Petronius: "Satyrica 1-15" [Annotated] 3110220822, 9783110220827

Mit ihrer erstaunlichen Vielschichtigkeit und Ironie beeindrucken Petrons Satyrica noch heute Forscher wie Leser, doch e

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German, Latin Pages 258 [256] Year 2014

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Petronius: "Satyrica 1-15" [Annotated]
 3110220822, 9783110220827

Table of contents :
Frontmatter
Inhaltsverzeichnis
Vorwort
Einleitung
Text und Übersetzung
Kommentar
In der Rhetorenschule (Sat. 1–4)
Agamemnons Gedicht (Sat. 5)
Bordellabenteuer (Sat. 6–8)
Eifersuchtsstreit in der Herberge (Sat. 9–11)
Auf dem Markt (Sat. 12–15)
Backmatter

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Natalie Breitenstein PETRONIUS, SATYRICA 1 – 15

TEXTE UND KOMMENTARE Eine altertumswissenschaftliche Reihe

Herausgegeben von

Siegmar Döpp, Adolf Köhnken, Ruth Scodel

Band 32

Walter de Gruyter · Berlin · New York

PETRONIUS, SATYRICA 1 – 15 Text, Übersetzung, Kommentar

von

Natalie Breitenstein

Walter de Gruyter · Berlin · New York

U Gedruckt auf säurefreiem Papier, das die US-ANSI-Norm über Haltbarkeit erfüllt

ISSN 0563-3087 ISBN 978-3-11-022082-7 Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar © Copyright 2009 by Walter de Gruyter GmbH & Co. KG, 10785 Berlin Dieses Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlages unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Printed in Germany Satz: Michael Peschke, Berlin Einbandgestaltung: Christopher Schneider, Berlin Druck und buchbinderische Verarbeitung: Hubert & Co. KG, Göttingen

Inhaltsverzeichnis Vorwort............................................................................................... VII Einleitung 1. Autor und Werk .............................................................................. IX 2. Textüberlieferung............................................................................ XI 3. Handlung, Ort, Personal.................................................................XV 4. Literarische Beschaffenheit der Satyrica .................................... XVII Text und Übersetzung.............................................................................1 Kommentar ...........................................................................................19 In der Rhetorenschule (Sat. 1–4) ....................................................21 Agamemnons Gedicht (Sat. 5)........................................................69 Bordellabenteuer (Sat. 6–8)............................................................91 Eifersuchtsstreit in der Herberge (Sat. 9–11) ...............................117 Auf dem Markt (Sat. 12–15).........................................................153 Literaturverzeichnis ............................................................................217 Register...............................................................................................235

Vorwort Zu Petrons Satyrica fehlt bis heute ein moderner Gesamtkommentar.1 Während die Petron-Forschung noch immer auf die nun schon seit Jahrzehnten angekündigten amerikanischen (Gareth Schmeling) und italienischen (Gian Biagio Conte und Mario Labate) Gesamtkommentare wartet, ist in der Zwischenzeit ein fundierter Teilkommentar von Peter Habermehl erschienen (Sat. 79–110; ein weiterer Band zu Sat. 111–141 folgt). Die vorliegende Arbeit, eine leicht überarbeitete Fassung meiner Dissertation, die im Sommersemester 2008 von der Philosophisch-historischen Fakultät der Universität Bern angenommen wurde, hat sich ergänzend dazu die Kommentierung der Anfangskapitel 1–15 zum Ziel gesetzt. Das Zustandekommen meiner Dissertation wäre undenkbar gewesen ohne die Förderung und Unterstützung von zahlreichen Seiten. Allen, die am Entstehen dieser Arbeit in irgendeiner Weise beteiligt waren, sei an dieser Stelle herzlich gedankt. Zu besonderem Dank verpflichtet bin ich allen voran meinem Doktorvater Martin Korenjak, der meine Arbeit mit unermüdlichem Interesse und wertvollem Rat begleitet hat – ungeachtet der räumlichen Distanzen während meiner Auslandsaufenthalte. Peter Habermehl danke ich für die freundliche Übernahme des Korreferats sowie die großzügige Versorgung mit Materialien, nicht zuletzt mit seinem damals noch unpublizierten Kommentar. Für die Aufnahme in die Reihe „Texte und Kommentare“ gilt mein Dank den Herausgebern und dem Verlag. Christoph Riedweg, dessen Assistentin ich am Istituto Svizzero di Roma war, verdanke ich eine unvergessliche Zeit in Rom. Bedanken möchte ich mich auch bei der Hofer-Wild-Stiftung in Bern und dem Ministero degli Affari Esteri d’Italia für die Stipendien, die mir den Aufenthalt an der Scuola Normale Superiore di Pisa ermöglicht haben. Dort konnte ich von vielen wertvollen und anregenden Gesprächen mit Gian Biagio Conte, Mario Labate, Giulio Vannini, Ernesto Stagni, Andrea Aragosti und Annamaria Cotrozzi profitieren. Zudem stellten mir Paola Cosci und Cristiana Ancisi ihre unveröffentlichte Lizentiats- bzw. Doktorarbeit zur Verfügung. Ebenso danke ich der Fulbright_____________ 1

Die italienischen Kommentare von PARATORE 1933 und PELLEGRINO 1975 müssen als überholt gelten. Einige Editionen und Übersetzungen bieten gute Erklärungen in Form von Fuß- oder Endnoten, z.B. ARAGOSTI; WALSH; SAGE–GILLELAND.

VIII

Vorwort

Kommission für mein Stipendium an der Brown University (Providence), wo mir die Gastfreundschaft von John Bodel zuteil wurde. Ihm danke ich ebenso wie David Konstan für die zahlreichen gewinnbringenden Gespräche. Eine unschätzbare Hilfe in jeglicher Hinsicht war mir meine Schwester Pascale Breitenstein, die großen Anteil an meiner Arbeit nahm und mir in allen Krisen und Nöten zur Seite stand. Wertvolle Anregungen zu Einzelfragen gaben mir Magdalene Stoevesandt und Andreas Schatzmann. Marie Theres Fögen† beriet mich in juristischen Belangen. Fragen zur Archäologie konnte ich mit Matthias Grawehr besprechen. Mein Vater Urs Breitenstein hat mein Manuskript gelesen. Ihnen allen danke ich ebenfalls von Herzen. Ohne die Unterstützung meiner Familie, die mir Studium und Promotion überhaupt erst ermöglichten, wäre diese Arbeit nie zustande gekommen, und ohne die stete Aufmunterung und den unerschütterlichen Optimismus meines Lebensgefährten Simon Rüttimann hätte ich sie nie zu einem Abschluss bringen können. Zürich, 30. Mai 2009

Natalie Breitenstein

Einleitung Die Einleitung soll einen knappen Überblick über die wichtigsten Fragestellungen zu den Sat. bietet.1

1. Autor und Werk Über Petron, den Verfasser der Satyrica, wissen wir kaum etwas. Die meisten Manuskripte überliefern den Autorennamen Petronius Arbiter oder nur Arbiter. Die wenigen biographischen Angaben, die wir haben, sind mit Vorsicht zu betrachten, da nicht mit Sicherheit gesagt werden kann, dass sie sich auf unseren Autor beziehen. Die traditionelle These geht davon aus, dass der Verfasser der Satyrica identisch ist mit dem (C.? T.? P.?)2 Petronius, den Tacitus in ann. 16,18f. als Neros elegantiae arbiter („Autorität in Fragen der verfeinerten Lebensart“) beschreibt – und dies, obwohl Tacitus die Satyrica mit keinem Wort erwähnt. Dass das seltene Cognomen Arbiter sowohl in den PetronManuskripten überliefert als auch von Tacitus zur Beschreibung von Petrons Funktion am Hofe Neros benutzt wird, kann aber zwei Gründe haben. Der von Tacitus erwähnte Petronius könnte tatsächlich das Cognomen – oder vielmehr den Spitznamen – Arbiter getragen haben und mit dem Autor der Satyrica identisch sein. Ebenso möglich ist jedoch, dass der Namenszusatz „Arbiter“ aus Tacitus in die Petronüberlieferung eingedrungen ist – und in diesem Fall wäre er für die Frage nach der Identität des Autors wertlos.3 Auch die Datierung des Textes ist bis heute nicht abschließend geklärt. Die Satyrica werden nach allgemeinem Konsens in die neronische Zeit veror_____________ 1

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Gute Einleitungen finden sich bei: HABERMEHL XI–XXXVIII; MÜLLER3; WALSH XIII– XLIV. Zu Forschungsfragen sei stets auf VANNINIS kommentierte Petron-Bibliographie (1975–2005, Lustrum 2007) verwiesen. Der Vorname ist ein weiterer Unsicherheitsfaktor. Tacitus (ann. 16,17,1 und 18,1) überliefert C. (Gaius), während T. (Titus) von zwei Parallelreferenzen (Plin. nat. 37,20; Plut. mor. 60e) überliefert wird. I.d.R. wird deshalb das C. bei Tacitus in ein T. korrigiert. Zudem wird unser Autor gerne auch mit P. (Publius) Petronius Niger, dem consul suffectus des Jahres 62 n. Chr., gleichgesetzt. Dieses Praenomen wird durch einen griechischen Inschriftenfund gestützt, siehe FLOBERT 2003, 109; HABERMEHL XI. Vgl. z.B. den Titel von Properz’ erstem Elegien-Buch „Monobiblos“, der wahrscheinlich durch Martial in die Properz-Handschriften eingedrungen ist. Properz selbst nennt sein Buch „Cynthia“ (Prop. 2,24,2).

X

Einleitung

tet, und der Terminus ante quem – einhergehend mit der Tacitus-Petron-These – auf 66 n. Chr. gesetzt, dem Jahr des von Tacitus beschriebenen Selbstmords Petrons.4 Es werden jedoch immer wieder Stimmen für eine spätere Datierung laut.5 Vom Originalwerk sind lediglich Fragmente überliefert worden. Die Editionen teilen den heutigen Text in 141 Kapitel auf (wahrscheinlich seit BUR6 MAN), welche wiederum in Paragraphen gegliedert werden (seit Anton 1781). Die erhaltenen Quellen geben zum originalen Buchumfang der Sat. (z.T. widersprüchlich) an, dass die heute vorliegenden Fragmente dem 14., 15. und 16. Buch des Originals entstammen. Doch „Irrtümern und Verderbnissen sind solche isolierten Zeugnisse immer stärker ausgesetzt als die zusammenhängende Überlieferung“ (VAN THIEL 1971, 24). Es wurden viele Versuche unternommen, die überlieferten Fragmente den antiken Büchern zuzuteilen. Eine vernünftige Einschätzung, um nicht von einem unvergleichbar langen Werk auszugehen, wäre etwa: Sat. 1–26,6: Buch 14; Sat. 26,7–78: Bücher 15–16; Sat. 79–141: Bücher 17–20.7 Dies würde bedeuten, dass dem erhaltenen Text (ein Drittel) etwa doppelt so viel (zwei Drittel) vorangegangen wäre. Wie viele Bücher auf die Crotonszene, die am Ende unserer Überlieferung steht, noch folgten, kann man nicht sagen, doch es ist verlockend, von insgesamt 24 Büchern (wie bei Ilias und Odyssee) auszugehen. Das Werk ist unter dem Titel Satyricon überliefert, der als griechischer Plural libri zu verstehen ist.8 Analog etwa zu Vergils Georgicon libri = Georgica heißt der Titel korrekt Satyrica („Satyrgeschichten, Satyrspäße“, „satyr-like adventures“ [SMITH XIV]). Wahrscheinlich liegt zudem ein Wortspiel mit der lateinischen satura vor (von satura lanx, „bunte Schüssel“), „Satire“, „gastronomischer oder literarischer Mix“, auch wenn keine etymologische Beziehung zwischen den Wörtern besteht: „a Roman ear would have _____________ 4

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Darauf lassen Realien, Referenzen zu zeitgenössischen Figuren, ökonomische, gesellschaftliche, juristische Angaben, literarische Anspielungen auf Seneca und Lucan, die Sprache u.a. schließen. Z.B. LAIRD 2007; YEH 2007; FLOBERT 2003; siehe auch SMITH 213f. Erstes Grundlagenwerk zur Frage der Autorschaft und Datierung ist ROSE 1971 (zur Debatte im Überblick VANNINI 2007, 85–95). MÜLLER3 381 Anm.1. So HABERMEHL XIV. Eine Einteilung wie etwa die von MÜLLER3 406–13, nämlich Sat. 1– 26,6: Buch 14; Sat. 26,7–78: Buch 15; Sat. 79–141: Buch 16, würde zu einem Werk mit überdimensionalem Umfang führen, das in der Literatur des Altertums isoliert dastünde. Siehe auch VAN THIEL 1970, 257–60 und 1971, 21–4. Der früheste Beleg des Titels (Satyricon) findet sich beim Grammatiker Marius Victorinus gramm. 4,1 p. 153K, 4. Jh. In den Manuskripten wird der Titel auf verschiedene Arten geschrieben, siehe dazu die Zusammenstellung bei BÜCHELER1 XIII–XXIII. Zum Titel siehe u.a. PETERSMANN 1986, 387–9; FLOBERT 2003, 111f.

Einleitung

XI

been cocked in that direction“ (WALSH XVI). Viele Episoden weisen Elemente der Satire auf, und WALSH 1970, 72 konstatiert zu Recht: „Petronius intended his title to convey to the alert reader that his book was a derisive account of lascivious behaviour, infused with satirical elements.“

2. Textüberlieferung Der fragmentarisch überlieferte Text hat eine komplexe, undurchsichtige Überlieferungsgeschichte. Ein gesichertes Stemma existiert (noch) nicht, vieles bleibt aufgrund von zahlreichen ungeklärten Kontaminationen in den Handschriften bis heute ungewiss, ja nicht einmal der Grund für die lückenhafte Überlieferung ist bekannt. Der heutige Text basiert auf Fragmenten, die sich nach ihrem Umfang in vier Gruppen einteilen lassen:9 1. Kurze Exzerpte (O): enthalten Auszüge aus den Kapiteln vor und nach der Cena (Sat. 1–26,5; 55; 80,9–137,9). Darunter finden sich u.a. das älteste und vertrauenswürdigste Petron-Zeugnis, der Codex Bernensis (B, Ende 9. Jh.), sowie zwei Pariser Codices (R und P, 12. Jh.). 2. Lange Exzerpte (L): umfassen den ganzen Textbestand vor und nach der Cena (Sat. 1–26,6 und 79–141), von der nur der Anfang (27–37,5; 55) sowie einige Sentenzen enthalten sind. Sie schließen also den gesamten Bestand von O mit ein. Dazu gehören Abschriften und Ausgaben aus dem 16. Jh., v.a. der Codex Leidensis von Scaliger (l, 1571), der Codex Lambethanus (r, vor 1572) und die Drucke von Jean de Tournes (t, Lyon 1575) und Pierre Pithou (p, Paris 1577 und 1587). 3. Codex Traguriensis (H, 1423): die einzige Handschrift, die den vollständigen Text der Cena (Sat. 26,7–78) enthält. 4. Florilegien ( ): Handschriften des 12.–14. Jh., die v.a. Verspassagen enthalten. Zu den besterhaltenen gehört das Florilegium Gallicum.10 Der Text der Kapitel 1–15 ist also folgendermaßen überliefert: Die Kapitel 1–8 basieren größtenteils sowohl auf der Überlieferung der L- als auch der OKlasse, die Kapitel 9–15 hingegen mit kleineren Ausnahmen nur auf jener der L-Klasse. Die Verspassagen sind zudem in enthalten. Wie erklärt sich dieser Erhaltungszustand? Die O-Klasse geht wohl auf einen Exzerptor zurück, der eine Vorliebe für die Verseinlagen hatte und sich für Äußerungen zu Dichtung und Literatur sowie zu den anderen schönen Künsten interessierte (Sat. 1–5; _____________ 9 10

Siehe MÜLLER3 381–448. 471–84; REEVE 1983, 295–300; VAN THIEL 1970 und 1971, 1–24; RICHARDSON 1993; PETERSMANN 31–6. Zum Florilegium Gallicum siehe BRANDIS–EHLERS 1974; HAMACHER 1975; ULLMAN 1930.

XII

Einleitung

88–90; 118–24). Dagegen zensurierte er die Passagen sexuellen Inhalts (z.B. 9–11 oder 85–7 Der Ephebe von Pergamon). Im Unterschied zur O-Klasse geht man seit VAN THIEL bei der L-Klasse davon aus, dass sie eine sekundäre Sammlung von Exzerpten verschiedener Herkunft darstellt.11 Der Urheber von L war also nicht, wie lange angenommen wurde, ein Exzerptor, sondern ein Sammler. Wie also soll man mit dem überlieferten Text umgehen? Wer ihm ein unkritisches oder zu konservatives Handschriftenvertrauen entgegenbringt, übersieht leicht, wie viele Fehler sich in handschriftliche Überlieferungen einschleichen können (vom kleinen mechanischen Fehler bis zur Textentstellung, wie sie z.B. der Abschreiber von P verursachte, der das zweispaltige Gedicht in Sat. 5 von links nach rechts abgeschrieben hat) und wie stark der ursprüngliche Text auch durch bewusste Texteingriffe der Kopisten verändert wurde. Auf der anderen Seite birgt ein zu starkes Eingreifen die Gefahr, dass man den Text nach eigenem Gusto durch Konjekturen verändert (vermeintlich, um ihn zu verbessern) und eine makellose, von Redundanzen und Ähnlichem befreite, allerdings von der natürlichen Vorlage weit entfernte Version konstruiert. Deshalb gilt es, den Text, so wie er überliefert wurde, zu respektieren und Eingriffe von Fall zu Fall vorsichtig zu prüfen.12 Ein weiteres Problem stellen die Lücken im Text dar.13 Der O-Exzerptor kennzeichnet natürlich keine Lücken, zumal er als Exzerptor nach seinen eigenen Kriterien Textblüten ausliest, und es kümmert ihn wenig, ob er durch seine Auslassungen falsche Textübergänge herstellt und dadurch u.U. den Kontext verfälscht. Ein gutes Beispiel für die Arbeitsweise des Kopisten O ist die Stelle Sat. 9,5 ‘si Lucretia ...’, die er direkt an Sat. 8,3 (pater familiae) coepit rogare ... anschließt und dadurch zwei ganz unterschiedliche Szenen zu einer zusammenfügt. Die L-Überlieferung auf der anderen Seite kennzeichnet Lücken durch ein oder mehrere Sternchen. Ob sie vom Exzerptor gesetzt oder vom Sammler L erschlossen wurden, ist nicht rekonstruierbar. Fest steht lediglich, dass man sich auf die Angaben nicht verlassen kann: Einerseits zeigt der Vergleich von _____________ 11 12

13

Siehe VAN THIEL 1971; 1970 und 1971a. Oftmals werden Textentscheide aufgrund des besseren Prosarhythmus getroffen. Doch scheint mir die Methode sehr unbefriedigend, zumal es noch keine klaren Richtlinien für dieses Phänomen gibt. Ich verzichte deshalb im Kommentar auf Hinweise zum Prosarhythmus und verweise auf MÜLLER3 449–79 und ders., Q. Curtius Rufus. Geschichte Alexanders des Großen. Lateinisch und Deutsch, München 1954, 755–82; VANNINI 2007, 329; YEH 2007; Paul KEMPE, De clausulis petronianis, Diss. Greifswald 1922; C.U. CLARK, An Early Use of the Accentual Clausula: AJPh 50, 1929, 374–7; Francesco DI CAPUA, Il ritmo prosaico in Petronio: Giornale Italiano di Filologia, 1948, 37; Enrico CAMPANILE, Osservazioni sulla lingua di Petronio: Annali della Scuola Normale Superiore di Pisa 26, 1957, 67–9. Zu den Lücken siehe VAN THIEL 1971, 66–72; JENSSON 2004, 6–9.

Einleitung

XIII

H und L, dass L viele echte Lücken nicht kenntlich macht, und zwar an Stellen, wo uns die Lücken gar nicht auffallen würden. Hätten wir nicht die zuverlässigere und vollständigere Parallelüberlieferung von H, wären wohl die meisten Lücken dieser Textpassage unbemerkt geblieben, da oft kein Bruch im Gedanken-/Redefluss ersichtlich ist.14 Andererseits bezeichnet die L-Klasse z.T. falsche Lücken: Erstens scheinen Sternchen vor und hinter Gedichten recht mechanisch gesetzt worden zu sein. Zweitens enthält z.B. t zwei Arten von Sternchen: Sechsstrahlige zeigen eine Lücke an, fünfstrahlige verweisen auf eine Randnote zum folgenden Wort. p übernimmt viele RandnotenSternchen, ohne sie von den Sternchen für die Lücken zu unterscheiden. Ähnlich setzen andere Vertreter der L-Klasse Sternchen, wo es sich eigentlich um Textkorruptelen handelt. In einer modernen Edition sollte man m.E. nur dort Lücken setzen, wo sie unumgänglich sind, damit der Text nicht noch fragmentarischer wird, als er es ohnehin schon ist. Ebenfalls angesprochen werden muss das Problem der Interpolationen.15 Dass es in den Sat. Interpolationen, also Veränderungen des ursprünglichen Textes durch das Einfügen von Wörtern, Sätzen u.Ä. durch die Abschreiber, gibt, ist unbestritten. Doch hat die Diskussion in der Petron-Forschung unverhältnismäßig großen Raum eingenommen. Insgesamt wurden über 300 Interpolationen vermutet.16 MÜLLER hatte in seiner ersten Edition (unter Einfluss von Eduard FRAENKEL) über 150 interpolierte Wörter und Passagen ausgemacht (von denen er in den neueren Editionen viele wieder zurückgenommen hat). SULLIVAN 1976 fügte noch etwa 70 hinzu. Die vermuteten Interpolationen in Sat. 1–15 sind in der folgenden Tabelle aufgeführt; die von mir übernommenen Vorschläge sind fett gedruckt.

_____________ 14 15 16

Siehe auch JENSSON 2004, 6f. Siehe dazu v.a. die Diskussionen bei NELSON 1971; MÜLLER3 471–5; PELLEGRINO2 56–8; SOVERINI 1974; JENSSON 2004, 12–4. Eine Auflistung der Interpolationen findet sich bei SULLIVAN 1976; siehe zudem MÜLLER3 474. Dezidiert gegen die Annahme von Interpolationen spricht sich COCCIA 1973 und 1996 aus.

XIV

Einleitung

Vermutete Interpolationen 1,1 2,5 3,3 3,3 3,4 4,2

[ducem] [quidem] [ficti] [nec enim ... fecerint] [quam scierit ... pisciculos] [im]pellunt

4,3 6,1 6,3 7,3 8,4 9,4 10,1 12,2 12,3 12,4 12,5 13,4 14,3 14,3 14,4 14,5 14,5 14,7 14,7 15,2

[ut verba atroci stilo effoderent] [in] [quia] nudas[que] [iam ... exegerat] [seu comes] [id est vitrea fracta] [latrocinio] [familiaris oculis meis] [emptoris] [plane is ipse erat] [civili] [sicel] oder [dipondium] [que quibus] [ut pretium ... faceret iacturam] [quae cum rustico steterat] [tenere] [nostra] bzw. [nam] [scilicet de more] [iam pene] bzw. [iam pene nocturni] [qui volebant pallium lucri facere] [quaeri] bzw. [neque ... haberetur]

15,2 15,3

JACOBS; GIARDINA–MELLONI; MÜLLER BÜCHELER2–6; MÜLLER BÜCHELER2–6; MÜLLER SULLIVAN SULLIVAN BÜCHELER3–6; MÜLLER; GIARDINA– MELLONI FRAENKEL; MÜLLER1 GIARDINA–MELLONI GOLDAST; BÜCHELER2–6; ERNOUT; MÜLLER FRAENKEL; MÜLLER1 VAN THIEL WEHLE SULLIVAN MÜLLER1 FRAENKEL; VAN THIEL FRAENKEL; MÜLLER1 SULLIVAN BAGNANI GASELEE; MÜLLER; GIARDINA–MELLONI GRONOVIUS; FRAENKEL; MÜLLER MÜLLER1 DELZ; MÜLLER OUDENDORP; MÜLLER1 BÜCHELER1–6; MÜLLER1; ERNOUT FRAENKEL; FUCHS; MÜLLER1 FUCHS; SULLIVAN; MÜLLER MÜLLER1 FRAENKEL; MÜLLER1; SULLIVAN

Die Entscheidung für oder gegen eine Interpolation hängt mit dem Verständnis von Petrons Stil zusammen. M.E. sollte man es vermeiden, allzu schnell eine Interpolation zu vermuten und Petron einen zu puristischen Sprachgebrauch – v.a. angesichts seines kolloquialen Stils – zu unterstellen. Außerdem unterlagen etwa Wortwiederholungen oder Redundanzen in der Antike einer anderen ästhetischen Bewertung als heute, und „unconscious“ bzw. „unfigured repetitions“ galten damals nicht als stilistische Mängel.17

_____________ 17

Siehe z.B. WILLS 1996, 473–7 zu Wortwiederholungen in der lateinischen Dichtung.

Einleitung

XV

3. Handlung, Ort, Personal Hauptperson und Erzähler der Sat. ist Enkolp. Mit seinen Begleitern Giton, Askylt (bis Sat. 80) und Eumolp (ab Sat. 83) erlebt er eine Reihe von Abenteuern, in der Rhetorenschule, im Bordell, auf dem Trödelmarkt, bei Sexorgien, Gastmählern, Gaunereien, Raufereien, auf einer Schiffsreise mit anschließendem Schiffbruch, bei Liebesabenteuern, in einer Erbschleicherkomödie usw.18 Die Handlung von Sat. 1–15 im Überblick 1–5

In der Rhetorenschule

6–8

1–2

Enkolps Rede über den Niedergang der Beredsamkeit

3–4

Agamemnons Gegenrede

5

Agamemnons Gedicht

Bordellabenteuer

9–11

6–7

Enkolps Verirrung ins Bordell

8

Askylts Erlebnisbericht über seine eigene Verirrung ins Bordell

Eifersuchtsstreit in der Herberge 9–10

Gitons Klage, Streit zwischen Enkolp und Askylt und vorläufige Trennung

11 12–15

Enkolps Eroberung Gitons und Askylts Rückkehr

Auf dem Markt 12

Enkolp und Askylt als Verkäufer des Mantels

13

Erkennen der eigenen Tunika im Besitz von Bauersleuten

14

Überlegungen zur Wiedererlangung der Tunika, Bauersleute erheben Anspruch auf den Mantel

15

Einmischung weiterer Leute in den Streitfall, Verwahrung des Mantels und Rückgabe der Tunika

_____________ 18

Siehe zu Sat. 79–141 in einem Überblick HABERMEHL XXXVIII.

XVI

Einleitung

Über die vorangegangenen Abenteuer kann man nur spekulieren.19 Anhaltspunkte ergeben sich aus Hinweisen im überlieferten Text sowie einzelnen Fragmenten. Mit einiger Wahrscheinlichkeit vorgefallen sind Ereignisse in Massilia (frg. 1 und 4), eine Liebesbeziehung Enkolps zu einer Doris (Sat. 126,18), eine frühere Begegnung mit Lichas, Hedyle und Tryphäna (v.a. Sat. 100,7; 105; 107,11; 113,3), ein Raubzug durch die Villa Lykurgs (Sat. 117,3), eine Gerichtsverhandlung (frg. 8) u.a.20 Schauplatz der Kapitel 1–99 ist eine Graeca urbs (Sat. 81,3), vermutlich eine Küstenstadt im großgriechischen Unteritalien, mit all den für einen solchen Ort typischen offenen (Forum, Straßen, Meeresküste) und geschlossenen Räumen (Rhetorenschule, domus, lupanar, deversoria, balnea, pinacotheca). Den Namen der Stadt erfahren wir nicht, an anderen Stellen wird sie lediglich colonia (Sat. 44,12. 16; 57,9; 76,10) genannt. Es ist aber wahrscheinlich, dass sie an einer verlorenen Stelle benannt wird, da alle anderen Städte bei Petron einen Namen tragen; dabei handelt es sich ohne Ausnahme um Namen von tatsächlich existierenden antiken Städten (z.B. Croton, Massilia, Baiae). In der Forschung wurden daher alle möglichen Städte diskutiert – Baiae, Capua, Cumae, Misenum, Neapolis, Pompeji, Puteoli u.a. Von diesen spricht am meisten für die Hafenstadt Puteoli, ein kommerzielles Zentrum des Römischen Reiches im 1. Jh. n. Chr. mit einem erwiesen hohen Anteil an Sklaven und Freigelassenen, die in der Cena eine große Rolle spielen.21 Über die Herkunft und den gesellschaftlichen Stand der Protagonisten können ebenfalls keine definitiven Aussagen gemacht werden. Es spricht prinzipiell nichts dagegen, die vier Hauptfiguren als freie/freigeborene Bürger anzusehen; gegenteilige Äußerungen der Protagonisten sind nicht unbedingt wörtlich zu nehmen.22 Als freie Bürger werden Enkolp und Giton auf Lichas Schiff angesehen (Sat. 107,3. 5f. 10; 108,3). Ebenso spricht Enkolp von sich selbst als liber (Sat. 81,6 aut vir ego liberque non sum, aut noxio sanguine parentabo iniuriae meae) und – wenn auch unter anderen Vorzeichen – von _____________ 19 20

21

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Siehe zu den Rekonstruktionsversuchen VANNINI 2007, 189–92; JENSSON 2004. Siehe dazu u.a. PARATORE I 165–71; CIAFFI 1955, 5–22; SULLIVAN 1968, v.a. 34–48; WALSH 1970, 73–110; VAN THIEL 1971, 25–65. 76–8; SCHMELING 2003, 460–3; JENSSON 2004, 87–173. 175–80. Siehe zur Debatte zuletzt LO CASCIO 2007, 4–6; JENSSON 2004, 122–7 (der für Neapel plädiert); einen Überblick bietet VANNINI 2007, 387–91 mit den entsprechenden Literaturangaben; zudem hilfreich RINDI 1980, v.a. 118 Anm. 12; PETERSMANN 1995, 540f.; MORENO 1964, 67 Anm. 68; CICU 1992, 42 Anm. 1f. Siehe BODEL 1984, 46–53; HABERMEHL XVIIIf. Anders z.B. COURTNEY 2001, 39–43 oder JENSSON 2004, 110, der meint, Enkolp und Askylt seien exules und kämen aus einer unabhängigen Stadt außerhalb des römischen Territoriums. Massilia könnte dann wirklich Enkolps Heimatstadt sein (frg. 1 und 4). Eine Zusammenstellung der relevanten Stellen findet sich bei GIARDINA 1994.

Einleitung

XVII

Askylt in Sat. 81,4 als stupro liber, stupro ingenuus. Zudem erscheint es Enkolp in Sat. 13,4 als das Natürlichste, nach dem ius civile kämpfen zu wollen, was den römischen Bürgern vorbehalten war (siehe unten ad loc.). Dass Enkolp sich hingegen in Sat. 81,3 exul nennt, kann seiner Einsamkeit zugeschrieben werden. Giton ist ein spezieller Fall, doch dürfte er ebenso liber und ingenuus wie die anderen sein. Er ist der Jüngste des Trios und akzeptiert als puer in der sexuellen Beziehung mit Enkolp (und später Askylt) die passive Rolle. Öfter führt er deshalb auch Aufgaben eines Dieners aus (Sat. 26,10 Gitona libentissime servile officium tuentem iubemus in balneo sequi; 91,1 video Gitona cum linteis et strigilibus parieti applicitum tristem confusumque. scires, non libenter servire) und wird während der Cena sogar für einen Sklaven gehalten (Sat. 58,1).23 So muss das Verhalten der Protagonisten stets mit Blick auf die von ihnen eingenommenen Rollen betrachtet werden (Enkolp z.B. als scholasticus in der Rhetorenschule und bei der Cena, als Sträfling auf dem Schiff des Lichas, als Sklave Eumolps in Croton).

4. Literarische Beschaffenheit der Satyrica Die Sat. gelten als das erste überlieferte fiktionale Prosawerk in lateinischer Sprache. Genau genommen handelt es sich um eine Mischung aus Prosa und Vers, ähnlich den menippeischen Satiren. Einem Gattungsbegriff lassen sich die Sat. nur schwer zuordnen. Vielmehr weisen sie Elemente verschiedener Gattungen, d.h. epische, tragische, romanhafte, elegische, satirische, mimische, burleske und komödienhafte Züge auf.24 Treffend beschreibt WALSH XXII die Vielschichtigkeit des Werkes: „In short, it is a comic romance. Perhaps the clearest statement of the aim of such compositions is provided by Lucian’s programme at the outset of his True History (Vera Historia 1,1). He promises a story which will incorporate strange, elegant and mendacious themes adorned by subtle and whitty evocations of earlier literature; he thus seeks to provide pleasurable reading at two levels, the narrative of low adventure relieved by sophisticated literary texture imposing a more intellectual dimension of entertainment for his highly educated audience.“

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CERVELLERA 1982, 230f.: „Sono [...] ingenui tanto Encolpio quanto Gitone [...], soltanto che Gitone si comporta come il tipico schiavetto dall’atteggiamento servile, ben consapevole della sua passività, perché quest’ultima era considerata negativamente come degna soltanto di un servo.“ Einen guten Überblick über die literarischen Einflüsse bietet HABERMEHL XXI–XXX. Zudem VANNINI 2007, 192–215.

XVIII

Einleitung

Die Sat. zeichnen sich durch ihre personale Erzählweise aus, wobei der Erzähler gleichzeitig als Figur in der Geschichte auftritt. Zwischen den Erlebnissen und der Erzählgegenwart liegt ein zeitlicher Abstand, der es dem Erzähler ermöglicht, eine ironische Distanz zum Erlebten einzunehmen und z.B. selbstkritische Bemerkungen anzubringen (z.B. Sat. 7,1 tam stulta; 7,4 tarde, immo iam sero; 10,7 hanc tam praecipitem divisionem libido faciebat). Es dominiert jedoch die Perspektive des erlebenden Ich, aus der Spannung und Überraschungseffekte hervorgehen (z.B. die überraschende Rückkehr Askylts in Sat. 11,2 oder das spannende Hin und Her in der Mantelszene Sat. 12–15). Die einzelnen Figuren unterscheiden sich durch ihr individuelles Sprechmuster. So hebt sich auch die Diktion Enkolps als Erzähler (urbane Prosa) von der teils vulgären, teils ambitioniert-rhetorischen Sprechweise anderer Personen ab (vgl. die vulgären Partien in der Cena oder den rhetorischen Redestil Agamemnons in Sat. 3–5). Allerdings variiert der Erzähler seine Ausdrucksweise und sein Vokabular – sowohl in der direkten als auch der indirekten Rede – entsprechend der Situation. In der Rhetorenschule hat Enkolps Rede einen gelehrt-rhetorischen Duktus, der überreich an Metaphern ist (siehe Ess. 1–4, 3) und genau den Stil imitiert, den Enkolp in seiner Rede kritisiert. Beim anschließenden Streit in der Herberge hingegen kommt eine erotischmetaphorische Sprache zum Einsatz (siehe Ess. 9–11, 3), die im Gegensatz zur derb-obszönen Handlung steht. In der Mantelszene schließlich dominiert der juristische Jargon (siehe Ess. 12–15, 6), der das zwielichtige Geschehen ironisch beleuchtet. Inhaltlich bieten Sat. 1–15 ein großes Spektrum an unterschiedlichen Situationen: Rhetorische Deklamationen, Liebesaffären, Dispute, Gaunereien, Rechtsstreitigkeiten folgen unvermittelt und überraschend aufeinander. Situationen und Szenen lösen sich oft durch eine Flucht (Sat. 6,1; 9,1; 15,8) oder im Gelächter (Sat. 7,5; 10,3; 15,8) auf. Die Vorfälle im Bordell (siehe Ess. 6–8, 2), der Streit in der Herberge (siehe Ess. 9–11, 2) sowie die Tauschaktion auf dem Markt (siehe Ess. 12–15, 4) fallen außerdem durch weitreichende Kongruenzen und Symmetrien in der Handlung auf, die sich bis auf die syntaktische und lexikalische Ebene auswirken.

Text und Übersetzung Die Textgrundlage bildet Konrad MÜLLERS Teubner-Edition (2003). Dies gilt, wenn nicht anders angegeben, auch für die Fragmente sowie die Siglen der Handschriften. Abweichungen von MÜLLERS Text sind in der folgenden Tabelle aufgeführt (sofern es sich nicht nur um Satzzeichen handelt). Auf einen Apparat wurde verzichtet, dazu sei wiederum auf MÜLLER sowie auf MÜLLERS und BÜCHELERS editio maior verwiesen.

1,1 2,5 2,7 2,8 4,2 4,3 5 V.16 5 V.20 6,1 6,3 9,6 10,2/3 11,4 14,2 bzw. 1 14,3 15,1 15,2 15,7/8

Teubneriana

Kommentar

[ducem] ne ... [quidem] corrupta eloquentiae regula ... stetit ad summam, quis postea [im]pellunt Attico stilo †exonerata† nach V.16 motus quod ne ... ... †verti† contubernium Gedicht nach descendere lupinos[que quibus] videmus [iam pene] ...

ducem ne ... solum corrupta eloquentia regula stetit quis postea ad summam impellunt atroci stilo vox †onerata† nach V.19 mutus quo ne ohne Lücke vesticontubernium Gedicht nach veniret †lupinosque, quibus† videamus †iam pene† ohne Lücke

Die Übersetzung dient der schnelleren Erschließung des lateinischen Textes sowie der Verdeutlichung der im Kommentar dargelegten Interpretation. Sie bleibt deshalb nahe am lateinischen Original und erhebt keinen literarischen Anspruch.

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* ‘num alio genere furiarum declamatores inquietantur, qui clamant: „haec vulnera pro libertate publica excepi, hunc oculum pro vobis impendi; date mihi ducem qui me ducat ad liberos meos, nam succisi poplites membra non sustinent“? haec ipsa tolerabilia essent, si ad eloquentiam ituris viam facerent. nunc et rerum tumore et sententiarum vanissimo strepitu hoc tantum proficiunt, ut cum in forum venerint, putent se in alium orbem terrarum delatos. et ideo ego adulescentulos existimo in scholis stultissimos fieri, quia nihil ex his quae in usu habemus aut audiunt aut vident, sed piratas cum catenis in litore stantes, sed tyrannos edicta scribentes quibus imperent filiis ut patrum suorum capita praecidant, sed responsa in pestilentiam data ut virgines tres aut plures immolentur, sed mellitos verborum globulos et omnia dicta factaque quasi papavere et sesamo sparsa. qui inter haec nutriuntur non magis sapere possunt quam bene olere qui in culina habitant. pace vestra liceat dixisse, primi omnium eloquentiam perdidistis. levibus enim atque inanibus sonis ludibria quaedam excitando effecistis ut corpus orationis enervaretur et caderet. nondum iuvenes declamationibus continebantur, cum Sophocles aut Euripides invenerunt verba quibus deberent loqui. nondum umbraticus doctor ingenia deleverat, cum Pindarus novemque lyrici Homericis versibus canere timuerunt. et ne poetas solum ad testimonium citem, certe neque Platona neque Demosthenen ad hoc genus exercitationis accessisse video. grandis et ut ita dicam pudica oratio non est maculosa nec turgida, sed naturali pulchritudine exsurgit. nuper ventosa istaec et enormis loquacitas Athenas ex Asia commigravit animosque iuvenum ad magna surgentes veluti pestilenti quodam sidere

Übersetzung * „Werden die Deklamatoren etwa nicht von denselben Furien getrieben, wenn sie schreien: ‘Diese Wunden habe ich mir im Kampf für die Freiheit des Vaterlandes zugezogen, dieses Auge habe ich für euch geopfert; gebt mir einen Führer, der mich zu meinen Kindern geleite, denn meine durchschnittenen Kniekehlen tragen den Körper nicht mehr?’ Dies wäre noch erträglich, wenn es denjenigen, die zur Beredsamkeit gelangen wollen, den Weg ebnen würde. In Wahrheit aber kommen sie mit dem Schwulst ihrer Themen und dem leeren Wortgeklingel nur so weit, dass sie sich, wenn sie das Forum betreten, auf einen anderen Planeten versetzt fühlen. Und deshalb meine ich, dass die jungen Leute in der Schule völlig verdummen, weil sie nichts von dem, was in der Praxis vorkommt, hören oder sehen, sondern von Piraten, die mit Ketten am Strand stehen, von Tyrannen, die Erlasse zu Papier bringen, in denen sie Söhnen befehlen, den eigenen Vätern den Kopf abzuschlagen, von Orakeln, die bei Pest dazu raten, drei oder mehr Jungfrauen zu opfern, honigsüßes Wortkonfekt und lauter Worte und Taten, die mit Mohn und Sesam bestreut sind. Wer mit solcher Kost ernährt wird, kann nicht mehr Geschmack haben, als einer gut riechen kann, der immer in der Küche steckt. Gestattet mir zu sagen, ihr habt als Erste von allen die Beredsamkeit zugrunde gerichtet. Denn aus leichten und leeren Tönen habt ihr gewisse Spielereien erzeugt und es so weit gebracht, dass der Körper der Rede erschlaffte und in sich zusammenfiel. Damals waren die jungen Leute noch nicht an die Deklamationen gebunden, als ein Sophokles oder ein Euripides die Worte fand, in denen sie sich ausdrücken sollten. Damals hatte noch kein Stubengelehrter die Talente verdorben, als Pindar und die neun Lyriker sich scheuten, in homerischen Versen zu dichten. Und um nicht nur Dichter als Zeugen anzuführen: Soweit ich sehe, haben sich bestimmt weder Platon noch Demosthenes auf diese Art der Übung eingelassen. Große und – wenn ich das so sagen darf – keusche Rede ist weder bunt gefleckt noch geschwollen, sondern erhebt sich in natürlicher Schönheit. Unlängst ist diese aufgeblasene und maßlose Geschwätzigkeit aus Kleinasien in Athen eingezogen und hat den nach Großem strebenden Geist der jungen Leute wie ein Pestgestirn angeblasen;

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afflavit, semelque corrupta eloquentia regula stetit et obmutuit. quis postea ad summam Thucydidis, quis Hyperidis ad famam processit? ac ne carmen quidem sani coloris enituit, sed omnia quasi eodem cibo pasta 9 non potuerunt usque ad senectutem canescere. pictura quoque non alium exitum fecit, postquam Aegyptiorum audacia tam magnae artis compendiariam invenit.’ 8

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non est passus Agamemnon me diutius declamare in porticu quam ipse in schola sudaverat, sed ‘adulescens’ inquit ‘quoniam sermonem habes non publici saporis et, quod rarissimum est, amas bonam mentem, non fraudabo te arte secreta. nimirum in his exercitationibus doctores peccant, qui necesse habent cum insanientibus furere. nam nisi dixerint quae adulescentuli probent, ut ait Cicero, „soli in scholis relinquentur“. sicut ficti adulatores cum cenas divitum captant nihil prius meditantur quam id quod putant gratissimum auditoribus fore (nec enim aliter impetrabunt quod petunt nisi quasdam insidias auribus fecerint), sic eloquentiae magister, nisi tamquam piscator eam imposuerit hamis escam, quam scierit appetituros esse pisciculos, sine spe praedae moratur in scopulo. quid ergo est? parentes obiurgatione digni sunt, qui nolunt liberos suos severa lege proficere. primum enim sic ut omnia, spes quoque suas ambitioni donant. deinde cum ad vota properant, cruda adhuc studia in forum impellunt et eloquentiam, qua nihil esse maius confitentur, pueris induunt adhuc nascentibus. quod si paterentur laborum gradus fieri, ut studiosi iuvenes lectione severa irrigarentur, ut sapientiae praeceptis animos componerent, ut verba atroci stilo effoderent, ut quod vellent imitari diu audirent, sibi nihil esse magnificum quod pueris placeret, iam illa grandis oratio haberet maiestatis suae pondus. nunc pueri in scholis ludunt, iuvenes ridentur in foro, et quod utroque turpius est, quod quisque perperam dicit, in senectute confiteri non vult. sed ne me putes improbasse schedium Lucilianae humilitatis, quod sentio et ipse carmine effingam:

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und nachdem ihre Grundsätze einmal verdorben waren, kam die Beredsamkeit zum Stillstand und verstummte. Wer hat später die Perfektion eines Thukydides, wer den Ruf eines Hypereides erlangt? Und ebenso wenig hat eine Dichtung von gesunder Farbe ihren Glanz entfaltet, sondern nichts konnte, weil alles gleichsam mit derselben Nahrung gefüttert wurde, ein hohes Alter erreichen. Auch die Malerei ist nicht anders zugrunde gegangen, nachdem die dreisten Ägypter ein Schnellverfahren für diese so hohe Kunstform erfunden hatten.“ Agamemnon ließ es nicht zu, dass ich länger in der Halle deklamierte, als er selbst im Hörsaal geschwitzt hatte, sondern sagte: „Junger Mann, da du eine Redeweise von nicht alltäglichem Geschmack hast und, was höchst selten ist, gesunden Menschenverstand schätzest, will ich dir die Geheimnisse unserer Kunst nicht vorenthalten. Natürlich begehen die Lehrer mit solchen Übungen einen Fehler; sie müssen ja mit den Narren närrisch sein. Denn wenn sie nicht sagen, was die jungen Leute hören möchten, so werden sie, wie Cicero sagt, ‘in der Schule alleine sitzen bleiben’. Wie falsche Schmeichler, die nach Einladungen zu Tisch bei reichen Leuten gieren, an nichts eher denken, als was ihrer Meinung nach den Zuhörern am willkommensten sei (denn nicht anders gelangen sie ans Ziel als dadurch, dass sie den Ohren gleichsam Fallen stellen), so muss der Lehrer der Redekunst wie ein Fischer, wenn er nicht den Köder an den Angelhaken hängt, von dem er weiß, dass die Fischlein nach ihm schnappen werden, ohne Aussicht auf Beute auf der Klippe sitzen bleiben. Wie steht es also? Die Eltern verdienen den Tadel, weil sie nicht wollen, dass ihre Kinder durch strenge Disziplin weiterkommen. Denn zuerst ordneten sie, so wie alles, auch ihre Hoffnungen dem Ehrgeiz unter. Sodann eilen sie auf das Gewünschte zu: Sie treiben noch unreife Studien aufs Forum und streifen den gerade auf die Welt kommenden Knaben die Rhetorik über, die sie für das Allerhöchste halten. Wenn sie aber ein schrittweises Lernen zuließen, so dass die jungen Leute im Studium mit ernsthafter Lektüre genährt würden, sie ihren Geist an den Maximen der Philosophie formten, mit dem Griffel unerbittlich Worte von der Wachstafel kratzten und lange hörten, was sie nachahmen wollten, wenn sie sich davon überzeugen ließen, dass nichts von hohem Wert sein kann, was Knaben gefällt, dann käme jene erhabene Rede wieder in ihrer majestätischen Würde zur Entfaltung. Heute spielen die Knaben in den Schulen, die jungen Leute machen sich lächerlich auf dem Forum und – was schlimmer ist als beides: Wer etwas falsch gelernt hat, will es im Alter nicht eingestehen. Damit du aber nicht meinst, ich hätte die Stegreifdichtung von lucilianischer Schlichtheit missbilligt, will auch ich meine Gedanken in einem Gedicht ausdrücken:

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artis severae si quis ambit effectus mentemque magnis applicat, prius mores frugalitatis lege poliat exacta. nec curet alto regiam trucem vultu cliensque cenas impotentium captet, nec perditis addictus obruat vino mentis calorem neve plausor in scaenam sedeat redemptus histrionis ad rictus. sed sive armigerae rident Tritonidis arces seu Lacedaemonio tellus habitata colono Sirenumve domus, det primos versibus annos Maeoniumque bibat felici pectore fontem. mox et Socratico plenus grege mittat habenas liber et ingentis quatiat Demosthenis arma. hinc Romana manus circumfluat et modo Graio vox †onerata† sono mutet suffusa saporem, interdum subducta foro det pagina cursum: et fortuna sonet celeri distincta meatu, dent epulas et bella truci memorata canore grandiaque indomiti Ciceronis verba minentur. his animum succinge bonis: sic flumine largo plenus Pierio defundes pectore verba.’

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dum hunc diligentius audio, non notavi mihi Ascylti fugam ... et dum in hoc dictorum aestu mutus incedo, ingens scholasticorum turba in porticum venit, ut apparebat, ab extemporali declamatione nescio cuius, qui Agamemnonis suasoriam exceperat. dum ergo iuvenes sententias rident ordinemque totius dictionis infamant, opportune subduxi me et cursim Ascylton persequi coepi. sed nec viam diligenter tenebam [quia] nec quo stabulum esset sciebam. itaque quocumque ieram, eodem revertabar, donec et cursu fatigatus et sudore iam madens accedo aniculam quandam, quae agreste holus vendebat, et ‘rogo’, inquam, ‘mater, numquid scis ubi ego habitem?’ delectata est illa urbanitate tam stulta et ‘quidni sciam?’ inquit consurrexitque et coepit me praecedere. divinam ego putabam et ... subinde ut in locum secretiorem venimus, centonem anus urbana reiecit et ‘hic’ inquit ‘debes habitare’. cum ego negarem me agnoscere domum, video quosdam inter titulos

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Wer sich mit ersthafter Kunst profilieren will und Großes im Sinn hat, schule erst seine Sitten an dem strengen Gesetz der Mäßigkeit. Erhobenen Hauptes lasse er unbeachtet den drohenden Königspalast und giere nicht als Bittsteller nach den Gastmählern der Mächtigen, noch begebe er sich in üble Gesellschaft und ersäufe im Wein das Feuer seines Geistes, noch sitze er als ein für die Bühne bestochener Claqueur vor dem klaffenden Maul des Schauspielers.

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Nein, ob ihm die Burg der waffentragenden Pallas zulächle oder das vom spartanischen Siedler bewohnte Land oder das Heim der Sirenen, er widme die ersten Jahre der Dichtung und trinke glücklichen Herzens von der Quelle Homers. Bald auch von Sokrates’ Herde gesättigt, lockere er frei die Zügel und schwinge die Waffen des gewaltigen Demosthenes. Danach umfließe ihn römisches Volk, und seine eben noch von einem griechischen Akzent †belastete† Stimme werde benetzt und verändere seine Redeweise. Bisweilen gebe ihm eine dem Forum ferne Lektüre Schwung: Fortuna erzeuge in ihrem schnellen Schritt unterschiedliche Töne, und Nahrung mögen ihm Kriege sein, besungen im trotzigen Gesang, und drohen sollen die großen Worte des unübertroffenen Cicero. Rüste deinen Geist mit diesen Schätzen: Dann wirst du, voll von dem mächtigen Fluss, aus musischer Brust die Worte verströmen.“ Während ich ihm allzu aufmerksam zuhörte, bemerkte ich nicht, dass Askylt sich aus dem Staub gemacht hatte. ... Und während ich in dieser Hitze von Worten stumm einherging, kam eine große Schar Studenten in die Halle, offenbar von einer Stegreif-Deklamation von irgendjemandem, der das Wort nach der Suasorie von Agamemnon ergriffen hatte. Während also die jungen Leute über die Sentenzen lachten und den Aufbau der ganzen Rede verrissen, nahm ich die günstige Gelegenheit wahr, mich davonzuschleichen und eilends Askylt zu folgen. Doch weder konnte ich den Weg wieder genau finden, [da] noch wusste ich, wo überhaupt unsere Herberge war. Wohin ich deshalb auch immer ging, ich kehrte stets an einen Ort zurück, an dem ich schon gewesen war, bis ich mich – vom Laufen erschöpft und schon von Schweiß durchnässt – an ein altes Weiblein wandte, das Gemüse vom Land feilbot: „Bitte, Mütterchen“, sagte ich, „weißt Du vielleicht, wo ich wohne?“ Erheitert durch diesen so dummen Witz, meinte jene: „Wie könnte ich das nicht wissen?“, stand auf und ging voran. Ich hielt sie für eine Seherin, und ... als wir unmittelbar darauf an einen ziemlich abgeschiedenen Ort kamen, riss die Alte einen Vorhang auf und sagte: „Hier musst du wohnen!“ Während ich noch versicherte, dass ich das Haus nicht kannte, erblickte ich ein paar Männer, die verstohlen

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nudasque meretrices furtim spatiantes. tarde, immo iam sero intellexi me in fornicem esse deductum. execratus itaque aniculae insidias operui caput et per medium lupanar fugere coepi in alteram partem, cum ecce in ipso aditu occurrit mihi aeque lassus ac moriens Ascyltos; putares ab eadem anicula esse deductum. itaque ut ridens eum consalutavi, quid in loco tam deformi faceret quaesivi. sudorem ille manibus detersit et ‘si scires’ inquit ‘quae mihi acciderunt’. ‘quid novi?’ inquam ego. at ille deficiens ‘cum errarem’ inquit ‘per totam civitatem nec invenirem quo loco stabulum reliquissem, accessit ad me pater familiae et ducem se itineris humanissime promisit. per anfractus deinde obscurissimos egressus in hunc locum me perduxit prolatoque peculio coepit rogare stuprum. iam pro cella meretrix assem exegerat, iam ille mihi iniecerat manum et nisi valentior fuissem, dedissem poenas’... adeo ubique omnes mihi videbantur satyrion bibisse * iunctis viribus molestum contempsimus * quasi per caliginem vidi Gitona in crepidine semitae stantem et in eundem locum me conieci ... cum quaererem numquid nobis in prandium frater parasset, consedit puer super lectum et manantes lacrimas pollice extersit. perturbatus ego habitu fratris quid accidisset quaesivi. at ille tarde quidem et invitus, sed postquam precibus etiam iracundiam miscui, ‘tuus’ inquit ‘iste frater seu comes paulo ante in conductum accucurrit coepitque mihi velle pudorem extorquere. cum ego proclamarem, gladium strinxit et „si Lucretia es“ inquit „Tarquinium invenisti“.’ quibus ego auditis intentavi in oculos Ascylti manus et ‘quid dicis’ inquam ‘muliebris patientiae scortum, cuius ne spiritus purus est?’ inhorrescere se finxit Ascyltos, mox sublatis fortius manibus longe maiore nisu clamavit: ‘non taces’ inquit ‘gladiator obscene, quem †de ruina† harena dimisit? non taces, nocturne percussor, qui ne tum quidem, cum fortiter faceres, cum pura muliere pugnasti, cuius eadem ratione in viridario frater fui qua nunc in deversorio puer est?’ ‘subduxisti te’

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zwischen Schildern und nackten Huren umherschlichen. Spät, ja allzu spät wurde mir klar, dass ich in ein Bordell verschleppt worden war. So verfluchte ich den Streich der Alten, verhüllte meinen Kopf und machte mich, mitten durch das Bordell, auf die Flucht in den anderen Teil, als mir, siehe da, gerade am Eingang – gleich mir wie zu Tode erschöpft – Askylt entgegenlief. Man hätte glauben können, er sei von derselben Alten verschleppt worden. Als ich ihn also lachend begrüßte, fragte ich, was er an einem so verruchten Ort mache. Er wischte sich mit den Händen den Schweiß ab und sagte: „Wenn du wüsstest, was mir passiert ist!“ „Was gibt’s Neues?“, fragte ich. Jener aber, am Ende seiner Kräfte, sagte: „Nachdem ich durch die ganze Stadt geirrt war und nicht herausgefunden hatte, wo ich die Herberge zurückgelassen hatte, trat ein väterlicher Typ an mich heran und versicherte mir aufs liebenswürdigste, mir den Weg zu zeigen. Auf dunkelsten Umwegen führte er mich dann an diesen Ort, zog sein wertes Stück und begann, Sex von mir zu verlangen. Schon hatte eine Dirne für ihre Zelle ein As gefordert, schon hatte jener Hand an mich gelegt, und wenn ich nicht der Stärkere gewesen wäre, hätte ich Strafe gezahlt“ ... So reichlich schienen alle rundherum Satyrion getrunken zu haben. * Mit vereinten Kräften wehrten wir den Lästigen ab. * Verschwommen sah ich Giton auf dem Gehsteig der Gasse stehen und stürzte ebendorthin ... Als ich fragte, ob uns der Bruder etwas zu Mittag bereitet habe, setzte sich der Knabe auf das Bett und wischte sich die herabfließenden Tränen mit dem Daumen ab. Verwirrt über den Zustand des Bruders fragte ich, was geschehen sei. Er aber – zögerlich und widerwillig, und erst nachdem ich den Bitten auch Zorn beigemischt hatte – sagte: „Dein Bruder da oder dein Begleiter kam kurz zuvor in die Unterkunft gerannt und wollte mich meiner Scham berauben. Als ich um Hilfe schrie, zog er sein Schwert und sagte: ‘Wenn du Lukrezia bist, so hast du deinen Tarquinius gefunden!’„ Als ich das hörte, streckte ich meine Hände zu Askylts Augen hin aus und sagte: „Was sagst du dazu, Mannshure, die sich wie ein Weib hergibt und an der nicht einmal der Atem sauber ist?“ Askylt tat so, als ob er erschrecke, erhob alsbald seine Fäuste noch drohender und brüllte noch lauter: „Willst du nicht schweigen, geiler Fechter, den der Kampfplatz †wegen eines Zusammenbruchs† entlassen hat? Willst du nicht schweigen, nächtlicher Stoßer, der du nicht einmal damals, als du noch besser beisammen warst, mit einer sauberen Frau gekämpft hast, und dessen Bruder ich im Garten gewesen bin auf dieselbe Art, wie es nun in der Herberge der Knabe ist?“ „Du hast dich“, sagte ich, „von der Debatte mit

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inquam ‘a praeceptoris colloquio’. ‘quid ego, homo stultissime, facere debui, cum fame morerer? an videlicet audirem sententias, id est vitrea fracta et somniorum interpretamenta? multo me turpior es tu hercule, qui ut foris cenares poetam laudasti’. itaque ex turpissima lite in risum diffusi pacatius ad reliqua secessimus * rursus in memoriam revocatus iniuriae ‘Ascylte’ inquam ‘intellego nobis convenire non posse. itaque communes sarcinulas partiamur ac paupertatem nostram privatis quaestibus temptemus expellere. et tu litteras scis et ego. ne quaestibus tuis obstem, aliud aliquid promittam; alioqui mille causae quotidie nos collident et per totam urbem rumoribus different’. non recusavit Ascyltos et ‘hodie’ inquit ‘quia tamquam scholastici ad cenam promisimus, non perdamus noctem. cras autem, quia hoc libet, et habitationem mihi prospiciam et aliquem fratrem’. ‘tardum est’ inquam ‘differre quod placet’ * hanc tam praecipitem divisionem libido faciebat; iam dudum enim amoliri cupiebam custodem molestum, ut veterem cum Gitone meo rationem reducerem * postquam lustravi oculis totam urbem, in cellulam redii osculisque tandem bona fide exactis alligo artissimis complexibus puerum fruorque votis usque ad invidiam felicibus. nec adhuc quidem omnia erant facta, cum Ascyltos furtim se foribus admovit discussisque fortissime claustris invenit me cum fratre ludentem. risu itaque plausuque cellulam implevit, opertum me amiculo evoluit et ‘quid agebas’ inquit ‘frater sanctissime? quid? vesticontubernium facis?’ nec se solum intra verba continuit, sed lorum de pera solvit et me coepit non perfunctorie verberare, adiectis etiam petulantibus dictis: ‘sic dividere cum fratre nolito’

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dem Professor weggeschlichen.“ „Was sollte ich denn tun, Dummkopf, wenn ich vor Hunger fast starb? Sollte ich mir etwa die Sentenzen anhören, das heißt, dieses zerbrochene Glas und diese Traumdeutereien? Du bist weiß Gott viel schlimmer als ich, hast du doch einem ‘Poeten’ Komplimente gemacht, um auswärts essen zu können.“ So brachen wir nach unserem überaus hässlichen Streit in Gelächter aus und wendeten uns ziemlich friedlich den restlichen Dingen zu. * Da erinnerte ich mich wieder an das Unrecht und sagte: „Askylt, ich sehe ein, dass wir nicht zueinander passen. Lass uns deshalb die gemeinsamen Habseligkeiten teilen und versuchen, unserer Armut durch je eigene Geschäfte ein Ende zu setzen. Du bist gebildet ebenso wie ich. Um deinen Geschäften nicht im Weg zu stehen, will ich irgendetwas anderes betreiben; sonst werden uns täglich tausend Gründe zusammenführen und uns in der ganzen Stadt ins Gerede bringen.“ Askylt hatte nichts dagegen einzuwenden und sagte: „Da wir heute als Gelehrte zu einem Gastmahl zugesagt haben, wollen wir die Nacht nicht verlieren. Morgen aber, da es so sein soll, werde ich mich nach einer Unterkunft und einem anderen Bruder umsehen.“ „Es ist müßig“, sagte ich, „aufzuschieben, was beschlossene Sache ist.“ * Diese überstürzte Teilung hat Geilheit ausgelöst; denn schon lange wünschte ich mir, den lästigen Aufpasser loszuwerden, um das alte Verhältnis mit meinem Giton wiederaufnehmen zu können. * Nachdem ich in der ganzen Stadt Ausschau gehalten hatte, kehrte ich ins Kämmerchen zurück, verlangte endlich in gutem Glauben Küsse von dem Knaben, schloss ihn ganz fest in meine Arme und genoss glückliche Wonnen, um die mich jeder beneidet hätte. Und wir waren noch nicht einmal fertig, als sich Askylt heimlich zur Türe schlich, die Riegel gewaltsam aufbrach und mich mitten im Liebesspiel mit meinem Bruder vorfand. Mit seinem Lachen und Applaus erfüllte er das Kämmerchen, wickelte mich aus dem Mantel, der mich bedeckte, und sagte: „Was hast du getan, frommes Brüderchen? Was? Stellst du DeckenGemeinschaft her?“ Und er ließ es nicht bei diesen Worten bewenden, sondern löste den Riemen vom Rucksack und begann, mich nicht nur leicht zu schlagen, wobei er auch noch die unverschämten Worte hinzufügte: „So mit dem Bruder teilen solltest du nicht!“

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* veniebamus in forum deficiente iam die, in quo notavimus frequentiam rerum venalium, non quidem pretiosarum sed tamen quarum fidem male ambulantem obscuritas temporis facillime tegeret. cum ergo et ipsi raptum latrocinio pallium detulissemus, uti occasione opportunissima coepimus atque in quodam angulo laciniam extremam concutere, si quem forte emptorem splendor vestis posset adducere. nec diu moratus rusticus quidam familiaris oculis meis cum muliercula comite propius accessit ac diligentius considerare pallium coepit. invicem Ascyltos iniecit contemplationem super umeros rustici emptoris ac subito exanimatus conticuit. ac ne ipse quidem sine aliquo motu hominem conspexi, nam videbatur ille mihi esse, qui tuniculam in solitudine invenerat. plane is ipse erat. sed cum Ascyltos timeret fidem oculorum, ne quid temere faceret prius tamquam emptor propius accessit detraxitque umeris laciniam et diligentius temptavit. o lusum fortunae mirabilem! Nam adhuc ne suturae quidem attulerat rusticus curiosas manus, sed tamquam mendici spolium etiam fastidiose venditabat. Ascyltos postquam depositum esse inviolatum vidit et personam vendentis contemptam, seduxit me paululum a turba et ‘scis’ inquit ‘frater, rediisse ad nos thesaurum de quo querebar? illa est tunicula adhuc, ut apparet, intactis aureis plena. quid ergo facimus, aut quo iure rem nostram vindicamus?’ exhilaratus ego non tantum quia praedam videbam, sed etiam quod fortuna me a turpissima suspicione dimiserat, negavi circuitu agendum, sed plane iure civili dimicandum, ut si nollet alienam rem domino reddere, ad interdictum veniret. quid faciunt leges, ubi sola pecunia regnat aut ubi paupertas vincere nulla potest? ipsi qui Cynica traducunt tempora pera non numquam nummis vendere verba solent. ergo iudicium nihil est nisi publica merces, atque eques in causa qui sedet, empta probat.

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* Wir kamen, als es schon am Eindunkeln war, auf den Markt, wo wir eine Menge käuflicher Waren sahen, zwar nicht wertvolle, aber doch von solcher Art, dass die Dämmerstunde deren auf schwachen Füßen stehende Glaubwürdigkeit ganz leicht verdeckte. Da also auch wir selbst den bei einem Raub erbeuteten Mantel mitgebracht hatten, ergriffen wir die hervorragende Gelegenheit und begannen in einem Winkel, ihn beim äußersten Zipfel zu schütteln, gespannt darauf, ob der Glanz des Kleidungsstückes vielleicht einen Käufer anlocken könnte. Und es dauerte nicht lange, da kam ein Bauer, der meinen Augen nicht fremd war, in Begleitung einer Frau näher und begann, den Mantel genauer zu betrachten. Askylt dagegen heftete seinen Blick auf die Schultern des bäurischen Käufers, fuhr plötzlich zusammen und schwieg. Und auch ich betrachtete den Mann nicht ohne Regung, denn er schien mir jener zu sein, der in der verlassenen Gegend die Tunika gefunden hatte. Ja, er war es höchstpersönlich. Da aber Askylt seinen Augen nicht traute und um nichts unbedacht zu tun, trat er erst, als wolle er kaufen, näher heran, zog einen Zipfel von der Schulter und untersuchte ihn sorgfältig. Was für ein wunderbares Spiel des Glücks! Denn bisher hatte der Bauer noch gar nicht die Nähte mit neugierigen Händen betastet, sondern bot die Tunika sogar verächtlich feil, als handle es sich um eine Bettlern abgeluchste Beute. Als Askylt sah, dass die Einlage unangetastet und der Verkäufer ärmlich war, führte er mich aus der Menge ein wenig beiseite und sagte: „Weißt Du, Bruder, dass der Schatz, dessentwegen ich bei Dir Klage geführt habe, zu uns zurückgekehrt ist? Das dort ist die Tunika, die anscheinend noch voll von unberührten Goldstücken ist. Was also tun wir, und mit welchem Recht beanspruchen wir unser Eigentum?“ Ich war hocherfreut, nicht nur, weil ich die Beute sah, sondern auch, weil das Glück mich von einem schändlichen Verdacht befreit hatte. Ich plädierte dafür, nicht auf Umwegen zu handeln, sondern direkt nach Zivilrecht zu kämpfen, so dass er, wenn er die fremde Sache nicht dem Eigentümer zurückgeben wolle, zum Interdikt kommen müsse. Was nützen Gesetze, wo einzig das Geld regiert oder wo keine Armut gewinnen kann? Selbst die, die mit einem kynischen Rucksack umherziehen und die herrschenden Zustände anprangern, pflegen öfters ihre Worte gegen Geld zu verkaufen. Also ist ein Urteil nichts anderes als öffentliche Ware, und der Ritter, der über dem Fall zu Gericht sitzt, billigt Gekauftes.

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contra Ascyltos leges timebat et ‘quis’, aiebat, ‘hoc loco nos novit aut quis habebit dicentibus fidem? mihi plane placet emere, quamvis nostrum sit, quod agnoscimus, et parvo aere recuperare potius thesaurum quam in ambiguam litem descendere.’ sed praeter unum dipondium [sicel] †lupinosque, quibus† destinaveramus mercari, nihil ad manum erat. itaque ne interim praeda discederet, vel minoris pallium addicere placuit et pretium maioris compendii leviorem facere iacturam. cum primum ergo explicuimus mercem, mulier aperto capite [quae cum rustico steterat] inspectis diligentius signis iniecit utramque laciniae manum magnaque vociferatione latrones tenere clamavit. contra nos perturbati, ne videremur nihil agere, et ipsi scissam et sordidam tenere coepimus tunicam atque eadem invidia proclamare nostra esse spolia quae illi possiderent. sed nullo genere par erat causa [nostra], et cociones, qui ad clamorem confluxerant, nostram scilicet de more ridebant invidiam, quod pro illa parte vindicabant pretiosissimam vestem, pro hac pannuciam ne centonibus quidem bonis dignam. hinc Ascyltos †pene† risum discussit, qui silentio facto ‘videamus’, inquit, ‘suam cuique rem esse carissimam; reddant nobis tunicam nostram et pallium suum recipiant.’ etsi rustico mulierique placebat permutatio, advocati tamen †iam pene† nocturni, qui volebant pallium lucri facere, flagitabant uti apud se utraque deponerentur ac postero die iudex querellam inspiceret. neque enim res tantum quae viderentur in controversiam esse, sed longe aliud quaeri, in utraque parte scilicet latrocinii suspicio haberetur. iam sequestri placebant, et nescio quis ex cocionibus, calvus, tuberosissimae frontis, qui solebat aliquando etiam causas agere, invaserat pallium exhibiturumque crastino die affirmabat. ceterum apparebat nihil aliud quaeri nisi ut semel deposita vestis inter praedones strangularetur et nos metu criminis non veniremus ad constitutum. ... idem plane et nos volebamus. itaque utriusque partis votum casus adiuvit. indignatus enim rusticus, quod nos centonem exhibendum postularemus, misit in faciem Ascolti

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Dagegen fürchtete Askylt das Recht und sagte: „Wer kennt uns hier, und wer wird unseren Worten Glauben schenken? Ich bin entschieden dafür, dass wir das kaufen, was wir als unser Eigentum erkennen, obwohl es uns gehört, und dass wir für wenig Geld den Schatz wiedergewinnen, statt uns in einen unsicheren Prozess einzulassen. Aber außer einem Zweigroschenstück †und Bohnen, mit denen† wir handeln (eig. kaufen) wollten, hatten wir nichts zur Hand. Deshalb beschlossen wir, damit die Beute in der Zwischenzeit nicht abhanden komme, den Mantel sogar zu einem niedrigeren Preis loszuschlagen und den geringeren Verlust für den größeren Gewinn in Kauf zu nehmen. Sobald wir also die Ware ausgelegt hatten, schlug die Frau [die beim Bauern stand] ihr Kopftuch zurück, untersuchte genauer die Kennzeichen, packte mit beiden Händen den Zipfel und schrie mit lauter Stimme, dass sie die Diebe habe. Wir dagegen waren verwirrt und begannen, um nicht den Anschein zu erwecken, als würden wir nichts tun, auch selbst die zerrissene und schmutzige Tunika zu halten und mit derselben Empörung auszurufen, uns gehöre die Beute, die jene besäßen. Doch war der Fall in keiner Weise ausgeglichen, und die Geschäftemacher, die auf das Geschrei herbeigeströmt waren, lachten natürlich auf ihre Art über unseren giftigen Gegenangriff, weil sie sahen, dass auf jener Seite ein sehr kostbares Kleidungsstück beansprucht wurde, auf unserer Seite ein nicht einmal für gute Flicken brauchbarer Lumpen. Da machte Askylt dem Gelächter †fast† ein Ende, indem er Ruhe gebot und sagte: „Sehen wir doch ein, dass jedem seine Sache das Liebste ist: So sollen sie uns unsere Tunika zurückgeben und dafür ihren Mantel wiederbekommen.“ Auch wenn der Tausch dem Bauern und der Frau gefiel, forderten die †schon fast† nächtlichen Advokaten, die aus dem Mantel Gewinn ziehen wollten, dass beides bei ihnen hinterlegt würde und am nächsten Tag ein Richter den Streitfall untersuchte. Denn nicht nur die Dinge, die offenkundig im Streit seien, sondern weitaus mehr sei zu untersuchen, da bei beiden Parteien Verdacht auf Diebstahl bestehe. Schon beschloss man, Mittelsmänner zu finden, und irgendeiner dieser Geschäftemacher, kahlköpfig, mit stark vorgewölbter Stirn, der manchmal auch Rechtsfälle zu behandeln pflegte, hatte sich auf den Mantel gestürzt und beteuerte, ihn am folgenden Tag vorzulegen. Im Übrigen schien nichts anderes angestrebt zu werden, als dass das Kleidungsstück, einmal deponiert, unter den Gaunern zum Verschwinden gebracht wird und wir aus Angst, eines Vergehens beschuldigt zu werden, nicht zum Termin erscheinen. Dasselbe wollten auch wir. Da half ein Zufall dem Wunsch beider Parteien. Denn der Bauer, wütend über unsere Forderung, dass ein Lumpen vorgelegt werden müsse, warf Askylt die

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tunicam et liberatos querella iussit pallium deponere, quod solum litem faciebat. et recuperato, ut putabamus, thesauro in deverso8 rium praecipites abimus, praeclusisque foribus ridere acumen non minus cocionum quam calumniantium coepimus, quod nobis ingenti calliditate pecuniam reddidissent. 9

nolo quod cupio statim tenere, nec victoria mi placet parata

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Tunika ins Gesicht und hieß uns, die wir keinen Grund mehr zur Klage hatten, den Mantel zu hinterlegen, welcher nun alleine den Streit ausmachte. Nachdem wir den Schatz wiedererlangt hatten, wie wir glaubten, gingen wir Hals über Kopf in die Herberge zurück und begannen hinter verriegelter Tür zu lachen, nicht weniger über den Scharfsinn der Geschäftemacher als der Ankläger, weil sie uns mit ihrer ungeheuren Schlauheit das Geld wiedergegeben hätten. Ich will nicht, was ich begehre, sofort erhalten, noch gefällt mir ein leichter Sieg.

Kommentar Ein Kommentar ist mit einem Netz zu vergleichen, das einen Text einzufangen versucht, ihn umspannt und dabei einiges auffängt, anderes aber durchlässt. Nie kann er allen und allem gerecht werden, was für einen so fragmentarischen Text wie die Sat. in noch viel höherem Maße gilt. Im Sinne eines philologisch-literarischen Kommentars werden mit der Arbeit zwei Ziele verfolgt: Erstens erläutert der Kommentar die zum Verständnis des Textes nötigen sprachlichen, stilistischen und sachlichen (Handlung und Realien) Informationen. Zweitens sollen die literarische Machart und Qualität des Textes sowie narratologische Phänomene gebührende Erwähnung finden. Darüber hinaus leistet der Kommentar eine Aufarbeitung der modernen Forschungsliteratur. So möge er auch als Wegweiser und Orientierungshilfe bei der Beschäftigung mit den Petron-Fragmenten Sat. 1–15 und der fast unüberschaubaren Forschungsliteratur dienen. Der Kommentar bemüht sich, wo immer nötig textkritische Probleme (Überlieferung, Lesarten, Lücken) zu besprechen. Oft fällt es schwer, der einen oder anderen Lesart den Vorrang zu geben. Da ein Kommentar m.E. für die Benutzerinnen und Benutzer dann am brauchbarsten ist, wenn er für Lösungsvorschläge einsteht, versuche ich jedoch, wo möglich, Entscheidungen zu treffen und diese zu begründen. Dabei werden die alternativen Textvarianten und Lesarten, die verworfenen Konjekturen und anderen Interpretationsmöglichkeiten, sofern sie nennenswert und nicht abwegig sind, ebenfalls erwähnt und diskutiert. Ungelöste bzw. unlösbare Probleme – wenn z.B. unter gleich guten Textvarianten keine begründbare Favorisierung möglich ist oder der Text unheilbar verderbt ist – werden als solche benannt. Der Kommentarteil ist den einzelnen Szenen entsprechend in fünf Blöcke (Sat. 1–4; 5; 6–8; 9–11; 12–15) aufgeteilt.1 Jeder Block wird mit einem Essay eingeleitet, in dem szenenrelevante Probleme diskutiert und mögliche Interpretationsansätze aufgezeigt werden. Der lateinische Text wird nach dem Vorbild der Groninger Apuleius-Kommentare Paragraph für Paragraph ausgeschrieben und übersetzt (wo es der Sinnzusammenhang erfordert, werden zwei Paragraphen zusammengefasst). Wenn Fragestellungen einen ganzen Paragraphen betreffen, geht den entsprechenden Lemmata eine übergreifende Besprechung voraus. _____________ 1

Das schwierige Gedicht Sat. 5 wird aus organisatorischen (nicht sachlichen) Gründen separat abgehandelt.

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Kommentar

Lateinische Autoren sind in der Regel nach dem Index des TLL (1990), griechische nach dem Verzeichnis des Neuen Pauly (3. Band) abgekürzt. Die Stellen werden nach den Standardausgaben zitiert. Wo es sinnvoll erschien, wird der Herausgeber der zitierten Edition genannt. Verweise innerhalb des Kommentars werden mit „siehe oben/unten“ angegeben (z.B. siehe unten Sat. 1,3 papavere et sesamo). Auf Abschnitte in der allgemeinen Einleitung wird mit „siehe Einl.“ verwiesen, auf Abschnitte in den Essays der Szenen mit „siehe Ess.“.

In der Rhetorenschule (Sat. 1–4) Die Szene in der Rhetorenschule, die den Anfang des überlieferten Textes der Sat. bildet, besteht aus einem engagierten Meinungsaustausch zwischen Enkolp und dem Rhetoriklehrer Agamemnon, in dem beide den zunehmenden Verfall der Redekunst beklagen. Das Zustandekommen und die näheren Umstände des Gesprächs können nur unzureichend aus dem Kontext der vorhandenen Fragmente erschlossen werden (dazu Punkt 1). Der eigentliche Reiz des Gesprächs liegt nicht so sehr in seinem Inhalt – der sich fast ganz in Gemeinplätzen erschöpft – als vielmehr in der ironischen Diskrepanz zwischen den Sprechern und den von ihnen vorgebrachten Thesen (dazu Punkt 2) sowie deren mit Metaphern gespickten Redeweise (dazu Punkt 3). Mit ihrem Gespräch schließen die Protagonisten an die Rhetorikdebatte des 1. Jh. n. Chr. an (dazu Punkt 4), wiederholen aber lediglich die altbekannten Klagen über den Niedergang der Beredsamkeit (dazu Punkt 5).

1. Rekonstruktion und Setting Aufgrund eines Zufalls, eines Unfalls oder der aus heutiger Sicht nicht mehr begründbaren Auswahl eines Exzerptors ist der originale Anfang der Sat. verloren gegangen. Der überlieferte Text setzt mitten in einem sich dem Ende zuneigenden und ursprünglich wohl um einiges umfangreicheren Dialog zwischen dem Ich-Erzähler Enkolp und dem Rhetoriklehrer Agamemnon ein. Dass Enkolp es ist, der spricht, erfahren wir aus Sat. 3,1 non est passus Agamemnon me diutius declamare. Er ist in Begleitung Askylts, der sich im Laufe des Dialogs jedoch davonstiehlt (Sat. 6,1 non notavi mihi Ascylti fugam). Der Dialog gleicht Eumolps Debatte vor dem Bellum civile (Sat. 118) und vor der Troiae halosis (Sat. 88) sowohl von der Personenkonstellation (Enkolp mit jeweils einem älteren Mann, der Verse zu schmieden beginnt) als auch von der Thematik her. Wie Enkolp und Agamemnon miteinander ins Gespräch gekommen sind, bleibt offen. Aus Sat. 6,1 nescio cuius, qui Agamemnonis suasoriam exceperat geht allerdings hervor, dass Agamemnon zuvor eine suasoria hielt. Möglich ist, wie COLLIGNON 1892, 64 meint, dass der Dialog mit einer Beschwerde Agamemnons über den Zustand der Beredsamkeit begann. COSCI 1978, 202 hingegen rekonstruiert folgendes Szenario: Draußen, vor der Tür des Vortragssaals, lauschen Enkolp und Askylt einer Rede Agamemnons. Dabei wettern sie

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gleichzeitig lautstark über die herrschenden Moden in der Rhetorik. Agamemnon tritt hinaus in die Säulenhalle, um Enkolp zu antworten. Währenddessen werden in der Aula die Übungen mit einer declamatio extemporalis fortgesetzt. Denkbar ist aber auch, dass sich der Dialog im Säulengang erst nach der Lehrstunde entwickelt und/oder Enkolp zuerst aufgefordert wird, seine Meinung darzulegen, wie z.B. SULLIVAN 1968, 161 vermutet. Zu den verschiedenen Rekonstruktionsversuchen siehe v.a. CIAFFI 1955, v.a. 22–44; COSCI 1978; KENNEDY 1978. Das Motiv von Enkolps und Asyklts Schulbesuch wird zwar nicht explizit genannt, kann aber aus einer späteren Szene erschlossen werden: Sie wollen eine Einladung zu einem Essen erschleichen. Diese Vermutung bestätigt sich in Sat. 10,2, wo Askylt Enkolp im Streit vorwirft: ut foris cenares poetam laudasti. Mit poeta muss Agamemnon gemeint sein, den Asyklt aufgrund von dessen lyrischem Erguss in Sat. 5 abschätzig so nennt (siehe unten Sat. 10,2). Tatsächlich scheint Enkolps Unterfangen zu gelingen (Sat. 10,6 quia tamquam scholastici ad cenam promisimus). Die Szene in der Rhetorenschule spielt an einem Morgen. Das ist der übliche Zeitpunkt für Schullektionen und erklärt Enkolps spätere Frage nach dem prandium (Sat. 9,2 cum quaererem numquid nobis in prandium frater parasset; vgl. Askylt in 10,1 cum fame morerer). Mit großer Wahrscheinlichkeit handelt es sich um einen Publikumstag, an dem der Rhetor Darbietungen für seine Schüler gab, zu denen Fachkollegen und Leute wie Enkolp und Askylt, die keine eingeschriebenen Studenten waren, zugelassen waren (Sen. contr. 3 praef. 16; 4 praef. 2. 7; 7 praef. 1; siehe dazu PARKS 1945, 63; KENNEDY 1978). Dazu passt auch, dass Agamemnon nach seiner suasoria von einem anderen Redner abgelöst wird (Sat. 6,1 ab extemporali declamatione nescio cuius). Um wessen Rhetorenschule es sich handelt, kann nicht gesagt werden. KENNEDY 1978 meint, es sei die eines Kollegen Agamemnons, an der dieser lediglich als Gastredner auftrete. Doch wieso sollte es nicht Agamemnons eigene Schule sein (so z.B. WALSH 157 Anm. 3; vgl. Sat. 48)? Das Argument, dass es sich für den Schulleiter nicht ziemte, den Saal zu verlassen, während weiter darin deklamiert wurde, ist nicht aussagekräftig, da ein Ein-undAusgehen an der Schule nicht unüblich war (vgl. Sen. contr. 3 praef. 10 und Plin. epist. 1,13,2).

2. Enkolps und Agamemnons Haltung Die Debatte Enkolps und Agamemnons über die Rhetorik darf nicht zu ernst genommen werden, und die vertretenen Ansichten können nicht als persönliche Meinungsäußerung des Autors Petron verstanden werden (wie z.B. die

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Schriften Ciceros, Senecas und Quintilians). Das Gespräch zwischen Enkolp und Agamemnon hat dramatische Funktion (SULLIVAN 1968, 160; KENNEDY 1978, 178) und ist eher mit Tacitus’ Dialogus zu vergleichen. Bei Petron kommt aber noch hinzu, dass es zwei fragwürdige Charaktere sind, die hier den Niedergang der Redekunst beklagen. Die Ernsthaftigkeit des moralischkritischen Ansatzes wird durch die eingeschränkte Glaubwürdigkeit Agamemnons und Enkolps in Frage gestellt – die Szene ist humoristischer Natur. Die Figur des scholasticus, wie von Agamemnon und zeitweise auch von Enkolp und Askylt vertreten, ist ein Typus des Mimus (zu einem Deklamator namens Agamemnon bei Varro siehe unten Sat. 3,1 Agamemnon; zudem WINKLER 1985, 160–5; WALSH 1970, 40f.), der auch in der Satire gerne verspottet wird (vgl. z.B. Mart. 9,68; 10,62 und Philogelos’ zahlreiche scholasticiWitze). Enkolp als „walking parody of the scholasticus“ (WALSH 156) „übernimmt eine Rolle, die seiner wirklichen Person und tatsächlichen Situation widerspricht. In Wahrheit ist er genau so ‘unauthentisch’ und klischeehaft, wie er selbst die vom zeitgenössischen Rhetorikunterricht erzogene Jugend beschreibt“ (BAIER 2007, 144). Er schimpft über die iuvenes und ist selbst einer von ihnen. Seine Klage, dass der gängige Schulstoff nichts Brauchbares enthalte (Sat. 1,3), ist geheuchelt, verschaffen ihm die eigenen rhetorischen Fähigkeiten doch Zugang zum elitären Kreis um Agamemnon und in diesem Fall auch die erhoffte Einladung zu einem Gastmahl. So gesehen ist doch von einigem Nutzen, was er gelernt hat! Wie schon CONTE 2007, 12 sagt: „Encolpio ha assorbito [tanto] a fondo la ormai ripetitiva cultura scolastica [...]: il giovane protagonista rappresenta la quintessenza della formazione intellettuale scolastica e declamatoria, e in questo senso egli è scholasticus quant’altri mai.“ Während Enkolp den interessierten, engagierten Kenner mimt, hat er eigentlich nur ein kostenloses Essen im Sinn, wie man später erfährt (siehe unten Sat. 10,2). Er schmeichelt Agamemnon und scheint eine konservative Einstellung für geeignet zu halten, um diesen für sich zu gewinnen: Seine Beispiele sind ausschließlich griechische Autoren (Sophokles, Euripides, Pindar und die anderen Lyriker, Homer, Platon, Demosthenes, Thukydides, Hyperides). Seiner Meinung nach ist nach den Klassikern des 8.–5. Jh. nichts Großartiges mehr produziert worden. Später in Sat. 68,5 gibt er sich hingegen als Bewunderer Vergils zu erkennen. Hinzu kommt, dass er mit seiner asianischen Polemik einen Topos aufgreift, der in neronischer Zeit längst kein Thema mehr war (SINCLAIR 1984, 232f.; VON WILAMOWITZ-MOELLENDORFF 1900; HIDBER 1996, 43; Quint. inst. 12,10,16). Mit KENNEDY 1978, 177 ist festzustellen, dass sein Statement nichts mehr als eine Pose ist. Er scheint sich sein Wissen aus Büchern angeeignet bzw. einer griechischen Quelle entnommen zu haben. So finden sich Aufzählungen von Autoren, wie Enkolp sie bietet, in der Literatur zuhauf (vgl. z.B. Dion. Hal. orat. vet. praef. 1; Vell. 1,16–8; De subl.). Agamemnons Position ist allerdings ebenso scheinheilig, gibt er doch freimütig zu, dass er seine Ideale dem Geld unterwirft und die Schüler mit

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billigem Köder anlockt. Im späteren Verlauf der Sat. wird klar: Agamemnon ist ein cliens am Tische Trimalchios und ein Meister im Ergattern von Einladungen (Sat. 52,7). Er lobt Trimalchio und schmeichelt ihm (48,5). Letztlich entpuppt er sich wie Enkolp und Askylt als gieriger parasitus comicus, wie er in der römischen Komödie häufig anzutreffen ist (siehe PANAYOTAKIS 1995, 7).

3. Sprechen in Metaphern Enkolps und Agamemnons „feierlich-steife Deklamationen“ (BLÄNSDORF 2007, 121) sind in einem apodiktischen Stil gehalten (zu Agamemnons Gedicht siehe unten Sat. 5). In formaler Hinsicht auffällig ist die Fülle von Nebensätzen (z.B. Sat. 1,3 et ideo ..., quia ... aut ... aut ..., sed ..., sed ... ut ..., sed ... sed ... et ...), Anaphern und Wiederholungen von Partikeln (z.B. 1,3 viermal sed; 2,3 zweimal nondum ... cum; 4,3 viermal ut), Antithesen, Chiasmen (z.B. 2,1), Abundanzen (z.B. 1,3 omnia dicta factaque quasi papavere et sesamo sparsa; 2,2 enervaretur et caderet; 2,6 grandis et ... pudica oratio non est maculosa nec turgida). Zudem zeichnen sich die beiden Reden durch einen auffallend reichen Gebrauch von Metaphern und Vergleichen aus. Diese gehören v.a. folgenden Bereichen an: 1. Kulinarische Metaphern: Deklamationen führen zu einem schlechten Geschmack (Sat. 2,1 qui inter haec nutriuntur non magis sapere possunt quam bene olere qui in culina habitant), die zeitgenössische Redekunst ist „honigsüßes Wortkonfekt und lauter Worte und Taten, die mit Mohn und Sesam bestreut sind“ (1,3 mellitos verborum globulos et omnia dicta factaque quasi papavere et sesamo sparsa). Die Dekadenz der literarischen Gattungen führt Enkolp auf eine „falsche Ernährung“ zurück (2,8 omnia quasi eodem cibo pasta). Agamemnon vergleicht den Rhetoriklehrer mit einem Fischer (3,3f.) und stellt die Redekunst als Speise dar, die den Geschmack der Schüler treffen müsse. Griechen und Römer konnten den ganzen Prozess vom Schreiben bis zum Konsumieren eines literarischen Textes in Essbegriffe fassen. Die antike Literaturkritik bediente sich traditionellerweise kulinarischer Metaphern. Schon im platonischen Gorgias wird die Rhetorik mit der Kochkunst verglichen und wie diese als Kunst des Betrugs dargestellt (Gorg. 465D). In Sat. 39,13 werden die obsonatores („Einkäufer für die Küche“) und die rhetores demselben Sternzeichen (Fische) zugeordnet. Zur Dokumentation des Topos CURTIUS 1954, 144– 6; BRAMBLE 1974, 45–59; GOWERS 1993, 1–49, bes. 40–6.; LEMOINE 1991, 359–66 zum Metaphernfeld in didaktischen Schriften. 2. Wassermetaphern: Die „Bewässerung“ des Geistes durch die schönen Künste wird mehrmals in ähnlicher Terminologie empfohlen: Sat. 4,3 ut studi-

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osi iuvenes lectione severa irrigarentur; 5 V.12 Maeoniumque bibat felici pectore fontem; V.21f. sic flumine largo / plenus Pierio defundes pectore verba. Die Rede als Wasser ist seit Homer topisch (Il. 1,249 ) und tritt oft in literaturkritischem Kontext auf (Kall. h. 2,105–12; Pers. prol., vgl. unten Sat. 5). Zum metaphorischen Komplex des „Einnehmens“ hat RIMELL 2002, z.B. 26–8 Originelles beigetragen. 3. Körpermetaphern: Die Rede als Körper ist ein weiteres topisches Metaphernfeld, Sat. 2,2 corpus orationis enervaretur et caderet; 2,6; vgl. Plat. Phaedr. 264c; Tac. dial. 21,8 oratio autem, sicut corpus hominis, ea demum pulchra est, in qua non eminent venae nec ossa numerantur, sed temperatus ac bonus sanguis implet membra et exsurgit toris ipsosque nervos rubor tegit et decor commendat; 39,2 debilitatur ac frangitur eloquentia; De subl. 3,4 μ ; Quint. inst. 2,3,9. Siehe FANTHAM 1972, v.a. 164f.; BRAMBLE 1974, 35–8. 4. Pathologische Metaphern: Das Verhalten der Deklamatoren ist Enkolp zufolge pathologisch (Sat. 1,1 genere furiarum; inquietantur; 3,2 furere). Den prekären Zustand der Rhetorik beschreibt er mit medizinischem Vokabular. Die oratio leide – einem menschlichen Körper gleich – an einer Geschwulst (Sat. 1,2 rerum tumore), sei entkräftet (2,3 corpus orationis enervaretur et caderet), mit Flecken übersät und geschwollen (2,6 maculosa; turgida), aufgebläht (2,7 ventosa) und wie von der Pest befallen (2,7 veluti pestilenti quodam sidere afflavit). Ebenso kränkele die Dichtung, die ihre gesunde Farbe verloren habe (2,8 ne ... quidem sani coloris enituit). 5. Sexuelle Metaphern: Gerade in neronischer Zeit wird für die Literaturkritik gerne sexuelles Vokabular benutzt, vgl. Pers. 1,18–21 hic neque more probo videas nec voce serena / ingentes trepidare Titos, cum carmina lumbum / intrant et tremulo scalpuntur ubi intima versu; 103–6 haec fierent, si testiculi vena ulla paterni / viveret in nobis? summa delumbe saliva / hoc natat in labris, et in udo est Maenas et Attis, / nec pluteum caedit nec demorsos sapit ungues. So gehören auch bei Petron einige Metaphern der sexuellen Sphäre an (siehe dazu FEDELI 2007, 90f.): Impotenz (Sat. 2,2 levibus enim atque inanibus sonis ludibria quaedam excitando effecistis ut corpus orationis enervaretur et caderet); Potenz (2,6 grandis et ut ita dicam pudica oratio non est maculosa nec turgida, sed naturali pulchritudine exsurgit; 4,3 illa grandis oratio haberet maiestatis suae pondus); Antiaphrodisiakum (1,3 papavere). Dazu passt, so auch FEDELI, dass Agamemnon in Sat. 3,2 ein Zitat aus Cic. Cael. 41 anführt, eine Stelle, an der es um das sexuelle Verhalten von Jugendlichen geht (siehe unten Sat. 3,2). 6. Todesmetaphorik: Der Schilderung Enkolps entsprechend ist die gute alte Beredsamkeit gestorben (Sat. 2,2 enervaretur et caderet; 2,7 stetit et obmutuit) und die der neueren Zeit ist so schwach, dass sie nicht alt werden kann

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(2,8 non ... usque ad senectutem canescere; 2,9 non alium exitum fecit). Vgl. Dion. Hal. orat. vet. praef. 1f.: Die alte philosophische Redekunst sei in Auflösung begriffen gewesen ( ), hatte begonnen, ihren Geist auszuhauchen und zu verkümmern ( μ ... μ ) und wäre beinahe verschwunden (μ ). Weitere Literatur: CAMPANILE 1957, 59; WALSH 1970, 84f.; SOVERINI 1985, 1731; FEDELI 2007, 87. Eine Zusammenstellung von Tropen und Figuren in den Sat. gibt STRILCIW 1927, der Textstrukturen BLÄNSDORF 2007, der Metaphern FEDELI.

4. Rhetorikdebatte (1. Jh. n. Chr.) Mit dem Übergang von der Republik zum Prinzipat und dem damit einhergehenden Verlust der republikanischen Freiheit veränderte sich auch die Rhetorik. Während die Gerichtsrhetorik weiterhin wichtig blieb, wurde die politische Beredsamkeit zurückgedrängt. Dafür gewann die Deklamation größere Bedeutung. Die spätere Republik hatte bereits Deklamationen in verschiedenem Rahmen gekannt. Zum einen war das Praktizieren der declamatio (Übungsrede) ein wichtiger Bestandteil der Schulausbildung, zum anderen existierte die private Deklamation zu Hause (Cic. Brut. 309f.; Sen. contr. 1 praef. 11f.). Neben diesen zwei Formen entwickelte sich im Prinzipat eine dritte, öffentliche Deklamation, die von Lehrern, Schülern oder erwachsenen Gästen an Rhetorikschulen gehalten wurde. Nicht nur der öffentliche Charakter der Deklamationen war neu, sondern auch ihre Themen, die sich aus fiktiven und wirklichkeitsfremden Stoffen speisten (siehe z.B. CLARKE 1996, 85–99; KENNEDY 1972, 312–22). Die Realitätsferne war mit ein Grund dafür, dass man sich im 1. Jh. n. Chr. über den Niedergang der Rhetorik beklagte. Man unterschied zwei Arten der Deklamation, die controversia und die suasoria. Die controversiae waren Streitreden zu fiktiven Rechtsfällen, wobei der Student eine Rede für eine der beiden Parteien zu verfassen hatte. Bei den suasoriae handelte es sich um Empfehlungs- bzw. Beratungsreden zu konkreten Sachfragen. Aufgabe des Studenten war es hier, entweder einer historischen oder mythischen Person, die schwere Entscheidungen treffen musste, oder in einer frei erfundenen Situation Ratschläge zu erteilen. Als Quellen stehen uns auf der lateinischen Seite 19 vollständig erhaltene Deklamationen (decl. mai.) und 145 Exzerpte (decl. min.), die Quintilian zugesprochen werden, zur Verfügung, eine weitere Exzerptsammlung von Calpurnius Flaccus sowie das fragmentarische Werk von Seneca Rhetor (contr.). Zu den griechischen Quellen zählen Autoren wie Aristides, Libanius, Eunapius, Lukian u.a. (siehe dazu v.a. RUSSELL 1983).

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Die Äußerungen von Enkolp und Agamemnon zur Rhetorik betten sich in die Diskussion des 1. Jh. n. Chr. über den Niedergang der Beredsamkeit ein. Sie stimmen in vielerlei Hinsicht mit Gedankengängen von Seneca Rhet. überein (v.a. in den praefationes der contr.) und nehmen den taciteischen Dialogus sowie Quintilians Institutiones vorweg (und wohl auch dessen verlorene Schrift „Über die Gründe des Verfalls der Beredsamkeit“). Alle drei Autoren konstatieren eine Dekadenz der Eloquenz. Die Gründe jedoch werden von allen anders gesehen und unterschiedlich bewertet.

5. Gründe für den Niedergang der Beredsamkeit Agamemnon und Enkolp greifen in ihren Klagen über den Verfall der Beredsamkeit auf klassische Argumente zurück, wie sie auch von Seneca Rhet., Quintilian und Tacitus vorgebracht werden: 1. Sen. contr.: Die Gründe für die Dekadenz seien gesellschaftlichmoralischer Art (contr. 1 praef. 7 luxu temporum; vgl. Sat. 5). Außerdem unterliege es einer Art Naturgesetz, dass jedes Genus nach einer Phase der Perfektion eine Dekadenz erfahre (contr. 1 praef. 7). Seneca übt keine Kritik an den Inhalten der Deklamationen. Die Eloquenz bleibt auf jeden Fall eine res (oder disciplina) pulcherrima und die Deklamation der beste Weg, sich diese Fertigkeit anzueignen (contr. 1 praef. 7; 2 praef. 4). Dennoch sieht er klar den Unterschied zwischen Schule und Forum (contr. 3 praef. 13, vgl. Sat. 1). 2. Quint. inst.: Auch Quintilian stellt Sinn und Wichtigkeit der Deklamationen nicht in Frage (inst. 2,10,1 [scil. ratio declamandi] multo est utilissima), bemerkt jedoch, dass die schulischen Übungen an Qualität eingebüßt hätten – schuld daran seien die Lehrer (inst. 2,10,3; 12,11,14; vgl. Sat. 2), aber auch die Eltern (inst. 1,2,6–8; 10,5,21; vgl. Sat. 3f.) oder menschliche Laster (inst. 12,11,18f.). Da nur noch zum Vergnügen deklamiert werde, fehle es den Reden an Kraft (inst. 5,12,17 declamationes ... nervis carent; vgl. Sat. 2,2) und an Realitätsbezug (inst. 8,3,23; 2,10,4–15; vgl. Sat. 1,3). Quintilian betont die Notwendigkeit einer Annäherung der Schule ans Forum, ist sich aber ebenso bewusst, dass die Differenz es im Idealfall ermöglicht, in der Schule phantastische Themen zu behandeln, von denen man sich, einmal gestärkt, später wieder befreien kann (inst. 2,10,6). 3. Tac. dial.: Die drei Figuren Messalla, Maternus und Aper behandeln das Thema auf je unterschiedliche Weise. Messalla kritisiert die Trägheit der Jugend, Gleichgültigkeit der Eltern, Unwissenheit der Lehrer, das Schwinden des mos antiquus, die falsche Erziehung durch Eltern und Rhetoren (dial. 28f.). Maternus hingegen macht die politischen Verhältnisse für die Dekadenz verantwortlich (dial. 36–42), und Aper sieht den Grund im natürlichen Wandel der Zeit (dial. 19f.). Tac. dial. (v.a. 30–5) überschneidet sich in vielen Punkten

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In der Rhetorenschule (Sat. 1–4)

mit Sat. 1–5. Bis jetzt ist nicht geklärt, ob Petron für Tacitus eine Quelle war (PARATORE II 2–5 mit einer Liste von Vergleichen) oder ob beide auf dieselbe Quelle zurückgriffen (COLLIGNON 1892, 98). Weitere zeitgenössische Stimmen zum Thema des Niedergangs: Sat. 88 (zur Malerei) und 118 (zur Dichtung); Plin. nat. 14,2–6; Sen. epist. 100; 106,12; 108; 114; Plin. epist. 2,14; 8,14; Pers. 1; 3,44–7; Juv. 7; De subl. 44; Vell. 1,16–8. Mögliche Bezüge zu Philon von Alexandria (De plantatione 156–59) bei BARNES 1973, v.a. 788–92 (Liste mit direktem Vergleich zu Petron); NOCK 1932, 173. Lit. zu 1–5: SULLIVAN 1968, v.a. 53–6. 158–65; COSCI 1978; KISSEL 1978; SALLES 2002; CIZEK 1975 und 1975a; ALFONSI 1948; SAGE 1915; SOVERINI 1985; FEDELI 2007; COTROZZI 2008, 29–41. Lit. zum Deklamationswesen der Kaiserzeit: HEATH 2004, v.a. 299–308; BONNER 1949; RUSSELL 1983. Lit. zur römischen Eloquenz-/Kulturkritik: BONNER 1949, 71–83; LEEMAN 1963, 287–310; CLARKE 1996, 85–108; CAPLAN 1970, 160–95; HÄUSSLER 1975; WILLIAMS 1978, 6–51; KENNEDY 1972, 447–64; HELDMANN 1982, 60– 97. 199–254; KENNEDY 1994, 186–200; VAN MAL-MAEDER 2001, 59–62. 67; CLARK 1957; RUSSELL 1981, v.a. 34–68. Eine Zusammenstellung der wichtigsten Texte zur antiken Literaturkritik bieten RUSSELL–WINTERBOTTOM 1972.

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Kapitel 1 Enkolp hält eine Rede über den Niedergang der Rhetorik und bezeichnet die Deklamationen als inadäquaten Schulstoff. § 1,1 ‘num alio genere furiarum declamatores inquietantur, qui clamant: „haec vulnera pro libertate publica excepi, hunc oculum pro vobis impendi; date mihi ducem qui me ducat ad liberos meos, nam succisi poplites membra non sustinent“?: „Werden die Deklamatoren etwa nicht von denselben Furien getrieben, wenn sie schreien: ‘Diese Wunden habe ich mir im Kampf für die Freiheit des Vaterlandes zugezogen, dieses Auge habe ich für euch geopfert; gebt mir einen Führer, der mich zu meinen Kindern geleite, denn meine durchschnittenen Kniekehlen tragen den Körper nicht mehr’? Den Anfang der fragmentarisch überlieferten Sat. bildet ein nicht vollständig erhaltenes Gespräch zwischen Enkolp und dem Rhetoriklehrer Agamemnon. Enkolp ereifert sich über die realitätsferne Phrasendrescherei der Deklamatoren, die er mit einem fiktiven Klageruf imitiert. Enkolps Namen erfahren wir erst in Sat. 20,7. Der Name, der in der Regel erotisch gedeutet wird ( : „der an der Brust Liegende, der Liebling“), scheint von Petron erfunden zu sein; die weiteren Belege sind alle nachpetronianisch und wohl von Petron inspiriert (darunter Plin. epist. 8,1,2; Mart. 1,31,2; 5,48,2; siehe SOLIN 2003a, 193–6; PRIULI 1975, 47–50; KARDAUN 1993, 179–81). num: Lesart von Bdmtp, rhetorische Frage, die eine negative Antwort verlangt, d.h., die Deklamatoren sind von demselben Wahn beherrscht wie die zuvor (in einem nicht überlieferten Textstück) Genannten. Andere Lesarten wie cum (RPl; PELLEGRINO1–2: entstanden wegen der Nähe zum Abl. alio genere; BÜCHELER1 in App.: aus SATYRI-CUM) oder tum (r, HEINSIUS) sind abzulehnen. Durch cum würde der Satz zu einem Nebensatz degradiert, dem ein übergeordneter Satz fehlt. Solche syntaktischen unvollständigen Sätze kommen in den Sat. nirgendwo vor. Zudem bliebe alio genere mit cum (oder tum) inhaltlich im Positiven, was keinen guten Sinn ergäbe. So würde lediglich zwischen verschiedenen Typen von Besessenheit unterschieden. Dass num ab der Zeit Caesars und auch bei Petron oft durch numquid ersetzt wurde (siehe unten Sat. 7,1), spricht keinesfalls gegen die Lesart, sondern verleiht dem pathetisch-rhetorischen Stil der Rede eine literarische Konnotation (so auch COSCI 1978, 204 Anm. 10; ARAGOSTI 1989, 156). alio genere furiarum: Worauf sich Enkolps rhetorische Frage, insbesondere alio genere furiarum, bezieht, ist unklar. furiae kann entweder personifiziert für „Rachegöttinnen“ oder metonymisch für furor (TLL 6.1.1616.47ff.) aufgefasst werden.

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Kap. 1

Für die erste Lesart bietet sich der Rekonstruktionsversuch von COSCI 1978, 204 an. Sie geht davon aus, dass die Furien der declamatores mit jenen Orests verglichen werden – Orest als topisches Beispiel (vgl. z.B. Cic. Pis. 47 ego te non vaecordem, non furiosum, non mente captum, non tragico illo Oreste aut Athamante dementiorem putem?; Hor. sat. 2,3,135 [scil. Orestem] malis dementem actum Furiis): „Avete presente la follia di Oreste perseguitato dalle Furie? È forse diverso il genere di Furie che tormenta i declamatori?“ Nach BARCHIESI in COSCI 1978, 204 mit Anm. 11 könnte Enkolp sogar aus einer Tragödie zitiert haben (z.B. Sen. Med. 958ff.). Alternativ wäre denkbar, dass Enkolp vom furor der Dichter gesprochen hat (vgl. Sat. 118,6 furentis animi vaticinatio; Hor. epist. 2,2,90 qui minus argutos vexat furor iste poetas?). Das Verb furere wird sowohl für Dichter wie auch für allzu eifrige Redner verwendet, im ersten Sinn häufig positiv ( μ ), im zweiten negativ (μ ) konnotiert. Der furor der Redner ist ein geläufiger Topos in den rhetorischen Traktaten, vgl. Cic. Brut. 233 ita furebat tamen, ut mirarere tam alias res agere populum, ut esset insano inter disertos locus; 276 quod eos quorum altior oratio actioque esset ardentior furere atque bacchari arbitraretur; orat. 99 furere apud sanos; Sen. contr. 2,1,25 Gallus Vibius fuit tam magnae olim eloquentiae quam postea insaniae; ... dum insanos imitatur, dum lenocinium ingeni furorem putat, quod [quodis] simulabat ad verum redegit; 9,2,27 sed ne hoc genus furoris protegere videar. Auch in den Sat. wirken Dichter häufig verrückt (dazu JENSSON 2004, 54–9). Siehe zum Komplex furor, furere, Furia PASCHALL 1939, 42–5. declamatores ... qui clamant: Bei der Wortwiederholung declamatores – clamant handelt es sich nicht um ein interpoliertes Substantiv (wie MARZULLO 1996, 285; GIARDINA 1995–6, 267 und 1973–4, 210 u.a. meinen), sondern vielmehr um eine raffinierte figura etymologica. Durch die Kombination mit clamare übernimmt declamator („Schulredner“) ironischerweise seinen ursp. untechnischen Wortsinn (declamare = „laute, emphatische Reden halten“): Gewisse declamatores sind nichts anderes als clamatores! Vgl. Schol. Cic. div. 119St. non declamatores, sed clamatores Tullius vocat. Siehe zur technischen Bedeutung von declamare/declamator seit Cicero BONNER 1949, 28–31. inquietantur: Denominativum von inquietus, nachaugusteisch belegt (MARBACH 1931, 76). Häufiger – gerade auch im Zusammenhang mit furiae – ist agitare, vgl. z.B. Cic. S. Rosc. 66 eos agitent Furiae neque consistere umquam patiantur; Verg. Aen. 3,331 scelerum furiis agitatus Orestes. ‘haec vulnera ... non sustinent’?: Die Klagen kann man sich als Teil einer controversia vorstellen, wie sie v.a. bei Seneca Rhet. zu finden sind. Der Deklamator versetzt sich hier in die Rolle des vir fortis, der seinen Heldenmut mit seinem Körper bezahlt hat.

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Die zwei Sätze sind komplex gebaut: Der erste Satz beinhaltet zwei äquivalente Glieder (Anapher des Demonstrativpronomens haec ... hunc; Parallele pro libertate / pro vobis; inhaltliche Klimax von allgemeiner Verwundung bis zum geopferten Auge). Der zweite Satz besteht aus drei wachsenden Gliedern mit d-Alliterationen, figura etymologica, quantitativer Klimax. haec vulnera pro libertate publica excepi: Das Zurschaustellen von Wunden ist ein locus classicus (nicht nur) der Deklamation, vgl. z.B. die Vers-Suasorie in Ov. met. 13,262–5 ‘sunt et mihi vulnera, cives, / ipso pulchra loco: nec vanis credite verbis. / aspicite en!’ vestemque manu diduxit et ‘haec sunt / pectora semper’ ait ‘vestris exercita rebus’; Liv. 2,23,4; Cic. de orat. 2,124; Quint. inst. 6,1,30–55 (wo auch auf die Gefahr hingewiesen wird, sich der Lächerlichkeit preiszugeben); Sen. contr. 10,4,10 ‘tu’, inquit, ‘qui oculos non habes, per oculos rogato. tu’, inquit, ‘qui manus perdidisti, per manus rogato. tu per illa membra, quae trahis debilia. per ea quisque, quae non habet, ambiat.’ Siehe dazu LEIGH 1995. hunc oculum pro vobis impendi: oculum impendere ist nur bei Petron belegt (siehe TLL 7.1.546.48ff.). impendere in der Bedeutung „opfern, darangeben“ (wie excipere pro oben) findet sich öfters in Verbindung mit vita (z.B. Lucan. 2,382 patriaeque impendere vitam), anima (z.B. Sen. Med. 663 impendens animam marito), sanguis (z.B. Ov. met. 13,266f. nil impendit ... / sanguinis in socios) oder caput (z.B. Val. Max. 9,15 ext. 2 caput imperio dementer imminens iusto impendere supplicio coegit). Zugunsten des Parallelismus mit pro libertate publica steht impendere hier mit pro statt mit Dativ, noch belegt bei Sen. epist. 42,7 u.a.; TLL 7.1.548.45ff. date mihi ducem qui me ducat ad liberos meos: MÜLLER; GIARDINA– MELLONI (auch GIARDINA 1973–4, 210) u.a. streichen ducem (nach JACOBS), das nicht zum pointierten rhetorischen Stil der sonst knappen, einprägsamen Sentenzen passt. Man kann es sich leicht als Ergänzung durch einen Schreiber vorstellen. Doch Enkolp geht es hier nicht um die Wiedergabe idealer Sentenzen; viel eher parodiert und prangert er den weitschweifigen, umständlichen Stil der Deklamatoren an (ducem als Bestandteil der figura etymologica und Alliteration bzw. Paranomasie date – ducem – ducat), den er ihnen auch im Folgenden (z.B. Sat. 2,7) vorwirft (so auch COCCIA 1973, 17; DELL’ERA 1970, 97f.; SOVERINI 1974, 269f.). liberos meos: Die Erwähnung der Kinder hat pathossteigernde Funktion. Kinder spielten in den in Deklamationen vorgeführten Prozessen häufig eine Rolle, z.B. indem sie den Eltern Unterhalt gewähren müssen (z.B. Sen. contr. 1,1), von ihnen verstoßen oder aufgenommen werden (z.B. Sen. contr. 8,5 abdicavit quidam filium; ille tacuit. fortiter fecit, petit praemio ad patrem

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reditum; pater contradixit. postea pater fortiter fecit, petit ad se filii reditum; filius contradicit). nam succisi poplites membra non sustinent: Durchtrennte Kniekehlen sind eine unrühmliche Art der Verletzung, mit der man meist keine Lorbeeren gewinnen kann (vgl. Sen. epist. 66,50). Nicht der glorreiche Soldat, sondern der feige Flüchtling oder Gefangene in Feindeshand wird auf diese Art getroffen (z.B. Verg. Aen. 10,699f.; Ov. met. 8,364; Liv. 22,48,4). Enkolp baut in seine Beispiele für deklamatorische Sentenzen um der Komik willen also einen absichtlichen Lapsus ein. § 1,2 haec ipsa tolerabilia essent, si ad eloquentiam ituris viam facerent. nunc et rerum tumore et sententiarum vanissimo strepitu hoc tantum proficiunt, ut cum in forum venerint, putent se in alium orbem terrarum delatos: Dies wäre noch erträglich, wenn es denjenigen, die zur Beredsamkeit gelangen wollen, den Weg ebnen würde. In Wahrheit aber kommen sie mit dem Schwulst ihrer Themen und dem leeren Wortgeklingel nur so weit, dass sie sich, wenn sie das Forum betreten, auf einen anderen Planeten versetzt fühlen. Rhetorisch elaboriert trägt Enkolp seine Polemik vor. Auffallend in Sat. 1,2f. ist der Chiasmus A-B-B-a, wobei A zwei et-Anaphern und a vier sedAnaphern enthalten: A1 A2 B B a1 a2

1,2 rerum tumore (Inhalt) 1,2 sententiarum vanissimo strepitu (Form) 1,2 hoc tantum proficiunt, ut cum in forum venerint, putent se in alium orbem terrarum delatos 1,3 et ideo ego adulescentulos existimo in scholis stultissimos fieri, quia nihil ex his quae in usu habemus aut audiunt aut vident 1,3 Piraten, Tyrannen, Orakel (Inhalt) 1,3 Gewürzküche (Form)

haec ipsa tolerabilia essent, si: Vgl. eine ähnliche Satzstruktur in Sat. 69,7 et haec quidem tolerabilia erant, si non fer[i]culum longe monstrosius effecisset ut vel fame perire mallemus. ad eloquentiam ituris viam facerent: Die Apokoinu-Stellung von ituris ergibt sich aus dem metaphorischen ire ad + Akk. (TLL 5.2.642.51ff. und 647.15ff.; vgl. Sat. 118,5 viam qua iretur ad carmen) und viam facere ad + Akk. (TLL 6.1.87.78ff.). CIAFFI, EHLERS („Jüngern der Eloquenz“) ziehen das Satzglied eher zu ituris, während es ERNOUT, ARAGOSTI mit viam facerent verbinden. Das Bild des Weges, der zur vollkommenen Beredsamkeit führt, ist häufig, z.B. Quint. inst. 12,11,11 ut ipsum iter neque impervium neque saltem durum putent (siehe ASSFAHL 1932, 69 mit weiteren Stellen). Der Ausdruck

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ituris (scil. adulescentulis) scheint Petron eigen zu sein (COLLIGNON 1892, 76). Zum substantivierten Futurpartizip in einem Kasus obliquus vgl. Sat. 112,6 perituro locum. Siehe HSZ 157 §91c; PETERSMANN 218. rerum tumore: „Schwulst“, der Begriff stammt aus der Medizin: „Schwellung, Geschwulst“ (OLD s.v. tumor 1b). Hier bezeichnet der Ausdruck nicht (wie üblicherweise im rhetorischen Kontext) einen stilistischen, sondern einen inhaltlichen Fehler. Das Bild des Anschwellens geht oft einher mit dem der Leere (siehe unten vanissimo und Sat. 2,2 inanibus sonis), vgl. Liv. 45,23,16; Tac. hist. 2,30 tumidum ac vanum; Quint. inst. 2,2,12; 2,10,7 tumor ille inanis. sententiarum vanissimo strepitu: Den Sentenzen (sententiae, griech. μ ) kam in der zeitgenössischen Rhetorik große Bedeutung zu; sie waren einer der wichtigsten Bestandteile einer Schulrede. Als griffige Formulierung oder geistreiche Pointe schmückten sie den rhetorischen Vortrag (z.B. Cic. orat. 79). Quintilian, der ihnen ein ganzes Kapitel widmet (inst. 8,5), empfiehlt den maßvollen Gebrauch (8,5,34). Seneca Rhet. berichtet von der Effekthascherei durch Sentenzen: qui declamationem parat, scribit non ut vincat sed ut placeat. omnia itaque lenocinia [ita] conquirit; argumentationes, quia molestae sunt et minimum habent floris, relinquit. sententiis, explicationibus audientis delinire contentus est. cupit enim se approbare, non causam (contr. 9 praef. 1). Zum Ausdruck (zusammen mit Sat. 2,2 levibus ... inanibus sonis) vgl. Suet. Aug. 86,3 an potius Asiaticorum oratorum inanis sententiis verborum volubilitas in nostrum sermonem transferenda?; Sen. epist. 40,5 multum praeterea habet inanitatis et vani, plus sonat quam valet. ... quid, quod ne voluptatem quidem ullam habet talis verborum sine dilectu ruentium strepitus?; Apul. apol. 25 cur vestra oratio rebus flaccet, strepitu viget?; Gell. 17,10,12 Vergilius autem, dum in strepitu sonituque verborum conquirendo laborat; vgl. zudem Sat. 10,1 sententias, id est vitrea fracta et somniorum interpretamenta. hoc tantum proficiunt: Subjekt des Satzes sind die iuvenes (wie in Sat. 2,3; 4,3 und 4,4). Der Ausdruck tantum proficere, ut ist hier ironischerweise mit einem unerfreulichen Sachverhalt verbunden, vgl. ansonsten z.B. Caes. civ. 3,75,5 qui tantum profecerunt ut equestri proelio commisso pellerent omnis; Cic. Att. 7,13,1 qui, ut aliud nihil, hoc tamen profecit, dedit illi dolorem. cum in forum venerint: Den schwierigen Gang von der Schule aufs Forum beschreibt Seneca Rhet. ähnlich: Sen. contr. 3 praef. 13 scholam quasi ludum esse, forum arenam ... agedum istos declamatores produc in senatum, in forum: cum loco mutabunt. velut adsueta clauso et delicatae umbrae corpora sub divo stare non possunt, non imbrem ferre, non solem sciunt; vix se inveniunt; 9 praef. 5 itaque, velut ex umbroso et obscuro prodeuntes loco cla-

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rae lucis fulgor obscaecat, sic istos e scholis in forum transeuntes omnia tanquam nova et inusitata perturbant. Auch Quint. inst. 1,2,19 deinde cum proferenda sunt studia, caligat in sole et omnia nova offendit. Zur Diskrepanz von schulischer Übung und Praxis auf dem Forum siehe unten Sat. 2,4 umbraticus doctor. venerint statt venerunt, Modusattraktion oder ein umgangssprachlicher Konj. beim cum iterativum, siehe dazu PETERSMANN 277; HSZ 624 §334. putent se in alium orbem terrarum delatos: Die Junktur ist sprichwörtlich, siehe dazu OTTO s.v. forum 2, z.B. Plut. symp. 4,4 p. 669D μ . Die Äußerung beschreibt die Erfahrung der Schüler. In Tat und Wahrheit lebten diese bis dahin auf einem anderen Planeten und landen nun auf dem Boden der Tatsachen. Ähnliches erlebt M. Porcius Latro in Quint. inst. 10,5,18 traditur, ut, cum ei summam in scholis opinionem optinenti causa in foro esset oranda, inpense petierit, uti subsellia in basilicam transferrentur. ita illi caelum novum fuit, ut omnis eius eloquentia contineri tecto ac parietibus videretur; vgl. Sen. contr. 9 praef. 3f. § 1,3 et ideo ego adulescentulos existimo in scholis stultissimos fieri, quia nihil ex his quae in usu habemus aut audiunt aut vident, sed piratas cum catenis in litore stantes, sed tyrannos edicta scribentes quibus imperent filiis ut patrum suorum capita praecidant, sed responsa in pestilentiam data ut virgines tres aut plures immolentur, sed mellitos verborum globulos et omnia dicta factaque quasi papavere et sesamo sparsa: Und deshalb meine ich, dass die jungen Leute in der Schule völlig verdummen, weil sie nichts von dem, was in der Praxis vorkommt, hören oder sehen, sondern von Piraten, die mit Ketten am Strand stehen, von Tyrannen, die Erlasse zu Papier bringen, in denen sie Söhnen befehlen, den eigenen Vätern den Kopf abzuschlagen, von Orakeln, die bei Pest dazu raten, drei oder mehr Jungfrauen zu opfern, honigsüßes Wortkonfekt und lauter Worte und Taten, die mit Mohn und Sesam bestreut sind. Dies ist mit 64 Wörtern der längste Satz in den erhaltenen Sat., was gut zur forcierten Rhetorik passt, die Enkolp an dieser Stelle verwendet, siehe DOWDEN 2007, 147. Bei Tacitus und Quintilian finden sich zwei vergleichbare Auflistungen solch typischer Deklamationsthemen: Tac. dial. 35,4f. quales (scil. controversiae), per fidem, et quam incredibiliter compositae! ... sic fit ut tyrannicidarum praemia aut vitiatarum electiones aut pestilentiae remedia aut incesta matrum aut quidquid in schola cotidie agitur, in foro vel raro vel numquam, ingentibus verbis persequantur; Quint. inst. 2,10,4f. magos et pestilentiam et responsa et saeviores tragicis novercas aliaque magis adhuc fabulosa. Während also bei Tacitus (es spricht Messalla) die Rhetorenschulen mit ihren unzweckmäßigen Übungen auf der ganzen Linie abgelehnt werden (vgl. auch Tac. dial. 31,1),

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billigt Quintilian die realitätsfernen Themen der Deklamationen bis zu einem gewissen Grad (vgl. auch inst. 10,5,14–8 und Ess. 1–4, 5). Eine Zusammenstellung von Deklamationsthemen gibt SOVERINI 1985, 1713f. Trimalchio und Agamemnon kommen in Sat. 48,4f. ebenfalls auf den Inhalt einer controversia zu sprechen: pauper et dives inimici erant. adulescentulos existimo in scholis stultissimos fieri: adulescentuli bezeichnet zumeist die älteren Schüler der Rhetorikschule, während die jüngeren pueri genannt werden (vgl. Sat. 4,4 pueri; 6,1 scholasticorum). Der Diminutiv ist im pädagogischen Kontext nicht ungewöhnlich, vgl. z.B. Cic. de orat. 2,117; Quint. inst. 8,5,8; Tac. dial. 35,1. Dennoch kann man ihn hier auch im Sinn von „arme Jungen“ („valore affettivo“, DELL’ERA 1970, 151, dagegen MARBACH 1931, 49 und RONCAIOLI 1961, 12f. „adulescentulus = adulescens“) und/oder mit ironisch-abwertender Nuance verstehen (so auch Sat. 3,2). quia nihil ex his quae in usu habemus: habere mit präpositionaler Wendung gehört der Umgangssprache an (HOFMANN 167 §153). aut audiunt aut vident: videre spielt auf die theatralische Gestik der Deklamatoren an. Zur zweigliedrigen Verbkonstruktion mit aut-aut vgl. Sen. contr. 9,4,7 aut faceret aut videret; Tac. dial. 29,1 aut dicat aut faciat; Cic. Manil. 29 aut vidimus aut audivimus. sed ... sed ... sed ... sed ...: Vierfache Anapher. Das zweite sed ist zwar nicht einhellig überliefert (lmt, wobei et in den an und für sich vertrauenswürdigeren Quellen tvdrpO überliefert wird, def. BAGNANI 1964, 229–31), stellt aber die weithin bevorzugte Lesart dar. piratas cum catenis in litore stantes: Piraten stellten seit Pompeius kein bedeutendes Problem mehr dar (siehe CARBONERO 1992) und sind für Enkolp deshalb ein umso besseres Beispiel. In Seneca Rhet. erscheinen sie häufig: contr. 1,2,8 piratas omnis crudelitate efferatos ... praeferentes ante se vincula et catenas, gravia captis onera; 1,6. 7; 3,3; 7,1. 4. Auch im griech. Roman sind sie prominent. CONTE 2007, 50 weist auf die Romanhaftigkeit vieler controversiae der Deklamatorenschulen hin: „i plots immaginari delle declamazioni sono come piccoli romanzi, racconti di stupefacente artificialità.“ tyrannos edicta scribentes quibus imperent filiis: Tyrannen als Thema von Deklamationen erwähnen auch Sen. contr. 3,6; 4,7; 5,8; 7,6; 9,4,1 tyrannus patrem in arcem cum duobus filiis accersit; imperavit adolescentibus, ut patrem caederent. alter ex his praecipitavit se, alter cecidit; Quint. decl. 253. Das Partizip scribentes, das tyrannos (Befehlsgeber) und imperent (Akt des Befehlens) voneinander trennt, lässt den tyrannischen Befehl als indirekte Handlung erscheinen (SAGE-GILLELAND 145). Gängiger sind edicto imperare, vetare o.Ä. (vgl. z.B. Hor. epist. 2,1,237–40 idem rex ille ... / edicto vetuit, nequis se praeter Apellen / pingeret).

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ut patrum suorum capita praecidant: Enkolps Beispiel übertrifft die senecanischen Tyrannenedikte ebenso wie fast alle anderen Misshandlungen bei Seneca (manus praecidere, vgl. z.B. contr. 1,7,1; 9,4,2; 10,4,3) an Drastik – mit Ausnahme der vergleichbaren contr. 7,2,9. responsa in pestilentiam data ut virgines tres aut plures immolentur: Orakelsprüche, um eine Epidemie zu beenden, sind v.a. aus der Tragödie (z.B. Soph. Oid. T.) und der Historiographie bekannt (z.B. oft bei Livius). Vgl. auch Petr. frg. 1 Massilienses quotiens pestilentia laborabant, unus se ex pauperibus offerebat. Dieses Beispiel hat kein Pendant bei Seneca Rhet., dafür in Calp. decl. 19; 44 respondit oraculum virginem immolari debere; Quint. decl. 384 in pestilentia responsum est virginem immolandam; 323; 326; 329; Tac. dial. 35,5 pestilentiae remedia. Quint. inst. 2,10,5 zählt pestilentiam et responsa zu den üblichen Deklamationsthemen. tres ist eine Übersteigerung, und aut plures wirkt im Vergleich zu den bekanntlich sehr präzisen Orakelsprüchen parodistisch. mellitos verborum globulos ...: D.h., die Schüler sind wie Kinder, die sich nur von Konfekt ernähren. Aromen wie Honig, Mohn und Sesam (siehe unten papavere et sesamo) schmeicheln dem Gaumen und machen auch minderwertige Speisen schmackhaft. Honig war das wichtigste Süßungsmittel im Altertum (siehe die vielen Rezepte mit Honig bei Apicius). melliti globuli („Honigkuchen“) waren ein fester Bestandteil der feinen römischen Küche: Klöße aus einer Käse-Dinkel-Teigmasse, in Öl frittiert, danach mit Honig bestrichen und mit Sesam oder Mohn bestreut, vgl. Cato agr. 79. Generell wurden Kuchen sehr oft mit Honig und Mohn/Sesam garniert, vgl. Sat. 31,10 glires melle ac papavere sparsos; Cato agr. 76,4; 80; 84; Hor. epist. 1,10,11 pane egeo iam mellitis potiore placentis; ars 375 Sardo cum melle papaver; Plin. nat. 19,168. Siehe ANDRÉ 1998, 34. 183. Der Ausdruck globuli verborum ist eine petronianische Erfindung (SCHÖNBERGER 1938, 220). Das Bild der Süße der Sprache bzw. Literatur ist jedoch gängig, vgl. z.B. Hor. ars 99 (scil. poemata) dulcia sunto; Dion. Hal. comp. 10,2 ; Cic. de orat. 3,96ff., v.a. 103 ita sit nobis igitur ornatus et suavis orator ... ut suavitatem habeat austeram et solidam, non dulcem atque decoctam; Sen. suas. 7,12 solebat dulces sententias dicere, frequentius tamen praedulces et infractas. Auch mel kann im übertragenen Sinn für die Süße von Worten, eines Gedichts o.Ä. stehen, vgl. Hor. epist. 1,19,44f.; Plin. epist. 4,3,3; Quint. inst. 12,10,64 Homerus ... ex ore Nestoris dixit ‘dulciorem melle profluere sermonem’ (alle nehmen Bezug auf Hom. Il. 1,249). omnia dicta factaque: Traditionelle formelhafte Paarung, schon bei Hom. Il. 9,443 μ ’ μ ; Od. 2,304 , siehe TLL 5.1.991.29ff.

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papavere et sesamo: Sesam und Mohn wurden in der römischen Küche v.a. zum Würzen von Kuchen und Brot verwendet (siehe oben zu mellitos verborum globulos ...), allerdings nur selten zusammen (Plaut. Poen. 325f. nil nisi laterculos, / sesumam papaveremque, triticum et frictas nuces). Dass Enkolp beide Gewürze nennt, bringt die Abundanz zum Ausdruck. Deshalb ist es nicht notwendig, wie MARZULLO 1996, 286 distinktives ac statt et zu setzen. Quintilian sagt, dass eine Rede einen angenehmen Geschmack haben muss und nicht zu stark gewürzt sein darf: inst. 11,3,182 aliud oratio sapit nec vult nimium esse condita; 9,3,4 quod si quis parce et, cum res poscet, utetur, velut adsperso quodam condimento iocundior erit (scil. figura). Weitere Stellen bei ASSFAHL 1932, 30. Interessant dazu ist die Beobachtung von FEDELI 2007, 84–6, dass Sesam als unverdaulich und Mohn als schlaffördernd und antiaphrodisierend galt, was für die Schüler bedeutet: „l’effetto, però, è catastrofico, perché si tratta di nozioni pesanti e indigeste, che hanno il solo risultato di favorire il sonno degli studenti che di esse si nutrono“. Siehe zur Stelle zudem KISSEL 1978, 312f.; CAVALCA 2001, 155f.; BURRISS 1941; ROCCA 1979.

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Kapitel 2 Fortsetzung der Rede Enkolps. Schuld am Niedergang der Rhetorik seien die Lehrer mit ihrem Deklamationsunterricht. Sat. 2 ist als Ringkomposition angelegt: A B C C B(+C)

(C+C+)A(+C)

2,1 qui inter haec nutriuntur non magis sapere possunt quam bene olere qui in culina habitant 2,2 levibus enim atque inanibus sonis ludibria quaedam excitando 2,2 effecistis ut corpus orationis enervaretur et caderet 2,6 grandis et ut ita dicam pudica oratio non est maculosa nec turgida, sed naturali pulchritudine exsurgit 2,7 nuper ventosa istaec et enormis loquacitas Athenas ex Asia commigravit animosque iuvenum ad magna surgentes veluti pestilenti quodam sidere afflavit 2,7 eloquentia regula stetit et obmutuit 2,8 quis postea ad summam Thucydidis, quis Hyperidis ad famam processit? 2,8 ac ne carmen quidem sani coloris enituit 2,8 omnia quasi eodem cibo pasta 2,8 non potuerunt usque ad senectutem canescere

Auffällig sind die vielen Negativformulierungen (Sat. 2,1 non magis sapere possunt quam ...; 2,3f. nondum ... cum ...; nondum ... cum ...; 2,5 ne poetas solum ...; 2,6 non est maculosa nec turgida; 2,8 ne carmen quidem ...; non potuerunt ...; 2,9 non alium exitum). Sie dienen dazu, die These komplexer und die Gegenwart in negativem Licht erscheinen zu lassen. Siehe dazu unten Sat. 2,3. § 2,1 qui inter haec nutriuntur non magis sapere possunt quam bene olere qui in culina habitant: Wer mit solcher Kost ernährt wird, kann nicht mehr Geschmack haben, als einer gut riechen kann, der immer in der Küche steckt. Der Satz ist ein Chiasmus (qui inter ... sapere possunt / olere [possunt] qui in ...). Das Bild von der Sprache als Speise (beide haben mit dem Mund zu tun) ist ein bekannter Topos, v.a. in parodistischem Kontext (vgl. in den Sat. 1,3; 2,8; 4,3; 5 V.12. 13. 19. 21f.; Pers. 1,22 tun, vetule, auriculis alienis colligis escas; 1,80f. quaerisne unde haec sartago loquendi / venerit in linguas?; 5,5f. aut quantas robusti carminis offas / ingeris; CONTE 1992, 311 Anm. 1). Siehe dazu Ess. 1–4, 3.

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inter haec nutriuntur: nutriri korrespondiert hier mit educari. Die Metapher verwenden in ähnlichem Zusammenhang Sen. contr. 9 praef. 4 usque eo ingenia in scholasticis exercitationibus delicate nutriuntur, ut clamorem, silentium, risum, caelum denique pati nesciant; Cic. orat. 37 est enim illa (scil. forma laudationum ...) quasi nutrix ... oratoris; 42 sed quod educata huius nutrimentis eloquentia est – ipsa se postea colorat et roborat – non alienum fuit de oratoris quasi incunabulis dicere. Um einen ungefähren Parallelismus mit in culina zu erreichen, hat das Verb hier nicht wie sonst einen Abl. (z.B. his oder his rebus) bei sich, sondern ein Präpositionalobjekt (inter haec), das auf die vorangegangenen melliti verborum globuli verweist. sapere: Das Verb bewirkt aufgrund seiner Doppelbedeutung („Geschmack“ bzw. „Verstand haben“) ein Wortspiel, siehe BRAMBLE 1974, 143f. Anm. 2: „There is perhaps a pun in sapere; they have no sense, and, literally, no taste. If so, ‘taste’, sapere, may have led to ‘smell’, olere, the metaphoric potential of the latter verb (cf. redolere, of literature, Tac. dial. 21,4; Varro Men. 63B [...]) probably assisting the simile’s creation: from the ‘smell’ of literature we revert to that of the kitchen.“ Vgl. Quint. inst. 11,3,182 aliud oratio sapit nec vult nimium esse condita; CONTE 2007, v.a. 122–8; FEDELI 2007, 85. quam bene olere qui in culina habitant: (bene) olere „(gut) riechen können; (gut) duften“. Das Verb hat einen doppelten Sinn: 1. Der Koch verliert seinen Geruchssinn durch den ständigen Kontakt mit den Küchengerüchen (so KISSEL 1978, 313 Anm. 12) oder weil er die Küche kaum je verlässt (so CIZEK 1975a, 198f. und 1975, 94f.). 2. Er riecht selbst unangenehm, da er den Küchengeruch angenommen hat (so OTTO s.v. culina, sprichwörtlich: „Womit man umgeht, das hängt einem an“, vgl. zudem Plaut. Most. 273–8 quia ecastor mulier recte olet ubi nihil olet. ... [veteres vetulae] olent quasi quom una multa iura confudit coquos; Sen. epist. 108,4 qui in unguentaria taberna resederunt et paullo diutius commorati sunt odorem secum loci ferunt). Das Bonmot zitiert J.G. Herder in den Schriften zur Ästhetik und Literatur 1767–81 (Werke Bd. 2), Frankfurt a.M. 1993, 607. culina: Die Lesart culina (L ) fügt sich von allen Varianten (darunter coria B, curia P, choris R) am besten in den Kontext ein und wird zudem gestützt von John of Salisbury, policr. 3,10,497 c-d (Webb) illis qui huic vitio dediti sunt non magis placere virtutem, quam illos bene olere qui in culina habitant. Siehe MÜLLER 1978, 749; PECERE 1973, 74; CONTE 1992, 311 Anm. 1 und 2007, 122f. mit Anm. 39. Erwähnenswert ist die Konjektur coriaria („Gerberei“) von Salmasius (ausgehend von dem korrupten coria von B), die auf den vielfach bezeugten Gestank in Gerbereien Bezug nimmt (unterstützt von VAN THIEL 1971, 8f. und MARZULLO 1996, 286).

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habitant: habitare in mit uneigentlichem Ort, superlativisch für „assidue commorari“ (TLL 6.3.2475.73ff.). Vgl. Cic. Mur. 21 qui in foro habitarint für die, die den ganzen Tag im Gericht verbringen; de orat. 1,264 qui habitaret in subselliis. § 2,2 pace vestra liceat dixisse, primi omnium eloquentiam perdidistis. levibus enim atque inanibus sonis ludibria quaedam excitando effecistis ut corpus orationis enervaretur et caderet: Gestattet mir zu sagen, ihr habt als Erste von allen die Beredsamkeit zugrunde gerichtet. Denn aus leichten und leeren Tönen habt ihr gewisse Spielereien erzeugt und es so weit gebracht, dass der Körper der Rede erschlaffte und in sich zusammenfiel. pace vestra liceat dixisse: „Mit Verlaub zu sagen“, „nehmt’s mir nicht übel“. Nachklassische Variante der ciceronianischen Wendung pace tua dixerim (PETERSMANN 209), vgl. z.B. Sen. nat. 3,11,4 pace Theophrasti dixisse liceat; Plin. nat. 34,108 quod pace eorum dixisse liceat; Sen. Tro. 276f. pace dixisse hoc tua, / Argiva tellus, liceat; HOFMANN 131 §121 mit Nachtrag; KST I 411 §81; TLL 5.1.969.44ff. Sie dient zur Abschwächung des Vorwurfs gegen Agamemnon, der hier stellvertretend für alle Rhetoriklehrer angeklagt wird. dixisse (statt dicere) hat gnomischen Wert, siehe HSZ 351f. §193; KST I 133f. §33. primi omnium: Auch Quintilian hält die Lehrer zumindest für mitschuldig am Niedergang der Rhetorik: inst. 2,10,3 eo quidem res ista culpa docentium reccidit, ut inter praecipuas, quae corrumperent eloquentiam, causas licentia atque inscitia declamantium fuerit. levibus enim atque inanibus sonis: Die inanes soni „erklingen“ in der Lautstruktur des Satzes: s-Laute (inanibus sonis) umschlossen von l-Lauten (levibus ... ludibria) mit Homoioteleuton (-ibus... -ibus). sonus (bzw. sonitus o.Ä.) findet sich häufig in Kombination mit den Adj. levis (z.B. Sen. dial. 4,11,4; Plin. nat. 11,270) und inanis (z.B. Cic. de orat. 1,51; Tusc. 5,119; Liv. 35,48,2; Sen. epist. 56,14; 108,7). Die beiden Adj., deren Antonyme plenus und gravis typische Charakteristika einer guten Rede sind, erscheinen häufig in Kombination miteinander, z.B. in Cic. Planc. 63 quaedam inania et levia; orat. 170 inanibus verbis levibusque sententiis. Vgl. oben Sat. 1,2 sententiarum vanissimo strepitu. ludibria quaedam excitando: Mit ludibria sind die Deklamationen (TLL 7.2.159.73ff. „vana, inepta, indigna sim.“) gemeint, die, anstatt ernste und würdevolle Themen zu behandeln, nur „Spielereien“ darstellen, vgl. Sat. 104,3 ludibria. excitare steht hier für generare (TLL 5.2.1261.61). Zur instrumentalen Verwendung des Gerundiums im Abl. vgl. Sat. 75,2; 107,10 u.a.; siehe PETERSMANN 223; HSZ 379 §203A; KST I 752f. §135.

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corpus orationis enervaretur et caderet: Der Ausdruck evoziert die Vorstellung eines Körpers ohne Sehnen und Muskeln, der kraftlos in sich zusammenfällt (vgl. Sat. 129,5 negant enim medici sine nervis homines ambulare posse). Die nervi stehen für das Fundament einer Rede wie Argumentation, Beweisführung, Struktur. Wenn diese durch das Übermaß an leves et inanes soni geschwächt werden, bricht das ganze Gerüst zusammen. Der Ausdruck corpus orationis ist in der Rhetorik gebräuchlich, z.B. Rhet. Her. 4,45,58 tamquam sanguis perfusus est per totum corpus orationis; Cic. orat. 126 quae etsi aequaliter toto corpore orationis fusa esse debet; de orat. 3,96; Sat. 118,5 curandum est ne sententiae emineant extra corpus orationis expressae; Quint. inst. 3,11,23 (weitere Stellen bei ASSFAHL 1932, 7–10; TLL 4.1020.40ff.). enervare bzw. enervis, nervus (TLL 5.2.569.1ff.) ist ein häufiges Bild im rhetorischen Kontext (TLL 5.2.568.49ff.), vgl. u.a. Tac. dial. 18,5 Ciceronem ... solutum et enervem; Cic. Tusc. 4,38 quocirca mollis et enervata putanda est Peripateticorum ratio et oratio; 2,15 enervatam muliebremque sententiam; orat. 229 enervetur oratio compositione verborum; 62 neque nervos neque aculeos oratorios ac forenses habet; Rhet. Her. 4,11,16 sine nervis et articulis; Quint. inst. 5,12,17 declamationes ... nervis carent; 9,4,142 compositionem ... effeminatam et enervem. Zugleich haben die beiden Verben einen obszönen Beiklang (vgl. ADAMS 38; BARNES 1973, 789): enervo (TLL 5.2.568.41ff.; vgl. nervus als membrum virile in Sat. 129,5. 8; 131,6; 134,1) und cado (z.B. Mart. 7,18,12 cui non mentula mensque cadit?) beschreiben die oratio als impotent. Siehe Ess. 1–4, 3. § 2,3 nondum iuvenes declamationibus continebantur, cum Sophocles aut Euripides invenerunt verba quibus deberent loqui: Damals waren die jungen Leute noch nicht an die Deklamationen gebunden, als ein Sophokles oder ein Euripides die Worte fand, in denen sie sich ausdrücken sollten. Dies ist der Anfang einer ganzen Reihe von Exempla (Sat. 2,3–5): Dichter (Sophokles und Euripides, Pindar, Homer) – Prosaschriftsteller (Platon und Thukydides) – Redner (Demosthenes und Hyperides) – Dichtung – Malerei. So wie Enkolp die aufgezählten Autoren als Beweismittel einsetzt, schlägt er die umgekehrte Richtung zu Quintilian (inst. 10) u.a. ein, die eine Leseliste für Studenten geben. Enkolp hingegen stellt hier einen direkten Zusammenhang zwischen dem Fehlen der Deklamation und guter Poesie her. Alle guten Dichter der Vergangenheit haben einen Unterricht genossen, der frei von dieser Übungsform war. Die Folgerung, dass man sich deshalb in der Schule mit Dichtern etc. beschäftigen solle, wird Agamemnon in seiner Rede und v.a. in seinem Gedicht Sat. 5 ziehen. nondum ... nondum ...: Enkolp trauert hier einer idealisierten Vergangenheit nach: Durch die Erfindung der Deklamationen und deren Erklärung zum

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Schulstoff wurde der Beredsamkeit ein jähes Ende bereitet. Enkolps Klage erinnert an den aetas aurea-Topos, dessen Charakteristikum die zahlreichen Verneinungen sind, vgl. z.B. Ov. met 1,94–9 nondum ... nullaque ... nondum ... non ... non ... non ... non ...; Sen. Med. 309–17 ... nondum ... non ... nondum ... non ... nec ... nondum ... nondum ... iuvenes declamationibus continebantur: Das Verb ist hier negativ konnotiert im Sinn eines Gefangenseins, einer gewaltsamen Einschränkung, vgl. OLD s.v. contineo 4 („to maintain or keep a person or thing in a specified state or condition“); TLL 4.704.88ff.; Cic. Brut. 332 contine te in tuis perennibus studiis. Es wurde unnötigerweise zu korrigieren versucht: conterebantur (DOUSA; HEINSIUS; MARZULLO 1996, 286); committebantur (Jacobs); conficiebantur (FUCHS 1959, 57); contingebantur (GIARDINA 1978–9, 387: „anstecken, infizieren“, nach OLD s.v. contingo 6, angelehnt an Sat. 2,7 pestilenti ... sidere). Zu iuvenes siehe unten Sat. 4,4 ... iuvenes ridentur... cum Sophocles aut Euripides: Zwei der drei großen Tragiker des 5. Jh. v. Chr. finden hier Erwähnung. Aischylos, der hier nicht genannt wird, hätte sich wegen seiner stilistischen Extravaganz (Aristoph. Ran. z.B. 833–8. 1119–76; Quint. inst. 10,1,66 sublimis et gravis et grandilocus saepe usque ad vitium, sed rudis in plerisque et incompositus) für Enkolps Zwecke schlecht geeignet. invenerunt verba: D.h., sie schufen eine neue Sprache mit Vorbildcharakter. invenire ist (seit augusteischer Zeit) im Vergleich zu reperire umgangssprachlich und wird von Petron bevorzugt, siehe LÖFSTEDT, Komm. 232–6. Zur Junktur invenire/inventio und verba vgl. Plaut. Trin. 760 ne tu illud verbum actutum inveneris; Cic. part. 3 et res et verba invenienda sunt et conlocanda; de orat. 1,18 inventis cogitatisque rebus et verbis. quibus deberent loqui: deberent, dem ein Subjekt nicht eindeutig zugewiesen werden kann, wurde schon früh in Frage gestellt. So überliefert tv loqui debemus (die Lesart wird gestützt von Pierre Daniel, der auf ein uns unbekanntes „vetus glossarium S. Dionysii“ verweist), während „unus ex veteribus“ im Puteanus deberemus aufwies. Zudem schreibt BÜCHELER1 einem „incertus aliquis“ deceret zu. Die beste Lösung ist, im Subjekt die Tragiker zu sehen und debere in abgeschwächter Bedeutung analog zu dt. „sollen“ (engl. „shall, ought to“) aufzufassen, was den Zwang und die Zukünftigkeit in sich vereint: „sie fanden die Worte, in denen sie reden sollten“. Denn nach PETERSMANN 186f. ist debere bei Petron „vielfach bedeutungsmäßig ganz geschwächt“ – eine reine Futurumschreibung, die sich im späteren volkstümlichen Latein entwickelte, liegt bei Petron jedoch noch nicht vor, vgl. STEFENELLI 1962, 132 zu Sat. 67,7; PELLEGRINO2 129; HSZ 314 §175f. Das heißt also, dass sich die Tragiker ihr eigenes Vokabular zurechtlegen konnten und nicht an Deklamationen gebunden waren. Aus inhaltlichen Grün-

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den verbietet es sich deshalb, die iuvenes als Subjekt von deberent zu begreifen (so z.B. bei BURMAN 13). Vom Spezialfall einer unpersönlichen Konstruktion (debere[n]t) gehen SULLIVAN 1970, 188 (in Anlehnung an Sen. dial. 5,3,1) und MARZULLO 1996, 286 (Poetismus, äquivalent zu oportet, decet auf der Basis von Varro ling. 10,1) aus. FUCHS 1959, 57 ergänzt als Subjekt oder . Vor ihm schlägt bereits VON WILAMOWITZ-MOELLENDORFF 1884, 7 als Subjekt vor, später ähnlich ROHDE 1879, 845, der zu invenerunt verba ergänzt. § 2,4 nondum umbraticus doctor ingenia deleverat, cum Pindarus novemque lyrici Homericis versibus canere timuerunt: Damals hatte noch kein Stubengelehrter die Talente verdorben, als Pindar und die neun Lyriker sich scheuten, in homerischen Versen zu dichten. umbraticus doctor: Vgl. Plat. Phaidr. 239c ’ μμ μμ . Das Bild der Rhetorenschule als dunkler, muffiger Ort im Gegensatz zum hellen Licht der Realität auf dem Forum ist ein Gemeinplatz, z.B. Quint. inst. 10,5,17 ne (scil. adulescentes) ab illa, in qua prope consenuerunt, umbra vera discrimina velut quendam solem reformident; 1,2,18; Cic. de orat. 1,157 educenda deinde dictio est ex hac domestica exercitatione et umbratili medium in agmen, in pulverem, in clamorem, in castra atque in aciem forensem; orat. 64 mollis ... oratio philosophorum et umbratilis; Plin. epist. 9,2,3 nisi forte volumus scholasticas tibi atque, ut ita dicam, umbraticas litteras mittere; Sen. contr. 3 praef. 13; 9 praef. 5.; Juv. 7,172f. Siehe auch MARZULLO 1996, 287; PETRONE 2007, 93f.; oben Sat. 1,2 cum in forum venerint. ingenia deleverat: Vgl. zum Ausdruck und Thema Tac. dial. 35,2 non facile dixerim utrumne locus ipse an condiscipuli an genus studiorum plus mali ingeniis adferant. Auch bei Quint. inst. 1,3,1 sind ingenium und natura eines Knaben die Grundvoraussetzungen der Bildung. cum Pindarus novemque lyrici: Anspielung auf den alexandrinischen Kanon der neun wichtigsten griechischen Lyriker (Quint. inst. 10,1,61–4): Alkaios, Sappho, Anakreon, Alkman, Stesichoros, Ibikos, Simonides, Bakchylides und Pindar. Pindar wird für gewöhnlich als Neunter genannt. Enkolp erwähnt Pindar als primus inter pares, das et ist generalisierend zu verstehen (siehe FRAENKEL in RONCALI 1974, 691; „i nove lirici e fra loro Pindaro“). Seine Prominenz gegenüber den anderen Dichtern wird allgemein anerkannt, z.B. Quint. inst. 10,1,61 novem vero lyricorum longe Pindarus princeps spiritus magnificentia, sententiis, figuris, beatissima rerum verborumque copia et velut quodam eloquentiae flumine: propter quae Horatius eum merito credidit nemini imitabilem. Homericis versibus canere timuerunt: Der timor der Lyriker im Hinblick auf den epischen Hexameter wurde von der Forschung in Frage gestellt (COL-

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1892, 81; GIARDINA–MELLONI; MARZULLO 1996, 287). Daher befürwortet man z.T. das Einfügen von oder zieht die Lesart von r invenerunt (vgl. Sat. 2,3 und 2,9) heran. timuerunt ist hier jedoch nicht negativ konnotiert, zumal die neun Lyriker (wie zuvor Sophokles und Euripides) als literarische Vorbilder angeführt werden. Vielmehr entspricht ihre Scheu vor dem Hexameter der Furcht vor der epischen Großdichtung, die von vielen späteren Generationen im Topos der recusatio beklagt und zur Legitimation von anderen Gattungen und Versmaßen verwendet wurde (vgl. z.B. Verg. ecl. 6; Hor. sat. 2,1; carm. 1,6; vgl. zudem Sat. 118,5 ceteri enim aut non viderunt viam qua iretur ad carmen, aut visam timuerunt calcare). Im Fall von Pindar war diese Scheu zudem Anlass, die Sprache zu erneuern: „Sie schrieben nicht mehr in homerischem, sondern in neuem lyrischem Versmaß“. Sie haben ihre eigene Sprache geschaffen, analog zu Sophokles’ und Euripides’ inventio ihres Sprachschatzes (Sat. 2,3 invenerunt verba).

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§ 2,5 et ne poetas solum ad testimonium citem, certe neque Platona neque Demosthenen ad hoc genus exercitationis accessisse video: Und um nicht nur Dichter als Zeugen anzuführen: Soweit ich sehe, haben sich bestimmt weder Platon noch Demosthenes auf diese Art der Übung eingelassen. ne ... solum: Das (abgesehen von lms solum) einhellig überlieferte quidem ergibt keinen Sinn, da Enkolp soeben einige Dichter genannt hat. Es ist entweder aus dem Text zu streichen (BÜCHELER2–6; MÜLLER etc. außer ERNOUT und DÍAZ Y DÍAZ) oder besser noch durch die Lesart solum zu ersetzen (so BÜCHE1 LER ; ARAGOSTI). SOVERINIS Vorschlag (1974–5, 253 Anm. 65), in quidem einen „valore vagamente asseverativo in correlazione al successivo certe“ zu sehen, ist nach ne unplausibel. Siehe zur Stelle BURRISS 1941b, 356f. ad testimonium citem: Die Periphrase ad + Akk. anstelle eines Dat. finalis findet sich nicht nur in der Volkssprache häufig, vgl. Caes. Gall. 7,80,4 ad auxilium convenerant. Siehe PETERSMANN 80; HSZ 220 §115 Zusatz c; KST I 345f. §78 Anm. 3. Zum Anführen von Zeugen vgl. Ov. fast. 5,683f. sive ego te feci testem, falsove citavi / non audituri numina vana Iovis; Tac. ann. 4,43,3 quod si vatum, annalium ad testimonia vocentur; dial. 32,5 si testes desiderantur, quos potiores nominabo quam apud Graecos Demosthenem, quem studiosissimum Platonis auditorem fuisse memoriae proditum est? neque Platona neque Demosthenen: Platon und Demosthenes als höchste Repräsentanten der philosophischen Prosa bzw. der Redekunst werden oft zusammen genannt, vielleicht auch deshalb, weil Demosthenes der eifrigste Hörer Platons gewesen ist: Cic. de orat. 1,89; Brut. 121; 191; Tac. dial. 32,5 (siehe oben); De subl. 14. neque erscheint häufig in den gehobeneren Partien der Sat., während die volkstümliche Sprache nec bevorzugt (Petr., Tib. Prop., Ov., Priap.). Zur Ver-

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teilung von nec/neque siehe HSZ 451f. §241 Zusatz ; LÖFSTEDT, Synt. I 259– 73; AXELSON 115–8. accessisse video: videre in der Bedeutung von scire, siehe Quint. inst. 10,1,13 nam et ‘intellego’ et ‘sentio’ et ‘video’ saepe idem valent quod ‘scio’ und 14 de intellectu animi recte dixerim ‘video’. Die Lesart video findet sich lediglich in p2 (von TURNEBUS). Überliefert ist et ideo (als Anfang des nächsten Satzes), das bei Petron häufig Sätze einleitet (z.B. Sat. 1,3), hier aber den vorherigen Satz ohne konjugiertes Verb dastehen ließe. § 2,6 grandis et ut ita dicam pudica oratio non est maculosa nec turgida, sed naturali pulchritudine exsurgit: Große und – wenn ich das so sagen darf – keusche Rede ist weder bunt gefleckt noch geschwollen, sondern erhebt sich in natürlicher Schönheit. grandis et ... pudica oratio: Gemeint ist eine Rede von gutem, erhabenem Stil und natürlicher Schönheit. grandis ist hier, nicht zuletzt wegen der Erweiterung durch pudica, untechnisch gebraucht. Ebenso ist Agamemnons Bezeichnung dieses von Enkolp geschilderten Ideals als illa grandis oratio (Sat. 4,3) zu verstehen. Enkolp vergleicht die Idealvorstellung der oratio mit der eines weiblichen Körpers (groß, keusch, ungeschminkt, natürlich) und stellt sie ihrem negativen Pendant gegenüber (krank, aufgedunsen, befleckt). Große Frauen gelten schon in der Antike als schön (z.B. Hom. Od. 15,418 μ ; Catull. 86,1 Quintia formosa est multis, mihi candida, longa / recta est; Prop. 2,2,5 fulva coma est longaeque manus et maxima toto / corpore). pudica ist die römische matrona, die sich nicht mit Schminke herausputzt (so auch KISSEL 1978, 314 Anm. 15) und nichts tut, was sich für eine Dame nicht ziemt. Die moralischen und ästhetischen Kategorien werden hier nicht unterschieden. Ein ähnlicher Vergleich der oratio mit einer Frau findet sich bei Cic. orat. 64 (scil. oratio philosophorum) casta, verecunda, virgo incorrupta quodam modo; in Brut. 330 wird sie mit einer jungen Frau verglichen, die mit Hortensius’ Tod zur Waisen wird: nos ... orbae eloquentiae quasi tutores relicti sumus, ... tueamurque ut adultam virginem caste et ab amatorum impetu quantum possumus prohibeamus; für Dion. Hal. orat. vet. praef. 1 ist die attische Stilart wie eine freigeborene und anständige Gattin ( μ μ ), die asianische hingegen eine dumme Hetäre ( ). Einen Vergleich der oratio mit dem menschlichen Körper unternimmt auch Tac. dial. 21,8 oratio autem, sicut corpus hominis, ea demum pulchra est, in qua non eminent venae nec ossa numerantur, sed temperatus ac bonus sanguis implet membra et exsurgit toris ipsosque nervos rubor tegit et decor commendat (siehe oben Sat. 2,2 corpus orationis enervaretur et caderet).

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Der technische Sinn von grandis als festem Ausdruck für das genus dicendi grandis (im Kontrast zum genus subtile und medium, z.B. Cic. orat. 20; Quint. inst. 12,10,58) – wie das SCHÖNBERGER 1929, 1199; 1938, 175; NELSON 1956, 201f. und SULLIVAN 1968, 164 wollen – schwingt aber sicher mit. Möglicherweise lehnt sich grandis auch an die ästhetischen Werte des an (so SAGE 1915, 50; ALFONSI 1948, 48; GAGLIARDI 1966, 235; KISSEL 1978, 313; SOVERINI 1985, 1717 Anm. 48 und 1736 Anm. 135; LEEMAN 1963, 288; COURTNEY 2001, 55) – der Bezug wird jedoch unmöglich, wenn man De subl. ins 3. Jh. datiert, so jüngst HEATH 2004. ut ita dicam: Die rhetorische Floskel leitet meist einen gewagten Vergleich ein, z.B. Cic. Brut. 203 grandis et, ut ita dicam, tragicus orator; Quint. inst. 8,3,37 si quid periculosius finxisse videbimur, quibusdam remediis praemuniendum est: ‘ut ita dicam, si licet dicere ...’ Hier schwächt sie die gewagte Kombination von oratio mit pudica ab. Vgl. im gleichen Stil Sat. 2,7 veluti; 2,8 quasi; 3,3 quasdam. maculosa nec turgida: maculosus evoziert das medizinische Bild eines befleckten Körpers und lässt an etwas Krankes oder Kontaminiertes denken (insanus, vgl. unten Sat. 2,8 sani coloris enituit). Das Bild ist im rhetorischen Zusammenhang (für stilistische ‘Unebenheit’) nicht selten: Quint. inst. 8,3,18 ut autem in oratione nitida notabile humilius verbum et velut macula, ita ...; 8,5,28 color ipse dicendi quamlibet clarus, multis tamen ac variis velut maculis conspergitur. Weitere Stellen bei ASSFAHL 1932, 34, vgl. auch Hor. ars 15f. purpureus ... pannus. Das ebenfalls der medizinischen Sphäre entlehnte turgidus (bzw. tumidus; vgl. tumore in Sat. 1,2) bezeichnet hier das krankhafte Geschwollensein des Stils und eine Entartung von grandis (vgl. Hor. ars 27 professus grandia turget; sat. 1,10,36 turgidus Alpinus; Rhet. Her. 4,10,15; Quint. inst. 10,2,16 fiuntque pro grandibus tumidi; 12,10,80 grandia non tumida). naturali pulchritudine: naturalis stellt das gesunde Gegenteil von maculosa nec turgida dar und schließt das Ungenügende und das Überflüssige aus. Vgl. in rhetorischem Zusammenhang Sen. contr. 10 praef. 9 omnia usque ad ultimum tumorem perducta, ut non extra sanitatem sed extra naturam essent; zu pulchritudo Tac. dial. 20,3 pulchritudinem orationis; 23,5 pulcherrimo genere dicendi; 21,8. Siehe MONTEIL 1964, 104. exsurgit: Zum bildlichen Gebrauch des Verbs vgl. Sen. dial. 4,1,2 debet autem in haec se demittere disputatio ut ad illa quoque altiora possit exsurgere; zudem Quint. inst. 10,1,81 supra prorsam orationem ... surgit; Sat. 2,7 ad magna surgentes. In sexuellem Sinn ist surgere in Maxim. eleg. 5,84 anzutreffen (ADAMS 57), siehe Ess. 1–4, 3. § 2,7 nuper ventosa istaec et enormis loquacitas Athenas ex Asia commigravit animosque iuvenum ad magna surgentes veluti pestilenti quo-

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dam sidere afflavit, semelque corrupta eloquentia regula stetit et obmutuit: Unlängst ist diese aufgeblasene und maßlose Geschwätzigkeit aus Kleinasien in Athen eingezogen und hat den nach Großem strebenden Geist der jungen Leute wie ein Pestgestirn angeblasen; und nachdem ihre Grundsätze einmal verdorben waren, kam die Beredsamkeit zum Stillstand und verstummte. Mit Athenas ex Asia sind hier die literarischen Stilrichtungen Attizismus und Asianismus (so z.B. auch SINCLAIR 1984) gemeint und nicht nur allgemein „das künstliche Aufputzen der Rede mit rhetorischen Kunstmitteln“ (KISSEL 1978, 314f.; ALFONSI 1948, 50 Anm. 2). Die Erwähnung Athens anstelle von Rom (und dementsprechend des griechischen Attizismus bzw. Asianismus) passt in den Kontext. Schon zuvor hatte Enkolp bei seiner Beschreibung der Blütezeit der antiken Literatur einen griechischen Standpunkt eingenommen und ausschließlich griechische Exempla gewählt (Sat. 2,3–5). Und er wird im gleichen Stil fortfahren (Sat. 2,8), wenn er weitere Vertreter aus dem Kanon des Altertums nennt. Lit. zur Stelle: SINCLAIR 1984; RUSSELL 1990; ARAGOSTI ad loc.; SAGE 1915; SOVERINI 1985, 1711 Anm. 14; 1727 Anm. 95; HIDBER 1996, 25–44. nuper: Vielfach wird nuper („kürzlich“) als Anachronismus aufgefasst (der Verfall der Redekunst in Athen setzt nach Dion. Hal. Ende 4. Jh. ein). nuper würde dann z.B. auf eine griechische Quelle hinweisen, die Enkolp etwas zu genau zitiert, so z.B. COLLIGNON 1892, 84; SAGE 1915, 50f.; MALITS–FUHRER 2002, 82 mit Anm. 5: „Enkolp verrät sich durch die Bemerkung, dass dies nuper geschehen sei (2,7) [...] Durch diesen Anachronismus wird deutlich, dass Enkolp eben nur deshalb die Rolle spielt, mit der er seinen bildungskonservativen Gesprächspartner Agamemnon beeindrucken kann.“ Wir haben jedoch zwei gute Möglichkeiten, nuper anders aufzufassen. Erstens gibt es einige Stellen, an denen nuper im welthistorischen Zusammenhang so viel wie „in neueren Zeiten, vor Zeiten“ heißt. So wird es gelegentlich auch bei Jahrzehnte oder Jahrhunderte zurückliegenden Ereignissen gebraucht, z.B. Cic. de div. 1,86 neque ante philosophiam patefactam, quae nuper inventa est; nat. deor. 2,126 nuper id est paucis ante saeclis (COLLIGNON 1892, 83). Zweitens, und m.E. hier am treffendsten, ist nuper nicht als konkrete Zeitangabe, sondern als Parodie des Topos des Niedergangs zu verstehen (HELDMANN 1982, 130 Anm. 208). Der asianische Stil wird in rhetorischer Übertreibung und Polemik der alten, ehrwürdigen attischen Rhetorik gegenübergestellt. „Old things are good, modern developments are bad; and the implication is that, as all novelty is to be deplored, so all deplorable things must be new“ (RUSSELL 1990, 294). Mit der Behauptung, der asianische Stil sei erst kürzlich aufgekommen, stützt Enkolp seine These der kurzen Lebensdauer (Sat. 2,8 non potuerunt usque ad senectutem canescere; 2,9 non alium exitum fecit). Ganz

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ähnlich heißt es in Dion. Hal. orat. vet. praef. 1, dass der asianische Stil („yesterday or the day before“, dazu RUSSELL 1990, 293f.; HIDBER 1996, 110f.) ankam. Dionysius verstärkt so den Gegensatz zwischen der Tradition und der Neuheit, d.h. der - und der -Rhetorik. ventosa istaec et enormis loquacitas: Gemeint ist der asianische Stil (siehe unten), der sich von dem schlichten attischen Redestil durch seinen Wortreichtum, Bombast etc. unterscheidet. Mit enormis („regel-, maßlos“) wird auf die corrupta regula vorbereitet. Zu loquacitas („verbosità“) vgl. Quint. inst. 10,3,2 inanem ... loquacitatem; 8,2,17 est etiam in quibusdam turba inanium verborum, qui ... ducti specie nitoris circumeunt omnia copiosa loquacitate. Zu ventosa („voll von Luft“, d.h. „leer an Inhalt“) vgl. Sen. epist. 84,11 tumida res est, vana, ventosa; Pers. 5,10f. tu neque anhelanti, coquitur dum massa camino, / folle premis ventos. Athenas ex Asia commigravit: Anspielung auf den Richtungsstreit zwischen Attizismus und Asianismus. Das Konzept des Asianismus entspringt im 1. Jh. v. Chr. der Polemik der Verehrer der klassischen attischen Prosa (des 5./4. Jh. v. Chr.) gegen den (seit dem 3. Jh. v. Chr.) in den großen Städten Kleinasiens zu verortenden Lokalstil. commigravit für „pervenire, transire“ (TLL 3.1881.71ff.) ist umgangssprachlich, vgl. MARBACH 1931, 83. Enkolps Beschreibung darf nicht zu wörtlich genommen werden. Die beiden Stile beeinflussten sich gegenseitig, vgl. Cic. Brut. 51 nam ut semel e Piraeo eloquentia evecta est, omnis peragravit insulas atque ita peregrinata tota Asia est, ut se externis oblineret moribus omnemque illam salubritatem Atticae dictionis et quasi sanitatem perderet ac loqui paene dedisceret. animosque iuvenum ad magna surgentes: magnus im Sinn von grandis. Zu surgentes vgl. oben Sat. 2,6 exsurgit. veluti pestilenti quodam sidere afflavit: Die asianische Rhetorik als Krankheit, die durch die Luft übertragen wird und überall Verfall bewirkt. Der sidus pestilens geht auf die Idee zurück, dass die Sterne (v.a. der Sirius) für die Ereignisse auf der Erde verantwortlich sind, wozu auch das Auftreten von Krankheiten gehört, vgl. Liv. 8,9,12 pestifero sidere icti pavebant; Plin. nat. 2,108 adflantur alii sidere. Das Bild wird durch dasjenige des kranken Körpers (Sat. 2,6 maculosa ... turgida) vorbereitet. Der gewagte Vergleich wird abgeschwächt durch das vorsichtige veluti ... quodam, vgl. Sat. 2,6 ut ita dicam; 2,8 quasi; 3,3 quasdam; HSZ 196 §107d. semelque corrupta eloquentia regula stetit et obmutuit: Das in LO einhellig überlieferte corrupta eloquentiae regula stetit et obmutuit (DÍAZ Y DÍAZ „recte“ im App.) mit regula als Subjekt ist nicht sinnvoll (Grundsätze bzw. eine Richtschnur können nicht stehen bleiben und verstummen). Es empfiehlt sich

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deshalb aus inhaltlichen Gründen, eloquentia zum Subjekt des Satzes zu machen, vgl. auch Cic. Brut. 22 subito in civitate cum alia ceciderunt tum etiam ea ipsa, de qua disputare ordimur, eloquentia obmutuit; 51 semel ... eloquentia ... loqui paene dedisceret. Ansonsten muss man wie MÜLLER eine Lücke setzen (semelque corrupta eloquentiae regula ... stetit et obmutuit) und einen Ersatz für das fehlende Subjekt finden (sein Vorschlag im App.: ars, ähnlich bereits FUCHS 1959, 58 regula stitit auf der Basis von Cic. Brut. 324; prob. DELZ 1962, 681). Betrachtet man eloquentia als Subjekt, wird dieses vom Abl. abs. umschlossen (corruptƘ eloquentia regulƘ), vgl. Sat. 21,2 extortis nos clunibus; 27,6 exonerata ille vesica; 49,9 recepta cocus tunica; 99,2 profusis ego lacrimis, so FEIX 1934, 47; ARAGOSTI. Das Homoioteleuton auf -a hat Parallelen, z.B. Sat. 64,10 vasa omnia crystallina; 123 V.185 cana vincta pruina. Eine Umstellung zu corruptƘ regulƘ [Abl. abs.] eloquentia stetit et obmutuit (nach Haase; gefolgt sind BÜCHELER1–6; ERNOUT; MÜLLER1; prob. FRAENKEL in RONCALI 1974, 691; PECERE 1973, 75; MARZULLO 1996, 288) drängt sich nicht auf. Weniger überzeugend die Ansätze von COURTNEY 1970, 65 corrupta eloquentia e regulƘ; BURRISS 1941b, 358, der den überlieferten Text verteidigt, aber loquacitas zum Subjekt erklärt (nach Jungermann) und die Verben mit „got nowhere, had a deadening influence“ übersetzt. Dies würde unsinnigerweise heißen, dass die asianische loquacitas bereits von allein verschwunden sei. corrupta ... regula: Mit corrupta regula ist die durch die enormis loquacitas (Sat. 2,7) verursachte Verderbnis der rhetorischen Grundsätze gemeint. Die Junktur ist zwar selten und dann in Bezug auf die „Regeln der Grammatik“ belegt (z.B. Prisc. gramm. II 457,14f. corruptam invenies regulam coniugationis), doch findet sich corruptus häufig bezogen auf Stil, Gattung o.Ä. (TLL 4.1060.11ff. „in rebus grammaticis et rhetoricis“, vgl. Cic. Brut. 202 inflatum et corruptum orationis genus; Quint. inst. 2,5,10 corruptas ... et vitiosas orationes). Zu regula als „Maßstab“ der Redekunst vgl. Cic. orat. 231 ab Atticorum regula absunt; Quint. inst. 1,5,1 emendate loquendi regulam; 1,6,44 regula sermonis. stetit et obmutuit: Das Verb stare ist figürlich für „to halt, stop“ (nach OLD s.v. sto 10) aufzufassen. Zu obmuere vgl. die bereits oben zitierten Stellen Cic. Brut. 22 eloquentia obmutuit; 51 semel ... eloquentia ... loqui paene dedisceret. Das Bild der Eloquenz, die stehen bleibt und dann verstummt, wird im folgenden Satz weitergeführt (vgl. postea in Sat. 2,8) und geht einher mit dem Bild des Reifens und Altwerdens in Sat. 2,8 non potuerunt usque ad senectutem canescere. Die Stelle ist ein weiteres Beispiel für die vielen verschiedenen Metaphern, die in diesen Kapiteln zusammenkommen (siehe Ess. 1–4, 3).

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§ 2,8 quis postea ad summam Thucydidis, quis Hyperidis ad famam processit? ac ne carmen quidem sani coloris enituit, sed omnia quasi eodem cibo pasta non potuerunt usque ad senectutem canescere: Wer hat später die Perfektion eines Thukydides, wer den Ruf eines Hypereides erlangt? Und ebenso wenig hat eine Dichtung von gesunder Farbe ihren Glanz entfaltet, sondern nichts konnte, weil alles gleichsam mit derselben Nahrung gefüttert wurde, ein hohes Alter erreichen. ad summam: Das einhellig überlieferte quis postea ad summam (LO, wobei qui O, siehe dagegen PETERSMANN 267) kann gut gehalten werden. summa steht dann für „Perfektion“ (vgl. Quint. inst. 12,1,20 defuisse ei (scil. Ciceroni) summam illam, ad quam nemo propius accessit; Sat. 55,4 summa carminis; vgl. zudem Sen. epist. 23,2 ad summa pervenit u.a.) und als Teil eines chiastischen Parallelismus quis + ad summam + Gen. – quis + Gen. + ad famam, so auch schon ERHARD bei BURMAN 17; SCHÖNBERGER 267; dagegen GIARDINA 1973–4, 210f., der summam + Gen. einer Person in Zweifel zieht. MÜLLER und weitere Editoren wie z.B. BÜCHELER1–6; ERNOUT; GIARDINA 1995–6, 267 folgen der Umstellung von SCRIVERIUS zu ad summam quis postea. Zwar ist die Formel ad summam („kurz und gut“) bei Petron häufig anzutreffen, doch ist der Satz nicht wirklich resümierend, was ein solches ad summam voraussetzt, sondern bildet die Fortsetzung der exempla-Reihe. quis ... Thucydidis, quis Hyperidis: Thukydides und Hyperides verkörpern die große attische Eloquenz, vgl. die Stellen in Ciceros Brutus, wo gesagt wird, dass Thukydides einer der Begründer der griechischen Eloquenz war (Brut. 27; vgl. 287f.) und Hyperides an Wichtigkeit gleich nach Demosthenes komme (36; vgl. 67; 138; 285–88; De subl. 34, wo er sogar Demosthenes übertrifft). Im Traktat De sublimitate werden häufig genau diese Autoren zitiert (Platon, Demosthenes, Thukydides, Hyperides), vgl. z.B. De subl. 14; 15; 34. ad famam processit: Die Konstruktion Verb der Bewegung + ad mit Akk. findet sich bei Petron häufig in literarischem Kontext (vgl. Sat. 1,2 ad eloquentiam ituris; 118,5 iretur ad carmen). ne carmen quidem: Das Thema der Dichtung von Sat. 2,5 wird hier wieder aufgenommen (siehe oben Sat. 2,3f.). ne ... quidem ist hier nicht in seiner gebräuchlichsten, sondern in einer verblassten Bedeutung verwendet (vgl. unten Sat. 12,5 ac ne ipse quidem; 13,1 ne ... quidem), andernfalls käme der Dichtung ein unerklärbarer Sonderstatus zu. sani coloris enituit: Mit sanus color ist wieder ein Bezug zum menschlichen Körper gegeben („natürliche Gesichtsfarbe einer gesunden Person“, vgl. Sat. 2,3 corpus orationis enervaretur et caderet; 2,6 pudica oratio non est maculosa nec turgida, sed ... exsurgit). Der Ausdruck ist hier im gleichen bildlichen Sinn (TLL 3.1720.19ff. „in imagine“) zu verstehen wie in Sat. 118,5 sententiae ... intexto vestibus colore niteant.

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Dabei schwingt auch die technisch-rhetorische Bedeutung mit, die „Färbung“ des Stils (TLL 3.1720.43ff. „ornatus, nitor“), wie Sen. Rhet. den Ausdruck gebraucht: color als einer der wichtigsten Bestandteile einer Schulrede und eine der Kategorien, nach denen er sein Werk aufteilt. Siehe ASSFAHL 1932, 58 mit Stellen; ERNESTI 63–6. Außerdem nimmt color hier bereits den Vergleich mit der Malerei vorweg (Sat. 2,9). Mit sanus wird die medizinische Metaphorik fortgeführt. sanus findet sich in Bezug auf den Stil häufig bei Cicero, u.a. Brut. 202 nihil erat in eius oratione ... nisi siccum atque sanum; 276 dicendi placidum et sanum genus. Auch eniteo wird oft in rhetorischen Metaphern und Vergleichen verwendet, z.B. Cic. Brut. 215 Crassi magis nitebat oratio; Quint. inst. 2,5,12 non suo colore nitidis. omnia: Generisches Neutrum Plural, gemeint sind alle Formen der Literatur. quasi eodem cibo pasta: Mit dem „Einheitsbrei“ sind die Deklamationen gemeint. Anders z.B. Quint. inst. 10,5,14, der von den Deklamationen als Kraftfutter spricht: alitur enim atque enitescit velut pabulo laetiore facundia et adsidua contentionum asperitate fatigata renovatur (weitere Stellen bei ASSFAHL 1932, 27f.). Mit quasi wird hier wiederum eine Metapher abgeschwächt (vgl. oben Sat. 2,6 ut ita dicam; 2,7 veluti; 3,3 quasdam). ad senectutem canescere: Auch dies ist eine Metapher zum Organismus des Menschen; als Vorbild könnte Cic. Brut. 8 cumque ipsa oratio iam nostra canesceret haberetque suam quandam maturitatem et quasi senectutem gedient haben. Da sich die Kunst nicht gesund entwickeln konnte, stirbt sie früh und erreicht keine Vollendung im Alter (TLL 3.250.20ff. „senectute maturescere“). Das Alter besitzt in der römischen Gesellschaft hohe Wertschätzung (Urbild der patria potestas; Hochschätzung der senes; siehe RAC s.v. Greisenalter, 1034–9). Hinter der Idee eines Höhepunkts im Alter steht die Vorstellung von dignitas, gravitas und auctoritas als Eigenschaften, die einen reifen Mann auszeichnen (vgl. v.a. Ciceros Cato maior de senectute; Quint. inst. 10,1,90 vehemens et poeticum ingenium Salei Bassi fuit, nec ipsum senectute maturuit). § 2,9 pictura quoque non alium exitum fecit, postquam Aegyptiorum audacia tam magnae artis compendiariam invenit’: Auch die Malerei ist nicht anders zugrunde gegangen, nachdem die dreisten Ägypter ein Schnellverfahren für diese so hohe Kunstform erfunden hatten.“ pictura quoque non alium exitum fecit: Eine Gegenüberstellung von Malerei und Rhetorik bzw. Dichtung nahmen schon viele Autoren vor, u.a. Cic. Brut. 70 similis in pictura ratio est; de orat. 2,69; 3,26; Hor. ars 361 ut pictura poesis. In Sat. 88,1 wird der Niedergang der Malerei beklagt: cum pulcherrimae artes perissent ... Weitere Stellen bei ASSFAHL 1932, 56f.

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exitum fecit: Das in dieser stilistisch gehobenen Rede auffällige exitum facere („ein Ende nehmen“) ist umgangssprachlich für das klassische exitum habere. Es bezieht sich gewöhnlich auf Personen (z.B. Sat. 45,9; Sen. epist. 115,15 quem admirator auri exitum faceret; TLL 5.2.1536.22f. und 71; HERAEUS 1937, 118 mit Anm. 2), passt hier aber zur Todesmetaphorik (Sat. 2,2. 8), siehe oben Ess. 1–4, 3. Aegyptiorum audacia tam magnae artis compendiariam invenit: Was genau Enkolp damit und v.a. mit dem Begriff compendiaria meint, ist umstritten. Die magna ars, die der compendiaria entgegengesetzt wird, könnte die griechische Malerei (mit Staffelei) des 5./4. Jh. v. Chr. bis hin zu Zeuxis, Apelles und Protogenes sein. Werke dieser drei Künstler sind es auch, die Enkolp in der Pinakothek (Sat. 83,1f.) als beispielhaft lobt, da sie noch nicht von zeittypischen Verfallserscheinungen betroffen gewesen seien. Mit den Aegyptii können die griechischen Maler Alexandriens (hell. Zeit) gemeint sein (siehe MORENO 1960, 147f.). So würde nach den griechischen Autoren hier zum zweiten Mal auf künstlerische Vorbilder aus einer weit zurückliegenden Epoche verwiesen werden. Die Gemeinsamkeit mit der Rhetorik liegt darin, dass mit den Deklamationen an den Schulen ein Einheitsbrei (Sat. 2,8 eodem cibo) gelehrt wird, der ohne viel Theorie, Lektüre, Schreibübung auskommt (vgl. Sat. 4,3) und einen raschen Weg zur Beredsamkeit verspricht (vgl. Sat. 4,2). compendiariam: Der dunkle Ausdruck ist aufgrund mangelnder Indizien nicht eindeutig geklärt. Das Adj. compendiarius, -a, -um leitet sich vom Subst. compendium ab, „etw., mit dem man Zeit gewinnen kann“, und hat ein weites Bedeutungsfeld, vgl. z.B. Sen. apocol. 13,2; epist. 27,6; 119,1, siehe MORENO 1960, 161f. compendiaria ist ein Adj. fem. (scil. via, iter oder pictura: „Schnellmalerei“, „abgekürzte Malerei“ o.Ä.; vgl. griech. μ ). Ob es sich dabei um einen t.t. aus der Kunstgeschichte handelt, ist aufgrund der dürftigen Quellenlage nicht zu ermitteln. Auch bei Plin. nat. 35,100, der Philoxenos von Eretria (4. Jh. v. Chr.) als Erfinder der compendiariae (Plinius gebraucht den Begriff im Plural) bezeichnet, wird der Ausdruck nicht kommentiert: celeritatem praeceptoris (= Nicomachos) secutus breviores etiamnum quasdam picturae compendiarias invenit. Bei Petron impliziert der Begriff wohl gewisse Techniken, die sich durch Einfachheit und Zeitersparnis auszeichnen, z.B. skizzenhafte Bildausführung, Farbfleckenmalerei, Einsatz von Schablonen, „simple landscape vignettes“ (POLLITT 1970, 333f.) o.Ä., vielleicht auch eine Kombination dieser Methoden. Zum Problem siehe MORENO 1960; BAGNANI 1962; SCARCIA 1964 und 1966; SETTIS 1970 und POLLITT 1970, 327–34.

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tam magnae artis: Umgangssprachliches tam magnus ersetzt in den Sat. häufig tantus, siehe PETERSMANN 115; HOFMANN 99 §94 mit Nachtrag; HSZ 206 §110 Zusatz .

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Kapitel 3 Agamemnon antwortet, schuld am Niedergang der Rhetorik seien nicht nur die Lehrer, sondern auch die Schüler und deren Eltern. § 3,1 non est passus Agamemnon me diutius declamare in porticu quam ipse in schola sudaverat, sed ‘adulescens’ inquit ‘quoniam sermonem habes non publici saporis et, quod rarissimum est, amas bonam mentem, non fraudabo te arte secreta: Agamemnon ließ es nicht zu, dass ich länger in der Halle deklamierte, als er selbst im Hörsaal geschwitzt hatte, sondern sagte: „Junger Mann, da du eine Redeweise von nicht alltäglichem Geschmack hast und, was höchst selten ist, gesunden Menschenverstand schätzest, will ich dir die Geheimnisse unserer Kunst nicht vorenthalten. non est passus Agamemnon me diutius declamare ... sed: Durch seine Schuldzuweisung hat Enkolp den Widerspruch des Lehrers provoziert. Mit non est passus ... baut der Satz Spannung auf bis zum auflösenden sed. Dieselbe Struktur (neg. Satz + diutius + sed + direkte Rede) findet sich in Sat. 24,1 non tenui ego diutius lacrimas, sed ... inquam. Weshalb unterbricht Agamemnon Enkolp genau hier? Vielleicht befürchtet er, Enkolp könne vom eigentlichen Thema abkommen und sich in ausufernder allgemeiner Kulturkritik verlieren. Agamemnon: Der Name erscheint in den Sat. hier zum ersten Mal; eingeführt wurde die Figur des Redelehrers wohl schon zuvor, doch ist diese Stelle nicht erhalten. Sein Assistent heißt bezeichnenderweise Menelaus (Sat. 27,4f.; 81,1 antescolanus). Schon Varro gab einem „begnadeten“ Redner den Namen Agamemnon (Varro Men. 570A). Bekannt ist der Name Agamemnon aber in erster Linie von dem homerischen : „There is a touch of pathos in the adoption of role here: a small-town teacher of rhetoric and his assistant recasting themselves as the sons of Athreus, heroes of the Trojan War“ (SLATER 1990, 32). Im Vergleich mit dem homerischen Agamemnon besteht noch eine weitere ironische Differenz. In der Ilias gilt Agamemnon nicht als einer der Redegewaltigsten, eher im Gegenteil: Im 2. Gesang hält er die berühmte ‘Peira’Rede, mit der er bewirkt, dass das Heer beinahe vorzeitig nach Hause gefahren wäre; nur dank Odysseus’ Eingreifen wird das noch verhindert. Der Agamemnon der mythologischen Tradition hat mit dem Agamemnon der Sat. auch charakterliche Ähnlichkeiten: Beide sind „Opportunisten, die die Interessen einer höheren Ordnung ihren persönlichen Interessen – oder was sie dafür halten – aufopfern. Der mythologische Agamemnon hält die Befriedigung seiner Hab- und Ehrsucht für wichtiger als das Leben seiner Tochter oder das Gelingen der Expedition, deren Führer er ist. Der petronische Agamemnon

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findet sein bequemes Leben wichtiger als seinen Studenten eine gute Ausbildung zu geben“ (KARDAUN 1993, 133). Für beide gilt also auf je ihre Weise: μμ ’ , ’ (so Achill über Agamemnon, Hom. Il. 1,225). COURTNEY 2001, 54 vermutet, dass Agamemnon (der Name ist auch in der lateinischen Epigraphik belegt, CIL 6,10395) und Menelaos Freigelassene sind, die von ihrem früheren Besitzer dieses aus der klassischen Literatur entlehnte Namenpaar erhalten haben. Diese Benennungspraxis war damals durchaus üblich (belegt sind z.B. Amphion und Zethus), auch wenn die Namen Agamemnon und Menelaos nicht als Paar bezeugt sind, siehe SOLIN 1990, 25f. Zum Namen Agamemnon PRIULI 1975, 55 mit Anm. 189; KARDAUN 1993, 132f. declamare in porticu: Enkolps Polemik ist natürlich keine Deklamation im eigentlichen Sinn, entspricht aber im Stil einer solchen Redeübung (SOVERINI 1985, 1731 Anm. 116). Der rhetorische t.t. wird hier selbstironisch gebraucht, „a mildly amusing metaphor“ (KENNEDY 1978, 173). Zu porticus siehe unten Sat. 6,1 in porticum venit. quam ipse in schola sudaverat: sudare meint hier declamare (Agamemnon hielt zuvor eine suasoria, was aus Sat. 6,1 hervorgeht), wobei der Aspekt der Anstrengung betont wird („sich abmühen, ins Schwitzen kommen“). Schwitzen in angemessenem Ausmass gehört als Zeichen der Anteilnahme zur Rednertätigkeit, siehe u.a. Tac. dial. 4,2; Quint. inst. 6,4,6 ambitiosum declamandi sudorem; 8,3,14 (im Falle von Sklavenangelegenheiten ziemt es sich nicht, auf dem Forum zu schwitzen); Sat. 44,9 (über den „König des Forums“ Safinius) nec sudavit umquam nec expuit (dazu COTROZZI 2008, 31f.); Cic. Sest. 139 sudandum est iis pro communibus commodis; ironisch Stat. Ach. 1,17f. da veniam ac trepidum patere hoc sudare parumper / pulvere. adulescens: Das unspezifische adulescens wird meist von einer älteren Person zur Anrede eines jüngeren Mannes verwendet; vgl. Sat. 90,5, wo Enkolp so von Eumolp angesprochen wird; siehe DICKEY 2002, 195–7. 308. Dass adulescens hier eine „sfumatura ironico-dispregiativa“ (RONCAIOLI 1961, 12f.) haben soll, steht im Widerspruch zum folgenden Lob der Redeweise Enkolps. quoniam: Findet sich nur noch in Sat. 79,11; Petron bevorzugt klar quod oder quia. Siehe dazu HSZ 577 §312 Zusatz und 626f. §338; PETERSMANN 282. sermonem ... non publici saporis: „Rede(weise), die nicht nach dem gemeinen Volk schmeckt“, d.h. von überdurchschnittlicher inhaltlicher und sprachlicher Qualität zeugt. Agamemnon schließt mit sapor an die gastronomischen Metaphern und das zweideutige sapere Enkolps an, siehe oben v.a. Sat. 2,1 sapere; vgl. zum Ausdruck Sat. 93,2 V.5 (anser et anas) plebeium sapit. quod rarissimum est, amas bonam mentem: Enkolp habe mit seinem Spott über die insania declamatorum seinen amor bonae mentis bewiesen. Dieser sei

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rarissimum, weil die meisten jungen Leute dem attraktiven Unsinn der Deklamation verfallen. bona mens (TLL 2.2096.79ff.) meint einen wachen, gesunden Geist (vgl. z.B. Sat. 61,1; 70,3; 88,8; 131,3), hat aber kein festes Äquivalent im Deutschen. amare bonam mentem ist eine unübliche Variante des geläufigen habere bonam mentem (Sat. 70,3; 115,3; 131,3). non fraudabo te arte secreta: ars (griech. ) ist die lehrbare und lernbare Beherrschung eines Fachs. Doch meint Agamemnon hier nicht so sehr die „Kunst der Rhetorik“ (wie in Sat. 5 V.1 artis) als vielmehr sein „Berufsgeheimnis“, das in der „Kunst der Verführung“ besteht: Rhetoren wie er seien weit mehr zu leisten imstande, aber aus praktischen und finanziellen Gründen gezwungen, das zu lehren, was die Schüler und deren Eltern wollen. Vgl. auch Sat. 3,4 Fischermetapher; 141,8 caro ... arte quadam corrumpitur. § 3,2 nimirum in his exercitationibus doctores peccant, qui necesse habent cum insanientibus furere. nam nisi dixerint quae adulescentuli probent, ut ait Cicero, „soli in scholis relinquentur“: Natürlich begehen die Lehrer mit solchen Übungen einen Fehler; sie müssen ja mit den Narren närrisch sein. Denn wenn sie nicht sagen, was die jungen Leute hören möchten, so werden sie, wie Cicero sagt, ‘in der Schule alleine sitzen bleiben’. nimirum: Das in LO einhellig überlieferte nimirum kann gehalten werden (so auch BÜCHELER1; SAGE-GILLELAND 146; BROĪEK 1966, 288; BURRISS 1941a, 274; SOVERINI 1974–5, 255; COTROZZI 2008, 34f.). nimirum erscheint bei Petron noch in frg. 14 quid est, iudices, dolus? nimirum ubi aliquid factum est. Die Konjektur Leos ni mirum , die MÜLLER in seinen Text aufgenommen hat, ist nicht zwingend, auch wenn sie die Satzlogik und den Anschluss des nächsten Satzes mit nam verbessert. Ebenfalls besteht kein Grund für Texteingriffe auf inhaltlicher Basis wie minimum (BURMAN 21) oder nimirum (BÜCHELER2–6; ERNOUT; CIAFFI), das den Lehrern jegliche Schuld absprechen würde. necesse habent: Familiarismus, vgl. u.a. Ter. Ad. 51; Cic. Att. 10,1a; 16,2,5. cum insanientibus furere: Schließt an die in Sat. 1,1 erwähnten Furien an, von denen die Deklamatoren verfolgt werden. Laut Agamemnon geht der furor also von den Schülern aus. Sprichwörtlicher Ausdruck (OTTO s.v. furere mit Belegen, z.B. Theogn. 313 μ μ μ ). Vgl. zudem Hor. sat. 2,3,40 insanos qui inter vereare insanus haberi; ein Spiel mit der Redensart treiben Cic. orat. 99 furere apud sanos et quasi inter sobrios bacchari vinulentus videtur; Sen. contr. 1,7,15 hominem inter scholasticos sanum, inter sanos scholasticum. adulescentuli: Die Absurdität, dass die doctores sich den Schülern unterordnen müssen, wird durch den Diminutiv noch verstärkt. ut ait Cicero „soli in scholis relinquentur“: Syntaktisch angepasstes Zitat aus Cic. Cael. 41 illud unum directum iter ad laudem cum labore qui probave-

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runt, prope soli iam in scholis sunt relicti über den ethischen Rigorismus der Stoiker: Cicero, der über das sexuelle Verhalten der Jugendlichen und die Haltung der Eltern und Lehrer dazu debattiert, lehnt die strenge Ethik der Stoiker als unpraktikabel ab und setzt sich stattdessen für mehr Freiheit und Vergnügen der Jugendlichen ein. Agamemnon, der sich in der Folge für strenge Unterrichtsprinzipien (Sat. 4,1–3) ausspricht, kehrt den ciceronianischen Kontext also ironisch um (siehe dazu FEDELI 2007, 89). § 3,3–4 sicut ficti adulatores cum cenas divitum captant nihil prius meditantur quam id quod putant gratissimum auditoribus fore (nec enim aliter impetrabunt quod petunt nisi quasdam insidias auribus fecerint), (4) sic eloquentiae magister, nisi tamquam piscator eam imposuerit hamis escam, quam scierit appetituros esse pisciculos, sine spe praedae moratur in scopulo: Wie falsche Schmeichler, die nach Einladungen zu Tisch bei reichen Leuten gieren, an nichts eher denken, als was ihrer Meinung nach den Zuhörern am willkommensten sei (denn nicht anders gelangen sie ans Ziel als dadurch, dass sie den Ohren gleichsam Fallen stellen), so muss der Lehrer der Redekunst wie ein Fischer, wenn er nicht den Köder an den Angelhaken hängt, von dem er weiß, dass die Fischlein nach ihm schnappen werden, ohne Aussicht auf Beute auf der Klippe sitzen bleiben. Das Gleichnis Parasit – Lehrer schließt ein weiteres Gleichnis (Lehrer – Fischer) ein, das eine Mischung aus Vergleich und Metapher ist. Die beiden Begriffe praeda und scopulus, die inhaltlich eigentlich zum Fischer gehören, sind grammatisch auf den Lehrer bezogen („korrekter“ wäre, siehe auch BURMAN 22: sicut ficti adulatores ... sic eloquentiae magistri, tamquam piscator, qui non/nisi eam ...). So verschmelzen Bild (Lehrer) und Vergleich (Fischer) zur Metapher. Als tertium comparationis ist allen drei Vergleichsebenen das Bild des Fallenstellens bzw. Köderauswerfens gemeinsam. piscator eam imposuerit hamis escam escam pisciculos praedae scopulo

magister „insidias auribus facere“ Schulstoff wie Deklamationen u.a. „adulescentulos“ Schülerschaft bzw. Verdienst „cathedra“

Das Bild, dass Fischer Menschen fischen, die sie für sich gewinnen wollen, ist (vornehmlich in negativer Konnotation) auch bekannt aus dem Alten Testament (Jer. 16,16) sowie den neutestamentlichen Evangelien (Matth. 4,19; Markus 1,17 „Ich werde Euch zu Menschenfischern machen“; Lukas 5,1ff., bes. 10), siehe Hengel 1968, 86f. Ein vergleichbares Fischer-Angel-Köder-Gleichnis findet sich auch bei Hom. Od. 12,251ff. ’ ’ μ /

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/ , / ’ („Wie ein Fischer an langer Rute, vom Vorsprung des Ufers, für die kleineren Fische den Bissen als Köder hinablässt in das Meer und das Röhrchen vom Horn des Weidestiers auswirft, schließlich die zappelnde Beute im Bogen ans Land schwingt: genauso zappelten meine Gefährten, aufwärtsgerissen am Felsen.“). Vgl. zudem Tib. 2,6,23f. haec (scil. spes) captat arundine pisces, / cum tenues hamos abdidit ante cibus; Sen. epist. 8,3 et fera et piscis spe aliqua oblectante decipitur. munera ista fortunae putatis? insidiae sunt; Mart. 4,56,4–6 qui potes insidias dona vocare tuas: / sic avidis fallax indulget piscibus hamus, / callida sic stultas decipit esca feras. ficti adulatores cum cenas divitum captant: adulator beschreibt hier den Typ des parasitus, der sich durch Schmeichelei bei Reichen zum Essen einlädt – ganz so, wie Agamemnon und Enkolp es in den Sat. selbst zu tun pflegen (Sat. 10,2; 52,7 Agamemnon qui sciebat quibus meritis revocaretur ad cenam; vgl. zudem 5 V.5 cliensque cenas impotentium captet). Schmarotzer gehören zum festen Figureninventar der Komödie und der Satire (siehe DAMON 1997; PANAYOTAKIS 1995, 7 mit Anm. 28). ficti ist neben adulatores zwar nicht ganz logisch und wird deshalb von BÜCHELER2–6; MÜLLER1 gestrichen, kann aber als verdeutlichende Verstärkung des Substantivs im Text belassen werden (wofür sollte es eine Glosse sein?), vgl. Cic. nat. deor. 1,3 fictae simulationis. So auch DELZ 1962, 680; SCHÖNBERGER 1935, 1242 und 1946, 161 Anm. 3; BROĪEK 1966, 288; DELL’ERA 1970, 98; COCCIA 1973, 17–20; MARZULLO 1996, 289. Weniger naheliegend ist, ficti als t.t. des Theaters („Schmeichler/Parasiten der Komödie“; TLL 6.1.775.20ff.; vgl. Sat. 117,6 serviliter ficti dominum consalutamus) aufzufassen, wie PANAYOTAKIS 1995, 7; ERNOUT; CIAFFI; ARAGOSTI. Vgl. auch Diskussion bei COTROZZI 2008, 36–8. nihil prius meditantur quam id quod putant gratissimum auditoribus fore: Typisches Verhalten eines Schmeichlers, vgl. Ter. Eun. 251–3 quidquid dicunt laudo; id rursum si negant, laudo id quoque; / negat quis; nego; ait: aio; postremo imperavi egomet mihi / omnia adsentari; Sen. epist. 77,5 quia adulator et blandus, id consilium dabat quod deliberanti gratius fore suspicabatur. prius steht hier für „magis, potius“, TLL 10.2.1341.30ff. nec enim aliter impetrabunt quod petunt nisi quasdam insidias auribus fecerint: Der Satz ist redundant. nec steht hier für non. Die insidiae sind im übertragenen Sinn zu verstehen und werden weshalb durch quasdam abgeschwächt, vgl. oben Sat. 2,6 ut ita dicam; 2,7 veluti; 2,8 quasi. Zu sprachlichen insidiae (TLL 7.1.1891.17ff.) vgl. u.a. Cic. orat. 170 nimis enim insidiarum ad capiendas auris adhiberi videtur. , /



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sic eloquentiae magister ...: Eine ähnliche Aussage findet sich in Tac. dial. 29,4, wo Messalla sagt, dass Lehrer die Schüler durch das Lockmittel der Schmeichelei (inlecebris adulationis) für sich gewinnen. Dasselbe sagte Agamemnon bereits in Sat. 3,2 nam nisi dixerint quae adulescentuli probent, ut ait Cicero, „soli in scholis relinquentur“. nisi ... imposuerit ..., scierit ..., moratur: Präsens (moratur) statt Futur neben Fut. II (imposuerit, scierit) ist umgangssprachlich, vgl. z.B. Sat. 100,7 quid porro ad rem pertinet, si dixero Licham Tarentinum esse dominum huiusce navigii ...? Siehe PETERSMANN 168; HSZ 660 §360; KLOTZ 1913, 255. eam imposuerit hamis escam: esca kann „Leckerbissen“ oder „Köder“ heißen: Im ersten Sinn Pers. 1,22 auriculis alienis colligis escas (siehe KISSEL 1990, 142 Anm. 113). Bei Petron gibt der Kontext der Angelmetapher den Sinn „Köder“ vor (TLL 5.2.855.18ff.), vgl. Cic. Cato 44 divine enim Plato ‘escam malorum’ appellat voluptatem, quod ea videlicet homines capiantur ut pisces; Plin. nat. 10,194 non omnes (scil. pisces) eadem esca capiuntur. pisciculos: Lesart von L P, während R pisces und B discipulos (wohl aufgrund des Subjekts des Satzes eloquentiae magister) haben. MARZULLO 1996, 289f. (ebenso VAN THIEL 1971, 73; dagegen PECERE 1973, 73) verteidigt discipulos; die pisciculos seien aufgrund des Diminutivs zu klein als Beute, doch vgl. adulescentuli in Sat. 3,2. Zudem passt discipulos nicht in die Fischermetapher, die fast sprichwörtlich ist, vgl. Mart. 4,56,5 sic avidis fallax indulget piscibus hamus; 6,63,5f.; Hor. epist. 1,7,74 und Ov. ars 3,425f. u.a. Auch das folgende spe praedae kann sich nur auf Fische und nicht auf Schüler beziehen.

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Kapitel 4 Agamemnon setzt seine Rede fort. Er wisse, wie man die Schüler unterrichten müsse. § 4,1 quid ergo est? parentes obiurgatione digni sunt, qui nolunt liberos suos severa lege proficere: Wie steht es also? Die Eltern verdienen den Tadel, weil sie nicht wollen, dass ihre Kinder durch strenge Disziplin weiterkommen. quid ergo est?: Die mechanisierte Wendung der Umgangssprache dient dazu, den Kontakt zum Gesprächspartner aufrechtzuerhalten, und leitet hier die Schlussfolgerung ein. Vgl. z.B. Cic. Att. 2,19,5; Hor. ars 353; Sen. epist. 1,5; 99,16; Sat. 30,11; 129,8; KST II 143 §175,7; HOFMANN 67 §66. parentes obiurgatione digni sunt: Agamemnon schiebt die Schuld am Verlust der Beredsamkeit in letzter Konsequenz den Eltern zu. Der Ausdruck birgt ein leichtes Paradox: Eigentlich sollten die Eltern selbst ihre Kinder bei Fehlverhalten obiurgare. Der negative Einfluss der Eltern auf die Erziehung der Kinder ist ein Allgemeinplatz in der Debatte um den Niedergang der Rhetorik (siehe auch Ess. 1–4, 5): Pers. 1,79f. hos pueris monitus patres infundere lippos / cum videas; Tac. dial. 28,2 neglegentia parentum; 29,2; Quint. inst. 1,2,6–8 Schuld ist die indulgentia der Eltern: inde soluti ac fluentes non accipiunt ex scholis mala ista, sed in scholas adferunt (1,2,8); 10,5,21 obstant huic ... nonnihil etiam persuasio patrum numerantium potius declamationes quam aestimantium. Über die übertriebenen Ambitionen und die Ungeduld der Eltern sowie deren unerträgliche Auswirkungen auf die Lehrer hat Horaz’ Lehrer L. Orbilius Pupillus ein ganzes Buch geschrieben: Suet. gramm. 9 librum etiam cui est titulus Peri algeos edidit continentem querelas de iniuriis quas professores neglegentia aut ambitione parentum acciperent. qui nolunt: Der Indikativ im kausalen Relativsatz ist auch im klassischen Latein nicht ungewöhnlich, dazu PETERSMANN 271; HSZ 559 §300b; KST II 292–4 §194. Vgl. zudem Sat. 10,2 qui ut foris cenares poetam laudasti. liberos suos severa lege proficere: Das pleonastische suos gehört der Alltagssprache an, siehe HOFMANN 137–9 §128 mit Nachtrag; PETERSMANN 130f.; HSZ 178f. §104; KST I 597 §116. severa lege: Der Ausdruck (zu lex TLL 7.2.1247.73ff. „artis, actionum regulae“) steht hier für severitas, die allgemein als Grundpfeiler der schulischen Erziehung galt: Quint. inst. 1,2,5 disciplinam, quae maxime severa fuerit; Plin. epist. 3,3,3 scholae severitas; Tac. dial. 28,6 disciplina ac severitas; 29,4 severitate disciplinae. Vgl. unten Sat. 4,3 ut ... lectione severa irrigarentur; 5 V.3 frugalitatis lege ... exacta.

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§ 4,2 primum enim sic ut omnia, spes quoque suas ambitioni donant. deinde cum ad vota properant, cruda adhuc studia in forum impellunt et eloquentiam, qua nihil esse maius confitentur, pueris induunt adhuc nascentibus: Denn zuerst ordneten sie, so wie alles, auch ihre Hoffnungen dem Ehrgeiz unter. Sodann eilen sie auf das Gewünschte zu: Sie treiben noch unreife Studien aufs Forum und streifen den gerade auf die Welt kommenden Knaben die Rhetorik über, die sie für das Allerhöchste halten. sic ut omnia, spes quoque suas ambitioni donant: spes steht metonymisch für den Nachwuchs, auf den sich der Ehrgeiz richtet (so schon HEINSIUS und BOSCHIUS bei BURMAN 23; später auch HESELTINE–WARMINGTON), vgl. OLD s.v. spes 5b. Der Bezug auf die Kinder liegt hier so klar auf der Hand, dass es abwegig scheint, spes suas als die „persönlichen Aussichten“ der Eltern zu deuten (wie EHLERS; DELZ 1981a, 62). Die ambitio, ursp. die rechtmäßig (später auch gesetzwidrige) Bemühung eines Politikers um eine politische Laufbahn, galt lange als wichtigstes Motiv im menschlichen Leben, wurde aber u.a. von Horaz (sat. 1,6,129 misera ambitione) und später in der Kaiserzeit als gefährliches Laster der römischen Gesellschaft abgelehnt. Der analog zu vitam donare patriae (z.B. Cic. Sest. 47; OLD s.v. dono 3b) u.Ä. konstruierte Ausdruck bereitet keine Schwierigkeiten. Deshalb ist DELZ’ (1981a, 62) Änderungsvorschlag zu ambitione obruunt (LO ambitione) unnötig. cum ad vota properant: Subjekt sind immer noch die Eltern. Vgl. zum Ausdruck Sat. 89 V.16 in vota properat; 64,9 ad rixam properaret. cruda adhuc studia: Die „noch unreifen Studien“ können bildlich verstanden werden als die Elementarübungen aus der Schule, die auf dem Forum nichts zu suchen haben. Meist werden die cruda ... studia aber als Metonymie für die noch nicht ausgebildeten Schüler (Person-Sache-Beziehung, LAUSBERG 292 §568 1) angesehen (z.B. EHLERS „Talente“). Doch werden die Schüler selbst unmittelbar darauf erwähnt (pueris induunt adhuc nascentibus), was zu einer Redundanz führen würde. Das Bild ist dem kulinarischen Bereich entlehnt, wo er für unreife Lebensmittel oder noch nicht verdaute Speisen steht, und ist dem Kontext der Literaturkritik nicht fremd, vgl. Pers. 1,51f. non siqua elegidia crudi / dictarunt proceres? („ohne verdaut zu haben“); 1,92 sed numeris decor est et iunctura addita crudis (technische Unvollkommenheit); in übertragenem Sinn Stat. Ach. 1,276f. cruda exordia magnae / indolis; 1,478 cruda rudimenta u.a. in forum impellunt: MÜLLER (nach BÜCHELER3-6) sowie die anderen modernen Editoren (mit Ausnahme von ERNOUT; PELLEGRINO1–2; DÍAZ Y DÍAZ) stören sich am überlieferten impellunt (ltvO; propellunt von dmrtp BÜCHELER1–2 [also nur von inferioren Handschriften gestützt]) an und klammern das Präfix

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ein. Dazu gibt es keinen Grund: impellere mit in + Akk. im Sinn von „stoßen“ ist geläufig (TLL 7.1.540.34ff.; z.B. Luc. 5,145f. haerentem dubiamque premens in templa sacerdos / impulit). pellere mit in + Akk. ist selten (TLL 10.1.1011.67ff.). Die Notwendigkeit einer guten Ausbildung, bevor man aufs Forum geht, betont auch Cic. Brut. 311: Er selbst sei nicht zum Lernen, sondern als doctus aufs Forum gegangen. et eloquentiam ... pueris induunt adhuc nascentibus: induere nach OLD s.v. induo 6 („to implant [a quality, feeling, etc., in], impart [to]“) bzw. TLL 7.1.1265.41ff., vgl. Quint. inst. 4,1,28 fictam orationem induere personis; 4,1,47 causas propriis personis debet induere. Siehe ASSFAHL 1932, 34. Der bildhafte Ausdruck pueris ... adhuc nascentibus ist hyperbolisch. § 4,3 quod si paterentur laborum gradus fieri, ut studiosi iuvenes lectione severa irrigarentur, ut sapientiae praeceptis animos componerent, ut verba atroci stilo effoderent, ut quod vellent imitari diu audirent, sibi nihil esse magnificum quod pueris placeret, iam illa grandis oratio haberet maiestatis suae pondus: Wenn sie aber ein schrittweises Lernen zuließen, so dass die jungen Leute im Studium mit ernsthafter Lektüre genährt würden, sie ihren Geist an den Maximen der Philosophie formten, mit dem Griffel unerbittlich Worte von der Wachstafel kratzten und lange hörten, was sie nachahmen wollten, wenn sie sich davon überzeugen ließen, dass nichts von hohem Wert sein kann, was Knaben gefällt, dann käme jene erhabene Rede wieder in ihrer majestätischen Würde zur Entfaltung. laborum gradus fieri, ut ... ut ... ut ... ut: Die Empfehlungen Agamemnons (Lektüre, Studium der Philosophie, Schreiben, Hören und Nachahmen) orientieren sich an Ciceros Unterrichtsprogramm in De oratore: der kanonischen Trias audire, legere, scribere (vgl. z.B. Cic. de orat. 1,95; Quint. inst. 10,1,2f. und 20) und ihren Variationen (2,90. 96. 131 usus, auditio, lectio, litterae). Die einzelnen Komponenten der schulischen Bildung werden in den ut-Anaphern aufgezählt, jedoch nicht in der üblichen Abfolge vom Einfachen zum Komplexen. Es handelt sich hier also nicht um eine systematische Beschreibung der gradus laborum, d.h. des graduellen Lernens mit zunehmendem Schwierigkeitsgrad (siehe auch CITRONI 1975a, 298; BATTISTELLA 2006, 200). Zum Konzept der gradus vgl. Cic. Brut. 232 gradus tuos (scil. Ciceronis) et quasi processus dicendi studeo cognoscere; Tac. dial. 30,3 (scil. Cicero) sua initia, suos gradus, suae eloquentiae velut quandam educationem refert. ut ... lectione severa irrigarentur: Die Schüler mit Pflanzen verglichen. irrigare (wörtl. „bewässern“) bezeichnet hier bildliches „Nähren“, TLL 7.2.420.34, und gehört zur Wassermetaphorik, siehe Ess. 1–4, 3. Zu lectione severa vgl. oben Sat. 4,1 severa lege. Die Lektüre der griech. und lat. Klassiker war ein fundamentaler Bestandteil des Rhetorikunterrichts,

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darüber informiert Quint. inst. 10 (z.B. inst. 10,1,8. 10. 17. 19). So auch Sat. 5 V.11ff. ut sapientiae praeceptis animos componerent: Allen voran legt Cicero Wert auf die Verbindung von eloquentia und sapientia und betont mehrfach die Wichtigkeit des Studiums der Philosophie sowie angrenzender Gebiete für einen künftigen Redner, z.B. in Cic. de orat. 1,45–54; 1,219–33; 3,132–43; orat. 11–9; Tac. dial. 30–2; Hor. ars 310–8; Quint. inst. 10,1,35; 12,2,v.a. 22f. Die Unterrichtsrealität sah jedoch vielfach anders aus (MARROU 1957, 307). Die Junktur praecepta sapientiae erscheint noch bei Cic. Pis. 59; Sen. epist. 94,16; Tac. ann. 15,62,2; Quint. inst. 1,4,4 u.a. Die Junktur animum/-os componere findet sich sonst v.a. noch bei Seneca (dial. 4,18,2 teneros adhuc animos componere; 5,13,6. 39,1; epist. 61,3; 89,9); TLL 3.2120.76ff. ut verba atroci stilo effoderent: Über die Bedeutung des Ausdrucks ist viel diskutiert worden. Mit effodere muss entweder das Schreiben auf der Wachstafel gemeint sein (so SCHÖNBERGER 1929, 1199 und 1938, 175 und 221; DELZ 1962, 680 und 1981, 67; COCCIA 1973, 21 Anm. 28; MÜLLER ab Ed. 2), das normalerweise mit exarare ausgedrückt wird. Oder es steht, was m.E. wahrscheinlicher ist, für die Korrektur von Geschriebenem (so KISSEL 1978, 319 Anm. 41; CITRONI 1975a; BATTISTELLA 2006; TLL 5.2.197.77f.), obwohl man Fehler nicht „ausgrub“, sondern mit dem Griffel glattstrich. Für Zweiteres setzte sich jüngst BATTISTELLA 2006 überzeugend ein. Sie sieht in dem Ausdruck ein Bild aus der landwirtschaftlichen Sphäre, wo effodere t.t. für das Jäten von Unkraut ist (Cato agr. 50,1 herbasque malas omnis radicitus effodito). Redundanzen sollen entfernt werden, wie der Bauer das Unkraut ausreißt, vgl. Cic. de orat. 2,96 (wie schon SCHÖNBERGER 1939, 512 sieht; vgl. COCCIA 1973, 21 Anm. 28): in qua (scil. oratio) nunc interdum, ut in herbis rustici solent dicere in summa ubertate, inest luxuries quaedam, quae stilo depascenda est. Dazu passt auch das Bild in Sat. 4,3 iuvenes ... irrigarentur. Anders CITRONI 1975a, der effodio im Sinn von confodio auffasst (Plin. epist. 9,26,13 ut quaedam ex hac epistula ... confodias). Das Tilgen von Geschriebenem, das für das Schreibenlernen (die Korrektur als Lernprozess) steht, impliziert natürlich auch den Schreibvorgang. Deshalb ist die Konjektur utroque stilo von DELZ 1981 (und zuvor 1962, 680 critico), die auf die Doppelfunktion des Griffels als Schreib- und Korrekturwerkzeug verweist, unnötig. Auch im Zusammenhang mit atroci stilo passt das Korrigieren besser (atrox nach OLD s.v. atrox 7, vgl. Hor. carm. 2,1,24 atrocem animum Catonis). Zu atrox stilus als erbarmungsloses Korrekturwerkzeug gesellen sich Stellen wie Mart. 1,3,9f., der den eigenen Schreibstift, mit dem er Korrekturen an den verfassten Versen vornimmt, als tristis harundo bezeichnet, Plin. epist.

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7,17,13, der vom emendator asperrimus spricht (bezugnehmend auf Cic. de orat. 1,150 stilus optimus et praestantissimus dicendi effector ac magister) oder Hor. ars 294, der das Feilen und Ausmerzen von Fehlern als castigare ad unguem bezeichnet. Oft kommt die Empfehlung, den stilus zu gebrauchen, der Forderung nach Korrektur und Selbstkritik gleich: Hor. sat. 1,10,72 saepe stilum vertas (diese Stelle halten PARATORE II 18 und SAGEGILLELAND 147 für ausschlaggebend); Quint. inst. 10,4,1 neque enim sine causa creditum est stilum non minus agere, cum delet. Eher abwegig SCHÖNBERGER 1938, 175 und 221 (atrox = ; stilus = schriftliche Übung); MÜLLERS Konjektur Attico stilo – eine der Attizismus-Debatte geschuldete Behelfslösung. Eine solch explizite Parteinahme ist im Diskurs Agamemnons sonst nicht zu finden. Bedenkenswert hingegen ist die von FUCHS 1959, 58 angesetzte Lücke ut verba atroci, denn irgendein Adjektiv zu verba wäre schon erwünscht (verba ). Dies hätte leicht durch Homoioteleuton ausfallen können. In dieselbe Richtung geht MARZULLOS 1996, 290f. atrocia (GIARDINA 1978–9, 387 acri bzw. acriore). ut quod vellent imitari diu audirent: Zur Wichtigkeit der imitatio siehe Cic. de orat. 2,90 und 96; Hor. ars 268f. vos exemplaria Graeca / nocturna versate manu, versate diurna; Quint. inst. 10,2. : MÜLLER hat zu Recht die Ergänzung von WINTERBOTTOM 1972, 11 in seinen Text aufgenommen, wodurch eine parallele Konstruktion zum vorangehenden si paterentur geschaffen wird, die evtl. wegen der Nähe zu sibi ausgefallen ist. Dadurch gewinnt die Stelle an Klarheit: Nicht die Jungen, sondern deren Eltern sind hier gemeint, von deren Ehrgeiz der ganze Passus handelt. Deshalb weniger gut BÜCHELERS2–6 nach Haupt (dabei bleiben die pueri Subjekt) oder BIRTS (1928, 44) conscii anstelle des folgenden sibi. sibi nihil esse magnificum quod pueris placeret: Vgl. Juv. 10,167 ut pueris placeas. Zu unkritischem Lob und unpassendem Beifall Quint. inst. 2,2,9–13; 10,1,130. iam illa grandis oratio haberet maiestatis suae pondus: Mit illa grandis oratio verweist Agamemnon auf das von Enkolp in Sat. 2,6 grandis ... oratio geschilderte Ideal, vgl. Tac. dial. 30,5 illa admirabilis eloquentia. Deshalb beschränkt sich maiestas auch nicht (wie SCHÖNBERGER 268 meint) auf den hohen (grandis) Stil. Vgl. zu maiestas in Bezug auf die Sprache und Rhetorik (TLL 8.158.16ff.) Cic. orat. 20 maiestate verborum; Lael. 96 quanta in oratione maiestas!; Quint. inst. 12,11,30 ipsam igitur orandi maiestatem, qua nihil di immortales melius homini dederunt. Zu pondus vgl. Quint. inst. 10,7,28 ita enim servabitur pondus (Gewicht des gesprochenen Worts).

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§ 4,4 nunc pueri in scholis ludunt, iuvenes ridentur in foro, et quod utroque turpius est, quod quisque perperam dicit, in senectute confiteri non vult: Heute spielen die Knaben in den Schulen, die jungen Leute machen sich lächerlich auf dem Forum und – was schlimmer ist als beides: Wer etwas falsch gelernt hat, will es im Alter nicht eingestehen. nunc pueri in scholis ludunt, iuvenes ridentur in foro: „Bilingual pun, since means both ‘leisure’ and ‘school’“ (COURTNEY 2001, 59). Vergleichbar ist die Schlussfolgerung Enkolps in Sat. 1,2 nunc ... ut cum in forum venerint, putent se in alium orbem terrarum delatos (siehe oben). Cic. de orat. 3,94 nennt die Rhetorenschulen impudentiae ludus, vgl. Tac. dial. 35,1; Plin. epist. 2,14,1–3. Jüngere Schüler werden meist als pueri, ältere als adulescentes, adulescentuli oder iuvenes bezeichnet (Tac. dial. 35,3). Siehe AXELSON 1948. quod quisque perperam dicit, in senectute confiteri non vult: Den besten Sinn ergibt die Lesart didicit der Handschrift A, die zwei Parallelstellen stützen: Hor. ars 417f. mihi turpe relinqui est / et quod non didici sane nescire fateri; epist. 2,1,84f. turpe putant ... quae / inberbes didicere, senes perdenda fateri. discit (LP) wird nur von PELLEGRINO1–2 aufgenommen, dicit (BR) von SOLARO 2000. Letzterer stützt sich auf Varro u.a. ling. 9,17 verba perperam dicta für falsche Aussprache. confiteri ist unnötigerweise zu korrigieren versucht worden: corrigere JACOBS; confutari ROHDE 1879, 845; confiteri non vult COURTNEY 1970, 65; infitiari SHACKLETON BAILEY 1987, 458. § 4,5 sed ne me putes improbasse schedium Lucilianae humilitatis, quod sentio et ipse carmine effingam: Damit du aber nicht meinst, ich hätte die Stegreifdichtung von lucilianischer Schlichtheit missbilligt, will auch ich meine Gedanken in einem Gedicht ausdrücken. sed ne me putes improbasse: Agamemnon will anscheinend den Eindruck entkräften, er schätze – und beherrsche – nur die gelehrte Rhetorik. Die humilitas steht dann im Gegensatz zur grandis oratio (Sat. 2,6; 4,3). improbasse kann analog zu Sat. 2,2 dixisse als präsentisches Perfekt aufgefasst werden (so z.B. PETERSMANN 209; PELLEGRINO2 143f.). Möglich ist aber auch das Vergangenheitstempus. Dann bezieht er sich konkret auf seine Reaktion auf einen früheren Vortrag (siehe zu et ipse) oder versucht, eine frühere (kritische) Äußerung über die lucilianische Stegreifdichtung zu revidieren (so VAN THIEL 1971, 26 Anm. 2). schedium Lucilianae humilitatis: Die Überlieferung bietet zahlreiche, jedoch korrekturbedürftige Varianten. Der rekonstruierte Text entspricht mit größter Sicherheit dem originalen Wortlaut (siehe unten). Vgl. sprachlich und inhaltlich Sat. 132,15 V.2 novae simplicitatis opus.

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Agamemnon kündigt lediglich ein Gedicht an (carmine). Dass es sich dabei um ein schedium handelt, ist alles andere als zwingend: Der Wortlaut von Sat. 4,5 deutet eher darauf hin, dass mit schedium Lucilianae humilitatis auf nicht überlieferte Verse, wahrscheinlich ein von Enkolp gesprochenes Gedicht zu Beginn der Szene, angespielt wird (so auch SETAIOLI 2002, 254–7), auf das Agamemnon jetzt antwortet. Natürlich kann die Lucilianae humilitas als Stilvorgabe für das folgende Gedicht gelten, zumal Agamemnon mit seinem dichterischen Vortrag ja beweisen will, dass er diese sehr wohl zu schätzen und einzusetzen weiß (ein Gedicht nach Art des Lucilius; eine oratio Ciceronianae eloquentiae stammt auch nicht von Cicero). schedium: schedium (lmrmtmp) ist eine Konjektur von PITHOU, wohl auf der Basis der Lesart in B schadium (dmr haben studium): „ein aus dem Stegreif gemachtes Gedicht“, von „Improvisation“ bzw. „improvisiert“ (siehe dazu CAVALCA 2001, 149f.). Den Ausdruck, der im Lateinischen kaum gebräuchlich war, hat Lucilius zur bescheidenen Beschreibung seiner Dichtung benutzt: Lucil. 1296K qui schedium fa. Alle Belege des Worts beziehen sich auf Lucilius, z.B. Fest. p. 450,16L a genus navigii ; Paul. Fest. p. 451,9L schedia genus navigii inconditum, id est trabibus tantum inter se nexis factum, unde mala poemata schedia appellantur – hier wird der Begriff mit schedia (gr. [scil. ]), „Floß, grob gezimmertes Boot“, in Verbindung gebracht; Apul. Socr. praef. I 104M etiam in isto, ut ait Lucilius, schedio *** et incondito, experimini. Mit Lucilius’ Bescheidenheitstopos und Bekenntnis zu den niedrigeren Gattungen stellt sich Agamemnon in eine Reihe mit diesem und zahlreichen anderen Dichtern: Kall. fr. 1,24Pf. ... ; Hor. sat. 1,4,39–44; 2,6,17 musaque pedestri; Pers. prol. 1–7. Lucilianae: Lucil(l)ian(a)e in lmtpB (dagegen Lucianae in lRP und Lucinianae in dmr). Gaius Lucilius, der bedeutendste Satiriker Roms vor Horaz (180?–102/1 v. Chr.), war sehr produktiv (mind. 30 Bücher Satire, erhalten ist ein Bruchteil), seine Verse seien aber nicht immer bis ins Letzte ausgefeilt gewesen – so das bekannte Urteil von Hor. sat. 1,4,9–13 nam fuit hoc vitiosus: in hora saepe ducentos, / ut magnum, versus dictabat stans pede in uno; / cum flueret lutulentus, erat quod tollere velles; / garrulus atque piger scribendi ferre laborem, / scribendi recte. Er habe sie zu schnell (also quasi !) und nicht mit der nötigen Sorgfalt verfasst: 1,10,1–2 nempe inconposito dixi pede currere versus / Lucili. Darauf könnte Agamemnon verweisen. Hingegen sind die sprachlichen Parallelen zu Lucilius, die COLLIGNON 1892, 233–5 aufzeigt, zu alltäglich und haben keinen großen Aussagewert. humilitatis: humilitatis ist eine Randnotiz des Codex Bernensis (Bm und dmrt), die Mehrheit der Manuskripte hat improbitatis (improbitatis pO und vel

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improbitatis humilitatis in l), das wohl eine Echoschreibung von improbasse ist, siehe BÜCHELER1 App.; MÜLLER 1978, 749 mit Anm. 2. „Unambitiousness, commonplaceness (of style)“ nach OLD s.v. humilitas 5; TLL 6.3.3117.55ff., vgl. Quint. inst. 8,3,21 vim rebus aliquando verborum ipsa humilitas adfert. Die humilitas bezeichnet hier die humilis oratio (vgl. Cic. orat. 196 humili sermone; 192 humilem et abiectam orationem) des Lucilius (so FLORES 1982, 71). et ipse: et ipse deutet (wie auch improbasse, siehe oben) sehr wahrscheinlich auf ein vorhergehendes, jetzt ausgefallenes, von Enkolp gehaltenes Gedicht hin (so COLLIGNON 1892, 228; SUESS 1927, 91; CIAFFI 1955, 24; BARNES 1971, 27f.; COSCI 1978, v.a. 202f.; COURTNEY 2001, 59; SETAIOLI 2002, 254–9). Agamemnon stellt sich der Herausforderung und will seine Meisterschaft auch in dieser Gattung beweisen. Nicht naheliegend ist es, et ipse auf Lucilius zu beziehen (so FLORES 1982, 72. 76; WALSH): „auch ich drücke meine Gedanken in Versen aus, wie Lucilius das gemacht hat“. carmine effingam: Das Verb in diesem Sinn verwenden bereits Rhet. Her. 4,63 effingitur verbis corporis cuiuspiam forma; Cic. nat. deor. 1,47 cum artificium effingitis; vgl. Hor. carm. 4,2,32 carmina fingo; Mart. 12,94,9 epigrammata fingere coepi. Ähnlich leitet Eumolp in Sat. 89,1 conabor opus versibus pandere zu einem Gedicht ein.

Agamemnons Gedicht (Sat. 5) Agamemnons Verse in Sat. 5 sind nach der Troiae halosis (Sat. 89) und dem Bellum civile (Sat. 119–124,1) das drittlängste Gedicht der Sat. Der Text ist unvergleichbar schlecht erhalten, die Rekonstruktion oft nicht befriedigend. Die ungewöhnliche Kombination von Choliamben und Hexametern erinnert an Persius (dazu Punkt 1 und 2). Thema der Verse ist das Postulat, der Schüler solle seine Zeit nicht mit Unnützem und Lasterhaftem verschwenden (Choliamben, dazu Punkt 2), sondern zur fleißigen Lektüre nutzen (Hexameter, dazu Punkt 3). V.a. der zweite Teil zeichnet sich durch eine pompöse Sprache aus, die reich an Metaphern und blumigen Ausdrücken ist (dazu Punkt 4).

1. Metrum Das Gedicht besteht aus zwei aufeinanderfolgenden, metrisch verschiedenen Versgruppen: acht Choliamben und 14 Hexametern, die zwei unterschiedliche, aber verwandte Themen behandeln. Die zwei Teile werden in der Forschung einhellig als zusammengehörig aufgefasst, obwohl ein solcher Wechsel des Versmaßes in der lateinischen Literatur unüblich ist und die zwei erwähnten Versmaße an keiner anderen Stelle nebeneinander verwendet werden – mit einer Ausnahme: Persius hat ein Gedicht in Hinkjamben verfasst und es, so der heutige Stand der Forschung (siehe KISSEL ad loc.), seinen in Hexametern gehaltenen Satiren als Eröffnung vorangestellt (mehr dazu unter Punkt 2). Der Wechsel des Metrums zeigt den thematischen Wechsel von den praktischen Ratschlägen für den Lebenswandel zum literarischen Programm an, das ein Redner Agamemnon zufolge absolvieren sollte (siehe WALSH 1970, 86; BARNES 1971, 22f.; SETAIOLI 2002, 261; NELSON 1956, 204 mit Anm. 12). Die Hinkjamben können als pars destruens (auch wenn V.2–3 nicht verneint sind) bezeichnet werden. Die daktylischen Hexameter, die das literarische Programm formulieren, bilden komplementär dazu die pars instruens (ähnlich sprechen STUBBE 1933, 157 und SCHÖNBERGER 1935, 1242 vom „negativen Programm“ und der positiven „Parainesis didascalica“; dagegen FUCHS 1938, 173 Anm. 32). Oder mit Cato gesprochen: Die Choliamben beschreiben den vir bonus, während die Hexameter die Voraussetzungen für dicendi peritus nennen.

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2. Anforderungen an die Lebensweise (V.1–8) In den Choliamben verkündet Agamemnon, der Student solle weder die Paläste der Mächtigen noch die Tafeln der Reichen besuchen, er solle seinen Geist nicht mit Alkohol betäuben und sein Geld nicht als Claqueur verdienen. Ironischerweise verstößt Agamemnon in den Sat. selbst gegen diese von ihm aufgestellten Forderungen. Agamemnon beklagt hier das Schwinden der mores, das von vielen – allerdings nicht von Agamemnon und Enkolp – als Ursache für den Verfall der Beredsamkeit angesehen wurde (siehe Ess. 1–4, 5). Dabei geht es Agamemnon zum einen um den Zeitverlust, den eine solche Lebensweise mit sich bringt, „eine allzu zeitraubende und außerdem sehr unwürdige Weise, sich der Sorge für den Lebensunterhalt hinzugeben“ (NELSON 1956, 4). Davon spricht auch Quintilian (inst. 12,11,18) und führt unter anderen die gleichen Beispiele an: sed breve nobis tempus nos fecimus: quantulum enim studiis partimur? alias horas vanus salutandi labor, alias datum fabulis otium, alias spectacula, alias convivia trahunt. adice tot genera ludendi et insanam corporis curam, peregrinationes, rura, calculorum anxiam sollicitudinem, invitamenta libidinum et vinum et flagrantibus omni genere voluptatum animis ne ea quidem tempora idonea, quae supersunt. Zum anderen lässt er verlauten, wie wichtig eine unabhängige Gesinnung und Meinungsfreiheit ist (V.4 regiam; V.5 impotentium; V.6 addictus; V.8 redemptus). Die Choliamben weisen eine thematische Affinität zur Persius’ Satirenprolog auf: „We cannot be blind to the irony that the earnest young poet is parroted by the cynical Agamemnon“ (COURTNEY 2001, 59; zu Spuren von Persius bei Petron siehe SUESS 1927, 89–97; SOVERINI 1985, 1732–4; GAGLIARDI 1980, 46f.; COURTNEY 2001, 59). Persius klagt dort die zeitgenössischen Dichter an, es mit ihrer Kunst lediglich auf Verköstigung und Bezahlung abgesehen zu haben: V.10f. magister artis ingenique largitor / venter, negatas artifex sequi voces. Dieselbe Kritik – und dieselbe Strategie! – führt Agamemnon in den Sat. vor.

3. Leitfaden zur literarischen Bildung (V.9–22) Die Hexameter-Passage gleicht in allen wesentlichen Aspekten einem Lehrgedicht: (daktylische) Hexameter (wie z.B. die Ars poetica von Horaz); erkennbares Lehrer-Schüler-Verhältnis; Vermittlung von Wissen; Gliederung eines komplexen Stoffs bzw. Vorgangs in zeitliche Abschnitte (V.11–17 primos ... annos; mox; hinc; modo; interdum; siehe unten V.15–16); klar umrissene Schülerfigur; sachlicher Lehrstoff und poetische Gestaltung; formale Textbau-

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steine wie Gleichnisse, Kataloge (auch unter Verwendung von sive... sive... sive... + Jussiv; siehe unten V.9–12). Agamemnon sagt mit seinem Gedicht: Statt sich mit Wein und Essen den Bauch vollzuschlagen, soll man sich mit Lektüre sättigen. In den Hexametern präsentiert Agamemnon deshalb eine Leseliste – vergleichbar mit Quintilians Leseliste im 10. Buch seiner Institutiones, wo ebenfalls zuerst die griechischen Autoren (inst. 1,10,46–50), allen voran Homer, und dann die lateinischen (10,1,85–131) angeführt werden. Von einer realistischen Darstellung der Unterrichtspraxis im südlichen Italien des 1. Jh. n. Chr. sollte man jedoch nicht sprechen (so auch JENSSON 2004, 285; vgl. zum Schulstoff in neronischer Zeit NELSON 1956; PARKS 1945, 61– 107 u.a.). Das Gedicht ist eine seltsame Mischung von Griechischem und Römischem. Angesprochen ist der griechisch(-sprechend)e Schüler, der in Rom Karriere machen will. Zuerst soll er sich (in Athen, Tarent oder Neapel, V.9– 11) mit griechischen Autoren beschäftigen (V.11–14) – mit steigendem Schwierigkeitsgrad: Homer (Schulstoff beim grammaticus bzw. μμ ), Platon und Demosthenes (Schulstoff beim rhetor bzw. oder ), was durch Zeitangaben (primos annos; mox; hinc) unterstrichen wird. Nach dem Studium der griechischen Klassiker ist der Redner schon liber und schwingt die Waffen des Demosthenes (V.13f.). Diese Grundausbildung im Griechischen ist ausreichende Basis, um auf dem Forum aufzutreten. Der Schüler soll – angekommen in die römische Welt – seinen griechischen Akzent ablegen (V.15f.). Wider Erwarten (aber insofern logisch, als der junge Redner nicht nochmals auf die Stufe des Grammatikunterrichts zurückgeht) ist das lateinische Programm nicht parallel zum griechischen aufgebaut. interdum unterbricht die chronologische Abfolge und subducta foro (V.17) macht implizit klar, dass der angesprochene Redner bereits auf dem Forum tätig ist, bevor er sich den lateinischen Autoren zuwendet (V.17–20): Die Lektüre lateinischer Klassiker verschiedener Gattungen soll dann der Fortbildung dienen (Auch Quintilian [inst. 1,2,11f.; 10,5,19 u.a.] rät dem Redner zur Weiterbildung; ebenso empfiehlt Plinius [epist. 7,9,8–16], sich fortlaufend in anderen Literaturgattungen wie der Geschichtsschreibung, dem Briefeschreiben oder der Poesie weiterzubilden, und auch Seneca sagt, man solle unentwegt lesen und schreiben; am besten studiere man eine kleine Zahl von Werken gründlich [epist. 84,1f.]). Die Tatsache, dass Agamemnons Programm nicht genau auf den römischen Schüler zugeschnitten ist, passt zum griechisch-römischen Sprach- und Kulturmix der ganzen Sat., wie JENSSON 2004, 279–92 überzeugend darlegt. In der urbs Graeca sprechen alle Latein, sogar der Ausrufer in Sat. 97,2. So ist auch davon auszugehen, dass in der Rhetorenschule Latein gesprochen wurde (so KENNEDY 1978, 177f.; SOVERINI 1985, 1727 Anm. 95 [mit Literatur]).

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Agamemnon ist jedoch allem Anschein (und dem Namen) nach Grieche, allerdings ein römischer Grieche, sonst könnte er nicht auf Latein improvisieren. Enkolp seinerseits stammt nicht aus der urbs Graeca, wahrscheinlich ist er in griechischer Sprache erzogen worden (dafür spricht auch seine griechische Perspektive in Sat. 1–4; siehe Ess. 1–4, 2). Er kann aber sehr gut Latein (ansonsten würde er sich in Sat. 68,5 nicht so über die Vergil-Verse echauffieren). Viele der Protagonisten tragen griechische Namen (wobei diese griechische oder lateinische Endungen haben können, z.B. Gitonem und Gitona). Nicht zuletzt finden sich in den Sat. zahlreiche Gräzismen (v.a. bei den Freigelassenengesprächen in der Cena). Dieses Phänomen tritt oft auf, wenn Römer Griechisches nachbilden (siehe G. WILLIAMS 1978, v.a. 138–52; in seinem Buch von 1968 zeigt er dies anhand von Plautus, Vergils Eklogen und Horaz’ Oden). Dabei ging es nicht unbedingt darum, den Text von allen griechischen Elementen zu befreien, um um jeden Preis Konsistenz zu erreichen. Ob man so weit gehen und mit JENSSON 2004 (v.a. 279–92) annehmen soll, dass die Sat. auf einer expliziten griechischen Vorlage basieren, ist jedoch fraglich („The Satyrica is essentially a hybrid, a Latin adaption of a Greek work written in a multiplicity of discourse types“ [292]).

4. Sprache und Metaphern Das Gedicht weist viele Wortwiederholungen auf engem Raum auf: mentem/mentis (V.2. 7); plenus (V.13. 22); det/det/dent (V.11. 17. 19); trucem/truci (V.4. 19); verba (V.20. 22); sono/sonet (V.16. 18); pectore (V.12. 22). Einige Interpreten sagen, dies verleihe dem carmen den Charakter einer Improvisation, so dass es sich um eine humilis oratio handle (COLLIGNON 1892, 230; PARATORE II 19; GAGLIARDI 1980, 46f.; SULLIVAN 1968, 191f.). Doch Römer waren im Hinblick auf Wortwiederholungen weniger empfindlich als wir. Die antike Literaturtheorie äußert sich auch nicht gegen Wortwiederholungen aus (siehe Einl. 2). Im Gegenteil spricht die Häufung, mit der dieses Redundanzphänomen in den Sat. zu beobachten ist, viel eher dafür, darin ein bewusst eingesetztes Stilelement zu sehen (zu Wiederholungen als Leitworten, um „Bezüge anzudeuten, Stimmungen zu schaffen oder diskrete Pointen zu setzen“, siehe MÜLLER3 503–5). Zudem ist das Gedicht sprachlich und stilistisch ausgefeilt und weist aufwendige Formulierungen auf (COSCI 1978, 202 Anm. 5; TANDOI 1965, 323 Anm. 1; SOMMARIVA 1996, 59). Das carmen ist eine „collage letterario“ (COSCI 1978, 202 Anm. 5). Einige epische Ausdrücke erinnern an Vergil: Tritonidis arces (Aen. 2,226; ecl. 2,61); mittat habenas (Aen. 6,1; 5,662); det cursum (Aen. 10,870); defundes pectore (Aen. 6,55; zu metrischen Ähnlichkeiten mit Vergil siehe BARNES 1971, 14f.

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mit Anm. 2f.). Die Wortstellung vieler Verse zeugt von stilistischer Feinheit: 1. Muster ABBA (z.B. Verg. Aen. 4,13f. quibus ille / iactatus fatis): V.12 Maeoniumque ... felici pectore fontem; 15f. Graio / vox †onerata† sono; V.20 grandiaque indomiti Ciceronis verba; V.21 his animum succinge bonis; V.21f. sic flumine largo / plenus. 2. Muster ABAB (z.B. Verg. Aen. 4,10 nostris successit sedibus hospes): V.9 armigerae rident Tritonidis arces; V.11 det primos versibus annos; V.13 et Socratico plenus grege; V.14 ingentis quatiat Demosthenis arma; V.19 bella truci memorata canore; V.22 Pierio defundes pectore verba. Der Hexameterteil ist geprägt vom Metaphernkomplex des Einnehmens (Mund, Trinken, Essen), der eine Antwort auf die cenae und den vinum in den Choliamben ist: Der Schüler soll stattdessen die Werke Homers und der Sokratiker zu sich nehmen. In V.12 trinkt der Student von der Quelle Homers, in V.13 hat er den Stil der Sokratiker gegessen, in V.19 nährt er sich von epischer Literatur, bis er in V.21f. mit Wissen gesättigt ist. In den Schlussversen (V.21f. sic flumine largo / plenus Pierio defundes pectore verba) ist der Schüler bereit, das Aufgenommene von sich zu geben. Generell wird der Prozess des Einnehmens für das Lernen gerne mit dem des Verströmens (Quelle, Fluss) für das literarische Schaffen verknüpft (Kall. fr. 1,33Pf.; De subl. 13,2; Pers. prol. 1. 14; siehe zur Wassersymbolik WIMMEL 1960, v.a. 222–33). So auch bei Persius: Ringkomposition V.1 fonte und V.14 nectar (Einschlürfen bzw. Verströmen einer Pegaseischen Flüssigkeit). Lit.: SCHÖNBERGER 1929; 1935; 1938; 1939; 1940; NELSON 1956; SCHEIDWEILER 1922; SETAIOLI 2002; 2003; KISSEL 1978; OGRIN 1983; PETRONE 2007; VANNINI 2008; YEH 2007, 409–12. 511–6.

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Kapitel 5 V.1–3: artis severae si quis ambit effectus / mentemque magnis applicat, prius mores / frugalitatis lege poliat exacta: Wer sich mit ersthafter Kunst profilieren will und Großes im Sinn hat, schule erst seine Sitten an dem strengen Gesetz der Mäßigkeit. artis severae ... effectus: ars severa ist die rhetorische Fertigkeit, die ein Schüler im Studium erwirbt, und nicht der Schulunterricht (Sat. 4,1 severa lege; 4,3 lectione severa). Zur Junktur im Kontext der Rhetorik im Gegensatz zur Poesie vgl. Ov. trist. 1,9,57 utque tibi prosunt artes, facunde, severae, / dissimiles illis sic nocuere mihi. Mit effectus wird das Effizienzkriterium betont, an dem sich jede Eloquenz messen muss, siehe LAUSBERG 29 §10,1; 43 §35; vgl. Cic. Tusc. 2,3 effectus eloquentiae est audientium adprobatio. ambit: Das in LO überlieferte amat passt wegen des kurzen a- nicht ins Metrum – MARMORALE 1948, 292 und PEPE 1949, 77 benutzen den quantitativen Fehler für eine Spätdatierung Petrons). Auch inhaltlich ist das nach Rhetorikliebhaberei klingende amare nicht passend, man erwartet etwas wie appetere oder studere. Zwei der vorgeschlagenen Konjekturen bieten sich inhaltlich gleichermaßen gut an: Die Konjektur ambit von tm, die von den meisten modernen Editoren übernommen wurde, ergibt guten Sinn (sogar besseren als das inhaltlich schwache amat) und nimmt die ambitio der Eltern in Sat. 4,2 wieder auf, hier jedoch in positivem Sinn: ambitio sana! Die Konjektur ist nicht unbestritten, zumal sich ambire mit sachlichem Obj. im Sinn von „zu erreichen suchen“ lediglich in Plaut. Amph. 69 qui ambissent palmam und 74 quasi magistratum sibi alterive ambiverit sowie in späten Zeugnissen findet (TLL 1.1850.46ff.), siehe dazu die von MÜLLER 1957, 504 geäußerten Zweifel (klar gegen ambit ist NELSON 1956, v.a. 203; für ambit sprechen sich SETAIOLI 2003, 70; TANDOI 1968, 77; FLORES 1982, 68; VANNINI 2008, 2 mit Anm. 3 aus). Inhaltlich ebenfalls überzeugend, jedoch paläographisch schwieriger zu vertreten ist die Konjektur navat von STUBBE 1933, 156 (navat effectus: „um die Vollendung bemüht“, prob. NELSON 1956, 203), vgl. Cic. Att. 9,11,2 efficere et navare; Val. Fl. 3,145 navet opus. Dagegen fallen ornat (ELLIS 1882, 237: „would dress out the qualities of art“) sowie die Umstellung in amat severae si quis artis effectus (m nach einer Konjektur von TURNEBUS) ab. Unwahrscheinlich und unpassend ist das Hapax hamat („angeln, trachten“) von Elm, das von BRUGNOLI 1963, 257–9; CUGUSI 1967, 87f.; SCHNUR 1992, 170 verteidigt wurde, da es zur Fischer-Metapher in Sat. 3,4 passe. In diesem

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Fall aber erhielten die Choliamben, die von moralischer Integrität handeln, einen pejorativen Sinn und würden in sich widersprüchlich. Siehe gegen die Lesart auch VANNINI 2007, 130 Anm. 24; TANDOI 1968, 77; PELLEGRINO2 146. mentemque magnis applicat: Der Ausdruck nimmt Enkolps Worte in Sat. 2,7 animosque iuvenum ad magna surgentes wieder auf. mentem applicare ist singulär, vgl. jedoch ähnliche Konstruktionen wie Plaut. Trin. 270 certast res ad frugem adplicare animum; Ter. Maur. 1579 animum applicare metris. Zum Nexus zwischen literarischer Größe und moralischer Integrität sei auf Catos berühmte Maxime des vir bonus dicendi peritus verwiesen (Cato, [De rhetorica] 14; Sen. contr. 1 praef. 9 und Quint. inst. 12,1,1), die moralische (amas bonam mentem) und ästhetische (habes non publici saporis) Anforderungen an den Redner vereint. Schon Sokrates soll gesagt haben: , (Sen. epist. 114,1 talis hominibus fuit oratio qualis vita). In dieselbe Richtung geht auch Longinus’ Definition von als „Echo von Seelengröße“ (De subl. 9,2 μ μ ). frugalitatis lege ... exacta: frugalitas („das strenge Maßhalten“) gilt als Voraussetzung für den guten Redner, vgl. Sen. epist. 17,5 non potest studium salutare fieri sine frugalitatis cura; Quint. inst. 10,3,26 frugalitas necessaria est. frugalitas hier in Anlehnung an Quint. inst. 12,10,21 metaphorisch als eloquentiae frugalitas („una moderazione degli atteggiamenti magniloquenti e teatrali“) zu verstehen, wie PETRONE 2007, 98–103 vorschlägt, schränkt die Aussage unnötigerweise ein. Eine Korrektur in exactae, wie MÜLLER App. sie aufgrund von Sen. dial. 10,18,4 frugalitatis exactae homines vorschlägt (und vor ihm schon GONSALO DE SALAS bei BURMAN II 93; MOESSLER 1891, 723), drängt sich nicht auf. Die Verbindung von lex mit exacta (im Sinn von „accuratus, diligens, severus“, vgl. V.1 artis severae; TLL 5.2.1467.9ff.) scheint zwar einmalig zu sein, doch findet sich das Adjektiv mit sinnverwandten Substantiven wie norma (Val. Max. 4,3,5 exactissima norma Romanae frugalitatis – hier sogar noch in Kombination mit frugalitas) oder regula (Sen. contr. 10 praef. 10 omnia ad exactam regulam redigam). Zu lege vgl. oben Sat. 4,1 liberos suos severa lege proficere. poliat: Konjektur von HEINSIUS, die alle Editoren aufnehmen. Die Handschriften bieten unmögliche Formen ( dmrtpO haben polleat; ltv palleat; c pallet). Das Verb (OLD s.v. polio 3 „to bring to a polished or refined state, give finish to“) findet sich auch an anderen Stellen im Zusammenhang mit der Moral, vgl. Varro rust. 1,2,10 virum omnibus virtutibus politum.

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V.4–5: nec curet alto regiam trucem vultu / cliensque cenas impotentium captet: Erhobenen Hauptes lasse er unbeachtet den drohenden Königspalast und giere nicht als Bittsteller nach den Gastmählern der Mächtigen. Erste von vier (negativen) Instruktionen (in wachsenden Gliedern) zur Lebensweise des Redners. Ähnliche sittliche Anforderungen an den Rhetor nennen u.a. Cic. Cael. 46 obterendae sunt omnes voluptates, relinquenda studia delectationis, ludus, iocus, convivium, sermo paene est familiarium deserendus; Quint. inst. 12,11,18 (erwähnt werden der Verzicht auf morgendliche Aufwartungen, Theater und Schauspiel, Gastmähler, Körperpflege, Reisen, Wein und andere Genüsse). Siehe dazu auch Quint. inst. 1,11,2f.; 12,2,1; 12,11,18; Tac. dial. 28f. alto ... vultu: Die Geste des „erhobenen Hauptes“ bezieht sich auf das Subjekt und drückt die Unabhängigkeit und geistige Selbständigkeit aus, die der Redner mitbringen soll. Seine stoische Miene trifft hier bildhaft auf die schroffe Fassade der regia trux (siehe unten). Vgl. zum Ausdruck Hor. carm. 4,9,42f. reiecit alto dona nocentium / voltu; Don. Ter. Eun. 3,2,16 cum fiducia et alto vultu; Sen. epist. 115,4 hanc faciem alteriorem fulgentioremque. Zu ähnlichen Stellen (mit „animus, mens, spiritus“) siehe TLL 1.1777.24ff. Anders („überheblich“) verstehen z.B. HESELTINE–WARMINGTON und WALSH den Ausdruck und beziehen ihn auf regiam trucem. Diese Lesart führt jedoch zu einer Doppelung mit trucem. Zudem stünde das Subjekt ohne Attribut da, wohingegen es in allen folgenden Beispielen näher beschrieben wird (V.5 cliens; V.6 addictus; V.7f. plausor ... / redemptus). regiam trucem: Hinter der metonymischen regia verbirgt sich ein finster dreinblickender rex. Das Adj. bezieht sich oft auf den furchteinflößenden Gesichtsausdruck einer Autoritätsperson, vgl. OLD s.v. trux 1b; Sen. Herc. f. 725 magna pars regni trucis / est ipse dominus, cuius aspectus timet / quidquid timetur; 937 non saevi ac truces regnent tyranni. Man kann sich hier den Hof Neros vorstellen. Mit rex wird seit Plautus aber auch der reiche patronus bezeichnet (Plaut. Stich. 454f. confido ... me meum optenturum regem ridiculis logis; Hor. epist. 1,7,37; Juv. 1,136; Pers. 1,67 prandia regnum), weshalb hier regia auch als „patron’s grand house“ verstanden werden kann (so auch COURTNEY 2001, 59), was zu einer engeren Verbindung mit dem Folgenden führen würde. cliensque ... captet: Zum Thema und Ausdruck vgl. Sat. 3,3 sicut ficti adulatores cum cenas divitum captant; 52,7. Das auf nec folgende -que ist wohl metrisch bedingt und ist in nachaugusteischer Dichtung nicht unüblich, vgl. z.B. Sat. 121 V.105f.; siehe MÜL1 LER App.; HSZ 500 §269 . Man muss deshalb nicht in -ve abändern (nach 2 cp ; gefolgt sind BÜCHELER1–6; ERNOUT; NELSON 1956, 203; FLORES 1982, 68).

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impotentium: Steht hier für „(valde) potentium“ (TLL 7.1.671.52ff.) mit negativem Unterton in der Bedeutung von „präpotent, arrogant, despotisch“ vgl. Vell. 2,29,3 potentia sua numquam aut raro ad impotentiam usus. V.6–7: nec perditis addictus obruat vino / mentis calorem: Noch begebe er sich in üble Gesellschaft und ersäufe im Wein das Feuer seines Geistes. obruat vino / mentis calorem: Der Wein hat nicht nur eine positive Funktion als Wärmespender (wie z.B. bei Hor. epod. 11,13f. calentis ... / fervidiore mero; carm. 3,21,11f. narratur et prisci Catonis / saepe mero caluisse virtus) und Stimulans (z.B. epist. 1,19,1–11); ein Zuviel führt zu Trunkenheit, die sich negativ auf den Intellekt auswirkt (vgl. Sat. 88,6 vino scortisque demersi). Vgl. zur Thematik Quint. inst. 1,11,15 non de iis loquor, quibus pars vitae in oleo, pars in vino consumitur, qui corporum cura mentem obruerunt. Paradox ist die Idee vom Löschen statt Entzünden des Geistes durch Wein. Agamemnon variiert bzw. verstärkt ein Sprichwort, vgl. Plin. nat. 23,41 sic quoque in proverbium cessit sapientiam vino obumbrari; Athen. 2,19,23K ’ μ („Ist der Trunk im Manne, ist der Verstand in der Kanne“), siehe OTTO s.v. vinum 3. Zur Junktur vgl. Cic. Phil. 3,31 obruit vino; TLL 9.2.153.23ff.; für mentis calorem vgl. Quint. inst. 8 praef. 27 calorem cogitationis extinguit; 10,3,6. V.7–8: neve plausor in scaenam / sedeat redemptus histrionis ad rictus: Noch sitze er als ein für die Bühne bestochener Claqueur vor dem klaffenden Maul des Schauspielers. Grammatisch gibt es mehrere Möglichkeiten, die einzelnen Satzteile aufeinander zu beziehen. Am plausibelsten ist: plausor sedeat ad rictus (zu sedere ad vgl. TLL 1.526.39f.; Sat. 117,10 sedeat ... ad rationes; plausor sedeat im Sinn von plaudat, vgl. Sen. epist. 108,9 ad hos versus ille sordidissimus plaudit) und in scaenam redemptus (finales in). plausor: Der früheste Beleg für das Applaudieren im Theater findet sich in Cic. Sest. 115; Phil. 1,37. Doch schon in Plaut. Amph. 1146 werden die Zuschauer zum Applaus aufgefordert: nunc, spectatores, Iovi’ summi caussa clare plaudite. In der Kaiserzeit war der Brauch bereits etabliert, und Nero war dafür bekannt, Claqueure für seine Theatervorführungen zu engagieren (Suet. Nero 20,3). Zu den Claqueuren siehe Plaut. Amph. 64ff. (67 favitores; 78 favitoribus); 83 qui sibi mandasset delegati ut plauderent; Sen. epist. 47,17 ostendam nobilissimos iuvenes mancipia pantomimorum; Tac. ann. 1,16,3 Percennius ... dux ... theatralium operarum; Plin. epist. 7,24,7. in scaenam redemptus: Der Abl. sc(a)ena der Handschriften kann nicht beibehalten werden, da die Zuschauer nicht auf der Bühne saßen („in scaena sede-

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re“). Allgemein akzeptiert ist die Konjektur scaenam von HEINSIUS, um so scaenam zu redemptus ziehen zu können („gekauft im Interesse der Bühne“). Nicht besser ist der Vorschlag von SOMMARIVA 1996, 61 Anm. 22, die von einem zu einer cena eingeladenen Schmarotzer ausgeht, der auf der Bühne (= Triklinium) als Claqueur agiert. histrionis ad rictus: Die Überlieferung (histrion(e)i addictus) ist (allein schon des Metrums wegen) korrupt: addictus ist eine Echoschreibung aus V.6. Kaum haltbar ist zudem histrioniae addictus („im Gefolge einer Schauspielergruppe“; BURMAN 30f.; BÜCHELER1; NELSON 1956, 203; SETAIOLI 2003, 72f. u.a.) einiger späterer Zeugnisse (lmtp): Abgesehen davon, dass es eine platte Wiederholung von in scaenam redemptus wäre, werden Elisionen eines Langvokals oder Diphthongs in den Sat. weitgehend vermieden (vgl. MÜLLER 1957, 504). Den besten Sinn ergibt MÜLLERS Text, der sich aus der Konjektur histrionis von TURNEBUS und ad rictus von RIBBECK zusammensetzt (so auch BÜ2–6 CHELER ; SCHÖNBERGER 1939, 509; 1940, 624; KISSEL 1978, 321 Anm. 52 u.a.). Ein „actor scaenicus“ (histrio) ist im 1. Jh. n. Chr. am ehesten ein „mimus“ oder „pantomimus“ (vgl. Sat. 52,9 histrionem). Am wahrscheinlichsten geht es hier um einen Pantomimus, wo die Schauspieler Masken trugen (DAREMBERG–SAGLIO s.v. persona): rictus („weitgeöffneter Mund“, poetischer Plural) ist so als Synekdoche für die Theatermaske (so auch SCHÖNBERGER 1939, 509) und Metonymie für die Performance des Schauspielers zu verstehen, vgl. Pers. 5,3 fabula seu maesto ponatur hianda tragoedo; Juv. 3,175 personae pallentis hiatum. Nicht ausgeschlossen ist ein Bezug auf den Mimus, der auch Sprechpartien beinhaltete, wobei unter rictus dann das „aufgerissene Maul (dem nur Lächerliches entströmte)“ zu verstehen wäre. Weniger adäquat ist eine Übersetzung mit „Grimassen“, so auch VANNINI 2008, 4, der einwendet, der Begriff sei unpassend für eine Handlung, die das ganze Gesicht betreffe (dagegen SETAIOLI 2003, 73 Anm. 203). Zum lächerlichen Grimassenschneiden im Mimus: Quint. inst. 6,3,29 oratori minime convenit distortus vultus gestusque, quae in mimis rideri solent; Mart. Cap. 5,543 ut histrionibus mos est, qui ora retorquendo ridiculos motus spectantibus Abzulehnen praestant. sind die schwer integrierbaren Konjekturen ad dicta („vor den Worten des Schauspielers sitzen“, Vorschlag BÜCHELER1 App. mit XXXXIIII; DÍAZ Y DÍAZ, dictum im Sinn von „facete dictum, iocus“ [TLL 5.1.992.23ff.]; vgl. Cic. Att. 14,3,2 mimorum dicta; Sat. 33,3; 41,8 laudavimus dictum [Trimalchionis]) sowie ad nutus (von ANTONIUS; SOMMARIVA 1996, 59 Anm. 16), was bedeuten würde, dass die Claqueure auf das Nicken des Schauspielers hin zu applaudieren hätten, was historisch nicht belegt ist.

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V.9–12: sed sive armigerae rident Tritonidis arces / seu Lacedaemonio tellus habitata colono / Sirenumve domus, det primos versibus annos / Maeoniumque bibat felici pectore fontem: Nein, ob ihm die Burg der waffentragenden Pallas zulächle oder das vom spartanischen Siedler bewohnte Land oder das Heim der Sirenen, er widme die ersten Jahre der Dichtung und trinke glücklichen Herzens von der Quelle Homers. Die drei gelehrten geographischen Referenzen bezeichnen am ehesten die Städte Athen, Tarent und Neapel. Athen steht als wichtigste und berühmteste Stadt am Beginn des Katalogs, gefolgt von zwei repräsentativen Städten im großgriechischen Kampanien. Der Katalog gleicht im Stil einem homerischen Katalog (z.B. Il. 2,497). In Apuleius’ Metamorphosen-Prolog wird ein solcher epischer Katalog parodiert. Dort behauptet der Sprecher von sich, zugleich aus Athen, Korinth und Sparta zu stammen: Hymettos Attica et Isth[o]mos Ephyrea et Taenaros Spartiaca, glebae felices aeternum libris felicioribus conditae, mea vetus prosapia est (Apul. met. 1,1). Die Aufzählung der drei griechischen Berge, die die berühmten griechischen Städte repräsentieren, gibt eine geographische Beschreibung von Griechenland und sowie der griechischen Literatur (KEULEN 2007, 73; HARRISON–WINTERBOTTOM 2001, 13). sed ...: Das Verbindungsglied zwischen den zwei Teilen des Gedichts leitet von den moralischen Negativbeispielen (nec ... nec ... neve) zu den didaktischen Empfehlungen über. sive ... seu ... -ve: Die Struktur sive... sive... sive... + Jussiv hat Lehrgedichtscharakter, vgl. Verg. georg. 3,49–51; 4,25ff.; siehe Ess. 5, 3. rident: Die Ellipse des Dativs verwandelt das metaphorische Verb in einen kryptischen Ausdruck. ridere ist im Sinn von „lächeln > gewogen sein > gefallen“ (OLD s.v. rideo 2 und 3) zu verstehen, vgl. Hor. carm. 2,6,13f. ille terrarum [=Tarent] mihi praeter omnis / angulus ridet; zudem Sil. 9,203f. seu Laurens tibi, Sigeo sulcata colono / arridet tellus, seu ...; TLL 2.638.14ff.) Zu überlegen ist, ob der Text nicht in rident geändert werden soll, bei dem der Sinn „gefallen“ viel gängiger ist (TLL 2.638.14ff. i.q. „placere“). Inhaltlich gesehen muss das Verb auf den Herkunftsort der Studenten (NELSON 1956, 205f.; JENSSON 2004, 284; WALSH 158 Anm. 5; PARATORE II 23) und/oder den Studienort (COLLIGNON 1892, 234; MÜLLER 1957, 504; KISSEL 1978, 322; SETAIOLI 2003, 74) verweisen. armigerae ... Tritonidis arces: Gemeint ist die Stadt Athen. Das artifizielle Konstrukt wird gebildet aus einer Metonymie (arces [metrischer Pl.] = Akropolis = Athen) und einem beschreibenden Epitheton (Tritonis ist v.a. bei Dichtern ein häufiger Beiname der Göttin Athene, die traditionell mit einem Fluss oder See Triton, Tritonis in Beziehung gesetzt wird, siehe KRUSE, RE s.v. Tritogeneia). Vgl. zum Ausdruck Ov. met. 2,794 Tritonida conspicit arcem;

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Verg. Aen. 2,226 Tritonidis arcem (wobei hier aber das Vorgebirge der Minerva bei Sorrent gemeint ist, SCHÖNBERGER 269). Athen, wo Platon die erste Philosophenschule (Academia) gründete, steht hier repräsentativ für Griechenland und den idealen Studienort per se – auch wenn Athen als Studienort im 1. Jh. n. Chr. wohl nicht mehr dieselbe Bedeutung zukam wie Jahrhunderte zuvor (über die Bedeutung der Philosophenschulen Akademie und Peripatos in der Kaiserzeit geben die Quellen z.B. keine Auskunft). Lacedaemonio tellus habitata colono: Lacedaemonio ... colono lässt zuerst an Sparta denken (so z.B. NELSON 1956, 205; BARNES 1971, 16; OGRIN 1983, 54f.; JENSSON 2004, 284). Doch von Sparta kann hier nicht die Rede sein. Die Kriegsstadt war bekannt für ihre Waffen und nicht für die Rhetorik (Cic. Brut. 45 haec igitur aetas prima Athenis oratorem prope perfectum tulit; 50 Lacedaemonium vero usque ad hoc tempus audivi fuisse neminem; Tac. dial. 40,3 quem enim oratorem Lacedaemonium ... accepimus?; Vell. 1,18,2 ingenia vero solis Atheniensium muris clausa existimes. neque hoc ego magis miratus sim quam neminem Argivum Thebanum Lacedaemonium oratorem ... memoria dignum existimatum). Viel eher wird hier auf die spartanische Koloniestadt Tarent verwiesen (Hor. carm. 3,5,56 Lacedaemonium Tarentum; so auch BURMAN 31; BÜCHE1 LER App.; COLLIGNON 1892, 234; MÜLLER 1957, 504; KISSEL 1978, 322; SUESS 1927, 93; SETAIOLI 2003, 74). Lacedaemonius colonus ist in diesem Fall der „spartanische Siedler“ (vgl. AL 236,1R Corsica Phocaico tellus habitata colono; Sil. 9,203f. seu Laurens tibi, Sigeo sulcata colono / arridet tellus). Diese Lesart wird gestützt von der (bereits für ridere angeführten) Parallelstelle Hor. carm. 2,6,10–4 dulce pellitis ovibus Galaesi / flumen et regnata petam Laconi / rura Phalantho. / ille terrarum mihi praeter omnis / angulus ridet, wo Tarent als ideale Rückzugsmöglichkeit für das otium litteratum beschrieben wird (vgl. Hor. epist. 1,7,45). Zudem werden Tarent und Neapel gemeinsam genannt in Sen. epist. 68,5 ille Tarentum se abdidit, ille Neapoli inclusus est. Der Dat. auctoris – der einzige in den Sat. nach PETERSMANN 68 Anm. 25 – gehört der poetischen und gehobenen Sprache an. Sirenumve domus: Sinnvollerweise versteht man diesen Ausdruck als Umschreibung Neapels, auch Parthenope genannt nach der berühmtesten und dort begrabenen Sirene. Petron bezeichnet Neapel an anderer Stelle als Parthenope (Sat. 120 V.68), vgl. Plin. nat. 3,62 Neapolis ... Parthenope a tumulo Sirenis appellata (so auch BURMAN 31; NELSON 1956, 205f.; JENSSON 2004, 284; WALSH 158n.5; BÜCHELER1 App.; COLLIGNON 1892, 234; MÜLLER 1957, 504; KISSEL 1978, 322; SUESS 1927, 93; SETAIOLI 2003, 74). Neapel war bekannt für seine Schulen (Stat. silv. 5,3,105f.), was der Stadt den Namen docta Neapolis (Col. 10,134 doctaque Parthenope; Mart. 5,78,14

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docta Neapolis) eintrug (JENSSON 2004, 126). Mit der Umschreibung verweist Agamemnon hier bereits implizit auf Homer. Man sollte aber nicht so weit gehen wie OGRIN 1983, 52–5, derzufolge die drei Periphrasen auf Troja bzw. Ilias (V.9), Sparta (V.10), wo Helena und Menelaos herkommen und Telemach sich hinbegibt, und Odyssee (V.11) verweisen (siehe dazu auch VANNINI 2007, 270). Die Korrektur des überlieferten -que in -ve (von BÜCHELER1–6) ist nötig zur Wahrung der gängigen Folge sive ... seu ... -ve und auch inhaltlich unumgänglich, da man nicht zugleich in Tarent und Neapel studieren kann (dagegen SETAIOLI 2003, 75, wie auch schon andere vor ihm, z.B. ERNOUT; PELLEGRI2 NO 154; KISSEL 1978, 322 Anm. 55, der -que mit der Begründung verteidigt, dass die zwei Orte im meridionalen Italien im Gegensatz zu Athen zusammengehören). primos ... annos: Der erste Lese- und Schreibunterricht kann hier nicht gemeint sein, sondern die Jahre beim grammaticus (bei dem normalerweise Homer gelesen wurde). Maeoniumque bibat felici pectore fontem: Maeonius heißt lydisch, d.h. homerisch, seit Homer als Einwohner von Maeonia in Lydien gilt (z.B. Hor. carm. 1,6,2; 4,9,5; ähnliche Diktion in Ov. am. 1,15,9; 3,9,25f. adice Maeoniden, a quo ceu fonte perenni / vatum Piëriis ora rigantur aquis; Mart. 5,10,8). Wassermetaphern im Zusammenhang mit Literatur sind häufig. Hier wird auf das traditionelle Bild Homers als Quelle bzw. Oceanus angespielt: Kall. h. 2,105–13, siehe F. WILLIAMS 1978, 85–9 mit Stellenindex. Zu topischem bibere (TLL 2.1965.30ff.) vgl. Ov. Pont. 4,2,47 at tu, cui bibitur felicius Aonius fons; Juv. 7,58f. aptusque bibendis / fontibus Aonidum; Hor. epist. 1,2,67f. nunc adbibe puro / pectore verba, puer, nunc te melioribus offer. V.13–14: mox et Socratico plenus grege mittat habenas / liber et ingentis quatiat Demosthenis arma: Bald auch von Sokrates’ Herde gesättigt, lockere er frei die Zügel und schwinge die Waffen des gewaltigen Demosthenes. Die V.12–14 fügen sich zu einem Bild: Der Krieger stärkt sich mit Speis und Trank, schwingt sich aufs Pferd und ergreift die Waffen. Socratico plenus grege: Die meisten Interpreten verstehen darunter das Studium der platonischen Philosophie und sehen Sokrates hier als Repräsentanten der Philosophie überhaupt, Cic. fin. 2,1 Socrates ... parens philosophiae; vgl. Sat. 4,3 ut sapientiae praeceptis animos componerent (so z.B. SETAIOLI 2003, 66f.; NELSON 1956, 209; SCHÖNBERGER 1938, 222). Doch hier sind vielmehr die Sokratiker (Platon, Xenophon u.v.m.) gemeint, die zur Sprachschulung herangezogen wurden (wie auch in Quint. inst. 10,1,81–4. 123). Sokratische Dialoge verkörpern stilistisch tendenziell das genus humile (v.a. Xenophon),

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an ihnen übt man sich, bevor man den größten und damit auch schwierigsten Redner Demosthenes (bzw. das genus grande) liest. plenus („voll“ im Sinn von „voll von Weisheit/Wissen“) wird auch von Eumolp und Enkolp in derselben Bedeutung gebraucht (Sat. 118,6 nisi plenus litteris; 126,8 itaque oratione blandissima plenus ... inquam). Vgl. zudem Tac. dial. 31,1 iis artibus pectus implerent; 32,4 pectora implerebat; 33,6 plenum his artibus animum; Sat. 5 V.12 und V.19, wo Homer „getrunken“ bzw. die lateinische Epik o.Ä. „gegessen“ wird. grex zur Bezeichnung einer Philosophenschule findet sich seit Cic. de orat. 1,42 philosophorum greges iam ab illo fonte et capite Socrate; Hor. sat. 2,3,44 Chrysippi porticus et grex; epist. 1,4,16 Epicuri de grege porcum u.a. Und greges kann man wirklich essen, wie die Freier der Penelope beweisen (Hom. Od. 4,80–108, bes. 91ff.). mittat habenas: Die Metapher evoziert das Bild eines galoppierenden Reiters, vgl. u.a. Verg. Aen. 5,662 furit immissis Volcanus habenis; Prop. 3,1,13 missis ... habenis; Sen. Med. 347 misit habenas. Zudem ist eine Ähnlichkeit mit der Beschreibung Lucilius’ als Reiter in Juv. 1,19f. cur tamen hoc potius libeat decurrere campo, / per quem magnus equos Auruncae flexit alumnus erkennbar. liber: „frei, selbständig, emanzipiert“. Ähnlich meint Quintilian in inst. 2,4,5– 7, dass reife Schüler, die ihren Stoff beherrschen, in der Lage sind, suis viribus sine adminiculo (2,4,5) voranzuschreiten und wie Vögel frei am Himmel zu fliegen (2,4,7 tum expertas vires libero caelo suaeque ipsorum fiduciae permittunt) bzw. wie hier frei loszugaloppieren (WALSH: „riding free“). Dazu passt die Pferdemetapher in Tac. dial. 39,2 nam quo modo nobilis equos cursus et spatia probant, sic est aliquis oratorum campus, per quem nisi liberi et soluti ferantur. Es besteht kein Grund, das im Enjambement stehende Adjektiv zu quatiat zu ziehen, wie dies KISSEL 1978, 323 Anm. 60; OGRIN 1983, 56 Anm. 38 und Übersetzer wie HESELTINE–WARMINGTON; WALSH tun. Unpassend sind die Versuche, das Adjektiv auf moralische Qualitäten zu beziehen (z.B. STUBBE 1933, 66 in Anlehnung an Sat. 118,3 generosior spiritus: „voll edler Gesinnung“; SCHÖNBERGER 1939, 510 liber=vitiis liber im Vgl. zu Quint. inst. 12,1,1–33) oder das Nichtgebundensein an eine dogmatische Schule (NELSON 1956, 208 „ohne dogmatischen Zwang“ in Anlehnung an Quint. inst. 12,2,26 oratori vero nihil est necesse in cuiusquam iurare leges). ingentis quatiat Demosthenis arma: Demosthenes gilt als der bedeutendste Redner der Griechen (Cic. opt. gen. 13 princeps facile Demosthenes; siehe DRERUP 1923). Oft wird er gemeinsam mit Cicero als exemplum genannt (siehe zu Cicero unten V.20): De subl. 12,4f.; Quint. inst. 10,1,39. 105–12; Juv. 10,114 etc. Zur Wichtigkeit von Demosthenes in der Schulbildung Quint. inst.

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10,1,76 sequitur oratorum ingens manus, ut cum decem simul Athenis aetas una tulerit. quorum longe princeps Demosthenes ac paene lex orandi fuit: tanta vis in eo, tam densa omnia, ita quibusdam nervis intenta sunt, tam nihil otiosum, is dicendi modus, ut nec quod desit in eo nec quod redundet invenias. Metaphern wie „Waffen“ und „kämpfen“ in Bezug auf den Redner sind geläufig, und auch das Bild von „Demosthenes’ Waffen“ existiert bereits in Prop. 3,21,27 persequar ... studium linguae, Demosthenis arma. Vgl. weiter u.v.a. Cic. Brut. 37 Phalereus ... non tam armis institutus quam palaestra; Quint. inst. 2,16,10 arma facundiae; 5,12,21 arma ... eloquentiae; 10,1,29f. nos (scil. oratores) vero armatos stare in acie et summis de rebus discernere et ad victoriam niti. neque ergo arma squalere situ ac rubigine velim, sed ...; 10,5,20. Siehe für weitere Stellen TLL 2.601.71ff. quatiat: quatere für das Schwingen der Waffen ist der epischen Sprache entlehnt, vgl. Verg. Aen. 10,762 at vero ingentem quatiens Mezentius hastam; 11,767; Ov. met. 5,9 quatiens ... hastam; Sat. 124 V.268 et ingentem quatiens Mavortius hastam – zur Junktur quatere arma Val. Fl. 6,293 furiis ardens quatit arma paternis. V.15–16: hinc Romana manus circumfluat et modo Graio / vox †onerata† sono mutet suffusa saporem: Danach umfließe ihn römisches Volk, und seine eben noch von einem griechischen Akzent †belastete† Stimme werde benetzt und verändere seine Redeweise. Die in den Handschriften überlieferte Fassung des zweiten Teilsatzes (et modo Graio / exonerata sono mutet suffusa saporem) ist korrupt: Die beiden Part. Perf. Pass. exonerata ... suffusa passen vom Sinn her nicht zu dem vorhandenen Subjekt Romana manus. Grammatisch nicht korrekt ist es (auch wenn es einen besseren Sinn ergäbe), die zwei Partizipien aktiv zu verstehen, wie NELSON 1956, 210 mit Anm. 32 und 1971, 73f. übersetzen will; dagegen PELLEGRINO2 160f.; MÜLLER 1957, 504. Ein schlagender Vorschlag für den schwierigen Passus steht noch aus. Das beste Resultat ist durch die Herstellung eines neuen Subjekts, vox onerata, aus exonerata zu erzielen. Doch ganz lösen lässt sich das Problem nicht: suffusa braucht ebenso wie †onerata† ein Objekt, das das Wodurch erklärt. Der Satz käme ganz gut entweder ohne suffusa oder †onerata† aus: „und seine eben noch vom griechischen Akzent belastete/benetzte Stimme verändere seine Redeweise“. Trotz der sprachlichen Probleme ist der Sinn der Verse klar: V.15–16 vollziehen einen zeitlichen, örtlichen und thematischen Wechsel: Schauplatz sind nicht mehr die griechischen Studienstädte, sondern die römische Öffentlichkeit. Nach der grundlegenden Beschäftigung mit den griechischen Klassikern, die das Fundament seiner Ausbildung darstellt, übt sich der Redner nun im Latein, so dass seine Ausdrucksweise von ihrer griechischen Färbung befreit wird. Die Stelle erinnert an den Bildungsgang von Lucius in Apul. met. 1,1 ibi

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linguam Atidem primis pueritiae stipendiis merui. mox in urbe Latia advena studiorum Quiritium indigenam sermonem aerumnabili labore nullo magistro praeeunte aggressus excolui. hinc: Die Konjektur hinc von PUTEOLANUS (huic O; huc l und hunc cett.) passt gut in die Zeitabfolge primos annos, mox, hinc, modo, interdum, sic. Das fehlende Objekt (z.B. hunc) kann man sich hinzudenken, wie auch in V.9–11 und 17. Die zeitliche Gliederung hat den Charakter eines Lehrgedichts, vgl. z.B. Verg. georg. 1,43 vere novo; 50 prius; 64 primis extemplo a mensibus anni; 71 alternis etc. (siehe Ess. 5, 3). Romana manus circumfluat: Es ist nicht ganz klar, wer mit dem unspezifischen Romana manus gemeint ist. Am besten versteht man den Begriff als „multitudo hominum“ (TLL 8.366.47ff., v.a. 367.35ff. „gens, populus“), als römische Öffentlichkeit. Plausibel ist deshalb die Annahme, dass es sich um eine Umschreibung des römischen Forums handelt (FUCHS 1938, 174; SCHÖNBERGER 1935, 1234; EHLERS „mitten im Treiben von Rom“). In diesem lebendigen sprachlichen Umfeld – wo unablässig Latein gesprochen und gehört werden kann – dürfte das Ablegen eines fremdartigen Akzents (Graio ... sono) am ehesten gelingen. Im engeren Sinn könnten, dafür spricht V.17 subducta foro, Rhetoren oder Deklamatoren gemeint sein (wie SCHEIDWEILER 1922, 1052; NELSON 1956, 210; KISSEL 1978, 324 Anm. 61; OGRIN 1983, 56), vgl. Quint. inst. 10,1,76 oratorum ingens manus; Sen. contr. 7,1,20 magna novorum rhetorum manus. Daher weniger plausibel ist die Vermutung zahlreicher Interpreten seit BURMAN 34, der Begriff stehe für die römischen Schriftsteller – in Analogie zu den vorher genannten griechischen Dichtern, Philosophen und Rednern. Graio ... sono: Vgl. zum Ausdruck Petr. frg. 45,4 [= 41B] mutavi Latio barbara verba sono; Ov. fast. 5,195f. corrupta Latino / nominis est nostri littera Graeca sono; trist. 5,2,67f. nesciaque est vocis quod barbara lingua Latinae, / Graecaque quod Getico victa loquella sono est. Das seltenere und erlesenere Graius steht (v.a. in der Dichtung) für Graecus. vox †onerata†: Überliefert ist exonerata LO (exornata R). Da aber die Romana manus nicht modo ... exonerata sein kann (eher der Student bzw. seine Sprache; dasselbe gilt für suffusa, siehe unten), fehlt dem Satz ein passendes Subjekt. Die meisten Korrekturvarianten versuchen, ein Subjekt aus exonerata zu gewinnen. Die beste Lösung bietet das eher negative und daher gut zu mutet passende vox onerata (SCHEIDWEILER 1922, 1053; STUBBE 1933, 156; SCHÖNBERGER 1935, 1243). Vorgeschlagen wurden außerdem das positiv gefärbte vox ornata (von FUCHS 1938, 173; DÍAZ Y DÍAZ), das paläographisch schwierige, dafür aber mit den Flüssigkeitsmetaphern circumfluere und suffusa harmonierende vox imbuta (von HARRISON 2003, 128: „and let the voice just

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initiated with the sound of Greek be suffused and change its flavour“) und das weniger überzeugende vox operata (im Sinn von „sich widmen“ von MÜLLER1 App.; SCHNUR 1992, 170; COURTNEY 1970, 65). Alle anderen Varianten sind zu weit hergeholt: Z.B. schlägt ein ANONYMUS bei BURMAN 34 (auch KISSEL 1978, 324 Anm. 62) extornata (techn. „abdrechseln“) vor; GIARDINA 1970–2, 178 verteidigt exornata von R und macht aus pagina (V.17) das Subjekt von mutet und det (ohne Komma nach saporem); BARNES 1971, 17 fasst exonerata und suffusa als Objekte im Neutrum Plural von mutet auf (wobei Letzteres noch das Akk.obj. saporem bei sich hat): „As soon it (Roman oratory) must change utterance, getting rid (exonerata) of its Greek sound and pouring out (suffusa) true eloquence.“ mutet ... saporem: Zu sapor in Bezug auf den Redestil (OLD s.v. sapor 2) vgl. Quint. inst. 6,3,107 apud Graecos μ ille reddens Athenarum proprium saporem; 12,10,19 saporem illum Atticum peregrino miscuerunt; Sat. 3,1; zur Junktur 141,8 aliqua inveniemus blandimenta, quibus saporem mutemus. suffusa: Das Partizip (OLD s.v. suffundo 3: „to cover or fill with a liquid that wells up from below“) passt zu den Wassermetaphern und steht in direktem Zusammenhang mit circumfluat: Die als Flüssigkeit dargestellte Romana manus ist der Akteur in diesem transformierenden Vorgang des Benetzens. BURMAN 34 hat aus suffusa das Subjekt zu generieren versucht: scriptura oder structura, die jedoch beide nicht zum oralen Graio ... sono passen. V.17–20: interdum subducta foro det pagina cursum: / et fortuna sonet celeri distincta meatu; / dent epulas et bella truci memorata canore / grandiaque indomiti Ciceronis verba minentur: Bisweilen gebe ihm eine dem Forum ferne Lektüre Schwung: Fortuna erzeuge in ihrem schnellen Schritt unterschiedliche Töne, und Nahrung mögen ihm Kriege sein, besungen im trotzigen Gesang, und drohen sollen die großen Worte des unübertroffenen Cicero. Auffällig sind in diesem Abschnitt interdum und subducta foro, die das progressive Ausbildungsprogramm (V.9–14), das mit dem Kanon der griechischen Autoren begonnen wurde, unterbrechen. subducta foro deutet darauf hin, dass der Student nunmehr auf dem römischen Forum angekommen ist. Das Lesen der lateinischen Klassiker soll begleitend zum tirocinium fori stattfinden und dient dazu, seine Rede zu bereichern und vervollkommnen (siehe dazu Ess. 5, 3). V.18–20 sind poetische Umschreibungen literarischer Gattungen. Die Zuweisungen sind unsicher. M.E. handelt es sich um die Trias Drama, Epik und ciceronianische Rhetorik, während die meisten Interpreten an erster Stelle die Geschichtsschreibung sehen (NELSON 1956, 211–17; BARNES 1971, 17; KIS2 SEL 1978, 325; PELLEGRINO 163f.; SETAIOLI 2002, 271). Zuletzt spekulierte

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VANNINI 2008, die V.17–20 würden sich auf das Lesen zeitgenössischer Epik beziehen (wogegen v.a. die Ciceronis verba in V.20 sprechen). interdum: interdum signalisiert das Nebeneinander des tirocinium fori und der Lektüre römischer Autoren zu Hause – dies im Unterschied zu den zuvor geschilderten Lernschritten, die chronologisch aufeinander folgen (primos annos, mox, hinc). subducta foro ... pagina: pagina hat wenig mit dem auf Mündlichkeit ausgerichteten Forum zu tun. Der Begriff tritt hier personifiziert und als pars pro toto für „Geschriebenes“ auf, vgl. Sat. 80,9 V.7 inclusit pagina partes. Zwar bleibt offen, ob es sich um Lektüre (NELSON 1956, 211 mit Anm. 34; KISSEL 1978, 325; PELLEGRINO2 162; COURTNEY 2001, 60; VANNINI 2008, 9 mit Anm. 31) oder schriftliche Übungen (SETAIOLI 2002, 274 Anm. 130; SCHÖNBERGER 1938, 222) handelt, doch die Verben sonet und dent epulas deuten auf Lektüre hin. Ebenso die Parallelität der griechischen und lateinischen Lektüreprogramme und die Tatsache, dass vom Redner zwar viel Lektüre, aber nicht aktives Üben anderer genera verlangt wird. subducta impliziert eine geographische Ferne zum Forum (anders MÜLLER 1957, 504f.: „eine Lektüre, die mit dem Forum nichts zu schaffen hat“). Die permanente persönliche Weiterbildung durch häusliche Lektüre wird auch von anderen Autoren empfohlen (siehe oben Ess. 5, 3). det ... cursum: „Die Lektüre gebe (dem Studenten) Schwung / gestatte ihm freien Lauf“ (adulescenti, scholastico ist mitzudenken). Nach Quintilian gibt die Lektüre copia rerum ac verborum (inst. 10,1,5) und dadurch facilitas (10,1,1). Der Ausdruck erinnert an Verg. georg. 1,40 da facilem cursum; Aen. 3,337; Ov. met. 8,3; Liv. 29,24,7; Lucan. 7,544; 9,997 (vgl. TLL 5.1.1678.68– 70). Ihn lediglich als Periphrase für „laufen“ zu verstehen („die Lektüre schreite schnell voran“, so TLL 5.1.1686.61f.; HESELTINE–WARMINGTON; ARAGOSTI; SETAIOLI 2003, 77; WALSH „let his page run free“; VANNINI 2008, 6), ist unplausibel und würde die Aussage auf den simplen Ratschlag reduzieren, man solle lesen. et ... et ... -que: Die Aufzählung der drei Genera erfolgt in der nicht unüblichen Konstruktion et ... et ... -que (vgl. TLL 5.2.884.36ff; Plaut. Mil. 724 u.a.m.), die bei einer Verschiebung von V.20 verloren ginge (siehe dazu unten V.20). fortuna sonet celeri distincta meatu: Die Schicksalsgöttin Fortuna spielt in mehreren Gattungen eine Rolle (Geschichtsschreibung, Epos, Tragödie, Roman) und ist allein kein Kriterium dafür, welche literarische Gattung mit der Metapher gemeint sein könnte. Den Ausschlag gibt celeri ... meatu, und zwar für die Tragödie: Der Jambus, d.h. die Jambischen Trimeter des Dramas, heißt an mehreren Stellen celer oder citus (z.B. Hor. carm. 1,16,24 celeres iambos;

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ars 252 pes citus; Ov. rem. 377f. iambus, / seu celer, extremum seu trahat ille pedem). Dies führt zu einer Parallele zum trux canor der folgenden Verse. Die Tragödie ist bei Quintilian so selbstverständlich Teil des Kanons wie die Historiographie (z.B. inst. 1,8,6 utiles tragoediae; 1,1,97f.). Bei Philostrat z.B. wird Homer Vater der Sophisten, die Tragödie ihre Mutter genannt (soph. 2,620). Für die Tragödie spricht sich auch WALSH 1970, 86 mit Anm. 1 aus, während NELSON 1956, 211–7; BARNES 1971, 17; KISSEL 1978, 325; PELLEGRINO2 163f.; SETAIOLI 2002, 271 die Historiographie favorisieren, die ebenfalls ein wichtiger Bestandteil der rhetorischen Ausbildung war (Quint. inst. 10,1,31 historia quoque alere oratorem quodam uberi iocundoque suco potest; 2,5,19) und in der Fortuna auch ein wichtige Rolle einnahm (vgl. Hor. carm. 2,1,3; 3,29,49; Verg. Aen. 11,427; Liv. 21,1,2). Für das Epos sprechen sich COLLIGNON 1892, 232 [bringt fälschlicherweise fortuna und bella von V.19 zusammen]; FUCHS 1938, 175 Anm. 37; VANNINI 2008, v.a. 10 aus. Zwar spielt Fortuna darin häufig eine zentrale Rolle (vgl. Lucan oder Eumolps BC), die Gattung des Epos wird jedoch bereits durch den nächsten Vers abgedeckt. distincta: Das Adjektiv kann Attribut zu fortuna sein, dann in der selten belegten Bedeutung von „(in sich) unterschiedlich, mannigfaltig“ (TLL 5.1.1531.72–4; vgl. Cic. Brut. 69 quam sit in utroque genere et creber et distinctus Cato; Catull. 64,90 distinctos ... colores; so NELSON 1956, 224 Anm. 36; KISSEL 1978, 325 Anm. 63; SCHÖNBERGER 1935, 1243); oder eher Objekt zu sonet (so auch SCHEIDWEILER 1922, 1054: „das Schicksal lässt schnellen Schrittes unterschiedliches Walten ertönen“). sonet: sonare kann absolut („ertönen, erklingen“) oder wie hier mit Akkusativobjekt („etwas von sich geben“; OLD s.v. sono 6–9) stehen. dent epulas: Unproblematisch ist der Satz, wenn man et mit „auch“ übersetzt und epulas dare metaphorisch versteht: „intellektuelle Nahrung geben“ analog zu bibat in V.12; plenus in V.13; vgl. auch Sat. 2,1 qui inter haec nutriuntur; 2,8 omnia quasi eodem cibo pasta; so auch TANDOI 1965, 323 Anm. 1; MÜLLER 1957, 505; SETAIOLI 2002, 272f.; PETRONE 2007, 99), vgl. dazu Plaut. Poen. 1175 oculis epulas dare; Cic. top. 25 avidum hominem ad has discendi epulas; div. 1,61 bonarum cogitationum epulis; TLL 5.2.701.11ff. Manchmal wird epulas et bella als Objekt aufgefasst und darin eine Anspielung auf Tragödie und Epik vermutet (so z.B. SLATER 1990, 30). Dagegen spricht mehreres: Subjekt müsste pagina aus V.17 oder fortuna aus V.18 sein; das Verb wäre dementsprechend in den (metrisch unmöglichen) Singular det abzuändern. Außerdem ist es, obwohl es berühmte tragische epulae gibt, wie z.B. das Bankett des Thyestes (vgl. Mart. 4,49,3f. qui scribit prandia saevi / Tereos aut cenam, crude Thyesta, tuam), doch fraglich, ob epulas alleine auf

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die Gattung Tragödie verweisen kann (Zweifel schon bei BURMAN 35f.); vgl. eine ähnliche Diskussion in Pers. 1,67 mit KISSEL 1990. Andere Texteingriffe sind ebenso wenig erfolgreich: statt dent epulas nach SCHEIDWEILER 1922, 1054 det pugnas; nach SCHÖNBERGER 1935, 1243 und 1939, 511 regum epulas; nach COURTNEY 1970, 65 per pugnas. Für ältere Vorschläge siehe BURMAN 35f.; BÜCHELER1 App. bella truci memorata canore: canor wird hier – bedingt durch bella – im seltenen Sinn für „poetischer Vortrag“, „poetisches Schaffen“ gebraucht (NELSON 1956, 225 Anm. 50; vgl. TLL 3.276.84ff.). Mit trux canor ist am ehesten das heroische Versmaß gemeint – das bedeutet eine Anspielung auf die Gattung des Epos. grandiaque indomiti Ciceronis verba minentur: Umschreibung für Ciceros Rhetorik, parallel zu der von Demosthenes (V.14). Mit grandia ... verba sind erhabene Worte gemeint wie auch in Cic. Brut. 121 [über Demosthenes] granditate verborum; Cic. Brut 29 [über Thukydides] grandes ... verbis. Dass es sich hier um eine Analogie zu Pers. 3,45f. grandia si nollem morituri verba Catonis handeln soll und die grandia ... verba in ironisch-pejorativem Sinn zu verstehen seien (so TANDOI 1965; VERDIÈRE 1971, 5; SOVERINI 1985, 1736 Anm. 135; PETRONE 2007, 95f.), leuchtet in diesem Kontext nicht ein. Absolutes minari steht zumeist von Personen (Sat. 95,3 etiam minaris?), hier ist es eigentlich Cicero, der mit seinen Worten (seinem Gegner) droht. minari wird oft im Zusammenhang mit Waffen benutzt, z.B. Cic. fam. 11,3,3; Liv. 5,36,5, sprich: Ciceros Worte sind vergleichbar mit den Waffen (V.14 arma) des Demosthenes. minari und indomitus deuten darauf hin, dass mit den grandia ... verba Ciceros politische Diskurse wie die Philippica gemeint sind bzw. die politische Haltung Ciceros, der sich Antonius nicht beugt und deshalb indomitus ist (so schon TANDOI 1965, 325; OGRIN 1983, 56 Anm. 41; SETAIOLI 2002, 274; PETRONE 2007, 95). Die Cicero-Antonius-Thematik wurde auch zum Topos in den Rhetorikschulen (vgl. Sen. suas. 6 und 7) und stellt im Gedicht wiederum eine Verbindung von Moral und Stil her (siehe oben V.1–3 mentemque magnis applicat). Abzulehnen ist eine Verschiebung von V.20 zwischen V.16 und V.17, wie von BURMAN 36 lanciert, gefolgt von HAASE (wollte V.20 nach V.17, dagegen FUCHS 1938, 174 Anm. 35); SCHEIDWEILER 1922, 1053; FUCHS 1938, 174 (tauscht zudem 18 und 19 zur Folge: 16, 20, 17, 19, 18); COURTNEY 1970, 65; 2001, 60 Anm. 11 und MÜLLER. Anlass der Verschiebung war, dass nach V.17 subducta foro noch einmal auf die Rhetorik verwiesen wird. Allerdings war Cicero kein Lieferant von Musterfällen, wie sie in der Kaiserzeit von Deklamatoren auf dem Forum abgehandelt wurden, sondern galt vielmehr als stilistisches Vorbild. Zu Hause seine Schriften zu lesen, um sich stilistisch zu bilden,

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dürfte daher nicht befremdlich gewesen sein. Cicero sollte nicht den Ausgangspunkt des Lernprozesses darstellen, was mit der Verschiebung der Fall wäre, sondern den glanzvollen Höhepunkt: Cicero als lateinischer Demosthenes, wie dies auch der Parallelismus der Verse 14 und 20 nahelegt. Zu Demosthenes und Cicero als Stilbildner siehe Quint. inst. 10,1,105–12. Ebenfalls gegen eine Verschiebung äußern sich KISSEL 1978, 325 Anm. 65; SETAIOLI 2002, 272 Anm. 113; VANNINI 2008, 8–12. V.21–22: his animum succinge bonis: sic flumine largo / plenus Pierio defundes pectore verba’: Rüste deinen Geist mit diesen Schätzen: Dann wirst du, voll von dem mächtigen Fluss, aus musischer Brust die Worte verströmen.“ his animum succinge bonis: Der Ausdruck ist (nach V.13 mittat habenas und V.14 quatiat ... arma) wiederum der militärischen Metaphorik entnommen. Ebenfalls figürlich erscheint das Verb bei Quint. inst. 12,5,1 horum (scil. armorum) scientia debet esse succinctus (scil. orator); Tac. dial. 5,6 qua (scil. eloquentia) accinctus. Der Imperativ (mit anschließendem sic) tritt hier in der Bedeutung eines Konditionals innerhalb einer hypothetischen Periode auf wie in V.1 (vgl. SETAIOLI 2002, 266 Anm. 72). Die bona (d.h. die Stilmuster) umfassen nicht nur die Literaturgattungen in V.17–20, sondern die gesamte Ausbildung (V.9–20). flumine largo / plenus: Der Fluss als Symbol ist in der antiken Literaturtheorie seit Kallimachos gebräuchlich. Hier steht der Fluss für die bona, die der Student in sich aufnimmt (V.12 bibat, V.13 plenus, V.16 suffusa, V.19 dent epulas), siehe Ess. 1–4, 3 zu den Wassermetaphern; Ess. 5, 4; vgl. zudem Sat. 118,3 ceterum neque generosior spiritus vanitatem amat, neque concipere aut edere partum mens potest nisi ingenti flumine litterarum inundata; 124,2 Eumolpos ingenti volubilitate verborum effudisset; Tac. dial. 30,5 ex multa eruditione ... exundat et exuberat illa admirabilis eloquentia. Zu plenus siehe oben V.13 Socratico plenus grege. Pierio: „musisch, von den Musen inspiriert“, nach der Landschaft Pierien am Nordfuß des Olymp, die (neben dem Helikon und dem Parnass) als Sitz der Musen galt, oder nach Pieros, dem makedonischen „Vater“ der Musen, auf den man die Einführung des Kultes der neun Musen zurückführte, vgl. z.B. Ov. am. 3,9,26 vatum Piëriis ora rigantur aquis. Das Adjektiv spielt auf die hesiodeisch-kallimacheische poetische Inspiration an. Da es hier jedoch um einen Redner geht, muss der Begriff für die gesamte (durch die zuvor angeführten exemplarischen Beispiele repräsentierte) Literatur gelten, ähnlich dem Standpunkt Eumolps in Sat. 118,3 ingenti flumine litterarum inundata oder Cic. orat. 62, wo im Kontext des philosophischen Schreibens von Xenophons musischer Stimme gesprochen wird (Xenophontis voce Musas quasi locutas ferunt; siehe COURTNEY 2001, 60 Anm. 13).

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defundes: defundes kommt von Scaliger (lmc) und gilt aufgrund von Sat. 121 V.102 tunc Fortuna levi defudit pectore voces als gesicherte Lesart. Die restlichen Handschriften überliefern diffunde(n)s („ausbreiten, zerstreuen“), das im Sinn von „ausschütten, ausströmen, von sich geben“, wie es die Stelle verlangt, nicht belegt ist. defundes fundere, effundere, defundere sind im Zusammenhang mit poetischer und prophetischer Produktivität verbreitet, vgl. u.v.a. carmina/verba effundere in Sat. 23,2; 109,1; 132,11; Verg. Aen. 6,55 funditque preces rex pectore ab imo; Cic. de orat. 3,194 versus hexametros ... fundere ex tempore; Tusc. 1,64 carmen ... fundere; Hor. epist. 2,2,120f. vemens et liquidus puroque simillimus amni / fundet opes; Sat. 124,2 (oben zitiert); siehe zu fundere auch RIMELL 2002, 26.

Bordellabenteuer (Sat. 6–8) Nach den Ereignissen in der Rhetorenschule begibt sich Enkolp auf den Heimweg, gelangt jedoch nicht in die Herberge, sondern landet im Bordell. Dort trifft er auf Askylt, der nach eigener Aussage ebenfalls ungewollt von einer fremden Person in das Etablissement gelockt wurde. Abgesehen von vereinzelten Leerstellen im Text, die Fragen aufwerfen (dazu Punkt 1), ist die Szene gut verständlich. Ein an die Komödie erinnernder Handlungsablauf sowie die Ähnlichkeit der Abenteuer, die Enkolp und Askylt unabhängig voneinander vor ihrem Zusammentreffen im Bordell erleben, sorgen für absurde Komik (dazu Punkt 2).

1. Rekonstruktion der Handlung Zu Beginn der Szene – wir befinden uns in der Säulenhalle der Rhetorenschule – bemerkt Enkolp, dass Askylt die Flucht ergriffen hat. Wann genau dies geschah, bleibt offen, denn Enkolp war ganz in Agamemnons Rede (Sat. 3–5) vertieft (Sat. 6,1 dum hunc diligentius audio). Askylts Bemerkung in Sat. 10,2 ut foris cenares poetam laudasti lässt aber vermuten, dass dieser den Anfang von Agamemnons Gedicht in Sat. 5 noch mitbekommen hat (siehe unten Sat. 6,1 non notavi mihi Ascylti fugam). Möglicherweise begibt sich Enkolp deshalb so schnell auf die Spur Askylts, weil er Böses ahnt (Sat. 79,9 Ascyltos, omnis iniuriae inventor), diesen gar verdächtigt, Giton aufzusuchen – mit sexuellen Absichten (so GOGA 1996, 655 und 1999, 816; PANAYOTAKIS 1995, 11; SCHÖNBERGER 269). Tatsächlich kommt es zu einem solchen Vorfall, der aber zeitlich nicht eindeutig zu verorten ist. paulo ante in Sat. 9,4 spricht dafür, dass Askylts Übergriff auf Giton erst nach dem Bordellabenteuer (zwischen 8,4 und 9,1) stattfindet, kurz bevor Enkolp in der Herberge ankommt (so auch ARAGOSTI Anm. 15). Askylt befindet sich zu diesem Zeitpunkt bereits in der Herberge (siehe unten Sat. 9,1; 9,3f. iste); der verstörte Giton ist, vermutlich in Erwartung Enkolps, auf die Straße gestürzt. Dagegen existiert die nicht nur chronologisch schwierige Annahme, dass Askylt während Agamemnons Rede zu Giton eilt und in Sat. 8,2–4 den Vorfall mit dem pater familiae als Alibi erfindet (so ROSE 1967, 131; unplausibel SLATER 1990, 34 Anm. 20: „If we accept Ascyltus’s story, he must have gotten lost after leaving Giton.“). In diesem Fall muss Askylt die Herberge entgegen

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seiner Behauptung problemlos gefunden und sich anschließend ins Bordell begeben haben (wie z.B. VAN THIEL 1971, 27; JONES 1987, 818 und 1991, 108 annehmen) – ein Hinweis darauf, dass der Übergriff auf Giton erfolglos war. Ob erfunden oder nicht, Askylts Erlebnisbericht stimmt mit dem Abenteuer Enkolps auf geradezu unglaubliche Weise überein! Da Askylt nicht ahnen konnte, dass Enkolp das Gleiche widerfuhr, ist der Wahrheitsgehalt seiner Geschichte nicht ausschlaggebend für die komödiantische Wirkung der Szene.

2. Symmetrie der Handlungsstränge Enkolp sucht Askylt bzw. den Weg zurück in die Herberge, wird verschleppt und trifft den Gesuchten schließlich dort, wo er ihn nie vermutet hätte: im Bordell. So ist der beinahe missglückte Versuch, cursim Ascylton persequi (Sat. 6,2), doch noch geglückt. Schenken wir Askylt Glauben, ist diesem Ähnliches widerfahren. Das Motiv, erfolglos in der Stadt umherzuirren und sich durch wunderbare Fügung an unerwartetem Ort wiederzufinden, könnte aus der Komödie stammen. Bekannt ist es aus dem ernsthaften griechischen Liebesroman, wo dramatische Verwicklungen ein Liebespaar auseinanderbringen, dessen erneutes Zusammentreffen (vor dem glücklichen Ende) jedoch immer knapp scheitert. Z.B. kommt der Verliebte an denselben Ort wie seine Geliebte, die vor kurzem abgereist ist. In den Sat. sehen wir dieses Motiv parodistisch verkehrt: Während einer der „Partner“ den anderen tatsächlich sucht, ist dieser auf der Flucht. Das Wiedersehen findet statt – und gerät zum „Ertapptwerden“ im Bordell. Ebenso amüsant ist die Kongruenz der beiden Abenteuer. Der (inhaltlich) parallele Handlungsverlauf impliziert viele syntaktische und lexikalische Übereinstimmungen:

Bordellabenteuer (Sat. 6–8)

Enkolps Weg ins Bordell 6,2 subduxi me 6,3 nec viam diligenter tenebam [quia] nec quo stabulum esset sciebam 6,4 quocumque ieram, eodem revertebar 6,4 fatigatus et sudore iam madens 6,4

Askylts Weg ins Bordell 6,1 fugam 8,2 nec invenirem quo loco stabulum reliquissem 8,2 errarem ... per totam civitatem 7,4 8,1 8,2 8,2 8,2

7,1 7,2

accedo aniculam / mater agreste holus vendebat (vertrauenerweckend) delectata ... coepit me praecedere in locum secretiorem venimus

7,3

inter titulos nudasque meretrices

8,4

fugere coepi in alteram partem

8,3 8,4 8,4

7,4

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8,2 8,3

lassus ac moriens sudorem ille manibus detersit deficiens accessit ad me pater familiae humanissime (vertrauenerweckend) ducem se itineris ... promisit per anfractus deinde obscurissimos egressus in hunc locum me perduxit pro cella meretrix assem exegerat prolatoque peculio ille mihi iniecerat manum et nisi valentior fuissem

Wie LEFÈVRE 2007, 158 erkennt, unterscheiden sich die zwei parallelen Geschichten in ihrer Drastik: Die zweite stellt in allen wesentlichen Aspekten (Verhalten des Protagonisten, Auftreten der Drittperson, Situation) eine Steigerung bzw. Verschärfung der ersten dar. Parallele Handlungsstränge finden sich auch an anderen Stellen in den Sat., z.B. in der Marktszene (rusticus-muliercula vs. Enkolp-Askylt in Sat. 12–14) oder auf dem Schiff des Lichas (ähnliche Träume von Lichas und Tryphäna in Sat. 104,1f.).

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Kapitel 6 Enkolp versucht vergeblich, von der Rhetorenschule in die Herberge zu gelangen. § 6,1 dum hunc diligentius audio, non notavi mihi Ascylti fugam ... et dum in hoc dictorum aestu mutus incedo, ingens scholasticorum turba in porticum venit, ut apparebat, ab extemporali declamatione nescio cuius, qui Agamemnonis suasoriam exceperat: Während ich ihm allzu aufmerksam zuhörte, bemerkte ich nicht, dass Askylt sich aus dem Staub gemacht hatte. ... Und während ich in dieser Hitze von Worten stumm einherging, kam eine große Schar Studenten in die Halle, offenbar von einer Stegreif-Deklamation von irgendjemandem, der das Wort nach der Suasorie von Agamemnon ergriffen hatte. dum ... et dum ...: Die synchronen Nebensätze dum ... audio und dum ... incedo verweisen beide auf Enkolps Absorbiertheit, und die deiktischen hunc und hoc beziehen sich sehr wahrscheinlich auf die zuvor in Sat. 5 rezitierten Verse bzw. ihren Sprecher. BÜCHELER1 App. (nach WEHLE 1861, 48) vermutet vor et dum aber zu Recht eine Lücke. Stilistisch ist die Folge von drei dum-Sätzen mit je einem eigenen Hauptsatz (dum audio, non notavi / et dum ... incedo ... turba ... venit / dum ergo iuvenes ... rident ... subduxi me) unüblich und platt. Die gängige Satzstruktur, die Gleichzeitigkeit indiziert und zur amplificatio einer Aktion dient, besteht aus mehreren dum-Sätzen und nur einem Hauptsatz (drei- und mehrfaches dum: TLL 5.1.2232.46ff.; z.B. Lucan. 2,694f.; Mart. 5,17). Inhaltlich ist eine Lücke zwar nicht zwingend (so auch COSCI 1978, 201 Anm. 1; PETERSMANN 1975, 119; SÜTTERLIN 1996, 30), man erwartet aber doch nähere Angaben zu Askylts Flucht und zum Grund für Enkolps Besorgnis darüber. diligentius: Zum häufigen Gebrauch des Komparativs in der gesprochenen Sprache siehe PETERSMANN 111f. diligentius hat hier einen ironischselbstkritischen Beiklang, ähnlich dem declamare in Sat. 3,1 (so auch PARATORE II 24). non notavi mihi Ascylti fugam: Askylts Flucht ereignete sich während Agamemnons Monolog, ist zeitlich aber nicht genau festzumachen. Sollte Askylt Agamemnon in Sat. 10,2 wegen dessen Gedicht in Sat. 5 als poeta bezeichnen, dann war er zu Beginn von Sat. 5 noch anwesend und hat sich wohl kurz danach aus dem Staub gemacht (so auch CIAFFI 1955, 25). Zur Flucht als strukturelles Motiv bei Szenenwechseln der Sat. siehe unten Sat. 15,8 praecipites abimus praeclusisque foribus ridere ... coepimus.

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Zum pleonastischen Reflexivpronomen bei notare (im Sinn von animadvertere) vgl. Sat. 103,5; 111,6; siehe PETERSMANN 129f.; HSZ 293–5 §164; STEFENELLI 1962, 19. Ascylti: Der sprechende Name Askylt erscheint hier erstmals im Text. Er wird meist als Ableitung von („unermüdlich“) verstanden. Eine explizite Auslegung des Namens in sexuellem Sinn ist der Ausruf Eumolps, der Askylt nackt im Bad gesehen und von der Anatomie auf die sexuelle Leistung schließt: Sat. 92,9 o iuvenem laboriosum: puto illum pridie incipere, postero die finire. Die einzige epigraphische Überlieferung (M. P. [---] Ascyltus, 1. Hälfte 2. Jh. n. Chr.) geht nach SOLIN 2003, 614 und 2003a, 196f. wahrscheinlich auf Petron zurück. Eine Erklärung, weshalb man jemanden nach einem solchen Schelm benannt haben sollte, kann man jedoch nur schwer geben. Zum Namen siehe PRIULI 1975, 57f.; SCHMELING 1969, 8; PELLEGRINO2 165f. in hoc dictorum aestu mutus incedo: Der Satz weist in seiner überlieferten Form (in hoc dictorum aestu motus incedo) Ungereimtheiten auf. Das Zusammentreffen von motus und in könnte man im Äußersten noch vertreten, wie PETERSMANN 1975, 120 dies tut: in als Stütze des kausalen Ablativs mit Verweis auf eine späte Parallele Schol. Juv. 1,65 in his rebus concitatus. Das größere Problem stellt motus selbst dar (Müller setzt deshalb motus in Cruces). In der rhetorischen Lehre zählt movere neben docere und delectare zu den drei Funktionen einer Rede (LAUSBERG 142–4 §257,3; vgl. Cic. Brut. 185 doceatur ... delectetur ... moveatur; Quint. inst. 12,10,59). Dass Enkolp jedoch zu diesem Zeitpunkt, nach der Entdeckung der Flucht Askylts, durch Agamemnons Worte emotional bewegt ist, ist nicht überzeugend. Dasselbe gilt für die Konjektur totus (siehe BURMAN 38), auch wenn diese das in besser in den Satz integriert (vgl. Sat. 128,6 V.9 atque in praeterita se totus imagine versat; 89,1 sed video te totum in illa haerere tabula). Die attraktivste Alternative zu motus stellt zweifelsohne mutus dar, das DELZ 1962, 681 und NISBET 1962, 230 vorschlagen. Gegen die humanistische Konjektur in hortis (in lm; ERNOUT; BÜCHE1–6 LER ) spricht, dass das Gespräch in der Säulenhalle stattfindet (vgl. Sat. 3,1 in porticu und 6,1 in porticum; so auch MÜLLER1 App.; PETERSMANN 1975, 118f.), die anschließend von der Menschenmenge erfüllt wird, so dass Enkolp unbemerkt fliehen kann. Dass die Schule einen hortus hatte, den die Säulenhalle umgab, ist aus archäologischer Sicht aber nicht unwahrscheinlich, denkt man an die griechischen Gymnasia oder die Athener Akademie, die weitläufige Gartenanlagen umfassten (siehe unten in porticum venit). dictorum aestu: Den besten Sinn ergibt der Satz, wenn es sich um Agamemnons dicta (LP) handelt. Enkolp ist immer noch mit Agamemnon zusam-

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men und nicht allein (er nutzt ja die Schar der iuvenes, um sich davonzuschleichen). Deshalb sind abzulehnen die Lesart in B aestu rerum sowie der Vorschlag von MOESSLER 1891, 727 und VAN THIEL 1971, 27 aestu curarum (dagegen sprechen sich auch MÜLLER 1978, 754 und PETERSMANN 1975, 120 Anm. 7 aus). aestu: aestus („Hitze, Enthusiasmus“) ist vergleichbar dem calor in Quint. inst. 10,7,13 calor ac spiritus; 2,15,28 iuvenili calore und bezieht sich auf den Akt des Redens. Ähnliche (zumeist höhnische) Äußerungen über poetische Ergüsse finden sich in den Sat. an vielen weiteren Stellen, z.B. Sat. 124,2 cum haec Eumolpos ingenti volubilitate verborum effudisset. In Sat. 3,1 heißt es von Agamemnon auch: in schola sudaverat. incedo: „spazieren, einhergehen“, vgl. Sen. nat. 7,31,2 tenero et molli ingressu suspendimus gradum (non ambulamus sed incedimus); OLD s.v. incedo 2. Überflüssig ist der Vorschlag GIARDINAS (1973–4, 211 und 1995–6, 267), der incendor will (nach HEINSIUS, wobei dieser [in] hoc will), vgl. OLD s.v. incendo 4; z.B. Plaut. Pseud. 201 nimi’ sermone huius ira incendor; Verg. georg. 3,459 incensos aestus. scholasticorum turba: Mit scholastici sind hier Leute gemeint, die in der Rhetorenschule ein- und ausgehen: Studenten wie auch Gelehrte, Schulredner oder andere Besucher. Will man den Begriff dennoch genauer fassen, so spricht die Tatsache, dass Enkolp und Askylt als Besucher an der Schule sind und sich wie scholastici gebärden (vgl. Sat. 10,6), für „Gasthörer, Laien“ bzw. „simples habitués des salles de déclamation“ (DEROUX 2001, 183), „the declamation-buffs, the aficionados, for the most part enthusiastic amateurs“ (KENNEDY 1978, 175). Tatsächlich wird der Begriff bei Seneca Rhet. größtenteils für die Leute verwendet, die weder als Schüler noch als Lehrer Deklamationen besuchten (wie ein „athletic event“, siehe Ess. 1–4, 1). in porticum venit: Römische Schulen kamen ohne festen Bautyp aus und unterschieden sich von den übrigen Gebäuden einer Stadt nicht wesentlich (siehe VÖSSING 1997, 49f.). Dementsprechend sind eigentlich nahezu alle baulichen Kontexte von Schulräumen denkbar. Die Petron-Szene kann man sich gut im Ambiente eines griechischen Gymnasions vorstellen (zumal Unteritalien einst zum griechischen Kulturkreis gehörte): Ein Gymnasion war in der Regel ein großes Peristylgebäude mit Hof bzw. Garten in der Mitte, umgeben von einer Säulenhalle und dahinter einzelnen Räumen (siehe zu den Gymnasien in Unteritalien DELORME 1960, 221–30). Auch in Petrons Rhetorenschule öffnen sich die Aulen zur Säulenhalle hin. ut apparebat: Enkolp kann nur vermuten, wofür auch nescio cuius spricht. ab extemporali declamatione nescio cuius: extemporalis declamatio ist der rhetorische t.t. für eine aus dem Stegreif gehaltene fiktive politische Rede oder

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eine Gerichtsrede. Das Adj. extemporalis wird beinahe ausschließlich für den rhetorischen Vortrag verwendet: vgl. Sen. contr. 7 praef. 2; Quint. inst. 2,4,15 und 27; 10,7,13; 11,2,3; Suet. Aug. 84,2; Tit. 3,2. Die Improvisation wurde häufig praktiziert und war im Falle des Gelingens ein Zeichen für harte Arbeit, vgl. Quint. inst. 10,7,1 maximus vero studiorum fructus est ... ex tempore dicendi facultas; LAUSBERG 547 §1145. Sie war jedoch nicht jedermanns Sache und konnte schnell lächerlich werden. So spotten auch hier die iuvenes über die sententias ... ordinemque totius dictionis. Zu den sententiae und ihren Gefahren, u.a. der Lächerlichkeit und der Gefahr, dass man um ihretwillen den Aufbau der Rede (ordo dictionis) vernachlässigt, vgl. Quint. inst. 8,5. Agamemnonis suasoriam: Agamemnon hielt hier also eine suasoria (zu den näheren Umständen siehe Ess. 1–4, 1). Wenn er Trimalchio später in Sat. 48,4 auf dessen Frage hin von einer controversia berichtet, bezieht er sich dementsprechend nicht auf diese, sondern eine offenbar danach gehaltene Rede. exceperat: Der Begriff hat mehrere Bedeutungen. Hier am ehesten „unmittelbar folgen, das Wort nach jem. ergreifen“ (TLL 5.2.1254.26ff. und 60ff., wie KENNEDY 1978; ARROWSMITH „follows“). Vgl. z.B. Sat. 42,1 excepit Seleucus fabulae partem et ‘ego’ inquit ‘non cotidie lavor ...’; Caes. civ. 3,87,1 hunc Labienus excepit; Liv. 7,13,11 orationem Tulli exceperunt preces. Es könnte die Gegenrede zu Agamemnon gewesen sein oder auch eine weitere suasoria ähnlichen Inhalts (oft wurden Reden hintereinander zum selben Thema gehalten, wie das Werk von Seneca Rhet. zeigt). Doch wie sich oben schon gezeigt hat, kennt Enkolp die genauen Umstände dieser Rede nicht (ut apparebat; nescio cuius). Inwiefern die Deklamation mit der Suasorie Agamemnons verknüpft war oder auf diese anspielte, geht aus dem Text nicht hervor. Nicht plausibel ist, dass der Vortragende Agamemnons Rede gar „übernommen“ (wie SULLIVAN „took over“; PELLEGRINO2 168 „continuando la suasoria declamata da Agamemnone“) oder diese „unterbrochen“ haben soll (wie DEROUX 2001 und MARSHALL 1987, 735f. meinen, wobei sie sich auf Ascon. p. 37,16St. stützen – wo es aber nicht um eine weitere Rede, sondern um Geschrei geht). § 6,2 dum ergo iuvenes sententias rident ordinemque totius dictionis infamant, opportune subduxi me et cursim Ascylton persequi coepi: Während also die jungen Leute über die Sentenzen lachten und den Aufbau der ganzen Rede verrissen, nahm ich die günstige Gelegenheit wahr, mich davonzuschleichen und eilends Askylt zu folgen. dum ergo: Vgl. oben Sat. 6,1 dum ... et dum ... Hier wird ergo gebraucht, um nach den vorausgegangenen einleitenden Sätzen, die der Situationsbeschreibung dienen, den nächsten Handlungsschritt wiederzugeben (KST II 141f. §175,5).

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iuvenes: iuvenis bezeichnet wie hier meist den erwachsenen Mann, kann aber auch Synonym für adulescens sein (Sat. 2,3. 7; 4,3), siehe AXELSON 1948. sententias ... ordinemque totius dictionis: Die Kritik bezieht sich auf die Sentenzen (sententiae; siehe dazu oben Sat. 1,2 sententiarum vanissimo strepitu) und die Disposition bzw. Gliederung der Gedanken (ordo dictionis; LAUSBERG 214–47 §443–52), zwei der wichtigsten Bestandteile bzw. Qualitäten einer Rede (vgl. z.B. Quint. inst. 12,10,60 compositione aptus, sententiis dulcis). cursim persequi coepi: Enkolps Eile (cursim und dazu noch das intensivierende Präfix per-) deutet auf einen Verdacht hin, den Enkolp gegenüber Askylt hegt. An anderer Stelle nennt er diesen einen omnis iniuriae inventor (Sat. 79,9). Möglicherweise ahnt er schon, dass Askylt Giton aufsuchen könnte (so GOGA 1996, 655 und 1999, 816; JENSSON 2004, 137). Dagegen spricht zwar Enkolps langwierige Befragung Gitons in Sat. 9,3, doch könnte diese auch dramatischen Zwecken dienen. coepi ist hier ingressiv aufzufassen, obwohl dieser Bedeutungsaspekt bei Petron vielfach nur noch abgeschwächt vorhanden ist. § 6,3 sed nec viam diligenter tenebam [quia] nec quo stabulum esset sciebam: Doch weder konnte ich den Weg wieder genau finden, [da] noch wusste ich, wo überhaupt unsere Herberge war. Die Syntax des überlieferten Satzes (sed nec viam diligenter tenebam quia nec quo stabulum esset sciebam) ist fehlerhaft. Am naheliegendsten ist die Einklammerung bzw. Eliminierung von quia (so MÜLLER nach GOLDAST; ERNOUT; BÜCHELER2–6), zumal Petron knappe Alternativen mit nec – nec liebt (z.B. Sat. 16,4; 116,8; 126,3). Möglich ist aber auch – v.a. hinsichtlich der Tautologie der beiden Sätze nec ... tenebam und nec ... sciebam –, einen Textausfall anzunehmen (eine Lücke setzen BÜCHELER1; GOGA 1996). Der Abschreiber könnte den durch quia eingeleiteten Kausalsatz ausgelassen haben, nachdem er das quia schon geschrieben hatte. Dem ersten nec-Satz wäre also ein quia-Satz untergeordnet gewesen, der den Grund angibt, weshalb Enkolp den Weg nicht finden kann, z.B. quia (MOESSLER 1891, 727). Eher umständlich sind die Eingriffe von GIARDINA 1970–2, 179 und GIARDINA–MELLONI zu sed nec [viam] diligenter tenebam viam nec sowie von PELLEGRINO2, der das zweite nec in ne abändert, das erste im Sinn von non, das zweite im Sinn von ne ... quidem und quo als ubi versteht. nec viam diligenter tenebam: Der Satz hat zwei Bedeutungsnuancen: 1. „den Weg nicht finden, sich verlaufen“, vgl. z.B. Ov. met. 2,79 utque viam teneas; Lucr. 5,714 cursusque viam sub sole tenere. Der Ausdruck lebt in den romanischen Sprachen fort (fr. „tenir le chemin“, it. „tenere la via“). 2. „den Weg

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nicht im Gedächtnis haben“, elliptisches tenebam für „in memoria habebam, sciebam“ (BURMAN 41), vgl. z.B. Verg. ecl. 9,45 numeros memini, si verba tenerem; Sen. epist. 27,6 emit servos, unum qui Homerum teneret, alterum qui Hesiodum. Dafür spräche die Parallele mit sciebam. Gemeint ist in jedem Fall der Weg zur Herberge, auch wenn kein Ziel genannt wird (unwahrscheinlich GOGA 1996: Enkolp versuche, Askylts Weg einzuhalten). [quia]: Siehe oben. quo: Überliefert ist ein klassisch falsches und erklärungsbedürftiges quo. Erste und überzeugendste Erklärung: quo steht für ubi oder qua, bedingt durch die Vertauschung der Vorstellung von Ruhe und Bewegung (so z.B. PELLEGRINO2 169f., siehe zum Phänomen HSZ 277 §156 ; PETERSMANN 100–4 mit Nachtrag; CALLEBAT 1968, 195–8). Vgl. Akk. statt Abl. (z.B. Sat. 42,2 fui enim hodie in funus; Plaut. Stich. 337f. fui ... a portu); ubi statt quo (z.B. Tac. ann. 1,22,2; Apul. met. 9,39); hinc/illinc statt hic/illic (z.B. Sat. 83,3); foras statt foris (z.B. Sat. 30,3). Zweitens kann man zu quo emendieren (so p2; ERNOUT; GOGA 1996, 654f.), was eine Parallele zu Sat. 8,2 nec invenirem quo loco stabulum reliquissem schaffen würde. Hingegen erscheint die dritte Möglichkeit, quo statt quod zu setzen (so BÜCHELER1–6; MÜLLER; PETERSMANN 317f.: „bedingt durch den vulgären Ausfall des auslautenden d“), inhaltlich unplausibel. Der Sinn des Satzes wäre dann, dass Enkolp seine Herberge (unter einer Vielzahl anderer Herbergen) nicht mehr erkennt. stabulum: Üblicher Begriff für Herberge (siehe unten Sat. 9,10 deversorio), kann aber auch ein spezifischer Terminus für „Bordell“ sein (z.B. Cic. Phil. 2,69; OLD s.v. stabulum 2b). Die Doppeldeutigkeit erzeugt hier einen Witz, denn kurz darauf landet Enkolp tatsächlich im Bordell (ähnlich Sat. 8,2, siehe MCGINN 2004, 18). § 6,4 itaque quocumque ieram, eodem revertabar, donec et cursu fatigatus et sudore iam madens accedo aniculam quandam, quae agreste holus vendebat: Wohin ich deshalb auch immer ging, ich kehrte stets an einen Ort zurück, an dem ich schon gewesen war, bis ich mich – vom Laufen erschöpft und schon von Schweiß durchnässt – an ein altes Weiblein wandte, das Gemüse vom Land feilbot. itaque: Zu itaque siehe unten Sat. 15,6 itaque. quocumque ieram, eodem revertabar: Wie in Sat. 6,3 (nec ... tenebam ... nec ... sciebam) werden auch hier das ausweglose Hin und Her und Enkolps Erschöpfung (fatigatus – madens unten) in der grammatischen Struktur sichtbar. Enkolp befindet sich wie auch Askylt (Sat. 8,2 cum errarem ... per totam civitatem) in einer Art Labyrinth – ähnlich Theseus oder Aeneas, denen jedoch von Ariadne bzw. Sibylle der glückliche Weg nach außen gezeigt wird (Verg.

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Aen. 6), während Enkolp und Askylt von ihren „Helfern“ (siehe unten aniculam) noch weiter verschleppt werden. Zum Motiv des Labyrinths, das sich durch die ganzen Sat. zieht, siehe FEDELI 1981 (169f. zu dieser Szene) und 1981a (110f. zu dieser Szene). et cursu fatigatus et sudore iam madens: Vgl. Liv. 44,38,9 an longo itinere fatigatum et onere fessum, madentem sudore; Sen. epist. 95,18 cursu defatigati. accedo aniculam quandam: Klassisch wäre der Ausdruck accedo ad aniculam (wie auch in Sat. 8,2 accessit ad me pater familiae). Der reine Akkusativ ist jedoch bei unpersönlichen Objekten bereits im Altlatein und seit Sallust auch bei persönlichen Objekten gebräuchlich, z.B. Sall. Jug. 97,3 Bocchus cum magna multitudine Iugurtham adcedit; Tac. hist. 3,24,2. Siehe PETERSMANN 62; KST I 265 §70A. aniculam: Die unschuldige Gemüseverkäuferin entpuppt sich später als lasterhafte Alte, die an gewisse plautinische lenae erinnert (zum Schleppdienst von Bordellen siehe unten Sat. 7,4 in fornicem esse deductum). Sie ist eine „falsa Arianna“ (FEDELI 1981a, 110, siehe unten Sat. 7,2 divinam), die Enkolp nicht zum Ausgang des „Labyrinths“, sondern in ein Bordell führen wird. Der Diminutiv (siehe DELL’ERA 1970, 138f.; RONCAIOLI 1961, 13) trägt dazu bei, dass die Frau zunächst harmlos erscheint, vgl. auch Bauer und Bäuerin in Sat. 12–15, die ebenfalls die Assoziation des Ländlich-Unschuldigen wecken, und den pater familiae in Sat. 8,2, der ebenfalls als „personaggio-trappola“ (LAGO 2004, 32) auftritt. Die alte Frau als Zauberin, Hexe, Verkäuferin oder Kupplerin ist ein literarischer Typus des Mimus und der Komödie, siehe OERI 1948. Bei Apuleius entpuppen sich an mehreren Stellen – ähnlich wie hier – ältere, scheinbar schwache Personen als listig verschlagen, z.B. met. 4,12; 1,21. Letztere Stelle (Apul. met. 1,21 accessi et de quadam anu caupona ilico percontor etc.) wird häufig auf die Petronstelle (oder eine gemeinsame griechische Quelle) zurückgeführt, so z.B. WALSH 1978, 23; ROSENBLÜTH 1909, 79; CIAFFI 1960, 50–2. Doch lässt sich trotz der Ähnlichkeit der Szenen keine direkte Abhängigkeit festmachen (siehe KEULEN 2007, 373f.). quae agreste holus vendebat: Das Verkaufen von Gemüse (oder auch anderer Waren wie Federvieh, Schuhen, Getränken) war eine Beschäftigung niedrig gestellter Frauen bzw. von Bäuerinnen, siehe dazu KAMPEN 1981, v.a. 52–72. Die Alte hier bietet, wie sich später herausstellt, mehr als nur Gemüse an. holus hat neben seiner primären Bedeutung (Gemüse) eine sexuelle Konnotation (penis), die hier allerdings nur retrospektiv, d.h. mit Kenntnis des nachfolgenden (unfreiwilligen) Bordellbesuchs, erkennbar wird (vgl. Catull. 94 mentula moechatur. moechatur mentula? certe. / hoc est quod dicunt, ipsa olera olla legit; Priap. 24,4 fur habeas poenam, licet indignere ‘feram’que /

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‘propter holus’ dicas ‘hoc ego?’ ‘propter holus’). In diesem Sinne dient der Begriff als Vorausdeutung auf das Bordell (so auch BUCHHEIT 1962, 255; STEINBERG 1996a, 101; dagegen ADAMS 29 mit Anm. 2).

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Kapitel 7 Enkolp wird ins Bordell verschleppt und trifft dort überraschend auf Askylt. § 7,1 et ‘rogo’, inquam, ‘mater, numquid scis ubi ego habitem?’ delectata est illa urbanitate tam stulta et ‘quidni sciam?’ inquit consurrexitque et coepit me praecedere: „Bitte, Mütterchen“, sagte ich, „weißt du vielleicht, wo ich wohne?“ Erheitert durch diesen so dummen Witz, meinte jene: „Wie könnte ich das nicht wissen?“, stand auf und ging voran. rogo: rogo, das in der Volkssprache der Kaiserzeit oro und quaeso verdrängt, findet sich bei Petron häufig in Anfangsstellung mit Vokativ, vgl. z.B. Sat. 20,1. Das Verb schwankt hier in seiner Funktion zwischen Einleitungsphrase einer direkten Rede (numquid scis steht im Indikativ!) und floskelhafter Interjektion (neben inquam). Siehe HOFMANN 129f. §120; BIVILLE 2003, 44. mater: Höfliche Anrede für eine unbekannte ältere Frau, schon bei Plautus belegt (z.B. Rud. 263. 289), vgl. Ov. fast. 4,513; Apul. met. 9,17 u.a.; TLL 8.438.59. Siehe DICKEY 2002, 119f. 340. numquid scis ubi ego habitem?: Enkolps dumme Frage (dies gesteht er in Sat. 7,1 tam stulta selbst) lässt sich erstens durch seinen aufgewühlten Zustand und seine Verzweiflung erklären (PARATORE II 26). Zweitens fühlt er sich hier ein weiteres Mal in eine mythologische Wirklichkeit versetzt und glaubt wohl in der Tat, Sibylle vor sich zu haben (siehe unten Sat. 7,2 divinam). numquid: Das lautlich markantere numquid ersetzt das zur Zeit Petrons bereits vom Aussterben bedrohte num, siehe PETERSMANN 262; HSZ 542f. §295; KST II 514 §231. ego: Das Subjektspronomen unterstreicht die Widersprüchlichkeit der Frage (scis ubi ego). Siehe zum pleonastischen ego zudem unten Sat. 7,2 ego. habitem: Siehe dazu unten Sat. 7,2 hic ... debes habitare. delectata est illa: est ist nur einmal, dafür in der vertrauenswürdigsten Handschrift B überliefert. Als Alternative könnte man das folgende et streichen und von einer Ellipse von est ausgehen (vgl. Sat. 127,1 delectata illa risit tam blandum). urbanitate tam stulta: Vgl. ein ähnliches selbstkritisches Urteil, ebenfalls retrospektiv aus der Warte des Erzählers gesprochen, in Sat. 126,8 multum risit ancilla post tam frigidum schema. urbanitas („feiner Witz, Raffinesse“) bildet sowohl ein Oxymoron mit stulta als auch einen ironischen Gegensatz zur rusticitas der Alten. Ähnlich dazu wird die Alte in Sat. 7,2 im doppelten Sinn als anus urbana bezeichnet – als bäuerlich und „witzig, geistreich“ (OLD s.v. urbanus 4), vgl. Plaut. Most. 15 tu urbanus vero scurra, deliciae popli; Cic. Cael. 36 removebo illum senem durum ac paene agrestem; ex his igitur sumam aliquem ac potissimum mini-

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mum fratrem qui est in isto genere urbanissimus; Phaedr. 5,5,8 scurra, notus urbano sale. Der Begriff urbanitas wird in den Sat. zumeist ironisch und negativ konnotiert gebraucht, z.B. wenn Enkolp das großspurige Gebahren seines Gastgebers Trimalchio belächelt, der, einst libertus rusticus, eine Existenz als urbanus aufzubauen versucht (Sat. 36,7; 39,6; 52,7). Siehe dazu ausführlich HALVONIK 2005. Alleinstehendes tam (d.h. ohne korrelatives quam) mit Adj. ist bei Petron sehr beliebt (vgl. z.B. Sat. 2,9) und dient zur Hervorhebung; siehe PETERSMANN 115. quidni sciam?: Mit quidni werden häufig (v.a. in der Komödie) ironische rhetorische Fragen eingeleitet, vgl. z.B. Plaut. Stich. 333 quid agam rogitas? :: quidni rogitem? Siehe PETERSMANN 264; HSZ 458 §244 und 837 §58. inquit consurrexitque et coepit me praecedere: Die Häufung der Verben drückt die Entschlossenheit und den Tatendrang der Alten aus. Das volkstümliche Kompositum consurgere erscheint bei Petron häufiger als surgere (vgl. z.B. Sat. 60,7; 72,4), vgl. eine Auflistung der in den Sat. zahlreichen Komposita mit con- bei MARBACH 1931, 82–7. § 7,2 divinam ego putabam et ... subinde ut in locum secretiorem venimus, centonem anus urbana reiecit et ‘hic’ inquit ‘debes habitare’: Ich hielt sie für eine Seherin, und ... als wir unmittelbar darauf an einen ziemlich abgeschiedenen Ort kamen, riss die Alte einen Vorhang auf und sagte: „Hier musst du wohnen!“ divinam ego putabam: Der Erzähler erklärt und entschuldigt seinen folgenschweren Irrtum, den putabam vorwegnimmt. „Er ordnet seine Welt, er interpretiert und definiert Situationen, indem er Rollenzuweisungen vornimmt, die sich jedoch hier und auch im Folgenden als Fehlinterpretationen herausstellen“ (MALITS–FUHRER 2002, 87), vgl. Sat. 15,8. divinam: „Wahrsagerin, Seherin, Zauberin“ (TLL 5.1625.8ff.; OLD s.v divinus 6 „able to know future or hidden things, forseeing, second-sighted“), vgl. z.B. Mart. 3,71,2 non sum divinus, sed scio quid facias. Für Enkolp ist die anicula eine Retterin mit übernatürlichen Fähigkeiten, die ihm in der Not den Weg weist. Dieses Motiv gibt es bereits in Hom. Od. 7,13–77 (Athene führt Odysseus) oder Verg. Aen. 1, 314ff. (Venus geleitet ihren Sohn nach Karthago), Aen. 6,124ff. (Sibylle, eine echte divina, weist Aeneas den Weg in die Unterwelt). Tatsächlich ist sie eine typische vetula (RICHLIN 1992, 194). FEDELI 1981a, 110 spricht von einer „falsa Arianna“ (schon CIAFFI 1955, 26), siehe dazu oben Sat. 6,4 aniculam. ego: Lesart von L, während O ergo (verteidigt von VAN THIEL 1971, 73, dagegen MÜLLER 1978, 749) überliefert. Dieselbe Varianz in den Handschriften findet sich in Sat. 9,3 und 10,1. Personalpronomen werden bei Petron häufig verwendet (über 90 Belege für ego in den Sat.), v.a. wenn wie hier zuvor

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von einer anderen Person die Rede war. Siehe dazu PETERSMANN 45–8; HOF100f. §95. et ... subinde ut: Die Lücke ist von BÜCHELER1–6 gesetzt (ebenso ERNOUT, MÜLLER, GIARDINA–MELLONI; VAN THIEL 1971, 73). Sie ist nötig, um die Periode aufzutrennen, da sonst ein unüblicher Subjektswechsel innerhalb eines Satzes vorläge. Am überzeugendsten ist der Zusatz von BÜCHELER1 im App., der leicht durch ‘saute du même au même’ ausgefallen sein kann und vom parallelen Sat. 72,4 nudisque consurrexit pedibus et Trimalchionem gaudentem subsequi gestützt wird. ut in locum secretiorem venimus: secretiorem geht auf BR zurück (verteidigt von PETERSMANN 112), während ldmrtP das banalere secretum überliefern. Zur Vorliebe Petrons für den Komparativ siehe PETERSMANN 111f. Bordelle befanden sich meist in etwas abgelegenen Gegenden, siehe dazu HERTER 1960, 85–8; BLÜMNER 369; MCGINN 2004, 241f. centonem ... reiecit: Der cento, ein aus verschiedenen Stoffen zusammengeflicktes Textil (Decke, Kleidungsstück, hier ein Vorhang, siehe DAREMBERG– SAGLIO s.v. cento), betont die Schäbigkeit des Lokals. In den meisten Etablissements war der Eingang mit einem Vorhang verhängt, vgl. Juv. 6,121 intravit calidum veteri centone lupanar (oder mit einem velum bei Mart. 1,34,5f. at meretrix abigit testem veloque seraque / raraque Summemmi fornice rima patet). anus urbana: In dem Wortwitz, dass die anicula ... quae agreste holus vendebat (= rustica) sich nun als urbana („witzig, geistreich“) erweist, vollzieht sich die Verkehrung der harmlosen Landfrau in ihr Gegenteil. Zugleich nimmt urbana das vorangegangene urbanitate (Sat. 7,1) wieder auf: Die lustige Alte steigt auf Enkolps vermeintlichen Scherz ein. hic ... debes habitare: Mit habitare scheint Petron auf eine Anekdote anzuspielen, die es mindestens seit Horaz (sat. 1,2,31–5) gibt: Cato trifft einen Jungen, der gerade aus dem Bordell kommt: quidam notus homo cum exiret fornice, ‘macte / virtute esto’ inquit sententia dia Catonis; / ‘nam simul ac venas inflavit taetra libido, / huc iuvenes aequom est descendere, non alienas / permolere uxores’. Im Kommentar von Ps. Acro (Schol. Hor. carm. 1,2,31 p. 20K) ist der zweite Teil der Anekdote überliefert: Catone transeunte quidam exiit de fornice; quem, cum fugeret, revocavit et laudavit. postea cum frequentius eum exeuntem de eodem lupanari vidisset, dixisse fertur: adulescens, ego te laudavi, tamquam hic intervenires, non tamquam hic habitares. debes: debere oszilliert hier (wie auch im Deutschen) semantisch zwischen Notwendigkeit und Vermutung. Vgl. ebenso Sat. 33,8 nescio quid boni debet esse; 49,7 plane ... hic debet servus esse nequissimus. In dieser abgeschwächten Bedeutung ist debere im volkstümlichen und späteren Latein häuMANN

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fig, findet sich aber bereits in Cic. Brut. 76 nec vero tibi aliter videri debet. Siehe PETERSMANN 186f. § 7,3 cum ego negarem me agnoscere domum, video quosdam inter titulos nudasque meretrices furtim spatiantes: Während ich noch versicherte, dass ich das Haus nicht kannte, erblickte ich ein paar Männer, die verstohlen zwischen Schildern und nackten Huren umherschlichen. negarem me agnoscere domum: Der naive Enkolp hat noch nicht begriffen, dass er hinters Licht geführt wurde. video: Das Präsens historicum ersetzt bei Petron gerne das Perfekt. Der Wechsel von Perfekt/Imperfekt und Präsens kann wie hier sogar innerhalb des gleichen Satzes erfolgen, vgl. (Präs. hist. neben Imperfekt) Sat. 49,5; 55,1. Siehe dazu HSZ 307 §171 und 551 §297b; KST II 186 §181; PETERSMANN 169f. quosdam ... furtim spatiantes: Männer streifen verstohlen zwischen den Bordelldirnen umher. Der Vorschlag FRAENKELS (MÜLLER1), quosdam in quasdam zu ändern und das -que von nudas zu tilgen, ist unlogisch: Im Gegensatz zu den Frauen dürfte es den Männern durchaus unangenehm gewesen sein, an diesem verruchten Ort angetroffen und erkannt zu werden. So verhüllt im Folgenden auch Enkolp sein Haupt (Sat. 7,4 operui caput). spatiantes (drpO) kommt im Gegensatz zum vulgäreren Kompositum conspatiantes (lmt; prob. MARBACH 1931, 86; PARATORE II 30 Anm. 1) bei Petron noch an vier weiteren Stellen vor, u.a. Sat. 126,3 spatiantem vidi. inter titulos: Lesart von Op. Varianten wie inter viculos (drt) oder internuculos (lm) etc. sind abzulehnen. Die umherstreifenden Männer prüfen das Angebot, indem sie sich die gerade freien Prostituierten sowie die Schilder ansehen, die über jeder Kammer hängen (wie schon TORNAESIUS in tm bemerkt „tabernarum meretriciarum inscriptiones“). Auf den Schildern standen die Namen der Prostituierten, vgl. Juv. 6,123 prostitit ... titulum mentita Lyciscae mit Schol. Juv. 6,123 quoniam in cellis nomina meretricum fuerant superscripta; Sen. contr. 1,2,1 deducta es in lupanar, accepisti locum, pretium constitutum est, titulus inscriptus est; 1,2,5 meretrix vocata es, in communi loco stetisti, superpositus est cellae tuae titulus, venientem recepisti; 1,2,7 nomen tuum pependit in fronte; Mart. 11,45,1 intrasti quotiens inscriptae liminae cellae. Nach Plaut. Asin. 760 in foribus scribat occupatam esse se konnte man den Schildern auch entnehmen, wer frei und wer besetzt war. Unklar ist jedoch, ob darauf auch die Dienstleistungen und Preise der Prostituierten vermerkt waren – einziger Fund im Inneren eines Bordells ist CIL 4,2228 Victoria a(ssibus) V. Siehe MCGINN 2004, 39 mit Anm. 177 und 286 Anm. 75; VARONE 2005, 99 mit Anm. 36. Einige Interpreten halten es für unpassend, dass tituli gemeinsam mit meretrices genannt werden, und ersetzen sie durch ein Personen bezeichnendes Substantiv. Die Versuche wirken alle sehr bemüht: z.B. SULLIVAN 1970, 188

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vetulas (vgl. Sat. 28,4); KLUSSMANN 1863 intercutitos (= vehementer cutitus = valde stupratus). Dasselbe gilt für andere Interpretationen von titulos: GOLDBERGER 1930, 46–51 fasst tituli (titus = „Taube, Penis“) als Gehilfen der meretrices auf, sowie auch STEINBERG 1996 und 1996a titulos metonymisch versteht für „esclavos del fornix“, die wie Sklaven auf dem Markt ein Schild um den Hals tragen. nudasque meretrices: meretrix gehört zu den geläufigsten Begriffen für Prostituierte und wird auch im gehobenen Latein verwendet. Siehe ADAMS 1983, 326. Von Bordelldirnen wird öfters berichtet, dass sie unbekleidet (nudae) vor ihren cellae standen (vgl. Sen. contr. 1,2,7; Juv. 10,239) oder saßen (vgl. z.B. Ov. Pont. 2,3,20; Isid. orig. 10,229; Juv. 3,136; Mart. 6,66,2). Vgl. dazu Ov. trist. 2,309f. saepe supercilii nudas matrona severi / et Veneris stantes ad genus omne videt; Juv. 11,172f. nudum olido stans / fornice mancipium; Cass. Dio 79,13,3 μ (scil. ) ’ (scil. ) . Mitunter wird Kleidung erwähnt: Juv. 3,135 cum tibi vestiti facies scorti placet. Vielleicht muss man sich die Dirnen auch in leichter (transparenter) Gewandung (Sat. 55,6 V.15f. aequum est induere nuptam ventum textilem, / palam prostare nudam in nebula linea?; Sen. contr. 1,2,7 ea veste quam leno dederat) oder mit entblößtem Oberkörper (Juv. 6,122f. nuda papillis / prostitit auratis) vorstellen. Siehe HERTER 1960, 93. Möglicherweise trugen nur die vornehmeren Dirnen Kleider und unterschieden sich dadurch von den niedrigeren, vgl. Tac. ann. 15,37,3, der den lupanaria inlustribus feminis completa die scorta nudis corporibus gegenüberstellt. § 7,4 tarde, immo iam sero intellexi me in fornicem esse deductum. execratus itaque aniculae insidias operui caput et per medium lupanar fugere coepi in alteram partem, cum ecce in ipso aditu occurrit mihi aeque lassus ac moriens Ascyltos; putares ab eadem anicula esse deductum: Spät, ja allzu spät wurde mir klar, dass ich in ein Bordell verschleppt worden war. So verfluchte ich den Streich der Alten, verhüllte meinen Kopf und machte mich, mitten durch das Bordell, auf die Flucht in den anderen Teil, als mir, siehe da, gerade am Eingang – gleich mir wie zu Tode erschöpft – Askylt entgegenlief. Man hätte glauben können, er sei von derselben Alten verschleppt worden. tarde, immo iam sero intellexi: Selbstkritischer Kommentar des Erzählers Enkolp (v.a. iam sero). in fornicem esse deductum: fornix (ursp. „Gewölbe, Mauerbogen“, TLL 6.1.1126.56ff.) ist eine gebräuchliche Bezeichnung für ein Bordell (so zuerst bei Hor. sat. 1,2,30f.; epist. 1,14,21), Synonym zu lupanar, siehe oben Sat. 6,4. Um Kunden ins Bordell zu locken, setzten Bordellwirte oder -besitzer Mittler-/innen ein (v.a. in der Komödie und Elegie, siehe HERTER 1960, 88 mit Belegen) oder heuerten Schlepper an (vgl. Plaut. Men. 338–43 morem hunc

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meretrices habent: / ad portum mittunt servolos, ancillulas; /.../ si pellexerunt, perditum amittunt domum; Suet. Cal. 41,1 misit circum fora et basilicas nomenclatores ad invitandos ad libidinem iuvenes senesque). Auch Prostituierte zerrten bisweilen männliche Passanten mit sich (z.B. Theophr. char. 28,3; Isid. orig. 18,42,2). Siehe STUMPP 1998, u.a. 235; MCGINN 2004, 37 mit Anm. 165. execratus aniculae insidias: Enkolp verflucht das Verhalten der Alten zu Unrecht als Streich. War er es doch, der erstens eine so unglaubwürdige Frage gestellt hat und zweitens naiverweise meinte, sie könne sie beantworten. operui caput ... fugere coepi ... cum ecce ... occurrit: Perfekt im Hauptsatz vor einem cum inversum ist sehr selten (bei Petron noch in Sat. 27,1), siehe PETERSMANN 277; HSZ 623 §333. Das cum inversum (siehe dazu ausführlich ROEMER 1961, 205–9; PERROCHAT 1940, 287f.) drückt hier eine überraschende Entwicklung in der Erzählung aus, was zusätzlich durch ecce verstärkt wird. Dass das Subjekt Ascyltos ganz am Schluss steht, sorgt für einen Überraschungseffekt (mit ecce auch in Sat. 136,4 cum ecce tres anseres [L : et ecce O]). operui caput: Sich den Kopf zu bedecken hat verschiedene Bedeutungen, hier als Gestus der Scham, vgl. z.B. Sat. 110,4 abscondebam ... frequentius vultum; Apul. met. 1,6 und HABERMEHL ad 101,11. Enkolp verhüllt sein Haupt, wie dies Männer im Bordell allgemein zu tun pflegten, vgl. Hor. sat. 2,7,53–6 tu cum proiectis insignibus, anulo equestri / Romanoque habitu, prodis ex iudice Dama, / turpis odoratum caput obscurante lacerna, / non es quod simulas?; Hist. Aug. V 4,6 ut vagatur nocte per tabernas ac lupanaria obtecto capite cucullione vulgari viatorio; Hel. 32,9 tectus cucullione mulionico, ne agnosceretur; Hist. Apoll. 34 velato capite lupanar ingreditur. Mit entblößtem Haupt ins Bordell zu gehen war ungewöhnlich, daher die Erwähnung in Plaut. Capt. 475 de foro tam aperto capite ad lenones eunt. Siehe VORBERG 317f.; TLL 3.387.21ff. („caput operire, tegere, sim.“). per medium lupanar ... in alteram partem ... in ipso aditu: Römische Bordelle wurden oft lupanar genannt (von lupa „Wölfin, Hure“, TLL 7.2.1846.34ff.). Logischer wäre es, Enkolp hätte durch den eben durchschrittenen (näher gelegenen) Eingang zu fliehen versucht, statt sich noch weiter ins Bordell hineinzubegeben. Die Flucht nach vorn ist aber dramaturgisch notwendig: Sie führt zur Begegnung mit Askylt. Die altera pars kann „die andere Seite“ des Bordells (vgl. z.B. Caes. Gall. 2,24,1 aliam in partem fugam petebant; Lucr. 4,445f. ire ... / ... aliam in partem) oder einen „anderen Teil“ bezeichnen, der jedoch nicht weiter definiert werden kann, da es keinen festen Bautyp für ein Bordell gab. Die jeweilige Form scheint sich stark an der vorhandenen Bausubstanz orientiert zu haben. Im noch erhaltenen Bordell des Africanus und Victor in Pompeji im Vicolo del

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Lupanare (Insula VII, 12, 18–20) führt ein Haupteingang in einen Gang, an dem fünf kleine Kammern mit Betten gelegen sind, sowie zu einer Latrine, neben der sich ein zweiter Ein- bzw. Ausgang befindet. Ein dritter Eingang führt über eine Treppe ins erste Stockwerk, wo weitere neun unterschiedlich große Schlafzimmer liegen (siehe SCHNEIDER, RE s.v. meretrix, 1023f.; VARONE 2005). Man kann sich die Szene zudem auf zwei verschiedene Arten vorstellen: 1. Enkolp trifft noch am selben Eingang (ipso), durch den er hereingekommen ist, auf Askylt (coepi wäre ingressiv zu verstehen, so dass Enkolp noch gar nicht losgelaufen ist). Gegen diese Annahme spricht aber, dass die langen Ausführungen (per medium lupanar fugere coepi in alteram partem) dann lediglich als möglicher Fluchtplan im Kopf Enkolps stattfänden. 2. Enkolp rennt mitten durch das Bordell (coepi abgeschwächt) und trifft auf Askylt am Ein-/Ausgang des anderen Teils (so z.B. BRANHAM-KINNEY: „But when I reached the doorway, I ran smack into Ascyltos“). Dabei könnte man aber fälschlicherweise meinen, Askylt betrete das Bordell gerade erst, was nicht sein kann. aeque lassus ac moriens: aeque (scil. ac ego). lassus et moriens spielt im Sinne eines Oxymorons mit Askylts Namen (siehe oben Sat. 6,1 Ascylti). Askylts Zustand verrät, dass auch er das Bordell nicht freiwillig aufgesucht hat, und lässt Enkolp vermuten, seinem Gefährten sei Ähnliches widerfahren wie ihm selbst (Sat. 6,4 fatigatus et sudore iam madens). putares ab eadem anicula esse deductum: Tatsächlich wurden Enkolp und Askylt in dasselbe Bordell verschleppt, und zwar auf durchaus vergleichbare, wenn auch nicht auf dieselbe Weise. Der Kommentar des Erzählers bereitet den Leser auf die entsprechende Geschichte Askylts vor. Die Ellipse des Subjektsakkusativs (putares scil. eum), wie sie bei Petron öfter vorkommt, ist ein Charakteristikum der Alltagssprache, siehe dazu PETERSMANN 41; HSZ 362 §199; KST I 700f. §127 und 179 §46. Vgl. bei Petron Sat. 15,4 exhibiturumque [scil. se] crastino die affirmabat; 91,1 scires non libenter servire; 91,3 supprimere ego querellam iubeo u.a. Ebenfalls umgangssprachlich ist der unpersönliche Gebrauch der 2. Pers. des Potentialis (wie auch bei anderen Verben: scires, crederes etc.), der bei Petron ebenfalls häufig auftritt, siehe z.B. putes in Sat. 37,6; 47,3 etc.; putares in Sat. 22,5; 23,5 etc.; putasses in Sat. 76,11. Zugleich wird mit dieser Verbform auch der Leser angesprochen, wodurch dem Erzählten zusätzlich Nachdruck verliehen wird. § 7,5 itaque ut ridens eum consalutavi, quid in loco tam deformi faceret quaesivi: Als ich ihn also lachend begrüßte, fragte ich, was er an einem so verruchten Ort mache.

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ridens: Enkolp lacht aus Verlegenheit oder Erleichterung darüber, einen Leidensgenossen (und Askylt) gefunden zu haben – und evtl. darüber, dass Askylt nicht bei Giton ist, vgl. oben Sat. 6,2 cursim persequi coepi. eum consalutavi: Das Kompositum kann auch bei Begrüßungen von nur einer Person stehen, TLL 4.358.74ff. („de singulis“), z.B. Sat. 131,3 me consalutavit; Apul. met. 8,31 filio suo parvulo consalutato. in loco tam deformi: Bordelle waren zwar auch für ihre misslichen (baulichen und sanitären) Verhältnisse bekannt (vgl. z.B. Plaut. Poen. 834f. in totis aedibus / tenebrae, latebrae; Apul. met. 7,10 lupanaris spurci sordidique), doch ist deformis hier in erster Linie eine metaphorische Umschreibung des verruchten Ortes (d.h. ignominiosus). Zu tam siehe oben Sat. 7,1 urbanitate tam stulta.

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Kapitel 8 Askylt berichtet von seinen Erlebnissen. Auch er wurde ins Bordell gelockt. § 8,1 sudorem ille manibus detersit et ‘si scires’ inquit ‘quae mihi acciderunt’. ‘quid novi?’ inquam ego: Er wischte sich mit den Händen den Schweiß ab und sagte: „Wenn du wüsstest, was mir passiert ist!“ „Was gibt’s Neues?“, fragte ich. sudorem ... manibus detersit: Parallel zu Sat. 6,4 fatigatus et sudore iam madens. sudorem ist durch die Anfangsstellung betont. Zum Ausdruck vgl. Tac. ann. 16,4,3 ne sudorem nisi ea, quam indutui gerebat, veste detergeret; Suet. Nero 24,1 ut numquam excreare ausus sudorem quoque frontis brachio detergeret. si scires: Der selbständige si-Satz ohne Hauptsatz ist volkstümlichen Charakters und erscheint formelhaft (wie auch im Deutschen), vgl. Plaut. Pseud. 749 und Ter. Haut. 764 at si scias quam scite in mentem venerit; 770 immo si scias; Sen. contr. 1,6,7 o si scires, quam dives et haec fuisset! Siehe PETERSMANN 195f.; HOFMANN 52 §56; HSZ 331 §185. quae mihi acciderunt: Dies ist die einzige Stelle in der urbanen Prosa der Sat., an der Ind. statt Konj. im indirekten Fragesatz auftritt, siehe dazu PETERSMANN 265. Man könnte den Satz aber auch relativisch auffassen, die Grenze ist fließend, vgl. PETERSMANN 268; LÖFSTEDT, Synt. II 81f. Anm. 2; HSZ 555 §298a und 538 §294 . quid novi?: quid novi ist eine stehende Redewendung. Die Verbalellipsen sind der lebendigen Alltagssprache eigen, v.a. die Ersparung des Ind. Präs. von esse in Fragesätzen ist verbreitet, siehe HSZ 421 §223 . Vgl. z.B. Cic. de orat. 2,13 Crassus ‘numquidnam’ inquit ‘novi’?; fam. 11,27,1. § 8,2 at ille deficiens ‘cum errarem’ inquit ‘per totam civitatem nec invenirem quo loco stabulum reliquissem, accessit ad me pater familiae et ducem se itineris humanissime promisit: Jener aber, am Ende seiner Kräfte, sagte: „Nachdem ich durch die ganze Stadt geirrt war und nicht herausgefunden hatte, wo ich die Herberge zurückgelassen hatte, trat ein väterlicher Typ an mich heran und versicherte mir aufs liebenswürdigste, mir den Weg zu zeigen. deficiens: Vgl. oben Sat. 8,1 sudorem ... manibus detersit. cum errarem ... per totam civitatem nec invenirem quo loco stabulum reliquissem: Vgl. oben Enkolp, Sat. 6,3f. sed nec viam diligenter tenebam [quia] nec quo stabulum esset sciebam. itaque quocumque ieram, eodem revertabar. Zum hyperbolischen per totam civitatem vgl. Sat. 10,5 per totam urbem und 11,1 totam urbem. stabulum: Siehe dazu unten Sat. 9,10 ... deversorio ...

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pater familiae: pater familiae hier zur respektvollen Bezeichnung eines vertrauenswürdigen älteren Mannes, vgl. z.B. Cic. de orat. 1,132 qui sicut unus pater familias his de rebus loquor; Quinct. 11 sane ceterarum rerum pater familias et prudens et attentus; Sen. epist. 64,7 agamus bonum patrem familiae. Der Eindruck eines freundlichen älteren Herrs wird im Fortgang der Geschichte getäuscht, ähnlich dem der anicula in Sat. 6,4–7,2. Zur Anrede eines Unbekannten mit pater vgl. auch Sat. 98,8; 100,5; DICKEY 2002, 120–3. 348. Die Lesart familiae stammt von O, während ldtp familias haben. Beide Formen existieren parallel nebeneinander (Prisc. gramm. II 198,7; 199,7 dicitur ... et ‘pater familiae’ et ‘patres familiae’), Petron verwendet aber stets die Form auf -ae (in Sat. 27,2 z.B. ist pater familiae einhellig überliefert). humanissime: Ähnlich wie oben in Sat. 6,4 der Diminutiv anicula streicht das superlativische Adverb hier den positiven Charakter des vermeintlichen Helfers heraus. Umso deutlicher ist der Kontrast, als dessen niedere Absichten zutage treten. Zu humanitas bei Petron siehe EBERSBACH 1995, 195–9. ducem se itineris ... promisit: Zur Ellipse von esse im AcI siehe PETERSMANN 41–5. § 8,3 per anfractus deinde obscurissimos egressus in hunc locum me perduxit prolatoque peculio coepit rogare stuprum: Auf dunkelsten Umwegen führte er mich dann an diesen Ort, zog sein wertes Stück und begann, Sex von mir zu verlangen. per anfractus deinde obscurissimos egressus ... me perduxit: anfractus für „flexus viae“ (TLL 2.43.1ff.), vgl. Apul. met. 3,10 per quosdam anfratus domum suam perduxit. Das stützende Partizip e-gressus scheint zwischen per und per-duxit auf den ersten Blick unpassend, doch findet sich egredi mit per häufig, vgl. z.B. Ov. met. 4,93f. per tenebras ... / egreditur; TLL 5.2.281.36ff. in hunc locum: Die Ortsangabe steht analog zu in locum secretiorem in Enkolps Erlebnis (Sat. 7,2). prolatoque peculio: peculium wörtl. „privater Besitz“, „Vermögen“ (so PRESTON 1916, 45), metaphorisch-obszön „männliches Glied“ (so ADAMS 43f.; VORBERG 445; SEGEBADE-LOMMATZSCH s.v. peculium; SOVERINI 1978, 263f.; GAGLIARDI 1980, 47 Anm. 14; PELLEGRINO2 174f.). Hier schwingen beide Bedeutungen mit: Es wird Geld o.Ä. als Bezahlung angeboten (TLL 10.1.932.62 „de pecunia“); zugleich wird auf das männliche Geschlechtsteil angespielt („zog sein Glied heraus“) – der Ausdruck vereint also beide Aspekte des angebotenen Deals. Diese Ambiguität begegnet uns auch im Streit in Plaut. Pseud. 1187ff. mea quidem haec habeo omnia, / meo peculio empta. :: nemp’ quod femina summa sustinent. Im selben Sinn Hist. Aug. Hel. 9,3 prodebatur autem per eos maxime, qui dolebant sibi homines ad exercendas libidines bene

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vasatos et maioris peculii opponi; Priap. 52,6f. accedent duo, qui latus tuentur, / pulcre pensilibus peculiati; Plaut. Pers. 192 atque ob istanc rem ego aliqui te peculiabo. coepit rogare stuprum: stuprum bezeichnet jede Art des widerrechtlichen Geschlechtsverkehrs, hier die gewaltsame Nötigung (des passiven Partners) zur pedicatio (siehe dazu FANTHAM 1991, 270; ADAMS 200f.). Der Akt kann wie hier homosexuell sein, vgl. Sen. contr. 3,8 ibi cum de stupro filii mentio esset. Siehe OLD s.v. stuprum 2; ADAMS 200f. Zu rogare vgl. Sen. contr. 2,7,6 rogata stuprum tacet! Sogar absolutes rogare kann die erotische Nebenbedeutung im Sinn von concubitum rogare haben, vgl. Hor. epod. 8,1; Ov. am. 1,8,43f.; Catull. 8,13f.; Sat. 87,1; OLD s.v. rogare 7c; PICHON 254; VORBERG 563. § 8,4 iam pro cella meretrix assem exegerat, iam ille mihi iniecerat manum et nisi valentior fuissem, dedissem poenas’ ...: Schon hatte eine Dirne für ihre Zelle ein As gefordert, schon hatte jener Hand an mich gelegt, und wenn ich nicht der Stärkere gewesen wäre, hätte ich Strafe gezahlt“ ... iam ... iam: Das anaphorische Nebeneinander mehrerer iam wirkt beschleunigend und steigernd. Es ist belegt seit Verg. ecl. 4,43f. (vgl. TLL 7.1.118.60ff.) und findet sich bei Petron häufig, u.a. iam – iam: Sat. 91,7; 114,9; iam – iam – iam: 53,9f.; 132,1. In vielen Fällen folgt ein cum inversum. O überliefert den ersten iam-Satz nicht, was sich leicht durch ‘saut du même au même’ erklären lässt. Es besteht deshalb kein Anlass, den Satz mit VAN THIEL 1971, 11 zu streichen, vgl. auch MÜLLER 1978, 749. pro cella: cella steht hier für die Kammer einer Dirne (TLL 3.760.3ff.), vgl. Juv. 6,116–32, bes. 122 cellam vacuam atque suam; für weitere Stellen siehe oben Sat. 7,3 inter titulos. Die Prostituierte vermietet ihr Zimmerlein auf eigene Rechnung weiter. Dass Bordelle gleichzeitig auch als Stundenhotels genutzt wurden, legen archäologische Studien aufgrund der Inschriftenbefunde in Pompeji nahe, siehe VARONE 2005, v.a. 94–9; MCGINN 2004, 38; 217; BLÜMNER 370 Anm. 4; pro muss deshalb nicht mit ADAMS 1983, 330 mit „vor“ übersetzt werden. assem exegerat: Die Dirne nimmt das Geld gleich am Anfang selbst in Empfang. Es handelt sich hier nur um die Raummiete, weil der pater familiae in dem Bordell lediglich eine Kammer benötigt – den Sexualpartner hat er ja schon mitgebracht. Ein As ist hier der Preis für ein Bordellzimmer ohne Service. Sexuelle Dienstleistungen kosteten mehr, in Pompeji zwei As bis vier Sesterzen (DIEHL 1910, 455–7. 460–5. 467–70. 1021f. u.a.; MORENO 1964, 64 Anm. 51). Bei Martial kostet eine plebeia Venus zwar nur ein bzw. zwei As (Mart. 1,103,10 asse cicer tepidum constat et asse Venus; 2,53,7 si plebeia Venus gemino tibi iungitur asse), an diesen Stellen wird jedoch die Billigkeit der Dirnen beson-

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ders hervorgehoben. Siehe HERTER 1960, 80f.; BLÜMNER 368 mit Anm. 7; SCHNEIDER, RE, s.v. meretrix, 1025; DUNCAN-JONES 1982, 246; MCGINN 2004, 40–55; STUMPP 1998, 216. Zu den in den Sat. genannten Münzen siehe REECE 1981, 26f.; BODEL 2003. ille mihi iniecerat manum: Die Junktur manum inicere, die nicht immer einen Gewaltakt darstellen muss (z.B. Sat. 91,9 inieci cervicibus manus), bezeichnet hier einen aggressiven Übergriff, vgl. TLL 8.360.79ff. („vim inferre“); ebenfalls im gewalttätigen sexuellen Sinn Hor. carm. 1,17,25f. ne male dispari / incontinentis iniciat manus; Ov. ars 1,116 virginibus, cupidas iniciuntque manus. Vgl. dagegen unten Sat. 14,5 iniecit ... manum, wo das Handanlegen juristischen Zwecken dient. nisi valentior fuissem: Askylt ist – passend zu seinem Namen – der körperlich Stärkere, vgl. oben Sat. 6,1 Ascylti und unten 9,7. dedissem poenas: Einige Übersetzer fassen den Ausdruck idiomatisch auf im Sinn von „wäre es mir schlecht ergangen“ (z.B. EHLERS: „hätte er mir übel mitgespielt“). Die Formulierung kann hier jedoch als Euphemismus für „fututus essem“ mit der Bedeutung einer Vergewaltigung als Strafe aufgefasst werden, wie es das mancherorts für Ehebrecher oder auch für Obst- und Gemüsediebe gab, vgl. Priap. 24,3 fur habeas poenam; 51,27 nimirum apertam convolatis ad poenam; 77,11 poenas do. Eine eher kryptische Auslegung bietet LEFÈVRE 2007, 157f., indem er meint, dass Askylt „besonders lässig flaniert“ und damit den pater familiae glauben macht, er biete ihm seine Dienste an. Für seine „‘sträfliche’ Nonchalance“ muss er dann fast büßen (so LEFÈVRE 2007, 157f.). Umgekehrt meint JENSSON 2004, 79, dass Askylt viel eher unschuldig wirkte und der pater familiae dies auszunutzen trachtete. ...: Der vorangegangene Satz ist inhaltlich und grammatisch vollständig und scheint Askylts Erlebnisbericht abzuschließen. Er lässt sich jedoch nicht nahtlos an das folgende Satzfragment anschließen (adeo), weshalb es angebracht ist, mit p2 und den modernen Editoren ein Lückenzeichen zu setzen. Die Überlieferung von O endet hier und setzt erst bei Sat. 16 wieder ein (eine Ausnahme bildet Sat. 9,5). adeo ubique omnes mihi videbantur satyrion bibisse *: So reichlich schienen alle rundherum Satyrion getrunken zu haben. Dem Satz fehlen Anknüpfungspunkte an das zuvor und danach Gesagte, er bildet ein isoliertes Fragment. Es scheint auf einen Vorfall angespielt zu werden, von dem das verlorene Textstück vor adeo berichtete: das Auftreten eines Lüstlings, der sich an den Protagonisten vergreifen wollte und von diesen später erfolgreich abgewimmelt werden kann (Sat. 8,4 molestum). Weniger wahrscheinlich ist, dass der Satz noch zu Askylts Erzählung gehört.

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Die Erwähnung des Stimulans satyrion legt zwar nahe, dass hier die lüsternen Leute im Bordell gemeint sind. Doch ubique deutet darauf hin, dass ein Ortswechsel vorgefallen ist. VAN THIEL 1971, 6 und 27f. vermutet, dieses und das folgende Fragment (sowie die weiteren kontextlosen Fragmentnester Sat. 19,6–21,3; 113,9–13; 128,7–129,2; 138) gehörten ursprünglich zu anderen Szenen. Dass dieses erste Fragment, wie VAN THIEL meint, aufgrund von satyrion besser in die Quartillaszene (vgl. Sat. 20,7 und 21,1) passe, leuchtet allerdings nicht ein. Denn hier wird ein subjektiver Eindruck geschildert, ohne dass tatsächlich ein Rauschmittel im Spiel sein muss. ubique omnes: Ironische Übertreibung. omnes spielt auf den neuen Aufdringling (molestus) an. ubique könnte ein Hinweis darauf sein, dass man sich nicht mehr im Bordell befindet. Hingegen hält ROSE 1967, 131 ubique für inadäquat und ersetzt es durch utique. satyrion: Liebestrank zur Steigerung der sexuellen Lust, gewonnen aus der gleichnamigen Pflanze mit aphrodisierender Wirkung, beschrieben in Plin. nat. 26,96–8. Siehe STUMPP 1998, 92; MCMAHON 1998, 88 mit Anm. 84; ANDRÉ 1985, 227f. Auffallend ist die Ähnlichkeit mit dem Werktitel, über dessen Bedeutung man sich bis heute nicht ganz einig ist, siehe Einl. 1. *: Die Lücke wird von allen Zeugen der L-Klasse vermerkt. iunctis viribus molestum contempsimus *: Mit vereinten Kräften wehrten wir den Lästigen ab. Auch diesem Fragment fehlt der direkte Kontext. Es ist jedoch anzunehmen, dass hier ein dritter Versuch unternommen wurde, die Protagonisten zu sexuellen Handlungen zu drängen. iunctis viribus: Enkolp und Askylt sind hier noch zusammen; später kehren sie unabhängig voneinander in die Herberge zurück (siehe Sat. 9,1 vidi ... et ... me conieci). molestum: Über den lüsternen Unhold (TLL 8.1354.31ff. „importunus in re amatoria“) erfahren wir sonst nichts. Entweder handelt es sich erneut um den pater familiae (so ROSE 1967, 130; LEFÈVRE 2007, 157 Anm. 16) oder, was wahrscheinlicher ist, um einen neuen Belästiger (so auch WALSH 158 Anm. 8), denn erstens ist Askylt mit dem pater familiae schon allein fertig geworden, zweitens ergibt das vorangegangene ubique omnes erst bei mindestens zwei verschiedenen Angreifern Sinn. contempsimus: Das Verb erscheint hier in der Bedeutung von „repellere“ (TLL 4.637.40 und 640.18ff.) und lehnt sich an „contemnere aliquem“ in erotischem Kontext an (TLL 4.637.27ff.; vgl. Sat. 108,14 V.5 contemptus amor). *: Die Bordellszene bricht hier ab. Eine Lücke wird von allen Zeugen der LKlasse vermerkt. Verlorengegangen ist, wie sich Enkolp und Askylt dem mo-

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lestus entziehen können und wie sie sich danach trennen oder verlieren, denn Enkolp kehrt später alleine in die Herberge zurück.

Eifersuchtsstreit in der Herberge (Sat. 9–11) Sat. 9,2 vollzieht einen Schauplatzwechsel: Wir befinden uns nun in der Herberge, wo sich ein Streit zwischen den Protagonisten Enkolp und Askylt entspannt, der mit dem gemeinsamen Entschluss endet, sich zu trennen. Endlich allein mit Giton, genießt Enkolp lang vermisste Sinnenfreuden, wird aber vom unerwartet zurückkehrenden Askylt in flagranti ertappt. Die fragmentarische Überlieferung führt auch hier wieder zu einigen Unklarheiten (dazu Punkt 1). Die Szene enthält ungewöhnlich viele Peripetien und einige – möglicherweise sehr umfangreiche – Lücken. Zumindest zwischen Sat. 10,3 und 10,4 sowie 10,7 und 11 muss Wichtiges ausgefallen sein. Dennoch lassen sich Sat. 9–11 als Einheit auffassen, zumal sie inhaltlich klar aufeinander folgen und keinen Bruch aufweisen. Ebenso wie in Sat. 6–8 finden sich in der Handlung viele Symmetrien (dazu Punkt 2). Auffällig ist zudem die metaphorisch-euphemistische Sprache, die einen krassen Gegensatz zur obszönen Thematik bildet (dazu Punkt 3).

1. Unklarheiten Die zwei größten Unsicherheiten in diesen Kapiteln betreffen zum einen den Vergewaltigungsvorwurf Gitons gegen Askylt, zum anderen die in Sat. 10,6 erwähnte cena. Von Askylts Versuch, sich an Giton zu vergreifen, erfährt der Leser (und Enkolp) lediglich durch Giton. Ob die Vergewaltigung tatsächlich stattgefunden hat oder ob Giton sich wehren konnte oder wollte, geht aus der Äußerung nicht hervor. Einige Interpreten vermuten, Askylt habe Giton gar nicht belästigt. Vielmehr beschuldige dieser Askylt zu Unrecht (siehe unten Sat. 9,2 manantes lacrimas pollice extersit). Dies ist sehr unwahrscheinlich. Askylt hätte sich gegen den falschen Vorwurf sicherlich gewehrt. Zudem ist sein sexuelles Interesse an Giton offensichtlich (Sat. 79f.). Hingegen würde es bei Giton nicht verwundern, wenn ihm Askylts „Übergriff“ gar nicht so unwillkommen war, ihm gar gefiel. Dafür sprechen zum einen Stellen, die Gitons Scheinheiligkeit und Opportunismus anprangern (wie Sat. 79,9 sive non sentiente iniuriam sive dissimulante; 91,7 supercilium altius sustulit oder 93,4, wo Enkolp ihn ironisch als mitissimus puer bezeichnet), zum anderen die Tatsache, dass sich Giton in Sat. 79f. ohne Zögern für Askylt (und gegen Enkolp) entscheidet.

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Eifersuchtsstreit in der Herberge (Sat. 9–11)

Enkolps eigener Besitzanspruch auf Giton gründet auf einem alten Liebesverhältnis mit diesem (Sat. 80,6 vetustissimam consuetudinem; in 24,6 bezeichnet er Giton als seinen frater, in 79,9 als frater non suus [=Askylt]), das er zurzeit jedoch nicht ausleben kann. Der Grund dafür ist Askylt, der in Sat. 10,7 als lästiger Aufpasser (custos molestus) bezeichnet wird. Unwahrscheinlich ist daher die These von VAN THIEL 1971, 26, dass Askylt nichts von der früheren Affäre weiß. In Sat. 9,10 zeigt sich deutlich, dass dieser im Bilde ist. Mit Askylt hatte Enkolp in der Vergangenheit ebenfalls eine sexuelle Beziehung (Sat. 9,10 cuius eadem ratione in viridario frater fui), nähere Angaben fehlen jedoch. Im uns überlieferten Text sind sie nunmehr Gefährten (siehe unten Sat. 9,4 tuus ... iste frater seu comes). Die zweite Unklarheit betrifft die in Sat. 10,6 erwähnte cena: Askylt spricht dort von einer Einladung für denselben Abend (hodie). Doch von dieser cena ist danach nicht mehr die Rede. Dass in den Sat. neben der Cena Trimalchionis noch eine weitere (nicht überlieferte) cena geschildert wird, ist unwahrscheinlich. Entweder findet eine solche an besagtem Abend gar nicht statt, oder die Protagonisten gehen nicht hin. Falls mit der cena die Cena Trimalchionis gemeint ist, besteht folgendes zeitliches Problem: Diese findet keinesfalls noch am selben Abend statt (Sat. 26,7 venerat iam tertius dies). Möglich, dass der Gastgeber sie aufgrund wichtigerer Verpflichtungen in letzter Minute verschiebt (so z.B. VAN THIEL 1971, 36 – in Sat. 34,7 spricht Trimalchio von einem Essen am Vortag für vornehmere Leute: heri ... multo honestiores cenabant). Wahrscheinlicher jedoch ist, dass die Protagonisten die erwähnte Einladung nicht wahrnehmen. Es kann gut sein, dass sie von Agamemnon engagiert und verpflichtet wurden, an mehreren Veranstaltungen teilzunehmen. Darauf deuten das Verhalten des Dieners, der sie vor der Cena Trimalchionis aufsucht und zur Teilnahme ermahnt (Sat. 26,9), ihre Ausreden gegenüber Agamemnon am Ende der Cena (Sat. 78,8) sowie Enkolps Furcht hin, von Menelaus alleine in seinem Quartier angetroffen zu werden (Sat. 81,1). So kommt auch SCHEIDWEILER 1925, 201–3 zum Schluss: „Agamemnon scheint an Enkolp und Askylt ein großes Interesse zu nehmen. Als sie ihre erste Verabredung nicht einhalten, geht er eine zweite mit ihnen ein; damit sie dieser zweiten sich nicht entziehen, schickt er seinen Sklaven zu ihnen, der sie auf die Genüsse aufmerksam machen soll, die ihrer warten [...].“

Eifersuchtsstreit in der Herberge (Sat. 9–11)

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2. Symmetrie Die Handlungen Enkolps und Askylts verlaufen spiegelbildlich: Beide haben ein Auge auf Giton geworfen, machen sich an diesen heran und werden vom Rivalen gestellt. Beide nehmen zu unterschiedlichen Zeiten dieselben Rollen, die des Verführers und die des Anklägers, ein. Askylt mit Giton 9,4f. Askylt vergreift sich an Giton. 9,4f. Askylt wird wird von Giton verraten. 9,6 Enkolps verba 10,4 communes sarcinulas partiamur

Enkolp mit Giton Enkolp vergnügt sich mit Giton. Enkolp wird von Askylt ertappt.

11,1f. 11,2 11,3f. 11,4

Askylts verba und verbera sic dividere cum fratre nolito

Auch im Streit zwischen Enkolp und Askylt (Sat. 9,6–10,3) liegt ein paralleler Handlungs- und Argumentationsverlauf vor. Auffallend ist dabei, dass Askylts Reaktionen stets eine Steigerung der Aktion Enkolps darstellen: Er erhebt seine Fäuste noch drohender, schreit lauter und bringt üblere Beschimpfungen vor. Enkolp 9,6 intentavi in oculos Ascylti manus 9,6 inquam 9,6 quis dicis 9,6 muliebris patientiae scortum, cuius ... 9,10

subduxisti te ... a praeceptoris colloquio

Askylt 9,7 9,7 9,8f. 9,8 9,9f. 10,1 10,2

sublatis fortius manibus longe maior nisu clamavit non taces ... non taces gladiator obscene, quem ... nocturne percussor, qui ... cuius ... quid ego ... cum fame morerer? multo me turpior es tu hercule, qui ut foris cenares poetam laudasti

Zuletzt stellen Enkolp und Askylt fest, dass beide sich von ihrem Hunger haben leiten lassen. Enkolp suchte die Schule auf, um eine kostenlose Mahlzeit zu ergattern, Askylt verschwand, weil er Hunger verspürte. Die Sphären der Bildung und des Essens sind in den Sat. eng miteinander verbunden, v.a. beim Gastmahl des Trimalchio: „La Cena propone un paradosso. Nelle intenzioni degli scholastici quella è soltanto un’occasione per soddisfare grazie al loro prestigio esigenze alimentari; per il padrone di casa è invece l’occasione buona per esibire le spiritose e sorprendenti trovate del suo ingegno“ (CONTE 2007, 113). Ferner sind die Reden in Sat. 1–5 reich an Essmetaphern. Sat. 11 korrespondiert darüber hinaus stark mit Sat. 79f. (ähnlich HUBBARD 1986, 207), wo Askylt sich an Enkolp für die Vorfälle in Sat. 11 zu rächen scheint.

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Eifersuchtsstreit in der Herberge (Sat. 9–11)

Sat. 79f. 79,9

Sat. 10f. Askylt mit Giton in der Herberge cum fratre non suo alienis amplexibus oblitus iuris humani verberibus (gegen Giton), verbis (gegen Askylt) fidem scelere violasti ... Enkolps Vorschlag, sich zu trennen, und Askylts scheinbares Einverständnis non repugnavit ille ... partiti manubias

10,7

Enkolp mit Giton in der Herberge cum Gitone meo

11,1

79,12

Askylts überraschende Forderung nunc et puerum dividamus

11,2–4

80,1

gladium ... strinxit

11,4

80,1 80,2

non frueris ... hac praeda intorto circa bracchium pallio

11,2 11,4

bona fide exactis ... artissimis complexibus verba und verberare (gegen Enkolp) frater sanctissime Enkolps Vorschlag, sich zu trennen, und Askylts scheinbares Einverständnis communes sarcinulas partiamur ... non recusavit Ascylos Askylts überraschendes Zurückkehren ‘sic dividere cum fratre nolito’ lorum de pera solvit (vgl. auch gladium strinxit in 9,5) frurorque votis opertum me amiculo evolvit

79,9 79,11 79,11 79,11f.

11,4 11,3 10,4f.

Wieder ist eine Steigerung vorhanden: Erstens ist Enkolp beim Übergriff an Giton in Sat. 79 sogar (betrunken und schlafend) anwesend, zweitens kann Askylt auch in Sat. 79, wo er der Beklagte ist, Oberhand gewinnen und die Szene bestimmen.

3. Sprache Auffallend ist in dieser erotisch-obszönen Szene die Sprache. Die Protagonisten drücken sich in Metaphern, Euphemismen und mehrdeutigen oder vagen Umschreibungen aus. Umschweifig schildert Giton den Vergewaltigungsversuch (Sat. 9,3–5): Ein mythisches Zitat beschreibt den versuchten Übergriff, die pleonastische Verbalkonstruktion coepit + velle + Inf. schwächt ab, der bildhafte Ausdruck pudorem extorquere für stuprum facere beschönigt, gladium evoziert mentula. Enkolp und Askylt vermeiden in ihren Invektiven tabuisierte Ausdrücke und verwenden als Schimpfwörter u.a. Verbrecherbezeichnungen (Sat. 9,8 gladiator; 9,9 percussor; vgl. mit Ausnahme der Freigelassenengespräche auch sonst: latro in Sat. 98,6 und 107,15; scelerate in 137,1) oder werfen ihrem Gegner Weiblichkeit vor (Sat. 9,6; so auch in 81,4f.), siehe dazu auch GAERTNER 2003, 126–8.

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Kapitel 9 Gitons Vorwurf, von Askylt vergewaltigt worden zu sein, löst einen Streit zwischen Enkolp und Askylt aus. § 9,1 quasi per caliginem vidi Gitona in crepidine semitae stantem et in eundem locum me conieci ...: Verschwommen sah ich Giton auf dem Gehsteig der Gasse stehen und stürzte ebendorthin ... Enkolp ist alleine unterwegs (vidi und me conieci im Sing.) und trifft plötzlich auf Giton. Die Lücke vor diesem Textstück könnte recht umfangreich sein, da einige Zeit vergangen sein muss, während der sich Askylt über Giton hergemacht hat (siehe dazu Ess. 9–11, 1). Vermutlich stürzte Giton (so kann man mit CIAFFI 1955, 27; PARATORE II 33 annehmen) direkt nach dem Übergriff aus dem Zimmer, um nach Enkolp zu suchen. Ein ganz ähnliches Wiedersehen mit Giton ereignet sich in Sat. 91,1 video Gitona cum linteis et strigilibus parieti applicitum tristem confusumque. quasi per caliginem: quasi impliziert, dass per caliginem nicht wörtlich zu verstehen ist (dagegen ROSE 1967, 131: evtl. „dust“ oder „smoke from popinae [Garküchen]“). Vielmehr steht quasi per caliginem/nebulam videre/cernere sprichwörtlich für „wie im Nebel, undeutlich“ (OTTO s.v. nebula 1; TLL 3.159.69ff.), vgl. Cic. fin. 5,43 vis naturae quasi per caliginem cernitur; Phil. 12,2,3 quod videbam equidem, sed quasi per caliginem; Plin. epist. 5,8,8 quid praestare debeat orator, adhuc tamen per caliginem video. Enkolp sieht Giton zuerst nur undeutlich, vielleicht aus Erschöpfung (PARATORE II 32 mit Anm. 2 vermutet, wegen der orgiastischen Ausschweifungen in der vorangegangenen Bordellszene), wegen Tränen oder weil Giton weit entfernt steht. Gitona: Erste Erwähnung von Enkolps puer (in Sat. 97,2 wird sein Äußeres beschrieben: puer ... annorum circa XVI, crispus, mollis, formosus, nomine Giton). Der Name Giton (der griech. Akk. steht 21-mal gegen lediglich zwei Gitonem) ist abgesehen von Polygiton in Auson. epigr. 115,1G, einer eventuellen Petron-Reminiszenz, weder im Griechischen noch Lateinischen belegt. Er ist vom griechischen („benachbart“) abgeleitet und enthält eine erotische Anspielung auf Gitons Funktion als Gespiele Enkolps. Siehe zum Namen PRIULI 1975, 50 mit Anm. 139. in crepidine semitae stantem: crepido, aus dem griech. ,, ursp. „Sockel, Vorsprung“, hier „Gehsteig“, ist in dieser Bedeutung nur selten belegt, vgl. Val. Max. 4,3 ext. 4 [Diogenes] erat in crepidine conlocatus und diverse Inschriften, siehe TLL 4.1168.36ff.; CAVALCA 2001, 74; DAREMBERG– SAGLIO s.v. crepido.

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Gehsteige sind ein fester Bestandteil antiker Städte wie z.B. Pompejis und erlaubten dem Fußgänger einen sicheren, trockenen und sauberen Gang entlang der Straße. Sie waren gegenüber der Straße deutlich erhöht und konnten von gestampfter Erde bis zu großen Marmorplatten unterschiedlichster Machart sein (siehe z.B. GESEMANN 1996, 57–61; SALIOU 1999, 161–218). et in eundem locum me conieci: me conieci drückt die große Erleichterung und Freude Enkolp aus, Giton wiederzusehen. Zum Ausdruck vgl. Petr. frg. 13 in aumatium memet ipsum conieci. ...: Die allgemein akzeptierte Lücke geht auf HADRIANIDES zurück. Von Sat. 9,1 zu 9,2 findet ein Ortswechsel von der Straße in die Herberge statt. In dem fehlenden Textteil muss zumindest die Rückkehr Enkolps und Gitons in die Herberge erwähnt sein. § 9,2 cum quaererem numquid nobis in prandium frater parasset, consedit puer super lectum et manantes lacrimas pollice extersit: Als ich fragte, ob uns der Bruder etwas zu Mittag bereitet habe, setzte sich der Knabe auf das Bett und wischte sich die herabfließenden Tränen mit dem Daumen ab. Dieser und der folgende Paragraph bilden ein syntaktisches Crescendo: Die erste Frage Enkolps ist indirekt und in einem Nebensatz, die zweite indirekt, aber in einem Hauptsatz, Gitons Antwort in direkter Rede gehalten (siehe PERI 2007, 14f. und 42f.). numquid: Zu numquid siehe oben Sat. 7,1 numquid. in prandium ... parasset: An diesem realistischen Bezugselement zeigt sich erneut der hohe Stellenwert des Essens für die Protagonisten. in + Akk. anstelle des Dat. finalis ist in der nachklassischen Prosa häufig, siehe PETERSMANN 80; KST I 345f. §77; HSZ 274 §156b; TLL 7.1.763.35ff. Vgl. Sat. 47,10 ex eis vultis in cenam statim fieri?; zudem oben Sat. 2,5 ad testimonium citem. frater: Nebst der Verwandtschaftsbezeichnung wird frater häufig im breiteren Sinn benutzt als „flattering or mildly polite address for men not too distant in age and/or rank from the speaker“ (DICKEY 2002, 327), d.h. „Freund“, „Brüderchen“ (EHLERS), vgl. z.B. Mart. 9 praef. 1; Apul. met. 2,13; 9,7. Darüber hinaus kann frater (wie soror) auch eine spezifisch sexuelle Bedeutung haben und den gleichgeschlechtlichen Sexualpartner bezeichnen, d.h. „Geliebter“, „Bruder“, vgl. z.B. Sat. 127,1f.; Plaut. Cist. 451; Mart. 2,4; 10,65; 12,20. In den Sat. existieren diese Bedeutungen alle nebeneinander, letztlich entscheidet der Kontext. So ist es, wenn Askylt Enkolp gelegentlich in freundschaftlichem Sinn als frater anspricht (Sat. 11,3; 13,2) oder bezeichnet (10,6), nicht dasselbe wie wenn Enkolp auf sein sexuelles Verhältnis zu Giton verweist (z.B. 9,2; 24,6; 91,2; 129,1) oder Askylt auf ein früheres intimes Ver-

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hältnis zu Enkolp anspielt (9,10 in viridario frater fui; 11,4 sic dividere cum fratre nolito). Siehe CALLEBAT 1968, 74; DICKEY 2002, 123–5. 327. consedit puer super lectum: puer kann (meist aus der Perspektive eines älteren Mannes) entweder einen Knaben bzw. jungen Mann oder einen Sklaven bezeichnen. Zudem ist es, und dies trifft hier zu, eine gängige Bezeichnung für den Knaben als Gespiele (z.B. Tib. 1,4,83; 1,8,67; Mart. 9,11,6; 11,8,12). DICKEY 2002, 191–5. 353. super statt in ist in der Volkssprache verbreitet und findet sich bereits in Ov. met. 6,373 super ripam ... consistere, siehe dazu PETERSMANN 155–7. Bei Petron sind beide Varianten anzutreffen, vgl. Sat. 96,4 consedit in lecto und 17,1 (Quartilla) sedensque super torum meum diu flevit. Wie Quartilla in Sat. 17,1 will Giton mit seinen Tränen Mitleid erwecken. Dass beide dabei auf dem Bett sitzen, ist erotisch konnotiert. manantes lacrimas pollice extersit: extersit ist eine Emendation von PITHOU, die alle modernen Editoren (mit Ausnahme von DÍAZ Y DÍAZ; ALESSIO 1960/1, 147 schlägt exspersit vor) anstelle von expressit in L übernehmen, da pollice ein Verb in der Bedeutung von „abwischen“ verlangt. extergere ist zwar im Zusammenhang mit Tränen nur an dieser konjizierten Stelle überliefert. Dafür aber erscheinen tergere, detergere und andere Komposita oft in Verbindung mit Tränen (siehe TLL 7.2.840.83ff.) und mit pollice bzw. manu, z.B. bei Ov. met. 13,132f. manuque ... lacrimantia tersit / lumina; 13,746 quas [scil. lacrimas] ... detersit pollice virgo. Vgl. in Sat. 8,1 sudorem ille manibus detersit und 91,8 detersit ille pallio vultum; Tränen in Verbindung mit manare und pollice in Ov. epist. 19,25f. dumque queror lacrimae per amantia lumina manant, / pollice quas tremulo conscia siccat anus. Der Ausdruck exprimere lacrimas existiert zwar (Ter. Eun. 67f. una mehercle falsa lacrimula / quam oculos terendo misere vix vi expresserit – dabei könnte oculos terendo [„Augenreiben“] dem pollice in unserem Passus entsprechen, so BURRISS 1941a, 275), doch erstens fließen hier die Tränen bereits (manantes). Zweitens würde das bedeuten, dass Giton das Weinen nur simuliert und falsche Tränen mit dem Daumen herauspresst (expressit), um Enkolps Aufmerksamkeit auf sich zu ziehen oder einen Streit zwischen Enkolp und Askylt zu provozieren (so vermutet ROSE 1967, 131). Man würde dann aber einen Hinweis des Erzählers erwarten, dass er das damals nicht erkannt hat, vgl. Sat. 17,2, wo der theatralische Charakter der Tränen Quartillas vom Erzähler entlarvt wird: lacrimas ad ostentationem doloris paratas. Ebenso wenig gibt es einen Anhaltspunkt dafür, dass Giton Askylt verleumdet (wieso sollte sich Askylt gegen einen falschen Vorwurf nicht wehren?) oder der eigentliche Verführer war und nun als falscher Ankläger auftritt (Potiphar-Motiv, vgl. Phaedra-Hippolytus), siehe Ess. 9–11, 1.

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§ 9,3f. perturbatus ego habitu fratris quid accidisset quaesivi. at ille tarde quidem et invitus, sed postquam precibus etiam iracundiam miscui, (4) ‘tuus’ inquit ‘iste frater seu comes paulo ante in conductum accucurrit coepitque mihi velle pudorem extorquere: Verwirrt über den Zustand des Bruders fragte ich, was geschehen sei. Er aber – zögerlich und widerwillig, und erst nachdem ich den Bitten auch Zorn beigemischt hatte – sagte: „Dein Bruder da oder dein Begleiter kam kurz zuvor in die Unterkunft gerannt und wollte mich meiner Scham berauben. ego: Das Pronomen ego expliziert den Subjektswechsel. ego ist die Lesart in lp2 (von den meisten Editoren bevorzugt), während in den anderen Handschriften (dmrtp1) ergo (so noch MÜLLER1) überliefert ist, vgl. zur selben Varianz oben Sat. 7,2 ego. fratris: Siehe dazu oben Sat. 9,2 frater. quaesivi: Parallele zur Lukrezia-Episode in Liv. 1,58,7 quaerentique viro. Zu weiteren Parallelen unten Sat. 9,5. tarde quidem et invitus: Das parallele Nebeneinander von Adverb und Adjektiv ist in der lateinischen Sprache nicht ungewöhnlich, vgl. z.B. Plaut. Men. 1073 si quid stulte dixi atque imprudens tibi, siehe HSZ 172 §101. Als drittes Glied gesellt sich im Folgenden noch ein Temporalsatz dazu. postquam precibus etiam iracundiam miscui: precibus iracundiam miscui korrespondiert mit Liv. 1,58,3 miscere precibus minas (das sich bei Livius aber auf den Schänder bezieht). Siehe dazu unten Sat. 9,5. tuus ... iste frater seu comes: Giton zweifelt, wie er seinen Schänder nennen soll: „dein Bruder oder, wenn du lieber willst, Begleiter“ (vgl. zur Selbstkorrektur bei Personenbezeichnungen Apul. met. 1,17 comes [et pater meus] et frater meus; Ter. Andr. 215f. haec Andria, / si[ve] ista uxor sive amicast). frater ist nicht nur eine gängige Anrede für einen Kumpel, sondern hat auch eine erotische Bedeutung (siehe dazu oben Sat. 9,2 frater). Giton spielt auf die intime Beziehung zwischen Enkolp und Askylt an, die laut Sat. 9,9f. tum ... nunc aber in der Vergangenheit liegt. Indem er Askylt hier frater nennt, macht er Enkolp zum „Mittäter“ (dieser hat Askylt in die Beziehung mit Giton eingebracht). Er appelliert nicht nur an einen Freund, sondern an den einstigen Geliebten seines Schänders, korrigiert sich aber sogleich mit dem distanzierenden comes, das sachlich korrekter und eventuell auch die Bezeichnung ist, die Enkolp gegenüber Giton für Askylt verwendet. iste: Das Pronomen drückt Askylts Anwesenheit aus (anders BÜCHELER1 App., der meint, Askylt sei erst in Sat. 9,6 anwesend). Hier ist es verbunden mit dem durch die Anfangsstellung besonders betonten Possessivpronomen (häufiger ist iste tuus, dazu HSZ 183 §105b; vgl. Ter. Ad. 139 iste tuos ipse sentiet; Ov. am. 1,8,57 ecce, quid iste tuus praeter nova carmina vates / donat?). Dass Giton Askylt nicht namentlich nennt, sondern nur indirekt durch

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Pronomina (iste ist zudem abschätzig), drückt seine Verachtung für ihn aus. Zu seu siehe HSZ 503f. §272; Sat. 5 V.9f. paulo ante: Petron verwendet fast ausnahmslos ante anstelle des gehobeneren antea, siehe PETERSMANN 24 Anm. 9; HSZ 223 §117. Die Zeitangabe spricht dafür, dass der Übergriff zwischen Sat. 8,4 und 9,1 stattfand, siehe Ess. 9–11, 1. conductum: Das substantivierte neutrale Adj. steht nachaugusteisch für eine auf Zeit gemietete Unterkunft, vgl. z.B. Sen. benef. 7,5,3 nec conductum meum, quamquam sis dominus, intrabis; TLL 4.161.24ff.; PETERSMANN 121; HSZ 152–6 §90. accucurrit: Reduplizierte Perfektformen erscheinen auch sonst in der urbanen Prosa Petrons (Sat. 52,6 percucurrit). Zudem ist accucurri bereits belegt in Cic. Verr. II 5,7 accucurrisse; Att. 12,18a,1 u.a. Siehe NELSON 1947, 91f. coepitque mihi velle pudorem extorquere: Der Ausdruck entspricht in abgeschwächter Form Askylts Wendung oben in Sat. 8,3 coepit rogare stuprum. Zudem liegt wieder eine Handlungsparallele vor: zwei (mit dem molestus drei) Vergewaltigungsversuche, wobei das Opfer des ersten beim zweiten zum Täter wird. Die umgangssprachliche Konstruktion coepit + velle + Inf. zur Umschreibung des Perfekts ist zur Zeit Petrons bereits eine „mechanische Phrase“ (PETERSMANN 190). Vgl. Sat. 70,10 iam coeperat Fortunata velle saltare; 98,8 incipe velle servare; zudem Verg. Aen. 6,751 incipiant in corpora velle reverti; Sen. apocol. 14,2 incipit patronus velle respondere; TLL 3.1424.32ff. und 7.1.919.41ff.; LÖFSTEDT, Komm. 207–10. pudorem extorquere: Bildhafter Ausdruck, zu extorquere im sexuellen Sinn (TLL 5.2.2043.53ff. „movet amans amatum, ut voluptatem praestet“) vgl. Sat. 87,3 male repugnanti gaudium extorsi; Hor. epist. 2,2,139 extorta voluptas; Porph. Hor. carm. 2,12,25f. ardentia oscula, que oscula scilicet velit sibi a poscente extorqueri. Vgl. ähnliche Ausdrücke wie in Plaut. Epid. 541 plane hicine est qui mi in Epidauro virgini primu’ pudicitiam pepulit; Ov. met. 1,600 rapuitque pudorem; 6,616f. pudorem / abstulerunt. § 9,5 cum ego proclamarem, gladium strinxit et „si Lucretia es“ inquit „Tarquinium invenisti“‘: Als ich um Hilfe schrie, zog er sein Schwert und sagte: ‘Wenn du Lukrezia bist, so hast du deinen Tarquinius gefunden!’„ Gitons Bericht zufolge hat Askylt eine bekannte Episode aus der klassischen römischen Literatur zitiert (Liv. 1,58) und sich als Tarquinius inszeniert, der sich an der keuschen Lukrezia vergehen will. Die Parallelen zur römischen Königsgeschichte sind zahlreich: Beide Male wird die Abwesenheit des legitimen Partners ausgenutzt; beide Opfer werden mit einer Waffe bedroht (bei Livius stricto gladio), sitzen nach dem Vorfall weinend (lacrimae obortae bei Livius) auf dem Bett (bei Livius finden Brutus und der Ehemann Collatinus Lukrezia sedentem maestam in cubiculo) und werden von dem zurückgekehr-

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ten Partner nach dem Grund für die Tränen gefragt (bei Livius quaerenti viro, siehe dazu Sat. 9,3). Allerdings kommt der Hilfeschrei, der Askylts Diktum zu motivieren scheint, in der Lukrezia-Episode nicht vor (Lukrezia schläft, als Tarquinius ihr droht: ‘tace, Lucretia ... moriere, si emiseris vocem’). Das literarische Modell wird parodistisch degradiert. Ironische Differenz erwächst aus dem „sex change in combination with differences in class and circumstance. Giton is no chaste matrona straight out of mythic history“ (RICHLIN 1992, 287). Und während Lukrezia mit der Schande nicht leben kann und den Freitod wählt, bricht Giton nur melodramatisch in Tränen aus – und entscheidet sich, vor die Wahl gestellt, in Sat. 80,6 sogar für seinen „Schänder“. Gitons Unzuverlässigkeit als Gewährsmann (siehe auch Sat. 79,9 dissimulante) ebenso wie die Mittelbarkeit der Berichterstattung (Askylt – Giton – Enkolp – Leser) tragen weiter dazu bei, dass die Szene keine tragische Wucht, sondern narrative Ironie entfaltet. In den Sat. wird öfter „das Niedrige pathetisch verglichen [...] mit dem Erhabenen, das aus dem Epos und der Tragödie genommen wird“ (KLEBS 1889, 629; siehe auch WOOTEN, 1976, 71), wie z.B. in Sat. 48,7 (Anspielung auf Odysseus/Kyklop); 80,3 (Erwähnung des „Thebanischen Paares“); Sat. 105,9 (Anspielung auf die Wiedererkennung des Odysseus durch die Amme). ego: Siehe dazu oben Sat. 7,2 ego. proclamarem: „(um Hilfe) rufen, schreien“ und jur. „öffentlich und förmlich um (gerichtliche) Hilfe (an-)rufen“, vgl. Sat. 14,5f.; KASER I 115 §29 Anm. 21 und 288 §57 Anm. 58; DEBRAY 1919, 146 mit Anm. 10. Der Ausdruck könnte eine Anspielung auf den clamor necessitatis sein, eine dem keltischen und germanischen Recht entsprechende Regelung (im römischen Recht ist nichts dergleichen bekannt): Dort „hat eine Frau, der Gewalt angetan wird, nur dann Anspruch auf Verfolgung des Täters, wenn sie sofort schreit“ (VAN THIEL 1971, 28 Anm. 1). gladium strinxit: Bei Livius tritt Tarquinius ebenfalls stricto gladio ins Zimmer der Lukrezia (wobei er sein Schwert später als ferrum bezeichnet, s.u.). Auch wenn es sich hier (wie in der Livius-Referenz) um ein echtes Schwert handelt, eröffnet sich dem Leser ein obszöner Nebensinn (so auch ADAMS 21): Die Bedrohung durch das Schwert steht zugleich für die drohende Vergewaltigung. Das Bild des männlichen Glieds als Waffe gehört zu den häufigsten sexuellen Metaphern (ADAMS 19–22). Vgl. in diesem Sinn den Gebrauch von arma, gladium, telum u.a. in Plaut. Cas. 909 dum gladium quaero ne habeat, arripo capulum. / sed quom cogito, non habuit gladium, nam esset frigidus; Priap. 9,2.14; 11,3; 20; 31,3; 43,1; 55,4; Mart. 11,78,6 dum metuit teli vulnera prima novi. Vgl. zudem Sat. 130,4 paratus miles arma non habui; 132,8,17 ferrum timui).

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„si Lucretia es ... Tarquinium invenisti“: Vgl. Liv. 1,58,2 ‘tace, Lucretia,’ inquit; ‘Sex. Tarquinius sum; ferrum in manu est; moriere, si emiseris vocem.’; Ov. fast. 2,795f. ‘ferrum, Lucretia, mecum est’ / natus ait regis, ‘Tarquiniusque loquor.’ § 9,6 quibus ego auditis intentavi in oculos Ascylti manus et ‘quid dicis’ inquam ‘muliebris patientiae scortum, cuius ne spiritus purus est?’: Als ich das hörte, streckte ich meine Hände zu Askylts Augen hin aus und sagte: „Was sagst du dazu, Mannshure, die sich wie ein Weib hergibt und an der nicht einmal der Atem sauber ist?“ Gitons Anklage löst einen Streit zwischen Enkolp und Askylt (Sat. 9,6ff.) aus, der später in Sat. 79,12ff. wieder aufgenommen wird und dort sein Ende erreicht. In Sat. 81,4f. ergeht sich Enkolp in ähnlichen Beschimpfungen Askylts (impurus; tamquam puellam conduxit) bzw. Gitons (stolam sumpsit; ne vir esset a matre persuasus est; opus muliebre; tamquam mulier secutuleia). Die gegenseitigen Beleidigungen folgen konventionellen Invektivemustern (RICHLIN 1992, 287). Sie sind hyperbolisch und vulgären Inhalts. Doch während Enkolp in echten Zorn gerät, spielt Askylt Angst vor (Sat. 9,7 inhorrescere se finxit) und setzt sich damit durch. intentavi in oculos Ascylti manus: Drohgebärde, um dem Gegner den „Kampf“ anzusagen (TLL 8.345.11ff. „minantium“), evtl. konkret gegen die Augen des Gegners gerichtet. Dieselbe zornige Geste taucht auf in Sat. 108,5 intentans in oculos Tryphaenae manus; Sen. epist. 71,22 in oculos nunc mihi manus intentat; vgl. zur Redewendung zudem Ov. met. 5,670f. protervas / intentare manus; Liv. 3,47,6 Verginius intentans in Appium manus. quid dicis: Aufforderung, zu den geäußerten Vorwürfen Stellung zu nehmen („Was sagst du dazu?“). quid dicis mit folgendem Vokativ wird sonst zumeist abgeschwächt als mechanisierte Formel zur Dialogeröffnung verwendet, wobei dasjenige, zu dem das Gegenüber Stellung beziehen soll, gewöhnlich in einer weiteren Frage folgt, z.B ebenfalls in vorwurfsvollem Ton Sat. 91,6 quid dicis, peregrini amoris concessio? dignus hac iniuria fui?; 107,15; 132,9. Vgl. Cic. Att. 13,45,3; Phil. 2,31; siehe HOFMANN 43f. §48. muliebris patientiae scortum: Derbes Schimpfwort, das Askylt als pathicus abstempelt, jemanden, der im Sexualakt die weiblich-passive Rolle einnimmt: muliebris steht für „weibisch, unmännlich“ (VORBERG 372); patientia ist korrespondierendes Abstraktum zu patior, dem t.t. für die passive Rolle beim Geschlechtsverkehr (qui muliebria patitur = ), vgl. Sall. Catil. 13,3 viri muliebria pati; Ps. Quint. decl. 3,11 in muliebrem patientiam vocatur fortasse iam maritus; Sen. nat. 1,16,6 est aliqua etiam prostitutis modestia, et illa corpora publico obiecta ludibrio aliquid quo infelix patientia lateat obten-

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dunt; Suet. Jul. 52,3: Curio warf Caesar vor, er sei omnium mulierum vir et omnium virorum mulier. Dass Askylt tatsächlich einst die passive Rolle einnahm, lässt Sat. 9,10 cuius eadem ratione in viridario frater fui vermuten, wo Askylt sein früheres Verhältnis zu Enkolp mit dessen heutigem Verhältnis zum Knaben Giton vergleicht. Die Attacke des pater familiae in Sat. 8,2–4 sowie 81,4 quem puellam conduxit etiam qui virum putavit bestätigen dies. So ist in Enkolps Aussage auch der ironische Vorwurf enthalten, die ihm zugeschriebene passive Rolle aufgeben und den aktiven Part übernehmen zu wollen. scortum: Ursp. „Haut, Leder“, derber Ausdruck für meretrix (siehe ADAMS 1983, v.a. 321–7), oft wie hier als Schimpfwort gebraucht. Catull. 6,4f. spottet über die unbekannte Geliebte eines Freundes als febriculosum scortum; bei [Tib.] 4,10,4 ist die Nebenbuhlerin der adelsstolzen Sulpicia ein scortum. Das Wort wird auch für Männer verwendet, z.B. Cic. Phil. 2,44 bezeichnet den jungen Antonius als vulgare scortum, der die toga virilis, sobald er sie erhalten hat, in eine toga muliebris verwandelt. ne: BÜCHELER1–6, MÜLLER (vgl. MÜLLER3 430 Anm. 55), GIARDINA–MELLONI ergänzen , dagegen DELL’ERA 1970, 31; BENDZ 1941, 35; PETERSMANN 26 und 231 sowie 1975a, 44; ADAMS 2003, 11: Das allein stehende ne (im Sinne von ne ... quidem) entspricht dem vulgären Stil der Rede, vgl. z.B Quint. inst. 1,5,39, der diese barbarismi (detractione ... ‘ne hoc fecit’) tadelt; Apul. met. 3,11 ac ne istud, quod vehementer ingemescis, contumeliae causa perpessus es; Sat. 47,4 hoc solum vetare ne Iovis potest. Siehe auch HSZ 447f. §241 Zusatz . spiritus ... purus: purus/impurus steht im sexuellen Kontext meist für „untainted/tainted by oral sex“ (RICHLIN 1991, 28; OLD s.v. purus 5). Die Adjektive werden oft für den pathicus in einer homosexuellen Beziehung und für Prostituierte gebraucht, die den passiven Part beim Anal- und Oralverkehr übernehmen. Grundlage dafür war die verbreitete Ansicht, Oralverkehr verursache Mundgeruch – Symptom eines os impurum. Vgl. u.v.a. Catull. 97,2 utrum os an culum olfacerem Aemilio; 98; 99; Mart. 2,12. 61; 4,39,10; 6,50,6 basia pura; 9,63 ad cenam invitant omnes te, Phoebe, cinaedi. / mentula quem pascit, non, puto, purus homo est; 9,67; 11,30 os male causidicis et dicis olere poetis. / sed fellatori, Zoile, peius olet; 11,61,14 nec purus esse nunc potest nec inpurus; 14,70 si vis esse satur, nostrum potes esse Priapum; / ipsa licet rodas inguina, purus eris. In der Quartilla-Episode werden die Küsse (basia) des Cinäden als olidissima (Sat. 21,2) und immundissima (23,4) bezeichnet. Siehe ausführlich RICHLIN 1983, 26–9; OBERMAYER 1998, 214–31 zum os impurum bei Martial u.a. § 9,7–8 inhorrescere se finxit Ascyltos, mox sublatis fortius manibus longe maiore nisu clamavit: (8) ‘non taces’ inquit ‘gladiator obscene, quem †de

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ruina† harena dimisit?: Askylt tat so, als ob er erschrecke, erhob alsbald seine Fäuste noch drohender und brüllte noch lauter: „Willst du nicht schweigen, geiler Fechter, den der Kampfplatz †wegen eines Zusammenbruchs† entlassen hat? In Sat. 9,7–10 holt Askylt zu einem derart heftigen argumentativen Gegenschlag aus, dass Enkolp nicht mehr dagegenhalten kann. Rhetorisch kunstvoll mit Anaphern (non taces ... non taces), Wiederholungen (zweimal non taces mit Vokativ [Subst. und Adj.] und angehängtem Relativsatz), einem Chiasmus (gladiator obscene ... nocturne percussor) und einem Crescendo von r-Lauten kontert er die Beschimpfung Enkolps, zu der etliche formale Parallelen bestehen: quid dicis vs. non taces; muliebris patientiae scortum vs. gladiator obscene ... nocturne percussor; ne spiritus purus vs. ne tum quidem ... pura muliere ... Dies ist nicht die einzige Streitszene, die Petron so symmetrisch arrangiert, vgl. die Mantelszene Sat. 12–15. Eine große Debatte hat sich darüber entzündet, ob die Beleidigungen metaphorisch (so OPELT v.a. 45f.; MULROY 1970; SCHMELING 1994; LEFÈVRE 2007, 160 Anm. 29 u.a.) oder als tatsächlicher Verweis auf Enkolps Biographie (so HOUSMAN 1904; CERUTTI–RICHARDSON 1989; BAGNANI 1956; PACK 1960; PARATORE I 167; CIAFFI 1955, 20 Anm. 14; 86 Anm. 13; SULLIVAN 1968, 43–5; JENSSON 2004, 137–51) aufzufassen sind (eine Mischform bietet SOVERINI 1976 und 1978). Der erotisch aufgeladene Kontext (Enkolps obszöne Beleidigungen zuvor; obscene und nocturne; die nach percussor folgenden Relativsätze) legt nahe, dass auch Askylts Replik semantisch aus diesem Sprachregister schöpft. Zu erwähnen, dass Enkolp Gladiator war und jemanden umgebracht hat, wäre an dieser Stelle unangebracht. Die Sätze sind m.E. als sexuelle Schmähungen zu verstehen: Die allgemeinen Schimpfwörter gladiator und percussor erhalten durch die Adjektive obscene und nocturne eine sexuelle Konnotation. Die folgenden Relativsätze quem ... und qui ... cuius ... verweisen auf sexuelle Ereignisse bzw. ein Versagen Enkolps in der Vergangenheit. Kein Licht in die Sache bringt der oft in diesem Zusammenhang genannte Monolog Enkolps in Sat. 81,3. Es ist umstritten, ob Enkolp die dort eingestandenen Schandtaten tatsächlich begangen hat (Unschuldsbeteuerung nach MERKELBACH 1973, 86 Anm. 19; VAN THIEL 1971, 63; SCHMELING 1994, 118f.; MULROY 1970; dagegen ausführlich JENSSON 2004, 145–51). Und auch wenn er sie begangen hat, bedeutet dies noch nicht, dass von dieser auf unsere Stelle geschlossen werden kann (siehe HABERMEHL ad loc.). inhorrescere se finxit: Askylt ist nur scheinbar eingeschüchtert. sublatis fortius manibus: Es muss sich um die Fäuste Askylts handeln. Askylt erwidert und steigert die Geste Enkolps, siehe oben Sat. 9,6 intentavi in oculos Ascylti manus.

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longe maiore nisu clamavit: Auch hier liegt eine Steigerung gegenüber Enkolps inquam (Sat. 9,6) vor. non taces: Fragen im Sinne einer Aufforderung (PETERSMANN 261) sind v.a. bei Plautus sehr häufig anzutreffen, z.B. Amph. 700; Merc. 211. Askylt repetiert non taces in Sat. 9,9, vgl. Enkolps quid dicis oben Sat. 9,6 quid dicis. inquit: Wegen des vorangegangenen clamavit wurde inquit von BÜCHELER1 App. als überflüssig angesehen. Doch in der Umgangssprache ist (wie im Deutschen) die mechanische Setzung eines pleonastischen inquit/inquam neben einem Verbum dicendi nicht selten, siehe dazu PETERSMANN 48f.; HSZ 418 §221. Vgl. zudem Sat. 41,8 u.a. Unser Fall ist ein „pleonasmus levior“ (so TLL 7.1.1773.51ff.), da clamavit kein simples Verb des Sagens ist, sondern die Art und Weise beschreibt, wie die Worte ausgesprochen werden (vgl. dagegen „pleonasmus durior“, z.B. in Sen. contr. 7,5,9 Cestius dixit ... inquit ...). gladiator obscene: Da Gladiatoren aufgrund ihres grausigen Berufes gefürchtet und verachtet waren (z.B. Juv. 8,199f. haec ultra quid erit nisi ludus? et illic / dedecus urbis habes; 11,1–20), wurde dieser Terminus häufig als Schimpfwort gebraucht (TLL 6.2.2007.57ff.; RIESS 2001, 36), z.B. in der politischen Polemik: Cic. Mur. 50 (über Catilina) illius nefarii gladiatoris; dom. 81 quae idem ille gladiator scelera Anagniae fecerat. Auch hier ist der Begriff als Schimpfwort aufzufassen (so VAN THIEL 1971, 62; COCCIA 1973, 64–7 Anm. 244; PACK 1960, 31f. und BAGNANI 1956, 24–7), das aber durch den Kontext und obscene erotisch konnotiert ist (so MULROY 1970; SCHMELING 1994; OBERMAYER 1998, 318f. und 2003, 74f.; OPELT 45f.; LEFÈVRE 2007, 160 Anm. 29) in Anlehnung an gladius, das wie alle Waffenmetaphern sexuelle Implikationen haben kann (so ADAMS 19–22; VORBERG 210; siehe oben Sat. 9,5 gladium strinxit). Begriffe aus der Gladiatorensphäre verwendet der Erzähler auch beim sexuellen Abenteuer mit Quartilla (Sat. 19,5; 21,2). Gladiatoren waren zudem auch bekannt für ihre Potenz, davon zeugen Darstellungen von Gladiatoren im Zusammenhang mit einer phallischen Ikonographie und Graffiti aus Pompeji (z.B. CIL 4,4353 Cresce[n]s retia[rius] puparum nocturnarum ...; 4,8916 Cresce[n]s puellar[i]um dominus) sowie Stellen aus der Literatur (Juv. 6,103–113; Apul. met. 2,15 gladiatoriae Veneris; Sen. contr. 1,2,4. 10 [Gladiatoren als repräsentative Bordellgänger], siehe JUNKELMANN 2000, 27; WIEDEMANN 2001, 53; BARTON 1996, 48). Zudem sind zahlreiche Affären hochgestellter römischer Damen mit Gladiatoren bezeugt (z.B. Juv. 6,78–113; Cass. Dio 60,28: Kaiserin Messalina; Hist. Aug. MA 19,1–7: Kaiserin Faustina), worauf auch Sat. 126,6 harena aliquas accendit verweist. Schwer vorstellbar hingegen ist, dass hier auf ein obszönes Gladiatorenspiel (Sen. nat. 7,31,3 alius in obscenam ludi partem fugit, et locatus ad mortem infame armaturae genus in quo morbum suum etiam periturus exerceat

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legit) bzw. einen Gladiator, der zu solchen sexuellen Spektakeln antritt, verwiesen wird (so CERUTTI–RICHARDSON 1989, 594). obscene: Auch wenn das Wort allgemein für „lousy“ (BAGNANI 1956, 26) oder „foul“ (PACK 1960, 31) stehen kann, hat es meist einen sexuellen Bezug (TLL 9.2.160.20f.): „obscenus is used rather loosely as an evaluative term in reference to the sexual language. One finds it employed on the one hand to describe a basic obscenity (Priap. 29,1), on the other a veiled sexual allusion (Sen. Contr. 1,2,23)“ (ADAMS 35f.). Vgl. bei Petron Sat. 85,2 obsceno sermone; 117,12 strepitu obsceno. Gerade bei Personen ist obscenus meist sexuell konnotiert, vgl. Prop. 3,11,31 coniugis obsceni; Liv. 33,28,5 obscenis illis (scil. mollibus) viris; Sen. contr. 9,2,9 obscenae puellae; Mart. 6,50,3 obscenos ... cinaedos; 11,61,4 obscena ... Leda; Sen. benef. 4,31,5 hominem tam palam obscenum; TLL 9.2.161.28ff. quem †de ruina† harena dimisit: Der Relativsatz kann nicht vollständig entschlüsselt werden. Klar ist jedoch, dass er die Beleidigung zusätzlich verstärkt: Der Beruf des Gladiators ist eine Schande; darin versagt zu haben, ist der Gipfel der Schande. Der Kontext legt auch bei diesem Ausdruck nahe, die Bedeutung übertragen, auf das Sexuelle bezogen zu verstehen. Die Arena könnte für den Kampfplatz des Bettes stehen, wobei †de ruina† als Vorwurf des sexuellen Versagens gedeutet werden könnte (so SCHMELING 1994, 216f. „no gladiator/lover stays long in the arena/bedroom without a good sword“; MULROY 1970, 255; OBERMAYER 1998, 318 Anm. 312). †de ruina†: Der von den meisten Editoren in cruces gesetzte Ausdruck lässt sich nicht zweifelsfrei erklären. Man kann versuchen, den Originaltext zu halten. Die Präposition de wird am besten kausal oder temporal aufgefasst („wegen“, vgl. qua de causa; „nach“, vgl. Plaut. Most. 697 non bonust somnu’ de prandio). de ruina könnte dann innerhalb des hier dominierenden sexuellen Kontextes als „peinliches sexuelles Versagen, Kollaps im Bett“ aufgefasst werden (in Anlehnung an OLD s.v. ruina 5 „[fig.] ruin, collapse, downfall“). Versuche, den Ausdruck als Vorfall in einer Arena anzusehen, etwa ein Einsturz des Theaters (BAGNANI 1956, 26; CERUTTI–RICHARDSON 1989, 594; SULLIVAN 1968, 43; vgl. Tac. ann. 4,62; 15,22; Suet. Tib. 40; Sen. nat. 6,1), ein Erdbeben (BÜCHELER1 App.; KILLEEN 1969; CERUTTI–RICHARDSON 1989, 594; SULLIVAN 1968, 43) oder ein Sturz des Gladiators (BURMAN 54; BURRISS 1941a, 276; BÜCHELER1 App.), scheitern daran, dass sie entweder dem Gladiator keine Schande bringen oder wohl kaum als ruina beschrieben würden. Will man innerhalb der Gladiatorenmetaphorik bleiben, bietet sich die Konjektur sine rude an (SCHNUR 1992, 171: „ohne Rapier, bes. dasjenige, das tüchtigen Gladiatoren bei ihrer Entlassung oder als Zeichen ihrer Meisterschaft

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verliehen wurde“; vgl. BIRT 1928 sine rudi) oder de pruna (FRÖHNER 1912, 166: „glühende Kohle“ – „die ungehorsamen Gladiatoren wurden gebrannt, wahrscheinlich mit einer glühenden Kohle“). Unpassend (und ohne Pointe) ist hingegen die Konjektur meridiana (WALSH 1967, 138; prob. PANAYOTAKIS 1995, 17; nach Sen. epist. 7,3 casu in meridianum spectaculum incidi ... quicquid ante pugnatum est misericordia fuit; nunc omissis nugis mera homicidia sunt), die aber mit einer Gladiatur nichts zu tun hatte: Beim meridianum spectaculum mussten jeweils zwei Mörder gegeneinander antreten. Nur einer der beiden war bewaffnet. Nach seinem Sieg musste dieser selbst ohne Waffen gegen einen Bewaffneten kämpfen. Bei der Genese der Korruptel scheint das folgende haReNA eine Rolle gespielt zu haben, was Vorschläge begünstigt, die nicht mit -na enden, wie z.B. derisum (FRAENKEL) oder delusum (GURLITT, „mit Spott und Schmach“; nach BURRISS 1941a, 276 unpetronisches Latein). Zu weit hergeholt ist de ruma (ein altes Wort für mamma, HOUSMAN 1904, 398, später auch ALESSIO 1960/1, 301–3; NISBET 1962, 229 findet diese Emendation bemerkenswert; KILLEEN 1969, 127 lehnt sie klar ab). harena: Kampfplatz der Gladiatoren im Amphitheater (TLL 6.3.2530.39ff.). Übertragen steht harena auch für „the scene of any struggle or dispute“ (OLD s.v. harena 3c, TLL 6.3.2531.10ff. „metaph.“), vgl. Juv. 16,47 lentaque fori pugnamus harena; Plin. epist. 6,12,2 in harena mea, hoc est apud centumviros; Lucan. 6,63 aestuat angusta rabies civilis harena. Demgemäß (nach SCHMELING 1994, 217) steht harena hier metonymisch für das Bett. dimisit: Innerhalb der Gladiatorensprache ist missus der t.t. für den Gladiator, der sich ergibt und begnadigt wird bzw. missio für die Entlassung, nicht generell aus dem Gladiatorendienst, sondern aus der Autorität des editor, der das Spektakel gesponsert hat (siehe COLEMAN 2000, 488). Vgl. dimittere in diesem Sinn bei Ps. Quint. decl. 9,22 res dictu incredibilis: gladiator dimissus, redemptor occisus est!; Suet. Cal. 27 votum exegit ab eo, qui pro salute sua gladiatoriam operam promiserat, spectavitque ferro dimicantem nec dimisit nisi victorem et post multas preces). Vgl. im übertragenen Sinn Apul. met. 2,17 hodierna pugna (i.e. Liebesspiel) non habet missionem; Sat. 21,2 Quartilla ballaenaceam tenens virgam alteque succincta iussit infelicibus dari missionem. § 9,9–10 non taces, nocturne percussor, qui ne tum quidem, cum fortiter faceres, cum pura muliere pugnasti, (10) cuius eadem ratione in viridario frater fui qua nunc in deversorio puer est?’ ‘subduxisti te’ inquam ‘a praeceptoris colloquio’: Willst du nicht schweigen, nächtlicher Stoßer, der du nicht einmal damals, als du noch besser beisammen warst, mit einer sauberen Frau gekämpft hast, und dessen Bruder ich im Garten gewesen bin auf dieselbe

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Art, wie es nun in der Herberge der Knabe ist?“ „Du hast dich“, sagte ich, „von der Debatte mit dem Professor weggeschlichen.“ Auch hier geht es eher um die sexuelle Leistung als um Enkolp als Mörder (percussor). Dass Enkolp in der Vergangenheit tatsächlich einen Mord begangen hat, ist nicht auszuschließen. Auf ein solches Delikt deutet Sat. 81,3 effugi iudicium, harenae imposui, hospitem occidi hin (vgl. auch 83,6; 117,3; BÜCHELER 1915, 437), das auch einen Hinweis auf eine frühere Tätigkeit als Gladiator enthält. Auch in Sat. 130,2 proditionem feci, hominem occidi, templum violavi erwähnt Enkolp einen Mord, allerdings auf scherzhaft-provokante Weise: Er will die Delikte wohl nicht ernsthaft gestehen – und beteuert daher zuvor, noch nie eine Todsünde begangen zu haben: numquam tamen ante hunc diem usque ad mortem deliqui (SCHMELING 1994, 221; MULROY 1970, 255; SOVERINI 1976, 101 Anm. 5; COCCIA 1973, 64 Anm. 244) –, sondern Circe lediglich mittels drastischer Beispiele zu einer harten Bestrafung bewegen. Gut möglich, dass der Leser der gesamten Satyrica den wahren Kern dieser Scheinbeichte kannte! Forschungsmeinungen zu Sat. 130,2 werden zusammengefasst in SOVERINI 1978, 267f. Im Streit wirft Askylt Enkolp sexuelles Versagen vor. Nie habe sich dieser mit einer ehrbaren, ebenbürtigen Partnerin (pura muliere), sondern immer nur mit jüngeren Lustknaben (frater ... puer) eingelassen und außerdem habe er seine Potenz eingebüßt (ne tum quidem, cum fortiter faceres ...). non taces: Die Wiederholung (vgl. oben Sat. 9,8 non taces) und die Lautstärke (Sat. 9,8 longe maiore nisu clamavit) verleihen der Frage den Charakter einer Drohung. nocturne percussor: percussor kann ein unspezifisches Schimpfwort sein (vgl. Cic. Phil. 4,15 est igitur ... omne certamen cum percussore, cum latrone, cum Spartaco), so wie auch nocturnus häufig in generellem (nicht erotischem) Sinn negativ konnotiert ist (vgl. unten Sat. 15,2 nocturni; Cic. Verr. II 4,95 istius praeclari imperatoris nocturni milites; Sat. 57,3 larifuga nescio quis, nocturnus; 82,2 nocturnus grassator). In diesem Zusammenhang (gladiator obscene, fortiter faceres, erotische Kämpfe, siehe unten zu pugnasti) ist der Ausdruck als sexuelle Anspielung zu verstehen: percussor als „Stecher im Dunkeln“ (so auch SCHMELING 1994, 217; OPELT 46; ADAMS 147; TLL 10.1.1236.68ff.), als einer, der sein Gegenüber durchbohrt: „One of the largest semantic fields from which metaphors for sexual acts were taken in Latin is that of striking, beating and the like“ (ADAMS 145). Vgl. Maxim. eleg. 5,133f. fert tacitum ridetque suum laniata dolorem / et percussori plaudit amica suo. Kampfmetaphern dienen oft zur Beschreibung nächtlicher (sexueller) Abenteuer, z.B. Catull. 66,13 dulcia nocturnae portans vestigia rixae; Verg.

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Aen. 11,736 nocturnaque bella; Ov. am. 1,9,45 nocturnaque bella gerentem; Juv. 8,144 nocturnus adulter; das obszöne noctipugnam in Lucil. 1246 K (dass es obszön zu verstehen ist, wird klar durch Fest. p. 180,1L und Paul. Fest. p. 181,1L); CIL 4,4353 als Cresce(n)s retia(rius) puparum nocturnarum ... (bereits oben erwähnt). ne tum quidem ... nunc: Die „Einst potent-Jetzt impotent“-Dichotomie (OBERMAYER 2003, 71–5) ist ein häufiges Motiv in Impotenztexten und wird normalerweise vom Versagenden selbst gesprochen, vgl. u.a. Ov. am. 3,7,23 nuper und 67f. nunc ... nunc. Askylt bringt hier Enkolps Potenzprobleme zur Sprache, die später zu einem zentralen Thema in den Sat. werden (so auch RICHARDSON 1984, 114; SCHMELING 1994 u.a.). cum fortiter faceres: facio („es tun, es machen, den Beischlaf vollziehen“) ist oft Substitut für anstößige Wörter (TLL 6.1.121.40ff.; ADAMS 204 und 1981, 123 mit Anm. 4; VORBERG 175f.), hier für den sexuellen Akt, vgl. Sat. 11,2 nec adhuc quidem omnia erant facta; 45,8 qui coactus est facere, 87,5 si quid vis, fac iterum; Juv. 7,240 ne faciant vicibus; Mart. 1,46,1 fac si facis. Absolutes fortiter facere (TLL 6.1.1163.82ff.) steht für „viriliter agere“ häufig in militärischem Zusammenhang und fügt sich hier gut in die Kampfmetaphern ein, vgl. Sen. contr. 1,8 qui ter fortiter fecerit, militia vacet; Ps. Quint. decl. 3,5; Quint. decl. 287 praef. alter fortiter fecit, alter deseruit; ebenfalls in sexuellem Zusammenhang steht fortiter in Apul. met. 2,10 tota enim nocte tecum fortiter et ex animo proeliabor. Der Konj. (bei cum determinativum) entspricht dem umgangssprachlichen Stil der Rede, siehe PETERSMANN 277. pura muliere: pura steht für sexuelle Reinheit (siehe oben Sat. 9,6 spiritus ... purus). Die pura mulier ist eine honorable Frau, sprich keine Prostituierte („eine[r] Fellatrix, die dir behilflich sein musste“, wie LEFÈVRE 2007, 160 Anm. 27 treffend sagt). SOVERINI 1976, 104–6 sieht in pura muliere die „donna vera e propria, a tutti gli effetti“ (S. 105) im Gegensatz zu den weibischen Männern (vgl. muliebris patientia), mit denen Enkolp verkehrt haben soll. Diese Lesart wird sprachlich durch keine Parallelen gestützt. pugnasti: pugnare ist sexuell gefärbt: Ringen beim Liebeskampf. Zu militärischen Metaphern für erotische Kämpfe (nach dem Motiv von Ov. am. 1,9,1 militat omnis amans) vgl. z.B. Prop. 2,15,4 quantaque sublato lumine rixa fuit!; Ter. Eun. 899 dabit hic pugnam aliquam denuo; Mart. 10,38,6f. o quae proelia, quas utrimque pugnas / felix lectulus et lucerna vidit; Lucil. 1339K vicimus, o socii, et magnam pugnavimus pugnam (mit Don. Ter. Eun. 899 ‘pugnam’ pro stupro ... ut Lucilius ...); Apul. met. 2,17 fortiter proeliare ... occide moriturus ... hodierna pugna non habet missionem; 5,21 nox aderat et

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maritus aderat pri[m]usque Veneris proeliis velitatus altum soporem descenderat. Siehe VORBERG 546; ADAMS 158; SPIES 1930, v.a. 45–53. cuius eadem ratione in viridario frater fui qua nunc in deversorio puer est: Askylt erinnert an sein früheres intimes Verhältnis mit Enkolp (frater ist hier sexuell konnotiert, vgl. oben Sat. 9,2 frater und 9,4 ... frater ...) bzw. an eine oder mehrere Begegnungen in einem Garten, die sicherlich sexueller Natur waren. Der Vergleich seiner selbst mit Giton impliziert die unwürdige passive Rolle, die ihm damals zukam (siehe oben Sat. 9,6 muliebris patientiae scortum), doch vielmehr, als dass er sich hier selbst erniedrigt, stellt er im Gegenzug Enkolps Mannhaftigkeit in Frage. Selbst als dieser noch im Vollbesitz seiner Potenz gewesen sei, habe er nur mit passiven, unterwürfigen Partnern verkehrt. Diese Kritik erhält ihre Schärfe nur vor dem Hintergrund des Impotenzvorwurfs, da die aktive Rolle im Gegensatz zur passiven nicht negativ besetzt ist. viridario: „Lustgarten“, ein Garten, Park, bes. zum Vergnügen, vgl. Cic. Att. 2,3,2; Sen. contr. 10 praef. 9 cultum viridium; Suet. Tib. 60; Ulp. dig. 7,1,13,4 si forte voluptarium fuit praedium, viridaria ... vel deambulationes ... habens; Plin. nat. 18,7. Um welchen Garten es sich handelt und was dort geschah, muss an einer früheren (nicht überlieferten) Stelle gesagt worden sein. deversorio: Die Begriffe deversorium (Sat. 15,8; 19,2; 81,3 u.a.) und stabulum (Sat. 6,3; 8,2; 16,4; 79,5 u.a.) werden synonym für Herberge verwendet, siehe KLEBERG 1957, 6f.; 18f.; FRIER 1977, v.a. 31–4; STUMPP 1998, 168. Lücke?: Der abrupte Wechsel in Tonfall und Sprachregister zeigt an, dass Enkolp die Beleidigungen ohne Widerrede akzeptiert und kapituliert. Eine vorangehende Lücke ist deshalb nicht anzunehmen. subduxisti te ... a praeceptoris colloquio: Enkolp kann Askylt einzig noch vorwerfen, seine Pflicht verletzt und ihn alleine gelassen zu haben (Sat. 6,1, wo Enkolp die Flucht Askylts nicht bemerkte, da er dem carmen Agamemnons zuhörte). Dieser harmlose Vorwurf Enkolps gibt Askylt anschließend die Möglichkeit, den Streit mit der simplen Rechtfertigung, aus Hunger weggelaufen zu sein, in friedliche Bahnen zu lenken. Deshalb ist eher nicht davon auszugehen, dass Enkolp Askylt mit diesem Satz unterstellt, nach Hause geschlichen zu sein, um sich an Giton zu vergehen (so CIAFFI 1955, 25 und JENSSON 2004, 139). inquam: inquam ist die richtige Lesart aus dmrtp, während in ltv inquit überliefert ist. PELLEGRINO2 179 stützt inquit und stellt die eher umständliche These auf, dass Askylt (dem der Satz dann zufällt) in der 3. Person spöttisch Enkolp zitiert.

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Kapitel 10 Versöhnung und (scheinbare) Trennung Enkolps und Askylts. § 10,1 ‘quid ego, homo stultissime, facere debui, cum fame morerer? an videlicet audirem sententias, id est vitrea fracta et somniorum interpretamenta?: „Was sollte ich denn tun, Dummkopf, wenn ich vor Hunger fast starb? Sollte ich mir etwa die Sentenzen anhören, das heißt, dieses zerbrochene Glas und diese Traumdeutereien? quid ego ...: Askylt antwortet unverzüglich, bevor Enkolp mit seinen Ausführungen fortfahren kann (JONES 1984, 131), was durch das fehlende inquit sichtbar gemacht wird. Zum asyndetischen Nebeneinander von Reden (ohne inquit) siehe PETERSMANN 291. Zu ego statt ergo (t) siehe oben Sat. 7,2 ego und 9,3 ego. homo stultissime: Die herablassende Anrede ist keine böse Beschimpfung. Enkolp ist in diesem Wortgefecht bereits geschlagen, wie seine letzte Frage deutlich macht, und wird von Askylt nur noch milde belächelt und zur Raison gebracht. Die Verspottung der geistigen Eigenschaften ist unter den Kraftausdrücken weitaus am verbreitetsten, vgl. v.a Martial, z.B. 2,40,8; 3,85,3; 6,63,3; 9,96,2; siehe dazu GOLDBERGER 1932, 136; DICKEY 2002, 176. 182. 360; OPELT 116f.; PASCHALL 1939, 18–22. homo ist v.a. in der Komödie häufig ein Teil der Beschimpfung, vgl. Sat. 65,5 homo stultissime; Ter. Ad. 218 hominum homo stultissime; Plaut. Bacch. 1163; Epid. 333; siehe DICKEY 2002, 190f. facere debui: debere mit Inf. steht hier kolloquial als Ersatz für den deliberativen Konj. (vgl. gleich nachher audirem), so auch in Sat. 107,10 quid debent laesi facere. Siehe PETERSMANN 187; HSZ 314 §175f.; TLL 5.1.100.8ff. cum fame morerer: Hyperbolischer Ausdruck, vgl. Sat. 62,8 qui mori timore nisi ego?; 98,3 ne morientes vellet occidere; 101,2 miserere ... morientium; TLL 8.1494.33ff. Die hier zur Rechtfertigung vorgebrachte Begründung wird im nächsten Satz sogleich entkräftet (anscheinend war auch die schlechte Rede ein Grund zum Gehen). „Hunger“ hier doppeldeutig auszulegen, da sich Askylt später in der Herberge an Giton vergreift (ERHARD bei BURMAN 56), ist wohl zu spitzfindig. an videlicet: Zum emphatischen an („etwa“) in der einfachen Frage siehe PETERSMANN 263; KST II 518f. §233. Das bei Petron nur noch in Sat. 112,3 erscheinende videlicet verleiht dem Satz einen ironischen Unterton, siehe zum Wort SOVERINI 1974–5, 250; PETERSMANN 236f. sententias, id est vitrea fracta et somniorum interpretamenta: Zu sententia siehe oben Sat. 1,2 sententiarum vanissimo strepitu. Die zwei abschätzigen

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Metaphern drücken die Wertlosigkeit des eben auf sententiae reduzierten Vortrags aus. Die Aussage erinnert an Sat. 1,2 sententiarum vanissimo strepitu und 2,2 levibus enim atque inanibus sonis ludibria; 118,6 fabulosum †sententiarum tormentum†. Die Formel id est (im ursprünglichen erklärenden Sinn „das heißt“) erscheint bei Petron neunmal. Es gibt keinen Grund, id est einem Epitomator zuzuschreiben (wie z.B. WEHLE 1861, 49 Anm. 1), siehe PETERSMANN 51–3; DELL’ERA 1970, 120; LÖFSTEDT Komm. 91f. Ebenso ist JACOBS’ inanes für id est abzulehnen, das zu einer dreigliedrigen Aufzählung führen würde, in der ein Konkretum (Sentenzen) mit zwei Metaphern (zerbrochenes Glas und Traumdeutereien) vermischt würde. vitrea fracta: „Glasscherben“, sprichwörtlich für etwas gänzlich Wertloses, hier „unnütze Gedanken, Lappalien“ (OTTO s.v. vitrum 2). Zur Junktur vgl. Mart. 1,41,4f. qui pallentia sulphurata fractis / permutat vitreis; Sen. dial. 3,12,4 si vitreum fractum est, si calceus luto sparsus est. somniorum interpretamenta: „Traumdeutereien“ stehen hier übertragen für leeres Geschwätz. somnia sind hier „res vana, nugae“ (FORCELLINI s.v. somnium 3) oder „Fantasien“, vgl. Ter. Phorm. 494 crede mi, gaudebi’ facto: verum hercle hoc est. :: somnium!; 874 somnium!; Ad. 204 de argento – somnium: ‘mox; cras redi’; 394f. tu quantu’ quantu’s nil nisi sapientia es, / ill’ somnium, danach Cic. nat. deor. 1,42 non philosophorum iudicia sed delirantium somnia über absurde philosophische Theorien. Der Begriff interpretamentum ist selten, neben Petron noch in Gellius (z.B. Gell. 5,18,7) als grammatische Bezeichnung für einen „explikativen Ausdruck“ (z.B. die lateinische Entsprechung eines griech. Wortes). Hingegen häufig sind interpretatio bzw. interpres somniorum, meist negativ konnotiert, z.B. in der Polemik gegen die Wahrsagerei allgemein und interpretes oder coniectores im Speziellen, v.a. in Cic. div. 2,144f. (unterschiedliche Deutungen eines Traums diskreditieren die Fähigkeiten der Interpreten) und auch am Ende des 1. Buches (Polemik des Bruders Quintus, der die Wahrsagerei verteidigt, gegen Astrologen, Scharlatane und interpretes somniorum). § 10,2 multo me turpior es tu hercule, qui ut foris cenares poetam laudasti’: Du bist weiß Gott viel schlimmer als ich, hast du doch einem ‘Poeten’ Komplimente gemacht, um auswärts essen zu können.“ multo me turpior es tu hercule: BÜCHELER1 App. (DÍAZ Y DÍAZ im Text) schlägt eine Änderung in multo mehercules turpior es tu vor. Die aus mehercule hervorgegangene Kurzform hercule ist aber gut belegt (z.B. Sat. 88,3 itaque hercule herbarum omnium sucos Democritus expressit; Tac. dial. 1,2; 14,4; Cic. Att. 2,7,3 hercule, verum ut loquamur) und sollte deshalb nicht angezweifelt werden. Zudem ist hier „die Interjektion [...] so frei nachgestellt, wie dies bisweilen mit den Adverbien in der Umgangssprache zu geschehen pflegt“

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(PETERSMANN 109 Anm. 72), siehe zudem HOFMANN 29f. §36; PETERSMANN 1975a, 45f. qui ut foris cenares poetam laudasti: Um was für ein Essen es hier geht, ist unklar (vgl. Sat. 10,6, wo wieder von derselben cena die Rede ist), vielleicht das Gastmahl von Trimalchio, vielleicht ein anderes (siehe Ess. 9–11, 1). Mit poeta wird hier abschätzig auf Agamemnon verwiesen, der in Sat. 5 den Dichter gab (so z.B. auch CIAFFI 1955, 23f.; auch später in den Sat. wird poeta gerne negativ konnotiert, z.B. Sat. 93,3 nomen poetae olfecerit). Die erwähnte Lobpreisung Enkolps ist nicht überliefert. SOVERINI 1985, 1730 Anm. 110 mutmaßt überzeugend, dass sich der Ausspruch auch auf den unterschiedlichen Aufmerksamkeitsgrad von Askylt und Enkolp (Sat. 6,1 diligentius audio als Äquivalent für Lob) beziehen könnte. Ebenfalls CIAFFI 1955, 23 kann sich vorstellen, dass das Lob nur indirekt erfolgte, indem Enkolp zum Zuhören blieb. Askylt wäre dann einfach davon ausgegangen, dass ein Lob gefolgt sein musste. Das Thema des Lobs zur Erschleichung eines Essens ist typisch für die Satire und das Epigramm. Allen voran beschreibt Martial (z.B. 2,18; 5,44; 5,47; 6,48; 9,14; 9,19) Typen, die alles daran setzen, sich eine Einladung zu ergattern. Auch in den Sat. ist das Loben der poetischen Qualitäten des patronus ein gebräuchliches Instrument, vgl. die Trimalchio entgegengebrachten Komplimente Sat. 35,1 laudationem; 41,8 laudavimus dictum; 48,7 haec aliaque cum effusissimis prosequeremur laudationibus; 52,8 laudatus Trimalchio. Zum Indikativ im kausalen Relativsatz siehe oben Sat. 4,1 qui nolunt. Lücke?: Die Lücke, die BÜCHELER1–6 (sowie MÜLLER; GIARDINA–MELLONI) vermutet, da der Streit noch nicht beigelegt zu sein scheine, ist nicht nötig. Der Umschwung ist hier gar nicht so abrupt, wie er scheint: Bereits Ende Sat. 9 geht der Streit in scherzhaftes Necken über. Schließlich müssen Askylt und Enkolp sogar einsehen, dass beide sich von ihrem Magen haben leiten lassen. Deshalb löst sich der Streit zuletzt in Lachen auf (ebenfalls gegen eine Lücke sind VAN THIEL 1971, 28; SÜTTERLIN 1996, 72; LEFÈVRE 2007, 161, der auf Plautus [z.B. Rud. 583] verweist, wo „ein einfaches sat litiumst genügen [kann], um zu der Tagesordnung zurückzukehren“). § 10,3 itaque ex turpissima lite in risum diffusi pacatius ad reliqua secessimus *: So brachen wir nach unserem überaus hässlichen Streit in Gelächter aus und wendeten uns ziemlich friedlich den restlichen Dingen zu. itaque: Anknüpfendes itaque („und so, da“, TLL 7.2.531.23ff.) ohne streng logische Kausalität findet sich oft bei Übergängen in der Erzählung zu etwas Neuem, siehe PETERSMANN 256; ROEMER 1961, 58; HSZ 513 §280; KST II 131 §173. Vgl. unten Sat. 15,6 itaque; zudem 39,6; 66,3; 136,4. ex turpissima lite: Vgl. zur Konstruktion Sat. 18,4 ex lacrimis in risum mota. ex steht hier beinahe für „pro, post“ (TLL 5.2.1101.28ff.), vgl. z.B. Publil.

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sent. E18 ex lite multa gratia est formosior; Sall. Catil. 31,1 ex summa laetitia ... repente omnes tristitia invasit; Plin. nat. 7,134 quae facit magna gaudia nisi ex malis ...? Zugleich kommt ex aufgrund des folgenden in risum diffusi nahe an das zumeist mit facere verbundene ex als Ausgangspunkt einer Zustandsveränderung (TLL 5.2.1100.23ff.; PETERSMANN 159f.; HSZ 266 §147; KST I 18 §6 Anm. 4 und 505 §92 ), vgl. Plaut. Amph. 54 eandem hanc, si voltis, faciam ex tragoedia / comoedia ut sit omnibus isdem vorsibus; Sat. 94,9 ex dolore in rabiem efferatus. in risum diffusi: Die Ausdrücke mit konsekutivem in + Akk. gehören der lebendigen Alltagssprache an, siehe CALLEBAT 1968, 227f., vgl. Apul. met. 2,26 ad haec ego insperato lucro diffusus in gaudium et in aureos refulgentes; 8,26 exsultantes in gaudium. Zu diffundere in Bezug auf den Gemütszustand (OLD s.v. diffundo 5 „to free from restraint, relax, cheer“; TLL 5.1.1113.43ff. „laetus, animo remissus“) vgl. Ov. ars 1,218 diffundetque animos omnibus ista dies; Ov. met. 3,318 Iovem ... diffusum nectare; Sat. 71,1 diffusus hac contentione. Zum Lachen in den Sat. als Strukturelement siehe CALLEBAT 1974, v.a. 292–4. pacatius ad reliqua secessimus: reliqua ist ein weit gefasster Begriff: „übrige Dinge“, die nicht spezifiziert werden. Sinngemäß heißt secedere ad reliqua „sich wieder anderen Dingen zuwenden, zum Tagesgeschäft übergehen“ – ob gemeinsam oder jeder für sich, erfahren wir nicht. Unwahrscheinlich ist die These von CIAFFI 1955, 28, nach dem unter reliqua konkret die Abenteuer zwischen der Flucht von der Schule und der Rückkehr in die Herberge zu verstehen sind, die Enkolp in Sat. 10,4 erneut an die iniuria erinnern. ROHDE 1879, 845 hingegen denkt ans Essen und schlägt ad reliquias accessimus vor: „Sie machten sich nun an die reliquiae des in Sat. 9,2 erwähnten prandium.“ Doch Giton hat gar nicht gekocht. *: Von der L-Klasse (außer in l) signalisierte Lücke. Wie viel und was ausgefallen sein könnte, ist reine Spekulation. § 10,4 rursus in memoriam revocatus iniuriae ‘Ascylte’ inquam ‘intellego nobis convenire non posse. itaque communes sarcinulas partiamur ac paupertatem nostram privatis quaestibus temptemus expellere: Da erinnerte ich mich wieder an das Unrecht und sagte: „Askylt, ich sehe ein, dass wir nicht zueinander passen. Lass uns deshalb die gemeinsamen Habseligkeiten teilen und versuchen, unserer Armut durch je eigene Geschäfte ein Ende zu setzen. Die folgende Szene (Sat. 10,4–11,4) korrespondiert mit Sat. 79,12ff.: sarcinulas partiamur – partiti manubias sumus; non recusavit Ascyltos – non repugnavit ille; gladium strinxit – gladium parricidali manu strinxit, mit dem Unterschied, dass die zweite Auseinandersetzung zur definitiven Trennung führt. Siehe Ess. 9–11, 2.

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rursus in memoriam revocatus iniuriae: rursus revocare ist kein starker Pleonasmus und findet sich häufig: z.B. Cic. part. 124 rursusque revocato praevaricationem; Liv. 9,27,1 rursus ad Caudium revocavit; Ov. met. 7,789f. revocataque [scil. lumina] rursus eodem / rettuleram; Sat. 23,1 rursus ... revocavit, vgl. KST II 574f. §242. Zum häufigen Gebrauch von Pleonasmen bei Petron siehe SCHÖNBERGER 1946, 161. Es ist durchaus möglich, dass zwischen Sat. 10,3 und 10,4 ein umfangreicher Textteil ausgefallen ist. Allerdings ist nicht anzunehmen, dass die erwähnte iniuria erst in dieser Lücke stattfand, da ein Erinnern stets ein vorheriges Vergessen oder Verdrängen voraussetzt. D.h. das Erinnerte muss eine gewisse Zeit zurückliegen, während der andere Dinge vorgefallen sind oder besprochen wurden. Am plausibelsten ist es daher, den Begriff iniuria auf die erlittene Kränkung (vgl. Sat. 81,6 iniuriae meae und 91,7 dignus hac iniuria fui?) durch die beleidigenden Worte Askylts und/oder den sexuellen Übergriff auf Giton zu beziehen. Das nicht konkrete iniuria wird oft verwendet, um die Ausdrücke stuprum oder pedicatio zu vermeiden (vgl. Sat. 79,9 sive non sentiente iniuriam sive dissimulante 133,1 usque in iniuriam vigilavit). Siehe dazu ADAMS 198; 255; OLD s.v. iniuria 4c; TLL 7.1.1675.26ff.; KASER I 623–5 §145; VORBERG 249; OBERMAYER 1998, 325 Anm. 347. nobis convenire non posse: Ähnlich argumentiert Enkolp auch später gegenüber Eumolp: Sat. 94,5 et ego iracundus sum et tu libidinosus: vide quam non conveniat his moribus (neben convenire wird auch die Konstruktion et ego ... et tu aus Sat. 10,5 et tu ... et ego wiederholt). Zum unpersönlichen convenit mit Dat. vgl. Sen. contr. 2,6,1 potest nobis convenire: similes sumus; Mart. 8,35 cum sitis similes paresque vita, / uxor pessima, pessimus maritus, / miror non bene convenire vobis; TLL 4.838.60ff.; KST I 337f. §76. communes sarcinulas partiamur: Der Diminutiv sarcinulae (zuerst belegt bei Catull. 28,2) drückt hier wirklich eine Verkleinerung aus, wie das paupertas nostra im selben Satz nahelegt. Vgl. dagegen Sat. 99,4 sarcinulas neben 99,6 sarcinis. Siehe MARBACH 1931, 62; CALLEBAT 1968, 378; RONCAIOLI 1961, 4. Das Motiv des Streits zwischen zwei Genossen und die Teilung ihrer gemeinsamen Sachen findet sich auch in Apul. met. 10,14 possumus omnia quidem cetera fratres manere, ab isto tamen nexu communionis discedere. Siehe ROSENBLÜTH 1909, 77 und vgl. Sat. 79,12 partiti manubias sumus. paupertatem nostram privatis quaestibus temptemus expellere: Die umständliche Formulierung wirkt förmlich und abgeklärt (man könnte meinen, es ginge hier nur um ein Arbeitsverhältnis) in diesem emotionalen Beziehungsstreit mit all seinen Ursachen und Konsequenzen (Seitensprung, Eifersucht, Trennungswunsch, plötzliche Lust, Giton wieder für sich allein haben zu wol-

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len). Dies gilt auch für den darauf folgenden Abschnitt. In Sat. 10,7 erfahren wir, dass Enkolp damit seine wahren Beweggründe verschleiern wollte. Man darf den „gelehrten Vortrag“ also als scherzhaftes Rollenspiel auffassen. paupertatem expellere ist singulär, das Verb erscheint aber in ähnlichen Kombinationen z.B. mit somnum (Verg. Aen. 8,408); quies (Ov. met. 8,828); famem (Tac. Germ. 23). Vgl. TLL 5.2.1635.67ff. Zur paupertas der Protagonisten siehe unten Sat. 14,1 V.2 paupertas. § 10,5 et tu litteras scis et ego. ne quaestibus tuis obstem, aliud aliquid promittam; alioqui mille causae quotidie nos collident et per totam urbem rumoribus different’: Du bist gebildet ebenso wie ich. Um deinen Geschäften nicht im Weg zu stehen, will ich irgendetwas anderes betreiben; sonst werden uns täglich tausend Gründe zusammenführen und uns in der ganzen Stadt ins Gerede bringen.“ et tu litteras scis et ego: Enkolp spricht von sich und Askylt als literarisch Gebildeten: „uomini di lettere“ (CIAFFI 1955, 22), „literary man“ (COURTNEY 2001, 64). litteras scire meint hier etwas zwischen „die Buchstaben kennen, lesen und schreiben können“ (TLL 7.2.1516.56ff.; vgl. Rhet. Her. 3,30 qui litteras sciunt, possunt ... eis scribere; Sat. 58,7 lapidarias litteras scio) und „über literarische, wissenschaftliche Bildung verfügen“ (TLL 7.2.1524.35ff. „scientia litterarum“; OLD s.v. littera 8b; vgl. Cic. Brut. 259 existumabatur bene Latine [scil. loqui], sed litteras nesciebat; fin. 2,12 nihil opus esse eum, qui philosophus futurus sit, scire litteras). Bildung wird hier als Schutz vor sozialem Elend verstanden (vgl. Sat. 46,8 litterae thesaurum est). Entscheidend sind die rhetorischen Fertigkeiten der Protagonisten, die es diesen erlauben, sich mit „Geschäften“ jedweder Art über Wasser zu halten. Dies kommt jedoch nicht zum Ausdruck, wenn man die Phrase in rein übertragenem Sinn als „du weißt dir zu helfen“ (VAN THIEL 1971, 27 Anm. 2; GREWE 1993, 40 Anm. 18) verstehen will. quaestibus tuis: Damit ist nicht spezifisch eine Unterrichtstätigkeit gemeint, sondern nicht näher definierte Unternehmungen (wie schon Sat. 10,4 privatis quaestibus), um über die Runden zu kommen, vermutlich zweifelhafter Natur, zumal die Protagonisten in den Sat. nirgendwo einer ehrlichen Lohnarbeit nachgehen. aliud aliquid promittam: Die Wendung im Sinn von „sich einer Sache verpflichten“ variiert den festen Ausdruck „ad cenam promittere“ (siehe unten Sat. 10,6 hodie ... ad cenam promisimus), bleibt dabei aber gänzlich inkonkret (vgl. auch Ausdrücke wie „noctem promittere“, charakteristisch für die Prostituierte oder Kupplerin, z.B. Juv. 7,84 promisitque diem). ali- wird ebenfalls nicht unterdrückt bei Ter. Phorm. 770 dum aliud aliquid flagiti conficiat; Cic. inv. 1,15 cum aliud aliquid factum; fin. 4,46 aliud aliquid adquireret.

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mille causae quotidie: Die Zahl Tausend steht hyperbolisch für „zahllose, viele“. Sie wirkt verhüllend (de facto ist es nur eine causa) und verleiht der Aussage gleichzeitig mehr Drastik (so auch quotidie und unten per totam urbem), wie u.a. in Sat. 127,10 mille osculis lusimus oder im berühmten Beispiel Catull. 5,7 da mi basia mille, deinde centum. Dieser Gebrauch lebt in der Umgangssprache in zahlreichen modernen Sprachen fort („tausend Dinge zu tun haben“, „mille grazie“). Siehe PETERSMANN 146; HSZ 211 §113a; HOFMANN 89f. §83. per totam urbem rumoribus different: Die Furcht vor der öffentlichen Meinung, meist in Liebesangelegenheiten, findet sich v.a. bei den Elegikern, z.B. Tib. 1,4,83 parce, puer, quaeso, ne turpis fabula fiam; Ov. am. 3,1,21 fabula – nec sentis – tota iactaris in Urbe; Prop. 1,5,26 quam cito de tanto nomine rumor eris!; 2,32,23f. nuper enim de te nostras †me laedit† ad auris / rumor, et in tota non bonus urbe fuit; vgl. zudem Hor. epod. 11,7f. heu me, per urbem – nam pudet tanti mali – / fabula quanta fui. Hier deutet sie darauf, dass sie vorhaben, länger in der urbs zu bleiben. different ist eine Konjektur von DOUSA, die von p2 und den modernen Editoren übernommen wurde, während ldmrtp1 das weniger passende deferent überliefern. differre aliquem im Sinn von „verleumden, ins Gerede bringen“ ist gut überliefert, vgl. Plaut. Pseud. 359 te differam dictis meis; Epid. 118 clamore differor; Tac. ann. 1,4,2 pars ... imminentis dominos variis rumoribus differebant; TLL 5.1.1070.66ff. § 10,6 non recusavit Ascyltos et: ‘hodie’ inquit ‘quia tamquam scholastici ad cenam promisimus, non perdamus noctem. cras autem, quia hoc libet, et habitationem mihi prospiciam et aliquem fratrem’: Askylt hatte nichts dagegen einzuwenden und sagte: „Da wir heute als Gelehrte zu einem Gastmahl zugesagt haben, wollen wir die Nacht nicht verlieren. Morgen aber, da es so sein soll, werde ich mich nach einer Unterkunft und einem anderen Bruder umsehen.“ non recusavit Ascyltos: Askylt konterkariert Enkolps Trennungsmonolog (Sat. 10,4f.) mit dem Vorschlag der Verschiebung um einen Tag: Das Essen geht vor. Vgl. Sat. 79,12 non repugnavit ille, wo es schließlich zur Trennung kommt. hodie ... ad cenam promisimus: Auf die besagte Einladung am selben Abend nimmt der überlieferte Text keinen weiteren Bezug; stattdessen folgt die Markt- und Quartillaszene. Zur Frage, von welcher cena hier die Rede ist, siehe Ess. 9–11, 1. Die Verbalersparung in ad cenam promisimus (zu ergänzen wäre nos venturos/ituros esse) ist der lebendigen Sprache des Alltags eigen, siehe PETERSMANN 44; OLD s.v. promitto 4. Der Ausdruck ist seit Plautus (z.B. Plaut.

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Stich. 596 ad cenam hercle alio promisi foras) belegt im Sinn von „versprechen, Gast bei einem Mahl zu sein; eine Einladung zum Essen annehmen“. tamquam scholastici: Die Partikel tamquam dient bei Petron nicht nur dem hypothetischen Vergleich, sondern wird wie hier auch im Sinn von ut, sicut zur Angabe eines objektiven Grundes verwendet („als scholastici, die wir wirklich sind“), wie z.B. in Sat. 99,2 tamquam bonarum artium magister; 102,13 Eumolpus tamquam litterarum studiosus utique atramentum habet. Siehe PETERSMANN 287–8; HSZ 596f. §321. Allerdings legt der Kontext nahe, dass Enkolp und Askylt nur zeitweise die Rolle von scholastici wahrnehmen (und sich dann selbst als solche sehen, wofür auch Sat. 10,5 et tu litteras scis et ego spricht), v.a. um sich Einladungen zu erschleichen. Da der Begriff allgemein breit gefasst wird (siehe oben Sat. 6,1 scholasticorum turba) und Enkolp in Sat. 1f. seine rhetorischen Fähigkeiten unter Beweis gestellt hat, ist es nicht angebracht, von der Vorspiegelung falscher Tatsachen zu reden, z.B. BAGNANI 1964, 234; COURTNEY 2001, 39–43. Die Tatsache, dass die Protagonisten in der Funktion von scholastici zu dem Gastmahl geladen sind, bedeutet, dass ihre Teilnahme unbedingt erwartet wird, siehe Ess. 9–11, 1. non perdamus noctem: perdere im Sinn von „verlieren, ungenutzt verstreichen lassen“ (TLL 10.1.1267.48ff. „perdere vitam, tempus sim.“, vgl. Sen. dial. 10,16,5 diem noctis expectatione perdunt, noctem lucis metu). nox steht für cena. Nach PARATORE I 163 und 172 Anm. 2 ist nox wörtlich zu verstehen (sie wollen schlafen), was aber gegen die Logik des Satzes verstößt und der konträren Verbindung von hodie und cras den Sinn raubt (so auch CIAFFI 1955, 23 Anm. 17). non statt der Prohibitivnegation ne ist volkstümlich, vgl. Sat. 71,7; 74,15; 75,6. Siehe PETERSMANN 229; CALLEBAT 1968, 95; HSZ 337 §186 ; KST I 192 §48,2. habitationem mihi prospiciam: prospicere im Sinn von OLD s.v. prospicio 4b („to look out for [with a view to acquiring]“), vgl. Cic. Sull. 55 obtulit se ad ferramenta prospicienda; mit Dat. comm.: Liv. 4,49,14 qui sedem senectuti vestrae prospiciunt; Apul. met. 1,24 ut ... aliquid nobis cibatui prospicerem; Lucan. 9,234f. iustas sibi nostra senectus / prospiciat flammas. aliquem fratrem: aliquis hier in der Bedeutung von alius aliquis, z.B. ebenso in Sat. 126,6; Sen. epist. 32,4 quidquid ad te transferunt alicui detrahendum est; auch beim obigen habitationem wird aliam unterdrückt. Siehe PETERSMANN 140; HSZ 195 §107 Zusatz ; TLL 1.1608.73ff. Im Begriff frater schwingt hier das ganze Bedeutungsspektrum von Zimmergenosse bis sexueller Partner mit (siehe oben Sat. 9,2 frater). frater hier lediglich als „not much more than ‘roommate’„ (COURTNEY 2001, 64) zu ver-

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stehen, würde zu apodiktisch voraussetzen, dass immer nur Doppelzimmer vermietet wurden. § 10,7 ‘tardum est’ inquam ‘differre quod placet’ *: „Es ist müßig“, sagte ich, „aufzuschieben, was beschlossene Sache ist.“ tardum est ... differre quod placet: Unpersönliches tardum mit Inf. erscheint nur hier. In seiner wörtlichen Bedeutung („es ist [zu] spät“) ist der Ausdruck tautologisch (denn logischerweise kann nur verschoben werden, was zuvor beschlossen wurde), doch der Sinn erschließt sich leicht: „Warum noch aufschieben, was unausweichlich ist?“ Dennoch könnte die gnomische Sentenz sprichwörtlich sein (OTTO s.v. differre 2), vgl. in diesem Sinne die Übersetzung „Gratification delayed is gratification denied“ (BRANHAM-KINNEY). *: Alle Zeugen der L-Klasse vermerken nach placet eine Lücke. Es fehlen der eigentliche Vollzug der Trennung und der Weggang Askylts. In der Lücke könnte zudem eine Beschreibung der Güteraufteilung (divisionem) liegen, auf die Askylt polemisch Bezug nimmt, wenn er in Sat. 11,4 sagt: sic dividere cum fratre nolito. hanc tam praecipitem divisionem libido faciebat; iam dudum enim amoliri cupiebam custodem molestum, ut veterem cum Gitone meo rationem reducerem *: Diese überstürzte Teilung hat Geilheit ausgelöst; denn schon lange wünschte ich mir, den lästigen Aufpasser loszuwerden, um das alte Verhältnis mit meinem Giton wiederaufnehmen zu können. hanc tam praecipitem divisionem libido faciebat: Enkolp deckt hier selbstironisch die wahren Gründe für die Trennung auf, die im Kontrast zu den verhüllenden mille causae in Sat. 10,5 stehen. Auch an anderen Stellen in den Sat. lässt der Erzähler erkennen, dass er manchmal etwas vorgetäuscht hat: Sat. 97,9 fictae preces; 92,13 tamquam non agnoscerem fabulam, tacui. divisionem: „Teilung“ im Sinn von divisionem communium sarcinularum (TLL 5.1.1627.65ff.), was sich auch aus Sat. 10,4 communes sarcinulas partiamur und dem Wortspiel in Sat. 11,4 ergibt. Doch ist die Trennung hier natürlich mitgemeint („séparation, Trennung, separazione“, wie ERNOUT, EHLERS, ARAGOSTI, CIAFFI u.a. übersetzen). iam dudum enim amoliri cupiebam custodem molestum: In ihrer Ménage à trois konnte Enkolp seinen Sexualtrieb nicht ausleben. Askylt hat offenbar verhindert, dass es zwischen Giton und Enkolp zu Intimitäten kam. ut veterem cum Gitone meo rationem reducerem: In der Vergangenheit pflegte Enkolp ein erotisches Verhältnis zu Giton, an das er jetzt wieder anschließen zu können hofft, vgl. Sat. 80,6 wo Enkolp bezüglich seines Verhältnisses mit Giton von einer vetustissima consuetudo spricht. ratio im Sinn von consuetudo amatoria („das Verhältnis, der Verkehr“, VORBERG 555; OBERMAYER 1998, 319 Anm. 315) scheint einmalig zu sein.

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reducerem stammt von BÜCHELER1–6 und wurde von allen modernen Editoren übernommen, da die Überlieferungen deducerem (l) und diducerem (dmrpt) keinen Sinn ergeben. veterem rationem reducere („in alter Weise wieder verkehren“) steht verhüllt für pedicare. cum Gitone meo: Das affektive Possessivpronomen meo ist umgangssprachlich und bezeugt die innere Anteilnahme Enkolps (vgl. Sat. 98,8 Gitona tuum; 25,1 Pannychis nostra; siehe dazu PETERSMANN 130f; HOFMANN 137–9 §128 mit Nachtrag). *: Eindeutige, in der ganzen L-Klasse markierte Lücke, in der ein Ortswechsel stattfindet – Sat. 11 beginnt auf der Straße. Dass darin die in Sat. 10,6 erwähnte cena beschrieben wurde (wie CIAFFI 1955, 29; ARAGOSTI Anm. 24 vermuten), ist unwahrscheinlich. In Sat. 10,7 besteht Enkolp auf einer sofortigen Trennung, die auch vollzogen wird. Gemäß VAN THIEL 1971, 28f. könnte in der Lücke die Abreise Askylts und die Befürchtung Enkolps, Askylt gehe nicht wirklich, sondern verstecke sich irgendwo in der Nachbarschaft, geschildert werden. Sat. 11,1 lustravi oculis totam urbem beschriebe dann einen Kontrollgang Enkolps, was viel wahrscheinlicher ist als LENNOX’ Vermutung (1978, 748f.), Enkolp suche nach einer Arbeit.

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Kapitel 11 Askylts unerwartete Rückkehr. Streit um Giton. § 11,1 postquam lustravi oculis totam urbem, in cellulam redii osculisque tandem bona fide exactis alligo artissimis complexibus puerum fruorque votis usque ad invidiam felicibus: Nachdem ich in der ganzen Stadt Ausschau gehalten hatte, kehrte ich ins Kämmerchen zurück, verlangte endlich in gutem Glauben Küsse von dem Knaben, schloss ihn ganz fest in meine Arme und genoss glückliche Wonnen, um die mich jeder beneidet hätte. lustravi oculis totam urbem: Die Junktur oculis lustrare ist gut belegt: z.B. Cic. nat. deor. 2,161 totam licet animis tamquam oculis lustrare terram mariaque omnia; Tac. hist. 2,70 lustrare oculis concupivit; Lucan. 7,795 lustrare oculis campos. Zum hyperbolischen totam urbem vgl. oben Sat. 8,2 cum errarem ... per totam civitatem ... osculisque tandem bona fide exactis: Enkolp beansprucht Giton für sich, was er in Sat. 10,7 (ut veterem cum Gitone meo rationem reducerem) mit dem schon seit langem andauernden Verhältnis mit diesem rechtfertigt. Das Verb exigere lässt Giton bereits hier als passives „Objekt“ (und passiven Sexualpartner, der er ja ist) erscheinen und ist ein Vorbote für die Teilungsgeschichte in Sat. 80, die hier ihren Anfang nimmt (vgl. Sat. 11,4 sic dividere cum fratre nolito). bona fide: Der feste Terminus (der Handels- und Gerichtssprache), der sich auch in der Umgangssprache niedersetzte (z.B. Plaut. Aul. 772), meint hier am ehesten die Sicherheit, in der Enkolp sich vor Askylt wähnt („im guten Glauben, ahnungslos, arglos“, so z.B. BRANHAM-KINNEY „without looking over my shoulder“), und kündigt als narratologisches Spannungselement die plötzliche Rückkehr Askylts an, ähnlich dem ut putabamus in Sat. 15,8. Weniger Sinn ergibt eine Übersetzung wie „aufrichtig“ (wie in Sat. 110,3, wo Tryphäna tunc primum bona fide puero basium dedit) oder „so dass der Erfolg sicher ist“ (FRAENKEL 1916, 193). alligo artissimis complexibus puerum: Der Wechsel vom Perfekt ins unmittelbarere hist. Präsens ist bei Petron häufig, sogar wie hier innerhalb eines Satzes, vgl. z.B. (ebenfalls mit -que) Sat. 97,1; 110,2. Siehe dazu PETERSMANN 169f.; HSZ 307 §172; KST I 114–7 §31. Die Verbindung com-/amplexus mit artus ist häufig, vgl. Sen. dial. 12,19,3 te ... illius artissimis amplexibus alliga; benef. 7,13 quemadmodum amantes solent, quorum plura oscula et conplexus artiores non augent amorem sed exercent; Lucan. 8,723 tenet ille ducem complexibus artis. Eine ähnliche Szene zwischen Enkolp und Giton findet sich in Sat. 91,4.

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fruorque votis usque ad invidiam felicibus: fruor gehört zum sexuellen Sprachregister (ADAMS 198; VORBERG 201), vgl. u.a. Plaut. Asin. 918 sese alternas cum illo noctes hac frui; Cic. Tusc. 4,73 frueretur voluptate amatoria; Ov. am. 2,9,46 saepe fruar domina; Tib. 1,5,17 fruitur nunc alter amore; Priap. 50,5 quae si contigerit fruenda nobis; TLL 6.1.1424.22ff. Mit vota (etwa: „alles, was ich mir gewünscht und erhofft habe“) sind hier die sexuellen Wonnen gemeint (siehe ADAMS 188. 255; vgl. Ov. ars 1,671 quantum defuerat pleno post oscula voto!), die normalerweise mit gaudia ausgedrückt werden (z.B. Sat. 87,3. 8; 132,15 V.5). Zum Ausdruck usque ad invidiam im Sinn von „jeder würde mich beneiden“, vgl. Sen. epist. 120,21 modo dilatat se usque ad invidiam; Quint. decl. 333,6 utinam non usque ad invidiam! Zum Neid im sexuell-erotischen Kontext vgl. z.B. Prop. 1,8,27 rumpantur iniqui!; Catull. 5,12f. ne quis malus invidere possit, / cum tantum sciat esse basiorum; Plaut. Most. 306f. haec qui gaudent, gaudeant perpetuo suo semper bono; / qui invident, ne umquam eorum quisquam invideat prosus commodis. § 11,2 nec adhuc quidem omnia erant facta, cum Ascyltos furtim se foribus admovit discussisque fortissime claustris invenit me cum fratre ludentem: Und wir waren noch nicht einmal fertig, als sich Askylt heimlich zur Türe schlich, die Riegel gewaltsam aufbrach und mich mitten im Liebesspiel mit meinem Bruder vorfand. nec adhuc quidem omnia erant facta: Unspezifische Termini wie omnia und facere dienen häufig als Umschreibungen für Begriffe aus dem sexuellen Sprachregister; so lässt es sich vermeiden, die Dinge beim Namen zu nennen (vgl. oben Sat. 10,4 ... iniuriae). Zu omnia mit sexueller Implikation vgl. Sen. nat. 1,16,5; Sat. 130,5 forsitan dum omnia concupisco; 132,1 omne genus amoris; ADAMS 190. 255. Zu facio für den Geschlechtsakt („es tun“, „to do it“) siehe oben Sat. 9,9 cum fortiter faceres. cum Ascyltos furtim se foribus admovit: Hier findet ein kurzer Wechsel von der personalen zur auktorialen Erzählersicht statt, siehe dazu HABERMEHL XIXf. Askylt wählt den bestmöglichen Zeitpunkt für einen wirkungsvollen Auftritt. Wo Askylt sich versteckt hat, erfahren wir nicht. Konstruktionen mit cum inversum (hier mit vorausgehender negativer Umkehrung der Aussage wie z.B. auch in Sat. 49,1 nondum ... cum ...; siehe ROEMER 1961, 206) werden von Petron häufig angewandt, um die Erzählung dynamischer zu gestalten, z.B. beim Auftritt neuer Personen, wobei oft eine Tür mit im Spiel ist: Sat. 92,1 cum Eumolpus ostium pulsat oder 99,5 cum crepuit ostium impulsum. Überhaupt sind Türen in den Sat. wie in Komödien oft Schaltstellen von Szenenwechseln (durch die Tür kommt z.B. Quartilla in Sat. 16,2 oder Habinnas in 65,3). Dabei werden sie auch gerne wie hier aufgebrochen (z.B. in 79,7; 97,8).

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discussisque fortissime claustris: Askylt bricht die (wohl abgeschlossene) Tür auf, die danach aber nicht kaputt ist, denn Sat. 16,2 sera sua sponte delapsa cecidit reclusaeque subito fores admiserunt intrantem setzt voraus, dass der Riegel noch ganz ist (anders VAN THIEL 1971, 31 Anm. 1). fortissime passt zu den zahlreichen Beschreibungen von Askylts körperlicher Stärke (z.B. Sat. 8,4 valentior; 9,7 sublatis fortius manibus). claustra discutere ist singulär, üblicher ist z.B. claustra laxare (vgl. Sat. 97,8; Verg. Aen. 2,258f. pinea furtim / laxat claustra Sinon u.a.). invenit me cum fratre ludentem: ludere wird häufig in erotischem Kontext verwendet (vgl. bei Petron Sat. 127,10; 129,5; 140,9) und schließt die meisten Spielarten der sexuellen Aktivität ein, hier den homosexuellen Verkehr, vgl. Mart. 9,25,8 ludere Mercurio cum Ganymede licet; ohne Spezifikation Mart. 11,39,7 ludere nec nobis nec tu permittis amare; 11,104,5; Catull. 68,17 multa satis lusi. Siehe ADAMS 162; VORBERG 314. Zu frater als Sexualpartner vgl. Sat. 9,10; 11,3. § 11,2f. risu itaque plausuque cellulam implevit, opertum me amiculo evoluit et ‘quid agebas’ inquit ‘frater sanctissime? quid? vesticontubernium facis?’: Mit seinem Lachen und Applaus erfüllte er das Kämmerchen, wickelte mich aus dem Mantel, der mich bedeckte, und sagte: „Was hast du getan, frommes Brüderlein? Was? Stellst du Decken-Gemeinschaft her?“ risu itaque plausuque cellulam implevit: Blossstellendes Auslachen. Zu implere + „sonis sim.“ (TLL 7.1.629.74ff.) vgl. z.B. Verg. Aen. 2,769 implevi clamore vias; Sat. 64,9 taeterrimo latatru triclinium implevit; 72,1 lamentatione triclinium implevit. Lachen und Klatschen werden auch in Sat. 18,7 complosis deinde manibus in tantum repente risum effusa est ut timeremus kombiniert. opertum me amiculo evoluit: Wortspiel aus amiculo (von amiculum „Mantel“) und amìculo (von amìculus „Freund“). Askylt wickelt Enkolp aus dem Mantel und zugleich aus Gitons Umklammerung. evolvere („auswickeln“) ist außerdem ein Antonym zu amicere („einwickeln“), aus dem amiculum sich herleitet. quid agebas: Das Verb ist hier zweideutig und kann auch in sexuellem Sinn verstanden werden, vgl. Juv. 6,58 nil actum in montibus; ADAMS 205. „Das Imperfekt scheint bisweilen statt des Präsens zu stehen, wenn die dadurch ausgedrückte Handlung in der Gegenwart fortbesteht“ (KST I 123 §32,3), siehe dazu auch PETERSMANN 176; HSZ 316 §176 Zusatz a. Wie WHEELER 1903, v.a. 168 und RONCONI 1943, 9–12 richtig bemerken, wird die Handlung, die bis gerade eben andauerte, in diesem Moment unterbrochen. Sie sprechen sogar von einer Spezialform des Imperfekts bei unterbrochenen Handlungen. Vgl. z.B. auch Sat. 100,6.

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frater sanctissime: sanctus bezeichnet die moralische Integrität einer Person (OLD s.v. sanctus 4) und wird hier durch die höhnische Anrede und den Superlativ sarkastisch ins Gegenteil gedreht, vgl. Cic. Pis. 28 tu scilicet homo religiosus et sanctus. quid?: Absolutes quid drückt Überraschung aus, die hier allerdings nur gespielt ist; vgl. Sat. 53,6 ‘quid?’ inquit Trimalchio, ‘quando mihi Pompeiani horti empti sunt?’ Siehe dazu VÄÄNÄNEN 1995. Allerdings wirkt quid? nach quid agebas? ziemlich schwach. Deshalb und aufgrund der korrupten Überlieferung des Satzes ist nicht auszuschließen, dass quid z.B. das Fragepronomen eines folgenden (nicht überlieferten) Fragesatzes ist. vesticontubernium facis: Der Wortlaut der Stelle ist umstritten; vesticontubernium (lmmtp) ist eine überzeugende Konjektur von TURNEBUS, während ldr ein unpassendes verti contubernium überliefern. contubernium kann sowohl „Zelt-/Wohngemeinschaft“ (z.B. Plin. epist. 5,14[15],9 ne quis ... contubernio nostro dies pereat) meinen als auch sexuelle Intimität im Sinn von concubitus (seit der Kaiserzeit belegt, TLL 4.792.41ff.): Zwei Sueton-Stellen spielen explizit auf homosexuelle Beziehungen an: Suet. Jul. 49,1 Nicomedis contubernium; Cal. 36,1 Valerius Catullus ... stupratum a se ac latera sibi contubernio eius defessa etiam vociferatus est. verti contubernium facis („Machst du unsere Gemeinschaft zunichte?“, EHLERS; ähnlich BÜCHELERS2-6 diverti contubernium facis) ist zwar grammatisch vertretbar (PETERSMANN 213 verteidigt diese Überlieferung [verto = „zerstören, zunichte machen“] und versteht die Konstruktion als kausatives facere mit AcI [vgl. z.B. Lucr. 5,662 quae faciunt solis nova semper lumina gigni; Verg. Aen. 2,538f. qui nati coram me cernere letum / fecisti; HSZ 354 §194 Zusatz]), inhaltlich überzeugt diese Variante jedoch nicht: ein plumper Vorwurf, der ins Leere läuft, zumal sich Enkolp und Askylt schon getrennt haben und Askylt sich kurz zuvor selbst an Giton vergangen hat. Ähnliches kann gesagt werden zu den Änderungsvorschlägen verticontubernium (ALESSIO 1960/1, 404f.; ein Kompositum mit vertere für „qui vertit contubernium“; Konstruktion vergleichbar z.B. mit fulcipedia in Sat. 75,6) oder quid vero? contubernium facis? (nach LEARY 2001, 625). Die Konjektur vesticontubernium (BÜCHELER1; ERNOUT; DÍAZ Y DÍAZ und MÜLLER1) geht von einem Neologismus Petrons aus, einer scherzhaften Wortschöpfung aus vestis (kann „Kleidung“ oder „Decke“ [Lucr. 2,36 plebeia veste] heißen, analog zum griech. / für den Überwurf, der als Mantel oder Decke dienen konnte) und contubernium (wobei contubernium selbst schon ein Kompositum ist – siehe zu den Nominalkompositionen Petrons die Liste in MARBACH 1931, 106–13). Wenn auch schwer zu übersetzen, bietet diese Textvariante mehrere Anknüpfungspunkte an den Kontext (die ironische Sprechweise, die erotische Konnotation und die Bezugnahme

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auf den Mantel) und erscheint als Äußerung Askylts daher plausibler. Solche ad hoc gebildeten Komposita sind auch aus der plautinischen Komödie bekannt (z.B. Amph. 59 und 63 tragico[co]moedia). Zu den Komposita bei Petron siehe MARBACH 1931, 79–118. Ob man sich für diesen Neologismus oder einen Verbesserungsvorschlag von FUCHS 1959, 59 ( veste contubernium), ROSE 1968 (veste contubernium; bereits Saumaise/Salmasius) oder GIARDINA 1995–6, 267f.; 1986–7, 389 ( veste contubernium) entscheidet, der Sinn bleibt derselbe: „Machst du aus einer Decke ein Zelt für zwei?“; „Stellst du unter der Decke Zeltgemeinschaft her?“ (EHLERS); „Are you playing at houses under the blanket?“ (WALSH). Das Motiv „unter demselben Mantel stecken“ ist geläufig und topisch. Es kann sogar Sitte gewesen sein, dass Verkehr unter einem Mantel vollzogen wurde (LEARY 2001, 625; DOVER 1983, 92). Im Griechischen gibt es viele Stellen, wo sexuelle Vereinigung auf diese Weise verschleiert wird (Soph. Tr. 539f. ’ μμ μ μ / μ ; Eur. frg. 603,4 ’ ’ ; Theocr. 18,19 μ ; vgl. auch Sokrates und Alkibiades im Symposium (Plat. Symp. 219b). Vgl. zudem Ov. am. 1,4,47f. saepe mihi dominaeque meae properata voluptas / veste sub iniecta dulce peregit opus. § 11,4 nec se solum intra verba continuit, sed lorum de pera solvit et me coepit non perfunctorie verberare, adiectis etiam petulantibus dictis: ‘sic dividere cum fratre nolito’ *: Und er ließ es nicht bei diesen Worten bewenden, sondern löste den Riemen vom Rucksack und begann, mich nicht leicht zu schlagen, wobei er auch noch die unverschämten Worte hinzufügte: „So mit dem Bruder teilen solltest du nicht!“ nec se solum intra verba continuit: Reflexives, in übertragenem Sinn zu verstehendes continere wird normalerweise mit in verbunden, hier hingegen mit intra + Akk., vgl. Sen. dial. 12,11,4 qui continebit itaque se intra naturalem modum (TLL 4.704.20f.). sed lorum de pera solvit: Eine pera ist eine Art Sack, den man sich mit einem Riemen (lorus) um die Schulter hängt (siehe DAREMBERG–SAGLIO s.v. pera). Der lorus dient gerne als Instrument für Schläge, vgl. z.B. Apul. met. 3,14 lorus iste, quem tibi verberandae destinasti. me coepit non perfunctorie verberare: Das Adv. perfunctorie (perfunctorius analog zu defunctorius: Sat. 132,10 apodixin defunctoriam und 136,5 nec satiatus defunctorio ictu), erscheint zumeist in verneinten Sätzen und bezeichnet in Bezug auf eine Aktion, dass diese nur oberflächlich, leicht oder mit fehlender Sorgfalt durchgeführt wird (TLL 10.1.1417.74ff.). Hier deutet die Litotes auf sarkastisch-humoristische Weise auf die körperliche Stärke Askylts

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hin, der ein ausgewiesener Kraftprotz ist (siehe in dieser Szene 8,4 valentior; 9,7 fortius; 11,2 fortissime). Prügel für unterlassenen Sex bezieht Enkolp in Sat. 134,3 harundinem ab ostio rapuit nihilque respondentem mulcavit. adiectis etiam petulantibus dictis: petulans („frech“) wird wie hier häufig in sexuellem Zusammenhang gebraucht (OLD s.v. petulans c; Sat. 138,6). So ist der folgende Ausspruch eher anzüglich und süffisant als frech. sic dividere cum fratre nolito: Freier: „Das nennst du brüderlich teilen?“ Listig nimmt Askylt den Vorschlag Enkolps in Sat. 10,4 intellego nobis convenire non posse. itaque communes sarcinulas partiamur wieder auf. In Sat. 79,9–80,2 wird erneut darauf Bezug genommen, als Enkolp und Askylt sich zum zweiten Mal und endgültig voneinander trennen und Askylt die „Teilung“ von Giton fordert (age ... nunc et puerum dividamus), siehe dazu HABERMEHL ad loc. Mit dividere cum fratre ist normalerweise die Erbschaftsteilung zwischen Brüdern gemeint, z.B. Sen. epist. 88,11 quid mihi prodest scire agellum in partes dividere, si nescio cum fratre dividere?; Quint. inst. 7,1,45 avarum, impium, ingratum qui dividere nolit cum fratre. Giton gehört aber nicht wirklich zur Erbmasse bzw. hier im übertragenen Sinn für Scheidungsmasse im Falle der Gütertrennung, zumal er kein Sklave ist (siehe Einl. 3). Der juristische (HEUMANN–SECKEL s.v. dividere) und quasi sprichwörtliche Ausdruck (wie auch dt. „brüderlich teilen“, ital. „dividere da buoni fratelli“) wird hier parodiert, wozu die Zweideutigkeit von frater – in unserem Fall nicht Blutsbruder, sondern der Genosse, mit dem man das Bett teilt – beiträgt (siehe zu frater oben Sat. 9,2 frater). dividere: Das Verb dividere hat einen erotisch-obszönen Nebensinn („pedicare, stuprare“) seit Plaut. Aul. 280–6 (Wortwechsel zwischen zwei Köchen, basierend auf der Zweideutigkeit von dividere: 283 mequidem hercle, dicam palam, non divides; 285–6 bellum et pudicum vero prostibulum popli. / post si quis vellet, te hau non velles dividi). Zudem Cic. fam. 9,22,4 non honestum verbum est ‘divisio’? at inest obscenum. Häufiger mit diesem Sinn sind dirumpere (z.B. in Apul. met. 7,21) und scindere (z.B. in Priap. 54,2; 77,9). So ADAMS 151; VORBERG 150; VAN THIEL 1971, 27 Anm. 1; GREWE 1993, 48. nolito: Das seltene futurische nolito mit Inf. findet sich bereits in Plautus, z.B. Plaut. Cist. 108f. nolito acriter / eum inclamare; Poen. 1321 nolito ... convortere. Siehe PETERSMANN 203; HSZ 336f. §186 III. *: Die Lücke wird von allen Zeugen der L-Klasse bezeichnet. Ihr Umfang ist schwer abschätzbar. Es muss eine Art Versöhnung zwischen Enkolp und Askylt geben, da sie die Trennung zu diesem Zeitpunkt nicht vollziehen und bis Sat. 79f. damit zuwarten. Wenn Sat. 12ff. am Abend des Tages stattfindet, und so präsentiert sich uns heute der Text, gehen sie nicht zu dem in Sat. 10,6

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angesprochenen Essen, für das Askylt ursprünglich die Trennung verschieben wollte, sondern suchen daraufhin den Markt (Sat. 12–15) auf.

Auf dem Markt (Sat. 12–15) Die Marktszene ist trotz einzelner Lücken im Text in sich stringent und gut verständlich. Allerdings fehlt uns die Vorgeschichte, auf der die Ereignisse auf dem Markt aufbauen; ferner wissen wir nicht, ob die Szene mit dem überlieferten Schluss tatsächlich zu Ende ist (dazu Punkt 1). Zudem bedarf es einer genauen Prüfung, wie eng die in der Überlieferung folgende Quartilla-Szene mit der Marktszene verbunden ist (dazu Punkt 2). Die Marktszene gilt als eine der komplexesten und verblüffendsten Szenen der Sat. Der Handlungsverlauf ist lebendig, temporeich und steckt voller Überraschungen. Motivinventar und Szenerie sind literarischen Modellen wie der Komödie entnommen (dazu Punkt 3). Der gezielte Einsatz von Symmetrien und Gegensätzen (dazu Punkt 4), ein Verwirrspiel um Sein und Schein (dazu Punkt 5) auf der Handlungsebene und der ausgiebige Einsatz juristischen Jargons (dazu Punkt 6) sind die auffälligsten Gestaltungsmittel der Szene.

1. Vorgeschichte und Ausgang der Marktszene Die Marktszene setzt die Kenntnis früherer Abenteuer Enkolps, Askylts und evtl. Gitons voraus, die nicht Bestandteil der überlieferten Fragmente sind. Die Vorgeschichte lässt sich schwer rekonstruieren. Einzige Anhaltspunkte sind folgende vier Hinweise im Text: A. die in die Tunika eingenähten aurei (Sat. 13,2 depositum ... inviolatum; thesaurum; 13,3 intactis aureis plena u.a.). Die Herkunft der aurei ist unklar. In der Regel wird der Goldschatz als Beute aus dem Streifzug durch die Villa Lykurgs (erwähnt in Sat. 117,3) angesehen (z.B. SULLIVAN 1968, 44f.). B. der Diebstahl des Mantels (Sat. 12,2 raptum latrocinio pallium). Die Bauersleute erheben Anspruch auf den Mantel, und wir haben keinen Anlass, ihre Eigentümerschaft in Frage zu stellen. Nicht selten wird auch Quartilla als Eigentümerin in Erwägung gezogen (PARATORE I 171–3; CIAFFI 1955, 37; SULLIVAN 1968, 45f. – die These stützt sich auf die Identifikation der muliercula mit der ancilla der Quartilla, siehe unten zu D und Punkt 2). BURMAN 64 will Lykurg das Eigentum zuschreiben (vgl. ARAGOSTI Anm. 26). Ob der Mantel allenfalls etwas mit der ominösen vestis divina (Sat. 114,5) zu tun hat, erschließt sich aus dem Text nicht.

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C. der Verlust der Tunika (Sat. 13,2 scis ... rediisse ad nos thesaurum de quo querebar?). Auf welche Weise die Tunika verlorenging, geht aus dem überlieferten Text nicht hervor. Sie wird vom rusticus gefunden und mitgenommen (12,5 in solitudine invenerat), was Enkolp beobachtet haben muss, da er den Bauern wiedererkennt (12,5 videbatur ille mihi esse qui ...). Wieso Enkolp damals nicht eingeschritten ist („too much danger?“, fragt VAN DER PAARDT 1996, 67), erfahren wir nicht. Er muss bei diesem Vorfall aber allein gewesen sein, andernfalls hätte Askylt keinen Grund, ihm zu misstrauen (13,4 turpissima suspicione). Wahrscheinlich hängt der Verlust der Tunika mit dem Diebstahl des Mantels zusammen, zumal die Episode auf dem Markt nahelegt, dass die Bauersleute nicht nur im Besitz der Tunika, sondern auch die früheren Besitzer des gestohlenen Mantels sind. D. die Tempelentweihung, deren Quartilla Enkolp, Askylt und evtl. Giton bezichtigt (16,3 Quartillae, cuius vos sacrum ante cryptam turbastis; 16,4 errorem vestrum; 17,4 quod non licuit adspexit; 17,6 admisistis inexpiabile scelus). Die Annahme, dass die Mantel-Tunika-Geschichte mit der Tempelentweihung in einem Zusammenhang steht, stützt sich hauptsächlich auf den umstrittenen, vermutlich interpolierten Satz in Sat. 16,3 [illa scilicet quae paulo ante cum rustico steterat], der die mulier vom Markt mit der ancilla der Quartilla gleichsetzt (siehe unten zu Punkt 2). Vertreter dieser These postulieren grob folgenden Handlungsverlauf (PARATORE I 165ff., bes. 171–3; CIAFFI 1955, 29–41; PATIMO 2001, 166; VAN THIEL 1971, 29–33 u.a.): Enkolp und Askylt stehlen im Zuge der Tempelprofanation den Mantel der Quartilla. Auf der Flucht verliert Enkolp die Tunika. Der rusticus, der in irgendeiner Weise mit Quartilla in Verbindung stehen muss, findet die verlorene Tunika, was Enkolp beobachtet, der aber nicht einzugreifen wagt. Tags darauf schmiedet Quartilla, die über alles Bescheid weiß, den Plan, sich des rusticus und der Tunika (mit dem eingenähten Geld) als Lockmittel zu bedienen, um die jungen Männer zu finden. Sie gibt ihrer ancilla den Auftrag, den Bauern aufs Forum zu begleiten (siehe dagegen unten zu Punkt 2). An einem für die beiden Freunde glücklichen Ende der Szene würde wohl niemand zweifeln, wäre da nicht das bedeutungsvolle ut putabamus (siehe dazu unten Sat. 15,8 ut putabamus) des Erzählers. Bezogen auf recupero stellt dieser Einschub das Wiedererlangen des Schatzes in Frage, bezogen auf thesauro den Schatz selbst bzw. dass sich dieser noch in der Tunika befindet. Im ersten Fall hätten sich die Freunde erneut der Gefahr ausgesetzt, den Schatz zu verlieren (SCHEIDWEILER 1925, 202; CIAFFI 1955, 37; LEFÈVRE 2007, 164 mit der Variante, dass Enkolp und Askylt des Diebstahls überführt werden und eine Strafe bezahlen müssen, die dem in der Tunika enthaltenen Gold entspricht). Im zweiten Fall hätten sie einen wertlosen Geldersatz in der Tunika vorgefunden (MERKELBACH 1963, 192; SLATER 1990, 36 Anm. 25; WEIN-

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REICH 1929, 396 Anm. 34; PARDINI 1996, 189 mit Anm. 34). Ob Enkolp und Askylt zuletzt als Verlierer dastehen, bleibt ungewiss. Der weitere Verlauf der Sat. lässt in diesem Punkt ebenfalls keine Schlüsse zu. Es ist auch schwer vorstellbar, dass die in Sat. 117,3 genannte vestis, rapinae comes die Tunika der Marktszene sein soll (wie JENSSON 2004, 152f. meint). Ein unerwartetes Ende wäre nicht untypisch für die Sat., wenn man bedenkt, dass alle Kurzgeschichten, die milesische Novellen sind (Knabe von Pergamon 85,1–87,10; Matrone von Ephesos 111,1–112,8) oder Charakteristiken dieser Gattung aufweisen (Werwolf 61,6–62,14; Hexen 63,3–10; das unzerbrechliche Glas 51,1–6), ähnlich unerwartet enden: „One can rightly argue that this is a typical feature of the Milesian tale but it occurs also in the sudden conclusions of the mime“ (PANAYOTAKIS 1995, 30), siehe zudem SCHMELING 1991, 353–64.

2. Einordnung der Marktszene in das Werk Die uns überlieferte Reihenfolge der Fragmente von Sat. 1–26,6 wurde verschiedentlich angezweifelt. Anlass dazu gibt u.a. folgende Ungereimtheit: In Sat. 10,6 spricht Askylt von einer Einladung zum Essen am selben Tag (hodie ... ad cenam promisimus). Nach dem Besuch des Marktes jedoch kehren die Protagonisten in aller Ruhe nach Hause zurück und nehmen bei Giton das Abendbrot ein. Eine cena (nämlich die Cena Trimalchionis) besuchen sie erst nach dem Intermezzo mit Quartilla, also zwei bis drei Tage später (siehe dazu auch oben Ess. 9–11, 1). Aus diesem Grund hält SGOBBO 1930 (sowie RIBEZZO 1931; dagegen ausführlich PARATORE I 155–64) sowohl die Markt- als auch die Quartilla-Szene (12–26,6) für falsch platziert und stellt sie den Kapiteln 1–11 voran. Das aber führt zu neuen Anknüpfungsproblemen. SGOBBOS These stützt sich auf einen mittelalterlichen Zusatz zum Petron-Zitat in Fulg. myth. 3,8 (frg. 7), worin ein Satz aus der Quartilla-Szene dem antiken 14. Buch der Sat. zugewiesen wird. Tatsächlich handelt es sich um eine völlig isolierte Angabe, deren Zuverlässigkeit und Richtigkeit stark angezweifelt werden darf (so auch VAN THIEL 1971, 21–4 und 32 Anm. 2; CIAFFI 1955, 38). Dasselbe gilt für den Vorschlag SULLIVANS (1968, 46), der lediglich 16–26,6 vor 1–15 setzt und dadurch die Markt- von der Quartilla-Szene trennt. Letztere jedoch bietet nennenswerte Anknüpfungspunkte an die Marktszene: Die verschlossene Tür (Sat. 15,8 praeclusisque foribus) wird erwähnt (16,2 aperi; sera sua sponte delapsa; reclusaeque ... fores), und die schreckhafte Reaktion auf das Klopfen (16,2 pallidi) ist im Anschluss an die Vorfälle auf dem Markt gut zu verstehen. Berechtigt ist jedoch die Frage, inwiefern Sat. 12–15 und 16–26 inhaltlich zusammengehören: Handelt es sich um zwei eigenständige Einzelszenen, oder

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ist die Marktszene von Quartilla inszeniert worden und der Auftritt der Bauersleute als List Quartillas aufzufassen (siehe oben 1D)? Verlässliche Aussagen über den Grad der Kohärenz eines so fragmentarischen Textes wie der Sat. sind generell ein heikles Unterfangen. In den erhaltenen Teilen der Sat. lassen sich sowohl Beispiele für szenenübergreifende Verbindungen finden (z.B. die Figur des Lichas, der plötzlich und überraschenderweise wieder auftaucht und handlungsrelevant wird) als auch für abrupte Szenenwechsel, bei denen die Episoden in keiner engeren Beziehung zueinander stehen (vgl. z.B. Anfang und Ende der Cena; Schifffahrt – Croton). Auch im konkreten Fall der Marktszene lassen sich eindeutige Argumente für die eine oder andere Variante nicht finden. In der Quartillaszene gibt es drei Anhaltspunkte, die für eine enge Verbindung der Szenen sprechen könnten, aber nicht müssen: A. me derisisse in 16,3 könnte sich auf das Auslachen der calumniantium ... quod nobis ingenti calliditate pecuniam reddidissent (15,8) beziehen. Es passt aber ebenso gut zur Entweihung des sacrum, weswegen Quartilla und ihr Gefolge Enkolp und Askylt ja aufsuchen. B. Genauso kann latrocinia in Sat. 17,4 entweder auf die Mantel-Szene (12,2 raptum latrocinio pallium) verweisen oder als „Räubereien, Streiche“ im metaphorischen Sinn und auf die Tempelprofanation bezogen zu verstehen sein. C. In Sat. 16,3 erscheint eine mulier ... operto capite, die durch den folgenden Satz [illa scilicet quae paulo ante cum rustico steterat] mit der mulier der Marktszene gleichgesetzt wird. Bereits in 14,5 wurde dieselbe mulier in Anlehnung an 12,3 rusticus quidam familiaris oculis meis cum muliercula comite als mulier aperto capite [quae cum rustico steterat] bezeichnet. Die Koexistenz der zwei fast identischen Sätze, denen die Beschreibung aperto bzw. operto capite vorausgeht, hat die Forscher dazu veranlasst, den einen und/oder anderen (Teil-)Satz als Interpolation zu betrachten. Jede denkbare Sichtweise wurde vertreten: Beide Sätze sind echt (PELLEGRINO1–2; SCHÖNBERGER; CIAFFI 1955, 36; VAN THIEL 1971, 29; ARAGOSTI 1979; JENSSON 2004, 129); beide Sätze sind zu streichen (MÜLLER; DELZ 1970, 32f.; LEFÈVRE 2007, 164); nur 16,3 sollte gestrichen werden (JACOBS; FUCHS; NISBET 1962, 227; SOVERINI 1974–5, 247f. und 1974, 265f.; DELL’ERA 1970, 108; SÜTTERLIN 1996, 35; ERNOUT u.a.); nur 16,3 ist echt (PARDINI 1996, 187–90; COURTNEY 2001, 66 Anm. 20). Eine Entscheidung zu treffen ist äußerst schwierig. Persönlich tendiere ich dazu, Sat. 16,3 als Glosse zu betrachten. Was die Aussage des Satzes betrifft, so würde man an dieser Stelle einen aktuelleren Bezug zur Rolle der Frau auf dem Markt erwarten und nicht die identische Beschreibung von 14,5, wo die mulier nur als Begleiterin fungiert. scilicet, das in den Sat. sowohl affirmativ („freilich, natürlich“, z.B. Sat. 14,7) als auch – wie hier – rein explikativ

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(„nämlich“, OLD s.v. scilicet 5b) vorkommt, ist in erläuterndem Sinn v.a. nachklassisch beliebt und kann auf einen Interpolator hindeuten (siehe zu scilicet PETERSMANN 236f.; COCCIA 1973, 29–37; SOVERINI 1974–5, 248). Natürlich sagt dies noch nichts über den Wahrheitsgehalt der Glosse aus – im Gegenteil ist der Satz sogar dann am besten verständlich, wenn man annimmt, dass seine Aussage zutrifft. Die Marktszene wirkt m.E. jedoch stimmiger, wenn man sie als ein in sich geschlossenes Einzelabenteuer betrachtet. Ist das Geschehen auch dann glaubwürdig, wenn die Bauersleute im Auftrag Quartillas handeln? Sind die emotionalen Reaktionen der Bauersleute in diesem Fall noch plausibel und gerechtfertigt? Weshalb schreit die Frau (14,5), wenn sie primär nicht am Mantel interessiert ist, sondern daran, Enkolp und Askylt ausfindig zu machen? Würde sie eine diskrete Abwicklung in diesem Fall nicht vorziehen? Wo und wie wird dieses vertrackte Rollenspiel aufgeklärt, oder wird es auch im Originaltext gänzlich dem Leser selbst überlassen?

3. Motivinventar Die Anleihen bei der Komödie sind unverkennbar (ARAGOSTI 1979; PANAYOTAKIS 1995, 20–31; GARTON 1972, 73–92). Das Motiv des bestohlenen Diebes oder des betrogenen Betrügers ist aus der comoedia palliata bekannt und kommt z.B. in Plautus’ Aulularia vor. Petrons Marktszene ist im wörtlichen Sinn eine comoedia palliata (römische Adaption der griechischen Neuen Komödie, abgeleitet von pallium [gr. μ ], dem Mantel oder Überwurf der griechischen Schauspieler): griechisches Milieu, griechische Namen, ein zentrales Motiv (z.B. ein Schatz), hier ist es sinnigerweise der Mantel selbst. Auch der versteckte Schatz ist ein typisches Komödienmotiv (PANAYOTAKIS 1995, 25). In Plautus’ Aulularia geht es ebenfalls um einen verlorenen Goldschatz: In Aul. 65 sagt Euclio: nunc ibo ut visam, estne ita aurum ut condidi; in 646f. mutmaßt er, dass ein Sklave sein Gold gestohlen und es in seinem Mantel versteckt habe, worauf er diesen anschreit: agedum, excutedum pallium . :: tuo arbitratu. :: ne inter tunicas habeas. Ob und nach welchen weiteren Modellen Petron die Marktszene gestaltete, lässt sich aufgrund der dürftigen Quellenlage vieler Texte schwer klären. Anhaltspunkte bieten Titel und/oder spärliche Fragmente des Mimus Aulularia von D. Laberius; der fabula palliata Tunicularia von Cn. Naevius; der fabula palliata Thesaurus von L. Lanuvinus; der fabula Atellana Rusticus von Pomponius u.a. Gewisse Motive finden sich auch bei Apuleius (siehe CIAFFI 1960, 122–5), zum Beispiel der in einen Mantel eingenähte Schatz in met. 7,4 expromptis mille aureum, quos insutu laciniae contexerat; 7,8 diloricatis statim pannulis

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in medium duo milia profutit aureorum und 7,9 vesteque lautiusculam proferunt, sumeret abiecto centunculo divite. Ferner liegen Analogien zu dem Streit um den Mantel und der Einmischung der cociones in Apul. met. 7,25f. vor: Festnahme des Esels, der alleine unterwegs ist (solitarius) durch den Wanderer; Streit um den Besitz des Tieres, Hirten auf der einen Seite (attrahere gestiunt), auf der anderen der Wanderer (audacia valida resistens), Entscheidung, den Dieb und Mörder den Magistraten vorzuführen, damit aber noch einen Tag zu warten (dies sequens). Zudem bestehen Ähnlichkeiten zu Apul. met. 1,24 (WALSH 1970, 88; VAN DER PAARDT 1996, 71f. mit Lit.; ARAGOSTI 1979, 104 Anm. 12 sieht nur eine generische Ähnlichkeit): Lucius geht auf den Markt (forum cupidinis), kauft Fisch und trifft daraufhin seinen alten Freund Pythias, den Marktaufseher (annonam curamus ... et aedilem gerimus). Schockiert über den Preis des Fisches, befiehlt Pythias dem Verkäufer, die Ware zu zertreten, so dass Lucius selbst am Schluss ohne Geld und ohne Essen dasteht (1,25 et nummis simul privatus et cena). Lucius ist Opfer der magistralen Macht des Pythias, der mit seinem Verhalten seine Kompetenzen als Aufseher weit überschreitet. Sein Auftreten ähnelt dem der cociones bei Petron. Und je nachdem, wie die Geschichte mit dem in der Tunika verborgenen Schatz tatsächlich ausgegangen sein mag, stehen Enkolp und Askylt vielleicht am Ende wie Lucius mit leeren Händen da. Dies zeigt, dass Petron hier aus einem Fundus von Komödien-, Romanund Milesiaka-Motiven schöpft, präzise Abhängigkeiten können daraus jedoch nicht rekonstruiert werden.

4. Symmetrie und Gegensatz Die Szene auf dem Markt funktioniert nach einem der comoedia duplex (die Junktur ist übernommen von Ter. Haut. 6) ähnlichen Muster, deren Handlung auf der parallelen Entwicklung zweier negotia, meist zweier Liebesgeschichten, basiert. Bei Petron verhalten sich die Handlungen der beiden Parteien – Enkolp und Askylt auf der einen Seite, der rusticus und die muliercula auf der anderen – geradezu spiegelbildlich (VAN DER PAARDT 1996, 67 spricht von einer „mirroring scene“). Die Parteien sind abwechselnd Käufer und Verkäufer: Die Besitzer geben sich als Käufer aus, während sich die Käufer als Besitzer entpuppen. Beide sind beides, und diese Symmetrie auf der Handlungsebene kommt auch narrativ und lexikalisch zum Ausdruck.

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Enkolp/Askylt 12,1 veniebamus 12,6 tamquam emptor propius accessit 12,2 laciniam extremam concutere 14,5 explicuimus mercem 12,4 iniecit contemplationem 12,5 conspexi 12,6 diligentius temptavit 14,6 tenere coepimus ... proclamare

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Bauersleute 12,3 propius accessit 12,4 (tunica) super umeros ... emptoris 12,3 diligentius considerare 14,5 inspectis diligentius signis 14,5 latrones tenere clamavit

Diese symmetrisch angelegten Handlungen der beiden Parteien gründen – und das ist der Witz der Szene – letztlich auf einer Asymmetrie: Bei den Streitobjekten – ein prächtiger Mantel und eine (wenn auch nur äußerlich) schäbige Tunika – steht nicht Wert gegen Wert (14,7 sed nullo genere par erat causa [nostra]). So wundert es nicht, dass die cociones über die invidia (Sat. 14,6) spotten, mit der Enkolp und Askylt die Tunika für sich beanspruchen. Eine weitere Symmetrie bilden das Wiedererkennen (des rusticus) bei Enkolp und (der Tunika) bei Askylt, die beide einer Anagnorisis im Epos oder Drama gleichkommen und analog aufgebaut sind, was durch eine parallele sprachliche Struktur verstärkt wird. Der Prozess vollzieht sich in beiden Fällen graduell und gipfelt in kurzen, ausrufartigen Sätzen. Enkolp kommt der Bauer bekannt vor (12,3 familiaris oculis meis), dann erhärtet sich sein Verdacht (12,5 videbatur ille mihi esse qui tuniculam in solitudine invenerat), bis er schließlich Gewissheit erlangt: plane is ipse erat (12,5). Askylt seinerseits heftet seine Augen an die Schultern des Bauern, auf denen die Tunika liegt (12,4 umeros rustici emptoris), tritt näher heran (12,6 detraxitque umeris laciniam) und erkennt die Tunika endgültig wieder: o lusum fortunae mirabilem! (13,1). Daraufhin überprüft er die Einlage (13,2 depositum esse inviolatum vidit) und beurteilt die Tunika als intakt und unberührt: illa est tunicula adhuc, ut apparet, intactis aureis plena (13,3).

5. Sein und Schein Die Tunika, in der sich ein kleiner Schatz verbirgt, scheint nicht wertvoll, ist es aber, während der Mantel mit seinem prächtigen Äußeren wertvoll scheint, es aber (zumindest im Vergleich zur Tunika) nicht ist. VAN DER PAARDT 1996, 71 sieht hierin einen Bezug zu dem bekannten Ausspruch Plautus’ (Plaut. Trin. 1154 tunica propior palliost) sowie der sprichwörtlichen Zeile von Caecilius, zitiert bei Cic. Tusc. 3,56 ‘saepe est etiam sub palliolo sordido sapientia’. Aus dem Sein-Schein-Rätsel resultiert ein Verwirrspiel um Wissen und Unwissen. Die Bauern, im Besitz der Tunika, kennen nicht deren eigentlichen Wert, als sie sie verkaufen wollen. Auch die cociones, die danebenstehen und lachen, wissen nicht von der kostbaren Einlage. Falls sich hingegen das Geld

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nicht mehr in der Tunika befinden sollte (vgl. die Einschränkung 15,8 ut putabamus), wären Enkolp und Askylt am Ende die Unwissenden. Es ist die eingeschränkte Perspektive des Ich-Erzählers, die dieses „Spiel“ ermöglicht (siehe dazu u.a. JONES 1987, 814f.). Die Mantelepisode wird fast durchgehend aus der Perspektive des erlebenden Ichs geschildert. Das gilt auch für die Gedankengänge der Protagonisten. In Sat. 13,1 o lusum fortunae mirabilem! z.B. spricht Enkolp nicht (von seinem späteren Standpunkt) als Erzähler, sondern ausgehend von seinem damaligen Wissensstand als Akteur. Die Gedanken der Bauersleute bleiben deshalb auch unerwähnt, was viele Überraschungseffekte ermöglicht. Erzählerkommentare wie die Beurteilung des Verhaltens der Gegenparteien (15,2 advocati ... qui volebant pallium lucri facere; 15,5 ceterum apparebat nihil aliud quaeri nisi...) sind nicht auktorial, sondern geben die damalige Einschätzung Enkolps wieder. Eine Ausnahme bildet das bereits erwähnte ut putabamus (15,8).

6. Juristenjargon Nicht nur bei den Tischgesprächen der Cena, wo sich die Freigelassenen in umgangssprachlicher und bisweilen vulgärer Diktion unterhalten, sondern auch in den urbanen Teilen der Sat. werden Vokabulare und Stilebenen differenziert und der jeweiligen Situation entsprechend eingesetzt. Nicht selten entstehen dabei komische Effekte und raffinierte Pointen. Während Sat. 1–5 den schwülstigen Deklamatorenstil parodieren und Sat. 6–11 einen erotischobszönen Inhalt in metaphorisch-umschreibende Worte kleiden, fallen die Kapitel der Marktszene durch juristischen Fachjargon auf. PATIMO 2001, 170 spricht von einem „crescendo metalessicale“, in dem die Wörter neben ihrer allgemeinen Bedeutung einen juristischen Sinn haben. Ein grotesker Gegensatz zwischen der Sprache der Justiz und den im illegalen Bereich angesiedelten geschilderten Vorfällen bildet den Auftakt der Szene und beherrscht diese bis zuletzt. Schon die ersten zwei Sätze geben durch ihre Länge und Umständlichkeit (z.B. non quidem ... sed tamen) sowie das juristische Vokabular (v.a. veniebamus in forum; rerum venalium; fidem) einen geschäftlichen Ton an, der in ironischem Kontrast zur Situation steht: Es ist Dämmerstunde (deficiente iam die; obscuritas temporis); das schummrige Licht und die dubiosen Warenangebote bilden das ideale Setting (occasione opportunissima) für zweifelhafte Geschäfte; die eigene, zu verkaufende Ware ist Diebesgut und wird später als solches entlarvt (raptum latrocinio pallium). Als er Sicherheit darüber erlangt hat, dass es sich bei der Tunika um den eigenen thesaurus handelt, fragt Askylt seinen Gefährten, als ob er Jurist wäre: quo iure rem nostram vindicamus? (Sat. 13,3). Beflügelt von der Aussicht, die wertvolle Tunika wiederzuerlangen, macht Enkolp sich zum Anwalt in eigener

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Sache und entwirft sogleich einen Aktionsplan, den er in juristischem Jargon vorbringt (13,4 iure civili dimicandum, ut si nollet alienam rem domino reddere, ad interdictum veniret). Die beiden Strolche präsentieren sich als Opfer. Der Vorschlag, sich auf das Interdikt und das Zivilrecht zu berufen, ist aus juristischen Gründen nicht adäquat, da sie ja selbst Diebe sind. Dasselbe gilt für das moralisierende Gedicht in 14,1/2, das als Plädoyer für Anstand und Gerechtigkeit einen ironischen Kontrast zum Kontext bietet. Die einzelnen Handlungen der beiden streitenden Parteien (Inspizierung der Ware, Beratung, Beschlagnahmung der fremden und Verteidigen der eigenen Ware u.a.) werden wie juristische Verfahrensweisen geschildert: manus iniectio (14,5); rei vindicatio (14,6 tenere coepimus tunicam; proclamare, nostra esse ... quae illi possiderent; 14,7 vindicabant, dazu DEBRAY 1919, 66). Auch die cociones, die als dritte Partei in das Geschehen eingreifen, argumentieren juristisch und treten quasi als advocati auf: flagitabant uti apud se utraque deponerentur ac postero die iudex querellam inspiceret (15,2), in controversiam esse (15,3), quaeri (15,3 und 5); in utraque partis (15,3); latrocinii suspicio (15,3), sequestri (15,4). Doch Enkolp entlarvt sie als advocati ... †iam pene† nocturni, qui volebant pallium lucri facere (15,2); ceterum apparebat nihil aliud quaeri nisi ... (15,5); praedones (15,5). Siehe zur Sprache in den Sat. allgemein PETERSMANN; MÜLLER3 497–505; RUDEN 1994; zu den juristischen Anklängen FOCARDI 1986; GREWE 1993; BAGNANI 1964, 231f.; ARAGOSTI 1979, 107–13. Lit. zu 12–15: PATIMO 2001 und 2002; VAN DER PAARDT 1996; GREWE 1993; FOCARDI 1986; LEFÈVRE 2007.

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Kapitel 12 Enkolp und Askylt gehen auf den Markt, um ihren Mantel zu verkaufen. § 12,1 veniebamus in forum deficiente iam die, in quo notavimus frequentiam rerum venalium, non quidem pretiosarum sed tamen quarum fidem male ambulantem obscuritas temporis facillime tegeret: Wir kamen, als es schon am Eindunkeln war, auf den Markt, wo wir eine Menge käuflicher Waren sahen, zwar nicht wertvolle, aber doch von solcher Art, dass die Dämmerstunde deren auf schwachen Füßen stehende Glaubwürdigkeit ganz leicht verdeckte. Die Szene wird eingeleitet mit einem geradezu formelhaft ausgedrückten Schauplatzwechsel (ähnlich Sat. 11,1 in cellulam redii; 15,8 in deversorium praecipites abimus; 83,1 in pinacothecam perveni; 90,2; 91,3 u.a.) sowie einem Wechsel der Tageszeit (ähnlich Sat. 26,7 venerat tertius dies; 92,1 et iam plena nox erat). Das Setting – die zweifache Erwähnung der Dämmerstunde (deficiente iam die und obscuritas temporis) und die Angabe des Ortes (forum) – lässt ein zwielichtiges Geschehen erwarten. Zahlreiche Szenen in den Sat. ereignen sich in abendlicher oder nächtlicher Stunde (Quartilla-Episode, Cena, Ende der Cena in dunkler Nacht, Begegnung mit dem Soldaten in Sat. 82,2 nocturnus grassator; Episode auf dem Schiff des Lichas). Das forum ist auch bei Apuleius Schauplatz einer scherzhaften Geschichte (Apul. met. 1,24f., siehe Ess. 12–15, 3). In der Komödie ist der Markt ein wiederkehrendes Motiv. Auch wenn er in keiner der überlieferten römischen Komödien Handlungsort ist (PANAYOTAKIS 1995, 21; GARTON 1972, 86), wird oft von Handlungen berichtet, die dort stattgefunden haben (z.B. Ter. Andr. 226. 254; Plaut. Asin. 245. 251). Ein Bühnenausgang führt ja zur Stadt, d.h. zum Forum. veniebamus in forum: Der Ausdruck hat zunächst einen ganz allgemeinen Aussagewert. Im Speziellen steht in forum aber auch für „ad iudices“, seltener für „ad negotium“ (TLL 6.1.1200.81; vgl. z.B. Sat. 58,11 eamus in forum): Auf diese beiden Aspekte wird die Verbbedeutung im Verlauf der Szene ausgeweitet (Handel, Verwicklung in Rechtsstreit). Zur juristischen Nebenbedeutung vieler Begriffe der Marktszene siehe Ess. 12–15, 6 und PATIMO 2001, bes. 170–93. forum bezeichnet im weitesten Sinne einen öffentlichen Platz im Zentrum einer Stadt (zur Frage nach dem Schauplatz der Sat. siehe Einl. 3). Dessen Funktion variierte mit der Tageszeit: Tagsüber wurden dort Handelsgeschäfte und juristische Streitfälle abgewickelt (vgl. Sat. 1–5), nach Sonnenuntergang konnten (gemäß einer im Zwölftafelgesetz erlassenen Vorschrift) keine ehrli-

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chen Aktivitäten mehr auf dem Forum ausgeführt werden, vgl. Lex XII tab. 1,9D solis occasus suprema tempestas esto; Gell. 14,7,8 senatusconsultum ... post occasum solem factum ratum non fuisse; Hor. sat. 1,6,113f. fallacem circum vespertinumque pererro / saepe forum, adsisto divinis mit Porphyrius’ Kommentar: mihi videtur Suburam dicere, quod fere sera hora furtivas res solent eo venum deferre. Siehe zum forum RUOFF-VÄÄNÄNEN 1978; FRAYN 1993; DE LIGT 1993. Der Vorgang im Imperfekt als Tempus der Exposition bildet den Hintergrund bzw. die begleitenden Nebenumstände (HSZ 316 §176; KST I 122 §32,2) zur Haupthandlung im Perfekt (notavimus) und schildert ein lineares Geschehen, dessen Anfang und Ende nicht ins Auge gefasst werden, so auch PELLEGRINO2 187; dagegen PETERSMANN 175, der hier ein erzählendfeststellendes (= narratives, aoristisches) Imperfekt als Merkmal v.a. der Umgangssprache vermutet. deficiente iam die: Der metaphorische Ausdruck bezeichnet den Übergang vom Tag zur Nacht und setzt die Szene von den Komödienvorbildern ab, die immer am Tag spielen. Im präsentischen Abl. abs. steht die Junktur vor Petron nur bei Ov. trist. 5,13,28 deficiente die. Vgl. Sat. 20,5 iam deficiente fabularum contextu; 29,5 in deficiente vero iam porticu; Mela 1,42 atque ubi dies deficit ibi noctem agunt; Tac. ann. 15,44,4 ubi defecisset dies, in usu nocturni luminis urerentur. Siehe zudem PATIMO 2001, 171f. Die Dunkelheit, die gerne für Verborgenes und Verbotenes steht, verweist auf den Lebensstil der Protagonisten, die sich nicht an die geltenden sozialen Regeln halten (Sat. 125,4 extra legem viventibus), und den unseriösen Charakter der von ihnen aufgesuchten Lokalitäten (Bordell als locus secretior in Sat. 7,2 und anfractus obscurissimi in Sat. 8,3). Zum Motiv der Dunkelheit RINDI 1980, 131. frequentiam rerum venalium: Eine genauere Beschreibung der feilgebotenen Ware stünde im Widerspruch zur Dämmerung (BROĪEK 1972, 288). Res venalis ist ein Begriff aus dem römischen Handelsrecht (PATIMO 2001, 172; Gai. inst. 3,141; Mod. dig. 21,1,62) und steht in ironischem Kontrast zu den später als suspekt bezeichneten Waren. Vgl. zum Ausdruck ebenfalls im Zusammenhang mit dem forum Sall. Jug. 47,1 forum rerum venalium totius regni maxume celebratum. non quidem ... sed tamen: Zweigliedrige Ausdrücke, deren erster Teil eine Negation formuliert, die der zweite positiv relativiert, sind bei Petron ein sehr häufiges Stilmittel: Während der zweite Satzteil die Hauptaussage trägt, sorgt der erste für Abundanz im Ausdruck (siehe dazu DELL’ERA 1970, 65–130). Die vorliegende Konstruktion (mit tamen) verwendet Petron jedoch nur hier, und sie ist auch in der restlichen lateinischen Literatur wenig belegt (z.B. Tac. dial. 3,2; Quint. inst. 9,2,57). Gebräuchlicher ist non quidem ... sed.

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non ... pretiosarum: Steht im Gegensatz zum pallium (Sat. 12,2) der beiden Protagonisten, das in Sat. 14,7 als pretiosissima vestis geschildert wird. fidem male ambulantem: Die Bedeutung des Petron eigenen metaphorischen Ausdrucks war bereits Gegenstand zahlreicher Erörterungen. Inhaltlich geht es im ganzen Satz darum, dass die Ware weniger wert ist, als sie in der Abenddämmerung zu sein scheint. Während das erste der beiden von frequentiam rerum venalium abhängigen Attribute (non ... pretiosarum) eindeutig die Qualität der Ware bezeichnet, ist sich die Forschung beim zweiten (quarum fidem male ambulantem ... tegeret) uneinig, ob auf die mangelhafte Qualität (BUR2 MAN 64; PELLEGRINO 185–7 und 2003, 73) oder die zweifelhafte Herkunft der Ware (PANAYOTAKIS 1995, 22 Anm. 10; PATIMO 2001, 172f.; ARAGOSTI 1979, 101 Anm. 3; FOCARDI 1986, 57 Anm. 3) angespielt wird. non quidem ... sed tamen bringt zwei Eigenschaften der rerum venalium in ein parataktisches Verhältnis, wodurch auf semantischer Ebene quarum ... tegeret einen positiven Ausgleich zu non pretiosarum bildet. Es könnte sich demnach um Waren von geringem Wert oder gute Fälschungen handeln, die in der Dämmerung wertvoller erscheinen, als sie wirklich sind – „a great deal of junk on sale, made to look far more expensive than it really is by the veil of twilight“ (RIMELL 2002, 34). Im Kontext muss man fidem male ambulantem jedoch klar als Hinweis auf die zweifelhafte Herkunft der Waren verstehen. Dafür sprechen die zwielichtige Atmosphäre auf dem nächtlichen Forum, das Wort fides, das dem juristischen Vokabular entstammt, der überdeutliche Hinweis auf den Raub des Mantels (Sat. 12,2 raptum latrocinio) sowie der weitere Szenenverlauf (cum ergo). fidem: Bezeichnet alles, worauf man sich verlassen kann („fides est id cui confidi potest“, TLL 6.1.663.61), eine „Garantie“, z.B. in einer Eigenschaft von Dingen, „Zuverlässigkeit“, „Glaubwürdigkeit“, siehe FRAENKEL 1916; ders. in RONCALI 1974, 692. fidem neben male erinnert an die Formel bona fides / mala fides (= „dolus, fraus“) – FRAENKEL ordnet die Stelle in TLL 6.1.681.63 als Spezialform unter „bona / mala fide emere, possidere, vendere“ ein, siehe zudem oben Sat. 11,1 bona fide – sowie an ähnliche Ausdrücke wie z.B. Callistr. dig. 22,5,3,1 quanta fides („Glaubwürdigkeit“) habenda sit testibus. male: Hier im Sinn von non bene (TLL 8.237.6ff.), wie z.B. auch in Sat. 38,13 sociorum olla male fervet, und nicht wie oftmals bei Petron zu non tendierend (male = non, HSZ 455 §241 ; TLL 8.243.18ff.), wie PELLEGRINO 2003, 75 meint. ambulare: Das Verb fungiert bei Petron zumeist als Ersatz für das zweisilbige ire (vgl. z.B. Sat. 129,5 negant enim medici homines sine nervis ambulare), hier personifizierend bei einem abstrakten Begriff (TLL 1.1875.6ff., vgl. z.B. Apul. met. 3,5 stricto mucrone per totam domum caedes ambulet).

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male ambulare steht inhaltlich nahe bei den Verben vacillare (vgl. Arcad./Charis. dig. 22,5,1 quorum fides non vacillat; Modestin. dig. 48,10,27,1 anceps fides vacillat; Sat. 38,12 sed male vacillavit), claudicare (so BURMAN 64; VAN DER PAARDT 1996, 66 – „wie wenn die Göttin Fides hinkt“. Vgl. Cic. fin. 1,69 tota amicitia quasi claudicare videatur; Sil. Ital. 13,33 Dasio fuit haud ignobile nomen / laetus opum, sed clauda fides) oder labare (vgl. Tac. hist. 1,26,1 labare Germanici exercitus fidem; Liv. 32,30,9 labare fidem sociorum). obscuritas temporis facillime tegeret: Das Abstraktum obscuritas ist handelndes Subjekt und Komplize der Straßenhändler. So unterstreicht der Ausdruck die Zwielichtigkeit des nächtlichen Forums. Vgl. ein ähnliches Bild bei Sen. nat. 1,16,6 at illud monstrum obscenitatem suam spectaculum fecerat, et ea sibi ostentabat quibus abscondendis nulla satis alta nox est; Plaut. Poen. 320 quae habent nocturna ora, noctu sacruficatum ire occupant. facillime ist eine „komische Steigerung“ (siehe HOFMANN 91 §84): Die obscuritas temporis vermag den wahren Charakter der Waren eben nicht zu verschleiern, denn Tunika und Mantel werden sofort erkannt. Dies ist ein weiteres Argument für die Diebesgut-Interpretation. Zum Komparativ/Superlativ bei Petron siehe PETERSMANN 111–5. § 12,2 cum ergo et ipsi raptum latrocinio pallium detulissemus, uti occasione opportunissima coepimus atque in quodam angulo laciniam extremam concutere, si quem forte emptorem splendor vestis posset adducere: Da also auch wir selbst den bei einem Raub erbeuteten Mantel mitgebracht hatten, ergriffen wir die hervorragende Gelegenheit und begannen in einem Winkel, ihn beim äußersten Zipfel zu schütteln, gespannt darauf, ob der Glanz des Kleidungsstückes vielleicht einen Käufer anlocken könnte. cum ergo ... detulissemus: Ob die Protagonisten den Verkauf des Mantels (in einem verlorenen Textteil) geplant und das Forum bewusst aufgesucht haben, ist unklar. Es sieht hier aus wie eine ad-hoc-Entscheidung, die sich aber in der Notwendigkeit begründet, den Mantel verkaufen zu müssen (vielleicht wegen der divisio, Sat. 10,4 und 7). ergo kann, je nachdem, ob sie den Entschluss zum Verkauf zuvor geäußert haben oder nicht, folgernd-begründend („also“, „deswegen“) oder in verblasstem und nur weiterführendem Sinn („nun“) aufgefasst werden (siehe KST II 138–45 §175; HSZ 511f. §279; PETERSMANN 257f.). Ebenso kann das Verb deferre entweder allgemein „mitbringen“, „herbeitragen“ oder speziell „zu Markte tragen, zum Verkauf bringen“ („rem vendendam in forum sim“, TLL 5.1.316.12ff.) bedeuten (siehe dazu auch PATIMO 2001, 178 Anm. 36). Zum zweiten vgl. Varro rust. 1,54,2 lecta (scil. uva) defertur in forum vinarium; Colum. 12,13,1 ad forum fructibus deferendis.

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raptum latrocinio pallium: Die Geschichte, wie die Protagonisten an das pallium (ein Mantel bzw. Überwurf von quadratischer oder länglich viereckiger Form, griech. μ ) gekommen sind, ist nicht überliefert (siehe Ess. 12– 15, 1). latrocinio wird häufig (z.B. FRAENKEL in RONCALI 1974, 692; VAN THIEL 1971, 29 Anm. 2; MÜLLER App.) als Interpolation verdächtigt – wohl zu Unrecht. Auch wenn die Geschichte des Raubes wahrscheinlich bereits an anderer Stelle erzählt wurde, wie VAN THIEL 1971, 29 Anm. 2 argumentiert, ist latrocinio nicht überflüssig. latrocinium („Plündern“, „Streifzug“, TLL 7.2.1017.48ff.) bezeichnet entweder allgemein ein „Verbrechen“ oder eine bestimmte Form der rapina, worunter sämtliche Eigentumsdelikte fallen, die mit Gewalt verübt werden – im Unterschied zu furtum, dem Diebstahl ohne Gewaltanwendung (zum Wort GRÜNEWALD 1999, 25f.; RIESS 2001, 44). Der Ausdruck ist deshalb nicht pleonastisch; viel eher unterstreicht er, dass es sich um Raubgut handelt, und verstärkt die dubiose Atmosphäre. Siehe auch unten Sat. 15,3 latrocinii suspicio. Zum dazugehörigen Nomen agentis latro siehe unten Sat. 14,5 latrones tenere clamavit. occasione opportunissima: Für gewöhnlich negativ konnotierte Gegebenheiten (illegaler Markt, Dämmerstunde, dubiose Waren) sind hier „ideale Bedingungen“ (vgl. Sat. 78,8 nos occasionem opportunissimam ... fugimus) und verstärken die Erwartung einer dubiosen Geschichte. Gerade diese „idealen Bedingungen“ werden den Protagonisten später zum Verhängnis; es kommt fast zum juristischen Prozess. uti ... coepimus atque ... concutere: Das Hilfsverb coepi konnte besonders im Latein der Kaiserzeit eine das Perfekt umschreibende, bisweilen sogar rein periphrastische Funktion haben (z.B. Sat. 9,4 coepitque mihi velle pudorem extorquere). Doch wird bei Petron das Verb oft noch in seiner ursprünglich ingressiven Funktion verwendet und bezeichnet den Eintritt einer Handlung (siehe PETERSMANN 189–92, bes. 191; NELSON 1971, 72; LÖFSTEDT, Synt. II, 450–2; HSZ 319 §178 und 796 §39). Auch hier steht coepimus als Scharnier zwischen den Infinitiven und kennzeichnet den Beginn der wirklichen Handlung (obwohl uti weniger zu coepimus passt als concutere). atque ist explikativ verwendet und spezifiziert den vorherigen Gedanken (siehe KST II 22 §153,9). in quodam angulo: Sie treten mit ihrem Mantel in das Halbdunkel – aus Scham oder, um nicht erkannt zu werden, oder weil der Mantel auch dort als wertvoll erkannt wird, vgl. Plaut. Poen. 341f. invendibili merci oportet ultro emptorem adducere: / probat mers facile emptorem reperit, tam etsi in abstruso sitast. laciniam extremam concutere: concutere im Sinn von „schütteln zum Verkauf von etw.“. Die Protagonisten packen den Mantel am äußersten Zipfel

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(vgl. Apul. met. 9,17 extremas manu prendens lacinias), um ihn schütteln zu können; so sollen Interessenten angelockt werden. Ausbreiten werden die Protagonisten den Mantel erst in Gegenwart eines potentiellen Käufers (Sat. 14,5 explicuimus mercem). si quem forte emptorem splendor vestis posset adducere: Die dreifache Abschwächung (si-Satz, forte, Potentialis), die auch in klassischer Zeit nach einem gedanklich zu ergänzenden Verb des Hoffens begegnet (siehe PETERSMANN 265f.; HSZ 666 §366b), steht in ironischem Kontrast zum splendor vestis. splendor vestis: Der Ausdruck ist metaphorisch – das Licht in der Dunkelheit, das die Käufer anlocken soll. Statt des Abstraktums splendor (ltv) steht in diversen Handschriften splendida (dmrtp) als Adjektiv zu vestis. splendor als Agens ist prägnanter als das kraftlose Adjektiv. Vgl. Sat. 12,1 obscuritas temporis. § 12,3 nec diu moratus rusticus quidam familiaris oculis meis cum muliercula comite propius accessit ac diligentius considerare pallium coepit: Und es dauerte nicht lange, da kam ein Bauer, der meinen Augen nicht fremd war, in Begleitung einer Frau näher und begann, den Mantel genauer zu betrachten. nec diu moratus: Die rasante Abfolge der folgenden Geschehnisse wird durch nec diu ... ac ... invicem ... ac subito ... ac angezeigt. Negiertes morari und mora dienen der temporeichen Fortsetzung der Handlung durch die Einführung eines neuen Elements, vgl. u.a. Sat. 78,1 non est moratus Stichus; 126,13 nec diu morata dominam producit; 49,6 non fit mora; 49,10 und 64,7 nec mora; 99,6 haud mora (Wechsel zur Schiffsszene). nec plura moratus u.Ä. ist schon bei Vergil und Ovid eine geläufige Wendung, z.B. Verg. Aen. 5,381 und Ov. met. 12,322. PANAYOTAKIS 1995, 23 spricht von einem theatralischen Element: Das Paar erscheint mit szenischer Pünklichkeit, vergleichbar einem deus ex machina oder einer günstigen Wende durch fortuna oder casus (vgl. z.B. Sat. 15,6f.; 96,4). rusticus: Die Figur des Bauers ist ein literarisch vorgeprägter Typus. Unter den Fragmenten der fabulae Atellanae von Pomponius ist ein Titel Rusticus überliefert (vgl. auch den Epicharms, FRASSINETTI 1967, 61), was heißen könnte, dass der Bauer bereits in den Atellanae zum klassischen Personal gehörte (PANAYOTAKIS 1995, 23 Anm. 11; FRASSINETTI 1967, 108). Der Typus Bauer ist also mit bestimmten Lesererwartungen verknüpft (Armut, Einfalt, ...), auf die auch Askylt hereinfällt (Sat. 13,2 personam vendentis contemptam). rustici sind Landbewohner, gewöhnlich arm, die in die Stadt kommen, um ihre Waren zu verkaufen (FRAYN 1993, 18– 23). Der auf dem Land lebende Bauer bildet außerdem den Gegensatz zum Stadtbewohner (z.B. Hor. sat. 2,6 Stadt- und Landmaus; 2,7,28 Stadt und

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Land; epist. 1,7,83 Städter und Landmann) oder zum Juristen (Hor. ars 212f. indoctus ... / rusticus urbano confusus, turpis honesto; vgl. sat. 1,1,9 agricolam laudat iuris legumque peritus und 17 tu, consultus modo, rusticus). Deutet rusticus zudem auf einen Diebstahl auf dem Land hin (vielleicht ein früherer Schauplatz), im Gegensatz zur Stadt (der jetzige Schauplatz), und ist ein Hinweis auf die geografische Verortung des früheren Geschehens? quidam: Steht oft zur Einführung einer neuen Person, vgl. Sat. 6,4 aniculam quandam; 111,1 matrona quaedam Ephesi. familiaris oculis meis: Beginn einer langen Reihe von Erkenntnisschritten (Anagnorisis), von der Vermutung bis zum sicheren Wissen (siehe dazu Ess. 12–15, 4). Die Dunkelheit, die zuvor mehrfach betont wurde, erlaubt zuerst nur eine vage Vermutung (COCCIA 1973, 27). Enkolp kennt den Bauern lediglich vom Sehen; vgl. auribus meis familiaris in Sat. 100,4, als Enkolp die Stimme Lychas’ erkennt (ähnlich 105,6 notissima voce). Wenig glaubhaft ist VAN THIEL 1971, 29 Anm. 3, der den Ausdruck für „sicher interpoliert“ hält: Enkolp sei sonst ausgesprochen begriffsstutzig und merke immer später als Askylt und nur allmählich, was vorgehe – dies müsse auch hier der Fall sein. cum muliercula comite: Das pleonastische cum ... comite ist (wenn auch selten) belegt (TLL 3.1772.19): Liv. 1,58,1 cum comite uno; 27,31,5; 33,47,10; 40,24,3 cum eodem comite Dida. Zusammen mit dem Diminutiv, der hier die Gering- bzw. Unterschätzung der Frau durch die Protagonisten ausdrückt, ist der Zusatz comite Indiz für die Statistenrolle, die der muliercula unterstellt wird, und kontrastiert ironisch mit dem späteren Handlungsverlauf. Noch ahnt man nicht, dass sie später zur handlungstragenden Protagonistin wird (Sat. 14,5). Vgl. Sat. 19,4 mulierculae, wo Enkolp im Kopf Kampfpaare bildet und zum falschen Schluss kommt, dass die drei Frauen ihnen selbst gegenüber (virilis sexus) chancenlos seien (infirmissimae). Der spätere Verzicht auf den Diminutiv (Sat. 14,5 und 15,2) ist kein zwingender Beweis für einen wertneutralen Gebrauch an dieser Stelle. Petron variiert oft im Fortgang der Erzählung. Vgl. in der Quartilla-Szene: virgine (17,1) und virguncula (18,7); mulieres (19,1) und mulierculae (19,4); bei der Witwe von Ephesos: muliere (111,7), mulierculae (111,10) und mulier (111,13). Zu anicula/anus siehe oben Sat. 6,4 aniculam. Zum Diminutiv siehe HSZ 772–7 §31; GAGLIARDI 1980, 48f.; DELL’ERA 1970, 155; MARBACH 1931, 49–66. propius accessit: Parallel dazu in Sat. 12,6 tamquam emptor propius accessit, wo auch Askylt die Rolle des Käufers übernimmt. Dass accedere hier auch einen jur. Sinn haben soll, wie PATIMO 2001, 179 vermutet, ist eher unwahrscheinlich. diligentius considerare ... coepit: diligentius, in den Hss. ltvp überliefert, hingegen in r gestrichen und in dmt ausgelassen, ist zu halten, gerade weil es

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häufig bei Petron vorkommt, z.B. kurz darauf noch zweimal, Sat. 12,6 diligentius temptavit und 14,5 inspectis diligentius signis; 6,1 diligentius audio; 135,1 inspicere diligentius coepit (dagegen LENNOX 1978, 749). Eine gute Parallele für das Verhalten eines Käufers findet sich bei Mart. 6,82,1f. quidam me modo, Rufe, diligenter / inspectum, velut emptor aut lanista. Zur häufigen Konstruktion Inf. + Komp./Superl. eines Adverbs + coepi siehe MÜLLER3 455f. Zu coepi (hier klassisch ingressiv) siehe oben Sat. 12,2 ... coepi... § 12,4 invicem Ascyltos iniecit contemplationem super umeros rustici emptoris ac subito exanimatus conticuit: Askylt dagegen heftete seinen Blick auf die Schultern des bäurischen Käufers, fuhr plötzlich zusammen und schwieg. invicem: Askylt reagiert auf die Aktion des Bauern. invicem leitet die folgenden parallelen Handlungen ein. iniecit contemplationem super umeros: Parallele Handlung zum diligentius considerare (Sat. 12,3) des Bauern sowie zum conspexi (12,5) Enkolps, der den Bauern wiedererkennt, während Askylt die Tunika (wie später in Sat. 13,3 bekannt wird) auf dessen Schultern erkennt. Die Erwähnung der Tunika bereits an dieser Stelle (wie z.B. BÜCHELER6 möchte, der den Ausdruck für verkürzt hält und im App. zu tunicae contemplatione iniectae super umeros rustici abändert, oder MÜLLER1, der im App. die Ergänzungen super umeris oder super umeros vorschlägt) würde der Szene die Spannung nehmen (so auch FRAENKEL in RONCALI 1974, 693). Die Junktur inicere contemplationem ist ein Hapax, zu erwarten wäre contemplatus est. Es könnte sich um eine metaphorische Bildung nach dem Muster von inicere manum („cum obj. variis“) handeln, unter das die Stelle auch im TLL (7.1.1614.26ff.) eingeordnet ist. Solche periphrastische Ausdrücke sind bei Petron nicht die Regel, vergleichbar wäre das abstrakte intentavimus oculos in proeliantes („wir hefteten die Augen auf die Streitenden“). Zu super, das an die Stelle von in treten kann, siehe oben Sat. 9,2 consedit puer super lectum. rustici emptoris: Entweder fasst man rusticus adjektivisch auf (obwohl rusticus sonst bei Petron nur substantivisch verwendet wird) oder sieht emptoris als Attribut an (so z.B. bei Mart. 8,52,1 tonsorem puerum). Auch wenn das Nebeneinander von rustici und emptoris eine scheinbar redundante Rollenzuschreibung darstellt, besteht kein Grund, eine Interpolation anzunehmen (wie FRAENKEL in MÜLLER App. und RONCALI 1974, 693, der emptoris verdächtigt, oder PARDINI 1996, 191, der rusticus streichen will). Einerseits wird nochmals Sat. 12,2 si quem forte emptorem ... posset adducere in Erinnerung gerufen und andererseits die paradoxe Konstellation veranschaulicht, dass der Käufer

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im Verlauf der Handlung zum Verkäufer resp. die Verkäufer zu Käufern werden (vgl. Askylts Gebaren in Sat. 12,6 tamquam emptor). Auch an anderen Stellen in den Sat. werden Personen mit den für die jeweilige Situation am besten passenden Angaben beschrieben (so z.B. der mercennarius [tonsor] in Sat. 108,8 sowie 103,3. 5; siehe HABERMEHL ad 108,8). subito exanimatus conticuit: subito steht umgangssprachlich für klassisch repente. Petron verwendet beide Begriffe, vgl. LÖFSTEDT, Komm. 168–70. Dass auf das Erschrecken (exanimatus im Sinn von TLL 5.2.1176.74ff. „perturbatus, commotus“) hier Schweigen folgt, ist leicht nachvollziehbar. Schließlich geht es darum, den plötzlich wieder aufgetauchten Mantel zurückzuerlangen, ohne die Bauern hellhörig zu machen. Die Freude über das Wiedersehen wird daher unterdrückt. § 12,5 ac ne ipse quidem sine aliquo motu hominem conspexi, nam videbatur ille mihi esse, qui tuniculam in solitudine invenerat. plane is ipse erat: Und auch ich betrachtete den Mann nicht ohne Regung, denn er schien mir jener zu sein, der in der verlassenen Gegend die Tunika gefunden hatte. Ja, er war es höchstpersönlich. ac ne ipse quidem: ac (hier hervorhebend-steigernd) findet sich des Öfteren in Verbindung mit ne quidem (PETERSMANN 239f.). ne ... quidem wird hier in einer verblassten Bedeutung gebraucht, vgl. Sat. 2,8 ne carmen quidem; 13,1 ne suturae quidem. Das Pronomen ipse unterstreicht den schnellen Fokuswechsel, vgl. unten Sat. 13,4, wo ego als Verstärkung dient. sine aliquo motu: motus im Sinn von „innerer Bewegung“, TLL 8.1536.20ff. („motus animi, mentis“ et al.), wie z.B. Cic. nat. deor. 3,71 sine animi motu; Quint. inst. 4,2,115 sine motu mentis; Cic. leg. agr. 1,24 hoc motu (metu var. l.) atque hac perturbatione animorum nahelegen. Nur t hat motu, ltvdmrp haben metu, dennoch wird Ersteres von den meisten Editoren vorgezogen. motu ist übergeordnet und unspezifisch, während metu eine für uns nicht nachvollziehbare Furcht impliziert und höchstens das Erschrecken Askylts (exanimatus) wieder aufnehmen würde. aliquo (klassisch: ullo) verstärkt die Verneinung sine, siehe dazu HSZ 272 §155. qui tuniculam in solitudine invenerat: Der Satz nimmt auf die verlorene Vorgeschichte Bezug, die sich nicht genau rekonstruieren lässt (siehe Ess. 12– 15, 1). FUCHS 1959, 59 ergänzt qui tunicam, was aber aus dem Kontext schon hervorgeht. Statt tuniculam hat BÜCHELER2–6 tunicam. Doch passt sich der Diminutiv mit seinem „colorito affettivo“ (DELL’ERA 1970, 156) gut in die emotionale Anlage der Situation ein (wie Sat. 13,3 illa est tunicula oder 100,2 coepi somnum obruto tunicula capite mentiri, jedoch

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tunica in 14,6; 15,1 und 7). Mit dem Diminutiv könnte auch auf die Wertlosigkeit der Tunika verwiesen sein (so RONCAIOLI 1961, 19, vgl. Plaut. Rud. 549 redactus sum usque ad hanc unam tuniculam). Siehe zur Verwendung des Diminutivs auch oben Sat. 12,3 cum muliercula comite. plane is ipse erat: Erfolgreicher Abschluss von Enkolps Erkenntnisfindung. ARAGOSTI 1979, 106 Anm. 15 meint, der Satz werde von Askylt gesprochen, was aufgrund des Tempus jedoch unwahrscheinlich ist. Hier gibt der Erzähler (mit innerer Beteiligung und partieller Identifikation mit seiner Figur) Enkolps Meinung wieder, wohingegen Askylt noch zweifelt (sed ...). Siehe Ess. 12–15, 4 und unten Sat. 13,1 o lusum fortunae mirabilem!; 13,3 illa est tunicula. plane dient hier der Unterstützung einer absoluten Identifizierung, vgl. Plaut. Poen. 113 Poenus plane est; Truc. 618 plane istuc est. Siehe SOVERINI 1974–5, 229–33; PETERSMANN 235f.; HOFMANN 73 §69; HABERMEHL ad 87,8. § 12,6 sed cum Ascyltos timeret fidem oculorum, ne quid temere faceret prius tamquam emptor propius accessit detraxitque umeris laciniam et diligentius temptavit: Da aber Askylt seinen Augen nicht traute und um nichts unbedacht zu tun, trat er erst, als wolle er kaufen, näher heran, zog einen Zipfel von der Schulter und untersuchte ihn sorgfältig. timeret fidem oculorum: Die Zweifel GIARDINAS (1983, 243: timaret fidem oculorum) an der Vollständigkeit der Überlieferung sind unbegründet. Auch wenn die Junktur so nur an dieser Stelle erscheint, lassen sich ihre Elemente doch von vergleichbaren Konstruktionen herleiten: timere mit der Bedeutung „dubitare/zweifeln“ dürfte im Sinne einer Analogie von metuere als „metuendo dubitare“ übertragen worden sein (Plaut. Amph. 1106 non metuo quin, „ich zweifle nicht, dass“; Ter. Haut. 720 metuo quid agam). Positiv begegnet der Ausdruck in der Form von oculis suis credere (vgl. z.B. Liv. 39,49,8 nisi ipse oculis suis credidisset; Ps. Quint. decl. 18,12 suis auribus, suis credat oculis). Wie eng das Verb credere und das Substantiv fides semantisch beieinanderstehen, wird deutlich aus Stellen wie Verg. Aen. 4,12 credo equidem, nec vana fides, in denen fides gewissermaßen als Nomen actionis zu credere aufgefasst werden kann (FRAENKEL 1916, 191). fides mit Gen. subj. erscheint gerade im Zusammenhang mit Augen und Ohren häufig (TLL 6.1.684.66ff.), vgl. z.B. Liv. 33,32,7 suarum aurium fidei minimum credentes; Stat. silv. 3,1,8 vix oculis animoque fides. Vgl. auch Sat. 91,2 experimentum oculorum caperem. tamquam emptor: Hypothetischer Vergleich („als ob er ein Käufer wäre“, „als Käufer“) als Indikator für das Spiel mit Sein und Schein. Enkolp schlüpft vorübergehend in die Rolle eines Käufers, um die Tunika genauer betrachten zu können. Vgl. Mart. 6,82,1f. quidam me modo, Rufe, diligenter / inspectum, velut emptor aut lanista.

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proprius accessit ... diligentius temptavit: Analog zur Handlung des Bauern vorher in Sat. 12,3 proprius accessit ... diligentius considerare ... coepit. umeris: NISBET 1962, 230 hält umeris für sonderbar, da nicht explizit gesagt wird, um wessen Schultern es sich handelt. Doch aus dem Kontext geht hervor, dass nur die Schultern des Bauern gemeint sein können (vgl. zudem Sat. 12,4 umeros rustici). laciniam: ARAGOSTI 1979, 106 Anm. 15 meint, die Sicherheit (Sat. 12,6 plane is ipse erat) werde durch die Tatsache redimensioniert, dass das wichtigste Erkennungszeichen lediglich ein Zipfel der Tunika sei. Es könnte jedoch umgekehrt auch ein Zeichen für Deutlichkeit sein, dass schon der Zipfel reicht. Evtl. wird hier auf das literarische Strukturelement der Anagnorisis angespielt, wo sich zwei während längerer Zeit getrennte Personen anhand von kleinen unveränderlichen Merkmalen oder Gegenständen (z.B. Narbe des Odysseus; Haarsträhne des Orest) wiedererkennen. diligentius temptavit: Überliefert ist tenuit, das in tentavit/temptavit (BÜCHE3–6 1–2 LER ; ERNOUT; MÜLLER; DÍAZ Y DÍAZ; PELLEGRINO ; GIARDINA– MELLONI) korrigiert wurde (tenuit durch Silbenausfall > tentavit = temptavit, so BURMAN 66). temptavit ist tenuit inhaltlich vorzuziehen (Askylt nimmt die Tunika und fühlt nach dem Geld, deshalb sein folgender Ausruf). Zu temptare im Sinn von „befühlen“, „untersuchen“ vgl. u.a. Sat. 131,5 temptare coepit inguinum vires; Apul. met. 2,30 his dictis perterritus temptare formam agredior; Plaut. Aul. 647 ne inter tunica habeas. :: tempta qua lubet. tenere ist zwar auch im Sinn von „(in die Hand) nehmen, anfassen“ belegt, u.a. bei Plautus (vgl. OLD s.v. teneo 1b), jedoch immer ohne Adverb: Plaut. Cist. 771 tene tu cistellam tibi, abeamus intro; Curc. 210 tene etiam ... savium; Merc. 149 em, dabitur, tene; Stich. 762 tene tu hoc, educe. Siehe unten Sat. 14,6 scissam et sordidam ... tunicam.

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Kapitel 13 Enkolp und Askylt erkennen ihre Tunika wieder, die der Bauer zum Verkauf anbietet, und beraten das weitere Vorgehen. § 13,1 o lusum fortunae mirabilem! Nam adhuc ne suturae quidem attulerat rusticus curiosas manus, sed tamquam mendici spolium etiam fastidiose venditabat: Was für ein wunderbares Spiel des Glücks! Denn bisher hatte der Bauer noch gar nicht die Nähte mit neugierigen Händen betastet, sondern bot die Tunika sogar verächtlich feil, als handle es sich um eine Bettlern abgeluchste Beute. o lusum fortunae mirabilem!: Akkusativ des Ausrufs, hier zum Ausdruck der freudigen Überraschung des Protagonisten, in dessen Gefühlslage der Erzähler sich versetzt. Der Ausruf bezieht sich hier nicht nur darauf, dass die Protagonisten ihre Tunika wiederfinden (z.B. FOCARDI 1986, 58), sondern vor allem auf die Tatsache, dass der Bauer das eingenähte Geld allem Anschein nach nicht entdeckt hat (z.B. ARAGOSTI 1979, 106). Dies geht aus dem mit nam angeschlossenen Folgesatz sowie der vorangegangenen Befühlung der Tunika (temptavit) hervor. Der Erzähler stellt hier fortuna (entsprechend der griechischen ) als Motor der Handlung dar, was gut zum Genre des Abenteuerromans passt. Die griechischen Romane (und auch die Metamorphosen des Apuleius), in denen Tyche und Eros den Plot steuern, sind voll von glücklichen Zufällen (siehe dazu CIAFFI 1960, 145–51; HEINZE 1899, 502). In den Sat. jedoch, wo fortuna zumeist als unbeständige, unberechenbare oder gar zerstörerische Macht auftritt (z.B. Sat. 82,6 non multum oportet consilio credere, quia suam habet fortuna rationem; 102,1 reliqua fortunae committimus; 125,2 putabamque a custodia mei removisse vultum Fortunam; 133,3 quandoque mihi fortunae arriserit hora; 100,3 quasi destruente fortuna constantiam meam; 101,1 ‘totum me, Fortuna, vicisti’; 114,8 sed non crudelis fortuna concedit), ist die Stelle eher eine Ausnahme. Vgl. weiter in dieser Szene Sat. 13,4 fortuna me a turpissima suspicione dimiserat und 15,7 casus adiuvit. Zum Bezug zur fortuna der griechischen Komödie siehe ARAGOSTI 1979, 103–5. Aussagen über die Beziehung zur fortuna im Mimus (ROSENBLÜTH 1909, 46f.) und zur fortuna in Verbindung mit der fabula milesia (WALSH 1970, 88; STUBBE 1933, 1–20) bleiben vage. Zum „Spiel“ der fortuna vgl. Hor. carm. 2,1,3 ludumque Fortunae; 3,29,49–51 Fortuna saevo laeta negotio et / ludum insolentem ludere pertinax / transmutat incertos honores. Die Interjektion o beim Akkusativ des Ausrufs ist gehobene Diktion und findet sich bei Petron nur in den urbanen Partien (PETERSMANN 59f.; 108).

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Siehe zu o, oh HOFMANN 20f. §23; vgl. Sat. 24,2 ‘o, inquit, hominem acutum ... ‘; TLL 9.2.11.27ff. ne ... quidem: Die genaue Bedeutung von ne ... quidem ist auch hier (vgl. oben Sat. 2,8 ne carmen quidem; 12,5 ac ne ipse quidem) schwer zu ermitteln: „Nicht einmal die Nähte“ ist insofern unbefriedigend, als mit dem Betasten der Nähte der Schatz schon so gut wie entdeckt gewesen wäre. Obwohl ne lediglich in m überliefert ist (nec in ldrtp), ist es ratsam, hier mit MÜLLER (ERNOUT; GIARDINA–MELLONI) in ne ... quidem umzuändern (dagegen verteidigen nec BÜCHELER1–6, PELLEGRINO1–2; PETERSMANN 1975, 121f.; 1977, 231f.). nec ... quidem ist zwar auch an anderen Stellen der Sat. (102,7; 110,4; 112,2; 134,2) sowie nachklassisch bezeugt (z.B. Vitr. 2,6,5 nec nominantur quidem; Sen. contr. 2,1,7; 7,4,1), doch empfiehlt sich eine Beibehaltung von nec nur dort, wo es auch kopulative Funktion hat (Sat. 112,2; 134,2). Siehe HSZ 450 §241; KST II 45f. §157; PETERSMANN 232; HABERMEHL ad 102,7. Abwegig ist PELLEGRINOS2 (118) These, die Stelle sei ein zweiter Fall von nec=non (vgl. Sat. 6,3) und müsse mit „non ... certamente ancora“ / „sicher noch nicht“ (quidem bestätigend) übersetzt werden. attulerat ... curiosas manus: manus afferre „Hand anlegen“, „untersuchen“ im Sinn von manus/vim inferre/admovere (TLL 1.1205.17ff.). Das Adj. curiosus, hier in/als Enallage mit manus, findet sich oft in Kombination mit Körperteilen und Sinnesorganen: Cic. Sest. 22 curiosis oculis; Sat. 26,4 oculum curiosum; Sen. epist. 108, 39 auribus erectis curiosisque (vgl. TLL 4.1493.24ff.). mendici spolium: „Bettlerkleid“, „Bettelfetzen“ (EHLERS), vgl. spoliare („sich bekleiden“) und heute im Ital. „spoglia“ („Gewand“); analog zu Enn. scaen. 339 bzw. 341 mendici stola (TLL 8.709.3ff.), wörtlich jedoch „einem Bettler abgenommene Beute“. Die Bedeutung von spolium als „Beutestück“ ist noch sichtbar, wie die nochmalige Verwendung des Begriffs in Sat. 14,6 proclamare nostra esse spolia und die Bezeichnung der tunica als praeda in 13,4 praedam videbam und 14,4 ne interim praeda discederet zeigen. Aufgrund der fehlenden Vorgeschichte lässt sich nicht sagen, ob mendici spolium eine präzise Aussage darüber ist, was die Tunika in den Augen des Bauers (Enkolps Meinung nach) ist. Enkolps Aussage kann auch lediglich auf die Einfalt des Bauern zielen, der mit der Tunika – die tatsächlich wie ein Bettlerlumpen aussieht (Sat. 14,6 scissam et sordidam; 14,8 pannuciam ne centonibus quidem bonis dignam) –, „als hätte er sie einem Bettler abgeluchst“, einen dürftigen Fund gemacht zu haben glaubt. venditabat: Die Emendation von GEORGES 1967, 130 zu ventilabat drängt sich nicht auf.

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§ 13,2 Ascyltos postquam depositum esse inviolatum vidit et personam vendentis contemptam, seduxit me paululum a turba et ‘scis’ inquit ‘frater, rediisse ad nos thesaurum de quo querebar?: Als Askylt sah, dass die Einlage unangetastet und der Verkäufer ärmlich war, führte er mich aus der Menge ein wenig beiseite und sagte: „Weißt du, Bruder, dass der Schatz, dessentwegen ich bei dir Klage geführt habe, zu uns zurückgekehrt ist? depositum: „das, was abgelegt/sicher untergebracht wurde“, hier das eingenähte Gold als res deposita (dafür spricht auch Sat. 13,3 intactis aureis). Bemüht ist der Versuch von DANIEL und ERHARD bei BURMAN 66, depositum auf die Tunika selbst zu beziehen, die Askylt dem Enkolp einst anvertraut hat (depositum=mandatum), woraufhin dieser sie verlor (vgl. Sat. 13,4 turpissima suspicione). personam vendentis: persona mit Gen. oft im technischen Sinn, z.B. in der juristischen Sprache (TLL 10.1.1724.47ff.; 1715.70f.; 1720.8ff.): Pompon. dig. 21,2,27 exceptiones ex persona emptoris obiectae si obstant, venditor ei non teneatur, si vero ad personam venditoris respicient ... Vgl. Sat. 12,1 rerum venalium. contemptam: scil. esse. Part. Perf. für Adj. (= „contemnendus“), „geringgeschätzt, unbedeutend, niedrig, gemein“, vgl. z.B. Cic. Brut 96 non contemptus orator; Quint. inst. 6,1,16 a vili aliquo contemptoque vel ex contrario a potente nimium; Sen. dial. 5,43,1 quid illum oblatrantem tibi, humilem quidem et contemptum sed superioribus acidum ac molestum, exterere viribus tuis temptas?; TLL 4.645.7ff. paululum: Im Sinn von „spatium parvulum“, bei Verben der Bewegung vgl. z.B. Plaut. Asin. 925 abscede ergo paullulum istuc; TLL 10.1.827.34ff. scis ...: Übergang zur direkten Rede, die den nachfolgend berichteten Geschehnissen besondere Authentizität verleiht; dazu trägt auch der kolloquiale Charakter der Äußerung bei: Sogenannte Bestätigungsfragen stehen (wegen ihrer Ähnlichkeit zum Aussagesatz) in der Umgangssprache oft ohne Fragepronomen, siehe PETERSMANN 261; HSZ 460f. §245; KST II 501–3 §229. frater: Siehe oben Sat. 9,2 frater. thesaurum: „Schatz“, im Sinn von „collection of precious objects“ (OLD s.v. thesaurus 2), vgl. z.B. Plaut. Asin. 277 omnem in tergo thensaurum gerit, hier Geldwert (Sat. 13,3 aureis). Wir wissen nichts Näheres darüber, siehe Ess. 12– 15, 1. querebar: queri ist nach BURMAN 67 und PATIMO 2001, 183 ein juristischer Archaismus (steht für agere oder accusare), der mit der Zeit seinen juristischen Sinn verloren hat. Der Singular deutet darauf hin, dass sich die Rolle Askylts in Bezug auf Besitz und Verlust des Schatzes von jener Enkolps unterscheidet. Denkbar ist, dass Askylt der ursprüngliche Besitzer war; fast sicher ist, dass Enkolp den

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Verlust verschuldet bzw. anderweitig in diesen verwickelt war, was turpissima suspicione in Sat. 13,4 nahelegt. § 13,3 illa est tunicula adhuc, ut apparet, intactis aureis plena. quid ergo facimus, aut quo iure rem nostram vindicamus?’: Das dort ist die Tunika, die anscheinend noch voll von unberührten Goldstücken ist. Was also tun wir, und mit welchem Recht beanspruchen wir unser Eigentum?“ illa est tunicula: Nachdem Enkolp zuvor bereits den Bauern wiedererkannt hat (Sat. 12,3 familiaris oculis meis; 12,5 plane is ipse erat), erlangt nun Askylt letzte Gewissheit darüber, dass es sich bei der Tunika um die eigene handelt, siehe dazu Ess. 12–15, 4. Zum Diminutiv siehe oben Sat. 12,5 ... tuniculam ... ut apparet: Der Zusatz schränkt nicht ein („scheinbar“), sondern bekräftigt („allem Anschein nach“), so auch FUCHS in MERKELBACH 1963, 192 Anm. 7. Er bezieht sich auf das vorherige temptavit (Sat. 12,6). Als Askylt fühlt, dass die Nähte und die Einlage unberührt sind, schließt er logischerweise darauf, dass das Gold noch in der Tunika steckt. Doch scheint der Ausdruck bis zu einem gewissen Grad das spätere ut putabamus vorzubereiten. Er unterstreicht hier, dass Askylt voreilig von Schein auf Sein schließt. intactis aureis plena: Der Ausdruck beinhaltet zwei Aussagen: Erstens befinde sich die Einlage noch im Mantel (plena), und zweitens handle es sich um die echten Goldstücke (intactis aureis). aurei sind römische Goldmünzen und stehen zuoberst in der Werteskala. Ein aureus entspricht zur Zeit Neros 400 As = 25 Denaren = 200 Dupondien (vgl. Sat. 14,3, wo Enkolp und Askylt nur einen Dupondius in der Tasche haben). Die aurei erscheinen in den Sat. später wieder (dieselben? nur, wenn sie den Schatz wiedererlangen), als Enkolp zwei Goldstücke als Sühne für die getötete Gans anbietet (Sat. 137,6 ecce duos aureos pono). Zu aurei bei Petron siehe BODEL 2003, v.a. 276–9. ergo: Überliefert ist in lm ergo, in drtp igitur. Beides sind gebräuchliche Partikel der logischen Folgerung („also“), wobei ergo bei Petron wesentlich häufiger zu finden ist. quid-facere-Sätze existieren mit beiden Partikeln: u.a Ter. Eun. 46 quid igitur faciam?; 966 quid igitur faciam miser? Aber auch Cic. fam. 9,26,1 quid ergo faciam? Zu ergo und igitur siehe HSZ 511–3 §279; PETERSMANN 257–9. facimus: Ind. anstelle des Konj. in konsultativ-deliberativen Fragen ist als Merkmal der Umgangssprache seit Plautus gebräuchlich (vgl. z.B. Catull. 1,1 cui dono lepidum novum libellum), siehe PETERSMANN 193f.; HSZ 308 §172 Zusatz a. aut: aut nimmt zur Trennung zweier Fragen (auch wenn diese nicht alternativ sind) in der Alltagsrede häufig die Stelle von et ein (siehe HSZ 498 und 500

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Zusatz c §269); PETERSMANN 245. Die zweite Frage ist hier eine Präzisierung der ersten, vgl. Sat. 17,4 u.v.m. quo iure: „aufgrund welcher Rechtslage“, Standardausdruck der juristischen Sprache, hier im erweiterten Sinne als „mit welcher Möglichkeit (zu unserem Recht zu kommen)“ zu verstehen: ius = potestas („Möglichkeit“: TLL 7.2.689.36ff.). Die Frage zielt weder auf den Besitzanspruch, von dem beide Protagonisten überzeugt sind, und damit auf die Berechtigung, die Rückgabe der Tunika zu fordern, noch allein auf das institutionelle Recht ab („auf welchem legalen Weg oder mit welchem rechtlichen Mittel“), wie z.B. DEBRAY 1919, 62 Anm. 5; PATIMO 2001, 184; EHLERS („auf welchem Rechtswege“); ARROWSMITH („should we bring a formal complaint against him in court ...?“); WALSH („lawfully claiming“); CIAFFI („a che titolo di legge“) meinen. Denn Askylt selbst lehnt später den Rechtsweg klar ab (Sat. 14,1 Ascyltos leges timebat). Auch Enkolps Äußerungen deuten darauf hin, dass der Ausdruck hier weit gefasst ist: Obschon er sich sogleich für plane iure civili ausspricht, erwähnt er doch die alternative, nicht zwingend auf den Rechtsweg bezogene Handlungsmöglichkeit circuitu. vindicamus: vindicare ist ein t.t. aus der juristischen Fachsprache und spielt auf das Prozedere einer vindicatio („Eigentumsherausgabeklage“) an. Sie ist die Klage des nichtbesitzenden Eigentümers gegen den besitzenden Nichteigentümer auf Feststellung des Eigentums und Herausgabe der Sache: Der Anspruchsteller ergriff die Sache, berührte sie mit einem Stab und sagte eine Spruchformel auf (Gai. inst. 4,16; HEUMANN–SECKEL s.v. 1aa). Daraufhin machte der Gegner dasselbe. Siehe KASER I 126–31 §32; KASER–HACKL 89– 107 §14; FOCARDI 1986, 58–60. Hier ist die Grundbedeutung abgeblasst im Sinn von „beanspruchen, in Anspruch nehmen“, z.B. Cic. off. 1,2 videor id meo iure quodam modo vindicare. Askylt will nicht vorschlagen, rechtliche Schritte einzuleiten (siehe oben quo iure). Dennoch wird hier auf den Fachausdruck angespielt als Teil einer gelehrten Ausdrucksweise, die im ironischen Gegensatz zum Erfahrungshintergrund und allgemeinen Gebaren der Protagonisten steht. Im weiteren Verlauf des Geschehens wird es gleichwohl zu einer (symbolischen) vindicatio kommen, siehe unten Sat. 14,5 zu manus ...iniecit und 14,6. Lücke?: Nach vindicamus ist in l und r eine Lücke vermerkt (in lm DESUNT). Die Lücke ist entweder falsch gesetzt (siehe zur Problematik der unzuverlässigen Asterisken in L Einl. 2) oder enthielt Informationen, die wir nicht vermissen: negavi circuitu agendum könnte auf einen ausgefallenen Vorschlag Askylts antworten. Vgl. auch die Subjektsellipse in 13,4 si nollet ... reddere. § 13,4 exhilaratus ego non tantum quia praedam videbam, sed etiam quod fortuna me a turpissima suspicione dimiserat, negavi circuitu agendum, sed plane iure civili dimicandum, ut si nollet alienam rem domino reddere,

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ad interdictum veniret: Ich war hocherfreut, nicht nur, weil ich die Beute sah, sondern auch, weil das Glück mich von einem schändlichen Verdacht befreit hatte. Ich plädierte dafür, nicht auf Umwegen zu handeln, sondern direkt nach Zivilrecht zu kämpfen, so dass er, wenn er die fremde Sache nicht dem Eigentümer zurückgeben wolle, zum Interdikt kommen müsse. exhilaratus: Partizip in der Anfangsstellung zur Beschleunigung der Handlung (SCHÖNBERGER 1946, 162). exhilaratus ist bei Petron weniger gebräuchlich als hilaris. ego: Siehe oben Sat. 12,5 ac ne ipse quidem. non tantum quia ... sed etiam quod: Zwei parallele Kausalsätze in antithetisch-steigernder Ausdrucksweise zur Emphase des zweiten Aussageteils, siehe oben Sat. 12,1 non quidem ... sed tamen und vgl. 13,4 negavi ... sed und si nollet ... Nach Verben des Affekts findet sich bei Petron mit Ausnahme dieser Stelle ausschließlich quod, nicht quia. praedam: Die im Besitz des Bauern befindliche Tunika wird von den Protagonisten mehrfach als „Beute“ bezeichnet (so auch in Sat. 13,1 spolium; Sat. 14,4 ne interim praeda discederet; 14,6 proclamare nostra esse spolia; vgl. außerdem Sat. 79,12 partiti manubias sumus, wo allerdings kaum von der Tunika, allenfalls von den aurei die Rede ist). Der Begriff deutet auf eine (im erhaltenen Text nicht erwähnte) frühere verbrecherische Inbesitznahme der Tunika durch die Protagonisten und die beabsichtigte Wiedererlangung der Tunika bzw. ihres wertvollen Inhalts hin, der die eigentliche Beute darstellt. Möglich wäre auch, „Beute“ auf den Bauern zu beziehen qui tuniculam in solitudine invenerat (Sat. 12,5). fortuna: Zu fortuna siehe oben Sat. 13,1 o lusum fortunae mirabilem! turpissima suspicione: Es ist unklar, worauf sich der Verdacht bezieht. Evtl. hatte Askylt Enkolp in Verdacht, die (ihm evtl. zuvor anvertraute) Tunika verloren oder gar gestohlen zu haben, um sich an dem Schatz zu bereichern. Wie es zum Verlust kam, ist ebenfalls nicht klar, siehe Ess. 12–15, 1. negavi circuitu agendum: Bezieht sich auf Askylts Frage nach dem weiteren Vorgehen und steht als abzulehnende Alternative in Opposition zu iure civili dimicandum (zur antithetischen Ausdrucksweise siehe oben Sat. 12,1 non quidem ... sed tamen). circuitu ist im übertragenen Sinn als „auf Umwegen, mit Umtrieben“ zu verstehen, vgl. u.a. Sen. epist. 81,19 bonum exemplum circuitu ad facientem revertitur, so ordnet auch der TLL 3.1105.83ff. die Stelle ein. Dass circuitu speziell im juristischen Sinn zu verstehen ist („in legibus, edictis“, TLL 3.1106.52–9), wie SOVERINI 1974–5, 230 meint, ist nicht anzunehmen (siehe oben Sat. 13,3 quo iure) – auch wenn mit agere der Fachausdruck für „Klage“ (actio) verwendet wird. Ebenfalls nicht vordergründig ist, dass Enkolp die moralische Unanfechtbarkeit seines Vorschlags herausstreichen will („nicht mit List, Täuschung, Betrug agieren, sondern ...“), wie SOMMARI-

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1997, 24 Anm. 46 und BURMAN 67 vermuten. Vielmehr bringt dieser zum Ausdruck, dass er und Askylt als Eigentümer der Tunika per se ein Recht auf ihren Besitz haben, das sie lediglich öffentlich einzufordern brauchen. Klassisch hat der Ablativ ohne Attribut zumeist ein cum bei sich, doch in der älteren Sprache und auch bei Petron herrscht ein freierer Sprachgebrauch (so auch in Sat. 51,5; 113,1; 132,4). Siehe HSZ 116f. §77; KST I 408f. §81; PETERSMANN 95; LÖFSTEDT, Synt. I, 216–20. plane: Der Begriff ist hier entweder wie in Sat. 12,5 bekräftigend zu verstehen oder im ursprünglichen Sinn von „mit klaren Worten, ausdrücklich“. Die auffällige (und vermutlich gewollte) Wiederaufnahme des Wortes durch Askylt in Sat. 14,1 mihi plane placet emere spricht weder für den einen noch für den anderen Sinn (anders SOVERINI 1974–5, 230, der das Zweite deshalb nicht für wahrscheinlich hält). iure civili dimicandum: Enkolp antwortet auf Askylts Frage in Sat. 13,3 quo iure ... Mit iure civili findet eine Verengung des Begriffs ius statt. ius civile steht hier gemäß der juristischen Fachterminologie für das dem römischen Volk eigentümliche „Zivilrecht“ im Gegensatz zum ius honorarium („Amtsrecht“), das auf dem imperium der Magistrate beruht. Siehe zu den anderen, hier auszuschließenden Bedeutungen von ius civile KASER I 198–202 §49. Enkolp und Askylt betrachten sich als rechtmäßige Eigentümer der Tunika. Als solchen steht ihnen nach dem ius civile die Möglichkeit zu, ihr Eigentum zurückzuverlangen. Enkolps Vorschlag bedeutet also, dass er, dem ius civile entsprechend, zum Bauern treten und die Herausgabe der Tunika fordern will. Dies kann mit der Vindikationsformel meum esse aio geschehen. Schweigt darauf der Bauer, können die Eigentümer ihre Tunika an sich nehmen; antwortet er jedoch seinerseits mit meum esse aio (was heißt, dass er nollet ... reddere), soll der Rechtsweg beschritten werden. Wer nach dem ius civile um Eigentum streiten will, kann dies, wie Enkolp es vorsieht, zunächst mit dem Interdikt versuchen (obwohl dies dem ius honorarium in der Kompetenz der Prätoren angehört). Deshalb besteht keine Notwendigkeit, ius civile in einem untechnischen Sinn aufzufassen, so dass Enkolp den Streit generell unter Berufung auf das römische Recht schlichten möchte (so DEBRAY 1919, 63f.; FOCARDI 1986, 61 Anm. 13; PATIMO 2001, 184), oder Petron (bzw. Enkolp) juristische Ungenauigkeit zu unterstellen (so ARAGOSTI 1979, 107; GREWE 1993, 41 Anm. 22). BAGNANI 1964, 231 deklariert civili gar als Glosse. Der Ausdruck passt jedoch gut in das Gefüge der von den Protagonisten verwendeten juristischen Begrifflichkeiten (Sat. 13,3 quo iure, rem vindicamus; 13,4 alienam rem domino reddere, interdictum usw.), das einen komischen Kontrast zur nonkonformen Lebens- und Gedankenwelt der beiden bildet. VA

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si nollet alienam rem domino reddere: Als Subjekt (Subjektsellipse in nollet ... veniret) ist der Bauer zu denken. BÜCHELER2–6 will die Pluralformen nollent und venirent, was aber nicht nötig ist, weil nur der Bauer als Person überhaupt der Betrachtung wert scheint, vgl. oben Sat. 12,3 cum muliercula comite; 13,2 personam vendentis. aliena res bezeichnet die fremde, d.h. jemandem nicht als Eigentum gehörende Sache und verleiht der Passage zusammen mit domino einen juristischen Ton. Mit dominus im jur. Sinn (TLL 5.1919.37ff.) meint man oft den Eigentümer (dominus, hier Enkolp und Askylt) in Abgrenzung zum Besitzer (possessor, hier der Bauer), vgl. z.B. Ulp. dig. 43,17,1,2. Die Formulierung domino reddere entstammt ebenfalls der Rechtssprache, vgl. Ulp. dig. 47,2,66(65) qui ea mente alienum quid contrectavit, ut lucri faceret, tametsi mutato consilio id domino postea reddidit fur est. An domino sollte deshalb nicht gezweifelt werden (wie dies FRAENKEL bei MÜLLER1 praef. XIV und PELLEGRINO2 20 tun), auch wenn domino nicht einheitlich überliefert ist (nur in ltvp2r, wobei in l nachträglich vorne an die Zeile angefügt, siehe RICHARDSON 1993, Plate 15, und in r durchgestrichen; dafür aber zusätzlich in CUJAS Observationes, Buch 5, c.17 [1562] vorhanden: Petronius Arbiter in Satyrico: ‘dixit’ inquit’ iure civili dimicandum, ut si nollet alienam rem domino reddere, ad interdictum veniret’). domino bildet hier ein komisches Element, steht es doch im Kontrast zur schäbigen, vermeintlich wertlosen Tunika, die der Bauer achtlos zum Verkauf anbietet. Die Ausführung des Wenn-nicht-dann ist wiederum Stilmittel der Abundanz, siehe dazu oben Sat. 12,1 non quidem ... sed tamen. interdictum: Juristisches Schnellverfahren, das eine Vorstufe zum Eigentumsstreit bedeuten kann, in dem der Prätor einer der beiden streitenden Parteien den Besitz einer Sache einräumt. Im Fall von beweglichen Sachen handelt es sich um ein interdictum utrubi, bei dem der angefochtene Besitz ohne Anhörung der Parteien demjenigen zugesprochen wird, der ihn den größeren Teil des Jahres (vor der Interdiktserlassung) im Verhältnis zum Prozessgegner fehlerfrei (d.h., dass er die Sache von seinem Gegner weder gewaltsam [vi] noch heimlich [clam] noch aufgrund einer Bittleihe [praecario] erlangt hat, Gai. inst. 4,150) besessen hat; siehe DEBRAY 1919, 62–6; KASER–HACKL 408– 21 §62f.; KASER I 396–400 §96; II 256–61 §240. ad interdictum venire ist in der lat. Lit. nur selten belegt, dafür noch ein zweites Mal bei Petron in Sat. 83,5 si venturum ad interdictum Herculem (TLL 7.1.2177.35f.). Sonst meist in der Variante in interdictum venire (Ulp. dig. 43,16,1,34) oder ad interdictum ire (African. dig. 43,30,4) u.a. Gemeint ist konkret, dass der beklagte rusticus im Falle eines Interdikts vor dem Magistrat zu erscheinen hätte. veniret: Siehe zur Subjektsellipse oben Sat. 13,4 si nollet ...

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Kapitel 14 Die beiden Parteien reißen sich gegenseitig Tunika und Mantel aus den Händen. § 14,1 Verspassage (= Sat. 14,2 MÜLLER) Die drei an dieser Stelle überlieferten Distichen werden von vielen Editoren auf ANTONS Anregung seit BÜCHELER1 hinter Sat. 14,1 gestellt (mit Ausnahme von PELLEGRINO2 28f. und ders.1 231f.; JENSSON 2004, 9). Sie fügen sich weder an der einen noch an der anderen Stelle gut in den Text ein, die Verschiebung bringt also keine Verbesserung mit sich, sondern reißt den Prosatext unnötig auseinander. Die Distichen erscheinen in L – in O Y sind sie ohne Kontext überliefert (wobei nur V.1. 2. 5 enthält) – im Anschluss an Enkolps Vorschlag, den Rechtsweg zu beschreiten. Dort ergeben die Verse, in denen die Korruption der Gerichte beklagt wird, wenig Sinn, da sie Enkolps eben geäußertem Vorhaben zuwiderlaufen. Mit der Verschiebung gingen die Worte an Askylt über, dessen Sichtweise sie jedoch genauso wenig entsprechen. Zwar ist er der Justiz gegenüber kritisch eingestellt, seine Vorbehalte hinsichtlich eines Gerichtsprozesses beziehen sich aber darauf, dass die beiden Protagonisten niemanden in der Stadt kennen, und nicht darauf, dass sie arm sind und deshalb keinen Prozess gewinnen können. Zudem passt eine in Versen vorgetragene Sitten- und Moralkritik durch Askylt, der auch sonst nie in Versen spricht, dramatisch nicht in diese Situation, in der schnelles Handeln nötig ist (Sat. 14,4 ne interim praeda discederet). Aus diesen Gründen empfiehlt es sich, die Verse an ihrem ursprünglichen Ort zu belassen. So können die Verse dem Erzähler zugeschrieben werden (so auch JENSSON 2004, 223), der sich hier plötzlich unterbricht und seine eigene Meinung zum Thema anbringt. „It is in the nature of prosimetry that the narrator can dispense with declarative statements when switching from one discourse type to another“ (JENSSON 2004, 9). Nicht auszuschließen ist aber, dass die Distichen – aufgrund der Themenverwandtschaft und des juristischen Wortschatzes – fälschlicherweise in dieser Szene verortet wurden oder dass der unmittelbare Kontext der Verse fehlt und deshalb von Lücken vor und nach dem Gedicht auszugehen ist (so PELLEGRINO1–2). Siehe zum Thema der Platzierung VAN THIEL 1971, 11; SOMMARIVA 1997, 23 Anm. 42; PELLEGRI2 NO 28f.; JENSSON 2004, 9. 223f. Das Gedicht ist in elegischen Distichen verfasst wie Sat. 18,6; 80,9; 82,5; 109,9; 126,18; 132,15; 137,9; alle diese Verspassagen handeln von öffentlicher oder privater Moral und sind ironisch gefärbt. Für PARATORE II 43 bedeutet die Wahl des Versmaßes eine direkte Bezugnahme auf die griechische gnomische Elegie. ARAGOSTI 1979, 108 Anm. 21 spricht dagegen nur von einer

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Assoziation („un’associazione intenzionalmente ‘facile’“). Andere sehen darin die damals aufgekommene Mode parodiert, elegische Verse für Moralisierungen zu benutzen (CAHEN 1925, 45f.; WALSH 1970, 88). Nach SLATER 1990, 163 Anm. 12 wird die erhabene Form der Verse durch deren Inhalt ironisiert. Sie bewirkt einen formalen Bruch mit der Romanerzählung und ist ein klares Ironiesignal: Wir haben es hier nicht mit einer ernsthaften Klage über den allgemeinen Sittenverfall zu tun, sondern mit einem satirischen Spottgedicht. Die Lyrisierung wird durch den ausgiebigen Gebrauch rhetorischer Stilmittel zusätzlich gesteigert: die vielen Alliterationen wie traducunt tempora – non numquam nummis – vendere verba – nihil est nisi – atque eques (in V.4 sogar in Form zweier Homoioarkta, bemerkt von ARAGOSTI 1979, 108 Anm. 21), das Aufeinanderfolgen von Dentalen und Labialen in der zweiten Hälfte von V.6. Teil des Vokabulars ist eine Reihe von Ausdrücken, die nicht nur der Sphäre der Justiz angehören, sondern gleichzeitig auch jener des Marktes, der ja den Schauplatz der Szene darstellt (pecunia, nummis, vendere, merces, empta), siehe dazu ARAGOSTI 1979, 108f. und SOMMARIVA 1997, 27. Der Markt wird zu einem Gericht und das Gericht zu einem Markt, auf dem ein iudicium wie eine merces gegen Geld zu haben ist („far mercato della giustizia“ nach dem Aufsatztitel von SOMMARIVA 1997). Inhaltlich bauen die drei Distichen logisch aufeinander auf: Das erste skizziert in Form einer Frage die Problematik, welche das zweite durch ein Exemplum illustriert und unterstreicht; das dritte liefert die abschließende Erkenntnis und stellt die Antwort auf die Eingangsfrage dar. Die Omnipotenz des Geldes sowie die Kritik an der Justiz sind gnomische Topoi. Ersterer ist schon Thema bei Alkaios (frg. 360V μ ’ ) und findet später v.a. im Mimus (Publ. Syr. pecunia unum regimen est rerum omnium) sowie in der Satire (Lucil. 1128K tantum habeas tantum ipse sies tantique habearis) seinen Niederschlag, siehe ARAGOSTI 1979, 108 Anm. 19. In der urbs Graeca dreht sich wie im Rom des Horaz (epist. 1,6,37 regina Pecunia) oder Juvenal (z.B. 1,112ff. über die sanctissima divitiarum maiestas; für weitere Stellen siehe CICU 1992, 48 Anm. 47) alles ums Geld. Das Thema Geld ist bei Petron v.a. in der Cena (z.B. Sat. 77,6 assem habeas, assem valeas) und der Croton-Szene präsent. Auch Eumolp bedient sich des Topos im Gedicht Sat. 83,10 und in 84,2 deinde qui solas extruere divitias curant. In direkter Verbindung mit der Allmacht des Geldes steht die Korruption der Justiz. Die Klage darüber wurde im 1. Jh. n. Chr. zum locus communis (v.a. die Bestechlichkeit der Richter, Advokaten, Zeugen): Varro Men. 497–9A ubi tum comitia habebant, ibi nunc fit mercatus / quod leges iubent, non faciunt: fervit omnino / avidus iudex reum ducebat esse μ (siehe dazu STUBBE 1933, 157; COLLIGNON 1892, 286; CIAFFI 1960,

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120); Ov. am. 1,10,37–40 nec bene conducti vendunt periuria testes / nec bene selecti iudicis arca patet. / turpe reos empta miseros defendere lingua, / quod faciat magnas, turpe tribunal, opes; 3,8,55f. curia pauperibus clausa est, dat census honores: / inde gravis iudex, inde severus eques; Prop. 3,13,49f. auro pulsa fides, auro venalia iura, / aurum lex sequitur, mox sine lege pudor; Apul. met. 10,33 quid ergo miramini ... si toti nunc iudices sententias suas pretio nundinantur u.v.m. Siehe ferner STUBBE 1933, 157; KELLY 1966, 31–68; SETAIOLI 1998, 153 Anm. 11 mit weiteren Primärstellen. Stellen bei Petron, die unmittelbare Kritik an der Justiz enthalten, finden sich weiter v.a. in Sat. 88,8; 137,9; 119 V.39–42. Lit.: COURTNEY 17f.; SOMMARIVA 1997; SETAIOLI 1998; MCMAHON 1997; BARNES 1971, 275–7; PARATORE II 43; YEH 2007, 507f. V.1–2: quid faciunt leges, ubi sola pecunia regnat / aut ubi paupertas vincere nulla potest?: Was nützen Gesetze, wo einzig das Geld regiert oder wo keine Armut gewinnen kann? Erstes von drei zusammengehörenden Distichen; rhetorische Frage sozialkritischen Inhalts, wobei V.2 (in litotischer Form) die Aussage des zweiten Teils von V.1 in anderen Worten wiederholt. Dass das Geld sich anstelle des Rechts durchsetzt, beklagt auch Hor. carm. 3,24,35–44 quid leges sine moribus / vanae proficiunt ... / ... / magnum pauperies opprobrium iubet. SOMMARIVA 1997, 11–3 vermutet einen intertextuellen Bezug und will Petrons Verse in Analogie zur Vorlage von Horaz sozialkritisch (d.h. die mores im Allgemeinen betreffend) verstehen. Dafür gibt es im Text keinen Anhaltspunkt. Im Gegenteil: Die zwei folgenden Distichen und die Rahmenhandlung in Prosa betten die Verse in einen juristischen Kontext ein. Das mit ergo eingeleitete letzte Distichon bildet den Schlüssel zum Verständnis der hier gestellten rhetorischen Frage. Es gipfelt in der Aussage, ein Sieg vor Gericht sei wie eine Ware zu erkaufen. So muss mit pecunia das Bestechungsgeld, mit paupertas das Fehlen einer solchen Geldsumme und mit vincere das Gewinnen eines Prozesses gemeint sein. quid faciunt leges: O Y und der größte Teil der L-Klasse (ltvdmr) haben faciunt, während in vielen Editionen (MÜLLER bildet eine Ausnahme) faciant erscheint. Es besteht kein Grund für faciant, siehe auch SOMMARIVA 1997, 9– 13; SETAIOLI 1998, 156. facere im Sinn von proficere („nützen“, zur Junktur „quid faciunt res?“ TLL 6.1.102.69ff.); der Gebrauch des simplex statt des verbum compositum ist häufig, vgl. z.B. Juv. 8,1 stemmata quid faciunt? quid prodest, Pontice, longo / sanguine censeri ...? wie hier zu Beginn eines Gedichts mit topisch moralisierender Sozialkritik; Hor. carm. 3,24,35–44 (siehe oben); Quint. inst. 10,7,4

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quid porro multus stilus et adsidua lectio et longa studiorum aetas facit, si manet eadem quae fuit incipientibus difficultas? SOMMARIVA 1997, 13 will den Ausdruck in Anlehnung an das umgangssprachliche quid facit / faciunt? „was für einen Sinn hat/haben; was soll/sollen?“ übersetzen, vgl. z.B. Pers. 2,69 in sancto quid facit aurum?; Mart. 1,59,2 inter delicias quid facit ista fames?, siehe CITRONI 1975, 197f. Doch gerade die von SOMMARIVA ins Feld geführte Parallele Hor. carm. 3,24,35f. spricht gegen diese Übersetzung, wie SETAIOLI 1998, 156 Anm. 30 (und auch SOMMARIVA selbst) bemerkt. leges: Siehe unten Sat. 14,1 leges. sola pecunia regnat: Der Ausdruck beschreibt korrupte Verhältnisse in der Justiz. Dazu gehört die Bestechung des Richters (z.B. Hor. sat. 2,2,8f. male verum examinat omnis / corruptus iudex), aber auch die Erpressung falscher Zeugnisse (z.B. Callistr. dig. 22,5,3,5 quive ob testimonium dicendum vel non dicendum pecuniam accepisse iudicatus vel convictus erit; Callistr. dig. 42,1,33 falsis testimoniis, conspiratione adversariorum testibus pecunia corruptis, religionem iudicis circumventam esse; Rhet. Her. 2,11 testes corrumpi posse vel pretio vel gratia vel metu vel simultate; Ovids conducti testes in am. 1,10,37ff., siehe oben). aut: aut ubi haben L , haud ibi (paupertas vincere nuda potest) HEINSIUS. aut trennt hier anstelle von et zwei sinnverwandte Feststellungen (die erste in positiver Form, die zweite negiert), was in der Umgangssprache schon zu Plautus’ Zeit vorkommt. Vgl. auch oben Sat. 13,3 aut. paupertas: Enkolp streicht mehrfach die eigene Armut heraus, die nicht nur ein Identifikationsmerkmal, sondern – in oft stilisierter Form – auch Instrument der Selbstdarstellung ist (CIAFFI 1955, 39 spricht von einem „stemma nobiliare per gli avventurieri“). paupertas war ein catonisch-römisches Ideal; während Eumolp die Armut in positiver Weise mit dem Dichtertum in Verbindung bringt (z.B. Sat. 83,9 amor ingenii neminem umquam divitem fecit), erscheint sie bei Enkolp jedoch stets negativ konnotiert als Bürde (z.B. Sat. 10,4 paupertatem nostram privatis quaestibus temptemus expellere; 125,4 nempe rursus fugiendum erit et tandem expugnata paupertas nova mendicitate revocanda). Zur paupertas in Zusammenhang mit dem Gericht vgl. die bereits oben zitierte Stelle Ov. am. 3,8,55 curia pauperibus clausa est. nulla: Der umgangssprachliche Gebrauch von nullus statt non erscheint häufig in den Komödien, aber z.B. auch in Ciceros Briefen, bei Petron nur an dieser Stelle. Er verstärkt die Negation. Siehe HSZ 205 §109; HOFMANN 79f. §77; LÖFSTEDT, Synt. II, 370f.; PETERSMANN 227. Ausschließen kann man die inhaltlich unplausible Lesart nuda (ltvBY), bei der das zweite ubi (V.2) als Fragepronomen eines neuen Hauptsatzes aufzufassen wäre: „Oder wo kann die nackte Armut triumphieren?“

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vincere: Hier im Sinn von „einen Prozess gewinnen“, dagegen SOMMARIVA 1997, 12 Anm. 16 allgemein „vorherrschen, durchsetzen“. V.3–4: ipsi qui Cynica traducunt tempora pera / non numquam nummis vendere verba solent: Selbst die, die mit einem kynischen Rucksack umherziehen und die herrschenden Zustände anprangern, pflegen öfters ihre Worte gegen Geld zu verkaufen. Drastisches Exemplum zur Untermauerung der im ersten Distichon gemachten Aussage: Sogar jene, die sich freiwillig zu einem Leben in absoluter Mittellosigkeit verpflichtet haben, können der Verführung durch Geld nicht mehr widerstehen. Der Kynismus galt als die radikalste philosophische Richtung. Die Kyniker, deren Vorbild Diogenes war, versuchten, in völliger Bedürfnislosigkeit zu leben, und bestritten die Notwendigkeit und Existenzberechtigung der menschlichen Gesellschaft (darum sprachen sie dieser das Recht ab, durch Gesetze in die Lebensführung des Einzelnen einzugreifen). Hier werden nicht primär die falschen Kyniker (wie in Mart. 4,53 u.v.m.) kritisiert oder gar die echten gepriesen (so zur Stelle HIRZEL 1895 II, 38; dagegen MCMAHON 1997, 78–80), sondern die Auswüchse der grassierenden Korruption so drastisch als möglich veranschaulicht. Cynica ... pera: pera ist eine Emendation von HEINSIUS (LO und Y überliefern cera o.Ä., siehe BURMAN 68f.), da cera im Zusammenhang mit den Kynikern nicht belegt ist. Der Rucksack (TLL 10.1170.24ff.) ist, zusammen mit dem baculus, typisches Attribut des kynischen Philosophen (der von Stadt zu Stadt wandert, sich der Weisheit hingibt, mit wenig zufrieden ist, auf seine Autarkie vertraut) und Emblem für seine gewollte paupertas, vgl. u.a. Mart. 4,53,3 cum baculo peraque senem; Apul. apol. 22 uno baculo ... una perula; Sen. epist. 90,14 [Diogenes] fregit protinus exemptum e perula calicem. traducunt tempora: traducere ist hier in der speziellen Bedeutung als „tadeln, verspotten“ zu verstehen, wie in Juv. 8,17 traducit avos; 2,159 illic heu miseri traducimur (traducere steht bei Petron zumeist in der Bedeutung von „bloßstellen, lächerlich machen“, siehe Setaioli 1998, 157 Anm. 40). In der Tat ist das Tadeln ein kynischer Topos (GERHARD 1909, 37–9; BILLERBECK 1978, 57): z.B. Epikt. diatr. 3,22,10 ’ ... μ μ μ ‹ › („Einen schäbigen Mantel trage ich schon jetzt ... Ein Lederränzlein und einen Stock werde ich mir zulegen, werde anfangen, bettelnd herumzuziehen und die Leute, die mir begegnen, zu beschimpfen.“). tempora bezieht sich dann auf die historische Zeit, im Sinne von „Zeiten“ – so klassifiziert auch OLD die Stelle (s.v. tempus 4a) –, oder bezeichnet eine

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Zeitperiode mit Referenz zu ihren moralischen, sozialen Bedingungen bezeichnen (OLD s.v. tempus 12, wie z.B. Cic. Catil. 1,1 o tempora, o mores). Cynica ... pera steht verkürzt für „indem sie mit dem kynischen Rucksack auftreten“ – das Tragen der pera als stummer Vorwurf, so GRONOVIUS und BROUCKUSIUS bei BURMAN 68; SETAIOLI 1998, 157; COURTNEY 17; WALSH („scorn“); ARROWSMITH („scoff“); HESELTINE–WARMINGTON („mock“). Natürlich kann der Ausdruck auch einfach mit „Zeit verbringen“ übersetzt werden, die Kritik büßt dann aber an Schärfe ein (traducere „verbringen“, „durchschlagen“; tempora „Lebenszeit“, vgl. Petr. frg. 50,12. 14B; OLD s.v. tempus 4b; analog zu aetatem/vitam/tempus traducere oder agere gebildete Junktur, vgl. z.B. Cic. fam. 4,6,3 qua ratione nobis traducendum sit hoc tempus; so z.B. SOMMARIVA 1997, 14 mit Anm. 22; siehe SETAIOLI 1998, 157 Anm. 34). vendere verba: verba stammt aus L, während Y vera hat, dem sich viele moderne Editionen anschließen (außer MÜLLER), und O verba solent emere (unwahrscheinlich; vendere ist vielleicht durch Homoioarkton mit dem folgenden verba/vera verloren gegangen, und der Vers daraufhin mit V.6 empta aufgefüllt worden). verba ist vera vorzuziehen, da es besser in den Kontext passt. Die Distichen scheinen sich recht spezifisch auf Zeugenbestechung (nicht auf Bestechung der Richter oder anderes) zu beziehen – und dafür ist vendere verba der beste Ausdruck: „falsche Zeugenaussagen gegen Entgelt machen“ (so auch SETAIOLI 1998, 154; COURTNEY 17; WALSH („perjure“); SOMMARIVA 1990, 27f. und 1997, 15f. 20). Unpassend ist die Übersetzung „Geld nehmen für Vorträge, Lektionen o.Ä.“ (z.B. EHLERS), zumal die minimalen rhetorischen Fähigkeiten der Kyniker dazu nicht gereicht haben dürften. Für diese Auffassung sprechen auch die vielen Parallelstellen zur Korruption der Justiz: u.a. Juv. 14,218 falsus erit testis, vendet periuria summa; Mart. 5,16,6 sollicitisque velim vendere verba reis (dazu PELLEGRINO2 78; SOMMARIVA 1990, 27); Ov. am. 1,10,37 nec bene conducti vendunt periuria testes und 39 turpe reos empta miseros defendere lingua. Ovids Ausdrücke vendere periuria und empta lingua verschmelzen bei Petron zu einem (auch schon in Apul. apol. 74 hic advocatorum conductor, hic testium coemptor); AL 927,5f.R ora manusque / vendere (dazu SOMMARIVA 1990, 26–9); Sall. Catil. 14,3 quos manus atque lingua periurio aut sanguine civili alebat. Ganz auszuschließen ist vera jedoch nicht: Als „Wahrheit“, bezogen auf (falsche) Zeugenaussagen, oder als „rationale Wahrheit“ (dazu ARAGOSTI 1979, 108) würde vera zur Aufgabe des wahren Kynikers passen, dem es obliegt zu ermitteln und verkünden, was für die Menschen gut und was für sie schädlich ist: Epikt. diatr. 3,22,25 „wenn er dies ausgekundschaftet hat, muss er zurückkommen und die Wahrheit berichten“ ( ). vera

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würde den Sarkasmus der Stelle unterstreichen: Die Wahrheit als absoluter Wert relativiert sich in Anbetracht des Geldes. V.5–6: ergo iudicium nihil est nisi publica merces, / atque eques in causa qui sedet, empta probat: Also ist ein Urteil nichts anderes als öffentliche Ware, und der Ritter, der über dem Fall zu Gericht sitzt, billigt Gekauftes. Das dritte Distichon (mit ergo als Einleitung der Schlussfolgerung) bildet Fazit und Synthese in der dreistufigen Argumentation der Verspassage (Eingangsfrage – Exemplum – Schlussfolgerung). Diesen Teil des Gedichts zitiert John of Salisbury, policr. 5,16,355 (Webb) iudicium nichil est nisi publica merces, / atque eques, in causa qui sedet, empta probat. iudicium: Der Begriff entstammt dem Prozessrecht und steht entweder für den Rechtsstreit, das Gerichtsverfahren (so wird er hier von den meisten Interpreten aufgefasst) oder im engeren Sinn für das Urteil des Richters (so DEBRAY 1919, 167; SETAIOLI 1998, 159, siehe TLL 7.2.607.62ff.). Die konkrete Bedeutung richtet sich nach jener von publica merces: Schlüssig ist der Vergleich eines Urteilsspruchs mit einer käuflichen Ware. In diesem Fall ist der Zweck einer Bestechung, einen Sieg vor Gericht zu erkaufen – daher das zu Beginn der Verspassage konstatierte paupertas vincere nulla potest. Etwas bemüht, aber ebenfalls denkbar ist, dass der ganze Gerichtsprozess gemeint ist, der käuflich erworben werden kann (in Form von Indizien, Aussagen etc.) und daher im übertragenen Sinn als Ware bezeichnet wird. publica merces: Meist wird merces hier als eine archaische Nebenform von merx angesehen, die auch bei anderen Autoren belegt ist, z.B. Ps. Quint. decl. 6, 17 me ipse perdidi, teneor venale mancipium, et civis Romanus merces fio, et libertatem senex dedisco, et natus ingenuus venire opto; Sen. Med. 361–3 aurea pellis / maiusque mari Medea malum, / merces prima digna carina (so z.B. SOMMARIVA 1997, 16–8; COURTNEY 17. Siehe TLL 8.797.82–798.12; SETAIOLI 1998, 158 Anm. 44). Das iudicium ist demnach eine öffentliche Ware, da es von allen, die Geld haben, gekauft werden kann, vgl. Tac. ann. 11,5,2 nec quicquam publicae mercis tam venale fuit quam advocatorum perfidia. Das viel häufigere merces in der Bedeutung von „Lohn, Belohnung“ (so z.B. SETAIOLI 1998, 158; ARAGOSTI 1979, 109 Anm. 22) ist zwar bei Petron in einem ähnlichen Zusammenhang belegt (Sat. 122 V.165f. mercedibus emptae / ac viles operae), in der Gleichsetzung mit iudicium ergibt „öffentlicher Lohn“ aber wenig Sinn. eques: Der Ritter in seiner Funktion als Richter (TLL 5.2.714.75). Nach der lex Aurelia iudiciaria von 70 v. Chr. mussten die zivil- und strafrechtlichen Gerichte zu je einem Drittel aus Senatoren, equites (Ritter) und tribuni aerarii

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(Aerartribunen) zusammengesetzt werden (siehe BRUNT 1988, 146, 210f.; KELLY 1966, 35f.; JONES 1972, 86–90; KASER–HACKL 49–51 §6). Die tribuni aerarii wurden aber 46 v. Chr. aus der Dekurie ausgeschlossen und evtl. durch equites ersetzt, so dass diese möglicherweise die größte Gruppe unter den Richtern darstellten und hier als pars pro toto stehen. Seit Augustus erscheinen dann auch die Senatoren nicht mehr unter den Richtern; man nimmt an, dass sie von der Richterfunktion befreit wurden und die Richterschaft von da an nur noch aus Rittern bestand (MOMMSEN III 535; KASER–HACKL 49–51 §6; KÜBLER, RE s.v. equites Romani, 299; so auch COURTNEY 17). Es ist jedoch nicht auszuschließen, dass zur Zeit Petrons auch noch Senatoren das Richteramt bekleideten (so z.B. SOMMARIVA 1997, 18 Anm. 32). in causa qui sedet: „über dem Fall zu Gericht sitzen“. causa steht hier im juristischen Sinn von „Streitsache, Rechtsfall“ (TLL 3.689.12ff.; HEUMANN– SECKEL s.v. 3), vgl. Sat. 14,7 nullo genere par erat causa [nostra]. empta probat: empta nimmt vendere (V.4) wieder auf: „Gekauftes“, womit hier alle Elemente, auf die sich ein Richter stützen muss (Zeugenaussage, Verteidigungsrede etc.) und die mit Geld zu erpressen sind, gemeint sein können. Vgl. Cic. Att. 1,18,3 afflicta res publica est empto constupratoque iudicio; Ov. am. 1,10,39 turpe reos empta miseros defendere lingua. probare nach OLD s.v. probo 3 „to give official approval to after examination, scrutiny etc.“. Der Richter ist nicht selbst korrupt, sondern sanktioniert die Korruption der Justiz, gut übersetzt bei HESELTINE–WARMINGTON: „the knightly juror who sits listening to the case approves, with the record of his vote, something bought“. Das Verb probare macht einen Bezug auf iudicium unwahrscheinlich; viel eher sind hier die falschen Zeugenaussagen gemeint, welche sogar die Kyniker gegen Geld machen (vgl. oben V.4 vendere verba). § 14,1 contra Ascyltos leges timebat et: ‘quis’, aiebat, ‘hoc loco nos novit aut quis habebit dicentibus fidem? mihi plane placet emere, quamvis nostrum sit, quod agnoscimus, et parvo aere recuperare potius thesaurum quam in ambiguam litem descendere’: Dagegen fürchtete Askylt das Recht und sagte: „Wer kennt uns hier, und wer wird unseren Worten Glauben schenken? Ich bin entschieden dafür, dass wir das kaufen, was wir als unser Eigentum erkennen, obwohl es uns gehört, und dass wir für wenig Geld den Schatz wiedergewinnen, statt uns in einen unsicheren Prozess einzulassen.“ leges timebat: Wörtl. „fürchtete sich vor den Gesetzen“. Mit leges sind hier aber nicht die Gesetze als objektive Institution gemeint – denn die beiden Protagonisten sehen sich absolut im Recht und betrachten die Tunika als ihr Eigentum, das zurückzufordern sie laut Gesetz berechtigt sind. Die Junktur, die z.B. auch bei Ps. Cic. in Sall. 11,7 ego nihil timui nisi leges; Ov. trist. 5,7,47 non metuunt leges, sed cedit viribus aequum; Cic. Verr. II 4,75 summo metu legum erscheint, wird an dieser Stelle ironisch uminterpretiert: Askylt ist nicht

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etwa gesetzesfürchtig. Schließlich führen die Protagonisten selbst einen gestohlenen Mantel mit sich (Sat. 12,2), und die in die Tunika eingenähten aurei würde den Verdacht illegaler Machenschaften wecken, die im Falle eines gerichtlichen Verfahrens aufgedeckt werden könnten. Vielmehr fürchtet er sich vor den Gesetzen, im Speziellen – berücksichtigt man den Kontext (Sat. 14,1f.) – vor dem Kontakt mit der Judikative. Die „Furcht vor den Gesetzen“ resultiert also ironischerweise aus einem Mangel an Gesetzesfurcht. aiebat: Bei lebhafter Schilderung vergangener Ereignisse stehen v.a. verba dicendi gerne im Imperfekt, siehe PETERSMANN 174. quis ... hoc loco nos novit: Askylt lehnt Enkolps Vorschlag, den Rechtsweg zu beschreiten, mit zwei rhetorischen Fragen ab. Er hält die Chance, als soeben zugereiste Fremde die Rückgabe des Mantels gerichtlich erwirken zu können, für gering. Zu dieser Problematik vgl. Mart. 12 praef. 8f. et videor mihi in alieno foro litigare; Plaut. Poen. 1402f. quid med hac re facere deceat egomet mecum cogito. / si volo hunc ulcisci, litis sequar in alieno oppido; ironisch Ter. Andr. 810–2 nunc me hospitem / litis sequi quam id mihi sit facile atque utile / aliorum exempla commonent; Eun. 759f. immo hoc cogitato: quicum res tibist peregrinus est, / minu’ potens quam tu, minu’ notu’, minus amicorum hic habens. Nach JENSSON 2004, 154–6, ist die Aussage Askylts direkt beeinflusst durch die Erfahrung einer zuvor erzählten Gerichtsverhandlung. Enkolp sei von Lykurg vor Gericht gerettet worden, und Askylt habe etwas Ähnliches erlebt (Sat. 80,8 fortunaeque etiam similitudine parem). Auf einen früheren Konflikt mit dem Gericht deuten allenfalls frg. 8 (... Petronius in Euscion ait ‘Cerberus forensis erat causidicus’), frg. 14 und Sat. 81,3 effugi iudicium hin. Da die beiden Protagonisten, die sich hier als unbescholtene arme Leute stilisieren, mit dem Diebstahl des Mantels tatsächlich bereits etwas auf dem Kerbholz haben, ist die Stelle jedoch ironisch aufzufassen. Und wenn Askylt beklagt, sie würden hier niemanden kennen, so ist doch offensichtlich, dass ihnen dort, wo man sie kennt, und gerade weil man sie kennt, niemand glauben wird (auch VAN DER PAARDT 1996, 68 fasst den Satz ironisch auf). aut: Zur Verbindung zweier Fragen durch aut statt et siehe oben Sat. 13,3 aut. quis habebit dicentibus fidem: scil. nobis. mihi plane placet: plane in bekräftigendem Sinn (siehe oben Sat. 12,5 plane is ipse erat), zusätzlich unterstrichen durch die Alliteration. Wiederaufnahme aus Sat. 13,4 sed plane iure civili dimicandum: Sowohl Enkolp als auch Askylt bestärken ihren jeweiligen Vorschlag mit plane. quamvis nostrum sit, quod agnoscimus: Den besten Sinn ergeben die Teilsätze, wenn man sie gedanklich umdreht und quod agnoscimus als Relativsatz zu placet emere zieht (und nicht von quamvis nostrum sit abhängig macht). Die umständliche Ausdrucksweise kann man allenfalls der emotionalen Ver-

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fassung Askylts zuschreiben, dem die Aussichtslosigkeit, einen Erfolg auf juristischem Weg zu bewirken, aufs Gemüt schlägt: Wie könnten sie den Nachweis der Eigentümerschaft (agnitio) erbringen, ohne die aurei, die nicht entdeckt werden dürfen, als Beweis ins Feld zu führen? Zu umständlich ist SHACKLETON BAILEYS (1987, 458) Vorschlag, quod agnoscimus zu streichen und in quamvis nostra sit abzuändern. Die letzte Verwendung der beiden möglichen Bezugswörter für nostra (tunica und praeda) liegt zu weit zurück (Sat. 13,3 bzw. 13,4). parvo aere recuperare: recuperare ist kein Verb des Kaufens im strengen Sinn, wird hier aber analog dazu mit einem Abl. pretii verbunden. in ambiguam litem descendere: descendere „sich einlassen“ (OLD s.v. descendo 4), vgl. ähnliche Ausdrücke wie in causam descendere (Liv. 36,7,6 si semel in causam descenderit, Cic. Att. 8,1,3 in eam causam descendo) oder in litem deduci (Quint. decl. 338,10 cum vero hoc ipsum deducatur in litem). § 14,2 Zur Verspassage, die bei MÜLLER an dieser Stelle steht, siehe oben zu Beginn des Kapitels (Sat. 14,1). § 14,3 sed praeter unum dipondium [sicel] †lupinosque, quibus† destinaveramus mercari, nihil ad manum erat: Aber außer einem Zweigroschenstück †und Bohnen, mit denen† wir handeln (eig. kaufen) wollten, hatten wir nichts zur Hand. Der originale und einhellig überlieferte Wortlaut der Stelle scheint unheilbar verderbt und nicht plausibel wiederherstellbar: sed praeter unum dipondium sicel lupinosque, quibus destinaveramus mercari, nihil ad manum erat. Inhaltliche Ungereimtheiten, nämlich das absolute mercari und die lupini (weder mit einer Münze von niedrigem Wert noch mit Bohnen lässt sich Handel treiben), haben MÜLLER zu einem Korrekturversuch veranlasst, der allerdings nicht restlos befriedigt: sed praeter unum dipondium [sicel], lupinos[que quibus] destinaveramus mercari, nihil ad manum erat („Aber außer einem Zweigroschenstück, mit dem wir Bohnen kaufen wollten, hatten wir nichts zur Hand“). Von einem (im Kontext der Handlung überdies wenig bedeutsamen) Bohnenkauf ist weder zuvor noch später im Text die Rede. Deshalb und da wir es in der Originalfassung, bis auf das zu streichende sicel, mit einem grammatisch korrekten Satz zu tun haben, der von allen Codices einhellig so überliefert wird, ist dieser der Vorrang zu geben. Die oben angedeuteten inhaltlichen Unstimmigkeiten erforden jedoch das Setzen von Cruces. Grammatisch nicht korrekt ist die Hintereinanderstellung von dipondium und sicel. Belässt man beide Substantive im Text, steht das indeklinable sicel ohne Numeral da. M.E. ist ziemlich klar sicel die Glosse. Der Dupondius ist die übliche Währung in den Sat., während der sicel im Römischen Reich unüblich war. Der Vorschlag, dipondium als Glosse aufzufassen (DANIEL 1988,

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349; ALESSIO 1960/1, 326f.; SCHMELING 1992, 533; GIARDINA 1997–2000; WALSH 160 Anm. 14), wäre insofern plausibel, als der wenig gebräuchliche, fremde sicel einer Erklärung durchaus bedurft haben konnte. Doch ist sehr unwahrscheinlich, dass Petron sicel verwendet hat. Da das Wort in späterer (christlicher) Zeit gebräuchlicher war, ist es gut möglich, dass ein späterer Abschreiber es als Glosse in den Text eingefügt hat (so auch MÜLLER; GASELEE in ROSE 1944, 77; BROĪEK 1965, 429; NISBET 1962, 228; DÍAZ Y DÍAZ). Lit. zur Stelle: v.a. DANIEL 1988; SCHMELING 1992; COCCIA 1973, 119 Anm. 472; ARAGOSTI Anm. 30; MCMAHON 1997, 78–80. Zum Geld bei Petron MORENO 1964, bes. 63; DUNCAN-JONES 1982, bes. 238–48; BODEL 2003. dipondium: Ein di-/dupundius/-um ist eine Münze im Wert von zwei As (TLL 5.1.2285.65ff.). In den Sat. wird das Wort bzw. der Wortstamm an vier weiteren Stellen gebraucht, dreimal von Hermeros (Sat. 58,4 matrem meam dupundii non facio; 58,5 dominus dupunduarius; 58,14 nemo dupondii evadit), einmal von Trimalchio (74,15 ego, homo dipundiarius); dabei steht die Münze immer sinnbildlich für einen niedrigen Wert. Hier verweist der Dupondius nicht nur allgemein auf die Mittellosigkeit der Protagonisten, sondern ist als materieller Gegenstand in die Handlung einbezogen. sicel: Der sicel, auch secel, siclus (griech. , - , , - , „Sekel/Shekel/Schekel“), bezeichnet eine altorientalische/hebräische Gewichtseinheit und ist als Münznorm Name von (je nach Zeit und Region) unterschiedlichen Silbermünzen (siehe FORCELLINI s.v. siclus; DNP s.v. Siglos; REGLING, RE s.v. ). Deshalb kann in der griechischen und lateinischen Wiedergabe der Schekel ein 4-, 2- oder 1-Drachmenstück sein. Die Münze ist als Zahlungsmittel weder im Römischen Reich noch in der lateinischen Literatur gängig und tritt erst bei christlichen Autoren auf (Hieronymus, Eucherius, Isodor, Vulgata, siehe zu den Stellen DANIEL 1988, 348). Der biblische Terminus muss für einen mittelalterlichen Mönch oder Kleriker jedoch vertrauter als der Dupondius gewesen sein. Dies spricht sehr dafür, sicel als Glosse zu begreifen. (Auch als Glosse fassen sicel auf: MÜLLER; GASELEE in ROSE 1944, 77, der die Glosse auf einen „‘ingenious Hebraist’“ zurückführt; BROĪEK 1965, 429, nach dem sie – ziemlich unwahrscheinlich – als Ansammlung von Abkürzungen für den Dupondius SIIHL [TLL 7.2.2285.58ff.] entstanden ist, die ein magister zwischen die Zeilen geschrieben hat). Allerdings ist nicht ganz auszuschließen, dass die Münze auf dem römischen Markt im Umlauf war und als Zahlungsmittel akzeptiert wurde: „The Roman monetary system also showed itself capable in practice of absorbing extraneous coins and treating them as those coins of the system they most resembled“ (CRAWFORD 1970, 46). Dies gilt umso mehr für die urbs Graeca

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als Schauplatz des Geschehens, bei der es sich mit einiger Wahrscheinlichkeit um die Hafenstadt Puteoli handelt, damals Drehscheibe für den Handel mit dem Orient (siehe Einl. 3). In Kampanien gab es seit alters her Juden; aus Puteoli ist eine Gemeinde schon aus vorchristlicher Zeit überliefert, siehe SOLIN 1983, 612 und 732; PETERSMANN 1995, 544. Dennoch lässt die Unbekanntheit des sicel stark bezweifeln, dass Petron den Ausdruck hier benutzte, einfach so und ohne Notwendigkeit. Solche rohen Semitismen finden sich bei Petron nicht außerhalb der Cena (zu den semitischen Elementen bei Petron, v.a. in der Cena, siehe die umstrittene Auflistung bei HADAS 1929; dagegen PEPE 1957; BAUER 1983). Die meisten Emendationsvorschläge zu sicel setzen weitere Texteingriffe voraus: cicer (tm, BÜCHELER1–6; inspiriert durch Sat. 66,4 cicer et lupinum); scilicet (TURNEBUS bei BURMAN 70; DÍAZ Y DÍAZ App.); siser (PUTEANUS bei BURMAN 70: Pflanze); sicilicum (Scaliger, ohne unum vorweg: 1/48 As); sicelion (in rcomm als Variante: wohl sicelicon, sikelisches Kraut); siceram (PEL2 1 LEGRINO 189 und ders. 232: berauschendes Getränk). lupinos: Ob hier echte Bohnen als Geldersatz gemeint sind oder das Wort im übertragenen Sinne für (sehr wenig) Geld steht, ist umstritten. Von echten Bohnen geht allen voran DANIEL 1988 aus und sieht in den Bohnen, einer Idee von ERHARD bei BURMAN 71 folgend, Spiel- oder Theatergeld. Bohnen wurden im Altertum bei Brettspielen anstelle von Münzen als Spielsteine, aber auch als Geldersatz im Spiel und auf der Bühne eingesetzt (TLL 7.2.1850.71–3 „pro nummis ludentium sunt ut“): Plaut. Poen. 597–9 aurum est profecto hic, spectatores, comicum: / macerato hoc pingues fiunt auro in barbaria boves; / verum ad hanc rem agundam Philippum est: ita nos adsimulabimus; Aul. 818– 21 non quod pueri clamitant / in faba se repperisse (818f.; dazu ALLEN 1959 und COMFORT 1963); Hor. epist. 1,7,22 vir bonus et sapiens dignis ait esse paratus, / nec tamen ignorat, quid distent aera lupinis; CIL 13,10017,38 [si] musarum leges nodent, lupinos decem dabunt, siehe DANIEL 1988; PANAYOTAKIS 1995, 26 mit Anm. 23. Daran knüpft SCHMELING 1992, 534 an, der vermutet, Enkolp habe seine Börse in betrügerischer Absicht mit Theatergeld gefüllt, könne den geplanten Trick jedoch nicht anwenden, weil es ihm an echten Münzen mangle, um die Bohnen zu bedecken. Auch JENSSON 2004, 9 Anm. 22 mutmaßt, die Bohnen seien als Zahlungsmittel vorgesehen gewesen („But apart from one sekel worth two pennies and lupine seeds we intended to use as money, we had nothing at hand“). Nicht auszuschließen ist, dass lupini hier in einem allgemeineren Sinne etwas nahezu Wertloses bezeichnen: „sunt exempla rerum minimi pretii“ (TLL 7.2.1850.68ff. und OTTO s.v. lupinus; auch heute noch z.B. im Engl. „it’s not worth the hill of beans“). Vgl. Juv. 14,153 tunicam mihi malo lupini. So wäre es denkbar, dass lupini, wie DANIEL 1988, 348 Anm. 4, vermutet, eine um-

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gangssprachliche Bezeichnung für Kleingeld war, die jedoch schriftlich nicht belegt, ähnlich den Philippi bei Plautus, v.a. Poen. (z.B. 415) und Bacch. (z.B. 230). MÜLLERS Emendation erklärt die Bohnen zum Kaufobjekt. lupina/lupini („Wolfsbohnen“) waren ein nahrhaftes, preiswertes Lebensmittel v.a. für Menschen aus ärmeren Schichten (TLL 7.2.1850.29ff.; vgl. Mart. 5,78,21 et fervens cicer et tepens lupinus als dürftige Mahlzeit), was MÜLLERS Textemendation entgegenkommt. Für drei As konnte man in Pompeji ein modius (6,503 kg) Lupinen erstehen (vgl. ETIENNES [1991, 215–8] Liste von Bedarfsartikeln in Pompeji; DIEHL 1910, 25 Anm. 406 μ ( ) ’ ( ) ’, vgl. CIL 4,3423 Felicio lupinarius, 3483 Felicio lupinipolus) oder drei gekochte Portionen (Mart. 1,103,10 asse cicer tepidum constat; 1,41,5f. quod otiosae / vendit qui madidum cicer coronae, billige Speisen, v.a. Kichererbsen, wurden auf der Straße gekocht und verkauft; Sen. epist. 56,2; so MORENO 1964, 63). Die Erwähnung eines geplanten (und offensichtlich nie stattfindenden) Bohnenkaufs wäre hier jedoch inhaltlich völlig unmotiviert. Mit dem Gewinn aus dem Verkauf des Mantels hätte der Einkauf außerdem problemlos bezahlt werden können. Es wäre also gar nicht nötig gewesen, extra Geld dafür einzustecken. mercari: mercari steht zumeist mit Objekt für „kaufen“ (was für MÜLLERS Emendation spricht). Nach der Überlieferung erscheint das Verb aber ohne Objekt in der seltenen und für die Stelle unpassenden Bedeutung von „handeln, Handel treiben“ (TLL 8.801.1ff., vgl. Plaut. Merc. 83 dico esse iturum me mercatum; Sall. Jug. 47,1 ubi et incolere et mercari consueverant), denn mit einem Zwei-As-Stück (und Bohnen) lässt sich kein Handel treiben. Übersetzungen wie „(lupine seeds) we intended to use as money“ (JENSSON 2004, 9 Anm. 22) würden zwar inhaltlich passen und sogar die Überlieferung halten, sind aber vom lateinischen Wortlaut zu weit entfernt. ad manum erat: esse mit präpositionaler Wendung ist umgangssprachlich, vgl. Cic. Att. 6,3,1 res enim est in manibus; HOFMANN 167 §153. Die Junktur ad manum esse findet sich nachklassisch häufig, z.B. Liv. 3,23,3 nihil praeter arma et quod cocti ad manum fuit cibi ferre militi licuit; TLL 8.362.63ff. § 14,4 itaque ne interim praeda discederet, vel minoris pallium addicere placuit et pretium maioris compendii leviorem facere iacturam: Deshalb beschlossen wir, damit die Beute in der Zwischenzeit nicht abhanden komme, den Mantel sogar zu einem niedrigeren Preis loszuschlagen und den geringeren Verlust für den größeren Gewinn in Kauf zu nehmen. In dieser Form ist der Satz nur in tm überliefert, während in den Codices itaque hinter discederet steht: ... nihil ad manum erat, ne ... discederet. itaque vel minoris pallium ... („nichts zur Hand, [das wir hätten einsetzen können], damit uns die Beute in der Zwischenzeit nicht abhanden komme. Deshalb

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beschlossen wir sogar ...“). Die Umstellung macht die Gedankenfolge stringenter. Ändert man lediglich die Zeichensetzung der codices-Überlieferung (ad manum erat. ne ... discederet, itaque ...), kommt itaque an einem unüblichen Ort zu stehen, vgl. normalerweise Sat. 94,1 itaque ne putes ...; 117,5 itaque ut duraret ...; 131,10 itaque ut me vidit ... praeda: Siehe oben Sat. 13,4 praedam. vel minoris pallium addicere placuit: minoris ist als Gen. pretii bei Verben des Kaufens unauffällig. STRELITZ 1879, 629 stößt sich daran, dass das vom Komparativ suggerierte vorherige Aushandeln eines Preises zwischen Enkolp und Askylt sowie die Ablehnung dieses Preises durch den Bauern fehle. Doch es geht hier lediglich um die Bereitschaft der Protagonisten, den Mantel zu einem niedrigeren als dem (unter anderen Umständen) höchstmöglichen Preis oder unter seinem Wert zu verkaufen. Als Vergleichsgröße für den Komparativ dient der Marktwert des Mantels. addicere gehört zur kommerziellen Sprache, im Sinn von vendere, TLL 1.576.39ff. (mit Preisangabe): wie z.B. Suet. Jul. 50,3 amplissima praedia ... minimo addixit; Sen. contr. 1,6,6 an satis magno se possit addicere; Mart. 10,31,1 addixti servum nummis here mille ducentis. et pretium maioris compendii leviorem facere iacturam: Wörtl. „den geringeren Verlust zum Preis des größeren Gewinns machen“, dem Sinn nach: „für einen größeren Gewinn den Preis eines kleinen Verlustes zahlen“; kommt im Deutschen dem Ausdruck „etw. für etw. in Kauf nehmen, sich etw. etw. kosten lassen“ nahe. Obige Textfassung ist aus Emendationen von BÜCHELER2–6 entstanden, während in L ut ... faceret überliefert ist. Der korrigierten Version ist der Vorzug zu geben, da alle Versuche, den Satz mit ut oder cum (JACOBS) einzuleiten, in die Aporie führen: pretium als Subjekt müsste dann „Lohn, Belohnung“ bedeuten (wie z.B. Liv. 32,4,6 quod haud satis dignum tanti laboris periculique pretium erat; Ov. Pont. 2,4,16 hoc pretium curae dulce recentis erat), da ein (Kauf-)Preis (hier: das Minusgeschäft beim Mantelverkauf) naturgemäß keinen Verlust (hier: den entgangenen Profit wettmachen) verringern kann. Das aber führt zu einem Zirkelschluss („damit die Belohnung in Form eines höheren Gewinns den Verlust leichter mache“), weil dann der Verlust (der einzig für den höheren Gewinn in Kauf genommen wurde) dazu dienen würde, den Verlust zu kompensieren. leviorem ... iacturam: Gemeint ist der finanzielle „Verlust“ bzw. entgangene Profit durch den unvorteilhaften Verkauf des Mantels. Zum Hyperbaton vgl. u.a. Sat. 21,3 religiosissimis iuravit verbis; eine Auflistung weiterer Stellen bietet FEIX 1934, 17f. 42–9. § 14,5 cum primum ergo explicuimus mercem, mulier aperto capite [quae cum rustico steterat] inspectis diligentius signis iniecit utramque laciniae

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manum magnaque vociferatione latrones tenere clamavit: Sobald wir also die Ware ausgelegt hatten, schlug die Frau [die beim Bauern stand] ihr Kopftuch zurück, untersuchte genauer die Kennzeichen, packte mit beiden Händen den Zipfel und schrie mit lauter Stimme, dass sie die Diebe habe. cum primum ergo explicuimus mercem: Wiederholung der Szene in Sat. 12,2: Dort sind die Protagonisten jedoch noch vorsichtig (in quodam angulo) und breiten die Ware noch nicht offen aus (laciniam extremam concutere). Zu explicare im engeren Sinn bei Kleidungsstücken und Textilien (z.B. vestem, velum, TLL 5.2.1724.78ff.), vgl. Prud. perist. 10,841 (scil. mater) explicabat pallium; Cic. de orat. 1,161 non explicata veste neque proposito argento. aperto capite: Die Lesart aperto capite von L ist gegenüber operto capite zu halten. Letztere ist eine Emendation von WOUWEREN, die in zahlreichen modernen Editionen übernommen wurde (von MÜLLER jedoch nicht mehr). Sie will den Abl. abs. aperto capite in einen Abl. qual. operto capite abändern, um so die Stellung des folgenden Relativsatzes quae cum rustico steterat plausibler zu machen. Inhaltlich ergibt aperto für die Szene mehr Sinn (so auch VAN DER PAARDT 1996, 66; DELZ 1970, 32f.; PARDINI 1996, 189f.). Es impliziert, dass die mulier ihre Kopfbedeckung, die sie auf der Straße trägt (wie das bei römischen Frauen üblich war, Val. Max. 6,3,10; Tac. ann. 13,45; Tert. de pallio 4,9), entfernt: Sie will den Mantel aus nächster Nähe und ganz genau sehen (vielleicht weil sie ihn als ihren eigenen erkennt). operto capite wäre an dieser Stelle eine überflüssige Bemerkung, da die mulier bereits in Sat. 12,3 eingeführt wurde. [quae cum rustico steterat]: Dieser Relativsatz ist, wie andere seiner Art (Sat. 16,3 [illa scilicet quae paulo ante cum rustico steterat]; 25,2 [ea ipsa quae primum cum Quartilla in cellam venerat nostram] u.a.), schon oft als Interpolation verdächtigt worden (COURTNEY 2001, 66 Anm. 20; PARDINI 1996, 190 Anm. 36; DELZ 1970, 32f.; MÜLLER) – gerade im Zusammenhang mit Sat. 16,3, siehe Ess. 12–15, 2. Inhaltlich wäre er gerechtfertigt, weil die mulier vorher nur die Begleiterin war und ihr erster Auftritt in Sat. 12,3 schon weit zurückliegt (so auch GIARDINA 1986–7, 390). Stilistisch gesehen ist er jedoch ungünstig platziert, da auf einen Abl. abs. nicht noch ein attributiver Relativsatz folgen kann, der von mulier abhängig ist (DELZ 1970, 32f.). Dass bei einer Streichung die zwei Abl. abs. direkt aufeinanderstoßen, ist bei Petron, der eine Vorliebe für Häufungen von Partizipialkonstruktionen hat, nicht ungewöhnlich, vgl. z.B. Sat. 18,4 hilarior ... facta mulier basiavit me spissius et ex lacrimis in risum mota descendentes ab aure capillos meos lenta manu duxit; FEIX 1934, 63–7.

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Das Plusquamperfekt steterat ließe sich zwar an dieser Stelle als Ableitung von dem präsentischen Perfekt stetit (durch mechanische Übernahme aus dem Griechischen = , HSZ 318 §178 als „sie hatte sich hingestellt“ = „sie stand“) erklären. Unter Berücksichtigung von Sat. 16,3 aber, wo die Vorzeitigkeit notwendig ist, lässt es eher auf einen Interpolator schließen: „Sinnvoll war steterat im Zusatz in 16,3, den also der Bearbeiter sekundär auch an der früheren Stelle einfügte oder an den Rand schrieb, um ja keinen Zweifel über die Identität der Personen aufkommen zu lassen“ (DELZ 1970, 33). inspectis diligentius signis: Die Frau verhält sich wie der Bauer in Sat. 12,3 diligentius considerare pallium coepit und Askylt in 12,6 diligentius temptavit. signa steht allgemein für Zeichen bzw. Merkmale, an denen man ein Objekt, eine Person o.Ä. wiedererkennt (CIAFFI 1955, 30 spricht von „certi segni particolari“). Vgl. z.B. Cic. Flacc. 36 signum publicum inspexit; 37 neque enim testis ipse signo inspecto falsum nos proferre dixit; Plaut. Amph. 144f. meo patri ... aureus / sub petaso: id signum Amphitruoni non erit. So deuten die signa auf die Wiedererkennung des Mantels durch die Frau voraus. Anders versteht PELLEGRINO2 190 die signa hier als „Zierwerk, Stickerei“, vgl. Lucr. 5,1428 purpurea [scil. veste] atque auro signisque ingentibus apta; Verg. Aen. 1,648 pallam signis auroque rigentem. iniecit ... manum: „Hand anlegen, mit der Hand ergreifen“, um eine Person bzw. einen Gegenstand festzuhalten, vgl. z.B. Sat. 8,4 iam ille mihi iniecerat manum; 115,5 inicio ego phrenetico manum; Catull. 35,9f. manusque collo / ambas iniciens roget morari; TLL 7.1.1613.67ff. Das reflexartige Zupacken der mulier entspringt dem natürlichen Impuls, etwas Wiedergefundenes, das einem selbst gehört und das man zurückhaben will, an sich zu reißen. Zugleich evoziert der Ausdruck das juristische Prozedere einer manus iniectio (so auch ARAGOSTI Anm. 31 und 1979, 109 Anm. 24; DEBRAY 1919, 66; PATIMO 2001, 186; dagegen GREWE 1993, 42 Anm. 25). Sie ist eine archaische Form, den Schuldner haftbar zu machen, und bestand darin, dass der Gläubiger an seinen Schuldner Hand anlegte, ihn vor den Prätor führte und dort sein Handanlegen unter Berufung auf seine Forderung begründete (HEUMANN–SECKEL s.v. 1a; KASER I 152f. §40; TLL 7.1.1617.31ff.). Im Kontext ist der Ausdruck reine Spielerei, da man eine manus iniectio mit einem Mantel nicht vornehmen kann. Gegen eine explizit juristische Auslegung spricht auch die Tatsache, dass Petron an den anderen Stellen den Ausdruck manus inicere ohne juristischen Nebensinn benutzt. magna vociferatione ... clamavit: Verstärkter (fast pleonastischer) Ausdruck: vociferatio („lautes Rufen, Schreien“) ist hier eine gesteigerte Form des üblicheren magna voce. Vgl. z.B. Colum. 7,12,1 nam quis hominum clarius aut tanta vociferatione bestiam vel furem praedicat, quam iste latratu? Ulp. dig. 47,10,15,12 cum vociferatione dictum est.

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latrones tenere clamavit: Die Frau liegt mit ihrem Ausspruch richtig: Enkolp und Askylt haben den Mantel gestohlen (Sat. 12,1 raptum latrocinio pallium), siehe Ess. 12–15, 1. Der Ausdruck ist als elliptischer AcI (scil. se; ERNOUT: „Je tiens mes voleurs“; DELZ 1970, 32 Anm. 4; PETERSMANN 41) und in einem erweiterten Sinn zu verstehen: „dass sie die Diebe erwischt/gefunden habe“, da die Frau mit ihren Händen den Mantel und nicht die Diebe hält. Die indirekte Rede passt zum folgenden proclamare nostra esse spolia, einem der vielen Parallelismen in dieser Szene (siehe unten Sat. 14,6). Keine überzeugenden Parallelen finden sich hingegen für einen gräzisierenden (in der römischen Volkssprache nicht unüblichen) imperativischen Infinitiv (SCHWYZER-DEBRUNNER 380–3; HSZ 366f. §200). Es ist nicht nötig, den Text von L zu korrigieren (siehe COCCIA 1973, 28f.) und tenere zu streichen (OUDENDORP; MÜLLER1; BÜCHELER2–6; nach Sat. 40,1 ‘sophos’ universi clamamus; Sat. 67,13 ‘au au’ illa proclamavit; vgl. Apul. met. 3,27 rumore vicinae conclama[n]tis latronibus; siehe FEIX 1934, 72) oder in tenete abzuändern (BÜCHELER1; SCHÖNBERGER 1935, 1244; nach Sat. 138,3 secutae fugientem ‘prende furem’ clamant) oder temere (PELLEGRINO1 232f.). Letzteres würde witzigerweise temere aus Sat. 12,6 wieder aufnehmen, wo Askylt den Mantel näher betrachtet, um eben nicht unüberlegt zu handeln (ne quid temere faceret). Doch stünde das Adverb ungünstig nahe bei magna vociferatione. § 14,6 contra nos perturbati, ne videremur nihil agere, et ipsi scissam et sordidam tenere coepimus tunicam atque eadem invidia proclamare nostra esse spolia quae illi possiderent: Wir dagegen waren verwirrt und begannen, um nicht den Anschein zu erwecken, als würden wir nichts tun, auch selbst die zerrissene und schmutzige Tunika zu halten und mit derselben Empörung auszurufen, uns gehöre die Beute, die jene besäßen. Die Reaktion der Protagonisten, d.h. der Gegenangriff zur Verteidigung, spiegelt die Aktion der mulier in Sat. 14,5. Die Symmetrie, die sich auch formal durch direkte sprachliche Bezüge ausprägt (tenere ... tunicam – latrones tenere; proclamare – clamavit; indirekte Rede im AcI – evtl. indirekte Rede im AcI), hat den Charakter einer Karikatur. Der Handlungsablauf entspricht zudem einer rei vindicatio (siehe dazu oben Sat. 13,3 vindicamus sowie ARAGOSTI 1979, 107 Anm. 16; FOCARDI 1986, 59 Anm. 9; DEBRAY 1919, 66): Die mulier ergreift den Mantel und schreit. Die vermeintlichen Diebe tun dasselbe und eröffnen damit das Prozedere der rei vindicatio. Diese wird hier jedoch insofern karikiert, als die Beteiligten nicht um eines, sondern um zwei Objekte streiten, wobei jeweils die eine Partei das im Besitz der anderen Partei befindliche Objekt für sich reklamiert (so auch FOCARDI 1986, 58). Eine solche doppelte vindicatio ist juristisch gar

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nicht denkbar – in diesem Fall müssten zwei aufeinanderfolgende separate vindicationes stattfinden (dagegen PATIMO 2001, 184, die darin keinen juristischen Sonderfall sieht). Die Handlung steigert sich ins Komödienhafte und setzt die Vision des Parasiten Saturio in Plaut. Pers. 70–2 in die Tat um: ubi quadrupulator quempiam iniexit manum, / tantidem ille illi rusus iniciat manum, / ut aequa parti prodeant ad trisviros. Eine zusätzliche komische Note liegt in der paradoxen Diskrepanz zwischen dem Wert der beiden res: eines wertvollen Mantels auf der einen Seite, einer schäbigen Tunika auf der anderen (so auch PATIMO 2001, 184). ne videremus nihil agere: Die des Diebstahls Beschuldigten fühlen sich unter Druck zu reagieren. Enkolp neigt als Erzähler zur Selbstironie. scissam et sordidam ... tunicam: Der armselige Anblick der zerrissenen und schmutzigen Tunika bildet einen ironischen Kontrast zur Bezeichnung spolia (siehe dazu unten). Das Verb scindere wird auch sonst häufig im Zusammenhang mit Kleidungsstücken verwendet, v.a. in der Wendung scissa veste (z.B. Liv. 3,58, scissa veste, tergum laceratum virgis ostendit; Prop. 2,15,18 scissa veste meas experiere manus; Ps. Quint. decl. 7,7 scissa lacerataque veste). scissa tunica in Priap. 12,11. Vgl. zudem Juv. 3,148 si foeda et scissa lacerna, / si toga sordidula est; Mart. 1,103,5 sordidior multo ... toga. eadem invidia proclamare: invidia steht hier (ebenso wie in Sat. 14,7 nostram ... ridebant invidiam) für „Empörung“, wie WISTRAND 1946, v.a. 363; ODELSTIERNA 1949, 26 Anm. 3 (mit Parallelen); SULLIVAN 1979, 4–6 herausstellen. Dabei schwingt sicher auch die Bedeutung von „Anschuldigung, Vorwurf“ (TLL 7.2.202.47ff.) mit, was vor allem durch die rhetorische und deklamatorische Literatur belegt ist, vgl. u.a. Cic. div. in Caec. 46 poterisne eius orationis subire invidiam?; Tac. ann. 11,34,3 multa cum invidia flagitaret; Ps. Quint. decl. 5,11 alia ... invidia. spolia: spolia als Bezeichnung für die wertlos scheinende Tunika passt zur parodistischen Situation (so auch FOCARDI 1986, 60 Anm. 11). Nur aus der Perspektive der Protagonisten handelt es sich um eine wertvolle Beute. Denn sie allein wissen von dem eingenähten Schatz. Und vielleicht ist der Schatz, und mit ihm die Tunika, ja auch im eigentlichen Wortsinn eine Beute, die einem Feind entrissen wurde. Zur wiederholten Bezeichnung der Tunika als Beute siehe oben Sat. 13,4 praedam und vgl. 13,1 mendici spolium. possiderent: Nimmt Bezug auf den Besitz (possessio), der bereits im Römischen Recht vom Eigentum (proprietas) unterschieden wurde. § 14,7 sed nullo genere par erat causa [nostra], et cociones, qui ad clamorem confluxerant, nostram scilicet de more ridebant invidiam, quod pro illa parte vindicabant pretiosissimam vestem, pro hac pannuciam

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ne centonibus quidem bonis dignam: Doch war der Fall in keiner Weise ausgeglichen, und die Geschäftemacher, die auf das Geschrei herbeigeströmt waren, lachten natürlich auf ihre Art über unseren Vorwurf, weil sie sahen, dass auf jener Seite ein sehr kostbares Kleidungsstück beansprucht wurde, auf unserer Seite ein nicht einmal für gute Flicken brauchbarer Lumpen. nullo genere: Umgangssprachlich für nullo modo, vgl. z.B. Sen. epist. 30,4 nullo genere homines mollius moriuntur. Vgl. auch Sat. 26,8 quonam genere anstelle von quomodo; 109,2 alio genere anstelle von alio modo; siehe dazu PETERSMANN 228. 264; TLL 6.2.1905.57ff. par ... causa [nostra]: „Der Fall (als Ganzes) war nicht ausgewogen.“ Der Satz ist stimmiger, wenn man das ohnehin nicht einhellig überlieferte nostra (dmrtp, l nam) streicht, das eine Echoschreibung des folgenden nostram sein könnte, das sich lediglich auf Enkolp und Askylt bezieht (so auch MÜLLER; PELLEGRINO2; DÍAZ Y DÍAZ u.a.). Ansonsten muss der Satz elliptisch aufgefasst werden: „unser Fall (bezogen auf Enkolp und Askylt) war nicht der gleiche (scil. wie der der Gegner )“ (so BROĪEK 1966, 289). cociones: coc(t)io ist die seltene, vulgäre Variante für das klassische arillator („Makler, Vermittler, Geschäftemacher“), so Gell. 16,7,12 (zu Laber. mim. 63 duas uxores? hercle hoc plus negoti est, inquit cocio; sex aediles viderat): ‘cocionem’ pervulgate dicit, quem veteres ‘arillatorem’ dixerunt; Fest. p. 19,1–4L arillator, qui etiam coccio appellatur, dictus videtur a voce Graeca, quae est , id est tolle, quia sequitur merces, ex quibus quid cadens lucelli possit tollere. Der cocio ist bekannt für seine Gewinnsucht, wie auch aus Porph. Hor. sat. 2,3,25f. deutlich wird: Mercuriale[m] quasi lucrosum, quia Cocio appellabatur. omnes enim cociones lucro student. Siehe zum Wort STEFENELLI 1962, 19f.; HERAEUS 1937, 56f.; MARBACH 1931, v.a. 18; PETERSMANN 25. cociones qui stammt von Salmasius. L hat die trivialisierende Verschreibung conciones quae (wie auch in Sat. 15,4 concionibus und 15,8 concionum). Das n wurde von MARBACH 1931, 18 als vulgäre Färbung („parasitisches n“) und typisches Zeichen der Dialekt- und Gaunersprache verteidigt. Theoretisch könnte concio als Nebenform zu contio, -onis f („Versammlung“) aufgefasst werden, doch hat der Plural in diesem Sinn („Versammlung irgendwelcher Leute“) keine Parallele (ARAGOSTI 1979, 109 Anm. 25). qui ad clamorem confluxerant: Vgl. eine ähnliche Szene in der apuleischen Geschichte über Diophanes und Cerdo (Apul. met. 2,13f.), die sich ebenfalls auf einem Markt abspielt: 2,13 cum frequentis populi circulo; 2,14 nos omnis circumsecus adstantes in clarum cachinnum videret effusos. nostram ... ridebant invidiam: Die cociones lachen über die invidia (siehe oben Sat. 14,6 eadem invidia proclamare) von Enkolp und Askylt, dies aber klar vor dem Hintergrund der invidia bzw. Forderung der anderen. Die Wie-

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derholung von Sat. 14,6 ist nicht störend. Bedenkenswert ist allenfalls eine Änderung in inscitiam „Ungeschicklichkeit“ (tm; GIARDINA 1986–7, 390 Anm. 3; DÍAZ Y DÍAZ). Weniger überzeugend ist dagegen das von FRAENKEL vorgeschlagene insaniam (MÜLLER1). scilicet de more: scilicet affirmativ „freilich, natürlich“. Es liegt klar auf der Hand, weshalb die cociones lachen: Die zwei Streitobjekte unterscheiden sich äußerlich frappant. de more (nach TLL 8.1527.83ff. „ex consuetudine“, „wie es Brauch ist“, „wie gewöhnlich“) ist von vielen Seiten verdächtigt worden. Belässt man es so im Text, muss man davon ausgehen, dass die cociones im Ruf stehen, immer auszulachen (so z.B. COCCIA 1973, 29f., der meint, der Ausdruck charakterisiere hier die cociones und leite die folgende karikierende Beschreibung eines ihrer Exponenten [Sat. 15,4] ein), was sich durch keine Parallelen belegen lässt. Alternativ kann man mit AMMANNATI 2006 de more von scilicet trennen und hinter qui ad clamorem setzen. de more ist dann allgemeiner zu verstehen und auf den verbreiteten Brauch zu beziehen, dass sich Leute versammeln, wo gestritten wird. Nicht durchzusetzen vermochten sich hingegen Änderungen von de more in scilicet uno ore deridebant (EHLERS in App. MÜLLER2) oder pleno ore (GIARDINA 1986–7, 390f. und Anm. 8) – wobei beide Fälle paläographisch erklärbar wären durch Kontraktion der aufeinanderfolgenden o (PLENO ORE; PLENORE; DE MORE) – oder gar die Tilgung von scilicet de more (FUCHS 1959, 60 und FRAENKEL in MÜLLER1). pro illa parte ... pro hac: Die syntaktische Parallelkonstruktion hebt semantisch den Wertunterschied der Gegenstände hervor. Bereits scilicet oben unterstreicht die Diskrepanz. vindicabant: L überliefert vindicabant, was von BROĪEK 1966, 289; VAN DER PAARDT 1996, 69 Anm. 22; ERNOUT u.a. verteidigt wird. Die Emendation stammt von STRELITZ 1879, 630, dem u.a. MÜLLER gefolgt ist, wegen des unlogischen Subjektswechsels von ridebant zu vindicabant. Sie ist nicht zwingend, führt aber zu einem besseren Lesefluss. Zur Bedeutung von vindicare siehe oben Sat. 13,3 vindicamus. pretiosissimam vestem: Der Mantel erregt auf einem Markt mit nicht wertvoller Ware (Sat. 12,1 non quidem pretiosarum) Aufmerksamkeit. Der Elativ steht zur Hervorhebung des Gegensatzes zur Tunika (pannucia). pannuciam: Eine pannucia (scil. vestis) ist ein von Flicken übersätes Gewand: Isid. orig. 19,22,24 pannucia nunupata quod sit diversis pannis obsita. Siehe zum Wort CAVALCA 2001, 121f.; STEFENELLI 1962, 20f.; KISSEL 1990 ad 4,21. centonibus: Ein cento ist ein aus allerhand Lappen bestehendes StoffFlickwerk. Vgl. Apul. met. 1,6 sutili centuculo; 7,5; 7,9 u.a.

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§ 14,8 hinc Ascyltos †pene† risum discussit, qui silentio facto ... inquit: Da machte Askylt dem Gelächter †fast† ein Ende, indem er Ruhe gebot und sagte: †pene†: Inhaltlich und an dieser Stelle schwer zu halten ist pa(e)ne („fast“) von ldmrtp1, auch wenn die Ruhe bald darauf wieder gestört wird, wie BROĪEK 1966, 289 zur Stützung von paene anführt. bene von p2 (BÜCHELER1–6, ERNOUT; SOVERINI 1974–5, 227–9) wäre eine akzeptable Lösung: Bezogen auf den Verlauf der Handlung (CESAROTERZAGHI: „sedò allora con bel gabo le risate“; HESELTINE–WARMINGTON: „cleverly stopped their laughter“) billigt der Erzähler mit bene Askylts vernünftiges Argument, das dem Lachen der cociones ein Ende setzt. Der/Die Abschreiber scheinen aber mit dem Wort auch im Folgenden Mühe gehabt zu haben (Sat. 15,2 †iam pene†). Von den zahlreichen Verbesserungsversuchen, die an dieser Stelle unternommen wurden, sind erwähnenswert: plane (DELZ 1962, 681 mit Angabe von Sat. 53,1 et plane interpellavit; GIARDINA–MELLONI); perite (LEARY 2001a, 315; VANNINI 2006, 272 Anm. 1); repente (MÜLLER1; GIARDINA 1980–3, 243; WALSH). silentio facto ... inquit: Ein üblicher Weg, sich Gehör zu verschaffen, vgl. Sat. 59,3 mox silentio facto ‘scitis’ inquit ‘quam fabulam agant? ...’; Liv. 6,15,4 tum dictator silentio facto ... inquit u.a.

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Kapitel 15 Der Streitfall löst sich auf. § 15,1 ‘videamus’, inquit, ‘suam cuique rem esse carissimam; reddant nobis tunicam nostram et pallium suum recipiant.’: „Sehen wir doch ein, dass jedem seine Sache das Liebste ist: So sollen sie uns unsere Tunika zurückgeben und dafür ihren Mantel wiederbekommen.“ Askylt unternimmt einen Versuch, den Streit beizulegen. Seine Ernsthaftigkeit steht im Kontrast zum Lachen der cociones und den vorausgehenden Sätzen des Erzählers (scilicet, Herausstreichung des unterschiedlichen Wertes). Dass Askylt persönlich sehr an diesem Stück hängt, ist die für diesen Schlichtungsversuch einzige glaubwürdige Erklärung. Gleichzeitig ist es aber ein implizites Schuldeingeständnis: Er gibt mit seinem Vorschlag indirekt zu, dass das pallium nicht ihnen gehört. videamus: Der einhellig überlieferte Konjunktiv videamus kann als Hortativ („Sehen wir doch ein, dass ...“) gehalten werden. Die lectio difficilior wird in anderen Editionen gerne durch die Emendation videmus von JUNGERMANN ersetzt. suam cuique rem esse carissimam: Sprichwörtliche Redensart, vgl. Cic. Tusc. 5,63 in hoc enim genere ... suum cuique pulchrum est; Plin. nat. 14,71 quando suum cuique placet; Cic. Att. 14,20,3 ‘suam quoique sposam, mihi meam; suum quoique amorem, mihi meum’; siehe OTTO s.v. suus. Askylt beansprucht mit seiner Aussage jedoch weniger sprichwörtliche Allgemeingültigkeit, als dass er sie auf den konkreten, vorliegenden Fall bezieht. reddant ... recipiant: Der Satz ist klangvoll: reddant nobis tunicam nostram et pallium suum recipiant und spiegelbildlich aufgebaut. § 15,2 etsi rustico mulierique placebat permutatio, advocati tamen †iam pene† nocturni, qui volebant pallium lucri facere, flagitabant uti apud se utraque deponerentur ac postero die iudex querellam inspiceret: Auch wenn der Tausch dem Bauern und der Frau gefiel, forderten die †schon fast† nächtlichen Advokaten, die aus dem Mantel Gewinn ziehen wollten, dass beides bei ihnen hinterlegt würde und am nächsten Tag ein Richter den Streitfall untersuchte. rustico mulierique: Hier wird die mulier gegenüber dem Bauern nicht mehr heruntergestuft, vgl. dagegen Sat. 12,3 cum muliercula comite. advocati tamen †iam pene† nocturni: Der Ausdruck ist Gegenstand fortwährender Diskussionen. Erstens ist umstritten, was advocati nocturni (sei es mit oder ohne †iam pene†) genau bedeutet, zweitens, ob es sich dabei um eine Beschreibung der cociones (FOCARDI 1986, 63), einen Teil der cociones (PA-

Kap. 15 TIMO 2002) oder eine neue Personengruppe DER PAARDT 1996, 69) handelt.

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Grammatisch kann advocati ... nocturni folgendermaßen aufgefasst werden: 1. Partizip + Sustantiv „herbeigerufene Streife“ (evtl. tresviri capitales) [iam pene] reißt den Ausdruck auseinander, müsste aus dem Text gestrichen werden

2. Substantiv + Adjek- 3. Substantiv + [iam pene] + tiv Substantiv „nächtlich-obskure „Advokaten, ja geradezu DunAdvokaten“ kelmänner“ iam paene korrigiert den Aus[iam pene] müsste druck advocati. Möglich wäre gestrichen werden: auch, darin ein präzisierendes Entweder sind sie „nächtlich“ oder nicht, Adjektiv zu vermuten (rapaces vgl. engl. „ladies of the o.Ä.). night“ für Prostituierte Der sich anschließende Relativsatz qui volebant pallium lucri facere erklärt die dubiosen Gestalten passend.

Der sich anschließende Relativsatz qui volebant pallium lucri facere steht im Gegensatz zum Ausdruck. Die nocturni bilden neben Die advocati können mit den cociones eine Gruppe (oder den cociones eine zweite aber auch zwei Gruppen) bilden. Gruppe.

Keine der drei Varianten befriedigt ganz. M.E. ist Fall 1 am unwahrscheinlichsten und Fall 2 am wahrscheinlichsten (siehe zur Argumentation im Einzelnen unten): Die cociones (oder eine Untergruppe der cociones), die sich nach der Rede Askylts (Sat. 15,1) um ihren Gewinn geprellt sehen, spielen sich mit juristischen Argumentationen als „Advokaten“ auf. Vom Erzähler werden sie als die entlarvt, die sie wirklich sind: Winkeladvokaten mit zweifelhafter, im Dunkeln liegender Legitimation. Was die Gruppenaufteilung betrifft, spricht, sofern kein Text ausgefallen ist, mehr für eine (wenn auch nicht homogene) Gruppe. Für zwei Gruppen kann lediglich ins Feld geführt werden, dass zwei Bezeichnungen gebraucht werden (cociones sind nicht gleich advocati ... nocturni). Für eine Gruppe hingegen sprechen zwei Punkte: 1. Die cociones und advocati nocturni werden gegen Ende der Szene von Enkolp als eine Gruppe aufgefasst (Sat. 15,5 praedones; 15,8 acumen ... cocionum). 2. Auch die cociones gehören zur juristischen Halbwelt, zumindest der eine: Sat. 15,4 solebat aliquando etiam causas agere. Doch muss einschränkend mitbedacht werden, dass sich eine Gruppe von Leuten ohne jede amtliche Legitimation, wie sie die cociones darstellen, mit

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ihrer Forderung ziemlich lächerlich machen würde. Andererseits ist es so, dass sich einer der cociones aufdrängt und den Vorschlag der advocati (teilweise) umsetzt, indem er sich (nur) des pallium bemächtigt (Sat. 15,4). Dies würden doch weder die offizielle Streife noch die advocati ... nocturni zulassen, sofern der cocio nicht einer aus ihren Reihen ist. advocati: In der Kaiserzeit sind advocati „Rechtsgelehrte“ (KUBITSCHEK, RE s.v. advocatus 437; TLL 1.891.57ff.; so auch bei Petron in Sat. 96,4 advocationemque commendabam). Diese waren auf dem Forum schnell und leicht zugegen, wie man von der römischen Komödie weiß: z.B. Ter. Eun. 763f. trascurro ad forum, / volo ego adesse hic advocatos nobis in turba hac. Dort ist der advocatus ein gängiger Typus und sorgt eher für Verwirrung, als dass er hilft, vgl. z.B. Plaut. Poen. 515ff.; Ter. Phorm. 459 (siehe auch SCHMELING 1992, 532; PATIMO 2002, 31). Auch andere Autoren geben Bericht über zweideutige advocati: Sen. dial. 4,7,3 quanto turpiores advocatos habent!; Gell. 2,12,6 advocatis malivolis aut avaris qui lites animasque eorum inflamment aut odii studio aut lucri. Die advocati lediglich als „herbeigerufen“ aufzufassen (Fall 1; VON DOMASZEWSKI, BÜCHELER4-6), scheint in diesem Zusammenhang (wer sollte herbeigerufen haben? – siehe unten) und im Umfeld der zahlreichen juristischen Termini zu schwach. Auch die Stellung von tamen hinter advocati spricht tendenziell dafür, dass advocati das wichtigste Wort des Satzes und deshalb substantivisch aufzufassen ist. †iam pene†: [iam pene] MÜLLER, wobei MÜLLER1 †iam pene† hat. ltp1 haben pene, was von p2 in paene abgeändert wurde. Bis jetzt wurde noch keine akzeptable Lösung gefunden. Oft werden die Wörter (evtl. als Doppelung nach †pene† risum discussit) aus dem Text gestrichen (FUCHS 1959, 60; MÜLLER), verschoben (vor placebat VANNINI 2006, 272–6) oder (bisher ohne Erfolg) zu korrigieren versucht (siehe im Überblick VANNINI 2006, 272–6; DELZ schlägt iam plena vor; SULLIVAN 185 ergänzt zu iam paene und fasst es als Parenthese auf; NISBET 1962, 230 [DÍAZ Y DÍAZ] ändert in importune, SAGE-GILLELAND in etiam poenae, MÜLLER1 in in rem praesentem, ROSE 1965, 223 in [iam] repente, GIARDINA–MELLONI im App. (dub.) in immo plane oder paene. BROĪEK 1965, 429 meint, das korrupte iam pene sei ein Schreibfehler von III VIRI). †iam pene† nach BÜCHELER4-6 in iam poenae (evtl. Dat. finalis, so ROWELL 1957, 225) umzuwandeln (HESELTINE–WARMINGTON: „but by this time some policemen had been called in to punish us“), ist aus mehreren Gründen unplausibel: Den advocati ... nocturni steht keine exekutive Gewalt im Strafrecht zu (SCHEIDWEILER 1925, 200 Anm. 1; dazu unten). Sie haben – das zeigt der Fortgang der Geschichte – kein Interesse zu strafen und sind lediglich auf eine Deponierung des Mantels aus. Zudem: Wer auf dem Markt (um diese

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Zeit, wo jeder selbst verdächtig ist) sollte Ordnungshüter herbeirufen, damit diese strafen? Auch syntaktisch-grammatikalisch ist ein Dat. finalis an dieser Stelle schwer vertretbar (ARAGOSTI 1979, 110 Anm. 26; COCCIA 1973, 37f. Anm. 110), zudem schließt der folgende Relativsatz zu unvermittelt an (PATIMO 2002, 12). nocturni: Ein Blick auf die Übersetzungen zeigt, wie schwer man sich mit dem Begriff nocturnus tut: „certi avvocati, che entrano in azione, sul far della notte (ai limiti della legge), e infatti, stavo per dire ‘faccendieri notturni’“ (FOCARDI 1986, 72 Anm. 57); „pur tuttavia dei testimoni con funzioni intermediarie, ormai quasi sul far della notte (alla luce crepuscolare)“ (PATIMO 2002, 35); „avvocati – o piuttosto dei ladri, vista l’ora ed il luogo“ (ARAGOSTI); „advocates and yet little more than thieves“ (JENSSON 2004, 224); „voleurs de nuit“ (ERNOUT). M.E. ist es am besten, den Begriff als Adjektiv (Fall 2) mit einer ethischmoralischen Bedeutung aufzufassen. Das Adjektiv findet sich oft in Verbindung mit Verbrechern o.Ä., vgl. Sat. 9,9 nocturne percussor; 82,2 nocturnus grassator; Juv. 8,144f. quo, si nocturnus adulter / tempora Santonico velas adoperta cucullo?; Quint. inst. 5,10,88 si furem nocturnum occidere licet, quid latronem? Ulp. dig. 47,17,1 fures nocturni extra ordinem audiendi sunt; Calp. ecl. 3,73f. ut mala nocturni religavit bracchia Mopsi / Tityrus et furem medio suspendit ovili. Die negative Färbung des Adjektivs, die auch der folgende Relativsatz (qui volebant pallium lucri facere) impliziert, rührt daher, dass die Nacht oft „Komplizin“ von Dieben und Verbrechern ist (z.B. Ov. met. 13,15 quorum [scil. factorum] nox conscia sola est. Apul. met. 1,16 grabattulus als conscius et arbiter, quae nocte gesta sunt). Das Adjektiv könnte in diesem Sinn auch substantivisch aufgefasst werden (Fall 3), was aber nicht sehr häufig belegt ist, vgl. evtl. Sat. 57,3 larifuga nescio quis, nocturnus, qui non valet lotium suum (sofern man nicht auf die Kommata verzichtet). Theoretisch nicht undenkbar (siehe zur Einschränkung oben) ist es, in den advocati nocturni einen „herbeigerufenen Sicherheitsdienst“ zu sehen (Fall 1), wie dies VON DOMASZEWSKI; BÜCHELER4-6; BROĪEK 1966, 288f.; MERKELBACH 1963; ROSE 1965, 222f.; WALSH 160 Anm. 15; EHLERS; DÍAZ Y DÍAZ vertreten. Sie fassen nocturni als festen Begriff zur Bezeichnung eines nächtlichen Sicherheitsdienstes – einer Art Nachtpolizei – auf, indem sie darin die Abkürzung von triumviri nocturni sehen und diese nach MOMMSEN II 594–7 (als umgangssprachliche Variante) mit den tresviri capitales gleichstellen. Die entsprechenden Quellen zeigen, dass es sich bei den triumviri nocturni um eine Vorform der capitales handelt und sich ihre Funktion auf die Feuerwache beschränkte (so CASCIONE 1999, v.a. 9f. 22–4. 78f.; STRASBURGER, RE s.v. triumviri): z.B. Liv. 9,46,3 triumviratibusque, nocturno altero, altero coloniae

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deducendae; Paul. dig. 1,15,1 apud vetustiores incendiis arcendis triumviri praeerant, qui ab eo quod excubias agebant nocturni dicti sunt. qui volebant pallium lucri facere: Der Relativsatz charakterisiert die advocati ... nocturni genauer und findet eine Parallele in der ähnlichen Aussage Enkolps in Sat. 15,5 ut semel deposita vestis inter praedones strangularetur. Zu den Personen beschreibenden Relativsätzen bei Petron, die oft als Interpolationen verdächtigt werden, siehe COCCIA 1973, 38–43; SULLIVAN 1976; Einl. 2. Vgl. auch unten Sat. 15,4 qui solebat aliquando etiam causas agere. lucri facere ist eine häufige Junktur v.a. in der Gerichtssprache (TLL 7.2.1724.32), aber auch z.B. bei Plaut. Most. 354 facere ... lucri; Pers. 668 fecisti lucri; 713 fecisti lucri (weitere Stellen bei PATIMO 2002, 25). flagitabant: flagito als gesteigertes posco: mit Geschrei und Beharrlichkeit. Das Verb hat hier einen juristischen Beiklang, wie z.B. auch bei Plaut. Men. 46 quia illum clamore vidi flagitarier; Pseud. 556 clamore magno et multo flagitabere; 1145 tu, bone vir, flagitare saepe clamore in foro; Sat. 92,7 non minore clamoris indignatione Gitona flagitabat. Siehe TLL 6.1.843.23ff.; PATIMO 2001, 187f.; 2002, 27. uti: Auffallend ist die Form uti (hier einzig statt ut), die den „carattere solenne ed arcaico“ unterstreicht (PATIMO 2001, 187 Anm. 57). apud se utraque deponerentur: Aufforderung zur Hinterlegung (depositum), d.h. der unentgeltlichen Aufbewahrung einer beweglichen Sache. Hier geht es um die Sonderform der Sequestration, die Hinterlegung einer Sache durch mehrere Personen zum Zweck der Sicherstellung, etwa (wie hier) für die Dauer eines Prozesses, beim Sequester („Vertrauensmann, Mittelsperson“), vgl. Sat. 15,4 iam sequestri placebant. Für diese Zeit wird der Sequester (im Unterschied zum Depositar) Besitzer der Sache. Die Herausgabe der Sache kann nur die siegreiche Partei nach dem Streitentscheid fordern, und zwar mit einer besonderen actio (depositi) sequestraria. Siehe KASER I 534–6 §126; ZIMMERMANN 1996, 205–20; Ulp. dig. 16,3,5,1; Pomp. dig. 16,3,12,2; Paul. dig. 16,3,6; Modestin. dig. 50,16,110. Vgl. in der Lit. z.B. Plaut. Rud. 1004f., wo Trachalion, um in Besitz eines Schatzes zu kommen, einen Sequester anstellen will: tu istunc hodie non feres, nisi das sequestrum aut arbitrum / quoiius haec res arbitratu fiat. Die advocati ... nocturni fordern ihrerseits ein sequestrum, obwohl sie das juristisch gesehen gar nicht anordnen können: Die Streitenden können im Normalfall ein sequestrum aus freien Stücken wählen, wobei sich beide Parteien einverstanden erklären müssen. „Also ist alles nur Bluff“, so SCHEIDWEILER 1925, 200, was ja auch Enkolp vermutet. postero die iudex querellam inspiceret: Dass der Streitfall bereits am folgenden Tag verhandelt werden soll, ist für antike Verhältnisse nicht unplausi-

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bel, zumal es sich hier nicht um ein Gericht im heutigen Sinn handelt, sondern um Privatrichter, die man jederzeit bestellen konnte. § 15,3 neque enim res tantum quae viderentur in controversiam esse, sed longe aliud quaeri, in utraque parte scilicet latrocinii suspicio haberetur: Denn nicht nur die Dinge, die offenkundig im Streit seien, sondern weitaus mehr sei zu untersuchen, da bei beiden Parteien Verdacht auf Diebstahl bestehe. Die Ersparung des Verbums dicendi kommt bei Petron öfter vor, z.B. Sat. 111,8. Siehe KST II 552f. §240; HSZ 423f. §224; PETERSMANN 43. quae viderentur: Aufgrund des natürlichen Sprachflusses ist quae viderentur zu in controversiam esse zu ziehen (wie z.B. ERNOUT) und nicht als kurzer eingeschobener bzw. elliptischer Relativsatz zu betrachten (wie z.B. EHLERS; FOCARDI 1986; DÍAZ Y DÍAZ). in controversiam esse: t.t. der Gerichtssprache. controversia ist ein so gebräuchlicher Begriff, dass er neben suasoria zur Bezeichnung einer literarischen Gattung avancierte (so stets bei Petron, z.B. Sat. 48,4). Vertauschung von Abl. und Akk. nach in (ausser tp controversia; vgl. zum üblichen Abl. z.B. Cic. inv. 1,67 quod in controversia est). Der Akk. wurde aus formelhaften Wendungen mit venire o.Ä. (z.B. Cic. Verr. II 2,37 in controversiam venisset) übernommen; siehe dazu HSZ 276–8 §156; HOFMANN 166 §152; PETERSMANN 104. longe aliud quaeri, : quaeri stammt von tm, dem die meisten Editoren gefolgt sind (anders PELLEGRINO1 quaeri, ; ders.2 quaeri, ; SHACKLETON BAILEY 1987, 458 quaeri ). Evtl. hat quaeri das Verschwinden von quod (oder einem im Schriftbild noch ähnlicheren ) unterstützt. quaerere ist hier im juristischen Sinn von „quaestionem habere, inquirere“, „etw. gerichtlich untersuchen“ (siehe FORCELLINI s.v. quaero.; HEUMANN–SECKEL s.v. quaero 3) zu verstehen, vgl. u.a. Ter. Ad. 482 hunc abduce vinci, quaere rem; Cic. Verr. I 27 alterum esse quaesiturum de pecuniis repetundis. Vgl. die bewusste Wiederaufnahme des Verbs unten Sat. 15,5 nihil aliud quaeri. FRAENKELS Streichung von quaeri (MÜLLER1) aufgrund von Sat. 15,5 zerstört den Bezug der beiden Stellen zueinander und kommt umso weniger in Betracht, wenn man in controversiam esse zu viderentur zieht und nicht parallel zu quaeri auffasst. in utraque parte: Nach GIARDINA 1986–7, 392 müsste der formelhafte Ausdruck im Akkusativ stehen: in utramque partem (vgl. OLD, s.v. pars 14). Es gibt aber genügend Beispiele für in utraque parte (z.B. Cic. Lig. 19; orat. 204). scilicet: scilicet bekräftigt etwas, was offensichtlich ist und nicht erst bewiesen werden muss – wie in Sat. 63,8 quia scilicet „ja, nämlich“ (FOCARDI 1986, 71 Anm. 55). Und in der Tat besteht ein klarer Verdacht auf Diebstahl, wenn die

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beiden Parteien gegenseitig den Besitz der jeweils anderen für sich beanspruchen. latrocinii suspicio: Im Mittelpunkt der Auseinandersetzung stehen nun nicht mehr die konkreten res (pallium und tunica), sondern der Verdacht auf Diebstahl, der als Privatdelikt unter das Zivilprozessrecht fällt. Es käme neben der Vindikation also noch die actio furti (Diebstahlklage als private pönale Klage) hinzu, bei welcher der „Streitwert“ sogar dem doppelten Wert des Streitgegenstandes entspricht. § 15,4 iam sequestri placebant, et nescio quis ex cocionibus, calvus, tuberosissimae frontis, qui solebat aliquando etiam causas agere, invaserat pallium exhibiturumque crastino die affirmabat: Schon beschloss man, Mittelsmänner zu finden, und irgendeiner dieser Geschäftemacher, kahlköpfig, mit stark vorgewölbter Stirn, der manchmal auch Rechtsfälle zu behandeln pflegte, hatte sich auf den Mantel gestürzt und beteuerte, ihn am folgenden Tag vorzulegen. Der cocio reißt lediglich den Mantel an sich, während es zuvor noch darum ging, beide Gegenstände (utraque) sequestrieren zu lassen. Er offenbart so die wahren Absichten der praedones und bestätigt Enkolp in seiner Vermutung (Sat. 15,2 advocati ... nocturni, qui volebant pallium lucri facere; 15,5 ceterum apparebat nihil aliud quaeri nisi ...). Diese Stelle erhärtet die (mindestens Teil-) Identität zwischen cociones und advocati ... nocturni (siehe oben Sat. 15,2). iam sequestri placebant: Ein sequester ist (im Gegensatz zu den advocati!) eine Person, die „daneben/außerhalb steht“ (secus), also unparteiisch ist und kein eigenes Interesse verfolgt (ZIMMERMANN 1996, 219; KASER I 389 §94). Elliptische Ausdrucksweise für „it was suggested that trustees should be appointed“ (HESELTINE–WARMINGTON); „schon einigte man sich auf Depositare“ (EHLERS); „già stava prevalendo l’idea di affidare la roba ai depositari“ (ARAGOSTI). Es besteht kein Grund, in sequestri ein anormales Neutrum Plural des abstrakten Substantivs sequestrum („Sequestrationen, Sequestrierungen“) zu vermuten (z.B. PELLEGRINO2 193). Alle Beispiele solcher Kasusabweichungen finden sich in der Cena und sind Merkmale der vulgären Sprache (z.B. balneus statt balneum in Sat. 41,11). Zudem passt die Personenbezeichnung besser zum weiteren Verlauf des Satzes, wo sich sofort ein cocio selbst zum sequester ernennt. Auch der Änderungsvorschlag von COURTNEY 1988, 74 iam sequestrari placebat ist nicht nötig. nescio quis ex cocionibus: Die dubiose Gruppe der cociones (siehe oben Sat. 14,7 cociones) erhält mit der Karikatur des einen cocio ein Gesicht. Die folgende negative Beschreibung des Äußeren lässt auf mangelnde Seriosität der Person schließen. nescio quis wird von Petron gerade bei zwielichtigen Gestal-

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ten gerne verwendet: Sat. 57,3 larifuga nescio quis, nocturnus, qui non valet lotium suum; 92,10 nescio quis enim, eques Romanus ut aiebant infamis. calvus, tuberosissimae frontis: Diese äußerlichen Merkmale kennzeichnen den cocio sogleich als windig, nicht vertrauenswürdig und verweisen auf dessen zweifelhafte Geschäftstätigkeit. Kahlköpfigkeit ist (außerhalb des religiösen Kontextes) u.a. Zeichen für Gier, Lüsternheit oder Dummheit, hier am ehesten für (unlauteres) Gewinnstreben, was Bestätigung findet in Non. p. 10,21L (6M): Nonius erklärt das alte Wort calvitur als „getäuscht werden – abgeleitet von den kahlköpfigen Mimus-Darstellern, weil sie jeden austricksen“. Siehe WINKLER 1985, 226; PANAYOTAKIS 1995, 29; VAN MAL-MAEDER 1997, 106f. Vgl. zur Verspottung von Kahlköpfigkeit auch das capillorum elegidarion in Sat. 109,9f. tuberosissimae frontis: Durch seine Kahlköpfigkeit wirkt die Stirn des cocio viel mächtiger und vorgewölbt (tuberosa; vgl. dt. „Eierkopf“, engl. „egghead“), vgl. z.B. Ter. Ad. 245 tuber est totum caput. Alternativ kann man unter dem Ausdruck tuberosissimae frontis auch verstehen, dass der cocio Pusteln auf der Stirn hat. Der Superlativ steht hier zum Zweck der Komik und Parodie, HOFMANN 90–2 §84 („komischer Superlativ“), häufig bei Plautus, aber auch bei Petron z.B. in Sat. 92,12 mutabam ego frequentissime vultum. qui solebat aliquando etiam causas agere: Einer, der Rechtsfälle behandelt hat. In Kombination mit obiger negativer Beschreibung seines Äußeren: ein professioneller Rechtsverdreher. Woher weiß das der Erzähler? Vielleicht hat der Kauz so sein Vordrängen begründet. invaserat pallium: invadere im juristischem Sinn „etwas unrechtmäßig in Besitz nehmen“ (TLL 7.2.113.81ff.), vgl. z.B. Sen. contr. 2,1,20 aliena bona invadere. exhibiturumque crastino die: [scil. se pallium]. Zum fehlenden se vgl. oben Sat. 7,4 putares ... exhibere versteht sich im Sinn von „eine Sache (vor dem iudex) vorführen, vorzeigen“ (HEUMANN–SECKEL s.v. 1; TLL 5.2.1419.60ff.) Die Stelle spielt auf die actio ad exhibendum an, ein auf die Hauptklage (vindicatio) oder auch das Interdikt vorbereitendes Rechtsmittel zur Vorlegung oder Vorführung der umstrittenen Sache vor dem Prätor. Diese muss bei einem Prozess physisch vorliegen (KASER I 434 §103). Doch erstreckt sich eine actio ad exhibendum normalerweise nicht auf Dritte. § 15,5 ceterum apparebat nihil aliud quaeri nisi ut semel deposita vestis inter praedones strangularetur et nos metu criminis non veniremus ad constitutum. ...: Im Übrigen schien nichts anderes angestrebt zu werden, als dass das Kleidungsstück, einmal deponiert, unter den Gaunern zum Ver-

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schwinden gebracht wird und wir aus Angst, eines Vergehens beschuldigt zu werden, nicht zum Termin erscheinen. ceterum: Das Adverb dient hier zur Einleitung eines neuen Gedankens (TLL 3.970.28ff.; vgl. Sat. 29,1 u.a.) und ist leicht adversativ (OLD s.v. ceterus 5c; GEORGES s.v. ceterus „in Wahrheit“). nihil aliud quaeri: Die advocati sind unter dem Deckmantel eines juristischen Verfahrens (Sat. 15,3 longe aliud quaeri) lediglich auf die Bereicherung an dem Mantel aus (nihil aliud quaeri). semel deposita vestis inter praedones strangularetur: deponere ist hier (wie in Sat. 15,2) Fachausdruck für sequestrare, siehe auch LEFÈVRE 2007, 164 Anm. 50. strangulare ist eine starke Metapher (eig. „erwürgen, erdrosseln“), um den Eifer anzuzeigen, mit dem sich die praedones auf den Mantel stürzen (FOCARDI 1986, 64 Anm. 22). Das Verb verweist natürlich auch ironisch auf die Zwielichtigkeit dieser nächtlichen Forumsbesucher. Nach FUCHS 1959, 60f. könne „von einem Erdrosseln des Kleidungsstücks nicht die Rede sein“. Deshalb (aber auch aufgrund von veste is in lm) emendiert er veste is inter praedones strangularetur („einen Prozess abwürgen“), was jedoch inhaltlich nicht gut in die Situation passt. praedones: „Beutemacher“, wobei auch die jur. Bedeutung mitspielt: „Personen, die sich illegal am Vermögen anderer bemächtigen“, z.B. Paul. dig. 5,3,28 lucrum auferendum esse tam bonae fidei possessori quam praedoni; Ulp. dig. 5,3,25,3. Dieser starke Ausdruck fällt erst jetzt, als die Absichten der Gauner offenkundig werden. Falls es sich bei den cociones und advocati nocturni um zwei Gruppen handelt, fasst der Begriff hier beide zusammen (siehe dazu oben Sat. 15,2). nos: Enkolp und Askylt sowie die Bauern. Denn wichtiger ist ja, dass die Bauern nicht erscheinen, weil sie Anspruch auf den Mantel erheben könnten. metu criminis: crimen steht metonymisch für die incusatio und die poena, die sich aus der Feststellung und dem Erkennen eines crimen ergeben (PATIMO 2001, 191 Anm. 67). Die Junktur ist verschiedentlich in juristischen Quellen bezeugt, z.B. Ulp. dig. 29,5,1,23; Marc. dig. 48,21,3 praef. non veniremus ad constitutum: Das substantivierte Adj. constitutum bedeutet (in der Verbindung mit venire) „verabredete Zusammenkunft, Termin“, vgl. Varro rust. 2,5,1 qui tam sero venisset ad constitutum; Cic. Att. 12,1,1 V Kal. igitur ad constitutum; Sat. 57,5 constitutum habui numquam; siehe TLL 4.524.47ff.; BRUNS 1882, 231f.; KASER I 583f. §136. ...: MÜLLER setzt hier nach BÜCHELER1–6 zu Recht eine Lücke, da keine formale Verbindung zwischen den beiden Textpartien gegeben ist: idem ... volebamus passt sprachlich schlecht zur vorhergehenden Negation (non veniremus ad

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constitutum). Inhaltlich fügt es sich aber treffend in den Kontext: Sowohl die praedones (siehe dazu unten Sat. 15,6 utriusque partis votum) als auch Enkolp/Askylt wollen von einem Prozess absehen (siehe unten Sat. 15,6 idem ...). Ein an dieser Stelle verlorengegangener Textteil müsste diesen beiderseitigen Wunsch, einen Prozess zu verhindern, nochmals erläutern. Auch denkbar wäre schlicht der gemeinsame Versuch einer Einigung (LEFÈVRE 2007, 165). Alle anderen Vorschläge vermögen nicht zu überzeugen. Gegen BÜCHE1 LERS Ergänzung (in App.) rusticus autem et mulier vestem suam quam primum recuperare volebant spricht (so auch SCHEIDWEILER 1925, 201), dass der Bauer und die Frau nicht zu utriusque partis in Sat. 15,6 gehören. SCHEIDWEILER schlägt als Alternative etwa Folgendes vor: tunicam autem ne flocci quidem videbantur facere, immo optare, ut quam primum auferretur („Nun forderten die praedones auch das Depositum der Tunika“). Dagegen spricht jedoch, dass die praedones sicher kein Interesse an der Tunika haben, sie wollen sie sogar loswerden. Unbefriedigend bleibt MERKELBACHS Ergänzung (1963, 191f.), da sie den Anschluss an das Folgende nicht zu verbessern vermag: „Da sagte der Bauer: Es ist doch unerhört, dass ich wegen des Lumpenmantels des Diebstahls bezichtigt werde. – Ein Polizist: Gut, du gibst zu, dass es nicht dein Mantel ist? – Bauer: Ja. – Polizist (zu Askylt): Und du gibst zu, dass es nicht dein pallium ist? – Askylt: Ja. – Polizist: Dann, Bauer, gib dem Mann den Lumpenmantel, er ist ja doch nichts wert. Aber das pallium bleibt bis morgen früh konfisziert, ob nicht noch jemand anders Ansprüche erhebt.“ ...: Gegen eine Lücke sprechen sich VAN THIEL 1971, 30 (mit gewissem Zweifel), ARAGOSTI 1979, 112f. Anm. 28; SCHEIDWEILER 1925, 200f. aus. § 15,6 idem plane et nos volebamus. itaque utriusque partis votum casus adiuvit: Dasselbe wollten auch wir. Da half ein Zufall dem Wunsch beider Parteien. idem plane et nos volebamus: idem muss sich auf einen Wunsch der praedones beziehen, den Enkolp und Askylt teilen. Das ist durch utriusque partis (siehe unten) sowie aus dem (vorzeitigen) Schluss der Episode bedingt, wo der Bauer als Verlierer dasteht. Der gemeinsame Nenner sind der Wunsch nach einer Einigung und die Verhinderung eines Prozesses. Gegen die Annahme ARAGOSTIS (1979, 112 Anm. 28), idem beziehe sich auf das Depositum des pallium, spricht, dass Enkolp und Askylt dies sicher nicht aktiv wollen. plane hier in Bezug auf das Pronomen (im Gegensatz zu Sat. 12,5; 13,4; 14,1). itaque: Siehe zum lose anknüpfenden itaque („und so, da“, TLL 7.2.531.23ff.) oben Sat. 10,3 itaque. Der Vorschlag SÜTTERLINS (1996, 75 Anm. 233), den Satz hinter 15,7 zu versetzen, bringt keine Verbesserung. utriusque partis votum: Die beiden streitenden Parteien sind und waren bis anhin (Sat. 15,3 in utraque parte) Enkolp/Askylt und die Bauersleute. Doch es

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wäre höchst seltsam, wenn mit dem Zufall (casus), der den Parteien zu Hilfe kommt, die Handlung einer der beiden Parteien gemeint wäre. Zudem begünstigt die folgende Reaktion des Bauern seine eigene Lage nicht: Enkolp und Askylt kommen wieder in den Besitz ihres Schatzes, und der Mantel wird bei den praedones deponiert (so auch ARAGOSTI Anm. 32). So gesehen muss utriusque partis als dynamischer Terminus angesehen werden, der an dieser Stelle Enkolp/Askylt und die praedones umfasst. casus adiuvat: Ist es wirklich ein casus oder nicht eher die einzige mögliche Lösung für den Bauern, ohne Prozess davonzukommen? Er entledigt sich der billigen Tunika, deren rechtmäßiger Besitzer er nicht ist, und fordert die Deponierung des Mantels, von dem er behauptet, der Besitzer zu sein. Erzähltechnisch interessant ist, dass Enkolp strikt aus seiner damaligen Perspektive erzählt, d.h. seinen Wissensstand zum Zeitpunkt der Erzählung dem Publikum vorenthält (vgl. auch Sat. 13,1 o lusum fortunae mirabilem!; 15,8 ut putabamus). Nach ARAGOSTI 1979, 112 ist der casus eine Art deus ex machina, vgl. Bargates als deus ex machina in Sat. 96. Gerade im richtigen Moment erscheint er auf wundersame Art und Weise, vgl. Sat. 13,1 o lusum fortunae mirabilem! § 15,7 indignatus enim rusticus, quod nos centonem exhibendum postularemus, misit in faciem Ascylti tunicam et liberatos querella iussit pallium deponere, quod solum litem faciebat: Denn der Bauer, wütend über unsere Forderung, dass ein Lumpen vorgelegt werden müsse, warf Askylt die Tunika ins Gesicht und hieß uns, die wir keinen Grund mehr zur Klage hatten, den Mantel zu hinterlegen, welcher nun alleine den Streit ausmachte. nos centonem exhibendum postularemus: cento steht abschätzig für die Tunika, siehe oben Sat. 14,7 centonibus. exhibeo wird hier in der Bedeutung wie oben Sat. 15,4 von „vorlegen (damit die Sache vor den Richter kommt)“ gebraucht. Das Hinterlegen der Tunika wurde von Enkolp und Askylt ziemlich sicher explizit in einer Lücke gefordert. Implizit deuten bereits die Besitzansprüche in Sat. 14,6 proclamare nostra esse spolia und 15,1 reddant nobis tunicam nostram darauf hin. liberatos querella: querella ist der jur. t.t. für die gerichtliche Klage. liberare querella kann aus inhaltlichen Gründen nicht „von der Anklage befreien, freisprechen“ bedeuten (wie z.B. SCARSI übersetzt: „liberatici così dalla sua querela“), da nicht Enkolp und Askylt von der Anklage auf Diebstahl (des pallium) befreit werden, sondern sich der Bauer selbst vom Diebstahlvorwurf (der Tunika) entlastet. Gemeint ist also: „befreit, Klage führen zu müssen“ (EHLERS: „ersparte uns eine Verklagung“; ARROWSMITH: „since we now had nothing to complain of“; WALSH: „now that our complaint was dealt with“). Überlegens-

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wert ist auch der Änderungsvorschlag in liberatus von VANNINI 2006, 275 Anm. 8 und 2007a, 215f. quod solum litem faciebat: lis als t.t. für den Rechtsstreit vor dem Richter (TLL 7.2.1496.58ff.; HEUMANN–SECKEL s.v. 1), vgl. Sat. 14,1. Zum Ausdruck litem facere vgl. z.B. Quint. inst. 3,11,24 quid litem faciat (quod ab illis causa vel continens dicitur); 7,1,14 quae sit lex quae litem faciat. Lücke?: PITHOU signalisiert hier eine Lücke, die die meisten Editoren übernehmen, siehe VAN THIEL 1971, 30. Inhaltlich ist eine Lücke nicht nötig. Dass Enkolp und Askylt den Mantel zur Deponierung freigeben (BÜCHELER1 App. schlägt als Ergänzung vor: deponimus ergo pallium), versteht sich von selbst. Ob solche Ellipsen von leicht Ergänzbarem, die zur Steigerung des Erzähltempos dienen, bei Petron häufig vorkommen (wie evtl. zwischen Sat. 10,2 und 3), ist aufgrund des fragmentarischen Zustands des Textes nicht mit Sicherheit zu sagen. § 15,8 et recuperato, ut putabamus, thesauro in deversorium praecipites abimus, praeclusisque foribus ridere acumen non minus cocionum quam calumniantium coepimus, quod nobis ingenti calliditate pecuniam reddidissent: Nachdem wir den Schatz wiedererlangt hatten, wie wir glaubten, gingen wir Hals über Kopf in die Herberge zurück und begannen hinter verriegelter Tür zu lachen, nicht weniger über den Scharfsinn der Geschäftemacher als der Ankläger, weil sie uns mit ihrer ungeheuren Schlauheit das Geld wiedergegeben hätten. recuperato: Nimmt recuperare in Sat. 14,1 wieder auf und schließt den Kreis: Sie haben die Tunika wiedererlangt – jedoch nicht aus eigenem Antrieb. ut putabamus: Dieser aus der Perspektive des wissenden Erzählers gesprochene Einschub gab Anlass zu vielen Diskussionen, da er je nach Auffassung fundamentale Konsequenzen für den Ausgang der Geschichte haben kann (siehe auch Ess. 12–15, 1). Keine Auswirkungen auf das Ende der Geschichte hat der Einschub, wenn man ihn analog zu Sat. 13,3 ut apparet als neutrale Äußerung betrachtet, die die eingeschränkte Sichtweise der Protagonisten zur Zeit des Geschehens wiedergibt: Enkolp und Askylt können zu diesem Zeitpunkt nicht sicher wissen, ob die Goldstücke noch drin sind (z.B. EHLERS „so durften wir annehmen“). Doch glaubhafter ist, dass der Ausdruck einen subtilen Vorbehalt ausdrückt, der die Gewissheit über das glückliche Ende der Episode auf dem Markt in Frage stellt (u.a. PATIMO 2001, 193; VAN THIEL 1971, 30 mit Anm. 2; VAN DER PAARDT 1996, 70; WEINREICH 1929, 396 Anm. 34; SINKO 1935, 390). ut putabamus wäre dann ein erstes Indiz dafür, dass die ganze Geschichte am Ende der ganzen Szene nochmals umgedreht wird, so dass Enkolp und Askylt als Verlierer dastehen. Vgl. Sat. 69,8 nam cum positus esset, ut nos putabamus, anser altilis ..., wo Trimalchio seine Gäste irreführt. Auch dort wird der Kon-

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trast zwischen dem ersten Eindruck (putare) und der späteren Schlussfolgerung (scire) sprachlich deutlich. Denkbar ist z.B., dass sie einen Geldersatz in der Tunika vorfinden (MERKELBACH 1963, 192: „Als sie aber den Lumpenmantel genauer betrachten, stellen sie fest, dass das Geld nicht mehr darin ist. So haben sie das Geld verloren und nun den wertvollen Mantel dazu“; SLATER 1990, 36 Anm. 25; WEINREICH 1929, 396 Anm. 34; PARDINI 1996, 189 mit Anm. 34). Eine andere Möglichkeit ist, dass mit ut putabamus auf einen späteren Zwischenfall, eine neuerliche Gefährdung vorausgewiesen wird (SCHEIDWEILER 1925, 202; CIAFFI 1955, 37). Daran schließt sich die Frage an, wie arm die Protagonisten im weiteren Verlauf der Sat. wirklich sind. Der Rest der Sat. gibt keine sicheren Anhaltspunkte, ob die Protagonisten in Besitz des Geldes gekommen sind oder nicht. Einerseits beklagt Enkolp weiterhin seine Armut (Sat. 81,3 mendicus), andererseits teilt er mit Askylt in Sat. 79,12 eine Beute (manubiae, evtl. die aurei?), die ihm gutes Essen (82,1; 92,13) und den Wechsel des Quartiers (81,1) sowie eine Schifffahrt (101,5) für sich und Giton ermöglicht (VAN THIEL 1971, 30f. Anm. 2; HABERMEHL ad 81,3). deversorium: Siehe oben Sat. 9,10 deversorio. praecipites abimus praeclusisque foribus ridere ... coepimus: praecipites abire steht für praecipitare, und drückt Schnelligkeit aus. Die Eile sowie das Schließen der Tür deuten auf das schlechte Gewissen Enkolps und Askylts und ihren unredlichen Besitz hin. Erst durch den Rückzug nach innen und nur hinter verschlossenen Türen können sie ihren Gefühlen Ausdruck verleihen. Inwiefern ihr Lachen in Verbindung mit Sat. 16,3 derisisse steht, ist schwer zu entscheiden (siehe Ess. 12–15, 2). Eine ähnliche Szene findet sich in Sat. 91,3f., wo Enkolp mit Giton ebenfalls in die Herberge stürzt (raptimque in hospitium meum pervolo), die Tür hinter sich abschließt (praeclusis deinde foribus) und aus der Distanz einen Sieg (Wiedergewinn des Liebespartners) hinter verschlossenen Türen feiert. Zahlreiche Szenen in den Sat. finden ihr Ende in einer Flucht, vgl. z.B. Sat. 78,8; 90,1; 94,7; 138,3f. TILG 2000 spricht von einem in den Sat. oft wiederkehrenden Motiv der Flucht und zeigt auf, dass „die Flucht mit all ihren Brechungen und Implikationen eine stimmige und reizvolle Technik zur Bewältigung der episodischen Struktur des Romans darstellt“ (TILG 2000, 217). Ähnlich auch ZEITLIN 1971, v.a. 654f.; PRESTON 1915, 262: „the author accelerates action towards the close of an episode, if several characters are on the scene, engaging everyone in a free-for-all, or ending the incident abruptly by the rapid exit of one of the principals, accompanied often by a slamming of doors.“ Zum Motiv der Türe siehe oben Sat. 11,2 ... foribus ...; zudem CIAFFI 1960, 18f. 27–9; WEINREICH 1929, 395–7.

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acumen non minus cocionum quam calumniantium: Zu cocio siehe oben Sat. 14,7 cociones. Mit den calumniantes („falsche Ankläger, Anschwärzer“ nach TLL 3.191.12ff. und 192.75ff.) müssen die Bauersleute gemeint sein. ingenti calliditate: Der ironische Ausdruck könnte durch ein überraschendes Ende, das die wirkliche Verschlagenheit der „Bauersleute“ offenbart, eine ganz andere Note erhalten. Siehe oben zu ut putabamus. pecuniam reddidissent: Der Konjunktiv, der hier die subjektive Meinung kennzeichnet, ist ein starkes Indiz dafür, ut putabamus als Vorankündigung zu sehen, dass Protagonisten mit leeren Händen ausgehen werden. § 15,9 nolo quod cupio statim tenere, / nec victoria mi placet parata: Ich will nicht, was ich begehre, sofort erhalten, noch gefällt mir ein leichter Sieg. Nach der heutigen Überlieferung beschließen die zwei formal nicht ins Geschehen eingebundenen, in Hendekasyllaben (x x – u u – u – | u – –) gehaltenen Verse die Szene (vgl. zum Metrum die von Enkolp in Sat. 79,8 und Eumolp in Sat. 93,2 und 109,10 gesprochenen Gedichte). Sie sind in L überliefert, evtl. unvollständig (so COURTNEY 18), aber kaum fehl am Platz, auch wenn man sie nicht vermissen würde, wenn sie fehlten (so auch VAN DER PAARDT 1996, 70 Anm. 26; SLATER 1990, 183). Den Zweizeiler vor Sat. 11 zu platzieren, wie dies WALSH 160 Anm. 15 vorschlägt, wäre zwar denkbar, ist aber nicht zwingend. Ebenfalls besteht kein Anlass, die Verse aufgrund der thematischen Nähe an Sat. 93,2 (V.10 quicquid quaeritur, optimum videtur) anzuschließen, wie dies in älteren Editionen der Fall ist (siehe BURMAN 77). Die Verse sind wahrscheinlich Enkolp in den Mund zu legen, der die unmittelbar vorangegangenen Ereignisse schildert (so auch CITTI 2000, 183; SLATER 1990, 183). Sie Askylt zuzuschreiben (so PARATORE I 42f.; PEL2 LEGRINO 195; LEFÈVRE 2007, 169), scheint nicht logisch, da ein Sprecherwechsel im Text nicht kenntlich gemacht wird und Askylt sonst nie in Versen spricht. Das Gedicht ist eine unbekümmerte Reflexion des Geschehenen, die heimliche Freude, sogar Schadenfreude ausdrückt. Es unterstreicht nochmals die Schwierigkeiten des Unterfangens der Protagonisten, ihre Tunika zurückzugewinnen (ARAGOSTI 1979, 114 Anm. 30): quod cupio (V.2) lässt sich auf tunica/thesaurus beziehen, statim und nec ... victoria ... parata auf die Tatsache, dass die Protagonisten die Tunika nicht sofort und nicht leicht, sondern erst nach der Überwindung vieler Hindernisse, wiedererlangt haben. Das Gedicht lässt aber offen, ob es sich um einen endgültigen Sieg handelt oder nicht. Wenn nicht, würden die Verse auf die Peripetie vorbereiten, die ihnen die Entdeckung des „Wie gewonnen, so zerronnen“ bereiten müsste (WEINREICH 1929, 396 Anm. 34). Die Verse beziehen sich auf einen hellenistischen, zumeist erotischen Topos, vgl. Kall. epigr. 31Pf. [= AP 12,102]; Hor. sat. 1,2,108 (scil. meus amor)

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transvolat in medio posita et fugientia captat; Ov. ars 3,603 quae venit ex tuto, minus est accepta voluptas; 3,579 quod datur ex facili longum male nutrit amorem. Aus der Anwendung des erotischen Jäger-Gejagter-Topos auf die Wiedererlangung der Tunika (hier ist die wiedergewonnene Beute nicht der/die Geliebte, sondern eine Tunika) erwächst Ironie. Ähnlich spielt Hor. carm. 1,37,17–21 mit dem Jäger-Gejagter-Topos, den er in die politische Sphäre versetzt (siehe zum Topos ausführlich CITTI 2000). nolo ... cupio: Das Gegensatzpaar nolo/cupio wird traditionell auf die Beziehung zwischen Mann und Frau bezogen, vgl. Ter. Eun. 812f. novi ingenium mulierum: / nolunt ubi velis, ubi nolis cupiunt ultro; Naev. com. 8R quasi dedita opera quae ego volo ea tu non vis, quae ego nolo ea cupis. cupio ist stärker als (das zu nolo semantisch parallele) velis, vgl. Plaut. Pers. 766 omnia quae tu vis, ea cupio. Siehe dazu CITTI 2000, 201 mit Anm. 50. victoria mi placet parata: Das evozierte Bild des Krieges (vgl. z.B. Liv. 5,6,1 insuescere militem nostrum ... parata victoria frui) ist traditionell mit der Liebeselegie verbunden, vgl. Ov. epist. 8,82 ecce, Neoptolemo praeda parata fui!; Hor. sat. 1,2,119 parabilem amo venerem facilemque; Philod. AP 12,173,5ff. μ / μ . mi: Zusammengezogenes mihi findet sich in der Dichtung häufig. ...: Alle Testimonien der L-Klasse (außer m) vermerken hier eine Lücke. Die Asterisken (bzw. DESUNT MULTA in lm, wobei mindestens MULTA keinen großen Aussagewert hat, sondern auf das persönliche Empfinden SCALIGERS oder eines Abschreibers zurückzuführen ist) können sich auf die Unvollständigkeit der Szene oder des Gedichts beziehen oder auch nur den Übergang von Poesie zu Prosa markieren (siehe zur Problematik der Asterisken Einl. 2). Ob in dieser Lücke oder an irgendeiner Stelle die Konklusion der Szene (d.h. die Aufklärung darüber, was sich in der Tunika nun wirklich befindet) stattfand oder nicht, bleibt Spekulation. Das in Sat. 16,1 folgende sed, dessen adversativer Sinn auf eine erfreuliche, zuvor geschilderte Situation hindeuten muss, kann entweder nahtlos an den überlieferten Text anschließen oder Bezug auf einen verlorenen Textteil wie das Finden des Schatzes, Feierlichkeiten in der Herberge o.Ä. nehmen. Das Erbleichen der drei Freunde (Sat. 16,2 pallidi) kann im Zusammenhang mit der vorhergehenden Marktszene stehen, muss aber nicht. Einziger direkter Hinweis für eine Verbindung ist der vielerorts der Interpolation verdächtigte Relativsatz in Sat. 16,3 [illa scilicet quae paulo ante cum rustico steterat], siehe dazu Ess. 12–15, 2.

Literaturverzeichnis Aufgeführt ist die im Kommentar zitierte Literatur. Zeitschriftentitel sind i.d.R. nach den Sigeln der Année Philologique abgekürzt. Ausführlich bibliographiert haben die Forschungsliteratur zu den Satyrica SCHMELING–STUCKY (bis 1975), SMITH (1945–1982), VANNINI (1975–2005) sowie der jährlich erscheinende Petronian Society Newsletter (PSN).

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Register Abstraktum 127, 164, 165, 167 Alliteration 31, 182, 189 Anagnorisis 159, 168, 171f. Anapher 24, 32, 35, 62, 112, 129 Anekdote 104 Anrede 55, 102, 111, 124, 136, 149 Antithese 24, 178 Apokoinu 32 Architektur – Bordell 104–109, 112 – Gehsteig 121f. – Markt 162f., – Schule 95f. Armut 167, 181, 184, 189, 214 Asianismus 23, 45, 47–49 Attizismus 47f. Ausruf 59, 159, 172f. Autorschaft IX Bild (s. Metapher oder Topos) Chiasmus 24, 32, 38, 50, 129 Datierung IX Diminutiv 35, 56, 59, 100, 111, 140, 168, 170f. Doppeldeutigkeit 39, 63, 99, 102, 136 Ellipse 79, 99, 102, 108, 110f., 177, 180, 197, 199, 207f., 213 Erzählweise XVIII, 147, 160, 212f. Euphemismus 113, 117, 120

Exemplum 41, 47, 50, 82, 89, 185 figura etymologica 30f. Formel, Floskel 36, 40, 46, 50, 60, 102, 110, 127, 137, 162, 164, 177, 179, 207 Fragment Xf., XVI, 1, 19, 21, 29, 113f., 117, 153, 155f., 213 Gattung der Sat. XVII Geld 11f., 154, 182f., 185–189, 191–193, 213f. Gleichnis, Vergleich 24, 27f., 45, 51, 57f., 71, 143, 171 Homoioteleuton 40, 49, 64 Hyperbel 62, 110, 127, 136, 142, 146 Interpolationen XIIIf. Ironie – Handlung XVIII, 21, 54, 57, 70, 102, 126, 160f., 181f., 189, 216 – Selbstironie des Erzählers 55, 94, 144, 198 – Sprache 30, 33, 35, 55, 88, 103, 128, 136, 149, 163, 167f., 177, 188f., 210, 215 Katalog 71, 79 Lehrgedicht 70f., 79, 84 Litotes 150, 183 Lokalisierung/Setting – der Sat. XVI, 191f. – Sat. 1–4 21f.

236 – Sat. 5 60, 79–81, 83f. – Sat. 12–15 160, 162, 168 Metapher (s.a. Sprache) – Fischer/Angel 57–59, 74f. – Gladiator 129–133 – Kampf/Krieg 81, 131–134, 216 – Körper 25, 41, 45f., 48, 50f. – kulinarisch/gastronomisch X, 24, 55, 61, 119 – Medizin/Krankheit 25, 45f., 48, 51 – sexuell XVIII, 25, 100, 111, 125f., 130, 160, 215f. – Süße 36 – Tod 25f., 52 – Wasser 24f., 62, 73, 81, 84f., 89 Metonymie 29, 61, 76, 78f., 106, 132, 210 Metrum 69, 72f., 181f., 215 Motiv (s.a. Topos) – Altwerden/Alter 25, 49, 51, 100 – Flucht XVIII, 91f., 94f., 106– 108, 135, 139, 154, 214 – Labyrinth 99f. – Lachen 97, 109, 138f., 148, 156, 159, 199–202, 213f. – Tränen 121, 123, 125f. – Türe 147f., 155, 213f. Name – Agamemnon 54f. – Askylt 95 – Enkolp 29 – Giton 121 Negation/Verneinung 38, 42, 76, 79, 143, 147, 163, 170, 184 Neologismus 149f. Oxymoron 102, 108

Register

Parallelismus (s.a. Symmetrie) – inhaltlich 71, 86f., 92f., 110, 119, 124f., 158f., 169, 206 – sprachlich 31, 39, 50, 64, 88f., 92f., 99, 124, 159, 168, 178, 200, 207 Parodie 31, 47, 79, 151, 160, 182, 209 pars pro toto 86, 188 Periphrase 44, 81, 86, 166, 169 Personifikation 29, 86, 164 Pleonasmus/Abundanz (s.a. Redundanz) 24, 37, 60, 95, 102, 120, 130, 140, 163, 166, 168, 196 Prosarhythmus XII Redundanz, Wiederholung (s.a. Pleonasmus) XII, XIV, 24, 30, 58, 72, 129, 133f., 169, 179, 183, 195 Rekonstruktion XVI, 21f., 30, 69, 91f., 117f., 153–155, 213f., 216 Rhetorische Frage 29, 103, 183, 189 Ringkomposition 38, 73 Schimpfwort 120, 127–131, 133 Sprache / Stil (s.a. Metapher) – Alltagssprache 56, 108, 110, 139, 142, 176 – episch 72f., 83 – erotisch/obszön/sexuell 25, 29, 41, 46, 95, 112f., 120, 122– 124, 128–131, 133–135, 140, 143, 147–151 – juristisch XVIII, 126, 146, 153, 160–162, 164, 175, 177–181,

Register

188, 196f., 204, 206f., 209f., 212 – medizinisch 25, 48, 51 – rhetorisch XVIII, 29, 31–34, 41, 46–48, 51, 55, 96, 129, 182 – technisch 30, 45f., 51, 175, 179 – terminus technicus 52, 55, 58, 64, 96f., 127f., 132, 177, 207, 212f. – umgangssprachlich 34, 35, 42, 52, 53, 59f., 108, 125, 130, 134, 137, 146, 161, 170, 175f., 184, 193, 199, 205 – volkstümlich 42, 44, 103f., 110, 143 – vulgär XVIII, 99, 105, 127f., 160, 199, 208 Sprichwort 34, 39, 56, 59, 77, 121, 137, 144, 151, 202 Steigerung 31, 36, 71, 93, 112, 119f., 129f., 165, 170, 178, 182, 196, 198, 206, 213 Symmetrie/Kongruenz (s.a. Parallelismus) XVIII, 92f., 119f., 139, 117, 129, 153, 158f., 197

237 Tautologie 98, 144 Titel der Sat. X Topos (s.a. Motiv) – aetas aurea 42 – Jagd/Jäger 215f. – Kritik an der Justiz 181–189 – Niedergang der Beredsamkeit 21f., 26–28, 40, 47, 60 – recusatio 44 Überlieferung/-sgeschichte IX– XIII, XVI, 21, 29, 117f., 142, 153–155, 166, 181, 215f. Wachsende Glieder 31, 76 Wechsel – Sprache/Erzählweise 135, 146, 147, 170, 200, 215 – Szene/Schauplatz 83f., 94, 114, 117, 122, 145, 147, 156, 162, 214 Wortspiel X, 39, 144, 148 Zitat 25, 30, 47, 50, 56, 120, 125–127, 135, 187

DE GRUYTER

■ Trends in Classics Edited by Franco Montanari and Antonios Rengakos Two issues per year, approx. 320 pages ISSN 1866-7473 (Print) ISSN 1866-7481 (Online)

Trends in Classics will publish innovative, interdisciplinary work which brings to the study of Greek and Latin texts the insights and methods of related disciplines such as narratology, intertextuality, reader-response criticism, and oral poetics. Both the journal and the accompanying monograph series Trends in Classics – Supplementary Volumes will seek to publish research across the full range of classical antiquity. The journal will be published twice a year with approx. 160 pages per issue. All contributions are in English. Each year one issue will be devoted to a specific subject with articles edited by a guest editor.

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