebd., S. 191.

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ist im Rahmen dieser Arbeit schon mehrfach als eines der zentralen Forschungsinteressen der Literaturwissenschaft beschrieben worden – wo die Fragen einer synchronen, kognitiven Diskursanalyse enden, würden die Fragen einer diachron orientierten, kognitiv informierten Literaturwissenschaft beginnen. Das Modell der deliberate metaphor dagegen lässt, wenn es sich auch selbst grundsätzlich einer anderen Forschungsfrage verschreibt, in seiner theoretischen Anlage den Raum für die Formulierung von Fragen an die historische Dimension. Die in Steens Modell implizite These, dass deliberate/non-deliberate von konkreten Kommunikationssituationen und -zielen abhängt, scheint mir ein Brückenkopf zu sowohl cultural materialism mit seinem Fokus auf materialen Diskursbedingungen als auch autorfokussierten Ansätzen der Literaturwissenschaft zu sein. Mit Blick auf die in einem Text identifizierten deliberate metaphors müsste einem Autor eine bestimmte kommunikative Intention (die durchaus unbewusst sein kann) unterstellt werden. Am Beispiel von Walter Benjamins Text ließe sich an zentraler Stelle für die deliberateness der daran anschließenden Metaphern argumentieren. Der entscheidende Satz lautet: ‚Was sich nun an den Vögeln vollzog – oder an mir? – das geschah kraft des Platzes, den ich so beherrschend, so einsam in der Mitte des Achterdecks mir aus Schwermütigkeit gewählt hatte.‘ Das folgende Geschehen, das sich schon mit Paul Ricoeur132 als Veränderung der Wahrnehmung, als metaphorische Transformierung beschreiben ließ, wird mit diesem Satz gleichsam anmoderiert, die metaphorische Qualität der Passage dadurch in den Fokus gerückt. Ihr Verfasser bedient sich, so ließe sich mit Ricoeur und Monroe C. Beardsley behaupten, der realitätsstiftenden Kraft der Metapher. Entsprechend ließe sich an dieser Stelle mit der Deliberate Metaphor Theory ein gezielter Einsatz der folgenden Metaphern als Metaphern unterstellen sowie eine erhöhte Wahrscheinlichkeit aufseiten des Lesers, diese Metapher auch als solche zu verarbeiten und zu bemerken. Der erste Schluss muss spekulativ bleiben, auch wenn er sich mit Harald Weinrichs Hypothese deckt.133 Der zweite wäre empirisch prüfbar, zum Beispiel im Kontrast zu einer non-deliberate metaphor wie der der ‚untergehenden Sonne‘. Um in dieser hochgradig konventionalisierten Formulierung134 überhaupt eine Metapher zu entdecken, bedarf es jedoch zusätzlicher theoretischer Schützenhilfe.

132 Vgl. Kap. 8.3. 133 Vgl. Kap. 7.3. 134 Der Duden gibt das Verschwinden der Sonne unterhalb der Horizontlinie als erste(!) Bedeutung von ‚untergehen‘ an. (Vgl. Untergehen. In: Duden online. https://www.duden.de/ node/804249/revisions/1374575/view (11. 12. 2016)).

Gerard Steen (*1957): Deliberate Metaphor Theory 

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Die Frage, ob es sich bei einer verbalen Metapher um eine deliberate oder non-deliberate metaphor handelt, scheint sich mit Blick auf historisch entfernte Literatur jedoch zu verkomplizieren: Es mangelt sowohl an heranzitierbaren Verarbeitungsdaten als auch an der relativen Sicherheit, mit der zeitgenössische Korpuslinguisten auf Basis umfangreicher Wörterbuchbestände ein Wort als metaphorisch identifizieren. Hinzu kommt die entscheidende Rolle der kommunikativen Intention: Ausgehend von den drei Dimensionen und den Kriterien der deliberate metaphor wären die kommunikativen Intentionen des Autors eine entscheidende unter anderen Variablen. Ein erfolgreicher Zugang auf dieser Ebene oder auch nur ihre Relevanz schienen spätestens mit dem ‚Tod des Autors‘ in der Literaturwissenschaft fraglich. Für sie stellt sich die Frage wohl anders: Es scheint weniger darum zu gehen, ob eine Metapher deliberate oder non-deliberate ist, sondern vielmehr darum, unter welchen Bedingungen sie als deliberate/non-deliberate wahrgenommen werden und entsprechende konzeptuelle Effekte zeitigen kann. Auf diese Weise ließen sich zentrale Fragen der Literaturwissenschaft, beispielsweise nach den sprachlichen Charakteristika von Literatur,135 mit Fragen nach den Bedingungen der Wirksamkeit dieser Kriterien parallelisieren. Dies könnte zum Beispiel bedeuten, für konkrete Texte im Verlauf der Rezeptionsgeschichte Bedingungen für die Wahrnehmung einer konkreten linguistischen Metapher als Metapher zu formulieren. Dies würde bedeuten, neben linguistischen Formalien des Textes auch Erkenntnisse über seine Funktion beziehungsweise seine Position in einem historischen Diskurs/Kommunikationskontext und, soweit verfügbar, Reaktionen auf den Text, die Hinweise auf seine Interpretation geben, einzubeziehen. Bei einer solchen Untersuchung ist von vornherein klar, dass die verfügbaren Materialien und Methoden keinen direkten Schluss auf die von Psycholinguisten und Neurowissenschaftlern untersuchten online-Prozesse rechtfertigen. Ein Schluss auf diese wird erst denkbar, wenn man zum Beispiel mit dem deliberate metaphor-Modell verfügbare Erkenntnisse über die einzelnen Dimensionen des Metaphernverständnisses sammelt und daraus eine schlüssige These über ihr Zusammenwirken in einem gegebenen historischen Rezeptionsmoment bildet. Konkret mit Blick auf die Metapher ließe sich beispielsweise fragen, in welchen Momenten Metaphern, die ihrer formal-linguistischen Struktur nach den Kriterien einer non-deliberate metaphor entsprechen, als deliberate metaphors formuliert und diskutiert werden und wie ihre weitere Entwicklung erfolgt. Eine solche Untersuchung würde sich von der im Kapitel zur CMT beschriebenen

135 Vgl. hier z. B. die klassischen Positionen der Formalisten und Strukturalisten, wie bspw. Jakobson.

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 Metapher und Kognition

dadurch unterscheiden, dass sie weniger die konzeptuelle Struktur bestimmter Metaphern als vielmehr ihre kommunikative Effizienz in konkreten historischen Kontexten und unter bestimmten Genre-Annahmen berücksichtigt. Die frühe CMT, aber auch das noch zu diskutierenden Modell des blendings und bis zu einem bestimmten Grad auch das Theory of Mind-Modell sind in ihrer Grundanlage analytisch und konzentrieren sich auf die Erklärung synchroner Daten individueller Sprachverarbeitung. Die historische Dimension von Textproduktion und Verstehen oder Interpretation scheint wegen der kommunikativen, durch kulturelle Kontexte bedingten Prozesse in diesem Modell zunächst nicht zugänglich, Fragestellung und Methoden scheinen ebenfalls nicht adäquat.136 Die im Zusammenhang mit der CMT und ihrer Weiterentwicklung beispielsweise bei Zoltán Kövecses entwickelten Anknüpfungsmöglichkeiten stellen demgegenüber bereits Erweiterungen der frühen CMT dar und ihre vollständige Widerspruchsfreiheit zu dieser bleibt fraglich.137

9.4 Zoltán Kövecses (*1946): Metaphor in Culture In Zulu one can say of an angry person that the sky became dark with thunderclouds, […].138

Zoltán Kövecses setzt zwar die meisten Grundannahmen der Conceptual Metaphor Theory (CMT) als gültig voraus, entwickelt jedoch auf ihrer Basis ein erweitertes Modell, das auf eine Erklärung von (kulturell bedingter) metaphorischer Variabilität abzielt.139

136 Vgl. für die Diskussion dieses Problems Kap. 9.6. 137 Die Frage nach der Universalität der Konzepte scheint hier ebenso problematisch zu sein wie die sich anschließende nach den konkreten Qualitäten eventueller Universalkonzepte. 138 Zoltán Kövecses: Metaphor in Culture. Universality and Variation. Cambridge: Cambridge University Press 2005, S. 128. Die metaphorischen Konzeptualisierungen von Emotionen besonders im interkulturellen Vergleich gehören zu den Kernbeispielen von Zoltán Kövecses. Im obigen Beispiel mag man beinahe die Wiederkehr von Vicos Urmetapher des Himmels als zürnender Gottheit erkennen. 139 Vgl. Zoltán Kövecses: Where Metaphors Come from. Reconsidering Context in Metaphor. Oxford u. a.: Oxford University Press 2015, S. 3–13 für die Diskussion dieser beiden Aspekte der CMT und ihrer Zusammenführung. Kövecses referiert hier vor allem David Ritchies Ansatz einer connectivity theory (vgl. David Ritchie: Metaphors in Conversational Context. Toward a Connectivity Theory of Metaphor Interpretation. In: Metaphor and Symbol 19:4 (2004), S. 265–287), die einzelne Metaphern in einem sprachlichen, kulturellen und physischen Kontext verortet.

Zoltán Kövecses (*1946): Metaphor in Culture 

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We observed that there is coherence between metaphor and embodiment, in that the kinds of metaphors fit the kinds of bodily experiences we have. However, we should not imagine this as a strong causal relation between embodiment and metaphors. The particular human embodiment we bring to bear on the creation of metaphors does not mechanically and automatically lead to the emergence of universal conceptual metaphors.140

Was hier in der Kürze des Zitats beinah wie eine Absage an gängige Formulierungen der CMT klingt, ist Teil des anspruchsvollen Versuches, deren hochabstrakte Beschreibungen universaler Prozesse auf individueller Ebene in Zusammenhang mit ebenfalls abstrakten und komplexen Modellen kultureller Kontexte zu bringen.141 Kövecses bemüht sich damit, die ursprünglich als elementar beanspruchte und in der Neural Theory of Metaphor142 (NTM) unterstrichene Universalität konzeptueller Metaphern und die Vielfältigkeit konkreter Ausprägungen unterschiedlichen kulturellen Hintergrunds in einem Modell miteinander vereinbar zu machen. Die Universalität einzelner Prozesse auf der individuellen Ebene wird dabei zwar als gültig angenommen, aber in ihrer Determinations- und damit auch in ihrer Vorhersagekraft mindestens für überindividuelle Phänomene relativiert. Das von Joseph Grady vorgeschlagene Modell der kombinierbaren primary metaphors ist dabei Ansatzpunkt, wird aber um zahlreiche hypothetische Variationsmechanismen ergänzt. Ein zentraler Mechanismus, den Kövecses bereits früh in seiner Theorieentwicklung einführt, ist die Idee eines möglicherweise variie-

140 Zoltán Kövecses: Metaphor in Culture, S. 287. 141 Der Ansatz kann als eine mögliche Antwort auf eine wiederholte Kritik an der CMT gelesen werden, der zufolge diese Theorie kulturelle und historische Differenzen nicht hinreichend berücksichtigt. 142 Kövecses scheint ebenso wie Grady die grundsätzlichen Annahmen der NTM für unproblematisch und mit der CMT für vereinbar zu halten, positioniert sich selbst methodisch jedoch klar im linguistischen Zugang und adressiert die damit zusammenhängende Limitierung legitimer Schlussfolgerungen: „Cognitive linguists, including me, often make claims about the existence of conceptual metaphors on the basis of certain linguistic expressions. We often claim that people ‘understand’ a given target domain by recourse to one or several source domains. It is clear that such claims are not justifiable, because we as linguists are simply not in a position to determine whether people using those expressions indeed understand the target in terms of the source solely on the basis of some linguistic expressions deriving from a source and applied to a target. […] All we can legitimately claim is that what we do is offer hypotheses concerning certain metaphorical ways of understanding target domains on the basis of linguistic evidence.“ (Ebd., S. 29). Nichtsdestotrotz beruft sich Kövecses jedoch kontinuierlich auf die Ergebnisse psychologischer oder psycholinguistischer Forschung zur Stützung seiner Argumentation. Die potenzielle methodologische Problematik dieses Vorgehens wird in den Abschnitten zur NTM und Relevance Theory diskutiert.

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 Metapher und Kognition

renden konzeptuellen main meaning focus,143 die er später um ein Modell einer differentiated experience ergänzt. Der main meaning focus setzt zunächst bei den Mikromechanismen in der metaphorischen Übertragung an und ist in erster Linie ein Modell, um interkulturelle Differenzen durch Variabilität und Selektivität des mappings zu begründen: Each source is associated with a particular meaning focus (or foci) that is (or are) mapped onto the target. This meaning focus is conventionally fixed and agreed-on within a speech community; it is typical of most cases of the source; and it is characteristic for the source only. The target inherits the main meaning focus (or foci) from the source.144

Aus historischer Perspektive mag man geneigt sein, hier eine Reformulierung der von Max Black skizzierten systems of associated commonplaces zu sehen,145 allerdings ist der explanatorische Schwerpunkt hier ein anderer. Während Black die Funktionsweise stereotyper Alltagsmetaphorik innerhalb einer Sprachgemeinschaft nur nebenbei hinsichtlich ihrer Kulturspezifik charakterisiert und sie stattdessen hauptsächlich von kreativer Individualmetaphorik abgrenzt, zielt Kövecses auf eine Beschreibung allgemeiner Variationsalgorithmen für Metaphern mit Gültigkeit zunächst für die abstrakt-kulturelle, aber auch für die konkret-individuelle Ebene ab. Kövecses spezifiziert sein Konzept des main meaning focus später in relevanztheoretischer Richtung: However, in many cases, […], the main meaning focus may not be fixed advance and inherent in concepts, but may emerge along the lines described in relevance theoretic accounts of metaphor (e. g. Wilson, 2009). It may emerge, for instance, in contrastive contexts, when we compare one concept to another and find that a particular meaning focus arises in one of the concepts as a result of a contrast.146

Mit der Kontrastierung findet der main meaning focus eine mögliche Begründung in der Interaktion mit der Umwelt, in einem Kontext. Die Relevanz verschiedener Aspekte des Kontextes gewinnt in der Entwicklung einer kultursensitiven Variante

143 Strukturell entspricht dies Monroe C. Beardsleys Konzept der central meanings. Vgl. Kap. 3.3. 144 Zoltán Kövecses: The Scope of Metaphor. In: Metaphor and metonymy at the crossroads. A cognitive perspective. Hrsg. von Antonio Barcelona. Berlin/New York: Mouton de Gruyter 2003, S. 79–92, hier auf S. 82. 145 Dieser Eindruck scheint umso mehr gerechtfertigt, wenn man Folgendes liest: „Thus, the main meaning focus represents some basic knowledge concerning a source that is widely shared in the speech community, that can be found in most instances of the source, and that uniquely characterizes the source.“ (Zoltán Kövecses: Metaphor in Culture, S. 110). 146 Zoltán Kövecses: Recent Developments in Metaphor Theory, S. 17.

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der CMT zunehmend an Bedeutung: Der Fokus auf den universalen Erfahrungsprozessen aller Menschen wird entscheidend ergänzt durch einen ersten Rahmen für die Diskussion fundamentaler Unterschiede in der Erfahrung von Individuen und Kulturgemeinschaften. Die verschiedenen Erfahrungen begründen in Kövecses’ Modell die Variation von Konzepten und Metaphern. Diese in intrakulturelle, inter-kulturelle, individuelle und historische Variation zu gliedern, wie Kövecses es tut, scheint zunächst relativ naheliegend. Auf den zweiten Blick ließe sich die Frage vertiefen, inwieweit das den ersten beiden Typen zugrunde liegende Modell von Kultur vor dem Hintergrund zeitgenössischer Modelle von Transkulturalität zu hinterfragen wäre.147 Als eine erste analytische Unterscheidung scheint es jedoch zunächst funktional. Insgesamt eröffnet Kövecses damit einen Spielraum oder eine weitere, eine kulturelle Dimension, die in der hauptsächlich universal-physiologisch argumentierenden Primary Metaphor Theory noch nicht gegeben ist.148 Neben den Analyseebenen bietet Kövecses’ weitere Theoriebildung jedoch auch einen Ansatz, der durch Integration theoretischer Elemente aus verschiedenen Strängen der Psychologie, Psycholinguistik, kognitiven Linguistik, Relevance Theory und Blending Theory versucht,149 die Variabilität als Ergebnis von Wechselwirkungen zwischen intrametaphorischen Mikroprozessen, konkreten Kommunikationssituationen und ihren spezifischen Bedingungen und schließlich konzeptuellen Systemen und physiologischen Bedingungen zu modellieren.150

147 In den frühen Arbeiten wird der Kulturbegriff weitgehend unspezifisch verwendet. In seiner jüngsten Monografie unterscheidet Kövecses zwei Ebenen: „culture as our meaning making system functioning as context, on the one hand, and as a more specific cultural factor present in metaphorical conceptualization in a given communicative situation, on the other hand“. (Zoltán Kövecses: Where Metaphors Come from, S. 73). Die erste Ebene bildet also eine Art allgemein-abstrakten kulturellen Rahmen, die zweite Ebene umfasst die in einem konkreten Kommunikationsmoment gegebenen Faktoren. Die beiden Ebenen bezeichnet Kövecses auch als culture I und II. 148 Vgl. hierzu Kövecses’ programmatische Beschreibung des main meaning focus in Zoltán Kövecses: Metaphor in Culture, S. 12. 149 Kövecses listet als zentrale Oberkategorien für allgemeine bedeutungsstiftende kognitive Operationen Schematisierung/Abstraktion, Aufmerksamkeit/Fokus, Prominenz/Salienz, Perspektive, Metapher, Metonymie, mental spaces und conceptual integration (vgl. Zoltán Kövecses: Where Metaphors Come from, S. 17 ff.). Mit der Zusammenstellung dieser Kategorien und den dazu gelisteten Unterpunkten spannt Kövecses einen sehr weiten Bogen über die verschiedenen Bereiche der cognitive science. Die damit bezweckte weitreichende Erklärungskraft dieses Modells führt meines Erachtens im Gegenzug zu einem problematischen Verhältnis zur experimentellen Prüfbarkeit, die in Kap. 9.6. umfassend diskutiert wird. 150 Auf Grundlage der Anforderungsliste des Psychologen Lawrence W. Barsalou übernimmt Kövecses zunächst eine Reihe grundlegender Funktionen, die eine Theorie der menschlichen Kognitionen beschreiben und erklären muss: Mentale Repräsentationen sowohl direkt verfügbarer,

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 Metapher und Kognition

Eine umfassende Darstellung dieser Theorieelemente en détail würde hier zu weit führen und nicht zuletzt aufgrund der umfangreichen Anleihen an in anderen Kapiteln beschriebenen Theorien und Hypothesen zu Redundanz führen. Stattdessen sollen hier zunächst die von Kövecses jüngst vorgeschlagenen (a) analytischen Variablen ‚innerhalb der Metapher‘, also deren auf Veränderung hin prüfbare Einheiten, und (b) entsprechend die Variablen der Kultur und (c) Mechanismen der Variation skizziert werden, um anschließend zu diskutieren, inwiefern sie Ansatzpunkte für die methodische Präzisierung der in Kapitel 9.2 bereits angedeuteten möglichen literaturwissenschaftlichen Fragestellungen sein können. Unter den Aspekten der Metaphernvariation sind zunächst die bereits im Rahmen der früheren CMT definierten Einzelkomponenten des metaphorischen Prozesses zu verstehen. Source und target domain sowie ihr Verhältnis zueinander, die konkreten Strukturen einzelner mappings und blends151 sowie der linguistische Ausdruck der Metapher erscheinen als hinreichend detaillierte Analyseeinheiten, um über die schlichte Feststellung unterschiedlicher Kombinationen von source und target domain hinaus zu kommen.152 Für die source domain schlägt Kövecses auf Grundlage des main meaning focus-Konzeptes unterschiedliche Strukturen vor, die sich entsprechend verschieden auf die target domain vererben können.153 Das Ergebnis kann eine auf der linguistischen Oberfläche ähnlich scheinende Metaphorik in zwei unterschiedlichen Sprachen sein, wenn beispielsweise ähnliche Bewegungsverben als source domain verwendet werden, deren Funktion und Information jedoch wegen der unter-

also präsenter Erfahrungen als auch nicht direkt verfügbarer Erfahrungen, allgemeine Gültigkeit/ Verfügbarkeit, Sinnstiftung, Ermöglichung von Inferenz auf Basis von Repräsentationen und Ermöglichung von Kreativität. Folgend listet er Charakteristika für Konzepte, die in einem solchen System funktionieren können: Sie müssen embodied, prototypbasiert, schematisch, frame-basiert und linguistisch codiert sein. Das gesamte konzeptuelle System charakterisiert Kövecses schließlich als embodied, schematisch, bildlich (im Gegensatz zu propositional), teilweise arbiträr und vor allem hierarchisch. (Vgl. Zoltán Kövecses: Where Metaphors Come from, S. 32–37). 151 Kövecses integriert in seinem Theorieentwurf George Lakoffs CMT und Gilles Fauconnier/ Mark Turners Blending Theory. Die Dynamik der Blending Theory eignet sich dabei besonders für sein Ziel, Variationen in Metaphorik zu erklären. (Vgl. Zoltán Kövecses: Metaphor in Culture, S. 128). 152 Die Möglichkeit, dass ein und dieselbe source domain für verschiedene target domains verwendet werden kann und dass umgekehrt dieselbe target domain mithilfe verschiedener source domains gegliedert werden kann, expliziert Kövecses bereits in seinen ersten Formulierungen kultursensitiver Theoriemodelle und spezifiziert hier mit den Begriffen scope und range einer Metapher. Grundsätzlich ist sie jedoch auch schon in den frühesten Versionen der CMT als zentraler Mechanismus bei der Konzeptualisierung z. T. widersprüchlicher Erfahrungen innerhalb einer domain vertreten. 153 Vgl. ebd., S. 118–119.

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schiedlich strukturierten unterliegenden Konzepte deutlich verschieden sind.154 Als variable mappings lässt sich die unterschiedliche Auswahl übertragener Elemente analysieren, die auch zwischen zwei konstanten Domänen zu Metaphern von unterschiedlicher Implikation führen können.155 Als besonders fruchtbaren Mechanismus für die Erklärung originär neuer, innovativer Metaphorik betrachtet Kövecses das blending, in dem statt von einer Übertragung zwischen zwei Domänen von der Kreation eines dritten konzeptuellen Bereichs ausgegangen wird.156 Der schon von Grady als zusätzlicher Mechanismus zur Erklärung bestimmter metaphorischer Phänomene herangezogene Prozess wird auch von Kövecses, vor allem in Verbindung mit der Analogie, als entscheidend für eine Beschreibung erweiterter metaphorischer Kreativität im Rahmen der CMT angesehen. Als Kontextfaktoren, Variablen der Umwelt und Kultur, die zu sogenannten differentiated experiences157 führen und in einer embodiment-basierten Theorie die Voraussetzung für Variabilität bilden, identifiziert Kövecses, knapp zusammengefasst:158 Diskurs,159 Ideologie,160 physische Umwelt,161 soziale162 und

154 Kövecses führt eine Beispielstudie an, die die unterschiedlich enkodierten Bedeutungen von Bewegungsverben im Englischen und Türkischen untersucht. Kövecses zufolge zeigen sich hier deutliche Unterschiede, denn während im Englischen vorwiegend die Art der Bewegung in den Verben charakterisiert wird, enkodiert das Türkische bei entsprechenden Verben überwiegend die Bewegungsrichtung. (Vgl. ebd., S. 119). 155 Vgl. hierzu ebd., S. 123–127. Beispiel hier ist die klassische life is a journey Metapher, die sich, wie eine Studie von Jäkel zeigt (vgl. Olaf Jäkel: Hypotheses Rrevisited. The cognitive theory of metaphor applied to religious texts. In: Metaphorik.de 2 (2002), S. 20–42), im Fall der biblischen Ausformulierung hinsichtlich der betonten und übertragenen Elemente klar von den mappings in früher untersuchten Formulierungen (vgl. George Lakoff/Mark Turner: More than Cool Reason, S. 56–57) unterscheidet. 156 Siehe für eine detaillierte Beschreibung des blendings Kap. 9.5. 157 Das Konzept beschreibt die Annahme, dass unterschiedliche Erfahrungen zu unterschiedlichen Metaphern führen können (vgl. Zoltán Kövecses: Metaphor in Culture, S. 230). Analog zum meaning focus können auch Erfahrungen oder physiologische Eindrücke verschiedene Fokussierungen erfahren und Kövecses entwirft entsprechend einen „differential experiential focus, meaning that a particular abstract concept may have multiple bodily basis“ (Zoltán Kövecses: Where Metaphors Come from, S. 79). Vgl. dazu außerdem umfangreich Zoltán Kövecses: Metaphor in Culture, S. 246–247. 158 Vgl. für eine ausführliche Diskussion der Faktoren ebd., S. 232–246. Eine kompaktere Zusammenfassung findet sich in Zoltán Kövecses: Where Metaphors Come from, S. 181–183. 159 Der Oberbegriff zerfällt bei Kövecses in verschiedene Teile, die sowohl historische, kontextuelle als auch kommunikativ-funktionale Aspekte von Diskursen und ihre Bedeutung für Metaphernproduktion spezifizieren. (Vgl. ebd.). 160 Ebd., S. 182. Der Begriff wird hier in einem relativ unspezifisch politischen Sinn verwendet. 161 Ebd. 162 Ebd.

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kulturelle163 Situation, Geschichte164 und das, was er Interessen und Anliegen165 nennt. Die unterschiedlichen kognitiven Mechanismen der Variation und die Möglichkeit ihrer verschiedenartigen Anwendung konstituieren in Kövecses’ Modell in Wechselwirkung mit der (kulturellen) Umwelt unterschiedliche „cognitive styles“166 oder „cognitive preferences“.167 Diese scheinen sich allerdings nicht, wie es eine psychologische Lesart vermuten ließe, in erster Linie auf ein individuelles Level zu beziehen, sondern bereits als kulturell etablierte Strukturen gedacht zu sein: „cognitive processes as elaboration, conventionalization, specificity, and transparency can be found at work in all languages and cultures, but, […], the degree to which they apply can vary from language to language“.168 Sprache oder Sprachsysteme fungieren hier als Träger manifester Differenzen in kognitiven Prozessen. Literatur als eine Variante solcher sprachlichen Manifestationen auch über lange historische Zeiträume hin zu verfolgen, bietet hier ein umfangreiches Forschungsfeld. In der Literaturwissenschaft findet sich darüber hinaus die notwendige Expertise beim Umgang mit diesem Material in einer übergeordneten kognitiven und kulturwissenschaftlichen Diskussion. Kövecses’ Programm der metaphor in culture scheint diese Expertise auch für die kognitive Forschung notwendig zu machen. Die Schlagworte zur Beschreibung des (kulturellen) Kontextes lesen sich wie Indikatoren einer ‚kulturwissenschaftlichen Wende‘ in Kövecses’ Theorie der conceptual metaphor, mit der er Kontakt aufnimmt zu Diskursen, die mit dem kognitiven, zumindest in seiner radikalsten Form, schwer vereinbar scheinen: Konkret adressiert Kövecses denn auch Gemeinsamkeiten und Unterschiede postmoderner Theoriemodelle von Kultur und seiner kognitiv geprägten Perspektive:

163 Kultur erfährt zunächst eine vage Definition als „system of shared meaning making“ (ebd., S. 95) und wird dann analytisch gegliedert in culture I und culture II. Die erste umfasst im mehr abstrakten Sinn ein „shared knowledge represented in the conceptual system“ (ebd., S. 183), während die zweite konkret die direkte kulturelle Umwelt beschreiben soll (vgl. ebd., S. 95). Mit dieser Unterscheidung repliziert Kövecses gleichsam die saussuresche Unterscheidung in langue und parole aus kognitiver Perspektive. 164 Vgl. ebd., S. 183. Hierunter werden die individuellen und gemeinschaftlichen Erinnerungen verstanden, keine abstrakte Geschichte. 165 Ebd. Hiermit sind kollektiv dominante Aktivitäten oder Tätigkeiten gemeint, von Sport bis hin zu unterschiedlichen Formen des Lebensunterhalts-/Nahrungserwerbs. 166 Vgl. Zoltán Kövecses: Metaphor in Culture, S. 246, wo Kövecses auch darauf hinweist, dass seine Begriffsverwendung nicht der der kognitiven Psychologie entspricht. 167 Zoltán Kövecses: Where Metaphors Come from, S. 11. 168 Zoltán Kövecses: Metaphor in Culture, S. 246.

Zoltán Kövecses (*1946): Metaphor in Culture 

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Most obviously, the cognitive linguistics (i. e., experientialist) idea of alternativity in understanding the world is similar to a social-constructionist and relativistic attitude in postmodernist-poststructuralist thought. The version of postmodernist thinking I specifically have in mind is the one that emphasizes the social construction of meaning, and the concomitant idea that if meanings are socially constructed, then they are also variable according to culture, history, ideological persuasion, and so on. In short, they are relative to context.169

Welche Implikationen hat Kövecses’ Weiterentwicklung der CMT für diese selbst und was folgt daraus für literaturwissenschaftliche Anschlussversuche? Kövecses’ Punkt scheint weniger in der Weiterentwicklung theoretischer Teilelemente zu liegen, hier bedient er sich eher eklektisch verschiedener Konzepte anderer Theorien, ungeachtet auch der Tatsache, dass diese Theorien mit ihren Implikationen auch durchaus als widersprüchlich oder zumindest konkurrierend betrachtet werden können.170 Sein Modell führt stattdessen zahlreiche, innerhalb verschiedener Disziplinen und Forschungsrichtungen geläufige Theorieelemente zusammen und entwirft daraus ein Modell für ein multivariables Metaphernverständnis, das unterschiedliche Ausprägungen des Phänomens Metapher adressiert, die sonst oft undiskutiert in verschiedenen Theorien koexistieren. Metapher als konzeptuelles oder physiologisches Element des Denkens, das sich als linguistisches Phänomen in Sprache manifestiert, wird in Kövecses’ Modell ergänzt um Metapher als Strukturelement abstrakter konzeptueller Systeme, die Kulturgemeinschaften prägen. Kövecses’ Modell, auch wenn es für die innere Struktur der CMT wenig Innovation zu bringen scheint, verschiebt das Interesse entscheidend von den Gemeinsamkeiten auf Differenzen, von Regelmäßigkeiten auf die Abweichungen, von Konsistenz auf Inkongruenz und Konflikt und gelangt damit unausweichlich an den Punkt, neben dem embodiment auch andere Prozesse und Faktoren als Variablen für die konkreten Gestalten und Strukturen von Metaphern in den Blick zu nehmen. Trotz aller nachgewiesenen Konsistenz innerhalb metaphorischer Muster liegt aber auch für die CMT ein zentrales Problem im Umgang mit metaphorischer Inkonsistenz, der Abweichung von der statistischen Norm, die eben auch im Zuge der empirischen Forschung zutage tritt. Auch wenn die Auseinandersetzung mit diesen Abweichungen nicht das zentrale Interesse des größten Teils kognitiver Linguisten und Psycholinguisten sein mag, so scheint ein Erklärungsversuch zumindest auf Ebene der theoretischen Gesamtanlage für den Erklärungswert der Theorie wichtig. Dass so jedoch, ebenfalls scheinbar unausweichlich, theoretische Reichweite gegen methodologische Komplikation getauscht wird, wird in Kapitel 9.6 zu diskutieren sein. An dieser Stelle sei fest-

169 Zoltán Kövecses: Where Metaphors Come from, S. 80. 170 Vgl. dazu die Diskussion der NTM und der Relevanztheorie in Kap. 9.2. und Kap. 7.2.

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gehalten, dass eine Theorie, die behauptet, die Metapher sei gleichzeitig (im Sinn von synchron) „inevitably conceptual, linguistic, neural-bodily, and social-cultural“,171 gegen den bekannten Reduktionismusvorwurf sicherlich legitim verteidigt werden kann, im Gegenzug jedoch mit Komplikationen bei der geforderten „analysis of culture [as] ‘experimental science’“172 zu rechnen hat. Zusammenhänge und Wechselwirkungen zwischen physiologischen Phänomenen des embodiment und sozio-kulturellen Rahmenbedingungen scheinen bislang kaum im engen Sinn für experimentelle Prüfung operationalisierbar zu sein. Für die Literaturwissenschaft bietet die theoretische Breite von Kövecses’ Modell vielfältige Anschlussmöglichkeiten: Empirisch orientierte Richtungen der Disziplin finden in seiner Selbstverpflichtung zur Empirie bei gleichzeitiger Erweiterung des Blicks auf die komplexe Ebene der Kultur eine vielversprechende Anschlussstelle, den Zusammenhang zwischen soziokulturellen, individuellen und textuellen Phänomen in einem umfassenden theoretischen Rahmen zu untersuchen. Die Schwierigkeiten des komplexen Modells wären von empirischen Literaturwissenschaftlern in jedem Einzelfall im Zuge der Operationalisierung zu lösen, womit die in Kövecses’ Modell gewonnene Komplexität allerdings scheinbar zwangsläufig reduziert werden muss. Nicht im engen Sinn empirisch arbeitenden Literaturwissenschaftlern173 bietet das Modell die Möglichkeit, die besondere Rolle von Literatur als Produkt von Individuum und Kultur und gleichzeitig als potenziellen Einflussfaktor auf kulturelle Entwicklungen und letztlich als Elemente historischer Entwicklungen zu diskutieren. In dieser Diskussion stellen sich Fragen nach historischen und soziokulturellen Entstehungs- und Rezeptionskontexten, Fragen nach Konstitution, Entstehung und Entwicklung literarischer Formen und frames, wie Genres mit spezifischen Regularien, sowie solche nach den Wechselwirkungen zwischen literarischen Texten und metaphorischen Clustern, wie sie beispielsweise in diachronen Untersuchungen von Korpuslinguisten in all ihrer Veränderlichkeit gezeigt wurden.174 Die Frage nach Mechanismen der Sinnstiftung, die Kövecses an den Anfang seines jüngsten Buches stellt, schließt an genuin hermeneutisch-literaturwissen-

171 Vgl. Zoltán Kövecses: Metaphor in Culture, S. 293. 172 Zoltán Kövecses: Where Metaphors Come from, S. 74. 173 Vgl. für die verschiedenen Stufen von Empirie im Rahmen der Literaturwissenschaft in jüngster Zeit den Sammelband von Philip Ajouri/Katja Mellmann/Christoph Rauen: Empirie in der Literaturwissenschaft. 174 Vgl. z. B. Caroline Gevaert: The Anger is Heat Question. Detecting cultural influence on the conceptualization of Anger through diachronic corpus analysis. In: Perspectives on variation. Sociolinguistic, historical, comparative. Hrsg. von Nicole Delbecque/Johan van der Auwera/ Dirk Geeraerts. Berlin/New York: Mouton de Gruyter 2005, S. 195–208.

Gilles Fauconnier (*1944) und Mark Turner (*1954) 

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schaftliche Fragen an. Der neue Fokus auf Variation und Differenz kommt dem literaturwissenschaftlichen Interesse am besonderen Einzelfall entgegen. Die Etablierung einer abstrakten und einer konkreten Ebene kulturellen Einflusses auf unser konzeptuelles System und damit unser Denken kann von literaturwissenschaftlicher Seite dazu genutzt werden, den gesellschaftlichen und individuellen Einfluss von Literatur als zentraler Komponente von Kulturproduktion und -rezeption und die damit verbundene anhaltende Relevanz von Literatur neu zu diskutieren. Mit den theoretischen Grundlagen der CMT können dabei begründet bekannte Perspektiven auf Literatur als elitäres Kunstprodukt oder als direktes politisches Agitationsinstrument neu hinterfragt und niederschwellige Einflüsse von Literatur (auch solche längst vergangener Epochen) auf die Konstitution heutiger konzeptueller Systeme (im Sinne von culture I) hin befragt werden, wie sie sich in Kulturprodukten verschiedener Niveaus und Medien niederschlagen. Methodologisch steht eine nicht experimentell-empirisch arbeitende Literaturwissenschaft damit vor weit geringeren Problemen bei der Integration von Kövecses’ Modell als Vertreter einer experimentell-empirischen Richtung.

9.5 Gilles Fauconnier (*1944) und Mark Turner (*1954): Mental spaces und Blending Theory Remarkable—when I am sitting on a cushion on the floor, busy with scissors and glue pot, the time just vanishes. Before I know it the latticed rectangle of pale autumn sunlight has moved from the left wall across the floor to the other wall and Mrs. O’Carolan is calling me for supper. Perhaps time is flowing faster up there in the attic. Perhaps the accumulated mass of the past gathered there is pulling time out of the future faster, like a weight on a line. Or perhaps, more mundanely, it is only that I am getting older every year and that it is the accumulated weight of time behind me that is unreeling the years with ever-increasing speed. What a horrible thing it must be to grow older and find that ever-decreasing number of years hurrying you faster, faster toward your grave, as if time were impatient to be rid of you!175

Die Blending Theory versteht sich als die wichtigste alternative oder zumindest komplementäre kognitive Metapherntheorie gegenüber der Conceptual Meta-

175 Gilles Fauconnier/Mark Turner: Rethinking Metaphor. In: The Cambridge Handbook of Metaphor and Thought. Hrsg. von Raymond W. Gibbs Jr. Cambridge u. a.: Cambridge University Press 2008, S. 53–66, hier auf S. 63–64. Das Verhältnis von Raum und Zeit als source und target

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phor Theory (CMT).176 Ähnlich wie diese ist sie aus den Schwierigkeiten hervorgegangen, vor denen die Sprachphilosophie und die Linguistik in den 70er Jahren standen. Zentrale Elemente der heutigen Blending Theory wurden von Gilles Fauconnier entwickelt, um sprachphilosophisch unzureichend erklärbare Phänomene wie mehrfache beziehungsweise paradoxe Referenzen in einer Bedeutungstheorie zu fassen.177 Mit dem Konzept der mental spaces etabliert Fauconnier einen psychologisch-pragmatischen Parameter, mit dessen Hilfe diese logisch paradoxen Bedeutungsphänomene erklärbar gemacht werden sollen. The philosophy behind the theory [of mental spaces] is that logical complexity in natural language does not follow from corresponding structural complexity of sentences, but rather from the complexity of processing configurations that simply syntactic structures permit, and in other cases merely from the complexity of logic itself as a (partially inadequate) instrument of measure. Accordingly, the load of explanation is shifted from sentence structure to discourse processing.178

Die zentrale Funktion als sprachinduzierte Repräsentationen,179 die den mental spaces im Rahmen von Fauconniers sprachphilosophischem Modell zukommt,180

domains ist ein zentrales Themengebiet der Blending Theory. Dabei reichen die Analysen von simplen Beispielen wie dem Satz „Time flies“ bis zu Textabschnitten, wie dem obigen Beispiel. 176 Vgl. für umfassende Diskussionen des Verhältnisses der beiden Modelle u. a. Joseph E. Grady/Todd Oakley/Serena Coulson: Blending and Metaphor. In: Metaphor in Cognitive Linguistics. Selected Papers from the 5th International Cognitive Linguistics Conference, Amsterdam, 1997. Hrsg. von Raymond W. Gibbs Jr./Gerard J. Steen. Amsterdam/Philadelphia: Benjamins 1999, S. 101–124; ein funktional orientierter Modellvergleich anhand einer Interpretation findet sich bei Zoltán Kövecses: Recent Developments in Metaphor Theory; eine programmatische Stellungnahme von Fauonnier und George Lakoff findet sich in On Metaphor and Blending. 177 Bei Fauconnier finden sich Beispielsätze wie „In that picture, Mary is taller than Harriet“, für den er zwölf logisch distinkte Interpretationen behauptet. (Vgl. Gilles Fauconnier: Pragmatic Functions and Mental Spaces. In: Cognition 10:1–3 (1981), S. 85–88, hier auf S. 87). 178 Ebd., S. 86. 179 Fauconnier/Turner formulieren programmatisch zum Verhältnis von Sprache und Kognition: „Formal expression in language is a way of prompting hearer and reader to assemble and develop conceptual constructions, including blends; there is no encoding of concepts into words or decoding of words into concepts.“ (Mark Tunner/Gilles Fauconnier: Conceptual Integration and Formal Expression. In: Metaphor & Symbolic Activity 10:3 (1995), S. 183–204, hier auf S. 203). Fauconnier/Turner formulieren hier das Prinzip ihrer nicht-kompositionalen Semantik, die der Blending Theory zugrunde liegt. 180 Der deutlich analytisch geprägte sprachphilosophische Einschlag zeigt sich in den frühen Konzeptionen und Darstellungen der mental spaces und ihrer Definition: „structured, incrementable sets – that is, sets with elements (a, b, c, …) and relations holding between them (R1ab, R2a, R3cbf, …) such that new elements can be added to them and new relations established between

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wird im Rahmen der Blending Theory von Fauconnier und Mark Turner auch auf nicht-sprachliche kognitive Prozesse wie zum Beispiel das Verstehen von Modellgrafiken erweitert. Mental spaces, in der Abbildung Turners (Abb. 3) als Kreise dargestellt, werden damit zu abstrakten Grundeinheiten des blendings,181 das sich als

Abb. 3: Double-scope blending network nach Mark Turner

their elements. (In a technical sense, an incrementable set is an ordered sequence of ordinary sets, but it will be convenient to speak of the mental space as being built up during ongoing discourse, rather than to refer to the corresponding sequence of sets)“. (Gilles Fauconnier: Mental Spaces. Aspects of Meaning Construction in Natural Language. Cambridge, MA: MIT Press 1985, S. 16). Eine Linie der Kritik, vertreten z. B. von Per Aagen Brandt, bemängelt die noch immer analytisch geprägte Grundanlage der mental spaces und folgend auch der Blending Theory. (Vgl. Per A. Brandt: Mental Spaces and Cognitive Semantics. A Critical Comment. In: Journal of Pragmatics 37:10 (2005), S. 1578–1594). 181 Alternativ auch conceptual integration (vgl. Vyvyan Evans: A Glossary of Cognitive Linguistics, S. 32).

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 Metapher und Kognition

umfassendes Modell zur Erklärung menschlicher Bedeutungs- und Sinnstiftungsprozesse versteht182 und von Mark Turner knapp wie folgt definiert wird: Building an integration network involves setting up mental spaces, matching across spaces, projecting selectively to a blend, locating shared structures, projecting backward to inputs, recruiting new structure to the inputs or the blend and running various operations in the blend itself. We will talk about these operations in sequence, but it is crucial to keep in mind that any of them can run at any time and that they can run simultaneously. The integration network is trying to achieve equilibrium. […] Context will typically specify some conditions of the equilibrium, as when we are instructed to find a solution to the riddle of the Buddhist Monk.183

Die Darstellung dieser Vorgänge in der Blending Theory erfolgt in Form schematischer Grafiken, die in der Regel einzelne Netzwerke und die in ihnen aktiven Verbindungen darstellen. Gelegentlich findet sich auch – wie in der Illustration des ‚riddle of the Buddhist Monk‘184  – eine Darstellung der Inhalte der mental spaces. Dies ist allerdings die Ausnahme, da im Fokus der Theorie allgemeine Prozessmodelle stehen. Anders als in der CMT bilden diese allgemeinen Prozess- oder Strukturschemata der Bedeutungsbildung einen Rahmen für die Erklärung der menschlichen Kognition im Allgemeinen, innerhalb dessen die linguistische Metapher nur eines von vielen zu erklärenden Phänomenen ist, das auf einheitliche Grundmechanismen zurückgeführt werden soll. Anstatt explizit eine allgemeine Metaphorizi-

182 Im Selbstverständnis der Blendingtheoretiker liegt die Hauptleistung ihrer Theorie in der Tatsache, dass sie augenscheinlich unterschiedlichste komplexe Resultate menschlicher Kognition auf wenige strukturelle Grundoperationen zurückführen kann: „What was previously regarded as separate phenomena and even separate mental operations – counterfactuals, framings, categorizations, metonymies, metaphors, and so on – are consequences of the same basic human ability for double-scope blending.“ (Gilles Fauconnier/Mark Turner: Rethinking Metaphor, S. 54). 183 Gilles Fauconnier/Mark Turner: The Way we Think. Conceptual Blending and the Mind‘s Hidden Complexities. New York: Basic Books 2002, S. 44. 184 Abb. ebd., S. 43. Das monk riddle ist das Standardbeispiel der Blending Theory: „A Buddhist monk in the pre-dawn light, standing for a while at the foot of a mountain path that leads to the summit, decides to climb the path. He begins at dawn walking up the mountain, reaches the top at sunset, meditates at the top overnight until, at dawn, he begins to walk back to the foot of the mountain, which he reaches at sunset. Make no assumptions about his starting or stopping or about his pace during the trips. Riddle: is there a place on the path which the monk occupies at the same hour of the day on the two separate journeys?“ (Zitiert nach ebd., S. 39). Das obige Netzwerk stellt die von der Blending Theory vorgeschlagenen kognitiven Übertragungsmechanismen dar, die der Standardlösung des Rätsels entsprechen sollen. Diese lautet: Es gibt diesen Ort – es ist dort, wo der Mönch sich selbst trifft. Das Netzwerk illustriert im Grunde die kontrafaktische Vorstellung des Sich-selbst-Treffens.

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tät der menschlichen Kognition und Sprache anzunehmen, wie es die CMT vorschlägt, stellt der blending-Prozess die allgemeine Operation dar; die sprachliche Metaphorik ist dagegen nur ein mögliches Ergebnis dieses Prozesses. Die Probleme, die sich meines Erachtens für die Literaturwissenschaft aus diesem Versuch ergeben, die Pluralität sprachlicher Phänomene auf ein kleines Set kognitiver Schemata zu reduzieren, werden deutlich, wenn man nach der Verortung des metaphorischen Moments in den Modellprozessen des blendings fragt. Das Modell des blendings setzt zunächst auf der konzeptuellen Ebene der Bedeutungskonstruktion an und begreift diese dabei als einen prinzipiell dynamischen185 und kombinatorischen, aber nicht notwendig metaphorischen Prozess: „In MST, two aspects essentially comprise meaning construction. Mental Spaces are set up first of all, while the second aspect is to establish mappings between these Mental Spaces.“186 Diese beiden Aspekte überlagern sich dabei in Verstehensprozessen auf mehreren Ebenen, da mappings187 zwischen einmal aufgebauten mental spaces neue mental spaces generieren können, die wiederum

185 In den Worten der kognitiven Linguistik besteht das Charakteristikum des mental space in seiner online-Konstruktion: „The hallmark of a mental space, as opposed to other cognitive entities such as a conceptual metaphor, a semantic frame, an idealised cognitive model or a domain (1), is that mental spaces are constructed ‘online’, in the moment of speaking or thinking, and can be structured by other cognitive entities including semantic frames, idealised cognitive models or domains by a process known as schema induction.“ (Vyvyan Evans: A Glossary of Cognitive Linguistics, S. 134). Ein schwerwiegender Kritikpunkt an der Blending Theory ist jedoch die weitgehende Unbestimmtheit der mental spaces hinsichtlich der Art von Information, die in ihnen enthalten sein kann. Die Auslegungen reichen hierbei von semantischen Repräsentationen einzelner Worte bis zu vollständigen story worlds. Neben diesen offenen Dimensionsfragen scheint jedoch vor allem auch die Struktur der Information, die eine blend enthalten kann, unklar und reicht in den Beispielen von abstrakten Strukturinformationen (bspw. frames) bis zu Qualia, ohne dass sich die mental spaces selbst voneinander unterscheiden. Relevant ist diese Kritik an der mangelnden Spezifizierung des Inhalts von mental spaces vor allem dann, wenn die verschiedenen Formen ihrer Interaktion und Verknüpfung festgelegt werden. 186 Vera Stadelmann: Language, Cognition, Interaction. Conceptual Blending as Discursive Practice. PhD Dissertation. Gießen: Justus-Liebig-Universität 2012. http://geb.uni-giessen.de/ geb/volltexte/2012/8854/pdf/StadelmannVera_2012_04_25.pdf (23. 01. 2016), hier auf S. 9. Grady et al. beschreiben diese zwei Aspekte als drei Grundoperationen: „Composition, the most straightforward process, refers to the projection of content from each of the inputs into the blended space. […]. Completion is the filing out of a pattern in the blend, evoked when structure projected from the input space matches information in long-term memory. […] Finally, elaboration is the simulated mental performance of the event in the blend, which we may continue indefinitely.“ (Joseph E. Grady/Todd Oakley/Serena Coulson: Blending and Metaphor, S. 107). 187 Entscheidend ist an dieser Stelle, dass diese mappings in der Definition des blendings zunächst noch nicht als essenziell metaphorisch verstanden werden. Nicht jedes mapping ist metaphorisch, nicht jeder blend ein metaphorischer.

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 Metapher und Kognition

vernetzt werden können und so fort. Das blending wird dabei bereits auf der Ebene der Perzeption als essenzielle Grundoperation der Kognition betrachtet, die die Wahrnehmung von Objekten als Ursache dieser Wahrnehmung überhaupt erste ermöglicht.188 Der Blending Theory zufolge sind die Repräsentationen der mental spaces damit von Anfang an stark durch die konstruktiven Grundoperationen der Kognition geprägt und entsprechen nicht im engen Sinne realistischen Repräsentationen einer Wirklichkeit oder dem semantischen Gehalt eines Zeichens. Sie sind stattdessen best fit-Modelle als Grundlage für die Interaktion mit der Umwelt: „Mental Spaces are small conceptual packets constructed as we think and talk, for purpose of local understanding and action.“189 Anders als die CMT, die als Ausgangspunkt ihrer Beschreibung von Kognition relativ stabile Repräsentationen physiologisch determinierter experiential domains annimmt, geht die Blending Theory mit den mental spaces von einem bereits durch die grundlegenden Kognitionsprozesse geformten und flexiblen Repräsentationskonzept aus.190 Als Existenzraum, in dem der mental space aufgebaut wird, wird der flüchtige Bereich des Kurzzeit- oder auch Arbeitsgedächtnisses genannt. Ein mental space kann damit als eine temporäre Repräsentation verstanden werden, die jedoch durch regelmäßiges Aufrufen stabilisiert werden und strukturierende Eigenschaften erlangen kann: „Mental spaces are built up dynamically in working memory, but they can also become entrenched in long-term memory. For example, frames are entrenched mental spaces that we can activate all at once.“191 Die Vernetzung einzelner mental spaces in Netzwerken unterschiedlicher Art stellt das zen-

188 „The integration of cause and effect is the central feature of perception. […], the perception of a single entity, such as a cup, is an imaginative feat still very poorly understood by neurobiologists. The perception available to consciousness is the effect of complicated interactions between the brain and its environment. But we integrate that effect with its causes to create emergent meaning: the existence of a cause – namely the cup – that directly presents its effect – namely its unity, color, shape, weight, and so on. As a consequence, the effect is now its cause: the color, shape, and weight are now intrinsically, primitively, and objectively in ‘the cup’. In perception, at the level of consciousness, we usually apprehend only the blend of cause and effect.“ (Gilles Fauconnier/Mark Turner: The Way we Think, S. 78). 189 Ebd., S. 40. 190 „Mental spaces (or, ‘spaces’, for short) are not equivalent to domains, but, rather, they depend on them: spaces represent particular scenarios which are structured by given domains. […] In short, a mental space is a short-term construct informed by the more general and more stable knowledge structures associated with a particular domain.“ (Joseph E. Grady/Todd Oakley/Serena Coulson: Blending and Metaphor, S. 102). 191 Gilles Fauconnier/Mark Turner: The Way we Think, S. 103. Es bleibt allerdings unklar, wie genau diese Verfestigung von flüchtigen Repräsentationen zu stabilen frames theoretisch oder physiologisch zu modellieren ist.

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trale Funktionsprinzip der Blending Theory dar. Damit will die Theorie nicht nur erklären, wie mithilfe einer begrenzten Zahl symbolischer Formen zum Beispiel in der Sprache eine unbegrenzte Anzahl (kreativer) Bedeutungen generiert werden kann,192 sondern auch die fundamentale Bedeutung von parallel existierenden widersprüchlichen oder widerstreitenden Repräsentationen für unser tägliches Verstehen hervorheben: „Mental spaces can exist routinely alongside incompatible mental spaces. We look in the refrigerator and see that there is no milk to be had, we must simultaneously have the mental space with no milk in the refrigerator and the counterfactual mental space with the milk in the refrigerator.“193 An dieser Stelle wird bereits deutlich, wie komplex die in der Blending Theory angenommenen mentalen Netzwerke sein müssen, um beispielsweise hypothetische und kontrafaktische Repräsentationen zu modellieren. Der Begriff blending selbst beschreibt dabei den grundlegenden Prozess, dass einmal aufgebaute beziehungsweise aufgerufene mental spaces (input spaces) verknüpft werden und dabei neue Repräsentationen aufgebaut werden können, die sich zwar aus den bestehenden speisen, aber einerseits selektiv Charakteristika aus den bestehenden Repräsentationen übernehmen und andererseits emergente Charakteristika, und damit in den Inputs nicht vorhandene Elemente, erzeugen. Um diese komplexen Netzwerke zu beschreiben, gehen Fauconnier/ Turner von vier Typen von Netzwerken aus, deren Konstitution durch acht Prinzipien bestimmt wird.194 Von den vier Netzwerktypen simplex

192 Vgl. eine ähnliche Fragestellung auch bei Donald Davidson, Kap. 3.3. 193 Gilles Fauconnier/Mark Turner: The Way we Think, S. 29. 194 Eine kurze Zusammenfassung findet sich bei Stadelmann: „The Topology Principle aims at preserving the organisational structure of the inputs whilst at the same time enabling optimal compression. As human scale is not achievable when too much of the original frame structure of the inputs is transferred to the blend, the topology principle is at odds with the overall goal of compression. […] The Pattern Completion Principle asserts that elements in the blend should be completed by integrating established compressed frames whose relations are compatible with the inputs. The principle introduces familiar frame structure as additional inputs to the blended space as a means of achieving global insight. […] The Integration Principle maintains that the overall goal of blending should be to achieve an ‘integrated blend’, in which potential clashes between inputs are resolved and a new structure that can itself be manipulated has been created. This then leads to structure that might potentially disturb the blend being omitted. 4) The Maximisation of Vital Relations Principle contends that while blends develop internal vital relations, they should also reflect the outer-space vital relations to achieve the best-possible ‘eureka’ effect. […] In a similar vein, the Intensification of Vital Relations Principle hopes to intensify the vital relations that are already present in the input spaces rather than the ones that develop in the blend. This applies when cause-effect chains are simplified and profiled in the blend, as happens frequently in political discourse. […] The Web Principle subsumes the idea that ‘manipulating the blend as a unit’ (Fauconnier/Turner, 2002:331) must be possible without the blend losing its

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blend,195 mirror blend,196 single-scope blend und double-scope blend197 sind für die Diskussion der Metapher die letzten beiden von Bedeutung. Entscheidend für ihre Metaphorizität ist – in den Worten der Blending Theory – das Vorliegen einer Inkompatibilität zwischen zwei korrespondierenden Elementen (prominent counterparts) der input spaces, die durch die Neuorganisation innerhalb des blending spaces aufgehoben werden kann. In a metaphoric blend, prominent counterparts from the input spaces project to a single element in the blended space  – they are ‘fused’. A single element in the blend corresponds to an element in each of the input spaces.  […] Intuitively speaking, the point of metaphors is precisely that one thing is depicted or equated with another. In the blending framework this means a single element in the blended space as links to each of the input spaces.198

connections to the input spaces. As such, all spaces in the network are always subconsciously present. The Unpacking Principle states that the blend alone should enable the reconstruction of all inputs contributing to the blend. This, the authors claim, is often due to incongruities. These incongruities in the product of blending prompt ‘receivers’ to reconstruct the inputs (as would be the case in the many advertising examples discussed in the literature).  […] The Relevance Principle is the most pragmatic principle found among the governing principles, yet aside from its blending-‘external’ dimension  – the relevance to communication  – the authors focus predominantly on ‘Network Relevance’. This blending ‘internal’ aspect is satisfied when elements act as successful prompts for unpacking the blend. Thus, ‘[t]he Relevance Principle pressures networks to have relationships in the blend that are compressions of important outer-space relations between the inputs.“ (Fauconnier/Turner, 2002:334)“ (Vera Stadelmann: Language, Cognition, Interaction, S. 23–25). 195 „An especially simple kind of integration network is one in which human cultural and biological history has provided an effective frame that applies to certain kinds of elements as values, and that frame is one input space and some of those kinds of elements are in the other input space. This is a simplex network. The cross-space mapping between the input spaces is a Frame-to-value connection – that is, an organized bundle of role connectors. In this case, the role of father connects to the value Paul and the role daughter connects to the value Sally.“ (Gilles Fauconnier/Mark Turner: The Way we Think, S. 120). Fauconniers Erklärung bezieht sich hier auf den Beispielsatz „Paul is the father of Sally“. 196 „A mirror network is an integration network in which all spaces  – inputs, generic, and blend – share an organizing frame. […], an organizing frame for a mental space is a frame that specifies the nature of the relevant activity, events, and participants. […] An organizing frame provides a topology for the space it organizes; that is, it provides a set of relations among the elements in the space.“ (Ebd., S. 123). 197 „Double-scope blending is the hallmark of cognitively modern human beings, and The Grand Difference is the product of double-scope blending.“ (Mark Turner: The Origin of Selkies. In: Journal of Consciousness Studies 11:5–6 (2004), S. 90–115, hier auf S. 90). 198 Joseph E. Grady/Todd Oakley/Serena Coulson: Blending and Metaphor, S. 114.

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Als Mechanismen der Integration beschreiben Fauconnier/Turner Prozesse der Ausblendung, wie sie bereits im Kontext anderer Metapherntheorien formuliert worden sind: An important feature of metaphorical fusion of counterparts, then, is that it involves overriding, and therefore not projecting, salient aspects of our knowledge of the target. This sort of asymmetrical projection occurs in any case where the organizing frame in the blend is projected from one input at the expense of the other, e. g. the ship frame in the Nation-asShip cases. The fact that source and target must be incompatible in some sense relates to an old claim about metaphor, which can be considered here in a new light.199

Welche Elemente genau Kandidaten für relevante Inkompatibilitäten sein können, wird bei der Unterscheidung zwischen single-scope und double-scope blendings klar: Beide zeichnen sich durch inkompatible frames aus. Der Unterschied zwischen beiden ergibt sich aus der unterschiedlichen Auflösung. Das single-scope blending ist durch die vollständige Unterdrückung eines der organizing frames zugunsten des anderen charakterisiert:200 Single-scope networks offer a highly visible type of conceptual clash, since the inputs have different frames. They are cases where the clash is dealt with by giving the overall organizational power of the network to only one of the input spaces, framing input. In the typical case, the framing space has a prebuilt superb compression that is exploited to induce a compression for the focus input. Naturally, then, single-scope networks give us the feeling that ‘one thing’ is giving us insight into ‘another thing,’ with a strong asymmetry between them.201

Dies entspricht in der Lesart von Fauconnier/Turner der Struktur konventioneller Metaphern: „Single-scope networks are the prototype of highly conventional source-target metaphors. The input that provides the organizing frame to the blend, the framing input, is often called the ‘source’. The input that is the focus of understanding, the focus input, is often called the ‘target’.“202 Die im Fokus der Theorie stehende kreative Metaphorik, die im Kontext der CMT kaum Beachtung fand, wird dagegen unter anderem mit dem Mechanismus des double-scope blendings erklärt. Dabei steuern beide input spaces inkompatible Elemente zu einem grundsätzlich neuen, dritten Element im blended space bei, die innerhalb des blended space neu organisiert und zusammengesetzt werden.

199 Ebd., S. 115. 200 „A single scope network has two input spaces with different organizing frames one of which is projected to organize the blend.“ (Gilles Fauconnier/Mark Turner: The Way we Think, S. 126). 201 Ebd., S. 129. 202 Ebd., S. 127.

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Entscheidend für das kreative Moment ist die im double-scope blending mögliche Entstehung von emergent structures, die aus der Neuorganisierung der Elemente der input spaces hervorgehen. A double-scope network has inputs with different (and often clashing) organizing frames as well as an organizing frame for the blend that includes parts of each of those frames and has emergent structures of its own. In such networks, both organizing frames make central contributions to the blend and their sharp differences offer the possibility of rich clashes.203

Die zentrale Rolle, die den frames bei der Charakterisierung metaphorischer blends zukommt, ruft unweigerlich die systematische Problematik wieder auf den Plan, die eingangs bei der Beschreibung der Konstitution der mental spaces skizziert wurde: die Schwierigkeiten bei der genauen Bestimmung des frames in Abgrenzung zum Inhalt des mental spaces. Mit anderen Worten: Welche Informationen der inputs gelten als Struktur, welche als Inhalt?204 Die Analysen der blending-Theoretiker geben auf diese Frage anhand ihrer Beispiele stets eindeutige Antworten  – die jedoch zunächst nur für die eine, von ihnen angenommene Interpretation der Metapher gültig sind. Vera Stadelmann formuliert diesen Kritikpunkt zugespitzt: The same applies to simplex blends as proposed by Fauconnier & Turner (2002), which are thought of as bringing together unframed elements with framed spaces. How can elements lacking a frame constitute a fully-blown mental space? After all, other authors assume that Mental Spaces contain entire domains of knowledge, such as Dancygiers (2008) story worlds. What is it, then, that all of these alleged Mental Spaces have in common? […] All in all, it seems that first generation MSCI analysts largely follow their intuition alone when attempting to depict the content of Mental Spaces.205

203 Ebd., S. 131. 204 Als Beispiele für pragmatische Lösungen dieser Frage in der literaturwissenschaftlichen Anwendung der Blending Theory lassen sich die bereits diskutierte Arbeit von Christobál Canovás sowie verschiedene Arbeiten von Monika Fludernik zur Blending Theory betrachten. (Vgl. z. B. Monika Fludernik: Naturalizing the Unnatural. A View from Blending Theory. In: Journal of Literary Semantics 39:1 (2010), S. 1–27). In beiden Fällen werden Inhalte gesetzt und die charakteristischen Funktionsweisen des blendings  – Bedeutungsstiftung durch Elementselektion und emergente Strukturen – zur Erklärung komplexer kultureller Phänomene genutzt. Beiden ist darüber hinaus gemeinsam, dass mithilfe des blending-Modells vor allem eine alternative Erklärung geboten und kein neues Phänomen beschrieben und erklärt wird. 205 Vera Stadelmann: Language, Cognition, Interaction, S. 32. Das Problem einer trennscharfen Unterscheidung und Festlegung von Innen und Außen, die sich für die blending-Theoretiker als bisher nicht festschreibbar erwiesen hat, erinnert in ihrer Struktur an das von Theoretikern der Dekonstruktion (Deleuze) beschriebene Phänomen der Falte oder des Rhizomes, mit dem Unterschied dass im letzteren Fall die Unentschiedenheit dieser Struktur zu einem entscheidenden theoretischen Mehrwert gewendet wird.

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Der Kritikpunkt der intuitiven Zuschreibung scheint für die sich selbst als empirische Wissenschaftler betrachtenden blending-Theoretiker besonders schwerwiegend.206 Für die Literaturwissenschaft scheint der zweite Teil der Kritik mindestens ebenso problematisch: die fehlende Differenzierbarkeit verschiedenster Phänomene innerhalb des blending-Systems. Auch wenn, wie Fauconnier/Turner argumentieren, die grundlegenden kognitiven Prozesse immer dieselben sind, treten doch auf Ebene der mentalen Phänomene heuristische Differenzen zutage, die im Rahmen der Blending Theory nicht fassbar sind: „It thus seems as though issues of qualia are accepted as being on par with semantic structure, once again leaving open the question as to what Mental Spaces really ‘contain’, and which benefits arise from employing a single term for phenomena as varied as colour perception and complex numbers.“207 Die problematischen Implikationen dieser Aspekte der Blending Theory für die Literaturwissenschaft lassen sich anhand des monk riddles208 und seiner Erklärung auf Grundlage des blending-Modells aufzeigen. Die Erklärung von Fauconnier/Turner versteht sich selbst als Beschreibung des kognitiven Prozesses, der zur Lösung dieses Rätsels führt. Bemerkenswerterweise wird die Lösung des Rätsels, die als Illustration und Beleg für unsere grundlegendste kognitive Aktivität angenommen wird, im empirischen Versuch nur von einem Bruchteil der Personen gefunden, wenn das Rätsel in Textform präsentiert wird.209 Dies

206 Es sei an dieser Stelle festgehalten, dass zumindest Fauconnier/Turner als Leitfiguren der Blending Theory diese hinsichtlich der Beweisführung gern in die Tradition der Evolutionstheorie stellen und entsprechend experimenteller Empirie eine eher untergeordnete Funktion zuweisen. „Because blending depends crucially, not just incidentally on the richness of the conceptual world, we can investigate its principles only by investigating the meanings that people actually do construct in real situations. Nature’s giant laboratory of blending produces ads in magazines, hyperbolic geometry, grammatical constructions, counterfactual arguments […], and many other inventions. Just as Darwin found the Galapagos Archipelago a useful real-world laboratory, precisely because it was isolated and strange, so we often go to something that looks exotic but is no less fully part of the human world, in order to investigate the principles and parameters of blending. And just as the evolutionary biologist or the chemist can contrive an experiment within nature, so we can do the same by asking human beings to do something, understand something, solve something, and so on, and watching, what they actually do under those circumstances.“ (Gilles Fauconnier/Mark Turner: The Way we Think, S. 131). Diese methodologische Skizze erweist sich im Anschluss an psycholinguistische Methodologie als problematisch (vgl. FN 17 in diesem Kapitel). 207 Vera Stadelmann: Language, Cognition, Interaction. 208 Vgl. FN 10 in diesem Kapitel. 209 Vgl. Dušan Stamenković: The Effects of Animated Visual Stimuli on the Process of Conceptual Blending in Riddle Solving. In: Facta Universitatis. Series: Linguistics & Literature 13:1 (2015), S. 11–19.

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wirft die Frage auf, wie weit die von der Blending Theory behauptete Universalität, Automatizität und Unausweichlichkeit dieser Prozesse in konkreten Situationen tatsächlich reicht. Offensichtlich begegnen wir regelmäßig Fällen des Nicht- oder Anders-Verstehens. Das blending-Modell scheint hier eher eine Illustration für das Erreichen der ‚korrekten‘, aber empirisch unwahrscheinlichen Lösung darzustellen, als einen Standardprozess der Verarbeitung des Rätsels und der entsprechenden Verstehensleistung zu entwerfen. Daraus ließe sich schließen, dass die Existenz des monk riddles inklusive Lösung zwar als Beleg für die grundsätzliche Fähigkeit zum double-scope blending mit den beschriebenen Resultaten gelten kann, gleichzeitig aber die niedrige Wahrscheinlichkeit mit der das Rätsel ‚korrekt‘ gelöst wird gegen ein Verständnis des double-scope bledings als allgegenwärtigen, mühelosen Automatismus spricht. Mit Blick auf metaphorische Formulierungen und ihre charakteristische Ambiguität spitzt sich dieses theoretische Problem zu: Alternative Lesarten wären dadurch charakterisiert, andere Elemente als strukturgebend zu favorisieren. Es gibt jedoch, wie gezeigt wurde, auf theoretischer Ebene keine klare interne Differenzierung der input spaces, sondern immer erst nach erfolgter Etablierung einer Lesart die Möglichkeit, aus dieser die input spaces entsprechend zu konstruieren. Damit wird dann allerdings nicht die Metapher beschrieben, sondern eine schematische Illustration für eine ihrer möglichen Lesarten vorgelegt. Auch wenn die Existenz von alternativen Lesarten nicht als simple Widerlegung der Blending Theory gelten kann,210 zeichnet sich doch an dieser Stelle bereits die problematische Frage nach dem Erklärungswert der Theorie im Rahmen der Literaturwissenschaft ab. Der formale Schematismus der einzelnen blending-

210 Fauconnier/Turner betonen die Unvorhersagbarkeit einzelner, konkreter blending-Resultate. Gleichzeitig unterstreichen sie jedoch die Vorhersagekraft ihrer Theorie für die Ebene allgemeiner Beschränkungen möglicher blends. Statt das Eintreten einer bestimmten Lösung vorherzusagen, betrachtet die Theorie damit das Ausbleiben bestimmter, gegen ihre Grundprinzipien verstoßender blends als Bestätigung. (Vgl. Gilles Fauconnier/Mark Turner: The Way we Think, S. 147).

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Modelle kann als ex post Erklärungsmodell zum Beispiel für aufgefundene Textphänomene dienen, diese stehen jedoch lediglich in einem kontingenten Verhältnis zu den Mechanismen der Erklärung.211 Schwerwiegender scheint jedoch, dass die Blending Theory auch keine Parameter oder Kriterien zur Identifikation und Beschreibung distinkter Textphänomene bietet, auf die der Erklärungsmechanismus der Theorie angewendet werden kann. In der Identifikation der Metapher mit spezifischen Formen des blendingProzesses statt mit Textphänomenen im Zuge der grundlegenden Wende von der Textbeschreibung zur Kognitionsbeschreibung geht der deskriptive Wert des Begriffs ‚Metapher‘ für die Textbeschreibung verloren. Fauconnier/Turner weisen wiederholt – und zu Recht – darauf hin, dass die Auflösung einer Metapher in ihre blending-Strukturen in der Regel zu hochkomplexen Netzwerken führt212 und dass mithin praktisch an jeder linguistisch manifesten Metapher eine Vielzahl unterschiedlicher blending-Schritte beteiligt sind, von denen nicht alle metaphorische blends sind. Unklar bleibt dabei, welche konkrete Struktur auf der Basis des blending-Modells auf der linguistischen Ebene eine identifizierbare Metapher charakterisiert. Dies scheint durchaus programmatisch für den blending-Ansatz, dessen Ziel die Erklärung von „diversity of products from unity of process“213 ist. Der Nachweis der Einheit des Prozesses führt dabei unweigerlich zum wiederholten Beleg, dass in der blending-Analyse linguistische Phänomene, die traditionell entsprechend ihrer Charakteristika in unterschiedliche Gruppen unterteilt werden, undifferenzierbar werden. Dies führt zu einer gegensätzlichen Problematik, die der der CMT komplementär zu sein scheint: Während die CMT aus identifizierbaren linguistischen Phänomenen über eine Eins-zu-eins-Relation auf spezifische kognitive beziehungsweise im Fall der Neural Theory of Metaphor214 auf neuronale Korrelate schließen will, bietet die Blending Theory für formal undifferenzierte linguistische Phänomene ein universales kognitives Erklärungsmodell. Der mit dem hohen Abstraktionsgrad der Theorie einhergehende Formalismus ihres Erklärungsmodells scheint für das Erkenntnisinteresse der blending-Theoretiker zunächst weniger problematisch, erlaubt er doch eine breite Anwendung

211 Vgl. für eine ähnlich Kritik aus der Perspektive der kognitiven Linguistik Raymond W. Gibbs Jr.: Making Good Psychology out of Blending Theory. In: Cognitive Linguistics 11:3–4 (2000), S. 347–358, bes. S. 350–352. Dieser Aufsatz spiegelt die grundsätzliche Differenz in der Anlage der Blending Theory, die nach dem Empirieverständnis von Fauconnier/Turner eben nicht in erster Linie auf experimentelle Beweisführung setzt. (Vgl. auch FN 35 in diesem Kapitel). 212 Vgl. das Netzwerk für die Variationen der Metapher time is space. (Abb. 4. Gilles Fauconnier/Mark Turner: Rethinking Metaphor, S. 65). 213 Gilles Fauconnier/Mark Turner: The Way we Think, S. 137. 214 Vgl. Kap. 9.2.

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unter anderem auch auf Texte. Im Fall der Möwen ließe sich die Gesamtstruktur des Textes mit der blending-Perspektive ins Auge fassen. Die ersten drei Sätze dieses Textes können – im Verbund mit der Positionsangabe des autodiegetischen Erzählers  – als der notwendige frame betrachtet werden, innerhalb dessen die folgende Beschreibung der Möwen überhaupt erst metaphorische Qualität gewinnen kann. Die Beschreibung von räumlicher Situation und Lichtverhältnissen über Himmelsrichtungen provoziert die Vorstellung der präzisen Position des Erzählers, eine Position, die, so schreibt er, entscheidend für die folgende Perspektivverschiebung ist. Die folgenden ergänzenden Zuschreibungen an die Möwen lassen sich als Inszenierung einer schrittweisen Metaphorisierung im Stile des blendings lesen. Die zunächst homogene Gruppe der Möwen (wie sie sich in einem generic space vorstellen lässt) zerfällt in der ersten Metapher zunächst in zwei Völker: östliche und westliche; linke und rechte. Mit jedem zusätzlichen Adjektiv gewinnen die beiden Gruppen differenzierende Charakteristika. Die erste Dichotomie orientiert sich streng am Vokabular der Himmelsrichtungen vom Beginn der Passage. Die zweite lässt sich bereits sowohl auf räumliche Orientierung als auch auf politische Position und schließlich auch auf die Leserichtung beziehen. Die letzte Dichotomie zwischen hellen und schwarzen Möwen entfaltet sich schließlich erst in den folgenden Sätzen. Die zweite Metaphorisierung kann in der Bezeichnung des ‚Schwingengeflechts als lesbare Zeichen‘ gesehen werden. Hier werden die lebendigen Möwen (der linken Seite) im blending space zusammengeführt mit dem frame des Schriftzeichens. Die Inkongruenzen der beiden frames, die die notwendige Bedingung des metaphorischen blends ausmachen und zum clash führen, ließen sich unter anderem mit belebt/unbelebt – hier kehrt die klassische Kategorie wieder –, aber auch mit natürlich/artifiziell, Sichtbarkeit/Lesbarkeit sowie physische Anwesenheit/Abwesenheit benennen. Die Fusion im neuen metaphorischen blend ergibt lesbare, aber trotzdem lebendige, flüchtige Zeichen – die zeichentheoretischen Implikationen, die sich einer an Jacques Derrida orientierten Perspektive aufdrängen würden, seien hier kurz zurückgestellt. Die rechten Möwen dagegen haben vor der Schwärze des westlichen Himmels nichts Sichtbares und bleiben stumm. Die fundamentale Spaltung der beiden Möwenvölker, so ließe sich bis hierher mit der Blending Theory argumentieren, erfolgt mithin in dem Moment, in dem eines von ihnen in einen neuen metaphorischen blend eingeht, an dem das andere nicht teilhat. Die etappenweise Vorführung dieser Spaltung einer vormals homogenen Gruppe von Vögeln in der Wahrnehmung, zunächst durch räumliche und farbliche Unterscheidung und schließlich durch Metaphorisierung im blending, lässt sich als eine bemerkenswert detaillierte literarische Inszenierung dieses kognitiven Prozesses lesen. Die Rede von einer ‚Inszenierung‘ überschreitet jedoch die theoretische Reichweite und Beschreibungskraft der Blending Theory, die jedes blending

Synkope: Theorie und Methode 

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unterschiedslos als einheitlichen, nicht-introspektierbaren, nicht-bewussten kognitiven Prozess ansieht und auch auf Ebene der Manifestationen von blendingProzessen gezielt nicht differenziert, geht es doch darum, die Omnipräsenz des blendings als einheitliche Grundlage aller Kognition zu begründen. Einer an detaillierter Textbeschreibung orientierten Literaturwissenschaft scheint mit der Verwischung von Differenzierungskategorien dieser Beschreibung zunächst wenig geholfen. Eine einmal identifizierte Metapher kann mithilfe des blending-Modells in der Tat in großer Detailliertheit analysiert werden, worin man bereits einen Mehrwert der Theorie sehen mag. Ein Identifikationsmerkmal für Metaphern auf Ebene der Textphänomene bietet die Blending Theory dagegen nicht, sondern sieht stattdessen die gängigen Differenzierungskategorien als zu oberflächlich an.

9.6 Synkope: Theorie und Methode Das Problem der Methode ist im Rahmen der einzelnen Kapitel immer wieder aufgetaucht und besonders im Zusammenhang der zeitgenössischen Theorien als klärungsbedürftig markiert worden. Auf der Ebene der reinen Theoriediskussion wurde die Anschlussfähigkeit in erster Linie anhand der Kompatibilität der Prämissen und Hypothesen diskutiert. Auf theoretischer Ebene lassen sich die zeitgenössischen Thesen zur Metaphernverarbeitung durchaus direkt mit Thesen auch traditioneller Metapherntheorien in Verbindung bringen. Wenn zum Beispiel die Frage nach dem Gefallen, das bestimmte Metaphern im Gegensatz zu anderen Formulierungen auslösen, mittels eines Bewertungsfragebogens untersucht wird, dann schließt dies an die Heuristik der klassischen Rhetoriker an. Wenn dagegen die nicht-introspektierbaren Prozesse der Sprachverarbeitung, wie Blickbewegungen und Neuronenaktivität, gemessen werden, dann lässt sich eine gedankliche Linie zu Friedrich Nietzsches Überlegungen zu den unbewussten Schlüssen und dem Denken in Tropen ziehen. Dort, wo sich keine direkte Anschlussfähigkeit zeigen ließ, konnte in vielen Fällen für eine Komplementarität der Perspektiven argumentiert werden. Dass dies jedoch keineswegs zu einem völligen theoretischen Relativismus und einem anything goes führt, zeigt sich an der Frage der Verfahren, die an die einzelnen Theorien gekoppelt sind,215 und an den Formen von Evidenz, die durch diese Verfahren produziert werden.

215 Zwar ist das Verhältnis von Theorie zu Methode nicht als eine strenge Abhängigkeit zu denken, doch führen bestimmte theoretische Parameter auch auf methodischer Seite zu unaus-

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 Metapher und Kognition

Diese Formen der Evidenz stehen in direktem Zusammenhang mit der Frage nach der Gültigkeit der epistemologischen Vorannahmen einzelner Theorien, die durch die umgebenden Diskurse legitimiert werden. Die Konfliktlinien, die davon ausgehend auf der methodologischen Ebene hervortreten, folgen der seit dem 19. Jahrhundert bekannten Grenzlinie zwischen Geistes- und Naturwissenschaften, die regelmäßig auf die Dichotomie empirisch/nicht-empirisch verkürzt wird. Obwohl bereits die Breite des Empirie-Begriffs216 diese Dichotomie fragwürdig macht, wird nach diesem Schema in der Regel auch die Debatte zwischen kognitiven und traditionellen Theorien der Metapher geführt.217 Dass die Unterscheidung kognitiv/nicht-kognitiv als Unterscheidung zwischen zeitgenössischen und älteren Theorien kaum zu rechtfertigen ist, sollte die Diskussion der zahlreichen traditionellen Theorien gezeigt haben, die ähnliche Interessensschwerpunkte und Thesen zur Metapher vertreten wie zeitgenössische kognitive Theorien. Abschließend soll nun noch einmal diskutiert werden, wie es um die methodische Ebene und die Frage empirisch/nicht-empirisch bestellt ist. Dazu sei zunächst rekapituliert, auf welche Formen der Empirie sich die zeitgenössischen Theorien konkret berufen und in welchem Verhältnis diese zu den Formen der Empirie in der Literaturwissenschaft stehen. Folgt man der chronologischen Entwicklung, so lässt sich feststellen, dass die Verfahren am Ursprung der CMT zunächst als weitgehend nicht-empirisch qualifiziert werden können, eine Tatsache, die gerade der frühen CMT Kritik eingebracht hat. Die grundlegenden großangelegten holistischen Modelle der CMT und des blendings218 sind in ihrer Gesamtheit ebenso wie die meisten theoretischen Modelle der traditionellen Literaturwissenschaft und auch solche der Linguistik219 zu komplex, um sie im Ganzen empirisch zu belegen. Die empirische Prüfung setzt stets eine Reduktion ihrer allgemeinen Aussagen auf prüfbare Einzelfragen voraus. Gerade

weichlichen Konsequenzen, wie in der folgenden Diskussion der Conceptual Metaphor Theory und der Neural Theory of Metaphor deutlich werden wird. 216 Vgl. für die Bandbreite möglicher Empirieverständnisse in der Literaturwissenschaft Philip Ajouri/Katja Mellmann/Christoph Rauen: Einleitung. In: Empirie in der Literaturwissenschaft. Hrsg. von Philip Ajouri/Katja Mellmann/Christoph Rauen. Münster: Mentis 2013, S. 9–18. 217 Zentrale Kernpunkte dieser umfangreichen Debatte, in der letztlich Bedingungen und Möglichkeiten von Interdisziplinarität grundlegend anhand eines konkreten Falls verhandelt werden, hat Mark Bruhns dankenswerterweise zusammengefasst. Problematisiert werden hier neben der wiederholten Kritik beider Seiten aneinander vor allem die grundsätzlich denkbaren Bewegungsrichtungen des Austausches und die bisher dafür vorliegenden Fallstudien. (Vgl. Mark J. Bruhn: Introduction). 218 Mark Turner vergleicht seine eigene Theorie daher mit der Evolutionstheorie, für die es zwar auch zahlreiche Evidenzen gibt, jedoch keine Möglichkeit eines vollständigen Beweises. 219 Bspw. die griceschen Kommunikationsmaximen.

Synkope: Theorie und Methode 

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im Anfangsstadium basierten die Belege der kognitiven Theorie auf der Analyse von Einzelbeispielen textueller Metaphern.220 Hier lässt sich auf der Ebene der Verfahren zunächst kein Unterschied zu einer traditionellen, textorientierten Literaturwissenschaft feststellen. Die ersten Versuche einer empirischen Untermauerung der Thesen der CMT stützen sich in erster Linie auf Textempirie, was dem Verfahren einen berechtigten Zirkularitätsvorwurf einbrachte,221 jedoch gleichzeitig eine methodische Kompatibilität mit literaturwissenschaftlichen Verfahren bedeutet. Textempirie zur Beschreibung textueller Strukturen kann auch als ein typisches Verfahren strukturalistischer Literaturwissenschaft betrachtet werden. Von den verschiedenen Theorien, die in dieser Arbeit in der Folge der CMT diskutiert wurden, bedient sich ein Großteil222 nach wie vor in erster Linie textempirischer Verfahren zur Untermauerung der eigenen Thesen. Insofern sind auch diese Theorien methodisch kompatibel mit einer Verfahrensweise der klassischen Literaturwissenschaft, nämlich der Beschreibung von Textstrukturen. Bis zu diesem Punkt scheint das Kriterium empirisch/nicht-empirisch also kein Ausschlusskriterium für literaturwissenschaftliche Anwendbarkeit zu sein. Die Verfahren und Befunde zum Beispiel der frühen CMT, aber auch einiger ihrer jüngeren Entwicklungen wie Zoltán Kövecses’ Modell der kognitiven Metapher im kulturellen Kontext, sind mithin sowohl theoretisch als auch methodisch mit traditionellen, literaturwissenschaftlichen Fragestellungen kompatibel. Die umfangreiche textempirische Detailarbeit, die in diesen Bereichen bereits geleistet wurde, kann für einzelne konkrete Fragestellungen durchaus eine nützliche Basis darstellen. Die Grenze der Kompatibilität scheint dagegen dort erreicht zu sein, wo die Textempirie zugunsten experimenteller Verfahren aufgegebenen wird, die nicht mehr auf Charakteristika des Textes ausgerichtet sind, sondern stattdessen auf die Beschreibung des Verarbeitungsprozesses des empirischen Rezipienten (und zumindest hypothetisch auch des Produzenten) zielen. Die für die traditionelle Literaturwissenschaft kritische Grenzlinie scheint mithin dort zu verlaufen, wo die Verfahren und nicht nur die Theorie in erster Linie auf Rezipienten und Produzenten, auf die Effekte von Metaphern im Prozess der Produktion und Sprachverarbeitung ausgerichtet sind statt auf die Untersuchung von Metaphern als Text-

220 Dieses Verfahren findet sich in erster Linie im Initiationstext Metaphors We Live By von George Lakoff und Mark Johnson. 221 Vgl. für eine Darstellung des Zirkularitätsvorwurfs und seine Diskussion András Kertész/ Csilla Rákosi: Cyclic vs. circular argumentation in the Conceptual Metaphor Theory. In: Cognitive Linguistics 20:4 (2009). 222 Deliberate Metaphor Theory nach Gerard Steen, Zoltán Kövecses’ Version der Conceptual Metaphor Theory sowie die Blending Theory.

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 Metapher und Kognition

oder Diskursphänomene.223 Theoretische Vorüberlegungen zu solchen Fragen finden sich nichtsdestotrotz bereits bei den klassisch lateinischen Rhetorikern, aber auch bei Giambattista Vico und Friedrich Nietzsche. Das Feld der Fragen und Antwortverfahren einer traditionellen Literaturwissenschaft wird erst mit experimentell-empirischen Verfahren in Richtung der empirischen Literaturwissenschaft verlassen, keineswegs mit den grundsätzlichen Thesen über Rezipienten und Produzenten in der Interaktion mit Texten. Innerhalb der Erforschung von Verarbeitungsprozessen unterscheiden sich noch einmal diejenigen Verfahren, bei denen der Prozess auf für den Probanden introspektierbarer Ebene224 untersucht wird, grundsätzlich von solchen, bei denen stattdessen die nicht-introspektierbare Ebene225 im Fokus steht. Der Zusammenhang zwischen den Befunden der introspektierbaren und nichtintrospektierbaren Zugänge kann bislang höchstens als indirekt charakterisiert werden; Schlüsse von der einen auf die andere Ebene lassen sich daher nur sehr bedingt ziehen. Ebenso schwierig gestalteten sich nach wie vor die Schlussfolgerungen von der Beschreibung von Textcharakteristika auf Rezeptionsprozesse. Aus dem Vorliegen bestimmter Textphänomene direkt auf bestimmte nichtintrospektierbare Prozesse zu schließen, scheint durch die bisherige Forschungslage keineswegs legitimiert, auch wenn die Referenz auf empirische Studien zu bestimmten Textphänomenen gelegentlich wie eine willkommene empirische Untermauerung literaturwissenschaftlicher Arbeit erscheinen mag. Im Gegenteil scheint ein methodischer Eklektizismus mehr noch als ein theoretischer problematisch, da die wenigsten Ergebnisse empirischer Einzelstudien ohne Weiteres für eine Klasse von Textphänomenen verallgemeinerbar sind. Mit der tatsächlichen experimentellen Erforschung der Metapher als neuronalem Phänomen zum Beispiel durch bildgebende Verfahren wird ein neuer epis-

223 Die kognitive Linguistik unterscheidet klassischerweise zwischen Verwendungs- und Verarbeitungsdaten (vgl. z. B. die Gliederung in Monica Gonzalez-Marquez (Hrsg.): Methods in cognitive linguistics. Amsterdam/Philadelphia: Benjamins 2007, die dieser Unterscheidung folgt). Der Unterschied zwischen den Gegenständen, die die Literaturwissenschaft als Text diskutiert und denen, auf deren Basis die Linguistik Verwendungsdaten erhebt, ist an dieser Stelle zunächst nebensächlich; entscheidend ist ihre gemeinsame Qualität als sprachlich-manifeste Äußerung mit mehr oder weniger großer Distanz zu einem genuinen pragmatischen Kontext. 224 Hierzu gehören alle Formen von Bewertungsabfragen hinsichtlich bestimmter Kriterien und Paraphrasierungs- oder Ergänzungsaufgaben an vorgelegtem Textmaterial. 225 Hier stehen EEG und fMRI-Studien sowie Eye-Tracking und Lesezeitmessungen im Zentrum. Die Unterscheidung der kognitiven Linguistik zwischen EEG und fMRI als neuronalen und Eye-Tracking als behavioralen Methoden scheinen für die hier geführte Diskussion vernachlässigbar.

Synkope: Theorie und Methode 

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temischer Gegenstand226 geschaffen. Die methodischen Möglichkeiten und ihr Einsatz transformieren damit das untersuchte Phänomen in mindestens ebenso erheblicher Weise, wie es bereits für die Theorien und ihre Perspektivierungsleistung gezeigt wurde. Während die theoretischen Vorannahmen jedoch in erster Linie ein Spektrum an Fragen eröffnen, folgen die methodischen Konsequenzen im Versuch, einige dieser Fragen zu beantworten. Auf Ebene der Theorien scheint die Folge eines Austauschs also die Eröffnung neuer Fragestellungen, wie bereits an verschiedenen Stellen demonstriert wurde. Auf methodischer Ebene scheint ein Austausch dagegen zwangsläufig eine Anpassung der Fragestellungen zur Folge zu haben. Dieser Punkt ist in der Vergangenheit wiederholt als problematisch beurteilt worden, da hier die Gefahr eines intellektuellen Konformismus durch die Reduktion der legitimen Fragestellungen auf den Bereich der empirisch prüfbaren gesehen wird.227 Fragen nach Sinn- und Bedeutungspotenzial von Texten, nach ästhetischen Qualitäten und Funktionen, aber auch notwendige kritische Fragen nach der Funktion von Sprache und Texten für die Konstruktion des empirisch Prüfbaren, die derzeit zum Repertoire der Literaturwissenschaft gehören, werden auf diese Weise ausgeklammert. An dieser Stelle erscheint daher eine klare Abgrenzung der traditionellen Literaturwissenschaft, verstanden als Insistenz auf die Legitimität der eigenen Fragestellungen, als legitim, gerechtfertigt und notwendig. Ebenso wie erst über verschiedene theoretische Perspektiven die unterschiedlichen Dimensionen des Phänomens Metapher fassbar werden, scheinen auch unterschiedliche Fragestellungen und verschiedene Verfahren zu ihrer Beantwortung zu seiner weiteren Erforschung notwendig. In der Tat bringen sowohl experimentelle als auch nicht-experimentelle Verfahren ihre je eigenen Vorteile und Grenzen mit sich. Eine traditionelle Literaturwissenschaft, die sich auf das Was des Verstehens konzentriert, wird sich immer vor der Herausforderung sehen, dieses Was in irgendeiner, in der Regel wieder sprachlichen Weise zu explizieren und zu diskutieren. Die Grenze der Methode scheint mit der derridaschen Diagnose erreicht, dass das Reden über Metaphern stets in Metaphern erfolgen muss. Die empirische Literaturwissenschaft nimmt das Was dagegen als bereits gesetzt an und konzentriert sich auf eine Verfolgung der Verarbeitungsprozesse, wobei gerade in der neueren Forschung die sprachliche Ebene zur Beschreibung der Metapher bspw. mit bildgebenden Verfahren verlassen wird. Indem die Verarbeitungsprozesse auf

226 Vgl. Begriff nach Rheinberger Kap. 9.1., FN 4. 227 Vgl. hier die fundamental kritische Position von Hans Adler/Susanne Gross: Adjusting the Frame. Comments on Cognitivism and Literature. In: Poetics Today 23:2 (2002), S. 195–220.

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 Metapher und Kognition

neuronaler Ebene anhand von Blickbewegungen oder elektrischer Aktivierung im Gehirn verfolgt werden, scheint das Problem des Sprechens über Sprache suspendiert. An die Stelle der Erklärung tritt die Funktion. Dieser methodische Sieg über die Zwänge der Sprache ist jedoch trügerisch. Auch die empirische Forschung setzt stets auf einer vorgängigen Auseinandersetzung mit sprachlichem Material auf, zum Beispiel der bereits mehrfach angesprochenen Identifikation von sprachlichen Elementen als Metaphern. Die Sprache ist auch für die experimentell-empirischen Ansätze immer beides: Explanandum und bis zu einem gewissen Punkt Mittel der Erforschung. Das zentrale methodische Problem, das aus den empirisch orientierten Theorien der Metapher folgt, ist meines Erachtens jedoch die mit dem Verständlichkeits-Paradigma verknüpfte Konzentration auf synchrone Kommunikationskontexte, die gänzlich andere Verfahren ermöglichen als Untersuchungen historischer Gegenstände. Die oben bereits aufgezählten experimentell-empirischen Verfahren, mit deren Hilfe Evidenzen für bestimmte zeitgenössische Theorien der Metapher gesammelt werden können, sind immer nur in einer synchronen Auseinandersetzung mit einem sprachlichen Stimulus zu untersuchen. Historische Gegenstände können hier maximal in Form des Stimulus eine Rolle spielen, ihre spezifische historische Dimension wird dabei aber suspendiert. Das gänzliche Ausblenden der diachronen Dimension von Texten, das der Einsatz experimenteller Methoden zwangsläufig mit sich bringen muss, stellt in meinen Augen eine fundamentale Schwäche dieser Verfahren dar.

10 Fine 10.1 Resümee Der bis hierher gebotene Durchgang durch die metapherntheoretischen Diskurse sollte gezeigt haben, dass die Theoriebildung in ihrer historischen Entwicklung auf begründete Weise zu sehr unterschiedlichen Einordnungen der Metapher gelangt. Verschiebungen und Brüche sind damit ein genuines Element der Theoriegeschichte und keineswegs ein singuläres Phänomen, durch das sich die jüngere Theoriebildung von der älteren absetzen würde. Die Unterschiede zwischen den Einzeltheorien erweisen sich als in hohem Maße durch die geistesgeschichtlichen Kontexte der jeweiligen Theorien motiviert. Durch die Skizzierung dieser Kontexte wurde die große Bedeutung basaler (sprach-)philosophischer Vorannahmen über das Verhältnis zwischen Sprache, Welt, Denken und Wahrnehmung für die Formulierung einer konkreten Metapherntheorie deutlich. Diese Bandbreite der (sprach-)philosophischen Vorannahmen spiegelt unterschiedliche mögliche Zugänge zum komplexen Phänomen Sprache wieder, die die einzelnen Theorien der Metapher in ihren Ausrichtungen prägen. Mit dem Terminus Metapher, so ließe sich pointieren, stecken die Autoren bevorzugt den Bereich ab, der zunächst in Abgrenzung zur regulären, in einer jeweiligen Sprachphilosophie erklärten sprachlichen Funktionen gesehen wird. Indem der Bereich umrissen und benannt wird, wird er auch, zumindest formal, wieder theoretisch einholbar beziehungsweise bearbeitbar. Wie unterschiedlich die damit umrissenen Phänomene sind, sollte am deutlichsten anhand der den Kapiteln vorangestellten paradigmatischen Metaphern der jeweiligen Autoren zu sehen gewesen sein. Diese lassen sich als illustrative Indizien dafür lesen, wie Sprach- und Textphänomene historischen Variationen unterliegen und innerhalb eines historischen Momentes immer im Zusammenhang verschiedener Verwendungskontexte auftreten, die bestimmte Formen gegenüber anderen privilegieren. Anhand dieser Beispiele lässt sich erahnen, wie divers das Spektrum möglicher Beispiele für Metaphern ist. Die Vielfalt der Theorien mit ihren jeweiligen Beispielen scheint mit einem Mal eine logische Folge des komplexen Phänomens. Der Durchgang durch die Theorien sollte dabei auch dies deutlich gezeigt haben: Jede Theorie nimmt eine bestimmte Form von Textmaterial und Verwendungskontext in den Fokus. Eine Theorie wäre mithin entscheidend geprägt von den sprachlichen Strukturen und Texten, aus denen sie hervorgeht und maßgeblich geleitet von den Beispielen, deren Erklärung sie anstrebt. Dass auch unter Theoretikern keineswegs Konsens über die konkreten Beispiele für Metaphern herrscht, scheint bislang auf metatheoretischer Ebene https://doi.org/10.1515/9783110585353-010

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vergleichsweise wenig reflektiert worden zu sein,1 was angesichts der großen praktischen Konsequenzen dieser Frage überrascht. Die Anordnung der Theorien entlang historischer Fluchtlinien offenbart zudem, dass auch die Theorien der Metapher gleichsam mit einem historischen Index versehen sind – von ihren aristotelischen Wurzeln bis zu den zeitgenössischen Theorien. Die Geschichte der Metapherntheorien, das sollte deutlich geworden sein, ist von Konjunkturen einzelner thematischer Aspekte der Metapher, Brüchen in der Frageperspektive, dem Auftauchen und gelegentlich auch dem Verschwinden von legitimen Sinnhorizonten und epistemischen Voraussetzungen geprägt. Jede Theorie der Metapher ist damit auch gleichzeitig ein historischer Gegenstand; ihre Gültigkeit von den epistemologischen Rahmenbedingungen abhängig. Da diese innerhalb verschiedener Diskurse durchaus unterschiedlich sein können, können auch verschiedene Theorien innerhalb benachbarter Diskurse koexistieren. Insofern scheinen auch die neuesten theoretischen Entwicklungen trotz ihrer teilweise revolutionären Rhetorik auf theoretischer Ebene zunächst keineswegs ein Sonderfall zu sein. Im Gegenteil stehen sie in einer langen Tradition von metapherntheoretischen Umbrüchen. Als dritter Befund lässt sich verzeichnen, dass die Vielzahl der Metapherntheorien erst über den Weg von Adaptionen für die Literaturwissenschaft operationalisierbar ist – auch hier scheinen die zeitgenössischen Theorien keinen Sonderfall darzustellen. Insofern scheint im Umgang mit ihnen auf theoretischer Ebene zunächst eine intensive Auseinandersetzung sinnvoll, wie sie hier durchgeführt wurde. Die heikle Frage nach den methodischen Konsequenzen, die einige dieser Theorien in ihrer ursprünglichen Form nahelegen, wurde dabei schon an einigen Punkten angesprochen und soll nun in der Abschlussdiskussion vertieft werden. Zuvor sollen jedoch noch einmal die bislang nur kursorisch mit Blick auf die Einzeltheorien verhandelten Konsequenzen der Theorienvielfalt für die Auseinandersetzung mit literarischen Texten auf den Punkt gebracht werden, um an diesem Beispiel die Konsequenzen der Theorie für die Praxis zu diskutieren. Dazu sei exemplarisch noch einmal ein kurzer Ausschnitt aus Walter Benjamins Text aufgegriffen, um zu illustrieren, welche Phänomene sich auf der Ebene

1 Nicht berücksichtigt werden hier die zahlreichen Fälle, in denen ein Autor verschiedene Theorien oder Theoriegruppen nur listet und ihre Mängel analysiert, um dann dagegen seine Theorie in Stellung zu bringen, da solchen Ausführungen die Vorstellung zugrunde liegt, es könnte eine abschließende Theorie der Metapher das Phänomen in allen Facetten erfassen. Ausnahmen stellen Harald Weinrich und Paul Ricoeur dar, die eine echte Auseinandersetzung über die Leistungsfähigkeit der einzelnen Theorien führen.

Resümee 

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der Identifikation von Metaphern in einem Text mittels unterschiedlicher Theorien markieren lassen: Die Sonne ist längst untergegangen, im Osten ist es sehr dunkel. Das Schiff fährt südwärts. Einige Helle ist im Westen geblieben. Was sich nun an den Vögeln vollzog – oder an mir? – das geschah kraft des Platzes, den ich so beherrschend, so einsam in der Mitte des Achterdecks mir aus Schwermütigkeit gewählt hatte. Mit einem Male gab es zwei Möwenvölker, eines die östlichen, eines die westlichen, linke und rechte, so ganz verschieden, daß der Name Möwen von ihnen abfiel. Die linken Vögel behielten gegen den Grund des erstorbenen Himmels etwas von ihrer Helle, blitzten mit jeder Wendung auf und unter, vertrugen oder mieden sich und schienen nicht aufzuhören, eine ununterbrochene, unabsehbare Folge von Zeichen, ein ganzes, unsäglich veränderliches, flüchtiges Schwingengeflecht – aber ein lesbares – vor mich hinzuweben.2

Nimmt man zuerst eine Perspektive ein, die die Metapher auf Ebene einzelner Worte sucht, so ließe sich hier die ‚Schwermut‘ – für die Conceptual Metaphor Theory (CMT) ein klarer Fall der basic metaphor bad is down – als Metapher identifizieren, deren physiologisch motiviertes Pendant wohl in der ‚Hochmütigkeit‘ zu suchen wäre. Die angenommene metaphorische Übertragung wäre entsprechend der CMT hier die physiologische Erfahrung einer Korrelation von gut und oben beziehungsweise schlecht und unten. Für die beiden lexikalisierten Ausdrücke lassen sich mit hoher Wahrscheinlichkeit auch vergleichsweise häufige Verwendungen in der alltäglichen Sprachverwendung nachweisen, wobei hier auch ein historischer Index zu berücksichtigen wäre. Damit fiele die ‚Schwermütigkeit‘ in diesem Text in die Kategorie der Hintergrundmetaphorik, die hier auch zusammenfällt mit einem non-deliberate use der Metapher. Die lexikalisierte Metapher wird nicht durch umgebende sprachliche Marker in der direkten Umgebung hervorgehoben und auf den ersten Blick auch nicht als semantische Störung wahrgenommen. Weitet man die Perspektive auf den Gesamttext aus, ließe sich diskutieren, ob man in der eingangs entwickelten Perspektivierung der Position des Erzählers entlang der senkrechten Blickachse des Mastes latente Marker für diese Metapher als Metapher sehen kann. Akzeptiert man diese Überlegung, dann könnte man von dieser Stelle ausgehend über die Möglichkeiten des gezielten Einsatzes alltäglicher basic metaphors in literarischen Texten nachdenken und damit ein weiteres Stratum lebensweltlicher Kondensate in Literatur sichtbar machen. Ebenfalls als transparente Hintergrundmetapher ist sicher die ‚untergegangene Sonne‘ zu markieren. Anders als die ‚Schwermut‘, ruft diese Formulierung zu ihrer Auswertung jedoch die metapherntheoretischen Parameter der blumenbergschen Metaphorologie auf den Plan. Mit dieser kann hier eine gleichsam

2 Walter Benjamin: Denkbilder, S. 51–52.

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transparente Hintergrundmetapher identifiziert werden, die ihre Hintergründe in historisch konkreten Erfahrungskontexten hat, die in der Sprache wider besseres Wissen überdauern. Die menschlichen Sinne beobachten das Sinken der Sonne seit Jahrtausenden, die Sprache konserviert entsprechend das passende Bild, das jedes Mal aufs Neue der konkreten Wahrnehmung angemessen scheint und keinen Widerspruch hervorruft. Das rein abstrakte neuzeitliche Wissen, dass die Sonne strenggenommen selbstverständlich nicht untergeht, erweist sich gegen diese Koalition aus Wahrnehmung und Sprachkonvention als machtlos. Alternative Formulierungen, um die Abwesenheit der Sonne zu indizieren, hätte es sicher gegeben, die Sprache scheint uns jedoch dieses Bild ‚vorauszudenken‘, es uns – und Benjamin – in den Mund zu legen, wie sich mit Blumenberg sagen ließe. Die spannende Frage aus blumenbergscher Sicht wäre hier, ob sich die im Einzelfall offenbar veränderungsresistente Metapher der ‚untergehenden Sonne‘ auch auf einer breiteren historischen Basis als absolut erweist oder ob sich an bestimmten Punkten Brüche, zum Beispiel in Form von Ersetzungen durch andere Metaphern, zeigen. Als Gegensatz zur ‚Schwermut‘ und zum ‚Sonnenuntergang‘ können sicherlich die ‚Möwenvölker‘ betrachtet werden, ein Kompositum, dessen Häufigkeit mit höchster Wahrscheinlichkeit deutlich hinter der der anderen beiden zurückbleiben dürfte. Mit Aristoteles ließe sich hier eine Übertragung von der Art auf die Art ausmachen, von den Möwen am Himmel auf Menschen, durch die im besten Fall eine Einsicht in deren Wesenheit transportiert wird. Was an den Vögeln am Himmel sichtbar wird, ist die teils aggressive Interaktion und Kommunikation zwischen Artgenossen, die aufgrund oberflächlicher Charakteristika – hier die Farben schwarz und weiß – für den Moment klar verschieden erscheinen. Diese augenscheinliche Verschiedenheit macht fast ihre enge Verwandtschaft ob der Differenz vergessen. Die Zugehörigkeit zu einem der beiden Möwenvölker beziehungsweise zu einem Volk überblendet durch die flüchtigen, doch dominanten Unterscheidungsmerkmale in der Erscheinung die wesenhafte Ähnlichkeit der Möwen beziehungsweise Menschen untereinander. Auch mit Max Black ließe sich diese Metapher als eine identifizieren, in der die zwei Komponenten, die zwei systems of associated commonplaces in einem Kompositum verbunden sind. Von Gewicht sind in diesem Modell jedoch nicht mehr die Wesenheiten von Menschen und Möwen, sondern die associated commonplaces von ‚Möwe‘ und ‚Volk‘ und damit das, was wir typischerweise mit diesen beiden Begriffen verbinden. Gerade die deutlich anthropomorphen Aspekte, die mit dem Begriff des Volkes assoziiert sein könnten, würden in der blackschen Lesart jedoch in den Hintergrund treten, weil in der Interaktion ähnliche Elemente hervorgehoben, differierende dagegen unterdrückt werden. In dem Kompositum ‚Möwenvölker‘ beziehungsweise dem Wort ‚-volk‘ mag man mit Harald Weinrich auch das erste Wort identifizieren, das in Möwen in

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einem konterdeterminierten Kontext erscheint, der zumindest in der ersten Hälfte des Kompositums, bei entsprechender Weitung der Perspektive jedoch im ganzen Text besteht. Mit Monroe C. Beardsley lässt sich hier analog die erste self-contradictory attribution identifizieren. Die Inkompatibilität der designation zwischen ‚Möwe‘ und ‚Volk‘ läge hier in der Kategorisierung nach Tier und Mensch, wodurch eine Suche nach sinnstiftenden Elementen in den peripheren Konnotationen notwendig wird. Als periphere, vereinigende Merkmale könnte man hier zum Beispiel über lautstarkes, abgrenzendes Verhalten gegenüber Artgenossen nachdenken – ein Verhalten, das zumindest mit Blick auf die Möwen zu Beginn des Textabschnittes bereits angedeutet wird. An dieser Stelle der Argumentation wird auch deutlich, warum eine Beschränkung auf die Wortebene für den literaturwissenschaftlich-hermeneutischen Versuch einer Bearbeitung des Gesamttextes zwar notwendig, aber nicht hinreichend ist. Eine ernst gemeinte Analyse der Passage im Stile Beardsleys käme zudem nicht umhin, die Suche nach solchen Konnotationen auch jenseits der Assoziationen eines einzelnen Lesers zu betreiben und systematisch zum Beispiel auf Wörterbücher und Lexika sowohl der Gegenwart als auch der Zeit Benjamins auszudehnen. Zumindest hinsichtlich des Terminus ‚Volk‘ ist hier von deutlich unterschiedlichen Befunden in den Quellen verschiedener Epochen auszugehen. Nimmt man weiterhin das Widerspruchsprinzip zum Markstein der Metapher, so wird auch die Metapher des ‚lesbaren Schwingengeflechts‘ identifizierbar,3 womit die reine Wortebene zugunsten der Proposition überschritten ist. Sicherlich ist auch diese zweite metaphorische Anverwandlung der Möwen mit der aristotelischen Übertragungslogik oder dem blackschen Interaktionsmodell zu erläutern, sie scheint sich jedoch keineswegs in bildlogischer Konsequenz aus der vorangegangenen Metapher der ‚Möwenvölker‘ zu ergeben, geschweige denn durch eines der wahrnehmungssystematischen Argumente der CMT begründen zu lassen. Aus diesen theoretischen Perspektiven heraus lässt sich also sehr wohl die einzelne Metapher fassen und eventuell auch erläutern, sie bleibt jedoch als isolierte Sinneinheit neben anderen stehen. Sie scheint dagegen in direktem Zusammenhang mit der Formulierung zu stehen, dass der Name Möwe von den zwei verschiedenen Vogelvölkern ‚abfällt‘. Während mit CMT und Blending Theory hier jedoch lediglich ein weiteres Beispiel der metaphorischen Regel vorliegt, nach der abstrakte Entitäten als physische Entitäten behandelt werden, lässt sich

3 Mit Harald Weinrich selbst ließe sich dies als Paradebeispiel der Aktualisierung des Bildfeldes vom Text als Gewebe verstehen, die sich seit dem lateinischen Textus-Begriff durch die Sprache zieht. Vgl. entsprechend Gerhard Kurz: Metapher, Allegorie, Symbol, S. 30–37. Vgl. auch Kap. 6.2., FN 53.

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mit Jacques Derrida hier der Moment ausmachen, in dem sich an der Oberfläche des literarischen Textes die metaphorische Dynamik des sprachlichen Systems selbst manifestiert. Die Verbindung zwischen signifiant und signifier erweist sich als labil, die Differenzstruktur der Sprache spiegelt sich in der Spaltung der Elemente des Textes entlang der ordnenden Differenzstruktur weiß/schwarz, die die Basis für das Wechselspiel zwischen den Elementen des Zeichensystems am Himmel darstellt, unter dem das lesende Subjekt sich zum Transferpunkt reduziert. Die entscheidende Einsicht, die die derridasche Perspektive offenzulegen vermag, ist nicht in erster Linie eine Einsicht über Möwen, sondern eine über Zeichen. Weiß und schwarz, in der ersten Lesart auf Basis der Blending Theory zunächst nicht-metaphorische Beschreibungen einer Wahrnehmung, sind in dieser Lesart bereits Teil einer den Text durchziehenden Zeichenmetaphorik. Eine lacansche Lesart könnte von einem ähnlichen Ausgangspunkt ausgehen, wobei hier wohl der Abfall des Namens und die folgende Differenzierung als Indizien für die initiale Ordnungs- und Spaltkraft einer auf dem Differenzierungsprinzip aufbauenden Sprache erscheinen, die sich in die Dinge und Sachverhalte, auf die sie angewandt wird, aber auch in ihre Anwender einschreibt. Das zur Schwelle gewordene Subjekt fügt sich in diese Lesart ein, als Hinweis auf die essenzielle Spaltung des Subjekts, durch die es erst zu einem solchen wird. Das ‚lesbare Schwingengeflecht‘ könnte auch mit Paul Ricoeur als métaphore vive beschrieben werden, einer Metapher also, die eine spezifische Neusicht auf die Welt formuliert. Man mag sogar so weit gehen, den Vollzug dieser metaphorischen Perspektivverschiebung mit Ricoeur zur zentralen Bedeutung dieser Passage zu erklären. Das, was der Erzähler in dieser Passage beschreibt, lässt sich im Grunde als der paradigmatische Prozess der metaphorischen Perspektivverschiebung in einer Hermeneutik der umgebenden Phänomene der Welt verstehen. Die Perspektivverschiebung von einer Wahrnehmung der Möwen als Möwen und der Möwen als ‚lesbares Schwingengeflecht‘ manifestiert sich für den Leser wahrnehmbar in der métaphore vive. Die vorangegangenen Formulierungen, die von anderen Theorien als Metaphern markiert wurden, wären hier hingegen von geringerem Interesse. Bereits die bis hierher zusammengefassten Analysemöglichkeiten, die die unterschiedlichen Theorien der Metapher schon für ein kleines Textstück eröffnen, sollte hinreichend deutlich gemacht haben, wie erheblich die Entscheidung für eine theoretische Perspektive sich auf die Identifikation von Metaphern auswirken kann. Auch wenn sich über die holzschnittartige Zusammenfassung hier für einzelne Theorien Überschneidungen in den als Metapher identifizierten Phänomen zeigen lassen, so scheint es doch vor dem Hintergrund der bisherigen Darstellung unwahrscheinlich, dass eine Theorie alle Metaphern gleichermaßen erfasst. Dies würde mit der eingangs formulierten These über die Wechselbezie-

Resümee 

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hung zwischen den Theorien und ihren Beispielen korrespondieren: Einzelne Theorien, bedingt durch einen bestimmten geistesgeschichtlichen Kontext mit spezifischen Vorstellungen über Sprache und ihre Funktion und erarbeitet und erprobt an bestimmten sprachlichen Phänomenen, zeigen sich für solche besonders sensibel. Die Entscheidung für eine bestimmte Theorie der Metapher – und eine theoriefreie Diskussion der Metapher scheint schlechterdings unmöglich, da jeder noch so schlichten Definition ein theoretisches Konzept unterliegt – ist damit auch immer schon eine Vorentscheidung für das, was gefunden werden kann. Gleichzeitig ist diese Entscheidung jedoch auch eine Weichenstellung für die grundsätzliche Bewertung des Gefundenen und den Umgang damit. Hier scheinen sich in der theoretischen Landschaft zwei Pole abzuzeichnen, von denen der eine die sprachliche Metapher grundsätzlich eher als intuitiv schwer oder nicht verständlich auffasst,4 wodurch in erster Linie die Frage nach dem Was ihrer Bedeutung in den Mittelpunkt rückt,5 während der andere Pol die Faszination der Metapher eher darin sieht, dass sie trotz paradoxer oder widersprüchlicher Struktur intuitiv verständlich ist.6 Für sie rückt in der Regel die Frage nach dem Wie dieses unlogischen Verstehens in den Vordergrund, das Was gilt in der Regel als evident. Diese Theorien versuchen im Wesentlichen, Verstehen und Effekte von Metaphern zu erklären, die als grundsätzlich ad hoc und allgemein verständlich angesehen werden – die verständliche Metapher ist das Paradigma der Theorien mit diesem Fokus.7 Zwischen den beiden Polen finden sich Theoretiker, die grundsätzlich beide Möglichkeiten thematisieren, jedoch in der Regel eine der beiden Formen als Gegenstand ihrer Diskussion privilegieren.

4 Dies korrespondiert mit der alten Furcht der Rhetoriker vor der obscuritas ebenso wie mit der theologischen Hauptmotivation für den hermeneutischen Nutzen der Metapher bei der Exegese zur Erhellung der obscuritas. 5 Hier lassen sich von den diskutierten Autoren die drei Vertreter der theologischen Tradition, Jacques Derrida sowie Jacques Lacan, aber auch der Teil der aristotelischen Theorie, der die rätselhaften Metaphern betrifft, zuordnen. 6 Dies entspricht der von Aristoteles, aber auch von den römischen Rhetorikern tradierten Überzeugung, die Metapher vermittele schnelles Verständnis einer Sache, sofern das Gebot der claritas eingehalten wird. Hierzu scheinen alle Vertreter der kognitiven Paradigmen zu gehören, die Vertreter der analytischen Tradition Max Black, Monroe C. Beardsley und Donald Davidson (auch wenn das zu Verstehende im engen Sinn bei ihm nicht die entscheidende Rolle spielt) sowie die linguistischen Vertreter und die der zeitgenössischen kognitiven Theorien. 7 Aristoteles, Friedrich Nietzsche, Hans Blumenberg und Giambattista Vico scheinen insofern eine Zwischenposition einzunehmen, als sie beide Aspekte der Metapher berücksichtigen und ins Verhältnis setzen.

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Den beiden Polen scheinen Formen der Metapher einmal als Phänomen der Alltagssprache und einmal als Phänomen sprachlicher Ausnahmeerscheinungen zu korrespondieren. Mit der ersten Position verbunden scheint die Neigung, die Beispiele aus mehr oder weniger synchronen kommunikativen Kontexten zu wählen. Für den anderen Pol stammen die Beispiele wenig überraschenderweise nicht selten aus historisch oder kulturell entfernten Kontexten. Die beiden hier schematisch skizzierten Extrempositionen scheinen insofern legitim, als sie beide jeweils unterschiedliche, aber gleichermaßen allgemeine Erfahrungen im Umgang mit Sprache und Metaphern in den Fokus nehmen: die Erfahrung des Verstehens und die Erfahrung des Nicht-Verstehens. Die bis hierher entworfene Polarität der Metapherntheorien zeigt, mehr als dass sie eine tatsächliche Gliederung des Feldes bieten würde, wie die Theorien selbst auf die Perspektivierung des Phänomens einwirken. Die Charakteristika schwere/leichte Metapher, die auf den ersten Blick wie ontologische Charakteristika bestimmter Textphänomene wirken, die bestimmten Verwendungskontexten und Gattungen korrespondieren, sind vielmehr die Aspekte des Phänomens, die sich unter Einnahme einer bestimmten theoretischen Perspektive zeigen. Die Frage nach der grundsätzlichen Verständlichkeit oder Unverständlichkeit von Metaphern ist mithin keine ontologische, sondern eine epistemologische. Klar wird dies, wenn man sich noch einmal die Ergebnisse der Beispielanalyse der Möwen vor Augen führt. Hier rücken unterschiedliche Theorien verschiedene Aspekte des Textes in den Vordergrund. Damit einher geht aber auch eine Bewertung und Einordnung dieser Aspekte. Die mit der derridaschen Theorie verknüpfte Annahme über die Dynamik der Zeichen innerhalb eines Textes/aller Texte, die einem die Dynamik stillstellenden Verstehen eine unaufhaltsame Verunheimlichung entgegensetzt, wird nicht nur in Benjamins Möwen, sondern auch oder gerade in noch so alltäglichen Metaphern Spuren dieser Dynamik und damit der kategorischen Unverstehbarkeit aufzeigen können. Ebenso wird es mit der lakoffschen These der physischen Fundierung und der damit einhergehenden Annahme der grundsätzlichen Verstehbarkeit für den überwältigenden Teil der Beispiele gelingen, Aspekte des Textes als einfach verständliche Metaphern auszuweisen. Das, was in beiden Fällen verstanden wird beziehungsweise kategorisch nicht verstanden werden kann, ist dabei auf ganz unterschiedlichen Ebenen verortet.8

8 Als indikativ für die verschiedenen Ebenen, die sich unter dem Begriff fassen lassen, ist die in Wolfgang Künne: Im übertragenen Sinne gebotene siebenstufige Entfaltung des Begriffs zu nennen. Künne unterscheidet perzeptives, semantisches (hier unterscheidet er wiederum drei Zwischenstufen) und pragmatisches Verstehen.

Koordinierung von Vielfalt 

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10.2 Koordinierung von Vielfalt: Von Möglichkeiten des Umgangs mit den Theorien der Metapher Arten des Umgangs mit der theoretischen Vielfalt lassen sich in den Schriften der hier behandelten Autoren in mindestens drei Formen betrachten, dazu finden sich in der literaturwissenschaftlichen Arbeit zahlreiche Zwischenformen. Als erste und vielleicht häufigste Form lässt sich das Ignorieren beziehungsweise das weitgehende Ausblenden der theoretischen Vielfalt identifizieren. Hierunter fallen einerseits praktisch-literaturwissenschaftliche Operationalisierungen sowohl der klassischen als auch der empirischen Literaturwissenschaft, die unter Verwendung eines Metaphern-Begriffes verfahren. Dieses Verfahren mag angesichts der Vielfalt möglicher theoretischer Positionen, die auch in der vorliegenden Arbeit keineswegs erschöpfend beleuchtet worden sind, sogar als notwendige Reduktion von Komplexität betrachtet werden und scheint dann legitim, wenn sie mit einem Bewusstsein über die Auslassung und einer entsprechend kritischen Sicht auf die eigene Auswahl als eine mögliche und keineswegs einzige denkbare Auswahl einhergeht. Insbesondere wenn die gewählte Position ein spezifisches Problem der Metapher adressiert und beschreibt und die gewählte Theorie explizit als erkenntnistheoretisches Instrument relationiert wird, scheint ein solcher Umgang aus Sicht einer an der Operationalisierung der Theorie interessierten Literaturwissenschaft absolut legitim. Ein solcher reflektierter Umgang mit der Bandbreite der Theorien akzeptiert, dass bislang keine ‚Meistertheorie‘ der Metapher verfügbar ist, die das Phänomen in allen Dimension gleichermaßen erfasst. Das Bewusstsein um die blinden Flecken einzelner Theorien setzt jedoch eine zumindest kursorische Auseinandersetzung mit der theoretischen Pluralität voraus. Diese Auseinandersetzung muss jedoch, wenn sie ernsthaft der Identifikation der besten möglichen Theorie für eine bestimmte Untersuchung dienen soll, zumindest grundsätzlich die Legitimität sowohl verschiedener theoretischer Positionen als auch grundsätzlich unterschiedlicher Fragestellungen an das Phänomen Metapher akzeptieren und tolerieren. Die Komplexität der Metapher in Sprache und Texten kann nur auf diese Weise tatsächlich ernst genommen werden. Die beiden anderen Formen scheinen eher eine an Theoriebildung orientierte Literaturwissenschaft zu betreffen und lassen sich exemplarisch in den Schriften von Paul Ricoeur9 und Harald Weinrich identifizieren. Während der erste sich als Vertreter eines synthetischen Vorgehens betrachten lässt, ist Weinrichs Perspektive durch die Koexistenz einzelner Ansätze geprägt. Trotz aller Sympathie und Hochachtung, die im Rahmen dieser Arbeit für das Vorgehen und umfang-

9 Eine ähnliche Position vertritt meines Erachtens auch Katrin Kohl: Metapher.

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reiche theoretische Vorwissen Ricoeurs zum Ausdruck gebracht worden sind, scheint jedoch Weinrichs Ansatz der epistemologisch gleichzeitig bescheidenere und erfolgversprechendere. Zwar lässt sich Ricoeurs eigener, synthetisch vorgehender Theorieentwurf als Paradebeispiel für die Zusammenführung verschiedener Theorien mit jeweils unterschiedlichen Frageperspektiven und Verfahren zu einer umfassenderen Theorie betrachten. Die Leistung dieses Verfahrens besteht zweifellos darin, dass auf diese Weise die komplementären Aspekte der einzelnen Theorien zu einer produktiven neuen Perspektive vereint werden. Insofern bietet sich Ricoeurs Vorgehen auch als Weg für eine an Theoriebildung interessierte Literaturwissenschaft an. Allerdings kann auf diese Weise das grundlegende epistemologische Problem nicht behoben werden. Auch eine synthetische Theorie kann stets nur Aspekte des Phänomens akzentuieren, ohne dass auf diesem Weg letztlich zu einer umfassenden, nicht durch diskursive und historische Prämissen bedingten Theorie gelangt werden kann. Dieses Bewusstsein gilt es trotz aller vielversprechenden Syntheseansätze zu bewahren. Weinrichs Vorgehen der bloßen Kontrastierung scheint hier weniger bedenklich, da darin die unterschiedlichen Fragestellungen, Prämissen und theoretisch gefassten Dimensionen der Metapher koexistieren, ohne einer neuen Perspektive untergeordnet zu werden. Die entscheidende Frage aus einer weinrichschen Perspektive wäre damit letztlich, auf Basis welcher Begründung man sich für eine bestimmte Theorie der Metapher als Perspektive auf das Phänomen entscheidet. Dass eine Entscheidung unumgänglich ist, scheint außer Frage zu stehen, da jedes Verständnis von der Metapher letztlich auf irgendeine, manchmal latente, manchmal rudimentäre Theorie zurückgeht. Muss eine solch weitreichende Entscheidung gefällt werden, so sollte sie reflektiert getroffen und nach Möglichkeit expliziert werden, schon allein, um einen so traditionsreichen Begriff wie den der Metapher nicht durch inflationären Gebrauch analytisch wertlos zu machen. Dadurch scheint zwar weniger der Begriff selbst gefährdet, der sich als äußerst durchsetzungsfähig erwiesen hat, als vielmehr unsere Möglichkeit der Verständigung durch ihn.

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Register absolute Metapher 53, 251, 259, 261, 265  f., 295, 322  f. Ähnlichkeit 12, 24  f., 29–32, 34, 37  f., 40, 45–47, 59, 75, 86, 88, 131, 135, 141  f., 152–155, 199, 203  f., 222, 244, 285  f., 308–310, 376 allegoria in factis 120–123 allegoria in verbis 120, 122 Allegorie 11  f., 14, 38, 87, 92, 113, 119–123, 125, 172, 199 analogia proportionalitatis 130 analogia proportionis 130  f. Analogie 12, 18, 20, 23, 25, 27–29, 37, 39  f., 82, 86, 119, 123, 127  f., 130, 134, 141, 187, 225, 349 Aquin, Thomas von 28, 37, 95, 116, 121, 127–134, 136, 141 Aristoteles 1  f., 7, 17–19, 20–41, 44–48, 50, 54, 59, 64  f., 67, 69, 73, 78, 81–83, 86–88, 90, 92, 98, 100–106, 108  f., 111–113, 127, 131, 133, 137, 141, 144, 157, 162, 164, 167  f., 187, 215, 222, 237–239, 244, 254, 257, 272  f., 285, 287, 290, 292  f., 300, 302, 305, 310, 340  f., 376, 379 Art 23, 25, 27–29, 36  f., 39  f., 109, 142, 376 associated commonplaces 43  f., 48  f., 51, 55, 64, 225  f., 240, 346, 376 Augustinus 24, 32, 35, 74, 85, 92, 97, 101, 115  f., 117–127, 128, 132–137, 140  f., 144, 251 Beardsley, Monroe C. 8, 18  f., 27, 32, 34, 37, 42–45, 49, 56–70, 222, 257, 272, 282  f., 285, 342, 346, 377, 379 belebt 28, 86, 89, 366 Benjamin, Walter 14, 39, 54, 69, 89, 125, 142  f., 172, 190, 204, 221, 230  f., 262, 296, 315–317, 342, 374, 376  f., 380 Bild 14, 33, 37, 105, 108, 114, 132, 147, 149, 186, 237–239, 241–244, 255, 376 Bildfeld 61, 193, 221, 224–231, 377 Black, Max 7  f., 18, 20, 28, 32, 37, 41, 42–56, 59, 60, 64  f., 67, 69  f., 75, 88, 167, 225  f., 237, 239, 244, 249, 254, 257, 272, 278, https://doi.org/10.1515/9783110585353-012

288–290, 300, 303, 305, 308, 323, 340, 346, 376  f., 379 blending space 311, 360, 366 Blumenberg, Hans 17  f., 23, 28, 32, 35, 37, 43, 51, 53, 150, 167, 175  f., 227, 229, 235, 240, 251–268, 271, 295, 300, 303, 305, 322, 375  f., 379 Cicero 18  f., 34  f., 78, 79–91, 96  f., 99, 101  f., 104, 112, 118, 126  f., 136  f., 256, 305 claritas 24, 101, 208, 379 comparison 50, 62, 88, 336 concept 61, 99, 110, 159, 292, 301-303, 308, 327, 337  f., 346, 349, 354 Conceptual Metaphor Theory (CMT) 20, 41, 44, 49, 64, 66, 69, 99, 110, 134, 154, 176, 218, 222, 226, 230, 244–246, 250, 300, 304, 309-319, 324-326, 328–330, 332, 336  f., 340  f., 343–345, 347–349, 351, 353  f., 356–358, 361, 365, 368  f., 375, 377 concetto 107, 109–111, 113  f. connotation 57, 60, 63–67, 283 Controversion Theory 61 copia 91, 95, 98, 100, 102 cross-domain mapping 301, 304, 313, 328  f., 336–338 Davidson, Donald 8, 18, 28, 37, 42, 45, 49, 58, 62, 71–77, 84, 88, 254, 359, 379 deliberate metaphor 41, 195, 230, 322, 332, 335–343, 369 De Man, Paul 18, 171 Derrida, Jacques 18, 27  f., 34  f., 39, 53, 73, 94, 143  f., 157–177, 180, 185, 189  f., 196, 204, 257, 260, 262–265, 272, 279, 291  f., 294, 305, 366, 371, 378  f. designation 60  f., 63, 377 différance 159  f., 163, 170, 263  f. double-scope blend 356, 360–362, 364 embodiment 151, 157, 245, 330  f., 345, 349, 351  f. Erasmus, Desiderius 24, 35, 78, 91–101, 104, 115, 136, 138, 141 Erkenntnis 6–12, 21, 23–25, 28  f., 32–34, 37, 42  f., 45–54, 57, 59, 69, 77, 86–88,

408 

 Register

105–108, 111  f., 116, 119, 123, 128–130, 132, 134, 142, 144–146, 157  f., 161, 163, 192, 235–239, 250, 254–256, 259, 261, 291, 305, 311, 313, 343 Exegese 9, 28, 100, 116–118, 124–128, 133–135, 138  f., 259, 379 exempla 90, 103 Fauconnier, Gilles 28, 311, 348, 353–367 focus 43  f., 216, 338, 346–349, 361 frame 43  f., 328, 348, 352, 357–362, 366 Gattung 23, 25, 27–29, 36  f., 40, 154 Gleichnis 11, 36, 38, 82, 88, 132, 147, 201 Grady, Joseph 28, 56, 151, 240, 245, 300–325, 345, 349, 354, 357  f., 360 Grice, Herbert Paul 18, 28, 37, 41, 58, 63, 69, 192, 205–221, 223  f., 368 Hintergrundmetaphorik 265–267, 306, 375 Hyperbel/hyperbolisch 114, 218 image schema 303, 307  f., 311, 328 Implicature/Implikatur 206–208, 211–213, 218, 220, 224 input space 357, 359–362, 364 Jakobson, Roman 18  f., 34–36, 144, 158, 177, 180, 185, 189, 192–206, 216, 222, 229, 272, 276–278, 337, 343 Kövecses, Zoltán 18, 28, 34  f., 40, 99, 240, 266, 300, 302, 304, 322, 344–354, 369 kühne Metapher 88, 228  f. Lacan, Jacques 18  f., 28, 34  f., 144, 158, 177–191, 198, 204  f., 271, 378  f. Lakoff, George 2, 18–20, 28, 32, 34  f., 41, 44, 53, 56, 66, 99  f., 167, 228  f., 240, 246, 267, 300–335, 340, 348  f., 354, 369, 380 Lüge 58, 77, 119  f., 213, 235, 240 Melanchthon, Philipp 36, 92  f., 95, 116, 128, 135–143 métaphore vive 167, 174  f., 269, 271–275, 278–283, 286, 290–297, 378 Metonymie 11  f., 36, 84, 99, 113, 148, 154, 167  f., 171, 179, 185, 187–189, 194, 198–205, 239, 347, 356 mimesis 25, 82, 271, 274, 282  f., 287, 290, 296 mirror blend 360 Modell 13, 48, 50–54, 225, 254, 256, 258–260, 262, 264, 288–290, 303, 308, 312, 318, 321, 340, 357–359

Modell-Theorie 288 modifier 59–62 Neural Theory of Metaphor (NTM) 41, 176, 230, 245  f., 303, 311, 325, 336  f., 345, 351–353, 365, 368 Nietzsche, Friedrich 19, 28, 32, 35, 39, 64, 110, 151, 167, 176, 190, 228, 235–251, 286, 289, 291, 300, 305, 367, 370, 379 obscuritas 24, 101, 111, 115, 122, 379 ornatus 27, 38, 81, 84, 95, 123 Parabolae 91, 97  f. Platon 7, 21–23, 25  f., 31, 82, 93, 97, 105–107, 117, 164 poiesis 25, 147, 274, 281  f., 287, 296 praecepta 90, 103, 137  f., 140 Pragmatik 44  f., 72, 77, 192, 207, 210, 214, 229 primary subject 44  f., 52 Projektion 28, 44, 76, 149, 155, 200  f., 304, 347, 361 Quintilian 18  f., 24, 27  f., 34–36, 78–93, 96–104, 110, 133, 136  f., 141, 198, 222, 246, 264, 276 res 80–83, 110, 120f., 123, 130  f., 138, 256 Ricoeur, Paul 18–20, 25, 33, 35, 37, 39, 43, 45, 49, 51  f., 56, 59, 66, 110, 143, 167, 174  f., 196, 200, 222, 235, 240, 268–298, 300, 342, 374, 378, 381  f. Saussure, Ferdinand de 10, 144, 158, 177–181, 184, 186, 189, 193  f., 196–198, 222, 276, 350 Schmuck 8, 27, 84, 87 Selektion 198, 283, 362 Semantik 28, 44, 60, 65, 71–73, 77, 84, 172, 221–223, 233, 236, 282, 287, 303, 354 Semiose 144, 148–153, 157 Signifikant/signifiant 149  f., 152  f., 160, 167  f., 172, 179–191, 205, 232, 378 Signifikat/signifier 152  f., 156, 160, 163, 172, 179–182, 184–187, 189, 191, 205, 378 similitudo 12, 81, 88, 92, 99, 122, 131  f., 141, 199 simplex blend 359, 362 single-scope blend 360  f. single-scope network 361 source domain 310, 345, 348 Sperber, Dan 18, 35, 206–221

Register 

Steen, Gerard 35, 44, 89, 195, 300, 319, 322, 330, 332, 335–344, 369 subsidiary subject 43, 52, 225 Substitution 18  f., 28, 56, 85, 167  f., 185  f., 198, 205, 258, 273, 275–278 Symbol 11, 21  f., 114, 152, 182–184, 186–188, 190  f., 199, 201, 238, 242, 256, 271, 320, 343, 359 Synekdoche 29, 36, 38, 148, 154  f., 167, 277 target domain 308, 310, 338, 345, 348, 353 Tenor 43, 310 Tesauro, Emanuele 20, 28, 30, 32, 34–36, 78, 88, 91, 96, 101–115, 248, 269, 300 translatio 84, 87, 100, 119, 126 Tropus/tropen 12, 35  f., 38, 59, 64, 78, 81, 85  f., 89, 91, 98  f., 113  f., 122, 139, 141  f., 148, 152, 154, 161, 164, 198  f., 213, 238, 244, 265, 285, 367 Turner, Mark 28, 32, 34  f., 100, 172, 240, 305, 311, 313, 319, 348  f., 353–368

 409

unbelebt 28, 86, 89, 148, 366 vehicle 43, 310, 321 verbum/verba 80–84, 99, 110, 120  f., 131 verbum proprium 12, 64, 84  f., 126, 199 Verdrängung 161, 185, 187–189, 205 Vergleich 11  f., 18, 38, 45, 54, 56, 75, 79, 82, 85, 88–90, 99, 113, 147, 199, 232, 339 Vico, Giambattista 19, 28, 35, 53, 64, 99, 144–157, 160, 167, 175–177, 227, 247, 254, 257, 260, 264  f., 300, 344, 370, 379 Weinrich, Harald 14, 18, 27  f., 34, 41, 43, 55, 59, 61, 70, 125, 142, 172  f., 193, 195, 204  f., 221–234, 266, 310, 313, 316, 342, 374, 376  f., 381  f. Widerspruch 57–61, 69, 102, 115, 124, 126, 285–287, 291, 339, 377 Wilson, Deirdre 18, 35, 206–221 Wortfeld 222, 224–228