Philosophie und Religion beim jungen Hegel 9783787330829, 9783787315147

Vorwort – Einleitung I. Die Ansätze zur Problematik von ›Philosophie und Religion‹: die Rehabilitierung der Subjektivitä

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Philosophie und Religion beim jungen Hegel
 9783787330829, 9783787315147

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Hegel-Studien In Verbindung mit der Hegel-Kommission der Rheinisch-Westfälischen Akademie der Wissenschaften herausgegeben von Friedhelm Nicolin und Otto Pöggeler

Beiheft 26

FELIX MEINER VERLAG HAMBURG

Philosophie und Religion beim jungen Hegel Unter besonderer Berücksichtigung seiner Auseinandersetzung mit Schelling von Masakatsu Fujita

FELIX MEINER VERLAG HAMBURG

Inhaltlich unveränderter Print-on-Demand-Nachdruck der Auflage von 1985, erschienen im Verlag H. Bouvier und Co., Bonn.

Bibliographische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliographie; detaillierte bibliographische Daten sind im Internet über ‹http://portal.dnb.de› abrufbar. ISBN 978-3-7873-1514-7 ISBN eBook: 978-3-7873-3082-9 ISSN 0073-1578

© Felix Meiner Verlag GmbH, Hamburg 2016. Alle Rechte vorbehalten. Dies gilt auch für Vervielfältigungen, Übertragungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen, soweit es nicht §§ 53 und 54 URG ausdrücklich gestatten. Gesamtherstellung: BoD, Norderstedt. Gedruckt auf alterungsbeständigem Werkdruckpapier, hergestellt aus 100 % chlorfrei gebleichtem Zellstoff. Printed in Germany. www.meiner.de/hegel-studien

Meiner Frau

INHALTSVERZEICHNIS Seite Vorwort Einleitung I.

9 13

Die Ansätze zur Problematik von ,Philosophie und Religion': die Rehabilitierung der Subjektivität 17

1. Aufklärung und Herz a) Subjektive Religion b) Vernunftreligion c) Volksreligion

17 18 26 30

2. Kantianismus und Kritik an der christlichen Religion a) Der Primat der Vernunft b) Die Geschichte Jesu als eines Lehrers der Tugend c) Das Scheitern der moralischen Religion Jesu und die Positivität der Religion

34 35 41

3. Annäherung an die Philosophie (Auseinandersetzung mit der Schellingschen Kant-Kritik) a) Der Gottesbegriff beim jungen Schelling und beim jungen Hegel aa) Das absolute Ich bb) Die „esoterische“ Philosophie b) Schellings Philosophie des „Ich“ und das Problem des höchsten Gutes aa) Die Umdeutung des Begriffs des absoluten Ich bb) Das Schwanken der „Resultate“ bei Hegel c) Die Gottheit oder „das Ewige in uns“ aa) Dogmatismus und Kritizismus, oder die intellektuale Anschauung des „Ewigen in uns“ bb) Die Moralität als das „Ewige“ im Menschen und die Verkehrung der Moralität

46 52 52 54 56 58 60 62 65 66 70

II. Philosophie und Religion, oder die Erhebung zum unendlichen Leben

75

1. Die neue Begründung der Religion

76 7g yg

a) Liebe b) Sein c) Die Konzeption einer „schönen“ Religion und die Kant-Iü-itik d) Leben

2. Schellings Begriff des Lebens

32 3g

a) Der Ansatz zur Naturphilosophie und der Lebensbegriff... b) Individualität und Leben c) Weltseele und Leben

93

93 93

3. Das ,Systemfragment“ von 1800: Reflexion und Religion .... 107 a) Das durch die Reflexion fixierte Leben 108 b) Das unendliche Leben und die Religion 116 4. Der Übergang zur Metaphysik

124

III. Reflexion und Spekulation: die metaphysische Entwicklung der Problematik von ,Philosophie und Religion“

133

1. Die Entstehung der Identitätsphilosophie Schellings

a) Schellings Weg zur Identitätsphilosophie b) Die spekulative Erkenntnis der absoluten Identität

2. Hegels Konzeption der spekulativen Philosophie und

die Auseinandersetzung mit Schelling a) Bedürfnis der Philosophie b) Die Spekulation als Synthesis von Reflexion und Anschauung c) Die Identität der Identität und der Nichtidentität

Zusammenfassung und Ausblick

133 I35 141 I49 150 I68 I73

Literaturverzeichnis

I77

Personenregister

137

Sachregister

191

VORWORT Die vorliegende Arbeit wurde im März 1982 abgeschlossen und im Sommersemester 1982 von der Abteilung für Philosophie, Pädagogik, Psychologie der Ruhr-Universität Bochum als Dissertation angenommen. Meinen besonderen Dank möchte ich an dieser Stelle Herrn Prof. Dr. Otto Pöggeler aussprechen, der diese Arbeit betreut hat; ich bin auch Herrn Prof. Dr. Klaus Düsing für viele Anregungen und Hinweise zu Dank verpflichtet. Mein Dank gilt auch Herrn Dr. Hans-Christian Lucas, der mich bei der Anfertigung dieser Arbeit angeregt und unterstützt hat. Ihm und Herrn Rolf Füllgraf verdanke ich viele stilistische Verbesserungen. Nicht zuletzt möchte ich dem Deutschen Akademischen Austauschdienst für die Gewährung eines Stipendiums danken. Diese Arbeit wurde mit Genehmigung der Abteilung für Philosophie, Pädagogik, Psychologie der Ruhr-Universität Bochum und mit Unterstützung des Deutschen Akademischen Austauschdienstes gedruckt.

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Hegels theologische Jugendschriften. Hrsg. v. H. Nohl. Tübingen 1907. Nachdruck 1966. Hegel: Gesammelte Werke. Hrsg, im Auftrag der Deutschen Forschungsgemeinschaft bzw. von der Rheinisch-Westfälischen Akademie der Wissenschaften. Hamburg 1968 ff. G. W. F. Hegel: Werke in zwanzig Bänden. Theorie-Werkausgabe. Hrsg. V. E. Moldenhaueru. K. M. Michel. Frankfurt a. M. 1971. Briefe von und an Hegel. Bd. 1—3. Hrsg. v. J. Hoffmeister. Hamburg 1952—1954. Bd. 4/1 u. 4/2. Hrsg. v. F. Nicolin. Hamburg 1977, 1981. K. Rosenkranz: Georg Wilhelm Friedrich Hegels Leben. Berlin 1844. Nachdruck: Darmstadt 1969. F. W. J. Schelling: Sämtliche Werke. 10 Bde. Hrsg. v. K. F. A. Schelling. Stuttgart und Augsburg 1856—1861. F. W. J. Schelling. Briefe und Dokumente. Hrsg. v. H. Fuhrmans. Bd. 1-3. Bonn 1962 ff. Fichtes Werke. Hrsg. v. I. H. Fichte. 11 Bde. Berlin 1971. Nachdruck von: J. G. Fichtes sämmtliche Werke 8 Bde. Berlin 1845/46. J. G. Fichtes nachgelassene Werke. 3 Bde. Bonn 1834/35.

EINLEITUNG Die Übersiedlung nach Jena zu Anfang des Jahres 1801 und die Wiederbegegnung mit Schelling bedeutete in Hegels Denkentwicklung einen Einschnitt. In seiner ersten philosophischen Publikation in Jena, Differenz des Fichte’schen und Schelling’sehen Systems der Philosophie, konzipierte er ein philosophisches System bzw. eine Metaphysik des Absoluten. Er bestimmte die wissenschaftliche und vollständige Erkenntnis des Absoluten als die einzige Aufgabe der wahren Philosophie. Diese Entwicklung in Jena besagt jedoch nicht ohne weiteres die Abkehr von den Überlegungen in seinen Jugendschriften, insbesondere von denen der Frankfurter Zeit (1797—1800) und auch nicht die gänzliche Abhängigkeit von der Identitätsphilosophie Schellings. Die Verwandlung des „Ideals des Jünglingsalters“ in ein „System“, die Hegel in seinem Brief an Schelling vom 2. November 1800 proklamierte, ist nicht als die völlige Abwendung von der früheren Position zu verstehen; sie bereitete sich, wie sich zeigen wird, bereits in Hegels Frankfurter Ansatz vor. So versuchen wir Hegels Neuansatz in Jena im Zusammenhang mit seinen früheren Arbeiten zu betrachten und zu zeigen, wie jene ,Verwandlung‘ aus diesem Ansatz hervorging. Für Hegels Frankfurter Ansatz ist kennzeichnend, daß er dem Denken bzw. der Philosophie nur ein beschränktes Vermögen zuerkennt, das Leben oder das Unendliche zu erfassen. Das wahre Unendliche wird nach seiner Auffassung erst im Glauben gegenwärtig, und die Erhebung vom endlichen zum unendlichen Leben wird nur durch die Religion ausgeführt. Hegel mißt dabei der Philosophie die Aufgabe zu, die Endlichkeit der Reflexionsbestimmungen aufzuzeigen und damit diese Bestimmungen aufzuheben. Die Philosophie fungiert hier als eine notwendige Hinführung zur Religion. Hegel verläßt in Jena diese Auffassung: Die Philosophie ist keine Hinführung zur Religion mehr, sondern ihr kommt die vollständige und systematische Erkenntnis des Absoluten zu. Die Methode dieser Erkenntnis ist die Spekulation als Sjmthesis von Reflexion und Anschauung. Hegel erhält jedoch andererseits jenes Verhältnis von Philosophie und Religion in der Frankfurter Zeit auch in Jena aufrecht als das Verhältnis von Reflexion, die sich durch sich selbst vernichtet und sich zur Vernunft erhebt, und Spekulation, die das Absolute adäquat und vollständig erkennt. Die Auseinandersetzung mit der Schellingschen Philosophie war für Hegel nicht erst in Jena, sondern durch seine ganze Jugend:?eit hindurch

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Einleitung

von großer Bedeutung. In Bern stand er zunächst unter dem bestimmenden Einfluß Kants und setzte die Idee des höchsten Gutes und die Postulatenlehre grundsätzlich voraus. Die Auseinandersetzung mit der Schellingschen Kant-Kritik veranlaßte Hegel zur Revision seiner Einstellung gegenüber Kant; er verstand unter dem wahren Göttlichen nicht mehr Gott als den moralischen „Welturheber“, sondern die ewige moralische Idee und die absolute Selbständigkeit des Menschen selbst. Im „Systemfragment“ von 1800 nahm er wiederum — allerdings in beschränkter Weise — auf Schellings naturphilosophisch begründeten Lebensbegriff Bezug und vertiefte seinen eigenen Begriff des Lebens. Auf dieser Grundlage konzipierte er eine Religion als Erhebung vom endlichen zum unendlichen Leben. Die Diskussion mit Schelling in Jena bedeutete dann für Hegel Entscheidendes. Beide bildeten gemeinsam eine Metaphysik des Absoluten aus. Diese Zusammenarbeit bedeutet jedoch nicht einfachhin die völlige Übereinstimmung von Hegels und Schellings Intentionen. Hegel entwickelte dabei eigenständig den Begriff der Spekulation als Synthesis von Reflexion und Anschauung und setzte sich mit der Philosophie auseinander, die das spekulative Prinzip nicht zu einer vollständigen Selbstkonstruktion im System durchdringen läßt. Er bemängelt an dieser Philosophie die Auffassung, daß es an sich, d. h. vom Standpunkt der spekulativen Erkenntnis aus, keine Entgegensetzung von Subjektivem und Objektivem gebe. Das Absolute bedeutete für Hegel nicht die reine Indifferenz von Subjekt und Objekt, sondern das Absolute begreife nach seiner Auffassung die Entgegensetzung von Subjekt und Objekt in sich. Es ist einerseits das Verdienst Diltheys, daß er mit seiner Schrift Die Jugendgeschichte Hegels die Grundlage für die entwicklungsgeschichtliche Untersuchung über das Denken des jungen Hegel schaffte*. Dieser Ansatz Diltheys wurde durch die umfangreichen Forschungen von P. Asveld, A. Peperzak, H. S. Harris und vor allem von O. Pöggeler weitgehend entfaltet^. Andererseits bestimmte Diltheys Darstellung von Hegels Überlegungen bis 1800 entscheidend die spätere Hegel-Forschung: Die Frage, den Zusammenhang von Hegels Denken in seiner Tübinger, Berner und Frankfurter

1 W. Dilthey: Die Jugendgeschichte Hegels. In: Gesammelte Schriften. Bd. 4. 3. Aufl. Stuttgart/Göttingen 1963. 2 P. Asveld: La pensee religieuse du jeune Hegel. Liberte et alignation. Paris 1953; A. Peperzak: Le jeune Hegel et la Vision morale du monde. Den Haag 1960; O. Pöggeler: Hegels Jugendschriften und die Idee einer Phänomenologie des Geistes. Habil. Heidelberg 1966; H. S. Harris: Hegel’s Development. Towardthe sunlight 1770—1801. Oxford 1972. Zum Thema der Zusammenarbeit von Hölderlin und Hegel in Frankfurt vgl. Ch. Jamme: „Ein ungelehrtes Buch“. Die philosophische Gemeinschaft zwischen Hölderlin und Hegel in Frankfurt 1797— 1800. Bonn 1983.

Einleitung

15

Zeit und seinem Jenaer Neuansatz zu erörtern, hat seither keine gebührende Beachtung gefunden. Auch G. Lukäcs, der unter dem .jungen Hegel' den Hegel bis zur Abfassung der Phänomenologie des Geistes verstand, ging nicht auf diese Frage ein; vielmehr erblickte er zwischen Hegels Tätigkeit in Frankfurt und in Jena eine eindeutige Diskontinuität^. Hegels Jenaer Systemansätze wurden andererseits in den letzten 15 Jahren auf dem durch die neuen editorischen und chronologischen Arbeiten gesicherten Fundament weitgehend erforscht. In dieser Hinsicht wurde ein bedeutender Beitrag von H. Kimmerle geliefert'^. Für diese Arbeit bezeichnend ist jedoch die Intention, die Abgeschlossenheit von Hegels Systemkonzeption der Jahre 1800—1804 eigens zu betonen. Hegels Ansatz zur Logik der endlichen Reflexion in dessen Jugendschriften wurde erst von K. Düsing berücksichtigt und in angemessener Weise interpretiert^. Von W. Hartkopf und P. Kondylis wurde kürzlich der Versuch angestellt, Hegels Denken bis zu seiner Frankfurter Zeit und in der Jenaer Zeit in einem Zusammenhang darzulegen®. Sie fanden jedoch im Jenaer Ansatz Hegels nicht die Entwicklung der Frankfurter Überlegungen, sondern vielmehr — im Anschluß an Hayms These^ — die gänzliche Abhängigkeit Hegels von der Schellingschen Identitätsphilosophie. Unsere Arbeit versteht sich als eine Auseinandersetzung mit dieser These. Die Interpretation der Quellen wird sowohl aus entwicklungsgeschichtliche als auch aus systematischem Interesse angestellt; und sie baut sich auf den neuen Erfolgen der chronologischen Untersuchungen und der Editionsarbeit der kritischen Gesamtausgabe Hegels auf.

^ Vgl. G. Lukäcs: Der junge Hegel Über die Beziehung von Dialektik und Ökonomie. 2 Bde. Frankfurt a. M. 1973. Bd. 1. 375. * H. Kimmerle: Das Problem der Abgeschlossenheit des Denkens. Bonn 1970. Vgl. auch O. Pöggeler: Hegels Idee einer Phänomenologie des Geistes. Freiburg/München 1973; W. Ch. Zimmerli: Die Frage nach der Philosophie. Interpretation zu Hegels „Differenzschrift“. Bonn 1974; W. Bonsiepen: Der Begriff der Negativität in den Jenaer Schriften Hegels. Bonn 1977. 5 K. Düsing: Das Problem der Subjektivität in Hegels Logik. Bonn 1976. * W. Hartkopf: Der Durchbruch zur Dialektik in Hegels Denken. Meisenheim/Glan 1976; ders. : Kontinuität und Diskontinuität in Hegels Jenaer Anfängen. Königstein/Ts. 1979; P. Kondylis: Die Entstehung der Dialektik. Stuttgart 1979. ’’ Vgl. R. Haym: Hegel und seine Zeit. Darmstadt 1962 (Nachdruck v. 1857). 151ff.

I. DIE ANSÄTZE ZUR PROBLEMATIK VON ,PHILOSOPHIE UND RELIGION': DIE REHABILITIERUNG DER SUBJEKTIVITÄT Es ist unser Ziel in diesem ersten Kapitel, Hegels Konzeption einer idealen Religion in der Tübinger und in der Berner Zeit mit Rücksicht auf ihre historischen und systematischen Hintergründe zu betrachten. Hegel machte diese Zeit hindurch die Selbstbestimmung und Freiheit des Menschen zum Prinzip dieser idealen Religion. Allerdings verschob er dabei innerhalb dieser Konzeption den Schwerpunkt: Die Auseinandersetzung mit dem spätbzw. gegenaufklärerischen Gedankengut bestimmte entscheidend Hegels Denken in der Tübinger Zeit. In Bern orientierte er sich zunächst vor allem an Kants praktischer Philosophie und verfolgte den Zweck, die ,Resultate' dieser Philosophie anzuwenden. Er beschäftigte sich aber nicht nur mit dieser Anwendung, sondern er erwog unter dem Anstoß Schellings diese,Resultate' selbst. Diese Überlegung bewirkte, wie wir zu zeigen versuchen, einen Wandel der Stellungnahme Hegels zu den Ideen der Kan tischen praktischen Philosophie, insbesondere zu der Idee des höchsten Gutes. 1. AUFKLÄRUNG UND HERZ In seinen Tübinger Fragmenten i suchte Hegel zum ersten Mal seinem ,Ideal' eine konkrete Form zu geben. Er konzipierte nämlich, wie sich zeigen wird, eine „subjektive Religion”, welche die Errungenschaften der Verstandesaufklärung voraussetzte, aber andererseits die Ausführung der sittlichen Handlungen befördern sollte, indem sie auf das Herz oder auf die Empfindungen wirkte. H. Glöckner faßte diesen Ansatz Hegels in die Formel „Rational-irrationales Zusammen“ 2. Wenn man aber dieses ,Zusammen‘

' Vgl. G. Schüler: Zur Chronologie von Hegels Jugendschriften. In: Hegel-Studien. 2 (1963). 111-161. Text-Nr. 29 (1792/93); N 355-57; Nr. 30 (1792/93): N 357-58; Nr. 31 (1792/93); N 358-59; Nr. 32 (1792/93): N 3-29. 2 Vgl. H. Glöckner: Hegel. 2 Bde. Stuttgart 1929/1940. Bd. 1. 49; Bd. 2. 148f. Vgl. auch Th. Steinbüchel: Das Grundproblem der Hegelschen Philosophie. 1. Bd. Die Entdeckung des Geistes. Bonn 1933. 140.

18

I. Die Ansätze zur Problematik von .Philosophie und Religion'

als eine .Oszillation' zwischen Rationalismus und Irrationalismus^ verstehe, werde Hegels Intention verfehlt. Hegel versuchte auf dem Erfolg der Verstandesaufklärung eine .subjektive Religion' aufzubauen. Er stand dabei zwar unter dem bestimmenden Einfluß der Strömung der Empfindsamkeit, welche die Notwendigkeit der Vereinigung von .Kopf und Herz' betont hatte und in deren späteren Form das letztere Element dominierende Bedeutung erlangte; aber er erblickte in dieser Strömung nicht bloß eine irrationalistische Hervorhebung des Gefühls oder der Empfindungen. Hegel verarbeitete das Gedankengut dieser Strömung vielmehr, indem eres mit der Kan tischen Ethik verband. Die Ausführung des moralischen Gesetzes war das letzte Ziel der .subjektiven Religion'. Bestritten werden soll also auch die These, daß Hegels damalige Intention von der praktischen Philosophie Kants grundsätzlich abweiche (vgl. S. 27)1

a) Subjektive Religion Es ist nicht zu bezweifeln, daß Hegel die Errungenschaften der Aufklärung begrüßt, wenn er auch nicht ihr enthusiastischer Verehrer ist^. Die Aufklärung, die Hegel als „Wirkenwollen durch Verstand“ (N 12) definiert, reißt das Volk von der Gewalt der abergläubischen Vorurteile und Irrtümer los, welche ihren Ursprung in der Sinnlichkeit und Phantasie haben (vgl. N 13)®. Hegel erkennt auch im Bereich der Ethik einen „schönen Vorzug“ der Aufklärung: Das Verdienst der „deutlichen Kenntnis der Pflichten“ gebührt ihr (vgl. N 15). Hegel unterscheidet jedoch die Kenntnis der Pflichten deutlich von der Moralität selbst; denn sie bedeutet nicht sogleich die Erfüllung der Pflichten. Es handelt sich bei der Erfüllung der Pflichten nicht um deren Kenntnis, sondern um die „Güte und Reinigkeit des Herzens“. Die Aufklä-

^ Vgl. /. M. Ripalda: The divided nation. AsseA/Amsterdam 1977. 90; ders.: Poesie und Politik beim frühen Hegel. In: Hegel-Studien. 8 (1973). 91 — 118, bes. 100 f., 109. * Vgl. H. Wacker: Das Verhältnis des jungen Hegel zu Kant. Berlin 1932. 13f; Th. Haering: Hegel. Sein Wollen und sein Werk. Bd. 1. Leipzig 1929. 63f; H. Schmidt: Verheißung und Schrecken der Preiheit. Stuttgart/Berlin 1964. 66. 5 Vgl. Rosenkranz: G. W. F. Hegels Leben. 40. Vgl. auch K. Bai: Aufklärung und Religion bei Mendelssohn, Kant und dem jungen Hegel. In: Deutsche Zeitschrift für Philosophie. 27 (1979). 1243-1257, bes. 1256f. ® Sinnlichkeit und Phantasie sind also einerseits die Quelle der Irrtümer, aber sie spielen andererseits in Hegels Konzeption der .Volksreligion‘ eine entscheidende Rolle (vgl. u. S. 31 f.). Hegel betrachtet bereits im Tagebuch der Gymnasialzeit die Aufklärung besonders im Gegensatz zu dem Aberglauben (vgl. Dokumente zu Hegels Entwicklung. Hrsg. v. J. Hoffmeister. Stuttgart 1936.13,35ff). Zu Hegels Rezeption des spätaufklärerischen Gedankengutes (Garve, Klopstock, Herder usw.) in der Gymnasialzeit vgl. H. S. Harris: HegeTs Development. Toward the sunlight 1770—1801. 7—52; H. M. Ripalda: The divided nation. 17f, 31—84.

1. Aufklärung und Herz

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rung durch den Verstand und die Reinigkeit des Herzens sind also nicht „commensurabel“, d. h. eine kann nicht die andere ersetzen (vgl. N 15). Auf diese Weise erkennt Hegel einerseits den Erfolg der Aufklärung an, aber er widersetzt sich andererseits der Überschätzung der Bedeutung des Verstandes und legitimiert damit seinen Versuch, eine ideale Religion als „Sache des Herzens“ zu konzipieren. Diese Einstellung zur Aufklärung bedeutet allerdings keine besondere Eigentümlichkeit Hegels, denn eine solche Beschränkung der Rolle der Aufklärung befindet sich bereits in der Spätaufklärung selbst. Hegel steht in dieser Hinsicht vor allem unter dem Einfluß Herders^. Herder setzte sich in seiner ersten geschichtsphilosophischen Schrift Auch eine Philosophie der Geschichte zur Bildung der Menschheit (1774), die er von I. Iselins Buch® angeregt abfaßte, mit der von Iselin im Anschluß an Voltaire vertretenen Geschichtsauffassung auseinander. Er bemängelte vor allem die unkritische Verherrlichung der Aufklärung und die Verurteilung aller vergangenen Zeit: „Jeder klassische Schöndenker, der die Policirung unseres Jahrhunderts fürs non plus ultra der Menschheit hält, hat Gelegenheit ganze Jahrhunderte auf Barbarei, elendes Staatsrecht, Aberglauben und Dummheit, Mangel der Sitten ünd Abgeschmacktheit [.. .]zu schmälen“®. — Hegel tritt im sog. „Tübinger Fragment“ für diese kritische Auffassung ein: „Derjenige der gefunden hat, daß die Vorstellungsarten anderer Nationen, oder der Heiden, wie man sie nennt, viel Absurdes enthalten, und sich seiner höhern Einsichten, seines Verstandes, den er weiter sehen läßt als die größten Männer sahen, deswegen höchlichst freut — der kennt nicht das Wesen der Religion“ (N 10). — Herder erkannte freilich die Errungenschaften der Aufklärung an. Er meinte, daß ihr Geist und ihre Frucht für die Nachwelt bleibeni®. Er trat zudem in erbitterte Opposition zu dem Despotismus, welcher den Erfolg der Aufklärung zunichte machte, indem er die Menschen als „lauter leblose Räder einer großen, hölzernen, gedankenlosen Maschi-

’’ Vgl. /. Schwarz: Hegels philosophische Entwicklung. Frankfurt a. M. 1938. 12; Ripalda: Poesie und Politik. 110 Anm. Harris, a. a. O., 271 Anm.; G. Lukäcs: Der junge Hegel. Uber die Beziehung von Dialektik und Ökonomie. 2 Bde. Frankfurt a. M. 1973. Bd. 1. 41. Hölderlin schrieb im Brief an Hegel vom 26. Januar 1795: „[.. .1 wie auch Du ihn Isc. Herder] kennst“ (Br I, 19). Der Berner Hegel feierte Herder, welcher Altes Testament „von Seiten der ästhetischen Urteilskraft, der Freiheit der Einbildungskraft“ behandelt hatte (vgl. Ros 510f; N 218). Vgl. dazu Herder: Vom Geist der Ebräischen Poesie (Sämmtliche Werke. Hrsg. v. B. Suphan. 33 Bde. Berlin 1877—1913. Nachdruck: Hildesheim 1967. Bd. XII, 6). ® /. Iselin: Philosophische Mutmaßungen über die Geschichte der Menschheit (1764). Dieses Buch zählte wahrscheinlich zu Hegels Stuttgarter Lektüren; vgl. Ripalda: The divided nation. 206. 5 Herder: Sämmtliche Werke. Bd. V, 524. 1° Vgl. a. a. O., 573.

20

I. Die Ansätze zur Problematik von .Philosophie und Religion“

ne“, d. h. des Staates, behandelte“. Aber Herder widersetzte sich andererseits der einfältigen Verherrlichung der Aufklärung: „ ,In Europa soll jetzt mehr Tugend sein als je in aller Welt gewesen?“ Und warum? weil mehr Aufklärung darin ist — ich glaube, daß eben deshalb weniger seyn müße“i2. Herder vertrat — ebenso wie in der Folge Hegel — die Auffassung, daß die Aufklärung mit der moralischen Besserung des Menschen nichts zu tun habe; sie „nährt“ zwar den „Kopf“, aber nicht das „Herz““. Festzuhalten ist, daß sich Herders Argumentation (sowie die Hegelsche) hier auf der Diskussion über ,Kopf und Herz“ innerhalb der Strömung der Empfindsamkeit aufbaut. Die Vereinigung von Denken und Empfinden bzw. das Gleichgewicht von Kopf und Herz war eine Grundidee dieser Geistesströmung“. Auf der Basis dieser damaligen Diskussion über die Rolle der Aufklärung und über die Vereinigung von Verstand und Gefühl konzipiert Hegel eine Religion, die gerade auf das ,Herz“ einwirkt. Er bezeichnet sie als subjektive Religion. Diese übt Einfluß auf die Empfindungen aus; dabei wirken z. B. die Vorstellung der Pflicht als Gesetz Gottes, die Vorstellung der Erhabenheit Gottes usw. zusammen (vgl. N 5). Die subjektive Religion sucht durch diese .Beeinflussung die Empfindung zu einer „wirklichen Rezeptivität für moralische Ideen““ zu führen und sie bei der Bestimmung des Willens mitwirken zu lassen: „Die Religion gibt also der Moralität und ihren Beweggründen einen neuen erhabenem Schwung““ (N 5, vgl. 8). Die subjektive Religion wird nun von der objektiven Religion scharf abgegrenzt, in welcher es sich bloß um die wissenschaftliche bzw. metaphysische Erkenntnis Gottes und des Verhältnisses des Menschen zu Gott handelt. Das Prinzip der objektiven Religion ist Verstand und Gedächtnis; sie erforscht die Glaubenssätze

“ Vgl. a. a. O., 516. Herder polemisierte in dieser Hinsicht — in Anlehnung an Rousseau — entschieden gegen die Kantische Staatsanschauung, denn diese erkannte einerseits die Entstehung des Staates überhaupt und andererseits die Existenz der damaligen despotischen Regierung an. Vgl. Herder: Ideen zur Philosophie der Geschichte der Menschheit. Sämmtliche Werke. Bd. XIII, 319ff, 340f, 381ff, 452. '2 Herder: Sämmtliche Werke. Bd. V, 554. 13 Vgl. a. a. O., 525f. 1“* Vgl. z. B. Sulzer/Hottiger: Brelocken an’s Allerley der Groß- und Kleinmänner: „Aufklärung bringt Kälte, sagt der Eine — und Gefühlsflamme zeugt Schwärmerey, sagt der Andre, und beyde sagen wahr und falsch! — wahr! wenn sie Aufklärung und Gefühl isolieren, jedes vom Andern unabhängig, allein bebauen, und ihren wechselseitigen Einfluß vernichten oder auch nur hemmen; — falsch! wenn sie Aufklärung des Geistes und Erfahrung des Gefühls gegenseitig verbinden, beyde in Einklang stimmen und durch einander erweitern, festnen [sid, reinigen“ (Ich zitiere aus G. Sauder: Empfindsamkeit. Bd. I. Voraussetzungen und Elemente. Stuttgart 1974. 126). Zu dieser Thematik von,Kopf und Herz“ vgl, G. Sauder, a, a. O., 125—132; ders.: Der reisende Epikureer. Heidelberg 1968. 41—62. Vgl. auch H. Timm: Fallhöhe des Geistes. Das religiöse Denken des jungen Hegel. Frankfurt a. M. 1979. 58ff.

1. Aufklärung und Herz

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und bringt sie in ein System (vgl. N 6ff). Hegel kritisiert eigens, daß diese dogmatische Religion bzw. die Theologie die „Fülle, Herzlichkeit des Glaubens gegen kalte Erkenntnisse und Wortparaden“ vertauscht (N 10). Bei dieser Konzeption der subjektiven Religion weist Hegel nun die Religion nachdrücklich zurück, welche die Religiosität bloß auf den Kultus oder auf die Gehorsamkeit gegen das Heilige zurückführt. Diese Religion richtet den Blick des Menschen nicht auf dessen Selbsttätigkeit, sondern bloß auf das Überirdische (vgl. N 8, 27). Hieran ersehen wir, daß sich Hegels Kritik an der Positivität der christlichen Religion (vgl. S. 47) bereits anbahnt^^. Hegel legt vielmehr auf das Vermögen der Selbstbestimmung des Menschen Wert und rehabilitiert die Bedeutung der „unverdorbenen Empfindung“, welche sich zu der „Rezeptivität“ der moralischen Gesetze entfalten kann. Hegel neigt sich in diesem Zusammenhang besonders dem Bild von Maria Magdalena zu, die Jesu Füße mit ihren Tränen benetzte und mit Öl salbte; er setzt ihren „Erguß einer schönen von Reue, Zutrauen und Liebe durchdrungenen Seele“ (Nil) dem kalten Räsonnement der Apostel kraß entgegen. Seine Verehrung für Maria Magdalena bleibt auch in der Berner und in der Frankfurter Zeit unverändert (vgl. N 91, 292, 393, 397). Der Anstoß zu der Unterscheidung der subjektiven von der objektiven Religion geht nun wahrscheinlich von Sartorius’ Kompendium aus, welches im Tübinger Stift benutzt wurde^®. Allerdings schreibt Hegel in einem Fragment aus der Tübinger Zeit sicherlich im Zusammenhang mit diesem Kompendium Sartorius’, daß die subjektive Religion sich nicht in eine Dogmatik, in ein Kompendium einzwängen lasse, denn „dadurch Menschen bessern zu wollen heißt nichts“ (N 356). Hegel versteht also bereits in diesem Fragment die subjektive Religion nicht bloß im rein theologischen Sinne, sondern im Zuge der Rezeption der praktischen Philosophie Kants. Hegels Lehrer in Tübingen G. Ch. Storr, der vom Wintersemester 1790/91 bis zum Sommersemester 1792 die Dogmatik nach dem Kompendium Sartorius’ las^'^, übernahm diese Unterscheidung der subjektiven von der objektiven Religion. Er setzte in seinen Annotationes quaedam theologicae ad philosophicam

Hegel kritisiert außerdem die Verwachsung der christlichen Religion mit dem Despotismus (vgl. N 357). 15 Vgl. dazu K. Düsing: Die Rezeption der Kantischen Postulatenlehre in den frühen philosophischen Entwürfen Schellings und Hegels. In: Hegel-Studien. Beiheft 9 (1973). 69. Vgl. auch M. Brecht/f. Sandberger: Hegels Begegnung mit der Theologie im Tübinger Stift. In: HegelStudien 5 (1969). 72f. 1’ Vgl. W. Betzendörfer: Hölderlins Studienjahre im Tübinger Stift. Heilbronn 1922. 56.

22

I. Die Ansätze zur Problematik von ,Philosophie und Religion

Kantii de religione doctorinam^^ „den (subjektiv) moralischen Glauben eines Menschen“ gegen die „(objektiv) rationale Erkenntnis“ ab. Wer bloß die Kenntnisse der Religionslehren habe, der habe sie „vielmehr auswendig gelernt, als ,tief in sein Herz gelegt“ (seinem Gemüthe tief eingeprägt), er hat keine (subjektive) Religion, und keinen wahren Glauben“. Es ist einerseits zu konstatieren, daß Hegel dieser Unterscheidung der subjektiven von der objektiven Religion als „rationaler Erkenntnis“ folgt; Hegel geht jedoch andererseits über Storr hinaus und entwickelt eine eigene Konzeption. Wie gezeigt wurde, besteht die subjektive Religion nach Hegel darin, auf die Empfindungen einzuwirken und damit der Moralität Impulse zu geben. Die Moralität oder die Ausführung des Moralgesetzes ist hier das letzte Ziel der subjektiven Religion. Bemerkenswerterweise bezeichnet Hegel den Gegensatz von subjektiver und objektiver Religion auch als den von Religion und Theologie (vgl. N 8f). Er bezieht sich hier offenbar auf Fichtes Bestimmung von Religion und Theologie in dessen Erstlingsschrift Versuch einer Kritik aller Offenbarung (vgl. N 355,14) 1®. Fichte deklarierte dort, daß die Theologie „blosse Wissenschaft, todte Kenntnis ohne praktischen Einfluss“ sei. Die Theologie sei, so sagte er in Anknüpfung an Kant, erst dann eine Religion, wenn sie auf die Bestimmung des Willens einen Einfluß habe (vgl. FW V, 42f). Auch Hegel erblickt in völliger Übereinstimmung mit Fichte das Wesen der subjektiven Religion in ihrem „Einfluß auf unsere Empfindungen und auf die Bestimmung unseres Willens“ (N 5). Es ist auch festzuhalten, daß Fichte in der oben genannten Schrift auf die Bedeutung der Empfindungen innerhalb der Konzeption der ,Religion“ achtet: „Diese Empfindungen sollen nicht eigentlich den Willen bestimmen; aber sie sollen die Wirksamkeit der schon geschehenen Bestimmung vermehren“ (FW V, 59). Fichte hielt einerseits auf Kants Lehre, daß es bei einer moralischen Handlung auf die Bestimmung des Willens bloß durch das moralische Gesetz ankomme, also „ohne Mitwirkung

Diese Schrift erschien unmittelbar nach dem Erscheinen der Kantischen Schrift Die Religion innerhalb der Grenzen der bloßen Vernunft. Sie wurde im folgenden Jahr von Storrs Schüler F. G, Süskind ins Deutsche übersetzt: Bemerkungen über Kant’s philosophische Religionslehre. Tübingen 1794 (Nachdruck: Brüssel 1968). Zum folgenden vgl. diese Übersetzung S. 30, 61 f. Auch Süskind vertrat diese Unterscheidung der subjektiven von der objektiven Religion. Er bezeichnete den „Inbegriff dieser praktischen Sätze oder Wahrheiten“ als die objektive Religion und die „Anerkennung dieser praktischen Wahrheiten, verbunden mit wirklichem praktischen Einfluß derselben auf unsere Willensbestimmung“ als die subjektive (vgl. seine der oben genannten Übersetzung beigelegten Bemerkungen: Storr, a. a. O., 132). Zu Storrs Begriff der subjektiven Religion vgl. auch P. Kondylis: Die Entstehung der Dialektik. Stuttgart 1979. 176. Vgl. A. Peperzak: Le jeune Hegel et la Vision morale du monde. Den Haag 1960. 32ff, auch 19f.

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sinnlicher Antriebe“^»; er maß jedoch andererseits den Empfindungen Bedeutung bei, insofern sie die „Wirksamkeit“ der Willensbestimmung beförderten. Hegel bringt, wie wir gesehen haben, diesen Ansatz weiter und teilt der subjektiven Religion die Aufgabe zu, die Empfindung zu einer „wirklichen Rezeptivität“ für das moralische Gesetz auszubilden. — Es sei hier jedoch erwähnt, daß Hegel in seiner Berner Zeit diese Fichtesche Schrift scharf verurteilt. Im Brief an Schelling zu Ende Januar 1795 wirft er Fichte eigens vor, daß er in dieser Schrift Anlaß dazu gegeben habe, den Erfolg der praktischen Philosophie Kants hinsichtlich der Kritik des dogmatischen Gottesbegriffs zunichte zu machen und die alte Manier des Beweises in der Dogmatik zu restituieren (vgl. Br I, 17). Hegel meint hier zweifelsohne neben Fichte die Tübinger orthodoxen Theologen, namentlich Storr und Süskind^i. Storr legte seinem Versuch, die Offenbarungsreligion mittels der Kantischen Lehren erneut zu begründen, die modifizierte Kantische Auffassung zugrunde, daß die übersinnlichen Gegenstände außerhalb des Kreises der menschlichen Einsicht lägen^^. Er folgerte daraus, daß sich theoretisch nichts gegen die „biblischen Lehren von übersinnlichen Dingen“ festsetzen lasse; nur das „praktische Interesse der reinen Vernunft“ könne dazu berechtigen, eine theoretisch problematische Frage „assertorisch“ zu glauben. Aufgrund dieses „assertorischen“ Glaubens suchte Storr Christi Lehre als „Tatsache“ zu erklären^^. Daß der junge Hegel unter dem Bann Lessings steht, ersehen wir sowohl aus seinen wiederholt auftretenden Zitaten aus Nathan der Weise als auch aus Schellings Brief, in dem dieser Hegel einen „Vertrauten Lessings“ nennt (vgl. Br I, 21). Hegel zeichnet im „Tübinger Fragment“ Nathan der Weise einerseits als eine ,herrliche Frucht“ der Aufklärung aus (vgl. N 12), Lessing war realiter ein überzeugter Aufklärer, wie er gegen die dogmatische Religion entschieden auftrat. Er verlangte, die Bibel nur durch das „Licht“ zu lesen, „welches der menschliche Verstand selbst hineintrug“24. Denn die Vgl. Kant: Kritik der praktischen Vernunft. Hrsg. v. K. Vorländer. Hamburg 1974 (Nachdruck von 1929). 84f (A 126ff). 2' Süskinds Abhandlung, die der Übersetzung von Storrs Schrift beigefügt wurde, heißt eigentlich: Bemerkungen über den ausPrincipien der praktischen Vernunft hergeleiteten Ueberzeugungsgrund von der Möglichkeit und Wirklichkeit einer Offenbarung, in Beziehung auf Fichte’s Versuch einer Critik aller Offenbarung. 22 Vgl. P. Asveld: La pensee religieuse du jeune Hegel Liberte et alienation. Paris 1953. 67 ff; O. Pöggeler: Hegels Jugendschriften und die Idee einer Phänomenologie des Geistes. Habil, maschr. Heidelberg 1966. 41 ff. 22 Vgl. Storr: Bemerkungen über Kant’s philosophische Religionslehre. If, 69ff. 2‘t Lessing: Die Erziehung des Menschengeschlechts. In: Werke. Hrsg. v. J. Petersen und W. Olshausen. Hildesheim 1970 (Nachdruck von 1925). Bd. 6 (6. Teil). 76. Sicherlich las Hegel diese Abhandlung in Tübingen evtl, schon in Stuttgart. Vgl. Harris, a. a. O., 99. Zum folgenden vgl. Lessing, a. a. O., 77. Vgl. auch ders.: Überden Beweis des Geistes und der Kraft. Bd. 19 (23. Teil). 47.

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I. Die Ansätze zur Problematik von ,Philosophie und Religion“

religiösen Wahrheiten seien nicht die zufälligen ,Geschichtswahrheiten“, sondern die notwendigen ,Vernunftwahrheiten“. Es gelte also, die Vernunft von dem „Gesetz der Herrlichkeit des Himmels““ zu befreien^s. Andererseits betont Hegel, daß es sich bei Lessing um die Religion als eine Sache des Herzens handelt. Er führte bereits in seinem gymnasialen Aufsatz Über einige charakteristische Unterschiede der alten Dichter die Stelle aus Nathan der Weise an: „Die kalte Buchgelehrsamkeit, die sich / Mit toten Zeichen ins Gehirn nur drückt““ ^6, Die Religion bedeutete für Lessing keinesfalls die Buchstaben der Bibel, sondern ihm kommt alles auf das ,Herz“ an, welches jeder Religion gemeinsam ist^’. So zitiert Hegel aus Nathan: „Was mich euch zum Christen macht, das macht euch mir zum Juden““ (N 10)28. Lessing gab nun nicht nur Hegel entscheidende Anregungen, sondern auch dessen Stiftsfreunden, die gemeinsam einen Bund schlossen. Die jungen Stiftler (vor allem Hegel, Hölderlin, Schelling) machten Lessings Wort: €v Kai Trap zu dem Symbol dieses Bundes, „der freien Wahrheit nur zu leben““29. Sie fanden diese pantheistische Formel, die eigentlich von Heraklit und Xenophanes herkommH“, in Jacobis Schrift Über die Lehre des Spinoza, in Briefen an Herrn Moses Mendelssohn^^, die den Anlaß zu dem,Pantheismusstreit“ bot. Jacobi teilte in diesen Briefen sein Gespräch mit Lessing mit. Dieser habe dabei nach Jacobis Bericht den christlichen dogmatischen Begriff der Gottheit abgelehnt und sich zu dem spinozistischen Begriff der Gottheit als Eines in Allem bekannt: „Die orthodoxen Begriffe von der Gottheit sind nicht mehr für mich; ich kann sie nicht genießen. ‘EPKat ROP!

25 Vgl. Lessing: Nathan der Weise. Werke. Bd. 2 (2. Teil). 249 (IV, 2). 25 A. a. 0„ 280 (V, 7). Vgl. Ros 459f. 22 Vgl. Lessing: Axiomata, wenn es deren in dergleichen Dingen gibt. Bd. 19 (23. Teil). 169: „Der Buchstabe ist nicht der Geist, und die Bibel ist nicht die Religion.“ 28 Lessing: Nathan der Weise. 266 (IV, 7). 25 Eleusis. Hegels Gedicht an Hölderlin im August 1796 (Br 1, 38). Auch Schelling schreibt in den Philosophischen Briefen über Dogmatismus und Kriticismus: „I.. .1 ein Symbol für den Bund freier Geister“ (SW I, 341). Zu diesem Bund vgl. /. D’Hondt: Hegel secret. Recherches sur les sources cachees de la pensee de Hegel. Paris 1968. 236f. 5“ Vgl. Heraklit Fr. 50 (H. Diels: Die Fragmente der Vorsokratiker. Hrsg. v. W. Kranz. Bd. 1. Dublin/Zürich 1974: 17. Aufl. 161): „ ev iravra ehai“. Vgl. auch Simplicii in Aristotelis physicorum libros quattuor priores commentaria (Hrsg. v. H. Diels. Commentaria in Aristotelem graeca. Voi. IX. Berolini 1882. 22): „ TO yap ev TOVTO Kai näv TOV ßeov eXeyei^ 6 SevcKpaoris vgl. ferner Platon: Sophistes. 242d. 51 Rosenkranz berichtet, daß Hegel mit seinen Stiftsfreunden wie Hölderlin, Fink, Renzusw. neben den Lektüren von Platon, Kant, Hippel und Jacobis Woldemar und Allwill diese Schrift las und diskutierte (vgl. Ros 40).

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Ich weiß nichts anders“32. Gegenüber diesem Bekenntnis bemängelte Jacobi, daß es bei Spinoza keinen Übergang des Unendlichen zum Endlichen gebe und daß Spinoza an die Stelle des emanierenden Wesens die immanente Ursache der Welt setze. Spinoza lehne nach Jacobis Überzeugung von dem Standpunkt des Fatalismus und zugleich des Atheismus her den Begriff des persönlichen, schlechterdings unendlichen Wesens als Ursache der Welt ab. — Diese Kritik Jacobis erweckte damals einen allgemeinen Angriff gegen ihn; die Formel eu KM TTöV wurde zur „religiösen Freiheitsparole einer Epoche“33. Auch die Stiftler, die gemeinsam die Spinozabriefe lasen, drückten in dem Symbol ev KM Trävihre gemeinsame kritische Einstellung gegenüber dem dogmatischen Begriff des Gottes aus^^. So wies Hegel zurück, die Religion herabzusetzen und sie als das „Beugen der Kniee und des Herzens vor dem Heiligen“ zu verstehen (N 8); er maß der Selbsttätigkeit des Menschen entscheidende Bedeutung bei. Schelling kritisierte in seinem Brief an Hegel aufs schärfste die Verfälschung der Kantischen praktischen Philosophie durch die Tübinger orthodoxen Theologen und verkündete: „Wir reichen weiter noch als zum persönlichen Wesen“ (Br I, 22, vgl. 14). Hölderlin artikulierte in Hyperion seinen Begriff der Gottheit: „Eines zu seyn mit Allem, das ist Leben der Gottheit, das ist der Himmel des Menschen“ F. H. facobi: Werke. Hrsg. v. F. Roth und F. Koppen. Darmstadt 1968 (Nachdruck v. 1819). IV/1, 54, zum folgenden vgl. 55f, 59, 79, 216. Vgl. dazu H. Timm: Gott und die Freiheit. Studien zur Religionsphilosophie der Goethezeit, Bd, 1. Die Spinozarenaissance. Frankfurt a. M. 1974. 190. H. Timm, a. a. O., 8. Vgl. Jacobi: Werke. II, 4. ’■' Die Formel ev KOLI näv findet sich im Blatt 32 des Hegelschen Stammbuchs, auf dem sich Hölderlin mit einem Vers aus Goethes Iphigenie eintrug (vgl. Br IV/1, 136). Es ist allerdings schwer zu entscheiden, ob Hölderlin oder Hegel selbst „Slymbolon] ev KOU irav “ hinzufügte. Vgl. ferner Hölderlin: Hyperion. In: Sämtliche Werke (Große Stuttgarter Ausgabe). Hrsg. v. F, Beißner. Stuttgart 1943ff, Bd. 3. 9, 53, 236. Zu Hölderlins Exzerpte aus Jacobis Spinozabriefe Hölderlin, a. a. O., Bd. 4/1. 207—210. Vgl. auch SWI, 185, 193. Eine andere mögliche Quelle des Symbols evKÖiCirav der Tübinger Stiftler ist Heinse: Ardinghello, und die glückseeligen Inseln (1787). Vgl. z. B. die Stelle: „Im Anfänge war Alles Eins 1...] Alles wechselt mit einander ab und geht wieder in das Eins zurück. Vater Aether, aller Lebengeberl Und so wird und vergeht ewig Alles, was ist“ {Heinse: Sämmtliche Werke. Hrsg. v. C. Schüddekopf. Bd. 4. Leipzig 1907. 320). Vgl. hierzu Ch. Jamme: „Ein ungelehrtes Buch". Die philosophische Gemeinschaft zwischen Hölderlin und Hegel in Frankfurt 1797—1800. Bonn 1983. 112f.; M. L. Baeumer: Heinse-Studien. Stuttgart 1966. 58 f, 68 f. Die Losung des Bundes der Stiftler hieß nun auch „das Reich Gottes“ oder „die unsichtbare Kirche“ (vgl. Br I, 9, 18). Sie verstanden diese Losungsworte jedoch keineswegs im Sinne der kirchlichen Lehren; das ,Reich Gottes' meinte das Reich der „Vernunft und Freiheit“ (vgl. unten S. 38). Die Stiftler machten sich die Realisierung dieses Reichs zur eigenen Aufgabe: „Das Reich Gottes komme, und unsre Hände seien nicht müßig im Schoße!“ (Br I, 18). Vgl. /. Hoffmeister: Die Heimkehr des Geistes. Studien zur Dichtung und Philosophie der Goethezeit. Hameln 1946. 222; Peperzak, a. a. O., 6ff; Pöggeler, a. a. O., 40ff. 35 Hölderlin: Sämtliche Werke. Bd. 3. 9.

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b) Vernunftreligion

Hegel legt, wie bereits angedeutet wurde, seiner Konzeption der subjektiven Religion Kants Ethik und Moraltheologie zugrunde. Das letzte Ziel der subjektiven Religion ist die Moralität oder die Ausführung und Verwirklichung des moralischen Gesetzes. Dieses Gesetz ist „die erhabene Forderung der Vernunft an die Menschheit“, und es wird durch die subjektive Religion vorausgesetzt (vgl. N 4, 19). Hier ist Hegel sich mit Kant einig, welcher bei der Konzeption der Religion die Moralität voraussetzt. Das Sittengesetz führt für Kant erst durch den Begriff des höchsten Gutes (der der Moralität angemessenen Glückseligkeit) und durch das Postulat des Daseins Gottes, welcher die Möglichkeit des höchsten Gutes verbürgt, zur Religion^®. Hegel rezipiert auch diesen Begriff des höchsten Gutes und die Postulatenlehre: „Um hoffen zu können, daß das höchste Gut, dessen einen Bestandteil wirklich zu machen uns als Pflicht auferlegt, im Ganzen wirklich werde, fordert die praktische Vernunft Glauben an eine Gottheit — an Unsterblichkeit“ (N 9). Hegel gründet also den Glauben an Gott und die Unsterblichkeit der Seele in Übereinstimmung mit Kant auf die ,Forderung“ der praktischen Vernunft. Er erkennt Kants Argumentation an, daß das höchste Gut praktisch nur unter der Voraussetzung der Unsterblichkeit der Seele und des Daseins Gottes möglich sei. Der Glaube an Gott ist also bei Hegel wie bei Kant nicht der Grund des Moralgesetzes selbst, sondern nur der Grund der Erlangung des höchsten Gutes^’. Die subjektive Religion ist in dieser Hinsicht die „Vernunftreligion, die Gott im Geist und in der Wahrheit anbetet und seinen Dienst nur in die Tugend setzt“ (N 17). Sie besteht nicht etwa in der Befolgung der kirchlichen Verordnungen, welche für die Vernunft zufällig sind, sondern in der Ausführung des notwendigen moralischen Gesetzes. Ihr gehört freilich die Erkenntnis des Moralgesetzes als Gebot Gottes an (vgl. N 5); dies heißt aber nicht, daß z. B. die Furcht vor Gott oder die Vorstellung der Belohnung die moralische Triebfeder ersetzen kann. Hegel grenzt demnach die Vernunftreligion scharf von dem „Fetischglauben“ ab, „der sich bei Gott auch noch durch etwas anderes, als einen an sich guten Willen beliebt machen zu können glaubt“ (N17). Hier greift er zweifelsfrei auf Kant zurück. „Wer also“, so schrieb Kant, „die Beobachtung statutarischer, einer Offenbarung bedürfender Gesetze als zur Religion notwendig und zwar nicht bloß als Mittel für die moralische Gesinnung, sondern als die objektive Bedingung, Gott dadurch unmittelbar wohlgefällig zu werden, voraus-

Vgl. Kant: Kritik der praktischen Vernunft. 148 (A 233). 3’ Vgl. Kant: Kritik der praktischen Vernunft. 141, 143, 148 (A 220, 224, 232).

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schickt und diesem Geschichtsglauben die Bestrebung zum guten Lebenswandel nachsetzt, der verwandelt den Dienst Gottes in ein bloßes Fetischmachen und übt einen Afterdienst aus“^». Hegel akzeptiert diese Kritik an dem Fetischglauben, welcher die Befolgung der statutarischen Glaubenssätze als wesentlich für den Dienst Gottes erklärt, und er sieht es als die Aufgabe der wahren Religion an, den Fetischglauben zur Vernunftreligion hinzuführen und ihn zu verdrängen (vgl. N 17). Hegel tritt also in der Tübinger Zeit grundsätzlich für die Kantische Lehre ein. Es ist daher verfehlt zu behaupten, die Lehre der Kantischen praktischen Philosophie passe nicht zu der Grundintention Hegels in dieser Zeit^*. Allerdings ist zu beachten, daß Hegels Denken in Tübingen — wie gezeigt wurde — durch die spätaufklärerische Geistesströmung geprägt ist, welche die Notwendigkeit der Vereinigung von Denken und Empfinden oder Vernunft und Gefühl unterstrich. Auf diesem Boden und wohl unter dem Einfluß der Ethik von Shaftesbury und Rousseau, die auf das Gefühl bzw. auf die Empfindungen Wert legte, rezipiert Hegel die praktische Philosophie Kants, diese z. T. modifizierend — was seiner Kant-Rezeption in Tübingen das besondere Gepräge verleiht'^“. Die Triebfeder der sittlichen Handlungen kann Kants Theorie zufolge keinesfalls etwas anderes als das moralische Gesetz sein. Denn aller sittliche Wert der Handlungen besteht darin, daß das Sittengesetz unmittelbar den Willen bestimmt'*!. Eine Handlung macht sich also erst dann als moralisch geltend, wenn sie sich von aller ,Neigung' (der habituellen sinnlichen Begierde) und von jedem Gegenstand abrückt, welcher die Wirkung der vorhabenden Handlung ist. „Also bleibt nichts für den Willen übrig, was ihn bestimmen könne, als objektiv das Gesetz und subjektiv reine Achtung für

Kant: Die Religion innerhalb der Grenzen der bloßen Vernunft. Hrsg. v. K. Vorländer. Hamburg 1961. 201 (B 275). Hegel las diese Schrift wahrscheinlich unmittelbar nach deren Erscheinen, d. h. noch in seiner Tübinger Zeit. Peperzak bezieht sich aut entsprechende Stellen aus dieser Schrift und dem „Tübinger Fragment“ (vgl. Peperzak, a. a. O., 40 Anm.). Vgl. auch N 404. Daß Hegel in Tübingen den Fetischglauben im Gegensatz zur Vernunftreligion betrachtet, ist auch ein Indiz dafür. C. P. F. Leutwein, der von 1787—92 im Tübinger Stift studierte, schrieb später: „In Tübingen war ihm (Hegeil nicht einmal Vater Kant recht bekannt“ (D. Henrich: Leutwein über Hegel. Ein Dokument zu Hegels Biographie. In: Hegel-Studien. 3 (1965). 57). Rosenkranz berichtet jedoch von Hegels Lektüre und z. T. Exzerpte der Kantischen Schriften (vgl. Ros 33, 36, 40, 86f). Am Rande: Der Tübinger Repetent C. I. Diez (der „Kantischer enrage“ genannt wurde) spielte bei dem Kantstudium der Stiftler eine zentrale Rolle. Vgl. dazu D. Henrich/J. L. Döderlein: Carl Immanuel Diez. In: Hegel-Studien 3 (1965). 276—287. Zu einem weiteren engagierten Kantianer im Tübinger Repetentenkollegium, G. C. Rapp vgl. M. Brecht/J. Sandberger, a. a. O., 59. Vgl. oben Anm. 4. ■•o Zur Kant-Rezeption Hegels in der Berner Zeit vgl. unten S. 36, 40. ■•1 Vgl. Kant: Kritik der praktischen Philosophie. 84 (A 126f).

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dieses praktische Gesetz““'^, Im Hinblick auf Hegels Rezeption ist ganz besonders wichtig, daß Kant hier jede Mitwirkung sinnlicher Antriebe abweisH^. Das Moralgesetz ist für Kant der hinreichende Bestimmungsgrund der Handlung. Allerdings spricht Kant von der Achtung für das moralische Gesetz. Sie ist zwar ein Gefühl, aber sie wird nur durch das Gesetz (ohne Vorstellung der Wirkung der Handlung), also nicht durch einen empirischen, sondern intellektuellen Grund gewirkt. In diesem Sinne bezeichnet Kant diese Achtung als „moralisches Gefühl“ Das Moralgesetz übt Einfluß auf die Sinnlichkeit des Subjekts aus und bewirkt dieses „moralische Gefühl“; dieses Gefühlt dient als Triebfeder, indem es den Einfluß des Gesetzes auf den Willen befördert*^. Bei dieser Bestimmung des „moralischen Gefühls“ übt Kant Kritik an der Gefühlsethik von Shaftesbury und Hutcheson. Sie sprechen nach Kants Auffassung ,das moralische Gefühl“ („moral sense“) als einen besonderen Sinn an, der das moralische Gesetz bestimmt; d. h. sie machen dieses Gefühl zu dem „Richtmaß unserer sittlichen Beurteilung““*®. Dementgegen denkt Kant das „moralische Gefühl“ als eine Wirkung des moralischen Gesetzes auf die Sinnlichkeit des Subjekts; dieses Gefühl vermag demnach weder die Handlungen auf die Moralität hin zu beurteilen, noch das („objektive“) Sittengesetz zu gründen, wenn es auch als Triebfeder des Willens dient“**“. Auch in der Schrift Von dem Verhältnis der Theorie zur Praxis in der Moral überhaupt verteidigt Kant diese These gegen Ch. Garves Kritik, daß der Mensch vor der Handlung ein sinnliches Motiv haben müsse. Der Wille, so legt Kant dar, müsse allerdings ein Motiv haben, aber dieses könne nichts anderes als das Moralgesetz selbst sein. Auch das „moralische

■*2 Kant: Grundlegung zur Metaphysik der Sitten. Hrsg. v. K. Vorländer. 3. Aufl. Hamburg 1962. 19, 64 (Akademie-Ausgabe, IV, 400, 440). Vgl. Kant: Kritik der praktischen Vernunft. 85 (A 128). A. a. O., 88 (A 133), vgl. 89, 94 (A 135,142); ders.: Grundlegung 87 (Akademie-Ausgabe, IV, 460). “'5 Vgl. Kant: Kritik der praktischen Philosophie. 88 (A 133f). Kant: Grundlegung. 87 (Akademie-Ausgabe, IV, 460); vgl. 67 (Akademie-Ausgabe, IV, 442); ders.: Kritik der praktischen Vernunft. 45 f (A 67 f). Vgl. auch Shaftesbury: An inquiry concerning virtue, or merit. A selection of material from Toland’s 1699 edition by D. Walford. Manchester 1977. 26; F. Hutcheson: A System of Moral Philosophy. 2 vol. New York 1968 (Reprint of 1755). Vol. 1. 53ff. “*5 Vgl. Kant: Kritik der praktischen Philosophie. 88 (A 133 f). Kant: Grundlegung 87 (Akademie-Ausgabe, IV, 460); vgl. 67 (Akademie-Ausgabe, IV, 442); ders.: Kritik der praktischen Vernunft. 45f (A 67f). Vgl. auch Shaftesbury: An inquiry concerning virtue, or merit. A selection of material from Toland’s 1699 edition by D. Walford. Manchester 1977. 26; F. Hutcheson: A System of Moral Philosophy. 2 vol. New York 1968 (Reprint of 1755). Vol. 1. 53ff. Vgl. Kant: Kritik der praktischen Philosophie. 89 (A 134f).

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Gefühl“ setzt dieses Gesetz voraus, welches die reine Vernunft gibt. Dieses Gefühl ist nicht die Ursache des Sittengesetzes, sondern die „subjektive“ Wirkung, die das Gesetz auf den Willen ausübt. Wir hätten also überhaupt keine Wahrnehmung von diesem Gefühl, wenn der Einfluß des Gesetzes auf den Willen nicht vorherginge'^®. Hegel nimmt nun diese Theorie der ,Achtung für das Sittengesetz“ als einziger moralischer Triebfeder auf und legt sie seiner Konzeption der subjektiven Religion zugrunde (vgl. N 18)“*®. Andererseits betont er jedoch, daß auch die Sinnlichkeit ein Hauptelement der Handlungen des Menschen ist. Um den Menschen zur Moralität zu führen, ist es somit unerläßlich, „das ganze Gewebe seiner Empfindungen“ durch die Ideen der Vernunft zu „schwängern“ und damit die Achtung für das Gesetz zu unterstützen (vgl. N 4, 357). Auf diese Weise sucht die subjektive Religion auf die Empfindungen zu wirken, welche nicht als solche moralisch sind, d. h. nicht aus der „Achtung fürs Gesetz“ entspringen, die jedoch böse Neigungen hindern und die Annäherung an die Moralität befördern können (vgl. N 18). Hier modifiziert Hegel teilweise die Theorie Kants, welcher jede Mitwirkung sinnlicher Antriebe abwies (s. o.). Hegel stellt dagegen die Notwendigkeit heraus, der ,Achtung für das Gesetz“ die durch die Ideen der Vernunft belebten Empfindungen „beizugesellen““ und damit Einfluß auf die Bestimmung des Willens auszuüben (vgl. N 5, 8)^®. — Bemerkenswert ist, daß diese Hegelsche Auffassung Kants Lehre in der Kritik der reinen Vernunft nahekommUL Kant hat hier im Gegensatz zu der späteren Lehre in der Grundlegung und in der Kritik der praktischen Vernunft erklärt, daß das moralische Gesetz nicht die hinreichende Triebfeder der Ausübung dieses Gesetzes sei: „Ohne also einen Gott und eine für uns jetzt nicht sichtbare, aber gehoffte Welt, sind die herrlichen Ideen der Sittlichkeit zwar Gegenstände des Beifalls und der Bewunderung, aber nicht Triebfedern des Vor-

‘‘8 Vgl. Kant: Von dem Verhältnis der Theorie zur Praxis in der Moral überhaupt, ln: Kant/ Gentz/Rehberg: Über Theorie und Praxis. Einleitung von D. Henrich. Frankfurt a. Main 1967. 51. Zur Kritik von Ch. Garve an Kant vgl. a. a. O., 134—138. Hegel hebt in Bern noch ausdrücklicher diese Lehre der .Achtung' im Zuge der Kritik an der .positiven' Religion hervor. Diese Religion fordere nach Hegel nicht die Achtung für das Sittengesetz, d. h. also nicht die Autonomie, sondern die Achtung für das fremde allmächtige Wesen (vgl. N 212, auch 48). 5° Zu Hegels Auseinandersetzung mit dem Begriff der .Achtung' in der Frankfurter Zeit vgl. Th. Baumeister: Hegels frühe Kritik an Kants Ethik. Heidelberg 1976. 84ff. Er berücksichtigt allerdings nicht Hegels Rezeption dieses Begriffs in der Tübinger und in der Berner Zeit. Vgl. Düsing: Die Rezeption der Kantischen Postulatenlehre. 71. Vgl. auch Düsing: Das Problem des höchsten Gutes in Kants praktischer Philosophie. In: Kant-Studien. 62 (1971). 5—42, bes. 15f; D. Henrich: Hegel im Kontext. Frankfurt a. M. 1967. 47ff.

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Satzes und der Ausübung“ 52. Auch Hegel sieht das Zusammenwirken der moralischen Triebfeder mit den Empfindungen als notwendig an. Hegel schreibt nun das Grundprinzip dieser Empfindungen, die zwar nicht moralisch sind, die aber die Willensbestimmungen durch das Sittengesetz befördern können, der Liebe zu. Sie entstammt allerdings nicht der Moralität, sondern sie ist ein „pathologisches“ Prinzip. Hegel meint jedoch, daß sie „etwas Analoges mit der Vernunft“ 55 habe, insofern sie „in andern Menschen sich selbst findet, oder vielmehr sich selbst vergessend — sich aus seiner Existenz heraussetzt, gleichsam in andern lebt, empfindet und tätig ist“ (N 18). Dieses Gefüge der Liebe, daß die Liebenden sich in einander finden, hat Hegel sich wohl aus Platon angeeignet; dabei dürfte Schiller ihm eine Anregung gegeben haben5‘*. Diese Rezeption bildet die Grundlage für die weitere Entwicklung des Begriffs der Liebe unter dem Einfluß Hölderlins in der Frankfurter Zeit, wobei jenes Gefüge der Liebe bestimmend bleibt. Die Liebe ist allerdings in Frankfurt kein „pathologisches“ Prinzip mehr, sondern das Prinzip der absoluten Vereinigung von Subjekt und Objekt, Freiheit und Natur oder Unendlichem und Endlichem (vgl. u. S. 77). c) Volksreligion Für das ,Ideal' des jungen Hegel oder für seine Konzeption der idealen Religion in der Tübinger Zeit charakteristisch ist, daß er dem Problem der Verwirklichung bzw. der Anwendung dieser idealen Religion große Bedeutung beilegt. Die Frage, wie eine Religion, die sich auf die Vernunft gründet, in Leben und Tat eines Volkes wirksam wird, bestimmt Hegels Denken in der Tübinger Zeit (vgl. N 14, 19). Er vertritt nämlich die Überzeugung, daß der eigentliche Sinn der Religion nicht in der moralischen Ausbildung des einzelnen Menschen, sondern darin liege, auf den „Geist eines Volks“ zu wirken und das Volksganze zu bilden (vgl. N 23, 25). In dieser Hinsicht 52 Kant: Kritik der reinen Vernunft. Hrsg. v. R. Schmidt. Hamburg 1956 (Nachdruck von 1930). 734 (A 813, B 841). 55 Vgl. A. G. Baumgarten: Aesthetica. § 1. In; H R. Schweizer: Ästhetik als Philosophie der sinnlichen Erkenntnis. Basel/Stuttgart 1973. 106. 5'* Vgl. Platon: Phaidros: „1... 1 roanep Se ’ev KarorrTpi^ 'ev T(*» 'epCjini hcwrov hpüv \e\rjdev “ (255 d). Rosenkranz berichtet über Hegels Lektüre und Übersetzungsversuche der Platonischen Schriften in der Tübinger Zeit (vgl. Ros 40). Vgl. ferner Schiller: Philosophische Briefe. In: Werke. Nationalausgabe. Begründet v. J. Petersen. Weimar 1943ff. Bd. 20. 121, Zur Tradition der .Vereinigungsphilosophie' seit Platon und zu ihrer Entwicklung im 18. Jahrhundert vgl. Henrich, a. a. O., 13ff; G. Kurz: Mittelbarkeit und Vereinigung. Zum Verhältnis von Poesie, Reflexion und Revolution bei Hölderlin. Stuttgart 1975. 16—31.

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geht Hegel über Kant hinaus, während er für die Grundsätze der Kan tischen praktischen Philosophie eintritt^s. Die subjektive Religion ist also bei Hegel zu gleicher Zeit eine „Volksreligion“ oder eine „öffentliche Religion“ (vgl. N 5, 19). Sie verfolgt den Zweck, auf die Handlungen und Denkart eines Volkes Einfluß zu haben, so daß sich die „Erhebung, Veredlung des Geistes einer Nation“ (N 5) vollzieht. Hegel betrachtet also die Religion besonders von dem Gesichtspunkt der ,Volkserziehung‘ aus. Herder war es, der die Notwendigkeit der ,Volkserziehung“ eigens hervorhob, welche eine allgemeine Parole der Aufklärung gewesen war^e. Herder folgend, erblickt Hegel den Hauptzweck der Religion in der „Bildung eines Volksgeistes“ (N 21)57. ES liegt übrigens nahe, daß diese Notwendigkeit der ,Volkserziehung‘ eine gemeinsame Überzeugung von Hegel und Hölderlin in der Tübinger Zeit war. So schrieb Hölderlin Hegel später im Brief vom 26. Januar 1795: „Ich gehe schon lange mit dem Ideal einer Volkserziehung um, und weil Du Dich gerade mit einem Teil derselben, der Religion, beschäftigst, so wähl’ ich mir vielleicht Dein Bild und Deine Freundschaft zum Konduktor der Gedanken in die äußere Sinnenwelt“ (Br I, 20)58. Die Grundsätze der Volksreligion müssen nach Hegel „auf der allgemeinen Vernunft gegründet sein“ (N 20). Dies ist ein erster Kanon der Volksreligion. Das Empirische kann sich nicht bei dieser Aufstellung der Grundsätze einmischen; sondern sie müssen nur durch die Vernunft, also nicht etwa durch eine Offenbarung autorisiert sein. Hegel gesteht jedoch ein, daß es nicht leicht sei, daß diese rein vernünftigen Lehren „eine lebendige Anerkennung von seiten des Volks“ fänden (vgl. N 14). Um diese Lehren in einem Volk zur Wirkung zu bringen, ist es erforderlich und unerläßlich, seine Phantasie mit den reinen Bildern zu erfüllen und in seinem Herz die 55 Vgl. Pöggeler: Hegels Jugendschriften. 58. 55 Vgl. Herder: Briefe zu Beförderung der Humanität. In: Sämmtliche Werke. Bd. XVII, 392ff. 5’ Den Begriff des ,Volksgeistes“ übernimmt Hegel von Herder. Vgl. Herder: Über die neuere Deutsche Literatur. Sämmtliche Werke. II, 144: „Ein Erklärer der Griechen soll ihren Geist der Nation, der Zeit, des Landes und der Lebensart kennen.“ Ders.: Ideen. Sämmtliche Werke. XIII, 306: „I.. .1 die Lebensart und der Genius jedes Volks“. Ders.: Briefe zu Beförderung der Humanität. Sämmtliche Werke. XVII, 399: „Gemeingeist (public spirit)“. Dieser Begriff hat seinen Ursprung in Montesquieus Begriff „esprit gdneral“. Vgl. hierzu G. Planty-Bonjour: L’esprit general d’une nation selon Montesquieu et le „Volksgeist“ hegelien. In: Hegel et le Siede des Lumieres. Hrsg, v. J. D’Hondt. Paris 1974. 7—24. H. Jendreiek (Hegel und Jacob Grimm. Berlin 1975. 157) sieht die Entstehung der ,Volksgeist-Bewegung‘ in Deutschland in J. Möser. 58 Vgl. auch Hölderlins Brief an seinen Bruder vom September 1793 (Sämtliche Werke. 6/1. 92f); Hölderlin: Hyperion (a. a. O., 3. 89). Vgl. zu diesem Thema Ch. Jamme: „Ein ungelehrtes Buch“. 46f.

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I. Die Ansätze zur Problematik von .Philosophie und Religion“

wohltätigen Gefühle zu erwecken. Ein zweiter Kanon der Volksreligion lautet somit folgendermaßen: „Phantasie, Herz und Sinnlichkeit müssen dabei nicht leer ausgehen“ (N 20). Hegel zweifelt allerdings anderVerwirldichung dieser Forderung in einem unterdrückten Geist in der christlichen Welt, in der man auf den hergebrachten Pflichten, Gebräuchen beharren. Jene Forderung Hegels ist vielmehr mit der Sehnsucht nach der Vergangenheit, nach dem jugendlichen Genius des griechischen Volkes verbunden. „Ach, aus den fernen Tagen der Vergangenheit“, so heißt es, „strahlt der Seele, die Gefühl für menschliche Schönheit, Größe im Großen hat, ein Bild entgegen — das Bild eines Genius der Völker — eines Sohns des Glücks, der Freiheit, eines Zöglings der schönen Phantasie“ (N 28)^9. Diese jugendliche und lebendige Kraft des griechischen Volkes aber ist entflohen, und man kennt jetzt nur einige Züge dieses Genius „in hinterlassenen Kopien seiner Gestalt“ (N 29). — Hegel sieht eine „Kopie“ in Klopstock, in „unserem großen christlichen Epopeendichter“ (N 358, vgl. Ros 459). Zwar bleibt ihm das Verdienst, die Phantasie von den verstandesaufklärerischen Dichtungen entbunden zu haben und die Religion „zu einer Sache der Phantasie“ gemacht zu haben (vgl. N 358, 364); aber er vermochte nicht wie die Griechen die gemeinsame Phantasie des Volkes zu schaffen. Seine Welt der Phantasie stieg nicht zu dem gemeinen Volk herab, und sie wurde nicht öffentlich anerkannt. Denn die Empfänglichkeit und die Kultur überhaupt des gemeinen und des gebildeten Standes wurde nunmehr unüberbrückbar verschieden (vgl. Ros 459, N 358)®". Jene gemeinsame Phantasie des jugendlichen Volksgeistes wie bei den Griechen ist jetzt bloß ein Gegenstand des „schmerzlichen Sehnens“ (N 29). In einem dritten Kanon will Hegel das Verhältnis der Volksreligion mit dem ganzen Leben des Menschen, insbesondere mit dem politischen bestimmen : „Sie muß so beschaffen sein, daß sich alle Bedürfnisse des Lebens — die öffentlichen Staatshandlungen daran anschließen“ (N 20). Daß der Bildung des Geistes eines Volkes nicht nur die Religion, sondern auch die Politik, die politische Freiheit Entscheidendes bedeutet, ist gerade Hegels Überzeugung. „Geist des Volks, Geschichte, Religion, Grad der politischen Freiheit desselben“, so drückt Hegel den Kernpunkt der Volksreligion aus, „lassen sich weder nach ihrem Einfluß aufeinander, noch nach ihrer Beschaffen-

Hegel steht hier wohl unter dem Bann Schillers. Vgl. Schiller: Die Götter Griechenlandes: „Da ihr noch die schöne Welt regiertet, / an der Freude leichtem Gängelband / glücklichere Menschenalter führtet, / schöne Wesen aus dem Fabelland!“ (Werke. Bd. 1. 190). Vgl. auch Herder: Auch eine Philosophie der Geschichte. Sämmtliche Werke. V, 494ff, 562; ders.: Ideen. Sämmtliche Werke. XIII, 310: „[.. .leine Blüthe des Genius der Völker, ein Sohn der Tradition und Gewohnheit“. Vgl. Ripalda: Poesie und Politik. 102, 107 f.

1. Aufldärung und Herz

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heit abgesondert betrachten“ (N 27). In dieser Betonung der Bedeutung der Zusammenarbeit von Religion und Politik kann Hegel mit Rousseau übereinstimmen. Leutwein teilt mit, daß Hegel in den Stiftsjahren mit Rousseaus Schriften vertraut und sein Verehrer war®h In Du contrat social weist Rousseau den Versuch scharf zurück, „les deux tetes de raigle“®^, d. h. Staat und Religion, zu trennen. Diese Trennung zerbricht die soziale Einheit, indem sie die Menschen den zwei widersprüchlichen Pflichten unterwirft. „La religion du citoyen“, z. B. die Religion der ersten primitiven Völker, die ihre eigenen Schutzgötter haben, identifiziert den Dienst des Staates mit dem des Schutzgottes. Sie zeigt jedoch den Mangel, daß sie sich auf Irrtümern oder Erdichtungen aufbaut und damit oft ausschließlich wird. „La religion de l’homme“, nämlich die christliche Religion, ist hingegen der rein innere Kult Gottes und die ewige Pflicht gegen die Moral; sie aber trennt das Herz des Menschen von allem Irdischen, also auch von dem Staat los. Rousseau schreibt, „je ne connois rien de plus contraire ä l’esprit social“. Er nimmt sich vor, „la religion civile“ zu gründen, die ,die zwei Köpfe des Adlers“ vereinigt. Hegel schließt sich dieser Auffassung an. Dabei ist allerdings nicht zu übersehen, daß er entschieden gegen die christliche Religion auftritt, die sich mit dem Despotismus verschwört®^, was Rousseau in jener Schrift nicht berücksichtigt. In Bern rückt Hegel diese Thematik im Zuge der ,Positivitäts‘-Kritik in den Vordergrund (vgl. S. 51).

Vgl. Hegel-Studien. 3. 56. Vgl. auch Ros 17, 33. «2 Rousseau: Oeuvres Completes. Hrsg. v. B. Gagnebin und M. Raymond. Bd. 3. Paris 1964. 463, zum folgenden 464f. Vgl. N 357, auch 27. Vgl. ferner Br I, 24; „Religion und Politik haben unter einer Decke gespielt.“ Vgl. auch Phänomenologie des Geistes. GW 9. 294.

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I. Die Ansätze zur Problematik von .Philosophie und Religion“

2. KANTIANISMUS UND KRITIK AN DER CHRISTLICHEN RELIGION Hegel entfaltete schon in seinen Studienjahren eine eigene Konzeption der Religion. Er bezeichnete sie im Gegensatz zur objektiven, dogmatischen Religion als die subjektive Religion; sie versucht der Moralität einen „Schwung“ zu geben, indem sie Einfluß auf die Empfindungen ausübt und diese zur wirklichen Empfänglichkeit für die Moralgesetze erzieht. Diese subjektive Religion kann auch als eine Vernunftreligion gekennzeichnet werden, da Hegel die praktische Vernunft zu ihrem obersten Prinzip machte und den Gottesdienst allein in die Tugend setzte (vgl. N 17). Hegel setzte dann das letzte Ziel dieser Religion in die Erhebung des Volksgeistes durch das Zusammenwirken von Religion und Politik und nannte sie in dieser Hinsicht eine Volksreligion. Hegel behielt in seinen Berner Jahren dieses moralisch-religiöse Interesse bei. Als er in Paulus’ Memorabilien die Anzeige eines Aufsatzes Schellings las und dadurch erfuhr, daß dieser seine theologischen Studien fortführte, bat Hegel Schelling um Nachricht über dessen Arbeiten. Wider das Erwarten Hegels ließ ihn Schelling jedoch wissen, daß er die theologischen, historischen Untersuchungen abgebrochen habe und sich der Philosophie widme, in der er damals den Versuch sah, im Rückgriff auf Fichte die Kant fehlenden Prämissen, d. h. das absolute Ich als das Prinzip alles Wissens, zu ergänzend Hegel antwortete Schelling darauf, diese Bemühungen der neueren Philosophien, „in tiefere Tiefen einzudringen“, behandelten doch nur die für die theoretische Vernunft brauchbaren Begriffe. „Seit einiger Zeit“, so artikulierte Hegel dagegen sein eigenes Grundanliegen, „habe ich das Studium der Kantischen Philosophie wieder hervorgenommen, um sleine] wichtigejn] Resultate auf manche uns noch gang und gäbe Idee anzuwenden zu lernen oder diese nach jenen zu bearbeiten“ (Br 1,16)^. Er war also insofern anderer Meinung als Schelling, als er die Kantische Philosophie und ihre Prinzipien voraussetzte und sie nur auf die hergebrachten religiösen Ideen anwenden wollte. Er war deshalb auch kein Verehrer Fichtes wie Schelling und auch Hölderlin, welcher in Jena Fichtes Vorlesungen hörte und Hegel darüber voller Begeisterung berichtete. Wie erwähnt wurde, warf Hegel Fichte vielmehr vor, daß dieser in der Kritik aller Offenbarung Anlaß, dazu gegeben hatte, den Erfolg der Kantischen praktischen Philosophie hinsichtlich der Kritik des Gottesbegriffs zunichte zu machen und die alte

' Vgl. Br I, 14; Schelling: Vom Ich als Prinzip der Philosophie (SW I, 152). 2 Vgl. Rosenkranz’ Bericht über Hegels Auszug aus der Kritik der praktischen Vernunft mit einigen Bemerkungen, welcher heute verschollen ist (vgl. Ros 86f).

2. Kantianismus und Kritik an der christlichen Religion

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Manier des Beweises in der Dogmatik wiederzubeleben (Hegel meint hier neben Fichte die Tübinger orthodoxe Theologie; s. S. 23). Hegel teilte Schelling dagegen sein Vorhaben mit, zuerst die moralische Begründung der Religion zu sichern imd dann zu fragen, wie weit noch „die legitimierte Idee von Gott“ von diesem Standpunkt aus brauchbar sei (vgl. Br I, 17). Hegel wollte in der Berner Zeit im Unterschied zu beiden Stiftsfreunden, die sich an den neuen Bemühungen der Philosophie orientierten, seinen eigenen Weg gehen, d. h. sein Ideal der Volksreligion gestützt auf Kants Theorie der moralischen Religion ausbauen (Hegel faßte sogar den Vorsatz, den Vorsehungsbegriff nach der Kantischen Teleologie zu prüfen). Zugleich wollte er durch den Aufweis der Grenzen der christlichen Religion die Grundsätze seiner Religion scharf heraussteilen. Wir werden in diesem Abschnitt zuerst erörtern, was Hegel unter den ,Resultaten‘ der Kantischen Philosophie verstand — was durch die bisherige Hegelforschung nicht hinreichend erschlossen worden ist —, welche Ideen der christlichen Religion er mißbilligte und welches affirmative Ergebnis er aus dieser Kritik herausholen wollte. Wenn wir die Denkentwicklung Hegels in der Berner Zeit verfolgen, ist auch zu beachten, daß er, während er sich mit der religiösen und kritischen Arbeit der Anwendung der Kantischen Prinzipien befaßte, zugleich durch den Briefwechsel mit Schelling und durch dessen Schriften ständig zum Nachdenken über die Kantischen Prinzipien, vor allem über die Idee des höchsten Gutes, angeregt wurde. Wir werden diese Auseinandersetzung mit Schelling um den Gottesbegriff, deren Ergebnisse sich hauptsächlich im Briefwechsel, aber auch in einigen Aufzeichnungen der Berner Zeit finden, in dem folgenden Abschnitt 1/3 betrachten. a) Der Primat der Vernunft

Stellt man in entwicklungsgeschichtlicher Hinsicht Überlegungen über Hegels Aufzeichnungen der ersten Berner Jahre^ an, welche von Nohl nicht mit vollem Recht mit dem Tübinger Fragment in eine Fragmentengruppe über „Volksreligion und Christentum“ zusammengefaßt wurden, so ersieht man daraus die Verschiebung der Thematik Hegels. Wir müssen uns zuerst von der allgemeinen Hegel-Deutung befreien, die Hegels Denken der Tübinger Zeit und der frühen Berner Zeit vermischt. Hegel kommt nämlich in Bern vom spät- und gegenaufklärerischen Schema seiner Tübinger Zeit los, dem Verstand die Empfindungen oder der objektiven Religion die subjektive

3 Schüler Nr. 37-42, 44-46; N 359/60, 30-71.

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I. Die Ansätze zur Problematik von .Philosophie und Religion'

Religion entgegenzustellen. Ein frühes Fragment (N 36—39) klingt allerdings noch stark an das Tübinger Fragment an (vgl. die Andrücke wie „fromme Gefühle der Liebe“, „mystische Empfindungen“ usw.). Die Ansätze der Tübinger Zeit werden in Bern nicht aufgegeben, sondern weiterentwickelt. Hegel erklärt den Charakter der christlichen Religion seiner Zeit als objektive Religion in der Weise, daß sie in der Verteidigung gegen die Aufklärung allmählich selbst deren Begriffe angenommen und mit dem „kalten Verstand“ zu räsonieren angefangen habe (vgl. N 359). Ein typischer Fall ist die Exegese und die Umdeutung der Kantischen praktischen Philosophie durch die Tübinger Schule. Hegel ist dagegen nach wie vor der Meinung, daß die Religion gar nicht auf die Theologie (Erkenntnis des Daseins und der Eigenschaften Gottes) zurückzuführen sei, sondern sich auf die praktischen Bedürfnisse der Menschen beziehen müsse. Hegel setzt auch in Bern diese Einstellung voraus. Aber es kommt Hegel nicht mehr darauf an, dem Verstand gegenüber auf die Empfindungen Wert zu legen; er versteht unter der subjektiven Religion, wie wir zu zeigen versuchen, nicht mehr die I^habilitierung der Empfindungen, sondern vielmehr die Bestimmung des Willens allein nach dem moralischen Gesetz. Hegel modifiziert seine Konzeption der subjektiven Religion unter dem tieferen Einfluß der Kantischen praktischen Philosophie. Was diese Veschiebung des Schwerpunktes in der Berner Zeit veranlaßt hat, ist die in den ersten Berner Aufzeichnungen gestellte Frage, ob die Erfordernisse der Volksreligion in der christlichen Religion erfüllt seien. Hegel bemängelt, daß der christlichen Religion seiner Zeit Moralität und Phantasie fehlen, und versucht die Ursachen dieses Mangels historisch aufzuweisen. Er wendet sich zunächst der Problematik des Judentums zu, welche in seinem Denken immer größere Bedeutung (im negativen Sinne) erlangt. Die christliche Religion hat nach Hegel ihren nicht-moralischen Charakter von der jüdischen durchgängigen Passivität und Knechtschaft übernommen, welche mit der Vernunft und der Freiheit (der Autonomie der praktischen Vernunft) unverträglich ist (vgl. N 359, 30). Dann lenkt Hegel seinen Blick auf das Urchristentum. Aus dieser Untersuchung der Lehren Jesu und der Urgemeinde schließt er zuerst, daß die christliche Religion ursprünglich eine nur für die Bildung einzelner Menschen geeignete Privatreligion gewesen sei (vgl. N 360, 41, 49). In einem Ideinen Kreis konnte die christliche Religion mit der Moral in Übereinstimmung gebracht werden; aber Mängel traten auf, als sich die Privatgesetze einer kleinen Gesellschaft auf die bürgerliche Gesellschaft ausdehnten, die unter anderen sozialen Bedingungen entstand und in der man keine Wahl hatte, Mitglied zu sein oder nicht. Hegel kritisierte die „Anmaßung“ des Christentums, das Gewissen jedes Menschen zu prüfen und aufgrund dieser Prüfung Strafen zu verhängen, und zwar nicht mehr nach der Moralität, sondern nach der Legalität, d.h. nach den kirchlichen Grundsätzen (vgl. N 42, 44, 54).

2. Kantianismus und Kritik an der christlichen Religion

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Im Zusammenhang mit dieser historischen Perspektive und der Kritik der christlichen Religion sind die .Resultate“ der praktischen Philosophie Kants ins Zentrum gerückt. Wenn Hegels Interesse überwiegend dieser kritischen Untersuchung der christlichen Religion gilt, ist es nur konsequent, daß er auch die Grundsätze seiner Kritik hervorhebt. Hegel steht in dieser Hinsicht deutlich stärker im Bannlcreis Kants, als er es in Tübingen tat. Er machte freilich auch in Tübingen die Moralität oder die Bestimmung des Willens durch die bloße Form der praktischen Regel zu seinem Prinzip. Wir haben oben die Annahme widerlegt, daß Hegel in Tübingen mit der .einseitigen“ Vernunftreligion Kants kämpfte. Aber während es damals sein Hauptanliegen war, der objektiven Religion die subjektive Religion gegenüberzustellen, welche durch die Wiedereinsetzung der Empfindung der Beförderung der Moralität dienen sollte, will Hegel jetzt mit Kant entschlossen deutlicher die Moralität (Hegel nennt sie freilich .subjektiv“ im Gegensatz zum Objektiven des Gedächtnisses und des Verstandes) als den höchsten Zweck des Menschen zur Geltung bringen und von der Religion nur erwarten, daß diese einen einzigen Weg der Gottgefälligkeit zeigt, nämlich moralisch gut zu sein. Hegel setzt jedoch nicht nur diese .Resultate“ der Kantischen Philosophie voraus, sondern er will sich auch mit ihrer beschäftigen: Er versucht den Faktor in der christlichen Religion hervorzuheben, der die Verwirklichung dieser Moralität verhindert. Nun führt Hegel aus: „Der höchste Zweck des Menschen ist Moral, unter seinen Anlagen, diesen zu befördern, ist seine Anlage zur Religion eine der vorzüglichsten — Die Erkenntnis Gottes kann ihrer Natur nach nicht tot sein, sie hat in der moralischen Natur des Menschen, im praktischen Bedürfnisse ihren Ursprung, und aus ihr entspringt wieder Moral““ (N 48f)“^. Der Charakter der Religion, die Hegel vertritt, ist hier ganz eindeutig formuliert. Die Religion entfaltet sich aus der moralischen Natur des Menschen, d. h. die praktische Vernunft fordert die Religion zur Beförderung der Moralität auf, und die Wirkung der Religion liegt nur in dieser Beförderung der Moral oder in der Verstärkung der Triebfeder der Sittlichkeit durch die Idee Gottes als moralischen Gesetzgeber (vgl. N 48, 61). Hegel schließt sich hier in aller Klarheit Kant an, der das Gesetz der Moralität und den moralischen Endzweck unabhängig von der Religion voraussetzt und die Religion von dem höchsten Gut als dem Endzweck herleitet; das Moralgesetz führt nach Kants Meinung zur Religion, zur Erkenntnis aller Pflichten als göttlicher Gebote, damit man auf die Realisierung des höchsten Gutes hoffen kann, weil die praktische Vernunft aus eigenen Kräften die Natur (Glückseligkeit) mit ihren moralischen Grundsätzen nicht durch^ Zur wörtlichen Entsprechung dieser Stelle mit der Kantischen Religions-Schrift s. Peperzak, a. a. O., 50 Anm.

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I. Die Ansätze zur Problematik von .Philosophie und Religion'

gängig harmonisieren kann, sondern dies nur von einem moralisch vollkommenen, allgewaltigen Wesen und dessen Willen erhoffen kann^. Es ist allerdings darauf zu achten, daß Kant betont, daß man auch in der Religion nicht die Erkenntnis Gottes und seines Willens (z. B. die Hoffnung, die Furcht), sondern nur die Vorstellung der Pflicht zur Triebfeder der Befolgung der Moralgesetze machen dürfe. Hegel divergiert hier, freilich unbewußt, von Kant, da er durch die Erkenntnis Gottes auch die Triebfeder der Sittlichkeit verstärken und beeinflussen will. Den von der praktischen Vernunft gesetzten Endzweck denkt Hegel mit Kant nicht bloß als die Moral, sondern als das höchste Gut, m. a. W. die größte Glückseligkeit, die mit der vollkommenen Sittlichkeit in der genauesten Proportion verbunden ist (vgl. N 61, 62), eine Idee, welche Hegel sich schon in Tübingen angeeignet hatte. Es zeigt sich hier ganz klar, daß Hegel seine Religion auf Kants Lehre der moralischen Religion zu begründen versucht, wenn er auch hier mit Kant nicht ganz konvergiert. Kant gesteht zu, daß die Lehre des Christentums auch den Begriff des höchsten Gutes gebe. Die Idee des höchsten Gutes kann nach seiner Auffassung mit der Idee des Reichs Gottes identifiziert werden®. Kant, der unter dem Reich Gottes eigentlich das Reich der vollkommenen Tugend versteht (s. u.), vermeidet aber, auf die Frage der Diskrepanz zwischen dieser seiner Idee und der christlichen Idee des Reichs Gottes einzugehen. Auch Hegel ist zwar von der christlichen Vorstellung abhängig (Er schrieb an Schelling; „Das Reich Gottes komme, und unsre Hände seien nicht müßig im Schoße!“); aber er beabsichtigt nicht zuletzt, mit dieser unter dem Einfluß Kants verstandenen Idee den Gottesbegriff der Orthodoxie zu überwinden (vgl. Br I, 16, 18). Trotz dieser Unstimmigkeit dürfen wir sagen, daß Hegel von Kant überhaupt nicht abweichen will, sondern im Gegenteil die Position Kants nach deren wahrhaft verstandenen Geist durchsetzen will. Hegel rezipiert außerdem Kants Begriff der Heiligkeit, d. h. den der völligen Angemessenheit des Willens an das moralische Gesetz^. Hegel kritisiert aufgrund dieses Kantischen Begriffs die christliche Religion, die die Kraft zur Sittlichkeit, den „göttlichen Funken“® im Menschen selbst, negiere und die Heiligkeit einem fremden, isolierten Wesen allein beilege (vgl. N 67). Für Kant war diese Idee der Heiligkeit der Grund des Postulats der Unsterblichkeit, denn kein vernünftiges Wesen der Sinnenwelt kann auf dieser

’ Vgl. Kant: Kritik der praktischen Vernunft. 148f (A 232f), zum folgenden vgl. ebenda. « Vgl. Kant, a. a. O., 146f (A 229f). ’ Vgl. Kant, a. a. O., 140 (A 220). * Hegel nimmt diesen Begriff aus dem Stoizismus auf: Die Stoiker hätten alles Gute der Gottheit zugeschrieben, „indem sie ihre Seelen als ihres Geschlechts, als einen Funken von ihr sich dachten“ (N 226).

2. Kantianismus und Kritik an der christlichen Religion

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Welt die moralische Vollkommenheit realisieren. Die Heiligkeit, also auch das höchste Gut, kann nur unter der Voraussetzung einer auf ewig fortdauernden Existenz und Persönlichkeit des Vernunftwesens möglich sein®. Hegel geht aber in den frühen Berner Fragmenten auf dieses Postulat der Unsterblichkeit nicht ein (obwohl er in Tübingen meinte, daß dieses Postulat mit der Idee des höchsten Gutes Zusammenhänge; vgl. N 9). Hegel nimmt die Idee der Heiligkeit nicht direkt aus diesem Kontext Kants auf, sondern er will sich vielmehr mit der Ansicht der christlichen Religion auseinandersetzen, daß die Idee der Heiligkeit mit der sinnlichen Natur unvereinbar sei und der Mensch nur als ein verdorbenes Naturwesen anzusehen sei. Hegel schließt die Möglichkeit der Realisierung der Heiligkeit in der Welt nicht aus, da die Fähigkeit der Vernunft zur Sittlichkeit (die er z. B. in Sokrates erblickt) ihn von dieser Möglichkeit überzeugt. Wenn Hegel fragt, was die Religion als den ersten Grundsatz ihrer Lehren aufstellen soll, will er sich offensichtlich an Kants Religions-Schrift anschließen. Kant hat die moralische Religion, die den Menschen nur an den guten Lebenswandel verweist, von der Religion als „Gunstbewerbung“ scharf unterschieden, die durch Schmeicheleien oder Übungen sucht, Gott zu gefallen und sich dadurch von der Bestrebung zur Moralität zu befreien. Diese letztere Religiosität ist nach Kant schon dann ein ,Afterdienst Gottes“, wenn sie vermeint, daß man durch ein anderes Mittel als den guten Lebenswandel Gott wohlgefällig werden könnet®. Diese „Selbstgenügsamkeit“ der Vernunft und der Tugend erkennt Hegel auch als den Grundsatz seiner Religion an. Die Religion soll keine andere Triebfeder des Handelns angeben als allein die moralische. Sie soll nämlich „uns keinen anderen Weg als den eines guten Lebenswandels — keine andere Art, Gott zu gefallen, als diese zeigen“ (N 52). Hegel setzt diese Priorität der Moralität deutlich radikaler als Kant durch, welcher die christliche Religion ohne weiteres als die einzige moralische Religion unter allen öffentlichen Religionen bestimmt^. Hegel will Kants Kritik am statutarischen Glauben (s. o.) auf radikalere Weise durchführen und in dieser Hinsicht die christliche Religion und vor allem den Tübinger Supranaturalismus verurteilen, welcher zwar einerseits die Geltung der menschlichen Vernunft in der sinnlichen Welt einräumt, aber sich andererseits betreffs der Urteile über die übersinnliche Welt nur auf die Offenbarung stützt (vgl. N 53). Seine spätere intensive Beschäftigung mit diesem Thema vorwegnehmend, nennt Hegel schon zu dieser Zeit

ä Vgl. Kant, a. a. O., 140f (A 220). Vgl. Kant: Die Religion innerhalb der Grenzen der bloßen Vernunft. 56f (B 61 f), 191 (B 260f). 11 Vgl. Kant, a. a. O., 57 (B 62).

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I. Die Ansätze zur Problematik von .Philosophie und Religion“

die Lehre „positiv“, die nicht die Befolgung des Moralgesetzes aus rein moralischen Beweggründen, sondern den Gehorsam gegenüber den autoritativen, kirchlichen Glaubenssätzen als die Bedingung für die Gottgefälligkeit erklärt. Wir müssen zu diesem Kantianismus des Berner Hegel zugleich bemerken, daß die Rehabilitierung der Empfindungen aus der Tübinger Zeit angesichts der Selbstgenügsamkeit der Vernunft und der Moralität in den Hintergrund tritt. Hegel behauptet, aus freier Wahl die Tugend zu lieben, „dazu gehören Grundsätze, ein Übergewicht unserer Metaphysik über unsere Physik, abstrakter Ideen über das Sinnliche“ (N 56, vgl. 64,67). Es gilt jetzt, die Bevorzugung der Moralität vor der Sinnlichkeit zu realisieren; bei Spinoza, Shaftesbury, Rousseau und Kant sieht Hegel die Moralität in einer solchen ausschließlichen Weise in den Mittelpunkt gestellt (vgl. N 51). Diese Auffassung Hegels belegt ganz deutlich unsere These, daß er sich in der Berner Zeit vom spätaufklärerischen Schema der Tübinger Zeit loslöst. Die Frage nach den Grundsätzen der praktischen Vernunft und die Polemik gegen die christliche Religion aufgrund dieser Grundsätze haben ein klares Übergewicht bekommen. Die Empfindungen, die die Moralität befördern sollten, und die Liebe als ihr Grundprinzip — was den Kern des Hegelschen Tübinger Ansatzes ausmachte — haben infolgedessen nun ihre Bedeutsamkeit verloren. Daraus kann man allerdings nicht schließen, daß sich Hegel in der Berner Zeit über das Problem der Befriedigung der Phantasie als des zweiten Kanons der Volksreligion hinweggesetzt habe^^. Dieses Problem und die Fragen der Volkserziehung traten freilich zu dieser Zeit zurück. Dennoch sollte man nicht übersehen, daß Hegel diesen zweiten Kanon aufrechterhält und die christliche Religion kritisiert, die die Phantasie zerrüttet habe (vgl. N 49, 54). Auch die Phantasie wird unter dem Gesichtspunkt der Kritik der christlichen Religion zur Diskussion gestellt. Ziehen wir diesen Kantianismus des Berner Hegel in Betracht, so können wir jetzt jene Frage, ob man die Erfordernisse einer Volksreligion bei der christlichen Religion erfüllt finde, dahin präzisieren, inwiefern die christliche Religion zur Beförderung der Moralität geeignet sei (vgl. N 49). Es kommt dabei nicht auf die einzelnen Aussprüche Jesu über die Moralität an, sondern darauf, welchen Rang die Moralität überhaupt in der christlichen Religion habe. Hegel zieht die Folgerung, daß die christliche Religion nur auf einem „Umweg“ die Moralität befördern könne (vgl. N 34,44,59,68,

*2 H.-O. Rebstock zieht diese falsche Folgerung (vgl, Hegels Auffassung des Mythos in seinen Frühschriften. Freiburg/München 1971. 83, 85).

2. Kantianismus und Kritik an der christlichen Religion

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161)1^. Die christliche Religion und die orthodoxe Theologie als ihr offizieller Vertreter beruhen nach Hegel auf der Ansicht, daß der Mensch der Moralität nicht fähig sei, also nur durch die Gnade Gottes, durch den Glauben an Christus, den letzten Zweck, die Erlangung der Seligkeit, erreichen könne. „Schon dadurch“, so kritisiert Hegel diese Ansicht, „ist das Ziel der Moralität aus den Augen verrückt worden, daß man nicht sie, sondern Seligkeit zum letzten Zweck dieser Lehren gemacht hat“ (N 59). Hegel steht vor allem darin im scharfen Gegensatz zur christlichen Religion, daß sie die Fähigkeit des Menschen zur Moralität, also die Freiheit, die Autonomie der praktischen Vernunft, negiert. Es ist hier Hegels entschlossener Kantianismus nicht zu verkennen; Hegel hat sogar die Kritik am Christentum, die Kants Philosophie der Sache nach in sich barg, auf radikalere Weise entwickelt.

b) Die Geschichte Jesu als eines Lehrers der Tugend Hegel ist am 24. Juli 1795 mit einer anscheinend abgeschlossenen Schrift fertig geworden, der man den Titel „Das Leben Jesu“ gegeben hati^. Wozu hat er „das Leben Jesu“ geschrieben? Hat er etwa als eine Apologie der Sittlichkeit Jesu^^ abgefaßt? Hegel hat in der frühen Berner Zeit die Grundsätze der Volksreligion nicht ignoriert (obwohl sie allerdings im Hintergrund blieben), auch als er entschlossen gegen die christliche Religion polemisierte, um die Moralität als das oberste Prinzip der Religion durchzusetzen. Hegel verspürte auch bei seinem überzeugten Kantianismus, daß es in praktischer Hinsicht, nämlich in Bezug auf jene Aufgabe, wie man auf das Volk zu wirken habe, von Wichtigkeit sei, nicht bloß Jesu Lehren, sondern seine Geschichte darzustellen (vgl. N 56). Als Hegel sah, daß man weit 15 Hegel setzt in dieser Hinsicht Christus die Gestalt Sokrates’ entgegen: Sokrates habe zur Fertigkeit im Guten keinen „Umweg“ gebraucht, denn „dasä^aedf ist mit uns geboren, etwas, das nicht eingepredigt [werden kann!“ (N 34). Diese Vergleichung von Jesus mit Sokrates ist auch in der Strömung der Spätaüfklärung entstanden, d. h. sie war ein Resultat dessen, daß der aufklärerische Standpunkt sich dem antiaufklärerischen Bild des Erlösers gegenüberstellte und versuchte, die Geschichte Christi auf ihre Wahrscheiniichkeit hin zu untersuchen. Als Beispiele können wir J. J. Zimmermann, Ch. Bonnet, H. S. Reimarus usw. angeben; vgl. dazu ß. Böhm: Sokrates im achtzehnten Jahrhundert. Neumünster 1966 (2. Aufl.). 134—154; Ros 50 f; s. ferner u. S. 46. i"* Dieser Titel kommt nicht von Hegel selbst her, sondern von P. Roques und Nohl. Roques hat ein Jahr vor der Publikation der Hegelschen Jugendschriften durch Nohl die vorliegende Schrift ediert und sie Das Leben Jesu, Harmonie der Evangelien nach eigener Übersetzung (Jena 1906) genannt. ■5 Vgl. Haering, a. a. O., 189.

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I. Die Ansätze zur Problematik von .Philosophie und Religion“

davon entfernt sei, daß die Grundsätze der Moralität über die Sinnlichkeit, über die Empfindungen herrschten, stellte sich die Notwendigkeit der Darstellung der Geschichte Jesu für den Kantianer heraus. Diese ,volkserzieherische“ Aufgabe veranlaßte Hegel zur Abfassung der Schrift „Das Leben Jesu“i®. Nur daraus kann man den Charakterzug dieser Schrift begreifen, die keine (direkte) Polemik gegen das Christentum ist. Das Jesus-Bild als eine personifizierte Idee des guten Prinzips entwirft Kant selbst, damit man daraus Kraft zur Ausführung der Pflicht schöpfen kann. Jesus ist nach Kant das Ideal der moralischen Vollkommenheit oder das Urbild der sittlichen Gesinnung, dem man nachstreben solP^. Auch Hegel verrät in einem Fragment aus der Zeit vor dem „Leben Jesu“ seinen Plan, Jesus als „ein personifiziertes Ideal“ der Tugend zu beschreiben (vgl. N 57, 61)'*. In diesem Aufriß markiert Hegel nicht nur die Individualität Jesu, d. h. Jesus als einen tugendhaften Menschen, sondern er räumt auch ein, daß Jesus durch den „Zusatz des Göttlichen“ ein übermenschliches Ideal der perfekten, makellosen Tugend sei. Hier scheint Hegel die Jesus-Deutung Kants zu akzeptieren, welcher die Göttlichkeit Jesu nicht ausschließt, während er schreibt, daß die Realität dieser personifizierten Idee der Sittlichkeit nur in der moralisch gesetzgebenden Vernunft des Menschen liege. Kant gesteht nämlich zu, daß der Mensch kein Urheber dieser Idee sei, daß jenes Urbild vom Himmel zu uns „herabgekommen“ sei und Jesus als Sohn Gottes sich „erniedrigt“ habe, um das „Weltbeste“ zu befördern'®. Bezeichnend für das „Leben Jesu“ ist aber, daß Hegel vielmehr „den Zusatz des Göttlichen“ ablehnen und Jesus nur als eine tugendhafte menschliche Gestalt erweisen will. Hegel versucht nur jene Seite des Kantischen Jesus-Verständnisses zu erweitern, die Jesus als einen zwar göttlich gesinnten, aber „ganz eigentlich menschlichen Lehrer“ zeigt, der sich bemühe, durch Lehre und Wandel das Gute auszubreiten. Jesus ist im „Leben Jesu“, übereinstimmend mit dieser Lehre Kants, vor allen Dingen ein Lehrer, der die Menschen zur Tugend bildet, genauso wie Johannes der Täufer in diesem Sinne auch ein Lehrer ist, der die Menschen auf ihre Würde, auf die Würde der Vernunft, aufmerksam gemacht hat. Jesus ist also einer derjenigen Lehrer, die dem Menschen zeigen, was zum Besten der Menschheit dient (vgl. N 75, 103, 127).

Rebstock mißdeutet auch hier den Gedankengang Hegels, da er diese Schrift einfach als „eine reife Fassung“ des vorausgehenden Textes ansieht (a. a. O., 87). Die Konzeption der Schrift „Das Leben Jesu“ entsprang zwar aus der früheren Aufzeichnung, aber der Gesichtspunkt der ,Volkserziehung“ gibt dieser Schrift ihr eigenes Gepräge. Vgl. Kant: Die Religion innerhalb der Grenzen ... 63 (B 74). Vgl. dazu H. Schmidt: Verheißung und Schrecken der Freiheit. 80 ff. Vgl. Kant, a. a. O.,; zum folgenden 69 (B 82f).

2. Kantianismus und Kritik an der christlichen Religion

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So führt Hegel im „Leben Jesu“ wieder den ,volkserzieherischen“ Gesichtspunkt ein, was aber nicht heißt, daß Hegel — gegen unsere These — gemäß jenem spätaufklärerischen Schema denke und dem Verstand die Empfindungen gegenüberstelle. Hegel zielt im „Leben Jesu“ ganz deutlich auf die Beherrschung der Sinnlichkeit durch die Vernunft ab. Vernunft und Sinnlichkeit sind hier sozusagen nicht,kommensurabel“, freilich in einem anderen Sinne als in Tübingen, wo Hegel Kopf und Herz nebeneinanderstellte (vgl. o. S. 18 ff), denn die Moralität oder die Heiligkeit im Sinne Kants ist hier der einzige Maßstab Hegels. Hegel läßt Jesus predigen, daß man seine Pflicht nicht um der Glückseligkeit willen tue, sondern nur um der Pflicht selbst willen (vgl. N 84). Hegel wertet hier noch schärfer als in allen bisherigen Schriften die Sinnlichkeit gegenüber der Moralität ab: „[...] so ist der Dienst Gottes und der Vernunft mit dem Dienst der Sinne unvereinbar, der eine von beiden schließt den andern aus““ (N 85f). So will Hegel in dieser Schrift deutlich die Absicht der frühen Berner Zeit, den Kantischen Moralismus geltend zu machen, auf einer anderen Ebene (der Volkserziehung) noch radikaler verfolgen. Faßt man also diese Schrift als eine Apologie der Sittlichkeit Jesu auf, so versteht man sie falsch^®, denn Hegel hat die Geschichte Jesu geschrieben, nicht um Jesu Aussprüche über die Moralität darzulegen, sondern eben um das Übergewicht der Moralität über die Sinnlichkeit mit Hilfe der (sogar gemäß der Kantischen Vernunftreligion modifizierten) Aussprüche Jesu zur Geltung zu bringen. Wegen dieser Absicht hat Hegel die Legenden über die Geburt Jesu, die Wunder und die Auferstehung einfach eliminiert. Gleichzeitig verfolgte er den Plan, das Leben Jesu nur historisch, als ein Geschehnis zu erzählen, das der Vernunft nicht widerspricht — ebenso wie Kant alle Wunder zurückgewiesen hat, da es nach Kants Ansicht nichts anderes als ein moralischer Unglauben ist, wenn man der Pflicht, die die Vernunft gebietet, erst durch die Beglaubigung der Wunder eine hinreichende Autorität zugestehen wilpi —. Hegel will sich nicht nur durch diese entschiedene Überordnung der Pflicht über die Empfindung, sondern auch dadurch an Kant anschließen, daß er die Idee des Reichs Gottes rezipiert. Das ,Reich Gottes“ bleibt für Hegel nicht nur die bloße Freiheitsparole der Stiftlerzeit, sondern er sucht diese Idee in die Konzeption seiner Religion aufzunehmen und einzuordnen. Kant hat, im Rückgriff auf Jesu Worte im Lukas-Evangelium: „Das

20 Haermg verkennt konsequenterweise Hegels Kantianismus in der Berner Zeit. Die Kantische Moral sei nach seiner Auffassung für Hegel der Typus einer unlebendigen Moral der Zerrissenheit (vgl. a. a. O., 192). W.-D. Marschs Interpretation ist zu vage, da er Hegels JesusDeutung lediglich als eine „Reinkarnation des Sokrates“ erfaßt (vgl. Gegenwart Christi in der Gesellschaft. München 1965. 93). 21 Vgl. Kant, a. a. O., 92 (B 116).

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1. Die Ansätze zur Problematik von .Philosophie und Religion'

Reich Gottes kommt nicht so, daß man es berechnen könnte. Auch wird man nicht sagen: Siehe, hier! oder; Dort! Denn siehe, das Reich Gottes ist mitten unter uns“ (17, 20f), das Reich Gottes als ein moralisches Gemeinwesen ausgelegt, das als eine „unsichtbare Kirche“ bezeichnet werden kann. Kant hat aus der Sicht seiner praktischen Philosophie dieses Reich als einen Staat expliziert, der nur die Tugend als das eigentümliche Vereinigungsprinzip hat22. Diese Deutung Kants nimmt Hegel auf, und erbestimmt diese Idee als „ein Reich des Guten, worin Vernunft und Gesetz allein gebieten“ (N 99, vgl. 114). Das höchste Ziel des Bestrebens des Menschen, also auch der ,Volkserziehung“, ist nach Hegel, nur durch die Sittlichkeit würdig zu werden, ein Bürger dieses Reichs zu sein (vgl. N 86). So versteht Hegel mit Kant das höchste Gut als das Reich Gottes unter der moralischen Gesetzgebung. Es ist aber auffällig, daß für Hegel die göttliche Kraft, um der Pflicht willen die Pflicht zu tun, im Menschen selbst zentral ist, während sich Kant, was die Realisierung dieses Reichs angeht, auf Gott als den moralischen Weltherrscher verläßH^. Dieser Bevorzugung der Moralität und dem Begriff des Reichs Gottes als dem letzten Zweck entsprechend predigt Jesus im „Leben Jesu“ ganz gemäß den Grundsätzen der moralischen Religion Kants. Hegel läßt Jesus sprechen, man solle jederzeit nach einer solchen Maxime handeln, die als das allgemeine Gesetz unter den Menschen gelten könne (vgl. N 87). So präsentiert Hegel Jesu Religion, entscheidend modifiziert, als eine Religion der Moralität, in der die Sittlichkeit der einzige Prüfstein der Wohlgefälligkeit Gottes ist. Jesus hat nach Hegels Explikation durch seine Lehre den Blick der Menschen nicht auf die Gottheit außer ihnen, sondern nur nach innen, auf die Vernunft der Menschen und auf ihre Kraft zur Moralität, m. a. W. auf den „göttlichen Funken“ in den Menschen selbst gerichtet; Hegel läßt Jesus zu seinen Jüngern sagen, „Achtung für euch selbst, Glauben an das heilige Gesetz eurer Vernunft, und Aufmerksamkeit auf den innern Richter in eurem Busen, auf das Gewissen, einen Maßstab, der auch der Maßstab der Gottheit ist, die wollte ich euch erwecken“ (N 119). Dieser Umdeutung liegt ohne jeden Zweifel Kants Versuch zugrunde, die Schrift in der Weise zu deuten, daß sie mit den allgemeinen moralischen Grundsätzen in Übereinstimmung gebracht werde. Eben die moralische Besserung des Menschen, die der eigentliche Zweck aller Vernunftreligion ist, muß nach Kant das oberste Prinzip und Kriterium der Schriftauslegung sein^^. Kant sucht in einem Aufriß dieser Auslegung in der ReligionsSchnli Jesu Lehre in der

22 Vgl. Kant, a. a. O., 101 (B 130), 109 (B 142). 23 Vgl. Kant, a. a. O., 108 (B 141), 155f (209f). 2< Vgl. Kant, a. a. O., 122 (B 161), zum folgenden 178 (B 242).

2. Kantianismus und Kritik an der christlichen Religion

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allgemeinen Regel zusammenzufassen, daß man die Pflicht aus keiner anderen Triebfeder tun solle, als der unmittelbaren Wertschätzung der Pflicht selbst. Wir dürfen zu gleicher Zeit nicht aus den Augen verlieren, daß Hegel durch die Untersuchung der Evangelien auch noch einem anderen Faktor außer dem von ihm so geschätzten Kantischen Rigorismus begegnet, der schon früher den Tübinger Hegel beeindruckte: die „einfältige Liebe“ oder die „edlen Empfindungen“ von Maria Magdalena, die Jesu Füße mit Öl salbte (vgl. N 91 f, 116)25. EJ- mißt darüber hinaus der Liebe, die er mit Lessing26 dem Johannes-Evangelium entnimmt, eine schwerwiegende Bedeutung zu (vgl. N 120, 125f; Jo. Ev. 15, 12). Diese Anerkennung der Liebe widerspricht nicht unmittelbar dem Kantianismus aus Hegels Berner Zeit, da er in der vorliegenden Schrift diese Liebe als einen Weg zur Tugend deutet. Aber wir finden hier deutlich einen Nachklang der „Weite“ des Denkens des Tübinger Hegel. Hegel gibt hier unbewußt zu, daß die Religion, die er damals von der Morallehre nicht zu unterscheiden versucht hat, nicht unter die Tugendlehre subsumiert werden kann2^ Es ist übrigens darauf hinzuweisen, daß Hegel durch diese Aneignung des Liebesbegriffs des Johannes-Evangeliums eine Grundlage für die Einschätzung der Liebe als des Prinzips der Vereinigung des Subjekts und Objekts in der Frankfurter Zeit erworben hat.

25 Vgl. Peperzak, a. a. O., 68f. 25 Vgl. Lessing: Das Testament Johannis. Werke. Bd. 19 (23. Teil). 53ff. Leasings Frage: „Aber welches von beiden möchte wohl das schwerere sein? — Die christliche Glaubenslehreii annehmen und bekennen, oder die christliche Liebe ausüben?“ (55) bestimmte auch He^l^ Ansatz. 22 Beiläufig gesagt, greift Kant am Ende seiner Religions-Schrift die Frage auf, wie ^ig Tugendlehre mit der Gottseligkeitslehre (darunter versteht Kant die „Furcht Gottes“ als die Qesinnung in Befolgung der Gebote Gottes aus Achtung fürs Gesetz und die „Liebe Gottes“ aus eigener freier Wahl und aus Wohlgefallen am Gesetz) zusammenhängt. Die Tugendlehre besteht nach Kants Ansicht (als Zweck, also nicht als Mittel) durch sich selbst, nämlich ohne den Begriff Gottes. Die Gottseligkeitslehre enthält dagegen den Begriff Gottes, den man gich als die ergänzende Ursache des menschlichen Unvermögens in Ansehung des moralischen Endzwecks, d. h. des höchsten Gutes, vorstellt. Die Gottseligkeitslehre kann also durchaus nipht der Zweck der moralischen Bestrebung werden, sondern nur zum Mittel dienen, „die Tugendgesinnung zu stärken“ (Kant, a. a. O., 205ff: B 281ff), Obwohl Kant in der Kritik der praktischen Vem unft betont hat, daß man Furcht oder Hoffnung nicht als Triebfedern zugrunde legen dürfe, scheint er hier Hegel nahezukommen, welcher in der frühen Berner Zeit die Triebfedern der Sittlichkeit durch die Idee Gottes als des moralischen Gesetzgebers verstärken wollte. Kant meint aber mit der Gesinnung den ersten subjektiven Grund der Annahme der Maximen und ist auch in der Religions-Schrift der Meinung, daß man die Triebfeder der Befolgung des Moralgesetzes nicht in der Vorstellung Gottes, sondern allein in der Vorstellurtg der Pflicht sehen solle.

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I. Die Ansätze zur Problematik von .Philosophie und Religion“

Im übrigen erweist sich Hegel in der vorliegenden Schrift wieder als ein „Vertrauter Lessings“. Lessing hatte in seiner bibliographischen Publikation, Zur Geschichte und Literatur, aus den Schätzen der herzoglichen Bibliothek zu Wolfenbüttel, H. S. Reimarus’ Schrift Apologie oder Schutzschrift für die vernünftigen Verehrer Gottes als Fragmente eines „Ungenannten“ bekannt gemacht. Lessing wollte mit der Veröffentlichung dieses erstmaligen Versuchs, das Leben Jesu historisch darzustellen, Reimarus’ Auffassung herausheben, daß die Predigten und Lehren Jesu lauter moralische Lehren seien, die den Menschen von ganzem Herzen bessern sollten. Dieses historische, moraltheologische Jesus-Bild war mit der Unterscheidung dieser Lehren Jesu von den dogmatischen kirchlichen Lehren und von dem unvernünftigen Offenbarungsglauben verbunden^». Lessing nahm in seiner Schrift Die Erziehung des Menschengeschlechts diese Unterscheidung zwischen der vernünftigen Religion Jesu und der autoritativen apostolischen Kirche auf und wollte die Menschheit zu einer vollkommenen Vernunftreligion, die er als die höchste Stufe der Aufklärung bezeichnete, d. h. zur Reinheit des Herzens erziehen, welche „uns, die Tugend um ihrer selbst willen zu lieben, fähig macht“^9. Lessing stellte hierbei Christus als einen Lehrer dar, der den Menschen zur moralischen Handlung aus reinen, würdigen Beweggründen erzieht. Auf dieser Grundlage konnte Hegel so gut wie Kant die Gestalt Jesu als Erzieher zur Tugend entwerfen. c) Das Scheitern der moralischen Religion Jesu und die Positivität der Religion In dem Fragment über „die Positivität der christlichen Religion“, das kurz nach dem Abschluß des „Lebens Jesu“ zustande kam^“, versucht Hegel die Ansätze der Berner Zeit zusammenzufassen. Die,Resultate' der Kantischen Philosophie liegen nach wie vor dem Denken Hegels zugrunde. Die Mo-

2* Vgl. Lessing: Werke. Bd. 18 (22. Teil). 216, 217. Vgl. auch Pöggeler, a. a. O., 71. Ders.: Hegel’s Interpretation of Judaism. In: The human context 6 (1974). 529. H. Timm ist der Meinung, daß Lessings Auswahl aus der Apologie... tendenziös bis zur Entstellung sei, da dieser Reimarus nicht bloß als einen Kritiker der autoritativen kirchlichen Dogmatik, sondern als „einen totalen historischen Ideologiekritiker des Christentums“ präsentiere; vgl. H. Timm: Gott und die Freiheit. Studien zur Religionsphilosophie der Goethezeit. Bd. 1. Die Spinozarenaissance. Frankfurt a. M. 1974. 62f. Lessing: Werke. Bd. 6 (6. Teii). 80, zum folgenden 67, 74f. Zu Lessings Unterscheidung der Religion Jesu von der christlichen Religion vgl. Lessing: Die Religion Christi. Werke. Bd. 19 (23. Teil). 352. 5“ Hegel hat zufolge seiner Datumangaben den größten Teil dieses Fragments bis zum 2. Nov. 1795 niedergeschrieben und am 29. April 1796 einen Schluß hinzugefügt.

2. Kantianismus und Kritik an der christlichen Religion

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ralität sei „der Zweck und das Wesen aller wahren Religion“ (N 153). Hegel ist der Meinung, daß man die ewigen Wahrheiten nur aus der Vernunft schöpfen kann. Er hält auch die Idee des höchsten Gutes als des Endzwecks aufrecht (vgl. N 166). Bemerkenswert ist, daß Hegel seinen Blick wieder auf die Divergenz der christlichen Religion von dieser „wahren Religion“ richtet. Er will die Grenzen der christlichen Religion, die auf der Moralität lasten, mit dem Begriff der Positivität kennzeichnen, der allerdings Hegel nicht eigentümlich ist, sondern dem ganzen Kreis der Tübinger Stiftler vertraut zu sein schien^'. Hegel definiert nun die positive Religion als eine „auf Autorität gegründete und den Wert des Menschen gar nicht oder wenigstens nicht allein in Moral setzende“ Religion (N 155, vgl. 233). Wie wir oben erwähnt haben, hatte Hegel bei dieser Bestimmung sicherlich Kants Kritik an der statutarischen Religion vor Augen. Kant hat gegenüber der „wahren Religion“, die bloß die Gesetze enthält, die man als nur durch die reine Vernunft offenbart anerkennen kann, die Einschätzung der kirchlichen Verordnungen oder Statuten als göttlicher (deren Erkenntnis nicht durch die Vernunft des Menschen, sondern nur durch die Offenbarung möglich ist) bestritten und die Religion, die die Befolgung dieser Statuten zur obersten Bedingung des Wohlgefallens Gottes macht, als „Religionswahn“ bezeichnet32. Hegel will auf dieser Grundlage die positive Religion als ein System der religiösen Sätze erklären, das man deswegen für wahr halte, weil es von einer Autorität (also nicht von der Vernunft) geboten sei, und das nicht der Moralität oder der Würde der Menschheit aufgrund der ihr eigenen Kraft zur Moralität, sondern den autorisierten Grundsätzen den Vorzug gebe. Die orthodoxe Theologie, die sich zwar mit der praktischen Vernunft befassen will, hat aber nach Hegel gegen die Positivität der Religion nichts unternommen oder sogar im Gegenteil das Positive, das aus dem Munde Jesu gekommen ist, für heilig gehalten und das Unvermögen des Menschen in Ansehung der Ausführung der Moralität (religiös vorgestellt: die Sünde) durch dieses Positive retten wollen (vgl. N 155f). Hegel kritisiert, daß die Tübinger Theologen die Probleme im Bereich des angeblichen Unvermögens des Menschen durch die Autorität Jesu unter dem Namen der ,Postulate‘ der „sogenannten praktischen Vernunft“ auflösen wollen. Hegel schließt sich hier Schellings Angriff gegen die Lehrer in Tübingen an, daß alle möglichen Dogmen von diesen nunmehr zu ,Postulaten‘ der praktischen Vernunft gestempelt würden (vgl. Br I, 14). Storr ist, wie schon erwähnt, 5' Vgl. Sinclairs Brief vom 1. Dez. 1793 an Jung: „I.. .1 da jetzt Kritik des Positiven das große Losungswort ist“ (ich zitiere aus Hannelore Hegel: Isaak von Sinclair zwischen Fichte, Hölderlin und Hegel. Frankfurt a. M. 1971. 74); vgl. auch Schellings Brief an Hegel (Br I, 14). 32 Vgl. Kant, a. a. O., 112f (B 147f), 187f (B 255f).

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I- Die Ansätze zur Problematik von .Philosophie und Religion“

von der Ansicht ausgegangen, daß die übersinnlichen Gegenstände außer dem Kreis der menschlichen Einsicht liegen. Nur das „praktische notwendige Bedürtnis“ könne dazu berechtigen, eine theoretisch problematische Frage assertorisch zu glauben. Aufgrund dieses Glaubens, der auf dem praktischen Bedürfnis beruht, suchte Storr Christi Lehre als „Tatsache“ zu erklär en^^. Hegel stellt nun in der vorliegenden Schrift fest, daß die christliche Religion im Verlauf der Positivierung, nämlich des Abhängigwerdens von der Autorität, Freiheit und Autonomie, die den Menschen wesenseigen sind, aufgegeben und unterdrückt habe; er versucht dann, Veranlassung und Entwicklung dieser Positivierung oder des Verlustes der Freiheit gründlich zu erörtern. Zu diesem Zweck müssen notwendig die äußeren Umstände, der „Geist der Zeiten“, welcher Einfluß auf die Bildung der Form der christlichen Religion gehabt hat, berücksichtigt werden. Hegel räumt also eiu, daß seine Untersuchung gemeinsame Gegenstände mit der Kirchenoder der Dogmengeschichte hat, wie es seine Zitate aus Mosheims Institutiones historiaeecclesiasticaetatsächlich zeigen (vgl. N 193,210). Sicherlich in bezug darauf schrieb Hegel am 30. Aug. 1795 an Schelling und bat ihn um seine Hilfe im kirchenhistorischen Fach, in dem Hegel seine Schwäche eingesteht (vgl. Br I, 33). Hegel präzisiert aber die Absicht seiner Untersuchung so: Er will sich nicht mit der spezielleren Entwicklung des Ganges, den die Kirche genommen hat, befassen, sondern die allgemeinen Gründe der Positivierung der christlichen Religion oder ihrer Umwandlung „zu einer Sekte und nachher zu einem positiven Glauben“ teils „in der ursprünglichen Gestalt der Religion Jesu selbst, teils in dem Geist der Zeiten selbst“ aufsuchen (N 158). Die Religion Jesu wird also hier, im Unterschied zum ,,Leben Jesu“, so betrachtet, daß sie in sich den Grund zur Positivierung hat oder zur Umwandlung zu einer Sekte, und dann zu einer positiven gfaatlichen Religion. Hegel stellt einerseits die Gestalt Jesu im Gegensatz zum Judentum dar. Auch hier hat Kant ein Beispiel gegeben. Der jüdische Glaube ist nach Kants Ansicht ein Inbegriff der bloß statutarischen Gesetze und besteht im knechtischen Dienst Gottes als eines mächtigen unsichtbaren Wesens, das die Menschen nur zur .Beobachtung' der Gebote drängt und gegenüber der moralischen Besserung gleichgültig ist. Jesus ist dagegen ein Lehrer, der die Menschen lehrt, daß allein der moralische Glaube sie heiligen kann^'i. Hegel bestimmt im Anschluß an diese Ansicht das Wesen des Judentums als den „Mechanismus“, in dem man gezwungen ist, ohne Selbst-

33 34

Vgl. Storr, a. a. O., 1, 69ff. Vgl. dazu D. Henrich: Hegel im Kontext. 50f, 60. Vgl. Kant, a. a. O., 139, 141, 186, 197, 142 (B 186, 189, 254, 269f, 191).

2. Kantianismus und Kritik an der christlichen Religion

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bewußtsein den „statutarischen“ (offensichtlich ein aus Kant übernommener Terminus) Gesetzen, die man sich nicht selbst gegeben hat, sklavisch zu gehorchen (vgl. N 153). Im schroffen Gegensatz zu diesem gänzlichen Verzicht auf Autonomie oder Selbstbestimmung hat Jesus es nach Hegel unternommen, gerade die Moralität (und die Freiheit als deren Wesen) wiederherzustellen. Aber Hegel schildert nicht bloß wie im „Leben Jesu“ dieses vernunftgemäße und eventuell sogar nicht-christliche Bild Jesu — ebenso wie Kant —, sondern er sucht auch in der Religion Jesu selbst die allgemeinen Gründe zu ihrer Positivierung auf: Jesus war „ein Jude“ und hat nach der Tradition der Juden das positive Prinzip des Glaubens und der Erkenntnis Gottes als heilig zur Basis des Glaubens gemacht (vgl. N 158). Jesus brauchte eine Autorität; Um in seinem Volk zu wirken, das wegen der Autorität der absoluten Gottheit seinen Gesetzen blind gehorchte, mußte Jesus „notwendig seine Behauptung auf die gleiche Autorität gründen“ (N 159; z. B. die Auswertung der Messiaserwartung der Juden, die Wunder usw.), also erst auf einem „Umweg“ über die Autorität zur Moralität gehen^^ Diese Autorisierung führte das Scheitern der Religion der Moralität Jesu herbei, das Hegel als das „Schicksal“ kennzeichnet. Dieses Schicksal der Lehre Jesu verschuldeten nach Hegel auch seine Jünger, da sie diese Lehre allein auf die Autorität Jesu gründeten, denn sie meinten, daß auch die ursprünglich moralischen Gesetze Jesu deshalb ihre Gültigkeit hätten, weil gerade Jesus sie geboten habe (vgl. N 157). Die Tugendgesetze, die nicht mehr um ihrer selbst willen, sondern bloß als Gebote Jesu verpflichtend sind, verflachen zu statutarischen Gesetzen, und da die Vernunft hierbei ihr Vermögen der Selbstbestimmung verliert, kann diese Religion nicht mehr als rein moralisch gelten. — In diesem Zusammenhang hat auch Kant in der Religions-Schrift die ersten Stifter der Gemeinde kritisiert, die die Religion nicht in sich selbst, d. h. im guten Lebenswandel, sondern außerhalb ihrer suchten, indem sie sich genötigt sahen, die Lehre Jesu mit der Geschichte des Judentums und mit dessen Tradition und Statuten zu verflechten, um ihr bei ihrem Volk (also bei den Juden) Eingang zu verschaffen^®. — So entstand eine Sekte, eine „positive Sekte“ derjenigen, die durch den gemeinschaftlichen Glauben verbunden wurden und den Gehorsam gegenüber der Gesellschaft und deren statutarischen Gesetzen versprachen. Hegel stellt, im Gegensatz zur „philosophischen Sekte“, die Positivität jener Sekte so fest: „Beim Eintritt in die christ-

55 Haerings Unterscheidung in zweierlei Arten Positivität ist also mißlich: nämlich die falsche Positivität der Nachfolger Jesu und die moralische einwandfreie (?) Positivität Jesu {Haering, a. a. O., 226). Vgl. dazu Harris, a. a. O., 214. 55 Vgl. Kant, a. a. O., 184ff (B 252ff).

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I. Die Ansätze zur Problematik von .Philosophie und Religion“

liehe Gesellschaft übertrug der Proselyt ihr das Recht^^, auch für ihn auszumachen, was wahr sei, und nahm die Pflicht über sich, dies unabhängig von seiner Vernunft, mit Widerspruch derselben anzunehmen“ (N 177), während die „philosophische Sekte“ — damit variiert Hegel jene Entgegensetzung von Jesus und Sokrates in den frühen Berner Fragmenten zu der zwischen der positiven und der philosophischen Sekte — die Vernunft als ihren einzigen Richter anerkenne und ein Anhänger dieser Sekte deswegen würdig sei, Bürger des Reichs der Tugend, m. a. W. der „unsichtbaren Kirche“ zu sein (vgl. N 166, 177). Hegels Kritik besteht nämlich darin, daß man in der christlichen Gemeinschaft für den positiven Glauben das eigentümliche und angeborene Recht des Menschen aufgegeben hat, der Vernunft folgend autonom zu bestimmen, was wahr ist, und daß man mit diesem Verzicht auf Autonomie auch die Bestrebung zur Sittlichkeit aufgegeben hat, da man die Verpflichtung übernahm, das, was die Gemeinde gebot, für wahr zu halten und demgemäß zu handeln. Die christliche Religion als eine kleine Gemeinde weitete sich mit der Zeit aus und verband sich mit dem Staat; sie erwarb sogar selbst die staatliche Macht als ein „geistlicher Staat“. Kant hat die Verfassung dieser entwickelten Religion als „das Pfaffentum“ bezeichnet, solange in ihr nicht die Bestrebung zum guten Lebenswandel, sondern die ,Beobachtung‘ der statutarischen Gesetze als das Wesentliche des Glaubens vorangestellt wird (Kant bestimmt allerdings andererseits die christliche Kirche als die wirkliche Vereinigung der Menschen zu einem Ganzen, das mit dem Ideal der unsichtbaren Kirche zusammenstimmt). Da in dieser Verfassung nur der Klerus, nicht die Vernunft, als der einzig autorisierte Ausleger des Willens Gottes die Macht hat, Glaubenssätze zu verwalten, ist es hierin unvermeidbar und unverhütbar, daß der Klerus mit Gewalt allen Gemütern (auch dem Staat) befiehlt und sie so beherrscht („der geistliche Despotismus“)^*. Unter dem Einfluß dieser Einsicht will Hegel die Positivität des so entwickelten Christentums ans Licht bringen. Der Eintritt in diese Gemeinde (das ist nach Hegel eigentlich ein Vertrag) bleibt nicht mehr der Willkür des Einzelnen überlassen. Die Kirche hat mit dieser Entwicklung zu einer Staatsreligion das Recht erworben, die Übertragung der Selbstbestimmung nicht nur von den Freiwilligen, sondern von allen Bürgern zu fordern. Aufgrund dieses Rechts wird die Moralität gänzlich durch die Befolgung der kirchlichen Grundsätze ersetzt und ein „moralisches“ System gebaut, das auf der

„Das Recht zu übertragen“ ist der eigentliche Sinn des Begriffs der „Entfremdung“, der ein Zentraibegriff der Hegelschen Dialektik ist. Hegel hat in dieser Stelle ohne Zweifel Rousseaus Begriff „alienation“ im Sinne; vgl. Rousseau, a. a. O., 355, 360. Vgl. auch die „Veräußerung“ (N 212). 3« Vgl. Kant, a. a. O., 197 (B 269), 202f (277f).

2. Kantianismus und Kritik an der christlichen Religion

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göttlichen Autorität beruht. Die Christen sind, wie Hegel sich ausdrückt, durch diesen Verlust der Freiheit und Autonomie dahin gekommen, wo die Juden waren: „Die Knechtschaft unter einem Gesetz — von der frei geworden zu sein, die Christen sich so sehr Glück wünschen — findet sich auch wieder in der christlichen Kirche“ (N 208). Was Hegel bei dieser Kritik der Positivität — unabhängig von Kant — scharf unterstreicht, ist, daß Staat und Kirche bei dieser Positivierung der christlichen Religion in eins verschmolzen waren. Die Forderung der Übertragung der Freiheit und Autonomie und die Unterdrückung der menschlichen Rechte durch die Fesselung an die kirchlichen Gesetze dienten auch zur Herrschaft der Despoten, da die Menschen dadurch den Blick nicht auf ihre eigene Freiheit zu richten vermochten (vgl. N 188, 207). So hat Hegel anhand der Kantischen Kritik am statutarischen Glauben die Entstehung der Positivität der christlichen Religion aufgewiesen: einmal als Folge der Autorisierung Jesu selbst, und dann als Folge der Übertragung der Autonomie und des Verzichtes auf moralische Besserung, teils freiwillig, teils unter dem Zwang der Kirche und des Staates. Im letzten Teil des vorliegenden Fragments, der — wahrscheinlich nach einer Unterbrechung — Ende April 1796 hinzugefügt wurde, stellt Hegel ausdrücklich als Grundfehler des ganzen Systems der christlichen Kirche heraus, daß sie das moralische Gesetz als „etwas außer uns Bestehendes, als etwas Gegebenes“ verkündete. Die christliche Religion verkannte nach Hegels Ansicht total die „Rechte einer jeden Fähigkeit des menschlichen Geistes, besonders der ersten unter ihnen, der Vernunft“ (N 211). Hegel will mit dieser Kritik, d. h. für ihm mit der ,Anwendung‘ der Resultate der Kantischen Philosophie, die Notwendigkeit der Wiederherstellung der Freiheit und Autonomie hervorheben, welche mit den positiven Lehren der christlichen Religion verlorengegangen ist, denn die Selbstgesetzgebung der Vernunft ist nach Hegel das eigenste Recht des Menschen, auf das kein Mensch Verzicht tun kann und darf.

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I. Die Ansätze zur Problematik von ,Philosophie und Religion'

3. ANNÄHERUNG AN DIE PHILOSOPHIE (AUSEINANDERSETZUNG MIT DER SCHELLINGSCHEN KANT-KRITIK) Wie wir gesehen haben, setzte Hegel die ,Resultate“ der Kantischen Philosophie voraus. Kants moralischer Gottesbegriff bestimmte maßgeblich den Denkansatz des jungen Hegel. In seiner Berner Zeit befaßte er sich nicht nur mit der Anwendung der Kantischen praktischen Philosophie, sondern er wurde auch auf die von ihm vorausgesetzten Resultate der Kantischen Philosophie wieder zurückgeführt. Es war ohne Zweifel Schelling, der Hegel durch seine Briefe und Schriften vielfach anregte und auf diese Rückführung entscheidend einwirkte. Durch die Auseinandersetzung mit Schelling, der mit Fichte bei Kant ein Fehlen der .Prämissen“ feststellte und welche .Prämissen“ im Begriff des absoluten Ich fand, konnte Hegel seinen Gottes^ begriff und den des höchsten Gutes neu durchdenken, wobei dies als der Endzweck der Welt im Mittelpunkt des Hegelschen Denkens stand. Hegels Stellungnahme zu den .Resultaten“ der Kantischen Philosophie war also nicht immer fest und starr. Die Diskussion mit Schelling bewirkte einen Wandel in dieser Stellungnahme. Diesen Wandel zu erörtern — was von der bisherigen Hegelforschung vernachlässigt worden isti — ist unser Ziel in diesem Abschnitt. Da dieser Wandel, wie wir zu zeigen versuchen, von der vielfältigen Denkentwicklung Schellings abhängig war, wird es uns erst gelingen, das Ziel zu erreichen, indem wir Hegels Stellungnahme zur Kantischen Philosophie im Zusammenhang mit der jeweiligen Phase erörtern, in der Schelling seinen Gedanken des absoluten Ich entwickelte. Es wird sich damit zeigen, daß sich in dieser Auseinandersetzung mit Schelling eine Wende des Hegelschen Denkens zur Problematik des Ewigen oder des Absoluten im Menschen selbst vorbereitete. a) Der Gottesbegriff beim jungen Schelling und beim jungen Hegel Als Schelling Hegel seine Erstlingsschrift, Über die Möglichkeit einer Form der Philosophie überhaupt, schickte, erwähnte er im begleitenden Brief eine Frage Hegels aus dem vorherigen Brief. Hegel fragte dort im Anschluß an Schellings Kritik der Tübinger Orthodoxie, ob er glaube, man reiche mit

'■ Die Forschungen von Haering, Asveld, Peperzak und Harris behandelten Hegels Korrespondenz mit Schelling in der Berner Zeit, aber der oben erwähnte Wandel der Hegelschen Stellungnahme zu Kant wurde von ihnen nicht genau festgestellt; vgl. Haering, a. a. O., 196—214; P. Asveld: La pensee religieuse du jeune Hegel. Liberte et alienation. Paris 1953. 75—99; Peperzak, a. a. O., 108t; Harris, a. a. O., 186—192. S. auch u. Anm. 29.

3. Annäherung an die Philosophie

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dem moralischen Beweis des Daseins Gottes nicht zu dem individuellen, persönlichen Wesen (vgl. Br I, 14, 18). Schelling äußert angesichts dieser Frage ganz offen seine Überraschung, indem er sie von „einem Vertrauten Lessings“ nicht erwartete^. Das ep Kai näv, diese „Summa der Philosophie“, war es, das jener Stiftlerkreis, für den die orthodoxen Begriffe der Gottheit keinen Wert mehr hatten, zu seinem Symbol machte. So folgert Schelling, beide hätten selbstverständlich das gemeinsame Verständnis für Lessings ev KOI iräu und für den sich daraus ergebenden Gottesbegriff. Die sich hier zeigende Nichtübereinstimmung spiegelt den Abstand der Grundanliegen der beiden zu dieser Zeit. Hegel stützte sich damals auf die Postulatenlehre Kants und legte Gewicht auf die Idee Gottes als eines moralischen Gesetzgebers und auf die Idee des höchsten Gutes, insofern sie die Triebfedern der Sittlichkeit verstärken (vgl. N 61f, Br 1,24). Schelling antwortet hingegen in jenem Brief: „Wir reichen weiter noch als zum persönlichen Wesen.“ Gott ist für ihn das %v Kai liav'^ oder das Unbedingte, von dem die Philosophie ausgehen müsse. Dieses Unbedingte könne durchaus nicht ein persönlicher Gott sein, denn dieser höre auf, absolut zu sein, dadurch daß diesem das Objekt gegenüberstehe (vgl. Br 1,22). Erst dadurch also, daß man alle Persönlichkeit überschreitet, wird die absolute Sphäre des Unbedingten, m. a. W. des „Seins“ (das nicht mehr von der wesentlichen Grenze des Denkens beschränkt ist, welches immer den Gegensatz des Subjekts und Objekts voraussetzt) erreichbar. Die Persönlichkeit widerspricht also eigentlich der Unbedingtheit. Da aber dieser Übergang zur Sphäre des Unbedingten in der Wirklichkeit ewig unmöglich sei, stützt sich Schelling auch auf die Postulatenlehre: Nur die praktische Annäherung zum Absoluten, die ewig dauere, bleibe übrig und die Unsterblichkeit müsse dort postuliert werden (vgl. Br 1,22). Schelling hat also im Gegensatz zu Hegel, welcher die Postulatenlehre und die Idee des höchsten Gutes grundsätzlich voraussetzte, in erster Linie nach dem Unbedingten gefragt, das der Ausgangspunkt der Phiosophie werden soll. Er hat erst insofern Kants Postulatenlehre aufnehmen wollen.

^ Vgl. Br I, 21. Schelling hatte hier offensichtlich jene Debatte zwischen Jacobi und Lessing in Jacobis Spinozabriefen vor Augen: „Lessing: Über unser Credo also werden wir uns nicht entzweyen. Ich: Das wollen wir in keinem Falle. Aber im Spinoza steht mein Credo nicht. — Ich glaube eine verständige persönliche Ursache der Welt. Lessing: O, desto besser! Da muß ich etwas ganz neues zu hören bekommen [.. .1“ (58f). 5 Schelling sandte am Ende des Jahres 1794 seinem Freund Pfister ein Exemplar Über die Möglichkeit, in dem er folgende Worte schrieb: „Quid idea vera clarius et certius dari potest, quod norma sit veritatis! Sane sicut lux se ipsam et tenebras manifestat, sic veritas norma sui et falsi est. Spinoza, Eth. p. 80. Was geht über die stille Wonne dieser Worte, das ev xai näv eines bessern Lebens“; G. L. Plitt (Hrsg.): Aus Schellings Leben. In Briefen. Bd. 1.1775—1803. Leipzig 1869. 55 Anm. Schelling zitiert dieselben Worte aus Spinozas Ethik auch in seiner Schrift Vom Ich (SW I, 185 Anm.).

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I. Die Ansätze zur Problematik von .Philosophie und Religion“

als er ihrer bedurfte, um seine eigenen Ansätze zu ergänzen. Die beiden jungen Denker diskutierten im Briefwechsel während Hegels Berner Aufenthalt eben über die Probleme, die sich aus diesem Abstand zwischen den beiden hinsichtlich des Gottesbegriffs und der Postulatenlehre ergeben hatten. Wir werden zuerst kurz kennzeichnen, wie Schelling im Ausgangspunkt seines philosophischen Denkens das Unbedingte ausführte und welchen Stellenwert Hegel diesem Versuch Schellings zumaß. aa) Das absolute Ich Es war Schelling, der sich gegen den Mißbrauch der Kan tischen praktischen Philosophie durch den Tübinger Supranaturalismus am heftigsten empörte. Er kritisierte in einem Brief an Hegel in aller Schärfe die Manier seiner Lehrer in Tübingen, alle theoretisch unbeweisbaren Fragen (über Dinge an sich, die außer der Erkenntnissphäre des Menschen sind) mit den Postulaten der praktischen Vernunft abzutun (vgl. Br 1,14). Es war aber nicht die Frage der Bedeutung der praktischen Philosophie, die Schelling dazu gebracht hat, seine theologische Forschung aufzugeben und anzufangen, zu philosophieren. Sondern sein Philosophieren setzte bei Fichtes Versuch an, den Mangel der Kritik der reinen Vernunft, in welcher Kant die reinen Formen der Anschauung und die Kategorien nicht auf einen einzigen Grundsatz zurückgeführt habe, zu beheben und dadurch die Kantische Philosophie zu vollenden“*. Schelling geht auch von der Erkenntnis aus, daß Kant die entscheidenden Fragen nach dem Grund der Unterscheidung des analytischen und des synthetischen Urteils unbeantwortet gelassen habe, d. h. nach dem Prinzip, das diese „Urform“ aller Philosophie begründe und aus dem die einzelnen Formen des Denkens abgeleitet würden^. Um diesen Mangel Kants zu beheben, will Schelling von derselben Voraussetzung ausgehen, auf der sich Fichte aufbaute: Die Philosophie sei eine Wissenschaft, ein Ganzes, das unter der Form der Einheit stehe, d. h. sie sei nur durch einen Grundsatz möglich, der die Bedingung der ganzen Wissenschaft sei®. Schelling verfolgte das Ziel, das Programm, das Fichte in Über den Begriff der Wissenschaftslehre vertrat, zu erfüllen und die Philosophie zu vervollkommnen. Er war damals der Überzeugung, daß man dadurch die Philosophie

■' Vgl. Fichte: Rezension des Aenesidemus: FW I, 19. 5 Vgl Schelling: Werke. 1. Historisch-kritische Ausgabe (Hrsg. v. W. G. Jacobs, J. Jantzen und W. Schieche). Stuttgart 1976 (im folgenden zitiert AA 1). 265 (SW 1,87), 289 (SW 1,103f), SWI, 152 (dazu s. oben S. 34). ® Vgl. AA 1. 269 (SW I. 90); Fichte: Über den Begriff der Wissenschaftslehre: FW I, 38, 40.

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zu Ende bringen könne. Er sucht nun im Anschluß an Fichte diesen schlechthin absoluten Grundsatz, der als einziges Merkmal das der absoluten Unbedingtheit habe, im absoluten Ich auf, d. h. im Ich, das nicht dadurch gesetzt sei, daß es gesetzt werde, sondern dadurch, daß es selbst das Setzende sei’. Schelling lehnt sich also in der vorliegenden Schrift ganz eng an Fichte an, aber man sollte daraus trotzdem nicht schließen, daß man diese Schrift nicht als eine selbständige Leistung Schellings betrachten könne®. Es ist hervorzuheben, daß Schelling das absolute Ich nicht nur im Sinne der Wissenschaftslehre meint, sondern damit auch sein Verständnis des Absoluten, nämlich des ev KM näv , verbindet. Wir werden von diesem Aspekt aus Überlegungen zu Schellings Begriff des absoluten Ich anstellen. Nach Fichte ist der Grundsatz keines Beweises fähig, sondern setzt nur voraus, daß im menschlichen Wissen wirklich ein System sei. Fichte stellt nur unter dieser Voraussetzung den höchsten und absolut-ersten Grundsatz auf®. Es kommt also auf den Versuch an, ob es wirklich ein solches System, einen solchen Grundsatz gibt. Hier ist aber Schelling nicht der Meinung Fichtes; so behauptet er: „Das Absolute kann nur durch das Absolute gegeben seyn. Es giebt ein Absolutes, nur weil es ein Absolutes (A = A) giebt“ i®. So beginnt Schelling seine Philosophie mit der absoluten Gewißheit des Absoluten, während Fichte sich des wesentlichen methodischen „Zirkels“ der Wissenschaftslehre bewußt ist und deshalb der Wissenschaftslehre nur die „Wahrscheinlichkeit“ zugibt (vgl. FW I, 72f, 74f)“. Für Fichte ist die Philosophie nichts anderes als die Vorstellung oder die Reflexion der „absolut-ersten Handlung des menschlichen Geistes“ (FWI, 80), m. a. W. des Systems des Wissens. Der Philosoph könne nämlich sozusagen als ein „Historiograph“ dieses Systems des menschlichen Geistes nur nachträglich, ausgehend von dem schlechthin unbedingten Grundsatz, als eine Einheit zu rekonstruieren versuchen. Auch Schelling unterschied das Setzen des Ich und des Nicht-Ich, das er im Anschluß an Fichte den höheren Akt des menschlichen Geistes nennt, von dem Bewußtsein (Vorstellung). Das Ich

' Vgl. AA 1. 280 (SW I, 97); Fichte: Uber den Begriff. Weimar 1794. 64. Dieser dritte Abschnitt fehlt in der 2. Aufl. ® W. Schulz vertritt diese Auffassung in der Einleitung zu Fichte-Schelling Briefwechsel. Frankfurt a. M. 1968, 28 f. 9 Vgl. FW'l, 54, 47, 52; AA 1. 271 Anm. (SW I, 92 Anm.). 1» AA 1. 271 Anm. (SW I, 92 Anm.). " Fichte gibt in Über den Begriff zwei konstitutive Zirkel der Wissenschaftslehre an. Man muß erstens mit der Handlungsart der Intelligenz als dem Gegenstand der Wissenschaftslehre bekannt sein, bevor man sie in die Form des Bewußtseins aufnehmen kann. Zweitens: Die Wissenschaftslehre setzt zunächst gewisse Reflexionsgesetze hypothetisch voraus und erweist sie erst im Verlauf der Wissenschaft als die einzig richtigen (FW I, 72ff).

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1. Die Ansätze zur Problematik von .Philosophie und Religion'

und das Nicht-Ich — vom Ich bedingt — seien vorher objektiv, d. h. unabhängig vom Bewußtsein, gesetzt. Schelling ist jedoch der Auffassung, der Akt des Philosophen sei zwar zuerst, der Zeit nach, der Akt des Bewußtseins, aber der Philosoph könne letztlich im eigentlichen Akt der Philosophie die Grenze des Bewußtseins überschreiten und sich zum höheren Akt des menschlichen Geistes erheben 12. Hier steht Schelling offenbar methodisch nicht mehr auf der Grundlage der Wissenschaftslehre Fichtes. Was den Grundsatz betrifft, kommt es ihm nicht mehr wie Fichte auf den „Versuch“ an, sondern dieser Grundsatz ist nach Schelling vor allem Versuch immer schon gesetzt. Wir können also nicht verneinen, daß sein eigener Ansatz schon in dieser Schrift hie und da durchscheint, im absoluten Ich mehr als den bloß möglichen Grund des menschlichen Wissens zu sehen, nämlich dem absoluten Ich die absolute Gewißheit zuzusprechen. Er entwickelt diesen Ansatz jedoch erst in der Schrift Vom Ich, indem er dort an Spinozas Theorie der Substanz anknüpft. bb) Die „esoterische“ Philosophie Im Antwortschreiben an Schelling vom 16. April 1795 würdigt Hegel Schellings Schrift als einen Versuch der Vollendung der Wissenschaft und erwartet davon die fruchtbarsten Resultate. Seine Stellungnahme zu dieser Schrift ist jedoch differenzierter. Er distanziert sich noch deutlich von jenen Bemühungen der Philosophie, sich den Grundsätzen zu widmen; er wiederholt vielmehr seine ,volkserzieherische‘ Überzeugung, daß die Prinzipien vorhanden seien, und daß man sie also nur allgemein zu bearbeiten und auf die überlieferten Ideen, die die Moralität behinderten, anzuwenden habe. Er relativiert sogar in aller Deutlichkeit Fichtes und Schellings Versuch: „Immer wird freilich eine esoterische [dies ist im Zusammenhang mit jenem Ausdruck: „in tiefere Tiefen einzudringen“ gesagt, M. F.] Philosophie bleiben, — die Idee Gottes als des absoluten Ich wird darunter gehören“ (Br I, 24)1^. Diese Ansicht Hegels enthält sachlich auch eine Kritik, daß man jetzt nicht (oder nicht nur) genötigt sei, die Idee Gottes esoterisch noch tiefer zu entfalten, sondern sie auf die gegenwärtige Konstellation der christlichen Welt, in der man die Autonomie und Freiheit verloren hat und von der äußeren Autorität abhängig geworden ist, exoterisch anzuwen-

12 13

Vgl. AA 1. 284 Anm. (SW I, 100 Anm.). Vgl. Schellings Brief vom 4. Feb. 1795: „Gott ist nichts als das absolute Ich“ (Br I, 22).

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den^*. Dies ist die Antwort Hegels darauf, daß Schelling ihn hinsichtlich seines Verständnisses des Gottesbegriffs — vielleicht ironisch — den „Vertrauten Lessings“ genannt hat. Hegel ist also auch nach der Lektüre dieser Schrift Schellings fest davon überzeugt, daß er nur auf Grund der Prinzipien der Kantischen Philosophie die hergebrachten religiösen Begriffe zu korrigieren habe. Er versucht sogar in einem Fragment^^, das Haering einmal in charakteristischer Weise als „einen Fremdkörper“ im damaligen Denken Hegels bezeichnete, Schellings Arbeit über das absolute Ich bloß als eine Erweiterung der praktischen Philosophie Kants auszudeuten i®. Schellings Philosophie hat nach Hegels Meinung den Rahmen der Kantischen Philosophie nicht überschritten, sondern sie ausgedeutet; sie kann also umgekehrt unter diese praktische Philosphie subsumiert werden (s. u.). In diesem Fragment, das einerseits von seiner damaligen Hauptthematik abweicht, aber andererseits seine Bemühungen, die Prinzipien anzuwenden, rechtfertigt, weist Hegel an erster Stelle deutlich im Anschluß an Kant, der die Hypostasierung der transzendentalen Idee als die Überschreitung der Grenzen der Befugnis der Vernunft bestimmte, den Versuch der theoretischen („spekulativen“) Vernunft, Gott zu erkennen, zurück; Nur praktische Philosophie könne einen Glauben an einen Gott gründen (vgl. N 361). Hegel meint dann auch mit Kant, daß die Vernunft in dieser praktischen Philosophie ein oberes Begehrungsvermögen sein muß. Sie soll nicht die Selbstliebe („Bestimmen durchs Nicht-Ich“: N 361), sondern die Bestimmung des Willens durch die bloße Form der moralischen Regel zu ihrem Prinzip macheni^. Schelling konzipierte, wie Hegel mit einem Zitat aus Über die Möglichkeit zu zeigen sucht, eine an Fichtes Ansatz gemahnende

'•* Vgl. H. Kimmerle: Esoterik und Exoterik in Hegels Systemkonzeption. In: Esoterik und Exoterik der Philosophie. R. W. Meyer zum 60. Geburtstag. Hrsg. v. H. Holzhey und W. Ch. Zimmerli. Basel/Stuttgart 1977. 140. Obwohl es in der Einleitung des Kritischen Journals der Philosophie: Über das Wesen der philosophischen Kritik überhaupt (1. Band, 1. Stück; 1802) so heißt: „Die Philosophie ist ihrer Natur nach etwas esoterisches“ (GW 4. 124), legt sich die Vermutung nahe, daß Schelling diese Stelle formuliert habe. Diese Einleitung wird zwar Hegel zugeschrieben, aber Schelling behauptet in einem Briefen Ch. H. Weiße vom 31.10.1838, daß er sie stark revidiert habe; vgl. Pütt, a. a. O., Bd. III, 143; GW 4. 542. In der Phänomenologie kritisiert Hegel den Standpunkt Schellings und der anderen Romantiker, die die Philosophie als „ein esoterisches Besitztum einiger Einzelner“ (GW 9. 15) ansehen. '5 Schüler Nr. 47 (Zwischen 4. 2. und 16. 4. 1795): N 361/2. Zum folgenden Haering, a. a. O., 196. Vgl. Hegels Brief an Schelling: „Bei einem neuern Studium der Postulate der praktischen Vernunft hatte ich Ahndungen gehabt von dem, was Du mir in Deinem letzten Brief deutlich auseinandersetzest, was ich in Deiner Schrift fand und was mir die ,Grundlage der Wissenschaftslehre' von Fichte vollends aufschließen wird“ (Br I, 24), Vgl. Kant: Kritik der praktischen Vernunft. 28 (A 44f).

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I. Die Ansätze zur Problematik von .Philosophie und Religion“

praktische Philosophie: die Bestimmung des in der Vorstellung enthaltenen Ich durch das absolute Ich und die Aufhebung des in der Vorstellung enthaltenen Nicht-Ichi*, d. h. das Durchsetzen der absoluten Kausalität des absoluten Ich. Hegel interpretiert jedoch diese praktische Philosophie als die Selbstgesetzgebung der Vernunft als des oberen Begehrungsvermögens. So löst Hegel den Begriff des absoluten Ich aus dem Zusammenhang des Fichteschen und Schellingschen Versuchs heraus, den Grundsatz als die Bedingung der gesamten Wissenschaft aufzustellen. Er legt die Tätigkeit des absoluten Ich vielmehr mit Rückgriff auf Kants Moralphilosophie als die Ausführung der Moralität aus; so ist für Hegel Schellings Philosophie ein Versuch der Kant-Deutung. Auf diese Weise versucht Hegel, Schellings Ansatz innerhalb der Kantischen Systematik zu behandeln. Er stimmt schließlich Kants Einsicht zu, daß die Tugend (die Würdigkeit, glücklich zu sein) noch nicht das ganze und vollendete Gut sei, und behauptet, daß die Vernunft notwendig die Glückseligkeit in Proportion mit der Sittlichkeit, nämlich das höchste Gut, als den Endzweck der Welt erfordern dürfe. Er bestimmt den Gottesbegriff allein durch diesen Endzweck, d. h. die Gottheit sei nichts anderes als die Macht, die die Rechte der Vernunft, die Glückseligkeit auch zu verlangen, weil sie rein moralisch und also deren würdig sei, ausführe und geltend mache. Während wir bei dieser vorsichtigen Formulierung des Gottesbegriffs den Einfluß Schellings, der den Begriff Gottes als eines individuellen, persönlichen Wesens zurückwies, nicht übersehen können, sehen wir jedoch im vorliegenden Entwurf Hegels Absicht, gegenüber Schelling, der die Gottheit als das absolute Ich als Prinzip alles Wissens auslegte, seinen Versuch der Anwendung der Kantischen Prinzipien aufgrund der Idee des höchsten Gutes und der Idee eines Gottes, der das höchste Gut möglich macht, zu rechtfertigen. b) Schellings Philosophie des „Ich“ und das Problem des höchsten Gutes Als Schelling seine zweite Schrift Vom Ich verfaßte, schrieb er Hegel, daß er indessen „Spinozist“ geworden sei. Er hat allerdings Spinozas Philosophie in kritischer Weise aufgenommen, dies erhellt aus seiner Bemerkung, daß er vom absoluten Ich ausgehe, das noch durch kein Objekt bedingt sei, während Spinoza von der Welt oder vom absoluten Objekt (Nicht-Ich) aus-

Vgl. AA 1. 284f. Anm. (SW I, 100 Anm.); Br I, 22; Fichte: Über den Begriff. Originalausgabe. 64 f.

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gegangen sei (vgl. Br I, 22). Es ist jedoch unleugbar, daß Schelling diesen Begriff des absoluten Ich in bezug auf Spinozas Idee der Substanz entfaltet. Es war freilich Fichtes Grundlage der gesamten Wissenschaftslehre, die Schelling den unmittelbaren Anlaß zur Abfassung der Schrift Vom Ich gab. Er hatte Hegel schon einmal direkt nach der Lektüre dieses Buches geschrieben und diesen „neuen Helden“ begeistert gefeiert. Er hatte aber zugleich hinzugefügt, daß er an einer „Ethik ä la Spinoza“ arbeite, und daß er darin „die höchsten Prinzipien aller Philosophie“ aufzustellen und die theoretische und praktische Vernunft zu vereinigen suche (vgl. Br I, 15). Wir können aus diesem Bericht erkennen, daß Schelling eine Kluft zwischen dem Begriff des absoluten Ich Fichtes und seinem eigenen Verständnis des Absoluten, die sich schon in Über die Möglichkeit andeutete, deutlich erkannte. Er erkannte auch, in welchem Punkt Fichtes Philosophie noch vorwärts getrieben werden mußte. Fichte bestimmt einerseits zwar den Grundsatz der Wissenschaftslehre als den absolut-ersten, schlechthin unbedingten Grundsatz alles menschlichen Wissens, aber solange sie der Tätigkeit des menschlichen Geistes nur zusieht und sie als Einheit zu begreifen sucht, bleibt sie andererseits bloß ein „Versuch“ oder ein „Experiment“ (FW I, 54, 73, 454). Diesen Zirkel zu durchbrechen, dies war Schellings Grundanliegen in Vom Ich. Er erklärte dort zu allererst ganz deutlich seine Absicht: „Wer etwas wissen will, will zugleich, daß sein Wissen Realität habe. Ein Wissen ohne Realität — ein ewiger Kreislauf [...] oder — Es muß einen letzten Punkt der Realität geben, an dem alles hängt“ i®. Schelling wollte diesen „letzten Punkt der Realität“ — nach der Formulierung des obigen Briefs: „die höchsten Prinzipien aller Philosophie“ — dadurch erreichen, ein „Spinozist“ zu werden^». So wollte er von dem absoluten Sein ausgehen, das vor allem Wissen schlechthin gewiß ist, und aus dem allein alles Wissen die Realität schöpfen kann (vgl. SW 1,163, Br 1,22). Hier überschritt er offenbar mit Bewußtsein die Grenze, die Fichte gesetzt hatte: Fichte warnt in der Schrift Grundlage, die Grenze des kritischen Systems, nämlich den transzendentalen Begriff des Ich als den einzig möglichen Grund des Wissens, zu überspringen und sich in das spinozistische System hineinzubegeben, welches das Ich, nämlich das reine Bewußtsein leugne

sw I, 162. Hervorhebung vom Verf. Diesen Aspekt stellt z. B. Steinbüchel heraus (a. a. O., 79f); vgl. auch Knittermeyer: Schelling und die romantische Schule. München 1929.52. Fichte erkannte damals schon Schellings Hinneigung zu Spinoza. Freilich schätzte er diese Tendenz in der Schrift Vom Ich noch positiv ein; vgl. Fichtes Brief vom 2. Juli 1795 an Reinhold: „Schelling’s Schrift ist, soviel ich davon habe lesen können, ganz Commentar der meinigen. (.. .1 Ich freue mich über seine Erscheinung. Besonders lieb ist mir sein Hinsehen aut Spinoza: aus deßen System das meinige am füglichsten erläutert werden kann“ (Fichte: Gesamtausgabe. 111/2, 347 t.).

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I. Die Ansätze zur Problematik von .Philosophie und Religion“

(vgl. FW I, lOOf). Schelling war dagegen der Überzeugung, daß man dem ewigen Kreislauf („Zirkel“) des Wissens, dem die Realität fehlt, nicht etlb kommen kann, ohne diese Grenze zu überspringen und Fichtes Begriff des Ich spinozistisch zu modifizieren. Schelling glaubte dann, erst durch diese Umdeutung gelänge ds ihm, die theoretische und die praktische Philosophie zu vereinigen (s. S. 59), weil eben durch dieses absolute Ich als „den letzten Punkt“ aller Realität zugleich das höchste Prinzip aller Philosophie garantiert wird. Der Abstand dieses Grundanliegens Schellings vom Hegelschen wird dadurch durchsichtig werden, daß wir die Entwicklung dieses Begriffs deS absoluten Ich weiterverfolgen. Wir werden dann erörtern, daß Schelling) ausgehend von diesem Begriff des Ich, eine völlig andere praktische Philosophie als Kant konzipierte, und es war gerade Schellings Kritik an Kants Idee des höchsten Gutes von diesem Standpunkt aus, die auf Hegel, vor allem auf seine Stellungnahme zu den ,Resultaten' der Kantischen Philosophie, entscheidenden Einfluß ausübte. aa) Die Umdeutung des Begriffs des absoluten Ich Was Schelling mit der „Ethik ä la Spinoza“ meinte, können wir natürlich nicht genau wissen. Aber es unterliegt keinem Zweifel, daß er sie auf der Grundlage des modifizierten Begriffs des absoluten Ich aufstellte. Schelling versteht das letzte Prinzip alles Wissens oder den Grund aller Realität nicht mehr im Rahmen der Wissenschaftslehre, wenn er es als das Unbedingte auslegt, nämlich als „ein Etwas, das nur durch sich selbst, d. h. durch sein Sein denkbar ist“ (SW I, 163). Er lehnt sich hier offenbar an Spinozas Begriff der causa sui an, deren Wesen (essentia) das Dasein (existentia) in sich schließ^!. Das Ich ist zwar einerseits das Setzen, genauer, das Setzen durch sich selbst, d. h. aus dem eigenen Grund, m. a. W. aus der „absoluten“ Kausalität (also durchaus nicht das Setzen aus der Kausalität nach Gesetzen der Natur). Und zwar setzt das Ich durch diese absolute Kausalität gerade sich selbst; es ist also in diesem Setzen für sich selbst. Wir ersehen an dieser Bestimmung des Ich ohne Zweifel Schellings Interpretation des Fichteschen Begriffs der Tathandlung (vgl. FW I, 96f; freilich muß bei dieser Interpretation auch Spinozas Begriff der causa sui wirksam gewesen sein). Schelling versucht aber andererseits (die Grenze der Wissenschaftslehre über-

Vgl. Spinoza: Ethica. In: Opera. Werke. Lateinisch und Deutsch. Hrsg. v. K. Blumenstock. Bd. 2. Darmstadt 1978 (2. Aufl.). 86 (I, Def. 1). Zu diesem Begriff und insbesondere Descartes’ Einfluß darauf vgl. W. Cramer: Spinozas Philosophie des Absoluten. Frankfurt a. M. 1966. 13ff.

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schreitend) dieses Ich als das Absolute auszulegen, das vom eingeschränkten Ich schlechthin abgetrennt ist. Das Ich ist die einzige Substanz, und alles, was ist, ist bloß das Akzidens des Ich (vgl. SW I, 192 f)22. Das Wesen des Ich ist die Freiheit, d. h. „unbedingtes Setzen aller Realität in sich selbst durch absolute Selbstmacht“ (SW 1,179)25. Das Ich ist nicht mehr der letzte Punkt aller Realität, noch das letzte Prinzip alles Wissens, sondern es enthält nunmehr alles Sein, alle Realität in sich selbst. Mit diesem Sprung kommt Schelling zur Einsicht: „Alles, was ist“, sei „im Ich, und außer dem Ich ist nichts“ (SW I, 192)24. Er zögert nicht, dieses Ich mit Spinoza als „die immanente Ursache“ zu bestimmen, die nichts außer sich, sondern alles in sich selbst, sich selbst gleich setze2s. Dieses Ich ist es, was Schelling unter dem eu Kai näv versteht. Es ist von der Vorstellung, von dem Denken, auch von dem Selbstbewußtsein abgelöst, das nur dadurch entstehen kann, daß es das äußere Objekt voraussetzt. An dieser Auslegung des Begriffs des Ich ersieht man unverkennbar Schellings Hinneigung zu Spinoza. Schelling will aber andererseits seine Philosophie darin deutlich vom Dogmatismus unterscheiden, daß allein das Ich vor der Entgegensetzung des Subjekts und Objekts schlechthin vorausgesetzt werden kann. Das Nicht-Ich sei dagegen nichts anderes als ein Kprrelatum des eingeschränkten Ich. Das absolute, also dem Subjekt nicht entgegengesetzte Nicht-Ich (z. B. Spinozas Gottesbegriff oder das Ding an sich) sei nur ein Widerspruch. In dieser Hinsicht muß das spinozistische System nach Schelling in seinem Fundament aufgehoben werden; denn Spinoza habe nach seiner Meinung nirgends bewiesen, daß das Unbedingte im Nicht-Ich liegen könne und liegen müsse. Da Schelling selbst auch von der Absolutheit des Absoluten selbst, das nimmer vermittelt werden, nimmer ins Gebiet der erweisbaren Begriffe fallen könne, ausgegangen ist (vgl. SW I, 171, 167, 184), geht er freilich hinsichtlich des Beweises des Absoluten dem Dogmatismus nicht voran, wie er bald selbst in den Philosophischen Briefen über Dogmatismus und Kriticismus zugestehen wird. Schelling will kurzum in Vom Ich, Spinozas Idee der Substanz aufnehmend, das Ich als den letzten Realgrund geltend machen, aber Spinoza (oder dem vollendeten Dogmatismus) widersprechen, solange dieser jene Idee außerhalb des Ich setzt und das absolute Objekt annimmt.

22 Vgl. Spinoza, a. a. O. (I, Def. 3, 4). 25 Vgl. Br I, 22; ferner Spinozas Begriff der Freiheit: „Ea res libera dicitur, quae ex solä suae naturae necessitate existit, et ä se solä ad agendum determinatur“ (Spinoza, a. a. O., 88). 24 Vgl. Spinoza, a. a. O., 106: „Quicquid est, in Deo est, et nihil sine Deo esse, neque concipi potest“ (1, Prop. 15). 25 Vgl. sw I, 195; Spinoza, a. a. O., 120 (I, Prop. 18). S. auch Jacobi, IV/1, 56.

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I. Die Ansätze zur Problematik von .Philosophie und Religion“

Diese Ansicht Schellings, der den Begriff des absoluten Ich spinozistisch umdeuten will, birgt nun eine schwerwiegende Frage in sich: wie das Entgegengesetztsein des eingeschränkten Ich und des Nicht-Ich von dem absoluten Ich aus erklärt wird, zumal dieser absolute Anfang eben das ist, was alles sich gleich setzt und alles in sich schließt. Schelling konnte das Verhältnis des reinen und des empirisch-bedingten Ich nur als einen „Widerstreit“ auffassen. Das Geschäft der praktischen Philosophie, die Schelling konzipiert — also was im Mittelpunkt der „Ethik ä la Spinoza“ gestanden haben muß —, ist eben das, den Knoten dieses Widerstreites zu zerhauen. Diese praktische Philosophie entwickelt Schelling auf der Grundlage des Entwurfs, den Fichte in der ersten Auflage der Schrift Über den Begriff vorlegte^e. Schelling legt nämlich der praktischen Philosophie den Begriff des Strebens zugrunde — aber Fichtes Entwurf überschreitend —, genauer, die praktische Philosophie heißt nach Schelling das Streben, die Schranke des Bewußtseins oder der Persönlichkeit, d. h. die Entgegensetzung des Subjekts und Objekts, zu vernichten und sich zu erweitern, bis das endliche Ich mit dem absoluten Ich identisch werde (vgl. SW I, 200). Während Kant in der praktischen Philosophie nach dem Bestimmungsgrunde des Willens und der Ausführung der Moralität fragte, wies Schelling ihr die Rolle an, die Kluft zwischen dem empirischen und dem absoluten Ich zu überwinden, und setzte den Endzweck der Philosophie nicht in die Vollständigkeit der Moralität und das höchste Gut, sondern in die Identität mit dem Unendlichen, m. a. W. in die Erreichung des absoluten Ich (s. u.). Schelling berief sich nur dann auf Kant, auf das Postulat der Unsterblichkeit, als er einräumen mußte, daß nur eine unendliche Annäherung stattfinden könne, um diesen Endzweck zu erreichen (vgl. SW I, 201). bb) Das Schwanken der ,Resultate' bei Hegel Am 30. Aug. 1795 schickte Hegel Schelling aus Tschugg bei Erlach seine Bemerkungen über Vom Ich. Er schrieb zunächst, er sei nunmehr in den Stand gesetzt geworden, viel mehr als bei der letzten Schrift Über die Möglichkeit in den Geist Schellings einzudringen und seinem Gange zu folgen. Allerdings besagt das nicht, daß er dem ganzen Gedankengang Schellings zustimme. Wir haben gesehen, daß Schelling das absolute Ich als die immanente Ursache oder als die Substanz auslegte, die alles als Akzidens in sich schließt. Hegel macht darüber eine kurze Bemerkung: Wenn Substanz und Akzidens Wechselbegriffe seien, seien sie nicht auf das absolute Ich anzu-

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Vgl. Fichte: Über den Begriff. Originalausgabe. 65.

3. Annäherung an die Philosophie

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wenden (vgl. Br I, 32). Hegel versteht sie hier im Gefolge von Kant als Relationskategorien des Verstandes. Sie werden durch den Verstand auf ein Mannigfaltiges der Sinnlichkeit angewandt, um es zu synthetisieren und in einer Erkenntnis zu begreifen. Das absolute Ich, das vom empirischen Ich schlechthin abgetrennt ist, läßt sich durch diese Begriffe nicht bestimmen. Was Hegel vornehmlich in den Geist Schellings eindringen ließ, war Schellings Gottesbegriff und dessen Verständnis der Postulatenlehre, die sich aus dessen Konzeption der praktischen Philosophie ergab. „Ich war“, so schrieb Hegel Schelling, „einmal im Begriff, es mir in einem Aufsatz deutlich zu machen, was es heißen könne, sich Gott zu nähern, und glaubte, darin eine Befriedigung des Postulats zu finden, daß die praktische Vernunft der Welt der Erscheinungen gebiete, und der übrigen Postulate. Was mir dunkel und unentwickelt vorschwebte, hat mir Deine Schrift aufs Herrlichste und Befriedigende aufgeklärt“ (Br I, 29). Wie wird die praktische Vernunft oder, anders ausgedrückt, die Autonomie und Freiheit in der „Welt der Erscheinungen“, nämlich durch das Volk, ausgeübt? — Dies war das leitende Thema Hegels in seinen Schriften zu dieser Zeit, wie wir oben gesehen haben. Als er aber diese Prinzipien der Kantischen Philosophie voraussetzte und sich bemühte, sie anzuwenden, war es seine wesentliche Frage, welche Rolle Gott noch bei der Ausübung der moralischen Handlungen aus lauterer Vernunft spielen könne, zumal er jede Abhängigkeit von der äußeren Autorität heftig angriff. Er mußte also notwendig nach der Bedeutung dessen fragen, was es heißt, „sich Gott zu nähern“ 27, als er in seiner Berner Zeit tiefer in den Bannkreis der praktischen Philosophie Kants gezogen wurde. Sein Denken kreiste nämlich um die Frage, wie man den Gottesbegriff der Autonomie des Willens anpassen kann. Er gab selbst eine Antwort: Damit es möglich wird, das Recht der Vernunft auszuführen, die Glückseligkeit zu erwarten, postulierte er mit Kant das Dasein Gottes. Hegel hat gemeint, daß er durch diese Antwort seine Frage befriedigend aufgelöst habe, die Gottheit in seinen Ansatz der Anwendung und der Verwirklichung der Moralität einzuordnen. Zunächst hatte er Gott als ein individuelles, persönliches Wesen verstanden, wie wir aus der Frage Hegels im Brief von Ende Januar 1795 an Schelling erkennen; aber er legte in jenem Fragment (N 361/2) die Gottheit nur als die Macht aus, das Recht der Vernunft geltend zu machen. Dies war ein Ergebnis der Diskussion im Briefwechsel mit Schelling. Seine Idee des höchsten Gutes wird aber wieder von Schellings Schrift Vom Ich erschüttert. 27 Vgl. Schiller: Philosophische Briefe. In: Werke. Bd. 20. 129: „Nähert euch dem Gott, den ihr meinet.“ Schiller meinte mit der Näherung zum Gott die Realisierung der platonisch verstandenen Liebe (vgl. a. a. O., 121).

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I, Die Ansätze zur Problematik von .Philosophie und Religion“

Gott war für Schelling nichts anderes als das absolute Ich und konnte durchaus nicht als ein Objekt, nämlich als etwas außer dem Ich, aufgestellt werden (vgl. SW I, 201f, 210; Br I, 22). Schelling stritt das Dasein Gottes insofern ab, als es als der Grund der Möglichkeit des höchsten Gutes postuliert wird, welches für Kant ein Objekt des Willens ist, das mit der moralischen Gesetzgebung der reinen Vernunft notwendig verbunden ist^*. Schelling befaßt sich grundsätzlich kritisch mit dieser Idee des höchsten Gutes^s. Er versucht zuerst, unabhängig von Kant den Begriff der Moralität zu bestimmen. Die Moralität hat nach seiner Meinung eigentlich nur für das empirische, eingeschränkte Ich einen Sinn, das den Gegensatz des Subjekts und Objekts voraussetzt (vgl. SW I, 196f). Die Moralität ist nicht als das letzte Ziel aufzustellen, sondern sie ist vielmehr die Forderung, daß sich das empirische Ich an das letzte Ziel, nämlich an das Verschwinden des Gegensatzes des Subjekts und Objekts im absoluten Ich annähere. Schelling kritisiert dann Kants Begriff der Glückseligkeit, die in der Idee des höchsten Gutes mit der Moralität gemeinsam gesetzt ist. Die Glückseligkeit ist immer empirisch, d. h. für die Moralität zufällig. Die Glückseligkeit ist ein Begriff, der nur durch die Vorstellung der Materie, des Nicht-Ichs, entstehen kann. Dieser Begriff kann also keinesfalls zu den Forderungen der moralischen Vernunft gehören (vgl. SW I, 201). Der Endzweck liegt also für Schelling nicht in der Kantischen Idee des höchsten Gutes, sondern darin, sich über die Sphäre der Glückseligkeit zu erheben und nach dieser übersinnlichen Welt, wo man überhaupt keiner Glückseligkeit bedarf, ins Unendliche zu streben, d. h. das absolute Ich wiederherzustellen. Schelling versteht es in Anlehnung an Platon als ein „Urbild“, das wiederhergestellt werden soll. Da dieses Streben des endlichen Ich, wie bereits erwähnt, nur als die unendliche Annäherung möglich ist, stützt sich Schelling auf das Postulat der unendlichen Fortdauer des Ich. Dieses Postulat ist aber nicht im strengen Sinne der Kantischen Philosophie gemeint, denn Kant postulierte die Unsterblichkeit nur für die notwendige Vollständigkeit der Sittlichkeit, welche für Schelling nicht mehr das letzte Ziel ist. In einem Fragment, das sicherlich ein neuer Entwurf des einführenden Teils für die „Positivitätsschrift“ ist^“, kritisiert Hegel, zwar im Rahmen der Kritik der religiösen Positivität, aber zum ersten Mal ausdrücklich, die Lehre 2® Vgl. Kant: Kritik der praktischen Vernunft. 143 (A 224). 2® Vgl. Düsing: Die Rezeption der Kantischen Postulatenlehre... 61. Düsing leistete in dieser vortrefflichen Arbeit einen bedeutenden Beitrag zur bisher nicht hinreichend erörterten Frage, wie Schelling und Hegel die Kantische Postulatenlehre in unterschiedlicher Weise aufnahmen. Was aber dort offen bleibt, ist das Problem, wie sich Hegel mit der Schellingschen Philosophie der jeweiligen Phase auseinandersetzte und welches Ergebnis diese Auseinandersetzung insbesondere hinsichtlich seiner Stellungnahme zu den Kantischen .Resultaten“ brachte. 30 Schüler Nr. 54 (Winter 1795/96): N 233-239. Vgl. Schüler, a. a. O., 144.

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des höchsten Gutes. Im Gegensatz zu den bisherigen Schriften legt Hegel hier dar: Der Begriff der Glückseligkeit komme der Vernunft sowenig zu, als dem Verstand die Empfindung (vgl. N 238). Es ist nicht zu bezweifeln, daß Hegel hier Schellings Kritik des höchsten Gutes aufnimmt. Wir müssen aber zugleich beachten, daß Hegels Kritik des höchsten Gutes gleichwohl nicht immer identisch mit der Schellings ist, der auch Kants Begriff der Moralität von seiner Position der Ich-Philosophie her modifizierte. Hegel versucht vielmehr nur den nicht-moralischen Faktor der Idee des höchsten Gutes abzusondern. Im Begriff des höchsten Gutes, so expliziert Hegel Kants Begriff, komme nicht nur die Vernunft, sondern auch die Sinnlichkeit ins Spiel, die das Sollen der Vernunft als ein Verlangen nach Glückseligkeit umdeute. Hegel übt also insofern Kritik an dem höchsten Gut und dem Gottesbegriff des moralischen Theismus, als sich die Sinnlichkeit oder die Natural in den Begriff des höchsten Gutes hineinmischt und die Realisierung der Moralität verhindert und als die Vernunft, wegen dieses Hindernisses, darüber hinaus ein fremdes Wesen fordert, das vollkommen und absolut ist, wodurch die Vernunft von der Übermacht dieses Wesens abhängig wird. In dieser Hinsicht kann die Idee des höchsten Gutes nach Hegels Auffassung zwar ein Anlaß zur positiven Religion werden oder zum „Mangel des Bewußtseins, daß die Vernunft absolut, in sich selbst vollendet ist“ (N 238). Hegel will aber bei der Kritik am sinnlichen Charakter der Idee des höchsten Gutes Schelling gegenüber das Kantische Prinzip der Autonomie und Freiheit, die Würde der menschlichen Vernunft, den „Götterfunken“ im Menschen aufrechterhalten, welcher durchaus nicht das absolute Ich, geschweige denn die Substanz sein könne. Kurz: Hegel folgt Schellings Kritik der Glückseligkeit, aber seine Stellungnahme zur Idee des höchsten Gutes ist nicht, wie bei Schelling, durch das absolute Ich als die Gottheit bedingt, von welchem die Philosophie nach Schelling ausgehen soll. c) Die Gottheit oder „das Ewige in uns“ Im Brief vom 21. Juli 1795 schrieb Schelling an Hegel, daß der erste Teil seiner Schrift Philosophische Briefe über Dogmatismus und Kriticismus (bis den 4. Brief) bald in Niethammers Philosophischem Journal erscheinen werde. Hegel scheint durch Schellings rege Tätigkeit angeregt worden

Hegel setzt zu dieser Zeit die Natur mit der Sinnlichkeit gleich und versteht darunter die Beschränkung der Moralität, oder den Gegensatz zur „subjektiven Wahrheit“ (N 218,233), welche nicht durch das äußere absolute Wesen, sondern nur durch die Freiheit des Menschen selbst autorisiert werden soll. Hegel wird diesen Begriff der Natur in der Frankfurter Zeit auf einer ganz anderen Ebene entwickeln.

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I. Die Ansätze zur Problematik von .Philosophie und Religion“

ZU sein, den Bemühungen der zeitgenössischen Philosophie mit mehr Interesse als früher entgegenzutreten (vgl. Br I, 33). Schelling, der im Januar 1796 mit dem zweiten Teil dieser Schrift fertig geworden ist, schrieb Hegel nach ziemlich langer Unterbrechung des Briefwechsels, daß diese Schrift, die nächstens folgen werde, Hegel interessieren und zu dessen Arbeit beitragen werde (vgl. Br I, 36). In der Tat wirkte Schellings Lehre vom absoluten Ich als der Gottheit, die als die praktische Philosophie durch die „Postulate“ begründet werden soll, entscheidend auf Hegels Gottesbegriff ein. Hegel gab nach der Lektüre der Schellingschen Schrift Vom Ich den empirischen Charakter der Idee des höchsten Gutes zu. Hegel versucht jetzt darüber hinaus zu bestimmen, was eigentlich „das wahre Göttliche“ sei. aa) Dogmatismus und Kritizismus, oder die intellektuale Anschauung des „Ewigen in uns“ Das Auffällige an den Philosophischen Briefen ist, daß Schelling den Begriff des absoluten Ich dadurch weiterentwickelt, daß er gegen den moralischen Theismus polemisiert, der die Idee Gottes durch die Postulate der praktischen Vernunft aufstellt. Damit meint Schelling allerdings nicht nur den Kantischen Kritizismus, sondern auch den Mißbrauch der Postulatenlehre durch die Tübinger Schule, die „aus den Trophäen des Kriticismus“ (SW I, 283), d. h. aufgrund der Beschränkung der Befugnis der theoretischen Vernunft, ein neues System des Dogmatismus zu entwickeln versucht, welches die theoretisch unbeweisbaren Fragen über die Dinge an sich vermittels der Postulate nach Belieben beseitigen will. Beiläufig bemerkt: Schellings Kritik an Kant ist freilich etwas anders nuanciert als die an Kants angeblichen Anhängern, d. h. den Orthodoxen: Schelling ist der Meinung, daß Kant (nach dem „Geist“ seines Denkens) die Postulatenlehre nur als die Methode aufgestellt habe, welche allen philosophischen Systemen zugrunde liegen solle, obwohl Kant in Wirklichkeit auch Anlaß zum Mißbrauch der Postulatenlehre gegeben habe (vgl. SW I, 303f, 293). Nun versucht Schelling zuerst den Widerspruch des Begriffs des durch den Kritizismus und durch dessen Anhänger praktisch postulierten Gottes ans Licht zu bringen und dadurch mittelbar für den Begriff des absoluten Ich zu argumentieren, den er selbst als das Göttliche versteht. Schelling weist darauf hin, daß die Moralität oder die Bestimmung des Willens durch die Moralgesetze der Allmacht Gottes widerspreche, welcher postuliert werde, um die Moralität zu retten (vgl. SW I, 288f). Er fragt nämlich, wie sich denn die Freiheit mit der Existenz Gottes als der absoluten Kausalität außer dem Ich vertragen könne, ohne sich zu beschränken, also ohne auf das Durchsetzen der Autonomie zu verzichten. Schelling räumt ein, daß Kant in seiner Lehre der Synthesis (der Erkenntnis des Objekts unter der Bedingung

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des Subjekts) eigentlich „die absolute Einheit“ voraussetze, welche notwendig der Synthesis vorangehe. Aber diese absolute Einheit — die von Kant selbst nicht entwickelt worden sei — sei nach Schellings Ansicht mit dem Gott unverträglich, der für die Ausführung der Moralität postuliert werde und welcher der Freiheit gegenüberstehe (vgl. SW I, 296)^^ Schelling widerlegt nicht die praktischen Postulate selbst. Sie sollen nach Schelling vielmehr die Grundlage nicht nur des (vollendeten) Kritizismus, die nicht mehr bloß eine Methodenlehre des Systems ist, sondern auch des konsequenten Dogmatismus werden. Hier muß angemerkt werden, daß Schelling, von den bisherigen Schriften abweichend, diese beiden Systeme nun nebeneinanderstellen will. Das ist kein Zufall. Als er nicht die Idee des moralischen Gottes, sondern die absolute Einheit des Subjekts und Objekts (was unten näher erörtert werden soll) intendierte, fand er zwei Möglichkeiten, den Widerspruch zwischen Subjekt und Objekt aufzuheben und die absolute Einheit zu erlangen, d. h. einmal: die Vernichtung des Objektiven im absoluten Subjekt, und alsdann: die Vernichtung des Subjektiven im absoluten Objekt (vgl. SW I, 298, 327 f). Dies ist es, was Schelling unter dem vollendeten Kritizismus und dem konsequenten Dogmatismus versteht. In diesen beiden Systemen bekommt nun nach Schelling nicht die theoretische Philosophie, die den Gegensatz des Subjekts und Objekts voraussetzt, sondern die praktische Philosophie entscheidende Bedeutung, denn die Vernunft müsse die Handlung fordern, durch die die Einheit realisiert werden solle, weil sie es theoretisch nicht vermöge (vgl. SW I, 299, 311). Wenn Schelling von den „praktischen Postulaten“ spricht, meint er, zum Unterschied von Kant, die Forderung dieser Handlung oder das Sollen, das Gebiet der Erfahrung, m. a. W. des Widerspruchs zwischen Subjekt und Objekt, zu verlassen. Schelling wandelt also hierin Kants Postulatenlehre entscheidend um. Die praktischen Postulate heißen weder das Postulat der Unsterblichkeit für die notwendige Vollständigkeit der Erfüllung des moralischen Gesetzes, noch das Postulat der Freiheit als des Vermögens der Bestimmung des Willens nach dem Gesetz einer intelligibelen Welt, noch das

Vgl. die Vorrede zur zweiten Auflage: F. W. J. Schelling’s philosophische Schriften. Erster Band. Landshut 1809. VI. Schelling ist der Ansicht, daß vom Dasein Gottes nur ein ontologischer Beweis möglich sei, „denn wenn ein Gott ist, so kann er nur seyn, weil er ist. Seine Existenz und sein Wesen müssen identisch seyn“ (SW I, 308 Anm. Schelling bezieht sich bei dieser Argumentation offenbar auf Spinozas Begriff von causa sui; vgl. dazu oben S. 60 f). Schelling hat diese Auffassung auch in seiner späten Zeit verfochten. D. Henrich (Der ontologische Gottesbeweis. Tübingen 1960. 232) formuliert das Prinzip von Schellings später Philosophie in folgendem Satz: „Nicht der Gedanke geht dem Sein voraus, sondern das Sein ist Grund des Gedankens“.

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Postulat des Daseins Gottes als der Bedingung der Möglichkeit des höchsten Gutes, sondern die Forderung, von der Erfahrungswelt zur absoluten Einheit überzugehen. Die Moral, die ebenso im Dogmatismus wie im Kritizismus zentral ist, beschäftigt sich nach Schelling gerade mit diesem Übergang. Die Moral des Dogmatismus, deren Vollendung Schelling in Spinoza erblickt, gibt auch eine „konsequente“ Auflösung dieser Frage. Schelling greift Jacobis Einwand gegen den Pantheismus Spinozas auf. Nach Jacobis Überzeugung besteht der Geist des Spinozismus in der Ansicht: „a nihilo nihil fit“. Jacobi erhebt nämlich dagegen Einwendungen, daß es bei Spinoza keinen Übergang des Unendlichen zum Endlichen gebe und daß Spinoza an die Stelle des emanierenden Wesens die immanente Ursache der Welt setze, und er folgert daraus, daß Spinoza von dem Standpunkt des Atheismus her die persönliche Ursache der Welt ablehne^^. Schellingbehauptet nun im Gegensatz dazu, daß Spinoza eben wegen dieses Begriffs der immanenten Ursache Recht habe. Spinoza machte nach Schellings Ansicht „die Forderung aller Philosophie“ geltend, daß kein Übergang vom Unendlichen zum Endlichen stattfinden solle (vgl. SW I, 313ff). Es ist diese Forderung, die Schelling als das Postulat der Ethik des Dogmatismus markiert. Und zwar vereinigt sich der Kritizismus nach Schellings Meinung in diesem Postulat mit dem Dogmatismus. Dieses Postulat bleibt also im Zentrum der praktischen Philosophie Schellings. Aus diesem Postulat ist notwendig zu folgern, daß man nur vom Endlichen zum Unendlichen übergehen könne. Was diesen Übergang betrifft, stellt die Moral des Dogmatismus ein anderes Postulat auf, das das Wesen dieser dogmatischen Moral kennzeichnet: Da das Endliche nur als eine Modifikation ein und desselben Unendlichen zu verstehen ist, wird die Forderung aufgestellt, „daß das Endliche strebe, identisch zu werden mit dem Unendlichen, und in der Unendlichkeit des absoluten Objekts unterzugehen“ (SW I, 315). Der Dogmatismus (oder der Spinozismus) gibt nach Schellings Interpretation eine Auflösung der Frage eines Überganges zur absoluten Einheit eben durch das Postulat, daß das Subjekt sich im Absoluten vernichten solle, daß das Subjekt auf ewig nach diesem letzten Ziel streben solle, um die Identität des Endlichen mit dem Unendlichen zu erlangen. Diese Auflösung birgt aber einen Widerspruch in sich. Nach dem Begriff der immanenten Ursache ist die Kausalität des Endlichen von der absoluten Kausalität nicht dem Prinzip nach, sondern nur „den Schranken nach“ verschieden. Die dogmatische Ethik verwickelt sich also nach Schelling in

Vgl. Jacobi, a. a. O., 56, 59. Vgl. auch oben S. 25. Nebenbei gesagt: Jacobi faßt später den Begriff der „Ursache“ als einen Erfahrungsbegriff auf (vgl. Werke. IV/2, 144 f). Vgl. dazu H.-C. Lucas: Causa sive ratio. In: Cahiers Spinoza. 4 (Paris 1983). 171—204, bs. 197 f.

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einen Widerspruch, wenn sie fordert, daß das Subjekt sich selbst vernichte, denn diese Forderung bedeutet die Vernichtung des nur der Quantität nach von der absoluten Kausalität verschiedenen Subjekts (vgl. SW I, 316). Die kritische Ethik, die Schelling selbst vertritt, versucht dagegen, die Schranken der Welt des endlichen Subjekts zu erweitern, bis alles Objektive verschwindet, und das Subjekt die unveränderliche Selbstheit erlangt, welche von den Schranken der Erfahrungswelt befreit ist. Der Kritizismus postuliert gerade die Handlung, durch die diese unveränderliche Selbstheit realisiert wird. Diese Handlung wird nach der kritischen Ethik und für Schelling selbst durch „die intellektuale Anschauung“ möglich: „Uns allen nämlich wohnt ein geheimes, wunderbares Vermögen bei, uns aus dem Wechsel der Zeit in unser Innerstes, von allem, was von außen her hinzu kam, entkleidetes Selbst zurückzuziehen, und da unter der Form der Unwandelbarkeit das Ewige in uns anzuschauen. Diese Anschauung ist die innerste, eigenste Erfahrung, von welcher allein alles abhängt, was wir von einer übersinnlichen Welt wissen und glauben“ (SW I, Die absolute Einheit des Subjekts und Objekts wird also nicht durch die Vernichtung des Selbst, sondern nur durch die Anschauung des innersten, alles Äußerlichen entkleideten Selbst, d. h. „des Ewigen in uns“, erreicht. Dieses „Ewige“ ist also ein Fürsichsein: Man erhebt sich durch diese Anschauung nicht zu einem äußeren Absoluten, sondern man zieht sich in sein innerstes Selbst zurück^5 Dagegen ist der Dogmatismus (und auch Spinoza) nach Schellings Ansicht einer Täuschung unterlegen, indem er diese Anschauung des Selbst objektiviere, m. a. W. diese Anschauung für die Anschauung einer übersinnlichen Welt außer sich halte (vgl. SW I, 321)^®. Dieser Auslegung des Begriffs der intellektualen Anschauung liegt Platons Phaidros zugrunde, mit welchem Tübinger Stiftler wie Schelling, Hölderlin, Hegel vertraut waren. Vgl. Phaidros. 247 b—d. Wir erkennen zudem aus Schellings Darstellung der intellektualen Anschauung deutlich, daß er mit dieser Anschauung eine Art Ekstase meint. Der höchste Moment dieser Anschauung sei nämlich der „Uebergang zum Nichtseyn“, d. h. die völlige Vernichtung des Gegensatzes in der Erfahrungswelt, und man erwache aus dieser Anschauung wie aus dem Zustande des Todes (vgl. SWI, 324f). Der Begriff „Ekstase“ gehört freilich zur späten Philosophie Schellings und erscheint erstmals in Clara oder über den Zusammenhang der Natur mit der Geisterwelt. Ein Gespräch (1810). Vgl. R. Ohashi: Ekstase und Gelassenheit. München 1975. 49, 53, 69ff, 82ff. In der nächstfolgenden Schrift Abhandlungen zur Erläuterung des Idealismus der Wissenschaftslehre (1796/97) rückt dieser Charakter eines Fürsichseins in den Vordergrund. Das Ich wird als ein „Geist“ gekennzeichnet, der nur „für sich selbst, nicht für ein fremdes Wesen, also ursprünglich überhaupt kein Objekt, geschweige ein Objekt an sich ist“ (SW 1,367 Anm.); vgl. u. S. 94. 36 H. Gockel (Mythos und Poesie. Frankfurt a. M. 1981. 182) interpretiert dagegen, daß dieser Gegensatz zwischen Spinoza und Schelling nicht unüberbrückbar sei, weil er bloß in der unterschiedlichen Methode liege.

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I. Die Ansätze zur Problematik von .Philosophie und Religion'

So hat Schelling, unabhängig von Kant, seine eigene praktische Philosophie aufgestellt, die auf einer völlig modifizierten Postulatenlehre beruht, dadurch daß er diese Postulate durch die intellektuale Anschauung fundiert. Erst durch die intellektuale Anschauung erlangt man die absolute Einheit des Subjekts und Objekts, mit anderen Worten das, was „im eigentlichen Sinne ist“ (SW 1,318). Da diese Anschauung sich nur durch ein „geheimes“ Vermögen ergeben kann, akzeptiert Schelling Hegels Kennzeichnung und nennt seine Philosophie selbst „esoterisch“^’. Der „Bund freier Geister“ (vgl. S. 24 Anm.), nämlich die von den Schranken des moralischen Theismus und der „Schwärmerei“ des Dogmatismus befreiten Geister, erkenne jedoch alles über dieses „Geheimnis“ an jenem Symbol ev KOCC TTöP (vgl. SW I, 341). bb) Die Moralität als das „Ewige“ im Menschen und die Verkehrung der Moralität Daß Hegel in einem Brief vom Frühsommer 1796, der verlorengegangen ist, zu Schellings Philosophischen Briefen einen Kommentar gab, können wir aus Schellings Antwortschreiben vom 20. Juni 1796 ersehen (vgl. Br I, 37). Wir können freilich heute nicht mehr den Inhalt dieses Kommentars rekonstruieren, abgesehen davon, daß wir aus Schellings Zeilen vermuten dürfen, daß Hegel diese Schrift positiv eingeschätzt habe. Seine Beschäftigung mit dieser Schrift Schellings spiegelt sich jedoch in der Aufzeichnung über den „Unterschied zwischen griechischer Phantasie-, und christlicher positiver Religion“ wider, die seine letzte Arbeit in Bern isU®. Hier zeigt sich das Ergebnis seiner Auseinandersetzung mit Schellings Gottesbegriff und mit dessen Kant-Kritik während der gesamten Berner Zeit. Hegel setzt hier, offensichtlich unter Schellings Einfluß, die ,Resultate' der Kantischen Philosophie nicht mehr unmittelbar im Kontext Kants voraus. Die Bedürfnisse der praktischen Vernunft, also vor allem die Idee des höchsten Gutes, werden neben die Moralität der Griechen gestellt (vgl. N 219f). Hegel, der den empirischen Charakter der Glückseligkeit erkennt, findet mit Schelling den Endzweck nicht mehr in Kants Idee des höchsten Gutes. Er sucht die Vollendung der Moralität vielmehr bei den alten Griechen auf. Die Griechen konnten Tugendmaximen deswegen ausüben, ohne sie eigens zu lernen, weil sie in der Idee ihres Vaterlandes den Vgl. sw I, 341. Schelling erwähnt in den Abhandlungen zur Erläuterung, daß die esoterische Philosophie im Altertum von der exoterischen Philosophie unterschieden wurde und daß „das heilige Feuer der Philosophie“ vor den Profanen durch die „Mysterien“ verborgen wurde (vgl. SW I, 418). Schüler Nr. 55. (Frühjahr/Sommer 1796): N 214—231.

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Endzweck hatten, für den sie lebten und arbeiteten (vgl. N 221f). So zeigt Hegel, von Kant abweichend, daß man für die Vollendung der Moralität nicht die Idee des höchsten Gutes aufzustellen brauche. Schelling übt darüber hinaus Einfluß auf Hegel durch seinen Gedanken aus, daß das Absolute, die Gottheit, sich in keiner Weise außer dem Ich finden lasse. Natürlich hat Hegel auch bis dahin seine ganzen Kräfte darauf verwandt, dem Volk die Würde in seinem eigenen Busen, den „schönen Funken“ der Vernunft, zu erwecken und es aus der Knechtschaft einer äußeren Autorität zu befreien. Es handelt sich aber jetzt bei ihm nicht mehr um Gott als ein transzendentes und persönliches Wesen, noch um Gott als einen moralischen Welturheber, der die belohnende Glückseligkeit gewährleistet. Sondern eben die Moralität oder die Kraft zur Moralität im Menschen selbst wird als „das wahre Göttliche“ (N 226) unterstrichen. Die Autonomie und Freiheit, die wirklich in einem Volk, in den alten Republikanern, wurzelte, nennt Hegel im Anschluß an Schelling „das Ewige“, oder das Absolute. Hegel steht allerdings nicht auf dem Standpunkt der kritischen Ethik, die Schelling in den Philosophischen Briefen vertritt. Hegel divergiert von Schelling, welcher mit dem „Ewigen“ das absolute Ich, das auf Spinozas Gottesbegriff beruht, oder die absolute Identität meint, in der sich der Widerspruch des Subjekts und Objekts aufhebt. Dagegen bleibt die Autonomie und Freiheit für Hegel immer noch zentral, obwohl er die ,Resultate“ Kants nicht mehr einfach voraussetzen will. Das Absolute, das Hegel aufstellt, ist im Unterschied zu Schellings Lehre das, was im Menschen als einem moralischen Subjekt aufbricht. Das ist die Vollendung der Moralität, die der Vorstellung der Glückseligkeit nicht bedarf, und zwar die Vollendung im ganzen Leben eines Volkes wie bei den Griechen. Hegel versucht nämlich Schellings metaphysisches Denken innerhalb seines eigenständigen Denkens zu verarbeiten. Eine Frankfurter Aufzeichnung verrät uns, daß Hegel bis zum Anfang seiner Frankfurter Zeit in diesem Bestreben fortfährt und darüber hinaus das, was er durch die Auseinandersetzung mit Schelling aufnahm, angeregt durch die Diskussion mit Hölderlin und anderen Frankfurter Freunden, in einer für ihn neuen Fragestellung aktualisiert (vgl. N 374ff). Das Ergebnis der Auseinandersetzung mit Schelling in der Berner Zeit bildet einerseits eine Basis der Rezeption des Hölderlinschen Denkens in Frankfurt; andererseits kann Hegel durch diese Rezeption Schellings metaphysischen Ansatz durchschauen und sich darauf intensiv einstellen. In dem oben genannten Fragment über die griechische Phantasiereligion bleibt Hegel in seinem eigenen Gedankenkreis und faßt das Absolute als die in der konkreten Geschichte eines Volkes realisierte und dann verlorengegangene Sittlichkeit auf. In diesem Zusammenhang tritt die Phantasiereligion, die im Schatten des rigoristischen Moralismus lag, wieder in den Vordergrund — das ist eine indirekte Wirkung der Auseinandersetzung mit

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Schelling —, da die Freiheit in der griechischen Welt erst mit der religiösen und politischen Phantasie verbunden fest im Volk wurzelte. Da Hegel sich mit dem Problem von Grund und Ergebnis der Verdrängung dieser Phantasiereligion durch die christliche, positive Religion beschäftigen will, ist der Abstand seines Anliegens vom Schellingschen unverkennbar. Hegel versucht diesen geschichtlichen Vorgang, den Verlust der Freiheit und des Endzwecks des Vaterlandes, die Verbreitung der positiven Religion, nicht nur vom religiösen, sondern auch vom politischen und sozialen Aspekt her zu betrachten, was Schelling völlig außer Acht ließ. Der Verfall der Republik, in der man für die Idee seines Vaterlandes lebte, welche Hegel auch bei Montesquieu und bei dem späteren Jacobiner Förster^® erkennt, brachte einen Staat hervor, in dem „das Eigentum“ der einzige Wert ist. Diesen Staat sieht Hegel im Anschluß an die spätaufklärerische Staatsanschauung, insbesondere an die Herderische, als „die Staatsmaschine“ an, in der ihre Bürger nur als „einzelne Räder“ dienen“*“. Kennzeichnend ist dann, daß Hegel den Schellingschen Gottesbegriff im Kontext seiner Kritik an der Positivität aufnimmt. Wenn Hegel Vernunft und Freiheit im eigenen Busen des Menschen als das Absolute bezeichnet, impliziert diese Ansicht eine scharfe Kritik des Gottesbegriffs der christlichen Religion. Es war nach Hegel die christliche Religion, die die ewige moralische Idee, die absolute Selbständigkeit des Menschen, die der griechischen Welt eigen war, verkehrt hat, indem sie das Absolute außer der Sphäre der menschlichen Macht setzte. Diesen Gott, der nunmehr dem Menschen fremd, zu einem Objekt, zu einem Gegensatz der moralischen Selbständigkeit, geworden ist, nennt Hegel mit Schellings und Fichtes Terminus das „Nicht-Ich“. Auch der Mensch wird hierbei ein „Nicht-Ich“, indem er seine Autonomie und Freiheit verliert (vgl. N 228). In diesem Gott sieht Hegel nicht „das Ideal der Vollkommenheit“, das die Christen erwarteten, sondern

Vgl. Hegels Notiz bei der Lektüre von Försters Ansichten vom Niederrhein: „In einer Republik ist es eine Idee, für die man lebt, in Monarchien immer fürs einzelne“ (N 366). Vgl. N 223, 237, auch das sog. „älteste Systemprogramm des deutschen Idealismus“: „Jeder Staat muß freie Menschen als mechanisches Räderwerk behandeln“ (W 1. 234f). Vgl. ferner Hobbes: Leviathan. Cambridge 1904. XVIII. Kant: Was ist Aufklärung? Gesammelte Schriften VIII, 42. Herder: Auch eine Philosophie. Werke V, 516. Ders.: Ideen zur Philosophie: „Ja endlich, da, wie alle Staatslehrer sagen, jeder wohleingerichtete Staat eine Maschine sein muß, die nur der Gedanke Eines regiert; welche größere Glückseligkeit könnte es gewähren, in dieser Maschine als ein gedankenloses Glied mitzudienen?“ (XIII, 340); auch XIII, 341,385. Schiller: Über die ästhetische Erziehung des Menschen: „Jene Polypennatur der griechischen Staaten, wo jedes Individuum eines unabhängigen Lebens genoß, und wenn es Noth that, zum Ganzen werden konnte, machte jetzt einem kunstreichen Uhrwerke Platz, wo aus der Zusammenstückelung unendlich vieler, aber lebloser Teile ein mechanisches Leben im Ganzen sich bildet“ (Werke. Bd. 20. 323).

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nur einen „Spiegel“, der nichts mehr, als „das Bild seiner Zeit“ zeige (vgl. N 226)'*!. So entwickelt Hegel im letzten Jahr seines Berner Aufenthaltes mit Hilfe der Schellingschen Philosophie seinen Gottesbegriff und die Positivitäts-Kritik, wenn er auch stets Schellings spinozistische Begründung des absoluten Ich außer Betracht läßt42.

Diese Ansicht wurde später von Feuerbach übernommen, dem allerdings Hegels Jugendschriften unbekannt blieben: „Wenn also Gott — und zwar, wie er es ja ist, nothwendig und wesentlich — ein Gegenstand des Menschen ist, so ist in dem Wesen dieses Gegenstandes nur das eigene Wesen des Menschen ausgesprochen“ {Ludwig Feuerbach’s sämmtliche Werke. Bd. II. Leipzig 1846. 274). Vor etwa 15 Jahren wurde das Problem der Urheberschaft eines Blattes, das 1917 von Rosenzweig herausgegeben und als „das älteste Systemprogramm des deutschen Idealismus“ bezeichnet wurde, von O. Pöggeler erneut zur Diskussion gestellt (vgl. Pöggeler: Hegel, der Verfasser des ältesten Systemprogramms des deutschen Idealismus. In: Hegel-Studien. Beih. 4 (1969). 17—32. Vgl. auch R. Bubner (Hrsg.): Das älteste Systemprogramm. Studien zur Frühgeschichte des deutschen Idealismus. Hegel-Studien Beih. 9. 1973). Aus unserer Überlegung können wir schließen, daß sich kein Widerspruch mit Hegels damaligen Schriften gegen die Annahme erhebt, daß dieser wohl der Verfasser dieses Blattes sei. Wie der Verfasser des „Systemprogramms“ eine Ethik konzipierte, die alle Ideen, d. h. alle praktischen Postulate, systematisch impliziere, bedeutete die Moralität im Sinne Kants auch für Hegel den „absoluten und höchsten Zweck der Menschheit“. Hegel schrieb zudem, daß die Vernunft imstande sei, „ein reines System der Moral zu erbauen“ (N 234). Schelling entwarf, wie gezeigt wurde, im Zuge der Kant-Kritik eine andere Ethik, als Kant: das ewige Streben, die Schranken der Erfahrungswelt (den Widerspruch zwischen Subjekt und Objekt) aufzuheben und vom Endlichen zum Unendlichen überzugehen. Der Verfasser des „Systemprogramms“ deklarierte dann die Stiftung einer „neuen Religion“, die mit der Phantasie verbunden sei, d. h. „einer sinnlichen Religion“, als „das letzte größte Werk der Menschheit“; und zwar betrachtete er diese Religion besonders in ,volkserzieherischer‘ Hinsicht (vgl. W 1. 235f). Es war keinesfalls das leitende Thema des jungen Schelling, eine „sinnliche“ Religion zu stiften. Hegel befaßte sich dementgegen durch seine ganze Jugendzeit hindurch mit dem Problem des Entwurfs einer idealen Religion und der Verwirklichung dieser Religion in einem Volk. Daß der Verfasser des „Systemprogramms“ die Notwendigkeit der Vereinigung der „Aufgeklärten“ und der „Unaufgeklärten“ betonte, um jene „sinnliche“ Religion zu stiften, gemahnt uns an Hegels Verständnis von Klopstock. Hegel erblickte den Grund des Scheiterns des Versuchs Klopstocks, die gemeinsame Phantasie des Volkes zu schaffen, eben darin, daß die Phantasie des gemeinen und des gebildeten Standes nunmehr unüberbrückbar verschieden geworden sei (vgl. S. 32).

II. PHILOSOPHIE UND RELIGION, ODER DIE ERHEBUNG ZUM UNENDLICHEN LEBEN Für Hegels Denkentwicklung war seine Übersiedlung nach Frankfurt zu Anfang des Jahres 1797 von entscheidender Bedeutung. Er trat zu dieser Zeit aus dem Bannkreis Kants und Schellings heraus und versuchte durch die Diskussion mit seinen Frankfurter Freunden, vor allem mit Hölderlin, angeregt^ die Religion auf einem neuen Horizont zu begründen. Unter der Gottheit verstand er die Vereinigung von Subjekt und Objekt oder von Freiheit und Natur, was im folgenden dargelegt werden soll. Diese Vereinigung sollte in der Religion besonders mittels der Einbildungskraft entfaltet werden. Auf dem Wege der metaphysischen Auslegung dieses Begriffs der Vereinigung entwickelte Hegel den Begriff des Lebens als des Ganzen, welches sich durch die Trennung oder die Mannigfaltigkeit „bildet“. Diese Denkentwicklung führte Hegel wiederum an Schelling heran. Auf dessen naturphilosophisch begründeten Lebensbegriff bezugnehmend vertiefte und bereicherte Hegel seinen Begriff des Lebens, und er konzipierte die Religion als eine Erhebung vom endlichen zum unendlichen Leben. Dabei verkündete er einerseits ausdrücklich die Unzugänglichkeit des unendlichen Lebens für die Philosophie, welche sich auf dem reflexiven Denken aufbaue; andererseits maß er der Philosophie die Aufgabe zu, die Endlichkeit der Bestimmungen der Reflexion aufzuzeigen und diese Bestimmungen aufzuheben: die Philosophie erhielt hier eine Funktion der Hinführung zur Religion.

1 Im Brief vom 5.2. 1812 an Hegel schrieb Isaak von Sinclair, der Hegels Phänomenologie des Geistes gelesen hatte, an die gemeinsame Zeit in Frankfurt und in Homburg vor der Höhe (1797—1800) anknüpfend: „In dem Stil und der Darstellung habe ich Dich und Deinen Eifer, dem ein flammendes Schwert zu Gebot steht, sehr erkannt und an die Zeiten des Bunds unserer Geister gedacht“ (Br I, 394f). Vgl. Sinclairs Brief an Hegel vom 12. 10. 1812: „[.. .Idie unsrigen [Tage] mit Hölderlin und Zwilling [...)“ (Br 1,416). Zu diesem ,Bund der Geister' vgl. O. Pöggeler: Sinclair — Hölderlin — Hegel. Ein Brief von Karl Rosenkranz an Christoph Th. Schwab. In: Hegel-Studien 8 (1973). 9—SS , Hannelore Hegel: Isaak von Sinclair zwischen Fichte, Hölderlin und Hegel. Frankfurt a. M. 1971. 46—101; Ch. Jamme: „Ein ungelehrtes Buch“. 141—150.

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II. Philosophie und Religion

1. DIE NEUE BEGRÜNDUNG DER RELIGION In diesem Abschnitt soll nun zunächst Hegels Versuch erörtert werden, eine „schöne“ Religion — unabhängig von Kants Moraltheologie — in der Vereinigung von Subjekt und Objekt oder Natur und Freiheit zu begründen. Hegel legte diese Vereinigung als Liebe, als Sein bzw. als Leben aus. Im Zuge dieser Auslegung stellte er eine grundsätzliche Überlegung über das Verhältnis von Glauben und Denken an; er restringierte mit Jacobi prinzipiell die Leistungen des Denkens gegenüber dem Glauben als unmittelbarer Erfassung des Unendlichen.

a) Liebe Hegel scheint zunächst auch in Frankfurt bei seiner Berner Thematik zu bleiben. In der ersten Hälfte des Fragments, dem H. Nohl den Titel „Moralität, Liebe, Religion“ gab^, thematisiert Hegel die Positivität der Religion und ihre Überwindung. Die Bestimmung der Positivität entspricht der in den Berner Schriften: Die positive Religion mache nicht „das ursprünglich Subjektive“, d. h. das Moralische des Menschen, sondern „die Vorstellung von etwas Objektivem“ zum Prinzip der Handlung und des Lebens überhaupt (vgl. N 374, vgl. auch oben S. 47, 72 f). Die Positivität besagt also den Verzicht der Selbstbestimmung und die Abhängigkeit von einem „mächtigen und beherrschenden Objektiven“; Hegel bezeichnet dieses Objektive — wie in Bern (vgl. S. 72) — als „das Nicht-Ich“^. Er setzt dieser Abhängigkeit von dem absolut Objektiven die Sittlichkeit des Menschen, „unsre eigne Kraft und Tätigkeit“ entgegen. Hier hält er auf seine Berner Position und seine Positivitäts-Kritik. Andererseits ist jedoch festzuhalten, daß sich ein neuer Ansatz anbahnt. In der praktischen, sittlichen Tätigkeit wird die Entgegensetzung von Gebot und Trieb nicht mehr vorausgesetzt; sie bringt nicht die Einheit in diese Entgegensetzung, sondern sie ist „die Einheit selbst“, in der alle Entgegensetzung völlig aufgehoben ist (vgl. N 374). Hegel befindet sich jetzt gerade auf dem Wege, sich von dem Berner Schema: dem ,Übergewicht der Vernunft über die Sinnlichkeit“ zu entbinden'*.

2 Schüler Nr. 67 (Vor Juli 1797): N 374-577. 5 Zu Hegels Begriff des Objekts bzw. des Objektiven in der Frankfurter Zeit vgl. Asveld: La pensee religieuse du jeune Hegel. 135ff. ■* Harris (a. a. O., 291) vertritt dagegen die Meinung, daß Hegel in dieser ersten Hälfte des Fragments „Moralität, Liebe, Religion“ bloß seine These aus der Berner Zeit wiederhole.

1. Die neue Begründung der Religion

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In der zweiten Hälfte des vorliegenden Fragments^ entwickelt Hegel diesen neuen Ansatz: „Wo Subjekt und Objekt — oder Freiheit und Natur so veriinigt gedacht wird, daß Natur Freiheit ist, daß Subjekt und Objekt nicht zu trennen sind, da ist Göttliches — ein solches Ideal ist das Objekt jeder Religion“ (N 376). Das Göttliche meint also nicht mehr wie in Bern die Vollendung der Moralität, die über die Sinnlichkeit herrscht (vgl. o, S. 71), sondern die Vereinigung von Freiheit und Natur. Die Freiheit steht hier nicht der menschlichen Natur und deren Sinnlichkeit gegenüber. In dieser Vereinigung erlischt zugleich der Gegensatz von „beherrschendem“ Objekt und unterdrücktem Subjekt. Die Positivität wird auf solche Weise in dieser Vereinigung überwunden. Hatte Hegel in Bern der Positivität der Religion die eigene Kraft des Menschen zur Moralität oder zum Übergewicht der Vernunft über die Sinnlichkeit entgegengesetzt, so vertritt er jetzt die Auffassung, daß die Positivität erst durch die Vereinigung von Freiheit und Natur bzw. von Vernunft und Sinnlichkeit zu überwältigen sei. Diese Vereinigung ist für den Hegel dieser Zeit der einzige Gegenstand der Religion. Diese Auffassung kam nun nicht ohne Anregung Hölderlins zustande. Die Einheit von Freiheit und Natur bzw. von Mensch und Natur war das Gfrundthema des Hyperion-Romans, dessen erster Band zu Ostern 1797, also kurz nach Hegels Eintreffen in Frankfurt, erschien: „Eines zu seyn mit Allem, das ist Leben der Gottheit, das ist der Himmel des Menschen. Eines zu seyn mit Allem, was lebt, in seeliger Selbstvergessenheit wiederzukehren in’s All der Natur, das ist der Gipfel der Gedanken und Freuden“®. Hölderlin versteht dieses Einssein mit Allem unter dem Einfluß Platons und Schillers als die Schönheit. Sie ist „Eine allumfassende Gottheit“, in der sich Mensch und Natur vereinigen. Hölderlin legt dieser Schönheit eine ontologische Bedeutung bei: Sie ist nämlich das ev Kai iräv,, d, h. das Eine in Ällem und das einzig wahrhaft Seiende^. Hier widersetzt Hölderlin sich einerseits dem Verstand, der das Vereinigte trennt und nur das Beschränkte erkennt, und andererseits der Moral, die über die menschliche Natur herrscht. Sowohl das Denken als auch das Tun sei ohne die Schönheit „ein Baum ohne Gipfel, eine Säule, wovon die Krone herabgeschlagen ist“®. Hölderlins Bemühungen gehen darauf, diesen Gegensatz von Mensch

5 D. Henrich (Hegel im Kontext. 63 Anm.) schlägt vor, diese zweite Hälfte als selbständigen Text zu betrachten, da sie allenfalls einige Wochen nach der ersten Hälfte geschrieben worden sein könne. s Hölderlin: Sämtliche Werke. Bd. 3. 9; zum folgenden vgl. 90. Zu dem Problem von Hegels Hplderlifi-Rezeption vgl. Pöggeler: Hegels Jugendschriften. 129ff; Ch. Jamme, a. a. O., 150ff. ’ Hölderlin: Sämtliche Werke. Bd. 3. 9, 53, 236. 8 A. a. O., 80.

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und Natur zu überwinden und die ursprüngliche Einheit wiederherzustellen: „Jenen ewigen Widerstreit zwischen unserem Selbst und der Welt zu endigen, den Frieden alles Friedens, der höher ist, denn alle Vernunft, den wiederzubringen, uns mit der Natur zu vereinigen zu Einem unendlichen Ganzen, das ist das Ziel all’ unseres Strebens“®. Die Vereinigung von Subjekt und Objekt oder von Freiheit und Natur, die Hegel unter diesem Einfluß Hölderlins konzipiert, läßt sich nun bei ihm nur in Liebe erreichen. Die Liebe ist nach den ersten Frankfurter Fragmenten einerseits die Einheit von Vernunft und Sinnlichkeit in einem sittlichen Subjekt und andererseits, wie Hegel eigens betont, die Einheit des sittlichen Subjekts mit dem ,Objekt‘, mit dem Göttlichen. In der Liebe wird das Verhältnis von Beherrschendem und Beherrschtem!“ aufgehoben; hier ergibt sich weder die Abhängigkeit von dem Beherrschenden (wie in der christlichen Religion) noch die Furcht davor (wie in der jüdischen Religion). „Liebe kann nur stattfinden gegen das Gleiche, gegen den Spiegel, gegen das Echo unseres Wesens“ (N 377)n. Bestimmend ist hier der Liebesbegriff Platons, den sich Hegel bereits in Tübingen angeeignet hatte (vgl. S. 30). Die Liebe ist bei Platon das Verhältnis der Gleichen, und die Liebenden finden sich selbst in einander, wie sie sich im Spiegel sehen^^. Auch bei diesem erneuten Rekurs Hegels auf Platons Begriff der Liebe ist die Anregung Hölderlins nicht zu übersehen, welcher die Grundlage für seinen Begriff der Liebe durch die Bezugnahme auf den Mythos der Geburt des Eros in Platons Symposion erworben hattei^. Der Liebende findet also nach Hegel im Geliebten nicht das ,Objekt‘, die beherrschende Gottheit, sondern vielmehr das ihm Gleiche oder sich selbst. Zu bemerken ist, daß Hegel in dieser Vereinigung nicht die bloße Gleichheit beider, sondern die Einheit von Gleichheit und Ungleichheit erblickt: „Der Geliebte ist uns nicht entgegengesetzt, er ist eins mit unserm Wesen; wir sehen nur uns in ihm — und * Zitat aus der Vorrede zur vorletzten Fassung des Hyperion (a. a. O., 236). Vgl. Hölderlins Ausdruck „Herrschaft und Knechtschaft“ (a. a. O.). Auch Hegel verwendet diesen Ausdruck in der Frankfurter Zeit (vgl. N 374, 386, 395 u. ö.). J. D’Hondt behandelt in seiner Schrift De Hegel ä Marx (Paris 1972. 98—105) das Thema „la Dieu-Miroir“ bei Hegel. Vgl. Platon: Phaidros 255d; ders.: Symposion. 195b; ders.: Timaios. 45c; ders.: Lysis. 214a—b. Hegel zitiert übrigens am Ende des Fragments „Liebe und Religion“ (Schüler Nr. 68 (Sommer 1797): N 377—378) aus Platons Phaidros (N 378). Vgl. Platon: Symposion. 203 b—e. Vgl. auch Hölderlin: Sämtliche Werke. 3. 20 If. „Den Widerstreit der Triebe, deren keiner entbehrlich ist, vereiniget die Liebe, die Tochter des Überflusses und der Armuth, Dem Höchsten und Besten ringt unendlich die Liebe nach, ihr Blik geht aufwärts und das Vollendete ist ihr Ziel 1.. .1“ (a. a. O., 202). Zu Hölderlins Platon-Rezeption vgl. K. Düsing: Ästhetischer Platonismus bei Hölderlin und Hegel. In: Ch. Jamme/O. Pöggeler (Hrsg.): Homburg vor der Höhe in der deutschen Geistesgeschichte. Stuttgart 1981. 101-117.

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dann ist er doch wieder nicht wir — ein Wunder, das wir nicht zu fassen vermögen“ (N 377). Beide werden also in der Liebe einerseits innig vereinigt, aber sie bleiben andererseits unterschieden. Diese Vereinigung ist für das reflexive Denken ein „Wunder“, d. h. etwas Unerklärbares. Dieses Denkmotiv wird in Hegels Konzeption des ,Lebens‘ und dann später in der des ,Selbstbewußtseins‘ weiterentwickelt (vgl.S. 87, 89). Auf diese Weise verläßt Hegel seine Berner Position, die er unter dem bestimmenden Einfluß Kants einnahm. Das ,wahre Göttliche“ ist nicht mehr die Autonomie und Freiheit bzw. die Kraft zur Selbstbestimmung im Menschen selbst (vgl. S. 71), sondern die Einheit des sittlichen und natürlichen Subjekts und die vollständige Vereinigung von Subjekt und Objekt in der Liebe. Hegel geht damit über den Rahmen seiner Konzeption der ,subjektiven Religion“ hinaus, welche die Ausführung der sittlichen Handlungen befördern sollte. Allerdings erhält Hegel auch in Frankfurt seine Zielsetzung seit Tübingen aufrecht, eine ideale Religion zu „stiften““ (N 376). Das Prinzip der Religion ist jedoch jetzt die Liebe. Die Religion ist die Entfaltung der Liebe als Vereinigung von Subjekt und Objekt durch die Einbildungskraft; die Liebe ist eine Gottheit, wenn sie durch die Einbildungskraft als ein daseiendes Wesen vorgestellt wird. „Religion““, so schreibt Hegel, „ist freie Verehrung der Gottheit. Bloß subjektive Religion ohne Einbildungskraft — ist Rechtschaffenheit —““ (N 376). Hegel intendiert, durch diese auf neuer Ebene begründete Religion die Positivität der dogmatischen Religion zu überwinden, welche das Absolute außer ihr setzt und es als Gegebenes oder Objektives ansieht. b) Sein Die Liebe bzw. die Vereinigung von Subjekt und Objekt ist bei Hegel, wie dargelegt wurde, vor allem ein religiöses Prinzip. Er legt sie wohl unter dem Einfluß seiner Frankfurter Freunde auch metaphysisch aus; allerdings geht seine eigentliche Absicht auf die Kritik und Überwindung der Positivität der Religion. Im Fragment „Glauben und Sein““i^ proklamiert Hegel, daß Vereinigung mit Sein gleichbedeutend sei (vgl. N 383). Sein besagt hier die zugrundeliegende Vereinigung der „Antinomie“ oder der einander „widerstreitenden““ Bestimmungen. Mit der Antinomie meint Hegel in erster Linie die religiöse Entgegensetzung von .Subjekt“ und .Objekt“, von unterdrücktem Subjekt und beherrschender Gottheit, die er in der positiven und dogmatischen Religion verfestigt sieht; er meint dabei auch die entgegen-

Schüler Nr. 72 (1798; nicht vor Dezember 1797): N 382—385.

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gesetzten Bestimmungen der Reflexion wie „Bestimmendes“ und „Bestimmtes“ usw. (vgl. N 384). Das Sein stellt sich in einem Satz als die Kopula dar und vereinigt Subjekt und Prädikat als entgegengesetzte Glieder (vgl. N 383). Hegel betont jedoch eigens, daß das Sein selbst das Bewußtsein übertreffe; es wird vom Bewußtsein vorausgesetzt. Es ist nicht notwendig, ob das Sein im Bewußtsein vorgestellt und erfaßt wird: „[...] die Unabhängigkeit des Seins soll darin bestehen, daß es ist, es sei für uns oder nicht für uns, das Sein soll etwas schlechthin von uns Getrenntes sein können“ (N 383). Bei dieser Auslegung des Seins stellt Hegel eine grundsätzliche Überlegung über das Verhältnis von Glauben imd Denken an. Er versucht hier die Leistungen des Denkens bzw. der Philosophie (als reflexiven Denkens), die Erfassung der ursprünglichen Vereinigung betreffend, gegenüber dem Glauben oder der Religion ausdrücklich zu restringieren. Diese Restriktion der Leistungen des Denkens gegenüber dem Glauben ist für Hegels Frankfurter Ansatz charakteristisch. Das Denken beweist, daß die vorhandenen „Widerstreitenden“ vereinigt werden müssen: Sie können als die „Widerstreitenden“, d. h. als die in einer Antinomie entgegengesetzten Glieder, erst dadurch erkannt werden, daß sie im voraus einen „Maßstab“ haben und nach diesem „Maßstab“ aufeinander bezogen werden. Dieser vorausgesetzte „Maßstab“, d. h. die Vereinigung, ist also der Grund für die Erkenntnis einer Antinomie. Andererseits ist die Vereinigung der Seinsgrund der Antinomie: Die „widerstreitenden“ Glieder können nicht als solche, sondern erst unter der Voraussetzung der Vereinigung „bestehen“, weil sie einander ausschließen und aufheben (vgl. N 382f)i5. Auf diese Weise beweist das Denken, daß die Vereinigung sein soll. Daß diese Vereinigung ist, wird aber nicht dadurch bewiesen. Diese „Art von Vorhandensein der Vorstellung von derselben [sc. der Vereinigung]“ (N 383) ist nur der Gegenstand des Glaubens, mit anderen Worten: Die Vereinigung bzw. das Sein wird nur im Glauben gegenwärtig!®. Glaube ist also bei Hegel das einzig adäquate Innewerden des Absoluten. Allerdings fügt Hegel hinzu: „[...] ferner ist Glauben nicht Sein, sondern ein reflektiertes Sein“ (N 383). Das Sein kann also im Glauben zwar „zum Bewußtsein kommen“, aber dies heißt nicht sogleich, daß sich das Sein im Glauben vollständig offenbart. Der Anspruch auf die vollständige Erfassung des Seins steht also nach Hegels Ansatz im vorliegenden Fragment auch dem Glauben nicht zu. Es liegt nun nahe, daß Hegel bei dieser Gegenüberstellung von Glauben und Denken auf Jacobi Bezug nimmt. Jacobi erklärte in seinen Spinoza*5 Vgl. dazu Düsing: Das Problem der Subjektivität. 51 f; T. Shikaya: Die Wandlung des Seinsbegriffs in Hegels Logik-Konzeption. In: Hegel-Studien. 13 (1978). 119—173, bes. 120f. 16 Vgl. Harns, a. a. O., 312.

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triefen, daß es eine unmittelbare Gewißheit geben müsse, welche ihren Grund in sich selbst habe. Denn damit man nach einer „Gewißheit“ streben könne, müsse die „Gewißheit“ im voraus bekannt sein^^. Diese unmittelbare „Gewißheit“ sei nach Jacobi Glaube, welcher nicht nur keiner Beweise bedürfe, sondern schlechterdings alle Beweise ausschließe. Jacobi unterscheidet den Glauben von dem Beweis folgendermaßen: Der Glaube ist „einzig und allein die mit dem vorgestellten Dinge übereinstimmende Vorstellung selbst“, während der Beweis eine unmittelbare Gewißheit dieser Vorstellng voraussetzt und aufgrund der „Vergleichung“ die Erkenntnis hervorbringt. Der Beweis kann also bloß die „Gewißheit aus der zweiten Hand“ liefern. Sicherlich unter dem Anstoß dieser Theorie Jacobis beschränkt Hegel die Bedeutung des Beweises, und er versteht den Begriff des Glaubens nicht bloß als einen religiösen, sondern als eine unmittelbare und gewisse Vorstellung der Dinge. Die Anregung zu Hegels Überlegung über das Sein geht offenbar von Hölderlin aus. Im Fragment über „Urtheil und Seyn“, das im April 1795 entstand, erwägt Hölderlin im Kontext der Fichte-Kritik das Sein^®. Sein bedeutet für Hölderlin „die Verbindung des Subjects und Objects“. Subjekt und Objekt sind hier so schlechthin vereinigt, daß keine Trennung vorgenommen werden kann, ohne das Wesen des Vereinigten zu verletzen. Diese Vereinigung ist nur in der „intellectualen Anschauung“ präsent. Das ,Urteil‘ bringt hingegen die ursprüngliche Trennung von Subjekt und Objekt hervor. Auch Fichtes Grundsatz: „Ich bin Ich“ ist nach Hölderlins Interpretation an diese „Ur-theilung“ gebunden. Denn diese Identität des Ich ist erst dann möglich, wenn das Ich sich auf sich selbst bezieht und sich seiner selbst bewußt wird. Fichtes Grundsatz setzt diese Selbstbeziehung des Ich oder die „Trennung des Ichs vom Ich“ voraus. Diese Identität ist also nicht mit jener Vereinigung von Subjekt und Objekt, d. h. mit „dem absoluten Seyn“, gleichzusetzenis. Es ist noch zu erwähnen, daß diese Kritik an Fichte und diese Konzeption des ,absoluten Seins' im Freundeskreis diskutiert und akzeptiert wurde. So grenzt auch Sinclair die höchste, ursprüngliche Einheit, die er als die „Athesis“ bzw. als das ev Kai näv bezeichnet, von Fichtes Begriff des Ich scharf ab. Das Ich ist nach seiner Auffassung bloß ein Produkt der Reflexion,

Vgl. Jacobi: Werke. IV/1, 210, zum folgenden 210f. Vgl. dazu O. P. Bollnow: Die Lebensphilosophie F. H. Jacobis. Stuttgart 1933 (Nachdruck 1966). 173ff; K. Hammacher: Die Philosophie F. H. Jacobis. München 1969. 46f. 1® Zu diesem Fragment Hölderlins vgl. D. Henrich: Hölderlin über Urteil und Sein. In: Hölderlin-Jahrbuch. 14 (1965/66). 73—96; ders.: Hegel im Kontext. 65. 1« Vgl. Hölderlin: Sämtliche Werke. 4.216f. Zu Hölderlins Fichte-Kritik vgl. Pöggeler: Hegels Jugendschriften. 124; A. Thomasberger: Von der Poesie der Sprache. Gedanken zum mythologischen Charakter der Dichtung Hölderlins. Diss. Frankfurt a. M. 1980. maschr. 60ff; Kondylis, a. a. O., 304 ff; Jamme: „Ein ungelehrtes Buch“. 77ff.

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welche die „Urtheilung“, d. h. die Trennung von Subjekt und Objekt, voraussetzt: „Im ersten Moment der Reflection wird blos das Ich gesezt aber identisch“ 20. Die Einschränkung der Rolle der Reflexion ist den FrankfurtHomburger Freunden gemeinsam. Hegel steht ohne Zweifel unter dem Einfluß dieser Lehre seiner Freunde. Anzumerken ist jedoch, daß er sich nicht Hölderlins Konzeption der ,intellektuellen Anschauung' anschließt, sondern in eigenartiger Weise dem Denken den Glauben gegenüberstellt.

cj Die Konzeption einer „schönen“ Religion und die Kant-Kritik Hegel kennzeichnet in dem „Grundkonzept zum Geist des Christentums“2o® jenes Verhältnis des Menschen zum Göttlichen, das von jeder Herrschaft frei ist und dessen Prinzip nur die Liebe zwischen den ,Gleichen‘ ist, unter dem Einfluß Hölderlins als die „schöne Beziehung“. Und er fragt, wie eine „schöne Religion“ möglich ist, die sich auf dieser Beziehung aufbaut: „[...] eine schöne Religion zu stiften, das Ideal davon? findet man es?“ (N 387). Auch im vorliegenden „Grundkonzept“ kreist Hegels Denken also um den Entwurf einer idealen Religion und um die Frage nach ihrer Verwirklichung. Hegel versucht zunächst, diese Religion von der jüdischen Religion abzugrenzen, welche auf dem Verhältnis von ,Herrschaft und Knechtschaft' basiert^i. Er erblickt in dieser Religion gerade das Gegenbild zur „schönen“ Religion. „Die Wurzel des Judentums“, so legt er dar, „ist das Objektive, d. h. der Dienst, die Knechtschaft eines Fremden“ (N 386). Der totale Verzicht auf die Selbstbestimmung und Selbsttätigkeit und der blinde Gehorsam gegenüber dem Gesetz und dem Willen des Herrn bestimmen die jüdische Religion. Auch im Fragment „Der Geist des Christentums“22 setzt Hegel dem „Geist der Schönheit“, der das Getrennte zu vereinigen und das „lebendige Band“ wiederherzustellen sucht, den jüdischen Geist der Trennung und Entzweiung kraß entgegen. Eine religiöse Handlung besagt bei dieser Religion eine Tätigkeit, in der der Mensch sein „Nichts-Sein“, d. h. die völlige Knechtschaft, ausdrückt (vgl. N 262, 291).

Vgl. Sinclairs „Philosophische Aufzeichnungen 1795/96“. In . Hannelore Hegel: Isaak von Sinclair zwischen Fichte, Hölderlin und Hegel. Frankfurt a. M. 1971. 246ff; vgl. auch 133ff. Vgl. ferner Henrich: Hölderlin über Urteil und Sein. 87 ff. 20a Schüler Nr. 80 (Herbst 1798): N 385-98. 21 Vgl. Asveld, a. a. O., 148ff; E. Guerehu: Das Gottesbild des jungen Hegel. Freiburg/München 1969. 51f. 22 Schülerbir. 83 (Erstfassung: Herbst/Winter 1798/99), Nr. 89 (Endgültige Fassung: 1799; evtl, bis 1800): N 261-342.

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Es ist besonders bemerkenswert, daß Hegel im Zuge der Konzeption einer „schönen“ Religion Kants praktische Philosophie entschieden kritisiert und von seinem Kantianismus in Bern endgültig abrückt. Rosenkranz berichtet, daß sich Hegel in seinem Kommentar (1798) zu Kants Metaphysik der Sitten, der heute verschollen ist, der Unterdrückung der,Natur' bei Kant widersetze und die Entgegensetzung von Legalität und Moralität durch einen höheren Begriff des .Lebens' zu vereinigen suche (Ros 87)23. Hegel artikuliert diese Kritik an Kant in den Fragmenten zu dem „Geist des Christentums“: Die Moralität, die Kant vertritt, ist nach seiner Auffassung bloß die Aufhebung der Entgegensetzung von Gesetzesbewußtsein und sinnlicher Natur durch die Unterwerfung der letzteren, d. h. durch „die Unterjochung des Einzelnen unter das Allgemeine“ (N 387). Die Sinnlichkeit und Neigung des Menschen wird jedoch durch diese Unterwerfung nicht aufgehoben, sondern bloß getrennt, d. h. die Entgegensetzung bleibt immer noch. So schreibt Hegel: „Das Gebot ist zwar subjektiv, ein Gesetz des Menschen, aber ein Gesetz, das andern in ihm Vorhandenen widerspricht, ein Gesetz, das herrscht“ (N 388). Die Moralität Kants ist also nach Hegels Verständnis ambivalent. Das Moralgesetz ist einerseits subjektiv, d. h. ein „Begriff“ oder ein „Produkt einer menschlichen Kraft“. In dieser Hinsicht sticht die Ausführung des Moralgesetzes von dem blinden Gehorsam gegenüber der fremden und allmächtigen Gottheit und den Gesetzen scharf ab, welche bloß in der Offenbarung begründet sind. Andererseits ist das sittliche Gesetz jedoch objektiv. Es stellt sich der sinnlichen Natur des Menschen als etwas Gegebenes oder Fremdes dar; es verlangt die Unterdrückung der Sinnlichkeit. Die Tugend im Sinne Kants überwindet also einerseits die völlige Knechtschaft des Judentums, aber sie selbst ist andererseits „eine teilweise Knechtschaft unter einem eigenen Gesetze“. Der „Selbstzwang“ haftet dieser Tugend an. Sie hat zwar keinen Herrn außer ihr, aber in ihr (vgl. N 265f, 293)24. Hegel verläßt damit seine frühere Einstellung zu Kants Begriff der ,Achtung für das Sittengesetz' (vgl. o. S. 29), und er bemängelt, daß auch für die ,Achtung' das Gebot etwas Gegebenes, Positives bleibt (vgl. N 388)25. Sie jgt also für Hegel nicht mehr das Prinzip der völligen Selbstbestimmung und Freiheit. Diese Kant-Kritik ist für Hegels Denken von bestimmender Bedeutung, denn er konzipiert gerade auf dieser Grundlage die „schöne“ Religion. Er setzt dem,Selbstzwang' durch das Sittengesetz die „Gesinnung“, d. h. die „Geneigtheit“, moralisch zu handeln, entgegen. Er hebt eigens hervor, daß diese „Geneigtheit“ in sich begründet sei (vgl. N 388). Das „idealische 23 Vgl. G. Lukäcs: Der junge Hegel. Bd. 1. 241ff. 2‘* Vgl. Peperzak: Le jeune Hegel et la Vision morale du monde. 147 ff; Düsing: Das Problem der Subjektivität. 40f. 23 Vgl. Th. Baumeister: Hegels frühe Kritik an Kants Ethik. 85 f.

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Objekt“ ist weder in einer fremden Gottheit noch im Sittengesetz als etwas Gegebenem, sondern in seinem Subjekt selbst, das von sich aus moralisch handelt. In dieser Einheit von Gesetz und Neigung, die Hegel mit Schiller als die „Übereinstimmung“ bezeichnet, verliert das Moralgesetz die Form des Gesetzes. Die Allgemeinheit des Gesetzes und die Besonderheit des Subjekts stehen nicht mehr einander gegenüber (vgl. N 268). Diese Tugend ohne jede Herrschaft und ohne jede Unterwerfung ist die „Modifikation der Liebe“ (N 293). Bei dieser Bestimmung der Tugend rekurrierte Hegel wiederum auf Schiller. Schiller ging in der Schrift Über Anmuth und Würde gegen die rigoristische Unterwerfung der Sinnlichkeit an und bemühte sich, die Sinnlichkeit auf die Höhe der Vernunft zu bringen. Denn er vertrat die Überzeugung, „daß die sittliche Vollkommenheit des Menschen gerade nur aus diesem Antheil seiner Neigung an seinem moralischen Handeln erhellen kann“^«. So bestimmte er die Tugend nicht als die ,Herrschaft' der Vernunft über die Sinnlichkeit, sondern als „eine Neigung zu der Pflicht“. Diese „Übereinstimmung“ von Vernunft und Sinnlichkeit bzw. von Pflicht und Neigung war für Schiller „das Siegel der vollendeten Menschheit“ und das, was sich in einer „schönen Seele“ vollziehe^^. Das Prinzip dieser Einheit sei jedoch — wie auch Hegel meinte — nicht die ,Achtung‘, weil diese darin bestehe, sich vor dem Gesetz zu beugen. Jene „Übereinstimmung“ werde erst durch die Liebe oder durch die Neigung zu den moralischen Handlungen verwirklicht (vgl. oben). Auf diese Weise sucht Hegel die „schöne“ Religion auf dem unabhängig von Kant begründeten Begriff der Tugend bzw. der Gesinnung aufzubauen. Bemerkenswerterweise macht er dabei von dem Begriff des TrXTjpcopa Gebrauch, den er aus der Bergpredigt Jesu aufnimmt: „ om fiXdov KaraXHaai, bikXornXripCbam', “ (Ev. Mat. 5, 17). Allerdings widmete er diesem Begriff bereits in Bern besondere Beachtung. Damals meinte er jedoch damit die Überwindung der „moralzerstörenden“ Gesetze der Juden durch die Moralität im Sinne Kants (vgl. N 363, 176, 207). Dementgegen ist die Tugend in der Frankfurter Zeit in dem Sinne ein nXi^pco/xa , daß in ihr die,Objektivität“ des Moralgesetzes als etwas Gegebenes überwunden wird; die Übereinstimmung von Gesetz und Neigung ist das irXiipcopa . Das Gesetz wird „durch Hinzufügen des Innern zum Aeußern“ vervollständigt (vgl. N 268, 395, 398). — Unter diesem Gesichtspunkt revidiert Hegel sein Jesus-Bild in der Berner Zeit: Jesus versuchte nach seiner Auslegung die „Zerrissenheit des

26 Schillers Werke. 20. 283, zum folgenden vgl. 287, 302f. Zu Hegels Schiller-Rezeption vgl. O. Pöggeler, a. a. O., 109f. 22 Hegel eignet sich auch diesen Schillerschen Begriff der „schönen Seele“ an, welcher eigentlich von Plotin stammt. Vgl. N 285, 315 u. ö.

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Menschen“, das Verhältnis von .Herrschaft und Knechtschaft“ aufzuheben und „den Menschen in seiner Ganzheit wieder herzustellen“, indem er den Gesetzen die „Geneigtheit“ entgegensetzte, so zu handeln, wie die Gesetze gebieten würden (vgl. N 266, 268). In Bern verstand Hegel dagegen Jesus zwar einerseits als einen .Lehrer der Tugend“, aber er erblickte andererseits in der Religion Jesu selbst auch die allgemeinen Gründe zu ihrer Positivierung und zur Umwandlung zu einer positiven staatlichen Religion (vgl. S. 48 f). Die Tugend ist also das Komplement oder das-des Gesetzes. Aber auch sie ist an eine Beschränktheit gebunden, denn sie birgt eine Entgegensetzung von Gesinnung und Handlung in sich. Die Gesinnung stellt sich zwar nur in der Handlung dar, aber sie vermag sich andererseits in dieser Handlung nicht vollständig darzustellen, da eine moralische Handlung eigentlich einzeln und unter einem bestimmten Umstand möglich ist (vgl. N. 389, 394)28. Hier kommt „das Bedürfnis eines Ganzen der Vereinigung““ zustande. Hegel meint, daß sich diese Vereinigung im ganzen erst durch ein „lebendiges Band der Tugenden““, d. h. durch die Liebe vollziehen kann. Die Liebe ist die Grundlage, auf der die Tugend als Tugend wirksam wird. Sie ist in diesem Sinne das 7rXr)pcj/xa der Tugend (vgl. N 389,295). Die Liebe ist nun wie in den ersten Frankfurter Fragmenten ein sowohl ethischer als auch religiöser Begriff. Die Liebe ist das „Gefühl der Harmonie““; man fühlt „sich im All des Lebens schrankenlos im Unendlichen““ (N 296, vgl. 313). Die Liebe ist also das Verhältnis zu einem Göttlichen als Gleichem. Hier erhält Hegel sein platonisches Verständnis von Liebe in jenen Fragmenten aufrecht. Er expliziert die Liebe zugleich in Anknüpfung an das JohannesEvangelium als das Verhältnis der Geister^^. Die Liebe ist nämlich die Vereinigung der Geister, die in einander sich selbst, ihre eigene Natur finden^“. „Glauben““, so führt Hegel aus, „ist eine Erkenntnis des Geistes durch Geist, und nur gleiche Geister können sich erkennen und verstehen““ (N 289, vgl. 305, 312f). Vergleicht man nun den Begriff der Liebe in den Fragmenten zum „Geist des Christentums““ mit dem in den ersten Frankfurter Fragmenten, so erkennt man, daß Hegel in den ersteren die Liebe relativiert. Während er früher die Religion mit der Liebe gleichsetzte (vgl. N 377), betont er jetzt die Notwendigkeit, die Liebe durch die Religion zu .komplettieren“. Die „schöne“ Religion entfaltet die Liebe oder die Vereinigung vorstellungsgemäß und stellt sie „in einer objektiven Form“ dar. Dieses Bedürfnis nach

2* Hegel befaßt sich später in der Phänomenologie des Geistes mit dieser Problematik der Entgegensetzung von Gesinnung und Handlung im Kontext der Kritik an Kants Begriff der Moralität (vgl. GW 9. 333f)Vgl. Ev. Job. 4, 24; 6, 63; 14, 17; 16, 13. Vgl. dazu Haering, a. a. O., 520ff. 5» Vgl. Ev. Job. 10, 38: „[.. .1 daß in mir der Vater ist und ich im Vater bin“; vgl. auch a. a. O., 10, 30.

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der Objektivierung der Liebe ist Hegel zufolge das höchste Bedürfnis des menschlichen Geistes (vgl. N 332). Erst in dieser durch Einbildungskraft und Phantasie objektivierten Vereinigung findet man den Gegenstand einer religiösen Verehrung (vgl. N 297, 332). Unter der Objektivierung der Liebe versteht Hegel nun zusammen mit dieser vorstellungsgemäßen Entfaltung auch die Vereinigung mit der Reflexion. Reflexion ist zwar für Hegel ebenso wie für seine Frankfurter Freunde das Vermögen der beschränkten Bestimmungen; aber er schreibt: „[... 1 in den Momenten der glücklichen Liebe ist kein Raum für Objektivität; aber jede Reflexion hebt die Liebe auf, stellt die Obj ektivität wieder her und mit ihr beginnt wieder das Gebiet der Beschränkungen. Religiöses ist also das jrXrjpcujua der Liebe (Reflexion und Liebe vereint, beide verbunden gedacht)“ (N 302). Hegel denkt jetzt das Göttliche nicht mehr bloß als die Vereinigung in der Liebe, sondern als das Unendliche, das auch die Beschränkungen der Reflexion in sich begreift, d. h. als das Leben. d) Leben Hegels grundsätzliche Überlegung zu dem Leben stellt sich erst dar in der zweiten Fassung des Fragments „Die Liebe“ und in der zweiten Fassung des Fragments zu dem „Geist des Christentums“Allerdings schreibt Hegel bereits in der ersten Fassung des Fragments „Die Liebe“: „Wahre Vereinigung, eigentliche Liebe findet nur gegen das Lebendige statt; sie schließt alle Entgegensetzungen aus [... 1 sie ist ein Gefühl des Lebendigen. Als lebendige sind die liebende Eins“^^. Die Lebendigen meinen hier die in der Liebe innigst Vereinigten. Hegel hat noch nicht den Begriff des Lebens als des Ganzen, welches sich nicht schlechthin der .Objektivität' entgegensetzt, sondern auch das Gebiet der Beschränkungen der Reflexion in sich einschließt. Im Kommentar zu Kants Metaphysik der Sitten versucht Hegel, wie wir bereits gesehen haben, den Gegensatz von Legalität und Moralität durch den Begriff des Lebens zu vereinigen. Gerade in diesem Kontext verwendet er auch im „Grundkonzept zum Geist des Christentums“ den Begriff des Lebens: „[...) die Allgemeinheit ist eine tote, denn sie ist dem Einzelnen entgegengesetzt, und Leben ist Vereinigung beider, — Moralität ist Abhängigkeit von mir selbst, Entzweiung in sich

Schüler Nr. 69 (Erstfassung: Um Nov. 1797); Nr. 84 (Zweite Fassung: Herbst/Winter 1798/99): N 378-82. Vgl. Ch. Jamme: „Ein ungelehrtes Buch". 278ff. Ms. Bl. 10 recto (N 379). Vgl. Hegels Frankfurter Fragment „welchem Zwekke denn". Mitgeteilt u. erläutert v. Ch. Jamme. In: Hegel-Studien 17 (1982) 9—23.

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selbst“ (N 390). Leben besagt also hier die Vereinigung von toter Allgemeinheit des Gesetzes und Besonderheit der menschlichen Natur. Hegel macht also von diesem Begriff vor allem in der Polemik gegen Kants Begriff der Moralität Gebrauch, und er gelangt noch nicht zu der Konzeption des Lebens als des gegliederten Ganzen. Erst in der zweiten Fassung des Fragments „Die Liebe“ hebt der neue Ansatz an: „[...] in ihr [sc. der Liebe] findet sich das Leben selbst, als eine Verdopplung seiner Selbst, und Einigkeit desselben; das Leben hat von der unentwickelten Einigkeit aus, durch die Bildung den Kreis zu einer vollendeten Einigkeit durchlaufen“ (Bl. 10 recto: N 379). Das Leben ist nicht die Liebe, insofern sie bloß eine Empfindung der Vereinigung ist und der ,Objektivität“ gegenübersteht; sondern es ist das „Ganze“, das sich bildet und die Fülle seiner Gestalten erlangt. Hegel versteht jetzt das Leben als einen triadischen Kreis; (1) die „unentwickelte Einigkeit“, (2) „die Bildung“ und (3) die „vollendete Einigkeit“. Das Gebiet der Trennung oder der Entgegensetzung, welche die Reflexion produziert, ist das ,verdoppelte‘ Selbst des Lebens selbst. Das Leben begreift diese Trennung in der Weise in sich, daß sie ihre ,Objektivität“, den Charakter eines Fremden, völlig verliert. Das Leben gewinnt erst durch diese Bildung „den ganzen Reichthum“ und erlangt die „vollendete Einigkeit“. Es ist hier anzumerken, daß diese Überlegung zum Leben einige wesentliche Gedanken enthält, welche für die spätere Dialektik charakteristisch sind (vgl. hierzu u. S. 117 f). Fragt man nach den historischen Hintergründen dieser Auffassung Hegels, so sieht man sich zunächst auf Hölderlin verwiesen. Hölderlin erklärte in seiner Vorrede zur vorletzten Fassung des Hyperions seine Aufgabe als die Wiederherstellung der verlorenen ursprünglichen Einheit: „Wir reißen uns los vom friedlichen EUIKOU der Welt, um es herzustellen, durch uns Selbst“ 3“*. Im Hyperion legt Hölderlin diese wiederherzustellende Einheit als „das eviSionfiepov eoamp (das Eine in sich selbst unterschiedene)“ aus^5. Auch für Hölderlin bedeutet also die Einheit bzw. das Sein nicht die leere Einheit, sondern die in sich unterschiedene Einheit. Hölderlin geht damit über seinen Begriff des Seins im Fragment „Urtheil und Seyn“ hinaus, denn er hatte dort das Sein als die Vereinigung von Subjekt und Objekt verstanden, die alle Trennung ausschließe^®. Außerdem kann Platons Phaidros Hegel — sowie Hölderlin — eine Anregung gegeben haben. Die Seele sucht nach dieser Schrift Platons vom Erden-

3'* Hölderlin: Sämtliche Werke. 3. 236. A. a. O., 81, vgl. 83. Hölderlin entnahm diesen Begriff Heraklits sicherlich aus Platons Symposion (187a). 33 Vgl. Hölderlin: Sämtliche Werke. 4. 216f.

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leben zu dem Leben zurückzukehren, in dem sie einst das wahrhaft Seiende, die ovaüx, anschaute^^. Die entscheidende Anregung zu Hegels Begriff des Lebens geht jedoch von Jacobi aus. Es kommt nach Jacobi alles darauf an, das „innere Leben“ des Menschen, die Quelle des menschlichen Denkens und Handelns, zu ergründen. Dieses Leben ist allerdings das, was außer der Erkenntnis ist und nicht begrifflich zu erklären ist^*. Jacobi weist somit dem Glauben oder der Religion die Aufgabe an, zu diesem inneren Leben zurückzukehren und den Ursprung des menschlichen Daseins zu erfahren. „Geist meiner Religion ist also das: der Mensch wird, durch ein göttliches Leben, Gottes inne“^®. Der Mensch soll nämlich sein Leben als ein von Gott herstammendes, ursprünglich göttliches Leben anschauen und sich den Zugang zu Gott als der Endursache der Schöpfung verschaffen. Dieses Leben bzw. das Innewerden Gottes ist nach Jacobi nichts anderes als der „intellektuelle Trieb“ nach dem Ewigen, und andererseits die Liebe Gottes, der sich erst im Lebendigen darstellt und offenbart: „Liebe ist Leben; sie ist das Leben selbst; und die Art der Liebe unterscheidet jede Art lebendiger Naturen. Er, der Lebendige, kann im Lebendigen allein sich darstellen; Lebendigem, sich zu erkennen geben, nur — durch erregte Liebe“ Was hierbei nur ganz kurz anzumerken ist, ist Jacobis neuplatonisches Verständnis des Lebens. Er rückt von der Lehre des christlichen Glaubens ab, daß man nur durch Christus zu Gott Vater kommen könne. Jacobi knüpft demgegenüber deutlich an Plotin an, welcher das menschliche Leben, die fcur), als ein vom göttlichen Urgrund stammendes, potentielles Leben versteht und die Identifizierung mit dem vollkommensten Leben als ein Gegenstand der wahrhaften Liebe ansiehUL Hegel bezieht sich offensichtlich auf diese Wiederbelebung des Neuplatonismus zu Ende des 18. Jahrhunderts. Allerdings erhält er seine kritische Einstellung gegenüber Jacobi seit der Tübinger Zeit aufrecht: Er tritt nicht für Jacobis Versuch ein, alle menschliche Erkenntnis und Wirksamkeit von der Offenbarung Gottes als der persönlichen Ursache der Welt herzuleiten'*^. Platon: Phaidros. 247 c—250 c. Der Einfluß des Lebensbegriffs der schwäbischen Pietisten (vor allem F. Ch. Oetingers) ist schwer zu belegen. Vgl. zu diesem Problem R. Schneider: Schellings und Hegels schwäbische Geistesahnen. Würzburg 1938. 116f; G. Rohrmoser: Zur Vorgeschichte der Jugendschriften Hegels. In: Zeitschrift für philosophische Forschung. 14 (1960). 182—208, bes. 203f; R. Piepmeier: Aporien des Lebensbegriffs seit Oetinger. Freiburg/ München 1978. 233ff. Vgl. Jacobi: Werke. IV/1, 70, 248f. Vgl. dazu O. F. Bollnow: Die Lebensphilosophie F. H. Jacobis. 73 ff. 59 Jacobi, a. a. O., 212. ‘t“ Jacobi, a. a. O., 213; vgl. 34, 250. Vgl. Jacobi, a. a. O., 212; Plotins Schriften. Übersetzt v. R. Harder. Bd. I—V. Hamburg 1956-67. Bd. I. 198 (Enn. IV. 9, 9), Bd. V. lOf (Enn. I. 4, 3f). Vgl. Jacobi, a. a. O., 223.

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Hegel betont nun im Fragment zu dem „Geist des Christentums“, daß das Leben nicht durch das reflexive Denken zu erfassen ist; denn das Denketl bzw. das Bewußtsein bedeutet eigentlich eine Bestimmung, also die Abstraktion von dem unbestimmt Bleibenden. Das Leben oder, wie Hegel sich ausdrückt, der „Zusammenhang“ von Unendlichem und Endlichem ist also für das Denken „ein heiliges Geheimnis“ (N 304 Anm., 309f). Hier ist sich Hegel mit Jacobi einig, welcher das Leben als etwas Übernatüfliches oder ein „Rätzel“ ansieht, das nicht durch Begriffe geklärt werden kann'*^. Das Leben, das dem erkennenden Wesen verborgene „Geheimnis“, läßt sich erlangen, nur indem man es ahnt oder glaubt, mit anderen Worten: indem man eine Sympathie mit dem unsichtbaren Lebendigen hat. Auch für Hegel ist jener „Zusammenhang“ nur ein Gegenstand des Gefühls bzw. des Glaubens. Man kann über dieses Geheimnis nur „mystisch“ sprechen (vgl. N 308). Dieses Leben ist nun nach Hegel das lebendige Ganze: „Nur von Objekten, von Totem gilt es, daß das Ganze ein anderes ist, als die Teile; im Lebendigen hingegen der Teil desselben ebensowohl und dasselbe Eins, als das Ganze“ (N 308). Das Lebendige ist also nicht die Einheit der zusammengefaßten Teile oder Individuen, denn diese Einheit ist bloß ein Begriff. Demgegenüber ist das Lebendige ein „Wesen“ oder ein „Seiendes“, d. h. das Ganze, dessen Teil ebensowohl ein Teil des Ganzen als auch eins mit dem Ganzen ist, was also dem reflexiven Denken als ein „Widerspruch“ erscheinU“*. Die christliche Vorstellung des Vater-Sohn-Verhältnisses drückt nach Hegels Auffassung dieses Leben aus. Dieses Verhältnis ist nämlich ein Ausdruck des „Zusammenhangs“, der einerseits die absolute Verschiedenheit beider und andererseits die absolute Einigkeit in der innigsten Beziehung bedeutet (vgl. N 311). Auf diese Weise versteht Hegel unter dem Leben das ungeteilte oder, besser gesagt, „unendlich gegliederte“ Ganze. Bestimmend ist hier Jacobis Auffassung des organischen Wesens oder des Verhältnisses von Ganzem und Teilen in einem organischen Wesen. Jacobi entwickelt in seiner Schrift David Hunte über den Glauben, oder Idealismus und Realismus (1787) anhand des Leibnizschen Begriffs „compositum substantiale“ seine Idee des Lebens weiter: Er deklariert in dieser

Vgl. Jacobi, IV/2, 23, 155; zum folgenden I, 245f. Kant erwähnt in der Religions-Schrift das „heilige Geheimnis“ der Religion, welches für den praktischen Gebrauch der Vernunft hinreichend erkannt werden könne, aber nicht für ihren theoretischen Gebrauch (vgl. 154: B 208). Vgl. Hölderlins Brief an Sinclair vom 24.12. 1798: „[.. .leben weil imProduct der Antheil, den das Einzelne am Producte hat, niemals völlig unterschieden werden kann, vom Antheil, den das Ganze daran hat, so ist auch daraus klar, wie innig jedes Einzelne mit dem Ganzen zusammenhängt und wie sie beide nur Ein lebendiges Ganze ausmachen“ (Hölderlin: Sämtliche Werke. 6/1. 301).

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Schrift mit Leibniz, daß es keine anderen wahrhaft wirklichen Dinge in der Natur gebe, als organische Wesen, in denen das Mannigfaltige in einer Einheit unzertrennlich verknüpft sei“*^. Das Leben wird hier als ein organisches Wesen, als ein „reales Ganzes“, ausgelegt; „Wir können keinen Baum, keine Pflanze, als solche, das ist, ihr organisches Wesen, das Prinzip ihrer besondern Mannigfaltigkeit und Einheit zerlegen oder theilen.“ Das organische Wesen ist nämlich ein Ganzes, das nie ein Aggregat der Teile sein kann, sondern eine reine Einheit ist, in der das Mannigfaltige sich durchdringen und Eins werden kann. In der Beilage I (Bruno-Auszug) der Spinozabriefe formuliert Jacobi dieses Verhältnis des Ganzen und der Teile folgendermaßen: „[...] so ist auch das Wesen des Weltalls im Unendlichen Eins, und nicht weniger in jedem der einzelnen Dinge, welche von uns als Theile desselben angesehen werden, gegenwärtig; so daß in der That das Ganze und jeder Theil, der Substanz nach, nur Eins ist“'*®. Das Ganze ist nur dann eine organische Einheit, wenn das Wesen des Ganzen nicht nur im Ganzen weilt, sondern auch jeden Teil belebt und bewegt. Kant hat in der Kritik der Urteilskraft (1790) diese Problematik eingehend behandelt, um einen „Naturzweck“, d. h. ein Ding, das sich zu sich selbst wechselseitig sowohl Ursache als auch Wirkung verhält, zu erklären. Ein organisches Wesen ist nach Kant eben ein Naturzweck, dessen Teile „sich dadurch zur Einheit eines Ganzen verbinden, daß sie von einander wechselseitig Ursache und Wirkung ihrer Form sind. Denn auf solche Weise ist es allein möglich, daß umgekehrt (wechselseitig) die Idee des Ganzen wiederum die Form und Verbindung aller Teile bestimme““*^. Jeder Teil ist also im organischen Wesen ebenso der Zweck des Ganzen, wie er zugleich als ein Mittel (als ein die anderen Teile hervorbringendes Organ) um der anderen und des Ganzen willen existierU*. Dieses Verhältnis läßt sich durch das Beispiel zutreffend erläutern, das Kant angibt und auch Hegel aufnimmt: Ein Baum und dessen Blätter erhalten sich dadurch, daß sie sich gegenseitig erhalten. Auch am Prolog des Johannes-Evangeliums: „Im Anfang war der Logos, der Logos war bei Gott, und Gott war der Logos; in ihm war Leben“ (N 306) ersieht Hegel einen Ausdruck des „Göttlichen“, d. h. des „Seienden“. Jene Sätze des Prologs sind zwar, wie Hegel einräumt, die thetische Sätze der „Reflexionssprache“. Die Reflexion kann nur eine Seite des Gan-

■*5 Vgl. Jacobi, II, 209, 254, 259, zum folgenden 209 f. -»e Jacobi, IV/2, 39. Kant: Kritik der Urteilskraft. Hrsg. v. K. Vorländer. Hamburg 1974 (Nachdruck v. 1924). 236 (§ 65), zum folgenden 233f (§ 64). Vgl. M. Baum: Zur Vorgeschichte des Hegelschen Unendlichkeitsbegriffs. In: Hegel-Studien 11 (1976). 96. Vgl. Aristoteles: Metaphysik. Z. 1035, b20.

1. Die neue Begründung der Religion

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zen abheben und zum Ausdruck bringen (vgl. den Ausdruck: „war“). Aber Hegel fordert, diese Mitteilung mit dem „eigenen tiefen Geist“ zu fassen, nämlich darauf zu achten, daß das Göttliche dort in zweifachem Sinne ausgedrückt sei: „einmal als das Einige, in dem keine Teilung, Entgegensetzung ist, und zugleich mit der Möglichkeit der Trennung, der unendlichen Teilung des Einigen; Gott und Logos sind nur insofern verschieden, als jener der Stoff in der Form des Logos ist; der Logos selbst ist bei Gott, sie sind Eins. Die Mannigfaltigkeit, die Unendlichkeit des Wirklichen ist die unendliche Teilung als wirklich, alles ist durch den Logos“ (N 306f)49. Gott ist also das Einige, und zwar das Einige, das „die Möglichkeit“ der Trennung bzw. des Logos impliziert. Der Logos ist also nicht einfach von Gott getrennt, sondern „unendlich“ davon unterschieden, d. h. im Wesen Gott gleich. Auch das Wirkliche, in das der Logos geteilt wird, ist nicht bloß etwas Beschränktes, etwas Totes, sondern das durch den Logos Belebte. Ein Teil ist also nicht einfachhin den anderen Teilen entgegengesetzt, sondern in ihm selbst ist zugleich das Leben des Ganzen gegenwärtig; er ist „ein Zweig des unendlichen Lebensbaumes“ (N 307). Dadurch daß dieses Leben (die fcoij) reflektiert, d. h. begrifflich erfaßt wird, muß es freilich beschränkt werden. Aber Hegel will das Bewußtsein, das das Leben zwar nur beschränkt erfaßt, aber das Einige als solches „fühlt“, als das (Licht) auszeichnen; dieses ipcoc ermöglicht die Offenbarung der Wahrheit (vgl. N 307)50. Hegel entfaltet nun diesen Begriff des Lebens als des Unendlichen mit den metaphysischen und religionsphilosophischen Implikationen im Zusammenhang seiner Konzeption einer „schönen“ Religion: Dieses Unendliche ist „das Göttliche“, auf das Hegel die „schöne“ Religion zu gründen sucht. Er entwirft diese Religion folgendermaßen: „Die Vollendung des Glaubens, die Rückkehr zur Gottheit, aus der der Mensch geboren ist, schließt den Zirkel seiner Entwicklung. Alles lebt in der Gottheit, alle Lebendigen sind ihre Kinder, aber das Kind trägt die Einigkeit, den Zusammenhang, den Einklang in die ganze Harmonie unzerstört, aber unentwickelt in sich“ (N 318). Der Mensch befindet sich also zunächst im sich entzweiten Leben, nämlich in der Welt der Reflexion. Die Reflexion

Hegel verwendet hier offensichtlich Kants Begriff der Möglichkeit und der Wirklichkeit in der Kritik der Urteilskraft. Kant hat dort erklärt, daß die Unterscheidung der Möglichkeit von der Wirklichkeit der Dinge dem menschlichen Verstände unumgänglich notwendig sei. Kant hat zugleich die Auffassung vertreten, daß der Begriff eines unbedingt notwendig existierenden Wesens, an dem Möglichkeit und Wirklichkeit in keiner Weise unterschieden würden, eine unentbehrliche Vernunftidee sei; vgl. Kant: Kritik der Urteilskraft. 267f (§ 76). 5“ Vgl. Peperzak, a. a. O., 177 f; H. Marcuse: Hegels Ontologie und die Theorie der Geschichtlichkeit. Frankfurt a. M. 1968. 231 ff.

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II. Philosophie und Religion

setzt dem Gedanken die Wirklichkeit, dem Unendlichen das Endliche, dem fremden Gott den endlichen Menschen entgegen. Sie faßt das Lehen als einen „toten“ Zusammenhang auf. Der Mensch ahnt jedoch seinen UtSprung, er fühlt die ursprüngliche Einheit, das ursprüngliche Einssein, von dem er eigentlich herkommt. Dieses Gefühl regt den Menschen zu det Rückkehr zur Gottheit an (vgl. Platons Phaidros). Die Religion ist nach Hegel nichts anderes als dieser Zirkel. Bemerkenswert ist, daß Hegel däbel die Trennung nicht bloß als die Beschränkung, sondern als die notwendige Entwicklung ansieht, da die Religion nach seiner Auffassung gerade die Wiederherstellung des Ganzen ist (vgl. o. S. 87). Diese Vollendung des Glaubens, in der der Mensch die Gottheit erkennt und sich selbst (und die ursprüngliche Einheit) wiederfindet, bildet eine Gemeinde der lebendigeil Geister. Hegel bezeichnet diesen lebendigen und „schönen“ Bund als ,Reich Gottes“. Er versteht es nicht länger als Reich der Tugend im Sitirie Kants, sondern als das, was das Ganze der Religion vollendet und umfaßt (vgl. N 321).

2. Schellings Begriff des Lebens

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2. SCHELLINGS BEGRIFF DES LEBENS Wie wir gesehen haben, versuchte Hegel angeregt durch die Diskussion fies Frankfurter Freundeskreises eine ideale, „schöne“ Religion auf das lieben als Göttliches zu gründen. Der Begriff des Lebens war auch für ßchelling zentral, der mit seinen Frankfurter Freunden keinen direkten JContakt mehr gehalten zu haben scheint. Ausgehend von der Konzeption piner Naturphilosophie entwickelte er diesen Begriff, indem er sich einerseits mit der Transzendentalphilosophie, andererseits mit den Ergebnissen der im Aufschwung befindlichen Naturwissenschaften auseinandersetzte, Hegel hatte sicherlich erhebliches Interesse an der philosophischen Tätige keit Schellings — vielleicht mit „verschwiegenem Wetteifer“, wie Rosen= kranz vermutet — obwohl lange Zeit kein brieflicher Kontakt bestand. Rosenkranz berichtet mit Bezug auf die Buchhändlerrechnungen, daß Hegel in seinen Frankfurter Jahren vornehmlich Schellings Schriften neben den griechischen Klassiker (wie Platon und Sextus Empiricus) kaufte (Rog JOO). Es ist freilich eine andere Frage, ob Hegel Schellings Entwicklung der Naturphilosophie in sein Denken eingearbeitet hat, Haering lehnte diese Annahme ab^. Aber Hegels Weiterentwicklung des Lebensbegriffs irp „Systemfragment“ von 1800, auf die wir uns in einem folgenden Abschnitt JI/3 einlassen, verrät deutlich eine Bezugnahme auf Sehelling.

a) Der Ansatz zur Naturphilosophie und der Lebensbegriff Per Begriff des Lebens erlangt bei Sehelling Bedeutsamkeit in der ersten Jfpnzeption einer Naturphilosophie in den Abhandlungen zur Erklärung 4es Idealismus der Wissenschaftslehre^. Schellings erneute Auseinanderletzung mit Fichte in dieser Schrift gab ihm Anlaß zur Konzeption der Naturphilosophie. Fichte, der vom Jahr 1797 an die Herausgabe des Philosophischen Journals Niethammers mit übernahm, veröffentlichte im ersten ffeft des Bandes V dieser Zeitschrift die Erste Einleitung in die WissenSgji^ftslehre. Er versucht am Anfang dieser Einleitung die Aufgabe dep

1 Vgl. Haering, a. a. O., 556f; vgl. auch Lukäcs: Der junge Hegel Bd. 1. 347; Kondylis: f>ig Entstehung der Dialektik. 5TJ. ^ ä Diese Schrift erschien zunächst im Philosophischen Journal (von Bd. V, Heft 1 bis Bd. VIJ, Heft ¥) im Zeitraum zwischen ungefähr Januar und Oktober 1797 unter dem Titel Allgemeirt^ phgrsicht der neuesten philosophischen Literatur. Der oben genannte Titel stammt aus dw gleiten Auflage (1809).

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II. Philosophie und Religion

Philosophie zu bestimmen: Die Vorstellung ist nach seiner Meinung von dem „Gefühl der Notwendigkeit“ begleitet, weil sie mit der von ihr unabhängig bestehenden Wahrheit (ihrem „Muster“) übereinstimmen soll. Fichte sieht die Aufgabe der Philosophie darin, den Grund dieses Gefühls der Notwendigkeit und den Grund des Systems der Vorstellungen (den Grund aller Erfahrungen) zu erklären (vgl. FW I, 422f). Im Anschluß an diese Bestimmung der Aufgabe der Philosophie fragt Schelling in der zweiten Abhandlung (Phil. Jour., Bd. V, Heft 3), wie und warum die Identität der Vorstellung und des Gegenstandes möglich sei, auf der die Realität des gesamten Wissens des Menschen beruhe (vgl. SW I, 365). Die absolute Identität der Vorstellung und des Gegenstandes oder des Subjekts und des Objekts ist nach Schelling nur in der Selbstanschauung des Ich möglich, weil in dieser Anschauung das Anschauende zugleich das Angeschaute ist. Um dieses für sich seiende Ich, das als „Geist“ bezeichnet wird, zu erklären, nimmt Schelling Fichtes Begriff des „Handelns“ auf — was ein Ansatzpunkt von Schellings Naturphilosophie wird. Für Fichte war die Intelligenz der höchste Erklärungsgrund der (bestimmten) Vorstellungen. Da diese Intelligenz als eine Anschauung nur tätig und absolut, nicht leidend sei oder da ihr kein Sein, kein Bestehen, zukomme, deklarierte Fichte sie als ein „Tun“ oder als ein „Handeln“ (FW I, 440)^. Schelling sieht das Wesen des Geistes eben in dem „Handeln“. Allerdings deutet er diesen Fichteschen Begriff um. „Ein ewiges Werden“, d. h. daß der Geist, der nicht ursprünglich Objekt ist, sondern absolutes Subjekt ist, durch sich selbst Objekt (d. h. endlich) wird, um sich selbst anzuschauen, markiert Schelling als das „Handeln“ (vgl. SW I, 367). Der Geist erlangt durch dieses Werden und durch die Anschauung dieses zu einem Objekt gewordenen Selbst die absolute Identität des Subjekts und des Objekts. In der dritten Abhandlung (Phil. Jour., Bd. VI, Heft 1/2) entwickelt Schelling diesen Denkansatz weiter. Der Geist ist Schellings Auffassung zufolge unendlich bestrebt, sich selbst anzuschauen; den Gang dieses fortschreitenden Bestrebens begleitet eine progressive Sich-Produktion des Geistes. Der Geist hat also eine Geschichte seiner Handlungen, d. h. eine Geschichte seiner produktiven Tätigkeit und seiner Anschauung der Produkte: „Die Geschichte des menschlichen Geistes also wird nichts anderes seyn als die Geschichte der verschiedenen Zustände, durch welche hindurch er allmählich zur Anschauung seiner selbst, zum reinen Selbstbewußtseyn, gelangt“ (SW I, 382). Der Geist setzt sein Streben bis dahin fort, wo er sich selbst in seiner absoluten Tätigkeit anschaut, d. h. sich selbst nicht bloß als ein Produkt, sondern als das produzierende Ich selbst ergreift. 5 Hier bezieht sich Fichte auf seinen Begriff der Tathandlung, den er in der Schrift Grundlage. .. entwickelte (vgl. FW I, 96).

2. Schellings Begriff des Lebens

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So arbeitet Schelling Fichtes Begriff des Handelns um. Schelling spricht den Handlungen des Geistes einen geschichtlichen, progressiven Charakter zu. Er vertritt auch diese weiterbearbeitete Auffassung des Ich offensichtlich unter dem Anstoß Fichtes. Fichte rief in der Grundlage der gesummten Wissenschaftslehre aus: Die Wissenschaftslehre solle „eine pragmatische Geschichte des menschlichen Geistes“ (FW I, 222) sein. Er hat nämlich im theoretischen Teil der Wissenschaftslehre damit angefangen, die Widersprüche des zunächst problematisch aufgestellten Grundsatzes: „Das Ich setzt sich als bestimmt durch das Nicht-Ich“ aufzuheben. Fichte hat diese Aufgabe zu lösen versucht, indem er alles Undenkbare eliminiert, bis er endlich die einzige Möglichkeit auffindet (vgl. FW I, 219). Er gesteht also ein, daß er es bis dahin nur mit den „künstlich“ hervorgebrachten Denkmöglichkeiten zu tun gehabt habe. Aber jetzt beginnt eine neue Reihe der Reflexion, die auf einer ganz anderen Stufe steht: Da der oben genannte Grundsatz nun (als eine einzig übrigbleibende Denkmöglichkeit) wahr sei, „ist das Aufgestellte zugleich ein ursprünglich in unserem Geiste vorkommendes Factum“ (FW I, 219). Fichte zieht nämlich die Folgerung, daß dem Aufgestellten nun das im Geist des Menschen ursprünglich, unabhängig von der Reflexion Vorhandene entsprechen müsse. Die (höhere) Reflexion befaßt sich von nun an nicht bloß mit Hypothesen (Produktion des Reflektierenden), sondern mit dem „Factum“, dem die „Realität“ zugeschrieben ist; die Wissenschaftslehre läßt sich jetzt auf die Aufgabe ein, die Weise aufzuzeigen, wie das Ich dieses Faktum in sich setzt, modifiziert und bestimmt (vgl. FW I, 221 f)“*. In diesem Sinne soll die Wissenschaftslehre eine pragmatische Geschichte des menschlichen Geistes sein. Was heißt dann, daß die Wissenschaftslehre eine Geschichte sei? Fichte versucht die Ansicht geltend zu machen, daß das Faktum des zu betrachtenden Ich durch die Einbildungskraft hervorgebracht werde; und zwar bestimmt er diese Tätigkeit des Ich als eine unbewußte Produktion (vgl. FW I, 230)5. Die Einbildungskraft produziert alle Realität; aber sie wird sich ihrer Tätigkeit in dieser Produktion nicht bewußt. Diese Produktion ist also ein Sachverhalt nicht für das Ich, sondern „für uns“®. Diese unbewußte Produktion zu reflektieren, zum Bewußtsein zu erheben, ist die Aufgabe der neuen Reflexionsreihe. Die Wissenschaftslehre soll nun erweisen, „daß auf jene Handlung der Einbildungskraft die Möglichkeit unseres Bewußtseyns, unseres Lebens, unseres Seyns für uns, d. h. unseres Seyns, als Ich, sich gründet“ (FW I, 227). Der Gang dieser Erhebung der

* Vgl. U. Claesges: Geschichte des Selbstbewußtseins. Den Haag 1974. 92ff. 5 Vgl. Claesges, a. a. O., 94f. * Die Unterscheidung zwischen „für es“ und „für uns“ spielt auch in Hegels Phänomenologie eine entscheidende Rolle.

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II. Philosophie und Religion

unbewußten Tätigkeit zum Bewußtsein und dieses Erweises der Möglichkeit des Bewußtseins ist gerade die Geschichte oder die Wissenschaftslehre selbst. Zu beachten ist dabei, daß die Wissenschaftslehre sich auf der „experimentierenden Wahrnehmung“ aufbaut; sie ist ein Versuch, die Begebenheiten (Faktum) zu bearbeiten, sie zu ordnen und die Möglichkeit des Bewußtseins zu erklären (vgl. FW I, 222, auch 73ff, 454). Die Geschichte heißt also bei Fichte ein geordneter Zusammenhang, während Schelling — wie wir unten sehen — diesen Begriff modifiziert und die Geschichte als eine Selbstproduktion des Geistes versteht^. Auf diese Weise versuchte Fichte die Möglichkeit des Bewußtseins als eine Geschichte darzustellen, welche mit der unbewußten Produktion der Einbildungskraft beginnt. Schelling baut den Begriff des Handelns mit dieser Lehre der transzendentalphilosophischen Geschichte des Bewußtseins aus. Er wertet hierbei nicht zuletzt die Ansicht Fichtes auf, daß das NichtIch, das dem anschauenden Ich entgegengesetzt werde, ein Produkt der unbewußten Tätigkeit der produktiven Einbildungskraft sei (vgl. FWI, 218, 230). Der Geist schaut nach Schelling ein Objekt an, das der Geist selbst dargestellt hat, produziert hat, d. h. also seine „eigene, sich entwickelnde Natur“ (SW I, 383). Es ist Kants Kritik der Urteilskraft, die neben Fichtes Lehre diesen Denkansatz Schellings entscheidend bestimmte. Schelling bezeichnet den Geist, der „für sich“ ist und sich als ein Objekt anschaut, in Anlehnung an Kant als „eine sich selbst organisierende Natur“Der Geist ist ein absolut zweckmäßiges Wesen, das sich nach einem inneren Prinzip bildet. Er ist durch sich selbst zur Endlichkeit bestimmt. Diese Endlichkeit (die „eigene Natur“ des Geistes) ist nicht nur ein Produkt, sondern der Zweck der Produktion (der Selbstanschauung) des Geistes. Der anschauende Geist und das Produkt sind also wechselseitig Ursache und Wirkung (vgl. Kants Begriff des ,Naturzwecks‘). So versteht Schelling den Geist als ein in sich vollendendes Wesen, das die Endlichkeit als sein eigenes Produkt hervorbringt. Dies besagt aber nicht, daß der Geist von Anfang an in dem Produkt „seine eigene Natur“ anschaue. Der Geist erfaßt sich zunächst nicht als ein sich selbst organisierendes Wesen, sondern produziert sich nur unbewußt. Auf der Stufe dieser unbewußten Handlung erscheint das Produkt dem Geist nur äußerlich, als organisierte Materie, d. h. als Natur (vgl. SW I, 388). Wenn man den Geist, diesen Anfang des Geistes, begreifen will. ’ Claesges interpretiert die .Geschichte' Fichtes zweifach: einmal als den Ablauf der Ereignisse („res gestae“), zum anderen als die Darstellung dieser Ereignisse („historia rerum gestarum“). Vgl. Claesges, a. a. O., 13, 96. Nach Fichte aber entsteht die .Geschichte', erst indem der Reflektierende die Begebenheiten bearbeitet und sie in einen Zusammenhang bringt, wie wir oben gesehen haben. ® SW I, 386. Vgl. Kant: Kritik der Urteilskraft. 235ff (§ 65).

2. Schellings Begriff des Lebens

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ist es unbedingt nötig, sich dieser Natur als sichtbarem Produkt des Geistes zuzuwenden und sie zu untersuchen: „Die äußere Welt liegt vor uns aufgeschlagen, um in ihr die Geschichte unseres Geistes wieder zu finden“ (SW I, 383). Nur durch die Erforschung der Natur kann man einen Zugang zu den ersten Stufen des Geistes finden. Wir erkennen hieran deutlich die Entstehung der Naturphilosophie Schellings. Er hat in die Transzendentalphilosophie eine Naturphilosophie eingebaut, indem er Fichtes Lehre der unbewußten Produktion anwendet und modifiziert. Die Geschichte des Selbstbewußtseins schließt jetzt die Betrachtung der Natur ein. Ein Mißverständnis ist zu vermeiden: In den Abhandlungen beabsichtigt Schelling überhaupt nicht, der Transzendentalphilosophie die Naturphilosophie entgegenzusetzen®. Die Naturbetrachtung soll die Geschichte des Selbstbewußtseins und dessen Wesen als eine sich selbst organisierende Natur erschließen. Allerdings geht Schelling insofern über Fichtes Theorie der transzendentalphilosophischen Deduktion des Bewußtseins hinaus, als er unter dem Produkt der unbewußten Tätigkeit des Ich die Natur, die äußere Welt, versteht und auf die Betrachtung der Natur Gewicht legt. Nun führt Schelling fort: Ist der Geist bestrebt, sich selbst zu organisieren und anzuschauen und ist die natürliche Welt ein Produkt des Geistes, so muß sich dieses Bestreben des Geistes, die Tendenz zur Organisation, in der Außenwelt offenbaren (vgl. SW I, 386). Es liegt nahe, daß Schelling hier an Herder anknüpft: Er sieht in der Natur einen Trieb, das „Urbild“ (das Prinzip der Organisation des Geistes) auszudrücken i®. Die Natur bildet sich durch ihre eigene „produktive Kraft“ zur absoluten Zweckmäßigkeit aus. Diese produktive Kraft der Natur ist aber eigentlich die Kraft des Geistes“; also ist die Natur nicht durch sich selbst wirklich, sondern nur als Produkt des Geistes. Leben heißt in dieser Schellingschen Konzeption der Naturphilosophie eben der Organismus (oder die „Organisation“), der sich aus dem inneren Prinzip als Ausdruck des Prinzips des Geistes kon-

5 K Schillings Auffassung, daß die Philosophie bei Schelling nicht in erster Linie Transzendentalphilosophie, sondern Anschauung der Seele als Natur sei, verfehlt m. E. Schellings Intention, wenn seine Interpretation die Schrift Abhandlungen betrifft (vgl. Natur und Wahrheit. München 1934.93). W. Wieland deutet Schellings Begriff der Natur in dieser Schrift als „Inbegriff der das Ich ermöglichenden Bedingungen“, die erfüllt sein müßten, wenn ein Selbstbewußtsein entstehen solle. Er geht dabei über den Bezug dieses Begriffs zur Fichteschen Lehre der unbewußten Produktion und Kants Idee des Naturzwecks hinweg (Die Ansätze der Philosophie Schellings und die Frage nach der Natur. In: Natur und Geschichte. Karl Löwith zum 70. Geburtstag. Stuttgart/Berlin 1967. 421. 1° Schelling lehnt sich hier an die Auffassung Herders an, daß alle Organisationen Ausdruck der Gottheit als ,Einer Kraft“ seien; Herder: Gott. Werke XVI 543f. ” Vgl. Herder, a. a. O., 569: „Jede Organisation ist nichts als ein System lebendiger Kräfte, die nach ewigen Regeln der Weisheit, Güte und Schönheit einer Hauptkraft dienen“; vgl. auch 542 ff.

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II. Philosophie und Religion

struiert. In dieser Hinsich nennt Schelling das Leben „das sichtbare Analogon des geistigen Seyns“i2. Die Vermutung legt sich auch nahe, daß Schelling diesen Begriff des Lebens unter dem Einfluß der Herderschen LeibnizAuffassung weiterentfaltet. Herder hat mit Leibniz eingeräumt, daß die Kraft der Natur in beschränkter, differenzierter Weise erscheint, daß die Natur eine Entwicklung aus der schlafenden Fähigkeit zur tätigen, lebendigen Kraft ist oder eine „innige Vermehrung und Verschönerung der Kräfte“ bedeutet^^. Im Anschluß an diese Auffassung findet Schelling in der Natur eine Stufenfolge der Organisation oder des Lebens, d. h. den „Übergang von der unbelebten zur belebten Natur“ (SW I, 387). Unter diesem naturphilosophischen Anstoß feiert er jetzt Leibniz’ Theorie, obwohl er bis dahin Leibniz scharf kritisiert hat^'^. Er legt jetzt die Organisation als eine vereinigte Welt (eine Monade) aus. Die Organisationen sind durch die Grade der Deutlichkeit (oder der Verworrenheit) der Vorstellung voneinander verschieden und machen eine Stufenfolge aus^^. Das Leben wird durch seine produktive, sich organisierende Kraft als Abdruck des Prinzips des Geistes angeregt, sich durch diese Stufenfolge hindurch zur vollen Freiheit zu entwickeln, d. h. zur reinen Selbstanschauung des Geistes. Es kann also festgestellt werden, daß sich Schellings Wendung zum Lebensbegriff im Zusammenhang mit der Entstehung der Naturphilosophie vollzogen hat. b) Individualität und Leben Neben den Beiträgen für das Philosophische Journal hat Schelling zu Ostern 1797 die Ideen zu einer Philosophie der Natur veröffentlicht. In dieser Schrift legt Schelling seinen Standpunkt der Naturbetrachtung

*2 sw I. 388. Vgl. lacobi: David Hume. Werke. II, 211. 13 Herder, a. a. O., 568, 570. !■* In dem Brief an Obereit vom 12. März 1796 bemängelte Schelling an Leibniz vom Standpunkt des Spinozismus her, Leibniz habe das Absolute zu einem bloßen Wesen der Abstraktion gemacht und Gott als ein Wesen außer allen Wesen betrachtet (vgl. BuD II, 85). Im Gegensatz dazu schreibt er in den Abhandlungen, daß die Zeit, Leibniz zu verstehen, gekommen sei (vgl. SW I, 443). Schelling gesteht später in Zur Geschichte der neueren Philosophie zu, daß seine Naturphilosophie ihren Ursprung in Leibniz’ Ansatz habe, in dem Leibniz die Natur in der notwendigen Stufenfolge ihres „Zu-sich-selbst-Kommens“ betrachtet habe (vgl. SWX, 54). Neben Herders Gott dürfte wohl Jacobis Bezugnahme auf Leibniz in David Hume und in der Beilage VI der Spinozabriefe ein Anstoß zur Schellingschen Zuwendung zu Leibniz’ Philosophie gewesen sein (vgl. facobi, II, 237, 248; IV/2, 97ff usw.; SW 1, 396, 406; II, 37, 52. Vgl. auch u. S. 101). 13 Vgl. SW I, 387; s. ferner Leibniz: Monadologie. Übers, v. A. Buchenau. Hamburg 1956. 52f (§ 60).

2. Schellings Begriff des Lebens

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dar; und er entwickelt in diesem Zusammenhang den Lebensbegriff, indem er sich ausdrücklich an Leibniz anschließt. Schelling verurteilt zu Beginn dieser Schrift das verstandesgemäße Denken, welches das Ich von seiner Welt trennt und es ihr entgegensetzt. Er bezeichnet in der ersten Auflage der Ideen dieses Denken als die „Spekulation“; in der zweiten Auflage (1803) ersetzt er diese Bezeichnung durch die „Reflexion“ Die Spekulation ist eine Tätigkeit, zu trennen, was an sich nie getrennt ist und was in der Anschauung als höchstem Erkenntnisvermögen vereinigt ist. Das spekulative Denken kann nicht die Wirklichkeit als solche erfassen, sondern es erklärt die Natur als eine durch die Grundkräfte der Materie bestimmte Welt. Diese Kräfte, nämlich „Anziehungs-“ und „Zurückstoßungskraft“i^, sind bloß die Begriffe des Verstandes und können kein Gegenstand der Anschauung sein. Die Spekulation gerät dadurch in eine wesentliche Täuschung, daß sie die Trennung bloß in Gedanken (die Bestimmung durch jene Grundkräfte) als die in der Sache selbst ansieht (vgl. SW II, 192, 194, 228). In dieser Hinsicht ist die Spekulation eine „Geisteskrankheit“ (SW II, 13) . Der Mensch verliert die Grundlage seiner Existenz, denn die ursp liche Einigkeit mit der Natur wird hier zugrunde gerichtet. Die Naturbetrachtung soll nach Schellings Ansicht nicht auf dieses spekulative Denken aufbauen. Die Möglichkeit der Natur, nach der die Philosophie eigentlich fragt, wird nicht durch jene Grundkräfte erschlossen. Dies bedeutet aber nicht sogleich, daß das verstandesgemäße Denken in der Naturphilosophie entbehrlich sei. Schelling hebt das Bedürfnis nach der „gesunden“ (nach der 2. Aufl. „wahren“) Philosophie hervor, die die Spekulation nicht als Zweck, sondern bloß als „Mittel“ betrachtet (SW II, 14) . Die Philosophie geht von der ursprünglichen Trennung des V des aus; diese Trennung ist deshalb ursprünglich, weil die Identität der Vorstellung und des Gegenstandes schon dann aufgehoben wird, wenn man nach der Möglichkeit der Vorstellung der äußeren Dinge in uns fragt. Das Bedürfnis, zu philosophieren, entspringt eben aus dieser Trennung^*. Es handelt sich bei der „gesunden“ Philosophie darum, diese Trennung aufzuheben und wieder zu vereinigen, was eigentlich vereinigt war. So artikuliert

Vgl. Schelling: Ideen zu einer Philosophie der Natur. Leipzig 1797. XVII, XVIII usw. (SW II, 13, 14 usw.). Zur Problematik der Wandlung des Begriffspaares .Spekulation“ und .Reflexion“ in den beiden Auflagen und zu der Frage, ob und wie Schelling von Hegel zu diesem Wandel angeregt wurde, vgl. Düsing: Spekulation und Reflexion. In: Hegel-Studien, 5 (1969). 95—127. Vgl. auch u. S. 145, 168. Schelling eignet sich diese Begriffe offensichtlich aus Kants Metaphysische Anfangsgründe der Naturwissenschaft an; vgl. Gesammelte Schriften (Akademie-Ausgabe). Bd. IV, 498, 508ff. Vgl. Hegel: Differenz des Fichteschen und Schellingschen Systems der Philosophie: GW 4. 14 f. Zur Interpretation dieser Stelle s. u. S. 150 f.

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II. Philosophie und Religion

Schelling seine Grundeinstellung: „die Naturwissenschaft selbst erst philosophisch entstehen zu lassen“ (SW II, 6). Die Naturphilosophie soll das, was die Naturwissenschaften aus der Natur als Welterscheinungen herausgelesen haben, auslegen und die Natur in ihrem wirklichen Verhältnis erfassen. Schelling legt dieser Einstellung jene Auffassung zugrunde, die er in der Schrift Abhandlungen entfaltet: Die Natur sei ursprünglich ein Produkt der unbewußten Tätigkeit des Geistes^®. Es fällt an den Ideen auf, daß Schelling jene Tendenz des Geistes zur Organisation als den ursprünglichen Streit der „ahsolut-entgegengesetzten, wechselseitig sich beschränkenden Tätigkeit“ im Geist versteht, deren Herleitung selbst wir jedoch nicht real begreifen können (vgl. SW II, 219ff). Aus diesem Streit schafft der Geist eine objektive Welt. Der Zusammenstoß der entzweiten physischen Kräfte in der objektiven Welt, d. h. der der „anziehenden“ und der „zurückstoßenden“ Kraft, ist der „Spiegel“ jenes Streites im Geist. Der Grund aller Realität, die der Materie zukommt, liegt in dieser Hinsicht in der ursprünglichen Tätigkeit der Produktion des Geistes. Die Natur in diesem wirklichen Verhältnis zu erfassen, ist gerade das Ziel der Naturphilosophie. In diesem Zusammenhang greift Schelling die Thematik der Individualität auf. Nur im Begriff der Individualität, den er im Kontext der Leibnizischen Philosophie versteht, kann man nach Schellings Meinung die ursprüngliche Identität des Ich und der Welt finden. Leibniz hat die Frage der Entsprechung der äußeren Dinge mit ihren Begriffen so geklärt: Gott habe die Seele in der Weise geschaffen, daß ihr alles aus ihrem eigenen Grunde emporquelle, kraft einer vollkommenen Selbsttätigkeit, die dennoch in steter Entsprechung zu den Außendingen verbleibe^®. Schelling deutet diese Lehre der Parallelität der Vorstellung und der äußeren Dinge so um: „Äußere Dinge waren nicht wirklich an sich selbst, sondern nur wirklich — geworden durch die Vorstellungsweise geistiger Naturen“ (SWII, 38). Die gesamte Sukzession der Vorstellungen und die Realität der äußeren Dinge gehören nämlich nach Schelling zur Natur des Geistes als vorstehenden, individuellen Wesens, anders ausgedrückt, erst aus der „Natur eines Individuums“ entwickelt sich alles, was real heißt. Das System der

Wieland sieht m. E. diese Schellingsche Position nicht richtig, wenn er schreibt, daß Schelling in den Ideen die Selbstgewißheit des Selbstbewußtseins (des Geistes) in Zweifel ziehe, die er noch in den Abhandlungen vorausgesetzt habe (vgl. Wieland, a. a. O., 422). Schelling erklärt nur, daß die Philosophie als diskursives Denken die Natur nicht in ihrem wahrhaften Zusammenhang zu erfassen vermöge. Vgl. Leibniz: Neues System der Natur und der Gemeinschaft der Substanzen, wie der Vereinigung zwischen Körper und Seele. In: Hauptschriften zur Grundlage der Philosophie. Hrsg. V. E. Cassirer. Hamburg 1966 (3. Aufl.). Bd. II, 267. lacobis Erwägung über diese Lehre Leibniz’ in David Hume war Schelling zweifelsfrei bekannt (vgl. Jacobi, II, 248).

2. Schellings Begriff des Lebens

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Natur ist für Schelling in diesem Sinne zugleich das System des Geistes. So argumentiert er für seine These, daß die Naturphilosophie nichts anderes als „eine Naturlehre unseres Geistes“ (SW II, 39) sei. — Bei dieser Aufwertung des Begriffs der Individualität stützt sich Schelling, wie er selbst eingesteht, auf Jacobis Ansatz. Jacobi hat in der Beilage VI der Spinozabriefe festzustellen versucht, daß „das Principium individuationis unseres Leibniz“ einen entscheidenden Unterschied des Leibnizischen Systems von dem Spinozanischen ausmache. Jacobi hat anhand des Briefes von Leibniz an Bourguet gezeigt, daß Leibniz an der Absicht festhielt, durch die Lehre der Monaden den Spinozismus umzustoßen^i. So wollte Jacobi mit Hilfe des Begriffs der Individualität seine Spinoza-Kritik in der ersten Auflage der Spinozabriefe erneut unterbauen, die in der damaligen philosophischen Welt ein allgemeines Ärgernis erregte und ihm die Abstempelung als Vernunftfeind zutrug. Schellings Hinwendung zum Begriff der Individualität veranlaßte ihn nun zur Betrachtung der Organisation als Individuum. Er forschte (gleich Hegel) in Anlehnung an Kants und Jacobis Analyse diesem Begriff der Organisation nach. Die Organisation ist nämlich ein Wesen, das von sich selbst Ursache und Wirkung ist; ihre Teile sind nur durch das Ganze und das Ganze nur durch die Wechselwirkung der Teile möglich. Die Organisation wird also nicht durch den Mechanismus erklärt, d. h. durch die mechanische Verknüpfung von Ursache und Wirkung. Sie produziert sich selbst und schließt den Grund ihres Daseins in sich ein. Schelling schreibt in dieser Hinsicht der Organisation „die absolute Individualität“ (SW II, 42) zu. Bemerkenswert ist, daß er jenen Grund des Daseins der Organisation unter der Perspektive seiner Leibniz-Auffassung hervorhebt. „Ich kann nicht“, so schreibt Schelling, „anders denken, als daß Leibniz unter der substantiellen Form sich einen den organisierten Wesen inwohnenden regierenden Geist dachte“ (SW II, 46). Für Leibniz ist ein organisches Wesen erst dann möglich, wenn der Körper in Vereinigung mit der herrschenden ,Entelechie‘ tritt, die sich als „ein lebendiger Spiegel des Universums“ auf das Unendliche bezieht und die Unendlichkeit in sich impliziert22. Schelling kennzeichnet in bezug auf diese Ansicht diejenige Organisation als lebendig, der ein höheres Prinzip eigen ist, das alle einzelnen Bewegungen ordnet und das Ganze hervorbringt. Die lebendige Organisation ist also nicht bloß ein Produkt der Natur, sondern in diesem Produkt herrscht ein ordnender Geist (eine „Seele“). Die „absolute Gleichzeitigkeit und Wechselwirkung“ (SW II, 48) dieser beiden Prinzipien ist gerade

21 Vgl./acofti, IV/2, 97ff. 22 Vgl. Leibniz: Monadologie. 54, 56, 58 (§§ 60, 63, 70). Jacobi stellt in David Hunte diese Ansicht Leibniz’ mit Nachdruck heraus (II, 241, 259).

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das Wesen des Lebens. Das Leben wird jedoch in distinkter Weise beschränkt, da jener dem organischen Wesen innewohnende Geist nach Schelling (ebenso wie nach Leibniz) unterschiedlich „verworren“ sein kann. Die Naturphilosophie versucht nun zu begreifen, wie das „allgemeine Leben der Natur in den mannigfaltigsten Formen, in stufenmäßigen Entwicklungen, in allmählichen Annäherungen zur Freiheit sich offenbart“ (SW II, 47). So befaßt sich die Naturphilosophie mit einer Stufenfolge des Lebens in der Natur; sie bemüht sich, zu zeigen, daß die Natur ursprünglich die Gesetze des Geistes ausdrückt und realisiert. c) Weltseele und Leben Schellings Auffassung in der frühesten Konzeption der Naturphilosophie, daß die Natur ein Produkt der unbewußten Tätigkeit des Ich sei, tritt in seiner Schrift Von der Weltseele, eine Hypothese der höheren Physik zur Erklärung des allgemeinen Organismus in den Hintergrund, welche ein Jahr nach den Ideen zu Ostern 1798 erschien. Schelling versucht in dieser Schrift die Möglichkeit der Natur neu zu erldären: Die Natur entsteht durch die Wechselwirkung eines positiven Prinzips, das aller Bewegung den Impuls gibt, und eines negativen Prinzips, das die Wirkungen des positiven Prinzips kontinuierlich beschränkt. Das positive Prinzip offenbart sich erst durch die Restriktion des negativen Prinzips in den Erscheinungen. Das unmittelbare Objekt der „höheren Naturlehre“, die Schelling in der vorliegenden Schrift zu entwickeln sucht, ist dieses positive Prinzip, welches sich hinter den einzelnen Erscheinungen verbirgt und sich daher nur durch die unmittelbare Anschauung erfassen läßt (vgl. SW II, 381f). Es ist zu beachten, daß Schelling die beiden streitenden Prinzipien (oder Kräfte) sowohl im Konflikt, als auch in der Einheit betrachten will (s. u.) und daß er überdies diese Kräfte von einem „organisierenden, die Welt zum System bildenden Prinzip“ (SW II, 381) herleitet. Die Naturphilosophie wird jetzt konzipiert unabhängig von der transzendentalphilosophischen Begründung der Natur als Produkt der unbewußten Tätigkeit des Geistes. Es ist nun „das Eine Naturprinzip“, das die streitenden Kräfte in der Natur (oder das „freie Spiel von Kräften“ ^3) ins Spiel bringt und die Kontinuität der anorganischen so gut wie der organischen Natur unterhält (vgl. SW II, 565ff). Dieses Prinzip ist das Unveränderliche, das „ Ü^pdapTOv “, das nicht als Bestandteil in die Naturerscheinungen oder in den Lebensprozeß eingeht; es setzt vielmehr als eine „gemeinschaftliche Seele der Natur“ die Hegel bestimmt später in der Phänomenologie die Wechselwirkung des „Sollizitierenden' und des „Sollizitierten“ als „das Spiel der Kräfte“ (vgl. GW 9. 86).

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ganze Natur zu einem allgemeinen Organismus zusammen (vgl. SW II, 568f). Anknüpfend an die Denktradition des Platonismus oder des Neuplatonismus will Schelling dieses Prinzip als die Weltseele bezeichnend'^. Einen direkten Anstoß zu diesem Ansatz Schellings hat sicherlich die Diskussion über die Idee der Weltseele zwischen Jacobi und Herder gegeben. Jacobi hat in den Spinozabriefen Lessings Äußerung über die Gottheit berichtet: „Wenn sich Lessing eine persönliche Gottheit vorstellen wollte, so dachte er sie als die Seele des Alls; und das Ganze, nach der Analogie eines organischen Körpers. Diese Seele des Ganzen wäre also, wie es alle andere Seelen, nach allen möglichen Systemen sind, als Seele, nur Effect“ Wir haben bereits gesehen, daß Lessing Jacobi gegenüber die Idee Gottes als eines persönlichen unendlichen Wesens entschieden zurückwies. Es stellt sich von daher die Frage, in welchem Sinne Lessing von einer persönlichen Gottheit sprach. Auch Herder stellte in seiner Schrift Gott diese Frage und folgerte, daß dies für Lessing bloß ein Scherz gewesen sei26. Herder verlangte darüber hinaus bei dem Gebrauch der Idee der ,Weltseele‘ Vorsicht; er hatte dabei einen Versuch der damaligen Zeit (z. B. Wächter) vor Augen, den Gottesbegriff Spinozas mit den dunklen Bildern und Vorstellungen der Kabbala in Verbindung zu bringen. Die Idee der ,Weltseele‘, die „ein menschliches Bild“ sei, könne wohl eine „Katachrese“ des Bildes verursachen^?. Herder sah darin eine Folge des „trüglichen Bildes“, daß Lessing nach Jacobis Darstellung Gott als einen Effekt proklamierte; Herder schloß nämlich, daß insofern man dieser Behauptung folge, Gott ein Effekt der Welt sei, gleichsam eines Leibes. Jacobi kommentiert in einer Anmerkung der zweiten Auflage der Spinozabriefe diese Auslegung: Herder mißverstehe Lessings Begriff der Seele dadurch, daß er die Seele nicht als die Substanz, nicht als die denkende Kraft überhaupt, sondern als die Seele eines bestimmten Leibes denke^®. Jacobi be-

Wenn Schelling von der Idee der Weltseele „der ältesten Philosophie“ spricht, hat er sicherlich Platons Timaios (bes. 34b—37 c) vor Augen, obwohl wir seinen direkten Hinweis auf diese Schrift erst in der zweiten Auflage der Ideen finden (SW II, 180). Vgl. auch Schellings Brief vom 1. 2. 1804 an Windischmann, Übersetzer des Timaios (vgl. BuD III, 46). Es könnte außerdem wohl sein, daß Schelling über Platins Begriff der Weltseele durch D. Tiedemanns Philosophiegeschichte (Geist der spekulativen Philosophie. Bd. III. Marburg 1793. 289,320 u. ö.) unterrichtet war. Zu dieser Problematik vgl. H. Holz: Die Idee der Philosophie bei Schelling. Freiburg/München 1977. 41ff, 73—83. /. Jost schildert in seiner Schrift Die Bedeutung der Weltseele in der Schelling’sehen Philosophie im Vergleich mit der platonischen Lehre (Diss. Bonn 1929. 7ff) die Geschichte des Begriffs der Weltseele in Umrissen. 25 Jacobi, IV/1,751 2« Vgl. Herder, XVI, 527 f. Herder zieht hier Jacobis Anmerkung heran, daß Lessing diese Idee „bald im Scherz, bald im Ernst, auf allerley Fälle“ anwandte (Jacobi, IV/1, 79). 2? Vgl. Herder, XVI, 524, 526f; zum folgenden 526f. 28 Vgl. Jacobi, IV/1, 77f Anm. (2. Aufl. Breslau 1789. 48ff. Anm.).

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II. Philosophie und Religion

schäftigt sich weiter im Bruno-Auszug (Beilage I der Spinozabriefe) mit der Idee der Weltseele. Sie ist als der Verstand des Weltalls die sowohl äußerliche als innerliche Ursache der natürlichen Dinge. Sie ist einerseits die äußerliche, effiziente Ursache, d. h. eine Kraft, die die Natur anweist, wie diese sich organisieren soll, ohne daß sie selbst zu dieser Natur gerechnet wird. Sie ist aber zugleich der innerliche, formale Grund, aus dem alle Dinge hervorgebracht werden. Sie ist ein formaler Teil des Weltalls; sie durchströmt als Form das Hervorzubringende und bildet „Ein Leben“^^. Aus unserer Sicht, Hegels Auseinandersetzung mit der Schellingschen Naturphilosophie zu verfolgen, ist es besonders bedeutsam, daß Schelling in der Natur nicht nur eine allgemeine Duplizität des Positiven und des Negativen findet, sondern er sie darüber hinaus als eine „reelle Entgegensetzung“ auffaßt. Die entgegengesetzten Kräfte treten nicht durch Zufall in eine Relation, sondern sie basieren auf einer ursprünglichen Gleichartigkeit. Sie sind nämlich ursprünglich eine und dieselbe Kraft, die nur in der entgegengesetzten Richtung wirkt; „Wo Erscheinungen sind, sind schon entgegengesetzte Kräfte. Die Naturlehre also setzt als unmittelbares Prinzip eine allgemeine Heterogeneität, und um diese begreifen zu können, eine allgemeine Homogeneität der Materie voraus. Weder das Prinzip absoluter Heterogeneität noch das absolute Homogeneität ist das wahre; die Wahrheit liegt in der Vereinigung beider“^°. Der allgemeine Dualismus in der Natur (das positive und das negative Prinzip) und darausfolgend die „Konflikte“ in den einzelnen Materien lassen sich erst durch ihre ursprüngliche Homogenität zutreffend erklären; und diese Homogenität setzt das Eine Prinzip voraus. Schelling exponiert dieses Eine Prinzip als „das Positive an sich selbst“ oder als das „absolut-Eine“, das sich in der Natur in zahllose Materien ausbreitet (vgl. SW II, 395). Die Mannigfaltigkeit in der Welt entsteht durch die verschiedenen Beschränkungen dieses absolutEinen. Der Konflikt der entgegengesetzten Prinzipien ergibt sich in diesem Sinne nur im Moment der Erscheinung. Er existiert nicht an sich, sondern nur in dieser Entgegensetzung; er hat bloß „eine momentane abgesonderte Existenz“ (SW II, 409). Auf diese Weise erklärt Schelling die Möglichkeit der Natur aus einer Vereinigung der Homogenität und der Heterogenität, d. h. aus der ursprünglichen Gleichartigkeit der entgegengesetzten Kräfte in der Natur. An der Schrift Von der Weltseele mag Schellings Intention auffallen, die anorganische und die organische Natur parallel darzustellen. Wir müsVgl. Jacobi, W/2, 9f, llf. Vgl. auch G. Bruno: Von der Ursache, dem Prinzip und dem Einen. Hrsg. v. P. R. Blum. Übers, v. A. Lasson. Hamburg 1977. 31ff. Schelling: Von der Weltseele. 1. Aufl. Hamburg 1798. 18 (SW II, 390). Schelling ersetzt in der 2. Auflage die Ausdrücke; „Homogeneität“ und „Heterogeneität“ durch „Identität“ und „Duplizität“ („Differenz“), was seine Gedankenentwicklung in seiner Jenaer Zeit widerspiegelt.

2. Schellings Begriff des Lebens

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sen dabei jedoch beachten, daß Schelling versucht, beide aus einem gemeinschaftlichen Prinzip, d. h. aus dem absolut-Einen als Ursache aller Mannigfaltigkeit zu erklären (vgl. SW II, 347, 350). Auch die organische Natur, „das tierische Leben“, muß auf dieses Eine Prinzip hin konstruiert werden. Das Problem, den Grund des Lebens zu erklären, macht sich in dieser Hinsicht als ein Grundproblem geltend. Schelling lehnt in erster Linie den Versuch ab, diesen Grund des Lebens in der („tierischen“) Materie zu suchen. Die Bildung des organischen Wesens läßt sich zwar auf den Assimilations- und den Reproduktionsprozeß zurückführen; aber das Leben selbst, so meint Schelling, ist schon vor diesem Prozeß vorausgesetzt (vgl. SW II, 499). Das Leben ist nicht das Produkt der Materie, sondern die Materie ist umgekehrt das Produkt des Lebens. Schelling stützt sich hier voll und ganz auf Jacobis Ansicht, daß die Dinge die Eigenschaften oder die verschiedenen Ausdrucksweisen des Lebens seien^b Das Mannigfaltige verschafft sich nach Jacobi seine Existenz erst aufgrund der Einheit, nämlich aufgrund der realen Individualität, die das Leben ermöglicht. Schelling folgert in Anknüpfung an diese Ansicht, daß die Erscheinungen aus dem Leben als dem Wesentlichen der Dinge (oder aus dem „Geist“) hervorgingen, daß das Ding gleichsam das Akzidentelle, oder anders gesprochen, die Art des Lebens sei (vgl. SW II, 500). Das Leben hat also seinen Grund nicht in der belebten Materie, sondern außerhalb ihrer, nämlich in dem, was die Materie belebt. Schelling versucht somit das Leben aus einem positiven Prinzip zu erklären, welches seinen Ursprung in jenem ahsolut-Einen hat. — Es ist festzuhalten, daß dieses positive Prinzip nicht mehr (wie in der frühesten Konzeption der Naturphilosophie) in der Tätigkeit des sich selbst produzierenden Ich begründet ist. — Dieses positive Prinzip des Lebens ist jedoch keinem einzelnen Individuum eigentümlich, sondern allen Individuen gemeinsam. Es durchdringt jedes Individuum als „der gemeinschaftliche Athem der Natur“ (SW II, 503; vgl. den Begriff der Weltseele als des „innerlichen, nämlich den formellen Theil des Weltalls“ in Jacobis BrunoAuszug; s. o. S. 104). Schelling mißt dann bei der weiteren Analyse des Grundes des Lebens dem Begriff der Individualisierung eine große Bedeutung bei. Für die Entstehung des Lebens ist es notwendig, daß sich jenes allgemeine positive Prinzip in jedem einzelnen Wesen individualisiert. Diese Individualisierung wird veranlaßt durch das negative Prinzip in den einzelnen lebenden Wesen, welches selbst erst durch das positive Prinzip erweckt wird und dessen Wirkungen kontinuierlich beschränkt. Die Mannigfaltigkeit des Lebens hängt von dem unterschiedlichen Grad der „Rezeptivität“ des einzelnen Wesens ab, d. h. von der Verschiedenheit, die 31

Vgl. SW II, 500; Jacobi: David Hunte. Werke II, 258.

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Wirkungen des positiven Prinzips zu beschränken (vgl. SW II, 503; Schelling greift hier auf seine Leibniz-Auffassung in den Abhandlungen und in den Ideen zurück: vgl. S. 98, 101 f). Auf diese Weise schreibt Schelling der organischen Natur, dem Leben, sowohl die Einheit als auch die Verschiedenheit zu, wie er andererseits der anorganischen Natur Homogenität und Heterogenität zuschreibt: Der Grund des Lebens ist primär in der Einheit des positiven Prinzips in allen Wesen zu suchen; das positive Prinzip individualisiert sich dann der Verschiedenheit des negativen Prinzips entsprechend in den einzelnen Wesen.

3. Das ,Systemfragment“ von 1800: Reflexion und Religion

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3. DAS ,SYSTEMFRAGMENT“ VON 1800; REFLEXION UND RELIGION In dem sogenannten „Systemfragment“ von 1800, also im letzten Jahr von Hegels Frankfurter Aufenthalt, rückt die Thematik von Philosophie und Religion in der Weise ins Zentrum seines Denkens, daß er die Religion kraß gegen die Philosophie abgrenzt. Diese Hegelsche Grundauffassung von Philosophie und Religion im „Systemfragment“ und Schellings Anregung zu dieser Denkentivicklung ist unser Thema in diesem Abschnitt. Von diesem Manuskript sind nun uns nur zwei fragmentarische Bogen erhalten; der zweite ist der Schlußbogen und vom 14. Sep. 1800 datiert. H. Nohl hat diese zwei Bruchteile als „Systemfragment“ bezeichnet. Er hat in Anknüpfung an den Inhalt des Hegelschen Briefs vom 2. Nov. 1800 an Schelling geschlossen, daß die Arbeit, die Hegel am 14. Sep. 1800 beendete, ein „System“ enthalten habe, das Hegel in diesem Brief an Schelling erwähnte (vgl. N 345 Anm.)L Diese Annahme ist jedoch nicht stichhaltig, wenn man auf Hegels Bemerkung achtet, daß er noch im November mit der „Verwandlung“ in ein „System“ beschäftigt sei. Wie wir im folgenden zu zeigen versuchen, handelt es sich in dieser Arbeit Hegels um die Religion, konkreter, um die Religion als ,die Erhebung vom endlichen zum unendlichen Leben“; der Begriff des Lebens, die Erhebung zum unendlichen Leben durch die Religion und die zu verwirklichende Religion müssen ihre Grundthemen ausgemacht haben. Hegel denkt also immer noch in demselben Problemkreis, d. h. er verfolgt nach wie vor das Problem der Idee der idealen Religion und ihrer Verwirklichung. Was am „Systemfragment“ in die Augen fällt, ist Hegels Versuch, seine bisherigen Untersuchungen zusammenzufassen und ihnen überdies eine theoretische Grundlage zu geben. Das heißt einerseits, daß Hegel die Unzugänglichkeit des unendlichen Lebens für die Reflexion nachdrücklich verkündet. Andererseits behauptet er, daß das unendliche Leben die Reflexion oder das endliche Leben in sich schließe. Es ist Hegels Überzeugung, daß die Religion nicht die Abstraktion von der Wirklichkeit oder, anders gesagt, nicht bloß ein göttliches Gefühl sei. In dieser theoretischen Grundlegung der Religion finden wir den Fortschritt, den Hegel im „System-

1 Unter dem Einfluß dieser Auffassung Nohls schrieb z. B. Rosenzweig: „Im September 1800 beendete Hegel eine größere Arbeit, die man seit Dilthey nach zwei erhaltenen Stücken als erste Fassung seines philosophischen Systems anzusehen pflegt“. Vgl. F. Rosenzweig: Hegel und der Staat. München und Berlin 1920. 99. Dagegen vertrat Th. Haering die Auffassung, daß das Fragment keine systematische, methodisch begründete Darstellung biete, wie sie dem System in der späteren Periode entspreche. Vgl. Haering: Hegel. Sein Wollen und sein Werk. 536; vgl. ferner H. Kimmerle: Das Problem der Abgeschlossenheit des Denkens. Bonn 1970. 105.

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II. Philosophie und Religion

fragment“ erzielt hat. Im folgenden soll nun dargelegt werden, daß seine erneute Überlegung über den Lebensbegriff unter dem Einfluß der Schellingschen Naturphilosophie den Anstoß zu diesem Fortschritt gegeben hät^. a) Das durch die Reflexion fixierte Leben Wir haben bereits gesehen, daß in dem Fragment „Die Liebe“ der Begriff des Lebens für Hegels Denken maßgebliche Bedeutung erlangt hat. Hegel hat das Leben als die Liebe oder als die „wahre“ Vereinigung der durPh die Reflexion produzierten Entgegensetzung aufgefaßt. In dem Manuskript „Der Geist des Christentums“ verstand er das Leben als das Unendliche pder als das Göttliche, auf das die „schöne“ Religion gegründet werden soll. Er hat dann mit Jacobi dieses Leben als das unendliche Eins ausgelegt; in diesem Eins ist nicht nur das Ganze, sondern sind die Teile auch wesentlich; das Leben ist sowohl im Ganzen wie auch in den Teilen gegenwärtig; Hegel macht sich nun im ersten der zwei erhaltenen Teile des „Systemfragments“ an die Untersuchung des Lebens als „Organisation“ oder als „Individuum“. Er wurde zur Überlegung über das Leben von diesem neuen Auspekt offensichtlich durch Schellings Naturphilosophie angeregt. Das Leben bedeutete für Schelling primär das Individuum als organisiertes Wesen oder das „tierische“ Leben. Für Hegel stellt sich dies ähnlich dar und er analysiert dieses Leben folgendermaßen; „Es erhellt von selbst, daß dieses Leben, dessen Mannigfaltigkeit nur in Beziehung betrachtet wird, dessen Sein diese Beziehung ist, zugleich auch teils als in sich verschieden, als bloße Vielheit betrachtet werden könne; seine Beziehung ist nicht mehf absolut, als [die] Trennung dieses Bezogenen; teils auch mit der Möglichkeit in Beziehung mit dem von ihm Ausgeschlossenen zu treten gedacht werden müsse“ (N 346). Das Lebendige ist also einerseits ein Individuum, als das in „Beziehung“ Betrachtete, aber zugleich in sich verschieden, mannigfaltig; es ist nämlich ein „organisches Ganzes“ und zugleich seine Glieder; diese beiden Seiten sind in einer Organisation nicht getrennt; Sie schließen einander zwar aus, aber sie stehen zugleich in Verbindung mit dem Ausgeschlossenen. Hegel markiert mit Schelling diese Zusammengehörigkeit von Beziehung und Entgegensetzung oder von Vereinigung und Mannigfaltigkeit in einer Organisation durch den Begriff der ,Individualität*. Die Individualität bedeutet nicht bloß die Einzelheit einer Organisation, sondern sie drückt zugleich die Vielheit und die Einheit des Lebens aus.

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Peperzak und Harris lassen diesen Aspekt völlig außer acht. Vgl. auch o. S. 93.

3. Das ,Systemfragment“ von 1800: Reflexion und Religion

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Schelling versuchte, wie bereits erörtert, die Duplizität in der Natur als die „reelle“ Entgegensetzung geltend zu machen (§. o. S. 104). Die Entgegensetzung besagt nicht etwa bloß den Konflikt, sondern sie ist auch in ihrer Einheit zu betrachten; die entgegengesetzten Kräfte, die man in den Erscheinungen beobachtet, haben das Fundament ihrer Existenz in ihfep ursprünglichen Gleichartigkeit. Der Versuch der Naturlehre, die NatUP oder das Leben in ihrem wahren Zusammenhang aufzufassen, gelingt ep$t durch die Vereinigung der beiden Prinzipien, d. h. durch die der Entgegensetzung und der Gleichartigkeit. Die Wahrheit liegt gerade in dieser Vereinigung. Diese Schellingsche Auffassung des Lebens muß für Hegel der Anstoß gewesen sein, das Leben als Organisation zu analysieren unö es als ein Wesen zu erklären, dem Mannigfaltigkeit und Vereinigung zusammengehören. Allerdings ist auch der Unterschied des Schellingschen und des Hegelschen Ansatzes zu erkennen. Für Schelling heißt die Einheit die ursprüngliche (in den Erscheinungen selbst unerkennbare) Gleichartigkeit („Hpmogenität“) der entgegengesetzten Kräfte oder die Gemeinsehaitlichkeit des positiven Prinzips, das aus dem absolut-Einen entspringt und jedes Individuum durchdringt. Demgegenüber meint Hegel mit der Vereinigung das Ganze einer Organisation, wie es in der Beziehung betrachtet wjrd. Die Mannigfaltigkeit ergibt sich daim nach Schelling aus der Individualisierung des allgemeinen positiven Prinzips. Die Polarität in einem natürlichen Wesen und der Antagonismus im Lebensprozeß existieren dabei nicht an sich, sondern bloß provisorisch; sie haben nur insofern ihre Existenz, als das „Eine Prinzip“ sie kontinuierlich unterhält. Für Hegel bedeutet die Mannigfaltigkeit dagegen die Vielheit eines Lebendigen oder die Glieder einer Organisation; sie ist also nicht wie bei Schelling eine vorübergehende Bestimmung des an sich BestehendenMan pflegt nun die Vielheit und die Einheit nebeneinanderzusetzen, die im Leben zusammengehören und Zusammenhängen. Das heißt: Das Leben^ dige ist einerseits bloß eine Organisation, oder es wird „bloß in Beziehung“ betrachtet, denn jeder Teil ist „sein Sein nur als Vereinigung habend“ (N 346); er hat keine Existenz ohne das Ganze. Aber im Gegenteil kann ein Teil sich nicht behaupten, wenn er den anderen Teilen nicht entgegengesetzt ist. Er wird somit „nur in Entgegensetzung“ betrachtet. So wird klar, daß sich das Lebendige nicht mehr lebendig erfassen läßt, wenn dies© zwei Seiten einander gegenüberstehen. Die Kritiken dieser Nebeneinandersetzung der Vielheit und der Einheit der Organisation ist eine Pointe des „Systemfragments“. Hegel wendet sich hier der Frage zu, worauf diese Ansicht sich begründet, die diese beiden Seiten entgegenstellt, und wie man sie überwinden kann. Er findet das, was hier zugrunde liegt, in der Reflexion. Sie bringt „ihre Begriffe von Beziehung und Trennung, von Einzelnem, für sich Bestehendem, und Allgemeinem, Verbundenem“ (N 346f) in das Leben (als Inbegriff der Lebendigen) hinein. Sie abstrahiert vom Leben und sieht

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darin nur eine mit diesen Begriffen konstruierte, gesetzte Welt, d. h. „ein von der Reflexion ob zwar aufs würdigste behandeltes fixiertes Leben“ (N 347). Unter der Natur versteht Hegel dieses fixierte Leben. Auch Schelling schränkte das Vermögen der Reflexion in gleicher Weise ein. In den Ideen zu einer Philosophie der Natur unterschied er vor allen Dingen seine Position der Naturbetrachtung von der .Spekulation' (in der zweite Auflage: .Reflexion'). Erverurteilte die Spekulation aus zwei Gründen, nämlich weil sie zum einen auf der Trennung zwischen Subjekt und Objekt beruhe und weil sie zum anderen die Natur durch die entgegengesetzten Grundkräfte der Materie erkläre, die Begriffe des Verstandes seien. Schelling schalt dieses Denken insofern eine „Geisteskrankheit“, als es die Trennung der Wirklichkeit durch seine Begriffe als die an sich seiende Trennung ansehe. In der Einleitung zu dem Entwurf eines Systems der Naturphilosophie (1799) wird dieses Denken als die .Reflexion' bezeichnet und (ebenso wie in den Ideen) der Anschauung als oberem Erkenntnisvermögen entgegengesetzt. Schelling versucht in dieser EinleitungdieNatur erneut zu erklären: Die Natur ist ursprünglich die uneingeschränkte Produktivität oder das „Sein selbst“ („natura naturans“). Das einzelne Sein entsteht aus der bestimmten Einschränkung dieser Produktivität. Für die empirische Ansicht ist die Natur bloß der Inbegriff des einzelnen Seins als Produkt („natura naturata''^). Die Naturphilosophie soll dagegen die Natur als die „Identität“ des Produkts und der Produktivität erfassen (vgl. SW III, 283f). Bei dem Übergang der absoluten Produktivität in eine empirische Natur stellt sich nun die „ideelle Unendlichkeit“ als eine empirische Unendlichkeit dar. Die ursprünglich unendliche Reihe als Darstellung der absoluten produktiven Tätigkeit (darunter versteht Schelling vor allem die Zeit) ist für die Anschauung die Evolution dieser Tätigkeit oder die absolute Kontinuität. Sie erscheint aber der Reflexion als die Zusammensetzung der abgesonderten Punkte. Die Reflexion ist nämlich die Tätigkeit, die unendliche Reihe durch die mechanischen Gesetze, durch die „erdichteten Begriffe“ zu erfassen; diese Reihe wird also durch die Reflexion abgesondert, und diese abgesonderten Teile werden dadurch nebeneinandergestellt (vgl. SW III, 285f; s. ferner III, 15). Zusammen mit dieser Parallelität des Hegelschen und des Schellingschen Ansatzes, die Fähigkeit der Reflexion einzuschränken, müssen wir natürlich darauf achten, daß Hegel schon angeregt durch die Diskussion mit seinen Frankfurter Freunden auf diese Frage eingegangen war (s. o. S. 81 f). Sinclair hatte im Zusammenhang mit der Fichte-Kritik der Reflexion nur 3 Schelling lehnt sich mit diesen Begriffen von .natura naturans“ und ,natura naturata“ an Spinoza an. Vgl. Spinoza: Ethica. 132 (I, Prop. 29, Schot); vgl. auch Jacobi, IV/1, 88, 186; IV/2, 76, 140 u. ö.

3. Das ,Systemfragment' von 1800: Reflexion und Religion

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ein begrenztes Vermögen zugesprochen; Sie trenne die ursprüngliche Einheit („Athesis“) und bringe die Entgegensetzung des Subjekts und des Objekts (oder des Ich und des Nicht-Ich) hinein“*. Auch Hegel vertrat schon in seinen frühen Frankfurter Fragmenten diese Auffassung von der Reflexion. Die Reflexion abstrahiert von der Vereinigung und produziert die Entgegensetzungen; die Vereinigung oder das „Sein“ ist für sie ein Objekt, d. h. etwas vom Subjekt Getrenntes (vgl. N 379, 382f). Sie vermag also, wie Hegel im „Geist des Christentums“ sagt, nicht angemessen das Leben, das Göttliche zu erfassen und auszudrücken. Das Leben erscheint ihr als ein Widerspruch: Der lebendige Zusammenhang des Unendlichen und des Endlichen bleiht ihr ein Geheimnis, das mit ihren Begriffen nicht erschöpflich ist (vgl. N 304ff, 308, 310). Im „Systemfragment“ ist nun neu, daß Hegel nicht bloß die Unzugänglichkeit des Lebens für die Reflexion betont, sondern auch die durch die Begriffe der Reflexion konstruierte, gesetzte Welt, d. h. die Natur, zu einem Gegenstand seiner Überlegung macht. So thematisiert Hegel jetzt die Natur. Es wäre aber unzutreffend zu behaupten, daß das „Systemfragment“ eine Naturphilosophie als eine Disziplin des Systems enthielte. Der Begriff der Natur, wie Hegel ihn hier entwickelt, erbringt überhaupt kein Argument für diese Behauptung. Was für Hegels spätere Naturphilosophie wesentlich ist, ist die Ansicht, daß das Absolute sich in der Natur realisiere. Hegel bestimmt in seiner ersten Konzeption der Naturphilosophie, die wir im Vorlesungsmanuskript von 1801/02 vorfinden, die Natur als „den realen Leib der Idee“ des absoluten Wesens^. Aufgrund dieser Bestimmung der Natur konzipiert er die Naturphilosophie, d. h. die Wissenschaft der Realität der Idee, die das System des Himmels und das der Erde (das Mechanische, das Chemische und das Organische) in sich schließt. Im Gegensatz dazu wird die Natur im „Systemfragment“ auf die eingeschränkte Rekonstruktion des Lebens durch die Reflexion zurückgeführt. Daraus geht auch hervor, daß Hegel zu Ende sei* Wenn Sinclair diese Tätigkeit der Reflexion als das „Setzen“ bezeichnet und die Natur als ein Ergebnis dieses Setzens versteht, kommt er Hegel nahe, welcher im „Systemfragment“ die Natur als das „Setzen des Lebens“ erklärt; vgl. Hannelore Hegel, a. a. O., 245ff, 249. Vgl. auch oben S. 81 f. 5 GW 5 (im Erscheinen begriffen). Ms Ib—2a (Paginierung des Originalmanuskripts). Ich möchte den Herausgebern M. Baum und K. R. Meist, die mir den Fahnenabzug zur Verfügung stellten, für ihre Freundlichkeit aufrichtig danken. Dieses Manuskript ist ein Teil des neuerdings von E. Ziesche aufgefundenen Konvoluts des Hegel-Nachlasses in der Berliner Staatsbibliothek. Vgl. Ziesche: Unbekannte Manuskripte aus der Jenaer und Nürnberger Zeit im Berliner HegelNachlaß. In: Zeitschrift für philosophische Forschung. 29 (1975). 430—444. Zur Datierung vgl. H. Kimmerle: Die Chronologie der Manuskripte Hegels in den Bänden 4 bis 9 (GW 8. 348—361, bes. 353f). Meist interpretiert das Verhältnis der Idee zur Totalität der Realität derart, daß es seinen begrifflich angemessenen Ausdruck in der „Relation von Einheit und Vielheit“ finde. Vgl. K. R. Meist: Hegels Systemkonzeption in derpühen Jenaer Zeit. In: HegelStudien. Beih. 20 (1980). 59-79, bes. 72f.

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ner Frankfurter Zeit nicht für Sehellings Verständnis der Natur eintritt, obwohl er Sehellings einzelne Analysen des Lebens akzeptiert, denn Schelling setzt im Unterschied zu Hegel die Natur vor aller Reflexion voraus. Er artikuliert in der Einleitung zu dem Entwurf seine Grundauffassung: Die Natur existiere a priori; alles Einzelne in der Natur sei im voraus durch ihre Idee bestimmt (vgl. SW III, 279). Hier ist jedoch festzuhalten, daß Hegel der Entwicklung des Naturbegriffs in der späteren Naturphilosophie seine Überlegungen über das Leben in Frankfurt zugrunde legt. Er denkt in einem Jenaer Vorlesungsmanuskript die Natur als ein lebendiges absolutes Ganzes; die Lebendigen sind für die Anschauung dasselbe, während sie gegeneinander eine absolute Äußerlichkeit des Einzelseins haben®. Hegel greift hier offenbar auf seinen Lebensbegriff in der Frankfurter Zeit zurück, nicht zuletzt auf die Auffassung im „Systemfragment“, daß das individuelle Leben einerseits von allen anderen Elementen, von allen anderen Individuen unterschieden sei, aber zugleich eins mit diesen sei (vgl. N 346). Wir vertreten also die Auffassung, daß Hegel im „Systemfragment“ nicht die Naturphilosophie als eine Disziplin des Systems konzipierte. Dennoch dürfte er schon in Frankfurt an naturwissenschaftliche, insbesondere astronomische Arbeiten herangegangen sein. Rosenkranz berichtet, daß er im Hegel-Nachlaß mit den „viel früher“ angefertigten Exzerpten aus Kants Schriften zur Mechanik und Astronomie, aus Kepler, Newton usw. die Vorstudien der Habilitationsschrift De orbitis planetarum (1801) auffand, die jetzt jedoch verschollen sind: „Er [sc. Hegel] schrieb die Dissertation zuerst deutsch. Dann faßte er sie Lateinisch kürzer zusammen. Diese Manuskripte und ein Wust von zu ihnen gehörigen Rechnungen sind noch vorhanden“ (Ros 151 f). Rosenkranz schreibt ferner im Brief an Karl Hegel vom Mai 1840, daß die deutsche Fassung dreimal länger als die lateinische sei und daß Hegel in der deutschen Fassung sowohl die Astronomie, die das Verhältnis von Kepler und Newton angeht, als auch dasselbe Thema behandelt, wie Sehellings Schrift Von der Weltseele, d. h. Mechanismus und Organismus der Nfttur^. wir kennen freilich weder den genauen Umfang und Inhalt, noch die genaue Entstehungszeit dieser Vorstudien, aber es besteht die Möglichkeit, daß sich Hegel auf diese Arbeit unabhängig von der Habilitation in der Jenaer Zeit einließ und daß er daran schon in seiner Frankfurter Zeit Hand anlegte*.

® Vgl. Hegels Vorlesungsmanuskript von 1803 (GW 5. Ms. 13 a—b). ’’ Vgl. den Editorischen Bericht zu GW 5: Schriften und Entwürfe 1799—1808 (im Erscheinen begriffen). Für die persönliche Mitteilung bin ich Herrn Dr. K. R. Meist, Herausgeber dieses Bandes, großen Dank schuldig. ® Vgl. a. a. O.

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Hegel bestimmt nun im „Systemfragment“ die Philosophie als diejenige Lehre, die sich auf der trennenden, fixierenden Reflexion aufbaut. Er versucht so, den Stellenwert der Philosophie innerhalb seiner Theorie festzustellen und damit die Religion gegen die beschränkten Leistungen der Reflexion abzuheben. Der Ausgangspunkt der Philosophie ist nach Hegel zweierlei: Sie setzt einmal „das ungeteilte Leben“ voraus und fixiert es. Die Lebendigen sind dabei die „Äußerungen“ des Lebens oder dessen „Darstellungen“; sie werden durch die Reflexion als die festen, bestehenden Punkte, als die Individuen fixiert (vgl. N 346). Das ungeteilte Leben steht hier seinen Äußerungen gegenüber, und es ist nicht mehr ,ungeteilt‘. Zum andern geht die Philosophie von der Voraussetzung eines Subjekts aus. Dieses Subjekt setzt als ein Betrachtendes, d. h. als ein Reflektierendes, außer ihm ein Leben (eine Natur), welches aus den entgegengesetzten Begriffen der Einheit und der Vielheit besteht (vgl. N 346). Der Philosophie also haftet jeweils ein Nebeneinander von Einheit und Vielheit an. Hegel sieht dieses Nebeneinander als eine notwendige Folge des reflexiven Denkens an, da es von vornherein „einen Gegensatz teils des Nichtdenkens hat, teils des Denkenden und des Gedachten“ (N 348)®. Das Denken steht zunächst im Gegensatz zum Nichtdenken, etwa der unmittelbaren Anschauung des Gegenstandes, weil es ein Verfahren ist, den Gegenstand in seine Bestandteile zu zergliedern und zu fixieren. Dadurch expliziert das Denken den Gegenstand. Aber das, was nicht zu determinieren ist, was durch das Denken nicht zu erreichen ist, wird hier notwendigerweise ausgeschlossen. Dieses Denken bildet dann zum Gedachten einen Gegensatz, d. h. es setzt den Gegensatz von Subjekt und Objekt voraus, und es vermag diesem Gegensatz nie zu entkommen. Wegen dieses grundlegenden Gegensatzes mißlingt es der Philosophie immer, das Leben zu erfassen. Die Einheit ist auch für sie ein wesenhaftes Moment. Sie setzt „das Sein des Unendlichen“, aber dieses Unendliche, das Beschränkende, ist ein dem Beschränkten Gegenüberstehendes, d. h. sie selbst ist ein Beschränktes. Die Philosophie muß zwangsläufig wieder „von neuem das Beschränkende für dasselbe“ aufsuchen und die Forderung stellen, „dies ins Unendliche fortzusetzen“ (N 348). Hegel kommt also bereits zu dieser Zeit zu der Einsicht, daß ,die schlechte Unendlichkeit“ für die Reflexion konstitutiv sei. Bemerkenswert ist, daß Hegel unter dieser ,Reflexionsphilosophie“ nicht zuletzt Fichtes Philosophie versteht. Fichte hat im dritten Grundsatz ^ Dieser Ansicht liegt Jacobis Exposition des spinozistischen Satzes: determinatio est negatio zugrunde (Jacobi, IV/1,182). Vgl. auch Sinclairs Meinung, daß das Wissen immer die „Urtheilung“ durch die Reflexion voraussetze und daß die ursprüngliche Einheit außer der Reflexion sei (H. Hegel, a. a. O., 245ff). Vgl. Hegel: Wissenschaft der Logik. GW 11. 76, Vgl. den Untertitel der Schrift Glauben und Wissen (1802). Die Paradigmen der .Reflexionsphilosophie“ sind in dieser Schrift Kants, Jacobis und Fichtes Philosophie.

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der wissenschaftslehre eine Synthesis von Ich und Nicht-Ich vermittels der gesetzten Teilbarkeit (vermittels der Setzung eines teilbaren Ich und eines teilbaren Nicht-Ich) vorzunehmen versucht. Die formale Struktur dieser Vereinigung von entgegengesetzem Ich und Nicht-Ich durch den Begriff der Teilbarkeit wird durch ,Antithesis' und ,Synthesis' erklärt, welche sich einander voraussetzen. Die Antithesis ist ein Verfahren, in den Verglichenen das Merkmal aufzusuchen, worin sie entgegengesetzt sind; die Synthesis ist ein Verfahren, in den Entgegengesetzten das Merkmal aufzusuchen, worin sie gleich sind (vgl. FW I, llOff). Für Hegel ist aber diese Verbindung von ,Antithesis' und ,Synthesis' durch Fichte bloß ein Gesetzes; sie fußt auf der Reflexion. Sie kann also nicht „ein Sein außer der Reflexion“ (N 348) erfassen. So hatte Hegel vor seiner Wiederbegegnung mit Schelling und seiner Abfassung der Differenz-Schrift in Jena eine ausdrücklich kritische Einstellung zur Fichteschen Reflexionsphilosophie eingenommen. Auf dieser Grundlage versucht er im „Systemfragment'' seine Theorie der Religion zu fundieren. Unzweifelhaft ist, daß er hier durch die Fichte-Kritik des Frankfurter Freundeskreises nachhaltig beeinflußt ist. Hölderlin lehnte in Urtheil und Seyn entschlossen die Gleichsetzung des absoluten Seins mit der Identität, d. h. mit dem Fichteschen Grundsatz: Ich bin Ich ab^oa . Das Ich ist nach seiner Meinung durch die Trennung des Ich vom Ich möglich; es setzt das Selbstbewußtsein voraus. Das absolute Sein liegt hingegen allem Bewußtsein voraus. Anschließend an diesen Ansatz vertrat auch Sinclair die Ansicht, daß das Ich bloß in der Reflexion sei, daß das Ich im ersten Moment der Reflexion gesetzt werdetk Das fixierende Denken oder „das Natur betrachtende, denkende Leben“ ist nun nach Hegel nicht immer ,der schlechten Unendlichkeit' unterworfen. Es „fühlt“ die Einseitigkeit seines Setzens, d. h. den Widerspruch zwischen seinen Bestimmungen und dem unendlichen Leben (vgl. N 347). Das ist für das denkende Leben ein Wendepunkt, da mit diesem ,Gefühl' eine Bemühung anbricht, sich zum unendlichen Leben zu erheben. Diese Erhebung bedeutet jedoch die Aufhebung der Reflexion bzw. des fixierenden Denkens selbst. Hegel hebt diese Bemühung als eine Leistung der Vernunft hervor (diese ist also hier vom Verstand unterschiedeni^); Die Philosophie „hat in allem Endlichen die Endlichkeit aufzuzeigen, und durch Vernunft die Vervollständigung desselben [zu] fordern, besonders die Täuschungen durch ihr eigenes Unendliche [zu] erkennen, und so das wahre Unendliche außerhalb ihres Umkreises [zu] setzen“ (N 348). Die Vernunft zeigt also zuerst die Einseitigkeit der Bestimmungen der Reflexion auf, und zwar loa Vgl. Hölderlin: Sämtliche Werke. 4. 216f. “ Vgl. Sinclairs philosophische Aufzeichnungen von 1795/96 (H. Hegel, a. a. O., 246ff, auch 133). '2 Vgl. Düsing: Das Problem der Subjektivität in Hegels Logik. 57.

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führt sie dies gründlich und vollständig aus. Hegel greift hier in subtiler Form auf seinen Ansatz im Fragment „Die Liebe“ zurück. Dort vertrat er die Meinung, daß die wahre, vollendete Vereinigung erst dann verwirklicht werde, wenn „die Liebe die Reflexion in völliger Objektlosigkeit aufhebt, dem Entgegengesetzten allen Charakter eines Fremden raubt, und das Leben sich selbst ohne weiteren Mangel findet“ (N 379). Die Aufgabe, die Endlichkeit des Denkens aufzuzeigen, wird allerdings im „Systemfragment“ nicht durch die Liebe, sondern durch die Vernunft durchgeführt. Diese Durchführung erlangt zudem die Bedeutung einer unerläßlichen Voraussetzung der Erhebung zum unendlichen Leben. Besondere Leistung der Vernunft ist, daß sie die Täuschung der ,Unendlichkeit‘ des Verstandes enthüllt. Diese Unendlichkeit ist bloß ein Begriff und dem Begriff der Endlichkeit entgegengesetzt; das unendliche Leben kommt jenem Begriff nicht zui2. Die Vernunft setzt also nach Hegel „das wahre Unendliche“ außerhalb der Reflexion, außerhalb des Denkens. Sie selbst ist jedoch nicht fähig, dieses wahre Unendliche zu erfassen. Sie hat kein Vermögen, aus ihrer Tätigkeit ein affirmatives Ergebnis hervorzubringen. Sie setzt außerhalb der Sphäre des endlichen Denkens ein „alllebendiges, allkräftiges, unendliches Leben“ und nennt es Gott (vgl. N 347). Hier fängt die Religion an. So stellt Hegel gegen Ende seiner Frankfurter Zeit nicht nur der Reflexion die Religion gegenüber, sondern er stellt auch der Religion eine einleitende Stufe voran. Es ist die Aufgabe der Vernunft, auf dieser Übergangsstufe die Einseitigkeit der Reflexionsbestimmungen aufzuzeigen und das Sein, das Unendliche, außerhalb des Denkens zu setzen (vgl. oben). Es ist hervorzuheben, daß Hegel diese Konzeption vor seiner Jenaer Zusammenarbeit mit Schelling hat und daß diese selbständige Konzeption eine Grundlage von Hegels Gedankenentwicklung in Jena bildet. Im Vorlesungsmanuskript von 1801/02 entwirft er eine Logik als Einleitung zur „eigentlichen Philosophie“, d. h. zur Metaphysik. Er bestimmt dort dem „Systemfragment“ entsprechend den Gegenstand der Logik: Sie läßt sich auf die Arbeit ein, die Formen der Endlichkeit aufzustellen, die Bestrebung des Verstandes darzustellen, wie er die Identität der Vernunft nachahmt und die Idee der (formalen) Einheit aufstellt, und zuletzt die Formen des Verstandes durch die Vernunft aufzuhebeni'*. Jener Frankfurter Ansatz wird auf diese Weise auch in der Jenaer Zeit beibehalten und systematisch entfaltet. In Jena 13 Die obige Aufgabe der Vernunft entspricht der der transzendentalen Dialektik bei Kant. Es ist das Geschäft der transzendentalen Dialektik, den Schein der transzendenten Grundsätze aufzudecken, welche die Grenze der möglichen Erfahrung überschreiten und die Reihe der Bedingungen bis zum Unendlichen erweitern; vgl. Kant: Kritik der reinen Vernunft A 295ff (B 352ff). 1" Vgl. GW 5. Ms. 18a-b (s. auch u. S. 161 f); GW 4. 17, 18, 23, 82. Vgl. ferner PöggeUr: Hegels Idee einer Phänomenologie des Geistes. Freiburg/München 1973. 139.

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schließt sich allerdings an diesen einleitenden Teil nicht die Religion an, sondern die Metaphysik. b) Das unendliche Leben und die Religion Im „Systemfragment“ (wie etwa im Fragment „Glauben und Sein“) differiert Hegel insofern von seinen Frankfurter Freunden, als diese überzeugt sind, daß das Sein nur in der intellektuellen Anschauung gegenwärtig sei. Er ist hingegen der Meinung, daß sich der Mensch mit der Religion vom endlichen zum unendlichen Leben erhebe. Erst durch diese religiöse Erhebung wird das wahre Unendliche erlangt. Dieses Unendliche ist allerdings nicht als der Begriff der Unendlichkeit zu verstehen, der dem Begriff der Endlichkeit entgegengesetzt wird, sondern als das „lebendige Ganze“: Hegel exponiert auf der Basis seiner Analyse des Lebens als Organisation dieses Unendliche als „die lebendige Einigkeit des Mannigfaltigen im Gegensatz gegen dasselbe als seine Gestalt“ (N 347). Diese „Einigkeit“ ist deswegen lebendig, weil sie sich dem Mannigfaltigen nicht entgegensetzt, sondern es belebt und es als ihre „Gestalt“ in sich schließt. Das Mannigfaltige ist daher keine „tote“ Vielheit, wie sie schlechthin im Gegensatz zur Einheit steht, sondern ein durch die Einheit Belebtes. Um dieses lebendige Verhältnis auszudrücken, nennt Hegel das wahre Unendliche GeisD^. Er stützt sich hier auf den Begriff des Geistes, den er im „Geist des Christentums“ in Anknüpfung an das Johannes-Evangelium entwickelte. Dort wurde Gott als ,Geist‘ aufgefaßt; dabei legte Hegel Nachdruck auf die Vereinigung des göttlichen Geistes mit dem menschlichen Geist: Der Glaube an das Göttliche sei nur dadurch möglich, daß im Glaubenden selbst das Göttliche sei (vgl. N 313). Aufgrund dieser Deutung der johanneischen Idee des Geistes bezeichnet Hegel das unendliche Leben als den Geist. Sein Verständnis des Gottesdienstes gründet auch in dieser Interpretation des JohannesEvangeliums im „Geist des Christentums“. Wenn der Mensch, so schreibt Hegel, „das unendliche Leben als Geist des Ganzen, zugleich außer sich, weil er selbst ein Beschränktes ist, setzt, sich selbst zugleich außer sich, dem Beschränkten, setzt und sich zum Lebendigen emporhebt, aufs innigste sich mit ihm vereinigt, so betet er Gott an“ (N 347). Die Anbetung Gottes ist also für Hegel nichts anderes als jene Vereinigung von göttlichem und

'5 Schelling versteht im Unterschied zu Hegel in den Abhandlungen zur Erklärung und in den Ideen zu einer Philosophie der Natur ,Geist' als das ,für sich' seiende Ich, das sich selbst produziert und in diesem Produkt „seine eigene Natur“ anschaut (vgl. S. 94 f, 100 f)- In der Weltseelebedeutet,Geist' dagegen ein Lehen als Individuum, in dem sich das allgemeine positive Prinzip individualisiert (vgl. SW II, 503; s. auch o. S. 105).

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menschlichem Geist oder das „Gefühl der Harmonie“ (vgl. N 313; Jo. Ev. 4, 24). Das unendliche Leben ist also das Ganze, das die Einzelleben als „Organe“ enthält. Hegel ist aber der Meinung, daß auch diese Vorstellung des Lebens einseitig sei; „Wenn schon das Mannigfaltige nicht als solches hier mehr gesetzt ist, sondern zugleich durchaus in Beziehung auf den lebendigen Geist, als belebt, als Organ vorkommt, so würde damit eben noch etwas ausgeschlossen, und bliebe demnach eine Unvollständigkeit, und eine Entgegensetzung, nämlich das Tote“ (N 347f). Hegel warnt also davor, die „Beziehung“ zu isolieren und sie dem Mannigfaltigen entgegenzusetzen. Man verfehlt das „unendliche All“ des Lebens, insofern man sich bloß „außer sich“ setzt. Man soll sich, wie Hegel sich ausdrückt, zugleich außer sich setzen und auch dem Mannigfaltigen gerecht werden. Im lebendigen Ganzen ist auch der „Tod“, die Entgegensetzung des Verstandes, zugleich gesetzt. Hegel schreibt somit: „[...] ich müßte mich ausdrücken, das Leben sei die Verbindung der Verbindung und der Nichtverbindung“ (N 348) i®. Die Aufgabe der Religion ist also jetzt, nicht nur die Entgegensetzung von Vereinigung und Mannigfaltigkeit, sondern auch die einseitige Erhebung, d. h. die Ausschließung der Mannigfaltigkeit zu überwinden und das Leben als das lebendige Ganze aufzufassen, das die Verbindung von Vereinigung und Mannigfaltigkeit und zugleich die Nichtverbindung der beiden ist. Die Religion ist bei Hegel keine Abstraktion von der Wirklichkeit, keine bloße Erhabenheit, sondern sie sieht das endliche Leben als einen Teil des unendlichen Lebens an. Die Sphäre der Reflexion des Verstandes ist ein integrierender Teil des unendlichen Alls des Lebens. Auf diese Weise thematisiert Hegel die Frage, die später entwickelt und als das Problem der Dialektik gekennzeichnet wird^^. Wir finden in Hegels Jacob Zwilling, der während seines Aufenthalts in Homburg im Frühjahr 1797 in engem Kontakt mit Sinclair, Hölderlin und Hegel stand, faßte in seiner Abhandlung Über das Alles die Unendlichkeit in ähnlicher Weise: Die Unendlichkeit sei als die Beziehung, auf der höchsten Stufe, als die „Beziehung mit der Nichtbeziehung“ zu betrachten (vgl. Ludwig Strauß: Jacob Zwilling und sein NachlaJL In: Euphorion 29 (1928). 392). Die Frage, ob dieses Denkmotiv ursprünglich eine Prägung von Zwilling war, hängt mit dem Problem der Datierung zusammen; zu diesem Problem vgl. D. Henrich: Jacob Zwillings Nachlaß. In: Ch. Jamme/O. Pöggeler (Hrsg.)-.Homburg vor der Höhe in der deutschen Geistesgeschichte. 245—266, bes. 263,253 f. Hegel bestimmt in der Wissenschaft der Logik die Dialektik als die Methode der Logik. Die Methode meint dabei zunächst die Art und Weise des Erkennens, aber zugleich die Methode der Sache selbst, d. h. die sich selbst bestimmende und realisierende Bewegung des .Begriffs“ oder des Absoluten. Diese Methode führt die Aufstellung eines Widerspruchs der Bestimmungen (die erste Negation) und die Aufhebung dieses Widerspruchs (die Negation der Negation) aus und erbringt dadurch ein positives Resultat, welches als das mit sich identisch gewordene Ganze wieder eine Form der Unmittelbarkeit annimmt (vgl. GW 12.244—248). Zu dieser Frage vgl. Düsing, a. a. O., 313—327; A Sarlemijn: Hegelsche Dialektik. Berlin 1971. 81, 142—145; E. Kawamura: Hegels Ontologie der absoluten Idee. Hamburg 1973. 245—253.

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Auffassung des unendlichen Lebens einige wesentliche Überlegungen, die in die spätere Dialektik aufgenommen wurden. Das unendliche Leben ist die lebendige Einheit, die das Mannigfaltige und dessen Entgegensetzungen als ihre Gestalt enthält. Die Sphäre der Entgegensetzungen der Reflexion (die „Nichtverbindung“ in der oben genannten Formel) macht überdies als solche einen unerläßlichen Teil des unendlichen Lebens aus, d. h. sie bekommt im Ganzen des Lebens einen positiven Sinn. Das Leben oder das Sein ist also nicht bloß eine transzendente Vereinigung, sondern das lebendige Verhältnis der Vereinigung und der Entgegensetzung. Allerdings ist diese Auffassung des Lebens im „Systemfragment“ in etlichen wesentlichen Punkten von der späteren Dialektik verschieden. Während die Dialektik im späteren System als die Methode der Logik auf der Vernunft fußt, näher gesagt, auf „Kraft“ und „Trieb“ der Vernunft, sich selbst in allem zu finden und zu erkennen (vgl. GW 12, 238), ist es im „Systemfragment“ die Religion, die das oben genannte lebendige Verhältnis der Vereinigung und der Entgegensetzung erfaßt. Dieses Verhältnis hat dann nicht die Bedeutung der „Selbstbewegung der absoluten Idee“, welche durch diese Bewegung sich selbst bestimmt und realisiert^®. In bezug darauf steht noch das für die Dialektik konstitutive Prinzip der ,Aufhebung‘ aus. Wir können also freilich Hegels Auffassung des Lebens gegen Ende seiner Frankfurter Zeit mit der späteren Dialektik nicht gleichsetzen, dennoch begreift sie verschiedene Gedanken, die für die Dialektik charakteristisch sind, in ursprünglicher Form in sich^®. Hervorzuheben ist der Ausdruck; „[...] ich müßte mich ausdrücken, das Leben sei die Verbindung der Verbindung und der Nichtverbindung“ (Unterstreichung vom Verf.). Jede Äußerung, also auch diese Formel, ist ein Produkt der Reflexion. Im „Geist des Christentums“ hat Hegel schon behauptet, daß alle Ausdrücke der Reflexion dem Leben, dem Göttlichen nicht angemessen seien. Die Prädikate aller Urteile sind „Begriffe, Allgemeines“ (N 306), also dem Leben widersprechend. Auch der Prolog des Johannes-Evangeliums (z. B. der Satz: „Gott war der Logos“) ist in der Sprache der Reflexion ausgedrückt, obwohl dieses Prädikat („der Logos“)

Vgl. GW 12. 237 f. In dieser Hinsicht ist das Fragment „Die Liebe“ bedeutsam, denn das Leben durchläuft nach diesem Fragment einen Kreis zur vollendeten Einheit (s. o. S. 87). Lukäcs sieht Hegels Auffassung des Lebens im „Systemfragment“ als „die entwickelte Form“ der Dialektik an (vgl. Lukäcs, a. a. O., I, 351f). Vgl. auch Haering, a. a. O., 540ff. Düsing betont den prinzipiellen Unterschied des Verhältnisses von Antinomie und Vereinigung in den Frankfurter Entwürfen (vor allem im Manuskript „Glauben und Sein“) sowohl von der Dialektik in Hegels früher Jenaer Zeit als auch von der im späteren System (vgl. Düsing, a. a. O., 61ff). Landgrebe ist der Ansicht, daß „das dialektische Urverhältnis“ schon in den Frankfurter Manuskripten dargestellt sei (vgl. Landgrebe: Phänomenologie und Geschichte. Gütersloh 1968. 94, 100).

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nicht ein Begriff, sondern „Seiendes, Lebendiges“ ist. Auch die „einfachste Reflexionssprache“ ist also nicht geeignet, das „Geistige“ auszudrücken. Daher äußerte sich Hegel dahingehend, daß das Leben oder der Zusammenhang des Unendlichen und des Endlichen nur „in Begeisterung“ oder nur „mystisch“ gesprochen werden könne (vgl. N 305, 308). Er gesteht auch im „Systemfragment“ Mangelhaftigkeit und Unangemessenheit des Ausdrucks der Reflexion ein. Das Urteil setzt etwas, indem es ein Anderes ausschließt (vgl. N 348). Trotzdem fällt im „Systemfragment“ auf, daß Hegel versucht, das Leben soweit als möglich in Urteilen auszudrücken, d. h. den Inhalt der Religion mit der Sprache der Reflexion zu begreifen und auszusprechen^o. So fordert Hegel, daß man jene Formel: „Das Leben sei die Verbindung der Verbindung und der Nichtverbindung“ — die auch ein Urteil ist — mit Rücksicht darauf verstehe, daß das Leben eigentlich „ein Sein außer der Reflexion“ sei. Hegel hat später in der Phänomenologie des Geistes diesen Ansatz als die Theorie des „spekulativen Satzes“ entfaltet. Der spekulative Satz zerstört das „gewöhnliche“ Verhältnis von Subjekt und Prädikat im Urteil, indem „der sich bewegende und seine Bestimmungen in sich zurücknehmende Begriff“ der Inhalt dieses Satzes ist. Das Prädikat ist in diesem Satz nicht wie im Urteil des vorstehenden Denkens ein Akzidens des Subjekts, sondern die Substanz, nämlich das Wesen des Subjekts; das Subjekt geht hier zum Prädikat über und hebt sich auf. Versteht man also dieses Verhältnis von Subjekt und Prädikat im spekulativen Satz als ein gewöhnliches Verhältnis, so macht man den ,spekulativen‘ Inhalt dieses Satzes zunichte (vgl. GW 9, 42ff)^i. In der Einleitung zu dem Entwurf macht Schelling, ähnlich wie Hegel, Identität und Gegensatz zum Thema seines Denkens: „Der Gegensatz ist Aufhebung der Identität. Aber die Natur ist ursprünglich Identität. — Es wird also in jenem Gegensatz wieder ein Streben nach Identität seyn müssen. Dieses Streben ist [unmittelbar] bedingt durch den Gegensatz; denn wäre kein Gegensatz, so wäre Identität, absolute Ruhe, und auch kein Streben nach Identität. — Wäre hinwiederum nicht in dem Gegensatz wieder Identität, so könnte der Gegensatz selbst nicht fortdauern“ (SW III, 309) In Schellings Entwicklung der Idee der Natur ist neu, daß er in der Natur nicht nur den Gegensatz, der sich aus einer bestimmten Einschrän2“ Lukäcs meint, daß im „Systemfragment“ Hegels Frankfurter „Haupttendenz“ in stärkstem Maße zum Ausdruck komme, d. h. die „Tendenz zum lebendigen Leben, das alles Tote, Positive, Objektive und Reflektierte aufhebt“; und in diesem Sinne ruft er aus, daß Hegel hier bei „eineih ganz echten Mystizismus“ angelangt sei (vgl, Lukäcs, a. a. O., I, 344). Dabei übersieht er m. E. Hegels Intention, das Leben mit der Sprache der Reflexion auszudrücken und damit die theoretischen Grundlagen für die Religion zu schaffen. 21 Zu dieser Thematik vgl. W. Marx: Absolute Reflexion und Sprache. Frankfurt a. M. 1967. 6-18.

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kung der reinen Produktivität oder der ursprünglichen Identität ergibt, sondern auch „ein Streben nach Identität“ findet. Der Gegensatz und das Streben nach Identität bedingen einander gegenseitig; Das Streben setzt den Gegensatz voraus; der Gegensatz entspringt hingegen aus der Identität und hat den Grund seiner Fortdauer in der ursprünglichen Identität. Die Ähnlichkeit dieses Nebeneinanders von Gegensatz und Identität mit Hegels Verständnis des unendlichen Lebens besagt allerdings nicht einfachhin die Abhängigkeit Hegels von diesem Schellingschen Ansatz. Schelling weicht von Hegel in demjenigen Punkt entscheidend ab, wo Gegensatz und Identität bei ihm nicht auf die wahre Unendlichkeit oder auf die absolute Identität vereinigt werden. Hier setzt Schelling sich Hegel entgegen, welcher das Leben als das wahre Unendliche, d. h. als die lebendige Einheit von Mannigfaltigkeit und Vereinigung begreift. Schelling führt nämlich folgendes aus: Der Gegensatz in der Natur oder der Wechsel von Expansion und Kontraktion werde zwar in einem Gemeinschaftlichen, in einem „Dritten“, zu einer Indifferenz gebracht; aber der Gegensatz werde dadurch nur zum Teil aufgehoben, d. h. er komme nie zum absoluten, sondern nur zum „relativen Indifferenzpunkt“ (vgl. SW III, 308ff). Sobald ein Gegensatz „aufgehoben“ wird, entsteht ein vom Aufgehobenen verschiedener, neuer Gegensatz; diese Wiederherstellung des Gegensatzes setzt sich ins Unendliche fort. Die Indifferenz, die in der Natur hervorgebracht wird, bedeutet bei Schelling bloß eine relative Identität. Diese Unmöglichkeit der absoluten Identität sichert nach Schelling die Unendlichkeit (im Sinne der Endlosigkeit) des Universums (vgl. SW III, 312). Hegel betont nun auch im zweiten Fragment, daß die Religion nicht bloß ein Gefühl des Einsseins in der mystischen Vereinigung ist; „Göttliches Gefühl, das Unendliche vom Endlichen gefühlt, wird erst dadurch vervollständigt, daß Reflexion hinzukommt, über ihm verweilt“ (N 349). Das Unendliche wird nur in der Religion adäquat erfaßt, nämlich gefühlt. Die Refelxion erkennt hingegen erst dadurch den Inhalt dieses Gefühls, daß sie ihn abtrennt und zergliedert. Aber in der vollständigen Vereinigung der Religion soll nichts Beschränktes übrigbleiben: Der aus der Vervollständigung, d. h. aus der Erhebung zum unendlichen Leben entsprungene Gegensatz muß wieder vereinigt werden. Es ist schwer zu entscheiden, ob Hegel sich hier auf Schleiermachers Reden Über die Religion (1799) beziehU^. Das Wesen der Religion liegt nach Schleiermacher eben in Anschauung und Gefühl. Die Religion ist, mit anderen Worten, das „Anschauen des Universums“. Man fühlt in der Religion die Einwohnung der göttlichen Natur in der 22 Vgl. Dilthey, a. a. O., 150; H. Glöckner: Hegel. Bd. 2. Entwicklung und Schicksal der Hegelschen Philosophie. 2. Aufl. Stuttgart 1968.152, Kimmerle, a. a. O., 108. Vgl. auch D. Lange: Die Kontroverse Hegels und Schleiermachers um das Verständnis der Religion. In: HegelStudien. 18 (1983). 201-224.

3, Das ,Systemfragment‘ von 1800: Reflexion und Religion

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endlichen Natur, oder man schaut an, daß alles Einzelne ein Teil des Ganzen ist und alles Beschränkte eine Darstellung des Unendlichen isU^. Hegel bemüht sich im „Systemfragment“ vor allem, die Einseitigkeit dieser Position zu überwinden und die vollständige Vereinigung zu erlangen. Diese Einstellung Hegels zu dem ,Gefühl' entspricht seiner Kritik an jener Schrift Schleiermachers in Glauben und Wissen (1802). In der „Anschauung des Universums“ wird zwar die Scheidewand zwischen dem Subjekt und dem absoluten, unerreichbaren Objekt (Gott) niedergerissen. Aber Hegel bestimmt dies „Subjekt-Objektivität“ als eine subjektive, „virtuose“ Versöhnung. Jene Anschauung kann sich nicht organisch konstituieren und im Volk ihre Objektivität und Realität erhalten; es fehlt ihr an der wahren Äußerung, an einem „Kunstwerk“ (vgl. GW 4, 385f. auch 8). Betrachten wir nun das „Systemfragment“ im Zusammenhang mit den vorausgehenden Frankfurter Manuskripten, so stellt sich heraus, daß Hegel sich mit der Problematik beschäftigt, die er dort zwar aufgegriffen, aber noch nicht entwickelt hat. Er hat im „Geist des Christentums“ erklärt, daß es in der „glücklichen“ Vereinigung der Liebe keinen Raum der Objektivität gebe. Die Liebe stehe einmal dem Gebiet der Beschränkungen gegenüber, die die Reflexion hervorbringe. Hegel beabsichtigte, durch die Religion Liebe und Reflexion zu vereinigen und die Unvollständigkeit der Liebe zu beheben (vgl. N 302). Auf der Grundlage dieser Auffassung versteht er jetzt im „Systemfragment“ die Religion nicht bloß als ein Gefühl des Unendlichen, sondern als die vollständige Vereinigung dieses Gefühls mit der Reflexion. Zum andern war Hegel der Ansicht, daß die Vereinigung in der Liebe erst dann ein Gegenstand der religiösen Verehrung werde, wenn sie sich durch die Einbildungskraft (oder die Phantasie) in einer objektiven Form darstelle (vgl. N 297, 332). Wir können wohl vermuten, daß Hegel in den verschollenen Bogen des „Systemfragments“ diese objektive Form der Religion näher behandelt habe. Ein Indiz für diese Unterstellung ist, daß er sich im Schlußteil der Thematik des Kultus zuwendet. Das Grundanliegen des jungen Hegel war nun nicht nur die Frage nach dem Ideal der zu „stiftenden“ Religion, sondern auch das Problem der Realisierung dieses Ideals. Zum Schluß des „Systemfragments“ richtet er seine Blicke auf dieses Problem; und zwar äußert er sich skeptisch über die Möglichkeit der religiösen Erhebung zum unendlichen Leben: Die vollständige Vereinigung in der Religion sei „nicht absolut notwendig“ (N 350). Die Religion überhaupt ist zwar eine Erhebung vom Endlichen zum Unendlichen; sie beseitigt die Beschränktheit zum Teil und nähert sich in restriktiver Weise dem unendlichen Leben an. In diesem Sinne ist sie wohl 25 Vgl. Schleiermacher: Über die Religion. Reden an die Gebildeten unter ihren Verächtern. Hamburg 1958. 29, 31f, 170.

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II. Philosophie und Religion

notwendig. Allein diese Erhebung wird durch die zufällige Situation eines Volkes bedingt. „Die vollkommenste Vollständigkeit“, so führt Hegel aus, „ist bei Völkern möglich, deren Leben so wenig als möglich zerrissen und zertrennt ist, d. h. bei glücklichen“ (N 350). Es kommt darauf an, ob ein Volk glücklich (z. B. wie die alten Griechen) oder unglücklich ist. Bei einem unglücklichen Volk wird die zugrundeliegende Trennung nicht durch eine religiöse Erhebung überwunden; das Unendliche bleibt dort immer noch dem Endlichen entgegengesetzt. Es ist nun kein Zweifel, daß Hegel sein Volk zu den unglücklichen zählte. Er betonte in einem Entwurf zur „Verfassungsschrift“ die politische Zerrissenheit Deutschlands^^. Er beendete dann das Manuskript „Der Geist des Christentums“ mit einer Bemerkung über die religiöse Trennung: Es sei das Schicksal der christlichen Religion, daß „Kirche und Staat, Gottesdienst und Leben, Frömmigkeit und Tugend, geistliches und weltliches Tun nie im Eins zusammenschmelzen können“ (N 342). So drängt sich Hegel jetzt wieder die Frage auf, woran diese unbezwingbare Trennung liege. Daß er direkt nach dem Abschluß des „Systemfragments“ die Überarbeitung der Positivitäts-Schrift in Angriff nimmt und erneut an der Positivität der Religion Kritik übt, ist keineswegs zufällig, sondern es resultiert gerade aus jener Fragestellung. Hegel macht nun nicht wie bisher nur die positive Religion für diese Trennung des Lebens verantwortlich, sondern er äußert in dieser Hinsicht auch seine entschieden kritische Einstellung zur Fichteschen Philosophie (nicht zuletzt zu dessen Position in der Appellation an das Publicum). Hegel faßt es als die „Erscheinung der Zeit“ auf, daß „das Fixieren“ des Objektiven (des absolut fremden Gottes) parallel mit dem des Subjektiven (des Ich) geschieht: „[... 1 je stärker die Trennung, desto reiner [ist] das Ich und desto weiter zugleich das Objekt über und fern dem Menschen“ (N 351). Die Positivität der Religion führt den Menschen dazu, einen Gott zu fürchten, der unendlich über aller Natur steht. Demgegenüber setzt Fichte nach Hegels Interpretation das reine Ich „über den tausendmaltausend Weltkörpern und den so viele Male neuen Sonnensystemen als eurer alle sind“ Fichte verteidigt sich in der Appellation gegen die Anklage des Atheismus folgendermaßen: Wer Gott als den Geber alles Genusses, als den Austeiler

Vgl. Dokumente zu Hegels Entwicklung. 283; Schüler Nr. 88 (Anfang 1799). Zu diesem Problem des deutschen politischen Elends vgl. Pöggeler: Hegels praktische Philosophie in Frankfurt. In: Hegel-Studien 9 (1961). 73—107, hes. 102f. Vgl. auch H.-C. Lucas: Sehnsucht nach einem reineren, freieren Zustande. Hegel und der württembergische Verfassungsstreit. In: Frankfurt aber ist der Nabel dieser Erde. Das Schicksal einer Generation der Goethezeit. Hrsg. V. Ch. Jamme und O. Pöggeler. Stuttgart 1983. 73—103. Hegel spielt hier auf Fichtes Appellation an das Publicum (1799) an; vgl. FW V, 236. Vgl. auch Dilthey, a. a. O., 152. Asveld betont den Einfluß dieser Fichteschen Schrift auf Hegel (Asveld, a. a. O., 206—212).

3. Das ,Systemfragment' von 1800: Reflexion und Religion

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alles Glücks und Unglücks an die endlichen Wesen verstehe, glaube nur an einen Götzen; Gott sei für ihn (Fichte) hingegen ein von aller Sinnlichkeit gänzlich befreites Wesen, welchem nicht einmal der „sinnliche“ Begriff der Existenz zugeschrieben werden könne (vgl. FW V, 218, 220). Fichte hat sich auf diese Weise als einen Verteidiger der Religion, als einen Vertreter des Glaubens an Gott als Regent der übersinnlichen Welt gezeigt. Hegel stellt diese Fichtesche Position insofern der positiven Religion gleich, als die Erhebung zum unendlichen Leben darin nur eine Erhebung über das endliche Leben ist, m. a. W. als das Unendliche schlechthin dem Endlichen entgegengesetzt wird. Er vertritt die Meinung, daß in der „Seligkeit“, wie sie Fichte behauptet (vgl. FW V, 206), das Ich alles „unter seinen Füßen hat“; er hält diese Seligkeit für gleichbedeutend mit der Abhängigkeit von einem absolut fremden Wesen der jüdischen Religion oder mit dem (orthodoxen) Glauben an Christus als „einen absolut Besonderen“ (den fleischgewordenen Gott). Hegel sagt zuletzt: Die Religion Fichtes sowie die positive Religion „kann erhaben und fürchterlich erhaben, aber nicht schön menschlich sein“ (N 351).

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II. Philosophie und Religion

4. DER ÜBERGANG ZUR METAPHYSIK Ein kleines Vermögen, das sein Vater hinterließ, ermöglichte es Hegel, sich von seiner jahrelangen Hauslehrertätigkeit zu befreien und eine Weile in einer unabhängigen Lage zu leben; so entschloß er sich, nach Jena, denl damaligen geistigen Zentrum und literarischen Mittelpunkt, überzusiedeln — er wünschte sicherlich eine Stelle an der Universität — und sich derl „angefangenen Arbeiten und Studien“ zu widmen (vgl. Br I, 59). Wir versuchen in diesem Abschnitt zu klären, was mit diesen „angefangenen Ar^ beiten und Studien“ gemeint war und welche Position Hegel vertrat, bevof er begann, in Jena mit Schelling zusammenzuarbeiten und eine Theorie der systematischen, spekulativen Erkenntnis des Absoluten zu entwickeln; Ohne diese Hegelsche Position zu Ende der Frankfurter Zeit aufzuklären, wird es nicht gelingen, die Entstehung von Hegels und Schellings Neuansatz der spekulativen Erkenntnis des Absoluten zu ermitteln (vgL Kap. III). Am 24. September 1800, zehn Tage nach dem Abschluß des „Systemfragments“ machte sich Hegel an die Überarbeitung seiner Berner Schrift über die „Positivität der christlichen Religion“. Er versuchte erneut, dem Problem der Religion nachzugehen; er verspürte das Bedürfnis, den Grund der Verhinderung der ,vollständigen Vereinigung“ klarzustellen. Allerdings bezog er nicht mehr den Standpunkt der Berner Zeit. Er hatte sich durch seine Überlegungen über die unendliche Vereinigung in der Frankfurter Zeit eine ganz andere Einstellung zu Kantischen Vernunftreligion zu eigen gemacht. Dieser neu gewonnene Standpunkt veranlaßte ihn, diese Berner Schrift von Grund aus umzuschreiben — was er jedoch nicht weit ausführte. In dieser Überarbeitung bemängelt Hegel in erster Linie die aufklärerische Auffassung der Positivität der Religion, d. h. die Entgegensetzung von natürlicher und positiver Religion. Diese Auffassung gründe nach seiner Meinung in der Idee der einen allgemeinen menschlichen Natur; diese Idee sei der Maßstab, die Religion zu sichten. Die Religion, die ihren Ursprung in dieser allgemeinen menschlichen Natur habe, sei die natürliche Religion. Die positive Religion heiße demgegenüber eine widernatürliche Religion, die für den Verstand und die Vernunft unannehmbare Vorstellungen enthalte und durch gewaltsame Vorrichtungen Gefühle und Handlungen unterdrücke. Diese Ausführungen Hegels zielen vor allem auf Kant ab: Kant hat diejenige Religion als die natürliche gekennzeichnet, in der man zunächst die Pflicht als solche anerkenne, ehe man sie als ein göttliches Gebot erkennet Jedermann kann also von dieser Religion durch seine Ver* Vgl. Kant: Die Religion innerhalb der Grenzen der bloßen Vernunft. 170f (B 230f), zum folgenden 172, 183, 187 (B 232f, 249, 255).

4. Der Übergang zur Metaphysik

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nunft überzeugt werden; dazu braucht man keine besonderen Kenntnisse, Jeeine „Gelehrsamkeit“. Diese Religion ist eine moralische, „wahre“ Religion, denn sie enthält nichts als die praktischen Prinzipien, die man als durch die reine Vernunft offenbart anerkennen kann. Kant hat sie von pinem dem göttlichen Gebot blind gehorchenden Glauben oder von derjenigen Religion unterschieden, in der die Befolgung der ,Statuten‘ das oberste Prinzip ist. Daß eine Religion jedem Menschen durch seine Vernunft faßlich und überzeugend ist, ist für Kant die erste Bedingung der „allgemeinen Menschenreligion“ und zugleich der Maßstab der Prüfung der Religion. Wie wir gesehen haben, hat der Berner Hegel aufgrund dieser Kantischen Auffassung den Begriff der Positivität entwickelt. Jetzt setzt er sich aber entschieden dem Versuch entgegen, die „unendliche Mannigfaltigkeit der Erscheinungen“ der menschlichen Natur in die allgemeinen Begriffe zusammenzufassen. Dieser Versuch führe dazu, daß man diese Begriffe als den Charakter der Menschheit fixiere und „alle übrige Mannigfaltigkeit von Sitten, Gewohnheiten und Meinungen der Völker oder Einzelner“ als die Zufälligkeiten, als die Irrtümer verkünde (vgl. N 140). Hegel spielt auch hier zweifelsfrei auf Kant an. Für Kants Morallehre war derjenige „Charakter“ („die praktische konsequente Denkungsart nach unveränderlichen Maximen“) grundlegend, der für die Annahme der guten Maxime keiner anderen Triebfeder weiter bedürfe als der Vorstellung der Pflicht selbst. Kant behauptete somit, daß die moralische Bildung des Menschen bei der Umwandlung der Denkungsart und bei der Gründung eines Charakters (der „Revolution in der Gesinnung“) anfangen müsse^. Demgegenüber stellt Hegel die Ansicht heraus, daß sich der Begriff der menschlichen Natur nie mit der „lebendigen Natur“ in Einklang bringen lasse; der allgemeine Begriff schließt die unendlichen Modifikationen der lebendigen Natur aus; was für den Begriff bloß zufällig ist, macht in Wirklichkeit das Lebendige, das „einzig Natürliche und Schöne“ aus (vgl. N 141). Hier ist festzuhalten, daß sich eine grundlegende Wandlung des Begriffs der ,Natur' im Denken Hegels im Zusammenhang dieser Kant-Kritik vollzogen hat. Natur bedeutet für Hegel nicht mehr einen allgemeinen Begriff oder Charakter der Menschheit, sondern sie wird jetzt als das Lebendige bezeichnet: Das Allgemeine wird jetzt im organischen Zusammenhang mit der unendlichen Mannigfaltigkeit aufgefaßt. Wenn Hegel so die Mannigfaltigkeit der menschlichen Natur aufwertet und rechtfertigt, wird Kants Maßstab für die Prüfung der Religion, d. h, „die Freiheit des Willens“, nun ein einseitiges Kriterium (vgl. N 141). Die allgemeinen Begriffe vermögen die Religion, die mit Sitten, Gewohnheiten 2 Vgl. Kant, a. a. O., 51ff (B 53ff); ders.: Kritik der praktischen Vernunft. 174 (A 271).

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II. Philosophie und Religion

der Völker zusammenhängt, nicht ins rechte Licht zu rücken. Dadurch daß man das für Verstand und Vernunft Zufällige verurteilt, verfehlt man das Wesentliche der Religion. Hegel relativiert jetzt auch die Kritik an der Abhängigkeit von einem fremden absoluten Wesen und an dem Verzicht auf die Selbstbestimmung, die er früher in aller Schärfe übte. Wenn diese Abhängigkeit auf natürliche Weise entsteht, kann sie „der Natur ihres Zeitalters“ — wenn auch einer „elenden“ Natur — angemessen sein; sie befriedigt das Bedürfnis dieser Natur und gibt ihr „ein Höheres“ (vgl. N 141). Sie ist also nicht als solche unmittelbar ,positiv‘. Hegel stellt fest: Auch die lauterste Wahrheit oder auch das allgemein geltende Gebot muß sich selbst in den besonderen Umständen der Anwendung einschränken und sich erst dadurch geltend machen. Es gibt keine „unter allen Umständen unbedingte Wahrheit“ (N 143). Was Hegel hier im Gegensatz zu Kant zum Maßstab für die Positivität der Religion macht, ist das Ideal der menschlichen Natur. Hegel meint, dieses Ideal sei etwas anderes als der allgemeine Begriff der menschlichen Natur: „Das Ideal läßt sehr wohl Besonderheit, Bestimmtheit zu und fordert sogar eigentümliche religiöse Handlungen, Gefühle, Gebräuche, einen Überfluß, eine Menge von Überflüssigem, was vor dem Laternenlicht der allgemeinen Begriffe nur als Eis und Stein erscheint“ (N 142). Hegel greift hier auf jenen Ansatz im „Geist des Christentums“ zurück, wo er, wie schon erwähnt (vgl. S. 85 f), der Überzeugung ist, daß die unendliche Vereinigung erst dann ein Gegenstand der Verehrung werde, wenn sie sich eine Objektivität beschaffe. Das Ideal fordert nun, daß sich die Wahrheit der Religion in einer konkreten geschichtlichen Situation darstellt, daß die Religion dem Bedürfnis der Zeit angemessene Gebräuche, Pflichten usw. schafft. Es ist auch für die Religion erforderlich, daß sie sich Zugang zum Unendlichen verschafft, indem sie es an das Zufällige, an das Vergängliche knüpft. Das Zufällige ist insofern nicht mehr bloß ein zufälliges Ding, denn sein Wesen liegt nunmehr in der Verbindung mit dem Unendlichen. Erst „Verstand und Vernunft“ sondern dieses Verbundene ab und beobachten das Zufällige bloß als solches (als „Eis und Stein“). Demgegenüber schließt das Ideal nicht die geschichtliche Besonderheit aus, sondern findet die Verbindung der Religion mit den Sitten und dem Charakter der Völker als erforderlich und notwendig. Es ist hier zu zeigen, daß sich Hegel bei dieser Hochschätzung des,Ideals“ eher auf Schiller als auf Kant bezieht. Er stützte sich bereits in seiner KantKritik im Grundkonzept zum „Geist des Christentums“ auf Schiller: Er versuchte, das moralische Gesetz im Sinne Kants, das nach seiner Meinung dem Menschen als ein Gebot gegeben wird, durch die ,Gesinnung“ oder die ,Geneigtheit“, moralisch zu handeln, zu vervollständigen; er betonte, daß diese Geneigtheit im Menschen selbst gegründet sei und „ihr idealisches Objekt““ nicht im Sittengesetz als etwas Gegebenes habe, sondern im Men-

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sehen selbst (vgl. N 388). Schiller hat in Über Anmuth und Würde in einer Polemik gegen die Unterdrückung der Sinnlichkeit in der Kantischen Moralphilosophie das „Ideal menschlicher Schönheit“ als die Harmonie von Sinnlichkeit und Vernunft oder die Vereinigung von ,Anmut“ und ,Würde“ in derselben Person erklärt^. Es ist nach Schiller das Geschäft des Künstlers, dieses Ideal „schweigend in die unendliche Zeit““ zu werfen“*, d. h. es in die Spiele der Einbildungskraft und in die Handlungen zu prägen. In der Schrift Über naive und sentimentalische Dichtung fährt er fort: Das Ideal ist das Göttliche, das hervorgeht, wenn der Wille das Gesetz der Notwendigkeit frei befolgt und bei allem Wechsel der Sinnlichkeit und der Phantasie die Vernunft ihre Regeln behauptet. Diese Übereinstimmung zwischen dem Empfinden und dem Denken war „wirklich““, als der Mensch noch eine „reine Natur““ war und als ein harmonisches Ganzes wirkte; sie existiert aber im Zustand der Kultur bloß „idealisch““, d. h. sie ist nicht mehr die Tatsache des menschlichen Lebens; sie ist das, was zu verwirklichen ist. Der Mensch soll sich bestreben, durch das Ideal zur verlorenen Einheit, zur Natur zurückzukehren^. Hegel bestimmt jetzt die Positivität der Religion im Zusammenhang mit dem „Ideal““. Er meint mit der Positivität nicht mehr den Verzicht auf die Autonomie oder die Bevorzugung der Befolgung der autorisierten Glaubenssätze. Die positive Religion heißt nicht mehr die, die den Wert des Menschen nicht in die Moral setzt. Hegel vertritt die Auffassung, daß die Verbindung der Wahrheit der Religion mit dem Zufälligen oder mit dem Sinnlichen nicht schlechthin positiv sei. Der Mensch hört mit dieser Verbindung nicht auf, „ein vernünftiges Wesen““ zu sein. Aber wenn dieses Zufällige die Freiheit des Menschen aufhebt und die „Prätention““ gegen den Verstand und die Vernunft macht, dann wird die Religion positiv (vgl. N 142). Es handelt sich also nicht um den Inhalt der Lehren oder der Gebote der Religion selbst, sondern um die Art und Weise, wie man die Lehren rechtfertigt und wie Gehorsam gegenüber den Geboten verlangt wird. Wenn das Zufällige einfach als solches, also abgetrennt von dem Unendlichen, die Heiligkeit beansprucht, wenn es als etwas Beschränktes die Verehrung fordert, kommt die Positivität in der Religion auf (vgl. N 143, 145, 147). Hegel präzisiert nun den Zweck seiner Abhandlung, indem er fragt, ob diese Zufälligkeiten schon in den Lehren, im Schicksal Jesu selbst vorkämen, 5 Vgl. Schillers Werke. Bd. 20. 283 f, 288 f, 294, 301; s. auch o. S. 84. * Schiller: Über die ästhetische Erziehung des Menschen. Werke. Bd. 20, 334. Hegel zieht in seinem Brief an Schelling vom 30. Aug. 1795 diese Stelle heran (Br I, 30). 5 Schillers Werke. Bd. 20. 414f, 436ff. Harris vertritt die Überzeugung, daß sich Hegels Gebrauch des Terminus „Ideal“ eindeutig von Kants Begriff des Ideals als einer Idee „nicht bloß in concreto, sondern auch in individuo“ herleite (vgl. Harris, a. a. O., 401; auch Kant: Kritik der reinen Vernunft. 549: A 568; ders.: Kritik der Urteilskraft. 73ff: A 54ff). Hegel nimmt hier meiner Ansicht nach den Begriff des Ideals in einem anderen Zusammenhang auf und intendiert vielmehr, die Einseitigkeit der Kantischen Position zu überwinden.

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II. Philosophie und Religion

ob in der unmittelbaren Entstehung der christlichen Religion schon Veranlassungen zur Positivierung lägen (vgl. N 145, 147f). — Vor der Ausführung dieses Vorhabens hat Hegel jedoch die Überarbeitung dieser Abhandlung unterbrochen. Weiterhin ist zu bemerken, daß die Frage nach dem Verhältnis des Menschen zu Gott für Hegels Denken zentral ist. Er revidiert auch hier deutlich seine Berner Position: Die christliche Ansicht, daß alles Edle und Gute des Menschen von Gott komme, d. h. dessen Geist sei, wird nicht mehr geradezu für sich selbst positiv genannt. Freilich ist sie dann zu verurteilen, wenn sie das Endliche vom Göttlichen absolut ablösen und keine Vermittlung zulassen will; alles menschliche Bewußtsein wird durch diesen Glauben an ein durchaus Übermächtiges aufs äußerste herabgewürdigt. Hegel bemerkt hier: „Man sieht, die Untersuchung hierüber würde, wenn sie durch Begriffe gründlich geführt werden sollte, am Ende in eine metaphysische Betrachtung des Verhältnisses des Endlichen zum Unendlichen übergehen“ (N 146). Hegel konzipiert jetzt neben der Religion eine Metaphysik, d. h. eine gründliche Betrachtung des Verhältnisses des Endlichen zum Unendlichen durch Begriffe. Er machte schon — wie wir gesehen haben — im „Geist des Christentums“ das Leben oder den Zusammenhang des Unendlichen und des Endlichen zu einem Grundthema seines Denkens (vgl. N 309f). Er erwähnte aber dort ausdrücklich, daß dieser Zusammenhang für die Reflexion „ein heiliges Geheimnis“ sei. Im „Systemfragment“ versuchte er dagegen dieses Leben, das doch ein Sein außer der Reflexion sei, soweit als möglich mit der Sprache der Reflexion, in Urteilen auszudrücken (vgl. S. 118 f). Diese Betrachtung des Lebens soll sich jetzt als Metaphysik geltend machen; das Leben soll in einer Wissenschaft durch Begriffe gründlich erforscht werden. Auf diese Weise macht sich Hegel jetzt an eine Konzeption, die Lösung der Frage nach dem Verhältnis des Unendlichen und des Endlichen in der Metaphysik, also in der Philosophie zu finden. Er schließt sich jedoch bei der Lösung des angesprochenen Problems nicht an die ,Reflexionsphilosophie“ etwa von Kant oder Fichte an. Bezüglich der Betrachtung des Lebens mißt Hegel den beiden einen grundsätzlich gleichen Stellenwert zu und nimmt eine deutlich kritische Einstellung zu deren Position ein: Er versteht das Leben als die vollständige Vereinigung des Unendlichen und des Endlichen und widersetzt sich energisch der Erhebung des Unendlichen «öer alles Endliche. — Allerdings merkt Hegel an, daß mit der vorliegenden Abhandlung nicht diese metaphysische Untersuchung bezweckt ist. Seine Arbeit wird vielmehr in der Weise gerechtfertigt, daß er die Notwendigkeit der Religion unterstreicht: Die Anschauung des Göttlichen als eines vollkommenen Wesens leite sich von der menschlichen Natur selbst her; es sei auch im Bedürfnis der menschlichen Natur begründet, daß man sich im lebendigen Zusammenhang mit dem Göttlichen erfasse und daß man sich der Anschauung dieses Göttlichen widme (vgl. N 146f).

4. Der Übergang zur Metaphysik

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Diese Rechtfertigung stellt Hegel jedoch vor die konstitutive Frage, ob die Religion (wenn sie auch in der menschlichen Natur begründet ist) das Leben, das Verhältnis des Endlichen zum Unendlichen gegenüber der Metaphysik in einer adäquateren Form ergründen kann und ob sie dadurch der religiösen und politischen Zerrissenheit der Zeit eine positive Lösung geben kann. Wir finden die Antwort Hegels auf diese Frage in seinem Brief vom 2. November 1800 an Schelling: „In meiner wissenschaftlichen Bildung, die von untergeordnetem Bedürfnissen der Menschen anfing, mußte ich zur Wissenschaft vorgetrieben werden, und das Ideal des Jünglingsalters mußte sich zur Reflexionsform, in ein System zugleich verwandeln; ich frage mich jetzt, während ich noch damit beschäftigt bin, welche Rückkehr zum Eingreifen in das Leben der Menschen zu finden ist“ (Br I, 59f). Hegel „mußte“ zur Wissenschaft vorgetrieben werden: Er schlägt jetzt entschlossen den Weg ein, das Leben oder das wahre Unendliche nicht in der Religion, sondern in der Wissenschaft durch Begriffe zu beleuchten, — diesem Anspruch gemäß versucht Hegel ein halbes Jahr nach diesem Brief in der DifferenzSchrift das Absolute durch die „philosophische Reflexion“ zu ergründen. Seine bisherigen Arbeiten werden nun als diejenigen angesprochen, die aus den „untergeordnetem Bedürfnissen der Menschen“ entsprangen seien. Er meint offenbar seine religiösen und politischen Untersuchungen seit der Tübinger Zeit. Seither bemühte er sich ständig, eine ideale Religion zu schaffen, an die sich alle Bedürfnisse des Lebens, insbesondere die politischen anschließen können. Wie gezeigt, hob er noch in der Überarbeitung der Positivitäts-Schrift hervor, daß das Bedürfnis, ein göttliches Wesen anzuerkennen und die Anschauung desselben zum belebenden Geist des menschlichen Lebens zu machen, in der menschlichen Natur selbst begründet sei. Hegel gesteht jetzt ein, daß diese Bedürfnisse, von denen er ausgegangen ist, dem Bedürfnis untergeordnet sind, das gerade Schelling seinem Denken zugrunde gelegt hat. Schelling schrieb Hegel einmal, er höre mit der historischen theologischen Arbeit auf und gebe sich nunmehr der Philosophie hin, die Philosophie sei dadurch zu vollenden, die Kant fehlenden ,Prämissen‘ zu ergänzen (vgl. Br I, 14). Die Philosophie solle alle anderen Wissenschaften als die „Urwissenschaft“ bedingen®. Das Bedürfnis nach der wahren Philosophie, wie sie die aufgehobene Identität der Vorstellung und des Gegenstandes wiederherstelle, war der Ausgangspunkt der Schellingschen Naturphilosophie (vgl. SW II, 13f). Hegel las wahrscheinlich auch Schellings zu Ostern 1800 erschienene Schrift System des transzendentalen Idealismus'^. Schelling beabsichtigte in dieser Schrift, den transzendentalen Idealismus zu einem System des gesamten Wissens zu 6 Vgl. Schelling, AA 1. 272 (SWI, 92). ^ Vgl. Fuhrmans: Schelling und Hegel. Ihre Entfremdung (BuD I, 460).

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II. Philosophie und Religion

erweitern und die gesamte Philosophie als eine „fortlaufende Geschichte des Selbstbewußtseyns“ vorzutragen (vgl. SW III, 330f). Hegel gibt nun zu, daß diese Schellingschen Bemühungen, die Philosophie als Bedingung aller Wissenschaften zu vollenden und sie in ein System zu bringen, im übergeordneten Bedürfnis des Menschen ihren Ursprung hat. Wenn Hegel von dem „Ideal des Jünglingsalters“ spricht — was wir in dieser unseren Untersuchung zu klären versucht haben — dann bezieht er sich vor allem auf seine Überlegungen in der Tübinger Zeit; über das Ideal der ,unsichtbaren Kirche“ mit dem Leitwort von „Vernunft und Freiheit“ hat er damals gemeinsam mit Schelling und Hölderlin diskutiert (vgl. Br I, 18). Das Tübinger Fragment verrät, daß sich Hegels Denken um dieses Ideal dreht: Er konzipiert eine subjektive Religion, die durch die Phantasie und durch das Zusammenwirken mit der Politik (wirksam ist hier das Ideal der griechischen Polis) das Volk zur Ausführung der Moralität anregen und erziehen soll. Hegels Wort vom „Ideal des Jünglingsalters“ mag Schelling auch an jenes Programm erinnert haben, das er Schelling einmal aus Bern geschildert hatte: Es war das Hauptanliegen des Berner Hegel, die ,Resultate“ der Kantischen Philosophie auf die herrschenden religiösen Ideen anzuwenden und diese zu bearbeiten (vgl. Br I, 16). Er stand unter dem verstärkten Einfluß Kants und sah den höchsten Zweck des Menschen in der Moralität, m. a. W. im Übergewicht der Moralgesetze über die Sinnlichkeit. Von diesem Aspekt her fragte er, inwiefern die christliche Religion der Beförderung der Moralität angemessen sei. Hegel sprach dann in Frankfurt voller Begeisterung von dem Ideal der ,schönen“ Religion, nämlich von der Vereinigng von Subjekt und Objekt, Freiheit und Natur oder Unendlichem und Endlichem. Diese Vereinigung läßt sich durch die Religion, durch die religiöse Erhebung zum unendlichen Leben erlangen (vgl. N 347). Wie wir sahen, war das ,Ideal“ dann in der Überarbeitung der Positivitäts-Schrift der neue Maßstab für die Prüfung der Religion, der an die Stelle des Kantischen einseitigen Kriteriums (der Idee der allgemeinen menschlichen Natur) treten soll; das Ideal wird der Besonderheit, der objektiven Form der Religion gerecht, und die Konzeption des Ideals hält die Verbindung der Religion mit den einzelnen Sitten der Völker für unerläßlich. Die Verwandlung des „Ideals des Jünglingsalters““ in die „Reflexionsform““ deutete sich schon in der neuen Fassung der Positivitäts-Schrift an. Hegel faßte seither den Vorsatz, das Leben, das wahre Unendliche durch Begriffe gründlich zu erörtern und diese Betrachtung als eine Wissenschaft zu entwickeln, und zwar als die, die alle anderen Wissenschaften begründen soll. Die Schrift „Der Geist des Christentums““ zeigt, daß sich Hegel das Leben in differenzierter Weise vorgestellt hatte; nicht zuletzt die christliche Vorstellung des Vater-Sohn-Verhältnisses hatte zentrale Bedeutung (vgl. N 308f, 311f). Hegel sucht jetzt den Zusammenhang von Unendlichem und Endlichem durch Begriffe metaphysisch zu ergründen. Der,Begriff“ bedeu-

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tet hier nicht mehr bloß den Verstandesbegriff, d. h. die Bestimmung des trennenden, fixierenden Denkens, sondern er ist nun das Instrument der ,Vernunft‘, die die Entgegensetzungen der bloßen Reflexion als solche aufhebt und vermittelt. Bei der Rede von der „Reflexionsform“ berücksichtigt Hegel sicherlich auch seine Konzeption des einleitenden Teils mit. Die metaphysische Untersuchung des wahren Unendlichen setzt die „Vervollständigung“ der Beschränkungen der Reflexion voraus. Die Aufgabe, die Grenze dieser Beschränkungen zu setzen und das trennende Denken zu überwinden, muß im voraus gelöst werden (vgl. N 348; GW 4. 17, 23). Hegel schrieb Schelling, daß sein Ideal sich in ein „System“ habe verwandeln müssen. Wir brauchen uns aber nicht der Annahme anzuschließen, daß Hegel damals schon ein ausgearbeitetes System gehabt habe®. Hegel sagt aus, er sei noch mit der Verwandlung in ein System beschäftigt. Dieses „System“ meint vielmehr seine „angefangenen Arbeiten und Studien“, denen er sich gerade widmen will (vgl. Br I, 59). Er entwirft jetzt eine systematische Konzeption der Philosophie, deren grundlegenden Teil ohne Zweifel die Metaphysik, ihren einleitenden Teil eingeschlossen, ausmacht®. Das heißt freilich nicht, daß Hegel seinen bisherigen Überlegungen keirje Bedeutung mehr beimesse. Die „Rückkehr zum Eingreifen in das Leben der Menschen“ ist für ihn zu gleicher Zeit eine überaus bedeutsame Frage, wie seine intensive Beschäftigung mit der Problematik der Verfassung Deutschlands in den ersten Jenaer Jahren zeigt. Es ist Hegels Überzeugung, daß die Wahrheit mit dem Bedürfnis der Zeit Zusammenhänge und ihre Anwendung auf die besonderen geschichtlichen Umstände als ihren unerläßlichen Bestandteil in sich begreife. Dieses neue Programm des „Systems“ nimmt allerdings erst in der Differenz-Schriit konkrete Formen an.

* Diese Annahme wurde z. B. von Rosenkranz, Nohl, Haym, Lassen vorgebracht; vgl. Ros 142; N 345 Anm.; R. Haym: Hegel und seine Zeit. Darmstadt 1962 (Nachdruck v. 1857). 88,93; G. Lassen: Einleitung zu Hegel: Erste Druckschriften (Hrsg. v. Lassen). Leipzig 1928. XII. H. Büchner ist dagegen der Ansicht, daß mit dem „System“ im Brief an Schelling noch nicht eine bestimmte, konkrete Gestalt des Systems gemeint sei. Vgl. Büchner: Hegel im Übergang von Religion zu Philosophie. In: Philosophisches Jahrbuch der Görres-Gesellschaft 78 (1971). I. Halbband. 82—97, bes. 85. Vgl. auch Pöggeler: Hegels Idee... 121 ff. 5 Harris expliziert dieses „System“ als „the System of life“, das Hegel im „Geist des Christentums“ aufstellte und noch weiterentwickelt werden sollte (vgl. Harris, a. a. O., 407f). Der Unterschied zwischen „the System of life“ und dem „System“ im Brief an Schelling findet bei ihm keine Berücksichtigung.

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III. REFLEXION UND SPEKULATION:

DIE METAPHYSISCHE ENTWICKLUNG DER

PROBLEMATIK VON ,PHILOSOPHIE UND RELIGION' Gegift Ende dfes Jahres 1800 vollzog sich, wie wir gesehen haben, eine entscheidende Wendung im Denken Hegels. In der Überarbeitung der Positivitätt-Schrift höb er noch einerseits hervor, daß das religiöse Bedürfnis des Menschen, sieh im lebendigen Zusammenhang mit dem Göttlichen zu erfassen, in der fnenschlichen Natur selbst begründet sei. Er konzipierte dort aber andererseits eine Metaphysik, d. h. eine begriffliche Untersuchung des Verhältnisses des Endlichen zum Unendlichen. Im Brief an Schelling vom 2: November 1800 verkündete Hegel ausdrücklich die Wende, nämlich die Notwendigkeit der metaphysischen Betrachtung des Unendlichen. Wir finden in seiner ersten philosophischen Publikation von 1801, Differenz d§S Pichte^Sch&n und Schelling’sehen Systems der Philosophie, die konkreten Formen dieses Neuansatzes: Hegel betonte hier nicht mehr das Bedürfnis der religiösen Erhebung, sondern das Bedürfnis der Philosophie. Es war sein Hauptanliegen in dieser Schrift, das Absolute spekulativ und systematisch ZU begreifen. Was bei dieser Gedankenentwicklung eine entscheidende Rolle spielte, war die Diskussion mit Schelling in den ersten Monaten des Jahres 1801. Unser Ziel in diesem Kapitel ist es, jene Entwicklung des Hegelsehen Denkens von diesem Gesichtspunkt der Zusammenarbeit mit Schelling her zu erörtern. Dabei soll jedoch gezeigt werden, daß Hegel bei dieser Zusammenarbeit nicht einfach von Schelling abhängig war: Wir finden Im Denken Hegels zu Anfang der Jenaer Zeit nicht nur Konvergenz mit Schelling, sondern auch eindeutige Eigenständigkeit. 1. DIE ENTSTEHUNG DER IDENTITÄTSPHILOSOPHIE SCHELLINGS Was Schelling in der Diskussion mit Hegel hat vortragen können, ist aus seiner Schrift Darstellung meines Systems der Philosophie^ zu entnehmen, welche das Ergebnis seiner Überlegungen in den ersten Monaten von 1801 1 Diese Schrift erschien im Mai 1801 im Bd, II, Heft 2 der Zeitschrift für spekulative Physik.

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III. Reflexion und Spekulation

darstellt und die erste Formulierung der Identitätsphilosophie ist. Absolute Identität machte Schelling allerdings bereits in den Schriften von 1800 zum Thema seines Denkens. Wir versuchen also zunächst Schellings Position im Jahre 1800 zu umreißen, soweit sie im Zusammenhang der Konzeption der Identitätsphilosophie steht. Wir gehen also von der Annahme aus, daß es eine Vorbereitungsphase der Identitätsphilosophie gab; aber dies soll nicht sogleich heißen, daß die Begründung der Identitätsphilosophie von 1801 eine unmittelbare Ausführung der vorherigen Ansätze gewesen sei. Schelling kündigte zwar bereits in seinem Aufsatz Über den wahren Begriff der Naturphilosophie^ die Erscheinung der „neuen Darstellung meines Systems“ im folgenden Heft der Zeitschrift für spekulative Physik an (vgl. SW IV, 102); er schrieb dann in der Schrift Darstellung, daß er schon bei seiner Ausführung der Natur- und der Transzendentalphilosophie das System der Philosophie selbst vor Augen gehabt habe und daß er dieses System im Wintersemester 1800/01 vorgetragen habe^. Diese Aussagen bestätigen zwar, daß Schelling gegen Ende des Jahres 1800 die Natur- und die Transzendentalphilosophie innerhalb ein und desselben Systems der Philosophie zu entwickeln suchte (vgl. BuD II, 297); und es liegt nahe, daß er mit der „neuen Darstellung meines Systems“ die Aufstellung seines eigenen Systems gegenüber Fichtes Wissenschaftslehre meinte'^. Aber daraus geht keineswegs hervor, daß Schelling schon zu Ende des Jahres 1800 die Identitätsphilosophie konzipiert habe oder daß diese bloß eine Weiterentwicklung der früheren Ansätze gewesen sei^, zumal da die Konzeption der Identitätsphilosophie von 1801 — wie wir zu zeigen versuchen — im Vergleich zu seiner Position gegen Ende des Jahres 1800 in den entscheidenden Punkten neu ist. Schelling selbst gesteht, wie Zeltner und Tilliette mit Recht eigens hervorgehoben haben, in einem Brief an Eschenmayer 2 Ein Aufsatz in der Zeitschrift für spekulative Physik, Bd. II, Heft 1 (Januar 1801); dieser Aufsatz muß also Ende 1800 entstanden sein. 5 Vgl. SW IV, 107f; vgl. auch Schellings Brief an A. W. Schlegel vom 20. April 1801; „Es erscheint diese Messe in dem neuesten Heft meiner Zeitschrift der erste Teil einer Darstellung meines Systems der Philosophie. Sie ist in dem Sinne geschrieben, von dem ich Ihnen vorigen Sommer einigemale sprach 1.. .1“ (BuD I, 246f). ♦ Vgl. SW IV, 109; s. auch H. Fuhrmans: Schellings Trennung von Fichte (BuD I, 223); vgl. ferner Caroline Schlegels Brief an Schelling vom 1. März 1801: „Was Du jetzt gleich im Journal als Darlegung Deiner neuen Ansicht auszuführen gedenkst, wird das schon umfassend genug seyn um ihm Isc. Fichte] entgegengestellt werden zu können — nehmlich nur in so weit, daß man den Stand Deines Idealismus ganz daraus nehmen kann?“ (BuD 1,222 Anm.). Im Aufsatz Über den wahren Begriff nimmt sich Schelling dagegen noch nicht vor, sein System gegen die Wissenschaftslehre kraß abzugrenzen, sondern seine Kritik richtet sich dem Anschein nach gegen Eschenmayer. ’ Kondylis macht diesen Gedankensprung. Er ist der Überzeugung, daß die Schrift Darstellung vor dem Wintersemester 1800/01 ihre endgültige Form gehabt habe {Kondylis, a. a. O., 617f).

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vom 30. Juli 1805 seine Wende im Jahr 1801 ein: „[...] seit dem Augenblick, daß mir das Licht in der Philosophie aufgegangen ist, seit 1801, wo ich die bekannten Aphorismen [sc. Darstellung erscheinen ließ [... 1 “ ®. So ist es nun unser weiteres Ziel, die Frage zu klären, was Schelling in der Schrift Darstellung neu konzipiert und was in den ersten Monaten des Jahres 1801 sein Hauptanliegen ist. Diese Untersuchung ermöglicht zugleich die Klärung der Frage, worum das Gespräch zwischen Schelling und Hegel in diesem Zeitraum kreist. a) Schellings Weg zur Identitätsphilosophie Schellings Besinnung auf die absolute Identität in der Schrift System des transzendentalen Idealismus bildet eine Basis für den Entwurf der Identitätsphilosophie im Jahr 1801. In dieser Schrift ist die absolute Identität im Zusammenhang mit der Deduktion des Begriffs der,Geschichte' im Rahmen der praktischen Philosophie thematisiert. Schelling versteht dort die Geschichte als die Sukzession der Begebenheiten, in der sich „ein Ideal“ unter den zahllosen Abweichungen realisiere, und zwar nicht in den einzelnen Begebenheiten, sondern im Progressus als Ganzes (vgl. SW III, 588ff). Dieses Ideal oder die „prästabilierte Harmonie“ zwischen Gesetzmäßigkeit und Freiheit in der Geschichte ist nach Schelling allein denkbar durch „etwas Höheres“, das üöer beiden ist und der Grund von beidem ist. Schelling bezeichnet dieses Höhere als die absolute Identität, denn ihm kommt gar keine „Duplizität“ (Subjektives und Objektives, Bewußtes und Bewußtloses, Freies und Gesetzmäßiges usw.) zu, welche die Bedingung alles Bewußtseins ist. Das Höhere ist ohne jede Vermittlung schlechthin identisch (vgl. SW III, 600)L Vergleicht man diesen Begriff der absoluten Identität mit dem späteren, so fällt auf, daß Schelling hier die Ansicht mit Nachdruck herausstellt, daß diese Identität alles Bewußtsein übertreffe. Sie gelangt nie zum Bewußtsein, sondern sie bleibt das „ewig Unbewußte“ (SW III, 600, vgl. 351). Dadurch daß man sie reflektiert, d. h. zu einem Gegenstand des Bewußtseins macht, trennt sie sich, und sie läßt sich nicht ursprünglich erfassen; das gesamte System der Endlichkeit ergibt sich aus dieser Trennung des absolut Identischen. Daher wird die absolute Identität nach Schelling nie das Objekt des

® BuD 111,222. Vgl. H. Zeltner: Schelling. Stuttgart 1954.52,286; ders.: Das Identitätssystem. In: H. M. Baumgartner (Hrsg.): Schelling Freiburg/München 1975. 76; Tilliette: Schelling Une Philosophie en devenir. Paris 1970. T. 1. 237. ’’ Vgl. dazu W. Marx: Schelling: Geschichte, System, Freiheit. Freiburg/München 1977. 66, 80; Tilliette: Schelling 225 f.

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Wissens, sondern sie ist der Gegenstand des Glaubens oder des Voraussetzens. Schelling handelt demnach am Ende des Systems der praktischen Philosophie diejenige Stufe des Wissens ab, in der diese absolute Identität als Gott aufgefaßt wird. Gott ist hier der Grund der ursprünglichen Vereinigung von Freiheit und Notwendigkeit in der Geschichte; für das Bewußtsein, das an diesen Gott glaubt, ist die Geschichte jetzt eine Offenbarung des Absoluten (vgl. SW III, 600ff, 603). Diese im Glauben vorausgesetzte absolute Identität ist bei Schelling zu gleicher Zeit das Prinzip der ganzen Philosophie. Diese absolute Identität ist der Grund der Übereinstimmung zwischen der ideellen und der reellen Welt (oder der Vorstellung in uns und der objektiven Welt) — deren Erklärung eben die Hauptaufgabe der Philosophie ist (vgl. SW III, 342,348f, 624). So erhebt sich in der Systematik Schellings die Frage, wie dieses Absolute, das nie reflektiert werden kann oder schlechthin „nichtobjektiv“ ist, doch „zum Bewußtsein hervorgerufen und verstanden werden“ soll (SW III, 624, vgl. 351). Hieran ersehen wir, daß sich Schelling nunmehr der Thematik der Identitätsphilosophie (der vollständigen Erkenntnis des Absoluten) annähert. Allerdings muß betont werden, daß die Auffassung von der absoluten Identität und damit die Systemkonzeption im System des transzendentalen Idealismus von der in der Darstellung meines Systems der Philosophie noch entscheidend abweicht. Schelling erklärt in jener Schrift, daß die absolute Identität, das absolut „Nichtobjektive“, nur unmittelbar und intellektuell angeschaut werden kann, und zwar ist diese intellektuelle Anschauung selbst wiederum unbegreiflich, d. h. sie kann nicht objektiv werden (vgl. SW III, 625). Schelling mußte sich deswegen im letzten Hauptabschnitt jener Schrift bemühen, „ein allgemeines Organ“ der Philosophie zu deduzieren; und er ordnete in diesem Zusammenhang der theoretischen und der praktischen Philosophie die Philosophie der Kunst über: Erst durch die „zweite“, nämlich ästhetische Anschauung kann jene intellektuelle Anschauung objektiv werden. Ihr Produkt, d. h. das Kunstwerk, gleichsam reflektiert uns jene absolute Identität, was sonst durch nichts reflektiert wird, was sich bereits im ,Ich‘, im ersten Akt des Bewußtseins trennt (vgl. SW III, 625f). Auf diese Weise ist die Kunst jetzt — im Gegensatz zur Systemkonzeption der Identitätsphilosophie — „das Höchste“, d. h. „das einzige wahre und ewige Organon zugleich und Dokument der Philosophie“ (SW III, 627)*. Sie ist nämlich das fundamentale Instrument der Philosophie, das die absolute Identität, „das Allerheiligste“, enthüllt; und sie beurkundet zugleich, was die Philosophie nur subjektiv begreifen und nie

* D. Jähnig ging sehr gründlich der Frage nach, oh dieser Schellingsche Anspruch auf die Kunst in der Tat berechtigt sei. Vgl. Jähnig: Schelling Die Kunst in der Philosophie. Bd. 1 (Pfullingen 1966), lOf, llOff, 222-231; Bd. 2 (Pfullingen 1969), 32-43, 285ff.

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äußerlich darstellen kann, indem sie es durch das Kunstwerk aus seiner Subjektivität herausbringt. Es war die Auseinandersetzung mit Fichte (der nach dem AtheismusStreit, im Juli 1799, Jena verlassen hatte), die Schelling zur weiteren Entwicklung des Begriffs der absoluten Identität veranlaßte. Fichte, der Schellings Schrift System des transzendentalen Idealismus „aufmerksam“ las, eröffnete mit seinem Urteil über diese Schrift im Brief vom 15. November 1800 diese Auseinandersetzung. Er widersprach dort entschieden der Entgegensetzung von Transzendental- und Naturphilosophie. Seine Einwendung richtete sich zweifelsohne gegen den Versuch, das Objektive (die Natur) zum „Ersten und Absoluten“ zu machen und das Subjektive (das Ich) aus ihm entstehen zu lassen (vgl. SW III, 342). Hier stützte sich Fichte auf das Argument: Die Realität der Natur erscheine in der Transzendentalphilosophie „als durchaus gefunden, und zwar fertig und vollendet“, nach den immanenten Gesetzen der Intelligenz (vgl. BuD II, 290f). Es war Fichtes Überzeugung, daß die Natur nie und nimmer als „Eine Tätigkeit“, sich selbst zu produzieren, gedacht werden könne, sondern daß sie der Intelligenz nur als etwas Gefundenes erscheine, mit seinen Worten: „[...] alles Sein ist nur in Beziehung auf ein Wissen“ 9. Von diesem Standpunkt her legte Fichte Schellings Ansatz aus: Wenn eine Wissenschaft durch die Abstraktion von der Intelligenz allein die Natur zum Objekt mache, dann müsse sie die Natur als Absolutes setzen und sie „durch eine Fiction sich selbst construieren lassen“ (BuD II, 291). Für Fichte ist das Handeln des Ich, welches in sich selbst zurückkehrt und sich selbst zum Gegenstand macht, was für das ursprüngliche Ich die ,Tathandlung‘ und für den Beobachtenden (Philosophen) die Tatsache (Faktum) ist, das Erste, dem nichts vorhergeht (vgl. FW I, 458f, 465, 440; XI, 370). Der Beobachtende kann also bei Fichte nur dieses Handeln als Ursprünglichstes anschauen; Schelling versucht dementgegen nach Fichtes Interpretation, durch eine Fiktion dieses Handeln weiter von der Natur abzuleiten. Diese kritische Bemerkung Fichtes wirkte auf Schelling als ein Anstoß, einmal die „Differenz“ der Ansichten der beiden zu beleuchten, zum anderen seinen Begriff der Natur zu durchdenken und sie als das ursprünglich Identische (das „reine Subjekt-Objekt“) zu explizieren. Seine Einstellung zur Wissenschaftslehre ist nun ambivalent: Er schreibt Fichte im Brief vom 19. November 1800 einerseits, daß die Wissenschaftslehre völlig für sich stehe, also an ihr nichts zu ändern sei; aber er sagt andererseits deutlich: „Wissenschaftslehre ist noch nicht Philosophie selbst“ (vgl. BuD II, 295f,

9 Fichte: Bei der Lektüre von Schellings transzendentalen Idealismus (1800): FW XI, 369, vgl. 370. Vgl. dazu R. Lauth: Die Entstehung von Schellings Identitätsphilosophie in der Auseinandersetzung mit Fichtes Wissenschaftslehre. Freiburg/München 1975. 93f, 105f.

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auch SW IV, 85). Wir können diesen Brief an Fichte sowie den fast zu gleicher Zeit geschriebenen Aufsatz Über den wahren Begriff der Naturphilosophie als Schellings Beweisführung dieser These ansehen, daß die Wissenschaftslehre nicht mit der Philosophie selbst gleichzusetzen sei. Fichte hatte im Versuch einer neuen Darstellung der Wissenschaftslehre die Auffassung vertreten, daß im unmittelbaren Selbstbewußtsein des Ich — was als „ein sich Setzen als setzend“, also keineswegs als das eines Objektiven verstanden werden solF“ — Subjektives und Objektives ohne jede Vermittlung unzertrennlich vereinigt und absolut Eins sei; und er nannte in diesem Sinne das Ich das „Subjekt-Objekt““. Schelling deutet diesen Fichteschen Begriff von „Subjekt-Objekt“ folgendermaßen um: Dieses „Subjekt-Objekt“ entstehe erst dadurch, daß das Ich im Selbstbewußtsein das Objektive (das Handelnde) identisch mit sich (dem Anschauenden) setze (vgl. BuD II, 296; SW IV, 85f). Die Wissenschaftslehre setzt nach Schellings Überzeugung von vornherein die Entgegensetzung von Bewußtsein und Gegenstand voraus und beobachtet ihr Objekt (das „SubjektObjekt“) nur in der Form eines bereits zur Identität mit dem Anschauenden (dem Ich) Gehobenen. Mit anderen Worten: Fichte geht von dem „Subjekt-Objekt“ aus, das bereits durch die Gleichsetzung mit dem Ich „Metamorphosen“ durchlaufen hat. Diese „Metamorphosen“ sind unausbleiblich, solange man das „Subjekt-Objekt“ ins Bewußtsein erhebt. In dieser Hinsicht bezeichnet Schelling diesen Fichteschen Begriff als „das Subjekt-Objekt des Bewußtseins“. Hiergegen unterstreicht Schelling die Notwendigkeit, das Objekt (das Handelnde) „in seinem ursprünglichen Entstehen im Moment seines ersten Hervortretens“ (SW IV, 85) zu erblicken. Der Wissenschaftslehre fehlt es nach seiner Meinung eben an dieser Betrachtung des Objektiven im ursprünglichen Entstehen, d. h. an dem „rein theoretischen“ Teil des Systems der Philosophie (vgl. BuD II, 296f, SW IV, 86)12. Diese Überlegung führte Schelling auch zur Revision der Methode der Philosophie: „Ich fordere zum Behuf der Naturphilosophie die intellektuelle Anschauung, wie sie in der Wissenschaftslehre gefordert wird; ich fordere aber außerdem noch die Abstraktion von dem Anschauenden in dieser

'*> Vgl. hierzu D. Henrich: Fichtes ursprüngliche Einsicht. Frankfurt a. M. 1967. 21 ff. " Vgl. FW I, 529; dieser Aufsatz erschien 1797 im Philosophischen Journal, Bd. VII, Heft 1. S. auch FW I, 98 Anm. '2 Vgl. W. Schulz: Fichtes und Schellings philosophische Entwicklung im Grundriß. In: Fichte-Schelling. Briefwechsel. 41. Diese kritische Bedeutung gegenüber der Wissenschaftslehre in diesen Schellingschen Ausführungen in der Schrift Über den wahren Begriff sowie im Brief an Fichte kommt bei Görland nicht zur Sprache. Vgl. /. Görland: Die Entwicklung der Frühphilosophie Schellings in der Auseinandersetzung mit Fichte. Frankfurt a. M. 1973. 177-186.

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Anschauung, eine Abstraktion, welche mir das rein Objektive dieses Akts zurückläßt, welches an sich bloß Subjekt-Objekt, keineswegs aber = Ich ist“ (SW IV, 87 f). Die intellektuelle Anschauung ist nicht mehr das endgültige Verfahren, sondern der Philosoph muß von dem Subjektiven, d. h. von dem Anschauenden in dieser Anschauung abstrahieren. Hier knüpft Schelling offenbar an Fichtes Begriff der ,Abstraktion‘ an. Fichte entwickelte diesen Begriff allerdings in einem anderen Kontext. Um das ursprüngliche ,Handeln“ des Ich, das der Grund alles Seins ist, unmittelbar zu erfassen, forderte er dazu auf, zunächst von allem Sein zu abstrahieren (vgl. FW I, 457, auch 425)13. Demgegenüber verlangt Schelling die Abstraktion von der subjektiven, anschauenden Tätigkeit, um das „Subjekt-Objekt“ in seiner „Objektivität“, d. h. vor aller Modifikation durch das Bewußtsein, zu begreifen („depotenzieren“)!“*. Anzumerken ist jedoch, daß Schelling hier die Probleme unentwickelt läßt, wie einerseits diese Abstraktion realiter ausgeführt wird und wie andererseits das „Subjekt-Objekt“, das sich durch diese Abstraktion erlangen läßt,,objektiv“ (für das Bewußtsein begreifbar) werden kann. Nach dieser Abstraktion bleibt nun das depotenzierte, d. h. „reine SubjektObjekt““ zurück (SW IV, 86; BuD II, 296). Dieses reine oder rein objektive (im Sinne Schellings) „Subjekt-Objekt““ ist bei Schelling nichts anderes als die Natur. Hier bezieht sich Schelling auf sein Verständnis der Natur in der Schrift Einleitung zu dem Entwurf-, er hat dort die Natur als das Sein selbst (als Grund alles einzelnen Seins) und als die reine Identität expliziert, welche sich aus sich selbst produzierti^. Schelling erhält jetzt einerseits diesen Begriff aufrecht, andererseits variiert er ihn in bezug auf den Fichteschen Begriff des „Subjekt-Objekts““: Die Natur ist jetzt das „SubjektObjekt“ im Moment seines ursprünglichen Entstehens; sie ist andererseits — wie Schelling früher dachte — eine reine Identität und Produktivität, die sich durch alle Potenzen hindurch konstruiert und dann — das ist ein Novum — in der höchsten Potenz als das Ich (das „Subjekt-Objekt des Bewußtseins““) erscheint (vgl. SW IV, 90f, 96f). Bei dieser Entwicklung des Begriffs der Natur greift Schelling dann auf den Ansatz in seiner frühesten Konzeption der Naturphilosophie zurücki®. Vgl. A. Ohmine: Untersuchungen über die Fichtesche Philosophie (Jap.). Tokio 1976. 99f. Auch im System des transzendentalen Idealismus erwähnt Schelling die Abstraktion, genauer, „die transzendentale Abstraktion“, aber dieser Begriff hat dort einen anderen Sinn: Die transzendentale Abstraktion ist die Handlung, das Anschauen selbst und das, was die Anschauung (als Anschauung eines Objekts) bestimmt — beides ist in der ursprünglichen Anschauung vereinigt — zu trennen (vgl. SW III, 51 If). Vgl. SW III, 283f, 287f, 308, auch III, llf; IV, 6. Es ist deutlich zu erkennen, daß Schelling hier auf Spinozas Begriff der Substanz als causa sui und auf den der natura naturans Bezug nimmt; vgl. hierzu u. S. 145. 16 Vgl. o. S. 96 f; vgl. auch SW III, 271, 348.

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III. Reflexion und Spekulation

Er legt das „reine Subjekt-Objekt“, die Natur, als das unbewußt produzierende Ich aus. Die Selbstkonstruktion der Natur gehört zur bewußtlosen Tätigkeit des Ich, während jene Identifikation von Subjekt und Objekt im Selbstbewußtsein durch die bewußte, also freie Tätigkeit des Ich entsteht. Schelling erklärt dieses Verhältnis später in der Münchner Vorlesung Zur Geschichte der neueren Philosophie näher: Der erste Zustand des Ich sei „ein außer-sich-Sein“. Schelling schreibt nämlich dem Ich einen Moment zu, wo es seiner selbst noch nicht bewußt war. Die Tätigkeit des Ich jenseits des Bewußtseins wird als die Bemühung charakterisiert, seiner selbst bewußt zu werden, d. h. als die „Arbeit des zu-sich-Kommens“ — was Schelling in Über den wahren Begriff als die Selbstkonstruktion des „Subjekt-Objekts“ denkt. Diese Bemühung des Ich hört auf, wenn es das Bewußtsein erlangt; diese Tätigkeit selbst kommt jedoch nicht in das Bewußtsein, sondern nur ihr Resultat; dieses Resultat ist gerade die Natur (als Produkt) oder die Außenwelt (vgl. SW X, 93f; auch IV, 91). So hat das Ich, das sich selbst anschaut, gleichsam seine Vorgeschichte (eine allem Bewußtsein vorausgehende „transzendentale Vergangenheit“). Sein Selbstbewußtsein, von dem die Wissenschaftslehre auszugehen sucht, gilt demnach bloß subjektiv, d. h. nur in bezug auf das Anschauende (das Bewußtseiende), als die erste Tätigkeit, aber es setzt, für sich genommen, seinen unbewußten Zustand voraus. Diese Kritik an der Wissenschaftslehre und die Betrachtung über die Natur als „reines Subjekt-Objekt“ haben nun eine klare Umwertung der Naturphilosophie (des „rein theoretischen“ Teils der Philosophie) innerhalb der Systematik Schellings nach sich gezogen. Hatte Schelling bis dahin der Transzendental- und der Naturphilosophie die gleiche Notwendigkeit zuerkannt und die beiden als die sich wechselseitig ergänzenden Grundwissenschaften der Philosophie angesehen (vgl. SW III, 272f, 342), so vertritt er jetzt die Auffassung, daß die Priorität ohne Zweifel der Naturphilosophie zukomme. Denn der Standpunkt der Transzendentalphilosophie (die Gleichsetzung von Subjekt und Objekt) wird erst durch die Durchführung der Naturphilosophie gesichert, anders ausgedrückt: Die erstere verdankt der letzteren ihre „theoretische Grundlage“ (vgl. SW IV, 92, auch 84, 88; BuD II, 296). Das „reine Subjekt-Objekt“ soll also dieser Konzeption zufolge im grundlegenden Teil des Systems behandelt werdeni^. Dies bedeutet einerseits, daß Schelling dem Entwurf der Identitätsphilosophie

” Schelling konzipiert noch gegen Ende des Jahres 1800 wie im System des transzendentalen Idealismus die Philosophie der Kunst als den dritten Teil des Systems. Diese drei Teile machen jetzt „Eine ununterbrochene Reihe“ aus, d. h. Schelling entwirft ein System, das sich von der Naturphilosophie zur Philosophie der Kunst in einer Kontinuität entwickelt (vgl. SW IV, 86, 89; BuD II, 296).

1. Die Entstehung der Identitätsphilosophie Schellings

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näher kommt, obwohl es andererseits noch eine entscheidende Distanz gibt: Die absolute Identität wird in der Identitätsphilosophie nicht mehr }nt Rehmen der Naturphilosophie erörtert. b) Die spekulative Erkenntnis der absoluten Identität gchellings Wende zur Identitätsphilosophie gründet auf der Überzeugung, daß das System der Philosophie nicht mehr in einer „einseitigen“ Darstellung der Natur- oder der Transzendentalphilosophie, sondern „in seiner ganz eigenthümlichen Gestalt“ erscheinen müsse (vgl. SW IV, 108). Diese Äußerung hängt ohne Zweifel mit seinem neuen Verständnis des Absoluten hzw. dpr absoluten Identität zusammen, das einerseits seine bisherigen Überlegungen darüber voraussetzt, aber andererseits davon entscheidend divergiert. Schelling faßt die absolute Identität jetzt als das einzig wahrhaft geiende auf und bestimmt die Aufgabe der Philosophie als die Erkenntnis dieses wahrhaft Seienden. Während früher die absolute Identität auf dem Wege der Grundlegung entweder der Transzendentalphilosophie oder der hJaturphilosophie gefunden wurde, stellt Schelling nun die Frage nach der absoluten Identität in einer noch grundsätzlicheren Weise und verläßt damit den Weg der angedeuteten Grundlegung. Offenbar ist es Spinozas monistische Substanzlehre, die Schelling bei dieser Konzeption des AbsolU' ten als Vorbild diente*. In Anlehnung an Spinoza denkt er jetzt die absolute Identität als die Eine Substanz, die schlechthin oder an sich ist; Außer der absoluten Identität ist nichts, d. h. alles, was ist, ist die absolute Identität selbst^?. Schelling folgt allerdings nicht einfach Spinozas Theorie. Er ist Überzeugt, daß Spinoza zwar zurecht die These aufgestellt habe, daß alles, was sei, die absolute Identität oder die Unendlichkeit selbst sei. Aber Spinoza habe nach Schellings Verständnis den Beweis für diese These nicht vollständig erbracht (vgl. SW IV, 120). Die Beweisführung dieser These wird erst durch die vollständige Erkenntnis und Erörterung der absoluten Identität möglich. Der Versuch dieser vollständigen Erkenntnis des Absoluten

Düsing betont zurecht diesen Rekurs Schellings auf Spinoza. Vgl. Düsing: Das Problem der Subjektivität. 136f; ders.: Idealistische Substanzmetapjiysik. In: Hegel-Studien. Beih, 20 (1980). 25—44, bes. 26, 34. Vgl. auch Zeltner: Das Identitätssystem. 76f; W. Marx, a. a. O., 104. Vgl. sw IV, 113, 119f, 136, 153f; Spinoza: Ethica 86 (I, Def. 3), 106 (I, Prop. 14, 15). Wir sollten hier berücksichtigen, daß Schelling bereits in der Schrift Vom Ich und in den Philosophischen Briefen über Dogmatismus und Kriticismus Spinozas Substanzlehre verarbeitete (vgl. o. S. 60 f, 68 f). Er betonte jedoch dabei den Unterschied seiner Position von der Spinozanischen Philosophie dahingehend, daß er von dem absoluten Ich ausgehe, während Spinoza von dem absoluten Objekt oder von dem Nicht-Ich ausgehe (vgl. Br I, 22).

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III. Reflexion und Spekulation

oder die Gleichsetzung der absoluten Identität mit der Vernunft (vgl. SW IV, 118) ist gerade das, was dem Schellingschen Verständnis der absoluten Identität in der Darstellung meines Systems der Philosophie — im Vergleich zu seinen früheren Betrachtungen der absoluten Identität — ein besonderes Gepräge verleiht. Diesen Neuansatz, der auf der eigentümlichen Rezeption der Spinozanischen Substanzlehre basiert, können wir folgendermaßen exponieren: (1) Schelling versteht unter der Vernunft die „totale Indifferenz des Subjektiven und Objektiven“ (SW IV, 114). Die ,Abstraktion‘ von dem Subjektiven oder dem „Denkenden“ ist für Schelling die absolute Bedingung für diese ,Indifferenz‘2o. Durch diese Abstraktion hört die Vernunft auf, ein Subjektives zu sein, das dem Objektiven gegenübersteht; und auch das Objektive geht hier verloren, da es nur im Gegensatz zum Subjektiven möglich ist. Die Vernunft wird jetzt „durch jene Abstraktion zu dem wahren An-sich, welches eben in den Indifferenzpunkt des Subjektiven und Objektiven fällt“ (SW IV, 115). Die Vernunft erreicht also durch diese Abstraktion das „wahre An-sich“, d. h. das wahrhaft Seiende, genauer gesagt, sie selbst wird zu diesem an sich Seienden. Die Vernunft ist also in dieser Konzeption nicht bloß ein Erkenntnisvermögen oder ein Instrument der Philosophie, sondern zugleich das wahrhaft Seiende, das Absolute selbst, welches jenseits der Spaltung von Subjekt und Objekt steht. (2) Die Vernunft erkennt die Dinge, wie sie an sich sind; was an sich ist, ist also zugleich das, was in der Vernunft ist. Diese vernünftige Erkenntnis wird von der Reflexion schlechthin unterschieden, welche nur das dem Subjekt Erscheinende erkennt (vgl. SW IV, 115ff, 119ff, 122). (3) Diese vernünftige Erkenntnis ist eine absolute Erkenntnis, d. h. sie ist und fungiert in der absoluten Identität selbst, weil alles, was ist, die absolute Identität selbst ist (vgl. SW IV, 121). (4) Aus alledem erhellt nun, daß die absolute Identität nicht mehr das „ewige Unbewußte“ ist, wie Schelling im System des transzendentalen Idealismus dachte (vgl. o. S. 135 f); sondern es ist gerade die Aufgabe der Philosophie, sie vollständig zu erkennen und auszulegen. Indem die Vernunft die absolute ,Indifferenz' des Subjektiven und Objektiven erlangt, befindet sie sich im Absoluten selbst und erkennt dieses adäquat und vollständig. Diese neue Explikation des Absoluten vollzog sich nun nicht ohne Anregung durch die Erkenntnislehre Spinozas. Spinoza hatte bekanntlich drei Hier bezieht sich Schelling offensichtlich auf den Ansatz in Über den wahren Begriff (vgl. o. S. 138 f); er intendiert, durch diese Abstraktion die Entgegensetzung von Subjekt und Objekt, an die die vom Ich ausgehende Philosophie (Fichte) gebunden ist, zu überwinden. Weiterhin ist anzumerken, daß der Begriff der ,Indifferenz“ hier eine völlig neue Bedeutung bekommt. In der Einleitung zu dem Entzüujf verstand Schelling die .Indifferenz“ als ein „Drittes““, als ein Synthetisches der Gegensätze in der Natur; und zwar meinte er dabei, daß nur eine relative, partielle .Indifferenz“ in der Natur möglich sei (vgl. o. S. 120). Dagegen besagt die .Indifferenz“ in der Darstellung die absolute Identität, welche allein an sich ist.

1. Die Entstehung der Identitätsphilosophie Schellings

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Erkenntnisarten unterschieden. Die Erkenntnis der ersten Art ist opinio und imaginatio, d. h. die Erkenntnis, die aus den einzelnen Erfahrungen durch die Sinne induktiv hergeleitet wird und die sich aus der Erinnerung oder aus der Einbildung ergibt. Diese Erkenntnis ist nicht immer falsch, aber wenn ihr nicht die ,rationale Ordnung' hinzugefügt wird, wird sie wohl die Ursache der Falschheit (z. B.: Die Sonne scheint uns viel näher zu sein, als in der Wirklichkeit, und wenn wir auf diese Erfahrung insistieren, dann geraten wir in Irrtum)^!. Die zweite ist die Verstandeserkenntnis (ratio). Sie besteht aus „notiones communes, rerumque proprietatum ideas adaequatas“: Sie betrachtet die Dinge nicht als die Zufälligen, sondern als die Notwendigen, d. h. in bezug auf Gott, indem sie das begreift, „quae omnibus communia, quaeque aeque in parte, ac in toto sunt“. Die universalen Begriffe bilden also die Grundlage dieser Verstandeserkenntnis^^. Im Hinblick auf Schellings Aufnahme der Spinozanischen Erkenntnislehre müssen wir dabei darauf achten, daß Spinoza diese zweite Erkenntnis für notwendig wahr hält. Sie wird nämlich auf keinen Fall die Ursache der Falschheit, sondern sie (sowie die dritte Erkenntnis) faßt die Dinge sub quadam aeternitatis specie auf, während die Erkenntnis der ersten Art die Dinge nur im zufälligen Zusammenhang beobachten kann^^. Die dritte Art der Erkenntnis ist nun die scientia intuitiva. „Hoc cognoscendi genus procedit ab adaequatä ideä essentiae formalis quorundam Dei attributorum ad adaequatam cognitionem essentiae rerum“^^. Diese intuitive Erkenntnis erfaßt also unmittelbar die für die Menschen zugänglichen Attribute Gottes (d. h. Ausdehnung und Denken). Sie ist schlechthin adäquat und vollkommen. Aus dieser Erkenntnis wird es möglich, deduktiv genau zu zeigen, wie die Modi aus den Attributen Gottes folgen. Auf diese Weise ergibt sich aus der dritten Art der Erkenntnis die höchste Zufriedenheit und Freude des Geistes, begleitet von dem „Amor Dei Intellectualis“25,

21 Vgl. Spinoza: Ethica. 226, 228, 218 (II, Prop. 40, Schol. 2, Prop. 41, Prop. 35, Schol.). Spinoza unterschied im Tractatus de Intellectus Emendatione im Unterschied zu Ethica vier Erkenntnisarten: die Erkenntnis, die wir (1) „ex auditu“, (2) „ab experientiä vagä“ haben, (3) die Erkenntnis, „ubi essentia rei ex aliä re concluditur, sed non adaequatb“, (4) die Erkenntnis, „ubi res percipitur per solam suam essentiam, vel per cognitionem suae proximae causae.“ Vgl. Spinoza: Opera. Werke. Bd. II. 16 (§ 19). 22 Vgl. a. a. O., 226 (II, Prop. 40, Schol. 2), auch 218,232; 546 (II, Prop. 38,44; V, Prop. 36, Schol.). Vgl. dazu G. H. R. Parkinson: Spinoza’s theory of knowledge. Oxford 1964 (2. Aufl.). 164ff; G. Floistad: Spinoza’s theory of knowledge. In: P. Kashap (Hrsg.): Studies in Spinoza. Berkeley 1972. 257 ff. 25 Vgl. Spinoza, a. a. O., 228, 234 (II, Prop, 41, Prop. 44, Coroll. 2). 24 Vgl. a. a. O., 226 (II, Prop. 40, Schol. 2). 25 Vgl. H. F. Hallett: Benedict de Spinoza. The Elements of his philosophy. London 1957. 76f, 79. Vgl. auch /. König: Der Begriff der Intuition. Halle 1926. 48 ff.

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III. Reflexion und Spekulation

Es unterliegt keinem Zweifel, daß Schelling mit seinem Verständnis der Vernunft unter dem Einfluß dieser Lehre steht. Er merkt selbst an, daß die vernünftige Erkenntnis die Dinge an sich betrachte und der dritten Erkenntnisart Spinozas entspreche (vgl. SW IV, 144 Anm.). Schelling räumt nämlich — im Gegensatz zu seiner Konzeption im System des transzendentalen Idealismus — mit Spinoza ein, daß es möglich ist, die Dinge sub quadam aeternitatis specie, also „ohne alle Beziehung auf Zeit“ (SW IV, 117) zu erkennen, und er bezeichnet diese Erkenntnis als die der Vernunft. Diese Erkenntnis ist eine intuitive Erkenntnis, wie Schelling im Brief an Fichte vom 3. Oktober 1801 artikuliert: Das Absolute könne „durch ein stufenweises Aufsteigen von unten nie erreicht, sondern nur mit Einemal und auf absolute Art gefaßt werden“ (BuD II, 350); d. h. die vernünftige Erkenntnis ist ein unmittelbares Innewerden des Absoluten. Schelling beabsichtigt freilich nicht, der Lehre Spinozas treu zu bleiben. Wie wir gesehen haben, legt er die Vernunft als das „wahre An-sich“ aus, das die totale ,Indifferenz“ von Subjektivem und Objektivem ist; und er geht von der völligen Gleichsetzung der Vernunft mit der absoluten Identität aus. Schelling ist auch in demjenigen Punkt nicht mit Spinoza einig, wo er die intuitive vernünftige Erkenntnis der absoluten Identität als die einzige unbedingte Erkenntnis ansieht. Das diskursive Denken oder die Reflexion wird dieser intuitiven Erkenntnis schroff entgegengesetzt: Jene kann — so bestimmt Schelling das Verstandesdenken ganz anders als Spinoza — die Dinge nicht an sich oder unter der Form der Ewigkeit, sondern nur in der Zeit (in der Erscheinung) erkennen, indem sie die Entgegensetzung von Subjekt und Objekt voraussetzt und dieser Entgegensetzung nicht entkommt (vgl. SW IV, 113, 115, 117). Mit anderen Worten: Der Gegenstand der Reflexion ist nach Schelling nur das „einzelne Sein“, welches außerhalb der absoluten Identität ist und an sich nicht ist. Die Reflexion baut sich auf der „willkürlichen Trennung“ dessen auf, was an sich die absolute Identität ist (vgl. SW IV, 125f). In der Reflexion findet Schelling also — was auch Hegels Lehre entgegensteht (vgl. S. 158 f) — keine wesentliche Bedeutung; die Funktion des diskursiven Denkens bei der systematischen Entwicklung der absoluten Identität kommt hier nicht zur Sprache^®. Bemerkenswert ist übrigens, daß er in seiner Rede von dem „Standpunkt der Reflexion“ sowohl Eschenmayers als auch Fichtes Philosophie vor Augen hat (vgl. SW IV, 109, 113). Wie gezeigt wurde, war Schellings kritische Einstellung zur Wissenschaftslehre bereits in Über den wahren Begriff deutlich zu erkennen: Er bemängelte, daß die Wissenschaftslehre das Bewußtsein (also die Entgegensetzung von Subjekt und Objekt) voraussetzt und daß sie von dem zur Identität mit dem Anschauenden (Bewußtseienden) gehobenen 26

Vgl. Düsing: Spekulation und Reflexion. 116.

1. Die Entstehung der Identitätsphilosophie Schellings

145

,Subjekt-Objekt' ausgehe (vgl. S. 138). Aber Schelling sprach dabei die Inanspruchnahme der intellektuellen Anschauung durch die Wissenschaftslehre nicht als ungerechtfertigt an, sondern er wies nur auf die Unvollkommenheit der intellektuellen Anschauung der Wissenschaftslehre hin (vgl. SW IV, 87). Dagegen hebt Schelling jetzt hervor, daß die Wissenschaftslehre mit der Entgegensetzung von Subjekt und Objekt behaftet sei und deswegen immer auf dem Standpunkt der Reflexion stehenbleibe. Wir haben gesehen, daß Schelling die Reflexion als ein Erkenntnisvermögen denkt, das die Dinge in der Zeit oder auf dem Gebiet der Erscheinung betrachtet. Spekulation nennt er nun demgegenüber die intuitive Erkenntnis, welche die Dinge an sich oder ,unter der Form der Ewigkeit' begreift (vgl. SW IV, 136,170,174). Diese Erkenntnis entspricht, wie gezeigt wurde, der Erkenntnis der dritten Art bei Spinoza, d. h. der scientia intuitiva; Schelling kennzeichnet diese dritte Erkenntnis Spinozas als die „ächt speculative Erkenntnis“ (SW IV, 144 Anm.). Diese direkte Inbeziehungssetzung der Spekulation zur ,scientia intuitiva' ist bei Schelling neu. Allerdings meint er bereits in der Einleitung zu dem Entwurf (1799) mit der Spekulation nicht mehr wie in der ersten Auflage der Ideen zu einer Philosophie der Natur (1797) ein Denken von der Art des Verstandes, sondern er konzipiert dort aufgrund des veränderten Begriffs der Spekulation eine „spekulative Physik“. Auch bei dieser Konzeption spielt die Lehre Spinozas eine bestimmende Rolle; Schelling legt ihr den Begriff der natura naturans zugrunde. Für Spinoza bedeutet die,natura naturans' Gott als ,causa libera', d. h. das, „quod in se est, et per se concipitur“, und damit seine Attribute, welche die ewige und unendliche Wesenheit ausdrücken. Unter der ,natura naturata' versteht Spinoza dagegen alles, was aus der Notwendigkeit der Natur Gottes oder der Natur seiner Attribute erfolgt, d. h. die gesamten Modi, welche ohne Gott weder sein, noch begriffen werden können, sondern in Gott sind27. In Anknüpfung an diese Lehre erklärt Schelling, es sei eben das Geschäft der spekulativen Physik, zu zeigen, daß die Natur nicht bloß ,Produkt‘, nämlich der Inbegriff der Erscheinungen, sondern zugleich ,produktiv' sei. Die spekulative Physik ist nämlich ein Versuch, alle Erscheinungen der Natur aus einem absoluten Prinzip abzuleiten, welches die reine Produktivität ist, m. a. W. die Natur selbst zu „konstruieren“ (vgl. SW III, 277f, 283f). Schelling bezeichnet diese Einheit von ,Produktivität' und ,Produkt' in der spekulativen Physik als den „Spinozismus der Physik“ (SW III, 273). Die ,Spekulation' besagt also in der vorliegenden Schrift nicht mehr das Verstandesdenken, aber auch noch nicht die intuitive Erkenntnis der absoluten Identität, sondern die Ableitung der Erscheinungen

27

Vgi. Spinoza, a. a. O., 132 (I, Prop. 29, SchoL)-

146

III. Reflexion und Spekulation

der Natur von dem absoluten Prinzip als reiner Produktivität oder die ,Konstruktion“ der Natur selbst^». Wir sollten hier nicht außer acht lassen, daß jene vernünftige Erkenntnis des Absoluten mit dem Begriff der intellektuellen Anschauung eng zusammenhängt, welche Schelling bereits in seiner Schrift Vom Ich, in den Philosophischen Briefen über Dogmatismus und Kriticismus unter dem Anstoß Fichtes entwickelte. Dabei unterschied Schelling allerdings die intellektuelle Anschauung scharf von Spinozas „Anschauung eines absoluten Objekts“; die intellektuelle Anschauung bedeutete für ihn nichts anderes als jenes, sich in sich selbst zurückzuziehen und die Identität des ,anschauenden Selbst“ mit dem ,angeschauten“ zu erlangen^s. Aber die Grundzüge dieser Anschauung kommen denen jener intuitiven Erkenntnis in der Darstellung nahe: Die intellektuelle Anschauung wird dann möglich, wenn man aufhört, für sich selbst Objekt zu sein; und dies geschieht jenseits von Zeit und Dauer (vgl. SW I, 319, auch 181). Zusammen mit dieser strukturellen Entsprechung ist aber auch zu bemerken, daß Schelling in der Darstellung mit dem Begriff der ,intellektuellen Anschauung“ vorsichtig umgeht, was er später eigens betont (vgl. SW X, 147). In der Darstellung bemüht er sich ebenso wie in Über den wahren Begriff, seine Methode von der Fichteschen abzugrenzen: Er verlangt vor allen Dingen, vom „Denkenden““, das die intellektuelle Anschauung Fichtes voraussetzt, zu abstrahieren, weil man nur durch diese Abstraktion den Zugang zum Absoluten, zur totalen ,Indifferenz“ des Subjektiven und Objektiven finden kann (vgl. SW IV, 114). In den Ferneren Darstellungen aus dem System der Philosophie (1802) kennzeichnet Schelling allerdings diese unmittelbare Erkenntnis des Absoluten als die „intellektuelle Anschauung““ (vgl. SWIV, 346f, 368f u.ö.). Aber auch dabei betont er, daß die gänzliche Abstraktion von der „Subjektivität der intellektuellen Anschauung““ (SW IV, 360) notwendig sei. Das Gefüge des Absoluten in Schellings Identitätsphilosophie erregt nun unser besonderes Interesse, denn es enthält — was in einem folgenden Abschnitt III/2 dargelegt werden soll — einen grundlegenden Unterschied von dem in Hegels Differenz-Schrift. Schelling erklärt zuerst, daß die absolute Identität schlechthin ist; es gehört zu dem Wesen der absoluten Identität, zu sein^o. Dieses ,Sein“ aber fällt mit dem ,Wie“ zusammen: Die absolute Identität ist nur dadurch, daß sie gedacht wird, und zwar durch den Satz A = A; d. h. sie wird erst durch diesen Satz als seiend gesetzt. Die Form des Seins der absoluten Identität (der Satz A = A) wird also unmittelbar

2* 2® ling 3»

Vgl. auch Schelling: Allgemeine Deduktion des dynamischen Prozesses (1800): SWIV, 6,9. Vgl. o. S. 69. Vgl. auch /. Barion: Die intellektuelle Anschauung bei Pichte und Schelund ihre religionsphilosophische Bedeutung. Würzburg 1929. 76ff. Vgl. SWIV, 118. Vgl. auch Spinoza, a. a. O., 86, 92, 120 (I, Def. 1, Prop. 7, 20).

1. Die Entstehung der Identitätsphilosophie Schellings

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durch das Sein gesetzt. Zwischen Sein und Form gibt es keinen Übergang, sondern eine „absolute Gleichzeitigkeit“ (vgl. SW IV, 120). Diese Form wird dann — im Unterschied zu Hegels Verständnis des Absoluten (vgl. S. 170 f) — als die Identität der Identität gekennzeichnet. Denn in dem Satz A = A ist nur „ein und dasselbe ganze A“ anstelle des Subjekts A und des Prädikats A (also etwas Verschiedenes vom Subjekt A) gesetzt; der Satz A = A drückt nur aus, daß dasselbe sich selbst gleich ist. Kurz: Die absolute Identität ist nur unter der Form der Identität eines und desselben (vgl. SW IV, 121)31. Unmittelbar mit diesem SatzA = Awirddie Erkenntnis der absoluten Identität gegeben, denn die Form (der Satz A = A) bedeutet schlechthin, daß die absolute Identität gedacht wird (s. o.). Bei dieser Erkenntnis aber ergibt sich nicht das Verhältnis des Erkennenden zu dem von diesem getrennten Erkannten, sondern nur „das Selbsterkennen der absoluten Identität“: Die absolute Identität (d. h. zugleich die absolute Vernunft) erkennt durch ihre Form ihre Identität selbst (vgl. SW IV, 122). Schelling faßt diese absolute Identität, welche die absolute Totalität ist, auch als das Universum auf. Die absolute Identität ist in dem Sinne das Universum selbst, daß sie nur als Universum ist (vgl. SW IV, 129f). Zwischen den beiden gibt es keinen realen Unterschied, sondern das Universum ist die Weise, in welcher die absolute Identität (essentia) existiert32. Unbezweifelbar ist, daß sich Schelling hier auf Spinozas Identifikation von deus und natura („deus sive natura“)^^ bezieht. Für Spinoza ist Gott die immanente (also nicht transzendente) Ursache aller Dinge; und alles, was ist, ist in Gott und wird durch Gott begriffen. In Anknüpfung an diese Lehre setzt Schelling die absolute Identität mit dem Universum gleich. Erbetont dabei jedoch eigens, daß die absolute Identität „nicht Ursache des Universum[s], sondern das Universum selbst“ sei (SW IV, 129). Denn das Universum ist nichts anderes als die Seinsweise der absoluten Identität, mit anderen Worten: Die absolute Identität, insofern sie existiert, ist das Universum selbst (vgl. a. a. O.). Dieses Verhältnis von absoluter Identität und Universum ist durch das Kausalitätsverhältnis nicht zutreffend zu fassen, insofern dieses die Bestimmung eines Seienden durch ein anderes Seiendes besagt. Dieses gehört nach seiner Meinung nur zu dem „einzelnen Sein“, denn das „einzelne Sein“ kann nur da sein, indem es durch ein anderes endliches Sein

Uslar charakterisiert in dieser Hinsicht die „innere Bewegung“ der absoluten Identität als ein „Spiegelspiel“. Vgl. D. von Uslar: Die innere Bewegung der absoluten Identität bei Schelling. In: Studium Generale. 21 (1968). 503—514, bes. 507. Vgl. auch H. Fuhrmans: Schellings Philosophie der Weltalter. Düsseldorf 1954. 34f. 52 Vgl. dazu W. Metzger: Die Epochen der Schellingschen Philosophie von 1795 bis 1802. Heidelberg 1911. 122. 55 Spinoza, a. a. O., 382, 392 (V, Praef, und Prop. 4, Dem.).

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III. Reflexion und Spekulation

bestimmt wird^'^. Die Kausalität bedeutet also bei Schelling, daß ein (einzelnes) Seiendes den Grund seines Daseins nicht in sich selbst, sondern in einem anderen hat und daß es also außerhalb der absoluten Identität ist, zu deren Wesen das Sein notwendig gehört. Das einzelne Seiende ergibt sich nun bei Schelling daraus, daß die absolute Indifferenz von Subjektivität und Objektivität (A = A) gestört wird, d. h. daß in der Korrelation von Subjektivität und Objektivität das eine Korrelat das andere „quantitativ“ (oder der „Größe des Seyns“ nach) überwiegt (vgl. SW IV, 123ff). Diese „quantitative Differenz“ der Subjektivität und der Objektivität ist gerade der Grund aller Endlichkeit; das A = Ageht hier in ein A = B über. Die „quantitative Differenz“ aber ist, wie erwähnt wurde, nur außerhalb der absoluten Identität mögliches, welche keinerlei Differenz in sich birgt. Das heißt: Die „quantitative Differenz“ ist an sich nichts, sie ist nur in der Erscheinung gesetzt, denn die absolute Identität ist alles, was ist. Was hier noch geklärt werden soll, ist die Frage, wie ein Überwiegen der Subjektivität entsteht oder wie sich ein einzelnes Seiendes von dieser Identität trennt. Schelling gesteht ein, daß diese Frage nach dem Übergang zum einzelnen Seienden nicht in der Schrift Darstellung geklärt werden könne; dieser Schrift sei vielmehr angelegen, zu beweisen, „daß eine solche Absonderung nicht an sich möglich, und vom Standpunkt der Vernunft aus falsch, ja [...] die Quelle aller Irrthümer sey“ (SW IV, 128). Wir können hier nur andeuten, daß Schelling erst dann die Frage nach dieser Absonderung des Endlichen beantworten konnte, als er unter dem Einfluß Hegels das Absolute als die Einheit verstand, welche die Differenz in sich einbegreife (vgl. u. S. 171 f).

5'* Vgl. sw IV, 130. Auch Spinoza vertritt die Auffassung, daß jedes Einzelne picht da sein kann, ohne durch ein anderes bestimmt zu werden. Aber er legt dieses Verhältnis zugleich folgendermaßen aus: Jedes Einzelne folgt aus Gott oder einem Attribut Gottes, soweit dieses zu einem Modus modifiziert ist. Vgl. Spinoza, a. a. O., 128 (I, Prop. 28 und 28, Dem.). Zu Hegels Verständnis des Kausalitätsverhältnisses vgl. S. 170. Spinoza meint dagegen, daß auch die endlichen Dinge in Gott seien und in der Weise von Gott abhingen, daß sie ohne ihn weder sein, noch begriffen werden könnten. Vgl. Spinoza, a. a. O., 130 (I, Prop. 28, Schol.).

2. Hegels Konzeption der spekulativen Philosophie

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2. HEGELS KONZEPTION DER SPEKULATIVEN PHILOSOPHIE ÜND DIE AUSEINANDERSETZUNG MIT SCHELLING In der Sfehrift Differenz des Fichte’schen und Schelling’sehen Systems der Philosophie^ Versuchte Hegel, was im folgenden nachzuweisen ist, nicht mit eiheh Vergleich der Fichteschen und der Schellingschen Philosophie aniüstellerl uhd die Priorität der letzteren zu zeigen. Er beabsichtigte vielrftehf, einen Entwurf der „wahren Philosophie“ als System auszuarbeiten^, diese Not\Vertdigkeit erblickte er in der die Zeit entscheidend bestimmendeh jjMhtzweiüng“ (vgl. S. 151 f). Er machte sich in der vorliegenden Schrift zilhäehst äh die Probleme, die diesem Aufbau der Philosophie als System zugrunde lägen; und er tat dies, gerade indem er die Fichtesche und die Schellihgsche Philosophie einer Untersuchung unterzog. Unser Grundaspekt ist, diese neue Konzeption eines philosophischen Systems nicht allein als solche, sondern im Zusammenhang mit dem Frankfurter Ansatz zu betfächten und ebenso die Kontinuität des Denkens Hegels wie seinen Neuansätz in Jena zu beleuchten. Es besteht kein Zweifel daran, daß Hegel bei diesem Versuch auch Schellings neu erschienene Schrift Darstellung heranzog (vgl. den Begriff des „absoluten Indifferenzpunktes“, der „quantitativen Differenz“ usw.) und daß er den in dieser Schrift entworfenen neuen Ansatz weiterzuentwickeln suchte. Was im folgenden dargelegt werden soll, ist, daß Hegel hier jedoch nicht. Wie etwa Haym behauptet, ohne weiteres abhängig von Schellings Positiofl in dieser Schrift war und daß er sich darüber hinaus (in sehr vorsichtigen Formulierungen) damit auseinandersetzte. Hegel räumte einerseits eilt, daß sich die Identitätsphilosophie auf „einer ächten Spekulation“ aufbaue, aber er widersetzte sich andererseits entschieden der Auffassung, daß die Entgegensetzung des Subjektiven und Objektiven nicht an sich, sondern nur außerhalb des Absoluten möglich sei (vgl. u. S. 169). Hegel war zwar von der Überlegenheit der Schellingschen Identitätsphilosophie gegenüber der Fichteschen Philosophie überzeugt und erachtete es für not-

' Das Vorwort dieser Schrift trägt das Datum „Juli 1801“. Es scheint also, daß Hegel ungefähr zwei Monate nach der Erscheinung der Schellingschen Schrift Darstellung mit jener Schrift fertig wurde. Hegel schrieb in der ersten Hälfte des Monats August 1801 an Mehmel: „Überhaupt wird man wohl genötigt sein, Fichtes und Schellings Sache immer mehr zu trennen, und ich habe dies durch eine Schrift zu befördern versucht, die unter der Presse ist“ (Br VI/2, 6). Wir können aus Schellings Brief an Fichte vom 3. Oktober 1801 schließen, daß die DifferenH^Schrift spätestens zu Anfang Oktober 1801 erschien: „So ist erst dieser Tage ein Buch von einem sehr vorzüglichen Kopf erschienen, das zum Titel hat: Differenz des Fichteschen und Schellingschen Systems der Philosophie, an dem ich keinen Antheil habe, das ich aber auch auf keine Weise verhindern konnte“ (BuD II, 355). 2 Vgl. Fuhrmans: Schelling und Hegel Ihre Entfremdung (BuD I, 474, 480).

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III. Reflexion und Spekulation

Wendig, die Differenz der beiden ans Licht zu bringen. Aber er erkannte zugleich, wie oben angedeutet, die konstitutive Grenze der Schellingschen Philosophie. Er führte seine Aufgabe aus, die Grundlage für die „wahre Philosophie“ zu schaffen, indem er sich nicht nur mit der Fichteschen Philosophie, sondern auch mit dieser Begrenztheit Schellings kritisch befaßte^. a) Bedürfnis der Philosophie Hegels Grundanliegen ist in der „Vorerinnerung“ zu der vorliegenden Schrift deutlich formuliert: Es handelt sich um „das Bedürfnis nach einer Philosophie [...], von welcher die Natur für die Mishandlungen, die sie in dem Kantischen und Fichte’schen Systeme leidet, versöhnt, und die Vernunft selbst in eine Übereinstimmung mit der Natur gesetzt wird, nicht in eine solche, worin sie auf sich Verzicht thut oder eine schaale Nachahmerin derselben werden müßte, sondern eine Einstimmung dadurch, daß sie sich selbst zur Natur aus innerer Kraft gestaltet“ (GW 4. 8). Wir haben gesehen, daß Hegel in der Frankfurter Zeit das Bedürfnis, Subjektives und Objektives, Freiheit und Natur oder Unendliches und Endliches in einem Göttlichen zu vereinigen, diesen „Trieb“ nach Religion, als das höchste Bedürfnis des menschlichen Geistes ansprach (vgl. N 332). Er war der Auffassung, daß diese Vereinigung von Unendlichem und Endlichem nur durch die religiöse Erhebung zu erreichen sei. Auch in der neuen Fassung der Positivitäts-Schrift betonte er, daß das Bedürfnis, die Anschauung eines göttlichen Wesens zum belebenden Geist des menschlichen Lebens zu machen, seinen Ursprung in der menschlichen Natur selbst habe (vgl. N 146). Aber Hegel gestand zu Ende seines Frankfurter Aufenthalts ein, daß dieses Bedürfnis der Bemühung untergeordnet sei, die Philosophie als Bedingung aller Wissenschaften zu vollenden und systematisch zu entfalten: Das Verhältnis des Endlichen zum Unendlichen sei erst durch Begriffe gründlich und zutreffend zu erörtern (vgl. S. 128 f). Wir können also daraus folgern, daß Hegel mit jener Hervorhebung des Bedürfnisses der Philosophie in der DifferenzSc\ir'\ii dieses Programm einer metaphysischen Betrachtung des wahren Unendlichen zu Ende der Frankfurter Zeit konkretisiert. Die Philosophie soll jetzt die Einheit von Vernunft und Natur oder von Unend2 Holz erwähnte in seiner Schrift Die Idee der Philosophie bei Schelling (111) Hegels versteckte Kritik an Schellings Konzeption der Identitätsphilosophie in der Di//erenz-Schrift; allerdings brachte er diese These nicht zur Ausführung. Vgl. auch R. Kroner: Von Kant bis Hegel Bd. II. Tübingen 1924. 162. Den entgegengesetzten Standpunkt vertrat vor allem Haym und kürzlich Hartkopf. Haym formulierte: Hegel habe „in Schelling’s System wesentlich sein eigenes“ erkannt (vgl. Haym, a. a. O., 153). Vgl. auch W. Hartkopf: Kontinuität und Diskontinuität in Hegels Jenaer Anfängen. Königstein/Ts. 1979. 10, 61.

2. Hegels Konzeption der spekulativen Philosophie

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lichem und Endlichem — was Hegels Ziel in der Frankfurter Zeit war — in der Weise realisieren, daß sie das Endliche als die Gestaltung des Unendlichen „aus innerer Kraft“ begreift. Die Notwendigkeit des „Bedürfnisses“ dieser Philosophie ergibt sich nun nach Hegel aus den „Mishandlungen“ der Natur oder aus der „Entzweiung“. Hegel hatte sich, wie oben dargelegt wurde, bereits in den späteren Frankfurter Fragmenten mit der Frage nach der konstitutiven und unbezwingbar fixierten Trennung beschäftigt, welche die Zeit maßgeblich bestimmte. Diese Trennung bedeutete einerseits die politische, religiöse Zerrissenheit und andererseits die Trennung im Bereich des Denkens, vor allem die einseitige Erhebung des Unendlichen wöer alles Endliche. Hegel verstand dementgegen das wahre Unendliche oder das Leben als die Einheit, wie sie die Mannigfaltigkeit des Endlichen in sich einschließe (vgl. S. 116 f, 122 f). Auch in der Differenz-SchxiiX. wird die „Entzweiung“ diesem Ansatz gemäß auf die Reflexion bzw. auf das Verstandesdenken zurückgeführt. Der Verstand stellt zwar den Begriff des Unendlichen auf, aber er fixiert diesen Begriff und setzt ihn dem Begriff des Endlichen absolut entgegen. In diesem Sinne ist das Unendliche des Verstandes bloß „das Negiren des Endlichen“. Der fixierte Begriff des Unendlichen drückt nicht das wahre Unendliche selbst aus, sondern nur das durch den Verstand „nachgeahmte“ Vernünftige (vgl. GW 4. 13)'*. Auffällig ist, daß Hegel in der Differenz-Schrift mit der „Entzweiung“ nicht nur diese Entgegensetzung von Unendlichem und Endlichem meint, was mit dem neuen Verständnis der Vernunft und des Absoluten zusammenhängt (vgl. hierzu u. S. 152 f). Die Entgegensetzung oder die beschränkten Bestimmungen des Verstandes sind hier als die Erscheinung des Absoluten aufgefaßt; die entscheidende „Entzweiung“ entspringt daraus, daß der Verstand diese Erscheinung des Absoluten vom Absoluten selbst isoliert, d. h. daß er seine Bestimmungen (insbesondere seinen Begriff der Unendlichkeit) als ein Selbständiges fixiert. Diese „Entzweiung“, die Hegel in der „Bildung“ seiner Zeit verfestigt sieht (die Gegensätze von Vernunft und Sinnlichkeit, von Intelligenz und Natur, von absoluter Subjektivität und absoluter Objektivität usw.)s, ist für ihn der „Quell des Bedürfnis der Philosophie“ (GW 4. 12)®. ♦ Hegel bestimmt auch in dem Vorlesungsmanuskript von 1801/02 die Aufstellung der Identität durch den Verstand als die Nachahmung der Vernunft. Der Verstand könne jedoch keine absolute, sondern nur eine formelle Identität hervorbringen, welche an eine Entgegensetzung gebunden ist. Vgl. GW 5. Ms. 18b. 5 Vgl. auch Glauben und Wissen, GW 4. 321. ® Wir haben bereits darauf hingewiesen (vgl. S. 99), daß Schelling in der Schrift Ideen auf ähnliche Weise ,das Bedürfnis der Philosophie' erwähnte: „Die Philosophie muß jene ursprüngliche Trennung voraussetzen, denn ohne sie hätten wir kein Bedürfnis, zu philosophiren“ (SW II, 14). Aber Schelling meint hier primär die Trennung von Vorstellung in uns und äußeren Gegenständen. Vgl. hierzu W. Marx: Die Bestimmung der Philosophie im Deutschen Idealismus. Stuttgart o. J. (Vorlesung von SS 1964). lOf.

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III. Reflexion und Spekulation

Daß Hegel diese Entzweiung (die „Mishandlungen“ der Natur) in der Kan tischen und in der Fichteschen Philosophie sieht, überrascht uns nicht. Wir haben gezeigt, daß Hegel in Frankfurt Kants Entgegensetzung des allgemeinen Begriffs der menschlichen Natur und ihrer unendlichen Mannigfaltigkeit scharf zurückwies. Er bemängelte dann mit Nachdruck, daß sich die Fichtesche Philosophie auf der Reflexion und deren entgegengesetzten Bestimmungen aufbaue (vgl. S. 110, 113 f, 122 f). Hegels Einstellung gegenüber der Kantischen und der Fichteschen Philosophie in der DifferenzSchrift basiert auf dieser Kritik in der Frankfurter Zeit^. Er räumt einerseits ein — was neu ist —, daß Kants Philosophie „das rein spekulative Prinzip“ enthalte: In der Deduktion der Kategorien sei „die Identität des Subjekts und Objekts“ ausgesprochen. Kant verfehlt also nicht das Prinzip der Philosophie; aber er macht andererseits nach Hegels Verständnis dieses Prinzip stets zum Gegenstand der Reflexion oder des „negativen Räsonnirens“; das Prinzip a priori wird sogleich dem trennenden und fixierenden Denken überlassen und der „absoluten Aposteriorität“ entgegengesetzt (vgl. GW 4. 5f). Auch im Fichteschen Prinzip „Ich = Ich“ sieht Hegel das spekulative Prinzip ausgedrückt®. Aber dieses Prinzip wird bei Fichte, genauso wie bei Kant, sofort dem Verstand oder einer Kette der endlichen, entgegengesetzten Bestimmungen übergeben. Der entscheidende Mangel dieser ,Reflexionsphilosophie“ liegt also darin, daß das spekulative Prinzip in seiner systematischen Entfaltung zur absoluten Entgegensetzung „herabpotenzirt“ wird (vgl. GW 4. 6f). Es ist also deutlich, daß Hegel in der Differenz-Schrift seine Position der Frankfurter Zeit nicht verläßt, sondern weitgehend darauf zurückgreift. Ein Novum aber ist, daß er hier die Vernunft auf völlig neuer Ebene auffaßt. Sie ist nicht mehr wie im „Systemfragment“ das Vermögen, die Endlichkeit der Reflexionsbestimmungen aufzuzeigen und die Erhebung zum unendlichen Leben durch die Religion vorzubereiten (vgl. S. 114). Die einzige Aufgabe der Vernunft ist nun — ebenso wie bei Schelling (s. u.) — die Erkenntnis des Absoluten. Hegel expliziert das Verhältnis von Vernunft ’ Gimdt (Die Differenz des Fichteschen und Hegelschen Systems in der Hegelschen „Differenzschrift“. Bonn 1965. VIII f) übersieht m. E. diese Kontinuität der Hegelschen Fichte-Kritik. Er vertritt die Überzeugung, daß Hegels Fichte-Kritik in der Differenz-Schrift völlig mit Reinholds von Bardili inspirierter Fichte-Kritik in den Beyträge zur leichtern Uebersicht des Zustandes der Philosophie beim Anfänge des 19. Jahrhunderts übereinstimme und unter deren Einfluß stehe. * Diese Auffassung der Fichteschen Identität ist bei Hegel neu. Er verläßt sie jedoch wieder in Glauben und Wissen: Diese Identität sei nach dieser Schrift bloß eine relative, welche mit dem Gegensatz zum Empirischen behaftet sei (vgl. GW 4. 388ff). L. Siep hebt hiergegen in seiner Dissertation Hegels Fichtekritik und die Wissenschaftslehre von 1804 (Freiburg/München 1970. 29ff) die Kontinuität der Hegelschen Fichte-Kritik in der Differenz-Schrift und im Glauben und Wissen hervor.

2, Hegels Konzeption der spekulativen Philosophie

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und Absolutem dergestalt: Sie wird einerseits mit dem Absoluten gleichgesetzt. Bei der Erkenntnis des Absoluten richtet sie sich nicht auf ein Anderes, sondern auf sich selbst und erkennt sich selbst (vgl. GW 4. lOf). Das Verhältnis von Vernunft und Absolutem ist hier ein Selbstverhältnis. Andererseits wird die Vernunft als die Erscheinung des Absoluten bezeichnet: Die vernünftige Erkenntnis des Absoluten ist die Weise, in welcher das Absolute sich darstellt; und zwar kann das Absolute erst durch diese Tätigkeit der Vernunft erscheinen (vgl. GW 4. 10). ln diesem zweifachen Sinne sagt Hegel: „Die freye Vernunft und ihre That ist Eins, und ihre Thätigkeit ein reines Darstellen ihrer selbst“ (GW 4. 30). Bei dieser Gleichsetzung von Vernunft und Absolutem steht Hegel offensichtlich in Übereinstimmung mit Schelling. Man wird vermuten können, daß das Gespräch zwischen Schelling und Hegel in den ersten Monaten des Jahres 1801 nicht zuletzt um dieses Problem kreiste. Auch für Schelling ist die Vernunft, wie gezeigt wurde, nicht bloß ein Erkenntnisvermögen, sondern zugleich das wahrhaft Seiende, das Absolute selbst, welches jenseits der Entgegensetzung von Subjekt und Objekt steht (vgl. S. 142). Schelling akzentuiert dann die „Gleichzeitigkeit“ von ,Sein‘ und ,Form‘ des Absoluten: Die Erkenntnis des Absoluten fällt mit dessen Existenz zusammen. In dieser Erkenntnis aber erblickt Schelling kein Verhältnis des Erkennenden zu dem von diesem getrennten Erkannten, sondern das „Selbsterkennen“ der absoluten Identität (vgl. S. 147). Wir finden außerdem einen weiteren Anstoß zu jenem neuen Ansatz Hegels in seiner — wahrscheinlich von Schelling angeregten — Bezugnahme auf Spinozas Begriff der Substanz als causa sui®. Allerdings rezipiert er diesen Begriff in einer eigentümlichen Form: Er faßt ihn auf (1) in einer Relation von Ursache und Bewirktem, Begriff und Sein oder essentia und existentia. (2) Diese Relation aber bedeutet keinesfalls die Entgegensetzung, denn in der ,Substanz' sind die ^ Vgl. Düsing: Das Problem der Subjektivität. 135; H.-C. Lucas: Spinoza in Hegels Logik. In: Mededelingen XLV vanwege het Spirtözahuis. Leiden 1982. Auch in dem Vorlesungsmanuskript von 1801/02 ist dieser Rückgriff auf Spinozas Begriff der Substanz deutlich wahrzunehmen. Hegel erklärt dort die Vernunft als das Absolute, das zu seiner „Produktion“ keines anderen bedürfe (s. GW5. Ms. 6a). Vgl. Spinoza: Ethica. 86 (I, Def. 1,3). Vgl. zu diesem Problem auch M. Baum/K. Meist: Durch Philosophie leben lernen. In: Hegel-Studien 12 (1977). 43—81. bes. 45. Erwähnenswert ist noch, daß Hegel Paulus, Herausgeber der Werke Spinozas, bei der Herausgabe der Schrift Tractatus theologico-politicus Hilfe leistete. Vgl. Spinoza: Opera quae supersunt omnia. Hrsg. v. H. E. G. Paulus. Bd. 2. Jena 1803. XXXVI; auch H.-C. Lucas: Hegel et l’edition de Spinoza par Paulus. In: Cahiers Spinoza. 4 (Paris 1983). 127-138. Vgl. Hegel: Verhältnis des Skeptizismus zur Philosophie (GW 4. 208): „Wenn ein anderer Satz des Spinoza so lautet: Gott ist die immanente, nicht die vorübergehende Ursache der Welt, so hat er, indem er die Ursache immanent, also die Ursache Eins mit der Wirkung setzt, — weil die Ursache nur Ursache ist, insofern sie der Wirkung entgegengesetzt wird, den Begriff von Ursache und Wirkung negirt.“

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III. Reflexion und Spekulation

beiden (essentia und existentia) absolut vereinigt (vgl. GW 4. 24)'o. Hegels Überlegung das Absolute bzw. das wahre Unendliche betreffend bewegt sich jetzt auf der durch diese Auslegung des Substanzbegriffs erschlossenen Dimension; Die Relation von Wesen und Erscheinung erlangt eine entscheidende Bedeutung. Das Absolute ist jetzt ein Wesen, das in der Entgegensetzung (und zugleich durch die Erkenntnis der Vernunft) erscheint; es wird aber weder von dieser Erscheinung getrennt noch ihr entgegengesetzt. Die beiden sind in der Weise vereinigt, daß das Erscheinen des Absoluten notwendig dem Wesen des Absoluten angehört'^. Es fällt außerdem auf, daß Hegel hier das Absolute als Nichts bzw. als Nacht bezeichnet. Hegel verläßt damit seine Frankfurter Auffassung: Er machte damals, wie gezeigt wurde, mit Hölderlin die absolute Vereinigung, die aller Trennung zugrunde liege, als Sein geltend (vgl. S. 79 f). In der Differenz-Schriit besagt Sein (oder Licht) dementgegen die Mannigfaltigkeit des Endlichen (vgl. GW 4. 16). Eine nicht unbedeutende Rolle spielt bei dieser Entwicklung die Nihilismus-Diskussion gegen Ende des 18. Jahrhunderts, insbesondere Jacobis Nihilismusvorwurf gegen den transzendentalen Idealismusi2. Jacobi bemängelt in seinem Sendschreiben an Fichte (1799), daß der Idealismus seit Kant diejenige Vernunft zum Prinzip macht, die nur sich selbst vernimmt und „alles außer ihr in Nichts verwandelt“ Nur das durch die Vernunft Vernommene ist hier die Wahrheit. In diesem Sinne löst der Idealismus alles Wesen in „Wissen“ auf. Er vermag damit nicht das Wahre selbst zu erlangen, das hinter der Wahrheit (der Vernunft) steht und sie bedingt; denn das Wahre hört hier auf, zu sein, indem es gewußt (reflektiert) wird. Diese Vernichtung des Wahren selbst ist gerade der Grund der Jacobischen Verurteilung des Idealismus als „Nihilismus“ i“*. Das Wahre

“ Vgl. W. Ch. Zimmerli: Die Frage nach der Philosophie. Bonn 1974. 51f. Er läßt aber Hegels Rückgriff auf Spinoza bzw. auf Schelling außer acht. Vielmehr knüpft er an Aristoteles’ Begriff von oüoiä.und popip^i an (41 ff). H.-Ch. Lucas (Die Eine und oberste Synthesis. Zur Entstehung von Krauses System in Jena. Im Erscheinen begriffen) hat kürzlich gezeigt, daß die Ausrichtung auf einen metaphysischen Monismus, die sich an Spinozas Philosophie der einen Substanz orientiere, sowohl bei Hegel und Schelling als auch bei ihrem Jenaer Kollegen Krause zu finden sei. Vgl. Pöggeler: Flegel und die Anfänge der Nihilismus-Diskussion. In: Man and World. Vol. 3, No. 3 (1970). 163—199, bes. 165—169; W. Bonsiepen: Der Begriff der Negativität in den fenaer Schriften Hegels. Bonn 1977. 42—49. Vgl. auch /. Schumacher: Anmerkungen zur Vorgeschichte des Begriffes Nichts bei Hegel und seine Auf hebung durch Marx und Ernst Bloch. In: Praxis (Revue philosophique. Edition internationale) 8 (Zagreb 1971). 177—186. Vgl. ferner Hegels Exzerpt eines mystischen Satzes aus Mosheims Institutiones historiae ecclesiasticae: „Ick spreche nüt, daß alle Creaturen syn etwas kleines, oder das sie etwas sind, sondern daß sie sind om (nihii)“ (N 367). facobi: Werke. III, 20. Vgl. dazu K. Hammacher: Die Philosophie F. H. facobis. 179. 14 Vgl. facobi, III, 23, 30, 44.

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oder Gott liegt für Jacobi schlechthin außer dem Wissen, außer der Vernunft; es ist, mit anderen Worten, der Gegenstand des „Nicht-Wissens“. So zwingt Jacobi jetzt Fichte zu einer entscheidenden Alternative: „das Nichts oder einen Gott“i5, d. h. den Standpunkt des Wissens oder den des „Nicht-Wissens“. Hegel nimmt einerseits Jacobis Argumentation auf: Das Absolute werde aufgehoben, indem es für das Bewußtsein konstruiert werde (vgl. u. S. 158). Hegel lehnt jedoch andererseits die Auffassung ab, daß der Idealismus das Wahre vernichte und in das „Nichts“ verwandle. Hegel faßt den Begriff des Nichts auf einer anderen Ebene: Das Absolute ist eigentlich das Nichts, d. h. das durch die beschränkten Bestimmungen des Verstandes Unbestimmbare; das Sein ist demgegenüber ein Bestimmtes, welches „zwischen zwey Nächten“ (Unbestimmten) schwebt (vgl. GW 4. 17). Eine weitere Kritik Hegels an Jacobi in der Differenz-Schnii betrifft den Begriff des „Nicht-Wissens“. Das Absolute, so meint Hegel, übertrifft zwar das reflexive Denken; aber es wird durch die Vernunft wissenschaftlich erkannt, und diese Erkenntnis macht insofern ein organisiertes System aus, als sie die Erscheinung des Absoluten ist: „Zu Jacobi’s Ausdruk, daß die Systeme ein organisirtes Nichtwissen seyen, muß nur hinzugefügt werden, daß das Nichtwissen, — das Erkennen Einzelner — dadurch, daß es organisirt wird, ein Wissen wird“ (GW 4. 71). Es soll nun mit Emphase unterstrichen werden, daß Hegel seinem Verständnis des Absoluten als Relation von Wesen und Erscheinung doch noch seine Überlegungen zu dem Begriff des Lebens aus der Frankfurter Zeit zugrunde legt^®. Das Unendliche als Leben bedeutete im „Systemfragment“ das lebendige Ganze, welches das Mannigfaltige als seine „Gestalt“ in sich begreife. Darüber hinaus sprach Hegel dort aus, daß auch diese Auffassung des Lebens eine Unvollständigkeit enthalte: Auch die Sphäre der Entgegensetzung der Reflexionsbestimmungen sei ein integrierender Teil des unendlichen Lebens (vgl. S. 116 f). Hegel betont demgemäß in der Differenz-Schriii nachdrücklich, daß das Absolute keineswegs die entgegengesetzten Bestimmungen des Verstandes (die durch den Verstand begriffene Mannigfaltigkeit des Endlichen) ausschließe: „Die nothwendige Entzweyung ist Ein Faktor des Lebens, das ewig entgegensetzend sich bildet, und die Totalität ist, in der höchsten Lebendigkeit, nur durch Wiederherstellung aus der höchsten Trennung möglich“ (GW 4. 13f). Es ist zunächst festzuhalten, daß Hegel noch zu dieser Zeit das Absolute als Leben be-

15 Jacobi, III, 49. 15 Hartkopf schätzt m. E. diesen Punkt zu gering ein, Hegels Lebens-Vorstellung in der Differem-SchhÜ kommt nach seiner Überzeugung von Schellings naturphilosophischem Werken her; sie finde sich dagegen in den Frankfurter Schriften Hegels „kaum, höchstens ganz vage angedeutet“ (vgl. Hartkopf, a. a. O., 94f).

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zeichnet. Die Entzweiung, die aus dem Verstandesdenken entspringt, macht hier dementsprechend auch einen notwendigen Faktor des Lehens aus. Die „Totalität“ des Lehens — im „Systemfragment“ nannte Hegel sie das „unendliche All“ — geht verloren, wenn man das Unendliche gegenüber dem Endlichen isoliert. Die „Totalität“ ist nur zu erreichen, indem man bei-^ de in eine ,Verbindung‘ bringt. Neu aber ist, wie gezeigt wurde, daß Hegel in der Differenz-SdnniX. den auf eigentümliche Weise verarbeiteten Begriff der Substanz in dieses Verhältnis des Lebens einfügt: Die Entzweiung ist nun die Erscheinung des Absoluten, d. h. die Weise, in welcher das Absolute „sich bildet“. Das Absolute (als das lebendige Ganze) erlangt erst durch dieses Sich-Bilden in der Trennung und durch die Wiederherstellung def Totalität aus dieser Trennung die „höchste Lebendigkeit“. Dieser Prozeß des Sich-Bildens des Absoluten und der Wiederherstellung der Totalität vollzieht sich bei Hegel in einer Entsprechung zur Erkenntnis der Vernunft. Diese Erkenntnis besteht nach Hegel in folgendem: (1) die gesamten Beschränkungen des Verstandes zu „vernichten“, (2) sie in diesem Vernichten auf das Absolute zu beziehen und (3) sie als die „bloße Erscheinung“ zu begreifen und zu setzen (vgl. GW 4. 13). Die Beschränkungen müssen also als solche „vernichtet“ werden, aber dies besagt nicht einfachhin, sie von Grund auf zu zerstören. Es ist vielmehr das Geschäft der Vernunft, sie auf das Absolute zu beziehen und sie im wahren Zusammenhang, d. h. als „Erscheinung“ zu begreifen. Was hier von Grund auf zerstört werden muß, ist „das absolute Fixiren der Entzweyung durch den Verstand“ (GW 4. 14). Im Gegensatz zu diesem „Fixiren“ betrachtet die Vernunft die Entzweiung im Zusammenhang mit deren „Ursprung“. Die Entzweiung (als Produkt) soll nämlich im ganzen Prozeß des „Producirens“, d. h. in bezug auf den Produzierenden begriffen werden^^. Die Ausführung dieser Vernunfterkenntnis ist nun bei Hegel nichts anderes als das Aufstellen einer „wahren Philosophie“ (vgl. GW 4.10); die Aufgabe der Philosophie besteht für ihn jetzt darin, „das Seyn in das Nichtseyn — als Werden, die Entzweyung in das Absolute — als seine Erscheinung, — das Endliche in das Unendliche — als Leben zu setzen“ (GW 4. 16). Kurz: Die „wahre Philosophie“ verwirklicht sich, wenn die Entzweiung in bezug auf ihren „Ursprung“ und im gesamten Prozeß des Sich-Bildens des Absoluten begriffen wird. Einerseits hat sich erwiesen, daß Hegel bei der Gleichsetzung von Absolutem und Vernunft in Übereinstimmung mit Schelling steht, andererseits ist aber auch klargeworden, daß die beiden eine ganz verschiedene Vorstellung der ,Erscheinung“ habeni^. Für Schelling entsteht die ,Erscheinung“ Die Anspielung auf Schelling ist hier deutlich. Vgl. z. B. SW III, 277, 284; s. auch oben S. 145. Vgl. H. F. Fulda: Das Problem einer Einleitung in Flegels Wissenschaft der Logik. Frankfurt a. M. 1965. 87t.

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aus der Reflexion der absoluten Identität, sie ist also vom Standpunkt der Vernunft her bloß ein Schein-, sie ist nicht an sich, sondern nur außerhalb der absoluten Ideritität möglich (vgl. S. 144 f). Dagegen versteht Hegel die ,Erscheinung‘ als die notwendige Seinsweise des Absoluten; sie gehört dem Wesen des Absoluten an. Hegel bezeichnet, wie gezeigt wurde, auch die Erkenntnis dieses Prozesses durch die Vernunft als ,Erscheinung‘, da einerseits das Erscheinen des Absoluten in der Trennung und andererseits die Wiederherstellung der Totalität gerade durch diese Erkenntnis der Vernunft vermittelt werden. In der „Selbstproduktion der Vernunft“, mit der jene Tätigkeit gemeint ist, die Trennung im Zusammenhang mit dem Absoluten zu erfassen, gestaltet sich das Absolute „in eine objektive Totalität“ (vgl, GW 4. 14, 30; auch u. S. 168). Diese Nichtübereinstimmung von Hegel und Schelling in der Vorstellung der ,Erscheinung‘ und der Entzweiung (oder des Endlichen) ist in diesem Zusammenhang von großer Bedeutung, weil diese Differenz mit dem unterschiedlichen Verständnis der Spekulation als Methode der Erkenntnis des Absoluten und der Struktur des Absoluten bei Hegel und Schelling zusammenhängt^®. b) Die Spekulation als Synthesis von Reflexion und Anschauung Hegels Ansatz einer metaphysischen Betrachtung des Unendlichen zp Ende der Frankfurter Zeit nimmt also in der Konzeption der „wahren Philosophie“ in der Differenz-Schriit eine konkrete Form an. Die Erkenntnis des Absoluten ist jetzt die einzige Aufgabe der Philosophie. Hegel verläßt damit endgültig die Auffassung des „Systemfragments“, daß das wahre Unendliche außerhalb des „Umkreises“ der Philosophie als diskursiven Denkens stehe und somit nur durch die Religion zu erfassen sei (vgl. N 348), während er den Begriff des Lebens in dieser Schrift auch in Jena grundsätzlich äufrechterhält. Wie wir gezeigt haben, ist Hegel in dieser Konzeption der Erkenntnis des Absoluten mit Schelling einig. Andererseits ist auch eine grundlegende Dissonanz der beiden zu erkennen. Schelling meipt mit der Erkenntnis des Absoluten ein intuitives Wissen oder ein unmittelbares Inpewerden der absoluten Identität. Dieses intuitive Wissen sticht gegen die Reflexion schlechthin ab, die sich, als die Gegenstandserkenntnis, einem Intendierten gegenüberstellt (vgl. S. 144). Dementgegen besagt die Erkenntnis des Absoluten bei Hegel dieses, das Absolute im Bewußtsein und für Aas Bewußtseinzu „konstruieren“ (vgl. GW4.11,16,19 u. ö.). Das Absolute soll nämlich durch die Bestimmungen der Reflexion für das endliche Subjekt, welches das Absolute als ein Objekt betrachtet, dargestellt wer19

Vgl. u. die Abschnitte III/2b), c).

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den^o. Hegel und Schelling bauen also jeweils die Philosophie als vollständige Erkenntnis des Absoluten oder die Metaphysik des Absoluten auf diesem unterschiedlichen Verständnis der .Erkenntnis' des Absoluten auf. Der Begriff der .Konstruktion' kommt zwar von Schelling her. aber Hegel nimmt diesen naturphilosophisch begründeten Begriff (vgl. S. 140. 145 f) in einer wesentlich modifizierten Form (als die systematische Darstellung des Absoluten im Bewußtsein) auf. Die Frage, inwiefern die Reflexion für das Erfassen des Absoluten geeignet ist. ist für diese Konzeption Hegels von großer Bedeutung. Diese Frage betrifft die Möglichkeit der ..wahren Philosophie“ selbst. Hegel weist selbst auf den ..Widerspruch“ dieser Konstruktion durch die endlichen, beschränkten Bestimmungen der Reflexion hin: ..Das Absolute soll reflektirt. gesetzt werden, damit ist es aber nicht gesetzt, sondern aufgehoben worden, denn indem es gesetzt wurde, wurde es beschränkt“ (GW 4. 16). „Die isolirte Reflexion“, die sich an den entgegengesetzten Bestimmungen festhält, vermag also bloß das „aufgehobene“ Absolute zu erfassen. Hegel hatte bereits im „Systemfragment'' dieses reflexive Denken scharf zurückgewiesen, welches von dem Leben abstrahiere und es bloß als die .Natur', d. h. als die durch die beschränkten Begriffe gesetzte Welt, auffasse (vgl. S. 109 f). Zu bemerken ist dabei, daß Hegel dort im Gegensatz zur Differenz-Sdovilt die Philosophie als die Lehre dachte, die sich allein auf diesem trennenden, fixierenden Denken aufbaue. Er sprach demnach damals der Philosophie das Vermögen ab, das wahre Unendliche zu erfassen, und ordnete sie der Religion unter. In dieser Restriktion der (isolierten) Reflexion konvergiert Schelling mit Hegel: Die Reflexion trennt nach seiner Auffassung „willkürlich“ das, was an sich die absolute Identität ist, und betrachtet es bloß auf dem Gebiet der .Erscheinung' (vgl. S. 144). Schelling setzt jedoch — im Unterschied zur Konzeption Hegels in der Differenz-SchnÜ — diese Reflexion schlechthin dem intuitiven Wissen als einzigem Organ der Philosophie entgegen, welches die Dinge .unter der Form der Ewigkeit' erkennt, wie es schon Spinoza gefordert hat (vgl. S. 143). Demgegenüber versucht Hegel, jenen Widerspruch, in den die isolierte Reflexion zwangsläufig gerät, durch „die philosophische Reflexion“ zu vermitteln: „Die Reflexion hat als Vernunft Beziehung auf das Absolute, und sie ist nur Vernunft durch diese Beziehung; die Reflexion vernichtet insofern sich selbst und alles Seyn und Beschränkte, indem sie es aufs Absolute bezieht; zugleich aber eben durch seine Beziehung auf das Absolute hat

Vgl. Hegels Brief an Schelling vom 2. November 1800: „Das Ideal des Jünglingsalters mußte sich zur Reflexionsform [.. .1 verwandeln“ (Br I, 59; Hervorhebung vom Verf.) Vgl. hierzu oben S. 130 f.

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das Beschränkte ein Bestehen“ (GW 4. 16f)2i. Die Reflexion erhebt sich also als „die philosophische Reflexion“ zu dem vernünftigen Denken und führt damit jene Aufgabe der Philosophie durch, die wir oben dargelegt haben (vgl. S. 156): Sie selbst vernichtet einerseits das Beschränkte des trennenden Denkens und begreift es im Zusammenhang mit dem Absoluten; durch diese Selbstvernichtung läßt sie es aber andererseits als das auf das Absolute Bezogene bestehen. Spekulation heißt bei Hegel diese „philosophische Reflexion“ oder die „Reflexion als Vernunft“. Spekulation ist also nicht wie bei Schelling allein ein intuitives Wissen, sondern sie bewahrt das Beschränkte der Reflexion und erfaßt eben dadurch das Absolute als die ,Totalität‘, d. h. als das erscheinende Wesen. Hegel erklärt nun diesen Begriff der Spekulation (oder der vernünftigen Reflexion) von zwei Aspekten aus. Sie ist einerseits die Kraft des Vernichtens und andererseits die des Setzens. „Die vernichtende Seite der Spekulation“ treibt zunächst den Verstand zur Produktion einer objektiven Totalität: „Der Verstand vervollständigt diese seine Beschränkungen durch das Setzen der entgegengesetzten Beschränkungen, als der Bedingungen; diese bedürfen derselben Vervollständigung, und seine Aufgabe erweitert sich zur unendlichen“ (GW 4. 17). Der Verstand versucht nämlich seine beschränkten Bestimmungen zu vervollständigen und eine Totalität zu produzieren, indem er die Beschränkungen auf ihre Bedingungen bezieht. Aber er muß diese Arbeit „grenzenlos“ fortsetzen, da seine endlichen Bestimmungen stets einem Unbestimmten gegenüberstehen, was für den Verstand das „Nichts“ ist^2. Der Verstand vermag also nie die Aufgabe zu erfüllen, die Totalität zu produzieren, und geht hier unter (vgl. GW 4. 17). Die negative Kraft der Spekulation macht sich gerade in dieser Verführung des Verstandes (oder der Reflexion) zur „Selbstzerstörung“ geltend^J. — Hegel stützt sich hier weitgehend auf seine Überlegung im „Systemfragment“: Er stellte dort, wie bereits dargelegt wurde, der Religion eine notwendige einleitende Stufe voran. Die Philosophie habe nämlich durch die „Vernunft“ im voraus jene Aufgabe zu lösen, einmal die Endlichkeit der Reflexionsbestimmungen aufzuzeigen und die Vervollständigung dieser Bestimmungen zu fordern, zum anderen das wahre Unendliche außerhalb des Umkreises der Philoso-

Hegel schreibt im Vorlesungsmanuskript von 1801/02 das Setzen der Bestimmtheiten des Gegensatzes „der schlechten Reflexion“ zu und das Aufheben derselben „der absoluten Reflexion“ (vgl. GW 5. Ms. 2b). 22 Wir haben bereits darauf hingewiesen, daß Hegel im „Systemfragment“ zu der Einsicht gekommen war, daß ,die schlechte Unendlichkeit' für die Reflexion konstitutiv sei (vgl. S. 113). 22 Hegel bezeichnet später diese Tätigkeit der Vernunft als List. Denn die Vernunft sieht zu, sich ihrer eigenen Tätigkeit zu enthalten scheinend, wie ein Gegenstand zugrunde geht, während dieser seine Selbsterhaltung und sein Interesse zu betreiben vermeint. Vgl. Phänomenologie des Geistes (GW 9. 40); vgl. auch W 6. 452; W 8. 35 (§ 209 Zusatz).

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phie zu setzen (vgl. S. 114 f). Dieser Frankfurter Entwurf der Vervollständigung und Aufhebung der beschränkten Reflexionsbestimmungen bildet eine Basis des Hegelschen Begriffs der Spekulation. Jener Entwurf ist allerdings in der DifferenzSchn^X keine Hinführung zur Religion mehr. Die Vervollständigung und Aufhebung der endlichen Bestimmungen wird als eine notwendige Bedingung in die Konzeption der Erkenntnis des Absoluten eingefügt. Hegel vertritt also hier nicht mehr seine Auffassung des Verhältnisses von Philosophie (als Hinführung zur Religion) und Religion (als höchstes Erkenntnisvermögen) im „Systemfragment“ als solche. Er erhält jedoch andererseits dieses Verhältnis als das von Reflexion, die sich zur Vernunft erhebt, und Spekulation als Vermögen der vernünftigen Erkenntnis des Absoluten aufrecht. Weiterhin bemerkenswert ist die methodisch-logische Entwicklung in der Differenz-SchxxlV. Hegel versteht die Ausführung der Vervollständigung und Aufhebung der Beschränkungen nun in einer neuen Sicht als die Selbstvernichtung des Verstandes und zugleich als seine Erhaltung durch die Vernunft. Er faßt nämlich die Vermittlung des Widerspruchs, in den die isolierte Reflexion gerät, als eine Bewegung auf, in der der Verstand von selbst (jedoch unter der versteckten Herrschaft der Vernunft) seine Bestimmungen als solche vernichtet und in der die Vernunft jedoch diese Bestimmungen als das auf das Absolute Bezogene aufbewahrt. Hierin erblicken wir bereits in sachlicher Hinsicht „die gedoppelte Bedeutung“ des ,Aufhebens“ ausgesprochen. Das ,Aufheben“ ist, wie Hegel später erläutert (vgl. GW 9. 72; 11. 58), ein .Negieren“ und ein ,Aufbewahren“ zugleich; ein Aufgehobenes ist hier ein Vermitteltes, das zwar seine Unmittelbarkeit verliert, aber nicht einfachhin zugrunde gerichtet, sondern erhalten wird. Jene Bewegung in der DifferenzSchnli, in der sich Vernichtung und Erhaltung der beschränkten Reflexionsbestimmungen zugleich vollziehen, besagt allerdings noch nicht die Bewegung der Kategorien als der reinen Denkbestimmungen selbst. Aus der bisherigen Erörterung der negativen Seite der „philosophischen Reflexion““ ersehen wir, daß es einen zugrundeliegenden Unterschied gibt zwischen Hegels Begriff der Spekulation, welche die Reflexionsbestimmungen zwar als solche negiert, aber zugleich aufbewahrt, und dem Schellingschen Begriff der Spekulation als intuitiven Wissens, obwohl sich beide in demjenigen Punkt einig sind, die Spekulation als die vollständige vernünftige Erkenntnis des Absoluten zu deklarieren. Aus diesem Unterschied entspringt zugleich eine wesentliche Verschiedenheit der Systemkonzeptionen beider: Hegel schickt, im Unterschied zu Schelling, der systematischen Entfaltung des Absoluten selbst einen einleitenden Teil voraus, d. h. die systematische Darstellung jener vernichtenden Seite der Spekulation. Er bezeichnet sie als „Logik““. „Die logische Erkenntniß, wenn sie wirklich bis zur Vernunft fortgeht, muß auf das Resultat geführt werden, daß sie in der

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Vernunft sich vernichtet“ (GW 4. 82)2-*. Die Logik geht also der „Philosophie“ als systematischer Erkenntnis des Absoluten voran; und zwar soll die vernünftige Erkenntnis sie notwendig in sich begreifen (vgl. GW 4. 18). Auf diese Weise erhält Hegel seinen Frankfurter Entwurf der Vervollständigung und Aufhebung der Reflexionsbestimmungen als einleitenden Teil auch in Jena aufrecht und arbeitet ihn sowohl in methodischer wie auch in systematischer Hinsicht in seine Konzeption der Metaphysik des Absoluten ein. Allerdings war die Entfaltung dieser Logik-Konzeption nicht das eigentliche Anliegen Hegels in der Differenz-Schriit. Er gab sich mit dieser Aufgabe erst in seinem Vorlesungsmanuskript von 1801/02 ab. Auf diese Entfaltung ist nun ein kurzer Blick zu werfen, soweit dies Hegels Verständnis der negativen Seite der „philosophischen Reflexion“ näher beleuchtet. Hegel bestimmt hier die Logik eindeutig als die Einleitung in die Metaphysik als „eigentliche Philosophie“. Sie soll nämlich die Endlichkeit der Formen der endlichen Erkenntnis aufzeigen und diese als solche aufheben; sie soll überdies diese Formen zu den Formen der absoluten Erkenntnis hinleiten, indem sie jene Formen aufeinander bezieht und ihre Endlichkeit abnimmt^s. Im ersten Teil dieser Logik sind „die allgemeinen Formen oder Gesetze der Endlichkeit“ darzustellen. Hegel meint mit diesen allgemeinen Formen die Kategorien. Er betont, daß diese Kategorien nicht, wie etwa Reinhold behauptet (s. u.), bloß subjektive Bestimmungen sind; es ist nach Hegel die Aufgabe der Logik, sie als den „Reflex des Absoluten“ zu erfassen. Sie haben ihren Ursprung eigentlich in der Vernunft, sie erscheinen hier jedoch nur in ihrer Endlichkeit. Die Logik soll die endlichen Bestimmungen eben in diesem Zusammenhang begreifen. Der zweite Teil der Logik betrachtet die Bestrebung des Verstandes, die Vernunft „nachzuahmen“ und die Identität hervorzubringen. Diese Identität des Verstandes ist allerdings keine absolute, sondern bloß eine formelle Identität, und sie stellt sich als einen Stufengang „durch Begriffe Urtheile und Schlüsse“ dar. Auf diese Weise integriert Hegel von seinem Gesichtspunkt her (d. h. als die Identität des Verstandes) die klassische formale Logik in seine Logik-Konzeption. Der dritte Teil der Logik dient als die eigentliche Einleitung in die „Philosophie“, indem er die entgegengesetzten Formen des Verstandes durch die Vernunft aufhebt und zugleich die Bedeutung dieser Formen für 2* Vgl, ZU dieser Problematik der Logik-Konzeption Hegels in der Differem-Schxitt J. H. Trede: Hegels frühe Logik (1801—1803/04). In: Hegel-Studien 7 (1961). 123—168, bes. 141f. 25 Vgl. GW 5. Ms. 17b—20a. Diese Bedeutung der Logik als Einleitung zur eigentlichen Philosophie verändert sich in Hegels Jenaer Systementwicklung. Hegel konzipiert 1805/06 die Logik als „spekulative Phiiosophie“, die selbst die Metaphysik, die eigentliche Grundlegung des philosophischen Systems ist. Die Logik von 1804/05 hat den Charakter einer Übergangsform im Verlaufe dieser Entwicklung. Vgl. hierzu Kimmerle: Das Problem der Abgeschlossenheit des Denkens. 95ff, 132ff; Düsing: Das Problem der Subjektivität. 150ff, 156ff.

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die Vernunft zeigt. Besonders „die spekulative Bedeutung der Schlüsse“^^ ist hier zu untersuchen. Durch diese Aufhebung der endlichen Formen und die Untersuchung des Schlusses erreicht die Logik ihr Ziel, „die Fundamente eines wissenschaftlichen Erkennens“ zu schaffen^^. Erwähnt sei noch, daß Hegel in der Differenz-Schnti seine Konzeption der Logik scharf von Reinholds Versuch abgrenzt, die Logik in Anlehnung an Bardilis „rationalen Realismus“ ontologisch zu begründen. Reinhold rief in seinen Beyträgen zur leichtern Uebersicht des Zustandes der Philosophie aus, daß die „Revolution“ in der deutschen Philosophie (gemeint ist: der Kantische transzendentale Idealismus und seine „Sublimation“ durch Fichte und Schelling) zu Ende gegangen sei, indem ihr Grundfehler durch Bardilis Schrift Grundriß der Ersten Logik aufgedeckt worden sei^«. Der Grundfehler der Philosophie seit Kant besteht nach Reinholds Überzeugung darin, daß sie den inneren Charakter des Denkens verkenne, d. h. daß sie ihn bloß in der „Anwendung“ erfasse und daß sie damit das Denken bloß als eine subjektive Tätigkeit anspreche^®. So sagt Reinhold, daß die „Reformation“ der Philosophie bei der „Berichtigung“ der bisherigen Logik und bei der Untersuchung des inneren Charakters des Denkens selbst ansetzen müsse. Dieser innere Charakter des Denkens vor aller Anwendung, den Reinhold mit Bardili als „das Denken als Denken“ bezeichnet, ist die „unendliche Wiederholbarkeit von Einem und Ebendemselben als Eines und Ebendasselbe in Einem und Ebendemselben und durch Eines und Ebendasselbe“. Reinhold erklärt dieses Wesen des Denkens als die „absolute Identität“, indem es allen Unterschied schlechthin aus sich selbst ausschließt. Erst aus der Anwendung dieses Wesens ergibt sich die Erkenntnis (oder Begriffe, Urteile und Schlüsse); dieses Wesen selbst drückt sich dabei in der Kopula aus^°. — Hegel bemängelt in der Differenz-Schrili diese Lehre Hegel verleiht in seiner Logik-Konzeption dem .Schluß“ eine besondere Funktion: „Die absolute Identität als Mittelbegriff stellt sich aber im Urtheil nicht, sondern im Schluß dar“ (GW 4. 328). Vgl. GW 7. 95ff. Vgl. GW 5. Ms. 18a—19b. Düsing stellt sich in seiner Schrift Das Problem der Subjektivität (82—90) die Aufgabe, den Inhalt der Logik Hegels in der frühen Jenaer Zeit zu rekonstruieren. Vgl. auch M. Baum: Zur Methode der Logik und Metaphysik beim Jenaer Hegel In: Hegel-Studien. Beiheft 20 (1980). 119-138, bes. 128ff. 26 Vgl. Reinhold: Beyträge. 1. Heft. Hamburg 1801. Vf, Vlllf. Vgl. dazu Pöggeler: Hegels Idee einer Phänomenologie des Geistes. 128ff. 26 Vgl. Reinhold, a. a. O., 97 ff, auch 119, VIII f; Bardili: Grundriß der Ersten Logik, gereiniget von den Irrthümmern bisheriger Logiken überhaupt, der Kantischen insbesondere. Stuttgart 1800. Xlff. 2“ Vgl. Reinhold, a. a. O., 100, 106—109; Bardili, a. a. O., 2f, 6ff. Vgl. ferner A. Klemmt: Die philosophische Entwicklung Karl Leonhard Reinholds nach 1800. In: Zeitschrift für philosophische Forschung 15 (1961). 79—101 und 250—277, bes. 90. Zu Hegels Verständnis der Kopula vgl. GW 4. 328f: „Im Urtheil ist sie [sc. die absolute Identität] nur die Copula: ist, ein Bewußtloses [.. .1 die Copula ist nicht ein Gedachtes, Erkanntes, sondern drückt gerade das Nichterkanntseyn des Vernünftigen aus.“ 26

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Reinholds in der Hinsicht, daß jenes Wesen des Denkens (die unendliche Wiederholbarkeit von einem und demselben) bloß den scheinbaren Charakter einer Identität habe^h Die „absolute Identität“ Reinholds ist nach Hegel ein abstrakter Verstandesbegriff der Einheit. Denn sie entsteht erst durch die Abstraktion; sie wird einmal durch die Entgegensetzung gegen die Anwendung des Denkens bedingt, zum anderen durch die Entgegensetzung gegen die Materie der Anwendung des Denkens. Dem Reinholdschen Begriff der Identität haftet demnach ein unerklärlicher und unauflöslicher Dualismus an; Sie ist nur unter der Voraussetzung der Materie möglich, deren Herkunft unklar bleibt^^. Wie wir erörtert haben, triebt die Spekulation als negative Kraft den Verstand zur Vervollständigung der entgegengesetzten Bestimmungen und am Ende zu seiner Selbstvernichtung. Sie ist jedoch andererseits eine Kraft des Setzens. Sie bezieht das Beschränkte zugleich auf das Absolute und faßt es im wahren Zusammenhang. Diese Vereinigung von Beschränktem und Absolutem und ihre Darstellung für das Bewußtsein ist die Aufgabe der „Philosophie“, nämlich der Metaphysik, während die systematische Darstellung jener „vernichtenden Seite“ die Aufgabe der Logik ist. Jene Darstellung des Absoluten für das Bewußtsein kann sich freilich erst durch die Reflexionsbestimmungen vollziehen; in diesem Sinne ist die „Philosophie“ „eine durch Reflexion producirte Totalität des Wissens“ (GW 4. 23). Hegel hebt jedoch eigens hervor, daß die Reflexion hier nur das Instrument des Philosophierens ist. Denn die einzige „Realität“ liegt in der Beziehung des Beschränkten auf das Absolute selbst. Demgegenüber „vergeht“ das Werk der Reflexion; es ist nämlich bloß die Formulierung jener „Realität“. Erst wenn man auf diese „Realität“ achtet, ist die Darstellung des Absoluten ein „System“, d. h. ein organisches Ganzes der (Reflexions-)Begriffe, in

Hegel scheint sich mit Reinholds Beyträgen kritisch befaßt zu haben, sobald diese erschienen waren. Schelling schrieb an Fichte am 24. Mai 1801: „In der That versichert mir ein Freund [sc. Hegel], der sich mit diesen Dingen sehr abgegeben hat, daß das Bardili-Reinholdische A, und die Wiederholbarkeit jenes A ins Unendliche durchaus nichts als der logisch-allgemeine Begriff, und die logische Allgemeinheit und Wiederholbarkeit, also freilich sehr entfernt seye von der absoluten Erkenntniß“ (BuD II, 328). Aus dieser Äußerung Schellings geht zudem hervor, daß er sich betreffs dieser Problematik durchaus auf Hegel verließ. 52 Vgl. GW4. 18f, 26f, 87. Hegel verurteilt in seiner Rezension Bouterweks Anfangsgründe der spekulativen Philosophie (1801) die Manier Reinholds folgendermaßen: „Die Angst vor der Vernunft und der Philosophie, legitimirt sich damit, daß die Realität der Erkenntnisse vorher recht begründet werden müsse, ehe man philosophire; sie nennt sich, wie bey Reinhold, reine Liebe und Glauben an Wahrheit I...]“ (GW 4. 104). Vgl. auch Reinhold, a. a. O., 90ff, lOOf, llOf. Auch Bardilis Logik ist an diesen Dualismus von Denken als Denken und Materie gebunden (vgl. Bardili, a. a. O., 67ff). Vgl. hierzu M. Zahn: Fichtes, Schellings und Hegels Auseinandersetzung mit dem „logischen Realismus“ Christopf Gottfried Bardilis. In: Zeitschrift für philosophische Forschung 19 (1965). 201—223 und 453—479, bes. 213.

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dem jeder Teil nur durch seinen Zusammenhang mit dem Ganzen Sinn und Bedeutung hat (vgl. GW 4. 19, 23). Das Prinzip dieser systematischen Darstellung des Absoluten ist also nicht der Verstand, sondern die Vernunft: Es kommt auf eine adäquate Darstellung der vernünftigen Erkenntnis jener Beziehung von Beschränktem und Absolutem an. In dieser Hinsicht weist Hegel in aller Schärfe die Methode Fichtes zurück, mit einem obersten absoluten Grundsatz anzufangen^^ Diese Methode basiert bloß auf der Reflexion; denn ein Grundsatz als ein Satz ist eigentlich das durch die Reflexion Gesetzte. Ein Satz setzt etwas; er schließt aber dadurch etwas anderes aus. Er muß also immer die Bedingung hinzusetzen und diese Kette der Bedingungen bis ins Unendliche verfolgen. Der Grundsatz ist also eine Abstraktion, er vermag nicht die absolute Identität auszudrücken, welche nicht bloß die Gleichheit, sondern auch die Ungleichheit impliziert (vgl. GW 4. 23f, auch 37f). Hegel wendet sich hier auch Spinozas Methode der Darstellung: dem ,mos geometricus' kritisch zu. Wir haben bereits gesehen, daß Hegel für Spinozas Begriff der Substanz grundsätzlich eintritt (vgl. S. 153 f). In diesem Begriff seien „die Entgegengesetzten in einem Widerspruch vereinigt“. Aber er kritisiert andererseits scharf, daß Spinoza eine Definition an die Spitze des Systems setzt: „Kein Anfang einer Philosophie kann ein schlechteres Aussehen haben als der Anfang mit einer Definition wie bei Spinoza“ (GW 4.24). Zu beachten ist dabei, daß diese Kritik zugleich Schelling gilt, wenngleich Hegel nicht dessen Namen erwähnt. Denn Schelling folgte in der Darstellung meines Systems der Philosophie in voller Anerkennung Spinozas mos geometricus (vgl. SW IV, 113). Die absolute Identität, jene Vereinigung von Beschränktem und Absolutem, soll in formalen Sätzen der Reflexion ausgesprochen werden. Das ist die Aufgabe der Philosophie. Die („bloße“) Reflexion vermag jedoch die absolute Identität nicht in einem Satz auszudrücken, der unter dem Gesetz des Verstandes, also unter dem Satz des Widerspruchs steht. Für die Reflexion ist es die einzige Möglichkeit, das, was in der absoluten Identität eigentlich eins ist, zu trennen und das Getrennte in zwei Sätzen auszudrücken, welche in einem antinomischen Verhältnis stehen. Antinomie ist für Hegel allerdings kein neues Thema. Er kennzeichnete bereits im Frankfurter Fragment „Glauben und Sein“ das Verhältnis der einander ent-

Fichte schreibt am Anfang der Grundlage der gesamten Wissenschaftslehre: „Wir haben den absolut-ersten, schlechthin unbedingten Grundsatz alles menschlichen Wissens aufzusuchen“ (FW I, 91, vgl. 38, 41). Hegels Kritik richtet sich sicherlich auch gegen Reinhold. Vgl. Reinhold: Beyträge zur Berichtigung bisheriger Mißverständnisse der Philosophie. Jena 1790—1794. 344; „Die Elementarphilosophie, wie ich sie mir denke, existirt entweder gar nicht, oder steht auf einem allgemeingeltenden Grundsatz fest.“

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gegengesetzten, widerstreitenden Endlichkeiten, welche ihren Ursprung in der absoluten Einheit hätten, als Antinomie (vgl. S. 79 f). Auf dieser Grundlage, aber in einem anderen Zusammenhang betrachtet Hegel in der Differenz-Schx'xh die Antinomie: Sie meint hier das Verhältnis der Sätze, in denen die Reflexion die absolute Identität auszusprechen sucht. Die Reflexion versucht zunächst in A = A die absolute Identität auszudrücken. In dieser Verstandesidentität aber wird von aller Ungleichheit abgesehen. Das Absolute oder das Vernünftige wird hier demnach aufgehoben. Die Forderung des Setzens der Ungleichheit, die aus dieser Einseitigkeit der abstrakten Identität entspringt, versucht die Reflexion dann durch den Satz A = B (Non-A) zu erfüllen. Aber auch dieser Satz ist einseitig, da hier von aller Gleichheit abstrahiert wird. Beide Sätze sind also einseitig und drücken einander widersprechende Inhalte aus. Insofern sie jedoch aufeinander bezogen und als die durcheinander bedingten und aufeinander verweisenden Sätze, d. h. in einer ,Antinomie‘ erfaßt werden, sind sie die für die Reflexion möglichst adäquate Darstellungsweise des Absoluten. So bezeichnet Hegel die ,Antinomie‘ (als „Synthese Entgegengesetzter“) als den „höchsten formellen Ausdruk des Wissens und der Wahrheit“ (GW 4.26)^*. — Hier scheint Hegel Schelling zu folgen, welcher in der Schrift Darstellung die Sätze A = A und A = B in einem spezifischen Zusammenhang betrachtet. Der Satz A = A ist jedoch für Schelling, wie gezeigt wurde, die Form der absoluten Identität selbst; in diesem Satz ist die Identität eines und desselben A („die Identität der Identität“) gesetzt. Der Satz A = B ist dagegen der Ausdruck der „quantitativen Differenz“ von Subjektivität und Objektivität, die nur außerhalb der absoluten Identität möglich ist (vgl. S. 147 f). Hegel und Schelling betrachten also die beiden Sätze jeweils in grundsätzlich verschiedenen Zusammenhang; von der Antinomie der beiden Sätze ist bei Schelling nicht die Rede^^ Die Spekulation als Kraft des Setzens oder der Produktion des Wissens findet also in formaler Hinsicht den höchstmöglichen Ausdruck des Absoluten in der ,Antinomie‘. Diese erlangt jedoch nicht als solche, sondern erst im Zusammenhang mit dem diese Form Erfüllenden und Haltenden Sinn und Wert. Der Zugang zu diesem Inhalt wird nun durch die Anschauung gewonnen. Wir haben gesehen, daß Hegel in der Neufassung der Positivitäts-Schrift (1800) die Auffassung vertrat, daß die Anschauimg des Göttlichen als eines vollkommenen Wesens der menschlichen Natur entstamme. Er intendierte damit, die Notwendigkeit der Religion geltend zu machen Hegels These in seiner Habilitation: „Contradictio est regula veri, non contradictio falsi“ (Ros 156) ist im Zusammenhang mit dieser Betrachtung der Antinomie zu berücksichtigen. Hartkopf führt Hegels Lehre der Antinomie — kaum überzeugend — auf Schellings Betrachtung der Sätze A — A und A — B in der Darstellung zurück. Er übersieht zudem Hegels Überlegung über die Antinomie in der Frankfurter Zeit. Vgl. Hartkopf, a. a. O., 142.

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(vgl. S. 129). Die ,Anschauung“ macht — im Gegensatz zu dieser Konzeption zu Ende der Frankfurter Zeit — nach der Differenz-Schrift einen wesentlichen Bestandteil des philosophischen und spekulativen Wissens aus. Sie ist jedoch ohne Konstruktion durch die Reflexion bloß „bewußtlos“, während die Reflexion ohne Anschauung das Absolute aufhebD^. Die absolute Identität muß also in das Bewußtsein treten und mit den formalen Bestimmungen der Reflexion synthetisiert werden oder, wie Hegel sich ausdrückt, die Anschauung der absoluten Identität muß „transzendental“ werden (vgl. GW 4. 27f)3^. Die Spekulation als Methode der Erkenntnis des Absoluten besteht also nicht nur aus der Anschauung, sondern zugleich aus den Reflexionsbestimmungen. Hegel nimmt diese Methode für „weder synthetisch noch analytisch“ (GW 4. 31)^®. Sie ist weder bloß das unmittelbare Gegenwärtighaben des Absoluten noch bloß die Bestimmungen unter dem Gesetz des Verstandes. Die Methode ist bei Hegel beides zugleich®^. — Es liegt nahe, daß die Anregung zu dieser Konzeption der Anschauung als Organs des philosophischen Wissens von Schelling ausgeht. Schelling setzt jedoch in der Schrift Darstellung die intuitive Erkenntnis schlechthin der Reflexion entgegen, welche an die Spaltung von Subjekt und Objekt gebunden ist. Die Frage nach der Verbindung von Anschauung und Reflexion findet also bei Schelling keine Berücksichtigung. Im Gegensatz dazu fungiert die Anschauung nach Hegel erst dann als die Methode der spekulativen Erkenntnis, wenn sie mit der Reflexion in eine Synthese gebracht wird“*®. Es ist nun nur konsequent, daß in dieser Konzeption der philosophischen und spekulativen Erkenntnis des Absoluten die Thematik der Überwindung der positiven Religion durch die „wahre“ Religion völlig an Bedeutung verliert, welche für den Berner und Frankfurter Hegel ein Grundanliegen war. Hegel versucht jedoch in der vorliegenden Schrift die Begrenztheit der positiven Religion von seinem neuen Gesichtspunkt her festzustellen. „Glaube“, wie die positive Religion nunmehr heißt, ist zwar das „VerhältVgl. Kant: Kritik der reinen Vernunft. 95 (A 51, B 75). Hegel verwendet den Terminus „transzendental“ in eigenartiger Weise: Er meint damit die Vereinigung der Anschauung des Absoluten mit den Bestimmungen der Reflexion und die Entfaltung des Anschauungsinhalts im System des Wissens. Schelling bezeichnet einmal im System des transzendentalen Idealismus die intellektuelle Anschauung als die „transzendentale“; er korrigiert jedoch diesen Ausdruck wiederum in die „intellektuelle“ (vgl. SW III, 627). Vgl. zu dieser Thematik M. Baum: Hegels philosophische Methode. I. Historischer Teil: Die Entstehung der Hegelschen Dialektik (im Erscheinen begriffen), maschr. 173f. Hegel weist in diesem Zusammenhang die Methode Reinholds als eine bloß analytische zurück (vgl. GW 4. 19). ln der Wissenschaft der Logik kennzeichnet er übrigens die absolute, dialektische Methode als die sowohl analytische als synthetische Methode (vgl. GW 12. 242). Bereits Kroner weist darauf hin, daß Schellings und Hegels Verständnis der Anschauung grundsätzlich verschieden sind. Vgl. Kroner, a. a. O., 167.

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nis oder Beziehung der Beschränktheit auf das Absolute“; aber die unmittelbare Gewißheit des Glaubens wird sofort fixiert, indem dieser sich nur der Entgegensetzung, aber nicht der Identität beider bewußt wird. Er erhebt auf diese Weise nur eins der Entgegengesetzten zum Absoluten und vernichtet das andere (vgl. GW 4. 21; auch oben S. 122 f). Die Inbeziehungssetzung des Beschränkten zum Absoluten behält also hier noch die Form der Trennung, die dem reflexiven Denken entstammt, und sie wird somit nur in einer wesentlich mangelhaften Weise ausgeführt. Hieraus ergibt sich nun, daß Hegel einerseits mit Schelling die Spekulation als die Methode der philosophischen Erkenntnis des Absoluten verkündet und daß er jedoch andererseits diesen Begriff der Spekulation unabhängig von Schelling entwickelt. Wie wir erörtert haben, expliziert Hegel diesen Begriff von einer negativen und von einer positiven Seite aus. Die Spekulation treibt einmal den Verstand zur Produktion der für ihn unerreichbaren Totalität und führt ihn zur Selbstvernichtung. Zum anderen bezieht die Spekulation das Beschränkte auf das Absolute und stellt diese Vereinigung im Bewußtsein dar. Sie bewältigt diese Aufgabe durch die Verbindung von Anschauung und Reflexion. Dabei ist die Antinomie in formaler Hinsicht die höchstmögliche Darstellungsweise. Im Gegensatz dazu erklärt Schelling in der Schrift Darstellung die Spekulation als die Erkenntnis, welche die Dinge intuitiv und ,unter der Form der Ewigkeit“ erfaßt. Er setzt sie der Reflexion schlechthin entgegen, welche nicht fähig ist, das Absolute, sondern nur das dem endlichen Subjekt Erscheinende zu erkennen. Auch in den Ferneren Darstellungen aus dem System der Philosophie (1802) erhält Schelling diese Auffassung grundsätzlich aufrecht. Die absolute Erkenntnis besteht nach dieser Schrift darin, die absolute Identität anzuschauen und sie in der Vernunft, d. h. „unmittelbar nur in dem Wesen des Ewigen selbst“ darzustellen (SW IV, 347). Hiermit tritt Schelling sicherlich Hegels Begriff der Spekulation und dessen Konzeption entgegen, das Absolute im Bewußtsein zu konstruieren. Nach Schelling wird das Absolute in keiner Weise durch die Reflexion adäquat vermittelt, denn diese fixiert es bloß als ein Objektives. Das, was in der absoluten Erkenntnis bzw. in der intellektuellen Anschauung „eins und ineinander“ ist (das „Urbild“), erscheint in der Reflexion als das „auseinander gezogene Bild“ (vgl. SW IV, 365, 399). In den Vorlesungen über die Methode des akademischen Studiums (1803) finden wir wiederum einen von dieser Konzeption prinzipiell verschiedenen Ansatz Schellings“^i. Er meint hier, daß der „wissenschaftlichen Philosophie“ die Darstellung des Absoluten in den endlichen Formen (als dessen „Reflexen“), also die „Kunstseite“ der Wissenschaft notwendig angehöre. Die Anschauung des Absoluten muß mit der „Wissenschaft der Vgl. dazu Düsing: Spekulation und Reflexion. 124f.

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Form“ vereinigt werden. Die Betrachtung des Verhältnisses der Spekulation zur Reflexion ist also auch bei Schelling für die Entfaltung des Identitätssystems konstitutiv (vgl. SW V, 267, 269). Damit ist offensichtlich, daß Schelling hier Hegels Begriff der Spekulation in der DifferenzSchrih akzeptiert und verwendet. Darüber hinaus bezeichnet er die „reine Darstellung der Formen der Endlichkeit in ihrer Beziehung aufs Absolute“ in völliger Übereinstimmung mit Hegel als Logik (vgl. SW V, 269; auch oben S. 160 f)*^. c) Die Identität der Identität und der Nichtidentität Hegel vertritt, wie gezeigt wurde, mit Schelling die Auffassung, daß die adäquate und vollständige Erkenntnis des Absoluten die Aufgabe der Philosophie ist. Er entfaltet jedoch in wesentlich reflektierterer Form als Schelling den Begriff der Spekulation als Methode der Erkenntnis des Absoluten. Auch in der Struktur des Absoluten ist eine konstitutive Verschiedenheit von Schellings und Hegels Ansatz festzustellen. Die Vernunft bringt, wie wir sahen, „eine Totalität des Wissens“ hervor, indem sie das Absolute anschaut und es durch die endlichen Bestimmungen für das Bewußtsein darstellt. Diese Erkenntnis des Absoluten ist für Hegel zu gleicher Zeit eine Selbsterkenntnis und Selbstdarstellung der absoluten Vernunft (vgl. S. 153). Hegel identifiziert diese Tätigkeit der Vernunft mit der Selbsterzeugung des Absoluten: „In dieser Selbstproduktion der Vernunft gestaltet sich das Absolute in eine objektive Totalität, die ein Ganzes, in sich selbst getragen und vollendet, ist, keinen Grund außer sich hat, sondern durch sich selbst in ihrem Anfang, Mittel und Ende begründet ist“ (GW 4. 30f). Die objektive Totalität ist hier die Weise, in welcher das Absolute ist oder sich gestaltet. Sie ist also nicht das von dem Absoluten Getrennte, sondern dessen erscheinendes Wesen (vgl. S. 154). Dieses ist als die Identität von Bewußtem und Bewußtlosem oder von Verständigem und Vernünftigem unendlich; d. h. es hat seinen Grund nicht außer sich, sondern es ist ein durch sich begründetes Ganzes'*^. Dieser Gedankengang gemahnt uns an Schellings Überlegung zum Universum. Die absolute Identität ist für Schelling die absolute Totalität oder das Universum, denn sie ist alles, was ist. Sie ist als das Universum, insofern sie existiert. Es gibt also zwischen beidem keinen realen Unterschied. Schelling expliziert somit — Hier sollte darauf hingewiesen werden, daß Schelling im Gegensatz zu dieser Auffassung noch in der Schrift Bruno oder über das göttliche und natürliche Prinzip der Dinge (1802) die Logik als die Lehre definierte, welche durch die „Unterordnung des Ganzen der Vernunft unter den Verstand entsteht“. Schelling unterschied hier von dieser Verstandserkenntnis scharf die Philosophie. Vgl. SW IV, 300; auch 345. •*’ Hegel macht hier von Spinozas Begriff der causa sui Gebrauch; vgl. Spinoza, a. a. O., 86 (I, Def. 1).

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hier differiert er von Hegel — das Universum als .indifferentes* Sein. „Die quantitative Differenz“ bzw. das einzelne Seiende ist nach dieser Konzeption nicht an sich, sondern bloß außerhalb der absoluten Totalität möglich (vgl; S. 148). Das Universum wird also hier von dem einzelnen Seienden (für Schelling: der .Erscheinung*) schlechthin unterschieden. Demgegenüber ist die objektive Totalität, die sich als „eine Organisation von Sätzen und Anschauungen** darstellt, für Hegel ebensowohl unendlich (als die Identität von Bewußtem und Bewußtlosem) als auch endlich und beschränkt, denn sie ist ein Gesetztes, d. h. ein durch die beschränkten Bestimmungen Ausgedrücktes (vgl. GW 4. 31). Das Absolute gestaltet sich nach Hegel erst durch dieses Endliche: „Das Absolute muß sich also in der Erscheinung selbst setzen, d. h. diese nicht vernichten, sondern zur Identität konstruiren** (GW 4. 32)*^*^. Hegel hebt hier seinen Standpunkt gegen eine solche Philosophie scharf ab, die sich zwar auf einer „ächten Spekulation** aufbaut, aber dieses Prinzip nicht zu der vollständigen Selbstkonstruktion in einem System durchdringen läßt. Das Grundprinzip dieser Philosophie ist die absolute Identität. Für diese Philosophie charakteristisch aber ist die Auffassung, daß es „an sich**, also von dem Standpunkt der vernünftigen, spekulativen Erkenntnis aus» keine Entgegensetzung des Subjektiven und des Objektiven gebe. Diese Philosophie setzt somit die absolute Identität der Entgegensetzung bzw. der Erscheinung schlechthin entgegen; die absolute Identität ist in der Erscheinung nicht präsent (vgl. GW 4. 32). Unübersehbar ist hier, daß diese Bestimmung der Philosophie der Darstellung des Identitätssystems in der Schrift Darstellung meines Systems der Philosophie entspricht. Schelling vertritt hier, wie bereits gezeigt wurde, die These, daß es „an sich** oder „vom Standpunkt der Vernunft aus** keine Endlichkeit, keinen Gegensatz zwischen Subjekt und Objekt gebe (vgl. SW IV, 119, 123, 136). Dieser Gegensatz bzw. „die quantitative Differenz** wird demnach der absoluten Identität in der Weise entgegengesetzt, daß die erstere nur außerhalb der letzteren möglich sei (vgl. SW IV, 125). Die Vorstellung, daß die absolute Identität aus sich „heraustrete** oder daß sie aufhöre, die Identität zu sein, ist also für Schelling „der Grundirrthum aller Philosophie** (vgl. SW IV, 119f). Hegel kennzeichnet die angedeutete Philosophie als „Schwärmerei**. Denn sie hält an der absoluten Indifferenz von Subjekt und Objekt fest; sie ist bloß mit der negativen Seite befriedigt, die alles Endliche vernichtet, oder — mit Hegels Worten — mit dem „Anschauen des farblosen Lichts** (GW 4. 63)**®. Der Anschauung der absoluten Identität fehlt es an aller Vgl. Meist: Hegels Systemkonzeption in der frühen Jenaer Zeit. 62 ff; vgl. auch Marcuse: Hegels Ontologie. 22f. « Vgl. den Ausdruck in der Phänomenologie des Geistes: „1.. .1 die Nacht [.. .1, worin (.. .1 alle Kühe schwarz sind“ (GW 9. 17).

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Bestimmtheit. Beharrt man also auf dieser Anschauung, so „ist für die Reflexion und das Wissen nichts vorhanden“ (a. a. O.). Diese „Schwärmerei“ vermag sich nicht zur wissenschaftlichen Erkenntnis zu entwickeln. Ihr Grundgebrechen liegt darin, daß sie nicht erkennt, daß ihre Position einseitig ist, d. h. daß die absolute Identität hier durch das Endliche bedingt ist, welches einfach vernichtet und eliminiert wird^e. Das Absolute bedeutet für Hegel nicht diese reine Indifferenz von Subjekt und Objekt, soweit sie durch das vernichtete Endliche bedingt ist; sondern das Absolute läßt zugleich die beiden Momente von Subjekt und Objekt bestehen. Dieses „Bestehen“ ermöglicht das Wissen oder die philosophische Erkenntnis des Absoluten. So formuliert Hegel das Gefüge des Absoluten folgendermaßen: „Das Absolute selbst aber ist darum die Identität der Identität und der Nichtidentität; Entgegensetzen und Einsseyn ist zugleich in ihm“ (GW 4, 64). — Einerseits ist festzuhalten, daß Hegel hier auf seine Überlegung im „Systemfragment“ zurückgreift. Er betonte dort, daß im „unendlichen All“ des Lebens nicht nur die Vereinigung, sondern auch die Mannigfaltigkeit, die Entgegensetzung des Verstandes, zugleich gesetzt sei. In dieser Hinsicht faßte Hegel das ,Leben‘ in die Formel: „die Verbindung der Verbindung und der Nichtverbindung“. Allerdings negierte er damals die Möglichkeit der vollständigen wissenschaftlichen Erkenntnis des Lebens als „Sein außer der Reflexion“ (vgl. S. 117, 119). Andererseits ist beachtenswert, daß jenes Verständnis des Absoluten von dem Schellingschen deutlich differiert. Die absolute Identität ist bei Schelling absolut ,indifferent‘; sie existiert nur unter der Form der Identität eines und desselben (A = A), d. h. unter der Form der „Identität der Identität“. Der Gegensatz von Subjekt und Objekt kommt bei Schelling nur außerhalb der absoluten Identität zustande, welche keinerlei Differenz in sich birgt (vgl. S. 142, 144). Das Absolute und dessen Erscheinung sind also bei Hegel derart vereinigt, daß das Absolute sich in die Erscheinung setzt und sich erst darin gestaltet. Dabei warnt Hegel, dieses Verhältnis als ein ,Kausalitätsverhältnis“ zu verstehen. Denn dieses bedeutet nach seiner Auffassung das Verhältnis der (im ontologischen Sinne) dem „Rang“ nach Verschiedenen; eine absolute, unbezwingbare Entgegensetzung liegt diesem Verhältnis zugrunde (vgl. GW 4. 32). Diese falsche Vorstellung des Verhältnisses von Absolutem und Erscheinung stellt sich nach Hegels Verständnis sowohl in Fichtes Entgegensetzung von Ich und Nicht-Ich (vgl. GW 4. 33, 45) als auch im „reinen Dogmatismus“ dar. Dieser setzt einerseits die absolute Identität bzw. den Grundsatz A = A, indem er alle Entgegensetzung ausschließt. Er führt jedoch in das Verhältnis dieser Identität mit dem Endlichen (oder der ErKondylis meint, daß Hegels Polemik gegen die „Schwärmerei“ — kaum einleuchtend — keineswegs auf Schelling, sondern vielleicht allein auf F. Schlegel abziele (vgl. Kondylis, a. a. O., 642).

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scheinung), welches außerhalb der absoluten Identität immer noch bestehenbleibt, das ,Kausalitätsverhältnis' ein: Das Endliche ist hier ein „Botmäßiges“ bzw. ein untergeordnetes Produkt des Absoluten (A = B) (vgl. GW 4. 32f). Hegel kritisiert diese Auffassung, weil die beiden Grundsätze A = A und A = B hier „unsynthesirt nebeneinander“ bleiben. Diesem Dogmatismus fehlt die Reflexion auf die ,Antinomie‘ dieser beiden Sätze. Er erkennt demnach auch nicht „die Nothwendigkeit, das Bestehen der Entgegengesetzten aufzuheben“ (GW 4. 33)'*^. Hegel bestimmt dagegen „das wahre Verhältnis der Spekulation“ als das ,Substantialitätsverhältnis‘, was seine Nähe zu Spinozas Philosophie nachweist. Es kommt darauf an, die Erscheinung im Zusammenhang mit dem Absoluten als Einer Substanz zu erfassen, d. h. zu begreifen, daß „das Produkt keinen Bestand hat, als nur im Produciren“ (GW 4. 32)“**. Es hat sich in diesen Erörterungen gezeigt, daß das Gefüge des Absoluten in der Differenz-Schrih einen grundlegenden Unterschied von dem in der Schellingschen Schrift Darstellung enthält. In der Folge ist zu berücksichtigen, daß Hegels Konzeption des Absoluten als ,Identität der Identität und der Nichtidentität' auf die weitere Denkentwicklung Schellings einen nicht unbedeutenden Einfluß ausübt. Schelling rekurriert besonders im Gespräch Bruno auf diesen Denkansatz Hegels'*®. Das Absolute wird hier als „die Einheit der Einheit und des Gegensatzes“ gedacht. Die Einheit steht hier nicht dem Gegensatz gegenüber, sondern sie begreift sowohl die Einheit (soweit sie sich dem Gegensatz entgegensetzt) als auch den Gegensatz selbst. Sie ist das „Eine“, in dem Endliches und Unendliches vereinigt sind (vgl. SW IV, 236, 242, 252, 295). Besonders bemerkenswert ist, daß sich Schelling hier der Philosophie Fichtes streng widersetzt, welche die Einheit dem Gegensatz schlechthin entgegensetze und beides in einem ,Kausalitätsverhältnis' auffasse (vgl. SW IV, 238). Es ist unverkennbar, daß Schelling hier auf das Denkmotiv Hegels zurückgreift, das wir gerade oben dargelegt haben. Auf der Basis dieses neuen Verständnisses des Absoluten setzt Schelling sich jetzt mit dem Problem des Übergangs des Unendlichen zum Endlichen auseinander. Wie wir gesehen haben, gestand er in der Schrift Darstellung ein, daß diese Frage noch nicht geklärt werden könne. Er versuchte dort vielmehr, zu zeigen, daß eine solche „Absonderung“ des Endlichen nicht Zu Schellings Verständnis der Sätze A — A und A — B in der Schrift Darstellung vgl. oben S. 148. Hier wird Hegels Ansatz sichtbar, Kants Relationskategorien auf eigenartige Weise zu verarbeiten. Die ,Wechselwirkung' besagt hier die „vollständigere Form“ des ,Kausalitätsverhältnisses' (vgl. GW 4. 32, auch 34). Hegel entwickelt in der Logik von 1804/05 diese Kategorien als das „Verhältniß des Seyns“ (vgl. GW 7. 36ff). , Vgl. Düsing: Spekulation und Reflexion. 118.

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„an sich“ möglich sei (vgl. S. 148). Im Gespräch Bruno begreift Schelling das Absolute nicht mehr als das schlechthin indifferente“ Sein, sondern als das absolut Unendliche, das „das zeitlos gegenwärtige und unendliche Endliche“ impliziert, welches dem Unendlichen nicht gegenübersteht, sondern ihm in angemessener Form innewohnt (vgl. SW IV, 258). Beides ist der Sache nach („reell“) völlig eins, aber nur dem Begriff nach („ideell“) verschieden. Das Endliche ist in Ansehung der absoluten Einheit nicht von dieser zu unterscheiden; es hört jedoch auch in dieser Indifferenz nicht „für sich selbst“ auf, endlich und different zu sein. Diese Differenz „für sich selbst“, die im Absoluten selbst ungetrennt „schläft“, ist der Grund des Übergangs in ein unterschiedenes Dasein. Das eigentlich nicht vom Absoluten verschiedene Endliche sagt sich „für sich selbst“ von dieser Einheit los und gelangt zum zeitlichen Dasein (vgl. SW IV, 258f)5o. — Allerdings stimmt diese Auffassung des Verhältnisses von Absolutem und Endlichem, die nicht ohne Anregung Hegels zustande kommt, nicht völlig mit der Hegelschen Auffassung überein. Denn jenes „Heraustreten“ des Endlichen aus dem Absoluten ereignet sich bei Schelling bloß ,für das Endliche selbst“. Das Endliche ist nicht die Realität selbst, in der das Absolute sich gestaltet.

Schelling befaßt sich in der Schrift Philosophie und Religion weiter mit dieser Thematik und entwickelt die Lehre des „Abfalis“ (vgi. SW VI, 28f, 38ff). Vgl. dazu Zeltner: Identitätssystem. 90 f.

ZUSAMMENFASSUNG UND AUSBLICK Überblicken wir abschließend Hegels Verständnis von Philosophie und Religion in seiner Jugendzeit, so fällt auf, daß der Entwurf einer idealen Religion und die Frage nach ihrer Verwirklichung für ihn zunächst von entscheidender Bedeutung war. In der Tübinger Zeit konzipierte er in ,volkserzieherischer‘ Hinsicht eine „subjektive“ Religion, indem er die Errungenschaften der Aufklärung und die der Kantischen praktischen Philosophie aufnahm. Seine Einstellung gegenüber der Aufklärung war allerdings differenzierter: Er widersetzte sich der Üerschätzung der Bedeutung des Verstandes. Denn bei der Ausführung des sittlichen Gesetzes, die Hegel im Rückgriff auf Kant als das letzte Ziel der Religion verkündete, komme es nicht auf die Kenntnis des Moralgesetzes an, sondern auf die Gesinnung, auf das Herz. Auf diese Weise konzipierte Hegel eine „subjektive“ Religion, welche auf die Empfindungen einwirken und dadurch die Ausführung des moralischen Gesetzes befördern sollte. Wir haben dann gezeigt, daß Hegel in Bern unter dem verstärkten Einfluß Kants diese Konzeption einer subjektiven Religion modifizierte. Hegels Auseinandersetzung mit den christlichen Ideen, die die Verwirklichung der Moralität verhinderten, brachte die ausdrückliche Hervorhebung der ,Resultate“ der praktischen Philosophie Kants mit sich. Die Einwirkung auf die Empfindungen spielte nämlich nicht mehr die zentrale Rolle innerhalb dieser Konzeption; die subjektive Religion hatte ihre Grundlage vielmehr in der Bestimmung des Willens allein nach dem moralischen Gesetz, mit anderen Worten, im „Übergewicht“ der moralischen Ideen über das Sinnliche. Wir haben jedoch eigens betont, daß Hegel zugleich eine Reflexion auf seine philosophischen Prinzipien anstellte, die er mit Kant zunächst voraussetzte und auf die er die Konzeption einer subjektiven Religion gründete. Die Anregung zu dieser Reflexion ging ohne Zweifel von der Auseinandersetzung mit der Theorie Schellings aus, welche dieser zur gleichen Zeit entwickelte. Schelling hatte den Begriff des absoluten Ich, den er sich von Fichte aneignete, in bezug auf Spinozas Idee der Substanz als causa sui umgedeutet und auf der Grundlage dieses Prinzips eine „Ethik ä la Spinoza“ entworfen. Von diesem Standpunkt aus kritisierte er Kants Ethik, vor allem die Idee des höchsten Gutes. Hegel gestand unter dem Anstoß dieser KantKritik ein, daß Kant in den Begriff des höchsten Gutes den sinnlichen

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Faktor (die Glückseligkeit) hineinmische. Bemerkenswert ist jedoch, daß Hegel trotz dieser Aufnahme der Schellingschen Kritik im Unterschied zu Schelling die Moralität bzw. die Kraft zur Moralität im Menschen als das wahrhaft Göttliche auffaßte und das Kantische Prinzip der Autonomie und Freiheit aufrechterhielt. Demgegenüber haben wir Hegels Frankfurter Jahre als die Zeit dargelegt, in der er den Bannkreis Kants und Schellings verließ und über den Rahmen der Konzeption einer subjektiven Religion hinausging. Er verstand das Göttliche nicht mehr als das, was im Menschen als einem moralischen Subjekt aufbricht, sondern — von seinen Frankfurter Freunden, vor allem von Hölderlin angeregt — als die absolute Vereinigung von Subjekt und Objekt oder von Freiheit und Natur. Die Aufgabe der Religion ist nicht mehr (wie in Bern) die Beförderung der Ausführung der sittlichen Handlungen, sondern die Entfaltung der Vereinigung von Subjekt und Objekt durch die Einbildungskraft. — Bezeichnenderweise stellte Hegel bei diesem Neuansatz eine grundsätzliche Überlegung zum Verhältnis von Glauben und Denken an. Er vertrat (im Fragment „Glauben und Sein“ und dann auch im Fragment zu dem „Geist des Christentums“) die Auffassung, daß jene Vereinigung nur im Glauben in adäquater Weise gegenwärtig werde, während sie das Denken übertreffe, das die Entgegensetzung von Subjekt und Objekt voraussetze. Darüber hinaus entwickelte Hegel auf dem Wege der metaphysischen Auslegung dieser Vereinigung den Begriff des Lebens. Er verstand darunter — unter dem Einfluß Hölderlins und Jacobis — das gegliederte Ganze, d. h. das Ganze, das sich durch die Trennung und Mannigfaltigkeit bilde und auf diese Weise die Fülle seiner Gestalten erlange. Was die Weiterentwicklung dieses Begriffs im „Systemfragment“ von 1800 betrifft, haben wir Strukturähnlichkeiten zwischen Hegels und Schellings Lehre des Lebens gezeigt. Schelling schrieb dem Leben, das in seiner Konzeption einer Naturphilosophie Bedeutsamkeit erlangte, sowohl die Einheit (die Gemeinsamkeit des positiven Prinzips in allen Wesen) als auch die Verschiedenheit (die unterschiedliche Rezeptivität dieses positiven Prinzips im einzelnen Wesen) zu. Auch Hegel entfaltete seinen Lebensbegriff, indem er das Leben als organisches Wesen analysierte und die Zusammengehörigkeit von Vereinigung und Mannigfaltigkeit in diesem Wesen betonte. Allerdings legte er darüber hinaus (anders als Schelling) das Leben als das wahre Unendliche aus, das nicht bloß die Einheit von Vereinigung und Mannigfaltigkeit sei, sondern zugleich die Entgegensetzung der beiden in sich begreife. Das weiterhin Auffällige am „Systemfragment“ ist, daß Hegel die Religion kraß von der Philosophie abgrenzte, welche sich auf der trennenden und fixierenden Reflexion aufbaue. Hegel teilte aber andererseits der Philosophie (bzw. der Vernunft) die Aufgabe zu, die Endlichkeit der Bestimmungen der Reflexion aufzuzeigen und das wahre Unendliche außerhalb der Re-

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flexion zu setzen. In diesem Sinne hatte die Philosophie die Bedeutung einer Hinführung zur Religion als Vermögen, des unendlichen Lebens unmittelbar innezuwerden. In der Überarbeitung der Positivitäts-Schrift konzipierte Hegel jedoch eine Metaphysik, eine begriffliche Untersuchung des Verhältnisses von Endlichem und Unendlichem, während er noch das Bedürfnis der Religion hervorhob. In Jena verließ er endgültig jene im „Systemfragment“ entfaltete Position und entwickelte den Entwurf einer Metaphysik des Absoluten. Die Philosophie bedeutete nun nicht nur das bloß reflexive Denken oder die einleitende Stufe der Religion, sondern nun galt für Hegel die vollständige und systematische Erkenntnis des Absoluten als das Geschäft der Philosophie. Die wechselseitigen Beeinflussungen von Hegel und Schelling waren bei der Ausbildung dieser Metaphysik und bei Schellings Neuansatz in der Identitätsphilosophie von großer Bedeutung. Wir finden jedoch in dieser gemeinsamen Ausbildung der Metaphysik des Absoluten nicht nur Übereinstimmungen und Entsprechungen zwischen den Lehren der beiden, sondern auch Hegels eindeutige Eigenständigkeit und die Kontinuität (neben der Diskontinuität) seines Denkens. In der Darstellung meines Systems der Philosophie verstand Schelling im Rekurs auf Spinozas monistische Substanzlehre das Absolute als die Eine Substanz. Darüber hinaus bezog er sich auch methodisch auf Spinozas Lehre, d. h. auf die Lehre der scientia intuitiva, welche die Dinge sub quadam aeternitatis specie auffasse. Hegel stand ohne Zweifel unter dem Einfluß dieses Ansatzes. Wir haben jedoch gezeigt, daß Hegel unter dem Absoluten nicht die reine Indifferenz von Subjekt und Objekt verstand. Er sah vielmehr — auf seinen Begriff des Lebens in der Frankfurter Zeit zurückgreifend — die Entzweiung bzw. den Bereich der Reflexionsbestimmungen als die Erscheinung des Absoluten an; die Erscheinung gehöre dabei dem Wesen des Absoluten an, und das Absolute gestalte sich erst in dieser Erscheinung. Auch in der Konzeption der Methode lieferte Hegel eine eigenständige Leistung: Er faßte die Spekulation nicht als die bloß intuitive Erkenntnis auf, sondern als die Synthesis von Anschauung und Reflexion. Sie war nämlich die Methode, den Inhalt der Anschauung durch die Reflexionsbestimmungen, jedoch immer in der Beziehung auf das Absolute, darzustellen (also in der Form der ,Antinomie‘) und damit das Absolute für das Bewußtsein zu konstruieren. Wir sollten nun zum Abschluß noch darauf hinweisen, daß Hegel auf seinem weiteren Denkweg in Jena seine Konzeption der absoluten Metaphysik ausarbeitet und dann umwandelt, die er mit Schelling (jedoch mit den bereits dargelegten Abweichungen) im Rückgriff auf Spinozas Substanzlehre entwickelt hatte. Im Systementwurf von 1803/04 hält Hegel noch an der spinozistischen Auffassung des Absoluten fest. Er versteht den Geist als

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Zusammenfassung und Ausblick

Substanz, als causa sui, die sich im unendlichen Gegensatz selbst produziert und so zu der absoluten Sichselbstgleichheit gelangt (vgl. GW 6. 268). Andererseits baut Hegel aufgrund einer neuen Konzeption des Bewußtseins seinen Systemansatz in den ersten Jenaer Jahren aus. Das Bewußtsein be* sagt nach dieser Konzeption, die Hegel in die Philosophie des Geistes als den dritten Teil des Systems einführt, das Einssein von Einzelheit und Vielheit, welche in der Natur einander entgegengesetzt sind. Allerdings ist das Bewußtsein zunächst das empirische, das das Andere immer außer sich hat. Die Philosophie des Geistes stellt die Geschichte dar, in der das empirische Bewußtsein sich selbst gleich wird, indem es diesen Gegensatz aufhebt, und damit zu dem absoluten Bewußtsein als Substanz gelangt (vgl. GW 6. 274, 314). In der Logik und Metaphysik von 1804/05 thematisiert Hegel das Problem des Verhältnisses des empirischen, einzelnen Bewußtseins zum absoluten Bewußtsein und das der im absoluten Bewußtsein zu erreichenden Selbstbezüglichkeit im Zusammenhang der Metaphysik und entwickelt eine Theorie der Subjektivität. Hierbei verläßt er den spinozistischen Ansatz der absoluten Substanz-Metaphysik seiner ersten Jenaer Jahre. Das höchste Wesen, unter dem Hegel die spinozistische Substanz versteht, bedeutet nun das Ansichsein, d. h. das schlechthin in sich Reflektierte, das nicht die Bewegung des Reflektierens in sich begreift, m. a. W. in seinen Attributen bzw. in seiner ,Emanation‘ sich selbst gleich bleibt (vgl. GW 7. 152f). Dieses Verständnis hängt mit der Auffassung zusammen, daß der absolute Geist vielmehr eine den Gegensatz von Allgemeinheit und Bestimmtheit implizierende Unendlichkeit sei; er sei einmal ein Bestimmtes, dieses sei aber zugleich das Gegenteil seiner selbst, d. h. ein in sich Reflektiertes. Der Geist ist ferner nicht bloß dieses sich auf sich beziehende Unendliche, sondern er erkennt sich als dieses (vgl. GW 7. 174f, 176f). Hegel gibt in der Logik und Metaphysik von 1804/05 nicht nur seinen spinozistischen Ansatz der frühen Jenaer Zeit auf, sondern er sieht sich auch auf das Nachdenken über das Problem der Trennung von Logik und Metaphysik verwiesen. Diese Trennung basiert auf der frühen Jenaer Systemkonzeption. Die Logik ist aber jetzt nicht mehr bloß eine Einleitng zur Metaphysik, sondern sie behandelt das Problem der metaphysischen Erkenntnis selbst; sie ist eine vorläufige Darstellung der Subjektivität, während die Metaphysik diese in vollständiger Form darstellt. Wie wir bereits erwähnt haben, hat die Logik-Konzeption von 1804/05 den Charakter einer Übergangsform zur „spekulativen“ Logik, die selbst die Metaphysik, die eigentliche Grundlegung des philosophischen Systems ist. Auf diese Weise lenkt Hegel um 1804 in die spätere Bahn seiner Systematik ein; damit eröffnet sich der Forschung ein anderes Feld, das freilich in unserer Arbeit nicht mehr thematisiert werden kann.

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PERSONENREGISTER Aristoteles 24, 90, 154 Asveld, P. 14, 23, 52, 76, 82, 122 Baeumer, M. L. 25 Bardili, C. G. 152, 162 f Barion, J. 146 Baum, M. 90, 111, 153, 162, 166 Baumeister, Th. 29, 83 Baumgarten, A. G. 30 Baumgartner, H. M. 135 Betzendörfer, W. 21 Böhm, B. 41 Bollnow, O. F. 81, 88 Bonnet, Ch. 41 Bonsiepen, W. 15, 154 Bourguet, L. 101 Bouterwek, F. 163 Brecht, M. 21, 27 Bruno,. 104 Bruno, G. 104 Bubner, R. 73 Büchner, H. 131 Christus 23, 41, 48, 123 Claesges, U. 95 f Gramer, W. 60 Descartes 60 Diez, C. I. 27 Dilthey, W. 14, 107, 120, 122 Döderlein, J. L. 27 Düsing, K. 15, 21, 29, 64, 78, 80, 83, 99, 114, 117 f, 141, 144, 153, 161 f, 167, 171 Eschenmayer, C. A.

134, 144

Feuerbach, L. 73 Fichte, J. G. 13, 22 f, 34 f, 54-60, 62,

72, 81, 93-97, 110, 113 f, 122 f, 128, 134,137 ff, 144,146,149 ff, 152,154 f, 162, 164, 170 f, 173 Fink, J. Ch. F. 24 Floistad, G. 143 Förster, J. G. 72 Fuhrmans, H. 129, 134, 147, 149 Fulda, H. F. 156 Garve, Ch. 18, 28 f Gentz, F. 29 Girndt, H. 152 Glöckner, H. 17, 120 Gockel, H. 69 Görland, I. 138 Goethe, J. W. von 25 Grimm, J. 31 Guerenu, E. 82 Haering, Th. 18,43,49,52,57,85,93, 107, 118 Hallett, H. F. 143 Hammacher, K. 81, 154 Harris, H. S. 14, 18 f, 49, 52, 76, 80, 108, 127, 131 Hartkopf, W. 15, 150, 155, 165 Haym, R. 15, 131, 149 Hegel, Hannelore 75, 82, 111, 113 f Hegel, Karl 112 Heinse, W. 25 Henrich, D. 27, 29 f, 48, 67, 77, 81 f, 117, 138 Heraklit 24 Herder,!. G. von 18 ff, 31, 72,97 f, 103 Hippel, Th. G. von 24 Hobbes, T. 72 Hölderlin, F. 19, 24 f, 30 f, 34, 69, 71, 75, 77 f, 81 f, 87, 89, 114, 117, 130, 154, 174 Hoffmeister, J. 18, 25

Personenregister

188 Holz, H. 103, 150 D’Hondt, J. 24, 78 Hottiger 20 Hutcheson, F. 28 Iselin, I.

19

Jacobi, F. H. 24 f, 53, 61, 68, 76, 80 f, 88 ff, 98, 100 f, 103 ff, 108, 110, 113, 154 f, 174 Jähnig, D. 136 Jamme,Ch. 14, 25, 31, 75, 77 f, 81, 86, 117 Jendreiek, H. 31 Jesus 21, 36, 40-51, 84, 127 Johannes der Täufer 42 Jost, J. 103 Jung, F. W. 47 Kant, I. 14, 17 f, 20-31, 34-67, 70-76, 79, 82-92,96, 99,101,112f, 115,124 f, 128 ff, 151 f, 154,162,166, 171, 174 Kashap, P. 143 Kawamura, E. 117 Kepler, J. 112 Kimmerle, H. 15, 57, 107, 111, 120, 161 Klemmt, A. 162 Klopstock, F. G. 18, 32, 73 Knittermeyer, H. 59 König, J. 143 Kondylis, P. 15, 22, 81, 93, 134, 170 Krause, K. Ch. F. 154 Kroner, R. 150, 166 Kurz, G. 30 Landgrebe, L. 118 Lange, D. 120 Lasson, G. 131 Lauth, R. 137 Leibniz, G. W. 89 f, 99-102, 106 Lessing, G. E. 23 f, 45 f, 53, 57, 103 Leutwein, C. P. F. 27, 33 Lucas, H.-C. 68, 122, 153 f Lukäcs, G. 15, 19, 83, 91,93, 118 f Marcuse, H. 169 Maria Magdalena 21, 45

Marsch, W.-D. 43 Marx, W. 119,135,141,151 Mehmel, G. E. A. 149 Meist, K.R. 111 f, 153, 169 Mendelssohn, M. 24 Metzger, W. 147 Möser, J. 31 Montesquieu 31, 72 Mosheim, J. L. von 48, 154 Newton, I. 112 Nohl, H. 35, 41, 76, 107, 13J Obereit, J. H. 98 Oetinger, F. Ch. 88 Ohashi, R. 69 Ohmine, A. 139 Parkinson, G. H. R. 143 Paulus, H. E. G. 34, 153 Peperzak, A. 14, 22,25, 45, 52, 83, 91, 108 Pfister, J. Ch. 53 Piepmeier, R. 88 Planty-Bonjour, G. 31 Platon 24, 30, 64, 69, 77 f, 85, 87 f, 93, 103 Plitt, G. L. 53, 57 Plotin 84, 88, 103 Pöggeler, O. 14, g3, 25, 31, 46, 73, 75, 77 f, 81, 84, 115, 117, 122, 131, 154, 162 Rapp, G. C. 27 Rebstock, H.-O. 40,42 Rehberg, A. W. 29 Reimarus, H. S. 41, 46 Reinhold, K. L. 59,152,161-164,166 Renz, K. Ch. 24 Ripalda, J. M. 18 f, 32 Rohrmoser, G. 88 Roques, P. 41 Rosenkranz, K. 18, 24, 27, 30, 34, 75, 83, 93, 112, 131 Rosenzweig, F. 73, 107 Rousseau, J. J. 20, 27, 33, 40, 50 Sandberger, J. 21, 27 Sarlemijn, A. 117 Sartorius, Ch. F. 21

189

Personenregister

Sauder, G. 20 Schelling, F. W. J. 13 ff, 17, 23 f, 34 f, 47 f, 52-75, 93-116,119 f, 124,127, 129 ff, 133-175 Schiller, F. von 30,63,72,77,84,126 f Schilling, K. 97 Schlegel, A. W. 134 Schlegel, Caroline 134 Schlegel, F. 170 Schleiermacher, F. E. D. 120 f Schmidt, H. 18,42 Schneider, R. 88 Schüler, G. 17, 35, 57, 64, 70, 76, 79, 82, 86, 122 Schulz, W. 55, 138 Schumacher, J. 154 Schwab, C. T. 75 Schwarz, J. 19 Schweizer, H. R. 30 Sextus Empiricus 93 Shaftesbury 27 f, 40 Shikaya, T. 80 Siep, L. 152 Simplikios 24 Sinclair, I. von 47, 75, 81 f, 89, 110, 113 f, 117 Sokrates 41, 43, 50 Spinoza, B. 25, 40, 53, 56, 58, 60 ff, 67 ff, 71,101,103,110,139,141-148, 153 f, 158, 164, 168, 171, 173, 175

Steinbüchel, Th. 17, 59 Storr, G. Ch. 21 ff, 47 f Strauß, L. 117 Süskind, F. G. 22 f Sulzer 20 Thomasberger, A. 81 Tiedemann, D. 103 Tilliette, X. 134 f Timm, H. 20, 25, 26 Trede, J. H. 161 Uslar, D. von Voltaire

147

19

Wächter 103 Wacker, H. 18 Weiße, Ch. H. 57 Wieland, W. 97, 100 Windischmann, K. J. H.

103

Xenophanes 24 Zahn,M. 163 Zehner, H. 134 f, 141, 172 Ziesche, E. 111 Zimmerli, W. Ch. 154 Zimmermann, J. J. 41 Zwilling, J. 75, 117

SACHREGISTER Absolutes 13f, 52ff, 59, 61, 69, 71f, 79 f, 98, 111, 117, 124, 129, 133, 136, 138,141 f, 144, 146 ff, 151-172, 175 Abstraktion 137 ff, 142, 146, 163 f —, transzendentale 139 Achtung 27 ff, 44 83 f Akzidens 61 f, 105, 119 Allgemeines, Allgemeinheit 83 f, 86 f, 109, 118, 125, 163, 176 Analogie 103 Anfang 90, 164 —, absoluter 62 Anschauung ''13 f, 54, 66, 69 f, 94, 96, 98 f, 102, 110, 112 f, 120 f, 128 f, 138, 146, 157, 165 ff, 169 f, 175 —, ästhetische 136 —, intellektuelle 66, 69 f, 81 -, intellektuelle 82, 116, 136, 138 f, 145 f, 167 An-sich 142, 144 Antinomie 79 f, 118, 164 f, 167, 171, 175 Antithesis 114 assertorisch 23,48 Athesis 81, 111 Attribut 143, 145, 176 Aufheben, Aufhebung 117 f, 160 ff Aufklärung, aufklärerisch 17—20, 23, 27, 31, 35 f, 40 f, 43, 46, 72, 124, 173 Autonomie 29, 36, 41, 48—51, 56, 63, 65 f, 71 f, 79, 127, 174 Bedürfnis 32, 37, 70, 85 f, 99, 126, 128 f, 130 f, 133, 150, 175 —, höchstes 150 —, praktisches 36, 48 —, religiöses 133 —, untergeordnetes 129 Begehrungsvermögen 57 —, oberes 58

Begriff 57, 89, 117 f, 129 f, 150, 153, 161 ff —, allgemeiner 126, 163 —, transzendentaler 59 Besonderes, Besonderheit 84,87,123, 126, 130 Bewegung 117,160, 176 Beweis 35, 53, 55, 61, 81, 141 —, ontologischer 67 Bewußtsein 55 f, 62, 65, 80, 89, 95 f, 135 f, 138 ff, 144, 155, 157 f, 163, 166 f, 175 f —, absolutes 176 —, einzelnes 176 —, empirisches 176 —, reines 59 Beziehung 108 f, 117,158,163 f, 167 f, 175 Bildung 32, 87 —, moralische 125 —, wissenschaftliche 129 causa sui 60, 67, 139, 153, 168, 173, 176 Charakter 125, 162 Christentum (s. auch Religion) 35 f, 38, 41 f, 50 copula s. Kopula Definition 164 Denken 13, 27, 53 f, 61, 75 f, 79 f, 82, 88 f, 113, 115, 119, 127, 143, 162 f, 174 —, diskursives 100, 144, 157 —, endliches 115 —, fixierendes 114,131,152,158 -, reflexives 89, 113, 155, 158, 167, 175 —, spekulatives 99 —, trennendes 131, 152, 158 f

192

Sachregister

—, vernünftiges 159 —, verstandesgemäßes 99 Despotismus 19, 21, 33, 50 determinatio 113 Dialektik 87, 115, 117 f Differenz, quantitative 148 f, 165,169 Ding an sich 54, 61, 66 Dogmatismus 61, 66—69, 171 —, reiner 170 Duplizität 104, 109, 135 Einbildungskraft 75, 79, 86, 95 f, 121, 127, 174 Eines 24 f, 77, 87, 104 f, 109,162,171 Einheit 54, 59,67, 76-79, 84, 87, 89f, 92, 102, 105 f, 108 f, 111, 113, 115 f, 145, 148, 150 f, 163, 171, 174 —, absolute 67—70, 165, 172 —, lebendige 118,120 —, leere 87 —, organische 90 —, reine 90 —, soziale 33 —, ursprüngliche 78, 81, 87, 111 Eins 86, 89 ff, 138 —, unendliches 108 Einzelnes, Einzelheit 83, 86, 89, 109, 112, 121, 125, 155, 176 Empfinden, Empfindung 17 f, 21 ff, 27, 29 f, 34-37, 40, 42 f, 45, 65, 87, 127, 173 Empfindsamkeit 17, 20 Empirisches, empirisch 31, 152, 176 ag hqi kqg 24 f, 53, 55, 61, 70, 77, 81, 87 Endliches, Endlichkeit 13, 25, 30, 68, 73, 75, 89, 92, 96, 111, 114 ff, 119 f, 122 f, 128 ff, 133,135,148,150 f, 154, 156 f, 159, 161, 165, 168-175 Endzweck (s. auch Zweck) 37 f, 47, 52, 58, 62, 64, 70 ff —, moralischer 45 Entwicklung 92, 102 Entzweiung 82, 86, 149, 151 f, 155 ff, 175 Erfahrung 67, 69, 94, 115, 143 Erkenntnis 21, 36 ff, 49, 66, 80 f, 88, 99, 117, 136, 141, 143 ff, 147, 152158, 160, 162, 166 ff

—, —, —, —, —, —, —, —, —,

absolute 142, 161, 167 adäquate 168 endliche 161 intuitive 143—146, 166, 175 logische 160 metaphysische 176 philosophische 166 f, 170 rationale 22 spekulative 14, 124, 141, 145,166, 169 —, systematische 124, 161, 175 —, unbedingte 144 —, unmittelbare 146 —, vernünftige 142, 144, 146, 153, 160 f, 164, 169 —, vollständige 158, 168, 170, 175 —, wissenschaftliche 162, 170 Erscheinung 63, 102, 104 f, 109, 122, 144 f, 148, 151, 153-158, 169 ff, 175 esoterisch 56 f, 70 essentia 60, 147, 153 f Ethik 18,26 ff, 59 f, 62,68 f, 71,73,173 Ewiges 5, 65 f, 69 ff, 167 Existenz, existentia 39, 60, 66 f, 99, 104 f, 109, 123, 153 f Faktum 95 f, 137 Fetischglaube 26 f Forderung 26, 64, 67 ff Form 17, 37, 54, 57, 84,90 f, 102,104, 115, 144-147, 153, 158, 161, 165, 168, 170 —, allgemeine 161 —, endliche 162, 167 —, objektive 85, 121, 130 —, substantielle 101 Freiheit 17, 25, 30, 32, 36,41, 48 f, 51, 56, 61, 63, 65 ff, 71 ff, 75, 125, 127, 130, 136, 150, 174 —, politische 32 Fürsichsein 69 Ganzes 5,72,75,78,85-88,90 ff, 101, 103, 108 f, 116 ff, 121, 135, 164, 168, 174 —, absolutes 112 —, gegliedertes 87, 174 —, harmonisches 127 —, lebendiges 88, 112, 116 f, 155 f

Sachregister

—, organisches 108, 163 —, reales 90 Gefühl 18, 27 ff, 32, 85 f, 89, 92, 94, 114, 117, 120 f, 124, 126 —, göttliches 107 —, moralisches 28 —, wohltätiges 32 Gegensatz 53, 64, 67, 69, 77, 86, 116, 119 f, 151, 169 ff, 176 Gegenstand 73,77,80,86,94,99,129, 137 fl, 151 —, übersinnlicher 23, 48 Geist 19, 24, 26, 30 ff, 38, 55 f, 62 f, 66, 69 f, 75 85, 88,91,94-98,100 ff, 105, 116, 119, 128, 143, 175 f —, absoluter 176 —, belebender 129 —, göttlicher 116 —, lebendiger 92, 117 —, menschlicher 86, 95, 116 f, 150 —, unterdrückter 32 Genius 31 f Geschichte 32, 41 ff, 71, 94-97, 130, 135 f —, pragmatische 95 Gesetz 20,24,26-29,44,51,60,67, 82-85, 87, 102, 127, 161, 164, 166 —, allgemeines 44 —, heiliges 44 —, immanentes 137 —, kirchliches 51 —, moralisches 18, 21 ff, 26—29, 36, 38, 51, 67, 126, 173 —, oberstes 44 —, praktisches 28 —, sittliches 83, 173 —, statutarisches 48 ff Gesinnung 26, 83 ff, 125 f, 173 —, sittliche 42 Gewißheit 81 Glaube 13, 21 26, 41, 44, 49 f, 57, 76, 80, 81 f, 85, 88 f, 91 f, 108 f, 116 ff, 121, 135, 164, 168, 174 —, assertorischer 23 —, christlicher 88 —, jüdischer 48 —, moralischer 22, 48 —, orthodoxer 123 —, positiver 48, 50

193

—, statutarischer 39, 51 —, wahrer 22 Gleichheit 78, 164, 176 Glückseligkeit 26, 37 f, 43, 58, 64 f, 70 ff, 174 Gott 14, 20, 23, 25 f, 29, 33-39, 41 f, 44 f, 47,49 f, 52, 54, 56 ff, 61, 63-71, 73, 88, 90 ff, 98, 100, 103, 115 f, 118, 121 ff, 128, 136, 143, 145, 147 f, 153, 155 Gottesdienst 27, 33 f, 43, 48, 116, 122 Gottheit 24 ff, 44, 53, 58, 63, 65 f, 71, 75, 77 ff, 84, 91 f, 97, 103 —, absolute 49 —, allmächtige 83 —, persönliche 103 Göttliches 66, 77 f, 82, 85 f, 90 f, 93, 108, 111, 116, 118, 120, 127 f, 133, 150, 165, 174 -wahres 14, 66, 71,~79, 74 Grund 59 f, 67,80 f, 101,139,148,168 —, formaler 104 —, innerlicher 104 Grundsatz 31, 40, 54 ff, 58 f, 95,113 f, 171 —, absoluter 55, 164 —, absolut-erster 55, 59 —, kirchlicher 50 —, oberster 164 —, transzendenter 115 —, unbedingter 59 Gut, höchstes 14,17, 2, 35, 37 ff, 44 f, 47, 52 f, 58, 60, 62-66, 68, 70 f, 173 —, vollendetes 58

Handlung 28 f, 31, 39, 55, 67, 69, 76, 85, 88, 94 ff, 124, 127, 137, 139 —, moralisches 22, 46, 63, 85 —, religiöse 126 —, sittliche 17, 27, 79 —, unbewußte 96 Heiliges, Heiligkeit, heilig 21,25,38 f, 43, 47, 49 Herrschaft 78, 82, 84 f Herz 17-20,22, 24 f, 31 ff, 43,46,173 hypothetisch 55

194

Sachregister

Ich 55, 59ff, 66, 69, 71,81 f, 94f, 97, 99 f, 102, 105, 111, 114, 122 f, 136140, 152, 170 -, absolute 34, 52, 55-60, 62 f, 65 f, 71, 73, 118, 141, 173 —,anschauendes 96 —, eingeschränktes 61 f —, empirisches 62 f —, empirisch-bedingtes 62 —, endliches 62, 64 —, produzierendes 94 —, reines 62 —, teilbares 114 —, ursprüngliches 137 Ideal 13, 17, 30 f, 35, 42, 50, 72, 77, 83, 121, 126 f, 130, 158 —, übermenschliches 42 Idealismus 134, 154 f —, transzendentaler 129, 154, 162 Idee 29, 34, 40, 56, 64, 67, 70, 72 f, 103 f, 107, Ulf —, christliche 173 —, moralische 14, 20, 173 —, personifizierte 42 —, religiöse 34, 130 —, transzendentale 57 Identität 62,68,81,94,99,114 f, 119 f, 129, 144, 146 f, 151 f, 161, 163, 165, 167-171 -, absolute 71, 94, 120, 134-137, 141 f, 144,147 f, 153,157 f, 161-171 —, abstrakte 165 —, formelle 151, 161 —, relative 120 —, ursprüngliche 100, 120 Identitätsphilosophie 13,15,133—136, 140 f, 146, 149 f, 175 Identitätssystem 168 f Indifferenz 120, 142, 146, 172 —, absolute 142, 148 —, reine 14, 170, 175 —, totale 142,144 Individualität 42, 98, 100 f, 108 —, absolute 101 —, reine 105 Individuum 72, 89, 100 f, 105, 108 f, 112 f Intelligenz 55, 94, 137, 151 intelligibel 67

Irrationalismus 17 Judentum (s. auch Religion) 36, 48 f, 82 f Kategorie 63, 152, 160 f Kausalität 68, 148 —, absolute 58, 60, 66, 68 f Kausalitätsverhältnis 147, 170 f Knechtschaft 51, 71, 78, 82 f, 85 Konstruktion 140, 146, 158, 166, 169 Kopula 80, 162 Kraft 44, 71, 76 f, 79, 97 ff, 104, 118, 159, 163, 165, 174 —, denkende 103 —, entgegengesetzte 104, 109 —, göttliche 44 —, innere 150 f —, lebendige 98 —, menschliche 83 —, negative 163 —, physische 100 —, produktive 97 f Kritizismus 61, 66—69 Kult, Kultus 21, 33, 121 Kultur 32, 127 Kunst 136, 140 Leben 14, 2, 32, 41 f, 75-79, 83, 85-89, 91 ff, 95,97 ff, 102,104-119, 122, 128-131, 151, 155-158, 170, 174 f —, allgemeines 102 —, denkendes 114 -, endliches 105, 107, 116 f, 123 —, entzweites 91 —, fixiertes 110 —, individuelles 112 —, inneres 88 —, menschliches 72, 127 —, potentielles 88 —, tierisches 108 —, unendliches 75,107,114—123, 130, 152, 175 —, ungeteiltes 113 Lebendiges, lebendig 101, 119, 125 Legalität 36, 83, 86 Licht 91, 154, 169 Liebe 21, 30, 36, 40, 45, 63, 76, 78 f.

Sachregister

82, 84-88, 108, 115, 121, 163 List 159 Logik 15,115,118,160-163,168,176 —, formale 161 —, klassische 161 —, spekulative 176 Logos 90 f, 118 Macht 58, 63, 72 Mannigfaltiges, Mannigfaltigkeit 63, 75, 90 f, 104 f, 120, 125, 151 f,154 f, 170, 174 Materie 64, 99, 100, 104 f, 110, 163 —, organisierte 96 Mechanismus 48, 101, 112 Metaphysik, metaphysisch 13 f, 20, 40, 71, 75, 79, 91,115 f, 124,128,131, 133, 150, 157 f, 161, 175 Methode 66, 69, 117 f, 138, 146, 157, 164, 166 ff, 175 Modus 143, 145 Möglichkeit 91, 95 f Monade 98, 101 Moral, Moralisches, Moralität 18, 20, 26, 28 ff, 33 f, 36-44, 47-50, 56, 58, 62, 64-67, 70 f, 73, 76 f, 83 f, 86 f, 127, 130, 173 f Moralgesetz (s. auch Gesetz) 22, 26, 28, 34, 37 f, 40, 66, 83 f, 130, 173 Moraltheologie, moraltheologisch 26, 46 Mystizismus, mystisch 119,154 Nation 19, 31 Natur 30, 60, 65, 75-78, 83, 88, 90, 96-104, 109-114, 119 f, 122, 125 ff, 130,137,139 f, 145 ff, 150 ff, 158,174, 176 —, anorganische 102, 104, 106 —, belebte 98 —, empirische 110 —, endliche 121 —, göttliche 120 —, lebendige 125 -, menschliche 87, 124 ff, 128 ff, 133, 152, 165 —, moralische 37 —, organische 102, 105 f —, reine 127

195

—, sinnliche 39, 83 —, unbelebte 98 natura naturans 110,139,145 Naturphilosophie, naturphilosophisch 14, 75, 93, 97-102, 104 f, 108, 110 f, 129, 134, 137-141, 155, 158, 174 Naturzweck 90, 96 Negation, Negieren 117,160 Neigung 27, 29, 83 f Nicht-Ich 56 ff, 61 f, 64, 72, 76, 95 f, 111, 114, 141, 170 —, teilbares 114 Nichts 154 f, 159 Nichtsein, Nichts-Sein 69, 82, 156 Nihilismus 154 Notwendigkeit 94, 127, 136, 145 Objekt, Objektives 14, 30, 53, 58, 61 f, 66 f, 69-82, 84, 87, 89, 94, 96, 102, 110 f, 113, 119, 121 f, 130, 135, 137-146, 149-153, 157, 166 f, 169 f, 174 f Objektivität 121, 126, 19, 148, 165 —, absolute 151 Offenbarung 26, 31, 39, 46 f, 83, 88, 91, 136 ontologisch 77, 162, 170 Organisation 97 f, 100 f, 108 f, 116, 119 Organismus 102 f, 112 växiq 88, 154 Persönlichkeit 39, 53, 62 Pflicht 18, 201, 26, 32 f, 37 f, 42-45, 50, 84, 124 ff Phantasie 18, 31 f, 40, 72 f, 86, 121, 127, 130 Philosophie 13, 34 f, 52, 54 ff, 59, 61 f, 65, 68, 75, 80, 94, 99, 107,113, 130 f, 133 f, 136, 138, 140 ff, 149-152, 156-164, 168 f, 173-176 —, eigentliche 115, 161 —, esoterische 56 —, ganze 136 —, gesamte 130 —, gesunde 99 -, praktische 17 f, 21, 23, 25, 27, 31, 36 ff, 44, 52, 54, 57 f, 62 f, 66 ff, 70, 83, 135 f, 173

196

Sachregister

Quantität, quantitativ 69, 148

—, fixierende 174 —, isolierte 158, 160 —, philosophische 129, 158—161 —, schlechte 159 —, trennende 174 Reflexionsbestimmung 13, 113, 132, 155, 159 ff, 163, 166, 175 Reflexionssprache 90, 119 Reich 25, 38, 43 f, 50, 92 Relatin 104, 111, 153 ff Relationskategorie 171 Religion 13 f, 19,21 f, 24 ff, 30-39,41, 43 ff, 47 ff, 75 ff, 7 f, 82, 85, 88 f, 91 f, 107, 113, 115-129, 150, 152, 157160, 165, 173 ff -, christliche 21,33,35-41,47 f, 50 f, 72, 78, 122, 128, 130 —, dogmatische 21, 23, 34, 79 -, ideale 17, 19, 30, 73, 79, 82, 93, 107, 129, 173 —, jüdische 78, 82, 123 —, moralische 35, 38 f, 44, 125 —, natürliche 124 —, neue 73 —, objektive 20 ff, 34—37 —, öffentliche 31, 39 -, positive 29, 65, 70, 72, 122 ff, 127, 166 -schöne 75,821,85,91,93,108,130 —, sinnliche 73 —, statutarische 47 -, subjektive 17 f, 21 ff, 26, 29, 31, 34, 36 f, 79, 130, 173 f -, wahre 27, 46 f, 125, 166 —, widernatürliche 124 Resultat 17, 34 f, 37,46, 52, 60, 62,64, 70, 130, 140, 160, 173 Revolution 125, 162 Rezeptivität 20 f, 23, 105, 174

Rationalismus 17 Realität 42, 59 ff, 94 f, 100, 111, 121, 137, 163, 172 Reflexion 13 f, 55, 75, 80 ff, 86 f, 90 f, 95, 99, 107-121, 128, 131, 133, 142, 144 f, 151 f, 157-160, 163-168, 170 f, 174 f —, absolute 159 —, endliche 15

Satz 146 f, 164 f, 169 —, formaler 164 —, spekulativr 119 —, thetischer 90 Schein 157 Schicksal 49, 122, 127 Schluß 161 f Schönes, Schönheit 32, 77, 97, 125, 127

—, theoretische 67, 136 wahre 13, 99, 129, 149 f, 156 ff —, wissenschaftliche 167 Physik 40, 145 —, höhere 102 —, spekulative 145 kdupmßq 84 ff Politik, politisch 32 ff, 129 f Positivität, Positives (s. auch Religion) 21, 33, 40, 46 f, 49 ff, 64, 72, 76 f, 79, 83, 119, 122, 124-127 Postulat 26, 38 f, 47, 54, 57, 62 ff, 66 ff, 70, 73 Postulatenlehre 14, 26, 53 f, 63, 66 f, 70 Prädikat 80, 118 f, 147 Prämisse 34, 52, 129 Prinzip 54, 57, 59, 63, 82, 90, 97 f, 101-105, 109, 136, 152, 169 —, absolutes 145 f —, gutes 42 —, inneres 96 —, letztes 60 f —, negatives 102, 105 f —, oberstes 41 —, pathologisches 30 —, philosophisches 173 —, positives 102, 105 f, 109, 174 —, praktisches 125 —, religiöses 79 —, spekulatives 14, 152 problematisch 23, 48, 95 Produktion, Produzieren 94 ff, 100, 153, 156, 165, 167, 171 Produktivität 139, 145 f —, reine 120 Prozeß 105, 109, 156

Sachregister

scientia intuitiva 143, 145, 175 Seele 21, 26, 32, 87, 97, 100, 103 —, schöne 84 Seiendes 77,88 ff, 119,141 f, 147,153, 169 Sein 53, 60 f, 67, 76, 79 ff, 94 f, 108111, 113, 115 f, 118 f, 128, 137, 139, 146 ff, 153-156, 158, 170 f —, absolutes 59, 81, 114 einzelnes 110, 144, 147 f —, endliches 147 geistiges 98 —, indifferentes 169, 172 Selbstbewegung 118 Selbstbewußtsein 48, 61, 79, 94, 97, 100, 114, 130, 138 ff Selbstbeziehung, Selbstbezüglichkeit 81, 176 Selhstvernichtung 159 f, 163, 167 Sinnliches, Sinnlichkeit 18, 28 f, 32, 40, 42 f, 63, 76 ff, 83 f, 123, 127, 130, 151, 173 Sittengesetz (s. auch Gesetz) 26—30, 83 f Sittlichkeit 29, 37 ff, 41, 43 ff, 50, 53, 58, 64 f, 71, 76 Spekulation 13 f,99, 110, 133, 145, 157 159 f, 163, 165-168, 171, 175 -, echte 149, 169 Staat 20, 33, 44, 50 f, 72, 122 Statut, statutarisch (s. auch Gesetz) 26 f, 47, 49, 125 Subjekt, Subjektives 14, 28, 30, 53, 61 f, 64, 67, 69 ff, 73, 75-82, 84, 87, 94, 110 f, 113, 121 f, 130, 135, 137140, 142, 144-153, 157, 166, 169 f, 174 f Subjektivität 137, 146, 148, 165, 176 —, absolute 151 Subjekt-Objekt 138 ff, 145 —, reines 13, 139 f Subjekt-Objektivität 121 Substantlalitätsverhältnis 171 Substanz 56, 59, 62, 65, 90, 103, 119, 139, 141 f, 153 f, 156, 164, 171, 173, 175 f Synthese, Synthesis 13 f, 66 f, 114, 157, 165, 175 System 13 f, 21, 47, 50, 55, 59, 61,

197

66 f, 73, 94, 100 ff, 107, Ulf, 129 ff, 134, 138, 140 fl, 149, 155, 163 f, 169, 176 Tathandlung 60, 94, 137 Tätigkeit 95, 99, 137, 140, 153, 168 —, absolute 94 —, anschauende 139 —, bewußte 140 —, bewußtlose 140 —, erste 140 —, freie 140 —, produktive 94,110 —, subjektive 139, 162 —, unbewußte 96 f, 100, 102 Teleologie 35 Theologie 21 f, 35 f, 41, 47 Tod, Totes 69, 89, 91, 117, 119 Totalität 155 ff, 159, 163, 167 f -, absolute 147, 168 f -, objektive 157, 159, 168 f transzendental 166 Transzendentalphilosophie 93, 96 f, 102, 134, 137, 140 f Trennung 75, 81 f, 87, 91 f, 99, 108, 110, 122, 135, 151, 154, 156 f, 167, 174 —, fixierte 151 —, höchste 155 —, religiöse 122 —, ursprüngliche 81,151 —, willkürliche 144 Trieb, intellektueller 88 Triebfeder 26-30, 37 ff, 45, 53, 125 Tugend 20, 26, 34, 38-42, 44 ff, 50, 58, 83 ffl, 92, 122 Unendliches, Unendlichkeit 13, 25, 30,53 f, 62,68,73, 76,86,89-92,108, 111, 113-117, 119-123, 126-131, 133, 141, 150 f, 154-159, 164, 171, 174 ff Universum 120, 147, 168 f Urbild 64, 97, 167 Ursache 29, 54, 68, 88, 90, 96, 101, 104 f, 143, 153 —, äußerliche 104 —, effiziente 104 —, immanente 25, 61 f, 68, 147

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Sachregister

—, persönliche 53, 68, 88 —, transzendente 147 Urteil 81, 118 f, 128, 161 f Ur-teilung 81 f, 113 Verbindung 81 90, 117 ff, 126, 156, 167, 170 Vereinigung 18, 30, 44, 75—81, 85 ff, 101, 104, 109, 111, 114, 116 ff, 120 f, 130, 150, 167, 170, 174 —, absolute 154, 174 —, glückliche 121 —, transzendente 118 —, unendliche 124, 126 —, ursprüngliche 80, 136 —, vollendete 115 —, vollständige 120 f, 124, 128 —, wahre 86, 108, 115 Vernichten, Vernichtung 159 f Vernunft 24-27, 29 ff, 36, 39 f, 43 f, 47, 49 ff, 57 f, 63, 65, 67, 71 ff, 76 f, 84, 89, 114 f, 118, 124 ff, 130 f, 142, 144, 148, 150-164, 167 ff, 174 —, absolute 147, 168 —, allgemeine 31 -, praktische 26, 34, 36 ff, 40 f, 47, 54, 57, 59 f, 63, 66, 70 -, reine 23, 47, 64, 125 —, theoretische 34, 57, 59 f, 66 Vernunftreligion 26 f, 34, 37, 43 f, 46, 124 Verschiedenheit 89, 106, 174 Versöhnung 121 Verstand 18, 23, 35 ff, 43, 63, 65, 77, 91,99,104,110,114f, 117,124,126 f, 151 f, 155 f, 159 ff, 163 f, 166 f, 170 Vielheit 108 f, 112 f, 116, 176 Volk 18, 30ff, 41, 49, 63, 71 ff, 121 f, 125 f, 130 Volkserziehung, volkserzieherisch 31, 40, 42 ff, 56, 73, 173 Volksgeist 31 f, 34 Volksreligion 18, 30 ff, 34 ff, 40 f

Wahrheit 22, 26, 47, 65, 91, 94, 104, 109, 126 f, 131, 154, 163, 165 Welt 97 ff, 100, 102 f, 123, 136, 158 Weltseele 102-105 Werden 94, 156 Wesen 48, 60, 67, 69, 89, 91, 96, 98, 101, 148, 154 f, 162 f, 167 —, absolutes 65, 111, 123, 126 —, allgewaltiges 38 —, allmächtiges 29 —, einzelnes 174 —, emanierendes 25, 68 —, endliches 123 —, erscheinendes 159, 168 —, fremdes 65, 123, 126 —, höchstes 176 —, individuelles 53, 100 —, lebendiges 105 —, natürliches 109 —, organisches 89 f, 101 f, 174 —, persönliches 25, 53 58, 63, 71 —, transzendentes 71 —, vernünftiges 38, 127 —, vollkommenes 128, 165 —, zweckmäßiges 96 Widerspruch 67, 73, 89, 95, 114, 117, 158, 160, 164 Wirklichkeit 91 f, 107 Wissen 34, 55,58-61,94,136 f, 154 f, 163, 165, 168, 170 —, gesamtes 129 —, intuitives 157—160 —, menschliches 55 f —, philosophisches 166 —, spekulatives 166 Wissenschaft 22, 54 ff, 58,128 ff, 137, 150, 167 Zeit 69, 110, 144 ff Zirkel 55, 59 f, 92 Zweck 37, 41, 47, 90, 96, 99 —, höchster 73, 130 —, letzter 44