Philosophische Probleme internationaler Politik und transnationalen Rechts [1 ed.] 9783428526628, 9783428126620

Die politische Philosophie hat sich mit Fragen der internationalen Beziehungen bisher nur recht sporadisch befaßt. Inten

133 39 738KB

German Pages 241 Year 2008

Report DMCA / Copyright

DOWNLOAD FILE

Polecaj historie

Philosophische Probleme internationaler Politik und transnationalen Rechts [1 ed.]
 9783428526628, 9783428126620

Citation preview

Wissenschaftliche Abhandlungen und Reden zur Philosophie, Politik und Geistesgeschichte Band 47

Philosophische Probleme internationaler Politik und transnationalen Rechts Von Heinz-Gerd Schmitz

asdfghjk Duncker & Humblot · Berlin

HEINZ-GERD SCHMITZ

Philosophische Probleme internationaler Politik und transnationalen Rechts

Wissenschaftliche Abhandlungen und Reden zur Philosophie, Politik und Geistesgeschichte Band 47

Philosophische Probleme internationaler Politik und transnationalen Rechts Von

Heinz-Gerd Schmitz

asdfghjk Duncker & Humblot · Berlin

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.

Alle Rechte vorbehalten # 2008 Duncker & Humblot GmbH, Berlin Fremddatenübernahme: Berliner Buchdruckerei Union GmbH, Berlin Druck: buch bücher dd ag, Birkach Printed in Germany ISSN 0935-5200 ISBN 978-3-428-12662-0 Gedruckt auf alterungsbeständigem (säurefreiem) Papier ∞ entsprechend ISO 9706 * Internet: http://www.duncker-humblot.de

Inhalt Einleitung 1. Loose-Fish . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Termini

9 9 27

2. Grunddistinktionen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

27

3. Rechtspositivismus / Naturrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

39

4. Der Rechtsbegriff . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

52

II. Diskussionen

63

5. Probleme des Rechtspositivismus . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

63

1. Exkurs: Menschenrechte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

75

6. Starkes Naturrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

91

7. Schwaches Naturrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 100 III. Applikationen

113

8. Völkerrechtspositivismus . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 113 2. Exkurs: pacta sunt servanda . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 122 9. Starkes trans-positives Völkerecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 132 10. Schwaches trans-positives Völkerrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 143 IV. Konsequenzen

154

11. Macht, Gewalt und Recht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 154 3. Exkurs: Staatliche Quasi-Subjekte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 165 12. Kriegerische Gewalt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 179 13. Die Idee eines Weltstaats . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 194

6

Inhalt Schluß Fast-Fish

209

Bibliographie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 220 Personenregister . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 235 Sachregister . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 237

Abkürzungen Ak

Kant, I.: Werke. Akademie-Textausgabe. Unveränderter photomechanischer Abdruck des Textes der von der Preußischen Akademie der Wissenschaften 1902 begonnenen Ausgabe von Kants gesammelten Schriften. Berlin 1968

Ant.

Sophokles: Antigone

Cra.

Platon: Kratylos

Dig.

Digesta Iustiniani

Ein

Achenwall, G. / Pütter, J. St.: Anfangsgründe des Naturrechts (Elementa iuris naturae). Lat. / dt. Hg. u. übers. v. J. Schröder (erstmals 1750). Frankfurt am Main 1995

EN

Aristoteles: Ethica Nikomachea

Ep.

Platon: Epistulae

Fin.

Cicero: De finibus

Gem.

Kant, I.: Über den Gemeinspruch: Das mag in der Theorie richtig sein, taugt aber nicht für die Praxis

Gov.

Locke, J.: Two Treatises of Government. Ed. with an introduction and notes by P. Laslett (erstmals 1960). Cambridge 1993

GzMdS Kant, I.: Grundlegung zur Metaphysik der Sitten KdU

Kant, I.: Kritik der Urteilskraft

Leg.

Cicero: De legibus

Lg.

Platon: Nomoi

Liv

Livius: Ab urbe condita

LNTS

League of Nations Treaty Series

MdS

Metaphysik der Sitten

Met

Aristoteles: Metaphysik

MEW

Marx, K. / Engels, F.: Werke. Hg v. Institut für MarxismusLeninismus beim ZK der SED. Berlin 1974

MM

Aristoteles: Magna Moralia

Off.

Cicero: De officiis

Plt.

Platon: Politikos

8

Abkürzungen

Pyrrh.

Sextus Empiricus: Pyrrhoneioi hypotyposeis

re pub.

Cicero: De re publica

Rel.

Kant: Die Religion innerhalb der Grenzen der bloßen Vernunft

Rep.

Platon: Politeia

Rh.

Aristoteles: Rhetorik

ST

Thomas von Aquin: Summa Theologica

Tht.

Platon: Theaitetos

Top.

Aristoteles: Topica

ZeF

Kant: Zum ewigen Frieden

äõíáôJ äK ï0 ðrïý÷ïíôåò ðrÜóóïõóé káM ï0 7 7 6óèåíåé ò îõã÷ùñïõóéí – die Überlegenen tun, was ihnen möglich ist, und die Schwachen ertragen es (Die Athener zu den Meliern – Thukydides V, 89).

Einleitung 1. Loose-Fish

Die Walfänger – so teilt Herman Melville dem Leser seines Moby-Dick mit – haben zwei Gesetze, welche Streitigkeiten zwischen Schiffsbesatzungen bezüglich ihrer Beute regeln. Diese unterscheiden ,Fast-Fish‘ und ,Loose-Fish‘ (Melville 1988: 3961). Die Regeln sind von bewundernswerter Kürze: Ein Fast-Fish ist ein solcher, der auf irgendeine Weise mit einem Schiff oder Boot verbunden ist – sei er lebendig oder tot. Obendrein gilt auch die Beute als Fast-Fish, die durch ein Merkmal gekennzeichnet ist, solange diejenigen, die sie so markiert haben, willens und in der Lage sind, sich des Tieres zu bemächtigen. Loose-Fish ist alles andere. Diese Erklärung führt Melville dann zu der Bemerkung, daß Besitz offensichtlich schon das halbe Recht sei – ungeachtet der Tatsache, wie man ihn erworben habe. Daß es nicht nur bei den Walfängern auf diese Weise zugehe, will der Autor durch eine Reihe rhetorischer Fragen klarmachen: Was sei das arme Irland für den Harpunier John Bull anderes als Fast-Fish, was Amerika im Jahre 1492 für Kolumbus wenn nicht Loose-Fish, in welchen die spanische 1 Literaturbelege – Nachname des Autors, Erscheinungsjahr der verwendeten Ausgabe, hinter dem Doppelpunkt ggf. die Bandzahl römisch, die Seitenzahl arabisch – beziehen sich auf die Bibliographie, wo die vollständige Angabe zu finden ist. Antike Autoren werden auf die übliche Weise zitiert. Alle verwendeten Abkürzungen sind in einem Verzeichnis am Anfang des Buches erklärt. Auf weitere Fußnoten wird im folgenden Text verzichtet.

10

Einleitung

Standarte habe gesteckt werden dürfen; was sei Indien für England, was werde Mexiko für die Vereinigten Staaten sein – alle nichts als Loose-Fish (Melville 1988: 398). Damit – so meint Melville – zeige sich, daß die genannten Regeln nicht nur für Walfänger gälten. Sie hätten vielmehr auch Bedeutung für zwischenstaatliche Beziehungen. Obwohl diese Wendungen mit deutlicher Ironie vorgetragen werden, täuscht Melville seinen Leser nicht über das pessimistische Bild der großen politischen Welt hinweg, das er hier zum Ausdruck bringt. Ist Besitz schon das halbe Recht und hat die andere Hälfte nur einen Wert, wenn man über die Mittel verfügt zu verteidigen, was man sich angeeignet hat, dann ist das internationale Recht, welches Streitfälle friedlich regeln soll, letztlich ohne Belang. Philosophisch ist Melvilles Auffassung von Spinoza in seinem Theologisch-Politischen Traktat präformuliert: Staaten schließen Verträge miteinander, die freilich nur so lange in Kraft bleiben, wie die Gründe, aus denen sie zustande gekommen sind, bestehen. Fürchtet man ein bestimmtes Übel nicht mehr oder glaubt man ein gewisses Gut, das durch den Vertrag in Reichweite hat kommen sollen, nicht mehr erlangen zu können oder aber nicht weiter zu benötigen, dann ist man auch nicht mehr zur Vertragstreue angehalten, ja sogar zum Bruch des Kontraktes verpflichtet, da Staaten wie Individuen sich unter allen Umständen in ihrer Existenz zu erhalten haben (Spinoza 1979: 486 / 487; vgl. auch Spinoza 1994: 52 / 53). Was Melville im ironischen Tone des Literaten äußert, Spinoza hingegen mit dem recht bitteren Ernste des Philosophen vorbringt, findet in der – im weitesten Sinne – als realistisch zu bezeichnenden politologischen Schule, die sich auf das außenpolitische Handeln der Staaten oder auf die internationalen Beziehungen richtet, beide Termini müssen für die Darstellungsabsicht der vorliegenden Abhandlung nicht differenziert werden, mit Hans Morgenthaus (1963: 49 ff.) berühmten sechs Prinzipien folgenden Ausdruck:

1. Loose-Fish

11

(1) Die internationale Politik unterliegt einer objektiven Gesetzmäßigkeit, welche in der Natur des Menschen wurzelt. Diese Gesetze lassen sich in einer rationalen Theorie erfassen, welche – jenseits alles nur Meinungshaften – Wahrheitsanspruch erheben darf (1963: 49 / 50). (2) Man versteht internationale Politik, wenn man sie als Ausdruck von Interessen nimmt, die sich in Begriffen der Macht definieren; man findet hingegen keinen Zugang, wenn man Motive von Staatsmännern oder ideologische Aspekte für das Staatenhandeln ins Feld führt. Politik ist autonom. Nur wenn man diese Bestimmung akzeptiert, kann man sie von allem Nicht-Politischen unterscheiden (1963: 50 – 54). (3) Welche Interessen jeweils die Politik bestimmen, hängt von den politischen und kulturellen Kontexten ab, innerhalb derer sie formuliert wird (1963: 54 / 55). (4) Universelle moralische Prinzipien können auf das Staatenhandeln nicht angewendet werden, sie sind vielmehr durch die jeweiligen Umstände zu filtern. Dadurch nehmen sie ein starkes Moment der Klugheit in sich auf, das sie letztlich vollständig zu neutralisieren vermag; denn politische Klugheit fragt immer nur nach den Folgen (1963: 55 / 56). (5) Wenn die moralischen Ansprüche, welche Nationen formulieren, absolut gesetzt werden, dann wird – über kurz oder lang – ihre Urteilskraft schaden nehmen (1963: 56 / 57). (6) Der politische Realist stellt im wesentlichen immer nur eine Frage: Wie beeinflußt politisches Handeln die Macht einer Nation (1963: 57 – 60). Morgenthau setzt sich mit diesen Bestimmungen – wie weit vor ihm schon Spinoza (1994: 6 / 7) – von solchen theoretischen Anstrengungen ab, die er als dogmatischen Utopismus versteht – andere Autoren sprechen von Idealismus (vgl. Herz 1951: 1) bzw. Legalismus (vgl. Kennan 1952: 98 ff.). Die so bezeichnete Auffassung rückt in den Augen der Realisten an die

12

Einleitung

Stelle des Möglichen das Wünschenswerte und kaschiert dies, indem sie in ihren Theorieentwürfen die Wirklichkeit soweit reduziert, daß Unsicherheiten, politische Risiken, moralische Dilemmata aus dem Blick geraten (Morgenthau 1970: 245). Was man in der angelsächsischen Welt seit Benthams Klarstellung (1988: 326, Anm. 1) nicht law of nations, sondern international law, im deutschsprachigen Raum aber trotz Kants Einwand, man müsse vom ius publicum civitatum (MdS, Ak. 6, 343) sprechen, weiterhin Völkerrecht nennt, wiewohl es mit dem römischen ius gentium nicht viel gemein hat (vgl. Kunkel / Schermaier 2001: 96), scheint nach Morgenthaus Angaben an sich selbst völlig bedeutungslos zu sein. Brauchbar wäre es allenfalls als Instrument trans-nationaler Politik, als eines der Mittel der Auseinandersetzung, das – wenn es nicht verfängt – machtvollerem Zugriff, im Extremfalle kriegerischer Gewalt weichen muß. Daß dies so erscheint, liegt freilich nicht nur an der Skrupellosigkeit der Akteure auf der internationalen Bühne oder – schwächer formuliert – an ihrer Unfähigkeit zu einem wirklich zivilisierten Interagieren zu finden; und es liegt auch nicht nur am anthropologischen Pessimismus derjenigen Politiktheoretiker, die sich mit dem Anspruch der Realitätsnähe den internationalen Beziehungen widmen. Für den politischen Philosophen stellt sich das Problem – jenseits der sozialwissenschaftlichen Theoriebildung (vgl. Schieder / Spindler 2003) – viel eher zunächst so dar, daß es erhebliche begrifflichen Schwächen gibt, die mit der Konzeptualisierung eines Völkerrechtes verbunden sind. Im wesentlichen stellen sich drei Fragen. Die erste – im folgenden als á-Frage bezeichnet – richtet sich auf die internationalen Akteure, i.e. auf den Charakter der Völkerrechtssubjekte. Die zweite, die â-Frage, betrifft die Quellen, aus denen internationales Recht fließt, denn einen Gesetzgeber im innerstaatlichen Sinne gibt es ja nicht. Die dritte, i.e. die ã-Frage, schließlich hat das Verhältnis, in welchem internationales zum jeweiligen nationalen Recht steht, zum Gegenstand.

1. Loose-Fish

13

Die folgenden Kapitel wollen einen Beitrag zur Klärung dieser Fragen leisten. Dazu sollen in dieser Einleitung die drei Problemkreise zunächst auf prä-philosophische Weise dargelegt werden, i.e. so, wie sie sich darstellen, wenn man aufnimmt, was sich dem zeitgenössischen Betrachter des 20. und des kaum angebrochenen 21. Jahrhunderts faktisch zeigt. Bezüglich der á-Frage stellt sich die Lage wie folgt dar: Sieht man von historisch bedingten Besonderheiten – der Völkerrechtssubjektivität des Heiligen Stuhles, des Malteserordens, des Internationalen Komitees vom Roten Kreuz – ab und läßt man zugleich die Entwicklung außer acht, die sich einerseits mit der Menschenrechtspolitik, andererseits mit der Einführungen eines Völkerstrafrechtes anzubahnen scheint, auch natürliche Personen zu Subjekten internationaler Gerichtsbarkeit zu machen, so trifft nach wie vor Benthams Bestimmung (1988: 327) zu: Der Teil der Jurisprudenz, welcher sich mit den Interaktionen zwischen souveränen politischen Entitäten befaßt, stellt das Völkerrecht dar. Diese souveränen politischen Entitäten führen die Bezeichnung Staat; man kennzeichnet sie mit den drei von Jellinek (1914: 396 ff.) eingeführten und durch die Montevideo-Konvention nur unwesentlich erweiterten (LNTS CLXV, 25, Art. 1) Merkmalen: Mit einem Staat hat man es dann zu tun, wenn über eine (1) auf einem abgegrenzten Territorium (2) permanent siedelnde Bevölkerung (3) effektive Gewalt ausgeübt wird. Die Rede von Grenze meint hier nicht, daß Menschen und Dinge voneinander gesondert werden; vielmehr sind es differente Normsysteme, welche man voneinander scheidet. Damit ist ein weiterer Begriff in die Bestimmung aufgenommen, der implizit im Begriff der Grenze steckt: Staaten haben Rechtsordnungen – wie auch immer diese beschaffen sein mögen. Auch der Begriff der Staatsgewalt muß so präzisiert werden, daß autochthone von fremder, z. B. kolonialer Herrschaft

14

Einleitung

unterschieden werden kann. Dadurch ist nichts über die Legitimität der jeweiligen Regierung gesagt – Diktaturen qualifizieren sich ebenso gut wie Demokratien, solange es nicht Fremde sind, die herrschen, und solange sie überhaupt zur Herrschaft in der Lage sind. Auf diese Weise ist selbst Max Webers Bestimmung noch unterboten, der zumindest verlangt, die Regierten müßten den Eindruck haben, legitimer Gewalt ausgesetzt zu sein (Weber 1992: 7 / 8). Dieser Hinweis zeigt, inwiefern dem Ausdruck Effektivität ein recht unangenehm wirkender – allen Anhängern des LooseFish-Theorems aber überaus geläufiger – Opportunismus innewohnt: Als gültig wird das Recht angesehen, welches von einer Instanz herrührt, die es zu erzeugen in der Lage und durchzusetzen bzw. durchsetzen zu lassen imstande ist. Sollte also eine Revolution hergebrachte Regierungsorgane hinwegfegen, neue Rechtserzeugungsinstanzen schaffen und tätig werden lassen, obendrein das von der Vorgängerregierung erzeugte Recht nicht mehr rezipieren, dann wird innerhalb des so veränderten Staates das alte Recht ungültig, das neue, erfolgreich durchgesetzte tritt an seine Stelle. Wenn die Revolutionäre hingegen scheitern, dann nimmt man nicht an, daß sie jemals die Kraft besessen hätten, neues Recht zu erzeugen; ihre Versuche zu einer derartigen Veränderung gelten dann nicht nur der sich behauptenden alten Regierung als Hochverrat, sondern auch der äußeren Welt. Philosophischer Kronzeuge einer solchen Betrachtung ist wiederum Spinoza: . . . summis potestatibus hoc jus quicquid velint imperandi tamdiu tantum competit, quamdiu revera summam habent potestatem – den höchsten Gewalten kommt das Recht, alles Gewünschte zu befehlen, nur so lange zu, wie sie die höchste Macht faktisch besitzen (Spinoza 1979: 478). Mit Berufung auf Spinoza folgert Carl Schmitt daraus, das, was als politische Entität Bestand habe, sei es, juristisch betrachtet, auch wert zu existieren (1993: 22). Legitimität ist in dieser Betrachtungsweise mit Effektivität identifiziert (vgl. Kelsen 1960: 214 / 215). Rückt man die Bestimmungen in Melvilles Vokabular, dann müßte man etwa so formulieren: Die Bevölkerung eines Landes ist solange Fast-

1. Loose-Fish

15

Fish einer Regierung, bis es einer Gruppe von Aufrührern gelingt, sie in Loose-Fish zu verwandeln. Kann sie die Menschen dann ihrerseits als ihr Eigentum markieren, dann werden diese wiederum zu Fast-Fish – allerdings für einen anderen Walfänger als zuvor. Das sich aus dieser etwas drastischen Kennzeichnung ergebende philosophische Problem liegt auf der Hand: Welche Rolle müssen – bei dem Versuch des Entwurfes einer rechtlich konzeptualisierten Korrelation von Völkerrechtssubjekten – Fragen der Legitimität der jeweiligen Regime spielen? Die Montevideo-Konvention setzt zu Jellineks Bestimmungen hinzu, um als Staat angesehen zu werden, müsse eine politische Entität internationale Beziehungen aufnehmen können und dürfe zu keinem anderen Land in einem Abhängigkeitsverhältnis stehen (LNTS CLXV, 25, Art. 1). Diese Angaben gehen über Jellineks Bestimmungen insofern kaum hinaus, als die Forderung nach einer wirklich autochthonen Regierung ein Marionettenregime ausschließt, also Unabhängigkeit impliziert und die Aufnahme zwischenstaatlicher Beziehungen in den seltensten Fällen eine Frage der Fähigkeit, sondern viel eher eine des Willens ist – allenfalls denkbar wäre eine so große Armut, daß der Unterhalt von Botschaften im Ausland grundsätzlich nicht möglich wäre. Kelsen (1960: 292) kritisiert Jellineks Bestimmungen so, daß er ihnen Unvollständigkeit vorhält; er weist nämlich darauf hin, daß Staatlichkeit nicht nur lokal, sondern auch temporal begrenzt ist. Auch wenn sich einige von ihnen als äußerst zählebig erweisen, werden Staaten geboren, und sie können sterben – ganz wie natürliche Personen. Dieser Zusatz ist insofern nicht ganz unwichtig, als er den Blick auf ein grundsätzliches Interesse öffnet, welches außenpolitisches Handeln – gewiß nicht nur aus der Perspektive des Realisten Spinoza – wesentlich bestimmt: das Streben politischer Entitäten nach Selbsterhaltung. Staaten sind also solche Völkerrechtssubjekte, die für eine gewisse Zeitspanne auf einem begrenzten Territorium eine

16

Einleitung

Rechtsordnung errichten, die – nach dem Territorialitätsprinzip – für diejenigen natürlichen und juristischen Personen gilt, die auf dem Staatsgebiet angesiedelt sind, und welche sich obendrein – nach dem Personalitätsprinzip – auf alle diejenigen erstreckt, die Angehörige des fraglichen Staates sind, wo auch immer sie sich aufhalten. Beide Prinzipien werden schließlich nach dem Universalitätsprinzip außer Kraft gesetzt, wo es sich um bestimmte Arten von Verbrechen handelt – das klassische Beispiel ist die Piraterie. Damit sind zugleich drei Bedingungen formuliert, die für die Interaktion so bestimmter Völkerrechtssubjekte Gültigkeit haben: (1) Sie müssen einander als gleich betrachten, was zunächst die Frage nach der Legitimität ausschließt und die Effektivität an ihre Stelle rückt; (2) sie müssen gegenseitig die Souveränität des jeweils anderen achten (vgl. UN-Charta, Art. 2, 1), was auch bedeutet, das Territorialitäts- und das Personalitätsprinzip zu respektieren (vgl. UN-Charta, Art. 2, 7), in weiterem Zusammenhang: auf jede Art von Interventionen zu verzichten; (3) obendrein haben sie nach dem Prinzip der Gegenseitigkeit zu handeln. Jeder Zweifel an der Legitimität einer fremden Regierung macht zugleich die Anwendbarkeit jedes dieser drei Prinzipien fragwürdig. Das vierte – erst seit dem Ersten Weltkrieg sich entwickelnde – Prinzip des Gewaltverbotes mündet unmittelbar in solchen Legitimitätsdebatten. Freilich delegitimiert sich hier ein Regime nicht durch sein inneres, sondern durch sein äußeres Handeln. Das liberum ius ad bellum ist Bestandteil des seit 1648 entstehenden klassischen Völkerrechts, welches die tragenden Teile der auf Augustinus zurückgehenden (vgl. Contra Faustum 22, 75) bellum iustum-Lehre des Mittelalters schrittweise ad acta legt. Thomas von Aquin (ST II / II, 40, 1) nennt drei

1. Loose-Fish

17

Bedingungen für einen gerechten Krieg: (1) Die militärischen Auseinandersetzungen müssen von Regierungen geführt werden (auctoritas principis, cujus mandato bellum est gerendum) – Privatkriege sind per se ungerecht. (2) Kriege brauchen einen gerechten Grund (causa justa), i.e. die Anzugreifenden müssen eine Schuld auf sich geladen haben. (3) Der Kriegführende darf keine unehrlichen Absichten mit dem Krieg verbinden (intentio bellantium recta) – z. B. einen Bereicherungsoder Vergrößerungswunsch. Für das klassische Völkerrecht verbleibt nur die erste Bedingung: Kriege dürfen nur Staaten führen. Ist sie erfüllt, dann liegt auch schon ein bellum iustum vor – es sei denn, der Staat macht sich eines Bruches der Regeln des ius in bello schuldig. Es ist mit Recht darauf verwiesen worden (Schmitt 1997: 114), daß erst diese Revision der bellum iustum-Lehre die Möglichkeit geschaffen hat, daß Staaten Neutralität erklären können; denn nur solchen Sachverhalten gegenüber kann man eine unentschiedene Haltung einnehmen, auf welche man die Kennzeichnung gerecht / ungerecht nicht anwenden muß. Einem Schurkenstaat gegenüber darf man letztlich die Hände nicht in den Schoß legen, wenn man sich nicht der Komplizenschaft schuldig machen will. Ist also in der öffentlichen Debatte von Schurkenstaaten die Rede, dann wird – nolens oder volens – die bellum iustum-Lehre revitalisiert, denn im klassischen Völkerrecht gilt jeder kriegführende Staat als hostis iustus, solange er sich an die Regeln für die Auseinandersetzung hält, an das ius in bello, das die Haager Landkriegsordnung von 1907 kodifiziert. Nach dem Ersten Weltkrieg entwickelt sich die Intention, über eine Erweiterung des ius in bello allmählich zu einer Abschaffung des ius ad bellum zu gelangen: Der Briand-KelloggPakt (1928) statuiert erstmals ein allgemeines Kriegsverbot, das durch die UNO-Charta (1945) zu einem Gewaltverbot erweitert wird. Inwieweit dieses Kriegs- / Gewaltverbot völkerrechtlich zwingend, also ius cogens ist, wird sich erst thematisieren lassen, wenn geklärt ist, aus welchen Quellen internationales Recht fließt. Gleiches gilt für eine Antwort auf die

18

Einleitung

Frage nach dem Schutz der Menschenrechte. Beides ist – soviel läßt sich jetzt schon sagen – nicht ohne eine wie auch immer geartete Wiederbelebung der bellum iustum-Lehre zu verwirklichen. Die Beobachtungen, welche der Zeitgenosse des 20. und 21. Jahrhunderts zum Charakter staatlicher Völkerrechtssubjekte, zu ihrem Agieren auf internationaler Bühne und den hier einschlägigen völkerrechtlichen Bestimmungen machen kann, lassen sich in folgender Weise zur á-Frage zusammenführen: (á) Ist der Staatsbegriff des Völkerrechtes angemessen; ist es nicht nötig, gelungene von mißlungenen Formen von Staatlichkeit zu unterscheiden? Wendet sich der Zeitgenosse der â-Frage, i.e. den Quellen des Völkerrechts zu, dann mag er einen Blick in die Satzung des Internationalen Gerichtshofes (Art. 38, I) werfen; hier werden drei Quellen für das Völkerrecht genannt. Hilfsweise tritt eine vierte hinzu: (1) Verträge, in welchen von den Parteien beachtete Regeln festgesetzt werden; (2) Gewohnheiten, welche von den Staaten als Gesetz angesehen werden; (3) allgemeine Prinzipien, welche zivilisierte Nationen als Gesetz betrachten; (4) Gerichtsentscheidungen und die Auffassung von Völkerrechtsgelehrten. Was in (1) festgelegt wird, ist reine Willensbekundung, (2) und (3) hingegen haben mehr als nur dezisionistischen Charakter, denn damit etwas Völkergewohnheitsrecht ist, muß neben das Faktum, daß eine Regel beachtet wird, auch die Auffassung treten, daß man sie nicht nur aus Gründen der Courtoisie beachtet, sondern daß es sich um Recht handelt, welches befolgt werden muß, i.e. die opinio iuris.

1. Loose-Fish

19

Völkergewohnheitsrecht entsteht durch eine Staatenpraxis, die wiederholte oder regelmäßige einheitliche Übung (consuetudo als objektive Bedingung), die von einer opinio iuris sive necessitatis (die Auffassung, zu einem solchen Verhalten verpflichtet zu sein, als subjektive Voraussetzung) getragen wird. Nach der räumlichen Ausdehnung ergibt sich entweder partielles oder universelles Völkergewohnheitsrecht. Ist nur die objektive Voraussetzung erfüllt, dann liegt kein Völkergewohnheitsrecht vor, sondern nur Völkercourtoisie. Der Lehre vom Völkergewohnheitsrecht haftet freilich insofern eine schwer zu überwindende Schwäche an, als sie nicht in der Lage ist, das Zustandekommen von Gewohnheitsrecht zu erklären, obwohl sie genau das zu tun vorgibt. Die folgende schrittweise vorgenommene Konstruktion macht dies deutlich: (1) Die Staaten S1 und S2 behandeln einander unter den Umständen U nach der Regel R, weil sie der Auffassung sind, es der Höflichkeit zu schulden, R zu respektieren. (2) Im Laufe von vielen Jahren gerät in Vergessenheit, daß R zu befolgen lediglich als Ausdruck der Völkercourtoisie galt, man ist jetzt der Ansicht, es sei rechtlich geboten, unter den Umständen U R zu befolgen. Damit hat R den Charakter partiellen Völkergewohnheitsrechtes angenommen; denn die Bedingungen – stetige Staatenpraxis und eine opinio iuris – sind erfüllt. (3) Die Staaten S1 und S2 kommen zu der Ansicht, es sei wünschenswert, R zu kodifizieren. Sie schließen mithin einen Vertrag, welcher R für U als gültiges partielles Völkerrecht deklariert. (4) Die Staaten S3 bis Sn schließen sich – ohne dem zwischen S1 und S2 geschlossenen Vertrag beizutreten – der Praxis, welche unter den Umständen U R respektiert, an und begründen damit eine Regel universeller Völkercourtoisie. (5) Die Staaten S3 bis Sn treten dem Vertrag zwischen S1 und S2 bei. Damit ist R universelles Völkerrecht geworden.

20

Einleitung

Die Konstruktion zeigt, daß nichts völkerrechtlichen Charakter annehmen kann, was nicht zuvor wenigstens eine Regel der Völkercourtoisie gewesen ist – und, so muß man einschränkend hinzufügen, dies auch nur dann, wenn man eine gewisse Vergeßlichkeit der Völkerrechtsubjekte unterstellt. Vergeßlichkeit macht es nämlich erst möglich, daß zur Praxis die opinio iuris hinzutritt, welche in jedem Fall ein Irrtum ist, eine Art Selbsttäuschung der beteiligten Völkerrechtssubjekte, die nun glauben, einander zu schulden, was bisher die Höflichkeit gewährt hat. Philosophisch liegen die Dinge noch schlimmer; denn aus der Tatsache, daß etwas immer oder doch wenigstens lange Zeit so war, wie es war, läßt sich nicht schließen, daß es auch in Zukunft so sein soll, es sei denn, man ist willens, den SeinSollens-Hiatus sehenden Auges zu vollziehen, also ohne die Möglichkeit einer Rechtfertigung von deskriptiven zu präskriptiven Sätzen überzugehen, was trotz aller – letztlich immer wieder gescheiterter – Versuche, Humes Einwand (1981: 469) zu entkräften (vgl. z. B. MacIntyre 1984: 57 / 58) nach wie vor ein gravierender logischer Fehler wäre. Ein Ausweg mag darin bestehen, daß man die Reihenfolge, in welcher die objektive und subjektive Bedingung erfüllt werden, umdreht. Dann nehmen die ersten beiden Schritte der Konstruktion folgende Gestalt an: (1) Die Staaten S1 und S2 kommen zu einem Zeitpunkt T1 zu der Auffassung, es sei rechtlich geboten, einander unter den Umständen U nach der Regel R zu behandeln. (2) Sie bilden nun zwischen T1 und Tn eine Praxis aus, welche darin besteht, unter U R zu befolgt. Daß auch diese Erklärung nicht verfängt, ist evident. Denn entweder hatte R schon zu T1 rechtlichen Charakter, dann ist die zwischen T1 und Tn ausgebildete Gewohnheit ohne Bedeutung für den Rechtscharakter von R, oder aber die Auffassung, R sei rechtlich geboten, war zu T1 falsch, dann kann sie aber durch die nachfolgende Gewohnheitsbildung nicht richtig werden.

1. Loose-Fish

21

Die Überlegungen führen zu dem Schluß, daß erst die in den Schritten (3) bzw. (5) erfolgenden Vertragsabschlüsse Recht schaffen. Aber auch die Erklärung des vertraglich erzeugten Völkerrechts ruht auf schwankendem Grund. Verträge im Privatrecht schaffen Rechte und Pflichten, aber kein Recht. Der Abschluß eines völkerrechtlichen Vertrages hingegen ist mehr als ein Rechtsgeschäft, er ist rechtsetzendes Handeln. Was auf diese Weise entsteht, ist partikulares Völkerrecht. Erst wenn alle Staaten beitreten, entsteht universelles Völkerrecht. Letzteres ist unwahrscheinlich, aber zumindest können durch Beitritt anderer Staaten bi- zu multilateralen Verträgen erweitert werden. Verbindliche Kraft gewinnen solche Verträge aus dem Postulat pacta sunt servanda; dies gilt auch dann, wenn man – wie Spinoza (1979: 486 / 487; 1994: 52 / 53) – die Formel durch ein Es-sei-denn einschränken will – etwa im Falle von Verträgen, die einem Staat im Laufe der Zeit zunehmend ungünstiger erscheinen und die er dann zu einem bestimmten Zeitpunkt für nicht länger gültig erklärt. Das Es-sei-denn bestimmt lediglich die Bedingung für das Vertragsende, es macht aber die Verpflichtung, den Vertrag einzuhalten, nicht für den Zeitraum ungültig, innerhalb dessen die Bedingung nicht erfüllt ist. Die von Spinoza für innerstaatliche Verhältnisse konzeptualisierte Es-sei-denn-Formel gesteht zwar zu, daß Verträge, in denen die Rechtsübertragung vollzogen wird, auf welcher die jeweilige politische Gestalt eines Staates beruht, gebrochen werden können, verlangt aber auch, daß dies nur dann geschehen dürfe, wenn dem Gemeinwohl auf diese Weise gedient sei. Ob ein solcher Fall vorliege, habe die Obrigkeit zu entscheiden. Die Es-sei-denn-Formel lautet also: pacta sunt servanda gilt genau solange, wie Vertragstreue nicht durch die Obrigkeit für gemeinwohlschädlich angesehen wird (Spinoza 1994: 60 f.). Der völkerrechtlich bedeutsame pacta sunt servandaGrundsatz ist nicht durch die Staatenpraxis – also nicht ge-

22

Einleitung

wohnheitsrechtlich – entstanden, er geht vielmehr aus ihr hervor. Wäre er langsam entwickelt worden, dann hätten alle vor seiner Entfaltung geschlossenen Verträge keine Verbindlichkeit besessen. Zudem könnte er durch sogenanntes derogierendes Völkerrecht aufgehoben werden, was logisch nicht möglich ist, da dies wiederum nur vertraglich geschehen könnte und ein entsprechender Kontrakt seine Verbindlichkeit aus einem Prinzip beziehen müßte, welches er expressis verbis abschaffen will. Raymond Aron nennt daher die pacta sunt servanda-Formel zwar nicht die ursprüngliche Norm oder die moralische Grundlage des Völkerrechts, wohl aber sieht er sie als die Bedingung seiner Existenz an (1986: 133, 832); Hans Kelsen geht weiter und spricht von einer Grundnorm (vgl. Kelsen / Tucker 1967: 446 f. u. 564). Dies trifft gewiß den Sachverhalt, macht aber den von Kelsen vertretenen Rechtspositivismus fragwürdig und mit ihm die Idee, das Völkerrecht beruhe ausschließlich auf Verträgen. Festzuhalten bleibt hier, daß Regeln in Kraft sind, deren Status dem strikten Völkerrechtspositivisten unerklärlich sind, auf die er aber nicht verzichten kann. Auch die allgemeinen Prinzipien, von denen in der Satzung des Internationalen Gerichtshofes die Rede ist, lassen sich nicht einfach erklären. Hier soll es sich um Regeln handeln, die allen oder doch den meisten Rechtsordnungen zugrunde liegen (z. B. die Wiedergutmachungsverpflichtung eines Schadensurhebers, die Verpflichtung nach Treu und Glauben, das Verbot des Rechtsmißbrauchs, Verjährung, Verwirkung, Rechtsverlust durch Zeitablauf) oder die Bedingung der Möglichkeit einer Völkerrechtsordnung sind: das Nichteinmischungsprinzip. Hinzukommen die Grundprinzipien der Rechtslogik (z. B. eine spezielleres Gesetz verdrängt ein allgemeineres – lex specialis derogat legi generali). Gerade der letzte Rückgriff auf solche Regelungen, deren Existenz allererst das Völkerrecht möglich macht, ist ein stillschweigendes Eingeständnis, daß internationales Recht nicht in sich selber ruht, am Ende vielleicht überhaupt des Rechtscharakters entbehrt, was ein konsequenter Positivist wie John Austin (1885: I, 75 f.) behauptet und zur Wahrung seines Standpunktes auch behaupten muß.

1. Loose-Fish

23

Aus den Überlegungen zu den Rechtsquellen resultiert die â-Frage: (â) Ist der gängige Völkerrechtspositivismus haltbar, ist nicht vielmehr angesichts gewisser trans-positiver Elemente, ohne welche der Positivismus in kaum überwindliche Schwierigkeiten gerät, eine nicht-positivistische Auffassung vorzuziehen und wie hätte diese auszusehen? Die ã-Frage nach dem Rechtscharakter des Völkerrechts stellt sich dann, wenn man zugesteht, daß John Austin sich mit seiner Auffassung irrt, das, was man Völkerrecht nenne, sei nur ein Satz vom Umgangsregeln für die internationale Politik (Austin 1885: I, 75 f.). Ist das Völkerrecht wirklich Recht – wenn vielleicht auch nur in primitiver Form (vgl. Kelsen 1957a: 255; Morgenthau 1963: 246) – dann ist sein Verhältnis zum jeweils innerstaatlichen Recht zu bestimmen. Diese Aufgabe ist auch dann zu lösen, wenn man der Auffassung ist, nationales und trans-nationales Recht glichen sich einander an (vgl. Habermas 2005: 348). Denn um einen solchen Prozeß konstatieren zu können, muß ja die Differenz beider vorausgesetzt werden, was zugleich impliziert, daß ihr Verhältnis zueinander auf irgendeine Weise konzeptualisiert ist. Hier lassen sich monistische (= M) und dualistische (= D) Explikationen konstruieren. Logisch sind insgesamt vier Ansätze möglich: M1 nimmt das Primat des innerstaatlichen Rechts an. Nur dieses ist Grundlage einer Rechtsverpflichtung. Von ihm ist das Völkerrecht abgeleitet, welches nur dadurch in Kraft tritt, daß innerstaatliches Recht es in sich aufnimmt. Für M1 spricht, daß hier das Durchsetzungsproblem des Völkerrechts zumindest entschärft zu sein scheint. Denn wenn das Völkerrecht immer nur so stark ist, wie die Einzelstaaten es wollen, dann gewinnt es genau dann an Gewicht, wenn diese es als Ausfluß ihres innerstaatlichen Rechts verstehen. M2 gibt dem Völkerrecht das Primat, aus ihm wird das innerstaatliche Recht abgeleitet.

24

Einleitung

Argument für diese Auffassung können die Menschenrechte sein. Sie haben vorstaatlichen Charakter, denn wenn erst der Staat sie gewährte, wie Tugendhat annimmt (1998: 48), dann wäre es denkbar, daß wir, obwohl Menschen, für eine gewisse Zeit, nämlich vor ihrer Gewährung durch den Staat, ohne diese Rechte wären – eine fraglos widersinnige Annahme. Freilich leidet dieses Argument unter dem Einwand, daß klassisches Völkerrecht Menschenrechte nicht kennt; denn Individuen sind hier ja keine Völkerrechtssubjekte. M1 und M2 wahren die Einheitlichkeit des Rechts, welche die folgenden beiden Ansätze vollständig oder partiell aufgeben: D1 ist die Position des radikalen Dualismus: Völkerrecht und innerstaatliches Recht sind auf andersgearteten Ebenen angesiedelt. Grund für diese Annahme ist ein Hinweis auf die Unterschiedlichkeit der jeweiligen Rechtssubjekte: Man kann das Verhältnis zwischen Individuen nicht auf die gleiche Weise regeln wie das zwischen Staaten, auch wenn man Staaten wie Quasi-Subjekte konzeptualisiert. D2 mäßigt den Dualismus: Auch wenn beide Rechtsordnungen auf unterschiedlichen Ebenen anzusiedeln sind, muß Völkerrecht doch innerstaatlich umgesetzt werden. Mithin kann von völliger Inkompatibilität nicht gesprochen werden. Allerdings muß man annehmen, daß Völkerrecht transformiert wird, wenn man es zu innerstaatlichem Recht macht. Hier taucht allerdings die Schwierigkeit auf, daß das Völkerrecht keine Normen enthält, wie es zu transformieren sei. Es gibt nur die Grundnorm, daß sich kein Staat mit Hinweis auf seine Rechtsordnung weigern darf, völkerrechtliche Pflichten zu erfüllen. Die Auflistung macht deutlich, wo das philosophische Problem liegt: Nur der Monismus wahrt die Einheitlichkeit des Rechts, erlaubt es also, vom Recht der Völker zu sprechen.

1. Loose-Fish

25

Der Dualismus hingegen muß mit zwei völlig unterschiedlichen Rechtsbegriffen operieren, deren Kompatibilität allererst zu erweisen wäre. Die ã-Frage lautet also: (ã) Ist ein einheitlicher Rechtsbegriff zu wahren oder ist eine dualistische Auffassung unausweichlich? Damit sind die angekündigten drei Aspekte, unter denen Völkerrecht und internationale Politik philosophisch erörtert werden sollen, skizziert. Sie betreffen (á) den Staatsbegriff, (â) die Quelle internationalen Rechts und (ã) das Verhältnis von nationalem und internationalem Recht. Auf diese Fragen sollen in der folgenden Abhandlung Antworten erprobt werden. Dazu ist es zunächst nötig, in einem ersten Teil Grunddistinktionen zu treffen, um so das terminologische Material bereitzustellen, auf dem aufbauend dann in einem zweiten Teil die rechtstheoretischen Grundpositionen zu entfalten sind: der Rechtspositivismus und das Naturrecht in einer starken und in einer schwachen Variante. Ein dritter Teil wird diese Positionen dann völkerrechtlich wenden und die aus ihnen resultierenden Antworten auf die drei gestellten Fragen untersuchen. Der letzte Teil der Abhandlung faßt einige der Konsequenzen der Überlegungen zum trans-nationalen Recht ins Augen. Zu erörtern sind hier zunächst die für jede trans-nationale Politik und insbesondere für eine sich realistisch gebende Politik-Theorie bedeutsamen Begriffe der Macht und der Gewalt in ihrem Verhältnis zum Recht sowie der Begriff des Krieges. Schließlich wird auch das Projekt eines Weltstaates zu erörtern sein – eine Vorstellung, welche den Vertretern des Loose-Fish-Theorems, aber auch einem Denker wie Kant stets suspekt war. Eingestreut in den Gang der Darstellung werden jeweils nach den Eingangskapiteln des zweiten, dritten und vierten Teils drei Exkurse, die nötig werden, weil sich im Laufe der Abhandlung zeigen wird, daß geklärt werden muß, wie sich Menschenrechte begründen lassen (1. Exkurs), wie die pacta sunt servanda-Formel zu verstehen ist (2. Exkurs), schließlich wie sich natürliche Personen von staatlichen Quasi-Subjekten

26

Einleitung

unterscheiden (3. Exkurs), eine Differenzierung, die spätestens seit dem Aufkommen der Lehre von den zwei Körpern des Königs praktisch-politische Bedeutsamkeit besitzt (vgl. Kantorowicz 1997). Den Schluß bilden resümierende Überlegungen, welche – wie die Einleitung – den Ausgang von Melvilles WalfängerEpos nehmen und eine Einschätzung vorlegen, ob denn im Felde trans-nationaler Politik wirklich alles Fast- oder LooseFish, i.e. ob der sogenannte Realismus wirklich realistisch ist.

„Die Gerechtigkeit, mein Freund, strengt nämlich mächtig an, man ruiniert sich in ihrem Dienst, gesundheitlich und moralisch . . .“ (Dürrenmatt 1998: 60 / 61).

I. Termini 2. Grunddistinktionen

Ganz zu Beginn seines 1971 zum ersten Mal erschienenen Buches A Theory of Justice schreibt John Rawls einen Satz, der höchst erstaunlich ist und den er selber später dadurch revidiert hat, daß er sowohl moralphilosophische als auch epistemologische Termini nur noch politisch verstanden wissen wollte (1993: 62). Er sagt, Gerechtigkeit sei die erste Tugend sozialer Institutionen, ganz so, wie Wahrheit die von Gedankengebäuden sei (1973: 3). Der Leser könnte zunächst vermuten, Rawls wolle hier lediglich sagen, daß im Felde der theoretischen Philosophie der Schlüsselbegriff Wahrheit, in dem der Sozialphilosophie der Zentralterminus hingegen Gerechtigkeit sei. In diesem Falle hätten wir es mit dem Hinweis zu tun, daß die beiden erwähnten Bereiche der Philosophie jeweils um einen dieser Begriffe herum aufgebaut werden müßten. Eine solche Feststellung wäre nichts Neues, denn es gehört zur Tradition der Moraltheorie, die Gerechtigkeit als die soziale Tugend zu bestimmen. Ungewöhnlich bliebe nur, von der Wahrheit als einer Tugend in epistemologischem Sinne zu sprechen. Rawls hat aber mehr im Sinn – und das eben ist Anlaß zur Verwunderung. Er setzt seine Überlegungen nämlich fort, indem er sagt, eine Theorie könne noch so elegant sein, man müsse sie ablehnen, wenn sie sich als unwahr erweise. Gesetze und Institutionen könnten noch so gut gebaut, noch so effizient sein, man müsse sie reformieren oder ganz aufgeben, wenn sie ungerecht seien.

28

I. Termini

Diesen Bemerkungen läßt sich nur entnehmen, daß Gerechtigkeit über menschliche Einrichtungen in gleicher Weise entscheidet wie Wahrheit über theoretische Lehrgebäude. Dies eben ist das Erstaunliche – die Annahme nämlich, daß Wahrheit und Gerechtigkeit nicht nur Schlüsselbegriffe in bestimmten Feldern der Philosophie seien, sondern daß man sie bis in die Einzelheiten hinein analogisieren könne. Die von Rawls aufgestellte Behauptung präjudiziert seine folgenden Darlegungen in ganz bestimmter Weise, weil sie das Konzept dessen, was man unter Gerechtigkeit zu verstehen hat, weitgehend festlegt. Wie dies geschieht, wird deutlich, wenn man genauer überprüft, was denn die Analogisierung von Wahrheit und Gerechtigkeit meinen kann. Auf diese Weise läßt sich das Feld der Frage nach Recht und Gerechtigkeit öffnen. Im Verlaufe dieser Überprüfung werden drei Begriffspaare eine Rolle spielen, mit deren Hilfe sich verdeutlichen läßt, wo genau das Ausgangsproblem einer jeden rechtsphilosophischen Grundsatzüberlegung zu finden ist. Es sind dies die Unterscheidungen von personaler und institutioneller Gerechtigkeit, von natürlichem und positivem Recht und – weniger bedeutsam und nur der Vollständigkeit halber mit aufgeführt – die von austeilender und ausgleichender Gerechtigkeit. Unter Wahrheit versteht man klassischerweise die Übereinstimmung eines Satzes mit einem Sachverhalt. Wahrheit ist nämlich eine Qualität solcher Sätze, denen man attestieren kann, daß sie dem Sachverhalt korrespondieren, den sie darzustellen behaupten. Mit dieser Korrespondenztheorie der Wahrheit wird festgestellt: Der Satz Es regnet zum Zeitpunkt t am Orte O ist genau dann wahr, wenn in der Welt am Orte O zum Zeitpunkt t Regen angetroffen werden kann. Wenn Rawls’ Analogisierung von Wahrheit und Gerechtigkeit zutrifft und wenn obendrein die Korrespondenztheorie der Wahrheit gemeint ist, dann müßte sich das Gerechtsein von etwas auf ganz ähnliche Weise ausdrücken lassen. Es fragt sich allerdings sofort, was denn hier überhaupt gerecht ge-

2. Grunddistinktionen

29

nannt werden soll. Wahrheit ist eine Qualität von Sätzen. Gerechtigkeit ist eine Qualität wovon? Rawls’ Formulierung läßt sich entnehmen, daß er den Begriff der Gerechtigkeit auf Institutionen, auf Gesetze, auf das Recht beziehen will. Wenn man annimmt, daß die benannten Institutionen staatliche Einrichtungen sind, dann kann man davon ausgehen, daß sie aufgrund eines Gesetzes oder einer gesetzesähnlichen Anordnung ins Leben gerufen worden sind. Also wäre der Begriff des Rechtes der ausschlaggebende Terminus. Man käme dann zu dem Schluß, daß Gerechtigkeit eine Qualität von Gesetzen, eine Eigenschaft des Rechts ist. Diese Annahme ist nicht nur unpräzise formuliert, sie ist auch einseitig; denn sie stimmt nicht mit unserem Sprachgebrauch überein – weder im Englischen noch im Deutschen. Denn man sagt ja auch von Menschen, daß sie gerecht seien. Daher ist es nötig, das erste der angekündigten Begriffspaare einzuführen, mit denen das Feld der Frage nach der Recht und Gerechtigkeit abgesteckt werden kann. Man hat offensichtlich zwischen personaler und institutioneller Gerechtigkeit zu unterscheiden. Personale Gerechtigkeit ist eine Qualitäten von Individuen, institutionelle Gerechtigkeit hingegen eine Qualität von etwas, das – und hier bleiben die Angaben zunächst vage – keine natürliche Person ist: Staaten, Verfassungen, Gesetze, Anordnungen. Das erste Begriffspaar zeigt, inwiefern Rawls mit seinem Einleitungssatz seine folgenden Untersuchungen präjudiziert: Er schränkt Gerechtigkeit auf institutionelle Gerechtigkeit ein, er fragt also nach der Gerechtigkeit des Rechts und der von ihm geschaffenen Einrichtungen. Personale Gerechtigkeit kommt in seiner Formulierung nicht vor. Freilich mag man zu Rawls Entlastung sagen, daß personale und institutionelle Gerechtigkeit dahingehend übereinkommen, daß letztere erst im Handeln von Individuen, also von natürlichen Personen sichtbar wird. Gerechtigkeit ist eine Qualität von Handlungen. Man überträgt dann im alltäglichen Sprechen diese Qualität auf den Täter, also auf einzelne Men-

30

I. Termini

schen, auf Institutionen, auf Gesetze, die das Handeln von Institutionen steuern. So kann man dann sagen: Müller ist ein gerechter Mensch, und damit meinen, Müllers Handlungen sind gerecht. Wenn man feststellt, daß die Steuergesetzgebung ungerecht sei, dann meint man, die Handlungen, welche die Steuergesetzgebung veranlaßt, seien ungerecht – also das, was der Finanzbeamte, was im schlimmsten Falle der Gerichtsvollzieher tut. Wenn man annimmt, Gerechtigkeit sei ausschließlich eine Qualität von Handlungen, und dann versucht, mit dieser Feststellung einen Korrespondenzbegriff der Gerechtigkeit zu formulieren – ganz analog zum Korrespondenzbegriff der Wahrheit, dann bietet sich eine Wendung an, mit der eine Handlung H dann für gerecht erklärt wird, wenn sie mit etwas übereinstimmt. Präzisiert man so, daß man Korrespondenz mit dem Gesetz verlangt, dann lautet die These: Handlungen sind gerecht, wenn sie dem Gesetz entsprechen, also gesetzmäßig sind. Das ist freilich eine Auskunft, die nicht ganz ohne Schwierigkeiten ist, wie ein Beispiel schnell verdeutlicht: Man stelle sich einen aufsehenerregenden Kriminalfall vor. Die Tat, über welche die Richter urteilen müssen, ist besonders scheußlich – die Öffentlichkeit meint, man könnte den Angeklagten gar nicht hart genug bestrafen. Die Richter jedoch verlesen nach dem Prozeß ein Urteil, das als ausgesprochen milde zu gelten hat. Daraufhin ist die Empörung groß. Die Leute sagen: Das Urteil ist ungerecht. Die naiv klingende, aber philosophisch höchst bedeutsame Frage lautet nun: Woher wissen sie das? Wie kommen sie zu ihrer Einschätzung? Nach der Korrespondenztheorie der Gerechtigkeit müßte das Urteil deshalb verfehlt sein, weil es mit irgend etwas nicht übereinstimmt. Wenn man nun annimmt, daß die Richter ihr juristisches Handwerk verstehen, es im Prozeß keine Verfahrensfehler gegeben und man sich obendrein mit dem Urteilsspruch auch an den gesetzlichen Rahmen gehalten hat, dann kann die Auffassung der protestierenden

2. Grunddistinktionen

31

Öffentlichkeit nicht mit der Behauptung begründet werden, das Urteil stimme nicht mit dem Gesetz überein. Diese Überlegung veranlaßt die Einführung des zweiten Begriffspaars: Wenn man behauptet, gerecht sei eine Handlung genau dann, wenn sie mit dem geschriebenen Gesetz übereinstimme, das geschriebene Gesetz aber auf Abmachungen, welche die Menschen willkürlich getroffen haben, zurückführt, dann vertritt man eine Ansicht, die rechtspositivistisch heißen kann. Der Rechtspositivist sagt also: Die Festsetzung des Rechts und sein Ausfluß, nämlich die Bestimmung dessen, was als das jeweils Gerechte zu gelten hat, verdankt sich menschlicher Willkür (vgl. Hayek 1978: 237). Rawls kann kein Rechtspositivist sein, denn er meint ja, man müsse ungerechte Institutionen und Gesetze aufheben. Dies kann nur dann geschehen, wenn es eine dem geschriebenen Gesetz übergeordnete Instanz gibt, welche festlegt, was gerecht und ungerecht ist. Diese übergeordnete Instanz muß so beschaffen sein, daß ihre Festlegungen für den Menschen bindende Kraft haben. Mit ihr zu rechnen, heißt mithin anzunehmen, daß sich die Festsetzung des Rechts menschlicher Willkür entziehe. Diese Auffassung, die noch zu differenzieren sein wird, soll naturrechtlich oder trans-positiv heißen. Damit ist das zweite Begriffspaar skizziert. Eine Theorie des Rechts und der aus ihm resultierenden Gerechtigkeit hat zu erklären, ob das jeweils Gerechte naturrechtlich bestimmt ist oder lediglich durch positives Recht festgelegt wird. Mit den letzten Überlegungen ist die Korrespondenztheorie der Gerechtigkeit stillschweigend aufgegeben. Denn indem das, mit dem eine Handlung übereinstimmen soll, als das entweder natürliche oder positive Recht identifiziert worden ist, hat sich der korrespondenztheoretische Ansatz zu einer Kohärenztheorie verwandelt. Um diesen Begriff rechtsphilosophisch zu präzisieren, muß noch einmal die Wahrheitsfrage generell thematisiert werden.

32

I. Termini

Wir sagen, ein Satz sei falsch, weil er einer anderen Aussage widerspreche. Kriterium des Falschseins ist uns hier das Faktum des Widerspruchs. Daher könnte man auf den Gedanken verfallen, Sätze dann wahr zu nennen, wenn sie gewissen Regeln entsprechend formuliert sind. Diese Regeln heißen in ihrer Gesamtheit Logik im weitesten Sinne. Eine Kohärenztheorie der Wahrheit nennt also regelkonforme Aussagen wahr. Analog zu dieser Bestimmung kann von der Gerechtigkeit von Handlungen die Rede sein. Sie heißen gerecht, wenn sie mit dem übereinstimmen, was entweder das positive oder aber das natürliche Recht verlangt. Die Richter des Beispielfalles, deren Urteil die Menschen als ungerecht kritisieren, werden sich kohärenztheoretisch verteidigen. Sie werden sagen: Unser Spruch steht im Einklang mit den Gesetzen, er folgt geltendem Recht. Nach diesen Überlegungen dürfte sichtbar geworden sein, warum der eingangs erwähnte Satz zu Beginn der Rawlsschen Theory of Justice so erstaunlich ist: Mit ihm werden zwei Entscheidungen getroffen, welche man eigentlich offenhalten, zumindest aber ausdrücklich thematisieren müßte. Rawls präjudiziert sein Buch mit dem Einleitungssatz so, daß sein Gegenstand immer schon als die einerseits institutionelle und andererseits nicht-rechtspositivistisch fundierte Gerechtigkeit anzusehen ist. Wenn man das Werk dann zu lesen beginnt, stellt man fest, daß noch eine dritte Prämisse in Kraft ist. Rawls verhandelt nämlich Gerechtigkeit im wesentlichen nur als austeilende Gerechtigkeit. Es geht in seiner Arbeit um Fragen der Distribution von Gütern im weitesten Sinne. Das Beispiel hat aber gezeigt, daß es natürlich noch eine andere Arten der Gerechtigkeit gibt, die ausgleichende nämlich. Die Menschen, die sich über das milde Urteil empören, meinen, hier werde der Schaden, der angerichtet worden ist, nicht richtig ausgeglichen. Gerecht zu sein, heißt also nicht nur, richtig zu verteilen, oder – im Vokabular der Tradition – Gerechtigkeit ist mehr als iustitia distributiva, sie ist auch iustitia commutativa oder – wenn man diesen Terminus im Zusammenhang mit dem Strafrecht eher für angemessen hält – iustitia correctiva.

2. Grunddistinktionen

33

Die drei skizzierten Begriffspaare lassen sich durchaus als Begriffsoppositionen bezeichnen; denn wenn man annimmt, daß gerecht eine Eigenschaft ist, welche Personen zukommt, dann ist die institutionelle Gerechtigkeit als eine abgeleitete Größe zu betrachten. Die von überindividuellen Einrichtungen, von Gerichtshöfen, Schulbehörden, staatlichen Instanzen ausgehende Gerechtigkeit ist dann nichts anderes als die institutionell gewordene personale Gerechtigkeit. Umgekehrt steht der Fall, wenn man die institutionelle Gerechtigkeit als Primum betrachtet; nun ist die Gerechtigkeit des Einzelnen nichts anderes als Ausfluß der Gerechtigkeit von Institutionen. Der einzelne Lehrer ist gerecht, wenn er dem folgt, was seine Aufsichtsbehörde als gerechtes Verhalten vorschreibt. Personale und institutionelle Gerechtigkeit stehen daher insofern in Opposition, als immer nur einer der beiden Begriffe als das Primum angesehen werden kann. Ähnlich steht es mit dem zweiten Begriffspaar, der natürlichen und der positiven Gerechtigkeit. Wenn sich das, was man zutreffend gerecht nennt, nicht von Menschen erfinden, sondern nur auffinden läßt, dann kann eine positive Gesetzgebung das Gerechte nur treffen oder verfehlen. In jedem Falle aber ist das positive Recht hier von lediglich derivativem Charakter, es stellt eine Kodifizierung des natürlichen Rechtes dar, dem sich entnehmen läßt, was natürlicherweise als gerecht zu bezeichnen ist. Wenn wir hingegen meinen, das Gerechte werde erfunden, also von den Menschen ihren historischen und sozialen Umständen entsprechend gesetzt, dann mag schließlich der Fall eintreten, daß man eines Tages, wenn stabile Rechtstraditionen ausgebildet sind, meint, das lediglich Erfundene sei gefunden worden. Das aber ist dann nur eine Täuschung; man hat hier einfach die Rechtsquelle vergessen oder verdrängt. Es läßt sich daher sagen: Natürliches und positives Recht schließen sich als Rechtsquellen gegenseitig aus. Recht wird entweder gefunden oder erfunden. In der gleichen Opposition stehen austeilende und ausgleichende Gerechtigkeit. Man mag ein Recht auf das haben, was der Staat zuteilt, Orden z. B. oder Sozialleistungen, und man

34

I. Termini

mag verpflichtet sein zu geben, was der Staat nimmt, Steuern, Militärdienst, gar das Leben – in allen diesen Fällen wird nichts ausgeglichen, es wird genommen oder zugeteilt aus einer Verfügungsmasse von Gütern im weitesten Sinne. Dies ist bei der ausgleichenden Gerechtigkeit nicht der Fall. Hier gibt es nämlich eine solche Verfügungsmasse gar nicht. Alles ist schon verteilt, und man bemüht sich darum, den Austausch des Verteilten zu regeln – sei es, daß er freiwillig, sei es, daß er unfreiwillig vorgenommen wird. Nachdem sich die drei Begriffspaare als Begriffsoppositionen erwiesen haben, ist ein zweiter Systematisierungsschritt zu vollziehen, welcher einen Zusammenhang zwischen den drei Oppositionen herstellt. Dies kann nur so geschehen, daß noch einmal die Möglichkeiten thematisiert werden, das Wort gerecht zu verwenden. Wir beziehen es entweder auf das Subjekt einer Tat, auf die Tat selbst oder – und das ist ein bisher nicht berücksichtigter Aspekt – auf ihr Ergebnis. So sprechen wir von einem gerechten Menschen, aber auch von einem gerechten Staat, von einer gerechten Handlung, von einem gerechten Zustand, der durch eine Handlung herbeigeführt worden ist. Damit läßt sich das Adjektiv gerecht auf alle drei Elemente beziehen, aus denen das Handlungsgeflecht besteht. Der Ausdruck Handlungsgeflecht soll die Komponenten bezeichnen, die sich bei allem Handeln finden: Handlungen sind immer die Taten eines Täters, und Handlungen resultieren immer in Zuständen, welche durch sie herbeigeführt werden. Nennt man den Täter S, die Tat H und das Handlungsergebnis R, dann kommt man zu folgender von rechts nach links als Implikationsmechanismus zu lesender Formel: S

H

R.

Man sieht schnell, daß sich die Opposition von personaler und institutioneller Gerechtigkeit auf das Subjekt S bezieht. Der Täter ist immer entweder eine natürliche oder eine nichtnatürliche Quasi-Person. Nicht ganz so leicht lassen sich die beiden anderen Oppositionen auf die drei Elemente des Hand-

2. Grunddistinktionen

35

lungsgeflechtes projizieren. Die Unterscheidung von austeilender und ausgleichender Gerechtigkeit scheint zunächst sowohl die Tat als auch ihr Ergebnis zu betreffen; denn hier wird ausgeteilt und ausgeglichen, um einen gerechten Zustand zu erzeugen. Freilich mißt man dabei immer am Resultat, nicht an der Handlungsweise selbst. Nicht der Akt der Urteilsverkündung heißt gerecht, sondern das Urteil, nicht die Ausfertigung des Steuerbescheides ist ungerecht, sondern die durch ihn herbeigeführte Situation. Also bezieht sich die Opposition von ausgleichender und austeilender Gerechtigkeit auf das Resultat. Damit bleibt noch zu klären, inwiefern sich die Unterscheidung von natürlichem und positivem Recht auf eines der drei Elemente des Handlungsgefüges beziehen läßt. Klar ist, daß sie keine Anwendung auf das Resultat findet. Es verbleiben daher nur die Stelle des Subjektes S und die der Tat H selbst. Nun wird man kaum sagen, ein Mensch oder eine Institution sei im Sinne des positiven Rechtes gerecht, ohne daß man diese Person oder Institution hat handeln sehen. Wenn der Steuerbescheid nach den Regeln der gültigen Steuergesetzgebung ausgefertigt wird, dann ist er rechtspositivistisch gerecht. Dazu gehören ganz formale Aspekte, die mit dem Ergebnis, dem durch den Steuerbescheid herbeigeführten Zustand, unmittelbar nichts zu tun haben. So mögen wir es als ungerecht empfinden, daß uns ein recht hoher Prozentsatz unseres Einkommens von Staat weggenommen wird, daß wir also gewisse Vermögenseinbußen erleiden. Diese Tatsache hat zunächst aber gar nichts mit der Frage zu tun, ob der Steuerbescheid rechtlich gültig ist, ob der Beamte, der ihn ausgefertigt hat, einen Formfehler begangen hat oder nicht. Es läßt sich daher sagen, die Unterscheidung von positivem und natürlichem Recht bezieht sich auf die Qualität der Regel, nach der eine Tat erfolgt. Ein letzter Systematisierungsschritt steht noch aus. Denn es ist nötig, die einzelnen Kombinationsmöglichkeiten zu untersuchen. Die Frage lautet also z. B.: Ist es denkbar, daß unter Ausschluß personaler Gerechtigkeit nach den Regeln des natürlich Gerechten ein verteilungsgerechter Zustand erzeugt wird?

36

I. Termini

Freilich wird es nicht nötig sein, alle drei Oppositionen in ihren Kombinationsmöglichkeiten zu überprüfen. Denn es wird sich zeigen, daß man die auf die Stellen S und H gesetzten Möglichkeiten kombinieren kann, wie man will, ohne daß dadurch entschieden wird, ob ein gerechter Ausgleich oder eine gerechte Verteilung das Ergebnis ist. Um dies zu zeigen, will ich mich zunächst auf die Kombinationsmöglichkeiten von personaler (peG) und institutioneller (inG) Gerechtigkeit auf der einen und natürlichem (naG) und positivem (poG) Gerechten auf der anderen Seite beschränken. Folgende Tabelle zeigt die Fälle an, die zu bedenken sind: inG

peG

1 2

naG naG

x x

x

3 4

naG poG

x x

5 6

poG poG

x

x x

Von diesen sechs Fällen können zwei von vornherein ausgeschlossen werden, nämlich (2) und (6). Denn es ist nicht denkbar, daß – wie in Fall (2) angenommen – naturrechtlich begründete institutionelle Gerechtigkeit gegeben ist, ohne daß zugleich auch personale Gerechtigkeit auftritt, weil das natürlich Gerechte den einzelnen Menschen in irgendeiner Weise zugänglich sein muß, damit es überhaupt institutionalisiert werden kann. Ist dies nicht der Fall – und das wird in (2) vorausgesetzt –, dann läßt sich nicht erklären, wie das institutionell Gerechte überhaupt zustande kommt. Mit ähnlichen Argumenten läßt sich Fall (6) ausschließen. Hier nimmt man an, man habe es mit personaler Gerechtigkeit zu tun, die aber lediglich den Status des positiven Rechtes aufweist. Positives Recht aber, so läßt sich schnell sehen, kann nur durch Institutionen etabliert werden. Daher nimmt Fall (6) an, was nicht vorliegen kann, eine personale positive Gerechtigkeit, die nicht aus institutioneller Gerechtigkeit herrührt.

2. Grunddistinktionen

37

Damit läßt sich die Tabelle auf folgende vier Fälle reduzieren: 1

naG

3

naG

inG

peG

x

x x

4

poG

x

5

poG

x

x

Eine nähere Betrachtung der Fälle (3) und (1) auf der einen und der Fälle (5) und (4) auf der anderen Seite kann nun zeigen, daß sich (1) auf (3) und (4) auf (5) zurückführen lassen. Fall (1) nimmt an, das natürlich Gerechte sei in einzelnen Menschen als personale Gerechtigkeit wirklich und sei obendrein institutionalisiert. Fall (3) schließt die Institutionalisierung aus. Da nun, wie schon gezeigt, eine Institutionalisierung des natürlich Gerechten nur möglich ist, wenn personale natürliche Gerechtigkeit vorliegt, ist anzunehmen, daß mit den Fällen (3) und (1) unterschiedliche Stufen der Verwirklichung des natürlich Gerechten vorliegen. Fall (3) kann als partielle Verwirklichung bezeichnet werden, Fall (1) hingegen als vollständige Verwirklichung. Was die Fälle (4) und (5) angeht, kommt man zu einem ähnlichen Ergebnis: In (4) setzt die Institution das Recht, und die Individuen internalisieren diese Setzung als Recht. Dies ist nicht ohne einen wie auch immer gearteten Erziehungsvorgang denkbar. Damit ein der Setzung entsprechendes Rechtsbewußtsein entstehen kann, bedarf es obendrein einer gewissen Dauerhaftigkeit, es muß eine Rechtstradition ausgebildet werden. Dennoch liegt hier nicht mehr als positives Recht vor. In Fall (5) sind der Erziehungsvorgang und auch die Traditionsbildung entweder gar nicht erst erfolgt oder aber gescheitert. Die Institutionen setzen Recht, die Individuen internalisieren es nicht. Das heißt nicht, daß die Menschen die Gesetze brechen. Es heißt nur, daß sie meinen, sie hätten es hier nicht mit gerechten Anordnungen zu tun, lediglich mit Regeln, welche zu befolgen vielleicht klug

38

I. Termini

ist, wenn man gewisse unangenehme Konsequenzen vermeiden will. Damit hat sich folgendes Resultat ergeben: Die Kombination der den ersten beiden Elementen des Handlungsgeflechtes zugeordneten Begriffsoppositionen zeigt, daß die Frage nach der Gerechtigkeit immer vordringlich die Opposition von natürlichem und positivem Recht ins Spiel bringt. Ist diese Alternative entschieden, ist also gezeigt, daß nur ein rechtspositivistischer oder nur ein naturrechtlicher Standpunkt denkbar ist, erst dann wäre über Verwirklichungsstufen nachzudenken. Damit sind die zwei Bewegungsrichtungen, welche im Felde der Frage sowohl nach dem nationalen als auch nach dem internationalen Recht einzuschlagen sind, bestimmt. Einmal bewegt man sich unter naturrechtlichen, ein anderes Mal unter rechtspositivistischen Prämissen. Die philosophisch bedeutsame Frage lautet dann natürlich: Welche Bewegungsrichtung muß man einschlagen? Oder anders formuliert: Darf man das national wie international Gerechte positiven Gesetzen bzw. vertraglichen Abmachungen entnehmen oder ist es naturrechtlich zu konzeptualisieren und besteht dann auch außerhalb von Gesetzes- bzw. Vertragswerken? Daß die Frage von ausgleichender und austeilender Gerechtigkeit im Felde des philosophisch Grundsätzlichen nicht von ausschlaggebender Bedeutung ist, kann nun schnell gezeigt werden. Denn die Entscheidung zwischen Naturrecht und Rechtspositivismus präjudiziert nicht, daß man es mit ausgleichender oder austeilender Gerechtigkeit zu tun hat. Vielmehr ist es so, daß sowohl naturrechtliche als auch positive Bestimmungen Regelungen der austeilenden bzw. ausgleichenden Gerechtigkeit sein können. Die â-Frage nach dem natürlichen bzw. positiven Recht ist also vordringlich zu behandeln. Ist sie entschieden, dann ist die fundamentale Weichenstellung für die Erörterung des Völkerrechts im zweiten Teil der Abhandlung vollzogen.

3. Rechtspositivismus / Naturrecht

39

„. . . natural right would avail little without the protection of law; and the primary notion of law is restraint in the exercise of natural right“ (Dr. Johnson am 3. 2. 1776 zu Boswell – Boswell 1998: 668).

3. Rechtspositivismus / Naturrecht

Daß die Beziehungen zwischen souveränen Herrschern nicht von positivem, sondern von natürlichem Recht bestimmt werden, gilt der frühen Neuzeit (vgl. Hobbes 1972: 394), aber auch den folgenden Jahrhunderten zunächst als Selbstverständlichkeit (vgl. für die philosophische Perspektive Schopenhauer 1977: 697; für die juristische u. a. Heineccius 1994: 315; Vattel 1758: v; Blackstone 1825: 43; Gros 1815: 311; Oke Manning 1839: 58; Phillimore 1845: 56 f.); denn die Potentaten geben zwar ihren Völkern Gesetze, dies tun sie aber nicht füreinander, da sie auf diese Weise ja ihre Souveränität an den jeweiligen Rechtssetzer verlören (vgl. Gros 1815: 311). Sollen ihre Verhältnisse also – abgesehen von internationalen Verträgen – rechtlich geregelt sein, dann nicht durch positives Recht. Die philosophische Reflexion auf internationale Politik und Völkerrecht hat sich deshalb – entgegen der Selbstverständlichkeit, mit der man heute rechtspositivistisch argumentiert – auch der Naturrechtslehre zu widmen. Die Opposition von natürlichem und positivem Recht, geht historisch auf die Erörterungen zurück, die Platon mit den Sophisten führt. Protagoras formuliert hier den berühmten homo mensura-Satz, die These nämlich, daß der Mensch das Maß aller Dinge sei (ðÜíôùí ÷ñçìÜôùí ìÝôr ïí åuíáé eíèr ùðïí – Cra. 385e6 – 386a1; vgl. auch Tht 171c5 – 7, Aristoteles Met. 1007b23, 1009a7, 1053a35 ff.). Diese These steht am Anfang einer langen Reihe relativistischer Lehren. Bis auf den heutigen Tag werden sie vertreten, wenn nicht in philosophischen Erörterungen, dann im Alltagsgespräch. Eine relativistische Lehre besagt – will man sie auf eine knappe Formel bringen – folgendes: Wenn wir eine Aussage über etwas ma-

40

I. Termini

chen, dann ist diese Aussage immer die Formulierung dessen, was uns zu Gesicht gekommen ist. Was uns aber zu Gesicht kommt, erscheint uns immer aus einer gewissen Perspektive, die sich aus der Position ergibt, welche wir einnehmen. Diese Position wird durch eine jeweilige Raum- / Zeitstelle bestimmt. Denn wir befinden uns immer an einem lokal und temporal zu definierenden Punkt. Außerhalb dieses Koordinatensystems können wir uns nicht aufhalten. Wenn wir nun von unserer jeweiligen Raum- / Zeitstelle aus etwas über die Dinge, die uns begegnen, aussagen, dann – so stellt der Relativist fest – sagen wir gar nichts über die Dinge an sich selbst, nichts, was ihnen überhaupt zukommt; wir sagen etwas über die Dinge, das ihnen zuzukommen scheint, weil wir uns an einem bestimmten temporal und lokal fixierten Ort aufgestellt haben und von diesem Ort aus die Dinge betrachten. Daher sind letztlich wir das Maß, an welchem die Dinge gemessen werden. Wie sie an sich selbst sind, können wir nicht in Erfahrung bringen. Wir dürften also strenggenommen nicht sagen: Dort wächst ein Baum. Wir müßten sagen: Von meiner Raum- / Zeitstelle aus betrachtet scheint mir dort ein Baum zu wachsen. Was dir von deiner Raum- / Zeitstelle aus erscheint, das weißt nur du allein. Alle Erkenntnis ist daher in dem Sinne relativ, als sie nur innerhalb eines Bezugsrahmens Gültigkeit hat, nicht aber, wenn absolut formuliert wird. Da zwei Personen niemals dieselbe Raum- / Zeitstellen einnehmen können, scheint jeder Mensch seinen eigenen Bezugsrahmen zu besitzen, intersubjektiv gültige Erkenntnis mithin unmöglich. Protagoras’ Satz läßt sich in dieser radikalen, aber auch in einer schwächeren Form auffassen, was an der Formulierung liegt, daran nämlich, daß vom Menschen im Singular die Rede ist (eíèr ùðïí). Dieser Singular könnte jedes Individuum bezeichnen oder aber ein generalisierender Singular sein – so wie wir im Deutschen sagen: Der Kölner ist ein freundlicher Mensch, und damit nicht nur einen Einwohner dieser Stadt meinen, sondern alle. Das Problem lautet also: Meint Protagoras alle Menschen oder jeden einzelnen? Sollte ersteres der

3. Rechtspositivismus / Naturrecht

41

Fall sein, dann formuliert er eine schwächere Form des Relativismus; denn dann meint er, daß zwar nicht alle Arten von Lebewesen, aber doch alle Menschen die Dinge gleich sehen. Unsicher müssen wir also nur hinsichtlich der Frage sein, wie andere Lebewesen die Welt wahrnehmen. Innerhalb der menschlichen Gattung jedoch verfügen wir über einen gemeinsamen Bezugsrahmen, i.e. Intersubjektivität wäre gewährleistet. Damit könnte man sich – für die Rechtspraxis zumindest – zufriedengeben. Wenn Protagoras hingegen seinen Singular so aufgefaßt wissen will, daß jeder einzelne Mensch gemeint ist, dann verschärft sich sein Relativismus in der bereits bezeichneten Weise; denn nun muß angenommen werden, daß keiner unserer Nachbarn die gleiche Perspektive einnimmt wie wir. Wir haben vielmehr damit zu rechnen, daß jeder seinen eigenen Blickwinkel hat. Dafür, daß Protagoras diese scharfe Form des Relativismus vertreten hat, spricht das Zeugnis des Skeptikers Sextus Empiricus, der feststellt (Pyrrh I, 216), Protagoras habe einen 7 individuellen Relativismus vertreten (káM äéJ ôïõôï ôßèçóé ôJ öáéíüìåíá +kÜóôùB ìüíá, káM ïVôùò å9óÜãåé ôN ðrNò ôé. – Und auf diese Weise setzt er nur das, was einem jeden erscheint und führt auf diese Weise die Relativität ein). Aber auch schon in Platons Kratylos findet sich eine Wendung, welche diesen radikalen Relativismus nahelegt (vgl. Cra. 385 e4 – 386a, 386d9). Daß sich die Lehre des Protagoras nicht halten läßt, ob in ihrer starken oder in ihrer schwachen Variante, zeigt Sokrates im Theaitetos. Er will hier ergründen, was 7ðéóôÞìç, also Wissen, ist (Tht. 145e9). Sein Gesprächspartner gibt zur Antwort, áhóèçóéò – sinnliche Wahrnehmung, und der Philosoph führt diese Antwort mit Einwilligung des Theaitetos auf den homo mensura-Satz des Protagoras zurück (Tht. 152a2 / 3). Aus dieser These ergibt sich, daß die Dinge einmal so sind, wie 7 sie mir erscheinen, einmal 7so, wie sie sich dir darbieten (ï0 á ìKí . . . 7ìïM öáßíåôáé . . . ï0 á äK óïß – Tht. 152a2 / 3). An sich selbst

42

I. Termini

sind sie also nichts (Tht. 152d2 / 3); nur für jemanden, der sie auffaßt, sind sie etwas – und zwar genau das, als was er sie jeweils auffaßt. Sokrates widerlegt diese These in vier Schritten, indem er sie auf sich selbst anwendet (Tht. 171a6 – 9): (1) Fraglos gibt es Gegner des Protagoras, also Leute, welche die Relativität aller Erkenntnis bestreiten. Sie setzten sich damit in Widerspruch zu Protagoras. (2) Nach Protagoras’ These gilt aber: Wenn jemand etwas für wahr hält, so ist er in seinem Für-wahr-Halten nicht zu widerlegen. (3) Akzeptiert man nun die Gültigkeit des Satzes vom verbotenen Widerspruch, dann muß entweder die Position des Protagoras oder die seiner Gegner falsch sein. (4) Will Protagoras seiner These treu bleiben, dann muß er die Richtigkeit der Position seiner Gegner zugestehen und damit zugleich seine These widerrufen. Sokrates’ Überlegungen führen dann zu dem Resultat, daß schließlich für niemanden die vermeintliche Wahrheit des Protagoras wahr wäre, weder für einen anderen Menschen noch für ihn selbst (Tht. 171c5 – 7). Ein Erkenntnisrelativismus läßt sich nicht behaupten, so kann man das Ergebnis der Platonischen Kritik an Protagoras zusammenfassen, denn derjenige, der ihn formuliert, muß immer schon mehr wissen, als er wissen kann, wenn seine These zutrifft. Dies gilt für die radikalere wie für die schwächere Form. Wenn unsere Erkenntnis dadurch relativiert werden soll, daß sie als eben nur menschliche Erkenntnis dargestellt wird, dann muß etwas über das nicht-menschliche Erkennen bekannt sein; damit ist man aber immer schon über die Beschränkung hinaus, deren Unüberwindlichkeit man behauptet. Schärfer noch: Der Satz, alles sei relativ, formuliert eine nichtrelative Erkenntnis, also etwas Absolutes, was es doch gar nicht geben kann, wenn der Satz zutreffen soll.

3. Rechtspositivismus / Naturrecht

43

So liegen die Dinge freilich nicht, wenn man einen Rechtsrelativismus behauptet. Dieser ist durchaus möglich, ohne daß man sich in die Selbstwidersprüche verwickelt, in die der Erkenntnisrelativismus gerät. Wiederum Platon ist es, der die rechtsrelativistische Position in den Nomoi (889d6 f.) referiert: Die Gesetze, welche man erlasse, seien einfache Setzungen, hätten also lediglich konventionellen Charakter. Das im Laufe der Jahrhunderte zu einem Topos des Rechtsrelativismus avancierte Argument, mit dem diese These gestützt wird, lautet: An verschiedenen Ort findet man verschiedene Gesetze, je nach dem, was die einzelnen jeweils in der Festsetzung ihrer Gesetze im Konsens beschlossen hätten (Lg. 889e4 / 5). Daher – so referiert der Sprecher in den Nomoi weiter – meine man, sagen zu dürfen, das Gerechte sei ganz und gar nicht von der Natur (öýóåé) bestimmt (Lg. 887e6 / 7). Mit diesen Angaben ist der Kern rechtspositivistischen Denkens erreicht. Es besteht in folgender These: Wir verwenden das Wort gerecht nach Regeln, die wir nicht auffinden, sondern erfinden. Was man erfindet, das setzt man. Also darf man sagen, alles Recht ist – im Wortsinne des lateinischen ponere – gesetztes Recht. Als Beweis für den positiven Charakter des Rechts gilt das Faktum, daß nicht bei allen Völkern das gleiche Recht in Kraft ist und obendrein in der Geschichte eines Volkes nicht immer dasselbe Recht gegolten hat. Diachron und auch synchron unterscheiden sich also die Rechtspraktiken. Daß Platon eine rechtspositivistische Auffassung nicht teilen kann, ist selbstverständlich, denn sie bedroht seine Lehre von der institutionellen Gerechtigkeit, welche für ihn Ausfluß personaler Gerechtigkeit ist: Gerecht ist das Individuum, in dessen Seele Harmonie herrscht, weil der vernunftbegabte Teil die Begierde so zu lenken vermag, daß diese sich nicht mit dem Draufgängerisch-Mutvollen gegen die Ratio wenden kann (Rep. 444d8 – 10). Die Polis, wenn sie gerecht sein soll, muß diese Verhältnisse spiegeln: Die Philosophen beherrschen mit Hilfe gewisser Ausführungsorgane die breite Masse des intellektuell wenig begabten und daher sehr lenkungsbedürf-

44

I. Termini

tigen Volkes; diese Konzeption findet ihren klarsten Ausdruck im berühmten Philosophen-Könige-Satz (vgl. Rep. 473c11 – d6; 487e1 – 3; 499a11 – 499c5; 501e2 – 5; 540d1 – e3; Ep. 326a7 – b4; 328a6 – b1; Plt. 293c5 – 2; Lg. 711e7 – 712a3). Wollte Platon die Positivität des Rechts und mit ihm des Gerechten zugestehen, dann müßte er seine praktische Philosophie erheblich revidieren. Dies könnte auf zwei Weisen geschehen: (1) Entweder wären personale und institutionelle Gerechtigkeit zu trennen oder (2) das von Platon gewählte Begründungsverhältnis wäre umzukehren. Im ersten Fall könnte man zwar die Seelenlehre aufrecht erhalten, man liefe aber hier sofort Gefahr, daß die personale mit der institutionellen Gerechtigkeit in Konflikt geriete. Das Ergebnis eines solchen Konfliktes steht Platon seit der Hinrichtung des Sokrates schmerzlich vor Augen. Denn hier führt das positive Recht der Stadt Athen zur Verurteilung eines Mannes, der nach allen vernünftigen Maßstäben als rechtschaffen zu gelten hat. Tritt ein solcher Konflikt von personaler und institutioneller Gerechtigkeit ein, dann sind wir alle geneigt, das positive Recht zu verwerfen und – wie im Falle der Hinrichtung des Sokrates – von einem Justizmord zu sprechen. Schlimmer muß Platon noch der zweite angedeutete Fall erscheinen, nämlich der, in welchem man die personale Gerechtigkeit auf die institutionelle zurückführt. Denn damit wäre der Korruption der Seele durch das konventionelle Recht Tür und Tor geöffnet. Der einzelne Mensch hätte jetzt nämlich seine Gerechtigkeitsvorstellungen immer dann über den Haufen zu werfen, wenn sich das positive Recht änderte. Daß Platon kein Anhänger des Rechtspositivismus sein kann, ist also schnell einzusehen. Komplizierter liegen die Verhältnisse bei seinem Schüler Aristoteles. Aristoteles sagt zunächst, der Ort, an welchem Gerechtigkeit institutionalisiert werde, sei die Polis. Denn der Regie-

3. Rechtspositivismus / Naturrecht

45

rende sei Wächter des Gerechten (EN 1134b1 / 2). Dieses Amt könne er nur dadurch ausüben, daß er Gesetze erlasse. Ein Teil von ihnen habe natürlichen, ein anderer positiven Charakter; das natürlich Gerechte verfüge allenthalben über die gleiche Kraft und hänge nicht davon ab, was den Menschen gutdünke und was nicht (EN 1134b18 – 20). Für das positive Recht gilt: Es macht im Augenblick der Festsetzung keinen Unterschied, ob man sich auf diese oder auf jene Regelung einigt. Ist die Festlegung aber einmal erfolgt, dann liegen Unterscheidungen von Recht und Unrecht vor (EN 1134b20 / 21). Beispiele für positives Recht sind die Gesetze, welche die Höhe des Lösegeldes für einen Gefangenen, die Festsetzung der Opfergaben bestimmen. Die These, alles Recht sei positiv, nennt Aristoteles unzutreffend. Sie werde fälschlicherweise mit der Veränderlichkeit des Rechts begründet; denn es gebe ein Recht, das zwar ganz und gar wandelbar, dennoch aber nicht gesatztes Recht sei (EN 1134b29 / 30). Der Grund hierfür findet sich in den Magna Moralia:Auchdas, was von Natur aus ist, hat Anteil an der Veränderung (MM 1194b32). Aristoteles macht dies mit folgendem Beispiel deutlich: Von Natur aus ist die rechte Hand stärker als die linke; aber es ist nicht unmöglich, mit beiden Händen gleich geschickt zu sein. Denn man kann die linke Hand so üben, daß sie wie die rechte zu agieren vermag. Dennoch bleibt die Rechte der Linken von Natur aus überlegen. Aus diesem Beispiel läßt sich der Schluß ziehen: Sich-ändern-Können ist für Aristoteles nicht gleichbedeutend mit Nicht-von-Natur-aus-Sein. Daher bleibt auch das sich ändernde Naturrecht immer noch Naturrecht. Es erfüllt auch als sich änderndes Recht nicht das Kriterium, welches für positives Recht gilt – nämlich: Wir setzen es von Fall zu Fall und lassen es daher von Fall zu Fall gelten. Vielmehr enthält das natürliche Recht – wie Aristoteles in der Rhetorik sagt – eine von Natur aus allen Menschen gemeinsame Bestimmung des Gerechten und Ungerechten, ohne daß die Menschen miteinander in Verbindung stünden oder gar Absprachen träfen (Rh. 1373b6 – 9).

46

I. Termini

Aus diesen Angaben resultiert, daß Aristoteles unter Naturrecht solches Recht versteht, das sich der menschlichen Satzung entzieht, das nicht gesatzt werden kann. Wenn etwas naturrechtlich geregelt ist, dann haben wir, wenn wir gerecht sein wollen, keine Möglichkeit, so oder auch anderes zu entscheiden, dann müssen wir dem folgen, was naturrechtlich festgelegt ist. Dennoch soll das Naturrecht veränderlich sein. Die Erklärung hierfür ist dem Aristotelischen Theorem von der Kontingenz alles Praktischen zu entnehmen: Wenn wir uns zu handeln anschicken, dann bewegen wir uns in einer Sphäre, in welcher die Dinge veränderlich sind. Wären sie es nicht, dann könnten wir gar nicht handeln. Also dürfen wir nicht davon ausgehen, daß wir im Felde des Praktischen auf feste Regeln stoßen, sondern wir müssen immer aus Kontexten heraus entscheiden, was in diesen Kontexten gültig ist. Häufig läßt sich das, was gestern eine richtige Entscheidung war, nicht auf heute übertragen. Wenn wir nun in einer bestimmten Situation stehen und zu der Auffassung gelangen, daß man nur so und nicht anders handeln darf, daß man also gar keine Wahlmöglichkeit hat, wenn man nicht ungerecht handeln will, dann ist die Basis für diese Entscheidung kein positives Gesetz, sondern ein Gebot, das überkonventionell gültig ist. Unter anderen Umständen freilich mag etwas anderes als zwingend betrachtet werden. Denkbar sind aber auch Situationen, in denen man so oder anders handeln kann, weil keine überkonventionell gültige Regel vorliegt. Dies ist der Fall, in welchem das positive Recht zum Zuge kommt. Nur solche Fälle können wir nach Aristoteles durch Absprache regeln (vgl. Schmitz 2000). Auch wenn man diese Erklärung für zufriedenstellend hält, wird man nicht umhinkommen zu sagen, daß dies nicht der heute geläufige Begriff des Naturrechtes ist. Denn wir verbinden mit diesem Begriff sehr wohl die Vorstellung von etwas überzeitlich Gültigem, also Unwandelbarem. Am deutlichsten tritt diese Auffassung in der Rede von Menschenrechten zutage (vgl. Brugger 1998: 174). Wir meinen, es hier mit überall

3. Rechtspositivismus / Naturrecht

47

gültigen Geboten zu tun zu haben, welche kein Staat und kein Individuum verletzen darf. Diese Rechte sind zwar entdeckt und proklamiert worden, aber sie müssen, wenn sie so universell sein sollen, wie wir annehmen, auch schon vor ihrer Entdeckung bestanden haben (vgl. Böckenförde 1998: 236). Diese Auffassung von natürlichen Rechten stimmt nicht mit dem überein, was Aristoteles sagt. Sie paßt auch insofern nicht zu Platons Ausführungen, als wir nicht annehmen, daß Menschenrechte mit personaler Gerechtigkeit zu tun hätten. Viel eher ist die moderne Vorstellung unwandelbaren Rechts durch die Stoiker beeinflußt. Deren Lehre ist zu einem guten Teil durch Cicero überliefert, der die These des Rechtspositivismus in seiner Schrift De re publica Lucius Furius Philus vertreten läßt. Dieser formuliert sie so: Das Recht ist etwas, das sich bürgerlicher Satzung verdankt, nicht etwas, das natürlichen Charakters ist; denn träfe das letztere zu, dann wären das Gerechte und das Ungerechte genauso für alle Menschen dasselbe, wie es die Wahrnehmung des Warmen und Kalten, des Bittren und des Süßen ist (re pub. III, 8, 13). Auch wenn sich gewiß darüber streiten läßt, ob alle Menschen Wärme und Kälte, Süße und Bitterkeit auf die gleiche Weise auffassen – die Argumentationsrichtung ist klar: Die Art, wie wir wahrnehmen, hängt von unserer Physis ab. Dies soll für das Gesetz nicht gelten; es soll keinen trans-konventionellen Ursprung besitzen. Die Begründung, welche Cicero für diese rechtspositivistische These geben läßt, ist die bekannte: syn- und diachrone Differenz der Rechtssysteme (vgl. re pub. III, 10, 17). Die Verschiedenheit des Rechtes bei unterschiedlichen Völkern und seine Wandelbarkeit macht Philus dann zum Argument gegen das Naturrecht: Ich frage aber, wenn es einem gerechten Menschen und einem guten Manne zukommt, den Gesetzen zu gehorchen, welchen denn? Allen, wie auch immer sie beschaffen sind? Dies kann nicht sein, denn Tugend verträgt keine Schwankungen, die Natur duldet keine Verschiedenheit. Mithin ist rechtskonformes Verhalten gar kein Zeichen sittlicher Größe – Gesetze werden durch Strafe, nicht durch unsere Ge-

48

I. Termini

rechtigkeit als gültig erwiesen; woraus folgt, daß es keine von Natur aus gerechten Menschen gibt (vgl. re pub. III, 11, 18). Zusammenfassend formuliert Philus schließlich die neuzeitlich John Austin zugeschriebene Imperativtheorie des Rechts (vgl. Austin 1861: xxxix, 5 f.): Die Mutter der Gerechtigkeit ist nicht die Natur und nicht der Wille, sondern die Schwäche (re pub. III, 13, 23). Wir folgen den positiven Gesetzen, nennen uns aus diesem Grunde gerecht, handeln aber in Wahrheit nur deshalb gesetzeskonform, weil wir Strafe fürchten. Solche Strafen verhängt derjenige, welcher stark genug ist, sie zu vollziehen. Mithin ist das Recht genau das, was uns jeweils erfolgreich geboten werden kann, auf daß wir tun, was man von uns verlangt, oder aber einem Übel ausgesetzt werden, wenn wir dem Befehl nicht folgen. Die Imperativtheorie dient bei Cicero als Kontrastfolie. Auf ihrem Hintergrund wird die Gegenposition um so deutlicher sichtbar. In De re publica vertritt sie die Dialogfigur Laelius, welche die naturrechtliche Position formuliert: Das wahre Gesetz ist die mit der Natur übereinstimmende richtige Vernunft (recta ratio). Sie findet sich bei allen Menschen, an allen Orten und ist sowohl unveränderlich als auch ewig. Weder der Senat noch das Volk kann irgend jemanden aus der Jurisdiktion dieses Gesetzes entlassen (vgl. re pub. III, 22, 33). Die Argumentation, mit welcher diese Ausführungen gestützt werden, ist leider nicht überliefert, sie läßt sich allerdings aus anderen Texten Ciceros rekonstruieren. In De legibus (I, 42) findet sich ein Argument aus den Folgen. Cicero weist hier auf die Konsequenzen des Rechtspositivismus hin: Das weitaus Dümmste wäre es, alles das für gerecht zu erachten, was in den Einrichtungen und Gesetzen der Völker beschlossen ist. Kann denn das Gültigkeit haben, auch wenn es die Gesetze von Tyrannen sind? Die Konsequenz des Rechtspositivismus ist also – wie Cicero meint – die Rechtlosigkeit. Man müsse den Begriff der Gerechtigkeit überhaupt aufgeben, wenn man auf die Anerkennung des Naturrechtes verzichten wolle: nulla sit omnino

3. Rechtspositivismus / Naturrecht

49

iustitia, si neque natura est – es gibt keinerlei Gerechtigkeit, wenn nicht die aus der Natur hergeleitete (Leg. I, 42). Es fragt sich nun freilich immer noch, wie eine solche Annahme positiv begründet werden kann. In De legibus heißt es dazu: das Gesetz ist die höchste Vernunft, es wohnt der Natur inne, welche befiehlt, was zu geschehen hat, und welche das Gegenteil dessen, was zu geschehen hat, verbietet (Leg. I, 18). Wie diese Befehle der Natur sich bemerkbar machen, läßt Cicero Cato in De finibus erklären: Sofort nach seiner Geburt ist einem Lebewesen daran gelegen, sich zu erhalten und abzuwehren, was es bedroht. Es hat nämlich ein Wahrnehmungsorgan, das auf es selbst und seinen Zustand gerichtet ist. Selbstliebe ist mithin ein Prinzip, ein Erstes des Lebendigseins überhaupt (Fin. III, 16). Um ein Prinzip handelt es sich hier insofern, als man nicht um eines anderen willen nach der Erhaltung seiner Lebendigkeit strebt, sondern um eben der Lebendigkeit selbst willen. Alles, was auf diese Weise erstrebt wird, ist etwas, das mit der Natur übereinstimmt. Denn diese ist es ja, welche das Prinzip der Selbstliebe in alles Lebendige gepflanzt hat. Daraus kann nun eine Regel abgeleitet werden, welche angibt, was wir zu wählen und was wir zu meiden haben: Schätzenswert ist, was der Natur entspricht oder was etwas von dieser Art bewirkt. Einen solchen Wert zu wählen, ist Pflicht. Wir müssen also alles tun, was uns in naturae statu hält (Fin. III, 20), sei es, daß dazu etwas herbeigeführt oder aber vermieden werden muß. Das bonum ist also als 1ìïëïãßá zu bestimmen, als Übereinstimmung. Für diese Übereinstimmung sorgt die Natur zunächst selbst, indem sie uns Selbstliebe eingibt. Dann aber muß das, was sich ursprünglich und ohne bewußten Vollzug regt, begrifflich gefaßt werden. Die ursprünglichen Regungen setzen uns mithin gleichsam auf eine Spur: Sie zeigen uns, in welcher Richtung man suchen muß, um pflichtmäßig zu handeln. Es sind also gar nicht die ursprünglichen Bedürfnisse, die von sittlicher Bedeutung sind, sondern in ihnen kommt zum

50

I. Termini

Ausdruck, daß wir dann richtig handeln, wenn wir dem entsprechen, was die Natur vorschreibt. Die Bedürfnisbefriedigung ist ein Muster, dem man zu folgen hat, in ihr spricht sich die Ordnung der Dinge aus, welche eben den Namen Natur führt. Ist einmal Einsicht in diese Ordnung gewonnen, dann hat die Vernunft erkannt, daß unser Ziel nicht darin bestehen kann, etwas zu erlangen, sondern darin bestehen muß, etwas auf eine ganz bestimmte Weise zu erlangen, nämlich so, daß der Weg ein Weg der Übereinstimmung mit der Natur ist: congruenter naturae convenienterque vivere (Fin III, 26) lautet die Maxime. Nun läßt sich die von Cicero präsentierte Naturrechtslehre der Stoiker genauer kennzeichnen. Sie besagt, daß alles das, was ist, als ein geordnetes Ganzes zu betrachten ist. Wir selbst sind Teil dieser Ordnung, wiewohl es uns frei steht, uns ordnungswidrig zu verhalten. Tun wir es, dann leben wir freilich im Widerspruch zur Natur. Gerecht zu sein, heißt mithin, der natürlichen Ordnung entsprechend zu handeln. Daß dieser stoische Naturrechtsbegriff eine stärkere Formulierung als der Aristotelische darstellt, ist evident. Denn hier wird nun in der Tat angenommen, das natürliche Recht sei ebenso unwandelbar, wie die Ordnung der Dinge überhaupt, während Aristoteles lediglich den nicht-konventionellen Charakter des Naturrechts betont hat, ohne dabei auf eine ewig gültige Gesetzlichkeit zu verweisen. Welche prominente Rolle das stoisch inspirierte Naturrecht bis in die Neuzeit hinein gespielt hat, zeigt die berühmte Formulierung, die Grotius in De jure belli ac pacis vorlegt: Jus naturale est dictatum rectae rationis (Grotius 1639: 9 f.). Noch der in der angelsächsischen Welt trotz Benthams Attacken überaus einflußreiche William Blackstone spricht in seinen Commentaries on the Laws of England, publiziert zwischen 1765 bis 1769, ganz selbstverständlich von einem unwandelbaren, ubiquitär gültigen, von Gott diktierten Recht, das alle ihm zuwiderlaufenden menschlichen Satzungen breche (1825: 39 f.).

3. Rechtspositivismus / Naturrecht

51

Für die folgenden Überlegungen wird es sich als klug erweisen, sowohl die schwächere aristotelische Bestimmung des Naturrechts als auch die stärkere stoische Formulierung im Auge zu behalten. Dabei ist allerdings zu berücksichtigen, daß der stoische Schluß von der Natur auf das, was als Gesolltes zu betrachten ist, einen ungerechtfertigten Hiatus darstellt, denn hier leitet man aus dem Sein das Sollen her. Kelsen hat diese Argumentationsweise mit Recht in Mißkredit gebracht (vgl. Kelsen 1960: 10 / 11; 405; 1989: 234 / 235; 2000: 47). Auf diesen Aspekt wird der erste Exkurs näher eingehen. Von einer Naturrechtslehre soll im folgenden also dann gesprochen werden, wenn man behauptet, es fänden sich Handlungsregeln, die ihre Gültigkeit keinem Akt menschlicher Willkür verdankten, sondern unabhängig und schon vor aller denkbaren – sie lediglich kodifizierenden – Positivierung in Kraft seien. Eine solche Naturrechtslehre soll schwach heißen, wenn Unwandelbarkeit dieser Regeln nicht angenommen wird. Die starke Variante des Naturrechts rechnet hingegen mit ewig gültigen Gesetzen. Rechtspositivistisch soll hingegen eine Lehre genannt werden, die behauptet, alle Handlungsnormierung ginge auf Akte menschlicher Willkür zurück, oder anders formuliert, das Recht sei ausschließlich eine soziale Tatsache. Wendet man diese Terminologie auf das Völkerrecht an, dann ergibt sich, daß es sich – zur Gänze oder doch zumindest in gewissen Teilen – auf drei verschiedene Weisen konzeptualisieren läßt: entweder rechtspositivistisch, i.e. ausschließlich als Gewohnheits- und Vertragsrecht, oder als Ausfluß starken bzw. schwachen Naturrechts. Wie genau dies zu geschehen hat, werden die folgenden Kapitel zeigen.

52

I. Termini Iuris praecepta sunt haec: honeste vivere, alterum non laedere, suum cuique tribuere – Die Weisungen des Rechts lauten: Man lebe ehrenhaft, verletzte niemanden, gebe jedem das, was ihm zusteht (Dig. 1,1,10,1).

4. Der Rechtsbegriff

Nach der Differenzierung des konventionalistischen Rechtspositivismus von einem starken bzw. schwachen Naturrecht soll in diesem Kapitel der Rechtsbegriff überhaupt thematisiert werden. Dies kann dadurch geschehen, daß man ihn in Gegensatz zum Begriff der Moral bringt. Damit wird nicht für eine der im 3. Kapitel entwickelten Auffassungen – etwa den Rechtspositivismus – Partei ergriffen. Vielmehr ist eine Kennzeichnung angestrebt, die zwischen der Differenzierung von Natur- und positivem Recht neutral die Mitte hält, also zunächst beide Auffassungen ermöglicht, um die Überlegungen in den Kapiteln 5 und 6 nicht zu präjudizieren. Recht wird im Gegensatz zur Moral auf einem prädefinierten Wege erzeugt. Recht ist, auch wenn man meint, mit ihm lediglich zu kodifizieren, was trans-positive Geltung hat, immer etwas Produziertes. Um es als Recht identifizieren zu können, muß sicher sein, wer als Rechtsproduzent zu gelten hat und welchen Regeln er im Akte der Rechtssetzung folgen muß. Der einfachste Fall liegt vor, wenn als ausgemacht gilt, daß alles, was ein Herrscher als Gesetz äußert, als solches zu betrachten sei. Hier ist ein Rechtsproduzent identifiziert, die Rechtserzeugungsregel lautet: Immer, wenn der Regent sagt: Ich verkünde nun ein neues Gesetz, verkündet er mit dem, was er dieser Äußerung folgen läßt, ein neues Gesetz. Wenn er seine Worte nicht auf diese Weise einleitet, dann haben wir es mit einer Bekundung zu tun, welche keine Gesetzesqualität aufweist. Für eine gesetzgebende Körperschaft gilt nichts anderes: Sie muß als Rechtsproduzentin identifizierbar sein und solchen Prozeduren folgen, die als rechtserzeugend gelten.

4. Der Rechtsbegriff

53

Das auf diese Weise verkündete Recht zerfällt immer in zwei Klassen von Regeln. Hinter dieser Differenzierung steht die von H. L. A. Hart mit kritischer Wendung gegen die Imperativtheorie Austins (Hart 1997: 79) vorgenommene Unterscheidung von Regeln erster und zweiter Ordnung (primary / secondary rules – Hart 1997: 91 ff.). Das Recht – wie Austin es tut – mit gewaltgestützten Befehlen zu identifizieren, heißt die Bedeutung der Regeln zweiter Ordnung zu verkennen und es auf die Regeln erster Ordnung zu restringieren, i.e. mit einem unangemessen verkürzten Rechtsbegriff zu operieren. Zu den Regeln zweiter Ordnung gehören einmal die schon benannten Vorschriften zur Rechtserzeugung; dann aber auch solche, die angeben, wie vorhandenes Recht zu ändern sei, sowie Anweisungen zur Rechtshandhabung. Eine der fundamentalsten Regeln lautet hier, daß die Instanz, welche über die Wahrung des Rechts wacht, nicht mit der Person / Personengruppe identisch sein darf, deren Verhalten zu beurteilen ist. Auch hier liegt ein grundsätzlicher Unterschied zur Moral. Denn in ihrem Felde ist nichts natürlicher als die Tatsache, daß wir unser eigenes Verhalten bewerten – ja dies ist unabdingbare Voraussetzung moralischen Urteilens. Moralisch bewegen wir uns immer zunächst auf dem forum internum, rechtlich hingegen stets und unmittelbar auf dem forum externum. Kant bringt dies mit der ihm eigenen Klarheit zum Ausdruck, wenn er das Recht als die Moral in äußerer Gestalt bezeichnet (MdS Ak VI, 220). In die Klasse der Regeln erster Ordnung fallen die einzelnen, das Verhalten der Bürger steuernden und damit den freien Gewaltgebrauch unterbindenden Ge- und Verbote sowie die Optionen, welche durch ein Gesetz geschaffen werden. Für beide Klassen von Regeln gilt – im Gegensatz zur Moral – ein Öffentlichkeitspostulat. Wird es nicht erfüllt, dann kann das Recht nicht die verhaltenssteuernde Funktion gewinnen, die ihm zugedacht ist. Niemand hat dies deutlicher gemacht als der Jurist Franz Kafka in dem Roman Der Proceß. Der Held soll ein Gesetz gebrochen haben, das er nicht kennt, nicht kennen kann und auch nicht kennen soll (Kafka 2002: 14 f.).

54

I. Termini

Die grotesken Windungen, mit denen er diesem Vorwurf vergeblich zu begegnen trachtet, machen deutlich, daß er in die Fänge einer absurden Institution geraten ist, welche ihn am Ende nicht hinrichten, sondern nur ermorden kann. Die von Lon Fuller (1969: 39 ff.) benannten sieben weiteren Anforderungen, welche ein Gesetzgeber erfüllen muß, gelten sowohl für Rechtsvorschriften als auch für moralische Regeln; die Punkte (1), (2) und (6) freilich nur dann, wenn man annehmen will, daß auch moralische Postulate entstehen und vergehen können. Fuller nennt das Verbot von ad hoc-Entscheidungen (1) und rückwirkender Gültigkeit (2), das Postulat der Verständlichkeit (3) und der widerspruchsfreien Formulierung (4), die Forderung der Rücksichtnahme auf das, was Menschen überhaupt tun bzw. unterlassen können (5), schließlich das Gebot, Gesetze nicht in zu schneller Folge zu ändern (6) und sie so anzuwenden, wie sie es verlangen (7). Im Gegensatz zu den Vorschriften der Moral werden alle Rechtsregeln durch hierfür eigens geschaffene Institutionen, notfalls gegen Widerstand durchgesetzt. Dem Recht wohnt also immer Zwang inne. Man hält seine Anwendung dann für gerecht, wenn man meint, der von ihm ausgehende Zwang sei gerechtfertigt. Die rechtsanwendenden Instanzen genießen in diesem Falle Autorität. Ganz anders liegen die Dinge bei der Moral. Hier kann bestenfalls von Selbstzwang die Rede sein, mit welchem ein Subjekt sich dazu bringt, etwas zu denken oder zu fühlen, gewisse Gedanken und Gefühle zu unterdrükken, gewisse Handlungen auszuführen oder zu unterlassen (vgl. Kelsen 1960: 64 / 65). Das Recht führt eine klare Trennung von Rechtssetzer, Rechtsanwender, Rechtsexekutor und Rechtsunterworfenem durch. Ausschlaggebend ist, daß der Rechtssetzer in sogenannten Rechtsstaaten zwar zugleich auch Rechtsunterworfener ist, also nicht etwa außerhalb des Rechts steht, daß der Rechtsunterworfene aber niemals zugleich auch Rechtsanwender und Rechtsexekutor sein darf, wenn die Objektivität des Verfahrens gesichert sein soll. Einen Richter, der – wie Kleists

4. Der Rechtsbegriff

55

Dorfrichter Adam – einen Fall entscheidet, in dem er zugleich Ange- oder Beklagter ist, und der dann auch noch – was nicht einmal Adam bei Kleist versucht – das von ihm gesprochene Urteil eigenhändig exekutiert, ist gewiß kein Diener der Gerechtigkeit. Das öffentlich gemachte Recht erlaubt es dem Bürger, die Konsequenzen eines Verhaltens, mit dem er liebäugeln mag, vorherzuberechnen. Es wird auf diese Weise ein Verhaltenskalkül denkbar, das einer Kosten-Nutzen-Rechnung gleicht, welche aus einer moralischen Perspektive als verwerflich gelten muß. Den aus einer Untat resultierenden Gewinn gegen den Schaden zu stellen, welchen man durch eine potentielle Bestrafung erfährt, heißt einem partikular-egoistischen Konsequentialismus zu folgen, den jede Moraltheorie ablehnen wird – auch der zwar konsequentialistisch kalkulierende, aber eben keinen partikularen, sondern vielmehr einen kollektiven Egoismus vertretende Utilitarismus. Aus diesen Bestimmungen resultiert, daß das Recht, weil es öffentlich gemacht werden muß, immer auch äußerlich ist, i.e. empirisch beobachtbares oder in seinen Spuren empirisch faßbares Verhalten zum Gegenstand seiner permissiven und obligativen Regelungen macht. Es wird niemals Gesinnungen gebieten können (vgl. Horster 1997: 370), da es diese nur äußerlich verifizieren kann, keine äußere Handlung aber eindeutig auf das Vorliegen einer gewissen Gesinnung schließen läßt. Die Moral hat es im Gegensatz dazu durchaus mit Geisteshaltungen zu tun. Dies gilt selbst dann, wenn man den Kantischen guten Willen nicht zum Maßstab zu machen gedenkt; denn auch der konsequentialistische Utilitarist hat – etwa mit dem Benthamschen Greatest Happiness Principle – eine klar umrissene ethische Grundhaltung, welche es ihm gestattet, in seinem Sinne moralisch zu sein. Es ist diese Innerlichkeit der Moral (vgl. Arendt 2003a: 97; Vollrath 2003: 73), welche es erst ermöglicht, daß sich moralische Verpflichtungen auch auf das Subjekt selbst beziehen können. Das Recht kennt immer ein Rechtssubjekt, das einem

56

I. Termini

Rechtsadressaten gegenüber Anspruch auf einen Rechtsgegenstand hat. Subjekt und Adressat können dabei nicht identisch sein. Im Felde der Moral fehlt einerseits die Person, die einen durchsetzbaren Anspruch erheben könnte, andererseits ist es möglich, daß eine moralische Verpflichtung eines Subjektes sich selbst gegenüber besteht (vgl. Radbruch 1999: 43). Kantisch gesprochen zerlegen sich Recht und Moral in die Differenz von Rechts- und Tugendpflichten (vgl. MdS Ak VI, 383). Zusammenfassend läßt sich nun sagen: Recht ist der Name für die Gesamtheit der kodifizierten und publizierten Regeln erster und zweiter Ordnung, welche einerseits verhaltenssteuernd wirken sollen, anderseits aber auch festlegen, wie Recht erzeugt, geändert und gehandhabt wird. Die Durchsetzung der Regeln erfolgt durch hierzu autorisierte Organe eines Staates, welche Mittel des äußeren Zwangs einsetzen. Sie treten damit sowohl permissiv als auch obligativ auf; denn einerseits schafft man bestimmte Optionen, andererseits ge- oder verbietet man gewisse Handlungen bzw. deren Unterlassung. Diese Angaben machen es nun möglich, die Besonderheiten internationalen Rechts kontrastiv zu entwickeln, i.e. durch Hinweis auf die Abweichungen vom Begriff des Rechtes überhaupt. Hier ergeben sich vier Aspekte: (1) Es fehlen dem internationalen Recht Regeln zweiter Ordnung, welche es erlauben, in jedem Falle zweifelsfrei zu identifizieren, ob man es mit einer Regel erster Ordnung zu tun hat oder nicht (vgl. Hart 1997: 214). Als eine Ausnahme ist das bereits in der Einleitung erwähnte pacta sunt servanda-Gebot zu nennen, von dem Thomasius sagt, es sei ein praeceptum juris naturalis, nicht des positiven Rechts (1979: 162), und das auch Kelsen als Grundnorm des Völkerrechts verstanden wissen will (Kelsen / Tucker 1967: 446 f. u. 564). Es wird im zweiten Exkurs analysiert werden. Dabei wird sich zeigen, daß mit ihm die Prinzipien der Staatengleichheit und der Staatensouveränität eng verbunden sind.

4. Der Rechtsbegriff

57

Hinzu kommt, was als Gewohnheitsrecht im Wiener Übereinkommen über das Recht der Verträge zum Begriff eines völkerrechtlichen Vertrages, zu den Voraussetzungen und zum Verfahren eines wirksamen Abschlusses, zum Inkrafttreten von Verträgen etc. kodifiziert worden ist. Freilich haben diese Regeln einen weniger grundsätzlichen Charakter als die pacta sunt servanda-Formel, da sie deren Gültigkeit ja voraussetzen. Zudem ist zu konstatieren: Hier wird festgelegt, wie Verträge zustande kommen, nicht unmittelbar zugleich auch, wie Recht entstehen soll und zu handhaben ist. Ein Vertrag bindet im Gegensatz zu einer Rechtsvorschrift nur die Parteien, die ihn schließen – in Form einer Selbstverpflichtung. Erst wenn diese eingegangen worden ist, läßt sich innerstaatlich die Einhaltung des Vertrages mit Hilfe der Gerichte erzwingen. Beruhten die Obligationen der Bürger wie der durch Verträge fixierte Teil des internationalen Rechts auf Selbstverpflichtungen, dann müßte nur Steuern zahlen, wer dies seiner Obrigkeit in einem nach gewissen Regeln abgeschlossenen Vertrag zu tun versprochen hätte. Jenseits des vertraglich Gesicherten schließlich liegt das weite Feld des Hergebrachten und der allgemeinen Prinzipien, denen zivilisierte Nationen sich unterwerfen. Wie das zu identifizieren wäre, ist nirgendwo festgelegt. Hier macht sich das Fehlen einer Regel zweiter Ordnung besonders schmerzlich bemerkbar. Der zweite Unterschied von Recht überhaupt und Völkerrecht ist folgender: (2) Auch wenn die notwendigen Regeln zweiter Ordnung vollständig vorlägen, ließe sich immer noch kein zentrales Gesetzgebungsorgan ausmachen, welches diesen Regeln gemäß Recht erzeugte. Aus diesem Grunde nennt Kelsen – wie schon erwähnt – das internationale Recht primitiv. Es stellt eine Ordnung dar, in welcher Regeln lediglich durch Gewohnheit entstehen (1957a: 255). Gewohnheit meint: Unter gewissen Umständen

58

I. Termini

verhalten sich Völkerrechtssubjekte über einen längeren Zeitraum auf gleiche Weise. Dadurch entsteht mehrheitlich der Wille, daß ein solches Verhalten als geboten zu gelten habe. Dieses Sollen kann als das angesehen werden, was das Verhalten als Völkerrechtsnorm konstituiert (Kelsen 1960: 231 / 232). Daß eine so etablierte Norm weniger Gewicht hat als das vertraglich Beschlossene und erst recht geringere Bedeutung besitzt als das von einem Parlament verabschiedete Gesetz, ist evident. Der dritte Unterschied zum innerstaatlichen Recht lautet: (3) Auch wenn ein zentrales Gesetzgebungsorgan vorhanden und arbeitsfähig wäre, blieben Rechtsunterworfener und Rechtsanwender immer noch identisch, da kein Staat verpflichtet ist, sich einem Gerichtshof und seinem Urteil zu beugen. Man bleibt also letztlich Richter in eigener Sache. Waltz stellt in diesem Zusammenhang nationale internationalen politischen Systemen so gegenüber, daß er eine zentralisierte und hierarchische Ordnung einem solchen System kontrastiert, dessen Elemente einander formal gleichgestellt und die daher lediglich koordiniert sind. Diesen Zustand wird man kaum als systematisch bezeichnen können, wenn die klassische Systemdefinition zur Anwendung kommen soll, die nicht nur koordinierte Elemente, sondern auch Regeln postuliert, welche die Bewegungsmöglichkeiten der Elemente im System determinieren. Unausgesprochen macht Waltz den systemlosen Charakter der Staatengemeinschaft dadurch deutlich, daß er das Adjektiv anarchisch hinzusetzt (1979: 88). Vor Waltz hat Kelsen versucht, dieser Anarchie koordinierter Elemente durch den Hinweis eine gewisse Ordnung abzugewinnen, daß sinnvoll von Nebenordnung nur dann gesprochen werden könne, wenn es einen allen Elementen gemeinsamen Bezugspunkt gebe – eben die Autorität des Völkerrechts (1920: 40). Doch dies ändert natürlich nichts an der entscheidenden Schwäche eines Regelwerks, welches eben nicht dafür sorgen kann, daß Rechtsanwender und Rechtsunterworfener nicht identisch sind. Wäre der Dorfrichter Adam ein Staat, es

4. Der Rechtsbegriff

59

erginge ihm besser als bei Kleist, da ihm kein Gerichtsrat Walter wirksame Vorschriften machen könnte. Schließlich läßt sich noch folgendes feststellen: (4) Da dem Völkerrecht eine von den einzelnen Rechtssubjekten unabhängige und diesen an Zwangsmitteln überlegene Durchsetzungsmacht fehlt, fallen Rechtsunterworfener und Rechtsexekutor dergestalt zusammen, daß man von Selbstjustiz spräche, hätte man es mit Individuen zu tun. Genau dies ist der Ort, an welchem die Reflexion auf internationale Beziehungen stets das bellum iustum-Theorem ins Spiel gebracht und damit einen der gravierendsten Unterschiede zwischen innerstaatlichem und internationalem Recht formuliert hat. Denn ersteres dient ja gerade dazu, eben den freien Gewaltgebrauch zu verhindern, der in letzteres mit der Rede vom gerechten Krieg gleichsam eingebaut ist – formell nur bis zu den nach dem Ersten Weltkrieg einsetzenden Anstrengungen zur Einführung eines Gewaltverbotes, faktisch aber – für jeden Zeitgenossen des 20. und 21. Jahrhunderts unschwer zu erkennen – auch weit darüber hinaus. Livius schreibt, gerecht sei der Krieg für die, für die er notwendig sei, und heilig seien die Waffen, wenn nur noch in ihnen Hoffnung verbleibe (Liv IX,1). Nicht nur in der Antike, auch in der Neuzeit argumentiert man noch so; exemplarisch – weil in deutlicher Anwendung der Montesquieuschen Bestimmung des Völkerrechts als „le droit civil de l’univers“ (1979: II, 177) – tut dies Edmund Burke mit folgender Herleitung, die natürlich gegen die französische Republik gerichtet ist, welche in seinen Augen ,the publick law of Europe‘ (1999: 248) verletzt: Es war schon immer die Methode, das Völkerrecht in Analogie zu den Prinzipien zu entwickeln, welche innerhalb einer bürgerlichen Gemeinschaft gelten (civil community). Hier sind nicht alle Gesetze positiv, die, welche man als Schlußfolgerungen der Rechtsvernunft (legal reason) bezeichnen kann, resultieren aus einer universellen Gerechtigkeit (equity), die auch allenthalben anwendbar ist. So gibt es ein Recht der Nachbarschaft, das dafür sorgt, daß ein Grundbesitzer über sein Land nicht unbe-

60

I. Termini

schränkte Verfügungsgewalt besitzt. Wenn sich sein Nachbar durch ein neues Gebäude beeinträchtigt fühlt, dann mag er vor Gericht ziehen. Zwischen Staaten fehlt der Richter, dennoch hat der Nachbar ein völkerrechtliches Einspruchsrecht gegen ärgerliche Neuerungen auf angrenzendem Grunde. Er greift dann zum Mittel des Krieges, um sein Recht durchzusetzen. Freilich ist dieses Mittel nur dann gerechtfertigt, wenn auf seiten des zu Bekriegenden absichtsvolles Handeln, Planung, böser Wille sichtbar sind (1999: 135 ff.). Natürlich kennt das 18. Jahrhundert auch die Gegenargumente. David Hume formuliert sie, wenn er feststellt, der Krieg mit seinem Furor sei nicht etwa Verwirklichung der Gerechtigkeit, sondern das genaue Gegenteil, ihre Suspendierung. Denn die Gewalttätigkeiten eskalierten unweigerlich, wenn eine Seite sich einmal in Bedrängnis fühle. Man verletze dann bereitwillig das ius in bello, weil man sich seine Befolgung nicht länger glaube leisten zu können, gewinne auf diese Weise aber nicht etwa einen dauerhaften Vorteil, sondern dränge dem Gegner lediglich die gleichen Methoden schmutziger Kriegführung auf (Hume 1982: 187 f.). Ein Völkerrecht, welches seine Exekution den bewaffneten Kräften eines der in einem Streitfalle Beteiligten anvertraut, ist nach diesen Überlegungen kein Recht, sondern – so könnte man meinen – eine Bemäntelung der Gewalt. Die Erklärung für die in den Punkten (2) bis (4) benannten Defizite ist schnell gefunden – verantwortlich ist der Souveränitätsanspruch der Einzelstaaten. Dieser – im Sinne Jellineks (1882: 34) verstanden als die qua Selbstzuschreibung erworbene Eigenschaft, nur durch den eigen Willen rechtlich gebunden werden zu können – ist es, der ein zentrales internationales Gesetzgebungsorgan unmöglich macht. Er ist obendrein dafür verantwortlich, daß es sich kein Staat nehmen lassen will, das, was er für sein Recht hält, im Zweifelsfalle selbst zu konstatieren und dann auch die Durchsetzung dieses Verdikts in die Hand zu nehmen. Da es das äußere Staatsrecht – so Hegel (1979: 497) – mit souveränen Rechtssubjekten zu tun hat, bleibt es bloßes Sollen.

4. Der Rechtsbegriff

61

Gustav Radbruch (1999: 184 f.) hat dieser Diagnose zugleich zugestimmt und ihr widersprochen: Wenn man den Souveränitätsgedanken ins Zentrum stelle, dann müsse man das Miteinander der Staaten in der Tat so betrachten, wie sich der Umgang darstelle, den Raubtiere in der Arena miteinander pflegten. Allerdings gerate man in Explikationsschwierigkeiten, wenn man den Souveränitätsgedanken derart ins Zentrum der Überlegungen rücke; denn da gänzlich unabhängige Staaten sich ihre Grenzen von niemandem diktieren lassen könnten, müsse man annehmen, daß sie sie selbst zögen. Unerfindlich bleibe dabei allerdings, aus welchem Grunde die so entstandenen Linien des einen Staates mit denen des an ihn grenzenden Nachbarn übereinstimmten. Auch der Gleichheitsgrundsatz des Völkerrechts könne nicht erklärt werden; denn ein souveräner Staat sehe sich gezwungen, die Anerkennung der Gleichheit eines anderen Staates als einen Gnadenakt zu betrachten, was aber dem Sinn einer solchen Anerkennung zuwiderlaufe. Radbruch schlägt dann vor, die Perspektive zu wechseln und Staaten vom Völkerrecht her zu denken. Souverän sind sie nun nicht im Jellinekschen Sinne qua Selbstzuschreibung, sondern als Völkerrechtssubjekte; denn sie sind völkerrechtsunmittelbar, da sie keinem anderen Recht unterstehen. Damit hat sich, noch ehe die â-Frage der Einleitung beantwortet worden ist, eine schon recht weitgehende Lösung der ã-Frage ergeben. Diese lautete: (ã) Ist ein einheitlicher Rechtsbegriff zu wahren oder ist eine dualistische Auffassung unausweichlich? Nun kann gesagt werden: Wenn ein Völkerrecht konzeptualisiert werden soll, das mit der Idee der Staatengleichheit und mit dem Souveränitätsgedanken vereinbar ist, dann muß ihm bezüglich nationalen Rechts dergestalt das Primat zukommen, daß erst ihm entnommen werden kann, was und wiebeschaffen ein Staat ist, der für sein Territorium eine Rechtsordnung soll entwerfen können. Daß der Souveränitätsgedanke wie auch das Gleichheitspostulat unverzichtbar sind,

62

I. Termini

wird derExkurs zur pacta sunt servanda-Formel zeigen. Es scheint daher unausweichlich, dem Radbruchschen Vorschlag zu folgen und Souveränität als Ausfluß der Völkerrechtsunmittelbarkeit zu verstehen. Die Frage, ob damit auch die Notwendigkeit besteht, das nationale Recht so aufzufassen, daß es aus dem Völkerrecht abgeleitet wäre, ist damit nicht berührt. Wenn man hier zu näheren Bestimmungen kommen will, dann ist es unabdingbar, die Quellen des Völkerrechts – Verträge, Gewohnheit, allgemeine Grundsätze – in näheren Augenschein zu nehmen. Dies wiederum setzt voraus, über eine Einschätzung der drei Positionen – des Rechtspositivismus, des starken und des schwachen Naturrechts – zu verfügen. Der folgende zweite Teil der Abhandlung beginnt daher mit einer Erörterung der benannten rechtsphilosophischen Positionen. Nach der Behandlung des Rechtspositivismus wird zudem ein Exkurs zur Herleitbarkeit der Menschenrechte eingeschoben.

„Der Rechtspositivismus ist . . . in vorläufig unaufhaltsamem Vordringen.“ (Weber 1976: 502)

II. Diskussionen 5. Probleme des Rechtspositivismus

In der Einleitung sind bezüglich des Völkerrechts drei Fragen formuliert worden, die nach philosophischer Erörterung verlangen. Sie betreffen den Staatsbegriff (á), die Quellen des internationalen Rechts (â) und sein Verhältnis zum innerstaatlichen Recht (ã). Das vierte Kapitel hat – in Vorbereitung einer Erörterung der letzten Frage – vier Differenzen von Recht und von Völkerrecht im besonderen aufgelistet: (1) das Fehlen einer Identifikationsregel im Felde des Gewohnheitsrechtes und (2) einer Gesetzgebungsinstanz, (3) die Identität von Rechtsunterworfenem und Rechtsanwender, (4) den Mangel an Rechtsdurchsetzungsmöglichkeiten jenseits kriegerischer Akte. Diese Differenzen sind als Defizite formuliert, welche bezüglich der Punkte (2) bis (4) aus dem Anspruch der Staaten auf Souveränität resultieren. Mit Hilfe der Überlegungen Gustav Radbruchs ließ sich dann aber zeigen, daß ein Perspektivwechsel einen Gutteil der Schwierigkeiten zu beseitigen vermag, indem man dem Souveränitätsbegriff dadurch seine Zentralstellung nimmt, daß man ihn als Ausfluß der Völkerrechtsunmittelbarkeit von Staaten auffaßt. Das macht es freilich um so dringlicher, die Beantwortung von â-Frage voranzutreiben. Im vorliegenden Kapitel soll der Versuch unternommen werden, durch Erprobung einer radikal rechtspositivistischen

64

II. Diskussionen

Auffassung die â-Frage so zu beantworten, daß alles Recht kontraktualistisch reinterpretiert wird. Gelänge dies, dann hätten wir es bei der Aufzählung unterschiedlicher Quellen des Völkerrechts lediglich mit differenten Formen von Verträgen zu tun. Um die Haltbarkeit einer solchen Überlegung zu prüfen, wird im folgenden der Begriff des Rechtspositivismus zunächst ohne ständigen Bezug zum Völkerrecht, also ganz generell behandelt. Der Rechtspositivismus hat im Laufe der Diskussionen unseres Jahrhunderts ganz unterschiedliche Beurteilungen erfahren. Ich wähle zwei extreme Standpunkte. Emil Brunner stellt 1943 mit Blick auf Hitlers nationalsozialistisches Deutschland einen Zusammenhang mit einem totalitären Staat her (Brunner 1947: 7). Hier handelt es sich insofern um eine historisch etwas irreführende Kennzeichnung als das Recht, auf welches sich rechte wie linke Totalitarismen des 20. Jahrhunderts stets berufen, gerade keinen positiven Charakter hat, sondern – ganz im Gegenteil – Ausfluß eherner Gesetzmäßigkeit sein soll, entweder der Natur, mit dem Begriff der Rasse, oder der Geschichte, mit der Rede von den Klassen. Im Namen dieses vermeintlich höheren, weil nicht von Menschen gemachten Rechtes maßte man sich an, die im gesatzen Recht aufgestellte Ordnung zerstören zu dürfen, ja ihr Fortbestehen gar nicht dulden zu können (vgl. Löwenthal 1990: 169; Arendt 1955: 724 f., Overy 2005: 359 ff., 384 ff., 391). Allerdings treffen Brunners Ausführungen durchaus zu, wenn man nicht das Selbstverständnis von Nationalsozialisten bzw. Kommunisten zugrunde legt, sondern beide als Apologeten solcher Regime betrachtet, die im hergebrachten Montesquieuschen Sinne (vgl. 1979: I, 131) despotischen Charakter aufweisen. Dann bleibt das Bedenken, welches Brunner vorträgt, schwerwiegend. In die Form einer Frage gebracht lautet es: Wird durch eine rechtspositivistische Definition der Gerechtigkeit nicht staatlicher Willkür – seit der Antike Signum einer jeden Tyrannis – Tür und Tor geöffnet? Ist der Rechtspositivismus nicht eine Begleiterscheinung von Staaten, die sich in ihrer Machtfülle nach innen, aber natürlich auch nach

5. Probleme des Rechtspositivismus

65

außen durch nichts einschränken lassen wollen? Radbruch hat diese Frage kurz nach dem Zweiten Weltkrieg positiv beantwortet: Der Rechtspositivismus habe die Juristen und das Volk verbrecherischen Gesetzen der Nationalsozialisten gegenüber wehrlos gemacht; denn er identifiziere Macht und Recht (Radbruch 1999a: 209; 1999b: 215). Im angelsächsischen Raum hat nach Friedrich Hayek, der hier – wie auch Leo Strauss (vgl. 1989: 4 f.) – als Mittler zwischen alter und neuer Welt aufgetreten ist (Hayek 1978: 239 ff.), Lon Fuller den gleichen Gedanken entwickelt (1969: 245 ff.). Die zweite Position, mit welcher das genaue Gegenteil behauptet wird, nimmt der Soziologe Luhmann ein, der den Rechtspositivismus mit der demokratischen Regierungsform in Zusammenhang bringt (Luhmann 1969: 10 / 11). Auch die hier zugrundeliegende Überlegung ist gewiß nicht unbesehen von der Hand zu weisen; denn das positive Recht steht immer vor der Schwierigkeit, sich legitimieren zu müssen. Da es dieses Legitimationsdefizit nicht aus eigener Kraft abbauen kann, bedarf es der politischen Rechtfertigung. Diese hat die tragfähigste Basis, wenn alle Glieder einer Gemeinschaft um ihre Meinung gefragt werden. Das wiederum ist nur in Demokratien der Fall. Der Umkehrschluß verbietet sich allerdings: Was Luhmann nämlich nicht behauptet und auch nicht behaupten kann, ist, daß ein vollständig positiviertes Recht, das alle trans-positive Gerechtigkeitsvorstellung getilgt hat, ein untrügliches Zeichen dafür wäre, daß wir es mit einem demokratischen Staat zu tun hätten. Es muß auch darauf hingewiesen werden, daß Luhmann unter Demokratie ausdrücklich keine Herrschaftsform, sondern lediglich eine Technik der Systemsteuerung verstehen will. Luhmanns Aussage steht dennoch in nicht zu übersehendem Widerspruch zu Brunners Feststellung. Brunner sagt – in der vorgenommenen Abwandlung seiner These: Despotische Staaten werden alles trans-positive Recht beseitigen. Luhmann konstatiert, Staaten, in denen die Rechtspositivierung abgeschlossen ist, müssen Staaten sein, in denen demokratische Mittel der Steuerung verwendet werden. Einmal ist das positi-

66

II. Diskussionen

vierte Recht Resultat des Despotismus, dann soll die Demokratie Ergebnis der Positivierung des Rechts sein. Beide Behauptungen sind so, wie sie zuletzt formuliert worden sind, gewiß unzutreffend. Denn es lassen sich ja demokratisch verfaßte Staaten denken, deren Recht nicht oder zumindest nicht vollständig positiviert ist. Die Menschenrechte etwa betrachten wir als unveräußerlich, mithin als unantastbar. Das heißt nicht, daß man sie nicht mißachten könnte. Es heißt lediglich, daß man sie niemals legitimerweise außer Kraft zu setzen vermag. Denn wir besitzen Menschenrechte schon deshalb, weil wir Menschen sind, nicht etwa deshalb, weil wir Bürger eines bestimmten Landes sind, dessen Regierung so gnädig ist, uns solche Rechte per Gesetz zuzugestehen. Daher können Menschenrechte nicht der willkürlichen Rechtssetzung entstammen, sie sind kein positives Recht. Claude Lefort bringt diesen Sachverhalt durch den Hinweis zum Ausdruck, daß letztlich niemand diese Rechte verkünden könne, sie deklarierten sich vielmehr selber (1994: 65 / 66; 2007: 417). Sollten Menschenrechte in Gesetzesform gegossen werden, dann ist dies bestenfalls eine zusätzliche Absicherung, nicht aber ihre Erfindung. Wären nämliche die Menschenrechte darauf angewiesen, daß man sie proklamiert, dann wären sie keine Menschenrechte, sondern dann hätten sie die Gültigkeit der Straßenverkehrsordnung. Diese stellt ein Regelwerk dar, das, sollte es sich als opportun erweisen, geändert werden kann – etwa so, wie man sich in Schweden vor geraumer Zeit entschlossen hat, nicht mehr länger auf der linken, sondern auf der rechten Straßenseite zu fahren. Es läßt sich also gegen Luhmann einwenden: Es gibt Demokratien, welche sich viel darauf zugute halten, trans-positives Recht zu achten, nämlich Menschenrechte. Gegen Brunners auf dem Hintergrund seiner politischen Erfahrungen gewiß verständliche Äußerung kann man einwenden: Es wäre durchaus ein Staat denkbar, der autoritäre, gar despotische Züge trüge, ohne daß er zugleich die Positivierung

5. Probleme des Rechtspositivismus

67

des Rechts betriebe. Neben den Totalitarismen des 20. Jahrhunderts liefert unsere Zeitgeschichte dafür insofern ein Beispiel, als wir mit dem Phänomen theokratischer Bestrebungen konfrontiert sind. Hier beruft man sich auf Gott, legitimiert so den eigenen Herrschaftsanspruch und regiert nach den Geboten, von denen man meint, Gott habe sie den Menschen gegeben, auf daß ihnen mit Hilfe eines staatlichen Zwangsapparates Geltung verschafft werde. Theokratische Staaten sind gewiß alles andere als freiheitlich, dennoch sind sie von jeder rechtspositivistischen Auffassung weit entfernt. Ja, sie müssen ein solches Gesetzesverständnis für ein Zeichen der Gottlosigkeit halten. Obwohl Brunners und Luhmanns Bestimmungen nicht unkritisch akzeptiert werden können, bieten sie die Möglichkeit, für eine systematische Erörterung des Rechtspositivismus das Feld abzustecken. Bisher ist eine Definition des Rechtspositivismus benutzt worden, welcher der Gedanke zugrunde lag, das Recht entspringe einem Akt menschlicher Willkür. Aus dieser Bestimmung resultiert unmittelbar das Problem des Rechtspositivismus: Wie kann dieser rechtsstiftende Willkürakt legitimiert werden? Brunners Antwort auf diese Frage lautet: Eine solche Rechtfertigung ist nicht möglich. Luhmann meint hingegen, die Technik demokratischer Steuerung wirke legitimierend. Brunner suggeriert: Wenn man die Positivierung des Rechts zuläßt, dann landet man schließlich in einem despotischen Staat. Luhmann legt die Auffassung nahe, daß die Positivierung des Rechts aufs engste mit der Demokratisierung von Staat und Gesellschaft zusammenhänge. Was die Opponenten eint, ist eine gemeinsame Argumentationsstrategie. Denn in beiden Fällen wird auf etwas Politisches verwiesen, um die Positivierung des Rechts zu beurteilen. Einmal dient der Verweis dazu, eine Ablehnung zu begründen, einmal dazu, Zustimmung zu schaffen. Das positive Recht erhält also seine Legitimität aus einer legitimen politischen Ordnung, es verliert seine Legitimität, wenn die Ordnung illegitim ist.

68

II. Diskussionen

Daraus läßt sich schließen, daß die Frage nach der Legitimität des Willküraktes, in dem die Rechtssetzung besteht, in Wahrheit die Frage nach der Legitimität dessen ist, der den Willkürakt vollzieht. Brunner behauptet, ein rechtsstiftender Willkürakt erfolge immer bar aller Berechtigung. Luhmann meint, solche Willkürakte ließen sich sehr wohl legitimieren, freilich nur demokratisch. Damit wird die Frage nach der Rechtfertigung des positiven Rechts zur Frage nach der Legitimität der Gesellschaft, deren Recht ausschließlich positives Recht ist. Dieses Resultat stimmt mit der Kritik überein, die man an der – im Wortsinne – primitivsten Form des Rechtspositivismus üben muß, an der bereits erwähnten Imperativtheorie Austins. Diese besagt: Gerecht ist, was der Stärkere erfolgreich durchsetzen kann. Philosophische Gestalt hat diese Auffassung bei Spinoza gefunden: . . . certum est naturam absolute consideratam jus summum habere ad omnia, quae potest – Zweifellos hat die Natur, an sich selbst betrachtet, das höchste Recht auf alles, was sie vermag (Spinoza 1979: 466). Jus und potentia sind deshalb koextensiv, denn die Macht der Natur ist zugleich die Macht Gottes, dessen Recht auf alles nicht in Zweifel gezogen werden kann (Spinoza 1979: 466; vgl. auch Spinoza 1994: 14). Geht man von der Betrachtung der Natur an sich selbst zu der einzelner Lebensformen über, in welchen sie sich manifestiert, dann gilt: Fische, die dazu bestimmt sind, ihre kleineren Artgenossen zu fressen, tun dies mit Recht, weil sie über die entsprechenden Fähigkeiten verfügen. Auch für menschliche Individuen gilt diese Regel: unumquodque individuum jus summum habere ad omnia – jedes einzelne Individuum hat das höchste Recht auf alles (Spinoza 1979: 466). Gegen diese Auffassung kann argumentiert werden, ohne daß es nötig wäre, die metaphysischen Prämissen zu erörtern, von denen Spinoza ausgeht, oder aber die Frage zu entscheiden, ob er eine Naturrechtslehre vertritt oder nicht vielmehr in der Identifikation von Macht und Recht dem modernen Rechtspositivismus den Weg bereitet (vgl. Menzel 1930: 284; Walther 1982: 416; Walther 1985: 8 ff.; Walther 1990; Röd 2002: 298).

5. Probleme des Rechtspositivismus

69

Einzuwenden wäre in jedem Fall, daß bei einer Identifikation von jus und potentia die einem jeden Recht korrespondierenden Pflichten nur als Nötigungen verstanden werden können, die von demjenigen ausgehen, der über potentia verfügt und andere dies spüren läßt. Spinoza dürfte gewiß so argumentieren, da es ihm – angesichts seines Determinismus – gar nicht um Fragen der Legitimität gehen kann (vgl. McShea 1968: 71; Yoshida 2004: 103; Balibar 2005, 72). Wenn man sich freilich nicht dazu bereitfinden mag, Spinozas Determinismus zu vertreten, und wenn man obendrein an Legititmitätsproblemen interessiert ist, dann bedeutet die Identifikation von Macht und Recht, der Gewalt legitimatorische Kraft zuschreiben. Diese aber kann sie nicht haben, da die Gewalt niemals etwas anderes als bloßes Zwangsinstrument ist. Sie mit dem Recht zu identifizieren, liefert keine Erklärung der Bedeutung des Wortes jus, es heißt vielmehr, den Rechtsbegriff aufzuheben. Deutlich wird dies an der Erklärung, die Spinoza für Verbote gibt: Nicht erlaubt ist genau das, was man nicht kann (Spinoza 1979: 470). Nun ist es gewiß sinnlos, jemandem etwas zu verbieten, das er zu tun nicht in der Lage ist. Genauso absurd ist es allerdings auch, alles zu erlauben, was jemand tun kann, eben weil er es tun kann. Es gibt mithin kein Recht des Stärkeren, weil die Stärke selbst einer Legitimation bedürfte, wenn ihr Einsatz gerechtfertigt sein soll. Ihr bloßes Vorhandensein liefert diese nicht. Daher ist die Rede vom Recht des Stärkeren nichts anderes als das Eingeständnis der Illegitimität. Der Hinweis auf Stärke löst das Legitimitätsproblem also nicht, er wirft es allererst auf (vgl. Höffe 1989: 138 ff.). Die Alternative zur primitiven Imperativtheorie ist eine kontraktualistische Auffassung. Hier taucht bereits eine Form der demokratischen Konfliktbewältigung auf. Denn demokratisch meint ja zunächst nichts anderes, als daß die Beteiligten gefragt werden und zustimmen müssen. Die Verbindlichkeit des Rechts resultiert aus der Verbindlichkeit des Vertrages, welcher die Grundlage des Rechts bildet. Als verbindlich ist der Vertrag anzusehen, der die Zustimmung aller Beteiligten

70

II. Diskussionen

findet. Was sich hier freilich nicht angeben läßt, ist der Grund, aus dem sich die Vertragspartner an den Vertrag gebunden fühlen. Warum man sein Versprechen halten muß, kann man nicht begründen, ohne hierzu auf außerrechtliche Normen zurückzugreifen (vgl. Kersting 1990: 230). Damit stehen sich zwei Arten von Normen gegenüber. Das wirft die Frage nach dem Verhältnis beider und damit nach der Autonomie des positiven Rechts auf. Das Problem lautet: Wie kann man noch von einem ausschließlich gesatzen Recht sprechen, wenn dieses Recht seinerseits prä-rechtlicher Normen bedarf, um überhaupt institutionalisiert werden zu können? Exemplarisch läßt sich das Problem am klassischen Utilitarismus eines John Stuart Mill vorführen, der eine pseudorechtspositivitische Theorie darstellt. Mill will Konflikte zwischen Recht und Moral vermeiden. Mit solchen Spannungen ist immer dann zu rechnen, wenn es neben den positiven Gesetzen noch Regeln der Moral gibt. Seine Strategie besteht darin, das Gerechte dem Guten zu subsumieren und das Gute wiederum dem Nützlichen (Mill 1927: 60). Das oberste Prinzip des Handelns lautet dann: Was immer du tust, gehe so vor, daß du den größtmöglichen Nutzen für die größtmögliche Menge von Menschen bzw. empfindungsfähigen Wesen erzeugst (Mill 1927: 6), i.e. das Greatest-Happiness-Prinzip des Utilitarismus. Da das Gerechte ein Teil des Guten ist, muß auch der Gesetzgeber diesem Prinzip folgen. Er darf also nur als Recht setzen, was der gesamtgesellschaftlichen Nutzenmaximierung dient. Dieser Auftrag aber erzeugt eine unüberwindliche Schwierigkeit, nämlich die, daß der Gesetzgeber in seiner Willkür nicht mehr frei ist. Er muß sich vielmehr, nachdem er tätig geworden ist, einem Moralitäts- und damit einem Nützlichkeitstest unterziehen. Dieser besteht darin, nach einer gewissen Zeit auszurechnen, ob seine Gesetze die Glückssumme der Gesellschaft wirklich maximiert haben. Ist dies nicht der Fall, dann waren sie nicht einfach unbrauchbar, denn sie waren

5. Probleme des Rechtspositivismus

71

unmoralisch und natürlich auch ungerecht. Daher kann hier von freier Willkür, aus welcher das Recht fließt, gar nicht die Rede sein. Vielmehr ist die Rechtssetzung moralisch restringiert. Nicht der Willkürakt ist Quelle des Rechts, sondern das oberste Moralprinzip. Daher kann man sagen: Der Utilitarismus läßt den Rechtspositivismus nicht zu, vielmehr erfüllt er die schwache Definition des Naturrechtes, welche festsetzt: Das Gerechte wird nicht in einem Willkürakt des Menschen festgesetzt. Aus solcherlei Verstrickungen kann sich der Rechtspositivist nun nur noch durch einen Befreiungsschlag lösen. Dieser besteht darin, das Recht von allem Prä- bzw. Außerrechtlichen zu trennen. Was als gerecht gilt, das ergibt sich ausschließlich aus dem positiven Recht, genauer: Das Gerechte ist das, was ein rechtsgültiges Verfahren als das Gerechte produziert (Luhmann 1986: 26). Freilich ist die Legitimationsschwierigkeit damit nicht etwa überwunden, sie ist nur verschoben. Denn nun liegt alle Verantwortung für das Recht bei der Gesellschaft oder besser bei der politischen Organisation, welche sich das Recht schafft. Hier kommt wiederum das Demokratieprinzip ins Spiel. Luhmann präsentiert es freilich nur als Technik der Systemsteuerung. Als solche hat es zunächst keine legitimatorische Kraft. Diese gewinnt man erst, wenn man das Demokratieprinzip so faßt, wie es der kontraktualistische Rechtspositivismus tut, nämlich so, daß die Zustimmung der Beherrschten nicht nur als Teil einer Steuerungstechnik, sondern als Legitimationsgrund politischer Organisationen ansieht. Dann kann man sagen: Genau das Recht ist als legitim anzusehen, welches als Subsystem demokratisch verfaßter Gesellschaften gelten kann. Damit ist der Ausgangpunkt wieder erreicht: Die Legitimität des Rechts hängt ab von der Legitimität des Politischen. Dieses wiederum ist legitim, wenn es demokratisch organisiert ist. Daher kann man – auch wenn der Soziologe Luhmann so nicht formuliert – vereinfacht sagen: Gerecht ist genau das Recht, welches sich demokratische Staaten geben.

72

II. Diskussionen

Daß der Philosoph hier nicht halt machen darf, ist evident. Er wird unweigerlich fragen: Was ist denn der eigentümliche Legitimitätsgrund demokratischer Staaten? Warum sind sie legitim, nicht aber solche, die autoritär verfaßt sind? Das pure Faktum der Zustimmung kann doch nicht ausreichen. Vielmehr muß es so sein, daß die Zustimmung Ausdruck von etwas anderem ist. Es gilt also herauszubringen, aus welchem Grunde die Menschen zustimmen. Mit der Rede von Demokratie kann man sich nicht zufriedengeben, sondern man muß fragen: Unter welchen Bedingungen ist eine politische Ordnung zustimmungsfähig und deshalb legitim? Hier gibt es nur eine einzige Antwort. Sie lautet: Politische Gemeinschaften sind genau dann legitim, wenn sie gerecht sind. Gerechte Staaten können sich auf Zustimmung der Beherrschten stützen. Darum sind sie demokratisch verfaßt. Demokratische Staaten sind daher Staaten, in denen die Gerechtigkeit verwirklicht wird. Also sind demokratische Staaten legitim. Mit dieser Antwort gerät man nun freilich in eine etwas sonderbare Lage. Die Frage lautete: Was legimitiert den Willkürakt, mit dem festgesetzt wird, was gerecht ist? Darauf wurde gesagt, die Legitimität des Staates sei es, welche einem solchen Willkürakt die nötige Rechtfertigung verschaffe. Legitime Staaten seien die Voraussetzung gerechten Rechts. Nun hat sich zudem ergeben, daß legitime Staaten gerechte Staaten sind. Führt man beide Bestimmungen zusammen, dann ergibt sich: Der Willkürakt, mit dem bestimmt wird, was gerecht ist, ist legitim, wenn derjenige, der ihn vollzieht, gerecht ist. Oder kürzer: Gerechte Staaten schaffen gerechtes Recht. Mit dieser Formulierung wird klar, daß der Rechtspositivismus sich insgesamt nur mit einer petitio principii rechtfertigen kann. Es handelt sich hier um genau den Zirkelschluß, der für das kontraktualistischen Argument nachgewiesen worden ist: Es kann nicht der Vertrag sein, aus dem alle Normen fließen, weil eine Norm schon in Kraft sein muß, nämlich die, Versprechen zu halten.

5. Probleme des Rechtspositivismus

73

Wandelt man das Argument ab, dann läßt sich dem Rechtspositivismus folgendes vorhalten: Es kann nicht so sein, daß die Gerechtigkeit des positiven Rechts sich aus der Legitimität des Gesetzgebers ableitet, denn dieser ist nur gerechtfertigt, wenn er gerecht ist. Mithin führt die gewählte Legitimationsstrategie dazu, daß man voraussetzen muß, was erst durch die Rechtssetzung entstehen soll, nämlich die Gerechtigkeit. Der Rechtspositivismus gerät, wenn er sich rechtfertigen soll, mithin in einen Zirkel. Dies kann man an Luhmanns Auffassung exemplifizieren. Für Luhmann gilt: Das Subsystem Recht kennt Gerechtigkeit nur als Verfahrensgerechtigkeit. Aus der Perspektive des übergeordneten Systems der Gesellschaft stellt sich Gerechtigkeit als Bedingung der Möglichkeit ihrer Funktionalitätssteigerung dar (vgl. Luhmann 1972: II, 212; 1974: 23). Luhmann verschiebt damit die Legitimitätsproblematik vom Recht auf die Gesellschaft und setzt dann hinzu, diese Gesellschaft bediene sich demokratischer Steuerungstechniken. Da Luhmann nur einen technischen Demokratiebegriff verwendet, scheint er sagen zu wollen, daß man demokratischen Gesellschaften die Eigenschaft zusprechen müsse, in gesteigertem Maße funktional zu sein. Abgesehen davon, daß eine solche Behauptung mit der Alltagserfahrung kaum zu vereinbaren wäre, hätte Luhmann mit seiner neuen Bestimmung so lange nichts zur Legitimation des Rechts gewonnen, wie er seinen technischen Demokratiebegriff beibehält, wie er also das Adjektiv demokratisch nicht in normativem Sinne verwendet. Demokratisch muß also eine über die bloße Funktionalität hinausgehende Eigenschaft sein, wenn sie legitimatorische Kraft gewinnen soll. Hat man dies zugestanden, dann entsteht der soeben vorgeführte Zirkelschluß. Denn nun ist das Adjektiv demokratisch nichts anderes als ein Äquivalent für das Adjektiv gerecht. Damit aber wird vorausgesetzt, was allererst etabliert werden soll. In den gleichen Zirkel gerät Kelsen. Für ihn ist das positive Recht Resultat einer Delegation, welche von einer Autorität

74

II. Diskussionen

vorgenommen wird. Diese Autorität ist ihrerseits durch das abgesichert, was Kelsen die Grundnorm als ursprüngliche Verfassung nennt. Die Grundnorm gilt als letzte logisch notwendige Norm, welche sich ihrerseits nicht mehr hintergehen läßt; sie soll in dem Sinne Prinzip sein, daß man bei ihr mit einem Hinweis auf die Gefahr eines regressus ad infinitum halt machen kann (Kelsen 1960: 197). Dieser Schritt ist in der Tat unausweichlich, denn wenn man nach der Legitimität der ursprünglichen Verfassung fragte, erhielte man nur eine Antwort: Sie ist legitim, weil sie gerecht ist. Der Ausweg aus dem Zirkel, in den der Rechtspositivist gerät, wenn er versucht, seine Position zu rechtfertigen, kann immer nur darin bestehen, das Geschäft des Legitimierens aufzugeben. Damit aber muß jeder Rechtspositivist angesichts der Frage nach der Legitimität des Rechts mehr oder weniger offen die originär-primitive Imperativ-Theorie vertreten, wenn er nicht in den beschriebenen Begründungszirkel geraten will. Man sagt gewiß nicht zu viel, wenn man aus diesem Resultat den Schluß zieht, daß der radikale Rechtspositivismus philosophisch gescheitert ist. Er kann nicht rechtfertigen, was er behauptet. Alles philosophische Argumentieren hat es aber immer mit Rechtfertigungen zu tun. Man verläßt den Diskurs genau dann, wenn man auf Rechtfertigungen verzichtet oder verzichten muß. Schränkt man den radikalen Rechtspositivismus ein, dann läßt man zu, daß in ihm trans-positive Elemente enthalten sind – sei es die Kelsensche Grundnorm, seien es Menschenrechte, deren Dignität nicht dezisionistisch zu begründen ist, ja die durch eine solche Erklärung ihren eigentümlichen Charakter verlören. Damit ist eine negative Antwort auf die â-Frage vorbereitet. Sie lautet: Man kann die in philosophischen Augen trüben Quellen des Völkerrechts nicht dadurch säubern, daß man es radikal rechtspositivistisch auffaßt. Im achten Kapitel wird sich zeigen, welche Konsequenzen aus dieser Einsicht für den Völkerrechtspositivismus resultieren. Zunächst freilich muß auch die Gegenpartei, die Naturrechtslehre, einem Test

1. Exkurs: Menschenrechte

75

unterzogen werden. Dies geschieht im sechsten Kapitel. Davor aber soll in einem ersten Exkurs die trans-positive Begründbarkeit von Menschenrechten vorgeführt werden, weil sie es ja sind, die eines der stärksten Argumente gegen den Rechtspositivismus liefern.

„,. . . stellen Sie sich vor die Haustür! Nehmen Sie meinen Schirm!‘ – ,Ihren Schirm? . . . Ist der nicht zu schade für mich?‘ fragte der Hauptmann süßlich. ,Jeder Mensch ist einen Regenschirm wert.‘ – ,Da haben Sie in knappster Form das Minimum der Menschenrechte definiert . . .‘“ (Dostojewski 1920: II, 110).

1. Exkurs: Menschenrechte

Damit etwas ein Recht genannt werden kann, muß ein Rechtssubjekt (Rs ) einem Rechtsadressaten (Ra ) gegenüber einen Anspruch auf Unterlassung oder Ausführung einer Handlung (Rg ) erheben können. Spricht man von Freiheits-, Partizipations- oder Sozialrechten, dann ist Rg die leitende Hinsicht, ist hingegen von Kollektiv- oder Gruppenrechten die Rede, dann wird eine besondere Art von Rs benannt. Menschenrechte zeichnen sich dadurch aus, daß Rs universell, nicht aber partikular gefaßt wird (vgl. Brugger 1998: 170 f.). Sollen Gruppenrechte Menschenrechte sein, dann müssen sie so formuliert werden, daß diese ihre Partikularität verlieren, was nur dadurch geschehen kann, daß man sie jedem denkbaren Rechtssubjekt zugesteht, insofern es Mitglied einer näher zu bestimmenden Gruppe ist, wobei freilich diese Mitgliedschaft so definiert sein muß, daß potentialiter jedermann sie erwerben kann. Denn handelte es sich um ein Kollektiv, in das man hineingeboren wird und das zu verlassen nicht möglich ist, dann wären alle dieser Gruppe von Menschen zugestandenen Rechte Privilegien.

76

II. Diskussionen

Privilegien widersprechen ihrer Natur nach der Konzeption von Menschenrechten. Sie beruhen darauf, daß man nach einem wie auch immer gearteten Kriterium eine Gruppe von Menschen selektiert, welche dann als ein Kollektivsubjekt betrachtet wird, dem gewisse Rechte zukommen sollen. Rechtsadressaten sind alle diejenigen, die das Kriterium nicht erfüllen können. Wenn nun bestimmte Menschen in gewissen Zusammenhängen immer nur als Rechtsadressaten, niemals als Rechtssubjekte auftreten können, dann besitzt das Kollektivsubjekt ein Privileg. Aus diesen Überlegungen folgt, daß die Rede von menschenrechtlich bedeutsamen Kollektivrechten nur sehr eingeschränkt, nämlich lediglich unter zwei Bedingungen sinnvoll ist: Solche Rechte dürfen erstens nicht den Charakter von Privilegien haben. Zweitens kann man sie nur nach dem Muster der klassischen Individualrechte denken, denn faktisch tritt niemals ein Kollektiv als Rs auf, sondern immer nur ein Individuum, welches aufgrund seiner Gruppenzugehörigkeit eine Sonderbehandlung verlangt. Alles, was man einem solchen Menschen zusprechen könnte, wird entweder ein Freiheits-, ein Partizipations- oder ein Sozialrecht sein. Menschenrechte lassen sich also mit Blick auf Rg bzw. auf Ra erschöpfend bestimmen. Im folgenden müssen also lediglich Freiheits-, Partizipations- und Sozialrechte, nicht aber Kollektivrechte näher betrachtet werden. Freiheitsrechte haben – mit Blick auf Rg – negativen und – in Hinsicht auf Ra – präpolitischen Charakter. Partizipationsrechte lassen sich ebenfalls als negative, im Unterschied zu Freiheitsrechten allerdings als politische Rechte kennzeichnen. Auch Sozialrechte sind politische Rechte, aber sie haben positiven Charakter. Unter einem politischen Recht soll genau das Recht verstanden werden, welches ausschließlich aus der spezifischen Verfaßtheit einer organisierten Gemeinschaft resultiert. Ein präpolitisches Recht hingegen besäße man auch dann, wenn man kein Glied einer solchen Gemeinschaft wäre. Als ein negatives

1. Exkurs: Menschenrechte

77

Recht soll ein solches Recht verstanden werden, dem auf seiten von Ra eine Pflicht korrespondiert, welche in der Unterlassung einer gewissen Handlung oder einer gewissen Klasse von Handlungen besteht. In Opposition zu den negativen stehen solche Rechte, denen auf seiten von Ra eine Pflicht korrespondiert, welche darin besteht, gewisse Handlungen auszuführen. Nach dieser Nomenklatur sind Freiheitsrechte präpolitisch und obendrein negativ, Partizipationsrechte politisch, aber wie Freiheitsrechte negativ, weil allen anderen verboten wird, die gewährten Möglichkeiten der Teilnahme zu beschneiden oder aber ganz aufzuheben. Um politische Rechte handelt es sich, weil die Existenz einer verfaßten Gemeinschaft vorausgesetzt werden muß; ohne sie gibt es nichts, woran man Anteil haben könnte. Während Freiheitsrechte von der politischen Gemeinschaft immer nur geschützt, nie gewährt werden können, sind Partizipationsrechte unmittelbarer Ausfluß des Politischen selbst. Die Rede von Sozialrechten unterscheidet sich von der, mit welcher man Freiheits- und Partizipationsrechte postuliert, dadurch, daß Rg nicht in einer Unterlassung besteht, sondern in der Ausführung einer Handlung. Zudem sind Sozialrechte politische Rechte, weil es immer eine organisierte Gemeinschaft als den Rechtsadressaten geben muß, an welchen man sich postulativ wenden kann. Sozialrechte werden also wie Partizipationsrechte gewährt. Die als Menschenrechte formulierten Individualrechte kommen darin überein, daß die Stelle Rs in allen Fällen universell besetzt werden muß. Sie weisen insofern beträchtliche Unterschiede auf, als die Stellen Ra und Rg jeweils unterschiedlich präzisiert werden – einmal so, daß Ra nur eine politisch verfaßte Gemeinschaft sein kann, einmal so, daß hier jedes Individuum und auch ein staatliches Gebilde, so es denn existiert, in Betracht kommt. In Bezug auf Rg haben wir es entweder mit dem Postulat von Unterlassungen oder mit der Forderung nach bestimmten Handlungen zu tun.

78

II. Diskussionen

Die Begriffe des Rechtspositivismus bzw. des Naturrechts sind bereits im zweiten Kapitel bestimmt worden. Unter einer rechtspositivistischen Auffassung wird die These verstanden, ein Recht komme immer nur durch den Willensentschluß von Menschen zustande, sei also eine ausschließlich soziale Tatsache. Die Konsequenz einer solchen Auffassung besteht darin, daß jede Rede von präpolitischen Rechten zurückgewiesen werden muß. Alle drei Klassen von sogenannten Menschenrechten gehören für den Rechtspositivisten daher zu den politischen Rechten. Auch Freiheitsrechte werden rechtspositivistisch betrachtet zu Erlaubnisgesetzen, mithin zu Gnadenakten der Gemeinschaft, welche sich entschließt, ihren Gliedern dieses oder jenes zu gestatten, ohne daß irgendeine die Sphäre des Politischen übersteigende Verpflichtung dazu bestünde. Unter Naturrecht soll – wie im zweiten Kapitel festgelegt – ein solches Recht verstanden werden, das unabhängig von jedem Akt der willkürlichen Rechtssetzung besteht und das durch einen solchen Akt wirksam auch nicht aufgehoben werden kann. Im folgenden wird sich zeigen, daß man die negativen Freiheitsrechte naturrechtlich begründen und die negativen Partizipationsrechte aus ihnen herleiten kann. Partizipationsrechte haben also derivativen Charakter. Dies trifft auch für die Sozialrechte zu – allerdings so, daß man sie als derivative Rechte zweiter Stufe bestimmt. Denn was sich für ihre Begründung ins Feld führen läßt, ist lediglich der Hinweis darauf, daß gewisse soziale Bedingungen erfüllt sein müssen, damit breite Kreise der Bevölkerung ihre Partizipationsrechte wahrnehmen können. Naturrechtliche Argumentationen treten in vier Spielarten auf: als anthropologisches, als kosmologisches, als theologisches Naturrecht und als selbständiges Vernunftrecht. Eine anthropologische Begründung des Naturrechts liegt vor, wenn aus der psycho-physischen Verfassung des Menschen darauf geschlossen wird, daß bestimmte Handlungsweisen erlaubt bzw. verboten sind. Als Muster einer solchen Argumentation kann Platons Seelenlehre gelten, auch wenn es aus philoso-

1. Exkurs: Menschenrechte

79

phiehistorischer Sicht einen Anachronismus bedeutet, einen solchen Zusammenhang unmittelbar herzustellen. Platon analysiert die Seelenkräfte des Menschen, er macht Angaben zu ihrem Zusammenwirken. Dann bestimmt er, unter welchen Bedingungen die Seele gesund, unter welchen sie krank ist. Seelische Gesundheit wird schließlich mit Gerechtigkeit, seelische Krankheit mit Ungerechtigkeit identifiziert. Zur Widerlegung dieser beiden Spielarten des Naturrechts reicht der Hinweis auf den Sein-Sollens-Hiatus (Hume 1981: 469), der schon im dritten Kapitel gegeben worden ist: Man beginnt mit deskriptiven Sätzen, welche den Menschen oder die Welt in ihrer Gesamtheit betreffen, und gelangt zu präskriptiven Sätzen, in denen Postulate formuliert werden. Ein solches Procedere ist deshalb illegitim, weil sich dem, was ist, ohne die stillschweigende Voraussetzung normativer Prämissen nicht entnehmen läßt, was sein soll. Diese normativen Prämissen aber darf man nicht setzen, wenn die Faktizität als Rechtsgrund des Normativen gelten soll. Kurz: Das Faktische hat keine normative Kraft, außer man postuliert, daß dem so sein solle. Dann aber beweist man im Hinweis auf die Faktizität nichts, man konstatiert lediglich das Faktische als etwas Gesolltes. Es verbleibt die theologische Fundierung des Naturrechts. Dieser Gedankengang soll kurz an Thomas’ Argumentation dargelegt werden. Ihre Prämisse lautet: Die Welt, in der wir leben, ist nicht kontingent. Das heißt, die Sachverhalte, welche auftreten, tun dies in einer gewissen Anordnung. Sie folgen einer kosmologischen Regel, die den Weltzusammenhang derart bestimmt, daß sie dem Auftreten von Sachverhalten Ordnung verleiht. Sie kann in Analogie zur Ordnung des Handelns verstanden werden. Die in der Welt anzutreffenden Sachverhalte sind Resultat einer geplanten Tätigkeit, die Gesamtheit des Universums wird von der göttlichen Vernunft regiert (ST I – II, 91,1). Um das hier waltende Gesetz von demjenigen zu unterscheiden, das menschliches Tätigsein leitet, spricht Thomas von einer lex aeterna, von einem ewigen Gesetz. Dieser Name

80

II. Diskussionen

ist deshalb angemessen, weil die Vernunft desjenigen Wesens, welches dem Auftreten von Ereignissen in der Welt Struktur geben soll, als ewige Vernunft angesehen werden muß. Aus der ewigen Vernunft Gottes resultiert die Struktur der zeitlichen Abfolge von Ereignissen in der Welt. Deshalb ist alles, was ist, und auch alles, was noch nicht ist, in Gott als dem Urheber aller Sachverhalte präexistent. Aus dieser Tatsache kann geschlossen werden, daß es eine Verbindung zwischen der lex aeterna und dem Gesetz gibt, welches menschliches Handeln leitet. Thomas erklärt diesen Zusammenhang so: Gesetz heißt das, was etwas regelt. Die Anwendung eines Gesetzes setzt zudem jemanden voraus, der regelnd auftritt. Wir müssen daher dem Gesetz gleichsam zwei Aufenthaltsorte zuschreiben. Es ist einmal in dem, der regelt, und dann in dem, was er regelt. Wendet man diese Überlegung auf das ewige Gesetz an, dann ist es zunächst in der göttlichen Vernunft, dann aber auch im Ergebnis der göttlichen Tätigkeit, also in dem, was der göttlichen Vernunft untersteht, was von ihr geregelt wird. Die Kreatur Gottes, das von ihm Geschaffene, hat also insofern am ewigen Gesetz teil, als es ihm untersteht. Aufgrund der bisherigen Bestimmungen läßt sich der Zusammenhang des ewigen Gesetzes und der Regel, welcher menschliches Handeln untersteht, als Partizipationsverhältnis bestimmen (ST I – II, 91,2). Naturrecht heißt das ewige Gesetz, sofern wir mit unserer menschlichen Vernunft an ihm teilhaben. Im ewigen Gesetz liegen nicht nur allgemeine Grundsätze, sondern auch particulares directiones singulorum vor. Da unsere menschliche Vernunft das ewige Gesetz aber nur unvollkommen erkennt, dringt sie nicht unmittelbar bis zu diesen Einzelanweisungen vor. Sie muß sie vielmehr aus den Grundsätzen ableiten. Daher können alle Gesetze als Ableitungen oder besser als Ableitungsversuche angesehen werden; denn gelungene Ableitungen sind sie erst dann, wenn sie von der ratio recta, der richtigen Vernunft, erleuchtet sind. Die Frage nach dem Verhältnis von Sein und Sollen kann unter diesen Voraussetzungen nun so beantwortet werden,

1. Exkurs: Menschenrechte

81

daß der von Hume gebrandmarkte Hiatus unterbleibt. Denn Gott ist es, welcher die Sachverhalte, die in ihrer Gesamtheit die Welt ausmachen, strukturiert. Die Struktur heißt ewiges Gesetz. Ein Gesetz gibt an, was sein soll. Das, was ist, ist also nur deshalb, weil es sein soll. Daher fallen im ewigen Gesetz Sein und Sollen dergestalt zusammen, daß alles, was ist, als Gesolltes angesprochen werden kann. Thomas verdeutlicht dies im Hinweis auf die Unterschiede zwischen göttlichem und menschlichem Verstand. Der göttliche Verstand (ratio intellectus divini) verhält sich anders zu den Dingen als der menschliche. Denn der menschliche Verstand erhält sein Maß von den Dingen, so daß der Begriff des Menschen nicht aus sich selbst heraus wahr ist, sondern wahr heißt, insofern er mit den Dingen übereinstimmt. Wahr sind unsere deskriptiven Sätze, indem wir die adaequatio intellectus ad rem vollziehen, modern formuliert, indem wir Sätze produzieren, die den Sachverhalten, die sie abbilden sollen, entsprechen. Dies können wir nur tun, wenn wir unsere Sätze den Sachverhalten anpassen; denn wir müssen uns nach den Sachverhalten richten, wenn wir wahre deskriptive Sätze formulieren wollen. Präskriptive Sätze sind hingegen solche, mit denen wir verlangen, daß ein ihnen entsprechender Sachverhalt auftreten soll. Auf eine knappe Formel gebracht: Deskriptive Sätze haben sich Sachverhalten anzupassen, mit präskriptiven Sätzen verlangen wir, daß ein Sachverhalt sich uns anpasse, daß er so sei, wie wir es fordern. Gottes Verstand unterscheidet sich vom menschlichen nun dadurch, daß er Sachverhalten gegenüber ausschließlich präskriptive Sätze äußert (ST I – II, 93,1,3). Auch hier geht es also um eine Adäquation, eine Angleichung, aber um eine solche, die man nur als adaequatio rei ad intellectum divinum bezeichnen kann, als Angleichung der Dinge an den göttlichen Verstand. Das Ist der Welt ist als das erfüllte Postulat Gottes zu betrachten. In dem, was ist, kommt das zum Ausdruck, was Gott als Gesolltes konzipiert. Damit fallen Sein und Sollen unmittelbar zusammen. Von einem Hiatus kann nicht mehr gesprochen werden. Der Mensch hat nun nur noch auf

82

II. Diskussionen

das zu schauen, was ist, sich ihm mit seinem Verstande anzupassen. Dann zeigt sich das, was das Gesollte ist – zwar nicht vollständig, sondern nur im Grundsatz, aber das ist so lange von untergeordneter Bedeutung, wie eine Möglichkeit der Ableitung des Besonderen gewährleistet ist. Will man – über Thomas’ Argumentationsrahmen hinausgehend – Menschenrechte aufgrund dieser Konzeption bestimmen, dann müssen sie als Basalrechte betrachtet werden, aus denen Partikularrechte abgeleitet werden. Sie werden nicht gesetzt, sondern der Struktur der Welt, deren Teil der Mensch ist, entnommen. Freilich zahlte man einen recht hohen Preis, wenn man sich mit einem solchen Begründungsverfahren zufrieden gäbe. Denn man sieht schnell, daß die Vermeidung des Sein-SollensHiatus hier mit einem – nur für den gläubigen Menschen unanstößigen – Zirkelschluß bezahlt wird; für den religiösen Skeptiker vollzieht der skizzierte Argumentationsgang nämlich nichts anderes als eine petitio principii. Mit der ursprünglichen Annahme eines Schöpfergottes setzt man zugleich die naturrechtlichen Vorschriften, welche man dann dem Kosmos im skizzierten Ableitungsverfahren entnehmen will. Leugnet der Skeptiker die Existenz eines Schöpfergottes, indem er sich gegen den kosmologischen Gottesbeweis wendet, dann bricht der Herleitungsgang zusammen. Damit verbleibt nur noch die Möglichkeit einer Begründung des Naturrechts als Vernunftrecht. Der Terminus Vernunftrecht soll im folgenden die Gesamtheit solcher Rechtssätze kennzeichnen, welche sich als universell gültig legitimieren lassen. Alles, was einer solchen Begründung nicht fähig ist, kann vor der Vernunft nicht bestehen. Im Falle der Menschenrechte lautet die Aufgabe mithin, für alle denkbaren Rechtssubjekte (Rs ) zu zeigen, daß sie allen denkbaren Rechtsadressaten (Ra ) gegenüber einen Rechtsgegenstand (Rg ) reklamieren können, welcher in einer Unterlassung bzw. in der Ausführung einer Handlung besteht. Ein Muster für eine so bestimmte vernunftrechtliche Argumenta-

1. Exkurs: Menschenrechte

83

tion findet sich bei John Locke – freilich so, daß ausschließlich Freiheitsrechte hergeleitet werden, Rg also negativ bestimmt wird. Locke entwickelt seine Vernunftrechtslehre im Zusammenhang mit einem Naturzustandstheorem, dem im Rahmen seiner Politiktheorie eine heuristische Funktion zugesprochen werden muß. Es besagt: Bei der Suche nach dem natürlichen Recht muß man sich von allem freimachen, was sich lediglich menschlicher Leistung verdankt. Kultürlich in diesem Sinne sind das positive Recht, die Sitte, die Umgangsformen, die politischen Institutionen. Um alles dies auszuschalten, fingiert man einen Urzustand durch Negation der benannten Kulturleistungen. In einem solchen Zustand nun, so behauptet Locke, zeigt sich, daß wir gewisse Rechte haben. Gemäß der Versuchsanordnung können diese Rechte aber nicht kultürlich, also nicht konventionell, mithin kein positives Recht sein. Die Frage, wie wir von diesem natürlichen Recht wissen können, beantwortet Locke mit einem Hinweis auf die Vernunft. Das Naturrecht ist uns bekannt, weil wir rationale Wesen sind. Die Ratio sagt uns, daß wir – gemäß natürlichem Recht – alle gleich und daher auch alle frei sind. Die Aufzählung gibt die Rangordnung wieder. Es ist nämlich die Gleichheit, aus welcher die Freiheit resultiert – nicht etwa umgekehrt. Liest man Lockes Begründung für diese These, dann könnte man meinen, er argumentiere nicht anders als Thomas. Er schreibt nämlich: Wir alle sind die Geschöpfe eines allmächtigen Gottes und daher die Diener eines souveränen Herrn, dessen Befehl wir unterstehen und als dessen Eigentum wir uns zu betrachten haben. Gott habe es uns verboten, daß wir einander untertan machten, daß wir den Mitmenschen zu unseren Zwecken mißbrauchten oder ihn gar ums Leben brächten. Ein solches Verhalten habe Gott uns nur den Tieren gegenüber erlaubt (Gov. 271). Man kann freilich, auch wenn dies in der Forschung zuweilen übersehen wird (vgl. Waas 2004: 114 f.), diese theologische Erklärung fortnehmen, ohne daß Lockes Ausführungen ihre

84

II. Diskussionen

Plausibilität verlören. Einen Hinweis darauf, wie eine solche Rekonstruktion auszusehen hat, findet sich im § 4 des Second Treatise, wo Locke über den Naturzustand sagt, wir seien alle Geschöpfe der gleichen Art. Daher könne nicht von Überoder Unterordnung der Menschen gesprochen werden, denn Gott habe keinen von uns so vor dem anderen ausgezeichnet, daß er als unser Herr deutlich erkennbar wäre (Gov. 269). Diese Wendung ist nur sinnvoll, wenn der Gedanke der Gleichheit zunächst nicht sehr naheliegt. Wir müssen also annehmen, daß man bei Betrachtung der Menschen mitnichten auf die Idee kommt, sie für einander gleich zu halten, daß man vielmehr meint, daß sie ungleich seien. Die Ratio korrigiert dann diesen Eindruck: Auch wenn die Menschen nicht gleich erscheinen und es auch nicht sind, so muß man sie doch so betrachten, als ob sie gleich wären. Es verbleibt freilich die Frage, wie wir zu einer solchen Als-Ob-Annahme verpflichtet werden können – angesichts der zugestandenen Ungleichheit der Menschen. Wie die Vernunft hier vorgeht, zeigt der Hinweis auf Gott und seinen Willen. Locke sagt: Gott, unser Herr und Schöpfer, hat uns kein Zeichen gegeben, dem wir entnehmen können, daß ein Mensch über den anderen gesetzt ist. Wir haben es hier also mit einem negativen Argument zu tun. Dieses negative Argument läßt sich nun auch ohne theologische Einkleidung formulieren: Der augenfälligen Ungleichheit der Menschen läßt sich kein Hinweis darauf entnehmen, daß ein Mensch oder eine bestimmte Gruppe von Menschen einen größeren Wert besäße als ein anderer Mensch oder eine andere Gruppe von Menschen. Kurz: Es gibt kein evaluativ zu handhabendes Kriterium, mit dem Herren und Knechte identifiziert und entsprechende Privilegien verteilt werden können. Um den hier zugrundeliegenden Gedankengang etwas weiter zu explizieren, soll zunächst die Gegenposition skizziert werden, nämlich eine Theorie, die von der Unterschiedlichkeit der Menschen darauf schließt, daß einzelne Menschen oder Menschengruppen anderen über- bzw. unterzuordnen seien.

1. Exkurs: Menschenrechte

85

Eine solche Theorie, die schon zu Beginn dieses Kapitels bei der Einführung des Begriffs Privileg skizziert worden ist, hätte folgenden Ablauf zu konzipieren: Zunächst wären die Menschen anhand des Kriteriums zu gruppieren. Ein zweiter Schritt bestünde dann darin, die gebildeten Klassen zu hierarchisieren. Die Hierarchisierung erfolgte so, daß den Gliedern einer Klasse ein größerer Wert zugesprochen würde als denen einer anderen. Da für den Wert eines Klassengliedes einzig seine Klassenzugehörigkeit, nicht aber individuelle Eigenschaften ausschlaggebend wären, könnte zur Erklärung des behaupteten Wertes nichts anderes angeführt werden als das klassenbildende Kriterium. Damit änderte das Kriterium aber seinen Charakter, es würde nun als Evaluationskriterium gehandhabt. Eben diese Doppelfunktion ist im Sinne des Humeschen Sein-Sollens-Hiatus illegitim. Wenn man den Sein-SollensHiatus vermeiden will, dann kann man dem Hinweis darauf, daß die Menschen nicht alle gleich sind, lediglich entnehmen, daß sie nicht alle gleich sind, nicht aber, daß das, was die einen von den anderen unterscheidet, wertvoller / weniger wertvoll ist als das, was die anderen auszeichnet. Genau das ist es nun, worauf Locke mit seinem theologisch eingekleideten Argument hinweist. Gott hat uns keine evaluativ zu handhabende Zusatzprämisse geliefert, mit deren Hilfe es uns möglich wäre, die Menschen aufgrund ihrer unterschiedlichen Eigenschaften über eine pure Klassifikation hinaus obendrein zu hierarchisieren. Daß die Menschen nicht gleich sind, ist evident. Dieser Ungleichheit läßt sich aber nicht entnehmen, daß sie auch unterschiedlich wertvoll wären. Mithin sind wir zu der Annahme gezwungen, die Menschen seien gleich. Teilen wir diese Auffassung nicht, dann müssen wir uns darüber klar sein, daß es nicht die Vernunft ist, auf die wir uns berufen können, wenn wir uns zum Herrn über andere Menschen machen. Es handelt sich vielmehr um einen Akt vernunftwidriger Usurpation. Mithin gilt: Jedes denkbare Rechtssubjekt Rs hat jedem denkbaren Rechtsadressaten Ra gegenüber Anspruch auf einen

86

II. Diskussionen

negativen Rechtsgegenstand Rg , welcher darin besteht, daß jede Handlung zu unterlassen ist, welche sich nur mit Hinweis auf einen unterschiedlichen Wert von Rechtssubjekten rechtfertigen läßt. Wird dieser Rechtsgegenstand gewährt, dann wird die Gleichheit der Rechtssubjekte respektiert. Aus der Gleichheit aber fließt unmittelbar das Recht auf Freiheit, welches darin besteht, nur dem Naturgesetz unterworfen zu sein. Unterstünden wir nämlich im Naturzustand irgendeiner legitimen Macht, dann lebten wir in der Tat in einer Welt, in welcher einige das rechtmäßige Privileg genössen, über andere herrschen zu dürfen. Gleichheit ist als Voraussetzung des Menschenrechtes auf Freiheit mit Hilfe eines negativen Argumentes hergeleitet, das sich zwar theologisch präsentieren läßt, das aber auf diese Präsentation nicht angewiesen ist. Denn für seine Gültigkeit ist es ohne Belang, ob wir sagen: Gott hat uns keine Handhabe geliefert, die Unterschiede der Menschen zu bewerten, oder ob wir sagen: Die Vernunft kann nicht von deskriptiven zu evaluativen Sätzen übergehen, ohne unausgewiesene evaluative Prämissen zu setzen. Da uns mithin ein Rechtsgrund für jede Art von institutionalisierter Ungleichheit fehlt, sehen wir uns gezwungen, eine Gleichheitsfiktion an den Anfang einer jeden politiktheoretischen Überlegung zu setzen. Tun wird dies, dann nehmen wir zugleich die ursprüngliche Freiheit eines jeden Menschen an, denn niemand kann ein Recht reklamieren, welches es ihm erlaubte, seinesgleichen zu versklaven oder auch nur zu beherrschen. Daraus folgt, daß wir alle Handlungen, welche die aus der Gleichheit der Menschen resultierende Freiheit aufheben, als Akte vernunftwidriger Gewalt anzusehen haben. Fordert man daher Freiheit und Gleichheit, so erhebt man präpolitische Rechtsansprüche, welche trans-positive Gültigkeit besitzen. Insofern nicht nur Staaten, sondern auch Individuen Subjekte des Völkerrechts sein können, sind sie zudem als Teil des internationalen Rechts zu betrachten. Wie sich aus diesem primären Freiheitsrecht das Grundrecht auf Partizipation herleiten läßt, muß nicht umständlich gezeigt

1. Exkurs: Menschenrechte

87

werden, es liegt auf der Hand: Denn wenn ein präpolitisches Menschenrecht auf Freiheit besteht, dann ist eine politische Einschränkung dieser Freiheit so lange illegitim, wie nicht die Zustimmung der Betroffenen eingeholt wird. Aus dem primären Menschenrecht auf Freiheit resultiert das positive Recht auf government by consent. Was sich aus ihm nicht ergibt, ist eine unmittelbare Verpflichtung zur Gewährung von Sozialrechten; denn an der Wurzel des Freiheitsrechtes liegt ja lediglich die von der Vernunft erzwungene Gleichheitsfiktion, nicht aber die Behauptung, alle Menschen seien faktisch gleich oder eine solche Gleichheit sei auch nur annäherungsweise von den Einzelstaaten herzustellen. Vielmehr ergeben sich soziale Rechte erst dann, wenn man aus dem ursprünglichen Freiheitsrecht das Recht auf Partizipation hergeleitet hat und sich dann in einer sozialen Faktizität findet, welche der Teilhabe breiter Bevölkerungskreise im Wege steht. Lockes Argument erlaubt mithin die Herleitung ursprünglicher Freiheit aus der Notwendigkeit einer Gleichheitsfiktion; es verlangt beim Eintritt der Rechtssubjekte in einen politischen Zustand nach der Formulierung derivativer Partizipationsrechte. Sozialrechte können hingegen im Rahmen dieses Argumentationsganges erst in Betracht gezogen werden, wenn die konkreten Umstände die Ableitung derivativer Rechte zweiter Stufe nötig machen. Diese Rechte gehören deshalb in die Sphäre des positiven Rechts, man legt sie je nach den Bedingungen fest, die man antrifft, und hebt sie wieder auf, wenn die Verhältnisse sich ändern. Dies nimmt ihnen nichts von ihrer Bedeutsamkeit für die Errichtung und Bewahrung eines demokratischen Gemeinwesens. Nur wird man vergeblich den Versuch unternehmen, Sozialrechte mit der gleichen Kontextfreiheit zu formulieren, wie dies für die ursprünglichen Freiheitsrechte möglich ist. Sie lassen sich immer nur konsequentialistisch legitimieren, und das heißt – man kann sie lediglich innerhalb bestimmter Kontexte für nötig erachten, nicht aber als Menschenrechte erweisen.

88

II. Diskussionen

Sind die hier angestellten Überlegungen einsichtig, dann wird mit ihnen ein Argument möglich, primäre Menschenrechte trans-positiv und nicht mehr nur dadurch zu begründen, daß sie kodifiziert sind. Das heißt aber nicht, daß ihre Beachtung damit auch schon garantiert sei; denn das klassische Völkerrecht kennt den Menschenrechtsschutz nicht, da Individuen hier keine Völkerrechtssubjekte sind. Hinzu kommt, daß nach der UN-Charta nur der Sicherheitsrat gewaltsames Auftreten eines Staates einem anderen gegenüber autorisieren kann. Militärische Aktionen zum Schutze der Menschenrechte aber verbietet Artikel 2, Absatz 7, so daß – nach klassischer Rechtsauffassung – unter keinen Umständen eine humanitäre Intervention völkerrechtsgemäß wäre, auch die nicht, welche der Sicherheitsrat billigen mag; es sei denn – und das ist die Hilfskonstruktion, zu der man seit 1991 in den Resolutionen 688 (Irak), 770 (Bosnien), 794 (Somalia), 929 (Ruanda), 940 (Haiti) gegriffen hat –, es läge eine Bedrohung des Friedens durch die Menschenrechtsbrüche eines Staates vor (vgl. Zangl 2002: 11 ff.). Damit wird freilich dem einzigen in der UNCharta verbliebenen legitimen casus belli, dem Recht auf Selbstverteidigung, ein weiterer hinzugefügt – und dies auf dem Wege einer Rechtsbeugung, da die Formulierung von Artikel 2, Absatz 7 ja bestehen bleibt. Selbst wenn man davon ausgeht, daß man es hier lediglich mit einer Fortentwicklung des Völkerrechts zu tun hat, vielleicht sogar mit einer zumindest partiellen Restitution des bellum iustum-Theorems, es bleibt das ungute Gefühl, daß derlei Entwicklung des Rechts nur durch seine Negation möglich zu sein scheint. Heute leitet man, wohl um den gekennzeichneten Schwierigkeiten zu entgehen, zuweilen aus der erga omnes-Wirkung der vertraglich kodifizierten Menschenrechte einen kollektiv geltend zu machenden Interventionstitel her (vgl. Habermas 1999): Die UN-Charta ist ein Vertrag, welcher den Signatarstaaten die Pflicht auferlegt, auf die Einhaltung der Menschenrechte zu achten. Mit ihrer Unterzeichnung übernimmt ein Staat Pflichten gegenüber allen anderen, die er verletzt, wenn er die Menschenrechte auf seinem Territorium bricht. Damit ist

1. Exkurs: Menschenrechte

89

jede Menschenrechtsverletzung eine internationale Angelegenheit (vgl. Hobe / Kimminich 2004: 406). Eine Intervention aus humanitären Gründen mag daher gerechtfertigt erscheinen, wenn schwerste Völkerrechtsverletzungen, i. d. R. Menschenrechtsverletzungen gegen eine Vielzahl von Personen innerhalb eines Staates, begangen werden, Abhilfe nur durch militärische Aktionen möglich ist, ein Mandat des Sicherheitsrates zum Eingreifen ermächtigt. Daß eine solche Auffassung auch der kontemporären politischen Philosophie nicht fremd ist, zeigt ein Blick in Michael Walzers Abhandlung über gerechte und ungerechte Kriege (2000: 101 f.), aber auch John Rawls Buch The Law of the Peoples (1999: 80). Zunächst erscheint die referierte erga omnes-Argumentation recht konstruiert; denn Rechtssubjekt der Menschenrechte ist immer nur das Individuum, Rechtsadressat hingegen der Staat, in dem es lebt und von dem es verlangt, daß er gewisse Rechte respektiere. Die soeben vorgeführte – auf der erga omnes-Wirkung eines die Menschenrechte betreffenden völkerrechtlichen Vertrages beruhende – Argumentation verschiebt die Verhältnisse insofern, als nun nicht mehr das Individuum, sondern jeder einzelne vertragsschließende Staat als Rechtssubjekt angesehen wird. Da er es aber zugleich auch ist, der sich zur Wahrung der Menschenrechte innerhalb seines Territoriums verpflichtet hat, muß er obendrein als Rechtsadressat angesehen werden. Der hier sofort entstehen Verdacht logischer Inkonsistenz läßt sich freilich noch zerstreuen. Zwar kann niemand zugleich Rechtssubjekt und Rechtsadressat sein – dies ist aber hier auch gar nicht der Fall; denn wenn ein Staat den Vertrag bricht, dann ist er als die Partei anzusehen, welcher gegenüber die anderen zu Rechtssubjekten werden, die Anspruch auf Vertragserfüllung erheben. Die logische Schwierigkeit der erga omnes-Argumentation liegt im Charakter des Menschenrechtsvertrages. Er schafft nämlich gar kein neues Recht, wenn die im vorliegenden Exkurs präsentierte Herleitung von Menschenrechten zutrifft; er kodifiziert lediglich zwischenstaatlich, wozu jeder Staat seinen

90

II. Diskussionen

Bürgern und den auf seinem Territorium dauerhaft oder zeitweilig lebenden Menschen gegenüber immer schon verpflichtet ist. Die Menschenrechte haben ja einen trans-positiven Rechtsgrund, der, um gültig zu sein, staatlicher Bestätigung gar nicht bedarf. Die Tatsache, daß man sie nicht nur in Verfassungen kodifiziert, sondern auch zum Gegenstand eines völkerrechtlichen Vertrag macht, kann nur dadurch erklärt werden, daß Staat A sicher sein will, daß seine Bürger, wenn sie im Staate B leben, nicht unter Menschenrechtsverletzungen zu leiden haben et vice versa. Ein weiteres Motiv mag darin liegen, daß man sich vor den Folgen einer die Menschenrechte verachtenden Politik schützen will, etwa vor Flüchtlingsströmen, welche für die Nachbarstaaten eines seine Bevölkerung malträtierenden Landes destabilisierend wirken (vgl. Zangl 2002: 116 f.). Treffen diese Überlegungen zu, dann dürfte das erga omnesArgument als Grundlegung einer Interventionsbefugnis zugunsten der Menschenrechte sich zumindest als fragwürdig erwiesen haben. Ein Recht auf militärisches Eingreifen wird sich mit ihm kaum begründen lassen. Riefe man es dennoch aus, dann läge, weil keine unabhängige Prüfinstanz gegeben ist, sogleich der nicht nur von Carl Schmitt (1987: 55), sondern auch heutigentags (vgl. Müller 2002: 87) geäußerte Verdacht nahe, mit dem Wort Menschheit auf den Lippen treibe man am Ende nichts anderes als eine humanitär getarnte Politik der gewaltsamen Einmischung in die inneren Verhältnisse eines anderen Landes. Dieses Bedenken zu formulieren heißt freilich nicht, die Staaten dazu aufzufordern, Verletzungen der Menschenrechte in einem Lande zu ignorieren. Ihre trans-positive Dignität macht es ganz im Gegenteil nötig, ihre Wahrung in aller Welt zu einem Ziel der Innen- wie der Außenpolitik eines jeden Staates zu machen – ein Ziel freilich, das nur unterhalb der Schwelle kriegerischer Gewalt verfolgt werden darf. Daß eine solche Politik nicht ohne Einfluß bleibt, zeigen die empfindlichen Reaktionen solcher Länder, denen entsprechende Vorhaltungen gemacht werden. Niemand will in der Sphäre internationaler Politik als Paria-Staat erscheinen – ein Geruch,

6. Starkes Naturrecht

91

in welchen man unweigerlich gerät, wenn der Vorwurf von Menschenrechtsverletzungen erhoben und glaubwürdig untermauert wird. Hier mag dann das erga omnes-Argument doch noch ins Spiel kommen – als ein Mittel nämlich, über den Hinweis auf die trans-positive Gültigkeit von Menschenrechten hinaus, einem Lande verständlich zu machen, daß es sich an Regeln zu halten hat, die zu respektieren nicht nur das Vernunftrecht verlangt, sondern auch ein von ihm unterzeichneter Vertrag. Ius naturale est, quod natura omnia animalia docuit: nam ius istud non humani generis proprium, sed omnium animalium, quae in terra, quae in mari nascuntur, avium quoque commune est. – Naturrecht ist, was die Natur alle Lebewesen gelehrt hat: Dieses Recht ist also nicht eine Eigentümlichkeit des Menschen, sondern es ist allen Lebewesen gemeinsam, die auf der Erde, im Meer geboren sind, auch denen der Lüfte. (Dig. 1, 1, 1, 3)

6. Starkes Naturrecht

Gleichgültig, ob man ihn zur Begründung nationalen oder internationalen Rechts bemüht, der Rechtspositivismus ist immer ein Dezisionismus und daher von dem Vorwurf bedroht, daß die Gesetze, welche er hervorbringt, die zwischenstaatlichen Verträge, die man mit seiner Hilfe interpretiert, immer nur Ausdruck rechtfertigungslosen Beliebens seien. Deshalb verfällt man auf die Lösung, die Legitimität der rechtsetzenden Willkür in standardisierten Rechtserzeugungsprozessen zu erblicken. Die Gerechtigkeit des Rechtspositivismus wird zur Verfahrensgerechtigkeit. Sie gewinnt auf diese Weise gänzlich formalen Charakter: Die Form der Rechtserzeugung ist die Bedingung der Möglichkeit von Gerechtigkeit. Es stellt sich freilich die Frage nach der Legitimität der Erzeugungsverfahren. Denn diese können selbst nicht den glei-

92

II. Diskussionen

chen positiven Charakter aufweisen wie das, was sie hervorbringen. Damit ist zugestanden, daß alles Recht zumindest auf einer trans-positiven Basis ruhen muß, für das Völkerrecht wird dies in der noch näher zu untersuchenden pacta sunt servanda-Formel sinnfällig. Ohne ein solches Fundament gerät die Begründung des Rechtspositivismus in einen Regreß, welcher rechtspositivistisch-dezisionistisch nicht beendet werden kann. Naturrechtlich heißt demgegenüber jede nicht-dezisionistische Rechtstheorie, die in zwei Grundvarianten auftritt, als starke und als schwache Form. Letztere nimmt – in der Gestalt, die sie bei Aristoteles gewinnt – an, daß es neben dem Recht, das von jeder Polis gesetzt werden kann, auch solches Recht gibt, das nicht auf menschlicher Willkür beruht. Um naturrechtliche Regelungen zu illustrieren, verweist Aristoteles in seiner Rhetorik (Rh. 1373b4 – 11, 1375a27 – b4) auf Sophokles’ Antigone. Kreon, der legitime König Thebens, hat es verboten, den im Kampf gegen die Stadt gefallenen Bruder Antigones, Polyneikes, zu bestatten. Antigone widersetzt sich diesem Gebot, wird gefaßt und rechtfertigt ihre Verhaltensweise mit der Höherwertigkeit des Gebotes der Götter. Deren Gesetz, welches die Bestattung verlange, sei zwar ungeschrieben, es breche aber alles menschliche Recht. Mit dem Hinweis auf Antigones Argumentation läßt sich zeigen, daß Aristoteles mit Fällen rechnet, in denen der Mensch keine Wahl hat, wenn er gerecht handeln will. Er kann dann nur auf eine Weise handeln, nämlich so, wie es das natürliche Recht vorschreibt. Was Aristoteles nicht behauptet, ist die Unwandelbarkeit des Naturrechtes. Grund hierfür ist das Faktum, daß die Sphäre der Praxis insgesamt als ein Bereich bestimmt werden muß, in welchem die Dinge nicht immer so sind, wie sie sind. Wir stehen also, wenn uns Entscheidungen abverlangt werden, niemals in völlig identischen Handlungskontexten. Daher müssen wir zunächst die jeweilige Situation analysieren und entscheiden, ob wir überhaupt eine Handlungsalternative ha-

6. Starkes Naturrecht

93

ben. Es kann demnach kein unwandelbares Naturrecht geben, so lautet die Erklärung, weil es niemals zwei identische Handlungskontexte gibt. Dies läßt sich verdeutlichen, wenn man eine andere Stelle aus Sophokles’ Antigone-Drama heranzieht. In ihrem Kommos sagt Antigone dem Chor, sie sei nur deshalb ungehorsam gewesen, weil der Tote ihr Bruder sei und weil ihre Eltern nicht mehr lebten. Hätte es sich um ihr Kind oder um ihren Ehemann gehandelt, dann wäre es nicht nötig gewesen, Kreons Gesetz zu mißachten. Denn sie hätte ja ein weiteres Kind haben und ein weiteres Mal heiraten können. Der Bruder aber sei unersetzlich, weil die Eltern gestorben seien (Ant. 905 – 912). Man hat an dieser Äußerung Anstoß genommen. Prominent ist Goethes Kritik, der Eckermann gegenüber die Ansicht äußert, die sonst so edelmütige Heldin gebe hier ein gänzlich unpassendes, fast komisch wirkendes Motiv für ihr Handeln (Eckermann 1981: II, 562). Goethes Äußerung ist allerdings nur sinnvoll, wenn man Naturrecht in seiner starken Variante ansetzt, nicht aber, wenn man Aristoteles’ Auffassung unterstellt. Denn Antigone gibt hier lediglich die Bedingungen an, die hätten erfüllt sein müssen, damit das positive Recht hätte wirksam werden können. Da sie sich freilich in einem solchen Handlungskontext nicht befunden hat, hat sie auch keine Möglichkeit gehabt, eine Entscheidung zu treffen, diese war vielmehr schon getroffen, durch das Gebot der Götter. In seiner schwachen Form behauptet das Naturrecht nicht unwandelbare, sondern lediglich über-konventionelle Gültigkeit von Geboten. In seiner starken Form hingegen postuliert es nicht nur, daß sich die Bestimmung des Gerechten menschlicher Willkür entziehe; man fügt hier vielmehr der anti-dezisionistischen Position noch die Bestimmung hinzu, das, was das Gerechte sei, liege immer schon fest. Mithin sei synchron für alle Menschen und diachron für alle Zeit das Recht ein und dasselbe. Nur auf dem Hintergrund dieser Annahme werden Differenzen der Rechtspraxis zum Skandalon, wie Leo Strauss

94

II. Diskussionen

zutreffend feststellt. Denn das Einheitlichkeitspostulat erwächst erst dann, wenn Vielfalt als defizitär empfunden wird. Dies ist aber nur möglich, wenn man von einem trans-positiven Recht ausgeht, dessen mangelnde Beachtung allererst die angetroffene und als widernatürlich empfundene Vielfalt erzeugt. Das klassische Argument für den Rechtspositivismus erweist sich hier als verborgener Hinweis auf die Gültigkeit naturrechtlicher Überlegungen (vgl. Strauss 1989: 93, 103, 128). Wenn man den Unterschied zwischen der starken und der schwachen Variante des Naturrechts mit einer knappen Formel markieren will, kann man sagen: die schwache Variante stellt einen partiellen, die starke einen vollständigen AntiDezisionismus dar. Als Muster für eine starke naturrechtliche Position ist im ersten Exkurs die Lockesche Argumentation vorgeführt worden. Sie hatte folgende Gestalt: (1) Wir stellen fest, daß die Menschen unterschiedliche Eigenschaften haben. (2) Wir konstatieren diese Eigenschaften in deskriptiven Sätzen, die es ermöglichen, die Menschen zu gruppieren. (3) Wir scheitern bei dem Versuch, die deskriptiven Sätze, welche zur Gruppierung der Menschen führen, als evaluative Sätze zu handhaben, mit denen wir die Gruppen hierarchisieren könnten. Aus diesem Scheitern ziehen wir nun den negativen Schluß: (4) Es besteht keine Möglichkeit, aus der Unterschiedlichkeit von Eigenschaften auf Höher- bzw. Minderwertigkeit von Eigenschaften zu schließen. Daher zwingt uns die Ratio, die Menschen als gleich zu betrachten. Aus diesem Basissatz resultiert das Recht auf Unabhängigkeit, aus dem Recht auf Unabhängigkeit wiederum die Pflicht zur Achtung von Freiheit, Gesundheit und Leben der anderen.

6. Starkes Naturrecht

95

Der Art, wie dieses Vernunftrecht hergeleitet wird, läßt sich entnehmen, daß es sich nicht um die schwache, sondern um die starke Variante des Naturrechts handelt. Denn Locke vollzieht die Herleitung mit Hilfe eines Gedankenexperimentes. Er nimmt an, die Menschen befänden sich in einem Naturzustand, in dem alles Kultürliche ausgeschlossen wird. Dieser Naturzustand kann auch so betrachtet werden, daß mit seiner Hilfe Kontextfreiheit erzeugt wird. Der Mensch des Naturzustandes ist insofern der kontextfreie Mensch, als sämtliche Einflüsse ausgeschaltet werden, welche die Voraussetzung dafür sind, daß von Kontexten gesprochen werden kann. Die Schwäche der Lockeschen Überlegungen besteht darin, daß er zwar natürliche Rechte proklamiert, aber eine dem Naturrecht widersprechende konventionalistische Lehre der Moral präsentiert (vgl. Locke 1959: I, 303, 474). Eine Theorie des natürlich Gerechten kann aber nur dann vollständig entwickelt werden, wenn man zugleich ihr Verhältnis zur Ethik in angemessener Weise reflektiert. Dies heißt für einen vernunftrechtlich orientierten Theoretiker: Wenn das Recht transpositive Wurzeln hat, dann kann es für die Moral nicht anders sein. Denn sie enthält ja gewisse Regeln, die sich auch im Recht wiederfinden – das Tötungsverbot etwa, welches sich rechtlich aus der Gleichheit und ursprünglichen Freiheit der Menschen ergibt. Es im Felde der Moral durch Absprachen fundieren zu wollen, wäre gewiß absurd. Dies ist der Ort, an dem Kants praktische Philosophie in den Überlegungsgang eingebracht werden muß (vgl. Schmitz 2004a). Kants Theorie der Moral hat die Gestalt einer regeldeontologischen Ethik, da sie mit dem kategorischen Imperativ eine Formel an die Hand gibt, mit deren Hilfe – so der Anspruch – unter allen Umständen, also gänzlich kontextfrei, herausgefunden werden kann, was jeweils Pflicht ist. Im Gegensatz zu Regeldeontologien stehen Handlungsdeontologien. Hier meint man, das Gute müsse gemäß der Situation bestimmt werden, in der man sich jeweils befindet.

96

II. Diskussionen

Die Unterscheidung von Handlungs- und Regeldeontologie läßt sich hier so reformulieren, daß der Zusammenhang mit den beiden Varianten des Naturrechtes sichtbar wird. Denn die schwache Variante ist offensichtlich eine handlungsdeontologische Theorie des Rechts, die starke hingegen eine regeldeontologische. Mit der schwachen Variante gesteht man ja zu, daß sich das, was Recht ist, von Situation zu Situation ändert, daß das Naturrecht deshalb wandelbar ist. Mit der starken Variante behauptet man hingegen Unwandelbarkeit, also Kontextunabhängigkeit des Rechts. Hinzusetzen läßt sich obendrein, daß beide Varianten des Naturrechts mit einer Bestimmung der personalen Gerechtigkeit beginnen und aus diesen Angaben dann die institutionelle Gerechtigkeit herleiten. Die Kantische Philosophie bietet demnach die starke Variante des Naturrechts, welche zunächst vor der Aufgabe steht, uns mitzuteilen, welcher Regel gemäß wir vorzugehen haben, um im personalen Sinne gerecht genannt werden zu dürfen. Der kategorische Imperativ ist die Formel, die sagt, welche Maximen wir haben dürfen, wenn wir im personalen Sinne gerecht sein wollen. Es sind solche subjektiven Prinzipien des Wollens (GzMdS Ak IV, 400), die sich generalisieren lassen, in einer konkreteren Fassung: solche Maximen, die nicht dazu führen, daß wir andere Menschen instrumentalisieren, sie also nur als Mittel, nicht aber als Zweck an sich selbst behandeln (GzMdS Ak IV, 429). Den Übergang von der personalen zur institutionellen Gerechtigkeit nimmt Kant dann so, daß er eine Pluralität von Subjekten konzipiert, welche sich durch die Befolgung des kategorischen Imperativs wechselseitig zueinander ins Verhältnis setzen: Jeder behandelt jeden anderen als Zweck an sich selbst. Dies ist freilich nur ein Ideal, etwas, das in der Welt der Erfahrung nicht angetroffen werden kann. Ideale dienen lediglich zur Handlungsorientierung. Das Ideal eines Reichs der Zwecke (GzMdS Ak IV, 433) bezeichnet einen ethisch-bürgerlichen Zustand. In der empi-

6. Starkes Naturrecht

97

rischen Welt hingegen besteht die Aufgabe darin, aus dem juridischen Naturzustand in einen rechtlich-bürgerlichen Zustand einzutreten (Rel. Ak VI, 95). Dies geschieht so, daß eine Obrigkeit darauf achtet, daß äußere Gesetze eingehalten werden. Die Übereinstimmung unseres Handelns mit dem, was diese Gesetze verlangen, heißt Legalität. Stimmt unser Handeln hingegen mit der inneren Gesetzgebung des kategorischen Imperativs überein, dann spricht Kant von Moralität. Damit läßt sich das Verhältnis von personaler und institutioneller Gerechtigkeit als das Verhältnis von Moralität und Legalität fassen. Legalität ist Moralität in äußerer Gestalt. Legalität liegt vor, wenn Rechts-, Moralität, wenn Tugendpflichten erfüllt werden. Rechtspflichten sind der Teil der Moral, der sich in äußeren Gesetzen formulieren läßt. Sie unterscheiden sich mithin von Tugendpflichten dadurch, daß man ihre Erfüllung erzwingen kann (vgl. MdS Ak VI, 383). Mit diesen Angaben ist das Verhältnis von personaler und institutioneller Gerechtigkeit freilich noch nicht vollständig entfaltet. Denn es muß noch gesagt werden, wie denn die Frage nach der Legitimität des von der Obrigkeit gesetzten Rechts im konkreten Falle überprüft werden soll. Kant führt hierzu das Publizierbarkeitsgebot (vgl. ZeF Ak VIII, 381), oder besser: das Publikationspostulat ein. Es besagt: Nur solche Gesetze sind gerecht, die man veröffentlichen muß, damit das mit ihnen angestrebte Ziel erreicht werden kann. Nun läßt sich die Antwort präsentieren, die ein Naturrechtler Kantischer Prägung auf die Frage nach Legitimität des positiven Rechts zu geben hätte. Er würde sagen: Der Rechtspositivismus scheitert, weil er das Gerechte nicht mit der Moral ins Verhältnis setzen kann, ohne zugleich den Rechtspositivismus aufgeben zu müssen. Daher ist es nötig, die institutionelle Gerechtigkeit aus der personalen herzuleiten und diese dann ethisch zu fundieren. Beschreitet man diesen Weg, dann gelangt man zu folgenden Bestimmungen: Gerecht – im Sinne der institutionellen Gerechtigkeit – ist genau das Recht,

98

II. Diskussionen

welches ausschließlich solche Vorschriften enthält, die publikationsbedürftig sind. Gerecht im Sinne der personalen Gerechtigkeit ist genau der Mensch, der sich dem kategorischen Imperativ unterwirft. Personale und institutionelle Gerechtigkeit sind so miteinander verbunden, daß legitimes positives Recht genau den Teil der vom kategorischen Imperativ approbierten Handlungsregeln kodifiziert, welcher sich in äußeres Recht überführen läßt. Damit gründet alles Recht letztlich in der Verfassung der Vernunft, welche darauf dringt, daß wir jederzeit mit uns einstimmig denken. Recht und Moral sind deshalb nichts anderes als Ausdruck der Rationalität eines vernünftigen Wesens. Jenseits von Recht und Moral treffen wir nur auf die Irrationalität blinden Begehrens, das freilich zuweilen versucht, sich ein pseudo-rechtliches oder pseudomoralisches Mäntelchen umzuhängen. Für die in der Einleitung bezüglich des Völkerrechts gestellten drei Fragen haben die Kantischen Überlegungen folgende Bedeutung. Das Problem trüber Rechtsquellen (â) löst sich sehr schnell, wenn es wirklich ausschließlich die Rationalität ist, aus der jede Form von Recht fließt, sei es das Privatrecht, welches das Verhältnis zwischen den Bürgern eines Landes regelt, sei es das öffentliche Recht, das den Bürger und seinen Staat betrifft, oder das zwischenstaatliche Völkerrecht. Schließlich kennt Kant auch noch ein Weltbürgerrecht, das die Beziehungen zwischen einem Staat und einem ihm fremden Menschen ordnet. Auch das Dualismusproblem (ã) schwindet gänzlich, die Einheitlichkeit des Rechtes bleibt völlig gewahrt, da es ja die eine Vernunft ist, der jede Form des Rechts entspringt. Problematisch bleibt für einen Kantianer nur die á-Frage, die nach dem Charakter des Staates als Völkerrechtssubjekt. Wo genau die Schwierigkeit liegt, wird deutlich, wenn man unverhofft auf Kants Ablehnung eines Weltstaates stößt, welche dazu führt, daß sich die Anarchie der Staatenwelt letztlich für Kant doch nicht ganz beseitigen und damit die Herrschaft des Rechts sich nicht vollständig errichten läßt. Das letzte Kapitel wird dieses Problem erörtern.

6. Starkes Naturrecht

99

Zeitgenössische Theoretiker einer trans-positiven, aber nichtmetaphysischen Begründung des Rechts – wie etwa John Rawls – stehen auf dem Fundament Kantischer Bestimmungen, wenn man die Überlegungen so ansetzt, daß der Begriff des Rechts aus Dekontextualisierungsmaßnahmen gewonnen wird. Das heißt aber nicht, daß man alle Prämissen Kants kritiklos übernimmt. Häufig setzt man sich vielmehr in ganz wesentlichen Aspekten von ihnen ab. Hauptangriffspunkt ist hier die Fundierung des kategorischen Imperativs, insbesondere der Rationalitätsbegriff, mit dem Kant arbeitet (vgl. Tugendhat 1995: 44). Der Vernunft wird unter modernen Verhältnissen nicht mehr die Kraft zur unbeschränkten Gesetzgebung zugetraut, welche Kant ihr glaubte zusprechen zu können. Neuere Theorien der Gerechtigkeit suchen daher nach einer anderen Fundierung der Moral, ohne dabei freilich von dem Universalitätsanspruch abzulassen, welcher mit Kants Moralphilosophie erhoben worden ist. Für Rawls können unsere wohlüberlegten moralischen Überzeugungen, eine Variante des common sense bzw. der Aristotelischen fíäïîá (vgl. Höffe 1998: 279), i.e. dessen, was allen oder den meisten oder den Weisen einleuchtet (Top. 100b21 ff.), ein solches Fundament sein, wenn sie in bestimmter Weise aufbereitet, i.e. einem Gremium vorgelegt werden, welches so weit dekontextualisert ist, daß es, wiewohl nichtaltruistisch kalkulierend, dennoch moralisch-rechtlich gültige Urteile fällt. Rawls will solche Urteile durch die Applikation eines berühmt gewordenen Theorems, des Schleiers des Nicht-Wissens, produzieren lassen. Das nächste Kapitel wird hier nähere Angaben machen. Von Natur- oder Vernunftrecht ist bei diesen Überlegungen freilich nicht mehr die Rede, denn dieser Terminus scheint entweder durch eine mißliebige Tradition belastet zu sein, oder man lehnt ihn aus systematischen Gründen ab. Hintergrund ist in allen Fällen ein antimetaphysischer Affront (vgl. Rawls 1993: 126 f.; Rawls 1994a: 264; Habermas 1981: I, 518 f.; Habermas 1986: 25; Tugendhat 1995: 71).

100

II. Diskussionen

Die kontemporäre Kritik an einer Begründung trans-positiven Rechts in der Vernunft lautet mithin, man arbeite mit einer viel zu starken Konzeption der Rationalität, was an der Tatsache ablesbar sei, daß diese Vernunftkonzeption metaphysisch fundiert sei. An ihre Stelle müsse man ein möglichst voraussetzungsfreies Vorgehen setzen. Wie man hier verfährt, läßt sich an Rawls Politiktheorie exemplarisch ablesen, die – wie man zutreffend festgestellt hat (vgl. Rorty 1988: 88) – darauf ausgerichtet ist, eine liberale Demokratie ohne alle philosophischen Prämissen begründen zu wollen. Daß der amerikanische Philosoph mit seinem Buch The Law of the Peoples, das den ursprünglichen Ansatz der Theory of Justice um eine Theorie der internationalen Beziehungen erweitert, dennoch auf den Fundamenten eines schwachen Naturrechts baut, werden die folgenden Überlegungen zeigen. „. . . natural laws have nothing to do with any ,brooding omnipresence in the skies‘. [ . . . ] They remain entirely terrestrial in origin and application. [ . . . ] They are like the natural laws of carpentry, or at least those laws respected by a carpenter who wants the house he builds to remain standing . . .“ (Fuller 1969: 96).

7. Schwaches Naturrecht

Rawls Theory of Justice hat schon im 2. Kapitel eine Rolle gespielt. Dort ging es um die These, daß man den Begriff Gerechtigkeit analog zum Begriff Wahrheit auffassen müsse, wodurch für seine Abhandlung gewisse Vorentscheidungen getroffen werden: Fragen der personalen Gerechtigkeit werden ignoriert, lediglich die institutionelle Gerechtigkeit gerät in den Blick. Darüber hinaus lehnt er, wenn er sagt, ungerechte Gesetze müsse man genauso aufgeben wie falsche Theorien, ganz

7. Schwaches Naturrecht

101

offensichtlich den Rechtspositivismus ab. Denn für einen Rechtspositivisten kann es so lange keine ungerechten Gesetze geben, wie eine Regelung zutreffenderweise Gesetz genannt wird, i.e. wie alle gesetzlichen Vorschriften zur Aufstellung eines Gesetzes beachtet worden sind (vgl. Luhmann 1993a: 32). Rawls meint demgegenüber, daß wir ein wie auch immer beschaffenes Maß besitzen, welches es erlaubt, unabhängig vom gesatzten Recht Gerechtes von Ungerechtem zu unterscheiden. Eine dritte für den vorliegenden Zusammenhang marginale Prämisse läßt sich dem Ausgangssatz nicht mehr entnehmen, die Annahme nämlich, daß die institutionelle Gerechtigkeit es im wesentlichen mit Fragen der Distribution zu tun habe. Rawls spricht von social justice und meint damit die institutionelle iustitia distributiva. Er will zeigen, daß institutionelle Gerechtigkeit durch zwei Prinzipien zum Ausdruck gebracht werden kann. Mit dem ersten wird Gleichheit der Rechte und Pflichten aller Glieder einer Gemeinschaft verlangt, mit dem zweiten werden solche Ungleichheiten zugestanden, welche den schwächsten Gliedern einen Vorteil verschaffen (Rawls 1973: 60). Er nennt dann diese Auffassung Gerechtigkeit als Fairneß. Ihre Grundbestimmungen halten sich in allen nach der Theory of Justice publizierten Neuformulierungen des Ansatzes durch, wenn sich auch gewisse Modifikationen dadurch ergeben, daß Rawls kritische Anregungen aufnimmt und seine Überlegungen entsprechend abwandelt (vgl. Rawls 2001: 42 f.). Wesentlicher als die beiden Gerechtigkeitsprinzipien ist für die â-Frage nach den Quellen des Völkerrechts und für die ã-Frage nach der Vermeidbarkeit eines Dualismus von nationalem und internationalem Recht das Experiment (vgl. Rawls 2001: 67), mit dem Rawls seine beiden Grundsätze herleiten will; denn es wird sich als ein Muster einer schwachen naturrechtlichen Position erweisen. Rawls These lautet, die beiden benannten Prinzipien seien die Grundsätze distributiver Gerechtigkeit, weil freie und ra-

102

II. Diskussionen

tionale Personen, welche nichts anderes im Sinn hätten, als ihre persönlichen Interessen zu wahren, sie in einer ursprünglichen Situation, der original position, als Grundsätze wählen würden (Rawls 1973: 11). An der konjunktivischen Formulierung sieht man, daß diese ursprüngliche Situation rein hypothetischen Charakter hat. Der Ausdruck ursprünglich meint daher nicht anfänglich, er bezeichnet kein historisch, sondern lediglich ein logisch Erstes (vgl. Rawls 1993: 24; 2001: 16). Damit ist allerdings eine ganz erhebliche Beweislast verbunden. Denn es wird alles darauf ankommen, wie Rawls die ursprüngliche Situation bestimmt. Je nach den Konditionen, die für die Ursprungssituation gelten, mag der eine oder der andere Grundsatz resultieren. Auf einen zweiten Gesichtspunkt ist noch zu achten: Rawls betont ausdrücklich, daß man die Prinzipien der Gerechtigkeit nicht begrifflich deduzieren könne. Wenn man dennoch Grundsätze der Gerechtigkeit formulieren wolle, dann habe dies so zu geschehen, daß man sich auf ein Verfahren zur Erzeugung solcher Grundsätze verständige. Die Grundsätze gelten – bei einem solchen Vorgehen – genau dann als erwiesen, wenn das Procedere ihrer Erzeugung als gerechtfertigt gelten kann. Das Verfahren, welches Rawls dann wählt, besteht in der Angabe von Bedingungen für die Ursprungssituation. Mit der letzten Überlegung läßt sich schon etwas genauer bestimmten, wie Rawls zur Frage nach dem Naturrecht steht. Seine Ablehnung des Rechtspositivismus ist nur dann gerechtfertigt, wenn er zeigen kann, daß die Bedingungen der Ursprungssituation nicht willkürlich gesetzt sind. Gelingt ihm dies, dann stellt die original position ein Verfahren zur Herleitung von Grundsätzen dar, das man zunächst vorsichtigerweise quasi-naturrechtlich nennen sollte. Nach diesen vorbereitenden Überlegungen kann ein näherer Blick auf die original position geworfen werden. Rawls sagt, die Menschen in der Ursprungssituation sitzen hinter einem Schleier des Nicht-Wissens (veil of ignorance).

7. Schwaches Naturrecht

103

Dieser Schleier dient dazu, ihnen die Vorurteile zu rauben, welche sie bei einer Bestimmung des Gerechten behindern könnten. Aus dieser Funktionsangabe resultiert, wie dicht der Schleier sein muß. Denn Rawls meint, daß er nur bestimmte Kenntnisse zurückzuhalten habe, andere hingegen seien für eine Bestimmung des Gerechten unabdingbar. Sie dürften nicht herausgefiltert werden. Unkenntnis herrscht bezüglich des Platzes, den man in der Gesellschaft einnimmt, der natürlichen Gaben, mit denen man gesegnet ist, der persönlichen Auffassung des Guten. Man kennt den eigenen Lebenslauf nicht, vermag nicht zu sagen, welche psychische Grundverfassung man aufweist. Man hat keine Kenntnis der spezifischen Umstände der eigenen Gesellschaft und weiß auch nicht, welcher Generation man angehört (Rawls 1973: 137 f.; 1993: 305). Wenn man diese Angaben ein wenig systematisiert, dann stellt man fest, daß jegliche Kenntnis fehlt, die es erlaubt, sich ein Bild von der eigenen Individualität zu machen. Kurz: Man weiß nicht, wer man ist. Man weiß nur, daß man jemand ist. Daraus resultiert: Man hat keine Kenntnis der persönlichen Konsequenzen von Entscheidungen, welche man in der Ursprungssituation trifft; denn diese Folgen kann man ja nur dann einschätzen, wenn man weiß, wie man auf gewisse Ereignisse reagiert. Genau das aber bleibt durch den von Rawls vorgenommen Dekontextualisierungsvorgang verborgen. Wenn es zum Beispiel in der Ursprungssituation um die Frage ginge, ob das Gemeinwesen eine Staatsreligion einführen soll, dann verhinderte der Schleier des Nichtwissens, daß jemand seine Entscheidung aufgrund seiner persönlichen Auffassungen treffen könnte. Denn niemand weiß, ob er überhaupt religiös ist, und wenn dies der Fall sein sollte, ob es gerade seine Religion sein wird, welche man zur Staatsreligion erhebt. Rawls nimmt deshalb an, daß aufgrund der Filterwirkung des Schleiers eine Abstimmung so ausgehen werde, daß man die Einführung einer Staatsreligion ablehne, da niemand seine persönliche Freiheit verlieren wolle. Die Menschen wer-

104

II. Diskussionen

den dem Staat nicht das Recht zubilligen, alle auf eine bestimmte Religion festzulegen. Also werden sie sich für Religionsfreiheit aussprechen, um für sich selbst die Möglichkeit offenzuhalten, eine Region zu wählen oder aber ohne Religion zu leben (Rawls 1993: 25). Kenntnis hat man davon, daß in der eigenen Gesellschaft Gerechtigkeit eine Rolle spielt. Zudem verfügt man über ein Alltagswissen, wie es in der menschlichen Gesellschaft zugeht, man kennt die Grundsätze des Wirtschaftslebens und die Erklärungen, welche zur Formulierung dieser Grundsätze führen. Auch hat man eine Vorstellung, wie die Menschen auf gewisse Situationen üblicherweise reagieren. Schließlich liegt auch ein Verständnis der Bedingungen vor, unter denen politisches Handeln im allgemeinen steht (Rawls 1973: 137 f.). Auch hier läßt sich ein knappes Resümee ziehen: Rawls Menschen in der original position haben soziologische, psychologische, ökonomische und politische Grundkenntnisse. Das versetzt sie in die Lage, die Folgen ihrer Entscheidungen für die Gemeinschaft überhaupt abzuschätzen. Allgemeine Kenntnisse politischer Organisationen legen es zum Beispiel nahe, einen Staat nicht so einzurichten, daß Macht unkontrolliert in den Händen weniger Gruppen oder weniger Personen konzentriert werden kann. Eine solche Bündelung geht unweigerlich mit einem Freiheitsverlust der Gesamtbevölkerung einher. Also wird man bei allen Entscheidungen die Notwendigkeit demokratisch-rechtsstaatlicher Kontrolle berücksichtigen müssen, wenn man nicht unter einem autoritären oder gar diktatorischen Regime leiden will. Es fehlt noch eine Angabe zu den Intentionen, welche die Menschen im Urzustand verfolgen. Die beiden Beispiele zeigen schon an, in welche Richtung alle Beteiligten sich orientieren. Rawls schreibt, es sei ihre Absicht, ihre Freiheit zu wahren, das Feld ihrer Möglichkeiten zu erweitern (Rawls 1973: 143). Immer wenn diese Freiheit, diese Möglichkeit zur Selbstentfaltung beschnitten wird, wird man davon sprechen, daß die Verhältnisse ungerecht geordnet seien. Rawls nimmt

7. Schwaches Naturrecht

105

also an, daß die Menschen in der Ursprungssituation bereits über einen Gerechtigkeitssinn (Rawls 1973: 145) verfügen. Diese Bestimmung gibt seiner Konstruktion nun einen ganz eigentümlichen Zug. Bisher ist angenommen worden, die Ursprungssituation sei ein Verfahren zur Erzeugung von Gerechtigkeitsprinzipien. Nun aber scheint es so, als könne dieses Verfahren lediglich schon vorhandene Gerechtigkeitsvorstellungen modifizieren. Dies ist einer der Gründe, aus denen oben der Begriff quasi-naturrechtlich gewählt worden ist. Der naturrechtliche Aspekt leuchtet auf, wenn man die Prämisse eines schon vorhandenen Gerechtigkeitssinns in Auge faßt. Die Kennzeichnung quasi-naturrechtlich ist als Einschränkung sinnvoll, wenn man die Tatsache berücksichtigt, daß es so scheint, als solle hier etwas ausgehandelt werden. Neben ihrem besonderen Wissen bzw. Nichtwissen verfügen die Menschen in der Ursprungssituation über eine bestimmte Art von Rationalität. Zwei Voraussetzungen müssen hier erfüllt sein. Die erste lautet: Ein rationales Wesen besitzt ein kohärentes System von Präferenzen, welches Optionen eröffnet, die es hierarchisieren kann. Nachdem dies geschehen ist, selektiert es die Mittel, welche die gewählten Ziele verwirklichen (Rawls 1973: 143). Es handelt sich hier um eine Zweckrationalität, welche freilich über die Fähigkeit zum Kalkül von Mitteln zu beliebigen Zwecken insofern hinausgeht, als ein rationales Wesen auch noch dazu in der Lage sein soll, persönliche Präferenzen nach ihrer Gewichtigkeit zu ordnen und auf diese Weise die Zwecke zu setzen, die es verfolgen will. Die zweite Voraussetzung für Rationalität besteht in einer gewissen Interesselosigkeit (Rawls 1973: 144): Keiner der Beteiligten will einem anderen etwas Gutes oder etwas Übles antun. Man liebt sich nicht, man haßt sich nicht, man ist nicht neidisch. Rawls sagt, es liegt eine Rationalität vor, die einzig auf den persönlichen Vorteil gerichtet ist, ohne daß man meint, diesen persönlichen Vorteil dadurch erreichen zu können, daß man den Vorteil anderer Menschen befördert oder aber minimiert.

106

II. Diskussionen

Damit ist die Gestalt, welche die Vernunft in Rawls Konstruktion annimmt, beschrieben. Die Kantische Rationalität galt – wie das letzte Kapitel gezeigt hat – als eine zu starke Konzeption, welche obendrein einem allgemeinen Metaphysikverdacht ausgesetzt war. Rawls setzt an ihre Stelle die vorsichtig-zweckrational kalkulierende Vernünftigkeit eines homo oeconomicus, der sich stets fragt, unter welchen Bedingungen sich für ihn optimale Lebensverhältnisse gestalten lassen. Da alle in der Ursprungssituation Versammelten so denken, stellt sich hinter ihrem Rücken das Gemeinwohl ein, ganz so, wie bei Adam Smith die invisible hand zu wirken vermag (vgl. Smith 1937: 421; 1982: 184 f.). Was Rawls von Smith unterscheidet ist lediglich der Grad des Vertrauens in die heilsame Wirkung ökonomischer Rationalität: Smith traut ihr uneingeschränkt zu, durch Verfolgung des eigenen Interesses das aller anderen zugleich zu befördern, Rawls will ihr lieber den Schleier des Nichtwissens überwerfen, damit sie am Ende nicht doch gar zu egoistisch agiert. Die Bedingungen, welche – gleichsam als Schutz vor dem Eigennutz der Partizipanten – in der Ursprungssituation vorliegen sollen, lassen sich in fünf Punkten (Rawls 1973: 19) zusammenfassen: (1) Die Präferenzen der Beteiligten sind entindividualisiert, so daß sie identisch werden. Alle erstreben für sich das gleiche. (2) Die Beteiligten haben Kenntnis der Mittel, mit welchen das Angestrebte zu erreichen ist. (3) Sie gehen zweckrational vor, ohne dabei von Konkurrenzgedanken beherrscht zu werden. (4) Sie verfügen über einen Gerechtigkeitssinn. (5) Aus allen Angaben folgt, daß in der Ursprungssituation Gleichheit herrscht. Nachdem die Vorbereitungen zur Kennzeichnung der ursprünglichen Situation getroffen sind, führt Rawls den Begriff des Überlegungsgleichgewichts (reflective equilibrium – Rawls

7. Schwaches Naturrecht

107

1973: 48) ein. Dieser Terminus dient dazu, die Wahl der Bedingungen für den Urzustand zu rechtfertigen. Rawls macht an einem Beispiel klar, was er meint. Wir alle glauben, daß der Rassismus eine nicht zu vertretende Auffassung ist. Rassismus meint, so muß man hinzusetzen, daß gewisse Menschen aufgrund bestimmter biologischer Merkmale privilegiert, andere hingegen zurückgesetzt werden, ganz im Sinne der im ersten Exkurs gegebenen Definition des Begriffs Privileg: Privilegien besitzt eine Gruppe von Menschen, die nach einem bestimmten Kriterium selektiert worden sind, immer dann, wenn sie an Rechtsadressaten Forderungen stellen können, ohne daß diese jemals die Möglichkeit hätten, bezüglich des in Frage stehenden Rechtsgegenstandes ihrerseits zu Rechtssubjekten zu werden. Im Falle des Rassismus ist das Selektionskriterium ein physisch-biologisches. Eine solche Einrichtung des Staates empfinden wir als ungerecht, weil wir meinen, daß sich aus der körperlichen Beschaffenheit der Menschen keine Herrschaftsrechte ableiten lassen. Wenn wir nun über die Bedingungen nachdenken, welche für die Menschen in der Ursprungssituation gelten sollen, dann dürfen wir sie nicht so wählen, daß eine rassistische Gesellschaft möglich wird. Rawls schließt diese Möglichkeit dadurch aus, daß er den Menschen der Ursituation die entsprechenden Kenntnisse über sich selbst nimmt. Sie werden daher, wenn die Frage aufkommt, ob man Menschen, die gewisse körperliche Merkmale aufweisen, politisch privilegieren soll, ganz ähnlich überlegen wie im Falle der Staatsreligion. Man weiß nichts über sich selbst, also auch nichts über die körperlichen Merkmale, die man aufweist. Also wird man ein solches physisch-biologisches Kriterium für die Selektion von Machtpositionen nicht wählen. Der Begriff des Überlegungsgleichgewichts meint also folgendes: Die wohlüberlegten Überzeugungen der Menschen auf der einen und die Bedingungen für den Urzustand auf der anderen Seite werden so lange modifiziert, bis sie übereinstimmen. Man arbeitet an beiden Enden, bis das gewünschte Gleichgewicht erreicht ist (Rawls 2001: 30).

108

II. Diskussionen

Den Gedanke, der hinter diesem Verfahren steht, spricht Rawls in einem seiner Aufsätze besonders deutlich aus, wenn er schreibt, das Ziel der politischen Philosophie sei es, im common sense latent vorhandene Grundsätze explizit zu machen (1994: 84). Die Suche nach solchen Grundsätzen trete an die Stelle der Suche nach der moralischen Wahrheit. Eine Gerechtigkeitskonzeption sei genau dann gerechtfertigt, wenn sie mit den Grundsätzen, welche unserem Verständnis von Gerechtigkeit zugrunde liegen, übereinstimme. Was eine solche als moralische Tatsache zu behandelnde Überzeugung sei, ergebe sich in dem Verfahren ihrer Konstruktion (1994: 85). Man habe die Grundsätze der Gerechtigkeit mithin nicht als vorgegeben zu betrachten. Vielmehr bestehe durchaus die Möglichkeit, daß sie sich ändern könnten. Die Veränderung müsse freilich auf dem beschriebenen Weg zustande kommen. Nun kann die Frage, welche Haltung Rawls dem Naturrecht bzw. dem Rechtspositivismus gegenüber einnimmt, abschließend beantwortet werden. Bisher war von einer quasinaturrechtlichen Position die Rede, wobei der Ausdruck quasi darauf hinweisen sollte, daß Rawls die Bestimmungen des Gerechten auf gewisse Weise aushandeln lassen will. Mit dem Begriff Naturrecht wird im Rahmen der vorliegenden Abhandlung eine Theorie bezeichnet, welche es dem Menschen nicht anheimstellt, das Gerechte willkürlich zu fixieren. In seiner schwachen Variante will das Naturrecht das Gerechte als situativ Gerechtes verstanden wissen, in der starken Form hingegen so, daß es als unwandelbar zu gelten hat. Wenn Rawls nun annimmt, das Überlegungsgleichgewicht sei nicht stabil, es müsse vielmehr unter gewandelten Verhältnissen immer wieder erneut hergestellt werden, dann lehnt er die starke Variante des Naturrechts ab. Da er andererseits der Auffassung ist, man könne weder die Prinzipien der Gerechtigkeit noch das Verfahren, nach dem sie gebildet werden, willkürlich setzen, kann seine Position auch nicht rechtspositivistisch genannt werden. Es verbleibt daher nur die schwache Variante des Naturrechts, welcher Rawls allerdings eine neue Wendung gibt.

7. Schwaches Naturrecht

109

Das Gerechte hat keine überzeitliche Gestalt, es tritt vielmehr in konkreten geschichtlichen Zusammenhängen in Form des common sense auf. Freilich zeigt es sich hier nur schlakkenhaft, gleichsam verunreinigt. Daher bedarf es eines besonderen Verfahrens, um es aus dem common sense hervorzuziehen. Diese Prozedur besteht darin, das Überlegungsgleichgewicht auf die beschriebene Weise zu fixieren. Ist dies geschehen, dann ist ein Konsens hinsichtlich der Frage nach der Gerechtigkeit gefunden. Die besondere Gestalt, welche Rawls der schwachen Variante des Naturrechts gibt, wird sichtbar, wenn man etwas genauer untersucht, was mit dem Ausdruck Konsens gemeint ist. Es wird sich dann auch zeigen lassen, daß man Rawls mißverstünde, wenn man seine Auffassung des Gerechten als dezisionistisch bezeichnete. Der Begriff Konsens steht für die Übereinstimmung, welche dadurch erzielt wird, daß mindestens zwei Personen über ein und denselben Sachverhalt deskriptive bzw. präskriptive Sätze äußern, welche einander nicht widersprechen. Das geläufige Verfahren, einen Konsens festzustellen, ist eine Abstimmung. Man formuliert einen Satz, welcher einen Sachverhalt kennzeichnet, und bittet um Ja- bzw. Nein-Stellungnahmen. Wenn mit Nein geantwortet wird, dann bedeutet dies, daß hinsichtlich des formulierten Sachverhaltes ein Satz geäußert wird, welcher der Vorlage widerspricht. Wenn mit Ja geantwortet wird, so formuliert man damit einen Satz, welcher mit der Vorlage übereinstimmt. Wenn die Modalitäten festgelegt sind – Einstimmigkeit, absolute oder relative Mehrheit –, dann kann man durch Abstimmung feststellen, ob eine Vorlage konsensfähig ist oder nicht. Das philosophische Problem lautet hierbei: Was läßt sich aus der Tatsache schließen, daß ein Satz konsensfähig ist? Man wird diese Frage nur dann beantworten können, wenn man die Vorlage, über die abgestimmt werden soll, genauer ins Auge faßt. Liegt ein deskriptiver Satz vor, dann scheint aus seiner Konsensfähigkeit nicht zu resultieren, daß es sich um

110

II. Diskussionen

einen wahren Satz handelt. Man stelle sich ein in gewissen Abständen tagendes Gremium vor, das seine Sitzungen protokollieren läßt. Zu Beginn einer jeden Versammlung wird gefragt, ob das Protokoll des vorangegangenen Treffens konsensfähig ist. Aus der Tatsache, daß die Mehrheit der Versammelten diese Frage positiv beantwortet, kann man nicht schließen, daß die im Protokoll behaupteten Sachverhalte wirklich bestehende Sachverhalte sind oder solche, die einmal bestanden haben. Man kann hier dem Konsens lediglich entnehmen, daß die Mehrheit der Versammelten meint, das Protokoll enthalte keine falschen Angaben. Kurz: Über die Richtigkeit von Tatsachenbehauptungen kann man nicht abstimmen. Dies ist anders, wenn die Entscheidung präskriptive Sätze betrifft. So kann man sich denken, daß eine Versammlung über die Frage, ob man neue Mitglieder aufnehmen soll oder nicht, abstimmt und auf diese Weise zu einem Konsens kommt. Dieses Urteil macht keinen Wahrheits-, sondern Gültigkeitsanspruch. Da es niemanden gibt, der sonst über die Mitgliedschaft entscheiden könnte, ist durch die Abstimmung eine gültige Entscheidung getroffen. Dieses Vorgehen kann dezisionistisch heißen. Rawls Rede vom Konsens ist nur dann sinnvoll, wenn es um die Gültigkeit präskriptiver Sätze geht. Dies ist fraglos der Fall, denn er will ja Prinzipien der Gerechtigkeit aufstellen. Freilich läßt er nicht über sie abstimmen. Seine Position hat daher keinen dezisionistischen Charakter. Vielmehr wird der Konsens durch die wechselseitige Anpassung der im common sense zu findenden Überzeugungen und der Bedingungen gewonnen, welche für die Ursituation gelten. Dieses Anpassungsverfahren selbst steht dabei niemals zur Disposition. Es gilt vielmehr als eine nicht mehr hintergehbare Prämisse, die ihre Dignität aus einer gewissen Nähe zu Kants Kategorischem Imperativ bezieht. Dieser postuliert die Generalisierbarkeit von Maximen, die den Anspruch erheben, nicht nur subjektive Prinzipien, sondern Gesetze, i.e. von objektiver Gültigkeit zu sein. Gesetzesfähig ist genau diejenige Regel, die den größtmöglichen Grad an Kontextfreiheit aufweist. Dies

7. Schwaches Naturrecht

111

ist dann der Fall, wenn mit dem die Handlung H wollenden Subjekt S1 zugleich alle weiteren Subjekte S2 bis Sn auf die Subjektstelle des präskriptiven Satzes S soll H gesetzt werden können. Dies ist evidentermaßen nicht möglich, wenn H ein lügenhaftes Versprechen darstellt. Hier zerstört die Generalisierung die Bedingung der Möglichkeit von H. Der Mechanismus der original position, wie Rawls sie ersonnen hat, arbeitet nun auf die gleiche Weise: Vorteile kann man sich aus Diskriminierung welcher Art auch immer nur dann versprechen, wenn man nicht zu denen gehört, gegen die sich die Regelungen richten. Können hingegen alle Subjekte die S-Stelle in dem Satz S soll dies oder jenes vorenthalten werden besetzen, dann wird diese Regel in der original position nicht beschlossen, weil sie nicht generalisierbar ist – oder besser: weil dekontextualisierte Individuen nicht wollen können, daß sie generalisiert wird. Aus diesen Überlegungen kann man nur den Schluß ziehen, daß die Individuen so lange dekontextualisiert werden müssen, bis es ihnen nicht mehr möglich ist, Neigung – im Kantischen Sinne – für etwas zu empfinden. Der dann verbleibende Grad an Selbstbezüglichkeit, so Rawls’ über Kant hinausgehende Annahme, ist so beschaffen, daß wir nur noch das für uns wollen können, was allen anderen ebenfalls nützt. Was den Kantischen Gedanken der Generalisierbarkeit freilich hinter sich läßt, ja letztlich mit ihm unvereinbar ist, ist Rawls’ Theorem des Überlegungsgleichgewichts. Beließe er es bei der original position, dann könnte man sagen, er versetzt in den Plural, was bei Kant das moralisch reflektierende Subjekt mit sich selbst abmacht. Da es aber die Vorstellungen des common sense sind, die bei Rawls ins Spiel gebracht werden, wandelt sich das Kantische Widerspruchsfreiheitsgebot in eine Kohärenzforderung. Dworkin (1989: 32) hat mit Recht darauf verwiesen, daß es Rawls darum geht, im Hin und Her zwischen moralischen Intuitionen des common sense und den Prinzipien der original position Stimmigkeit zu erzeugen. Es ist diese Eigentümlich-

112

II. Diskussionen

keit, welche ihn zu einem schwachen Naturrechtler im Aristotelischen Sinne macht. Man kann daher sagen: Die von Rawls vertretene schwache Variante des Naturrechts hat insofern eine eigentümliche Gestalt, als sie ein trans-situativ gültiges Verfahren liefert, das Gerechte situationskonform zu fixieren. Von der starken Form des Naturrechts unterscheidet sie sich, da sie überzeitliche Gültigkeit der aufgefundenen Prinzipien ablehnt, vom Rechtspositivismus dadurch, daß sie es nicht der Willkür der Beteiligten anheimstellt, die Prinzipien der Gerechtigkeit oder das Verfahren zu ihrer Erzeugung setzen zu können. Mit den letzten Überlegungen sind die Vorarbeiten abgeschlossen. Das bereitgestellte Begriffsinstrumentarium kann nun auf das Völkerrecht angewendet werden. Dies geschieht im folgenden dritten Teil der Abhandlung. Die drei Fragen aus der Einleitung, die nach dem Charakter der Völkerrechtssubjekte (á), nach den Quellen des Völkerrechts (â) und nach dem Verhältnis von nationalem und internationalem Recht (ã), werden dabei ständig präsent zu halten sein.

„Der Völkerbrauch ist kein Völkerrecht.“ (Seume 1962: 1294)

III. Applikationen 8. Völkerrechtspositivismus

Der zweite Teil der vorliegenden Abhandlung hat in den Kapiteln 5, 6 und 7 die logisch möglichen rechtsphilosophischen Standpunkte dargestellt – den rechtspositivistischen, den einer starken und einer schwachen Naturrechtslehre. Dem nun folgenden dritten Teil bleibt es vorbehalten, die Anwendung dieser drei Positionen auf das Völkerrecht vorzunehmen, also zu erproben, in welcher Gestalt sich das trans-nationale Recht am schlüssigsten konzeptualisieren läßt. Das 5. Kapitel endete mit der Einsicht, daß sich ein radikaler Rechtspositivismus nicht halten läßt, da es ihm nicht möglich ist zu rechtfertigen, was er behauptet. Es erwies sich daher als nötig, trans-positive Elemente zuzulassen. Dies kann noch einmal – nun mit Blick auf das Völkerrecht – dadurch verdeutlich werden, daß die Kritik zur Sprache kommt, die R. Dworkin an H. L. A. Harts The Concept of Law vorgetragen hat. Dworkin (1977: 38 f.) nennt drei Voraussetzungen für jede nur denkbare rechtspositivistische Position: (1) Das Recht einer Gemeinschaft besteht aus besonderen Regeln, welche der Verhaltenssteuerung dienen und deren Einhaltung durch eine öffentliche Macht erzwungen wird. Man identifiziert diese Regeln durch einen Herkunftstest, nicht etwa durch eine Untersuchung ihres Inhalts. Nur so können sie von ungültigen Regeln, aber auch von moralischen Geboten unterschieden werden, deren Einhaltung nicht erzwungen wird. (2) Die Gesamtheit der durch den Herkunftstest identifizierten Regeln macht das Gesetz aus. Wenn ein bestimmter Fall von den Regeln nicht erfaßt wird, dann kann er durch

114

III. Applikationen

Anwendung nicht entschieden werden. Ein Richter hat hier zu einem Urteil zu kommen, indem er Standards, die jenseits des Gesetzes liegen, zur Anwendung bringt und auf diese Weise eine neue Regel erzeugt oder eine alte ergänzt. (3) Zu behaupten, jedermann habe eine gesetzliche Verpflichtung zu etwas, heißt festzustellen, daß sein Fall unter eine gültige Regel fällt, welche von ihm eine bestimmte Handlung bzw. Unterlassung fordert. Festzustellen, jemand habe ein Recht, heißt zugleich zu konstatieren, andere hätten die Pflicht, ihm gegenüber gewisse Handlungen auszuführen bzw. zu unterlassen. Wenn ein Richter neues Recht schafft, dann setzt er keine bestehende rechtliche Verpflichtung durch, er schafft vielmehr eine solche. Diese Voraussetzungen gegeben, kann nun folgende gegen den Positivismus gerichtete Argumentation aufgebaut werden: Wenn Fälle, in denen das Recht nicht eindeutig ist, zu entscheiden sind, dann werden keine Regeln in Anschlag gebracht, wie sie unter (1) benannt sind. Vielmehr arbeitet man hier mit Prinzipien, i.e. Standards, die man berücksichtigt, weil die Gerechtigkeit es erforderlich macht, die Fairneß oder irgend etwas anderes, das nicht aus der Sphäre des Rechts, sondern aus der der Moral stammt (Dworkin 1977: 43). Als Beispiel führt Dworkin den Elmer-Fall aus dem Jahre 1882 an (Dworkin 2000: 1 f.): In New York vergiftet der Enkel seinen Großvater, um ihn zu beerben; denn dieser hat sich erneut verheiratet und wird wohl das zu Gunsten des Enkels abgefaßte Testament ändern. Dem will der Enkel zuvorkommen. Seine Tat wird entdeckt, er wird verurteilt. Es stellt sich nun die Frage, ob er in den Genuß dessen gelangen darf, was das Testament ihm zuerkennt. Das in New York gültige statute of wills enthält nichts darüber, ob jemand, der in einem Testament als Begünstigter benannt wird, auch dann erbt, wenn er der Mörder des Erblassers ist. Die Richter des obersten Gerichtshofes geraten angesichts dieser Sachlage in Streit darüber, was das Gesetz genau besage. Dies läßt sich dem Text

8. Völkerrechtspositivismus

115

ja nicht unmittelbar entnehmen. Zu welcher Entscheidung sie hier schließlich kommen, das Prinzip, aufgrund dessen sie einen Beschluß fassen, interpretiert das Gesetz. Solche Prinzipien unterscheiden sich von Regeln dadurch, daß sie keine Bedingungen für ihre Applikation nennen. Sie liefern Gründe, die in eine bestimmte Richtung weisen, aber eben keine bestimmte Entscheidung verlangen. Dies wird auch dadurch deutlich, daß von zwei Regeln, die sich widersprechen, eine ungültig sein muß. Widerstreiten einander hingegen zwei Prinzipien, dann entscheidet das Gewicht, das man ihnen zuspricht. Was auf den trans-positiven Charakter solcher Prinzipien hinweist, ist die Tatsache, daß man ihre Gültigkeit nicht durch einen Herkunftstest prüfen kann (Dworkin 1977: 57). Die unter (2) formulierte positivistische Annahme, man müsse die Gesamtheit der durch einen Herkunftstest identifizierten Regeln das Gesetz nennen, ist mithin falsch; denn zum Gesetz gehören eben auch die Prinzipien; diese entdeckt der Test aber gar nicht. Wendet man diese Überlegungen auf die Frage nach der Möglichkeit eines Völkerrechtspositivismus an, dann sind die Folgen noch weitreichender: Der Herkunftstest kann sich nur auf den Teil des internationalen Rechts beziehen, der vertraglich fixiert ist. Wie hingegen das nur gewohnheitsrechtlich Vorliegende zu identifizieren ist, bleibt fragwürdig, da eben nicht genau feststeht, eine wie lange Praxis vorliegen muß, auf daß von Gewohnheit überhaupt gesprochen werden kann. Hinzu kommt, daß auch dem Völkerrecht so etwas wie Prinzipien im Dworkinschen Sinne innewohnen, die nicht aus Verträgen resultieren können, aber eben auch nicht einfach nur Gewohnheiten sind – z. B. die pact sunt servanda-Formel, die nach diesem Kapitel in einem Exkurs thematisiert werden soll. Hart selber bestätigt diese Überlegungen in seinen Ausführungen zum Völkerrecht, wenn er feststellt, hier fehle die Möglichkeit, für alle Elemente Herkunftstests durchzuführen (1997: 214). Dies legt nun den Gedanken nahe, daß man es nur

116

III. Applikationen

mit Verträgen, nicht aber mit einem Recht zu tun habe, das dem innerstaatlichen vergleichbar wäre. Hart beharrt aber darauf, auch das Völkerrecht sei Recht. Er begründet seine Auffassung, indem er zwei selbstformulierte Einwände zu entkräften sucht. Der erste lautet: Recht hat es mit Anordnungen zu tun, die durch den glaubhaften Hinweis auf mögliche Zwangsmaßnahmen gestützt sind. Für das Völkerrecht gilt dies nicht, weil eine Rechtsdurchsetzungsinstanz fehlt. Also ist Völkerrecht kein Recht (Hart 1997: 216). Hart antwortet: Schon für das innerstaatliche Recht erweist sich die Austinsche Imperativtheorie als falsch. Daher kann sie auch für das internationale Recht nicht taugen. Recht ist Recht, weil die normative Vorstellung vorliegt, zur Regelbefolgung verpflichtet zu sein, nicht weil jemand mit Gewaltanwendung droht (Hart 1997: 218). Nach dieser Antwort reformuliert Hart den Einwand. Er lautet nun: Für das innerstaatliche Recht sind primäre Regeln unabdingbar, welche den freien Gewaltgebrauch verhindern und nur den offiziellen als Sanktion zulassen. Das internationale Recht kennt aber diese Differenz gar nicht (Hart 1997: 218). Hart antwortet: Internationales unterscheidet sich von nationalem Recht dadurch, daß es hier nicht um den Schutz von Bürgern durch eine jedem Übeltäter überlegene Staatsmacht geht, die Sicherheit schafft. Aggression zwischen Staaten ist nämlich etwas anderes als die zwischen Personen. Sie erfolgt öffentlich. Ihr Ergebnis ist ungewiß. Mit einer Übermacht der Rechtschaffenen ist nicht unbedingt zu rechnen. Weil dies so ist, hat sich das internationale Recht anders entwickelt als das nationale. Es baut auf dem Druck der Weltöffentlichkeit auf, die sich im Falle eines Regelbruches zu Wort meldet und nach Gegenmaßnahmen ruft. Daß dieser Druck wirksam ist, zeigt die Tatsache, daß Regelbrecher sehr selten die von ihnen mißachtete Verhaltensvorschrift für ungültig erklären, sondern viel eher behaupten, ein Regelverletzung liege gar nicht vor (Hart 1997: 219 / 220). Der zweite grundsätzliche Einwand, den Hart erörtert, lautet: Staaten können keine Rechtssubjekte sein, da man sie

8. Völkerrechtspositivismus

117

nicht wirklich zu etwas verpflichten kann (Hart 1997: 216). Dagegen ließe sich ein Theorem anführen, das Hart voluntaristisch nennt. Es stellt auf zwischenstaatlicher Ebene das Äquivalent des Einzelstaaten begründenden Kontraktualismus dar. Hier führt man an: Staaten haben sich, in einem Akte der Selbstbegrenzung, die Regeln des internationalen Rechts auferlegt und deren Beachtung versprochen (Hart 1997: 224). Ließe der Positivist diese Auffassung zu, dann stünde er vor dem gleichen Dilemma wie der Kontraktualist: Der Kontrakt kann nicht das Erste sein, aus dem alle innerstaatliche politische Normativität fließt; denn damit er wirksam werden kann, muß zumindest eine Norm in Kraft sein, welche lautet: Halte dich an dieses Versprechen, i.e. das Gegenstück der pacta sunt servanda-Formel auf Seiten einzelner Personen. Das aber wäre nichts anderes als eines der Dworkinschen Prinzipien. Hart sieht die Schwierigkeit und führt drei Gründe gegen die voluntaristische Theorie ins Feld: (1) Die Auffassung, Staaten könnten nur durch Selbstverpflichtung zu etwas gebracht werden, ist eine klassische petitio principii, denn sie setzt voraus, was erklärt werden soll. (2) Wenn Staaten Verträge eingehen, wie Individuen etwas versprechen, dann müssen gewisse Regeln schon existieren, die doch allererst zu begründen wären. Abgesehen von dem unter (1) konstatierten petitio principii-Charakter einer solchen Annahme wäre in diesem Falle die Idee staatlicher Souveränität aufzugeben, denn Staaten unterlägen dann schon immer gewissen Regeln. (3) Es trifft zu, daß weite Teile des modernen internationalen Rechts Vertragsrecht sind, aber es gibt auch Ausnahmen, welche durch zwei Beispiele veranschaulicht werden können: Wenn ein Staat neu entsteht, dann unterliegt er sofort, ohne irgendeine Zustimmung abgegeben zu haben, den Regeln des internationalen Rechts. Man kann den gleichen

118

III. Applikationen

Fall auch noch anders konstruieren: Ein Staat, der bisher keine Küste besaß, gewinnt einen Zugang zum Meer und ist nun sofort den Bestimmungen des internationalen Seerechts unterstellt (Hart 1997: 225 f.). Aus all’ dem kann geschlossen werden, daß sich ein Staat nicht alle Verpflichtungen, denen er unterliegt, auch selbst auferlegt hat. Wenn dem aber so ist und das Völkerrecht durchaus Rechtscharakter besitzt, wie Hart ja gezeigt hat, dann kann dieses Recht nicht in dem Sinne positivistisch aufgefaßt werden, in welchem Hart den Begriff verstanden wissen will: Recht und Moral seien strikt zu trennen, es sei nicht richtig, daß positives Recht nur dann gültig sei, wenn es außerrechtlichen Prinzipien konveniere (vgl. Hart 1997: 185 / 186). Vielmehr entspricht das Völkerrecht der Bestimmung, die Hart für das Naturrecht liefert. Sie lautet: Positives Recht sei nur dann Recht, wenn es gewissen Prinzipien konveniere, die der menschliche Geist durch Nachdenken entdecke (Hart 1997: 186). Für den von Dworkin angeführten Fall des Großvatermörders hieße das, das statute of will des Staates New York konnte nur dann Recht sein, wenn es nicht zuließ, daß ein Mörder aus seinem Verbrechen Vorteile zieht. Für das Völkerrecht ergibt sich aus diesen Überlegungen, daß es der pacta sunt servanda-Formel als einer Grundnorm untersteht – in eben dem Sinne, den Hart selber angeführt hat: Ein Staat, der internationales Recht bricht, wird nicht zugestehen, die pacta sunt servanda-Formel verletzt haben; er wird immer behaupten, sie sorgfältig zu beachten, so daß die Behauptung, er ignoriere sie, schlechterdings falsch sei. Eine andere trans-positive Voraussetzung des internationalen Rechts ist die Annahme der Gleichheit der Völkerrechtssubjekte, zudem die ihrer Unabhängigkeit, ohne welche gültige Verträge nicht geschlossenen werden können; denn sie stellen im zwischenstaatlichen Bereich das dar, was für Personen und ihre Vertragsfähigkeit die Annahme ihrer Mündigkeit ausmacht. In diesem Sinne müssen zwei geschäftsfähige Erwachsene, die miteinander einen Vertrag schließen, sich ge-

8. Völkerrechtspositivismus

119

genseitig Gleichheit und Unabhängigkeit zugestehen. Beides ist aber nicht Bestandteil des Vertrages, sondern seine Voraussetzung. Für Staaten, wie groß oder wie machtlos sie faktisch auch immer sein mögen, gilt nichts anderes – der diesem Kapitel folgende Exkurs wird genauer darauf eingehen. Dieses Ergebnis, welches einen reinen Völkerrechtspositivismus unmöglich erscheinen läßt, kann in einem zweiten Durchgang mit Blick auf den anderen bedeutsamen rechtspositivistischen Theoretiker, auf Hans Kelsen und seine Reine Rechtslehre, bestätigt werden. Kelsen versteht das Völkerrecht als eine Sammlung von Verhaltensnormen für Staaten. Es wäre Recht im innerstaatlichen Sinne, wenn es eine souveräne Zwangsordnung darstellte, welche Zwangsakte als Sanktionen über Individuen verhängte (Kelsen 1960: 321). Die Repressalien, welche zwischen Staaten stattfinden, sind dem nicht unmittelbar vergleichbar. Denn Repressalien stellen eine beschränkte Interessenverletzung eines anderen Staates dar; sie erfolgen aufgrund eines internationalen Deliktes. Derjenige Staat, welcher das Opfer ist, verletzt nun seinerseits die Interessen des Täters. Nur in diesem Falle nennt man sie mit Recht Sanktionen. In allen anderen Fällen, also dann, wenn von Täter und Opfer nicht gesprochen werden kann, sind sie keine Sanktionen, sondern vielmehr ihrerseits Delikte, auf die mit Sanktionen reagiert werden kann (Kelsen 1960: 322). Wiewohl Sanktionen gegen Staaten gerichtet sind, haben Individuen sie zu erleiden; denn sie sind der Rechtsordnung unterworfen, deren Personifikation der Staat ist (vgl. Kelsen 1920: 20; 1957a: 255). Er ist das Subjekt des Deliktes, welches die Sanktion hervorruft, die seine Bürger zu ertragen haben – d. h. völkerrechtliche Sanktionen treffen im Gegensatz zu innerstaatlichen Strafen immer Unschuldige, denn es herrscht Kollektiv- als Erfolgshaftung (Kelsen 1960: 326 / 7), i.e. man hat nicht wie im Falle der Schuldhaftung für ein absichtsvoll herbeigeführtes Resultat eigener Handlungen einzustehen, sondern für durchaus unerwünschte und vom Haftenden aus

120

III. Applikationen

gesehen zufällig aufgetretene Ereignisse (Kelsen 1960: 127). Gemildert wird die Lage für die Bevölkerung eines Landes, gegen das unbeschränkte, also kriegerische Sanktionen ergriffen werden, lediglich durch das ius in bello (Kelsen 1960: 327). Da Kollektivhaftung als Erfolgshaftung herrscht, vergleichbar der Blutrache oder der Sippenhaft, und weil das Völkerrecht obendrein keine Organe zur Rechtserzeugung und -anwendung besitzt, stellt es lediglich eine primitive Rechtsordnung dar, in welcher Betroffene in eigener Sache tätig werden; es herrscht Selbstjustiz, i.e. der Zustand, den Locke für den state of nature veranschlagt und welcher das wesentliche Argument ist, den state of society anzustreben (vgl. Locke 1993: 271 ff.; 324 ff.). Nur gelten für Lockes Konstruktion ganz andere Prämissen, als Kelsen sie zuzugestehen bereit ist: Im state of society werden die der Vernunft erkennbaren naturrechtlichen Vorschriften kodifiziert, so daß im staatlichen Zustand kein anderes Recht vorliegt als im natürlichen. Locke kennt also die Schwierigkeit gar nicht, welche in der Einleitung als ã-Frage formuliert worden ist. Weder der Herleitungsmonismus ist dem Theoretiker auferlegt noch der Rechtsdualismus, sondern nationales und internationales Recht unterscheiden sich lediglich dadurch, daß das eine kodifiziertes, das andere hingegen nicht-kodifiziertes Naturrecht darstellt. Anders liegen die Dinge für den Rechtspositivisten Kelsen. Er muß die Geltung des Völkerrechts monistisch aus der Souveränität der Staaten fließen lassen (Kelsen 1960: 334). Diese erzeugen durch ihre Gewohnheiten, durch die von ihnen geschlossenen Verträge, durch die internationalen Organe, welche sie schaffen, internationale Rechtsnormen, die in ihrer Gesamtheit eine Weltrechtsordnung darstellen, in der sich die Teilordnungen der Einzelstaaten einfügen, indem sie sie für sich in Kraft setzen. Dadurch lassen sie zu, daß ihnen das Völkerrecht ihr Territorium anweist, auf dem sie ihre Zwangsordnung errichten können, und sie so von anderen souveränen Staaten abgrenzt (vgl. Kelsen 1920: 75 / 76).

8. Völkerrechtspositivismus

121

Eben diese Annahme aber führt – so hat Radbruch gezeigt (1999: 184 ff.) und so ist es bereits am Ende des vierten Kapitels dargelegt worden – zu unauflösbaren Widersprüchen, z. B. zu der Frage, wie sich ein als souverän erachteter Staat sein Territorium anweisen lassen kann. Die Lösung der Probleme bestand in der Verkehrung der Perspektive: Souverän ist ein Staat nicht qua Selbstzuschreibung, sondern weil ihm Völkerrechtsunmittelbarkeit zukommt. Folgt man Radbruch in dieser Auffassung, dann ist man in der Tat gezwungen, den Völkerrechtspositivismus aufzugeben; denn nun ist ein Primat trans-nationalen Rechts unausweichlich. Einige seiner Elemente besitzen nämlich logische Vorgängigkeit allem nationalen Recht gegenüber. Es kann also nicht länger so betrachtet werden, als entspringe es in allen seinen Teilen Akten menschlicher Willkür. Vielmehr enthält es trans-positiv gültige Inhalte, ohne die das Verhältnis der Staaten zueinander nicht gedacht werden kann. Als Indikator für die Richtigkeit dieser Annahme darf die Rolle gelten, welche die pacta sunt servanda-Regel im Völkerrecht spielt. Der Positivist kann sie einerseits nicht anders als durch Gewohnheit zustande kommen lassen – der folgende Exkurs wird zeigen, daß diese Auffassung nicht zu halten ist; er muß ihr aber andererseits die Rolle einer vorausgesetzten Grundnorm, i.e. einer Normennorm, zugestehen, da ohne sie weder die Wirkungsweise von Gewohnheitsrecht noch dessen Überführung in Verträge denkbar wäre. Gewohnheitsrechtlich agiert man, wenn man glaubt, sich so verhalten zu müssen, wie sich die anderen verhalten, die ihrerseits glauben, sich so verhalten zu sollen, wie man sich ihrer Meinung nach schon immer verhalten hat. Die einer solchen Auffassung zugrunde liegende Regel lautet: Folge in deinem Verhalten den Regeln, die dem Verhalten der anderen – in synchroner wie diachroner Betrachtung – unterliegen. Die Gültigkeit einer solchen Vorschrift ist nur dann erklärbar, wenn man sie so betrachtet, als sei auch sie von der pacta sunt servanda-Formel gesteuert; denn die durch Gewohnheit

122

III. Applikationen

zum Ausdruck gebrachte Regel ist Resultat eines Vertrages ex silentio: Indem man der Gewohnheit folgt, handelt man so, als habe man einem solchen Vertrag zugestimmt, welcher die das gewohnheitsmäßige Verhalten als Regel steuernde Norm zur Regel erhebt. Was in ihm vereinbart worden ist, kann in folgender Formel ausgedrückt werden: Wir wollen das Verhalten unserer Mitmenschen über längere Zeiträume beobachten, nach einer Regel suchen, die hier steuernd wirksam wird, und diese Regel dann auch unser eigenes künftiges Verhalten steuern lassen. Die Annahme, ein Vertrag dieses Inhaltes sei ex silentio geschlossen worden, wirkt gewiß sehr konstruiert, sie ist aber unausweichlich, wenn der dezisionistische Charakter des Rechtspositivismus gewahrt werden soll. Daß er sich freilich auch auf diese Weise nicht retten läßt, wird dadurch sichtbar, daß es sich bei der Verpflichtung, den in einzelnen Willkür-akten festegelegten Vorschriften zu folgen, nicht wiederum um eine in Willkürakten festegelegte Vorschrift handeln kann (vgl. Fuller 1969: 233). Dies werden die folgenden Überlegungen zeigen.

Fundamentum autem est iustitiae fides, id est dictorum conventorumque constantia et veritas – Grundlage der Gerechtigkeit ist die Zuverlässigkeit, das heißt Zusagen und Abmachungen aufrichtig einzuhalten (Cicero: Off. 1, 7, 23).

2. Exkurs: pacta sunt servanda

Was genau die pacta sunt servanda-Formel meint, ergibt sich aus einer Analyse des Ausdrucks ein Versprechen geben. Gewisse Vorarbeiten hat hier John Searl geleistet (1977: 54 ff.), auch wenn er eine etwas andere Darstellungsabsicht verfolgt als die vorliegende Untersuchung.

2. Exkurs: pacta sunt servanda

123

Pakte sind wechselseitige Versprechen. Man (S1 ) verspricht etwas, wenn man einer Person (S2 ) ankündigt, man werde zu einem in der Zukunft liegenden Zeitpunkt eine Handlung ausführen / unterlassen (H), und dabei meint, H komme S2 gelegen, S2 wünsche also, daß H erfolge. So ist der Satz Ich komme morgen nur dann ein Versprechen, wenn der Person, gegenüber welcher er geäußert wird, überhaupt an einem Besuch gelegen ist und wenn ihr obendrein auch der Zeitpunkt (morgen) des Besuches konveniert. Ich komme morgen hört auf ein Versprechen zu sein, wenn S2 zu diesem Termin anderweitig beschäftigt ist, wenn S2 an Besuchen überhaupt nichts gelegen ist, wenn S2 zwar gerne besucht werden möchte, aber eben nicht von S1 . Ist es S2 unangenehm, zu einem bestimmten Zeitpunkt, von einer bestimmten Person oder aber überhaupt Besuch zu empfangen, dann ist der Satz Ich komme morgen kein Versprechen, sondern eine Drohung. Ob eine Ankündigung eine Drohung ist oder nicht, liegt niemals an der Person, die den Satz äußert, sondern immer an S2 . Denn es ist ja der Adressat, der einen als Drohung intendierten Sprechakt dadurch scheitern lassen kann, daß er sich schlicht und einfach weigert, ihn als solche zu akzeptieren. Auch darüber, ob ein Versprechen vorgebracht wird, entscheidet ausschließlich S2 durch seine Haltung dem angekündigten Ereignis gegenüber. Ein Pakt liegt vor, wenn S1 und S2 einander versprechen, H erfolgen zu lassen, und die Einhaltung dieses Versprechens zugleich davon abhängig machen, daß der Partner zu seinem Wort steht. Indem sie dies tun, gestehen sie – offen oder ex silentio – zu, daß der jeweils andere ihnen gleichgestellt ist und daß er als unabhängig betrachtet werden muß. Gleichheit resultiert hier nicht unbedingt aus der vereinbarten Wechselseitigkeit, sondern aus dem Faktum, daß eine Person einer anderen überhaupt als Vertragspartner gegenübertritt. Selbst wenn die Parteien faktisch gänzlich verschieden sind, ja wenn es gerade diese Verschiedenartigkeit ist, die sie überhaupt den Vertrag – einen Ehevertrag etwa – schließen läßt, so erkennen

124

III. Applikationen

sie sich im Akte des Vertragsschlusses dennoch als Gleiche an (vgl. Hegel 1979: 156), nämlich hinsichtlich ihrer Unabhängigkeit, den Vertrag zu schließen. Der Ehevertrag in monogamen Gesellschaften macht dies besonders deutlich; denn gleich müssen die Parteien hier insofern sein, als sie nicht verheiratet sind, also die Unabhängigkeit einer ledigen, geschiedenen oder verwitweten Person besitzen. Die Formel für Verträge lautet mithin: Ein Pakt liegt genau dann vor, wenn S1 und S2 – einander als gleichgestellt und frei anerkennend – sich versprechen, in Zukunft H unter der Bedingung erfolgen zu lassen, daß der jeweils andere sich ebenfalls dazu verpflichtet. Man könnte H so füllen, daß ein völkerrechtlich bedeutsamer Vertrag vorliegt, etwa ein Nicht-Angriffspakt. H meint dann: jede Art von kriegerischem Akt zu unterlassen. S1 und S2 sind hier Staaten, die – sich als gleichberechtigt und souverän respektierend – einander versprechen, auf militärisches Vorgehen dem Vertragspartner gegenüber zu verzichten. Searl kommt in seiner Analyse zu der Auffassung, der Sprechakt des Versprechens scheitere, wenn S1 bei der Äußerung seiner Verhaltensankündigung nicht die Intention habe, zu erfüllen, was versprochen werde. Daraus schließt er, man übernehme mit der Äußerung eines Versprechens zugleich die Verantwortung dafür, auch die Intention zu haben, es zu halten (Searl 1977: 62). Der Sprechakt des Etwas-Versprechens gelinge mithin nur, wenn man diese Aufrichtigkeitsregel befolge (Searl 1977: 63). Daß diese Schlußfolgerungen nicht dazu taugen, ein Begründung der pacta sunt servanda-Formel zu liefern, sieht man leicht. Denn wendet man Searls Regel an, dann gibt es gar keine Möglichkeit, daß Versprechen gebrochen werden können; geschieht dies nämlich, dann hat nach seiner Analyse überhaupt kein Versprechen vorgelegen, sondern der Sprechakt des Etwas-Versprechens ist nicht zustande gekommen, weil die Aufrichtigkeitsregel nicht beachtet worden ist.

2. Exkurs: pacta sunt servanda

125

Was Searl nicht in seine Überlegungen einzubeziehen scheint, ist das Faktum, daß die Person, der ich verspreche, morgen zu kommen, mir Glauben schenkt und mir, wenn ich mein Wort breche, enttäuscht vorhalten wird: Du hattest es doch versprochen. Die Alltagssprache verwendet den Ausdruck Etwas-Versprechen also auch dann, wenn das Versprochene nicht eintritt. Daher – so muß man schließen – ist dem Etwas-Versprechen nicht schon eingebaut, daß das Versprochene auch eintritt. Nur aus diesem Grunde kann man über einen Menschen sagen: Er verspricht viel, ob er es auch hält, das ist nie ganz sicher. Nur weil allem Versprochenen aufgrund seines futurischen Charakters diese Ungewißheit eingeschrieben ist, daß man es als nur Versprochenes, nicht als etwas schon Eingetretenes ansehen muß, und weil einer der Gründe für das Ausbleiben des Versprochenen in der Person desjenigen liegen kann, der etwas verspricht, es aber dann nicht tut, ist die pacta sunt servandaFormel dem Versprechen eigens hinzuzufügen. Sie stellt mitnichten eine ,tautologische Verdopplung‘ des Vertrages dar, wie Carl Schmitt fälschlicherweise annimmt (vgl. 1993: 69 f., 364); und sie läßt sich auch nicht durch die Frage quis iudicabit? ersetzen (Schmitt 1993: 70). Die Notwendigkeit, einem Versprechen die Aufforderung, Verträge einzuhalten, anzuhängen, gewinnt nämlich gerade dann an Evidenz, wenn es sich um solche Verträge handelt, deren Erfüllung nicht erzwungen werden kann. So ist ein Hinweis auf die pacta sunt servanda-Formel überflüssig, wenn es sich um die Verpflichtung zur Abzahlung einer Hypothek handelt, denn das Kreditinstitut, welches das Darlehen gewährt, läßt sich Sicherheiten geben, auf die es zurückgreifen kann, falls die vereinbarten Zahlungen ausbleiben. Für das Feld trans-nationaler Politik kann man sagen: Die Sichtbarkeit der pacta sunt servanda-Formel nimmt in dem Maße ab, in welchem es gelingt, Vertragstreue durch gewisse Maßnahmen wahrscheinlich zu machen – sei es durch das Stellen von Geiseln, wie etwa in der antiken Welt, aber auch im mittelalterlichen Europa nicht unüblich (vgl. Vattel 1758:

126

III. Applikationen

I 454; Gros 1815: 324), sei es durch Hinterlegung eines Pfandes oder durch Garantien Dritter (vgl. Morgenthau 1963: 26 f.). Dennoch verliert die Formel auch in diesen Fällen nicht ihre Bedeutsamkeit; denn die getroffenen Maßnahmen ersetzen sie nicht etwa, sie verhelfen ihr vielmehr zu größerer Wirksamkeit. Kant bringt diese Überlegungen dadurch auf den Begriff, daß er Vertragstreue als Rechtspflicht bezeichnet, die dann obendrein zur Tugendpflicht werde, wenn sie nicht erzwungen werden könne (MdS Ak VI, 21 f.). Das damit benannte philosophische Problem lautet: Was macht die pacta sunt servanda-Formel zu einer trans-positiv gültigen Rechtpflicht, zu einer obligatio juris naturalis, wie Thomas sagt (ST II – II, 88, 3)? Daß sie diesen Status einnehmen muß, wird durch die Tatsache sichtbar, daß man ohne sie in einen regressus ad infinitum gerät: Zwei Parteien schließen einen Vertrag, trauen einander aber nicht recht; deshalb schließen sie einen zweiten Kontrakt, in dem sie sich wechselseitig versichern, das erste Abkommen zu halten. Doch auch hier beschleicht sie schnell das ungute Gefühl, der jeweils andere könne die Treue brechen. Um deshalb ganz sicher zu gehen, treffen sie auch noch eine dritte Absprache, in der sie einander versprechen, den zweiten Vertrag zu halten et ad infinitum. Damit die pacta sunt servanda-Formel diesem absurden Spiel ein Ende machen kann, muß sie über-konventionellen Charakter haben; sie kann selber nicht vertraglich oder gewohnheitsrechtlich begründet sein. Deshalb nennt Hobbes sie ein Law of Nature, i.e. eine Rule of Reason (1972: 205). Dafür gibt er mehrere Gründe an: (1) Ohne diese Regel wären Verträge wertlos (1972: 201). (2) Die Formel ist die Quelle der Gerechtigkeit, denn sie sichert den Vertrag aller Verträge, aus welchem der Staat hervorgeht. Da vor diesem Kontrakt nichts gerecht oder ungerecht ist, läßt sich nach seinem Abschluß das Unge-

2. Exkurs: pacta sunt servanda

127

rechte dadurch definieren, daß man es mit Vertragsbrüchen gleichsetzt (1972: 202). (3) Vertragbrüche stellen Absurditäten dar, i.e. Verstöße gegen das Widerspruchsfreiheitsgebot; denn einerseits bringt man durch Vertragsabschluß zum Ausdruck, daß man etwas Bestimmtes tun bzw. lassen will, andererseits macht man durch den Bruch des Kontraktes augenfällig, daß man diesen Willen doch nicht hegt, sondern vielmehr das genaue Gegenteil verfolgt (1999: 88). Hobbes’ erstes Argument ist ein philosophisch immer schwaches argumentum ex consequentibus. Das zweite bringt der Kontraktualist Hobbes vor, dem natürlich vor allem daran gelegen sein muß, daß der Eckstein seiner politischen Philosophie, der Vertragsabschluß, mit höchsten Kategorien gesichert wird. Dies geschieht dann dadurch, daß die pacta sunt servanda-Formel mit den Weihen des von Hobbes sonst nicht sehr hoch geschätzten Naturrechts versehen wird. Andernfalls hätte sie nicht die Dignität, derer sie bedarf, um den Kontrakt schützen zu können. Allerdings – und das macht die eigentümliche Schwäche dieses Argumentes aus – entwertet sie den Schlüsselkontrakt dadurch, daß sie ihn aus seiner zentralen Stellung gleichsam verdrängt. Er soll das Erste des aus ihm entstehenden politischen Raumes sein, und nun zeigt sich, daß ihm diese allesbegründende Kraft abgeht, daß er vielmehr auf etwas errichtet ist, das ihn seinerseits sichert. Man mag hierin eine Schwäche des Hobbesschen Kontraktualismus erblicken; die fundamentale trans-positive Bedeutung der pacta sunt servanda-Formel wird dadurch freilich nicht verdunkelt, sie triff vielmehr ins volle Licht. Auch Hobbes’ dritte Überlegung erweist sich als durchaus tragfähig, wie einschlägige Hinweise Kants zeigen, dessen Antwort auf die Frage nach der trans-positiven Gültigkeit der pacta sunt servanda-Formel dem Beispiel eines lügenhaften Versprechens in der Grundlegung entnommen werden kann: Ich darf, wenn ich in Not gerate, zu meiner Rettung keine ver-

128

III. Applikationen

tragliche Abmachung treffen, von der ich sicher weiß, daß ich das, wozu ich mich hier verpflichte, nicht werde tun können; denn dadurch geriete ich mit mir als einem rationalen Wesen in einen unauflösbaren Widerspruch. Ich müßte nämlich zugleich und in gleicher Hinsicht wollen, daß das Postulat der Vertragstreue respektiert und nicht respektiert wird. Respektieren soll es die Person, mit der ich den Kontrakt schließe und die zu meiner Rettung ihre Leistung erbringen soll – nicht respektieren werde ich es, da ich nicht einlösen kann, was ich meinem Retter ankündige (vgl. GzMdS Ak IV, 422 f.). Diesen Überlegungen ist zu entnehmen, daß die Bedingung der Möglichkeit eines jeden Abkommens die Vertragstreue der Partner ist. Kann man mit ihr von vornherein nicht rechnen, dann ist der Gedanke an einen Vertrag überhaupt abwegig. Mithin ist die pacta sunt servanda-Formel das logische Prius aller Kontrakte. Als dieses Prius bleibt sie in der Regel unausgesprochen; ausdrücklich wird sie nur dann, wenn es keine Möglichkeit gibt, Vertragtreue zu garantieren oder doch wenigstens wahrscheinlich zu machen. Dies ist für das internationale Recht, das so weitgehend auf Verträgen beruht, der Fall. Die ausdrückliche Aufforderung zur Vertragstreue wird hier nötig, weil souveräne Akteure aufeinander treffen, denen Vertragsbruch viel leichter möglich ist als den Bürgern eines Staates, was freilich nicht heißt, daß öffentlich sichtbar werdende mangelnde Vertragstreue eines Landes für diesen Staat nicht genauso rufschädigend wäre wie dies bei Individuen der Fall ist. Um so erstaunlicher erscheint es, daß die Tradition für den individuellen Verhaltenskodex seit der Antike Fälle kennt, in denen es berechtigt scheint, die pacta sunt servanda-Formen nicht einzuhalten. Cicero (Off. 1, 10, 32) mag als Kronzeuge dienen. Er stellt fest: Man darf Versprechen brechen, (1) die demjenigen, dem sie gegeben werden, bei Erfüllung Schaden zufügen – Helios verspricht seinem Sohn Phaeton, ihm jeden Wunsch zu erfüllen; der verlangt darauf, in

2. Exkurs: pacta sunt servanda

129

den Wagen des Vaters gehoben zu werden, nur um dort augenblicks vom Blitz getroffen zu sterben (vgl. Off. 3, 25, 95). (2) die einzuhalten dem, der sie gegeben hat, mehr schadet, als ihre Erfüllung dem nützt, der sie bekommen hat – Cicero konstruiert folgenden Fall: Eine Person erkrankt an Wassersucht und findet jemanden, der über ein Medikament verfügt. Das will er aber, im Falle daß es den Patienten heilt, nur ein einziges Mal hergeben. Ein zweites Mal ist er nicht dazu bereit. Der Patient schließt eine entsprechende Vereinbarung, wird geheilt, erkrankt erneut und müßte sich nun an sein Wort halten und auf eine zweite Heilung verzichten. Cicero erlaubt ihm, den Vertrag zu brechen und für seine Gesundheit zu sorgen (Off. 3, 24, 92). (3) die durch Einschüchterung oder Vorspiegelung falscher Tatsachen zustande gekommen sind. Letzteres, die arglistige Täuschung, bedarf keines Beispiels. Den ersten Fall illustriert Hobbes (1983: 58): das einem Straßenräuber gegebene Versprechen, ihm am nächsten Tag eine gewisse Summe Geldes auszuhändigen, falls er bereit sei, heute das Leben des Überfallenen zu schonen. Freilich ist Hobbes im Gegensatz zu Cicero nicht der Auffassung, diese Zusage sei deshalb ungültig, weil sie aus Furcht gegeben worden ist. Versprechen – so Hobbes – müssen immer dann eingehalten werden, wenn sie dem, der sie gibt, einen Vorteil verschaffen und wenn obendrein das, was versprochen wird, und das Faktum des Versprechens dem Gesetz nicht zuwider laufen. Alle drei Bedingungen sind erfüllt: Das Opfer des Wegelagerers hat einen Vorteil, anderen Menschen Geld zu geben, ist ebensowenig gesetzeswidrig wie ihnen dies zu versprechen. Allerdings – und das entscheidet die Sache schließlich doch zugunsten Ciceros: wir haben es nicht mit einem Vertrag zu tun, der zwischen Gleichen und in derselben Weise Unabhängigen geschlossen wird; dafür sorgt die Bewaffnung des Wege-

130

III. Applikationen

lagerers und die Hilflosigkeit seines Opfers. Das Gleichheitsgebot ist auch im Falle der Täuschung nicht erfüllt, da einem der Geschäftspartner wesentliche Informationen vorenthalten werden. Auch der erste Fall stellt gewiß eine zutreffende Einschränkung dar. Allerdings ist Ciceros Erklärung unvollständig. Nach der in diesem Exkurs vorgenommenen Analyse haben wir es hier nämlich gar nicht mit einem Versprechen zu tun. Phaeton meint nur, daß die von seinem Vater auszuführende Handlung seinen Wünschen konveniere, kennte er ihr Ergebnis, dann bäte er um Unterlassung. Damit ist der erste Fall aus der Reihe der Versprechen herauszunehmen. Die pacta sunt servanda-Formel kommt hier gar nicht zur Anwendung. Es verbleibt noch der zweite Fall, in welchem sich die Erfüllung des Versprochenen für die eine Seite als Selbstandrohung erweist. Hier würde es die Analyse in der Tat nahelegen, auf Erfüllung zu pochen; es sei denn, man sieht das Verhalten desjenigen, welcher das Medikament besitzt, als erpresserisch an. Dann wäre die Unabhängigkeitsbedingungen nicht erfüllt, also kein Vertrag zustande gekommen. Wie immer man in den einzelnen Fällen entscheidet, ob man sich also Cicero oder Hobbes abschließt, der auf strikte Erfüllung in allen drei Fällen pochte, legte man sie ihm vor – man sieht, wie die pacta sunt servanda-Formel wirkt: Sie ist weitaus mehr als einer der Sprüche, die sich alte Notare in ihre Kanzleistuben hängen (vgl. Schmitt 1993: 71); denn sie wirkt als trans-positiv gültige Bedingung der Möglichkeit des Etwas-Versprechens, des Verträge-Schließens. Man kann sie nicht per Kontrakt in Kraft setzen, weil sie dazu schon in Kraft sein muß. Auch wenn man versucht, sie im Vertrag qua Vertrag einzuschränken, kann man sie nicht außer Kraft setzen. Die Formel eines solchen Kontraktes lautete nämlich: S1 und S2 versprechen einander, in Zukunft H erfolgen zu lassen, es sei denn, eine der beiden Parteien kündigt den Vertrag innerhalb einer Frist von x Zeiteinheiten.

2. Exkurs: pacta sunt servanda

131

Der nach diesem Vertrag mögliche Bruch des Kontraktes muß nach gewissen Regeln erfolgen, die der Vertrag benennt. Diese sind durch die pacta sunt servanda-Formel gesichert. Ein Vertragsbruch hat also regelkonform zu erfolgen, i.e. so, daß die pacta sunt servanda-Formel beachtet wird. Damit ist er aber gar kein Vertragsbruch mehr, er ist die im Vertrag vorgesehene Verwirklichung der Möglichkeit, den Vertrag zu kündigen (vgl. Spinoza 1994: 48 / 49). Die Überlegungen zeigen, daß David Hume sich irrt, wenn er annimmt, die Verpflichtung, Versprechen zu halten, sei Resultat eines reinen Utilitätskalküls, einer Überlegung, welche unsere natürliche Selbstbezüglichkeit zurückdränge, mithin Leistung eines Prozesses der Zivilisierung (1987: 480). Vielmehr ist die pacta sunt servanda-Formel unhintergehbar, sie kann weder gewohnheitsrechtlich noch vertraglich begründet werden, da sie aller Gewohnheit und jedem Kontrakt vorausliegt. Erst recht ist sie kein Resultat eines kontingenten historischen Prozesses. Man muß sie vielmehr das Apriori jeden Kontraktes, i.e. jeden Versprechens, nennen, was natürlich nicht heißt, daß sie sich stets als wirksam erweist. Freilich entfaltet sie auch dann noch ihre Kraft wenn eine Partei sie ignoriert; denn nun dient sie dazu, dem Vertragsbrüchigen entsprechende Vorhaltungen zu machen. Dieses Ergebnis des zweiten Exkurses erlaubt es, die âFrage aus der Einleitung nun mehr nicht nur negativ zu beantworten. Die â-Frage lautete: (â) Ist der gängige Völkerrechtspositivismus haltbar, ist nicht vielmehr angesichts gewisser trans-positiver Elemente, ohne welche der Positivismus in kaum überwindliche Schwierigkeiten gerät, eine nicht-positivistische Auffassung vorzuziehen und wie hätte diese auszusehen? Die trans-positiven Elemente, von denen in der â-Frage die Rede ist, lassen sich nun benennen: es handelt sich um die pacta sunt servanda-Formel und die jedem Vertrag zudem noch vorausliegende Annahme, die Partner seien frei und gleich. Machte man diese Annahme nicht, dann käme kein

132

III. Applikationen

Vertrag zustande; schlüge man bereits beim Abschluß des Kontraktes die pacta sunt servanda-Formel in den Wind, wäre die gesamte Absprache sinnlos. Für das Völkerrecht heißt dies: Staatengleichheit und Souveränität sind seine unmittelbaren trans-positiven Prämissen. Verbindet man dieses Resultat mit dem im vierten Kapitel referierten Vorschlag Gustav Radbruchs (1999: 184 f.), die Staatensouveränität als Völkerrechtsunmittelbarkeit zu fassen, dann ergibt sich: Dem Begriff des Völkerrechts ist eine Konzeption seiner Subjekte dergestalt eingeschrieben, daß es sie immer schon als völkerrechtsunmittelbar, i.e. als souverän und gleichberechtigt konzeptualisiert. Aus beiden Prämissen fließt notwendig das im ersten Exkurs entwickelte Interventionsverbot. Obendrein ergibt sich, daß nicht-staatliche Entitäten, z. B. natürliche Personen bzw. internationale Organisationen, nicht im gleichen Sinne Völkerrechtsubjekte sein können, wie Staaten dies zu attestieren ist. Est quidem vera lex recta ratio naturae congruens, diffusa in omnes, constans, sempiterna, quae vocet ad officium iubendo, vetando a fraude deterreat . . . – Das wahre Gesetz ist die mit der Natur übereinstimmende richtige Vernunft, welche sich bei allen Menschen findet, unveränderlich und ewig ist, welche befehlend zur Pflicht ruft, verbietend von Betrug abhält. (Cicero, re pub. III, 22, 33).

9. Starkes trans-positives Völkerrecht

Uns ist das Recht – wie Niklas Luhmann treffend festgestellt hat (1969: 10) – kontingent geworden, eine stets veränderbare und damit in das Belieben der mit seiner Produktion befaßten Personen gestellte Materie. Für die Gesetze eines Landes mag dies so lange als wenig problematisch empfunden werden, wie man es mit demokratisch-rechtsstaatlichen Verhältnissen zu tun hat, unter denen gewöhnlich niemand drangsaliert wird.

9. Starkes trans-positives Völkerrecht

133

Anders liegen die Dinge im Felde des internationalen Rechts. Hier können gewiß nicht alle – bei genauer Betrachtung erschreckend wenige – Akteure dem Anspruch genügen, ihre Macht und damit letztlich auch ihre internationale Stellung demokratisch legitimierten Prozeduren zu verdanken. Man ahnt, was dies für die Qualität eines als kontingent betrachteten Völkerrechts bedeuten könnte. Wenn – wie Luhmann sagt (1969: 11) – Demokratie eine mit der Positivierung des Rechts zwangsläufig gewordene Steuerungstechnik ist, demokratisch legitimierte Völkerrechtssubjekte aber deutlich in der Minderheit sind, dann wird man geneigt sein, einem durch starkes Naturrecht absicherten Völkerrecht offenen Geistes zu begegnen. Scheint es doch die Gewißheit unwandelbarer Geltung und damit eine Sicherheit zu bieten, die allem NichtKontingenten innewohnt. Dennoch findet sich ein Völkerrecht, das auf der Grundlage einer starken Naturrechtsauffassung konzipiert ist, nicht in der zeitgenössischen Rechtsphilosophie. Es ist so weit aus der Mode gekommen, daß man schon ins 18. / 19. Jahrhundert zurückgehen muß (vgl. Denzer 2004: 65), wenn man nach einem ausgearbeiteten und in seinem Ansatz kontemporär allenthalben akzeptierten Beispiel sucht. Hier bieten sich die Elementa iuris naturae von J. St. Pütter und G. Achenwall an, ein Werk, das auch Kant bei der Vorbereitung seiner rechtsphilosophischen Vorlesungen verwendet hat. Ich orientiere mich in den folgenden Darlegungen an diesen beiden Autoren und greife nur dann auf Material aus dem 19. Jahrhundert zurück, wenn sich hier zusätzliche Gesichtspunkte finden. Für Achenwall und Pütter gilt: Ein Staat, dessen Oberhaupt keiner weiteren menschlichen Obrigkeit mehr untersteht, heißt frei (Ein 298). Wenn man einen solchen Staat nun wie eine Person auffaßt, dann erhält er den Namen gens. Alle diejenigen, welche außerhalb dieses Verbandes stehen, nehmen ihn als persona mystica, i.e. als eine juristische Person, wahr. Dies gilt sowohl für einzelne Menschen wie auch für andere staatliche Gebilde.

134

III. Applikationen

Das Recht, welches sich auf solche Quasi-Subjekte, die man im 18. Jahrhundert auch moralische Personen nennt, bezieht, ist demnach das ius gentium, i.e. die Gesamtheit der Vorschriften, welche das Handeln der gentes steuern und damit auch ihr Verhältnis zueinander bestimmen sollen. Diese Vorschriften haben entweder universellen Charakter, dann lassen sie sich aus dem Naturrecht herleiten; oder sie stellen lediglich positives Gewohnheitsrecht dar. Dann beruhen sie auf der zwischen den gentes üblichen Praxis. Achenwall und Pütter entwickeln lediglich das transpositive, i.e. das universelle Völkerrecht, welches sie als unveränderlich, ewig und unaufhebbar ansehen. Diese Angaben verdeutlichen, daß man das starke Naturrecht vor Augen hat. Um dieses ius gentium universale näher zu kennzeichnen, ist es zunächst nötig, den Kontext zu bestimmen, in dem seine Subjekte interagieren. Die gentes des ius gentium universale sind frei wie die Menschen im Naturzustand, da ihnen ja per definitionem der Oberherr fehlt. Oberherren sind ihre Herrscher vielmehr selber. Als solche repräsentieren sie diejenigen, welche sie regieren, nach außen. In der Person des Staatsoberhauptes findet das Quasi-Subjekt, als das sich ein Staat in der Außenbetrachtung darstellt, seinen vollkommenen Ausdruck. Was das Staatsoberhaupt sagt, tut oder unterläßt, ist unmittelbare Willensäußerung des Staates, dem es nicht nur vorsteht, sondern der es im Außenverhältnis unmittelbar ist. Daher treten in den Worten und Taten der Staatslenker einander ganze Völker wie einzelne Personen gegenüber. Aus den bisherigen Bestimmungen folgt freilich nicht, daß den im Namen ihrer gentes Agierenden nichts ge- oder verboten wäre; denn der Mensch des Naturzustandes, den Achenwall und Pütter skizzieren, unterliegt – ganz wie das Lockesche Individuum – naturrechtlichen Vorschriften. Diese gelten mit gewissen Abwandlungen auch für politische Quasi-Subjekte. Völkerrecht und Naturrecht des Individuums unterscheiden sich, wo sie differieren, nicht wie Art und Gattung,

9. Starkes trans-positives Völkerrecht

135

sondern wie Art und Art, i.e. das Völkerrecht ist kein Spezialfall des auf Individuen bezogenen Naturrechts und auch nicht vice versa, sondern es ist das auf Staaten angewandte Naturrecht, das sich, weil Staaten eben nur Quasi-Subjekte sind, von dem der Individuen unterscheidet. Damit sind nicht nur Individuen, sondern auch Staaten naturrechtlich unmittelbar gebunden. Sie werden zu Akteuren – gleichsam aus eigenem trans-positivem Recht. Die oberste Regel, die Achenwall und Pütter für politische Quasi-Subjekte formulieren, lautet: Ein Staat störe andere Staaten nicht in ihrem Bemühen um Selbsterhaltung, oder: ein Staat gewähre einem jeden anderen das, was ihm zukommt (Ein 300). Sollte es dennoch zu derartigen Störungen kommen oder sollte ein Staat einem anderen vorenthalten, was ihm zusteht, dann hat das in dieser Weise behandelte Quasi-Subjekt das Recht, sich zur Wehr zu setzen. Mit dieser Angabe wird deutlich, daß Völkerrecht in ein ius pacis und ein ius belli zerfällt. Das erste herrscht solange, wie alle Verbindlichkeiten eingehalten und alle Rechte respektiert sind. Werden sie hingegen verletzt, tritt das ius belli in Kraft. Wie genau die Bemühung eines Staates um seine Selbsterhaltung gestört werden kann, verdeutlichen Achenwall und Pütter, indem sie das bekannte Verbot, sich in die inneren Angelegenheiten eines anderen Staates einzumischen, herleiten, so: Ein Volk (gens) hat ein Recht auf diejenigen Institutionen, welche es sich im Gesellschaftsvertrag gibt. Eine fremde Macht, welche darauf sinnt, die hier beschlossene Regierungsform zu ändern, etwa dadurch, daß man das Staatsoberhaupt entthront, bricht daher das Völkerrecht. Dafür, daß in einem solchen Falle das ius belli in Kraft tritt, läßt sich auch noch ein zweiter Grund anführen, i.e. das völkerrechtliche Gleichheitspostulat: Da die politischen QuasiSubjekte wie Menschen im Naturzustand zu betrachten sind, ist es nicht möglich, sie einander über- bzw. unterzuordnen. Mithin sind sie alle gleich; keiner genießt Vorrechte, keiner ist unterprivilegiert. Daher darf sich auch niemand die Herrschaft

136

III. Applikationen

über eines der anderen Völkerrechtssubjekte anmaßen. Aus dem gewählten Ansatz resultiert also nicht nur die Freiheit, sondern auch die Gleichheit der politischen Quasi-Subjekte. Damit sind die im zweiten Exkurs hergeleiteten Interaktionsbedingungen von Völkerrechtssubjekten unter den Prämissen eines starken Naturrechts formuliert – die Notwendigkeit der Anerkennung ihrer Gleichwertigkeit, ihrer Souveränität, woraus das Interventionsverbot resultiert. Allerdings wissen auch schon Achenwall und Pütter, daß solche Bestimmungen wenig wert sind, wenn keine richterliche Gewalt ihnen Respekt verschafft. Diese aber gibt es – aufgrund der Definition des Staates als eines freien politischen Quasi-Subjektes – nicht: Staaten kennen kein Gesetz, das ein Herrscher erlassen hätte, keine Rechtsprechung, keinen Gerichtshof, kein richterliches Urteil, keine Bestrafung (Ein 306). Ja, sollte sich ein Staat daran machen, einen anderen für irgend etwas, das er glaubt, ihm zur Last legen zu müssen, zu bestrafen, so wäre ein solches bellum punitivum ein eindeutiger Völkerrechtsbruch. Staaten, die andere Staaten zu bestrafen trachten, setzten sich in genau dem Augenblick ins Unrecht, in welchem sie diese Absicht äußern, denn unter Gleichen fehlt jede Voraussetzung dafür, daß der eine den anderen zur Rechenschaft ziehen könnte. Die Unmöglichkeit eines bellum punitivum kann man auch noch anders begründet. Sir Robert Phillimore, Anwalt, Politiker und Rechtsgelehrter im England des 19. Jahrhunderts, der wie Achenwall und Pütter eine naturrechtliche Begründung des Völkerrechtes annimmt (Phillimore 1845: v, 55 f.), kritisiert in seinen Commentaries upon International Law (1845: 50) Grotius (1639: 162 f.) und Vattel, die beide die Möglichkeit eines bellum punitivum zulassen, mit welchem ein staatlicher Übeltäter gebessert und allen anderen ein Bespiel gesetzt werden soll (Vattel 1758 II, 31). Um diese Auffassung zu widerlegen, arbeitet Phillimore mit einem auf den ersten Blick wenig schmeichelhaften Vergleich: Staaten ähneln unmündigen Kindern bzw. Geisteskranken, die

9. Starkes trans-positives Völkerrecht

137

keine natürliche Handlungsfähigkeit besitzen. Sie können daher nur durch Vormünder, welche sie repräsentieren, Rechte wahrnehmen und Pflichten erfüllen. Für irgend etwas bestrafen kann man sie nicht, da sie ja noch unmündig bzw. unzurechnungsfähig sind. Damit erfüllen Kinder und Geisteskranke bis auf eines alle Kriterien eines Staates: Sie können Rechte und Pflichten haben, die durch ihre Vormünder ausgeübt bzw. erfüllt werden; man kann sie nicht bestrafen. Nur eines sind sie im Gegensatz zu Staaten nicht – moral agents, i.e. juristische Personen (vgl. Phillimore 1845: 47). Phillimore führt dann ein vermeintliches Gegenbeispiel aus der römischen Geschichte an: Capua fällt von den Römern ab und stellt sich auf die Seite Hannibals. Nach der Rückeroberung bestrafen die Römer Capua dadurch, daß sie die Stadt mit dem Blut ihrer herausragenden Bürger beflecken und ihr gewisse Privilegien nehmen, welche sie besessen hat. Diese Aktionen sehen wie eine Anwendung des Strafrechts aus, sind aber lediglich politische Maßnahmen, welche der Einschüchterung und der Abschreckung dienen (Phillimore 1845: 51). Denn man kann die Stadt selber, da sie ein moral agent ist, gar nicht fassen; nur ihrer Bürger wird man habhaft. Mit diesen Angaben zeichnet sich das Fundamentalproblem der bisher referierten Überlegungen ab: Eine naturrechtlich verfaßte Korrelation von politischen Quasi-Subjekten impliziert eine Lehre von gerechten und ungerechten Kriegen; dieser kann aber keine Geltung verschafft werden; dazu fehlt zum einen eine internationale Gerichtsbarkeit, die in der Lage wäre, objektiv zu beurteilen, welche der kriegführenden Parteien das Naturrecht auf ihrer Seite hat; zum anderen wäre auch dann, wenn ein solches Tribunal vorhanden wäre und wenn es obendrein objektiv zu urteilen verstünde, kein bellum punitivum möglich, da man eines moral agent nicht habhaft werden kann. Daß auch dann ein Dilemma vorliegt, wenn man Phillimores Einwand außer acht läßt, zeigt die Lehre vom gerechten und ungerechten Feind. Achenwall und Pütter stellen fest: Ist

138

III. Applikationen

ein Volk Opfer einer widerrechtlichen militärischen Aktion, dann steht es einem hostis iniustus (Ein 965) gegenüber. Es selbst ist dann, wenn es sich gegen den Aggressor verteidigt, – auch wenn sein Gegner es nicht wahrhaben oder nicht zugestehen will – ein hostis iustus (Ein 958). Ein gerechter Feind kann seinem Gegner, der ja per definitionem ein hostis iniustus ist, alles antun, was zur Erlangung vollständiger Sicherheit taugt – jeder heimliche und offene Zwang ist erlaubt. Der Krieg darf freilich nur so lange geführt werden, wie die Verletzung anhält; geht der Verteidiger darüber hinaus, dann wird er seinerseits zum hostis iniustus. Wer freilich feststellt, wen man zu welchem Zeitpunkt als hostis iustus bzw. iniustus zu bezeichnen hat, muß offen bleiben. Am Ende wird hier der Kriegsausgang eine Entscheidung herbeiführen – der Verlierer wird vom Sieger als ein hostis iniustus bezeichnet werden, sich selber aber wird er alles Recht auf die militärischen Maßnahmen attestieren, die zu seinem Sieg geführt haben. Deshalb sprechen die Römer von Strafe, wenn sie die ersten Familien Capuas umbringen. Wäre es ihnen nicht gelungen, die Stadt zurückzuerobern, dann hätte man in Capua davon gesprochen, daß die Römer bestraft worden seien. Die Reden von Strafe hat im Felde internationaler Politik – unter den gegebenen Umständen –, wie es scheint, in der Tat ausschließlich politischen Charakter. Den referierten Angaben läßt sich daher folgendes entnehmen: Wenn man sich dazu versteht, Staaten als politische Quasi-Subjekte zu betrachten, dann kann man ihnen zwar im naturrechtlichen Sinne gewisse Verhaltensnormen auferlegen, so daß sich gerechte von ungerechten militärischen Maßnahmen unterscheiden lassen; man steht aber vor der Schwierigkeit, daß sich die Beantwortung der Frage nach Recht und Unrecht in dieser Konstruktion nicht vom Ausgang des Krieges trennen läßt. Da keine internationale Rechtsprechung existiert, ist schließlich die Sache derjenigen Partei als gerecht anzusehen, die den Krieg gewinnt. Ob diese freilich auch ein hostis iustus ist, kann als durchaus zweifelhaft gelten. So mag man mit Hannah Arendt (2002: I, 245) feststellen: Auch wenn

9. Starkes trans-positives Völkerrecht

139

nicht das Recht des Stärkeren herrscht, so wird doch der Stärkere recht behalten. Wendet man das Resultat dieser Überlegungen auf die in der Einleitung gestellten drei Fragen an, auf die nach dem Wesen der Völkerrechtssubjekte (á), nach der Haltbarkeit des Völkerrechtspositivismus (â) sowie nach dem Dualismus von internationalem und nationalem Recht (ã), dann zeigt sich schnell, wo die Stärke und wo die Schwäche des starken transpositiven Völkerrechts liegt. Es gelingt ihm recht mühelos, die â-Frage mit einem Hinweis auf die Unhaltbarkeit des Völkerrechtspositivismus zu beantworten. Dabei wären nur die Resultate des achten Kapitels und des zweiten Exkurses anzuführen. Auch der mit der ã-Frage thematisierte Dualismus macht keine Schwierigkeiten; denn beides, nationales wie internationales Recht, fließt aus einem einheitlichen Naturrecht, dem Recht schlechthin. Problematisch hingegen ist eine Antwort auf die á-Frage, die sich auf den Charakter des Völkerrechtssubjektes richtet. Hier ist ein zweiter Blick auf die Bestimmungen nötig, die Pütter und Achenwall liefern. Staaten entstehen aus zwei unterschiedlichen Kontrakten. Der erste Vertrag vereinigt einzelne Familien, i.e. Verwandtschaftsverbände von Naturzustandssubjekten, zu einer Gesellschaft (Ein 210), es handelt sich um ein pactum unionis, welches ein Volk (populus) erzeugt. Dieses Volk unterwirft sich dann in einem zweiten Vertrag einer Person, die sein Herrscher wird; hier liegt also ein pactum subiectionis vor (Ein 210). Voraussetzung für das Zustandekommen dieses zweiten Kontraktes ist es, daß durch den ersten Vertrag ein Quasi-Subjekt erster Stufe geschaffen wird, welches mit der als Herrscher in Aussicht genommenen natürlichen Person den zweiten Vertrag schließen kann. Die Sphäre des Politischen entsteht also nicht – wie bei Hobbes – durch Kontrakt eines jeden mit einem jeden, sondern der künftige Herrscher ist Vertragspartner des Volkes, welches im pactum unionis als Quasi-Subjekt konstituiert worden ist und nun als solches agiert.

140

III. Applikationen

Ist der zweite Vertrag geschlossen, dann hat man ein QuasiSubjekt zweiter Stufe geschaffen, welches so konzipiert ist, daß es allen anderen von seiner Art, i.e. anderen Staaten gegenüber, als ein Analogon der Naturzustandsindividuen auftritt, also frei von jedem Oberherrn nur auf seine Erhaltung bedacht. Die Entstehung von Instanzen, die ihm in den Weg treten könnten, darf es nicht zulassen. Es vermag sich aber auch nicht mit den anderen nach dem Muster der Naturzustandsindividuen zu vereinigen, da es im Gegensatz zu diesen nicht in Verwandtschaftsverbänden existiert – es ist ja nur ein Quasi-Subjekt. Für Pütter und Achenwall ist daher die letzte denkbare Stufe der politischen Entwicklung die Entstehung von Nationalstaaten, die ihr Recht oder das, was sie dafür halten, notfalls kriegerisch zu wahren suchen. Auch Kant kann diese Schwierigkeit nicht wirklich beseitigen. Er schafft zwar eines der Probleme aus dem Wege, indem er die Dopplung des Staatsvertrages aufhebt und auch den Begriff der Familie aus der Konstruktion tilgt. Dies gibt ihm dann die Möglichkeit, die Einzelstaaten ihrerseits wiederum in einem Analogon zu Pütters / Achenwalls pactum unionis zusammenzuführen. Da er aber über diesen Schritt nicht hinausgeht, also keinen Weltstaat erzeugt und dafür auch gute Gründe ins Feld führen kann, wie das 14. Kapitel zeigen wird, bleibt die Schwierigkeit bestehen, daß letztlich die Gewalt, i.e. der Krieg, und nicht das Recht entscheidet, welche Partei in einem internationalen Konflikt obsiegt. Warum alle Versuche, mit einem starken Naturrecht zu operieren, so wenig zufriedenstellen können, läßt sich klarer fassen, wenn die bisher referierten Angaben von ihren Autoren gelöst, also systematisiert werden. Ein Vertreter des starken Naturvölkerrechts nimmt an: Staaten sind freie, i.e. nicht von anderen politischen Entitäten beherrschte Quasi-Subjekte, welche einem materialiter bestimmten Völkerrecht unterstehen, das ihr Verhalten steuern und ihr Verhältnis untereinander bestimmen soll. Dieses ius gentium ist der Spezialfall eines starken, weil unwandelbaren Naturrechts, aus dem auch das nationale Recht fließt.

9. Starkes trans-positives Völkerrecht

141

Nationales wie internationales Recht sind also Fälle einer Applikation des Naturrechts, die sich nur dadurch unterscheiden, daß man es einmal mit natürlichen, einmal mit QuasiSubjekten zu tun hat. Nur deshalb läßt sich dann auch die suum cuique-Regel ins Völkerrecht transportieren, aus welcher unmittelbar das Kriegsvölkerrecht resultiert, welches bei Grotius und Vattel gar das Institut eines bellum punitivum kennt. In welche Verstrickungen ein solcher Ansatz gerät, haben die Ausführungen gezeigt: Quasi-Subjekte kann man nicht bestrafen; auch wenn dies möglich wäre, fehlte ein objektives Tribunal. Doch es sind nicht so sehr diese Probleme, welche das starke Naturrecht heute fragwürdig machen, es ist vielmehr sein ontischer Status. Er erscheint gegenwärtig so suspekt, daß man den im sechsten Kapitel referierten Metaphysikvorwurf erhebt oder zumindest einen entsprechenden ideologiekritischen Verdacht äußert: Woher soll das Naturrecht kommen, wenn nicht von Menschen, die Vorschriften erlassen und sie dadurch absichern, daß sie ihnen ewige Gültigkeit andichten? Um die in diesem Kapitel erörterten Schwächen eines starken Naturrechts zu beseitigen und zugleich dem Verdacht zu begegnen, man habe es hier lediglich mit einer Ideologie zu tun, soll im folgenden versucht werden, die starke naturrechtliche Position abzuschwächen. Dies kann nur dadurch geschehen, daß man alles Materiale aus den entwickelten Angaben tilgt. Tut man dies, dann fallen gewiß die suum cuique-Regel und das neminem laede-Gebot, welches mit ihr verbunden ist. Auch die Idee, daß man Staaten bestrafen könne, wird man aufgeben müssen. Was bleibt, sind die bereits mehrfach benannten formalen Prinzipien des Völkerrechts – allen voran das pacta sunt servanda-Postulat; und aus der Rede von Pakten folgend die Notwendigkeit einer Gleichheits- und Unabhängigkeitsfiktion bezüglich des Status der Vertragspartner, welche wiederum ein Interventionsverbot implizieren. Wenn man überhaupt von Völkerrecht spricht, dann – so wird sich zeigen – sind diese Prinzipien unmittelbar involviert,

142

III. Applikationen

bevor man überhaupt zu materialen Bestimmungen kommen kann; denn sie sind das trans-positive logische Prius einer jeden – durch Verträge zwischen Staaten erfolgenden – inhaltlichen Füllung. Zudem ist ihnen auch unmittelbar zu entnehmen, wer als Völkerrechtssubjekt zu bestimmen ist: staatliche Quasi-Subjekte, die in ihren nicht-kriegerischen Interaktionen einander Gleichheit und Unabhängigkeit unterstellen müssen – ganz in dem Sinne, in welchem Radbruch (1999: 18 f.) sagt, das Völkerrecht sei es, welches die Souveränität von Staaten festlege. Hat man sich auf diese Bestimmungen verständigt, dann ist aus dem starken Naturrecht, das Achenwall und Pütter vorlegen, eine schwache Variante trans-positiven Rechts geworden. Was man nun für wandelbar hält, ist die materiale Seite des Völkerrechts. Bestand haben lediglich die trans-positiven Prämissen, welche der zweite Exkurs entwickelt hat. Zudem ist der ontische Status des Naturrechts geklärt: es stellt lediglich ein logisches Prius dar. Gegen diese ultra-schwache Variante trans-nationalen Rechts hat Rawls mit seinem Buch The Law of the Peoples eine Version gestellt, welche seine für innerstaatliche Verhältnisse entwickelte Gerechtigkeitstheorie, die im siebten Kapitel zur Sprache gekommen ist, auf die trans-nationale Sphäre anwendet. Das folgende zehnte Kapitel wird diesen Versuch zur Sprache bringen, um die ã-Frage der Einleitung einer endgültigen Lösung zuzuführen, nachdem sich am Ende des zweiten Exkursus bereits ergeben hat, daß die â-Frage negativ zu beantworten ist: Der herrschende Völkerrechtspositivismus ist in der Tat unhaltbar. Zu erörtern bleibt, ob es das skizzierte ultra-schwache Naturrecht sein kann, das an seine Stelle tritt, oder ob man nicht mit Rawls weitere Annahmen machen muß.

10. Schwaches trans-positives Völkerrecht

143

„. . . if we . . . look . . . for the mode of association which the expression ,rule of law‘ identifies we may carry with us the perception that it must be a mode of association in which lex (a rule understood in terms of authenticity) and jus (a rule understood in terms of the ,rightness‘ or ,justice‘ of what it prescribes) are both recognized but are not confused.“ (Oakeshott 1999: 148)

10. Schwaches trans-positives Völkerrecht

Der in der Einleitung thematisierte politiktheoretische Gegensatz von Realismus auf der einen und Idealismus bzw. Utopismus auf der anderen Seite hat, seit er in den dreißiger Jahren des letzten Jahrhunderts in Edward H. Carrs Buch The Twenty Years’ Crisis 1919 – 1939 als Opposition formuliert worden ist, die Reflexion auf die internationalen Beziehungen nicht mehr losgelassen. Auch John Rawls läßt sich von ihm leiten, wenn er daran geht, seinen schwachen naturrechtlichen Ansatz nicht nur auf innergesellschaftliche Verhältnisse zu applizieren, sondern ihn auch auf die Beziehungen zwischen Staaten anzuwenden. Dabei ist freilich nicht von Staaten, sondern von Völkern die Rede. Staaten werden für Rawls durch den Jellinekschen Begriff der Souveränität erfaßt (1882: 34), i.e. durch die qua Selbstzuschreibung erworbene Eigenschaft, nur durch den eigenen Willen rechtlich gebunden werden zu können. Rawls spricht von innerer Autonomie und meint damit im wesentlichen das ius ad bellum , welches nach dem Kalkül rationalen Eigeninteresses genutzt wird (Rawls1999: 25). Rationales ist aber von vernünftigem Verhalten zu unterscheiden. Vernünftig ist, wer – zuweilen auch unter Hintanstellung eigener Interessen – die Prinzipien fairer Kooperation akzeptiert. Sie zurückzuweisen ist unvernünftig, aber nicht irrational; denn rational handelt man, wenn man kompromißlos eigene Interessen verfolgt (vgl. 1993: 49 – 55, 300; 2001: 6 f., 81 f.).

144

III. Applikationen

Rawls bereitet mit dieser Begriffsbestimmung die Lösung einer Schwierigkeit vor, welche sich für das starke trans-positive Völkerrecht eines Pütter und Achenwall aus der Antwort auf die á-Frage der Einleitung nach dem Charakter der Völkerrechtssubjekte ergeben hat. Solange man sie, wie das starke Naturrecht es tut, als autonome politische Quasi-Subjekte begreift, die durch ihre Souveränität bestimmt sind, i.e. dadurch daß ihr Wille zugleich für sie letztinstanzliches Gebot ist, wird man skandalöserweise kriegerischen Erfolg als Verdikt hinsichtlich der Rechtlichkeit divergierender Standpunkte akzeptieren müssen. Rawls Ausweg liegt darin, nicht mehr Staaten, sondern Völker als Rechtssubjekte anzusehen, i.e. die Völker gegen ihre Staaten auszuspielen. Er bringt also die im Entwurf von Achenwall und Pütter durch Kant getilgten, aus dem pactum unionis resultierenden Quasi-Subjekte erster Stufe wieder ins Spiel (vgl. Ein 210). Völkern – so meint er – könne man im Gegensatz zu Staaten moralische Motivationen zuschreiben (Rawls 1999: 17), ihr Handeln müsse nicht ausschließlich durch Klugheitsgründe bestimmt sein (1999: 27). Sie werden dann auch in einem idealen Teil der Rawlsschen Theorie als liberale und anständige Völker konzipiert. Seinen Tribut an die politische Wirklichkeit entrichtet Rawls in einem nichtidealen Teil seiner Theorie, wenn er von Schurkenstaaten (outlaw states) spricht und auch Gesellschaften ins Kalkül zieht, die von ungünstigen Bedingungen geplagt werden (societies burdened by unfavorable conditions). Rawls vermeidet den Begriff realistisch für den zweiten Teil seiner Theorie, da er ihn auf eigenwillige Weise mit dem der Utopie koppeln will, um dann der politischen Philosophie die Aufgabe zuweisen zu können, sie habe realistisch-utopisch zu sein, i.e. die Grenzen dessen auszudehnen, was man gemeinhin für praktisch-politisch möglich halte (vgl. Rawls 1999: 6). Daß er damit allerdings für die Realisten in das Lager des Idealismus gehört, dürfte evident sein; philosophisch ist eine solche Kennzeichnung freilich so lange ohne größere Bedeutung, wie nicht der Argumentationsgang ge-

10. Schwaches trans-positives Völkerrecht

145

prüft ist, mit dem die in Frage stehende Auffassung vorgetragen wird. Ausgangspunkt ist für Rawls seit seinem Buch Political Liberalism der Begriff des vernünftigen Pluralismus, i.e. die Vielzahl vernünftiger umfassender Lehren, die man innerhalb eines freien Gemeinwesens antrifft und welche sich nur um den Preis der Unterdrückung reduzieren lassen. Eine umfassende Lehre ist eine solche verhaltenssteuernde Doktrin, die Vorstellungen davon enthält, was im menschlichen Leben wertvoll ist, was man unter Tugend zu verstehen hat etc. (vgl. 1993: 175). Weil es keine von allen Bürgern geteilte umfassende Lehre gibt, kann eine wohlgeordnete Gesellschaft nicht moralisch, sie muß politisch begründet werden (1993: xvi, 36 ff.). Analog ist die Situation bezüglich der Gesellschaft der Völker. Auch hier findet sich eine Vielzahl der Kulturen, Religionen, geistigen Traditionen. Wie die Einrichtung einer Gesellschaft für unterschiedlich orientierte Bürger akzeptabel sein muß, so hat das Recht der Völker die Differenzen derart zu respektieren, daß es weitreichende Anerkennung findet. Bestünde die Welt nur aus liberalen Völkern, so wäre diese Aufgabe leicht zu lösen; denn hier sind folgende drei Bedingungen erfüllt: Institutionell ist eine demokratische Regierung gewährleistet, die im Rahmen einer an den Interessen der Bürger orientierten Verfassung operiert. Kulturell begegnen die Bürger einander mit Sympathie, worauf auch immer dieses Zusammengehörigkeitsgefühl beruhen mag – etwa auf gemeinsamer Sprache, Kultur, Geschichte. In moralischer Hinsicht schließlich haben die Bürger eine feste Bindung an eine Konzeption des Rechten und der Gerechtigkeit (Rawls 1999: 23). Die so gekennzeichneten liberalen Völker haben kein Interesse daran, das eigene Territorium auszudehnen, sich fremde Ressourcen anzueignen, andere Gesellschaften zu ihrer Weltansicht zu bekehren, gar Eroberungen um der Ehre willen zu machen. Sie wollen lediglich ihr Staatsgebiet geschützt, ihre

146

III. Applikationen

politischen Institutionen, ihre Freiheit, ihre Kultur und Zivilisation gesichert wissen. Sie beschränken ihre Interessen also in dem Maße, wie es das Vernünftige, i.e. die Einsicht in die Notwendigkeit fairer Kooperation mit anderen Völkern, verlangt. Die Bedingungen eines solchen Zusammenwirkens bestimmt man für die Einzelgesellschaft – wie im siebten Kapitel gezeigt – in der original position unter dem Schleier des Nichtwissens. Er ist so dicht, daß die umfassenden Lehren, welche die Menschen ihrem Leben zugrunde legen, nicht wirksam werden können – man weiß nicht, ob man religiös ist und wenn ja, welcher der Religionen man anhängt. Zugleich verhindert die Konstruktion, daß Rationalität zur pathogenen Selbstsucht werden kann. Denn die Dekontextualisierung sorgt dafür, daß Vernünftigkeit und Rationalität koinzidieren. Damit sind die Voraussetzungen dafür geschaffen, daß ein overlapping consensus entsteht – ein Theorem, das sich erst in Rawls zweitem Buch Political Liberalism (1993: xvii, 133 ff.), dann auch in der Letztfassung seiner Gerechtigkeitstheorie in Justice as Fairness (2001: 32 ff.) findet. Gemeint ist hier insofern mehr als ein modus vivendi, als die Menschen gewisse Vorstellungen hinsichtlich des Person-Seins, der Gesellschaftseinrichtung und insbesondere der Gerechtigkeit teilen (vgl. 1993: 147 f.). Aus welchem Grunde sie dies tun, ist unerheblich (2001: 32). Zur Begründung des Rechtes der Völker wird das Urzustandstheorem ein zweites Mal verwendet. Die Parteien sind nun nicht mehr Vertreter von Bürgern, sondern solche von Völkern. Nichtwissen herrscht hier bezüglich der Größe des Territoriums, auf dem ein Volk siedelt, hinsichtlich der Anzahl der Personen, der Stufe der ökonomischen Entwicklung, der Verfügbarkeit natürlicher Ressourcen. Klar ist hingegen, daß man politische Unabhängigkeit wahren, die eigene Kultur schützen, die erworbenen Freiheiten sichern will. Zudem ist man an territorialer Integrität interessiert sowie – ganz allgemein – am Wohlergehen der Mitglieder des Volkes, das man vertritt.

10. Schwaches trans-positives Völkerrecht

147

So bestimmte Völkervertreter werden nun – so Rawls – folgende den Gewohnheiten des faktisch bestehenden internationalen Rechtes entnommene Grundsätze der Gerechtigkeit zwischen Völkern approbieren: Man wird Freiheit und Unabhängigkeit der einzelnen Völkerrechtssubjekte postulieren, ein Mitwirkungsrecht aller an Vereinbarungen, die alle betreffen, den Nichteinmischungsgrundsatz, ein ius ad bellum im Falle der Notwendigkeit, sich zu verteidigen, ein ius in bello, die Achtung der Menschenrechte überhaupt, eine Hilfeverpflichtung für Gesellschaften, die unter schlechten Verhältnissen leiden, und schließlich die Gültigkeit der pacta sunt servandaFormel. Was man gewiß ablehnen werde, seien die utilitaristischen Grundsätze oder das Prinzip des Durchschnittsnutzens; denn verstünde man sich zu solchen Maximen, liefe man Gefahr, die umfassende Lehre, auf die sich ein Volk jeweils im wesentlichen bezieht, zu gefährden. Man werde also auf Gleichheit bestehen und jedes Nutzenkalkül verwerfen. Damit kommt Rawls auch im Felde der trans-nationalen Politik zu einem Resultat, welches er bereits für innerstaatliche Gerechtigkeit präsentiert hat: Der Utilitarismus ist keine brauchbare politische Philosophie, weil er kein Organ für die Rechte von Personen bzw. von Völkern besitzt (vgl. 1973: 22 ff.). Die bisherigen Überlegungen bezogen sich auf liberale Völker. Rawls muß aber – aufgrund des Nichteinmischungsprinzips – in diesem ersten idealen Teil seiner Theorie auch nichtliberale Völker berücksichtigen, sofern sie gewisse Bedingungen erfüllen: Sie können als anständige (decent) Völker betrachtet werden, wenn sie die Menschenrechte beachten und in ihrer inneren Struktur eine Konsultationshierarchie aufweisen (1999: 61). Die zweite Bedingung wird formuliert, weil Rawls davon ausgeht, daß anständige, aber eben nicht-liberale Gesellschaften eine korporatistische Gestalt haben, i.e. in Gruppen gegliedert sind. Jede von ihnen ist innerhalb des Rechtssystems durch Vertreter repräsentiert und in ein hierarchisch gegliedertes Beratungssystem eingepaßt. So ist sichergestellt, daß alle Gruppen gehört werden, daß dabei abwei-

148

III. Applikationen

chende Ansichten nicht nur zur Sprache kommen, sondern auch bei Entscheidungsprozessen beachtet werden. Anständige Gesellschaften haben also keinen patriarchalischen Charakter, der benevolenten Autokratien zukommt, welche zwar die Menschenrechte achten, aber keinerlei Partizipation gewähren. Das System anständiger Völker garantiert den Mitgliedern der verschiedenen Gruppen, aus denen sie bestehen, ein Recht auf Leben, auf Freiheit, auf Eigentum, nicht zuletzt auf Auswanderung. Damit sind wesentliche Menschenrechte verwirklicht. Zugleich sind allen Menschen gewisse von der jeweiligen Gruppenzugehörigkeit abhängige Pflichten auferlegt, die aber von der Bevölkerung anerkannt werden, da man die umfassende Lehre – häufig eine Staatsreligion –, aus der sie resultieren, akzeptiert. Damit wird deutlich, worin sich anständige von liberalen Gesellschaften unterscheiden: Es fehlt ihnen der Pluralismus, welcher eine Vielzahl von Weltansichten nebeneinander bestehen läßt. Dies führt freilich nicht dazu, daß sie in ihrem Inneren nicht andere Religionen zuließen, in ihrem Verhalten fremden Völkern gegenüber nicht tolerant wären, i.e. ihre Ziele nicht mit friedlichen Mitteln verfolgten. Was sie hier von anderen lediglich verlangen, ist Respekt vor ihrer Eigenart. So bestimmte anständige Völker würden – so Rawls – die Prinzipien internationaler Gerechtigkeit, auf welche sich liberale Völker im Urzustand einigten, ebenfalls akzeptieren (1999: 69). Damit wären die Grundsätze des Völkerrechts auch auf nicht-liberale, aber anständige Staaten ausgedehnt. Rawls meint, daß letztere sich im Laufe ihrer Entwicklung liberalisieren würden, wenn man ihnen nur den Respekt garantierte, welchen sie zu recht von liberalen Völkern erwarten können. Aus der Tatsache, daß Menschenrechte Teil des Völkerrechts sind, resultiert, daß liberale und anständige Völker zwar benevolente Autokratien, aber keinesfalls Schurkenstaaten tolerieren dürfen, ja daß ihnen gegenüber das Nicht-Einmischungsprinzip des Völkerrechts nicht zur Anwendung kommt; denn

10. Schwaches trans-positives Völkerrecht

149

die politische Kraft der Menschenrechte erstreckt sich eben auf jede politische Gemeinschaft, auch auf solche, welche sie leugnen (1999: 80). Mit der letzten Bemerkung ist der Übergang von der idealen, den Zielpunkt vorgebenden, zur nicht-idealen, die politische Wirklichkeit berücksichtigende Theorie genommen. Schurkenstaat soll eine solche politische Entität heißen, die einzig aufgrund ihrer rationalen Interessen Krieg führt: zur Steigerung des ökonomischen Wohlstandes, zur Erringung von Ressourcen, zur Machtsteigerung, zur Errichtung eines Weltreiches (1999: 91; auch schon 1973: 379). Treten wohlgeordnete Gesellschaften einem solchen Aggressor in den Weg, dann haben sie sehr klar zwischen der verbrecherischen Führung, den Soldaten und der Bevölkerung zu differenzieren. Macht man solche Unterschiede nicht und richtet man sich wahllos gegen Kombattanten, Nicht-Kombattanten und gegen die Zivilbevölkerung, dann begeht man – wiewohl der Krieg sich gegen einen Schurkenstaat richtet – ein Kriegsverbrechen (1999: 94). Rawls orientiert sich mit diesen Bestimmungen am tradierten ius in bello. Hier findet sich die Unterscheidung von Kombattanten und Nicht-Kombattanten auf der einen und der Zivilbevölkerung auf der anderen Seite. Kombattanten wie Nicht-Kombattanten sind Angehörige der Streitkräfte – letztere stellen Verwaltungs-, seelsorgerisches und medizinisches Personal. Beiden stehen die Zivilisten gegenüber. Man muß obendrein zwischen illegalen und legalen Kombattanten unterscheiden, nur die letzteren fallen unter die Kriegsgefangenenkonvention. Partisanen, Guerilla-Kämpfer sind illegale Kombattanten, sie handeln strafbar, denn sie unterscheiden sich nicht von der Zivilbevölkerung. Terroristen kennt das Kriegsvölkerrecht nicht. Man wird sie als Schwerkriminelle betrachten müssen. Legale Kombattanten zeichnen sich dadurch aus, daß sie einer Kriegspartei zugehören, einem militärischen oder militärähnlichen Oberbefehl unterstehen. Sie führen ihre Waffen offen, tragen bleibende, aus der Ferne er-

150

III. Applikationen

kennbare Abzeichen an ihrer Kleidung, welche sie als Zugehörige einer Kriegspartei erkennbar machen. Sie achten das ius in bello in ihrem Umgang mit der Zivilbevölkerung: Kampfhandlungen dürfen nur gegen Kombattanten erfolgen, verbotene Kampfmittel dürfen nicht eingesetzt werden. Verboten sind solche Kampfmittel, die sich nicht so verwenden lassen, daß die Zivilbevölkerung geschont wird – z. B. Flächenbombardements, Massenvernichtungsmittel. Rawls erwähnt ausdrücklich die Atombombenabwürfe des Zweiten Weltkriegs (1999: 94, 99), die Bombardierung Dresdens (1999: 98). Im Gegensatz zu Schurkenstaaten sind die burdened societies nicht-aggressiv, aber auch nicht wohlgeordnet. Dazu fehlt es ihnen an politischen und kulturellen Traditionen, an gut ausgebildeten Menschen, an Wissen, an materiellen und technischen Ressourcen (1999: 106). Es gilt, diese Gesellschaften zu unterstützen; hier ist aber keine Angleichung an die ökonomischen Verhältnisse liberaler Staat intendiert, denn Reichtum und wohlgeordnete Verhältnisse stehen für Rawls in keinem direkten Abhängigkeitsverhältnis. Vielmehr gilt es, darauf zu drängen, daß die Menschen-, insbesondere auch die Rechte der Frauen geachtet werden, um den Bevölkerungsdruck zu mildern. Das Ziel der Unterstützung belasteter Gesellschaften besteht darin, sie in die Lage zu versetzen, ihre eigenen Angelegenheiten vernünftig zu regeln und so einmal in den Kreis der wohlgeordneten Völker zu gelangen. Ist dieses Ziel erreicht, ist weitere Hilfe nicht nötig, auch wenn das Wohlstandsgefälle immer noch beträchtlich sein sollte. Ausschlaggebend ist einzig die Projektion einer nur noch von liberalen Völkern besiedelten Welt. Damit sind die wesentlichen Elemente der von Rawls zur Vervollständigung seiner Theorie der Gerechtigkeit auf die internationale Sphäre ausgedehnten Überlegungen referiert. Betrachtet man die Lösungen, welche er für die drei in der Einleitung aufgeworfenen Probleme anbietet, dann zeigt sich bezüglich der â-Frage: Der Völkerrechtspositivismus wird in

10. Schwaches trans-positives Völkerrecht

151

Rawls Konstruktion insofern überschritten, als die Parteien in der original position die als trans-positiv erwiesenen Postulate der Gleichheit und Unabhängigkeit der Völkerrechtssubjekte sowie das ihrer Reziprozität, das Interventionsverbot, schließlich auch die pacta-sunt-servanda-Formel als Grundsätze des Völkerrechts bestätigen. Bezüglich der ã-Frage muß festgestellt werden: Den Dualismus von nationalem und internationalem Recht hebt Rawls mühelos auf, indem er jede Form von Recht auf die gleiche Weise erzeugt, durch die Anwendung der Dekontextualisierungsprozedur des Urzustandes. Hier erntet er den Gewinn, den jede Form von Naturrecht verspricht – die Einheitlichkeit des Rechtsbegriffes ist gewahrt, da nur eine Rechtsquelle ausschlaggebend ist, die Vernunft – hier die dekontextualisierte und darum vernünftig gemachte Rationalität. Problematischer ist die Antwort, die Rawls auf die á-Frage liefert: Indem er Völker gegen Staaten ausspielt, bestimmt er das Völkerrechtssubjekt auf eine Weise, die es ihm ermöglicht, zwischen ge- und mißlungenen Formen von Staat und Staatlichkeit zu unterscheiden. Der in der Einleitung beklagte Opportunismus, welcher das Effektivitäts- an die Stelle des Legalitätsprinzips setzt, tritt hier nicht mehr auf. Allerdings ist dafür der Preis einer Wiederbelebung der bellum iustumLehre zu entrichten. Denn wenn einerseits die Menschenrechte zum Bestand des Völkerrechts gehören, andererseits aber gewisse Staaten sich gerade dadurch auszeichnen, sie durch Mißbrauch ihrer inneren Autonomie der eigenen Bevölkerung gegenüber und in Aggression gegen ihre Nachbarn zu mißachten, dann ist schon mit dem ersten, aber erst recht mit dem zweiten Fall ein casus belli gegeben, den die im Rawlsschen Sinne wohlgeordneten Gesellschaften nicht ignorieren dürfen. Ihnen erwächst hier – ganz im Gegensatz zur klassischen bellum iustum-Lehre nicht etwa nur ein Recht zum Kriege, sondern die Pflicht einer Art Strafverfolgungsbehörde, gegen einen Übeltäter vorzugehen. Tun sie es nicht, werden sie zu Komplizen. Denn angesichts eines hostis iniustus kann kein anständiges, erst recht kein im Rawlsschen Sinne liberales

152

III. Applikationen

Volk neutral bleiben. Daß man Staaten nicht bestrafen kann, wie Phillimore gezeigt hat (1845: 47), kommt bei diesem Ansatz nicht in den Blick. Rawls Überlegungen könnten nicht nur das Kriegsrisiko dadurch erhöhen, daß letztlich jede Menschenrechtsverletzungen im Inneren eines Landes durch militärische Intervention beantwortet werden müßten, sie wären vielleicht auch dazu angetan, das, was man die Hegung des Krieges (vgl. Schmitt 1997: 114, 159) genannt hat, ganz gegen die Intention fragwürdig zu machen, da sich, wenn ein Staatsmann sein Volk zu einem solchen Krieg motivieren muß, leicht eine Kreuzzugsmentalität einstellen könnte, die dann dazu führen mag, das von Rawls postulierte ius in bello, das die Integrität der Interventionisten wahren soll, weniger stark zu beachten, als dies nicht nur wünschenswert, sondern in der Tat nötig wäre, wenn eine Einmischung überhaupt gerechtfertigt werden soll. Der letzte Gesichtspunkt läßt sich noch einmal – nun im Rückgriff auf Argumentationsmuster des politischen Realisten überbieten. Kronzeuge sei Hans Morgenthau, der das Verhältnis von Moral und Interesse dreifach bestimmt: (1) Die Moral begrenzt die Interessen, welche die Macht verfolgt, und die Mittel, welche sie verwenden kann – anschaulich in den Regeln des ius in bello. (2) Die Moral billigt gewisse Ziele ausdrücklich, welche dadurch einen positiven Wert erhalten. Sie werden damit Teil der Interessen, welche die Macht verfolgt – bei Rawls: die Menschenrechte. (3) Die Moral dient den Interessen und der Macht als ideologische Rechtfertigung – im Namen der Menschenrechte werden Aggressionen gegen fremde Staaten gebilligt. Innerhalb eines Staates werden so gewisse Machtinteressen verpönt, ja das Faktum, daß überhaupt Machtinteressen am Werke sind, wird kaschiert. Im zwischenstaatlichen Verhältnis ist die einzelne Nation der oberste moralische Wert – sie ist geneigt, sich mit der Moral überhaupt zu identifizieren. Daher

10. Schwaches trans-positives Völkerrecht

153

spielt die Moral in der Außenpolitik im wesentlichen eine ideologische Rolle. Die partikularen Interessen einer Nation werden als die universellen Werte ausgegeben (Morgenthau 1962: 59 f.). Diese hat der Rawlssche Schurkenstaat in den Wind geschlagen und eben darum muß er bekämpft werden. In den Augen George Kennans bedeutet dies einen totalen Krieg, weil man dem Bösen gegenüber eben nicht nachsichtig sein könne, sondern es vernichten müsse (1952: 100 f., ähnlich Aron 1986: 675; Schmitt 1997: 92). Inwiefern bei solchem Auftrag wirkungsvoll zwischen verbrecherischer Regierung, zwangsrekrutiertem Soldaten, aber freiwillig dienendem Offizier unterschieden werden kann, bleibt äußerst fragwürdig. Einer solchen Argumentation wird man nicht mit dem Hinweis begegnen können, im Felde internationaler Politik führe man eben eine moralische Sprache, der Realist habe dies hinzunehmen (vgl. Brown 1992: 26). Vielmehr wird es für die Darstellung unabdingbar, eine Auseinandersetzung mit der Behauptung des Realisten zu führen, jede, auch die von Rawls erlaubte, Intervention sei Ausdruck von – in Rawls’ Vokabular – Staatenrationalität, nicht Völkervernunft; denn es gehe immer nur um Macht, auch wenn man Menschenrechte und Völkerfreiheit im Munde führe. Das folgende Kapitel wird daher diesen realistischen Schlüsselterminus zu untersuchen haben. Festzuhalten bleibt freilich zunächst, daß die Überprüfung der Rawlsschen Theorie des Völkerrechts in der Tat ergeben hat, daß hier eine zu starke Variante des schwachen trans-positiven internationalen Rechts vorgeschlagen wird. Deutlich wird dies an der gewiß nicht haltbaren Interventionsverpflichtung, deren Schwäche sich bereits im ersten Exkurs zu den Menschenrechten gezeigt hat.

„E gli uomini, in universali, indicano piú agli occhi che alle mani; perché tocca a vedere a ognuno, a sentire a pochi.“ (Machiavelli 1986: 138)

IV. Konsequenzen 11. Macht, Gewalt und Recht

Daß Macht ein sowohl innen- wie auch außenpolitisch bedeutsamer Begriff ist, steht außer Frage, was man unter diesem Terminus zu verstehen hat, hingegen nicht. Deutlich wird dies an der berühmten Definition Max Webers, Macht sei der Name für die Möglichkeit, innerhalb eines vorgegebenen Interaktionszusammenhangs seinen Willen – mit welchen Mitteln auch immer – gegen Widerstände durchzusetzen (Weber 1976: 28). Was den politiktheoretisch interessierten Leser von Wirtschaft und Gesellschaft unzufrieden zurückläßt, ist die Tatsache, daß er keine Auskunft erhält, wie genau Macht zu berechnen wäre. Ist hier Geld zu zählen, Körperkraft zu bestimmen oder die Verfügungsgewalt über Bodenschätze? Sind hier Ausbildung und Bewaffnung von Soldaten ausschlaggebend oder ist es die Größe der Bevölkerung eines Landes? Max Weber schweigt sich bezüglich dieser Fragen aus. Daß er es tut, hat einen guten Grund – freilich einen, der ihm gewiß nicht vor Augen gestanden hat. Es ist nämlich der meinungshafte Charakter der Macht, der es verhindert, daß man sie quantitativ bestimmen kann. Mit dieser These wird das bekannte Diktum Pascals verkehrt. Ungültig ist: „C’est la force qui fait l’opinion“ (Pascal 1976: 138), zutreffend hingegen: Es ist die Meinung, welche Macht verleiht. Weber deutet dies mit der Rede von einer Chance vage an, ohne daß man freilich eine genauere Bestimmung erhält. Auch Russell hat den meinungshaften Charakter

11. Macht, Gewalt und Recht

155

der Macht wahrgenommen, will ihn aber im wesentlichen auf die Sphäre des Ökonomischen beschränkt wissen: Wenn die Mitbürger der Meinung sind, daß man das Privateigentum respektieren müsse, dann hat man als jemand, der etwas besitzt, ökonomische Macht; diese geht verloren, wenn sich der Respekt vor den Besitzverhältnissen verliert (Russell 2005: 99). Eine große Schwäche der Analyse Russels besteht freilich darin, Macht und Gewalt ineins zu setzen, wenn er Gewalt als eine Spielart der Macht auffaßt und sie nackte Macht nennt (2005: 46). In den folgenden Überlegungen soll der Begriff der Macht zunächst einer Analyse unterzogen werden. Als Ausgangspunkt dient dabei der Satz: X hat die Macht, den Sachverhalt S auftreten zu lassen, bzw. das Auftreten von S zu verhindern. Zu analysieren ist, wer oder was die Stelle X besetzen kann und welche Bedingungen ontologischer Art erfüllt sein müssen, damit die Rede vom Auftretenlassen bzw. Verhindern von Sachverhalten sinnvoll ist. Der Begriff der Ontologie ist hier – wie sich zeigen wird – so zu verstehen, daß er eine Einschätzung dessen bezeichnet, was als nicht-möglich, möglich bzw. wirklich gilt. Man könnte von einer Alltags-Ontologie sprechen, mit der wir alle – weit entfernt von explizit philosophischen Betrachtungen – unsere Welt und mögliche andere Welten konzeptualisieren. Im Sinne einer solchen Alltags-Ontologie verstehen sich die folgenden Überlegungen zum Begriff des Sachverhaltes, auch wenn philosophisches Vokabular verwendet wird. Unter einem Sachverhalt S soll eine Konfiguration von belebten und unbelebten Entitäten an einer oder an mehreren Raum- / Zeitstellen verstanden werden. So kann man z. B. davon sprechen, daß Sx vorliege, wenn zum Ausdruck gebracht werden soll, daß zum Zeitpunkt tx am Orte Ox die Person Px mit Hilfe der Gerätschaft G die Handlung H1 ausführt. Sx und G sind hier an der bezeichneten Raum- / Zeitstelle so korreliert, daß H1 resultieren kann.

156

IV. Konsequenzen

Wenn die Rede davon ist, daß es möglich sein soll, Sachverhalte auftreten zu lassen, dann muß angenommen werden, daß der wirklichen Welt, verstanden als Gesamtheit der bestehenden Sachverhalte, mögliche Welten gegenüberstehen, in denen die Totalität der Sachverhalte anders beschaffen ist als in der wirklichen Welt. So läge genau dann eine der möglichen Welten als wirkliche Welt vor, wenn zum Zeitpunkt tx am Orte Ox die Person Px mit Hilfe der Gerätschaft G1 nicht die Handlung H1 , sondern mit Hilfe der Gerätschaft G2 eine 0 Variante von H1 , nämlich H1 ausführte. Als Beispiel kann die Art und Weise dienen, auf die ein Friseur dafür sorgt, daß die Haare seines Kunden gekürzt werden – er mag hierfür aus prinzipiellen Gründen immer nur mit Schere und Kamm arbeiten (H1 ). Änderte er seine Grundsätze und griffe er zu 0 einer Haarschneidemaschine, wodurch sich H1 in H1 verwandelte, dann ließe er eine bisher nicht realisierte mögliche Welt wirklich werden, in der unserer Barbier als ein Benutzer von Haarschneidemaschinen vorkommt. Die jeweils wirkliche Welt enthält also eine gewisse Anzahl von Sachverhalten nicht, welche, wenn sie verwirklicht werden, eine der möglichen Welten realisieren. Freilich kann nicht jeder Sachverhalt der wirklichen Welt durch einen anderen Sachverhalt ersetzt werden. Das Feld des Möglichen ist nämlich begrenzt durch das, was nicht möglich ist und daher auch niemals wirklich werden kann. Was aber niemals möglich ist, läßt sich nicht präzise bestimmen, es läßt sich nur einschätzen. Hinzu kommt das Faktum, daß unsere Vorstellungen vom Möglichen und Unmöglichen wandelbar sind. Dies ändert freilich nichts an der Tatsache, daß die Alltags-Ontologie, mit der wir leben, stets die Kategorien des Verwirklichten, des Realisierbaren und des Unmöglichen enthält. Alles, was sich uns als ein Seiendes darstellt, ist das Verwirklichte. Alles, was wir für möglich halten, ist das für möglich Erachtete; alles schließlich, was uns unmöglich erscheint, gilt uns als Produkt der Phantasie. Man kann daher zusammenfassend feststellen: Wir betrachten die Welt so, daß wir annehmen, die Gesamtheit der be-

11. Macht, Gewalt und Recht

157

stehenden Sachverhalte bilde die Wirklichkeit, die nicht verwirklichten, aber als möglich erachteten Sachverhalte gelten als das Baumaterial möglicher Welten. Das, was hingegen unmöglich erscheint, betrachten wir gar nicht als Sachverhalt. Von den möglichen Welten, die wir ins Kalkül ziehen, ist zudem noch zu sagen: Wir werden nur einen Teil der in ihnen bestehenden Sachverhalte unserer Urheberschaft zuschreiben; einen anderen dürften wir auf die Einwirkung nicht-menschlicher Erzeuger zurückführen – auch wenn es nicht immer einfach ist, hier stets eine deutliche Trennung durchzuführen, weil wir zuweilen einen Sachverhalt hervorrufen, ohne uns, während wir dies tun, dieser Tatsache bewußt zu sein – die Untersuchung mancher Umweltkatastrophe hat dies gelehrt. Doch ändert dies nichts daran, daß wir einen Unterschied zwischen höherer Gewalt und menschlicher Einwirkung machen. Man könnte diese Differenz auch so ausdrücken, daß man sagt: Nicht alles, was geschieht, kann einem Subjekt zugerechnet werden. Für den Begriff der Macht haben die bisherigen Überlegungen folgendes erbracht: Wenn man davon spricht, daß Sachverhalte hervorgerufen bzw. verhindert werden, dann sind nicht-wirkliche, aber als möglich erachtete Sachverhalte gemeint. Zudem hat man, wenn man so formuliert, immer etwas im Sinn, das auf menschliche Urheberschaft zurückgeführt werden kann. Macht in diesem Sinne meint die einem X attestierte Fähigkeit, in Gestaltung der Zukunft eine der möglichen Welten in Akten zu verwirklichen, die ihm zugerechnet werden können. Diese Bestimmung verweist auf das oft beobachtete Faktum, daß jede Rede von Macht gleichsam im Futur erfolgt, im Präsens oder im Präteritum ist sie nicht sinnvoll. Denn die gegenwärtigen und die vergangenen Konstellationen von Sachverhalten entziehen sich jeder Macht. Es mag zwar möglich sein, das Bild, welches man sich von Vergangenem macht, im Sinne des Orwellschen Ministry of Truth zu manipulieren. Aber Winston Smith, der Protagonist von 1984, ändert auf

158

IV. Konsequenzen

diese Weise nicht zurückliegende Sachverhalte, er ist lediglich damit beschäftigt, ihre retrospektive Wahrnehmung zu verzerren. Dabei bleibt er darauf angewiesen, klar zwischen den zurückliegenden, irrevokablen Sachverhalten und ihrer Interpretation unterscheiden zu können; denn dies ist ja die Voraussetzung für die von ihm vorzunehmende Anpassung. Der Fälscher muß das Original kennen, wenn er seine Falsifikate herstellen soll. Diese bestehen darin, zurückliegende Sachverhalte falsch abzubilden, um auf diese Weise das noch in der Zukunft liegende Bild, welches man sich von ihnen macht, zu manipulieren. Die Rede von Macht erfolgt also futurisch. Sie meint: Einem X wird attestiert, einen möglichen, mithin in der Zukunft liegenden Sachverhalt realisieren zu können. Für alle Macht ist daher die jeweilige Einschätzung derjenigen ausschlaggebend, die sie einem Menschen zubilligen. Es ist dieser meinungshafte Charakter der Macht, der Webers Rede von einer Chance, Gehorsam zu finden, erst Sinn verleiht. Sie resultiert unmittelbar aus dem Futurischen der Macht. Denn bei all’ dem, was ein noch nicht verwirklichter Sachverhalt ist, sind wir unsicher, ob es wirklich eintritt. Das Mögliche ist eben nur möglich – in welchem Grade es dies ist, das können wir nur einschätzen, hier hegen wir lediglich Meinungen. Es ist daher sinnvoll, von Machtputationen zu sprechen. Dieser Terminus stimmt mit der Kennzeichnung überein, welche Hobbes – ein gewiß anerkannter Theoretiker der Macht und zudem ein steter Kronzeuge des politischen Realismus – liefert (vgl. Hobbes 1990: 16). Der meinungshafte Charakter der Macht, der Max Weber lediglich von einer Chance auf Gehorsam sprechen läßt, tritt gleich zweifach in Erscheinung – einmal dort, wo es gilt, Mögliches von Unmöglichem zu trennen, und zum anderen, wenn einem X gewisse Kapazitäten zugerechnet werden. Macht zu attestieren, ist mithin ein Geschäft der Urteilskraft. Sie bestimmt das Mögliche und sie wählt das X, dem zuzutrauen ist, es herbeizuführen oder zu verhindern. Nur so erklärt sich das Phänomen unerwarteten Machtgewinns, aber auch das des

11. Macht, Gewalt und Recht

159

plötzlichen Machtverlustes. Macht ist flüchtig, eben weil sie auf Meinungen beruht. Damit ist der Punkt erreicht, wo es notwendig wird, die X-Stelle zu analysieren. Auf sie muß – so hat sich bereits gezeigt – ein menschliches Wesen gesetzt werden oder, wie jetzt einschränkend hinzuzufügen ist, etwas, das wie ein Mensch konzeptualisiert wird. Von Macht ist nämlich auch und gerade im Zusammenhang mit Quasi-Subjekten die Rede – gemeint sind Staaten, verfaßte Körperschaften, aber auch spontane oder auf welche Weise auch immer zustande gekommene Kooperationsgemeinschaften. Was sie alle von nicht-menschlichen Akteuren, Tieren und Pflanzen etwa, unterscheidet, ist die Tatsache, daß sie in der Lage sind, mit anderen Menschen in eine Beziehung zu treten, die nicht nur darin besteht, pure Gewalt auszuüben. Unter Gewalt soll eine derartige Einwirkung auf Personen oder Sachen verstanden werden, die zu Beschädigung oder Zerstörung bzw. Verletzung oder Tod führt. Tiere und Pflanzen sind dazu in der Lage, Dinge, andere Pflanzen oder Tiere und schließlich auch Menschen in der beschriebenen Weise zu tangieren oder zu eliminieren. Was hierzu erforderlich ist, kann aber nicht Macht, es muß Kraft genannt werden. Alle Arten von echten Subjekten besitzen Kraft. Für Quasi-Subjekte gilt dies insofern, als sie durch echte Subjekte repräsentiert werden. Man spricht aber nicht von Macht, wenn sie diese Kapazität realisieren, sondern von Gewalt. Gewalt ist nämlich immer ein Phänomen des Gegenwärtigen, nie ein solches der Zukunft – oder präziser: Gewalt tritt im Gegenwärtigen auf, um es so zu verändern, daß eine mögliche Welt entsteht, in der ein Objekt nicht mehr intakt, ein Lebewesen verletzt oder tot ist. Wenn man – aus einer moralischen Perspektive – gewisse Gewaltakte verurteilt, dann geschieht dies immer so, daß entweder das Ansinnen, eine bestimmte mögliche Welt herbeizuführen, gebrandmarkt oder aber lediglich der Gewalteinsatz als illegitimes Mittel betrachtet wird.

160

IV. Konsequenzen

Kriminelle Aktivitäten einer Straßengang werden wir kritisieren, nicht weil wir es für verwerflich halten, sich überhaupt zu bereichern, sondern weil wir meinen, eine bestimmte Weise des Broterwerbs, nämlich die durch Raub oder Diebstahl, sei nicht zu akzeptieren. Setzt hingegen ein Polizist einem der jugendlichen Übeltäter nach und gebraucht er bei der Festnahme dieser Person Gewalt in vertretbarem Maße, dann werden wir ihn eher ob seines Erfolges loben, als daß wir ihn als brutalen Menschen bezeichneten. Gewalt unterscheidet sich also nicht dadurch von Macht, daß wir sie für illegitim halten. Vielmehr bezeichnen beide Begriffe etwas ganz Verschiedenes. Der eine gibt über den Charakter der Mittel Auskunft, welche im Akte der Schaffung einer möglichen Welt zum Einsatz kommen, der andere benennt eine Subjekten bzw. Quasi-Subjekten zugeschriebene Kapazität, einen als möglich erachteten Weltzustand herbeizuführen. Die Ausübung von Gewalt ist zudem nicht notwendig in soziale Beziehungen eingebettet. Sie stiftet solche Korrelationen auch nicht immer. Dies wird deutlich, wenn ein und dieselbe Handlung in unterschiedlichen Perspektiven betrachtet wird. Das gewaltsame Öffnen einer Haustür stiftet nur dann eine soziale Beziehung, wenn es nicht vom Eigentümer bzw. Besitzer des Hauses vorgenommen wird. Der Einbrecher macht denjenigen zum Opfer, in dessen Haus er eindringt. Damit schafft er eine – wenn auch unerfreuliche – soziale Korrelation. Der Hauseigentümer tut nur dann das Gleiche, wenn er seine Immobilie vermietet hat und sich gegen den absehbaren Willen seines Mieters Zutritt verschafft. Wohnt er selbst in seinem Haus, dann tritt er durch die gewaltsame Öffnung der Haustür mit niemandem in eine soziale Korrelation. Die Rede von Macht ist nicht denkbar, ohne daß soziale Beziehungen vorliegen. Sie lassen sich durch die Angabe von drei Bedingungen minimalanalytisch folgendermaßen bestimmen. (1) Gegeben seien die Personen A und B, die Weltzustände W1 , W2 und W3 , wobei W2 und W3 als möglich erachtet werden, W1 hingegen verwirklicht ist.

11. Macht, Gewalt und Recht

161

(2) Zudem soll gelten, daß B meint, W2 sei ein für B unangenehmerer Weltzustand als W1 , und daß B obendrein der Ansicht ist, A habe die Kapazität W2 herbeizuführen. W3 hingegen, so glaubt B, ist ein Weltzustand, den A für angenehmer als W1 halten wird. (3) Als letzte Bedingung ist noch einzuführen, daß B sich die Kapazität attestiert, W3 zu schaffen, wobei gleichgültig ist, ob er diese Fähigkeit auch A zuspricht. Daß A Macht über B hat, hängt nun allein an Bs Einschätzung. Ob diese den Sachverhalt trifft oder nicht, ist völlig unerheblich. Die allgemeine Formel der Macht lautet also: A hat genau dann Macht über B, wenn B A die Fähigkeit und die Bereitschaft attestiert, einen von B als unangenehm eingeschätzten, aber für möglich gehaltenen Weltzustand herbeizuführen bzw. das Auftreten eines von B als wünschenswert erachteten Weltzustandes zu verhindern. Damit ist die Analyse des Ausgangssatzes abgeschlossen. Bringt man ihr Ergebnis auf eine knappe Formel, dann lautet es: Macht ist der Name für die einem Subjekt bzw. einem Quasi-Subjekt zugeschriebene Bedrohungskapazität. Was es heißt, sich selbst mächtig zu nennen, ist auf der Grundlage dieser Bestimmung leicht zu sehen: Man wähnt sich mächtig, wenn man meint, daß andere Personen einem ein Bedrohungspotential im weitesten Sinne zuschreiben – mag es nun in der angenommenen Fähigkeit zu unmittelbarer Einwirkung oder zu psychischem Druck der einen oder der anderen Art bestehen. Eine Bedrohung liegt ja schließlich auch schon dann vor, wenn man lediglich fürchtet, sich vor jemandem durch ein gewisses Verhalten lächerlich zu machen. Gewinnt jemand aus der Haltung seiner Mitmenschen den Eindruck, über ein gewisses Bedrohungspotential zu verfügen, das er – ohne negative Folgen für sich selbst fürchten zu müssen – glaubt einsetzen zu können, dann wähnt er sich mächtig. Der so präzisierte Macht-Begriff muß nun mit dem Begriff des Rechts verbunden werden. Dazu sind allerdings noch

162

IV. Konsequenzen

einige letzte Vorüberlegungen nötig, welche erneut das Verhältnis von Macht und Gewalt betreffen. Es ist schon gesagt worden, daß Gewalt die Bezeichnung eines Mittels ist, das man zur Herbeiführung einer möglichen Welt verwendet. Machtausübung kann also gewalttätig sein, dies ist aber nicht ihr Kennzeichen. Wenn man Macht und Gewalt identifiziert, dann verwechselt man ein akzidentelles mit einem substantiellen Attribut. Denn Gewalt ist lediglich eines der Organe, mit dem man rechnet, wenn man sich einen für mächtig Gehaltenen in seinen Aktionen vorstellt. Ebensogut könnte man aber an List oder Verschlagenheit denken, denn auch diese können Mittel der Machtausübung werden. Als Beispiel für eine nicht-gewalttätige Möglichkeit der Machtausübung mag die Option eines Vertrages gelten, mit der ein Verkäufer seinem Kunden ein Rücktrittsrecht einräumt. Sie verleiht ihm in beider Augen eine gewisse Macht, die auszuüben ohne alle Gewalttätigkeit möglich ist. Der Kaufvertrag stellt allerdings insofern einen Sonderfall dar, als hier eine Einschätzung gleichsam öffentlich gemacht worden ist. Käufer und Verkäufer gestehen sich gewisse Rechte zu, deren Einhaltung durch das Gesetz gesichert ist. Indem beide Parteien den Vertrag unterschreiben, bringen sie ihre Erwartungen bezüglich der Kapazitäten des Geschäftspartners in schriftliche Form und verschaffen sich damit eine über das nur Meinungshafte hinausgehende Sicherheit. Dies gilt sowohl für die Selbst- als auch für die Fremdeinschätzung; denn im Vertrag schreibt man die Bedrohungskapazität negativ fest. Man bestimmt, was sein soll, und sagt damit indirekt, was nicht geschehen darf. Ist den Parteien an völliger Deutlichkeit gelegen, machen sie die Bedrohung durch die Formulierung von Sanktionen explizit. Ein Vertrag unterscheidet mithin konformes von nicht-konformem Verhalten – ganz so, wie Gesetze legitime und illegitime Handlungen öffentlich benennen. Die Macht, die so der Sphäre des ausschließlich Meinungshaften entrissen wird,

11. Macht, Gewalt und Recht

163

kann allerdings nicht auf diese Weise differenziert werden; denn von gerechtfertigter und ungerechtfertigter Macht zu sprechen, ist sinnlos. Handlungen verübt man entweder gegen einen Vertrag oder im Rahmen eines solchen, gegen das oder getreu dem Gesetz. Macht wird einem demgegenüber lediglich zu- oder abgesprochen, ob dies mit Hinweis auf die Rechtslage geschieht – wie im Falle des Rücktrittsrechts – ist dabei nicht ausschlaggebend. Macht ist daher ein ausschließlich deskriptiv zu verwendender Begriff. Ihm wohnt keine moralische und auch keine rechtliche Komponente inne. Diese tritt erst in Erscheinung, wenn es nicht mehr um Macht, sondern um ihre Ausübung geht. Alle bisherigen Überlegungen zeigen, daß sich Macht nicht objektiv quantifizieren läßt. Insofern hat Max Weber recht, wenn er das, was mächtig macht, unbestimmt läßt. Unrecht hat er, wenn er Macht wie etwas betrachtet, das sich der Sphäre des Meinungshaften vollends entreißen ließe. Denn mächtig ist man immer nur, wenn man für mächtig gehalten wird. Dies gilt für Staaten wie für Individuen. Wie mächtig man dann jeweils ist, hängt davon ab, als wie groß das jeweilige Gegenüber die Bedrohungskapazität einschätzt und zu welcher Selbsteinschätzung man aufgrund dieser Beurteilung kommt. Politisch können nun solche machtgestützten Korrelationen zwischen Subjekten genannt werden, die – um überhaupt auftreten zu können – öffentlich sichtbar werden müssen. Innerhalb einer staatlichen Einheit nehmen sie despotischen Charakter an, wenn sie faktisch nicht durch Gesetze geregelt sind, die den in ihnen Befangenen Partizipationsrechte garantieren. Das Gesetz, von dem hier die Rede ist, hat vorzüglich den Charakter einer Konstitution. Die Verfassung sorgt dafür, daß die einen gewiß sind, daß die anderen über festgelegte Handlungsoptionen verfügen, weil sie nach bestimmten Regeln für eine bestimmte Zeit – im extremen Falle bis zu ihrem Tode – bestimme Ämter einnehmen und sich dabei an bestimmte Vorschriften halten, welche für die Ausübung dieses Amtes gelten. Dadurch wird, wie im Falle des Kaufvertrages deutlich gewor-

164

IV. Konsequenzen

den ist, der meinungshafte Charakter der Macht gemildert – ganz ausschließen kann man ihn freilich nie, da Gesetze gebrochen und Konstitutionen in den Wind geschlagen werden können. Daß das Recht den meinungshaften Charakter der Macht mildert, liegt an den im vierten Kapitel entwickelten Kennzeichnungen: Recht wird immer regelgesteuert produziert, auf daß man es identifizieren kann. Es richtet sich immer auf äußere Handlungen, auf ein Verhalten, das es erlaubt oder verbietet, es ist stets öffentlich. Jedermann kann daher nachlesen, mit welchen Handlungen er im Umgang mit einem gesetzestreuen Mitbürger rechnen darf. Das schränkt den Radius dessen, was man dem jeweils anderen an Macht attestiert, nicht unerheblich ein. In einer treffenden Formulierung spricht Claude Lefort von der ,Exterritorialität‘ des Rechtes bezüglich der Macht (1994: 64). Dennoch verliert auch hier die Macht ihren meinungshaften Charakter nicht völlig. Denn wer garantiert, daß jedermann, dem wir auf dem Gebiete der Gesetze begegnen, sich auch an die in ihnen niedergelegten Vorschriften zu halten gedenkt – metaphorisch gesprochen: die Exterritorialität des Rechtes respektiert? Die bisherigen Überlegungen haben gezeigt, daß erst das Recht eine realistische Machteinschätzung ermöglicht. Daraus läßt sich folgendes Argument gegen den politischen Realismus schmieden: Es ist nicht so, daß Macht – wie etwa Morgenthau (1963: 81, 113 ff., 135 f., 145 ff.) meint – der Letztbegriff wäre, mit dessen Hilfe sich das Verhältnis zwischen Staaten bündig bestimmen ließe; denn damit er diese Funktion erfüllen könnte, müßte das, was er bezeichnet, eindeutig quantifizierbar sein. Dies aber – so haben die Überlegungen ergeben – ist nicht möglich. Es kommt hinzu, daß es sich als falsch erwiesen hat, Macht und Recht so einander zu konfrontieren, wie die Realisten es tun (vgl. Morgenthau 1963: 199). Beide Termini sind vielmehr insofern Wechselbegriffe, als der erste dazu in der Lage ist, das Meinungshafte der Macht derart zu mildern, daß Machtputa-

3. Exkurs: Staatliche Quasi-Subjekte

165

tionen an Gewißheit gewinnen. Für die trans-nationale Politik und das Völkerrecht heißt dies: Je stärker die Beziehungen zwischen Staaten verrechtlicht werden, um so besser läßt sich kalkulieren, welche Optionen einem Akteur offenstehen – es sei denn, so wird der Realist einwerfen, er ist willens, zur Gewalt zu greifen. Damit hat die Kritik des Realisten freilich eine neue Gestalt angenommen; denn er hat nun ex silentio zugestanden, in seinen bisherigen Überlegungen Macht und Gewalt ungerechtfertigterweise identifiziert zu haben. Es verbleibt allerdings der nicht von der Hand zu weisende Einwand, man müsse den Krieg als Phänomen trans-nationaler Politik ernsthafter ins Kalkül ziehen, als dies bisher geschehen ist. Zu prüfen bleibt daher, wie es denn um die zwischenstaatlichen Verhältnisse steht, wenn die Gewalt als Mittel der Machtausübung die Gestalt des Krieges annimmt. Zuvor wird es freilich nötig sein, den Charakter der kriegführenden Parteien genauer ins Auge zu fassen, i.e. die Staaten, die man als Quasi-Subjekte betrachtet, wenn man den Krieg als Auseinandersetzung, gar als Zweikampf (vgl. von Clausewitz 1984: 19) zwischen Staaten ansieht, die einander ihren Willen aufzwingen wollen (von Clausewitz 1984: 19, 39 f.; vgl. auch Dilthey 1914: 19). Im folgenden dritten Exkurs soll untersucht werden, was natürliche von Quasi-Subjekten unterscheidet. „Les peuples entre eux ne sont que des individus.“ (Tocqueville 1981: I, 186).

3. Exkurs: Staatliche Quasi-Subjekte

Sie kommen gewichtig daher, drängen sich dem Betrachter durch allerlei Imponiergehabe auf, geben sich mitunter aber auch gouvernantenhaft, feierlich-gewichtig, sie zwingen die Menschen in kriegerische Auseinandersetzungen, verleihen

166

IV. Konsequenzen

ihnen Orden oder stecken sie ins Gefängnis. Doch nichts von all’ dem kann darüber hinwegtäuschen, daß sie luftige Gebilde sind, nur präsent durch Zeichen, niemals aber selbst in Erscheinung tretend – rechtlich darin Kindern oder Geistesschwachen gleichend, die Vormünder brauchen, wie Phillimore treffend konstatiert (1845: 147). Staaten brauchen Repräsentatoren oder Indikatorzeichen, wenn sie sich bemerkbar machen wollen. Jemand oder etwas stellt sich hin oder wird gewählt, um dann behaupten zu können, sie oder er handele im Auftrage des Staates, was sie / er tue, tue der Staat – ganz so, wie ein Anwalt in einem Zivilprozeß seinen abwesenden Mandanten vertritt oder wie der Vormund für sein Mündel handelt. Die repräsentationssemiotische Regel lautet: aliquid stat pro aliquo. Sie wird immer dann zur Anwendung gebracht, wenn etwas oder jemand nicht auftreten kann, aber erscheinen soll oder muß und sich daher ver-treten läßt. Indikatoren weisen demgegenüber auf etwas hin und machen zugleich deutlich, daß eine Gleichsetzung mit dem Indizierten ganz unsinnig wäre. Rauch zeigt Feuer an, aber er repräsentiert es nicht; eine Spur verrät lediglich, daß etwas einen bestimmten Weg genommen hat, an seine Stelle tritt es nicht. Staaten lassen sich zum Beispiel auf Geldmünzen indizieren, durch Wappen, Fahnen, Hoheitszeichen, Uniformen, die Kleidung, welche Sportler bei Wettkämpfen tragen. Da hier niemand als Stellvertreter in Erscheinung tritt, ist der indizierte Staat ein noch etwas luftigeres Gebilde als der repräsentierte. Ob repräsentiert oder indiziert, Staaten besetzen immer die Objektstelle des semiotischen Dreiecks (vgl. Peirce 1966: 51 ff.): O Zm

In

Ein Objekt (O) wird durch ein Zeichenmittel (Zm) so gefaßt, daß ein Interpretant (In) entsteht – ikonisch-repräsentierend, wenn man jemandem einen Weg (O) aufzeichnet (Zm),

3. Exkurs: Staatliche Quasi-Subjekte

167

so daß er eine Vorstellung (In) gewinnt, wie von A zu B zu gelangen sei. Repräsentation folgt dem Äquivalenzmechanismus; weil O $ Zm gilt, kann sich In so einstellen, daß durch Zm eine Vorstellung von O gewonnen ist. Indikation unterliegt hingegen dem Implikationsmechanismus: Wenn Zm ! O wahr ist, dann darf der Arzt das Fieber (Zm) seines Patienten als Symptom einer gewissen Krankheit (O) auffassen (In). Er verwendet hier einen Indikator, von dem er nicht annimmt, er bilde ab, worauf er hinweist. Trotz der Unterschiede zwischen Repräsentation und Indikation haben die Objekte eines gemeinsam: Sowohl der Weg als auch die Krankheit sind selbst nicht sichtbar. Die Krankheit hat dabei durchaus trans-phänomenalen Charakter, der Weg hingegen nicht, aber zu dem Zeitpunkt, an dem man nach ihm fragt, darf er nicht offen sichtbar sein, sonst wäre die Frage nach ihm unsinnig. Besetzt ein Staat die Objektstelle des semiotischen Dreiecks, dann scheint er eine Entität von der Art der Krankheit zu sein, die sich im Fieber äußert – denn er selbst kann grundsätzlich nicht phänomenal werden, er wird sichtbar an Indikatoren, die auf ihn verweisen, an Repräsentatoren, die in seinem Auftrage handeln oder zu handeln vorgeben. Man kann daher von einer gewissen ontischen Flüchtigkeit von Staaten reden, sie ähneln, wählt man ein freundlicheres Bild als Phillimore, literarischen Figuren, über die man so spricht, als existierten sie, als könne man ihnen begegnen, wiewohl sie nur in den Beschreibungen ihrer Autoren auftreten, lediglich in den Worten und Taten von Schauspielern ein Leben aus zweiter Hand erfahren. Es ist diese ontische Flüchtigkeit der Staaten, welche ihrer Wirkungsmacht, ihrem zuweilen verheerenden Einfluß auf das Leben des einzelnen Menschen, in einer Weise kontrastiert,

168

IV. Konsequenzen

die nach Erklärung verlangt. Jellineks in der Einleitung erwähnte (1914: 396 ff.) durch die Montevideo Convention on Rights and Duties of States von 1933 gleichsam kanonisch gewordene Staatsdefinition hilft hier nur in begrenztem Maße weiter; denn auch wenn man weiß, daß die Rede von Staat nur sinnvoll ist, wenn ein abgegrenztes Territorium vorliegt, auf welchem eine auf Dauer siedelnde Bevölkerung angetroffen wird, über die gewisse Instanzen eine effektive Regierungsgewalt ausüben, bleibt fragwürdig, worin genau sich denn Staatlichkeit an sich selbst zeigen sollte – in dem begrenzten Territorium, welches ein Innen von einem Außen trennt, in den Menschen, die im Inneren des so Begrenzten beieinander leben, in der Regierungsgewalt, die durch die Repräsentatoren der Staatlichkeit auf sie herabregnet? Die auf Staat und Staatlichkeit gerichtete Reflexion – und nicht nur die philosophisch qualifizierte, wie sich sogleich zeigen wird – hat versucht, der ontischen Flüchtigkeit des Staates metaphorisch Herr zu werden: durch das Bild vom Organismus (Liv 2, 32, 8 – 12) und durch das vom Staatsschiff (Rep. 488a7 ff.). Ich wähle diese beiden Metaphern, wiewohl andere denkbar sind – etwa die eines Hauses oder die einer Maschine, z. B. einer Handmühle, wenn eine Despotie gefaßt werden soll (vgl. Kant, KdU AK V 352). Alle diese Bilder haben eines gemeinsam – sie machen Aussagen über die Herrschaftsweise, welcher die Menschen ausgesetzt sind, und nehmen zugleich Stellung zu ihrer Legitimität. Darüber hinaus aber wohnt ihnen auch eine durch die Wahl des Bildes gesetzte Bestimmung eines Staatszwecks inne, welche immer nur in zwei Formen erfolgen kann – entweder auto- oder heterofunktional. Die Maschinen – wie auch die Schiffsbilder – bestimmen den Staatszweck heterofunktional, denn weder Schiffe noch Maschinen sind Zwecke an sich selbst; das Organismusbild hingegen setzt den Staat mit einem Körper gleich, der sich insofern selbst Zweck ist, als es ihm ausschließlich um seine Selbsterhaltung geht. Wird der Staat also mit einem Körper

3. Exkurs: Staatliche Quasi-Subjekte

169

verglichen, so betrachtet man ihn mit dem Auge des – im Wortsinne – Konservativen, ausgerichtet auf Bewahrung, nicht auf Veränderung. Da dies auch für die Rede vom Haus gilt, kann das Organismusbild stellvertretend für alle autofunktionale Staatsauffassung stehen. Die von Livius überlieferte Rede des Menenius Agrippa wird im folgenden als Topos dienen. Die Schiffsmetapher – topisch in Platons Seefahrergleichnis (Rep. 488a7 – 489a2) – hingegen ist repräsentativ für die auf Veränderung der Bürger oder gar der ganzen Staatenwelt gerichtete heterofunktionale Vorstellung vom Zwecke wahrer Staatlichkeit. Die von Platon ersonnene Geschichte ist sattsam bekannt: Wir treffen auf einen großen, starken, aber schwerhörigen und kurzsichtigen Schiffseigner, der von der Seefahrt nicht viel weiß; auf machtgierige Matrosen, die – wiewohl ebenfalls ohne alle Fachkenntnis – um den Posten des Kapitäns streiten. Zu ihrer Rechtfertigung führen sie ins Feld, die Kunst der Seefahrt lasse sich überhaupt nicht erlernen. Die gegenteilige Ansicht sind sie zu dulden nicht bereit. An die Macht kommen schließlich einige von ihnen dadurch, daß sie den Schiffseigner betrunken machen, durch Schlafmittel ausschalten oder ihn mit Gewalt unter Druck zu setzen verstehen. Haben sie sich als Regenten etabliert, dann verprassen sie, was sich auf dem Schiff findet – Winde und Sterne, Seegang und Lage des Schiffes sind ihnen gleichgültig. Gibt es an Bord einen, der nautische Kenntnisse besitzt, so tut der gut daran, sein Wissen zu verbergen, denn man wird ihn im besten Falle einer Schwätzer nennen; eher ist freilich damit zu rechnen, daß man ihn über Bord wirft oder gleich erschlägt. Das Bild dient dazu, die Richtigkeit des von Platon an vielen Stellen seines Werkes formulierten Philosophen-KönigeSatzes (Rep. 473c11 – d6, 487e1 – 3, 499a1 – c5, 501e2 – 5, 540 d1 – e3; Ep. 326a7 – b4, 328a6 – b1; Plt. 293c5 – d2; Lg. 711e7 – 712a3) zu erweisen. Aber es beinhaltet mehr als eine solche Rechtfertigung. Es zeigt nämlich zugleich, daß die Führung des Staates als ein Richtung-Geben aufgefaßt werden soll. Nun liegt ein solcher Gedanke nicht etwa nahe; bei genauerem Hinsehen müßte er vielmehr Staunen auslösen; denn Staaten

170

IV. Konsequenzen

sind ja keine mobilen Einheiten. Sie können ihr Territorium zwar vergrößern, man mag ihnen Teile ihres Gebietes nehmen, ja sie lassen sich sogar verlagern, aber bewegen – wie Schiffe – kann man sie nicht. Nomadische Staaten sind nicht vorstellbar, wenn man einmal von kurzlebigen Steppenimperien absehen will, denen man kaum mehr als den Status einer Fußnote der Geschichte von Staat und Staatlichkeit zubilligen kann, weil diese von Reiternomaden geschaffenen äußerst fragilen Gebilde eben nicht in der Lage sind, aus Beute und Tribut reguläre staatliche Einnahmen, i. e. Steuern zu machen (vgl. Münkler 2005: 89). Sie bleiben daher zu Lande, was Piraten zur See sind, Organisationsformen, welche sich ein umhervagabundierendes Raubgesindel gibt. Aber eben nach diesem Muster muß Platons Bild zunächst aufgefaßt werden; denn seine Seefahrer gehen ja nie an Land, vielmehr befinden sie sich stets auf der Reise, sie scheinen SeeNomaden zu sein. Eine solche Interpretation des Bildes wäre aber unsinnig, weil sich eine nomadische Existenz nur in Form der bereits erwähnten Seeräuberei denken läßt, welche Platon aber den Matrosen seines Gleichnisses nicht anlastet, auch wenn er selbst hier einschlägige leidvolle persönliche Erfahrungen gemacht haben dürfte. Vielmehr ist von einem Schiffseigner die Rede, also wohl einem Kaufmann nach dem Muster des Kephalos im ersten Buch der Politeia, der seinen Lebensunterhalt dadurch verdient, Waren von einem Ort zu einem anderen zu transportieren und für ihre profitable Distribution zu sorgen. Ist dies das Metier des Schiffseigners in Platons Gleichnis, dann droht durch die inkompetente Führung der Matrosen nicht nur Strafe für seemännische Fehlentscheidungen, i.e. der Schiffbruch, sondern selbst dann, wenn man hiervon glücklicherweise verschon bleibt, wird sich das merkantile Ziel mit prassenden Matrosen gewiß nicht verwirklichen lassen. So steht dem Kauffahrer der Ruin schließlich in jedem Falle ins Haus. Platons Bild soll also zeigen, daß Staaten Ziele haben und diese durch schlechte Führung nicht erreichen. Ja sie können aus diesem Grunde sogar in den Untergang getrieben werden.

3. Exkurs: Staatliche Quasi-Subjekte

171

Damit haben wir mit dem Seefahrergleichnis einen Topos vorliegen, den Michael Oakeshott Politik der Zuversicht genannt (2000: 44, 54 ff. 103 ff.) und für den er Francis Bacon zum Kronzeugen gemacht hat (2000: 10 f.). Er will nämlich eine solche Auffassung erst in der Neuzeit auftreten lassen – eine Begrenzung, die man aufgeben wird, wenn man Platons Gleichnis in näheren Augenschein nimmt und sich obendrein vergegenwärtigt, daß er nicht nur hier davon ausgeht, politisches Handeln sei als ðïëéôékL ôÝ÷íç lehr- und lernbar wie die Kunst des Steuermanns, die eben genau darin besteht, Dinge, Pflanzen, Tiere und Menschen von einem Hafen zu einem anderen zu bringen, wobei man – aus welchen Gründen auch immer – annimmt, daß sie am Zielort besser aufgehoben sind als an ihrem Ausgangspunkt. Im Gegensatz zu einer solchen heterofunktionalen Bestimmung des Staates steht die Auffassung, die ihm attestiert, seinen Zweck in sich selber zu tragen. Hier ist die Körpermetapher topisch. Nachzulesen ist sie – wie schon gesagt – bei Livius, der berichtet, wie es Menenius Agrippa gelingt, die auf den Heiligen Berg ausgewanderte Plebs zur Rückkehr zu bewegen. Er erzählt folgende Geschichte: Es habe eine Zeit gegeben, in der nicht alle Teile des menschlichen Körpers in Eintracht gelebt hätten. Vielmehr sei ein Streit darüber entstanden, daß bestimmte Glieder sich nur dafür zu regen hätten, daß der Magen mit Nahrung versorgt werde, damit dieser sich dem Genuß hingeben könne, ohne dabei auch nur einen Finger zur Selbstversorgung krumm machen zu müssen. Um diesen Mißstand zu beenden, seien Hand, Mund und Zähne in den Streik getreten. Nichts mehr führe die Hand zum Munde, nichts mehr gebe es zu zerkauen, auf daß der Magen durch den ihn alsbald plagenden Hunger zur Vernunft komme. Selbstverständlich habe sich schnell gezeigt, daß nicht nur der Magen in Mitleidenschaft gezogen worden sei, sondern auch die ihn bestreikenden Körperteile; alle – vielleicht mit Ausnahme der Zähne – hätten alsbald unter Entkräftung gelitten. Schließlich habe man eingesehen, daß der Bestreikte nicht nur ernährt werde, sondern auch seinerseits ernähre; denn er gebe

172

IV. Konsequenzen

das Blut in alle Teile des Körpers zurück, wodurch dieser seine Kraft und Stärke erlange. Die Plebs bei Livius versteht diese Geschichte schnell, sie sieht ein, daß sie mit den Patres eine Schicksalsgemeinschaft bildet und kehrt in die Stadt zurück (Liv 2, 32, 8 – 12). Jeder Auffassung des Staates, welche Ausdruck der Oakeshottschen Politik der Zuversicht ist, war diese Geschichte stets ein Graus. So hat Marx einfach abgestritten, daß der patrizische ,Wanst‘ die Plebejer wirklich versorge (MEW XVI, 106), in Wahrheit nehme er nur und gebe nichts zurück (MEW XXIII, 382, Anm.). Livius’ Geschichte wäre dann also nichts anderes als eine Verschleierung der wirklichen Verhältnisse, die genauso lägen, wie die Körperteile es beschreiben – sie haben zu arbeiten, der Magen tut nichts und nimmt nur, beutet sie also aus. Der Staat wäre hier insofern heterofunktional, als er ein Instrument dieser patrizischen Ausbeutung wäre, Livius’ Geschichte aber stellte die ideologische Verschleierung dieser Verhältnisse dar. Was Marx damit implicite fordert, ist eine ,richtige‘ heterofunktionale Bestimmung von Staat und Staatlichkeit. Sie wird – in der Phase des Übergangs vom Kapitalismus zum Kommunismus – als Diktatur des Proletariats (vgl. MEW IV, 481; XXVIII, 507 / 508) die Bedingungen schaffen, welche zu ihrer eigenen Auflösung führen sollen. Daß gerade eine so gerechtfertigte Diktatur die heterofunktionale Auffassung des Staates schnell streicht, da ihr sofort nach ihrer Errichtung Selbstbewahrung höchstes Gebot wird (vgl. Schmitz 2005: 86 ff.), kann die von ihr Betroffenen gewiß nicht trösten. Was man bei einer solchen Auslegung der Erzählung verkennt, ist die Tatsache, daß Menenius Agrippa ein Bild des Staates als einer Gemeinschaft entwickelt, in welcher durch – eine wie auch immer näher zu bestimmende – Aufgabenteilung ganz im Wortsinne ein bestimmter modus con-vivendi (eine Weise, sich gemeinsam zu Tische zu setzen) ermöglicht wird. Historisch drückt er sich in der Schaffung des Volkstribunats aus, welche der secessio plebis im Nachhinein einen

3. Exkurs: Staatliche Quasi-Subjekte

173

guten politischen Sinn unterlegt. Bleibt man im Bilde, dann erkrankt der Staat durch die sich der Zusammenarbeit verweigernden Teile; er gesundet erst dadurch wieder, daß man in Verhandlungen eintritt und den modus con-vivendi neu arrangiert. Was dieser Weise, über den Staat zu sprechen, zugrunde liegt, ist die Auffassung, man habe ihn nach dem Muster eines natürlichen Subjektes als Quasi-Subjekt zu konzeptualisieren. Christian Wolff formuliert 1749 exemplarisch: Gentes spectantur tanquam personae singulares liberae in statu naturali viventes – Völker betrachtet man wie einzelne freie Personen, die im Naturzustand leben (Wolff 1972: 13; vgl. auch Gros 1815: 313). Erst wenn man so verfährt, dann ermöglicht man die von Livius zum Ausdruck gebrachte autofunktionale Bestimmung staatlicher Gemeinschaft, denn nur natürlichen Subjekten steht ein Recht zu, sich um ihrer selbst willen zu erhalten. Kantisch gesprochen: Natürliche Subjekte sind – im Gegensatz zu Sachen – niemals bloß Mittel, sondern immer auch Zwecke an sich selbst (vgl. GzMdS Ak IV, 429). Für eine Philosophie der internationalen Beziehungen scheint es unabdingbar, Staaten als Quasi-Subjekte zu konzeptualisieren, also die Körper-Metapher zugrunde zu legen. Carr (1948: 148 / 149) hat wohl ganz richtig von einer notwendigen Fiktion gesprochen. Er nennt das staatliche Quasi-Subjekt eine Gruppen-Person und stellt fest, man könne die internationalen Beziehungen gar nicht erörtern, wenn man Staaten nicht als solche Gruppen-Personen ansehe. Wie sich diese von natürlichen Subjekten unterscheiden, macht er durch folgendes Beispiel deutlich: 1938 schämten sich einige Briten für das Münchener Abkommen – nicht, weil sie sich persönlich etwas hätten zuschulden kommen lassen, nicht, weil Mr. Chamberlain dies getan hätte, dem in ihren Augen lediglich ein Irrtum vorzuwerfen war, sondern um Groß-Britanniens willen, dessen Ansehen sie durch Feigheit beschädigt sahen. Chamberlain wurde also nur eine intellektuelle Schwäche, Groß-Britannien hingegen eine moralische Verfehlung vorgehalten. Verpflichtungen von Staaten können nach der von Carr formulier-

174

IV. Konsequenzen

ten Auffassung nicht mit denen von Individuen gleichgesetzt werden; nur erstere sind Gegenstand internationaler Moral (1948: 151). Als problematisch muß an dieser Position die Rede von Moral bezeichnet werden. Dies zeigt ein genauerer Blick auf die Besonderheiten, welche ein staatliches Quasi-Subjekt auszeichnen. Sie werden deutlich, wenn man die Argumentation in näheren Augenschein nimmt, mit der David Hume die herkömmliche Vorstellung von personaler Identität kritisiert (Hume 1981, 251 ff.). Er tut dies nämlich so, daß er zeigt, die Konzeption könne mit der Vorstellung staatlicher Quasi-Subjekte gleichgesetzt werden. Hume sucht eine Antwort auf die Frage, wie wir zur Idee personaler Identität kommen, wiewohl die Erfahrung hier nicht die Quelle sein kann; denn das Ich, das Selbst, ist ja nichts, das uns empirisch zugänglich wäre. Stammte die Vorstellung personaler Identität aus der Erfahrung, dann müßte sie in einer sich das ganze Leben in gleicher Weise durchhaltenden Idee bestehen, die uns unwandelbar vom ersten Beginn unseres bewußten Lebens bis zum Tode begleitete. Denn so verstehen wir uns ja, als mit uns selbst auf allen Stufen unserer Entwicklung identisch. Daß ein derartiger Bewußtseinsinhalt nicht vorgefunden werden kann, muß nicht eigens bewiesen werden. Daher ist auch evident, daß die Vorstellung personaler Identität keine empirische Quelle hat. Hume bemüht dann zwei – wie er teilweise selber eingesteht – unglückliche Vergleiche, mit deren Hilfe verdeutlich werden soll, was unter unserem Ich zu verstehen ist. Einmal nennt er es ein Bündel unterschiedlicher Perzeptionen (1981: 252), dann ein Theater, auf dem diese Bewußtseinsinhalte wie Schauspieler auftreten (1981: 253). Den Theatervergleich nimmt er wieder zurück, weil er – für einen strengen Empiristen – zu stark ist; denn er läßt ja darauf schließen, daß uns a priori eine unserem Bewußtsein Einheit verleihende Instanz gegeben ist, die trans-empirischen Ursprungs sein muß. Das gleiche Argument spricht – ohne daß Hume dies ausdrücklich

3. Exkurs: Staatliche Quasi-Subjekte

175

sagte – gegen den Bündelvergleich; denn das, was die gebündelten Perzeptionen zusammenhält, das sie vereinigende Band, hätte ebenso trans-empirisch vorzuliegen wie die Theaterbühne. Nach diesen Überlegungen verbleibt nur die Annahme, die Rede von personaler Identität bzw. von natürlichen, mit sich selbst identischen Subjekten, beruhe auf einer Fiktion, die zusammenbringt, was als Vereinigtes gar nicht erfahren wird. Solche Assoziationen von Eindrücken können, nach den Regeln der Verbindung von Bewußtseinsinhalten, nur aufgrund von Ähnlichkeit, raum- / zeitlicher Nähe bzw. der Unterstellung eines Kausalnexus erfolgen. Hume verdeutlicht nach diesen Vorüberlegungen dann, wie wir zur Auffassung eines Selbst kommen, indem er solche Identitätszuschreibungen durchmustert, die auf den ersten Blick unproblematisch erscheinen. Hierzu gehört die Identität eines Schiffes und eines Staates. Ein Schiff, welches nach einer langen Reihe von Reparaturen kein einziges seiner ursprünglichen Teile mehr enthält, dürften wir nicht mehr mit dem Fahrzeug identifizieren, das zu seiner Jungfernfahrt vom Stapel gelassen worden ist; wir tun es aber. Hume erklärt dies damit, daß die ausgetauschten Teile in der gleichen Weise zusammengefügt sind wie die, welche sie ersetzen; denn der Zweck, dem sie dienen, bleibt immer der gleiche. Dies liegt daran, daß ein Kausalnexus vorliegt, welcher es ermöglicht, daß alles auf ein gemeinsames Ziel hin ausgelegt ist (1981: 257). Deutlicher noch wird dies bei Pflanzen und Tieren. Auch von diesen nehmen wir an, daß sie mit sich identisch bleiben, selbst wenn sie ihre Gestalt durch Wachstum in einem Maße zu wandeln vermögen, daß man sagen müßte, sie haben im Laufe ihrer Existenz ihre Qualitäten so erheblich verändert, daß man sie nicht wiedererkennte, wenn man nicht wüßte, daß es sich um ein und denselben Baum, um ein und dasselbe Pferd handelt. Die Identitätszuschreibung erfolgt auch hier, weil wir annehmen, die Teile der Pflanze bzw. des Tieres seien

176

IV. Konsequenzen

so zusammengefügt, daß sie einem Ziele dienten, der Lebendigkeit. Unserem Bewußtsein schreiben wir Einheit zu, weil wir einander ähnelnde Perzeptionen in einem ununterbrochenen Strom erfahren, deren Verhältnis zueinander wir als Kausalnexus interpretieren. Ausschlaggebend für Identitätszuschreibungen ist also nicht raum- / zeitliche Nähe, sondern die Leistung des Gedächtnisses, Bilder vergangener Bewußtseinsinhalte entstehen lassen zu können, welche denen ähneln, die wir augenblicks haben, so daß wir schließlich in die Lage versetzt werden, eine Kette von Perzeptionen – zum Beispiel eines Baumes – zu bilden, welche sowohl den jungen Setzling wie schließlich auch die ausgewachsene Pflanze enthält. Diese Kette ist das sich in seiner Identität durchhaltende Objekt (Hume 1981: 261). Das Bewußtsein als System unterschiedlicher Inhalte, die in kausaler Wechselwirkung auftreten, vergleicht Hume dann mit einer Republik, deren Bürger durch reziproke Relationen miteinander verbunden sind – z. B. als Regierende und als Regierte. Obwohl ständig neue Menschen geboren werden und andere sterben, bleiben die politischen Korrelationen, in denen man zueinander steht, erhalten. Aus diesem Grunde schreiben wir diesem Staat Identität zu. Dies tun wir selbst dann noch, wenn die Gesetze des Gemeinwesens sich ändern, ja auch, wenn man die Verfassung wechselt (1981: 261). Denn – so könnte man über Hume hinausgehend formulieren – ein Staat ist immer eine machtgestützte Assoziation von Subjekten, denen gemäß Rechtsregeln erster Klasse gewisse Partizipationsmöglichkeiten gewährt oder vorenthalten werden. Dies ist es, was sich bei allem Wandel durchhält. Was an Humes Ausführungen dem Alltagsbewußtsein kontra-intuitiv erscheint, ist die Tatsache, daß uns personale Identität viel selbstverständlicher ist als die von Quasi-Subjekten. Hume stellt die Verhältnisse auf den Kopf. Wir glauben, daß Staaten nach dem Muster von Individuen gedacht werden, wenn man sie als Subjekte betrachtet, die auf der internationalen Bühne agieren. Hume will uns klar machen, daß wir per-

3. Exkurs: Staatliche Quasi-Subjekte

177

sonale Identität nach dem Muster der Staatenidentität zu denken haben. Eben dieser Kunstgriff führt dann dazu, daß dem Alltagsbewußtsein die Kennzeichnung personaler Identität, welche Hume vorlegt, viel zu schwach zu sein scheint. Wir meinen, daß wir als Subjekte mehr sind als eine Reihe von Bewußtseinsinhalten, denen der Zusammenhang eines Kausalnexus zugeschrieben wird. Vielmehr nehmen wir an, daß wir über ein Inneres verfügen, welches von einem Außen zu differenzieren ist, das bereits durch unseren Körper repräsentiert ist. Für das Alltagsbewußtsein und seine Vorstellung vom Ich ist die Differenz zweier fora konstitutiv, des forum internum und des forum externum. Sie ist auch die Bedingung der Möglichkeit einer Unterscheidung von Moral und Recht. Dies hat das vierte Kapitel gezeigt. Damit wäre mit Hilfe der Humeschen Bestimmungen ex negativo eine der entscheidenden Differenzen zwischen natürlichen und Quasi-Subjekten herausgestellt. Nur erstere haben ein Gewissen, letztere hingegen nicht, weil ihnen das forum internum fehlt (vgl. Foucault 2006: 115). Da nun aber das Gewissen Bedingung der Möglichkeit für moralisches Handeln ist, haben Quasi-Subjekte keine Moral. Sie unterstehen nur Gesetzen – dies sowohl in ihrem Inneren, i.e. den Regeln erster und zweiter Ordnung, welche die Bürger eines Landes untereinander und in ihrem Verhältnis zum Staat korrelieren, als auch in der internationalen Welt, i.e. dem Völkerrecht. Carrs Beispiel müßte demnach so reformuliert werden: 1938 schämten sich einige natürliche Subjekte britischer Nationalität für das Münchener Abkommen, weil mit Chamberlains Appeasement-Politik im Namen des Quasi-Subjekts Groß-Britannien ein Mitglied der Staatengemeinschaft, das Quasi-Subjekt Tschechoslowakei, einem dritten Quasi-Subjekt, nämlich Hitler-Deutschland, ausgeliefert worden war, dessen völkerrechtswidrige Absichten nur zu leicht hätten durchschaut werden können. An dieser Formulierung wird ein zweiter fundamentaler Unterschied zwischen natürlichen und Quasi-Subjekten deut-

178

IV. Konsequenzen

lich: Wenn eine Person A zuläßt, daß B Gewalt über C erhält, obwohl absehbar ist, daß B C malträtieren wird, dann mißbilligen wir As Handeln, weil wir uns ausmalen können, was C zu leiden haben wird. Quasi-Subjekte sind demgegenüber nicht leidensfähig, eben weil sie über kein Inneres, kein forum internum, verfügen, vielmehr ganz und gar außen sind. Staaten leiden nicht, sie freuen sich nicht über Erfolge, schämen sich nicht; wenn sie scheitern, sind sie auch nicht eifer- oder rachsüchtig. Das sind immer nur die Menschen, deren die QuasiSubjekte bedürfen, auf daß sie ihre Geschäfte betreiben. Die Briten, von denen Carr spricht, können sich also keine leidende Tschechoslowakei vorstellen, nur Menschen, die in diesem Land leben und Fremdherrschaft zu ertragen haben. Man kann sagen: Quasi-Subjekte handeln zwar, die Zeche für das, was sie anrichten, zahlen sie aber niemals selbst; dies müssen die Menschen tun, welche in ihnen korreliert sind (vgl. Kelsen 1960: 326 / 327). Die Natur schafft keine Nationen, sie schafft nur Individuen, die dann ihrerseits Nationen bilden, die als Quasi-Subjekte aufgefaßt werden, aber eben durch die eingangs bezeichnete ontische Flüchtigkeit ausgezeichnet sind. Diese wird immer dann besonders augenfällig, wenn sich zeigt, daß Staaten letztlich zur Verantwortung unfähige Entitäten sind – Phillimore hat recht, sie gleichen hierin Kindern und Geisteskranken (1845: 47). Damit ist ein Teil der á-Frage aus der Einleitung beantwortetet. Sie lautete: (á) Ist der Staatsbegriff des Völkerrechtes angemessen; ist es nicht nötig, gelungene von mißlungenen Formen von Staatlichkeit zu unterscheiden? Nun kann gesagt werden: Ein völkerrechtlich angemessener Staatsbegriff konzeptualisiert eine Pluralität von zwar nicht moralfähigen, aber selbstverständlich dem positiven wie auch dem trans-positiven Teil des Völkerrechts unterstehenden Quasi-Subjekten, denen damit Völkerrechtsunmittelbar-

12. Kriegerische Gewalt

179

keit zukommt, i.e. die souverän und untereinander gleichwertig sind. Damit besitzen sie genau die Qualitäten, welche die Lockeschen Subjekte des Naturzustandes haben: Unabhängigkeit und Gleichheit. Inwiefern die Frage nach gelungener bzw. mißlungener Staatlichkeit eine Rolle spielt, bleibt zu klären.

X äK âïýëïíôáé, äõíÜìåíïé ðrÜôôïõóé ðÜíðåò – wenn sie dazu in der Lage sind, tun alle das, was sie wollen. (Aristoteles, Pol. 1312b3).

12. Kriegerische Gewalt

Dem klassischen Völkerrecht der starken Naturrechtslehre ist der Krieg einem Gang vor Gericht vergleichbar, dem politischen Realisten hingegen muß er als reinste Gestalt transnationalen politischen Handelns erscheinen – Carl Schmitt spricht in Anlehnung an Clausewitz (1984: 19) vom Staatenduell (Schmitt 1997: 113, 115). Die folgenden Überlegungen sollen zeigen, daß beide Auffassungen, die starke trans-positiv-naturrechtliche ebenso wie die realistische, zurückzuweisen sind. Will man sich begrifflich dem Phänomen des Krieges nähern, dann ist sehr schnell klar, daß eine erfolgreiche Explikation nur gewonnen werden kann, wenn man ex negativo verfährt; denn alle intuitiv als kriegerisch bezeichneten Ereignisse werden stets als Aufhebung eines wie auch immer näher zu bestimmenden Sachverhaltes verstanden; sei es, daß man diese Negation begrüßt, sei es, daß man sie bedauert oder beklagt; sei es, daß man sie für eine von gewissen Akteuren absichtsvoll herbeigeführte Verneinung, sei es, daß man ihr Auftreten eher für das Ergebnis verhängnisvoller Verstrickungen hält. In allen diesen Fällen ist der Krieg Negation. Wenn man nun fragt: Negation wessen?, dann ist die naheliegende Antwort des Friedens wenig aussagekräftig, da die Rede vom Frieden genau so auf die vom Kriege verweist, wie es umgekehrt der Fall ist.

180

IV. Konsequenzen

Gegen diese Feststellung könnte man die Unterscheidung eines positiven von einem negativen Friedensbegriff ins Feld führen. Sie ließe sich in Analogie zu Isaiah Berlins (1979: 118 – 172) Differenzierung von positiver und negativer Freiheit konstruieren: Im negativen Sinn ist eine Person frei, wenn sie auf keine Hindernisse stößt, im positiven Sinne hingegen, wenn man sie autonom nennen kann, i.e. wenn sie Verantwortung zu übernehmen in der Lage ist und daher ihre Handlungen zu rechtfertigen vermag. Negativer Friede wäre demnach die Abwesenheit des Krieges, i.e. ein Zustand, in dem keine militärischen Auseinandersetzungen stattfinden (vgl. Krokow 1983: 64). Den positiven Frieden zu bestimmen, ist weitaus schwieriger – klar ist aber in jedem Fall, daß man hier mehr postulieren will als einen Waffenstillstand, also wohl ein kooperatives Zusammenwirken von Menschen, die auf Dauer keine Neigung verspüren, Konflikte gewaltsam zu lösen. Spinoza schreibt: Pax enim non belli privatio, sed virtus est . . . (1994: 64) – Friede ist nämlich nicht die Abwesenheit des Krieges, sondern eine Tugend; denn pax . . . in animorum unione sive concordia consistit (1994: 70) – Friede besteht in Einheit und Eintracht der Gemüter. Diese Bestimmung ist sehr schwach. In der einschlägigen kontemporären Literatur formuliert man viel stärker. So kritisiert man die negative Friedensdefinition etwa auf folgende Weise: Den hier bezeichneten Zustand könne man auch mit diktatorischen Mitteln schaffen; zudem fehle eine soziale Dimension, denn negativer Friede lasse Hunger und Verschmutzung der Umwelt durchaus zu; man blende die einfachsten humanitären Grundsätze aus (Höfelmeyer / Küster 1981: 1 / 2). Diesen Angaben läßt sich entnehmen, was man unter einem positiven Frieden zu verstehen hat: Demokratie, Wohlfahrt, humanitäre Grundsätze, Umweltschutz. Daß sich die Liste beliebig verlängern ließe, ist evident. Zur begrifflichen Klärung dürfte sie wenig beitragen. Damit zeigt sich, daß der Begriff eines negativen Friedens die Gestalt eines Kantischen limitativen Urteils aufweist: Was immer Friede ist, bewaffnete Auseinandersetzungen finden

12. Kriegerische Gewalt

181

hier nicht statt. Die Rede vom positiven Frieden hingegen prädiziert zwar nicht unmittelbar negativ, aber auch sie bleibt auf das Gegenteil des Friedens, den Krieg, bezogen, wenn sie etwa auf die mangelnde Gewaltbereitschaft aller Beteiligten verweist. Krieg und Frieden sind Wechselbegriffe, auch dann, wenn man – unzufrieden mit der Ärmlichkeit der limitativen Kennzeichnung – positive Bestimmungen des Friedens verlangt. Deshalb läßt sich der Krieg nicht vom Frieden her erklären, ohne in einen heillosen Zirkel zu geraten. Im folgenden soll daher der Krieg in deutlicher Wendung gegen die berühmte Clausewitz-Formel (vgl. 1984: 35; vgl. auch Lenin 1966: I, 877 f.; Mao Tse-Tung 1968: 177 ff.) nicht als politisches Instrument, sondern als Negation der Politik verstanden werden (vgl. Sternberger 1986: 116; Hofmeister 2001: 17). Dies impliziert natürlich, daß die Politik erst recht keine Fortsetzung des Krieges ist, wie Foucault gemeint hat (vgl. Foucault 1978: 71; 2001: 63 f.). Er hat diese Ansicht freilicht nicht durchgehend vertreten, in seiner Vorlesung am Collège de France aus den Jahren 1977 / 78 gibt er Clausewitz recht (vgl. Foucault 2006a: 436, 442). Ausgangspunkt der Überlegungen, welche den Krieg als die Negation der Politik erweisen sollen, muß eine Erweiterung dessen sein, was bisher zum Begriff politisch gesagt worden ist. Die bereits gewonnene Bestimmung lautet: Politisch heißt eine machtgestützte Assoziation von Subjekten, denen gemäß Rechtsregeln erster Klasse gewisse Partizipationsoptionen zugestanden / nicht zugestanden werden. In Orientierung an Überlegungen Michael Oakeshotts (1991: 438 – 461) läßt sich nun hinzufügen, daß dieser Assoziation immer ein ganz bestimmter Charakter zukommt und daß sie, wenn sie keine Despotie ist, eine bestimmte Autorität genießt. Diese Autorität spricht man den Institutionen zu, welche über die Rechtsregeln erster Klasse wachen, sie formulieren, außer Kraft setzen, verändern. Autorität haben diese Einrichtungen genau dann, wenn diejenigen, denen sie Verpflichtungen auferlegen, sie dadurch beglaubigen, daß sie ihr Recht zu verpflichten anerkennen.

182

IV. Konsequenzen

Aus dem bereits Gesagten ergibt sich, daß Machtputationen nicht unmittelbar mit Autoritätszuschreibungen verbunden sind: Dem gut informierten Erpresser attestiert sein Opfer lediglich ein gewisses Bedrohungspotential, nicht aber zugleich das Recht, seine Forderungen zu erheben. Umgekehrt impliziert Autorität nicht zugleich Machtzuschreibung: Ein verehrter Lehrer mag auch dann noch den Respekt seiner Schüler genießen, wenn diese meinen, schon lange seinem Einflußbereich entwachsen zu sein. Das dritte Merkmal eines modernen Staates ist sein Charakter als Assoziation von Menschen. Hier geht es weder um Autorität noch um Machtputationen. Damit Menschen überhaupt eine Assoziation bilden können, müssen gewisse als solche wahrgenommene Bedingungen der Verbindung existieren. Die Bedingungen einer Beziehung unter Menschen, welche als Staat bezeichnet wird, sind eben die Verpflichtungen, welche einer Bevölkerung durch das mit Autorität versehene Amt auferlegt werden. Diese lassen sich dadurch differenzieren, daß man überprüft, ob eine Assoziation sich durch die Ziele, die sie verfolgen will, i.e. durch eine Politik der Zuversicht (vgl. Oakeshott 2000), definiert oder durch die Rechte, die sie zu schützen verspricht, bzw. durch die Pflichten, über deren Erfüllung sie wachen will (vgl. Dworkin 1989: 16 – 53). Faßt man die bisherigen Bestimmungen zusammen, dann läßt sich das, was man unter dem Begriff politisch zu verstehen hat, auf folgende Weise bestimmen: Eine politisch verfaßte Gruppe von Menschen ist dadurch konstituiert, daß ihre Glieder dem Inhaber eines öffentlichen Amtes qua Amtsinhabung die Autorität zuschreiben, gemäß gewisser – gleichfalls durch Autorität geschützter – Verfahrensweisen bestimmte Regelungen zu treffen, welche solche Obligationen darstellen, denen sich zu unterwerfen jedes Glied – eben wegen der Autorität des Amtes – verpflichtet ist und deren Befolgung durch einen Apparat, welchem man Macht zuschreibt, notfalls erzwungen wird. Wenn das Gemeinwesen zielorientiert ist, dann attestiert man den Obligationen einen Mittelcharakter, man faßt sie demnach als Instrumente auf; wenn das Gemeinwesen Pflich-

12. Kriegerische Gewalt

183

ten bzw. Rechte in das Zentrum seines Selbstverständnisses rückt, dann stellen die Obligationen keine Mittel dar, dann betrachtet man sie vielmehr als Zwecke an sich selbst. Auf der Grundlage der drei Bestimmungen des Politischen lassen sich ebenso viele Klassen traditioneller Kriege (A – C) entwickeln, welche innerstaatlich als Resultat einer erodierten Machtputation oder geschwundener Autorität, zwischenstaatlich als Negation der Orientierung einer anderen Assoziation verstanden werden können. Diese Klassen enthalten insgesamt acht Typen des Krieges und erweitern die Bestimmung des Begriffes z. B. der von Verdross gegebenen Definition gegenüber erheblich; daß dies nötig ist, wird unmittelbar evident, wenn man die Verwendung des Terminus im politischen Alltag ins Auge faßt. Hier deckt Krieg gewiß mehr ab als zwischenstaatliche Gewaltzustände (Verdross 1964: 433). Die erste Klasse von Kriegen (A) resultiert aus dem Fehlen bzw. dem Schwund von Machtputationen. Damit ist ein Zweifaches bezeichnet – ein Noch-Nicht und ein Nicht-Mehr. Daher weist diese Klasse zwei Kriegstypen auf, die anhand eines temporalen Kriteriums differenziert werden: (1) Ein präpolitischer Krieg herrscht, wenn noch kein Apparat existiert, dem man Macht zuschreibt. Den Topos dieses Kriegstyps liefert mit Hobbes’ bellum omnium contra omnes nicht die Geschichte, sondern die politische Philosophie. In diesem Zustand vorpolitischer Rechtlosigkeit gibt es zwar einzelne Personen oder Gruppen, denen man durchaus Macht attestiert; diese aber ist stets labil, da der Schwache auch den Starken mit List glaubt, zu Fall bringen zu können, da obendrein ein Recht fehlt, das den meinungshaften Charakter der Macht mildern könnte. Ein Krieg des zweite Typs dieser Klasse ist es, welcher Hobbes zu seiner Konzeption eines präpolitischen bellum omnium veranlaßt hat – der englische Bürgerkrieg, dessen Ursachen Hobbes dann in seinem Behemoth reflektiert. Was den nicht prä-, sondern postpolitischen Kriegstyp von den Ereignissen

184

IV. Konsequenzen

auf den britischen Inseln unterscheidet, ist das Faktum, daß nach seinem Ausbruch – zumindest für geraume Zeit – keine Wiedererrichtung des Staates mehr gelingt: (2) Ein postpolitische Krieg bricht aus, wenn die einem Apparat ehemals attestierte Macht zu schwinden scheint oder aber in Bezug auf ihn eine Machtputation gar nicht mehr stattfindet. Die zweite Klasse (B) ergibt sich aus einer Negation der Autorität. Diese kann als ein Nicht-Mehr oder ein Niemals auftreten. Im ersten Falle schwindet eine ehemals anerkannte Autorität, im zweiten lag niemals Anerkennung vor. Das Nicht-Mehr läßt sich noch einmal territorial differenzieren, nämlich so, daß man danach fragt, ob nach dem militärischen Erfolg einer Partei das Staatsgebiet erhalten bleiben oder aber geteilt werden soll. Es resultieren also drei Kriegstypen: (3) Ein Bürgerkrieg entsteht, wenn einem Teil der Bevölkerung die Macht, welche man dem Staatsapparat attestiert, nicht länger autoritätsgestützt und auch nicht mehr unwiderstehlich erscheint und man daher zu der Auffassung gelangt, eine neue – nunmehr echte – Autorität müsse mit militärischen Mitteln auf dem Staatsgebiet etabliert werden. (4) Ein Sezessionskrieg liegt vor, wenn einem Teil der Bevölkerung die Macht nicht länger autoritätsgestützt und auch nicht mehr unwiderstehlich erscheint, und man daher zu der Auffassung gelangt, man müsse einen Teil des ursprünglich gemeinschaftlichen Territoriums mit militärischen Mitteln vom Staatsgebiet abtrennen, um hier eine neue – wieder echte – Autorität zu etablieren. Die Entscheidung, ob ein Bürger- oder ein Sezessionskrieg vorliegt, wird sich häufig nur post festum treffen lassen; denn es ist ja durchaus denkbar, daß als Bürgerkrieg beginnt, was schließlich mit einer Sezession endet, weil weder die Rebellen noch die Verteidiger des status quo die Kraft besitzen, ihre Vorstellung durchzusetzen, so daß man schließlich das umkämpfte Gebiet aufteilt, um so zu einem Frieden zu kommen.

12. Kriegerische Gewalt

185

(5) Mit einem Befreiungskrieg hat man es zu tun, wenn ein Teil der Bevölkerung die Autorität, der sie durch die – in der Regel gewaltsame – Einverleibung des von ihr bewohnten Territoriums unterstellt ist, nicht respektiert und mit gewaltsamen Mitteln die alleinige Kontrolle über das von ihr bewohnte Territorium zurückzuerlangen bemüht ist. Hier wird man es häufig mit Partisanen- oder Guerillakriegen zu tun haben, da die Kolonisierten in den seltensten Fällen die militärischen Mittel besitzen dürften, welche ihren Gegnern zur Verfügung stehen. Aber diese besondere Gestalt der Kriegsführung ist nicht das hier ausschlaggebende Kennzeichen, es kommt auch bei Auseinandersetzungen des Typs (3) und (4) zum Einsatz, kann also nicht als Spezifikum eines Befreiungskrieges angeführt werden. Dies findet sich vielmehr in der Negation einer Autorität – nicht im Sinne eines NichtMehr, sondern im Sinne eines Niemals. Die dritte Klasse (C) resultiert aus der Negation der Orientierung einer oder mehrerer Assoziation / Assoziationen durch eine oder mehrere andere. Hier liegt eine Auseinandersetzung staatlicher Quasi-Subjekte vor. Gemäß der Ausrichtung einer politischen Gemeinschaft sind ziel-, pflicht- und rechtsorientierte Assoziationen denkbar. Zwar sind diese Kategorien zunächst nicht außenpolitisch konzipiert, doch lassen sie sich für die Bildung von Kriegstypen nur so sinnvoll verwenden. Behandelte man sie hier nämlich nur als innenpolitisch bedeutsame Bestimmungen, dann ergäben sich wiederum nur Bürger- und Sezessionskriege, deren entscheidendes Merkmal Negation der Autorität ist. Erst wenn man sie außenpolitisch wendet, resultieren drei neue Kriegstypen, da Autorität keine Kategorie ist, die zwischenstaatlich von Bedeutung wäre. Man trifft also in der Minimalkonstruktion auf: (6) einen zwischenstaatlichen Krieg, in dem ein zielorientiertes staatliches Quasi-Subjekt einem anderen, welches keine oder aber andere Ziele verfolgt, seine Vorstellungen aufzwingen will.

186

IV. Konsequenzen

Hierher gehören alle Kriege die für den Sieg der Demokratie, des Sozialismus und der Arbeiterklasse, des rechten Glaubens an den einen Gott, aber auch die, welche im Namen der Menschenrechte geführt werden mögen, wenn man sich hier nicht – wie im ersten Exkurs vorgeführt – auf die erga omnes-Regel beruft, also meint, daß eine Pflichtverletzung vorliege. Aus der Vorstellung, gewisse Rechte einer Assoziation würden verletzt, resultiert (7) ein zwischenstaatlicher Krieg, in welchem ein staatliches Quasi-Subjekt ein anderes dazu zwingen will, gewisse Rechte zu respektieren, welche es anderen staatlichen Quasi-Subjekten gegenüber zu besitzen meint. Topisch ist hier ein Verteidigungskrieg, mit welchem die als unrechtmäßig empfundene Besetzung eines bestimmten Territoriums rückgängig gemacht werden soll. Aber auch jeder andere Anlaß, den eine Assoziation als Verletzung ihrer Rechte auffaßt, kann hier casus belli sein. Schließlich ist noch denkbar, daß es nicht Rechte sind, die man verletzt sieht, sondern Pflichten, von denen man meint, daß eine politische Entität sie nicht erfüllt habe, wiewohl sie dies hätte tun müssen. Dann ergibt sich (8) ein zwischenstaatlicher Krieg, in welchem ein staatliches Quasi-Subjekt ein anderes dazu zwingen will, gewisse Pflichten zu erfüllen, welchen es anderen staatlichen QuasiSubjekten gegenüber unterliegt. Dies ist durch die bereits im ersten Exkurs vorgeführte Argumentation zu exemplifizieren, welche aus schweren Menschenrechtsverletzungen ein Interventionsrecht herleitet: Die UN-Charta verpflichtet die Signatarstaaten, Einhaltung der Menschenrechte zu garantieren. Diese Pflicht besteht nicht nur natürlichen, sondern auch staatlichen Quasi-Subjekten gegenüber, es ist eine Pflicht erga omnes – die ein Signatarstaat verletzt, wenn er die Menschenrechte auf seinem Territorium ignoriert. Eine Menschenrechtsverletzung wird so zu einer

12. Kriegerische Gewalt

187

internationalen Angelegenheit, die andere Staaten zur Intervention berechtigt. Was sich gegen diese Auffassung anführen läßt, ist im ersten Exkurs vorgebracht und muß deshalb hier nicht wiederholt werden. Gegen die letzten drei Kriegstypen ließe sich ein Argument anführen, welches zwischen der ideologischen Rechtfertigung eines Krieges und seinem wahren Grund unterscheidet. Es ergibt sich dann Melvilles in der Einleitung zitierte politischrealistische Behauptung, das Verhältnis zwischen Staaten sei mit den Termini Fast-Fish und Loose-Fish zu beschreiben. Der Einwand lautet so: Ein staatliches Quasi-Subjekt greift ein anderes an und gibt dabei vor, es wolle ein von seinem Kriegsgegner verübtes Unrecht aus der Welt schaffen, aber in Wahrheit verfolgt man ein gänzlich anderes – etwa das für den Rawlsschen Schurkenstaat typische – Ziel, sich die Bodenschätze des angegriffenen Staates verfügbar zu machen. Nur dem Anscheine nach läge dann ein Krieg des siebten Typus vor. Träfe dieser Einwand zu, dann wäre der Auflistung nicht einfach ein neunter Kriegstyp hinzuzufügen, den man einen Raubkrieg zu nennen hätte (vgl. Fichte 1971: III, 483; Brecht 1973: XX, 270, 272). Denn eine solche Kennzeichnung fügte sich nicht dem zugrunde gelegten Schema; militärische Auseinandersetzungen dieser Art wären nämlich nicht als Negation des Politischen zu fassen, sondern man hätte sie schlicht als ein Verbrechen anzusehen, welches ein staatliches QuasiSubjekt an einem anderen verübt. Der Hinweis auf den Raubkrieg verlängert also nicht einfach die Liste, er macht vielmehr das Prinzip, aus dem sie erzeugt worden ist, fragwürdig. Diese Überlegung mag dann zu einer Radikalisierung der Kritik führen. Die These lautet nun: Alle zwischenstaatlichen Kriege sind nichts anderes als räuberische Unternehmungen. Die Rede von Zielen, Rechten und Pflichten ist nichts als ideologisches Rankenwerk, nötig, um die Weltöffentlichkeit zu manipulieren und das eigene Volk bei der Stange zu halten. In Wahrheit sind die einen immer die Jäger und die anderen die gejagten Wale – auch wenn den An-

188

IV. Konsequenzen

greifern manchmal das Schicksal Ahabs zuteil wird. Kurz: Zwischenstaatlich fallen Recht und Gewalt unmittelbar zusammen; wer siegt, ist im Recht. Die Gedankenfigur, welche diesem Einwand – sowohl in seiner schwachen wie auch in seiner radikalisierten Version – zugrunde liegt, entstammt dem Theorem des bellum iustum. Man stellt hier nämlich fest, daß eine kriegführende Partei zwar ein souveräner Staat sei und vielleicht auch einen akzeptablen Kriegsgrund aufweisen könne, aber eben schlechte Absichten verfolge. Dieser Ansatz führt dann unmittelbar zu moralischen Urteilen, von denen der dritte Exkurs gezeigt hat, daß sie auf Quasi-Subjekte nur fälschlicherweise angewendet werden können, da ihnen das Innen fehlt, welches allererst moralfähig macht. Es ist also nur ein (völker)rechtliches Urteil möglich. Mit dieser Bestimmung ist ein Realismus zurückgewiesen, welcher grundsätzlich leugnet, daß im Felde der äußeren Politik überhaupt normativ geurteilt werden könne. Zugleich wird aber auch ein Idealist korrigiert, welcher – wie zum Beispiel R. L. Holmes in seinem Buch On War and Morality (1989: 56 f., 98, 112, 174 f.) – annimmt, die Moral des natürliches Subjektes spiele hier eine Rolle. Was dem pseudo-moralischen Argument persuasive Kraft verleiht, die Empörung über das Staatsverbrechen Krieg, macht zugleich seinen logischen Mangel aus. Denn wenn man – in der radikalen Variante des Einwandes – behauptet, jeder zwischenstaatliche Krieg habe einzig ökonomische Ursachen, dann bestreitet man einerseits die Möglichkeit eines bellum iustum, andererseits gewinnt man aus eben dem bellum iustum-Theorem die Handhabe, derartige Kriege als illegitim zu verdammen. Wenn alle Kriege einzig aus wirtschaftlichen Gründen geführt werden, dann ist es sinnlos, mit der Möglichkeit gerechter und ungerechter Kriege zu rechnen, denn dann unterscheiden sich militärische Auseinandersetzungen gar nicht voneinander. Wenn man aber zugleich jeden aus wirtschaftlichen Gründen geführten Krieg als Staatsverbrechen

12. Kriegerische Gewalt

189

verdammen will, dann kommt man nicht ohne das bellum iustum-Theorem aus, welches eben die Voraussetzungen liefert, den casus belli von den Absichten der Belligerenten zu unterscheiden. Der einzige Ausweg aus diesem Dilemma scheint darin zu bestehen, dem Argument auch die rechtliche Dimension zu nehmen, also zwar die ökonomischen Wurzeln des Krieges zu konstatieren, nicht aber zugleich festzustellen, man habe es hier mit Staatsverbrechen zu tun. Damit nähme man dann schließlich die Auffassung des Realisten an. Freilich läßt sich auch diese Rückzugsposition nicht halten. Denn es dürfte kaum jemals Krieg geführt worden sein, ohne daß die beteiligten Staaten ihre eigenen Aktivitäten dem Typus (6), (7) oder (8) zugewiesen hätten. Wenn man nun annimmt, daß es sich hier immer um vorgeschobene Kriegsgründe gehandelt hat, dann müssen diese Klassifikationen als Lügen betrachtet werden, womit dem Argument wiederum die moralische Dimension gegeben wäre, die sich nur bei natürlichen Subjekten findet. Es verbleibt daher nur, das zuvor als Raubkrieg bezeichnete Phänomen als eine militärische Aktivität anzusehen, welche aus einer – vielleicht bewußt – falschen Rechtsauffassung resultiert. Dann aber hat man es wieder mit einer militärischen Auseinandersetzung des siebten Typs zu tun: Ein staatliches Quasi-Subjekt meint, es habe ein Recht auf etwas, das in der Verfügungsgewalt eines anderen liegt, und versucht daher, die Verhältnisse in seinem Sinne zu berichtigen. Ganz unabhängig vom Ausgang läßt sich nun fragen, ob die Rechtsauffassung des Angreifers haltbar ist. Sollte man dies mit guten Gründen zu verneinen in der Lage sein, dann kann daraus nicht geschlossen werden, daß damit ein neuer Kriegstyp gegeben sei – eben der Raubkrieg. Vielmehr liegt nach wie vor ein Krieg des siebten Typs vor, allerdings ein solcher, bei dem, wenn man nach Recht und Unrecht fragt, nicht dem Angreifer, sondern den Angegriffenen beizupflichten wäre. Erst recht ergibt sich keine Rechtfertigung der Behauptung, alle zwischenstaatlichen Kriege würden einzig um des materiellen Gewinnes

190

IV. Konsequenzen

willen geführt. Der Einwand gegen die angeführte Liste scheitert also sowohl in seiner schwachen als auch in seiner radikalen Form. Ein weiteres Bedenken gegen die vorgelegte Typologie des Krieges mag in dem Vorwurf bestehen, daß Phänomene terroristischer Gewalt mit der vorgeschlagenen Klassifikation nicht zu fassen seien. Diesem Einwand läßt sich recht leicht begegnen, denn auch reine Terrorakte können mit Hilfe der entwickelten Terminologie gefaßt werden, wenn man die Kriegstypen (6) bis (8) so formuliert, daß eine – sich ziel-, rechtsoder pflichtenorientiert gebende, den Status eines staatlichen Quasi-Subjektes aber nicht erreichende – Gruppierung von Personen glaubt, Bürger eines Staates oder einer Gruppe von Staaten angreifen zu dürfen, weil diesem Staat oder dieser Staatengruppe Rechts- oder Pflichtverletzungen oder aber solche Aktivitäten vorzuwerfen seien, welche die Erreichung eines Zieles unmöglich machten. Man glaubt dabei, staatliche Quasi-Subjekte seien leidensfähig, man könne ihnen also Schmerzen zufügen, indem man seine Bürger, also natürliche Subjekte, massakriere. Jeder der entwickelten acht Typen des Krieges negiert das Politische, indem er eine seiner Konstituenten außer Kraft setzt – prä- oder postpolitisch die Machtputation, innerstaatlich die Autorität, zwischenstaatlich die Orientierung eines staatlichen Quasi-Subjektes. Freilich geschieht dies nicht auf die gleiche Weise, denn das Verhältnis zwischen Staaten ist nicht mit dem zwischen Bürgern zu identifizieren. Menschen sind innerstaatlich als Bürger einer Autorität zugeordnet, welche – gemäß der Orientierung der Assoziation – die ihr zugeschriebene Macht durch Zwang zur Geltung bringt. Die Kriegstypen (1) bis (5) negieren den Dreiklang dieser Konstituenten des Politischen, da sie Machtputationen oder Autorität oder beides zugleich aufheben oder zumindest ins Wanken bringen. Daher läßt sich eine erste Bestimmung (= B) dessen, was durch Kriege der Typen (1) bis (5) negiert wird, so fassen:

12. Kriegerische Gewalt

191

B1 : Nicht-zwischenstaatliche Kriege der Typen (1) bis (5) stellen eine gewaltsame Negation der politischen Machtputation, der politischen Autorität bzw. der politischen Machtputation sowie der politischen Autorität dar. Im zwischenstaatlichen Verhältnis hingegen werden zwar Machtputationen, aber es wird keine Autorität in der Gestalt angetroffen, wie sie sich innerstaatlich findet. Es verbietet sich daher, das Verhältnis zwischen Staaten nach Maßgabe innerstaatlicher Verhältnisse zu konstruieren, also aus den Augen zu verlieren, daß man es lediglich mit Quasi-Subjekten zu tun hat. Denn was das zwischenstaatliche Verhältnis auszeichnet, ist gerade die Unterschiedlichkeit der Orientierung, welche sie als politische Assoziationen jeweils wählen. Sie so zu betrachten, als hätte man es mit einer Ansammlung präpolitischer Individuen zu tun, die allererst assoziiert und damit orientiert werden müßten, ist nur möglich, wenn man es für ausgemacht hält, daß nur eine Weise des Sich-politisch-Orientierens denkbar bzw. wünschenswert ist – wie auch immer diese nun zu konzeptualisieren wäre. Die Bestimmung des zwischenstaatlichen Krieges ist also wie folgt zu präzisieren: B2 : Zwischenstaatliche Kriege der Typen (6) bis (8) stellen eine gewaltsame Negation der politischen Orientierung eines staatlichen Quasi-Subjektes durch ein anderes dar. Sie werden geführt, um Ziele durchzusetzen, Rechte zu verwirklichen, Pflichterfüllung zu erpressen. Der zwischenstaatliche Krieg ist als die von politisch verfaßten Quasi-Subjekten ausgeübte Gewalt anzusehen, welche sich auf internationales Recht beruft, wenn sie den ausgeübten Zwang rechtfertigen muß. Das internationale Recht unterscheidet sich von allem staatlichen Recht – so hat das vierte Kapitel festgestellt – in vierfacher Hinsicht. (1) Es fehlen dem internationalen Recht Regeln zweiter Ordnung, welche es erlauben, in jedem Falle zweifelsfrei zu identifizieren, ob man es mit einer Regel erster Ordnung zu tun hat oder nicht.

192

IV. Konsequenzen

(2) Auch wenn die notwendigen Regeln zweiter Ordnung vollständig vorlägen, ließe sich immer noch kein zentrales Gesetzgebungsorgan ausmachen, welches diesen Regeln gemäß Recht erzeugte. (3) Auch wenn ein zentrales Gesetzgebungsorgan vorhanden und arbeitsfähig wäre, blieben Rechtsunterworfener und Rechtsanwender immer noch identisch, da kein Staat verpflichtet ist, sich einem Gerichtshof und seinem Urteil zu beugen. (4) Da dem Völkerrecht eine von den einzelnen Rechtssubjekten unabhängige und diesen an Zwangsmitteln überlegene Durchsetzungsmacht fehlt, fallen Rechtsunterworfener und Rechtsexekutor zusammen. Von den Merkmalen des Rechts überhaupt verbleiben mithin lediglich seine Äußerlichkeit sowie die Öffentlichkeit. Doch reichen diese Kennzeichen durchaus, dem Recht auch zwischenstaatlich einen Teil der Wirkung zuzuschreiben, die es innerhalb von Staaten auf Machtputationen ausübt. Denn hier wird der meinungshafte Charakter einer Machteinschätzung dadurch gemildert, daß man nach einer Antwort auf die Frage sucht, ob die Weltöffentlichkeit einen bestimmten kriegerischen Akt rechtlich gutheißen oder aber verwerfen werde. Zugleich wird man ins Kalkül ziehen müssen, ob ein für rechtsbrecherisch gehaltener Staat dazu bereit und in der Lage wäre, die Folgen einer solchen Einschätzung zu tragen. Kriegerische Gewalt ist im Gegensatz zu gewissen innerhalb von Staaten verübten Taten ja immer öffentlich, sie erfolgt vor den Augen einer Welt, die – gerade in unseren Tagen – beständig zuschaut und ihr Urteil abgibt. Also wird zu dem Versuch, die Macht eines Staates einzuschätzen, auch immer die Antizipation der Publikumsreaktion gehören sowie eine Vorwegnahme der Folgen diese Reaktion. Rechtskonformes Verhalten der Partner eines internationalen Abkommens, dessen Parteien staatliche Quasi-Subjekte sind, wird daher letztlich durch eine Machtzuschreibung zweiter Stufe gesichert: Die Staaten Q und Z vereinbaren in

12. Kriegerische Gewalt

193

einem Vertrag Gewaltverzicht. Ist die Einhaltung dieses Vertrages durch eine neutrale dritte Instanz erzwingbar, dann wären durch ihn kriegerische Aktionen wirksam ausgeschlossen, die Einschätzung der jeweiligen Macht gewönne an Sicherheit. Wenn ein neutraler Dritter fehlt, tritt an seine Stelle die Machtzuschreibung zweiter Stufe, welche nun die Vertragstreue der Partner angesichts der denkbaren Reaktionen auf einen immer nur öffentlich zu vollziehenden Vertragsbruch kalkuliert. Schreiben beide Parteien sich so wenig Macht zu, daß ihnen ein Vertragsbruch inopportun erscheint, glauben sie obendrein, daß ein Vertragsbruch sie politisch isolierte, dann sichert die Machteinschätzung zweiter Stufe den Vertrag. So tritt das Meinungshafte der Macht im Felde der internationalen Beziehungen in seiner ganzen Unausweichlichkeit zutage: Man versucht es durch einen nach internationalem Recht geschlossenen Vertrag zu verringern; der aber ist nur aufgrund von Machtzuschreibung funktionsfähig. Daß dies so ist, liegt nicht am krankhaften Mißtrauen der Akteure auf der internationalen Bühne – Quasi-Subjekte hegen kein Mißtrauen – und auch nicht an ihrer Verachtung des internationalen Rechts, es liegt ausschließlich am Wesen der Macht, an ihrem nie völlig zu unterdrückenden meinungshaften Charakter. Innerstaatlich läßt er sich nur einhegen, zwischenstaatlich aber muß das Meinungshafte der Macht seine eigene Restriktion garantieren, wobei das internationale Recht keine unerhebliche Rolle spielt. Eben dies verkennen die politischen Realisten.

194

IV. Konsequenzen Duas res publicas animo complectamur: alteram magnam et uere publicam, qua dii atque homines continentur, in qua non ad hunc angulum respicimus aut ad illum, sed terminos ciuitatis nostrae cum sole metimur; alteram, cui nos ascripsit condicio nascendi . . . – Zwei Staaten wollen wir uns vorstellen: den einen groß und wirklich allgemein, der Götter und Menschen umfaßt und in dem wir nicht diesen oder jenen Winkel berücksichtigen, sondern die Grenzen unseres Staates mit der Sonne vermessen; den anderen, in den wir hineingeboren worden sind . . . (Seneca: De otio IV, 1).

13. Die Idee eines Weltstaats

Die Analyse des Machtbegriffs hat noch einmal vor Augen geführt, ein wie fragiles Gebilde das System der internationalen Beziehungen ist, wieviel solider demgegenüber die innerstaatlichen Verhältnisse sind. Nichts liegt angesichts dieses Ergebnisses näher als die Annahme, man habe eben die Staaten untereinander noch einmal zusammenzuschließen, also einen Weltstaat zu bilden. Dieser kann nun freilich ganz unterschiedlich konzipiert werden. Drei idealtypische Formen messen das Feld hier aus: (1) Die Einzelstaaten werden zugunsten eines Weltstaats aufgelöst, der von einer Weltregierung zentral gesteuert wird. (2) Der ersten Gestalt steht als anderes Extrem ein lockerer Staatenbund gegenüber, der die nationalen Regierungen bestehen läßt, also keine Zentrale kennt, bestenfalls ein Beratungsgremium, welches einzelstaatliche Souveränität nicht tangiert. (3) In der Mitte zwischen beiden Extremen läge ein Bundesstaat, in dem die Nationalstaaten etwa die Rolle spielten, welchen den Ländern in der Bundesrepublik Deutschland oder vielleicht den states zukommt, die zur Union vereinigt die United States bilden.

13. Die Idee eines Weltstaats

195

Soll die Sicherheit, welche innerhalb von Staaten herrscht, auch im Felde der internationalen Beziehungen erreicht werden, dann wird sich die zweite Lösung wohl verbieten; denn sie beläßt den Nationalstaaten genau das Maß an Souveränität, welches der Möglichkeit einer in jedem Falle friedlichen Konfliktbewältigung gerade im Wege steht. Aus diesem Grunde bewegt sich eine auf einen Weltstaat gerichtete Debatte stets im Felde der Möglichkeiten (1) und (3), die man mit unterschiedlichen Argumenten verwirft oder favorisiert. Bevor ich die hier einschlägigen Überlegungen thematisiere, soll mit Kant ein hervorragender Vertreter der zweiten Lösung zu Wort kommen, der – sich der Probleme einer wilden zwischenstaatlichen Freiheit wohlbewußt – dennoch nur mit der Schaffung einer äußerst schwachen Organisation einverstanden ist, welche er nicht etwa als eine ,Zwischenstation‘ (vgl. Habermas 2005: 326), sondern durchaus als die einzig denkbare Lösung verstanden wissen will. Der von Kant konzeptualisierte Völkerbund ist ein seltsames Gebilde; er wird zwar nach dem Muster des Vertrages zu konzipieren sein, mit dem auch die Einzelstaaten begründet werden (MdS Ak VI 344), aber eine souveräne Gewalt darf hier gerade nicht entstehen. Zudem soll es möglich sein, diese Verbindung jederzeit aufzukündigen. Dennoch ist das hochgesteckte Ziel die Kriegsverhütung. Der Gedanke eines Völkerbundes ergibt sich in einer Weiterführung der Überlegungen, aus denen die Notwendigkeit erhellt, einen Staatsvertrag abzuschließen. Notwendig wird ein Staatsvertrag für Kant, um einen solchen Zustand herbeizuführen, in welchem eine öffentliche Gerechtigkeit nach der Idee eines allgemeinen gesetzgebenden Willens errichtet ist. Im einzelnen läßt sich der Gedankengang so skizzieren: Ein Staat ist für Kant eine Vereinigung von Menschen unter Rechtsgesetzen (MdS Ak VI, 313). In ihn einzutreten ist nicht in das Belieben des einzelnen gestellt oder lediglich ein Gebot der Klugheit. Vielmehr verlangt das ursprüngliche Menschenrecht, daß die Freiheit eines jeden mit der eines jeden anderen

196

IV. Konsequenzen

nach einem allgemeinen Gesetze kompatibel sei (MdS Ak VI, 237 / 238), nach staatlicher Garantie. Es ist also das Vernunftrecht, welches den Staat und damit auch den Vertrag, der ihn begründet, postuliert. Der Staat kommt durch einen Kontrakt in der Idee zustande. Kern des Vertrages sind zwei – dem Anscheine nach gegenläufige – Operationen: Alle legen ihre äußere Freiheit nieder und heben sie anschließend – zum Staatsvolke vereinigt – wieder auf (MdS Ak VI, 315). Die hier verwendete Metaphorik ist freilich ein wenig irreführend, weil sie suggeriert, daß die Vertragspartner ihre Freiheit zunächst verlören, um sie dann in gewandelter Form wiederzufinden. Gemeint ist aber: Die Freiheit wird in keinem Augenblick aufgegeben, sie wird vielmehr so modifiziert, daß aus der wilden die gesetzliche Freiheit wird. Dies geschieht dadurch, daß Kompatibilität der Freiheit erzeugt wird. Kompatibel wird die Freiheit eines jeden mit der eines jeden anderen dadurch, daß man sie einer allgemeinen Gesetzgebung unterstellt. Da es aber die Vertragspartner selbst sind, welche diese Gesetze formulieren, hören sie keinen Augenblick auf, autonome, i.e. selbstbestimmte, Wesen zu sein. Die Rechtsgesetze, unter welchen die Menschen vereinigt zu Bürgern werden, sind Ausfluß des allgemein vereinigten Willens, welcher sich in drei moralischen Personen manifestiert: in der Herrschergewalt des Gesetzgebers, i.e. der Souveränität; in der vollziehenden Gewalt, i.e. der Regierung; in der rechtsprechenden Gewalt, i.e. in der Zuerkennung des suum durch einen Gerichtshof. Diese drei Gewalten ordnet Kant zu einem praktischen Syllogismus, dem sich ihr Zusammenspiel entnehmen läßt: Der Gesetzgeber konstatiert und kodifiziert die Rechtsgesetze, welche aus dem Begriffe des Rechts deduziert werden können. Die Regierung agiert innerhalb dieses Rahmens. Die Gerichtshöfe überprüfen, wenn sie angerufen werden, ob ein Akt der Regierung Fall der im Gesetz festgeschriebenen Regel ist (MdS Ak VI, 313). Der Staatsvertrag eröffnet die Möglichkeit öffentlichen Rechts. Privatrecht regelt das Verhältnis der Menschen im

13. Die Idee eines Weltstaats

197

Natur- bzw. in einem lediglich gesellschaftlichen Zustand, öffentliches Recht hingegen bezieht sich auf den Bürger in seinem Verhältnis zum Staat. Weltbürgerrecht betrifft den Menschen, der mit einem fremden Staat in Kontakt kommt, Völkerrecht schließlich hat es mit einer Pluralität von politischen Quasi-Subjekten, den Staaten, zu tun. Aufgrund dieser Bestimmungen sollte man nun annehmen, daß auch das Völkerrecht – ganz so wie das Privatrecht – so lange nur provisorischen Charakter hat, wie es noch nicht gelungen ist, die Quasi-Subjekte in einem Staatsvertrag zweiter Stufe zu vereinigen. Denn es liegt ja in der Logik des Postulats, den Naturzustand zu verlassen, jedermann zur staatlichen Vereinigung zwingen zu können. Wenn dies aber für die Naturzustandssubjekte gilt, warum nicht auch für die politisch verfaßten Quasi-Subjekte des Völkerrechts? Damit ist die entscheidende Schwierigkeit formuliert, welche sich bei der Lektüre der für Kants Philosophie der internationalen Beziehungen einschlägigen Passagen ergibt: Staaten befinden sich untereinander nach wie vor in einem Verhältnis, welches von potentieller Gewalttätigkeit überschattet oder gar durch tatsächliche Gewaltausübung vergiftet ist. Kant entwickelt zur Zivilisierung dieses völlig unbefriedigenden Zustandes die Regeln eines ius ad bellum, in bello und – über die Tradition hinausgehend – ein Recht nach dem Kriege. Was er nicht versucht, ist dem Treiben dadurch ein Ende zu machen, daß er einen Weltstaat konzipiert, der – analog zur politischen Vereinigung der Individuen – die einzelnen Staaten zur Anerkennung einer sie bändigenden Obrigkeit zwingt. Für diese Haltung finden sich bei Kant ganz unterschiedliche Begründungen. Man stößt zweimal auf den Einwand, ein Weltstaat sei nicht praktikabel, es findet sich darüber hinaus der Hinweis, der Weltstaat werde notwendig eine Despotie sein, schließlich erhebt Kant den Vorwurf, das Postulat eines Weltstaates sei logisch inkonsistent. Nicht praktikabel sei der Weltstaat, weil die Staaten ihre wilde Freiheit einfach nicht aufgeben wollten (ZeF Ak VIII,

198

IV. Konsequenzen

357). Daher mögen Vorschläge wie die des Abbé von St. Pierre oder Rousseaus gut klingen, für die Praxis hätten sie keine Bedeutung, man verlache sie vielmehr (Gem Ak VIII, 313). An einer weiteren Stelle heißt es, ein Weltstaat sei zu stark ausgedehnt, als daß man ihn noch regieren könne (MdS Ak VI, 350). Von anderer Art ist der Einwand, übergroße Staaten neigten zum Despotismus (Gem Ak VIII, 311). Der durch die Absonderung der Staaten voneinander heraufbeschworene Zustand sei immer noch besser als ihre Zusammenschmelzung. Bei genauerem Hinsehen erweise sich die Idee eines Weltstaates nämlich als der imperiale Traum eines einzelnen Landes, das alle anderen in sich aufzusaugen begehre (ZeF Ak VIII, 367). Schließlich heißt es auch, in der Idee eines Weltstaates liege ein Widerspruch. Denn Staaten seien immer hierarchische Gebilde. Fasse man sie nun zu einem Weltstaat zusammen, in dem die einzelnen Staaten als bürgerliche Quasi-Subjekte angesehen würden, dann seien sie zugleich Obere, in bezug auf ihre Bürger, und Untere, in bezug auf den Weltstaat (ZeF Ak VIII, 354). Es ist leicht zu sehen, daß hier auf ganz unterschiedlichen Niveaus argumentiert wird. Der erste Einwand hat politischpraktischen Charakter. Er zeigt deutlich, daß Kant um die Schwierigkeiten weiß, welche mit der Zumutung eines Souveränitätsverlustes der Einzelstaaten verbunden sind. Überdies werden hier die rein technischen Probleme einer Überdehnung von Verwaltungseinheiten ins Kalkül gezogen. Die letzten beiden Einwände dienen dem Abweis einer Universalmonarchie, i.e. einer solchen weltstaatlichen Konstruktion, die Einzelstaaten nicht übergreift, sondern sie – zwecks imperialer Erweiterung – in sich aufsaugt; Kant argumentiert dabei einmal aus den Konsequenzen, i.e. mit dem Despotismusverdacht, zum anderen erhebt er den Vorwurf, jede über einen lockeren Völkerbund hinausgehende Vereinigung sei in sich selbst widersprüchlich.

13. Die Idee eines Weltstaats

199

Angesichts dieser Argumente läßt sich die Position, welche Kant bezieht, so kennzeichnen: Abgewiesen werden die beiden denkbaren Extremfälle einer Beibehaltung des außenpolitischen Naturzustandes einerseits, einer Universalmonarchie andererseits. Vorgeschlagen wird eine Vereinigung von Staaten, welche genau so weit reicht, daß ein Souveränitätsverzicht unterbleibt. Philosophisch bedeutsam ist das letzte Argument. Kant stellt hier fest, daß die Rede vom Völkerrecht unterschiedliche staatliche Quasi-Subjekte voraussetze. Seien diese nicht mehr vorhanden, dann könne auch nicht mehr vom Völkerrecht gesprochen werden. Die Schwäche dieser Überlegung scheint darin zu liegen, daß Kant hier ein Alles-oder-nichts-Argument konstruiert, welches auf den ersten Blick nicht zwingend ist. Denn anarchische Handlungsfreiheit und universalmonarchische Despotie bilden keine vollständige Disjunktion, vielmehr sind durchaus Zwischenformen partiellen Souveränitätsverzichtes denkbar (vgl. Höffe 1995: 271). Ein Metastaat muß seine Glieder nicht in den gleichen Zustand versetzen, in welchem sich die einzelstaatlich verfaßten Bürger schon befinden. Vielmehr läßt sich die eine oder die andere Spielart eben des ,Föderalism‘ konzeptualisieren, von welchem Kant selbst spricht (vgl. ZeF Ak VIII, 354; Gem Ak VIII, 311). Da Kant keine ausreichende Erklärung für sein Beharren auf vollständiger einzelstaatlicher Souveränität zu geben scheint, sieht man sich gezwungen, sie gleichsam aus der Gesamtheit seiner politiktheoretischen Bemerkungen zu extrahieren. Hier bieten sich folgende Überlegungen an: Einzelstaaten verwandeln provisorisches in peremptorisches Recht. Ist dies erfolgt, dann ist der grundlegende Freiheitsanspruch einer Pluralität von Individuen verwirklicht. Darüber hinausgehende Einschränkungen ließen sich nur dann rechtfertigen, wenn die einzelstaatliche Rechtssicherung als unzulänglich erwiesen würde (vgl. Kyora 1996: 99 f.). Ein solcher Nachweis, sollte er denn gelingen, führte freilich nicht dazu, einen Staatenstaat zu postulieren, sondern man hätte aus ihm vielmehr den Schluß zu ziehen, daß die defizitäre Begründung von

200

IV. Konsequenzen

Einzelstaaten so zu revidieren wäre, daß sie ihrer Aufgabe schließlich nachkommen können. Kurz: Jede Rechtsgemeinschaft, die nach einer sie überwölbenden Organisation eines Staatenstaates verlangt, gesteht damit zugleich ein, die Aufgabe, welche zu lösen sie gebildet worden ist, nicht erfüllen zu können. Hier ist dann aber nicht dadurch Abhilfe zu schaffen, daß man diese defizitären QuasiSubjekte durch eine metastaatliche Konstruktion saniert, sondern nur dadurch, daß sie sich selbst in eine Gestalt bringen, welche dem Freiheitsanspruch der Individuen gerecht wird. Geht man hingegen davon aus, daß der Unzulänglichkeitsbeweis scheitert, daß also die Einzelstaaten genau die Aufgabe erfüllen, zu welcher sie geschaffen worden sind, dann bedeutete jede metastaatliche Organisation einen Souveränitätsverlust, der – wie gering oder wie umfangreich er auch immer ausfallen mag – ihren Status als freie Republiken aufhebt (vgl. Flikschuh 2000: 185). Es ist also letztlich immer wieder der Gedanke unteilbarer einzelstaatlicher Souveränität, der im Zentrum der Kantischen Ablehnung einer supra-nationalen politischen Organisation steht, die über den von ihm konzeptualisierten lockeren Völkerbund hinausgeht. Freilich ist der Kern des Gedankengangs damit noch nicht erreicht; denn hinter der Rede von Souveränität steht die Idee des allgemeinen gesetzgebenden Willens. Erst wenn man ihn genauer ins Auge faßt, wird deutlich, daß es die Substanz des Einzelstaates ist, welche in Gefahr gerät, wenn er einen wie auch immer gearteten Souveränitätsverlust in Kauf nimmt. In einer Nachlaßnotiz Kants findet sich die Feststellung, eine uneingeschränkte oberste Gewalt, i.e. Souveränität, sei unabdingbar. Diese könne aber nur der gemeinschaftliche Wille besitzen (Ak XIX, 498). Sie muß ihm zukommen, da sich in ihm das Recht ausspricht. Deutlich wird dies an den Bestimmungen, welche Kant im Rahmen seiner Eigentumstheorie macht. Die äußere Erwerbung im Sinne der Erstaneignung enthält drei Momente:

13. Die Idee eines Weltstaats

201

(1) apprehensio – die Aneignung von etwas, das bisher niemandes suum ist – führt zum empirischen Besitz; (2) declaratio – die Bezeichnung des Angeeigneten als Besitz – schließt alle anderen vom Gebrauch des Gegenstandes aus; (3) appropriatio – die Zueignung – führt zur Einstimmung aller anderen mit der in apprehensio zum Ausdruck gebrachten Willkür, i.e. der Besitz wird zu possesio noumenon. Das erste Moment ist lediglich Ausdruck einer voluntas unilateralis, eines einseitigen oder partikularen Willens. Eben diese Partikularität hebt das dritte Moment auf. In ihm wird nämlich sichtbar, daß der einseitige Wille durch die Vereinigung der Willkür aller zum gebietenden Willen wird (MdS Ak VI, 263). Dieser ist es, welcher genau dann Sicherheit schafft, wenn er machthabender Wille ist (MdS Ak VI, 256). Die Staatsgründung ist mithin deshalb Pflicht, weil nur sie es erlaubt, den allgemeinen Willen in einen machthabenden allgemeinen Willen zu verwandeln; sie ist genau dann mißlungen, wenn es nur partikulares Wollen ist, welches sich in das Gewand des allgemeinen Willens kleidet. Souveränität meint also nichts anderes als die Herrschaft des Rechts als des allgemeinen Willens. Gestünde Kant nun zu, daß diese Souveränität zugunsten supra-nationaler politischer Entitäten beschnitten oder gar ganz aufgehoben werden muß, dann hätte er zugleich eingeräumt, daß es vor dieser Verzichtleistung nicht der allgemeine Wille war, der hier die Kodifikation des Rechts betrieben hat, sondern das lediglich partikulare Wollen eines nur einzelstaatlichen Quasi-Subjektes. Es ist also die Dignität der res publica, welche auf dem Spiel steht. Treffen diese Überlegungen zu, dann wird unmittelbar einsichtig, warum Kant das Alles-oder-nichts-Argument präsentieren muß. Denn partikulares Wollen und allgemeiner Wille stehen in der Tat im Verhältnis einer vollständigen Disjunktion. Daher bedeutet nun das Zugeständnis der Notwendigkeit eines Metastaates zugleich das Eingeständnis der Partikularität der Einzelstaaten. Diese in ihrem außenpolitischen Ver-

202

IV. Konsequenzen

halten zu zivilisieren, kann dann eben nur dem Völkerbund anvertraut werden, den Kant vorschlägt. Kant hat in seiner Skepsis einer Weltregierung gegenüber Zustimmung, aber natürlich auch Kritik hervorgerufen. Gegen seine Auffassung kann man zunächst einwenden, daß der Kontraktualismus nicht haltmachen dürfe, ehe der globale Naturzustand nicht beseitigt ist. Der Nationalstaat wäre also in jedem Falle zu transzendieren (vgl. Kersting 1996: 434). Das heißt freilich nicht, aller Einzelstaatlichkeit ein Ende zu setzen; man kann vielmehr eine schwache Form des Weltstaates, den Weltminimalstaat, konzeptualisieren, welcher lediglich Aufgaben der Gesetzgebung, der Rechtsprechung und der Rechtsdurchsetzung wahrnimmt (Kersting 1998: 539). Er wäre als ein globaler Metastaat zu verstehen, dessen Aufgabe die Friedenssicherung und die Wahrung der Menschenrechte ist (Kersting 1998: 541 f., Habermas 2005: 334 f.). Sollten sie verletzt werden, fiele es in das Aufgabenfeld des Weltstaates, durch militärische Intervention dem Rechtsbruch Einhalt zu gebieten. Solche Akte wären dann aber nicht als Kriege der Weltregierung, sondern eher als Polizeiaktion zu betrachten (vgl. Zanetti 1998: 323; Habermas 2005: 352 f.). Carl Friedrich von Weizsäckers Wort von der ,Weltinnenpolitik‘ wäre in einem ersten Schritt Wirklichkeit geworden (von Weizsäcker 1977: 35). Praktisch läßt sich gegen die Möglichkeit solcher weltpolizeilicher Aktionen folgendes einwenden: Eine Polizeitruppe muß drei Bedingungen erfüllen, sie hat verläßlich, wirksam und unparteiisch zu sein. Verläßlich ist sie, wenn sie den politischen Autoritäten gegenüber loyal ist und ihre Vorstellungen von Recht und Gesetz teilt; wirksam, wenn sie dem Teil der Bevölkerung, der dazu geneigt ist, das Gesetz zu brechen, gewisse Zwangsmittel entgegensetzen kann (Morgenthau 1970: 292). Unparteilichkeit meint: Personen und Situationen, die dem Gesetz gemäß gleiche Behandlung / Handhabung erfordern, werden gleich behandelt (Morgenthau 1970: 297). Eine internationale Polizeitruppe kann nicht nur einer Regierung dienen, deren Anordnungen sie ausführt, sie muß das

13. Die Idee eines Weltstaats

203

Instrument einer internationalen Organisation sein. Eben dies macht ihre Verläßlichkeit zu einem Problem, denn hier wird – in einer Welt von Nationalstaaten – ja ein Loyalitätstransfer von den Mitgliedern dieser Polizeitruppe verlangt (vgl. Zanetti 1998: 323) – weg von ihrem Heimatland, hin zur internationalen Organisation eines Weltminimalstaates. Die Verläßlichkeit einer internationalen Polizei hängt zudem von der internationalen Rechtsordnung und dem politischen status quo ab, die / den sie wahren soll. Im Gegensatz zu heimischen Rechtsverletzungen, die immer nur einzelne Gesetze betreffen, kann im internationalen Felde durch Akte gewisser Nationalstaaten die gesamte Rechtsordnung fragwürdig werden. Eine internationale Polizei hätte dann also nicht nur einzelnen Regeln Respekt zu verschaffen; von ihr hinge die Wahrung des jeweiligen politischen und rechtlichen Weltzustandes ab. Wenn die Regelverletzung von einem großen Staat ausgeht, wird die Polizeiaktion die Gestalt eines Koalitionskrieges annehmen – die am status quo interessierten Mächte werden sich zusammentun. Baut man die internationale Polizei vor Ausbruch eines solchen Konfliktes auf, ist im Konfliktfalle die Loyalität einzelner ihrer Mitglieder möglicherweise fragwürdig, denn sie könnten mit dem Rechtsbrecher sympathisieren, weil ihr Heimatland dies tut. Stellt man sie ad hoc zusammen und wählt man nur die Mitglieder zuverlässiger Nationalstaaten, dann könnte die Truppe zu schwach werden (Morgenthau 1970: 307). Neben diesen eher praktisch-politischen Einwänden – selbst gegen einen Weltminimalstaat – läßt sich auch grundsätzlicher für Kants Skepsis argumentieren. Hannah Arendt (1968: 81 f.) stellt fest, eine Weltregierung könne nur eine Tyrannis sein, i.e. das Ende des Politischen, welches ja auf einer Pluralität von Menschen und Staaten beruhe, die einander wechselseitig Grenzen zögen und gerade dadurch Handlungsmöglichkeiten eröffneten. Ein Weltstaat ersetzte die Regierung durch einen gigantischen Verwaltungsapparat und schüfe damit den ge-

204

IV. Konsequenzen

sichtslosen Despotismus einer alles umspannenden Bürokratie (Arendt 2003: 14). Eine selten bedachte praktische Auswirkung illustriert dieser Einwand: Da es zu einer Weltregierung keine Alternative gäbe, wäre es nicht möglich, vor ihr zu fliehen, wenn man sich verfolgt fühlen sollte; denn es fände sich ja kein Land mehr, in welches man auswandern könnte (vgl. Bull 1977: 254). Die von Kant erstmals erhobene und sodann im letzten Jahrhundert immer wieder geäußerte Sorge, eine Weltregierung werden notwendig tyrannisch, läßt sich auf folgende Weise näher begründen: Staaten organisieren ihnen vorgängig vorhandene Gemeinschaften, wie sich anhand der Entstehung der Vereinigten Staaten zeigen läßt (vgl. Morgenthau 1963: 432 f.). Gibt es solche Gemeinschaften nicht, dann können keine dauerhaften politischen Gebilde entstehen. Auch eine Weltgemeinschaft kann nicht einfach durch rechtliche, konstitutionelle oder Regierungsmaßnahmen erzeugt werden, weil die Autorität von Regierungen, die Autorität des Rechts und die einer Konstitution nichts anderes ist als die Autorität der vorgängigen Gemeinschaft, deren Regierung sie ist. Es müßte also schon vorhanden sein, was allererst erzeugt werden soll, damit es geschaffen werden kann. Auch kann keine Gemeinschaft allein durch polizeiliche Gewalt zur Einhaltung der für eine grundlegende Ordnung nötigen Verhaltensregeln gezwungen werden, vielmehr ist eine gewisse Gesetzestreue hierfür immer schon die Voraussetzung, welche der Gemeinschaft eine basale Kohäsion verleiht (vgl. Niebuhr 1950: 134; Russell 2005: 25, 123). Ohne einen solchen Zusammenhalt, der für eine Weltgemeinschaft nicht gegeben ist, läßt sich nur tyrannische Gewalt einsetzen, um Friedhofsruhe zu erzeugen. Darum steht jede Weltregierung in der Gefahr, tyrannisch zu werden, wenn sie es nicht schon von Anfang an ist. Dies ist – wie nicht anders zu erwarten – das Resultat von Überlegungen, welche Politiktheoretiker anstellen, die der sogenannten realistischen Schule zuzurechnen sind. Aber es ist

13. Die Idee eines Weltstaats

205

eben auch die von Kant vertretene Auffassung und die der von ihm inspirierten Philosophie – etwa der von John Rawls vorgelegten Theorie der internationalen Beziehungen (vgl. 1999: 36, 48). An die Stelle einer auf Errichtung einer Weltrepublik hin ausgelegten Politik setzt Rawls das Programm einer Liberalisierung der Einzelstaaten, womit er die These der Realisten bestreitet, für eine Einschätzung der Außenpolitik eines Landes sei ein Blick auf seine innere Verfassung überflüssig. Man hat dieses Theorem der Realisten ganz zutreffend als den Billard-Kugel-Zugang zur Analyse der internationalen Beziehungen bezeichnet (Fukuyama 1992: 248): Um die Bahn der Kugeln, i.e. das Handeln der Staaten, zu berechnen, müsse man nichts über ihr Inneres wissen; es sei lediglich nötig, die Gesetze der außenpolitischen Mechanik zu kennen, um die Interaktion von Staaten erklären und schließlich auch vorhersagen zu können. Daß diese Auffassung für Demokratien falsch ist, kann als unmittelbar evident gelten (vgl. Waltz 1967: 307). Aber auch autoritär regierte Staaten reflektieren in ihrer Außenpolitik die inneren Verhältnisse (vgl. Waltz 1967: 309 f.). Hinter dem Theorem vom demokratischen Frieden steckt die seit Kants Diktum (MdS Ak VI, 370) und seit einer entsprechenden Äußerung John Jays im Federalist, No. 4 (Hamilton / Madison / Jay 1965: 13), häufig wiederholte These (vgl. z. B. Doyle 1983; Czempiel 2000: 8 ff.), daß republikanische Staaten einander nicht bekriegen – um das Kantische Wort zu benutzen, wir würden von Demokratien sprechen. Auch die Begründungen, welchen man heute für diese These erhält, sind nicht neu: Daß Demokratien gegeneinander keine Kriege führen, werde dadurch erklärbar, daß Menschen im Konkurrenzsystem einer freien Marktwirtschaft gänzlich vom Streben nach wirtschaftlichem Erfolg erfüllt seien; ihre Gedanken auf das Führen von Kriegen zu richten, verbleibe ihnen nicht die Energie (Schumpeter 1955: 69). Hinzu komme, daß die Kriegskosten so sehr gestiegen seien, daß eine demokratisch legitimierte Versammlung sie der Bevölkerung, welche sie repräsentiere, gar nicht zumuten könne, wenn sie ihre Wiederwahlchancen vor Augen habe (vgl. Czempiel 1996: 80). In Ab-

206

IV. Konsequenzen

wandlung eines Hinweises von Tocqueville, der meint, die Demokratie lösche den kriegerischen Geist dadurch aus, da sie einen wachsenden Kreis friedliebender Eigentümer erzeuge (1981: II, 325), fügt Münkler folgenden Gedanken hinzu: In unseren moralischen Orientierungsmustern spiele kriegerische Ehre keine bedeutende Rolle mehr, ja man mokiere sich eher über entsprechende Vorstellungen (vgl. Münkler 2002: 7, 208). Rawls begründet die Kantische These bezüglich des republikanischen Friedens so: Demokratische Staaten bekriegen einander nicht; denn sie haben einfach keinen Grund dafür. Es ist nämlich die interne institutionelle Struktur, die Staaten anderen Staaten gegenüber aggressiv macht. Demokratische Staaten greifen nur zu den Waffen, um sich zu verteidigen oder um die Menschenrechte in solchen Staaten wiederherzustellen, in denen sie grob verletzt werden (1999: 8). Eine gerechte Gesellschaft versucht also nicht, eine andere zu ihrer Religion zu bekehren, sie will ihr Territorium nicht vergrößern und auch keine politische Macht über andere Gemeinschaften erringen. Was sie braucht und nicht selbst hat, erwirbt sie durch Verhandlungen und durch Handel (1999: 19). Mit diesen Angaben bleibt von den im zwölften Kapitel aufgelisteten Kriegstypen nur der siebte übrig, dessen Kennzeichnung obendrein noch zu modifizieren wäre. Sie müßte nun lauten: (70 ) ein zwischenstaatlicher Krieg, in welchem ein staatliches Quasi-Subjekt ein anderes dazu zwingen will, seine territoriale Integrität bzw. die Menschenrechte zu respektieren. Der Preis, den man für eine solche Bestimmung zahlt, besteht freilich in der Wiederbelebung des bellum iustum-Theorems und all’ seiner Implikationen. Sowohl im Falle einer Invasion als auch bei schweren Menschenrechtsverletzungen muß der Schuldige als ein Verbrecher angesehen werden, seine Offiziere wären als Führer einer Gangsterbande zu betrachten, die Soldaten hätten zumindest als Handlanger des Bösen zu gelten. George F. Kennan (1952: 65 f.) hat gewiß nicht ganz

13. Die Idee eines Weltstaats

207

Unrecht, wenn er darauf verweist, daß Demokratien den Frieden lieben, daß sie sich nur schwer zu Gewaltakten provozieren lassen. Sei dies aber einmal geschehen, dann vergebe man dem gegnerischen staatlichen Quasi-Subjekt und seinen Bürger nicht mehr so schnell. Man rufe nach Bestrafung. So zeigt sich schließlich eine zweifache Gefährdung äußerer Politik. Die eine geht von einem Weltstaat aus, der sich zu einem tyrannischen Ungeheuer auswachsen könnte, die andere von einer Demokratisierungspolitik, welche das bellum punitivum wieder zu einem historischen Faktum machen und damit die im klassischen Völkerrecht gewonnene Hegung des Krieges preisgeben könnte. Treffen diese Bedenken zu, dann verbleibt der trans-nationalen Politik nur die Ausrichtung auf einen mit diplomatischen und insbesondere auch wirtschaftlichen, im Regelfalle nicht-kriegerischen Mitteln ausgeführten Demokratisierungsprozeß (vgl. Czempiel 1984: 16). Denn so gewiß Foucault Unrecht hat, wenn er meint, die Politik sei die Fortsetzung des Krieges mit anderen Mitteln, so klar ist es auch, daß Clausewitz, den Foucault hier auf den Kopf stellt, sich irrt: Krieg ist kein Mittel der Politik, er ist ihr Zusammenbruch. Treffen diese Überlegungen zu, dann kann auch der bisher unbeantwortet verbliebene Rest der á-Frage beseitigt werden. Die Frage lautete: (á) Ist der Staatsbegriff des Völkerrechtes angemessen; ist es nicht nötig, gelungene von mißlungenen Formen von Staatlichkeit zu unterscheiden? Nun läßt sich sagen: Will man als Alternative einer auf die Schaffung eines Weltstaates gerichteten Politik Bemühungen um eine zunehmende Demokratisierung der Staaten setzen, die bisher eine solche Bezeichnung noch nicht verdienen, dann setzt eine solche Strategie voraus, das Gleichheits- und das Souveränitätspostulat des Völkerrechts auch dann zu respektieren, wenn man meint, es mit mißlungenen Formen von Staatlichkeit zu tun zu haben.

208

IV. Konsequenzen

Damit sind die drei Fragen der Einleitung beantwortet: Das Völkerrecht fließt sowohl aus den Quellen, denen positives, als auch aus solchen, denen trans-positives Recht entstammt. Seine Subjekte sind Quasi-Personen, denen Souveränität, i.e. Völkerrechtsunmittelbarkeit, attestiert werden muß. Damit ist es das Völkerrecht, welches nationalem Recht allererst den Raum eröffnet, den es besetzt – soviel läßt sich sagen, auch wenn man zu vorsichtig ist, um sich der starken Kantischen oder der schwächeren Rawlsschen Lösung anzuschließen, die beide nationales wie transnationales Recht als Applikationen eines und desselben Rechtes erscheinen lassen.

„The impossibility of being a consistent and thorough-going realist is one of the most certain and most curious lessons of political science.“ (Carr 1948: 89)

Schluß Fast-Fish Die Walfänger haben die vorliegende Abhandlung eingeleitet, sie sollen sie auch beenden. Loose-Fish heißt bei ihnen eine unmarkierte Beute, ein Fast-Fish hingegen ist auf irgendeine Weise mit einem Schiff oder Boot verbunden, dessen Besatzung Anspruch auf ihn erheben kann, diesen aber nur dann auch verwirklicht, wenn es ihr gelingt, sich des Tieres in der Tat zu bemächtigen. Daraus hat Melville eine allgemeine Theorie nicht nur der trans-nationalen Politik, sondern auch der Wirksamkeit des Völkerrechts hergeleitet. Sie konstatiert: Letztlich ist der Schwächere für den Stärkeren immer nur Loose-Fish. Internationales Recht vermag hier keinen Schutz zu gewähren. Eine legalistische Auffassung trans-nationaler Politik ist daher verfehlt. Die letzten Überlegungen sollen die im Laufe der vorliegenden Abhandlung gegen das Loose-Fish-Theorem vorgebrachten Einwände resümieren und zugleich systematisieren. George F. Kennan (1952. 98 ff.) hat sich darum bemüht, die realistisch genannte Auffassung der Politik aus seiner beruflichen Erfahrung als Diplomat und als Beamter im amerikanischen State Department heraus zu begründen. Er trägt sechs unterschiedlich gewichtige Argumente vor: (1) Denke man im Felde der trans-nationalen Politik legalistisch, dann setze man voraus, daß alle Staaten von der Art westlicher Demokratien wären: zufrieden mit den Grenzen, innerhalb derer sie leben, und mit dem Status, den sie haben. Dies gelte aber nur für einen Teil der Staa-

210

Schluß: Fast-Fish

tenwelt; es fänden sich durchaus Länder, auf welche die genannten Bestimmungen nicht zuträfen (1952: 98). Dies ist der Hinweis auf die Möglichkeit der Existenz von Schurkenstaaten. Der Zeitgenosse der 20. Jahrhunderts ist gewiß nicht in der Versuchung, die Berechtigung dieser Feststellung in Zweifel zu ziehen. Was er freilich bestreiten könnte, ist der Schluß, man könne den sogenannten outlaw states nicht rechtlich begegnen. Kennans zweites Argument besteht darin, seinem Gegner Inkonsistenz vorzuwerfen: (2) Man verbinde die legalistische Auffassung oft mit einer Wendung gegen den Nationalismus. Ironischerweise aber lege man dennoch auf nationale Souveränität den größten Wert; denn man bestehe auf dem Prinzip: eine Regierung, eine Stimme – unabhängig von physischen und politischen Unterschieden. Die Konzeption der Souveränität werde hier zur ausschließlichen Form der Teilnahme am internationalen Leben (1952: 98). Was man ignoriere, sei die Tatsache, daß Staatsgrenzen und nationale Identitäten oft eher zufällig zustande kämen. Das Muster der Nationalstaaten stehe nicht ein für allemal fest, die Dinge befänden sich vielmehr in ständigem Fluß, so daß sich Regierungen, aber auch Grenzziehungen änderten. Man könne keine gesetzliche Zwangsjacke über die Verhältnisse ziehen. Die mit der ständigen Veränderung verbundenen Konflikte zu mildern, sie einzugrenzen, sei Aufgabe der Diplomatie. Das Recht sei hier zu abstrakt, zu unflexibel, zu schwer dem Unvorhersehbaren anzupassen. Dieses Argument ist für einen Realisten nicht typisch, denn es verweist auf die im Felde des Politischen generell waltende Kontingenz und unterläuft daher die von Morgenthau reklamierte Möglichkeit einer politischen Wissenschaft (vgl. Morgenthau 1963: 49 ff.). Dennoch scheint es kein sehr gut gewählter Einwand. Kontingenz ist, wenn sie denn waltet, keine auf trans-nationale Politik begrenzte ontisch wirksame Macht, sondern sie gilt auch für das Innere eines Staates, für das Ken-

Schluß: Fast-Fish

211

nan die Wirksamkeit und Applikabilität des Rechtes zugesteht. Wenn wir aber das prinzipiell unvorhersehbare Handeln von Individuen rechtlich normieren können, dann dürften wird dazu auch in der Lage sein, wenn es um das Handeln von staatlichen Quasi-Subjekten geht. Kennans dritter Einwand weist auf die Chance einer gewaltfreien Beeinflussung: (3) Man übersehe die Möglichkeiten, auf andere Staaten Zwang auszuüben, ohne institutionelle Formen zu verletzten, ja manchmal sogar unter Ausnutzung derselben. Dieser Hinweis ist auf die gleiche Weise zu behandeln wie der vorangegangene: Auch im Inneren eines Landes besteht die Möglichkeit solcher Einflußnahme, ohne daß man mit Hinweis auf sie die Wirksamkeit des Rechts in Frage stellte. (4) Der legalistische Ansatz verkenne oft die Gründe für internationale politische Probleme, weil man meine, interne Auseinandersetzungen blieben intern, die Völker seien in der Lage, ihre Problem auf eine Weise zu lösen, welche die internationale Gemeinschaft nicht tangiere. Dieses Argument bedarf einer näheren Erklärung; denn es ist verkürzt vorgetragen. Gemeint sind solche Staaten, die aufgrund interner Instabilität trans-nationale Krisen erzeugen (vgl. Fukuyama 2004: 132, 136, 168). Diese mögen zu Sicherheitsrisiken führen, die Handlungen notwendig machen, welche das trans-nationale Recht verbietet – z. B. eine Einmischung in die inneren Angelegenheiten des instabilen Staates und damit eine Verletzung des in der vorliegenden Abhandlung als trans-positiv gültig erwiesenen Postulats der Staatengleichheit, aus dem ja resultiert, daß kein Staat über einen anderen zu Gericht sitzen oder ihn überhaupt auf irgendeine Weise zur Ordnung rufen darf. Kennans fünftes Argument lautet: (5) Der legalistische Ansatz sehe kollektive Aktionen gegen einen Rechtsbrecher vor. Dabei ignoriere man die Tatsache, daß zwar, wenn sich alle Nationen an solchen Sank-

212

Schluß: Fast-Fish

tionen beteiligen sollten, die militärische Stärke ansteige, die Kontrollmöglichkeiten aber abnähmen, so daß die Effektivität der Aktionen fragwürdig werde (1952: 99). Sanktionen, wenn sie wirksam sein sollten, müßten von den großen Staaten ausgehen, die eine Allianz zu formen hätten – wodurch die Diplomatie wiederum an die Stelle des Rechts trete. Was hier beklagt wird, ist die im Verlaufe der Abhandlung mehrfach angesprochene Eigentümlichkeit des Völkerrechts, das eine unabhängige Rechtsdurchsetzungsinstanz eben nicht kennt. Als letztes Argument trägt Kennan folgenden Gedanken vor: (6) Der Legalismus sei immer mit einem Moralismus verbunden, der annehme, man könne das Verhalten von Staaten moralisch beurteilen, wenn sie das internationale Recht verletzen. Mit Rechtsbrechern könne man aber nur so umgehen, daß man sie zu totaler Unterwerfung zwinge (1952: 100), zur bedingungslosen Kapitulation. Der Legalismus wolle Krieg und Gewalt beseitigen und mache doch die Gewalt nur noch schrecklicher, denn das Böse könne man nur zerstören. Nötig sei der totale Krieg, dem ein totaler Sieg zu folgen habe. Einen totalen Sieg könne man aber nur durch einen am Gegner verübten Genozid herbeiführen (1952: 101). Gewinnen ließen sich immer nur Schlachten, Kriege gewinne man nicht, man komme bestenfalls der Erreichung der Ziele näher, die man mit ihnen verfolge. Wenn diese Ziele moralischer Natur seien, dann werde man sie militärisch nicht erreichen (1952: 102). Wir könnten nur unsere eigenen nationalen Interessen einschätzen und sie verfolgen, ohne Arroganz oder Feindschaft anderen Staaten gegenüber. Dies sei die einzig realistische Konzeption (1952: 103). Das letzte Argument muß nach den im Laufe der Abhandlung erreichten Ergebnissen etwas modifiziert werden; denn es setzt ungerechtfertigterweise Moral und Recht gleich – zwei Termini, die auseinanderzuhalten sich als unbedingt nötig

Schluß: Fast-Fish

213

erweist, wenn man einen angemessenen Begriff des Rechtes einerseits und der Moral andererseits gewinnen will. Nimmt man diesen Hinweis ernst, dann kann sich Kennans sechste Überlegung nur gegen die Rechtsidee im Felde transnationaler Politik richten. Sie verliert damit aber nicht ihre Bedeutsamkeit, wie die Bestimmungen am Schluß des dreizehnten Kapitels gezeigt haben: Wenn man Staaten attestiert, Verbrecher zu sein, dann verletzt man das Postulat der Staatengleichheit. Im deutschsprachigen Raum hat – wie bereits erwähnt – Carl Schmitt dieses Argument vorgetragen. Er stellt fest, nur die Fähigkeit, einen Gegner als hostis iustus zu akzeptieren, mache es überhaupt möglich, den Krieg zu zivilisieren (vgl. Schmitt 1997: 25, 299), den Partisanen zu marginalisieren, wodurch eine schmutzige Kriegführung vermieden werden könne (vgl. Schmitt 1975: 35 / 36). Nur zwei der referierten sechs von Kennan gegen eine Verrechtlichung der internationalen Beziehungen erhobenen Einwänden scheinen wirklich bedenkenswert – der Hinweis auf die sich ergebende Notwendigkeit, in die inneren Angelegenheiten eines souveränen Staates einzugreifen, um Gefahren abzuwehren, die aus innenpolitischen Instabilitäten für die Völkergemeinschaft resultieren (4), und der letzte – die Benennung der Gefahr, welche in einer legalistisch inspirierten Außenpolitik lauert (6). Beide Einwände sind gegenläufig. Der vierte, welcher von der Notwendigkeit einer Einmischung in die inneren Angelegenheiten instabiler Staaten spricht, verlangt, das völkerrechtliche Postulat der Staatengleichheit zu ignorieren (vgl. Fukuyama 2004: 148); der sechste hingegen, der vor einer legalistischen Außenpolitik warnt, reklamiert, was zuvor hat ignoriert werden sollen; denn die Vorstellungen, man könne staatliche Quasi-Subjekte nicht als Verbrecher betrachten, die es abzuurteilen gelte, läßt sich ja nur mit dem Gleichheitspostulat begründen. Es ist dieser Widerspruch in Kennans Argumentation, der für viele der realistischen Argumentationsgänge typisch ist.

214

Schluß: Fast-Fish

Dies wird deutlich, wenn noch einmal ein Blick auf die Prämissen dieser Art, das Politische zu denken, geworfen wird. Was dem Realismus zugrunde liegt, so stellt nicht nur Raymond Aron zutreffend fest (1986: 687, vgl. auch Herz 1951: 203), ist das Hobbessche Naturzustandstheorem: Im Leviathan (1972: 187) heißt es, Könige und andere Personen, die mit souveräner Autorität ausgestattet seien, belauerten ihresgleichen mit der Eifersucht von Gladiatoren, immer dazu bereit, den latenten Kriegszustand in offene Feindseligkeiten übergehen zu lassen, denn man sei stets hoch gerüstet und müsse es auch sein, weil im Felde der Außenpolitik niemandem zu trauen sei, denn hier herrsche ja noch der Naturzustand. Der politiktheoretische Realist ist insofern ein Hobbist, als er annimmt, dem Naturzustandstheorem komme mehr als eine heuristische Funktion zu – eine Vermutung, die Hobbes selbst im Leviathan mit Hinweis auf die Wilden in Amerika, auf den Bürgerkrieg und schließlich auf die Außenverhältnisse von Staaten bestätigt (1972: 188). Nun gibt es gute Gründe, die Richtigkeit dieser Hobbessche Selbstinterpretation zu bezweifeln (vgl. Höffe 1979: 189 f.), also anzunehmen, daß man es nur mit einem Gedankenexperiment zu tun hat, wenn davon die Rede ist, die Menschen hätten einmal in einem präpolitischen, mithin gesetzlosen Zustand gelebt. Wenn die Realisten dennoch davon ausgehen, die Verhältnisse zwischen Staaten seien durch das Hobbessche Naturzustandstheorem adäquat beschrieben, dann müssen sie meinen, staatliche Quasi-Subjekte lebten in genau der von Hobbes gekennzeichneten Naturzustandswelt. Für diese gelten folgende Bestimmungen: Weil man hauptsächlich damit beschäftigt ist, das eigene Leben zu schützen, entwickelt sich keinerlei Kultur, man besitzt zum Beispiel keine bequemen Gebäude, da ihre Errichtung zu langwierig und daher zu gefährlich wäre, weil die Bauleute ja Angriffen recht wehrlos ausgeliefert wären. Kunst und Wissenschaften entstehen erst gar nicht; denn niemand schreibt Sonette, wenn im Hinterhalt

Schluß: Fast-Fish

215

die auf Beute versessenen Mitmenschen lauern; niemand philosophiert, niemand betrachtet den Himmel, die Sterne, niemand denkt über das Wesen der Zeit nach. Das Leben ist – nach Hobbes berühmten Diktum – einsam, ärmlich, häßlich, brutal und kurz (1972: 186). Daß diese Bestimmungen sich auf das Verhältnis zwischen Staaten übertragen lassen, ist mit Recht angezweifelt worden (vgl. Bull 1977: 47). Staaten leben nicht im Hobbesschen Naturzustand nebeneinander, weil gewisse Bedingungen des Naturzustandes nicht erfüllt sind; denn es gibt ja die Kulturleistungen, die nach Hobbes nicht vorhanden sein dürften. Man findet obendrein Vorstellungen von Recht und Unrecht, von Dein und Mein. Schließlich trifft die für die Hobbessche Naturzustandsbeschreibung nötige Gleichheitsthese, welche die Tötungskapazität der Individuen meint, für Staaten nicht zu; hier gibt es durchaus schwächere und stärkere, so daß gleiche Verwundbarkeit nicht gegeben ist (vgl. Beitz 1999: 41; Bull 1977: 50). Andererseits gilt aber auch, daß Staaten viel robuster sind als die Naturzustandsmenschen; denn sie müssen nicht schlafen, erkranken nicht an Körper oder Seele, leiden nicht unter Altersschwäche – wie schon Spinoza in einer Korrektur des Hobbesschen Theorems von zwischenstaatlichen Naturzustand feststellt (1994: 46 / 47). Man kann noch ein weiteres Argument vortragen: Wenn die realistische These richtig wäre, dann müßte man alle Formen der Kooperation als Derivate eines Grundantagonismus ansehen. Zusammenarbeit fände nicht aufgrund geteilter Auffassungen statt, auch gemeinsame Vorteile gäbe es nicht; alles, was geschähe, auch jede Form zwischenstaatlicher Zusammenarbeit, wäre lediglich Teil eines jedem einzelnen politischen Akt übergeordneten Machtkampfes. Auch diese Beschreibung trifft kaum die wirklichen Verhältnisse (vgl. Keohane 1984: 7). Sucht man einen Grund für die Untauglichkeit des Hobbesschen Naturzustandstheorems zur Beschreibung des zwischenstaatlichen Verhältnisses, dann liegt die Vermutung nahe,

216

Schluß: Fast-Fish

die Akteure auf internationaler Bühne seien grundsätzlich anders beschaffen als Individuen; darum sei Anarchie zwischen ihnen von anderer Art als die, welche das Zusammenleben der Individuen unerträglich macht (vgl. Bull 1977: 49). Die Ergebnisse der vorliegenden Untersuchungen erlauben es, dieses Argument noch zu verstärken; denn wir haben es ja bei den Akteuren auf der internationalen Bühne mit staatlichen Quasi-Subjekten zu tun, denen alle Innerlichkeit, welche für natürliche Subjekte kennzeichnend ist, abgeht. Nun entwickelt Hobbes aber sein Naturzustandstheorem aus einer ontologisch fundierten Anthropologie, welche den Menschen als ein von seinen Leidenschaften getriebenes, nur auf Selbsterhaltung bedachtes Wesen beschreibt, das unter dem Guten das für es jeweils Nützliche, unter dem Bösen hingegen das ihm schädlich Erscheinende versteht. Ohne diese Kennzeichnung nähme der state of nature, wenn man denn überhaupt mit einem solchen Theorem operieren will, gänzlich andere Züge an. Es liegt deshalb nahe, Bulls Vorschlag zu folgen und sich nicht am Hobbesschen, sondern am Lockeschen Naturzustandstheorem zu orientieren, wenn das Verhältnis zwischen Staaten beschrieben werden soll (1977: 48). Der erste Exkurs der vorliegenden Abhandlung hat die nötigen Kennzeichnungen geliefert: Die Vernunft verlangt, jedermann als gleichberechtigt zu betrachten, da sie keinen Grund finden kann, aus den Unterschieden der Menschen auf eine unterschiedliche Wertigkeit zu schließen. Wird eine solche dennoch behauptet und folgen entsprechende Handlungen, dann sind diese irrationale Willkür-, i.e. Gewaltakte. Die Gleichheit der Menschen ist mithin als rational zwingende Gleichheitsfiktion zu betrachten. Gleichheit meint, daß zwei oder mehr als zwei Subjekte in einer konvertierbaren, i.e. in einer symmetrischen Relation zueinander stehen. Aus der Gleichheitsfiktion resultieren die ursprüngliche Freiheit der Menschen, das Recht auf Selbsterhaltung, die Verpflichtung auf Erhaltung der Menschheit. Die hier von Locke vorgelegte Naturzustandsbeschreibung unterscheidet sich von dem bei Hobbes zu findenden Theo-

Schluß: Fast-Fish

217

rem dadurch, daß keinerlei anthropologische Angaben gemacht werden. Die Akteure sind nicht durch ihr Inneres bestimmt, daher können an ihre Stelle ohne Schwierigkeiten staatliche Quasi-Subjekte gesetzt werden. Deren Verhältnis zueinander nimmt dann genau die Gestalt an, welche die im Laufe der Abhandlung als trans-positiv erwiesenen völkerrechtlichen Postulate besitzen: Gleichheit der Staaten, Freiheit, i.e. Souveränität, aus beidem resultierend: das Interventionsverbot. Sollte sich das Lockesche Naturzustandstheorem als ein brauchbares Beschreibungsmuster für die internationalen Beziehungen erweisen, wären nicht nur die aus der realistischen Politologie resultierenden Verzerrungen vermieden; es wäre auch mehr erreicht als eine Kombination realistischer und idealistischer Gedankengänge, wie John H. Herz sie vorgelegt hat (1951: 133 ff.); denn der gesamte Gegensatz von Realismus und Idealismus erwiese sich dann als überholt. Nennt man nämlich eine solche Auffassung realistisch, welche die internationalen Beziehungen unter Aspekten von Sicherheit und Macht betrachtet, idealistisch hingegen eine solche, die sich an rationalen – und das kann nur heißen: an rechtlichen – Bedingungen orientiert (vgl. Herz 1951: 18), dann kann die auf das Lockesche Naturzustandstheorem ausgerichtete Betrachtungsweise weder der einen noch der anderen Seite zugeordnet werden. Denn wenn man den im elften Kapitel entwickelten Machtbegriff zugrunde legt, dann wird klar, daß Macht und Recht keine Opposition bilden, sondern vielmehr einander ergänzende Begriffe darstellen: das Recht sichert Machtputationen, Machtschätzungen zweiter Ordnung stabilisieren internationales Recht. Sind die internationalen Beziehungen durch solcherlei rechtlich gestützte Machtputationen bestimmt, dann weisen sie eine gewisse Ähnlichkeit mit den Verhältnissen auf, welche die Interaktionen solcher Subjekte kennzeichnen, die in Austauschbeziehungen treten: Sie müssen sich voneinander unterscheiden, um aneinander Interesse zu finden; sie müssen sich wechselseitig zuschreiben, durch Freiheit und Gleichheit ge-

218

Schluß: Fast-Fish

kennzeichnet zu sein, auf daß der ins Auge gefaßte Tauschakt nicht ungültig ist. Schließlich haben sie sich wechselseitig zu taxieren, um zu einer angemessenen Preisbildung zu finden. Da für staatliche Quasi-Subjekte in ihrem Umgang miteinander nichts anderes gilt, hat man die Strukturen internationaler Politik in Analogie zu Adam Smith’ Analyse des Marktes beschrieben (vgl. Waltz 1979: 89 ff.). Diese Kennzeichnung ist gewiß auch dann zutreffend, wenn man die Prämissen und Schlußfolgerungen der sogenannten neorealistischen Schule einer Theorie der internationalen Beziehungen nicht teilen will. Denn der Markt, den Adam Smith beschreibt, ist kein Akteur, der ein Ergebnis hervorruft, er ist die strukturelle Ursache gewisser Resultate, weil er den Akteuren bestimmte Handlungsweisen nahelegt, indem er sie belohnt, andere dadurch unwahrscheinlich macht, daß er sie durch unerwünschte Ergebnisse negativ sanktioniert. Er selektiert das Verhalten mithin durch Konsequenzen, die er eintreten läßt – solche, die man für angenehm hält, und solche, die man vermeiden möchte. Internationale politische Systeme werden durch selbstbezügliche Akteure gebildet – ganz so wie Märkte. Die Strukturen erwachsen aus der Koexistenz der Akteure, sie werden nicht intendiert, sondern sie bilden sich und werden im nachhinein gemäß den trans-positiven Prämissen des Völkerrechts kodifiziert. Wie in der Welt des Marktes ist die Motivation eines Akteurs eine Zuschreibung – im Vokabular der vorliegenden Abhandlung: eine Machtputation. Solche Einschätzungen gewinnen an Sicherheit durch das internationale Recht, das – wiewohl es im wesentlichen durch zwischenstaatliche Verträge hervorgebracht wird – dennoch auf trans-positiven Fundamenten ruht. Ohne sie hätte es keinen Bestand. Melville hat also Unrecht: Wir leben nicht in der Welt seiner Walfänger, denen kaum etwas Fast-, das allermeiste vielmehr Loose-Fish ist – Beute für den, der die Kraft hat, sich einzuverleiben, wonach ihm der Sinn steht. Eine solche – sich nur dem Anscheine nach – realistisch gebende Theorie der inter-

Schluß: Fast-Fish

219

nationalen Beziehungen trifft nicht die Verhältnisse, ist also in Wahrheit eher unrealistisch. Zu einem anderen Urteil kann man – wie ich meine – kaum kommen, auch wenn sich gewiß nicht daran zweifeln läßt, daß Melville einen der größten amerikanischen Romane verfaßt hat, die bisher geschrieben worden sind. Die folgende Einschätzung gilt daher – trotz der Kritik am Fast- / Loose-Fish-Theorem – ohne jede Einschränkung: „. . . stricken, blasted, if he be, Ahab has his humanities!“ (Melville 1988: 79).

Bibliographie Achenwall, G. / Pütter, J. St. (1995): Anfangsgründe des Naturrechts (Elementa iuris naturae). Lat. / dt. Hg. u. übers. v. J. Schröder (erstmals 1750). Frankfurt am Main. Arendt, H. (1955): Elemente und Ursprünge totaler Herrschaft. Frankfurt am Main. Arendt, H. (1968): Karl Jaspers: Citizen of the World? In: H. A.: Men in Dark Times (erstmals in: P. A. Schlipp [Hrsg.]: The Philosophy of Karl Jaspers. La Salle 1957). San Diego / New York / London, 81 – 94. Arendt, H. (1975): Macht und Gewalt. Übers. v. G. Uellenberg, 3. Auflg. (erstmals engl: On Violence. New York 1970). München. Arendt, H. (1986): Über die Revolution. 3. Auflg. (erstmals engl.: On Revolution. New York 1963). München. Arendt, H. (2002): Denktagebuch 1950 – 1973. Hg. v. U. Ludz u. I. Nordmann in Verbindung mit dem Hannah-Arendt-Institut, Dresden. 2 Bde. München / Zürich. Arendt, H. (2003): Was ist Politik? – Fragmente aus dem Nachlaß. Hg. v. U. Ludz. München. Arendt, H. (2003a): Some Questions of Moral Philosophy. In: H. A.: Responsibility and Judgment. Ed. and with an Introduction by J. Kohn. New York, 49 – 146. Aristoteles (1959): Ars rhetorica. Ed. W. D. Ross. Oxford. Aristoteles (1970): Ethica Nicomachea. Ed. I. Bywater. Oxford. Aristoteles (1973): Metaphysica. Ed. W. Jaeger. Oxford. Aristoteles (1979): Topica et sophistici elenchi. Ed. W. D. Ross. Oxford. Aristoteles (1992): Politica. Ed. W. D. Ross. Oxford. Aron, R. (1986): Frieden und Krieg. Eine Theorie der Staatenwelt. Übers. v. S. von Massenbach. Mit einem Nachwort zur Neuausgabe v. R. Löwenthal (erstmals fanz.: Paix et guerre entre les nations. Paris 1962). Frankfurt am Main. Austin, J. (1885): Lectures in Jurisprudence. 5. Auflg. Bd. 1. London.

Bibliographie

221

Austin, J. (1861): The Province of Jurispudence Determined. 2. Auflg. (erstmals 1832). London. Balibar, É. (2005): Spinoza et la politique (erstmals 1985). Paris. Beitz, Ch. R. (1999): Political theory and International Relations. With a New Afterword by the Author (erstmals 1979). Princeton. Bentham, J. (1988): The Principles of Morals and Legislation. Buffalo. Berlin, I. (1979): Two Concepts of Liberty. In: I. B.: Four Essays on Liberty. Oxford, 118 – 172. Bickermann, E. (1969): Bemerkungen über das Völkerrecht im klassischen Griechenland (erstmals 1950). In: F. Gschnitzer (Hrsg.): Zur griechischen Staatskunde. Darmstadt, 474 – 502. Blackstone, W. (1825): Commentaries on the Law of England (erstmals 1765 – 69). 16. Auflg., London. Böckenförde, E.-W. (1998): Ist Demokratie eine notwendige Forderung der Menschenrechte? In: St. Gosepath / G. Lohmann (Hrsg.): Philosophie der Menschenrechte. Frankfurt am Main. 1998, 233 – 243. Boswell, J. (1998): Life of Johnson. Ed. R.W. Chapman. Oxford. Brecht, B. (1973): Gesammelte Werke. 20 Bde. Frankfurt am Main. Brown, Ch. (1992): International Relations Theory: New Normative Approaches. New York (NY) / London / Toronto / Sydney / Tokyo / Singapore. Brugger, W. (1998): Menschenrechte und Staatenwelt. In: Ch. Chwaszcza / W. Kersting (Hrsg.): Politische Philosophie der internationalen Beziehungen. Frankfurt am Main, 153 – 203. Brunner, E. (1943): Gerechtigkeit. Eine Lehre von den Grundgesetzen der Gesellschaftsordnung. Zürich. Bull, H. (1977): The Anarchical Society. A Study of Order in World Politics. London. Burke, E. (1999): Letters on a Regicide Peace. In: E. B.: Selected Works. A new imprint of the Payne edition. 3 Bde. Indianapolis, Bd. 3. Carr, E.H. (1948): The Twenty Years’ Crisis 1919 – 1939. An Introduction to the Study of International Relations. Reprint der 2. Auflg. 1946 (erstmals 1939). London. Cicero, M. T. (1879): De legibus. Ed. A. du Mesnil. Leipzig. Cicero, M. T. (1915): De finibus bonorum et malorum. Ed. Th. Schiche. Leipzig.

222

Bibliographie

Cicero, M. T. (1958): De officiis. Ed. C. Atzert. Leipzig. Cicero, M. T. (1964): De re publica. Ed. K. Ziegler. 6. Auflg. Leipzig. Clausewitz, C. von (1984): Vom Kriege. München. Czempiel, E.-O. (1984): Das Phänomen der Intervention aus politikwissenschaftlicher Sicht. In: E.-O. Czempiel / W. Link (Hrsg.): Interventionsproblematik aus politikwissenschaftlicher, völkerrechtlicher und wirtschaftswissenschaftlicher Sicht. Kehl am Rhein / Straßburg, 2 – 20. Czempiel, E.-O. (1986): Friedensstrategien. Systemwandel durch Internationale Organisation, Demokratisierung und Wirtschaft. 2. Auflg. Paderborn. Czempiel, E.-O. (1996): Kants Theorem. Oder: Warum sind Demokratien (noch immer) nicht friedlich?. In: Zeitschrift für internationale Beziehungen 3, 79 – 101. Czempiel, E.-O. (2000): Die Ursachen des Krieges und die Möglichkeiten des Friedens heute. In: K. Graf Ballestrem / V. Gerhardt / H. Ottmann / M. P. Thompson (Hrsg.): Politisches Denken. Jahrbuch 2000. Stuttgart / Weimar, 1 – 15. Denzer, H. (2004): Samuel Pufendorf – ein vergessener Klassiker des Naturrechts. In: K. Graf Ballestrem / V. Gerhardt / H. Ottmann (Hrsg.): Politisches Denken. Jahrbuch 2004. Berlin, 61 – 75. Derrida, J. (2003): Schurken. Zwei Essays über die Vernunft. Übers. v. H. Brühmann. Frankfurt am Main. Dilthey, W. (1914): Einleitung in die Geisteswissenschaften. In: W. D.: Gesammelte Schriften. Bd. 1. Hg. v. B. Groethuysen u. a. Leipzig. Dostojewski, F. (1920): Die Teufel (Die Dämonen). Übers. v. H. Röhl. 3 Bde. Leipzig. Doyle, M. (1983): Kant, Legal Legacies, and Foreign Affairs: Part 1. In: Philosophy and Public Affairs 12, 205 – 335. Dürrenmatt, F. (1998): Die Physiker. Eine Komödie in zwei Akten. Neufassung 1980 (= Werkausgabe in 37 Bde., Bd. 1). Zürich. Dworkin, R. (1989): The Original Position. In: N. Daniels (Hrsg.): Reading Rawls: Critical Studies on Rawls’ ,A Theory of Justice‘. Stanford, 16 – 53. Eckermann, J. P. (1981): Gespräche mit Goethe in den letzten Jahren seines Lebens. Hg. v. F. Bergemann. 2 Bde. Frankfurt am Main.

Bibliographie

223

Fichte, J. G. (1971): Werke. Hg. v. I. H. Fichte (photomechanischer Nachdruck der folgenden Ausgaben: J. G. F.s sämtliche Werke. 8 Bde. Berlin 1845 / 1846; nachgelassene Werke. Hg. v. I. H. Fichte. 3 Bde. Bonn 1834 / 1835). 11 Bde. Berlin. Finnis, J. (1980): Natural Law and Natural Rights. Oxford. Flikschuh, K. (2000): Kant and modern political philosophy. Cambridge. Foucault, M. (1978): Dispositive der Macht. Über Sexualität, Wissen und Wahrheit. Berlin. Foucault, M. (2001): In Verteidigung der Gesellschaft. Vorlesungen am Collège de France 1975 / 76. Übers. v. M. Ott (erstmals 1996). Frankfurt am Main. Foucault, M. (2006a): Sicherheit, Territorium, Bevölkerung. Geschichte der Gouvernementalität I. Vorlesungen am Collège de France 1977 / 78. Hg. v. M. Sennelart. Übers.v. C. Brede-Konersmann u. J. Schröder (erstmals 2004). Frankfurt am Main. Foucault, M. (2006b): Die Geburt der Biopolitik Geschichte der Gouvernementalität II. Vorlesungen am Collège de France 1978 / 79. Hg. v. M. Sennelart. Übers. v. J. Schröder (erstmals 2004). Frankfurt am Main. Fukuyama, F. (1992): The End of History and the Last Man. New York / Toronto. Fukuyama, F. (2004): Staaten bauen. Die neue Herausforderung internationaler Politik. Übers. v. H. Schickert. Berlin. Fuller, L. L. (1969): The Morality of Law. Revised edition. New Haven / London. Gros, K. H. (1815): Lehrbuch der philosophischen Rechtswissenschaft oder des Naturrechts. Tübingen. Grotius, H. (1639): De jure belli ac pacis libri tres. Amsterdam. Habermas, J. (1981): Theorie des kommunikativen Handelns. 2 Bde. Frankfurt am Main. Habermas, J. (1986): Moralität und Sittlichkeit. Treffen Hegels Einwände gegen Kant auch auf die Diskursethik zu?. In: W. Kuhlmann (Hrsg.): Moralität und Sittlichkeit. Das Problem Hegels und die Diskursethik. Frankfurt am Main, 16 – 37. Habermas, J. (1999): Bestialität und Humantität. Ein Krieg an der Grenze zwischen Recht und Moral. In: Die Zeit Nr. 18, 29. 4.

224

Bibliographie

Habermas, J. (2005): Eine politische Verfassung für die pluralistische Weltgesellschaft? In: J. H.: Zwischen Naturalismus und Religion. Philosophische Aufsätze. Frankfurt am Main, 324 – 365. Habermas, J. (2005a): Vorpolitische Grundlagen des modernen Rechtsstaats? In: J. H.: Zwischen Naturalismus und Religion. Philosophische Aufsätze. Frankfurt am Main, 106 – 118. Hamilton, A. / Madison, J. / Jay, J. (1965): The Federalist or, The New Constitution. With an Introduction by W. R. Brock. London / New York. Hart, H. L. A. (1997): The Concept of Law. With a postscript ed. by P. A. Bulloch and J. Raz. 2. Auflg. Oxford. Hayek, F. A. (1978): The Constitution of Liberty (erstmals 1960). Chicago. Hegel, G. W. F. (1979): Grundlinien der Philosophie des Rechts. In: G. W. F. H.: Werke. Auf der Grundlage der Werke von 1832 – 1845 neu edierte Ausgabe. Redaktion E. Moldenhauer u. K. M. Michel. Bd. 7. Frankfurt am Main. Heineccius, J. G. (1998): Grundlagen des Natur- und Völkerrechts. Übers. v. P. Mortzfeld. Hg. v. Ch. Bergfeld (erstmals 1737: Elementa iuris naturae et gentium). Frankfurt am Main. Herz, J. H. (1951): Political Realism and Political Idealism. A Study in Theories and Realities. Chicago. Herz, J. H. (1974): Staatenwelt und Weltpolitik. Aufsätze zur internationalen Politik im Nuklearzeitalter. Hamburg Hinsch, W. (Hrsg.) (1997): Zur Idee des politischen Liberalismus. John Rawls in der Diskussion. Frankfurt am Main. Hobbes, Th. (1972): Leviathan. Ed. C. B. Macpherson. Harmondsworth. Hobbes, Th.: (1983): De Cive. The English Version. Entitled in the first edition ,Philosophicall Rudiments Concerning Government and Society‘. A critical edition by Howard Warrender. Oxford. Hobbes, Th: (1990): Behemoth or The Long Parliament. Ed. F. Tönnies. Reprint der Ausgabe von 1889. Chicago / London. Hobbes, Th. (1999): The Elements of Law Natural and Politic. Part I: Human Nature. Part II: De Corpore Politico. With Three Lives. Ed. with an Introduction and Notes by J. C. A. Gaskin (erstmals in dieser Edition 1994). Oxford.

Bibliographie

225

Hobe, St. / Kimminich, O. (2004): Einführung in das Völkerrecht. 8. Auflg. Tübingen / Basel. Höfelmeyer; A. / Küster, G. (1981): Aggression und Gewalt. Eine Einführung in Theorien der Natur- und Gesellschaftswissenschaften. 2. Auflg. Frankfurt am Main / Berlin / München. Höffe, O. (1979): Ethik und Politik. Grundmodelle und -probleme der praktischen Philosophie. Frankfurt am Main. Höffe, O. (1989): Politische Gerechtigkeit. Grundlegung einer kritischen Philosophie von Recht und Staat (erstmals 1987). Frankfurt am Main. Höffe, O. (1991): Gerechtigkeit als Tausch? Zum politischen Projekt der Moderne. Baden-Baden. Höffe, O. (1995): Kategorische Rechtsprinzipien. Ein Kontrapunkt der Moderne. Frankfurt am Main. Höffe, O. (1996): Soziale Gerechtigkeit als Tausch: ein neues Paradigma. In: K. Bayertz (Hrsg.): Politik und Ethik. Stuttgart, 229 – 248. Höffe, O. (1998): Überlegungsgleichgewicht in Zeiten der Globalisierung?. Eine Alternative zu Rawls. In: O. H. (Hrsg.): John Rawls, Eine Theorie der Gerechtigkeit (= Klassiker Auslegen, Bd. 15). Berlin, 271 – 293. Höffe, O. (1998a): Für und Wider eine Weltrepublik. In: Ch. Chwaszcza / W. Kersting (Hrsg.): Politische Philosophie der internationalen Beziehungen. Frankfurt am Main, 204 – 222. Höffe, O. (2004): Wirtschaftsbürger. Staatsbürger. Weltbürger – politische Ethik im Zeitalter der Globalisierung. München. Hofmeister, H. (2001): Der Wille zum Krieg oder die Ohnmacht der Politik. Ein philosophisch-politischer Traktat. Göttingen. Holmes, R.L. (1989): On War and Morality. Princeton. Horster, D. (1997): Recht und Moral. Analogien, Komplementaritäten und Differenzen. In: Zeitschrift für philosophische Forschung 51, 366 – 389. Hume, D. (1981): A Treatise of Human Nature. Ed. with an Analytical Index by L. A. Selby-Bigge. Second edition with text revised and variant readings by P. H. Nidditch. Oxford. Hume, D. (1982): Enquiry Concerning the Principles of Morals. In: D. H.: Enquiries Concerning Human Understanding and Concerning the Principles of Morals. Ed. L. A. Selby-Bigge. Third edition with text revised and notes by P. H. Nidditch. Oxford.

226

Bibliographie

Hume, D. (1987): Of the Original Contract. In: D. H.: Essays. Moral, Political, and Literary. Ed. and with a Foreword, Notes, and Glossary by E. F. Miller. With an apparatus of variant readings from the 1889 edition by T. H. Green and T. H. Grose. Revised edition. Indianapolis, 465 – 487. Jellinek, G. (1882): Die Lehre von den Staatenverbindungen. Wien. Jellinek, G. (1914): Allgemeine Staatslehre. 3. Auflg. Berlin. Kafka, F. (2002): Der Proceß. Hg. v. M. Pasley (= Schriften. Tagebücher. Kritische Ausgabe. Hg. v. J. Born, G. Neumann, M. Pasley, J. Schillemeit). Frankfurt am Main. Kant, I. (1968): Werke. Akademie-Textausgabe. Unveränderter photomechanischer Abdruck des Textes der von der Preußischen Akademie der Wissenschaften 1902 begonnen Ausgabe von Kants gesammelten Schriften. Berlin. Kantorowicz, E. H. (1997): The King’s Two Bodies. A Study in Mediaeval political Theology (erstmals 1957). Princeton. Kelsen, H. (1920): Das Problem der Souveränität und die Theorie des Völkerrechts. Beitrag zu einer reinen Rechtslehre. Tübingen. Kelsen, H. (1957): Pure Theory of Law and Analytical Jurisprudence. In: H. K.: What is Justice? Berkeley / Los Angeles, 266 – 287. Kelsen, H. (1957a): The Law as Specific Social Technique (erstmals 1942). In: H. K.: What is Justice? Justice, Law, and Politics in the Mirror of Science. Collected Essays. Berkeley / Los Angeles, 231 – 256. Kelsen, H. (1957b): Value Judgments in the Science of Law (erstmals 1942). In: H.K.: What is Justice? Justice, Law, and Politics in the Mirror of Science. Collected Essays. Berkeley / Los Angeles, 209 – 230. Kelsen, H. (1960): Reine Rechtslehre. Mit einem Anhang: Das Problem der Gerechtigkeit. Zweite, vollständig neu bearbeitete und erweiterte Auflg. Wien. Kelsen, H. (1966): Principles of International Law. Second edition. Revised and ed. by R. Tucker. New York / Chicago / San Francisco / Toronto / London. Kelsen, H. (1989): Platon und die Naturrechtslehre (erstmals in: Österreichische Zeitschrift für Öffentliches Recht 8 [1957], 1 – 43). In: H. K.: Staat und Naturrecht. Aufsätze zur Ideologiekritik. Mit einer Einl. v. E. Topitsch. 2. Auflg. (erstmals: Neuwied / Berlin 1964). München, 232 – 292.

Bibliographie

227

Kelsen, H. (2000): Was ist Gerechtigkeit? Text nach dem Erstdruck Wien 1953. Stuttgart. Kelsen, H. / Tucker, R. (1967): Principles of International Law. New York. Kennan, G. F. (1952): American Diplomacy 1900 – 1950. Chicago. Keohane, R. O. (1984): After hegemony. Cooperation and Discord in the World Political Economy. Princeton. Kersting, W. (1984): Wohlgeordnete Freiheit. Immanuel Kants Rechtsund Staatsphilosophie. Berlin / New York. Kersting, W. (1990): Zur Logik des kontraktualistischen Arguments. In: V. Gerhardt (Hrsg.): Der Begriff der Politik: Bedingungen und Gründe politischen Handelns. Stuttgart, 216 – 237. Kersting, W. (1993): John Rawls zur Einführung. Hamburg. Kersting, W. (1994): Die politische Philosophie des Gesellschaftsvertrages. Darmstadt. Kersting, W. (1996): Philosophische Probleme der internationalen Beziehungen. In: K. Bayertz (Hrsg.): Ethik und Politik. Stuttgart, 423 – 456. Kersting, W. (1998): Philosophische Friedenstheorie und internationale Friedensordnung. In: Ch. Chwaszcza / W. Kersting (Hrsg.): Politische Philosophie der internationalen Beziehungen. Frankfurt am Main, 523 – 554. Kersting, W. (2000): Theorien der sozialen Gerechtigkeit. Stuttgart. Koller, P. (1987): Neue Theorien des Sozialkontrakts. Berlin. Krockow, Chr. Graf von (1983): Gewalt für den Frieden? Die politische Kultur des Konflikts. 2. Auflg. München / Zürich. Krüger, P. / Mommesen, Th. / Schoell, R. / Kroll, W. (Hrsg.) (1954): Corpus iuris civilis. 3 Bde. Berlin. Kunkel, W. / Schermaier, M. (2001): Römische Rechtsgeschichte. 13. Überarbeitete Auflg. Köln / Weimar / Berlin. Kyora, St. (1996): Kants Argumente für einen schwachen Völkerbund heute. In: V. Bialas / H.-J. Häßler (Hrsg.): 200 Jahre Kants Entwurf ,Zum ewigen Frieden‘. Idee einer globalen Friedensordnung. Würzburg, 96 – 107. Lefort, C. (1994): Droits de l’homme et politique (erstmals 1980). In: C. L.: L’invention démocratique. Le limites de la domination totalitaire. Paris, 45 – 83.

228

Bibliographie

Lefort, C. (2007): La pensée politique devant les droits de l’homme (erstmals 1980). In: C. L.: Le temps présent. Écrits 1945 – 2005. Paris, 405 – 422. Lenin, W. I. (1966): Das Militärprogramm der proletarischen Revolution. In: W.I.L.: Ausgewählte Werke in 3 Bde. Bd. 1. Berlin, 874 – 883. Lider, J. (1983): Der Krieg. Deutungen und Doktrinen in Ost und West. Übers. v. H. Herkommer (erstmals 1979). Frankfurt am Main / New York. Locke, J. (1959): An Essay concerning Human Understanding. Collated and annotated, with prolegomena, biographical, critical, and historical by A. C. Fraser. 2 Bde. New York. Locke, J. (1993): Two Treatises of Government. Ed. with an introduction and notes by P. Laslett. Cambridge. Löwenthal, L. (1990): Individuum und Terror (erstmals 1946). In: L. L.: Schriften. Hg. v. H. Dubiel. 5 Bde. Bd. 3. Frankfurt am Main, 161 – 176. Luhmann, N. (1969): Funktionen der Rechtsprechung. In: H. Kallenbach / W. Schemel (Hrsg.): Dritte Gewalt heute? (= Schriften der Evangelischen Akademie in Hessen und Nassau, Heft 84). Frankfurt am Main, 6 – 17. Luhmann, N. (1972): Rechtssoziologie. 2 Bde. Reinbek. Luhmann, N. (1974): Rechtssystem und Rechtsdogmatik. Stuttgart / Berlin / Köln / Mainz. Luhmann, N. (1986): Die soziologische Beobachtung des Rechts (= Würzburger Vorträge zur Rechtsphilosophie, Rechtstheorie und Rechtssoziologie. Hg. v. H. Hofmann, U. Weber u. E.M. Wenz, Heft 3). Frankfurt am Main. Luhmann, N. (1993): Legitimation durch Verfahren. Frankfurt am Main. Luhmann, N. (1993a): Das Recht der Gesellschaft. Frankfurt am Main. Machiavelli, N. (1986): Il Principe / Der Fürst. Italienisch / deutsch. Übers. v. Ph. Rippel. Stuttgart. MacIntyre, A. (1984): After Virtue. Notre Dame, IN. Mao Tse-Tung (1968): Über den langwierigen Krieg. In: Mao Tse-Tung: Ausgewählte Werke. 4 Bde. Peking. 2. Bd, 127 – 228. McShea, R. J. (1968): The Political Philosophy of Spinoza, New York / London. Melville, H. (1988): Moby-Dick, or The Whale (= The Writings of Herman Melville. The Northwestern-Newberry Edition. Ed. by H. Hayford et al. Bd. 6). Evanston / Chicago.

Bibliographie

229

Menzel, A. (1930): Beiträge zur Geschichte der Staatslehre. Sitzungsberichte der Akademie der Wissenschaften in Wien. Philosophischhistorische Klasse. 210. Bd. Wien / Leipzig. Menzel, U. (2001): Zwischen Idealismus und Realismus. Die Lehre von den Internationalen Beziehungen. Frankfurt am Main. Mill, J. St. (1926): Utilitarianism. In: J. St. M.: Utilitarianism. Liberty and Representative Government. 8. Auflg. London / Toronto / New York, 1 – 60. Montesquieu, Ch.-L. de Secondat, baron de La Brède et de (1979): De l’esprit des lois. 2 Bde. Chronologie, introduction, bibliographie par V. Goldschmidt. Paris. Morgenthau, H. J. (1957): Politics Among Nations. 4. Auflg. New York (NY). Morgenthau, H. J. (1962): The Commitments of a Theory of International Politics. In: H. J. M.: Politics in The Twentieth Century. Vol. I: The Decline of Democratic Politics. Chicago / London, 55 – 61. Morgenthau, H. J. (1963): Macht und Frieden. Grundlegung einer Theorie der internationalen Politik. Deutsche Ausgabe in Verbindung mit dem Seminar für Wissenschaftliche Politik an der Albert-Ludwigs-Universität, Freiburg i. Br. Einl. zur dt. Ausg. v. G.-K. Kindermann. Übers v. O. Jankowitsch u. D. G. Wilke (erstmals 1948). Gütersloh. Morgenthau, H. J. (1970): The Police in Their Political Setting. In: H. J. M.: Truth and Power. Essays of a Decade, 1960 – 70 (erstmals 1963). London, 292- 314. Müller, H. (2002): Institutionalismus und Regime. In: M. A. Ferdowsi (Hrsg.): Internationale Politik im 21. Jahrhundert. München, 87 – 104. Münkler, H. (2002): Die neuen Kriege. 2. Auflg. Reinbek. Münkler, H. (2003): Über den Krieg. Stationen der Kriegsgeschichte im Spiegel ihrer theoretischen Reflexion. 2. Auflg. (erstmals 2002). Weilerswist. Münkler, H. (2005): Imperien. Die Logik der Weltherrschaft – vom Alten Rom bis zu den Vereinigten Staaten. Berlin. Niebuhr, R. (1950): The Myth of World Government. In: H. J Morgenthau / K.W. Thomas (Hrsg.): Principles and Problems of International Politics. Selected Readings (erstmals in: The Nation 162[1946], 312 – 314). New York, 134 – 138.

230

Bibliographie

Oakeshott, M. (1991): Talking Politics. In: M. O.: Rationalism in politics and other essays (erstmals 1975). Indianapolis, 438 – 461. Oakeshott, M. (1999): The Rule of Law. In: M.O.: On History and other essays. Foreword by T. Fuller (erstmals 1983). Indianapolis, 129 – 178. Oakeshott, M. (2000): Zuversicht und Skepsis. Zwei Prinzipien neuzeitlicher Politik. Mit einem Vorwort von W. Hennis. Hg. v. T. Fuller. Übers. v. Chr. Goldmann (erstmals 1996). Berlin. Oke Manning, W. (1839): Commentaries on the Law of Nations. London. Opitz, P. J. (2002): Kollektive Sicherheit. In: M. A. Ferdowsi (Hrsg.): Internationale Politik im 21. Jahrhundert. München, 53 – 70. Overy, R. (2005): Die Diktatoren. Hitlers Deutschland, Stalins Rußland. Übers. v. U. Rennert u. K. H. Siber (erstmals 2004). München. Pascal, B. (1976): Pensées. Text établi par L. Brunschvicg. Paris. Paskins, B. / Dockrill, M. (1979): The Ethics of War. London. Peirce, Ch. S. (1966): Some Consequences of Four Incapacities. In: Ch. S. P.: Selected Writings (Values in a Universe of Chance). Hg. v. Ph. P. Wiener. New York. Platon (1976): [Platonis] Opera. Recognovit brevique adnotatione critica instruxit I. Burnet. 5 Bde. Oxford. Pogge, Th. (1994): John Rawls. München. Pufendorf, Samuel (1769): De officio hominis et civis secundum legem naturalem (erstmals 1673). Leyden. Radbruch, G. (1999): Rechtsphilosophie. Studienausgabe. Hg. v. R. Dreier u. St.L. Paulson (erstmals 1932). Heidelberg. Radbruch, G. (1999a): Fünf Minuten Rechtsphilosophie (erstmals in: Rhein-Neckar-Zeitung [Heidelberg] vom 12. 9. 1945, 3). In: G. R.: Rechtsphilosophie. Studienausgabe. Hg. v. R. Dreier u. St. L. Paulson. Heidelberg, 209 – 210. Radbruch, G. (1999b): Gesetzliches Unrecht und übergesetzliches Recht (erstmals in: Süddeutsche Juristen-Zeitung 1946, 105 – 108). In: G. R.: Rechtsphilosophie. Studienausgabe. Hg. v. R. Dreier u. St. L. Paulson. Heidelberg, 211 – 219. Rawls, J. (1973): A Theory of Justice. Oxford. Rawls, J. (1993): Political Liberalism (= The John Dewey Essays in Philosophy no. 4). New York.

Bibliographie

231

Rawls, J. (1994): Kantischer Konstruktivismus in der Moraltheorie. In: J. R.: Die Idee des poltischen Liberalismus. Aufsätze 1978 – 1989. Hg. v. W. Hinsch (erstmals engl.: Kantian Constructivism in Moral Theory. In: The Journal of Philosophy 77[1980], 515 – 572). Frankfurt am Main, 80 – 158. Rawls, J. (1994a): Gerechtigkeit als Fairneß: politisch und nicht metaphysisch. In: J. R.: Die Idee des politischen Liberalismus. Aufsätze 1978 – 1989. Hg. v. W. Hinsch (erstmals engl.: Justice as Fairness: Political not Metaphysical. In: Philosophy and Public Affairs 14[198], 223 – 251) Frankfurt am Main, 255 – 292. Rawls, J. (1999): The Law of the Peoples. With ,The Idea of Public Reason Revisited‘. Cambridge (Mass.) / London. Rawls, J. (1999a): Collected Papers. Ed. Samuel Freeman. Cambridge (Mass.) / London. Rawls, J. (2001): Justice as Fairness. A Restatement. Ed. E. Kelly. Cambridge (Mass.) / London. Reibstein, E. (1963): Völkerrecht. Eine Geschichte seiner Ideen in Lehre und Praxis. 2 Bde. Freiburg i. Br. / München. Röd, W. (2002): Benedictus de Spinoza. Stuttgart. Rorty, R. (1988): Der Vorrang der Demokratie vor der Philosophie. In: R. R.: Solidarität oder Objektivität? Drei philosophische Essays. Stuttgart, 82 – 125. Russell, B. (1972): A History of Western Philosophy (erstmals 1945). New York. Russell, B. (2005): Power. A new social analysis (erstmals 1938). With a new preface by S. Brittan. With an introduction by K. Willis. London / New York Schieder, S. / Spindler, M. (Hrsg.) (2003): Theorien der internationalen Beziehungen. Opladen. Schmitt, C. (1975): Theorie des Partisanen. Zwischenbemerkung zum Begriff des Politischen. 2. Auflg. Berlin. Schmitt, C. (1987): Der Begriff des Politischen. Text von 1932 mit einem Vorwort und drei Corollarien. Berlin. Schmitt, C. (1993): Verfassungslehre. 8. Auflg. (erstmals 1928). Berlin. Schmitt, C. (1997): Der Nomos der Erde im Völkerrecht des Jus Publicum Europaeum. 4. Auflg. (erstmals 1950). Berlin.

232

Bibliographie

Schmitz, H.-G. (1994): Macht, Moral und Gewalt. Überlegungen zur normativen Bestimmung des Begriffs ,politisch‘. In: Archiv für Rechts- und Sozialphilosophie 80, 29 – 51. Schmitz, H.-G. (1997): Das Mandeville-Dilemma. Untersuchungen zum Verhältnis von Politik und Moral. Köln. Schmitz, H.-G. (2000): Von der Wandelbarkeit natürlichen Rechts. Überlegungen zur Aristotelischen Praktik. In: Philosophisches Jahrbuch 107, 116 – 132. Schmitz, H.-G. (2000a): . . . created equal. Lockes negatives Argument zur Begründung der Menschenrechte. In Archiv für Rechts- und Sozialphilosophie 86, 29 – 47. Schmitz, H.-G. (2003): Kants Lehre vom hostis iniustus und Carl Schmitts Kritik dieser Konzeption. In: Archiv für Rechts- und Sozialphilosophie 89, 399 – 417. Schmitz, H.-G. (2004): Der ,permanente Staatencongreß‘ – die internationalen Beziehungen im rechtsphilosophischen Denken Kants. In: Perspektiven der Philosophie. Neues Jahrbuch 30, 335 – 365. Schmitz, H.-G. (2004a): Kantisches Vernunftrecht und seine gegenwärtige rechtsphilosophische Reinterpretation. In: D. H. Heidemann / K. Engelhard (Hrsg.): Warum Kant heute? Systematische Begründung und Rezeption seiner Philosophie in der Gegenwart. Berlin / New York, 306 – 327. Schmitz, H.-G. (2005): Die dunkle Seite der Politik. Philosophische Theorien des Despotismus, der Diktatur und des Totalitarismus (= Schriften zur Philosophie 62). Berlin. Schopenhauer, A. (1977): Die Welt als Wille und Vorstellung. In: Werke in zehn Bänden (= Zürcher Ausgabe). Text nach der historisch-kritischen Ausgabe von A. Hübscher. Die editorischen Materialien besorgte A. Hübscher. Redaktion von C. Schölders, F. Senn u. G. Haffmanns, Bd. 4. Zürich. Schumpeter, J. A. (1955): Imperialism and Social Class. New York. Searl, J. (1977): Speech Acts. An Essay in the Philosophy of Language (erstmals 1969). Cambridge. Seume, J. G. (1962): Prosaschriften. Eingl. v. W. Kraft. Köln. Smith, A. (1937): An Inquiry into the Nature and Causes of the Wealth of Nations. Ed., with an introduction, notes, marginal summary and an enlarged index by E. Cannan. With an introduction by M. Lerner. New York.

Bibliographie

233

Smith, A. (1982): The Theory of Moral Sentiments. Ed. by D. D. Raphael and A. L. Macfie. Indianapolis. Sophokles (1966): Tragödien und Fragmente. Gr. u. dt. hg. u. übers. v. K. Bayer. München. Spinoza, B. de (1979) : Tractatus theologico-politicus. Hg. v. G. Gawlick u. F. Niewöhner. In : Opera – Werke. Lat.-Dt. 2 Bde. 1. Bd. Darmstadt. Spinoza, B. de (1994): Politischer Traktat – Tractatus politicus. Neu übers, hg., eingl u. mit Anm. versehen v. W. Bartuschat. Lat-Dt. (= B. de Spinoza: Sämtliche Werke. Bd. 5,2). Hamburg. Sternberger, D. (1986): Das Wort ,Politik‘ und der Begriff des Politischen, in: D. S.: Die Politik und der Friede. Frankfurt am Main, 107 – 119. Strauss, L. (1989): Naturrecht und Geschichte. Übers. v. H. Boog (erstmals 1953). Frankfurt am Main. Thomas von Aquin (1887): Summa Theologica. Ed. J. Pecci. 5 Bde. Paris. Thomasius, Ch. (1979): Fundamenta iuris naturae et gentium. 2. Neudruck der 4. Auflg. Halle 1718. Aalen. Thukydides (1980): History of the Peloponnesian War. Griechisch / englisch. Übers. v. Ch. F. Smith. 4 Bde. Cambridge (Mass.) / London Tocqueville, A. de (1981): De la Démocratie en Amérique: Biographie, préface et bibliographie par F. Furet. 2 Bde. Paris. Tugendhat, E. (1984): Bemerkungen zu einigen methodischen Aspekten von Rawls’ ,Eine Theorie der Gerechtigkeit‘ (1976). In: E. T.: Probleme der Ethik. Stuttgart, 10 – 32. Tugendhat, E. (1995): Vorlesungen über Ethik. 3. Auflg. Frankfurt am Main. Tugendhat, E. (1998): Die Kontroverse um die Völkerrechte. In: St. Gosepath / G. Lohmann (Hrsg.): Philosophie der Menschenrechte. Frankfurt am Main, 48 – 61. Vattel, E. de (1758): Le droit des gens ou principes de la loi naturelle, appliqués à la conduit et aux affaire des nations et des souverains. 2 Bde. London. Verdross, A. (1964): Völkerrecht. 5. Auflg. Wien. Vollrath, E. (1987): Grundlegung einer philosophischen Theorie des Politischen. Würzburg. Vollrath, E. (2003): Was ist das Politische? Eine Theorie des Politischen und seiner Wahrnehmung. Würzburg.

234

Bibliographie

Waas, L. R. (2004): ,Natürliches‘ Recht in ,positivierter‘ Gestalt, das sich aus Pflichten herleitet? Von der Paradoxie der Menschenrechte. In: K. Graf Ballestrem / V. Gerhardt / H. Ottmann (Hrsg.): Politisches Denken. Jahrbuch. Berlin, 107 – 123. Walther, M. (1982): Spinoza und der Rechtspositivismus. Affinitäten der Rechtstheorie Spinozas und der Reinen Rechtslehre Hans Kelsens. In: Archiv für Rechts- und Sozialphilosophie 68, 407 – 419. Walther, M. (1985): Die Transformation des Naturrechts in der Rechtsphilosophie Spinozas. In: Studia Spinozana 1, 73 – 104. Walther, M. (1990): Negri on Spinoza’s Political and Legal Philosophy. In: E. Curley / P.-F. Moreau (Hrsg.): Spinoza. Issues and Directions. The Proceedings of the Chicago Spinoza Conference (= Brill’s Studies in intellectual history, vol. 14). Leiden / New York / København / Köln, 286 – 297. Waltz, K. N. (1967): Foreign Policy and Democratic Politics. The American and British Experience. Boston / Toronto. Waltz, K. N. (1979): Theory of International Politics. Reading (Mass.) u. a. Walzer, M. (2000): Just and Unjust Wars. A Moral Argument with Historical Illustrations, 3. Auflg. (erstmals 1977). New York. Weber, M. (1976): Wirtschaft und Gesellschaft. 5. Auflg. Tübingen. Weber, M. (1985): Soziologische Grundbegriffe. In: M. W.: Gesammelte Aufsätze zur Wissenschaftslehre. Hg. v. J. Winckelmann. 6. erneut durchgesehene Auflage (erstmals 1922). Tübingen, 541 – 581. Weber, M. (1992): Politik als Beruf. Stuttgart. Weizsäcker, C. F. von (1977): Der Garten des Menschlichen. Beträge zur geschichtlichen Anthropologie. München. Wolff, Chr. (1972): Jus gentium (erstmals 1749). Neudruck: Hildesheim. Yoshida, K. (2004): Vernunft und Affektivität. Untersuchungen zu Spinozas Theorie der Politik (= Schriftenreihe der Spinoza-Gesellschaft, hg. v. W. Bartuschat / K. Hammacher / M. Walther, Bd. 12). Würzburg. Zanetti, V. (1998): Ethik des Interventionsrechts. In: Ch. Chwaszcza / W. Kersting (Hrsg.): Politische Philosophie der internationalen Beziehungen. Frankfurt am Main, 297 – 324. Zangl, B. (2002): Humanitäre Intervention. In: M. A. Ferdowsi (Hrsg.): Internationale Politik im 21. Jahrhundert. München, 105 – 122.

Personenregister Achenwall, G. 136, 139, 142 Arendt, H. 138, 203 Aristoteles 44 – 46, 51, 93, 99 Aron, R. 22, 214 Augustinus 16 Austin, J. 22, 48, 53 Bacon, F. 171 Bentham, J. 12, 50, 55 Berlin, I. 180 Blackstone, W. 50 Brunner, E. 64 – 68 Bull, H. 216 Burke, E. 59 Carr, E.H. 143, 173, 177 Chamberlain, N. 173, 177 Cicero 47 – 50, 128 – 130 Clausewitz, C. von 179, 181, 207 Dworkin, R. 111, 113 – 115, 118 Eckermann, J.P. 93 Foucault, M. 181, 207 Fuller, L. 54 – 65 Goethe, J.W. von 93 Grotius, H. 50, 136, 141 Hannibal 137 Hart, H.L.A. 53, 113, 115 – 118 Hayek, F. A. von 65 Hegel, G.W.F. 60 Herz, J.H. 217

Hitler, A. 64 Hobbes, Th. 126 – 130, 158, 183, 214 – 216 Holmes, R.L. 188 Hume, D. 20, 60, 81, 131, 174 – 177 Jay, J. 205 Jellinek, G. 13, 15, 60 / 61, 143, 168 Kant, I. 12, 53, 56, 96 – 99, 110 / 111, 126, 128, 140, 173, 180, 195 – 206 Kafka, F. 53 Kelsen, H. 14 / 15, 22, 51, 56 – 58, 73 / 74, 119 / 120 Kennan, G. 153, 209 – 213 Kleist, H. von 54 / 55, 59 Lefort, C. 66, 164 Livius 59, 168, 171 / 172 Locke, J. 83 – 85, 87, 94, 120, 134, 179, 216 / 217 Luhmann, N. 65 – 71, 73, 133 Marx, K. 172 Melville, H. 9 / 10, 14, 26, 187, 219 Mill, J.St. 70 Montesquieu, Ch.-L. de Secondat, baron de La Brède et de 59, 64 Morgenthau, H. 10 / 11, 152, 164, 210 Münkler, H. 206 Oakeshott, M. 171 / 172, 181 Orwell, G. 157

236

Personenregister

Pascal, B. 154 Phillimore, R. 136 / 137, 152, 167, 178 Platon 39, 441 – 44, 47, 78, 169 – 171 Protagoras 39 – 42 Pütter, J.St. 136, 139, 142 Radbruch, G. 61 – 63, 65, 121, 132, 142 Rawls, J. 27 – 29, 31 / 32, 84, 99 – 112, 142 – 153, 205 / 206 Rousseau, J.J. 198 Russell, B. 154 / 155 Schmitt, C. 14, 90, 125, 179, 213 Searl, J. 122, 124 / 125 Sextus Empiricus 41 Smith, A. 106, 218

Sokrates 41 / 42, 44 Sophokles 93 Spinoza, B. 10 / 11, 14 / 15, 21, 68 / 69, 180, 215 Strauss, L. 65, 94 Thomasius, Ch. 56 Thomas von Aquin 16, 79 – 82, 126 Tocqueville, A. de 206 Tugendhat, E. 24 Vattel, E. de 136, 141 Verdross, A. 183 Waltz, K.N. 58 Walzer, M. 89 Weber, M. 14, 154, 158, 163 Weizsäcker, C.F. von 202 Wolff, Ch. 173

Sachregister Assoziation 182, 190 / 191 Autorität 181 – 185, 190 / 191, 204 Bedrohungskapazität 161 Befreiungskrieg 185 bellum iustum 16 / 17, 59, 88, 151, 188 / 189, 206 bellum punitivum 136 / 137, 141, 207 common sense 108 – 111 Courtoisie 18 / 19 Delikt 119 Demokratie 65 / 66, 71 – 73, 106, 133, 205 – 207, 209 Despotismus 66 / 67, 198, 204 Determinismus 69 Dezisionismus 91, 109 / 110 Distribution 32, 101 Drohung 123 Dualismus 24 / 25, 61, 98, 101, 139, 151 Effektivität 14, 16, 151 erga omnes 88 – 91, 186 Erkenntnisrelativismus 42 Ethik 95 forum externum / internum 53, 177 / 178 Freiheit 67, 83, 86 / 87, 94 / 95, 103 / 104, 136, 146 – 148, 180, 195 – 197 Freiheitsrechte 75 – 78, 83, 86 Friede 179 – 184, 202, 205 – 207

Gegenseitigkeit 16 Gerechtes 70 / 71, 93, 95, 101, 103, 108 / 109, 112 Gerechtigkeit 27 – 33, 47 / 48, 55, 59, 64, 72 / 73, 91, 99 – 101, 104, 108 – 112, 126, 145 / 146 Gerechtigkeit, ausgleichende 28, 32 / 33, 35, 38 Gerechtigkeit, austeilende 28, 32 / 33, 35, 38 Gerechtigkeit, institutionelle 28 / 29, 32 – 34, 36, 43 / 44, 96 – 98, 100 / 101 Gerechtigkeit, personale 28 / 29, 33 – 37, 43 / 44, 47, 96 – 98, 100 Gerichtshof, Internationaler 18, 22 Gesetz 22, 27, 29 – 32, 37 / 38, 65 – 66, 70, 79 – 89, 91 – 93, 97, 100, 110, 113 – 115, 162 – 164 Gesetzgeber 12, 69 Gewalt 12 – 14, 25, 60, 155, 159 – 165, 187, 190, 192 Gewaltverbot 16 / 17 Gewohnheit 18, 57, 62, 115, 120 – 122 Gleichheit 83 / 84, 86 / 87, 95, 101, 106, 118, 136, 142, 147, 151, 179, 216 Gleichheitsfiktion 86 / 87, 141, 216 Greatest-Happiness-Prinzip 70 Gruppenrechte 75 Guerillakrieg 185 Gutes 70, 216 Haager Landkriegsordnung 17 Handlung 29 – 32, 34

238

Sachregister

Handlungsgeflecht 34 / 35 Herkunftstest 113 – 115 Herrscher 39 homo oeconomicus 106 homo-mensura-Satz 39, 41 hostis, iustus / iniustus 138, 151, 213 Idealismus 11, 143 / 144, 217 Identität 174 / 175 Imperativ, kategorischer 95 – 99, 110 Imperativtheorie 48, 53, 68 / 69, 116 Individualrechte 76 / 77 Interesse 11, 102, 106, 143, 145, 146, 149, 152, 212 Interesselosigkeit 105 Intersubjektivität 41 / 42 Intervention 16, 88 / 89, 132, 136, 141, 151 – 153, 186, 217 invisible hand 106 ius ad bellum 16 / 17, 143, 147, 197 ius cogens 17 ius in bello 17, 60, 100, 147, 149 / 150, 152, 197 iustitia commutativa 32 iustitia correctiva 32 iustitia distributiva 32, 101 Klugheit 11, 195 Kohärenz 31, 111 Kollektivsubjekt 76 Kombattanten / Nicht-Kombattanten 149 Konsens 109 / 110 Konsequentialismus 55 Kontingenz 46, 79, 210 Kontraktualismus 117, 127, 202 Kooperation 143, 146 Korrespondenz 28, 30 / 31 Kraft 159

Krieg 17, 25, 59, 137 / 138, 149, 151 – 153, 165, 179 – 193, 197, 202, 205 – 207 Kriegsverbot 17 Legalismus 11 Legalität 97 Legitimität 14 – 16, 67 – 69, 71 – 74, 91, 97 Macht 11, 14, 25, 68, 104, 149, 152 – 165, 182 – 184 Machtputation 158, 164 / 165, 182 – 184, 190 – 192, 217 / 218 Meinung 154, 159 Menschenrechte 18, 24 / 25, 46, 62, 74 – 78, 86 – 91, 148, 151 – 153, 202, 206 Menschenrechtspolitik 13 Metastaat 199, 201 Monismus 24 Montevideo-Konvention 13, 15, 168 Moral 11, 52 – 56, 70, 95, 97, 114, 118, 152, 174, 177, 188, 212 Moralität 97 Mündigkeit 118 Naturrecht 25, 31, 38, 45 – 52, 78 – 80, 82 / 83, 92, 95 / 96, 100, 102, 108, 127, 134 / 135, 137, 139, 141 / 142 Naturrechtslehre 36, 51, 74 Naturrechtslehre, schwache 51 / 52, 62, 94 / 95, 100, 109, 112 Naturrechtslehre, starke 51 / 52, 62, 94 / 95, 109, 112, 133 / 134, 140 / 141, 179 Naturzustand 83 / 84, 86, 95, 120, 135, 139 / 140, 173, 179, 197 – 199, 202, 214 – 217 neminem laede 141 Neutralität 17

Sachregister Nicht-Politisches 11 Norm 70, 72, 74, 117 Nötigung 69 Ontologie 155 / 156 Opportunismus 14, 151 original position 102 – 108, 146, 151 overlapping consensus 146 pacta sunt servanda 21 / 22, 25, 56 / 57, 62, 92, 115, 117 / 118, 121, 122 – 132, 141, 147, 151 pactum subiectionis 139 pactum unionis 139, 144 Pakt 123 / 124 Partizipationsrechte 76 – 78, 87, 163 Person 13, 15, 25, 35, 133 / 134 Philosophen-Könige-Satz 44, 169 Piraterie 16 Pluralismus 145 / 146 Polis 44, 92 Politik, internationale 10 / 11 politisch 163, 181 / 182 Polizei 202 / 203 Privileg 75 / 76, 84, 107 Publizierbarkeitsgebot 97 Quasi-Subjekt 25, 34, 134 – 136, 138 – 142, 144, 159 – 160, 165, 173 / 174, 177 / 178, 190 – 193, 197 – 200, 207 / 208, 214, 216 – 218 Rassismus 107 Raubkrieg 187 – 189 Realismus 10 / 11, 26, 143, 158, 164, 188, 214 Recht 9 / 10, 12, 14, 17 / 18, 21, 23 – 25, 28, 31 / 32, 37 – 39, 43 – 47, 50, 52 – 75, 78, 92 – 101, 113 – 121, 164, 177, 186, 208, 210 – 213 Recht des Stärkeren 69, 139

239

Recht, nationales 12, 38, 61, 91, 101, 112, 116, 120, 140 / 141, 151 Recht, politisches 76 / 77 Recht, positives 28, 31, 33 – 39, 52, 56, 65, 67, 83, 87, 98 Recht, präpolitisches 77 Rechtsordnung 13, 16, 120 Rechtspositivismus 22, 25, 38 / 39, 43 / 44, 48, 51, 65, 68, 71 – 75, 78, 92, 94, 97, 101, 112 / 113, 122 Rechtsproduzent 52 Rechtsquelle 33, 98 Rechtsrelativismus 43 Regeln 53 / 54, 56 – 58, 113 – 117, 121 / 122 Relativismus 39 – 42 Repressalien 119 Revolution 14 Sachverhalt 155 – 158 Sanktionen 119 Schleier des Nichtwissens 99, 102 / 103, 146 Schurkenstaat 17,144, 149 / 150 Sein-Sollens-Hiatus 20, 51, 79 – 82, 85 Selbstliebe 49 Sezessionskrieg 184 Souveränität 16, 39, 60 – 63, 117, 132, 142 – 144, 195 / 196, 207 / 208 Sozialrechte 75 – 78, 87 Sprechakt 123 – 125 Staat 10 / 11, 13, 60 / 61, 65 – 68, 71 / 72, 88 / 89, 98, 104, 107, 117, 119 / 120, 135, 151, 165 – 177, 182, 194 – 207 Staatengleichheit 56, 61, 132 Staatlichkeit 15 Staatsgewalt 13 Strafe 48, 138 suum cuique 141

240

Sachregister

Territorium 13, 15, 61, 89, 120, 145 / 146, 168, 184 Totalitarismus 64, 67 Tugend 48, 145 Tyrannis 64 Überlegungsgleichgewicht 108, 112 Unabhängigkeit 15 Universalmonarchie 198 Urteilskraft 11, 158 Utilitarismus 55, 70, 147 Utopismus 11, 143

106 –

Vernunftrecht 79, 82, 91, 99 Versprechen 70, 111, 122 – 124, 127 – 130 Vertrag 10, 18 / 19, 38, 57, 62, 69, 72, 88 – 91, 116 – 119, 121 – 124, 126 – 132, 139, 142, 193 Volk / Völker 134, 138 – 140, 144 – 152 Völkerbund 18 / 19 Völkergewohnheitsrecht 195, 198, 200, 202

Völkerrecht 12 / 13, 16 – 25, 39, 51, 57 – 62, 64, 74, 88 – 90, 92, 98, 113, 115 / 116, 119, 197, 207 / 208 Völkerrechtspositivismus 23, 74, 115, 119, 131, 139, 142, 150 Völkerrechtsquellen 12, 17 / 18, 23, 25, 101 Völkerrechtssubjekt 12, 15, 20, 24, 61, 88, 98, 118, 136, 139, 142, 144, 147 Völkerrechtsunmittelbarkeit 61, 63, 121, 132, 178 / 179, 208 Völkerstrafrecht 13 Wahrheit 27 / 28, 30, 42, 81, 100, 108, 110 Welt 156 / 157, 159 Weltbürgerrecht 98, 197 Weltinnenpolitik 202 Weltöffentlichkeit 116, 187, 192 Weltstaat 98, 140, 194 – 208 Wille 201 Zeichen 166 Zweckrationalität 105