Pathos und Politik: Ideologie in Spielfilmen des Nationalsozialismus [Reprint 2015 ed.] 9783110918748, 9783484340312

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Pathos und Politik: Ideologie in Spielfilmen des Nationalsozialismus [Reprint 2015 ed.]
 9783110918748, 9783484340312

Table of contents :
1. Einleitung
2. Der Nazi-Film: politisches Instrument und Publikumserfolg
2.1. Propaganda und Massenunterhaltung
2.2. Ziele und Mittel der NS-Filmdramaturgie
2.3. Die politische Einflußnahme auf den Film
2.3.1. Reichsfilmkammer
2.3.2. Filmkreditbank
2.3.3. Propagandaministerium
2.4. Die Filmwirtschaft
2.5. Wirtschaftliche und politische Steuerungsmechanismen
2.6. Filmangebot und Filmkonsum
2.6.1. Kinoprogramm und Filmvertrieb
2.6.2. Filmangebot und Erfolgsfilme
3. Was heißt Ideologie im NS-Film?
3.1. Interpretationsansätze
3.1.1. Politische und nicht-politische Filme?
3.1.2. Der "unpolitische Film"
3.1.3. Filmpropaganda
3.1.4. Aktueller Stand der Diskussion
3.2. Formen der Ideologie im Nationalsozialismus
3.2.1. Reste traditioneller Ideologien
3.2.2. Faschistische Öffentlichkeit
3.2.3. Ideologie in der Massenkultur
3.3. Ideologische Regulation
3.4. Ideologie als Diskurs - Zusammenfassung
4. Die goldene Stadt - Erzählung und Ideologie
4.1. Einleitung und Fragestellung
4.2. Die goldene Stadt - Zusammenfassung
4.3. Die goldene Stadt - ein Erfolgsfilm
4.3.1. Publikumserfolg
4.3.2. Erfolgsfaktoren
4.4. Propaganda und Ideologie
4.4.1. Standpunkte der Forschung
4.4.2. Vorbehalte und Ergänzungen
4.5. Ideologie, theoretisch
4.5.1. Ideologische Regulation
4.5.2. Ideologische Arbeit
4.5.3. Mechanismen der ideologischen Arbeit
4.5.4. Zusammenfassung
4.6. Erzählung und Handlungsstruktur
4.6.1. Erzählweise
4.6.2. Grobstruktur
4.6.3. Sequenzeneinteilung
4.6.4. Handlung und Kausalität
4.6.5. Wahrscheinlichkeit
4.6.6. Abgeschlossenheit
4.7. Die melodramatische Ebene
4.7.1. Melodrama und die Ideologie der weiblichen
4.7.2. Die Durcharbeitung im Film
4.8. Die ödipale Ebene
4.8.1. Der Ödipuskomplex
4.8.2. Anna und Ödipus
4.8.3. Ideologische Kompromisse
4.9. Metaphorische Diskursebenen: Die fauligen Sümpfe
4.9.1. Ein Knotenpunkt der Bedeutung
4.9.2. Triebeindämmung
4.9.3. Modernisierung
4.10. Schlußbemerkungen
5. Die große Liebe - Filmische Zeichen im Dienst der Ideologie
5.1. Einleitung
5.1.1. Fragestellung
5.1.2. Heimatfrontfilme
5.1.3. Publikum und Rezeptionskontext
5.1.4. Schauspieler und Regie
5.2. Politik und Unterhaltung - Propagandistische Aufgaben des Films
5.2.1. Unterhaltung
5.2.2. Erziehung
5.3. Die Erzählung
5.3.1. Zusammenfassung der Handlung
5.3.2. Entwicklungsphasen
5.3.3. Konflikte und Lösungen
5.4. Filmische Zeichen: Erzählmittel und ideologische Bedeutungskonstruktion
5.4.1. Die Zeichenfunktion der Bilder
5.4.2. Montage - Zeichenverknüpfung und die Dramaturgie der Blicke
5.5. Sequenzenanalysen
5.5.1. Sequenz IIB - Zarah tritt auf
5.5.2. Sie kommen sich näher - Sequenz V
5.5.3. Streit und Versöhnung - Sequenz IX
5.5.4. Sequenz XVII - Konfrontation zwischen weiblichen
5.5.5. Sequenzen XXI-XXII - Ein Wunder geschieht
5.6. Ergebnisse: Filmform und ideologische Arbeit
6. Grundformen und Variationen der Ideologie in NS-Filmen
6.1. Ideologischer Grundmechanismus
6.2. Melodramatische Frauenfilme
6.2.1. Mutterliebe
6.2.2. La Habanera
6.2.3. Romanze in Moll
6.3. Heldenmänner
6.3.1. Grundmuster des Heldenfilms
6.3.2. Hans Albers - der männliche Held
6.4. Heitere Filme
7. Schlußbemerkungen
Literaturliste
Filmographie
Tabellen und Illustrationen

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MEDIEN

IN FORSCHUNG + UNTERRICHT Serie A Herausgegeben von Dieter Baacke, Wolfgang Gast, Erich Straßner in Verbindung mit Wilfried Barner, Hermann Bausinger, Hermann K. Ehmer, Helmut Kreuzer, Gerhard Maletzke Band 31

Stephen

Lowry

Pathos und Politik Ideologie in Spielfilmen des Nationalsozialismus

Max Niemeyer Verlag Tübingen 1991

Die Deutsche Bibliothek - CIP-Einheitsaufnahme Lowry, Stephen: Pathos und Politik : Ideologie in Spielfilmen des Nationalsozialismus / Stephen Lowry. - Tübingen : Niemeyer, 1991 (Medien in Forschung + Unterricht: Ser. A ; Bd. 31) NE: Medien in Forschung und Unterricht / A ISBN 3-484-34031-2 ©

ISSN 0174-4399

Max Niemeyer Verlag GmbH & Co. KG, Tübingen 1991 Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlages unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Printed in Germany. Druck: Weihert-Druck, Darmstadt. Einband: Heinr. Koch, Tübingen

Inhaltsverzeichnis

1.

Einleitung

1

2. Der Nazi-Film: politisches Instrument und Publikumserfolg 2.1. Propaganda und Massenunterhaltung

4 4

2.2. Ziele und Mittel der NS-Filmdramaturgie

5

2.3. Die politische Einflußnahme auf den Film 2.3.1. Reichsfilmkammer 2.3.2. Filmkreditbank 2.3.3. Propagandaministerium 2.4. Die Filmwirtschaft 2.5. Wirtschaftliche und politische Steuerungsmechanismen 2.6. Filmangebot und Filmkonsum 2.6.1. Kinoprogramm und Filmvertrieb 2.6.2. Filmangebot und Erfolgsfilme - Das Gesamtangebot - Kassenschlager - Tendenzen beim Erfolgsfilm

8 9 9 10 11 13 14 14 16

3.

24

Was heißt Ideologie im NS-Film?

3.1. Interpretationsansätze 3.1.1. Politische und nicht-politische Filme? 3.1.2. Der "unpolitische Film" 3.1.3. Filmpropaganda 3.1.4. Aktueller Stand der Diskussion 3.2. Formen der Ideologie im Nationalsozialismus 3.2.1. 3.2.2. 3.2.3.

Reste traditioneller Ideologien Faschistische Öffentlichkeit - Modernisierung und Abbau traditioneller Ideologie - Ästhetisierung und Öffentlichkeit Ideologie in der Massenkultur - Kulturindustrie - Leistung und Probleme der Kulturindustrie-Thesen

3.3. Ideologische Regulation

24 25 26 28 29 31 32 35 41

45

VI

3.4. Ideologie als Diskurs - Zusammenfassung

4g

4. Die goldene Stadt - Erzählung und Ideologie 4.1. Einleitung und Fragestellung

51 51

4.2. Die goldene Stadt - Zusammenfassung

52

4.3. Die goldene Stadt - ein Erfolgsfilm 4.3.1. Publikumserfolg 4.3.2. Erfolgsfaktoren - Inhalt - Der Star: Kristina Söderbaum - Andere Schauspieler und Schauspielerinnen - Die Regie - Farbe - Musik - Popularität und Wirkung 4.4. Propaganda und Ideologie 4.4.1. Standpunkte der Forschung - Allgemeine Einschätzungen - Ideologische Elemente 4.4.2. Vorbehalte und Ergänzungen - Nationalismus - Blut und Boden - Frauenfeindlichkeit - Erweiterte Fragestellung 4.5. Ideologie, theoretisch

57 57 58

4.5.1. 4.5.2. 4.5.3.

4.5.4. 4.6. 4.6.1. 4.6.2. 4.6.3. 4.6.4. 4.6.5. 4.6.6.

Ideologische Regulation Ideologische Arbeit - Text und Kontext - Rezeption Mechanismen der ideologischen Arbeit - Verdrängung, Verdichtung, Verschiebung - Der mythische Diskurs - Einwände gegen den Strukturalismus - Intertextualität, Interdiskursivität Zusammenfassung Erzählung und Handlungsstruktur Erzählweise Grobstruktur Sequenzeneinteilung Handlung und Kausalität Wahrscheinlichkeit Abgeschlossenheit

65 65 67

72 72 72 74

80 80 81 82 82 86 88 90

VII

4.7. Die melodramatische Ebene 4.7.1. Melodrama und die Ideologie der weiblichen Identität 4.7.2. Die Durcharbeitung im Film - Ideologische Konflikte - Filmische Realisierung - Ergebnisse 4.8. Die ödipale Ebene 4.8.1. Der Ödipuskomplex 4.8.2. Anna und Ödipus - Vater und Tochter - Ausbruchsversuch mit tödlichem Ausgang 4.8.3. Ideologische Kompromisse - Die Eliminierung der Weiblichkeit - Identifikation mit der Mutter, Verdichtung - Projektion und Verschiebung - Trost durch Regression 4.9. Metaphorische Diskursebenen: Die fauligen Sümpfe 4.9.1. Ein Knotenpunkt der Bedeutung 4.9.2. Triebeindämmung 4.9.3. Modernisierung 4.10. Schlußbemerkungen 5. Die große Liebe - Filmische Zeichen im Dienst der Ideologie 5.1. Einleitung 5.1.1. Fragestellung 5.1.2. Heimatfrontfilme 5.1.3. Publikum und Rezeptionskontext 5.1.4. Schauspieler und Regie 5.2. Politik und Unterhaltung - Propagandistische Aufgaben des Films 5.2.1. Unterhaltung - Liebesromanze - Schlager 5.2.2. Erziehung - Flieger und Militär - Volksgemeinschaft - Pflicht und Privatleben 5.3. Die Erzählung 5.3.1. Zusammenfassung der Handlung 5.3.2. Entwicklungsphasen 5.3.3. Konflikte und Lösungen

91 91 93

97 97 98 101

105 105 107 110 115 116 116 116 117 118 121 123 123 125

129 129 130 132

VIII

5.4. Filmische Zeichen: Erzählmittel und ideologische Bedeutungskonstruktion 5.4.1. Die Zeichenfunktion der Bilder 5.4.1.1. Dimensionen der filmischen Zeichen - Das Einzelbild und die Einstellung - Die Montage 5.4.1.2. Die Semiotik des Bildes - Ikonische Zeichen - Denotative und konnotative Signifikation 5.4.2. Montage - Zeichenverknüpfung und die Dramaturgie der Blicke - Konventionelle Montage - Theorien des Blickes - (Post-)Strukturalistisch orientierte Theorien - Mulveys Kritik der männlichen Schaulust - Die Position des Zuschauers - Revisionen und Erweiterungen Sequenzenanalysen 5.5.1. Sequenz IIB - Zarah tritt auf 5.5.1.1. Beschreibung und Kommentar 5.5.1.2. Gesamtinterpretation der Sequenz 5.5.2. Sie kommen sich näher - Sequenz V 5.5.2.1. Beschreibung und Kommentar 5.5.2.2. Ergebnisse der Sequenz 5.5.3. Streit und Versöhnung - Sequenz IX 5.5.4. Sequenz XVII - Konfrontation zwischen weiblichen Wünschen und militärischer Männlichkeit 5.5.5. Sequenzen XXI-XXII - Ein Wunder geschieht 5.5.5.1. Kontext 5.5.5.2. Einstellungsprotokoll und Kommentar 5.5.5.3. Immobilisierung der Wünsche 5.5.5.4. Das Ende 5.5.6. Ergebnisse: Filmform und ideologische Arbeit Grundformen und Variationen der Ideologie in NS-Filmen 6.1. Ideologischer Grundmechanismus Melodramatische Frauenfilme 6.2.1. Mutterliebe - Leiden und der Anspruch auf Glück - Leiden als Identitätsgewinn 6.2.2. La Habanera

133 133 134 137 141

152 152 153 160 164 164 170 171 176 183 184 184 191 195 198 202 202 203 205 210

IX

6.2.3.

Romanze in Moll - Die Handlung - Erzählung und Erzählweise - Fazit 6.3. Heldenmänner 6.3.1. Grundmuster des Heldenfilms - Heldenfiguren im NS-Film - Grundmuster der Heldenfigur - Grundmuster der Erzählung 6.3.2. Hans Albers - der männliche Held - Carl Peters - Große Freiheit Nr. 7 6.4. Heitere Filme

236

7.

238

Schlußbemerkungen

Literaturliste Filmographie Tabellen und Illustrationen

215

221 221

229

241 259 263

Vorwort

Der vorliegende Text ist eine leicht korrigierte Version meiner Dissertation an der Universität Bremen. Die Arbeit wurde durch ein Stipendium der Universität im Rahmen eines Doktoranden-Programms gefördert. Bedanken möchte ich mich bei den Mitarbeitern und Mitarbeiterinnen folgender Institutionen, die mir bei der Materialsuche geholfen haben: Deutsches Institut für Filmkunde, Bundesarchiv-Filmarchiv, die Bibliotheken und AVAbteilungen der Universität Bremen, der Universität Oldenburg, der DFFBerlin und des Instituts für Theaterwissenschaft an der FU-Berlin. Viele Freunde, Bekannte, Kollegen, Studenten und Studentinnen haben durch Diskussion und Kritik an dieser Arbeit teilgenommen. Ihnen allen, insbesondere Gerda Budde, Matthias Kühn, Bettina Ramlow, Andreas Reinecke, Renate Siegel, Ulli Sittermann sowie Prof. Wolfgang Emmerich, der die Dissertation betreute, danke ich für ihre Hilfe. Mein besonderer Dank aber gilt meiner Frau Irmgard Stricker, die an jedem Aspekt dieser Arbeit beteiligt war.

1. Einleitung

"Ideologie in Spielfilmen des Nationalsozialismus" - dieses Thema weckt wahrscheinlich zunächst Erwartungen von antisemitischen Hetzfilmen, kriegsverherrlichenden Heldengeschichten und anderen Arten politischer Propaganda. Aber nicht solche Filme werden hier im Mittelpunkt der Diskussion stehen, sondern die Unterhaltungsfilme, die zwar viel banaler, dafür aber weitaus bezeichnender für die NS-Zeit sind. Nur ein kleiner Teil der Filme, die zwischen 1933 und 1945 in Deutschland gedreht und gezeigt wurden, bestand aus offensichtlicher Propaganda. Die meisten waren seichte, scheinbar unpolitische Unterhaltungsfilme. In der Filmwissenschaft hat sich zwar die Erkenntnis weitgehend durchgesetzt, daß gerade die indirekte, "unsichtbare" oder "latente" Ideologie in solchen Filmen oft wichtiger und effektiver war als die offensichtlich politischen Inhalte der Propagandafilme. Trotzdem sind die normalen, unscheinbaren Filme der NS-Zeit nur relativ selten näher untersucht worden. Verhindert wurde dies hauptsächlich durch die Vorstellung einer bestimmten, inhaltlich definierten Nazi-Ideologie, die dann in den Filmen gesucht wurde. Gerade an diesem Punkt setze ich an, indem ich versuche, einen anderen Begriff der Ideologie zu entwickeln und auf die Filme zu beziehen. Die Frage, was Ideologie ist und wie sie grundlegend in Filmen funktioniert, bestimmt die Richtung dieser Arbeit. Ich gehe nicht davon aus, daß Ideologie in Filmen nur in bestimmten politischen Inhalten besteht, die von selbst oder durch eine Art gewaltsamer Manipulation auf das Publikum wirken. Vielmehr muß Ideologie, soll sie wirksam sein, auf die Menschen eingehen. Sie muß schon vorhandene Wünsche, Phantasien, Gedanken und Gefühle ansprechen, um sie zu verarbeiten und für ihre Zwecke umzulenken. Ohne die anfängliche Aktivierung solcher persönlichen und kollektiven Impulse könnten die Filme keine emotionale Kraft entwickeln und kaum das Interesse des Publikums wecken, geschweige denn eine Bereitschaft erzeugen, auf die vorgeführten Lösungsmodelle einzugehen. Solche Wünsche und Phantasien sind in den seltensten Fällen direkt politischer Natur, vielmehr handelt es sich dabei meistens um individuelle Identität, persönliche Beziehungen und Geschlechterrollen. Diese eher persönliche Ebene der Bedeutungen bildet die protopolitische Grundlage der Ideologie im Film, wodurch sie Menschen ansprechen und ihre Gefühle mobilisieren kann. Die ideologische Funktion des Films - oder eines

2 anderen kulturellen Textes - besteht dann darin, diese Gefühle in sanktionierte Bahnen umzuleiten und sie mit höheren Ebenen der Bedeutung - bis hin zu manifest politischen Elementen - zu verknüpfen. So lassen sich auch scheinbar unpolitische Geschichten mit ideologischer Bedeutung aufladen. Filme können zur ideologischen Stabilität der Gesellschaft beitragen, indem sie erwünschte Werte und Verhaltensweisen fördern. Weiterhin können sie der Unzufriedenheit mit dem gegebenen Zustand entgegenwirken, indem sie eine bewußte Artikulation von Unmut abwehren und die Äußerung potentiell kritischer Impulse blockieren. Die Art, wie Bedeutungen in Filmen produziert und verarbeitet werden und wie sie ideologische Funktionen bekommen, will ich sowohl theoretisch weiter ausführen als auch in Beispielanalysen von zwei Filmen - Die goldene Stadt und Die große Liebe - konkret aufzeigen. Die theoretische Diskussion der Ideologie wird teilweise in einem Kapitel geführt, das sich mit den verschiedenen Varianten der Ideologie und Kultur im Nationalsozialismus auseinandersetzt; aber zum größeren Teil ist die Theorie direkt in den Einzelanalysen der Filme integriert. Dort habe ich versucht, Ideologietheorie zusammen mit Erzähltheorien bzw. der neueren Filmtheorie möglichst nah am konkreten Material zu halten. Die Theorien finden in der Interpretation der Filme eine Anwendung, und zugleich tragen die Filmanalysen zur Überprüfung der Ansätze bei. Die theoretische Diskussion ist daher über die ganze Arbeit verteilt und ist enger in die Einzelinterpretationen eingebaut als sonst gewohnt ist. In Kapitel 2 werde ich zunächst den allgemeinen Kontext des Films im Nationalsozialismus umreißen. Aufgezeigt werden die Bedingungen, die für die Produktion und Rezeption der Filme wesentlich waren. Die Ziele und Mittel der Nazi-Filmpolitik sollen dabei verdeutlicht werden. Auch die Wünsche des Publikums - vermittelt über den Markt - spielten eine Rolle bei der Gestaltung der Filme. Deshalb werde ich auf die Filmwirtschaft und auf die Kassenerfolge der Filme eingehen. Kapitel 3 umreißt den allgemeinen theoretischen Rahmen dieser Arbeit, der oben schon erwähnt wurde. Dabei wird Ideologie näher definiert; besonders die Diskussion der Ideologie in der modernen Massenkultur ergibt eine Grundlage für die genauere Analyse der einzelnen Filme. Kapitel 4 und 5 bilden den Kern der Untersuchung. Am Beispiel von zwei besonders populären Filmen untersuche ich dort verschiedene Dimensionen der ideologischen Bedeutungen. Kapitel 4 ist eine Interpretation der Erzählstruktur des Veit-Harlan-Melodrams Die goldene Stadt. Ich versuche zu verfolgen, wie die Handlung Wünsche anspricht und verarbeitet. Die Erzählung arbeitet auf verschiedenen Ebenen der Bedeutung gleichzeitig; drei solche Bedeutungsebenen untersuche ich näher. Dabei setze ich formalistische und strukturalistische Erzähltheorien sowie psychoanalytische Theorien ein. In Kapitel 5 unter-

3 suche ich, wie die grundlegenden ideologischen Mechanismen sich im ZarahLeander-Film Die große Liebe in den spezifisch filmischen Formelementen Montage und Bildgestaltung - äußern. Der Film basiert auf Grundelementen der Liebesgeschichte und auf den gesellschaftlichen Bestimmungen der Geschlechterrollen. Durch eine Feinanalyse des Films versuche ich zu zeigen, wie er diese Grundelemente weiterverarbeitet und sie in Verbindung mit der aktuellen Politik der Nazis bringt. Die Lenkung der Zuschauerblicke und die Konstruktion von Zeichen durch Montage und Bildgestaltung stehen im Mittelpunkt dieser Analyse. Sowohl Die goldene Stadt als auch Die große Liebe benutzen die Form und die Genre-Merkmale des Melodrams, um Gefühle und persönliche Identitäten - insbesondere die Definition der Frauenrolle - zu aktivieren, damit sie anschließend in bestehende Bahnen gelenkt und mit zusätzlichen ideologischen Bedeutungen aufgeladen werden können. Die beiden Filmanalysen skizzieren ein Grundmodell, das in Kapitel 6 in einen breiteren Rahmen situiert werden soll. Beispiele sowohl anderer Melodramen als auch der "männlichen" Heldenfilme sollen die Variationsbreite der Ideologie in den Filmen dieser Zeit verdeutlichen und die Generalisierbarkeit des Modells demonstrieren.

2. Der Nazi-Film: politisches Instrument und Publikumserfolg

2.1. Propaganda und Massenunterhaltung Die dreißiger und frühen vierziger Jahre werden häufig immer noch für die "goldene Zeit" des deutschen Films gehalten. Star-Biographien und populäre Kinogeschichten verbreiten dieses Image, das auch durch volle Häuser bei den "Senioren-Vorstellungen" in den Kinos belegt wird. Vor allem aber der sehr hohe Anteil älterer deutscher Filme an der Sendezeit des Fernsehens zeigt, daß die Popularität der Filme und Filmstars noch heute kräftig nachwirkt. Nicht nur nostalgische Erinnerungen der damaligen Kinogänger, sondern auch harte Wirtschaftsstatistiken belegen die herausragende Stellung des Films. Vor allem in der Kriegszeit erreichten die Kinos sehr große Publikumszahlen, sowohl was die absolute Besucherzahlen wie auch die Besuchsfrequenz pro Kopf angeht; Spitzenergebnisse gab es 1943 mit 1116,5 Millionen Besuchern (das entspricht 14,4 Kinobesuchen pro Einwohner im Jahr).1 Auch die Zuschauerzahlen einzelner Filme erreichten enorme Höhen. So scheint der damalige Film besonders gut den Vorlieben des Massenpublikums entsprochen zu haben, auch wenn andere Faktoren - die allgemeine Wirtschaftslage, die Kriegssituation, das begrenzte Angebot sonstiger Unterhaltung etc. - wichtig waren. Das Kino der NS-Zeit war also eine sehr erfolgreiche Form der Massenunterhaltung, die dem Publikum vermutlich das gab, was es wollte. Der Film der NS-Zeit liefert aber auch Musterbeispiele für Propaganda. Nicht nur Dokumentarfilme und Wochenschauberichte, sondern auch erfolgreiche Spielfilme verfolgten eindeutig politische Ziele. Möglichkeiten zur politischen Kontrolle und wirtschaftlichen Steuerung des Films haben die Nazis sehr früh ergriffen. Weitreichende Zensur- und Eingriffsmöglichkeiten garantierten, daß das Regime die Filme bekam, die es haben wollte. Knierim 1965, 62. Ähnlich gute oder geringfügig bessere Ergebnisse gab es nur Mitte der fünfziger Jahre mit ca. 800 Millionen Besuchern in der BRD und Westberlin, was eine Besuchsfrequenz von etwa 15 Besuche pro Jahr entspricht (Knierim 1965, 28). Dies war die Blütezeit der deutschen Filmproduktion nach dem Krieg, die mit ihren Heimatfilmen usw. personell, ästhetisch und inhaltlich den Film der NS-Zeit direkt fortsetzte. Heutige Kinostatistiken, z.B. eine Besuchsfrequenz von 1,7 im Jahre 1985 (Klingsporn 1988, 24), zeigen durch Kontrast den ganz anderen Stellenwert des Films in den dreißiger, vierziger und fünfziger Jahren.

5 Auf der einen Seite - als Massenunterhaltung - scheint der NS-Film die Wünsche des Publikums getroffen zu haben. Deshalb ermöglichen es die Filme, Schlüsse über den Geschmack und die Mentalität des Publikums zu ziehen, vorausgesetzt, daß die Komplexität der Vermittlung zwischen Film und Gesellschaft beachtet wird. Auf der anderen Seite verkörpern die Filme die Propaganda-Intentionen der Nazis und sind Teil des politischen und ideologischen Machtapparats des Regimes. Was hier vielleicht als Widerspruch erscheint, läßt sich bei näherer Betrachtung der Filme selbst, der Filmpolitik und -Wirtschaft sowie der Publikumsreaktionen auflösen. Die Fragen, worin Ideologie besteht, wie sie funktioniert und wie sie in den Filmen eingebaut ist, stehen im Mittelpunkt dieser Arbeit. Ihr werde ich vor allem später in den Filmanalysen nachgehen. Im vorliegenden Kapitel will ich zunächst den institutionellen Rahmen der Filmproduktion und -rezeption kurz skizzieren, soweit er für die Einschätzung der Filme wichtig ist. Die Frage, wie die Wünsche der Nazis nach einem politisch effektiven Film mit den Bedürfnissen des Publikums nach Unterhaltung zusammenpaßten, soll dabei eine vorläufige Antwort bekommen.

2.2. Ziele und Mittel der NS-Filmdramaturgie Bevor man untersucht, was die Nazis mit dem Film machten, ist es sinnvoll zu fragen, was sie wollten, welche Ziele sie verfolgten und wie sie sich selber den Film vorstellten. Dazu gibt es einige teilweise erstaunlich offene Äußerungen von Goebbels und anderen leitenden Figuren des Filmwesens, die die Richtung der NS-Filmpolitik und -dramaturgie deutlich zeigen. Bereits in seiner Rede am 28.3.1933 legte Goebbels wesentliche Züge seiner Zielsetzung dar. Er sagte, es gäbe "eine eigene filmische Kunst", die anzustreben sei, und die auch sehr wohl "Tendenz" enthalten könne.2 Die Grenzen dieser Filmkunst steckte er folgendermaßen ab: Allerdings ist Kunst nur dann möglich, wenn sie mit ihren Wurzeln in das nationalsozialistische Erdreich eingedrungen ist. [...] Wir denken gar nicht daran, auch nur im entferntesten zu dulden, daß jene Ideen, die im neuen Deutschland mit Stumpf und Stiel ausgerottet werden, irgendwie getarnt oder offen im Film wieder ihren Einzug halten.3

Innerhalb dieser Grenzen solle die Kunst jedoch "frei" sein und keinesfalls nur Parteipropaganda sein: "Das Schaffen des kleinen Amüsements, des Tagesbedarfs für die Langeweile und der Trübsal zu produzieren, wollen wir ebenfalls nicht unterdrücken. Man soll nicht von früh bis spät in Gesinnung machen."4

3 4

In Albrecht 1969, 439. Zum Kunstbegriff und zur Bestimmung der Funktion des Films im Nationalsozialismus, s. Denzer 1971. In Albrecht 1969,440. In Albrecht 1969,441.

6 Die geforderte Tendenz des Films solle nach Goebbels nicht in der Abfilmung der Nazi-Bewegung bestehen, denn "die historischen Vorgänge des Nationalsozialismus sind noch nicht reif für die Bühnengestaltung."5 Goebbels bezieht seine Bestimmung des Films, wie seine Definition der Kunst überhaupt, vielmehr von der beabsichtigten Wirkung her: "Die Kunst ist nichts anderes als Gestalter des Gefühls. Sie kommt vom Gefühl und nicht vom Verstände her; der Künstler ist nichts anderes als der Sinngeber dieses Gefühls."6 Entsprechend lauten seine Forderungen an die Filmkunst: Ich wünsche nicht etwa eine Kunst, die ihren nationalsozialistischen Charakter lediglich durch Zurschaustellung nationalsozialistischer Embleme und Symbole beweist, sondern eine Kunst, die ihre Haltung durch nationalsozialistischen Charakter und durch Aufraffen nationalsozialistischer Probleme zum Ausdruck bringt. Diese Probleme werden das Gefühlsleben der Deutschen und anderer Völker um so wirksamer durchdringen, je unauffälliger sie behandelt werden. Es ist im allgemeinen ein wesentliches Charakteristikum der Wirksamkeit, daß sie niemals als gewollt in Erscheinung tritt. In dem Augenblick, da eine Propaganda bewußt wird, ist sie unwirksam. Mit dem Augenblick aber, in dem sie als Propaganda, als Tendenz, als Charakter, als Haltung im Hintergrund bleibt und nur durch Handlung, durch Ablauf, durch Vorgänge, durch Kontrastierung von Menschen in Erscheinung tritt, wird sie in jeder Hinsicht wirksam.

An einer anderen Stelle kam er nochmals auf diese Bestimmung der Kunst zurück. Die Kunst habe eine "Erziehungsaufgabe", die sie am besten erfülle, "ohne daß das Objekt der Erziehung überhaupt merkt, daß es erzogen wird". Diejenige Propaganda sei am besten, die "sozusagen unsichtbar wirkt".8 Daher sei Unterhaltung wichtig sowohl als Transportmittel für die Tendenz wie auch als Wert an sich, vor allem im Krieg.9 Die ablenkende, Optimismus-fördemde Funktion des Films spielte in der Kriegszeit eine große Rolle. Die Wichtigkeit der Unterhaltung und der Vorrang der "unsichtbaren" Propaganda ließen Goebbels den Anteil an propagandistischen Filmen eher einschränken als fördern: Ich möchte [...] den Standpunkt vertreten, daß nicht jede Firma gezwungen ist, einen Großfilm nach dem anderen und eine Heldenschwarte nach der anderen zu produzieren. Das ist nicht erwünscht. Die Großfilme nationalpolitischen Charakters, die produziert werden sollen, werde ich schon selbst anregen [...]. Es ist aber notwendig, neben diesen 20% Großfdmen 80% gute, qualitätssichere Unterhaltungsfilme zu schaffen. Auch das ist nationalpolitisch wertvoll.

5 6 7 8 9

10

Goebbels, Rede vom 5.3.1937, in Albrecht 1969,456. Goebbels, Rede vom 5.3.1937, in Albrecht 1969,447. Goebbels, Rede vom 5.3.1937, in Albrecht 1969, 456. Goebbels, Rede vom 15.2.1941, in Albrecht 1969,468. S. Goebbels, "Der Film als Erzieher. Rede zur Eröffnung der Filmarbeit der HJ; Berlin; 12. Oktober 1941", in Albrecht 1969,480. Goebbels, Rede vor den Filmschaffenden am 28.2.1942 in Berlin, in Albrecht 1969, 495. Wenn man von Albrechts Einteilung ausgeht, betrug der Anteil an politischen Großfilmen weit unter 20%, vor allem in den letzten Kriegsjahren.

7 Goebbels' Überlegungen zum Film gehen immer von der beabsichtigten Wirkung auf ein Massenpublikum aus. Die Wirkung sei zu maximieren, indem eine unauffällige Propaganda eingesetzt wird, die ihre "erzieherische" Wirkung durch Appelle an die Gefühle der Zuschauer und Zuschauerinnen entfaltet. Die Förderung von Haltungen und Werte erscheint wichtiger als die Übertragung nationalsozialistischer Ideen. Dabei sollen die gewohnten Bedürfnisse nach Unterhaltung keineswegs vernachlässigt werden. Die Filmanalysen werden unter anderem zeigen, wie diese intendierte ideologische Wirkung sich im einzelnen in den Filmen äußerte. Einige Bemerkungen, wie Goebbels' global formulierte Ziele im Film konkreter zu realisieren wären, lassen sich vor allem in Hipplers Betrachtungen zum Filmschaffen finden. 11 Hippler war ab 1942 als Reichsfilmdramaturg dafür zuständig, das Programm des Propagandaministeriums in die Filmproduktion der Filmfirmen praktisch umzusetzen. In seiner Bestimmung der Filmdramaturgie und des künstlerischen Wertes eines Films geht auch Hippler von der Wirkung aus, wobei er fordert, daß der Film vor allem einen naturalistischen Eindruck hinterlassen müsse. [...] Der optische und akustische Gesamteindruck des Filmstreifens allein ist maßgebend für die Qualität des Filmkunstwerks. Gleichgültig ist, was der ausstrahlenden Wirkung ursprünglich zugrundeliegt, ob Realität oder Schein, ob Natur oder Bau, ob spontanes Menschentum oder bewußte Schauspielgestaltung: Wie es im Endeffekt wirkt, ist die Hauptsache. Und wirken muß es, als sei es die Wirklichkeit [,..].12

Allein die "Gesamtwirkung des Films" könne "das künstlerische Kriterium" sein.13 Um diese Wirkung zu erzielen, solle ein Film von einer "äußeren Echtheit", z.B. in abgebildeten Details, Atmosphäre, Schauspielerei etc., und einer "inneren Echtheit", z.B. durch Handlungskonstruktion, Motivation etc., bestimmt sein.14 Es geht dabei vor allem um die Glaubwürdigkeit des Films. In einer ähnlichen Diskussion hat Heinrich Koch, unter Berufung auf Lessing, auf die Rolle der Wahrscheinlichkeit der Handlung hingewiesen, die wichtiger als die Tatsächlichkeit einer Geschichte sei.15 Diese Regeln setzen eine lange Tradition der westlichen Dramaturgie fort. Sie sind von den Gestaltungsprinzipien des klassischen Hollywoodfilms, die auch auf Glaubwürdigkeit und Illusion zielen, kaum zu unterscheiden. Auch die Wirkungsmechanismen, die Hippler erwähnt, sind vom konventionellen Unterhaltungsfilm her altbekannt, z.B. "Lächerlichmachen von Untugenden", "Schwarweißzeichnung" und "die typen-

11 12 13 14 15

Hippler 1943. Hippler 1943,39. Hippler 1943,62. Hippler 1943,64. Koch/Braune 1943, o.S.

8 bildende Kraft" des Films im Sinne von Identifikation.16 Die Verteilung der Sympathien mit den Figuren wird z.B. als geeignetes Mittel beschrieben, um "Moral" oder "Tendenz" zu vermitteln.17 Im Film mehr als im Theater muß der Zuschauer wissen: wen soll ich lieben, wen hassen. Mache ich z. B. einen antisemitischen Film, so ist es klar, daß ich die Juden nicht sympathisch darstellen darf. Stelle ich sie aber unsympathisch dar, so müssen ihre Gegenspieler sympathisch sein. 18

Andersherum könne eine Idee positiv mit einer Figur assoziiert werden: "Der Träger einer lebensträchtigen Idee muß auch menschlich wertvoll sein."19 Vor allem die Identifikation mit der Figur mache die "formende Kraft des Films" aus: Der Film erzeugt nämlich neben der persönlichen Verbindung des Zuschauers zum Hauptdarsteller während des Filmablaufs auch das Bestreben, diesem gleich zu sein. Wie er sich räuspert und wie er spuckt, wie er gekleidet ist, wie er sich benimmt, ob und was er trinkt, weis und wie er raucht, ob er ein Bieder- oder ein Lebemann ist, das alles hat nicht nur seine Wirkung im Film, sondern auch im Leben des Zuschauers. Ein kraftgeladener und sieghafter Film entläßt ein anderes Publikum als ein tragischer oder ein komischer Film. Nach einem Albers-Film ist auch der Hilfsfriseur ein Albers; niemand solle es wagen, sich mit ihm einzulassen. Ebenso ist es unstreitbar, daß die im Film dargestellte Frau das Schönheitsideal der breiten Masse beeinflußt. Aus diesem Grunde kann der Besetzung von Filmrollen nicht genug Beachtung entgegengebracht werden. [...] die Frau, richtig ausgewählt in ihrem äußeren Habitus als auch nach inneren Qualitäten und Attributen, kann durch mehrfach erfolgenden Einsatz im Film ganz unbewußt und doch nachdrücklich das allgemeine Geschmacksniveau und Schönheitsideal einer sehr großen Anzahl von Männern sehr vorteilhaft beeinflussen, also nicht nur allgemein "bevölkerungspolitisch", sondern auch im besonderen Sinn einer qualitativen Hochziehung wertvoll wirken.20

So war die "erzieherische" Aufgabe des Films im Sinne der Vermittlung von Werten, Verhaltensmustern, Idealen und Vorbildern gedacht. Die identifikatorische Wirkung des Films ließ sich nicht nur in offensichtlich politischen Filmen einsetzen, sondern allgemeiner, um ideologisch erwünschte Werte, Eigenschaften und Verhaltensweisen zu fördern.

23. Die politische Einflußnahme auf den Film Um ihre Absichten zu realisieren, schafften die Nazis effektive Möglichkeiten der politischen Lenkung und Kontrolle des Films. In der Filmbranche zeichneten sich nach dem Januar 1933 die gleichen Tendenzen wie sonst in der Gesell16 17 18 19 20

Hippler Hippler Hippler Hippler Hippler

1943,91-96. 1943,90. 1943,92. 1943,93. 1943,95.

9 schaft ab. Die Nazis schalteten alle mögliche Opposition aus, etablierten eigene Kontrollinstanzen und übernahmen existierende Gruppen und Einrichtungen. Institutionen für die politische, wirtschaftliche und personelle Kontrolle des Films wurden schnell aufgebaut.

2.3.1. Reichsfilmkammer Bereits im Juli 1933 wurde eine "Filmkammer" geschaffen, die eine sogenannte ständische Organisation für Unternehmer und Beschäftigte der Filmbranche war. Als Unterabteilung der neuen Reichskulturkammer unterstand die Filmkammer der Leitung von Goebbels. Die Mitgliedschaft in der RFK wurde zur rechtlichen Voraussetzung für die Berufstätigkeit im Film; zugleich war ein Ausschluß oder die Verweigerung der Aufnahme vorgesehen, falls Zweifel an der "Zuverlässigkeit" einer Person bestand.21 Damit war eine flexible und universell einsetzbare Möglichkeit geschaffen, Berufsverbote auszusprechen. Ein "Arierparagraph" wurde nicht extra eingebaut.22 Juden konnten ohnedies aus der Branche herausgedrängt werden, was auch geschah: "Durch die Zusammenfassung in einen geschlossenen Berufsstand wird es möglich, in verhältnismäßig kurzer Zeit die jüdischen Einflüsse in der Produktion, dem Verleihgeschäft wie dem Filmtheaterwesen auszumerzen."23 Viele Filmleute emigrierten; nach dem März 1933 wurden etwa 5000 von Berufsverboten betroffen. 24

232. Filmkreditbank Die wirtschaftliche Steuerung der Filmindustrie erfolgte zunächst über die 1933 neugeschaffene Filmkreditbank (FKB). Die Kreditbank, rechtlich eine GmbH, aber praktisch unter Kontrolle des Staates, arrangierte bis zu 70% der Finanzierung eines Films. Von dieser Möglichkeit wurde häufig Gebrauch gemacht: 1935 wurden schon 70% aller Spielfilme über die FKB finanziert.25 So hatte der Staat die Möglichkeit, auf einzelne Filmprojekte einzuwirken, sofern die Produzenten sich um Kredite bemühten, und auch die Filmwirtschaft als Ganzes zu beeinflussen. Ab 1937, im Zuge der schrittweisen Verstaatlichung der Industrie, die später beschrieben wird, wurde die FKB weniger wichtig.

21 22 23 24 25

S. Albrecht 1969,20. Becker 1973,60. Traub 1943,97. Albrecht 1987,4. Albrecht 1969,19.

10 2.3.3. Propagandaministerium Das "Reichsministerium für Volksaufklärung und Propaganda" (abgekürzt RMVP oder ProMi) fungierte als Organ der direkten politischen Kontrolle nicht nur des Films, sondern der gesamten Kultur. Das Ministerium konzentrierte sich als zentrale staatliche Stelle auf Planung und Koordination. Goebbels' Ministerium schuf vor allem die gesetzlichen und organisatorischen Voraussetzungen, um die Filmproduktion und -auswertung zu steuern.26 Aber auch direkte Eingriffe, die bis in die Details einzelner Filme gingen, waren für Goebbels und das RMVP möglich. Die rechtliche Grundlage für eine erweiterte staatliche Kontrolle wurde mit dem Reichslichtspielgesetz vom 16.2.1934 geschaffen.27 Es gab dabei mehrere Neuerungen. Die Filmprüfstelle, die nunmehr sowohl für die Zensur als auch für die Prädikatisierung der Filme zuständig war, wurde zentralisiert. Die möglichen Gründe für das Verbot eines Films wurden erweitert. Es reichte dann schon, daß ein Film geeignet war, "das nationalsozialistische ... oder künstlerische Empfinden zu verletzen".28 Die Prädikatisierung, die den dadurch ausgezeichneten Filmen merkliche Steuervorteile brachte, gab dem Staat eine Möglichkeit, favorisierten Filmen einen Marktvorteil zu verschaffen. Auf dieser Weise bekamen die Produktionsfirmen einen Anreiz, entsprechende Filme zu drehen. Die einzelnen Prädikate wurden im Lauf der Zeit verändert und erweitert; neu eingeführt wurde u.a. das Prädikat "staatspolitisch wertvoll".29 Die Einführung von Filmpreisen verfolgte eine ähnliche Zielsetzung.30 Vom ProMi erwünschte Filmprojekte wurden auch in Form von "Staatsauftragsfilmen" durch die Filmproduktionsfirmen im direkten Auftrag des Ministeriums gedreht. Meist handelte es sich dabei um offensichtlich politische Filme, die eine aktuelle ideologische Aufgabe übernehmen sollten. Beispiele dafür sind Jud Süß, Ich klage an, Der große König und Kolberg. Eine weitere Neuerung bestand in der Einführung einer Vorzensur durch den Reichsfilmdramaturgen, die zeitweilig als Pflicht und zeitweilig als Möglichkeit gehandhabt wurde. Der Reichsfilmdramaturg konnte sich in alle Phasen der Produktion einschalten, vom ersten Exposé über die Besetzung bis zum Drehen des Films. Einerseits minderte dies das Risiko eines Verbotes, anderer-

26 27 28 29 30

Becker 1973,33-34. S. Traub 1943,98. §7 LG, zit. in Albrecht 1969, 24. S. Albrecht 1969,24. S. Traub 1943,99-100.

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seits brachte es vielfältige Einmischungen, die kostspielige Verzögerungen verursachten und den Entscheidungsspielraum der Firmen beschränkten.31 Eine Erweiterung der Zensurmöglichkeiten wurde 1935 geschaffen, indem der Propagandaminister ein uneingeschränktes eigenes Verbotsrecht bekam.32 Tatsächlich brauchten nur wenige Filme während der zwölf Jahre verboten zu werden; Albrecht listet 21 Filme auf, die nicht zur Uraufführung kamen, dazu gab es mehrere, die zeitweilig verboten wurden.33 Die meisten Verbote wurden in den ersten Jahren nach der "Machtergreifung" ausgesprochen. Später lief die Zensur häufiger informell ab: nicht durch Verbote der Filmprüfstelle, sondern durch Absprachen zwischen offiziellen Stellen und den Firmen.34 Bei manchen Verboten handelte es sich um Anpassungen an die aktuelle politische Situation. So wurden z.B. anti-sowjetische Filme für die Dauer des Nicht-Angriffspaktes von 1939 aus dem Verkehr gezogen, später aber wieder freigegeben. Andere wurden vom Kriegsverlauf überholt, insbesondere gegen Ende des Jahres 1944. Zwei Filme hat Goebbels selbst verboten, nicht aus politischen Gründen, sondern, weil er sie, wie er sagte, für "unkünstlerische, seichte und geschmacklose Machwerke" hielt.35 Der wirtschaftliche Zwang, den allein schon die Möglichkeit eines Zensurverbotes ausübte, scheint meistens ausgereicht zu haben, um eine effektive Selbstzensur seitens der Industrie zu bewirken.36 Der NS-Staat schuf sich also weitgehende Eingriffsmöglichkeiten in die Filmproduktion. Der Staat konnte direkt - durch das RMVP - oder indirekt über die Institutionen FKB und RFK, die strukturell, personell und durch die Leitungsfunktion von Goebbels miteinander vernetzt waren - alle Aspekte des Films beeinflussen.

2.4. Die Filmwirtschaft Der Film hängt noch direkter und stärker als andere Kunst- und Kulturprodukte von seinen ökonomischen Rahmenbedingungen ab. Ein Film wird von der ersten Idee über die Realisierung bis hin zur Distribution auf die Marktbedingungen zugeschnitten. Welche Filme gedreht werden und wie sie aussehen hängt sehr stark von den Filmfirmen ab. Dies gilt auch für den Film im Natio31 32 33

34 35 36

Maiwald 1983,147-155. Becker 1973,83. Albrecht 1969, 98. Maiwald führt 228 Verbote bei insgesamt 27213 zensierten Filmen (einschließlich Dokumentarfilmen, Kurzfilmen, ausländischen Filmen, Werbefilmen etc.) auf (1983,171). Maiwald 1983,170-174. 23t. in Becker 1973,81. Becker 1973,82-83.

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nalsozialismus, wobei die politische Kontrolle zusätzlich dazukam. Deshalb will ich jetzt einen kurzen Überblick über die Entwicklung der Filmindustrie zwischen 1933 und 1945 geben. Aufgrund starker Konkurrenz und der allgemeinen wirtschaftlichen Entwicklung, noch verschärft durch die Krise ab 1929, war die Konzentration der Filmindustrie im Jahre 1933 weit fortgeschritten. Die vier Großfirmen Ufa, Tobis, Terra und Bavaria, die in der NS-Zeit bestimmend waren, kontrollierten bereits 40% der Produktion. Bis 1936 hatten sie ihren Anteil auf 80,6% der Filme ausgebaut. Ähnlich verhielt es sich beim Verleih, den diese Firmen 1935 schon mit 70% der Filme beherrschten.37 Trotz dieser Entwicklung, trotz der staatlichen Hilfe durch die FKB, und trotz steigender Zuschauerzahlen (von 224,9 Millionen in der Spielzeit 1933/34 auf 361,6 Millionen 1936/36),38 blieb die Filmbranche wirtschaftlich unsicher. Dafür gab es mehrere Ursachen. Der Filmexport ging in Folge von Boykottmaßnahmen, Kontingentbestimmungen und fallender Nachfrage stark zurück.39 Zugleich stiegen die Herstellungskosten enorm an, was u.a. aus der Forderung der Nazis nach dem "Qualitätsfilm" resultierte, deren Einlösung durch immer größere Ausgaben für längere Drehzeiten, aufwendige Ausstattung und teuere Besetzung angestrebt wurde. Die durchschnittlichen Herstellungskosten eines Films stiegen von 250000 RM im Jahre 1933 auf 537000 RM im Jahre 1937.40 Die Filmwirtschaft wies 1936/37 ein jährliches Defizit auf, das je nach Quelle mit Summen zwischen 10 und 20 Millionen RM angegeben wird.41 Um diese finanziellen Schwierigkeiten zu lösen wurde 1937 die Verstaatlichung der Filmbranche begonnen, wobei die Zunahme an politischer Kontrolle auch eine erwünschte Folge war. Weder die Filmbranche noch die Regierung waren aber daran interessiert, eine zentralisierte, direkt staatliche Filmproduktion zu schaffen.42 Die Verstaatlichung der großen Filmfirmen erfolgte über den Umweg einer Holding-Firma, der "Cautio-Treuhandgesellschaft m.b.H.", unter der Direktion von Dr. h. c. Max Winkler. Die "Cautio" benutzte Geld vom Staat, um heimlich nach und nach Aktienmehrheiten bei den Großfirmen aufzukaufen. Die einzelnen Firmen und ihre grundsätzliche privatwirtschaftliche Struktur blieben dabei erhalten. Sie konnten jedoch von Winkler, der zum "Reichsfilmbeauftragten" ernannt wurde, und seiner Firma wirtschaftlich zentral gelenkt werden. Winklers Steuerung zielte auf eine erhöhte Rentabilität der Firmen und der gesamten Branche. Die Finnen blieben formell getrennt 37 38 39 40 41 42

Petley 1979,61. Knierim 1965,62. Traub 1943,104-105. Schweins 1958,117. Schweins 1958,116, Spiker 1975,134-135. Petley 1979,63.

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und führten eine, allerdings durch die zentrale Planung Winklers abgemilderte, Konkurrenz gegeneinander. Die Konsolidierung der Filmindustrie erreichte 1942 eine neue Stufe, als sämtliche Finnen der gesamten Branche (Produktion, Verleih, Kopierwerke, Kinoketten der Großfirmen etc.) unter der Führung der Ufa-Film GmbH ("Ufi") umorganisiert und vereinigt wurden. Da die Ufi ihrerseits der Cautio gehörte, die im Auftrag der Regierung handelte, war die Verstaatlichung der gesamten Filmbranche, bis auf die mittelständischen Kinos, perfekt. Es gab weiterhin nominell verschiedene Produktionsfirmen (Bavaria, Terra, Ufa, Tobis, Wien-Film, Prag-Film u.a.), die aber alle der Kontrolle der zentralen Ufa-Film unterlagen. Auf dem Umweg über die Cautio hatte der NS-Staat letztlich die organisatorische und wirtschaftliche Kontrolle über alle Firmen. Die Stelle eines Reichsfilmintendanten (Fritz Hippler, später Hans Hinkel), der für alle Fragen der "künstlerischen" Gestaltung sowie Besetzung und Vorzensur zuständig war, wurde neu eingerichtet. Die Reichsfilmintendanz überwachte alle Phasen der Produktion, vom Treatment bis zur Freigabe, und war auch für die Koordination des Produktionsprogramms verantwortlich.43 Die Ausweitung der - immer noch "mittelbaren", aber nun offenen - Verstaatlichung stand keineswegs in Opposition zu den wirtschaftlichen Interessen der Industrie. Im Gegenteil, die Filmindustrie arbeitete nach wie vor nach dem Prinzip der Profitmaximierung und erwirtschaftete sogar zum ersten Mal sehr hohe Gewinne.44 Dazu hat der Krieg direkt und indirekt durch die Expansion des Reichs, einen starken Rückgang an Importfilmen und eine erhöhte Besuchsfrequenz des Publikums beigetragen.

2.5. Wirtschaftliche und politische Steuerungsmechanismen Das Nebeneinander von politischer Kontrolle und kapitalistischer Produktionsweise, die nach der Verstaatlichung eng miteinander verflochten waren, kennzeichnet den NS-Film. Der Staat und die Filmwirtschaft arbeiteten harmonisch zusammen. Zum Teil lag das daran, daß Goebbels an publikumswirksamen Unterhaltungsfilmen interessiert war, und zum Teil daran, daß auch die politischen Filme häufig wirtschaftlich sehr erfolgreich waren. Durch Zensur und durch direkte Lenkung der Produktion konnten die Nazis das Spektrum des Filmangebots bestimmen. Prädikate, Filmaufträge, Verordnungen, die Regelung von Kritik und Werbung und in der Monopol43 44

Becker 1973,198-205. Die Ufi brachte im ersten Jahr schon einen Gewinn von knapp 155 Million RM. Spiker 1975, 232 und Becker 1973,227.

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phase die koordinierte Planung von Produktion und Verleih beeinflußten auch die Chancen der einzelnen Filme auf dem Markt. Im allgemeinen blieben aber Wirtschaftsprinzipien erhalten, die auf Rentabilität, Profit und marktorientierte Produkte abzielten. Die einzelnen Filme konkurrierten gegeneinander, was eine - wenn auch eingeschränkte - Ausrichtung nach Publikumswünschen bedeutete. Innerhalb der gesetzten Grenzen des Angebots konnte das Publikum nach seinen Wünschen wählen. Die Profitmotivation der Branche, die beim Kinobesitzer ebenso wie beim Manager der Produktionsfirmen bestand, bedeutete, daß die Industrie nicht völlig am Publikum vorbeizielen konnte.45 Auch die "staatspolitisch wertvollen" Filme mußten um die Anerkennung des Publikums konkurrieren, und es gibt auch Beispiele dafür, daß manche Filme recht erfolglos blieben.46 Die Propagandaintention führte nicht automatisch zur Massenwirksamkeit. Prinzipiell gab es aber weder beim einzelnen Film noch bei der Filmindustrie überhaupt einen Konflikt zwischen den politischen Zielen der Nazis und den finanziellen Erfolgserwartungen der Firmen.

2.6. Filmangebot und Filmkonsum Im folgenden soll ein kurzer Überblick über die Art der Filme, die unter diesem System produziert wurden, über die Bedingungen ihres Einsatzes in den Kinos und über die Reaktion des Publikums gegeben werden.

2.6.1. Kinoprogramm und Filmvertrieb Ein typisches Kinoprogramm bestand nach der Abschaffung des "Zweischlagersystems" (d. h. zwei Hauptfilme) aus Werbung (Dias und Filmen), einer Wochenschau, in den besseren Kinos einer Live-Bühnenschau, dem Kulturfilm und dem Hauptfilm.47 Der Krieg brachte einige Änderungen. Die Werbung wurde zunehmend auf die Kriegserfordernisse (unter anderem ausgerichtet auf das Sparen von Rohstoffen, Altmaterialsammlungen etc.) umgestellt; der gesamte Auftragswert der Werbefilme stieg jedoch relativ kontinu-

45

46

47

In dieser Hinsicht weicht der NS-Film in seinen Produktionsbedingungen deutlich von staatlich gelenkter Filmproduktion wie sie in der Sowjetunion und den sozialistischen Staaten existierte. Z.B. Der ewige Jude, Nur nicht weich werden Susanne und Die Rothschilds scheinen den Erwartungen bei weitem nicht entsprochen zu haben. S. Hennies 1985,8, Holmes 1939.

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ierlich von 1933 bis mindestens 1942.48 Die Wochenschau wurde in der Kriegszeit häufiger herausgegeben und nahm um das Zwei- bis Dreifache gegenüber der Vorkriegslänge im Umfang zu.49 Sie bezog sich fast nur noch auf das Kriegsgeschehen. Durch die Wochenschau war ein Propagandaanteil in jeder Kinovorstellung dabei. Insgesamt sollte ein Kinoprogramm der Kriegszeit aus 3500-4000 Meter Film bestehen: ca. 800 Meter (etwa 30 Minuten) Wochenschau, selten mehr als 400 Meter (15 Min.) Kulturfilm und einem Spielfilm, der im allgemeinen 2500 Meter (90 Min.) nicht überschreiten sollte,50 wobei vor allem die als politisch wertvoll eingestuften Filme doch häufig länger waren. Auf die Zusammensetzung des Programms hatten die Kinobesitzer wenig Einfluß. Der Filmverleih lief über sogenannte Blind- und Blockbuchung, d. h. die Kinos mußten ungesehen eine ganze Serie Filme vom Verleiher abnehmen.51 Die Kinos, meist mittelständische oder kleine Familienbetriebe, waren also relativ abhängig von den wenigen großen Verleihfirmen, die weitgehend entscheiden konnten, wann welche Kinos welche Filme bekamen. Die Kinobesitzer klagten über den Kampf um Filmtermine, Probleme mit der Prolongation, Abnahmeverpflichtungen und das ungleichmäßig verteilte Angebot.52 Kinos wurden nach Publikum, Nachfrage, geographische Lage und Größe in vier Klassen eingeteilt: Uraufführungs-, Erstaufführungs-, Zweitaufführungsund Nachaufführungskinos.53 Die Filme kamen zuerst in die großen Ur- und Erstaufführungskinos der Großstädte, und erst wesentlich später waren sie in den Außenbezirken und Kleinstädten zu sehen. Überhaupt war der Film eine eher städtische Angelegenheit. So gab es z.B. im Jahre 1938 5411 Kinos, die in nur 2640 Städten konzentriert waren.54 Die Städte mit mehr als 100000 Einwohnern waren für 55% der Einnahmen verantwortlich; "53 Großstädte des Deutschen Reiches sind die tragenden Säulen des Filmabsatzmarktes."55 Die Versorgung auf dem Land wurde zum Teil durch die Filmabteilung der NSDAP übernommen. Die Gaufilmstellen organisierten Filmabende mit einer Wochenschau, einem Kulturfilm und einem Spielfilm im Programm. Nicht nur "staatspolitisch wertvolle" Filme wurden gezeigt, sondern auch normale Unterhaltungsfilme; dann lief aber auf jeden Fall ein "weltanschaulich betonter Kurz-

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49 50 51 52 53 54 55

Laut den Angaben in Das deutsche Filmschaffen im vierten Kriegsjahr (1943, o.S.) stiegen die Werbefilmerträge von 1,3 Mill. RM im Jahre 1933 auf 6,5 Mill. RM im Jahre 1942. Traub 1943,110, vgL Albrecht 1987,4. Klär 1942,137. Hennies 1985,9. Witt 1938,120. Paschke 1935,140-142. Witt 1938,120. Jason 1935,139.

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film" vorab.56 Im Krieg wurde der Schwerpunkt der Parteifilmarbeit auf die Versorgung der Frontkinos verlagert.57 Die Kinos waren gut ausgelastet, insbesondere in der Kriegszeit. Der steigende Bedarf nach Ablenkung und der Wegfall von anderen Kultur- und Freizeitangeboten führten zu einer großen Nachfrage. Erst ab Mitte 1944 gingen die Besucherzahlen zurück, was vor allem an der Zerstörung der Großstädte lag.58 Die Nachfrage nach Filmunterhaltung blieb jedoch in der gesamten Kriegszeit stets größer als das Angebot an Filmen.S9 Auch nach längeren Laufzeiten und bei Wiederaufführungen fanden die Filme noch ein bereitwilliges Publikum. 2.62,. Filmangebot und Erfolgsfilme

Das Gesamtangebot Was für Filme wurden im "Dritten Reich" produziert, zugelassen und vorgeführt? Es waren der Anzahl nach nicht wenige: Albrecht zählt 1094 deutsche Filme, die zwischen dem 30.1.33 und dem 8.5.45 uraufgeführt wurden.60 Dazu kamen 66 Coproduktionen von deutschen und ausländischen Firmen. Nur 24 deutsche Spielfilme gelangten wegen eines Zensurverbotes nicht zur Aufführung in Deutschland, drei davon durften im Ausland aufgeführt werden.61 Insgesamt 605 ausländische Filme, davon 273 aus den USA, wurden zwischen 1933 und 1945 von der deutschen Zensur freigegeben.62 Wenn man die ausländischen Filme mit einbezieht, waren fast alle Formen und Genres von Filmen vertreten. Phantastische oder science fiction Filme waren rar. Kriminalfilme kamen, vor allem bei den deutschen Produktionen, vorwiegend in Form von Kriminalkomödien vor; die amerikanischen Gangsterfilme und sozialkritischen Krimis wurden weder importiert noch nachgeahmt. Komödien machten etwa die Hälfte der angebotenen Filme aus.63 Heitere Filme (Komödien und leichte Musikfilme) waren zahlenmäßig stärker vertreten als ernste, dramatische Filme; die ernsten Filme erreichten im allgemeinen aber ein größeres Publikum. Verschiedene Formen von musikalischen Filmen, z.B. 56 57 58 59 60 61

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63

Walter 1941,28-29. Drewniak 1987,617-618. Drewniak 1987,626. Drewniak 1987,606. Albrecht 1969,97. S. Albrecht 1969, 98, für eine Liste der Titel. Noch etliche Filme waren nur zeitweilig oder erst nach der Uraufführung verboten, bzw. erst nach Änderungen zugelassen. Nach Knierim 1965, 61. Für eine Beschreibung des Angebots aus verschiedenen Ländern, s. Drewniak 1987,820-850. Drewniak 1987,186.

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Revuefilme, Operetten, Sängerfilme und musikalische Einlagen in anderen Filmen, waren sehr beliebt; auch amerikanische Musicals wie Broadway Melodie of 1936 wurden gezeigt und lieferten ein Modell für die deutschen Revuefilme. Filme mit historischen Stoffen, unter anderem Preußenfilme, Lebensgeschichten berühmter Deutscher und historische Kriegsgeschichten, fanden großen Anklang, besonders bei Jugendlichen. Im Vergleich zu Komödien oder Dramen machten Abenteuerfilme einen kleineren Anteil des Angebots aus, waren aber auch in diversen Formen vertreten, vor allem Zirkusfilme, Krimis, Dschungel-, Kolonial- und sonstige exotische Filme; ebenfalls wurden amerikanische Western reihenweise importiert. Amerikanische Filme spielten bis 1940 überhaupt eine relativ wichtige Rolle in den Kinos.64 In der Kriegszeit nahmen ausländische Filme insgesamt stark ab; die Kinos waren dann sehr deutlich vom deutschen Film beherrscht. Eine Übersicht über die Filme und Genres läßt sich aus den Beschreibungen in der einschlägigen Filmgeschichtsschreibung gewinnen.65 Als problematisch müssen dabei oft - neben der Oberflächlichkeit mancher Filmbesprechungen - die Genre-Einteilungen und die nicht-repräsentative Auswahl der Filme angesehen werden. Die Kategorisierungen nach politischen Themen und die Unterscheidung in politische und unpolitische Filme verlaufen quer zu den Publikumsvorlieben. Deshalb reflektieren diese Darstellungen nicht die damalige Aufnahme der Filme durch das Publikum. Kassenschlager Will man Filme als Dokumente ihrer Zeit sehen, wäre es wichtig zu wissen, welche Filme tatsächlich massenhaft gesehen wurden und welche Faktoren für ihren Erfolg verantwortlich waren. Es ist zumindest teilweise möglich, die Kassenschlager der nationalsozialistischen Zeit auszumachen. Es erscheint auch durchaus berechtigt, diese Filme als auf irgendeine Art besonders bezeichnend für ihre Zeit anzusehen. Bevor man aber versucht, unmittelbar aus den Filmen Rückschlüsse auf das Publikum zu ziehen, muß man die Komplexität der Filme selbst sowie die Umstände ihrer Produktion und Rezeption bedenken. Die verschiedenen Faktoren, die beim Erfolg mitspielten, müssen in Betracht gezogen werden.

65

Fünf amerikanische Filme wurden 1940 noch von der Zensur zugelassen, kamen infolge des Kriegs aber nicht mehr zur Aufführung (s. Jason 1941). Am ausführlichsten und umfassendsten ist Drewniak 1987, der Hunderte von Spielfilmen, Kulturfilmen, Kurzfilmen und sogar Amateur-Schmalfilmen aufführt. S. auch Leiser, Hull, Courtade/Cadars, Gietinger, Petley. Auch die zeitgenössischen Darstellungen von Kriegk und Traub erwähnen viele Filme.

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Die oben beschriebenen wirtschaftlichen und politischen Rahmenbedingungen beeinflußten den Erfolg der Filme direkt. Wirtschaftliche Erwägungen prägen Filme grundsätzlich von Anfang an. Häufig werden z.B. Drehbücher geschrieben und Filme gemacht, um einen bestimmten Star zu präsentieren. Oder die Auswahl von Filmstoffen richtet sich nach Erfahrungen mit ähnlichen Filmen in der Vergangenheit. Der finanzielle Aufwand für Stars, Ausstattung, längere Drehzeiten, Außenaufnahmen etc. spielt eine wesentliche Rolle bei der Planung eines Filmprojekts und muß gegen die kalkulierten Einnahmen aufgerechnet werden. Andererseits beeinflussen diese Faktoren auch meistens die Attraktivität des Films. Der relative Erfolg eines Films ist also tendenziell schon in der Planungsphase vorgezeichnet. Bei der Untersuchung eines Filmes kann nicht unbedingt von einem direkten Verhältnis zwischen dem Erfolg und dem Thema oder der Handlung ausgegangen. Ebenso können Stars, Musik, Ausstattung und Schauwerte, sowie aufwendige Massenszenen und dergleichen eine wesentliche Rolle gespielt haben. Schließlich waren auch beim fertiggedrehten Film wirtschaftliche Faktoren wichtig, z.B. die Anzahl der Kopien, der Einsatz im Verleih und der Aufwand an Werbung. Die Vermarktung der Filme war Sache der Firmen; erst ab der zweiten Phase der Verstaatlichung wurde der gesamte Verleih in der Deutschen Filmvertriebs-Gesellschaft zentralisiert. 1944 wurden dann alle Filme in drei Klassen geteilt - geförderte, normale und schlechte -, wonach sich sowohl die Anzahl der Kopien als auch die Verteilung an bessere oder schlechtere Kinos richteten.66 Je nach Quelle, Erhebungszeitraum und Meßmethode gibt es unterschiedliche Angaben über die erfolgreichsten Filme der NS-Zeit. Eine absolute Rangfolge ist für unsere Zwecke hier unerheblich; es geht darum, eine Vorstellung zu haben, was für Filme das damalige Publikum tatsächlich massenhaft gesehen hat. Daraus kann man - unter Berücksichtigung der verschiedene Einflüsse, die sich auf den Erfolg auswirkten - Schlüsse über den Publikumsgeschmack und über die Wirksamkeit der Filme ziehen. Gerd Albrecht hat eine Aufstellung der Erfolgsfilme vorgenommen, die auf den Einspielergebnissen in den ersten 18-24 Monaten nach der Premiere basiert. Demnach belegten in den Jahren 1934-1944 folgende Filme die jährliche Spitzenposition: Flüchtlinge, Maskerade, Schwarze Rosen, Verräter, Heimat, Es war eine rauschende Ballnacht, Mutterliebe, Wunschkonzert, Frauen sind doch bessere Diplomaten, Die große Liebe und Der weiße Traum.61 Unter diesen

66 67

Albrecht 1969,117, Drewniak 1987,606-607. Albrecht 1985, 24-45. Ein Bericht der Ufa aus dem Jahr 1943 listet zum größten Teil die gleichen Filme auf, geht aber von einer anderen Zeiteinteilung aus; das führt zu einigen Abweichungen. In dieser Liste erscheint der Rühmann-Film Der Mustergatte als erfolgreichster

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Filmen sind fast alle Sorten von Filmen vertreten, vom Propagandafilm Flüchtlinge über Melodramen wie Mutterliebe (mit Käthe Dorsch), Maskerade (mit Paula Wessely) und Heimat (mit Zarah Leander) bis hin zur Eisrevue Der weiße Traum. Während mit Flüchtlinge und Verräter eindeutig politische Intentionen verfolgt wurden, kann man das von Es war eine rauschende Ballnacht - ein seichtes Melodram mit Zarah Leander, das sich um eine erfundene Liebesgeschichte von Tschaikowsky handelt - oder von Frauen sind doch die besseren Diplomaten - der erste Farbfilm, mit Marika Rökk in der Hauptrolle - nicht behaupten. Die beiden "Heimatfrontfilme" Die große Liebe und Wunschkonzert verbinden Liebesgeschichten mit Darstellungen der Kriegszeit. Eine solche Kombination von politischer Zielsetzung und populärer Unterhaltung scheint in beiden Hinsichten besonders erfolgreich gewesen zu sein. In der damaligen Literatur und in der Werbung wurden die Laufzeiten in den Uraufführungskinos als Erfolgsbarometer angegeben.68 Vom Publikum, von der Lage und Attraktivität des Kinos, vom Werbeaufwand etc. her betrachtet, waren diese Kinos nicht unbedingt typisch. Die Laufzeiten der Filme hingen aber prinzipiell mit dem Publikumsinteresse zusammen. Bei bestimmten Zuschauerzahlen waren die Kinos sogar verpflichtet, die Laufzeit zu prolongieren.69 Während die Nachspielhäuser die Filme sehr häufig wechselten (bis zu zweimal in der Woche), spielten Filme in den Ur- und Erstaufführungskinos mehrere Wochen bis zu mehreren Monaten lang, solange noch genug Zuschauer kamen. Für die Jahre 1940-1943 liegen fast vollständige Angaben über die Laufzeiten der deutschen und vieler ausländischen Filme in den Berliner Ur- und Erstaufführungskinos vor.70 Die Streubreiten bei den Laufzeiten sind groß, wobei sich aber die Masse der Filme relativ nah um den Mittelwert gruppiert.71 Die Laufzeiten der Spitzenfilme entfernen sich recht weit vom Durchschnitt, und damit von der großen Menge der Filme. Aufgrund dieser Statistiken kann man eine ausführlichere Liste der Kassenerfolge der Kriegszeit erstellen. Wenn man grob die obersten zehn Prozente der jährlichen Filmproduktion nimmt,72 ergeben sich die folgenden Erfolgslisten:

68 69 70 71

72

der Spielzeit 1937/38 und Jud Süß an der Spitze 1939/40 (s. Tabelle 2.1. im Anhang). Für eine erweiterte Liste nach Einspielergebnissen s. Tabelle 2.2 im Anhang. Paschke 1935,38. Paschke 1935,148-9. Jason 1941,1942,1943,1944, Melzer 1942. 1941, z.B., bewegten sich rund 57% der angegebenen Filme im Bereich ±10 Tage vom Mittelwert von 24 Tage; 1940 waren sogar 82% im Bereich +10 Tage vom Durchschnittswert, der 20 Tage betrug. 8,75-12,5%, da manche Laufzeiten mehrfach belegt sind.

20 Erfolgsfilme nach Laufzeiten in Berliner Ur- und Erstaufführungskinos 1940

1941

94 Filme

80 Filme

Durchschnittl. Laufzeit: 19 Tage Spanne: 6-77 Tage

Durchschnittl. Laufzeit: 24 Tage Spanne: 9-52 Tage

Operette Der Postmeister Ein Leben lang Die gute Sieben Die Rothschilds Jud Süß Wiener Geschichten Ein Mann auf Abwegen Trenck der Pandur

Frauen sind doch bessere Diplomaten Tanz mit dem Kaiser Annelie Ich klage an Der Weg ins Freie ...reitet für Deutschland Illusion

1942

77 62 55 46 44 41 39 37 35

72 Filme

1943

92 Filme

Durchschnittl. Laufzeit: 28 Tage Spanne: 6-91 Tage

Durchschnittl. Laufzeit: 21 Tage Spanne: 5-72 Tage

Die große Liebe Die goldene Stadt Die Sache mit Styx Kleine Residenz Die heimliche Gräfin Die Entlassung Meine Frau Teresa Rembrandt Wiener Blut

Münchhausen Späte Liebe Altes Herz wird wieder jung Immensee Romanze in Moll Damals Gefährtin meines Sommers Das Bad auf der Tenne Die kluge Marianne Ein Walzer mit Dir Zirkus Renz

91 73 63 60 53 49 49 49 49

52 52 51 51 48 47 45

72 42 41 41 39 36 36 35 35 35 35

Wenn man nach den langjährigen Erfolgsfilmen sucht, trifft man auf viele derselben Titel, vor allem bei den späteren Filmen. Obwohl viele Filme lange im Verleih blieben oder als Reprisen wieder in das Programm aufgenommen wurden, konnten sich die älteren Filme selten wirtschaftlich gegen die neueren behaupten, die von Anfang an auf die wesentlich besseren Marktbedingungen der Kriegszeit trafen. Eine Liste vom November 1944 gibt die folgende Reihen-

21 folge nach den Einspielergebnissen an: Die goldene Stadt, Der weiße Traum, Immensee, Die große Liebe, Wiener Blut, Wunschkonzert, Schrammein, Zirkus Renz, Die Frau meiner Träume, Münchhausen, Frauen sind doch bessere Diplomaten, Altes Herz wird wieder jung, Annelie, ...reitet für Deutschland, Hab mich lieb. Die Feuerzangenbowle, Fronttheater, Damals, Die große Nummer und Sophienlund.73 Eine frühere aber etwas umfangreichere Liste befindet sich in der Tabelle 2.3. im Anhang. Tendenzen beim Erfolgsfilm Die Erfolgsfilme heben sich sehr deutlich von der großen Masse der Filme ab; der Abstand zwischen den Spitzeneinnahmen und dem Durchschnitt ist groß. Die Kassenschlager nahmen erheblich mehr ein als ihrem zahlenmäßig geringem Anteil an der Gesamtproduktion entsprechen würde. So waren z.B. die obersten 10% der Filme für ca. 24% der Einnahmen verantwortlich, und die besten 20% brachten ca. 41% ein.74 Die Spitzenfilme erreichten dabei das Zweieinhalb- bis Dreifache des durchschnittlichen Einspielergebnisses. Auch die mittelmäßig bis schlechten Filme erreichten - im Vergleich mit manchen anderen Kunst- und Kulturformen - immer noch ein Massenpublikum,75 was aber die Leistung der Spitzenfilme noch weiter betont. Die Erfolgsfilme waren in der Herstellung auch überdurchschnittlich teuer, abgesehen von wenigen Ausnahmen wie Zwei in einer großen Stadt, der nur 585000 RM kostete. Die meisten kosteten zwischen 1,5 und 3 Millionen RM. Eine direkte Korrelation zwischen Kosten und Einnahmen kann aber nicht vorausgesetzt werden. Besonders teuere Filme wie Ohm Krüger (5,4 Mill.) oder Der große König (4,7 Mill.) haben zwar auch gute Gewinne gebracht, sind aber im Einspielergebnis von billigeren Filmen übertroffen worden. Insbesondere bei Staatsauftragsfilmen, wo politisches Kalkül zum ökonomischen dazukam, standen die Kassenergebnisse nicht immer im Verhältnis zu den Kosten.76 Im Gesamttrend zeigt sich aber, daß die Filmfirmen ihre Produkte in etwa auf das Publikumsinteresse zugeschnitten haben und dabei nicht allzuviele Überraschungen erlebten. Der Erfolgsfilm des "Dritten Reichs" war ein Star-Film. Die Mehrheit der Kassenschlager führten einen oder mehrere berühmte Namen im Vorspann. 73 74

75

76

Drewniak 1987,631. Nach Stichproben aus den Einspielergebnissen für Filme aus den Jahren 1939 und 1942, berechnet nach den Angaben von Albrecht 1969,409-416. Vergleichsweise recht bescheidene Filme wie Der ewige Quell, Tip auf Amalie oder Der Kleinstadtpoet, deren Einspielergebnisse weit unter dem Durchschnitt lagen, haben immerhin in einem Jahr etwa 13 bis 2,7 Millionen Zuschauer gesehen. Albrecht 1969, 232.

22 Dabei verteilte sich der Erfolg unter vielen Schauspielern und Schauspielerinnen; kein einzelner Star nimmt eine absolut überragende Position ein. Zarah Leander, Marika Rökk, Kristina Söderbaum, Heinz Rühmann, Carl Raddatz, Paul Hörbiger, Willy Fritsch, Ilse Werner und Paula Wesseley haben in besonders erfolgreichen Filmen gespielt und gehörten zu den Publikumslieblingen der Zeit. Propagandafilme und unpolitische Filme sind in den Erfolgslisten bunt zusammengemischt. Schon 1933/34 fand sich Flüchtlinge, ein offensichtlich politischer Film über eine Gruppe von "Volksdeutschen" auf dem Weg zurück nach Deutschland, neben dem Bauernschwank Krach um Jolanthe. In der folgenden Saison führte ein Melodram, Maskerade, die Liste an, aber der Propagandafilm Ein Mann will nach Deutschland belegte schon den dritten Platz. Diese Tendenz blieb typisch für die ganze NS-Zeit. Im Vergleich zu ihrem zahlenmäßigen Anteil an der Gesamtproduktion waren die politischen Filme unter den Erfolgen überrepräsentiert. Dies kann an ihrer Förderung durch die Regierung, am ökonomischen Interesse der Firmen, die überdurchschnittlichen Kosten wieder einzuspielen, und am Publikumsinteresse gelegen haben. Die politische Qualität allein wird es wohl nicht gewesen sein. Denn unter den Propagandafilmen waren diejenigen am erfolgreichsten, die ihren ideologischen Inhalt am effektivsten in die Form eines Unterhaltungsfilms mit spannender Handlung, Stars, eingängiger Musik etc. eingepackt haben. Wunschkonzert und Die große Liebe waren z.B. als Revue- und Musikfilme attraktiv, Jud Süß benutzte sehr effektiv die Form des Melodrams. Woran der Erfolg solcher Filme letztlich lag, wird sich nicht genau feststellen lassen. Auf jeden Fall kann man aber sagen, daß eine auch recht offensichtliche politische Message nicht negativ auf das Publikum gewirkt hat. Eher scheint die Einteilung politisch/nicht-politisch überhaupt zweitrangig gewesen zu sein. In den meisten Fällen war sie fürs Publikum offenbar gar nicht relevant. Goebbels' Taktik, Propaganda mit Unterhaltung zu vermischen, ist - nach der Massenrezeption der Filme zu beurteilen - erfolgreich gewesen. In den Erfolgsfilmen trafen die Interessen des Publikums, der Produzenten und des NS-Staates auf einem Punkt zusammen. Der Schwerpunkt dieser Arbeit wird auf diesen Kassenschlagern und Großfilmen liegen. Sie sind besonders bezeichnend sowohl für die Produktionsintentionen, die ideologisch und finanziell auf Massenwirksamkeit zielten, als auch für den Rezeptionszusammenhang, der die Wünsche und Vorlieben des Publikums und auch die Wirkung des Films umfaßt. Sie sind nicht unbedingt repräsentativ für die Masse der Filme; da wären eher durchschnittlich teuere und nicht so erfolgreiche Komödien und musikalische Filme wie etwa der HansMoser-Film Das Ekel, der Marika-Rökk-Revuefilm Hallo Janine, oder Filme wie Herz modern möbliert, Wer küßt Madeleine? oder Beates Flitterwoche zu nennen. Die Kassenschlager können aber um so mehr als besonders typisch für

23 Tendenzen ihrer Zeit gelten. In diesem Sinne werde ich die Filme nicht nur unter dem Blickwinkel der politische Propaganda untersuchen, sondern auch als Formen der Alltagsideologie des Publikums. Die beiden Filme Die große Liebe und Die goldene Stadt gehörten allen Anzeichen nach zu den populärsten der Nazi-Zeit; sie werde ich als meine Hauptbeispiele für die Untersuchung der Ideologie im Film benutzen.

3. Was heißt Ideologie im NS-Film?

3.1. Interpretationsansätze Nach den ideologischen Inhalten und Wirkungen der Filme des Nationalsozialismus zu fragen scheint selbstverständlich angesichts der starken Politisierung der Gesellschaft im Faschismus und angesichts der explizit politischen Aufgabenstellung sowie der hohen Wertschätzung, die Goebbels und andere Naziführer dem Film entgegenbrachten. Es ist also kaum verwunderlich, daß sich der vorherrschende Ansatz in der Beschäftigung mit dem NS-Film auf Propaganda konzentriert. Die Nazis selbst deklarierten den Film offen zum Propagandamittel, indem sie ihn unter die Ägide des "Reichsministerium für Volksaufklärung und Propaganda" stellten. Es lassen sich schnell etliche Filme finden, die mit ihren Feindbildern, ihren "urdeutschen" Helden oder ihren Aufrufen zur Massenmobilisierung wie musterhafte Illustrationen nazistischer Parolen aussehen. Das meiste, was über den NS-Film geschrieben worden ist, befaßt sich mit der Beschreibung, Einteilung und Auswertung der manifest politischen Filme. Untersuchungen, die Filme als Propagandamittel behandeln, bringen wichtige Erkenntnisse über die Ziele und Argumentationsstrategien der Nazis sowie über den Stellenwert des Films im Nationalsozialismus.1 Ihre Grenzen liegen aber bei der Definition des Gegenstands - mit einer engen Konzentration auf Propagandafilme, die aber nur ca. 15% der gesamten Filmproduktion ausmachten - und bei der Fragestellung - die auf inhaltlich definierte Elemente einer als in sich geschlossen begriffenen Nazi-Ideologie begrenzt wird. Die Filme werden aufgrund inhaltlicher Kriterien in politische und unpolitische getrennt. Diese Richtung ist bestimmend für die Standardwerke der NS-Filmgeschichte, für die meisten Kurzdarstellungen und für die populären Filmgeschichten und (Auto-)Biographien. Es gibt auch verschiedene Darstellungen des Films im Nationalsozialismus, die nicht über Anekdoten hinauskommen (die meisten Biographien und Autobiographien von Schauspielern und Schauspielerinnen und auch die populäre Filmgeschichte von Riess (1977) gehören zu dieser Kategorie). Einige haben eine offensichtlich apologetische Funktion (z.B. Rabenalt 1985, Harlan 1966, Hippler o j . ) . Andere enthalten so viele Fehler, daß man nur annehmen kann, daß manche Autoren mit Vorliebe über Filme schreiben, die sie nicht gesehen haben (dies gilt z.B. für Romani 1982, teilweise für Courtade/Cadars 1975).

25 3.1.1. Politische und nicht-politische Filme? Gerd Albrechts Buch Nationalsozialistische Filmpolitik behandelt die gesamte Filmproduktion in Deutschland zwischen 1933 und 1945. Diese ausführliche soziologische Studie basiert explizit auf der Einteilung der Filme in "P-Filme" (mit manifest politischem Inhalt) und "nP-Filme" (ohne solchen Inhalt). Als Differenzierungsmerkmal dient vor allem die Einteilung der Filme durch die Nazis selbst, gestützt auf Dokumente des Propagandaministeriums und des Reichsfilmarchivs, die Erteilung von Prädikaten etc. oder eine inhaltliche Einteilung aufgrund der (nach)erzählten Handlung. 2 Diese Kategorisierung ermöglicht die statistische Auswertung der Filme in Hinsicht auf verschiedene Fragestellungen, wie z.B. Kosten und Einspielergebnisse, Besetzung und Regie, Titelgestaltung und Charakteristika der Hauptfiguren. Durch diese quantitative Inhaltsanalyse kann Albrecht zeigen, daß die nationalsozialistische Filmpolitik "nicht ein Maximum, sondern ein Optimum ideologischer Durchdringung in den Spielfilmen angestrebt" habe. 3 Albrechts genaue Untersuchung sagt viel aus über die Gesamttendenzen des NS-Films und liefert sehr viel Material über den Produktionskontext der Filme. Die quantitative Methode verlangt eine klare und einfache Genre-Einteilung, woraus aber auch die Grenzen der Untersuchung resultieren. Albrecht gesteht den "nP-Filmen" durchaus eine - zumindest latente - politische Funktion zu.4 Seine Methode ergibt jedoch keine Möglichkeit, diese Aspekte der Filme zu erfassen. Da die Einteilung der Filme auf äußeren Faktoren, auf inhaltlichen Kategorien und auf der expliziten Propagandafunktion mancher Filme basiert, kann sie nur sehr grobrastrig etwas über die Filme selbst aussagen. Albrecht klammert die Filmanalyse bewußt aus, da er ausschließlich auf quantifizierbare Daten bauen will.5 Da jedoch die Klassifizierung der Filme eigentlich auf einer genauen und differenzierten Beurteilung ihrer politischen und ideologischen Qualität basieren müßte, bleibt die Tragweite der Studie begrenzt. Freilich ergibt die Filminterpretation nicht die Art quantifizierbarer, verifizierbarer Ergebnisse, die Albrecht sucht. Aber auch die scheinbar objektiven Daten sind in ihrer Aussagekraft begrenzt. Die zentrale Differenzierung zwischen "P-Filmen" und "nP-Filmen" führt dazu, daß der latente ideologische Gehalt der Filme vernachlässigt wird. An ihn ist anders als durch Interpretation nicht heranzukommen.

2 3 4 5

Albrecht Albrecht Albrecht Albrecht

1969, 104-106. 1969, 303. 1969,108. 1969,10.

26 Die Dichotomie politisch/nicht-politisch, die Albrecht explizit zur Basis seiner Studie macht, zieht sich - oft implizit und weniger genau definiert - durch einen großen Teil der Literatur über den NS-Film hindurch. In den meisten Fällen führt sie dabei zu ähnlichen, aber weitaus gravierenderen Problemen als in Albrechts wissenschaftlicher Studie.

3.1.2. Der "unpolitische" Film Der Regisseur A. M. Rabenalt argumentiert, es habe einen großen Bereich des "unpolitischen Films" im "Dritten Reich" gegeben. 6 Seine Ausführungen haben eine offensichtliche Entlastungsfunktion, da Rabenalt selbst etliche Filme in der Nazi-Zeit drehte, u.a. ...reitet für Deutschland, der stark nationalistische und antisemitische Klischeebilder verbreitete. Diese Argumentation geht von einer engen Definition der Ideologie als offen politischer Aussage aus, um sich selbst davon abzusetzen. Die isolierte Betrachtung einer relativ kleinen Zahl politischer Filme läßt den Rest als ideologiefrei erscheinen. So kann die Masse der Filme zwischen 1933 und 1945 als "Blüte des deutschen Films" in Erinnerung bleiben statt als "Ideologiefabrik der Nazis". 7 Die Trennung in politische und nicht-politische Filme kann auch schnell zur Entlastung benutzt werden, indem Goebbels die ganze Verantwortung für Propaganda aufgebürdet wird, um die "Filmschaffenden" als unpolitische Menschen oder Gegner der Nazis erscheinen zu lassen. 8 Sicherlich gab die zentralisierte politische Kontrolle dem Propagandaministerium enorme Eingriffsmöglichkeiten, und Goebbels beteiligte sich persönlich bis in die Detailgestaltung bei manchen Filmen. Die "Gleichschaltung" der Filmbranche war eine Tatsache, insgesamt ist es aber erstaunlich, wie wenig die politischen und organisatorischen Möglichkeiten ausgeschöpft werden mußten. Die Filmbranche und die meisten Filmschaffenden lieferten sehr bereitwillig von sich aus genau das, was von "oben" erwünscht war. Dafür brauchten die meisten auch gar keine überzeugten Nazis zu sein. Goebbels hat erkannt, daß die "unsichtbare Propaganda", die auf der allgemeinen "erzieherischen" Wirkung scheinbar unpolitischer Filme basierte, effektiver sein konnte. 9 Wenn der Begriff der "Ideologie" auf politische Inhalte beschränkt wird, werden diese allgemeineren ideologischen Dimensionen ausgeblendet.

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Rabenalt 1978. So der Untertitel des polemischen Heftchens von Wendtland (1986). Diese Tendenz Findet sich nicht nur bei Harlan (1966) und Hippler (o.J.), sondern auch bei Hull (1969), der viele Informationen aus Interviews mit Beteiligten gewann. S. oben, Kapitel 2.2.

27 Der Begriff des "unpolitischen Films" erfaßt aber schon eine Teilwahrheit. Der Eindruck einer "politikfreien Privatsphäre" - zumindest als Teilbereich der Kultur und Gesellschaft - wurde in der gesamten NS-Zeit aufrechterhalten. Er trug "zur Befestigung eines passiven Konsenses, einer Zustimmung zu dem erreichten 'Normalzustand'" bei. 10 Diese ideologische Legitimationsfunktion der Privatsphäre wird von den Vertretern der These des "unpolitischen Films" vernachlässigt. D a ß auch die "unpolitischen" Filme eine eminent ideologische Funktion haben konnten, hat schon Goebbels offen proklamiert: Auch Unterhaltung kann zuweilen die Aufgabe haben, ein Volk für seinen Lebenskampf auszustatten, ihm die in dem dramatischen Geschehen des Tages notwendige Erbauung, Unterhaltung und Entspannung zu geben. Das aber bloß nebenbei! Das heißt: der Film hat heute eine staatspolitische Funktion zu versehen. Er ist ein Erziehungsmittel des Volkes. [...] Nicht das ist die beste Propaganda, bei der die eigentlichen Elemente der Propaganda immer sichtbar zutage treten, sondern das ist die beste Propaganda, die sozusagen unsichtbar wirkt [•••l n

Daß ein Film politische Themen mied und sich mit dem Privatleben beschäftigte, heißt also noch lange nicht, daß er ideologiefrei war oder gar, daß er irgendeine Art Opposition gegen das Regime bedeutete. In der NS-Gesellschaft gab es überhaupt ein breites Spektrum von möglichen ideologischen Haltungen und Verhaltensweisen. Diese reichten von Begeisterung und dezidiertem A11hängertum bis zum Widerstand und umfaßten als Zwischenstufen verschiedene Versionen von Mitläufertum, Konformität und innerer Ambivalenz sowie Versionen von resistenter oder nicht-konformer Kultur, z.B. einige kirchliche Gruppen oder die "Swing-Jugend". Die Möglichkeiten im Film waren durch die staatlichen und wirtschaftlichen Kontrollen stark eingeschränkt, jedoch nicht völlig "gleichgeschaltet". Widerstand ließ sich im Film allerdings nicht realisieren; in einigen Fällen war aber eine Art "ästhetische Opposition" im Film zu erreichen. 12 Damit ist gemeint, daß manche Filme zwar nicht politisch opponieren konnten, in ihren filmischen Qualitäten - Stoff, Formelementen, "Atmosphäre" und Gefühlslage sich aber teilweise gegen ihre Instrumentalisierung wehren konnten. Auch verschiedene Zwischenformen gab es, wie wir im Kapitel VI am Beispiel der Figur von Hans Albers sehen werden. Die Behandlung des Privatlebens im Film hatte aber meistens wenig Subversives an sich, sondern tendierte zu einer vollständigen Bestätigung kleinbürgerlicher Werte, die Ordnung und Konformität förderten. In diesem Sinne erfüllten die Filme die von Goebbels gestellte erzieherische Aufgabe völlig. 10 11 12

Peukert 1982, 232; s. auch Schäfer 1982, 1985. Goebbels, Rede vom 15. Februar 1941, in Albrecht 1979, 76-77. Karsten Witte benutzt diesen Begriff, um die Filme Helmut Käutners in der Nazi-Zeit zu beschreiben (Witte 1979a).

28 3.1.3. Filmpropaganda Die Untersuchung des Films als Mittel der Propaganda bildet die Hauptrichtung der ideologiekritischen Auseinandersetzung mit dem Film im Nationalsozialismus. Damit ist hier gemeint, daß die Filme als Mittel verstanden werden, um politische Inhalte - Elemente einer Nazi-Ideologie - zu transportieren. Das Untersuchungsfeld ist also von vornherein in zweifacher Hinsicht eingeschränkt: nur Filme, die in ihrem Inhalt (Dialog, Handlung, offensichtliche Aussagen) politisch erscheinen, werden untersucht, und eine relativ homogene, fest umrissene Nazi-Ideologie wird definiert oder implizit vorausgesetzt. Dieser Ansatz ist nicht nur für die Untersuchungen typisch, die explizit das Problem der Propaganda aufgreifen, 13 sondern auch für die meisten allgemeinen Einführungen und Gesamtdarstellungen des Films im Nationalsozialismus.14 Auch spezielle Untersuchungen, wie z.B. Hollsteins Studie über Antisemitismus im Film, konzentrieren sich auf inhaltliche Propaganda.15 Die häufigste Darstellungsmethode ist eine Einordnung der (Propaganda-)Filme in Genres, die weitgehend durch Begriffe der NS-Ideologie definiert werden. Die Rubriken variieren, umfassen aber fast immer mindestens die folgenden groben Kategorien (wenn auch unter verschiedenen Bezeichnungen): Filme der Nazi-Bewegung, historische Modelle/deutsche Geschichte, Geniefilm/große Deutsche/Führerfiguren, Deutsche im Ausland, antisemitische Filme, Feindbilder, Blut-und-Boden, Kriegsfilme. So kann eine systematische Übersicht über eine große Anzahl von Filmen geschaffen werden, und es können wichtige Merkmale der Filme beschrieben werden. Als erste Annäherung und Gesamtdarstellung ist dieses Verfahren produktiv und berechtigt. Bei näherer Untersuchung der Filme und tieferem Nachfragen nach der Beschaffenheit von Ideologie zeigen sich jedoch die Grenzen und Nachteile, die ich hier in fünf Punkten zusammenfasse: (1) Die große Mehrzahl der Filme wird als unpolitisch ausgegrenzt. Die Kontinuität und Ähnlichkeit zwischen "politischen" und "nicht-politischen" Filmen sowie zwischen NS-Filmen und den Filmen vor- und nachher wird dadurch verwischt oder unterschlagen. 13

14

Z.B. Altmann 1950, Barkhausen 1982, Hoffmann 1988, Konlechner/Kubelka 1972, Leiser 1978, Welch 1983. Z.B. Courtade/Cadars 1975, Drewniak 1987, Gietinger 1982, Hull 1969, Traudisch 1987, 1988(a-c). Hollsteins Buch (1983) ist eine sehr gute Gesamtdarstellung der antisemitischen Filme im Nationalsozialismus. Neuere Einzeluntersuchungen haben aber gezeigt, daß eine theoretische und formelle Erweiterung der Fragestellung mehr über die Wirkungsmechanismen der Filme aussagen kann. Dabei rücken auch die schlimmsten Propagandafilme wesentlich näher an die "normalen" Unterhaltungsfilme heran (s. Friedman 1986, Kniiii u.a. 1983, Schulte-Sasse 1988).

29 (2) Die Wirkung der Propaganda wird vorausgesetzt statt erklärt; Manipulation erscheint als automatische Folge des politischen Inhalts. Ob die Propagandaintention auch erreicht wurde, wird selten hinterfragt. Die Wirkungsmechanismen der Filme oder der Ideologie werden nicht weiter erklärt. (3) Die Filme werden zum größten Teil nur hinsichtlich des Dialogs oder der nacherzählten Handlung behandelt und nach politischen Äußerungen abgefragt. Die filmischen Formelemente werden vernachlässigt. In manchen Fällen muß man vermuten, daß das Lesen von Filmprogrammen das Anschauen von Filmen völlig ersetzt hat. (4) Es wird von einer hypostasierten Nazi-Ideologie ausgegangen, im Sinne eines fest umrissenen, monolithischen Systems von Ideen. Ein solches Modell kann die widersprüchliche Realität des Nationalsozialismus aber nur teilweise erfassen. (5) Der Begriff der Propaganda ersetzt (und blockiert) eine tiefergehende Diskussion der Ideologie im Film und im Faschismus. 16 Auf die einzelnen Punkte werde ich hier nicht detaillierter eingehen; sie sollen lediglich die Grenzen des Propaganda-Ansatzes markieren.

3.1.4. Aktueller Stand der Diskussion Verschiedene neuere Untersuchungen, vor allem Einzeluntersuchungen, versuchen, über diese Grenzen hinauszukommen und ein differenzierteres Bild zu entwerfen, indem sie Film-, Kultur- und Gesellschaftstheorien auf die Filme anwenden. Steve Neale entwirft in seinem Artikel "Propaganda" eine grundlegende theoretische Bestimmung dieses Begriffs. 17 Die Althussersche Ideologietheorie und ihre Weiterentwicklungen, vor allem in der Zeitschrift Screen, bilden die Grundlage, auf der Neale versucht, die diskursive Form und die Wirkungsmechanismen der Propaganda zu bestimmen. Die beiden Filme Jud Süß und Der ewige Jude dienen als Beispiele, um Formen der Ideologie im Film und ihre verschiedenen Arten, sich in ein Verhältnis zu den Zuschauern zu setzen, zu konkretisieren. Der Film Jud Süß, als besonders effektive Mischung von antisemitischer Propaganda mit Elementen des konventionellen Unterhaltungsfilms, hat mehrere Untersuchungen provoziert. 18 An diesem Beispiel zeigt sich besonders deutlich die Nähe zwischen den politischen Filmen und den "normalen" Unterhaltungsfilmen auf der Ebene der Formelemente und Wir16

17 18

Auch Petley (1979), der in einem theoretischen Kapitel die neueren Ideologietheorien in der Folge von Althusser aufnimmt, bleibt in seinen konkreten Besprechungen der Filme auf dem Niveau einer allgemeinen, intuitiven Inhaltsanalyse. Neale 1977. Friedman 1986, Kniiii, u.a. 1983, Schulte-Sasse 1988.

30 kungsmechanismen. Die Form des Unterhaltungsfilms zeigt sich ohne weiteres geeignet, um die antisemitische Ideologie zu transportieren. 19 Es stellen sich dann die Fragen noch deutlicher, welche Ideologien die Unterhaltungsfilme sonst in sich bergen, und welche ideologischen Wirkungen vielleicht mit in der Form des Films eingebaut sind. In diesem Zusammenhang werden vor allem Elemente aus den neueren französischen und anglo-amerikanischen Zuschauertheorien aufgegriffen, auf die ich im Kapitel 5.4.2. näher eingehen werde.20 Verschiedene Autorinnen der Zeitschrift Frauen und Film bringen die avancierte feministische Filmtheorie in die Analyse von Filmen der NSZeit mit hinein. Heide Schlüpmann z.B. stellt den NS-Film explizit in ein Kontinuum mit dem normalen Unterhaltungsfilm und fragt nach den "filmspezifischen Strategien", die beide gemeinsam haben. 21 Für sie liegt eine zentrale ideologische Funktion der Filme in einer "filmische[n] Strategie, die Frauen ihrer eigenen Interessen, Wünsche und Vorstellungen" enteigne. Eine zentrale Aufgabe für die Kritik skizziert sie dann so: "Die Organisation des Geschlechterverhältnisses, die Repressionsstrategien der Form sind auch und gerade für das faschistische Kino zu analysieren, um einen Begriff seiner Faszination beim weiblichen Publikum zu gewinnen, seines Erfolges f...]."22 Dieser Ansatz erscheint mir für die weitere Arbeit besonders produktiv, denn die Frauen- und Männerrollen sind nicht nur in sich ideologisch, sondern sie sind auch ein wichtiger Faktor, der den Filmen einen Zugang zu den Gefühlen der Zuschauer und Zuschauerinnen ermöglicht. Konkretisiert wurde dieser Ansatz nicht nur in einigen Beispielinterpretationen bei Schlüpmann, sondern auch in anderen Artikeln. 23 Einige Forscher stellen die filmische Form in den Mittelpunkt ihrer Untersuchungen und umgehen so die inhaltliche Einengung der Propaganda-Ansätze. Karsten Witte untersucht die Filmform in seinen Arbeiten zum Revuefilm, zur Filmkomödie und zu einzelnen Filmen und Regisseuren des "Dritten Reiches".24 Er geht insbesondere der Frage der Spiegelung von Ideologien, Mentalitätsformen und Gefühlskonstellationen in Formelementen nach. Eric Rentschlers Buch Nazi Film Aesthetics: Fantasy Production in the Third Reich,

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Vgl. Strobel 1984, bes. 174-184, über die prinzipielle Verträglichkeit von Melodrama und Propaganda, die sie anhand von Filmen von Hitchcock und Welles untersucht. Im Zusammenhang mit lud Süß ist es Friedman, die diese Theorierichtung aufnimmt, die auch in mehreren Artikeln in Frauen und Film Anwendung auf andere Filme findet (s. unten, Anm. 23). Schlüpmann 1988. Schlüpmann 1988, 44. S., z.B., Ellwanger/Warth 1985, Koch 1988, Lippert 1988, Lueken, 1988, Koch 1989, 49-61, Horak 1981. Witte 1976a, 1976b, 1979a, 1979b, 1980,1981,1985.

31 das zur Zeit noch in Arbeit ist, verspricht, eine sehr interessante Auseinandersetzung mit dem Thema zu sein. Eine andere Art, die filmische Form zu untersuchen, findet sich in Verena Luekens Interpretation des Films Heimat. Sie wendet Elemente der formalistischen Erzählanalyse, vor allem nach Modellen von Propp und Todorov, auf den Film an, um die Tiefenstruktur aufzudecken. 25 Auch die Filmsemiotik leistet Beiträge zur Erforschung des NS-Films. Insbesondere werden Aspekte der Filmsyntax in Publikationen des "Münsteraner Arbeitskreises für Semiotik" systematisch untersucht, wobei der Schwerpunkt auf der Argumentationsstruktur propagandistischer Filme liegt.26 Einen anderen semiotischen Ansatz verfolgen Martin Loiperdinger und Klaus Schönekäs in einer Interpretation des Films Die große Liebe. Sie konzentrieren sich auf die Bildung und Transformation filmischer Zeichen im Zusammenhang mit der ideologischen Message des Films.27 Die engen Grenzen des Propaganda-Ansatzes lassen sich also durch erweiterte und theoretisch fundierte Interpretationsweisen überwinden. Die alles umfassende, neue Interpretation des NS-Films gibt es dabei nicht und kann es kaum geben; dafür ist der Gegenstand zu kompliziert und zu widersprüchlich. Es ist aber durchaus ein Fortschritt, wenn die Vielfalt der Filme und der ideologischen Faktoren in den Filmen genauer wahrgenommen werden kann. Dies hat aber auch Implikationen für die allgemeine Definition der Ideologie im Film und für das Verständnis des Nationalsozialismus im Sinne eines kulturellen und ideologischen Systems. Dieser größere Rahmen der Ideologie und Kultur im Nationalsozialismus soll im folgenden skizziert werden.

3.2. Formen der Ideologie im Nationalsozialismus Die Probleme und Grenzen des Propaganda-Ansatzes stammen zum Teil aus den eingeschränkten oder mangelhaften Filminterpretationen in manchen Untersuchungen; das weitaus schwerer wiegende Problem ist aber die zu enge Definition der Ideologie im Nationalsozialismus. Es wird, meist stillschweigend, vorausgesetzt, daß das, was die Nazis selber zum Inhalt ihrer "Weltanschauung" deklarierten, die Ideologie des Nationalsozialismus adäquat bestimmt. Dies ist jedoch in vielerlei Hinsicht fragwürdig. Erstens setzt es ein relativ kohärentes, 25

26 27

Lueken 1981. Diesen Ansatz fand ich anregend für meine eigene Analyse der Erzählstruktur des Films Die goldene Stadt-, s. unten, Kapitel 4. Elling/Möller 1985. Loiperdinger/Schönekäs oJ. Auf diesen leider noch unveröffentlichten Aufsatz werde ich mich in Kapitel V ausführlich beziehen.

32 festes System von Ideen voraus, das es im Nationalsozialismus so nicht - oder nur zum Teil - gab. Die verschiedenen Nazi-Ideen blieben widersprüchlich und eklektisch, was aber für ihre Wirkung auf unterschiedliche Teile der Bevölkerung durchaus von Vorteil sein konnte. Zweitens neigt dieser Ansatz dazu, die Widersprüche zwischen Teilen der Ideologie und der Realität zu vernachlässigen. So erscheint der Nationalsozialismus oft als wesentlich anti-modernistisch, was aufgrund der völkischen Elemente und der "Blut-und-Boden"-Ideologie naheliegt. Daß die Nazis die gesellschaftliche Modernisierung tatsächlich weiterführten, wird dabei ausgeblendet. 28 Drittens geht dieser Ansatz von einem Ideologiebegriff im Sinne eines geschlossenen Weltbildes aus, von einem System von Ideen, das Sinn garantiert. Es ist aber sehr fraglich, ob dieser Begriff für die Gesellschaft des Nationalsozialismus, die sich im fortgeschrittenen Stand der kulturellen Modernisierung befand, noch zutrifft. Eine differenziertere Theorie der Kultur und Ideologie ist notwendig, die sowohl die veränderten Bedingungen der modernen mediatisierten Massenkultur als auch die speziellen Formen des Nationalsozialismus erfaßt. Um das unübersichtliche Nebeneinander verschiedener ideologischer Formen etwas zu entwirren, schlage ich vor, drei Grundformen der Kultur im Nationalsozialismus zu differenzieren: Reste traditioneller Ideologien, faschistische Öffentlichkeit und moderne Massenkultur. Die normalerweise als typisch nazistisch bezeichneten Elemente der Ideologie finden sich bei den traditionellen Resten (Glauben an Nation, Volk, Rasse etc.) oder bei den Formen der faschistischen Öffentlichkeit (NS-Massenorganisation). Die moderne Massenkultur scheint dagegen oft ideologiefrei zu sein, als sei sie "nur Unterhaltung" und nichts, was eine innere Beziehung zum Nationalsozialismus hat. Ich behaupte aber, daß gerade diese Massenkultur - obwohl sie nichts spezifisch Faschistisches war - eine zentrale Rolle im ideologischen System des Nationalsozialismus spielte. Sie konnte als Mittel zum Transport nationalsozialistischer Inhalte dienen, und sie funktionierte auch in sich - was vielleicht noch wichtiger war - als Garant ideologischer Stabilität.

3.2.1. Reste traditioneller Ideologien Unter diesen Begriff lassen sich viele Elemente einordnen, die eine wichtige und auffällige Rolle im Nationalsozialismus spielten. Die Nazis haben ständig ihre eigene "Gesinnung", "Weltanschauung", "Rassenlehre" u.s.w. beschworen, und sie benutzten diese Ideologien als Mittel der Gruppenidentifikation und zur Abgrenzung gegen andere Gruppen, Nationen, Zeiten und Völker. Historisch Debatten über den Stellenwert der Modernisierung im Nationalsozialismus haben auch in der Diskussion unter Historikern einen großen Raum eingenommen. S. Kershaw 1985.

33 betrachtet gibt es kaum eine Gesellschaftsform, die so vordergründig und offen von Ideologie durchsetzt war. Die Antworten, die die Nazis auf politische und gesellschaftliche Probleme boten, bestanden zum größten Teil in solchen Parolen oder in Gewalt. Als Entgegnung auf soziale Konflikte (Klassenkampf) z.B. lieferten sie eine rein ideologische Harmonisierung ("Volksgemeinschaft"), Feindbilder als Ablenkung (Antisemitismus) und die gewaltsame Zerstörung der Arbeiter- und Gewerkschaftsbewegung. Aufgrund der prominenten Stellung der nationalsozialistischen Ideensysteme (Rassismus, Nationalismus, "völkisches" Gedankengut), die sich vornehmlich auf älteren und rückwärtsgerichteten Ideen stützten, liegt es nahe, den Nationalsozialismus insgesamt als "eine eklektische Synthese aller reaktionären Tendenzen, die sich infolge der spezifischen Entwicklung Deutschlands hier stärker und entschiedener ausgebildet haben als in anderen Ländern", 29 zu sehen. Die reaktionären Begriffe und Parolen führen schnell dazu, daß der Nationalsozialismus unter die traditionellen ideologischen Formationen eingeordnet wird. Die anti-moderne Rhetorik der Nazis scheint ein letztes Aufbegehren der alten Ideologien gegen ihre Auflösung im Zuge der Rationalisierung zu verkörpern. Habermas z.B. ordnet den Nationalsozialismus unter die Kategorie einer "zweiten Generation" bürgerlicher Ideologien ein, die zwar andere Inhalte, aber noch die Form "totalisierender Ordnungsvorstellungen" haben. 30 Diese Ideologien seien als Reaktion auf die von Max Weber beschriebenen Tendenzen zur Säkularisierung und Rationalisierung der Kultur entstanden, die einen Sinnverlust erzeugten. Die Ideologien der "zweiten Generation" seien also Versuche, "Defizite [...], die der Lebenswelt durch gesellschaftliche Modernisierung zugefügt worden sind", zu verarbeiten. 31 Daran, daß der nationalsozialistische Alltag in einem hohen Maße durchideologisiert war und daß der Faschismus eine Reaktion auf spezifische Erfahrungen und strukturelle Veränderungen im Verlauf der gesellschaftlichen Modernisierung darstellt, ist nicht zu zweifeln. Die extreme Virulenz des Antisemitismus, die sich zum Wahnsinn der Massenvernichtung steigerte, beweist die außerordentliche gesellschaftliche Macht solcher ideologischen Faktoren im "Dritten Reich". Es mag daher seltsam erscheinen, wenn ich solche Nazi-Ideologien als partielle Ideologien, ideologische Reste oder, in Adornos Terminologie, "Residual-Ideologien" bezeichne.32 Dies bezieht sich jedoch weniger auf die einzelnen ideologischen Elemente als auf ihre Position und Funktion im Gesamtgebilde kultureller Systeme in der deutschen Gesellschaft. Dieses künstliche Konglomerat verschiedener Elemente ist strukturell anders als die traditio29 30 31 32

Lukäcs 1974,622. Habermas 1985, Bd. 2,519-520. Habermas 1985, Bd. 2,520. Adorno 1975, 71.

34 nellen Weltbilder der Vergangenheit. Die Nazi-Ideologie war eine moderne Nachahmung der traditionellen Ideensysteme, eine Antwort auf deren reale Auflösung. Die Nazi-Ideen, so wichtig sie waren, waren nur ein Teil der gesamten Ideologie. Vermittelt wurden sie durch neue kulturelle Formen. Die Loyalität und das Mitmachen großer Teile der Bevölkerung wurden weniger durch Bekehrung zur NS-Weltanschauung gesichert als durch eine allgemeine Bestätigung des Gegebenen durch andere ideologischen Formen, z.B. durch Ablenkungs- und Unterhaltungskultur oder materielle Anreize. 33 Während die Nazis ihre Konzepte durchaus als totalisierende Ideologie präsentierten, als Heilslehre und globale Erklärung der Welt, bilden die verschiedenen Elemente dieser Ideologie bei näherer Betrachtung keine Totalität, sondern bleiben ein Nebeneinander widersprüchlicher Elemente, ein Mischmasch überholter Ideologien, die aus ihren ursprünglichen Kontexten gelöst sind, um eine Art Ideologie-Ersatz vorzutäuschen. Diese Widersprüchlichkeit resultiert zum Teil aus der heterogenen sozialen Basis der Partei. Die Nazis appellierten an Schichten, Klassen und regionale Gruppen mit eigentlich unverträglichen Interessen. Dies machte sich in Konflikten und im politischen Wandel nach der Machtübernahme bemerkbar, insbesondere in der Eliminierung der sogenannten linksfaschistischen Richtung und in der Beschneidung der Interessen der Mittelschicht.34 Der Charakter der NS-Ideologie als künstlich zusammengestellte Mischung ist an sich schon ein Indikator für ihre nicht-totalisierende Qualität. Die Nazis nahmen die versprengten Reste alter Ideologien auf und kombinierten sie relativ willkürlich in verschiedenen Konstellationen, je nach Zielgruppe, um auf den "Hunger nach Sinn" (Kluge) in verschiedenen Gesellschaftsschichten zu reagieren. Dabei benutzten sie alles, was für diese Zielsetzung als geeignet schien. Neuschöpfungen waren darunter kaum zu finden. Bloch schreibt über die alten Begriffe, die die Nazis "so verwendet wie entwendet" hatten: Hat doch der Nazi nicht einmal das Lied erfunden, mit dem er verführt. Nicht einmal das Pulver, mit dem er feuerwerkt, nicht einmal die Firma, unter der er betrügt. Gerade der Terminus Drittes Reich hat eine lange Geschichte, eine echt revolutionäre. Schöpferisch, sozusagen, war der Nazi nur im Unterschleif jeder Preislage, womit er revolutionäre Losungen für ihr Gegenteil verwendete. 35

Während die Inhalte vielfach aus älteren ideologischen Traditionen hergenommen wurden, scheint es mir, entgegen Habermas, daß gerade die Formen der Ideologie im Nationalsozialismus durchaus moderne sind. Der kulturelle Gesamtzusammenhang wurde in erster Linie durch zwei Formen moderner Massenkultur angegeben: durch Formen faschistischer Öffentlichkeit und durch die 33

34 35

Fledelius (1980) zeichnet die Entwicklung dieser beiden Wirkungsintentionen in den Filmen des Nationalsozialismus nach. S. Mason 1977, Broszat 1974. Bloch 1962,127.

35 "Kulturindustrie". 36 Die traditionellen Elemente der Nazi-Ideologie wurden durch diese neuen Formen vermittelt, wodurch sie einen qualitativ anderen Charakter bekamen. "Volkstum", das durch Radio, Film oder eine hochmoderne Parteiorganisation vermittelt wird, hat offensichtlich eine andere ideologische Bedeutung als traditionelle Bräuche, die aus dem Alltagsleben oder der Arbeit entstanden sind. Das stellt keine nur formelle Veränderung dar, sondern ist Teil eines grundsätzlichen Wandels in der Kultur. Die moderne Gesellschaft und Kultur sind nicht mehr so sehr durch die integrative Wirkung holistischer Welterklärungen bestimmt, sondern vielmehr durch ein Nebeneinander von tendenziell inhaltsentleerten Residual-Ideologien. 37 "Das Alltagsbewußtsein wird seiner synthetisierenden Kraft beraubt, es wird fragmentiert.Meine These lautet, daß diese neuen, fragmentierten Formen der Ideologie eine sozial integrative und legitimatorische Funktion ausüben, indem sie die Artikulation von Bedürfnissen, Erfahrungen und Interessen blockieren oder sie auf relativ beliebige Objekte umlenken. Sie untermauern das bestehende System, indem sie Konflikte verdrängen und indem sie verhindern, daß Unmut oder Impulse zur Veränderung bewußt geäußert werden. Um diese Funktion auszuüben, brauchen sie nicht mehr eine zusammenhängende Welterklärung zu geben. Das Nebeneinander von reaktionären Ideologien und moderner Medienkultur, von politischen Parolen und Konsumkultur bezeichnet nicht nur das "gespaltene Bewußtsein" im Nationalsozialismus, 39 sondern auch seinen Charakter als spezifische Ausprägung der allgemeinen kulturellen Modernisierung. Die offensichtlich reaktionären Teile als spezifisch faschistisch aus diesem Gesamtzusammenhang zu lösen und den Rest zu vernachlässigen, gibt ein unvollständiges und daher falsches Bild der NS-Gesellschaft.

3.2.2. Faschistische Öffentlichkeit Das Bild des Nationalsozialismus ist vor allem durch seine Mobilisierung von Menschenmassen in Auftritten und Organisationen und später in der Kriegsführung geprägt. Die Massenbewegung und die Durchsetzung des Alltags mit politischen Symbolen waren konkrete Formen ideologischer Praxis, die das subjektive Erlebnis der Beteiligten maßgeblich gestalteten. Sie bedeuteten zugleich 36

37 38 39

Sicherlich gab es auch regionale und schichtspezifische "ungleichzeitige" Enklaven, in denen Reste traditioneller Ideologie noch in den Erfahrungen und Lebensweisen der Menschen verankert waren; diese bildeten jedoch eher Ausnahmen zur Gesamtentwicklung. Adorno 1975, 70; Bürger 1973,29-30. Habermas 1985, Bd. 2, 521. Schäfer 1982.

36 eine radikale Abkehr von den Formen der traditionellen bürgerlichen Öffentlichkeit, die prinzipiell auf offener Diskussion und Räsonnement beruhten. 40 Die faschistische Öffentlichkeit versprach ein anderes, stärkeres Erlebnis der Beteiligung, und ihre Attraktivität für viele Menschen ist in ihren ritualisierten Formen zu finden. Uniformierte, marschierende Menschenmassen, monumentale Kundgebungen, allgegenwärtige Embleme und Fahnen, Aufnahme in einer Vielzahl von Organisationen vom "Jungvolk" an - diese Formen der Nazi-Politik waren für viele subjektiv wirksam. Sie funktionierten als Antworten auf Krisentendenzen in der alten Gesellschaftsordnung und in ihrer Legitimation. Der Nationalsozialismus konnte daraus resultierende Ressentiments und Unbehagen u.a. in seine Inszenierung der Massen kanalisieren.

Modernisierung und Abbau traditioneller Ideologie Die Krisentendenzen in der Ideologie resultierten sowohl aus allgemeinen, zum Teil sehr langfristigen Entwicklungen im gesellschaftlichen Modernisierungsprozeß als auch aus speziellen historischen Faktoren in Deutschland. Modernisierung besteht in einer Säkularisierung, Bürokratisierung und Rationalisierung des gesamten gesellschaftlichen Lebens. Die intensive Industrialisierung im 19. und im beginnenden 20. Jahrhundert trieb diesen Prozeß sehr schnell voran. Technische und wirtschaftliche Innovationen (Massenproduktion, Fließband etc.) veränderten die Qualität der Arbeit und der Arbeitsverhältnisse. Quantifizierung der Produktion, der Arbeitsabläufe und der Zeit intensivierten die Arbeit und verdrängten persönliche, historisch geprägte patriarchalische Beziehungen in der Industriearbeit. Die Entwicklung der neuen Schicht der Angestellten und die Destabilisierung alter Eliten brachte das soziale Gefüge in Bewegung, vor allem nach dem ersten Weltkrieg. Die Großstadt und die Massengesellschaft mit ihren neuen Formen des Alltagslebens, der Kultur und der sozialen Bindungen brachten einen neuen Erfahrungshorizont hervor und lösten alte Zusammenhänge auf. Die subjektiven und objektiven Folgen des ersten Weltkriegs waren für die gesellschaftliche Entwicklung entscheidend. Die Erfahrung der "Materialschlacht" räumte auf mit vielen Illusionen über den Wert des Individuums in der Massengesellschaft und über den der Welt- und Gesellschaftsordnungen. Das Auseinanderfallen des wilhelminischen Obrigkeitsstaates hinterließ nach dem Ende des Krieges ein politisches Vakuum, da die Entwicklung bürgerlich-demokratischer Formen in Deutschland zurückgeblieben war. Die Lockerung sozialer Fesseln entwickelte sich rapide weiter. Das bedeutete teilweise erhöhte Mobilität, aber auch einen Verlust an "Heimat" und 40

S. Habermas 1975.

37 "Identität", die vorher in den alten Hierarchien und sozialen Strukturen gegeben waren. Eine Krise in der gesellschaftlichen Verankerung von Sinn und Identität machte sich insbesondere bei den Mittelschichten und der Jugend bemerkbar. Die Angestellten z.B. hatten - im Gegensatz zu den Arbeitern - keine eigene gegenkulturelle Tradition oder Öffentlichkeit, waren aber auch materiell und durch die Arbeit von der bürgerlichen Klasse getrennt. In seinen Studien zur Lage und Mentalität der Angestellten Ende der zwanziger Jahre beschreibt Kracauer diese Schicht als "geistig obdachlos": Zu den Genossen kann sie vorläufig nicht hinfinden, und das Haus der bürgerlichen Begriffe und Gefühle, das sie bewohnt hat, ist eingestürzt, weil ihm durch die wirtschaftliche Entwicklung die Fundamente entzogen worden sind. Sie lebt gegenwärtig ohne eine Lehre, zu der sie aufblicken, ohne ein Ziel, das sie erfragen könnte.41

In der Gesellschaft gab es zwei unterschiedliche Reaktionen auf dieses ideologische Vakuum. Kracauer sieht in dieser Situation die Ursachen für das Bedürfnis der Massen nach Zerstreuung und Amüsement, dem die Massenkultur mit dem Film, mit riesigen Unterhaltungslokalen, mit dem Zuschauersport u.s.w. entgegenkam. Die NS-Bewegung bot eine andere Antwort: eine Ersatzlehre und Ersatzziele. Die "ungleichzeitigen" Gruppen - Mittelschicht, Bauern und Jugend waren am stärksten in ihren kollektiven Identitäten durch die Auflösung der alten Ideologien verunsichert, und gerade sie waren besonders empfänglich für die Nazis.42 Teilweise waren es die rückwärtsgerichteten Parolen, teilweise aber das Versprechen auf eine weitere Umwälzung der Gesellschaft, die attraktiv wirkten. Ein wesentlicher Faktor in der Anziehungskraft der Nazi-Bewegung war die Verwendung "des revolutionären Scheins", der sich in "Entwendungen aus der Kommune" (die Übernahme der Symbole der Arbeiterbewegung), 43 in der Dynamik der Massenbewegung und im Versprechen der "Volksgemeinschafts"-Parolen, alte Hierarchien abzuschaffen und neue soziale Mobilität herzustellen, ausdrückte.

Ästhetisierung und Öffentlichkeit Auf die durch kulturellen Wandel und Krisentendenzen hervorgerufenen subjektiven Bedürfnisse antwortete der Nationalsozialismus vor allem mit einer neuen Gestaltung der Öffentlichkeit, die Walter Benjamin mit dem Begriff "Ästhetisierung der Politik" belegte.44 Diese Form der Ideologie bestand nicht in Parolen oder Begriffen, sondern in ihrer konkreten Realisierung in den 41 42 43 44

Kracauer 1980,91. Bloch 1962, insbes. 104-122. Bloch 1962, 70. Benjamin 1975,49.

38 Formen des politischen Lebens, insbesondere in den Organisationen und Auftrittsformen der Nazi-Massenbewegung. Sinnfällig war diese Ästhetisierung in "der Durchsetzung des Alltagslebens mit Feiern, Appellen, künstlich erwecktem Brauchtum, inszenierter Folklore." 45 Die Anhänger - und nach der Machtübernahme möglichst viele Menschen - wurden in eigenen Gruppen erfaßt: die NSDAP selbst, SA, Hitler-Jugend, BdM, Berufs- und Ständeorganisationen, NSStudentenbund, NS-Betriebszellen-Organisation, Reichsarbeitsdienst, "Kraft durch Freude" etc. So wurde eine gelenkte Mobilisierung großer Massen der Bevölkerung ermöglicht. Zusammen mit der Zerschlagung oder "Gleichschaltung" anderer Gruppen bewirkte dies eine Politisierung des Alltags von oben. Wirkliche politische Aktivität war dadurch blockiert und in eine nur scheinbare Beteiligung umgeleitet. Benjamin beschreibt den Faschismus als eine politische Form, die "die Massen zu ihrem Ausdruck (beileibe nicht zu ihrem Recht)" kommen lasse, um eine Veränderung der Eigentumsverhältnisse abzuwenden. 4 6 Diese Art Scheinpolitisierung tritt am auffälligsten in den Kundgebungen und Massenauftritten in Erscheinung. Diese bildeten eine ritualisierte "repräsentative Öffentlichkeit", 47 in der Massen von Menschen ihre Teilnahme am politischen Leben feierten, sich selbst als Masse "ausdrückten" und zugleich vom politischen Entscheidungsprozeß ausgeschlossen blieben. Obwohl eigentlich passives Material der Nazi-Inszenierungen, hatten sie ein intensives Erlebnis der Partizipation, das durch die ästhetischen, symbolbeladenen, ritualisierten Formen der Kundgebungen gesteigert wurde. Solche Massentreffen, vor allem die Nürnberger Parteitage, waren auf die Anregung von Gefühlen der Zusammengehörigkeit, Gruppenidentität und sinnlich erfaßbarer Solidarität angelegt. Diese Gefühle wurden durch die Zusammenkunft der Massen selbst und auch durch die Figur Hitlers vermittelt. Die repräsentative Öffentlichkeit setzte ideologische Begriffe, z.B. Volksgemeinschaft, in konkrete ideologische Praxis um. 48 Die faschistische Öffentlichkeit verarbeitete Erfahrungen der modernen Gesellschaft. Die Auftritte der Massen in Form eines "Ornaments" entsprachen in ihrer Anonymität, in der Austauschbarkeit des einzelnen sowie in der strukturierten Kollektivität des Ganzen wesentlichen Merkmalen der rationalisierten

45 46 47

48

Stollmann 1976, 84. Benjamin 1975, 48. Oskar Negt, in Brückner u.a. 1977, 96. S. auch Loiperdinger 1987, 143-152. Über den Öffentlichkeitsbegriff, s. Habermas 1975, Negt/Kluge 1972. Eike Hennig plädiert für einen ergänzten Öffentlichkeitsbegriff, der neben diesen Formen auch die kleineren Formen der Öffentlichkeit "eines 'alltäglichen Faschismus' im SA-Lokal, am Arbeitsplatz, in der Schule und anderen Sozialisationsinstitutionen" umfasse (Hennig 1979, 10).

39 Massengesellschaft. 49 Subjektiv hat die Nazi-Bewegung jedoch ganz anders gewirkt. Der Nationalsozialismus bot den Menschen, die sich in einer festen hierarchischen Ordnung, in vielerlei Gruppen, in der Personalisierung des Führerkults oder in den geordneten Blöcken der Massenkundgebungen wiederfanden, eine starke Kompensation für die negativ erlebten Seiten der modernen Massengesellschaft. Neben dem Appell an Wünsche nach Zugehörigkeit und fester Identität fand sich hier auch die Abwehr von Ängsten: von der "Angst vor Chaos" 5 0 bzw. von tiefsitzenden psychischen Ängsten vor jeglicher Auflösung von Grenzen (des Körpers, des einzelnen in der Masse, der Gesellschaftsordnung). 51 Diese Form faschistischer Massenkultur, so wichtig sie war und so sehr sie das Bild des Nationalsozialismus prägte, war nie alleinbestimmend. Die prominenteste Rolle spielte sie vor und in den ersten Jahren nach der Machtübernahme. Der Massenaktivismus, besonders in der SA, war wichtig im Kampf um die Macht und setzte sich nach 1933 zunächst fort. Die Konsolidierung der Macht und die Weiterentwicklung des Bündnisses mit Kapitalinteressen und der Reichswehr führten zum Ende dieser Phase, denn der Aktivismus der kleinbürgerlichen Massen, deren wirkliche Interessen nicht vertreten wurden, war dann potentiell destabilisierend. Die Kräfte, die auf eine Weiterführung der Nazi"Revolution" drängten, wurden stillgelegt oder eliminiert, was mit dem sogenannten Röhm-Putsch und der Entmachtung der SA im Jahre 1934 geschah. 52 Die Ästhetisierung der Politik blieb zwar in Form von Symbolen, Feiern und Kundgebungen weiterhin erhalten. Sie spielte aber spätestens ab 1935 keine wesentliche politische Rolle mehr. Formen faschistischer Öffentlichkeit wurden zunehmend normalisiert und bürokratisiert, z.B. in Form von "Kraft durch Freude". Die Mobilisierungsstrategien wirkten, außer beim "harten Kern" der Nazis, meistens nur relativ kurzfristig und ergaben keine stabile Loyalität. 53 Kundgebungen wirkten zunehmend weniger; bei der Bevölkerung stellten sich Ermüdungserscheinungen ein. 54 Die Ästhetisierung der Politik wurde zunehmend durch eine Reprivatisierung des Alltags und die Konsumund Freizeitkultur ersetzt. 55 Legitimation wurde aus wirtschaftlicher Besserung, dem Versprechen eines privaten Glückes und zum Teil aus neuen Aufstiegschancen, die der Nationalsozialismus bot, bezogen. 56 Für den Faschismus an der Macht war eine privatisierte, passiv gehaltene Bevölkerung in vielerlei Hinsicht 49 50 51 52 53 54 55 56

Kracauer 1977, 50-63. Schumacher 1978. Theweleit 1980, insbes. Bd. 1, 447-454. S. Broszat 1974, 258-273, Bracher 1969, 250-270. Broszat 1983b, 69. S. Allen 1973, 246-247. S. Peukert 1982, Schäfer 1982. S. Broszat 1983b, 66.

40 günstiger als eine durch Scheinpolitik mobilisierte. Die Unterhaltungs- und Ablenkungsangebote der modernen Massenkultur, die auch ideologisch erwünschte Werte bestätigten, entsprachen dieser Situation eher als die "eigentliche" faschistische Öffentlichkeit. Die faschistische Öffentlichkeit war vor allem eine direkte Gestaltung des politischen Lebens. Die Nazis haben jedoch auch die Medien - besonders das Radio - geschickt zur Verbreitung eingesetzt. Im Spielfilm finden sich aber kaum Beispiele der NS-Massenmobilisierung. Die Filme Hitlerjunge Quex, SAMann Brand und Hans Westmar (alle 1933 entstanden) führen die Nazi-Bewegung in Form von individuellen Geschichten vor. Außer Hitlerjunge Quex waren diese Filme relativ erfolglos. Sie blieben nur eine kurze Episode in der Filmgeschichte, nachdem Goebbels klar gemacht hatte, daß er nicht wolle, "daß unsere SA-Männer durch den Film oder über die Bühne marschieren. Sie sollen über die Straße marschieren." 57 Die faschistische Öffentlichkeit fand eher in die Wochenschauen und in Dokumentarfilme als in Spielfilme Eingang. Das klassische Beispiel ist Leni Riefenstahls Parteitagsfilm Triumph des Willens. Dieser Film ist in der Forschung bereits oft und ausführlich behandelt worden.58 Hier soll nur kurz erwähnt werden, wie der Film die faschistische Öffentlichkeit reproduziert. Triumph des Willens kann man als Dokument der ästhetisierten Öffentlichkeit betrachten, ohne den propagandistischen Charakter des Films zu leugnen.59 Gerade die Überhöhung, Idealisierung und emotionale Wirkung des Films intendieren, wenn auch mit anderen Mitteln, die gleiche Wirkung wie die Massenveranstaltungen der Nazis selbst. Riefenstahl schrieb: Die Gestaltungslinie fordert, daß man instinktiv, getragen von dem realen Erlebnis Nürnbergs, den einheitlichen Weg findet, der den Film so gestaltet, daß er den Hörer und Zuschauer von Akt zu Akt, von Eindruck zu Eindruck überwältigender emporreißt. 60

Die mitreißende Wirkung wird durch die Rhythmen der Montage, durch die ständige Bewegung der Kamera und den dynamischen Wechsel der Perspektiven sowie durch die Monumentalität des Gezeigten (ca. 500000 Teilnehmer) erzeugt.61 Die Nazi-Ästhetik der geordneten Massen zeigt sich in den Aufmärschen und Appellen, in denen die Menschen in gigantischen Blöcken aufgereiht sind. Die Architektur, der riesige Reichsadler, Hakenkreuze und die allgegenwärtigen Fahnen verdeutlichen den Stellenwert der Symbolik. Inszeniert wird sie zusätzlich in den Ritualen: Fackelzüge, Totenehrung, Fahnenweihe etc. 57 58

59 60

61

Goebbels, Rede vom 15.5.1933, zit. in Albrecht 1969,442. Barsam 1975, Loiperdinger 1980, 1987, Neale 1979, Nowotny 1981 sowie alle gängigen Gesamtdarstellungen. S. Loiperdinger 1987,186-196, für eine ausführliche Bibliographie. Loiperdinger 1987, 53. Leni Riefenstahl, Hinter den Kulissen des Reichsparteitagfilms. München 1935. (Zit. nach Loiperdinger 1987, 52). S. Nowotny 1981,115-122, Loiperdinger 1987,114-115.

41 Einheit und Harmonie werden im Film durch die Massenornamente, durch die Reden, durch die Typisierung des Volkes und vor allem durch die Inszenierung des Führer-Gefolgschaft-Verhältnisses betont. Darin reflektieren Parteitag und Film die Situation nach dem "Röhm-Putsch". Die größte filmische Inszenierung der faschistischen Öffentlichkeit fand also gerade in dem Moment statt, als der politische Einfluß der Massenbewegung praktisch negiert worden war, als sie endgültig in den "schönen Schein" überging,62 der sie tendenziell schon immer war. Andere Beispiele für die Aufnahme der Inszenierung der Massen finden sich in den Wochenschauen und in anderen Dokumentarfilmen.63 Die Kundgebungen zum 50. Geburtstag Hitlers oder Goebbels' Rede im Sportpalast ("Wollt ihr den totalen Krieg?") und ihre Vorführungen in der Wochenschau wären gute Beispiele für spätere Verwendungen der Ästhetik der Masse,64 wobei die Veränderungen in Kontext, Funktion und Darstellungsweisen berücksichtigt werden müßten.65 Vorsicht vor schnellen Verallgemeinerungen ist geboten: Hans-Jürgen Brandt hat überzeugend gezeigt, daß auch im Dokumentarfilm die Ästhetisierung keineswegs ein verbindliches oder durchgängiges Gestaltungsprinzip ausmachte.66 Die Spielfilme, um die es mir hauptsächlich geht, repräsentieren eine völlig andere Form der Ideologie und Massenkultur. Sie reagierten auf die gleichen Krisentendenzen und die gleichen Bedürfnisse nach Sinn und Orientierung, jedoch mit anderen Mitteln, und sie gaben andere Antworten. Es ist aber wichtig zu sehen, daß beide Formen nebeneinander im komplexen System der Ideologien im Nationalsozialismus existierten, in dem beide ihre eigenen, unterschiedlichen Funktionen erfüllten.

3.2.3. Ideologie in der Massenkultur

Wenn die ideologische Qualität der Spielfilme weder nur in bestimmten nazistischen Inhalten noch in der Reproduktion der ästhetisierten Politik bestand, wie ist sie dann zu bestimmen? Am effektivsten scheint es mir, sie als besondere Form der allgemeinen Entwicklung der Massenkultur zu sehen. Weniger die Besonderheiten des NS-Films als vielmehr ihre Gemeinsamkeiten mit den Unterhaltungsfilmen anderer Länder und Perioden sind zu betonen. Trotz spezifischer Unterschiede überwiegen die Ähnlichkeiten zwischen Hollywood und Babelsberg, sowohl in den filmischen Formelementen wie auch in der Anpas62 63 64 65 66

Stollmann 1976, 84. S. Hoffmann 1988,183-230, Loiperdinger 1987,149. S. Hoffmann 1988,195-199, 219-220. Vgl. Hennig 1979,9-10. Brandt 1987.

42 sung an marktwirtschaftliche Mechanismen. Zum Teil waren die deutschen Filme direkt an amerikanische Modelle angelehnt. Glückskinder z.B. ist ein Remake von It Happened One Night. Der Einfluß der amerikanischen Filme, die bis 1940 noch eingeführt wurden, ist bei sehr vielen Unterhaltungsfilmen unverkennbar. Produktionsweise, Standardisierung, Starkult, Vermarktung - all diese wesentlichen Merkmale waren ähnlich.67 Daher ist es durchaus berechtigt, Theorien der Massenkultur, die in bezug auf die zeitgenössische amerikanische Situation entwickelt wurden, auch auf die deutschen Filme anzuwenden. Die Fragestellung zielt dann auf strukturelle Veränderungen in der Ideologie, die mit der Ablösung traditioneller Kultur durch moderne Massenkultur auftraten.

Kulturindustrie Eine der einflußreichsten Beschreibungen der Massenkultur findet sich in der Theorie der "Kulturindustrie" von Horkheimer und Adorno. 68 Ihre Ausführungen stellen die Massenkultur in Zusammenhang mit dem langfristigen Rationalisierungsprozeß, den sie als die "Dialektik der Aufklärung" beschreiben. Demnach beseitige Rationalisierung zwar alte Formen der Ideologie (Mythen, Kosmologien, Weltbilder), sie bringe aber keine Befreiung von Ideologie, sondern die Unterwerfung unter neue Formen. So sei die Kulturindustrie die Durchrationalisierung der Kultur, aber in Form ihrer Beherrschung durch den Markt und zum Zweck der Manipulation der Konsumenten. Mit der Kulturindustrie sei eine neue Stufe der Verdinglichung erreicht, in der selbst die Kultur instrumentalisiert sei. Sie funktioniere im Sinne von Manipulation und "Reklame". 69 Neu ist nicht, daß die Kultur eine ideologische Funktion ausführe, sondern, daß sie nur noch das tue. Hatte Ideologie vorher immer einen Doppelcharakter, als Illusion aber auch als Protest,70 sehen Horkheimer und Adorno diese zweite Dimension verschwinden. Kultur, die ihrem eigenen Sinn nach nicht bloß den Menschen zu Willen war, sondern immer auch Einspruch erhob gegen die verhärteten Verhältnisse, unter denen sie leben, und die Menschen dadurch ehrte, wird, indem sie ihnen gänzlich sich angleicht, in die verhärteten Verhältnisse eingegliedert und entwürdigt die Menschen noch einmal. Geistige Gebilde kulturindustriellen Stils sind nicht länger auch Waren, sondern sie sind es durch und durch. 71

67 68 69 70

71

Zum Starkult beim NS-Film s. Winkler 1988. Horkheimer/Adorno 1971. Adorno, "Résumé über Kulturindustrie", in Adorno 1981a, 69. Der Begrifff des Doppelcharakters der Ideologie fand sich schon bei Marx (s. Bürger 1973, 25-26, Bürger 1974, 11) und spielt im wichtigen Aufsatz "Uber den affirmativen Charakter der Kultur" von Marcuse (1967) eine zentrale Rolle. Adorno 1981a, 62.

43 Die totale Verdinglichung der Kultur wird aus dieser Intensivierung des Warencharakters hergeleitet. Als Ware werde auch die Kultur dem Tauschwert untergeordnet und falle unter die Gesetze der Rationalisierung. Die Anpassung an die Massenproduktion und an Marktmechanismen bewirke eine Standardisierung der kulturellen Produkte, die in ihrer Einheitlichkeit und ihrem Schematismus erscheine.72 Unterschiede zwischen den Kulturgütern haben nur noch markttechnischen Wert: Emphatische Differenzierungen wie die von A- und B-Filmen oder die Geschichten in Magazinen verschiedener Preislagen gehen nicht sowohl aus der Sache hervor, als daß sie der Klassifikation, Organisation und Erfassung der Konsumenten dienen. Für alle ist etwas vorgesehen, damit keiner ausweichen kann, die Unterschiede werden eingeschliffen und propagiert. 73

Wiederholung, Nivellierung, "Immergleichheit" und Stereotypie beherrschen die Kulturindustrie.74 Neu an dieser rationalisierten Produktion von Kultur sei das Primat der "genau durchgerechneten Wirkung",75 die ihr den manipulativen Charakter verleihe und sie von autonomer Kunst unterscheide. Kulturindustrie mache aus den Konsumenten "ein Sekundäres, Einkalkuliertes; Anhängsel der Maschinerie". 76 Aus den Veränderungen in der Kultur leiten Horkheimer und Adorno eine grundsätzliche Veränderung in der Struktur der Ideologie her. Ideologie wird inhaltlich entleert. Die allgemeine Tendenz zum "Substanzverlust" in der bürgerlichen Kultur werde durch die Kulturindustrie enorm beschleunigt.77 Hatte klassische Ideologie noch die Funktion, die Welt als sinnvoll zu erklären, erschöpfe sich Kulturindustrie in der bloßen Reproduktion des Gegebenen. Je weniger die Kulturindustrie zu versprechen hat, je weniger sie das Leben als sinnvoll erklären kann, um so leerer wird notwendig die Ideologie, die sie verbreitet. Selbst die abstrakten Ideale der Harmonie und Güte der Gesellschaft sind im Zeitalter der universalen Reklame zu konkret.78

Dies sei kein nur ästhetisches, kulturelles Problem, sondern hänge mit der, nach Horkheimer und Adorno schon vollkommenen Verdinglichung der Gesellschaft zusammen. Sie reden vom "lückenlos geschlossenefn] Dasein, in dessen Verdoppelung die Ideologie heute aufgeht". 79 Die Kulturindustrie markiere nach Horkheimer und Adorno eine fortgeschrittene Verdinglichung nicht nur der Kultur, sondern auch des Subjekts. Die Kulturindustrie manipuliere die Bedürfnisse der Menschen, bewirke Anpassung 72 73 74 75 76 77 78 79

Horkheimer/Adorno Horkheimer/Adorno Horkheimer/Adorno Adorno 1981a, 61. Adorno 1981a, 60. Bürger 1973, 29. Horkheimer/Adorno Horkheimer/Adorno

1971,111. 1971,110. 1971, 120,122, Adorno 1981b, 305ff.

1971, 132. 1971,136.

44 und reduziere die Konsumenten zum "Teil des Systems"; so entstehe ein "Zirkel von Manipulation und rückwirkendem Bedürfnis, in dem die Einheit des Systems immer dichter zusammenschießt."80 Die Kulturindustrie biete höchstens eine Ersatzbefriedigung. "Immerwährend betrügt die Kulturindustrie ihre Konsumenten um das, was sie immerwährend verspricht."81 Die Kulturindustrie, die Horkheimer und Adorno als "Zentralstelle für Regression" bezeichnen,82 blockiere Denken, Phantasie und Erfahrungen: Die Verkümmerung der Vorstellungskraft und Spontaneität des Kulturkonsumenten heute braucht nicht auf psychologische Mechanismen erst reduziert zu werden. Die Produkte selber, allen voran das charakteristische, der Tonfilm, lähmen ihrer objektiven Beschaffenheit nach jene Fähigkeiten. 83

In ihren pessimistischeren Äußerungen sehen Horkheimer und Adorno die Konsumenten auf eine Art automatischen Reiz-Reaktion-Mechanismus reduziert. Dies stellt Adorno in Zusammenhang mit der Entleerung der Ideologie: J e weniger die Ideologien mehr in konkreten Vorstellungen über die Gesellschaft bestehen, j e mehr ihr spezifischer Inhalt verdampft, desto ungehinderter rutschen sie in subjektive Reaktionsformen, die psychologisch tiefer liegen als manifeste ideologische Inhalte und darum deren Wirkung übertreffen mögen. Die Ideologie wird ersetzt durch Anweisung zu Verhaltensweisen [...]. 84

So zeichnet diese Theorie das Bild einer völligen Integration und Verdinglichung der Kultur und des Subjekts in der Massenkultur.

Leistung und Probleme der Kulturindustrie-Thesen Die Leistung dieser Theorie besteht darin, Ideologie funktional und strukturell, statt substantiell (als bestimmte Ideen etc.) zu bestimmen und den Zusammenhang zwischen Veränderungen in der Kultur und der gesamtgesellschaftlichen Entwicklung der Rationalisierung aufzuzeigen. Horkheimer und Adorno stellen klar heraus, wie die massenproduzierten Kulturwaren Verdinglichung und eine Entfremdung der Menschen von ihren eigenen kulturellen Äußerungsformen bewirken. An dieser prinzipiell richtigen Bemerkung muß aber die Kritik an der Theorie der Kulturindustrie ansetzen. Denn Horkheimer und Adorno entwikkeln ihre Theorie so sehr von dem Begriff der Verdinglichung her, daß diese Theorie reduktiv, undialektisch und eindimensional gerät. Sie entwerfen ein ontologisches Bild der totalen Manipulation, das weder empirisch belegbar ist, noch die Werke oder die Rezeption der Massenkultur ausreichend erklären 80 81 82 83 84

Horkheimer/Adorno 1971,109. Horkheimer/Adorno 1971,125. Adorno 1981b, 332. Horkheimer/Adorno 1971,113-114. Adorno 1975,70.

45

kann.85 Sie bleiben auf einer abstrakten und globalen Ebene. Die Theorie steht den Produkten der Kulturindustrie recht hilflos gegenüber bzw. glaubt, auf sie gar nicht eingehen zu müssen. Auch die Rezeption bleibt ein blinder Fleck, der konkret nicht näher untersucht, sondern vom abstrakten, behavioristischen Schema her erklärt wird. Warum die Konsumenten die Waren akzeptieren, welche wirklichen Bedürfnisse davon angesprochen werden, welche Befriedigungen gegeben werden - diese Fragen bleiben letztlich nicht ausreichend beantwortet. Die Theorie ist wertvoll, indem sie die Diskussion der Ideologie in einen neuen Rahmen gesetzt hat und die Fragestellung weg vom Begriff der "falschen Ideen" bewegt hat. Strukturelle Bedingungen und Effekte der Kultur auf Subjekte stehen im Mittelpunkt. Es geht jetzt darum, diese Richtung zu ergänzen, indem man die Theorie für Widersprüche und Ambivalenzen auch in der Kulturindustrie öffnet, indem man die Werke selbst untersucht und indem man die Produktion und Rezeption der Kulturwaren als aktive, widersprüchliche, offene Prozesse versteht. So kann besser begriffen werden, wie die Massenkultur Menschen ideologisch manipulieren kann, aber auch, wo die Grenzen der Manipulation sind. Auch muß gefragt werden, weshalb solche Manipulation überhaupt möglich ist. Was bietet die Kulturindustrie an Befriedigungen und Kompensationen, und was nimmt sie an realen, wahren Bedürfnissen und Erfahrungen auf? Genau diese Fragen werden sich später bei den Untersuchungen über einzelne Filme konkreter stellen.

3.3. Ideologische Regulation Die bisherige Diskussion hat gezeigt, daß es schwierig ist, Ideologie in den Filmen des Nationalsozialismus zu erfassen und zu definieren. Sie ist weder mit den Formen der faschistischen Öffentlichkeit noch mit den Inhalten der NaziWeltanschauung identisch, auch wenn sie sie zum Teil mit verarbeitet. Ideologie in den Filmen ist eher mit der Manipulation der Menschen durch die Kulturindustrie verwandt, wobei noch zu klären ist, wie diese eigentlich funktioniert. So sind die Filme nicht nur im Zusammenhang mit dem Nationalsozialismus als politischem System oder mit einem bestimmten System von Ideen zu sehen, sondern auch als Beispiele für die ideologische Funktionsweise der modernen Massenkultur überhaupt. Um diese näher zu bestimmen, muß zunächst versucht werden, die grundsätzliche Beschaffenheit der Ideologie zu definieren. Insbe85

S. Kellner 1982, 507-508, Huyssen 1983, 11. An einigen Stellen scheint Adorno selbst die Geschlossenheit der Theorie etwas zu relativieren, vor allem im Aufsatz "Filmtransparente" (Adorno 1981a, 79-88), vgl. Hansen 1981-82.

46 sondere ist nach den Mechanismen zu fragen, wodurch die Ideologie menschliche Bedürfnisse und Erfahrungen manipulieren kann. Um an diesem Punkt weiterzukommen, muß man Ideologie nicht als Gedankengut oder falsche Ideen analysieren, sondern als etwas Aktives und Prozeßhaftes. Ideologiekritik muß die Prozesse, wodurch bestimmte Bedeutungen produziert, zueinander in Verbindung gebracht und von Menschen benutzt werden, herausfinden. "Meaning is not a Statement, but a process." 86 So gesehen, wird das Ideologische zu einer Dimension jeglicher Kultur. Trotz dieser erheblichen Ausweitung des Begriffs möchte ich den Terminus "Ideologie" beibehalten, u m den partikulären und "fiktionalen" Charakter zu betonen. Ideologie ist nicht neutral, wie der Begriff "Kultur" verstanden werden könnte, sondern artikuliert bestimmte gesellschaftliche Strukturen und Interessen. Auf diese Art ist Ideologie durchaus ein realer gesellschaftlicher Faktor, zugleich ist sie aber auch Fiktion. Sie erscheint naturhaft und objektiv gegeben; hinter diesem Schein ist sie aber eine unbewußte kollektive Produktion von Vorstellungen und Verhältnissen, also eine Erfindung der Menschen. 87 Ideologie umfaßt die symbolischen Systeme oder Diskurssysteme, die das Verhältnis der Menschen zur Gesellschaft regeln. Nach Althussers Bestimmung der Ideologie wird sie als "das imaginäre Verhältnis der Individuen zu ihren realen Existenzbedingungen" definiert. 88 Die ideologischen Diskursformationen vermitteln die kollektiven Identitätsdefinitionen von Klassen und anderen gesellschaftlichen Gruppen und bilden den Rahmen und Hintergrund für jede individuelle Identität. Sie stellen Normen und Verhaltensregeln auf, bestimmen Werte, modellieren Gefühle und Affekte, definieren Sinn und schaffen Konsens. Genauso wichtig ist auch ihre negative Funktion: zu verhindern, daß potentiell kritische Bedeutungen entstehen und artikuliert werden. 89 Auf diese Weise ist Ideologie ein "Management" von protopolitischen Impulsen (Gedanken, Wünschen, Gefühlen, die die bestehende Ordnung in Frage stellen könnten). Ich folge hier zum großen Teil den Ausführungen von Fredric Jameson, der Ideologie im Sinne von "structural limitation and ideological closure" als "strategies of Containment" definiert. 90 So ist Ideologie weniger in bestimmten Inhalten zu finden als in den (unbewußten) diskursiven Strategien, die Grenzen festlegen und die die verbotenen, potentiell subversiven Gedanken und Gefühle umändern und umlenken, um sie in die gesellschaftlich sanktionierten Grenzen

86 87 88 89

90

Holland 1968, 27. S. Kluge 1975, 215-222. Schüttler 1989, 97. Foucaults Untersuchungen über Diskursformationen als Systeme der Ausgrenzung sind hier von Interesse. S. Foucault 1974. Jameson 1981,52-3.

47 zu bringen. Solche ideologischen Prozesse, die im Produkt nur indirekt zu sehen sind, können von einer inhaltlichen Ideologiekritik nicht erfaßt werden. Diese theoretische Perspektive ermöglicht es, die Frage der ideologischen Manipulation neu zu stellen, statt einfach bei propagandistischen Inhalten stehen zu bleiben. Zugleich vermeidet sie eine einseitige, pauschale Verdammung der Massenkultur, worauf die Kritik der "Kulturindustrie" von Horkheimer und Adorno hinausläuft. Deren Theorie sieht im Film von vornherein nur die totale Manipulation der "falschen" Wünsche der Zuschauer. Jamesons Ansatz erfaßt hingegen die innere Widersprüchlichkeit der Massenkultur und der zum Teil utopischen Wünsche, die das Rohmaterial der Ideologie bilden. 91 Es ist wenig produktiv, eine undialektische Dichotomisierung der Kultur anzunehmen (nach welcher Massenkultur von vornherein völlig der Verdinglichung verfallen und ein kleines utopisches oder oppositionelles Moment nur noch im "autonomen" Kunstwerk zu finden sei). Es ist konsequenter, die Marx'sche Bestimmung des Doppelcharakters der Ideologie (als Illusion und zugleich Protest) auch für Ideologie in der Massenkultur aufrechtzuerhalten. Jameson versucht, über falsche Antinomien hinwegzukommen, indem er sowohl in der modernen Kunst wie auch in der Massenkultur eine Dialektik von Utopie und Verdinglichung feststellt. 92 Um ein erweitertes Modell ideologischer Manipulation zu erstellen, nimmt Jameson Norman Hollands Beschreibung der Funktion des Kunstwerks als "Regulation" oder "Management" von Trieben und Phantasien auf. Formuliert man den Begriff der Wunschregulation nun in gesellschaftlichen Begriffen, so kann man Verdrängung und Wunscherfüllung zusammen innerhalb eines einzigen Mechanismus denken, der in einer Art von psychischem Kompromiß oder Pferdehandel gleichermaßen gibt und nimmt, der strategisch Phantasiegehalt erweckt, und zwar innerhalb kalkulierter Eingrenzungsstrukturen, die ihn entschärfen, indem sie nicht tolerierbare, unrealisierbare, grundsätzlich unzerstörbare Wünsche nur in dem Maße befriedigen, wie sie wieder zur Ruhe gebracht werden können. Dieses Modell erlaubt, wie mir scheint, eine weitaus adäquatere Beschreibung der Manipulations-, Zerstreuungs- und Degradierungsmechanismen, die in der Massenkultur und in den Medien unbestreitbar am Werk sind. Im besonderen erlaubt es uns, Massenkultur nicht als leere Zerstreuung oder als bloßes falsches Bewußtsein zu begreifen, sondern vielmehr als eine Umarbeitung gesellschaftlicher und politischer Ängste und Phantasien, die in Texten der Massenkultur irgendwie wirksam werden müssen, um im weiteren Verlauf reguliert oder verdrängt werden zu können. 9 3

Diese Regulierung könnte an dieser Stelle leicht als bewußt geplante Manipulation durch die Herrschenden oder die Kulturproduzenten verstanden werden. Das gibt es auch, aber der größte Teil der Ideologie ist, unbewußt und unge92 93

In dieser Hinsicht baut Jameson auf die Philosophie Blochs. Jameson 1982, 108-124. Jameson 1982, 129-130 (orig. Jameson 1979, 141). Das Wort "Kuhhandel" würde den Konnotationen vom "horse trading" zwischen Wünschen und Ideologie etwas genauer treffen.

48 plant, durch kulturelle Tradition, durch unbewußte oder halbbewußte psychische Faktoren und durch ökonomische Interessen geformt. An anderer Stelle hat Jameson den ideologischen Prozeß nochmals beschrieben und etwas weiter ausformuliert: [...]Wird die ideologische Funktion der Massenkultur als ein Prozeß verstanden, der ansonsten gefährliche und vorpolitische Impulse 'managt' und zerstreut, sie kanalisiert und ihnen bloßen Scheinobjekten offeriert, dann muß auch ein zeitlich früher angesetzter Schritt theoretisiert werden, in dem zuerst diese Impulse (das Ausgangsmaterial, auf das der Prozeß zugreift) in dem Text wachgerufen werden, der sie zum schweigen bringen will. Begreift man umgekehrt die Funktion massenkultureller Texte als die Produktion falschen Bewußtseins und als symbolische Bekräftigung irgendwelcher Legitimationsstrategien, dann läßt sich nicht einmal dieser Prozeß als schiere Vergewaltigung verstehen (die Theorie kultureller Hegemonie ist ausdrücklich von Kontrolle mittels brutaler Gewalt unterschieden). Ebensowenig läßt sich davon ausgehen, daß hier die erwünschten Geisteshaltungen wie auf eine leere Tafel aufgeschrieben würden; statt dessen muß jeder der soeben umrissenen Prozesse notwendig eine komplexe Strategie rhetorischer Überzeugung beinhalten, die handgreifliche Anreize für ideologische Gefolgschaft offeriert. Unsere These lautet, daß solche Anreize - genau wie die Impulse, die von der Massenkultur gelenkt werden sollen - ihrem Wesen nach notwendig utopisch sind.94

Jameson sieht diesen utopischen Gehalt in einem Moment kollektiver Solidarität, das implizit in jeder Ideologie (als Klassenbewußtsein) enthalten ist.95 Das ist ein sehr wichtiger utopischer Impuls, der in unserem Gegenstand oft in Form der NS-"Volksgemeinschaft" zu finden ist. Aber auch utopische Vorstellungen eines erfüllten individuellen Lebens (das freilich praktisch nur in einer solidarischen Gesellschaft möglich wäre) können wichtig sein, wie wir in den Filmanalysen sehen werden.

3.4. Ideologie als Diskurs - Zusammenfassung Bei Ideologie handelt es sich nach dieser Definition nicht um falsche Ideen im Gegensatz zur Wahrheit; ein Zustand ohne Ideologie wäre nicht denkbar. Ideologie selbst verbindet Illusion und Wahrheit. Nach Marx ist sie notwendig falsches Bewußtsein, und nach Althussers Definition ist sie ein imaginäres Verhältnis des Subjekts zum Realen, also zugleich wahr und falsch. Ideologie im Sinne von Ideen ist, in diesem erweiterten Modell, ein Sonderfall, eine spezifische Form. Umfassender ist Ideologie im Sinne von diskursiven Prozessen zu definieren. Sie besteht in imaginären und symbolischen Handlungen, worin die menschlichen Subjekte sich mit ihren Lebensumständen auseinandersetzen. Sie ist weder rein subjektiv noch rein objektiv zu bestimmen, sondern besteht 94 95

Jameson 1988, 284 (orig. Jameson 1981, 287). Jameson 1981, 289ff.

49 sowohl in den strukturellen Bedingungen, Grenzen, Ausdrucksmitteln, kulturellen Mustern usw. als auch in der aktiven Tätigkeit, der Kreativität und den Lebensäußerungen der Subjekte. Die Diskursformationen haben eine gewisse Eigendynamik, die sich durch die Subjekte hindurch fortsetzt und ihre Äußerungsmöglichkeiten, ihr Denken und ihre Gefühle vorstrukturiert. Die Diskurse werden aber nur durch die ideologische und kulturelle Praxis der Subjekte konkret realisiert. Die diskursive Definition der Ideologie als Regulationsprozesse ist nicht auf die Massenkultur beschränkt. Sie trifft aber im besonderen Maße auf diese zu, da die Massenkultur eine weitere Entfremdung des ideologischen Diskurses von der unmittelbaren Lebenspraxis markiert. Habermas beschreibt dies als die "Kolonisierung der Lebenswelt" durch Imperative der Gesellschaftssysteme.96 Waren ideologische Diskurse früher enger in den spezifischen Lebensformen, Arbeitsweisen und alltäglichen Erfahrungen von Individuen, Gruppen, Regionen und Klassen verankert, ist dies durch die veränderte Produktionsweise in der modernen Massenkultur grundsätzlich anders geworden. Zentralisierung, Standardisierung, Konsum und Medien verändern das Verhältnis des Subjekts zum kulturellen Diskurs. Als Beispiel könnte man traditionelle (mündliche) epische Erzählungen (Homer, Sagen, auch Märchen) mit der epischen Form einer Fernsehserie wie Dallas vergleichen, die von einem Studio aus in die (Gefühls-)Haushalte fast der ganzen Welt hineinreicht. Die Entfremdung der eigenen Erfahrung erreicht eine qualitativ neue Stufe.97 Es ist aber falsch zu glauben, diese Kultur würde völlig totalitär und nur in einer Richtung, als Herrschaft von oben nach unten, funktionieren. Auch die Massenkultur kann Menschen nur dann ergreifen, wenn sie etwas aus ihrem realen Leben (wenn auch verzerrt und unvollständig) aufgreift, wenn sie auch ihre reale Erfahrung und Gefühle - einschließlich utopischer Hoffnungen und Protest - tangiert. Diese primäre Erfahrung verarbeitet die Massenkultur; die unmittelbare Artikulation kann sie ersetzen, verhindern oder in vorgefertigte Formen und Muster zum Teil umleiten. John Brenkman weist auf diesen reaktiven Charakter der Massenkultur hin, die gesellschaftliche Diskurse "wieder-spricht" ("respeaks"): This discourse, however, is neither one-dimensional nor "totally administered," because it does not generate or perpetuate itself. It is formed only as it continually appropriates, dismantles and reassembles the signifying practices of social groups. Nor is it purely one-way communication. Mass communication is multidirectional but nonreciprocal. The subjects it addresses are atomized as they receive back a message that has been constructed from their own signifying activities as groups. The mass communication effaces its own genesis, by displacing the subject from his or her position as a participant in a collective expression to the serial position of an isolated receiver of a pre-packaged message. On the one hand, the mass communication is effective only insofar as we hear in it some echo of our own actual or 96 97

Habermas 1985, Bd. 2,522. S. Horkheimer/Adorno 1971, Debord 1979.

50 virtual collective speaking - which is why even the most manipulative examples of mass culture contain a residual Utopian or critical dimension. On the other hand, the massmediated public sphere establishes a schism between what I hear and what I speak, such that I receive back a message I would not speak and am forced to read in it the figure of my needs, my desires and my identity [..J. 9 8

Die Massenkultur bleibt also im wirklichen gesellschaftlichen Leben verankert. Auch ihre Verwendung durch die Konsumenten kann sie nie völlig bestimmen. Sie kann ihnen einen ideologischen Effekt nie einfach aufzwingen, da der Ideologie Grenzen gesetzt sind durch die reale Lage, Gegendiskurse und Interessen der Menschen. Eine innovative, verfremdende Benutzung der kulturindustriellen Produkte ist auch nicht auszuschließen. Die Kulturindustrie muß ihre Bemühungen um die Absorption, Integration und Verarbeitung von Konflikten ständig wiederholen. In einem seiner etwas weniger pessimistischen Momente hat auch Adorno darauf hingewiesen: Da sie [die Menschen - S.L.] aber, als Subjekte, doch stets noch selber die Grenze der Verdinglichung sind, so muß die Massenkultur in schlechter Unendlichkeit immer aufs Neue wieder sie erfassen: die hoffnungslose Mühe ihrer Wiederholung ist die einzige Spur der Hoffnung, daß die Wiederholung vergeblich, daß die Menschen doch nicht zu erfassen seien."

Allerdings zeigt sich die Massenkultur in dieser ständigen Wiederholung recht erfolgreich. Der Erfolg liegt aber eben nicht in einer endgültigen Stillegung, sondern in laufenden Prozessen der ideologischen Arbeit. Diese Prozesse, ihre Funktionsweise und ihre Kristallisationsformen in den Werken müssen im Mittelpunkt der Untersuchung der Ideologie stehen.

98 99

Brenkman 1979b, 105. Adorno 1981b, 331. S. auch Hansen 1981-82,191-192.

4. Die goldene Stadt - Erzählung und Ideologie

4.1. Einleitung und Fragestellung Die goldene Stadt ist kein besonders bemerkenswerter Film. Es handelt sich um ein recht banales Melodram, das die Geschichte einer jungen Frau vom Lande erzählt, die von Zuhause ausreißt, auf einen skrupellosen und glatten Verführer hereinfällt, schwanger wird und am Ende keinen anderen Ausweg sieht, als sich umzubringen. Weder die Geschichte, die auf einem Bühnenstück von Richard Billinger basiert, 1 noch die Art der Verfilmung ist besonders originell. Gerade die Unauffälligkeit des Films spricht dafür, daß er als einigermaßen typisch für die Zeit gelten kann. Der Film war überdurchschnittlich populär. Die goldene Stadt muß auf irgendeine Weise den damaligen Bedürfnissen eines Massenpublikums entsprochen haben. Deshalb ist es berechtigt, den Film als symptomatisch für wesentliche Aspekte der ideologischen Situation der NS-Gesellschaft anzusehen. Regisseur des Films war Veit Harlan, der heute hauptsächlich wegen seines berüchtigten antisemitischen Films Jud Süß bekannt ist. Er drehte u.a. mehrere propagandistische Filme, die Kassenschlager wurden. Die goldene Stadt wurde aber nicht als politischer Film herausgebracht (er bekam z.B. das Prädikat "künstlerisch besonders wertvoll" und nicht etwa "staatspolitisch wertvoll"). 2 Auch in dieser Hinsicht ist der Film also recht typisch. Daß die "unpolitischen" Filme aber alles andere als ideologiefrei waren, soll die Analyse von Die goldene Stadt exemplarisch zeigen. Herauszufinden, worin die ideologische Qualität bestand und wie die ideologische Dimension des Films organisiert ist, macht die zentrale Fragestellung der Untersuchung aus. Nach einer Beschreibung des Films und seiner Publikumswirkung werde ich das Problem theoretisch umreißen und die Interpretationsmethode begründen. Dann, ausgehend von einer detaillierten Analyse der Erzähl- und Handlungsstruktur, will ich aufzeigen, wie sich die gesellschaftliche Auseinandersetzung mit ideologischen Problemen im Filmtext niederschlägt und wie der Film ideologische Wirkungen entwickelt. Dabei konzentriere ich mich vor allem auf die tiefliegenden, unbewußten 1 2

Billinger 1937. Albrecht (1969), der die offiziellen Quellen auswertet, reiht ihn in die "nicht-politischen" Filme ein.

52 Schichten der Ideologie, die relativ unpolitisch und wenig spezifisch für die Nazi-Zeit erscheinen mögen. Das soll keineswegs eine verharmlosende "Normalisierung" des Nationalsozialismus sein; ich möchte aber schon auf die große Kontinuität in den ideologischen Grundlagen hinweisen, ohne die die Nazis nicht so viele Menschen mobilisieren oder zum Mitmachen hätten motivieren können.

4.2. Die goldene Stadt - Zusammenfassung Diese Zusammenfassung der Filmhandlung ist zugleich eine Gliederung in zwölf Sequenzen, die größere zusammenhängende Phasen der Handlung angeben, und in fünfzig Szenen, die nach den einzelnen Handlungsschritten aufgeteilt sind. Die Einteilung in Szenen gibt den wesentlichen zeitlichen und örtlichen Aufbau des Films an. Sie erfaßt aber nicht alle Details der filmischen Auflösung (z.B. wird das Pferderennen nur als eine Rennbahn-Szene angegeben, obwohl sie aus verschiedenen Einstellungen von der Tribüne, der Rennbahn, von verschiedenen Zuschauern etc. besteht). Dieser Abriß soll vor allem möglichst genau den Handlungsverlauf wiedergeben, denn die Analyse der Erzählstruktur wird auf dieser Gliederung des Films aufbauen. Ich habe auch versucht, etwas von der Erzählweise zu vermitteln, aber eine Zusammenfassung ist natürlich kein Ersatz für den Film. Sequenz/Szene - Handlung 1/1. Ein Buch: "Prag - Die goldene Stadt", daraus Bilder der Stadt. Dann sieht man Anna (Kristina Söderbaum), die im Buch blättert. 2. Eine Serie von orientierenden Einstellungen: ein Bauernhof, die Gegend, Natur, Blumen etc.; dazu Musik nach Smetanas "Moldau". Der Bauer Jobst (Eugen Klopfer) sucht und fragt nach Anna. 3. Landschaft: Anna fährt im Pferdewagen. 4. Bauernhof: Jobst findet das Buch, in dem Anna geblättert hatte. Der Name Christian Leidwein steht darin geschrieben. 5. Moor, Wiesen an der Moldau: Anna kommt bei Leidwein (Paul Klinger) an, der im Moor Vermessungen ausführt. Im Gespräch der beiden werden die Hauptkonflikte und die Vorgeschichte dargelegt: Annas Mutter kam aus Prag und hat sich nie an das Leben auf dem Lande gewöhnen können. An der Sehnsucht nach der Stadt ist sie zugrunde gegangen und hat Selbstmord begangen. Ihr Grabstein steht noch da, wo sie ins Moor gegangen ist. Diese Sehnsucht nach der Stadt kennt Anna auch, und sie träumt davon, in die Stadt zu gehen, was ihr aber ihr Vater verboten hat. Ihre Faszination an der Stadt spielt vielleicht auch bei ihrem Interesse an Leidwein, in den sie sich etwas verguckt hat, eine

53 Rolle. Denn er kommt aus Prag und ist hierher geschickt worden, um die Trockenlegung der Sümpfe anzuleiten. E r erwidert Annas Interesse, und es kommt zu einem ersten Kuß, der durch einen Höhepunkt der musikalischen Untermalung ("Moldau"-Motive) betont wird. Anna erzählt, daß ihr Vater sowohl Leidweins Plänen für das Moor wie auch ihrer Freundschaft entgegensteht. Der Vater will sie mit ihrem Verlobten Thomas, seinem Großknecht, bald verheiratet sehen. Anna weiß nicht genau, was sie will. 6. Felder: Jobst trifft Thomas (Rudolf Prack), der auf einem Trecker mit einer damals modernen Mähmaschine erntet, und fragt ihn, wo Anna ist. Als Thomas erwidert, er wisse es nicht, nennt der Bauer ihn einen "Schlappschwanz" und gibt ihm den Rat, er solle ein Mann sein und entschiedener vorgehen bei Anna - "sie anpacken und festhalten". 7. Landstraße: Anna und Leidwein im kleinen Pferdewagen. Anna fährt, rasend schnell, und lacht vor Freude. 2/8. Hof, innen: Jobst redet mit Nemetschec, einem weich wirkenden Mann, der Leidweins Arbeit übernehmen soll. Es stellt sich heraus, daß Jobst Leidweins Versetzung arrangiert hat, um ihn loszuwerden. Er wiederholt, daß er keine Trockenlegung will, weil das Moor schon immer da war und deshalb bleiben solle. Im anschließenden Gespräch mit Leidwein fordert Jobst den Ingenieur auf, noch am selben Abend seinen Hof zu verlassen und nach Prag zurückzukehren. 9. Annas Zimmer: Sie probiert ein neues Kleid für die Kirmes an und läßt die Näherin Maß für ein Brautkleid nehmen (auf Anweisung des Vaters). Sehr fröhlich tanzt sie durchs Zimmer. Leidwein schaut zum Fenster hinein. E r glaubt, daß sie Thomas heiraten will, und verabschiedet sich von ihr (visuell betont durch Großaufnahmen von beiden). 3/10. Stube: Anna streitet sich mit ihrem Vater; sie ist böse, daß er Leidwein weggeschickt hat. Er gibt ihr eine Ohrfeige, worauf Thomas aus dem Zimmer stürmt. Der Vater pocht auf sein Recht, in "seinem Haus" zu bestimmen, was mit "seiner Tochter" geschehe. Es kommt aber noch zur Versöhnung, indem er beteuert, daß er nur ihr Glück wolle - er habe sonst nichts auf der Welt als nur sie. E r küßt sie (auf den Mund). (Großaufnahme). 4 / 1 1 . Kirmes: Pferderennen (schnelle Schnitte, Bilder teilweise mit "Fernglas"-Blende, dramatische Musik) - Anna führt, bis sie zu schnell in die Kurve geht und ihr Pferd von der Bahn abkommt, worauf Thomas gewinnt. 12. Tanzsaal: Kirmes-Feier - die Leute vom Dorf tanzen, reden, trinken. Der Bauer Pelikan wirbt um Jobsts Haushälterin Maruschka (Liselotte Schreiner), die jedoch wenig Interesse für diese komische Figur aufbringt.

54 13. Kegelbahn neben dem Saal: Nemetschec wird von einigen Kleinbauern drangsaliert, bis Thomas dazukommt und ihn befreit. Jobst tut alles als Scherz ab, aber Nemetschec geht beleidigt ab. So sieht Jobst seine Sümpfe gerettet. 14. Saal: Anna tanzt mit ihrem Vater. Sie sagt ihm, sie sei über Leidwein hinweg. Darauf gibt er ihr eine Ansichtskarte von Prag, die Leidwein geschickt hatte. 5/15. Nacht, außen: Anna geht auf einen Bootssteg; sie wird im Wasser gespiegelt. Überblende: Traumbilder von Prag (vergoldete Gebäude) mit Großaufnahmen ihres Gesichts. Überblende zu: 16. Annas Gesicht (groß, dann halbnah): Sie steht im Nachthemd träumend am Fenster in ihrem Zimmer. Thomas kommt dazu und fragt sie, wann sie heiraten können. Sie antwortet, daß sie nicht weiß, was sie will. Hier sei es wie in einem Gefängnis, hier bestimme ihr Vater alles. Sie wolle eben tun und lassen können, was sie will. 17. Hof, in der Küche: Pelikan will Maruschka zum Heiraten überreden. Sie verhält sich ablehnend. Er meint: sie wolle wohl Jobst kriegen. 18. Annas Zimmer: Maruschka redet auf Anna ein, jetzt, während Jobst und Thomas eine Woche lang verreist sind, heimlich nach Prag zu fahren und ihre Verwandten besuchen. (Maruschka hofft, Anna werde bei Leidwein bleiben, und sie könne Jobst heiraten). 6/19. Anna fährt mit der Bahn nach Prag. 20. Prag, Wohnung der Tante: Anna ist bei der Schwester ihrer Mutter (Annie Rosar), einer dicken, ordinären Kettenraucherin, die Schnaps trinkt. Die Tante erzählt, daß sie ihren Tabakladen als Abfindung von einem reichen Mann bekommen hat, von dem sie ein uneheliches Kind (ihren Sohn Toni) habe. 21. Restaurant: Toni (Kurt Meisel) streitet sich mit seiner Geliebten, der Besitzerin des Restaurants, wo er kellnert. Sie wirft ihm vor, er habe sie bestohlen. E r kündigt. Im Speisesaal treffen sich Anna, ihre Tante, Leidwein und Toni. 22. In der Oper. Anna, noch in ihrem Trachtenkleid, sitzt neben Leidwein und schaut staunend zu. 23. Prag, außen: Anna und Toni fahren in einer Kutsche, die Stadt besichtigen. Toni flirtet mit Anna und erzählt ihr, Leidwein trage einen Ring und sei verlobt. Er warnt sie: "Prag ist ein schlüpfriges Pflaster". Er redet abfällig über ihre Tracht und sagt, sie müsse sich neu einkleiden. 24. Tabakladen und Straße: Leidwein wartet auf Anna. Gekleidet in einem modernen Kleid und Hut, tanzt sie auf der Straße vor Freude, als sie und Toni verspätet ankommen. Leidwein sagt Anna, er habe sie in der Bauerntracht schöner gefunden. In einer Detailaufnahme sieht man, daß er einen Ring trägt. Die Tante nimmt Toni zur Seite und erzählt ihm, seine Chefin habe ihn angezeigt. Er schimpft auf seine Ehemalige, und zeigt sein "wahres Gesicht", das eines gefühlslosen Egoisten. Er sagt seiner Mutter, er wolle Anna kriegen.

55 25. Am Fluß: Anna und Leidwein gehen spazieren. Er macht sich Sorgen um sie, und warnt sie vor Prag und ihren Verwandten. Sie will nichts davon hören und ist beleidigt, da sie glaubt, Leidwein habe mit ihren Gefühlen nur gespielt. 26. Hof: Jobst und Thomas kommen früher als geplant zurück. Ein Dienstmädchen gibt zu, daß Anna nach Prag gefahren ist. (Untermalt mit lauter, dramatischer Musik). 7/27. Auf einem Dampfer auf der Moldau: Anna und Toni; sie sagt, sie müsse zurück. Er: "Bleib bei mir, bleib das ganze Leben bei mir." 28. Hof: Jobst sagt: "Wie ihre Mutter...akkurat wie ihre Mutter...sie ist verloren". 29. Zimmer: Toni und Anna; er bedrängt sie, es kommt zu einem heftigen Kuß. Sie sagt, sie müsse mit dem Zug um zehn fahren. Eine Uhr zeigt etwa elf an. In dunklen, rötlichen Bildern sieht man Anna und Toni im Bett sich küssen. (Abblende). 8/30. Hof: Thomas sagt der Magd Julie, die in die Stadt ziehen wird, sie solle Anna ausrichten, er nähme es ihr nicht übel und sie solle bald zurückkommen. 31. Gemeindehaus: In einer Sitzung erklärt Jobst, er wolle das Moor nicht kultivieren lassen, denn das Moor habe sein Gutes - "Wer unrecht tut, den straft das Moor, wer seiner Heimat untreu wird, den straft das Moor." 32. Prag: Leidwein fragt Anna, warum sie in Prag geblieben sei. Er macht sich Sorgen um sie. 33. Tabakladen und Wohnung: Toni läuft im Bademantel herum; Anna arbeitet im Laden. Er ist arbeitslos und tut nichts. Er spekuliert auf ihr Erbe und träumt vom Gutsbesitzerleben. 34. Hof, innen: Jobst bindet Maruschka ein Halsband um, das Annas Mutter gehört hatte. Er will sie heiraten. 35. Laden: Anna bekommt einen Brief an ihren Vater zurück -Annahme verweigert. Sie spricht mit einer alten Frau, die im Laden aushilft. Anna weint und erzählt, sie sei schwanger. Julie und ihr Verlobter kommen in den Laden. Anna ist schon seit sieben Wochen von Zuhause weg. Julie erzählt, daß Jobst Maruschka heiraten werde. Anna kann nur "So" herauskriegen. 36. Im Dorf beim Notar: Jobst und Maruschka setzen einen Erbvertrag auf. Wenn sie heiraten, wird Maruschka Alleinerbe des Hofes. 9/37. Prag, Wohnung: Anna bekommt einen Brief über ihre Enterbung. Toni: "Aufs Pflichtteil bist du gesetzt...aus ist's mit den Träumen... Träume sind Schäume... nichts ist mit dem Gutsbesitzer...". Er macht Anna Vorwürfe und fängt dann an zu kalkulieren, ob mehr aus ihrem Pflichtteil oder aus der Restaurantsbesitzerin zu holen ist. Jetzt erkennt Anna Toni als das, was er ist. Die alte Frau erzählt, daß Anna ein Kind bekomme und Toni liebe. Toni verhält sich kalt.

56 38. Im Laden: Es wird erzählt, der Dieb sei erfaßt und Toni somit bei der Chefin entlastet. 39. Toni versöhnt sich mit seiner Chefin. Sie küssen sich und machen schon Heiratspläne. 40. Wohnung. Anna sagt der Tante, Toni dürfe nicht wieder da arbeiten, nachdem die Chefin ihn falsch beschuldigt hatte. 41. Tonis Zimmer. Es kommt zur Konfrontation zwischen Anna auf der einen Seite und Toni und seiner Chefin auf der anderen. Anna, in ihrer Arbeitsschürze, steht der mondäneren, wenn auch "billigeren" (Zeichen: Rauchen), Stadtdame gegenüber. Toni will Anna loswerden. Sie läuft hinaus. 42. Prag: Anna geht durch die Straßen und verläßt die Stadt. Blicke auf Prag und die Moldau, heftige Musik. 10/43. Bauernhof, innen: Verlobungsfeier - Jobst, Maruschka, Bauern singen und feiern. Anna kommt herein. In "Schuß-Gegenschuß"-Einstellungen sieht man, wie Anna die anderen ansieht, wie sie Anna erkennen und dann erstarren. Auch ihr Vater sieht sie, aber er will sie ignorieren, und löffelt seine Suppe weiter. Anna stürtzt hinaus. Jemand sagt: "Sie geht ins Moor!" Alle, bis auf Jobst und Maruschka, gehen sie suchen. 44. Dorfkneipe: Jemand kommt herein und erzählt Thomas, der da sitzt, was passiert ist. Er geht mit suchen. 45. Hof, innen: Maruschka will, daß Jobst da bliebe. Sie stellt den Bauern vor die Entscheidung: "Entweder sie oder ich". Er geht, um Anna zu suchen. Sie, allein gelassen, legt das Halsband und ihre Brautkrone (Tracht) ab. 11/46. Im Moor, am Grabstein der Mutter: Anna redet vor sich hin: "Mütterchen, ich komme zu dir. Ich gehe den gleichen Weg wie du...Hast Recht gehabt, Vater...Thomas, leb* wohl, ich war nicht gut zu dir...Toni, vergebe dir Gott, ich habe dir vergeben". 47. Moor: Die Dorfbewohner, auch Jobst, tragen Fackeln und suchen nach ihr. 48. Doppelbelichtung: die Fackeln und ihr Gesicht (groß). Anna: "Vergib mir Vater, daß ich dir so weh tun muß, daß ich die Heimat nicht so liebte wie du". Die Fackeln werden immer größer, bis sie das ganze Bild einnehmen und Annas Gesicht verschwindet. 12/49.Moor: Annas Leiche ist geborgen worden. Jobst und Thomas (Großaufnahmen) und andere stehen um sie. Jobst: "Heimtragen tu' ich sie selber, in das Haus, in das ich sie nicht aufgenommen habe". Er sagt, es müsse aber erst etwas "ins Gleiche gerückt werden" - der Hof sei ohne Erben. Thomas soll den Hof bekommen, denn er habe Anna am meisten geliebt. Jobst sagt zu Thomas: "Machs besser als ich - schaff das faulige Moor weg". Überblende auf: 50. Kornfelder, darin das Grabstein der Mutter und Anna. Ende.

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43. Die goldene Stadt - ein Erfolgsßlm 4.3.1. Publikumserfolg Die goldene Stadt gehört zweifellos zu den erfolgreichsten Filmen der Nazizeit. Harlans Angabe, mit dem Film "den größten Erfolg, den die Ufa jemals gehabt hatte" erreicht zu haben, 3 scheint eher seiner Profilierungssucht als der Realität zu entstammen, und Söderbaums Behauptung, daß der Film 43 Millionen Reichsmark eingespielt habe, 4 bewegt sich in einer völlig unglaubwürdigen Größenordnung (die höchsten belegten Einspielergebnisse überhaupt bewegen sich um die 10 Mio. RM). Solche Übertreibungen wären eigentlich nicht nötig gewesen, denn alle Indikatoren sprechen für einen erheblichen Publikumserfolg.5 Mit einer Laufzeit von 73 Tagen im Berliner Uraufführungskino (im "Ufa-Palast am Zoo") belegt der Film den zweiten Platz für Filme aus dem Jahre 1942.6 Im vierten Monat nach der Uraufführung hatte der Film bereits insgesamt 6401000 RM Brutto im Inland eingespielt.7 Dieser Erfolg scheint angehalten zu haben, denn Die goldene Stadt wurde im November 1944 als der bis dann erfolgreichste Film aufgelistet. 8 Auf jeden Fall brachte Die goldene Stadt einen großen Gewinn. Schon nach vier Monaten überstieg das Einspielergebnis die Kosten um vieles. Mit Herstellungskosten von 2726000 RM war der Film etwa eine Million RM teurer als der Durchschnitt für 1942.9 Er war aber auch kein Durchschnittsfilm, sondern schon als Großfilm konzipiert und herausgebracht. Ein Teil der Kosten wird auf die neue Farbfilmtechnik zurückzuführen sein. Bei den ersten amerikanischen Technicolor-Filmen beliefen sich die Kosten auf das Vier- bis Fünffache eines Schwarz-Weiß-Films.10 Dagegen sind die Kosten für Harlans Film, der sogar wesentlich billiger als einige andere Spitzenfilme des Jahres (z.B. Der große König mit 4779000 RM oder Rembrandt mit 3665000 RM) war, relativ niedrig gewesen. Bei Die goldene Stadt hat die Ufa auf einen großen geschäftlichen Erfolg gehofft. In ihrer Kalkulation hat die Firma schon im voraus ein sehr hohes Bruttoeinspielergebnis (10 Mio. RM - das höchste für 1942) und einen Gewinn von über 5 Mio. RM eingeplant. 11 Die verhältnismäßig hohe Investition, das erhöhte Risiko durch das neue Agfacolorverfahren, die sehr hohe Gewinnein3 4 5 6 7 8 9 10 11

Harlan 1966,155. Söderbaum 1983,167. S. oben, Kapitel 2.6.2. Jason 1943. Albrecht 1969,414. Drewniak 1987,631. Albrecht 1969,426. Bächlin 1975,225. Albrecht 1969,426.

58 Schätzung und das Prädikat "künstlerisch besonders wertvoll" - all diese Faktoren sprechen dafür, daß sowohl die Industrie wie auch die Filmbehörden Die goldene Stadt als einen der Spitzenfilme von 1942 einschätzten. Nicht nur in Deutschland, sondern auch im Ausland, sofern deutsche Filme dort gezeigt wurden, kam Die goldene Stadt sehr gut an. In Frankreich, Schweden, Spanien, Portugal, Finnland und in den besetzten Gebieten der Sowjetunion erreichte der Film große Erfolge. 12 Er wurde zusammen mit Der große König und Die große Liebe als Aushängeschild für Deutschland auf der Biennale 1942 in Venedig gezeigt, wo sowohl der Film wie auch die Hauptdarstellerin Preise bekamen. Ein weiterer Beleg für die Popularität des Films - sogar noch über die Kriegszeit hinaus - war eine Befragung, die die amerikanische Militärregierung im Oktober 1945 in Bayern durchführte. Die goldene Stadt stand dabei an erster Stelle als der Film, von dem eine Wiederaufführung am meisten erwünscht würde.13 Das Publikum mußte aber bis 1954 auf die Reprise warten, denn die Allierten hatten ein generelles Verbot für alle Filme Harlans ausgesprochen.14 Als die Zensurfunktion von den Allierten auf die "Freiwillige Selbstkontrolle" der Filmindustrie überging, konnten die Filme einzeln überprüft und freigegeben werden. Reprisen älterer Filme machten einen großen Teil des Filmprogramms der fünfziger Jahre aus; auch Die goldene Stadt scheint dann erfolgreich gelaufen zu sein, obwohl es zu einzelnen Protesten gegen Filme des Jud SüßRegisseurs kam. Der Film ist immer noch im Verleih und wird gelegentlich in Kinos gezeigt.

4.3.2. Erfolgsfaktoren Die Attraktivität des Films für ein Massenpublikum kann jetzt im nachhinein nur unvollständig und etwas spekulativ erklärt werden. Empirische Wirkungsforschung, die, wenn auch begrenzt, Näheres über die Aufnahme des Films hätte feststellen können, wurde damals nicht betrieben. Hier kann ich nur einigen Faktoren nachgehen, die generell bei der Filmrezeption eine Rolle spielen, und versuchen, sie im Zusammenhang mit Die goldene Stadt zu sehen. Eine Umfrage der damaligen Fachzeitschrift Der deutsche Film ergab, daß der "Inhalt" eines Films (bei 41% der Antworten) und die Schauspieler (bei 32%) die wichtigsten Motivationsfaktoren für einen Kinobesuch waren. 15 Harlan weist auf zu12

13 14 15

Courtade/Cadars 1975, 264, Drewniak 1987, 731, 751, 769, 775, Zeitungsausschnitt im Deutschen Institut für Filmkunde, 11U70. Regel 1976,43. Hulll961,18. Albrecht 1979,23.

59 sätzliche Gründe für den Erfolg von Die goldene Stadt hin, vor allem die Farbe und die Musik.16

Inhalt Ob die Handlung, das Thema oder eher Genre-Merkmale mit dem vagen Begriff "Inhalt" gemeint wurden, läßt sich nicht feststellen. Für Die goldene Stadt können vielleicht das Werbematerial und die Filmbesprechungen helfen, die Publikumserwartungen an den Film zu rekonstruieren. Die Filmfirmen gaben über ihre Pressestellen verschiedene Werbematerialien heraus: Presseinformationshefte, Werbehefte für Kinobesitzer, Bildmaterial, Matern und Klischees etc.17 Auch die "Filmbetrachtung" in der Presse kann zum größten Teil als eine Art Werbung verstanden werden. Spätestens nach dem Verbot der Kunstkritik im November 1936 beschränkten sich die meisten Filmjournalisten auf positive Aussagen über Filme.18 Die Besprechungen gaben auch oft die offizielle Interpretation des Films weiter, die durch Zensur und verbindliche Presseanweisungen festgelegt wurde. Wenn man Werbung und Besprechungen anschaut, findet man vor allem vier inhaltliche Aspekte von Die goldene Stadt in den Vordergrund gestellt. Daß es sich um einen dramatischen Film handele, wird immer wieder betont. Der Film sei "menschlich erschütternd", 19 sogar eine "Herzenstragödie". 20 Daß es dabei um das "Schicksal" einer jungen Frau geht, die an ihrer Sehnsucht nach dem Leben zerbricht, wird in der Werbung und in allen Besprechungen in den Mittelpunkt gestellt. Die Thematik von Stadt und Land oder Heimat wird auch häufiger erwähnt. In Zusammenhang mit den Darstellern wird die Figurenkonstellation beschrieben. Dabei wird die Liebesund Familienproblematik deutlich. Man bekommt den Gesamteindruck, daß man ein rührseliges Melodram mit traurigem Ende sehen wird, in dem die Liebessehnsucht eines etwas naiven Mädchens sie zum Opfer eines gewissenloses Verführers macht. Was an diesem Inhalt die Zuschauer und Zuschauerinnen angesprochen haben mag, werde ich in der Filmanalyse zu ergründen versuchen. Nicht zuletzt aber war es einfach das Versprechen eines emotional intensiven Filmerlebnisses, das Leute in die Kinos brachte.

16 17 18 19 20

Harlan 1966,148. S. Walter 1941,83-94. S. Harmssen 1979. Kreuter oJ. "Die goldene Stadt", Paimanns Filmlisten, Nr. 1393,18.12.1942.

60 Der Star: Kristina Söderbaum Kristina Söderbaum ist eindeutig der Star des Films. Im Bild und Text des Werbematerials steht sie immer im Mittelpunkt. Filmbesprechungen und Werbung weisen auf ihren schon erfolgreichen und bekannten Rollentypus hin. Söderbaum, eine Schwedin, die in Berlin ihr Glück als Schauspielerin versuchte, war in der Filmwelt weitgehend unbeachtet geblieben, bis Harlan sie entdeckte und zu seinem Star machte. Angefangen mit Jugend (1938), spielte sie die weibliche Hauptrolle in allen weiteren Filmen Harlans. Als Filmerscheinung, Star, ist sie von Harlan kreiert und geprägt worden - um so mehr, als er verhinderte, daß sie mit anderen Regisseuren arbeitete. Die Entwicklung ihrer Rollen und ihres Images zeigt eine sehr starke Kontinuität auf. Nicht nur die Fixierung auf tragische Rollen, die häufig in Selbstmord durch Ertrinken endeten und sie im Volksmund zur "Reichswassserleiche" werden ließen, sondern auch ihre Spielweise blieb relativ konstant. Zum Teil durch ihre nur begrenzte schauspielerische Wandlungsfähigkeit bedingt, und zum Teil durch Harlans Spezialisierung auf eine bestimmte Art von Melodrama gegeben, förderte diese Rollenkonstanz die Entwicklung einer Starpersona. Ein festes Image baute sich auf, mit dem die Schauspielerin identifiziert wurde. Obwohl nicht ganz ein Star im Sinne Hollywoods, erfüllte Söderbaum eine entsprechende Funktion für den NS-Film. Sie strahlte nicht gerade "Glamour" oder Mondänität aus, aber dennoch war sie Projektionsfläche für Phantasie und Identifikation. Zielinski sieht zwei Hauptkomponenten in ihrer Attraktivität fürs Publikum: Die junge Schwedin verkörperte ideal die beiden Dimensionen, die nazistischen Filmerfolg garantierten. Sie besaß in ihrer kindlichen Weiblichkeit genügend erotisch animierende Attraktionen und hätte in ihrer äußeren Erscheinung aus einem Bilderbuch für 'arische Merkmale' von Frauen stammen können. 21

Obwohl hier viel zu sehr verallgemeinert wird - die sehr große Variationsbreite unter den Filmstars des "Dritten Reichs" läßt sich nicht auf zwei "Dimensionen" reduzieren, und gerade besonders "arisch" sahen nur wenige aus -, trifft diese Beschreibung schon auf Söderbaum zu. In ihrem Aussehen (blond, jung, kräftig, eher sportlich als elegant) entsprach Söderbaum Schönheits- und Weiblichkeitsvorstellungen, wie man sie auch in der bildenden Kunst, in der Reklame und in offiziellen Verlautbarungen der Zeit findet. Diese äußere Erscheinung wird ergänzt und verstärkt durch ihre naiv-kindliche Art und Stimme. Sie erscheint dann kindlich-unschuldig, oder zumindest "anständig" und "rein". Zumeist wirkt sie auch spontan und vital, eine Art Naturkind. Die andere Seite von Söderbaums Leinwanderscheinung war ihre Qualität als erotisches Objekt. Die "Ausbeutung der Körperlichkeit seiner eigenen Frau" 21

Zielinski 1981,22.

61

machte einen charakteristischen Teil von Harlans Regiestil aus.22 Diese erotischen Komponenten werden passiv durch die voyeuristische Kameraführung erzeugt und aktiv in ihren Rollen durch Koketterie, Flirten und schamvolle Anspielungen auf Sexualität herausgestellt. Sie werden entscheidend zu ihrer Wirkung als Star beigetragen haben. 23 Eine reine Unschuld, ein "arisches" Musterweib hätte nicht den Attraktionswert, den ein Star in der Kulturindustrie (auch im Nationalsozialismus) braucht. Trotz mancher Versuche seitens des Regimes, "gelang es nicht, die Anziehungskraft der raffinierten, 'nicht deutschen' Erotik zu brechen und ihre Verbreitung zu verhindern". 24 Die tiefgehende Zwiespältigkeit und Gegensätzlichkeit, die insgesamt in den verschiedenen gesellschaftlichen Vorstellungen der Weiblichkeit herrschte,25 findet sich in gemäßigter Form bei Söderbaum. Dabei wurde ihre erotische Seite eingeschränkt und verharmlost durch ihre Kindlichkeit. Die Filmhandlungen bewirken eine weitere Eindämmung der erotischen Komponenten, wie ich in der Interpretation von Die goldene Stadt zeigen will. Der Starwert von Söderbaums Namen, schon längst durch ihre vorherigen Filmen etabliert, wird von vornherein zum Erfolg von Die goldene Stadt beigetragen haben. Sie war zu der Zeit eine der bekanntesten und, mit einem durchschnittlichen Jahresverdienst von 83557 RM, 26 eine der bestbezahlten Schauspielerinnen Deutschlands. Obwohl heute nur schwer nachvollziehbar (ihr kindliches Schmollen wirkt oft schier unerträglich), ist ihre eigentümliche Mischung von Naivität und erotischem Austeilungswert, von sentimentaler Unschuld und Koketterie damals sehr gut angekommen. Ihr Star-Image hat bestimmt die Erwartungen an Die goldene Stadt stark beeinflußt und nicht wenig zum Erfolg des Films beigetragen.

Andere Schauspieler und Schauspielerinnen Die anderen Schauspieler und Schauspielerinnen sind weniger als Stars zu bezeichnen. Einige waren aber schon sehr bekannt. Eugen Klopfer war schon lange im Film und Theater tätig. Er war einer der bestbezahlten Schauspieler im Film,27 was für eine große Popularität spricht. Sein Rollenfach und Image als Schauspieler verliehen seinen Filmen einen gewissen "künstlerischen" 22 23

24 25 26 27

Erich Lüth, zit. in Zielinski 1981,34. Für eine Analyse anhand von Jud Süß s. den Beitrag von Zielinski und Maurer in Kniiii u.a. 1983, insbes. 33-39 und 52-56. Schäfer 1982,131. S. Schäfer 1982,123-5. Albrecht 1969,408. Albrecht 1969, 408.

62 Nimbus.28 Er war vor allem auf die Darstellung historischer Figuren und VaterRollen spezialisiert. Bereits in Jugend und iaJud Süß hatte er bei Harlan mitgespielt. Auch Kurt Meisel, der Toni spielt, war in erster Linie als Theaterschauspieler bekannt. Die anderen Rollen im Film sind eher als Nebenrollen anzusehen. Die Nebendarsteller/innen haben natürlich auch zur Gesamtwirkung des Films beigetragen, aber sie können nicht der Grund für die große Publikumsbeliebtheit des Films gewesen sein. Die Regie Die Regisseure spielten im allgemeinen nur eine untergeordnete Rolle im Studio-System des NS-Films, und die meisten blieben dem Publikum unbekannt. Veit Harlan war aber eine Ausnahme - er war einer der wenigen StarRegisseure.29 Gleich mit seinem ersten Film als Regisseur, Krach im Hinterhaus (1936), hatte er einen großen Erfolg beim Publikum. Er hat seine Karriere mit einer Serie von billigen, aber profitablen Filme fortgesetzt. Mit Der Herrscher schaffte er es 1937, die Regie für einen sogenannten Großfilm zu bekommen. Dieser Film, der das Prädikat "staatspolitisch und künstlerisch besonders wertvoll" bekam, zeigte seine politische Brauchbarkeit für das Regime, was für seine weitere Karriere förderlich war. Spätestens 1938 hatte er sich als Star-Regisseur etabliert: er war einer der besser bezahlten unter den Filmleuten, er bekam die "künstlerische Oberleitung" über seine Filme, die dann in der Werbung als "Veit-Harlan-Filme" angekündigt wurden, und er hatte ein eigenes, relativ konstantes Produktionsteam um sich aufgebaut, was die Schaffung von "Markenfilmen" erleichterte.30 Das "Erfolgsrezept" für Harlans spätere Filme hatte folgende Bestandteile: das bewährte Produktionsteam, die Verwendung literarischer Vorlagen, die Spezialisierung auf Melodramen und historische Spektakel mit melodramatischen Einlagen und Harlans eigener Filmstil. Seine wichtigsten Filme waren: Verwehte Spuren (1938), Die Reise nach Tilsit (1939), lud Süß (1940), Der große König (1942), Die goldene Stadt (1942), Immensee (1943), Opfergang (1944) und zuletzt Kolberg (1945). Seit Die goldene Stadt drehte Harlan nur noch in Farbe; er führte bei vier von den insgesamt neun deutschen Farbfilmen bis 1945 die Regie. Auch die Produktionsbudgets, die er zugeteilt bekam, zeigen das Zutrauen, das die Firmen und das Ministerium ihm entgegenbrachten. Mit Jud Süß zeigte er, daß er eine Großproduktion mit propagandistischer Zielrichtung durchaus zum Kassenschlager machen konnte. Schon für Der große König bekam er enorme Mittel zur Verfügung gestellt. 28 29 30

S. Oertel 1941,283. S. Zielinski 1981, der Harlans Karriere umfassend und detailliert darstellt. Zielinski 1981,22-4.

63 Kolberg, der 8,5 Millionen RM kostete und 187000 Soldaten als Statisten in Schlachtszenen beschäftigte, sprengte dann völlig den normalen Rahmen der Filmproduktion. Dieses Projekt erscheint um so grotesker, wenn man die Wirklichkeit kurz vor Kriegsende bedenkt. Harlans Filme sind von einer Art extremer Mittelmäßigkeit gekennzeichnet, obwohl, oder vielleicht gerade, weil sie zum Teil zu den Renommierprojekten des NS-Films gehören. Das heißt nicht, daß Harlan keinen eigenen Stil hatte seine Filme sind sogar recht leicht an ihrer Machart zu erkennen -, sondern, daß dieser Stil einem Destillat aus den Klischees und Konventionen der damaligen Filmgestaltung gleichkommt. Harlan drehte mit Vorliebe Melodramen und historische "Schinken", in denen er seinem Hang zur Maßlosigkeit, sei es in schweren dramatischen Effekten oder in riesigen Massenszenen, vollen Lauf lassen konnte. Wenn man seine Filme aus kritischer Distanz anschaut, wirken sie plump, überdeutlich und stereotypisiert. Im Kontext der Zeit und des allgemeinen Standes der damaligen Filmgestaltung in Deutschland waren sie aber sehr effektiv. Auch wo Harlan durchaus Originalität und Innovation zeigte, etwa im Einsatz von schnellen und harten Schnittfolgen, war dies seinen schwerfälligen emotionalen Wirkungsabsichten untergeordnet. Nur wenige Filmemacher im Nationalsozialismus setzten auf subtilere Wirkungen. Harlans Tendenz zum plumpen Pathos ist charakteristisch für die dominante Richtung in ernsten Filmen in der NS-Zeit. Witte schreibt: "Harlans spezifische Dienstleistungen fürs Dritte Reich waren seine schweren Melodramen, die er mit bombastischen Effekten, sinfonischer Musik und breiten Massenszenen inszenierte. Sein Kunstideal war Gigantismus [...]."31 Harlans Regie zeigt alles andere als eine leichte Hand. In der Verwendung von Musik ist das besonders auffällig; es gibt keine dramatische Stelle in den Filmen, die nicht durch einen massiven Musikeinsatz unterstrichen ist. Den Spannungsbogen eines Films könnte man mühelos allein durch Abhören des Musik-Tracks bestimmen. Nicht nur die Dramatik, sondern auch die gedachte Bedeutung des Films wird durch Musik noch dem unaufmerksamsten Zuschauer nähergebracht. Überdeutlichkeit beherrscht Harlans Filme: So gut wie nie wird etwas nur gezeigt, sondern es wird stets auch im Dialog ausgesprochen und zusätzlich durch Musik betont. Obwohl Harlan unbestreitbar ein beträchtliches technisches Können besaß, hat er es benutzt, um pathetische Filme voll ideologisch wirksamer Stereotypen zu inszenieren. Man könnte aus ästhetischen Überlegungen Harlans Filme leicht verdammen. Denn sie sind sentimental, kitschig, überladen und klischeehaft. Solche Kritik hilft aber nicht, die Gründe für die Massenwirksamkeit der Filme herauszufinden. Harlans Filme waren ausgesprochen wirksam, soweit man das heute 31

Witte 1980,150.

64 noch beurteilen kann. Sie erreichten ein großes Publikum und Dokumente über die Rezeption zeugen von ihrer emotionalen Wirksamkeit.32 Die ausgeprägte Mittelmäßigkeit von Harlans Filmen traf offenbar auf die Bedürfnisse breiter Publikumsschichten. Seine oft etwas grelle Gefühlsbeschwörung bewegte wirkliche Gefühle und Bedürfnisse der Menschen.

Farbe Daß Die goldene Stadt in Farbe gedreht worden ist, hat dem Film bestimmt zum Erfolg geholfen. Einige Farbfilme wurden schon vorher in deutschen Kinos gezeigt. Werbefilme und Kulturfilme in Farbe hat es recht früh gegeben; einige amerikanische Technicolorfilme liefen schon Ende der dreißiger Jahre in Deutschland. Der Marika-Rökk-Film Frauen sind doch bessere Diplomaten war als erster deutscher abendfüllender Spielfilm in Farbe schon 1941 herausgekommen. Er war der erfolgreichste Film des Jahres,33 was anders als durch die Farbe kaum zu erklären ist. Als zweiter deutscher langer Spielfilm hat Die goldene Stadt noch vom relativen Neuheitswert des Farbfilms profitiert. Wichtig ist nicht nur, daß der Film in Farbe war, sondern wie Harlan die Farbgestaltung einsetzte. Im Vergleich zu Frauen... machen sich technische Fortschritte und vor allem Harlans wirkungsvollere Farbdramaturgie bemerkbar. Insbesondere die Außenaufnahmen, die die Natur und auch die Stadt Prag romantisch, wenn auch etwas kitschig, in voller Farbenpracht erstrahlen lassen, waren effektiv. Der dadurch erhöhte Schauwert des Films wird nicht wenig zur Intensität der Gesamtwirkung beigesteuert haben.

Musik Die Musik untermalt die Handlung, erzielt dramatische Effekte und verstärkt die emotionale Wirkung wesentlich. Harlan schreibt: "Die Musik hat in meinen Filmen stets zur Dramaturgie gehört, was bei diesem Film besonders zutage trat."34 Die Musik ist aber bei Harlan, wie beim Erzählkino überhaupt, eher ein Bedeutungsträger zweiter Ordnung, der die Dramatik, die in der Handlung und den thematischen Konflikten angelegt ist, unterstützt und emotionalisiert. Sie übt eine andere Funktion aus als z.B. die Musik in Zarah-Leander-Filmen, wo die Lieder eine eigenständige Funktion haben und vielleicht genauso zum Erfolg beigetragen haben wie die anderen Elemente des Films. In Die goldene 32 33 34

S. Albrecht 1979, 203-206,216. Albrecht 1985,40-1. Harlan 1966,147-8.

65 Stadt ist die Musik zwar effektiv, aber sie spielt nur eine sekundäre, verstärkende Rolle. Popularität und Wirkung Fest steht, daß Die goldene Stadt ein sehr populärer Film war. Die Attraktivität des Stars, Kristina Söderbaum, und insgesamt des "Markennamens" eines Harlan-Söderbaum-Films, begründet einen Teil dieser Popularität. Auch der Inhalt des Films hat einen entscheidenden Anteil an seiner Wirkung aufs Publikum. Welche Elemente des Inhalts waren dabei wichtig? Wie sind sie im Hinblick auf ideologische Wirkungen des Films einzuschätzen? Der Film hat offensichtlich den Wünschen vieler Kinobesucher entsprochen. Welche Wünsche waren das, und wie ging der Film damit um? Das sind einige der Hauptfragen für die weitere Untersuchung. Zuerst möchte ich aber im nächsten Teil zeigen, wie die Forschung den Film eingeschätzt hat.

4.4. Propaganda und Ideologie 4.4.1. Standpunkte der Forschung Allgemeine Einschätzungen Die Einschätzungen des politischen und ideologischen Inhalts von Die goldene Stadt gehen zum Teil recht weit auseinander. In einem Gutachten aus dem Jahre 1953 findet Prof. Walter Hagemann den Film moralisch sowie in Hinblick auf die Themen "Blut und Boden" und "Deutsche und Tschechen" unbedenklich.35 Albrecht klassifiziert den Film unter die Kategorie der "E-Filme", also der ernsten, nichtpolitischen Filme, wobei ein latenter ideologischer Inhalt ausdrücklich nicht ausgeschlossen ist.36 Solche latenten, aber auch durchaus manifesten Elemente einer Nazi-Ideologie finden die meisten anderen Autoren. Einige mildern dabei ihr Urteil etwas ab, indem sie einräumen, daß der Film vom Publikum nicht unbedingt politisch verstanden wurde. So Courtade und Cadars, die schreiben, Die goldene Stadt sei als "Schicksalsdrama" und nicht politisch gesehen worden.37 Auch Krusche erwähnt, daß der Film zu seiner Entstehungszeit als "unpolitisch" verstanden worden ist, ergänzt aber, daß er 35 36 37

Hagemann 1953. Albrecht 1969,108. Courtade/Cadars 1975,264.

66 "unterschwellig wenn nicht politisch, so doch weltanschauliches Gedankengut verbreitet".38 Ideologische Elemente Die ideologischen Elemente, die häufig in Die goldene Stadt identifiziert werden, lassen sich in drei Komplexe trennen: anti-tschechische Propaganda, Blut-und-Boden-Ideen und frauenfeindliche Ideologie. Auf eine Form latenter anti-tschechischer Ideologe weist Witte, wenn er schreibt, daß der Film "im Kontext seiner Zeit als ein wenngleich subkutan wirkender Beitrag zur Rassenpolitik gelesen werden" müsse.39 Diese Einschätzung bezieht sich auf eine Äußerung von Goebbels, über die Harlan in seiner Autobiographie berichtet. Harlan schreibt, er habe geplant, den Film (im Gegensatz zum Stück von Billinger) mit dem Tod vom Vater und nicht von Anna enden zu lassen. Goebbels habe die Veränderung dieses Schlusses befohlen, obwohl sie mit Kosten von 180 000 RM für zusätzliche Dreharbeiten verbunden war, da er fand, als Strafe für ihre "Blutschande" müsse Anna sterben. Es sei untragbar, daß sie weiterlebe, um einen "Tschechenbalg" (Goebbels) als Hoferben in die Welt zu setzen.40 Verschiedene Kritiker sehen den Rassismus im Film nicht auf solche "Rassenschande"-Begriffe begrenzt, sondern in einer insgesamt diffamierenden Darstellung der Tschechen.41 Für Courtade und Cadars werden z.B. die tschechischen Figuren im Film als "haltlos", "lüstern" und "grausam" dargestellt, so daß sie "den Fremdenhaß geradezu herausfordern]". 42 Weiterhin finden fast alle Kritiker Elemente einer völkischen "Blut-undBoden"-Ideologie. Eine krasse Gegenüberstellung von Stadt und Land und ein nazistisch geformter Heimatbegriff seien Ausdrücke eines solchen NS-Gedankenguts.43 Der Film entwerfe ein durchaus negatives Bild von der Großstadt und den Menschen dort: "Der Mythos von 'Blut und Boden' bestimmt der Film; den kernigen Bauern stehen zwielichtige Städter gegenüber [,..]."44 "Prague in general, though its architectural beauty is stressed, is represented as a web of intrigue and sensuality, one of the clearest examples of what Goebbels called 38 39 40

41 42 43 44

Krusche 1982,214. Witte 1980,159. Harlan 1966, 148-9. In einer Tagebucheintragung von Goebbels hieß es: "Mit Harlan habe ich eine Aussprache über die Neugestaltung des Schlusses bei dem Film 'Die goldene Stadt'. Wir einigten uns auf eine konsequente Durchführung des Problems... Harlan ist mit meinem Entschluß sehr einverstanden." (Zit. in Albrecht 1969, 38). S. Courtade/Cadars 1975, 263, Petley 1979,133, Krusche 1982,214. Courtade/Cadars 1975,213. Krusche 1982, Petley 1979, Courtade/Cadars 1975, Romani 1982. Krusche 1982,214.

67 the 'asphalt culture'."45 Der Film sollte den Zuschauern den Wert der bäuerlichen Heimat als positiven Gegensatz zur verdorbenen Stadt beibringen. So sei er gegen die "Landflucht" gerichtet.46 Zur intendierten Wirkung des Films schreibt Romani: "Wieder zeigt sich eine klare Metapher: Anna verdient Strafe, weil sie ihre Heimat verlassen hat."47 Harlan erzählt dazu, daß Goebbels auf einem zusätzlichen "politischen Dreh" am Schluß des Films bestanden habe, um den Wert der Heimat zu betonen. Die Hauptfigur sollte vor ihrem Selbstmord deklamieren: "Ich habe meine Heimat zuwenig geliebt und muß deshalb sterben." Harlan habe diesen Satz etwas abgeschwächt und die Zuschauer haben ihn sowieso nicht beachtet.48 Trotz Harlans Ausrede sehen die meisten Kritiker hier eine zentrale propagandistische Aussage des Films. Petley und Romani entdecken im Film eine frauenfeindliche Ideologie, die mit den konservativen "Blut-und Boden"-Werten zusammenhängt. Der Film betone gleichermaßen die Gebundenheit an die Scholle und an traditionelle Geschlechterrollen. "Her death is quite clearly an indication of the fate which women who step outside their traditional role can expect."49

4.4.2. Vorbehalte und Ergänzungen Das Bild, das die Literatur vom Film Die goldene Stadt und von seinem ideologischen Gehalt entwirft, bleibt zu vereinfachend und undifferenziert. Bei manchen Autoren resultiert das aus Unkenntnis des Films und einer ungenauen Arbeitsweise. Bei anderen Beiträgen verhindert der begrenzte Kontext in einem Lexikonartikel oder in einer allgemeinen Filmgeschichte ein tieferes Eingehen auf den Film. Ein allgemeineres Problem ist der stark eingeschränkte Begriff der Ideologie, der fast allen Interpretationen - implizit oder explizit - zugrunde liegt und damit die Reichweite von vornherein auf explizite politische Propaganda begrenzt. Wenn wir jetzt noch einmal die drei ideologischen Inhalte durchgehen, können wir sie näher überprüfen und Fragen für die weitere Untersuchung stellen.

45 46 47 48 49

Petley 1979,133. Drewniak 1987,669. Romani 1982,98. Harlan 1966,152. Petley 1979,134.

68 Nationalismus Der Nationalismus und der anti-tschechische "Rassismus" (nach der Nazi-Definition von Rasse) stehen nicht so sehr im Mittelpunkt des Films, wie es nach der Literatur erscheinen könnte, sondern sie sind eher nebenbei eingeflochten. Im heutigen Kontext fallen antitschechische Elemente so gut wie gar nicht auf. Die Nationalität der Figuren ist nicht eindeutig, und die Gegenüberstellung von Deutschen und Tschechen ist überlagert vom vordergründigen Kontrast zwischen individuellen Charaktereigenschaften oder zwischen Stadt und Land. Auch damals wird der Nationalismus eher im Hintergrund gestanden haben. In den Filmbesprechungen wird ein Konflikt zwischen Nationalitäten nicht erwähnt. Da wird Toni als Verführer, Tunichtgut, Lebemann etc. beschrieben, nicht aber als Tscheche. Die Tante wird zwar einmal als Skizze einer "geradezu bezaubernd ordinären Böhmakin" erwähnt,50 aber auch als "echt wienerisch".51 Hagemann berichtet, daß die Trennung nach Nationalitäten im Film undeutlich sei und das Publikum nicht berührt habe - auch haben "hunderttausende von Tschechen diesen Film mit Genuß und lebhafter Zustimmung gesehen".52 Dagegen gibt es aber Belege dafür, daß der Film zum Teil klar anti-slawisch rezipiert worden ist.53 Der Rassismus im Film ist wahrscheinlich eher ein Zusatzangebot gewesen, das die Zuschauer und Zuschauerinnen wahrnehmen konnten oder auch nicht, je nach ideologischer Voreinstellung. Gerade solche unauffälligen, "subkutane [n]" (Witte) Wirkungen können aber effektiver gewesen sein als offensichtliche Propaganda. Hinzu kommt, daß die offizielle NSPolitik nach außen nur begrenzt eine offene anti-tschechische Linie verfolgte. Das von politischen und SS-Stellen formulierte Ziel war "die restlose Germanisierung von Raum und Menschen" in der Tschechoslowakei.54 Da eine totale Aussiedlung oder "Ausmerzung" der Tschechen nicht praktisch durchführbar war, und da eine "rassische Niveaugleichheit von Millionen Tschechen mit den Deutschen" angenommen wurde,55 sollten viele Tschechen "eingedeutscht" oder "assimiliert" werden. Bei denjenigen, gegen die "rassische Bedenken" bestanden oder die "reichsfeindlich" eingestellt waren, hieß es allerdings: "Diese Kategorie sei auszumerzen."56 Eine pauschale anti-tschechische Propaganda wäre gar nicht im Sinne des Regimes gewesen - sondern es sollte, laut Heydrich, so getan werden, als würden alle Tschechen eingedeutscht.57 Grund 50 51 52 53 54 55 56 57

Skasa-Weiß 1942. Kreuter oJ. Hagemann 1953, 2. Wulf 1983,351. Zit. nach Karaifiski Zit. nach Kamiiiski Zit. nach Kamiiiski Zit. nach Kamifiski

1975,160. 1975,161. 1975,163. 1975,176-7.

69 dafür waren taktische Überlegungen, um die Arbeitsmoral der Tschechen zu erhalten und keinen zusätzlichen Widerstand zu erwekken. Daher wird auch im Film kein simpler, pauschaler Rassismus gegen Tschechen geschürt, sondern auf indirektere, differenziertere Wirkungen gesetzt. Bei den Figuren wird eine ganze Werteskala von Eigenschaften aufgezeigt, die dann mit unterschiedlichen Gruppen assoziiert werden können. Dadurch wirkt der Film glaubwürdiger und akzeptabler als eine krasse Schwarz-Weiß-Malerei und er paßt besser zur politischen Linie der Trennung in "wertvolle" und "wertlose" Teile der tschechischen Bevölkerung.

Blut und Boden Die Einordnung des Films unter die Kategorie "Blut-und-Boden"-Ideologie basiert hauptsächlich auf zwei Faktoren: Eine krasse Schwarz-Weiß-Zeichnung von Stadt und Land beherrsche den Film, und Annas Tod sei klar als Strafe für ihre "Landflucht" zu verstehen. Bei genauerer Betrachtung zeigt sich, daß die Ideologie im Film wesentlich komplizierter ist. Der Kontrast zwischen Stadt und Land, obwohl im Film vorhanden, ist nicht so scharf, wie bisher dargestellt. Diese binäre Polarität löst sich bei etwas genauerem Hinsehen in ein ganzes Spektrum verschiedener Möglichkeiten auf. Keineswegs wird nur "der heilen bäuerlichen Welt die verwirrende Hetze der Großstadt" gegenübergestellt, wie Courtade und Cadars es sehen wollen.58 Weder ist die ländliche Welt ganz so heil, noch die Stadt so einseitig negativ dargestellt. In den Bildern fehlt "die Hetze der Großstadt" fast völlig (vergleicht man dazu die Darstellungen der Großstadt in den Filmen der zwanziger Jahre, erscheint Harlans Prag dagegen als ruhiges Dorf). Die Aufnahmen von Prag betonen die Schönheit und den historischen Charakter der Stadt. Schöne sonnige Bilder vom Hradschin und Dom, malerische Ansichten von der Stadt und der Moldau, dazu noch in Farbe, sind kaum geeignet, "Asphaltkultur" zu denunzieren. Vielmehr ästhetisieren sie die Stadt genauso wie Harlans Naturaufnahmen das Landleben verschönern. Die Möglichkeit, fremde Landschaften und Städte attraktiv dargestellt zu sehen, machte in der Zeit vor dem Massentourismus den Hauptreiz vieler Kulturfilme und einen zusätzlichen Reiz von manchen Spielfilmen wie diesem aus. Die Gegenüberstellung von Stadt und Land ist eher in den Figuren zu sehen, aber auch hier nicht eindeutig. Es gibt positive Figuren unter den Städtern, und negative unter der Landbevölkerung. Das könnte zwar eine nur taktische Zurückhaltung sein, um den Film glaubwürdiger wirken zu lassen, 58

Courtade/Cadars 1975, 263.

70 ohne die Grundtendenz erheblich zu ändern. Der Reichsfilmintendant Hippler empfahl "eine vernünftig dosierte Schwarzweißzeichnung" in Filmen.59 Er bemerkte, es "wirkte in der letzten Zeit nichts lächerlicher und befremdender als etwa z.B. die Kontrastierung von biederen, treudeutschen Landmenschen und flatter- bis lasterhaften Stadtbewohnern."60 Das deutet aber darauf, daß die platte, einfache Art der "Blubo"-Ideologie, die ein enormes Aufleben in der Literatur und im Theater der dreißiger Jahre erlebt hatte, nicht mehr so ankam. Die goldene Stadt zeigt einen Wandel in der Blut-und-Boden-Thematik und wurde deshalb von den Vertretern der traditionellen völkischen Ideologie abgelehnt: Beim "Amt Rosenberg" hieß es, Die goldene Stadt sei "vom VolkstumsStandpunkt aus unbedingt gefährlich und daher trotz scheinbarer positiver Züge in seiner Grundhaltung von uns abzulehnen."61 In Die goldene Stadt werden einige Figuren karikaturenhaft dargestellt, vor allem Toni und die Tante; aber es gibt auch Figuren, die dem entgegenwirken. Leidwein, obwohl er aus der Stadt kommt, ist positiv dargestellt und steht sogar fast als Modellfigur da ("der junge, tüchtige Mensch von heute [...], zielbewußt und verläßlich, klug und sachlich und von gewinnender Herzlichkeit").62 Er ist als Synthese oder als "Bindeglied" zwischen Stadt und Land einzuordnen,63 paßt also nicht in eine starre Gegenüberstellung. Auch die "bösen" Stadtmenschen sind es nicht ausschließlich. Sogar Toni verfügt, neben all seinen "schlimmen" Eigenschaften, über etwas Charme. Die negativen Eigenschaften der Figuren haben nicht ausschließlich oder primär mit der Stadt zu tun, sondern zeigen sich in Egoismus, Kälte, Gier etc. Wie diese primären Eigenschaften im Film entwickelt werden und wie sie mit dem sekundären Bedeutungssystem "StadtLand" verknüpft werden, muß in der Filmanalyse noch näher untersucht werden. Der "kernige Bauer" Jobst, der das traditionelle Landleben am deutlichsten verkörpert, ist auch keine ungebrochen positive Figur. Seine insgesamt sympathisch gezeichnete Rolle wird relativiert durch Sturheit, Unflexibilität und übertriebene Strenge, besonders da Anna als zentrale Identifikationsfigur darunter leiden muß. Letztlich ist es seine Haltung, die Anna in den Selbstmord treibt. Das wurde auch zur Entstehungszeit des Films so gesehen; Ilse Wehner, die Hauptschriftleiterin der Zeitschrift Der deutsche Film, schreibt, daß nicht die Stadtmenschen verantwortlich seien, sondern der Vater, "der in übertriebener Strenge und Ängstlichkeit seine Tochter mit Gewalt halten will", sei an ihrem Zugrundegehen schuld.64 59 60 61 62 63 64

Hippler 1943,94. Hippler 1943,93. Zit. nach Drewniak 1983, 223. Kreuter oJ. Wehner 1943,19. Wehner 1943,19.

71 Annas "Landflucht", die Goebbels bestraft haben wollte, ist ebenfalls nicht eindeutig zu bewerten. Das Verlassen der ländlichen Heimat allein bringt noch nicht das Verderben, wie am Gegenbeispiel Julie gezeigt wird, die auch vom Bauernhof in die Stadt zieht. Im Gegensatz zu Anna hat sie dort einen ordentlichen Verlobten, der sie heiraten will. Julies "Landflucht" ist durchaus positiv codiert und steht als Kontrastmotiv zu Annas Situation im Film. Die ideologische Position des Films ist komplexer als eine einfache völkisch-reaktionäre Version von "Blut-und-Boden". Vielmehr relativiert und revidiert der Film diese Ideologie in einigen Punkten. Wie er das tut, und weshalb das so ist, will ich in der Filmanalyse untersuchen.

Frauenfeindlichkeit Daß Die goldene Stadt anti-feministische Gedanken propagiert, ist kaum erstaunlich. Das tat, mehr oder minder stark, fast jeder Film zu der Zeit (und nicht nur in Deutschland). Es käme jetzt darauf an, festzustellen, wie der Film das macht und genau welche Frauenrolle er festlegt. Auch in dieser Hinsicht war der Nationalsozialismus nicht ganz homogen, sondern zeigte Divergenzen im Frauenbild. Die reaktionäre Einschränkung der Frauenrolle auf Mutterschaft ließ sich nicht in allen Teilen der Gesellschaft durchsetzen. Die Ideologie mußte sich an die praktischen historischen Gegebenheiten anpassen, z.B. an den erforderlichen massenhaften Einsatz von Frauen in der Kriegswirtschaft. Die Frauenrolle mußte sich ständig wandeln und sich auf die soziale Wirklichkeit neu einstellen.65 Die Ideologie mußte zwischen möglichen Positionen vermitteln und einen Ausgleich zwischen Erfordernissen der Herrschaft und davon abweichenden Wünschen der Menschen schaffen. Es reichte z.B. nicht, eine bestimmte Art Frauenrolle im Film vorzuführen; sie mußte, wenn sie wirken sollte, den Zuschauern und Zuschauerinnen auch schmackhaft gemacht und emotional nahegebracht werden. Die ideologischen Strategien, die Frauen dazu bringen konnten, sich traditionellen oder reaktionären Rollen unterordnen zu wollen, wären am Film herauszuarbeiten. Eine nur inhaltlich orientierte Kritik des Films kann sie nicht aufzeigen.

Erweiterte Fragestellung Dieser Einwand gilt nicht nur für Bestimmungen der Frauenrolle, sondern für alle Aspekte der Ideologie. Inhaltliche Elemente des Nazi-Gedankenguts im Film aufzuzeigen, kann nur ein erster Schritt sein. Will man wissen, wie und 65

S. Ellwanger/Warth 1985.

72 weshalb diese Ideologie funktionierte, muß man alle ideologischen Strategien des Films untersuchen. Solche mehr oder minder spezifisch nazistischen Ideologien existieren nicht für sich allein, sondern sie sind eingebettet in die Formen und Inhalte der ganz "normalen" Ideologie. Welche anderen ideologischen Ebenen lassen sich in NS-Filmen finden, und wie bilden sie eine Grundlage für politische Wirkungen? Wie sind diese verschiedenen "politischen" und "unpolitischen" Ebenen miteinander vermittelt? Wie wird Ideologie emotional wirksam? Welche persönlichen Wünsche, Vorstellungen und Gefühle aktiviert sie, und was macht sie damit? Das sind Fragen, die mich im weiteren Verlauf der Arbeit beschäftigen werden.

4.5. Ideologie 4.5.1. Ideologische Regulation Eine genauere Betrachtung der verschiedenen Aspekte der Blut-und-BodenIdeologie im Film hat mehr Fragen aufgeworfen, als Erklärungen geliefert. Betrachtungen des Films unter dem Gesichtspunkt der Propaganda können nicht überzeugend erklären, warum die Zuschauer sich manipulieren lassen sollen. Warum sollten sie falsche Ideen, die gegen ihre eigentlichen Interessen gerichtet sind, annehmen? Die in Kapitel II entwickelte Bestimmung der Ideologie soll hier weiterhelfen. Es gilt zu klären, wie der Film ideologische Probleme und Widersprüche ausarbeitet, wie er Wünsche "managt", wie diese Prozesse im Text zu finden sind, und welche Wirkungen sie gehabt haben können. Die Prozesse, die ich ideologische Arbeit genannt habe, finden sowohl im größeren Kontext der gesellschaftlichen Diskurse als auch in spezifischen Ausprägungen in den individuellen Filmen statt. Bei der Analyse von Die goldene Stadt wird es darum gehen, diese Prozesse in der Erzählung und der Handlungsstruktur des Films aufzuzeigen. Zunächst muß aber allgemein bestimmt werden, welche Mechanismen eine Rolle bei der Verarbeitung von ideologischen Konflikten spielen.

4.5.2. Ideologische Arbeit Diese Regulationsmechanismen oder Umleitungsprozesse nenne ich hier die ideologische Arbeit des Textes.66 Einerseits ist ein Text das Produkt der gesell66

Ich benutze hier den Ausdruck "Text", denn diese ideologischen Mechanismen lassen sich nicht nur in Filmen, sondern auch in literarischen Texten und jeder Art von Erzählung

73 schaftlichen Arbeit an ideologischen Problemen, andererseits "arbeitet" der Text selbst, indem er auf die Rezipienten wirkt. Text und Kontext Als Arbeitsprodukt oder "geronnene" menschliche Arbeit (Marx) ist der Text bereits mehrfach bestimmt. Er ist Produkt des Autors bzw. des Produktionsteams und zugleich Produkt aller Faktoren, die durch den Autor hindurch arbeiten (Familie und Sozialisation, ideologische und kulturelle Strukturen und Traditionen, die ihrerseits Resultat und Teil geschichtlicher Prozesse sind, die zum Teil seit Jahrtausenden schon andauern).67 Als Produkt eines Autors ist ein Text zugleich indirekt Produkt der Geschichte, Gesellschaft, Kultur u.s.w., die den Autor mitproduziert haben. So ist die ideologische Arbeit im Text Teil der gesellschaftlichen Auseinandersetzung mit Sinnfragen und kulturellen Konflikten. Sie ist Symptom oder Dokument der Probleme, die kulturell nicht geklärt sind. In diesem Sinn interessiert uns ein Film als eine Momentaufnahme aus den ständig laufenden ideologischen Prozessen, als Kristallisationspunkt gesellschaftlicher Sinngebung. Jeder Text steht in Beziehung zu verschiedenen Ebenen oder Teilen der gesamtgesellschaftlichen ideologischen Systeme. Er hat u.a. eine politische, eine emotionale, eine sexuelle Bedeutung, die alle miteinander verflochten sind. Die allgemeinen ideologischen Systeme bilden Strukturen, die den Rahmen für jede konkrete ideologische Äußerung geben. Sie sind aber keine universalen, unveränderlichen Strukturen, sondern historisch, offen, dynamisch, "in Arbeit". Diese Strukturen sind die geronnene kulturelle oder ideologische Arbeit der bisherigen Gesellschaftsentwicklung. Sie bilden implizite Regelsysteme, diskursive Strategien und Bedeutungssysteme, die gesellschaftliche Kommunikation (teilweise unbewußt) formen. Sie sind für die gesamte Kultur so etwas wie die langue für die Sprache (aber diffuser, offener, in sich heterogener). Hier interessiert hauptsächlich, wie diese Strukturen sich in der ideologischen Arbeit im Film äußern (in der Umlenkung, Verdrängung, Verknüpfung - wenn man will, Manipulation - von Bedeutungen).

67

finden. Mit dem "Filmtext" meine ich nicht etwa das Drehbuch oder den gesprochenen Text, sondern den gesamten Film als ein System von Bedeutungen (die ja nicht nur durch Worte, sondern auch durch Bilder, Montage, Musik, Gestik, Beleuchtung, Kostüme etc. produziert werden). Vgl. den Geschichtsbegriff bei Kluge 1979, Negt/Kluge 1981.

74 Rezeption Der Film ist nicht nur ein Produkt, sondern er wird erst in der Rezeption realisiert und wirkt dann aktiv auf die Zuschauer und Zuschauerinnen. Der Text strukturiert die Rezeption vor, aber er kann sie nie völlig bestimmen. Ein vereinfachtes, mechanisches Verständnis der Rezeption, das sie zum einfachen Reflex des Texts, des Systems oder der Apparatur macht, ist ein Problem nicht nur bei den Manipulationstheorien der Massenkultur, sondern auch bei einigen sonst sehr wichtigen Ansätzen in der Filmtheorie (vor allem bei Mulvey und Baudry). Die Bedeutungen eines Films sind immer nur Sinn- und Bedeutungsangebote des Textes, die im "Kino im Kopf' (Kluge) des Zuschauers sehr unterschiedlich realisiert werden können. Die tatsächliche Rezeption der Filme im Nationalsozialismus ist empirisch nur äußert begrenzt rekonstruierbar. Deshalb muß man notgedrungen von der Textinterpretation ausgehen, um auf mögliche ideologische Wirkungen zu schließen. Herauszufinden ist, wie der Text sein Verständnis vorstrukturiert, Bedeutungen aufbaut und verknüpft, Sinnangebote macht und Wünsche umleitet. Man muß sich aber auch fragen, wo Ambivalenzen, offene Stellen und Möglichkeiten für einen anderen Gebrauch bleiben. Wie manipuliert der Film, welche utopischen Impulse aktiviert er und wie geht der Prozeß der ideologischen Umarbeitung im Text vor sich?

4.5.3. Mechanismen der ideologischen Arbeit Die ideologische Arbeit zielt auf eine Reduktion von Widersprüchen. Das können Widersprüche zwischen Wünschen oder utopischen Impulsen und ihrer Hemmung durch die gegebenen kulturellen Regeln sein. Es können aber auch interne Widersprüche im ideologischen System oder zwischen widerstreitenden Teilen der Kultur und Gesellschaft sein. Diese Funktionsbestimmung weist auf zwei Theorien zurück, die helfen können, die ideologischen Mechanismen genauer festzustellen. Sowohl die Freudsche Psychoanalyse wie auch der Strukturalismus (vor allem Lévi-Strauss' Analyse der Mythologie) zeigen, wie die Diskurse, die sie untersuchen, Konflikte symbolisch regulieren, indem sie Kompromisse ausarbeiten. Beide versuchen, Texte oder Erzählungen (verstanden im weitesten Sinn) zu erklären, indem sie tiefliegende latente Strukturen aufzeigen, die diese manifesten Texte generieren.

75 Verdrängung, Verdichtung, Verschiebung Die Beschreibung der Funktion und Funktionsweise der unbewußten Mechanismen, die Freud in der Traumarbeit, in Neurosen und auch in Witzen und Fehlleistungen entdeckte, läßt sich auf die Ideologie übertragen. Die Traumarbeit handelt einen Kompromiß zwischen Trieben und Wünschen auf der einen Seite und der "Zensurinstanz" (internalisierten Vorstellungen und Verboten = "Über-ich") auf der anderen Seite aus. So schafft sie dem Wunsch einen Ausdruck, auch wenn er dabei nicht zu seinem rechten Ziel kommt.68 Dies geschieht in Form von symbolischen Transformationen, insbesondere Verdichtung und Verschiebung. Ein weiterer zentraler Begriff ist der der Verdrängung, hier verstanden als der Ausschluß einer Vorstellung vom Bewußtsein. Unter dem Druck der Verdrängung werden unbewußte Vorstellungen durch die Traumarbeit verstellt, damit sie zu einem Ausdruck gelangen können.69 Verdichtung und Verschiebung sind zwei zentrale Formen der unbewußten Vorgänge, die Freud zuerst in der Traumdeutung isolierte. Durch die Verdichtung entsteht die Knappheit und zugleich die Bedeutungsvielfalt des manifesten Traums, denn jedes Element des Traums drückt mehrere latente Traumgedanken gleichzeitig aus. So können die Traumelemente "also Knotenpunkte darstellen, in denen sehr viele der Traumgedanken zusammentreffen, weil sie mit Bezug auf die Traumdeutung vieldeutig sind."70 Die Verschiebung bezeichnet die Übertragung der emotionalen Intensität einer von der Zensur verdrängten Vorstellung auf eine andere, an sich neutrale und gleichgültige Vorstellung. Diese zweite Vorstellung vertritt dann im manifesten Traum die erste, die weiterhin unbewußt gehalten wird. Ein Teil der "psychischen Intensität" der verbotenen Vorstellung geht auf die zweite über.71 Lacan führt die Freudschen Begriffe weiter und setzt Verschiebung mit Metonymie und Verdichtung mit Metapher gleicht, um eine Analogie zwischen den unbewußten Mechanismen und der symbolischen Struktur der Sprache herzustellen. Demnach ist das Unbewußte durch sprach-ähnliche intersubjektive Strukturen mitdeterminiert.72 Meine Arbeitshypothese ist, daß die gleichen Mechanismen auch die unbewußten symbolischen Handlungen auf gesellschaftlicher Ebene bestimmen. Die Funktion ist die gleiche: die Bildung von Kompromissen, in diesem Fall zwischen gesellschaftlichen Normen und utopischen Impulsen oder unerlaubten Wünschen, die die Gesellschaft nicht befriedigen kann oder die die Herrschafts68 69

70 71 72

Freud 1972,151-176. Für eine genauere und ausführlichere Aufteilung und Definition der Begriffe, s. Die Traumdeutung, Freud 1972, und die Aufsätze "Triebe und Triebschicksale" und "Die Verdrängung" in Freud 1982. Freud 1972, 286, s. auch Laplanche/Pontalis 1980, Bd. 2,580-2. Freud 1972,305-8. Lacan 1975,15-55, Laplanche/Pontalis 1980, Bd. 2,605.

76 strukturen bedrohen könnten. Auch die Funktionsweise ist gleich: die Verdrängung (dessen, was nicht denkbar oder aussprechbar ist) bzw. die Verdichtung und Verschiebung (die Substitution einer verbotenen Vorstellung durch eine erlaubte oder die Umarbeitung durch Kombination mit anderen Vorstellungen). Diese in der Psychoanalyse des Individuums entwickelten Begriffe auf kollektive, gesellschaftliche Phänomene zu übertragen, heißt nicht, daß man ein kollektives Unbewußtes nach Art von Jung oder ein transzendentales Subjekt postulieren muß.73 Lacans Neuformulierung von Freuds Theorie (vor allem sein Diktum, das Unbewußte sei strukturiert wie eine Sprache) deutet auf eine andere Lösung. Wenn das Unbewußte nicht Teil eines monadenhaften Individuums ist, sondern in sich schon intersubjektiv und kulturell bestimmt und in symbolischen Systemen eingeschrieben ist, dann ist es nur logisch, daß die gleichen Mechanismen im Unbewußten des Einzelnen und in den kollektiven Zeichensystemen zu finden sind. Die gleichen Mechanismen, die Freud im Traum und in den Neurosen fand, sind in kulturellen Diskursen (also auch in der Ideologie) aktiv. Das individuelle Subjekt (und auch sein unbewußter Anteil) wächst in eine vorgegebene Sprache und Kultur hinein, nimmt diese in sich auf, und kann sich selbst und seine Wünsche nur innerhalb dieses Diskurses artikulieren.

Der mythische Diskurs Wenn Verschiebung und Verdichtung Grundmechanismen der ideologischen und kulturellen Produktion sind, muß man noch herausfinden, wie sie sich in Texten niederschlagen oder äußern. Claude Lévi-Strauss entwickelt ein Modell mythischer Erzählung in "Die Struktur der Mythen", das ich auch in Zusammenhang mit der ideologischen Arbeit hilfreich finde. Lévi-Strauss lokalisiert Grundelemente der Bedeutung, die er "große konstitutive Einheiten" oder "Mytheme" nennt.74 Das sind "große" Einheiten, weil sie auf der Satz-Ebene zu finden sind, statt auf der Wort- oder Phoneme-Ebene. Er sieht diese Elemente in zwei Dimensionen organisiert. Die "diachronische" Dimension ist die der Handlung oder Erzählung, während die "synchronische" Dimension die logischen oder begrifflichen Beziehungen zwischen den Elementen angibt. Er nimmt als Beispiele den Ödipus-Mythos und Mythen der Zuni und analysiert sie, indem er sie in Tabellen so aufschreibt, daß sie, zeilenweise gelesen, die chronologische Handlung angeben, aber zugleich senkrechte Spalten bilden, die "Beziehungsbündel" zwischen den Mythemen zeigen und die logische Tiefen73 74

Vgl. Eckert 1985,428. Lévi-Strauss 1978,231.

77 struktur sichtbar machen.75 Die Spalten geben thematische Kategorien an, die im Laufe der Erzählung unterschiedlich realisiert oder konkret ausgefüllt werden. Die synchronische Dimension zeigt eine Tiefenstruktur auf, die die Erzählung generiert. Hier findet man bei Lévi-Strauss die Tendenz, die im Strukturalismus weit verbreitet ist, die menschlichen Subjekte auszuklammern und den Diskurs als Effekt universalisierter, unveränderlicher Strukturen darzustellen.76 Ich meine aber, daß man diesen Ansatz trotzdem im Rahmen einer historisierenden Kritik fruchtbar anwenden kann. Man muß diese Prämisse nur relativieren, indem man solche Strukturen nicht als ahistorische Fundamente des menschlichen Geistes, sondern als quasi-verselbständigte Produkte menschlicher Kulturarbeit - analog der Warenstruktur im Kapitalismus - versteht. Die Funktionsbestimmung der Mythologie bei Lévi-Strauss deutet, wenn auch nur vage, auf die Möglichkeit einer historischen Analyse und auf einen historischen Ursprung der Mythen. Er sieht in den Mythen eine Art, wie sich die Menschen gedanklich mit der Realität auseinandersetzen und versuchen, Widersprüche in den bestehenden Sinngebungen oder Welterklärungen zu lösen. Wenn das Objekt des Mythos ein logisches Modell liefern soll, um einen Widerspruch aufzulösen (eine unlösbare Aufgabe, wenn der Widerspruch real ist), wird eine theoretisch unendliche Anzahl von Blättern [d.h. Varianten eines Mythemes im einzelnen Mythos bzw. eines Mythos im Laufe der Zeit - S. L.] erzeugt, jedes vom vorhergehenden etwas abweichend. Der Mythos entwickelt sich spiralenförmig, bis die intellektuelle Triebkraft, die ihn in die Welt gesetzt hat, verbraucht ist.

Der Mythos versucht, einen Widerspruch zu lösen, indem er die gegensätzlichen Elemente durch andere, äquivalente ersetzt und zusätzliche Elemente als Vermittler dazwischenschaltet.78 So generiert die ursprüngliche Polarität eine Serie von Situationen, als Versuch, die Gegensätze allmählich aneinander anzugleichen oder aufzulösen. Die Mythologie hat dann die gleiche Funktion wie die ideologische Arbeit: die symbolische Verarbeitung von Konflikten oder Widersprüchen durch die Bildung von (imaginären) Kompromissen. So versprechen Teile von Lévi-Strauss' Methode als Modell für die ideologiekritische Analyse von Erzählungen fruchtbar zu sein. Einen Versuch in dieser Richtung hat Charles Eckert in einer Analyse des Films Marked Woman unternommen. Er schreibt: Two of Lévi-Strauss's insights are specially provokative: that a dilemma (or contradiction) stands at the heart of every living myth, and that this dilemma is expressed through layered pairs of opposites which are transformations of a primary pair. The impulse to construct the myth arises from the desire to resolve the dilemma; but the impossibility of resolving it leads to a crystal-like growth of the myth through which the dilemma is repeated, or conceived in

75 76 77 78

Lévi-Strauss 1978,232,235,243. S. Frank 1984,49-87. Lévi-Strauss 1978,253. Lévi-Strauss 1978,247.

78 new terms, or inverted - in short, subjected to intellectual operations that might resolve it or attenuate its force. 79

Man miisste aber präziser erklären können, wie solche Transformationen der Widersprüche vor sich gehen. Hier kommt man auf die Freudschen Begriffe zurück. Eckert nennt "condensation" (Verdichtung) und "displacement" (Verschiebung) als Beispiele solcher "intellectual operations",80 die einen latenten aber primären Konflikt (in seinem Beispiel: Klassengegensätze) in verschiedene indirekte und entschärfende Ausdrucksformen (ethische Probleme und regionale Gegensätze) oder "surrogate conflicts" umwandeln.81

Einwände gegen den Strukturalismus Dieser Ansatz ist aber nicht ganz unproblematisch, und Eckert selbst hat in einem Nachtrag zum Aufsatz die Anwendbarkeit von der L6vi-Strauss'schen Theorie auf Filme teilweise (und wie ich meine, sogar unnötig stark) in Frage gestellt. Da kritisiert er den Strukturbegriff als idealistisch, als eine Art "transzendentales Ich". Dem Strukturalismus ist von verschiedenen Seiten dieser Vorwurf gemacht worden.82 In seinen Bemühungen, das menschliche Subjekt auszuschalten (Althussers Anti-Humanismus wäre hier paradigmatisch), ersetzt der Strukturalismus es häufig durch einen abstrakten, ahistorischen Strukturbegriff, der dann als Subjekt der Geschichte oder der Textproduktion funktioniert. Um diesem Problem zu begegnen, muß man jedoch nicht gleich die Vorstellung von Tiefenstrukturen pauschal wegwerfen. Man muß sie historisieren und als vielfach vermittelte Ergebnisse menschlicher Praxis verstehen, statt als invariante Strukturen des menschlichen Geistes. Manche Probleme der strukturalistischen Filmanalyse resultieren aus dem Begriff einer geschlossenen und zentrierten Struktur, der dem Strukturalismus zugrunde liegt.83 In seiner Filminterpretation geht Eckert z.B. von einem unilinearen Verhältnis zwischen einem zentralen verstecken Kern (Klassenkampf) und seinen verstellten Ausdrücken im Film aus. So werden alle manifesten Elemente gewissermaßen entwertet, indem sie zu bloßen Erscheinungsformen eines einzigen Kerngedankens gemacht werden. Eine umfassendere Interpretation eines Films kann man erreichen, wenn man die Vorstellung einer zentralen Struktur durch ein Modell von mehrfachen, miteinander vermittelten Textebenen ersetzt, die dazu auch intertextuell vermittelt sind. So käme man zu einem 79 80 81

82 83

Eckert 1985,416-7. Eckert 1985,409. Eckert 1985, 424. Für andere Beispiele verwandter Ansätze s. Nichols 1981, 93-103, 1976, 493-529,1985,429-49. S. Frank 1984, 66-87. S. Frank 1984,76-87 und passim.

79 vollständigeren Modell der "Überdeterminierung" des Textes. Freud hat (trotz seiner manchmal reduktiven Tendenz, alles auf ödipale Beziehungen zurückführen zu wollen) ausdrücklich auf die Vieldeutigkeit der Traumarbeit hingewiesen: Nicht nur die Elemente des Traums sind durch die Traumgedanken mehrfach determiniert, sondern die einzelnen Traumgedanken sind auch im Traum durch mehrere Elemente vertreten. Von einem Element des Traums führt der Assoziationsweg zu mehreren Traumgedanken, von einem Traumgedanken zu mehreren Traumelementen.

Hier und auch in seinen Beispielen ist Freud doch weit entfernt von einer Interpretationsweise, die alles auf eine zentrale Bedeutung reduziert. Die Entdekkung immer tiefer liegender Bedeutungsebenen entwertet oder ersetzt die oberflächlicheren Bedeutungen nicht, sondern sie bilden zusammen eine Art Bedeutungsgeflecht.85

Intertextualität Wenn man vom Begriff des Textes als einem Bedeutungsgeflecht ausgeht und den strukturalistischen Ansatz erneut aufgreift, sieht man den Text nicht mehr als Ausdruck eines einzigen mythischen Kerns, sondern als Konglomerat von mehreren solchen Erzählungen auf verschiedenen Ebenen der Bedeutung, die durch Verdichtung und Verschiebung miteinander verflochten sind. Die mehrfache Determinierung der ideologischen Bedeutung hört nicht an den Grenzen des Textes auf, sondern durchzieht auch seinen Kontext. So kann ein Text nur "intertextuell" und "interdiskursiv" verstanden werden.86 Er ist eingebettet in Beziehungen nicht nur zu anderen Filmen oder Literatur (zur Tradition), sondern auch zu allgemeinen kulturellen und gesellschaftlichen "Texten", Diskursen und Bedeutungssytemen (damit sind alle symbolischen Systeme - Politik, Glaubenssysteme, Religion, die symbolischen Anteile an Produktion und Konsum, soziale Beziehungen etc. - gemeint, die zusammen die Kultur im breitesten Sinn definieren). 87 Hier sind die Vermittlungen zwischen dem Text und den ideologischen Unterstrukturen zu finden. Der Text, seine Produzenten und seine Rezipienten sind alle im gesellschaftlichen Diskurs eingeflochten. Jedes Produzieren oder Verstehen eines Textes passiert vor dem Horizont solcher gesellschaftlich-historischen Diskurssysteme. In einer solchen umfassenden

84 95

86 87

Freud 1972,286. Hier ist Freud seinen Kritikern Deleuze und Guattari und ihrem Begriff eines "Rhizoms" oder dem poststrukturalistischen Begriff einer offenen, dezentralen Struktur vielleicht erstaunlich nah. S. Pecheux 1983, Schöttler 1989. S. Brenkman 1979a, 186-8, Jameson 1981, passim.

80 Kontextualisierung können die idealistischen Seiten der strukturalistischen Analyse am ehesten überwunden werden.

4.5.4. Zusammenfassung Um die Annahmen über die Beschaffenheit von Ideologie, die meine Filminterpretation leiten werden, zu verdeutlichen, will ich einige Hauptthesen zusammenfassen. Die ideologische Arbeit ist die gesellschaftliche Regulation von Impulsen, Gedanken und Gefühlen durch ihre Umleitung, Eingrenzung und Fixierung auf gesellschaftlich sanktionierte Bahnen oder Ziele. In kulturellen Texten ist sie in den Tiefenstrukturen, die den manifesten Text und seine Bedeutungen formen, zu finden. Die Erzählung arbeitet (Schein-)Lösungen von grundlegenden Konflikten aus, indem sie die gegenteiligen Komponenten dieser Konflikte durch andere ersetzt, sie umwandelt oder sie durch andere Begriffe zu vermitteln versucht. Sie handelt ideologische Kompromisse aus, auf einer analogen Art zu den Prozessen des von Lévi-Strauss beschriebenen "mythischen Denkens". Dabei werden "Ideologeme",88 die strukturellen Einheiten des ideologischen Diskurses, im Laufe der Erzählung durch Verschiebung und Verdichtung transformiert. Die Elemente der manifesten Erzählung nehmen eine Vielfalt von konnotativen Bedeutungen an; die Erzählung gliedert sich unterhalb der Handlungsebene in verschiedene, sich überlagernde Bedeutungskomplexe auf. Eine solche Akzentverschiebung von bestimmten Aussagen (Inhalte) auf die Prozesse, wodurch Bedeutungen konstruiert und verändert werden, hat natürlich wesentliche Konsequenzen für die Filmanalyse. Zur Frage, was der Film bedeutet, kommt die Frage, wie der Film etwas bedeutet. Die Analyse muß verschiedenes versuchen: unterschiedliche Bedeutungskomplexe identifizieren; sie in Strukturen lokalisieren, die die Handlung und Erzählung organisieren; die Transformationsmechanismen im Film aufzeigen; und diese Ideologie mit der Wirklichkeit rückkoppeln, d.h. sie als Antwort auf reale gesellschaftliche und kulturelle Probleme sehen.

4.6. Erzählung und Handlungsstruktur Um auf die tieferen, ideologischen Dimensionen des Films zu kommen, muß zuerst analysiert werden, wie der Film überhaupt Bedeutungen produziert. Ich gehe hier in erster Linie von der Erzählung und insbesondere vom Handlungsaufbau aus. Dies entspricht dem alltäglichen Verständnis vom Film, wonach die 88

Jameson 1981,87ff.

81

anderen Elemente (Bildkomposition, Montage, Ton etc.) nur Mittel sind, um die Handlung zu erzählen. Diese Art der Filmerzählung basiert auf spezifischen kulturellen Traditionen und Prämissen, die ideologisch nicht neutral sind. Die formale Analyse der Handlung soll auch die innere Struktur des Films sichtbar machen und damit die Grundlage für die spätere Interpretation der Bedeutungen liefern. 4.6.1. Erzählweise Die goldene Stadt hat einen relativ einfachen Aufbau. Die Erzählung folgt im großen und ganzen der chronologischen Reihenfolge der Ereignisse. Es gibt einige Zeitsprünge, aber lediglich, um die Erzählung auf die wesentlichen Handlungen zu straffen. Erinnerungen (z.B. an Annas Kindheit oder an ihre Mutter) werden im Dialog und nicht durch Rückblenden erzählt. Einige alternierende Sequenzen bilden die einzige Abweichung von der streng linearen Erzählweise. Sie zeigen gleichzeitige Handlungen an verschiedenen Orten. Dies dient nicht so sehr dazu, wie das sonst oft der Fall ist, um Spannung zu erzeugen, sondern um Kontraste deutlich zu machen (z.B. Szenen 26-36, die die Haltungen der Figuren kontrastieren und Stadt und Land einander gegenüberstellen). Die Zeitspannen der verschiedenen Szenen weichen, entsprechend ihrer subjektiven Bedeutung für die Geschichte, von der Realzeit ab, aber in einem für den konventionellen Erzählfilm durchaus normalen Maße. Insgesamt hält sich die Handlungsstruktur des Films an die herkömmliche Form. Die Haupthandlung dreht sich um Anna und führt in einer relativ direkten Linie zu ihrem Tod. Die Nebenhandlungen sind diesem zentralen Strang untergeordnet und erfüllen meistens Zulieferfunktionen für den Gang der Erzählung. Nicht nur der Aufbau, sondern auch die Art der Erzählung ist recht konventionell. Wie fast alle deutschen Filme der Zeit ist Die goldene Stadt in einem eher unauffälligen, naturalistischen Stil gedreht, der an die Ästhetik Hollywoods angelehnt ist.89 Einige Versuche einer subjektiven Kamera (Fernglas-Blende bei einigen Einstellungen in der Rennbahn-Szene, die Trickaufnahmen bei Annas Träumereien) fallen etwas aus der Reihe. Auch sie sollten realistisch sein, wie Harlan beteuerte,90 aber sie wirken etwas anachronistisch in einem Film aus den vierziger Jahren. Insgesamt ist Harlans Filmstil innerhalb der damaligen Grenzen des konventionellen Erzählfilms angesiedelt. 89

90

Dieser naturalistische Stil ist nichts Natürliches, sondern höchst künstlich und konventionell. Es setzt eine ganze Entwicklung in der Filmtechnik, im Filmstil und in den Sehgewohnheiten des Publikums voraus. S. Bordwell/Staiger/Thompson 1985 für eine ausführliche Diskussion des klassischen Hollywood-Stils. Zit. in Zielinski 1981,188-9.

82

4.63.. Grobstruktur Die Grobstruktur der Handlung in Die goldene Stadt ist schon von der Vorlage (das Schauspiel Der Gigant von Richard Billinger) mit seiner traditionellen Gliederung in fünf Akten, vorgegeben. Trotz vieler Änderungen in der Geschichte bleibt dieses Handlungsgerüst im Film erhalten. Es gibt die entscheidenden Phasen in der Handlung und im Spannungsbogen an. Nach dem Schema von Freytag wären die folgenden Stufen im Drama zu unterscheiden: I. Einleitung: Exposition und erregende Momente, II. Steigerung, III. Höhepunkt, IV. fallende Handlung, V. Katastrophe.91 Diese Abfolge, nach einem derart bekannten, schon selbstverständlichen Schema, ist gut geeignet, Gefühle einer tragischen Schicksalhaftigkeit hervorzurufen. Diese Wirkung wird zusätzlich dadurch verstärkt, daß die Zuschauer die Handlung besser durchschauen als die Hauptfigur und im voraus einschätzen können, "wo es langgeht" (schon lange eine zumindest implizite dramatische Faustregel).92 In Die goldene Stadt sind es Annas Unwissenheit und Naivität, die es zum "schicksalhaften Geschehen" kommen lassen.93 Den Zuschauern und Zuschauerinnen ist es dagegen längst klar, daß ihre Verliebtheit in Toni zu keinem guten Ende führen wird. Das tragische Muster hilft, Erwartungen zu kanalisieren. Schon in der Werbung angekündigt, zeichnet sich das zu erwartende tragische Ende im Laufe der Handlung immer deutlicher ab. Mit dem tragischen Ende sind auch Erwartungen verknüpft, daß der Schluß nicht nur traurig, sondern auch irgendwie sinnvoll sein wird. Daß das Ende den Untergang des Helden oder der Heldin bringt, zugleich aber eine Versöhnung mit der Welt und die Wiederherstellung einer gestörten Ordnung ist, sind schon lange feststehende Wesenszüge des Tragischen. Solche Erwartungen erleichtern es dem Film, zu einem befriedigenden Ende zu kommen.

4.6.3. Sequenzeneinteilung Eine Einteilung in etwas kleinere Einheiten hilft, den Handlungsaufbau näher zu bestimmen. Eine Gliederung in Sequenzen ergibt sich zum Teil schon aus der filmischen Gestaltung - insbesondere Abblenden funktionieren als visuelle Interpunktion für größere Einschnitte. Eine Sequenzeneinteilung ist hier aber wichtiger, um die Handlung in sinnvolle Segmente, die entscheidende Entwick91 92 93

Freytag 1863,100-120,160-178. S. Müller 1941, 21-22, 37. Die goldene Stadt [Ufa Werbeheft].

83 lungsphasen angeben, zu gliedern. Die Bestimmung der Funktion der einzelnen Sequenzen für das Ganze (z.B. Charakterisierung, Darstellung der Konflikte, Fortführung der Handlung) und die Untersuchung der Handlungslogik sollen den Aufbau der Fabel verdeutlichen. Insbesondere die vom Film suggerierte Kausalität (und eventuelle Brüche oder Leerstellen darin) ist als Hinweis auf eine ideologische Wirkung von Interesse. Eine erste Phase der Handlung (Seq. 1-3) führt die meisten Figuren ein und entfaltet die Grundkonflikte des Films. Die erste Sequenz dient der Exposition. Das ländliche Milieu wird gezeigt, die relevante Vorgeschichte (Selbstmord der Mutter) erzählt, und folgende Konfliktpunkte werden im Dialog dargelegt: - Anna möchte nach Prag; ihr Vater verbietet ihr, dahin zu fahren; - Anna ist verlobt mit Thomas, aber nicht in ihn verliebt, sondern eher in Leidwein; ihr Vater will, daß sie Thomas bald heiratet; - Anna will frei sein und fühlt sich vom Vater eingeengt; - Leidwein möchte die Sümpfe trockenlegen; Jobst ist dagegen. Alternierende Schnitte bauen diese Konflikte bildlich als Polarität zwischen Anna und Leidwein auf der einen und Jobst und Thomas auf der anderen Seite auf. Zum großen Teil können die Konflikte als Resultat der sehr unterschiedlichen Charaktere verstanden werden. Anna, mit ihrer spontanen und wilden Natur und ihrer Mischung aus Naivität und Frivolität, steht im Gegensatz sowohl zum strengen, traditionsgebundenen, autoritären Vater wie auch zum braven, gutherzigen, aber etwas langweiligen Thomas. Die recht langen Szenen zwischen Anna und Leidwein lassen erwarten, daß eine Liebesgeschichte zwischen den beiden Hauptgegenstand des Films sein wird. Um so mehr, da Leidwein durchaus attraktiv gemacht wird. Schon die zweite Sequenz bringt dieser Liebesgeschichte ein vorläufiges Ende. Konfrontiert mit dem entschiedenen Vorgehen des Vaters, der seine Versetzung bewirkt hat, und mit dem unklaren Verhalten Annas, die sich anscheinend doch auf ihre Hochzeit mit Thomas freut, fährt Leidwein nach Prag zurück. Im darauffolgenden Streit zwischen Anna und ihrem Vater (3. Seq.) verlagert sich die Betonung von der Liebesgeschichte auf die grundlegenden Konflikte zwischen Vater und Tochter. Jobst behauptet sein Recht, über sie zu bestimmen, aber eine Versöhnung, die sich in der nächsten Sequenz voll entwickeln wird, bahnt sich an. Die ersten drei Sequenzen haben insgesamt eine zirkuläre Struktur: grundlegende Probleme führen zu offenen Konflikten, worauf der Vater so handelt, daß die vorherige Ordnung wiederhergestellt wird, aber damit werden die Probleme (wenn auch latent) weitergeführt. In dieser Form könnte sich die Handlung beliebig oft wiederholen, denn in jeder Versöhnung ist zugleich die Grundlage für einen erneuten Streit begründet.

84 Die breit angelegten Nebenhandlungen in der vierten Sequenz sind so etwas wie eine neue Exposition, die vor allem der ausführlichen Charakterisierung dient und die erste Episode als abgeschlossen und vergangen zeigt. Annas unbeherrschtes Draufgängertum, das sie von der Bahn abbringt, wird der Beständigkeit von Thomas gegenübergestellt. Die Kegelbahnszene zeigt Thomas von einer anderen Seite, unterstreicht Jobsts Autorität und schließt die Nebenhandlung um die Sümpfe ab. Pelikans Werbung um Maruschka, die zunächst nur Milieuschilderung und dumme Komik zu sein scheint, bereitet Maruschkas spätere Intrige um Jobst vor. Die Versöhnung zwischen Anna und Jobst scheint nun perfekt zu sein, und Leidwein ist in weite Ferne gerückt. Daß sich aber grundsätzlich nichts verändert hat, zeigt dann die Ansichtskarte aus Prag, die alle ihre Sehnsüchte wieder aufflammen läßt. Annas Träume von Prag in der fünften Sequenz knüpfen wieder an den Anfang des Films an (hier Traumbilder, da Bilder aus dem Buch). Das anschließende Gespräch mit Thomas ist eine erneute und klarere Darlegung der Konflikte - es geht Anna vor allem darum, sich selbst zu bestimmen und das machen zu können, was sie will. Die Liebe zu Leidwein erscheint nachträglich als ein sekundäres Problem, das ein tieferliegendes an die Oberfläche gebracht hat: Annas Wünsche nach Freiheit, Leben und Romantik prallen grundsätzlich gegen ihres Vaters übermächtige, umsorgende, aber erstickende Autorität. In der sechsten Sequenz setzt Annas Fahrt nach Prag den Anfang einer neuen Handlungsfolge. Im Gegensatz zur ersten, zirkulären, ist diese linear und stark vorwärtstreibend aufgebaut. Zunächst steigt die Handlung noch. Neue Figuren kommen dazu, Anna sieht ihre Träume sich verwirklichen. Ihre Verliebtheit in Leidwein wandelt sich allerdings, als er weiterhin in ihr das Landmädel sehen will und sie vor der Stadt und ihren Verwandten warnt. Aus der Perspektive der Stadt scheint ihr, daß Leidwein auf der Seite des Vaters steht und sie nur einschränken will. Dagegen spricht Toni ihre Wunschbilder an, und sie läßt sich bereitwillig von ihm betören. In ihrer Verblendung will Anna nicht sehen, was die Zuschauer und Zuschauerinnen von Anfang an wissen, daß Toni ein kalter, berechnender Egoist ist. Trotzdem wird er etwas zwiespältig gezeichnet, denn er muß auch etwas Charme besitzen, damit glaubhaft wird, daß Anna sich in ihn verlieben kann. Mit der Verführung erreicht die Handlung ihren Höhe- und Wendepunkt. Die Verführungsszene ist ambivalent gestaltet. Auf der einen Seite weiß man, daß das nicht gut gehen wird. Das war aus der Charakterisierung von Toni schon überdeutlich, und die Worte des Vaters ("Sie ist verloren") in der dazwischengeschnittenen Szene deuten auf das tragische Ende. Auf der anderen Seite lädt die Verführungsszene zum identifikatorischen und/oder voyeuristischen Genuß ein. Diese Szene ist zugleich die Erfüllung der Wünsche Annas und der Kern der weiteren, tragischen Handlung. Die nächsten Sequenzen ent-

85 wickeln systematisch die Konsequenzen der Verführung. Ab hier ist Anna weitgehend auf eine passive Rolle beschränkt - sie muß die Folgen ihrer Tat erdulden. Die fortschreitende Entwicklung auf ihren Niedergang zu ist mehrfach vorbestimmt: durch Genre-Konventionen, durch kulturelle Werte und durch die in der Fabel angelegte Handlungskausalität. Die Konventionen der Gattung "Filmmelodram", deren Wurzeln zum Melodrama und zur Oper des neunzehnten Jahrhunderts, zum bürgerlichen Trauerspiel und teilweise bis zum Barockdrama zurückreichen, machen es wahrscheinlich, daß Anna für ihre Verführung bestraft wird. Während in einem relativ frühen Verführungsdrama wie Emilia Galotti die Frau schon im voraus als Prophylaxe gegen eine mögliche Verführung sterben mußte, gab sich der Film etwas lockerer. Sogar ein glückliches Ende war in den Filmen der dreißiger und vierziger Jahre denkbar, vorausgesetzt die Frau hatte ihre Verführung bereut und ausreichend unter den Folgen gelitten (vgl. Heimat).94 Solche Handlungsmuster stehen in enger Verbindung mit allgemeinen kulturellen Codes, besonders mit Moralvorstellungen und den bekannten, jahrhunderte-alten Definition der Frauenrolle zwischen den Polen "Jungfrau" und "Hure". Die Handlungslogik baut auf dieses Wertsystem auf. Sequenzen acht und neun entfalten stringent die Konsequenzen der Verführung. Die Figuren reagieren unterschiedlich, entsprechend ihrer Charakterisierung am Anfang des Films. Während Thomas versöhnlich bleibt, schreibt Jobst Anna ab. Jobsts Haltung führt zur Enterbung Annas und zu seiner Hinwendung zu Maruschka. Toni, der sich im sicheren Besitz von Anna fühlt und schon auf ihr Vermögen spekuliert, zeigt seine lieblose, kalkulierende Denkart deutlich. Ihre Schwangerschaft besiegelt Annas Abhängigkeit von ihm endgültig. Die beiden Handlungslinien (um Jobst, um Toni) kommen zusammen, als Toni von der Enterbung erfährt. Er fängt an, auszurechnen, ob er nicht Anna gegen eine reichere Frau eintauschen könne. In der achten Sequenz sind diese Entwicklungen so weit, daß Annas Verführung sie völlig ins Unglück gebracht hat. Ihr Leidensweg führt zur Abkehr von der Stadt. Ein Teil der Anfangsproblematik findet hier eine Lösung, indem Anna von ihrer Faszination mit dem Traum von der Stadt und vom "Leben" kuriert ist.

94

Im Krieg gab es zunehmende Tendenzen zu einer Lockerung der Sexualmoral - auch im Film. In einigen Fällen, wurde sogar ein relativ freies Sexualverhalten auch bei Frauen vorgeführt, was aber die Ausnahme blieb. Voreheliche Sexualität wurde im Film Die große Liebe (1942) als recht selbstverständlich dargestellt (s. unten, Kap. 5). In einer Nebenhandlung im Film Ein Mann mit Grundsätzen (1943) kommt eine carpe-diem-Haltung wesentlich deutlicher zum Ausdruck, die moralische Bedenken irrelevant erscheinen läßt. Heide Schlüpmann zeigt am Beispiel Zwei in einer großen Stadt (1942) wie eine freizügigere Sexualität, die dem Kriegsalltag besser angepaßt ist, propagiert wird. Dabei wird die weibliche Sexualität als ein "Allzeitbereit" der Frauen für die Männer funktionalisiert und durch eine neue Art der "Innerlichkeit" wiedereingegrenzt (Schlüpmann 1988,60-64).

86 Die Nebenhandlungen in diesen Sequenzen dienen der Handlungsmotivation, zeigen aber zugleich Parallelen zur Hauptlinie auf. Wie Anna, fällt auch Jobst auf eine Figur (Maruschka) herein, die in erster Linie an seinem Besitz interessiert ist. Er zeigt keine bessere Menschenkenntnis als seine Tochter. Die Geschichte von Julie, die zu ihrem Verlobten in die Stadt zieht, bringt im Kontrast zu Annas Situation das Gegenbeispiel einer glücklicheren Beziehung. Die Nebenhandlungen betonen, daß die sich abzeichnende katastrophale Entwicklung des Hauptstrangs auf die Fehlerhaftigkeit der Figuren zurückgeht.Die letzten drei Sequenzen führen die Handlung konsequent zu Ende und versuchen, eine Lösung der Grundkonflikte zu finden. Annas Heimkehr zeigt, daß sie ihre "falschen" Träume vom Leben und von der Stadt aufgegeben hat. Sie hat aus ihrem "Schicksal" "gelernt", was ihr aber nicht mehr helfen kann. Denn die Handlung basiert weiterhin auf der Unnachgiebigkeit und Sturheit ihres Vaters. Diese Haltung ist ein grundlegender Teil seines Charakters, aber auch eine Reaktion auf Annas "Fehltritt". In der zehnten Sequenz treibt die Handlung um Anna weiter auf das für sie ausweglose Ende zu. Die Rückkehr zum ländlichen Schauplatz ist gewissermaßen auch eine thematische Rückkehr zur Anfangsproblematik und zur ersten Figurenkonstellation (Vater - Anna - Thomas), aber unter inzwischen verschärften Bedingungen. Die Konflikte streben auf den Ebenen der Handlung, der Thematik und der emotionalen Wirkung auf eine Entscheidung zu. Die zehnte Sequenz ist noch handlungsbetont. Der Vater ist hier bestimmend, vor allem als er Anna verstößt. Die letzten beiden Sequenzen hingegen sind relativ statisch. Sie geben Resultate der Handlung an statt weitere Handlungsschritte. Hier dominieren Bildqualitäten (Großaufnahmen, Doppelbelichtung, Überblende) über Handlung. Zugleich betonen diese Zeichen das dramatische Gewicht des Schlusses. Die Rede von Anna wiederholt und verdeutlicht ihre Einsicht in ihren "Fehler", die schon in ihrer Abkehr von der Stadt und Hinwendung zum Vater gezeigt wurde. Sie zieht einen Schlußstrich unter ihr Leben und resümiert ihre Beziehungen zu den wichtigsten Figuren. Einsicht in einen Fehler bleibt in der nächsten Szene auch ihrem Vater nicht erspart. Seine Rede ist ein indirektes Schuldbekenntnis und eine scheinbare Revision seiner bisherigen Haltung, jedoch ohne daß er auf irgendeine Weise Anna wirklich Recht geben muß. Seine Erbregelung belohnt Thomas, macht Maruschkas Hoffnungen auf den Hof ein Ende und (zusammen mit der Schlußeinstellung) greift das Sumpfmotiv vom Anfang nochmals auf. 4.6.4. Handlung und Kausalität In seinem Handlungsaufbau ist dieser Film ein normaler Erzählfilm und entspricht der Art von Erzählung, die schon lange in unserer Kultur dominiert. Die

87 aristotelische Definition einer Erzählhandlung als Ereignisse, die mit "Notwendigkeit" oder "Wahrscheinlichkeit" aufeinander folgen,95 trifft hier zu. Eine kausale Handlungskette bildet das strukturierende Gerüst des Films. Die psychologische Kausalität spielt eine führende Rolle: Figuren, die durch deutliche, stabile Charaktereigenschaften definiert sind, bestimmen die Handlungsrichtung.96 Die zielgerichteten, oder zumindest motivierten Handlungen der Figuren sind Ausgangspunkt und Impulsgeber der Geschichte. Auch zwischen den einzelnen Handlungen bestehen kausale Verbindungen: eine Handlung führt zur nächsten, bis die Geschichte zu Ende geht. Wo Andeutungen anderer kausaler Prinzipien (z.B. Zufall, Geschichte oder soziale Faktoren wie Herkunft, Klassenzugehörigkeit oder "Milieu") im klassischen Film vorhanden sind, sind diese der persönlichen Kausalität untergeordnet. In Die goldene Stadt findet man solche Faktoren im "städtischen" oder "tschechischen" Milieu, aber auch dann untrennbar verflochten mit den Charakteren (Toni, der Tante, der Chefin). Diese allgemeineren Kausalfaktoren wirken nur durch die einzelnen Figuren - sie werden personalisiert und dadurch emotional leichter nachvollziehbar gemacht. Ich habe versucht, die Hauptlinien der Kausalität in der Handlung schematisch festzuhalten (s. Schema 4.1. im Anhang). Dabei habe ich die Entwicklung der Handlung als einzelne Handlungsschritte der wichtigsten Figuren dargestellt. Das Schema folgt der Entwicklung der Erzählung in den zwölf Sequenzen. Nur die Ausgangssituation und die Charakterisierung der Figuren habe ich als "Sequenz 0" vorgezogen, da sie als Voraussetzungen der Handlung fungieren, obwohl sie zum Teil erst später erzählt werden. In diesem Schema werden einige Merkmale des Handlungsaufbaus deutlich: - Die Figuren handeln ihrer grundlegenden Charakterisierung entsprechend. Diese, die durch Mimik, Beschreibungen, Dialog, Star-Image und durch die Handlung selbst aufgebaut wird, bleibt im Laufe des Films konsistent. Nur Anna und ihr Vater verändern sich. Ihre Charaktere bleiben dabei erhalten; sie lernen nur dazu. Anna muß einen Teil ihrer Persönlichkeit (ihre Wildheit und Lebenslust) aufgeben oder bändigen, aber sie bleibt im Grunde genommen dieselbe. - Die Handlung ist stark um Anna zentriert. Ihre eigenen Handlungen sind entscheidend, und die Handlungen der anderen Figuren sind meistens nur im Bezug auf Anna relevant. - Die Figuren und Ereignisse sind handlungsfunktional aufgebaut. Es gibt kaum etwas, was nicht eine Funktion für die zentrale Handlung hat. Auch die Nebenhandlungen und -figuren sind motiviert: sie sind entweder direkt in die Haupthandlung integriert oder sie dienen der Charakterisierung. 95 96

Aristoteles 1961,38. S. Bordwell/Thompson 1979, Kapitel 2 und 3, Bordwell/Staiger/Thompson 1985,12-18.

88 - Manche Handlungsschritte haben mehrere mögliche Ursachen. Charaktereigenschaften spielen immer eine Rolle. Dazu kommen oft die Einflüsse einer oder mehrerer anderen Handlungen. Es können auch verschiedene implizite Ursachen im Film eingebaut sein, die die Zuschauer als eine Erklärung der Handlung heranziehen können. Z.B. kann man, wenn man will, Annas Ende als Ergebnis ihres "Schicksals" sehen, oder als durch "Vererbung" von ihrer Mutter vorbestimmt. - Es wird mehr auf Anna eingewirkt, als daß sie selber handelt; die Handlungen aller Figuren betreffen Anna. Die entscheidenden Handlungen (PragReise, Sich-verführen-lassen, Heimkehr, Selbstmord) kommen aber von ihr, auch wenn sie dabei von anderen beeinflußt wird. - Die Handlung ist als lineare Kausalitätsfolge aufgebaut. Um die zentrale Handlungskette (Annas Taten) sind verschiedene andere gruppiert, die aber spätestens am Ende wieder in Annas Geschichte münden. Alle tragen, direkt oder indirekt, zum Ergebnis bei. Auch die Nebenhandlung um die Sümpfe wird in Annas Geschichte wieder eingebunden, aber eher assoziativ und nicht kausal. 97 Insgesamt erscheint die Filmhandlung als eine logisch durchstrukturierte Folge von Handlungen. Jedes Ereignis ist im Handlungsfluß begründet ("motiviert") und scheint sich deshalb "notwendig" oder "wahrscheinlich" aus den vorherigen Begebenheiten zu ergeben. Die Geschichte ist verständlich und die Folge der Ereignisse nachvollziehbar. Alles in allem wirkt die Filmerzählung recht unproblematisch und selbstverständlich. Annas Tod scheint die logische Folge einiger Faktoren zu sein. Ihr Charakter und der ihres Vaters, zusammen mit den Handlungen der anderen Figuren und einer unglücklichen Verkettung von Umständen, die sie in Tonis Bett führen, bewirken letztlich ihren Tod.

4.6.5. Wahrscheinlichkeit Daß die Handlungsfolge des Films selbstverständlich, unproblematisch und recht schlüssig wirkt, liegt nicht nur am Film selbst. Auch die Erwartungen, Annahmen und Einstellungen, die die Zuschauer und Zuschauerinnen mitbringen, spielen eine wesentliche Rolle dabei. Die Verständlichkeit und Schlüssigkeit der Handlung ist nicht nur in die Erzählung mit eingebaut, sondern wird auch aktiv von den Rezipienten vor dem Hintergrund ihres Alltagswissens konstruiert. Wenn die kausale Verkettung der Handlungen verständlich sein soll, 97

Leidwein ist zwar auch für die Handlung wichtig, ist aber gegen Ende (Seq. 8) weniger funktional und wird zu einem blinden Motiv. Seine Anwesenheit in der Geschichte, auch nachdem seine handlungsbedingte Funktion erschöpft ist, stellt vielleicht die Frage nach anderen möglichen Entwicklungen - was wäre gewesen, wenn...?

89 muß sie in allgemeinen Konventionen, Regeln und Denkformen fundiert sein. Hierin liegt die kulturelle und intertextuelle Basis für die "natürliche" und selbstverständliche Wirkung des Films, für seine Wahr-scheinlichkeit. Diese vraisemblance des Texts, wie die Strukturalisten es analysiert und genannt haben, 98 entspringt seinen Beziehungen zum "allgemeinen Text" der kulturellen Stereotypen, des allgemein akzeptierten Wissens und der öffentlichen Meinung, sowie zur Tradition und zu den Konventionen der Gattung. Die Wahrscheinlichkeit der Erzählung (also der kausalen Folgen und der psychologischen Motivation) ergibt sich aus der Korrespondenz zu einer Ideologie, zu "un corps de maximes reçues comme vraies par le public".99 Solange ein Text sich nach diesen Normen richtet, erscheint es, als würde er der Realität entsprechen, und er wird im allgemeinen nicht weiter hinterfragt. Ideologie bildet auf diese Weise eine notwendige Voraussetzung für die Verständlichkeit eines Textes. Die Prämissen und die Denkart, die man heranziehen muß, um die Logik der Handlung nachzuvollziehen, oder um die Figuren und ihre Charaktere einschätzen zu können, sind in den ideologischen Diskursen der Gesellschaft vorgegeben. Der Text bezieht sich aber nicht nur passiv auf diese Ideologien; indem er implizit danach aufgebaut ist, bestätigt er auch ihre Gültigkeit. Sofern er glaubwürdig und realitätsähnlich erscheint (und die gesamte Machart des klassischen Erzählkinos strebt in diese Richtung), ist es, als wäre er ein empirischer Beweis für die Richtigkeit der ideologischen Maxime. Der Film kann auf diese Art Werte und Normen nochmals festigen, indem er augenscheinlich demonstriert, daß sie funktionieren (zumindest im Film). Diese ideologische Funktion des Films wurde von den Nazis klar erkannt. Die Äußerungen von Goebbels über die "Erziehungsaufgabe" des Films,100 oder Hipplers Gedanken über "die formende Kraft des Films" gehen in diese Richtung.101 Noch deutlicher sprach es der Präsident der Deutschen Filmakademie, Wilhelm Müller-Scheidt aus: Jeder x-beliebige Stoff, gleich ob er in Vergangenheit oder in der Gegenwart, ob er im Ausland oder im Inland spielt, ist dann nationalsozialistisch, wenn er geschaut und geordnet wurde von einer nationalsozialistischen Persönlichkeit, der die Gesetze und Ziele der Bewegung bereits zur zweiten Natur geworden ist. Also nicht die äußere Erscheinung an sich ist für den Begriff "nationalsozialistisch" entscheidend, sondern die Psychologie und die Kausalität.

Das heißt aber nicht, daß die Nazis eine ganz andere, eigene Kausalität hatten. Es kamen zwar einige Prinzipien dazu (aus der Nazi-Ideologie in engeren Sinne, vor allem der Rassenideologie), die eine kausale Begründung für Handlungen 98 99 100 101 102

S. Culler 1975,131-160. Genette 1969,76. In Albrecht 1979,76. Hippler 1943,95ff. Zit. nach Albrecht 1979,15, Hervorhebung von mir.

90 geben konnten, aber der NS-Film baute hauptsächlich auf die "normale" Handlungslogik des traditionellen Films und Dramas. Die eingebaute Ideologie in dieser Tradition, oder zumindest die konservativeren oder reaktionären Versionen davon, reichte völlig aus. Hippler, der Reichsfilmintendant (also ein Fachmann) war, kritisiert in seinen Betrachtungen zum Filmschaffen verschiedene Filmexposds.103 Nur ein Teil seiner Kritik gilt politischen "Fehlern"; sein Hauptangriffspunkt sind Unwahrscheinlichkeiten in der Handlung oder andere Elemente, die die Glaubwürdigkeit der Filme gefährden könnten. Also wurden die Filme dem Geschmack und dem Glaubensstand des Publikums angepaßt. Damit konnten sie aber immer noch ideologisch sehr wirksam sein, als Bestätigung aller Elemente der gegebenen Werte und Denkweisen, die mit der engeren Nazi-Ideologie verträglich waren. Welche Werte, Eigenschaften und Normen das im Fall von Die goldene Stadt waren, bleibt der Analyse der filmischen Bedeutungen vorbehalten.

4.6.6. Abgeschlossenheit Sowohl in der Handlung wie auch in der emotionalen Wirkung erscheint Die goldene Stadt am Ende abgeschlossen. Alle Handlungslinien treffen sich in Annas Tod, und die kausale Verkettung der Ereignisse läuft da aus. Das Ende ist aber tatsächlich nicht ganz so schlüssig, wie es zunächst wirkt. Gerade die letzten zwei Szenen, die den Schluß nach Annas Tod emotional abrunden, sind nur recht locker in der Handlungslogik verankert. Diese Szenen mildern die Tragik von Annas Tod etwas ab und deuten eine Ausgleichung der Gegensätze an. Unter dem Eindruck ihres Todes scheint der Vater seine Haltung tiefgehend verändert zu haben und Anna zu vergeben. Das "Schicksal", das Annas Verführung mit dem Tod bestrafen ließ, wird nachträglich durch diese Verzeihung etwas kompensiert. Gefühlsmäßig wirkt das als eine Annäherung an Anna, teilweise sogar als eine Rechtfertigung ihrer Haltung. Eine Lösung der Konflikte zwischen Anna und ihrem Vater scheint nachträglich möglich, ohne das sie näher angegeben werden kann. Denn es hat sich an den kulturellen Regeln und der Handlungslogik, die Annas Tod bewirkten, grundsätzlich nichts verändert, auch wenn der Vater jetzt versöhnlicher erscheint. Darüber hinwegzutäuschen und den Eindruck einer Lösung der Geschichte zu erwecken, ist Sinn des Schlusses. Daß Jobst seinen Hof an Thomas weitergibt und sich entscheidet, nun doch die Sümpfe trockenzulegen, verstärkt den Eindruck einer wirklichen Veränderung. Das Erbe ist durch die Nebenhandlung um Maruschka zusätzlich motiviert, aber Jobsts Meinungsumschwung in der Frage des Moors 103

Hippler 1943,144-203, s. Albrecht 1979,15.

91 kommt völlig unvorbereitet und wird nicht näher begründet. Das Moor war anfangs im Zusammenhang mit Leidwein wichtig, zwischendurch aber für die Handlung nebensächlich geworden. Wenn der Film das Motiv am Ende nochmals aufgreift, steht es in keinem kausalen Zusammenhang. Vielmehr wirkt es assoziativ, symbolisch und bildlich, um Veränderung, Erneuerung und Versöhnung zu suggerieren, die in der Handlung eigentlich nicht angelegt sind. Die Sumpf-Symbolik und ihre verschiedenen Bedeutungen werde ich später ausführlicher analysieren. Durch Ausweichen auf eine andere Ebene der Bedeutung erzeugt der Film ein Gefühl der harmonischen Abgeschlossenheit, das logisch nicht gerechtfertigt ist.104 Wie das genauer funktioniert, werde ich im nächsten Teil zeigen, wenn ich die Handlungsanalyse durch eine Bedeutungsanalyse erweitere.

4.7. Die melodramatische Ebene 4.7.1. Melodrama und die Ideologie der weiblichen Identität Die goldene Stadt ist durch und durch ein Melodram. Das Pathos des Films, die stereotypen Figuren und die Figurenkonstellation (Tochter - Vater - Schurke) und nicht zuletzt die Art der Handlung gehören dazu. Seeßlen beschreibt das Melodrama als "das Drama der weiblichen Initiation in der (klein)bürgerlichen Gesellschaft", 105 in dem die Heldin sich vom Vater loslöst, der Bedrohung durch den verführerischen Schurken widersteht und zuletzt zu ihrer Identität als Frau (des Helden) findet. Die goldene Stadt spielt die negative, tragische Version dieses Musters durch: die Heldin erliegt der Verführung und muß dafür sterben. Die grundlegende Bedeutung der Geschichte ist aber dieselbe. Sie entstammt den Widersprüchen in der gesellschaftlichen Definition der Geschlechter und bestimmt die Erzählung der "fehlgegangenen" sowie der "gelungenen" weiblichen Sozialisation. So betrachtet, ist der Film die Geschichte von Annas Suche nach ihrer eigenen Identität. Ihre Sehnsucht nach Freiheit und "Leben", die auch die zeitgenössische Kritik hervorhob, 106 ist im Grunde genommen nichts als der Wunsch, 104

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Dieses Ausweichen auf andere Sinnsysteme scheint eine generelle Strategie der Filmerzählung zu sein (s. Lueken 1981, 34-6, für eine exemplarische Analyse von Heimat, die eine ähnliche Scheinharmonisierung am SchluB des Films aufdeckt. In dem Film sind es die Musik (Bachs Matthäus-Passion) und der Rückgriff auf religiöse Motive, die das Gefühl einer Versöhnung erwecken. Durch solche Umwege in der Bedeutungskonstruktion werden zum Schluß Widersprüche vertuscht, die sich weder in der Handlung noch logisch auflösen lassen. Seeßlen 1980,20. S. Henseleit 1942, Mangoldt 1942, Wehner 1943.

92 sich vom Vater zu lösen, ihr eigenes Leben zu führen, ihre eigenen Wünsche zu verfolgen, überhaupt erst "sie selbst" zu werden. Diese Suche nach Selbst-Identität ist jedoch von vornherein durch die Regeln und die Realität der patriarchalischen Gesellschaft zum Mißlingen verdammt. Denn Anna kann nur "sie selbst" werden, indem sie zu einer "Frau" wird. In dieser Gesellschaft ist aber die Frau grundsätzlich im Verhältnis zum Mann definiert. Diese paradoxe Situation ist der Kern von Annas Dilemma und der Handlung.107 Als Frau kann sie nur eine "eigene" Identität durch einen Anderen (einen Mann, den männlichen Diskurs über Frauen) bekommen. Es ist keine weibliche Identität möglich, da jegliche gesellschaftlich akzeptierte "Identität" nicht mit sich selbst identisch ist, sondern nur negativ, als das andere des Mannes, als sein Gegenteil, als "Mangel", definiert ist.108 In der patriarchalischen Gesellschaft sind Frauen Tauschobjekt: sie werden zwischen Männern getauscht oder tauschen sich selbst, z.B. gegen den gesellschaftlich und finanziell besser gesicherten Status der Ehefrau. Dieser "Tauschwert" der Frau ist in der "Jungfrau" am deutlichsten verkörpert.109 Sie muß zusehen, daß sie sich nicht unter ihrem Preis tauscht. Die Bedrohung ist ständig da, bei einem Fehltritt nunmehr als "Hure" völlig auf einen rein finanziellen Tauschwert angewiesen zu sein. Diese Rollenzuschreibung erlaubt keine eigene Identität, da sie den Wert der Frau vom Verhältnis zum Mann abhängig macht. Mutter, Jungfrau, Prostituierte - das sind die gesellschaftlichen Rollen, die den Frauen aufgezwungen sind. Die Charakteristika der (sogenannten) weiblichen Sexualität ergeben sich aus ihnen: Wertschätzung der Reproduktion und Kinderaufzucht; Treue, Scham, Unwissenheit, sogar Desinteresse an der Lust; passive Hinnahme der "Aktivität" der Männer; Verführung, um das Begehren der Konsumenten anzureizen, aber nur, indem sie sich als materielle Unterlage für sie anbietet, ohne selber zu genießen;...weder als Mutter, noch als Jungfrau, noch als Prostituierte hat die Frau ein Recht auf ihr Lustempfinden.110

Diese Beschreibung der Frauenrolle trifft besonders das nationalsozialistische Bild der "deutschen Frau", ohne daß ihre Gültigkeit sich darauf beschränkt. Alle erwähnten Merkmale finden sich in den Äußerungen der Nazis zum "Wesen der Frau". Sie paßt auch zu den Frauenfiguren in den Filmen der Zeit, wobei in verschiedenen Rollenfächern oder auch im Lauf der Zeit verschiedene Merkmale unterschiedlich betont wurden.

107 108 109 110

Zu paradoxen Situationen als Handlungskernen, s. Nichols 1981,93-103. S. Irigaray 1979. S. Irigaray 1979,177-198. Irigaray 1979,193-4.

93 4.72. Die Durcharbeitung im Film Ideologische Konflikte Eine Funktion des Films ist, Konflikte oder Widersprüche innerhalb dieser Ideologie der Frauenrolle oder zwischen der Ideologie und der gesellschaftlichen Realität auszuarbeiten, zu vermindern oder verschwinden zu lassen. Solche Konflikte waren zur Genüge im Nationalsozialismus vorhanden. Teils entsprangen sie dem reaktionären Charakter des Nationalsozialismus, der zurück wollte auf ideologische Positionen, die historisch längst überholt waren. Teils wurden sie auch verschärft durch die entgegengesetzt wirkenden Tendenzen eines ideologisch-politischen Antimodernismus und eines tatsächlichen technisch-wirtschaftlichen sowie gesellschaftlichen Modernisierungsschubs. Die Wirkung solcher widersprüchlichen "Ungleichzeitigkeiten" in der Ideologie und auch im Bewußtsein zu reduzieren, also ideologische "kognitive Dissonanz" auf ein Minimum zu bringen,111 ist Aufgabe der ideologischen Arbeit der Gesellschaft. Dazu gehört ebenso die Anpassung der Ideologie an die Wünsche der Menschen - der "Kuhhandel" zwischen Wünschen und Ideologie, den Jameson erwähnt. In diesem Fall sind das Wünsche, die aus der spezifischen Situation von Frauen kommen. Sie könnten potentiell die gegebene Frauenrolle in Frage stellen und darüber hinausweisen, oder sich einfach gegen die Rücknahme schon in der Weimarer Zeit erreichter Auflockerungen stellen. Ideologisch funktional für die NS-Gesellschaft war es, solche Wünsche zu neutralisieren, Frauen auf die traditionellen Rollen einzuüben, oder einfach zum Verzicht auf Wünsche zu bewegen. Vor diesem Hintergrund ist Die goldene Stadt auf zwei Richtungen hin zu untersuchen: nach Tendenzen, die Widersprüche innerhalb der Ideologie der Frauenrolle zu vermindern, und nach Tendenzen, Frauen so zu "erziehen", daß sie diese Rolle als notwendig sehen oder sogar als das, was sie wollen.

Filmische Realisierung Wenn wir uns wieder dem Film zuwenden, sehen wir diese Probleme schon in der ersten Phase der Handlung voll entwickelt. Anna kollidiert mit den Grenzen ihrer Rolle, indem sie ihre Freiheit will, sich selbst bestimmen will und vor allem, indem sie selbst ihr eigenes Liebesobjekt suchen will. Sie zeigt sich als zu wild, zu "männlich"-aktiv, was sie am Erreichen ihrer Ziele hindert. Sowohl im Pferderennen, wie auch mit Leidwein steht ihr ihre Wildheit, ihr jungenhaftes Draufgängertum im Wege. Obwohl Leidwein durchaus von ihr angezogen ist, ist 111

S. Holzer 1971, 210-213.

94 er von ihrer Art auch etwas verunsichert. Wichtiger ist, daß sie mit ihrem Vater in Konflikt kommt, als sie sich in Leidwein verliebt. Indem sie sich selbst einen Mann aussuchen will, stört sie seine Pläne, sie an Thomas zu verheiraten. Hier verkörpert der Vater eine Extremform des patriarchalischen Prinzips, wonach Frauen reine Tauschobjekte zwischen Männern sind. Für ihn ist sie sein Besitz, über den er bestimmen kann, wie er will. In dieser Phase der Handlung schafft er es auch, seinen Willen gegen Annas Wünsche zu behaupten. Sie bleibt in infantiler Abhängigkeit von ihm, und will doch mehr sein.112 Auf Dauer kann diese Unterdrückung keine Lösung sein. Die Wünsche lassen sich nicht erledigen. Gerade die zu große Abhängigkeit und Unmündigkeit, die der Vater bei Anna erzeugt, machen sie hilflos gegen ihre Triebe. Der Vater, "der in übertriebener Strenge und Ängstlichkeit seine Tochter mit Gewalt halten will, ohne zu erkennen, daß er ihre Sehnsucht damit nur immer mehr steigern muß", 113 ist mit Schuld an ihrem späteren Schicksal. Als zusätzliche Begründung bietet der Film die angedeutete "genetische" Vorbelastung Annas durch ihre Mutter, die anscheinend ähnlich war, und verstreute Hinweise, daß alle Frauen im gefährlichen Maße ihren Trieben ausgeliefert sind. Die Handlung in Prag führt die Wiederkehr der verdrängten Wünsche vor und versucht, einen anderen Umgang damit auszuprobieren. Anna ist aber nach wie vor in den Paradoxen der Frauenrolle gefangen. Wenn sie ihren erotischen Wünschen entsprechend handelt - und das tut sie schon, indem sie in die Stadt fährt, denn Prag oder zumindest das Milieu von Toni ist als Ort der ungezügelten Sexualität gekennzeichnet -, übertritt sie die Grenzen der erlaubten Frauenrolle. Daher verändert sich Leidweins Verhältnis zu ihr. Vorher durchaus erotisch angezogen von ihr, ist er in der Stadt eher väterlich besorgt um sie. Durch seine "Anständigkeit" und Zurückhaltung und erst recht, als er sie belehren und ermahnen will, verliert er an Anziehungskraft für Anna. Sie läßt sich dann auf Toni ein, der ihr eher Abenteuer und erotische Liebe bietet, aber eben auch keine Skrupel hat, sie auszunutzen. Der attraktive Mann ist gefährlich, aber die erlaubten, sicheren Männer sind langweilig und bieten ihr nichts anderes, als die Fortsetzung des patriarchalischen Verhältnisses, dem sie entkommen will. Anna läßt sich also sehr bereitwillig auf Tonis Werben ein. Diese Verführung ist im Film etwas zwiespältig inszeniert. Einerseits ist mehr als deutlich genug gemacht worden, daß Toni ein egoistischer "Tunichtgut" ist,114 der sie nicht liebt. Rational ist den Zuschauern und Zuschauerinnen klar, daß er sie nur ausnützt, und daß die Geschichte schlecht ausgehen wird. Emotional aber dürfte die identifikatorische Teilnahme an Annas Liebesbedürfnis und an der 112

113 114

Diese Infantilisierung der Frau ist ein typisches Merkmal der populären Literatur für Frauen seit dem 19. Jahrhundert - s. Domagalski 1981,95. Wehner 1943,19. Paimemns Filmlisten, 27. Jg., Nr. 1393,18.12.1942,87.

95 Liebesszene groß genug sein, um trotz dieses Wissens ihr auch ein gewisses Recht zu geben, und an dem Wunsch nach einer glücklichen Liebe teilzunehmen. Insbesondere die Liebesszene zielt auf intensive emotionale Identifikation mit Anna (eine solche Bettszene wäre von der Selbstkontrolle der U.S.-Filmwirtschaft damals nie erlaubt worden). Mit seinem Verhalten bestätigt Toni die Gültigkeit der Rolleneinteilung in Jungfrau und Hure und den Tauschwertstatus der Frau. Sobald Anna ihre Lust zeigt und sich mehr oder minder aktiv verführen läßt ist sie wie eine Hure und hat ihren Tauschwert verloren. Dann ist sie ihm ausgeliefert, ist in seinen Besitz übergegangen, und er braucht sich weiter keine Mühe zu machen. Er läßt seine Maske als Charmeur fallen, faulenzt, und läßt sie für ihn arbeiten. In der Einschätzung ihres Wertverlustes sind Toni und ihr Vater einer Meinung. Daraus entwickelt sich die weitere Handlung. War innerhalb der patriarchalischen Regeln keine Verwirklichung von Annas Wünschen möglich, macht die Übertretung sogar ihr Leben unmöglich. Verstoßen sowohl vom Vater, dem Vertreter des Gesetzes, wie auch vom Bösewicht, sieht sie keine andere Möglichkeit als den Tod. Mit ihrem Selbstmord ordnet sie sich völlig unter und gibt mit ihrem Leben auch ihre verbotenen Wünsche auf. Indem sie sich selbst vernichtet, wird sie endlich zu einer "guten" Frau. Der Tod ist eine letzte, aber vollkommene Angleichung an die Passivität, die von der Frau gefordert wird.115

Ergebnisse Annas Leidensweg und Tod sind also eine Bestrafung ihres Fehltritts und zugleich auch Lehrbeispiel für Einsicht in die Unumgänglichkeit von Verzicht auf sich selbst, auf Eigensinn, auf eine eigene Lust oder einen eigenen Willen. Annas "Lernprozeß mit tödlichem Ausgang" (Kluge) soll den Zuschauerinnen ein Modell für die notwendige Unterordnung und Abhängigkeit geben. So ist der Film eine volle Bestätigung der patriarchalischen Frauenrolle. Da diese Rolle aber eben die Quelle der ideologischen Konflikte ist, bietet der Film letztlich das Problem selbst als Lösung. Da das aber keine befriedigende Lösung ist, vor allem für die Gefühle, die dagegen auf ihr Glück bestehen, muß zumindest der Anschein einer Synthese geboten werden.

115

Der Tod als die Verlängerung der passiven Frauenrolle ist häufig der einzige Ausweg für Frauenfiguren in populären Fiktionen, da aktives Handeln ihnen nicht erlaubt ist, s. Modleski 1984, 18; Theweleit deckt einige der psychischen Mechanismen auf, die bewirken, daß die "soldatischen Männer" eine derartige "Entlebendigung" der Frau verlangen, s. insbes. Kapitel 1.

96 Eine Versöhnung wird suggeriert, wie oben gezeigt wurde, aber sie bleibt sehr vage. Da Anna bereits tot ist, braucht die Versöhnung nicht praktisch ausgeführt zu werden. Wenn die Geschichte nochmals von vorne anfinge, würde sich herausstellen, daß die Versöhnung völlig hohl ist, denn es ist nicht vorstellbar, daß der Vater grundsätzlich anders handeln könnte. Höchstens würde er sich mit einer milderen "Strafe" zufriedengeben und sie nicht in den Tod treiben - am grundlegenden Prinzip ändert das aber nichts. Der Vater verkörpert eine kulturelle Norm, die auch am Schluß ihre Gültigkeit nicht verloren hat, und deshalb würde der Konflikt immer wieder auf eine Katastrophe zutreiben. Die Erbschaft an Thomas erscheint als Rücktritt des Vaters und die Durchsetzung einer liberaleren Position, sie ist aber zugleich genau das, was der Vater von Anfang an wollte. Die patriarchalische Erbfolge von Mann zu Mann, die mittels Heirat erreicht werden sollte, geht auch über die Leiche der Frau hinweg. Die erste Drehbuchfassung (Tod des Vaters, Heirat zwischen Anna und Thomas) bestätigt ebenfalls das patriarchalische Gesetz, denn Anna muß auch in dieser Version der Geschichte ihren Fehler einsehen und büßen. Eine relative Aufweichung der Grenzen und vor allem ein deutlich größeres Trostangebot durch das Happy End wären schon gegeben. Daß das Drehbuch durch die Vorzensur kam, aber daß Goebbels dann weitgehende Veränderungen vor allem des Schlusses verlangte, zeigt, daß der Film in dieser Hinsicht in etwa an der Grenze des für die Nazis ideologisch Tolerierbaren lag. Die Erzählung bietet keine wirkliche Lösung, gleicht diesen Mangel zum Teil durch die angedeutete Versöhnung und zum Teil auch durch die erzählerische Geschlossenheit aus. Wie in der Analyse der Erzählstruktur gezeigt wurde, erscheint das Ende notwendig und schlüssig. Es entspricht den gattungs- und traditionsbedingten Erwartungen. Damit befriedigt es emotional, auch wenn es gegen die Wünsche der Zuschauer und Zuschauerinnen geht, die sich mit Anna identifiziert hatten. Der Film spielt zwei Teile innerhalb des Zuschauers oder der Zuschauerin gegeneinander aus: die Wünsche, die die Grenzen der Ideologie übertreten, und das Wissen, daß es so nicht gut ausgehen wird. Er erzieht zur Einsicht in die Notwendigkeit der Unterordnung, und versucht zugleich auf einer anderen Ebene die Widersprüche zu vertuschen und zu kompensieren. Die ideologische Arbeit des Films ergibt also höchstens eine Scheinlösung und versucht, die Wünsche darauf zu richten, bzw. sie zur Resignation zu bringen.

97

4.8. Die ödipale Ebene 4.8.1. Der Ödipuskomplex Die ideologische Fixierung und Einschränkung der Frauenrolle wird dadurch komplizierter, daß sie eingebettet ist in eine zweite Bedeutungsebene - die ödipale. Diese Ebenen sind zum Teil eng miteinander verzahnt, da die ödipalen Familienbeziehungen ein primärer psychischer Mechanismus für die Festlegung und Internalisierung von Geschlechtsrollen sind. Die ödipalen Bedeutungen der Filmhandlung bilden aber auch eine Ebene für sich. Sie ist in sich recht kompliziert und widersprüchlich, und sie kann verschiedene Schichten von Wünschen und Gefühlen in den Zuschauern und Zuschauerinnen ansprechen. Nach Freud entstehe die weibliche ödipale Situation aus der "Kastration", d.h. aus der Erkenntnis, ohne Phallus zu sein. Dies führe zu Aggression gegen die Mutter, die dafür verantwortlich gemacht wird. Daraus resultiere eine Loslösung aus der frühkindlichen Mutterbindung und ein Wechsel zum Vater als Objekt, was zugleich die Übernahme einer vorwiegend passiven Rolle mit sich bringe. Der Wunsch, vom Vater den Phallus zu bekommen, entwickele sich weiter zum Wunsch, von ihm ein Kind zu bekommen. 116 Die Vaterbindung soll sich im Lauf der Zeit lockern und sich auf andere Männer übertragen. Mit dem Wechsel von der Mutter zum Vater soll sich in der "normalen" Entwicklung auch ein Wechsel von der Klitoris auf die Vagina vollziehen - darin sieht Freud den "Passivitätsschub", der "die Wendung zur Weiblichkeit eröffnet". 117 Aktivität und Libido überhaupt werden im phallozentrischen Modell ausschließlich der Männlichkeit zugeordnet.118 Daß diese Theorie wohl kaum die letzte Wahrheit über weibliche Sexualität ausspricht, liegt auf der Hand. Sie steckt voll im phallozentrischen, patriarchalischen Diskurs über Frauen. Dafür ist sie aber von großem symptomatischen Wert - sie spricht klar aus, worauf dieser Diskurs basiert und wie Frauen auf diese Geschlechtsrolle in der Familie psychisch ausgerichtet werden können. Die Unterdrückung der weiblichen Sexualität, die Ausrichtung auf Passivität und Mutterschaft sowie die Entwertung der Frau bei gleichzeitiger Universalisierung des Männlichen nimmt Freud als gegeben und selbstverständlich an. Sieht man sie stattdessen als historisch, ideologisch und kulturspezifisch an, ergibt die Freudsche Theorie ein wichtiges Instrument für die Analyse der inneren Struktur dieses Systems. Dann erscheint der ödipale Diskurs als Teil der 116 117 118

Freud 1969,558-9. Freud 1969,560. Über die psychoanalytische Definition und Beschreibung der Weiblichkeit s. "Die Weiblichkeit" in Freud 1969, 544-85, "Einige psychische Folgen des anatomischen Geschlechtsunterschieds" und "Über die weibliche Sexualität" in Freud 1972, 257-66, 275-92, dazu Irigaray 1979, 33-69, Chasseguet-Smirgel 1976,7-67.

98 "geschichtliche[n] Fiktion", 119 die real die menschliche Realität produziert. Ödipale Beziehungen sind Teile der Mechanismen, die Frauen und Männer auf bestimmte Rollen unbewußt festlegen (die, aus der Perspektive der Emanzipation betrachtet, zum Teil ihren eigentlichen Interessen und Wünschen entgegengestellt sind). Die "Kastration" sieht Freud z.B. als die biologische Wahrheit über die "Minderwertigkeit" von Frauen. Aus anderer Sicht beschreibt sie akkurat die Unterdrückung und das Abschneiden der eigenen Sexualität, die eine patriarchale Gesellschaft mit Frauen vollzieht, um sie so auf ein männliches Modell der Weiblichkeit umzumodeln (ein Modell im übrigen, das auch die Männlichkeit eng restringiert).

4.8.2. Anna und Ödipus Vater und Tochter Im Film sind ödipale Themen in verschiedenen Formen vorhanden. Sie bilden eine komplizierte Konstellation, welche unterschiedliche Wünsche und Gefühle ansprechen kann. Ein Teil der emotionalen Wirkung des Films resultiert aus der Aktivierung solcher unbewußten ödipalen Elemente. Drei verschiedene Phasen der psychischen Entwicklung werden im Film figuriert: eine ödipale Beziehung zwischen Anna und ihrem Vater ist da, aber zugleich ihr Wunsch, daraus auszubrechen und einen anderen Mann als Liebesobjekt zu gewinnen; auf einer tieferen Ebene ist der regressive Wunsch nach der frühkindlichen symbiotischen Verschmelzung mit der Mutter noch aktiv. Elemente aus all diesen Entwicklungsstufen finden sich in Annas Persönlichkeit und in der Unterstruktur der Handlung. Die sehr enge gegenseitige Bindung von Vater und Tochter wird schon in den ersten Sequenzen des Films recht deutlich als eine ödipale Beziehung gekennzeichnet. Die innere Spannung dieser Beziehung bildet, zusammen mit Annas Suche nach einem befriedigenderen Verhältnis, eine treibende Kraft für die Handlung. Daß die Ausgangssituation ödipal bestimmt ist, zeigt sich an folgenden Merkmalen: - Anna hat den Platz ihrer toten Mutter übernommen. Dieser Zustand entspricht der Erfüllung des ödipalen Wunsches, die Mutter als gehaßte Rivalin zu beseitigen und sie zu ersetzen. Dieser Wunsch soll normalerweise stark mit Schuldgefühl belastet sein. Im Film ist davon nur indirekt - als Sühne durch Leiden und Tod in die Handlungsebene verschoben - etwas zu erkennen. - Die Ausschließlichkeit dieser Beziehung wird von Seiten des Vaters demonstriert. Erst als er Anna abgeschrieben hat, aber dann sehr plötzlich, gibt 119

Kluge 1975,215ff.

99 er seine "Treue" zu ihr auf und ist an einer erneuten Heirat interessiert. Erst dann zeigt er Interesse an Maruschka, die die ganze Zeit hinter ihm her war. Maruschka betrachtet Anna eindeutig als Rivalin, die sie aus dem Weg räumen muß. Bei Annas Rückkehr stellt Maruschka Jobst vor die Alternative, "sie oder ich". Annas Anwesenheit scheint eine andere erotische Bindung für Jobst auszuschließen. - Daß ihr Vater Anna zur Heirat mit Thomas drängt, scheint vielleicht dieser ödipalen Deutung zu widersprechen. Wenn man Thomas aber näher betrachtet, wird klar, daß er keine Bedrohung für die Vater-Tochter-Beziehung sein kann. Er übt keine erotische Wirkung auf Anna aus. Sowohl sein sanfter gutmütiger Charakter wie auch seine Klassenzugehörigkeit - als Knecht ist er abhängig vom Bauern - verhindern, daß er die Autorität des Vaters in Frage stellen könnte, geschweige denn, ihm als Rivale gegenübertreten. In einer Ehe mit Thomas würde Anna weiterhin auf dem Hof als Teil von Jobsts Familie und Haushalt bleiben. Der Bauer bezeichnet Thomas als "Schlappschwanz", der kein Mann sei - der also "kastriert" ist und den Vater als "Phallus" nicht ersetzen kann. Also hat der Vater für Anna gerade den Gatten ausgesucht, der die bisherigen Verhältnisse unverändert lassen würde. - Annas Interesse an Leidwein dagegen erscheint dem Vater als wirkliche Bedrohung. Mit ihm könnte sie eine (erotische) Bindung eingehen, die sie aus der kindlichen Abhängigkeit vom Vater befreien würde. Dagegen setzt sich der Vater mit Erfolg zur Wehr. - Die darauffolgende Versöhnung zwischen Vater und Tochter ist stark ödipal kodiert. Erstens erscheint Anna in dieser Szene als besonders kindlich und er als der übermächtige, starke, autoritäre Vater (entsprechend dem kindlichen Phantasiebild). Zweitens geht die Szene in eine Quasi-Liebesszene über: der Kuß auf den Mund. Eine solche Kußszene, auch noch in der Großaufnahme, muß zwar nicht unbedingt Vorstellungen vom Inzest erwecken. Sie konnotiert aber auf jeden Fall eine ungesund enge und einschränkende Beziehung und kann durchaus unbewußte, verdrängte ödipale Vorstellungen aktivieren.

Ausbruchsversuch mit tödlichem Ausgang Annas Wünsche lassen sich jedenfalls in dieser Beziehung zum Vater nicht verwirklichen. Das Inzesttabu verhindert die Befriedigung ödipaler Wünsche. Ihre Übertragung auf andere Männer wird vom Vater blockiert. Die Männer, die Anna begehrt, sind ihr verboten, sind gefährlich oder sie wiederholen das ödipale Muster; auch Leidwein wird ihr in Prag zu väterlich. Diese Situation macht die "normale" Lösung des Ödipuskomplexes unerreichbar. In einem Versuch, sich aus der zu engen ödipalen Beziehung zu befreien, bricht Anna völlig aus

100 dem Machtkreis des Vaters aus, was aber genauso fatal ist. Es ist also durchaus berechtigt, dem Vater die Schuld an ihrem Schicksal zuzuschreiben. Er verhindert die Möglichkeit einer besseren Lösung, vielleicht eine Heirat mit Leidwein, und hält Aima in einer Abhängigkeit, die sie hilflos gegenüber ihren Wünschen oder den "Gefahren" der Stadt macht. Auch er wird für sein Festhalten an der ödipalen Beziehung vom Schicksal "bestraft", indem er Anna verliert, zu spät zur tragischen Einsicht kommt und alle seine Pläne vereitelt sieht. In der Drehbuchfassung des Films wird die Schuld des Vaters wesentlich deutlicher herausgestellt: nicht Anna, sondern ihr Vater (der hier noch Melchior Dub heißt) muß im Moor sterben. Dazu der Kommentar eines jungen Bauern: "Wie hast gesagt, Dub? Das Moor straft!".120 In dieser Version bekommt die Geschichte ein etwas glücklicheres Ende, indem Anuschka (=Anna), die von Toni schwanger ist, trotzdem den Wenzel (= Thomas) heiraten wird. Durch ihre Erfahrung ist sie soweit gebracht, daß sie sich damit zufrieden gibt. Also schafft sie den "normalen" Ausgang der ödipalen Situation und lenkt ihr Begehren auf Mann und Kind um. Im Film - und auch in Billingers Stück - ist es aber Anna, die am Ende mit dem Tode bestraft wird. Welche Schuld muß sie dadurch sühnen? Diese "Schuld" besteht im wesentlichen darin, daß sie zu aktiv ist. In der Freudschen Terminologie hieße das, daß sie zu sehr vor-ödipale ("phallische" oder "klitorale") Komponenten in ihrem geschlechtlichen Charakter beibehält - also den "Passivitätsschub", der sie weiblich machen soll, nicht voll mitgemacht hat. Ihr Vergehen ist, wie wir schon im letzten Teil im Zusammenhang mit der Frage einer weiblichen Identität gesehen haben, daß sie sich auf die vorgeschriebene Rolle nicht einschränken läßt. Eine Analyse der ödipalen Bedeutungsebene zeigt, wie diese Rolle mit unbewußten und libidinösen Kräften zusammenhängt. Daß Anna scheitert, weil sie zu "aktiv" ist, scheint fast absurd, denn ihre fatale Aktivität besteht darin, daß sie sich verführen läßt. Aber das, vor allem wenn sie dabei Lust empfindet, ist wohl schon zu viel.121 Wenigstens für einige Formen der männliche Psyche ist jegliche Aktivität von Frauen schon bedrohlich. Freud beschreibt angsterzeugende Phantasien von der "kastrierenden" oder "phallischen" Frau. Eine extremere Form solcher Vorstellungen hat Theweleit bei den soldatischen Männern gefunden. Jede Art weiblicher Aktivität ist für sie mit extremer Angst und Aggressivität verbunden. Sie stellen sich sexuell aktive Frauen als "Flintenweiber", "rote Huren" usw. vor, die sie umbringen wollen. Weibliche Sexualität assoziieren diese Männer mit der Auf120 121

Die goldene Stadt [Drehbuch], 92. Bild, S. 282. Wie schnell eine Frau in den Verdacht kommen kann, "unanständig", d.h. sexuell interessiert zu sein, zeigt Ula Stöckl anhand von Beispielen des Revuefilms aus der NS-Zeit (1979, 94118).

101 lösung der Körpergrenzen in Schmutz, Schlamm, Blut usw. und fühlen sich in ihrem eigenen Körper- oder Ich-Gefühl ("Körperpanzer") dadurch bedroht. Sie reagieren darauf, indem sie Frauen entsexualisieren, passiv halten oder, in der Phantasie und in der Realität, töten. 122 Solche Vorstellungen helfen zu erklären, warum Anna am Schluß sterben muß. Die Verbreitung solcher Phantasien und auch gemäßigterer frauenfeindlicher Vorstellungen in der Kultur erzeugt einen ideologischen Druck auf die Erzählung. Dieser Druck bewirkt, daß die weibliche Lust und sexuelle Aktivität, die in der ödipalen Beziehung und noch mehr im Liebesabenteuer mit Toni entwickelt wurden, am Ende wieder gebändigt und neutralisiert werden müssen.

4.8.3. Ideologische Kompromisse Nach dem Modell der Ideologie, das ich hier benutze, könnte man erwarten, daß zwischen der vorgegebenen Ideologie und den Wünschen, die deren Grenzen überschreiten, im Laufe der Erzählung irgendein Kompromiß geschlossen wird. Es ist unwahrscheinlich, daß die weiblichen Wünsche sich ohne weiteres mit einer solchen Wiedereingrenzung zufrieden geben. Sie drängen auf Befriedigung, die sie zumindest in Form eines Kompromisses oder eines Ersatzes bekommen müssen. In diesem Film, wie ich zeigen will, kommt sogar ein ganzes System von Kompromissen und Kompensationsangeboten heraus.

Die Eliminierung der Weiblichkeit Auf der männlichen Seite bleibt die gegebene patriarchalisch-ödipale Ideologie am Ende recht intakt, da die störende weibliche Sexualität wieder eliminiert ist. Daß die alte Form des "Gesetzes des Vaters" sich als zu streng, und daß der Vater sich als zu sehr in der ödipalen Beziehung verfangen zeigt, wird durch den Verlust Annas und das Abdanken von seiner Machtposition bezahlt. Eine prinzipielle Veränderung in den Geschlechterrollen oder -Verhältnissen wird dadurch nicht erreicht, und wohl auch nicht bezweckt. Auch der angedeutete Kompromiß, Jobsts Einsicht, falsch gehandelt zu haben, und seine Weitergabe des Hofes an Thomas, ist sehr zwiespältig. Einerseits ein indirektes Eingeständnis seiner Mitschuld an Annas Tod, ist die Vererbung an Thomas andererseits das, was der Vater von Anfang an wollte. Es ist sogar mehr: die vollkommene Verdrängung der gefürchteten weiblichen Sexualität. Die Eingrenzung der Weiblichkeit auf Passivität und Mutterschaft wird hier noch einen Schritt weiter 122

Theweleit 1980.

102 geführt. Nicht nur die sexuelle Frau - zuerst die Mutter und dann Anna selbst wird eliminiert, sondern auch auf die Frau als Vermittlung zwischen Generationen von Männern wird hier verzichtet. Durch ihre "zügellose" sexuelle Aktivität mit Toni hat Anna ihre Chance auf eine Verwirklichung ihrer "wesensmäßigen" Bestimmung als Mutter vertan. Als sie sich umbringt, tötet sie zugleich ihr ungeborenes Kind - sie fühlt, "daß jenes Kind, daß [sie] sie unter dem Herzen trägt, nie zu diesen Menschen, zu diesem Boden, zum väterlichen Hof gehören kann". 123 Der Vater kann aber auch ohne Frauen sein Erbe weitergeben (Maruschka hat er ja auch gerade als unwürdig erkannt und verstoßen). Gerade diese rein männliche Vererbung bringt Fruchtbarkeit (die Kornfelder) hervor, während die "Vererbung" von Mutter auf Tochter nur "Verderben" und den Tod gebracht hat. Es mag manchen Lesern und Leserinnen etwas weit hergeholt erscheinen, in diesem Schluß die Realisierung eines "männlichen Befruchtungstraum[s] homosexueller Natur" zu sehen, wie Gertrud Koch in einem ähnlichen Zusammenhang eine Szene aus einem Film von Sirk bezeichnet.124 Eindeutig ist aber in Die goldene Stadt, daß die Weiblichkeit zugunsten einer rein männlichen Bindung systematisch verdrängt wird. Diese Tendenz zur Eliminierung oder zur Unterordnung der Frauen und zugleich zur Verherrlichung bestimmter Arten von Männerbeziehungen durchzieht den gesamten NS-Film.

Identifikation mit der Mutter, Verdichtung Auf der weiblichen Seite ist die Lage weniger klar. Die Konflikte entwickeln sich über mehrere Stadien, und verschiedene Bedeutungssysteme überlagern sich. Zum Ausgangskonflikt zwischen der ödipalen Situation und dem Wunsch, aktiv einen Partner zu suchen, kommt gleichzeitig Annas Sehnsucht nach ihrer Mutter dazu. Diese Sehnsucht ist zudem in sich mehrfach determiniert: zum Teil als Wunsch nach der umsorgenden Mutter, die Anna vielleicht nie gehabt hat (frühkindliche Phase - vor-ödipal), zum Teil als Identifikation mit ihr als Ideal, und zum Teil auch als die unbestimmte Sehnsucht nach Prag und dem "Leben", was ja lose mit der Mutter assoziiert wird. Als der erste Konflikt durch den Sieg des Vaters und die Wiederherstellung der ödipalen Situation ungelöst zu einem vorläufigen Stillstand gekommen ist, entwickelt sich die Erzählung über Annas Identifikation mit ihrer Mutter weiter. In Prag versucht Anna so zu werden, wie ihre Mutter war, d.h. sich vom Vater zu lösen und die Funktion der Frau/Mutter zu übernehmen. Hier erprobt 123

124

Die goldene Stadt [Werbeheft], 2. Hier überlagern sich Elemente aus dem patriarchalischen Diskurs und aus den ideologischen Systemen "Blut-und-Boden", "Stadt-Land" und NaziRassismus. Koch 1988,124.

103

die Erzählung ein zweites logisches Modell für die Lösung der Konflikte, die aus der ödipalen Situation stammen. Nur zeigt sich, daß für Anna dieser Weg keine Lösung bringen kann, sondern für sie genauso tödlich enden wird wie schon für ihre Mutter. Obwohl eine Identifikation mit der Rolle der Mutter prinzipiell die "richtige" Lösung des Ödipuskomplexes wäre, kommt es in Annas Fall zu keinem glücklichen Ausgang. Anna wird zu sehr wie ihre eigene Mutter, die aber die Funktion der Mutter nur sehr schlecht ausgeführt hatte. Sie war die "böse" Mutter, die ihr Kind im Stich gelassen hat und mit ihrer "Stadtsehnsucht" ihrem Mann "das Leben vergiftet" hat.125 Annas Annäherung an ihre Mutter bringt sie weiter von der gesellschaftlich vorgeschriebenen Frauen- und Mutterrolle ab. Elemente aus anderen Bedeutungsebenen spielen hier hinein. Nach dem im Nazismus besonders geförderten Gedanken an die "blutsmäßige" Vererbung von Eigenschaften, lag es für die Zuschauer und Zuschauerinnen nahe, Annas Unruhe, Sehnsüchte und "moralische Leichtfertigkeit" als Vererbung von ihrer Mutter zu verstehen. So steht im Werbeheft zum Film: "Wohl war diese Sehnsucht schon mit der Geburt in das Mädchenherz gelegt worden, denn ihre Mutter war aus dieser 'goldenen Welt' gekommen und trug auch diese unstillbare Sehnsucht ihr Leben lang [,..]."126 Daß Anna bei Toni landet, besiegelt diese vorgezeichnete Richtung und macht allen Hoffnungen auf eine bessere Lösung ein Ende. Die Verbindung mit Toni entreißt sie zwar der väterlichen, ödipalen Sphäre, aber er verweigert ihr den dann unentbehrlichen Status der Ehefrau und benutzt sie als "Hure". Annas "Schicksal" ist also durch mehrere verschiedene Diskurssysteme überdeterminiert; in ihr treffen sich ödipale Elemente mit den ideologischen Diskursen "Blut" und "Frau = Hure".

Projektion und Verschiebung Zusätzlich zu den Faktoren, die eher in ihrem Inneren wirken, gibt es auch äußere Faktoren, die Annas Schicksal beeinflussen. Das sind vor allem negativ bewertete Eigenschaften wie Egoismus, Faulheit und Nichtsnutzigkeit, Genußsucht und auch Falschheit oder Verlogenheit. Diese Eigenschaften prägen auch die anderen Figuren, vor allem Toni. Einerseits ist Anna Opfer ihrer eigenen Wünsche (teilweise von der Mutter "geerbt"), die sie auf einen verbotenen Weg bringen, andererseits ist sie auch Opfer dieser bösen Eigenschaften anderer Menschen, denen sie in ihrer Naivität ausgeliefert ist. Die Handlung kann sowohl - durch Identifikation und Mitleid mit Anna - belehrend die Notwendigkeit zeigen, die eigenen Triebe zu bändigen, als auch Aggressionen nach außen 125 126

Die goldene Stadt [Werbeheft], 2. Die goldene Stadt [Werbeheft], 2.

104 lenken. Die Aggression kann auf die Figuren im Film zielen, die Träger dieser bösen Eigenschaften sind. Da diese Charaktereigenschaften auch den häufigsten Feindbildern der Nazis entsprechen, läßt sich diese Aggression leicht auch auf Gruppen übertragen, die damit assoziiert werden (Tschechen, Juden, "Gemeinschaftsfremde" usw.), wenn die Filmrezipienten die entsprechenden Vorurteile intemalisiert haben. Ein Teil der Energie, die so entwickelt und verschoben wird, kommt aus den eigenen Wünschen, die unerfüllt bleiben. Die Wünsche nach Glück und nach persönlicher und erotischer Erfüllung finden in der Handlung keine ausreichende Befriedigung. Die ideologische Arbeit erreicht keine positive Lösung des Konflikts. Stattdessen bietet sie die Möglichkeit einer Kompensation durch die aggressive Projektion nach außen.

Trost durch Regression Für andere Gefühle bietet der Film, insbesondere der Schluß, einen gewissen Trost, indem er auf tiefliegende Wünsche nach Verschmelzung mit der Mutter zurückgreift. Im Tod durch Ertrinken im Sumpf gibt Anna ihren eigenen Willen, sich selbst, ihre Wünsche, überhaupt ihre Körpergrenzen auf und wird eins mit ihrer Mutter und der Natur. Freud erwähnt "den Tod als Rückkehr in den Mutterleib (ins Wasser)" als eine sehr häufig vorkommende Vorstellung.127 Vorstellungen vom "Sumpf', "Schlamm" usw. findet Theweleit bei den soldatischen Männern. Sie treten als angstauslösende Vorstellungen auf, die u.a. mit Frauen und weiblicher Sexualität, sowie mit der Auflösung der Körpergrenzen assoziiert werden. 128 Eine Vorstellung von Entgrenzung, von Rückkehr zur Mutter kann aber, solange die Persönlichkeit nicht um eine solche gepanzerte Abgrenzung organisiert ist, auch eine Wunschvorstellung sein. Für Anna ist die Rückkehr zur Einheit mit der Mutter die Erfüllung ihrer Suche nach ihrer vermißten Mutter, die in der ganzen Geschichte zumindest unterschwellig da war. Daß Anna durch ihren Tod zur Einheit mit ihrer Mutter kommt, wird durch ihre Rede und vor allem durch das Schlußbild, den Grabstein, betont. Während die männliche ödipale Identitätskonstruktion explizit in Abgrenzung, Trennung, Entwertung und einer negativen Umkehr der vorherigen Mutterbeziehung vor sich geht, formiert sich die weibliche Geschlechtsidentität in einer zusätzlichen Identifikation mit der Mutter. Die vor-ödipale Beziehung kann dabei viel eher weiter bestehen bleiben.129 Die im Film angesprochenen Vorstellungen einer Wiedervereinigung mit der Mutter können deshalb besonders bei Frauen auf positiv besetzte Phantasien treffen. Damit kann der Film am Ende positive 127 128 129

Freud 1969, 466. Theweleit 1980, Bd. 1,401-454. Williams 1987,306.

105 Gefühle aktivieren und dadurch einen Trost suggerieren, der sonst von der Handlung nicht geliefert werden kann. Das Gefühl eines harmonischen Ausgangs wird erweckt, obwohl die Konflikte keineswegs gelöst worden sind. Diese emotionale Wirkung relativiert jedoch das Ende, das auf der Ebene der Bedeutung den Sieg der repressiven Ideologie über die Wünsche verkündet. Der Film vermischt ödipale Rivalität, Identifikation und vor-ödipale Vorstellungen von einer Symbiose zu einer widersprüchlichen masochistischen Phantasie, die letztlich nur den Tod als Lösung bieten kann.

4.9. Metaphorische Diskursebenen: Die fauligen Sümpfe 4.9.1. Ein Knotenpunkt der Bedeutung

Das Motiv des Moors oder des Sumpfes taucht im Laufe des Films immer wieder auf. Es begleitet die Handlung fast vom Anfang bis zum Ende, und das Schlußbild ist eine lange Einstellung auf die Kornfelder, die nun an die Stelle des Sumpfes getreten sind. Dieses Motiv ist jedoch nur punktuell und nur sehr lose in die Handlung eingebunden. Das Moor gibt eine Motivation für Leidweins Anwesenheit auf dem Hof. Daß Jobst aus Traditionsgebundenheit das Moor behalten will, gibt ihm einen zusätzlichen Grund, Leidwein los werden zu wollen; wobei aber die Sorge, Anna zu verlieren, weitaus wichtiger ist. Im weiteren Verlauf des Films werden die Moore mehrmals erwähnt, aber sie beeinflussen die Handlung um Anna kaum. In Jobsts Rede ("Das Moor straft..." - Szene 31) gibt das Motiv eine Vordeutung auf das Ende und einen Kontrast zwischen der Unerbittlichkeit des Vaters und der verständnisvolleren Haltung von Thomas. Besonders am Anfang und am Schluß stehen das Moor und die Frage der Trockenlegung an exponierter Stelle; sie nehmen eine Wichtigkeit an, die weit über ihre Rolle in der Handlung oder als Schauplatz hinausgeht. Entsprechend der konventionellen Filmästhetik können wir aber erwarten, daß nichts Überflüssiges im Film vorkommen wird, daß etwas, das derart im Vordergrund steht, auch funktional oder bedeutsam ist. Kausale Beziehungen bestehen zwischen der Haupthandlung und dem Sumpfmotiv nicht. Wieso wird aber im Laufe des Films immer wieder darauf hingewiesen, und wieso nimmt es einen so prominenten Platz im Film ein? Die Antwort darauf kann nur in symbolischen oder metaphorischen Werten liegen, die das Motiv während des Films gewinnt. Um metaphorische Bedeutungen im Zusammenhang mit unserem Interesse an ideologischen Effekten des Films zu sehen, hilft es, nochmals auf strukturali-

106 stische Theorien zurückzugreifen. Lacan, in einer seiner zentralen Schriften, 130 geht von der Prämisse aus, daß Bedeutung nur aus den "Korrelationen von Signifikant zu Signifikant" entsteht. 131 Ein Signifikant bekommt Bedeutung im Verhältnis zu den vorausgegangenen und den folgenden Signifikanten in einer Äußerung - in der "Horizontale" aber auch in der "Vertikalen" - im Verhältnis zu assoziierten Signifikanten. 132 So schwingen immer viele andere Bedeutungen mit; jeder Diskurs erzeugt eine "Vielstimmigkeit" und richtet sich nach den "verschiedenen Dimensionen einer Partitur" aus. 133 Einer der wichtigsten Mechanismen dabei ist eben die Metapher, die "Substitution des Signifikanten durch einen Signifikanten". 134 Diese Art der Bedeutungsproduktion gibt es nicht nur in der Sprache, sondern in jeder Art Zeichensystem und deshalb auch, wie Lacan zeigt, im Unbewußten. Die Metapher entspricht strukturell der Verdichtung in der Traumarbeit. 1 3 5 Sie erzeugt "Knotenpunkte" 1 3 6 - Lacan redet auch von "Abheftungsstellen" oder "Polsterknöpfen" 137 - der Bedeutung. Ein manifestes Element verweist auf etliche latente Signifikationen. Diese Struktur, wo ein Signifikant einen anderen oder mehrere andere Signifikanten, eventuell auch aus anderen Zeichensystemen, als Signifikat hat, entspricht der Konnotation, wie Barthes sie definiert. 138 Solche konnotativen Bedeutungen machen gerade die ideologische oder mythische Signifikanz eines Zeichens aus. Wenn das Sumpfmotiv in Die goldene Stadt ein solcher Knotenpunkt der ideologischen Bedeutungen ist, welche Bedeutungen und Bedeutungsebenen knüpft die ideologische Arbeit da zusammen? Zunächst rufen die Begriffe " S u m p f ' oder "Moor" einige allgemeine Assoziationen auf. Sie werden gelenkt und gefördert durch die bestimmte Behandlung des Moors im Film. Am Anfang erscheint das Moor im Bild in Form einer schönen Landschaft, als unberührte Natur. Es war "immer schon da" - ein Urzustand der Natur - und ist sagenumwoben und mit Aberglauben behaftet. So erzählt Anna vom Moorungeheuer, vom "Wassermann", der Leute vom Wege lockt. Das Moor kann unheimlich, geheimnisvoll und gefährlich sein; das Grab der Mutter zeugt von der Gefährlichkeit. Die Gefahr kommt aus der Undurchsichtigkeit und Unberechenbarkeit des Moores. Es ist fließend und schwankend; jeder Schritt kann einer in den Untergang, ins Bodenlose sein, aus dem man sich selbst nicht mehr befreien T3Ö 131 132 133 134 135 136 137 138

"Das Drängen des Buchstaben im Unbewußten oder die Vernunft seit Freud", in: Lacan 1975,15-55. Lacan 1975, 26. Lacan 1975,28. Lacan 1975, 28. Lacan 1975, 41. Lacan 1975, 36. Freud 1972, 286. Lacan 1975, 27. Barthes 1977,89-94; 1982,93.

107 kann - eine deutliche Parallele zu Annas Geschichte. Ein Sumpf hat etwas Totes, Modriges, Dreckiges an sich. Diese negative Seite der möglichen Assoziationen verstärkt sich zum Ende des Films hin, wo nun vom "faulige[n] Moor" die Rede ist. Das Tote und Todbringende am Moor wird von Anfang an dem fruchtbaren Ackerboden entgegengestellt, z.B. in der Parallelmontage zwischen Moor und Ernte oder dadurch, daß die Trockenlegung das Moor fruchtbar machen soll. Das Schlußbild hebt diese Dichotomie besonders hervor: "Dort, wo sich das tückisch, unfruchtbare Moor erstreckte, steht die goldene Fülle reifenden Korns."139 Es gibt also verschiedene mögliche Assoziationen, die das Moor-Motiv hervorrufen kann. Sie lassen sich unterschiedlich mit der Handlung, den Figuren und den Themen verbinden. Dadurch entstehen bestimmte metaphorische Bedeutungskomplexe im Film. Ich erkenne zwei, die mit dem Motiv des Sumpfes zusammenhängen: zum einen Triebe und Triebeindämmung, und zum anderen Modernisierung.

4.9.2. Triebeindämmung Einige Verbindungen zwischen den konnotativen Bedeutungen des Sumpfs und der Geschichte Annas liegen nahe. Wie schon erwähnt, ähnelt ihr Lebenslauf dem langsamen Untergang im Sumpf: nach dem entscheidenden Schritt vom Wege versinkt sie immer weiter ins Verderben. Das Stadtmilieu um ihre Verwandten, "ein schlüpfriges Pflaster", und auch einige der Figuren haben die gleichen Eigenschaften wie das Moor. Vor allem bei Toni trifft das zu. Er ist "faul" und unproduktiv, glatt, undurchschaubar - zumindest für Anna -, gefährlich und tückisch. Er zieht sie ins Verderben und letztlich in den Tod hinunter. Anna läßt sich leicht vom falschen Schein verlocken und will auf Leidweins Warnungen nicht hören. Auch in ihr sind Elemente, die dem Bedeutungskomplex Sumpf nahestehen: die unbezähmte Natur ihrer Leidenschaften und Triebe. Die sind es, die Anna für die Verführung empfänglich machen und sie in ihr Unglück treiben. Bei anderen Figuren, vor allem Toni, Maruschka und der Tante, sind es auch Gelüste wie sexuelle Lust und Habgier, die, ungehemmt von Anständigkeit, Moral oder einem festen Charakter, sie gefährlich und verwerflich machen. Eine metaphorische Gleichsetzung Trieb=Sumpf kann auf eine lange Tradition in der Literatur und im Denken zurückgreifen. Begründet ist dieser Vergleich in den parallel-laufenden Veränderungen in der inneren, menschlichen und in der äußeren Natur, die beide im Laufe des langen Prozesses der "Aufklärung" zunehmend unter die Herrschaft des rationalen Denkens 139

Die goldene Stadl [Werbeheft], 2.

108 gebracht werden.140 Elias beschreibt den "Prozeß der Zivilisation" zum Teil ähnlich als die zunehmende Ausdifferenzierung und Abtrennung vom Bewußtsein und von Trieben und als die fortschreitende "Dämpfung der Triebe". 141 Im Laufe der gesellschaftlichen Entwicklung werden Ich- und Über-Ich-Funktionen ausgebaut, und sie gewinnen weitere Kontrolle über Affekte und Triebe. Selbstbeherrschung, Triebaufschub und Affekthemmung nehmen einen größeren Raum im "Seelenhaushalt des Individuums" ein.142 Konflikte werden internalisiert; die Spannungen innerhalb der einzelnen Psyche werden größer.143 Dieser sehr langfristige Prozeß erscheint als Domestizierung oder Zähmung der menschlichen Natur. Dabei trennt sich das Ich stärker von den Trieben - sie erscheinen dem bewußten Ich als etwas "Anderes", "Äußeres" in sich. Mit zunehmendem Zwang zur Kontrolle der Affekte erscheinen diese zunehmend bedrohlich, naturhaft und fremd. Das Ich muß sich gegen die Triebe wehren, in die es sonst zu versinken droht. Diese Abwehr nimmt verschiedene Formen an. Neben der Kontrollinstanz des Über-Ichs (Gewissen, Schuld, Scham), das Triebe unterdrückt, gibt es auch den Mechanismus der Projektion, der verbotene Triebregungen nach außen von sich weist.144 Die Projektionsbilder können natürlich sehr unterschiedliche Formen annehmen. In der bürgerlichen Kultur waren es häufig Bilder der Frau oder der Natur, die die abgewehrten Triebe repräsentierten. 145 Besonders oft sind es Vorstellungen von etwas Flüssigem oder Fließendem: Flüsse, das Meer, Wasser überhaupt, Ströme, Wellen.146 Bei solchen Bildern und den Vorstellungen der Triebe als naturhaft, unsicher, sogar dreckig, bietet sich ein Vergleich mit einem Sumpf geradezu an. Die Trockenlegung von Sümpfen, Landgewinnung, Beherrschung von Natur als Bild für Zivilisationsarbeit findet sich schon im Faust II (V Akt, Szene: "Großer Vorhof des Palasts").147 Freud nimmt dieses Bild an einer zentralen Stelle wieder auf: "Wo es war, soll ich werden. Es ist Kulturarbeit etwa wie die Trockenlegung der Zuydersee,"148 Der Prozeß der Zivilisation ist nicht nur etwas Historisches, sondern er wird in der Sozialisation immer wieder durchgeführt. Er ist internalisiert in der Kultur und in der psychischen Zusammenstellung der Menschen. Da die Triebe sich nicht ein für allemal verdrängen 140 141 142 143 144

145 146 147 148

S. Horkheimer/Adorno 1971, insbes. Exkurs I, 42-73. Elias 1976, Bd. II 390,369ff. Elias 1976, Bd. II 328. Elias 1976, Bd. II 331. Nach Freud spielen Introjektion und Projektion eine primäre Rolle in der Entwicklung von Ich und Über-Ich, also gerade in der Selbstdefinition und Selbstbeherrschung, s. Freud 1982, 96-9,180-1,296-306,374-5. S. Theweleit 1980, Bd. 1, 311-77. Theweleit 1980, Bd. 1,256-97. S. Theweleit 1980, Bd. 1, 368. Freud 1969,516.

109 lassen, ist die Triebeindämmung nichts abgeschlossenes, sondern muß immer wieder realisiert und bestätigt werden. Daraus erwächst ein starker Legitimationsbedarf für die psychischen und kulturellen Regeln, die diesen Verzicht verlangen. In diesem Zusammenhang wird eine der metaphorischen Funktionen des Sumpfmotivs im Film klarer - es steht als Bild für die Wünsche, vor allem für die weiblichen und ödipalen, deren Verbot durch die Erzählung nochmals besiegelt wird. Das Schlußbild zeigt den Sieg der Zivilisation über die Natur, des Über-Ichs über das Es. Die Handlung hat die Notwendigkeit der Triebbeherrschung narrativ vorgeführt. Der Schluß zeigt die pazifizierte, domestizierte Natur im Bild des trockengelegten Moores. Dieses Bild suggeriert Ruhe, Frieden, Harmonie und wiederhergestellte Ordnung, und es steht dabei in deutlichem Kontrast zu den unmittelbar vorangegangenen Szenen im Moor. Um eine solche Harmonie zu erreichen, mußten die Frau/die Triebe/die Natur geopfert werden, was jedoch teilweise wieder kaschiert wird. Die gelungene Umwandlung des Moores läßt es so aussehen, als wäre wirklich etwas erreicht. Auf der metaphorischen Ebene wird angedeutet, daß die mit den Sümpfen assoziierten Probleme gelöst und die Gefahren gebannt sind. D a s Bild der Trokkenlegung appelliert an Aspekte des Zuschauers oder der Zuschauerin, die die Triebeindämmung und die patriarchalisch definierte Geschlechtsrollen internalisiert haben. Für sie erscheint die Trockenlegung und überhaupt das Ende als erfolgreiche Abwehr gegen unheimliche Urkräfte. Warum sollte die Triebkontrolle überhaupt ein Problem sein, das auf diese Art in einer Erzählung eine ideologische Lösung verlangt? Wie schon erwähnt, ist die kulturelle und psychische Triebeindämmung nie abgeschlossen, sondern ein ständig sich wiederholender Prozeß. Dabei müssen die Grenzen des Erlaubten und des Verbotenen/Verdrängten immer wieder neu ausgehandelt werden. Hier bildet sich so etwas wie eine Grundebene der Ideologie überhaupt. Insbesondere seit Aufkommen des Bürgertums spielt die Moral und die moralische Selbstdefinition eine wichtige Rolle. Triebaufschub ist ein grundlegender Zug der "protestantischen Ethik" (Weber), die die Entwicklung des Kapitalismus begleitet und gefördert hat. Die kollektive Selbstdefinition des Bürgertums und die Abgrenzung gegen andere Klassen - erfolgte in einem großen Ausmaß über moralische Begriffe und moralisch definierte Feindbilder, z.B. in der Gestalt des adligen Schurken im bürgerlichen Trauerspiel. Die weitere Entwicklung der Modernisierung führte zu einem enormen Abbau der Grundlagen von traditionellen kulturellen Regeln und Legitimationen; am Anfang des 20. Jahrhunderts und besonders infolge des ersten Weltkriegs erreichte diese Entwicklung krisenhafte Ausmaße. Dadurch entstand eine ideologisch unklar definierte Situation, in der verbindliche Regeln und auch eine kulturell verankerte Begründung für die Triebunterdrückung tendenziell verlorengingen. Damit

110 lastete ein viel größerer Entscheidungsdruck auf den Individuen. Eine Reaktion darauf war die Rückkehr zu ungleichzeitigen Resten der traditionellen Ideologien - etwas, das eine wichtige Rolle in der Ideologie im Nationalsozialismus spielte. Die Reaktivierung alter ideologischer Reste, z.B. Moral- und Tugendvorstellungen, Geschlechterrollen etc., war aber nur eine Tendenz innerhalb des deutschen Faschismus. Sie mußte sich mit modernen Tendenzen und mit den Ideen und Wünschen, die sie freisetzten, arrangieren. Vor dem Krieg und in den ersten Kriegsjahren bezog der Nationalsozialismus nicht wenig Loyalität aus wirtschaftlichem Erfolg und einem erhöhten Konsum- und Genußangebot, das ideologisch mit den konservativen und reaktionären Elementen zu versöhnen nicht ganz leicht gewesen sein wird. Im Krieg, und vor allem nach 1941/42, mußte zunehmend an Opferbereitschaft, Verzicht, Selbsteinschränkung und Disziplin appelliert werden. In dieser Situation, in der auch "die Integrationskraft des Regimes schon weitgehend geschwunden war", 149 waren Verzicht und Opfer immer schwieriger als sinnvoll und durch eine Vertröstung auf Zeiten "nach dem Endsieg" zu begründen. Zugleich wurde von der ganzen Gesellschaft verlangt, was man im Film am Fall Anna vorgeführt sieht: Einsicht in die Notwendigkeit, auf Befriedigung zu verzichten.

4.9.3. Modernisierung Ein zentraler Widerspruch in der Ideologie und in der gesellschaftlichen Realität des Nationalsozialismus war derjenige zwischen Modernisierung und Antimodernismus. Die kontroverse Diskussion, wie der Faschismus in dieser Hinsicht einzuschätzen sei, nimmt in der historischen Forschung einen relativ breiten Raum ein. 150 Die Standpunkte variieren zwischen denen, die den Faschismus als einfach reaktionär sehen, und denen, die darin einen besonderen Modernisierungsschub oder gar eine Art soziale Revolution sehen. Die These einer "braunen Revolution" (Schoenbaum) ist zwar zweifellos übertrieben, aber die Modernisierungstheorien haben das Bild der NS-Gesellschaft erheblich erweitert und vervollständigt. Sie haben auf die großen Tendenzen zur fortschreitenden Modernisierung - Industrialisierung, Urbanisierung, Bürokratisierung, Säkularisierung und Rationalisierung der Gesellschaft, zusammen mit einem Abbau alter, festgelegter Formen und Strukturen - in der NS-Zeit hingewiesen. Diese Tendenzen setzten aber Entwicklungen fort, die vorher schon längst im Gange waren, und nachher weitergeführt wurden. Es bestand also viel eher eine große Kontinuität in der kapitalistischen Modernisierung der Gesellschaft, größtenteils mit der Fortsetzung der Klassenverhältnisse und Wirt149 150

Broszat 1983a, 62. S. Kershaw 1985,130-148, für eine kritische Zusammenfassung der Argumente.

111 schaftsstruktur einherging, als irgendeine Revolution in den sozialen Verhältnissen.151 Der Nationalsozialismus setzte sich aus einem reichlich unübersichtlichen Neben- und Durcheinander von verschiedenen, sich widersprechenden Tendenzen zusammen. Die Massenbasis der Partei, die besonders vom antimodernistischen Programm angesprochen wurde, war kleinbürgerlich geprägt; die Wirtschaftspolitik diente aber eindeutig den Interessen der Großindustrie und förderte die kapitalistische Durchrationalisierung der Wirtschaft. Aber auch unter der mittelständischen Anhängerschaft der Nazis war die Motivation sehr unterschiedlich oder in sich widersprüchlich. Auf der einen Seite waren viele von der rückwärtsgerichteten Ideologie angezogen, die Ressentiment gegen moderne Entwicklungen oder Wünsche nach einfacheren, leichter überschaubaren Verhältnissen ansprach. Auf der anderen Seite waren aber gerade Teile dieser Schichten auch am ehesten empfänglich für die Parolen von "Erneuerung" oder "Aufräumen" der alten Ordnung und für den Nazi-Jugendkult. Die tatsächliche Zunahme an sozialer Mobilität und die Modernisierung der Gesellschaft - was nicht als positiver Fortschritt verstanden werden soll - und die Auflösung alter festgefahrener Strukturen, die der Nationalsozialismus mit sich brachte, waren für viele Leute sehr attraktiv.152 Trotz aller eher rückwärts gerichteten Parolen, Appelle und Denkweisen, die unser Bild vom NS so geprägt haben, bewirkte das faschistische System real eine fortwährende Modernisierung. Der Nationalsozialismus, anfänglich stimuliert von zahlreichen kleinbürgerlichen sozialen Ängsten und kulturkritischen Ressentiments, förderte in seiner gesellschaftlichen Praxis schließlich gerade die weitere Auflösung traditioneller sozialkonservativer Bindungen, ließ der Entfesselung der Massengesellschaft freien Lauf. 153

Diese sehr widersprüchlichen Tendenzen miteinander zu versöhnen, oder sie als vereinbar darzustellen, war ein ideologisches Problem. In diesem Spannungsfeld, als eine aktive Auseinandersetzung mit diesen Gegensätzen, nicht als Illustration einer vorgegebenen, geschlossenen Blut-und-Boden-Ideologie, ist Die goldene Stadt zu verstehen. Ich will das im folgenden näher untersuchen, hauptsächlich anhand des Sumpf-Motivs. Am Anfang steht das Moor im Mittelpunkt der Auseinandersetzung zwischen einem modernen, zweckrationalen, technischen Denken (Leidwein) und einer traditionsgebundenen, konservativen, naturverbundenen, nicht-rationalen Haltung (Jobst). Jobst will die Sümpfe behalten, nicht weil sie nützlich sind oder Gewinn bringen, sondern, im Gegenteil, er verzichtet auf potentiellen Gewinn, um sie so zu lassen, wie sie immer schon waren. Man müsste erwarten, wenn der Film "Blut-und-Boden"-Werte vermitteln soll, daß dieser Vertreter 151 152 153

S. Kershaw 1985,143-4. Broszat 1983a, 52-57. Broszat 1983a, 56-57.

112

des erdverbundenen, traditionsbewußten deutschen Bauerntums uneingeschränkt Recht bekommen würde. Die Besetzung der Rolle mit Eugen Klopfer, der im Film häufig historische Figuren, Väter und standhafte Deutsche spielte (z.B. Sturm in Jud Süß, den Bauern in Der ewige Quell und J. S. Bach in Friedemann Bach), bekräftigt diese Erwartung. In der Frage der Sümpfe scheint es auch, daß er Recht bekommen wird, denn mit seiner festen Überzeugung, seiner Autorität und seiner Bauernschläue fällt es ihm leicht, sich gegen Leidweins Pläne zu wehren. Hier könnte man die Aufnahme eines Stereotyps des NS-Films sehen: die Führer-Figur, die sich auf Instinkt und Überzeugung stützt und gegen "Vernünftelei" und rationale Argumente siegt. Dadurch aber, daß diese Nebenhandlung in der Haupthandlung um Anna eingebettet ist, wird Jobsts Position stark relativiert. Daß er Leidwein wegschickt, macht ihn zum Haupthindernis für das romantische Interesse zwischen Anna und Leidwein. Bei Anna zeigt er die gleiche sture Haltung wie in der Frage des Moores. Sofern man sich mit Anna und/oder Leidwein identifiziert, muß man Jobsts Haltung ablehnen, die die Entfaltung der Liebesgeschichte verhindert. Die Sympathien mit den verschiedenen Figuren sind zu diesem Zeitpunkt noch nicht klar und eindeutig entwickelt. Aufgrund der Handlung und Darstellung dürften Identifikationen und Zuneigungen einigermaßen gleichmäßig zwischen den Figuren verteilt sein. Was Jobst an Wohlwollen durch seine Strenge und seine Funktion einbüßen muß, gleicht er durch Menschlichkeit und seine positiven Eigenschaften wieder aus. Über die Darstellung der Figuren Leidwein und Jobst konfrontieren sich zwei grundverschiedene, sich widersprechende, aber nebeneinander existierende Tendenzen der Nazi-Gesellschaft. Auf der einen Seite steht der alte bodenständige Bauer. Er ist eine feste, starke Persönlichkeit, traditionsgebunden, gerade und aufrecht, stur, kräftig - eine Figur wie aus einem der vielen agrarromantischen Romane der Zeit oder wie auf dem Titelblatt einer NSBauernschaftszeitung. Auf der anderen Seite steht der junge dynamische Techniker - mindestens genauso eine vorbildliche und populäre Figur. Paßt Jobst zum Bild des deutschen Bauern, das von der völkischen Richtung (Rosenberg, Darr6 etc.) propagiert wurde, so ist Leidwein Repräsentant einer anderen Richtung innerhalb des Nationalsozialismus - der Schicht junger Techniker, Manager, Angestellter und Funktionäre, die neue Karriere- und Wirkungsmöglichkeiten fanden (der Typus eines Albert Speer). Trotz allen reaktionären Parolen - und auch politischen Entscheidungen - hat das NS-Regime alte Strukturen beseitigt und damit dieser Schicht eine neue Mobilität ermöglicht. Technikbegeisterung und eine positive Einstellung zu vielen modernen Errungenschaften setzten sich in einer ungebrochenen Linie spätestens seit Anfang des Jahrhunderts fort; dieses ließ sich besonders in der Militärtechnik und der

113

Rüstungsproduktion gut mit den Zielen des Nationalsozialismus verbinden.154 In zahlreichen Filmen der NS-Zeit findet man junge Ingenieure oder Flieger als Vorbildfiguren und Helden, wobei sie meistens auch persönlich durchaus als flott und modern gezeichnet werden. Das Moor ist am Anfang des Films Streitpunkt zwischen zwei widersprüchlichen Aspekten der Ideologie im Nationalsozialismus. Der traditionelle und erdverbundene Standpunkt, personifiziert durch Jobst, setzt sich zunächst durch, und das Sumpf-Motiv verschwindet vorerst aus der Geschichte. Es taucht aber an einer zentralen Stelle kurz wieder auf: in Jobsts Rede vor dem Gemeinderat. Hier ist es ein Bild für die beschworene Bestrafung von Anna. Es nimmt wesentlich negativere Züge an und kommt deutlicher in den Bedeutungskreis von Aberglauben, Verschlossenheit und der übertriebenen Strenge und Unflexibilität des Vaters. Die Aufgeschlossenheit, die Thomas zeigt, wirkt viel sympathischer als die mit dem Moor assoziierte Haltung des Vaters. Zugleich wird der erste Gegensatz dadurch relativiert, daß in Toni und seinem Milieu eine wesentlich "schlimmere" Version der modernen Gesellschaft vorgeführt wird. Erst am Schluß wird der Sumpf wieder wichtig. Es ist ein effektiver und bedeutsamer Schauplatz für Annas Selbstmord. Indem sie sich ins Moor versinken läßt, vollzieht sie ihres Vaters Urteil über sie. Darüber hinaus wird es, durch die Trockenlegung, zum Symbol einer Wende und einer Versöhnung. Durch Annas Tod wird Jobst dazu gebracht, seine Meinung zu ändern. Im letzten Satz des Films weist er Thomas an, das Moor wegzuschaffen. Am Schluß hat also die Modernisierung doch gewonnen. Auch der hartnäckigste Vertreter des Alten hat sich belehren lassen, wenn auch erst durch Leiden und durch den Verlust seiner Tochter. Mit Thomas kommt eine neue Generation, die mit dem Land verbunden, aber flexibler und offener für Neuerungen ist. Dieser Schluß, und die Veränderung in Jobst, ist aber, wie schon in der Analyse der Erzählstruktur gezeigt wurde, kaum begründet. Die Entscheidung, die Sümpfe trokkenzulegen, wirkt wie eine verspätete Einsicht, bei Anna falsch gehandelt zu haben. Dadurch aber, daß von der Handlung um Anna auf eine andere Ebene der Bedeutung ausgewichen wird, umgeht der Film die Notwendigkeit, eine plausible Lösung - die es in der Geschichte, wie sie formuliert ist, nicht geben kann - zu liefern. Das Bild des reifen Korns gibt ein emotionales Bild der Annäherung und Versöhnung - sowohl für die Geschichte Annas wie auch in Zusammenhang mit dem ideologischen Gegensatz von "Blubo" und Modernisierung. Das Schlußbild versucht, einen Kompromiß vorzuführen. Das Kornfeld ist Sinnbild des bäuerlichen, ländlichen Lebens, aber in diesem Kontext erscheint es auch modern, da es die archaischen Sümpfe abgelöst hat. Was am Anfang als 154

S. Schäfer 1982,152-3.

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Konflikt dargestellt wurde, wird am Ende in Harmonie aufgelöst. Diese Harmonie wird aber nicht logisch aus der Handlung begründet, sondern bildlich und emotional vorgeführt. Der Film weicht am Schluß in das symbolische Bild des Kornfeldes und in eine entschärfende Neuformulierung des Konflikts aus. Die Gegensätze Stadt-Land und Tradition-Modernisierung werden am Schluß teilweise in dem Begriffspaar alt-jung aufgehoben. Der Generationswechsel, der mit der Vererbung an Thomas vollzogen wird, löst den Konflikt auf, indem Thomas eine Synthese der eigentlich unverträglichen Gegensätze verkörpert. Die Ablösung der Generation der Väter findet sich auch in anderen Filmen.155 In Thomas und in der Metapher der trockengelegten Sümpfe schafft der Film einen Kompromiß, der die ideologischen Widersprüche als gelöst darstellt. Daß Thomas, der ehemalige Knecht, zum Hoferben und Bauern wird, bestätigt die "Volksgemeinschaft"-Idee, die mit ihrem Versprechen von Gleichheit und sozialer Mobilität besonders für die Mittelschichten sehr attraktiv war. Die Auflösung der wilhelminischen sozialen Strukturen wird hier als das Abdanken des Vaters vorgeführt. Im Film Die goldene Stadt wird keine einfache, rückwärtsgerichtete Blutund-Boden-Ideologie zum Ausdruck gebracht, sondern diese Ideologie wird an die aktuellen Gesellschaftserfordernisse angepaßt. Ein "organischefr] Ausgleicht...] zwischen Land und Stadt" wird angestrebt, wie das Peter von Werder in einer Diskussion über die "Aufgabe des Films im Umbruch der Zeit" verlangte.156 Auch ein solcher Kritiker der "innere[n] Verstädterung" verlangte keine totale Abkehr von der Modernisierung,157 sondern betonte, daß "nicht die technische Zivilisation als solche etwa abgelehnt oder gar rückgängig gemacht, sondern nur ihre gemeinschaftsisolierende Wirkung entgiftet und die falsche seelische Einstellung zu ihr aufgehoben" werden sollte.158 Diese gemäßigte, modernisierte Form der "Blut-und-Boden"-Ideologie trifft genau auf Die goldene Stadt zu. Sie entsprach den Bedürfnissen der Kriegswirtschaft, die auf technische Rationalisierung angewiesen war und auch viel zur Veränderung der Gesellschaft beitrug. Es ist überhaupt ein typischer Zug des Faschismus, daß er rein ideologisch auf Folgen der Modernisierung reagierte. Die Basis der Wirtschaftsordnung und der Fortgang der technischen Rationalisierung ließ er dagegen weitgehend unangetastet. Teilweise forcierte er sogar deren Weiterentwicklung.

155

156 157 158

Vgl. Heimat, der eine zum Teil ähnliche Problemstellung hat und ähnliche Lösungsstrategien benutzt; s. insbesondere die Rede der Figur Heffterdingk, in der das Jugendpathos der Nazis und ihr Gerede von einer "neuen Zeit" deutlich anklingt. Werder 1943,36. Werder 1943, 42. Werder 1943,44.

115

4.10. Schlußbemerkungen In dieser Interpretation des Films Die goldene Stadt habe ich versucht, einige Spuren der ideologischen Arbeit im Filmtext aufzuzeigen. Dabei hat sich herausgestellt, daß ähnliche Strategien der Wiedereingrenzung von Wünschen und der scheinbaren Harmonisierung von Konflikten auf verschiedenen Ebenen verfolgt werden. Die zugrunde liegenden Konflikte sind vor allem die zwischen den Wünschen der Hauptfigur und dem Widerstand der anderen Figuren, bzw. der von ihnen dargestellten Prinzipien; nach Seeßlen basieren alle Melodramen auf einem Zusammenprall von Wünschen und Widerständen. 159 Ich habe den Erzählverlauf als die versuchte Ausarbeitung dieser Konflikte analysiert; demnach ist die Handlung durch die diachronische Entfaltung der tieferliegenden Widersprüche strukturiert. Dies läßt sich nach der Methode von Lévi-Strauss tabellarisch zusammenfassen (s. Tabelle 4.2. im Anhang).160 Hier sieht man, daß jede Phase der Erzählung (Zeile der Tabelle) eine neue Möglichkeit des Kräfteverhältnis zwischen Annas Wünschen und den Widerständen entwickelt. Wie ich gezeigt habe, entwickelt sich die Geschichte als lineare Handlungsfolge und zugleich als mehrfache Neuformulierung der gleichen Probleme (in der Tabelle durch die Spalten dargestellt). Die Wünsche nach Identität, Autonomie, Liebe, "Leben", Lustbefriedigung etc. werden durch die Konfrontation mit den Widerständen, den gesellschaftlichen Normen, umgeleitet. Am Ende ergibt die Geschichte eine konsequente Bestätigung der Normen, die aber emotionell und symbolisch teilweise kompensiert wird. Bei diesem "Kuhhandel" (Jameson) zwischen utopischen Impulsen und deren ideologischer Unterdrückung werden die Wünsche ziemlich kräftig "übers Ohr gehauen", denn am Ende sollen sie ihre völlige Wiedereingrenzung freiwillig akzeptieren. Daß diese Probleme Gegenstand eines Films geworden sind, und daß andere Filme der Zeit zu noch widersprüchlicheren Ergebnisse kommen, belegt die Permanenz des Antagonismus zwischen den menschlichen Wünschen und ihrer ideologischen Unterdrückung - einer Unterdrückung, die nie komplett sein kann, solange die Bedürfnisse nicht wirklich befriedigt werden. Das bleibt aber ein schwacher Trost angesichts der Effektivität der faschistischen Ideologie und der massenkulturellen Umlenkung der Wünsche und Erziehung zur Unterordnung - wofür Die goldene Stadt als Beispiel dienen kann.

159 160

Seeßlen 1980,48-9. Vgl. oben, Kap. 4.5.3.

5. Die große Liebe - filmische Zeichen im Dienst der Ideologie

5.1. Einleitung 5.1.1. Fragestellung Es kann keinen Zweifel geben, daß Die große Liebe unter die politisch-propagandistischen Filme der NS-Zeit einzureihen ist. Schon der Status als "Staatsauftragsfilm", der vom Propagandaministerium bestellt wurde, und die von der Filmprüfstelle erteilten Prädikate "staatspolitisch und künstlerisch wertvoll" und 'Volkstümlich wertvoll" zeigen, daß der Film politisch intendiert war. Inhaltliche Bezüge zur nationalsozialistischen Politik und zur damaligen Situation haben sich leicht finden lassen: der Film verherrliche Pflichtgefühl und Gehorsam, verharmlose den Krieg, verbreite die "Volksgemeinschaft"Ideologie und beschwöre Optimismus und Durchhaltewillen im Dienst der Kriegsführung. 1 Solche Elemente sind im Dialog und in der Handlung einfach zu identifizieren. Wenn ich im folgenden den Schwerpunkt der Analyse auf andere Aspekte des Films lege, soll das keine Verleugnung einer direkt propagandistischen Ebene des Films sein. Vielmehr setze ich sie als gegeben voraus, um auf die darunterliegenden filmischen und ideologischen Mechanismen zu kommen, die eine propagandistische Wirkung erst ermöglichen. Dann stellen sich eine Reihe interessanter Fragen. Auf welchem ideologischen Substrat baut die propagandistische Wirkung des Films auf? Wie wird die politische Ideologie mit "protopolitischen" Ideologien - einschließlich psychischen und subjektiven Faktoren verbunden? Wie erreicht der Film seine emotionale Wirksamkeit, die sich nicht zuletzt in seiner enormen Popularität ausdrückt? Welche "filmspezifischen Strategien" 2 verfolgt der Film? Diese Fragestellungen bringen eine Erweiterung und Vertiefung der Untersuchung der Ideologie im Film mit sich. Zum einen soll der Blick auf die spezifisch filmischen Elemente (Bild, Schnitt, Ton etc.) gerichtet sein: wie sie eingesetzt werden, wie sie Bedeutung und emotionale Wirkungen erzeugen, welchen ideologischen Wert sie schon in sich haben können. 1

2

S. Leiser 1978, 62-63, Regel 1978, 42-46, Traudisch 1988b, 49, Witte 1979b, 29-31, 227-228, Courtade/Cadars 1975, 231-232, Drewniak 1987, 397-398. Schlüpmann 1988,44.

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Zum anderen wird auf eine Kontextualisierung des Films hingezielt: in der Gesellschaft, in größeren historischen Zusammenhängen, in der Filmgeschichte und in ihren Gattungs- und Stilkonventionen. Die bestimmte Relativierung des propagandistischen Inhalts des Films, die dabei zustande kommt, soll nicht als Verharmlosung verstanden werden. Nicht die NS-Ideologie soll "normalisiert" werden, sondern es soll untersucht werden, inwieweit die ideologischen Dimensionen der "normalen" Kultur - am Beispiel des Films - schon Elemente in sich bergen, die sich sehr gut dazu eignen, von einem solchen System instrumentalisiert zu werden.

5.1.2. Heimatfrontfilme Die große Liebe gehört zu einer Reihe von "Heimatfrontfilmen", die in den Jahren 1940-42 in die Kinos kamen. Diese Filme, zusammen mit ein paar Kriegsfilmen, bildeten insofern eine Ausnahme vom normalen Muster des NSFilms, als sie sich eindeutig auf die aktuelle Situation in Deutschland bezogen. Die meisten Filme, auch die politischen, spielten in der Vergangenheit oder in einer seltsamen Phantasiewelt, die sich weniger auf die Realität, als auf die Stereotypen des Hollywood-Films der dreißiger Jahre bezog. Die deutschen Filme hatten sich seit den zwanziger Jahre an den Mustern der amerikanischen Filme modelliert, insbesondere an den Musicals und Komödien, wobei sie Milieu und Dekor (gehobene Gesellschaft - "weißes Telefon"-Filme) und zum Teil auch den amerikanischen Schauplatz nachahmten; dieses geschah sogar noch im Jahre 1943 in Der weiße Traum. Es ist oft bemerkt worden, daß jeglicher Hinweis auf die Wirklichkeit des Nazismus im durchschnittlichen Unterhaltungsfilm fehlt. Uniformen, der Hitler-Gruß etc. kamen sehr selten in Filmen vor. Dies wird illusionsfördernd gewirkt haben und den Wünschen vieler Zuschauer und Zuschauerinnen nach einer politikfreien Privatsphäre entgegengekommen sein.3 Wenn aber Film, wie andere Formen der Kultur, gebraucht wird, um bei der Verarbeitung von Erfahrungen zu helfen, dann ist zu erwarten, daß gerade in der Kriegszeit ein erhöhter Bedarf an Filmen entsteht, die eine Auseinandersetzung mit der Realität ermöglichen. Rein eskapistische Filme können einen solchen Bedarf nicht befriedigen. Vermutlich war eine Annäherung an die Realität nötig, um die Glaubwürdigkeit der Filme zu erhöhen, damit die "FilmSeifenblase aus der Traumfabrik angesichts der Kriegsrealität nicht allzu schnell zerplatzt."4 Die Heimatfrontfilme waren eine Antwort auf die gestiegene Nachfrage, die Kriegswirklichkeit in Form einer personalisierten, leicht nachvollziehbaren und konsumierbaren Spielhandlung zu sehen. Zugleich waren sie 3 4

S. Schäfer 1985. Traudisch 1988b, 50.

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wohl Teil der propagandistischen Strategie, die in der ersten Phase des Kriegs eine massive Erhöhung des Anteils der manifest politischen Filme am Gesamtangebot bewirkte.5

5.1.3. Publikum und Rezeptionskontext Zumindest im Fall der Heimatfrontfilme traf das politische Produktionsinteresse auf eine breite Publikumsresonanz. Die große Liebe (1942) und Wunschkonzert (1940) gehörten zu den Kassenschlagern des "Dritten Reiches", und auch Sechs Tage Heimaturlaub (1941), Fronttheater (1942) und Zwei in einer großen Stadt (1942) scheinen sehr populär gewesen zu sein. Die große Liebe stand mit 8 Millionen RM Brutto an erster Stelle einer Aufstellung der erfolgreichsten Filme 1940-42, gefolgt von Wunschkonzert mit 7,6 Millionen RM. 6 Demnach wird Die große Liebe häufig als der erfolgreichste deutsche Film überhaupt angegeben.7 Albrecht bezeichnet Die große Liebe als den erfolgreichsten Film im Jahre 1943 mit einem Einspielergebnis von 8,0 Millionen RM achtzehn Monate nach der Uraufführung, einem Ergebnis, das allerdings im nächsten Jahre von Der weiße Traum mit 9,6 Millionen RM übertroffen wurde.8 Auch gemessen an der Laufzeit im Uraufführungskino (91 Tage) lag der Film 1942 an der Spitze.9 Längerfristig gesehen war der Film nicht mehr der absolute Spitzenreiter, aber mit einem Einspielergebnis von 9,2 Millionen RM bis November 1944 immerhin noch an vierter Stelle,10 hinter Die goldene Stadt, Der weiße Traum und Immensee,n Begünstigt wurden diese guten Ergebnisse durch die allgemein sehr guten Amortisierungsmöglichkeiten für Filme in der Kriegszeit: 1942 erreichten die Anzahl der Kinos (7042) und 1943 die Besucherzahl (1116,5 Mio.) jeweils einen Höchststand. In der Kriegszeit war die Besuchsfrequenz generell angestiegen auf 13-14 Kinobesuche je Einwohner pro Jahr. Zum Vergleich: 1935/36 waren es 303,3 Mio. Besucher, das entspricht 5,9 Kinobesuchen je Einwohner im Jahr. 12 Zugleich fiel das Gesamtangebot an neuen Filmen 1941 und 1942 auf den niedrigsten Stand bis dahin, so daß der einzelne Film sehr 5

6 7

8 9

10 11 12

Nach Albrechts Einteilung machten solche "P-Filme" im Jahre 1941 33,8% und 1942 25,0% des Jahresangebots aus; 1933-41 waren dagegen stets weniger als 16% und 1943-45 sogar nur etwa 8% der Filme eindeutig politisch (Albrecht 1969,107). Das deutsche Filmschaffen im vierten Kriegsjahr. Z.B. von Regel, der ermittelt, daß ca. 27,2 Millionen Kinobesucher den Film sahen (1978, 42), von Witte (1979b, 227), Courtade und Cadars (1975, 232) und Leiser (1978, 59). Albrecht 1985,43, 45. Den zweiten Platz belegte Die goldene Stadt mit 73 Tagen. Beide Filme lagen weit über den Durchschnittswert des Jahres: 29 Tage. (Errechnet nach Jason 1943, Melzer 1942). Belach 1979,185. Drewniak 1987, 631. Knierim 1965,62.

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günstige Bedingungen auf dem Markt vorfand. Nicht nur im langfristigen Vergleich, sondern auch innerhalb der Produktion der Kriegszeit fallen die Heimatfrontfilme durch ihre sehr große Popularität beim Publikum auf. Die relative Realitätsnähe dieser Filme wird eine wichtige Rolle beim Publikumserfolg gespielt haben. Die "Meldungen aus dem Reich" des Sicherheitsdienstes der SS stellten den enormen Erfolg von Wunschkonzert fest und gaben, neben erfolgreicher Werbung und der Beliebtheit des Radio-Wunschkonzerts, Folgendes als Begründung dafür an: Der anhaltende Rekordbesuch dieses Films stelle einen überzeugenden Beweis dafür dar, daß die filmische Gestaltung eines zeitnahen Stoffes und der Versuch, gegenwärtiges Geschehen, das jeder aus eigenem Erleben kennt, mit einer Spielhandlung zu verbinden, von vornherein einer überdurchschnittlichen Anteilnahme in allen Kreisen der Bevölkerung sicher sei [...]. Im Mittelpunkt der häufig beobachteten Mundpropaganda fiir den Film stehe vor allem der Hinweis auf die außerordentliche Fälle der im Film berührten wichtige Ereignisse der letzten Jahre (Olympiade, Legion Condor in Spanien, Polenfeldzug) und auf die vielfältigen Episoden aus dem gegenwärtigen Kriegsgeschehen. Der Film komme dem Wunsch der breiten Masse der Bevölkerung nach Vielseitigkeit und Aktualität in umfassender Weise entgegen. 13

Obwohl keine entsprechenden Rezeptionsberichte über Die große Liebe vorliegen, ist anzunehmen, daß - neben Faktoren wie Stars, Lieder und Titel - die Aktualität des Stoffes auch bei diesem Film zum Publikumserfolg erheblich beitrug. Daß der Film "ganz von der Luft der Zeit erfüllt" sei14 und daß er einen "zeitnahen Stoff' behandele,1S hob die Presse besonders hervor. Im Unterschied zu Wunschkonzert spielt das Kriegsgeschehen in Die große Liebe eine untergeordnete Rolle. Der Film konzentriert sich auf die "Heimatfront" und den "privaten Bereich, den er kaum verläßt".16 Dies ist leicht zu erklären aus dem Verlauf des Krieges zwischen 1940 und 1942. Die allierten Luftangriffe hatten den Krieg inzwischen nach Deutschland gebracht, die schlechte Versorgungslage machte sich nunmehr bemerkbar, und der anfänglich weit verbreitete Optimismus war einer abwartenden oder direkt pessimistischen Haltung gewichen, insbesondere nach dem Mißlingen des Versuchs eines "Blitzkriegs" gegen die Sowjetunion und nach dem Eintritt der USA in den Krieg. Konnte Wunschkonzert noch in "zuversichtlichen Optimismus ausklingen" und mit einer kriegerischen Schlußmontage enden: "Schnellboote, Stukas, Eisenbahngeschütze, Kreuzer verschmelzen zu einem Bild entschlossener Schlagkraft",17 mußte Die große Liebe stärker auf Ablenkung und die Beschwörung von Durchhaltewillen und Glaubenskraft ("ich weiß, es wird einmal ein Wunder gescheh'n...") setzen. Die Wirklichkeit des Krieges ist immerhin in Die große Liebe noch präsent, wenn sie auch nur eher verharmlosend in Form von "Versatzstücke[n] des All13 14 15 16 17

Zit. nach Albrecht 1979,192. Feddersen 1942. Senske 1942. Regel 1978,43. Regel 1978,37.

120 tagslebens" in den Film Eingang findet.18 Etwas später war nicht einmal das möglich - und vielleicht auch nicht mehr so vom Publikum erwünscht. Kriegsfilme kamen nicht mehr in die Kinos; der Krieg blieb der Wochenschau überlassen, die in der Zeit vereinheitlicht und zeitlich erheblich verlängert wurde.19 Später gedrehte Kriegs- und Heimatfrontfilme, z.B. Besatzung Dora (1943), Der 5. Juni (1942) und Eine kleine Sommermelodie (1944), wurden vom Krieg überholt und mußten "wegen 'der veränderten militärischen Lage'" noch vor der Premiere verboten werden.20 Die Spielfilme nach 1942 zeigten einen zunehmenden Hang zum puren Eskapismus, wobei die Frage offen bleiben muß, ob das auf das Konsumverhalten des Publikums oder eher auf Direktiven des Propagandaministeriums zurückzuführen ist. Diese Fluchttendenz ist vielleicht am besten versinnbildlicht im erfolgreichsten Film aus den Jahren 1943/44, "Der weiße Traum", ein Revuefilm mit dem bezeichnenden Schlagertext: [...] kauf Dir einen bunten Luftballon, nimm ihn fest in deine Hand; stell Dir vor, er fliegt mit dir davon in ein fremdes Märchenland. [...] Drum kauf dir einen bunten Luftballon und mit etwas Phantasie fliegst Du in das Land der Illusion und bist glücklich wie noch nie. 21

Die Fluchttendenz war nicht in allen Filmen nach Stalingrad so deutlich ausgesprochen. Viele sind im Sinne einer verschobenen, stark privatisierten Verarbeitung der Gefühle und Erlebnisse des Kriegs zu verstehen. Vor allem sind es Erfahrungen von Trennung, Tod, Trauer und Aushalten- oder DurchhaltenMüssen, die historisch verkleidet oder in persönlichen Geschichten ohne direkt identifizierbaren Bezug zur Gegenwart verarbeitet werden. In Die große Liebe und den anderen Heimatfrontfilmen dagegen sind die Verarbeitungsmechanismen noch deutlich zu sehen: die Realität wird zwar verharmlost und harmonisiert, steht aber im Mittelpunkt der Handlung. Die angesprochenen Gefühle und Probleme werden zum Teil in Zusammenhang mit ihren wirklichen Ursachen gestellt: mit kriegsbedingter Trennung, Todesbedrohung, dem Verhält—77S

19 20 21

Traudisch 1988b, 49. Den Kontrast zwischen der Kriegsrealität und der verharmlosenden Filmhandlung wurde vom Kritiker Werner Fiedler ironisch bemerkt: "Geht das nach dieser Wochenschau? fragt man sich besorgt, während die Wurlitzer Orgel das Thema gefühlvoll vibrierend aufnimmt. Wird sich die erfundene Filmfabel gegen den Ernst des beschworenen kriegerischen Geschehens behaupten können? Eben sah man im Hexenkessel von Charkow Bombenreihenwürfe, die das Gelände mit riesigen Erdfontänen aufrissen, nun soll ein als Kampfflieger gekleideter Schauspieler zu galanten Angriffen übergehen. - Doch das Leben ist ja nun einmal reich an Gegensätzen, heute mehr als je." (Fiedler 1942). Regel 1978,43. Courtade/Cadars 1975, 205, 204, 215. Zit. nach Sperr 1978, 224.

121 nis zwischen privaten Wünschen und öffentlichen Anforderungen, den veränderten Geschlechterrollen. Zugleich kann der Film gerade durch diesen partiellen Realismus eine besonders effektive ideologische Verschleierung durchführen, denn er wirkt dadurch glaubwürdiger und kann direkter auf reale Erfahrungen zugreifen, um sie zu entfremden.

5.1.4. Schauspieler und Regie Zusammen mit der Handlung und dem Inhalt war auch die Rollenbesetzung wichtig für den Erfolg des Films. Zarah Leander ist eindeutig der Star des Films, und sie war wahrscheinlich der weibliche Star der NS-Zeit überhaupt. Das heißt aber nicht, daß sie allein den Erfolg eines Films garantieren konnte. Nach ihren ersten Kassenschlagern (Zu neuen Ufern, La Habanera, Es war eine rauschende Ballnacht) hatten das einige relativ erfolglose Filme mit ihr bewiesen. Die große Liebe nimmt typische Elemente ihres schon bestehenden StarImages auf: eine etwas verruchte Sängerin, die leiden muß und dabei "Haltung" beweist und zur wirklichen Größe erwächst. Die aktuellen Bezüge in Die große Liebe brachten ihre Rolle in diesem Film, auch wenn sie durch das Milieu und die Schauplätze abgehoben wird, den Zuschauern und Zuschauerinnen näher, was vermutlich die identifikatorische Wirkung steigerte. Auch die anderen Rollen sind recht gut besetzt. Sowohl Viktor Staal als auch Paul Hörbiger hatten bereits ähnliche Rollen in Filmen mit Zarah Leander gespielt. Hörbiger war schon seit 1928 im Film tätig. Er war auf einen gewissen "Wiener Charme" spezialisiert und spielte oft die volksnahe Figur des "kleinen Mannes" - häufig mit Hans Moser zusammen. Auch im leichten Musikfilm trat er häufig auf (Schrammein, Unsterblicher Walzer etc.). Seine Rollen und seine Spielweise waren zurückhaltend, bescheiden, unprätentiös. In einem Kino, in dem die "großen", "künstlerischen" Schauspieler wie Jannings oder George eher durch ihre übertriebene, theatralische Spielweise und Diktion auffallen, wirkt die leise, bescheidene Art von Hörbiger recht sympathisch. Er erreichte damit auch eine beträchtliche Popularität, allerdings ohne die besondere Qualität eines "Stars" zu besitzen; dafür fehlt das Überhöhte bei Hörbiger. Die recht farblose Rolle des zaghaften Komponisten und Begleiters von Zarah Leander in Die große Liebe gibt wenig Gelegenheit, schauspielerisch besonders hervorzutreten. Hörbiger gestaltet die Rolle so, daß sie schlüssig und glaubhaft wirkt. Sogar der Verzicht auf die Liebe am Ende des Films kippt weder ins Pathetische noch ins Heroische um. Viktor Staal hatte vor Die große Liebe bereits in etlichen Heimatfilmen, Melodramen und Abenteuerfilmen gespielt, auch in einigen bekannteren, wie Zu neuen Ufern mit Zarah Leander und Capriccio mit Lilian Harvey. Dennoch

122 wurde seine Charakterisierung des Fliegers in Die große Liebe in der Presse eine "große Ueberraschung" genannt.22 Mit dieser Rolle habe er sich "in die erste Reihe unserer jungen Darsteller" gespielt.23 Vom Aussehen, Alter und von seiner Spielweise paßt er gut zum Bild des Fliegerleutnants und ins Rollenfach des jungen Liebhabers. Seine Darstellung wurde in der damaligen Kritik allgemein gelobt. Es fällt aber etwas schwer, ihm sein Draufgängertum am Anfang des Films abzunehmen. Dafür wirkt er zu "sauber", "anständig" und "treu". Ihm fehlt völlig die etwas "gefährlichere" erotische Ausstrahlung, die etwa Ferdinand Marian oder, wenn auch heute kaum nachvollziehbar, Willy Birgel in Rollen als "Charakterheld und schwerer Liebhaber" wohl besaßen. 24 Dafür verkörpert Staal als Idealbild eines jungen Fliegers viele Eigenschaften, die in der NS-Zeit besonders positiv bewertet wurden: Standfestigkeit, Härte, Energie, Anständigkeit, Disziplin, Ordnungssinn, Loyalität. Grethe Weiser, die schon Hauptrollen gespielt hatte, übernimmt in Die große Liebe die Nebenrolle des "Mädchens" von Zarah Leander. Passend zu Weisers Image ist sie hauptsächlich für komische Aufheiterung zuständig. Als "eine praktische Berlinerin mit Herz und Mund auf dem rechten Fleck" hat sie Gelegenheit, einige Pointen im Dialog anzubringen,25 oder, wie Werner Fiedler schrieb, "mit unnachahmlichem Schnoddermäulchen ihre gemütlichen Späße" zu servieren.26 Die Nebenhandlung um ihre Verliebheit in einen riesigen und etwas langsamen Akrobaten sorgt für einiges an etwas platter Komik. Der Regisseur Rolf Hansen hatte mit seinem Film Das Leben kann so schön sein (1938) ein "realistische[s] Zeitstück" geschaffen, das "weder die Tristesse des Alltags noch Erörterungen sozialer Probleme" ausklammerte, 27 und der Film wurde folglich kurz nach der Uraufführung verboten. Nach dieser Zurechtweisung dosierte Hansen die Alltagsrealität in seinen nächsten Filmen etwas vorsichtiger. Mit Sommer, Sonne, Erika (1939) erreichte er einen guten Erfolg beim Publikum,28 der ihm wohl den Weg zum Regieauftrag für drei Filme mit Zarah Leander bahnte (Der Weg ins Freie, Die große Liebe, Damals). Hatte Hansen in seinen ersten Filmen "ungewöhnliche[...] Einstellungen" ausprobiert und "eigenwilliges inszenatorisches Geschick" gezeigt,29 ist in Die große Liebe nichts mehr davon zu spüren. Die visuelle Gestaltung ist eher konventionell, in den Revueszenen, wie wir sehen werden, sogar noch statischer als der 22 23 24 25 26 27 28

29

Schwark 1942. Suchen 1942,188. Oertel 1941,283. Suchen 1942,188. Fiedler 1942, auch abgedruckt in Albrecht 1985, 42. Holba/Knorr/Spiegel 1984,137. Der Film spielte bis zum 13. Monat nach der Premiere bereits 1486000 RM ein, bei Kosten von nur 617000 RM (Albrecht 1969,411,420). Holba/Knorr/Spiegel 1984,137.

123 Durchschnittsfilm der NS-Zeit bereits war. Eine besondere Regie"Handschrift" ist im Film nicht zu erkennen, was aber für die zeittypische Qualität des Films spricht und seine Massenwirksamkeit vielleicht eher erhöht hat.

5.2. Politik und Unterhaltung • Propagandistische Aufgaben des Films Goebbels stellt an verschiedenen Stellen in seinen Tagebüchern und Reden zwei Aufgaben für den Film in der Kriegszeit auf: "Unterhaltung" und "Erziehung". Die große Liebe verbindet sehr erfolgreich diese beiden Funktionen.

5.2.1. Unterhaltung Im Tagebuch schrieb Goebbels am 8.2.1942: "Auch die Unterhaltung ist heute staatspolitisch wichtig, wenn nicht kriegsentscheidend." 30 Schon 1939 hatte Goebbels die ablenkende Funktion der Kunst hervorgehoben. Sie sollte die Aufgabe übernehmen, "Entspannung und Erholung zu geben" und "Optimismus" zu verbreiten, denn "Ohne Optimismus ist kein Krieg zu gewinnen; er ist genauso wichtig wie die Kanonen und die Gewehre". 31 So habe der Film die politische Funktion, "ein Volk für seinen Lebenskampf auszustatten, ihm die in dem dramatischen Geschehen des Tages notwendige Erbauung, Unterhaltung und Entspannung zu geben." 32 Der Film Die große Liebe konnte Optimismus und die "kriegswichtige" gute Laune auf zwei Arten verbreiten: einerseits durch die Handlung, eine Liebesgeschichte mit glücklichem Ausgang, andererseits durch die Lieder und die Musik insgesamt.

Liebesromanze Die Liebesromanze ist eine Standardform des Unterhaltungsfilms, die stets recht beliebt gewesen ist, vor allem beim weiblichen Publikum. Sie appelliert an weit verbreitete Wünsche nach Liebe, nach harmonischen Beziehungen und nach persönlichem Glück. So hat sie einen relativ direkten Zugang zu tiefliegenden Gefühlen. Wenn das Happy End glaubwürdig wirkt und das Einlösen 30 31 32

Zit. nach Albrecht 1979, Vorwort, o.S. Rede vom 27.11.1939, in Albrecht 1979, 66. Rede vom 15.2.1941, in Albrecht 1979, 76.

124 solcher Wünsche verspricht, ist es gut geeignet, zumindest kurzfristig eine positive, optimistische Haltung zu erzeugen. Die große Liebe ist um eine solche Liebesgeschichte organisiert. Der Film weicht nur insofern vom normalen Gattungsmuster ab, als er den Krieg - statt anderer Figuren, einer Familienkonstellation o.ä. - als retardierendes Moment einsetzt. Das Ende stellt einen (begrenzten) Sieg der Liebenden über die widrigen Umstände dar und hält die Perspektive einer völligen Vereinigung in der Zukunft offen. Das Versprechen eines privaten Glücks bildet den zentralen Gehalt der Liebesgeschichte. Zusätzlich zu dieser optimistischen Wirkung habe der Film auch als "Ventil" funktioniert, um "Unbehagen an der rechten Stelle abzufangen". 33 Nicht nur positiv "gute Laune" zu vermitteln, sondern auch schon Unzufriedenheit rechtzeitig zu blockieren, konnte eine politisch wichtige Aufgabe sein.

Schlager Die Schlager, mit ihren beschwingten Melodien und hoffnungsvollen Texten, trugen nicht wenig zur optimistischen Wirkung und auch zur Popularität des Films bei. Das Lied "Davon geht die Welt nicht unter" wurde im Rundfunk bereits vor der Premiere des Films populär gemacht.34 Zarah Leander selbst schreibt: "Ich hoffe, daß es die Musik und die Lieder waren, die das Publikum in meine Filme lockte. Sollte es etwas anderes gewesen sein, würde mich das wirklich betrüben [...]."35 Auch wenn es sich dabei nicht ganz so krass verhielt, waren die Lieder und Leanders markante Stimme ein wichtiger Faktor für die Popularität ihrer Filme, die bis heute noch nachwirkt. Die Lieder für Die große Liebe wurden von dem sehr erfolgreichen Team Michael Jary (Musik) und Bruno Balz (Texte) geschrieben. Die beiden lieferten die Musik für sehr viele Filme in der Kriegszeit, u.a. auch den Hit "Das kann doch einen Seemann nicht erschüttern", den Heinz Rühmann, Hans Brausewetter und Josef Sieber in Paradies der Junggesellen und nochmals in Wunschkonzert sangen. Solche Lieder vermittelten Zuversicht, Standfestigkeit, Optimismus und eine schunkelnde Gemütlichkeit. Bei der Filmmusik für Die große Liebe setzten Jary und Balz diese Richtung fort. "Durchhaltelieder", und als solche sind "Davon geht die Welt nicht unter" und "Ich weiß, es wird einmal ein Wunder gescheh'n" im Kontext von 1942-43 zu verstehen,36 sollten die Kriegsmoral der Zivilbevölkerung stützen. Karsten Witte bestreitet zwar, daß es sich hier um Durchhaltelieder handelt, und sieht sie als Beispiele einer "grandiosen Ver33 34 35 36

Regel 1978, 42-3. Drewniak 1987, 397-8. Leander 1973,127. S. Albrecht 1985, 43.

125

heißung" des NS-Größenwahns und des Glaubens an den Sieg. Untersuchungen der Volksstimmung deuten aber darauf, daß 1942 nur noch wenige Leute an einen baldigen Sieg glaubten und daß Durchhalten und Erdulden die allgemeine Stimmung eher kennzeichneten.37 Eine gewisse Zweideutigkeit oder Offenheit ist in den Liedertexten zu finden, denn es wird nicht gesagt, welches Wunder geschehen soll oder wovon die Welt nicht untergeht. Balz, der zuvor von den Nazis inhaftiert worden war, mag beim Texten durchaus auch an ein anderes Wunder gedacht haben als die Machthaber. Das verhinderte aber keineswegs, daß das Propagandaministerium seine Lieder für Propagandazwecke einsetzen konnte. Die tatsächliche Wirkung der Lieder ist nicht mehr festzustellen. Denkbar ist aber, daß sehr viele Leute dabei einfach an ihre Hoffnungen auf ein Ende des Krieges, egal wie, gedacht haben. "Alle internen Meinungsberichte zeigen, daß die Friedenssehnsucht schon seit 1941/42 zum absolut beherrschenden Element der Volksstimmung wurde."38 Die Nazis vermochten bis zuletzt erstaunlich viel Opferbereitschaft und Kampfwillen in Teilen der Bevölkerung zu erwecken. Aber auch diejenigen, die sich nicht so mobilisieren ließen, waren in einer Situation, in der sie durchhalten und ausharren mußten. Auch sie konnten durch die recht unspezifische Aussage der Lieder angesprochen werden. Wenn sie daraus Lebenswillen oder Optimismus bezogen, kam das objektiv dem Regime zugute. Auf solche Weise wirkte aber jede Art Unterhaltung oder Ablenkung systemstabilisierend.

5 2 2 . Erziehung

Unterhaltung war nur die eine Intention des Films im Nationalsozialismus. Darüberhinaus sollte er ein "Erziehungsmittel" mit "staatsmoralischefr] Tendenz" sein.39 Diese "volkserzieherische" Funktion steht in keinerlei Widerspruch zur Unterhaltungsfunktion. Denn es wurde erkannt, daß Propaganda besonders wirksam sein kann, wenn sie in die Form von Unterhaltung verpackt wird. Goebbels sagt weiter, es sei ratsam, [...] diese pädagogische Aufgabe zu verschleiern, sie nicht sichtbar zutage treten zu lassen, nach dem Grundsatz zu handeln, daß wir die Absicht nicht merken sollen, damit man nicht verstimmt wird. Das ist also die eigentliche große Kunst, zu erziehen, ohne mit dem Anspruch des Erziehers aufzutreten, [...] ohne daß das Objekt der Erziehung überhaupt merkt, daß es erzogen wird, wie das ja überhaupt auch die eigentliche Aufgabe der Propaganda ist.

Welche "Lehren" oder welche "Werte" sollte Die große Liebe vermitteln? Drei Hauptrichtungen lassen sich im Film finden: die Festigung soldatischer 37 38 39 40

Broszat 1983a, 63. Broszat 1983a, 63, s. auch Boberach 1984, passim. Goebbels' Rede vom 15.2.1941, in Albrecht 1979,75. Goebbels, in Albrecht 1979, 76.

126 Tugenden, die Propagierung der "Volksgemeinschaft" und die Unterordnung des Privaten. Flieger und Militär Eine "Huldigung an die Männer der Luftwaffe" sei nach Courtade und Cadars in der positiven Darstellung des Fliegers zu sehen.41 Eine Faszination durch die Technik, die sich im Leitbild des Fliegers ausdrückt, war schon lange vor der NS-Zeit vorhanden, vor allem bei der Jugend. Dynamik, Mobilität, Freiheit, Autonomie, Kontrolle über die Maschine - als Wunschvorstellungen und Aspekte der Modernität bestimmten solche Ideen das Bild vieler Menschen von der Technik. Dieses Bild kristallisierte sich in Figuren von Fliegern und Ingenieuren heraus, wie man sie in der "Neuen Sachlichkeit" und in der Massenkultur in den ersten Jahrzehnten des zwanzigsten Jahrhunderts häufig findet. Diese Vorstellungen setzten sich unter dem Faschismus ungebrochen fort. Die Technikfaszination der Jugend ließ sich gut für die Nazi-Kriegsführung instrumentalisieren, denn der Krieg, zumal der "Blitzkrieg", erschien als intensivster Einsatz der Technik und als neue Möglichkeit für viele, selber damit umzugehen. In Die große Liebe bleibt dies eher ein Nebenaspekt des Films, denn Kriegsszenen kommen nur begrenzt vor und die Darstellung ist eher betont sachlich und heruntergespielt. Dennoch spielen all diese Assoziationen in den Bedeutungskomplex "Flieger-Soldat-Militär" und in die Darstellung des Helden mit hinein. Viktor Staal gibt eine positive, "männlich-feste" Figur ab: "Ein Prachtkerl von Flieger, draufgängerisch, voll männlichem Optimismus und soldatisch in seiner Entscheidungen zwischen Pflicht und Neigung."42 Diese Rolle bestätigt wiederum die schon bestehenden Stereotypen des Fliegers43 Das Auftreten eines Fliegeroffiziers im Film bringt quasi-automatisch durch Assoziation etliche andere Bedeutungen mit ins Spiel. Soldatische Tugenden (Disziplin, Pflichtgefühl etc.) und eine dynamische Männlichkeit gehören dazu. In Die große Liebe werden diese Eigenschaften der Hauptfigur Wendlandt gleich in der ersten Szene zusätzlich durch die Handlung und den Dialog betont. Der Film kann auf diese relativ feststehenden, kulturell gesicherten Bedeutungen aufbauen, z.B., um eine ausgeprägte Polarität zur weiblichen, privaten, domesti41 42 43

Courtade/Cadars 1975, 232. Schwark 1942. Diese Stereotypen bestimmten die Ideenwelt bis in die Nazi-Führung hinein. Goebbels berichtet über Die große Liebe: "In diesem Film wird ein Fliegeroffizier gezeigt, der eine Nacht mit einer berühmten Sängerin verbringt. Das OKW fühlt sich dadurch moralisch gestoßen und erklärt, ein Fliegerleutnant handle nicht so. Demgegenüber steht die richtige Meinung Görings, daß, wenn ein Fliegerleutnant eine solche Gelegenheit nicht ausnütze, er kein Fliegerleutnant sei." (zit. nach Leiser 1978,63).

127 sehen Welt der Frau zu entwickeln. Das positive Leitbild des Fliegers wird als selbstverständlich vorausgesetzt, und die militärischen Tugenden brauchen an keiner Stelle hinterfragt zu werden.

Volksgemeinschaft Eine zweite erzieherische Wirkung des Films zielt auf eine Festigung der Volksgemeinschaftsideologie. Insbesondere die Szenen im Luftschutzkeller werden oft in diesem Zusammenhang erwähnt.44 Daß auch die Diva dabei lernt, sich in der Gemeinschaft wohl zu fühlen, trägt dazu bei.45 Eine bedingt realistische Schilderung der Zeit, zusammen mit der Aufnahme und Verharmlosung negativer Aspekte der Kriegswirklichkeit, soll potentiell "zersetzende" Effekte abfangen. Elemente wie Mangel an Konsumgütern, soziale Kontrolle durch die Nazis und die Gefahr durch Bomben werden gezeigt oder angedeutet. Wirklich zutreffende Gründe für Unzufriedenheit und Ablehnung des Systems werden damit in einer kleinen Dosis zugelassen, um sie zu entkräften und sogar ins Gegenteil umzubiegen, in eine Bestätigung der Volksgemeinschaft im Krieg. Der Mangel an Nahrungsmitteln, ein Grund für massive Unzufriedenheit in der Bevölkerung schon ab Sommer 1941 und verstärkt im Jahre 1942,46 wird im Film nur in der harmlosen Form von Witzen über fehlende Nachspeisen im Restaurant oder Knappheit an Kaffee aufgenommen. Solche Hinweise beinhalten aber bereits wesentlich mehr Realität als in den meisten Filmen zugelassen wurde, die eher die Illusion oder das Wunschbild eines gehobenen Vorkriegslebensstandards vorspielten.47 In Die große Liebe werden solche potentiell beklemmenden Hinweise auf die Kriegsrealität in Witze eingepackt.48 Sie geben der Unzufriedenheit einen Ausdruck und entkräften sie zugleich. Komplementär zu dieser Strategie, die die Volksgemeinschaft bestätigen soll, ist die negative Darstellung des "Meckerers" in der Szene im Luftschutzkeller. Diese karikaturenhafte Figur wird zum Ziel eines aggressiven Humors gemacht. Durch seine negative Haltung - "Kaffee? - Bleiben Sie mir bloß mit der ollen Malzplörre vom Leibe, ja." 49 - bringt er sich selbst um den Kaffeegenuß, und er darf schadenfroh ausgelacht werden. Die "Volksgemeinschaft" wird, wie immer in der NaziIdeologie, nicht nur als Verheißung einer solidarischen Gemeinschaft darge44 45 46 47

48 49

Leiser 1978, 62, Drewniak 1987, 397, Traudisch 1988b, 49. Leiser 1978, 62. S. Boberach 1984, Bd. 10,3790,3852,3856-3857. Das tat übrigens die Werbung auch, die, mit Hinweisen auf die Zeit nach dem Sieg, noch spät im Krieg Konsumgüter anpries, die schon längst nicht mehr zu haben waren (s. Schäfer 1985, 114). Witte 1979b, 228. Bardram 1986,33.

128 stellt, sondern auch durch aggressives Ausgrenzen der "Gemeinschaftsfremden" definiert.

Pflicht und Privatleben Die Förderung von Opferbereitschaft und die Propagierung von Pflichterfüllung haben verschiedene Autoren als die zentrale politische Intention des Films hervorgehoben. 50 Der Anspruch auf privates Glück sei einer "Hierarchie der Gefühle" untergeordnet, 51 um "Triebaufschub" zu mobilisieren 52 Leiser und Traudisch sehen im Film tendenziell eine klare und einfache Unterordnung des privaten Gefühlslebens unter Patriotismus und die Kriegserfordernisse. Regel hingegen findet eine komplexere Strategie im Film. Ihm zufolge geht es nicht einfach um Verzicht: "Der Film verlangt gerade nicht die Aufopferung des Privaten als Preis, als notwendiges Übel im Interesse von Volk, Staat, Führer oder abstrakten Prinzipien."53 Stattdessen beinhaltet der Film einen verdrehten Appell an Wünsche nach persönlichem Glück: Der Angelpunkt in der Argumentation des Films ist die positive Umdeutung der Beschneidung des Privaten. Diese stellt einen Wert in sich dar, denn sie bedeutet keineswegs Verstümmelung, sondern im Gegenteil Intensivierung. Aus der Not wird eine Tugend gemacht: gerade die Bedingtheiten und Widerstände, denen eine Liebe in Zeiten des Krieges ausgesetzt ist, bieten die einzigartige Möglichkeit, diese Liebe von allen Schlacken zu befreien und sie in ihre edelste Form umzuschmelzen, eben die "große Liebe". 54

Daß dies auch genau die Intention des Films trifft, unterstreichen einige Äußerungen des Regisseurs Rolf Hansen: Unser Film will aufzeigen, daß auch dieses gefährdeteste Gebiet der menschlichen Seele an den Pflichten unserer Zeit wachsen und reifen kann, wenn es im Keim nur kräftig und gesund ist. [...] Die Einsicht, daß drei Wochen heute vielleicht für ein großes Glück genügen müssen, daß aber diese drei Wochen gerade durch ihre zeitliche Begrenzung dieses Glück umso stärker und intensiver machen können, das ist die Einsicht in die Forderungen der Zeit[...]. ss

Loiperdinger und Schönekäs führen diese Gedanken weiter und stellen fest, es gehe im Film zwar um die Unterordnung des Privaten, aber es solle auch eine "Versöhnung von Pflicht und Liebe[...] als mögliche Erfüllung privater Glücksvorstellungen nach dem Krieg" suggeriert werden. 56 Der Film distanziere sich vom Heldentum als Selbstzweck oder Aufopferung im Namen eines abstrakten 50 51 52 53 54 55

56

Leiser 1978,62, Traudisch 1988b, 49, Drewniak 1987,397. Traudisch 1988b, 49. Witte 1979b, 228. Regel 1978,43. Regel 1978,44. Ufa-Pressestelle, Bild- und Textinformation zu dem Zarah-Leander-Film der Ufa "Die große Liebe", o.S. Loiperdinger/Schönekäs, 10.

129 Ideals. Hier sei vielmehr eine "revidierte Version faschistischer Kriegspropaganda", die den "individuellen Nutzen" des Kriegseinsatzes betone: "Es darf und soll gekämpft werden in der Hoffnung, daß der Einsatz im Krieg den vom Krieg versperrten Weg zum privaten Glück wieder freimacht."57 Es ist in diesem Zusammenhang bezeichnend, daß das Warten eine zentrale Rolle in der Handlung spielt. Es geht mehr um Aufschub als um Aufopferung oder Verzicht. Die Trennungen, und noch mehr die vielen Fälle des Fast-Zusammenkommens, erhöhen das Pathos des Films. Nach Witte bestimme Triebaufschub den Film; der "verhängte contactus interruptus" wirke sich als "neurotische Störung" für die Frau aus. Der Film leiste einen "melodramatischen Beitrag zur psychologischen Kriegsführung in der Heimat." 58 Er versuche, diesen Aufschub als notwendig oder gar als positiv darzustellen. Wie das im einzelnen im Film gestaltet ist, wird Hauptgegenstand der folgenden Untersuchungen der visuellen Zeichen und der Montagestruktur des Films sein.

5 3 . Die Erzählung Der Erzählweise und den Hauptmomenten der Handlung in Die große Liebe werde ich in den Feinanalysen einiger zentralen Sequenzen in Teil 5.5. detailliert nachgehen. Zunächst soll eine Übersicht über die Gesamthandlung gegeben und die wichtigsten Entwicklungslinien skizziert werden.

53.1. Zusammenfassung der Handlung Der Handlungsverlauf geht klar aus der Inhaltsangabe im Programmheft Illustrierter Film-Kurier hervor: Der deutsche Afrikaflieger Oberleutnant Paul Wendlandt, mit seinem Kameraden v. Etzdorf für einen Tag zur Berichterstattung nach Berlin befohlen, lernt hier die berühmte Varietisängerin Hanna Holberg kennen. Von einem Fliegeralarm überrascht, muß Hanna Wendlandt, der in Zivil ist und über sich und seinen Berliner Aufenthalt nichts gesagt hat, mit in ihr Haus bitten. Er verläßt es erst am nächsten Morgen... Nach langen, bitteren und ungewissen Wochen, in denen Hanna nichts von Paul erfuhr, sehen sich die Liebenden wieder...für ein paar Tage. Nun aber erfährt Hanna alles von Paul. Sie wird warten auf ihn. Alexander Rudnitzky, der Komponist und Begleiter Hannas, beobachtet in wachsender Pein die Wandlung der von ihm geliebten Frau, für die er lebt und arbeitet und die er nach seiner bevorstehenden Scheidung heimzuführen hoffte. Und nun kommt ihm dieser junge fremde Mensch zuvor, dieser Flieger... An einem herrlichen Maiabend versammelt sich eine kleine Anzahl guter Freunde in Hannas neuem Heim, um 57 58

Loiperdinger /Schönekäs, 11. Witte 1979b, 228.

130 das glückliche Brautpaar, um Hanna und Paul. Etzdorf liest die eingegangenen Glückwunschtelegramme vor...plötzlich stutzt er...und überreicht Paul den telegraphischen Befehl des Geschwaderkommandos, der beide zurück an die Front ruft. Hanna nimmt ihr Herz in beide Hände. Wochen später akzeptiert sie ein Gastspiel nach Rom, wo sie bald eintrifft, um mit Alexander und seinem Orchester die Proben aufzunehmen. Schon hofft Alexander, Hanna vielleicht doch umstimmen und für sich gewinnen zu können...da läßt Paul Hanna wissen, daß er in Rom sei, daß er Urlaub habe... Glücklich eilt sie zu ihm. Wie Paul jedoch der nun namenlos enttäuschten Geliebten mitteilt, beabsichtigt er seinen Urlaub nach dem dringenden Rat eines ihm bekannten Stabsoffiziers abzubrechen und umgehend wieder zurück zu seiner Truppe zu gehen. Jetzt aber ist Hanna am Ende ihrer Kräfte und ihres Hoffens...sie verläßt ihn, ohne Abschied, ohne ein gutes Wort. Nach einem erregten Zusammenstoß mit Alexander glaubt Paul Hanna verloren zu haben. Er reist ab. Die Ereignisse des 22. Juni öffnen Hanna die Augen. Nun begreift sie, daß Paul so handeln mußte, wie er handelte. Sie erhält einen kurzen Brief von Paul, der ihr den Heldentod v. Etzdorfs berichtet und seinen Brief ausklingen läßt: 'Leb wohl...ohne Liebe geht es leichter...' Alexander hat klar erkannt, daß er Hanna nie gewinnen kann. Er überwindet sich und...überbringt ihr ein Telegramm, das Telegramm eines Reservelazaretts, in das der verwundete Paul eingeliefert wurde. Da hält Hanna nichts mehr. Sie fährt zu ihm. Stumm und glücklich reichen sich beide die Hand, versöhnt und...für drei lange gute Wochen miteinander verbunden. Sie werden heiraten, und jede ihrer Stunden, drei Wochen lang, wird eine glückliche sein. Hanna weiß es, fühlt es: sie wird glücklich sein in dem Gedanken, auf den geliebten Mann warten zu können, so wie Millionen anderer Frauen in dieser Zeit! In d i e s e m F i l m geht es also - wie könnte es auch anders sein bei d e m Titel? u m e i n e Liebesgeschichte mit Happy End. D i e Handlung bleibt für e i n e Liebesg e s c h i c h t e erstaunlich wenig dramatisch. W e d e r e i n Schurke noch irgendwelche familiären Verwicklungen stellen sich d e n L i e b e n d e n in d e n W e g . D e r " N e b e n b u h l e r " Rudnitzky stellt keine e r n s t z u n e h m e n d e G e f a h r dar, d e n n er zeigt sich v o n A n f a n g an als zu einsichtig und verständnisvoll. Nur der Krieg k o m m t i m m e r wieder dazwischen. D i e Handlung erscheint dann als e i n e Serie v o n T r e n n u n g e n und Wiedersehen. D i e s e steigern sich, einerseits, i n d e m das Liebespaar sich immer näher kommt ( K e n n e n l e r n e n - Liebesbekenntnis Heiratsantrag - Polterabend), andererseits aber, i n d e m die T r e n n u n g e n i m m e r schärfer w e r d e n und es in R o m d e s w e g e n z u m Zerwürfnis k o m m t . A u c h dieser Konflikt löst sich nach einiger Zeit v o n selbst, o d e r vielmehr durch die Kraft der Liebe.

5.3.2. E n t w i c k l u n g s p h a s e n E i n e g r o b e Aufteilung der Erzählung ergibt fünf Phasen der Handlungsentwicklung 6 0 : 59 60

"Die große Liebe", Illustrierter Film-Kurier, Nr. 3282. Die in dieser Aufstellung erwähnten Sequenzen markieren wichtige Punkte in der Erzählung und sind auch die, die nachher näher analysiert werden. Für eine genauere Einteilung in 22 Sequenzen, die die Handlungsentwicklung angeben, siehe die schematische Sequenzenauf-

131

1. Exposition: Hier geht es vor allem um die Fragen: Was sind das für Menschen? Wird es zur Liebe kommen? Werden sie zueinander passen? Die Antworten scheinen zunächst widersprüchlich zu sein. Wendlandt ist zwar pflichtbewußt, charmant und anständig, aber auch ziemlich draufgängerisch. Von daher könnte er eventuell nur an einem Abenteuer und nicht an der "Liebe" interessiert sein. Von Hanna Holberg kommen auch unterschiedliche Eindrücke. Man sieht sie zuerst auf der Bühne, wo sie als femme fatale auftritt, als erotisch interessierte und erotisch interessante Frau (Sequenz II). Dieser Eindruck wird in den folgenden Szenen schnell revidiert, bleibt aber mit ihr assoziiert.61 Im Privatleben zeigt sie sich "natürlich" und "anständig". Die wesentliche Handlung der ersten Phase besteht in der Annäherung der Figuren und endet in der Liebesnacht (Sequenz V). 2. Annäherung: Die Frage, ob oder wie es zur "wirklichen" Liebe kommen wird, stellt sich nach der ersten Exposition in verschärfter Form, als Wendlandt abfliegt. Beim Wiedersehen der beiden in Sequenz IX stellen Hannas Vorwürfe an Wendlandt diesen Aspekt in den Vordergrund. Seine Erklärungen und seine Liebeserklärung bringen die Versöhnung und verstärken die Annäherung der beiden. Dadurch gewinnt Hanna etwas Sicherheit, aber das Problem der wiederkehrenden Trennungen bleibt. 3. Wendepunkt: Wendlandts Heiratsantrag und der verpatzte Polterabend sind Schritte zur weiteren Festigung der Liebesbeziehung. Diese Phase bringt also eine Steigerung der Gefühle. Auch das Pathos wird gesteigert durch das melodramatische Motiv des Fast-Zusammenkommens (beim Polterabend und in Rom). Der zentrale Konflikt zwischen Glück und Pflichterfüllung erreicht einen Höhepunkt in dem Streit und in der Trennung in Rom (Sequenz XVII), der zugleich den Wendepunkt im Handlungsbogen bildet. 4. Retardierung: Das Zerwürfnis verlangt nach einer Versöhnung. Hanna ist auch schnell einsichtig, aber Wendlandts zeitweilige Absage an die Liebe zögert die Lösung des Konflikts hinaus. 5. Versöhnung/Lösung: Die letzte Phase besteht in der Versöhnung der Figuren mit einander und mit den Umständen, die ihre Liebe bestimmen. Der Schluß wird erst hinausgezögert, indem Rudnitzky das Telegramm von Wendlandt zurückhält. Der letzte Auftritt Hannas - sie singt "Ich weiß, es wird einmal ein Wunder gescheh'n" - nimmt das glückliche Ende vorweg, das schnell darauf folgt (Sequenzen XXI-XXII).

61

teilung in Tabelle 5.1. im Anhang, die auch einen Kontext für die späteren Einstellungsanalysen angeben soll. M. Sternberg nennt die entscheidende Wirkung eines ersten Eindrucks in einer Erzählung den "primacy effect" (s. Bordwell/Staiger/Thompson 1985, 37). Demnach bleiben normalerweise die Charaktereigenschaften, die in einem Film zuerst gezeigt werden, konsistent und ausschlaggebend für die Einschätzung einer Figur.

132

5.3.3. Konflikte und Lösungen Dieses Handlungsgerüst bildet die bestimmende Struktur von Die große Liebe. Dabei geht es aber wenig um äußere Handlung oder um "action". Es passiert recht wenig im Film. Wichtiger sind die Figuren, ihre Gefühle und die inneren Entwicklungen, die sie durchmachen. Indem die Figuren auch Haltungen, Prinzipien und Lebensformen vertreten, sind ihre Entwicklungen zentral für die Bedeutungskonstruktion im Film. Die Lösung der Konflikte gestaltet sich als Wandlungsprozeß in den Einstellungen der Figuren. Hanna verändert sich von einem frivolen und verwöhnten Revue-Star zur Kriegsbraut, die bereit ist, bedingungslos und geduldig auf ihren Mann zu warten. Wendlandt macht auch im Laufe des Films einige Stationen durch, bis er sich am Ende für die Ehe entscheidet. Diese Umwandlungen der Figuren, ihre Anpassung aneinander und an die Bedingungen des Kriegs, machen einen großen Teil der Erzählung und der ideologischen Wirkung des Films aus. Diese Veränderungen werden dadurch motiviert, daß sie weniger wirkliche Veränderungen zu sein scheinen als vielmehr die Verwirklichung des Wesens der Personen. Helmut Regel stellt fest: Nur scheinbar vollzieht sich an Hanna eine Verwandlung vom leichtfertigen Revue-Star zur unbeirrt wartenden Soldatenfrau. In Wirklichkeit findet keine Entwicklung statt [...]. Hanna erweist sich zuletzt als die, die sie immer schon war. Nur die den wahren Kern verdeckenden Schlacken mußten weggesprengt werden. [...] Auch Wendlandts scheinbare Wandlung vom 'Windhund' zum zuverlässigen Ehepartner ist keine echte Entwicklung, sondern nur ein Freilegen seines wahren Wesens. 62

So wirken die Änderungen in den Figuren glaubwürdiger. Sie können auch leichter als positiv gedeutet werden, obwohl sie mit sich bringen, daß die Figuren (vor allem Hanna) auf einige Wünsche verzichten müssen. Es geht nicht so sehr um die Frage, ob die Figuren sich ändern - das wird ja im Film sichtbar vorgeführt - sondern um die Wertung und Begründung dieser Veränderungen. Indem die Transformierung als eine Selbstverwirklichung vorgeführt wird, soll sie fürs Publikum schmackhafter wirken, obwohl sie einer Aufforderung zum Verzicht oder zumindest zum Aufschub des Glücks gleichkommt. Die Erzählung zeigt die gegenseitigen Anpassungen, die notwendig sind, damit Hanna und Wendlandt heiraten können, als exemplarische Lernprozesse. Die Entbehrungen, die damit zusammenhängen, werden als notwendiger Weg zum Liebesglück und zur festeren Identität gezeigt. Die Handlungsstruktur ist auch für Zeichenbildung und Montage bestimmend, also für die Elemente des Films, die im Mittelpunkt der näheren Analyse

62

Regel 1978,45.

133

stehen werden. Sie dienen in erster Linie als Mittel der Erzählung. Durch sie wird die Handlung vermittelt. Darüber hinaus aber geben sie der Geschichte einen wesentlichen Teil ihrer Bedeutung. Bilder und Bildzusammenstellungen laden die Handlung mit Bedeutungen auf, die ihr einen Sinn und auch einen ideologischen Wert verleihen.

5.4. Filmische Zeichen: Erzählmittel und ideologische Bedeutungskonstruktion Der Schwerpunkt der Filminterpretation wird auf dem Einsatz filmischer Erzählmittel liegen. Der Film vermittelt eine enorme Vielfalt von Informationen gleichzeitig durch die Bilder und Bildelemente, den Dialog, die Montage und die Musik. Meine Analyse wird sich vor allem auf die Bilder und die Montage konzentrieren. Einige filmtheoretische Ansätze können für das Verständnis und die Analyse dieser Elemente hilfreich sein. Ich werde Theorien der Zeichenfunktion der Filmelemente und Theorien der Montage, die sich wiederum nach ihren verschiedenen Schwerpunkten - bei der Erzählfunktion oder bei direkten Effekten auf die Zuschauer und Zuschauerinnen - aufteilen lassen, diskutieren. Was sich auf theoretischer Ebene analytisch so trennen läßt, wird in der Analyse vermischt vorkommen, wie im Film ja auch. Montage und Kameraführung können z.B. zugleich als Zeichen, als Element der Erzählung und zur Steuerung von Identifikation wirken. Die folgende Diskussion soll einen Rahmen für die Analyse geben und die theoretischen Voraussetzungen umreißen. Die Filminterpretation wird dann die Theorie sowohl konkret anwenden als auch ihre Plausibilität und Reichweite prüfen.

5.4.1. Die Zeichenfunktion der Bilder Daß die Filmbilder, und die einzelnen Aspekte der Bilder, als Zeichen funktionieren, ist Grundlage und Voraussetzung für die Verständlichkeit des Films. Film als ein System von Zeichen zu verstehen mag selbstverständlich erscheinen. Auch außerhalb der Semiotik wird häufig von der "Filmsprache" geredet, obwohl dieser Begriff dabei meist sehr unscharf bleibt. Filmbilder und die filmische Erzählweise als Zeichen zu deuten, liegt unserem Alltagsverständnis nahe. Wenn wir einen durchschnittlichen Film sehen, haben wir keine Schwierigkeiten, dem Film zu folgen und zu verstehen, was die Bilder, Bildqualitäten und Bilderfolgen meinen. Offensichtlich sind wir also in der Lage, den Bildern - und dem Ton, der Musik, der Montage - Bedeutungen zu entnehmen, sie also als

134 Zeichen zu benutzen. Soweit erscheint alles recht einfach und selbstverständlich. Wenn wir aber versuchen, genau und systematisch festzustellen, aus welchen Zeichen der Film besteht,63 welche Beziehungen es zwischen ihnen gibt, und wie sie funktionieren, stellt sich die enorme Komplexität und Vielschichtigkeit des Films schnell heraus. Auch wenn man sich auf die Bildebene beschränkt und von Musik, Dialog und Ton abstrahiert, bleibt eine fast unendliche Vielfalt von Informationen im Film. Die Möglichkeiten der Zeichenbildung im Film etwas zu systematisieren, kann vielleicht helfen, einen besseren Überblick über die komplexen semiotischen Prozesse zu gewinnen.

5.4.1.1. Dimensionen der filmischen Zeichen In einem einzelnen Bild kommen schon viele Objekte vor, die alle ihre eigenen Bedeutungen - auch außerhalb des Films - besitzen. Im Film "bewegen" sich die Bilder, wodurch eine zweite Dimension der möglichen Zeichenfunktionen der Bilder entsteht: Gesten, bewegte Mimik und die Bewegungen von Figuren und Objekten bringen zusätzliche Bedeutungen. Keine Einstellung steht allein für sich (außer in manchen Experimentalfilmen),64 sondern sie sind durch die Montage miteinander verknüpft, wodurch eine dritte, syntaktische Dimension entsteht. Die filmischen Zeichen sind außerdem in größeren Strukturen, in der Makrostruktur der Erzählung, in Genres, in langfristigen kulturellen Traditionen etc. eingebettet und beziehen einen Teil ihrer Bedeutung daher.65

63

64

65

Es herrscht keine Einigkeit in der Theorie darüber, was überhaupt ein Zeichen oder eine Bedeutungseinheit im Film ausmacht. Pasolini spricht von "Bildzeichen" (in Paech 1975, 40). Metz geht von Einstellungen als semantischen Einheiten aus, die aber eher Äußerungen als Wörtern ähnlich seien (in Paech 1975, 41-42). Eco spricht von "ikonischen Zeichen" oder "ikonischen Aussagen" (1972, 243) als "Seme" (236), die sich aus Zeichen und Figuren zusammensetzen. Ich werde zunächst das Wort "Zeichen" im eher alltäglichen, wenig differenzierten Sinne verwenden, um auf alles, was Bedeutung produziert, hinzuweisen. Z.B. Warhols Empire State. Hitchcocks Versuch in Rope, Schnitte durch Kamerabewegung zu ersetzen, blieb eine Ausnahme im kommerziellen Kino. Verschiedene Einordnungen von Montage- und Einstellungsparameter sind entwickelt worden. Eine klare und knappe Einführung findet sich bei Hickethier 1983. Monaco 1980, Faulstich 1976, Schaaf 1979 und Kleber 1989 geben allgemeine Einführungen in die Methodik. Siegrist 1986 untersucht die Ausdrucksmöglichkeiten des Films in Zusammenhang mit einer theoretischen Diskussion der Filmsemiotik.

135

Das Einzelbild und die Einstellung Die Zeichen im einzelnen Bild sind im allgemeinen wenig filmspezifisch. Vielmehr werden Zeichen und Codes in den Film aufgenommen, die schon in der außerfilmischen Realität bzw. in anderen Systemen der Repräsentation existieren, z.B. in der Malerei und Fotographie. Hier wären vor allem die Objekte (inklusive Menschen) zu erwähnen, die im Film abgebildet werden. Genauer gesagt handelt es sich hier um "Metazeichen": denn die Filmbilder sind Zeichen von Objekten, die selber Zeichen sind.66 Im Fall eines Menschen ist die Situation, vor allem in Spielfilmen, um einige Schichten komplizierter. Das Bild zeigt einen Menschen (den Schauspieler), die "Bühnenfigur" (die körperliche Darstellung der Rolle) sowie die in der Dichtung vorgegebene fiktionale Rolle.67 Das Filmbild weist ggf. auch auf das Star-Image des Schauspielers hin. Ein einzelnes Zeichen bezieht sich also auf verschiedene Bedeutungen. Nicht nur der Mensch oder das Objekt als Ganzes können als Zeichen funktionieren, sondern auch die einzelnen Teile, Qualitäten oder Attribute, woraus sich das Ganze zusammensetzt. Jede Einzelheit ist in sich signifikant; ihr Zusammenspiel ergibt aber auch Bedeutungen, die sie allein für sich nicht haben. Das Gesamtbild einer Schauspielerin in einem bestimmten Moment im Film setzt sich zusammen aus verschiedenen Elementen wie physische Erscheinung, Mimik, Kostüm, Frisur, Schminke, Körperhaltung, Image aus früheren Rollen usw. Das Zusammenwirken der einzelnen Zeichen ist durch die Komposition des Bildes beeinflußt. Die Beziehungen zwischen Menschen und/oder Dingen werden durch ihre Plazierung im Bild bzw. im fiktionalen Raum des Bildes angegeben. Ein klassisches Beispiel dafür sind die "deep focus"-Aufnahmen in Citizen Kane, die die Detailaufnahme eines Objekts im Vordergrund mit einer Totale des Raumes und der Menschen in einem Bild verbinden.68 Die Zusammenstellung einer Schlafmittelflasche im Vordergrund mit einer liegenden Frau in der mittleren Ebene und mit hereinstürzenden Männern im Hintergrund kann das Gesamtbild zu einem Zeichen für einen Selbstmordversuch machen.69 Filme von Käutner - etwa Große Freiheit Nr. 7 und Romanze in Moll - liefern die schönsten Beispiele solcher Raumkomposition im NS-Film. Auch die Einstellungsgröße

66 67 68 69

Bystrina 1981, 304. Esslin 1989,59. Monaco 1980,175-178. S. Foto in Monaco 1980, 175. Die Frage, ob die Bildkomposition hier schon eine syntaktische Funktion übernimmt oder ob man vom gesamten Bild als einem Zeichen für den Selbstmord sprechen kann, will ich lieber den Semiotikern überlassen. Wie die semantischen Einheiten eines Bildes zu definieren sind und welche Größenordnung sie haben, scheinen mir noch unbeantwortete Fragen zu sein.

136 bzw. die Kadrierung70 des Bildes kann als Signifikant funktionieren (etwa indem eine Großaufnahme die Wichtigkeit des Objekts angibt), oder sie kann die Bedeutung der gezeigten Objekten verändern. Die graphische Form eines Bildes bestimmt seine Bedeutung mit. Die ornamentalische Anordnungen in Busby Berkeleys Filmen z.B. geben den Figuren einen völlig anderen Wert als die Tänzer und Tänzerinnen in den Hollywood-Musicals der 50er Jahre. Der film noir bietet auch einprägsame Beispiele für graphische Komposition in Filmbildern, die Teile ihrer Bedeutung z.B. durch Schwarz-Weiß-Effekte, Schatten, nicht-ausbalancierte Anordnungen der Figuren im Bild und betonte Linien und Konturen erzeugen. Mittel der Komposition, die auch in sich signifikant sein können, sind die Bildqualitäten, die durch Beleuchtung, Kameraperspektive und Bildschärfe erzeugt werden. Die Beleuchtung ist das wichtigste Gestaltungsmittel der Kameraleute. Richtung, Menge und Art des Lichts bestimmen Aussehen und Wirkung des Bildes. Die Perspektive der Kamera - ob Unter-, Ober- oder Normalsicht, ob frontal oder schräg - beeinflußt, zusammen mit der Auswahl des Objektivs, das Bild maßgeblich. Bei der Schärfe des Bildes machen die Schärfentiefe, die Schärfenebene und die Härte oder Weichheit der Konturen - die von der Art des Objektivs, der Schärfeneinstellung und der Benutzung von Filtern oder sonstigen Weichzeichnern abhängt - bedeutsame Unterschiede in der Bildqualität aus. Durch die "Bewegung" der Bilder kommen auch in einer einzelnen Einstellung spezifisch kinematographische Elemente der Figuren- und Kamerabewegungen zu den anderen Zeichenfunktionen dazu. Bei den Kamerabewegungen differenziert man Schwenks (horizontale Drehbewegungen), Neigungen (vertikale Drehbewegungen), Fahrten (geradlinige Bewegungen), zusammengesetzte Bewegungen (z.B. Kranfahrten), unregelmäßige Bewegungen (z.B. Handkamera) und die scheinbaren Bewegungen, die durch Zooms oder Schärfenverlagerungen erzeugt werden können. Die Bewegungen der Figuren sind weniger filmspezifisch, sondern nehmen ihre Bedeutung aus den Codes des Dramas und vor allem des Alltags. Mimik und Gestik sind Bewegungen, deren Bedeutungen mehr oder minder stark konventionalisiert vorliegen. Durch die Bewegungen der Figuren (und Objekte) entfaltet sich auch erst die Möglichkeit, bedeutsame Handlungen darzustellen, also durch Bilder zu erzählen.

70

Mit "Kadrierung" oder "Kadrage" (aus dem Französischen, wörtlich: Einrahmung) wird der Bildausschnitt aus der Realität, seine Form und Größe bezeichnet.

137 Die Montage Die Zusammenstellung von Einstellungen - die Montage - gehört seit den frühen Anfängen des Film zu den zentralen Methoden, Bedeutungen zu produzieren oder sie in Erzählungen miteinander zu verknüpfen. Gerade die Montage, als eine Art Syntax des Films, ist immer wieder als eine "Filmsprache" bezeichnet worden.71 Die Montage erzeugt graphische, räumliche und zeitliche (rhythmische) Beziehungen zwischen Einstellungen.72 In der normalen Kontinuitätsmontage dienen diese Beziehungen hauptsächlich dazu, Handlungen und Aussagen zu einer zusammenhängenden, scheinbar lückenlosen Erzählung zu verknüpfen. Auf einige Implikationen dieser Art Montage werde ich weiter unten näher eingehen. Als eine zentrale Technik, die Zeichen und Zeichenkomplexe verbindet, um Bedeutungen zu produzieren, spielt die Montage eine wichtige Rolle nicht nur in der Erzählung der Handlung, sondern auch in der Konstruktion von thematischen Bedeutungen.

5.4.1.2. Die Semiotik des Bildes Es läßt sich relativ leicht eine Vielzahl von Elementen im Film auflisten, die bedeutsam sein können. Zu sagen, was sie bedeuten oder wie sie etwas bedeuten, ist wesentlich schwerer. Es ist nicht möglich, ein "Lexikon" der Bedeutungen aufzustellen. Pasolini stellte dazu fest: "Es gibt kein Wörterbuch der Bilder." 73 Die Objekte, die in einem Bild vorkommen könnten, sind unendlich viele, und sie haben meistens keine eindeutigen, feststehenden Bedeutungen. Auch die verschiedenen Bildparameter und Montagemöglichkeiten lassen sich nicht auf feste Bedeutungen fixieren. Durch häufige Verwendung mag es erscheinen, als würde z.B. "low key"-Beleuchtung "Bedrohung" ausdrücken, Unterlicht unheimlich wirken, oder gar, daß es "selbstverständlich [sei], daß die Obersicht die Wichtigkeit des Gegenstandes verringert, während die Untersicht seine Bedeutung betont." 74 Obwohl dies wohl den häufigsten Fall darstellt, den Status fester Regeln haben solche Verwendungen von Bildqualitäten nicht. Die Untersicht kann genauso gut, in einem anderen Kontext, die Lächerlichkeit des

"TT Dieser Vergleich findet sich schon in Eisensteins Schriften über Montage (s. Sergej Eisenstein, "Dickens, Griffith und Wir (Montage und Gesellschaftsordnung)", in: Paech 1975, 24_ 27>Sergej Eisenstein, "Dialektische Theorie des Films", in: Paech 1975, 18-21; Bordwell/Thompson 1979,151-163. 73 Pier Paolo Pasolini, "Die Sprache des Films", in: Kniiii 1971,39-41. 74 Monaco 1980,187.

138 Objekts anzeigen.75 Alle Zeichen im Film sind variabel und kontextbezogen.76 Sie lassen sich teilweise sogar in einem der konventionellen Bedeutung direkt entgegengesetzten Sinn verwenden und sind trotzdem verständlich. Das gilt auch für die Objekte im Film. Alle Bedeutungen eines Objekts über sein bloßes Vorhandensein hinaus hängen vom Zusammenspiel der gesamten Zeichen im Film ab. "Das Filmbild repräsentiert etwas, indem es dieses etwas zeigt; das Filmbild bedeutet etwas, weil das, was das Filmbild zeigt, kontextabhängig etwas bedeutet." 77 Dabei muß Kontext nicht nur im Sinne des Kontexts im Film oder in der Handlung verstanden werden, sondern kann, wesentlich weiter gefaßt, auch die außerfilmischen Zeichensysteme umfassen.

Ikonische Zeichen Die Semiotik in der Tradition von Peirce unterscheidet Zeichen nach drei Kategorien: Ikon, Index und Symbol. Ikone sind Zeichen, die durch Ähnlichkeit mit dem Gegenstand bestimmt sind, z.B. Bilder. Indices zeigen oder weisen auf ihre Gegenstände. Bei Symbolen besteht eine willkürliche, nur durch Konvention definierte Beziehung zum Objekt. Demnach erscheint es, als hätte man es beim Film hauptsächlich mit ikonischen Zeichen zu tun, die klar durch ihre Bezüge zum Abgebildeten definiert wären. In der Praxis stellt sich diese Einteilung der Zeichen als problematisch heraus, und das nicht nur beim Filmbild. Man denke nur an das stilisierte Bild einer Frau oder eines Mannes, das häufig an den Türen öffentlicher Toiletten steht. Als Bild eines Mannes oder einer Frau ist es ein Ikon. Damit ist aber nur das Wenigste über die Bedeutung des Zeichens ausgesagt. Als Index übt es auch eine Zeige-Funktion aus. Zugleich ist es ein Symbol, denn nur durch Konvention ist klar, daß damit eine Toilette gemeint ist. Als Symbol bezeichnet es darüberhinaus ein kompliziertes, historisch entstandenes, kulturelles und psychisches System von Regeln des Schamgefühls und der geschlechtlichen Trennung der natürlichen Bedürfnisse.78 Die Semantik des Bildes läßt sich also nicht so schnell auf eine Ähnlichkeit mit dem Abgebil-75

76

77 78

; ; ; Hickethier 1983, 21. Nichols zitiert eine Einstellung aus Citizen Kane als Gegenbeispiel zu Monacos These. Da wird die Untersicht eingesetzt, um eine Niederlage der Hauptfigur zu betonen. (Nichols 1981,108). Siegrist schreibt: "Die einzelnen Einstellungsparameter stellen - isoliert von ihrem stets spezifischen Zusammenspiel und ihren jeweiligen Korrelationen mit den abgebildeten Objekten - fast immer nur Leerformen dar. Selbst in jenen seltenen Fällen, in denen sie per se die von Filmgrammatiken und -anleitungsbüchern so masslos überschätzten Bedeutungsabstrakte aufweisen, ist deren semantische Valenz kaum je auch nur annähernd stark genug codifiziert, um nicht auf einfache Weise suspendiert oder radikal verändert werden zu können." (1986, 125). Möller 1978,39. Vgl. Lacan 1975,24ff.

139

deten reduzieren. Der Verweis auf ein Objekt ist nur die unterste Ebene der Vielschichtigkeit der Bedeutungen. Das Bild einer Rose im Film ist ein Bild von einer bestimmten, realen Rose, was aber über die Möglichkeiten seiner Bedeutungen noch wenig aussagt.79 Die roten Rosen, die Asylanten in Drachenfutter (1987, Regie Jan Schütte) verkaufen, haben völlig andere Bedeutungen als die rote Rose, die am Schluß von Opfergang (1944, Veit Harlan) auf den Ostseewellen schwimmt. Ein komplexeres Modell der vielfachen "Codes", die ein ikonisches Zeichen bestimmen, hat Umberto Eco entworfen. 80 Er unterscheidet zehn Sorten von Codes, die bei der Bedeutung und Verständlichkeit des Ikons Rollen spielen. Diese reichen von Codes der Wahrnehmung und des Erkennens über Codes der Zeichen bis zu komplizierten stilistischen Codes und "Codes des Geschmacks und der Sensibilität".81 Sie umspannen also nicht nur die Eigenschaften des Zeichens im engeren Sinn, sondern auch die psychischen, kulturellen und rhetorischen Voraussetzungen dafür, daß ein Zeichen verstanden werden kann.82 Das ikonische Zeichen ist also keine minimale Einheit, sondern ein komplexes, synthetisches Konglomerat. Es handelt sich eher um eine "ikonische Aussage" als um eine einfache semantische Einheit. 83

Denotative und konnotative Signifikation In der Semiotik nach Saussure wird ein Zeichen in die zwei Elemente Signifikant (das Bezeichnende) und Signifikat (das Bezeichnete) gegliedert. Bei der denotativen Bedeutung eines Zeichens im Film sei demnach das Bild ein Signifikant für das Signifikat (die Vorstellung des abgebildeten Objekts). Im Unterschied zur Sprache sind bei Bildern sowohl Signifikant wie auch Signifikat konkreter, inhaltsreicher und spezifischer. Bilder können kaum Begriffe signifizieren, denn sie bezeichnen nicht eine Klasse von Objekten, sondern ein spezifisches Objekt, das durch eine Fülle von Details und sinnlich wahrnehmbaren Qualitäten determiniert ist. Abstraktere Bedeutungen kommen vor allem auf der Ebene der Konnotation dazu. Dabei wird ein Zeichen - oder ein ganzes

79 80 81 82

83

Monaco 1980,141-143. Eco 1972,197-292. Eco 1972,246-248. Eco benutzt den Ausdrück "Code", um Unterschiede zur "Sprache" zu betonen (Eco, "Die Gliederung des filmischen Code", in: Kniiii 1971, 71). Das Wort "Code" kann aber auch leicht Mißverständnisse hervorrufen. Die Codes im Film lassen sich nicht ohne weiteres "dechiffrieren". Auch bleibt bei Eco unklar, ob damit eher Zeichensysteme oder Systeme von Regeln gemeint sind - wohl beides (s. Eco 1972, 249). Eco 1972, 236-237 (Fußnote).

140 System von Zeichen - zum Signifikanten für ein konnotatives Signifikat. 84 Das Zeichen (Signifikant + Signifikat) der Denotation wird zum Signifikanten der Konnotation. Nach einem Schema von Barthes läßt sich das so darstellen: 85

Konnotation: Denotation:

Signifikant Signifikant

Signifikat

Signifikat

Mehrere der Codes, die Eco im ikonischen Zeichen identifiziert, arbeiten auf dieser zweiten, konnotativen Ebene der Bedeutung. Ohne die konnotativen Bedeutungen, die zwischen verschiedenen Signifikanten und zwischen Signifikant und Zeichensystemen aufgebaut werden, ergäbe der Film kaum einen Sinn, sondern bliebe eine Aneinanderreihung von Objekten. Zugleich sieht man hier die dem Film innewohnende Notwendigkeit der Interpretation. Ohne die ständige Interpretationsarbeit der Zuschauer und Zuschauerinnen, die diese Verknüpfungen und Verweise zwischen Sigifikanten nachvollziehen und teilweise erzeugen, wäre ein Film nicht einmal als Handlung verständlich. Das Verstehen eines Films ist ein Prozeß der fortwährenden Interpretation und Re-Interpretation, des Aufstellens und Revidierens von Hypothesen über die möglichen Bedeutungen der Signifikanten, die wahrgenommen werden. 86 Da diese Signifikanten seltener fest zugeordnete Signifikate besitzen, als daß sie ihre Bedeutungen aus dem Kontext ihrer Verflechtung mit anderen Signifikanten beziehen, entstehen diese Bedeutungen erst im Laufe des Films, bzw. die Bedeutungen kristallisieren sich allmählich aus einer Vielfalt von Möglichkeiten heraus. Die Interpretationsarbeit läuft beim Betrachten eines Films normalerweise unbewußt oder halbbewußt ab, solange der Film Zeichen und Zeichensysteme benutzt, die bekannt oder konventionalisiert sind. Dies gilt nicht nur für filmische Konventionen, sondern auch für die Zeichen, die sich auf allgemeinere beziehen, auf "ikonographische Codes" und "Codes des Geschmacks und der Sensibilität" in Ecos Terminologie. 87 So ist ein Zeichen u.a. Teil eines gesellschaftlichen Diskurses, und es ist nur vor dem Horizont dieses Diskurses zu verstehen. Eine Untersuchung der Semantik des Bildes ergibt also keineswegs so etwas wie ein Lexikon der Bilder und filmischen Zeichen, sondern trägt zur Erkenntnis der extremen Kontextbezogenheit der filmischen Signifikation bei. Die Interpretation eines Films, vor allem wenn sie die ideologischen Funktionen des 84 85 86 87

Barthes 1977,89-94. Barthes 1977, 90. Vgl. Bordwell/Staiger/Thompson 1985, 8-9, 37-41. Eco 1972,248.

141

Films verstehen will, bleibt ein hermeneutisches Unterfangen. Sie muß versuchen, die konnotativen Verweise der Signifikanten auf gesellschaftlich und kulturell bestimmte Bedeutungen und Diskurse herauszufinden bzw. bewußt zu machen. Dies geht nur, wenn auch aus einer gewissen historischen Distanz, von einer Position innerhalb dieser Kultur und dieser Diskurssysteme.

5.4.2. Montage - Zeichenverknüpfung und die Dramaturgie der Blicke Konventionelle Montage Der normale Film ist stark durch das Primat der Erzählung bestimmt. Nicht nur die Handlung und die visuelle Gestaltung sind davon beeinflußt, sondern auch die Zusammenstellung der Bilder dient der möglichst fließenden und unauffälligen Vermittlung der Erzählung. Als dominanter Filmstil hat sich eine Art Montage entwickelt, die diese erzählerische Kontinuität betont. Bei dieser "unsichtbaren" Montage garantieren verschiedene Techniken den glatten Übergang von einer Einstellung zur nächsten. Schnitte können potentiell die Einheit der Handlung gefährden, die Zuschauer desorientieren oder Aufmerksamkeit vom Erzählten auf den Akt der Erzählung umlenken. Um die Gefahr der Desorientierung oder Verfremdung zu bannen, betont die konventionelle Montage die räumliche Kontinuität und den ungebrochenen Handlungsablauf. Bildliche Elemente, Komposition und Beleuchtung werden in aufeinanderfolgenden Einstellungen relativ konstant gehalten. Die Handlung bleibt meist in der Bildmitte zentriert, auf zeitliche Folgen wird genau geachtet, und der Schnittrhythmus wird auf die Handlung und die Einstellungsgrößen abgestimmt.88 Bestimmend für die konventionelle Kontinuitätsmontage sind vor allem die Techniken, die der räumlichen Orientierung der Zuschauer dienen. Analytische Montage teilt den fiktionalen Raum der Handlung auf in verschiedene Einstellungen aus verschiedenen Richtungen und Entfernungen. Es hat sich ein System von Regeln etabliert, wie und in welcher Reihenfolge Einstellungen zusammengestellt werden, um einen Eindruck räumlicher Kontinuität zu erwecken. Zu diesen Konventionen gehören Blickrichtungs-Anschlüsse, Handlungsanschlüsse und die "180°-Regel" der räumlichen Orientierung um eine Handlungsachse.89 Die analytische Montage ist um eine Handlungsachse aufgebaut, um eine imaginäre Linie, welche die Richtung der Handlung (Bewegung) angibt oder zwischen zwei Figuren besteht. Diese Achse wird normalerweise in einer ersten, einführenden Einstellung ("establishing shot") festgelegt, meistens in einer To88 89

Bordwell/Thompson 1979,163-4. S. Bordwell/Thompson 1979,164ff., Bordwell/Staiger/Thompson 1985,55ff.

142

tale, die den ganzen Raum angibt. Darauffolgende Einstellungen zeigen verschiedene Ausschnitte aus diesem Raum und können aus verschiedenen Perspektiven erfolgen. Sie bleiben aber auf einer Seite der Handlungsachse; sie geben also Perspektiven an, die aus Standpunkten innerhalb des 180°-Raumes kommen, der durch diese Achse definiert ist. So wird eine gewisse Kontinuität im Raum und in Bewegungs- und Blickrichtungen aufrechterhalten. Einstellungen zeigen überlappende Ausschnitte des Raumes; dadurch können sich die Zuschauer leichter orientieren. Bewegungen bleiben konstant: eine Figur, die in der ersten Einstellung von links nach rechts geht, wird diese Richtung in der zweiten beibehalten. Bei einem "Achsensprung" dagegen wäre die Bewegungsrichtung umgekehrt und der Zuschauer müßte sich neu orientieren. Analytische Montage trägt viel dazu bei, daß der Eindruck entsteht, sich in einem fest definierten, naturalistischen Raum zu befinden. The viewer always knows where the characters are in relation to one another and to the setting. More important, the viewer always knows where he or she is with respect to the story action. The space of the scene, cleanly and unambiguously unfolded, does not jar or disorient, because such disorientation, it is felt, will distract the viewer from the material at hand: the narrative chain of causes and effects.

Es gibt noch weitere Mechanismen, die die einzelnen Einstellungen einer Szene verknüpfen können. Ein Anschluß über die Handlung kann Einstellungen binden, indem eine Handlung, die in einer Einstellung beginnt, in der nächsten fortgesetzt wird. So kann die Handlung in angrenzenden Räumen fortgesetzt werden oder die Handlungsachse verändert werden. Bei Dialogszenen wird das Schuß-Gegenschuß-Verfahren routinemäßig angewandt. Nach einem establishing shot wird, unter Beibehaltung der 180°-Regel, zwischen Einstellungen hin- und hergesprungen, in denen die Kamera sich abwechselnd an die jeweilige Perspektive eines der Gesprächspartner annähert. Eine Annäherung an die Figurenperspektive findet sich auch bei dem Anschluß über Blickrichtungen ("eyeline match"). Dabei zeigt eine Einstellung eine Figur, die irgendwo hinschaut; die Anschlußeinstellung zeigt dann, was sie gesehen hat, wobei sich die Kamera dem Standpunkt der Figur annähert oder, seltener, genau deren Blickwinkel einnimmt ("point-of-view shot").91 Diese Techniken erlauben eine flexible, mobile, "allwissende" Erzählweise; die Kamera kann sich relativ frei bewegen, optimale Standpunkte einnehmen, alle bedeutsamen Details und alle Teile des Schauplatzes zeigen, und sogar "mit den Augen der Figur" schauen. Zugleich bleibt der Akt des Erzählens selbst unauffällig im Hintergrund, um die Aufmerksamkeit auf die Handlung zu konzentrieren. Die beweglichen Kameraperspektiven innerhalb des fiktionalen 90 91

Bordwell/Thompson 1979, 165-6. S. Bordwell/Staiger/Thompson 1985, 207ff., Edward Branigan, "The Point-of-View Shot", in: Nichols 1985,672-691.

143 Raumes der Handlung beziehen die Zuschauer mit in die Erzählung hinein und steigern die Illusion.

Theorien des Blickes Die Frage der ideologischen und psychologischen Wirkung des klassischen Filmstils auf die Zuschauer und Zuschauerinnen hat seit den 70er Jahren einen breiten Raum in der Filmtheorie eingenommen. Theorien vom Kino als "Apparat", Theorien der Identifikation, der Subjektposition und des Einbeziehens der Zuschauer und Zuschauerinnen in den Filmtext und zuletzt die Auseinandersetzung mit geschlechtsspezifischen Sehweisen und den Möglichkeiten des "weiblichen Zuschauers" sind Versuche, die komplizierten Interaktionen zwischen Zuschauer und Film zu begreifen. Obwohl in Herangehensweisen und Voraussetzungen unterschiedlich, haben diese Theorieansätze etwas gemeinsam: die Beschäftigung mit dem Film als eine Organisation der Blicke. Sie untersuchen "narrative as a process generated primarily out of an interplay of looks: not only those exchanged between the characters on screen, epitomized by the point of view pattern, but also the look of the viewer [...]". 92 Dabei werden Blicke und Blickwinkel nicht nur als Erzählmittel untersucht, sondern vor allem in Hinsicht auf ihre möglichen ideologischen Effekte auf die Zuschauer und Zuschauerinnen überprüft. Die Organisation des Sehens, die Art, wie ein Text seine Wahrnehmung vorstrukturiert, bekommt eine primäre ideologische Funktion, die auch unabhängig vom Inhalt der Repräsentation wirkt. 93

(Post-)Strukturalistisch orientierte Theorien Die Theorien des Filmzuschauers bauen auf die allgemeinere Diskussion über Subjektivität und Ideologie auf, die seit den 70er Jahren im Zusammenhang mit (Post-)Strukturalismus, Marxismus und Psychoanalyse geführt worden ist. Die Lacansche Variante der Psychoanalyse und Althussers Ideologie-Theorie sind besonders einflußreich für die Filmtheorie gewesen. Bei Lacan waren es vor allem das Konzept des "dezentrierten" Subjekts und die Idee der "imaginären Identifikation" im "Spiegelstadium", welche die Kulturtheorie nachhaltig beeinflußt haben. Lacan zeigt, wie sehr die Identität des Subjekts durch außer- oder intersubjektive Faktoren mitbestimmt ist. Schon die erste Entwicklung einer Ich-Identität im Spiegelstadium kommt Lacan zufolge durch eine Identifizierung mit etwas außerhalb seiner selbst zustande, mit dem eigenen Spiegelbild 92 93

Sheila Johnston, "Film narrative and the structuralist controversy", in: Cook 1985,247. Doane 1988,176.

144

oder der Gestalt eines anderen Menschen. Im Bild sieht das Kind eine Ganzheit, eine Identität, die es zu der Zeit weder psychisch noch motorisch hat. Diese narzißtische Identifizierung, die konstitutiv für die Bildung des Ichs ist, hat die Form einer Identifizierung mit einem Idealbild. Sie ist eine imaginäre Identifikation, die zugleich die Verkennung eines Teils der Realität des Subjekts bedeutet. Eine zweite Phase in der Entwicklung der Subjektivität beginnt mit dem Eintritt in die "symbolische Ordnung", vor allem mit der Annahme einer Geschlechtsrolle und mit der Formierung des Begehrens in der ödipalen Situation. Für Lacan ist es die symbolische Ordnung, die eine Formulierung des Begehrens, und damit eine Äußerung des Subjekts, erst ermöglicht. Dadurch ist aber das Subjekt immer auch Produkt (Konstrukt) des Diskurses. Sogar die "eigenen" Wünsche sind durch den unbewußten - gesellschaftlichen/kulturellen/intersubjektiven - Diskurs des "Anderen" vermittelt. Auf der Grundlage des Lacanschen Begriffs eines durch einen Text oder Diskurs bestimmten Subjekts hat Althusser eine neue Theorie der Ideologie entwickelt. Nach Althusser liegt die primäre Funktion der Ideologie in der Bestimmung der sozialen Identität der Menschen: "[...] toute idéologie a pour fonction (qui la définit) de 'constituer' des individus concrets en sujets."9* Kulturelle Strukturen und soziale Institutionen "interpellieren" (adressieren, ansprechen) Individuen als Subjekte; sie weisen ihnen eine Identität zu und vermitteln ihnen ein ideologisches, "rapport imaginaire des individus à leurs conditions réels d'existence".95 Diese Theorie der Verankerung der subjektiven Identität in kulturellen Diskursen und Praktiken läßt sich auf das Kino anwenden, um ideologische Dimensionen im Identifikationsprozeß und in der Konstruktion einer imaginären Realität aufzuzeigen. Modelle der filmischen Identifikation haben eine wichtige Rolle in der neueren Filmtheorie gespielt, die die Identifikation in Analogie zur imaginären Identifikation im Spiegelstadium begreifen oder in Anlehnung an Althusser als eine Festschreibung des Zuschauers auf eine (ideologische) Sichtweise definieren. Dabei spielt die Identifikation mit Figuren im Film für diese Theorien meistens nicht die wesentliche Rolle, die man vom Begriff der spiegelbildlichen Identifikation her erwarten könnte. Vielmehr wird diese Form als eine narzißtische, (für den Film) sekundäre, Identifikation eingestuft. Die im Film primäre Identifikation ist diejenige mit der Perspektive der Kamera als einer Art "transcendental subject", das die Bilder ermöglicht, organisiert und Bedeutung gibt (Baudry),96 oder mit einer im Film implizierten idealen Zuschauerposi-

94 95 96

Althusser 1976,110. Althusser 1976,101. Jean-Louis Baudry, "Ideological Effects of the Basic Cinematographic Apparatus", in Nichols 1985,540.

145 tion,97 letztlich mit sich selbst als allessehendem Subjekt des Films (Metz): "le spectateur, en somme, s'identifie à lui-même, à lui-même comme pur act de perception [...]".98 Diese Identifikation mit einer Phantasie von sich als alles wahrnehmendem Subjekt hat auch die Struktur einer imaginären Identifikation, denn sie gibt dem Zuschauer eine illusionäre Perspektive auf eine fiktionale Realität vor. "Die Kamera schreibt also weitgehend vor, wie der Blick des Zuschauers ausgerichtet wird, welche Bewegung er einschlägt, wohin er sich wendet [...]."" Die Identifikation mit der Kamera erlaube dem Zuschauer, sich als Subjekt des Films zu fühlen; sie produziere eine Illusion der Wahrheit, der Selbstsicherheit, des Wissens, der Macht über das Gesehene. Dies geschehe durch das Zusammenwirken von Einstellungen, die einen kohärenten imaginären Raum und eine schwebende, aber in diesen Raum integrierte Zuschauer-Perspektive aufbauen. Mit dem Begriff der "Suture" wird bezeichnet, wie die Sicht des Zuschauers mit dieser im Film implizierten Zuschauerposition "vernäht" wird,100 "wie die Wahrnehmung des Zuschauers verschweißt wird mit der Blickdramaturgie der Kamera". 101 Vor allem Schuß-GegenschußMontage bewirke diese Einbindung des Zuschauers in die Illusion.102 Darin bestehe ein primärer ideologischer Effekt des Films: By means of the suture, the film-discourse presents itself as a product without a producer, a discourse without an origin. It speaks. Who speaks? Things speak for themselves and of course, they tell the truth. Classical cinema establishes itself as the ventriloquist of ideology. 103

Mulveys Kritik der männlichen Schaulust Eine kritische, und sehr einflußreiche, Wendung erfuhr die strukturalistischpsychoanalytische Zuschauertheorie, als Laura Mulvey ihr eine feministische

98 99 100

101 102 103

Die "Position" des Zuschauers bezeichnet dabei nicht nur eine räumliche Lage im Verhältnis zur Handlung des Films, sondern auch das Verhältnis des Zuschauers zum Film als Subjekt und Objekt des filmischen Diskurses. Metz 1977, 69. Koch 1989,17. Dieser Begriff ist dem chirurgischen Terminus für eine Naht oder das Vernähen entlehnt und wurde von La can benutzt, um die Festlegung des Subjekts zu bezeichnen. Für Anwendungen in Filmtheorien s. Kaja Silverman, "Suture", in: Rosen 1986, 219-235, Daniel Dayan, "The Tutor-Code of Classical Cinema", in: Nichols 1976, 438-451, Heath 1981, 76-112, Lapsley/Westlake 1988, 86-90; für eine kritische Relativierung dieser Theorien s. Nick Browne, "The Spectator-in-the-Text: The Rhetoric of Stagecoach",in Nichols 1985, 458-475, William Rothman, "Against 'The System of the Suture'", in Nichols 1976,451-459. Koch 1989,17. Dayan, in Nichols 1976,448-450. Dayan, in Nichols 1976,451.

146 Umdeutung in ihrem Artikel "Visuelle Lust und narratives Kino" gab. 104 Ihr entscheidender Schritt war, die subjektiven Effekte des Kinos als geschlechtsspezifisch differenzierte zu sehen und sie in Zusammenhang mit den psychischen Mechanismen der Skopophilie (Schaulust) und des Fetischismus zu bringen. Ihre These lautet, daß die konventionelle Blickinszenierung im Film die Zuschauer in männlichen Sehweisen und Perspektiven situiert, die durch Voyeurismus und Fetischismus gekennzeichnet sind. Die Lust am Kino entstehe in erster Linie aus "der geschickten und befriedigenden Manipulation der visuellen Lust" durch den konventionellen Filmstil. 105 Diese visuelle Lust habe zwei Komponenten: die objektbezogene Schaulust und die narzißtische Lust an der Identifikation mit dem Gesehenen. Die gesellschaftliche Teilung der Geschlechterrollen bestimme auch eine geschlechtsspezifische Spaltung der Schaulust in "aktiv/männlich und passiv/weiblich": "Die Frau als Bild, der Mann als Träger des Blickes". 106 Die Frau fungiere im Film als Objekt des erotischen Blickes, sowohl des Blickes der männlichen Hauptfigur wie auch des Zuschauers, der sich mit dem Protagonisten identifiziere und damit an dessen Perspektive teilhabe. 107 Die Kinoästhetik organisiere den Blick des Zuschauers als männlichen, voyeuristischen Blick auf die Frau. Dadurch entstehen aber Komplikationen, denn, laut der psychoanalytischen Theorie, rufe das Bild der Frau nicht nur Lust hervor, sondern es konnotiert zugleich "die Abwesenheit eines Penis, die die Kastrationsdrohung und, folglich, Unbehagen einschließt." 108 Als Abwehr gegen diese Drohung gebe es zwei psychische Mechanismen, derer sich auch das Kino bediene: ein sadistischer Voyeurismus, der die Kastrationsangst durch Bestrafungsphantasien kompensiere, und der Fetischismus, der die Kastration verleugne, indem er den abwesenden Phallus durch den Fetisch ersetze. In manchen Filmen seien die Frauenfiguren völlig als Fetische inszeniert, z.B. in Sternbergs Filmen mit Marlene Dietrich. 109 Nach Mulveys Theorie bleibe im konventionellen Film keine Möglichkeit einer weiblichen Subjektivität. Die Frauenfiguren werden zu passiven Objekten männlicher Schaulust gemacht, und der Film ermögliche den Zuschauerinnen keine weibliche Perspektive, sondern zwinge auch ihnen die eingebaute männliche Sehweise und eine "transsexuelle Identifikation" auf, die ihre Attraktivität aus der sonst verwehrten Gelegenheit, sich mit der aktiven Figur zu identifizieren, gewinnt.110

104 105 106 107 108 109 110

Mulvey Mulvey Mulvey Mulvey Mulvey Mulvey

1980, 30-46, orig. Mulvey 1975, 6-18. 1980,32. 1980,36. 1980,37-38. 1980,39. 1980,40-41.

Mulvey 1 9 8 1 , 1 3 .

147 Die Position des Zuschauers Die Kernidee der strukturalistisch-psychoanalytischen Filmtheorie, die ich hier kurz und vereinfacht referiert habe, besteht darin, daß der Filmtext den Zuschauer in ein imaginäres Verhältnis zu den Bildern und zu sich selbst als Subjekt setzt. Die Kameraperspektive und die Art der Montage - vor allem SchußGegenschuß-Montage und Point-of-view-Einstellungen - bauen eine imaginäre Zuschauer-Position im Film auf. Der Zuschauer identifiziert sich dann mit diesem "Zuschauer im Text". Der Blick des Zuschauers wird mit dem Blickwinkel der Kamera bzw. bei Blickwinkel-Einstellungen mit dem Blick einer der Figuren "verschweißt" (Koch). Ideologische Folgen dieser Filmform sind: - die Verstärkung einer imaginären Ich-Identität (Baudry, Metz), - die Einbindung des Zuschauers in die Fiktion, wodurch der Film seinen Status als Zeichensystem und als menschliches Produkt versteckt und sich als Realität ausgeben kann (Dayan), - die Identifikation mit männlichen Figuren und vor allem mit einer männlichen, voyeuristischen oder fetischistischen Sehweise (Mulvey).

Revisionen und Erweiterungen Diese Richtung der Filmtheorie ist sehr produktiv gewesen, indem sie neue Fragestellungen und eine neue Sichtweise auf das Funktionieren des Films eröffnet hat. Einige ihrer Grundannahmen sind aber nicht unproblematisch. Ihre Ansprüche auf allgemeine theoretische Gültigkeit haben sich zum Teil als übertrieben oder unhaltbar erwiesen. Auch einige Leerstellen, z.B. die Frage nach einem Modell des weiblichen Zuschauers, bleiben nach wie vor in der Filmtheorie unausgefüllt. Diese Theorierichtung geht sehr stark davon aus, daß der Film den Zuschauer auf eine bestimmte "Position" oder Haltung festlegt. Obwohl durchaus einleuchtend als Erklärung einer ideologischen Wirkung des Films, bleibt diese Idee - zumindest in ihren ersten Formulierungen bei Baudry, Metz und einigen der Screen-Autoren - abstrakt, universalisierend und deterministisch. Das Modell läßt sich leicht als eine völlig mechanistische Bestimmung des Zuschauers durch den Film oder den "Kino-Apparat" verstehen. So kann es aber die realen Unterschiede zwischen Filmen und die unterschiedlichen Arten, wie Zuschauer auf einen Film reagieren, nicht erklären. 111 Diese Theorie neigt dazu, den Zuschauer nur als ein theoretisches Konstrukt wahrzunehmen und zu einem passiven Anhängsel der Filmmaschinerie zu machen.112 Wenn sie aber 111 112

Lapsley/Westlake 1988,90. Hier wirkt das anti-subjektivistische Moment des Strukturalismus noch nach.

148 die Filmrezeption erklären will, muß diese Theorie so erweitert werden, daß sie die tatsächlichen Differenzen innerhalb des empirischen Publikums erläutern kann. Dies geht nur, wenn die Interaktion der aktiven Zuschauer und Zuschauerinnen mit den im Film implizierten Möglichkeiten einer Zuschauerposition besser erklärt werden kann. Die Rezeption ist aktive, konstruktive Interpretationsarbeit; anders wäre kein Verstehen des Films möglich. Auch als rein intratextuelles Modell hat diese Filmtheorie Grenzen. Insbesondere die Theorie der "Suture" hat aus einem Teilaspekt den Schlüssel zum gesamten Film zu machen versucht. Hier konnte auch Kritik leicht angebracht werden, die zeigte, daß die rhetorischen Figuren der "Filmsprache" wesentlich komplizierter und die Möglichkeiten der Identifikation vielfältiger sind.113 Nick Browne zeigt, wie das Verständnis eines Films als Produkt eines Leseprozesses seitens des Zuschauers entsteht. Dabei konstruiere der Zuschauer verschiedene Identifikationen oder figurative Erzählpositionen, die keineswegs identisch mit den visuellen Perspektiven der Figuren sein müssen, sondern sogar genau entgegengesetzt sein können.114 Das Ineinssetzen von Zuschauerposition und Blickwinkel einer Figur sei zu einfach. Die fiktive Position des Zuschauers im Text konstruiere sich aus "a set of views, identifications and judgements",115 die sich im Laufe des Films entwickeln. Ein weiteres Problem der Universalisierung eines Modells des Zuschauers (auch bei Mulveys feministischer Kritik) besteht darin, daß sie keine Möglichkeit einer weiblichen Perspektive im Film zuläßt, weder als mögliche Alternative noch als Erklärung, warum manche herkömmliche Filme ein weibliches Publikum ansprechen. Die Reaktionen auf diese Probleme haben bisher nicht zu einer neuen, kohärenten Filmtheorie geführt. Die Diskussion läuft noch.116 Zwei Tendenzen sind aber zu erkennen: erstens die Betonung der konkreten Differenzen zwischen Zuschauern und zwischen verschiedenen Zuschauergruppen und zweitens das Einbeziehen von Begriffen der Phantasie als Schnittstelle zwischen Film und Zuschauer oder Zuschauerin.117 Der Begriff des "Zuschauers im Text" behält dabei eine, allerdings eingeschränkte und relativierte, Gültigkeit als Beschreibung einer ideologischen Wirkung des Films. Diese Wirkung kann nicht so einfach und automatisch einsetzen. Die vom Film angebotene Zuschauerposition muß von den konkreten Zuschauer und Zuschauerinnen angenommen werden. Das heißt, sie muß in einem Zusammenspiel mit individuellen und kollektiven Phantasien zusammenkommen. Ein Film kann bestimmte Zuschau113

114 115 116 117

Nick Browne, "The Spectator in the Text: The Rhetorik of Stagecoach", in Nichols 1985, 458475, William Rothman, "Against 'The System of the Suture'", in Nichols 1976,451-459. Browne, in Nichols 1985,468-469. Browne, in Nichols 1985,475. S. Frauen und Film, Doane 1988, Doane 1988-89, Lapsley/Westlake 1988. Lapsley/Westlake 1988, 91, s. auch Ellis 1982,77-90.

149 erperspektiven durch die Kamera und die Montage vorgeben; was das Publikum damit macht, kann er aber nicht völlig bestimmen. Diese Elemente des Films müssen, zumindest teilweise, schon vorhandene Wünsche und Identitäten treffen, wenn sie wirksam sein sollen. Der Film kann Haltungen, Identitäten und Sichtweisen in einer ideologischen Richtung bestätigen und verstärken, aber nicht aufzwingen. Dann kann aber kein universelles Modell der filmischen Identifikation als Manipulation aufgestellt werden. Man muß stattdessen von der Möglichkeit mehrfacher, widersprüchlicher Identifikationsprozesse ausgehen. Nicht nur zwischen verschiedenen Zuschauern, sondern auch innerhalb eines Individuums können unterschiedliche Identifikationen gleichzeitig passieren. The particular conditions of cinema therefore provoke a series of identifications on the part of the spectator: identification with the cinematic apparatus itself; narcisstic identifications with all of the figures (to some degree) who are presented on the screen; identifications across filmic narratives with the various phantasy positions that these narratives invoke. 118

Identifikation ist also keineswegs einfach und klar, sondern "multiple and fractured". 119 Auch die Inszenierung der Blicke im Film und im Kino ist mehr als eine einfache und unilineare Festlegung auf eine Zuschauerperspektive. Nach der Beschreibung von Stephen Heath ist es gerade das Zusammenspiel verschiedener möglicher Blickwinkel und ihrer Verankerung im Erzählprozeß, die Identifikation und "Suture" erzeugen.120 Die Wirkung des Erzählfilms basiert auf einem ganzen System von Blicken: [...] the look of the camera at the profilmic event, the look of the spectator at the screen, the intradiegetic looks of the characters at one another and objects in their field of vision. This series of looks is both embedded (the spectator sees what characters see by looking at what the camera looks at) and to an extent reversible (the look of the camera is revealed by looking at the film at the same time the former is a condition of the latter). The series engenders the relay of identifications essential for binding the spectator into the film. For instance it is the exchange between first and second looks that establishes identifiction with the camera. Then the look at the film involves a relay of identification from image, to human figures within the image, to the narrative, which in turn orders the flow of images. The looks of characters allow for various point-of-view identifications of looking with a character or as a character (through subjective shots). The overall effect of the apparatus, despite a certain mobility, is one of control, of holding the spectator within a coherence of vision. 1

Die neuere feministische Filmtheorie hat Ansätze der Zuschauer-Theorie aufgegriffen und weitergeführt. Dabei ist diese Theorie differenzierter geworden und von mancher mechanistischen Starrheit der Anfangsmodelle befreit worden. Die Entwicklung und Anpassung der Theorie an die Komplexität der Wirklichkeit ging zum Teil auf Kosten der Übersichtlichkeit und Einfachheit. 118 119 120 121

Ellis 1982, 44. Ellis 1982, 43. Heath 1981,119ff. Lapsley/Westlake 1988,140.

150 Dafür erfaßt sie die Widersprüchlichkeit des Films und des Verhältnisses zwischen dem Film und den Zuschauern und Zuschauerinnen besser. Mulveys Beschreibung der Fixierung des Blicks auf eine voyeuristische oder fetischistische Sehweise bleibt sehr einflußreich. Sie wirft aber Fragen auf, für die sie keine befriedigende Antworten liefern kann. Insbesondere kann sie nicht ausreichend erklären, wie das weibliche Publikum einen Film sieht. Innerhalb dieses Modells befindet sich auch kein Platz für Vorstellungen von (latenten, unterdrückten, nicht entfalteten) Möglichkeiten alternativer Sehweisen. Das Modell einer Fixierung auf "männliche" Schauweisen macht es schwer zu erklären, "Warum Frauen ins Männerkino gehen", wie Gertrud Koch das Problem nannte. 122 Es stellt sich die Frage, ob die Filme auch Frauen auf eine "transsexuelle" Identifizierung mit dem Mann festschreiben, 123 oder ob Elemente in den Filmen eingebaut sind, die eine andere, "weibliche" Rezeptionsweise zulassen. Wenn das so ist, müsse man diese Mechanismen isolieren und bewerten. Die Theorieentwicklung ist keineswegs abgeschlossen, und die bisherigen Lösungsvorschläge sind vielfältig und eher provisorisch. Modelle der Zuschauerin basieren u.a. auf: narzißtischer Identifikation mit weiblichen Figuren, "hermaphroditischer" Identifikation mit männlichen Figuren und Blicken,124 Versionen der "Maskerade", 125 vor-ödipaler Schaulust,126 einer komplexen, gleichzeitigen "doppelten Identifikation" (mit dem Blick und mit verschiedenen Figuren und Bilder)127 oder einer masochistischen Identifikation, die der Frau eine völlig passive Version des Zuschauens nahelegt.128 Diese Vielfalt der Begriffe deutet nicht nur auf den noch offenen Stand der Theorieentwicklung, sondern, wie Mary Ann Doane bemerkt, auch auf Widersprüche im realen Verhältnis von Frauen und Film, die sich auf kein einfaches Modell reduzieren lassen.129 Blockierungen in der gesellschaftlichen und kulturellen Konstitution von weiblicher Subjektivität bestimmen auch die Möglichkeiten (oder Unmöglichkeit) einer weiblichen "Zuschauer-Position" im Film.130 In ihrem Buch The Desire to Desire versucht Doane, solche Blockierungen in der Situierung der Zuschauerinnen und in filmischen Repräsentationen vom weiblichen Schauen herauszufinden. Ihr Fazit: der Film, wie andere gesellschaftliche Diskurse, funktioniere auf vielfache Weise so, daß er Frauen den Weg zu einer aktiven Subjekti122 123 124 125

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Koch 1989, 125-136, zuerst in: Nabakowski/Sander/Gorsen 1980. Das war Mulveys Vorschlag (1981,13). Doane 1988,19. Diese psychoanalytische Beschreibung der Weiblichkeit wurde von Joan Riviere entwickelt und findet Anwendung auf Film u.a. bei Doane 1985,1988-89, Heath 1986) Koch 1989,125-136. De Lauretis 1984,143-4. Doane 1988,17-19. Doane 1988,7. Doane 1988, 8-22.

151

vität versperre. "It functions quite precisely to immobilize f...]".131 Film und Kultur weisen Frauen tendenziell eine Art Subjektivität zu, die nur ein rein passives Begehren zuließe.132 Die Position der Frauen im Film sei also eigentlich unmöglich, sie werden auf einen "nonplace" plaziert.133 Doane untersucht, wie und mit welchen Mitteln Filme diesen Effekt bewirken können. Ein Schwerpunkt liegt dabei auf der geschlechtsspezifischen Inszenierung der Blicke im Film, die sowohl in der Zuschauersituation wie auch innerhalb der Filmerzählung eine solche Entfremdung und ideologische Festlegung weiblicher Subjektivität implizieren kann. Diese Fragestellung wird auch für Teile meiner Analyse von Die große Liebe richtungsweisend sein. Das theoretische Verständnis, daß die visuellen Komponenten des Films wesentlich durch ein System von Blicken organisiert sind, gibt uns ein nützliches Instrument, zusätzlich zur Analyse der Zeichenfunktion der Bilder, um diese Dimension des Films zu interpretieren. Dabei sind drei Aspekte der Dramaturgie der Blicke wichtig: - Bedeutungskonstruktion - Die Organisation der Blicke ist eine wichtige Kodierung, die entscheidend dazu beiträgt, wie man Filme "liest" und versteht. Handlung, subjektive und quasi-subjektive Einstellungen, Verhältnisse zwischen Figuren und auch thematisch wichtige Bedeutungen werden über Blicke und Blickrichtungen vermittelt. - Identifikation - Blicke verwickeln Zuschauer in verschiedene Identifikationen mit Figuren, mit der Kamera bzw. mit einer impliziten idealen ZuschauerPosition. Die Identifikation kann geschlechtsspezifische Haltungen und Sehweisen implizieren. - Ideologie - Sowohl die filmischen Bedeutungen als auch die Identifikationen stehen im Zusammenhang mit gesellschaftlichen Ideologien. Bedeutungen, Haltungen, Werte und Formen der Subjektivität haben ideologischen Wert. Sie funktionieren, um die Zuschauer und Zuschauerinnen in das gesellschaftlichen Machtgefüge zu plazieren, ihre vorgegebenen Rollen zu stabilisieren und potentielle Veränderungswünsche zu neutralisieren. Die Arbeitsweise und Funktion dieser Aspekte der Blickdramaturgie in Die große Liebe herauszufinden, wird einen wichtigen Teil der Analyse dieses Films ausmachen. Dabei ist die filmische Vermittlung geschlechtsspezifischer Rollen und Machtverhältnisse durch Blicke besonders wichtig.

T3T Doane 132

133

1988,19. De Lauretis 1984,151. Doane 1988,12.

152

5.5. Sequenzanalysen Meine Interpretation des Films Die große Liebe wird sich auf die Feinanalysen von fünf Sequenzen und Subsequenzen stützen. Diese stellen besonders wichtige Stufen in der Entwicklung der Erzählung und der Figuren dar. In ihnen werden Informationen und emotionale Qualitäten besonders stark durch die visuelle Gestaltung - einschließlich Montage - übermittelt. Sowohl die Erzählfunktion als auch die filmische Form (Handlungswendepunkte, besonders viele und lange Großaufnahmen, teilweise erhöhte Kamerabewegung) zielen auf eine besondere Intensität der Wirkung in diesen Passagen. Es sind also in mehrfacher Hinsicht Schlüsselsequenzen des Films. Es geht mir darum, zu zeigen, wie ideologische Bedeutungen in der thematischen und erzählerischen Entwicklung schon durch die filmischen Mittel und die Feinstruktur konstruiert werden. Die Sequenzanalysen werden von detaillierten Beschreibungen der einzelnen Einstellungen ausgehen. Diese sollen einen kleinen Eindruck vom visuellen Aufbau des Films geben und als Hilfe für die Analyse dienen. Die Betrachtung des Films können sie selbstverständlich nicht ersetzen. Einige Standfotos zu den beschriebenen Einstellungen befinden sich im Anhang. Zur besseren Übersicht werde ich meine Beschreibung durch kursive Schrift von dem Filmdialog in Standardschrift absetzen. Kommentare, die auf filmische Techniken und die Funktion der Einstellung hinweisen sollen,134 werden direkt an die Beschreibungen der Einstellungen anschließen. Bei Sequenz VII wird die Beschreibung weitgehend eingeschränkt und gleich auf die Interpretation eingegangen, da sich in der visuellen Gestaltung Merkmale der vorher beschriebenen Sequenzen wiederholen. Als letzter Schritt wird eine Gesamtinterpretation der jeweiligen Sequenz diese im Kontext des ganzen Films situieren und ihre Funktion in der Konstruktion - ideologischer - Bedeutungen feststellen.

5.5.1. Sequenz IIB - Zarah tritt auf

Zunächst werde ich den ersten Auftritt von Zarah Leander in diesem Film analysieren. Als die gefeierte Sängerin Hanna Holberg tritt sie in der berühmten Berliner "Scala" auf und singt den Schlager "Mein Leben für die Liebe". Die Sequenz ist wichtig als die erste Zusammenführung von Hanna und Wendlandt, also die erste, angedeutete Exposition der zentralen Liebesgeschichte. Zugleich werden, hauptsächlich auf indirekte Weise, zentrale thematische Bedeutungen angerissen. 134

Anregungen für die Analyse und Darstellungsweise habe ich aus David Bordwells Beschreibung des "klassischen Hollywood-Stils" bezogen; s. Bordwell/Staiger/Thompson 1985, insbes. 60-69.

153 5.5.1.1. Beschreibung und Kommentar Sequenz IIB - Berlin, in der "Scala", Einstellungen 32-53, (Szene 8)135 32. (weit): Im Zuschauerraum, Sicht von hinten über zahllose Zuschauer hinweg auf die Bühne. Kamerafahrt auf die Bühne zu (•*Totale). Bühnendekor: flackernd beleuchtete Kulissen, die Flammen darstellen. Davor ist ein Chor aus schwarz gekleideten Männern, die mit unregelmäßigen Bewegungen tanzen. Hanna Holberg erscheint im Mittelpunkt der Bühne und im Kreuzpunkt der Bildkomposition, die von den Diagonalen beherrscht ist, die die Chorreihen und die Flammenbilder bilden. Musik: "Mein Leben für die Liebe" (bis Ende Einst. 44). Chor: gesungene Rufe oder Schreie (unverständlich). Hanna (singt): Mein Leben für die Liebe,... Kommentar: Diese einführende Einstellung fängt den gesamten Raum ein und orientiert die Zuschauerin oder den Zuschauer auf die folgenden Einstellungen. Der große Saal, voll mit Publikum, drückt die Beliebtheit der Sängerin aus. Bühnenbild, Musik und Chorgesang stellen erste Elemente eines konnotativen Bedeutungskomplexes "Chaos, Leidenschaft, Gefühl" auf. Diese Elemente werden jedoch zugleich eingeschränkt durch die für den deutschen Revuefilm typische, relativ starre Kameraführung. 136 Die kontrastreiche Bildkomposition und die Bewegungen der Tänzer (im Chor) wirken dynamisch, aber symmetrisch und stark auf den Mittelpunkt (Zarah Leander) zentriert. In dieser Einstellung ist sie noch kaum zu sehen, aber sofort durch ihre Stimme zu erkennen. Diese tiefe Stimme, gewissermaßen ein Markenzeichen, gehörte untrennbar zu ihrem Starimage und ruft sofort Erwartungen und Assoziationen hervor. Auch der Text dieses "witzig-pointierte[n] Chansonfs] mit sex appeal" 137 erinnert an Lieder aus ihren vohergegangenen Filmen wie "Kann denn Liebe Sünde sein?", "Eine Frau wird nur schön durch die Liebe", "Yes sir!" usw. So deutet der Film gleich auf ihren Rollentypus als "Frau mit Vergangenheit", tingelnde Sängerin, "Rasseweib" und "Sünderin vom Dienst" 138 oder unabhängige, starke und erotische Frau. Schon in früheren Filmen wie Zu neuen Ufern oder Heimat spielte sie die Rolle einer Frau, die in ihren ersten Auftritten und

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136 137 138

Bardram 1986, 8. Dieses Dialogtranskript ist eine gute Arbeitshilfe, kann aber nichts von der visuellen Gestaltung des Films vermitteln. Die Szeneneinteilung beachtet nur Wechsel der Schauplätze. Für meine Untersuchung, die stärker auf Erzählung und Bilder eingeht, war eine zusätzliche Gliederung in Sequenzen und Einstellungen notwendig. Auch sonst weiche ich in dem einen oder anderen, meist unwesentlichen, Punkt von Bardrams Transkript ab. Witte 1979b, 18-19, 28. Film-Kurier, 7. November 1941,23. Jg., Nr. 262,3. Sanders-Brahms 1981,165-166.

154 Liedern frivol, sexuell aktiv und fast ein Vamp zu sein erscheint, sich dann als "innerlich anständig" herausstellt. Das feststehende Star-Image Zarah Leanders, das auch von Werbekampagnen der Ufa aufgebaut und unterstützt wurde, kann dieser Film bereits als intertextuellen Verweis benutzen, um sofort Zuschauererwartungen an die Handlung und die Art des Films aufzurufen. 33. (Halbnah, leichte Untersicht): Hanna ist auf der Bühne und kommt auf die Kamera zu (—*Nah); sie singt weiter: ...jawohl! Mein ganzes Glück ist Liebe, jawohl! Ich kann nun mal nicht anders, Ich muß nun mal so sein,... Kommentar: Hier findet eine Annäherung an die Hauptfigur statt. Zarah Leander ist deutlich in den Mittelpunkt des Interesses gerückt. Die Kamera stellt die Zuschauer und Zuschauerinnen in etwa in die Position des Publikums im Saal (Perspektive, Untersicht), macht die Sicht jedoch näher und intensiver. Die Mimik und Gestik der Schauspielerin sind voll zu erkennen. Die nähere Sicht auf Leander bestätigt die Rollenerwartungen. Nur die blonde Perücke überrascht, machte doch Leanders rotes Haar ein integrales Teil ihres Images aus. Zur Bühnenrolle des Pseudo-Vamps paßt die Perücke aber doch. Ihr tief dekolletiertes Kostüm, ihre Vortragsweise, der weitere Liedtext und ihre Haltung und Mimik signalisieren eine erotische Frau. Zugleich hat diese Erotik eine aktive, männliche Komponente, wie meistens bei Leander. Heide Schlüpmann geht so weit, von einer "phallischen Inszenierung ihres Körpers" zu reden, die Leander zu einer Frau macht, "die Männlichkeit als Geschlecht, Potenz repräsentiert". 139 Diese Beschreibung trifft zu, erfaßt aber nur die Hälfte ihrer Erscheinung. Neben der phallischen Frau ist sie auch stets die Frau als weibliches erotisches Objekt. Die Erotik einzudämmen, zu passivieren, sie ihrer "bedrohlichen", aktiven, phallischen Qualitäten zu berauben, ist genau die Richtung, die die Erzählung und die visuelle Gestaltung des Films einschlagen. 34. (Nah, leichte Obersicht) Im Zuschauerraum. Wendlandt und Etzdorf von vorne, sie schauen zu, blicken einander dann kurz an. (S. Standfoto im Anhang). Hanna ( o f f ) singt: Ein Herz wie mein Herz ist nicht gern allein. Und... Kommentar: Diese Einstellung läßt sich leicht als Blickwinkel-Anschluß zu der vorherigen verstehen. Klar ist, daß Wendlandt und Etzdorf auf Hanna schauen. Ihre Blickrichtung (nach rechts oben) korrelliert mit der Sicht auf Hanna in 139

Schlüpmann 1988, 54.

155 Einstellung 33. Eine mögliche Identität mit dem Standpunkt Wendlandts, der in den ersten Sequenzen eindeutig die Hauptfigur war, liegt nahe, bzw. wird durch diese Einstellung nachträglich konstruiert. Diese Einstellung gibt dem Blick auf Hanna eine weitere qualitative Bedeutung als ein männlicher, begutachtender und objektivierender Blick. Der Blickkontakt zwischen Wendlandt und Etzdorf paßt zum bisherigen Bild der beiden als "draufgängerischer" Soldaten. Der "Männerbund" zwischen den beiden wird bekräftigt, indem sie Einverständnis miteinander über ein gemeinsames Urteilen und voyeuristisches Objektivieren der Frau ausdrücken. 35. (Nah, wie 33): Hanna geht, mit wiegendem Gang und den Händen in den Hüften gestemmt, auf der Bühne hin und her. (Kamera folgt ihr). (S. Foto). Hanna (singt weiter): ...Nächte ohne Liebe, o-o-o nein! Die sollt' es gar nicht geben, o nein! Und hält man mich auch für närrisch und toll. Mein Leben für die Liebe, jawohl! Kommentar: Die Kamera nimmt den Blickwinkel aus Einstellung 33 wieder auf, der jetzt als Wendlandts zu verstehen ist. Hanna erscheint also als Sex-Objekt, zumindest als Objekt des voyeuristischen Blickes, an dem die Zuschauer (und Zuschauerinnen?) teilnehmen. Zugleich signalisiert sie durch ihre Haltung Autonomie, Stärke und Macht. Sie läßt sich anblicken, stellt sich selbstbewußt zur Schau. Zum Teil ist sie aber auch Subjekt des Blickes,140 indem sie auf das Publikum herunterschauen kann, obwohl sie meistens eher nach oben darüberhinweg schaut. 36. (Nah, Obersicht): Rudnitzky dirigiert, schaut hinauf. Hanna ( o f f ) singt weiter: Ich will nicht träumen,... Kommentar: Hier wird Rudnitzky (Paul Hörbiger) zum ersten Mal gezeigt. Seine Bedeutung für die Geschichte - oder für Hanna - ist noch völlig offen. Die Besetzung mit Hörbiger läßt aber - aufgrund seiner Bekanntheit - vermuten, daß er eine größere Rolle spielen wird. So stellt die Filmerzählung eine offene Frage, die sie dann in der nächsten Sequenz wieder aufnimmt und beantwortet. Hörbiger war auf Rollen spezialisiert, in denen er seinen Wiener Charme und seine sympathische, eher weiche Ausstrahlung anbringen konnte. Häufig waren das, wie hier Musiker, Künstler usw. Als eher femininer Mann bildet er hier 140

Nach Mary Ann Doane wird die Position der Frau als Subjekt des Blickes nur als Unmöglichkeit oder als Übertretung, die bestraft wird, im damaligen Film realisiert (Doane 1988, 98-104).

156 einen Gegenpol zur betonten Männlichkeit Wendlandts. Diese Funktion hat er schon einmal in einem Zarah-Leander-Film erfüllt: gegenüber Willy Birgel in Der Blaufuchs.141 37. (Groß, wie 35): Hanna (singt): ...will nichts versäumen, Ich steh' mit beiden Beinen auf der Welt. Und ich verschwende mich ohne Ende. Mein Wahlspruch heißt: erlaubt ist, was gefällt! 38. (Groß, wie 34): Wendtland schaut gebannt hoch. 39. (Groß, wie 37): Hanna (singt): Mein Leben für die Liebe, jawohl! Mein ganzes Glück ist Liebe, jawohl! Kommentar zu 37-39: Eine Großaufnahme bewirkt eine Intensivierung der Wirkung auf die Zuschauer und Zuschauerinnen; zugleich ist sie ein Zeichen für eine erhöhte Bedeutsamkeit und Emotionalität innerhalb der Erzählung. Diese beiden Aufnahmen von Zarah Leander sind auch wesentlich länger als der Durchschnitt für Großaufnahmen (ca. 13 und 16 Sekunden),142 was ihnen noch mehr Gewicht verleiht. In Die große Liebe dominieren Nah-Einstellungen, die am besten geeignet sind, die Beziehungen zwischen Figuren darzustellen. Großaufnahmen machen nur einen kleinen Teil des Films aus.143 Die Einstellungen 37-39 nehmen die Blickrichtungen aus Einstellungen 34-35 nochmal auf und verstärken ihre Bedeutung. Hier werden sie direkt in ein Schuß-Gegenschuß-Muster eingebunden, indem die Kamera zwischen Perspektiven alterniert, die sich an Hannas und Wendlandts Blickwinkel annähern. 144 Daß Bildauschnitt und -große anders sind, als sie aus den tatsächlichen Perspektiven der Figuren möglich wären, tut nichts zur Sache. Im konventionellen Film wird die Größe hauptsächlich als Zeichen der Intensität verstanden, während die Kamerarichtung bestimmend ist für "point-of-view"-Einstellungen. In diesem "Blickwechsel" werden Wendlandt und Hanna zu Objekten ihres gegenseitigen Anschauens. Auch wenn sich ihre Blicke nicht genau treffen - es wäre auch unwahrscheinlich, daß Hanna genau Wendlandt anschauen sollte - wird in der Montage ein Bezug zwischen den Figuren hergestellt. So wird die Richtung der ^

142 143 144

Dieser Rollentypus sollte nicht als nur negativ oder minderwertig gegenüber den heldenhafteren männlichen Stars verstanden werden. Hörbiger, z.B., war sehr populär. "Als jüngst eine Zeitung unter ihren Lesern eine Umfrage nach dem beliebtesten Schauspieler hielt, lauteten die meisten Stimmen auf seinen Namen." (Oertel 1941,285). S. Tabelle 5.2 im Anhang. S. Tabelle 5.3. im Anhang. Im Anschluß an 36 wäre es möglich, 37 aus der Sicht Rudnitzkys zu verstehen. Die Neigungswinkel in 37-38-39 stimmen jedoch besser überein, und der Schnitt zwischen Einstellungen gleicher Größe schafft eine nähere Verbindung.

157 weiteren Erzählung durch visuelle Mittel angedeutet, noch bevor sie verbal oder in der Handlung erscheint. Über diese Erzählfunktion hinaus haben die filmischen "Blicke" auch andere Bedeutungen. Sie tragen zur Charakterisierung der Figuren bei. Wendlandt zeigte sich bisher im Film als mutig, kameradschaftlich, tüchtig, "schneidig", "geradlinig und mit jener sieghaften Unbekümmertheit ausgestattet, die von vornherein ein Frauenherz entwaffnet." 145 Dieser Eindruck wird hier bestätigt durch seine forsche, direkte Art zu schauen und durch seine gerade, aufrechte und etwas angespannte Haltung. Er blickt das potentielle Objekt seiner Begierde aktiv, direkt, offen und eindringlich an. Aber auch Hanna wird als stark, selbstbewußt und unabhängig gezeigt. Sie ist zwar Objekt der Zuschauer-Blicke, aber in dieser Rolle, in ihrer Aufführung, hat sie zugleich eine gewisse Macht, eine Kontrolle darüber. Sie bestimmt, daß sie angeschaut wird, und was die Leute sehen. Im Gegensatz zum Publikum im Saal, einschließlich Wendlandt, das auf die relativ passive, reaktive (und daher abhängige) Tätigkeit des Zuschauens reduziert ist - und das trifft auf das Kinopublikum natürlich auch zu -, handelt sie aktiv. Dies wird auch in ihren Blicken deutlich, indem Hanna von oben auf das Publikum schaut und deren Blicken standhalten und erwidern kann (wie in diesem Schuß-Gegenschuß-"Blickwechsel"). Die Machtverhältnisse sind also hier sehr ambivalent. Wendlandt (und wir) schauen ihr in langen Einstellungen zu, machen sie zum Objekt der Schaulust. Diese passive Rolle als Objekt überschreitet sie aber, indem sie ihr BetrachtetSein selbst inszeniert und, wie in Einstellung 38 impliziert wird, genauso aktiv (wenn auch wesentlich kürzer - ca. 3 Sekunden) zurückschaut. Die Blickinszenierung stärkt den Eindruck, der schon von ihrer Körperhaltung, ihrer äußeren Erscheinung und ihren Bewegungen ausgeht. 40. (Nah, wie 36): Rudnitzky dirigiert. Hanna ( o f f ) singt weiter: Ich kann nun mal nicht anders, Ich muß nun mal so sein. 41. (Halbnah): Hanna geht nach links über die Bühne und einige Stufen hinauf (Schwenk mit ihr), Sie singt weiter: Ein Herz wie mein Herz ist nicht gern allein. 42. (Totale, wie 32): Beleuchtung geht auf, Chor erscheint, jetzt in drei parallelen Reihen übereinander, mit Hanna im Mittelpunkt. Die Bühnenkonstruktion kippt langsam, um Hanna emporzuheben und die Tänzer nach unten sinken zu lassen. (Langsame Fahrt gerade zurück von der Bühne —> Weit). Der Chor singt: Mein Leben für die Liebe, jawohl! Mein ganzes Glück ist Liebe, jawohl! Ich kann nun mal nicht anders, Ich muß nun mal so sein. 145

Ufa-Pressestelle (Hrsg.): Bild und Textinformation zu dem Zarah-Leander-Film der Ufa "Die große Liebe". Berlin oJ., o.S.

158 Ein Herz wie mein Herz ist nicht gern allein. Hanna singt: Und Nächte ohne Liebe, ha ha nein, die sollt' es gar nicht geben, o nein! Und hält man mich auch für närrisch und toll, Mein Leben für die Liebe! Chor singt: Mein Leben für die Liebe! Hanna singt: Mein Leben für die Liebe, ... 43. (Halbnah): (S. Foto) Hanna singt: ...jawohl! Hanna wirft ihren Kopf hoch beim letzten Wort. Vorhang schließt. Kommentar: In diesen Einstellungen zieht sich die Kamera langsam auf eine "objektivere" Perspektive zurück. Diese Bewegung signalisiert - umgekehrt symmetrisch zur Annäherung in den ersten Einstellung, - das kommende Ende der Revue und eine emotionale Distanzierung von den Figuren, die aus dem Wechsel zum neutraleren Erzählstandpunkt erfolgt. Die Umgebung und der Kontext ersetzen die stark personalisierte Sicht, die in den Großaufnahmen zu finden ist. In der visuellen Gestaltung dominieren Tänzer und Bühnenbild über die Einzelfigur der Sängerin, wenngleich sie durch ihre Position im Mittelpunkt noch von zentraler Bedeutung bleibt. Das Bühnenbild ist zwar im Grunde dasselbe geblieben, aber signifikant umgestellt. Die konvergierenden Diagonalen aus Einstellung 32 sind hier durch parallele Reihen ersetzt, die übereinander angeordnet sind und geordneter und statischer wirken. Die Bewegungen, sowohl die der Tänzer wie auch die der ganzen Bühnenkonstruktion, sind um die Figur von Zarah Leander zentriert. Ihre Stelle inmitten von sechzig Männern, und zum Schluß auch über sie erhoben, soll ihre Wirkung auf Männer darstellen, und dadurch ihre "packende" Wirkung auf Wendlandt motivieren.146 "Die Ausstattung soll den Triumph einer schönen Frau über das andere Geschlecht zum Ausdruck bringen."147 Bühnenbild und Choreographie sollen also zum Eindruck einer sexuell fast gefährlich attraktiven Frau beitragen. Diese Vamp-Qualität wäre noch stärker signifiziert worden durch einen Entwurf für eine RevueSzene an dieser Stelle im Film, der nicht ausgeführt wurde: das Lied und die Revue "Das silberne Netz" hätten die Liebe als Netz gezeigt, "das schöne Frauen im beglückenden Liebesspiel über den Mann breiten". 148 Das Bühnen146 147

148

Miltner 1942, 91. "Große Dekoration für Zarah Leander. Bei den Außenaufnahmen zu dem Ufa-Film 'Die große Liebe'", Film-Kurier, 24. Jg., Nr. 30 (5. Februar 1942), 3. Ufa-Pressestelle (Hrsg.): Bild und Textinformation zu dem Zarah-Leander-Film der Ufa "Die große Liebe". Berlin oJ., o.S.

159 bild hätte sie als Spinne mitten in dieses Netz gestellt. Die Assoziationen, die von der Vorstellung einer Spinne ausgehen - lauernde Jägerin, Blutsaugerin, Gattenfresserin etc. -, wären wohl zu stark und viel zu negativ für den weiteren Verlauf des Films gewesen. Etwas von diesen Bedeutungen schwingt jedoch noch in der realisierten Version mit: Hanna ist die zu starke Frau, die eine etwas unheimliche Attraktion ausübt und Macht über Männer hat. Die Konnotationen von Leidenschaft und ungezügelten Gefühlen, die in Einstellung 32 zu finden waren, sind hier etwas stärker eingedämmt. Das Bühnenbild ist geordneter und wird "aufgehellt", als die Tänzer ihre Jacken ausziehen. Die Tanzbewegungen sind eher symmetrisch und stärker synchronisiert. Die Flammen usw. sind noch da, werden aber überlagert durch eine hierarchische vertikale Ordnung im Bühnenbild, die, Witte zufolge, typisch für den deutschen Revuefilm war und eine Angst vor Dekadenz und vor Chaos ausdrückt.149 Die Lust, aber auch die Angst, die die Vorstellung einer gefährlichen, sexuellen, phallischen Frau erweckt, wird sogleich teilweise verarbeitet und eingedämmt in der visuellen Gestaltung des Films. Die letzte Einstellung (43) hält die Vorstellung der phallischen Frau eventuell wach. Heide Schlüpmann schreibt dazu: "Wenn sie am Ende ihres Liedes - 'mein Leben für die Liebe* - noch den Kopf mit einem Ruck nach oben in den Nacken wirft, ist der Eindruck der Erektion vollkommen."150 44. (Halbtotale): Rudnitzky dirigiert (Schluß),geht rechts ab. (Musik Applaus). 45. (Nah, wie 34): Wendlandt, Etzdorf applaudieren. Wendlandt: Mensch, großartige Frau, was? Müßte man kennenlernen. Etzdorf: Wozu? Zu welchem Zweck? Wendlandt: Um ihr zu sagen, daß man sie großartig findet. (...) 51. (Nah, wie 45): Etzdorf: Du willst wirklich hin?

endet;

, :h nicht der letzte Dreck! E.: Ah, der Herr Oberleutnant wollen Eindruck schinden mit ...hier, (zeigt auf Wendlandts Uniform und Dekorationen). W.: Habe ich gar nicht nötig. E.: Ach, gib bloß nicht so an. Wo willst du denn jetzt schon hin? Es ist doch gar nicht aus. W.: Nee, jetzt fängts erst an. (geht links ab). Kommentar zu 44ff.: Neben einer nochmaligen Betonung des Soldatischen an Wendlandt und Etzdorf, u.a. durch ihre Uniforme und Sprechweise, haben Ein149 150

Witte 1979. Schlüpmann 1988,54.

160 Stellungen 45 und 51 primär die Funktion, die weitere Handlung vorzubereiten. Wendlandt spricht sein Interesse an Hanna, das schon visuell angedeutet wurde, klar aus. lsl Dies entspricht dem Wiederholungsprinzip im konventionellen Spielfilm: alle wichtigen Informationen werden auf verschiedene Arten mehrfach mitgeteilt.152 In Einstellung 51 geht der Handlungskern bereits in Taten über; Wendlandt bricht auf, um Hanna kennenzulernen, wodurch die Haupthandlung in Gang gesetzt wird. Hier wird eine Frage aufgestellt (wird er sie kriegen?), die das Interesse auf die weitere Handlung lenkt. Zugleich motiviert die Quasi-Wette mit Etzdorf sein Umkleiden in zivile Kleidung in den kommenden Szenen, woraus einige Mißverständnisse und Probleme resultieren. Die restlichen Einstellungen der Sequenz sind im Zusammenhang mit dieser Interpretation weniger wichtig. Sie haben vor allem die Funktion, Figuren und Nebenhandlungen einzuführen.

5.5.1.2. Gesamtinterpretation der Sequenz Nachfolgend soll die Subsequenz als Ganzes und im Kontext des gesamten Films betrachtet werden. Die Funktionen dieses Ausschnitts lassen sich dabei grob aufteilen in Erzählung, Thematik und Zuschauerwirkungen.

Erzählung Als Teil der Erzählung dient diese Sequenz hauptsächlich dazu, um Figuren zu charakterisieren und die weitere Handlung vorzubereiten, indem die Hauptfiguren zusammengebracht werden. Durch normale Techniken des Spielfilms wie Blickwinkelanschlüsse, SchußGegenschuß, Auswahl der Einstellungsgröße etc. wird hier ein Handlungskern (Wendlandts Interesse an Hanna) schon rein visuell aufgebaut. Der Anfang einer Liebesgeschichte wird gezeichnet und die weitere Handlungsrichtung angedeutet, die man ja sowieso vom Filmtitel, aus der Werbung, von dem Genre usw. erwartet. Die Eindrücke von den Figuren, die vermittelt werden, sind wichtiger als die direkten Handlungsmomente. Als "psychologische Motivation" der Handlungskausalität sind die Charaktereigenschaften eng mit der Fabel verwoben.153 151

152 153

Wolfgang Emmerich bemerkte im Gespräch, daß diese soldatische Sprechweise ("stark überlegene Kräfte" etc.) auch eine Art Realismus beinhaltet: hier wird im "Klartext" über die Chancen und Bedingungen des "Geschlechterkampfs" gesprochen. Bordwell/Staiger/Thompson 1985,31. Bordwell/Staiger/Thompson 1985,16-17.

161

Unsere Erwartungen an die Handlung und unsere Einschätzung der "Aussage" des Films hängen eng mit der Frage zusammen, was für Menschen sich hinter den Figuren verbergen. Wendlandt wurde gleich zu Anfang des Films charakterisiert; in dieser Subsequenz geht es eher um die ersten Eindrücke von Hanna Holberg. Wir sehen sie zuerst als Variété-Star bei einem Bühnenauftritt, nicht als "Privatmensch"; also ist die Möglichkeit gegeben, daß wir sie in einer Rolle sehen, nicht wie sie "in Wirklichkeit" ist. Die folgende Szene in ihrer Garderobe zeigt, daß es so ist. Ihre Rolle als unnahbare femme fatale legt sie mit ihrer blonden Perücke ab; daraufhin wirkt sie "natürlicher" und "femininer". Die Revue-Szene vermittelt ein Bild von ihr, das mit einer bestimmten Frauenrolle zusammenpaßt, läßt aber zugleich offen, daß sie sich nachher in der weiteren Handlung anders zeigen kann. Die Exposition entwirft Bilder von Hanna und Wendlandt, die sich im weiteren Verlauf des Films ändern werden. Die Rollen als "Vamp" und "Windhund" sind nur äußere Rollen, die sie ablegen werden, um den wahren Kern freizulegen.154

Thematik Thematische Bedeutungen formieren sich um die Charakterisierungen der Figuren, die - wie wir gesehen haben - nicht zuletzt durch ihre Blicke entwickelt werden. Um die Figuren und die Filmbilder zu verstehen und interpretieren, müssen die Zuschauerinnen und Zuschauer kulturelle Codes heranholen, in diesem Fall vor allem solche, die Männlichkeit und Weiblichkeit definieren. Das durch Blicke und Ikonographie vermittelte Bild von Haimas Rolle als Frau ist zwiespältig: einerseits tritt sie als Vamp oder "phallische" Frau auf, andererseits wird sie betont als "weibliches" Objekt männlicher (Schau-)Lust dargestellt.155 Beide Seiten dieser Rolle gehören zu den "männlichen" Definitionen der "Weiblichkeit" und stellen dabei Versionen einer zu stark erotisierten Frau dar, und beide werden im Verlauf der Erzählung negiert und eingedämmt. Auch Wendlandts draufgängerische Männlichkeit, für seine stürmischen und frechen Annäherungsversuche und seine "Eroberung" der Sängerin notwendig, werden später im Film gebändigt und durch eine "tiefere", "verantwortungsvollere" Haltung ersetzt. Die ersten Eindrücke, die wir von den Figuren bekommen, sind also übertriebene, gewissermaßen falsche, die dann 154 155

Regel 1978,45. Schlüpmanns Beschreibung der "phallischen Inszenierung" des Körpers erfaßt nur ein Moment (1988, 54). Begleitet wird dieses jedoch, wie immer bei Zarah Leander, von einer Betonung ihrer "Weiblichkeit" (hier z.B. durch ihr Dekollete und ihre Haltung, die - entgegen Schlüpmanns Beschreibung - den Busen gerade hervorheben). Es ist wichtig, daß das "feminine" Element vom Anfang an dabei ist, damit die Rollen sich auf passiv weibliche oder sogar mütterliche Rollen verschieben können.

162 durch ideologisch akzeptablere Versionen von Frauen- und Männerrollen ersetzt werden. Während Wendlandt noch eine Zeitlang als forscher Junggeselle und Weiberheld agieren darf, zumindest in seiner Verfolgung und Eroberung von Hanna, werden Hannas Unabhängigkeit, ihre Stärke und ihre "Anmaßung" eines "männlichen", machtvollen Blickes sehr schnell bestraft. Schon in der Szene in der Straßenbahn (Sequenz IV) wird sie schonungslos den Blicken und der mehr oder minder offenen erotischen Aggressivität von Männern ausgeliefert. Sie wird angestarrt, von Wendlandt und noch einem anderen verfolgt. Dies wird zum Anlaß eines Witzes gemacht: Der Schaffner fragt einen Gast nach seinem Fahrziel, sieht dann, daß er Hanna anstarrt und sagt dann, "Aha, also, Umsteigen in die U-Bahn. Sie steigt nämlich auch in die U-Bahn. Jeden Abend nach der Vorstellung fährt sie diese Strecke. Fünfundzwanzig Pfennig bitte." Als er Wendlandt dann fragt, murmelt dieser, "Fünfundzwanzig, Umsteigen in die U-Bahn." Alle lachen. Wie schon zwischen Wendlandt und Etzdorf, wird hier eine Kameraderie zwischen Männern auf dem Umweg über die Frau als Objekt geschaffen. In diesem Kontext, anders als auf der Bühne, muß Hanna peinlichst den Blicken ausweichen und ihre Augen abwenden. Hier gibt es keinen Schuß-Gegenschuß-Blickkontakt. In der Öffentlichkeit muß sie sich wie eine "Dame" verhalten. Ständig in Verteidigungshaltung gegen die Avancen der Männer, achtet sie auf Form und verschließt sich, auch dann, als sie langsam Interesse an Wendlandt verspürt. Zusammen mit der Geschlechtsrollen-Thematik wird eine zweite Hauptthematik eingeführt: der "Widerstreit zwischen Glück und Pflicht".156 Das Thema entfaltet sich erst richtig im weiteren Verlauf der Handlung. In der Revue-Szene wird aber die Frau bereits durch das Lied und die Vortragsweise mit Vorstellungen ungehemmter Lust verknüpft: "ich verschwende mich ohne Ende", "erlaubt ist, was gefällt". Während Hanna in ihrem Lied behauptet, nur für die "Liebe" zu leben und ihre Triebe nicht bändigen zu können ("ich kann nun mal nicht anders"), haben wir gesehen, daß sich Wendlandt mit "Wichtigerem" beschäftigt und sich vor allem von seinem Pflichtgefühl leiten läßt. In Einstellung 20, als sein Flugzeug eine Panne hat, heißt es: Soldat: Na, dann soll er doch abspringen. Etzdorf: Ha, Da kennst du Wendlandt schlecht! Er läßt seine Maschine nicht im Stich.

So ist schon am Anfang, wenn auch indirekt, eine Assoziation der Themen Weiblichkeit/Männlichkeit und Pflicht/Lust aufgestellt, die durch den ganzen Film hindurch zentral bleibt.

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Ufa-Pressestelle (Hrsg.): Bild und Textinformation zu dem Zarah-Leander-Film der Ufa "Die große Liebe". Berlin o.J., o.S.

163 Zuschauereffekte Die filmischen Elemente können nicht nur solche Bedeutungen konstruieren, sondern sie können auch direkt auf Zuschauer und Zuschauerinnen wirken, wie wir in der theoretischen Diskussion sahen. Insbesondere die Inszenierung der Blicke ist in dieser Hinsicht wichtig. Die Revue-Sequenz hat eine symmetrische Struktur: von einer Weitaufnahme immer näher auf die Großaufnahme und dann zurück. Diese Form und die Abgeschlossenheit der Sequenz werden durch die Fahrten aus und in die Totale am Anfang und Schluß noch betont. Von einer objektiven, alles überblickenden Position ausgehend werden die Zuschauer und Zuschauerinnen immer näher an Positionen gebracht, die sich denen der Figuren annähern. Insbesondere die Perspektive, aus der wir Hannas Auftritt zuschauen, ist nah an dem Blickwinkel Wendlandts, als er sie betrachtet. Eine Identifikation des Zuschauers mit Wendlandt und mit einer allgemeineren "voyeuristischen" Haltung liegt nahe. 157 Für Frauen ist eher eine doppelte Identifikation angelegt: mit dem Betrachter und mit der Frau als Objekt des Schauens. In dieser Szene ist zusätzlich die Möglichkeit vorhanden, sich mit der von ihr ausgehenden Andeutung weiblicher Autonomie und Souveränität zu identifizieren.

Wünsche Die Art der Wünsche und Impulse, die die ideologische Arbeit in diesem Film anspricht, läßt sich vielleicht jetzt schon erkennen. Allgemein formuliert sind es Wünsche nach einer autonomen Lusterfüllung. Sie werden vor allem durch die Figur der erotischen Frau versinnbildlicht, die eine "weibliche Autonomie" suggeriert.158 Aber auch der Mann Wendlandt, so anständig und pflichtbewußt er in beruflichen Dingen erscheint, zeigt in der Privatsphäre eine Orientierung auf egoistische Lust, die auch gebändigt wird. In dieser Beziehung weisen beide eine gewisse Ambivalenz auf. Hanna verkörpert auf der einen Seite eine unabhängige Frau, die sich dagegen sträubt, völlig dem Mann zu unterliegen; auf der anderen Seite aber repräsentiert sie auch eine Lust auf solche Selbstaufgabe. Bei Wendlandt ist es ähnlich. Seine Rückkehr zur Front hat oft den Charakter einer Flucht vor der Frau oder einer Abwehr gegen die Angst vor Vereinnahmung durch sie. Bei ihm wird aber auch die Lust auf Bindung und auf Zusammensein aktiviert. Indem der Film solche widersprüchlichen Lüste und Ängste anspricht, kann er sie gegeneinander ausspielen, um am Schluß eine scheinbare Synthese zu bilden. -TTl

158

S. die Diskussion von Mulveys Thesen in Kapitel 5.4.2. Schlüpmann 1988, 44.

164

5.5.2. Sie kommen sich näher - Sequenz V. Nachdem Wendlandt Hanna hartnäckig verfolgt hat und durch Gespräche ihren Widerstand aufgeweicht hat, folgt eine Sequenz, die eine deutliche Annäherung bringt. In Hannas Haus, genauer im Luftschutzkeller bei einem Fliegeralarm, bricht die große Liebe auf zunächst relativ unscheinbare Weise durch. Die Figuren und ihre gegenseitige Einschätzung voneinander wandeln sich. Auch in dieser Sequenz wird das zuerst auf visueller Ebene realisiert, bevor es sich in Handlung und Dialog äußert.

5.5.2.1. Beschreibung und Kommentar Sequenz V, In Hannas Haus, Einstellungen 132-172, (Szenen 27-32)159 Die Länge der Sequenz (etwa sieben Minuten), die Zahl der Einstellungen und die vielen Nebenhandlungen machen eine genaue Analyse aller Einstellungen unmöglich und unnötig. Ich werde also Handlung und Beschreibung stärker zusammenfassen und nur bei manchen relevanten Einstellungen eine Feinanalyse durchführen. 132-136. (Totale, Halbnah, Halbtotale) Im Hausflur und Treppenhaus: Wendlandt hat Hanna bis zu ihrer Haustür begleitet. Da Sirenen einen Fliegeralarm ankündigen, muß sie ihn ins Haus mitnehmen. Die Hausbewohner eilen in den Keller. Wendlandt und Hanna müssen erst in ihre Wohnung hinauf, denn Wendlandt hat einen Hund, das Maskottchen der Fliegerstaffel, bei sich, der nicht in den Keller darf. Kommentar: Die verschiedenen Hausbewohner und ihre Reaktionen auf den Bombenalarm werden vorgeführt. Diese reichen von ängstlich aufgeregten älteren Damen bis zum gemütlich berlinernden Herrn Hinze. Eine Familie "Vater", "Mutter", Hansi, Inge - bietet eine Parodie auf deutsche Ordnung und deutsches Organisationstalent. Die Kriegsrealität wird auf heitere, verharmlosende Art im Film aufgenommen. 137-140. (Halbnah) Küche in Hannas Wohnung: Wendlandt bindet den Hund in der Küche an. Hanna sieht, daß ihre Zofe Käthe Kaffee kochen wollte. Wendlandt schlägt vor, den Kaffee in den Keller mitzunehmen. Hanna bittet ihn, das Licht auszuschalten, da sie die Fenster aufmachen will, was er zuerst nicht versteht. 159

Bardram 1986,30-38.

165 Kommentar: Diese Handlung ist eine notwendige Vorbereitung für das spätere Kaffeekochen im Keller. Der Hinweis auf den besonderen Luxus-Status von "Bohnenkaffee" vergegenwärtigt, wenn auch in maßlos untertreibender Weise, die äußerst schlechte Ernährungslage, die sowohl zur Drehzeit im Jahre 1941, als auch zur Aufführungszeit (ab Sommer 1942) herrschte. Wendlandt wirkt - aus der Sicht Hannas - rätselhaft, weil er "normale" Teile des Lebens (Verdunkelung, Fenster offen lassen bei Bombenangriffen) nicht kennt. So wird auf eher indirekte Weise nochmals betont, daß er seine Identität als Fliegeroffizier die ganze Zeit verschwiegen hat. 141. (Halbnah) Küche: Hanna geht zur Balkontür, öffnet sie. Ein Ausblick über die Stadt eröffnet sich. Wendlandt kommt dazu. Wendlandt: Donnerwetter!... Schön, was? Hanna: Mhm, wie ein Märchen. Wendlandt: Nein, viel schöner. Wie die Wirklichkeit. Hanna: Ja, und deshalb müssen wir jetzt schnell in den Keller, denn in der Wirklichkeit gibt es Flaksplitter und... Wendlandt: Und trotzdem ist die Wirklichkeit schön! Auch wenn es... Kommentar: Im Dialog propagiert der Film die optimistische Haltung, die sich später auch im Lied "Davon geht die Welt nicht unter" ausdrückt. Die Haltung, trotz Krieg, Mangel und Erschwernisse mit einem gewissen Optimismus durchzuhalten, ist an sich offen oder ambivalent. Durchhalten war nicht nur für überzeugte Nazis, sondern auch für deren Gegner und für die Masse, die sich für unpolitisch hielt, notwendig. Objektiv kam aber alles, was auf Weitermachen hinauslief, den Nazis zugute. Politisch direkter funktional war die massive Verharmlosung des Kriegs im Film. Sie ist schon im Dialog zu finden: der Bombenkrieg, der 1942 schon beträchtliche Ausmaße angenommen hatte - Flächenbombardements von Großstädten gab es ab März 1942 -, wird hier auf ein paar Flaksplitter reduziert. Bezeichnend ist, daß die feindlichen Bomben, die Hanna wohl noch erwähnt hätte, verdrängt werden, indem Wendlandt sie unterbricht. 142. (Groß) Wendlandt (schaut fast in die Kamera) redet weiter: ...Gefahren gibt. Vielleicht gerade weil's ... 143. (Groß) Hanna. Wendlandt (off): ...Gefahren gibt. Kommentar: Dieser Schuß-Gegenschuß-Wechsel zeigt, daß sich die emotionale Annäherung der beiden intensiviert. Zugleich wird Wendlandts fester Blick mit Hannas zunehmender Verunsicherung durch ihre eigene Gefühle kontrastiert; sie weicht seinem Blick aus und muß wegschauen. Der Schnitt läßt jede dieser beiden Einstellungen bei dem Wort "Gefahren" anfangen. So verknüpft der

166

Film die Bedeutung im verbalen Kontext (Kriegsgefahren) mit Bedeutungen im - visuell gezeigten - Kontext der Beziehung der Figuren (die Gefahr, sich zu verlieben; die Gefahr der Verführung und ihrer eventuellen Konsequenzen etc.). Das filmische Mittel der Montage führt hier das Verschweißen der privaten Liebesgeschichte mit der öffentlichen Ebene des Krieges aus, das für den ganzen Film bestimmend ist. 144. (Halbnah) Küche, Sicht auf Balkon: Hanna dreht sich weg, geht hinein. Wendlandt: Aber Sie haben recht, wir wollen machen, daß wir runterkommen. (Geht hinterher). (Überblende auf 145). Kommentar: Noch wehrt sich Hanna gegen Wendlandt; sie weicht seinem Blick aus. Der kurze ernste Moment (Großaufnahmen) führt noch nicht zum Eingeständnis der Liebe. Der Krieg, die Notwendigkeit in den Keller zu gehen, sorgt für Aufschub. Die Überblendung zeigt, daß die nächste Einstellung mit dieser eng zusammenhängt, trotz des Szenenwechsels. Diese Handlung, die aufkeimende Liebe, wird also vermutlich fortgeführt. 145. (Halbnah) Im Keller. Kamerafahrt an verschiedenen Personen und Gruppen vorbei; man bekommt einzelne Sätze ihrer Gespräche zu hören. Die Kamera bleibt auf Hanna, Wendlandt und der Nachbarsfamilie stehen. Wendlandt und Hanna spielen "Mensch ärgere dich nicht" mit den Kindern Hansi und Inge. Dieser "establishing shot" gibt einen Überblick über den neuen Schauplatz. Die lange Fahrt gibt einen Querschnitt durch die "Volksgemeinschaft". Durchschnittliche Leute - in einem Zeitungsartikel hieß es: "Typen unserer Zeit [...], die uns ganz nahe sind."160 - reden über Alltägliches. 146. (Nah) Wendlandt, Hansi, Hanna sitzen am Tisch, spielen. Mutter von Hansi (off): Kinder, ihr müßt nicht so schreien! Wendlandt (zu Hansi): Was hat denn der Teddy? Hansi: Der war krank. Wendlandt: Oh. Was hat ihm denn gefehlt? Hansi: Kopf war ab. Wendlandt: Ja du meine Güte, aber jetzt ist er wieder dran. Hansi: Ja. Wendlandt (an Hanna gerichtet): Na, sind die Leute wirklich so schrecklich hier? (Hanna lächelt ihn an, schüttelt den Kopf.) Oh, danke schön! Hanna: Wieso? Wendlandt: Na, Sie hätten mich eben rausschmeißen können. Hanna: Ach! (Will hingreifen). Wendlandt (Greift ihre Hand): Nein, nein, jetzt ist's zu spät. Jetzt haben Sie es verpaßt. 160

Feddersen 1942.

167 Kommentar: Diese lange Einstellung (20 Sekunden) nimmt in der Bildkomposition das Ergebnis des Films schon voraus: das trauliche Familienleben von Papa-Mama-Kind. Die Rollenbilder, sowohl von Hanna als auch Wendlandt, werden hier völlig umgedeutet gegenüber den ersten Sequenzen. Der "Vamp" und der Draufgänger entpuppen sich als (potentielle) Eltern, die mit einem Kind spielen und sich banal unterhalten. Die enge Komposition und Kadragesie sitzen sehr dicht zusammengedrängt - verstärkt den Eindruck einer engen Bindung zwischen den Figuren. Eine Integration in die Gemeinschaft begleitet diesen Rollenwechsel. Die Diva, die vorher keine Lust hatte, "runter in den Keller mit all den schrecklichen Leuten" zu gehen (Einstellung 131), fühlt sich jetzt recht wohl dabei, dank Wendlandts Einfluß.161 147-155. (Halbnah/Nah) Im Keller: Einige Detonationen sind in der Ferne zu hören. Um davon abzulenken, schlägt Wendlandt vor, "ein Täßchen Kaffee" zu kochen. Der "Meckerer" will nichts davon hören, bis er merkt, daß es sich um "echten Bohnenkaffee" handelt. Darauf Wendlandt: "[...] aber Sie trinken ja keinen Kaffee! Setzen Sie sich ruhig her und spielen Sie für mich 'Mensch ärgere dich nicht'! (Alle lachen)." (Einstellung 149). Auch Käthe (Grete Weiser) produziert etwas Komik, indem sie sich lauthals für das Spendieren des Kaffees einsetzt ("[...] haben wir nu 'ne Volksgemeinschaft oder haben wir se nicht?"), bis sie erfährt, daß es um ihren Kaffee geht. Dann schluckt sie und kann nur noch leise sagen, "Das war 'ne gute Idee." (Einst. 153). In Einstellung 154 tratschen der Luftschutzwart und die Helferin über Hanna und ihren neuen "Bekannten" mit der Bemerkung, "Ja, ja, die Sirene bringt es an den Tag." Kommentar: Diese Einstellungen entwickeln den "Volksgemeinschaff'-Strang der Sequenz weiter. Ähnlich wie in den "Tran und Helle"-Filmen, 162 die in den Vorprogrammen der Kinos liefen, werden hier Verhaltensweisen angeprangert und lächerlich gemacht. Egoismus oder die negative, damals hieß es wohl "zersetzende", Haltung des "Meckerers" (eine Karikatur des Intellektuellen) werden als "reichlich unerwünscht" bezeichnet.163 Die Komik soll eine Ventilfunktion erfüllen: "Dieser Lacher befreit den Zuschauer vom Druck, der ihn belastet [,..]".164 Das Spendieren von Kaffee wurde von den Nazis selbst eingesetzt, um die Volksstimmung nach besonders schweren Bombenangriffen in den Großstädten zu heben; im Volksmund hieß es "Zitter-Mokka". 165 Negative Folgen der Naziherrschaft für die Bevölkerung - Krieg, materieller Mangel, so161 162 163 154 165

S. Leiser 1978,62. S. Hussels o.J. Wendlandt in Einst. 155. Witte 1979, 228. Bernt Engelmann, "Sonntagnachmittag im Preußenfilm", in: Marquardt/Rathsack 1981, 178182, hier 182.

168 ziale Kontrolle durch Nazifunktionäre - werden hier verniedlicht und entschärft. Die visuelle Gestaltung betont die Gruppenzugehörigkeit in einer langen Einstellung (153, 35 Sek.). Dazu kommen aber kurze Bilder, die personalisierend wirken (z.B. 150, die alten Damen, oder 152, eine Frau mit Baby).166 156. (Nah) Wendlandt kommt zu Hanna und Hansi an den Tisch zurück, reicht ihr eine Tasse Kaffee. Sie unterhalten sich; Wendlandt spielt weiter "Mensch ärgere dich nicht" mit Hansi Hanna beobachtet ihn prüfend. (S. Foto). 157. (Groß) Wendlandt, er schaut fast in die Kamera. 158. (Groß) Hanna, sie schaut beschämt oder verwirrt weg. Hansi (off): Die Tante spielt gar nicht mehr mit! 159. (Nah), wie 156. Hanna greift nach dem Würfel, spielt, ist aber sichtlich etwas aus der Fassung. Kommentar: Das "Familienbild" wird hier fortgesetzt. Hannas Eindruck von Wendlandt hat sich wohl verändert und vertieft. Ihre eingehende Betrachtung zeigt schon ein tieferes Interesse für ihn; vielleicht stellt sie sich ihn als potentiellen Vater eines Kindes, ihres Kindes, vor. Der Blickwechsel in 158-159 weist jedenfalls schon eine neue Qualität auf. Wendlandt läßt sich anschauen, blickt ruhig zurück, kann auch einem prüfenden Blick standhalten. Bei Hanna ist nichts mehr von der aktiven, provokativen und dominanten Pose ihres Auftritts zu spüren. Sich unbekümmert anschauen lassen, das kann sie auch nicht mehr, sondern sie wendet ihre Augen weg und ist offensichtlich verunsichert. Es wird ernst mit der Liebesgeschichte. Auch die Machtverhältnisse, die durch die Blicke signalisiert werden, haben sich erheblich verändert gegenüber der Revue-Szene. 161-163. (Halbtotale/Halbnah/Totale) Im Keller: Die Entwarnung wird ausgerufen. Käthe schafft es, noch etwas von ihrem Kaffee zu retten, und bemerkt: Soweit geht die Volksgemeinschaft doch nicht! 164-172. (Halbtotale/Halbnahe/Nah/Detail) In Hannas Wohnung. (Mit Musik unterlegt - bis Ende 175 - zuerst sehr leise). Wieder oben angelangt, schicken Wendlandt und Hanna Käthe ins Bett. Hanna begleitet Wendlandt zur Wohnungstür (Musik wird lauter). Kamera fährt von Nah auf eine Detailaufnahme ihrer Hand an der Klinke. Wendlandt legt seine Hand darauf. (Überblende) 173. (Weit) Wolken (Überblende) 174. (Weit) Wolken (Überblende) 175. (Weit) Wolken, Ein Flugzeug fliegt durch die Wolken. 166

Die Methode, die "Volksgemeinschaft" alternierend als Masse darzustellen und durch einzelne Menschen zu personalisieren, hatte Riefenstahl in Triumph des Willens effektiv eingesetzt.

169 Kommentar: Die Annäherung von Wendlandt und Hanna erreicht ihren Höhepunkt. Dies wird, wie üblich in den Spielfilmen der Zeit, indirekt gezeigt: in diesem Kontext sind die Musik und das Entschweben in Wolken stereotype Zeichen für den nicht zeigbaren Orgasmus. In 175 stellt sich aber ein Unterschied zum typischen Muster heraus: ein Flugzeug taucht in den Wolken auf. Schon wird die Trennung angedeutet, die in 176 (Wendlandt und Etzdorf im Flugzeug) explizit wird. Das Flugzeug hat aber, wie Loiperdinger und Schönekäs bemerken, noch keine klare symbolische Funktion; diese wird erst nach und nach durch Wiederholungen des Motivs konstruiert.167 Das Motiv des Flugzeugs wird hier zum ersten Mal benutzt, um die Trennung sichtbar zu machen. Darüberhinaus hat es natürlich verschiedene mögliche assoziative oder übertragene Bedeutungen (als phallisches Objekt und Kriegsgegenstand verbindet es z.B. Sexualität und Aggression), aber diese Bedeutungen haben noch keine festen Formen angenommen. 176. (Nah) Wendlandt und Etzdorf im Flugzeug. Etzdorf: Du hast's ihr natürlich doch gesagt? Wendlandt: Was? Etzdorf: Daß du Fliegeroffizier bist. Wendlandt: Nein, ich hab' ihr's nicht gesagt. Etzdorf: Das verstehe ich nicht. Wendlandt: Na, Mensch, ich wollte ihr nicht sagen, daß ich heute morgen wieder weg muß. Ich kann's nicht leiden, wenn Frauen weinen. Und dann weißt du - wozu? Wer weiß, ob man sich ... wieder sieht. Kommentar: Zum Schluß der Sequenz werden Fragen für die kommende Handlung gestellt.168 Wie wird es weitergehen? War es nur ein Abenteuer oder die "große Liebe"? Im weiteren Sinn: Was ist das richtige Verhältnis zwischen Liebe und Krieg, Glück und Pflicht? Wendlandt spricht hier, wie Etzdorf den ganzen Film hindurch, die eher traditionelle Version des heldenhaften, ungebunden, nur der Pflicht gehorchenden Mannes aus.169 Dieses Muster bestimmt die Handlung vieler Filme des Nationalsozialismus, die um die Trennung des Helden von der Frau oder von "weiblichen" Elemente in sich selbst gehen.170

167 168

169

170

Loiperdinger/Schönekäs, 8. Diese Rätsel-Funktion entspricht dem, was Barthes als "hermeneutischen Code" bezeichnet. Der Ausdruck ist nicht sehr glücklich gewählt, aber die Funktion, die gemeint ist, spielt eine zentrale Rolle in erzählerischen Texten, um unsere Erwartungen, unsere Interpretationen und unser Interesse zu formen. S. Barthes 1974. Es gibt aber auch eine weiter verbreitete, zivile Version: den Junggesellen, der sich gegen die Avancen einer Frau wehrt. Dieser Topos - "Wie angelt sich eine Frau einen Mann" - kommt vornehmlich in Komödien vor; unzählige Beispiele ließen sich etwa unter den HollywoodFilmen der fünfziger Jahre finden. S. Horak 1981, Koch 1981.

170 Die große Liebe wird aber, wie wir sehen werden, dieses Verhaltensideal revidieren.171 5.5.2.2. Ergebnisse der Sequenz Die fünfte Sequenz hat die Handlung um eine entscheidende Etappe weitergebracht. Die Protagonisten haben in einer ersten Liebesnacht zueinander gefunden. Die zentrale Liebesgeschichte ist also voll im Gange, und die Spannung richtet sich darauf, wie sie sich weiterentwickeln wird. Auch in der Darstellung der Figuren hat diese Sequenz einiges bewirkt. Die ersten Charakterisierungen sind in Frage gestellt worden durch neue Bilder von Hanna und Wendlandt. Die Spannung zwischen diesen Ansichten auf die Figuren wird weiterhin wichtig sein. Ebenso wird sie für die Thematik eine Rolle spielen, sowohl für die Frage nach korrekten Männer- und Frauenrollen, als auch für den Konflikt zwischen Pflicht und Neigung. Die Frage nach Gültigkeit und Grenzen subjektiver Wünsche ist auch in einen anderen Zusammenhang gebracht worden: die Frage Käthes, wie weit nun die Volksgemeinschaft gehen müsse. Daß Wendlandt und Hanna am ersten Abend, bzw. überhaupt, eine Liebesnacht verbrachten, warf Fragen nach Moral und Anstand auf. Im allgemeinen wurden in der damaligen Kritik moralische Bedenken eher heruntergespielt, was auch der selbstverständlichen Art der Darstellung im Film entspricht.172 Die Sexualmoral war, gerade was kurzfristige erotische Beziehungen zu Soldaten auf Urlaub betraf, im Jahre 1942 schon erheblich aufgelockert, was ja durchaus funktional für die Kriegsführung war.173

5.5.3. Streit und Versöhnung - Sequenz IX

Hanna, die außer seinem Namen nichts von Wendlandt weiß, hat drei Wochen lang nichts von ihm gehört. Sie ist extrem nervös und zuckt jedesmal zusammen, wenn das Telefon klingelt. Sequenz IX führt nun das erste Wiedersehen der beiden vor. Wendlandt will weitermachen, wo sie letztes mal aufhörten, als wäre nichts gewesen. Wo er in der Zwischenzeit war, will er zunächst auch nicht sagen. Hanna zeigt sich kalt, und fordert ihn auf, zu gehen. Dann erst erklärt er, T71 172

173

S. Loiperdinger/Schönekäs, 10-11. Ausnahme war, wie schon erwähnt, das OKW, das gegen diese Szene protestierte. Vgl. dagegen Schwark 1942, der "das freie starke Liebesverhältnis" erwähnt, oder Fiedler 1942, der merkt, daß Wendlandt "unbedenklich und verwegen den ganzen Ballast gesellschaftlicher Formen über Bord wirft", fügt aber hinzu: "er tat es so schwungvoll und jungenhaft keck, dieser flotte Bursche, so daß es schwer fällt, ihm böse zu sein." Schlüpmann 1988, 60-64.

171

daß er Flieger ist und gibt ihr die Briefe, die er geschrieben, aber nicht abgeschickt hatte. Darauf folgt die Versöhnung. Interessant an dieser Sequenz ist vor allem, wie Recht oder Unrecht unter den Figuren verteilt wird, wie die Machtverhältnisse zwischen ihnen gezeigt werden und wie die Identifikation mit ihnen geleitet wird. Hannas Vorwürfe an Wendlandt sind im Kern richtig. Sie werden aber entkräftet und ins Unrechte gerückt durch das Wissen, das die Zuschauer und Zuschauerinnen Hanna voraushaben (Wendlandts Beruf als Flieger). Sequenz IX, In Hannas Wohnung, Einstellungen 213-236, (Szene 40)174 213. (Halbnah) Wohnzimmer: Hanna kommt herein, geht durchs Zimmer (Kamera folgt ihr). Sie macht das Licht an. 214. (Nah, starke Untersicht) Hannas Gesicht, sie erschrickt sich. (S. Foto). 215. (Nah, starke Obersicht) Wendlandt liegt auf der Couch. (Langsame Fahrt nach rechts, Kamera hält auf Wendlandt). 216. (Nah, wie 214) Hanna schaut nach unten. Sie versucht sich zu sammeln, hat einen harten Gesichtsausdruck. 217. (Groß) Wendlandt wacht auf, sieht Hanna. Wendlandt (freudig): Hanna, da bist du ja! Hanna ( o f f , in hartem Ton): Wie kommst du hierher? Wer hat dich überhaupt reingelassen? Wendlandt: Dein Mädchen na... 218. (Nah) Hanna; Wendlandt kommt von links ins Bild. Wendlandt (von 217 fortgesetzt): ...türlich. Was hast du denn? Stör' ich dich, Hanna? Hanna: Gar nicht! Möchtest du Platz nehmen? (Wendlandt setzt sich) Wendlandt: Du scheinst dich aber nicht sehr zu freuen, mich wiederzusehen. Hanna: Wie geht's dir? Wendlandt: Danke, gut. Ich war verreist Hanna: So. Wo bist du gewesen? Wendlandt: Wieder unterwegs. Hanna: Aha! Wendlandt: Ja. Aber heute bin ich wiedergekommen, und da dachte ich... 219. (Nah) Sicht über die Schulter Wendlandts auf Hanna. Hanna: Ja? Sprich nur, sprich weiter. Wendlandt: Und da dachte ich...ich wollte gleich nach dir sehen. 220. (Nah) Hanna und Wendlandt, von der Seite gesehen. Wendlandt (spricht weiter): Na, und wie geht's dir? Hanna: Ganz gut. (Wendlandt steht auf, geht nach rechts aus dem Bild). Kommentar: Nach kurzer Einführung geht die Kamera schnell auf annähernd die Perspektiven der Figuren in 214-217. Eine rein "subjektive" Kamera ist sie 174

Bardram 1986,45-48.

172 dabei nicht, denn in 216 z.B. (Hanna, aus der "Sicht" von Wendlandt) schläft Wendlandt noch. Vielleicht sehen wir mit Hannas Augen in 215 und 217, aber eher noch funktioniert die Kamera als "allwissender" Erzähler, der teilweise zeigt, was eine Figur sieht, teilweise das zeigt, was am meisten über die Figur aussagt. Die Einstellungen 214 und 216 sind hauptsächlich deshalb wichtig, weil sie Hannas Gesicht als Ausdruck ihrer Gefühle und eines inneren Kampfes zeigen. Die Einbindung an annähernd subjektive Perspektiven intensiviert die Erzählung und macht es leichter, den Blick durch Nah- und Großaufnahmen auf die Gesichter zu konzentrieren. Identifikation mit den Figuren wird durch Einfühlung in die gezeigte Situation und die Reaktionen der Figuren, in diesem Fall hauptsächlich Hannas, erreicht. Eine Identifikation mit dem Blick Hannas ist eher sekundär. In 218 zieht sich die Kamera zurück, um beide Figuren ins Bild zu setzen. Hier ist die Körpersprache wichtig: Hannas steife, ablehnende Haltung, die Wendlandt zunehmend verunsichert. Die Aufnahme selbst wirkt etwas verunsichernd, indem sie als Achsensprung erscheint. In 213 und in den ersten SchußGegenschuß-Aufnahmen war Hanna links und Wendlandt rechts im Bild. Hier ist es plötzlich anders, was desorientierend wirken kann, zumal die gesamte Anordnung des Raums in diesen Einstellungen vage geblieben ist. Diese Kameraführung hilft vielleicht, eine Beteiligung an der Handlung zu suggerieren, ohne eine eindeutige Identifikation mit einer Figur aufzubauen. Die Unklarheit der räumlichen Anordnung kommt daher, daß die Kamera sich eng an den Figuren hält. Die Figuren und ihre Gefühle, und nicht ihre Umgebung oder ihr Umfeld, sind das Objekt des Interesses. Es ist typisch für Die große Liebe, daß Nah- und Halbnah-Einstellungen bei weitem überwiegen,175 daß die Schauplätze meist Zimmer sind und daß die Tiefenschärfe gering bleibt. Diese Faktoren isolieren die Privatsphäre der Figuren, ihre Liebesbeziehung und ihre Emotionen und stellen sie auch visuell in den Mittelpunkt des Interesses. Wendlandt redet "drumherum" und wirkt dabei recht kläglich, während Hannas Zorn und Verletztheit begründet erscheinen durch ihr Leiden, das wir in den letzten Sequenzen mitbekommen haben. Insgesamt wirkt Wendlandt eher schwach und Hanna stark. Froschperspektive als Unterlegenheit und Vogelperspektive als Überlegenheit zu deuten, ist ein Gemeinplatz der Filminterpretation, bei dessen pauschaler Anwendung Vorsicht geboten ist. In diesem Film, und insbesondere im Kontext der Erzählung an dieser Stelle, scheint er aber zuzutreffen. 221. (Nah) Wendlandt schließt die Tür, geht nach links hinter Hanna vorbei (Schwenk mit ihm), setzt sich auf die Lehne ihres Sessels, greift sie beim Arm. 175

S. Tabelle 5.3. im Anhang.

173 Wendlandt: Hanna, was ist denn? Darf ich dir nicht einen Kuß geben? Hanna: Du hast ja damals auch nicht gefragt. Wendlandt: Hanna! 222. (Groß) (Musik setzt ein) Er versucht, sie zu küssen. Man sieht Hannas Gesicht, mit weit aufgerissenen Augen, und. seinen Hinterkopf (rechts im Bild). Sie bleibt kalt und teilnahmslos beim Kuß. (S. Foto). Wendlandt: Hanna, ich habe mich die ganze Zeit darauf gefreut, dich wiederzusehen. Freust du dich denn gar nicht? Hanna: Aber sicher. Sicher freu' ich mich - daß es dir heute nach drei Wochen wieder einmal eingefallen ist, zu mir heraufzukommen. Wendlandt: Hanna... 223. (Nah) Wendlandt, von einem Punkt hinter Hanna gesehen. Er steht gerade und aufrecht da. Wendlandt: ...ich konnte nicht eher. Hanna: Und anrufen konntest du auch nicht. 224. (Nah) Wendlandt, rechts von ihm Hanna. Hanna: Schreiben konntest du auch nicht. Jetzt hättest du überhaupt nicht mehr kommen brauchen. 225. (Nah) Wendlandt, von vorne gesehen. Hanna (off): Das Beste ist, du gehst. Wendlandt: Hanna! Kommentar: Hier fängt die Erzählung an, die Balance der Kräfte zwischen den Figuren etwas zu kippen. Einerseits ist Hanna im Recht. Wendlandt hat ihr verschwiegen, wer er ist und wo er war, und versucht es weiterhin zu verschweigen. Daß er plötzlich verschwunden war, nichts von sich hören ließ und auf einmal wieder ankommt, gibt ihr mehr als berechtigten Grund anzunehmen, er wolle sie nur ausnutzen und habe keine "ernsten Absichten". Daß sie ihren Ärger und ihren Anspruch zeigt, dürfte sie zur partiellen Identifikationsfigur gemacht haben für alle Frauen, die in Unsicherheit auf ihre Männer warten mußten, aber wünschten, daß sie für sie da seien. Zugleich aber wird diese Identifikation gebrochen durch den Informationsvorsprung der Zuschauer und Zuschauerinnen gegenüber Hanna. Der Film spielt das Wissen über die Handlung und Figuren gegen die Gefühle aus. Das Wissen, daß Wendlandt weg mußte, um seine Pflicht zu erfüllen, entkräftet die Vorwürfe gegen ihn. Vom durchaus berechtigten Vorwurf, daß er wenigstens etwas hätte sagen sollen, wird dabei abgelenkt. Die Kameraführung ist, entsprechend den Emotionen der Figuren, in diesem Abschnitt sehr dynamisch. Die Kamera umspringt die Figuren. Sie nimmt eher eine "ideale Zuschauerposition" ein, als daß sie eine Identifikation mit einer Figur produziert. Dabei wird auf die möglichst effektive Darstellung der Gefühle gezielt. Einstellung 222, die lange (18 Sek.) Großaufnahme von Hannas Gesicht bei dem versuchten Kuß, ist erneut ein, diesmal deutlicher, Achsensprung. Die Kamera geht von einer Position etwa 90° zur Achse

174 zwischen Hanna und Wendlandt in 221 auf die andere Seite der Achse in 222, um sehr nah heranzurücken, Wendlandt über die Schulter zu schauen und Hannas Reaktion in die Großaufnahme einzusaugen. Dieser auffällige Voyeurismus der Kamera, der normalerweise ein störender Verstoß gegen die Regeln der "unsichtbaren" Montage wäre, kann in der Dramatik der Situation durchgehen. Der Wunsch, die Figuren genau zu sehen, ist stark genug, um die räumliche Diskontinuität zu kompensieren, oder läßt diese als Ausdruck der inneren Aufgewühltheit Hannas verstehen. In den folgenden Einstellungen befindet man sich wieder auf der "richtigen" Seite der Achse. Sie bringen ein Hinund-her zwischen kurzen Schuß-Gegenschuß-Einstellungen (2-5 Sek.), um den Konflikt der Figuren zu verdeutlichen. Die Standpunkte der Kamera ergeben aber weiterhin eine eher nicht-subjektive Zuschauer-Position; die Kamera bleibt 30-45° von dem Blickwinkel der Figur entfernt. Wir sollen eher "objektiv" entscheiden, wer recht hat, statt eindeutig die Sicht einer Figur zu teilen. Andere Zeichensysteme liefern uns Indizien. Von 223 bis 230 wird Wendlandt, sichtbar bzw. durch die Kameraneigung impliziert, über Hanna plaziert. Obwohl Hanna verbal die Handlung bestimmt, wird Wendlandt visuell eine gewisse Überlegenheit verliehen. Die Beleuchtung und die Kostüme lassen Wendlandt heller erscheinen. Hannas dunkle Kleidung konzentriert die Aufmerksamkeit auf ihr glatt und weiß geschminktes Gesicht. Ihr flächiges Gesicht, die Maske und ihre relativ zurückhaltende Mimik vertragen die Großaufnahme gut.176 Die Großaufnahme in 222 wirkt auch in mehrfacher Hinsicht leicht beunruhigend. Die Kadrierung ist sehr eng (ihr Kopf wirkt wie abgeschnitten), die Komposition ist nicht ausbalanciert (ihr helles Gesicht ist nach links geschoben und Wendlandts Hinterkopf schiebt sich unscharf ins rechte Bildteil) und ihr Kopf wirkt seltsam verdreht, indem er zurückgelehnt ist und zugleich die Kamera aus einer starken Obersicht aufnimmt. In allen diesen Einstellungen werden Emotionen vorwiegend durch Aufnahme, Montage, dramatische Situation und natürlich auch durch ihre sonore, tiefe Stimme erzeugt. Zarah Leanders neutrales Gesicht erleichtert es den Zuschauern und Zuschauerinnen, ihre eigenen Gefühlen darauf zu projizieren. 226-230. (Nah) In alternierenden Aufnahmen von Hanna und Wendlandt wird die Auseinandersetzung fortgesetzt. Wendlandt holt zwei Briefe, die er geschrieben, aber nicht abgeschickt hatte, aus seiner Jackentasche und gibt sie Hanna. (S. Foto). 231. (Detail) (Die Musik zeigt "Spannung" an) Die Briefe: darin hat Wendlandt geschrieben, daß er Flieger sei, und daß er Hanna liebe. im;

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Detlef Sierck, der bei Leanders ersten, sehr erfolgreichen Filmen für die Ufa Regie führte, lobt diese Flächigkeit und Ruhe ihres Gesichts, die er mit dem Ausdruck "Kuhgesicht" bezeichnet, als besonders faszinierend und "strapazierbar" für die Kamera. (Zit. in Zumkeller 1988, 74).

175

232-235. (Nah) Altemierende Aufnahmen von Hanna und Wendlandt. Er erklärt ihr; daß er damals nur kurz in Berlin war und seitdem ununterbrochen eingesetzt war. 236. (Nah) Hanna geht nach links zu Wendlandt (die Kamera folgt ihr). Sie steht über ihm. Hanna: Und warum hast du mir das alles nicht gesagt? Wendlandt: Das konnte ich nicht, Hanna. Ich wollte nicht,daß du... (küßt ihre Hand) ich wollte, du solltest - verstehst du? Sie küßt ihn heftig, sinkt dann zu seinen Füßen (Kamera neigt sich mit nach unten), legt den Kopf auf seine Brust. Kommentar: Die narrativen Funktionen "Zerwürfnis beseitigen" und "Versöhnung erreichen" sind zum Schluß der Sequenz ausgeführt worden. Hannas Zorn verfliegt, als sie erfährt, daß er Soldat ist. Dann kann sie ihrer Liebe freien Lauf geben. Die Machtverhältnisse zwischen den beiden ändern sich schon in 227ff. Da wird Wendlandts soldatische Männlichkeit betont durch seine gerade, aufgerichtete Haltung (das englische Wort dafür, "erect", ergäbe ein treffendes Wortspiel). Auch sein Pflichtgefühl als Soldat wird dadurch angedeutet. Sein ernstes, strenges Gesichtsausdruck weist Hannas Vorwürfe als ungerecht zurück. Die Briefe bringen den völligen Umschwung. Hannas bisherige Haltung in dieser Sequenz erscheint nun als Maske oder Rolle, die sie jetzt aufgeben kann. Sie zeigt ihre "wahren" Gefühle der Liebe: es erscheint so, als hätte sie die ganze Zeit nichts lieber getan, als sich Wendlandt hinzugeben. Die starke, harte Rolle war nur aufgesetzt; der "wahre" Wunsch (der Frau) konnte nichts anders sein als Unterwerfung, sich ihm zu Füssen zu werfen, sich an ihn anzulehnen wie in Einstellung 236. Die berechtigten Wünsche, beachtet und als gleichwertige Person, statt nur als Objekt, behandelt zu werden, sowie ihr vorheriges Auftreten werden als weibliche Emotionalität und Trotz abgetan. Indem Hanna diese Wünsche und die Machtposition, die sie am Anfang der Sequenz hatte, aufgibt, wird für sie der Weg zum "höheren" Glück frei. Die Schlußeinstellung der Sequenz zeigt dann ihr vor Glück fast wie im Orgasmus zuckendes Gesicht, als sie Wendlandt in die Arme fällt. So entwickelt sich Hannas Rolle im Laufe der Sequenz immer stärker zur Passivität und Unterwerfung hin. Auch Wendlandt macht eine Entwicklung durch, wenn auch weniger sichtbar. Das Bekenntnis seiner Liebe und seine Entscheidung, sich auf eine festere Beziehung einzulassen, bedeuten auf der einen Seite eine Bindung und die Übernahme von Verantwortung, gegen die er sich zuerst - nach der ersten Nacht mit Hanna - gesträubt hatte. Auf der anderen Seite wird diese Bindung als Gewinn gedeutet. In der elften Sequenz sagt Wendlandt: "Ich will wissen, für wen ich zurückkomme [...]" (Einst. 241). Die private Liebesgeschichte gibt einen personalisierten Sinn für den militärischen Einsatz und für das Leben über-

176 haupt. Hier fängt eine Umdeutung der Begründung für den Kriegseinsatz an. Nicht mehr nur abstrakte Ideale von Nation oder Volk stehen im Mittelpunkt, sondern die Pflichterfüllung soll an das Versprechen eines privaten Glücks geknüpft werden. 177 Dieser Argumentationsstrang wird im weiteren Verlauf des Films deutlicher, ist aber durch Wendlandts Abkehr vom Standpunkt des freien Junggesellen, den Etzdorf weiterhin vertritt, schon begründet. Die primäre ideologische Funktion der Sequenz liegt darin, vor allem bei Frauen potentielle Unzufriedenheit mit den Folgen des Kriegs zu blockieren und unerfüllte Glücksansprüche zu kompensieren. Die rhetorische Struktur beruht darauf, die Wünsche, die Frustration und das Auflehnen gegen die Umstände anzusprechen, um sie anschließend durch eine Verschiebung des Kontextes unmöglich zu machen. Es wird von einer Identifikation mit Hanna ausgegangen, dann wird gezeigt, daß sie im Unrecht ist, um sie dadurch in eine unterlegene, passive Position zu bringen. Diese Unterlegenheit wird zugleich zur Voraussetzung für ein größeres Glück, für die Erfüllung der Liebe, gemacht.

5.5.4. Sequenz XVII - Konfrontation zwischen weiblichen Wünschen und militärischer Männlichkeit Entwicklungen Nach Wendlandts Liebesbekenntnis in der neunten Sequenz folgt eine Serie von Sequenzen, die das Warten und das Nicht-Zusammensein darstellen (Seq. X-XVII). Da das alltägliche Warten sich schlecht dramatisieren läßt, greift der Film die eher melodramatischen Episoden heraus, in denen Hanna und Wendlandt sich verpassen, fast zusammenkommen oder getrennt werden. Diese steigern sich vom Aneinandervorbeifahren, über einen brieflichen Heiratsantrag bis hin zum Polterabend, der platzt, weil Wendlandt wieder einrücken muß. Eine Steigerung in den Erwartungen - Hanna hat schon ihren Beruf aufgegeben und eine kleine Villa angemietet - wird so durch eine Steigerung der Frustration begleitet. Das Warten erträgt Hanna nicht; sie wird wieder so nervös wie nach dem ersten Treffen mit Wendlandt. Sie entschließt sich, doch wieder als Sängerin aufzutreten, besteht aber auf einem völlig neuen Programm. Bezeichnend ist, daß es gerade "Mein Leben für die Liebe" ist, das sie nicht mehr singen will. Stattdessen sehen wir sie in Rom "Heut' kommen die blauen Husaren" proben. Die Lieder und die Auftrittsszenen werden benutzt, um den Wandel in Hanna zu zeigen. War sie im ersten Auftritt, wie wir gesehen haben, als Quasi177

Loiperdinger/Schönekäs, 11.

177 Vamp in Szene gesetzt, als "Scheinbild von Übertretung",178 ist sie beim nächsten Auftritt schon weitgehend "gereinigt" von erotischen Elementen. Da singt sie "Davon geht die Welt nicht unter" vor Soldaten in Paris (Seq. XII). Obwohl sie in ihrer Kleidung und Erscheinung durchaus die elegante Dame darstellt, hat sie bei diesem Auftritt auch etwas vom Typus der "guten Kameradin" an sich. Die Inszenierung des Zuschauens steht im auffälligen Kontrast zur ersten Revue. Es wird kein Blickwechsel zwischen Hanna und den Zuschauern konstruiert. Die Zuschauer, die gezeigt werden, sehen lächelnd und entspannt zu, statt, wie Wendlandt bei der ersten Revue, sie zielgerichtet, angespannt und bewertend mit dem Blick aufzusaugen.179 Statt erotische Begierde zu erwecken, animiert Hanna die SS-Männer und Wehrmachtssoldaten im Publikum zum Schunkeln. Das Lied "Blaue Husaren" deutet Hannas Situation, ihr Warten auf die Rückkehr eines Soldaten, an. Die Szene der Probe ergibt aber primär ein Bild ihrer Nervosität. Wieder ganz die "Diva" ist sie unkonzentriert, überempfindlich und gereizt. Als sie erfährt, daß Wendlandt in Rom eingetroffen ist, läuft sie mitten aus der Probe weg. Daß sie dadurch ihre Gefühle höher bewertet als ihre Pflicht, wird im Dialog zweimal bemerkt: eher indirekt von Wendlandt und im recht heftigen Ton von dem sonst eher sanften Rudnitzky. Sequenz XVII - Streit Sequenz XVII ist zentral für die Handlung und Bedeutung des Films. Da sie aber recht lang ist und formell wenig Neues bringt, verzichte ich auf eine schrittweise Analyse der Einstellungen. Die Beschreibung der wichtigen formellen Merkmale wird direkt in die Interpretation der Bedeutung integriert. Bei diesem Treffen in Rom flammen alle Hoffnungen Hannas auf ein längeres Zusammensein - und vielleicht auf eine Gelegenheit zu heiraten - erneut auf. Kaum ist sie bei Wendlandt im Hotelzimmer angekommen, erfährt sie aber, daß es wieder nichts wird. Wendlandt bestellt sich am Telefon gerade einen Platz im Kurierflugzeug nach Berlin. Ein Kamerad hatte ihm angedeutet, er solle zu seiner Staffel zurück (der Überfall auf die Sowjetunion steht kurz bevor, was Wendlandt aber nicht mitgeteilt wurde). Hanna besteht darauf, daß er einen Befehl abwarte und solange bei ihr bleibe, was aber für Wendlandt indiskutabel ist. Der Konflikt zwischen Hannas Glücksanspruch und Wendlandts Pflichterfüllung spitzt sich in dieser Szene auf einen Höhepunkt zu. Der Streit 178 179

Sanders-Brahms 1981,165. Als extremeres Beispiel eines als sexuell kodierten Blickes s. den Karl-Ritter-Film Patrioten, in dem die Blicke schwarzer französischer Soldaten auf die Heldin bei einen Gesangsauftritt als Zeichen ihrer "tierischen", "unmenschlichen" Sexualität eingesetzt werden.

178 führt zur vorläufigen Entzweiung des Liebespaars und zu einer Neuformulierung der Problematik "Pflicht gegen Gefühl". Die Streitszene selbst und die Folgen davon in den Sequenzen 19-20 sollen in ihrer Rolle in der Erzählung kurz diskutiert werden. Die Streitszene in Sequenz XVII bringt formell und in der visuellen Gestaltung wenig Neues. Die Bild- und Schnitt-Techniken zur Darstellung des Konflikts sind im wesentlichen die gleichen wie in der ersten Auseinandersetzung (Seq. IX). Sogar einzelne Bilder gleichen sich fast genau. Das Bild von Wendlandt in Einstellung 350 ist z.B. in Haltung, Ausdruck, Kadrierung, Komposition und Beleuchtung fast identisch mit den Einstellungen 225/227 aus Sequenz IX, nur die Kleidung ist anders. Der Film kann jetzt auf relativ verfestigte Zeichenkomplexe, symbolische Bedeutungen und konnotative Assoziationen zurückgreifen. Die sich gegenüberstehenden Bedeutungskomplexe Frau-PrivatsphäreGefühle-Wünsche und Mann-Militär-Pflicht sind schon überdeutlich mit den Figuren verknüpft worden. In den ersten Szenen mit Hanna trug Wendlandt zivile Kleidung. Hier dagegen betont seine Uniform den Abstand zu den Zivilisten - was noch gesteigert wird durch die Konfrontation mit Rudnitzky, der alles andere als "schnittig" gekleidet ist. Der Zeichencharakter der Uniform als Differenzierungsmerkmal wird noch dadurch hervorgehoben, daß Hanna zuerst übersieht, daß Wendlandt zum Hauptmann befördert worden ist (Einst. 331). Für die äußeren Codes des Militärs hat sie also genau so wenig Verständnis wie für die inneren Regeln, die Haltung, Pflicht, Ehre etc. bestimmen. Das Aufeinanderprallen zweier Lebensweisen wird durch Schuß-Gegenschuß-Montage und durch die Stellung und Haltung der Figuren in den Zweieraufnahmen verdeutlicht. Hannas trotzige Haltung steht in Kontrast zu Wendlandts Zorn darüber, daß Hanna es nicht wisse, "was es heißt, die Frau eines Offiziers zu werden" (Einst. 355). Hanna steht steif und unbeweglich, bis auf ihre Augen, die verfolgen, wie Wendlandt (im Off) hin und her geht (353). Seine harten Tritte hört man; darauf folgt eine Großaufnahme seiner Stiefel, "das Gebot der Pflicht symbolisierend, die keine Widerrede duldet",180 aber auch ein fast fetischistisches Sinnbild seiner Männlichkeit, die genausowenig eine Widerrede - von einer Frau - duldet. Da sie, trotz seiner Argumente (seine Kameraden müssten für ihn einspringen) und trotz seines Appells an das Pflichtgefühl, uneinsichtig weiter auf ihren Wünschen besteht, und da eine Änderung seiner Haltung für ihn überhaupt nicht in Frage kommt, ist das Zerwürfnis da. Wendlandt geht. Auch als er später anruft, bleibt Hanna stur und nimmt nicht ab. Diesmal ist es nicht allein der Krieg als äußerer Faktor, der die Trennung bewirkt, sondern der verschärfte "innere" Konflikt zwischen den Figuren.

-J&A

Loiperdinger/Schönekäs, 9.

179 In dieser Szene spricht der Film nochmals die Wünsche an, die sich gegen die kriegsbedingte Beschneidung des Privaten richten, die sich gegen die Unterordnung unter Staat, Realitätsprinzip, Disziplin, oder auch gegen die Unterwerfung unter den Mann stellen. Hanna ist hier eindeutig in der defensiven Position - es kann sich etwas Protest-Energie in der Identifikation mit ihr organisieren, aber ohne Hoffnung auf Erfolg. Die Inszenierung trägt dazu bei, sie ins Unrecht zu setzen. Sie steht still und im Verlauf der Szene zunehmend stummer da. Sie kann nur schmollen, während Wendlandt agiert. Er zeigt seinen "gerechten Zorn", stampft hin und her und verläßt sie. Indem die Erzählung auf eine Trennung zugeht, und indem sie Hanna dafür verantwortlich macht, mobilisiert sie andere Wünsche: die, die auf das Happy End der romantischen Liebesgeschichte zielen. Diese wirken den Protest-Energien entgegen und verlangen, daß Hanna nachgebe, um ihren Paul nicht zu verlieren. So kann die Szene zwei gegensätzliche Gefühlskomplexe aktivieren, die sich wechselseitig immobilisieren. Spielte der Männerbund als Gegenpol zur Bindung an die Frau bisher eine relativ kleine Rolle, so wird er in dieser Szene zum ersten Mal von Wendlandt gegen Hanna angeführt. Dieses Motiv ist zwar durchgängig im Film vorhanden: Etzdorf spielt die typische Rolle des "Kumpels". Die Beziehung zwischen den Männern ist aber, im Vergleich zu vielen deutschen Filmen der Zeit oder auch zu vielen Westerns und Kriegsfilmen aus Hollywood, wenig ausgeprägt. Etzdorf redet zwar gegen die Heirat (beim Polterabend sagt er zu Wendlandt: "Du, man hämmert am Schafott deiner Freiheit. Bis morgen mittag halb eins hast du noch Zeit. Willst du dir's nicht doch noch überlegen?" 181 ), aber die Männerfreundschaft scheint hier weniger durch die Liebe zu einer Frau bedroht, als in anderen Filmen oft der Fall ist.182 Erst in der Szene in Rom werden Hannas Ansprüche an Wendlandt zu potentiellen Fesseln für ihn. Er reagiert heftig gegen die "Gefahr", von der Frau vereinnahmt zu werden, oder vielleicht im "silbernen Netz" ihrer emotionalen Forderungen gefangen zu werden. Möglicherweise ist die Gefahr auch eine innere, die durch Hanna nur ausgelöst wird: "Die höhere Pflicht, so meint er, gestatte ihm nicht, sich in ein brausendes Gefühl zu verlieren [,..]".183 "Im Kampf um Leben und Tod steigen dem Mann erneute Zweifel über die Bedeutung seiner Gefühle auf, die er in unbewußter Furcht, ihnen zu unterliegen, nicht in Einklang mit dem Heldenmut seines soldatischen Einsatzes bringen kann."184 Gerade die Gefahr, "sich zu verlieren", hat Theweleit als typisch für die "soldatischen Männer" der Zeit diagnosti-

181 182 183 184

Einstellung 281; Bardram 1986, 59. S. Schleugl 1974,190-211. Ufa-Pressestelle (Hrsg.), Bild- und Textinformation zu [...] "Die große Liebe". "Ein Augenblick lohnt für alles", Filmwoche, Jg. 19, Nr. 51/52,17.12.1941,938.

180 ziert.185 Bei Wendlandt schlägt die Angst nicht in die Art blinder Aggression um, die Theweleit beschreibt, aber seine Abwehr gegen die wahrgenommene "Gefahr" wird heftiger. Er redet lauter und intensiver, vor allem aber sind sein Gesichtsausdruck und seine Körperhaltung abwehrend, versteinert, gepanzert.186 Er zieht sich zum ersten Mal explizit auf die Männerkameradschaft des Militärs zurück: er sagt nicht, er müsse zur Staffel, sondern: "Ich will hier weg. Ich will zu meinen Kameraden." (Einst. 349). Dieser Streit wirkt nachhaltig. Als er an die Front zurückgekehrt ist, macht er sich Etzdorfs Haltung zu eigen. Etzdorf sagt ihm: "Es ist schon alles ganz gut so, wie es gekommen ist, auch für dich. Sieh mal, meine Mutter ist schon lange tot. Sie war - glaube ich - die einzige Frau, die mich wirklich geliebt hat. So steig' ich ganz leicht in meine Kiste." (Einst. 377/378, Szene 76).187 Nach diesem Gespräch wird Etzdorf abgeschossen. Darauf schreibt Wendlandt an Hanna: "Etzdorf ist tot. Mich wollten sie kriegen und ihn hat's erwischt. [...] Ich will es nun auch so halten wie er. Ich will nicht mehr zu Dir zurück, aber ich bin Dir nicht böse. Unsere Hochzeit wird nie sein, und das ist gut so, auch für Dich." (Einst. 388, Sz. 77).188 Hier nähert sich der Film Die große Liebe einem Erzählmuster, das JanChristopher Horak als typisch für die Preußenfilme der NS-Zeit und bereits davor bezeichnet hat, das aber auch auf allgemeinere Topoi zurückgeht. Laut Horak durchläuft eine solche Handlung vier Phasen: 1. es entwickelt sich eine Liebesgeschichte, in deren Verlauf die Frau sich als Störfaktor bezüglich der Lebensaufgabe des Mannes entpuppt; 2. der Mann besinnt sich auf seine Pflicht gegenüber dem Staate; 3. erst das gruppendynamische Verhalten des Männerbundes ermöglicht dem Helden die wahre Befriedigung; 4. er findet die Kraft, seinem bevorstehenden Heldentod glücklich ins Auge zu blicken. 189

Dieses Erzählmuster repräsentiert einen Prozeß der Verdrängung der Sexualität, der sich über die Zwischenstufe der Homoerotik entwickelt und in einer Erotisierung des Todes gipfelt.190 In Die große Liebe ist diese Handlungsstruktur, die sonst ganze Filme bestimmt, nun in einer stark komprimierten und verkleinerter Form in diesen paar Szenen eingelagert. Diese Standardform ermöglicht es, die Gefahr für die Liebesgeschichte, die durch den Streit ausgelöst wird, sehr ökonomisch darzustellen. Zugleich aktiviert sie einen ganzen ideologischen Komplex der soldatischen Männlichkeit, der bisher im Film nur latent als Alternative präsent war. Auf diese Weise erscheint die völlige Ausschaltung der Frauen und des Weiblichen als Möglichkeit. Im Vergleich dazu mag die 185 186 187 188 189 190

Theweleit 1980,2, 206ff. S. Theweleit über Drill und den Körperpanzer, insbes. Bd. 2,158ff. Bardram 1986, 81. Bardram 1986,84. Horak 1981,206. Horak 1981,207.

181 Forderung nach Beschränkung und Aufschub, die Wendlandts Pflichtethos an Hanna stellte, moderat erscheinen. Der Streit und die Trennung bilden die letzte Stufe in Hannas Lernprozeß. Als Wendlandt wieder an der Front ist und als die Nachricht über den Krieg mit der Sowjetunion auch Hanna die Richtigkeit seiner Entscheidung zeigt, sieht sie schon ihren "Fehler" ein. Sie will ihm einen Brief schreiben und sich entschuldigen, kann aber wegen einer Feldpostsperre nichts abschicken. Nach dem letzten Aufbrausen ist es mit ihrer "Widerspenstigkeit" nun anscheinend vorbei. Jetzt wäre sie "reif', die Frau eines Offiziers zu werden. Sie will sich lieber auf Passivität und Warten einlassen, als Wendlandt völlig verlieren. Als sein Brief eintrifft und die endgültige Trennung ankündigt, sieht sie ihr Beharren auf einen eigenen Wunsch bestraft. Ihre Einsicht, ihre endgültige Wandlung, scheint zu spät gekommen zu sein - ein typischer Topos des Melodramas, um Pathos zu erzeugen. Ihr Leiden wird zu einer Prüfung ihrer Liebe. "Das Ergreifende ist die innere Wahrheit und tiefe Schmerzlichkeit, mit der eine Frauenliebe sich läutert und ein Frauenherz den metallenen Ruf dieser Zeit begreifen lernt."191 Hanna glaubt unbeirrt weiter an ihre "große Liebe", auch nach Wendlandts Brief, und ist bereit, die Bedingungen des Kriegs zu akzeptieren: "[...] für eine Stunde mit ihm würde ich Wochen, Monate auf ihn warten." 192 Sie hat gelernt, ihre Wünsche dem Realitätsprinzip des Krieges und der militärischen Pflicht unterzuordnen. Warten - eine ausgesprochen passive Tätigkeit muß sie als ihr Los, als weibliche Rolle, annehmen. 193 Sich einem von außen bestimmten Schicksal zu fügen, statt selber die Situation bestimmen zu wollen, darin gipfelt ihre Entwicklung. Auch die männliche, soldatische Rolle wird revidiert. Die traditionelle Ideologie, worauf die Erzählung nach dem Zerwürfnis von Hanna und Wendlandt kurzfristig zurückgreift, wird wieder aufgegeben. Männerbund und Heldentod scheinen in diesem Film keine ausreichende Begründung für den Kriegseinsatz geben zu können. Wendlandt repräsentiert von Anfang an einen anderen Typus des Fliegers und Soldaten. Er führt seinen Auftrag selbstverständlich aus, ohne eine weitere Begründung zu brauchen, und bleibt dabei sachlich, kühl und pflichtbewußt, statt todesverliebt den Heldentod als Opfer für Nation oder Kameraden zu suchen, wie man es aus vielen NS-Kriegsfilmen kennt.194 Die Pflichterfüllung bleibt im ganzen Film unhinterfragbar. Die Sinnfrage stellt sich im privaten Bereich, der den Hauptgegenstand des Films bildet.195 Wendlandt braucht nie zu fragen, wofür er kämpft; seine Fragen sind 191 192 193 194 195

Betz 1942, 5. Einst. 428 (Großaufnahme von Hanna); Bardram 1986,87. Vgl. Doane 1988,106ff. S. Leiser 1978,25-35, Frey 1980. Regel 1978,43.

182 eher: Wie läßt es sich besser kämpfen, mit oder ohne Liebe? Wofür bzw. für wen soll er zurückkommen? Die Absage an die Liebe, die er nach dem Streit mit Hanna von Etzdorf übernimmt, wird nicht lange als Antwort akzeptiert. Wendlandt wird abgeschossen und verwundet. Dann kommt seine eigentliche Haltung wieder durch; er verlangt nach Hanna, und der Film kann auf das Happy End zusteuern. Der Film präsentiert eine revidierte Version des soldatischen Leitbildes und eine Revision des ideologischen Erzählmusters im Vergleich zu früheren Kriegsfilmen.196 Dies kann man als eine Anpassung der Ideologie in zwei Richtungen interpretieren, einerseits an die veränderte Kriegssituation ab 1941 und andererseits an die Erfordernisse eines "Frauenfilms". Die Genre-Konventionen des Liebesfilms und spezifische Angleichungen an die Wünsche und Erwartungen eines weiblichen Publikums werden eine Rolle in diesen Änderungen gespielt haben. Die völlige Verwerfung der Frau, die für die "Männergenres" wie Kriegsfilm oder Preußenfilm charakteristisch ist, wäre im Liebesfilm kaum akzeptabel. Sie wäre auch kaum geeignet, die ideologische Willfährigkeit von Frauen zu erzeugen. Um die Wünsche im Zaum zu halten, ist es effektiver, ihnen eine bedingte Erfüllung zu versprechen. Dies kann nicht durch den Opfertod des Helden erzeugt werden, sondern durch ein Happy End, das allerdings nur durch die Unterwerfung der Heldin unter die Regeln der Männerwelt und durch die Neutralisierung eines großen Teiles ihrer Wünsche erreicht wird. Loiperdinger und Schönekäs beschreiben den Film als Anpassung an die Legitimationsschwierigkeiten der Kriegsführung: "Die große Liebe" reflektiert darauf, daß die Hoffnung auf das versprochene schnelle Ende des Kriegs verschwunden ist und deshalb der Durchhaltewille ah der Heimatfront eine zunehmende militärische Bedeutung gewinnt. Es soll zwar weiterhin mit unerschütterlichem Pflichtbewußtsein gekämpft werden, wie der Fliegerleutnant Wendlandt das vorführt - aber nicht mehr nur für eine abstrakte Idee, für Deutschland, das Vaterland, sondern mit einem Zusatz, der sich auf einen eigenen individuellen Nutzen der vaterländischen Pflichterfüllung bezieht: Es darf und soll gekämpft werden in der Hoffnung, daß der Einsatz im Krieg den vom Krieg versperrten Weg zum privaten Glück wieder freimacht.

Dokumente zur Volksstimmung der Zeit unterstützen diese Interpretation. Die Berichte des "Sicherheitsdienstes" aus dem Jahre 1942 verzeichnen immer wieder "einheitlich eine gewisse gedrückte und unzufriedene Haltung weiter Bevölkerungsteile", die aus der schlechten Versorgungslage und aus der Überzeugung resultierte, daß "man heute noch nicht entfernt das voraussichtliche Ende des Krieges abzusehen vermöge."198 Auch punktuelle Siege konnten

i ft,

197 198

Loiperdinger/Schönekäs, 11. Loiperdinger/Schönekäs, 11. Boberach 1984, Bd. 10, 3852, 3771.

183 keinen großen Optimismus mehr erwecken, wie noch im Jahr zuvor.199 In dieser Situation, in der in allen Kreisen der Bevölkerung "der Wunsch, der Krieg möge recht bald ein Ende nehmen", bestand, 200 war es notwendig, diesen Wunsch ideologisch zu "managen", ihn womöglich als Motivation für das Durchhalten umzubiegen. Daß dabei nach Belohnung in der Privatsphäre gesucht wird, markiert vielleicht einen Wandel in der Kriegspropaganda, nicht aber im Nationalsozialismus insgesamt. Trotz aller Politisierung der Gesellschaft bildete gerade die "staatsfreie Sphäre" von Anfang an einen wichtigen Legitimationsfaktor. 201 Konnte vor dem Krieg das Versprechen des privaten Glücks noch eng mit der Konsumkultur verbunden werden, muß die Ideologie in dieser Phase des Kriegs eher auf Liebe und das zukünftige Familienleben als Glücksversprechen zurückgreifen. Ein zunehmender Rückzug ins Private und Persönliche zeichnete sich in den letzten Kriegsjahren ab.202 Die ideologische Arbeit des Films Die große Liebe versucht, diese Wünsche nach persönlichem Glück und nach Frieden so weit umzumodeln, daß sie als Motivation für den Kampf funktionieren (kämpfen, um nach dem Sieg zum Glück zu kommen) oder zumindest keinerlei Opposition erzeugen. Bei Wendlandt kann die private Sinngebung einen zusätzlichen Grund für den Kriegseinsatz sein. Hanna dagegen wird im Laufe der Filmhandlung eher so ausgerichtet, daß sie erkennt, daß sie die Ziele ihrer Wünsche auch nur annähernd erreichen kann, wenn sie die gegebenen Bedingungen annimmt.

5.5.5. Sequenzen XXI-XXII: Ein Wunder geschieht 5.5.5.1. Kontext Nach der Trennung, Hannas "Einsicht" und Wendlandts Verwundung hat sich die Erzählung schon ziemlich weit in Richtung auf ein mögliches Happy End entwickelt. Einige kleine Verwicklungen in der Handlung bleiben noch zu klären, vor allem muß der "Nebenbuhler" Rudnitzky endgültig einsehen, daß er keine Chance bei Hanna hat. Die Anpassungsprozesse, die sich in Hanna und Wendlandt vollzogen haben, sind im Prinzip schon abgeschlossen; die beiden müssen nur noch wieder zusammenkommen. An diesem Punkt wird die Schlußrevue eingesetzt. Sie dient als bildliche Darstellung der Ergebnisse von Hannas bisheriger Entwicklung, als kurze Retardierung vor dem Schluß, als symbolischer und metaphorischer Hinweis auf verschiedene thematisch wichtige Bedeu199 200 201 202

Boberach 1984, Bd. 11,4354f. Boberach 1984, Bd. 11,4355. Schäfer 1985. Broszat 1983a, 62-63; Schäfer 1985,122.

184 tungen und schließlich als Vorbereitung auf das Ende des Films. In der Gesamtstruktur des Films ist die Gesangsnummer "Ich weiß, es wird einmal ein Wunder gescheh'n" ein symmetrisch angeordnetes Gegenstück zu "Mein Leben für die Liebe". Diente "Mein Leben..." der Exposition, der Andeutung thematischer und symbolischer Schwerpunkte und der Skizzierung einer Frauenrolle (femme fatale) als Ausgangspunkt, so zeigt die Schlußrevue den Endpunkt der Entwicklung und fixiert die Figur in einem Netz von ganz anderen konnotativen Bedeutungen. Der Kontrast zwischen den beiden Revuesequenzen könnte kaum frappierender sein. In allen formalen Parametern, sowie auch in den erzeugten Bedeutungen, sind sie einander entgegengesetzt. Die Analyse soll das belegen.

5.5.5.2. Einstellungsprotokoll und Kommentar Sequenz XXI - Revueauftritt in Rom (Szenen 82-84)203, Einstellungen 432-452: 432. (Weit) Frontale Sicht über das Publikum hinweg auf die Bühne. Der Vorhang geht auf, zeigt mehrere Reihen übereinander von weiß gekleideten Frauen (als "Knospen" verkleidet). (Kamera fährt vor —^Totale). [In der Videokopie, die ich zur Verfügung habe, ist hier ein Sprung: ein Stück Film fehlt. Aus Beschreibungen (und Standfotos)204 kann man sich den fehlenden Teil leicht vorstellen: "In diesem Bühnenbild ist Zarah Leander von 44 Knospen umgeben, die sich in einer Symphonie von Weiß und Gold zu strahlenden Blüten (lies: jungen Tänzerinnen) entfalten." 205 Unten in der Mitte steht Hanna auf einer Dekoration, die die verschlungenen Stengel der Blüten repräsentiert.] Kommentar: Das Bühnenbild ist durch übereinander gelagerte, horizontale Reihen von Tänzerinnen, die sich allerdings kaum bewegen, bestimmt. In der zweidimensionalen Wirkung und im hierarchischen Aufbau erinnert dies entfernt an den Schluß der ersten Revueszene. Dort war das Bild jedoch durch die Bewegung der Bühnenkonstruktion und der Tänzer wesentlich dynamischer. Der Kontrast zum Anfang der ersten Revue mit der flackernden Beleuchtung, den ungeordneten Bewegungen der Tänzer und der X-förmigen Bildkomposition ist noch größer. Hier ist die Bewegung auf das langsame Aufgehen des Vorhangs und die Entfaltung der Blüten beschränkt. Die Musik ist auch weniger "bewegt". Sie fängt leise an, zuerst nur instrumenteil und mit dem Summen des Chors im Hintergrund ("Engelschöre"). Sie ist auch langsamer, getragener als 203 204 205

Bardram 1986, 90-91. S. Leiser 1978,60-61; Seiler 1985,87. Ufa-Pressestelle, Bild- und Textinformation zu [...] "Die große Liebe".

185 das erste Lied (langsamer Walzer statt Foxtrott). Bei "Mein Leben..." waren die Bilder eher dunkel und kontrastreich; hier hingegen sind sie durch die Dominanz der weißen Kostüme sehr hell und auch gleichmäßig ausgeleuchtet. Waren es dort Tänzer, die Hanna umgaben und die durch ihre Anordnung und Bewegungen auf sie bezogen waren, bilden hier Tänzeri/i/ien in Reih und Glied eine statische Kulisse hinter ihr. Die Reihen weißer Figuren vor einem dunklen Hintergrund erzeugen zunächst ein abstraktes Muster oder Ornament, in dem die Figuren nicht als Menschen zu erkennen sind. Die Flammen der Leidenschaft im ersten Bühnenbild sind jetzt durch die ruhigeren, "organischen" Formen von Pflanzen - mit ihren möglichen Assoziationen - ersetzt worden. Konnten die schwarzen, anfangs aufschreienden Figuren vor dem flammenden Hintergrund vielleicht Assoziationen zur Hölle erwecken, deutet am Schluß vieles eher auf den Himmel, vor allem die "Engelschöre" in der Musik. 433. (Totale, Obersicht) Rudnitzky dirigiert; hinter ihm ist Publikum. Hanna ( o f f ) singt: Wenn ich ohne Hoffnung leben müßte, wenn ich... 434. (Nah, Obersicht) Rudnitzky dirigiert. Hanna ( o f f ) singt weiter: ...glauben müßte, daß mich niemand liebt, daß es nie für mich ein Glück mehr gibt ach, das wär schwer. 435. (Halbnah) Hanna singt: Wenn ich nicht in meinem Herzen wüßte, daß du einmal zu mir sagst: ich liebe dich, wär' das Leben ohne Sinn für mich, (langsame Fahrt auf Nah) doch ich weiß mehr: Ich weiß, es wird einmal ein Wunder gescheh'n, Kommentar: Die dazwischengeschnittenen Aufnahmen von Rudnitzky sind eine Möglichkeit, den Sprung von der Totalen auf die Halbnaheinstellung von Hanna zu überbrücken. Zugleich haben sie die erzählerische Funktion, an Rudnitzkys Liebe zu Hanna und auch an seine Hoffnungen auf ein "Wunder" zu erinnern. Diese Hoffnungen wurden in der vorherigen Sequenz verstärkt, als er erfuhr, daß seine Frau endlich in die Scheidung eingewilligt hatte. Aus dem Grunde hatte er Wendlandts Telegramm, in dem jener nach Hanna verlangt, vor ihr zurückbehalten. Rudnitzky schaut sorgenvoll und melancholisch auf Hanna; er merkt, woran sie beim Singen denkt. Dieser Eindruck wird verstärkt durch die Beleuchtung (starkes Führungslicht von rechts unten, wenig FüllLicht), die durch Schatten-Effekte seine Gesichtsfalten und seinen bedrückten Ausdruck betonen. Die Beleuchtung in 435 ist ganz anders: sehr hell und fast

186 ohne Kontraste. Sie weicht von dem "normalen" Beleuchtungsstil ab, der bislang auch in diesem Film durchgängig benutzt wurde, und der durch Dosierung von Führungs-, Füll- und Gegenlicht die Szene relativ gleichmäßig ausleuchtet und die Figuren klar vom Hintergrund trennt. 206 Das weiße Kleid und die helle Haut ihrer Arme sind kaum vom weißen Hintergrund differenziert. Starke frontale Beleuchtung von oben und unten, 207 zusammen mit viel Füll-Licht, ergibt wenig Schatten; nur unter ihrem Kinn und auf dem Hintergrund über ihrem Kopf sind leichte Schattenpartien zu erkennen. Diese, und noch stärker ihre dunklen Haare, heben ihr Gesicht hervor. Ihr Gesicht selbst ist hell und wirkt flächig, die Gesichtszüge wenig betont. Insgesamt wirkt die Figur in den Konturen wie ausgewaschen und in den zweidimensional wirkenden Hintergrund gedrückt. Dies verstärkt den statischen Eindruck der Szene. Als die Kamera auch noch auf Hanna zufährt (bis zur Nahaufnahme von Brust bis Kopf) und sie ihre Arme über ihren Kopf hebt, verstärkt sich der Eindruck, daß sie an den Hintergrund fixiert ist. Zarah Leander war kein tanzender Revuestar, sondern eine Sängerin, aber so unbeweglich wie hier wurde sie bei Gesangsnummern sonst nie präsentiert. Die geringe Tiefe und enge Kadrage des Bildes immobilisiert sie, schneidet sie vom Körper ab. Diese Einschränkung der Körperlichkeit, sowie die Konnotationen der Farbe Weiß (Reinheit, Unschuld etc.) bilden einen völligen Gegenpol zum Vamp-Image aus der Scala-Revue. Die Figur und ihre Liebe - sind jetzt vom Sinnlichen "gereinigt". Alle aktiven Momente oder erotischen Wünsche, die sich gegen Befriedigungsaufschub sperrten, sind ihr ausgetrieben, und sie kann sich auf ihre weibliche Rolle und ihre große Liebe in Form von Warten, Glauben, Hoffen einstellen. Die Perspektive wechselt zwar zwischen Blicken von der Bühne herunter und Blicken zu Hanna hin, aber sie sind weder den Figuren zuzuschreiben, noch treffen sie sich. Wir sehen aus der Perspektive der Bühne, daß Rudnitzky zu Hanna hinaufschaut (Einst. 434), aber wir sehen dabei nicht mit den Augen 206

207

Das entspricht dem Hollywood-Beleuchtungsstil, der in der NS-Zeit auch in den meisten deutschen Filmen angewandt wurde. Ausnahmen bildeten vor allem historische Filmen, z.B. Das Herz der Königin, Andreas Schlüter oder Robert Koch, die kontrastreicheres, stark gerichtetes Licht häufiger verwendeten. Zum Teil könnte das naturalistisch motiviert gewesen sein, um eine Zeit vor künstlicher Beleuchtung zu zeigen, und zum Teil wurde es benutzt, um besondere Effekte zu erzielen. Im allgemeinen wurde "low key"-Beleuchtung vermieden. Im Fall von Der verzauberte Tag soll die dunkle Beleuchtung sogar mit ein Grund für das Verbot des Films gewesen sein. Konventionelle Beleuchtung kommt meist von ca. 45° zur Seite und oberhalb der Figur (mit zusätzlichem Licht von hinten und eventuell von der Seite und diffusem Licht auf die ganze Szene). Diese Beleuchtung wirkt naturalistisch und läßt Konturen gut erkennen. Die abweichende Beleuchtung in dieser Revue-Szene kann trotzdem auf eine andere Art naturalistisch motiviert sein: sie reproduziert die Theaterbeleuchtung, einschließlich Rampenlicht von unten. Das allein ist aber keine Erklärung, denn im klassischen Film ist oberflächlicher Naturalismus stets dem visuellen Effekt im Kino untergeordnet.

187 Hannas. Denn als wir sie sehen, schaut sie über Rudnitzky und das Publikum hinweg. Obwohl wir gesehen haben, daß Rudnitzky sie anschaut, übernehmen wir seinen Standort nicht; unsere Perspektive auf Hanna in Einstellung 435 erfolgt aus einem wesentlich höheren Blickwinkel. Diese Montage verschweißt unseren Blick mit keiner Figurenperspektive, sondern höchstens mit der Kamera als impliziertem Zuschauer. Der Voyeurismus dieser Perspektive ist, wie oben diskutiert, relativ eingeschränkt. Auch die mögliche narzißtische Identifikation mit Hanna ist weniger stark über die Blicke gesteuert als bei ihrem ersten Auftritt, in dem sie zum Objekt des begehrenden Blickes gemacht wurde. Es bleibt das Bild einer schönen Frau, das als Blickfang für Schaulust oder als Idealbild für Identifikation fungieren kann, aber für eingeschränktere, sublimierte Versionen dieser Prozesse. Die emotionale Kraft des Bildes ist dabei jedoch nicht kleiner, sondern - dank dem Pathos der zugespitzten Erzählsituation und der Musik - sogar größer. 436. (Nah, wie 434) Rudnitzky dirigiert. Hanna ( o f f ) singt: und dann werden tausend Märchen wahr. Ich... 437. (Nah, Fahrt auf Groß) Hanna singt (dabei wischt sie sich eine Träne von der Wange): ...weiß, so schnell kann keine Liebe vergehn, die so groß ist und so wunderbar. 438. (Nah) Käthe steht hinter der Bühne, schaut sie bedauernd zu. Hanna ( o f f ) singt: Wir haben beide... 439. (Groß) Hanna: ...denselben Stern, und dein Schicksal ist auch meins. Du bist mir... 440. (Nah) Rudnitzky dirigiert, holt Wendlandts Telegramm an Hanna aus der Innentasche seines Fracks, legt es auf den Pult. (Schwenk und Fahrt auf Detailaufnahme des Telegramms) Hanna (off): ...fern und doch nicht fern, denn unsere Seelen sind eins. 441. (Groß, Fahrt auf Extremgroß) (S. Foto). Hanna singt: Und darum wird einmal ein Wunder gescheh'n, und ich weiß, daß wir uns wiedersehen. 442. (Nah) Rudnitzky dirigiert zu Ende. (Stürmischer Beifall) Rudnitzky geht ab, nimmt Telegramm (Schwenk mit ihm, Detailaufnahme). Kommentar: Auf der Ebene der Erzählung bringt diese Einstellungsfolge die letzte Wende hin zum glücklichen Ende. Die letzte Barriere zu Hannas Glück

188 war Rudnitzky, der aus Eigennutz und falscher Hoffnung das Telegramm zurückgehalten hat, in dem steht, daß Wendlandt nach Hanna verlange. Als Hanna ihr Lied singt, sieht Rudnitzky, wie sie an ihrer unglücklichen Liebe leidet, daß sie nur an Wendlandt denkt. "Er überwindet sich [...]" und gibt sie auf.208 Das wird in dem Moment klar, als er das Telegramm herausholt (und für diejenigen Zuschauer, die das vielleicht übersehen könnten, zeigen zwei relativ auffällige Detailaufnahmen extra das Telegramm). Daß Rudnitzky es überhaupt aus der Tasche holt, hat nur die Zeichenfunktion, seine Entscheidung zu dokumentieren. Der Zeitpunkt ist auch signifikant: diese Einstellung ist eingeschnitten direkt bevor Hanna singt, "Und darum wird ein Wunder gescheh'n", und vor dem Moment, in dem die "Engelsstimmen" des Chors wieder einsetzen. So wird mehrfach bestätigt, daß Hannas Glaube richtig ist und belohnt wird. Wendlandt und Hanna mußten sich im Verlauf des Films verändern. Zum Schluß wandelt sich auch Rudnitzky. Er spielt im gesamten Film den Gegenpart zu Wendlandt und verkörpert eine andere Art Mann, einen "Künstlertyp, der zuviel Empfindung und zu wenig Tatkraft entwickelt."209 So ist seine Rolle eher die, wie er sie selbstironisch charakterisiert, "der wirkliche Freund einer Frau zu sein", der "leicht zu einer tragischen Figur, und was noch ärger ist, zu einer komischen" wird.210 Der Typus des "femininen" Mannes gehört zu den GenreMerkmalen des Liebesfilms.211 Um diese Rolle positiver zu gestalten, übt der Mann "dann den Beruf des Künstlers aus - den einzigen gesellschaftlich anerkannten 'unmännlichen' Beruf."212 Musiker bilden in vielen NS-Filmen "ein eigentümlich ambivalentes Zeichen einmal für Weichheit, Schwäche, Lebensuntüchtigkeit, andererseits für Genie und Träger 'deutscher Kultur'."213 Die Ambivalenz der Figur und die sympathische Darstellung durch Hörbiger verhindern, daß Rudnitzky je zu einer lächerlichen Figur herabsinkt. Seine fehlende Entschlossenheit, seine passive, abwartende Haltung Hanna gegenüber bilden einen starken Kontrast zu Wendlandts Draufgängertum. Aber auch sein Charme, sein Humor, sein Gefühl sind Gegensätze zu Wendlandts eher kühlerer und steiferer Art. Der "feminine" Künstler befindet sich in einer Spannung zwischen Genre-Mustern. Während er nach dem Muster des Liebesfilms eine durchaus positive Figur abgibt, soll er im Militärfilm, was ja Die große Liebe zum Teil auch ist, eher als abschreckendes Beispiel der "Verweiblichung" fungieren.214 Dieser Widerspruch in den filmischen und kulturellen Bedeutungssystemen wird durch die Erzählung wieder abgeschwächt, indem Rudnitzky sich 208 209 210 211 212 213 214

"Die große Liebe", Illustrierter Film Kurier, Nr. 3282. Suchen 1942,188. Bardram 1986,45. Doane 1988,116. Schlüpmann 1988, 58. Loiperdinger/Schönekäs, 6. Koch 1981, 222.

189 zum Schluß in der "männlichen" Tugend der Selbstüberwindung üben darf. Er verzichtet, er stellt am Ende seine egoistischen Wünsche hinter das Glück Hannas und die "Erfordernisse der Zeit". Im Presseheft zum Film hieß es recht pathetisch: So offenbart Paul Hörbiger uns, was ein Mensch werden, zu welcher Höhe er sich aufschwingen kann und wieviel er anderen zu geben vermag, wenn er die richtige Distanz zum Leben einnimmt. Wer alles mitfühlend erlebt und über die eigenen Ansprüche seines Selbst hinauswächst. wer das Leben begriffen hat und es trotzdem lieb behält, der wird zum MenschlichVorbildlichen, ein Mensch, frei von sich selbst. 215

Der Reifungsprozeß seiner Entscheidung wird in den drei Einstellungen (434, 436, 440) vorgeführt. Der Schnitt zwischen Einstellungen verzögert die Handlung, zeigt, daß er sich etwas überlegt, und begründet die Entscheidung durch die dazwischengeschnittenen Bilder von Hanna. Rudnitzkys Entwicklung ist im Prinzip dieselbe, die auch Hanna durchmachen muß: die Überwindung eigener, egozentrischer Wünsche, um einem "höheren" Zweck zu dienen und ein "höheres" Glück zu erreichen. Die Selbstüberwindung und die Entscheidung, "das Richtige" zu tun, wirken als eine Festigung oder als ein Zugewinn an Charakterstärke. So bekommt die Entsagung seines Wunsches einen positiven emotionalen und identifikatorischen Wert. Der primäre Effekt dieser Sequenz liegt aber woanders: in den Bedeutungen, die mit Hannas Erscheinung im Bild und mit ihrem Lied zusammenhängen. Die Kamera nähert sich Hanna schrittweise, und zugleich wird die Musik - in Lautstärke und vokalem Ausdruck - immer intensiver. Vor allem die letzte der drei Großaufnahmen von Hanna geht sehr nah an sie heran (ihr Gesicht ist nur bis kurz unter dem Kinn zu sehen) und dauert, für eine Großaufnahme, ungewohnt lange (34 Sekunden).216 Bei dieser Dauer und Nähe muß eine Großaufnahme eine intensive Wirkung im Kino entfalten. Faktoren wie die Helligkeit des Bildes, der "Glamour"-Stil der Aufnahme (in der extremgroßen Aufnahme wird die Schärfe leicht verstellt, um ihr Gesicht weicher zu machen; die Beleuchtung sorgt für glänzende Augen) und vor allem die Star-Qualität Zarah Leanders tragen zu dieser Wirkung bei. Schminke und Licht bringen die weiße, glatte Oberfläche ihres Gesichts zur Geltung. Diese Erscheinung, wie Leanders

215 216

Ufa-Pressestelle, Bild- und Textinformation zu [...] "Die große Liebe". Zum Vergleich: die durchschnittliche Einstellungslänge aller anderen Großaufnahmen in diesem Film beträgt ca. 8 Sekunden; die durchschnittliche Einstellungslänge für den ganzen Film beträgt etwa 13 Sekunden (s. Tabelle 5.4. im Anhang). Die große Liebe ist insgesamt etwas langsamer geschnitten als der normale Hollywoodfilm jener Zeit, der eine durchschnittliche Einstellungsdauer von ca. 9 Sekunden hatte (Bordwell/Staiger/Thompsom 1985, 61). Das kommt vielleicht daher, daß der Film Beziehungen über Aktion betont; schnellere Schnitte finden sich vor allem bei den Szenen an der Front (Seq. I, XIX), bei wichtigen Momenten in der Liebesgeschichte (Seq. V, Seq. XIII) und als der Film zum Ende kommt (s. Tabelle 5.2.).

190

Star-Image überhaupt,217 war an Greta Garbo modelliert worden und sollte auch etwas von der Rätselhaftigkeit und Unergründlichkeit signifizieren, für die sie berühmt war. Es mag sein, daß der Grund in mangelnden schauspielerischen Fähigkeiten lag - Leander hielt sich selbst mehr für eine Sängerin als eine Schauspielerin218 aber ihre relativ unbewegliche Mimik unterstützt diese Wirkung ihres Gesichts. Ihr zurückhaltenderes Schauspielern, im Gegensatz zum wesentlich theatralischeren Stil mancher deutscher Schauspielerinnen und vor allem Schauspieler, überläßt einen größeren Teil der Bedeutungsproduktion der Kamera und Montage sowie der Phantasie der Zuschauer und Zuschauerinnen. Das ist auch in diesen Aufnahmen der Fall; man kann eher Gefühle und Deutungen in die Bilder hineinlesen als sie daraus eindeutig entnehmen. Ein Bedeutungskontext wird durch die Erzählung vorgegeben, der durch einige konnotative Bedeutungen der Bilder noch unterstrichen wird. Leanders Pose, mit ihrem Blick nach (Bild-)links und oben gerichtet, findet sich sehr häufig bei ihren Standbildern und in anderen Filmen.219 Dies scheint überhaupt eine für Fotografen effektive Perspektive auf ihr Gesicht. Der Blick weg von der Kamera wirkt distanziert - sie ist mit sich und ihren Gefühlen beschäftigt und wirkt deshalb unnahbar.220 Diese Gefühle kreisen, hier wie auch z.B. bei der Arie "Ach, ich habe sie verloren" in Heimat, meist um ein melancholisches Leiden. Zugleich kann dieser Blick nach oben Hoffnung, Optimismus, Sich-nicht-besiegen-lassen, Zuversicht oder den hilfesuchenden Blick zum Himmel konnotieren. Im Lied schwingen auch solche Bedeutungen mit; in diesem Kontext könnte der Blick einer in die Zukunft auf das Wunder gerichteter oder einer in die Ferne sein, auf den verlorenen Geliebten. Trotz der Länge der Einstellung, in der diese Blickrichtung festgelegt wird, kommt in dieser Sequenz kein Gegenschuß, der zeigen würde, worauf sie schaut. Er kann ja auch nicht kommen, denn real ist nichts da. Dennoch hat diese Blickrichtung eine Funktion im System der Blicke in diesem Film. Sie etabliert eine Richtung, die in der letzten Sequenz (Einst. 463-465) erst wieder aufgegriffen wird, und dort mit zusätzlichen Bedeutungen aufgeladen wird, wie wir weiter unten sehen werden. Zunächst sollen aber die Funktionen und Bedeutungen der Großaufnahmen von Hanna im Zusammenhang mit der filmischen Darstellung der Weiblichkeit besprochen werden. Schon die Nahaufnahme am Anfang der Sequenz hatte sie in einem kleinen Bildausschnitt festgehalten und eingeengt. Dies wird in den 217 218 219

220

Leander 1973,128-138. Leander 1973,127. S. z.B. die Fotos in Seiler 1985, 55, 57,71, sowie in ZumkeUer 1988, gegenüber Titelseite, 75, 97,115. Die Unerreichbarkeit gehörte mit zum durchgeplanten und vermarkteten Star-Image. S. Leander 1973,138.

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Großaufnahmen fortgesetzt und verstärkt. In der langen Großaufnahme bleibt ihr kein Platz und keine Möglichkeit mehr zu agieren, außer durch Gesichtsausdruck und Lied, die auch eher passive Tätigkeiten - Leiden, Hoffen, Erdulden - äußern. Gereinigt, geläutert vom unweiblichen aktiven (Auf-)Begehren und von jedem Wunsch, außer dem, begehrt zu werden, wird sie hier im Film zum Idealbild der Frau erhoben. Zugleich wird sie vom eigenen Körper, vom Leben abgeschnitten, im eng umrahmten, fast tiefenlosen Bild gefangen. Ihre Verklärung wird mit ihrer Immobilisierung bezahlt. Die Kamera übt hier die Funktion des "bösen Blicks" aus. Mit diesem von Lacan entlehnten Begriff bezeichnet Karsten Witte die "Wirkgewalt der Bilder" in Filmen des Nationalsozialismus, die "Bewegung stocken läßt" und eine "Anti-Lebens-" und "AntiBewegungsfunktion" erfüllt.221 Dieser "mortifizierte, versteinerte Blick" wird benutzt, um die "'natürliche' Ordnung" zu fixieren,222 um die ideologische Transformationsarbeit an einem fixen Endpunkt festzuhalten.

5.5.5.3. Immobilisierung der Wünsche Verschiedene Aspekte des Films helfen, das, was dieser sadistische Blick zeigt, als etwas Positives anzupreisen. Auch wird die Niederlage der in der ersten Revueszene angesprochenen Wünsche als ein Sieg der wahren Natur der Frau verkauft. Die Einbettung in die Erzählung läßt diese Transformation der Frau als Vorstufe zum Glück, als einzig möglichen Weg zur Erfüllung des Wunsches nach Liebe, erscheinen. Auch die Strategien der Identifikation unterstützen diese Entwicklung. Inhalt, Komposition und Montage der Bilder bewirken eine Enterotisierung und schränken den Voyeurismus des implizierten Blickes ein. Für die "männliche Zuschauerposition" kann diese Reduktion der Schaulust durch Teilnahme am sadistischen, mortifizierenden Blick, der die bedrohliche Sexualität und Subjektivität der Frau erstarren läßt, kompensiert werden. Dieses Muster findet sich, mehr oder minder ausgeprägt, in den meisten Filmen, welche die Figur des Vamps benutzen. Die aktive Sexualität dieser Figur ist anziehend, wird aber mit der Bedrohung der Verschlingung (oder Entmännlichung) verknüpft. Falls der Vamp nicht sterben muß, um sadistische Rachephantasien zu erfüllen, wird seine Sexualität gedrosselt. Daß die Frau dabei ihre Wirkung als Objekt des Voyeurismus verliert, kann durch den Gewinn an Macht, der sich aus ihrer Unterordnung unter die männliche Figur oder die patriarchalischen Normen ergibt, oder durch eine Verschiebung auf fetischistische Formen ausgeglichen werden.223 In Die große Liebe ist Zarah 221 222 223

Witte 1981,26, nach Worten Lacans. Koch 1988,119-120. Vgl. Mulvey 1980.

192

Leanders Qualität als Vamp von Anfang an abgeschwächt, wie das bei dieser Rolle überhaupt in der NS-Zeit der Fall war, aber das allgemeinere Grundmuster ist dennoch klar darin zu erkennen. Die "weiblichen" Identifikationsstrukturen sind diffuser und komplexer.224 Die Einschränkung des Voyeurismus bedeutet einerseits eine Einschränkung der Möglichkeit einer Identifikation mit dem männlichen Blick, andererseits auch eine Einschränkung der narzißtischen Identifikation mit der Frau als Objekt des Blicks. (Die Kameraführung in Sequenz XXI, die sich von subjektiven Blickwinkeln distanziert, erlaubt nicht mehr, wie in Sequenz V, die Identifikation mit Hanna über die Zwischenschaltung des Blicks einer männlichen Figur). Was übrig bleibt ist am ehesten eine Identifikation nach dem Muster der masochistischen Phantasie. Mary Ann Doane stellt fest, daß diese Art der Identifikation ein typisches Merkmal des Hollywood-Frauenfilms ausmacht.225 Die Identifikation, die diese Filme mit der Frauenfiguren erlauben, erscheine so weniger durch die "männlichen" Mechanismen Voyeurismus und Fetischismus bestimmt. Dies sei jedoch nur erreicht auf Kosten der Ent-Erotisierung der Frau. Der Zuschauerin wird auf diese Weise eine Haltung zugewiesen, die eine masochistische Neutralisierung ihrer Sexualität bedeute.226 Doane schreibt: Because the woman's film purportedly directs itself to a female audience, because it pretends to offer the female spectator an identity other than that of the active male hero, it deflects energy [...] toward the more "properly" female identification. But since the woman's film reduces the specularizable nature of the female body, this first option of a narcissistic identification is problematized as well. In a patriarchal society, to desexualize the female body is ultimately to deny its very existence. The woman's film thus functions in a rather complex way to deny the woman the space of a reading. All this is certainly not to say that the woman's film is in any way radical or revolutionary. It functions quite precisely to immobilize [...].227

Diese Funktion - Immobilisierung - führt der Film Die große Liebe nicht nur mit Wirkung auf die Wünsche der Zuschauerinnen aus, sondern er führt sie in den Aufnahmen von Hanna in der Revuesequenz auch bildlich vor. Das Modell, das Doane anhand der Hollywood-Filme der vierziger Jahre entwickelt hat, ist in seinen Hauptzügen auch auf die deutschen Filme der Zeit - zumindest auf diejenigen, die vornehmlich für Frauen gedacht waren - durchaus übertragbar. Die Neutralisierung der weiblichen Sexualität kulminiert in Die große Liebe in der AAl

225 226

227

"Männlich" und "weiblich" in diesem Zusammenhang bezieht sich nur vermittelt auf die konkreten Zuschauerinnen und Zuschauer. Vielmehr bezeichnen diese Begriffe idealtypische Rollen, die nur tendenziell mit den biologischen Geschlechter der Individuen übereinstimmen. Die Psychoanalyse geht von der prinzipiellen Bisexualität der Menschen aus, die diese psychisch und kulturell bestimmten Geschlechterrollen zu verschiedenen Anteilen in sich verbinden. Doane 1988,18-20. Modell ist hier Freuds Beschreibung der masochistischen Phantasie in "Ein Kind wird geschlagen", in Freud 1973, 231-254; s. Doane 1988,16-19. Doane 1988,19.

193 ästhetisch aufgearbeiteten, weich gezeichneten Großaufnahme von Hanna, die zur Identifikation mit ihrem Leiden und mit ihrem Hoffen auf jedes kleine bißchen Glück einlädt, das der Mann und die patriarchalische, militärische Ordnung ihr zukommen läßt. Wenn der Film im Dienste der "Mobilisierung des subjektiven Faktors" für den Krieg steht,228 tut er das, indem er die Wünsche der Frau immobilisiert und sie auf Warten und Passivität auszurichten versucht. Diese Ausrichtung auf Passivität ist genau das Ziel der kulturellen Definition der Weiblichkeit, vor allem in der damaligen Zeit. In ihrem Artikel "Womanliness as a Masquerade" hat Joan Riviere grundlegende Gedanken zur Frauenrolle aus psychoanalytischer Sicht vorgebracht, die auch auf die Verarbeitung des Frauenbilds im Film zutreffen. Riviere geht von einem Fall aus ihrer Praxis aus: Eine intellektuelle Frau fand es notwendig, nach jedem öffentlichen Auftritt (Vortrag etc.), in dem sie ihre Fachkompetenz und Intelligenz vor männlichen Kollegen demonstrierte, diese Qualitäten durch eine übertriebene "Weiblichkeit" (Flirten) wieder zu verstecken. Riviere interpretiert diese aufgesetzte Weiblichkeit als "Maskerade", als Reaktion auf eine Angst, die daraus entstehe, daß sich die Frau durch ihre Leistungen in eine Rivalität mit den Männern setze. Sie fürchte die Vergeltung der Männer (dafür, daß sie wie ein Mann auftrete, also im Besitz des "Phallus" sei), und versuche durch übertriebene Darstellung ihrer Weiblichkeit und durch sexuelle Angebote, sie zu besänftigen. 229 Riviere zieht weitreichende Konsequenzen aus diesem Fall: The reader may now ask how I define womanliness or where I draw the line between genuine womanliness and the 'masquerade'. My suggestion is not, however, that there is any such difference; whether radical or superficial, they are the same thing.230

Die (traditionelle) Weiblichkeit sei auch im Alltag eine Maskerade, in der Frauen die Rolle der Untertänigen, der Schwächeren spielen.231 Diese Rolle ist eine Konsequenz der gesellschaftlichen Definition der Geschlechter, die einzig dem Mann, bzw. dem Phallus, einen positiven Wert zukommen läßt und die Frau negativ, als "Mangel", definiert. Weiblichkeit als Maskerade ist die Verstellung oder Verheimlichung aller Merkmale, die den Männern als phallisch oder männlich vorkommen könnten.232 Sie ist die Anpassung an die Definition der Frau als "kastriert". Disguising herseif as a castrated woman, the woman represents man's desire and finds her identity as, precisely, woman - genuine womanliness and the masquerade are the same thing, as Riviere insists [...J.233

228 229 230 231 232 233

Witte 1979,30. Riviere 1986, 37. Riviere 1986, 38. Riviere 1986, 39. S. Heath 1986,49. Heath 1986, 52.

194

Riviere beschreibt diese Rolle als Resultat der "oralen Phase", in welcher Befriedigung aus dem Aufnehmen des Objekts entstammt, sowie aus der Verwerfung aktiver, "sadistischer", Wünsche. So wird diese Rolle durch eine passive Haltung gekennzeichnet, die Riviere so umschreibt: "I must not take, I must not even ask; it must be given me."234 Der Entwicklungsprozeß, den Hanna im Film Die große Liebe durchmacht, läßt sich treffend als die Annahme dieser Maskerade der Weiblichkeit beschreiben. Die phallischen Elemente ihres ersten Auftritts werden ihr schnell ausgetrieben, sadistisch bestraft. Jede Aktivität, jeder Anspruch an den Mann stellt sich im Laufe des Films als "zu viel" heraus. Warten, sich mit der Situation abfinden, sich mit jedem bißchen Glück, das ihr zugeteilt wird - Hannas Liebe wird auf diese passive Haltung reduziert, die genau der von Riviere beschriebenen Haltung entspricht: "ich darf nicht einmal danach verlangen, es muß mir gegeben werden." Was "es" dabei bedeutet, ist offen: das Glück, die Liebe des Mannes, der Phallus (im Lacanschen Sinn als Signifikant des Begehrens des anderen) oder sogar die eigene Identität. Eine Frau zu werden, in einer Gesellschaft und Kultur, in denen "die Frau" durch "Mangel", "Kastration", Passivität, Selbstverleugnung etc. definiert ist, heißt paradoxerweise, eine Identität erst durch die Aufgabe der eigenen Ansprüche, der Wünsche, des Selbst zu bekommen. Man kann also Die große Liebe als Inszenierung der Sozialisierung einer Frau in die Rolle, in die Maskerade, interpretieren. Die ideologische Strategie ist jedoch noch komplexer: eine starke, autonome, phallische Frau wird zunächst gezeigt, diese Qualitäten als aufgesetzte Rolle entlarvt, damit sich die "Maskerade" im Sinne Rivieres dann als die "wahre Natur" der Frau hervorkehrt. Eine Frau tritt zunächst als autonome Frau auf, damit diese "Rolle" als "Maskerade" entlarvt und die weibliche "Maskerade" dann ideologisch als Wahrheit aufgestellt werden kann. Weit komplizierter wird dies dadurch, daß die Schauspielerin, bzw. der Star Zarah Leander, Anteile beider Frauenrollen verkörpert. Dieses Muster findet sich fast durchgängig in den Filmen mit Zarah Leander. Manchmal kehrt sich die anfänglich anrüchige Figur sogar in eine leidende und aufopfernde Mutter um, z.B. in Heimat und Damals. Das Muster beschränkt sich natürlich nicht auf die Filme Leanders, auch nicht auf die Filme des Nationalsozialismus. Hollywoodfilme liefern ebenfalls unzählige Beispiele dafür; sogar in Filmen mit Garbo oder Marlene Dietrich finden sich Tendenzen, die Frauenfigur erzählerisch einzugrenzen, sie auf feminine Rollen und Qualitäten - vor allem Aufopferung - festzulegen. Die Images und die Leinwand-Persönlichkeiten dieser Stars sperrten sich zum Teil gegen die Integration und Verharmlosung. Bei Zarah Leander scheint das weniger der Fall 234

Riviere 1986,43.

195

gewesen zu sein. Zumindest aus heutiger Sicht erscheint sie eher ein harmloser "Lieblingsvampersatz" oder nur ein "Scheinbild der Übertretung" zu sein.235 In dem anderen, eingeschränkteren Kontext des NS-Films ist aber durchaus denkbar, daß ihr Image etwas von seiner Zwiespältigkeit behält, daß sich die "männlichen" Aspekte gegen das völlige Aufgehen in der "Maskerade" sträubten. Inwieweit sich die Elemente des Star-Images und des Bildes der autonomen Frau, die am Anfang notwendig sind, um Publikumsinteresse zu wecken und um die Wünsche anzusprechen, gegen ihre Transformation und Domestizierung behaupten konnten, ließe sich nur feststellen, wenn es genauere Information über die damalige Rezeption gäbe. Der Prozeß im Text strebt eindeutig die Eindämmung an.

5.5.5.4. Das Ende Sequenz XXII - Im Lazarett (Szene 85)236 - Einstellungen 453-465: Nachdem Rudnitzky zum Ende der letzten Sequenz Hanna das Telegramm ausgehändigt hat, steht ihr Entschluß fest, sofort zu Wendlandt zu fahren und nie wiederzukommen (Einst. 444-452). In 453 und 454 (Totale, Halbtotale) sehen wir nun, wie sie zu Wendlandt in ein Lazarett irgendwo in den Bergen kommt. In 455 schauen Wendlandts Kameraden, die neben ihm gesessen haben, erst Hanna, dann einander an, nicken und gehen ab. Sie haben sofort erkannt, daß das, was jetzt kommt, nichts mehr mit der Männerkameradschaft zu tun hat. In einer Serie von Nahaufnahmen im Schuß-Gegenschuß-Verfahren (456-462) erleben wir das freudige Wiedersehen der beiden. In diesen Einstellungen sind stets beide Figuren zu sehen. Die Aufnahme erfolgt von einem Standort, der etwa 30-40° von der Achse zwischen den Figuren entfernt ist und sich hinter einer Figur liegt, so daß wir jeweils eine Figur schräg von vorne und den Hinterkopf und Rücken der anderen sehen. Dadurch wird die Zusammengehörigkeit der Zweiergruppe betont (eine andere Möglichkeit wäre gewesen, zwischen Großaufnahmen der einzelnen Figuren zu springen, was aber die Zuschauer und Zuschauerinnen stärker in das Geschehen einbeziehen würde). So ergibt sich keine Identifikation, die auf die Perspektive einer Figur bezogen ist. Die Identifikation muß aus der Situation und aus dem Kontext in der Erzählung kommen. Auch die Kamera behält eine gewisse Distanz (mittlere Nahaufnahmen). Das Tempo der Schnitte steigert sich, als es auf Wendlandts Heiratsantrag zugeht (von 10-11 Sekunden in 458 und 459 auf 2-4 Sekunden in 460-462). Als sich die beiden daraufhin küssen (462), folgt ein Schnitt in der 235 236

Witte 1985,184, Sanders-Brahms 1981,165. Bardram 1986,91.

196

Bewegung, und die Kamera zieht sich auf eine noch neutralere Position zurück (rechtwinklig zur Achse). 461. (Nah) [Wendlandt hat soeben gesagt, wegen seiner Verwundung haben sie jetzt drei Wochen Zeit für einander]. Sicht über Hannas Schulter auf Wendlandt, der sagt: Na, Du, das ist eine lange Zeit. Könnten wir's vielleicht wieder einmal versuchen mit dem Heiraten? 462. (Nah) Gegenschuß auf Hanna. Wendlandt (off): Hm? (sie lehnen sich vor; Wendlandt kommt ins Bild. Sie küssen sich). 463. (Halbnah) Hanna und Wendlandt von der Seite. Sie küssen sich noch, dann fragt Hanna: Drei Wochen - und dann? Zuerst Wendlandt, dann auch Hanna schauen zum Himmel hinauf. 464. (Weit) Staffeln von Flugzeugen in Formation fliegen vorüber (von unten gesehen). 465. (Nah, Perspektive wie 463) (S. Foto). Hanna und Wendlandt schauen hinauf, dann blicken sie sich an. Wendlandt: Ja? Hanna nickt; sie schauen wieder hinauf (Fahrt auf Großaufnahme). (Abblende). Die Kameraführung läßt uns teilhaben am Liebesglück der beiden, aber als Zuschauer, aus zweiter Hand, nicht aus einer direkt beteiligten Perspektive. Mit dem Wiedersehen, der Versöhnung und der endgültigen Heiratsentscheidung ist die Handlung am Endpunkt angelangt; wir werden als Zuschauer bald entlassen. Es bleibt nur die Auflösung der Handlung noch einmal explizit vorzuführen und die thematische Problematik "Pflicht gegen Glück" als erfolgreich (aufgelöst darzustellen. Dies wird durch Hannas Einverständnis mit den Bedingungen des Kriegs (ihr Nicken in 465) und, wie Loiperdinger/Schönekäs demonstrieren, durch die Zusammenführung der Zeichensysteme Frau, Liebe, Musik einerseits und Pflicht, Militär, Flugzeug andererseits, erreicht.237 Diese beiden "Codes" haben bisher alterniert; erst im Schlußbild, unterlegt mit der Musik "Ich weiß, es wird einmal ein Wunder gescheh'n" (instrumental und Chor), werden sie zu einer Synthese zusammengebracht. 238 Diese Synthese soll "ein klares Unterordungsverhältnis" der privaten Wünsche unter die militärische Pflicht suggerieren, zugleich aber auf "die Versöhnung von Pflicht und Liebe, als mögliche Erfüllung privater Glücksvorstellungen nach dem Krieg"

7T7 Loiperdinger/Schönekäs, 9-10. 238

Loiperdinger/Schönekäs, 10.

197 hinweisen.239 Der Blick nach oben, der diese Synthese bewerkstelligt, wurde schon in der Revueszene vorbereitet und mit Bedeutungen aufgeladen. Hier findet Hannas Blick aus Einstellung 441 endlich sein Objekt. Die Emotionen, die durch das Lied und die Situation Hannas angesprochen wurden (Glauben, Hoffen, Sehnsucht, Wunsch nach Glück), sollen hier durch den Blick auf die Flugzeuge auf die Kriegssituation übertragen werden. Damit wird suggeriert, es gäbe keinen Weg zum Glück, der an dieser Realität vorbeigehe. Daß die Intention des Films in diese Richtung geht, belegt eine Äußerung des Regisseurs Rolf Hansen: Die Einsicht, daß drei Wochen heute vielleicht für ein großes Glück genügen müssen, daß aber diese drei Wochen gerade durch ihre zeitliche Begrenzung dieses Glück um so stärker und intensiver machen können, das ist die Einsicht in die Forderungen der Zeit, die in unserem Film Hanna Holberg allmählich gewinnt und die wir ¡ille eines Tages so oder so gewinnen müssen. 240

Diese Einsicht, das Kapitulieren vor dem Realitätsprinzip, wird in den Schlußeinstellungen mit der Erfüllung des ersehnten Liebesglücks belohnt. Ohne Zweifel geht die ideologische Intention in diese Richtung. Wie ich zu zeigen versucht habe, arbeiten die Erzählstruktur, die Transformation der Figuren und der Einsatz filmischer Zeichen alle darauf hinaus, die zuerst angesprochenen Wünsche stillzulegen und in diese Synthese am Schluß zu integrieren. Der "Film-Text" ist aber nur ein Bedeutungsangebot, das durch die konstruktive Mitarbeit der Rezipienten realisiert wird. Die Bedeutungen des Films werden erst durch die Interpretation nachvollzogen. Ein Film regt also immer eine gewisse Streubreite konkreter Bedeutungen und Lesearten an. Durchaus möglich ist also die Interpretation des Schlusses, die Karsten Witte vorschlägt: [...] im Gegensatz zu ihrem Lied, weiß die Leander, daß kein Wunder geschehen wird, das sie für ihren permanenten Aufschub entschädigt. Ihr letzter Blick gilt nicht dem künftigen Gatten, sondern dem Himmel, aus dem eine Fliegerstaffel bricht. Diese Verheißung des militärischen Siegs besiegelt nur ihre erotische Niederlage, ihr Zerbrochenwerden durch den Krieg. 241

Der Prozeß ist gleich, nur die Bewertung - als Weg zum größeren Glück oder als Niederlage - ist unterschiedlich. Hannas Zusage in der letzten Einstellung, ihre Annahme der durch einen Blick gestellten Bedingung einer Hochzeit, ist in dieser Lesart eher die etwas widerwillige Hinnahme des Unumgänglichen, als eine begeisterte Bejahung des Kriegs. Der Appell ist auch nicht an heroisches, patriotisches Sentiment, sondern an private Wünsche gerichtet. Der Film soll demonstrierern, daß diese Wünsche nur zu einer Befriedigung kommen können, wenn man die Wirklichkeit des Kriegs akzeptiert und sich damit arrangiert.

239 240 241

Loiperdinger/Schönekäs, 10. Ufa-Pressestelle, Bild- und Textinformation zu [...] "Die große Liebe". Witte 1979b, 30-31.

198

Der Film konnte durch diese Ambivalenz der Aussage wohl effektiver die Wünsche binden, sie vielleicht in Affirmation ummodeln, als wenn er direkt auf Bekehrung oder Kriegsbegeisterung hingezielt hätte, die in der objektiven Situation im Jahre 1942 schon bei vielen Leuten nicht mehr so leicht zu erzielen gewesen wären.242 Der Film kann durchaus einen Freiraum für Interpretation lassen und trotzdem ideologisch effektiv sein. Wenn er Leuten glaubhaft machen kann, "der Einsatz für den Sieg im Krieg würde die Erfüllung von privaten Glücksvorstellungen ein Stück näher bringen",243 ist die propagandistische Wirkung offensichtlich. Aber auch wenn er nur die Unumgänglichkeit des Durchhaltens, des Akzeptierens des Gegebenen vermittelt, hat er einen Beitrag geleistet. Das Eindämmen potentieller Oppositionsquellen, die Umlenkung unerfüllbarer Wünsche, die Neutralisierung subjektiver Impulse, die den ideologischen Erfordernissen der Gesellschaft entgegenstehen könnten, ist auch eine wirksame und notwendige ideologische Untermauerung gesellschaftlicher Herrschaft. Ideologische Arbeit in der Gesellschaft zielt nicht nur auf Mobilisierung, sondern - wie im Fall der weiblichen Subjektivität - gerade auch auf die Immobilisierung subjektiver Faktoren. Insofern ist die "Massenmobilisierung des Passivismus" (Kluge) ein äußerst wichtiges herrschaftsstabilisierendes Moment.

5.6. Ergebnisse: Filmform und ideologische Arbeit Die Untersuchung von Die große Liebe verdeutlicht, daß nicht nur die erzählerische Makrostruktur, sondern auch die filmische Mikrostruktur der Zeichen, Bilder und Einstellungsanschlüsse Bedeutungen konstruiert und umarbeitet. Die ideologische Umlenkung der Wünsche schlägt sich auch in den kleinen, unscheinbaren und manchmal selbstverständlich erscheinenden Einheiten des Films nieder. Diese Elemente funktionieren nicht nur, um die Handlung zu erzählen, sondern wirken auch direkter, indem sie konnotative Bedeutungen wecken und die Identifikation beeinflussen. Ideologische Transformationsprozesse im Film beziehen sich teilweise direkt auf die Frage "Pflicht gegen Gefühl". Teilweise wirken sie aber indirekt, über die Identifikation mit Männer- und Frauenrollen, und sind vielleicht deshalb effektiver, weil psychisch tiefer sitzende Schichten dadurch angesprochen werden. Eine Domestizierung der Wünsche wird über die Wandlungen der Figuren (die durch die Handlung, visuelle Gestaltung, Ikonographie und Inszenierung deutlich werden) und über die Gestaltung der Identifikation (mit Figuren sowie mit Blickperspektiven) vorgeführt. Die Wünsche werden tendenziell auf 242 243

Vgl. Fledclius 1980. Loiperdinger/Schönekäs, 11.

199 ein Idealbild ausgerichtet, das mit den Kriegsbedingungen konform liegt und zugleich langfristige kulturelle Normen befestigt. Ideologische Arbeit wird als das Aushandeln eines Kompromisses zwischen utopischen Impulsen und gesellschaftlichen Restriktionen definiert. Die Wünsche, die in Die große Liebe angesprochen werden, sind vor allem die nach privatem, persönlichen Glück. Sie scheinen vielleicht wenig utopisch, sondern eher individualistisch zu sein. Aber, indem die Hindernisse zur Erfüllung von Wünschen ihren Ursprung in gesellschaftlichen Strukturen haben, bekommt auch der private Glücksanspruch eine gesellschaftliche Dimension. Die Hemmungen der Wünsche in Die große Liebe resultieren zum Teil aus der konkreten Kriegssituation und der dadurch forcierten militärischen Pflichterfüllung, zum Teil aber auch aus den grundlegenden sozialen und kulturellen Normen der Individualität, Sexualität, Arbeitsmoral etc. Einige der utopischen Dimensionen, die Richard Dyer am Beispiel des Hollywood-Musicals herausgearbeitet hat,244 treffen in spezifischen Ausprägungen auch für Die große Liebe zu: "Intensität", "Transparenz" und "Gemeinschaft". Man könnte noch hinzufügen: der utopische Wunsch nach sinnvollem Leben. Film als Unterhaltung spricht Wünsche und Gefühle an, die diese utopischen Dimensionen besitzen. Intensität bezeichnet das Gefühl von wirklich "gelebtem" Leben, von direkten und klaren Gefühlen, von emotionaler Stärke. Eine Liebesgeschichte, mit melodramatischer Überhöhung der Situationen und Gefühle, ist geradezu vorbestimmt, emotionale Intensität zu erwecken und sie als im Leben realisierbar vorzuführen. Auch negative Steigerungen der Gefühle werden in dieser Hinsicht positiv erlebt. Intensives Leiden bedeutet auch eine Verstärkung des Lebensgefühls. Dieser Effekt unterstützt die Argumentationsstrategie des Films Die große Liebe, der die Beschneidung der privaten Wünsche als eine Steigerung der Liebe deutet. Die filmische Gestaltung ruft sowohl über die Erzählung als auch auf direkten Wegen ein Gefühl der Intensität hervor. Bildgestaltung, Schnittfolgen, "harte" Schnitte, schnelle Zusammenstellungen usw. ergeben ein Gefühl von einem starken Erlebnis. Dieses Gefühl kann teilweise die "Lehre" des Films kompensieren, die auf Aufschub zielt, also auf das Hinausschieben von Befriedigung eher als auf deren Realisierung. Transparenz bezeichnet die Utopie der "großen" Liebesbeziehung, in der klare, "entschlackte" Gefühle ihren Platz haben. Die abgeklärte Beziehung, in der die Mißverständnisse ausgeräumt und die Konflikte beseitigt worden sind, erweckt utopische Visionen von harmonischen, durchsichtigen Beziehungen zwischen Menschen. Ideologisch ist daran, daß diese Harmonisierung scheinhaft bleibt und nur erreicht werden kann durch die Verklärung und Verheimlichung 244

Dyer 1977 (auch nachgedrückt in Nichols 1985,220-232).

200

der Herrschaftsmomente innerhalb der Beziehungen. Wie in Die goldene Stadt, ist auch in Die große Liebe die scheinbare Lösung am Ende nur durch die Unterdrückung der ursprünglichen Wünsche möglich gemacht worden. Die verklärte und "gereinigte" Liebe, die z.B. in der Gesangsnummer am Schluß symbolisch vorgeführt wird, ist nur erreichbar, nachdem alle störenden Wünsche und Widerspenstigkeiten eliminiert worden sind. Gemeinschaft wird in der Szene im Luftschutzkeller direkt thematisiert und in dem Zusammenhang zwischen Front und "Heimatfront" impliziert. Die Annahme ihres "Schicksals" am Ende bedeutet, daß Hanna an einer kollektiven Identität teilhaben kann, daß sie "so wie Millionen anderer Frauen in dieser Zeit" wird.245 All diese Aspekte laufen auf eine Darstellung des Lebens als sinnvoll hinaus. Das Ideologische daran ist, daß diese utopische Vorstellung dargestellt wird, als wäre sie im Leben, wie es ist (oder - historisch pointiert - wie es im Krieg und unter dem Faschismus war), gegeben oder erreichbar. Sinn wird aus der persönlichen Liebesbeziehung (Füreinander-Sein, Verbindlichkeit, zu jemanden gehören) sowie aus der Pflichterfüllung bezogen. Hannas Wandel weg von der Frivolität und einem bedingten Egoismus hin zum unbeirrten Glauben an die große Liebe erscheint als ein Gewinn an Sinn. Was einerseits eine Absage an die eigenen Wünsche und Ansprüche bedeutet, wird andererseits am Schluß als ein größeres Glück präsentiert, als ein wirkliches "Leben für die Liebe". Auch Wendlandts Absage an sein Junggesellengehabe und an das Muster des exklusiven, militärischen Männerbundes wird als ein Zugewinn an persönlichem Sinn dargestellt: "wissen, für wen ich zurückkomme". Die Ehe entspricht Wendlandts eigentlichem "Wesen": wenn er verwundet ist und nach Hanna verlangt, ist es so, als würde seine wahre "innere Stimme" wieder durchkommen. Die Verheißung der Erfüllbarkeit solcher utopischen Wünsche ist in der ideologischen Strategie der Filmerzählung eng mit der Negation anderer Wünsche gekoppelt. Die Wünsche nach Autonomie, Selbstbestimmung und Lustbefriedigung sowie der Wunsch, überhaupt einen Anspruch auf eigene Wünsche stellen zu können, werden am Anfang des Films angesprochen. Im Laufe des Films werden sie eingedämmt und stillgelegt, aber auf eine Art, die eine Versöhnung suggeriert und verschiedene Formen von Kompensation anbietet. Dazu gehört die Vorspiegelung von Intensität, Transparenz, Gemeinschaft und Sinn als Qualitäten, die auf ein "höheres Glück" deuten. Auch andere positive Konnotationen (z.B. in der letzten Revue-Szene: Reinheit, Liebe, Verklärung, "Himmlisches", Glauben) werden mit der Absage an den eigenen Anspruch verknüpft. Der Erzählverlauf selbst trägt auch einen Teil zur 245

"Die große Liebe", Illustrierter Film Kurier, Nr. 3282.

201 Eingrenzung der gesellschaftlich unerwünschten Wünsche bei, indem er die Notwendigkeit des Verzichts und Aufschubs vorführt. Auf diese Weise appelliert er an den Realitätssinn der Zuschauer und Zuschauerinnen. Auch wenn die ideologische Arbeit des Films auf die Einschränkung der aktiven Wünsche zielt, bleibt die Frage, ob sie dieses Ziel erreicht, ob der Film sein "Happy End" als Lösung verkaufen kann. Lassen sich die Wünsche von Menschen auf diesen "Kuhhandel" ein, oder bleiben sie, zumindest teilweise, doch weiterhin auf ihre ursprünglichen Ziele und auf ihr Streben nach Befriedigung gerichtet? Bleibt ein Moment des Protests, der sich mit der vorgeschlagenen Harmonisierung nicht zufriedengibt? Wie dies vom Publikum empfunden wurde, läßt sich nicht nachprüfen. Im Film gibt es aber auch Hinweise auf möglicherweise gemischte Gefühle. Trotz aller Pflichtverherrlichung und Glücksverheißung am Ende bleibt Hannas Haltung mehrdeutig. Ihre Einwilligung zu den Bedingungen, die der Krieg stellt, könnte eher als ein zähneknirschendes Kapitulieren vor einer Übermacht verstanden werden, statt wirklicher "Einsicht" und Begeisterung. Praktisch bleibt das Resultat - und die "Lehre" des Films - gleich. Es läuft auf eine Stillegung der Wünsche hinaus. Die Neutralisierung von Impulsen, ihre Nivellierung auf das Mittelmaß des Gegebenen, ist Ziel der ideologischen Arbeit. Damit hat der Film Die große Liebe einen Beitrag zur Herrschaftsstabilisierung im Nationalsozialismus beigesteuert.

6. Grundformen und Variationen der Ideologie in NS-Filmen

6.1. Ideologischer Grundmechanismus An zwei Beispielen habe ich versucht, die Funktionsweise eines Grundmechanismus der Ideologie im Film herauszuarbeiten. Dieser besteht in der Erwekkung, Umleitung und Wiedereingrenzung von Wünschen und Impulsen, die die ideologische Konformität in irgendeiner Weise bedrohen. Diese Umlenkung kann explizit politische Ziele verfolgen und politisch erwünschte Haltungen fördern, wie in Die große Liebe, oder eher indirekte ideologische Probleme ansprechen, wie es in Die goldene Stadt der Fall war. In beiden Filmen setzt die ideologische Arbeit an persönlichen Wünschen nach Glück und an Vorstellungen über die eigene Identität, und dabei nicht zuletzt über die eigene Geschlechterrolle, an. In den beiden Analysen habe ich das Ziel verfolgt, nachzuweisen, daß diese ideologische Arbeit sich nicht nur in Inhalten äußert, sondern die Filme bis in die Feinheiten der Form und Struktur bestimmt. Die große Liebe und Die goldene Stadt zeigten sich, trotz konkreter Unterschiede zwischen den Filmen und unterschiedlicher Schwerpunkte der Analysen, gerade in der Art ihrer Manipulation von Wünschen relativ ähnlich. Die Filme haben auch sonst einige Gemeinsamkeiten: beide wenden sich an ein vorwiegend weibliches Publikum, stellen ein Frauenschicksal in den Mittelpunkt und benutzen melodramatische Formelemente. Es stellt sich die Frage, wieweit sie als typisch für Gesamttendenzen gelten können, und inwieweit sie Sonderfälle sind - bedingt durch Genre-Merkmale, Ziel-Publikum, spezifische Einzelmerkmale der Filme etc. Die große Popularität der Filme ist ein Beleg für eine gewisse Repräsentativität der Filme. Es muß aber noch gefragt werden, wo sie im Gesamtspektrum der Filme des "Dritten Reichs" zu situieren wären. Denn die Filme im Nationalsozialismus waren keineswegs homogen und gleichmäßig, trotz der politischen und wirtschaftlichen Kontrollmechanismen. Die Streubreite der Filme und der ideologischen Formen in den Filmen soll noch in Betracht gezogen werden. Erst dann wird sich zeigen, wieweit der Mechanismus, den ich aufgezeigt habe, typisch ist. Auch soll sich dann herausstellen, ob und in welchen Formen er sich in unterschiedlichen Filmen und Genres auffinden läßt. In diesem Kapitel will ich also eine Übersicht über Tendenzen in den Filmen des Nationalsozialismus überhaupt geben. Eine Aneinanderreihung von

203 Titeln und Kurzbeschreibungen, wie man sie oft in der Filmgeschichtsschreibung findet, wäre hier relativ nutzlos. Die ideologischen Formen, auf die es mir ankommt, finden sich eher in den Unterstrukturen der Form als auf der Ebene der Themen und des Stoffs. Deshalb und damit ich auf die einzelnen Filme etwas näher eingehen kann, will ich auch hier von einer kleinen Anzahl Stichproben ausgehen, von Filmen, die die wichtigsten Tendenzen repräsentieren. Die dominanten Richtungen, aber auch Extreme, die die Spannbreite und die Grenzen andeuten, sollen sichtbar werden. Ich trenne drei Gruppen von Filmen - teilweise nach Genre-Merkmalen, eher aber noch nach der Art der emotionalen Appelle und nach Zielgruppen. Das Melodram ist hauptsächlich auf ein weibliches Publikum orientiert und beschäftigt sich in erster Linie mit Liebe, Familie und der Problematik der weiblichen Identität. Verschiedene Formen von ernsten und dramatischen Filmen wandten sich eher ans männliche Publikum: Abenteuerfilme, Kriegsfilme, historische Filme und Biographien. Die "heiteren" Filme - Komödien, Musikfilme etc. - benutzten andere Mittel und waren hinsichtlich ihres Publikums tendenziell weniger geschlechtsspezifisch ausgerichtet. Beispiele aus diesen drei Gruppen sollen zeigen, welche Arten von Wünschen die Filme ansprachen, wie unterschiedlich sie damit umgingen, welche gesellschaftlichen und kulturellen Probleme verarbeitet wurden und welche Kompensationen und Identifikationsmöglichkeiten sie angeboten haben.

6.2. Melodramatische Frauenfilme Das Melodram wird sehr unterschiedlich eingeschätzt. Wie die Liebesromanzen, Frauenromane und Theaterstücke, mit denen es verwandt ist, wurde das Filmmelodram lange als Kitsch, als niedere Form, als formelhaft, stereotyp und pathetisch abgetan. Insbesondere seine starke emotionale Wirkung wurde verdammt. Es galt als affirmativ und unkritisch. Sowohl der Stoff - Liebe, Ehe, Familie - als auch die gefühlsbetonte, distanz-verringernde Erzählweise brachten diese Gattung den Vorwurf der Trivialität ein. Seit den siebziger Jahren hat das Filmmelodram teilweise eine Umdeutung erfahren. Bereits in einem wichtigen Artikel im Oktober 1969 hatten die Herausgeber der Cahiers du Cinéma eine differenzierte Kategorisierung der Formen der Ideologie im Film aufgestellt, die über eine Einordnung nach politischen Inhalten hinausging.1 In diesem Zusammenhang ist es hauptsächlich deren Kategorie "(e)", die interessant und einflußreich ist. Damit bezeichnen sie Filme, die scheinbar völlig in die dominante Ideologie passen, die jedoch in 1

Jean-Luc Comolli/Jean Narboni, "Cinema/Ideologie/Criticism", in: Nichols 1976,23-30.

204 sich widersprüchlich seien und die Ideologie von innen demontieren. Solche Filme, die in Inhalt und Standpunkt keineswegs progressiv sein müssen, legen vor allem durch ihre Form die Brüche und Widersprüche der Ideologie offen. Sie seien voll innerer Spannungen und Widersprüche; "An internal criticism is taking place which cracks the film apart at the seams."2 In der Anwendung dieses Ansatzes auf Melodramen entdeckten Kritiker "subversive" Momente unterhalb der sentimentalen Oberfläche mancher Filme, vor allem bei Sirk und in den "Women's Films" der vierziger Jahre.3 So wird öfter behauptet, Sirk benutze die stereotype Form des Melodrams, um sie gegen den Strich zu bürsten und dadurch ihre eigene Ideologie zu entlarven. Seine amerikanischen Filme würden die Hohlheit, die versteckte Gewalt und die Unterdrückung bloßlegen, die in der Familie und der kleinstädtischen Gesellschaft - den wesentlichen Themenkreise seiner Filme - vorherrschen. Hollywoods "Frauenfilme" werden meistens ambivalenter und weniger positiv bewertet, aber es werden Formen einer verdrängten, unterdrückten weiblichen Subjektivität darin entdeckt, die zumindest die wirklichen inneren Widersprüche der patriarchalischen Gesellschaft zeigen. So wird das Melodram teilweise "rehabilitiert" oder wenigstens in den Mittelpunkt der Diskussion gerückt. Das bezieht sich jedoch hauptsächlich auf die amerikanischen Filme der vierziger und fünfziger Jahre; die deutschen Melodramen der NS-Zeit sind noch relativ wenig diskutiert worden.4 Soweit die Melodramen des Nationalsozialismus überhaupt beachtet worden sind, wurden sie meistens entweder als völlig unpolitisch betrachtet oder pauschal verdammt. Ein Artikel von P. Cadars über das Nazi-Melodram vertritt diese zweite Richtung. Cadars stellt das Filmmelodram überhaupt unter die Anklage, in seiner ideologischen Funktion zutiefst "suspekt" zu sein. Sein Fazit über die Filme im Nationalsozialismus: "Le mélodrame n'y est jamais innocent."5 Die Filme verteidigen immer die gegebene Ordnung, unterbinden politische Reflexion und fördern Unterordnung: "[...] le mélodrame diffuse une morale de la résignation à les forces supérieures qui n'ést pas si éloignée de la politique de soumission que suppose toute dictature."6 Meine Analysen von Die große Liebe und Die goldene Stadt scheinen diese Thesen von Cadars zumindest teilweise zu unterstützen. Ich habe besonders auf die Tendenzen in den Filmen hingewiesen, die auf vor-politische Haltungen 2 3

4

5 6

Comolli/Narboni, 27. S. z.B. Thomas Elsaesser, "Tales of Sound and Fury: Observations on the Family Melodrama", in: Nichols 1985, 165-189, Nowell-Smith 1977, Mulvey 1977, Gledhill 1987, Doane 1988, sowie Screen, Bd. 18, Nr. 2, Sommer 1977 und Bd. 29, Nr. 3, Sommer 1988. Die Artikel in Frauen und Film, Heft 44/45, Oktober 1988, bilden eine Ausnahme. Auch manche Filme von Sierck/Sirk sind hervorgehoben worden - s. Biette 1978, Bley 1981, Combs 1978, Koch 1988, Masson 1982, Ménil 1983, Pithon 1978, Pulleine 1979. Cadars 1979,71. Cadars 1979,71.

205 zielen und so ideologische Konformität fördern. Ich habe aber auch behauptet, daß die Filme, um dies zu bewirken, erst Wünsche und Impulse ansprechen müssen, die zumindest latent über die Grenzen der bestehenden Ideologie hinausweisen. Die ideologische Wirkung zielt ja gerade darauf, diese Wünsche wieder zu integrieren. Hier zeigt sich dann die mögliche Ambivalenz der Filme bzw. die Möglichkeit einer anderen Rezeption. Es stellt sich die Frage, ob die ideologische Eingrenzung und Integration immer gelingt, wie Cadars es beschreibt. Oder lassen möglicherweise auch diese Filme selbst die angesprochenen Widersprüche offen, wie Cahiers du Cinéma dies bei einigen Filmen findet? Allgemein wird die potentielle kritische Funktion des Melodramas, soweit eine solche eingeräumt wird, in der Offenlegung und dem Sichtbarmachen von Brüchen und Konflikten in der ideologischen Ordnung lokalisiert, nicht in einer Kritik von außen. Gibt es solche Tendenzen auch im NS-Film? Inwieweit kann die Ideologie die realen Brüche zukitten, und verfolgen alle Filme diese ideologische Intention? Eine pauschale Antwort auf diese Fragen wird es nicht geben. Auch im geregelten und verordneten NS-Film gab es ein Spektrum von Möglichkeiten. Die goldene Stadt und Die große Liebe sind Beispiele, die in etwa in der Mitte liegen. Zusätzlich zu den bisherigen Beispielen sollen nun drei Filme besprochen werden, die die Spanne bei den Melodramen andeuten. Mutterliebe (1939, Regie Gustav Ucicky, Drehbuch Gerhard Menzel) ist ein Film, der die propagandistische Aufgabe übernehmen sollte, ein Bild der Frau als einer aufopferungsvollen Mutter zu verbreiten. Am Fall von La Habanera (1937) läßt sich prüfen, ob die subversive Qualität, die den Filmen von Douglas Sirk zugeschrieben wird, bei den Filmen zu finden ist, die er schon als Detlef Sierck in Deutschland drehte. Helmut Käutners Romanze in Moll (1943) erscheint oft als einer der wenigen Lichtblicke im Nazi-Film und als ein Film, der sich zumindest ästhetisch gegen die herrschende Strömung stemmen konnte.

6.2.1. Mutterliebe Die Geschichte einer Mutter, die nur an ihre Kinder denkt und aufopferungsvoll nur für sie lebt, erscheint nicht nur geeignet, auf melodramatische Art Ströme von Tränen fließen zu lassen, sondern auch ein dem Nationalsozialismus konformes Frauenbild zu propagieren. Alle möglichen Schicksalsschläge steigern das Pathos des Films, lassen die Mutter aber unbeirrt und unerschütterlich weiter für ihre Familie sorgen. Hier folgt eine Zusammenfassung der Handlung, die dem damaligen Werbematerial entnommen ist: Das Leben der Marthe Pirlinger ist arm an Abenteuern und Sensationen. Sie ist eine junge, hübsche Frau wie tausend andere, die ihren lustigen Mann von Herzen liebt und mit ihm und

206 ihren drei Buben und einem Mädel singt und lacht. Als der immer vergnügte und etwas leichtsinnige Josef Pirlinger eines Tages vom Blitz erschlagen tot daliegt, bricht alles um die junge Frau zusammen, nur sie selbst nicht. Da sind die vier kleinen Kinder, für die es heißt, von heute ab zu sorgen. Stark und mutig nimmt Marthe Pirlinger ihr Geschick auf sich. Sie arbeitet in einer Wäscherei, die mit dem Rest des Geldes erworben wird, bis zum Zusammenbrechen, denn die Kinder müssen sauber gekleidet sein und auf die Schule geschickt werden. Die drei Jungens sind begabt. Der eine hat das leichtsinnige Temperament des Vaters, die beiden anderen sind ganz verschieden, der eine tatkräftig, zupackend, lebhaft, der andere gehemmt, zur Schwermut neigend, ohne Selbstvertrauen. Da heißt es ständig ausgleichen für die oft todmüde Mutter und es mutig ertragen, daß der eine Junge von der Höheren Schule fort muß wegen einer Rauferei, wo er - was er nie zu Hause sagen wird - eine Beleidigung der geliebten Mutter mit den Fäusten rächte, während der Bruder untätig dabeistand. Der will jetzt beweisen, daß er nicht feige ist, und setzt bewußt sein Leben aufs Spiel in einer Kraft- und Mutprobe, von der ein dauernder Schade zurückbleibt. So gehen die Jahre dahin. Die Kinder sind herangewachsen. Die Franzi ist beim Ballett und hat Erfolg, der Walter ist ein begabter Musiker, gerät aber auf die abschüssige Bahn, Felix hilft der Mutter im Geschäft, das jetzt fest und sicher dasteht. Paul hat sein Studium aufgeben müssen und ist blind geworden, wohl infolge der unseligen Mutprobe von damals. Nur die ungebrochene Lebenskraft der Mutter hält den jungen Menschen aufrecht. Als er nach einer Augenoperation auf einem Auge wieder sehend wird, erfährt er, daß die Mutter ein gesundes Auge geopfert hat, um seine kranke Hornhaut zu ersetzen. Lachend vor Glück wehrt sie den Dank des zum Leben zurückgekehrten Sohnes ab, er ist ja ihr Kind. Auch Franzi findet am Herzen der Mutter Trost, als ein Mann ihr die erste Enttäuschung bereitete. So gut die Mutter ist, so gerecht ist sie auch, es gibt Dinge, in denen sie keinen Spaß versteht. Felix, der im Begriff ist, sich recht gemein gegen ein Mädel zu benehmen, das ein Kind von ihm erwartet, setzt die Mutter handgreiflich den Kopf zurecht. Mit dem Walter geht es auch nicht so einfach, sein Leichtsinn ist in Schlechtigkeit ausgeartet, und blutenden Herzens, aber unerbittlich weist ihm die Mutter die Tür. Ihr Haus muß sauber bleiben. Nach Jahren findet der verlorene Sohn wieder ins Elternhaus zurück, die Mutter hat ihm längst verziehen. Sie umhegt jetzt die Enkelkinder und sorgt für alle in stetem Geben und Verströmen ihrer Liebe. Nur an einen Menschen denkt sie nie - an sich selbst. Ihr alter Freund, der gütige Dr. Koblmüller, hätte längst gern sein Leben mit dem ihren vereint, aber dann kämen ja die Kinder zu kurz, und die sind nun einmal ihr Glück und ihr einziger Lebensinhalt.7 Ein s o l c h e s " H o h e l i e d der Mutter", ein "Film v o m H e l d e n t u m der Frau", 8 paßt eindeutig zur Frauen- und Bevölkerungspolitik der Nazis. D i e Mutter, die ihren g a n z e n Sinn in der Familie findet, die ihren ganzen Lebensinhalt in den Kindern u n d Enkelkindern sieht, sollte offensichtlich Leitbild für alle Frauen sein. D i e s e Verhaltensweise wird a m E n d e dadurch belohnt, alle L e i d e n und M ü h e n dadurch kompensiert, daß aus allen Kindern "ordentliche" M e n s c h e n g e w o r d e n sind und daß die ganze F a m i l i e sich u m die Mutter versammelt, um ihr rührend zu danken. E s ist leicht nachvollziehbar, daß der Film v o n offizieller Seite gefördert wurde. Er erhielt das Prädikat "staatspolitisch und künstlerisch b e s o n d e r s wertvoll". D i e NS-Frauenschaft führte W e r b e a k t i o n e n durch, und 7 8

Werbedienst der Deutschen Filmvertriebs-Ges. (Hrsg.), Mutterliebe, o J., o.S. Pressestimmen, entnommen aus dem Werbeheft, Ufa-Werbedienst (Hrsg.), Mutterliebe, 9, 10.

207 prominente Nazis - von lokalen Führern bis zu Gauleitern - unterstützten den Film in der Öffentlichkeit. Goebbels war bei der Premiere in Berlin anwesend. 9 Auch beim Publikum kam der Film gut an: mit 19,4 Millionen Besucher stand er auf Platz zwei in der Spielzeit 1939/40.10 Die unmittelbare Wirkung des Films besteht darin, emotionale Rührung und Mitleid zu erzeugen. Die Handlung, die als Folge von Schicksalsschlägen aufgebaut ist, trägt viel zum Pathos bei. Auf jedes kurze Moment von Glück folgt unmittelbar eine erneute Katastrophe. Die Lebensgeschichte der Frau Pirlinger stellt sich als Serie von schweren Prüfungen dar; ist ein Problem gerade gelöst, kommt schon das nächste. Dabei scheut das Melodram weder unwahrscheinliche Begebenheiten (den Blitzschlag, der Josef Pirlinger trifft) noch extrem rührselige Situationen (das Opfern eines Auges für den Sohn). Die Aufopferung und das Leiden, welche die Handlung weitgehend bestimmen, gehören in ihrer pathetischen Überhöhung gerade zum Genuß des Melodrams. Warum sollte das so sein, und welche Wünsche können dadurch erweckt werden? Dafür gibt es zwei mögliche Erklärungen: daß das Leiden einen Anspruch auf Glück ausdrückt und daß es zum Teil einer Identifikation wird.

Leiden und der Anspruch auf Glück Warum sollen Leiden und Mitleiden, warum sollen Geschichten, in denen die Erfüllung vom Glück immer wieder hinausgeschoben wird, den Zuschauern und Zuschauerinnen einen Genuß bereiten? Steve Neale ist diesen Fragen nachgegangen und bietet Antworten, die auch im Fall von Mutterliebe weiterhelfen können. 11 Melodramen seien besonders durch die Blockierung von Wunscherfüllungen gekennzeichnet - von Liebenden, die nicht zusammenkommen, von Verkennungen und Mißverständnissen, von verspäteter Erkenntnis etc.12 Bei diesen Filmen, in denen es so sehr um Wünsche und vor allem um den Wunsch nach Liebe geht, scheint die Erfüllung der Wünsche emotional weniger effektiv zu sein als deren Aufschub oder sogar deren Negierung. Daß daraus Lust entsteht, erklärt Neale aus der Phantasie der Erfüllbarkeit der Wünsche. Diese Phantasie werde gerade durch das Hinauszögern der Befriedigung aufrechterhalten und gesteigert. Die Phantasie und der Anspruch auf Befriedigung werden durch die Blockierung intensiviert und können dadurch weiterhin auf der Möglichkeit einer völligen Befriedigung bestehen, die in der Realität nicht gegeben ist. Eine im Film vorgeführte Erfüllung eines besonderen Wunsches 9 10 11 12

Ufa-Werbedienst (Hrsg.), Mutterliebe, 1,8. Das deutsche Filmschaffen im vierten Kriegsjahr. Neale 1986. Neale 1986,12.

208 bringe zwar eine Befriedigung, bedeute dagegen aber auch den Verlust des Wunsches. Die Nicht-Erfüllung erlaube paradoxerweise die Aufrechterhaltung des Anspruchs auf Befriedigung, zumindest in der Phantasie. 13 Welche Wünsche durch den Film Mutterliebe angesprochen werden, hängt unter anderem von der Zuschauerperspektive und der Aufteilung der Identifikation ab. Einerseits wird der Wunsch des Kindes nach der unbegrenzten Liebe der Mutter aktiviert, andererseits der Wunsch, daß die Liebe der Mutter entsprechend belohnt werde. Das Bild der Mutter im Film entspricht im wesentlichen der kindlichen (Wunsch-)Vorstellung der stets umsorgenden Mutter, die dem Kind unbegrenzte Liebe entgegenbringt. Auf dieser Seite ist der Film wenig melodramatisch, da er die Wunscherfüllung gerade nicht zurückhält, sondern ständig vorführt. Die Phantasie wird richtig ausgemalt: der Vater wird vom Blitz eliminiert, die Mutter lebt allein für die Kinder und verzichtet auf jegliches eigene Glück. An einigen Stellen wird diese Vorstellung durchbrochen, da auch gezeigt wird, daß diese Mutterliebe völlig vereinnahmend sein kann und die Kinder zu erdrücken droht. Diese Vorstellungen einer übermächtigen, erstickenden Mutter, die auch noch unangreifbar ist, da sie immer recht hat und aus Liebe handelt, können leicht Wut und Angst hervorrufen. Diese Emotionen können keinen Ausdruck finden, weil sie sofort durch Schuldgefühle blockiert werden.14 Solche negativen, angstbeladenen Vorstellungen werden im Film schnell wieder verdrängt, indem die Geschichte zeigt, daß die Mutter dabei recht hat und ihr Handeln zum Besten der Kinder ist. So wird insgesamt ein eher positives Bild der Mutter als Spender von uneingeschränkter und bedingungsloser Liebe vorgeführt. Diese kindliche Vorstellung unterstützt die Festlegung der Frau auf die Mutterrolle im Film. Soweit sich die Phantasie aber an der Mutter orientiert, werden eher Wünsche nach der Belohnung der Mutterliebe - vor allem durch Gegenliebe - aktiviert. In dieser Hinsicht wirkt der Film um so melodramatischer: die gute Frau rackert sich ab, erleidet aber einen Schicksalsschlag nach dem anderen. Hat sie die Kinder endlich aufgezogen, erntet sie zunächst nur deren Undankbarkeit und muß feststellen, daß sie "auf die schiefe Bahn geraten sind". Erst ganz zum Schluß bekommt sie den Dank und die Zufriedenheit, die ihr zukommen sollten. Der Wunsch, Gegenliebe als Antwort auf die eigenen Liebesangebote zu bekommen, der Wunsch nach Gerechtigkeit, Wünsche nach Harmonie - all diese Wünsche werden lange hingehalten, bis ein Bild ihrer Befriedigung geboten wird. So werden sie durch das Pathos des Films intensiviert, und am Schluß 13 14

Neale 1986,20-22. Gerade solche verdrängten Gefühle bilden ein recht explosives Potential, wenn sie keine Möglichkeit der Äußerung oder Verarbeitung finden. Der Film Mutterliebe intensiviert sie eher, als daß er sie produktiv verarbeitet.

209 kann der Film die Richtigkeit der Wünsche und der Mutterrolle als Weg der Erfüllung ideologisch bestätigen. Die Überhöhung dieser Wünsche bewirkt auch eine relative Verkleinerung der anderen Wünsche, z.B. nach eigener Liebesbefriedigung, die fürs Mutterglück geopfert werden. Ähnlich wie in Die große Liebe, aber noch krasser, werden hier Verzicht und Aufschub als der Weg zum "höheren" Glück angepriesen; die melodramatischen Blockierungen der Erfüllung unterstützen diese Tendenz. Leiden als Identitätsgewinn Eine andere Erklärung des positiven Effekts des Leidens ist, daß sie als Steigerung des Selbstgefühls dargestellt wird. Leiden und Durchhalten bringen starke Erlebnisse und emotionale Intensität, vor allem aber eine Stärkung der eigenen Identität. Wenn man die glückliche, aber kurze Idylle am Anfang des Films mit dem Rest der Handlung vergleicht, so erscheint dieser, wenn auch mit Verzicht und Leiden erkauft, doch einen großen Gewinn an eigener Persönlichkeitsstärke, eigener Leistung und eigenem Leben zu bringen. Da es um ein Frauenschicksal geht, nimmt die Handlung den Umweg über ein Leben für andere als Möglichkeit für die Figur, sie selbst zu werden. So erhält die Figur der Mutter eine tiefe Ambiguität. Sie denkt scheinbar nie an sich selbst, steht aber immer im Mittelpunkt der Handlung und des Lebens der anderen Figuren.15 Sie scheint auf jedes eigene Glück zu verzichten.16 Auch verzichtet sie auf eine Heirat mit Koblmüller, der ihr jahrelang vergeblich den Hof macht. Andererseits behält sie gerade auf diese Art ihre Selbständigkeit, kann eine eigene Existenz aufbauen und hat auch eine sehr starke Position in der Familie; sie ist es, die im Geschäft und mit ihren Kindern das Sagen hat. So kann der Film nicht nur das konventionelle Mutterbild propagieren, sondern zugleich abweichende Wünsche nach Autonomie einbinden. Andrea Huemer sieht im Film eine Modifikation des bisherigen Frauenbilds in der NS-Gesellschaft und eine Anpassung an die kommenden Anforderungen, die der Krieg an die Frauen stellen würde.17 Die Eigenständigkeit der Figur wird aber ständig ideologisch neutralisiert durch ihre Versagung, direkt eigene Anforderungen zu stellen. Der Umweg über den Dienst an anderen scheint in diesem ideologischen Diskurs eine notwendige Bedingung zu sein, um eigene Wünsche auszudrücken.

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Paradigmatisch ist der Witz der Schlußszene, in der sie erschrickt, als sie glaubt, dreizehn Tischgäste zu haben, wobei sie aber "selbstverständlich" vergessen hat, sich selbst zu zählen. Als Paul bei seiner Mutprobe verletzt wird, macht sie sich Vorwürfe: "An mich hab' ich gedacht, in die Oper wollt' ich gehen, dann mußte so was passieren." Huemer 1985,160.

210 Die passive Seite der Figur wird betont, und die aktive kann sich nur indirekt in einem Leben für andere äußern, was allerdings der Mutter eine nicht unerhebliche Macht über sie verleiht. Diese Seite der Frau muß offenbar ausgeglichen werden durch Opfer und stilles Leiden. Sofern der Film damit zur Identifikation einlädt - und das tut er - ist er ein weiteres Beispiel für die Tendenz, die Doane generell in "Frauenfilmen" feststellt: masochistische Phantasie als Ersatz für Sexualität oder eine aktive Subjektivität.18 Die Lust am Leiden kann die Nicht-Realisierbarkeit der Wünsche bzw. ihre Umformung in passivere Formen kompensieren. Damit wird sowohl den Anforderungen des ideologischen Diskurses als auch den Ansprüchen derjenigen Anteile der Wünsche, die darüber hinaus wollen, Genüge getan. Sogar der Verzicht auf ein "eigenes" Glück kann damit in eine Art von Befriedigung umgedeutet werden. Damit wäre die Hauptrichtung der ideologischen Umleitung der Wünsche in Mutterliebe bezeichnet, welche die Basis für die direktere propagandistische Intention des Films - das Bild der Frau als Mutter zu verkaufen - bildet.

622. La Habanera Hauptattraktion am Film La Habanera (1937) dürfte wohl Zarah Leander gewesen sein, die mit ihrem ersten deutschen Film Zu neuen Ufern, auch unter der Regie von Detlef Sierck, kurz zuvor eine spektakuläre Beliebtheit beim Publikum erreicht hatte. Vor allem das im Filmtitel erwähnte Lied gab ihr hier wieder Gelegenheit, ihre faszinierende Stimme vorzuführen: "[...] von sinnlichem Glanz ist der tiefe Cello-Ton ihrer Stimme, wenn sie die Habanera ... singt."19 Die Rolle in La Habanera ließ sie hauptsächlich die melancholisch leidende Frau spielen, gab aber für kurze Momente auch leidenschaftlichere Gefühle frei. Für die neuere Filmkritik ist es eher der Regisseur Sirk/Sierck, der interessant ist. Nachdem in den siebziger Jahren die Filmwissenschaft und Fassbinder Sirk entdeckten und ihn zum führenden "Autorenfilmer" des bisher vernachlässigten amerikanischen Melodrams deklarierten, zeigte sich auch ein gewisses Interesse an seinen deutschen Filmen,20 die meist auch anerkennend beurteilt wurden. Die positive Deutung seiner Filme, der deutschen wie der amerikanischen, ist neuerdings von Gertrud Koch scharf in Frage gestellt worden. 21 Anhand von La Habanera werden beide Positionen zu überprüfen sein, sofern 18 19 20

21

Doane 1988,16ff. W. Miltner, 12-Uhr Blatt, 8. Februar 1939, zit. in Romani 1982,88. Neben den beiden bisher erwähnten waren es noch April, April (1935), Das Mädchen vom Moorhof (1935), Stützen der Gesellschaft (1935), Das Hojkonzert (1936), Schlußakkord (1936). Koch 1988.

211 sie sich auf die ideologische Funktion des Films beziehen. Im Zusammenhang mit Ideologie fällt der Drehbuchautor Gerhard Menzel auf, der auch das Drehbuch für Mutterliebe schrieb. Er war, meistens gemeinsam mit dem Regisseur Gustav Ucicky, verantwortlich für eine ganze Reihe von Filmen im "Dritten Reich". Er schrieb die Szenarien für verschiedene Filme, z.B. die PuschkinBearbeitung Der Postmeister (1940, mit Hilde Krahl und Heinrich George) und propagandistische Filme wie Wien 1910 (1942-43, über Dr. Karl Lueger), Morgenrot (1933, U-Bootkrieg) oder Heimkehr (1941, mit Paula Wessely), ein stark diffamierender, anti-polnischer Film um das Schicksal von "Volksdeutschen", den Drewniak "den schmutzigsten Spielfilm der ganzen NS-Zeit" nennt. 22 So überrascht es keineswegs, wenn sich einige Beispiele für nationalsozialistische Begrifflichkeit und Denkweisen im Film La Habanera finden lassen. Der Film erzählt die Geschichte einer jungen Schwedin, Astr6e Sternhjelm (Zarah Leander), die auf einer Reise nach Puerto Rico kommt. Sie wird von der auf sie exotisch und lebensfroh wirkende Insel, von der "Habanera" und vom attraktiven Don Pedro de Avila (Ferdinand Marian) stark angezogen. Deshalb läuft sie vom gerade ablegenden Schiff wieder hinunter, um dort zu bleiben. Zehn Jahre später ist sie die melancholische und desillusionierte Frau des Don Pedro, die sich in die fremde Welt nicht einleben konnte (oder nicht wollte). Sie singt ihrem strohblonden Sohn Lieder vom Schnee vor und spielt mit ihm Schlittenfahren. Mit ihrem Mann, der ihr Vorwürfe macht, sie habe ihm seinen Sohn entfremdet, verbindet sie nichts mehr. Ihre Jugendliebe, der Arzt Dr. Sven Nagel, kommt auf die Insel, um eine Fieber-Epidemie zu bekämpfen. Don Pedro und die anderen puertoricanischen Führer versuchen aus selbstsüchtigen Gründen, diese Arbeit zu verhindern und die Epidemie zu vertuschen. Sie befürchten wirtschaftliche Nachteile, sollte die Krankheit publik werden und dem Ruf der Insel schaden. Trotzdem gelingt es dem Arzt, heimlich zu forschen und ein Mittel gegen das Fieber zu entdecken. Astree und Sven treffen sich auf einer Feier bei ihr zu Hause wieder; er redet ihr zu, mit ihm nach Schweden zurückzukehren. Um ihren eifersüchtigen Mann zu beschwichtigen, gibt sie sich ganz spanisch und trägt die "Habanera" vor. Don Pedro ist vom Fieber angesteckt und stirbt, da er die Zerstörung des Versuchsmaterials von Nagel - und damit des Heilmittels - angeordnet hatte. Danach können Astree und ihr Sohn zusammen mit Nagel nach Schweden abfahren. Zur Gedankenwelt des Nationalsozialismus scheinen bei dieser sentimentalen Geschichte vor allem die Art der "Kapitalismus-Kritik", die ausgeprägte Nord-Süd-Dichotomie und die Geschichte um eine Rückkehr in die "Heimat" gut zu passen.

22

Drewniak 1987, 320.

212 Die Handlung um die Machenschaften Don Pedros und der anderen Machthabera illustriert, wie Geld- und Machtinteressen über das Leben anderer Menschen gestellt werden. So kann eine gesellschaftskritische, antikapitalistische Richtung im Film gesehen werden. Sie bewegt sich allerdings in etwa auf der gleichen Ebene wie der antisemitische "Antikapitalismus" der Nazis: gezeigt wird, daß das Übel aus der Geld- und Machtgier einer kleinen, korrupten, verschwörerischen Clique entsteht. Noch nähere Parallelen entstehen durch die Assoziation der puertoricanischen Korruption mit der Ausbreitung einer Krankheit. 23 Die Rede des Arztes über die Bakterien rückt den Film in die Nähe der Nazi-Rhetorik: "Ach, es ist doch ein edles Gefühl, mein Junge, so einer Spezies von Mördern auf die Spur zu kommen und sich das Mittel zu verschaffen, diesen Biestern endgültig den Garaus zu machen." La Habanera legt diese Assoziation nirgends explizit offen; sie gehört aber zum diskursiven Kontext des Nationalsozialismus und zu den dadurch geleiteten Denkweisen. Der gesellschaftskritische Impuls im Film wird dadurch, mild ausgedrückt, zwiespältig. Daß es "Südländer" sind, die falsch, eigennützig, verschwörerisch u.s.w. sind, während der "nordische" Held, trotz Gefahr und Widerständen, geradlinig und unerschrocken auf die Suche nach der Wahrheit geht und der Allgemeinheit dient, paßt auch bruchlos zu nationalsozialistischen Vorstellungen. Die Dichotomie von Nord/Süd wird von Anfang an unübersehbar aufgestellt. Besonders dick aufgetragen ist der Kontrast zwischen den steifen, unkleidsam und farblos ausstaffierten Schwedinnen (sogar mit Tropenhelmen) und den singenden, tanzenden, lebhaften und leidenschaftlichen Puertoricanern in der ersten Szene. Im Dialog zwischen Astrde und ihrer Tante, die sie auf der Reise begleitet, wird die Gegenüberstellung von Tropen und Norden, Schwüle und Kälte, Leidenschaft und Anstand nochmals überdeutlich gemacht. Dieser Kontrast bildet die zentrale Struktur des gesamten Films: zunächst als Begründung für Astr6es Entscheidung, dort zu bleiben, und dann umgekehrt für ihre Sehnsucht nach Schweden. Am krassesten gezeichnet sind die Szenen mit Astr6e und ihrem Sohn, diesem übernordischen Kind, dem sie bei tropischer Wärme irgendwie den Wunsch nach einem Leben im Schnee und Eis eingebleut hat. Daß das angeblich heitere "südliche" Leben Astr6e fremd bleibt (sie sagt: "Ich dachte, es wäre das Paradies, es ist die Hölle."), soll den Wert der Heimat verdeutlichen. Dieses Gedankenmuster - alle sollen da bleiben, wo sie "hingehören" - findet sich im Nationalsozialismus immer wieder, u.a. auf Nationen, auf Stadt und Land und auf soziale Stellungen bezogen. Wenn die Geschichte auf diese Weise durchaus ideologiekonform zu sein scheint, so lassen sich doch auch gegenläufige Tendenzen im Film finden, die

-jx



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Vgl. die Epidemie- und Ungeziefer-Metaphorik im Film Der ewige Jude.

213 Beispiele dafür abgeben, daß "Sierck diese Geschichte gegen den Strich bürstet".24 Das "Unhappy Happy-End" ist ein Mittel, das Sirk in vielen Filmen anwendet.25 Auch in La Habanera bleibt der Schluß zwiespältig: die Lösung der Konflikte ist zwar erreicht, als Astr6e ihre lang ersehnte Rückreise antritt, "aber schon auf dem Schiff sehnt sie sich zurück nach dem verdammten Inselreich und seiner ewigen Habanera, die ihr zuvor ein Brechmittel war".26 Der Schluß, mit dem Titellied untermalt, zieht sich sehr lange hin und zeigt, wie Astr6e an der Reling steht und wehmütig zurückschaut, bis sie sich widerwillig von Sven wegführen läßt. Die Erfüllung ihres Wunsches scheint nichts anderes zu bewirken, als die alten Sehnsüchte wieder zu erwecken. Ob der schwedische Schnee - und die künftige Verbindung mit Sven Nagel - ihr mehr Glück bringen wird als die puertoricanische Sonne, kann also durchaus angezweifelt werden. Die Sehnsucht nach Leben, Freude und Befriedigung, die eine zentrale Rolle in der Wunschökonomie des Films spielt, wird resignativ beantwortet: "Das Paradies ist die Hölle". Am Ende wird die Sehnsucht aber auf ambivalente Weise als Phantasie und Wunsch aufrechterhalten. Die Hauptfiguren werden nicht erst zum Schluß, sondern durchgängig ambivalent gezeichnet. Don Pedro, obwohl er in mancherlei Hinsicht ein Schurke ist und von Ferdinand Marian entsprechend dämonisch dargestellt wird, wirkt in vielen seiner Handlungen und Gefühle verständlich und sympathisch. Seine Vorwürfe an Astrie wegen der Erziehung seines Sohnes sind nicht unberechtigt. Am Zustand der Ehe und an ihrem Unglück scheint sie selbst stark beteiligt zu sein - wie es zu dieser Situation gekommen ist, wird allerdings vom Film übersprungen. Astr6e ist zwar der zentrale Sympathie- und Identifikationsträger, sie bleibt aber auch eine durchaus ambivalente Figur, "so daß man zwischendurch immer wieder die Wut auf diese singende Spinatwachtel kriegt, die dauernd nach dem Schnee jammert, der in den Tropen nicht zu haben ist".27 Die Ambivalenz der Figur kommt Zarah Leander zugute, denn sie erlaubt ihr, einerseits in Melancholie zu schwelgen, andererseits in exotischer Aufmachung ihre "schwül-romantische" Habanera "Der Wind hat mir ein Lied erzählt..." zu singen. Solche Brechungen der Figuren und eine insgesamt ironische Erzählweise werden häufig in der Diskussion von Sirks Filmen hervorgehoben.28 Auch La Habanera ist durchsetzt von Szenen und Motiven, die man ironisch verstehen kann. Die vielen Übertreibungen, überzogenen Klischees, Unwahrscheinlichkei24 25 26 27 28

Sanders-Brahms 1981,170. Brandlmeier 1987,11. Sanders-Brahms 1981,170. Sanders-Brahms 1981,171. S. z.B. Brown 1981, Brandlmeier 1987 und Mulvey 1977.

214 ten, krassen Kontraste u.s.w. können absurd und parodistisch wirken. Eine vielleicht ironische Künstlichkeit ist in Aspekten der Kameraführung, der LichtSchatten-Effekte, der Schauspielerführung und der Ausstattung und Räumlichkeit zu finden. Ob dadurch ein Distanzierungseffekt erzielt wurde, bleibt aber fraglich. Wenn man andere - zweifellos ernst gemeinte und so verstandene Filme der NS-Zeit in Betracht zieht, findet man mehr als genug Übertreibungen und Klischees, die wohl kaum den mitfühlenden Genuß gemindert haben. Die Ironie im Film - und sie war wohl von Sierck intendiert - ist sehr auf die Voreinstellungen und die Wahrnehmungsbereitschaft des Publikums angewiesen. Gertrud Koch hat den Vorwurf erhoben, diese Art Ironie privilegiere eine elitäre Vorstellung von einem idealen Publikum über das tatsächliche Massenpublikum, das im Kino weinen und sich identifizieren will.29 Diese Kritik trifft bestimmt einen wahren Sachverhalt, bleibt aber einseitig. Kochs eher vernichtende Kritik an Sirk, die vor allem die Kongruenz zwischen Aspekten der NS-Ideologie und der Zeichnung der Frauenbilder in den Filmen betont, ist nicht von der Hand zu weisen. Andererseits negiert sie die Möglichkeit einer von den Ambiguitäten des Films ausgehenden, alternativen Rezeptionsweise. Hier fällt Koch hinter den Ansatz, den sie im Aufsatz "Warum Frauen ins Männerkino gehen..." entwickelte,30 zurück, indem sie die interne Widersprüchlichkeit der Ideologie vernachlässigt. Diese Widersprüchlichkeit ist aber in La Habanera vorhanden und ist da ausgeprägter und eher sichtbar als in den meisten Filmen des Nationalsozialismus. Dadurch wird der Film zwar noch nicht unbedingt progressiv oder kritisch, er hält aber vielleicht die Erinnerung an nicht erfüllte Wünsche wach, an das, was die gegebene Realität nicht bietet. Die ideologische Strategie in der Handlungsstruktur strebt die Austreibung der erotischen Wünsche (der Frau) an, ihre Stillegung in melancholischer Resignation. Auch hier gilt: "[D]ie Wiedergeburt der Mutter ist der Tod der sexuellen Frau." 31 Das Bild der Mutterschaft erscheint jedoch in diesem Film kaum attraktiver oder "gesünder" als das der Erotik, auch wenn diese als "schwül" oder "krankhaft" denunziert wird. Die nicht ausgelebte oder nicht auslebbare Erotik der Astrde ist kanalisiert in die pervers enge Beziehung zum Kind. Beide sind dadurch von der Realität abgeschottet; sie flüchten in Träumen vom kalten Schnee und leben in klaustrophobischen Räumen, die in den Bildern spinnwebenartig oder vergittert eingeschlossen erscheinen. Daraus läßt sich kaum ein über alles erhabene Mutterbild konstruieren, wie Mutterliebe es versucht. Die Fixierung der erotischen Frau in den Bildern Siercks, die Koch als Beispiel einer sadistischen und autoritären

29 30 31

Koch 1988,116. Koch 1989,125-136. Koch 1988,122.

215 Blickdramaturgie anführt,32 lassen sich auch als Anklage gegen diese Einschränkung verstehen. Dies setzt jedoch eine bereits kritische Distanzierung der Zuschauer und Zuschauerinnen gegenüber den gängigen Frauenbildern voraus. Ob der Film von sich aus eine solche kritische Haltung erzeugen konnte, bleibt zweifelhaft. Damit ist nicht nur eine Ambiguität des Films, sondern auch eine grundlegende Eingrenzung des Films im Nationalsozialismus bezeichnet.

6.2.3. Romanze in Moll Vor allem aufgrund der Filme Romanze in Moll, Große Freiheit Nr. 7 und Unter den Brücken wird Helmut Käutner als einer der wenigen Regisseure angesehen, die im "Dritten Reich" künstlerisch wertvolle Filme drehten und sich relativ wenig den Anforderungen der Propaganda unterstellten. Ganz der Politik entziehen konnte sich jedoch niemand. Im Nationalsozialismus bekam jede kulturelle Äußerung eine Funktion und eine politische Bedeutung, gewollt oder ungewollt. So auch Romanze in Moll: der Film sollte Liberalität vortäuschen und so für das Regime apologetisch wirken, vor allem gegenüber dem Ausland.33 Daher mußte er wie jeder Film, der im Nationalsozialismus überhaupt gedreht werden konnte, zumindest als "Alibi des Systems" funktionieren.34 Das ist fast eine Binsenweisheit angesichts der politischen Kontrolle des Films durch die Nazis, die jegliche politische Opposition im Film effektiv und brutal unterbinden konnten. Daraus kann man aber nicht schließen, daß eine genauere Untersuchung der konkreten Filme und ihre ideologischen Funktionen unnötig wäre.35 Im Kontext meiner Arbeit und meiner Definition der Ideologie kann es aber auch nicht darum gehen, etwa einige "unpolitische" Filme als ideologiefrei darzustellen. Im Nationalsozialismus hatte jeder Film eine ideologische Funktion - aber das gilt schließlich für jeden Film in jeder Gesellschaft, wenn auch nicht in einem so schrecklichen historischen Zusammenhang. Es geht nicht darum, für diesen oder jenen Film einen "Persilschein" auszustellen oder sich über einen anderen moralisch zu entrüsten; bei manchen NS-Filmen ist das eine natürliche Reaktion, die aber zum Verstehen nicht beiträgt.36 Vielmehr bleibt die Frage, wie Ideologie in der einen und der anderen Sorte von NS-Filmen und 32 33 34 35

36

Koch 1988,117,121. Laut Theo Fürstenau, zitiert in Friedman 1987,54. Friedman 1987,50. Diese Absicht will ich Friedman keinesfalls unterstellen; ihre detaillierte Analyse von Romanze in Moll beweist das Gegenteil. Das zeigen Hoffmanns Ausführungen zu Der ewige Jude (1988,166). Auch abgesehen von der bedenklichen Rhetorik bleibt es eine letztlich hilflose Geste, gegen "menschliche[n] Abschaum" und ein "Teufelswerk" zu wettern.

216

in den Filmen unserer Zeit funktioniert. Um das zu erkennen, müssen sowohl Ähnlichkeiten als auch Unterschiede zwischen den Filmen wahrgenommen werden. Romanze in Moll sticht deutlich aus der Masse der NS-Filme hervor. Bei diesem Film liegt das nicht nur an seiner düsteren Stimmung oder seiner Flucht in ein anderes Land und eine andere Zeit. So etwas hatten viele Filme zum Inhalt, ohne daß sie dadurch ihre ideologische oder propagandistische Funktion schlechter erfüllten, entweder als Ablenkung oder historische Allegorie. Direkt gegenwartsbezogene Filme waren eher die Ausnahme. Auch die melancholische Traurigkeit, die in Romanze in Moll einen Rückzug in die private Gefühlswelt zu markieren scheint, ist besonders in den letzten Kriegsjahren gar nicht so selten. Sie entspricht zwar nicht der von Goebbels geforderten guten Laune, konnte aber eine wichtige Verarbeitungsmöglichkeit für Gefühle von Trauer und Verlust sein. Solche Gefühle hatten sehr reale Ursachen und wären also durch keine Propaganda zu verhindern gewesen; Filme, die es schafften, diese Gefühle irgendwie positiv zu wenden, konnten einen wichtigen ideologischen Beitrag fürs Regime leisten, auch wenn sie dabei völlig im privaten Bereich spielten. Beispiele dafür aus dem Jahre 1944 sind u.a. die Filme Opfergang und Träumerei, die Trauer in Durchhaltewillen umzuwandeln versuchen, oder auch Die Feuerzangenbowle, dessen Komik einen Trost für die Trauer um eine verlorene Jugend bietet.

Die Handlung Madeleine (Marianne Hoppe) ist die Frau eines biederen und langweiligen, aber auf seine Art sie treu liebenden Bankangestellten (nuanciert dargestellt von Paul Dahlke). Der Komponist Michael (Ferdinand Marian) trifft sie eines Tages zufällig vor einem Juwelierladen, als sie eine teure Perlenkette bewundert. Von ihrem Lächeln angezogen und zu einer Melodie inspiriert - die Romanze des Titels -, will er ihr die Kette schenken. Sie wehrt zunächst ab, wird aber nach einer gewissen Zeit zu seiner Geliebten und findet wohl zu einer tieferen Liebe, als sie in der Ehe je erlebt hat. Aus Verpflichtung und Dankbarkeit dem Ehemann gegenüber bleibt sie aber bei ihm. Viktor, ein Bekannter von Michael, begehrt Madeleine, hält sie aber für die Frau des Komponisten. Als Viktor zum Chef der Bank wird, entdeckt er die Wahrheit und erpreßt Madeleine, damit sie sich ihm hingibt. Nach einigem Widerstand willigt sie doch ein, anscheinend um ihren Mann weiterhin vor der Wahrheit zu verschonen. Anschließend nimmt sie eine Überdosis Schlafmittel. Michael hat von der Geschichte erfahren, fordert Viktor zum Duell auf und erschießt ihn. Der Ehemann ahnt von alledem nichts; erst als er Sachen von Madeleine zur Pfandleihe

217 bringt, erfährt er, daß die Perlen echt sind, und kommt so hinter ihr Doppelleben.

Erzählung und Erzählweise Dieser chronologische Handlungsablauf stellt eine wesentliche Vereinfachung gegenüber der komplexeren Erzählstruktur des Films dar. Der Film beginnt, als ihr Mann vom Kartenspielen nach Hause kommt, mit Madeleine redet und dann erst entdeckt, daß sie sich vergiftet hat. Als er ihre Sachen beleihen will, um die ärztliche Behandlung zu bezahlen, erfährt er vom Wert der Perlen. Dann setzt eine Rückblende ein: die erste Begegnung von Madeleine und Michael. Diese Rückblende wird unterbrochen durch das Bekenntnis Michaels: "Ich habe gerade einen Menschen getötet." Als er einem Freunde dies erklärt, setzt die filmische Erzählung der Liebesgeschichte in Form einer langen Rückblende ein, die zum Teil sprunghaft und episodisch die Handlung aufrollt, bis die Gegenwart des Filmanfangs eingeholt und fortgesetzt wird. So konstruiert die Filmerzählung die Handlung, indem sie sich in der Zeit und im Wissen über die Geschehnisse und über die subjektiven Reaktionen der Figuren frei bewegt. Obwohl der Film sich melodramatischer Elemente bedient, lockert er in vielerlei Hinsicht das Muster dieses Genres erheblich auf. Wo die meisten Melodramen zum stilistischen Exzeß neigen, sei es zum Pathos wie bei Harlan oder zu (ironischen) Übertreibungen wie bei Sierck, bleibt Käutners Film beim leichten Understatement. Sicherlich sind schwere Emotionen und dramatische Musikeinsätze dabei, aber auch viele Nuancen der Gefühle und bedeutsame Feinheiten der Gesten und der Gestaltung. Die Figuren sind nicht stereotypisiert, bis auf Viktor, der ein vollendeter Schurke ist (Siegfried Breuer spielte die Rolle eines brutal-verführerischen Schurken in einer Reihe von Filmen und war, laut Werbeanweisungen des Filmverleihs, besonders "bei einem großen Teil der weiblichen Besucher sehr populär"). 37 Obwohl die kleinbürgerliche Banalität des Ehemanns betont wird, bleibt auch er eine differenzierte Figur, die glaubhaft und zum Teil sympathisch wirkt. Ebenso nimmt der Verführer Michael Konturen an, die weit über die narrative Funktion der Figur hinausgehen und zum Realismus des Films beitragen. Madeleine entgeht den melodramatischen Klischees. Sie läßt sich nicht kategorisieren - weder als "Vamp" noch als "verführte Unschuld" - und bleibt eine sehr widerspruchsvolle, also menschliche Figur. Dies wird teilweise durch die Betonung ihrer "Rätselhaftigkeit" erreicht, z.B. in den vielen Bildern ihres leicht entrückten Lächelns oder in den vielen Einstellungen, in denen sie von 37

Werbedienst der DFV, Romanze in Moll.

218 den anderen Figuren isoliert und etwas abseits erscheint. Oft wird sie fast frontal aufgenommen, klar und im scharfen Hell-Dunkel-Kontrast, also weder romantisch weich gezeichnet noch in die Blickperspektiven der Figuren integriert. So ist sie zwar Objekt des Blickes (der Kamera), jedoch wird sie kaum zum Objekt des Voyeurismus nach dem von Mulvey beschriebenen Muster.38 Madeleine bleibt immer mehr als ein Objekt; sie geht nie völlig im Blick auf. Insgesamt weicht der Film von der gewohnten Blickführung leicht ab. Die Kamera- und Zuschauerperspektiven bleiben den Figurenperspektiven relativ fern; sie halten eine gewisse Distanz zum Geschehen ein und formieren dennoch eine "allwissende" Erzählhaltung. Ungewohnter ist, daß die Kameraführung Aufmerksamkeit auf sich zieht. Am auffälligsten ist das in der Eingangssequenz, als die Kamera aus der Totalen über die Dächer und Häuser schwenkt, den Platz und die Straße überblickt, um dann die Hausfassade hochzuklettern und durchs Fenster auf eine Naheinstellung von Madeleine überzugehen. Häufige und flüssige Kamerabewegungen, extreme Wechsel der Einstellungsgrößen, viele Detailaufnahmen sowie rasch wechselnde und ungewohnte Perspektiven, nicht nur am Anfang, sondern während des ganzen Films, stellen den Akt des Erzählens viel stärker in den Vordergrund als gewohnt. Auch die lange alternierende Montage, als der Mann auf einer Dienstreise ist und Madeleine sich bei Michael auf dem Lande aufhält, und als beide auf der Rückreise sogar in verschiedenen Waggons des gleichen Zuges sind, ist nicht nur spannend, sondern auch sehr bewußt als Kunststück inszeniert. Kamerabewegungen und Montage stellen aktiv Bedeutungen und Verbindungen her, und verstecken diese Erzählfunktion weniger als normal. Auch "unrealistische", "unmögliche" Kameraperspektiven (z.B. aus der "Sicht" der Perlenkette, die im Schaufenster liegt, oder durch ein Glas Konfekt im Laden), auffällige Bewegungen der Kamera sowie die Montage (manchmal nimmt die Kamera Figuren oder Objekte wahr, die keine narrative Funktion haben; plötzliche Detailaufnahmen stellen Objekte in den Vordergrund; oft "springt" die Kamera auf einen neuen Schauplatz) verleihen der Erzählung eine ungewohnte Künstlichkeit. Dadurch bekommen die Figuren auch eine gewisse Unabhängigkeit von ihrer Rolle in der Handlung. Die Rätselhaftigkeit Madeleines, die eine einfache Festlegung der Figur als "Jungfrau" oder "Hure" verhindert, korrespondiert andererseits mit einem anderen Klischee, mit dem von Freud erwähnten "Rätsel der Weiblichkeit".39 Friedman hat auf den Zusammenhang mit dem Bild des "ewig Weiblichen" in ihrer Kritik des Films hingewiesen; insbesondere Madeleines geringe "moralische[...] Standfestigkeit" passe dazu.40 Wie dieser Charakterzug zu beur38 39 40

S. oben, Kapitel 5.4.2. Freud, "Die Weiblichkeit", (1969, 545). Friedman 1987, 55.

219 teilen ist, wird aber damit noch nicht festgelegt. Madeleine wirkt mit ihrer "fließenden Identität" eher sympathischer,41 gerade wenn man sie mit anderen Figuren und Filmrollen vergleicht - etwa mit Marika Rökks koketter Verteidigung ihrer Jungfräulichkeit, mit der Todeserotik, die Harlan um Söderbaum spinnt, oder mit den über-festen, gepanzerten Identitäten vieler männlicher Figuren. Nicht einmal im Selbstmord wird Madeleine gezwungen, ihre moralische "Überschreitung" zurückzunehmen oder um Entschuldigung zu bitten.42 Daß sie sich umbringt, daß sie von den gesellschaftlichen Normen (und durch Viktor) so eingeengt ist, daß keine andere Alternative möglich erscheint, heißt nicht, daß dieses Ende als positiv empfunden wird. Madeleines Mangel an moralischer Festigkeit behält vielmehr Recht 43 Dies wäre auch in der zuerst gedrehten Fassung, in der Madeleine "leben und mit Michael glücklich werden" wird,44 kaum deutlicher gewesen. Man kann den Schluß als konsequente Anwendung der Nazi-Ideologie verstehen, die gerade im Krieg den Wert der Ehe hochzuhalten versuchte.45 Der Tod entsprach nicht nur den ideologischen Normen des Nationalsozialismus, sondern der tradierten, allgemeineren kulturellen Logik der Gesellschaft. Er ist also auch aus realistischer Sicht der zwar extremere, aber auch konsequentere Schluß. Der Schluß muß nicht bedeuten, daß der Film insgesamt "mit einer Politik der Entsagung" übereinstimmt. Gerade Madeleines Tod verhindert eine falsche Harmonisierung und läßt ihren Wunsch nach Liebe und Selbstverwirklichung weiter bestehen, der so einen stillen Protest enthält. Romanze in Moll ist widersprüchlich. Neben Übereinstimmungen mit der Ideologie der Zeit - und auch mit dem Diskurs über die Frau, wie Friedman schreibt -, enthält er Elemente, die dieser Ideologie entgegenstehen. Über diese Frauenfigur, die in mehrfacher Hinsicht eine männliche Projektion bleibt, wird die eingeschränkte Frauenrolle kritisiert. Der Film, dessen Erzählweise nicht alle Widersprüche und Ambivalenzen einebnet, kann gerade dadurch die gesellschaftlichen, kulturellen und persönlichen Blockierungen verdeutlichen, die diese Frau zu ihrer Selbstauslöschung zwingen, ohne die Ideologie dabei insgesamt gutzuheißen. Die weniger sichere Identität der Frau zeigt sich im Verlauf des Films als keineswegs den männlichen Identitäten moralisch unterlegen, 41 42 43 44

45

Friedman 1987,55. Im Gegensatz z.B. zu Anna am Ende von Die goldene Stadt. Dies war auch damals die beabsichtigte Wirkung. S. Presseheft, Werbedienst der DFV, Romanze in Moll. Klär 1942, 169; s. auch Vertriebs-Pressereferat der DFV, Romanze in Moll (Presseheft), die Änderung mit dem Tod der Hauptfigur wird in einem angeklebten losen Blatt erwähnt. Laut Fürstenau habe Käutner zwei Versionen gedreht und Goebbels sich für den tödlichen Schluß entschieden (zit. in Friedman 1987,50). Harlan berichtet, daß beim Film Opfergang Goebbels darauf bestand, daß die Ehe erhalten bleibe, weil das für Front und Heimat "volkserzieherisch besser" sei. (Harlan, zit. in Courtade/Cadars 1975, 247).

220 auch wenn sie in ihrer Machtlosigkeit unterliegt. Die Macht, die auch in Strukturen wie Tauschwert, beruflichen Hierarchien und Klassentrennungen eingebaut ist, bringt die männlichen Figuren dazu, nicht nur die Frau zu zerstören, sondern auch sich selbst. Die "feste Identität" des kleinbürgerlichen und kleingeistigen Buchhalters sowie die des vermeintlich welterfahrenen und souveränen Künstlers haben sich bis zum Ende des Films diskreditiert. Der Ehemann, emotional völlig angeschlagen, murmelt zum Schluß: "erledigt". Dabei ist offen, ob er Madeleine meint oder sich selbst. Der Komponist, dessen Hand im Duell verkrüppelt wurde, ist auch "erledigt", und er wird sich der Justiz - und damit vermutlich dem Henker - ausliefern. Die männlichen Figuren - und zwar alle, nicht nur der Bösewicht - sind keineswegs moralisch oder persönlich integerer als die Frau. Die Handlung entspricht auf einer gewissen Ebene den ideologischen Figuren "Übertretung - Strafe" oder "weibliche Lust - Züchtigung/Eliminierung der Frau", die z.B. auch in Die goldene Stadt zu finden waren. Diese affirmative Seite wird jedoch von anderen Aspekten der Filmerzählung in Frage gestellt. So ergibt die Strafe, der Tod, keinen rechten Sinn und keine wirkliche Harmonisierung. Auf der Ebene der Handlung und der kulturellen Logik, die interdiskursiv dahintersteckt, werden die Konflikte vielleicht gelöst. Auf der Ebene der Gefühle, die aktiviert werden, tritt keine Versöhnung ein. Sie werden aber gerade soweit abgeblockt, daß sie in der melancholischen Grundstimmung des Films, unterstrichen durch die Musik, die "Romanze in Moll", gefangen bleiben. Aus diesem Film läßt sich kein Widerstand artikulieren, weder gegen den Nationalsozialismus noch gegen den Diskurs über die Frau, aber er enthält eine latente, eher passive Resistenz gegen die vorgegebenen Lösungen.46 Das ist - im Kontext des NS-Films - in etwa die Grenze des Möglichen gewesen. Opposition hätte sich nur in einer anderen Öffentlichkeit, nicht in der des kontrollierten Films, entwickeln und organisieren können. Daß aber auch diese Art einer unpolitischen, indirekten, "ästhetischen Opposition" sehr wohl als solche wahrgenommen wurde, demonstriert das Verbot des Films Der verzauberte Tag von Peter Pewas. Der Film, ebenfalls eine melancholische Liebesgeschichte ohne politische Bezüge, wurde wegen der pessimistischen Stimmung, der düsteren und kontrastreichen Bildern ("SystemzeitBilder"), Motiven ("jüdische Straßen") und der Figur eines Buchhalters, der den deutschen Kleinbürger beleidige, verboten. 47 Pewas' Film zeigt mehrere 46

47

Die begriffliche Unterscheidung zwischen dem seltenen aktiven Widerstand und einer breiteren, aber passiven Resistenz gegen die Nazis ist in der Erforschung der Alltagsgeschichte vor allem im Umkreis des Münchner Instituts für Zeitgeschichte getroffen worden. Pewas in einem Fernsehinterview im 3. Programm Nord, im Anschluß an die Sendung des Films am 20.9.84. Wetzel/Hagemann berichten, daß der Film formell zwar nicht verboten, sondern unter den Filmen eingereiht wurde, "die vorlagen, jedoch geändert werden müssen", was den gleichen Effekt hatte (1978,139).

221 Ähnlichkeiten mit Romanze in Moll, u.a. in der bewegten Kamera, in der symbolischen Aufladung von Objekten und Details und in einer pessimistischen Grundhaltung, die trotz Happy End schwärzer ist als Käutners Melancholie. Hat Käutner sich am französischen "poetischen Realismus" orientiert, scheint Pewas sich eher an die deutschen "Kammerspielfilme" und "Straßenfilme" der zwanziger Jahre gehalten zu haben.48

Fazit Auch da, wo Romanze in Moll Elemente einer ideologischen Eingrenzung und Festlegung der Phantasie beinhaltet (die Auslöschung der Frau, die melancholische Resignation), verhindert die Form, daß der Film zu einer völligen Bejahung des status quo werden konnte. Die konkrete Erzählweise läßt Objekte und Bilder sprechen, ohne sie in eindeutig bestimmbare Zusammenhänge zu pressen. Käutners Verweigerung einer völlig transparenten Erzählweise läßt Widersprüche und Unsicherheiten offen (streckenweise ist man nicht einmal sicher, ob die Hauptfigur lebt oder schon gestorben ist) und vermeidet so die Illusion einer sinnvollen, überschaubaren Realität. Die Künstlichkeit des Films ist keine "Brechtsche" Verfremdung mit politischer Ausrichtung, sondern verfolgt eher ästhetizistische Ziele. Das hat Käutner manchmal den Vorwurf des Eskapismus eingebracht. Ein ästhetischer Eskapismus, der den menschlichen Sinn für Differenzierungen, Schattierungen und Widersprüche wach hielt, war aber schon eine wesentliche Abweichung von einer Gesellschaft, die sonst den Menschen platte Feindbilder und brutale GutBöse-Schemata einzuprägen versuchte. Mehr kann man im deutschen Film des Nationalsozialismus nicht erwarten.

63. Heldenmänner 6.3.1. Grundmuster des Heldenfilms Heldenfiguren im NS-Film Ernste Filme, die eine männliche Figur in den Mittelpunkt stellen und eine Identifikationswirkung primär beim männlichen Publikum erzeugen, benutzen andere Erzählmuster und zielen auf völlig andere Emotionen als die Melodramen. Während die Frauenfiguren, wie wir gesehen haben, eher auf eine 48

S. vor allem die Szenen nachts auf der Straße in Der verzauberte Tag.

222 stark eingeschränkte und passive Rolle reduziert werden, appellieren die Männerfiguren an Größenphantasien. Fast allen positiven männlichen Figuren in allen Genres ist gemeinsam, daß sie überdurchschnittlich viel können. Dies gilt für die kämpferischen Helden und genauso für die "weicheren" Künstler und Liebhaber, wie z.B. Willy Forsts Rolle in Bei Ami. In ihrem Können, ihren Leistungen, ihrer vollkommenen Beherrschung des jeweiligen Metiers und ihrer selbstsicheren Meisterung jeder Situation verkörpern diese Figuren deutlich Wunschvorstellungen, die einem Mangel an Kontrolle über das eigene Leben in der Realität entspringen. Die Filmhelden bieten Idealbilder, die zur Identifikation einladen. Einerseits können diese Bilder wie alle, die durch Identifikation ins Ich-Ideal integriert werden,49 zur Nachahmung anspornen und zur Formung der eigenen "Identität" benutzt werden. Andererseits, gerade weil sie der Realität weit überlegen sind, können sie beim Zuschauer auch das Gefühl des eigenen Unvermögens und der eigenen Unzulänglichkeit verstärken.50 Dadurch werden das Realitätsprinzip und die Unterordnung des einzelnen unter seine Übermacht verstärkt. Zugleich wird aber ein Ausgleich in der Teilnahme an der Größenphantasie geschaffen, um das tatsächliche Kleinhalten des Zuschauers subjektiv zu lindern. Mit dieser Funktion und Wirkungsweise sind die Filmhelden des Nationalsozialismus keine Ausnahmen, sondern sie gehören zur Hauptrichtung des Kinos. Um die Besonderheiten der NS-Kinohelden herauszuarbeiten, muß genauer nach wiederkehrenden Mustern in den Filmen gesucht werden. Ein Grundtypus, der im NS-Film besonders häufig vorkommt, ist realisiert in der Geschichte des "einsamen Helden, der sich gegen alle Widrigkeiten des Schicksals und der Zeit siegreich bestätigt".51 Einzelkämpfer und Genies, die sich für eine Idee oder Vision einsetzen und gegen Unverständnis und Widerstand kämpfen, finden sich immer wieder im deutschen Film, besonders in der NS-Zeit. Emil Jannings in Robert Koch, Heinrich George in Andreas Schlüter, Willy Birgel als Rittmeister von Brenken in ...reitet für Deutschland, Hans Albers in Carl Peters, Otto Gebühr in Der große König und den anderen "Fridericus"Filmen - diese Liste ließe sich mit verschiedenen historischen Filmen, Kriegsfilmen und Biographien erheblich ergänzen -, in all diesen Filmen wird im Grunde eine Rolle gespielt und ein Erzählmuster variiert. Der Topos "Ein Mann gegen den Rest der Welt" ist erheblich älter, bekam aber durch den Bezug auf Hitler, der z.B. in Der große König sehr deutlich in Erscheinung tritt, 4y

50 51

Freud beschreibt die Mechanismen der Introjektion und Identifikation in der Bildung des "Ichideals" bzw. "Uber-Ichs" in "Zur Einführung des Narzißmus", "Das Ich und das Es" (Freud 1982, 37-68, 273-330) und in "Massenpsychologie und Ich-Analyse" (Freud 1974, 61134, insbes. 98-108). S. Mellen 1977, 5. So beschreibt es der Regisseur Arthur Maria Rabenalt, der mit ...reitet für Deutschland ein prominentes Exemplar dieser Art Film geschaffen hat (in: Mertens 1979, 210).

223 in der NS-Zeit eine besondere Relevanz.S2 Daß auch die historischen Figuren "Projektionen des 'Führers'" darstellen, 53 verlieh den Filmen ihre damals aktuelle propagandistische Bedeutung. Dadurch ist aber noch nicht geklärt, wie und warum sie so wirken konnten. Um das herauszufinden, muß man die Eigenschaften des Figurentypus und des stereotypen Handlungsgerüsts näher untersuchen. Dort ist die protopolitische Grundlage zu finden, auf der eine übertragene politische Wirkung erst aufgebaut werden konnte. Die gezeigten Eigenschaften, Verhaltensweisen und Persönlichkeitsformen sind in sich nicht einfach nazistisch, denn sie finden sich in einem viel weiteren kulturellen Umfeld, aber sie stellen sich als ideologiekonform für den Nationalsozialismus heraus. Vor allem durch die Heldenfigur werden in den meisten Filmen Gefühle und Identitätsformen entwickelt - gepanzerter Individualismus, Durchhalten, Unterordnung, Glauben etc. die als Leitbilder immanent zu den ideologischen Bedürfnissen des Nationalsozialismus passen. Bei einigen Ausnahmen zeigt sich aber in dem Individualismus des Helden eine gewisse Ambivalenz, die die Figur davor bewahrt, völlig in den Dienst der Nazis genommen zu werden. Im folgenden werde ich zunächst die Grundmuster in der Figurenzeichnung und im Handlungsaufbau skizzieren und an einigen Filmen belegen. Danach soll an Hand von zwei Filmen mit Hans Albers die mögliche Variationsbreite des Helden gezeigt werden. Dafür eignet sich Albers besonders gut, denn er spielte immer den draufgängerischen Helden, und seine Spielweise blieb in all seinen Filmen ähnlich; dennoch konnten sie sehr unterschiedliche ideologische Wirkungen entfalten.

Grundmuster der Heldenfiguren Auffällig an den Filmen der NS-Zeit ist, daß die primären Eigenschaften der männlichen Figuren gleich bleiben. In den Filmen geht es fast immer um Bewährung, nicht um Entwicklung oder Lernen. Persönlichkeit, Ansichten und Ziele des Helden sind statisch. Festbleiben, Durchhalten, sich selbst oder seinem Ziel treubleiben sind die Tugenden, welche die Filme anpreisen und aus denen sie ihr Pathos entwickeln. Die bestimmenden Eigenschaften, die die heroische Männlichkeit der Hauptfiguren definieren, sind in den meisten Filmen konstant, nur wird die eine oder andere stärker betont. Die wesentliche Charakterisierung ist gleich: sie trifft für die Filmversionen von Friedrich dem Großen wie für Carl Peters zu, ebenso für Bismarck wie Paracelsus, für Schiller wie Diesel. Ein Katalog der wichtigsten Eigenschaften solcher Figuren müßte mindestens die folgenden 52 53

S. Leiser 1978,101-105. Leiser 1978,97.

224 enthalten: Selbstsicherheit, unerschütterlicher Glaube, Einsatzkraft, Ehre, Pflichtgefühl, Unerbittlichkeit gegen sich selbst und andere, Treue, Festigkeit, Tatkraft, Wahrheitsliebe, Mut, Idealismus, Energie, Aufrichtigkeit, Kameradschaftsgefühle, Gradlinigkeit, Härte, eiserne Willenskraft, Opfersinn, Entschiedenheit. Es geht in einem sehr stark ausgeprägten Maß um die Festigkeit des Charakters, der nach innen und außen gleichermaßen abgehärtet sein muß, um auch einen scheinbar aussichtslosen Kampf durchstehen zu können. Durchzuhalten und dabei sich und seiner Sache treu zu bleiben macht die zentrale Aufgabe der Figur aus. Ob der Held siegt oder grandios untergeht, scheint nicht so wichtig zu sein; die Hauptsache ist, daß er fest an sein Ziel glaubt. In dieser Hinsicht spiegeln die Filme wohl die Gefühlslage vieler Nazis wider, vor allem in der Schlußphase des Kriegs. Die unerschütterliche Selbstsicherheit, der feste Glaube und die gepanzerte Härte der Filmhelden hatten verschiedene kulturelle und psychische Ursachen und Wirkungen. Ich will drei Bedeutungsebenen unterscheiden: kulturelle Identität, eine bestimmte Form der Männlichkeit und politische Allegorie. Auf der ersten Ebene präsentieren die Filme das Bild einer sicheren Identität, die in Werten und in einem sinngebenden Ziel verankert ist. Dies ist eine genaue Umkehrung der tatsächlichen Entwicklung im zwanzigsten Jahrhundert, die einen Abbau an gesellschaftlich gesicherter Identität mit sich brachte. Wenn Musils Begriff eines "Mannes ohne Eigenschaften" die Verunsicherung, Beliebigkeit und fehlende kulturelle Einbindung der individuellen Identität in Folge der Modernisierung symptomatisch erfaßt, so drücken diese Filme das gleiche ex negativo aus. Die übertrieben starke Individualisierung der Helden und ihr Überangebot an unveränderlichen Eigenschaften sind Phantasie-Antworten auf die subjektiv erfahrenen Mängel an sozial abgesicherter Identität. Die Art der Figuren ist also auch eine Antwort auf dieselben Bedürfnisse nach Halt und Sicherheit, auf die der Nationalsozialismus mit seiner Ersatz-Ideologie antwortete. Daß solche Heldenfiguren, deren Identität meist durch die Macht einer Idee definiert wird, geeignete Träger der NS-Ideologie sein konnten, ist dann leicht verständlich. Auf einer zweiten, psychologisch tiefer liegenden Ebene führen die Filme Versionen der "gepanzerten", soldatischen Männlichkeit vor, die Theweleit in den Freikorpsromanen entdeckte.54 Die Härte der Helden, die tendenzielle Ausgrenzung von Frauen aus ihrem Leben und von den "weichen", "weiblichen" Anteilen aus ihren Persönlichkeiten sowie ihre aufbrausende, aggressive Art entsprechen diesem Persönlichkeitstypus.55 Ein Musterbeispiel dieser Art von Figur ist der Soldat und Turnierreiter von Brenken (Willy Birgel) in ...reitet ßr Deutschland. Der Held dieses Films ist in 54 55

Theweleit 1980. Über die Ausgrenzung der Frauen s. Horak 1981, Koch 1981.

225 erster Linie durch seine Selbstüberwindung gekennzeichnet: Verkrüppelt nach seiner Verwundung im ersten Weltkrieg, kämpft sich v. Brenken, trotz Lebensgefahr und einer Chance von eins zu tausend, wieder auf die Beine, überwindet seine Lähmung durch reine Willenskraft und wird zum Schluß wieder ein erfolgreicher Turnierreiter.56 Er bändigt und überwindet seine innere Natur, die sich in Schmerzen und Schwäche meldet. So wie er dabei seinen Körper als Ding, als "Kadaver" bezeichnet,57 haben auch natürliche Regungen der Lust bei ihm wenig Chancen. Das "romantische Interesse" im Film wird bezeichnenderweise in Form der Schwester seines Freundes eingeführt: ein Mädchen, das "der Toms" heißt und die Funktion eines Kumpels und einer Helferin erfüllt,58 statt eine Liebhaberin zu sein. Ein ähnliches Frauenbild findet Theweleit in Form der "weißen Schwester" immer wieder in den faschistischen Romanen, in denen das Motiv, wie auch hier im Film, als Abwehr und zur Neutralisierung der weiblichen Sexualität benutzt wird.59 Die lustfeindliche und pflichtbetonende Art dieser Erzählungen und Figuren stellt den Aspekt der Selbsterhaltung in den Mittelpunkt. Diese Figuren sind dazu geeignet, allein auf sich gestellt und von Feinden und Gefahren umgeben, sich als "Persönlichkeitsprinzip" zu behaupten, auch wenn es den eigenen Untergang bringt. Der Tod ist dabei jedem Zeichen von Schwäche oder menschlichen Bedürfnissen vorzuziehen, wie auch in den Fridericus-Filmen immer wieder behauptet wird. Der Heroismus der Figur v. Brenkens wird dadurch hervorgehoben, daß er - allein und nur aus eigener Kraft - Todesgefahr und Schwäche trotzt. Auch beharrt er kompromißlos auf seiner Pferdezucht und dem Reiten, obwohl es ihn wirtschaftlich ruiniert und fast die Trennung von Toms verursacht. Es geht dabei um die Erhaltung seines Selbst als Prinzip, nicht um das Überleben, oder, wie v. Brenken "steif, militärisch" sagt: "Es gibt nämlich so etwas wie einen - einen inneren Befehl."60 Diese Haltung produziert eine harte, notfalls sehr aggressive Abwehr gegen die Außenwelt und gegen die inneren Lüste der Figuren. Am stärksten ausgeprägt ist dies bei den historischen und militärischen Helden. Das Motiv der Selbstüberwindung findet sich aber auch bei den weicheren Liebhaber- und Künstlerfiguren, um ihnen doch etwas mehr "Männlichkeit" zu verleihen, wie wir oben bei der Paul-Hörbiger-Figur in Die große Liebe gesehen haben.

57

58 59 60

In einer Kritik hieß es, der Film sei "von der zündenden Kraft einer Idee" beseelt und er erzähle "die Geschichte eines Turnierreiters, der in der Zeit des deutschen Niedergangs den Glauben nicht verlor und sich trotz schwerster körperlicher Behinderung selbst überwand" (Betz 1941, 5). Siehe Drehbuchauszüge (Fritz Reck-Malleczewen, Richard Riedel, Josef Maria Frank, "Reiter für Deutschland") nachgedruckt in Mertens 1979, hier 146. Mertens 1979,123. Theweleit 1980, Bd.l, 114-131. Mertens 1979,176.

226 Auf der dritten, höheren Ebene bekommen viele solcher Heldenfiguren eine allgemeinere ideologische Bedeutung durch die politische Allegorie. Als von Brenken, der im Krieg zum Krüppel gemacht worden ist und von "jüdischen Schiebern" ausgenommen wurde, sich wieder durch soldatische Haltung und Willenskraft "aufrichtet" und zum Schluß der Weltöffentlichkeit zeigt, er sei "wieder wer", repräsentiert er in deutlicher Weise "Deutschland" so, wie es in den ideologischen Konstrukten der Rechten und der Nazis gedacht wurde. "Dolchstoßlegende", Antisemitismus, nationale Ehre und Ressentiment gegen die Feinde, ein "Triumph des Willens" usw. - die gesamte nazistische Begrifflichkeit ist in die Figur und ihre Geschichte eingebaut. Die Ideologie wird nicht in Form von abstrakten Begriffen vorgebracht, sondern in miterlebbaren Handlungen und Gefühlen der Figur personalisiert. Die politische Allegorisierung der Figur enthistorisiert die Wirklichkeit, die im Film hauptsächlich in der Form subjektiver Gefühle vorkommt. Daß dieses Verfahren die Wirklichkeit sehr stark vereinfacht, scheint die Wirkung eher zu verstärken als ihr abträglich zu sein. Die Figur kann einfache und vor allem nachfühlbare Antworten auf komplizierte politische Fragen bieten. Solche Helden verkörpern eine Antwort auf die Gefühle von Schmach und Demütigung, welche die Niederlage im Ersten Weltkrieg bei breiten Teilen der Bevölkerung erzeugte. Ein ähnlicher allegorischer Bezug wurde zwischen Hitler und manchen Führerfiguren in den Filmen hergestellt, am deutlichsten in Harlans Der große König (1942). Hier wird die Geschichte und die historische Figur in erster Linie dazu benutzt, um die Richtigkeit von Hitlers Kriegsführung zu "beweisen". Dabei baut der Film auf eine ähnliche Gefühlskonstellation und ein ähnliches Erzählmuster: der einzelne, der sich trotz anfänglicher Niederlage aufrafft und bis zum Sieg weiterkämpft. Die Identifikation wird auf verschiedene Figuren aufgeteilt, so daß die Zuschauer sich nicht so sehr direkt mit der Führerfigur identifizieren - obwohl sie wohl mit ihm mitfühlen sollen sondern sich eher in der Rolle der Gefolgsleute wiederfinden. Dafür ist u.a. die Liebesgeschichte zwischen einem Soldaten und einer jungen Frau (Söderbaum) eingebaut: die beiden Figuren drücken sehr deutlich Zweifel und Verdruß am Krieg aus, damit diese Gefühle im Laufe des Films aufgefangen werden können.

Grundmuster der Erzählung Die Handlungsstruktur ist nicht einfach von der Figurenzeichnung zu trennen, denn im normalen Spielfilm erleben wir den Helden vor allem durch seine Taten und in seiner Funktion in der Erzählung (oder - in der strukturalistischen

227 Terminologie - als "actant"). 61 Die Figur wird in erster Linie durch die Handlung gestaltet, sie ist geradezu auf die Erfordernisse der Erzählung angelegt. Wie schon oben skizziert, erscheint der hier beschriebene Figurentypus als einer, der im wesentlichen durch seinen Kampf gegen den Rest der Welt und sein Durchhalten trotz widriger Umstände definiert ist. Die persönlichen Eigenschaften des Helden ergeben sich konsequenterweise aus dieser erzählerischen Grundsituation. In den hier zu diskutierenden Filmen stehen die Helden vor einer Aufgabe, die sie sich selbst stellen, die sich durch ihre besonderen Fähigkeiten oder einen "inneren Befehl" ergibt oder die durch ihre Pflichten und ihre Verantwortungsposition bestimmt wird. Der Held muß gegen Unverstand, Rückständigkeit, Borniertheit und egoistische Interessen in seiner Umwelt kämpfen. Er muß meistens auch sich selbst überwinden, indem er gegen seine eigene Schwäche und Verzweiflung ankämpft oder entgegen seinen persönlichen Interessen und Gefühle handelt. Er bleibt seiner Aufgabe treu, auch wenn es auf Kosten seines Privatlebens - Familie, persönliche Beziehungen, Bequemlichkeit, Geld - oder sogar um sein eigenes Leben geht. Er ist von Feinden umgeben, findet aber oft einen Helfer oder einen besonderen Freund, der ihn unterstützt. Oft erleidet er nach langem Streben noch einen Rückschlag, der ihn zum Zweifeln bringt, aber letztlich doch zum weiteren Durchhalten anspornt. So gestaltet sich die Handlung als eine Serie von Prüfungen, die der Held durch Glaubenskraft und Arbeit besteht. Rückschlag, Aufschub und retardierende Steigerung sind Mittel zur Erhöhung des Pathos in diesen Filmen, wie im Melodram ja auch. Die erwünschte Belohnung oder Befriedigung wird hinausgezögert und in Frage gestellt, um den Wunsch dadurch zu intensivieren. Die weiteren Prüfungen und Leistungen des Helden zeigen um so deutlicher, daß er es verdient, sein Ziel zu erreichen. So wird auch der Wunsch nach einem Happy-End gesteigert. Dazu wird an den Gerechtigkeitssinn und an den utopischen Wunsch appelliert, es möge im Leben gerecht zugehen. Häufig spitzt sich die Situation zu einem Kampf gegen einen bestimmten Kontrahenten zu. Es gibt zwei Variationen des Ausgangs. Beim positiven Ende erreicht der Held seinen wohlverdienten Sieg. Diese Erzählform soll die Eigenschaften und das Ziel des Helden bestätigen und zur Nachahmung anregen. In der negativen Version erleidet der Held am Ende eine Niederlage; seine leitende Idee bleibt aber bestehen. Diese zweite Version wird oft verwendet, um Haß auf die Gegner des Helden (und auf die durch sie verkörperten Feindbilder) zu lenken. Die Frustration, die aus dem blockierten Happy-End resultiert, wird dabei in Aggression umgeleitet. Dabei wird die Richtigkeit des vom Helden angestrebten Zieles noch stärker bestätigt, da die Handlung zeigt, daß er es "eigentlich" Dieser Begriff geht auf die formalistische und strukturalistische Erzähltheorie zurück. S. Propp 1972, Greimas 1970, insbes. 249ff.

228 hätte erreichen sollen. Damit fordert der Film implizit die Zuschauer auf, die "Sendung" des Helden aufzunehmen und zu Ende zu bringen. Der Film Carl Peters, den ich weiter unten behandeln werde, liefert ein Beispiel für diese zweite Version. Robert Koch, der Bekämpf er des Todes (1939, Regie Hans Steinhoff) gibt ein herausragendes Beispiel für die Version der Erzählstruktur mit "gutem" Ausgang ab. In diesem Film spielt Emil Jannings relativ zurückhaltend und nuanciert den Landarzt Koch, der es zu seiner Lebensaufgabe macht, die Tuberkulose zu bekämpfen. Neben seiner normalen Arbeit forscht er jahrelang, bis er endlich den Krankheitserreger findet. Seine Mühe wird zunächst nicht belohnt, sondern er wird von den abergläubischen und engstirnigen Dorfbewohner außerdem noch angefeindet. Auch später, nachdem er nach Berlin berufen wird, hat Koch es nicht viel leichter. Dort muß er sich gegen die damalige medizinische Autorität, Virchow (Werner Krauß), durchsetzen. Virchow hält nichts von Kochs Theorie der Bazillen, da sie seine Lehre umstoßen würde. Nachdem Koch aber zweifelsfrei die Richtigkeit seiner Entdeckung bewiesen hat, bekommt er am Ende die Anerkennung, die er verdient. Robert Koch, der Bekämpfer des Todes ist nach dem Grundmuster der Einzelkämpfergeschichte aufgebaut. Der Held, von Sendungsbewußtsein erfüllt, läßt sich nicht beirren und kämpft sich gegen alle möglichen Widerstände durch. An mehreren Stellen erfährt die Handlung zusätzliche pathetische Steigerungen. Koch ist von Zweiflern und Gegnern umgeben, die seine Arbeit behindern. Konservative Dorfbewohner, ein bornierter Lehrer, eine Gesundbetersekte und die provinzielle Zeitung, die alle im Film karikaturenhaft gezeichnet werden, machen ihm das Leben schwer. Unterstützung bekommt er nur vom aufgeklärten Landrat und von dessen Sohn, der Kochs Assistent wird und zu dem er fast wie zu einem Sohn steht. In Berlin, gerade als Koch seinen Triumph erlebt, stirbt dieser junge Mann, der sich bei der Forschungsarbeit angesteckt hatte. Alternierende Schnitte zwischen den beiden Handlungssträngen stellen das Pathos der Situation auf eine Weise heraus, die auch zu jedem Melodram passen würde. Kochs Sieg ist nur durch harte Arbeit und Opfer verdient. Dieser Sieg wird intensiviert, indem die endgültige Anerkennung Kochs sehr lange hinausgezögert wird. Als Koch seine Entdeckung demonstriert, scheint es zunächst, als würde Virchow sich weiter gegen Koch stellen: Virchow verläßt den Saal, ohne sich zu äußern. Erst am nächsten Tag erscheint ein Artikel, in dem er Kochs Thesen akzeptiert und seine große Leistung preist. In einem Zusammentreffen der beiden wird Kochs Sieg noch deutlicher. Virchow entschuldigt sich für seinen Starrsinn und lobt Kochs Arbeit. So kann die Niederlage des Gegners voll ausgekostet werden, und zugleich wird ihm eine gewisse Würde eingeräumt,

229 die den Effekt der Szene noch vergrößert. Die Zuschauer können die Befriedigung über den lang erwarteten glücklichen Ausgang voll genießen. Am Schluß des Films erhält dieser Triumph des Helden eine zusätzliche Bedeutung. 62 Koch hält eine Rede an die Jugend, in der er Opfersinn lobt und sie auffordert, seinen Kampf fortzusetzen. 63 Auf diese Weise spricht der Film direkt aus, was viele NS-Filme zumindest implizit beinhalten: die heutige Generation solle das Vermächtnis des Helden - im Sinne der Nazis - zu Ende führen.

6.3.2. Hans Albers - der männliche Held Hans Albers war eindeutig der führende männliche Star der NS-Zeit. Es gab andere sehr bekannte Darsteller wie Heinrich George, Eugen Klopfer, Jannings oder Gründgens, die aber in ihrem Image und in ihrer Art eher Schauspieler als Filmstars blieben. Sie galten als große "Menschengestalter" 64 , wenn auch ihre Darstellungsweise heute veraltet und theatralisch wirkt, während Albers in jeder Rolle vor allem sich selbst als Star vorführte. Beim Publikum kam er schon seit dem Anfang seiner Filmkarriere sehr gut an, was sich auch in seinen Gagen ausdrückte. 65 Diese Beliebtheit gab Albers eine bestimmte Sonderstellung, die es ihm erlaubte, eine gewisse persönliche Distanz zu den Nazis relativ offen zu zeigen.66 Andererseits führte sie auch dazu, daß er bewußt eingesetzt wurde, um die Publikumswirkung von Propagandafilmen wie Flüchtlinge und Carl Peters zu erhöhen. Seine Rollentypologie sowie seine äußere Erscheinung paßten gut zum Bild eines Helden im Nationalsozialismus. Sein Individualismus aber, wie die unabhängige Souveränität, die seine Rollen oft ausstrahlten, behielten eine gewisse Ambivalenz. Durch die Identifikation mit dem Helden konnten diese Eigenschaften benutzt werden, um Wünsche an Idealbildern von Führerfiguren zu binden, die der Nazi-Ideologie entsprachen. Die gleichen Eigenschaften, falls sie in Zuschauern wachgerufen wurden und nicht erfolgreich wieder integriert werden konnten, waren aber gerade solche, die die Nazis von ihren Untertanen nicht erwünschten. Die beiden Filme Carl Peters und Große Freiheit Nr. 7 sollen hier dazu dienen, um diese verschiedenen Qualitäten der Albers-Figur aufzuzeigen. In Carl Peters stellt Albers eine typische Version des einzelkämpferischen Helden dar, der zu idealistischem Engagement für "Volk und Vaterland" anfeuern soll. Die Analyse soll zeigen, wie die Figur und die Handlung dieses ideologische Ziel ansteuern. Die Hauptfigur in Große Frei~53 63 64 65 66

Diese Schlußszene fehlt in der heutzutage kommerziell vertriebenen Videofassung des Films. S. Courtade/Cadars 1975, 85-86. Oertel 1941, 283. Er war der bei weitem bestbezahlte Schauspieler (s. Albrecht 1979,252, Drewniak 1987,151). Schumann 1980,68-69.

230 heit Nr. 7, der während der NS-Zeit nur im Ausland (Uraufführung in Prag) und bei der Truppenbetreuung gezeigt werden durfte, ist in mancherlei Hinsicht dem Helden in Carl Peters sehr ähnlich. Eine weitaus nuanciertere filmische Darstellungsweise und ein subtilerer Handlungsaufbau verleihen der Figur aber Facetten, die die zuerst geplante Wirkung unterhöhlten (der Film wurde ursprünglich vom Propagandaministerium zur Huldigung der Marine angeregt). 67 Änderungen im Stoff, Käutners Regie und Albers' Rolle machten den Film für Propagandazwecke unbrauchbar.

Carl Peters In Carl Peters, wie in all seinen Filmen, spielt Albers die Rolle des forschen, tatkräftigen Helden, der vor Selbstbewußtsein strotzt und mutig gegen alle Hindernisse ankämpft. In diesem Film fehlen nur der Humor und die leichte Selbstironie, die in seinen besseren Rollen zu sehen waren. Die Art draufgängerischer Heldenfigur, die Albers verkörperte, ist an sich nichts spezifisch Faschistisches, sondern gehört zu den Grundmustern der Unterhaltungskultur überhaupt. Sie ließ sich allerdings mühelos und ohne Veränderungen für die NaziIdeologie instrumentalisieren. Die fundamentalen Eigenschaften des Helden konnten ohne weiteres auf das Stereotyp einer nazistischen Führerfigur übertragen werden. Im spezifischen Kontext eines Films wie Carl Peters und im Zusammenhang mit der NS-Gesellschaft bekommen die Charaktereigenschaften zusätzliche, ideologische Bedeutungen, die über die individuelle, persönliche hinausgehen. Die Filmerzählung verknüpft diese Eigenschaften, die für die Identifikation und die Mobilisierung der Gefühle verantwortlich sind, mit der Ebene der politischen Ideologie. Der Film, unter der Regie von Herbert Selpin, der häufiger mit Albers zusammengewirkt hatte, erzählt Episoden aus dem Leben des Kolonialpioniers Peters. Die Handlung zeigt vor allem, wie Peters gegen - jüdische und sozialdemokratische - Widersacher in Deutschland ankämpfen muß, um seine Idee der deutschen Kolonien in Afrika verwirklichen zu können. Auch von seiner Expedition nach Afrika wird erzählt, um etwas Exotik und Abenteuer in den insgesamt langen und langwierigen Film zu bringen. Peters wird dargestellt als ein Mann, der ständig gegen fremde Gegner, vor allem gegen Engländer, und gegen den Unverstand und die Kleingeistigkeit seiner eigenen Landsleuten ankämpfen muß. So werden die wesentlichen Eigenschaften des Filmhelden in seiner Konfrontation mit anderen gezeigt. Dieses Verfahren baut Peters als Helden auf, und zur gleichen Zeit malt es Feindbilder aus. 67

Schumann 1980,114.

231 Am Anfang steht Peters völlig allein mit seiner Idee. Auch der Kolonialverein will nur den "Kolonialgedanken" verbreiten, wohingegen Peters als "Mann der Tat" erscheint, der einfach Kolonien erobern will. Im Streitgespräch mit dem Vorsitzenden des Vereins wird Peters als ein aufbrausender, dynamischer und völlig überzeugter Vertreter seiner Sache charakterisiert. Er läßt sich weder durch Konventionen ("Ich pfeife auf Ihre Geschäftsordnung!") noch durch irgendwelche Bedenken einschränken, sondern kämpft geradeheraus mit glänzenden Augen und gerechtem Zorn für seine Ansichten. Seine Art, die Meinung unverblümt und ohne Rücksicht offen zu sagen, hebt ihn von seinen Gegnern ab, die taktierend "herumdrucksen". Peters hat mit vielen Helden im NS-Film gemeinsam, daß er durch eine "große Idee" beseelt ist und sich danach ohne persönliche Rücksichtsnahme richtet. Im Gegensatz dazu wird das Feindbild des falschen und egoistischen Juden, hier des für Kolonialfragen zuständigen Regierungsrats Kayser, entworfen. Kayser versucht, Peters zu blockieren, da er Konkurrenz für sein Ressort fürchtet und von seiner karrieresüchtigen Frau angetrieben wird. In der Streitszene mit Kayser sowie vorher im Kolonialverein wird Albers aus der Obersicht aufgenommen, um zu betonen, daß er auch gegen etablierte und zur Zeit übermächtige Gegner mutig ankämpft. Daß sein Streit mit Kayser nur auf antisemitisches Anpöbeln hinausläuft, dürfte im Kontext des Nationalsozialismus eher positiv als negativ auf das Image von Peters gewirkt haben, zumal im Film sein Idealismus ihm Recht gibt gegenüber dem egoistischen Intriganten Kayser. Peters streitet nicht nur verbal, sondern setzt seine Idee in die Tat um, indem er, nur mit zwei Freunden zusammen, nach Afrika fährt und unter Lebensgefahr "Schutzverträge" abschließt. Entschiedenes und mutiges Handeln ohne Bedenken oder langes Überlegen stellt sich durch den Erfolg als richtig heraus. So kann der Film zunächst zeigen, wie sich der Held durch "persönlichen Mut und die Kraft einer Idee", wie es heißt, durchsetzt. Sein Triumph ist aber nicht von Dauer. Bei einem von den Engländern angezettelten Aufstand in der Kolonie wird Peters' Freund umgebracht, worauf er die Schuldigen sofort aufhängen läßt. Die "Juden und Sozialdemokraten" im Reichstag nehmen dies zum "Vorwand", um Peters anzugreifen. In einer langen Sequenz redet Peters vor dem Kolonialausschuß. Hier hackt der Film nochmals in verschärfter Form auf die Feindbilder "Juden", "Sozialdemokraten" und "Parlamentarismus" ein. Da er als Opfer einer Intrige dargestellt wird und historisch rehabilitiert werden soll (seine Idee soll durch die Expansionspolitik der Nazis realisiert werden), wird Peters hier aus der Untersicht aufgenommen, als einer, der das "höhere Recht" besitzt. Seine Gegner erscheinen als geifernde Meute, die durcheinanderschreit und der es überhaupt nicht um Recht oder um das nationale Interesse geht. Der Film alterniert zwischen Einstellungen, in denen Peters allein redet (und als Sprachrohr der Nazi-Ideologie fungiert), und

232 solchen, in denen das Parlament mit Pfiffen und Schreien chaotisch tobt. Peters wird meist halbnah, gerade und von vorne aufgenommen; seine Gegner dagegen als Masse in der Totale oder einzeln in schief geneigten Einstellungen. Die antidemokratische Karikatur soll von den historisch richtigen und im Film verharmlosten Vorwürfen gegen Peters ablenken. Peters erkennt, daß er keine Chance hat, und tritt zurück, aber in seiner Rede - und noch mehr in den von ihm gegründeten Kolonien - hat er doch das "letzte Wort". So demonstriert seine Niederlage die persönliche Bewährung des Helden und deutet auf eine spätere "Einlösung" seiner Idee durch die Nazis. Typische Elemente der Nazi-Ideologie bestimmen Handlung, Dialog und Gestaltung des Films. Peters dient im Film als Prototyp einer Führerfigur und als Träger von nazikonformen Ideen, vor allem derjenigen des "Lebensraums". Gerade durch diesen Begriff, der in der NS-Zeit und insbesondere im Krieg allerdings eher auf die "Ost-Gebiete" als auf Überseekolonien bezogen wurde, bekam der Film einen aktuellen Bezug. Der positiven Figur werden stereotype Feindbilder gegenübergestellt, die im Film nochmal bestätigt und durch die Identifikation mit dem Helden verstärkt werden. Der Individualismus des Helden, sein Mut, seine gerade Art und sein Idealismus werden im Feindbild direkt umgekehrt. Seine Gegner werden als feige, hinterhältige Kreaturen gezeigt, die egoistisch und zynisch sind und nur reden, statt Taten zu vollbringen. Daß Peters unterliegt, kanalisiert Aggression gegen seine Gegner und gegen die daran aufgebauten Feindbilder. In der Niederlage zeigt der Held, daß er seiner Sache treu bleibt, was einer persönlicher Bewährung und einem moralischen Sieg gleichkommt. Das in der Figur vorgeführte Modell der persönlichen Identitätsgewinnung durch den Glauben an eine Idee oder ein Ziel wird so zum Schluß nochmals bekräftigt. Gerade auf solche Identitätsangebote baute der Nationalsozialismus: der Glaube an Führer, Volk und Endsieg sollte die persönliche Identität stärken. Schon die Identitätssfrufour, die durch die Heldenfigur vermittelt wird, ist also ideologisch; sie braucht nur mit den dazugehörigen ideologischen Inhalten, die überall in der Gesellschaft und Kultur der NS-Zeit vorhanden waren, ausgefüllt zu werden. Der Film bietet selbst ideologische Inhalte an, indem er mit Peters ein Beispiel für Deutschtum und nationales Sendungsbewußtsein sowie für Antisemitismus vorführt. Diese Ideen werden im Film nicht begründet, sondern durch die persönlichen Eigenschaften der Figur - seine Standfestigkeit und Selbstsicherheit, sein Mut und seine Stärke - als "richtig" verkauft. Die Einstellung des Helden ist in sich eine "Tugend", auf die die Nazis später im Krieg noch stärker bauen mußten. Als Peters gesagt wird, er stehe auf einem "verlorenen Posten", erwidert er: "Das ist noch lange kein Grund, ihn zu verlassen." Diese Haltung nimmt die Durchhaltepropaganda der letzten

233 Kriegsjahre vorweg. Sie zeigt eine "Charakterfestigkeit", die zugleich attraktiv wirken und als Modell funktionieren soll.

Große Freiheit Nr. 7 Große Freiheit Nr. 7 steht als Beispiel dafür, daß derselbe Schauspieler, zwar in einer anderen Rolle, aber mit etlichen der gleichen Eigenschaften, eine ganz andere Wirkung erzielen konnte. Sogar das Grundproblem - die Treue des Helden zu sich selbst - ist in Carl Feters und Große Freiheit Nr. 7 vergleichbar ausgelegt. Wie dieses Thema gestellt und entfaltet wird und welche zusätzlichen Bedeutungen aktiviert werden, ist in den beiden Filmen jedoch völlig unterschiedlich. Die Grundeigenschaften in beiden Rollen sind die des Stars Hans Albers. Die Rolle in Große Freiheit Nr. 7 ist positiv, aber weitaus weniger heldenhaft angelegt als in Carl Peters. Die Figur ist aufrichtig, direkt, selbstlos, großzügig, verantwortungsbewußt und tatkräftig. Seine Männlichkeit - als Frauenheld und auch als einer, der sich mit den Fäusten zu verteidigen weiß - wird betont. In Große Freiheit Nr. 7 zeigen sich diese Eigenschaften im privaten Bereich, in direktem Umgang mit anderen Menschen statt in der Weltpolitik. Das "Sendungsbewußtsein" des Helden fällt entsprechend bescheidener aus: seine "Berufung" ist die Seefahrt, nicht ein Kampf für das Vaterland oder für die Menschheit. Die Handlung des Films ist nach einem anderen Muster aufgebaut: nach dem Topos des nicht-passenden Liebhabers, der dies erkennen muß und verzichtet.68 Die zentrale Handlung: 69 Hannes Kröger (H. Albers) ist ein ehemaliger Seemann, der jetzt in einem Amüsierlokal in St. Pauli als Stimmungssänger arbeitet. Er nimmt eine junge Frau namens Gisa (Ilse Werner) bei sich auf, da sie von seinem eben verstorbenen Bruder sitzengelassen wurde. Hannes verliebt sich in sie, Gisa empfindet aber nur Freundschaft und Dankbarkeit. Sie verliebt sich in den Werftarbeiter Willem (Hans Söhnker). Hannes macht sich Hoffnungen und ist zu einem Heiratsantrag entschlossen. Just an diesem Tag bleibt Gisa aber bei Willem, Hannes wartet vergeblich am festlich gedeckten Tisch, bis er die Wahrheit erkennen muß. Er zieht dann mit seinen Kumpeln los und heuert

68

69

Vgl. Hochzeit auf Bärenhof (1942, Regie Carl Froelich mit H. George und Ilse Werner in den Hauptrollen) oder Der Blaufuchs (1938, Regie Viktor Tourjansky, mit Zarah Leander, Willy Birgel und Paul Hörbiger). Diese Zusammenfassung ist sehr stark verkürzt, besonders deshalb, weil die recht feinfühlige Bildgestaltung und Kameraführung in diesem Film immer mehr erzählt als nur die Handlung.

234 mit ihnen auf dem Segelschiff Padua an, auf dem er schon früher gefahren war. Am Schluß steht er am Steuerrad und schaut gerade nach vorn. Es geht also auch in diesem Film darum, daß ein Mann seiner Bestimmung gemäß handeln muß, hier als Seemann, der Hannes im Herzen immer geblieben ist. Anders als die großen Ziele der meisten Helden in NS-Filmen dient die Bestimmung des Helden in Große Freiheit Nr. 7 keinem größeren Zweck, sondern behauptet eher ein Recht auf individuelle Erfüllung und Selbstbestimmung im Leben. Die Rolle ist aber zwiespältig gestaltet. Die Seemannsromantik im Film, insbesondere am Schluß, spricht Wünsche nach Freiheit und Ungebundenheit an. Auch wenn Albers dabei seine typische Rolle als "ganzer Kerl" spielen kann, bleibt diese Rolle jedoch nicht ungebrochen. Vielmehr wird deutlich, daß diese männliche Rolle auch eine Kompensation für das Nichtfunktionieren der Liebesbeziehung ist. Hannes singt zwar, eines "Seemanns Braut ist die See...", aber es ist offensichtlich, daß dies nicht sein eigentlicher Wunsch war. Das Männlichkeitsideal in der Figur wird durch melodramatische Elemente der Geschichte unterwandert. Hannes schätzt die Situation mit Gisa falsch ein, wie die Zuschauer und Zuschauerinnen wissen, und steuert dadurch in sein voraussehbares Unglück. Der sonst in seinem Auftreten so souveräne Mann zeigt sich in dieser Hinsicht als schwach und verletzlich. Die Albers-Figur wird dadurch sympathischer und sein sonst etwas protziges Selbstbewußtsein relativiert. Daß er diese Verletzung einstecken und aushalten kann, zeigt wiederum seine Stärke. Die Freiheit des Seemanns wird aber deutlich als Abwehr gegen diese Verwundung und möglicherweise als Flucht interpretierbar. Die gelebte Fiktion des Seemanns stellt sich als Vermeidungsstrategie heraus, die eine Flucht vor der Frustration in der Realität (an Land) darstellt. Zugleich bewahrt die Seemannsromantik die Phantasie der möglichen Erfüllung.70 Die Qualität der Seefahrt als "naturgegebene" Bestimmung oder Berufung wird aber durch diese zwiespältige Darstellung im Film relativiert. Die Hauptfigur funktioniert als Leitbild für eine Art Durchhalten, das sich aber nicht geradlinig ins politisch erwünschte Durchhalten im Krieg übersetzen ließ, sondern seinen persönlichen Charakter weitgehend behält. Obwohl ein so ausgeprägter Star wie Albers in Große Freiheit Nr. 7 spielt, ist der Film interessanterweise nicht nur um eine Identifikation mit ihm zentriert. Andere Figuren - seine Freunde, der "Nebenbuhler" und vor allem Gisa spielen ebenfalls wichtige Rollen. Die verschiedenen Handlungsstränge sind vielfältig aufgeteilt und verschachtelt (die Liebesgeschichten zwischen Hannes und Gisa, Willem und Gisa, Hannes und seiner Ehemaligen sowie die verschieIn dieser Hinsicht ähnelt der Film den Melodramen, die Wünsche gerade durch ihre Negierung wachhalten (s. oben 6.2.1. - Leiden und der Anspruch auf Glück). So wie Astr6e in La Habanera immer das Glück sucht, wo sie gerade nicht ist, sucht Hannes sein Glück in der Feme mit dem Unterschied, daß er wenigstens dabei aktiv handelt.

235 denen Nebenhandlungen). Dadurch sind die Möglichkeiten der Identifikation und des Mitfühlens relativ kompliziert gestaltet. So sehr man Hannes die Erfüllung seiner Wünsche gönnen würde, ist der tatsächliche Ausgang durchaus auch ein Happy-End. Bemerkenswert ist dabei, wie selbstverständlich und positiv die freie Beziehung zwischen Gisa und Willem dargestellt wird. Die Wünsche der Frau werden nicht wie sonst manipuliert, sondern ernsthaft und gleichberechtigt dargestellt.71 Die Aufteilung der Sympathien sowie Kameraführung und Regie führen dazu, daß keine eindeutige Identifikation erzeugt wird, sondern eine eher zuschauende Haltung nahegelegt wird. Diese leichte Distanzierung schließt keinesfalls aus, daß sich der Film auf andere Weise melodramatischer Gefühlsregungen bedient. Der Film vermeidet jedoch Schwarz-WeißZeichnung und eine übermäßige Zentrierung auf den Helden, wodurch die Merkmale relativiert werden, die er mit den gewöhnlichen Heldenfiguren des NS-Films gemeinsam hat. Große Freiheit Nr. 7 kann andererseits nicht als Beispiel für Resistenz gegen die dominante Richtung im Film des Nationalsozialismus dienen, denn er kam in der NS-Zeit nicht in die deutschen Kinos. Obwohl der Film bereits fertiggestellt und freigegeben, teilweise Kopien gezogen worden waren und er im Ausland ausgeliefert wurde, hat Goebbels zuerst noch Änderungen verlangt und dann entschieden, ihn nicht freizugeben. 72 Der Film muß wohl auf irgendeine Weise knapp über der Grenze des Erlaubten im NS-Film gelegen haben. Die angegebenen Gründe für sein Verbot sind nicht sonderlich einleuchtend. Es heißt, die Marineführung habe dagegen protestiert, daß der Film zeige, daß deutsche Seeleute beim Landgang trinken.73 Auch habe es moralische Bedenken gegen den Film gegeben. Diese Begründungen wirken aber eher vorgeschoben und sind von fragwürdiger Zuverlässigkeit.74 Daß ein teurer "Großfilm", dazu auch noch in Farbe, ganz vom deutschen Kinomarkt ferngehalten wurde, statt etwa durch Schnitte "korrigiert" zu werden, läßt vermuten, daß mehr dahinter steckte. Wahrscheinlich wurde die Gesamtwirkung des Films als unbrauchbar eingeschätzt. Der sowohl durch den Helden als auch durch Gisa verkörperte Wunsch nach einem freien, ungezwungenen Leben kann eine maßgebliche Rolle gespielt haben. Auch die auf ihre Art recht realistische Darstellung des Lebens und der Gefühle von normalen "kleinen Leuten" mag mit zum Verbot beigetragen haben. Jedenfalls ist der Film insgesamt wenig dazu geeignet, um Ideale vom Heroismus oder "Dienst am Volk" zu vermitteln. 75 "~7T 72 73 74 75

• Dies reicht bis in die Bildgestaltung hinein, wie Witte zeigt (1979a, 116). Wetzel/Hagemann 1978,73. Courtade/Cadars 1975,225. Wetzel/Hagemann 1978, 71. Käutners letzter Film im "Dritten Reich", Unter den Brücken, ist in dieser Hinsicht sehr ähnlich; Witte kategorisiert die beiden unter die "Phase der utopischen Idyllen" in Käutners Schaffen (1979a, 115).

236 Dieser Film, aufgrund seiner Form und seiner Figurendarstellung, sperrt sich gegen eine einfache politische Allegorisierung. Er bleibt dagegen konkret als die Geschichte von Menschen, die nicht einfach Ideenträger sind.

6.4. Heitere Filme Eine ähnliche Betrachtungsweise würde bei den heiteren Filmen, vor allem bei leichten Musikfilmen und Komödien, zu entsprechenden Ergebnissen führen. Diese beiden Formen sind schon zum Teil ausführlicher behandelt worden.76 Sie sollen hier nur kurz gestreift werden, um einen Vergleich zum eigentlichen Gegenstand der Arbeit, den dramatischen Filmen, herzustellen. Daher werden meine Ausführungen sehr knapp und zugegebenerweise etwas oberflächlich bleiben. Die Eingrenzung der Weiblichkeit bildet das unterschwellige, aber bestimmende Thema der Revuefilme,77 nur daß im Gegensatz zu den Identifikationsprozessen im Melodram in den Revuefilmen das Auslachen der Frau im Mittelpunkt steht. Sie wird recht deutlich durch die aggressive Komik der Filme auf tradierte Rollenklischees verwiesen. Die Komödienhandlungen sind recht vielfältig, aber als ein zentrales Muster tritt die Rückkehr des Kleinbürgers an seinen "richtigen" Platz in der Gesellschaft und in seiner Familie häufig in Erscheinung. Die komischen Abenteuer des Helden dienen dazu, gesellschaftliche Autorität partiell in Frage zu stellen, um sie anschließend um so kräftiger zu bestätigen. Die Feuerzangenbowle (1944) ist ein gutes Beispiel für den "heiteren" Film im Nationalsozialismus. Der Film war die erfolgreichste Filmkomödie in der Zeit des "Dritten Reichs". Seitdem ist er immer wieder im Fernsehen gesendet worden und ist neuerdings wieder als "Kultfilm" in Universitätsstädten aufgetaucht. 78 Ich setze den Film deshalb als bekannt voraus. Trotz der einen oder anderen Äußerung im Film, die zur Nazi-Rhetorik paßt, ist er insgesamt kaum als Nazi-Film zu bezeichnen und wird meistens als neutraler und harmloser Film angesehen. Insbesondere Rühmanns Spielweise und die Situationskomik bringen die Zuschauer und Zuschauerinnen immer wieder zum Lachen. Die Erlebnisse der Schulzeit bilden eine relativ konstant bleibende Erfahrungsbasis für den Film und seine Komik. Der Film weckt auch Phantasien - z.B. die Vor76

77 78

Witte 1976a, 1979, Stöckl 1979. Die ideologische Arbeit in einer Komödie habe ich ausführlicher am Beispiel des Heinz-Rühmann-Films Die Umwege des schönen Karl untersucht (Lowry 1990). S. Stöckl 1979. Bereits nach drei Monaten hatte er 4500000 RM eingespielt (Albrecht 1969, 413) und rangierte im November 1944 auf der 16. Stelle in einer Liste der langjährigen Erfolge (Drewniak 1987, 631).

237 Stellung einer harmlosen "heilen Welt" oder den Wunsch, die eigene Vergangenheit oder Jugendzeit nochmals und besser erleben zu können -, die keineswegs spezifisch faschistisch sind. Auf der Ebene der vorgeführten Werte ist Die Feuerzangenbowle aber durchaus ein Beispiel für NS-konforme ideologische Prozesse im Film. Die späten Schulstreiche des Doktor Pfeiffer sind ein Musterbeispiel dafür, wie eine harmlose Aufmüpfigkeit oder scheinbare Rebellion als eine notwendige Stufe bei der Integration in Autoritätshierarchien funktioniert. Der Bildungsprozeß der Hauptfigur gestaltet sich als Regression in die Jugendzeit.79 Seine Einbindung in die kleinbürgerliche Familie setzt voraus, daß er seine vorherige (erwachsene) Identität aufgibt, die dann als Angeberei gepaart mit Großstadtallüren diskreditiert wird. Der Film verfolgt eine Doppelstrategie, indem er einerseits die Überlegenheit der Figur durch die gelungenen Streiche vorführt (Pfeiffer erscheint dabei als Führerfigur und als einer, dem alles gelingt), andererseits diese Figur verharmlost, indem die gegebene Autorität letztlich anerkannt wird. Die Streiche funktionieren nur, solange die Rollen der Schüler und Lehrer und das Autoritätsgefälle zwischen ihnen fest und klar definiert sind. Die Streiche gehören auch zum System, wie der etwas jüngere Lehrer, der den Typ einer NS-Führerfigur verkörpert, deutlich macht. Die Komik im Film entwickelt nie den Biß, die Autoritätsstrukturen selbst anzugreifen. Er hält sich bei individuellen Eigenarten und vor allem bei der Figur Pfeiffers auf. Ein Wunsch nach persönlicher Überlegenheit kann ruhig auf Pfeiffer projiziert werden, denn er wird grundsätzlich nie die Autorität untergraben, weil er schon von vornherein zu denen "oben" gehört. Mit seinen Büchern und Titeln steht er sogar "über" den Lehrern. Seine Maskerade als Schüler, die die Hauptquelle der Witze im Film hergibt, garantiert für ihre Harmlosigkeit. Die Witze sind "Ventile, [...] aus denen der angehende junge Deutsche seine anarchistische Luft abläßt".80 Nebenbei liefert der Film eine klassische Bestätigung von Moralvorstellungen und Geschlechterrollen, vor allem in der Konfrontation der "mondänen" Großstadtdame (sprich "Hure") mit dem "natürlichen", "unschuldigen" Mädchen, das "eine Frau zum Heiraten" wird. Hierin findet sich wieder die typische Bändigung der Erotik, sowohl bei der Frau als auch bei dem Mann, der erst lernen muß, heiratswillig zu werden. Solche Stereotypen, die Autorität, Stand und Geschlechterrollen bestätigen, finden sich fast durchgängig in den Filmen der NS-Zeit. Sie dienen dazu, Wünsche - z.B. nach Rebellion, nach individueller Erfüllung - anzusprechen, sie umzuleiten und einzudämmen.

79 80

S. Witte 1976b. Sanders 1982,54.

7. Schlußbemerkungen

In der theoretischen Diskussion und in den Filmanalysen habe ich immer wieder einen Grundmechanismus der Ideologie beschrieben - die Filme sprechen Wünsche und Gefühle an und versuchen, sie mit den Anforderungen der Gesellschaft in Einklang zu bringen. Vor allem Geschlechterrollen, persönliche Identität und Wünsche nach Selbstverwirklichung und individueller Erfüllung standen dabei im Mittelpunkt, ohne daß sie als alleiniger Inhalt der Ideologie definiert wurden. An einigen Beispielen habe ich zu zeigen versucht, wie solche Impulse verarbeitet und umgeleitet wurden und wie sie mit zusätzlichen ideologischen Bedeutungen - auch offensichtlich politischen - verknüpft wurden. Aber auch schon die eher persönlichen, "unpolitischen" Ebenen der Bedeutung vermittelten ideologisch wirksame Vorbilder für Verhaltensweisen und Haltungen. Obwohl die Variationsbreite der Filme im Nationalsozialismus - die von ausgesprochener Propaganda bis zu einer Art "ästhetischer Opposition" (Witte) reichte - groß ist, findet eine Verarbeitung von Wünschen bei allen Filmen statt. Was sie voneinander unterscheidet, ist die Richtung und die Rigidität bzw. Offenheit dieser Prozesse. So versucht ...reitet für Deutschland, Wünsche in eine ängstlich eingeengte, repressive Männlichkeitsdefinition einzufangen, Käutners Filme dagegen mobilisieren Wünsche und lassen ihnen dann Freiräume, die dann aber durch ein idealistisches Weltbild abgesteckt sind.1 Die ideologische Arbeit kann verschiedene Richtungen nehmen, spielt aber bei jedem Film eine zentrale Rolle. Zum Schluß stellen sich noch Fragen nach der Reichweite dieses Modells. Sind diese ideologischen Prozesse universell? Was ist dann das eigentlich "Faschistische" an den NS-Filmen? Kann dieses Modell den Nationalsozialismus ausreichend erfassen, oder ist es zu sehr generalisiert? Gilt das hier skizzierte Modell immer noch? Welche Ähnlichkeiten bzw. Unterschiede gibt es zwischen den Filmen des Nationalsozialismus und dem heutigen Film oder Fernsehen?

Die Grenzen dieser Ideologie wurden in den Nachkriegsfilmen Käutners, vor allem In jenen Tagen, deutlich, wo sie die Entfaltung einer politischen Sicht auf den Nationalsozialismus verhindert. Die Filme der NS-Zeit konnten in diesem Kontext nicht anders als politisch wirken, auch wenn sie politische Themen vermieden.

239 Als abstraktes Modell ist die Beschreibung der Ideologie, die ich hier benutzt habe, sehr weit verallgemeinerbar. Sie trifft sowohl für andere Filme als auch für andere Formen der Kultur zu.2 Sobald diese allgemeine Definition aber an konkreten Objekten angewendet wird, erscheinen die Unterschiede und die historische Bestimmtheit der kulturellen Formen und Artefakte. Im Fall des NS-Films liegt diese Besonderheit - neben manchen speziellen, zeitbezogenen Themen - in ihrem historischen, politischen und kulturellen Kontext, der die Bedeutung und Funktion der Filme definierte. Diese historische Besonderheit ist wiederum mehrdimensional; sie setzt sich aus spezifisch nazistischen Elementen und zum größeren Teil aus längerfristigen Entwicklungen und Tendenzen, z.B. gesellschaftlicher Modernisierung, zusammen. Die Gemeinsamkeiten und Unterschiede zwischen Massenkultur damals und heute lassen sich in diesem Zusammenhang näher bestimmen. Die NS-Zeit war noch weitgehend eine Übergangszeit. Die neuen Formen der Massenkultur waren zwar schon etabliert, aber sie bezogen sich im erheblichen Maße noch auf frühere kulturelle Formen und reagierten auf ideologische und subjektiv erfahrene Defizite der neuen Gesellschaftsformation. So boten die Filme unterschiedliche Modelle von Sinn und Identität, politische und scheinbar rein individuelle, die die tatsächliche Auflockerung tradierter Sinnstrukturen zu kompensieren versprachen. Viele NS-Filme versprachen daher einen verbindlichen Sinn - z.B. durch Begriffe von Nation, Pflicht etc. definiert - oder eine feste Identität - z.B. als soldatischen Mann oder "weibliche" Frau. Die Enge und Rigidität der Filme hat ihre Ursache in dieser historischen Situation und in seinen subjektiven Folgen, vor allem in Ängsten und Unsicherheiten. Die Konstruktion eines Ersatzsinnes ist gleichermaßen bezeichnend für den Nationalsozialismus selbst wie für seine Filme. Auch die Identifikation mit den Filmprotagonisten bzw. partielle Identifikationen mit bestimmten Eigenschaften und Gefühlen fungieren, um brüchig gewordene soziale Rollen zu stützen. Der hier beschriebene Grundmechanismus der Ideologie findet sich aber auch in den heutigen Filmen und Fernsehfilmen, der Gesamtkontext hat sich jedoch zum Teil verändert. In den heutigen Produkten der "Kulturindustrie" ist der Zwang zum Sinn und zu einer engen Wiedereingrenzung der Wünsche gelockert. Adornos Beschreibung der inhaltlichen Entleerung der Ideologie trifft heute in einem viel stärkeren Maße zu als zur Entstehungszeit dieser Theorie. Fernsehen, weniger intensiv als Film, aber fast allgegenwärtig, beschränkt sich noch eher auf eine bloße Verdoppelung des Gegebenen. Seltener wird versucht, das Existierende als sinnvoll zu begründen, eher wird das einfache So-Sein wiederholt. Die Zeichen in der heutigen Massenkultur nehmen zunehmend den Charakter freier Signifikanten an, die nicht unbedingt eine klar definierte Signi2

Vgl. Jameson 1981, der Beispiele vor allem aus den Romanen des 19. Jahrhunderts bezieht, und Jameson 1979, wo es um die neue amerikanische Massenkultur geht.

240 fikanz produzieren. 3 Sie erschöpfen sich tendenziell darin, auf eine fast unendliche Kette anderer Signifikanten zu verweisen. Es fehlen häufig die tradierten, festgelegten kulturellen Definitionen eines allgemeingültigen Sinnes. Wo ideologische Elemente (im klassischen Sinne) sich finden, haben sie häufig eine Beliebigkeit, die ihre Funktion als Welterklärung aushöhlt. Die Zeichen im Fernsehen verweisen seltener auf Tiefendimensionen der Bedeutung, sondern erfüllen gerade dadurch eine ideologische Funktion, daß sie überhaupt eine tiefere Artikulation von Bedeutungen blockieren. Die Formen haben sich von ihren Inhalten weiter entfernt und brauchen heute weniger als früher den Anschein einer sinnvollen Welterklärung zu bieten. Die grundsätzliche Funktion jedoch - unerfüllte Wünsche und utopische Impulse, die in der gegebenen Gesellschaftsformation nicht befriedigt werden können, umzuleiten, stillzulegen oder zu neutralisieren - hat sich nicht verändert.

Die Begriffe des "Spektakels" (Debord) oder der "Simulation" (Baudrillard) sind Versuche, diesen neuen Charakter der Kultur zu erfassen. Die neue Form des Video-Clips bietet gute Beispiele für den ungebundenen, aber beliebigen und inhaltsentleerte Umgang mit versprengten Bedeutungsresten.

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Filmographie

Carl Peters Regie: Herbert Selpin Drehbuch: Ernst von Salomom, Walter Zerlett-Olfenius, Herbert Selpin Darsteller: Hans Albers, Karl Dannemann, Fritz Odemar, Herbert Hübner, Toni von Bukovics u.a. Produktion: Bavaria-Filmkunst Kamera: Franz Koch Musik: Franz Doelle Zensur: 20.3. 1941 jugendfrei) Prädikate: Staatspol. und künstl. wertvoll, kulturell wertvoll, volksbildend, jugendwert Uraufführung: 21. 3. 1941, Hamburg Länge: 3193 m Die Feuerzangenbowle Regie: Helmut Weiss Drehbuch: Heinrich Spoerl Darsteller: Heinz Rühmann, Erich Ponto, Paul Henckels, Karin Himboldt, Hilde Sessak, Hans Leibelt u.a. Produktion: Terra Kamera: Ewald Daub Musik: Werner Bochmann Zensur: 14.1.1944, jugendfrei Prädikate: künstl. wertvoll Uraufführung: 28.1.1944 Länge: 2686 m Die goldene Stadt Regie: Veit Harlan Drehbuch: Veit Harlan und Alfred Braun nach dem Bühnenstück Der Gigant von Richard Billinger Darsteller: Kristina Söderbaum, Eugen Klopfer, Annie Rosar, Liselotte Schreiner, Paul Klinger, Kurt Meisel, Rudolf Prack u.a. Produktion: Ufa Kamera: Bruno Mondi Musik: Hans Otto Borgmann Zensur: 7. 8.1942 (Jugendverbot) Prädikate: künstlerisch besonders wertvoll Uraufführung: 24. 11. 1942, Berlin Länge: 3004 m

260 Große Freiheit Nr. 7 Regie: Helmut Käutner Drehbuch: Helmut Käutner, Richard Nicolas Darsteller: Hans Albers, Ilse Werner, Hans Söhnker, Gustav Knuth, Günther Lüders, Hilde Hildebrand u.a. Kamera: Werner Krien Musik: Werner Eisbrenner Produktion: Terra-Filmkunst Zensur: — Prädikate: — Uraufführung: 15.12. 1944, Prag Länge: 3060 m Die große Liebe Regie: Rolf Hansen Drehbuch: Peter Groll und Rolf Hansen nach einer Idee von Alexander LernetHolenia Darsteller: Zarah Leander, Viktor Staal, Paul Hörbiger, Grethe Weiser, Wolfgang Preiß u.a. Produktion: Ufa Kamera: Franz Weihmayr Musik: Michael Jary; Liedertexte: Bruno Balz Zensur: 6. 6. 1942 (jugendfrei) Prädikate: Staatspol. und künstl. wertv., volkstüml. wertv. Uraufführung: 12. 6.1942, Berlin Länge: 2738 m La Habanera Regie: Detlef Sierck Drehbuch: Gerhard Menzel Darsteller: Zarah Leander, Ferdinand Marian, Karl Martell u.a. Produktion: Ufa Kamera: Franz Weihmayr Musik: Lothar Brühne Liedertexte: Detlef Sierck, Bruno Balz, Franz Baumann Prädikate: keine Zensur: 17.12.1937 (für Jugendliche unter 18 nicht zugelassen) Uraufführung: 18. 12. 1937 Länge: 2692 m

261 Mutterliebe Regie: Gustav Ucicky Drehbuch: Gerhard Menzel Darsteller: Käthe Dorsch, Paul Hörbiger, Wolf Albach-Retty, Hans Holt, Rudolf Prack, Susi Nicoletti u.a. Produktion: Wien-Film Kamera: Hans Schneeberger Musik: Willy Schmidt-Gentner Zensur: 24.10. 1939 Prädikate: Staatspol. und künstlerisch bes. wertvoll Uraufführung: 19.12. 1939, Wien Länge: 2893 m ... reitet für Deutschland Regie: Arthur Maria Rabenalt Drehbuch: Fritz Reck-Malleczewen, Richard Riedel, Josef Maria Frank Darsteller: Willy Birgel, Gertrud Eysoldt, Gerhild Weber, Herbert E. A. Böhme u.a. Produktion: Ufa Kamera: Werner Krien Musik: Alois Melichar Zensur: 4. 4. 1941 (jugendfrei) Prädikate: Staatspolitisch wertvoll, jugendwert Uraufführung: 11.4.1941, Hannover Länge: 2513 Robert Koch, der Bekämpfer des Todes Regie: Hans Steinhoff Drehbuch: Walter Wassermann, C.H. Diller Darsteller: Emil Jannings, Werner Krauss u.a. Produktion: Tobis Kamera: Fritz Arno Wagner Musik: Wolfgang Zeller Zensur: 12. 8. 1939 Prädikate: Staatspol. und künstlerisch bes. wertvoll, kulturell wertv., volkstümlich wertv., jugendwert Uraufführung: 27. 9.1939, Berlin Länge: 3169m

262 Romanze in Moll Regie: Helmut Käutner Drehbuch: Willy Clever und Helmut Käutner Darsteller: Marianne Hoppe, Paul Dahlke, Ferdinand Marian, Siegfried Breuer u.a. Produktion: Tobis Kamera: Georg Bruckbauer Musik: Lothar Brühne, Werner Eisbrenner Zensur: 28. 1.1943 (für Jugendliche unter 18 verboten) Prädikate: künstlerisch besonders wertvoll Uraufführung: 25. 6.1943, Berlin Länge: 2728 m

263 Illustrationen und Tabellen

Die große Liebe - Bilder zu den Sequenzanalysen in Kapitel 5

Einstellung 34 Seite 154:

Einstellung 35 Seite 155:

264 Einstellung 43 - Seite 158:

/w%

E i n s t e l l u n g 214 - Seite 171:

4

E i n s t e l l u n g 217 - Seite 171:

266 Einstellung 222 - Seite 173:

267 Einstellung 435 - Seite 185:

Einstellung 441 - Seite 187:

268 Einstellung 465 - Seite 196:

Die Standfotos vom Film wurden vom Bundesarchiv-Filmarchiv hergestellt. Die große Liebe ist heute im Verleih der Transit-Film-GmbH, München.

269

Tabelle 2.1/ Die drei erfolgreichsten Filme pro Saison: (Nach Angaben in Das deutsche Filmschaffen in vierten Kriegsjahr 1943, o.S.)

Saison

Film

Besucher

1933/34

Flüchtlinge Gold Krach um Jolanthe

1934/35

Maskerade So endet eine Liebe Ein Mann will nach Deutschland

1935/36

Schwarze Rosen Allotria Krach im Hinterhaus

1936/37

Verräter Das indische Grabmal Truxa

1937/38

Der Mustergatte Olympia 1. Teil Gasparone

1938/39

Heimat Es war eine rauschende Ballnacht Robert Koch

1939/40

Jud Süß Mutterliebe Der Postmeister

20.3 Mill. 19.4 18,1

1940/41

Wunschkonzert Frauen sind doch bessere Diplomaten Die Entlassung

26,5 24,7 20

Die Tabellennummern richten sich nach den Kapiteln im Text. Diese ist also die erste Tabelle für Kapitel 2.

270

Tabelle 2.2. Erfolgsfilme nach projizierten Einspielergebnissen: Einspielergebnisse für viele Filme aus der Kriegszeit sind bei Albrecht angeben.1 Da die Summen nach sehr unterschiedlichen Laufzeiten errechnet wurden, sind sie nicht unmittelbar miteinander vergleichbar.2 Daher werden die Einspielergebnisse hier nach dem "Cautio"-Schlüssel auf eine einheitliche Laufzeit hochgerechnet, in der die Filme ihre geschätzten Einspielergebnisse erreicht haben sollten.3 1939: - Mutterliebe - Es war eine rauschende - Robert Koch

Ballnacht

1940: - Wunschkonzert - lud Süß - Der Postmeister 1941: - Ohm Krüger - ...reitet für Deutschland - Kampfgeschwader Lützow 1942: - Die goldene Stadt - Die große Liebe - Fronttheater 1943: - Der weiße Traum - Zirkus Renz - Das Bad auf der Tenne 1944: - Die Frau meiner Träume - Die Feuerzangenbowle - Die Affäre Roedern

1 2

3

Albrecht 1969, 409-416 Durchschnittliche monatliche Ergebnisse, wie sie Hollstein angibt, sind relativ bedeutungslos, da die Filmeinnahmen nicht linear in der Zeit verliefen (Hollstein 1983, 238-239). Hochrechnung nach der Formel: tatsächl. Einspielergebnis (% des Soll-Ergebnisses / 100).

271

Tabelle 2 3. Die 30 erfolgreichsten deutschen Filme der Jahre 1941-1942 1 (nach Umsatz)

Film

Herstellungskosten (Mill. RM)

Einspielergebnis (MAL RM)

2,9 0,9 2,6 2,7 1,3 1,9 4,7 1,4 3,2 5,4 0,9 2,1 1,4 1,7 3,7 0,5 3,4 2,3 1,3 1,2 1,2 1,2 0,9 0,9 0,7 3,1 1,0 0,7 0,8 0,9

8,0 7,6 7,0 7,0 6,5 6,2 6,0 6,0 6,0 5,5 5,3 5,0 5,0 5,0 4,9 4,5 4,5 4,5 4,2 4,0 4,0 3,8 3,7 3,6 3,5 3,3 3,3 3,0 3,0 3,0

1. Die große Liebe 2. Wunschkonzert 3. Frauen sind doch bessere Diplomaten 4. Wiener Blut 5. Annelie 6. Jud Süß 7. Der große König 8. Hochzeit auf Bärenhof 9. Die Entlassung 10. Ohm Krüger 11. Ich klage an 12. Operette 13. ...reitet für Deutschland 14. Quax der Bruchpilot 15. Heimkehr 16. Zwei in einer großen Stadt 17. Rembrandt 18. Tanz mit dem Kaiser 19. Frau Luna 20. Kampfgeschwader Lützow 21. Der Meineidbauer 22. Immer nur du 23. Das andere Ich 24. Kellnerin Anna 25. Wiener Geschichten 26. Carl Peters 27. Wir bitten zum Tanz 28. Was geschah in dieser Nacht 29. Der verkaufte Großvater 30. Illusion

1

Das deutsche Filmschaffen im vierten Kriegsjahr 1943, o.S.

272

Tabelle 4.1. Handlungskausalität in Die goldene Stadt Thomas ist verlobt mit A. will sie heiraten; ist aber zurückhaltend und traut sich nicht.

Vater ist habgierig. Sie möchte den Bauern heiraten.

ist tot, kam aus Prag, hat Selbstmord verübt.

ist autoritär, beherrschend, stur, in der Tradition bebehaftet. Er bestimmt Annas Leben.

I

ist besorgt um A., will sie mit Th. verheiratet sehen; blockiert Trockenlegung des Moors.

-f

lä£t Leidwein versetzen.

stellt seine Macht — ^ • über A. wieder her.

wehrt Pelikan ab.

spricht mit Anna, will Hochzeitstermin festlegen.

gibt A. Karte von Leidwein

will Jobst heiraten; rät A., nach Prag zu fahren.

£

erfährt, daß Anna weg ist.

entdeckt, A. ist weg; sagt "sie ist verloren."

laßt Anna ausrichten, er sei ihr nicht böse.

verlobt sich mit Maruschka; will die Sümpfe, die die Bösen bestrafen, behalten; enterbt Anna.

4-

4

stellt Jobst vor der Entscheidung, "sie oder ich". -

y ignoriert A.?

t

'

geht A. suchen. «ge-

macht Thomas zum Erben, sagt: die Sümpfe sollen

273

Anna

Leidwein

ist autoritär, beherrschend, stur, in der Tradition bebehaftet. Er bestimmt Annas Leben.

ist etwas wild, spontan, will "leben". Sie träumt davon, einmal nach Prag zu kommen. en. I

ein Ingenieur aus Prag, soll die Sümpfe trockenlegen. Ein schicker, modemer Mann. 1

ist besorgt um A., will sie mit Th. verheiratet sehen; blockiert Trockenlegung des Moors.

hat s. in Leidwein etwas verliebt. Sie flirtet mit ihm.

interessiert s. für Anna; arbeitet im Sumpf.

läßt Leidwein versetzen.

weiß nicht, was sie will; verhält sich nicht eindeutig.

verabschiedet s geht nach Prag zurück.

Vater

#

+

I

ist egoistisch, berechnend, skrupellos.

stellt seine Macht — ^ • streitet sich mit über A. wieder her. ^ ihrem Vater.

versöhnt sich mit Vater.

gibt A. Karte , von Leidwein

4-

ihre Träume werden wieder erweckt.

fährt nach Prag; trifft L.; lernt • Toni kennen, verliebt sich in ihn.

-f

entdeckt, A. ist weg; sagt "sie ist verloren. "

wird Tonis Geliebte.

verlobt sich mit Maruschka; will die Sümpfe, die die Bösen bestrafen, behalten; enterbt _ Anna.

läßt s. von Toni ausnutzen; wird Schwanger; verkommt.

+

X

verläßt Prag.

V ignoriert A.;

X

*

geht A. suchen.«

macht Thomas zum Erben, sagt: die % Sümpfe sollen " weg.

kommt nach Hause; geht ins Moor.

bringt sich um.

wird tot geborgen. Das Grabstein von A. und ihrer Mutter steht im Kornfeld.

^ ^

warnt A. vor ihren Verwandten. ^

trennt s. von der Geliebten; flirtet mit A.; erzählt ihr, L. sei verlobt.

ist besorgt um A.

läßt A. im Laden arbeiten, tut nichts; verliert Interesse an A.

I

iverstößt A., geht zur Chefin zurück.

274

Tabelle 4.2. Die goldene Stadt

WIDERSTÄNDE

Ödipale Situation, Autorität des Vaters,< Mutter ist tot

Ödipale Situation

Vater enterbt Anna anderen Mann, < Wunsch nach Selbstbestimmung, Wunsch nach der Mutter

> Latente Sehnsüchte

Prag: Wünsche ausleben

Verzicht auf Wünsche, — B i t t e um Vergebung

Vaters Wunsch nach Wiedergutmachung

Ergebnisse:

HANDLUNGSFÖRDENDE MOMENTE

>

>

Vater vertreibt Leidwein

Leidweins Karte, Maruschka

• Konsequenzen: Schwangerschaft, Toni verstößt sie

-> Selbstmord

V ->

Ende der Handlung

Anna hat ihre Wünsche aufgegeben; Der Vater hat den Hof und seine Machtposition abgetreten; Anna ist im Tod mit der Mutter vereint.

275

Tabelle 5.1. Die große Liebe - Sequenzeinteilung Sequenz Szene Einstellung

Handlung

Funktion in der Erzählung

I. Sz. 1-4 E. 1-24

Wendlandt schafft es, sein Flugzeug trotz defektem Landebein zu landen. Er und v. Etzdorf werden für einen Tag nach Berlin geschickt.

Wendlandt wird charakterisiert, sein kurzer Aufenthalt in Berlin motiviert.

II. Sz. 5-11 E. 25-53

Wendlandt und Etzdorf gehen in die Berliner Scala. Auftritt von Hanna. Wendlandt will sie unbedingt kennenlernen.

Charakterisierung von Hanna durch ihr Lied und ihre Bühnenerscheinung. Die Handlung führt auf den Beginn der Liebesgeschichte hin.

III. Sz. 12-13 E. 54-70

Hanna unterhält sich mit Käthe und dann mit Rudnitzky, der sagt, er liebe sie. Er will sich von seiner Frau scheiden lassen.

Hanna wird als Privatperson charakterisiert. Eine potentielle Dreiecksgeschichte wird angedeutet, mit Rudnitzky und Wendlandt als Rivalen.

IV. Sz. 14-26. E. 71-131

Wendlandt folgt Hanna als sie die Scala verläßt. Er verfolgt sie hartnäckig und dringt sogar bei einem Fest bei ihren Bekannten ein. Dort kommt er endlich mit ihr ins Gespräch. Er begleitet sie dann auf ihrem Weg nach Hause.

Hanna wird näher charakterisiert: sie ist attraktiv für Männer aber sittsam (sie wehrt seine Avancen ab). Wendlandt erscheint weiterhin als Draufgänger. Eine erste Annäherung setzt ein.

V. Sz. 27-32 E. 132-172

Bei Hanna: da Fliegeralarm ist, muß sie Wendlandt mit in den Keller nehmen. Sie kommen sich näher. Wendlandt zeigt seinen Charme und seine Fünrungsqualität im Umgang mit der Hausgemeinschaft. Anschließend gehen sie in ihre Wohnung hinauf - er bleibt.

Die Annäherung wird weitergeführt. Wendlandt wird von einer anderen Seite gezeigt; er erscheint seriös und liebenswert. Die Liebe wird eingeleitet.

276 VI. Sz. 33 E. 173-177

Wolken, ein Flugzeug. Wendlandt und v. Etzdorf fliegen an die Front zurück. Wendlandt hat Hanna nicht erzählt, daß er Flieger sei, sondern ist einfach weggefahren.

Die Wolken - Zeichen einer Liebesnacht - leiten in die Trennung - das Wegfliegen über. Die Erzählung stellt die Frage auf, ob es zur Liebe kommt oder bei einem Abenteuer bleibt.

VII. Sz. 34-37 E. 178-207

Hanna wartet auf Nachricht von Wendlandt. Sie ist nervös und überreizt, kann sich auf Berufliches nicht konzentrieren.

Folgen der Trennung: ihre Liebe äußert sich als Störung.

VIII. Sz. 38-39 E. 208-212

Hanna erzählt Rudnitzky von ihrer Liebe zu Wendlandt. Rudnitzky versucht, dagegen zu reden.

Hannas Liebe wird bestätigt. Die Beziehung Hanna-Rudnitzky bleibt offen,

IX. Sz. 40 E. 213-236

Wendlandt ist bei Hanna. Sie verhält sich ihm gegenüber kalt und macht ihm Vorwürfe, er habe nicht geschrieben. Er erzählt, er sei Flieger und im Einsatz gewesen.

Streit und Versöhnung. bekennt sich zur Liebe.

X. Sz. 41 E. 237-240

Im Kino: Hanna erzählt Rudnitzky von Wendlandt.

Steigerung der Liebes- und Dreieckssituation.

XI. Sz. 42-45 E. 241-250

Alternierende Szenen: Wendlandt in Berlin, Hanna in Paris; sie haben sich verpaßt.

Steigerung der Trennungssituation, Motivation für die Heirat.

XII. Sz. 46-47 E. 251-266

Hanna singt "Davon geht die Welt nicht unter..." bei der Truppenbetreuung in Frankreich

Optimismus und Durchhaltevermögen werden vorgeführt; Hanna wird weiter charakterisiert.

XIII. Sz. 48-49 E. 267-278

Wendlandt hat Hanna in einem Brief einen Heiratsantrag gemacht.

Steigerung schichte.

der

Liebesge-

XIV. Sz. 50-56 E. 279-297

Polterabend in Wendlandts und Hannas Haus in Berlin. Wendlandt wird telegraphisch sofort an die Front zurückbeordert.

Steigerung Pathos.

der

Trennung,

Er

277 XV. Sz. 57 E. 298-301

Rudnitzkys Büro: Hanna will wieder arbeiten.

Reaktion auf Enttäuschung; stellt weitere Entwicklung in Frage.

XVI. Sz. 58-67 E. 302-325

Rom: Hanna probt, sie ist nervös und unkonzentriert. Wendlandt kommt überraschend in Rom an.

Psychische Reaktion Hannas wird gezeigt. Eine mögliche Lösung bahnt sich an.

XVII. Sz. 68-72 E. 326-366

Hotel in Rom: Wendlandt will gleich wieder abreisen, auf Anraten eines Kameraden. Hanna besteht darauf, daß er bleibt. Sie streiten sich.

Zerwürfnis: Streit zwischen Pflicht und Lust erreicht den Höhepunkt. Liebe wird in Frage gestellt.

XVIII. Sz. 73-74 E. 367-371

Der Krieg mit der Sowjetunion wird bekanntgegeben.

Wendlandts Handlung gerechtfertigt.

XIX. Sz. 75-79 E. 372-410

Alternierende Szenen: Rom/Ostfront. Hanna möchte sich mit Wendlandt versöhnen. Etzdorf stirbt; Wendlandt übernimmt seine Haltung: "Ohne Liebe geht es leichter." Er trennt sich von Hanna. Wendlandt im Luftkampf.

Zerwürfnis wird vertieft; eine Lösung scheint unerreichbar.

XX Sz. 80-81 E. 411-431

Rom: Rudnitzky bekommt die Scheidung von seiner Frau. Er hofft, Hannas Liebe doch noch zu gewinnen. Er unterschlägt ein Telegramm, in dem steht, Wendlandt liege verletzt im Lazarett und nach Hanna verlange.

Retardierung und Steigerung der Lösung,

XXI. Sz. 82-84 E. 432-452

Hannas Auftritt: "Ich weiß, es wird einmal ein Wunder gescheh'n". Rudnitzky gibt ihr das Teigramm.

Symbolische Andeutung der Lösung, Bestätigung der Werte "Glauben", "Hoffen",

XXII. Sz. 85 E. 453-465

Lazarett: Wiedersehen von Hanna und Wendlandt. Sie wird ihn heiraten.

Happy End.

wird

278

Tabelle 5.2. Die große Liebe - Durchschnittliche Einstellungslängen 35 y 30 -

|rü!

25-•

Sek.

20 •

15-

M • ä!

10

;¡i: Tï

5

0

1 II IIIIII 1

2

3

4

5

6

7

8

III!

9 10 11 12 13 14 15 16 17 lfl 19 20 21 22

Sequenz

Tabelle 53. Die große Liehe - Einstellungsgrößen 50-r

Weit

Totale

Halbtot. Halbnah H Anzahl

Nah

[ 1 Zelt

Groe

Detall

279 Tabelle 5.4. Die große Liebe - Einstellungen und Einstellungslängen

Originalfilmlänge: 2738 Meter = 100"04' 465 Einstellungen Durchschnittliche Einstellungslänge: 12,9 Sek.

Durchschnittliche Einstellungslänge nach Größen: (mit der Hand gestoppt)

Weit:

6,5

Totale:

12,8

Halbtotale:

18,4

Halbnah:

13,9

Nah:

10,8

Groß:

7,7

Detail:

7,6

Anteile der Einstellungsgrößen am Gesamtfilm Nach Anzahl

Nach Zeit

Weit:

7,5%

4,2%

Totale:

7,5%

8,2%

Halbtotale:

8,6%

13,4%

Halbnah:

26,2%

30,8%

Nah:

40,9%

37,4%

Groß:

7,7%

5,0%

Detail:

1,5%

1,0%