Demokratische Kultur und NS-Vergangenheit. Politik, Personal, Prägungen in Bayern 1945-1975. Hüter des Freistaats: Das Führungspersonal der Bayerischen Staatskanzlei zwischen Nationalsozialismus und Nachkriegsdemokratie 9783111317731, 9783111277295

What shape did the personnel policy of Bavarian state governments take while dealing with the Nazi past between 1945 and

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Demokratische Kultur und NS-Vergangenheit. Politik, Personal, Prägungen in Bayern 1945-1975. Hüter des Freistaats: Das Führungspersonal der Bayerischen Staatskanzlei  zwischen Nationalsozialismus und Nachkriegsdemokratie
 9783111317731, 9783111277295

Table of contents :
Inhalt
Editorial
Vorwort
Einleitung
1 Die Staatskanzlei in der NS-Zeit
2 Männer mit Erfahrungen und Vorstellungen: die föderalistischen Gründerväter der Bayerischen Staatskanzlei
3 Führungspersonal und Personalpolitik: Akteure, Netzwerke und Vergangenheiten
4 Schaltzentrale des bayerischen Föderalismus: Die Staatskanzlei in der Nachkriegsdemokratie
5 Geschichtspolitik: Die Neuerfindung des bayerischen Staats nach 1945
Fazit
Anlage
Abbildungen und Grafiken
Abkürzungen
Quellen und Literatur
Personenregister
Der Autor

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Rick Tazelaar Hüter des Freistaats

Demokratische Kultur und NS-Vergangenheit in Bayern  Herausgegeben von Magnus Brechtken und Bernhard Gotto im Auftrag des Instituts für Zeitgeschichte München–Berlin

Rick Tazelaar

Hüter des Freistaats  Das Führungspersonal der Bayerischen Staatskanzlei zwischen Nationalsozialismus und Nachkriegsdemokratie

ISBN 978-3-11-127729-5 e-ISBN (PDF) 978-3-11-131773-1 e-ISBN (EPUB) 978-3-11-131792-2 Library of Congress Control Number: 2023941760 Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.dnb.de abrufbar. © 2023 Walter de Gruyter GmbH, Berlin/Boston Einbandabbildung: Bayerische Föderalisten unter sich: (v.l.n.r.) Anton Pfeiffer, Hans Nawiasky und Hans Kraus beim Länderrat in Stuttgart am 2. April 1946. © Public Relations Office, Office of Mil. Gov. For Germany (U.S.)/A.C. Byers. Quelle: BayHStA, NL Hans Kraus 35 Satz: bsix information exchange GmbH, Braunschweig Druck und Bindung: CPI books GmbH, Leck www.degruyter.com

Inhalt Editorial  IX Vorwort  XI Einleitung  1 Fragestellung  3 Führungspersonal  4 Organisationskultur  10 Handlungsfelder  12 Forschungsstand  15 Quellenlage  19 Aufbau der Studie  19 1 1.1 1.2

Die Staatskanzlei in der NS-Zeit  21 Vom Ministerium des Äußern zur Staatskanzlei  22 Aufgaben und Personal  27 Rudolf Buttmanns Denkschrift  29 Wandlungsprozesse während der NS-Zeit  30 Ursachen für den behördlichen Bedeutungsverlust  34 Handlungsspielräume im Einheitsstaat  38 Paul Giesler und die letzten Kriegsjahre  41

2

Männer mit Erfahrungen und Vorstellungen: die föderalistischen Gründerväter der Bayerischen Staatskanzlei  46 Fritz Schäffer und das „bayerische Experiment“  47 Schäffers Ernennung zum Ministerpräsidenten  50 Aufgaben als Ministerpräsident  55 Schäffers politische Erfahrungen in der Weimarer Republik  57 Das Selbstverständnis der BVP  61 Schäffer und die BVP am Ende der Weimarer Republik  64 Rechts- und Steuerberater im NS-Staat  70 Notstandverwaltung im Zeichen des staatlichen Wiederaufbaus  71 Architekt und Organisator: Anton Pfeiffer  74 Pfeiffer in der Weimarer Republik  74 Aktivitäten im konservativen Flügel der BVP  78 Im Schuldienst während der NS-Zeit  81 Nach dem Krieg  82

2.1

2.2

VI  Inhalt

2.3

2.4

2.5

3 3.1

3.2

Föderalismus aus der Defensive: Wilhelm Hoegner  86 Position als Ministerpräsident  87 Politische Erfahrungen in der Weimarer Republik  89 Entscheidende Jahre: im Exil in der Schweiz  91 Defensiver Föderalismus  96 Die bayerische Verfassunggebung 1946  99 Das umstrittene Amt: Bayerischer Staatspräsident  103 Föderalismus in der Offensive: Hans Ehard  107 Die Landtagswahl 1946 und die Skandalisierung von NS-Belastung in der CSU  108 Zweiter Staatsanwalt im Hitler-Prozess  111 In der Verwaltung des NS-Staats  113 Nach dem Krieg  121 Hausideologe im Hinterzimmer: Karl Schwend  124 Schriftleiter der BVC  125 Im Dienst der Dornier-Werke  128 Nach dem Krieg  129 Fazit  130 Führungspersonal und Personalpolitik: Akteure, Netzwerke und Vergangenheiten  132 Das „bayerische Experiment“ unter Druck  132 Vorsichtige Anfänge der amerikanischen Entnazifizierungspolitik  133 Verzeichnisse und die „Reinigung des Beamtenkörpers“  136 Karl Weinisch und die „aktiven“ und „nicht-aktiven Nazis“  138 Die Verschärfung der Entnazifizierung  144 Entschärfungsversuche: Schäffers Memoranden  148 Die rasche Entlassung des ehemaligen Reichswehrministers Otto Geßlers  150 Weitere Personalkonflikte und die Entlassung Schäffers  156 Schäffers Bilanz  159 Personalpolitik zwischen „Lex Hoegner“ und Befreiungsgesetz 1945 bis 1946  160 Hans Kraus als kommissarischer Leiter  161 Rahmenbedingungen der Personalpolitik  163 Der Fall Claus Leusser  164 Die „Lex Hoegner“ und die Forcierung der Entnazifizierungspolitik  168 Pfeiffers Vorstellungen von NS-Belastung  170 Pfeiffer als Sonderminister für die Entnazifizierung  173 Personalpolitische Engpässe  175

Inhalt

3.3

3.4

3.5 3.6 4 4.1

4.2

4.3



VII

Rekrutierungsnetzwerke  179 Vom Mythos der sauberen Verwaltung: Der Fall Fritz Baer  180 Diplomatischer Überlebenskünstler: Hans-Heinrich „Johnny“ Herwarth von Bittenfeld  191 Vergangenheitspolitik und die frühe Wiedereinstellung der „Ehemaligen“ 1947–1954  205 Personalpolitik in der behördlichen Alltagspraxis  205 Rahmenbedingungen der Personalpolitik  208 Staatskanzlei, Landespersonalamt und die gebremste Demokratisierung des bayerischen Berufsbeamtentums  212 Die Verordnung Nr. 113 und die frühe Rückkehr der „Ehemaligen“  220 Das 131er Gesetz  224 „Zentralist oder Föderalist?“ Der Angriff gegen Friedrich Glum  234 „Einen Schwager der Familie Ribbentrop“. Der Angriff gegen Hans Schwarzmann  242 Nach der Gründung  251 Nach der Entnazifizierung 1954–1962  256 Albrecht Haas und die Viererkoalition  257 Hanns Seidel  259 Die „Blutrichter-Kampagne“: Der Fall Peter Erber  260 Die Staatskanzlei als Sprungbrett: Franz Heubl  263 Ausblick in die Ära Goppel  265 Das Führungspersonal 1945–1962: Ein Sozialprofil  270 Die Einstellungspraxis: Erfahrungsgruppen und Vergangenheiten  274 Schaltzentrale des bayerischen Föderalismus: Die Staatskanzlei in der Nachkriegsdemokratie  279 „Erwägungen zur Frage Kanzlei des Bayerischen Ministerpräsidenten“  279 Ein Ziel, unterschiedliche Vorstellungen  282 Konkurrenzkampf?  286 Die verfassungsrechtliche Grundlage der Staatskanzlei als Regierungszentrale  289 Verborgene Machtfülle  293 Nichtgeschäftsbereich  296 Organisationsstrukturen des Föderalismus von Schäffer bis Goppel  301 1945–1946  301 1947–1949  303 1949–1954  306 1954–1957  310 1957–1960  311

VIII  Inhalt

4.4

5 5.1

5.2

5.3

1960–1962  313 1963: Beginn einer neuen Phase  315 Organisationskultur in der Prinzregentenstraße 7  317 Die Raumsituation  318 Selbstverständnis des Berufsbeamtentums  325 Das „Problem Frau ORR Dr. Bitter“  333 Fazit  339 Geschichtspolitik: Die Neuerfindung des bayerischen Staats nach 1945  340 Bayerische Geschichte als „historische Legitimationswissenschaft“  341 Max Spindler  343 Meistererzählung bayerischer Geschichte  345 Die Staatskanzlei schreibt Geschichte  348 Ernst Deuerlein  349 Die Bayerische Landeszentrale für Heimatdienst  357 Die Staatskanzlei und die Anfänge des Instituts für Zeitgeschichte  360 Rudolf Holzhausen  363 Die Rolle Anton Pfeiffers  365 Gerhard Kroll  367

Fazit  371 Anlagen  379 Abbildungen und Grafiken  386 Abkürzungen  387 Quellen und Literatur  390 Personenregister  415 Der Autor  419

Editorial Von Oktober 2016 bis September 2023 erforschte das IfZ die NS-Belastungen und Kontinuitäten in zentralen Behörden der Bayerischen Staatsregierung während der ersten Nachkriegsjahrzehnte. Angeregt wurde das Verbundprojekt „Demokratische Kultur und NS-Vergangenheit. Politik, Personal, Prägungen in Bayern 1945 bis 1975“ durch eine Initiative des Bayerischen Landtags. Eine Kommission aus Landes- und Zeithistorikerinnen und -historikern begleitete das Forschungsvorhaben. Für ihre Unterstützung, ihren Rat und die konstruktive Kritik danken wir herzlich Sabine Freitag (Bamberg), Helmut Flachenecker (Würzburg), Ferdinand Kramer (München), Bernhard Löffler (Regensburg), Joachim Scholtyseck (Bonn), Georg Seiderer (Erlangen) und Margit Szöllösi-Janze (München). Während sich die meisten Projekte der jüngeren Behördenforschung auf eine Institution beschränken, umfasst der hier gewählte Ansatz erstmals den personellen und funktionalen Gesamtzusammenhang einer Landesregierung. Methodisch orientiert sich das Projekt an einer kulturhistorisch erweiterten Verwaltungsgeschichte. Es verschränkt die Analyse von institutionalisierten Routinen mit der Perzeption politischer Debatten über den Umgang mit der NS-Vergangenheit. Dadurch ist es möglich, den Terminus der „NS-Belastung“ als Teil der sich wandelnden demokratischen Kultur zu begreifen. Untersucht werden personelle Kontinuitäten und Prägungen seit der Weimarer Republik, die Persistenz bzw. Transformation von administrativ-politischen Handlungslogiken, sowie Rollenverständnisse und Wahrnehmungsmuster, die sich in der Interaktion zwischen Verwaltungseliten und ihrer Umwelt spiegeln. Der Schwerpunkt der aus diesem Projekt hervorgegangenen Studien liegt auf der westdeutschen Demokratiegeschichte nach 1945. Für die Ausprägung einer demokratischen Kultur und ihrer Wirkungen erschließt der Blick auf ein Bundesland Weichenstellungen, die die ausdifferenzierte Forschung zu den Bundesministerien so kaum erfassen. Zum einen rückt die formative Phase zwischen Sommer 1945 und Gründung der Bundesrepublik in den Fokus. Wesentliche Entwicklungen im Umgang mit der NS-Vergangenheit ehemaliger Staatsbediensteter, aber auch bei der Implementierung demokratischer Normen in das Verwaltungshandeln und für die Interaktion zwischen Staatsregierung und Parlament fallen in diese vier Jahre. Zum anderen können Handlungsfelder untersucht werden, die im föderalen Verbund der Bundesrepublik in die Hoheit der Länder fallen. Darüber hinaus bilden die Spannungen und Aushandlungsprozesse um Kompetenzen und finanzielle Ressourcen zwischen Bund und Ländern als Teil einer sich entwickelnden demokratischen Kultur einen eigenständigen Untersuchungsgegenstand. Und nicht zuletzt sind die Landesministerien enger als Oberste Bundesbehörden mit den unte-

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X 

Editorial

ren Verwaltungsstufen verbunden, sodass es möglich wird, die Auswirkungen und Wahrnehmung von administrativen Prozessen bis auf die lokale Ebene zu verfolgen. Bayern eignet sich für diese Fragen als Untersuchungsgegenstand in besonderer Weise. Als einziges großes Flächenland behielt Bayern sein Territorium nahezu unverändert und konnte zudem an eine gewachsene historische Identität anknüpfen. Hand in Hand damit ging ein hohes Maß administrativer Kontinuität: Obwohl die Staatsregierung während der NS-Diktatur Kompetenzen eingebüßt hatte, standen 1945 ein ausdifferenzierter behördlicher Apparat und ein gut ausgebildetes Personalreservoir für den Neuaufbau zur Verfügung. Schließlich setzte die amerikanische Militärregierung hier besonders früh, nämlich bereits im Juni 1945, eine provisorische Landesregierung ein. Die Ergebnisse der Einzelstudien ermöglichen neue Einsichten in die Frage, wie der Umbau Westdeutschlands zu einem demokratischen Rechtsstaat letztlich gelingen konnte, obwohl ein erheblicher Teil der Verwaltungseliten in Bund und Ländern nach 1945 aus einer autoritären und etatistischen Tradition stammte und Mitverantwortung an den Staatsverbrechen der NS-Diktatur trug. Sie zeigen, dass Erfahrung und Prägung nicht der einzige Einflussfaktor auf das Verwaltungshandeln waren, denn auch Lernprozesse in der Demokratie veränderten die Dispositionen des administrativen Personals fortwährend. Solche Prozesse führten allerdings nicht zwangsläufig zu einem „Mehr“ an Partizipation, Gleichberechtigung und Respekt vor demokratischen Regeln. Auch Überhänge obrigkeitlicher Traditionen blieben regelmäßig sichtbar. Diese Einsichten knüpfen an die differenzierten Ergebnisse der neueren Behördenforschung an. Daran beteiligt waren und sind auch Kolleginnen und Kollegen am IfZ selbst, deren Erfahrungen und Ratschläge enorm wertvoll waren. Mitten in die Projektlaufzeit platzte die Covid-Pandemie. Sie berührte nicht nur fundamentale Gewissheiten über das Funktionieren und die Stabilität demokratisch verfasster Gesellschaften, sondern schränkte auch die praktischen Arbeitsmöglichkeiten der Teammitglieder ein. An dieser Stelle möchten wir uns bei allen bedanken, die mit Improvisation, Einsatz und Großzügigkeit geholfen haben, manche Durststrecke zu überwinden. Besondere Anerkennung gebührt den Bearbeiterinnen und Bearbeitern der einzelnen Projekte und den studentischen Hilfskräften, die sie unterstützt haben: Anna Corsten, Sophie Friedl, Janina Gilg, Valentin Grundler, Mareike Haass, Jürgen Kilian, Sabrina Laue, Felix Lieb, Verena Matejka, Elisabeth Perzl, Rick Tazelaar, Franziska Walter und Ana Lena Werner. Magnus Brechtken Bernhard Gotto

Vorwort Die vorliegende Studie stellt die wesentlich überarbeitete und ergänzte Fassung meiner im Sommer 2020 an der Ludwig-Maximilians-Universität München eingereichten Dissertation dar. Sie ist am Institut für Zeitgeschichte München-Berlin im Rahmen des vom Bayerischen Landtag geförderten Forschungsprojekts „Demokratische Kultur und NS-Vergangenheit. Politik, Personal, Prägungen in Bayern 1945– 1975“ entstanden. Mein besonderer Dank gilt den beiden Betreuern meiner Arbeit, Professor Dr. Andreas Wirsching und PD Dr. Thomas Schlemmer, für die sehr konstruktive und angenehme Zusammenarbeit. Meinem Doktorvater, Herrn Professor Wirsching, danke ich für viele wichtige Anregungen, seine fachliche Unterstützung, den großen Freiraum und das Vertrauen, das er mir bei der Erstellung meiner Dissertation entgegenbrachte. Herrn PD Schlemmer, meinem Zweitbetreuer, danke ich für die sehr hilfreichen und herausfordernden Gespräche, für wertvolle geduldige Beratungen und stilistische Empfehlungen. Professor Dr. Michael Hochgeschwender möchte ich herzlich danken für seine Bereitschaft, als Drittgutachter bei der Disputation aufzutreten. Im Laufe der Entstehungszeit meiner Dissertation wurde ich ideell und tatkräftig unterstützt. An dieser Stelle geht mein Dank daher an meine Teamkolleginnen Dr. des. Sophie Friedl, Dr. des. Franziska Walter und Dr. des. Ana Lena Werner für den Austausch und das Feedback, das ich sehr geschätzt habe. Allen voran bin ich meinem Projektleiter, PD. Dr. Bernhard Gotto, sehr dankbar für seine Begleitung durch viele kritische Fragen, die sich während meiner Promotion auftaten, für seinen wertvollen Input und für die zahlreichen Ermutigungen im Laufe der Jahre. In diesem Kontext möchte ich auch „Gabi’s Stüberl“ nicht unerwähnt lassen. Auch unseren studentischen Hilfskräften, Janina Gilg, Valentin Grundler und Sabrina Laue, danke ich für ihr Engagement und ihre Hilfsbereitschaft. Als sehr bereichernd habe ich in den vergangenen Jahren auch die persönliche Ansprechbarkeit und offene Unterstützung weiterer Personen erlebt, die mich auf viele unterschiedliche Weisen gefördert und geprägt haben. Daher möchte ich mich an dieser Stelle in alphabetischer Reihenfolge bei unter anderem folgenden Personen bedanken: Dr. des. Mario Boccia, Dr. Oliver Braun, Professor Dr. Magnus Brechtken, Dr. Annemone Christians, Dr. Patrick Dassen, Professor Dr. Michael Dreyer, Professor Dr. Norbert Frei, PD Dr. Nadine Freund, Dr. Moritz Föllmer, Dr. Carlos Haas, Professor Dr. Johannes Hürter, Dr. Hanco Jürgens, Dr. Felix Lieb, Professor Dr. Bernhard Löffler, Dr. des. Eva Lütkemeyer, Christian Mentel, Jan van Mook, Professor Dr. Christina Morina, Malte Müller, Andreas Nagel, Dr. Jan Neubauer, Dr. Christian Packheiser, Dr. des. Pascal Pawlitta, Elisabeth Perzl, Dr. Sebas-

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XII 

Vorwort

tian Peters, Professor Dr. Thomas Raithel, Dr. Maren Richter, Dr. des. Manuela Rienks, Dr. Daniel Rittenauer, Dr. Gerhard Sälter, Barbara Schäffler, Professor Dr. Elke Seefried, Dr. des. Liza Soutchek, Dr. Irina Stange, Professor Dr. Martina Steber, Dr. Gunnar Take, Dr. Anna Ullrich, Dr. Sebastian Voigt, Karin Walraven, Dr. des. Markus Wegewitz, PD Dr. Annette Weinke, Dr. Niels Weise, Dr. Bastiaan Willems, Dr. Hans Woller, Annette Wöhrman, Roland Zahn, Dr. Jürgen Zarusky † und Willy Zirm. Allen Mitarbeiter*innen der von mir aufgesuchten Archive in Deutschland und in den Vereinigten Staaten, vom Bayerischen Hauptstaatsarchiv in München bis zu den National Archives at College Park in Maryland, möchte ich ebenfalls für ihre hilfreiche Unterstützung und Fachberatungen danken. Da mich ein Großteil meiner Archivrecherchen ins Bayerische Hauptstaatsarchiv in München geführt haben, möchte ich hier im Besonderen dem Archivar und Leiter der Abteilung II, Gerhard Fürmetz, für seine sehr nützliche Beratung und Unterstützung danken. Diese Arbeit hätte nicht in der vorliegenden Form entstehen können ohne die unschätzbar wertvollen fachlichen und persönlichen Einblicke, die ich durch die Gespräche mit Zeitzeug*innen und ihren Nachfahren gewinnen konnte. Ich danke in alphabetischer Reihenfolge Dr. Rudolf Baer, Werner Buchner, Konrad Kruis †, Friederike Ott, Rudolf W. Schmitt und Dr. Hans-Jochen Vogel † für ihre Offenheit, ihre Zeit und ihr Vertrauen. Ebenfalls möchte ich mich ganz herzlich bei meinen Eltern, Erik und Anja, bedanken, die mich in meiner akademischen Laufbahn immer unterstützt, gefördert und wenn nötig aufgemuntert haben. Auch meinen Schwiegereltern, Peter und Kerstin, möchte ich ganz herzlich danken für ihre Unterstützung und Anteilnahme an meiner Dissertation. Für die professionelle und angenehme Betreuung des Publikationsprozesses möchte ich mich außerdem ganz herzlich bei Günther Opitz bedanken. Abschließend möchte ich mich als Nicht-Deutsch-Muttersprachler ganz herzlich bei Mirella Kraska bedanken, die mit sehr viel Geduld bereit war, die jeweiligen Versionen dieser Studie auf Sprach- und Grammatikfehler zu kontrollieren. Sowohl dem Schriftsteller Oscar Wilde als auch dem Philologen Richard Porson wird der Ausspruch nachgesagt, das Leben sei zu kurz, um Deutsch zu lernen. Wer auch immer es war, er hatte recht. Ich widme dieses Buch meiner großartigen Frau Jetti – sie weiß warum. Den Haag (Niederlande), Februar 2023

Einleitung Die bayerische Führungselite war sich nach dem Zweiten Weltkrieg darüber einig, dass die bayerische Staatlichkeit so schnell wie möglich wiederaufgebaut und konsolidiert werden sollte. Nach dem Untergang des „Dritten Reiches“ und dem Einmarsch der amerikanischen Armee sollte der bayerische Staat nun die Entscheidungsmacht über seine politische Zukunft in die eigenen Hände nehmen. Bereits am 11. Juni 1945 schrieb der ehemalige Generalsekretär der Bayerischen Volkspartei (BVP), Anton Pfeiffer, zur Zielsetzung der gerade von der amerikanischen Besatzungsmacht installierten bayerischen Regierung: „Auf alle Fälle muss die Arbeit auf der bayerischen Seite die Erringung eines Höchstmaßes von Zuständigkeit zum Ziele haben. […] Regierung – im Einvernehmen mit der Besatzungsmacht – muss das Ziel sein, nicht Selbstverwaltung in Ausführung empfangener Anordnungen.“1 Doch wie viel politische Zuständigkeit der bayerische Staat in der Nachkriegszeit erhalten sollte und in welchem Tempo, war in vielerlei Hinsicht unsicher und Teil eines dauerhaften Verhandlungsprozesses. Diese Fragen waren nicht nur von der Politik der amerikanischen Militärregierung und den weiteren alliierten Besatzungsmächten abhängig. Die „bayerische Frage“ – die Frage nach der zukünftigen Position Bayerns innerhalb eines deutschen Staats – hing zugleich von den politischen Vorstellungen und Interessen der deutschen Führungseliten in den anderen Ländern ab. Deswegen versuchten die bayerischen Politiker und Ministerialbeamten maximalen Einfluss auf die politischen Gestaltungsprozesse der Nachkriegszeit im Sinne ihrer föderalistischen Vorstellungen zu nehmen. Doch auch nach der Gründung der Bonner-Republik 1949 ließen sie keine Möglichkeit ungenutzt, diese durchzusetzen. An erster Stelle stand für sie stets der bayerische Staat. Diese bayerische Kampfmentalität um die eigene Staatlichkeit kam in der Nachkriegszeit freilich nicht von ungefähr, sondern hatte bereits eine lange Vorgeschichte. „Die bayerische Frage ist keine historische Reminiszenz, keine bayerische Sentimentalität; sie ist die Existenzfrage Bayerns, vor 1000 Jahren in gleicher Weise wie heute“, betonte 1952 der Historiker und Pressereferent der Staatskanzlei, Ernst Deuerlein, in einem Radiobeitrag für den Bayerischen Rundfunk.2 Mit dem bayerischen Staat verband die bayerische Führungselite nach 1945 ein mehr als tausendjähriges Kampfnarrativ. Fluchtpunkt der bayerischen Geschichte war nach diesem Narrativ der moderne Staat, so wie er während der Ära Montgelas 1 BayHStA, NL Anton Pfeiffer 55, „Erwägungen zur Frage Kanzlei des Bayerischen Ministerpräsidenten“, 11. Juni 1945, S. 2. 2 StaBi München, Ana 463, 42, Bayern und Deutschland. Tatsachen und Betrachtungen zur bayerischen Frage in der deutschen Geschichte, 1952. https://doi.org/10.1515/9783111317731-001

2 

Einleitung

und der Regierungszeit von König Ludwig I am Anfang des 19. Jahrhunderts begründet worden war.3 Seit der Reichsgründung 1871 hatte das Königreich Bayern nach so viel politischer Selbstständigkeit wie möglich gestrebt und eine Sonderstellung im Kaiserreich beansprucht. Dieser Kampf um die eigene Staatlichkeit und Entscheidungshoheit wurde im Freistaat nach der Revolution von 1918/19 in der als zentralistisch wahrgenommen Weimarer Republik bis zur Machtübernahme der Nationalsozialisten verstärkt fortgesetzt. An dieser staatlichen Kampftradition galt es nun 1945, nach der als kurzen „Unterbrechung“ wahrgenommenen NSZeit, anzuknüpfen. Dabei war sich die erfahrene bayerische Führungselite darüber einig, dass sich die Versäumnisse von 1919 nicht wiederholen durften, um die bayerische Souveränität gegenüber dem Reich verfassungsrechtlich ausreichend stark abzusichern. Schaltzentrale des bayerischen Föderalismus wurde nach 1945 die Bayerische Staatskanzlei. Sie wurde im Sommer 1945 als „Spitze des bayerischen Verwaltungsund Regierungsapparats“ zur Unterstützung des Ministerpräsidenten und der Staatsregierung neu konzipiert.4 Die Nationalsozialisten hatten zwar bereits 1933 eine Staatskanzlei anstelle des Bayerischen Ministeriums des Äußern installiert. Dennoch büßten die Behörde und das Amt des Bayerischen Ministerpräsidenten durch die nationalsozialistische Zentralisierungspolitik bis zum Kriegsende erheblich an Bedeutung ein, sodass sie nach dem Krieg großenteils neu aufgebaut werden mussten. Von der Staatskanzlei aus wurden nach dem Krieg die Beziehungen mit den jeweiligen Vertretern der amerikanischen Militärregierung geführt. Daneben koordinierte sie während der Besatzungszeit den Kontakt Bayerns zu den Ländern in der amerikanischen Zone und in den anderen Besatzungszonen, ebenso wie die bayerischen Vertretungen in den jeweiligen länder- und zonenübergreifenden Gremien. Hier wurde bis 1949 die föderalistische Strategie für die bayerische Interessensdurchsetzung beim Aufbau des deutschen Staats und nach der Gründung der Bundesrepublik die Strategie Bayerns gegenüber dem Bund festgelegt. Dabei blieb der Wiederaufbau der bayerischen Staatlichkeit keineswegs auf die Politik der Staatskanzlei nach außen begrenzt. Auch innerhalb Bayerns spielte die Staatskanzlei eine wichtige koordinierende Rolle. Von der Staatskanzlei aus wurden beispielsweise die Vorbereitungen für den Entwurf einer neuen Bayerischen Verfassung geplant und durchgeführt. Außerdem koordinierte sie die Zu-

3 Vgl. Bernhard Löffler, Landesgeschichtsschreibung und Geschichtspolitik nach 1945. Das bayerische Beispiel, in: Geschichte in Wissenschaft und Unterricht 69 (2018), 3/4, S. 199–217, hier S. 206 f. 4 BayHStA, NL Anton Pfeiffer 55, „Erwägungen zur Frage Kanzlei des Bayerischen Ministerpräsidenten“, 11. Juni 1945, S. 1.

Fragestellung



3

sammenarbeit zwischen dem Ministerpräsidenten, der Staatsregierung und den Ministerien sowie den Verkehr mit dem Bayerischen Landtag und dem Senat. Zugleich ließen die Ministerpräsidenten und das Führungspersonal der Staatskanzlei keine Möglichkeit ungenutzt, die staatliche Identität in Bayern wiederaufzubauen und historisch zu untermauern. Sie verstanden sich sowohl nach innen als auch nach außen als die Hüter des Freistaats und keine Behörde in Bayern oder Deutschland sollte an den Interessen der Bayerischen Staatskanzlei vorbei arbeiten.

Fragestellung Dass die Staatskanzlei nach 1945 eine zentrale Rolle bei der Konsolidierung des bayerischen Staats spielte, steht außer Frage. Selbstverständlich war sie jedoch keineswegs. So musste die Behörde nach dem Krieg grundsätzlich neu aufgebaut werden und für sich eine Position innerhalb der parlamentarischen Demokratie vereinnahmen. Außerdem führte die umfassende Entnazifizierungspolitik der amerikanischen Militärregierung zu personalpolitischen Engpässen, und ein Teil des Führungspersonals stand der Demokratie als politisches Ordnungsmodel mindestens skeptisch gegenüber. Wie konnte sich die Bayerische Staatskanzlei in der Nachkriegszeit dennoch zur Schaltzentrale der bayerischen Regierungspolitik und des bayerischen Föderalismus entwickeln? Welche politischen Zielsetzungen verfolgten die Akteure dabei und wie setzten sie diese um? Zur Beantwortung dieser Fragen untersucht die vorliegende Studie exemplarisch drei eng miteinander verknüpften Bereiche: das Führungspersonal, die Organisationskultur sowie die Handlungsfelder der Bayerischen Staatskanzlei nach 1945. Dabei liegt der Fokus auf den Kontinuitäten aus der Zeit vor 1945 bis hinein in die Nachkriegszeit. Die Studie nimmt dabei die Rolle der Staatskanzlei von 1945 bis 1962 unter den bayerischen Regierungen von Fritz Schäffer bis zur vierten und letzten Regierungsperiode von Hans Ehard in den Blick. Sie bietet darüber hinaus einen Ausblick in sowohl den Personalbestand als auch die Politik in der Nachfolgerära des Ministerpräsidenten Alfons Goppel. Diese Betrachtung ergibt sich aus zwei Gründen: Zunächst führte die Ernennung von Goppel 1962 zu einer neuen Phase in der Organisation und Funktion der Staatskanzlei seit dem Zweiten Weltkrieg. Die bis dahin relativ kleine Behörde, die im Rückblick klare Koordinierungsaufgaben und übergeordnete Schwerpunkte wie den Föderalismus hatte, transformierte sich dabei zu einer umfassenden Regierungszentrale, die im Rahmen der „Richtlinienkompetenz“ des Ministerpräsidenten die langfristige Planung Bayerns koordinierte. Die Rolle der Staatskanzlei als Schaltzentrale der Ministerialverwaltung bekam in diesem Prozess einen wesentlichen neuen Inhalt und führte zu einem erhebli-

4  Einleitung

chen Zuwachs an Personal, Abteilungen und Referaten. Zweitens vollzog sich bis Mitte der 1960er Jahre auf der Führungsebene ein Personal- und somit Generationswechsel, wobei die für diese Studie relevanten Akteure schrittweise die Staatskanzlei verließen.

Führungspersonal Trotz ihrer herausragenden Bedeutung und Funktion im Machtzentrum der bayerischen Politik liegt noch keine Studie zur Bayerischen Staatskanzlei vor, die sowohl die Entwicklung der Personalpolitik und des Personals als auch die Organisationskultur und Politik in der Nachkriegszeit bis Anfang der 1960er Jahre behandelt. Dennoch hat die vorliegende Studie keineswegs den Anspruch, eine Gesamtgeschichte der Bayerischen Staatskanzlei nach 1945 zu schreiben. Die koordinierende Rolle der Staatskanzlei macht es praktisch unmöglich, diese in ihrer Gesamtheit zu fassen. Zunächst stellt sich die Frage, welches Führungspersonal die Staatskanzlei nach dem Zweiten Weltkrieg neu aufbaute. Die personellen Kontinuitäten in den Ministerialverwaltungen der NS-Zeit bis in die Zeit der Bundesrepublik und der Umgang mit NS-Vergangenheit gehören mittlerweile seit mehr als einem Jahrzehnt zu den am kontroversesten und meist diskutiertesten Themen der deutschen Geschichtswissenschaft. Die 2010 erschienene Studie „Das Amt und die Vergangenheit“ thematisierte die Rolle von deutschen Diplomaten im „Dritten Reich“ und deren Vergangenheitsbewältigung in der frühen Bundesrepublik.5 Obwohl diese Studie nicht die erste Arbeit zum Thema Kontinuitäten von deutschen Funktionseliten6 über die Zäsur von 1945 hinaus war, wurde sie dennoch beson-

5 Vgl. Eckart Conze/Norbert Frei/Peter Hayes/Moshe Zimmermann, Das Amt und die Vergangenheit. Deutsche Diplomaten im Dritten Reich und in der Bundesrepublik, München 2010. 6 Zahlreiche Studien zu diesem Thema sind bereits vor 2010 erschienen. Vgl. insbesondere Jörg Grotkopp, Beamtentum und Staatsformwechsel. Die Auswirkungen der Staatsformwechsel von 1918, 1933 und 1945 auf das Beamtenrecht und die personelle Zusammensetzung der deutschen Beamtenschaft, Frankfurt am Main 1992; Cornelia Rauh/Michael Ruck (Hrsg.), Regionale Eliten zwischen Diktatur und Demokratie. Baden und Württemberg, 1930–1952, München 1993; Michael Ruck, Korpsgeist und Staatsbewußtsein. Beamte im deutschen Südwesten 1928–1972, München 1996; Norbert Frei, Vergangenheitspolitik. Die Anfänge der Bundesrepublik und die NS-Vergangenheit, München 1997; Wilfried Loth/Bernd-A. Rusinek (Hrsg.), Verwandlungspolitik. NS-Eliten in der westdeutschen Nachkriegsgesellschaft, Frankfurt am Main 1998; Sabine Mecking, „Immer treu“. Kommunalbeamte zwischen Kaiserreich und Bundesrepublik, Münster 2000; Ulrich Herbert (Hrsg.), Wandlungsprozesse in Westdeutschland. Belastung, Integration, Liberalisierung 1945–1980, Göttingen 2003; Norbert Frei (Hrsg.), Karrieren im Zwielicht. Hitlers Eliten nach 1945, Frankfurt am Main 2001.

Führungspersonal



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ders hitzig diskutiert7 und löste eine Vielzahl weiterer Forschungsprojekte aus, die den Umgang jeweiliger Bundesbehörden mit der NS-Vergangenheit ihres Personals in den Blick nahmen. Diese Art von Forschung ist mittlerweile sogar selbst zum Forschungsgegenstand geworden.8 Somit wissen wir heute über das Führungspersonal, das zwischen 1949 und etwa 1970 in den Bundesbehörden beschäftigt wurde, vermutlich wesentlich mehr als die betroffenen Behörden damals je wissen konnten. Außerdem haben einige Projekte in den letzten Jahren die Forschungsperspektive um den Umgang mit NS-Vergangenheit in den Ministerien und Behörden der DDR erweitert.9 Der Fokus in der Behördenforschung lag in den letzten Jahren auf der Reichsund Bundesebene. Dadurch ist der Aufbau der Ministerialverwaltungen zwischen 1945 und 1949 in den jeweiligen Ländern, die aus den amerikanischen, französischen und britischen Besatzungszonen hervorgingen, großenteils nicht betrachtet worden. Hier liefert diese Studie einen innovativen Beitrag, indem sie keine oberste Bundesbehörde, sondern eine oberste Landesbehörde – in Bayern – im dynamischen Kontext der Landes- und Bundespolitik der Nachkriegszeit in den Blick nimmt. Dabei kann sie in vielerlei Hinsicht auf der Forschung zu den Bundesbehörden aufbauen, jedoch zugleich aus der Landesperspektive das Bild über die Personalpolitik in den deutschen Ministerialbehörden nach 1945 weiter schärfen und hinterfragen. Somit ist die vorliegende Dissertation ebenfalls ein Plädoyer, gerade die Bedeutung der Länder für die spätere Personalpolitik der Bundesministerialverwaltung stärker als in der Forschung üblich in den Blick zu nehmen. Die Personalpolitik der Länder zwischen 1945 und 1949 bot einen Vorgeschmack auf 7 Zur Diskussion über das Buch vgl. Martin Sabrow/Christian Mentel (Hrsg.), Das Auswärtige Amt und seine umstrittene Vergangenheit. Eine deutsche Debatte, Frankfurt am Main 2014; Johannes Hürter/Michael Mayer (Hrsg.), Das Auswärtige Amt in der NS-Diktatur, Berlin 2014; Magnus Brechtken, Mehr als Historikergeplänkel. Die Debatte um „Das Amt und die Vergangenheit“, in: Vierteljahrshefte für Zeitgeschichte 63 (2015), H. 1, S. 59–91. 8 Ein vollständiger Überblick über alle bisher erschienen Studien ist hier nicht zielführend und würde den Rahmen des Fußnotenapparats sprengen. Aus diesem Grund wird auf zwei Übersichtswerke verwiesen, die einen ersten Einblick in die jeweiligen Forschungsprojekte und unterschiedliche Ansätze bieten vgl. Christian Mentel/Niels Weise, Die zentralen deutschen Behörden und der Nationalsozialismus. Stand und Perspektiven der Forschung, München, Potsdam 2016; Stefan Creuzberger/Dominik Geppert (Hrsg.), Die Ämter und ihre Vergangenheit. Ministerien und Behörden im geteilten Deutschland 1949–1972, Bonn 2018. 9 Exemplarisch vgl. Frank Bösch/Andreas Wirsching (Hrsg.), Hüter der Ordnung. Die Innenministerien in Bonn und Ost-Berlin nach dem Nationalsozialismus, Göttingen 2018; Dierk Hoffmann (Hrsg.), Die zentrale Wirtschaftsverwaltung in der SBZ/DDR. Akteure, Strukturen, Verwaltungspraxis, Berlin 2016. Vgl. auch Stefan Creuzberger/Dominik Geppert, Das Erbe des NS-Staats als deutsch-deutsches Problem. Eine Einführung, in: Stefan Creuzberger/Dominik Geppert (Hrsg.), Die Ämter und ihre Vergangenheit. Ministerien und Behörden im geteilten Deutschland 1949– 1972, Bonn 2018, S. 7–15.

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die Praxis der Bundesministerien ab 1949, auch wenn die personalpolitischen Rahmenbedingungen unterschiedlich waren. Ein wichtiger Unterschied war beispielsweise, dass die Entnazifizierungspolitik der Alliierten zwischen 1945 und 1949 den Rekrutierungsmöglichkeiten der Landesbehörden Grenzen setzte. Die Bundesbehörden verfügten demgegenüber bei ihren personellen Planungsarbeiten bereits über größere Handlungsspielräume. Diese wurden kurz darauf durch die vergangenheitspolitische Bundesgesetzgebung noch erheblich erweitert.10 Exemplarisch für die unterschiedlichen Personalentwicklungen ist die Tatsache, dass die absolute Zahl an formal belasteten Personen unter dem Führungspersonal in der Staatskanzlei bereits einen Höhepunkt erreichte, als im Bundestag in Bonn noch über den Inhalt des Gesetzes zu Artikel 131 des Grundgesetzes (131er Gesetz) diskutiert wurde. Somit war das 131er Gesetz nicht der Anfang, sondern vielmehr der Abschluss von einem Wiedereinstellungsprozess von „Ehemaligen“, der bereits vor der Gründung der Bundesrepublik auf der Landesebene angefangen hatte. Dabei diente die Ministerialverwaltung auf der Länderebene in der Zwischenzeit als eine willkommene Zwischenstation für ehemalige Reichsbeamte. So wird die vorliegende Studie zeigen, dass die Staatskanzlei zwischen 1945 und 1949 von den Fachkenntnissen von aus dem Auswärtigen Dienst entlassenen Diplomaten profitieren konnte. Umgekehrt diente sie 1949 als Sprungbrett für deren Rückkehr in den Auswärtigen Dienst. Ein Großteil des Führungspersonals der Staatskanzlei im Mai 1945 war durch Ruhestandsversetzungen, Krankheit oder Kriegsgefangenschaft nicht verfügbar, ein weiterer Teil wurde während der ersten Nachkriegsmonate durch die Entnazifizierungspolitik der amerikanischen Militärregierung entlassen, sodass die Führungsebene in der Nachkriegszeit neu aufgebaut werden musste. Zunächst stellt sich die Frage, auf welches Führungspersonal die Staatskanzlei dabei im Juni 1945 während der amerikanischen Besatzung zurückgriff. Mit dieser Frage geht zugleich die essenzielle Frage nach der „NS-Belastung“ einher. Das Werk über die Innenministerien in der Bundesrepublik und der DDR nach 1945 führte eine differenzierte Betrachtung des „Belastung“-Begriffs ein und lieferte neue, fruchtbare Erklärungsweisen für den Umgang mit NS-Belastung in der Nachkriegszeit.11 Somit

10 Dazu vgl. Frei, Vergangenheitspolitik. 11 Vgl. Frank Bösch/Andreas Wirsching, Einleitung, in: Frank Bösch/Andreas Wirsching (Hrsg.), Hüter der Ordnung. Die Innenministerien in Bonn und Ost-Berlin nach dem Nationalsozialismus, Göttingen 2018, S. 13–26, hier S. 20; Frank Bösch/Andreas Wirsching (Hrsg.), Die Nachkriegsgeschichte des Bundesministeriums des Innern (BMI) und des Ministeriums des Innern der DDR (MdI) hinsichtlich möglicher personeller und sachlicher Kontinuitäten zur Zeit des Nationalsozialismus, München/Potsdam 2015, S. 7 f.

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wird der Begriff in der vorliegenden Studie auf zweierlei Weise angewendet.12 Zunächst wird nach der zeitgenössischen Wahrnehmung von Belastung gefragt. Wer galt in der Staatskanzlei wann und von wem wegen welcher Vergangenheit als von der NS-Zeit belastet?13 Diese Frage war in der Nachkriegszeit durchgängig auszuhandeln, insbesondere zwischen der Staatskanzlei und der Militärregierung, aber auch in der Öffentlichkeit. So setzte sich in der Staatskanzlei bereits ab Sommer 1945 unter dem Führungspersonal der Begriff „Karteigenosse“ durch, der dazu diente, den Beitritt vieler Beamter zur NSDAP mit Zwangslagen zu erklären und von der inneren Gesinnung der betroffenen Personen zu trennen. Im gleichen Sinne sprachen Zeitgenossen, so geht es aus den Personalakten hervor, bei Mitgliedschaften in der NSDAP oder deren Organisationen und Gliederungen zuweilen von „formaler Belastung“. Der zeitgenössischen Wahrnehmung stellt die vorliegende Studie vergleichend einen analytischen Belastungs-Begriff gegenüber, der mittels heutiger Wissensbestände das individuelle Handeln der jeweiligen Akteure während der NSZeit in den Blick nimmt. Dabei geht es sowohl um den Beitritt zur NSDAP und damit in deren Untergliederungen und Organisationen als auch um berufliche Stationen, ausgeübte Funktionen, Denkweisen und öffentliche Äußerungen während der NS-Zeit.14 Obwohl ein Beitritt zur NSDAP und beziehungsweise oder ihrer Gliederungen und Organisationen ein erster, wichtiger Hinweis für das Verhältnis einer Person zum Nationalsozialismus ist – es handelte sich dabei um eine bewusste Entscheidung und Positionierung – muss die Analyse zugleich um berufliche Positionen und konkrete Handlungen und Denkweisen ergänzt werden.15 Nur dann

12 Die Studie „Hüter der Ordnung“ unterscheidet noch eine zweite zeitgenössische, „grenzübergreifende Perspektive“. Damit rückt sie die Wahrnehmung der Alliierten und der DDR von der NS-Belastung in der Bundesrepublik in den Vordergrund. Diese Perspektive wird in der vorliegenden Studie jedoch nicht berücksichtig. Vgl. Bösch/Wirsching, Einleitung, in: Bösch/Wirsching (Hrsg.), Hüter der Ordnung, S. 20. 13 Auf ähnliche Weise hat die Geschichtsforschung für eine Historisierung des Begriffs „Nazi“ plädiert. Vgl. Janosch Steuwer/Hanne Leßau, „Wer ist ein Nazi? Woran erkennt man ihn?“. Zur Unterscheidung von Nationalsozialisten und anderen Deutschen, in: Mittelweg 36 (2014), H. 1, S. 30–51, hier S. 37 ff. Vgl. auch Ulrich Herbert, Wer waren die Nationalsozialisten? Typologien des politischen Verhaltens im NS-Staat, in: Gerhard Hirschfeld/Tobias Jersak (Hrsg.), Karrieren im Nationalsozialismus. Funktionseliten zwischen Mitwirkung und Distanz, Frankfurt am Main 2004, S. 17–42. 14 Vgl. Bösch/Wirsching, Einleitung, in: Bösch/Wirsching (Hrsg.), Hüter der Ordnung, S. 20 f.; Bösch/Wirsching (Hrsg.), Die Nachkriegsgeschichte, S. 7. 15 Vgl. Bösch/Wirsching, Einleitung, in: Bösch/Wirsching (Hrsg.), Hüter der Ordnung, S. 21.

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entsteht eine ausgeglichene Beurteilung individueller Belastungen einer Person und eine bloße „Nazi-Zählerei“ aufgrund von Mitgliedschaften wird vermieden.16 So wird in dieser Studie deutlich, dass Ministerialbeamte aus der Staatskanzlei, die zu keinem Zeitpunkt der NSDAP beigetreten waren, sich vor 1945 durch ihr Handeln in beispielsweise Justiz- oder Finanzverwaltungen sehr wohl an NS-Verbrechen beteiligt hatten. Mitbedacht werden muss auch die Tatsache, dass NichtNSDAP-Mitglieder aus zeitgenössischer Sicht als formal unbelastet galten und ihr weiteres Handeln im „Dritten Reich“ in der Nachkriegszeit weder kritisch hinterfragt noch als Belastung gewertet wurde. Die Zeitgenossen glaubten rückblickend an die „saubere Verwaltung“ im NS-Staat, die sich mittlerweile in unterschiedlichen Studien jedoch als Mythos der Nachkriegszeit herausgestellt hat.17 Obwohl die Staatskanzlei nach 1945 im Vergleich zu anderen Behörden zu keinem Zeitpunkt ein Sammelbecken von „Ehemaligen“ war, wurde auch hier die Frage nach NS-Belastung dem staatlichen Wiederaufbau eindeutig untergeordnet. Schließlich zählte nicht das, was Beamte mit ihren Fachkenntnissen in der NS-Zeit gemacht hatten, sondern das, was sie nach 1945 für den staatlichen Wiederaufbau tun konnte. Die Biografien des leitenden Personals werden in dieser Studie keineswegs auf deren Bezug zur NS-Zeit reduziert. Vielmehr wird darüber hinaus Zäsur übergreifend nach Sozialisierungen, Prägungen und Erfahrungen aus Kaiserreich, Weimarer Republik sowie der NS- und Besatzungszeit gefragt. Es stellt sich heraus, dass ab 1945 zunächst eine kleine Gruppe prominenter bayerischer Politiker den Aufbau und die Organisation der Staatskanzlei prägte, wobei ihre historischen Erfahrungen und die sich daraus ergebenden politischen Zukunftsvorstellungen eine ausschlaggebende Rolle bei der Entwicklung der Staatskanzlei zur Schaltzentrale spielten. Insbesondere ihre Erfahrungen aus der Weimarer Republik prägten den Wiederaufbau des bayerischen Staats nach 1945 und somit die Arbeit und Personalpolitik der Staatskanzlei. Die Biografien und Erfahrungshorizonte dieser Personen, die hier als die Gründerväter der Staatskanzlei bezeichnet werden, wurden ausführlich untersucht und intensiv behandelt. Dabei versteht die Studie Erfahrungen als analytische Leitkategorie, nach Jörn Leonhard „als Inbegriff von Erlebnissen und der in ihnen repräsentierten Sachverhalte in einem geordneten Zusam16 Frank Bajohr/Johannes Hürter, Auftragsforschung „NS-Belastung“. Bemerkungen zu einer Konjunktur, in: Frank Bajohr/Anselm Doehring-Manteuffel/Claudia Kemper/Detlef Siegfried (Hrsg.), Mehr als eine Erzählung. Zeitgeschichtliche Perspektiven auf die Bundesrepublik, Göttingen 2016, S. 221–233, hier S. 233. 17 Vgl. Hans-Christian Jasch, Staatssekretär Wilhelm Stuckart und die Judenpolitik. Der Mythos von der sauberen Verwaltung, München 2012; Christiane Kuller, Bürokratie und Verbrechen. Antisemitische Finanzpolitik und Verwaltungspraxis im nationalsozialistischen Deutschland, München 2013.

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menhang“.18 In Erfahrungen „bildet sich die deutende Aneignung erlebter Wirklichkeit“ ab, was sie von bloßen Wahrnehmungen unterscheidet. Damit setzen Erfahrungen, so Leonhard, „die wahrnehmende Einordnung von Erlebnissen in einen strukturierten Zusammenhang und die deutende Einordnung und Interpretation von Erfahrungsgegenständen durch kognitive Kategorien und ihre Übersetzung in kommunizierbare Begriffe, Argumente und Bilder voraus“.19 Für einen Gesamtüberblick über das leitende Personal wurde zugleich eine umfassende gruppenbiographische Analyse im Hinblick auf die beruflichen Ausbildungen sowie die beruflichen Stationen und politischen Hintergründe des Führungspersonals der Staatskanzlei durchgeführt. Dabei konnten Gemeinsamkeiten in Lebensläufen und Karriereverläufen analysiert und abgeglichen werden. Diese Studie nimmt sowohl die vier bayerischen Ministerpräsidenten und die Leiter der Staatskanzlei, als auch die Abteilungs- und Referatsleiter sowie die Referenten zwischen 1945 und 1962 in den Blick. Insgesamt handelt es sich hierbei um 69 Personen: politische Funktionsträger (Ministerpräsidenten und Staatssekretäre20), Beamten im höheren Dienst und Angestellte, die in der Staatskanzlei eine leitende Funktion bekleideten. Auf Grundlage dieser Daten wurde – angelehnt an die Befunde von Forschungsprojekten der letzten Jahre zu den Bundesministerien und weiteren Institutionen in Deutschland – nach heuristischer Vorgehensweise eine Typologie zum Führungspersonal der Staatskanzlei nach 1945 entwickelt. Ein großer Fundus von personalpolitischen Sachakten, Personalakten und Akten aus diversen Nachlässen aus dem Bayerischen Hauptstaatsarchiv, Spruchkammerakten aus dem Staatsarchiv München, sowie Akten aus dem BDC-Bestand des Bundesarchivs bilden das Fundament dieser Analyse. Dabei profitiert die vorliegende Studie davon, dass zahlreiche bisher verschlossene Akten aus dem Bayerischen Haupt-

18 Jörn Leonhard, Erfahrung im 20. Jahrhundert. Methodische Perspektiven einer „Neuen Politikgeschichte“, in: Norbert Frei (Hrsg.), Was heißt und zu welchem Ende studiert man Geschichte des 20. Jahrhunderts?, Göttingen 2006, S. 156–163. Vgl. auch Mary Fulbrook, Erfahrung, Erinnerung, Geschichtsschreibung. Neue Perspektiven auf die deutschen Diktaturen, Göttingen 2016; Volker Depkat, Lebenswenden und Zeitenwenden. Deutsche Politiker und die Erfahrungen des 20. Jahrhunderts, München 2007. 19 Leonhard, Erfahrung im 20. Jahrhundert, in: Frei (Hrsg.), Was heißt, S. 157. 20 Im Gegensatz zur Situation in den meisten deutschen Ländern sind die Staatssekretäre in Bayern nicht die höchsten Ministerialbeamten, sondern sie stehen im gleichen öffentlich-rechtlichen Verhältnis wie die Landesminister. Somit sind die Ministerialdirektoren die höchsten Beamten innerhalb der bayerischen Ministerialverwaltung und die Vermittler zwischen Politik und Verwaltung. Siehe: Bayerischer Landtag, 16. Wahlperiode, Drucksache 16/17047, 3.7.2013, Schriftliche Anfrage des Abgeordneten Florian Streibl Freie Wähler vom 30.4.2013, https://www1.bayern. landtag.de/www/ElanTextAblage_WP16/Drucksachen/Schriftliche%20Anfragen/16_0017047.pdf [17. Februar 2023].

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staatsarchiv zum ersten Mal zugänglich gemacht wurden (ausführlich siehe „Quellenlage“).

Organisationskultur „Fragen der Verwaltungsorganisation sind wichtig. Wichtiger aber sind die Menschen, die den komplizierten Mechanismus in Gang setzen und wirksam werden lassen“, schrieb 1966 der Leiter der Staatskanzlei Fritz Baer.21 Auch der Historiker Werner K. Blessing bemerkte 1998 in seiner Analyse der bayerischen Verwaltung im 20. Jahrhundert, dass „Institution aus Personen [bestehen]“.22 Bisher haben sich Historiker, Politikwissenschaftler und Juristen, die teilweise selbst in der Bayerischen Staatskanzlei aktiv waren, auf die formalen Organisationsstrukturen, Aufgabenbereiche und verfassungsrechtliche Stellung der Bayerischen Staatskanzlei nach 1945 konzentriert.23 Obwohl die formalen Organisationsstrukturen freilich in der alltäglichen Arbeitspraxis eine wichtige gestaltende Rolle spielten, sagen sie noch wenig über das informelle behördliche Innenleben – über die Organisationskultur – der Staatskanzlei aus. Andere, eher politikwissenschaftlich angelegte Studien bieten zwar einen sehr aufschlussreichen allgemeinen Einblick in die Regierungspraxis und Funktionsweise der Staatskanzleien in Deutschland, gehen dabei jedoch überwiegend statisch von Momentaufnahmen aus, ohne dabei deren dynamische historische Entwicklung als Regierungszentrale innerhalb der Ministerialverwaltung zu berücksichtigen.24 Nach dem Verwaltungswissenschaftler Wolfgang 21 Fritz Baer, Verwaltung in der Bayerischen Verfassung, in: Emil Kroher (Hrsg.), Nach 20 Jahren. Diskussionen der Bayerischen Verfassung, München 1966, S. 64–71, hier S. 69. 22 Werner K. Blessing, Bayerns Verwaltung im 20. Jahrhundert. Bemerkungen zu Leittendenzen, Forschungsstand und Perspektiven, in: Zeitschrift für bayerische Landesgeschichte 66 (1998), S. 59–96, hier S. 78. Vgl. auch Peter Becker, Überlegungen zu einer Kulturgeschichte der Verwaltung, in: Nico Randeraad (Hrsg.), Formation und Transfer städtischen Verwaltungswissens, Baden-Baden 2003, S. 311–336. 23 Vgl. Konrad Kruis, Die Bayerische Staatskanzlei, in: Die Verwaltung 20 (1987), S. 163–176; Franz Knöpfle, Tätigkeitssphären und Organisationsstrukturen, in: Fritz Morstein Marx (Hrsg.), Die Staatskanzlei: Aufgaben, Organisation und Arbeitsweise auf vergleichender Grundlage, Berlin 1967, S. 39–69. 24 Vgl. Fritz Morstein Marx (Hrsg.), Die Staatskanzlei: Aufgaben, Organisation und Arbeitsweise auf vergleichender Grundlage, Berlin 1967; Klaus König (Hrsg.), Koordination und integrierte Planung in den Staatskanzleien, Berlin 1976; Klaus König, Staatskanzleien. Funktionen und Organisation, Wiesbaden 1993; Otto Häußer, Die Staatskanzleien der Länder. Aufgabe, Funktionen, Personal und Organisation unter Berücksichtigung des Aufbaus in den neuen Ländern, Baden-Baden 1995. Eine Analyse, die teilweise auf der heutigen Praxis in der Bayerischen Staatskanzlei basiert, bietet Michael Zerr, Staatskanzleien, in: Herbert Schneider/Hans-Georg Wehling (Hrsg.), Landespolitik in Deutschland. Grundlagen, Strukturen, Arbeitsfelder, Wiesbaden 2006, S. 185–206.

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Seibel ist Verwaltung als Institution eben auch als eine „soziale Struktur“ zu verstehen, die als das Produkt menschlichen Entscheidens und Handelns entstanden und weder selbstverständlich noch alternativlos ist, auch wenn sie im Alltag als solche erscheint.25 Die vorliegende Studie fokussiert sich sowohl auf die formalen Organisationsstrukturen als auch auf die Organisationskultur in der Bayerischen Staatskanzlei und zeigt deren dynamische Entwicklung in der Nachkriegszeit, die stark vom Führungspersonal geprägt wurde. Dabei versteht sie die Staatskanzlei nicht lediglich als eine zweckrationale Organisation, die ausschließlich auf der Basis einer angemessen „Differenzierung von Routineaufgaben und Leistungsfunktionen, zweckmäßige[r] Arbeitsteilung und Funktionszuweisungen“ sowie „angemessene [n] Mechanismen der Koordination“ handelte und funktionierte.26 Über die formalen Verwaltungsvorschriften, Organisationsstrukturen und gesetzlichen Grundlagen hinaus nimmt diese Studie die informellen Bereiche der internen Verwaltungspraxis in der Staatskanzlei in den Blick. Hier geht es um die behördliche Raumsituation, Alltagspraxis, Verwaltungsroutinen und das Betriebsklima sowie die Verhaltensweisen, Selbstwahrnehmung, die Frage nach dem Geschlecht, Handlungslogik und Führungsstile der Beamten jenseits der formalen Vorschriften – zugespitzt gesagt: „die institutionelle Wirklichkeit“.27 Im Sinne des Historikers Bernhard Löffler versteht diese Studie die Institutionsgeschichte „in kulturhistorischer Erweiterung“ und versucht, die „spezifische institutionelle Eigenart“ der Staatskanzlei zu fassen.28 Die institutionelle Eigenart wurde im Fall der Staatskanzlei insbesondere von drei Elementen geprägt: dem Umfang des Personalbestands, der Raumsituation sowie der Arbeit im Dienst des Ministerpräsidenten und der Staatsregierung. Zunächst war die Staatskanzlei im Vergleich zu den Ministerien eine in personeller Hinsicht kleine Behörde in einem kleinen Gebäude in der Münchner Prinzregentenstraße. Dadurch entstanden in der Staatskanzlei, anders als in vielen Bundesund Landesministerien, keine Abteilungskulturen, sondern das Führungspersonal verstand sich vielmehr als eine der gesamten Behörde zugehörigen Elite. Die kurze Arbeitswege und Tatsache, dass die Führungspersonen in der Regel nur ein Zim25 Vgl. Wolfgang Seibel, Verwaltung verstehen. Eine theoriegeschichtliche Einführung, Berlin 2017, S. 31 f. 26 Ebenda, S. 31. 27 Bernhard Löffler, Moderne Institutionsgeschichte in kulturhistorischer Erweiterung. Thesen und Beispiele aus der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland, in: Hans-Christof Kraus/Thomas Nicklas (Hrsg.), Geschichte der Politik. Alte und neue Wege, München 2007, S. 155–180, hier S. 168. 28 Ebenda, S. 155; Bernhard Löffler, Soziale Marktwirtschaft und administrative Praxis. Das Bundeswirtschaftsministerium unter Ludwig Erhard, Stuttgart 2002, S. 23.

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mer voneinander entfernt im gleichen Stockwerk arbeiteten, führten zugleich zu einer ausgeprägten internen Vernetzung quer durch die formellen Organisationspläne. Darüber hinaus prägte die Arbeit der Staatskanzlei im Dienst des Ministerpräsidenten und der Staatsregierung ihre institutionelle Eigenart. Hier arbeiteten elitäre, selbstbewusste autoritäre Männer, juristische Schwergewichte und Persönlichkeiten mit internationalen und diplomatischen Erfahrungen, die in der Lage waren, gegenüber anderen Behörden mit Autorität und Durchsetzungskraft aufzutreten. Die Ministerialbeamten nahmen sich nach 1945 außerdem großenteils als etatistische Fachexperten wahr und knüpften an der bayerischen Verwaltungstradition des 19. Jahrhunderts an. Daneben wurde die Staatskanzlei durch die agierenden Politiker und Ministerialbeamte innerhalb der bayerischen Ministerialverwaltung zum stärksten Träger des Föderalismus und sie entwickelte sich zu dessen Schaltzentrale. Von hier aus wurde die bayerisch-föderalistische Einflussnahme auf die Entstehung der Bundesrepublik koordiniert und diese Rolle prägte ihre institutionelle Eigenart zumindest bis in den 1960er Jahren. Die Staatskanzlei präsentierte sich in der Tradition des Bayerischen Ministeriums des Äußern aus der Zeit vor 1933 und verkörperte nach 1945 zusammen mit dem Ministerpräsidenten die bayerischen Leitideen des Föderalismus und der Eigenstaatlichkeit.

Handlungsfelder Die Arbeit der Bayerischen Staatskanzlei setzte sich nach 1945 aus einer Vielzahl an verschiedenen juristischen und politischen Aufgaben zusammen. Einen Schwerpunkt ihrer Tätigkeit stellte aufgrund der Politik der bayerischen Ministerpräsidenten und Leiter der Staatskanzlei bis 1962 die Verteidigung und Konsolidierung des bayerischen Staats dar. Somit nimmt diese Studie exemplarisch zwei eng miteinander verknüpfte politische Bereiche in den Blick: Föderalismus und Geschichtspolitik. Zunächst war das Ziel der Bayerischen Staatskanzlei 1945/46, die bayerische Staatlichkeit nach innen im Rahmen der Verfassungsgebung so weit wie möglich zu konsolidieren und zu definieren. In dieser Phase wurden bereits die Weichen des politischen Systems gestellt, die die bayerische Landespolitik bis heute prägen. Anschließend wurde sie bis zur Gründung der Bundesrepublik 1949 nach außen gegenüber den anderen westdeutschen Ländern und den westlichen Besatzungsmächten verteidigt. Dazu führte sie eine offensive Politik, um möglichst viele föderalistische Elemente in das Grundgesetz zu bringen. Nach der Gründung wachte die Staatskanzlei insbesondere darüber, dass das Grundgesetz in der politischen Praxis im föderalistischen Sinne ausgelegt wurde, wobei der Bundesrat eine institutionelle Hauptrolle spielte.

Handlungsfelder



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Somit ist die Nachkriegsgeschichte der Staatskanzlei nicht nur eine Geschichte des bayerischen Staats; sie ist ebenfalls eine Entstehungsgeschichte der Bundesrepublik. Ausschlaggebend für die Gründung der Bundesrepublik 1949 waren die Entscheidungen der Westmächte und der sich zuspitzende Kalte Krieg.29 Mit der Übergabe der sogenannten Frankfurter Dokumente an die Ministerpräsidenten der westdeutschen Länder am 1. Juli 1948 bezogen die Besatzungsmächte die westdeutschen Regierungschefs nun direkt bei der Gestaltung des zukünftigen Staats ein.30 Die Alliierten setzten den Rahmen innerhalb welchem die Deutschen selbst ihren zukünftigen Staat gestalten konnten. In diesem Prozess entwickelten die deutschen Länderchefs ab 1946/47 eine Vielzahl an politischen Initiativen und Ideen, um die Gestaltung des zukünftigen Bundesstaats zu beeinflussen. Bayern spielte dabei eine Vorreiterrolle. Dabei setzten Hans Ehard und die Staatskanzlei auf föderalistische Maximalforderungen, die im Parlamentarischen Rat sowohl innerhalb der CDU/CSU-Fraktion als auch bei den anderen politischen Parteien Widerstand auslösten. Auch der Präsident des Parlamentarischen Rats, Konrad Adenauer, lehnte diese Ideen ab, was zu Spannungen zwischen ihm und Ehard führte.31 Diese offensive föderalistische Politik führte dazu, dass die Staatskanzlei auch ins Visier der Organisation Gehlen geriet, die Vorläuferorganisation des Bundesnachrichtendiensts (BND). Diese „selbstermächtigte“ Organisation unter der Leitung des ehemaligen Leiters der Abteilung Fremde Heere Ost, Reinhard Gehlen, betrieb in der Nachkriegszeit in großem Stil illegale Inlandsspionage.32 So konnte diese Studie mit bisher verschlossenen Personalakten des BND nachweisen, dass die Organisation Gehlen im Frühling 1949, als sich die Verhandlungen im Parlamentarischen in der Endphase befanden, einen V-Mann in der Staatskanzlei installierte, um sich über die Haltung 29 Vgl. Ulrich Herbert, Geschichte Deutschlands im 20. Jahrhundert, München 2014, S. 607–612. 30 Vgl. Manfred Görtemaker, Geschichte der Bundesrepublik Deutschland. Von der Gründung bis zur Gegenwart, München 1999, S. 45–50; Anselm Doering-Manteuffel, Wie westlich sind die Deutschen? Amerikanisierung und Westernisierung im 20. Jahrhundert, Göttingen 1999, S. 47–58; Herbert, Geschichte Deutschlands, S. 607–617; Heinrich August Winkler, Der lange Weg nach Westen. Deutsche Geschichte vom „Dritten Reich“ bis zur Wiedervereinigung, München 2010, S. 116– 138. 31 Vgl. Michael F. Feldkamp, Der Parlamentarische Rat 1948–1949. Die Entstehung des Grundgesetzes, Göttingen 2019, S. 113 ff.; Manfred Treml/Peter Jakob Kock, Bayern seit 1945, in: Manfred Treml (Hrsg.), Geschichte des modernen Bayern. Königreich und Freistaat, München 2020, S. 521– 717, hier S. 580; Karl-Ulrich Gelberg, Hans Ehard. Die föderalistische Politik des bayerischen Ministerpräsidenten 1946–1954, Düsseldorf 1992, S. 205–222. 32 Vgl. Klaus-Dietmar Henke, Geheime Dienste. Die politische Inlandsspionage der Organisation Gehlen 1946–1953, Berlin 2018. Zit. nach Gerhard Sälter, Phantome des Kalten Krieges. Die Organisation Gehlen und die Wiederbelebung des Gestapo-Feindbildes „Rote Kapelle“, Berlin 2016, S. 61.

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Ehards und der Staatskanzlei gegenüber den Entwürfen des Grundgesetzes zu informieren. Auch diese illegalen Machenschaften der Organisation Gehlen in WestDeutschland sind Teil der Geschichte der Staatskanzlei und der Entstehungsgeschichte der Bundesrepublik. Die Demokratiegeschichte der Bundesrepublik nach 1945 wurde in den letzten Jahrzehnten oft als eine „Erfolgsgeschichte“ gedeutet und mit Begriffen wie „Westernisierung“, „Amerikanisierung“, „Liberalisierung“ und „Modernisierung“ auf den Punkt gebracht.33 Wie die Behördenforschung der letzten Jahre dennoch zeigen konnte, hatte diese Erfolgsgeschichte evidente Schattenseiten.34 Die vorliegende Studie trägt aus der Länderperspektive zu dieser Debatte bei und zeigt exemplarisch, dass auch das Führungspersonal der Staatskanzlei mit ihrer Politik zu diesen Schattenseiten der frühen Bundesrepublik beitrug, wenngleich sie als politisch stabilisierender Faktor auftrat. Die Geschichte der Staatskanzlei ist zugleich eng mit der konfliktreichen Nachkriegsgeschichte der Christlich-Sozialen Union (CSU) verbunden. Diese war in der Nachkriegszeit von einem internen Flügelkampf gezeichnet, der sich bis in die Staatskanzlei hinein auswirkte. So dominierte in der Staatskanzlei während der Regierungszeit von Hans Ehard der katholisch-konservative Schäffer-Hundhammer-Flügel, der die Partei in der Tradition der ehemaligen BVP sah. Der andere Flügel um den Politiker Josef Müller dominierte dagegen innerhalb der Parteigremien.35 Die föderalistische Politik wurde in der Staatskanzlei vom Anfang an von einer dezidierten Geschichtspolitik begleitet. Geschichtspolitik wird dabei als „Handlungs- und Politikfeld“ definiert, in dem viele Akteure in der Demokratie miteinan-

33 Vgl. Doering-Manteuffel, Wie westlich; Ulrich Herbert, Liberalisierung als Lernprozeß. Die Bundesrepublik in der deutschen Geschichte – eine Skizze, in: Ulrich Herbert (Hrsg.), Wandlungsprozesse in Westdeutschland. Belastung, Integration, Liberalisierung 1945–1980, Göttingen 2003, S. 7–49; Axel Schildt, Ankunft im Westen. Ein Essay zur Erfolgsgeschichte der Bundesrepublik, Frankfurt am Main 1999; Axel Schildt/Arnold Sywottek (Hrsg.), Modernisierung im Wiederaufbau. Die westdeutsche Gesellschaft der 50er Jahre, Bonn 1993. Für einen Überblick vgl. Frank Bajohr/ Anselm Doehring-Manteuffel/Claudia Kemper/Detlef Siegfried (Hrsg.), Mehr als eine Erzählung. Zeitgeschichtliche Perspektiven auf die Bundesrepublik, Göttingen 2016; Frank Biess/Astrid M. Eckert, Introduction: Why do we need new narratives for the history of the Federal Republic?, in: Central European History 52 (2019), S. 1–18. 34 Exemplarisch dafür sind die jeweiligen Bände aus dem Forschungsprojekt zur Geschichte des Bundesnachrichtendiensts. 35 Zur Geschichte der CSU vgl. Thomas Schlemmer, Aufbruch, Krise und Erneuerung. Die Christlich-Soziale Union 1945 bis 1955, München 1998; Alf Mintzel, Die CSU. Anatomie einer konservativen Partei 1945–1972, Opladen 1975.

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der konkurrieren.36 Die Geschichtspolitik der Staatskanzlei diente dem Ziel, den bayerischen Staat von den Verbrechen der NS-Zeit abzugrenzen, den Föderalismus historisch zu legitimieren und das bayerische Staatsbewusstsein zu fördern. Dazu gab es eine intensive Zusammenarbeit zwischen der Staatskanzlei und dem Institut für Bayerische Geschichte, das 1947 gegründet wurde und historische Legitimationswissenschaft im Dienst des Freistaats betrieb. Ebenfalls spielte die Staatskanzlei eine ausschlaggebende Rolle bei der Gründung des Instituts für Zeitgeschichte in München, die in dieser Studie ebenfalls thematisiert wird. Die Staatskanzlei ließ keine Gelegenheit aus, um die Identität des bayerischen Staats sowohl nach innen als auch nach außen zu konsolidieren und zu befestigen.

Forschungsstand Obwohl die historische Entwicklung des bayerischen Staats nach 1945 ein zentraler Gegenstand der bayerischen Landesgeschichtsschreibung war, ist die Frage nach dem Personal, das nach 1945 in der bayerischen Ministerialverwaltung beschäftigt wurde, und ihrer Vergangenheit vor 1945 bisher nur zum Teil beantwortet worden. Die meisten Studien haben sich mit dem behördlichen Personal aus der Weimarer Republik und der NS-Zeit beschäftigt.37 Obwohl die vorliegende Studie nicht zu den gleichen Schlussfolgerungen kommt, war Daniel Rittenauers Buch über das Amt des Ministerpräsidenten und die Staatskanzlei in der NS-Zeit zur Ge-

36 Vgl. Edgar Wolfrum, Geschichtspolitik in Bayern. Traditionsvermittlung, Vergangenheitsbearbeitung und populäres Geschichtsbewusstsein nach 1945, in: Thomas Schlemmer/Hans Woller (Hrsg.), Politik und Kultur im föderativen Staat 1949 bis 1973, München 2004, S. 349–409, hier S. 350. Grundlegend zur Geschichtspolitik als Handlungs- und Politikfeld vgl. Edgar Wolfrum, Geschichtspolitik in der Bundesrepublik Deutschland. Der Weg zur bundesrepublikanischen Erinnerung 1948–1990, Darmstadt 1999, S. 25–32. Für eine kritische begriffliche Analyse von Geschichtspolitik als Politikfeld sowie als akademisches Forschungsgebiet vgl. Harald Schmid, Vom publizistischen Kampfbegriff zum Forschungskonzept. Zur Historisierung der Kategorie „Geschichtspolitik“, in: Harald Schmid (Hrsg.), Geschichtspolitik und kollektives Gedächtnis. Erinnerungskulturen in Theorie und Praxis, Göttingen 2009, S. 53–75; Stefan Troebst, Geschichtspolitik, Version: 1.0, in: Docupedia-Zeitgeschichte, 04.08.2014, http://docupedia.de/zg/troebst_geschichtspolitik_v1_de_2014 [17. Februar 2023]. 37 Vgl. Thomas Forstner, Die Beamten des bayerischen Innenministeriums im Dritten Reich. Loyale Gefolgsleute oder kritische Staatsdiener?, St. Ottilien 2002; Maria Magdalena Bäuml, Kulturpolitik gegen die Krise der Demokratie. Das Bayerische Staatsministerium für Unterricht und Kultus zwischen 1926 und 1933, München 2018; Daniel Rittenauer, Das Amt des Bayerischen Ministerpräsidenten in der NS-Zeit, München 2018. Vgl. auch die jeweiligen Beiträge zu den bayerischen Ministerien zur NS-Zeit in Hermann Rumschöttel/Walter Ziegler (Hrsg.), Staat und Gaue in der NS-Zeit. Bayern 1933–1945, München 2004.

16  Einleitung

schichte der Staatskanzlei vor 1945 enorm wichtig.38 Die Personalpolitik der Ministerialverwaltung in der Nachkriegszeit stellt jedoch ein Forschungsdesiderat dar. Abgesehen von vereinzelten Arbeiten zu prominenten Politikern und Ministerialbeamten existieren wenig systematisch angelegte Studien zum Führungspersonal der jeweiligen bayerischen Landesbehörden nach 1945. Dies gilt übrigens auch für die personelle Zusammensetzung des Bayerischen Landtags, die bisher nur zum Teil über die Forschung zu individuellen Parteien abgedeckt wird.39 So liegt zur Nachkriegszeit bisher lediglich eine Studie zum bayerischen Landwirtschaftsministerium vor, die umfassend die personellen Kontinuitäten zur NS-Zeit und den Umgang mit NS-Vergangenheit nach 1945 untersucht hat.40 Für die Staatskanzlei existieren Einzelstudien zu bestimmten Personen, die in der Staatskanzlei aktiv waren. So gibt es zu den jeweiligen bayerischen Ministerpräsidenten41 und zu drei 38 Vgl. Rittenauer, Das Amt. 39 Ein Forschungsprojekt über die NS-Vergangenheit von Landtagsabgeordneten wurde beispielsweise in Schleswig-Holstein durchgeführt. Vgl. Uwe Danker/Sebastian Lehmann-Himmel (Hrsg.), Landespolitik mit Vergangenheit. Geschichtswissenschaftliche Aufarbeitung der personellen und strukturellen Kontinuität in der schleswig-holsteinischen Legislative und Exekutive nach 1945, Husum 2017; Uwe Danker, Parlamentarische Kontinuitätsstudien zur NS-Zeit. Methodische Potenziale und Grenzen am Beispiel am Beispiel des Falls Schleswig-Holstein, in: Vierteljahrshefte für Zeitgeschichte 65 (2017), H. 1, S. 75–101. 40 Vgl. Raphael Gerhardt, Agrarmodernisierung und europäische Integration. Das bayerische Landwirtschaftsministerium als politischer Akteur 1945–1975, München 2019. 41 Vgl. Otto Altendorfer, Fritz Schäffer als Politiker der Bayerischen Volkspartei. 1888–1945, München 1993; Christoph Henzler, Fritz Schäffer 1945–1967. Eine biographische Studie zum ersten bayerischen Nachkriegs-Ministerpräsidenten und ersten Finanzminister der Bundesrepublik Deutschland, München 1994; Peter Claus Hartmann/Otto Altendorfer (Hrsg.), 100 Jahre Fritz Schäffer. Politik in schwierigen Zeiten, Passau 1988; Peter Kritzer, Wilhelm Hoegner. Politische Biographie eines bayerischen Sozialdemokraten, München 1979; Gerhard A. Ritter, Arbeiter, Arbeiterbewegung und soziale Ideen in Deutschland. Beiträge zur Geschichte des 19. und 20. Jahrhunderts, München 1996, S. 292–311; Hildegard Kronawitter, Bayerischer Patriot, Gefühlssozialist und erfolgreicher Ministerpräsident: Wilhelm Hoegner, in: Einsichten und Perspektiven (2005), H. 2, S. 34–57; Albrecht Montgelas/Carl Nützel, Wilhelm Hoegner. Eine Lebensbeschreibung, München 1957; Hermann Rumschöttel, Wilhelm Hoegner (1887–1980), in: Katharina Weigand (Hrsg.), Große Gestalten der bayerischen Geschichte, München 2012, S. 441–460; Franz Josef Baumgärtner, Wilhelm Hoegner, Augsburg 1957; Gelberg, Hans Ehard; Rudolf Morsey, Hans Ehard (1887–1980), in: Ludwig Morenz (Hrsg.), Dr. Hans Ehard 1887–1980. Eine Ausstellung des Bayerischen Hauptstaatsarchivs, München 1987, S. 7–23; Karl-Ulrich Gelberg, Hans Ehard und Karl Arnold. Stationen eines wechselvollen Verhältnisses 1948–1952, in: Zeitschrift für bayerische Landesgeschichte (1992), S. 625–646; Thomas Schlemmer, Die zweite Karriere eines vergessenen Ministerpräsidenten. Hans Ehard 1954 bis 1966, in: Theresia Bauer (Hrsg.), Gesichter der Zeitgeschichte. Deutsche Lebensläufe im 20. Jahrhundert, München 2009, S. 243–259; Stephan Deutinger, Hanns Seidel (1901–1961), in: Jürgen Aretz/Rudolf Morsey/Anton Rauscher (Hrsg.), Zeitgeschichte in Lebensbildern. Aus dem deutschen Katholizismus des 19. und 20. Jahrhunderts, Münster 2004, S. 161–174; Hans Ferdinand Gross, Hanns Seidel, 1901–1961. Eine politische Biographie, München 1992; Franz

Forschungsstand 

17

Leitern der Staatskanzlei42 zwischen 1945 und 1962 bereits Biografien, in denen die Staatskanzlei unterschiedlich ausführlich beziehungsweise tiefgehend behandelt wird. In der Einleitung zu den Ministerratsprotokollen der Regierung Fritz Schäffers (1945) thematisiert Karl-Ulrich Gelberg zwar sowohl die Organisation als auch das Personal der Staatskanzlei, beschränkt sich dabei aber großenteils auf das Jahr 1945.43 Weil viele Personen aus der Staatskanzlei bei der Vorbereitung und der Durchführung der Sitzungen des Bayerischen Ministerrats involviert waren, enthalten die jeweiligen Bände der Edition der Ministerratsprotokolle nach 1945 viele hilfreiche Kurzbiografien von leitenden Beamten, die sich allerdings ohne weitere Auswertung und Deutung auf die wichtigsten biographischen Eckdaten begrenzen und keine systematisch angelegte Personal-Analyse bieten.44 Obwohl wir zugleich durch das Standardwerk „Die Mitläuferfabrik“ von Lutz Niethammer und weitere Studien viel über die Entnazifizierungspraxis und Besatzungszeit in Bayern nach 1945 wissen, ist dennoch unklar, wie die entnazifizierten Beamten in der Praxis den Weg von der „Mitläuferfabrik“ zurück in die Verwaltung fanden.45 Knöpfle, „…ohne viel Aufhebens davon zu machen“ – Hanns Seidel als Mensch und Politiker, in: Renate Höpfinger (Hrsg.), Bayerische Lebensbilder 1. Biografien, Erinnerungen, Zeugnisse, München 2002, S. 140–156; Alfred Bayer/Manfred Baumgärtel (Hrsg.), Weltanschauung und politisches Handeln. Hanns Seidel zum 100. Geburtstag, Grünwald 2001; Georg Stadtmüller, Hanns Seidel. Lebensweg, Weltbild, Persönlichkeit, München 1964. 42 Vgl. Christiane Reuter, „Graue Eminenz der bayerischen Politik“. Eine politische Biographie Anton Pfeiffers 1888–1957, München 1987; Christiane Reuter-Boysen, Anton Pfeiffer (1888–1957), in: Jürgen Aretz/Rudolf Morsey/Anton Rauscher (Hrsg.), Zeitgeschichte in Lebensbildern. Aus dem deutschen Katholizismus des 19. und 20. Jahrhunderts, Münster 2004, S. 125–141; Thomas Schlemmer, Anton Pfeiffer (1888–1957). Chef der Staatskanzlei, Bayern, in: Günter Buchstab (Hrsg.), In Verantwortung vor Gott und den Menschen. Christliche Demokraten im Parlamentarischen Rat 1948/49, Freiburg 2008, S. 289–298; Alexander Wegmaier, Karl Schwend und Ernst Deuerlein. Steuermänner im Schatten Hans Ehards, in: Zeitschrift für bayerische Landesgeschichte (2013), H. 2, S. 563–602; Hilde Balke, Die Präsidenten des Bayerischen Landtags. Von 1946 bis 1994, München 2001, S. 238–277. 43 Vgl. Karl-Ulrich Gelberg, Einleitung, in: Die Protokolle des Bayerischen Ministerrats 1945–1962, Das Kabinett Schäffer 28. Mai bis 28. September 1945, bearb. von Karl-Ulrich Gelberg, München 1995, S. 11–129, hier S. 104–116. 44 Vgl. dazu die bisher erschienen Bände aus dem Editionsprojekt „Die Protokolle des Bayerischen Ministerrats 1945–1962“. Bis 1953 auch online verfügbar: http://www.bayerischer-ministerrat.de/ [18. Februar 2020]. 45 Vgl. Lutz Niethammer, Die Mitläuferfabrik. Die Entnazifizierung am Beispiel Bayerns, Berlin 1982. Für die Situation in Nordrhein-Westfalen nach dem Krieg vgl. Hanne Leßau, Entnazifizierungsgeschichten. Die Auseinandersetzung mit der eigenen NS-Vergangenheit in der frühen Nachkriegszeit, Göttingen 2020. Für Schleswig-Holstein vgl. Uwe Danker (Hrsg.), Geteilte Verstrickung: Elitenkontinuitäten in Schleswig-Holstein. Folgestudie: geschichtswissenschaftliche Aufarbeitung der personellen und strukturellen Kontinuität nach 1945 in der schleswig-holsteinischen Legislative und Exekutive, Husum 2021.

18  Einleitung

Auch dazu liefert die vorliegende Studie einen neuen Beitrag, in dem sie die Personalanwerbung und den Umgang mit NS-Belastung in der Staatskanzlei nach 1945 umfassend in den Blick nimmt. Sowohl für den Föderalismus als auch für die Geschichtspolitik der Staatskanzlei kann diese Studie auf einen soliden Forschungsstand aufbauen. Als wichtiges Standardwerk gilt immer noch Karl-Ulrich Gelbergs Studie aus dem Jahr 1992 über die föderalistische Politik des Ministerpräsidenten Hans Ehard zwischen 1946 und 1954.46 Auch die nachfolgenden Jahre bis 1962 sind in unterschiedlichen Publikationen behandelt worden.47 Die vorliegende Studie unterscheidet sich von diesen Publikationen, indem sie die Personalpolitik und Organisationskultur der Staatskanzlei systematisch mit ihrer föderalistischen Zielsetzung verbindet und somit die Zusammenhänge zwischen diesen Bereichen ins Zentrum der Analyse rückt. So prägte die föderalistische Politik direkt die Personalanwerbung und den Umgang mit NS-Vergangenheit in der Staatskanzlei. Für die Analyse der geschichtspolitischen Aktivitäten der Staatskanzlei profitiert diese Studie von einschlägigen Vorarbeiten, insbesondere von Bernhard Löfflers scharfsinnigem Artikel über Landesgeschichtsschreibung und Geschichtspolitik in Bayern nach 1945.48 Ebenfalls wichtig ist Edgar Wolfrums Beitrag zum gleichen Thema in dem von Hans Woller und Thomas Schlemmer herausgegeben Sammelband zur Geschichte Bayerns im Bund zwischen 1949 und 1973.49 Dennoch liefert die vorliegende Studie durch eine breitere Perspektive in Kombination mit neuen Forschungsergebnissen auch hier neue Einsichten.50 So war die Gründung 46 Vgl. Gelberg, Hans Ehard. 47 Vgl. Karl-Ulrich Gelberg, Vom Kriegsende bis zum Ausgang der Ära Goppel (1945–1978), in: Alois Schmid (Hrsg.), Das neue Bayern von 1800 bis zur Gegenwart. Erster Teilband: Staat und Politik, München 2003, S. 635–956; Treml/Kock, Bayern seit 1945, in: Treml (Hrsg.), Geschichte des modernen Bayern. 48 Vgl. Löffler, Landesgeschichtsschreibung und Geschichtspolitik. Vgl. auch Bernhard Löffler, Geschichte und Geschichtspolitik. Historische Staatlichkeit und Landesgeschichtsschreibung in Bayern, in: Blick in die Wissenschaft 21 (2012), H. 26, S. 28–34. 49 Vgl. Wolfrum, Geschichtspolitik in Bayern, in: Schlemmer/Woller (Hrsg.), Politik und Kultur. Für weitere relevante Publikationen vgl. Ulla-Britta Vollhardt, Geschichtspolitik im Freistaat Bayern. Das Haus der Bayerischen Geschichte: Idee, Debatte, Institutionalisierung, München 2003; Ulla-Britta Vollhardt, Staatliche Heimatpolitik in Bayern nach 1945. Identitätsstiftung zwischen Tradition und Modernisierung, in: Monika Fenn (Hrsg.), Aus der Werkstatt des Historikers. Didaktik der Geschichte versus Didaktik des Geschichtsunterrichts, München 2008, S. 29–46; Ulla-Britta Vollhardt, Staatliche Heimatpolitik und Heimatdiskurse in Bayern 1945–1965. Identitätsstiftung zwischen Tradition und Modernisierung, München 2008. 50 Dabei konnte diese Studie von der aktuellen Debatte über die Gründungsgeschichte des Instituts für Zeitgeschichte profitieren. Vgl. Henke, Geheime Dienste; Magnus Brechtken, Die Gründungswege des Instituts für Zeitgeschichte – eine Aktualisierung, in: Magnus Brechtken (Hrsg.), Aufarbeitung des Nationalsozialismus. Ein Kompendium, Göttingen 2021, S. 61–101.

Aufbau der Studie



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des Instituts für Zeitgeschichte in der direkten Nachkriegszeit, im Gegensatz zu Wolfrums Sichtweise, zunächst kein Versuch aus der Staatskanzlei, um eine „kritische Aufarbeitung der NS-Zeit“ voranzutreiben, sondern ein reines Politikum.51 Außerdem spielten die personellen Netzwerke zwischen dem Führungspersonal der Staatskanzlei und der bayerischen Landesgeschichte eine ausschlaggebende Rolle für die Geschichtspolitik.

Quellenlage Als Quellengrundlage dieser Studie dienten insbesondere die Archivbestände der Bayerischen Staatskanzlei im Bayerischen Hauptstaatsarchiv, die einen umfangreichen und gut dokumentierten Einblick in sowohl das Personal und die Personalpolitik als auch die Organisationskultur und Politik der Behörde bieten. Für die Analyse des Personals und der Personalpolitik konnte diese Studie von vielen neu erschlossenen Personalakten profitieren. Für die Erfassung der individuellen Lebensläufe der Beamten wurden darüber hinaus eine große Zahl an Spruchkammerakten aus dem Staatsarchiv München ausgewertet. Auch die Personalakten aus dem Politischen Archiv des Auswärtigen Amt sowie die Personalakten und Akten aus dem BDC-Bestand des Bundesarchivs brachten eine wertvolle Ergänzung. Weitere grundlegende Informationen enthielten die einschlägigen Nachlässe im Bayerischen Hauptstaatsarchiv, in der Bayerischen Staatsbibliothek und der Hanns-Seidel-Stiftung sowie im Institut für Zeitgeschichte, im Politischen Archiv des Auswärtigen Amts und im Archiv der Max-Planck-Gesellschaft. Bei der Bestellung von bisher verschlossenen Akten vom Bundesnachrichtendienst konnte die Studie stark profitieren von Klaus-Dietmar Henkes Pionierstudie über die Inlandsspionage der Organisation Gehlen.

Aufbau der Studie Die vorliegende Studie gliedert sich in fünf Kapitel. Kapitel eins geht der Rolle der Bayerischen Staatskanzlei während der NS-Zeit nach. Es konzentriert sich dabei auf das Personal und die Aufgaben sowie die Handlungsspielräume während der NS-Zeit. Dabei wird zugleich die Selbstdarstellung der Staatskanzlei nach 1945 diskutiert. Kapitel zwei thematisiert den Wiederaufbau der Staatskanzlei nach 1945 und nimmt dabei insbesondere die Rolle der Gründungsväter und deren histori51 Vgl. Wolfrum, Geschichtspolitik in Bayern, in: Schlemmer/Woller (Hrsg.), Politik und Kultur, S. 360.

20 

Einleitung

sche Erfahrungen und politischen Ordnungsvorstellungen in den Blick, die sich in vielerlei Hinsicht auf die Organisation und Politik in der Behörde auswirkten. Das dritte Kapitel steht im Zeichen des Führungspersonals der Staatskanzlei sowie dessen Personalpolitik. Hier wird systematisch dargelegt, nach welchen Richtlinien sich die Personalpolitik zu welchem Zeitpunkt richtete, wie mit NS-Vergangenheit umgegangen wurde und welche Netzwerke eine Rolle spielten. Dabei verbindet die Analyse individuelle Beispiele mit einer statistischen gruppenbiografischen Auswertung vom Führungspersonal zwischen 1945 und 1962. Das vierte Kapitel richtet sich auf die Organisation und deren Kultur. Hier wird gezeigt, wie die föderalistische Politik der bayerischen Ministerpräsidenten und des Führungspersonals der Staatskanzlei sich auf die Organisation und Kultur auswirkte. Im Zentrum steht hier ebenfalls das Selbstverständnis der Beamten. Das fünfte Kapitel behandelt schließlich die Geschichtspolitik der Staatskanzlei und die symbiotische Zusammenarbeit mit dem Institut für Bayerische Geschichte. Zugleich wird hier die einflussreiche Rolle der Staatskanzlei beim Aufbau des Instituts für Zeitgeschichte thematisiert.

1 Die Staatskanzlei in der NS-Zeit „Über die […] Verhältnisse der Staatskanzlei möchte ich bei diesem Anlass folgendes grundsätzlich ausführen. Während der 12-jährigen Naziherrschaft hatte die Staatskanzlei ihre Bedeutung vollständig verloren. Noch mehr als die übrigen Ministerien war sie zu einer reinen Schreibstube des nominellen Ministerpräsidenten abgesunken.“1 So skizzierte 1946 der bayerische Ministerialbeamte und CSUPolitiker Hans Kraus die Rolle seiner Behörde während der NS-Zeit in einem Brief an den Bayerischen Finanzminister Fritz Terhalle. Vier Jahre später argumentierte der erste Leiter der Staatskanzlei, Anton Pfeiffer, in die gleiche Richtung. In einer von der Staatskanzlei herausgegeben Publikation mit dem Titel „Unser Bayern“ schrieb er 1950 über die Ministerialverwaltung und die Staatskanzlei zum Zeitpunkt der Kapitulation: „Reste der alten bayerischen Staatszentralbehörden, der früheren Bayerischen Staatsregierung, bestanden noch in Form von Behörden, die zwar noch die Bezeichnung ‚Staatsministerien‘ führten, aber deren Zuständigkeiten zum allergrößten Teil auf das Reich übergegangen waren. […] Es gab damals noch: das Ministerpräsidium mit einer Bayerischen Staatskanzlei, die in Wirklichkeit nur noch ein Büro des Gauleiters war.“2 Diese Beschreibungen sind exemplarisch für das vorherrschende Narrativ der Nachkriegszeit über die Rolle der bayerischen Ministerialverwaltung im „Dritten Reich“.3 Es basierte auf der Vorstellung, dass die bayerische Staatsregierung durch die weitgehende Gleichschaltung mit dem Reich und die damit einhergehende „Verreichlichung“ in der NS-Zeit innerhalb kürzester Zeit nicht länger eigenständig gewesen sei. Somit hätte es ihr an einer rechtlichen und politischen Grundlage zum autonomen Handeln gefehlt, sodass der bayerische Staat für die Verbrechen des NS-Regimes keine Verantwortung trage. Vielmehr seien die Behörden in Bayern ab 1933 selbst zum Opfer des Regimes geworden. Nach 1945 sollte die neuaufgebaute Staatskanzlei als wirkungsmächtige Regierungszentrale und die alte Staatskanzlei als Opfer des Nationalsozialismus wahrgenommen werden. Ein Opfer war die Behörde aber nicht, obwohl sie während der NS-Zeit einen Bedeutungsverlust erfahren musste. Viel eher versuchten der Bayerische Ministerpräsident und die Staatskanzlei während der NS-Zeit, verbliebene Handlungsspielräume zu nutzen und nach neuen Wegen zu suchen, um ihre 1 BayHStA, MF 69372, Brief vom Leiter der Staatskanzlei Staatssekretär Hans Kraus an Staatsminister der Finanzen Fritz Terhalle, 15. Juli 1946. Eine Kopie des Briefs befindet sich auch in: BayHStA, StK 13405. 2 Anton Pfeiffer, Wie Bayern wieder ein Staat wurde, in: Bayerische Staatskanzlei (Hrsg.), Unser Bayern. Politik, Wirtschaft, Kultur, München 1950, S. 7–10, hier S. 7. 3 Dieses Narrativ hält sich in der Geschichtsschreibung bis ins 21. Jahrhundert. Vgl. Gelberg, Kriegsende, in: Schmid (Hrsg.), Neues Bayern, S. 649. https://doi.org/10.1515/9783111317731-002

22 

1 Die Staatskanzlei in der NS-Zeit

politische Zielsetzung – ihren „Eigensinn“ – im Einheitsstaat umzusetzen.4 Weil die „Verreichlichung“ zu keinem Zeitpunkt vollendet wurde und Handlungsspielräume bestehen blieben, ging von der Staatskanzlei im „Dritten Reich“ eine aktivierende und systemstabilisierende Wirkung aus.5 Somit gilt es nun, das von der Staatskanzlei nach 1945 verbreitete Geschichtsbild hier kritisch zu hinterfragen.6 Welche Funktion erfüllte die Behörde zwischen 1933 und 1945? Gab es personelle Kontinuitäten in der Staatskanzlei aus der Weimarer Republik und dem Kaiserreich? Wie benutzten die Staatskanzlei und der Ministerpräsident vorhandene Handlungsspielräume im „prekären“ NS-Staat?7

1.1 Vom Ministerium des Äußern zur Staatskanzlei Am 12. April 1933 löste die nationalsozialistische Staatsregierung das „Staatsministerium des Äußern, für Wirtschaft und Arbeit“ auf und schaffte an deren Stelle die „Staatskanzlei des Freistaates Bayern“ als Koordinierungsort des Ministerpräsidenten für die Regierungsführung.8 Mit der Schaffung einer Staatskanzlei sendete die neue Regierung ein klares politisches Signal, denn im neuen zentralistischen NS-Staat sollte es keinen Platz mehr für die Eigenständigkeit der Länder und für eine eigenständige Außenpolitik geben. Dennoch sollte die Etablierung einer 4 Auch Studien zu den Länderverwaltungen in Baden und Württemberg weisen auf ähnliche Narrative aus der Nachkriegszeit hin. Vgl. Jürgen Finger, Eigensinn im Einheitsstaat. NS-Schulpolitik in Württemberg, Baden und im Elsass 1933–1945, Baden-Baden 2016; Frank Engehausen/Sylvia Paletschek/Wolfram Pyta (Hrsg.), Die badischen und württembergischen Landesministerien in der Zeit des Nationalsozialismus, Stuttgart 2019. 5 Vgl. Rittenauer, Das Amt, S. 132–142. 6 Dabei kann auf der 2018 erschienen Studie von Daniel Rittenauer über das Amt des Bayerischen Ministerpräsidenten in der NS-Zeit aufgebaut werden; er geht auch ausführlich auf die Bayerische Staatskanzlei ein. Vgl. ebenda. 7 Zur Synthese des „prekären“ NS-Staats vgl. die jeweiligen Beiträge in Sven Reichardt/Wolfgang Seibel (Hrsg.), Der prekäre Staat. Herrschen und Verwalten im Nationalsozialismus, Frankfurt am Main 2011. 8 Gesetz betreffend die Staatsverwaltung, 12. April 1933, in: Gesetz- und Verordnungsblatt für den Freistaat Bayern 1933, S. 113. Auch in Baden wurde 1933 eine Staatskanzlei im Rahmen der nationalsozialistischen Machtübernahme geschaffen. Allerdings ging sie dort aus der Ministerialabteilung des badischen Innenministeriums hervor. Vgl. Katrin Hammerstein, Das badische Staatsministerium, in: Frank Engehausen/Sylvia Paletschek/Wolfram Pyta (Hrsg.), Die badischen und württembergischen Landesministerien in der Zeit des Nationalsozialismus, Stuttgart 2019, S. 49–76, hier S. 53. In Württemberg existierte dagegen das „Staatsministerium“ nach 1933 weiter. Vgl. Frederick Bacher, Das württembergische Staatsministerium, in: Frank Engehausen/Sylvia Paletschek/ Wolfram Pyta (Hrsg.), Die badischen und württembergischen Landesministerien in der Zeit des Nationalsozialismus, Stuttgart 2019, S. 587–606.

1.1 Vom Ministerium des Äußern zur Staatskanzlei



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Staatskanzlei zu diesem Zeitpunkt als öffentliches Indiz für das Weiterexistieren der bayerischen Staatlichkeit dienen – wenn auch mit anderen Qualitäten –, um politische Unruhen innerhalb des bürgerlich-konservativen Lagers in Bayern zu vermeiden.9 Das Ministerium des Äußern war bis dahin stark verwachsen mit dem bayerischen Souveränität. Die Behörde hatte ihren Ursprung in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts und entwickelte sich im Laufe des 19. Jahrhunderts zu einem der bedeutendsten und dynamischsten Ressorts innerhalb der bayerischen Ministerialverwaltung. Unter dem Einfluss der sich ständig ändernden politischen Lage übernahm das Ministerium von Zeit zu Zeit – neben seinen außenpolitischen Aufgaben – viel Verantwortung innerhalb der inneren Staatsverwaltung.10 Während der Montgelaszeit (1799–1817) hatte es bereits unter dem Namen „Departement der auswärtigen Angelegenheiten“ eine herausgehobene Position und während des Bayerischen Königreichs (1806–1918) nahm es als „Bayerisches Staatsministerium des Königlichen Hauses und des Äußern“ die politischen Außenbeziehungen Bayerns war.11 So war es für die Korrespondenzen und Verhandlungen mit auswärtigen Staaten und dem Deutschen Bund bzw. ab 1871 mit dem Deutschen Reich zuständig. Ebenfalls gehörten das Führen von diplomatischen Beziehungen und der konsularische Austausch mit ausländischen Staaten zum Aufgabenbereich des Ministeriums. Ab 1904 kamen außerdem weitreichende Aufgaben im Bereich der Wirtschaftspolitik dazu. Die innenpolitische Bedeutung des Bayerischen Staatsministeriums des Königlichen Hauses und des Äußern manifestierte sich außerdem darin, dass der Außenminister seit 1849 beinahe unterbrochen als primus inter pares das

9 Vgl. Rittenauer, Das Amt, S. 119. 10 Für die Rolle des Departement der auswärtigen Angelegenheiten vgl. Eberhard Weis, Montgelas 1759–1838. Eine Biographie, Köln 2008. Für Überblicksdarstellungen über die Entwicklung des Bayerischen Staatsministeriums des Königlichen Hauses und des Äußern vgl. Gerhard Hetzer, Außenpolitik als deutscher Bundesstaat: Das Königreich Bayern 1871–1918, in: Holger Berwinkel/ Martin Kröger/Janne Preuß (Hrsg.), Die Außenpolitik der deutschen Länder im Kaiserreich. Geschichte, Akteure und archivische Überlieferung (1871–1918), München 2012, S. 25–56; Bernhard Zittel, Auswärtige Angelegenheiten, in: Wilhelm Volkert (Hrsg.), Handbuch der bayerischen Ämter, Gemeinden und Gerichte. 1799–1980, München 1983, S. 23–29; Martin Ott, Staatsministerium des Äußern, publiziert am 10.04.2007; in: Historisches Lexikon Bayerns, URL: http://www.historisches-lexikon-bayerns.de/Lexikon/Staatsministerium_des_Äußern [26. Juli 2019]; Hermann Rumschöttel, Ministerrat, Ministerpräsident und Staatskanzlei, in: Hermann Rumschöttel/Walter Ziegler (Hrsg.), Staat und Gaue in der NS-Zeit. Bayern 1933–1945, München 2004, S. 41–75. 11 Für die personelle Zusammensetzung des Außenministeriums zwischen 1806 und 1918 vgl. Walter Schärl, Die Zusammensetzung der bayerischen Beamtenschaft von 1806 bis 1918, Kallmünz 1955, S. 307–346.

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1 Die Staatskanzlei in der NS-Zeit

Amt des Vorsitzenden des Ministerrats bekleidete.12 Diese Personalunion wurde 1890 offiziell festgelegt.13 Nach der Reichsverfassung von 1871 wurde die Außenpolitik des Deutschen Kaiserreiches in Berlin festgelegt. Dennoch verfügten die jeweiligen Bundesstaaten, aufgrund ihrer unter der Reichsverfassung fortbestehenden Souveränität und staatlichen Handlungsfähigkeit, über außenpolitische Kompetenzen in den Bereichen, für die die Gesetzgebungskompetenz bei den Ländern lag – insbesondere in der Wirtschaft und der Kulturpolitik.14 Darüber hinaus nahm Bayern im Deutschen Kaiserreich eine Sonderstellung15 ein und verfügte über einige außenpolitische Reservatrechte: das Recht zur Teilnahme an Friedensverhandlungen des Reiches mit einem eigenen Gesandten sowie der ständige Vorsitz im Bundesratsaus12 Eine Ausnahme stellte der Zeitraum von 1880 bis 1890 dar. Vgl. Martin Ott, Staatsministerium des Äußern, publiziert am 10.04.2007; in: Historisches Lexikon Bayerns, URL: http://www.historisches-lexikon-bayerns.de/Lexikon/Staatsministerium_des_Äußern [26. Juli 2019]. 13 Der Ausdruck „Ministerpräsident“ für den Vorsitzenden des Ministerrats hatte sich zwar seit ca. 1850 in der politischen Praxis durchgesetzt, wurde jedoch erst 1919 in der Bamberger Verfassung festgelegt. Vgl. Hetzer, Außenpolitik, in: Berwinkel/Kröger/Preuß (Hrsg.), Außenpolitik der deutschen Länder, S. 35; Isabella Kratzer, Der Bayerische Ministerpräsident. Bedeutungswandel des Amtes im Spiegel der Geschäftsordnungen der Staatsregierung (1918–2001), St. Ottilien 2003, S. 20 ff.; Ferdinand Kramer, Zur Geschichte des Amtes des Bayerischen Ministerpräsidenten, in: Albrecht Liess (Hrsg.), „Das schönste Amt der Welt“. Die bayerischen Ministerpräsidenten von 1945 bis 1993, München 1999, S. 12–30, hier S. 13–16; Wolfgang Ehberger, Einleitung, in: Die Protokolle des Bayerischen Ministerrats 1919–1945, Das Kabinett Hoffmann I. 17. März–31. Mai 1919, bearb. von Wolfgang Ehberger, München 2010, S. 1*–68*, hier S. 42*. 14 Vgl. Dieter Albrecht, Von der Reichsgründung bis zum Ende des Ersten Weltkrieges (1971– 1918), in: Alois Schmid (Hrsg.), Das neue Bayern von 1800 bis zur Gegenwart. Erster Teilband: Staat und Politik, München 2003, S. 318–438, hier S. 322; Hetzer, Außenpolitik, in: Berwinkel/Kröger/Preuß (Hrsg.), Außenpolitik der deutschen Länder, S. 28–30; Zittel, Auswärtige Angelegenheiten, in: Volkert (Hrsg.), Handbuch, S. 25; Dietmar Willoweit, Die Bundesstaaten im Deutschen Reich. Kompetenzen und politische Realität, in: Dietmar Willoweit (Hrsg.), Föderalismus in Deutschland. Zu seiner wechselvollen Geschichte vom ostfränkischen Königtum bis zur Bundesrepublik, Köln 2019, S. 313–335, hier S. 317 ff. Für das allgemeine Verhältnis zwischen Bund und Ländern im Kaiserreich vgl. Oliver F. R. Haardt, Bismarcks ewiger Bund. Eine neue Geschichte des Deutschen Kaiserreichs, Darmstadt 2020; Oliver F. R. Haardt, The Kaiser in the Federal State, 1871– 1918, in: German History 34 (2016), H. 4, S. 529–554; Oliver F. R. Haardt, Innenansichten des Bundesrates im Deutschen Kaiserreich 1871–1918, in: Historische Zeitschrift 310 (2020), H. 2, S. 333–386; Christoph Nonn, 12 Tage und ein halbes Jahrhundert. Eine Geschichte des deutschen Kaiserreichs 1871–1918, München 2020; Albert Funk, Kleine Geschichte des Föderalismus. Vom Fürstenbund zur Bundesrepublik, Paderborn 2010. 15 Diese Sonderstellung basierte auf dem „Vertrag zwischen dem Norddeutschen Bundes und Bayern betreffend den Beitritt Bayerns zur Verfassung des deutschen Bundes“ vom 23. November 1870. Ebenfalls relevant war die Verfassungsurkunde des Deutschen Reiches vom 16. April 1871. Die Bayerische Regierung betrachtete den Aufbau des Bismarckschen Staats als föderativ. Vgl. Altendorfer, Fritz Schäffer, S. 348 f.

1.1 Vom Ministerium des Äußern zur Staatskanzlei



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schuss für auswärtige Angelegenheiten.16 Die außenpolitischen Aufgaben wurden in Bayern vom Bayerischen Staatsministerium des Königlichen Hauses und des Äußern und den nachgeordneten Gesandtschaften erfüllt.17 Dazu war den jeweiligen Bundesstaaten das aktive und passive Gesandtschaftsrecht erhalten geblieben. Die Gesandtschaften spielten eine wichtige Rolle für sowohl die Informationsbeschaffung über die internationale politische Lage als auch für das Führen von diplomatischen Beziehungen.18 Somit ging von den bayerischen Gesandtschaften während des Kaiserreichs nicht lediglich eine symbolische, sondern auch eine realpolitische Wirkung aus. Außerdem wurde das Ministerium durch die herrschende politische Funktionselite mit der Wahrnehmung bayerischer Eigenstaatlichkeit assoziiert. Mit dem Ende der bayerischen Monarchie im Jahre 1918 entfielen die Kompetenzen des Außenministeriums auf dem Gebiet des Königshauses. Außerdem wurde die Außenpolitik des Deutschen Reiches unter der Weimarer Verfassung im Verhältnis zum Kaiserreich weiter zentralisiert, sodass die außenpolitischen Handlungskompetenzen der Länder weitgehend reduziert wurden – insbesondere auf dem Gebiet der internationalen Gesandtschaften.19 Zwischen 1918 und 1933 existierte in Bayern zwar ein „Staatsministerium des Äußern“, jedoch mit wesentlich geringeren außenpolitischen Kompetenzen als die Vorgängerbehörde. Die Personalunion von Außenminister und Ministerpräsident existierte allerdings nach wie vor, sodass die Arbeit des Außenministeriums zunehmend auf die Koordinierung von Regierungsaufgaben fokussiert war.20 Zwischen 1921 und 1927 lief nahezu der gesamte Briefverkehr mit den bayerischen Ministerien, den deutschen Länderregierungen, der Reichsregierung sowie ausländischen Ländern über das Staatsministerium des Äußern, dessen maßgebliche Führungsfigur Staatsrat Hans

16 Zu den bayerischen Reservatrechten gehörte ebenfalls ein eigenes Post- und Telegraphenwesen, weitgehende Selbständigkeit im Eisenbahnwesen, die Militärhoheit im Frieden und eigene Bier- und Branntweinbesteuerung. Vgl. ebenda, S. 349. 17 Bayern machte von diesem Recht extensiver gebrauch als andere Bundesstaaten. Für einen Überblick der umfangreichen Zahl bayerischer Gesandtschaften im Innen- und Ausland sowie ausländischer Gesandtschaften in Bayern vgl. Albrecht, Reichsgründung, in: Schmid (Hrsg.), Neues Bayern, S. 322–324. 18 Vgl. Zittel, Auswärtige Angelegenheiten, in: Volkert (Hrsg.), Handbuch, S. 25. 19 Vgl. zum Beispiel die Ministerratsprotokolle der Regierung Hoffmann II vom 19. und 28. Juli 1919 zum Beschluss der Aufhebung der bayerischen Gesandtschaft in Bern: Die Protokolle des Bayerischen Ministerrats 1919–1945, Das Kabinett Hoffmann II. Teil 1: 31. Mai – 1.September 1919, bearb. von Wolfgang Ehberger, München 2017, S. 170, 182 f. 20 Vgl. Wolfgang Ehberger, Einleitung, in: Ebenda, S. 3*–74*, hier S. 47* ff.; Walter Ziegler, Einleitung, in: Die Protokolle des Bayerischen Ministerrats 1919–1945, Das Kabinett Held IV, Mai 1932–März 1933, bearb. von Walter Ziegler, München 2010, S. 3*–71*, hier S. 33*.

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1 Die Staatskanzlei in der NS-Zeit

Schmelzle war.21 Daneben protokollierte der dort beschäftigte Regierungsrat Wilhelm Schmidt die Ministerratssitzungen des vierten (und letzten) Kabinetts Heinrich Helds (1932–1933).22 Trotz vieler Diskussionen der Bayerischen Staatsregierung und des Bayerischen Landtags über die Möglichkeit, das Außenministerium nach preußischem und sächsischem Beispiel23 in eine Staatskanzlei für die Geschäfte des Ministerpräsidenten umzugestalten, blieb es während der Weimarer Republik erhalten.24 Das sich wiederholende Hauptargument gegen die Veränderung war, dass das Ministerium nach außen die bayerische „Staatspersönlichkeit“ und die „Eigenstaatlichkeit“ verkörpere; das war auch eine Voraussetzung für eine einheitliche bayerische Politik gegenüber dem Reich.25 Für den Ministerpräsidenten Heinrich Held und die von der BVP dominierte Bayerische Staatsregierung war die Existenz des

21 Der Titel „Staatsrat“ war dem ranghöchsten Ministerialbeamten vorbehalten. Diese Position umfasste die Gesamtleitung des Ressorts mit allen Rechten eines Berufsbeamten. Staatsräte waren also unkündbar und nicht vom Vertrauen des Landtags abhängig. Schmelzle war als Staatsrat bei den Sitzungen des Ministerrats anwesend (hatte jedoch kein Stimmrecht) und spielte eine wichtige Rolle als Berater des Ministerpräsidenten sowie für die Vorbereitung der Ministerratssitzungen. Vgl. Franz Menges, Hans Schmelzle. Bayerischer Staatsrat im Ministerium des Äußeren und Finanzminister. Eine politische Biographie mit Quellenanhang, München 1972, S. 49 f.; Heinz W. Schlaich, Der bayerische Staatsrat. Beiträge zu seiner Entwicklung von 1808/09 bis 1918, in: Zeitschrift für bayerische Landesgeschichte 28 (1965), S. 460–522; Joachim Lilla, Staatsräte und Staatssekretäre (1918–1933), publiziert am 23.07.2007; in: Historisches Lexikon Bayerns, URL: https://www.historisches-lexikon-bayerns.de/Lexikon/Staatsräte_und_Staatssekretäre_(1918-1933) [24. Juli 2020]. 22 Für Schmidts Person und Tätigkeit vgl. Ziegler, Einleitung, in: Protokolle Kabinett Held IV, S. 4*. 23 Die Existenz einer Staatskanzlei in Preußen und Sachsen hing mit der Tatsache zusammen, dass die Ministerpräsidenten in diesen Ländern – im Kontrast zu Bayern – über die Richtlinienkompetenz der Staatsregierung verfügten. Um diese effektiv umzusetzen, stand ihnen eine Staatskanzlei zur Verfügung. Vgl. Rittenauer, Das Amt, S. 29. 24 Die zweite Regierung des SPD-Ministerpräsidenten Johannes Hoffmann hatte bereits 1920 weit entwickelte Pläne, um an der Stelle des Staatsministeriums des Äußern eine Staatskanzlei zur Erledigung der Geschäfte des Ministerpräsidenten und des Gesamtministeriums sowie für die verbliebenen Aufgaben des Außenministeriums zu errichten. Die Pläne wurden allerdings von Hoffmanns Nachfolger Gustav von Kahr nicht weiter verfolgt. Er begründete dies damit, dass das Außenministerium die Staatspersönlichkeit Bayerns nach außen verkörperte. Der spätere Ministerpräsident Heinrich Held verteidigte die Existenz eines Außenministeriums während der Haushaltberatungen im Jahre 1924 mit der föderalistischen Begründung, dass zum bayerischen eigenstaatlichen Gedanken ein Außenministerium gehörte. Vgl. die Überlieferung dazu in: BayHStA, MA 102049. Auch Anträge von kommunistischen Abgeordneten im Bayerischen Landtag in den Jahren 1928 und 1931 zur Auflösung des Staatsministeriums des Äußern blieben erfolglos. 25 Ebenda. Vgl. Rumschöttel, Staatskanzlei, in: Rumschöttel/Ziegler (Hrsg.), Staat und Gaue, S. 66 f.; Zittel, Auswärtige Angelegenheiten, in: Volkert (Hrsg.), Handbuch, S. 26.

1.2 Aufgaben und Personal 

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Staatsministeriums Ausdruck des staatlichen Selbstverständnisses. Anstatt das Ministerium weiter abzubauen, wurde dessen Kompetenzbereich im Rahmen der Verwaltungsvereinfachung zwischen 1928 und 1932 um die des Ministeriums für Handel, Industrie und Gewerbe sowie um die Abteilung „Arbeit“ aus dem Landwirtschaftsministerium ergänzt.26

1.2 Aufgaben und Personal Die Nationalsozialisten erteilten nach ihrer Machtübernahme in Bayern der bayerischen Eigenstaatlichkeit und dem damit verbundenen Anspruch auf eine eigenständige Außenpolitik eine klare Absage.27 Am 9. März 1933 installierte die nationalsozialistische Reichsregierung Franz Ritter von Epp zum Reichskommissar für Bayern und übertrug ihm damit die exekutive Gewalt im Freistaat.28 Epp profitierte in Bayern von seiner Reputation als „Befreier Münchens“29 von der zweiten Räterepublik im Jahre 1919. Am 15. März trat die Regierung des BVP-Ministerpräsidenten Heinrich Held zurück. In den zurückliegenden Tagen hatte der neue Reichskommissar bereits Kommissare für die Leitung der jeweiligen Ministerien ernannt – und dabei seinen Kompetenzbereich weit überschritten.30 Epp ernannte sich selbst am 16. März 1933 zum kommissarischen Ministerpräsidenten und Minister des Äußern. Ein Monat später wurde der 64-Jährige nach der Verkündung des zweiten Gleichschaltungsgesetzes („Erstes Reichsstatthaltergesetz“) am 10. April zum Reichsstatthalter Bayerns benannt. In dieser Funktion kontrollierte er im Namen der Reichsregierung die Politik in Bayern und war, zumindest während

26 Die Aufgaben des Staatsministeriums des Äußern wurden vor allem von der Staatsregierung sowie von der beauftragten „Kommission für die Verwaltungsreform“ im Rahmen der Verwaltungsvereinfachung in Bayern zwischen 1927 und 1932 diskutiert. Das Resultat dieser Verwaltungsreform war unter anderem im Februar 1932 die „Gemeinsame Geschäftsordnung für die Staatsministerien“. Vgl. Kratzer, Bayerischer Ministerpräsident, S. 30–39; Rumschöttel, Staatskanzlei, in: Rumschöttel/Ziegler (Hrsg.), Staat und Gaue, S. 67. 27 Vgl. Rittenauer, Das Amt, S. 114. 28 Vgl. Susanne Wanninger, Nationalsozialistische Pläne zur Regierungsbildung in Bayern. Eine Denkschrift von Rudolf Buttmann vom März 1933, in: Andreas Wirsching (Hrsg.), Das Jahr 1933. Die nationalsozialistische Machteroberung und die deutsche Gesellschaft, Göttingen 2009, S. 92– 109, hier S. 92. 29 Dieser inoffizielle Titel geht zurück auf die Rolle Epps und seines Freikorps bei der Niederschlagung der Münchner Räterepublik im Jahre 1919. Vgl. den Bericht des württembergischen Gesandten in München vom 13. Oktober 1923: Wolfgang Benz (Hrsg.), Politik in Bayern 1919– 1933. Berichte des württembergischen Gesandten Carl Moser von Filseck, Stuttgart 1971, S. 135. 30 Vgl. Wanninger, Nationalsozialistische Pläne, in: Wirsching (Hrsg.), 1933.

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1 Die Staatskanzlei in der NS-Zeit

der ersten Jahre des NS-Staats, für die Einhaltung der Richtlinien der Politik Adolf Hitlers zuständig.31 Epps Position stellte dennoch einen Sonderfall dar und war von Anfang an geschwächt, weil er als einziger Reichsstatthalter nicht zugleich Gauleiter war. Dadurch hatte er keine Machtbasis in der NSDAP zur Unterstützung und Durchsetzung seiner staatlichen Aufgaben.32 Außerdem konnte er sich nicht langfristig der Unterstützung des Reichsinnenministeriums sicher sein. Die Machtposition des Reichsstatthalters wurde bereits 1934 wesentlich geschwächt, indem sein Amt dem Reichsinnenministerium untergeordnet wurde, sodass er in Bayern nicht, so wie er es sich vorgestellt hatte, mit weitreichenden Kompetenzen im Namen der Reichsregierung regieren konnte.33 Somit verfügte er innerhalb der bayerischen Politik häufig nicht über genügend Macht, um seine Politik gegenüber dem Ministerpräsidenten und den Parteistellen durchsetzen zu können. Dennoch fungierte Epp nach außen eindeutig als das Staatsoberhaupt NS-Bayerns.34 Am 12. April 1933 wurde unter Epps Aufsicht eine nationalsozialistische Regierung in Bayern gebildet und der 58-jährige Ludwig Siebert wurde zum Ministerpräsidenten Bayerns ernannt. Der Jurist Siebert, der 1931 als erster Bürgermeister in Bayern in die NSDAP eingetreten war, galt nicht als fanatischer Anhänger des Nationalsozialismus. Dennoch kennzeichnete sein Handeln eine grenzenlose Loyalität gegenüber und einen tiefen Glauben an Adolf Hitler.35 Obwohl Epp die Landesregierung im Namen der Reichsregierung kontrollierte und im Gefüge des NSStaats über dem Ministerpräsidenten stand, lag die Regierungsführung in Bayern – im Gegensatz zu der Situation in anderen Ländern im Reich36 – bei dem Minister31 Um die Stelle und Aufgaben des Reichsstatthalters zu verdeutlichen, schickte der Reichsminister im Mai 1933 ein Brief an die Länderregierungen. Siehe: BayHStA, NL Hans Ehard 12, Der Reichsminister des Innern an die Reichsstatthalter und an die Landesregierungen, betrifft: Reichsstatthalter, 9. Mai 1933. Vgl. Rittenauer, Das Amt, S. 38. 32 Hitler ernannte mit Absicht Franz Ritter von Epp und keinen der sechs Gauleiter in Bayern zum Reichsstatthalter, sodass keiner der letzten Personen über eine hervorgehobene Position verfügte. Damit wollte Hitler einen Machtstreit in dieser Phase der Machtübernahme unter den „Alten Kämpfern“ in Bayern verhindern. Vgl. Norbert Frei, Der Führerstaat. Nationalsozialistische Herrschaft 1933 bis 1945, München 2013, S. 58. 33 Vgl. Rumschöttel, Staatskanzlei, in: Rumschöttel/Ziegler (Hrsg.), Staat und Gaue, S. 50–53; Rittenauer, Das Amt, S. 235–260. 34 Vgl. Rittenauer, Das Amt, S. 82; Bernhard Grau, Der Reichsstatthalter in Bayern. Schnittstelle zwischen Reich und Land, in: Hermann Rumschöttel/Walter Ziegler (Hrsg.), Staat und Gaue in der NS-Zeit. Bayern 1933–1945, München 2004, S. 130–169, hier S. 154–166. 35 Für Sieberts Biografie vgl. Rittenauer, Das Amt, S. 93–114. 36 Dieter Rebentisch unterscheidet für die Jahre zwischen 1940 und 1945 unter den insgesamt 22 Reichsstatthaltern sieben unterschiedliche Typen. Vgl. Dieter Rebentisch, Führerstaat und Verwaltung im Zweiten Weltkrieg. Verfassungsentwicklung und Verwaltungspolitik 1939–1945, Stuttgart 1989, S. 245–248.

1.2 Aufgaben und Personal 

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präsidenten.37 Die am 12. April 1933 neu geschaffene „Staatskanzlei des Freistaates Bayern“38 unterstand nun dem Bayerischen Ministerpräsidenten und besaß in staatsrechtlicher Hinsicht die Stellung eines Ministeriums.39 Der erste Leiter war von März 1933 bis März 1934 der erst 33-jährige Nationalsozialist Hermann Esser.40 Als Esser 1934 von Epp zum Wirtschaftsminister ernannt wurde, übernahm Ministerpräsident Siebert selbst die Leitung der Staatskanzlei.

Rudolf Buttmanns Denkschrift Vieles weist darauf hin, dass eine Denkschrift des „Alten Kämpfers“ und des Vorsitzenden der NSDAP-Fraktion im Bayerischen Landtag, Rudolf Buttmann, als konkreter Anlass für die Errichtung der Staatskanzlei diente.41 Als Vertreter des „Legalitätskurses“42 innerhalb der NSDAP hatte Buttmann am 13. März 1933 ein Manuskript für Adolf Hitler unter dem Titel „Vorschläge zur bayerischen Regierungsbildung“ verfasst. In diesem informierte er den „Führer“ über die Möglichkeiten, eine Regierungskoalition mit der Bayerischen Volkspartei zur Machtübernahme in Bayern zu bilden. Das Hauptargument für eine Regierungskoalition war laut Buttmann, dass die NSDAP somit das Oppositionspotential der immer noch umfangreichen konservativ-katholischen Wählerschaft der BVP kontrollieren könne.43 Noch am gleichen Tag fanden die vertraulichen Orientierungsgespräche zwischen Hitler und dem BVP-Reichstagabgeordneten Hans Ritter von Lex in München statt.44 Obwohl der „Führer“ sich während der Gespräche lediglich oberflächig auf das Manuskript bezog und sich später gegen eine Koalition entschied, wurden einige Veränderungsvorschläge von Buttmann für die Staatsverwaltung von der am 12. April 1933 gebildeten NSDAP-Regierung umgesetzt. 37 BayHStA, MF 69381, Protokoll der Ministerratssitzung vom 31. Mai 1933. 38 Gesetz betreffend die Staatsverwaltung, 12. April 1933, in: Gesetz- und Verordnungsblatt für den Freistaat Bayern 1933, S. 113. 39 Ebenda. 40 Esser war vom kommissarischen Ministerrat bereits als Kommissarischer Staatssekretär im Staatsministerium des Äußern, für Wirtschaft und Arbeit bestellt worden, bevor er Leiter der neugeschaffenen Staatskanzlei wurde; BayHStA, MF 69381, Ernennungsurkunde Esser zum kommissarischen Staatssekretär, 17. März 1933. 41 Zu Buttmanns Person vgl. Wanninger, Nationalsozialistische Pläne, in: Wirsching (Hrsg.), 1933, S. 98 f. 42 Für diesen Kurs vgl. ebenda, S. 95–101; Wolfgang Dierker, „Ich will keine Nullen, sondern Bullen“. Hitlers Koalitionsverhandlungen mit der Bayerischen Volkspartei im März 1933, in: Vierteljahrshefte für Zeitgeschichte 50 (2002), S. 111–148, hier S. 116 f. 43 Vgl. Dierker, Nullen, S. 120. 44 Vgl. Irina Stange, Hans Ritter von Lex. Ein Leben für den Staat, Göttingen 2022, S. 121–160.

30  1 Die Staatskanzlei in der NS-Zeit

Der für Buttmann wichtigste Punkt seiner Schrift war die Ernennung eines Bayerischen Staatspräsidenten – dieser wurde jedoch nicht umgesetzt. So plädierte er für eine Verstärkung der Position des Bayerischen Ministerpräsidenten im Kabinett und für die Abschaffung des Außenministeriums. Weil es dem Freistaat im Deutschen Reich nicht zustand, eine eigenständige Außenpolitik zu führen, sollte das Außenministerium durch eine Staatskanzlei ersetzt werden. Diese sollte für die Verbindungen mit Berlin und den deutschen Ländern zuständig sein und um eine Pressestelle ergänzt werden. Dienstherr sollte der Ministerpräsident sein.45 Buttmann konnte wohl bei der bereits geleisteten Vorarbeit der Regierung des ehemaligen SPD-Ministerpräsidenten Johannes Hoffmanns zur Errichtung einer Staatskanzlei aus dem Jahre 1920 ansetzen.46 Vor diesem Hintergrund handelte es sich bei der Staatskanzlei nicht um eine Form „Neuer Staatlichkeit“ oder um eine Sonderverwaltung, die für eine „administrative Normalität“ des NS-Staats kennzeichnend war.47 Vielmehr ging es um eine Form traditioneller Staatlichkeit, die bereits vor 1933 in anderen deutschen Staaten existiert hatte, 1933 jedoch unter anderen Vorzeichen gegründet wurde.

Wandlungsprozesse während der NS-Zeit Obwohl das Staatsministerium des Äußern mit der Umwandlung zur Staatskanzlei viele Aufgabenfelder in Wirtschaft und Arbeit an andere Ministerien verlor, stellte das Jahr 1933 für den ursprünglichen Kernbereich des Außenministeriums keine Zäsur dar.48 Vielmehr waren sowohl der Personalbestand als auch die Kernaufgaben des ehemaligen Außenministeriums zur Unterstützung des Ministerpräsidenten weiterhin der Staatskanzlei vorbehalten.49 Dennoch war die Staatskanzlei 45 Vgl. Wanninger, Nationalsozialistische Pläne, in: Wirsching (Hrsg.), 1933, S. 98. 46 BayHStA, MA 102049. 47 Zum Konzept der „Neuen Staatlichkeit“ vgl. Rüdiger Hachtmann, „Neue Staatlichkeit“ – Überlegungen zu einer systematischen Theorie des NS-Herrschaftssystems und ihre Anwendung auf die mittlere Ebene der Gaue, in: Jürgen John/Horst Möller/Thomas Schaarschmidt (Hrsg.), Die NSGaue. Regionale Mittelinstanzen im zentralistischen „Führerstaat“?, München 2007, S. 56–79; Rüdiger Hachtmann, Elastisch, dynamisch und von katastrophaler Effizienz – zur Struktur der Neuen Staatlichkeit des Nationalsozialismus, in: Sven Reichardt/Wolfgang Seibel (Hrsg.), Der prekäre Staat. Herrschen und Verwalten im Nationalsozialismus, Frankfurt am Main 2011, S. 29–74. 48 Der Kernbereich des ehemaligen Staatsministeriums des Äußern, betraf die allgemeine Abteilung I des späteren Staatsministerium des Äußern, für Wirtschaft und Arbeit; BayHStA, StK 5440, Geschäftsordnung des Staatsministeriums des Äußern, für Wirtschaft und Arbeit (Abteilungen I und II), 28. März 1933. 49 BayHStA, NL Hans Ehard 12, Schreiben von Hans Frank zum Thema Geschäftsverkehr mit dem Reichsstatthalter, den Staatsministerien und der Staatskanzlei, 30. Juni 1933; StK 5438, Brief

1.2 Aufgaben und Personal



31

während der NS-Zeit einem ständigen Wandlungsprozess ausgesetzt. Insgesamt wurden die Behördenaufgaben innerhalb von 12 Jahren fünfmal neu festgelegt.50 Während der NS-Zeit hatte die Staatskanzlei, so wie in den Geschäftsordnungen von 1933 bis 1944 dargelegt, fortwährend drei Hauptaufgaben, die „jedoch zeitlich bedingt in unterschiedlich starken Ausprägungen“ zueinander standen.51 In diesen Aufgaben spiegelte sich die Arbeit des Ministerpräsidenten. Zuerst unterstützte die Staatskanzlei den Ministerpräsidenten bei seinen Alltagsgeschäften, arbeitete ihm zu und sorgte für deren notwendige Aktualität. Außerdem sollte die Staatskanzlei bei allen wichtigen politischen Angelegenheiten des Ministerpräsidenten einbezogen werden, sodass sie, insbesondere bei allgemeinen Staatsangelegenheiten, eine ressortübergreifende Koordinierungsrolle erfüllen konnte. Zweitens war die Staatskanzlei als Nachfolger des Außenministeriums einerseits – stark eingeschränkt – für den Kontakt mit ausländischen Behörden (diplomatischen Vertretungen) zuständig und galt andererseits als Ansprechpartner für die Reichsbehörden und den Reichsstatthalter. Zumindest in der Theorie erfüllte sie mit dieser Eigenschaft eine wichtige Scharnierfunktion zwischen der Landes- und Reichsregierung im NS-Staat. Drittens fungierte die Staatskanzlei als Pressestelle für die Landesregierung. Dieser Bereich wurde sowohl von Esser als auch von dessen Nachfolger Siebert wesentlich erweitert – vor allem zum Zwecke der NS-Propaganda – und war bis zum Ende des „Dritten Reiches“ ein kontinuierlicher Faktor in der Behörden-Organisation.52 Die Konzeption der Staatskanzlei 1933, eine Koordinierungsstelle des Ministerpräsidenten für eine einheitliche Regierungsführung gemäß der vom Reich vorgegebenen politischen Richtlinien zu sein, wurde zu keinem Zeitpunkt der NS-Zeit umgesetzt.53 Sogar Siebert wollte im Februar 1934 im Rahmen der Reichsreform die Staatskanzlei aufheben und zu einem „Büro des Ministerpräsidenten“ verkleinern. Durch die Reichsreform waren viele Aufgaben im zwischenstaatlichen Umgang Bayerns mit dem Reich sowie mit dem außenbayerischen und außerdeutschen Bereich entfallen.54 Obwohl die Bezeichnung „Staatskanzlei“ auf Wunsch des Reichsstatthalters erhalten blieb, setzte Siebert seine vorgenommene VerkleiSiebert an den Reichsstatthalter Epp, 22. Februar 1935 und die neunseitige Denkschrift „Aufgabenbereich und der Arbeit der Bayerischen Staatskanzlei“, ohne Datum [vermutlich Februar 1935]. 50 Vgl. die Geschäftsverteilungspläne in: BayHStA, StK 5438, 5440, 5441. Ebenfalls aufgenommen in: Rittenauer, Das Amt, S. 350–357. Siehe für 1934 auch: BArchB, R 1501 130210, Geschäftsordnung und -plan der Bayerischen Staatskanzlei, 28. Februar 1934. 51 Rittenauer, Das Amt, S. 116. 52 Für die Entwicklung der Pressestelle vgl. ebenda, S. 124 ff. 53 Vgl. ebenda, S. 115, 175–183. 54 Vgl. ebenda, S. 118.

32  1 Die Staatskanzlei in der NS-Zeit

nerung des Aufgabenbereichs durch, sodass seit April 1933 erneut einzelne Aufgaben von anderen Ministerien übernommen wurden. Ebenfalls nahm Hermann Esser 1934 Aufgaben aus den Bereichen der Wirtschaft und Presse bei seinem Wechsel ins Wirtschaftsministerium mit. Insgesamt verlor die Staatskanzlei während der NS-Zeit an Bedeutung, was sich im fortlaufenden Abbau von Kompetenzen und Aufgaben widerspiegelte. Die Staatskanzlei funktionierte zu keinem Zeitpunkt als politisches Steuerungsinstrument des Bayerischen Ministerpräsidenten und der Landesregierung; sie spielte – ähnlich wie der Bayerische Ministerpräsident – eine marginale Rolle in der Politik des NS-Staats.55 Dies geht vor allem aus der Tatsache hervor, dass eine ursprünglich vierte Hauptaufgabe der Staatskanzlei als „Verbindungsglied der bayerischen Regierung zur Reichsregierung“ – die Sicherstellung einer einheitlichen Arbeit der Bayerischen Staatsregierung im Sinne der Richtlinien der Reichsregierung sowie der „Einheitlichkeit der Staatsauffassung in allen wichtigen Beziehungen“ zwischen Bayern und der Reichsregierung – ab 1936 obsolet wurde.56 Auch die Aufgaben im Bereich der Kirchen, Kultur und Reichswehr wurden abgebaut. Diese Verluste konnten durch den Gewinn neuer Aufgabenfelder, wie beispielsweise die Durchführung der Reichsreform, nicht kompensiert werden. Das behördliche Leitungspersonal bemühte sich darum, den Bedeutungsverlust nach außen zu verschleiern.57 Dennoch erfüllte die Staatskanzlei im „Dritten Reich“ eine wichtige Rolle als Presse- und Nachrichtenstelle. Bereits während der Weimarer Republik waren die Medienangelegenheiten bei der Behörde des Ministerpräsidenten angesiedelt gewesen. Ihre Aufgaben in diesem Bereich wurden am 1. September 1936 sogar ausgebaut, als die bisherige Landespressestelle in der Staatskanzlei in die Nachrichtenstelle der Landesregierung umgewandelt wurde. Diese unterstand ab 1938 direkt dem Ministerpräsidenten, der die Stelle aktiv für Propagandazwecke einsetzte. Während des Zweiten Weltkrieges intensivierte diese Nachrichtenstelle diese Arbeit mit Presseführungen und -vorträgen. Damit war die Nachrichtenstelle derjenige Bereich der Staatskanzlei, der nach Zuständigkeiten, Personaleinsatz 55 Die Aufgaben der Staatskanzlei in Baden und des Staatsministeriums in Württemberg waren mit denen der Staatskanzlei vergleichbar. Obwohl die Rolle der beiden Behörden dort, durch andere politische Verhältnisse, während der NS-Zeit weniger marginal als in Bayern war, vollzog sich auch hier, insbesondere nach dem Kriegsausbruch, ein Rücklauf von Personal und Aufgaben. Vgl. Bacher, Württembergisches Staatsministerium, in: Engehausen/Paletschek/Pyta (Hrsg.), Landesministerien; Hammerstein, Badisches Staatsministerium, in: Engehausen/Paletschek/Pyta (Hrsg.), Landesministerien. Vgl. Rittenauer, Das Amt, S. 118. 56 Rittenauer, Das Amt, S. 118. 57 Auch Siebert deutete die Entwicklung der Staatskanzlei als „harmonische Eingliederung in die Einheit des NS-Reichs“; ebenda, S. 115, 278.

1.2 Aufgaben und Personal



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und Arbeitsumfang wuchs. Die Staatskanzlei spielte daher zwar keine Rolle als politisches Steuerungsinstrument, gewann dafür jedoch zusehends an Bedeutung als Propagandaknotenpunkt, um der Öffentlichkeit zu zeigen, welche Arbeit die staatlichen Dienststellen für den neuen Staat leisteten.58 Der Abbau und die Umstrukturierung von Kompetenzen spiegelten sich auch in den Fluktuationen des Personalbestands, vor allem während der ersten Jahre, wider. Wurden 1933 noch 35 Beamte und Angestellte im Kernbereich59 der Staatskanzlei beschäftigt, so sank die Zahl bis Januar 1935 bereits auf 27.60 Anschließend stabilisierte sich der Personalbestand im Kernbereich bis 1939 auf etwa 30 Personen.61 Die Personenzahl der Pressestelle in der Staatskanzlei nahm hingegen zu, insbesondere als sie im September 1936 zur Nachrichtendienststelle der Landesregierung umgewandelt wurde.62 Arbeiteten hier im Januar 1935 zehn Mitarbeiter, so waren es ab 1936 bis zum Kriegsausbruch etwa 15 Personen. Insgesamt wurden im Kernbereich und in der Nachrichtendienststelle der Staatskanzlei ab September 1936 bis zum Vorabend des Krieges zwischen 35 und 45 Personen beschäftigt.63

58 Vgl. ebenda, S. 124 f. 59 Aus den Akten zum Personalbestand der Staatskanzlei während der NS-Zeit geht oft nicht eindeutig hervor, welche Personen mitgezählt worden sind und welche nicht. Außerdem handelte es sich dabei in der Regel um formelle Übersichten. Es war dennoch möglich, dass eine Person tatsächlich woanders beschäftigt wurde. Dies trifft insbesondere für die Jahre während des Zweiten Weltkrieges zu. In der Regel wurde bei den Personalstanderhebungen zwischen Beamten, Angestellten und Arbeitern, die im Kernbereich der Staatskanzlei arbeiteten, und denjenigen, die in der Pressestelle (ab September 1936 Nachrichtenstelle) und in den der Staatskanzlei untergeordneten Bereichen der Landesmeldestelle für Versorgungsanwärter und des Kriegsarchivs aktiv waren, unterschieden. Siehe u. a.: BayHStA, StK 5438, „Aufgabenbereich und Arbeit der Bayerischen Staatskanzlei“, ohne Datum (vermutlich November 1934), Bl. 9 und „Voraussichtlicher Personalbedarf der Staatskanzlei“, ohne Datum (vermutlich April 1933). Vgl. Rittenauer, Das Amt, S. 126. 60 Die Ursache des Rückgangs im Personalbestand war wohl das Wegfallen von Aufgaben im Pressebereich. Vgl. ebenda, S. 125; BayHStA, StK 5438, Verzeichnis der zur engeren Staatskanzlei gehörenden Beamten und Angestellten, ohne Datum [vermutlich März 1935]. 61 Bei dieser Zahl ist die Nachrichtendienstelle mit 15 weiteren Personen nicht einberechnet: BayHStA, StK 5441, Umlaufsliste Bayerische Staatskanzlei, Oktober 1939. 62 Auf den Umlauflisten aus dem Zeitraum von 1936 bis 1939 wurde das Personal der Staatskanzlei und der Nachrichtenstelle getrennt aufgeführt: BayHStA, StK 5441. 63 Der präzise Verlauf geht aus den jeweiligen Haushaltsplänen aus den Jahren 1936 bis 1939 hervor: BayHStA, ORH 948. Hermann Rumschöttel lieferte auch Zahlen zur Personalentwicklung der Staatskanzlei. Unklar bleibt aber, auf welchen Quellen diese basieren. Vgl. Rumschöttel, Staatskanzlei, in: Rumschöttel/Ziegler (Hrsg.), Staat und Gaue, S. 73.

34  1 Die Staatskanzlei in der NS-Zeit

Ursachen für den behördlichen Bedeutungsverlust Der Bedeutungsverlust der Staatskanzlei in Bayern während der NS-Zeit war nicht das Resultat fehlender Bereitschaft, die Politik der NSDAP zu unterstützen bzw. den neuen Staat aufzubauen. Vielmehr war sie Resultat der Politik Ludwig Sieberts und seines Handelns im Amt als Ministerpräsident während der NS-Zeit. So wirkte sich Sieberts Personalpolitik in der Staatskanzlei nachteilig auf deren Funktionalität nach den Maßstäben und der Logik des Führerstaats aus. Nach 1933 blieben die meisten Beamten aus der Zeit der Weimarer Republik, außer diejenigen, die vom Verwaltungsabbau betroffen waren, auf ihren Stellen und verließen die Staatskanzlei erst zum Zeitpunkt ihrer regulären Ruhestandversetzung.64 Diese zurückhaltende Personalpolitik führte dazu, dass noch zu Beginn des Zweiten Weltkrieges die zwei höchsten Beamten in der Staatskanzlei – Leopold Krafft von Dellmensingen und Paul von Stengel – ehemalige BVP-Mitglieder waren.65 Krafft von Dellmensingen ging 1941 regulär in den Ruhestand, von Stengel ein Jahr später. Demnach wurden erst 1942 die letzten Beamten aus der Zeit der Weimarer Republik von NSDAP-Mitgliedern ersetzt. Diese evolutionäre statt revolutionäre Herangehensweise fügte sich ins Gesamtbild von Sieberts Personalpolitik, denn bis 1941 verlangte er von den ihm unterstellten Beamten keinen Beitritt in die NSDAP.66 Dennoch ist dieses Handeln kein Indiz dafür, dass Siebert das bayerische Beamtentum vor dem Nationalsozialismus schützen wollte. Vielmehr 64 Die Literatur bestätigt dieses Bild für andere Bereiche der bayerischen Verwaltung während der NS-Zeit. Zur allgemeinen Entwicklung vgl. Klaus Schönhoven, Der politische Katholizismus in Bayern unter der NS-Herrschaft 1933–1945, in: Martin Broszat/Hartmut Mehringer (Hrsg.), Bayern in der NS-Zeit V. Die Parteien KPD, SPD, BVP in Verfolgung und Widerstand, München und Wien 1983, S. 541–646, hier S. 618 ff. Für die jeweiligen bayerischen Ministerien während der NS-Zeit vgl. Forstner, Beamte, S. 50–61; Gerhard Hetzer, Personal und Verwaltungsbereiche des Innenministeriums, in: Hermann Rumschöttel/Walter Ziegler (Hrsg.), Staat und Gaue in der NS-Zeit. Bayern 1933–1945, München 2004, S. 171–196, hier S. 177–184; Winfried Müller, Das Bayerische Staatsministerium für Unterricht und Kultus. Verwaltung und Personal im Schatten der NS-Politik, in: Hermann Rumschöttel/Walter Ziegler (Hrsg.), Staat und Gaue in der NS-Zeit. Bayern 1933–1945, München 2004, S. 197–216, hier S. 207–215; Mathias Rösch, „Hammer oder Amboß?“ Zur Rolle des Bayerischen Finanzministeriums 1933–1945. Strukturen, Entwicklungslinien, Fragestellungen, in: Hermann Rumschöttel/Walter Ziegler (Hrsg.), Staat und Gaue in der NS-Zeit. Bayern 1933–1945, München 2004, S. 217–244, hier S. 221–225. 65 BayHStA, StK 7586, Verzeichnis der Beamten des höheren Dienstes und ihre Parteizugehörigkeit, 29. Mai 1941 und derzeitige und frühere Parteizugehörigkeit der höheren Beamten, 21. Juli 1941. 66 Im Jahre 1941 änderte Siebert seine Haltung: Jeder müsse dem NS-Regime positiv gegenüberstehen und diese Überzeugung äußerlich zeigen, auch um politische Bedenken von Parteidienststellen und deren Gliederungen zu vermeiden. Siehe: BayHStA, StK 7586, Brief vom Ministerpräsidenten Siebert an Gauleiter Wagner, 18. Juni 1941. Die Akte enthält Briefe von Ministerialbeam-

1.2 Aufgaben und Personal



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handelte es sich um Pragmatismus, denn es wäre unmöglich gewesen, das Führungspersonal kurzfristig und vollständig mit geeigneten Nationalsozialisten zu ersetzen.67 So wies auch der Personalbestand der Staatskanzlei in Baden, abgesehen vom Leiter, große Kontinuitäten zur Weimarer Republik auf.68 Außerdem hatten alle Beamte ihren Dienst vollständig im Sinne der nationalsozialistischen Weltanschauung als „fanatische […] Nationalsozialisten“ zu erfüllen.69 Aus einer Liste aus dem Jahre 1941 geht hervor, dass von den 42 aufgelisteten Beamten und Angestellten, die im Bereich der Staatskanzlei aktiv waren, 20 Mitglieder der NSDAP waren.70 Drei davon waren bereits vor 1933 beigetreten, sechs im Jahre 1933 und die übrigen Personen frühestens 1937. NSDAP-Mitglieder unter den Beamten befanden sich außerdem bis 1941 nicht auf der höchsten Leitungsebene der Staatskanzlei. Diese Zahl steht in großem Kontrast zu Adolf Wagners Innenministerium, dessen Beamtenschaft sich bereits 1938 mit mehr als 80 Prozent aus NSDAP-Mitgliedern zusammensetzte.71 Die geringe Wirkungsmacht von Sieberts Personalpolitik lag nicht so sehr darin, dass die leitenden Beamten der Staatskanzlei BVP-Mitglieder gewesen waren und nach der Machtübernahme Schwierigkeiten hatten, sich dem politischen Kurs des NS-Staats anzupassen. Viel bedeutsamer war die Tatsache, dass es sich bei den leitenden Ministerialbeamten um Personen handelte, die im neuen Staat lediglich gering vernetzt waren, keine starke Verbindung zur NSDAP hatten und ihnen von Parteidienststellen fehlende Nähe zum Regime vorgeworfen wurde.72 So fehlte es an leitenden Personen, die gerade über den politischen Fanatismus verfügten, der für die politische Wirkungsmacht der Staatskanzlei innerhalb des von starker Konkurrenz geprägten NS-Systems von Bedeutung gewesen wäre.

ten, die sich 1941 beim Ministerpräsidenten Siebert meldeten, dass sie ihre NSDAP-Mitgliedschaft beantragt hatten. Vgl. Rittenauer, Das Amt, S. 289. 67 Vgl. Hans Mommsen, Beamtentum im Dritten Reich. Mit ausgewählten Quellen zur nationalsozialistischen Beamtenpolitik, Stuttgart 1966, S. 13 ff. 68 Vgl. Hammerstein, Badisches Staatsministerium, in: Engehausen/Paletschek/Pyta (Hrsg.), Landesministerien, S. 60–67. 69 Zit. nach: Rittenauer, Das Amt, S. 285. Siebert betonte dabei die Verbindung der Beamten zum Volk, zum Staat und zum „Führer“. 70 Auf dieser Liste stehen alle Personen, die formell im Bereich der Staatskanzlei beschäftigt wurden, inklusive der Nachrichtenstelle. Dennoch war ein Teil davon zwischen 1939 und 1941 bereits in die Wehrmacht eingezogen oder abgeordnet. Siehe: BayHStA, StK 5441, Verzeichnis der Beamten und Angestellten und ihre Parteizugehörigkeit, 13. Juni 1941. Eine andere Liste vom 21. Juli 1941 vermeldet insgesamt 37 Beamte und Angestellte, von denen 16 der NSDAP angehörten. Vgl. BayHStA, StK 7586. 71 Vgl. Forstner, Beamte, S. 111–120. 72 Vgl. Rittenauer, Das Amt, S. 286.

36  1 Die Staatskanzlei in der NS-Zeit

Exemplarisch dafür stehen die ersten beiden stellvertretenden Leiter der Staatskanzlei während der NS-Zeit: Nach der Errichtung der Staatskanzlei 1933 blieb das ehemalige BVP-Mitglied und der enge Vertraute des ehemaligen Ministerpräsidenten Heinrich Helds, Staatsrat Joseph Bleyer, im Amt und als stellvertretender Leiter der Staatskanzlei aktiv.73 Bleyer war 1933 von der BVP zur NSDAP gewechselt, galt unter Siebert als hochqualifizierter Spitzenbeamter und erfüllte bis zu seinem Tod weiterhin die wichtigsten Aufgaben im Bereich der Staatsrechtsfragen. Obwohl Bleyers Nachfolger im März 1935, Krafft von Dellmensingen, zu keinem Zeitpunkt der NSDAP74 beitrat, erfüllte auch er als Spitzenbeamter ohne Zögern seine Aufgaben im Sinne des NS-Regimes. Er hatte, ähnlich wie Bleyer, ein gutes Verhältnis zu Siebert und verfügte über umfangreiche Verwaltungserfahrung. Dennoch hatte er dem Ministerpräsidenten für die politische Durchsetzung und Selbstbehauptung der Staatskanzlei wenig zu bieten.75 Darüber hinaus war der Bedeutungsverlust der Staatskanzlei vor allem auf die Entwicklung des Bayerischen Ministerpräsidenten in seinem Amt während der NS-Zeit zurückzuführen. Die Staatskanzlei war vom Ministerpräsidenten abhängig, sodass sich der Rückgang von Sieberts politischem Einfluss konkret auf die Position und den Wirkungsbereich der Staatskanzlei auswirkte. Die Machtübernahme der Nationalsozialisten im Jahre 1933 verstärkte zwar zunächst formell die Position des Ministerpräsidenten im Vergleich zur Situation in der Weimarer Republik. Vieles weist darauf hin, dass Buttmanns Denkschrift auch hier eine Rolle spielte.76 So sollte Siebert im Kabinett eine hervorgehobene Position einnehmen und wurde rasch mit besonderen Kompetenzen für den vorstehenden Staatsumbau und die Bewältigung der angespannten Finanzlage ausgestattet.77 Dennoch scheiterte Ministerpräsident Siebert bereits 1934 am Versuch, das ungeklärte Verhältnis von Partei und Staat aufzulösen, indem er die bayerischen Gauleiter und die SA in das bayerische Staatswesen einbinden wollte.78 Sein Ziel war es, die von Hitler angestrebte „Einheit von Partei und Staat“ zur Stabilisierung seiner eigenen Machtposition zu erreichen. Doch die Niederlage Sieberts rückte die Gauleiter in 73 Obwohl der Ministerpräsident der Leiter der Staatskanzlei war, wurde die Behörde in der Praxis vom stellvertretenden Leiter geführt. Während der Monate, in denen Hermann Esser die Leitung der Staatskanzlei innehatte, erfüllte Bleyer auch für Esser die Rolle des stellvertretenden Leiters. 74 BayHStA, StK 7586, Verzeichnis der Beamten des höheren Dienstes und ihre Parteizugehörigkeit, 27. Mai 1941. 75 Vgl. Rittenauer, Das Amt, S. 126–132, 283–296. 76 Vgl. Wanninger, Nationalsozialistische Pläne, in: Wirsching (Hrsg.), 1933, S. 96 ff. 77 Vgl. Rittenauer, Das Amt, S. 132–142. 78 Vgl. ebenda, S. 206–219. Für das Selbstverständnis der bayerischen Gauleiter vgl. Walter Ziegler, Das Selbstverständnis der bayerischen Gauleiter, in: Hermann Rumschöttel/Walter Ziegler (Hrsg.), Staat und Gaue in der NS-Zeit. Bayern 1933–1945, München 2004, S. 77–125.

1.2 Aufgaben und Personal



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eine dauerhafte Konkurrenzposition im NS-Gefüge. Hervorzuheben ist vor allem der einflussreiche und fanatische Gauleiter von München-Oberbayern, Adolf Wagner.79 Das ambivalente Verhältnis von Siebert und Wagner war nicht durchgängig von Konkurrenz gezeichnet, denn von Zeit zu Zeit arbeiteten sie zusammen – vor allem wenn ihre Kompetenzen vom Reichsstatthalter angegriffen wurden.80 Obwohl eine strukturierte Zusammenarbeit letztendlich nicht zustande kam, vermittelte Siebert durchaus die Bereitschaft, mit anderen Verwaltungs- und Parteidienststellen zusammenzuarbeiten. Dies zeigt, dass die politische Praxis in Bayern während der NS-Zeit sowohl von einem „polykratischen Kompetenzgerangel“ als auch gelegentlich von einer effizienten Zusammenarbeit zwischen Funktionsträgern gekennzeichnet wurde.81 Darüber hinaus nahm die Zentralisierungspolitik der Reichsregierung ab Januar 1934 zu, sodass Siebert das „Führerprinzip“ zu keinem Zeitpunkt für sich vereinnahmen konnte.82 Mit dem Erlass des Gesetzes zum Neuaufbau des Reiches vom 30. Januar 1934 wurden dem Ministerpräsidenten wesentliche Kompetenzen entzogen, unter anderem die Personalhoheit im Bereich der Staatsregierung.83 Mit diesem Gesetz wurden die Hoheitsrechte der Länder und somit deren Eigenstaatlichkeit im staatsrechtlichen Sinne auf das Reich übertragen, sodass sich dieses formell in einen dezentralisierten Einheitsstaat umwandelte.84 Im Rahmen der „Verreichlichung“ der Länder durften auch keine neuen Minister in der Staatregierung benannt werden, sodass die noch existierenden Resorts in Bayern zwischen 1936 und 1942 von lediglich zwei Personen geleitet wurden: Siebert, der neben Ministerpräsident und Chef der Staatskanzlei auch Finanz- und Wirtschaftsminister war, sowie Adolf Wagner, der seine Funktion als Gauleiter mit den Ämtern des stellvertretenden Ministerpräsidenten und die des Innen- und Kultusministers kombinierte.85 Aus diesem Grund verlor Sieberts hervorgehobene Rolle 79 Vgl. Rittenauer, Das Amt, S. 206–214. 80 Vgl. ebenda, S. 246 f. 81 Andreas Wirsching, Die deutsche „Mehrheitsgesellschaft“ und die Etablierung des NS-Regimes im Jahre 1933, in: Andreas Wirsching (Hrsg.), Das Jahr 1933. Die nationalsozialistische Machteroberung und die deutsche Gesellschaft, Göttingen 2009, S. 9–23, hier S. 20 ff., zit. nach S. 22. 82 Zum Führerprinzip vgl. Frei, Der Führerstaat, S. 113–123. 83 Zur allgemeinen Entwicklung der Entscheidungsprozesse in der Personalpolitik zwischen den Landes- und Reichsbehörden und der Rolle Sieberts: BayHStA, StK 7587. 84 Im Rahmen der „Verreichlichung“ wurden die Landesministerien den Reichsministerien direkt untergeordnet, sodass der Informationsaustausch sich meistens direkt zwischen den Behörden und nicht über den Ministerpräsidenten und der Staatskanzlei vollzog. Lediglich in allgemeinen Angelegenheiten lief die Kommunikation noch über die Staatskanzlei. 85 In der Ausgabe des Völkischen Beobachters vom 2. Dezember 1936 wurde auf Seite 3 die Übernahme des Wirtschaftsministeriums durch Siebert sowie die Übernahme des Kultusministeriums durch Wagner bekannt gegeben.

38  1 Die Staatskanzlei in der NS-Zeit

im Gesamtministerium vor allem ab 1935 an politischer Bedeutung und die Staatskanzlei wurde als Koordinierungsstelle für die Regierungsarbeit größtenteils überflüssig.

Handlungsspielräume im Einheitsstaat Die Durchführung der Reichsreform stellte sich in der Praxis, ähnlich wie andere Maßnahmen im NS-Staat, als chaotisch heraus.86 Obwohl eine „Verreichlichung“ der Länder das Ziel war, hielten Hitler und die Reichsregierung zugleich an der Existenz einzelner traditioneller Landesbehörden fest und entschieden sich gegen politische Brüche.87 Das war im Sinne Sieberts, der in Bayern zwar auf die Reichsreform hinarbeitete, jedoch so lang wie möglich an der traditionellen Staatsverwaltung festzuhalten versuchte.88 Er strebte, zumindest vorübergehend, eine Symbiose zwischen der traditionellen Staatsstrukturen und dem neuen nationalsozialistischen Einheitsstaat an. Dies ist zugleich ein Indiz dafür, dass die Reichsregierung in Bayern keineswegs uneingeschränkt regierte. Die Arbeit des Ministerpräsidenten und der Staatskanzlei umfasste nicht lediglich die Ausführung von Entscheidungen aus Berlin. Vielmehr existierten in Bayern, ähnlich wie in anderen Ländern, innerhalb der traditionellen Ministerialverwaltung Entscheidungsund Handlungsspielräume, die die Behörden zu nutzen wussten.89 So müssen auch das Amt des Bayerischen Ministerpräsidenten und die Staatskanzlei – trotz der im Laufe der Zeit enger werdenden Handlungsspielräume – als eigenständige Faktoren innerhalb der nationalsozialistischen Herrschaftspraxis gesehen werden. Diese ambivalente Politik der Reichsregierung führte in der politischen Praxis zu einer diffusen Aufgabenverteilung und erreichte während der Jahre 1935 und 1936 mit einem Kompetenzstreit zwischen dem Reichsstatthalter und dem Ministerpräsidenten seinen Höhepunkt.90 Epp versuchte in diesem Machtkampf, möglichst viele Funktionen Sieberts zu übernehmen. Er erhielt jedoch keine Unterstüt86 Vgl. Grau, Reichsstatthalter in Bayern, in: Rumschöttel/Ziegler (Hrsg.), Staat und Gaue, S. 131. 87 Vgl. Rittenauer, Das Amt, S. 132 ff. 88 Vgl. ebenda, S. 132–142. 89 Dies galt zum Beispiel auch für die badischen und württembergischen Landesministerien. Vgl. Frank Engehausen/Sylvia Paletschek/Wolfram Pyta, Einleitung, in: Frank Engehausen/Sylvia Paletschek/Wolfram Pyta (Hrsg.), Die badischen und württembergischen Landesministerien in der Zeit des Nationalsozialismus, Stuttgart 2019, S. 1–14, hier S. 4. 90 Eine von Siebert verfasste Niederschrift über ein Gespräch zwischen ihm und dem Reichsinnenminister Frick bezüglich des Handelns des Reichsstatthalters ist exemplarisch für den Charakter und Inhalt des Konkurrenzstreits und Kompetenzkampfs. Durch diese Niederschrift wurde auch Sieberts persönlicher Referent, Rudolf von Bezold, über den Inhalt des Gesprächs informiert. Siehe: BayHStA, StK 7587, Niederschrift ohne Titel, 21. November 1936.

1.2 Aufgaben und Personal



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zung von Hitler und dem Reichsinnenministerium und war mit seinem Plan nicht erfolgreich. Er versuchte 1935, die Staatskanzlei – deren Potential er für die Führung der Regierungsgeschäfte durchaus anerkannte – gegenüber Reichsinnenminister Wilhelm Frick für überholt zu erklären, und wollte Aufgaben und Teile des Personals in seine Reichsstatthalterei eingliedern – scheiterte jedoch damit.91 Siebert hingegen forderte gegenüber dem Reichsinnenministerium das Fortbestehen der Staatskanzlei, deren Aufgaben er in einem sehr umfangreichen Schreiben an Frick darlegte.92 Damit sicherte sich Siebert die Unterstützung von Frick, da die Regierungsführung Bayerns noch nicht beim Reichsstatthalter lag. Ab 1937 musste sich Epp gegenüber Siebert final geschlagen geben und seine Vorstellung für die Staatskanzlei wurden bis zum Kriegsende nicht umgesetzt. Das Amt des Ministerpräsidenten war aber de facto auf Dauer ein Auslaufmodell, das nur durch Hitlers Willkür fortbestand.93 Siebert erfüllte zwar aktiv und aus innerlicher Überzeugung seine Rolle im Sinne des NS-Staats, dennoch konnte von langfristiger politischer Planung des Ministerpräsidenten kaum die Rede sein. Vielmehr war es die Reichsregierung, die über die politischen Handlungsräume des Ministerpräsidenten und der Staatskanzlei während der NS-Zeit entschied.94 So auch 1939, als Adolf Wagner zu Kriegsbeginn zum Reichsverteidigungskommissar der Wehrkreise VII und XIII bestellt wurde. Für den Bereich der Zivilverteidigung war er dadurch befugt, allen Verwaltungszweigen Weisungen zu erteilen.95 Siebert hingegen erhielt keine neue Funktion – der Kriegsausbruch war die endgültige Marginalisierung seines Amts.96 Dieser Bedeutungsverlust spiegelte sich auch in der Entwicklung der Staatskanzlei wider. Das Personal der Staatskanzlei und ihrer Nachrichtenstelle – die Gesamtzahl betrug zwischen 1935 und 1939 durchschnittlich 40 Personen–, schrumpfte mit Ausbruch des Zweiten Weltkrieges merklich. Bereits 1939 wurden 91 Siehe die Korrespondenz zwischen Reichsstatthalter von Epp und dem Reichsministerium des Innern (Staatssekretär Hans Pfundtner und Reichsminister des Innern Wilhelm Frick) vom Januar und Februar 1935: BArchB, R 1501 130210. 92 In der Akte liegen zwei Entwürfe von diesem Schreiben vor. Welche Version abgeschickt wurde, geht aus der Akte nicht hervor, aber der Inhalt ist nahezu identisch. Siehe: BayHStA, StK 5438, Entwürfe für Brief vom Ministerpräsidenten Siebert an den Reichsminister des Innern Frick, Juli und August 1935. Siehe in der gleichen Akte auch die Korrespondenz zwischen Ministerpräsident Siebert dem Reichsministerium des Innern im August und September 1935. Darunter ein Vermerk vom Ministerpräsidenten Siebert vom 7. September 1935 über die Mitteilung des Staatssekretärs Pfundtner, dass eine Übergabe von Aufgaben der Staatskanzlei an die Reichsstatthalterei nicht erfolgen wird. 93 Vgl. Rittenauer, Das Amt, S. 346. 94 Vgl. ebenda, S. 278–283. 95 Vgl. ebenda, S. 296 ff. 96 Vgl. ebenda, S. 296–300.

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1 Die Staatskanzlei in der NS-Zeit

seit dem zehn Mitarbeiter – fünf Beamte und fünf Angestellte – in die Wehrmacht eingezogen.97 Bis 1941 wurden außerdem fünf weitere Beamte und Angestellte an das Finanz- oder Kultusministerium sowie an die von Siebert geleitete Deutsche Akademie abgeordnet; und diese Abordnungen wogen besonders schwer.98 Nach Angaben der Staatskanzlei sank 1941 die Zahl der verfügbaren Personen im gehobenen und im einfachen Dienst sowie im Angestelltenverhältnis im Vergleich zu der Vorkriegssituation um 50 Prozent (von 26 auf 13).99 Die Leitungsebene (höherer Dienst) und der mittlere Dienst waren von einem derartigen Rückgang zunächst nicht betroffen, sodass 1941 in der gesamten Staatskanzlei noch ca. 25 bis 30 Beamte und Angestellte aktiv waren.100 Der Personalbestand der Nachrichtenstelle war im Vergleich zum Kernbereich der Staatskanzlei von dieser Entwicklung weniger stark betroffen, weil sie nach wie vor eine wichtige propagandistische Funktion erfüllte. Sie war während des Krieges ein kontinuierlicher Faktor in der Staatskanzlei.101 Ein paar Monate bevor Siebert am 1. November 1942 verstarb, ordnete er noch weiteres Personal an das Finanz- und Wirtschaftsministerium ab. Siebert und die Staatskanzlei hatten bis dahin aktiv an der Reichsreform sowie an der Stabilisierung und Repräsentation des NS-Regimes in Bayern mitgewirkt. Damit trugen sie aktiv zu einem politischen Klima bei, in dem die wichtigs97 BayHStA, StK 5447, Verzeichnis zum Kriegsdienst eingezogener Beamte und Angestellter der Staatskanzlei vom Personalreferat der Staatskanzlei (Bezold) an den Ministerpräsidenten, 28. September 1939. 98 BayHStA, StK 5441, Personalverhältnisse in der Bayerischen Staatskanzlei, ohne Datum [vermutlich Februar/März 1941]. 99 Ebenda. 100 Rittenauer spricht für 1941 fälschlicherweise von insgesamt 13 aktiven Personen in der Staatskanzlei. Die beschriebene Halbierung des Personalbestands (von 26 auf 13) bezieht sich jedoch nicht auf die Beamtenschaft im höheren und mittleren Dienst, sondern nur auf den gehobenen und einfachen Dienst sowie das Angestelltenverhältnis. Rittenauer hat aber Recht, wenn er bemerkt, dass die Personalentwicklung für die Staatskanzlei während des Zweiten Weltkrieges im Archiv sehr unsystematisch überliefert ist. Siehe: BayHStA, StK 5441, Personalverhältnisse in der Bayerischen Staatskanzlei, ohne Datum [vermutlich Februar/März 1941]; ORH 949, Haushalt des Bayerischen Ministerpräsidenten und der Staatskanzlei für das Rechnungsjahr 1942, S. 3 f. Vgl. Rittenauer, Das Amt, S. 126 f.; Rumschöttel, Staatskanzlei, in: Rumschöttel/Ziegler (Hrsg.), Staat und Gaue, S. 73. Die Personaldecke war auch am Ende von Sieberts Zeit als Ministerpräsident dünn. Von Bezold bemühte sich aktiv, bei Siebert die Einstellung von neuen Beamten im höheren Dienst zu erwirken, sodass die Funktionsfähigkeit der Staatskanzlei nicht gefährdet wurde. Siehe: BayHStA, StK 7587, Niederschrift ohne Titel von Siebert und von Bezold über die Personalverhältnisse der Staatskanzlei, 3. und 4. Juni 1942. Die Akte enthält zu diesem Thema ebenfalls ein Brief von Siebert am Ministerialdirektor Dr. Klöpfer (Parteikanzlei), 6. Juni 1942. 101 BayHStA, StK 5441, Umlaufliste Bayerische Staatskanzlei, ohne Datum [vermutlich September 1939]; vgl. Personalverhältnisse in der Bayerischen Staatskanzlei, ohne Datum [vermutlich Februar/März 1941].

1.2 Aufgaben und Personal



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ten Zielsetzungen des NS-Regimes – die Planung und Ausführung der Judenvernichtung sowie des Kriegs – möglich waren. In den Entscheidungsprozessen auf diesen Gebieten spielten sie jedoch kaum eine Rolle.102 Vielmehr stellte sich die Judenverfolgung in Bayern als ein raffinierter, arbeitsteiliger Prozess heraus, in den die Behörden der Innen- und Finanzverwaltung neben den Polizeidienststellen tief involviert waren.103 Sowohl der „Beamte-Ministerpräsident“ Siebert als auch die leitenden Beamten der Staatskanzlei waren in ihrem Handeln und Denken vielmehr verwaltungstechnisch als politisch interessiert, sodass sie zu den führenden Personen der NSDAP kaum Verbindungen knüpften.104 Es darf dennoch nicht vergessen werden, dass sowohl der Ministerpräsident als auch seine Behörde aus Überzeugung stets im Sinne des NS-Staats handelten und darum bemüht waren, ihre Aufgaben so gut wie möglich zu erfüllen. Es fehlte den Beamten der Staatskanzlei nicht an Bereitschaft und Motivation, „dem Führer entgegenzuarbeiten“, sondern an Kompetenzen und Möglichkeiten.105 Der politische Bedeutungsverlust ihrer Institution machte sie – im Kontrast zum dominanten politischen Entlastungsnarrativ der direkten Nachkriegszeit – keineswegs zu Opfern des NS-Regimes.

Paul Giesler und die letzten Kriegsjahre Sieberts Nachfolger auf dem Posten des Ministerpräsidenten war der 47-jährige Paul Giesler. Sofort nach seinem Antritt strukturierte er die Staatskanzlei und Ministerialverwaltung um. Giesler hatte bereits am 27. Juni 1942 die gesamten Ämter von Adolf Wagner106 übernommen, der einen Schlaganfall erlitt, sodass er und Siebert noch drei Monate gleichzeitig im Amt waren. Nach Sieberts Tod vereinte Giesler nun die Ämter, die Wagner und Siebert vorher ausgeführt hatten. Er hatte so102 Vgl. Rittenauer, Das Amt, S. 346 f. 103 Vgl. Walter Ziegler, Bayern im NS-Staat 1933 bis 1945, in: Alois Schmid (Hrsg.), Das neue Bayern von 1800 bis zur Gegenwart. Erster Teilband: Staat und Politik, München 2003, S. 500– 634, hier S. 570–577. 104 Rumschöttel, Staatskanzlei, in: Rumschöttel/Ziegler (Hrsg.), Staat und Gaue, S. 65. 105 Die These des Prinzips „dem Führer entgegen arbeiten“ als Erklärung für Hitlers Machtposition und das Funktionieren des „Dritten Reiches“ geht auf das Werk des Historikers Ian Kershaw zurück. Vgl. Ian Kershaw, „Working Towards the Führer.“ Reflections on the Nature of the Hitler Dictatorship, in: Contemporary European History 2 (1993), H. 2, S. 103–118. 106 Wagner starb zwar erst zwei Jahre später, am 12. April 1944, war nach dem Schlaganfall jedoch nicht länger in der Lage, seine Funktion auszuüben. Er verfügte nach seinem Rücktritt aber nach wie vor über ein umfangreiches Netzwerk von alten Vertrauten in der Gauverwaltung, sodass er über diese Seite gelegentlich noch Einfluss auf die Politik Gieslers zu nehmen versuchte. Vgl. Rittenauer, Das Amt, S. 319 f.

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mit praktisch freien Zugriff auf die bayerische Landespolitik.107 Giesler konnte bereits auf einen steilen Aufstieg in der SA zurückblicken, hatte dennoch zu diesem Zeitpunkt wenig Erfahrung im Bereich der staatlichen Verwaltung und mit der Leitung eines Gaues gesammelt.108 Er verstand sich vor allem als Parteifunktionär und konnte für das Amt des Ministerpräsidenten und dessen Repräsentationsfunktion nur wenig Interesse aufbringen. Stattdessen regierte Giesler in Bayern hauptsächlich über seine Gauverwaltung, die er eindeutig als Gliederungseinheit für das zukünftige Deutsche Reich ansah. Diese Regierungspraxis führte zu einem weiteren Bedeutungsverlust der staatlichen Verwaltung. Bis zur endgültigen Reichsreform entwickelte die Regierung Gieslers im März 1943 den Plan, die jeweiligen Ministerien aufzulösen und zu einem „Bayerischen Staatsministerium“ als neuen Typ nationalsozialistischer Landesverwaltung zusammenzulegen. Dabei sollte auch die Staatskanzlei aufgelöst und deren Aufgaben von einer „Kanzlei des Ministers“ übernommen werden.109 Obwohl Hitler den Gesetzesentwurf Anfang März 1943 ablehnte und sich erneut gegen eine weitere Auflösung der bayerischen Landesverwaltung aussprach, hatte der Plan Konsequenzen für die Organisationsstruktur der Staatskanzlei.110 Ende März 1943 wurde das sogenannte Ministeramt in der Staatskanzlei errichtet. Dies war ein minimaler Kompromiss der ursprünglichen Idee, die Staatskanzlei zu einer Zentralabteilung im Bayerischen Staatsministerium umzubauen. So wurde einerseits Hitlers Wunsch Genüge getan, andererseits verfügte Giesler fortan über eine Koordinierungsstelle für die Ministerialverwaltung. Eine Koordinierungsstelle war das Ministeramt jedoch nur theoretisch. Es sollte den Überblick über die Staatsangelegenheiten behalten, die wichtigen Entscheidungen koordinieren und den Kontakt der Ministerien zum Regierungschef herstellen.111 Obwohl die wesentlichen Aufgaben über das Ministeramt liefen, behielt die Staatskanzlei bis Anfang 1944 die leitenden Geschäftsaufgaben bei, sodass sich die Zuständigkeit für die Koordinierung der Regierungsgeschäfte verdoppelte. Mit der neuen Geschäftsordnung um die Jahreswende 1943/44 fielen diese Aufgaben 107 Aus Respekt vor Wagner fand die ordentliche Vereidigung Gieslers zum Ministerpräsidenten und Innenminister erst eine Woche nach dem Ableben des ehemaligen Gauleiters am 19. April 1944 statt. 108 Vgl. Rittenauer, Das Amt, S. 304–309. 109 Vgl. ebenda, S. 333 ff. 110 Vgl. ebenda, S. 336 ff. 111 Am 28. März 1943 schickte Giesler an die gesamte Ministerialverwaltung einen Runderlass über die neue Funktion der Staatskanzlei als Ministeramt unter der Leitung Ludwig Dittmars. Siehe: BayHStA, StK 5438. Am 15. April 1943 erfolgte ein zweiter, ergänzender Runderlass, in dem die Aufgaben und Abläufe zwischen dem Ministeramt und der Ministerialverwaltung weiter spezifiziert wurden. Siehe: BayHStA, MF 69381.

1.2 Aufgaben und Personal



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dann in die alleinige Zuständigkeit des Ministeramts. Das Ministeramt änderte aber nichts daran, dass Giesler seine staatlichen Regierungsfunktionen mit Hilfe des NSDAP-Gauapparates ausübte, sodass die Koordinations- und Repräsentationskompetenzen des Ministeramts bis zum Kriegsende keine praktische Bedeutung erlangten. Dennoch versuchte das Ministeramt diesen Eindruck in der Außenwahrnehmung zu vermeiden. Nach eigenen Angaben erfüllte es im Jahre 1944 noch die folgenden kriegsrelevanten Aufgaben: Führung des Ministeramts, Korrespondenz mit den Vertretungen ausländischer Staaten, Verwaltung der dem Ministerpräsidenten zur Verfügung stehenden Fonds, Verleihung von Ehrengaben und Nachrichtenstelle der Landesregierung.112 Dass die Rolle des Ministeramts zwar gering, jedoch nicht ganz ohne Bedeutung war, geht außerdem aus der Tatsache hervor, dass es im September 1944 immerhin noch 28 Beamte und Angestellte beschäftigte.113 Der Anteil der höheren Beamten war allerdings im Vergleich zu 1941 wesentlich niedriger, und sechs der aufgelisteten Personen waren durch Abordnung, Krankheit oder Ruhestandsversetzungen in der Staatskanzlei nicht einsetzbar.114 Um den Personalverlust zu kompensieren, wurden Ende 1944/Anfang 1945 sogar einzelne Personen vorübergehend an das Ministeramt abgeordnet.115 Ein Drittel der Beamten und Angestellten im Ministeramt war in der Nachrichtenstelle aktiv, die nach wie vor für Kontinuität im Verwaltungsbereich der Staatskanzlei sorgte. Wie sich der Personalbestand zwischen September 1944 und der deutschen Kapi-

112 Das geht aus einem Schreiben vom Ministeramt (Staatskanzlei) an den Beauftragten des Reichsverteidigungskommissars für die totale Kriegführung im Reichsverteidigungsbezirk Gau München-Oberbayern auf dem Sektor der bayerischen öffentlichen Verwaltung vom 15. August 1944 hervor. Außerdem wurde im Schreiben bemerkt, dass „die Verleihung von Ehrengaben durch den Ministerpräsidenten sich propagandistisch als sehr günstig ausgewirkt“ habe. Siehe: BayHStA, StK 5438. 113 Aus der Personalliste geht außerdem hervor, dass in der Staatskanzlei acht Arbeiter beschäftigt wurden. Siehe: BayHStA, StK 5438, Personalstand des Ministeramts (Bay. Staatskanzlei) nach dem Stande vom 1. September 1944. Die Personen, die verwaltungstechnisch zum Bereich der Staatskanzlei gehörten, jedoch in der Wehrmacht oder bei anderen Behörden aktiv waren, wurden hier nicht aufgelistet. Dadurch war der formelle Personalbestand umfangreicher als die in der Praxis vorhandenen Personen. Jedoch wurden auch die abwesenden Personen weiterhin auf Planstellen in der Staatskanzlei befördert. Siehe dazu: BayHStA, StK 5447, Nr. I 123, Betreff: Personalverhältnisse beim Ministeramt (Bayer. Staatskanzlei), 5. Januar 1945; StK 13904, Verzeichnis der sämtlichen Beamten, Angestellten und Arbeiter der Bayer. Staatskanzlei, die bis 30. April 1945 auf haushaltsmäßigen Planstellen angewiesen waren, Juni 1945. 114 BayHStA, StK 5438, Personalstand des Ministeramts (Bay. Staatskanzlei) nach dem Stande vom 1. September 1944. 115 BayHStA, StK 5447.

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1 Die Staatskanzlei in der NS-Zeit

tulation genau entwickelte, ist nur punktuell überliefert.116 Wegen weiterer Ruhestandversetzungen und der Folgen des Kriegsverlaufs ist jedoch anzunehmen, dass die Zahl der aktiven Personen bis Kriegsende weiter rückläufig war. Leiter des Ministeramts (Staatskanzlei) war seit März 1943 der ehemalige Regierungsvizepräsident von Oberbayern, Ludwig Dittmar,117 der außerdem den Posten als Gaustellenleiter im Amt für Beamte des Gaues München-Oberbayern bekleidete. Er hatte die Funktion des Leiters von Rudolf von Bezold übernommen, der seit 1933 als persönlicher Referent und enger Vertrauter von Siebert in der Staatskanzlei gearbeitet und 1941 die Leitung der Geschäftsaufgabe I in der Staatskanzlei übernommen hatte.118 Obwohl über sein Verhältnis zu Giesler nichts bekannt ist, lässt sich vermuten, dass die beiden sich zum Zeitpunkt von Dittmars Ernennung bereits aus der Gauverwaltung München-Oberbayern kannten.119 Als Dittmar im Februar 1945 krankheitsbedingt ausfiel, leitete Ernst Boepple das Ministeramt für wenige Wochen bis zur Kapitulation. Dieser war 1925 der NSDAP beigetreten und als rechtsradikaler Verleger in München tätig. Ab 1934 war er als Staatsrat, ab 1937 als Staatssekretär im bayerischen Kultusministerium tätig. Ab 1939 war er einer der Hauptverantwortlichen bei der Durchführung der Judenverfolgung im Generalgouvernement.120 Gegen Ende des Krieges ging wohl von Boepple, in seiner kurzen Zeit als Ministeramtsleiter, keine politische Wirkung mehr aus, was sich allerdings in den überlieferten Archivbeständen nicht nachvollziehen lässt.

116 Ebenda. 117 Dittmar (geb. 1889) war seit dem 1. Mai 1933 Mitglied der NSDAP, hatte sich jedoch bereits, so beurteilte Gauleiter Paul Giesler, „in der Kampfzeit“ der NSDAP Verdienste erworben und war außerdem SS-Standartenführer; BayHStA, MF 69372, Brief vom Bayerischen Ministerpräsidenten Paul Giesler an den Reichsstatthalter von Epp, 13. März 1944. Vgl. Rittenauer, Das Amt, S. 337, 361. 118 Von Bezold blieb zwar noch bis Dezember 1943 in der Staatskanzlei, musste jedoch feststellen, dass seine Aufgaben zunehmend von Dittmar im Ministeramt der Staatskanzlei übernommen wurden. Die neue Geschäftsordnung am Anfang des Jahres 1944 legte die beiden Stellen zum Vorteil des Ministeramts zusammen. 119 Noch im Juli 1943 sah Ministerpräsident und Gauleiter Giesler keinen Grund, Dittmar zu befördern. Doch ein Jahr später konnte er wohl von sich überzeugen und Giesler verfasste eine ausführliche Empfehlung für eine Beförderung zum Ministerialdirektor. Siehe: BayHStA, MF 69372, Brief Ministerialrat Ziegenaus (BMI) an Ministerialrat Traßl (MF), 28. Juni 1943; Brief vom Bayerischen Ministerpräsidenten Paul Giesler an den Reichsstatthalter von Epp, 13. März 1944. Dittmars Ernennung zum Ministerialdirektor erfolgte durch Hitler mit einer Urkunde am 27. Dezember 1944. Siehe: BayHStA, StK 5447, Abschrift Urkunde, 27. Dezember 1944. 120 Zu Boepples Biografie vgl. Müller, Bayerisches Staatsministerium, in: Rumschöttel/Ziegler (Hrsg.), Staat und Gaue, S. 201; Joachim Lilla, Boepple, Ernst, in: ders.: Staatsminister, leitende Verwaltungsbeamte und (NS-)Funktionsträger in Bayern 1918 bis 1945, URL: https://verwaltungshandbuch.bayerische-landesbibliothek-online.de/boepple-ernst [20. November 2019].

1.2 Aufgaben und Personal



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Das Ministeramt (Staatskanzlei) existierte bis zum Kriegsende. Viel war organisatorisch im Mai 1945 von der Behörde jedoch nicht mehr übrig. Vor diesem Hintergrund musste sie in organisatorischer und personeller Hinsicht nach der deutschen Kapitulation grundlegend neu aufgebaut werden. War 1933 zunächst keine Zäsur für die Staatskanzlei, so war es 1945 umso mehr. Obwohl die Funktion der Bayerischen Staatskanzlei im „Dritten Reich“ tatsächlich von abnehmender Bedeutung gewesen war, und Hans Kraus mit seiner Deutung „Schreibstube des nominellen Ministerpräsidenten“ nicht weit von der politischen und organisatorischen Realität am Ende der NS-Zeit entfernt war, war die Behörde keineswegs ein Opfer des nationalsozialistischen Einheitsstaats. Die Tatsache, dass sie sich im NS-Herrschaftsgefüge nicht behaupten konnte, schließt nicht aus, dass sie in vielerlei Hinsicht die NS-Politik mitgetragen oder es zumindest versucht hat.

2 Männer mit Erfahrungen und Vorstellungen: die föderalistischen Gründerväter der Bayerischen Staatskanzlei „Nie soll es in Deutschland mehr eine zentralistische Diktatur geben! Deshalb muss unsere bayerische Heimat stark sein. Preußen-Deutschland und sein Geist ist [sic!] im Nationalsozialismus aufgegangen und ist [sic!] mit ihm gestorben. Bayern weist einen neuen Weg; keine nationalsozialistische Lüge, kein Massenterror darf mehr sein“, so Fritz Schäffer – erster Bayerischer Ministerpräsident nach dem Zweiten Weltkrieg am 14. Juni 1945 in seiner Regierungserklärung, die im Rundfunk übertragen wurde.1 Sein Amtsnachfolger, Wilhelm Hoegner, schrieb am 13. November 1945 in der Süddeutschen Zeitung in einem ähnlichen Ton: „Die Gleichschaltung der Länder durch die Nationalsozialisten war nur der folgerichtige Abschluss einer Entwicklung, die bereits mit der Weimarer Verfassung eingesetzt hatte. Wenn wir Süddeutschen nicht wollen, dass wieder einmal Millionen von deutschen Staatssklaven auf den Wink eines einzigen Mannes einschwenken und blindlings bis ans Ende der Welt marschieren, dann müssen wir mit dem Föderalismus Ernst machen.“2 Hoegners Nachfolger, Hans Ehard, argumentierte in einer Rede am 30. August 1947 auf dem CSU-Parteitag auf derselben Linie: „Nun hat der Verlauf und das Schicksal jenes demokratischen Versuches in Deutschland gezeigt, dass die Unitarisierung und Zentralisierung wesentlich als Schrittmacher für die Hitler’sche Diktatur gewirkt haben. Nie hätte Hitler unter Zuhilfenahme pseudolegaler Mittel seine usurpatorische Hand so auf das Reich legen können, wenn durch die unitarische Entwicklung die zentrale Regierungsform nicht so stark vorpräpariert gewesen wäre.“3 Obwohl sie bis 1945 unterschiedliche politische Erfahrungen gemacht hatten, waren sich die ersten drei bayerischen Ministerpräsidenten nach dem Zweiten Weltkrieg darüber einig, dass der Zentralismus der Weimarer Republik die Hauptursache für die Machtübernahme der Nationalsozialisten 1933 war. Um Bayern in der Zukunft vor dem „preußischen“ Zentralismus zu schützen, sollte die bayerische Staatlichkeit bzw. „Staatspersönlichkeit“ in der Nachkriegszeit so schnell wie möglich wiederaufgebaut und sowohl nach innen als auch nach außen abgesichert 1 Regierungserklärung des Ministerpräsidenten Fritz Schäffer über Radio München, 14. Juni 1945, in: Quellen zur politischen Geschichte Bayerns in der Nachkriegszeit, Band 1 (1944–1957), bearb. von Karl-Ulrich Gelberg, München 2002, S. 190. (Ab hier wird verkürzt mit „Quellen Band 1“ auf diese Ausgabe verwiesen.) 2 Wilhelm Hoegner, Föderalismus, Unitarismus oder Separatismus?, in: Süddeutsche Zeitung, 13. November 1945, S. 1. 3 Hans Ehard, Freiheit und Föderalismus, München 1947, S. 20 f. https://doi.org/10.1515/9783111317731-003

2.1 Fritz Schäffer und das „bayerische Experiment“



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werden. Vorteilhaft war dabei, dass Bayern in territorialer Hinsicht – im Gegensatz zu den anderen deutschen Ländern – den Zweiten Weltkrieg fast unversehrt überstanden hatte.4 Durch einen schnellen staatlichen Aufbau sollte sich Bayern einen Vorteil beim Aufbau eines deutschen Nationalstaats verschaffen und dabei eine Führungsrolle spielen. Die Frage nach der Stellung des bayerischen Staats innerhalb eines deutschen Staatswesens dominierte ab 1946 die bayerische Politik der Nachkriegsjahre. Obwohl diese Politik nicht auf einer von Anfang an festgelegten Strategie basierte, so ist in der Rückschau eine klare, kontinuierliche Entwicklung sichtbar. Was unter Schäffer mit dem Wiederaufbau der bayerischen Ministerialverwaltung und der Übernahme von ehemaligen Reichskompetenzen anfing, wurde unter Hoegner mit einer defensiven und unter Ehard mit einer offensiven föderalistischen Politik fortgesetzt. Die Schaltzentrale dieser bayerischen föderalistischen Politik wurde die Bayerische Staatskanzlei. Diese musste allerdings in der Nachkriegszeit grundlegend neuaufgebaut werden. Von der Staatskanzlei aus legten die jeweiligen bayerischen Ministerpräsidenten ab 1945 in Zusammenarbeit mit dem Architekten und ersten Leiter der Staatskanzlei, Anton Pfeiffer, die innenpolitische und insbesondere „außenpolitische“ Strategie ihrer Politik fest. Bei letzterer handelte es sich zwischen 1945 und 1949 zunächst um das Verhältnis zur amerikanischen Militärregierung, dann um das zu den anderen Ländern der US-Zone und schließlich um die Beziehungen zu den Ländern der anderen Besatzungszonen. Dabei schufen die Ministerpräsidenten und der Leiter der Staatskanzlei – Männer mit einer umfangreichen politischen Erfahrung, die um 1890 geboren wurden – während der ersten Nachkriegsjahre eine institutionelle Struktur, die bis 1962 großenteils beibehalten wurde. Die Wahl von Alfons Goppel zum Bayerischen Ministerpräsidenten läutete ab 1963 eine neue Phase in der institutionellen Entwicklung der Staatskanzlei ein. Welche historischen Erfahrungen, ideologischen Überzeugungen und politischen Zukunftsvorstellungen prägten den Wiederaufbau der Staatskanzlei in der Nachkriegszeit?

2.1 Fritz Schäffer und das „bayerische Experiment“ Am 28. Mai 1945 wurde der ehemalige BVP-Politiker Fritz Schäffer von der amerikanischen Militärregierung zum ersten Bayerischen Ministerpräsidenten nach dem Zweiten Weltkrieg ernannt. Damit war er der erste Regierungschef, der im von den Alliierten besetzten Nachkriegsdeutschland bereits kurz nach der Kapitulation von einer Militärregierung eingesetzt wurde. Die amerikanische Militärre4 Vgl. Peter Jakob Kock, Bayerns Weg in die Bundesrepublik, Stuttgart 1983, S. 103.

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gierung hatte bereits kurz nach der Kapitulation der Wehrmacht in Bayern am 6. Mai 1945 angefangen, den Wiederaufbau der bayerischen Verwaltung zu planen.5 Zu diesem Zeitpunkt war die deutsche Administration auf allen Ebenen praktisch zusammengebrochen – davon ausgenommen waren jedoch Teile der Kommunalverwaltung.6 Die amerikanischen Offiziere führten pragmatische Gespräche mit ehemaligen Amtsträgern und Politikern der verbotenen Parteien aus der Zeit vor 1933 – vor allem aus der BVP und der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands (SPD). Ebenfalls sprachen sie mit Repräsentanten gesellschaftlicher und wirtschaftlicher Gruppen und Verbänden sowie mit Vertretern der beiden großen christlichen Konfessionen in Bayern. Auf diese Weise verschafften sie sich ein Bild des Verwaltungsaufbaus und trugen Empfehlungen über Personen zusammen, die als vom Nationalsozialismus unbelastet galten und zugleich Verwaltungserfahrung mitbrachten.7 Zu den Zielen der amerikanischen Besatzungspolitik ab Mai 1945 gehörten die sogenannten vier großen D: Demilitarisierung, Denazifizierung, Dezentralisierung und Demokratisierung der deutschen Politik und Zivilverwaltung auf kommunaler Ebene.8 An einem schnellen Wiederaufbau des politischen Lebens in Deutschland direkt nach dem Kriegsende war die Besatzungsmacht hingegen nicht interessiert und verbot alle politischen Parteien und Aktivitäten. Allerdings fehlte es dem Regional Military Government (RMG), zumindest während dieser Anfangsphase, an einem kohärenten Konzept für ihre Besatzungspolitik und an effektiven internen Kommunikationsstrukturen. So entfaltete die Direktive JCOS 1067/6, die während dieser Phase die Verhaltenspolitik der jeweiligen Abteilungen der amerikanischen Besatzungsmacht vereinheitlichen sollte, in der Praxis kaum Wirkung.9 5 Für die Entwicklung der Wiederaufbaupläne der Alliierten während des Krieges vgl. KlausDietmar Henke, Die amerikanische Besetzung Deutschlands, Berlin 1996, S. 93–121, 205–251, 297–311. 6 Vgl. Theodor Eschenburg, Der bürokratische Rückhalt, in: Richard Löwenthal/Hans-Peter Schwarz (Hrsg.), Die zweite Republik. 25 Jahre Bundesrepublik Deutschland – eine Bilanz, Stuttgart 1979, S. 64–94, hier S. 64. 7 Vgl. Gelberg, Kriegsende, in: Schmid (Hrsg.), Neues Bayern, S. 668. 8 Vgl. Görtemaker, Geschichte der Bundesrepublik, S. 25. 9 Grund dafür war unter anderem die Tatsache, dass der amerikanische Präsident Harry S. Truman die Direktive erst am 11. Mai 1945 nach der deutschen Kapitulation genehmigte. Außerdem verlief die interne Verbreitung der Direktive schleppend. Zudem wurden bereits während der Potsdamer Konferenz (17. Juli bis 2. August 1945) Entscheidungen getroffen, die eine gemäßigtere Politik gegenüber Deutschland vorsahen als in der Direktive JCOS 1067 dargelegt war. Vgl. Dieter Waibel, Von der wohlwollenden Despotie zur Herrschaft des Rechts. Entwicklungsstufen der amerikanischen Besatzung Deutschlands 1944–1949, Tübingen 1996, S. 49–56; Gelberg, Kriegsende, in: Schmid (Hrsg.), Neues Bayern, S. 653; Thomas Schlemmer, Der Amerikaner in Bayern. Militärregierung und Demokratisierung nach 1945, in: Heinrich Oberreuter/Jürgen Weber (Hrsg.), Freund-

2.1 Fritz Schäffer und das „bayerische Experiment“ 

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Die Unklarheit über die Besatzungspolitik schuf für die lokalen Vertreter der Militärregierung breite individuelle Handlungsspielräume, um ihre Ideen umzusetzen. Dies zeigte sich bereits im Mai 1945, als die Militärregierung in Bayern auf Eigeninitiative des Colonels Charles E. Keegan die Einrichtung einer der Militärregierung unterstellten bayerischen Landesregierung beschloss.10 Der 52-jährige Amerikaner Keegan leitete das Detachment E1F3, das für Gesamtbayern zuständig war, bereits seit dem Sommer 1944 und verfügte über 19 Jahre Verwaltungserfahrung aus seiner Zeit in der New Yorker Stadtverwaltung.11 Dass Keegan in Bayern so schnell wie möglich die Regierungs- und Verwaltungsstrukturen wiederherstellen wollte, geht aus der Tatsache hervor, dass zu diesem Zeitpunkt keine allgemein gültige Direktive der Militärregierung zur Einstellung einer Regierung auf Länderebene vorlag.12 Es handelte sich um eine individuelle Entscheidung des Colonels, dem Verwaltungsstillstand so schnell wie möglich ein Ende zu setzen. Diese Entscheidung stieß allerdings innerhalb der Militärregierung nicht auf allgemeine Zustimmung.13 Keegan ging davon aus, dass eine Reorganisation der Kommunalverwaltung nur in Kombination mit einem Wiederaufbau der zentralen Landesverwaltung funktionieren würde.14 Dafür brauchte er erfahrene Verwaltungsleute, die mit dem Wesen und der Organisationsstruktur der bayerischen Verwaltung aus der Zeit vor 1933 vertraut waren.

liche Feinde? Die Alliierten und die Demokratiegründung in Deutschland, München 1996, S. 67– 99, hier S. 71. Für den Text der Direktive JCS 1067/6 vgl. Quellen Band 1, S. 25–37. 10 Vgl. Gelberg, Einleitung, in: Protokolle Kabinet Schäffer, S. 23 f. 11 Für die Organisation und das Personal der RMG-Detachment E1F3 vgl. Reinhard Heydenreuther, Office of Military Government of Bavaria, in: Christoph Weisz (Hrsg.), OMGUS-Handbuch. Die amerikanische Militärregierung in Deutschland 1945–1949, München 1994, S. 143–315, hier S. 151 f. 12 Erste Direktiven für seine Tätigkeit in Bayern erhielt Keegan am 7. Juli 1945. Bis dahin hatten er und seine Offizieren sich nach dem „SHAEF Handbook for Military Government Prior to Defeat and Surrender“ vom Dezember 1944 gerichtet. Ebenfalls entwickelten sie im März und April 1945 „Proposed Operational Plans“ für die zu erwartenden Aufgaben und Maßnahmen, die nach der deutschen Kapitulation anfallen würden. Nach eigenen Angaben habe Keegan ebenfalls erst am 7. Juli von der Existenz und dem Inhalt der Direktive JCOS 1067/6 erfahren. Vgl. ebenda, S. 152, 154; Gelberg, Einleitung, in: Protokolle Kabinett Schäffer, S. 23 f. 13 Vgl. ebenda, S. 24; Niethammer, Mitläuferfabrik, S. 161. 14 Vgl. Henzler, Fritz Schäffer, S. 92.

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Schäffers Ernennung zum Ministerpräsidenten Um den Wiederaufbau voranzutreiben, ernannte Keegan am 28. Mai 1945 Schäffer zum Bayerischen Ministerpräsidenten. Bereits vor der deutschen Kapitulation war der erfahrene Politiker und Verwaltungsjurist Schäffer bei den Amerikanern wegen seiner Kritik am Nationalsozialismus aufgefallen, sodass sein Name in die sogenannte White List aufgenommen wurde.15 Die amerikanische Militärregierung war bereits in der zweiten Maihälfte mit dem Auftrag an ihn herangetreten, Pläne für die Neuorganisation des bayerischen Justizwesens zu entwickeln. Dabei sollten die obersten Gerichte, insbesondere das Bayerische Oberste Landesgericht, kurzfristig zum Zweck der Entnazifizierung und Demokratisierung in Bayern wiederhergestellt werden und funktionsfähig sein.16 Schäffer konnte die RMG von seinen Fachkenntnissen und seiner politischen Einstellung mit seinen Arbeiten überzeugen.17 Positiv ins Gewicht fiel aus Sicht der Militärregierung vor allem, dass Schäffer vom NS-Regime als Gegner wahrgenommen worden und zu keinem Zeitpunkt der NSDAP als Mitglied beigetreten war. Daneben war er während der NS-Zeit aus seiner politischen Tätigkeit entlassen und mehrfach verhaftet worden.18 Außerdem war Schäffer die bayerische Politik und Verwaltung von innen und von außen bestens vertraut, sodass Keegan und die anderen Vertreter der Militärregierung ihn für „technically […] best equipped“ hielten, um ihm vorläufig das Amt des Ministerpräsidenten zu übertragen.19 Die Ernennung Schäffers zeigte, dass die politische Einschätzung seiner Person durch die Militärregierung vor allem eine Reaktion auf das NS-Regime war. Diese Beurteilung ging in der direkten Nachkriegszeit von der Logik aus, dass eine Person, die vom Nationalsozialismus als Gegner wahrgenommen und behandelt 15 Schäffers Name und politischer Hintergrund taucht an zwei Stellen auf die White List auf. Der Eintrag unter den Personen der Stadt Hof lautete: „Etwa 53 Jahre alt. Staatsrat im Bayerischen Finanzministerium. Abgeordneter im Bayerischen Landtag und Mitglied der Volkspartei. Wurde von den Nazis entlassen.“ Bei „München“ lautete die politische Einschätzung: „Etwa 58 Jahre alt. Römisch-katholisch. Verheiratet. Rechtsanwalt. Letzter bayerischer Finanzminister vor 1933. Mitglied der Bayerischen Volkspartei und befürwortete den bewaffneten Widerstand gegen Hitler in Bayern. Nach 1933 mehrmals verhaftet; sah in dem herannahenden Krieg die einzige Lösung für die Befreiung Deutschlands.“ Vgl. Henric L. Wuermeling, Die Weiße Liste und die Stunde Null in Deutschland 1945. Mit den Originaldokumenten in englischer Sprache, München 2015, S. 219, 235. 16 BArchK, N1168/1, „Fragment des Manuskripts zu geplanten Lebenserinnerungen“, Bl. 59. 17 So legte Schäffer am 25. Mai bei Legal Branch RMG einen Plan für den Aufbau des Bayerischen Obersten Landesgerichts mit Personalvorschlägen vor. Vgl. Die Protokolle des Bayerischen Ministerrats 1945–1962. Das Kabinett Schäffer 28. Mai bis 28. September 1945, bearb. von KarlUlrich Gelberg, München 1995, S. 132. 18 Vgl. Henzler, Fritz Schäffer, S. 95. 19 Zit. nach: Niethammer, Mitläuferfabrik, S. 180.

2.1 Fritz Schäffer und das „bayerische Experiment“



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wurde, automatisch demokratisch eingestellt sein müsste. Dennoch handelte es sich bei Fritz Schäffer – trotz seiner kritischen Haltung gegenüber dem Nationalsozialismus während der Weimar Republik – nicht um einen Demokraten im liberalen Sinne. Schäffers von Konservatismus und Katholizismus geprägter politischer Ordnungskonzeption stellte den autoritären Staat in den Mittelpunkt – nicht das als politisch gefährlich wahrgenommene Parlament. Dies geht vor allem aus seinem Handeln im Jahre 1933 hervor, als er und sein Flügel innerhalb der Bayerischen Volkspartei zu weitgehenden Konzessionen gegenüber der NSDAP bereit waren und die parlamentarische Demokratie zum Fortbestehen der Partei und des bayerischen Staats opfern wollten. Die Militärregierung war über diese Verhandlungen zwischen BVP und NSDAP, die 1933 vertraulich stattgefunden hatten, nicht informiert. Colonel Keegan hätte Schäffer wegen dieser politischen Belastung wahrscheinlich nicht zum vorläufigen Ministerpräsidenten ernannt. Ähnlich erging es anderen ehemaligen BVP-Mitgliedern, denen Nähe zur NSDAP vorgeworfen wurde.20 Schäffer war nicht der erste ehemalige BVP-Politiker, der unter der Militärregierung ein Amt bekam. Karl Scharnagl wurde von den Amerikanern bereits am 8. Mai 1945 kommissarisch in sein früheres Amt als Oberbürgermeister von München wiederberufen.21 Darüber hinaus wurde ihm durch die Militärregierung die Vollmacht für die Länder- und ehemalige Reichsbehörde in Bayern übertragen, sodass er zu diesem Zeitpunkt auf bayerischer Seite das höchste Amt innerhalb der Verwaltung innehatte. Aus diesem Anlass ging Scharnagl nach seiner Wiedereinstellung sofort auf die Suche nach politisch unbelasteten Politikern und Beamten, um die bayerische Landesverwaltung wiederaufzubauen.22 Dabei stellte er den Kontakt zwischen Schäffer und den Vertretern der RMG her und spielte somit eine Schlüsselrolle für dessen Ernennung zum Ministerpräsidenten.23 Ein anderer Bekannter Schäffers aus seiner BVP-Zeit, Ernst Rattenhuber, bekleidete seit dem 9. Mai – ebenfalls auf Empfehlung von Scharnagl – als Direktor des Bayerischen Lan-

20 Exemplarisch dafür ist die Ablehnung der Militärregierung, den ehemaligen BVP-Reichtagabgeordneten Hans Ritter von Lex zum Innenminister zu ernennen. Von Lex hatte 1933 die Unterstützung der BVP für das Ermächtigungsgesetz begründet und war somit in der Wahrnehmung der Militärregierung von der NS-Zeit belastet. Vgl. Protokolle Kabinett Schäffer, S. 346; Stange, Hans Ritter von Lex, S. 101–121. 21 Für Schäffers Handlungen zwischen Mai und September 1945: BArchK, N1168/14; Niethammer, Mitläuferfabrik, S. 173; Heydenreuther, Office, in: Weisz (Hrsg.), OMGUS-Handbuch, S. 153. Gelberg vermeldet nicht den 8. sondern den 4. Mai 1945 als Berufungsdatum Scharnagls. Es ist aber unklar, auf welcher Quelle dieses Datum basiert. Vgl. Protokolle Kabinett Schäffer, S. 131. 22 Vgl. Gelberg, Einleitung, in: Protokolle Kabinett Schäffer, S. 18 f. 23 BayHStA, NL Anton Pfeiffer 540, „Besprechungen 1945“, 20. Mai 1945, S. 1 f.; Gelberg, Einleitung, in: Protokolle Kabinett Schäffer, S. 21; Altendorfer, Fritz Schäffer, S. 867.

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desamts für Ernährung und Landwirtschaft eine Schlüsselposition für den Wiederaufbau in Bayern.24 Die Unterstützung Schäffers durch den Münchner Kardinal Michael von Faulhaber, der sich bewusst für den ehemaligen BVP-Politiker auf den Posten des Ministerpräsidenten aussprach, darf auch nicht unterschätzt werden.25 Der politisch konservative und monarchistische Kardinal verfügte bereits vor 1933 über umfangreiche persönliche Verbindungen zu führenden bayerischen Politikern – vor allem aus den konservativen Kreisen der BVP – auf die er nach 1945 zurückgreifen konnte. Als moralische Instanz genoss der Kardinal nach dem Zweiten Weltkrieg das Vertrauen der Besatzungsmacht und spielte als Berater eine zentrale Rolle für deren Personalentscheidungen. Nicht unwichtig war auch die Tatsache, dass Colonel Keegan römisch-katholisch war. Nachdem er den Kardinal kennengelernt hatte, erkannte er diesen als Autorität an – so ist es dem Besuchstagebuch Faulhabers vom 19. Mai 1945 zu entnehmen.26 Schäffer behauptete rückblickend in seinen Memoiren, dass er zu seiner eigenen Überraschung zum Ministerpräsidenten ernannt worden sei.27 Außerdem legte er 1967 in einem Interview dar, dass ihm damals im Mai 1945 unklar war, über 24 Vgl. Heydenreuther, Office, in: Weisz (Hrsg.), OMGUS-Handbuch, S. 153. 25 Vermutlich überreichte der Sekretär des Kardinals, Josef Thalhamer, am 23. Mai 1945 der Militärregierung auf deren Ersuchen eine Empfehlungsliste, die mit dem Namen Fritz Schäffers begann. Vgl. Lutz Niethammer, Die amerikanische Besatzungsmacht zwischen Verwaltungstradition und politischen Parteien in Bayern 1945, in: Vierteljahrshefte für Zeitgeschichte (1967), H. 2, S. 153–210, hier S. 180; Gelberg, Einleitung, in: Protokolle Kabinett Schäffer, S. 24. Trotz Faulhabers Unterstützung, kam es nach dem Tagebuch von Faulhaber erst am 29. Mai 1945 – als Schäffer bereits im Amt war – zu einem Treffen zwischen ihm und Schäffer. Vgl. Kritische Online-Edition der Tagebücher Michael Kardinal von Faulhabers (1911–1952). Tagebucheintrag vom 29. Mai 1945 EAM, NL Faulhaber 09265, S. 73–74. Verfügbar unter: https://www.faulhaber-edition.de/dokument. html?idno=09265_1945-05-29_T01. [6. Juli 2019]. Auch Landesbischof Hans Meiser spielte eine Rolle als Berater für die Personalentscheidungen der Militärregierung. Vgl. Gelberg, Kriegsende, in: Schmid (Hrsg.), Neues Bayern, S. 668 f. 26 Zu Keegan notierte Faulhaber: „Oberst Keegan, Chef der bayerischen Landesregierung – küßt kniend den Ring, stellt sich sofort als romancatholic vor.“ Vgl. Kritische Online-Edition der Tagebücher Michael Kardinal von Faulhabers (1911–1952). Tagebucheintrag vom 19. Mai 1945 EAM, NL Faulhaber 09265, S. 67. Verfügbar unter: https://www.faulhaber-edition.de/dokument.html? idno=09265_1945-05-19_T01. [6. Juli 2019]. Faulhaber notierte in seinen sogenannten Besuchstagebüchern von 1911 bis kurz vor seinem Tod im Jahre 1952 sorgfältig die Daten, Uhrzeiten und Namen von seinen Gesprächspartnern. Die Besuchstagebücher erscheinen als kritische Edition online. Für das Gesamtprojekt vgl. https://www.faulhaber-edition.de/index.html. 27 Schäffer wiederholte die Formulierung aus seinen Memoiren in einem Vortrag für die Mitglieder und Gäste des Neuen Presseclubs München im Hotel Bayerischer Hof am 11. November 1963. Dieser Vortrag wurde im Rahmen der Historisch-Politischen Schriftenreihe des Presseclubs veröffentlicht: BArchK, N1168/1, „Fragment des Manuskripts zu geplanten Lebenserinnerungen“, Bl. 66; Fritz Schäffer, Das Kabinett gegen Hunger, Elend und Not, München 1963, S. 5 f.

2.1 Fritz Schäffer und das „bayerische Experiment“ 

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wieviel Freiheit und Entscheidungsgewalt er in der Praxis verfügen konnte und inwiefern er sich nach den Amerikanern zu richten hatte. Vor diesem Hintergrund hatte er Bedenken, ob er die Position übernehmen sollte.28 Dennoch stimmte Schäffer damals dem „bayerischen Experiment“ mit einer Landesregierung unter seiner Leitung zu, denn es war nicht absehbar, so erklärte er im Interview, was passieren würde, wenn er absagte.29 Mit dem Ausdruck „Experiment“ deutete Schäffer im Juli 1945 den Modellcharakter an, den die Einsetzung einer Landesregierung in Bayern durch die amerikanische Besatzungsmacht für die restlichen Besatzungszonen in Deutschland hatte.30 Dieser Modellcharakter wurde auch von der amerikanischen Seite bestätigt.31 Obwohl Schäffer Ende Mai 1945 noch nicht genau übersehen konnte, wie sich die Machtverhältnisse zu den Amerikanern entwickeln würden, ist es höchst unwahrscheinlich, dass der erfahrene Politiker von seiner Berufung – so wie er es später selbst darstellte – überrascht war oder diese wegen seiner Bedenken verweigert hätte. Die Zeit für Schäffer, der im Mai 1945 seinen 57. Geburtstag hatte, seine politische Laufbahn weiter auszubauen, wurde langsam knapp. Wenn er als Politiker für den bayerischen Staat noch einmal ins Rampenlicht treten wollte, dann bot sich diese Möglichkeit bei Kriegsende nun an. Die von Schäffer beschriebene Überraschung war viel eher eine Art rückwirkende Selbstinszenierung und -rechtfertigung.32 Diese stellten vor allem den Versuch dar, zu betonen, wie er seine politischen Fachkenntnisse nach der deutschen Kapitulation im Dienst des bayerischen Staats gestellt, ja wie er sich 1945 aus Pflichtgefühl für Bayerns Zukunft geopfert hat. Für diese rückwirkende Selbstinszenierung spricht ebenfalls eine Niederschrift Anton Pfeiffers über eine Besprechung zwischen Scharnagl und Schäffer. Daraus lässt sich schließen, dass Schäffer bereits kurz nach der Kapitulation über die amerikanischen Pläne zu einem Regierungsaufbau informiert war: „Wegen Aufbau einer Regierung habe er [Scharnagl] Schäffer am Donnerstag, den 17. Juni 28 Vgl. Albert Wucher, Wie kam es zur Bundesrepublik Deutschland? Politische Gespräche mit Männern der ersten Stunde, Freiburg 1968, S. 23. 29 Ebenda. 30 Am 6. Juli 1945 sprach Fritz Schäffer während einer Sitzung des Ministerrats zum ersten Mal vom „bayerischen Experiment“. Schäffer war der erste Ministerpräsident, der im Nachkriegsdeutschland von einer Militärregierung benannt wurde. Vgl. Protokolle Kabinett Schäffer, S. 174; Niethammer, Die amerikanische Besatzungsmacht, S. 188; Fritz Baer, Die Ministerpräsidenten Bayerns 1945–1962. Dokumentation und Analyse, München 1971, S. 9. 31 Vgl. Marie Elise Foelz-Schroeter, Föderalistische Politik und nationale Repräsentation 1945– 1947. Westdeutsche Länderregierungen, zonale Bürokratien und politische Parteien im Widerstreit, Stuttgart 1974, S. 17. 32 Zu dieser „Legende“, die Schäffer gerne pflegte, vgl. auch Maximilian Lanzinner, Zwischen Sternenbanner und Bundesadler. Bayern im Wiederaufbau 1945–1958, Regensburg 1996, S. 26.

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[Pfeiffer meinte hier den 17. Mai, RT] aus Ostermünchen holen lassen, habe mit ihm die Lage besprochen und ihn ersucht, sich die Bildung einer Landesregierung durchzudenken. Er – Schäffer – müsse in der Lage sein, innerhalb [von] 24 Stunden eine Landesregierung zu bilden, wenn die Amerikaner mit ihm in Verbindung treten würden.“33 Außerdem hatte Schäffer bereits nach dem Treffen mit Scharnagl Vorgespräche mit Vertretern der politischen Elite der ehemaligen Weimarer Republik geführt. So wollte er nachweisbar Rattenhuber für ein Amt in der zukünftigen Landesverwaltung gewinnen.34 Am 24. Mai stellte er auf Bitte von Colonel Keegan eine provisorische Kabinettsliste zusammen, die am nächsten Tag von Keegan mit seinen Beratern besprochen wurde. Dabei wurde Schäffer als Ministerpräsident vorgeschlagen, worüber er bereits durch die Militärregierung informiert worden war.35 Nichts deutet darauf hin, dass der ehemalige Vorsitzende der BVP der Übernahme des Amts des Bayerischen Ministerpräsidenten im Mai 1945 abgeneigt war. Schäffer erhielt am 28. Mai in Keegans Arbeitszimmer in der Holbeinstraße in München seine Ernennungsurkunde und trat sein Amt als Ministerpräsident an.36 Im Fall Schäffers stellte der Katholizismus ebenfalls einen zusätzlichen Vertrauensfaktor dar, denn Keegan wies am Anfang seiner Rede sofort auf deren Verbundenheit als Katholiken hin.37 Über seine Machtposition unter der Militärregierung brauchte der vorläufige Ministerpräsident sich jedoch keine Illusionen zu machen. Keegan brachte in seiner Ansprache deutlich zum Ausdruck, dass Schäffer verhaftet und nach den Gesetzen der Militärregierung verurteilt werden würde, sollte er 33 Aus dem Kontext dieses Ausschnitts geht hervor, dass Pfeiffer fälschlicherweise „Juni“ statt „Mai“ schrieb. Außerdem fiel der 17. Juni 1945 auf einen Sonntag und nicht auf einen Donnerstag. Pfeiffer unterhielt zu diesem Zeitpunkt Kontakt mit sowohl Scharnagl als auch Schäffer. So bekam er die Berufung von Schäffer aus direkter Nähe mit. BayHStA, NL Anton Pfeiffer 540, „Besprechungen 1945“, 20. Mai 1945, S. 2. 34 Vgl. Henzler, Fritz Schäffer, S. 93. 35 Außerdem hatte Schäffer – möglichen Bedenken zum Trotz – zu diesem Zeitpunkt bereits einen positiven Eindruck über die Vertreter der Militärregierung gewonnen. So beschreibt er ausführlich in seinen Memoiren, wie „lehrreich“ seine ersten Erfahrungen mit den Amerikanern im Mai 1945 waren und wie er sich ein Bild von deren Gedanken und Haltung gegenüber dem deutschen Volk machen konnte. „Ich konnte den Eindruck gewinnen, hier mit Männern zu sprechen, die ihre erste Aufgabe darin sahen, nicht neue Not und neuen Haß zu säen, sondern wirklich zu helfen, um Schritt für Schritt zum Wiederaufbau des Landes und seiner Verwaltung beizutragen“, schrieb er optimistisch dazu. BArchK, N1168/1, „Fragment des Manuskripts zu geplanten Lebenserinnerungen“, Bl. 65. 36 In der Holbeinstraße befand sich ebenfalls das Hauptquartier des Detachment E1F3: Ebenda, Bl. 61. 37 Keegan begann seine Ansprache mit den folgenden Worten: „Mr. President Minister, you are a Roman Catholic and so am I.“ Für den Text der Ansprache vgl. Gelberg, Einleitung, in: Protokolle Schäffer, S. 28.

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die Anordnungen der Militärregierung missachten.38 Diese unmissverständliche Drohung wurde in dem Ernennungsschreiben festgehalten.39 Nach diesem Dokument war Schäffer lediglich der gegenüber der Militärregierung weisungsgebundene Chef der „Zivilverwaltung in Bayern“ und nicht der Regierungschef im eigentlichen Sinne.40 So lag die oberste Regierungsgewalt bei der Militärregierung und Schäffer war nicht mehr als der oberste Behördenleiter einer Auftragsverwaltung. Der Ministerpräsident trug auf allen Ebenen allein die Regierungsverantwortung gegenüber der Militärregierung und er konnte zu jedem Zeitpunkt entlassen und ersetzt werden.41 Außerdem handelte es sich bei seiner Berufung um eine vorrübergehende Position. Deswegen verwendeten die jeweiligen Vertreter der Militärregierung gegenüber Schäffer konsequent den Titel „Temporary Minister-Präsident“ – der von Schäffer wiederum konsequent vermieden wurde.42

Aufgaben als Ministerpräsident Die Militärregierung formulierte Schäffers Aufgaben als Ministerpräsident zum Wiederaufbau der Staatsverwaltung in seinem Ernennungsschreiben ausgesprochen stark. Schäffer war einerseits für die Entnazifizierung der gesamten Verwaltung in Bayern verantwortlich. Dies bedeutete, dass „aktive Nazis und eifrige Anhänger“ aus den öffentlichen Ämtern entfernt werden mussten. Außerdem musste Schäffer „getreulich für die Ausmerzung jeglichen Einflusses der NSDAP aus der 38 Keegan wies Schäffer in seiner Ansprache mit Nachdruck darauf hin, nachdem er ihm seine Aufgaben dargelegt hat, dass eine Nicht-Einhaltung „would be regarded as a violation of Military Government orders and you would be arrested and punished according to Military Government law“. Vgl. ebenda; Heydenreuther, Office, in: Weisz (Hrsg.), OMGUS-Handbuch, S. 154. 39 Als Schäffer darauf hinwies, dass diese Formulierung „ungewöhnlich und verletzend“ sei, antworteten die Amerikaner, dass er sich „nicht an der Form“ stören sollte und dass diese „nicht so streng gedacht [sei], wie sie laute“. BArchK, N 1168/1, „Fragment des Manuskripts zu geplanten Lebenserinnerungen“, Bl. 61. Für den Text des Ernennungsschreibens: BArchK, N1168/14, Vorläufige Ernennungsurkunde, 28. Mai 1945, Bl. 31 f. Vgl. den Text auch: Baer, Ministerpräsidenten, S. 255. 40 So heißt es im Punkt 7 des Ernennungsschreibens: „Sie haben sich nach den Gesetzen, Verordnungen, Befehlen, Anweisungen und Direktiven der Militärregierung für die Einrichtung einer Zivilverwaltung in Bayern auf Landesinstanz energisch einzusetzen und, wo die Militärregierung Beamte auf Regierungsbezirks – oder einer sonstigen Instanz ernannt hat, diese Beamte im Amte zu belassen; Sie sind jedoch in allen Instanzen für die Regierungsverwaltung unter der Aufsicht der Militärregierung verantwortlich.“ BArchK, N1168/14, Vorläufige Ernennungsurkunde, 28. Mai 1945, Bl. 31. 41 Vgl. Kratzer, Bayerischer Ministerpräsident, S. 42. 42 Vgl. exemplarisch dazu die Korrespondenz zwischen Schäffer und der Militärregierung in: BArchK, N1168/14.

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bayerischen Regierung und Verwaltung“ arbeiten.43 Obwohl Schäffer für die Entnazifizierung eine zentrale Rolle spielte, lag die Entscheidungsgewalt und Durchführung in den Händen der Militärregierung. Auch der Ministerpräsident musste sich nach deren Weisungen richten und konnte auf die Entnazifizierungspraxis nur einen geringen Einfluss nehmen. Zusätzlich war Schäffer für den kurzfristigen Aufbau und die Organisation einer effektiven Verwaltung zuständig. Dazu war er „nach den Weisungen der Militärregierung in allen Verwaltungsinstanzen für die Einsetzung und […] Beibehaltung fähiger Beamter und Angestellter verantwortlich, die weder früher noch heute aktive Nazis oder eifrige Anhänger waren oder sind“.44 Obwohl Fritz Schäffers Position gegenüber der Militärregierung von Anfang an eindeutig definiert war, blieb sie im Ministerrat zunächst ungeklärt. Erst während der Ministerratssitzung am 26. Juli 1945 wurde ein Entwurf für eine Geschäftsordnung verabschiedet.45 Es sollten einheitliche Richtlinien für den Kontakt mit der Militärregierung geschaffen und die herausgehobene Position des Ministerpräsidenten im Ministerrat fixiert werden.46 Im Artikel I der Geschäftsordnung hieß es, dass der Ministerpräsident gegenüber der Militärregierung „die volle Verantwortung für die gesamte Staatsverwaltung in allen ihren Stufen“ trage – so stand es auch im Ernennungsschreiben der Militärregierung.47 Die Position des Ministerpräsidenten im Ministerrat beruhte auf seiner alleinigen Verantwortlichkeit gegenüber der Militärregierung. Zu seinen Befugnissen gehörten neben dem Vorsitz der Landesregierung ebenfalls die Leitung der gesamten Staatsverwaltung (ihm waren alle Staatsbehörden untergeordnet), der Vollzug von Gesetzen und Verordnungen sowie die Vertretung des Landes Bayern gegenüber der Militärregierung. Innerhalb des Ministerrats führte der Ministerpräsident den Vorsitz und verfügte über ein Vetorecht. Darüber hinaus entschied der Ministerpräsident über die allgemeinen Richtlinien der Politik. In der Regierungspraxis bedeutete dies konkret, dass er die „für 43 Vgl. Punkt 4 und 6 aus dem Ernennungsschreiben: BArchK, N1168/14, Vorläufige Ernennungsurkunde, 28. Mai 1945, Bl. 31. Siehe ebenfalls Schäffers eigene Darstellung der Ereignisse in seinen Memoiren: BArchK, N1168/1, „Fragment des Manuskripts zu geplanten Lebenserinnerungen“, Bl. 81. 44 Siehe Punkt 5 aus dem Ernennungsschreiben: BArchK, N1168/14, Vorläufige Ernennungsurkunde, 28. Mai 1945, Bl. 31. 45 BayHStA, StK 11610, Geschäftsordnung für die vorläufige Regierung des Landes Bayern, 26. Juli 1945. 46 Diese Geschäftsordnung kam aufgrund der damaligen provisorischen Lage zustande, aber blieb dennoch unter Schäffers Nachfolgern Wilhelm Hoegner und Hans Ehard in Kraft. Vgl. Kratzer, Bayerischer Ministerpräsident, S. 43–47. 47 BayHStA, StK 11610, Geschäftsordnung für die vorläufige Regierung des Landes Bayern, 26. Juli 1945, S. 1.

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alle vollziehenden Stellen maßgebenden Grundsätze der inneren und äusseren Staatspolitik“ bestimmte und deren Durchführung überwachte.48 Insbesondere bei der Koordinierung der bayerischen Innen- und Außenpolitik übernahm die Staatskanzlei in der Regierungspraxis wichtige Aufgaben. Mittels dieser Richtlinien führten die jeweiligen Minister ihre Ressorts selbstständig und traten dann mit den zuständigen Vertretern der Militärregierung in Verbindung. Dennoch mussten sie den Ministerpräsidenten „zur Herbeiführung einer einheitlichen Stellungnahme in grundsätzlichen Fragen“ frühzeitig über ihre Politik informieren. Anton Pfeiffer ließ zu dieser Regierungspraxis verlauten, dass der Ministerpräsident im Vergleich zur Bamberger Verfassung „nicht länger primus inter pares sondern zum spiritus rector mit Weisungsrecht und scharfem Überwachungsrecht gegenüber den Ministerien“ geworden war.49 Obwohl Schäffer nach der Geschäftsordnung in vielerlei Hinsicht eine hervorgehobene Position innerhalb des Ministerrats bekleidete, wurde seine Machtposition komplett von der Militärregierung getragen; er war lediglich der mächtigste Behördenleiter innerhalb der bayerischen Auftragsverwaltung.

Schäffers politische Erfahrungen in der Weimarer Republik Im Zentrum von Schäffers Regierungskonzept stand der Wiederaufbau des bayerischen Staatsapparates 1945 als eine etatistische „fachmännische Notstandsverwaltung“.50 Ziele waren die „Stärkung der bayerischen Staatsgewalt nach innen und nach außen, Ordnung und Rechtssicherheit[,] die Rekonversion zum Christentum“ sowie die Bekämpfung von nationalsozialistischen und sozialistischen Elementen in Politik und Gesellschaft.51 Das Regierungskonzept des langjährigen bayerischen Politikers und Ministerialbeamten wurde stark geprägt durch seine politischen Erfahrungen aus der Weimarer Republik. Schäffer wurde am 12. Mai 1888 in München in einer gemischt-konfessionellen Familie geboren. Katholisch erzogen, studierte er in München Jura und legte dort 1911 die akademische Abschlussprüfung für den höheren Justiz- und Verwaltungsdienst erfolgreich ab. Eng verbunden mit seiner Studentenzeit in München war sein Engagement in der bayerisch-monarchistischen Studentenverbindung „Apol48 Ebenda, S. 3. 49 Außerdem merkte Pfeiffer auf, dass der Ministerpräsident „bei dem […] Neuaufbau des bayerischen Staates […] eigentlich die Doppelfunktion eines Staatspräsidenten und eines Ministerpräsidenten“ hatte; BayHStA, NL Anton Pfeiffer 55, „Erwägungen zur Frage Kanzlei des Bayerischen Ministerpräsidenten“, 11. Juni 1945, S. 2. 50 Niethammer, Mitläuferfabrik, S. 163. 51 Ebenda.

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lo“, in der er 1908 vollberechtigtes Mitglied wurde.52 Nach dem Ausbruch des Ersten Weltkrieges meldete sich Schäffer freiwillig als Soldat bei der bayerischen Infanterie und kämpfte zwischen März 1915 und Juli 1916 an den Fronten in Tirol, Serbien und Frankreich.53 Nach seiner Rückkehr aus der „Hölle von Verdun“, legte er im Dezember 1916 als Jahrgangsbester mit Auszeichnung die Bayerische Juristische Staatsprüfung ab.54 Das nachfolgende Jahr trat er in den bayerischen Verwaltungsdienst ein und nach Stationen am Bezirksamt München und im Staatsministerium des Innern übernahm er im April 1918 eine Stelle als Bezirksamtsassessor in Kelheim an der Donau. Anschließend wechselte er 1920 ins Kultusministerium, wo er bis 1931 zum Oberregierungsrat aufstieg. Dadurch war der Spitzenjurist Schäffer aus eigener Erfahrung mit dem Wesen der bayerischen Verwaltung und Beamtenschaft vertraut, als er 1945 mit deren Wiederaufbau beauftragt wurde. Was Schäffer zum Großteil von anderen bayerischen Ministerialbeamten unterschied, war seine politische Tätigkeit. Seine politische Laufbahn fing 1918 in Kelheim an, wo er sich als Bezirksamtsassessor mit starken politischen Unruhen am Ende des Ersten Weltkrieges während der Revolution des Chefideologen der Unabhängigen Sozialdemokratischen Partei Deutschlands (USPD) Kurt Eisner gegen die bayerische Monarchie konfrontiert sah. In seinen Memoiren umschreibt Schäffer, äußerst selbstdarstellerisch, den 7. November 1918 – den Tag der Revolution Kurt Eisners – als „de[n] Tag und […] die Stunde, die mich in das politische Leben trieb“.55 Hatte er sich bis dahin von der Parteipolitik ferngehalten, so beschreibt er, wie er in diesem Moment zur Verteidigung von „Ordnung und Gesetz im Staate“ gegen die Revolution politisch aktiv wurde.56 Schäffer setzte sich aus politischer Überzeugung intensiv für die Verteidigung der staatlichen Grundordnung gegen die Revolution ein. Dennoch ist es unwahrscheinlich, dass der Beamte lediglich zur Verteidigung von „Ordnung und Gesetz im Staate“ zum Politiker wurde.57 52 Bereits Schäffers Vater, Gottfried Schäffer, war in dieser Studentenverbindung Mitglied. Trotz der Beziehung zur bayerischen Monarchie, verstand sich die Verbindung als unpolitisch und hielt sich außerdem von Religion fern. Vgl. Altendorfer, Fritz Schäffer, S. 23–25. 53 Durch einen Herzkollaps im Mai 1916 an der Front in Verdun wurde er zurück nach Deutschland geschickt, und konnte sich für die Zweite Juristische Staatsprüfung im Dezember 1916 anmelden. Zu Schäffers Zeit als Infanteriesoldat im Ersten Weltkrieg vgl. ebenda, S. 28–38. 54 Schäffer erzielte 1916 bei der Zweiten Juristischen Staatsprüfung unter den 108 Teilnehmern im Königreich Bayern den ersten Platz. Vgl. ebenda, S. 39. 55 BArchK, N1168/1, „Fragment des Manuskripts zu geplanten Lebenserinnerungen“, Bl. 8. 56 Ebenda. 57 Der Historiker Otto Altendorfer hat 1993 eine zweiteilige Biografie über Fritz Schäffers Leben bis 1945 vorgelegt. Obwohl das Buch auf einer beeindruckenden Menge empirischer Archivforschung basiert, ist es dem Autor an manchen Stellen nicht überzeugend gelungen, die Aussagen Schäffers aus kritischer Distanz zu hinterfragen. Stattdessen ist das Buch sehr nah an den Quellen geschrieben und Altendorfer hat viele Zitate und Deutungen von Schäffer kritiklos übernommen.

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Wahrscheinlicher ist, dass er bereits vorab mit dem Gedanken an eine politische Laufbahn spielte. Auffällig ist, dass Schäffer bereits vor der Revolution Eisners ausgeprägte politische Vorstellungen hatte, die in vielerlei Hinsicht mit denen der konservativen Flügel des bayerischen Zentrums zwischen 1917 und 1918 übereinstimmten. Deren Fixpunkte waren der Katholizismus und der bayerische Staat, die beide vom bayerischen Königshaus sowohl in der Innen- als auch Außenpolitik verkörpert wurden.58 Dem Parlamentarismus und einer Demokratisierung des politischen Systems stand Schäffer hingegen skeptisch gegenüber,59 da er sie als eine Gefahr für den Staat und seine Beamtenschaft wahrnahm.60 Die Möglichkeit, sich als Politiker zu beweisen, ergab sich am 7. November in Kelheim, als Schäffer die konservativen politischen Kräfte gegen die Revolution mobilisierte und zum Vorsitzenden des „antirevolutionären Ausschuss“ wurde.61 Wenige Tage nach der Revolution wurde am 12. November 1918 die BVP gegründet. Schäffer trat sofort ein und setzte sich in seinem Bezirk Kelheim für den Aufbau der lokalen Ortsgruppe ein.62 Er war gedanklich bereits politisch aktiv, sodass Schäffers Darstellung vom 7. November 1918 in seinen Memoiren vor allem eine Art rückwirkende Selbstinszenierung zu sein scheint, die darauf gerichtet war, sich selbst in den antirevolutionären und antisozialistischen Gründungskonsens der BVP zu integrieren.63 Schäffers Teilnahme an der Politik im Jahre 1918 war nicht nur eine Frage der Verteidigung des Staats, sondern auch eine nach seiner eigenen Zukunft. Die Gründung der BVP beruhte auf einer Unzufriedenheit der Landtagsabgeordneten des bayerischen Zentrums über die Politik der Deutschen ZentrumsparSo beschreibt der Autor Schäffers Eintritt in die Politik fast wortgleich: „Der Assessor […] wurde nun innerhalb von Stunden zum Politiker.“ Vgl. Altendorfer, Fritz Schäffer, S. 131. 58 Vgl. ebenda, S. 100. 59 Diese Gedanken teilte Schäffer mit Heinrich Held und dessen konservativer Fraktion innerhalb des bayerischen Zentrums. Nach dieser Auffassung konnte nicht eine Stärkung des Parlaments, sondern ein Fokus auf die christlichen Werte den Staat retten. Mehr Macht für das Parlament würde nur zur Stärkung des liberalen und sozialistischen Geistes in der Politik führen. Held und sein Flügel innerhalb des bayerischen Zentrums plädierten zu diesem Zeitpunkt (November 1918) außerdem noch für eine starke Monarchie zur Stärkung des bayerischen Staats innerhalb der föderativen Struktur des Reiches. Vgl. ebenda, S. 57 f., 71, 83. 60 In einem Brief vom 7. November 1918 an seinen Bruder Karl schrieb Schäffer dazu: „Ein Staat sollte die Grundlagen nie unterwühlen, die ihn groß gemacht [haben]. In Deutschland war es das Beamtentum. Und das wird zweifellos langsam und unmerklich zerstört.“ Ebenda, S. 60. 61 BArchK, N1168/1, „Fragment des Manuskripts zu geplanten Lebenserinnerungen“, Bl. 8 f. 62 Ebenda. Vgl. Altendorfer, Fritz Schäffer, S. 63–80. 63 Zu diesem Gründungskonsens vgl. Martina Steber, „…dass der Partei nicht nur äußere, sondern auch innere Gafahren drohen“. Die Bayerische Volkspartei im Jahr 1933, in: Andreas Wirsching (Hrsg.), Das Jahr 1933. Die nationalsozialistische Machteroberung und die deutsche Gesellschaft, Göttingen 2009, S. 70–91, hier S. 78 f.

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tei im Reichstag.64 Auch die Mitglieder des bayerischen Zentrums wollten gegen den Zusammenbruch des Staats durch die Revolution in Bayern vorgehen. Für Schäffer war sein Eintritt in die BVP zugleich eine Möglichkeit, sich innerhalb einer neuen, aufkommenden Partei zwischen erfahrenen Politikern zu profilieren. Bereits während dieser Aufbauphase der Partei stand er in Kontakt mit den leitenden Persönlichkeiten der BVP. So auch mit dem ehemaligen Zentrums-Politiker Georg Heim, der Schäffers politische Laufbahn stark förderte.65 In den 1920er Jahren ging Schäffers Politikkarriere im Rahmen der neuen politischen Konstellation der Weimarer Republik steil nach oben. Bereits 1920 wurde Schäffer für die BVP in den Bayerischen Landtag gewählt, dem er bis zur Machtübernahme der Nationalsozialisten im Jahre 1933 angehörte.66 Schäffer profilierte sich als BVP-Abgeordneter vor allem durch seine Beteiligung am Kampf um die bayerische Finanzhoheit gegenüber dem Reich nach der Reichsfinanzreform von 1920 sowie als Befürworter einer Revision der Weimarer sowie der Bayerischen Verfassung.67 Die Finanzverwaltung war für ihn stets eng mit bayerischer Eigenstaatlichkeit verbunden. Vom 16. September 1931 bis 9. März 1933 war Schäffer außerdem als beamteter Staatsrat68 Leiter des Finanzministeriums im vierten und letzten Kabinett des BVP-Ministerpräsidenten Heinrich Helds. Der Finanzexperte Schäffer spielte aufgrund der schwierigen wirtschaftlichen Lage der Weimarer Republik und der Auseinandersetzungen zwischen der Reichsregierung und der bayerischen Landesregierung um die Finanzverwaltung eine hervorgehobene Rol-

64 Zur Gründung der BVP und die Unzufriedenheit der bayerischen Landtagsabgeordneten des bayerischen Zentrums vgl. Klaus Schönhoven, Die Bayerische Volkspartei, Düsseldorf 1972, S. 18– 20. 65 BArchK, N1168/1, „Fragment des Manuskripts zu geplanten Lebenserinnerungen“, Bl. 8 f. 66 Hier entwickelte sich Schäffer bis 1933 zum maßgeblichen Experten für die Gemeinde- und Staatsfinanzen. Seine Rolle innerhalb der Landtagsfraktion gewann außerdem schnell an Bedeutung, als er sich als Abgeordneter zwischen 1922 und 1924 an den schwierigen Gesprächen mit den nationalen Wehrbewegungen (Verbänden) beteiligte, um diese als staatserhaltende Kraft für die Bayerische Staatsregierung zu gewinnen. Zugleich strebte er dabei eine klare Abgrenzung von den völkischen Verbänden und Hitlers NSDAP an. Ebenfalls entfaltete Schäffer im Landtag sein Interesse für Fragen der Verwaltungsvereinfachung, die für ihn eng mit der Betonung der bayerischen Eigenständigkeit verbunden waren. In seiner Vorstellung war eine sparsame und effektive bayerische Verwaltung das beste Mittel gegen die unitaristischen Sparmaßnamen und Vorschläge zur Verwaltungsvereinfachung, die aus Berlin kamen. Vgl. Ziegler, Einleitung, in: Protokolle Kabinett Held IV, S. 26* f.; Altendorfer, Fritz Schäffer, S. 172–219, 478. 67 Die Erzensbergsche Finanz- und Steuerreform aus den Jahren 1919/20 beinhaltete eine umfangreiche Zentralisierung des Finanzwesens sowie die Verwirklichung einer einheitlichen Steuererhebung innerhalb des deutschen Reiches. Die Finanzhoheit des Reiches wurde damit auf Kosten der Länder wesentlich ausgebaut. Vgl. ebenda, S. 258–275. 68 Zu dieser Funktion siehe FN 21 aus Kapitel 1.1.

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le im Kabinett.69 Auch parteiintern ging Schäffers Laufbahn steil nach oben. 1929 wurde er zum Parteivorsitzenden der BVP gewählt. Er bekleidete das Amt bis zur Auflösung der Partei im Jahre 1933. Obwohl unter seiner Leitung eine großangelegte Modernisierung der Parteiorganisation durchgeführt wurde, war die Parteistruktur 1933 in vielerlei Hinsicht noch auf dem Stand des Kaiserreichs.70

Das Selbstverständnis der BVP In Schäffers politischen Ordnungsvorstellungen aus den Jahren der Weimarer Republik spiegelten sich die vier Säulen des Selbstverständnisses der BVP und ihrer programmatischen Grundlegung wider.71 Die Partei sah sich als Synonym für den bayerischen Staat, „der als höhere und spezifisch bayerische Wesenheit begriffen wurde“,72 und als Hüterin der bayerischen Staatlichkeit. An dessen Spitze sollten autoritätsstarke Männer die Führung übernehmen. Die Idealvorstellung war außerdem, dass sich „Staat“ und „Volk“ deckten und somit ein Spiegelbild der Gesellschaft abbildeten. Die Identifikation mit dem bayerischen Staat führte zugleich zu einer engen Verbundenheit zwischen der BVP und der bayerischen kommunalen und staatlichen Verwaltung. Diese bildete zusammen mit den katholischen Verbänden und Vereinen sowie der Infrastruktur der katholischen Kirche die organisatorische Grundlage, auf die die Partei sich stützte.73 Zweitens verstand sich die BVP als eine katholische „Weltanschauungspartei“, deren Programm aus dem intellektuellen Reservoir des Katholizismus hervorging. Aus dem naturrechtlich begründeten katholischen Organismus-Denken resultierte einerseits die Ablehnung von gesellschaftlichem Pluralismus und Individualismus sowie vom liberalen Freiheitsgrundsatz, anderseits eine neutrale Haltung gegenüber dem Staat. Der Pflicht, den Staat zu dienen, wurde mehr Gewicht zugeschrieben als der Staatsform. Jedoch machte insbesondere der rechte, konservative Flügel der Partei um Fritz Schäffer kein Geheimnis aus seiner Ablehnung der liberalen parlamentarischen Demokratie und der republikanischen Staatsform. Dieser trat während der Weimarer Republik zu jedem Zeitpunkt für den bayerischen Staat, jedoch nicht für dessen Staatsform ein. Zentral in Schäffers Denken war stets eine konservative, obrigkeitsstaatliche Ordnungskonzeption des Staats in der 69 Vgl. Ziegler, Einleitung, in: Protokolle Kabinett Held IV, S. 27*. 70 Vgl. Steber, Bayerische Volkspartei, in: Wirsching (Hrsg.), 1933, S. 76. 71 Vgl. ebenda, S. 77–80. Zur ideologischen Grundlage der BVP vgl. auch Falk Wiesemann, Die Vorgeschichte der nationalsozialistischen Machtübernahme in Bayern 1932/1933, Berlin 1975, S. 15–67. 72 Steber, Bayerische Volkspartei, in: Wirsching (Hrsg.), 1933, S. 77. 73 Vgl. ebenda, S. 76.

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Tradition der konstitutionellen Monarchie aus der Epoche vor 1918. Er war während der Weimarer Republik skeptisch gegenüber der liberalen parlamentarischen Demokratie, die er als „undeutsche Missform“ bezeichnete.74 Stattdessen plädierte er 1922 in einem Artikel unter dem Titel „Ein Bayerischer Staatspräsident!“ für einen starken, autoritären und unangreifbaren Staat, der gegen seine Zerstörer – Kommunisten, Sozialisten und Nationalsozialisten – hart durchgreifen könnte.75 Dazu trat er für die Wahl eines Bayerischen Staatspräsidenten ein, der gegenüber dem Berliner Zentralismus den bayerischen Staatsgedanken verkörpern sollte, und dessen Amt nicht von den Zufälligkeiten und Stimmungswechseln des parlamentarischen Betriebs betroffen wäre.76 Über dem „Parlamentsabsolutismus“, den er ebenfalls als „parlamentarische Diktatur“ bezeichnete, wollte er eine starke, objektivierte präsidiale Staatsgewalt stellen, der außerdem dem Ministerpräsidenten untergeordnet werden sollte.77 Der Staatspräsident sollte vom ganzen Volk gewählt werden und verkörperte in diesem Sinne den Volkswillen. Dagegen stellte das Parlament als Grundlage des politischen Systems in den Augen Schäffers eine missverstandene Form der Demokratie und eine potenzielle Bedrohung für die Stabilität und Regierbarkeit des Staats dar.78 Vor diesem Hintergrund antwortete Schäffer auf das politische System der Weimarer Republik mit einer autoritären-demokratiekritischen Agenda. Drittens gehörte zum Selbstverständnis der BVP ihre Ablehnung der Revolution von 1918/19, die sich in einer ausgesprochen antirevolutionären und antisozialistischen Grundhaltung niederschlug. Vor diesem Hintergrund lehnte Ministerpräsident Heinrich Held eine Regierungskoalition mit der SPD in Bayern prinzipiell ab. Die unitarische Republik und ihrer Verfassung wurden als Produkt des Sozialismus (und somit als antichristlich) wahrgenommen und waren auf Kosten der bayerischen Eigenstaatlichkeit zustandegekommen. Sie widersprachen dem organisch begründeten Föderalismus der BVP. Somit war deren Eintreten für die 74 Fritz Schäffer, Ein Bayerischer Staatspräsident! Kritische Betrachtungen und Vorschläge zur Bayerischen Verfassung vom 14. August 1919, in: Politische Zeitfragen 4 (1922), S. 1–24, hier S. 6. Der Text erschien ebenfalls als eigenständige Broschüre und stellte für die nächsten Jahre das Konzept der BVP in Sachen Verfassungsreform dar. Vgl. Altendorfer, Fritz Schäffer, S. 246. 75 Vgl. Schäffer, Ein Bayerischer Staatspräsident, S. 9. 76 Vgl. ebenda. 77 Vgl. ebenda, S. 16–22. 78 Vgl. Altendorfer, Fritz Schäffer, S. 245 ff. Zum Verhältnis des politischen Katholizismus zur Demokratie vgl. Rudolf Uertz, Katholizismus und Demokratie, in: Aus Politik und Zeitgeschichte (2005), H. 7, S. 15–22; Stefan Gerber, Der Verfassungsstreit im Katholizismus der Weimarer Republik. Zugänge und Untersuchungsfelder, in: Historisches Jahrbuch 126 (2006), S. 359–393. Für Bayern spezifisch vgl. Friedhelm Mennekes, Die Republik als Herausforderung. Konservatives Denken in Bayern zwischen Weimarer Republik und Antidemokratischer Reaktion (1918–1925), Berlin 1972.

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bayerische Eigenstaatlichkeit nicht nur interessenpolitisch, sondern vor allem weltanschaulich bedingt.79 Die BVP vereinnahmte unter der Führung Schäffers den Föderalismus für sich und wurde zum „Symbol für den kämpferischen bayerischen Föderalismus“.80 Für Schäffer war das Ziel ein „Bundesstaat, der die gemeinsamen Aufgaben der verbundenen Gliedstaaten gepflegt haben will, der aber auch die zum Bundesstaat zusammengeschlossen Gliedstaaten als solche erhalten, sie vor dem Aufgehen in den Einheitsstaat bewahren und der vor allem die sittlichen Kräfte geschont wissen will, die mit der Treue und Liebe zum Heimatstaat verbunden sind“.81 Der Föderalismus war in Schäffers Augen die beste Grundlage für die deutsche Einheit und den „großdeutschen“ Gedanken – nicht für einen bayerischen Separatismus. So beinhaltete sein Verständnis der bayerischen Eigenstaatlichkeit keinen unabhängigen Staat im völkerrechtlichen Sinne, sondern ein staats- und wirtschaftspolitisches selbständiges Bayern innerhalb eines deutschen Bundesstaats.82 Die vierte Säule des Selbstverständnisses der BVP wurde von „Bayern“ als Ordnungsmodell ausgemacht, das weitaus mehr als eine staatliche Tradition umfasste. Während der Revolution von 1918/19 wurde „Bayern“ zur programmatischen Projektionsfläche der BVP und verdichtete sich zu einem Ordnungsmodell als Alternative für die Weimarer Verfassung. Der Begriff der „Ordnung“ rückte 1919 in den Mittelpunkt der BVP-Programmatik. Entscheidend war dabei die bewusste Begrenzung der BVP auf den Freistaat. In der sogenannten Ordnungszelle Bayern (1920–1924) schärften sich die Konturen der Ordnungsvorstellungen, die erst nach 1924 langsam verschwammen.83 Die gedachte Ordnung „Bayern“ stand für die BVP, nach der Historikerin Martina Steber für „eine antisozialistische, antirepublikanische, katholische Alternative zu Weimar, die sich als wesenhaft 79 Vgl. Steber, Bayerische Volkspartei, in: Wirsching (Hrsg.), 1933, S. 79. 80 Damit knöpfte Schäffer bei einer wesentlich älteren ideengeschichtlichen Tradition an, die im bayerischen Nationalgefühl wurzelte, und eng mit dem bayerischen Staatsgedanken verknüpft war. Spätestens um 1871 herum wurde dieses Denken um den Begriff des Föderalismus ergänzt. Vom Anfang an gab es innerhalb der BVP unterschiedliche Auffassungen über den Inhalt des Föderalismus und den politischen Kurs des Freistaats gegenüber dem Reich. Vgl. Schönhoven, Bayerische Volkspartei, S. 89–198. 81 Altendorfer, Fritz Schäffer, S. 692. 82 Dennoch bekämpfte Schäffer die in seinen Augen einheitsstaatlichen Bestrebungen der Weimarer Verfassung und plädierte für eine klarere Trennung zwischen den Aufgaben und Zuständigkeiten des Reiches und der Länder – besonders auf dem Gebiet der Finanzen. „Bundesstaat bedeutet, daß das Reich alles haben soll, was notwendig ist, um seine Stärke zu gewährleisten. […] Den Ländern soll aber verbleiben, was nach natürlichen Wirtschaftsgrenzen schon ihnen verbleiben muß […], in erster Linie das gesamte Gebiet der Verwaltung“, äußerte sich Schäffer im Jahre 1931 in einem Schreiben an BVP-Mitglied Georg Escherich. Zit. nach: ebenda. 83 Vgl. Steber, Bayerische Volkspartei, in: Wirsching (Hrsg.), 1933, S. 80.

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‚deutsch‘ begriff und ein Bollwerk zur kulturellen und konsumgesellschaftlichen Moderne darstellte“.84 Aus dem von der BVP geprägten Ordnungsbegriff entwickelte sich Bayern unter dem Einfluss des BVP-Politikers Gustav von Kahr als Ministerpräsident (1920/ 21) und Generalstaatskommissars (1923/24) zwischen 1920 und 1924 zur „Ordnungszelle“. Nach den Erschütterungen der Revolution und der Räterepubliken sollten in Bayern „Ruhe und Ordnung“ wiederhergestellt werden. „Kahr-Bayern“ stellte eine reaktionäre Alternative zur Weimarer Verfassung dar und sollte sich von Bayern aus zur „Gesundung“ des Reichs verbreiten und den nationalen Wiederaufbau einleiten.85 Die Revolution von 1918/19 sollte dabei rückgängig gemacht und die Demokratie beseitigt werden.86 Im Rahmen des von Kahr geprägten und eng mit seiner Person verbundenen Konzepts entwickelte sich Bayern zum Sammelbecken für hunderte vaterländische, nationalistische und völkische Bewegungen und Gruppierungen, darunter auch die NSDAP, die eng mit ihm in Verbindung standen. Somit enthielt die Ordnungszelle ebenfalls antisemitische und monarchistische Komponenten. Was die „Ordnungszelle“ außerdem kennzeichnete, war die Zusammenarbeit zwischen Politik, Militär, Verwaltung, Justiz und Einwohnerwehren.87 Somit wurde die Ablehnung der „verjudeten Republik“ nicht nur von unten, von den Verbänden aus propagiert, sondern vom bayerischen Staat aus organisiert und mitgetragen.88 Der misslungene Hitlerputsch vom 8. und 9. November leitete das Ende der Ordnungszelle ein.

Schäffer und die BVP am Ende der Weimarer Republik Zu keinem Zeitpunkt wurde Schäffer zu einem überzeugten Unterstützer der Weimarer Verfassung und der daraus hervorgehenden politischen Grundordnung. Vielmehr schwankte ab 1924 seine Haltung (und die seiner Partei) zwischen „pragmatischer Aussöhnung“ und „programmatischer Ablehnung“.89 Obwohl sich das 84 Ebenda. 85 Vgl. Karl-Ulrich Gelberg/Ellen Latzin, Ordnungszelle Bayern, publiziert am 07.03.2007; in: Historisches Lexikon Bayerns, URL: https://www.historisches-lexikon-bayerns.de/Lexikon/Ordnungszelle_Bayern [16. August 2022]. 86 Vgl. Patrick Dassen, Sprong in het duister. Duitsland en de Eerste Wereldoorlog, Amsterdam 2014, S. 359 f. 87 Vgl. Karl-Ulrich Gelberg/Ellen Latzin, Ordnungszelle Bayern, publiziert am 07.03.2007; in: Historisches Lexikon Bayerns, URL: https://www.historisches-lexikon-bayerns.de/Lexikon/Ordnungszelle_Bayern [16. August 2022]. 88 Vgl. Dassen, Sprong, S. 352. 89 Steber, Bayerische Volkspartei, in: Wirsching (Hrsg.), 1933, S. 81.

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ursprüngliche Streben nach einer grundlegenden Revision der Weimarer Verfassung ab 1925/26 mehr und mehr abschwächte, und die Kritik sich stärker gegen die zentralistische Auslegung der Verfassung richtete, blieb das Verhältnis zum politischen System stets gespalten und ambivalent.90 Wenn Schäffer die politische Grundordnung der Weimarer Republik schon unterstützte, dann lediglich insofern sie im Interesse des bayerischen Staats und der Politik der BVP war, jedoch nicht aus einer liberal demokratischen Grundüberzeugung. Dies geht auch aus seinem Handeln in den Jahren 1932 und 1933 hervor, als er die Eigenständigkeit und Existenz des bayerischen Staats und seiner Partei durch die Zusammenarbeit mit der NSDAP zu sichern versuchte. Seine Haltung gegenüber der NSDAP war von Ambivalenz gekennzeichnet. Als bayerischer Landtagsabgeordneter warnte er während der 1920er Jahre vor der staatsgefährdenden Politik der NSDAP – insbesondere nach dem Novemberputsch und dem Scheitern der Ordnungszelle – und plädierte für ein hartes Durchgreifen gegen die HitlerBewegung.91 Anfang der 1930er Jahre änderte er diese Meinung, weil die Koalitionsverhandlungen für eine Regierung auf sowohl Reichs- als auch Landesebene schwierig waren und das politische System stagnierte. Bereits 1932 unternahmen Schäffer und sein BVP-Flügel nach der bayerischen Landtagswahl im April den Versuch, zusammen mit der NSDAP eine Regierungskoalition zu bilden. Das Ziel dieser Verhandlungen – so schrieb Schäffer – bestand darin, die NSDAP in einer Koalition zu „zähmen“ und „zur Legalität“ zu bringen.92 Einerseits zeigte sich Schäffer hier von seiner „vernunftrepublikanischen“ Seite, als er spät in der Weimarer Republik die stabilisierenden Potenziale einer funktionalistischen Haltung gegenüber dem politischen System erkannte.93 Nach seinen Erfahrungen aus den 90 Obwohl Schäffer und die BVP ab 1925/26 die Weimarer Verfassung nicht länger grundlegend in Frage stellten, sondern lediglich deren unitaristische Elemente und Auslegung kritisierten, wurden sie zu keinem Zeitpunkt zu Unterstützern des parlamentarischen Systems. Vielmehr trat eine Art Akzeptanz über den politischen Rahmen ein. Schäffer unterstützte die Aufrechterhaltung der Republik nicht aus Überzeugung, sondern nur solange sie mit dem Interesse der BVP und des bayerischen Staats kollidierte. Vgl. Schönhoven, Bayerische Volkspartei, S. 262 ff. 91 Hatte Schäffer die NSDAP am Anfang der 1920er Jahre lediglich als Bedrohung für die Sozialdemokraten – nicht für das gesamte politische System – wahrgenommen, so erkannte er 1922 die Bedrohung, die von der Hitler-Bewegung für die Stabilität und das Fortbestehen des bayerischen Staats ausging. Wiederholt warnte er im Bayerischen Landtag und in der Öffentlichkeit vor Hitler und der NSDAP. Vgl. Altendorfer, Fritz Schäffer, S. 193. 92 Schäffer in einem Brief an Erwein von Aretin, Vorsitzender des Bayerischen Heimat- und Königsbundes, am 28. April 1932. Ebenda, S. 518. 93 Eine funktionale Haltung gegenüber der Republik war das wichtigste Merkmal des Vernunftrepublikanismus. Elke Seefried grenzt den Begriff „Vernunftrepublikaner“ als analytische Kategorie für das Handeln der Deutschen Zentrumspartei – über die klassische Definition von Friedrich Meinecke hinaus – nicht auf das liberale Bürgertum ein und versteht sie nicht so sehr als

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Jahren 1918/19 sollte ein neuer Staatsumsturz sowie der Aufbau einer zentralistischen Einparteiendiktatur unter Hitler und der NSDAP vermieden werden. So wurde der programmatische Gegner zum pragmatischen Verteidiger der Republik. Andererseits sah der Schäffer-Flügel diese Verhandlungen als eine Möglichkeit, den nach wie vor als falsch wahrgenommenen Parlamentarismus in Bayern und im Reich mit autoritären Mitteln zu korrigieren. Seine Vertreter stand dem Nationalismus der NSDAP sowie der Idee eines „großdeutschen“ Reichs und dem Aufbau eines „neuen Staats“ mit starken Führungspersönlichkeiten nicht ablehnend gegenüber.94 Ebenfalls konnte diese Fraktion der BVP sich im Antikommunismus und Antiparlamentarismus der NSDAP wiederfinden. Dieser autoritäre Zwischenweg zwischen Demokratie und Diktatur, bei dem erneut das Amt des Staatspräsidenten auf dem Tisch lag, sollte durch eine Verfassungs- und Wahlreform herbeigeführt werden.95 Bei dieser Annäherung der BVP an die NSDAP – damals vom katholischen Publizisten Walter Dirks als die „innere Faschisierung“ der BVP bezeichnet96 – spielte die politische Sprache eine wichtige Rolle. Auch die BVP warb für sich in der Öffentlichkeit mit Begriffen wie „Volksgemeinschaft“, „Volksstaat“, „Kampf“ und „Ordnung“.97 Die Mehrdeutigkeit dieser Begriffe führte in der Praxis zu einer Verwischung der Unterschiede zwischen der BVP und NSDAP. Da-

„Monarchismus versus Republikanismus“. Stattdessen bezieht sie in ihrer Definition eine „funktionalistische Haltung“ der Funktionsträger gegenüber dem politischen System der Weimarer Republik mit ein, „welche mit einer im Grunde nur formalen Loyalität zur Republik einherging“. Dabei unterscheidet sie innerhalb des politischen Katholizismus zwischen dem „demokratisch orientierten“, „vernunftrepublikanischen“ und „konservativ-monarchistischen“ Teil. Die Vernunftrepublikaner befanden sich vor allem in der Deutschen Zentrumspartei, dennoch zeigte sich auch die BVP am Ende der Weimarer Republik von ihrer vernunftrepublikanischen Seite. Vgl. Elke Seefried, Verfassungspragmatismus und Gemeinschaftsideologie: „Vernunftrepublikanismus“ in der deutschen Zentrumspartei, in: Andreas Wirsching/Jürgen Eder (Hrsg.), Vernunftrepublikanismus in der Weimarer Republik. Politik, Literatur, Wissenschaft, Stuttgart 2008, S. 57– 86, hier S. 58–65. Vgl. auch Steber, Bayerische Volkspartei, in: Wirsching (Hrsg.), 1933, S. 81 ff. 94 In einem Aufsatz von 1927 betonte Karl Schwend, dass das „starke Staatsbewusstsein des bayerischen Volkes“ der Fortentwicklung „des großen Reichsgedankens“ nicht im Weg stand, solange sich dahinter kein Einheitsstaat verberge, vgl. Karl Schwend, Die politische und kulturelle Bedeutung Bayerns, in: Volk und Reich (1927), H. 2, S. 212. Für die Hinweise auf die Übereinstimmungen von BVP-Politikern mit den Staats- und Verfassungsvorstellungen der NSDAP vgl. Klaus Schönhoven, Zwischen Anpassung und Ausschaltung. Die bayerische Volkspartei in der Endphase der Weimarer Republik 1932/33, in: Historische Zeitschrift (1977), H. 2, S. 340–378, hier S. 353; Zit. nach: Dierker, Nullen, S. 117. 95 Vgl. Schönhoven, Zwischen Anpassung, S. 352; Altendorfer, Fritz Schäffer, S. 516, 695. 96 Zit. nach Schönhoven, Zwischen Anpassung, S. 352 f. 97 Vgl. Steber, Bayerische Volkspartei, in: Wirsching (Hrsg.), 1933, S. 81 f.

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bei führte die NSDAP einen erfolgreichen, aktiven Kampf in der Öffentlichkeit, um sich die Inhalte dieser Begriffe anzueignen. Dieser Koalitionskurs aus 1932 blieb jedoch erfolglos, sodass in Bayern bis zur Machtübernahme der Nationalsozialisten eine geschäftsführende BVP-Regierung unter Ministerpräsident Held über das Notverordnungsrecht regierte. Während Held neue Verhandlungen mit der NSDAP nach der Machtübernahme Hitlers in Berlin am 30. Januar 1933 ablehnte, hielt sich Schäffer diese Option offen. Zugleich äußerte er scharfe Kritik an der geplanten Ernennung eines Reichskommissars in Bayern98 durch die Reichsregierung, und zeigte erneut seine Gesprächsbereitschaft gegenüber der NSDAP. Darüber hinaus schmiedete er ab dem 30. Januar 1933 erneut Pläne für die Einführung des Amts eines Bayerischen Staatspräsidenten, das als Vorstufe für die Wiedereinführung der Wittelsbacher-Monarchie dienen sollte.99 Thronanwärter Rupprecht von Bayern sollte nach dieser Vorstellung als Staatspräsident eingesetzt werden, sodass der ehemalige Kronprinz nach seiner Ernennung als erste Amtshandlung die Monarchie wieder ausrufen konnte. Für diesen Plan, der auf einen autoritären Ständestaat hinauslief, gab es jedoch nicht genug Unterstützung von Seiten des verfassungstreuen Ministerpräsidenten Held und der Staatsregierung. Ihre Angst war, dass Hitler auf die Wiederherstellung der bayerischen Monarchie mit einer Reichsexekution reagieren würde.100 Während Schäffer auf der Suche nach einer autoritären Alternative war, wurden im Februar 1933 im Umfeld von Heinrich Held noch Verfassungsreformpläne zur Stärkung des Bayerischen Landtags entwickelt.101 Auch diese blieben allerdings erfolglos.

98 Die Angst Schäffers vor der unitarischen Reichspolitik am Vorabend der Machtübernahme der Nationalsozialisten rührte besonders vom Einsatz eines Reichskommissars in Preußen während des sogenannten Preußenschlags her. Dieser Beauftragte der Reichsregierung unterstand direkt dem Reichskanzler und konnte nach dessen Anweisungen die Regierungs- und Verwaltungshoheit eines Landes übernehmen. Aus rechtswissenschaftlicher Sicht basierte die Position des Reichskommissars auf Artikel 48 der Weimarer Verfassung und somit auf einer Notverordnung des Reichspräsidenten Hindenburg. Der Fall Preußen verstärkte 1932 bei Schäffer und Ministerpräsident Held die Angst, dass Berlin einen allgemeinen Angriff „auf die Existenz aller Länder“ führe. Wiederholt beklagten sie sich beim Reichskanzler und Präsidenten gegen diese Art von Interessensdurchsetzung und plädierten für eine Garantie und Verstärkung der Länderrechte. Vgl. Altendorfer, Fritz Schäffer, S. 598–677. 99 Vgl. Dierker, Nullen, S. 116. 100 Zu den monarchistischen Restaurationsbestrebungen im Jahre 1933 vgl. Manuel Limbach, Bürger gegen Hitler. Vorgeschichte, Aufbau und Wirken des bayerischen „Sperr-Kreises“, Göttingen 2019, S. 129–136. 101 Vgl. Steber, Bayerische Volkspartei, in: Wirsching (Hrsg.), 1933, S. 82.

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Nach den Reichstagswahlen am 5. März 1933 führten die unterschiedlichen Vorstellungen innerhalb der BVP zu einem Generationskonflikt.102 Während der ältere Flügel um Held, der aus der Zentrumspartei hervorgegangen war, eine Zusammenarbeit mit der NSDAP nach wie vor ablehnte, plädierte der jüngere konservative Flügel um Fritz Schäffer, Anton Pfeiffer und Hans Ritter von Lex für erneute Koalitionsverhandlungen. Diese Generation der 40-Jährigen hatte eine politische Laufbahn noch vor sich und konnte an ihrer ideologischen Rechtsorientierung aus dem Jahr 1932 anknüpfen. So spekulierte Schäffer bereits darauf, Nachfolger Heinrich Helds als Bayerischer Ministerpräsident zu werden.103 Der Fraktion um Schäffer war 1933 darüber hinaus alles daran gelegen, die politische Eigenständigkeit der BVP durch eine Integration der Partei in den NS-Staat sicherzustellen – auch wenn sie dafür eine Koalition mit der NSDAP auf Kosten der parlamentarischen Demokratie eingehen musste.104 Dieser Koalitionskurs sagt viel über das Selbstbewusstsein und die Selbstwahrnehmung des rechten Flügels der BVP aus. Dieser sah sich im März 1933 immer noch als gleichberechtigter Koalitionspartner der NSDAP, obwohl die politischen Verhältnisse sich bereits überall im Deutschen Reich zum Vorteil Hitlers geändert hatten. Die NSDAP hatte bei der Reichstagwahl am 5. März mit 43,1 Prozent der Stimmen die BVP, die bei 27,2 Prozent stagnierte, als größte Partei in Bayern abgelöst.105 Vor diesem Hintergrund basierte das Selbstbewusstsein der BVP vor allem noch auf dem Erfolg der Vergangenheit, hatte mit der politischen Realität im März 1933 jedoch wenig zu tun. Nachdem Franz Ritter von Epp am 9. März 1933 in Bayern als Reichskommissar von der nationalsozialistischen Reichsregierung eingesetzt worden war, wurde Fritz Schäffer in der Nacht vom 9. auf den 10. März in seinem Haus von der SA verhaftet und im sogenannten Braunen Haus misshandelt. Zudem wurde er am 9. März 1933 als Staatsrat beurlaubt, und zum 1. April von den neuen Machthabern in den einstweiligen, ein Jahr später in den dauerhaften Ruhestand versetzt.106 Die Nationalsozialisten wollten gegenüber der BVP ein klares Zeichen setzen und zeigen, wer nun wirklich an der Macht war. Außerdem hatten sie Schäffers Kritik in Richtung der NSDAP nicht vergessen, obwohl der BVP-Vorsitzende bereits einen Koalitionskurs eingeschlagen hatte. An diesem hielten er und sein konservativer Flügel auch nach der Verhaftungswelle fest. Ritter von Lex, Landesführer der Bayernwacht und BVP-Reichstagabgeordneter, führte vom 12. bis 14. März im Namen der BVP vertrauliche Verhandlungen

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Vgl. Vgl. Vgl. Vgl. Vgl.

Dierker, Nullen, S. 117. ebenda. Altendorfer, Fritz Schäffer, S. 518. Dierker, Nullen, S. 120. Altendorfer, Fritz Schäffer, S. 795.

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mit Hitler über eine Koalition.107 Schäffer war wegen seiner Festnahme nicht anwesend, unterstützte die von Ritter von Lex verfolgte Strategie jedoch.108 Es kam zu einem Gespräch in Hitlers Wohnung am Prinzregentenplatz in München mit Ritter von Lex am 13. März, der Schäffer und Held sowie weitere leitende Personen aus der BVP sofort darüber informierte. Es sagt viel über die antikommunistische Politik der BVP aus, dass Ritter von Lex von seinen Parteifreunden unter anderem folgende Richtlinien für weitere Gespräche mit der NSDAP mitgegeben wurden: „Einverstanden ist die Bayerische Volkspartei mit der vollständigen Niederringung des Marxismus. Dabei werden Härten in der Abwehr der Kommunisten wohl unvermeidlich sein und auch von der Partei verstanden. Für den Kampf zur Niederringung der Sozialdemokratie halte die Partei aber Formen für notwendig, die [sich] im Einklang mit den christlichen Sittengesetzen […] befinden.“109 Der Euphemismus „vollständige Niederringung“ bedeutete in diesem Kontext nichts anders als die Ermordung von Kommunisten. Während der Gespräche wurde sogar vorsichtig über mögliche Personen für die Ressortverteilung gesprochen.110 Diese Gespräche scheiterten jedoch, weil der „Führer“ durch seinen Besuch in München überzeugt war, dass seine Partei auch ohne eine BVP-Koalition mit genügend politischer Unterstützung in Bayern rechnen konnte. So erklärte Hitler nun auch die BVP für überflüssig. Hatte die BVP unter der Leitung des konservativen Flügels im Vorfeld und während der Verhandlungen auf ihrer politischen Eigenständigkeit gegenüber der NSDAP beharrt – es handelte sich hier nicht um einen „einfachen Rechtsruck“ der BVP in die „nationale Front“,111 sondern um die Suche nach einem Mittelweg – so löste das Misslingen der Gespräche nach dem 14. März eine Welle von „Resignation und Unterwerfungsbereitschaft“ innerhalb der Partei aus.112 Exemplarisch dafür ist Schäffers Aufruf im Bayernkurier vom 8. April 1933 zur Unterstützung der Reichsregierung, sodass sie „Arbeit und Brot dem Volke bringen, einen nationalen Aufstieg im Innern erringen und deutsches Recht und deutsche Freiheit nach außen hin erkämpfen kann“.113 Als letztes Zugeständnis gegen107 Für die Gesprächsprotokolle vgl. Dierker, Nullen, S. 126–148. 108 Vgl. ebenda, S. 160. 109 Ebenda, S. 130. 110 Diese Gespräche waren eher orientierende Vorgespräche zur Bildung einer Koalition als konkrete Verhandlungen. Zum Handeln von Ritter von Lex zwischen dem 12. und 14. März vgl. ebenda, S. 119–126; Stange, Hans Ritter von Lex, S. 121–160. 111 Zit. nach: Dierker, Nullen, S. 124. 112 Hieraus erklärt sich die von Ritter von Lex begründete Zustimmung der BVP-Reichstagfraktion zum „Ermächtigungsgesetz“ am 24. März 1933. Vgl. ebenda, S. 124 f. 113 Zit. nach: Schönhoven, Politischer Katholizismus, in: Broszat/Mehringer (Hrsg.), Die Parteien, S. 550. Vgl. auch „Der Weg der Bayerischen Volkspartei“ aus den Münchner Neuesten Nachrichten vom 8. April 1933 überliefert in: NA, RG260, 638 (A1), 274, 390, 46, 24, 1.

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über der NSDAP folgte am 29. April die Zustimmung der BVP zum bayerischen Ermächtigungsgesetz.114 Dennoch stellte sich Schäffers Hoffnung, dass sich die BVP zwischen März und Juni 1933 ihre Existenz durch eine weitgehende Anpassungsbereitschaft an neue politische Verhältnisse sichern könnte, als Trugschluss heraus. Zusammen mit anderen prominenten BVP-Politikern, beispielsweise Anton Pfeiffer, wurde er am Ende Juni 1933 nochmals festgenommen und im Stadelheimer Gefängnis inhaftiert. Die BVP löste sich kurz darauf am 4. Juli 1933 unter Druck des Regimes auf.

Rechts- und Steuerberater im NS-Staat „Über meine politische Tätigkeit in den Jahren 1933 bis 1945 ist nichts zu berichten, da eine solche gar nicht möglich war“, schrieb Schäffer mit verbittertem Ton in seinen Memoiren.115 Nach seiner Entlassung aus dem Gefängnis in Stadelheim im Juli 1933 war Schäffer zu seiner tiefen Enttäuschung und Erbitterung vom staatlichen Leben ausgeschlossen. Ab 1934 war er hauptsächlich als selbstständiger Rechts- und Steuerberater für die Arbeitsgemeinschaft Katholischer Klöster in Bayern tätig. In dieser Rolle versuchte er, die Klöster vor den Maßnahmen des NSStaats zu bewahren. Durch diesen Einsatz für die katholische Gemeinschaft stand er allerdings unter permanenter Überwachung der Geheimen Staatspolizei. Als Reaktion auf das Attentat auf Hitler am 20. Juli 1944 wurde Schäffer im Rahmen der „Aktion Gitter“ erneut verhaftet und vom 24. August bis zum 8. Oktober zur Verrichtung von Zwangsarbeit im Konzentrationslager Dachau verurteilt.116 Schäffer war jedoch am Attentat auf Hitler nicht beteiligt gewesen. Im Konzentrationslager Dachau traf er unter den Häftlingen auf Politiker aus den Parteien der Weimarer Republik, mit denen er sich über die politische Zukunft Deutschlands austauschte.117 Mit seinem politischen Weggefährten Karl Scharnagl teilte er sich eine Pritsche. Davon, dass die beiden BVP-Politiker bereits wenige Monate später in führenden Positionen am Wiederaufbau des bayerischen Staats beteiligt waren, konnten sie zu diesem Zeitpunkt allerdings lediglich träumen.

114 Vgl. Dierker, Nullen, S. 126. 115 BArchK, N1168/1, „Fragment des Manuskripts zu geplanten Lebenserinnerungen“, Bl. 60. 116 Nach dem gescheiterten Attentat auf Hitler am 20. Juli 1944 wurden im Rahmen der Vergeltungsaktion „Gitter“ am 23. und 24. August 1944 politische Gegner des Regimes (Sozialdemokraten, Kommunisten, Liberale und BVP-Mitglieder) von der Gestapo verhaftet. Für die Liste mit Namen: NA, RG260, 638 (A1), 274, 390, 46, 24, 1. 117 Vgl. Altendorfer, Fritz Schäffer, S. 851.

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Notstandverwaltung im Zeichen des staatlichen Wiederaufbaus In vielerlei Hinsicht versuchte Schäffer nach seiner Bestellung als Ministerpräsident bei seinen politischen Überzeugungen und Erfahrungen aus der Zeit vor 1933 anzuknüpfen. Von Anfang an stand die Politik seiner Regierung im Zeichen des Wiederaufbaus der bayerischen Eigenstaatlichkeit.118 Schäffer sah die Zukunft Bayerns, ähnlich wie während der Weimarer Republik, als Teil eines föderalistischen Bundesstaats, was er nachdrücklich gegenüber der amerikanischen Militärregierung erklärte.119 Dennoch verfügte der Ministerpräsident in dieser Phase nicht über ein Gesamtkonzept zur Gründung eines solchen Staats. Auch die Militärregierung war in der Frage nach der zukünftigen Staatsform und staatrechtlichen Aufteilung Deutschlands noch unentschlossen. Vielmehr war Schäffers Politik während der chaotischen Umstände der direkten Nachkriegszeit darauf ausgerichtet, kurzfristig die organisatorischen und personellen Voraussetzungen innerhalb der Ministerialverwaltung zu schaffen, dass eine langfristige, föderalistische Politik durch die bayerische Regierung ausgeübt werden konnte. Wenn die „deutsche Frage“ besprochen werden würde, sollte Bayern vorbereitet sein und über einen stabilen Staatsapparat verfügen. Die Grundlage der bayerischen Staatlichkeit – für Schäffer insbesondere verkörpert durch die bayerische Regierung und Ministerialverwaltung – musste nun erst wiederaufgebaut und konsolidiert werden, bevor über die bayerische Eigenstaatlichkeit – die Frage nach der Position des bayerischen Staats im deutsch-nationalen Zusammenhang – gesprochen werden konnte.120 Die Schwerpunkte von Schäffers Regierungstätigkeit lagen im Kontakt mit der Militärregierung, bei der Entnazifizierung und dem Wiederaufbau der Ministerialverwaltung sowie der Aufstellung des bayerischen Staatshaushalts.121 Das verbindende Element dieser Notstandsverwaltung war für Schäffer das christliche Sittengesetz. In seiner Regierungserklärung, die am 14. Juni 1945 im Radio München ausgestrahlt wurde, plädierte er für eine fundamentale christliche 118 Vgl. Foelz-Schroeter, Föderalistische Politik, S. 16 f.; Kock, Bayerns Weg, S. 102 f. Der Historiker Henzler weist in seiner Biografie über Schäffers politische Laufbahn nach 1945 darauf hin, dass aus den Quellen über Schäffers Regierung nicht hervorgeht, dass die Frage der „bayerischen Eigenstaatlichkeit“ bereits für Schäffer einen Schwerpunkt darstellte. Henzler übersieht jedoch, dass der von Schäffer angestrebte Wiederaufbau des bayerischen Staatsapparates bereits eine „föderalistische Vorentscheidung“ darstellte. Vgl. Niethammer, Die amerikanische Besatzungsmacht, S. 187 vgl. Henzler, Fritz Schäffer, S. 100. 119 Vgl. Gelberg, Einleitung, in: Protokolle Kabinett Schäffer, S. 50. 120 Vgl. dazu die Analyse des ehemaligen Leiters der Bayerischen Staatskanzlei, Fritz Baer, die allerdings als die eines Zeitgenossen gelesen werden muss: Baer, Ministerpräsidenten, S. 13 ff. 121 Vgl. Gelberg, Einleitung, in: Protokolle Kabinett Schäffer, S. 116–129.

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Neuorientierung in der Politik, in der sich wesentliche Elementen des BVP-Programms wiederfanden: „Die neue Regierung ist sich in allen ihren Männern einig, daß das christliche Sittengesetz oberste Richtschnur ist und bleibt, auch für den Staat.“122 Schäffer merkte auch an: „Die Mitglieder der neuen Landesregierung sind keine Vertreter irgend einer politischen Partei der früheren Zeit.“ Damit wollte Schäffer gegenüber der Militärregierung betonen, dass er sich bei seiner Personalauswahl nicht von Parteipolitik hatte beeinflussen lassen. Die Militärregierung hatte am Kriegsende alle politischen Parteien und Aktivitäten verboten. Dieses Verbot war nicht zuletzt im Interesse Schäffers, dessen Innenpolitik stark von seiner Angst vor einem politischen Linksrutsch in der „politisch und moralisch“ zutiefst verunsicherten Bevölkerung geprägt wurde. Aus diesem Grund wollte er deren Politisierung und eine Demokratisierung der Regierung unbedingt vermeiden.123 So lang es kein Parlament gab, musste sich der Ministerpräsident nicht mit Parteipolitik beschäftigen und bildete eine verlässliche etatistische Elite – und damit war nicht der pluralistische Bayerische Landtag gemeint – als politische Grundlage für den Wiederaufbau des Staats. Dies erklärt auch Schäffers Skepsis und Protest, als die Militärregierung Mitte August wegen der Konkurrenz mit der russischen Besatzungszone politische Parteien zulassen wollte.124 Zugleich wollte Schäffer mit dem Verweis auf seine unpolitische Art der Regierung der Bevölkerung den Eindruck vermitteln, dass nun alle durch die neue Regierung repräsentiert wurden. So stellte es sich Schäffer vor und so passte es in die Vorstellung der BVP vom bayerischen „Staatsvolk“. 122 Für den Text der Regierungserklärung siehe: Quellen Band 1, S. 190 ff. 123 Vgl. Barbara Fait, Einleitung, in: Alf Mintzel/Barbara Fait (Hrsg.), Die CSU 1945–1948. Protokolle und Materialien zur Frühgeschichte der Christlich-Sozialen Union, Berlin 1993, S. III–XCVI, hier VI. 124 Schäffer äußerte seine Skepsis zu den Demokratisierungsplänen der Militärregierung ausführlich während der Ministerratssitzung vom 22. August 1945. Vgl. Protokolle Kabinett Schäffer, S. 203 ff. Schäffer war nicht der Einzige, der die Demokratisierung mit Sorgen erfüllte. Noch Ende 1945 und Anfang 1946 empfing die Staatskanzlei – als Schäffers Nachfolger Hoegner bereits im Amt war – Schreiben von Bürgern aus Bayern, in denen dafür plädiert wurde, die Diskussion über die Zukunft des bayerischen Staats nicht in der Öffentlichkeit zu führen. Der Ministerpräsident müsse, so hieß es in einem Schreiben vom 25. Dezember 1945, weil er zu dem Zeitpunkt nicht an einem Parlament gebunden war, seinen Einfluss geltend machen und verbieten, dass im Rundfunk, in der Presse und in den parteipolitischen Versammlungen über die staatspolitische Stellung Bayerns gesprochen werde. Diese Schreiben sind exemplarisch dafür, dass die Tendenz, obrigkeitsstaatliche und etatistische Mittel einzusetzen, um den bayerischen Staat wiederaufzubauen, nicht nur bei Fritz Schäffer vorherrschte. Allerdings wurde dieser Vorschlag durch Hans von Herwarth im Namen der Staatskanzlei am 14. Januar 1946 abgelehnt. Herwarth betonte, dass ein solches Verbot nicht möglich sei, weil in jedem demokratischen Staatswesen jeder Staatsbürger das Recht auf freie Meinungsäußerung habe. Siehe exemplarisch: BayHStA, StK 10912, Egbert Bruckner an den Ministerpräsidenten Wilhelm Hoegner, 25. Dezember 1945.

2.1 Fritz Schäffer und das „bayerische Experiment“



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Die Regierung sollte auch die sonderstaatliche Tradition Bayerns wiederaufbauen und konsolidieren.125 Der Ministerpräsident verurteilte in seiner Rundfunkrede mit starken Formulierungen den politischen Zentralismus der Weimarer Republik und der NS-Zeit sowie den „preußischen Militarismus“, den er als „unbayerisch“ bezeichnete.126 Als Antwort auf die preußischen Gefahren plädierte Schäffer für eine starke „bayerische Heimat“. Dabei benutzte er wohl den Begriff „Heimat“, um nicht in Konflikt mit der Militärregierung zu geraten, die zu diesem Zeitpunkt nichts von einem bayerischen „Staat“ wissen wollte.127 Bayern sollte – solange auf Reichsebene ein verfassungsrechtliches Machtvakuum herrschte – die Chance nutzen, ihre von der Weimarer Republik und vom NS-Regime geschwächte „Staatspersönlichkeit“ zurückzugewinnen.128 Konkret sollte die bayerische Verwaltung, vor allem auf den Gebieten der Justiz, der Finanzen und des Verkehrs, so viele Kompetenzen wie möglich von der fehlenden Reichsverwaltung übernehmen. Insgesamt dauerte die Regierungszeit von Fritz Schäffer lediglich vier Monate. Auf Grund von Spannungen zwischen Schäffer und einigen Vertretern der amerikanischen Militärregierung, die insbesondere das Resultat von Schäffers Personalpolitik waren (siehe Kapitel 3.1), wurde der Ministerpräsident bereits am 28. September durch Oberbefehlshaber Dwight D. Eisenhower entlassen. In seiner kurzen Regierungszeit war er kaum in der Lage, sich mit der aktiven Politik und der langfristigen politischen Zukunft des Freistaats zu beschäftigen. Vielmehr stand seine Regierungszeit unter strenger Aufsicht der Militärregierung im Zeichen des kurzfristigen staatlichen Wiederaufbaus und der Entnazifizierung der Beamtenschaft. Dennoch prägten Schäffers Entscheidungen die Organisation und das Führungspersonal weit über seine kurze Amtszeit hinaus. Mit Schäffer kehrte die ideologische Grundhaltung des ehemaligen rechten Flügels der BVP nach dem Krieg in die Staatskanzlei zurück: eine Mischung aus katholischen, föderalistischen, etatistischen und autoritären, illiberalen und antiparlamentarischen Vorstellungen. Diese Elemente prägten das Personal, Selbstverständnis, Handeln und die Organisationskultur der Staatskanzlei zumindest bis in die 1960er Jahre – und teilweise bis heute. Eine Personalentscheidung stellte sich dabei als besonders entscheidend heraus: die Berufung von Anton Pfeiffer.

125 126 127 128

Vgl. Niethammer, Mitläuferfabrik, S. 163. Quellen Band 1, S. 190. Vgl. Ebenda. Zit. nach: Pfeiffer, Wie Bayern, in: Bayerische Staatskanzlei (Hrsg.), Unser Bayern, S. 9.

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2.2 Architekt und Organisator: Anton Pfeiffer Für Fritz Schäffer stand bereits im Vorfeld seiner Berufung zum Ministerpräsidenten fest, dass er zur Erfüllung seiner umfangreichen Aufgaben eine ihm direkt unterstellte Behörde für die Koordinierung der bayerischen Ministerialverwaltung benötigte. Erste Überlegungen zur Organisation und den Aufgaben äußerte er am 20. Mai 1945 in einem Gespräch mit seinem langjährigen BVP-Weggefährten, Anton Pfeiffer.129 Die nachfolgenden Gespräche über die Geschäftsverteilung und Aufgaben der Staatskanzlei verliefen zwischen beiden zunächst mühsam (siehe Kapitel 4.1). Obwohl sie sich über die politische Zielsetzung einig waren – ein rascher Aufbau des bayerischen Staats – hatten sie dabei unterschiedliche Vorstellungen über die Rolle der Staatskanzlei. Pfeiffer konnte Schäffer schließlich von seinen Organisationsplänen überzeugen und hatte im Sommer 1945 einen entscheidenden Konzeptionellen Part beim Aufbau der Behörde. Nach dem Rücktritt Schäffers übernahm er im Oktober 1945 offiziell die Leitung. Pfeiffers politischen Vorstellungen wurden offensichtlich durch seine Erfahrungen und politische Vorstellungen aus der Weimarer Republik geprägt, die viele Übereinstimmungen mit denen von Schäffer aufwiesen.

Pfeiffer in der Weimarer Republik Pfeiffer wurde am 7. April 1888 geboren und wuchs in Rheinzabern in der Pfalz auf. Das gehörte zu diesem Zeitpunkt zwar zum Königreich Bayern, war jedoch eine Region außerhalb des historisch gewachsenen bayerischen Kerngebiets.130 Pfeiffer wuchs mit Geschwistern in einem konservativ bürgerlich-katholischen El129 Auch hier spielte Karl Scharnagl eine vermittelnde Rolle, denn auf Anraten des Münchener Oberbürgermeisters setzte sich Pfeiffer für eine Funktion innerhalb einer zukünftigen bayerischen Landesregierung mit Schäffer in Verbindung. Sie trafen sich Pfingstsonntag 1945 (?) in Schäffers Wohnung. Aus einer Aussage von Schäffers Tochter geht hervor, dass Schäffer sich bereits in den Tagen davor mit Pfeiffer in Verbindung setzten wollte. Der ehemalige Generalsekretär der BVP war jedoch nicht auffindbar, weil er bei einem Luftangriff von den Alliierten aus seinem Haus ausgebombt worden war; BayHStA, NL Anton Pfeiffer 540, „Besprechungen 1945“, S. 1–3. 130 Zur Zugehörigkeit der Pfalz zu Bayern vgl. Karl-Ulrich Gelberg, Die bayerische Pfalzpolitik 1945–1956. Mit einem Quellenanhang, in: Zeitschrift für bayerische Landesgeschichte 58 (1995), H. 2, S. 637–672, hier S. 639–642; Peter Claus Hartmann, Bayern und Pfalz von 1816 bis 1945. Rheinkreis, Regierungsbezirk des Königreiches und ab 1918 des Freistaates Bayern, in: Zeitschrift für bayerische Landesgeschichte 77 (2014), H. 2, S. 455–473; Hans Fenske, Pfalz (19./20. Jahrhundert), publiziert am 12.06.2006; in: Historisches Lexikon Bayerns, URL: http://www.historisches-lexikonbayerns.de/Lexikon/Pfalz_(19./20._Jahrhundert) [4. September 2019].

2.2 Architekt und Organisator: Anton Pfeiffer



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ternhaus auf. Nachdem er 1907 sein Abitur in Speyer abgelegt hatte, studierte er, wie sein Vater, Englische und Französische Philologie an der Ludwig-MaximiliansUniversität in München.131 Dieses Studium schloss er zunächst mit dem Staatsexamen für das höhere Lehramt und 1913 mit einer Promotion ab.132 Doch schon in jungen Jahren interessierte sich Pfeiffer für mehr als Sprache und Literatur. So besuchte er während seiner Studentenzeit in München ebenfalls Vorlesungen zu Verfassungsfragen, Volkswirtschaft und Geschichte – die Kernthemen seiner späteren politischen Laufbahn.133 Den Ersten Weltkrieg verbrachte er vom Militärdienst freigestellt an einer Münchener Realschule, wo er Englisch und Französisch unterrichtete. Ähnlich wie bei Fritz Schäffer, führte die Revolution von Kurt Eisner und deren Folgen zum Eintritt Pfeiffers in das politische Leben. Aus direkter Nähe erlebte er in München, wie die bayerische Monarchie gestürzt und die darauf folgende Räterepublik unter chaotischen Umständen niedergeschlagen wurde. Diese Ereignisse waren für Pfeiffer der konkrete Anlass, in die bayerische Politik einzutreten und dem sozialistischen Gedankengut den christlichen Staatsgedanken entgegenzusetzen.134 Dabei profitierte der junge Lehrer aber zugleich von den Möglichkeiten, die die neugegründete BVP ihm zu bieten hatte, um seinen Wunsch, politisch aktiv zu werden, umzusetzen.135 Es handelte sich bei Pfeiffers Handeln um eine Mischung aus politischer Überzeugung und persönlichem Interesse. So trat auch Pfeiffer der BVP schon in der Gründungsphase bei und wurde trotz seiner geringen Erfahrung zum Leiter des Generalsekretariats der Partei ernannt. Dieses übernahm er zunächst ab Mitte November 1918 kommissarisch, ab

131 Vgl. Schlemmer, Anton Pfeiffer, in: Buchstab (Hrsg.), Verantwortung, S. 289. 132 Vgl. Anton Pfeiffer, Thomas Hope’s „Anastasius“ und Lord Byron’s „Don Juan“, München 1913. 133 Aus der Autobiografie des renommierten deutschen Nationalökonomen Moritz Julius Bonn geht hervor, dass Pfeiffer zu seinen ersten Schülern an der Handelshochschule in München gehörte. Vor diesem Hintergrund ist es wahrscheinlich, dass Pfeiffer zumindest die Vorlesungen zum Thema Volkswirtschaft nicht an der Universität München sondern an der Handelshochschule besuchte. Bonn war zu diesem Zeitpunkt Direktor der Handelshochschule. Diese hatte er im Herbst 1910 mit Unterstützung der Stadt München und der Handelskammer und in Anwesenheit des späteren und letzten König Bayerns, Ludwig III., eröffnet. Er war ausgesprochen international orientiert – vor allem gegenüber den Vereinigten Staaten und Großbritannien – und verfügte über vielfältige Kontakte zu nationalen und internationalen bedeutsamen Politikern sowie Staatssekretären und Ministerialbeamten in den Reichsministerien. Vgl. Moritz Julius Bonn, So macht man Geschichte. Bilanz eines Lebens, München 1953, S. 142–150, 402. 134 Vgl. Schlemmer, Anton Pfeiffer, in: Buchstab (Hrsg.), Verantwortung, S. 290; Reuter, Graue Eminenz, S. 13 ff.; Reuter-Boysen, Anton Pfeiffer, in: Aretz/Morsey/Rauscher (Hrsg.), Zeitgeschichte, S. 127. 135 Vgl. Reuter, Graue Eminenz, S. 13.

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Februar 1919 dann dauerhaft. Von dieser Funktion aus gestaltete er den politischen Kurs der BVP grundlegend mit und rückte so in das Zentrum der bayerischen Politik. Zu seinen Zuständigkeiten zählten die Parteifinanzen, die Organisation von Wahlkämpfen und die Bereitstellung von Informations- und Propagandamaterial.136 Außerdem setzte er sich intensiv für den Aufbau einer Jugendorganisation der BVP ein.137 Er wurde im Laufe der 1920er Jahre zu einem wichtigen Mitglied der Parteiführung und 1928 in den Bayerischen Landtag gewählt. So entfaltete der Lehrer Pfeiffer seine diplomatischen und organisatorischen Talente nun als Generalsekretär der BVP – Qualitäten auf, die er auch nach 1945 zurückgreifen konnte. Persönliche Talente waren nicht das Einzige, das ihm nach der NS-Zeit zugutekam. 1927 gründete er in seiner Privatwohnung im Münchner Stadtteil Nymphenburg das „Amerikanische Institut“, eine Privatschule, die sowohl von der Bayerischen Staatsregierung als auch vom Reichsaußenminister Gustav Stresemann und dem Auswärtigen Amt unterstützt wurde.138 Die Schule bot einen Lehrplan nach dem amerikanischen Modell an und diente als Beratungsstelle für amerikanische Studenten und Professoren, die im Rahmen eines Studiums- oder Forschungsaufenthalts Deutschland besuchen wollten. Außerdem unterhielt das Institut Kontakte mit amerikanischen Journalisten und bot spezielle Kurse für Anwärter des amerikanischen Auswärtigen Dienstes an. Vieles spricht dafür, dass der Aufbau des Instituts durch unterschiedliche Faktoren motiviert war. Zuerst konnte Pfeiffer seine Sprachkenntnisse in der Praxis anwenden, so wie er das bereits vor dem Ersten Weltkrieg auf der „Coit School for American Boys“ getan hatte.139 Bereits zu diesem Zeitpunkt hatte Pfeiffer Kontakte 136 Vgl. Anton Pfeiffer (Hrsg.), Gedankenwelt und Tätigkeit der Bayerischen Volkspartei, München 1922. 137 Vgl. Anton Pfeiffer, Jugendorganisation der Bayerischen Volkspartei, München 1925. 138 Aus einem Brief an Gustav Stresemann aus April 1926 geht hervor, dass Anton Pfeiffer über eine seinen Brüder Kontakt zu Stresemann zu knüpfen versuchte. Ob es sich dabei um Peter oder Maximilian Pfeiffer handelte, die beide zu diesem Zeitpunkt im Auswärtigen Amt arbeiteten, geht aus dem Brief nicht hervor. Anton Pfeiffers Ziel war, den Reichsaußenminister bei seinem Besuch 1926 an München zu sich nach Hause einzuladen; PAAA, NL Gustav Stresemann 13, Brief Anton Pfeiffer an Gustav Stresemann, 7. April 1926. Amerikanische Privatschulen gab es zu diesem Zeitpunkt bereits in Frankreich und in der Schweiz. Pfeiffer reiste 1926 im Auftrag des Auswärtigen Amts in die Vereinigten Staaten, um dort sein Vorhaben zur Gründung des Instituts mit dem deutschen Botschafter in Washington, dem deutschen Generalkonsul in New York sowie dem deutschen Konsulat in Chicago zu besprechen. Außerdem besuchte er während dieser Reise zehn große amerikanische Universitäten. Vgl. Reuter, Graue Eminenz, S. 69–75. 139 Vgl. ebenda, S. 3 ff. In der Weimarer Republik gab es ein großes Interesse am amerikanischen Schul- und Bildungswesen. Das amerikanische Model galt in der Weimarer Republik als „die Schule der Demokratie“ und wurde für seine integrativen Leistungen für die demokratische

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zu einflussreichen amerikanischen Kreisen aus der Politik, Wirtschaft und Kultur geknüpft.140 Dadurch war er sich des Stellenwerts solcher Beziehungen während seiner politischen Laufbahn ab 1918 bewusst. Darüber hinaus bot ihm der Aufbau des Instituts 1927 die Möglichkeit, sich an den politischen und diplomatischen Beziehungen zwischen den Vereinigten Staaten einerseits und Deutschland und Bayern anderseits zu beteiligen. Dies passte zum Streben der BVP, im Interesse des Freistaats aktiv auf die Außenpolitik und internationale Beziehungen des Reiches Einfluss nehmen zu können. Wohl warben die konservative Bayerische Staatszeitung und die Bayerische Volkspartei-Correspondenz (BVC) aktiv für die Tätigkeit des Instituts.141 Dies war nicht selbstverständlich, denn in politisch konservativbürgerlichen Kreisen war der „Anti-Amerikanismus“ während der Weimarer Republik ein noch weitverbreitetes Phänomen.142 Pfeiffer gelang es, über sein Institut ein umfangreiches internationales Netzwerk aufzubauen. Dies war ihm besonders nach dem Zweiten Weltkrieg vom Nutzen, denn viele amerikanische Diplomaten und Professoren, die er bereits während der Weimarer Republik kennengelernt hatte, und mit denen er freundschaftliche Kontakte unterhielt, kehrten nach dem Zweiten Weltkrieg als Vertreter der Militärregierung zurück nach Deutschland. So verfügte Pfeiffer über direkte Verbindungen zu Vertretern der Militärregierung, unter anderem zu dem Diplomaten Robert D. Murphy, mit dem er schon seit 1920 befreundet war.

Gesellschaft bewundert. Ob solche pädagogischen Überlegungen auch bei Pfeiffer eine Rolle spielten, bleibt unklar, ist jedoch höchst unwahrscheinlich. Es ist nicht nachzuweisen, dass Pfeiffer und die BVP mit einer Reform des bayerischen Bildungswesens zur Stärkung der demokratischen Gesellschaft beitragen wollten. Stattdessen standen sie der Demokratie vielmehr skeptisch und ablehnend gegenüber. Vgl. Thomas Koinzer, Das pädagogische Amerika in der Weimarer Republik: Rezeption und Externalisation der „Schule der Demokratie“, in: Frank Becker/Elke Reinhardt-Becker (Hrsg.), Mythos USA. „Amerikanisierung“ in Deutschland seit 1900, Frankfurt am Main 2006, S. 135–150; Peter Berg, Deutschland und Amerika 1918–1929. Über das deutsche Amerikabild der zwanziger Jahre, Lübeck 1963, S. 156. 140 Vgl. Reuter-Boysen, Anton Pfeiffer, in: Aretz/Morsey/Rauscher (Hrsg.), Zeitgeschichte, S. 126. 141 Vgl. Reuter, Graue Eminenz, S. 70. 142 In der Weimarer Republik herrschte innerhalb der jeweiligen politischen Strömungen in Deutschland Dissens über die Bewertung der USA. Während ein Teil der Konservativen die Politik der USA und ihre „Massenkultur“ ablehnte, war ein anderer Teil von der amerikanischen Wirtschaftspolitik in Kombination mit der nationalen Machtpolitik beeindruckt. Vgl. Frank Becker, Amerikabild und „Amerikanisierung“ im Deutschland des 20. Jahrhunderts – ein Überblick, in: Frank Becker/Elke Reinhardt-Becker (Hrsg.), Mythos USA. „Amerikanisierung“ in Deutschland seit 1900, Frankfurt am Main 2006, S. 19–47, hier S. 20; Berg, Deutschland und Amerika, S. 93–96, 129– 157.

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Aktivitäten im konservativen Flügel der BVP Innerhalb der Bayerischen Volkspartei gehörte Pfeiffer dem rechten konservativen Schäffer-Flügel an.143 Eine umfangreiche Rede Pfeiffers aus Februar 1920 ist vor diesem Hintergrund interessant.144 Zuerst ging er hier ausführlich auf die Ursachen des verlorenen Weltkriegs ein.145 Dabei fällt auf, dass Pfeiffer zu diesem Zeitpunkt ganz im Sinne der sogenannten Dolchstoßlegende argumentierte.146 Der „Streit um den verschärften U-Bootskrieg“ und die Kriegserklärung der Vereinigten Staaten hätten die ersten Risse in der „vollkommenen Einheit“ des deutschen Volkes verursacht. Doch „mit tiefem Schmerz“ stellte Pfeiffer fest, dass zweitens „auch zahlreiche Angehörige des Deutschen [sic!] Volkes selbst“ zur militärischen Niederlage und zum Untergang des Kaiserreichs beigetragen hätten.147 Als dritten Faktor nannte er die Revolution in Bayern und Deutschland im November 1918. In Bayern seien die „Führer der unabhängigen Sozialdemokratie radikalster Richtung“ für die Revolution verantwortlich gewesen. Unterstützt hätten diese außerem „zweifelhafte Persönlichkeiten, deren Wiege nicht nur außerhalb Bayerns, sondern auch jenseits Deutschlands gestanden hatte, in galizischen, polnischen und russischen Gebieten“. Dazu bemerkte Pfeiffer, dass sich somit unter den „Befreiern des Bayerischen Volkes“ teilweise Leute befanden, denen „deutsches und bayerisches Denken, unsere gesunde bodenständige Art vollkommen fremd war und welche, da sie Söhne einer fremden, der slavischen oder semitische Rasse waren, alle Eigenschaften vermissen ließen, welche Führer des bayerischen Volkes zeigen sollten.“148 Weil sich nach Pfeiffers Darlegung unter den Leuten hinter der 143 Zu den Flügeln der BVP vgl. Schönhoven, Bayerische Volkspartei, S. 89–117. 144 Aus dem Dokument geht nicht hervor, für welches Publikum und aus welchem Anlass Pfeiffer diese Rede hielt. Inhaltlich lässt sich jedoch vermuten, dass es sich um eine Veranstaltung der BVP handelte. Für die Rede siehe: BayHStA, NL Anton Pfeiffer 325, „Meine Damen und Herren!“, ohne Datum [Februar 1920]. 145 Ebenda, S. 1 f. 146 Paul von Hindenburg benutzte den Terminus im November 1919, als er gegenüber dem von der Nationalversammlung eingerichteten „Untersuchungsausschuss für Schuldfragen“ erklärte, „die deutsche Armee ist von hinten erdolcht worden.“ Dennoch ist die Dolchstoßlegende nicht erst 1918 nach dem Krieg entstanden, sondern hatte sie eine Vorgeschichte die tief in den Ersten Weltkrieg zurückreichte und zurückging auf den Kampf des national-konservativen politischen Lagers gegen die sogenannten internen Feinde. Vgl. Dassen, Sprong, S. 376 f., Zit. nach S. 376. 147 Dazu ergänzte Pfeiffer: „Wie es immer in der Weltgeschichte geht, brachte die lange Dauer des Krieges eine gewisse radikalere Stimmung auch in solchen Kreisen mit sich, welche sonst konservativeren Gedanken anzuhängen pflegen. Auch die Bauernschaft und das Bürgertum waren von tiefer Unzufriedenheit erfüllt.“ Siehe: BayHStA, NL Anton Pfeiffer 325, „Meine Damen und Herren!“, ohne Datum [Februar 1920], S. 2. 148 Ebenda. Pfeiffer nannte in seiner Rede keine Nahmen. Dennoch bezog er sich mit diesen Aussagen sehr wahrscheinlich unter anderem auf die Personen Kurt Eisner, Ernst Toller, Erich

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Revolution zugleich Kommunisten und „sogar“ Anarchisten befunden hatten, habe die Revolution in Bayern innerhalb kürzester Zeit zu einer „Herrschaft der Straße“ geführt. Ganz im Sinne der Dolchstoßlegende sah Pfeiffer die Schuld für den verlorenen Ersten Weltkrieg insbesondere bei den Sozialdemokraten, Kommunisten, Anarchisten und osteuropäischen Ausländern. In einem späteren Teil seiner Rede ging Pfeiffer explizit auf die sogenannte Judenfrage ein und zeigte sich hier von einer antisemitischen Seite. Mit den Ausländern aus Osteuropa meinte Pfeiffer vor allem die sogenannten Ostjuden, die er in seiner Rede von den deutschen Juden unterschied. Pfeiffer beklagte sich in Hinblick auf die deutschen Juden darüber, „dass einzelne Juden es verstanden sich einerseits die Lasten des Krieges an Gut und Blut wesentlich zu erleichtern und andererseits aus der Notlage ihrer Volksgenossen Honig zu saugen und Kapital zu schlagen“.149 „Am schlimmsten“ fand Pfeiffer jedoch die nicht in Deutschland geborenen Juden – die Ostjuden –, die er insbesondere für die politischen Unruhen der Novemberrevolution verantwortlich hielt. Er bezeichnete der Volksstaat Bayern nach der Revolution als „ein Paradies jüdischer Betriebsamkeit“.150 Obwohl Antisemitismus in Pfeiffers späteren Schriften und Reden aus der Weimarer Republik keine Rolle spielte und nicht zu den Grundpfeilern seines politischen Denkens gehörte, sagt es viel über seine Ressentiments gegenüber der Novemberrevolution aus, dass er hier ohne Zurückhaltung rassistische Vorurteile über Juden bediente. Damit war er allerdings nicht allein, denn ähnliche antisemitische Gedanken waren in Bayern und ganz Deutschland nach November 1918 sowohl innerhalb als auch außerhalb des konservativen politischen Lagers weitverbreitet und führten zu Gewalt gegen die jüdische Bevölkerung.151 Nachdem Pfeiffer die Schuldfrage am verloren Ersten Weltkrieg und an der Novemberrevolution behandelt hatte, ging er auf seine „Schmerzen“152 über die Folgen für das politische System in Bayern und Deutschland ein. Rückblickend geht aus diesem Teil der Rede detailliert hervor, dass wesentliche Elemente von

Mühsam, Gustav Landauer und Eugen Levine, die jüdisch waren und während der Revolution beziehungsweise der Räterepubliken eine prominente Rolle gespielt hatten. Dabei zeichnete sich auch bei Pfeiffer die Tendenz ab, Juden und Kommunisten als Synonym zu sehen. Obwohl viele prominente Kommunisten jüdisch waren, befand sich ein Großteil der jüdischen Bevölkerung in Deutschland im gemäßigten links-liberalen Lager und wählte die DDP. Vgl. Dassen, Sprong, S. 368 f. 149 BayHStA, NL Anton Pfeiffer 325, „Die Judenfrage“, ohne Datum [Februar 1920], S. 1. 150 Ebenda, S. 2. 151 Vgl. Dassen, Sprong, S. 366–384. 152 BayHStA, NL Anton Pfeiffer 325, „Meine Damen und Herren!“, ohne Datum [Februar 1920], S. 3 f.

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Pfeiffers politischen Auffassungen, die er auch nach 1945 weiterverfolgen sollte, bereits zu diesem Zeitpunkt präsent waren: Er kritisierte die starke Stellung des Bayerischen Landtags im Vergleich zu der Situation vor 1918, plädierte für eine Revision der Bayerischen Verfassung (Bamberger Verfassung) von 1919 zur Stärkung der bayerischen Eigenstaatlichkeit und für eine Stärkung der exekutiven Macht in der Form eines Bayerischen Staatspräsidenten.153 So waren bei Pfeiffer – ähnlich wie bei Fritz Schäffer – stets autoritäre, antiparlamentarische Züge spürbar, die symptomatisch für die meisten BVP-Mitglieder des rechten Flügels waren.154 Zugleich unterstützte Pfeiffer den offensiven Föderalismus seiner Partei, kritisierte den Verlust der Reservatrechte und warb für eine Reichsreform zur Stärkung der Länder auf Kosten des Reiches. „Es ist eine schmerzliche, wohl keinem Bayern, der sich überhaupt für politische Fragen interessiert, unbekannte Tatsache, daß die neue Reichsverfassung vom 11. August 1919 die bayerischen Sonderrechte, oder besser gesagt das staatliche Eigenleben Bayerns so außerordentlich einengt, daß von einem Staat Bayern kaum noch die Rede sein kann“, lautete seine Kritik in Richtung Berlin.155 Neben der zentralistischen Finanzverfassung war die einheitliche Außenpolitik des Reiches, die Bayern das Recht zur selbständigen Unterhaltung von Gesandtschaften genommen hatte, Pfeiffer ein Dorn im Auge. Die bayerische Außenpolitik gehörte zum Kern von Pfeiffers Verständnis bayerischer Eigenständigkeit. Es ist vor diesem Hintergrund wenig überraschend, dass er sich am Ende der 1920er Jahre im Finanzausschuss des Landtags gegen die von der Kommunistischen Partei Deutschlands (KPD) beantragten Auflösung des bayerischen Außenministeriums aussprach.156 Trotz des Verlusts der bayerischen Gesandtschaften sollte die Staatsregierung nicht auf die verbliebene Möglichkeit verzichten, Einfluss auf die Außenpolitik des Reiches zu nehmen. Die Auflösung des Außenministeriums wäre, in Pfeiffers Augen, eine Kapitulation vor dem Unitarismus gewesen.157 Die Forderung nach einer Reichsreform geriet dennoch Anfang der 1930er Jahre in den Hintergrund. Vielmehr stand die Politik der BVP zu diesem Zeitpunkt im Zeichen der existentiellen, politischen und sozioökonomischen Krise der Weimarer Republik.158 Bereits während der 1920er Jahre hatte sich Pfeiffer kritisch zur NSDAP geäußert. So teilte er die Warnung des BVP-Landtagsabgeordneten Wilhelm Vielberth, dass Hitler eine „zentralistisch-unitaristische Diktatur“ anstrebe 153 154 155 S. 5. 156 157 158

Ebenda, S. 5–14. Vgl. Schlemmer, Anton Pfeiffer, in: Buchstab (Hrsg.), Verantwortung, S. 291. BayHStA, NL Anton Pfeiffer 325, „Meine Damen und Herren!“, ohne Datum [Februar 1920], Vgl. Reuter, Graue Eminenz, S. 47. Vgl. ebenda. Vgl. Schönhoven, Bayerische Volkspartei, S. 243–272.

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und sein Wirtschaftsgedanke den „Staatssozialismus“ beinhaltete.159 Dennoch befürwortete Pfeiffer im Jahre 1932 – ähnlich wie Fritz Schäffer – eine Einbindung der NSDAP innerhalb einer Reichsregierung mit der BVP und dem Zentrum.160 Doch diese Sondierungsgespräche, an denen er selbst beteiligt war, konnten die Machtübernahme Hitlers nicht verhindern. Anschließend unterstützte Pfeiffer 1933 die von Ritter von Lex geführten Koalitionsgespräche mit der NSDAP. Pfeiffer sah sich daraufhin immer wieder mit dem Vorwurf konfrontiert – vor allem nach 1945, er habe mit seiner Politik sogar die Machtübernahme Hitlers ermöglicht. Dabei wurde außerdem daraufhin verwiesen, Pfeiffer habe 1933 als BVP-Landtagsabgeordneter dem Ermächtigungsgesetz in Bayern zugestimmt.161

Im Schuldienst während der NS-Zeit Trotz des von Pfeiffer mitgetragenen Koalitionskurses der BVP stand er – ähnlich wie andere prominente BVP-Mitglieder – unter der politischen Beobachtung der NSDAP. Er wurde am 28. Juni 1933 von der SA in „Schutzhaft“ genommen und ins Stadelheimer Gefängnis gebracht, wo sich Fritz Schäffer bereits seit einiger Zeit befand. Nach der Auflösung der BVP und seiner Freilassung versuchte Pfeiffer, in den Schuldienst zu zurückzukehren. Das von ihm gegründete Amerikanische Institut passte jedoch nicht zur Vorstellung der nationalsozialistischen Schulpolitik. Zu Pfeiffers tiefer Enttäuschung wurde es unter Druck des NS-Regimes schließlich geschlossen.162 Aus politischen Gründen wurde Pfeiffers Rückkehr in den Schuldienst erst mit erheblicher Verzögerung genehmigt und er arbeitete in München auf einer Oberschule. Zwischen 1933 und 1945 führte er ein zurückgezogenes Leben und stand lediglich mit wenigen Gleichgesinnten in Verbindung. Ostern 1939 erhielt er eine Privataudienz beim neugekrönten Papst Pius XII. Außerdem besuchte er zwischen 1940 und 1942 seinen Bruder, Peter Pfeiffer, der als Generalkonsul für das Auswärtige Amt arbeitete, in Rom, Tirana, Algiers und Paris.163 Im Juli 1944 wurde die Wohnung der Familie Pfeiffer bei einem alliierten Luftangriff zerstört. So hielt sich Anton Pfeiffer – der kurz vor Kriegsende zum Volkssturm eingezogen wurde – in einem Münchner Vorort auf, als die deutsche Wehrmacht kapitulierte. 159 BayHStA, NL Anton Pfeiffer 327, „Zur Entwicklung des Nationalsozialismus in Bayern“, S. 15. 160 Pfeiffer war persönlich an den Gesprächen beteiligt, was aus einem Brief an seine Mutter hervorgeht: IfZ, ED 355/12, Brief Anton Pfeiffer an Mutter, 5. September 1932. 161 Vgl. Schlemmer, Anton Pfeiffer, in: Buchstab (Hrsg.), Verantwortung, S. 293. 162 Vgl. ebenda, S. 292 f. 163 BayHStA, NL Anton Pfeiffer 1, Wichtigste Lebensdaten von Dr. Anton Pfeiffer, ohne Datum. Siehe zu den Reisen Pfeiffers während der NS-Zeit auch die Korrespondenz mit seinem Bruder Peter Pfeiffer in: IfZ, ED 355/22 und ED 355/23.

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Nach dem Krieg Pfeiffer strebte nach dem Krieg einen raschen staatlichen Wiederaufbau an und profilierte sich dabei als Organisator. Er war im Sommer 1945 einer der wichtigsten Mitglieder des Münchner Gründerkreises der CSU und beriet über die Frage, wie eine christliche Sammlungspartei aussehen könnte. Pfeiffer hatte bereits Anfang Juli 1945 im Gespräch mit den Vertretern der Militärregierung vorsichtig angedeutet, dass sich die BVP in Bayern zu einer „am weitesten rechts stehenden nichtsozialistischen Sammlungspartei“ entwickeln könnte, falls es dort für die Deutsche Volkspartei und die Deutschnationale Partei keine Zukunft gebe.164 Die Meinungen im Münchner CSU-Gründerkreis,165 der sich am 14. August 1945 zum ersten Mal traf, über eine mögliche christliche Sammlungspartei gingen jedoch weit auseinander und resultierten über die Gründungszeit hinaus in einem erbittert geführten, internen Richtungsstreit.166 Ein „fortschrittlicher Flügel“ um den Münchner Rechtsanwalt Josef Müller plädierte für einen Neubeginn und trat für eine liberal-konservative, interkonfessionelle-christliche Sammlungspartei mit einer gemäßigten föderalistischen Politik unter Abkehr von der BVP-Tradition ein.167 Den Gegenpol zum Müller-Flügel bildete der in der Tradition der BVP stehende katholisch-konfessionelle, konservativ-etatistische und radikal föderalistische Flügel um Fritz Schäffer und seinen aufstrebenden Adjutanten Alois Hundhammer.168 Dieser Flügel problematisierte in der direkten Nachkriegszeit insbesondere die „bayerische Frage“, das heißt „die Frage nach der Position Bayerns innerhalb eines nationalen Staatswesens“.169 Zwischen diesen beiden Hauptflügeln der CSU befand sich der kleinere sogenannte Bauernflügel um Joseph Baumgartner, Michael Horlacher und Alois Schlögel. Die Akteure dieser einflussreichen „Pressure Group“ standen dem rechten Parteiflügel näher als dem progressiven, und bekleideten in der Nachkriegszeit Schlüsselpositionen in der bayerischen

164 BayHStA, NL Anton Pfeiffer 32, „Aktennotiz über ein Gespräch betreffend Parteibildung mit den amerikanischen Sergeanten Coleman und Harrisen“, 6. Juli 1945, S. 3. 165 Obwohl 1945 ebenfalls in Würzburg, Bamberg, Nürnberg und Regungsburg Gründungskreise der CSU entstanden, beanspruchte der Kreis in München für sich eine Führungsrolle und sah sich als Keimzelle für ganz Bayern. Dazu und für die Zusammensetzung des Kreises vgl. Fait, Einleitung, in: Mintzel/Fait (Hrsg.), Die CSU, S. IX–XI; Schlemmer, Aufbruch, S. 9–17, 49–58. 166 Vgl. Schlemmer, Aufbruch, S. 111–118. 167 Programmatische Ausführungen vom Müller-Flügel liegen, im Gegensatz zum konservativen CSU-Flügel, nicht vor, sodass es hier schwierig ist, um über plakative Beschreibung hinaus ein kohärentes Programm zu erkennen. Vgl. Mintzel, CSU, S. 84; Gelberg, Hans Ehard, S. 38. Zit. nach: Schlemmer, Aufbruch, S. 90. 168 Vgl. Mintzel, CSU, S. 84; Schlemmer, Aufbruch, S. 90 f. 169 Schlemmer, Aufbruch, S. 17, 90, Zit. nach S. 17.

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Agrarpolitik, was ihnen innerhalb der CSU ein entsprechendes politisches Gewicht verlieh.170 Pfeiffer schloss sich, um nicht ins politische Abseits gedrängt zu werden, dem konservativen Flügel an, dem er bereits während der Weimarer Republik angehört hatte. Pfeiffers politische Auffassungen stimmten jedoch nicht immer mit denen der Hauptprotagonisten des Schäffer-Hundhammer-Flügels überein. In seinem CSU-Programmentwurf vom September 1945 sprach er von einer christlichen Partei „aller Konfessionen“, statt wie Schäffer und Hundhammer nur am Katholizismus festzuhalten.171 Dennoch ist es schwierig, Pfeiffer eine Position zwischen den beiden Flügeln zuzuschreiben.172 Er vertrat in der Nachkriegszeit ohne Zurückhaltung die Standpunkte des rechten Flügels gegenüber dem Müller-Flügel und knüpfte bei seinen ausgesprochen föderalistisch-eigenstaatlichen Vorstellungen aus der BVP-Zeit an. Während der Besprechung am 14. August 1945 verwies Pfeiffer nach Müllers Erinnerungen „auf die einstige Größe und Bedeutung der BVP und vertrat […] die Meinung, Fritz Schäffer als ihr einstiger Vorsitzender habe ein primäres Recht, auch an die Spitze einer Neugründung zu treten“.173 Dieser Anspruch wurde vom Müller-Flügel jedoch nicht anerkannt und bei der nächsten Besprechung am 12. September konnte sich der Schäffer-Hundhammer-Flügel gegenüber dem progressiven Flügel nicht durchsetzen. Die Versammlung entschied sich – entgegen der Meinung des konservativen Flügels –, die zukünftige Partei Bayerische Christlich-Soziale Union zu nennen. Schäffer konnte bei der Zusammensetzung des neuen Ausschusses für die Organisation der Parteigründung seine Vertrauten nicht in Position bringen.174 Hatte Pfeiffer zwischen dem 14. August und 12. September 1945 die Arbeit des ersten sogenannten Redaktionsausschusses, der die Parteigründung vorbereiten sollte, noch geleitet und am 5. September sogar ein „Grundsatzprogramm einer Christlichen Volkspartei in Bayern“ abgeliefert, so stand nun auch der ehemalige BVP-Generalsekretär abseits 170 Vgl. ebenda, S. 91. 171 Pfeiffer wies in der Korrespondenz über das vorläufige Programm ausdrücklich darauf hin, dass es „durchaus nicht vollständig und lückenlos“ war. Für die Korrespondenz und den Entwurf: BayHStA, NL Anton Pfeiffer 41. Ein Abdruck des CSU-Parteiprogrammentwurfs von Pfeiffer befindet sich in: Reuter, Graue Eminenz, S. 320 f. sowie in: Konrad Repgen, Über die Anfänge des CSUProgramms von 1945, in: Andreas Kraus (Hrsg.), Land und Reich, Stamm und Nation: Probleme und Perspektive bayerisches Geschichte. Festgabe für Max Spindler zum 90. Geburtstag, Bd. 3: Vom Vormärz bis zur Gegenwart, München 1984, S. 459–472, hier S. 467 ff. 172 Dazu vgl. Reuter, Graue Eminenz, S. 124 f.; Gelberg, Hans Ehard, S. 38. 173 Josef Müller, Bis zur letzten Konsequenz. Ein Leben für Frieden und Freiheit, München 1975, S. 310. Müller verkörperte in der entstehenden CSU die junge Generation des Widerstands, während Schäffer als BVP-Traditionalist galt. Dieser Gegensatz war ein Boden für dauerhafte Konflikte. Vgl. Schlemmer, Aufbruch, S. 95–111; Mintzel, CSU, S. 83 f. 174 Vgl. Fait, Einleitung, in: Mintzel/Fait (Hrsg.), Die CSU, S. XVIII–XX.

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des politischen Geschehens.175 Ihm blieb nach dieser Niederlage lediglich die undankbare Rolle als Wortführer der innerparteilichen Opposition. Stattdessen benutzte er ab Oktober 1945 zunehmend die Bayerische Staatskanzlei als Koordinierungszentrum, um die politischen Vorstellungen des rechten Flügels der CSU weiter umzusetzen – vor allem in der bayerischen Außenpolitik. Anton Pfeiffer sah das verfassungsrechtliche Vakuum der Nachkriegszeit als eine Möglichkeit, um die seit 1871 schrittweise verloren gegangene bayerische Eigenstaatlichkeit so weit wie möglich wiederaufzubauen und abzusichern. Die Politik der Bayerischen Staatsregierung gegenüber der Militärregierung und den Ländern in der amerikanischen Besatzungszone sollte auf maximalen Eigenstaatlichkeitsansprüchen basieren.176 Außerdem verwies Pfeiffer in einem zehnseitigen Manuskript mit dem Titel „Unsere Lage im Sommer 1945 – Bayerns Erbteil aus der Naziherrschaft – Gedanken und Vorfragen zur Parteienbildung“, das er am 25. August 1945 zusammen mit Karl Schwend fertigstellte, auf die „ungeheuren Gestaltungsmöglichkeiten“ für den Neuaufbau des bayerischen Staats, der politischen Parteien und der Verfassung in der Nachkriegszeit hin.177 Dabei knüpfte er zwar in vielerlei Hinsicht an der Tradition des konservativen Flügels der BVP an, versuchte dieses Programm jedoch zugleich an die neue politische Situation nach dem Krieg anzupassen, ohne eine radikale Abkehr von der BVP im Sinne des MüllerFlügels anzustreben. Die Machtübernahme der Nationalsozialisten 1933 hatte Pfeiffers Insistieren in seinem Anspruch auf bayerische Eigenstaatlichkeit und eigenständige Außenpolitik noch verstärkt. Somit sollte die bayerische Eigenstaatlichkeit 1945 so schnell wie möglich wiederaufgebaut und abgesichert werden, bevor die jeweiligen Staaten einen nationalen föderalistischen Staat ausbauen konnten.178 Während einer Rede in der Sitzung des erweiterten CSU-Landesausschusses in München im Juli 1946 argumentierte Pfeiffer, offensichtlich vereinfachend und einseitig, dass Bayern ohne den „Berliner Zentralismus“ zu keinem Zeitpunkt „vom

175 Vgl. ebenda, S. XIX. 176 Protokoll Nr. 2: Ministerratssitzung, Samstag, 20. Oktober 1945, in: Die Protokolle des Bayerischen Ministerrats 1945–1962. Das Kabinett Hoegner I, bearb. V. Karl-Ulrich Gelberg, München 1997, S. 4–17, hier: S. 4–7. 177 BayHStA, NL Anton Pfeiffer 142, „Unsere Lage im Sommer 1945 – Bayerns Erbteil aus der Naziherrschaft – Gedanken und Vorfragen zur Parteienbildung“, 25. August 1945. 178 Während seiner Rede vor dem Bayerischen Beratenden Landesausschuss im Februar 1946 sprach Pfeiffer, der als Vertreter der Staatsregierung Mitglied im Ausschuss war, explizit seine Hoffnung für einen „föderativen Aufbau“ des Reichs aus: BayHStA, NL Anton Pfeiffer 320, „Die staatsrechtliche Entwicklung in Bayern seit dem Zusammenbruch des Dritten Reiches“, 26. Februar 1946, S. 14.

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Nationalsozialismus überrannt worden“ wäre.179 Dagegen betonte er während seiner Rede für den Bayerischen Beratenden Landesausschuss im Februar 1946 die Erfolge, die Bayern bereits auf dem Gebiet des Aufbaus der Ministerialverwaltung in bayerischer Tradition („die innere Stärkung der Staatspersönlichkeit“) erreicht hatte.180 Nicht zuletzt wies er daraufhin, dass sich bereits nahezu alle Verwaltungen, die zwischen 1871 und 1945 auf das Reich übergegangen waren, wieder in bayerischen Händen befanden.181 Bayern sollte beim föderalistischen Reichsaufbau, im Gegensatz zu 1919, nicht noch einmal die Chance verpassen, möglichst großen Einfluss auf die Reichsverfassunggebung zu nehmen. Zum Kampf um eine Verfassungsrevision wie in den 1920er Jahren sollte es nach 1945 erst recht nicht mehr kommen. Im Herbst 1945 spielte Pfeiffer kurzzeitig mit dem Gedanken einer „Donauföderation“, die Bayern, Baden, Württemberg und Österreich als Staat zusammenschließen sollte.182 Diese Neuordnungsvorstellung für Deutschland wurde ursprünglich von den Alliierten hinter geschlossenen Türen für die Nachkriegszeit entwickelt, jedoch nach Kriegsende nicht öffentlich verfolgt. Spätestens mit der Errichtung des Stuttgarter Länderrats in der amerikanischen Besatzungszone im November 1945 distanzierte sich Pfeiffer jedoch definitiv von diesen separatistischen Gedanken. Pfeiffers Meinung nach hatte neben dem Berliner Zentralismus außerdem die „Parlamentsomnipotenz“ beim Untergang der Weimarer Republik eine Rolle gespielt. Somit plädierte er im CSU-Programmentwurf im September 1945 für einen „organischen Aufbau eines demokratischen Staatswesens aus den gesunden Volks179 Pfeiffer hielt die Rede aus Anlass seiner Ernennung zum Sonderminister für die Entnazifizierung. Während der Sitzung des Ausschusses wurde die Übernahme des Amts durch Pfeiffer und die Konsequenzen für die CSU ausführlich von den leitenden CSU-Persönlichkeiten, darunter Josef Müller, diskutiert. Vgl. „Sitzung des Erweiterten Landesausschusses der Christlich-Sozialen Union am 6. Juli 1946 in München“, in: Alf Mintzel/Barbara Fait (Hrsg.), Die CSU 1945–1948. Protokolle und Materialien zur Frühgeschichte der Christlich-Sozialen Union, Berlin 1993, S. 481–488, hier S. 482. 180 BayHStA, NL Anton Pfeiffer 320, „Die staatsrechtliche Entwicklung in Bayern seit dem Zusammenbruch des Dritten Reiches“, 26. Februar 1946, S. 9. 181 Ebenda. 182 Vgl. Reuter, Graue Eminenz, S. 98. Die Idee einer Donauföderation verschwand nach 1945 jedoch keineswegs aus den politischen Debatten in Bayern. Als im März 1946 ein Artikel in der Schweizer Zeitung unter dem Titel „Staatenbund zwischen Rhein und Donau?“ erschien, in dem den Eindruck erweckt wurde, dass bayerische Minister die Idee einer Donauföderation unterstützten, entstand innerhalb der Bayerischen Staatsregierung Unruhe. Ministerpräsident Hoegner forderte über die Staatskanzlei daraufhin Stellungnahmen der jeweiligen Minister zum Artikel ein. Im Dezember 1946 gab es in Berlin sogar Gerüchte, dass Hoegner selbst aktiv an Gesprächen über eine solche Föderation mit politischen Vertretern aus Österreich beteiligt war. Siehe: BayHStA, StK 10911.

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kräften von unten nach oben mit einer festen Staatsführung ohne Wiederholung der gescheiterten formalen Demokratie mit ihrem übersteigerten Parlamentarismus“.183 Die Position der Exekutive im Verhältnis zur Legislative sollte im Vergleich zum Staatswesen der Weimarer Republik gestärkt werden. Somit unterstützte Pfeiffer während der Verfassunggebung 1946 den Plan eines Bayerischen Staatspräsidenten als Staatsoberhaupt Bayerns und Verkörperung der Eigenstaatlichkeit – eine Forderung, die bereits während der Weimarer Republik auf dem Programm des rechten Flügels der BVP gestanden hatte.184 Diesen Gedanken Pfeiffers in seiner Funktion als Leiter der Staatskanzlei stießen beim Schäffer-Nachfolger, den Sozialdemokraten Wilhelm Hoegner, auf Zustimmung. Obwohl er und Wilhelm Hoegner unterschiedlichen ideologischen Lagern entstammten, basierte ihre Beziehung auf einer gegenseitigen Vertrauensbasis und sie waren sich von Anfang an über den politischen Kurs gegenüber der Militärregierung und anderen Ländern in der amerikanischen Besatzungszone einig: Die Arbeit der Bayerischen Staatskanzlei und Staatsregierung sollte vor allem im Zeichen der Absicherung der bayerischen Staatlichkeit stehen. Bayern sollte so schnell wie möglich seine „Staatspersönlichkeit“ wiederaufbauen.185 Dafür hatte Pfeiffer ab Juli 1945 in der Staatskanzlei bereits die organisatorische Grundlage gelegt, deren politisches Potential im Gegensatz zur Regierungszeit von Schäffer weitreichender entwickelt und vor allem eingesetzt werden sollte.186

2.3 Föderalismus aus der Defensive: Wilhelm Hoegner Am Abend des 28. September 1945 wurde Wilhelm Hoegner in einer Art „Shakespeare-Szene“ im Hauptquartier der Militärregierung in München-Bogenhausen zum Nachfolger von Fritz Schäffer ernannt.187 Seine Position als Ministerpräsident 183 BayHStA, NL Anton Pfeiffer 41, „Grundsatz-Programm einer Christlich-Demokratischen Volkspartei in Bayern“, 5. September 1945. 184 Vgl. Sabine Kurtenacker, Der Einfluss politischer Erfahrungen auf den Verfassungskonvent von Herrenchiemsee, München 2017, S. 143; Barbara Fait, Demokratische Erneuerung unter dem Sternenbanner. Amerikanische Kontrolle bei der Verfassunggebung in Bayern 1946, Düsseldorf 1998, S. 298. 185 Pfeiffer, Wie Bayern, in: Bayerische Staatskanzlei (Hrsg.), Unser Bayern, S. 9. 186 Von Anfang an spielte Pfeiffer eine wichtige, beratende Rolle bei der Bildung der neuen Regierung und war zusammen mit dem Staatssekretär des Justizministeriums, Hans Ehard, eine zentrale Verbindung zwischen Hoegner und wichtigen Personen aus der neu entstandenen CSU. 187 Wilhelm Hoegner, Der schwierige Außenseiter. Erinnerungen eines Abgeordneten, Emigranten und Ministerpräsidenten, München 1959, S. 200. Eine große Rolle bei dieser Ernennung hatte im Hintergrund der amerikanische Geschichtsprofessor Walter L. Dorn gespielt. Dorn hatte als

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unterschied sich in vielerlei Hinsicht von der seines Vorgängers. Hatte die Militärregierung Schäffers Funktionsumschreibung noch als „temporary“ bezeichnet, so wurde Hoegner nun zum „Minister President for the State of Bavaria“ ernannt.188 Von Vorteil war für Hoegners Aktionsradius als Ministerpräsident auch, dass seine Ernennung mit der Verkündung der Proklamation Nr. 2 des Oberbefehlshabers der amerikanischen Streitkräfte in Europa vom 19. September 1945 zusammenfiel. Die Proklamation Nr. 2 ermöglichte Bayern einen Wandlungsprozess mit „Zuwachs an rechtlicher Fixierung und einer Zunahme staatlicher Befugnisse“.189 Dies bedeutete für Hoegner, dass seine hervorgehobene Position als Ministerpräsident im Ministerrat praktisch mit erweiterten Machtbefugnissen unter der Militärregierung untermauert wurde. Dennoch behielt sich das Office of Military Government for Bavaria (OMGB) weiterhin das letzte Wort vor.

Position als Ministerpräsident Nach der neuen Proklamation wurden Bayern und die anderen „Verwaltungsgebiete“ innerhalb der amerikanischen Besatzungszone als „Staaten“ mit einer „Staatsregierung“ bezeichnet.190 Außerdem übertrug die Militärregierung den Staaten nach Artikel III die „volle gesetzgebende, richterliche und vollziehende Gepersönlicher Berater des Chefs der G-5 Abteilung von USFET (Eisenhowers Hauptquartier), General Clarence Adcock, ein Untersuchungsbericht über die Entnazifizierungsprobleme der SchäfferRegierung verfasst. Er empfahl am 28. September General Eisenhower, Schäffer zu entlassen und Hoegner zu ernennen. Obwohl Dorn Hoegner nicht persönlich kannte, war er aus seiner Zeit als Leiter der Mitteleuropaabteilung der „OSS Research and Analysis Branch“ – ein dem Kriegsministerium der Vereinigten Staaten untergeordneter Nachrichtendienst – vertraut mit der Verlässlichkeit und dem antinationalsozialistischen Denken des 1933 ins Exil geflohenen Sozialdemokraten. Zum gleichen Zeitpunkt wie Dorn legte auch James K. Pollock, der Leiter der Abteilung für Regierungsstruktur im OMGUS Innenresort, aufgrund seine Inspektionsreise durch die amerikanische Besatzungszone einen Bericht über die Verwaltungsprobleme vor. Vgl. Walter L. Dorn, Inspektionsreisen in der US-Zone. Notizen, Denkschriften und Erinnerungen aus dem Nachlass, Stuttgart 1973, S. 10–12, 55–60; James K. Pollock, Besatzung und Staatsaufbau nach 1945. Occupation diary and private correspondance 1945–1948, München 1994, S. 1–33; Niethammer, Die amerikanische Besatzungsmacht, S. 207. 188 Zit. nach: Karl-Ulrich Gelberg, Einleitung, in: Die Protokolle des Bayerischen Ministerrats 1945–1962. Das Kabinett Hoegner I, bearb. V. Karl-Ulrich Gelberg, München 1997, S. XVII–CIX, hier S. LXXV. 189 Zit. nach: ebenda. 190 Zit. nach: Proklamation Nr. 2 des Oberbefehlshabers der Amerikanischen Streitkräfte in Europe, 19. September 1945, in: Quellen Band 1, S. 40 f., hier S. 40. Hoegner hat den Text der Proklamation vollständig in seinen Memoiren aufgenommen. Vgl. Hoegner, Schwieriger Außenseiter, S. 205 f.

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walt“, jedoch unter dem Vorbehalt der „übergeordneten Machtbefugnis der Militärregierung“.191 Bis zur Bildung des Bayerischen Landtags ging die Gültigkeit der staatlichen Gesetzgebung von der Genehmigung und Verkündung des Ministerpräsidenten aus.192 Die Proklamation wurde am 26. Dezember 1945 um ein Schreiben der Militärregierung ergänzt, um die deutsche Verwaltung in der amerikanischen Zone zu stärken. In diesem Dokument war jedoch nicht länger die Rede von Staaten in der amerikanischen Besatzungszone – was ein klares Signal in die Richtung der bayerischen Eigenstaatlichkeitsbestrebungen war – sondern von „Ländern“.193 Laut diesem Dokument übernahm Hoegner ab dem 1. Januar 1946 die „Verantwortung für den Gang der Regierungsgeschäfte im Lande Bayern“. Außerdem war die Rede von einer „selbständigen Staatsregierung“ mit vollziehender, gesetzgebender und richterlicher Gewalt.194 Dies bedeutete vor allem eine Stärkung von Hoegners Amt, denn die Kommunikation mit der Militärregierung sollte nun zentralisiert über sein Amt laufen und unterstand damit seiner Aufsicht und Kontrolle.195 Die Minister und Ministerien waren dem Ministerpräsidenten untergeordnet, der wiederum dem Direktor des OMGB. Durch diese neue Regierungspraxis konnte Hoegner einheitlicher als sein Vorgänger Schäffer gegenüber der Militärregierung auftreten und verfügte über wesentlich mehr Handlungsspielräume.196 Dies verstärkte darüber hinaus die Rolle der Staatskanzlei, denn der Berichtsverkehr 191 Proklamation Nr. 2 des Oberbefehlshabers der Amerikanischen Streitkräfte in Europa, 19. September 1945, in: Quellen Band 1, S. 41. 192 Ebenda. 193 Schreiben der Militärregierung für Bayern an den Bayerischen Ministerpräsidenten: Action to Strengthen German Civil Administration, 26. Dezember 1945, in: Ebenda, S. 42–46, hier S. 42. 194 Ebenda. 195 Vgl. Gelberg, Einleitung, in: Protokolle Kabinett Hoegner I, S. LXXVIII. 196 Es fällt auf, dass diese Machtposition des Ministerpräsidenten in vielerlei Hinsicht der Vorstellung von Hoegners „Staatspräsident“ aus seinem „Memorandum über die zukünftige Stellung des Landes Bayern“ und der zusätzlichen Erläuterung aus dem Jahre 1943 entspricht: „Für die Übergangszeit (bis zur Wahl einer bayerischen Volksvertretung) würde sich für Bayern etwa folgendes Verwaltungssystem empfehlen: 1. An der Spitze Bayerns soll ein Staatspräsident stehen, der im Rahmen der von den Besatzungsmächten gegebenen Möglichkeiten die höchste vollziehende und gesetzgebende Gewalt ausübt. Er hat auch den unmittelbaren Verkehr mit den Besatzungsbehörden“; Hoegner, Schwieriger Außenseiter, S. 172. In einer Erläuterung dazu, die von Hoegner nicht in seinen Memoiren aufgenommen wurde, ging er noch einen Schritt weiter. Er beschrieb den Staatspräsidenten als „Vertrauensmann der Besatzungsmacht“, der „für die Aufrechterhaltung der inneren Sicherheit und Ordnung und für die Durchführung der von den Besatzungsbehörden als notwendig erachteten Maßnahmen allein verantwortlich“ sei. Außerdem könne er Staatssekretäre (Hoegner rechnete noch nicht mit dem Einsatz von Ministern) ernennen und entlassen, und verfügte über ein Vetorecht gegenüber Mehrheitsbeschlüssen der Staatssekretäre. Vor allem die Erläuterung beschreibt die Machtposition Hoegners nach dem Schreiben der Militärregierung vom 26. Dezember 1945 genau. Vgl. Ritter, Arbeiter, S. 300 f.

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wurde von hier aus verarbeitet und koordiniert. Ein Schreiben der Militärregierung an die Staatsregierung bestätigte diese Zuständigkeiten, die früher in den Händen des Reiches gelegen hatten.197 Insgesamt ermöglichte die Militärregierung der Staatsregierung, sich als Exekutive zu etablieren, jedoch mit detaillierten, schriftlich festgelegten Vorbehalten und Eingrenzungen. Die Position und Handlungsspielräume der Staatsregierung verstärkten sich weiter, als die Militärregierung am 9. Juli 1946 mitteilte, dass die generelle Prüfung von Gesetzen und Verordnung durch das OMGB wegfalle und nur noch die wichtigsten Regierungsakte betreffe.198 Das Verhältnis zwischen der Militärregierung und der Bayerischen Staatsregierung wurde im Rahmen der Verfassunggebung mit einem Schreiben vom OMGUS am 30. September 1946 zugunsten der Selbstregierung der Länder neu definiert.199

Politische Erfahrungen in der Weimarer Republik Hoegners Politik stand in vielerlei Hinsicht unter dem Einfluss seiner Erfahrungen während der Weimarer Republik und im Exil während der NS-Zeit. Hoegner wurde am 23. September 1887 in Oberbayern geboren und gehörte somit der gleichen Generation wie Schäffer und Pfeiffer an. Hoegner studierte zwischen 1907 und 1911 Rechtswissenschaften an den Universitäten in München, Berlin und Erlangen und promovierte zu einem strafrechtlichen Thema.200 1914 und 1917 legte er die beiden juristischen Staatsexamen ab.201 Seine freiwillige Anmeldung zum Dienst nach dem Ausbruch des Ersten Weltkriegs wurde 1914 wegen seiner Herzprobleme abgelehnt. Stattdessen arbeitete er ab 1914 als Referendar (Rechtspraktikant) und wurde dafür auf den bayerischen König Ludwig III. vereidigt. Nach seiner Zu197 Vgl. Schreiben der Militärregierung für Bayern an den Bayerischen Ministerpräsident: Action to Strengthen German Civil Administration, 26. Dezember 1945, in: Quellen Band 1, S. 42–46, hier S. 43. 198 Gelberg, Einleitung, in: Protokolle Kabinett Hoegner I, S. LXXX. 199 Dieses Schreiben wurde bereits am 30. September verfasst, Hoegner jedoch erst am 3. Dezember 1946 nach der Verfassungsannahme überreicht. Auch hier galt, dass die Militärregierung sich zu jedem Zeitpunkt Eingriffsmöglichkeiten vorbehielt, falls sie ihre Besatzungspolitik gefährdet sah. Vgl. Schreiben des Office of Military Government of the United States for Germany (OMGUS) an die Direktoren der Militärregierungen der Länder über die Beziehungen zwischen Militärregierung und Zivilregierung, 30. September 1946, in: Quellen Band 1, S. 47–50. 200 Seine Dissertation beschäftigte sich mit der Frage, „ob der bedingten Verurteilung durch das Gericht oder der bedingten Begnadigung durch den Landesherrn der Vorzug zu geben sei“. Vgl. Kritzer, Wilhelm Hoegner, S. 26. 201 Die Zweite Staatsprüfung legte er als Bester in München und als Viertbester in Bayern ab. Vgl. ebenda, S. 26–30.

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lassung als Rechtsanwalt 1918 arbeitete er kurze Zeit in einer Anwaltspraxis, ehe er 1920 als III. Staatsanwalt der bayerischen Justizverwaltung beitrat. 1925 wurde er zum Amtsrichter, 1929 zum II. Staatsanwalt und im Januar 1933, kurz vor der Machtübernahme Hitlers, zum Landgerichtsrat in München befördert. So war Hoegner, ähnlich wie Schäffer, aus eigener Erfahrung mit der Eigenart der bayerischen Verwaltung vertraut. Bereits am 1. Mai 1933 wurde er aufgrund des nationalsozialistischen Gesetzes über die Wiederherstellung des Berufsbeamtentums aus dieser Funktion mit einem gekürzten Ruhestandsgehalt entlassen.202 Der Grund dafür war Hoegners politische Tätigkeit für die Sozialdemokratische Partei Deutschlands, die ihm im „Dritten Reich“ zum Verhängnis wurde. Hoegner war 1919 (zusammen mit seiner Frau Anna) der SPD beigetreten. Während Pfeiffer und Schäffer bereits 1918 die Novemberrevolution in Bayern als Anlass für ihren Eintritt in die Politik nahmen, trat Hoegner erst motiviert durch die politischen Unruhen in München nach der Ermordung von Kurt Eisner 1919 in die SPD ein.203 Dennoch lässt sich auch für Hoegner festhalten, dass seine politischen Überzeugungen, die stark von der materiellen Armut und den Erfahrungen aus seiner Jugend geprägt waren, bereits existent waren.204 Zwischen 1924 und 1932 repräsentierte Hoegner seine Partei als Abgeordneter im Bayerischen Landtag. Darüber hinaus war er zwischen 1930 und 1933 Reichstagsabgeordneter. Ein wesentlicher Teil seiner politischen Tätigkeit stand im Zeichen seines Kampfs gegen den Nationalsozialismus. So führte sein Antrag 1924 im Bayerischen Landtag zur Einsetzung eines Untersuchungsausschusses über den Hitler-Putsch 1923 und den Umgang der bayerischen Justiz mit Adolf Hitler.205 Viel Aufmerksamkeit bekam Hoegner, als er in einer Rede am 18. Oktober 1930 im Reichstag die NSDAP unverblümt kritisierte: „Im nationalsozialistischen Staatssystem wird der Staatsbürger der Staatsallmacht geopfert, er soll bloßes Werkzeug, nur Mittel für Staatszwecke sein, die von einer angeblich erleuchteten Führerschaft aufgestellt sind. Der Nationalsozialismus will die Menschenrechte beseitigen. […] Er stellt alles in Frage, worum die Menschheit in den letzten vier Jahrhunderten gerungen hat. Wir [die SPD] verteidigen das Selbstbestimmungsrecht des Volkes, die deutsche Volksfreiheit, die Demokratie gegen faschistische Führertyrannei.“206 Diese 202 Vgl. ebenda, S. 82; Rumschöttel, Wilhelm Hoegner, in: Weigand (Hrsg.), Große Gestalten, S. 443. 203 Auch Hoegner beschreibt mit einiger Selbstinszenierung, wie er aus der empfundenen Ungerechtigkeit über die antibolschewistischen Vorwürfe gegen die Sozialdemokraten aus „Pflicht“ der SPD beitrat. Vgl. Hoegner, Schwieriger Außenseiter, S. 14. 204 Vgl. Kritzer, Wilhelm Hoegner, S. 29 f.; Ritter, Arbeiter, S. 293 f. 205 Vgl. Hoegner, Schwieriger Außenseiter, S. 43–48; Kritzer, Wilhelm Hoegner, S. 52–58. 206 Wilhelm Hoegner, Der Volksbetrug der Nationalsozialisten. Rede des Reichstagabgeordneten Dr. Wilhelm Hoegner, Berlin 1930, S. 16.

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Rede, die anschließend als Broschüre in Millionenauflage von der SPD in Deutschland verbreitet wurde, machte ihn nach der Machtübernahme Hitlers zu einem der am meist gesuchten Personen seiner Partei.207 Am 23. März 1933 stimmte Hoegner zusammen mit der SPD-Fraktion im Reichstag gegen das Ermächtigungsgesetz.

Entscheidende Jahre: im Exil in der Schweiz Hoegners Wohnung wurde nach der Machtübernahme mehrfach von SA- und SSAngehörigen geplündert. Da dem Regimekritiker Haft und Konzentrationslager drohte, floh er am 11. Juli 1933 nach Österreich und von dort aus am 27. Februar 1934 in die Schweiz.208 Dort blieb er bis zum Kriegsende 1945. Seine Exilzeit wurde für den Sozialdemokraten zu einem wichtigen Lernprozess für sein politisches Denken und Handeln in der Nachkriegszeit. Wie viele Exilpolitiker nahm er die politischen Konzepte und Verfassungsvorstellungen der Weimarer Republik mit ins Exil, um sie dort zu diskutieren, zu verändern und fortzuentwickeln, bevor sie „erfahrungsgesättigt“ mit ihm nach Kriegsende nach Bayern zurückkehrten.209 Dieser Wissenstransfer bildete die Grundlage für sein politisches Handeln und Denken nach 1945. Wie der Historiker Gerhard A. Ritter treffend analysierte, wurde Hoegners Zeit in der Schweiz von zwei Fragen bestimmt: die nach den Ursachen für den Zusammenbruch der ersten deutschen Demokratie und die nach den daraus folgenden Konsequenzen für eine politische Neuordnung von Deutschland, Bayern und der SPD.210 Die erste Frage dominierte Hoegners Arbeiten bis etwa 1937 und resultierte in der Fertigstellung des Buches „Flucht vor Hitler“, das allerdings erst 40 Jahre später veröffentlicht wurde.211 Es war eine kritische, aus tiefer Enttäuschung geschriebene Auseinandersetzung mit der kampflosen Kapitulation der SPD vor dem Nationalsozialismus. Dabei sparte Hoegner auch sich selbst nicht aus und kritisierte sein eigenes Versäumnis, sich mit Vertretern der bürgerlichen politischen Parteien 207 Vgl. Ritter, Arbeiter, S. 295. 208 Vgl. Hoegner, Schwieriger Außenseiter, S. 120–150. 209 Marita Krauss, Wissenstransfer aus dem Exil in Politik, Verwaltung, Wissenschaft, in: Margrit Seckelmann/Johannes Platz (Hrsg.), Remigration und Demokratie in der Bundesrepublik nach 1945. Ordnungsvorstellungen zu Staat und Verwaltung im transatlantischen Transfer, Bielefeld 2017, S. 279–291, hier S. 284 f. 210 In einem Aufsatz von 1945, den Hoegner noch unter seinem Pseudonym veröffentlichte, brachte er diese beiden Fragen zusammen. Vgl. Rudolf Ritter [Wilhelm Hoegner], Lehren der Weimarer Republik, in: Schweizer Monatshefte: Zeitschrift für Politik, Wirtschaft, Kultur 25 (1945), H. 1, S. 14–34. Vgl. Ritter, Arbeiter, 296 f. 211 Vgl. Kritzer, Wilhelm Hoegner, S. 124–129; Wilhelm Hoegner, Flucht vor Hitler. Erinnerungen an die Kapitulation der ersten deutschen Republik 1933, München 1977.

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zu treffen, um über gemeinsame Abwehrmaßnahmen gegen die Nationalsozialisten zu diskutieren.212 Daneben veröffentlichte er im Exil unter einem Pseudonym Aufsätze gegen das Hitler-Regime. Durch diese Publikationen blieb er in Deutschland im Visier des Sicherheitsdiensts.213 Außerdem wurden im Mai 1934 seine schon zuvor reduzierten Ruhestandsbezüge aberkannt. 1938 wurde Hoegner zusammen mit seiner Familie vom NS-Regime ausgebürgert.214 Die Machtübernahme Hitlers 1933 und Gleichschaltung der Länder bestätigten Schäffers und Pfeiffers föderalistische, anti-unitarische Überzeugungen, während sie für Hoegner den Anlass gaben, seine politischen Vorstellungen wesentlich zu überdenken. Gerade bei der Frage nach der Bedeutung des Jahres 1933 für das politische Handeln der jeweiligen Akteure nach 1945, zeigt sich, wie sehr die politischen Erfahrungen auseinander lagen. Hoegners Weimar-Komplex215 beinhaltete vor allem eine tiefe Erschütterung über den kampflosen Untergang der Demokratie 1933. Schäffer und Pfeiffer kämpften dagegen mit einer Art doppeltem WeimarKomplex, denn für den rechten Flügel der BVP gehörten zur ersten Katastrophe die Revolution von 1918/19 sowie die zentralistische Weimarer Reichsverfassung von 1919. Die Enttäuschung über diese Ereignisse und über die misslungenen Versuche, die Verfassungsrealität und Position der Länder in den 1920er Jahren zu ändern, erreichte 1933 eine neue Dimension, als die BVP die Machtübernahme der NSDAP sowohl auf Reichs- als auch auf Landesebene nicht verhindern konnte. Während der Weimarer Republik war Hoegner ein Anhänger des dezentralisierten Einheitsstaats gewesen und hatte sich gegen den bayerischen Föderalismus und Separatismus der BVP sowie den damit verbundenen monarchistischen und reaktionären Tendenzen ausgesprochen.216 Nach 1933 bekannte er sich jedoch zu 212 Eine Ausnahme stellten geheime Gespräche zwischen Hoegner und Schäffer 1931 im Englischen Garten in München dar. Das Ziel war es, Möglichkeiten, die politischen Unterschiede zwischen den beiden Parteien zu überbrücken, zu erörtern, sodass eine Regierungskoalition in Bayern gebildet werden konnte. Ein solches „Staatsnotstands-Kabinett“ sollte die politische und staatliche Situation in Bayern – besonders bezogen auf die Bedrohung durch die NSDAP – stabilisieren. Dabei kritisierte Hoegner die ambivalente Politik der BVP gegenüber der NSDAP und ihre Liebedienerei gegenüber der NSDAP. Vgl. Hoegner, Erinnerungen an die Kapitulation, S. 12 f., 37 f., 234 f.; Altendorfer, Fritz Schäffer, S. 503 ff. 213 In einer „Schutzhaftkartei“ im Archivbestand des Reichssicherheitshauptamts im Bundesarchiv Berlin-Lichterfelde befinden sich zwei Karten aus 1937 und 1939 zu Hoegners Person, Auswanderung, Verbleiborten und Aktivitäten im Ausland. Auf der Karte von 1939 heißt es: „Betätigt sich schriftstellerisch, es besteht der Verdacht, dass er unter einem Pseudonym Hetzartikel gegen Deutschland schreibt“; BArchB, R58 9683. 214 Vgl. Rumschöttel, Wilhelm Hoegner, in: Weigand (Hrsg.), Große Gestalten, S. 443. 215 Vgl. Sebastian Ullrich, Der Weimar-Komplex. Das Scheitern der ersten deutschen Demokratie und die politische Kultur der frühen Bundesrepublik 1945–1959, Göttingen 2009, S. 16 ff. 216 Vgl. Ritter, Arbeiter, S. 298 f.

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einem lebendigen Föderalismus gegen die gefährliche Machtkonzentration eines Einheitsstaats. Wo der Föderalismus für Hoegner ein Mittel zur Bewahrung der Demokratie als Staatsform war, ging es dem rechten Flügel der BVP vor allem um die Sicherung des bayerischen Staatswesens per se, unabhängig von der Staatsform. Hoegners Föderalismusverständnis war stark geprägt von der Vorstellung staatlicher Souveränität der jeweiligen Länder, die umfassender als in der Weimarer Republik und im Kaiserreich sein sollte.217 Hoegner war, wie er es selbst ausdrückte, ein „Gefühlssozialist“, der im Gegensatz zu den ideologischen Hardlinern der SPD nicht lediglich vom historischen Materialismus aus dachte.218 Bereits während seiner Exilzeit bewegten sich seine Staatsvorstellungen in Richtung der BVP.219 Der Wandel in Hoegners politischen Auffassungen schlugen sich in umfangreichen Arbeiten zur verfassungspolitischen Zukunft Deutschlands nieder. Bereits 1939/40 entwarf er für den ehemaligen Reichskanzler Heinrich Brüning eine 159 Artikel umfassende Reichsverfassung, die unter anderem eine Zerschlagung Preußens und eine Neugliederung des Reiches vorsah.220 Dass sein Vertrauen in die Stabilität der Demokratie gesunken war, geht klar aus dem Memorandum „Gedanken zu einer neuen deutschen Verfassung“ hervor, die er zusätzlich zum Verfassungsentwurf verschriftlichte.221 Hier zeigte sich Hoegner von einer elitären Seite, indem er sich für den Einsatz von sogenannten Reichsräten aussprach, die sich durch „Rechtlichkeit und politische Erfahrung“ auszeichnen und als Stabilisierungsfaktor gegenüber dem Reichstag auftreten sollten.222 Das Volk sollte die Richtung angeben, die Führung dennoch in den Händen der „Begabtesten“ liegen.223 Vor allem soziale Ungleichheit und Klassengegensätze stellten für den Sozialdemokraten eine Bedrohung der Demokratie dar, die mit elitären Mitteln aktiv bekämpft werden sollten.224 Die Arbeit, die Hoegner zwischen Sommer 1943 und Frühjahr 1945 verfasste, war für die Nachkriegszeit von wichtiger Bedeutung. Sie wurde von zwei Gruppen 217 Vgl. ebenda, S. 299. 218 Kritzer, Wilhelm Hoegner, S. 278. Vgl. auch Ritter, Arbeiter, S. 305 f. 219 Interessant in diesem Kontext ist, was Hoegner 1972 gegenüber dem Historiker Peter Kritzer über das politische Spektrum in der Weimarer Republik erklärte: „Das Reich sei links, die BVP rechts gewesen, so habe die SPD keine Möglichkeit gehabt, föderalistisch zu sein.“ Vermutlich war die Machtübernahme Hitlers der Durchbruch für Hoegner, um diese ideologische Grenze zu überqueren und sich dem Föderalismus zuzuwenden; Kritzer, Wilhelm Hoegner, S. 58. 220 Als gebürtiger Münchner sah Hoegner in Preußen die Quelle des Militarismus, die zur Machtübernahme der Nationalsozialisten geführt hatte; IfZ, ED 120 19, „Verfassungsentwurf“. 221 IfZ, ED 120 19, „Gedanken zu einer deutschen Verfassung“. 222 Vgl. Kritzer, Wilhelm Hoegner, S. 153. 223 Zit. nach: ebenda. 224 Vgl. ebenda, S. 152 f.

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stark geprägt und ging aufgrund der Berichterstattung zum Kriegsverlauf vom Untergang des „Dritten Reiches“ aus. Ab 1942 stand Hoegner mit den Amerikanern Allan Dulles und Gero von Schultze-Gaevernitz in Verbindung, die in der Schweiz eine Dependance des Office of Strategic Services (OSS) aufbauten.225 Obwohl Hoegner im Gegensatz zu anderen Emigranten226 zu keinem Zeitpunkt in den Dienst des amerikanischen Geheimdiensts trat, verfasste er unterschiedliche Manuskripte für das OSS, die auf diesem Weg in die Hände der amerikanischen Regierung gerieten. Von großer Bedeutung waren Hoegners „Vorschlag für die Neugliederung Deutschlands“ und sein „Memorandum über die künftige Stellung des Landes Bayern“. Beide Manuskripte bauten auf seinem Entwurf für eine neue Reichsverfassung auf und wurden im November und Dezember 1943 fertiggestellt.227 Dabei bezog Hoegner sich ganz klar auf die Weimarer Reichsverfassung, versuchte diese jedoch zugleich für die Zukunft brauchbar zu machen. Somit waren sein Handeln und Denken eine Mischung aus Kontinuität und Wandel. Hoegner gehörte auch dem überparteilichen Arbeitskreis deutscher Emigranten in der Schweiz – „Das demokratische Deutschland“ – an.228 Andere Mitglieder waren beispielsweise der ehemalige Zentrumspolitiker Joseph Wirth und der SPDPolitiker Otto Braun.229 Im Rahmen dieses Kreises veröffentliche Hoegner weitere 225 Das „Office of Strategic Services“ (OSS) wurde 1942 als Nachrichtendienst des Kriegsministeriums der Vereinigten Staaten gegründet. Die jeweiligen Abteilungen der Organisation hatten weltweit unterschiedlichen Aufgaben: operative Beschaffung von Informationen, Desinformation, psychologische Kriegführung, Partisanen-Unterstützung, Sabotage und Spionageabwehr. Die OSSAbteilung in Bern unter der Leitung von Allen Dulles schickte zwischen 1942 und 1945 tausende geheime Berichte mit Informationen und umfassenden Analysen an das amerikanische Kriegsministerium. Darin enthalten waren Angaben über die militärische und politische Situation in Deutschland und in den besetzten Gebieten sowie über die politischen Ordnungsmöglichkeiten nach dem Krieg. Für diese Berichte vgl. Neal H. Petersen (Hrsg.), From Hitler’s Doorstep. The Wartime Intelligence Reports of Allen Dulles, 1942–1945, University Park, PA 1996. Für einen allgemeinen Überblick über das OSS vgl. Barry M. Katz, Foreign Intelligence. Research and Analysis in the Office of Strategic Services, 1942–1945, Cambridge 1989; Bradly F. Smith, The Shadow Warriors. OSS and the Origins of the CIA, New York 1983; Christof Mauch, Schattenkrieg gegen Hitler. Das Dritte Reich im Visier der amerikanischen Geheimdienste 1941 bis 1945, München 1999. 226 In der „Research and Analysis Branch“ des OSS in Washington arbeiteten viele prominente deutsche Politik- und Sozialwissenschaftler, die wegen des NS-Regimes in die USA geflüchtet waren, so z. B. Franz Neumann, Herbert Marcuse und Otto Kirchheimer. Für deren Arbeit vgl. Franz Neumann/Herbert Marcuse/Otto Kirchheimer, Im Kampf gegen Nazideutschland. Berichte für den amerikanischen Geheimdienst 1943–1949, Frankfurt am Main 2016. 227 Die beiden Texte sind in Hoegners Erinnerungen aufgenommen. Vgl. Hoegner, Schwieriger Außenseiter, S. 165–173; Ritter, Arbeiter, S. 300 f. 228 Vgl. Hoegner, Schwieriger Außenseiter, S. 173–185. 229 Vgl. „Document 5–95, Telegram 8567, April 12, 1945“, in: Petersen (Hrsg.), Wartime Intelligence Reports, S. 498; Hoegner, Schwieriger Außenseiter, S. 173–185.

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verfassungsrechtliche Aufsätze über die Zukunft Deutschlands. Dabei hielt er, im Gegensatz zu den extremen Föderalisten oder den Separatisten unter den Emigranten in der Schweiz, an seiner föderalistischen Überzeugung fest. Dies betonte er mit seiner „Vorläufigen Vereinbarung über die künftige staatsrechtliche Stellung des Landes Bayern“ vom 26. April 1945, die auch von anderen bayerischen Emigranten unterschrieben wurde. „Bayern wird ein souveräner Staat mit eigenen Hoheitsrechten, insbesondere mit eigener Justiz-, Polizei-, Unterrichts-, Finanz- und Verkehrsverwaltung“, hieß es in der Vereinbarung. Außerdem schlug er die Bildung eines süddeutschen Staatenverbandes vor, für den Fall, dass ein „Deutscher Bund vorerst nicht mehr möglich“ wäre.230 Darüber hinaus erstellte Hoegner zusammen mit dem geflüchteten bayerischen Rechtswissenschaftler Hans Nawiasky bis Frühling 1945 insgesamt 23 weitere Gesetzesentwürfe für die dringendsten Probleme nach dem Krieg.231 Somit verfügte Hoegner, als er im Juni 1945 nach Bayern zurückkehrte, über eine beeindruckende Menge an staatsrechtlichen Planungsdokumenten für die Nachkriegszeit. Am 6. Juni 1945 wurde Hoegner von Fritz Schäffer mit dem Aufbau des bayerischen Justizwesens beauftragt.232 Am 20. September wurde er zum Senatspräsidenten des Obersten Landesgerichtes233 ernannt, bevor er bereits acht Tage später nach der Entlassung Schäffers das Amt des Bayerischen Ministerpräsidenten übernahm.234 230 Hoegner, Schwieriger Außenseiter, S. 184 f. 231 Vgl. ebenda, S. 185. Hans Nawiasky hatte zwar zu keinem Zeitpunkt einer politischen Partei angehört, galt dennoch während der Weimarer Republik als der „Kronjurist der BVP“ und Anhänger des Föderalismus. So legte er 1928 im Rahmen der bayerischen Reichsreformbemühungen eine umfangreiche Analyse über die Grundprobleme der Reichsverfassung vor. Im Gegensatz zu Hoegner plädierte Nawiasky in der Nachkriegszeit für einen sehr lockeren Staatenbund. Vgl. Hans Nawiasky, Grundprobleme der Reichsverfassung. Das Reich als Bundesstaat, Berlin 1928. Zu Nawiaskys Person und seinem Denken vgl. Ivo Hangartner, Hans Nawiasky (1880– 1961), in: Peter Häberle/Michael Kilian/Heinrich Wolff (Hrsg.), Staatsrechtslehrer des 20. Jahrhunderts. Deutschland – Österreich – Schweiz, Berlin 2018, S. 249–261; Barbara Fait, Das Föderalistische Manifest von Hans Nawiasky, in: Geschichte im Westen 5 (1990), S. 224–233; Fait, Demokratische Erneuerung, S. 120. 232 Mit Hilfe von Dulles und dem OSS kehrte Hoegner, der als Antinationalsozialist innerhalb des OSS den Status eines „crown-jewel“ für die Zukunft Deutschlands hatte, in einem amerikanischen Jeep nach Bayern zurück. Vgl. Neal H. Petersen, Epilogue, in: Neal H. Petersen (Hrsg.), From Hitler’s Doorstep. The Wartime Intelligence Reports of Allen Dulles, 1942–1945, University Park, PA 1996, S. 523–526, hier S. 524. 233 Die Ernennung wurde rückwirkend auf den 15. Juni festgelegt, weil Hoegner für seine Arbeit bis zum 20. September kein Gehalt erhalten hatte. 234 Diese Funktion verknüpfte er ab dem 9. Oktober mit dem Amt des bayerischen Justizministers, sodass der promovierte Jurist weiterhin intensiv am Aufbau des bayerischen Justizwesens beteiligt war.

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Defensiver Föderalismus Anknüpfend an seine Erfahrungen aus der Weimarer Republik und seiner programmatischen Neuorientierung in der Exilzeit stand Hoegners Regierungszeit ab Oktober 1945 vor allem im Zeichen einer defensiven bayerischen Staatssicherungspolitik. Nach seinem Antritt setzte Hoegner beim Begriff „Staat“ aus der Proklamation Nr. 2 (September 1945) an und konzentrierte sich auf die Anerkennung der bayerischen Staatlichkeit durch das OMGB. Am 20. Oktober legte er dazu während der zweiten Ministerratssitzung unter seiner Leitung ein „Gesetz über die vorläufige Staatsgewalt in Bayern“ vor und erklärte den Kabinettsmitgliedern: „Nachdem Bayern wieder ein Staat geworden und als solcher anerkannt sei, bestehe die Notwendigkeit, die Grundzüge einer staatlichen Ordnung in einer Art Verfassung oder besser in einer vorläufigen Verfassung wieder festzulegen.“235 Artikel 2 versprach Bayern die „unumschränkte Staatshoheit“ und Artikel 8 erteilte dem Ministerpräsidenten die Zuständigkeiten für die Innen- und Außenpolitik.236 Hoegner ging offensichtlich davon aus, so erklärte er zwei Tagen später in seiner Regierungserklärung im Radio,237 dass Bayern wieder als Staat existierte und hielt dabei die Proklamation als Moment der Staatsgründung fest. Diese Politik basierte auf der „Diskontinuitätstheorie“ des österreichischen Staatsrechtlers Hans Kelsen. Diese ging davon aus, dass das Deutsche Reich aufgrund der militärischen Niederlage, bedingungslosen Kapitulation und Besetzung durch die Siegermächte aufgehört hatte zu existieren.238 Dadurch hatte Bayern, so argumentierten Hoegner und sein politischer Berater, Hans Nawiasky, nun seine Staatlichkeit und Souveränität wiedergewonnen und wurde lediglich von der Mili-

235 Vgl. Protokoll Nr. 2: Ministerratssitzung, Samstag, 20. Oktober 1945, in: Protokolle Kabinett Hoegner I, S. 4–17, hier S. 4. Für den Text des Gesetzes: IfZ, ED 120 127, „Gesetz über die vorläufige Staatsgewalt in Bayern“, 22. Oktober 1945, Bl. 2–4. 236 IfZ, ED 120 127, „Gesetz über die vorläufige Staatsgewalt in Bayern“, 22. Oktober 1945, Bl. 2. Vgl. Kock, Bayerns Weg, S. 107 f. 237 Regierungserklärung des Ministerpräsidenten Wilhelm Hoegner, 22. Oktober 1945, in: Quellen Band 1, S. 199–202, hier: S. 202. 238 Vgl. Hans Kelsen, The International Legal Status of Germany to be established immediately upon Termination of the War, in: American Journal of International Law 38 (1944), H. 4, S. 689– 694; Hans Kelsen, The legal status of Germany according to the Declaration of Berlin, in: American Journal of International Law 39 (1945), H. 3, S. 518–526; Michael Stolleis, Geschichte des öffentlichen Rechts in Deutschland. Bd. 4: Staats- und Verwaltungsrechtswissenschaft in West und Ost 1945–1990, München 2012, S. 32–37; Michael Stolleis, Besatzungsherrschaft und Wiederaufbau deutscher Staatlichkeit 1945–1949, in: Josef Isensee/Paul Kirchhof (Hrsg.), Handbuch des Staatsrechts der Bundesrepublik Deutschland. Bd. I Grundlagen von Staat und Verfassung, Karlsruhe 1987, S. 173–217, hier S. 187–191.

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tärregierung eingegrenzt.239 Hoegner argumentierte am 20. Oktober 1945 im Ministerrat, dass „zur Zeit kein deutsches Reich bestehe“ und Bayern sich deswegen nicht in einem Bundesverhältnis befände.240 „Daher besitze Bayern auf allen Gebieten die unumschränkte Staatshoheit; wenn es einmal von dieser Staatshoheit etwas abgebe, dann geschehe dies freiwillig“, ergänzte er dazu. Anton Pfeiffer, der die Staatssicherungspolitik Hoegners von Anfang an als Leiter der Staatskanzlei mittrug, wies auf die „historische Bedeutung“ der Situation hin und brachte die Politik Hoegners klar auf den Punkt: „Bayern hätte alle Rechte eines souveränen Staates, wenn keine Besatzung da wäre. Jedes neue Gebilde, das über Bayern entstehe, habe nur so viel Souveränität, als Bayern von seiner Souveränität abgebe.“241 Das OMGB lehnte Hoegners Gesetz über die vorläufige Staatsgewalt jedoch im Februar 1946 mit der Begründung ab, dass ihre Direktiven als Grundlage für die Regierungsgewalt der Staatsregierung ausreichten.242 Diese Ablehnung zeichnete sich bereits im Dezember 1945 ab. Obwohl das OMGB Hoegner mit dem ergänzenden Schreiben zur Verstärkung der deutschen Verwaltungsposition am 26. Dezember 1945 etwas entgegen kam, konnte Hoegner zunächst die angestrebte Anerkennung für die bayerische Staatsgründung nicht fortsetzen.243 Vor allem der Anspruch auf „unumschränkte Staatshoheit“ und Außenpolitik stieß bei der Militärregierung auf Ablehnung.244 Außerdem erlaubte das OMGB keine Präjudizierung von bayerischer Seite beim Wiederaufbau des Reichs. Die amerikanische Militärregierung sprach zwar in ihrer Proklamation Nr. 2 von „Staat“, hatte sich dabei jedoch vielmehr am Staatsbegriff des amerikanischen Staatswesens orientiert,

239 Im Gegensatz zu dieser Sichtweise hat die herrschende Staats- und Völkerrechtslehre in der Bundesrepublik jedoch behauptet, dass das Deutsche Reich rechtlich nie aufgehört habe zu bestehen. Durch die Kapitulation habe das Reich lediglich an „Willens- und Handlungsfähigkeit“ eingebüßt. Görtemaker, Geschichte der Bundesrepublik, S. 18. Vgl. Stolleis, Besatzungsherrschaft, in: Isensee/Kirchhof (Hrsg.), Handbuch, S. 187–191; Dietrich Rauschning, Einführende Betrachtung zur Rechtstellung Deutschlands seit dem Zweiten Weltkrieg, in: Dietrich Rauschning (Hrsg.), Rechtsstellung Deutschlands. Völkerrechtliche Verträge und andere rechtsgestaltende Akte, München 1985, S. XIII–XXVI, hier S. XIII–XVIII; Kock, Bayerns Weg, S. 103–110. 240 Protokoll Nr. 2: Ministerratssitzung, Samstag, 20. Oktober 1945, in: Protokolle Kabinett Hoegner I, S. 4–17, hier S. 5. 241 Ebenda. 242 Für die interne Diskussion zum bayerischen Gesetz über die Staatsgewalt vgl. Kock, Bayerns Weg, S. 108–110. 243 Schreiben der Militärregierung für Bayern an den Bayerischen Ministerpräsidenten: Action to Strengthen German Civil Administration, 26. Dezember 1945, in: Quellen Band 1, S. 42–46. 244 Vgl. Kock, Bayerns Weg, S. 108 f.

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mit dem sie vertraut war. Nach diesem Staatsverständnis verfügten „states“ über wesentlich geringere Kompetenzen als es sich Hoegners Regierung wünschte.245 Dies hielt dennoch Hoegner und Pfeiffer nicht davon ab, den Anspruch von uneingeschränkter Staatshoheit als Grundlage des politischen Handelns der Regierung zu nutzen.246 Sie hielten an der Diskontinuitätstheorie fest, obwohl sich unter den Staatsrechtlern und in der Rechtspraxis letztendlich die Kontinuitätstheorie durchsetzte. Der Historiker Peter Jakob Kock hat darauf hingewiesen, dass die Frage nach der bayerischen Staatshoheit für Hoegner und Pfeiffer keine rechtstheoretische, sondern vor allem eine politische war.247 „Wir müßten […] für alle Fälle die Staatshoheit so stark in Anspruch nehmen, wie es überhaupt nur möglich sei. Wenn Abstriche kämen, dann geschehe dies von der anderen Seite [der Militärregierung]“, erklärte Pfeiffer diese radikale Eigenstaatlichkeitspolitik.248 Er und Hoegner legten die unterschiedlichen rechtstheoretischen Positionen im Sinne der bayerischen Staatlichkeit aus und spielten gegenüber der Militärregierung ein politisches Pokerspiel. Von ihrem Beharren auf die bayerische Staatlichkeit ging eine aktivierende Wirkung für das bayerische Selbstverständnis und für den Selbstbehauptungswillen in der Nachkriegszeit aus.249 Das Hauptziel von Hoegners Regierung blieb es, die bayerische Staatlichkeit so weit wie möglich zu konsolidieren, sodass der bayerische Staat eine Führungsrolle bei den Verhandlungen über den Wiederaufbau des deutschen Reiches spielen konnte.250 Bayern sollte vom Anfang an eine zentrale Rolle bei der Entstehung eines nationalen Staats spielen. Während einer Kundgebung der SPD am 25. November 1945 im Prinzregententheater in München äußerte sich Hoegner dazu wie folgt: „Ein Deutsches Reich besteht heute kaum mehr, wohl aber wieder ein bayerischer Staat, den wir aufbauen müssen, bevor wir wieder an ein Reich denken können.“251 Dabei bekannte sich Hoegner öffentlich zu einem föderalistischen

245 Vgl. Niethammer, Die amerikanische Besatzungsmacht, S. 209; Kock, Bayerns Weg, S. 109. 246 Pfeiffer betonte während der Ministerratssitzung am 20. Oktober, dass die Staatsregierung an dieser Politik festhalten sollte, um von der Uneinigkeit der Siegermächte über die politische Zukunft Deutschlands zu profitieren. Vgl. „Protokoll Nr. 2: Ministerratssitzung, Samstag, 20. Oktober 1945“ in: Protokolle Kabinett Hoegner I, S. 4–17, hier S. 6. 247 Vgl. Kock, Bayerns Weg, S. 105. 248 Protokoll Nr. 2: Ministerratssitzung, Samstag, 20. Oktober 1945, in: Protokolle Kabinett Hoegner I, S. 4–17, hier S. 7. 249 Kock, Bayerns Weg, S. 105. 250 Der Reichsbegriff war damals allgemein verbreitet und wurde als Synonym für den deutschen Staat verwendet. Vgl. Fait, Demokratische Erneuerung, S. 126. 251 Autor unbekannt, Die neue Welt kann nur die des Sozialismus sein. Rede des bayerischen Ministerpräsidenten Dr. Högner in München, in: Süddeutsche Zeitung vom 27.11.1945, S. 1. Vgl. Hoegner, Schwieriger Außenseiter, S. 221–226.

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Reichsaufbau und argumentierte gegen den Unitarismus und bayerischen Separatismus.252

Die bayerische Verfassunggebung 1946 Von großer Bedeutung für Hoegners Staatssicherungspolitik war 1946 die bayerische Verfassunggebung, die die bayerische Staatlichkeit neu definieren und festlegen sollte. Im Februar 1946 beauftragte das OMGB Hoegner mit der Bildung eines kleinen Vorbereitenden Verfassungsausschusses von Fachleuten. Obwohl Hoegner – ähnlich wie die anderen Ministerpräsidenten in den jeweiligen Besatzungszonen – zunächst skeptisch auf die Aufforderung zur Verfassunggebung reagierte, wurde er sich schnell des Potentials bewusst: Es schien die verfassungsrechtliche Absicherung der bayerischen Eigenstaatlichkeit greifbar.253 Neben Anton Pfeiffer, Hans Ehard und Hans Nawiasky wurden in den Ausschuss noch fünf weitere Personen berufen,254 die sich im Gebäude der Bayerischen Staatskanzlei in der Prinzregentenstraße 7 trafen.255 Während der 15 Sitzungen des Vorbereitenden Verfassungsausschusses, die zwischen dem 8. März und 24. Mai stattfanden, arbeiteten 252 Am 13.11.1945 wurde Wilhelm Hoegners Artikel „Föderalismus, Unitarismus oder Separatismus?“ in der Süddeutschen Zeitung veröffentlicht, in dem er sich folgendermaßen zum Föderalismus äußerte: „Der Föderalismus vermeidet die Nachteile des Unitarismus wie des Separatismus. Er wirkt gerade in Verbindung mit der örtlichen Selbstverwaltung die Vermassung und dem Herdeninstinkt des modernen Menschen entgegen. […] Der Föderalismus bietet auch den besten Schutz gegen Demagogie.“ Ähnliche Gedanken äußerte Hoegner während der SPD-Kundgebung am 25. November 1945. Vgl. Fait, Demokratische Erneuerung, S. 86; Zit. nach: Wilhelm Hoegner, Föderalismus, Unitarismus oder Separatismus?, in: Süddeutsche Zeitung vom 13.11.1945, S. 1. Vgl. Hoegner, Schwieriger Außenseiter, S. 277 ff. 253 Auf deutscher Seite herrschte zunächst Skepsis über die Pläne der Militärregierung. So zweifelten andere Ministerpräsidenten über die Frage, ob eine Verfassung unter der Herrschaft der Militärregierung und unter den Bedingungen des Notstandes geschaffen werden könnten. Vgl. Fait, Demokratische Erneuerung, S. 118 f. 254 Hoegner war bereits am 30. Januar inoffiziell durch den Leiter der OMGB-Intelligence Branch über das Anlaufen der Verfassungsarbeiten informiert worden. Daraufhin informierte er am 1. Februar über die Bayerische Staatskanzlei die Landesvorsitzenden der CSU, SPD und KPD, um Vertreter für den Ausschuss vorzuschlagen. Damit sollte die Verfassung von den wichtigsten politischen Parteien in Bayern mitgetragen werden. Neben sich selbst berief er in das Gremium Arbeitsminister Albert Roßhaupter (SPD), Staatssekretär Anton Pfeiffer (CSU), Innenminister Josef Seifried (SPD), Staatssekretär Hans Ehard (CSU), Sonderminister Heinrich Schmitt (KPD) sowie den Oberbürgermeister von München Karl Scharnagl (CSU), den 2. Bürgermeister von München Thomas Wimmer (SPD) und den Professor für Staatsrecht Hans Nawiasky. Vgl. ebenda, S. 119 f. 255 IfZ, ED 120 129, „Protokoll der ersten Sitzung des Vorbereitenden Verfassungsausschusses“, 8. März 1945, Bl. 1.

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die Teilnehmer an einem Verfassungsentwurf, der anschließend einem demokratisch gewählten Verfassunggebenden Landesausschuss zur Abstimmung vorgelegt werden sollte.256 Von Anfang an diente Hoegners Vorentwurf für eine „Verfassung des Volksstaates Bayern“ in den Besprechungen als Grundlage. Er hatte ihn im Januar 1946 innerhalb kürzester Zeit verschriftlicht. Der Vorentwurf umfasste 134 Artikel und gliederte sich in drei Hauptteile: „Aufbau und Aufgaben des Staates“, „Grundrechte und Grundpflichten“ sowie „Wirtschaftsleben“. Abgerundet wurde das Papier durch abschließende „Übergangs- und Schlußbestimmungen“.257 Der Vorentwurf ging offensichtlich auf Hoegners Arbeiten im Exil zurück, vor allem auf sein Manuskript für die neue Reichsverfassung von 1940, und beinhaltete die wesentlichen Elemente seines Staats- und Demokratieverständnisses.258 Er hielt die liberale Demokratie nach wie vor für die beste Regierungsform, auch für die Verwirklichung des Sozialismus. Dabei sah er nach 1945 aufgrund seiner Weimarerfahrungen jedoch zwei Gefahren: die Vorherrschaft der politischen Parteien über die Regierungsgewalt sowie den politischen Zentralismus.259 Deswegen brauchte ein Staat seiner Meinung nach ausreichende Autorität, sowohl nach innen als auch nach außen, um das Fortbestehen der Demokratie zu garantieren; das staatliche Prinzip war eine Voraussetzung für das Demokratische.260 Somit war das Staatsverständnis Hoegners in der Nachkriegszeit immer noch verankert im deutschen Staatsdenken des späten 19. Jahrhunderts. Obwohl bei ihm Antiparlamentarismus und Antipluralismus wesentlich geringer als beispielsweise in den 256 Die Protokolle des Vorbereitenden Ausschusses sind vollständig im Nachlass von Hoegner im Institut für Zeitgeschichte, vollständig im Nachlass von Hans Ehard im Bayerischen Hauptstaatsarchiv und nahezu vollständig im Nachlass von Anton Pfeiffer im Bayerischen Hauptstaatsarchiv überliefert; IfZ, ED 120 129; BayHStA, NL Hans Ehard 1628; NL Anton Pfeiffer 147 (hier fehlen die Protokolle der 5., 6., 11. und 14. Sitzung). Ebenfalls sind die Protokolle als Edition erschienen vgl. Die Protokolle des Vorbereitenden Verfassungsausschusses in Bayern 1946, eing. und komm. v. Karl-Ulrich Gelberg, München 2004. Um Hoegners Hervorhebungen mit rotem Bleichstift in die Analyse einbeziehen zu können, wird hier auf den Bestand in seinem Nachlass verwiesen. 257 Vgl. Hoegners Vorentwurf der „Verfassung des Volksstaates Bayern“, 8. März 1946, in: Quellen Band 1, S. 80–95; Fait, Demokratische Erneuerung, S. 128–134. 258 Hoegners Entwurf „Verfassung des Volksstaates Bayern“ von 1946 enthielt die gleichen Leitgedanken wie das Memorandum, das er bereits 1940 zusätzlich zum Entwurf einer neuen Reichsverfassung verfasst hatte. Zum Einfluss von Hoegners Exilzeit auf sein Verfassungsentwurf vgl. ebenda, S. 119–134; Hans Nawiasky/Claus Leusser (Hrsg.), Die Verfassung des Freistaates Bayern vom 2. Dezember 1946. Handkommentar, München 1948, S. 23–27. 259 Vgl. Kritzer, Wilhelm Hoegner, S. 286 f.; Ritter, Arbeiter, S. 298 f. 260 Das „staatliche Prinzip“ war für Hoegner eine notwendige Voraussetzung für das „genossenschaftliche Prinzip“. Aus diesem Grund lehnte er im Verfassungsausschuss die Idee ab, die Grundrechte der Bürger den weiteren Teilen der Verfassung voranzustellen. Vgl. Kritzer, Wilhelm Hoegner, S. 201–204, 283–289.

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konservativen Kreisen der CSU ausgeprägt waren, hielt er in seinem Denken am Dualismus von Staat und Gesellschaft fest.261 Obwohl Hoegner grundsätzlich an die menschliche Vernunft glaubte, zweifelte er nach der NS-Zeit an der Demokratiereife der Bevölkerung. Vor diesem Hintergrund enthielt sein Vorentwurf sowohl Elemente zum inneren und äußerlichen Schutz der Demokratie als auch etwa zur Sozialstaatlichkeit, Beteiligung von Bürgern am politischen Prozess sowie zu einer starken Stellung der Kommunalverwaltung.262 Zugleich wollte Hoegner die bayerische Eigenstaatlichkeit in der Bayerischen Verfassung hervorheben. Deswegen sah er in Artikel 6 den Schutz der bayerischen Staatsangehörigkeit263 vor, plante im Artikel 22 einen ständigen vom Landtag einberufenen „Ausschuss für auswärtige Angelegenheiten“264 und sprach im Artikel 30 nicht von der Regierung sondern von der „Staatsregierung“.265 Bei der Verschriftlichung hatte Hoegner sich darum bemüht, dass der Vorentwurf sowohl für die SPD als auch für die CSU akzeptabel war, und von breiten Schichten der bayerischen Bevölkerung mitgetragen werden würde. Hoegner agierte während der Verfassunggebung vor allem als bayerischer Staatsmann, der parteiübergreifend im Interesse der bayerischen Eigenstaatlichkeit dachte und handelte. Somit stellte der Vorentwurf von Beginn an einen Kompromiss dar, und 261 Zu diesem Dualismus vgl. Frieder Günther, Vom Staat zum pluralistischen Gemeinwesen. Die bundesdeutsche Staatsrechtslehre und die Rudolf Schmend-Schule im Wandel 1949–1970, in: Konrad H. Jarausch/Arnd Bauerkämper/Marcus M. Payk (Hrsg.), Demokratiewunder. Transatlantische Mittler und die kulturelle Öffnung Westdeutschlands 1945–1970, Göttingen 2011, S. 281– 304. 262 Vgl. Nawiasky/Leusser (Hrsg.), Verfassung, S. 26 f.; Rumschöttel, Wilhelm Hoegner, in: Weigand (Hrsg.), Große Gestalten, S. 449; Ritter, Arbeiter, S. 303 f. 263 Der Artikel wurde während der dritten Sitzung des Ausschusses weiter ausgebaut; IfZ, ED 120 129, „Protokoll der 3. Sitzung des Vorbereitenden Verfassungsausschusses am 22. März 1946 in der Bayer. Staatskanzlei“, Bl. 7 f. 264 Auf Empfehlung Pfeiffers wurde der Ausschuss für auswärtige Angelegenheiten vom Vorbereitenden Verfassungsausschuss aus dem Entwurf jedoch gestrichen, weil unter dem „gegenwärtigen Stand der Dinge“ verhindert werden sollte, dass die Militärregierung Artikel 22 als bayerischen Separatismus auslegen würde; IfZ, ED 120 129, „Protokoll der 5. Sitzung des Vorbereitenden Verfassungsausschusses am 28. März 1946 in der Bayer. Staatskanzlei“, Bl. 6. 265 Pfeiffer schlug ergänzend vor, den Ausdruck „Staatsregierung“ auch im Artikel 4 aus dem Vorentwurf von Hoegner zu verwenden. Obwohl dies prinzipiell im Sinne Hoegners war, ging es dem Ministerpräsidenten, so erwiderte er, im Artikel 4 lediglich um die Gewaltverteilung nach Montesquieu. Er benutzte den Begriff Staatsregierung dort, wo es um die bayerische Staatsregierung ging, wie im Artikel 30. Dies unterstreicht dennoch die eigenstaatliche Politik von Hoegner und Pfeiffer. Interessanterweise hatte Hoegner darüber hinaus das Adjektiv „bayerisch“ im Vorentwurf so oft verwendet, dass es sogar Pfeiffer zu viel war; IfZ, ED 120 129, „Protokoll der 3. Sitzung des Vorbereitenden Verfassungsausschusses am 22. März 1946 in der Bayer. Staatskanzlei“, Bl. 5 f., 10.

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die CSU-Mitglieder hatten, von einigen Anmerkungen und Meinungsunterschieden abgesehen,266 keine wesentlichen Kritikpunkte am Entwurf anzumerken. Dadurch stimmte die Entwurfsversion, die der Landesversammlung vorgelegt wurde, in vielerlei Hinsicht mit Hoegners ursprünglichem Vorentwurf überein.267 Dies lag zugleich daran, dass sich die CSU wegen ihres internen Richtungsstreits nicht auf ein einheitliches politisches Programm hatte einigen können. Somit traten Pfeiffer und Ehard vor allem als juristische und staatsrechtliche Fachexperten, jedoch weniger als einem Parteiprogramm folgende und argumentierende Vertreter der CSU auf.268 Zum nüchtern-sachlichen Verlauf der Gespräche trug auch bei, dass Hoegner die umstrittensten Fragen nach einem Ein- oder Zweikammersystem und nach einem Staatspräsidenten oder Ministerpräsidenten als Staatsoberhaupt im Vorentwurf offen gelassen hatte und die Entscheidungen dazu der Verfassunggebenden Landesversammlung überlassen wollte.269 Dazu sollten allerdings vom Vorbereitenden Ausschuss unterschiedliche Verfassungsversionen entworfen werden.270 Diese Frage nach dem Kammersystem führte in der Sitzung am 1. April zu einer heftigen Diskussion über den Inhalt des Entwurfs.271 266 Dafür spricht, dass außer Hoegner keiner der anderen Mitglieder eine eigene Entwurfsversion vorlegte. Anton Pfeiffers Kritik richtete sich vor allem an den ersten Teil zum Aufbau des Staats und insbesondere die Frage der Volkssouveränität. Nach Hoegners Entwurf ging im Artikel 2 „alle Gewalt vom Volke aus“. Pfeiffer plädierte dafür, diesen Satz in „Die Staatsgewalt geht von der Gesamtheit des Volkes aus“ zu verändern. Außerdem sprach er sich dafür aus, im Artikel 3 die Ausübung der Staatsgewalt mit dem Begriff „Staatsbürgern“ zu verbinden, sodass die Volkssouveränität bei den Staatsbürgern lag. Für diese und weitere Anmerkung Pfeiffers; BayHStA, NL Anton Pfeiffer 147, „Bemerkungen zum Entwurf einer Verfassung des Volksstaates Bayern“, ohne Datum [März 1946]; NL Anton Pfeiffer 149, „Der Entwurf für eine neue Bayerische Verfassung“, 12. Juni 1946. Vgl. Kurtenacker, Einfluss politischer Erfahrungen, S. 136–145. 267 Eine wichtige Ergänzung bildeten die Entwürfe für das Kammersystem und den Staatspräsidenten. Vgl. „Hoegners Vorentwurf der ‚Verfassung des Volksstaates Bayern‘“, 8. März 1946, in: Quellen Band 1, S. 80–95 vgl. „Entwurf einer Bayerischen Verfassung zur Vorlage an die Verfassunggebende Landesversammlung“, Juni 1946, in: Ebenda, S. 96–118. 268 Vgl. Fait, Demokratische Erneuerung, S. 149 ff. Für die schwierige programmatische Situation in der CSU 1945/46 vgl. Schlemmer, Aufbruch, S. 111–118. 269 Der Beschluss, die Frage nach dem Staatspräsidenten der Landesversammlung vorzulegen, wurde bereits in der ersten Sitzung des Vorbereitenden Ausschusses am 8. März getroffen; IfZ, ED 120 129, „Protokoll der ersten Sitzung des Vorbereitenden Verfassungsausschusses am 8. März 1945“, Bl. 2. 270 Dazu wurden in den Sitzungen am 3./4. April zwei Entwürfe über den Abschnitt der Staatsregierung im Verfassungsentwurf besprochen. Der erste Fall ging von einem Ministerpräsidenten, der zweite vom einem Staatspräsidenten an der Spitze des bayerischen Staats aus; IfZ, ED 120 129, „Protokoll der ersten Sitzung des Vorbereitenden Verfassungsausschusses am 8. März 1945“, Bl. 2. 271 Für die Diskussion über das Kammersystem: IfZ, ED 120 129, „Protokoll der 6. Sitzung des Vorbereitenden Verfassungsausschusses am 1. April 1946 in der Bayer. Staatskanzlei“, Bl. 1–6.

2.3 Föderalismus aus der Defensive: Wilhelm Hoegner



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Das umstrittene Amt: Bayerischer Staatspräsident Eine Diskussion über einen Staatspräsidenten in derselben Sitzung verhinderte Hoegner jedoch. Lediglich Nawiasky, der im Vorbereitenden Ausschuss ein entschiedener Verfechter dieses Amts war, äußerte sich während der Sitzung ausführlich und Hoegner nahm diese Gedanken ohne weitere Diskussion in den Entwurf auf.272 Offensichtlich knüpften die Vorstellungen eines Staatspräsidenten 1946 beim Plan des rechten Flügels der BVP aus der Weimarer Republik an. Dennoch waren die Befugnisse des Staatspräsidenten nach dem Verfassungsentwurf wesentlich umfangreicher, als es der Schäffer-Flügel der BVP je vermutet hätte. Nawiasky hatte die Aufgaben und Position des Staatspräsidenten wie folgt formuliert: Dem Präsidenten stand die Ausübung der höchsten Vollzugsgewalt zu, ebenso die Ernennung und Entlassung der Exekutive sowie das Begnadigungsrecht und die vorübergehende Einschränkung oder Aufhebung der Grundrechte im Notstand und die Ausfertigung der Gesetze. Außerdem amtierte der Präsident für fünf Jahre länger als der Landtag –, wurde von keiner Instanz kontrolliert werden und war nicht absetzbar.273 Nawiaskys Konzeption war ein autoritärer, im Staatsdenken des späten 19. Jahrhunderts verankerter Versuch, die Macht der Exekutive im Vergleich zur Weimarer Republik wesentlich zu stärken. Der Staatspräsident sollte als bayerisches Staatsoberhaupt neutral und souverän über der Exekutive und Legislative stehen. „Es muß der feste Punkt gefunden werden, der dem Staatsgefüge Stabilität verleiht“, argumentierte Nawiasky.274 Obwohl Hoegner sich inhaltlich nicht dazu äußerte, spricht die Übernahme von Nawiaskys Gedanken in den Entwurf dafür, dass er mit dessen Zielsetzung einverstanden war.275 Öffentlich hielt er sich mit Äußerungen zurück, um als SPD-Vorsitzender den immer noch zentralistisch und unitarisch denkenden Teil seiner Partei nicht im Vorfeld und während der Sitzungen der Landesversammlung zu verärgern. Außerdem hoffte er, seine Partei für das Amt gewinnen zu können. Spätestens Mitte August sprach er sich in einem vertrauten interfraktionellen Kreis, dem unter anderem Vertreter der CSU angehörten, dafür aus, das Amt zu befürworten.276 Nach der letzten Sitzung des Vorbereitenden Ausschusses am 24. Juni und einer inhaltlichen Überprüfung durch die Militärregierung,277 wurde der vorgelegte 272 Ebenda, Bl. 7. 273 Ebenda, Bl. 6 f. 274 Ebenda, Bl. 6. 275 Vgl. Fait, Demokratische Erneuerung, S. 298. 276 Vgl. ebenda, S. 309. 277 Die Militärregierung hatte sich auch in der Frage einer Verfassung das letzte Wort vorbehalten. Sie befürchtete, dass sich hinter den, nach ihrer Meinung, fehlenden Hinweisen auf den deutschen Nationalstaat im Verfassungsentwurf, in Wirklichkeit separatistische bayerische Ge-

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„Hoegner-Entwurf“ in der am 30. Juni gewählten Verfassungsgebenden Landesversammlung und deren Verfassungsausschuss bis zur Abschlussstimmung am 26. Oktober weiter diskutiert und überarbeitet.278 Dabei stieß der StaatspräsidentenPlan in der Verfassunggebenden Landesversammlung, wie Hoegner bereits erwartet hatte, auf großen Widerstand. Das Konzept eines machtvollen Staatsoberhaupts spaltete sowohl die Landesversammlung als auch die jeweiligen Fraktionen der Parteien. Während Anton Pfeiffer, Hans Ehard und der rechte HundhammerSchäffer-Flügel der CSU den Plan unterstützen, lehnten der CSU-Vorsitzende Josef Müller und sein progressiver Flügel ihn ab.279 Auch Thomas Dehler und die Freie Demokratische Partei (FDP) sowie der größte Teil von Hoegners eigener SPD-Fraktion waren dagegen. Hoegner persönlich befürwortete das Amt dennoch und hatte die Hoffnung, einen Teil der SPD noch umstimmen zu können.280 Durch die Forcierung des Staatspräsidentenamts mit prominenten Vertretern der CSU entwickelte sich Hoegner zum Außenseiter innerhalb seiner eigenen Partei.281 Die Weimar-Komplexe von Hoegner, Pfeiffer und Ehard kamen stark zum Vorschein. Obwohl die ideologischen Grundüberzeugungen unterschiedlich waren – Hoegner ging vom Sozialismus, Pfeiffer und Ehard gingen vom christlichen Sittengesetz aus – verfolgten sie 1946 die gleiche politische Zielsetzung: Sie wollten der bayerischen Staatlichkeit nach innen und nach außen ein Gesicht und somit Stabilität und Wirkungsmacht verleihen. Einerseits stellten sie sich den Staatspräsidenten als parteiübergreifenden Stabilitätsfaktor und als Einschränkung des „überspitzten Parlamentarismus“ und der „Vorherrschaft“ der politischen Parteien vor.282 Dies stellte vor allem im Denken des rechten Flügels der CSU einen Schwerpunkt da, obwohl auch Hoegner eine Einschränkung des Parlamentarismus zu Gunsten der staatlichen Stabilität unterstützte.283 Die Verfassungsgeber danken versteckten. Obwohl Hoegner und Pfeiffer mit Sicherheit eine Sonderposition für Bayern anstrebten, war jedoch von Separatismus nicht die Rede. Vgl. ebenda, S. 151–156. 278 Zum allgemeinen Verlauf der Beratungen in der Verfassunggebenden Landesversammlung und im Verfassungsausschuss vgl. ebenda, S. 197–554. 279 Zum Staatspräsidentenstreit in der CSU und den politischen Konsequenzen für die Einheit der Partei vgl. Schlemmer, Aufbruch, S. 128–148; Fait, Demokratische Erneuerung, S. 289–305. 280 Hoegner hoffte, dass die SPD-Fraktion durch die Erfolge der Partei bei der Verfassunggebung dazu bewegt werden konnte, dem Entwurf zuzustimmen. Außerdem setzte er auf die „altbayerischen“ Kräfte der SPD, wenn es um die Frage nach der bayerischen Staatlichkeit ging. So beispielsweise Äußerungen von Josef Müller: „Landesarbeitsausschuss der CSU am 5. Juli 1946“, in: Mintzel/Fait (Hrsg.), Die CSU, S. 414 f., vgl. Fait, Demokratische Erneuerung, S. 306, 312. 281 Vgl. Hoegner, Schwieriger Außenseiter, S. 253 f. 282 Kock, Bayerns Weg, S. 226 f. Vgl. auch Fait, Demokratische Erneuerung, S. 300 f. 283 Hoegner sprach in seiner Autobiografie von einer „Abmilderung parteipolitischer Übergriffe“. Hoegner, Schwieriger Außenseiter, S. 253. Vgl. auch Kock, Bayerns Weg, S. 226 f.; Kritzer, Wilhelm Hoegner, S. 203.

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waren aufgrund ihrer Weimar-Erfahrungen dazu bereit, den demokratischen Staat mit obrigkeitsstaatlichen Elementen zu schützen. Wie groß die Sorgen Hoegners über die Sicherheit des bayerischen Staats in der Nachkriegszeit waren, geht außerdem aus seinem Entwurf zum „Gesetz zum Schutze des bayerischen Staates gegen nationalsozialistische und militaristische Umtriebe“ vom April 1946 hervor. Der Entwurf zeigt, dass Hoegner an der demokratischen politischen Grundlage in Bayern zweifelte und diese mit starken Rechtsmitteln vor weiterexistierenden nationalsozialistischen Bedrohungen schützen wollte. Die Militärregierung lehnte das Gesetz jedoch ab, was Hoegner für einen Fehler hielt.284 Andererseits waren sich die Akteure darüber einig, dass der Staatspräsident die bayerische Eigenstaatlichkeit nach außen verkörpern sollte.285 Dieser Punkt erschien wegen der Entwicklungen im Länderrat, der bevorstehende Gründung der Bizone im Sommer 1946 sowie der föderalistischen Zielsetzung der Bayerischen Staatsregierung im Laufe der Beratungen der Landesversammlung immer dringlich.286 Hoegners Eintreten für das Amt des Staatspräsidenten verdeutlicht, wie sehr sich seine ursprünglichen politischen Vorstellungen im Exil gewandelt hatten. Er hoffte aber auch, dass er nach der Verfassunggebung zum ersten Staatspräsidenten gewählt werde.287 Für Pfeiffer und Ehard war dieses Amt stattdessen vielmehr die Neuauflegung einer alten BVP-Forderung. Nachdem die SPD-Fraktion Nawiaskys Entwurf am 25. August abgelehnt hatte, unternahm Hoegner am 2. September einen weiteren Versuch, seine Fraktion für das Amt zu gewinnen. Nun bekannte er sich als Ministerpräsident öffentlich zur „Notwendigkeit“ des Amts und brachte als wichtigstes Argument hervor, „daß die Einrichtung des Staatspräsidenten geeignet sein kann, die föderative Struktur Deutschlands künftig zu stärken“.288 Dabei verwies er auf die Verhandlungen für einen Zusammenschluss mit der britischen Besatzungszone und die dabei drohende Gefahr eines Zentralismus.289 Ebenfalls betonte er, dass das Amt nicht in Widerspruch zur Demokratie stünde. Um die Kritik seiner Fraktion zu berücksichtigen und das Amt bei der Verfassunggebung zu retten, kündigte er daraufhin an, dass der Entwurf überarbeitet werden sollte. Dies geschah in der Nacht vom 2. auf den 284 Zu diesem Gesetz siehe: BayHStA, StK 10911. 285 Vgl. Fait, Demokratische Erneuerung, S. 300 f., 306. 286 Vgl. ebenda. 287 Hoegner hatte vermutlich im August eine Zusage der CSU bekommen, dass er die Unterstützung der Fraktion bekommen würde, um zum ersten Staatspräsidenten gewählt zu werden. Diese Zusage spielte wohl trotzdem keine große Rolle bei seiner Entscheidung. Wichtiger waren für Hoegner die föderalistischen Vorteile des Amts. Vgl. Kritzer, Wilhelm Hoegner, S. 200; Kock, Bayerns Weg, S. 229; Fait, Demokratische Erneuerung, S. 327 f. 288 Zit. nach: Fait, Demokratische Erneuerung, S. 330 f. 289 Vgl. ebenda, S. 330.

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3. September und SPD- und CSU-Politiker schlossen einen „Staatspräsidentenkompromiss“. Darin war die ursprüngliche Ausformung des Staatspräsidenten als „starker Mann“ an der Spitze des Staats wesentlich abgeschwächt. Der Staatspräsident wurde nun vor allem zur Repräsentationsfigur, der lediglich für Krisen- und Notzeiten noch über Eingriffsmöglichkeiten verfügen sollte.290 Der Verfassungsausschuss billigte den Entwurf, dennoch scheiterte die abgeschwächte Version des Staatspräsidenten-Plans am 12. September 1946 an einem minimalen Stimmenunterschied in der Verfassunggebenden Landesversammlung.291 Die für den Präsidenten vorgesehenen Aufgaben wurden daraufhin im Verfassungsentwurf auf die Ämter des Landtagspräsidenten und des Ministerpräsidenten verteilt, wobei letzterer zum Haupterben des Staatspräsidenten wurde. Dieser erhielt die Vertretung Bayerns nach außen, die Ausfertigung der Gesetze und das Begnadigungsrecht.292 Im Vergleich zu der Bamberger Verfassung von 1919 wurde die Position der Exekutive im Verhältnis zur Legislative in der Verfassung 1946 bedeutend verstärkt, jedoch ohne Staatspräsidentenamt. Die Ablehnung des Amts des Bayerischen Staatspräsidenten, die Hoegner als eine persönliche Niederlage erlebte,293 war nicht das einzige Problem: Die Wirksamkeit seiner föderalistischen Politik während der Verfassunggebung wurde untergraben. Die Militärregierung hat immer darauf bestanden, dass die Bayerische Verfassung die zukünftige Struktur des Reichs nicht präjudizieren durfte.294 Die Zugehörigkeit Bayerns zu einem zukünftigen Bundesstaat durfte an keinerlei Bedingungen geknüpft werden. Dies zwang den Vorbereitenden Verfassungsausschuss paradoxer Weise zu einem Verfassungsentwurf eines souveränen bayerischen Staats – was durchaus im Sinne seiner Mitglieder war. Gleichzeitig blieb unklar, welche Grenzen diesem in der Zukunft durch eine Reichsverfassung gesetzt werden würde, was wiederum eine undefinierte Beschränkung der bayerischen Selbstbestimmung bedeutete. Hoegner gelang es zwar in der Verfassung zu definieren, was die bayerische Staatlichkeit ausmachte – dies war von wesentlicher Bedeutung für den Wiederaufbau der bayerischen „Staatspersönlichkeit“295 – 290 Vgl. ebenda, S. 334 ff. 291 Erneute Versuche von Hoegner, nach dieser Ablehnung die Frage des Staatspräsidenten erneut zu Abstimmung zu bringen, stießen zunächst auf Widerstand. Bei einer Abstimmung der Landesversammlung am 20. September wurde das Amt erneut abgelehnt. Vgl. ebenda, S. 353–370. 292 Vgl. Kratzer, Bayerischer Ministerpräsident, S. 52 f. 293 Vgl. Hoegner, Schwieriger Außenseiter, S. 254. 294 IfZ, ED 120 129, „Protokoll der 3. Sitzung des Vorbereitenden Verfassungsausschusses“, 22. März 1946, Bl. 11. 295 So brachte Hoegner den Begriff „Freistaat“ in die Diskussion um die Verfassung mit ein. Der Begriff war bereits in der Bamberger Verfassung von 1919 angewendet worden. Obwohl er völkerrechtlich keine Bedeutung hatte und lediglich ausdrückte, dass Bayern eine parlamentarischdemokratische Republik als Staatsform hatte, ging von ihm jedoch eine symbolische Wirkung für

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konnte aber aufgrund der Politik des OMGB auf den Inhalt der zukünftigen Reichsverfassung wenig Einfluss nehmen. Aus diesem Grund stagnierten seine Bemühungen, das Reich von der Souveränität der Länder aus neuzugestalten und Bayern dabei in eine Führungsposition zu manövrieren.296 Obwohl Hoegners föderalistische Strategie gegenüber der Militärregierung lediglich zum Teil aufging, schuf er mit seinem Beitrag zur Bayerischen Verfassung die Grundlage für den bayerischen Staat in der Nachkriegszeit als parlamentarisch-demokratische Republik und sicherte die bayerische Staatlichkeit nach innen ab. Die Bayerische Verfassung, die am 1. Dezember 1946 beim Volksentscheid von etwa 70 Prozent der bayerischen Bevölkerung angenommen wurde, ging größtenteils auf seinen Vorentwurf zurück.297 Erst mit ihrem Inkrafttreten am 8. Dezember vollzog sich die Konstituierung des bayerischen Staats. Die Frage nach der Position Bayerns innerhalb des deutschen Staatswesens blieb dennoch offen und wurde Mittelpunkt der Politik von Hoegners Amtsnachfolger.

2.4 Föderalismus in der Offensive: Hans Ehard Nach der Landtagswahl am 1. Dezember 1946, bei der die CSU die absolute Mehrheit gewann, trat Hoegners Regierung am 16. Dezember 1946 zurück.298 Daraufhin wurde überraschenderweise das CSU-Mitglied Hans Ehard am 21. Dezember 1946 der erste demokratisch gewählte Bayerische Ministerpräsident nach dem Krieg. Dieser Wahl ging ein unrechtmäßiger Eingriff des Landtagspräsidenten Michael Horlacher im Ablauf des Wahlverfahrens voraus. Horlacher verhinderte dadurch die bayerische Eigenstaatlichkeit aus. IfZ, ED 120 129, „Protokoll der 3. Sitzung des Vorbereitenden Landesausschusses“, 22. März 1946, Bl. 11. Vgl. Nawiasky/Leusser (Hrsg.), Verfassung, S. 29 f.; Kock, Bayerns Weg, S. 229. 296 Vgl. Kock, Bayerns Weg, S. 139 ff.; Peter Jakob Kock, Bayern und Deutschland. Föderalismus als Anspruch und Wirklichkeit, in: Wolfgang Benz (Hrsg.), Neuanfang in Bayern. 1945–1949, München 1988, hier S. 186 f. 297 Hoegner wurde im Hintergrund immer wieder von Hans Nawiasky beraten, sodass der Staatsrechtswissenschaftler einen erheblichen Einfluss auf den Inhalt der Bayerischen Verfassung hatte. Vor allem bei der Frage nach einem Staatspräsidenten spielte er eine wichtige Rolle. Hoegners Würdigung von Nawiaskys Empfehlungen in: Wilhelm Hoegner, Professor Dr. Hans Nawiasky und die Bayerische Verfassung von 1946, in: Wolfhart Friedrich Bürgi/Walther Hug (Hrsg.), Staat und Wirtschaft. Beiträge zum Problem der Einwirkung des Staates auf die Wirtschaft. Festgabe zum 70. Geburtstag von Hans Nawiasky, Zürich 1950, S. 1–16. 298 Die Landtagswahl fand gleichzeitig mit dem Referendum über die Bayerische Verfassung statt. Für Hoegners Rechenschaftsbericht und seine Rücktrittserklärung vgl. ArchdBL, Stenographischer Bericht über die Verhandlungen des Bayerischen Landtags, Nr. 1, 16. Dezember 1946, S. 5–18.

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die Wahl Müllers zum Ministerpräsidenten und sorgte mit Verfahrensmanipulationen dafür, dass der von ihm unterstützte Ehard am Ende das Rennen machte. Die Wahl war für die CSU in den zurückliegenden Monaten unter dem Einfluss ihres Führungs- und Flügelkampfs, der insbesondere durch die Behandlung der Staatspräsidentenfrage in der Verfassunggebenden Landesversammlung neue Dimensionen erreicht hatte, zu einer Zerreißprobe geworden. Dabei wurden sowohl das Denken und Handeln des CSU-Vorsitzenden Josef Müller als auch von Anton Pfeiffer, der zu diesem Zeitpunkt das Sonderministerium für die Entnazifizierung leitete, während der NS-Zeit öffentlich diskutiert.

Die Landtagswahl 1946 und die Skandalisierung von NS-Belastung in der CSU Der Schäffer-Hundhammer-Flügel führte im November und Dezember 1946 einen publizistischen Feldzug gegen den CSU-Vorsitzenden Müller. Es wurde versucht, ihm eine zweideutige Haltung gegenüber dem Nationalsozialismus anzuhängen.299 Auf diesem Weg versuchte der konservative Flügel, in der Landtagsfraktion und im Landtag seine Machtposition auszubauen, weil die bereits installierten Führungsgremien der Partei auf Müllers Seite waren.300 Obwohl das Sonderministerium für die Entnazifizierung nach den öffentlichen Anschuldigungen am 11. Dezember sogar ein Spruchkammerverfahren gegen Müller eröffnete,301 konnte sich dieser drei Tage später während der CSU-Landesversammlung als Vorsitzender der CSU behaupten. Aufgrund dieses Votums erwartete Müller, von der CSU-Landtagsfraktion am 17. und 18. Dezember als Kandidat für das Amt des Ministerpräsidenten nominiert zu werden. Dabei war der CSU-Vorsitzende im Vorteil, denn er konnte mit der Unterstützung der OMGB rechnen, die zur christlich-interkonfessionellen Partei im Sinne Müllers geneigt war.302 Doch es kam anders. Michael Horlacher, der dem „Bauern-Flügel“ der CSU angehörte, der in ideologischer Hinsicht dem konservativen Flügel um Alois Hundhammer näher stand 299 Vgl. Friedrich Hermann Hettler, Josef Müller („Ochsensepp“). Mann des Widerstandes und erster CSU-Vorsitzender, München 1991, S. 274–280; Schlemmer, Aufbruch, S. 168–174. 300 Vgl. Schlemmer, Aufbruch, S. 168. 301 Anton Pfeiffer war zu diesem Zeitpunkt als Minister für Sonderaufgaben für die Entnazifizierung verantwortlich. Obwohl die Anschuldigungen Müllers gegenüber Pfeiffer die Möglichkeit boten, den CSU-Vorsitzenden über ein Spruchkammerverfahren auszuschalten oder zumindest politisch zu beschädigen, war sich Pfeiffer zugleich darüber bewusst, dass er sich mit einer solchen Aktion selbst politisch angreifbar machen würde, vor allem weil Müller nach wie vor die Unterstützung der Militärregierung genoss. Dennoch leitete sein Ministerium am 11. Dezember das Spruchkammerverfahren ein. Vgl. ebenda, S. 172 f. 302 Vgl. Mintzel, CSU, 84 f.

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als dem Flügel um Josef Müller, protestierte gegen die Wahl Müllers und sprach sich stattdessen für Hans Ehard aus.303 Seine Entscheidung begründete er damit, dass Müller ein Gegner der Regierungskoalition mit der SPD war, die von der CSULandtagsfraktion angestrebt wurde.304 Als es schließlich zur Abstimmung kam, standen Hans Ehard, Josef Müller und auch Anton Pfeiffer zur Wahl. Bereits im ersten Durchlauf bekam Pfeiffer mehr Stimmen als Müller und in der Stichwahl konnte er sich gegen seine Kontrahenten durchsetzen. Somit hätte der Leiter der Staatskanzlei und Sonderminister für die Entnazifizierung am 18. Dezember 1946 als designierter CSU-Kandidat der erste demokratisch gewählte Bayerische Ministerpräsident der Nachkriegszeit werden können. Doch auch im Fall Pfeiffers kam es anders. Noch am gleichen Tag nahm die Verhandlungskommission der CSU unter der Leitung Pfeiffers ihre Arbeit auf, um schnellstmöglich Verhandlungen mit der SPD über eine Koalition führen zu können. Dabei sollte die FDP als dritter Koalitionspartner miteinbezogen werden. Bereits einen Tag später sah sich Pfeiffer jedoch mit öffentlichen Vorwürfen über seine angebliche NS-Belastung konfrontiert. In der Rhein-Neckar-Zeitung erschien am 19. Dezember ein Artikel, in dem behauptet wurde, dass Schäffer und Pfeiffer 1932 in Bayern Koalitionsverhandlungen mit der NSDAP geführt hätten. Außerdem behauptete der Artikel, der sich auf einen Brief von Josef Held305 berief, dass Pfeiffer bereit gewesen sei, als Minister für Erziehung und Religion in einer BVP-NSDAP-Landesregierung unter der Leitung des Ministerpräsidenten Schäffers einzutreten.306 Zwei Tage später – am Tag der Ministerpräsidentenwahl – berichtete auch die Süddeutsche Zeitung auf der Titelseite über die Vorwürfe.307 Pfeiffer verteidigte sich ebenfalls auf der Titelseite gegen die Anschuldigungen und betonte, dass er nie Koalitionsverhandlungen mit der NSDAP geführt hätte. 303 Vgl. Schlemmer, Aufbruch, S. 177 f. 304 Um die Herausforderungen der Nachkriegszeit, die sich in der Arbeit der jeweiligen Ministerien spiegelten, sowie den Reichsaufbau in den Griff zu bekommen, waren Pfeiffer und der rechte Flügel der CSU von der Notwendigkeit einer Regierungskoalition überzeugt. Die CSU sollte nicht als einzige Partei die Verantwortung für den Wiederaufbau des bayerischen Staats übernehmen, was für die Partei nach hinten hätte losgehen können. Müller strebte dagegen eine Alleinregierung der CSU an. Vgl. ebenda. 305 Josef Held war der Sohn des 1938 verstorbenen BVP-Ministerpräsidenten Heinrich Held. Pfeiffer setzte sich nach den Anschuldigungen mit Josef Held in Verbindung, der sich jedoch nicht mehr an den Inhalt des Briefs erinnern konnte. Die Existenz des ominösen Schriftstücks ließ sich nie belegen, genausowenig fand sich ein Beweis dafür, dass es sich um eine Verleumdung aus Müllers Umfeld handelte. Vgl. Reuter, Graue Eminenz, S. 117 f. 306 Vgl. Autor unbekannt, Dr. Pfeiffer verzichtet auf Regierungsbildung, in: Süddeutsche Zeitung vom 21. Dezember 1946, S. 1. 307 Vgl. ebenda.

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Tatsache war jedoch, dass Pfeiffer 1932 zusammen mit Fritz Schäffer zu jenen BVP-Führungsmitgliedern gehörte, die eine Koalition auf Reichsebene mit der NSDAP befürwortet hatten.308 Es lässt sich nicht genau feststellen, welche Rolle Pfeiffer bei den Koalitionsverhandlungen in Bayern neben der treibenden Kraft, Fritz Schäffer, spielte. Dennoch war er im Hintergrund an der Seite Schäffers intensiv an den Verhandlungen und deren Vorbereitung zwischen Zentrum und der NSDAP für eine Reichsregierung beteiligt.309 Die Verhandlungen auf der Reichsund Landesebene verliefen 1932 teilweise parallel und die BVP hoffte, dass eine Koalition in Bayern als Beispiel für eine Reichsregierung dienen konnte.310 Vor diesem Hintergrund ist es äußerst unwahrscheinlich, dass Pfeiffer nicht an den bayerischen Verhandlungen beteiligt war oder diese zumindest nicht aktiv mitgetragen hat. Die Sondierungsgespräche für Bayern scheiterten schließlich im November 1932 an der Ressortverteilung.311 Ob Pfeiffer dabei als Minister genannt wurde, wie die Zeitungen behaupteten, ist unklar. Dennoch verschleierte Pfeiffers Behauptung in der Süddeutschen Zeitung, er habe nie Koalitionsverhandlungen geführt, seine tatsächlichen Absichten und Konzessionsbereitschaft im Jahr 1932. Doch wie viel an den NS-Vorwürfen im Dezember 1946 dran war, war für das Ziel von Pfeiffers politischen Gegnern zunächst irrelevant. Sie beabsichtigten nicht, Pfeiffers Verhältnis zum NS-Regime aufzuklären, sondern wollten mit öffentlichen Verdächtigungen in letzter Minute zu verhindern, dass der ehemalige BVP-Generalsekretär das höchste politische Amt in Bayern übernahm. Dies gelang und Pfeiffer konnte die Situation nicht mehr retten. Bereits am Tag zuvor hatte Hoegner seinem ehemaligen Chef der Staatskanzlei in einem vertraulichen Gespräch mitgeteilt, dass die SPD unter Pfeiffers Leitung nicht länger für eine Regierungskoalition zur Verfügung stünde. Zusätzlich hatte Hoegner von KPD-Mitgliedern Abdrücke von Briefen erhalten, die Pfeiffer 1934 als nationalsozialistischer Kulturpolitiker geschrieben hatte, um sein Amerikanisches Institut zu retten.312 Darunter gab es auch einen Brief an den nationalsozialistischen Bayerischen Kul-

308 Zu den Verhandlungen auf der Reichs- und Landesebene 1932 vgl. Altendorfer, Fritz Schäffer, S. 515–525, 650–677; Schönhoven, Zwischen Anpassung, S. 346–353. 309 So fanden die Vorbereitungen für die Gespräche zwischen dem Zentrum, dabei unterstützt von der BVP, und der NSDAP am 14. August 1932 sogar bei Pfeiffer zu Hause statt. Vgl. Altendorfer, Fritz Schäffer, S. 654–658. Siehe auch: BayHStA, NL Anton Pfeiffer 1, Wichtigste Lebensdaten von Dr. Anton Pfeiffer, ohne Datum; IfZ, ED 355/12, Brief Anton Pfeiffer an seine Mutter, 5. September 1932. 310 Vgl. Altendorfer, Fritz Schäffer, S. 695. 311 Vgl. Wiesemann, Die Vorgeschichte, S. 245 f. 312 Einige Briefe von Pfeiffer an nationalsozialistische Kulturpolitiker von 1934 liegen als Abschrift im Nachlass von Hoegner vor; IfZ, ED 120 331. Vgl. Hoegner, Schwieriger Außenseiter, S. 287 f.; Schlemmer, Aufbruch, S. 179; Reuter, Graue Eminenz, S. 117.

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tusminister Hans Schemm.313 Durch diese Informationen und den Gerüchten um die Koalitionsverhandlungen mit der NSDAP, war Pfeiffer – nach der Meinung der SPD – zu sehr mit der NS-Zeit belastet, um als Ministerpräsident anzutreten.314 Als Hoegner am Nachmittag des 20. Dezember im Namen der SPD-Fraktion Pfeiffer diese Nachricht persönlich überbrachte, reagierte dieser mit den Worten „Na, dann eben nicht.“315 Sichtlich aufgeregt verließ Pfeiffer daraufhin das Zimmer. Hoegners Mitteilung machten ihm einen Strich durch die Rechnung, aber es war noch nicht ganz vorbei. In die Regierung von Hans Ehard kehrte er problemlos – ohne Diskussion über seine angebliche NS-Vergangenheit – in seine Funktion als Leiter der Staatskanzlei zurück, konzipierte und organisierte von hier aus die föderalistische Politik des Ministerpräsidenten.

Zweiter Staatsanwalt im Hitler-Prozess Obwohl sich Müller nach der Niederlage Pfeiffers erneut Hoffnungen auf den Posten des Ministerpräsidenten machte, war es letztendlich Hans Ehard, der am 21. Dezember 1946 mit Hilfe des Landtagspräsidenten Michael Horlacher für die CSU zum Ministerpräsidenten gewählt wurde. Horlacher hatte sich bereits während der CSU-Fraktionssitzungen am 17. und 18. Dezember 1945 als „Oppositionsredner“ von Müller herausgestellt und seine Präferenz für Ehard als CSU-Kandidat für das Amt des Ministerpräsidenten ausgesprochen. Vor der Ministerpräsidentenwahl am 21. Dezember im Bayerischen Landtag erklärte Horlacher in seiner Funktion als Landtagspräsident, dem Artikel 23 der Bayerischen Verfassung entsprechend, dass eine einfache (relative) Mehrheit im Landtag für einen Kandidaten ausreichte, um zum Ministerpräsidenten gewählt zu werden. Nachdem Josef Müller in der ersten Runde für die CSU mit 73 von 175 Stimmen gewählt worden war, erklärte Horlacher jedoch plötzlich, dass ein zweiter Wahlgang notwendig sei, weil der Kandidat nicht über die absolute Mehrheit der Stimmen verfügte. Damit widersprach er seiner ursprünglichen Aussage. Zudem war diese Regel der absoluten Mehrheit bereits genutzt worden, denn Hans Ehard, der in der ersten Runde nicht 313 Vgl. Hoegner, Schwieriger Außenseiter, S. 288. 314 Dabei hatte es innerhalb der SPD bereits kurz nach der Landtagwahl Bedenken wegen Pfeiffer gegeben. Ausgerechnet Kreise aus seinem eigenen Sonderministerium verbreiteten belastende Informationen über Pfeiffers Kontakt zum Sicherheitsdienst während der NS-Zeit. Angeblich hatte Pfeiffer über seinen alten Freund, den Diplomaten Robert D. Murphy, Informationen aus dem Ausland gesammelt, und diese dem SD angeboten. Pfeiffers Biografin Reuter-Boysen vermutet auch hier, dass Müller sich für das Spruchkammerverfahren revanchieren wollte, konkrete Beweise dafür gibt es allerdings nicht. Vgl. Reuter, Graue Eminenz, S. 118 f. 315 Zit. nach: Hoegner, Schwieriger Außenseiter, S. 288.

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als Kandidat vorgeschlagen war, hatte bei der Wahl in der ersten Runde 33 Stimmen bekommen. Weil diese Stimmen ungültig waren und von der Stimmen-Gesamtzahl abgezogen werden müsste, verfügte Müller sogar über eine absolute Mehrheit (73 von 142 Stimmen). Horlacher legte die Stimmen für Ehard jedoch als „Nein“-Stimmen aus. Durch Horlachers unrechtmäßige und willkürliche Auslegung der Verfassung, wurde beim zweiten Wahlgang Hans Ehard mit 121 von 147 Stimmen (eine absolute Mehrheit) gewählt.316 Der 1887 in Bamberg geborene Ehard hatte zwischen 1907 und 1912 Rechtswissenschaften in Würzburg und München studiert und wurde im letzten Jahr promoviert. Während des Ersten Weltkrieges arbeitete Ehard im Dienst der Bayerischen Militärjustiz.317 1919 legte er die große Staatsprüfung für den höheren Justizund Verwaltungsdienst ab und arbeitete anschließend am Oberlandesgericht in Bamberg.318 Besonders prägend für den jungen Beamten war zu diesem Zeitpunkt die Anwesenheit der bayerischen Regierung und des Landesparlaments in Bamberg, infolge der politischen und gewalttätigen Unruhen in München. Dort wurde am 12. August 1919 die Bayerische Verfassung beschlossen. Im September 1919 trat Ehard als Reaktion auf die politischen Unruhen, die durch die Revolution ausgelöst wurden, der BVP bei.319 Eine Rolle spielte dabei auch, dass Ehard in dieser Zeit in Bamberg in Kontakt mit wichtigen, jungen BVP-Anführern wie Anton Pfeiffer, Karl Schwend und Josef Müller war. Nach seinem Eintritt in die BVP wurde Ehard bereits 1919 in das Bayerische Staatsministerium der Justiz berufen. Obwohl er Mitglied der BVP war, übernahm Ehard während der Weimarer Republik kein politisches Amt. Vielmehr gehörte er zur Anhängerschaft der BVP als bayerischer Beamter, die nach dem Ideal strebten, „dem Staat zu dienen“. Als Zweiter Staatsanwalt beim Landesgericht München I spielte Ehard 1923 und 1924 eine Rolle beim Prozess gegen Hitler. Ehard trat während des Prozesses wenig in den Vordergrund, plädierte aber für ein schärferes Vorgehen gegen die Putschisten als der erste Anklagevertreter.320 Ehards Beteiligung am Prozess spielte später immer wieder eine Rolle und wurde sowohl von seinen Opponenten als auch von Unterstützern politisch instrumentalisiert.321

316 Vgl. Gelberg, Hans Ehard, S. 40–44; Schlemmer, Aufbruch, S. 177 f., 181–186; Nawiasky/Leusser (Hrsg.), Verfassung, S. 120 f. Zu Horlachers Biografie vgl. Johann Kirchinger, Michael Horlacher. Ein Agrarfunktionär in der Weimarer Republik, Düsseldorf 2011. 317 Vgl. Morsey, Hans Ehard, in: Morenz (Hrsg.), Dr. Hans Ehard. 318 BayHStA, NL Hans Ehard 12. 319 Vgl. Gelberg, Hans Ehard, S. 9. 320 Vgl. ebenda, S. 17. 321 So hieß es auf der Weißen Liste: „Zweiter Staatsanwalt im Prozeß gegen Hitler im Jahr 1923. […] Gilt als ein überzeugter anti-Nazi.“ Wuermeling, Weiße Liste, S. 223. Zugleich wurde Ehards

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Sowohl Ehards Laufbahn als auch seine politische Einstellung entwickelten sich während der zweiten Hälfte der 1920er Jahre rasant. 1925 wurde Ehard Rat beim Landgericht München I, ein Jahr später Landgerichtsrat im Justizministerium, 1928 Oberregierungsrat und 1931 jüngster Ministerialrat Bayerns.322 Besonders prägend für Ehards föderalistische Einstellung war seine Arbeit zwischen 1925 und 1928 in Berlin. Hier wirkte er an einer umfangreichen Strafrechtsreform mit und wurde in dieser Funktion mit allen Komponenten des Zentralismus und Föderalismus konfrontiert. Ehard versuchte in Berlin, die föderalistischen Interessen des Bayerischen Staatsministeriums der Justiz durchzusetzen und musste sich dabei mehrfach den entgegengesetzten Standpunkten Preußens geschlagen geben.323 Auf die zentralistische Politik Preußens als Argument für den Föderalismus wies Ehard nach 1945 immer wieder in seinen Reden hin.324 Seine Kritik an der Reichsbürokratie nach 1945 geht auf diese Zeit zurück.

In der Verwaltung des NS-Staats Nach der Machtübernahme der Nationalsozialisten übernahm „Hitlers Kronjurist“ Hans Frank die Leitung des Bayerischen Staatsministeriums der Justiz.325 Dennoch wurde Ehard als BVP-Mitglied nicht entlassen, sondern im September 1933 auf seinen eigenen Wunsch, so geht es aus Mitteilungen des Staatsministeriums der Justiz hervor, auf die Stelle eines Senatspräsidenten an das Oberlandesgericht München versetzt.326 Ehards Versetzungsgesuch war eine Reaktion auf die Leitungsübernahme durch Hans Frank und das sich infolge dessen verändernde Arbeitsklima im Justizministerium.327 Auffallend ist allerdings, dass Hitler den Ministerialbeamten Rolle beim Prozess von seinen politischen Gegnern nach 1945 immer wieder kritisiert und ihm wurde Begünstigung des Nationalsozialismus vorgeworfen. Vgl. Gelberg, Hans Ehard, S. 13. 322 BayHStA, NL Hans Ehard 12, unterschiedliche Personalbogen. Vgl. Morsey, Hans Ehard, in: Morenz (Hrsg.), Dr. Hans Ehard, S. 8 f. 323 Vgl. Gelberg, Hans Ehard, S. 18 f. 324 Exemplarisch dazu: Ehard, Freiheit. 325 Zu Franks Tätigkeit als Bayerischer Justizminister vgl. Dieter Schenk, Hans Frank. Hitlers Kronjurist und Generalgouverneur, Frankfurt am Main 2006, S. 86–103. Für einen kurzen Überblick über die Gleichschaltung der bayerischen Justiz während der NS-Zeit vgl. Hannes Ludyga, Das Oberlandesgericht München. Zwischen 1933 und 1945, Berlin 2012, S. 63–72. 326 Dies wurde ebenfalls in zwei Briefen von Hans Ehard bestätigt; BayHStA, NL Hans Ehard 2107. Zu diesen Briefen vgl. auch: Gelberg, Hans Ehard, S. 27. 327 Ehard war unzufrieden und fühlte sich nicht länger wertgeschätzt. Er hielt fest, dass seiner Versetzung „keinerlei personelle und sachliche Konflikte vorausgegangen“ waren, monierte jedoch, dass auf seine Mitwirkung „kein Gewicht mehr gelegt“ wurde; BayHStA, NL Hans Ehard 2107, Brief Hans Ehard an Staatsrat Hermann Schmitt, 12. Juli 1933. Vgl. dazu ebenfalls: Gelberg,

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trotz seiner Rolle im Prozess gegen die Putschisten nicht entlassen wollte, weil Ehard zwar „scharf in der Sache, aber konziliant und höflich in der Form“ gewesen sei.328 Bis 1945 hatte Ehard am Oberlandesgericht München den Vorsitz des 5. Zivilsenats inne, der hauptsächlich mit Patentsachen und Urheberrecht befasst war.329 Obwohl er unterschiedliche Male zum Parteieintritt gedrängt wurde, blieb Ehard der NSDAP fern. 1933 trat er allerdings dem NS-Richterbund und 1934 der NSVolkswohlfahrt sowie dem Reichsluftschutzbund bei.330 Trotz seiner fachlich hervorragenden Beurteilung wurde er weder zum Oberlandesgerichtspräsidenten noch zum Reichsanwalt oder Reichsgerichtsrat befördert.331 Dennoch bekleidete Ehard während der NS-Zeit keineswegs unbedeutende Funktionen; der Jurist wusste sich als Fachexperte sehr wohl innerhalb des Justizwesens zu behaupten. So wurde er ab 1934 stellvertretender Vorsitzender des Erbhofgerichts für den Oberlandesgerichtsbezirk München und 1937 dessen Vorsitzenden.332 Daneben war er 1934 Mitglied, ab 1936 stellvertretender Vorsitzender des Justizprüfungsamtes beim Oberlandesgericht und wurde 1939, auf eigene Initiative, Treuhänder der Bayerischen Vereinsbank sowie ab 1942 Vorsitzender des Deutschen Ärztegerichtshofs in München.333 Dabei distanzierte er sich zumindest äußerlich, so geht aus sei-

Hans Ehard, S. 27. Ludwig Morenz geht davon aus, dass Ehard um seine Versetzung gebeten hatte, um nicht mit Hans Frank zusammenarbeiten zu müssen. Unklar bleibt jedoch, wie Morenz zu dieser Annahme kommt. Vgl. Ludwig Morenz, Hans Ehard: Daten seines Lebens. Zugleich ein Wegweiser durch die Ausstellung, in: Ludwig Morenz (Hrsg.), Dr. Hans Ehard 1887–1980. Eine Ausstellung des Bayerischen Hauptstaatsarchivs, München 1987, S. 24–45, hier S. 28. 328 Zit. nach: Morsey, Hans Ehard, in: Morenz (Hrsg.), Dr. Hans Ehard, S. 9. 329 Für Ehards Laufbahn innerhalb der bayerischen Verwaltung während der Weimarer Republik und der NS-Zeit siehe: BayHStA, NL Hans Ehard 11–14. Vgl. Gelberg, Hans Ehard, S. 28. 330 Vgl. BayHStA, NL Hans Ehard 14, Erklärungen über die Zugehörigkeit zu einer politischen Partei, zu einer Loge, zu Beamtenvereinigungen und dergleichen, unterschrieben am 10. Juni 1938. 331 In den jeweiligen dienstlichen Beurteilungen Ehards aus der NS-Zeit hieß es ohne Ausnahme: „Er ist nach Leistungen und Persönlichkeit für die Stelle eines Oberlandesgerichtspräsidenten besonders geeignet.“ Am 30. Januar 1940 wurde Hans Ehard zusammen mit fünf anderen Kandidaten für die Stelle eines Oberlandesgerichtspräsidenten vorgeschlagen und ebenfalls als Kandidat für die Stelle eines Reichsgerichtsrats oder Reichsanwalts genannt. Warum die Beförderung nicht erfolgte, geht aus der Akte nicht hervor. Für die dienstlichen Beurteilungen siehe: BayHStA, NL Hans Ehard 14. Vgl. Gelberg, Hans Ehard, S. 28 f. 332 Vgl. die Stellenbesetzungsberichte des Oberlandesgerichts München in: StAM, OLG München, 639. 333 Vgl. Gelberg, Hans Ehard, S. 28–30.

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nen Dienstbeurteilungen hervor, gegenüber seinen Vorgesetzten von seiner Mitgliedschaft in der BVP.334 Der Historiker Karl-Ulrich Gelberg deutet Ehards Handeln während der NSZeit so: „Faßt man zusammen, so hat Ehard, der in den Jahren von 1933 bis 1945 mit einer Fülle öffentlicher Ämter betraut war, seinem Charakter nach aus Loyalität gegenüber dem Staat, gegenüber Bayern und seiner Justiz, mit der ihm möglichen Distanz gegenüber den Nationalsozialisten, sein Richteramt ausgeübt.“335 Tatsächlich deutet wenig daraufhin, dass Ehards Handeln in den jeweiligen Ämtern nationalsozialistisch motiviert war. Wäre er vom Nationalsozialismus überzeugt gewesen, dann wäre er mit Sicherheit der NSDAP beigetreten, denn davon hätte er bei seiner dienstlichen Beurteilung profitiert. Dennoch ist die Trennung zwischen „Loyalität zum Staat“ und „Distanz zum NS-Regime“ vor allem als Produkt der Selbstdarstellung, -wahrnehmung und -rechtfertigung der Beamtenschaft in der direkten Nachkriegszeit zu verstehen.336 In dieser Darstellung scheint es so, als hatte ein Beamter in der NS-Zeit dem Staat dienen können, ohne die Zielsetzung des NS-Regimes zu unterstützen – aber das war in Ehards leitender Funktion nahezu unmöglich. So agierte er bereits 1935 im Sinne des Regimes – noch bevor die antisemitischen Nürnberger Gesetze verkündet waren –, denn unter seinem Vorsitz am Oberlandesgericht München wurde ein bereits 1929 geschlossener Vertrag zwischen dem J. Schweitzer Verlag und dem jüdischen Autor Felix Herzfelder aufgelöst.337 In der Begründung des Urteils hieß es, dass es dem Verleger „infolge der völlig veränderten politischen Verhältnisse“ aus wirtschaftlichen Gründen nicht

334 Zu seiner BVP-Mitgliedschaft erklärte Ehard gegenüber seinem Vorgesetzten Folgendes: „Er habe als Heeresangehöriger die Revolte des Jahres 1918 in Mühlhausen in ihren schlimmsten Auswirkungen kennengelernt; nach seiner Rückkehr in seine Vaterstadt Bamberg sei er der Bayerischen Volkspartei beigetreten, weil damals in Bamberg die aus München vor den Kommunisten geflüchtete Bayerische Staatsregierung getagt habe, die, getragen von der Bayerischen Volkspartei, den Kampf gegen den roten Terror geführte habe; er habe in der Bayerischen Volkspartei nie ein Amt bekleidet oder eine Rolle gespielt; das wäre bei dem später vorwiegenden konfessionellen Kurs dieser Partei schon deshalb unmöglich gewesen, weil er eine evangelische Frau habe, evangelisch getraut sei und evangelische Kindererziehung habe.“ Siehe: BayHStA, NL Hans Ehard 14, unterschiedliche Dienstbeurteilungen aus der NS-Zeit. 335 Gelberg, Hans Ehard, S. 32. 336 Vgl. Frieder Günther/Lutz Maeke, Unpolitischer Beamter versus „Berufsrevolutionär“. Traditionen, Ideen, Selbstverständnis, in: Frank Bösch/Andreas Wirsching (Hrsg.), Hüter der Ordnung. Die Innenministerien in Bonn und Ost-Berlin nach dem Nationalsozialismus, Göttingen 2018, S. 263–281. 337 Es handelte sich hier um ein Berufungsverfahren von dem Autor Herzfelder gegen ein Urteil des Landgerichts München I. Vgl. Ludyga, Oberlandesgericht, S. 147.

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zugemutet werden konnte, das Werk eines jüdischen Autors zu verlegen. Somit wurde der Verlag von der Verpflichtung zur Leistung befreit.338 Distanz zum NS-Regime war im NS-Staat für einen Beamten nur durch einen Rücktritt aus dem Staatsdienst möglich. Jeder Beamte, der dagegen weiterhin während der NS-Zeit im Staatsdienst arbeitete und seine Aufgaben erfüllte, kam in der ein oder anderen Weise mit staatlichen Verfolgungspraktiken in Berührung, weil der Staatsapparat in allen seinen Zweigen für die Regimeziele arbeitete. Dies bedeutet selbstverständlich nicht, dass alle Beamten nach 1945 im gleichen Ausmaß belastet waren – die konkrete Beteiligung hing davon ab in welchem Verwaltungsbereich sie aktiv waren, welche Aufgaben sie dort erfüllten und inwiefern Handlungsspielräume vorhanden waren. Im Fall von Hans Ehard stellt sich die Frage nach NS-Belastung vor allem in Bezug auf seine Arbeit am Erbhofgericht (am Oberlandesgericht) sowie am Ärztegerichtshof. Das Reichserbhofgesetz wurde vom NS-Regime am 29. September 1933 als Ausdruck der „Blut-und-Boden“-Ideologie eingeführt und war von den Agrargesetzen des Regimes am stärksten ideologisch begründet.339 Höfe sollten vor „Überschuldung und Zersplitterung im Erbgang“ geschützt werden; dies bedeutete einen massiven Eingriff in die bisherige Agrarpolitik- und Praxis.340 Die politische Forderung nach einem Gesetz zu einer einheitlichen Regelung des Erbhofrechts, um einen ungeteilten Übergang der Bauernhöfe an den jeweiligen Erben zu garantieren, gab es allerdings bereits im 19. Jahrhundert innerhalb konservativer Kreise und der Agrarverbände.341 Sowohl der Bund der Landwirte im Kaiserreich als auch der Reichslandbund in der Weimarer Republik plädierten für eine weitgehende Subventionierung, die Herauslösung der Landwirtschaft aus dem marktwirtschaftlichen System sowie für den Schutz der landwirtschaftlichen Betriebe vor einer Überschuldung. Dabei betonten sie die herausragende Rolle der Bauern für die deutsche Gesellschaft und argumentierten auch mit antisemitischen, sozialdarwinistischen und ständischen Prinzipien.342 Das Reichserbhofgesetz und die bei den Oberlandesgerichten angesiedelten Erbhofgerichte wurden zwar erst während 338 Für die rechtliche Begründung des Urteils Vgl. ebenda, S. 148 f., Zit. nach: S. 148. 339 Zu dieser ideologischen Grundlage vgl. Theresia Bauer, Nationalsozialistische Agrarpolitik und bäuerliches Verhalten im Zweiten Weltkrieg. Eine Regionalstudie zur ländlichen Gesellschaft in Bayern, Frankfurt am Main 1996, S. 21–35; Daniela Münkel, Nationalsozialistische Agrarpolitik und Bauernalltag, Frankfurt am Main 1996, S. 93–118. 340 Vgl. Birgit Fastenmayer, Hofübergabe und Altersversorgung. Generationswechsel in der Landwirtschaft 1870 bis 1957, Frankfurt am Main 2009; Zit. nach: Münkel, Nationalsozialistische Agrarpolitik, S. 112. 341 Vgl. Münkel, Nationalsozialistische Agrarpolitik, S. 112. 342 Vgl. Daniela Münkel, Bäuerliche Interessen versus NS-Ideologie. Das Reichserbhofgesetz in der Praxis, in: Vierteljahrshefte für Zeitgeschichte 44 (1996), H. 4, S. 549–580, hier S. 552.

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der NS-Zeit mit entsprechender ideologischer Aufladung des Bauerntums als „politische und rassische Elite“343 oder „biologisches Kollektiv“344 eingeführt, waren jedoch vor diesem Hintergrund nicht nur ein nationalsozialistisches Phänomen.345 Kennzeichnend für die NS-Zeit waren vielmehr die – im Vergleich zum Kaiserreich und zur Weimarer Republik – extreme rassenpolitische Ideologisierung und Instrumentalisierung der Bauernpolitik, wonach die Bauern „die biologische Basis der rassischen Aufartung des deutschen Volkskörpers“ bilden sollten.346 So waren vom Gesetz insbesondere mittelgroße Betriebe betroffen, die als „Vollwertbetriebe“ galten und eine zentrale Rolle bei der Nahrungsmittelproduktion spielten. Dabei handelte es sich in der Regel um Familienbetriebe, die dem vom Regime propagierten Bild vom „Dorf und seinen Bewohnern“ entsprachen.347 Beim Vollzug des Gesetzes spielten die Erbhofgerichte eine zentrale Rolle. Diese waren vor allem für die Bearbeitung von Beschwerden gegen die Entscheidungen der Anerbengerichte, die in den jeweiligen Bezirken aktiv waren, zuständig.348 Aus den vielen Beschwerden geht hervor, wie unbeliebt das Gesetz unter der Bauernbevölkerung war, was auch die Mitarbeiter des Erbhofgerichts München beobachteten.349 Gerade in Süddeutschland, wo Erbteilungen zur gängigen Bauernpraxis gehörten, stieß das Gesetz auf viel Widerstand.350 Durch den starken Arbeitsanfall beim Erbhofgericht München wurde 1934 eine zweite Abteilung gebildet, in der Ehard zunächst als stellvertretender Vorsitzender und ab 1937 als Vorsitzender arbeitete. Aus einem Bericht von 1935 geht hervor, dass Ehard gegenüber dem Präsident des Oberlandesgerichts Münchens, Georg Neithardt (1933–1937), die „enge und harmonische Zusammenarbeit mit den bäuerlichen Erbhofrichtern“ be343 So formulierte es der nationalsozialistische Agrarideologe Walther Darré. Dazu vgl. Münkel, Nationalsozialistische Agrarpolitik, S. 95–99; Ludyga, Oberlandesgericht, S. 247 f. 344 Zu den rassenpolitischen Elementen des Reichserbhofgesetzes vgl. Uwe Mai, „Rasse und Raum“. Agrarpolitik, Sozial- und Raumplanung im NS-Staat, Paderborn 2002, S. 49–58. 345 Das Gesetz wurde bis 1943 durch Durchführungsverordnungen immer wieder erweitert und modifiziert. 346 Uwe Mai verglich das preußische „Bäuerliche Erbhofgesetz“ mit dem Reichserbhofgesetz und konnte die rassistische Aufladung während der NS-Zeit überzeugend darlegen. Vgl. Mai, Rasse und Raum, S. 49–52, Zit. nach: S. 49. Vgl. auch Fastenmayer, Generationswechsel, S. 247. 347 Zit. nach: Münkel, Nationalsozialistische Agrarpolitik, S. 114. 348 Zum Aufbau des dreiteiligen Gerichtszweig Anerbengericht, Erbhofgericht und Reichserbhofgericht vgl. ebenda, S. 117. 349 Zur Kritik der Bauern und Rolle regionaler Unterschiede vgl. Münkel, Bäuerliche Interessen, S. 552–555; Ludyga, Oberlandesgericht, S. 256. 350 Der Status „Erbhof“ hatte für die Geschwister des Haupterbens wesentliche finanzielle Nachteile beim Aufbau eines eigenen Bauernhofs. Der Erbhofanteil in Bayern lag 1939 bei 29 %, was im Vergleich zu anderen Gebieten sehr hoch war. In Baden lag der Anteil bei 6 % und in Württemberg bei 11 %. Dazu vgl. Münkel, Bäuerliche Interessen, S. 553; Ludyga, Oberlandesgericht, S. 256.

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grüßte und die „großen Gedanken und Ziele“ des Erbhofgesetzes lobte.351 Obwohl diese Formulierungen aus einem Brief an seinem Fortgesetzten nicht notwendigerweise mit Ehards tatsächlicher Einstellung übereinstimmen müssen, spricht einiges dafür, dass er dem Gesetz wohl nicht ablehnend gegenüber stand. So bemühte er sich noch während des Zweiten Weltkriegs in Zusammenarbeit mit dem Reichsjustizministerium um eine „Fortbildung“ des Erbhofrechts und war außerdem an der Erstellung einer kommentierten Fallsammlung zur Rechtsprechung in Erbhofsachen beteiligt.352 Diese Handlungen zeigen, dass Ehard sich zumindest als juristischer Fachexperte im Sinne des NS-Staats profilieren wollte. Ebenfalls interessant sind die unter Ehards Leitung zustande gekommenen Urteile in der sogenannten Bauernfähigkeit, die ein Bauer belegen musste, um als Eigentümer eines Erbhofs anerkannt zu werden.353 Ein Einblick in die Urteilsprotokolle des Erbhofgerichts in München von 1938, die nahezu alle von Ehard als Vorsitzender unterschrieben wurden, zeigt, dass dieser in einigen Fällen bei der Beurteilung der Bauernfähigkeit im Sinne des NS-Bauernideals argumentierte. So vermerkte er in einem Urteil vom 11. März, dass eine Familie einen „Schwachsinnigen“ in der Verwandtschaft hatte, und in einem anderen Fall vom 15. Juli, dass der Landwirt nach Aussagen des Kreisbauernführers unter „Trunksucht“ litt. In einem Fall vom 8. Juli wurde sogar darauf verwiesen, dass ein Landwirt, der mit dem Status seines Hofs als Erbhof nicht einverstanden war, „auch im Frühjahr 1937 schon für das KZ Dachau vorgeschlagen gewesen [sei]“.354 Auch politische Motive spielten in der Beurteilung der Bauernfähigkeit eine Rolle, was ein Fall mit

351 Der rechtsnationale Neithardt war während des Hitler-Prozesses der Vorsitzende des Bayerischen Volksgerichts gewesen und galt als Unterstützer der Nationalsozialisten. 1933 wurde er für seine Unterstützung zum Präsidenten des Oberlandesgerichts München ernannt. Vgl. Patrick Dassen, De Weimarrepubliek 1918–1933. Over de kwetsbaarheid van de democratie, Amsterdam 2021, S. 387–390. Zit. nach: Ludyga, Oberlandesgericht, S. 256. 352 Vgl. Ludyga, Oberlandesgericht, S. 256; Gelberg, Hans Ehard, S. 29 f. 353 Voraussetzung für die Bauernfähigkeit war die deutsche Staatsbürgerschaft oder die Abstammung „deutschen oder stammesgleichen Blutes“ sowie die sogenannte Ehrbarkeit. In Frage der Ehrbarkeit beurteilte das Erbgerichthof, ob ein Bauer nach „Gesamtverhalten“ und „Gesamtpersönlichkeit“ fähig war, seinen Bauernhof „ordnungsgemäß“ zu bewirtschaften. Beschäftigte ein Bauer jüdische Hilfskräfte, dann war er von vorneherein nicht ehrbar. Nicht ehrbare Eigenschaften galten als „minderwertig“. Zum Begriff der Bauernfähigkeit vgl. Cornelia Schmitz-Berning, Vokabular des Nationalsozialismus, Berlin 2007, 86 f.; Ludyga, Oberlandesgericht, S. 247, 257; Münkel, Bäuerliche Interessen, S. 551 f. 354 Für das Jahr 1938 konnte allerdings nicht festgestellt werden, dass jüdische Fälle behandelt wurden. Eine systematische Auswertung der Protokolle ab 1934 ist allerdings notwendig, um die Rolle Ehards genauer zu fassen. Für die hier erwähnten Urteile und die restlichen aus dem Jahre 1938: StAM, Oberlandesgericht München, Erbhofgericht 12.

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einem angeblich kommunistisch gesinnten Bauern im Jahre 1939 belegt.355 In diesem Fall argumentierte die Urteilsbegründung nicht nur wirtschaftlich, sondern nahm die nationalsozialistische Agrarideologie mit auf. Auch wenn Ehard innerlich mit diesen ideologischen Elementen nicht einverstanden war, was im Fall des kommunistisch gesinnten Bauers sogar unwahrscheinlich ist, weil Antikommunismus ebenfalls zum ideologischen Leitfaden der BVP gehört hatte, trug er äußerlich mit diesen Urteilen zu ihrer praktischen Implementierung in der Gerichtspraxis bei.356 Zugleich soll Ehard allerdings als Vorsitzender des Deutschen Ärztegerichtshofs in München Handlungsspielräume ausgenutzt haben. Diese Behörde war für die ideologische Überwachung der Ärzteschaft im „Dritten Reich“ zuständig.357 Ein in der Nachkriegszeit öffentlich diskutierter Fall erweckte zumindest den Eindruck, dass Ehard hier, insoweit dies möglich war, nicht lediglich die rechtlichen Vorgaben des NS-Regimes ausführte, sondern zu Gunsten eines Angeklagten sein Urteil milderte. Nach 1945 wurde Ehards Handeln in der NS-Zeit immer wieder von seinen politischen Gegnern öffentlich skandalisiert. Diese Skandalisierung erreichte 1949 während des Flügelkampfs in der CSU ihren Höhepunkt und Materialien zu Ehards angeblicher NS-Vergangenheit landeten sogar bei Konrad Adenauer auf dem Schreibtisch.358 Ehard wurde vorgeworfen, 1943 im Rahmen seiner Tätigkeit am Deutschen Ärztegerichtshof in einem Fall eine Urteilsverschärfung im Sin355 Für dieses Gerichtsverfahren, das ebenfalls unter der Leitung Ehards stand, vgl. Ludyga, Oberlandesgericht, S. 259 f. 356 Im Fall Ehard ist weitere, systematisch angelegte Forschung notwendig, um zu klären, wie er als stellvertretender Vorsitzender und späterer Vorsitzender in seinen Urteilen über die Facetten der Erbhofs-Frage argumentierte, inwiefern dabei nationalsozialistische Denk- und Argumentationsweisen eine Rolle spielten und ob er möglicherweise Handlungsspielräume ausnutzte. Die Herausforderung bei der Beurteilung der Rechtspraxis zu den Erbhofgerichten liegt in der Frage, inwiefern in den Prozessen der NS-Zeit nationalsozialistische Stereotype in den Gerichtsurteilen eine Rolle spielten. Es wäre dagegen zu einfach, alle Personen, die sich vom Erbhofgesetz benachteiligt fühlten, als Opfer des Nationalsozialismus anzusehen. Theoretisch hätten sich auch Personen (vor allem die Geschwister des Haupterben) vor 1933 von einem solchen Gesetz finanziell benachteiligt fühlen können. Für die Anerbenordnung nach dem Reichserbhofgesetz vgl. Münkel, Nationalsozialistische Agrarpolitik, S. 116. Wilhelm Hoegner bemerkte 1937 in seiner Analyse vom NS-Strafrecht, dass eine gewaltsame Ablehnung des Erbhofrechts als „Volksverrat“ galt: IfZ, ED 120 17, „Teil B: Das nationalsozialistische Strafrecht“, 5. Oktober 1937, Bl. 21 f. 357 Die Dienstaufsicht über den Deutschen Ärztegerichtshof führte das Reichsinnenministerium. In der Praxis beschäftigte der Gerichtshof sich vor allem mit Beschwerden gegen Entscheidungen ärztlicher Bezirksgerichte. Das Ärztegerichtshof war für das gesamte Reichsgebiet zuständig. Zur Tätigkeit des Deutschen Ärztegerichtshofs vgl. Ludyga, Oberlandesgericht, S. 255. 358 Vgl. Rudolf Morsey, Zwischen Bayern und der Bundesrepublik. Die politische Rolle des bayerischen Ministerpräsidenten Hans Ehard 1946–1949, in: Juristenzeitung 36 (1981), 11/12, S. 361–370, hier S. 362.

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ne der „Nürnberger Gesetze“ durchgeführt zu haben.359 Bei diesem Fall handelte es sich um einen Chirurgen, der mit der Tochter eines jüdischen Generaloberarztes verheiratet war. Um Mitglied der NSDAP werden zu können, damit er für eine Krankenhausstelle in Frage käme, lies er sich von seiner Frau scheiden, nahm jedoch nach der Trennung wieder eine Beziehung zu ihr auf. Dies führte zu einem Parteigerichtsverfahren und einem Ausschluss aus der NSDAP. Daraufhin sprach die Ärztekammer ein Berufsverbot gegen ihn aus und es kam zu einem Prozess vor dem Ärztegerichtshof in Düsseldorf sowie einer anschließenden Berufung vor dem Reichsärztegericht in München. Im Revisionsverfahren behielt der Arzt seine Approbation. Die Anschuldigung veranlasste ebenfalls die alarmierte Militärregierung zu einer Untersuchung des Ministerpräsidenten. Ehard wies die Anschuldigung zurück und verteidigte sein Handeln mit der Begründung, dass während der Prozessführung zwar ein Berufsverbot gegen den betroffenen Arzt verlangt wurde, er ihn jedoch davor bewahrt habe.360 Bei einer Nachfrage der Militärregierung beim Sonderministerium wurde diese Sichtweise vom Staatssekretär Camille Sachs – selbst ein ehemaliger Richter – bestätigt. Ehard war 1946 bereits von einer Spruchkammer als „vom Gesetz nicht betroffen“361 eingestuft worden und der Staatssekretär hielt trotz der Anschuldigungen gegen Ehard ein Spruchkammerverfahren für überflüssig.362

359 Rudolf Morsey schrieb, dass es sich um einen Einzelfall bei einem Ehrengericht des NS-Ärztebunds von 1938/39 handelte. Ehards Stellungnahme zu den Vorwürfen berufen sich auf ein Urteil von 1943, das wegen seiner Arbeit im Ärztegerichtshof ab 1942 wahrscheinlicher ist. Für den Fall und die Stellungnahme Ehards vgl. Gelberg, Hans Ehard, S. 30 f. vgl. Morsey, Zwischen Bayern, S. 362. 360 Vgl. Gelberg, Hans Ehard, S. 31. 361 Vgl. das Spruchkammerurteil in: BayHStA, NL Hans Ehard 267. 362 Vgl. Gelberg, Hans Ehard, S. 31. Auch über Ehards Tätigkeit beim Deutschen Ärztegerichtshofs ist weitere, systematisch angelegte Forschung notwendig, obwohl es auch hier keine Hinweise gibt, dass Ehard aus nationalsozialistischer Überzeugung handelte. Dafür sollten Urteile des Deutschen Ärztegerichtshofs München im Historischen Archiv der Bundesärztekammer Köln einbezogen werden. Für Hinweise auf diesen Bestand vgl. Astrid Ley, Zwangssterilisation und Ärzteschaft. Hintergründe und Ziele ärztlichen Handelns 1934–1945, Frankfurt am Main 2004, S. 171; Martin Rüther, Ärztliches Standeswesen im Nationalsozialismus 1933–1945, in: Robert Jütte (Hrsg.), Geschichte der deutschen Ärzteschaft. Organisierte Berufs- und Gesundheitspolitik im 19. und 20. Jahrhundert, Köln 1997, S. 143–195; Thomas Gerst, Ärztliche Standesorganisation und Standespolitik in Deutschland 1945–1955, Stuttgart 2004, S. 261.

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Nach dem Krieg Ehard konnte zum Zeitpunkt seiner Ministerpräsidentenwahl bereits auf mehr als 25 Jahre Erfahrung innerhalb der bayerischen Justizverwaltung zurückblicken. Nach der deutschen Kapitulation wurde er von Fritz Schäffer, ebenso wie Wilhelm Hoegner, mit dem Wiederaufbau des bayerischen Justizwesens beauftragt.363 Ehards Name stand auf der Weißen Liste, sodass die Militärregierung ihn, ähnlich wie Fritz Schäffer, als vom Nationalsozialismus unbelastet beurteilte und seiner Ernennung nichts im Weg stand.364 In der Regierung Hoegner war er anschließend als Staatssekretär im Justizministerium und im Vorbereitenden Verfassungsausschuss tätig. Außerdem wurde er für die CSU am 30. Juni 1946 in die Verfassungsgebende Landesversammlung gewählt, wo er Hoegners Plan eines Bayerischen Staatspräsidenten unterstützte. Die Spitzenjuristen Hoegner und Ehard hatten ein gutes persönliches Verhältnis und waren durch ihre föderalistische Überzeugung eng miteinander verbunden.365 Nicht zuletzt hatte Hoegner als Vorsitzender der bayerischen SPD bei der Wahl Ehards zum Ministerpräsidenten im Hintergrund während der Verhandlungen mit dem Hundhammer-Flügel über eine Regierungskoalition eine wichtige Rolle gespielt.366 Das Amt des Bayerischen Ministerpräsidenten wurde durch die Bayerische Verfassung 1946 grundlegend neu definiert.367 Ehard hatte als Ministerpräsident über die Richtlinien der Politik zu entscheiden, führte die Geschäfte der Staatsregierung und hatte den Vorsitz im Ministerrat inne. Außerdem ernannte und entließ er im Einvernehmen mit dem Bayerischen Landtag Minister und Staatssekretäre und wies den Ministern die Geschäftsbereiche zu. Daneben übte er das Begnadigungsrecht aus und die Ausfertigung und Verkündigung der Gesetze zum Abschluss des Gesetzgebungsverfahrens oblag ihm. In letzterer Funktion konnte er etwaige staatsrechtliche Bedenken in das Gesetzgebungsverfahren einfließen lassen. Darüber hinaus vertrat der Ministerpräsident Bayern nach außen. Einerseits ging es dabei um die formelle Repräsentationsfunktion des Ministerpräsidenten als Staatschef, die sowohl innerhalb als auch außerhalb des Landes von Bedeutung war. Anderseits hatte diese Funktion eine sachpolitische Seite als Führung 363 Vgl. Gelberg, Hans Ehard, S. 32 f. 364 Zu Ehard hieß es: „Etwa 56 Jahre alt. Mitglied der Bayerischen Volkspartei. Zweiter Staatsanwalt im Prozeß gegen Hitler im Jahr 1923 [sic!]. Senatspräsident des Oberlandesgerichts in München. Gilt als überzeugter anti-Nazi.“ Vgl. Wuermeling, Weiße Liste, S. 223. 365 Vgl. Ritter, Arbeiter, S. 302. 366 Nachdem Hoegner die Kandidatur von Pfeiffer abgelehnt hatte, sprach er sich gegenüber Hundhammer für Ehard – und nicht für Müller – aus. Vgl. Schlemmer, Aufbruch, S. 184. 367 Vgl. Nawiasky/Leusser (Hrsg.), Verfassung, S. 118–126; Kramer, Geschichte des Amtes, in: Liess (Hrsg.), Schönstes Amt, S. 19 ff.

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der bayerischen „Außenpolitik“.368 Bis 1949 handelte es sich dabei um das Verhältnis zu den Besatzungsbehörden, zu den übrigen deutschen Ländern, zu den zonalen und bizonalen Behörden sowie zu „künftig entstehenden Organen“.369 Ab 1949 kam die Vertretung Bayerns beim Bund und gegenüber dem Ausland hinzu, insofern das Grundgesetz dazu Handlungsspielräume ließ.370 Diese hervorgehobene Position des Ministerpräsidenten war ein deutlicher Unterschied zu der eher kollegialen Rolle, die der Ministerpräsident nach der Bamberger Verfassung im Ministerrat erfüllte. Es war nach der Bayerischen Verfassung vom Dezember 1946 eindeutig, wer das mächtigste politische Amt in Bayern innehatte. Bis zur Gründung der Bundesrepublik wurde jedoch auch Ehards Machtposition von der Militärregierung noch eingegrenzt. Ehards Erfahrungen aus der Weimarer Republik und der NS-Zeit prägten offensichtlich sein offensives, föderalistisches politisches Programm nach 1945. Obwohl sich Ehard nach der Gründung der CSU weniger als andere Mitglieder öffentlich zu einem der Flügel bekannte und vielmehr im Hintergrund der Partei aktiv war, sodass er größtenteils vom internen Flügelkampf verschont blieb, war er nicht der „Mann der Mitte“, den manche Zeitgenossen, Zeitungen und nicht zuletzt die Militärregierung gern in ihm gesehen hätten.371 Ehard stand nicht zwischen den Parteiflügeln, sondern gehörte „gesinnungsmäßig und in seinem Denken“ dem katholisch-konservativen Schäffer-Hundhammer-Flügel an.372 Während Josef Müller die „Eigendynamik der Partei“ gegenüber dem Staat betonte, wusste Ehard wenig mit der Partei anzufangen. Ehard dachte stattdessen vielmehr im Sinne des Staatsapparats und der Staatsautorität. Er stand in der bayerischen Staatstradition und sah als Ministerialbeamter die gesellschaftlich-politische Integration als Staatsaufgabe mit verwaltungstechnischen Mitteln.373 Im Gegensatz zu Schäffer 368 Nawiasky/Leusser (Hrsg.), Verfassung, S. 125. 369 Ebenda. 370 In Nawiaskys Verfassungskommentar heißt es zur Vertretung Bayerns beim Bund: „Sie vollzieht sich auf verschiedenen Ebenen: in der Teilnahme des Landes an der Gesetzgebung und Verwaltung des Bundes über den Bundesrat und in der Vertretung Bayerns gegenüber der Bundesregierung oder obersten Bundesbehörden.“ Vgl. Hans Nawiasky (Hrsg.), Die Verfassung des Freistaates Bayern vom 2. Dezember 1946. Ergänzungsband zum Handkommentar, München 1953, S. 48. 371 Vgl. Mintzel, CSU, S. 240; Gelberg, Hans Ehard, S. 43; Schlemmer, Aufbruch, S. 183 f.; Niethammer, Mitläuferfabrik, S. 434. 372 Alois Hundhammer führte im Hintergrund der Ministerpräsidentenwahl eine offensive Politik gegen Josef Müller, damit Ehard zum Ministerpräsidenten gewählt werden konnte. Nach der ersten Wahlrunde am 21. Dezember schloss Hundhammer in der Sitzungspause mit der SPD und WAV eine Übereinkunft und schlug dabei Ehard als Ministerpräsident vor. Vgl. Gelberg, Hans Ehard, S. 42; Schlemmer, Aufbruch, S. 183–186; Zit. nach: Mintzel, CSU, S. 240. 373 Mintzel, CSU, S. 240.

2.4 Föderalismus in der Offensive: Hans Ehard



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wollte Ehard nach dem Krieg jedoch kein BVP-Erbe antreten. Im Amt identifizierte Ehard sich insbesondere mit dem ehemaligen Ministerpräsidenten der BVP, Heinrich Held, der während der Weimarer Republik zum gemäßigten mittleren Flügel der Partei gehört hatte.374 Ähnlich wie Held sah Ehard sich als „Mann des Rechts“ und Bayern als Teil eines föderalistischen Staats.375 Der Föderalismus wurde für Ehard zum Synonym der Demokratie. In seiner Regierungserklärung vor dem Bayerischen Landtag am 10. Januar 1947 erklärte Ehard zur Position Bayerns innerhalb von Deutschland: „Im ganzen läßt sich die grundsätzliche Linie der bayerischen Regierung dahin zusammenfassen: Wir wollen gerne und großzügig jeden Beitrag leisten, den ein bundesstaatlich neu gestaltetes Deutschland braucht, um die wirklich gemeinsamen deutschen Aufgaben erfolgreich zu lösen und eine ehrenvolle Rückkehr Deutschlands in die Gemeinschaft der Nationen zur Mitarbeit an der Besserung des Loses einer geschlagenen Menschheit ermöglichen zu können. Wir wollen aber auch Bayern im neuen Deutschland eine Stelle verschaffen, die ihm nach seiner Größe und seiner Geschichte zukommt. Diesen Anspruch begründen wir nicht nur historisch, sondern aus der lebendigen Gegenwart der deutschen und der europäischen Lage. Bittere Erfahrungen der Vergangenheit mahnen uns, dem zukünftigen Deutschland eine staatsrechtliche Gestalt zu geben, die gleichzeitig die beste Gewähr für eine friedliche Entwicklung im Herzen Europas gebietet.“376 Für Hans Ehard stand nach seinem Antritt als Ministerpräsident fest, dass diese „staatsrechtliche Gestalt“ ein föderalistischer Bundesstaat sein sollte. Ein paar Monate später schrieb er dazu: „Vergangenheit und Gegenwart des politischen Geschehens in Bayern sind aufs engste mit der Idee des Föderalismus verbunden. Föderalismus heißt die Parole, die Bayern für ein zukünftiges, sich zu seiner wahren Natur zurückfindendes Deutschland ausgegeben hat.“377 Dabei sollten die Vollmachten von den jeweiligen Staaten, die Ehard bewusst nicht als „Länder“ bezeichnete, auf den Bund übertragen werden – nicht umgekehrt.378 Der Bundesstaat sollte von den Staaten aus aufgebaut werden. Ehard konnte in diesem Sinne auf der föderalistischen Politik seines Vorgängers aufbauen, der seine „Außenpolitik“ von dem gleichen Souveränitätsanspruch aus konzipiert hatte. Dennoch entschied 374 Dazu vgl. Schönhoven, Bayerische Volkspartei, S. 97–107; Altendorfer, Fritz Schäffer, S. 169. 375 Vgl. Karl Schwend, Einleitung, in: Bayerische Politik. Ansprachen und Reden des bayerischen Ministerpräsidenten Dr. Hans Ehard, ausgewählt und eingeleitet von Karl Schwend, München 1952, S. 7–13. 376 ArchdBL, Stenographischer Bericht über die Verhandlungen des Bayerischen Landtags, Nr. 3, 10. Januar 1947, S. 36 f. 377 Ehard, Freiheit, S. 5 f. 378 Vgl. ArchdBL, Stenographischer Bericht über die Verhandlungen des Bayerischen Landtags, Nr. 3, 10. Januar 1947, S. 36.

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sich der neue Ministerpräsident angesichts der sich verändernden politischen Lage für eine offensivere Variante, die von föderalistischen Maximalforderungen ausging. Ehard führte ab 1947 eine „Föderalismusoffensive“, die so viel bayerische Eigenständigkeit wie möglich im Verhandlungsprozess über die Gründung der Bundesrepublik sicherstellen sollte.379 Bei der Legitimation dieser Politik spielte eine Person eine wichtige Rolle. Er war von Anfang an beim Aufbau der Staatskanzlei involviert gewesen, aber aufgrund seiner NS-Vergangenheit zunächst nur im Hintergrund tätig: Karl Schwend.

2.5 Hausideologe im Hinterzimmer: Karl Schwend Offiziell wurde Karl Schwend erst am 20. Mai 1947 in die Staatskanzlei zum Zweck des „Aufbaus des Archivs der vorübergehend einzurichtenden Abteilung für Friedensfragen“ eingestellt.380 Vieles weißt jedoch daraufhin, dass der ehemalige Hauptschriftleiter der BVC bereits seit dem Sommer 1945 inoffiziell für die Staatskanzlei tätig war. Hier spielte er im Sommer 1945 nicht nur eine wichtige, vermittelnde Rolle zwischen Schäffer und Pfeiffer während der Gespräche über die Einrichtung der neuen Staatskanzlei. Zugleich war er für Schäffer, Pfeiffer und Ehard als politischer Berater aktiv und entwarf im August und September 1945 zusammen mit Pfeiffer das „Grundsatz-Programms einer Christlich-Demokratischen Volkspartei in Bayern“.381 Während sich Pfeiffer in der Nachkriegszeit auf die Organisation und politische Aktivitäten der Staatskanzlei fokussierte, arbeitete Schwend an historisch begründeten föderalistischen Grundpositionen und entwickelte sich unter Ministerpräsident Ehard zum Hausideologen der Behörde. Die Tatsache, dass Schwend zunächst lediglich inoffiziell im Hintergrund anwesend war, hing mit einem Faktor zusammen, der ihn von den anderen Gründungsväter der Staatskanzlei unterschied: die Mitgliedschaft in der NSDAP.

379 Zit. nach: Kock, Bayerns Weg, S. 339. 380 BayHStA, StK 13455, Dienstvertrag, 17. Juli 1947; Fritz Baer an die Bayerische Landeshauptkasse, 19. Juni 1947. 381 BayHStA, NL Anton Pfeiffer 540, Niederschrift Pfeiffers über Besprechungen im Mai und Juni 1945; NL Anton Pfeiffer 41, „Grundsatz-Programm einer Christlich-Demokratischen Volkspartei in Bayern“, 5. September 1945. Vgl. Kock, Bayerns Weg, S. 143; Fait, Einleitung, in: Mintzel/Fait (Hrsg.), Die CSU, S. XIX.

2.5 Hausideologe im Hinterzimmer: Karl Schwend



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Schriftleiter der BVC Schwend wurde am 30. Mai 1890 in eine bayerische Beamtenfamilie geboren. Nachdem er 1909 sein Abitur am Gymnasium in Bayreuth abgeschlossen hatte, entschied er sich für die Armee. Im Sommer 1909 trat er als Fahnenjunker in das 21. Bayerische Infanterieregiment in Fürth ein. Als sein Wechsel zur Marine abgelehnt wurde, besuchte er 1910/11 die königlich bayerische Kriegsschule in München und legte dort 1911 mit guten Leistungen die Offiziersprüfung ab.382 Während des Ersten Weltkrieges kämpfte er im Rang eines Leutnants mit seinem alten Fürther Regiment in Lotheringen, Flandern und Rumänien als Kompanie- und Bataillonsführer mit.383 Ab Ende 1916 konnte er wegen psychischer Probleme auf Grund seiner Erlebnisse an der Front, weshalb er mehrmals behandelt wurde, nur noch hinter der Frontlinie als Regimentsadjudant des 5. Bayerischen Ersatzregiments in den Vogesen Dienst tun. Für seine Rolle im Krieg wurde er mehrmals ausgezeichnet.384 Nach seinen eigenen Angaben wurde Schwend 1918 noch nach dem Krieg zum Hauptmann befördert, musste jedoch noch im gleichen Jahr aus dem Heeresdienst ausscheiden.385 Bereits 1919 besuchte er seine ersten Vorlesungen für das Studium der Rechts- und Staatswissenschaften an der Universität München. Während seines Studiums wurde er zugleich Mitglied der Katholischen Studentenverbindung Rheno-Franconia im Cartellverband. Hier lernte er der spätere Landeshistoriker Max Spindler kennen, mit dem er sein Interesse für die bayerische Landesgeschichte teilte.386 Nach Schwends eigenen Angaben studierte er in München bis 1925 insgesamt zehn Semesterlang. Während sechs Semestern belegte er rechtsund staatswissenschaftliche Vorlesungen, in sieben Semestern beschäftigte er sich, zeitweise also parallel zu seiner juristischen Ausbildung, mit Geschichte, insbesondere mit der Bayerischen.387 Einen Universitätsabschluss erreichte er höchstwahrscheinlich in keinem der beiden Fächer.388 Der Grund dafür liegt wahrscheinlich in den umfangreichen politischen Aktivitäten, die er neben seinem Studium aufnahm. Bereits 1918 war er der BVP bei382 Vgl. Wegmaier, Steuermänner, S. 566. 383 Vgl. ebenda, S. 566 f. Siehe auch: BayHStA, StK 13455, Lebenslauf Karl Schwend, 19. Juni 1947. 384 Vgl. Wegmaier, Steuermänner, S. 566. 385 BayHStA, NL Anton Pfeiffer 368, Lebenslauf Karl Schwend, April 1948. 386 Vgl. Wegmaier, Steuermänner, S. 568. 387 BayHStA, NL Anton Pfeiffer 368, Lebenslauf Karl Schwend, April 1948. 388 Alexander Wegmaier bemerkt dazu mit Recht, dass Schwend in keiner seiner Lebensläufe einen Abschluss vermeldet. Außerdem soll er sich im Wintersemester 1931/32 nochmal rückgemeldet haben. Ob dabei das Ziel war, sein Studium abzuschließen, ist jedoch unklar. Vgl. Wegmaier, Steuermänner, S. 568.

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getreten und während der Verfassungsberatungen in Bamberg im Frühsommer 1919 lernte er Hans Ehard und Anton Pfeiffer kennen, der gerade zum Generalsekretär der Partei ernannt worden war.389 Daraufhin trat Schwend als Mitarbeiter ins Generalsekretariat der Partei ein. Dass die Zusammenarbeit mit Pfeiffer reibungslos verlief, geht aus der Tatsache hervor, dass der 30-jährige Schwend bereits im November 1920 mit der Herausgabe und Hauptschriftleitung der BVC betraut wurde. Die BVC lieferte täglich Artikel zu Politik, Wirtschaft und Kultur in Bayern und in Deutschland und vertrat dabei offensichtlich die Programmatik der BVP.390 Schwends Einfluss auf die Publizistik der BVP nahm darüber hinaus 1924 mit der Übernahme des Vorsitzes des Landesverbandes der Bayerischen Volksparteipresse noch erheblich zu. Wenige Personen hatten während der Weimarer Republik so viel Einfluss auf die öffentliche Meinung im katholisch-konservativen politischen Spektrum in Bayern wie er, denn zum BVP-Pressenetzwerk gehörten nicht weniger als 120 bis 160 Zeitungen.391 Gerade an diese publizistischen Tätigkeit konnte Schwend nach 1945 anknüpfen. Neben dieser Arbeit profilierte er sich rasch innerhalb der Parteiführung und wurde zum engen Vertrauten des Ministerpräsidenten Held, des Fraktionsvorsitzenden Georg Wohlmuth sowie des Parteivorsitzenden Fritz Schäffer. Schwend war an den innerparteilichen Entscheidungsprozessen maßgeblich beteiligt, wurde für „besondere politische Missionen“ herangezogen und begleitete den Ministerpräsidenten zu politischen Konferenzen auf sowohl der Länder- als auch Reichsebene.392 Zusammen mit Pfeiffer und Hans Ritter von Lex war er außerdem 1929 maßgeblich an der Wahl von Schäffer zum Parteivorsitzenden beteiligt.393 Obwohl es Hinweise darauf gibt, dass Schwend gute Beziehungen zum linken republikanischen Flügel der BVP und sogar Kontakte zu den Sozialdemokraten im Bayerischen Landtag unterhielt, gehörte er in ideologischer Hinsicht eindeutig zum rechten Flügel der Partei und zu den Vertrauensleuten Schäffers.394 Altendorfer bemerkt in seiner Schäffer-Biografie dazu, dass Schäffer mit Schwend und Pfeiffer „meinungsdominierende unbedingte Vertrauensleute hinter sich [hatte],

389 StAM, SpkA K 1741, Schwend, Karl, Erklärung Hans Ehard, 16. September 1946. 390 Ein Großteil der Jahrgänge der BVC zwischen 1921 und 1932 ist in der Bayerischen Staatsbibliothek München überliefert. Ebenfalls enthält der Nachlass Anton Pfeiffers viele Schriften, die vom Generalsekretariat der BVP herausgegeben wurden. Exemplarisch: BayHStA, NL Anton Pfeiffer 20, 21. 391 Vgl. Wegmaier, Steuermänner, S. 570. 392 BayHStA, NL Anton Pfeiffer 368, Lebenslauf Karl Schwend, April 1948. Vgl. Wiesemann, Die Vorgeschichte, S. 12. 393 Vgl. Henzler, Fritz Schäffer, S. 69. 394 Vgl. Altendorfer, Fritz Schäffer, S. 169, 298 f. Vgl. Wegmaier, Steuermänner, S. 570 f.

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die er bei Bedarf jederzeit aktivieren konnte“.395 Es war vor diesem Hintergrund eben kein Zufall, dass sich Schäffer nach dem Zweiten Weltkrieg mit Pfeiffer und Schwend in Verbindung setzte und somit der ehemalige rechte Flügel der BVP eine sehr prominente Rolle beim Wiederaufbau der Staatskanzlei spielte. In den politischen Vorstellungen Schwends spiegelten sich die katholisch-konservativen Grundpfeiler des rechten Flügels der BVP. Dabei fällt allerdings auf, dass der lutherisch getaufte Schwend erst 1922 zum Katholizismus konvertierte.396 Ähnlich wie Schäffer und Pfeiffer betonte er während der Weimarer Republik in seinen Artikeln die Drohung des zunehmenden Reichszentralismus sowie die föderale Tradition der deutschen Nation und die „historisch sanktionierte bayerische Eigenstaatlichkeit“.397 Dies war keineswegs ein Gegensatz mit dem deutschen Reichsgedanken, solange das Reich kein unitarischer Einheitsstaat war.398 Somit stellte für Schwend der Abwehrkampf des bayerischen Föderalismus gegen die zentralistischen Tendenzen das Kernproblem der bayerischen Geschichte in der Weimarer Republik dar.399 Was die politischen Beiträge Schwends kennzeichnete, war, dass er stets historisch argumentierte und dabei sein großes Interesse für die bayerische Geschichte programmatisch einsetzte. Schwend lehnte einen unabhängigen bayerischen Staat ab. Außerdem sah er Bayern, dabei sehr wahrscheinlich aufbauend auf der Vorstellung der „Ordnungszelle“, als die letzte Bastion gegen den „norddeutschen Sozialismus“, der von Bayern aus bekämpft werden sollte.400 Außerdem pflegte Schwend Sympathien für eine Restitution der WittelsbacherMonarchie und verehrte insbesondere die Person des Kronprinzen Rupprechts, den er als „gleichsam heimlichen König“ Bayerns betrachtete.401 Darüber hinaus unterstützte Schwend 1932 publizistisch die Koalitionsverhandlungen Schäffers mit der NSDAP und warb Anfang 1933 aktiv für den Plan, Kronprinz Rupprecht als Generalstaatskommissar einzustellen.402

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Altendorfer, Fritz Schäffer, S. 298 f. Dazu vgl. auch Wiesemann, Die Vorgeschichte, S. 47. Vgl. Wiesemann, Die Vorgeschichte, S. 47. Vollhardt, Staatliche Heimatpolitik und Heimatdiskurse, S. 73. Vgl. Schwend, Bedeutung Bayerns, S. 212. Vgl. Wiesemann, Die Vorgeschichte, S. 12. Vgl. Wegmaier, Steuermänner, S. 567. Ebenda, S. 565. Vgl. Gelberg, Hans Ehard, S. 548.

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Im Dienst der Dornier-Werke Ein komplizierender Faktor nach dem Krieg stellte jedoch Schwends Beitritt in die NSDAP im Sommer 1940 dar.403 Die Machtübernahme der Nationalsozialisten hatte ihn zunächst in große Schwierigkeiten gebracht. Im Juli 1933 wurde nach der Selbstauflösung der BVP auch das Erscheinen der BVC eingestellt. Als die Verhaftungswelle einsetzte und viele BVP-Mitglieder in Stadelheim inhaftiert wurden, gelang es Schwend ins Gebirge zu flüchten.404 Nach Jahren der Arbeitslosigkeit, die ihn in materielle Schwierigkeiten brachten, wurde er Ende 1935 als Leiter der Verlagsabteilung in der Münchener Annoncen-Expedition Karl Gabler eingestellt, bevor er im März 1937 als Werkschutzleiter ins Oberpfaffenhofener Dornier-Werk wechselte.405 Damit war die Aufgabe des Abwehrbeauftragten gegen Spionage und Sabotage verbunden, jedoch keine politische Überwachung der Belegschaft.406 Später wurde Schwend zum Gesamtwerkschutzleiter der Münchener Dornier-Werke befördert und ab 1941 fungierte er sogar als Personalchef. Zu Recht merkt der Historiker Alexander Wegmaier an, dass Schwends Anstellung beim Dornier-Werk ein für ein ehemaliges BVP-Mitglied ungewöhnlicher Schritt war, denn die Dornier-Werke waren im Rüstungsbereich des NS-Staats aktiv. Allerdings soll Claude Dornier, nach Schwends eigenen Angaben, seine Anstellung persönlich durchgesetzt haben, weil er für die Stelle des Werkschutzleiters kein NSDAP- oder SS-Mitglied einstellen wollte.407

403 BarchB, R 9361-IX Kartei/40870844. 404 BayHStA, NL Anton Pfeiffer 368, Lebenslauf Karl Schwend, ohne Datum. 405 Ebenda; StAM, SpkA K 1741, Schwend, Karl, Dokument von Karl Schwend mit „persönlichen Angaben zu den Anlagen“, 28. September 1946. 406 In seinem Lebenslauf schreibt Schwend dazu Folgendes: „Mit der Stellung des Werkschutzleiters war die Aufgabe des Abwehrbeauftragten verbunden. Der Abwehrbeauftragte unterstand dem Betriebsführer. Die sich gegen Spionage, Sabotage und sonstige Gefährdung der Betriebssicherheit richtende Abwehr, stand unter Aufsicht der Abwehrstellen der [hier fehlt im Original ein Wort, RT]. Diese Abwehrstellen bei den [hier fehlt ein Wort im Original, RT] gingen vor etwa 1 Jahr an die Staatspolizeistellen über, bei denen Abteilungen für Industrieschutz bestanden. Mit der politischen Ausrichtung und Überwachung der Gefolgschaft, hatte der Beauftragte (Abwehrbeauftragte) nichts zu tun. Das war Sache der nationalsozialistischen Zellenorganisation unter der Führung der Betriebsobermänner. Der Abwehrbeauftragte hatte keinerlei politische oder parteiliche Funktion im Betrieb. Selbstverständlich hatte er auch nichts mit dem SD (Sicherheitsdienst) zu tun.“ Siehe: BayHStA, NL Anton Pfeiffer 368, Lebenslauf Karl Schwend, ohne Datum. 407 Ebenda.

2.5 Hausideologe im Hinterzimmer: Karl Schwend



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Nach dem Krieg In seinem Meldebogen für die Spruchkammer aus 1946 erklärte Schwend, dass er 1940 unter dem Druck seines Vorgesetzten bei Dornier und aus Angst, erneut arbeitslos zu werden, der NSDAP beigetreten sei.408 In den jeweiligen Spruchkammerarchivbeständen befindet sich eine sehr umfangreiche Zahl an vergleichbaren Erklärungen. Es erschien nach 1945 beinahe so, als hätte es in der NS-Zeit viele Mitglieder, jedoch keine Nationalsozialisten gegeben. Dennoch gibt es im Fall Schwend keine Hinweise darauf, dass er sich zur Ideologie des Nationalsozialismus hingezogen fühlte und darüber nach 1945 eine falsche Erklärung ablegte. In seiner BVC-Zeit hatte er publizistisch mehrmals vor Hitler und dem Nationalsozialismus gewarnt.409 Trotz seines Parteibeitritts blieb er während der NS-Zeit der katholischen Kirche und dem Freundeskreis um Fritz Schäffer verbunden und nach dem Krieg pflegte er viele Beziehungen zu ehemaligen konservativen Verfolgten.410 Zu keinem Zeitpunkt war er außerdem aktiv in den Partei-Organisationen und seine Mitgliedschaft in der Nationalsozialistischen Volkswohlfahrt (NSV) lässt sich aus seiner schwierigen finanziellen Situation aus den ersten Jahren des NSRegimes erklären.411 Vor diesem Hintergrund war sein Beitritt kein Bekenntnis zum Nationalsozialismus, sondern vielmehr einen Versuch, um zumindest nicht negativ aufzufallen und seine Stelle bei Dornier zu behalten. Der Kreisleiter der NSDAP wollte Schwend im Januar 1945 wegen politischer Unzuverlässigkeit entlassen. Wegen des akuten Personalmangels als Folge des Kriegsverlaufs wurde dies jedoch nicht umgesetzt und blieb er bis zur Auflösung der Dornier Werke im Mai 1945 im Dienst.412 Trotzt der vielen entlastenden Erklärungen über seine Tätigkeit während der NS-Zeit zog sich Schwends Entnazifizierungsverfahren in der Nachkriegszeit in die Länge. Schäffer und Pfeiffer hatten ihn im Sommer 1945 für die Pressestelle der Staatskanzlei vorgesehen, wofür er auf Grund seiner langjährigen Tätigkeit bei 408 StAM, SpkA K 1741, Schwend, Karl, Dokument von Karl Schwend mit „personlichen Angaben zu den Anlagen“, 28. September 1946. 409 Exemplarisch: Karl Schwend, „Die Taktik der Ludendorff-Hitler-Partei“, BVC (1923); „Ueber Adolf Hitler“, BVC (1930) und „Das braune System“, BVC (1932). 410 StAM SpkA K 1741, Schwend, Karl, Dokument von Karl Schwend mit „personlichen Angaben zu den Anlagen“, 28. September 1946. Vgl. Wegmaier, Steuermänner, S. 574. 411 Aus Schwends „Meldebogen auf Grund des Gesetzes zur Befreiung von Nationalsozialismus und Militarismus vom 5. März 1946“ geht hervor, dass er neben der NSV (1934–1945) ebenfalls zwischen 1942 und 1945 Mitglied der Deutschen Arbeitsfront (DAF) war. Siehe: StAM, SpkA K 1741, Schwend, Karl. 412 BayHStA, StK 13455, Lebenslauf Karl Schwend, 19. Juni 1947; StAM, SpkA K 1741, Schwend, Karl, Erklärung des ehemaligen Betriebsführers der Dornier Werke München, Paul von Mitterwallner, 15 September 1945.

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der BVC der ideale Kandidat war. Die Militärregierung lehnte jedoch seine Einstellung ab, nach allem Anschein wegen seiner Mitgliedschaft in der NSDAP und Tätigkeit bei Dornier.413 Offiziell war Schwend seine Rolle los; inoffiziell wurde er jedoch durch Pfeiffer mit „besonderen Aufgaben“ betraut. Interessant in dieser Hinsicht ist ein Artikel aus Die Zeit vom August 1966 über das sogenannte Lokuszimmer im Gebäude der Staatskanzlei, „wo Regierungschefs nominell belastete Mitarbeiter verborgen hielten, als die Amerikaner noch das große Wort in Bayern führten“.414 Laut Die Zeit soll Schwend der prominenteste Beamte in diesem Zimmer gewesen sein. Das Lokuszimmer existierte tatsächlich, befand sich in einem Sonderbereich zwischen dem ersten und zweiten Stockwerk und konnte nur durch eine steile Wendeltreppe betreten werden, deren Eingang sich im ersten Stockwerk versteckt in einer Art Einlaufschrank befand.415 Obwohl sich nicht nachweisen lässt, ob Schwend hier tatsächlich versteckt gearbeitet hat, geht zumindest aus den Akten hervor, dass er bereits vor seiner offiziellen Einstellung als eine Art Hausideologe im Hintergrund anwesend war und die bayerische Außenpolitik und somit die Staatskanzlei wesentlich mitkonzipierte.

Fazit Ohne Ausnahme wurden die politischen Vorstellungen der fünf Gründungsväter der Bayerischen Staatskanzlei in der Nachkriegszeit geprägt durch ihre Erfahrungen aus der Weimarer Republik und NS-Zeit. Allen waren um 1890 geboren, waren vom politischen Klima des späten Kaiserreichs beeinflusst und die Konstituierung der Weimarer Republik stellte eine entscheidende Zäsur für ihren Eintritt in die Politik dar. Dabei machten sie keineswegs die gleichen Erfahrungen. Während der ehemalige rechte BVP-Flügel um Fritz Schäffer nach 1945 innerlich mit einem doppelten „Weimar-Komplex“ (1918/19 und 1933) kämpfte, stellte für den SPD-Politiker Wilhelm Hoegner das Scheitern der Weimarer Republik den wichtigsten Bezugspunkt dar. Trotz dieser unterschiedlichen Erfahrungen waren sich die fünf Akteure in den ersten Nachkriegsjahren über das Hauptziel einig: Die bayerische Staatlichkeit sollte nach innen und nach außen so weit möglich wiederaufgebaut und verteidigt werden. In diesem Zusammenspiel von Erfahrungen, ideologischen Vor-

413 BayHStA, NL Anton Pfeiffer 540, Bestätigung von Pfeiffer an Schwend, 1. September 1945. 414 Vgl. Autor unbekannt, „Im Schlafgemach“, Die Zeit, 26. August 1966. 415 Der Autor der vorliegenden Dissertation hat im Sommer 2021 das ehemalige Gebäude der Staatskanzlei in der Prinzregentenstraße 7 besucht. Heute befindet sich im ersten Stockwerk in den ehemaligen Räumlichkeiten des Ministerpräsidenten sowie des Leiters der Staatskanzlei die Bayerische Elite-Akademie. Bei dem Besuch wurde auch das Lokuszimmer besichtigt.

2.5 Hausideologe im Hinterzimmer: Karl Schwend



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stellungen und sich ändernden politischen Konstellationen wurden die Weichen für die Bayerische Staatskanzlei gestellt, die sich zur Schaltzentrale des bayerischen Föderalismus entwickelte.

3 Führungspersonal und Personalpolitik: Akteure, Netzwerke und Vergangenheiten Als im September 1949 die erste Bundesregierung unter der Leitung Konrad Adenauers ihre Arbeit aufnahm, liefen die personalpolitischen Planungen für die Bundesministerien im Hintergrund längst auf Hochtouren.1 Wesentlich anders war die Situation 1945 auf der Länderebene. Von Planung konnte direkt nach der Kapitulation kaum die Rede sein. Vielmehr mussten die jeweiligen bayerischen Behörden zunächst unter improvisierten Bedingungen eruieren, welche Personen noch vor Ort zur Verfügung standen und inwiefern diese politisch belastet waren. Dabei herrschte am Anfang sowohl bei der bayerischen Regierung als auch der Militärregierung noch viel Unklarheit über die Personalpolitik. So kam es auch in der Staatskanzlei im Sommer 1945 zu großen Fluktuationen im Personalbestand und es konnte passieren, dass Personen bereits zwei Tage nach ihrer Einstellung ihren Schreibtisch, sofern sie denn überhaupt einen solchen benutzen konnten, räumen mussten. Der personelle Wiederaufbau der Staatskanzlei und der bayerischen Ministerialverwaltung verlief ab 1945 parallel mit der Entnazifizierung und wurde wesentlich davon geprägt. Die formale NS-Belastung einer Person war bis 1947 das entscheidende Kriterium für eine Einstellung im Staatsdienst. Die Staatskanzlei versuchte dabei so viel wie möglich Einfluss auf die personalpolitischen Rahmenbedingungen zu nehmen. Welche Akteure waren in der Staatskanzlei für die Personalpolitik zuständig? Auf welches Personal griff die Behörde nach 1945 zurück? Und wie ging diese Institution in der direkten Nachkriegszeit mit der NS-Vergangenheit ihres Personals um?

3.1 Das „bayerische Experiment“ unter Druck Wäre es nach Fritz Schäffer gegangen, dann hätte er den Großteil der von der NSZeit formalbelasteten Personen in der Staatskanzlei der Nachkriegszeit weiterbeschäftigt. Der Ministerpräsident strebte im Rahmen des „bayerischen Experiments“ von Beginn an den Aufbau des bayerischen Staatsapparats im Sinne einer „fachmännischen Notstandverwaltung“ an. Dies bedeutete konkret, dass eine konservativ-bürgerliche politische Elite zusammen mit dem Beamtenapparat als 1 Vgl. Irina Stange, Das Bundesministerium des Innern und seine leitenden Beamten, in: Frank Bösch/Andreas Wirsching (Hrsg.), Hüter der Ordnung. Die Innenministerien in Bonn und Ost-Berlin nach dem Nationalsozialismus, Göttingen 2018, S. 51–117, hier S. 55; Manfred Görtemaker/ Christoph Safferling, Die Akte Rosenburg. Das Bundesministerium der Justiz und die NS-Zeit, München 2016, S. 103–109. https://doi.org/10.1515/9783111317731-004

3.1 Das „bayerische Experiment“ unter Druck 

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Grundlage des staatlichen Aufbaus dienen sollte.2 Schäffer handelte dabei aus seinem konservativen Staatsverständnis und knüpfte hier bei dem Programm der ehemaligen BVP an. Der Ministerpräsident wollte in der Nachkriegszeit so viel traditionelle Homogenität der konservativen bayerischen Beamtenschaft wie möglich sicherstellen und konsolidieren. Dazu versuchte er ab Juni 1945, möglichst viele Beamte der Staatskanzlei als nominelle Parteimitglieder darzustellen und deren NS-Belastung aufgrund seiner persönlichen Einschätzung zu relativieren. Er wollte so deren Fachkenntnisse behalten, um sie für den Wiederaufbau des Staatsapparats zu nutzen. Doch das letzte Wort bei den Entnazifizierung-Fragen hatte sich die amerikanische Militärregierung selbst vorbehalten und diese dachte im Sommer 1945 nicht an Weiterbeschäftigung, sondern an einen umfassenden Elitenaustausch in ihrer Besatzungszone.3

Vorsichtige Anfänge der amerikanischen Entnazifizierungspolitik Die Personalrekrutierung der Bayerischen Staatskanzlei lag während der ersten Nachkriegsmonate unter Aufsicht der Militärregierung nahezu komplett in den Händen des Ministerpräsidenten.4 Eine kohärente Planung war allerdings kaum möglich; vielmehr kennzeichneten Zufall, Improvisation und Personalfluktuation die Praxis. Für Schäffer stand lediglich fest, dass die Schlüsselpositionen in der Staatskanzlei mit Vertrauten besetzt werden sollten.5 Hatte er sich bereits im Mai 2 Vgl. Niethammer, Mitläuferfabrik, S. 163 ff. 3 Vgl. Clemens Vollnhals, Einleitung, in: Clemens Vollnhals (Hrsg.), Entnazifizierung. Politische Säuberung und Rehabilitierung in den vier Besatzungszonen 1945–1949, München 1991, S. 7–64, hier S. 9 f. 4 Karl-Ulrich Gelberg behauptet in seiner Einleitung zu den Ministerratsprotokollen des Kabinetts Schäffer, dass die personelle Besetzung der Staatskanzlei während Schäffers Regierungszeit zum Großteil auf Anton Pfeiffer zurückzuführen ist. Dies bestätigen die Akten zur Personalpolitik der Staatskanzlei zwischen Juni und September 1945 jedoch nicht. Schäffer war sowohl für die Entnazifizierung als auch für die Neueinstellungen in der Staatskanzlei der wichtigste Akteur. Bevor er Pfeiffer in die Staatskanzlei berief, hatte er bereits einen Großteil der neuen, von außerhalb kommenden Beamten eingestellt. Erst unter Ministerpräsident Hoegner wurde Pfeiffer zum wichtigsten personalpolitischen Akteur in der Staatskanzlei. Vgl. Gelberg, Einleitung, in: Protokolle Kabinett Schäffer, S. 108 ff. 5 Aus der Tatsache, dass Schäffer sich bereits im Mai 1945 für die Besetzung von Schlüsselpositionen mit BVP-Vertrauten in Verbindung setzte, obwohl er zu diesem Zeitpunkt noch keinen Einblick in den Personalbestand der Staatskanzlei hatte, geht hervor, dass er frühzeitig plante, diese Stellen mit Vertrauten zu besetzen. Erst im Juni 1945 erstellte ein Beamter der Staatskanzlei eine Personalliste: BayHStA, StK 13904, Verzeichnis der sämtlichen Beamten, Angestellten und Arbeiter der Bayer. Staatskanzlei, die bis 30. April auf haushaltsmäßigen Planstellen angewiesen waren, 11. Juni 1945.

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1945 mit der Frage nach der Besetzung der leitenden Schlüsselpositionen in seiner Behörde beschäftigt, so rückten nach seinem Dienstantritt die Fragen nach dem personellen Erbe der NS-Zeit und der bevorstehenden Entnazifizierung in den Mittelpunkt. Während der ersten Nachkriegswochen herrschte auf bayerischer Seite allerdings viel Unklarheit darüber, wie sich die Amerikaner die Entnazifizierung der Beamtenschaft vorstellten und durchführen würden. Die Amerikaner waren sich darüber selbst auch noch nicht im Klaren, obwohl die Alliierten bereits seit 1943 Richtlinien und Direktiven zur Entnazifizierung Deutschlands entwickelt hatten, deren allgemeines Hauptziel die „Ausrottung“ der nationalsozialistischen Ideologie war.6 Die Frage nach der praktischen Durchführung war jedoch aufgrund von Meinungsverschiedenheiten weitgehend offen geblieben.7 Die bereits überbelasteten Militäreinheiten in Bayern waren im Frühjahr 1945 in organisatorischer und personeller Hinsicht für eine systematische Entnazifizierung der deutschen Beamtenschaft nicht vorbereitet und ausgestattet.8 Darüber hinaus fehlte es auch noch nach der Kapitulation an einheitlichen Richtlinien, sodass die Offiziere der Militärregierung zunächst keine klare Vorstellung von der offiziellen Entnazifizierungspolitik hatten; es gab teilweise auch Direktiven, die sich widersprachen.9 So hatten die Supreme Headquarters Allied Expeditionary Forces (SHAEF) im März 1945 eine scharfe Direktive herausgegeben, die allerdings in der Praxis kaum befolgt wurde.10 Gleichzeitig existierten bei der 6. und 12. Armeegruppe noch drastischere Entnazifizierungsverordnungen.11 Auch mit der berühmten Direktive JCS 1067/6 vom April 1945, die den Grundansatz für die amerikanische Besatzung Deutschlands beinhaltete, war die Entnazifizierungspraxis in der Endphase des Krieges und in der Anfangsphase der Besatzungszeit nicht zu vereinheitlichen. Die vorgesehenen Richtlinien waren für die Praxis zu abstrakt und außerdem erreichte die Direktive die meisten Offizieren erst mit gro6 Vgl. dazu: Wolfgang Krieger, Die amerikanische Deutschlandplanung. Hypotheken und Chancen für einen Neuanfang, in: Hans-Erich Volkmann (Hrsg.), Ende des Dritten Reiches – Ende des Zweiten Weltkriegs. Eine perspektivische Rückschau, München 1995, S. 25–50; Niethammer, Mitläuferfabrik, S. 31–68. 7 Vgl. Görtemaker, Geschichte der Bundesrepublik, S. 19–24; Herbert, Geschichte Deutschlands, S. 557–563; Horst Möller, Wandlungen der Besatzungspolitik in Deutschland 1945–1949, in: Bernhard Diestelkamp/Zentarô Kitagawa/Josef Kreiner/Junichi Murakami/Knut Wolfgang Nörr/Nobuyoshi Toshitani (Hrsg.), Zwischen Kontinuität und Fremdbestimmung. Zum Einfluß der Besatzungsmächte auf die deutsche und japanische Rechtsordnung 1945 bis 1950, Tübingen 1996, S. 37– 53, hier S. 38. 8 Vgl. Hans Woller, Gesellschaft und Politik in der amerikanischen Besatzungszone. Die Region Ansbach und Fürth, München 1986, S. 96. 9 Vgl. ebenda, S. 96 f. 10 Vgl. Niethammer, Mitläuferfabrik, S. 148; Woller, Gesellschaft und Politik, S. 98. 11 Vgl. Woller, Gesellschaft und Politik, S. 97 f.

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ßer Verspätung nach Kriegsende. Vor diesem Hintergrund war die Entnazifizierungspraxis in Bayern im Mai und Juni 1945 von Improvisation, Pragmatismus und Willkür gekennzeichnet. Die Militärregierung war so zunächst alles andere als „ein Hort von Recht und Ordnung“.12 Die jeweiligen Direktiven spielten für Colonel Keegans Entnazifizierungspolitik in Bayern während der ersten Wochen der Besatzungszeit keine Rolle. Vielmehr richtete der Leiter des RMG-Detachment E1F3 sich nach den Richtlinien des im Dezember 1944 erschienenen „Handbook for the Military Government in Germany“.13 Keegans Vorgehensweise war nicht ungewöhnlich, benutzten doch viele Offiziere der Militärregierung in der Praxis dieses „Handbook“, da sie mit diesem seit ihrer Ausbildungszeit vertraut waren.14 Das Buch enthielt Auflistungen von höheren parteilichen und staatlichen Funktionsinhabern des NS-Staats, die während der Besatzungszeit sofort entlassen und in vielen Fällen sogar festgenommen und interniert werden sollten.15 Dabei orientierte sich das „Handbook“, ähnlich wie die Direktiven, an rein formalen NS-Belastungskriterien und die tatsächlichen Handlungen und innerlichen Überzeugungen der jeweiligen Personen blieben außen vor. Obwohl das Handbuch in vielerlei Hinsicht mit den jeweiligen Direktiven übereinstimmte, sowohl bezüglich der Auflösung der NSDAP als auch der Maßnahmen gegen die Spitzen von Partei und Staat, sah es doch pauschalere Maßnahmen gegen Parteigenossen vor, die vor 1933 der NSDAP beigetreten waren.16 Gerade die Festnahme und Internierung von Personen, die das RMG für eine Bedrohung der militärischen Sicherheit hielt, waren anfangs wichtige Punkte. Nach der Stabilisierung der chaotischen Nachkriegszustände kamen die politischen Säuberungen erst an zweiter Stelle. Bei Festnahmen und Internierung sollte die Abteilung Special Branch of Public Safety17 – eine Untergliederung des RMG, das für die politische Säuberung in Bayern zuständig war – mit dem Counter Intelligence Corps (CIC) zusammenarbeiten. Während die Special Branch für die allgemeine politische Säuberung zuständig war, richtete sich das CIC vor allem auf die höchste Funktionselite des NS-Staats, die in „automatic arrest“ genommen werden 12 Zit. nach: Paul Hoser, Die Entnazifizierung in Bayern, in: Walter Schuster (Hrsg.), Entnazifizierung im regionalen Vergleich, Linz 2004, S. 473–510, hier S. 476. Vgl. Niethammer, Mitläuferfabrik, S. 140 ff. 13 Vgl. SHAEF, Handbook for the Military Government in Germany, Prior to Defeat or Surrender, 1944. 14 Vgl. Niethammer, Mitläuferfabrik, S. 148. 15 Vgl. „Part III, Chapter II Eradication of Nazism“ aus dem Handbuch für die Militärregierung in Deutschland (Buch enthält keine Seitenzahl). 16 Vgl. Woller, Gesellschaft und Politik, S. 97. 17 Die Special Branch of Public Safety war eine Unterabteilung der Abteilung Public Safety der Militärregierung. Vgl. Gelberg, Einleitung, in: Protokolle Kabinett Schäffer, S. 100.

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sollte.18 Dabei benutzte das Corps die in den USA erstellten sogenannten Blacklists19 und verfügte außerdem über das „Arrest Categories Handbook“.20 Während unter der Anführung des CIC Politik- und Partei-Spitzen, KZ-Personal, Gestapo-Angehörige und SD-Mitarbeiter aufgespürt und sofort in Arrest genommen wurden, blieben große Teile der bayerischen Verwaltung bis Ende Juni 1945 unbehelligt. Keegan fokussierte sich nach seiner Ankunft in München Mitte Mai zunächst auf die Neubesetzung der Spitzenfunktionen der bayerischen Regierung und Verwaltung. Diese Stellen sollten mit erfahrenem Personal besetzt werden, die in politischer Hinsicht zuverlässig waren. Ziel war es, die politische Nachkriegssituation in Bayern kurzfristig zu stabilisieren und eine Auftragsverwaltung zu bilden, die die Militärregierung beim Wiederaufbau und bei der Entnazifizierung unterstützen sollte. Dies galt auch für die untergeordneten Ebenen, wo Offiziere der Stadt- und Landkreis-Detachments ähnlich wie Keegan handelten. Sie ersetzten zwar in den meisten Fällen Behördenleiter, Bürgermeister und Landräte, ließen jedoch die lokalen Verwaltungen größtenteils unberührt. Die Offiziere konnten und mussten dabei oft nach ihren eigenen Präferenzen und Einschätzungen handeln, da einheitliche Richtlinien fehlten.21 Die Ernennung von Fritz Schäffer durch Keegan zum Ministerpräsidenten war beispielhaft dafür.

Verzeichnisse und die „Reinigung des Beamtenkörpers“ Die zurückhaltende Entlassungspolitik der amerikanischen Militärregierung spiegelte sich auch in der Personalpolitik der Bayerischen Staatskanzlei wider. Als Schäffer die Leitung der Behörde als Ministerpräsident übernahm, war noch keine einzige Person aus der Staatskanzlei von der Militärregierung entlassen worden – auch nicht auf der Leitungsebene. Das Personal war somit formal noch auf dem 18 Vgl. Hoser, Entnazifizierung, in: Schuster (Hrsg.), Entnazifizierung, S. 475–477. 19 Vgl. ebenda, S. 475. 20 Das „Arrest Categories Handbook“ wurde im April 1945 vom alliierten Oberkommando veröffentlicht und war ein Sonderdruck aus dem „SHAEF Public Safety Manuel of Procedures, Military Government of Germany“. Eine erste Auflage dieses Buches war im September 1944, eine zweite im Februar 1945 erschienen. Das Buch war auf das „Handbook for Military Government of Germany“ abgestimmt und stellte eine Ergänzung und Spezifizierung dar: „The Handbook Government in Germany contains the public safety policy and general instructions of the guidance of Military Government Officers. This [Public Safety] Manual [of Procedures] is an amplification of those instructions and must be read in conjunction with them.“ Vgl. das „Foreword“ aus: SHAEF, Public Safety Manuel of Procedures, Military Government of Germany, 1944. Siehe auch „Part III, Chapter II, Section V“ aus dem Handbuch für die Militärregierung. Für die praktische Anwendung vgl. Niethammer, Mitläuferfabrik, S. 147. 21 Vgl. Hoser, Entnazifizierung, in: Schuster (Hrsg.), Entnazifizierung, S. 475 f.

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Stand vor dem Ende des „Dritten Reiches“. Tatsächlich waren jedoch viele der aufgelisteten Personen abwesend oder nicht erreichbar. Um sich einen Überblick über die NS-Belastung des Verwaltungspersonals zu verschaffen, verteilte die Militärregierung Anfang Juni unter den Beamten, Angestellten und Arbeitern ihren berüchtigten Fragebogen. Daraufhin mussten die betroffenen Personen 131 Fragen zu ihrem Lebenslauf, ihrem Beruf und ihrer Mitgliedschaft in NS-Organisationen beantworten. Diese Informationen waren nicht nur relevant für die Militärregierung, sondern auch für Ministerpräsident Schäffer, der im Auftrag der Militärregierung für die Entnazifizierung der Verwaltung verantwortlich war. Er bezog die Statistik, die aus den ausgefüllten Fragebögen hervorging, in seine politischen Überlegungen mit ein. Die Entnazifizierung stellte den Ministerpräsident vor die Herausforderung, seine Behörde unter dem Druck der Militärregierung einerseits grundlegend zu entnazifizieren, jedoch zugleich deren Funktionsfähigkeit nicht zu gefährden. Am 12. Juni 1945 schickte der Ministerpräsident ein Schreiben an die Ministerien mit dem Betreff „Reinigung des Beamtenkörpers“.22 Die jeweiligen Resorts – auch die Bayerische Staatskanzlei – sollten für die amerikanische Militärregierung innerhalb der nächsten vier Tage Verzeichnisse über die Zahl der Beamten und männlichen Angestellten in ihren Behörden erstellen. Dabei sollten die Behörden die Zahl der NSDAP-Mitglieder („Parteigenossen“) in absoluten Zahlen sowie deren Anteile an der Leitungsebene und an den nach Bildungsabschluss gestaffelten Beamtenkategorien angeben.23 Außerdem verlangte der Ministerpräsident die Quote derjenigen Beamten und männlichen Angestellten, die nicht als Parteigenossen und Anhänger der Bewegung zu betrachten waren. Er wollte mit seinem Schreiben vor allem Klarheit darüber gewinnen, wie stark die Leistungsfähigkeit der Verwaltung sinken würde, wenn alle „aktive[n] Nazis“ und weiteren Parteimitglieder aus ihren Ämtern entfernt würden. Aufgrund dieser Informationen konnte er dann weiter mit den jeweiligen Militärbehörden über die Lage, die Entnazifizierung und den Wiederaufbau der bayerischen Verwaltung sprechen. In seinem Brief deutete er bereits an, dass davon auszugehen sei, dass die leitenden Verwaltungsstellen nicht von ehemaligen NSDAP-Mitgliedern bekleidet werden dürften, es sei denn, diese Personen seien von der Militärregierung selbst kommissarisch eingesetzt worden.24

22 Das Schreiben war an die vier wichtigsten Ministerien adressiert – Inneres, Unterricht und Kultus, Finanzen sowie Wirtschaft –, galt jedoch für die gesamte Ministerialverwaltung. Siehe: BayHStA, StK 13904, Schreiben Ministerpräsident Fritz Schäffer an die Ministerien, 12. Juni 1945. 23 Ebenda, S. 1. 24 Ebenda.

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In Übereinstimmung mit den vorläufigen Richtlinien der Militärregierung sprach Schäffer in seinem Schreiben von „aktiven Nazis“. Damit waren gemeint: „‚alte Kämpfer‘ [Mitglieder, die vor dem 1. April 1933 der NSDAP beigetreten waren], Inhaber von Parteiauszeichnungen, Inhaber von Parteiämtern, Parteibeamte, ferner Beamte, die durch die Partei ohne entsprechende Leistung befördert worden sind und solche, die sich gehässig oder gar denunziatorisch benommen haben.“ Von dieser Gruppe zu trennen waren diejenigen, die zwar der NSDAP zu einem späteren Zeitpunkt beigetreten waren, „aber ihrer Gesinnung nach und insbesondere ihrer weltanschaulichen Betätigung nach und nach der Erfüllung ihrer Dienstpflicht und ihrem Verhalten gegenüber der Bevölkerung nicht als „aktive Nazi“ betrachtet werden können.“25 Obwohl für Schäffer eindeutig fest stand, dass die „aktiven Nazis“ ihre Stellen verlieren würden, betonte er gegenüber der Militärregierung von Anfang an, dass die Verwaltung ohne die „nicht-aktiven Nazis“ beziehungsweise lediglich „nominell NS-Belastete“ ihre Funktionsfähigkeit verlieren würde, denn mit geeigneten Ersatzpersonen sei nicht zu rechnen. Diese Argumentation entsprach auch den Ergebnissen der Listen der Ministerien.26 So hoffte der Ministerpräsident Mitte Juni 1945, dass zumindest diese Gruppe unter den vorläufigen Entnazifizierungsbestimmungen der Militärregierung, zusammen mit den unbelasteten Personen, im Dienst bleiben könnte. Seine Hoffnung war jedoch vergebens und die Realität der Entnazifizierungspraxis hielt bald Einzug.

Karl Weinisch und die „aktiven“ und „nicht-aktiven Nazis“ Für die Staatskanzlei erstellte der 55-jährige Oberregierungsrat Karl Weinisch die von Schäffer verlangten Verzeichnisse. Der Jurist hatte seit 1931 als Regierungsrat im Landratsamt München gearbeitet und war 1938 als Regierungsrat an die Regierung von Oberbayern berufen worden. Dort war er innerhalb des sogenannten Judenreferats für sämtlichen „Judenangelegenheiten“ – vor allem die Bearbeitung von „jüdischen Grundstücksverkäufen“ – zuständig.27 In dieser Funktion war Wei25 Ebenda, S. 2. 26 Exemplarisch dazu: BayHStA, StK 13911, Schreiben des Bayerischen Staatsministers des Innern an den Bayerischen Ministerpräsidenten, 19. Juni 1945. 27 Exemplarisch dafür ist der Fall der jüdischen Kunsthändlerfamilie Bernheimer. Die Familie wurde während der NS-Zeit systematisch finanziell von den bayerischen Behörden ausgeplündert. Karl Weinisch war dabei im Namen der Regierung von Oberbayern für die Grundstücksverkäufe zuständig: StAM, OFD 415, Vermerk, Betreff: Entjudung Bernheimer, 23. Oktober 1939, Bl. 1– 7. Neben dem Verkauf von Grundstücken jüdischer Besitzer war Weinisch in seinem Referat auch für die „Genehmigungen von Veräußerungen von Großhandelsgeschäften“ zuständig: StAM, SpkA K 1933, Weinisch, Karl, Spruch der Spruchkammer VIII München, 11. November 1946; Brief des

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nisch als Sachbearbeiter verantwortlich für die „Arisierung“ von Grundstücken und somit für die gesellschaftliche Ausgrenzung und finanzielle Ausplünderung der jüdischen Bevölkerung durch die bayerische Verwaltung. Weinisch arbeitete ab 1942 als Oberregierungsrat beim Regierungspräsidenten in München und wurde erst am 1. Dezember 1944 zur Dienstleistung in das Ministeramt (Staatskanzlei) abgeordnet, wo er nach der deutschen Kapitulation von Schäffer zunächst weiterhin beschäftigt wurde und signifikante Aufgaben übernahm.28 Nicht zuletzt war Weinisch zwischen dem 8. Juni und 22. August als Protokollführer bei beinahe allen Sitzungen des Ministerrats anwesend, wo er auf den sogenannten Führermaschinen29 die Protokolle niederschrieb.30 Außerdem leitete er ab Juli 1945 kurze Zeit die Verwaltungsabteilung (Abteilung III) der Staatskanzlei.31 Aus dem von Weinisch erstellten „Verzeichnis der männlichen Beamten und Angestellten im Geschäftsbereich der Bayerischen Staatskanzlei“ nach dem Stand vom 1. Juni 194532 geht hervor, dass von den 28 vorhandenen männlichen Beamten und Angestellten 20 Mitglieder der NSDAP gewesen waren. Nachdem Schäffer die Leitung der Behörde übernommen hatte, entließ er am 12. Juni unter Druck der Militärregierung sechs dieser Personen.33 Diese Entlassungen sind exemplarisch für die Improvisationsphase der Militärregierung während der ersten Wochen der

Rechtsanwalts Otto Paepcke an die Berufungskammer München, 7. Dezember 1946; Urschrift der Berufungskammer, 18. Juni 1947. 28 BayHStA, StK 5447, Schreiben Ministeramt (Bayerische Staatskanzlei) an die Bayerische Landeshauptkasse, 10. Januar 1945; Brief Ziegenaus (Staatsministerium des Innern) an den Herrn Regierungspräsidenten in München, 3. Januar 1945. 29 Zwischen 1945 und 1954 wurden die Protokolle in der Regel auf den „Führermaschinen“ aus der ehemaligen Reichskanzlei verfasst. Diese Schreibmaschinen waren durch besonders große Typen gekennzeichnet. Vgl. Gelberg, Einleitung, in: Protokolle Kabinett Schäffer, S. 12. 30 Bei den Sitzungen am 8., 13. und 25. Juni sowie am 6. Juli wurde Weinisch explizit als Protokollführer genannt. Die Protokolle vom 25. Juni und vom 6. sowie 26. Juli sind auch von ihm gezeichnet. Vermutlich wurde nur das Protokoll vom 21. Juni nicht von ihm verfasst. Siehe: Ebenda, S. 12. Für die jeweiligen Ministerratssitzungen vgl. Protokolle Kabinett Schäffer, S. 155–215. 31 BayHStA, StK 11616, Amt des Ministerpräsidenten – Bayerische Staatskanzlei, 12. September 1945, S. IV. 32 BayHStA, StK 13904, Verzeichnis der männlichen Beamten und Angestellten im Geschäftsbereich der Bayerischen Staatskanzlei – Stand vom 1. Juni 1945, 15. Juni 1945. Siehe auch in der gleichen Akte: Entwurf Oberregierungsrat Weinisch an Ministerpräsidenten Fritz Schäffer, 15. Juni 1945. 33 Möglicherweise wollte Schäffer diese Personen bereits früher entlassen. Aus Punkt VIII der Ministerratssitzung vom 8. Juni 1945 geht jedoch hervor, dass Personalentscheidungen durch eine personelle und organisatorische Umstrukturierung der Militärregierung bis 12. Juni zurückgestellt werden sollten. Vgl. Protokolle Kabinett Schäffer, S. 157.

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Besatzungszeit.34 Es handelte sich dabei um die drei leitenden Personen der Staatskanzlei – Ernst Boepple, Ludwig Dittmar und Rudolf von Bezold – sowie um drei weitere Personen, die am Kriegsende noch auf der Personalliste der Staatskanzlei standen.35 Für diese Personen kam eine Weiterbeschäftigung im Ministerialdienst durch ihre Tätigkeit während der NS-Zeit nicht mehr in Frage. Ernst Boepple wurde wegen seiner Arbeit in der Regierung des Generalgouvernements kurz danach von den Amerikanern verhaftet und interniert.36 Somit war Mitte Juni 1945 vom Leitungspersonal der Staatskanzlei aus der NS-Zeit lediglich noch der Leiter der Nachrichtenstelle der Landesregierung, Michael Bäuml, im Dienst. Karl Weinisch hatte sich selbst in diesem Verzeichnis allerdings nicht aufgelistet, weil er nach dem Finanzhaushalt immer noch zum Personalbestand des Regierungspräsidenten von Oberbayern gehörte und lediglich in die Staatskanzlei abgeordnet war. Nach den weiteren Angaben des Oberregierungsrats Weinisch waren acht von 14 übrigen männlichen NSDAP-Mitgliedern als „Block- oder Zellenleiter, bezw. als Gaupresseamtsleiter oder Hauptvertrauensmann beim R. D. B. [Reichsbund der Deutschen Beamten]“ tätig gewesen. Nur sechs Personen waren zwar Mitglied, hatten jedoch keine mit der NSDAP verbundenen Tätigkeit ausgeübt. Dennoch rechnete Weinisch unterschiedslos all diese 14 Personen aufgrund ihrer „inneren Gesinnung und ihrer weltanschaulichen Betätigung“ zu den „nicht-aktiven Nazis“. Obwohl nichts daraufhin hinweist, dass die von Weinisch gelieferten Zahlen und Informationen zu Parteimitgliedschaften in der NSDAP gefälscht oder manipuliert waren – Schäffer hatte sich ja in seinem Brief explizit gegen falsche Angaben ausgesprochen –, zeichnete sich bei Weinisch eine Tendenz ab, möglichst viele Beamte und Angestellte der Gruppe der „nicht-aktiven Nazis“ zuzuordnen. Gegen die 34 Dazu vgl. Hoser, Entnazifizierung, in: Schuster (Hrsg.), Entnazifizierung, S. 475 ff.; Niethammer, Mitläuferfabrik, S. 144–147. 35 Die drei weiteren Personen waren Oberregierungsrat Eugen Eder, Adjutant Eugen Preß und der stellvertretende Adjutant Josef Hang. Eder war am 22. April 1925 der NSDAP beigetreten und Träger eines Parteiehrenzeichens. Er war 1944 zur Geschäftsaushilfe in das Ministeramt (Bayer. Staatskanzlei) abgeordnet worden und wurde im November in die Wehrmacht eingezogen; BayHStA, StK 5447, Ministeramt an Bayerische Landeshauptkasse, 1. Dezember 1944. Preß wurde entlassen, weil er hauptamtlich neben seiner Arbeit in der Staatskanzlei in der Gauleitung München-Oberbayern tätig gewesen war. Hang war als SA-Hauptsturmführer hauptamtlich bei der SA tätig gewesen; BayHStA, StK 13904, Verzeichnis der in der Bayer. Staatskanzlei vom Dienste suspendierten Beamten und Angestellten, ohne Datum (vermutlich 15. Juni 1945). Diese Personen waren zwar im Bereich der Staatskanzlei aktiv, wurden dennoch nicht alle von der Staatskanzlei besoldet. Die jeweiligen Vormerkungen zu den Entlassungen (teilweise mit Begründung), die zwischen den 8. und 11. Juni von Schäffer unterschrieben wurden, befinden sich zusammen mit den Personalverzeichnissen der Staatskanzlei in: BayHStA, StK 13904. 36 1950 wurde er in Polen hingerichtet. Vgl. Müller, Bayerisches Staatsministerium, in: Rumschöttel/Ziegler (Hrsg.), Staat und Gaue, S. 201.

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kleine Gruppe leitender Beamter, die wegen ihrer Haltung, NS-Ämter und Handlungen während der NS-Zeit nicht weiterbeschäftigt werden konnten, wurde im Gegensatz dazu hart und schnell vorgegangen. Damit zeigte Ministerpräsident Schäffer gegenüber der Militärregierung, dass er die Entnazifizierung im Sinne der Militärregierung auch in seiner eigenen Behörde so schnell wie möglich vorantreiben wollte. Zugleich war es der Versuch, von einer größeren Gruppe von NS-belasteten Personen abzulenken. Dies war nicht an letzter Stelle in Weinischs eigenem Interesse, denn auch er gehörte zu jenen Beamten, die zum 1. Mai 1937 der NSDAP beigetreten waren und eine Vielzahl anderer nationalsozialistischer Organisationen und Gliederungen angehört hatten.37 Außerdem hatte er von 1944 bis 1945 kurze Zeit die Funktion eines Blockleiters für die NSDAP erfüllt. Darüber hinaus war er sich bewusst, dass er wegen seiner Arbeit im „Judenreferat“ von den Militärbehörden als „aktiver Nazi“ eingestuft werden würde. Umso mehr war ihm daran gelegen, in seiner Selbstdarstellung eine Trennung zwischen seiner inneren Gesinnung und Weltanschauung einerseits und seinem Handeln im Dienst der oberbayerischen Regierung unter dem Druck des NS-Regimes andererseits hervorzuheben. Diese Trennung akzentuierte Weinisch ebenfalls 1946/47 im Rahmen seines Spruchkammerverfahrens. In einem Brief an den Vorsitzenden der Spruchkammer VIII vom November 1946 marginalisierte er die Rolle, die die Regierung von Oberbayern bei den finanziellen Maßnahmen gegen Juden gespielt hatte, und betonte die Zuständigkeit von anderen Finanzbehörden. In der Geschichtsforschung wurde jedoch überzeugend nachgewiesen, dass es sich hier um ein „Netzwerk der Ausplünderung“ handelte, in dem jede Behörde einen entscheidenden Beitrag lieferte.38 Ebenfalls schob Weinisch die Verantwortung für sein eigenes Handeln im „Judenreferat“ auf die Abteilungsleiter, den Vizepräsidenten und Regierungspräsidenten ab und berief sich darauf, dass er über keine „selbständige Entscheidungsbefugnis“ verfügt hatte. Dabei betonte er zugleich, so geht es aus dem Spruch der Berufungskammer München vom 18. Juni 1947 hervor, dass er sich bei den Verhandlungen mit den jüdischen Rechtsanwälten nahezu immer auf deren Wünsche 37 Weinisch (geboren am 27. Oktober 1889, Steinbach am Wald) war seit 1934 Mitglied des RDB, seit 1935 Mitglied der Nationalsozialistischen Volkswohlfahrt (NSV) und daneben Mitglied des Nationalsozialistischen Rechtswahrerbunds (NSRB), des Reichskolonialbunds (RKB), der Reichskulturkammer (RKK), des Nationalsozialistischen Altherrenbunds (NSAHB) und des Reichsluftschutzbunds (RLB). Siehe: StAM, SpKA K 1933, Weinisch, Karl, Arbeitsblatt des Öffentlichen Klägers der Spruchkammer VIII, August 1946. 38 Dazu vgl. Susanne Meinl/Jutta Zwilling, Legalisierter Raub. Die Ausplünderung der Juden im Nationalsozialismus durch die Reichsfinanzverwaltung in Hessen, Frankfurt am Main 2004, S. 49– 72. Exemplarisch für das Funktionieren des Netzwerks in Bayern: StAM, OFD 415, Vermerk, Betreff: Entjudung Bernheimer, 23. Oktober 1939, Bl. 1–7.

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und Anregungen eingelassen und „ungerechtfertigte Bereicherungen“ verhindert hatte. Seine Verteidigung untermauerte er darüber hinaus mit dem Hinweis, dass er die von ihm während der NS-Zeit ausgebildeten Referendare immer wieder daraufhin gewiesen hatte, „dass die Aufgabe des Verwaltungsbeamten nicht mit dem Vollzug von Gesetzen und Anordnungen erschöpft sei, dass vielmehr der Verwaltungsbeamte neben der selbstverständlichen Beherrschung der Gesetze sein Handeln und Verhalten im Einklang mit den Grundsätzen menschlichen Zusammenlebens zu bringen habe“. Es war ein zynischer Versuch, um gegenüber der Spruchkammer glaubhaft zu machen, dass man während der NS-Zeit die Juden auf einer menschlichen Art aus der deutschen Gesellschaft ausgrenzen konnte.39 Eine vergleichbare Argumentation führte Weinisch bereits im Juni 1945 für die acht Personen in der Staatskanzlei an, die neben ihrer Parteimitgliedschaft in der NSDAP auch für die Partei aktiv gewesen waren. Weinisch betonte einheitlich die „antinationalsozialistische“ Gesinnung und Weltanschauung der 14 ehemaligen Parteimitglieder, sodass die aktiven Handlungen von acht Personen innerhalb der NSDAP-Ämter in den Hintergrund gerieten. Darüber hinaus betonte Weinisch, dass es sich bei dieser Gruppe um 50 Prozent (14 von insgesamt 28 Personen) der vorhandenen Beamten und männlichen Angestellten handelte und dass deren Entlassung die Funktionsfähigkeit der Staatskanzlei wesentlich gefährden würde; fünf davon waren zusätzlich auch noch nicht aus dem Wehrdienst zurückgekehrt. Dass es die Tendenz gab, möglichst viele Personen als „nicht-aktive Nationalsozialisten“ darzustellen, zeigt der Fall des Nachrichtenstellen-Leiters der Landesregierung in der Staatskanzlei, Michael Bäuml.40 Er war während der NS-Zeit zusätzlich zu seinem Amt stellvertretender Gaupresseamtsleiter und hätte darum in die Kategorie der „aktiven Nazis“ gehört. Im Verzeichnis vom 15. Juni erfasste Weinisch ihn zusammen mit 13 Personen anonym in die Kategorie der „nicht-aktiven Nationalsozialisten“. Als Weinisch jedoch am 21. Juni ein namentliches Verzeichnis

39 Diese Argumentation trug dennoch im Juni 1947 dazu bei, dass Weinisch von der Berufungskammer vom Minderbelasteten zum Mitläufer runtergestuft wurde: StAM, SpKA K 1933, Weinisch, Karl, Brief Karl Weinisch an den Vorsitzenden der Spruchkammer VIII, 9. November 1946; Zit. nach: Urschrift der Berufungskammer München, Aktenzeichen VIII/455/46, 18. Juni 1947. 40 Michael Bäuml (geb. 6. Oktober 1907) war am 1. Juni 1938 der NSDAP beigetreten, außerdem Mitglied des Nationalsozialistischen Kraftfahrerkorps, des Reichsverbands für deutsche Presse, RDB, NSV und RLB. Bäuml wurde am 1. August 1939 ins Beamtenverhältnis berufen und war Leiter der Nachrichtenstelle der Bayerischen Landesregierung in der Staatskanzlei und somit auch stellvertretender Gaupresseamtsleiter. Daneben war Bäuml Herausgeber des Informationsdienstes für die Landräte im Auftrage des Reichsverteidigungskommissars für den Wehrkreis VII und Hauptschriftleiter der „Münchner Feldpost“. Siehe: BayHStA, StK 5447, Brief Paul Giesler an den Reichsstatthalter in Bayern, 23. März 1944; Vorschlag zur Ernennung des Regierungsrates Dr. Bäuml, 23. März 1944.

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liefern musste, gab es solche Freiräume nicht, und er listete Bäuml explizit als „aktive[n] Nazi“.41 Während Ministerpräsident Schäffer sich zunächst mit der Liste vom 15. Juni zufrieden gab, war die Militärregierung vom Inhalt dieser Verzeichnisse nicht überzeugt. Im Auftrag der Militärregierung forderte der Ministerpräsident die Ministerien am 20. Juni auf, bis zum 23. Juni die gesamten Fragebögen in Kombination mit den Verzeichnissen betroffener Personen vorzulegen.42 Die Militärregierung wollte sich mit dieser Aktion einen namentlichen Überblick über die NS-Vergangenheit des gesamten Personalbestands verschaffen, und nicht nur eine statistische Liste über die Beamten und männlichen Angestellten erhalten, sodass keine Person der Entnazifizierung entkommen würde. Bevor diese den Militärbehörden übergeben werden sollte, wollte Schäffer die Ergebnisse erst während einer Kabinettssitzung am 21. Juni besprechen.43 In dieser Sitzung gab Schäffer die Richtlinien für die Reinigung der Beamtenschaft bekannt, die er in einem Schreiben für die Militärregierung dargelegt hatte.44 Anhand der für die Militärregierung erstellten Verzeichnisse konnte der Ministerpräsident nun auch kontrollieren, ob die von ihm selbst der Militärregierung vorgeschlagenen Richtlinien im Eigeninteresse der bayerischen Verwaltung und deren Wiederaufbau waren. Das „Verzeichnis der sämtlichen Beamten, Angestellten und Arbeiter der Bayer. Staatskanzlei, die bis 30. April 1945 auf haushaltsmäßigen Planstellen angewiesen waren“ lieferte Weinisch im Vorfeld der Kabinettssitzung am 21. Juni.45 Dieses Verzeichnis sagt nicht nur viel über die formale NS-Belastung des StaatskanzleiPersonals sondern auch über die Personallage innerhalb dieser Behörde aus. Von 41 BayHStA, StK 13904, Verzeichnis der sämtlichen Beamten, Angestellten und Arbeiter der Bayer. Staatskanzlei, die bis 30. April 1945 auf haushaltsmäßigen Planstellen angewiesen waren, ohne Datum (21. Juni 1945); Verzeichnis der männlichen Beamten und Angestellten im Geschäftsbereich der Bayerischen Staatskanzlei – Stand vom 1. Juni 1945, 15. Juni 1945. 42 Schäffer übergab die Liste der Staatskanzlei am 23. Juni persönlich während einer Besprechung an Colonel Arthur Bromage, der zu diesem Zeitpunkt die Leitung der Abteilung Administration und Local Government innerhalb des RMG bekleidete. Diese Schlüsselabteilung der Militärregierung stand für Grundsatzfragen zum Verwaltungsaufbau und zu Beamtenangelegenheiten in regelmäßigem Austausch mit der Staatskanzlei und dem Innenministerium. Siehe: BayHStA, StK 13904, Schreiben des Ministeriums der Finanzen im Auftrag des Ministerpräsidenten, 20. Juni 1945; Gelberg, Einleitung, in: Protokolle Kabinett Schäffer, S. 91; Protokolle Kabinett Schäffer, S. 282. 43 BayHStA, StK 13904, Schreiben des Ministeriums der Finanzen im Auftrag des Ministerpräsidenten, 20. Juni 1945. 44 Siehe Punkt VII aus der Ministerratssitzung vom 21. Juni 1945: Protokolle Kabinett Schäffer, S. 165. 45 BayHStA, StK 13904, Verzeichnis der sämtlichen Beamten, Angestellten und Arbeiter der Bayer. Staatskanzlei, die bis 30. April 1945 auf haushaltsmäßigen Planstellen angewiesen waren, ohne Datum [21. Juni 1945].

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den 43 aufgeführten Beamten, Angestellten und Arbeiter lagen erst 24 Fragebögen vor.46 Zehn Personen befanden sich noch im Heeresdienst und drei weitere konnten nicht erreicht werden, sodass sie keine Fragebögen abgeben konnten.47 Die sechs Personen, die bereits am 11. Juni entlassen wurden, hatten keine Fragebögen abgeben müssen, was ebenfalls ein Indiz dafür ist, dass deren Entlassung bereits feststand und in den Augen Fritz Schäffers nicht weiter untersucht werden musste. Aus dem Verzeichnis geht hervor, dass von den 43 aufgeführten Personen insgesamt 21 Mitglied der NSDAP (etwa 48 %) gewesen waren.48 Davon wurden wiederum zehn Personen als „aktive Nazis“ – das heißt vier mehr als im Verzeichnis vom 15. Juni – und drei weitere als „nicht-aktive Nazis“ eingestuft. In sieben Fällen blieb diese Beurteilung offen. Von den ehemaligen NSDAP-Mitgliedern waren zumindest zwei Personen vor dem 1. April 1933 der NSDAP beigetreten. Zumindest vier weitere waren der NSDAP am 1. Mai 1933 beigetreten und zehn weitere zum 1. Mai 1937 oder später.49 Ergänzend zu dieser Statistik betonte Weinisch in der beigefügten Erläuterung, dass keiner Mitglied der SS gewesen und lediglich eine Person, Schriftleiter Karl Koll, seit November 1933 „nur ehrenamtlich“ Obersturmführer der SA gewesen war. Die Statistik sollte zur behördlichen Selbstbehauptung in einem möglichst günstigen Licht erscheinen, sodass insbesondere betont wurde, was das Personal während der NS-Zeit nicht gewesen war.

Die Verschärfung der Entnazifizierung Schäffers Strategie, die Schwerstbelasteten seiner Behörde so schnell wie möglich in der Hoffnung zu entlassen, einen Großteil der übrigen Beamten und Angestell46 Wie die Zahl von 43 Personen genau zustande kam, lässt sich dieser Akte nicht entnehmen. Ein namentlicher Vergleich mit den Umlauflisten der Staatskanzlei aus dem Jahre 1939 ergibt, dass beim Personalstand am 30. April 1945 auch Personen mitgezählt wurden, die in der Wehrmacht eingezogen waren, jedoch formell noch zum Haushalt der Staatskanzlei gehörten. Vor diesem Hintergrund handelte es sich beim Verzeichnis des Personals im Juni 1945 zunächst um eine formelle haushaltsmäßige Angabe, die jedoch mit der realen Personalsituation in der Staatskanzlei am Kriegsende nicht übereinstimmte. Dies geht auch aus der Tatsache hervor, dass im Juni 1945 von den 43 aufgelisteten Personen erst 24 Fragebögen vorlagen. 47 BayHStA, StK 13904, Verzeichnis der Beamten und Angestellten der Bayer. Staatskanzlei, die bisher noch keinen Fragebogen ausgefüllt und abgeliefert haben, 21. Juni 1945. 48 Darunter war eine Arbeiterin, die der NSDAP 1927 beigetreten, jedoch bereits ein Jahr später wieder ausgetreten war. Die restlichen 20 NSDAP-Mitglieder waren die Männer, die bereits auf dem Verzeichnis vom 1. Juni mitgezählt wurden. 49 Zu den jeweiligen Beitrittsperioden der NSDAP vgl. Jürgen W. Falter, Hitlers Parteigenossen. Die Mitglieder der NSDAP 1919–1945, Frankfurt am Main 2020, S. 74–82.

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ten weiterbeschäftigen zu können, ging dennoch nicht auf. Nach der Improvisationsphase der Entnazifizierung im Mai und Juni, die, ähnlich wie bei vielen anderen Behörden, gegen das Spitzenpersonal gerichtet war, setzte Ende Juni eine zweite Verhaftungswelle ein. Nun waren alle Ebenen des Beamtenapparates betroffen. Alle Personen, die vor dem 1. April 1933 der NSDAP beigetreten waren, sollten entlassen werden.50 So wurden zahlreiche Ministerialbeamte und Verwaltungsjuristen auf Ebene der Regierungspräsidien von der Militärregierung entlassen; auch Personen aus der Wirtschaft waren betroffen. Obwohl diese zweite Entlassungswelle an der Bayerischen Staatskanzlei vorbeiging, entkam sie einer weiteren Verschärfung der Entnazifizierung Anfang Juli 1945 nicht. Am 7. Juli 1945 erließ das Hauptquartier der US-amerikanischen Truppen in Europa (USFET) eine allgemein verbindliche Direktive.51 Dies geschah unter dem Druck der Öffentlichkeit in den Vereinigten Staaten, die auf eine scharfe Bestrafung aller Nazis drängte.52 Das Ziel der neuen USFET-Direktive war eine Verschärfung, Erweiterung und Vereinheitlichung der bis dahin existierenden Entnazifizierungspraxis. Als Grundlage für die individuelle Beurteilung durch die Militärregierung dienten die 131 Punkte umfassenden Fragebögen. Wenn die Special Branch der Militärregierung während der systematischen Auswertung der Fragebögen den Eindruck gewann, dass eine Person mehr als lediglich ein „nomineller Parteigenosse“ gewesen war, reichte dies nach der Direktive für eine Entlassung aus. Dabei nahm die Militärregierung keine Rücksicht auf personellen Ersatz oder Rechtsansprüche wie Kündigungsfrist, Ablösungs- und Ruhegehalt.53 Alle Beamten, Angestellten und Arbeiter sollten entlassen werden, die vor dem 1. Mai 1937 Mitglied der NSDAP geworden waren, sowie alle Amtsträger der NSDAP, ihrer Gliederungen oder der angeschlossenen Organisationen. Ebenfalls sollten die Spitzenbeamten in der Landesverwaltung – Ministerialdirektoren, Regierungspräsidenten und Landräte – unabhängig von der Mitgliedschaft in NS-Organisationen von ihren Stellen entfernt werden, sofern dies nicht bereits geschehen war.54 Diese rigorosen Vorschrif50 Dazu vgl. Hoser, Entnazifizierung, in: Schuster (Hrsg.), Entnazifizierung, S. 478. 51 Die USFET-Direktive basierte zum Teil auf der sechsten und letzten überarbeiteten Version der ursprünglichen Direktive JCS 1067 vom April 1945. Zum Inhalt der USFET-Direktive vgl. Niethammer, Mitläuferfabrik, S. 150–156; Vollnhals, Einleitung, in: Vollnhals (Hrsg.), Politische Säuberung, S. 10 ff. Für die englische Version der USFET-Direktive: BayHStA, NL Anton Pfeiffer 32. 52 Vgl. Vollnhals, Einleitung, in: Vollnhals (Hrsg.), Politische Säuberung, S. 12. 53 Vgl. ebenda, S. 11. 54 Im Fall der Reichsverwaltung galt nach Kategorie 7 aus der Direktive vom 7. Juli sogar, dass alle Spitzenbeamten hinunter bis zur Referenteneben oder Inhaber entsprechender Positionen entlassen werden sollten. Weil die deutsche Übersetzung der Direktive allerdings unklar formuliert wurde, wird in der Geschichtsforschung oft fälschlicherweise angemerkt, dass auch innerhalb der Landesverwaltungen die Spitzenbeamten bis zur Referentenebene entlassen werden sollten. Für die richtige Deutung vgl. ebenda; Niethammer, Mitläuferfabrik, S. 153. Vgl. dagegen:

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ten führten sowohl in der Staatskanzlei als auch in der restlichen Ministerialverwaltung zu einer „unsystematischen Eskalation der Säuberungsvorschriften“.55 Bis Mitte August wurden nach groben Schätzungen der Militärregierung innerhalb der gesamten amerikanischen Besatzungszone 80.000 Personen im Zuge des automatischen Arrests festgenommen und weitere 70.000 Personen als „NS-Aktivisten“ entlassen.56 Die amerikanische Militärregierung gab sich unter dem öffentlichen Druck aus dem eigenen Land mit nichts anderem als einem vollkommenen Eliteaustausch in ihrer Besatzungszone zufrieden. Die Militärregierung führte auch in der Staatskanzlei bis Mitte August eine rigorose Entnazifizierung durch und entließ alle Personen, die Mitglied in der NSDAP gewesen waren – unabhängig vom Zeitpunkt des Beitritts. Kurz nachdem Weinisch für Schäffer das Gesamtverzeichnis erstellt hatte, wertete die Militärregierung die vorliegenden Fragebögen aus und begann mit den Entlassungen in der Bayerischen Staatskanzlei. Die Abteilung „Verwaltung und örtliche Regierung“ des Detachments E1P3 gab auf Befehl von Colonel Keegan zum 12. bzw. 19. Juli den Auftrag zur Entlassung von neun Beamten, Angestellten und Arbeitern der Staatskanzlei.57 Die Begründung der Militärregierung lautete dabei ohne Ausnahme: „frühere Verbindung mit der Parteiorganisation“.58 Anfang August erhöhte sich die Zahl um einen Beamten,59 sodass zwischen Kriegsende und Anfang August 1945 insgesamt 16 Personen aus der Staatskanzlei wegen ihrer formalen Belastung entlassenen wurden.60

Hoser, Entnazifizierung, in: Schuster (Hrsg.), Entnazifizierung, S. 479; Gerhardt, Agrarmodernisierung, S. 129. 55 Hoser, Entnazifizierung, in: Schuster (Hrsg.), Entnazifizierung, S. 479. 56 Vgl. Vollnhals, Einleitung, in: Vollnhals (Hrsg.), Politische Säuberung, S. 10. 57 BayHStA, StK 13904, Liste der aus der Bay. Staatskanzlei entlassenen Beamten, Angestellten und Arbeiter, 21. Juli 1945. Vgl. auch in dieser Akte: Ralph Dr. Hubbard Jr. (Abteilung Verwaltung und örtliche Regierung der Militärregierung) an Ministerpräsident Schäffer, 4. Juli 1945; Abschrift Headquarters Regional Military Government Bavaria, Detachment E1P3, 11. Juli 1945. Diese Entlassungen stellten keine strafrechtlichen Maßnahmen der Militärregierung gegen die Beamtenschaft dar, sondern ein machtpolitisches Mittel zur Etablierung einer neuen Führungsschicht auf bayerischer Seite. Vgl. Vollnhals, Einleitung, in: Vollnhals (Hrsg.), Politische Säuberung, S. 8. 58 BayHStA, StK 13904, Zusammenstellung der im Bereich der Bayerischen Staatskanzlei von der Militärverwaltung angeordneten Dienstentlassungen, 4. September 1945. 59 Ebenda. 60 Die restlichen fünf ehemaligen NSDAP-Mitglieder befanden sich im Juli noch im deutschen Heeresdienst und waren noch nicht zurückgekehrt. Sie kehrten auch zu keinem späteren Zeitpunkt in die Staatskanzlei zurück. Unklar bleibt allerdings aus welchen Gründen; BayHStA, StK 13904, Liste der aus der Bayer. Staatskanzlei entlassenen Beamten, Angestellten und Arbeiter, 21. Juli 1945.

3.1 Das „bayerische Experiment“ unter Druck



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Karl Weinisch selbst musste am 7. August seinen Hut nehmen.61 Die von der Militärregierung angeordnete Entlassung wurde jedoch nicht von Schäffer, sondern vom Regierungspräsidenten Oberbayerns, Ludwig Osthelder,62 ausgeführt. Osthelder, der bereits im Mai 1945 von der Militärregierung in seinem Amt bestätigt worden war, setzte sich kurz darauf persönlich bei Schäffer für Weinischs Wiedereinstellung ein. Der Regierungspräsident argumentierte in seinem Schreiben, dass Weinisch ein „vorzüglicher Kenner“ aller juristischen Gebiete der bayerischen Verwaltung sei und seine Mitgliedschaft in der NSDAP nichts mit seiner politischen Überzeugung zu tun habe.63 Auch Schäffer war von den Fachqualitäten des Ministerialbeamten überzeugt und plädierte am 16. August in einem Brief an die Militärregierung für seine Wiedereinstellung, weil es sich um eine wichtige Person für sein Ministeramt handelte.64 Außerdem, so argumentierte Schäffer, und knüpfte damit an Osthelders Argumentation an, hatte Weinisch bereits 16 Bücher zur bayerischen Staatsverwaltung veröffentlicht und war während der NSZeit mit der Ausbildung junger Juristen beauftragt gewesen. Daneben hatte Weinisch nach dem Krieg von Regierungspräsident Osthelder den Auftrag bekommen, ein Memorandum zu verfassen, das für die Ausbildung zukünftiger Verwaltungsbeamten „im neuen Geiste“ dienen sollte. Auch vor diesem Hintergrund betrachtete der Ministerpräsident die Wiedereinstellung Weinischs in seinem Schreiben an die Militärregierung „sowohl als eine Frage der Gerechtigkeit wie auch als eine Frage der Zweckmäßigkeit“. Dies wird unterstrichen durch die Tatsache, dass er Keegans Stellvertreter, Colonel Reese,65 zwei Tage später während eines persönlichen Treffens, eine von Weinisch selbst verfasste Darstellung von seinem Han-

61 Die Tatsache, dass der Name Weinisch bis dahin auf keiner der von ihm erstellen Personenverzeichnisse aufgetaucht war, lässt sich so erklären, dass er zwar von Schäffer in der Staatskanzlei beschäftigt wurde, jedoch nach wie vor im Dienst des Regierungspräsidenten von Oberbayern tätig war. Für die Entlassung von Karl Weinisch siehe: StAM, SpkA K 1933, Weinisch, Karl, Brief Karl Weinisch an die Militärregierung, 9. August 1945. Weinisch war zwar in der Staatskanzlei tätig, jedoch im Dienst des Regierungspräsidenten. Dieser setzte sich bei Schäffer sogar für die politische Zuverlässigkeit von Weinisch ein. 62 Zu Osthelders Biografie vgl. Ministerratssitzung Dienstag, den 28. Januar 1947 in: Die Protokolle des Bayerischen Ministerrats 1945–1962. Das Kabinett Ehard I, bearb. v. Karl-Ulrich Gelberg, München 2000, S. 103. 63 StAM, SpkA K 1933, Weinisch, Karl, Brief vom Regierungspräsidenten Osthelder an den Bayerischen Ministerpräsidenten Schäffer, 13. August 1945. 64 Ebenda, Brief des Bayerischen Ministerpräsidenten Schäffer an die Militärregierung, 16. August 1945. 65 Robert A. Reese, Deputy Military Government Officer, war Keegans Stellvertreter und kümmerte sich vor allem um die Entnazifizierung. Er traf sich regelmäßig mit Schäffer. Vgl. Gelberg, Einleitung, in: Protokolle Schäffer, S. 93.

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deln während der NS-Zeit überreichte.66 Damit zeigte der Fall Weinisch vor allem, dass Schäffer sein Verständnis von „nominell belastet“ in der Praxis flexibel anwendete und sich stark von seinem persönlichen Eindruck einer Person führen ließ, damit er auf erfahrene Beamte wie Weinisch nicht verzichten musste. Währenddessen wurde Weinisch, in Erwartung der Reaktion der Militärregierung, noch bis zum 22. August als Protokollführer weiter beschäftigt. Dennoch revidierte die Militärregierung die Entlassung nicht und Weinisch musste den bayerischen Staatsdienst verlassen.67 Ende August 1945 war die unter dem Druck der Militärregierung durchgeführte Entnazifizierung in der Staatskanzlei vollendet und die Zahl der ehemaligen NSDAP-Mitglieder lag nahezu bei null.68

Entschärfungsversuche: Schäffers Memoranden Ministerpräsident Schäffer ging die Verschärfung der Entnazifizierung bis August 1945 zu weit und er sah das „bayerische Experiment“ durch die radikale Entnazifizierungspolitik bedroht. Der Ministerpräsident befürchtete, dass durch die „amerikanische Säuberungswelle“ die Leistungsfähigkeit seiner Ministerialverwaltung weiter sinken würde. Vor diesem Hintergrund beklagte er sich bei dem RMG, dass

66 Vgl. Protokolle Kabinett Schäffer, S. 383. 67 Aus einem Geschäftsverteilungsplan der Staatskanzlei vom 12. September 1945 geht hervor, dass Schäffer zu diesem Zeitpunkt noch keinen neuen Leiter der Abteilung III ernannt hatte: „Wegen des bisherigen Leiters, Oberregierungsrat Dr. Karl Weinisch, schwebt noch das Ersuchen des Ministerpräsidenten bei der Militärregierung um Belassung des Genannten im Amt.“ BayHStA, StK 11616, Amt des Ministerpräsidenten – Bayerische Staatskanzlei, 12. September 1945, S. IV. 68 Aus einer durch die Staatskanzlei im Auftrag des Bayerischen Landtags erstellten Übersicht über die Weiterbeschäftigung und Wiedereinstellung von ehemaligen NSDAP-Mitgliedern im Beamten- und Angestelltenverhältnis in der bayerischen Ministerialverwaltung geht hervor, dass in der Staatskanzlei fünf Beamte und fünf Angestellte, die NSDAP-Mitglied gewesen waren, nicht entlassen und nach dem 1. Mai 1945 weiterbeschäftigt wurden. Wie diese Zahlen zustanden gekommen sind, lässt sich nicht mehr genau nachvollziehen. Dennoch konnte durch die Auswertung von Personallisten festgestellt werden, dass zwischen Oktober 1945 und Februar 1947 lediglich ein ehemaliges NSDAP-Mitglied (vermutlich unter falschen Angaben) in der Staatskanzlei arbeitete. Somit handelte es sich vermutlich um Personen, die sich nach dem Krieg in Kriegsgefangenschaft befanden, jedoch weiterhin formal im Dienst der Staatskanzlei standen. Vgl. ArchdBL, Legislaturperiode 1, Beilage 2403 zur Beilage 2107, Bayerische Staatskanzlei an den Präsident des Bayerischen Landtags, Übersicht über die in der Staatsverwaltung beschäftigten bzw. wieder entlassenen ehemaligen Mitglieder der NSDAP und deren Gliederungen, der politischen und rassisch Verfolgten und der Flüchtlinge nach dem Stand vom 31.12.1948, abgeschickt am 1. April 1949, S. 6 f., https://www.bayern.landtag.de/www/ElanTextAblage_WP01/Drucksachen/ 0000002000/01-02403.pdf [31. Juli 2023].

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neben den „aktiven Nazis“ zu viele nominelle Parteimitglieder entlassen würden.69 Außerdem war er wegen der Entlassung von einheimischen Fachleuten und der Zunahme von „landfremden“ Personen – beispielsweise Evakuierten aus Berlin und Flüchtlingen – besorgt über die Qualität und Identität der bayerischen Verwaltung.70 Daneben beobachtete er als überzeugter Antikommunist mit Skepsis die Einstellung von Männern aus dem linken Parteispektrum.71 Schäffer hatte die Hoffnung gehabt, dass die meisten Beamten, die seiner Meinung nach keine „gesinnungsmäßigen Nazis“ sondern „Mitläufer“ gewesen waren, weiterbeschäftigt werden könnten. Während die Militärregierung die formalen NS-Belastungskriterien als Grundlage für Massenentlassungen in Anschlag brachte, argumentierte Schäffer in umgekehrter Richtung, um die formale NS-Belastung von einem Großteil der Beamtenschaft zu bagatellisieren.72 Am 1. August versuchte er, die Lage mit einem Grundsatzmemorandum an die RMG zu entschärfen.73 Darin plädierte Schäffer dafür, leitende Verwaltungsstellen nicht mit ehemaligen NSDAP-Mitgliedern zu besetzen und keine Personen, die als „aktive Nazis“ eingestuft waren, in der Verwaltung zu beschäftigen. Wichtiger war für ihn aber die umfangreichere Gruppe der „formellen Parteigenossen“. Er sprach sich dafür aus, dass Personen in dieser Kategorie zwar ihren Beamtenstatus verlieren sollten, aber dennoch als „Angestellte […] auf Bewährung“ weiterbeschäftigt werden konnten. Bereits entlassene Personen sollten außerdem neu überprüft werden. Somit versuchte Schäffer, diese Personen in der bayerischen Ministerialverwaltung zu behalten oder wieder einstellen zu können. Der Aufbau der Verwaltung stand an erster Stelle und die Frage nach der Verwaltungserfahrung und Fachexpertise war für den Ministerpräsidenten wichtiger als ihre NSVergangenheit. Am 1. September folgte ein nächstes grundlegendes Memorandum von Schäffer, das er am 17. September in einem Schreiben an die Militärregierung vertiefte. 69 BayHStA, NL Anton Pfeiffer 55, Memorandum Fritz Schäffer: „Removal of Nazis“ für die Militärregierung, 1. August 1945; StK 13901, Schäffer an die Militärregierung, Removal of active Nazis and ardent sympathizers from public offices, 22. Juni 1945. 70 Exemplarisch dafür ist eine vermutlich von Anton Pfeiffer im Auftrag von Schäffer verfasste Analyse über die Schwierigkeiten beim Aufbau der bayerischen Staatsverwaltung. Vgl. BayHStA, NL Anton Pfeiffer 57, „Schwierigkeiten in der Zeitlage“, 13. September 1945. Vgl. Niethammer, Mitläuferfabrik, S. 165. 71 Vgl. ebenda. 72 Obwohl die amerikanische Besatzungsmacht davon ausging, dass eine nationalsozialistische Einstellung eine individuelle Eigenschaft sei, ließ dies sich administrativ als Persönlichkeitsmerkmal nicht fassen. Die Militärregierung musste vor diesem Hintergrund auf formale Kriterien wie Mitgliedschaften und Dienstgrade zurückgreifen. Vgl. ebenda, S. 154 f. 73 BayHStA, NL Anton Pfeiffer 55, Memorandum Fritz Schäffer „Removal of Nazis“ für die Militärregierung, 1. August 1945.

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Dabei versuchte Schäffer das RMG dazu zu bewegen, die individuelle Schuldfrage anstatt der formalen Belastungskriterien bei der Entlassungspolitik stärker in den Vordergrund zu stellen. Dabei schlug er ein Verfahren vor, dass dem 1946 eingeführten Spruchkammersystem bereits sehr nahe kam.74 Zugleich verfasste die Staatskanzlei, insbesondere Anton Pfeiffer, weitere Denkschriften, um die Entnazifizierungspraxis zugunsten der nominellen Parteimitglieder aufzuweichen.75 Die Militärregierung war zwar zu einigen Konzessionen bereit, um die Arbeitsfähigkeit der bayerischen Verwaltung nicht zu gefährden, hielt jedoch zunächst grundlegend an ihrer strikten Säuberungspolitik fest.

Die rasche Entlassung des ehemaligen Reichswehrministers Otto Geßlers Der Sommer von 1945 stand nicht lediglich im Zeichen von Entlassungen. Parallel zur Entnazifizierung versuchte Schäffer, die Führungsstellen der Staatskanzlei neu zu besetzen. Doch dabei geriet er jedoch erneut in Konflikt mit der amerikanischen Militärregierung. Gegen seinen Willen musste er Ende August 1945 den unter Vorbehalt eingestellten Staatsrat Otto Geßler als Leiter der Staatskanzlei wieder gehen lassen. Schäffer hatte sich in der direkten Nachkriegszeit mündlich und schriftlich mit Geßler, der sich nach dem Krieg in seiner Wahlheimat Lindenberg im Kreis Lindau aufhielt, über die Übernahme dieses Amts ausgetauscht. Die befreundeten Politiker kannten sich aus der Zeit der Weimarer Republik. Am 13. Juli forderte Schäffer den von ihm geschätzten Geßler schriftlich auf, ihn als „Freund und Berater“ zu unterstützen.76 Aus dieser Entscheidung geht klar hervor, dass der Ministerpräsident sich bewusst für einen erfahrenen Politiker entschied, dem er außerdem blind vertrauen konnte. Gerade dieses Vertrauen fehlte zu dem eigensinnigen Pfeiffer während der zurückliegenden Monate (siehe Kapitel 4.1). 74 Dazu schlug er den Einsatz von Ausschüssen mit unbelasteten deutschen Personen vor, die über den Verbleib von Personen in einem Amt entscheiden sollten: BayHStA, NL Anton Pfeiffer 110, Memorandum: „Rückwirkungen der Entnazifizierung auf die bayerische Landesverwaltung“, ohne Datum [1. September 1945], S. 1–19; BayHStA, MSo 0104, Schäffer an das RMG (Special Branch), 17. September 1945. 75 Für die Denkschriften: BayHStA, NL Anton Pfeiffer 55, 57, 110, 119. Vgl. Niethammer, Mitläuferfabrik, S. 190. 76 Geßler hatte zum gleichen Zeitpunkt in seiner Heimat vom Gouverneur von Lindau das Angebot bekommen, ein Amt an der Spitze des Sonderverwaltungsgebiets „Kreis Lindau“ zu übernehmen. Dennoch entschied sich der ehemalige Reichsminister für den „größeren Ruf“. Der Kreis Lindau hatte ursprünglich zum bayerischen Staatsgebiet gehört. Während der Besatzungszeit gehörte er dennoch zur französischen Besatzungszone mit einem staatsrechtlichen Sonderstatus. Vgl. Kurt Sendtner, Der Lebensweg, in: Kurt Sendtner (Hrsg.), Reichswehrpolitik in der Weimarer Zeit, Stuttgart 1958, S. 19–96, hier S. 91; Limbach, Bürger gegen Hitler, S. 493.

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Auch für Geßler gilt, dass seine Ernennung mit dem Titel eines Staatsrats vorübergehend war, bis sein Fragebogen die Kontrolle durch die Militärregierung überstanden hatte. Geßler warnte Schäffer im Vorfeld seiner Ernennung davor, dass „seine frühere langjährige Wirksamkeit als Wehrminister“ von der amerikanischen Militärregierung zu einer „Belastung“ für die neue Regierung gemacht werden könnte.77 Schäffer betonte dennoch Mitte Juli 1945 gegenüber seinem vorgesehenen Chef der Staatskanzlei, dass von dieser Seite „keine Einwände erhoben worden seien“.78 Geßler hatte 1945 bereits eine lange politische Laufbahn hinter sich. Nicht zuletzt hatte er sich während der zurückliegenden Jahrzehnte zu einem der prominentesten Vertreter des bayerischen politischen Liberalismus entwickelt. Der Jurist wurde 1875 in Ludwigsburg79 in einer gemischt-konfessionellen bürgerlichen Familie geboren.80 Im Jahre 1903 trat er in den bayerischen Verwaltungsdienst ein. Nach einigen Jahren in der bayerischen Justizverwaltung, wo er unter anderem als Staatsanwalt aktiv war, amtierte er von 1910 bis 1913 als Bürgermeister von Regensburg und anschließend bis 1918 als Oberbürgermeister von Nürnberg. Ähnlich wie für Fritz Schäffer und Anton Pfeiffer, wurde die Revolution in Bayern zum entscheidenden Schlüsselerlebnis für seinen weiteren politischen Werdegang. Die Erfahrungen, die während der Revolution von den jeweiligen Akteuren gemacht wurden, entwickelten sich, weit über die Weimarer Republik hinaus, zum verbindenden politischen Element innerhalb des konservativ-bürgerlichen politischen Lagers in Bayern. Sie wurden zum wesentlichen Bestandteil des sogenannten „Weimar-Komplexes“, mit dem viele von ihnen nach 1945 kämpften.81 Ende des Jahres 1918 gehörte Geßler in Franken zum Gründungskreis der bürgerlichen linksliberalen Deutschen Volkspartei in Bayern (DVP), die sich 1919 zur Deutschen Demokratischen Partei in Bayern (DDP) umbenannte.82 Die Partei war während der Weimarer Republik, ähnlich wie die BVP, zu keinem Zeitpunkt frei von innerparteilichen Richtungsstreitigkeiten.83 Geßlers Staatsdenken ging von ei77 Sendtner, Lebensweg, in: Sendtner (Hrsg.), Reichswehrpolitik, S. 91. 78 Zit. nach: ebenda. Erst am 8. August 1945 übergab Schäffer der Militärregierung den Fragebogen von Geßler. Siehe: Gelberg, Einleitung, in: Protokolle Kabinett Schäffer, S. 52. 79 Geßler war zwar kein gebürtiger Bayer, betrachtete dennoch Lindau, wo er mit seiner Familie 1887 hingezogen war, als seine Heimat. Vgl. Limbach, Bürger gegen Hitler, S. 69. 80 Obwohl Geßlers Eltern ihn nicht religiös erzogen und ihm auf diesem Gebiet alle Freiheit ließen, bekannte er sich später im Leben zum Katholizismus. Vgl. ebenda, S. 70. 81 Vgl. Ullrich, Weimar-Komplex. 82 Die DVP beschloss bereits 1918 den Anschluss der DDP auf Reichsebene. Für die Rolle Geßlers vgl. Limbach, Bürger gegen Hitler, S. 46, 84. Zur Entwicklung des politischen Liberalismus in Deutschland und Bayern vgl. Limbach, Bürger gegen Hitler, S. 40–47. 83 Im Jahre 1927 trat Geßler gerade wegen Meinungsunterschieden zu führenden Persönlichkeiten innerhalb der DDP aus der Partei aus. Vgl. Limbach, Bürger gegen Hitler, S. 107 f.

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nem liberal-rechtsstaatlichen Grundsatz aus, in dem eine Harmonie zwischen der deutschen Reichseinheit (als föderalistischer Staat) und der bayerischen Eigenstaatlichkeit existierte. Dementsprechend trat er sowohl für die Interessen des Reiches als auch die des bayerischen Staats ein, verstand sich selbst jedoch zuallererst als Reichspolitiker und handelte danach.84 Bis zum Ende der Weimarer Republik plädierte er außerdem für eine Reform der Verfassung. Als Lösung für die Krise des Parlamentarismus schlug Geßler eine „diktatorische“ Stärkung des Reichspräsidenten vor. Zweitens plädierte er zur Sicherung des Reiches für eine Neubestimmung des Reich-Länder-Verhältnisses. Am Ende war es der Staat – nicht die Demokratie –, der gerettet werden musste. Vor diesem Hintergrund überrascht es wenig, dass er und Schäffer sich auch in politischer Hinsicht gut verstanden.85 So galt auch für Geßler, dass er nicht in die Kategorie des „Vernunftrepublikaners“ passte. Als „Herzensmonarchist“86 war Geßler dem bayerischen Wittelsbacher Königshaus nach der Revolution treu geblieben, was während der NS-Zeit zur wichtigen Grundlage für seine Zusammenarbeit mit Kronprinz Rupprecht von Bayern wurde. Geßler bekleidete im Jahre 1919 das neugeschaffene Amt des Reichsministers für Wiederaufbau, zwischen 1920 und 1928 anschließend das des Reichswehrministers.87 In dieser Position hatte er 13 Reichskabinette lang die politische Verantwortung für die Reichssicherheit. In dieser Funktion strebte er die Schaffung einer „staatstreuen“, unpolitischen Reichswehr an.88 Nach seinem Rücktritt war er zwischen 1931 und 1933 Vorsitzender des Vereins für das Deutschtum im Ausland. Während der NS-Zeit beteiligte sich Geßler am Widerstand gegen das Hitler-Regime. Zusammen mit dem DDP-Mitglied Eduard Hamm (1879–1944),89 mit dem er bereits vor dem Ersten Weltkrieg befreundet war, gehörte er zu dem bayerischen bürgerlichen Widerstandskreis um den letzten bayerischen Gesandten in Berlin, Franz Sperr, und somit zum sogenannten Sperr-Kreis.90 84 Vgl. ebenda, S. 96. 85 Anders als Fritz Schäffer dachte Geßler jedoch vielmehr aus der Perspektive des gesamten Reiches. Beide Politiker plädierten für eine Neubestimmung des Reich-Länder-Verhältnis in der Weimarer Verfassung und versuchten, mit autoritären Lösungen den Staat vor dem Parlamentarismus zu retten. Vgl. ebenda, S. 108 ff. 86 Vgl. ebenda, S. 110, 113. 87 Damit war Geßler der am längsten amtierende Reichsminister während der Weimarer Republik. 88 Vgl. Limbach, Bürger gegen Hitler, S. 185; Heiner Möllers, Reichswehrminister Otto Geßler. Eine Studie zu „unpolitischer“ Militärpolitik in der Weimarer Republik, Frankfurt am Main 1998, S. 58. 89 Zu Hamms Person vgl. Limbach, Bürger gegen Hitler, S. 83–96. 90 Der Name „Sperr-Kreis“ als Andeutung für den Widerstandskreis um Franz Sperr ist nicht zeitgenössisch. Er hat sich erst in der Widerstandsforschung der 1960er Jahre durchgesetzt. Vgl.

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Sperr, Hamm und Geßler waren die drei Hauptprotagonisten dieser Verbindung und spielten eine entscheidende Rolle für dessen Aufbau, Ausrichtung und Handeln.91 Es war aber der bayerische Kronprinz Rupprecht, der Sperr, Geßler und Hamm 1934 als seine Berater anwarb, und damit die Entstehung der Widerstandsgruppe auf den Weg brachte.92 Das Ziel des Widerstandskreises war die Errichtung einer sogenannten Auffangorganisation für Bayern.93 Bereits in den Jahren 1933 und 1934 entwickelte sich bei den drei Hauptpersonen und dem Kronprinzen die Überzeugung, dass der NS-Staat durch seine innere Fragmentierung und inkompetente Wirtschaftspolitik untergehen würde. Damit sich eine chaotische Situation wie in den Jahren 1918/19 nicht wiederholen konnte, sollten nun Vorkehrungen für den Moment des Regimewechsels getroffen werden.94 Gerade an dieser Stelle zeigte sich bei den jeweiligen Akteuren die tiefgreifende Bedeutung, die von ihrem gemeinsamen Erfahrungshorizont ausging. Dieses Mal sollte das bayerische Bürgertum bereit stehen, um den bayerischen Staat zu schützen und die Aufrechterhaltung von Recht und Ordnung während des Übergangs von der Diktatur in den Rechtsstaat zu garantieren – unabhängig von der Frage, ob es sich dabei um eine Monarchie oder eine Republik handelte. Der „ungekrönte Monarch“ sollte nach dem Untergang des „Dritten Reiches“ in Bayern als stabilisierende „Integrationsfigur“ für Recht und Ordnung dienen.95 Für ihre Zielsetzung benutzten die ebenda, S. 13. Zu Sperrs Person vgl. auch Hermann Rumschöttel/Walter Ziegler (Hrsg.), Franz Sperr und der Widerstand gegen den Nationalsozialismus in Bayern, München 2001. 91 Der Kreis vereinte insgesamt etwa 66 Personen aus der bayerischen Führungsschicht und entstammte den politisch liberalen, katholischen und konservativ-bürgerlichen Milieus in Bayern. Darunter waren ehemalige Politiker, Beamte, Juristen, Unternehmer, Polizisten und Militärs. Alle waren durch ihr „bayerisches Bewusstsein“ verbunden, das stark durch die „über Jahrhunderte in Bayern bestehende monarchische Tradition und Eigenstaatlichkeit“ geprägt wurde. Vgl. Limbach, Bürger gegen Hitler, S. 511. 92 Der Kronprinz war seit 1934 zielstrebig auf der Suche nach Personen, die ihm beim Aufbau einer Organisation für die Zeit nach dem Untergang des NS-Staats unterstützen könnten. Der Historiker Manuel Limbach rechnet Rupprecht dennoch nicht zum „Sperr-Kreis“. Der Kronprinz brachte zwar dessen Entstehung auf dem Weg, hatte dennoch am weiteren personellen Aufbau und Kontakt zu anderen Widerstandsorganisationen keinen Anteil. Geßler und Rupprecht kannten sich bereits aus der Zeit der Weimarer Republik. Der Kronprinz war von den politischen Qualitäten des ehemaligen Reichsministers überzeugt, nicht zuletzt durch dessen Treue zur Monarchie und zu Bayern. Im Jahre 1932 führten die beiden noch ein ausführliches Gespräch über die politische Lage im Reich. Für die personellen Anwerbungskriterien des Kronprinzen Rupprechts vgl. ebenda, S. 214 ff., 514. 93 Zu dem Begriff „Auffangorganisation“ vgl. ebenda, S. 205. 94 Im Hintergrund wurden die Hauptakteure bei ihrem Widerstand ebenfalls durch die „Judenpolitik“ und den Kriegskurs des Hitler-Regimes sowie durch den „völkerrechtswidrigen Krieg“ und ihre Erkenntnisse über den Holocaust motiviert. Vgl. ebenda, S. 321. 95 Zit. nach: ebenda.

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3 Führungspersonal und Personalpolitik

Hauptakteure ihre umfangreichen Netzwerke. So wurden nicht zuletzt Karl Scharnagl und Ritter von Lex, in seiner Funktion als ehemaliger Landesführer der „Bayernwacht“, angeworben.96 Obwohl Geßler das NS-Regime in vielerlei Hinsicht ablehnte und aktiv Widerstand leistete, distanzierte er sich bis Oktober 1939 nicht von dessen Außenpolitik. Ähnlich wie Hamm unterstützte er den Gedanken eines Großdeutschen Reiches und vertrat den Standpunkt, dass die deutschen Ansprüche auf ihre ehemaligen Besitzungen und die Gebiete mit überwiegend deutschsprachigem Bevölkerungsanteil rechtmäßig waren.97 Jedoch lehnte er einen Krieg, um diese Ansprüche zu realisieren, ab. Stattdessen begab Geßler sich in der unmittelbaren Vorkriegszeit und auch während der ersten Jahre des Krieges auf „Auslandsmissionen“ nach England, Italien und in die Schweiz. Während dieser Reisen versuchte er über sein umfangreiches internationales Diplomatennetzwerk, den Krieg zu verhindern beziehungsweise zu einer Friedenslösung beizutragen, und Informationen für den „Sperr-Kreis“ zu sammeln. Dabei misslang sein Versuch den Allierten, die Wiederherstellung der Monarchie in Bayern als Friedensoption zu vermitteln.98 Zugleich war Geßlers Handeln nicht unumstritten. Obwohl nichts darauf hinweist, dass Geßler im „Dritten Reich“ ein „Doppelspiel“ betrieb, lieferte er dem NS-Regime innenund außenpolitische Stimmungsberichte.99 Vermutlich stellten diese den Versuch Geßlers dar, durch seine vielen innen- und außenpolitischen Reisen nicht negativ bei den NS-Machthabern aufzufallen, und im Fall einer Festnahme Beweise für seine Loyalität zum Regime zu haben. So wollte er nach außen den Anschein erwecken, er unterstütze die Politik des Hitler-Regimes. Von der Verhaftungswelle nach Stauffenbergs Attentat auf Hitler am 20. Juli 1944 war auch der „Sperr-Kreis“ betroffen, obwohl die Protagonisten sich am Tag des Attentats kaum am Umsturz des Hitler-Regimes beteiligten oder beteiligen konnten.100 Geßler wurde kurz nach dem Attentat am 22. Juli als erster der drei Hauptprotagonisten von Mitarbeitern des Sicherheitsdienstes festgenommen und war bis zum 24. Februar 1945 im Konzentrationslager Ravensbrück interniert, wo er schwer misshandelt wurde. Vor diesem Hintergrund war es nicht nur das baye96 Vgl. ebenda. 97 Vgl. ebenda, S. 174. 98 Vgl. ebenda, S. 366. 99 Ein Stimmungsbericht für den persönlichen Stab des Reichsführers-SS (SS-Obergruppenführer Karl Freiherr von Eberstein und SS-Obersturmbahnführer Dr. Rudolf Brandt) aus 1943 liegt als Kopie in Geßlers Akte vom Bayerischen Landesentschädigungsamt vor. Vgl. BayHStA, LEA 1190, außerdem vgl. Limbach, Bürger gegen Hitler, S. 197–203, 356–360. 100 Zu den Verbindungen und der Zusammenarbeit des „Sperr-Kreises“ zu anderen Widerstandsorganisationen – beispielsweise der ebenfalls bürgerlichen Widerstandsgruppe „Kreisauer Kreis“ – und zur Rolle beim 20. Juli, vgl. ebenda, S. 393–489.

3.1 Das „bayerische Experiment“ unter Druck 

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rische Bewusstsein, das Schäffer und Geßler in der Nachkriegszeit miteinander teilten; in vielerlei Hinsicht hatten die beiden Politiker während der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts ähnliche Erfahrungen gemacht, und eine Inhaftierung im KZ war den beiden nicht erspart geblieben. Geßler war als vorläufiger Leiter der Staatskanzlei und deren Rechtabteilung ab Mitte Juli bis Ende August 1945 der engste Mitarbeiter und Berater von Fritz Schäffer in der Bayerischen Staatskanzlei. Nicht zuletzt wurde er vom Ministerpräsidenten beauftragt, mit dem französischen Gouverneur Verhandlungen über den Status des Kreises Lindau zu führen.101 Als Staatsrat nahm er außerdem an den Sitzungen des bayerischen Ministerrats teil und meldete sich hier vor allem zu Fragen der Personalpolitik und Entnazifizierung zu Wort.102 Am Herzen lag ihm darüber hinaus die Frage der Verwendung von ehemaligen Offizieren. So intervenierte er entschlossen, als während einer Sitzung des Ministerrats am 22. August über einen Erlass des Arbeitsministeriums an die Landesarbeitsämter diskutiert wurde. Nach diesem sollten die „aktiven Nazis“ „sogenannte minderwertige Arbeit“ zugewiesen bekommen.103 Zu diesen sollten „grundsätzlich alle aktive Offiziere“ gerechnet werden.104 Geßler plädierte stattdessen für eine Differenzierung und wies daraufhin, dass die Offiziere, „die wirklich Nazi gewesen sind“, in der Regel in der Waffen-SS gedient hätten. Dagegen bemerkte er, dass „jene Offiziere, die bei der Wehrmacht geblieben seien, […] bis auf Ausnahmen[,] Gegner der Nazi-Partei gewesen [seien].“105 Mit Recht merkt der Historiker Manuel Limbach dazu an, dass es sich Geßler mit dieser Sichtweise im Licht der heutigen Forschung über die Verbrechen der Wehrmacht nachweislich zu einfach machte.106 Vermutlich ließ sich Geßler bei seinen Aussagen mehr von seinen persönlichen Erfahrungen und Idealen während der Weimarer Republik als von der Realität im „Dritten Reich“ leiten. Dennoch sah Geßler für die Wehrmachtsoffiziere eine wichtige Rolle beim Wiederaufbau der Polizei und für die Gewährleistung von Sicherheit und Ordnung in der Nachkriegszeit – eine innerhalb des „Sperr-Kreises“ weitverbreitete Sichtweise.107 101 Vgl. zu diesen Verhandlungen: BayHStA, StK 10916. 102 Vgl. die Punkte III und IX aus dem Protokoll der Ministerratssitzung vom 22. August 1945: Protokolle Kabinett Schäffer, S. 193, 205. 103 Vgl. Punkt IV aus dem Protokoll der Ministerratssitzung vom 22. August 1945: Ebenda, S. 193. 104 Zit. nach: ebenda, S. 194. 105 Zit. nach: ebenda, S. 197. 106 Vgl. Limbach, Bürger gegen Hitler, S. 494. Für einen Überblick zur Forschungsliteratur über die Verbrechen der Wehrmacht vgl. Christian Hartmann/Johannes Hürter/Ulrike Jureit (Hrsg.), Verbrechen der Wehrmacht. Bilanz einer Debatte, München 2014. Siehe für die verschiedenen Facetten und Perspektiven auch die Beiträge im folgenden Sammelband: Rolf-Dieter Müller/ Hans-Erich Volkmann (Hrsg.), Die Wehrmacht. Mythos und Realität, München 2012. 107 Vgl. Limbach, Bürger gegen Hitler, S. 494.

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3 Führungspersonal und Personalpolitik

Die Ministerratssitzung vom 22. August war zugleich die letzte Sitzung, die Geßler als Leiter der Staatskanzlei besuchte. Bereits Ende August – kaum anderthalb Monate nach seiner vorläufigen Einstellung – wurde Geßler aus seiner leitenden Position entlassen,108 und es war ihm mit sofortiger Wirkung nicht länger erlaubt, die Staatskanzlei und die Dienststellen der Staatsregierung zu betreten.109 Wie er bereits im Juli 1945 selbst befürchtet hatte, war er für die Militärregierung als Leiter der Staatskanzlei wegen seiner Tätigkeit als Reichswehrminister während der Weimarer Republik nicht haltbar und wurde „aus seinem Amt gedrängt“.110 Ihm wurde vorgeworfen, er habe die Wiederbewaffnung Deutschlands während der Weimarer Republik vorangetrieben. Geßler selbst ging allerdings aus guten Gründen von einer zielbewussten Denunziation durch einen „deutschen Hochschulprofessor“ aus.111 Vieles weist darauf hin, dass es sich dabei um den bei der Militärregierung einflussreichen deutschen Soziologen und Professor für Staatswissenschaft, Hans von Eckardt, handelte.112 Tatsache war jedenfalls, dass sich Schäffer Ende August erneut auf die Suche nach einem Leiter der Staatskanzlei machen musste, und er mit dieser Entlassung einer seiner wichtigsten Verbündeten für den Wiederaufbau des bayerischen Staats verlor.113

Weitere Personalkonflikte und die Entlassung Schäffers Die Entlassung Otto Geßlers stellte keinen Einzelfall dar. Auch Schäffers Versuch, Karl Schwend im Juni einzustellen, scheiterte an der formalen NS-Belastung des 108 Von einer Entlassung im juristischen Sinne war nicht die Rede, da Geßler von der Militärregierung noch nicht regulär eingestellt worden war. Vgl. Gelberg, Einleitung, in: Protokolle Kabinett Schäffer, S. 52. 109 Schäffer besprach Geßlers Entlassung am 27. August mit Colonel Keegan. Vgl. Protokolle Kabinett Schäffer, S. 346 f. 110 Zit. nach: Limbach, Bürger gegen Hitler, S. 503. Insbesondere wurde Geßler konkret von der Militärregierung vorgeworfen, er habe während der Weimarer Republik die illegale sogenannte Schwarze Reichswehr aufgebaut. Schäffer behauptete nach der Entlassung dennoch gegenüber der Militärregierung, dass Geßler ihm versichert habe, am Aufbau der Schwarzen Reichswehr nicht beteiligt gewesen zu sein. Vgl. Gelberg, Einleitung, in: Protokolle Kabinett Schäffer, S. 52. Eine umfangreiche Quellenüberlieferung dazu gibt es in: NA, RG260, 638 (A1), 274, 390, 46, 24, 1. 111 Zit. nach: Sendtner, Lebensweg, in: Sendtner (Hrsg.), Reichswehrpolitik, S. 92. 112 Vgl. ebenda; Gelberg, Einleitung, in: Protokolle Kabinett Schäffer, S. 52. Zu von Eckardts Person vgl. BayHStA, MF 69372, Lebensdaten [Hans von Eckardt], 11. Februar 1946. 113 Auch andere Positionen innerhalb seiner Regierung und der bayerischen Ministerialverwaltung standen unter Druck und mussten bereits im September 1945 neu besetzt werden. Dazu führte Schäffer bis Mitte September unterschiedliche Gespräche mit Vertretern der Militärregierung und auch im Ministerrat wurde darüber gesprochen. Vgl. Protokolle Kabinett Schäffer, S. 215–232, 360–363.

3.1 Das „bayerische Experiment“ unter Druck 

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ehemaligen BVP-Korrespondenz-Hauptschriftleiters.114 Schwend arbeitete daraufhin inoffiziell im direkten Umfeld von Pfeiffer weiter, ohne jedoch der Staatskanzlei offiziell anzugehören.115 Auffallend war darüber hinaus der Fall des Legationssekretärs Philipp Freiherr von Brand, der zwischen 1940 und 1942 als stellvertretender Leiter der Dienststelle des Auswärtigen Amts in Brüssel gearbeitet hatte.116 Schäffer hatte Brand, der Mitglied der BVP gewesen war, am 25. Juni 1945 mit der Leitung des persönlichen Referats des Ministerpräsidenten beauftragt.117 Bereits am 7. Juli musste von Brand auf Anordnung der Militärregierung jedoch seinen Schreibtisch wieder räumen, obwohl er kein Mitglied der NSDAP oder deren angeschlossenen Organisationen gewesen war. Die Militärregierung begründete ihre Entscheidung nicht und die Staatskanzlei konnte keinen Widerspruch gegen die Entlassung einlegen.118 Die Militärregierung hatte in dieser Phase bei Fragen der Entnazifizierung und der Personalpolitik eindeutig das letzte Wort – egal, ob der Bayerische Ministerpräsident damit einverstanden war oder nicht. Insgesamt musste der Ministerpräsident im August und September 1945 verschiedene leitende Personen aus seiner Staatsregierung ersetzen.119 Wegen des angespannten Verhältnisses zum RMG war Schäffer viel daran gelegen, die betroffen Stellen so schnell wie möglich zur Stabilisierung seiner Regierung neu zu besetzen. 114 Vgl. die Notizen Schäffers über seine Besprechung mit der Militärregierung am 22. Juni 1945, in: Protokolle Schäffer, S. 282. Für den Fragebogen Schwends: BayHStA, NL Anton Pfeiffer 540. 115 Vgl. Wegmaier, Steuermänner, S. 585. 116 BayHStA, StK 13382, Personalbogen Philipp von Brand, 26. November 1952. Zu Brands Laufbahn im Auswärtigen Amt siehe auch: PAAA, P1 1622–1625, B100 2700. 117 BayHStA, StK 13382, Schäffer an Brand, 23. Juni 1945; Weinisch an die Landeshauptkasse, 27. Juli 1945. Zu Brands Mitgliedschaft in der BVP vgl. Philipp Freiherr von Brand zu Neidstein, Vergangenes und Unvergängliches. Aus Bayerns Staat und Gesellschaft 1900–1966, München 1966, S. 6. Aus einer Anklageschrift geht hervor, dass Brand im Juni 1922 als Student zusammen mit 11 anderen Studenten den Reichspräsidenten Friedrich Ebert bei seinem Staatsbesuch an München öffentlich beschimpfte und beleidigte. Die Gruppe wurde daraufhin festgenommen. Siehe: BArchB, R 1507/545, Anklageschrift des Oberreichsanwalts, März 1923. 118 Aus den Akten der Staatskanzlei geht hervor, dass die Militärregierung ihre Entscheidung – im Gegensatz zu der Entlassung von anderen Personen aus der Staatskanzlei – nicht begründete: BayHStA, StK 13904, Zusammenstellung der im Bereich der Bayerischen Staatskanzlei von der Militärverwaltung angeordneten Dienstentlassungen, 4. September 1945. Brand beklagte sich in einer Publikation 1966 noch über die Tatsache, dass er 1945 ohne „Angabe von Gründen“ und die Möglichkeit, sich zu rechtfertigen, entlassen wurde. Vgl. Brand zu Neidstein, Vergangenes, S. 5. In einem Brief an Ehard vom Januar 1947 ging er allerdings davon aus, dass der Grund für seine Entlassung seine angebliche „frühere Zugehörigkeit zur nationalsozialistischen Organisation“ war; BayHStA, StK 13382, Brand an Ministerpräsident Ehard, 18. Januar 1947. Über den Entlassungsgrund lässt sich nur spekulieren. 119 Schäffer legte seine Sicht auf die Situation ausführlich in einem vierseitigen Brief an die Militärregierung dar: BayHStA, NL Anton Pfeiffer 55, Brief von The Temporary Minister-President of Bavaria an Regional Military Government Headquarters for Bavaria, 3. September 1945.

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3 Führungspersonal und Personalpolitik

Als neuen Leiter der Staatskanzlei schlug Schäffer im September mehrmals den Kultusminister Otto Hipp vor. Dieser stand jedoch als Kultusminister bereits zur Diskussion und musste am 18. September zurücktreten, weil die Militärregierung mit seiner Schulpolitik unzufrieden war.120 Schäffer argumentierte gegenüber der Militärregierung, dass Hipps Entlassung mit seiner Schulpolitik und nicht mit seiner Vergangenheit zusammenhing, sodass er für ein neues Amt in Frage käme. Er war davon überzeugt, dass Hipp die „rein beamtenmäßigen Geschäfte“ in der Staatskanzlei gut lösen würde. Die Wiedereinstellung von Hipp erfolgte jedoch nie, sodass die Stelle des Leiters der Staatskanzlei während Schäffers Ministerpräsidentschaft nicht regulär besetzt war. Diese Fälle stehen exemplarisch für die sich zuspitzende Spannungen zwischen Schäffer und den Vertretern des RMG im August und September 1945. Es handelte sich dabei um ein Zusammenstoßen von unterschiedlichen Interessen, Vorstellungen und Prioritäten. Darüber hinaus existierte bei vielen Vertretern des RMG Misstrauen sowohl wegen Schäffers Rolle in den Jahren 1932/33 als auch hinsichtlich seiner Amtsführung als Ministerpräsident. Ein Stabsoffizier der Rechtsabteilung des RMG, Ernst Anspach, hatte nach Schäffers Berufung eine Akte mit belasten Materialen über die Verhandlungen zwischen BVP und NSDAP angelegt.121 Galt Schäffer direkt nach dem Krieg bei der Militärregierung als unbelastet und als Gegner des NS-Regimes, so warfen die neuen Informationen im September ein neues Licht auf sein Verhältnis zur NSDAP. Auch andere Personen in der Staatsregierung, so Hipp, waren von diesen Informationen betroffen. Die Rolle der BVP am Vorabend der nationalsozialistischen Machtübernahme warf nun rückwirkend Fragen über die politische Zuverlässigkeit von Schäffers Regierung auf. Außerdem kritisierten die jeweiligen Vertreter des RMG Schäffers einseitige Personalpolitik. So wurde Schäffer vorgeworfen, dass die meisten Mitglieder seiner Regierung ebenso wie viele leitende Beamte ein sehr enges Verhältnis zur BVP aufwiesen und dem konservativ-bürgerlichen Lager entstammten.122 Zu dieser Kritik hatte besonders die Einstellung von Geßler als vorläufigen Leiter der Staatskanzlei beigetragen.123 120 Vgl. Gelberg, Einleitung, in: Protokolle Kabinett Schäffer, S. 59. Die Kritik der Militärregierung richtete sich gegen Hipps umstrittene Einführung von der Bekenntnisschule als Regelschule, was einer Entwicklung eines gleichberechtigten Unterrichtssystems ohne bevorteilte Gruppen im Weg stand. Auch bei der Entlassung von Hipp spielte Professor von Eckardt eine wichtige Rolle. Vgl. Gelberg, Einleittung, in: Protokolle Kabinett Schäffer, S. 63 ff. 121 Vgl. ebenda, S. 56. 122 Vgl. ebenda, S. 56–80. 123 Kommunisten fanden sich nicht und Sozialdemokraten nur selten auf leitenden Positionen in der Regierung und Verwaltung wieder. Dabei unterstützten sogar ehemalige BVP-Mitgliedern des linken Flügels die Kritik des RMG, beispielsweise Josef Müller. Die versuchte, die Kritik an

3.1 Das „bayerische Experiment“ unter Druck 

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Während einige Offiziere der Militärregierung Schäffers Entnazifizierung für inkonsequent hielten, gerieten Colonel Keegan (als Leiter der Landesmilitärregierung) und General George Patton (als Bayerns Militärgouverneur) selbst in die Kritik der Öffentlichkeit. Die beiden unterstützten und verteidigten – im Gegensatz zu manchen Vertretern des RMG in untergeordneten Stellen – die Personalpolitik von Schäffer sowohl intern als auch nach außen. Diese hochrangigen Entscheidungsträger stellten auf amerikanischer Seite die wichtigsten Unterstützer von Schäffers Regierung dar, sodass die Kritik an deren Adressen direkte Konsequenzen für die Stabilität der vorläufigen bayerischen Regierung hatte.124 All dies führte Ende September dazu, dass die Position von Schäffer für Eisenhower unhaltbar wurde. Der Ministerpräsident und die übrig gebliebenen Kabinettsmitglieder wurden am Abend des 28. Septembers innerhalb von wenigen Minuten auf Anordnung vom Oberbefehlshaber Eisenhower entlassen.125 So vollzog sich im September sowohl innerhalb der vorläufigen bayerischen Regierung als auch innerhalb der Militärregierung ein umfassender Führungswechsel. Am 1. Oktober wurde als Nachfolgerbehörde des RMG das OMGB gebildet. Das OMGB war ab dem Zeitpunkt die für Bayern zuständige Militärregierung und dies bedeutete eine Vereinheitlichung von der ursprünglichen Organisation und den Aufgaben des RMG. Als Leiter trat am 9. Oktober 1945 der Brigadegeneral Walter J. Muller an, der nun zum wichtigsten Gesprächspartner für Wilhelm Hoegner, Schäffers Nachfolger als Bayerischer Ministerpräsident, wurde.

Schäffers Bilanz Als Fritz Schäffer Ende September 1945 von der Militärregierung entlassen wurde, sah die Personalbilanz wie folgt aus: Von den 43 Personen, die am 30. April 1945 zumindest theoretisch noch in der Staatskanzlei gearbeitet hatten, waren noch 17 Schäffer für die Schaffung einer breiten christlichen Volkspartei zu instrumentalisieren – als Bruch mit der dominanten BVP-Tradition des rechten Flügels um Schäffer. 124 Unter dem Druck der Öffentlichkeit in den USA musste Keegan auf Anordnung des Chefs von USFET G-5 bereits am 4. September seinen Koffer packen und kehrte in die USA zurück. Seine Stelle wurde nicht wiederbesetzt. Nach Keegans Ablösung richtete sich die Kritik an der Entnazifizierung nun vor allem gegen Patton. Der gefeierte Kriegsheld erwies sich selbst einen schlechten Dienst, als er während einer Pressekonferenz am 22. September behauptete, dass die nominellen NSDAP-Mitglieder vergleichbar mit Amerikanern seien, die der Demokratischen oder Republikanischen Partei in den USA beiträten. Daraufhin forderte die amerikanische Presse Pattons Entlassung und eine Reaktion von Eisenhower war unausweichlich. Am 28. September informierte Eisenhower Patton über seine kurzfristige Versetzung zur 15. Armee ins hessische Bad Nauheim, die am 5. Oktober folgte. 125 StAM, SpK K 1575 Schäffer, Fritz; NA, RG260, 638 (A1), 274, 390, 46, 24, 1.

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3 Führungspersonal und Personalpolitik

übrig. Dabei handelte es sich um drei formal unbelastete männliche Beamte des gehobenen Diensts, einen männlichen Beamten und vier weibliche Beamte des einfachen Diensts sowie neun formal unbelastete Frauen im Angestelltenverhältnis.126 Diese 17 Personen waren bis 1947 die Einzigen in der Staatskanzlei, die bereits vor 1945 in der Behörde gearbeitet hatten. 16 weitere Personen – vor allem aus dem Führungspersonal – waren wegen ihrer formalen NS-Belastung entlassen und elf nach dem Krieg nicht oder noch nicht zurückgekehrt. Damit war die personalpolitische Zielsetzung von Fritz Schäffer größtenteils gescheitert. Er hatte nicht verhindern können, dass die von ihm als „Mitläufer“ oder „nominell belastet“ bezeichneten Beamten entlassen wurden. Dennoch erlebte die Staatskanzlei parallel zur umfangreichen Entlassungswelle einen erheblichen Personalzuwachs, insbesondere bei den Angestellten. Trotz der strikten Entnazifizierungspolitik wurden unter Schäffers Leitung 31 neue Personen eingestellt, sodass die Behörde Anfang Oktober, als Pfeiffer die Leitung übernahm, immerhin 48 Beamte, Angestellte und Arbeiter beschäftigte. Unter den Neueingestellten waren allerdings lediglich sieben Personen, die für die Leitung eines Referats in Frage kamen; ein Großteil wurde dagegen im Dienstleistungsbereich beschäftigt.127 Obwohl somit die Grundlage für einen stabilen Dienstbetrieb in der Staatskanzlei gelegt wurde, fehlte es vor allem noch an Persönlichkeiten, die beim Aufbau des bayerischen Staats eine führende Rolle übernehmen konnten. Doch gerade auf die kam es in den nächsten Monaten an, wusste Anton Pfeiffer.

3.2 Personalpolitik zwischen „Lex Hoegner“ und Befreiungsgesetz 1945 bis 1946 Während der Regierungszeit von Wilhelm Hoegner erfuhr die Staatskanzlei einen erheblichen Personalzuwachs und beschäftigte im Dezember 1946 bereits 68 Personen.128 Dabei waren die Neubesetzung von Führungspositionen und der Anstieg 126 Aus einer Liste aus Oktober 1945 geht hervor, dass insgesamt 20 Personen weiterbeschäftigt wurden. Dabei wurden drei Frauen im Angestelltenverhältnis genannt, die jedoch auf dem Überblick vom 30. April nicht erwähnt wurden. Möglicherweise handelte es sich hier um Frauen, die in nicht haushaltmäßigen Stellen in der Staatskanzlei arbeiteten; BayHStA, StK 13904, Ministeramt und Bayerische Staatskanzlei, 1. Oktober 1945; vgl. Verzeichnis der sämtlichen Beamten, Angestellten und Arbeiter der Bayer. Staatskanzlei, die bis 30. April 1945 auf haushaltsmäßigen Planstellen angewiesen waren, ohne Datum [21. Juni 1945]. 127 Ebenda, Ministeramt und Bayerische Staatskanzlei, 1. Oktober 1945. 128 BayHStA, MSo 0104, Fritz Baer an das Bayerische Staatsministerium für Sonderaufgaben, Betreff: Geschäftsverteilungsplan der StK, 3. Februar 1947. (Im Februar 1947 regierte bereits Hans Ehard, dennoch ist die Zahl als Erbe von Hoegners Regierungszeit zu verstehen.)

3.2 Personalpolitik zwischen „Lex Hoegner“ und Befreiungsgesetz 1945 bis 1946



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des Führungspersonals auf 15 Beamte und Angestellte von großer Bedeutung für die politische Wirkungsmacht der Staatskanzlei gegenüber der Militärregierung und im Länderrat. Während der Ministerpräsident für die Auswahl des Leiters der Staatskanzlei im Rahmen der Regierungsbildung zuständig war, lag die Konzipierung und Umsetzung der Personalpolitik bis zur Landtagswahl 1946 vor allem in den Händen der Staatssekretäre Anton Pfeiffer und Hans Kraus. Insbesondere der stark vernetzte Anton Pfeiffer prägte mit seinen eigenstaatlichen Vorstellungen die Anwerbung und Einstellung von neuen Abteilungs- und Referatsleitern. Als Pfeiffer im Juli 1946 von Hoegner zum Sonderminister für die Entnazifizierung ernannt wurde, übernahm der erfahrene bayerische Finanzbeamte Hans Kraus als Staatssekretär kommissarisch die Leitung der Behörde und steuerte die Personalpolitik bis Dezember 1946.129 Allerdings blieb auch während dieser Monate der Einfluss seines Vorgängers stets spürbar.

Hans Kraus als kommissarischer Leiter Hans Kraus war ähnlich wie Pfeiffer vor 1890 geboren, hatte während der Weimarer Republik der BVP angehört und war nach dem Zweiten Weltkrieg der CSU beigetreten. Außerdem war er bereits 1903 in die bayerische Finanzverwaltung eingetreten und hatte während der Weimarer Republik als finanzpolitischer Berater des Ministerpräsidenten Heinrich Held verschiedene Denkschriften über die „Aushöhlung“ der bayerischen Finanzhoheit mitverfasst.130 Zwischen 1932 und 1944 leitete er die Bayerische Rechnungskammer. Im November 1945 wurde er, vermutlich auf Vorschlag von Pfeiffer, zunächst als Regierungsdirektor in der Staatskanzlei eingestellt. Bereits im Januar 1946 ernannte Wilhelm Hoegner ihn zum Ministerialdirektor. Kraus übernahm in der Staatskanzlei die Leitung über die „Rechts- und Verwaltungsabteilung“, das Referat für die „Dienststelle des Länderrats“ sowie das Referat für „Personal und Verwaltung“.131 So war er bereits mit der Personalpolitik des mittleren, gehobenen und höheren Beamtendiensts vertraut, als er zum Leiter der Behörde ernannt wurde.132

129 Für einen sehr ausführlichen und detaillierten Lebenslauf von Hans Kraus: BayHStA, NL Hans Kraus 1. 130 Vgl. Jaromír Balcar/Thomas Schlemmer (Hrsg.), An der Spitze der CSU. Die Führungsgremien der Christlich-Sozialen Union 1946 bis 1955, München 2007, S. 606. Für die Denkschriften vgl. BayHStA, NL Hans Kraus 15. 131 BayHStA, StK 11616, Geschäftsverteilungsplan Staatskanzlei, 26. Januar 1946. 132 Der Leiter des Referats für „Haushalt und Kassenamt“, Ludwig Tiefenbacher, war für die Personalpolitik im Bereich des einfachen Diensts zuständig. Außerdem unterstützte er Pfeiffer

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3 Führungspersonal und Personalpolitik

Bei dieser Stellenbesetzung fällt auf, dass unter dem SPD-Ministerpräsidenten Hoegner sowohl die Leitung der Staatskanzlei als auch ihrer beiden Abteilungen in den Händen von erfahrenen, konservativen CSU-Mitgliedern lag, die vor 1945 nicht dort gearbeitet hatten. Pfeiffer und Kraus waren während der für die Zukunft des bayerischen Staats entscheidenden Aufbauphase für die Anwerbung, Auswahl und Einstellungsvorschläge des weiteren Führungspersonals sowie für die Umsetzung der Personalpolitik in Kontakt mit anderen Behörden zuständig. Dennoch spielte zugleich Ministerpräsident Hoegner bei der Einstellung des Führungspersonals eine kontrollierende und entscheidende Rolle. Die Aktenüberlieferung der Staatskanzlei verrät wenig über das präzise Zustandekommen von Personalentscheidungen zwischen dem Leiter der Staatskanzlei und dem Ministerpräsidenten. Nach der Improvisationsphase unter Fritz Schäffer mussten sich diese personalpolitischen Entscheidungsprozesse sich in der Praxis noch entwickeln, was jedoch für viele Arbeitsprozesse in der Staatskanzlei nach 1945 galt. Dennoch geht aus einigen Briefen von Pfeiffer und Kraus an das bayerische Finanzministerium hervor, dass sie für die Einstellung von leitenden Beamten erst die Zustimmung des Ministerpräsidenten eingeholt und die Personallage mit ihm besprochen hatten.133 Somit verlief die Besetzung von Schlüsselpositionen in der Staatskanzlei immer in Absprache mit dem Ministerpräsidenten, wobei sich Hoegner das letzte Wort vorbehielt.134 Die Militärregierung hätte schließlich ihn zur Verantwortung gezogen, wenn die Staatskanzlei Führungspositionen mit formal belasteten Beamten besetzt hätte. Aus den Briefen von Pfeiffer und Kraus geht außerdem hervor, dass die Personalentscheidungen vor allem während der Gespräche in der Staatskanzlei getroffen wurden, bevor die Staatskanzlei sich mit dem Finanzministerium in Verbindung setzte.135 Dabei übernahm Hoegner in den meisten Fällen die Vorschläge von Pfeiffer und Kraus, sodass die Stimme des Ministerpräsidenten zwar ausschlaggebend war, die Konzipierung der Personalpolitik jedoch größtenteils auf die beiden Leiter zurückging. Diese weitgehende Einigkeit hatte außerdem den Vorteil, dass

und Kraus während Hoegners Regierungszeit bei personalpolitischen Auskünften an andere Behörden. 133 BayHStA, MF 69372, Anton Pfeiffer an Fritz Terhalle, 26. Juni 1946; Hans Kraus an Fritz Terhalle, 15. Juli 1946. 134 Dies geht insbesondere aus dem Brief von Anton Pfeiffer an den Finanzminister Fritz Terhalle vor: Ebenda, Anton Pfeiffer an Fritz Terhalle, 26. Juni 1946. 135 Ebenda; Hans Kraus an Fritz Terhalle, 15. Juli 1946. Für die Aufbauphase liegen keine Dokumente vor, die auf eine formale Gegenzeichnung oder einen ähnlichen Verwaltungsablauf hindeuten – eine Personalpraxis, die die Minister und Staatssekretäre später in den umfangreichen Bundesministerien tätigten. Vgl. Stange, Leitende Beamten, in: Bösch/Wirsching (Hrsg.), Hüter der Ordnung, S. 79 f.

3.2 Personalpolitik zwischen „Lex Hoegner“ und Befreiungsgesetz 1945 bis 1946



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der Leiter der Staatskanzlei und der Ministerpräsident als geschlossene Einheit operieren konnten, um die Interessen der Staatskanzlei durchzusetzen – sowohl innerhalb der Ministerialverwaltung als auch gegenüber der Militärregierung. Gelegentlich mischte sich der Ministerpräsident mit eigenen Initiativen in die Personalpolitik ein, vor allem wenn bei der Einstellung oder Beförderung eines Beamten des höheren Diensts gegenüber anderen bayerischen Behörden Druck von oben ausgeübt werden musste.136 Außerdem kümmerte Hoegner sich um die Personalbesetzung seines Büros und die Einstellung und Beförderung seines persönlichen Referenten.137

Rahmenbedingungen der Personalpolitik Die Personalpolitik in der Staatskanzlei stand während Hoegners Regierungszeit insbesondere im Zeichen der Besetzung der leitenden Referatsstellen mit Experten, die die bayerischen Interessen gegenüber der Militärregierung und in den länderübergreifenden Gremien vertreten konnten. Dabei mussten Pfeiffer, Kraus und Hoegner ihre Einstellungspolitik nach den Rahmenbedingungen für die Personalpolitik in der bayerischen Ministerialverwaltung richten. Diese wurden neben der Kontrolle durch das bayerische Finanzministerium insbesondere von der Entnazifizierungspolitik der Militärregierung geprägt. Dabei war die Staatskanzlei jedoch keineswegs den Rahmenbedingungen lediglich unterworfen. Vielmehr stellte die Personalpolitik der bayerischen Ministerialverwaltung, auch über die Regierungszeit von Hoegner hinaus, einen dauerhaften und dynamischen Aushandlungsprozess dar, wobei die Staatskanzlei und Ministerien sowohl untereinander als auch gegenüber der Militärregierung Einfluss auf die Bedingungen und Umsetzung zu nehmen versuchten. Zumindest bis zur Landtagswahl 1946 war die Militärregierung dennoch eindeutig der dominierende Akteur und die Handlungsspielräume der Ministerialverwaltung waren von ihrer Zustimmung abhängig. Zuerst mussten Pfeiffer und Kraus sich für die Ernennung und Beförderung von Beamten die Zustimmung des bayerischen Finanzministeriums einholen.138 Das Finanzministerium verstand sich auch nach 1945 in der bayerischen Verwaltungstradition des 19. Jahrhunderts als das „Beamtenministerium“ und hatte zudem entscheidenden Einfluss auf die Stellenpläne, weil diese Bestandteil des 136 Exemplarisch ist der Fall Claus Leussers: BayHStA, MF 69372, Anton Pfeiffer an Fritz Terhalle, 4. Februar 1946; Aktennotiz Finanzminister Terhalle, 13. Februar 1946. Siehe auch Unterkapitel „Der Fall Claus Leusser“. 137 BayHStA, MF 69372, Wilhelm Hoegner an Fritz Terhalle, 12. März 1946. 138 Für die Korrespondenz zwischen der Staatskanzlei und dem Finanzministerium in der Nachkriegszeit: BayHStA, MF 69372.

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Staatshaushalts waren.139 Der Finanzminister und sein Staatssekretär kontrollierten im Rahmen ihrer haushalts- und besoldungsrechtlichen Zuständigkeit die Besetzbarkeit von Planstellen und mussten zustimmen, um neue Stellen zu schaffen. Außerdem achteten sie für die gesamte Ministerialverwaltung auf eine einheitliche Durchführung von Beförderungen in Übereinstimmung mit den jeweiligen Laufbahnverordnungen.140 Diese Praxis wurde unter den Nachfolgerregierungen fortgesetzt. Weil sich die Aufgaben der Staatskanzlei in der Nachkriegszeit wesentlich erweiterten, sah Pfeiffer im Vergleich zur NS-Zeit bereits im Juli 1945 einen um etwa 22 % höher liegenden Personalbedarf vor, um die Arbeitsfähigkeit der Behörde zu garantieren.141 Außerdem nahm aus Sicht von Pfeiffer und Kraus im Jahr 1946 die Notwendigkeit zu, Beamte des höheren Diensts im Rahmen der bayerischen Eigenstaatlichkeitspolitik zu ernennen beziehungsweise zu befördern. Dabei kam es in der direkten Nachkriegszeit regelmäßig zu Spannungen zwischen der Staatskanzlei und dem Finanzministerium. Exemplarisch dafür war die Diskussion um den Juristen Claus Leusser.

Der Fall Claus Leusser Der 35-jährige aufstrebende Staatsanwalt Leusser hatte sich bereits im Juni 1945 bei Fritz Schäffer für eine Stelle in der Staatskanzlei gemeldet.142 Leusser war zwar während der NS-Zeit acht Monate SA-Anwärter und Mitglied in einigen NSOrganisation gewesen, war jedoch zu keinem Zeitpunkt der NSDAP beigetreten und galt dadurch nach der USFET-Direktive als formal unbelastet.143 Seine Tätigkeit im „Dritten Reich“ als Staatsanwalt in der Sonderabteilung der Staatsanwaltschaft München I, wo er insbesondere wirtschaftsstrafrechtliche Ermittlungen ge139 Für eine Selbstdarstellung des Finanzministeriums: BayHStA, MF 69376, Staatsministerium der Finanzen an die Bayerische Staatskanzlei, Betreff: Eingliederung des Landespersonalamts in den Geschäftsbereich des Staatsministeriums der Finanzen, 14. Juni 1952. Vgl. Claus Leusser (Hrsg.), Bayerisches Beamtengesetz vom 28. Oktober 1946. Textausgabe mit kurzen Erläuterungen und Verweisungen unter Berücksichtigung des württembergisch-badischen und hessischen Rechts, München 1947, S. XI, 41. 140 BayHStA, MF 69376, Staatsministerium der Finanzen an die Bayerische Staatskanzlei, Betreff: Eingliederung des Landespersonalamts in den Geschäftsbereich des Staatsministeriums der Finanzen, 14. Juni 1952. 141 Statt von den 45 Stellen (29 Beamte und 16 Angestellte) aus der NS-Zeit ging Pfeiffer von 55 Personen aus: BayHStA, NL Anton Pfeiffer 53, Arbeitsfähigkeit der Staatskanzlei, 26. Juli 1945. 142 BayHStA, MJu 26811, Bayerischer Ministerpräsident Fritz Schäffer an Senatspräsident Hans Ehard, 27. Juni 1945. 143 Leusser war außerdem Mitglied der NSV und des NS-Rechtwahrerbunds gewesen. Dazu: Ebenda, Military Government of Germany Fragebogen, 21. November 1945.

3.2 Personalpolitik zwischen „Lex Hoegner“ und Befreiungsgesetz 1945 bis 1946



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führt hatte, wurde dabei nicht kritisch hinterfragt, sondern eher als grundlegende Arbeitserfahrung gedeutet.144 Im Juni 1945 sah Schäffer außerdem keinen Anlass, die Vergangenheit von Beamten weiter zu hinterfragen, als es nach den Vorgaben der Militärregierung notwendig gewesen wäre. Unter Vorbehalt der definitiven Genehmigung der Militärregierung beschäftigte Schäffer ihn zunächst als Sachbearbeiter in der Abteilung der Staatskanzlei für „Staatsrechtliche Angelegenheiten“. Nach der Kontrolle und Zustimmung der Militärregierung, berief Hoegner Leusser im Oktober 1945 als Oberregierungsrat in das Beamtenverhältnis und übertrug ihm die Leitung des Referats für „Gesetzgebung und Verwaltung“. Leusser entwickelte sich innerhalb kürzester Zeit zu einem der wichtigsten staatsrechtlichen Berater des Ministerpräsidenten sowie der Staatsregierung und prägte das Arbeitsniveau in der Staatskanzlei wesentlich mit. Außerdem war er seit September bzw. Oktober 1945 als Generalsekretär des Ministerrats für die Vorbereitung und Durchführung der Sitzungen sowie die Protokollführung zuständig und wurde 1946 Generalsekretär des Vorbereitenden Verfassungsausschusses.

Abb. 1: Claus Leusser

Als Leusser im Februar 1946 vom Münchner Oberbürgermeister Scharnagl ein Angebot zur Übernahme „einer wichtigen Funktion“ in der Verwaltung der Landeshauptstadt bekam, beantragten Pfeiffer und Hoegner beim Finanzministerium sofort Leussers Beförderung zum Ministerialrat, sodass der Oberregierungsrat das

144 Zur Rolle des Wirtschaftsstrafrecht in der NS-Zeit vgl. Stefan Werner, Wirtschaftsordnung und Wirtschaftsstrafrecht im Nationalsozialismus, Frankfurt am Main 1991.

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3 Führungspersonal und Personalpolitik

Amt eines Regierungsdirektors überspringen würde.145 Pfeiffer erklärte im Antrag gegenüber dem Finanzminister, dass es für die Staatskanzlei schwierig wäre, für Leusser „einen gleichwertigen Ersatz“ zu finden.146 Er und Hoegner waren deswegen bereit, einen hohen Preis zu zahlen, damit Leusser die Staatskanzlei nicht verließ – und dessen war sich Leusser vermutlich auch bewusst. Der parteilose Finanzminister Fritz Terhalle lehnte nach einer Überprüfung durch seinen Personalreferenten den Antrag jedoch ab. In der internen Empfehlung an den Minister hieß es, dass im Alter von 36 Jahren noch nie zuvor ein Beamter zum Ministerialrat befördert worden war. Außerdem müsste diese Beförderung in der gesamten Verwaltung zu einer Reihe von weiteren Beförderungen führen, was in den Augen des Finanzbeamten mit der „Innehaltung einer vernünftigen Personalpolitik“ zusammenstieß. Darüber hinaus betonte er gegenüber dem Minister, dass „der Hinweis darauf, daß Leusser bei einer anderen Dienststelle besser vorwärts kommen könnte, nicht stichhaltig [sei]. Ein tüchtiger Beamter, der Nichtparteimitglied ist, findet heute sehr leicht bei einer anderen Dienststelle offene Türen. Es wäre bedenklich, wenn dieser Umstand von den Beamten in größerem Umfang ausgenützt würde“.147 Aus diesen Gründen lehnte der Finanzminister die Beförderung Leussers am 11. Februar ab. Damit gab sich Ministerpräsident Hoegner jedoch nicht zufrieden. Zwei Tage später trafen er und Terhalle sich in der Staatskanzlei und der Ministerpräsident betonte deutlich, dass es sich hier um eine „absolute Ausnahme“ und um eine „nicht tragbare Schwierigkeit“ für die Staatskanzlei handelte.148 Damit setzte sich Hoegner gegenüber dem Finanzminister durch und zum 1. März 1946 wurde Leusser zum Ministerialrat befördert.149 Um Minister Terhalle und das Finanzministerium von der angespannten Einstellungs- und Beförderungssituation in der Staatskanzlei zu überzeugen, versuchte Kraus im Juli 1946 im Rahmen der behördlichen Selbstbehauptung die NS-Zeit in seiner Argumentation zu instrumentalisieren: „Während der 12jährigen Naziherrschaft hatte die Staatskanzlei ihre Bedeutung vollständig verloren. Noch mehr als die übrigen Ministerien war sie zu einer reinen Schreibstube des nominellen Ministerpräsidenten herabgesunken. […] Bei Bildung der neuen Regierung nach dem Einmarsch der Amerikaner musste die Staatskanzlei vollständig neu aufge145 Innerhalb der Stadtverwaltung hätte Leusser eine Stellung bekommen, die, nach der Einschätzung Pfeiffers, bereits die Aufgaben eines Ministerialrats überstiegen hätte, sodass Leusser kurzfristig eine Position erreichen würde, die dem eines Ministerialdirektors ähnlich wäre: BayHStA, MF 69372, Anton Pfeiffer an Fritz Terhalle, 4. Februar 1946. 146 Ebenda. 147 Ebenda, Vormerkung Matthias Metz (Personalreferent des Finanzministeriums), 8. Februar 1946. 148 Ebenda, Aktennotiz Fritz Terhalle, 13. Februar 1946. 149 Für Leussers Laufbahn in der bayerischen Ministerialverwaltung siehe: BayHStA, MJu 26811.

3.2 Personalpolitik zwischen „Lex Hoegner“ und Befreiungsgesetz 1945 bis 1946



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baut werden. Im Zuge dieses Aufbaues war es notwendig, eine Reihe von neuen Referaten zu bilden. Die Staatskanzlei ist gegenwärtig mit Referenten so gering ausgestattet, dass die demnächstige [sic!] Einberufung von mehreren Beamten sich als dringendes Erfordernis erweist.“150 Diese Argumentation blieb nicht ohne Erfolg, denn die weiteren Einstellungs- oder Beförderungsanträge für das Führungspersonal der Staatskanzlei wurden bis Ende 1946 ohne Ausnahme vom Finanzministerium genehmigt.151 Die Ernennung von Beamten des höheren Diensts war zweitens von der Zustimmung des Ministerrats abhängig. Bereits in der Geschäftsordnung der Bayerischen Regierung vom 26. Juli 1945 wurde festgelegt, dass die Beamten vom Ministerialrat aufwärts durch den Ministerrat, die übrigen Beamten durch die zuständigen Einzelminister (im Fall der Staatskanzlei durch den Ministerpräsidenten oder den Leiter) ernannt wurden.152 Diese Bestimmung wurde 1946 sowohl in das Bayerische Beamtengesetz als auch in die Bayerische Verfassung übernommen.153 Das Ziel war hier ebenfalls die Vereinheitlichung der Personalführung sowie eine gegenseitige Personalkontrolle für die leitenden Positionen in der Ministerialverwaltung. Obwohl viele Vorschläge ohne Diskussion vom Ministerrat angenommen wurden, zeigte sich in Einzelfällen, dass diese Personalpraxis zugleich ein Verhandlungsprozess zwischen den Ministerien darstellte. In der Regel legte Ministerpräsident Hoegner selbst, und nicht der Leiter der Staatskanzlei, dem Ministerrat Ernennungsvorschläge für die Staatskanzlei vor. Wahrscheinlich handelte es sich dabei um eine Strategie, um den Personalvorschlägen der Staatskanzlei mit der Stimme des Ministerpräsidenten mehr Gewicht zu verleihen. Aus einer Anweisung von Ministerpräsident Hoegner vom August 1946 geht allerdings hervor, dass bis zum Inkrafttreten des neuen Beamtengesetzes alle Ernennungen und Weiterbeschäftigungen in der Ministerialverwaltung von vorläufiger Art waren.154

150 BayHStA, MF 69372, Kraus an Terhalle, 15. Juli 1946. 151 Siehe dazu die jeweiligen Anträge in: BayHStA, MF 69372. 152 BayHStA, StK 11610, Geschäftsordnung für die vorläufige Regierung des Landes Bayern vom 26. Juli 1945. In der Praxis vollzog der Ministerpräsident die Beförderung oder Ernennung eines Beamten des höheren Diensts nach der Zustimmung des Ministerrats. Auch dies wurde explizit im Bayerischen Beamtengesetz vom Oktober 1946 festgelegt. Vgl. Leusser (Hrsg.), Bayerisches Beamtengesetz, S. 50. 153 Hier ist allerdings in beiden Fällen die Rede von „leitenden Beamten“, sodass ein größerer Teil der Beamten des höheren Dienst betroffen ist als nur diejenigen ab dem Amts eines Ministerialrats und aufwärts. Vgl. ebenda, S. 49 f.; Nawiasky/Leusser (Hrsg.), Verfassung, S. 136. 154 Das Beamtengesetz trat am 28. Oktober 1946 in Kraft. Vgl. BayHStA, StK 11611, Anweisung des Ministerpräsidenten an sämtliche Behörden des Staates und der Selbstverwaltungskörper in Bayern, 16. August 1946.

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3 Führungspersonal und Personalpolitik

Die „Lex Hoegner“ und die Forcierung der Entnazifizierungspolitik Neben den internen ministeriellen Kontrollmechanismen stand auch während Hoegners Regierungszeit die Personalpraxis in der Staatskanzlei insbesondere im Zeichen der Entnazifizierungspolitik des OMGB. Den Rahmen dafür bildeten nach wie vor die weitgefasten Richtlinien der USFET-Direktive vom 7. Juli 1945, die im Januar 1946 ebenfalls zur Grundlage für die zonenübergreifende Kontrollratsdirektive Nr. 24 wurde.155 Die Weiterbeschäftigung des Personals blieb von der Zustimmung der Special Branch abhängig, was für Anton Pfeiffer ein Unsicherheitsfaktor war. So beklagte sich der Leiter im Oktober 1945 bei der Militärregierung darüber, dass erst für acht von den insgesamt 48 Personen in der Staatskanzlei eine Genehmigung der Militärregierung vorlag, was der Durchführung eines „geordneten Dienstbetriebs“ im Weg stand.156 Obwohl die Staatskanzlei zu diesem Zeitpunkt nach der umfangreichen Entlassungswelle keine ehemaligen NSDAPMitglieder mehr beschäftigte, waren durch das radikale Vorgehen der Special Branch weitere Entlassungen nicht auszuschließen. Zugleich mussten Beamte, die für den Dienst in der Staatskanzlei vorgeschlagen wurden, von der Civil Administration der Militärregierung auf ihre politische Zuverlässigkeit kontrolliert werden.157 Die Praxis der Militärregierung lief darauf hinaus, dass auf Dauer keine Person in der bayerischen Ministerialverwaltung ohne Kontrolle und Genehmigung weiterbeschäftigt werden durfte. Dazu musste die Staatskanzlei die Militärregierung monatlich über ihre Personalentwicklungen informieren, was ihre Handlungsspielräume wesentlich eingrenzte.158

155 In dieser Kontrollratsdirektive waren neben der USFET-Direktive vom 7. Juli ebenfalls die Bestimmungen des Gesetzes Nr. 8 aufgenommen. Die amerikanische Militärregierung hatte dieses Gesetz am 26. September 1945 zur Entnazifizierung der Wirtschaft verkündet. Mit dieser Kontrollratsdirektive versuchten die Amerikaner, Briten, Franzosen und Russen die Entnazifizierung in den jeweiligen Zonen zu vereinheitlichen, was jedoch in der Praxis durch die unterschiedlichen Auslegungen der Direktive zu keinem Zeitpunkt erfolgte. Vgl. Niethammer, Mitläuferfabrik, S. 298–303; Vollnhals, Einleitung, in: Vollnhals (Hrsg.), Politische Säuberung, S. 16 f. 156 Die Fragenbögen aller Beschäftigten waren durch die Staatskanzlei bereits eingereicht: BayHStA, StK 13904, Pfeiffer an die Militärregierung, 11. Oktober 1945. 157 Diese Kontrolle durch Fragebögen wurde im Schreiben der Militärregierung an Ministerpräsident Hoegner vom 26. Dezember noch mal explizit formuliert. Das Recht zur Ernennung von Beamten lag jedoch beim Ministerrat und den jeweiligen Staatsministern. Vgl. Schreiben der Militärregierung für Bayern an den Bayerischen Ministerpräsidenten: Action to Strengthen German Civil Administration, 26. Dezember 1945, in: Quellen Band 1, S. 43, 45. 158 Die personalpolitischen Monatsberichte von der Staatskanzlei an die Militärregierung, die zahlenmäßig und namentlich sowohl die entlassenen als auch die neueingestellten Personen darlegten, sind in großer Zahl überliefert: BayHStA, StK 13903, 13904.

3.2 Personalpolitik zwischen „Lex Hoegner“ und Befreiungsgesetz 1945 bis 1946 

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Obwohl diese engmaschigen Kontrollen die personalpolitischen Möglichkeiten bereits erheblich einschränkte, war es Ministerpräsident Hoegner, der die Schrauben der Entnazifizierung noch weiter andrehte. Nachdem Schäffer wegen seiner konservativen Personalpolitik und dilatorischen Durchführung der Entnazifizierung entlassen worden war, stand für Hoegner fest, dass er gegenüber der Militärregierung ein Zeichen setzen musste, um seine Bereitschaft zur Entnazifizierung zu unterstreichen. Hoegner und Pfeiffer sahen die Gefahr, dass sonst der Wiederaufbau der bayerischen Staatlichkeit von der Militärregierung wegen mangelnder Entnazifizierung blockiert oder eingegrenzt werden würde. Vor diesem Hintergrund verteilte der Ministerpräsident am 9. November 1945 innerhalb der bayerischen Ministerialverwaltung die folgende Anordnung, die bis zum 15. November durchgeführt werden musste: „In keinem Ministerium darf ein Beamter oder Vertragsangestellter tätig sein, der zu irgendeinem Zeitpunkt Mitglied der NSDAP, SA, SS oder des SD gewesen ist oder in einer anderen der NSDAP angeschlossenen Organisation ein Amt bekleidet hat oder sonst als Anhänger oder Förderer des Nationalsozialismus bekannt war.“159 Mit der sogenannten Lex Hoegner verbot der Ministerpräsident, jedoch ohne davon selbst überzeugt zu sein, die Beschäftigung von formal belasteten Beamten und Angestellten in den bayerischen Ministerien und forderte ihre Entlassung an, insofern dies nicht bereits geschehen war.160 Obwohl sich der Ministerpräsident im Ministerrat vielmehr für eine Individualisierung des Entnazifizierungsverfahrens aussprach, die von der persönlichen Schuld eines Betroffenen ausging, versuchte er über diese allgemeinen formalen Belastungskriterien die Entnazifizierung in der bayerischen Ministerialverwaltung zu forcieren und die Militärregierung zufriedenzustellen.161 Obwohl die Ministerpräsidenten in der amerikanischen Besatzungszone am 5. März 1946 das „Gesetz Nr. 104 zur Befreiung von Nationalsozialismus und Militarismus“ unterschrieben, wodurch die Entnazifizierung größtenteils in deutsche Hände rüberging, blieb die Lex Hoegner noch bis Februar 1947 für die Personalpraxis des bayerischen Beamtenapparats weitgehend in Kraft.162 Diese Fixierung auf formale Belastungskriterien hatte für die An-

159 BayHStA, StK 13904, Anordnung Ministerpräsident Wilhelm Hoegner, 9. November 1945. 160 Nach dieser Anordnung musste das gesamte Personal der Staatskanzlei innerhalb von drei Tagen erneut einen Fragebogen über die eigene Vergangenheit ausfüllen: Ebenda, Anton Pfeiffer an sämtliche Beamten und Angestellten der Bayerischen Staatskanzlei, 15. November 1945. 161 Vgl. Hoser, Entnazifizierung, in: Schuster (Hrsg.), Entnazifizierung, S. 485. 162 Bereits in der Ministerratssitzung vom 7. August 1946 wurde ausführlich über ein Gesetz für die Wiedereinstellung der durch die Spruchkammer gegangenen Beamten diskutiert: Nr. 39, Ministerratssitzung, 7. August 1946, in: Protokolle Kabinett Hoegner I, S. 707–728. Siehe dazu auch die Ausführung von Ehard in Punkt „XVIII. Richtlinien für die Widereinstellung der durch die

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werbung und Einstellung von leitenden Beamten und Angestellten in der Staatskanzlei und den Ministerien erhebliche Konsequenzen.

Pfeiffers Vorstellungen von NS-Belastung Ähnlich wie seine Vorstellungen zur Organisation stand auch Pfeiffers Personalpolitik in der Staatskanzlei von Anfang an im Zeichen der bayerischen Staatlichkeit. Dabei verfolgte der Leiter der Staatskanzlei eine zweifache Zielsetzung. Zum einen mischte er sich aktiv in die Entnazifizierungspolitik der Militärregierung ein, um hier die Initiative zu einer Neugestaltung zu ergreifen und die Entnazifizierungspraxis zum Vorteil des bayerischen Staats neu zu gestalten. Dabei war die Entnazifizierung für den konservativen Politiker kein Zweck an sich, sondern vielmehr ein Mittel, um die Übernahme von Regierungsverantwortung und den Wiederaufbau des Beamtenapparats voranzutreiben.163 Zum anderen versuchte Pfeiffer unter den personalpolitischen Eingrenzungen die Schlüsselpositionen in der Staatskanzlei mit geeigneten Personen zu besetzen, die die bayerischen Interessen gegenüber der Militärregierung und in den länderübergreifenden Gremien vertreten konnten. Bereits im Sommer 1945 legte Pfeiffer den Vertretern der Militärregierung eine Denkschrift unter dem Titel „Wie ist der Durchschnittsdeutsche in die NSDAP oder in eine ihrer Gliederungen geraten?“ vor.164 Fritz Schäffers Argumentation unterstützend, verfolgte Pfeiffer darin sowie in weiteren Denkschriften165 aus dieser Zeit eine offensichtliche Entlastungsstrategie und versuchte mit vielen Beispielen glaubhaft darzulegen, dass viele NSDAP-Mitglieder keine überzeugten Nationalsozialisten gewesen und in vielen Fällen unter dem Druck von „materiellen“ oder „geistigen Zwangslagen“ der Partei beigetreten seien.166 „Heute, im Jahre 1945 aber, werden die damals erpressten ‚Karteigenossen‘ als Parteigenossen und dementsprechend bei der Reinigung des Beamtentums und der Wirtschaft vom Nazismus behandelt“, merkte Pfeiffer kritisch zu der Entnazifizierungspraxis der Militärregierung an, die sich nach seiner Meinung zu stark nach formalen Kriterien Spruchkammer gegangenen Beamten“ aus der Ministerratssitzung vom 15. Februar 1947: Protokolle Kabinett Ehard I, S. 186 f. 163 Vgl. Niethammer, Mitläuferfabrik, S. 380. 164 BayHStA, NL Anton Pfeiffer 119, „Wie ist der Durchschnittsdeutsche in die NSDAP oder in eine ihrer Gliederungen geraten?“, ohne Datum, S. 1–7. 165 Vgl. BayHStA, NL Anton Pfeiffer 110, „Grundsätzliche Erwägungen über die notwendige Reinigung des Beamtentums und der Wirtschaft vom Nazismus“, ohne Datum [September 1945], S. 1– 13; NL Anton Pfeiffer 57, „Schwierigkeiten in der Zeitlage“, 13. September 1945. 166 BayHStA, NL Anton Pfeiffer 119, „Wie ist der Durchschnittsdeutsche in die NSDAP oder in eine ihrer Gliederungen geraten?“, ohne Datum, S. 1.

3.2 Personalpolitik zwischen „Lex Hoegner“ und Befreiungsgesetz 1945 bis 1946



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richtete.167 Somit entlastete Pfeiffer einen Großteil der NSDAP-Mitglieder in der Nachkriegszeit im Voraus, er nahm sogar die Mitgliedschaften der sogenannten Karteigenossen nicht als NS-Belastung wahr.168 Im Gegensatz zu der Vorgehensweise der Militärregierung plädierte der Leiter der Staatskanzlei für eine individuelle Klärung der NS-Belastung, die auch die „Gesamtpersönlichkeit eines Menschen“ in den Blick zu nehmen hätte.169 Daraus folgte für Pfeiffer logischerweise, dass die Entnazifizierung in deutsche Hände übergehen müsse: „Wer […] die Schuldhaftigkeit des Individuums einigermaßen zuverlässig beurteilen will, muss die Entwicklung in Deutschland selbst miterlebt haben, um nicht gegen die Gerechtigkeit fundamental zu verstoßen.“170 In seiner anderen Denkschrift bemerkte er dazu: „Deutsche sollen zu Gericht sitzen über Verbrecher aus dem eignen Volk, über Verbrecher gegen das eigne Volk. Geistig überwunden kann der Nationalsozialismus nur werden durch edleres deutsches Geistesgut, aber immer nur durch solches aus dem eignen Volk.“171 Mit diesem Standpunkt stellte er innerhalb des Bayerischen Ministerrats keine Ausnahme dar. Als der Kommunist Heinrich Schmitt, der erste Bayerische Sonderminister für die Entnazifizierung, im November 1945 seine umfassenden Entnazifizierungsrichtlinien („Lex Schmitt“) präsentierte, wurden diese vom Ministerrat demontiert. Schmitts Ziel, die gesamte Bevölkerung einem Entnazifizierungsverfahren zu unterwerfen, roch Ministerpräsident Hoegner zu viel nach „Kollektivschuld“.172 Stattdessen plädierten er, Pfeiffer und Ehard für die Erfassung einer kleineren Gruppe, mit begrenzteren Strafmaßnahmen, und insbesondere für eine Individualisierung des Entnazifizierungsverfahrens. Daraufhin bildeten Hoegner,

167 Ebenda, S. 5. Vgl. auch BayHStA, NL Anton Pfeiffer 57, „Schwierigkeiten in der Zeitlage“, 13. September 1945, S. 2. 168 Der vergleichbare Begriff „Karteimitglied“ ist in der aktuellen Geschichtsforschung eingesetzt worden, um die Vorstellung, dass Personen ohne eigenes Handeln und Wissen der NSDAP beigetreten sein können, kritisch zu hinterfragen. Dazu vgl. Sven Felix Kellerhoff, Die Erfindung des Karteimitglieds. Rhetorik des Herauswindens: Wie heute die NSDAP-Mitgliedschaft kleingeredet wird, in: Wolfgang Benz (Hrsg.), Wie wurde man Parteigenosse? Die NSDAP und ihre Mitglieder, Frankfurt am Main 2009, S. 167–180. 169 BayHStA, NL Anton Pfeiffer 110, „Grundsätzliche Erwägungen über die notwendige Reinigung des Beamtentums und der Wirtschaft vom Nazismus“, ohne Datum [September 1945], S. 6. 170 BayHStA, NL Anton Pfeiffer 119, „Wie ist der Durchschnittsdeutsche in die NSDAP oder in eine ihrer Gliederungen geraten?“, ohne Datum, S. 7. 171 BayHStA, NL Anton Pfeiffer 110, „Grundsätzliche Erwägungen über die notwendige Reinigung des Beamtentums und der Wirtschaft vom Nazismus“, ohne Datum [September 1945], S. 3. 172 Hoegner hatte Schmitt am 24. Oktober mit der Ausarbeitung der Richtlinien beauftragt: Ebenda, Anordnung des Ministerpräsidenten betreffend Reinigung Bayerns vom Nationalsozialismus und Militarismus, 24. Oktober 1945. Für Hoegners Reaktion auf Schmitts Entwurf im Ministerrat vgl. Nr. 7 Ministerratssitzung, 14. November 1945, in: Protokolle Kabinett Hoegner I, S. 106 f.

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Pfeiffer und Ehard zusammen mit Schmitt einen Kabinettsausschuss, der in der Staatskanzlei auf der Grundlage von Schmitts Richtlinien ein „Gesetz über die Reinigung Bayerns vom Nationalsozialismus und Militarismus“ entwarf.173 Das Ziel war insbesondere, die individuelle Schuld in den Mittelpunkt zu rücken und die lähmende Wirkung der Entnazifizierungspraxis auf den bayerischen Staatsbetrieb rückgängig zu machen, sodass ein Großteil der formal Belasteten, die auf Anordnung oder Empfehlung der Militärregierung entlassen waren, ihre Arbeit in der Ministerialverwaltung wieder aufnehmen könnte. Hoegner und Pfeiffer versuchten anschließend im Stuttgarter Länderrat, den Gesetzesentwurf durchzusetzen, sodass die Entnazifizierung in der amerikanischen Besatzungszone nach den Vorstellungen Bayerns vereinheitlicht worden wäre. Obwohl im Länderrat ebenfalls das Prinzip der Individualisierung angestrebt wurde, wurden sich die Ministerpräsidenten untereinander nicht einig. Außerdem hielt die amerikanische Militärregierung an der Kontrollratsdirektive 24 als Grundlage fest, sodass die bayerische Initiative scheiterte. Das Befreiungsgesetz, das am 5. März 1946 von den Ministerpräsidenten als deutsches Gesetz unterschrieben wurde, bedeutete zwar eine neue Phase für die Entnazifizierung, bei der nun die Verantwortlichkeit größtenteils in die Hände der Deutschen überging, basierte jedoch nach wie vor zu Pfeiffers Unzufriedenheit auf den formalen Belastungskategorien der Militärregierung.174 Das von bayerischer Seite vorgeschlagene Spruchkammersystem war zwar im Befreiungsgesetz beibehalten, dessen Handlungsspielräume wurden jedoch durch den formalen Schematismus wesentlich eingegrenzt. Das Befreiungsgesetz verlangte aufgrund von Meldebögen die Registrierung aller früheren Mitglieder der NSDAP oder deren Gliederungen. Dabei wurden die betroffenen Personen nach fünf Kategorien eingestuft: I. Hauptschuldige, II. Belastete (Aktivisten, Militaristen und Nutznießer), III. Minderbelastete (Bewährungsgruppe), IV. Mitläufer und V. Entlastete. Dazu wurde im Gesetz präzisiert, welche Ränge, Gliederungen und Organisationen zu welcher Kategorie zugeordnet werden sollten. Für die Gruppen I. bis III. konnten durch die Spruchkammern als Strafe eine Einweisung ins Arbeitslager, die Einziehung des Vermögens, Pensionsverlust, Gehaltskürzungen, Arbeitsbeschränkungen und Verlust der bürgerlichen Ehrenrechte, für die Mitläufer Geldbußen verhängt werden. 173 Für Pfeiffers Anmerkungen zu Schmitts Entwurf: BayHStA, NL Anton Pfeiffer 110. 174 Obwohl die Kontrollratsdirektive Nr. 24 zu keinem Zeitpunkt zu einer einheitlichen, gemeinsamen Entnazifizierungspolitik in den vier Zonen führte, bildete sie schließlich die Grundlage für das „Gesetz Nr. 104 zur Befreiung von Nationalismus und Militarismus“, das am 5. März 1946 von den Ministerpräsidenten der Länder der amerikanischen Zone unterzeichnet wurde. Allerdings hielt die Militärregierung sich zu jedem Zeitpunkt Eingriffsmöglichkeiten vor, für den Fall, dass die Entnazifizierung nicht zufriedenstellend umgesetzt wurde. Vgl. Niethammer, Mitläuferfabrik, S. 260–318.

3.2 Personalpolitik zwischen „Lex Hoegner“ und Befreiungsgesetz 1945 bis 1946



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Abb. 2: Anton Pfeiffer spricht über die Lage der Entnazifizierung in Bayern während einer Pressekonferenz im Gebäude der Staatskanzlei am 22. Juni 1946. Links von Pfeiffer sitzt Ministerpräsident Hoegner

Pfeiffer als Sonderminister für die Entnazifizierung Nachdem Anton Pfeiffer im Juli 1946 das Sonderministerium von Heinrich Schmitt übernommen hatte, sah er sein Hauptziel darin, die Entnazifizierung zu entpolitisieren, zu systematisieren und in die Hände von Juristen zu legen.175 Für ihn war klar, dass beim Wiederaufbau der bayerischen Eigenstaatlichkeit viel vom Erfolg 175 Heinrich Schmitt verstand die Entnazifizierung im Gegensatz zu Pfeiffer als ein politisches und kein juristisches Unternehmen. Unter seiner Leitung wurden die Spruchkammern zu „antifaschistischen Volksausschüssen“. Auch im Sonderministerium gab es organisatorische Schwächen, weil Schmitt über inoffizielle Kanäle des KPD-Parteiapparats regierte und dabei den Aufbau der Verwaltungsstrukturen des Sonderministeriums vernachlässigte. Als Pfeiffer zum Sonderminister ernannt wurde, ließ er durch eine Stichprobe die Spruchkammerentscheidungen aus der Ära Schmitt untersuchen. Dabei stellte sich heraus, dass in 60 % der Fällen Fehler gemacht worden waren. Daraufhin schloss Pfeiffer den Spruchkammerbetrieb für eine Woche und ließ die Sprüche von Juristen des Kassationshofs überprüfen und in vielen Fällen aufheben. Damit versuchte der neue Sonderminister die politische Entnazifizierungspraxis seines Vorgängers rückgängig zu machen und die Spruchkammern nicht mit Parteimitgliedern sondern Juristen zu besetzen. Vgl. Hans Woller, Die Loritz-Partei. Geschichte, Struktur und Politik der Wirtschaftlichen Aufbau-Vereinigung (WAV) 1945–1955, Stuttgart 1982, S. 53.

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der Entnazifizierung abhängen würde. Er interpretierte das Befreiungsgesetz als eine Art „Staatsvertrag“ zwischen der OMGB und der bayerischen Regierung.176 Für die Militärregierung war der deutsche Umgang mit der Entnazifizierung ein „Prüfstein“ für die Übertragung von Regierungsverantwortung.177 Pfeiffer wollte gegenüber der Militärregierung beweisen, dass die Mehrheit des deutschen Volks nicht nationalsozialistisch eingestellt sowie zur Selbstreinigung und somit Selbstregierung in der Lage war.178 Seine Politik basierte auf der Prämisse, dass nur eine kleine, jedoch bedeutende Minderheit der Deutschen von der NS-Zeit belastet war. Diese Minderheit hatte in der NS-Zeit die Staatsgewalt übernommen und anschließend kriminalisiert. Zugleich ging er pauschalisierend davon aus, dass viele ehemalige Parteimitglieder keine überzeugten Nationalsozialisten gewesen, sondern – wie in den jeweiligen Denkschriften aus 1945 dargelegt – aus unterschiedlichen Zwangslagen der Partei beigetreten waren. Deswegen war der Sonderminister fest davon überzeugt, dass durch eine Verrechtlichung der Entnazifizierungspraxis die Entlassungen und Bestrafungen von einem Großteil der Mitläufer rückgängig gemacht werden konnten. Dabei versuchte er, die nach den formalen Kriterien des Befreiungsgesetzes angeordnete „schematische Ausschaltung ganzer Gruppen“ mit rechtsstaatlichen Mitteln rückgängig zu machen.179 Pfeiffer verfolgte im Dienst der bayerischen Eigenstaatlichkeit eine formaljuristische Strategie, um auf Dauer einen Großteil der Mitläufer in ihre Ämtern zurückkehren zu lassen. Er rechnete sofort mit dem Prioritätensystem Schmitts ab, wonach die Fälle der Minderbelasteten und Mitläufer zuerst behandelt werden sollten, und forderte stattdessen bei den Spruchkammern die vorrangige Anklage von den Hauptschuldigen und Belasteten.180 Diese Minderheit sollte bestraft, die Mehrheit der Mitläufer jedoch „gerechterweise“ rehabilitiert werden.181 Außerdem hielt er die Rückkehr der entnazifizierten Mitläufer in den bayerischen Beamtenapparat für einen entscheidenden Schritt beim Wiederaufbau des bayerischen Staats. Obwohl der Organisator Pfeiffer die Verwaltung des Sonderministeriums weitgehend straffen konnte, gelang es ihm nicht, den „white-washing“ Praktiken in den Spruchkammern, wodurch viele Nationalsozialisten ihrer Straffe entkamen, ein Ende zu setzen.182 Bereits am 5. November 1946 trat Pfeiffer aufgrund des

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Vgl. Niethammer, Mitläuferfabrik, S. 379–384. Vgl. ebenda, S. 379 f. Vgl. ebenda, S. 379. Zit. nach: Reuter, Graue Eminenz, S. 108. Vgl. Hoser, Entnazifizierung, in: Schuster (Hrsg.), Entnazifizierung, S. 492 f. Vgl. Niethammer, Mitläuferfabrik, S. 380–386. Vgl. Woller, Loritz-Partei, S. 53.

3.2 Personalpolitik zwischen „Lex Hoegner“ und Befreiungsgesetz 1945 bis 1946



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großen Drucks von sowohl der Militärregierung als auch der politischen Konstellation und der Öffentlichkeit in Bayern aus dem Sonderministerium zurück.183

Personalpolitische Engpässe Obwohl Pfeiffer als Sonderminister bereits 1946 die Tür für eine Rückkehr der Mitläufer („Karteigenossen“) in die Ministerialverwaltung etwas öffnete, verhinderte die Lex Hoegner, dass die ersten ehemaligen NSDAP-Mitglieder in der Staatskanzlei ihre Arbeit wiederaufnahmen. Unabhängig vom Befreiungsgesetz blieb die Anordnung noch bis Anfang 1947 in Kraft.184 Vor diesem Hintergrund standen Pfeiffer und Kraus vor einer schwierigen Aufgabe. Während für den Dienstbereich der Staatskanzlei ausreichend unbelastete Personen verfügbar waren, stellte gerade die Anwerbung von unbelasteten und erfahrenen Beamten des höheren Diensts eine große Herausforderung dar. Dabei konnten Pfeiffer und Kraus nicht auf das stark belastete Führungspersonal aus der Staatskanzlei vor 1945 zurückgreifen und mussten die Behörde größtenteils mit externen Beamten und Angestellten wiederaufbauen. Somit blieb die Frage nach formaler NS-Belastung das wichtigste Ausschlusskriterium. Die Staatskanzlei beschäftigte zwischen September 1945 und Februar 1947 infolgedessen eine Vielzahl an Personen, die während der NS-Zeit einer NS-Organisation angehört hatten, jedoch keine ehemaligen NSDAP-Mitglieder waren. Außerdem wollte die Behörde unbedingt den Eindruck vermeiden, dass sie ehemalige Nationalsozialisten beschäftige. Als im Juni 1946 ein langwieriger privater Wohnungskonflikt zwischen dem Ministerialoberoffiziant Robert Eichbichler und dessen Vermieter zu eskalieren drohte, und die Polizei davon ausging, dass es sich bei den beiden Herren um frühere „aktive Nazis“ handelte, griff Claus Leusser im Namen des Ministerpräsidenten sofort ein. Der Spitzenjurist der Staatskanzlei setzte sich mit dem Oberstaatsanwalt in München in Verbindung und teilte ihm mit eindeutigen Worten mit, dass die Anschuldigung, es handele sich bei Eichbichler um einen ehemaligen „aktiven Nazi“, auf „das schärfste zurückgewiesen werden“ musste. Dazu ergänzte er, dass Eichbichler in der Staatskanzlei arbeite und dass es „im Amte des Ministerpräsidenten […] keine ehemaligen Parteigenossen und keine aktiven Nazis“ gebe.185 Daran war zu diesem Zeitpunkt in formaler Hinsicht tatsächlich nichts falsch – Eichbichler war kein NSDAP-Mitglied gewesen –

183 Vgl. Reuter, Graue Eminenz, S. 104–115. 184 Vgl. Ministerratssitzung vom 15. Februar 1947, in: Protokolle Kabinett Ehard I, S. 181. 185 BayHStA, StK 30867, Claus Leusser an den Oberstaatsanwalt München I, 6. Juni 1946.

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und der Fall sollte möglichst schnell abgeschlossen werden, bevor er unkontrolliert an die Öffentlichkeit geraten würde. Dennoch gelang es Pfeiffer und Kraus, bis Ende 1946 ein stabiles Personalgefüge aufzubauen und die vitalen Führungspositionen zu besetzen. Lediglich im Presse- und Informationsamt der Staatskanzlei gab es Personalfluktuationen.186 Viel Zeit zur Planung blieb dabei nicht. Während dem Aufbau der Bundesministerien 1949 eine ausführliche Personalplanung zugrunde lag, gab es dazu in den Jahren 1945 und 1946 auf Länderebene kaum Vorbereitungszeit. Pfeiffer lieferte zwar einen Organisationsplan für die Staatskanzlei ab, zur personalpolitischen Planung in der Staatskanzlei sind jedoch keine Denkschriften oder Namenslisten überliefert. Dies wiederum bestätigt den Eindruck, dass der Leiter der Staatskanzlei und der Ministerpräsident viele Personalentscheidungen spontan und situativ trafen. Dennoch legte Pfeiffer in einem Brief an Karl Schwend vom 16. Juni 1945 das grundlegende Prinzip seiner Personalanwerbung dar, das sich schließlich bis 1950 hielt. Pfeiffer und Fritz Schäffer hatten sich zu diesem Zeitpunkt darauf geeignet, dass die Arbeit der Staatskanzlei von sowohl juristischer als auch außenpolitischer Art sein sollte. Die Voraussetzungen für das Personal im letzteren Bereich, so schrieb Pfeiffer an Schwend, „werden nicht so sehr in der Laufbahn eines gut qualifizierten Juristen der höheren Verwaltungsstufe erworben werden können, sondern […] wahrscheinlich mehr im politischen Leben oder in diplomatischer Verwendung zu erwerben sein“.187 Die Konzeption der Personalpolitik der Staatskanzlei in der Nachkriegszeit war sowohl ein Produkt der Entnazifizierungspolitik als auch der bayerischen Bestrebungen nach Eigenstaatlichkeit. Das heterogene Führungspersonal setzte sich unter Pfeiffers Leitung bis 1950, und teilweise darüber hinaus, aus Verwaltungsbeamten und Mitarbeitern des ehemaligen Auswärtigen Amts sowie Journalisten, Historikern und Politikwissenschaftlern zusammen. Im Gegensatz zu Schäffer und Hoegner war Pfeiffer kein Jurist und sah die Personalpolitik nicht nur von einem juristischen, sondern darüber hinaus von einem außen- und geschichtspolitischen Blickwinkel aus. Pfeiffer war durch seine Arbeitserfahrung zwar mit dem homogenen und überwiegend juristischen Charakter des bayerischen Beamtenapparats vertraut, zeigte sich jedoch zugleich bei seiner Personalauswahl als Realist und Pragmatiker. Außerdem hatte das bayerische Ministerium des Äußeren als Vorläuferbehörde bereits vor 1933 vereinzelt verbeamtete Historiker beschäftigt.188 Fritz Schäffer hatte in der Staatskanzlei während seiner kurzen Regierungszeit mit Ver186 BayHStA, MF 69372. 187 BayHStA, NL Anton Pfeiffer 368, Anton Pfeiffer an Karl Schwend, 16. Juli 1945. 188 BayHStA, StK 13387, Vermerk über die Aufgaben von Ernst Deuerlein in der Staatskanzlei, ohne Datum.

3.2 Personalpolitik zwischen „Lex Hoegner“ und Befreiungsgesetz 1945 bis 1946



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waltungsjuristen traditioneller Prägung die Grundlage für die Personalausstattung gelegt. Doch Pfeiffer verstand, dass er den Kampf um die bayerische Staatlichkeit mit lediglich juristisch ausgebildeten Verwaltungsbeamten nicht gewinnen würde. Im Februar 1947 befanden sich unter den zwölf Abteilungs- und Referatsleitern sowie Referenten in der Staatskanzlei acht Rechtswissenschaftler, zwei Geisteswissenschaftler und zwei Personen mit einem Studienabschluss für den mittleren und gehobenen Verwaltungsdienst. Unter den acht Juristen befanden sich wiederum zwei Personen, Hans-Heinrich Herwarth von Bittenfeld und Margarethe Bitter, die vor 1945 im Dienst des Auswärtigen Amts gearbeitet hatten. Diese Personen arbeiteten alle bereits während Hoegners Regierungszeit in der Staatskanzlei.189 Pfeiffer übertrug 1946 dem ehemaligen Diplomaten Hans-Heinrich Herwarth von Bittenfeld, der bereits seit November 1945 in der Behörde arbeitete, die Leitung des Referats für Besatzungspolitik.190 Dadurch spielte Herwarth, der fließend Englisch, Russisch und Französisch sprach, und daran gewöhnt war, mit ausländischen Politikern und Diplomaten zu kommunizieren, eine zentrale Rolle im Kontakt mit den Vertretern der Militärregierung in Bayern.191 Der ehemalige Professor für Staats- und Verwaltungsrecht Friedrich Glum der ab August 1946 in der Staatskanzlei als Verfassungsreferent beschäftigt wurde, fungierte ebenfalls als wichtige Verbindungsperson zu prominenten deutschen Politikern, darunter auch Konrad Adenauer.192 Dabei fällt auf, dass von den zwölf Abteilungs- und Referatsleitern sowie Referenten im Februar 1947 lediglich Herwarth von Bittenfeld und Glum nicht aus Bayern stammten und der evangelischen Konfession zugehörig waren. Die Behörde wurde nach 1945 zum größten Teil mit gebürtigen Bayern besetzt, die überwiegend katholisch geprägt waren. Die biographische Gruppenauswertung hat ergeben, dass 84 Prozent des Führungspersonals in Bayern geboren und mindestens 56,5 Prozent katholisch war.193 Eine bayerische Herkunft wurde als Garantie für die Vertrautheit eines Betroffenen mit der Mentalität und dem Arbeitsniveau der bayerischen Ministerialverwaltung gleichgesetzt. Was Pfeiffer unter „bayerischen“ Beamten verstand, legte er 1949 im Rahmen der Diskussion über ein Ministerium für die Verbindung mit dem Bundesrat dar: „Darunter würde ich einen Mann ver189 BayHStA, MSo 0104, Geschäftsverteilungsplan der Staatskanzlei, 3. Februar 1947. 190 BayHStA, MF 69372, Anton Pfeiffer an Fritz Terhalle, 26. Juni 1946; Hans Kraus an Fritz Terhalle, 15. Juli 1946. 191 Ebenda, Anton Pfeiffer an Fritz Terhalle, 26. Juni 1946. Für von Herwarths Personalakte: StK 13405. 192 Glum lieferte regelmäßig vertrauliche Berichte an Pfeiffer, die in dessen Nachlass überliefert sind. Vgl. BayHStA, NL Anton Pfeiffer 32. 193 Dabei war der Anteil an Katholiken vermutlich noch höher, was jedoch durch fehlende Personalunterlagen nicht bestätigt werden kann. Evangelisch waren in der Staatskanzlei nur 17,4 % der Beschäftigten.

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stehen, der aus Bayern stamme, dort herangewachsen sei und dort seine Ausbildung einschl. [einer] gewissen Verwaltungspraxis empfangen habe.“194 Dennoch war Pfeiffer kein Dogmatiker. So geht aus der Einstellung von dem in Berlin geborenen Herwarth von Bittenfeld und dem in Hamburg geborenen Glum hervor, dass nicht nur die Herkunft wichtig war, sondern vielmehr, ob eine Person in der Lage war, sich anzupassen und die Interessens Bayerns nach außen zu vertreten. Dabei war für Herwarth von Bittenfeld und Glum vorteilhaft, dass sie beide einen Teil ihres rechtswissenschaftlichen Studiums an der Universität in München verbracht hatten, sodass sie zumindest über diesen Weg mit der bayerischen Mentalität vertraut waren.195 Dessen waren sie sich bewusst und deswegen betonten sie diese Eigenschaften zu ihrem Vorteil immer wieder gegenüber der bayerischen Führungselite.196 Glum ging in seiner Anpassung sogar so weit, dass er zum Katholizismus konvertierte und der CSU beitrat.197 Dass diese Strategie erfolgreich war, geht aus einem geheimen Bericht des ungarischen „intelligence officer“ der CIA, Zsolt Aradi, hervor, der 1947 Glum für sich als Informant gewinnen wollte: „Glum, a former protestant, became Catholic about two years ago and is entirely accepted by the Bavarians. Sharp, interesting man, with whom I intended to do business.“198 Verlief die Anpassung zumindest äußerlich problemlos, so geht dennoch aus den Memoiren von Herwarth hervor, dass er sich gelegentlich als Außenseiter fühlte: „Es herrscht in Bayern ein anderer Ton, den man kennen muss, um sich darauf einzustellen. […] Manchmal war es mir allerdings zuviel, wenn das bayerische Gefühl so überschäumte. Ich war ja in Berlin geboren und hatte auch andere Gegenden schätzengelernt.“199

194 BayHStA, StK 13079, Vormerkung 24. September 1949. 195 BayHStA, StK 13998, Brief Glum an Ehard, 27. Mai 1951. 196 Ebenda; BayHStA, StK 13405, Brief Pfeiffer an Terhalle, 26. Juni 1946. 197 BArchK, N 1457, Bd. 2. enthält die CSU-Mitgliedschaftskarten von Glum. 198 NA, RG 263, A1 88, ZZ 88, ARADI, ZSOLT, Volume 3, Official Dispatch, Dispatch No. MGMA-/33, to Chief of Station, Subject: Operational Memorandum on Security Problems and other Operational Matters, 15. September 1947. Ob Glum regelmäßig politische Informationen an die CIA weiterleitete, geht aus diesen Akten nicht hervor. Fest steht dennoch, dass Glum als eine Art moderner Wissenschaftsmanager und -Netzwerker sehr gut mit hohen Vertretern der amerikanischen Militärregierung vernetzt war. Außerdem reiste er 1949 in die USA und stand seitdem persönlich in Verbindung mit Allen Dulles, der 1953 Direktor der CIA wurde und Glum 1954 ein Fulbright Fellowship als Professor am „Goucher College“ in Baltimore, Maryland besorgte. Dazu siehe die Korrespondenz zwischen Dulles und Glum in: CIA-RDP80R01731R000500290002-8, https://archive. org/details/CIA-RDP80R01731R000500290002-8/page/n7/mode/2up [6. Oktober 2022]; CIARDP80R01731R000500290003-7, https://archive.org/details/LETTERTOFRIEDRICKGLUMFROMSanitized80R01731R0005002900037/mode/2up?q=%22CIA-RDP80R01731R000500290003-7%22 [6. Oktober 2022]. 199 Hans von Herwarth, Von Adenauer zu Brandt. Erinnerungen, Berlin 1990, S. 41.

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Rekrutierungsnetzwerke Trotz der personellen Knappheit in der Nachkriegszeit, zeigten sich Pfeiffer und Kraus wählerisch in ihren Personalentscheidungen. Niemand wurde eingestellt, nur weil er nicht belastet war. Dabei scheuten sie sich nicht, Personen aus anderen bayerischen Behörden anzuwerben, obwohl die ebenfalls unter Personalmangel litten. Die Staatskanzlei erhielt in den Nachkriegsjahren viele Bewerbungen von entlassenen Beamten, aber diese führten nur selten zu einer Einstellung an der Behörde. Dennoch leiteten sowohl der Ministerpräsident als auch der Leiter viele Bewerbungen mit einem Empfehlungsschreiben an andere Behörden weiter, insofern die NS-Belastung des Betroffenen sich in Grenzen hielt und eine Einstellung wegen der Entnazifizierungsrichtlinien rechtlich möglich war.200 Stattdessen griffen Pfeiffer und Kraus auf ihre umfangreichen und vielseitigen Netzwerke zurück, um zielgerichtet Spitzenpersonal anzuwerben und stellten dabei „hohe Ansprüche an die Leistungsfähigkeit“ ihrer Mitarbeitenden.201 Dabei standen drei Netzwerke im Vordergrund, von denen zwei aus der Zeit vor 1933 nach 1945 reaktiviert wurden. Das erste wichtige Personalreservoir der Staatskanzlei nach 1945 waren die ehemalige BVP und neugegründete CSU. Deren Bedeutung nahm unter Hoegners Nachfolger Hans Ehard weiter zu. So hatten sowohl der Kulturreferent Kurt Pfister, der Leiter des Haushaltsreferats Ludwig Tiefenbacher als auch der Leiter der Landesdienstelle des Länderrats und der Bizonenverwaltung Johannes von Elmenau vor 1933 der BVP angehört.202 Eine vergleichbar stringente sozialdemokratische Rekrutierungspolitik fand nicht statt, denn unter Ministerpräsident Hoegner war lediglich eine Führungsperson, der für die Pressestelle zuständige Friedrich Reifferscheid, Mitglied der SPD. Eine sehr wichtige zweite Netzwerkverbindung in der Nachkriegszeit stellte das alte Auswärtige Amt (AA) aus der Zeit vor 1945 dar. Pfeiffers zentrale Verbindungsperson war sein Bruder, der Diplomat Peter Pfeiffer, mit dem er bereits vor 1945 einen intensiven Briefkontakt unterhielt. Peter Pfeiffer war bereits 1925 dem Auswärtigen Amt beigetreten und hatte unter anderem zwischen 1934 und 1938 als Gesandtschaftsrat in Paris und ab 1941 als Generalkonsul in Algerien gearbeitet. 1940 trat er der NSDAP bei.203 In Algerien wurde er 1942 von den Amerikanern festgenommen und anschließend in einem Gefangenenlager in Virginia (USA) in200 Exemplarisch dafür: BayHStA, StK 13373, Brief Alois W. Fraidling an Schäffer, 3. Juni 1945. 201 BayHStA, StK 13405, Pfeiffer an Terhalle, 26. Juni 1946. 202 BayHStA, StK 13461, Fragebogen Tiefenbacher, 22. November 1945; NL Johannes von Elmenau 4, Brief von Elmenau an Kultusministerium, 10. Juli 1945; BArchB, R 9361-V/31122, Reichsverband Deutscher Schriftsteller, Fragebogen Kurt Pfister, 10. August 1933. 203 PAAA, P14 54980, Personalbogen Peter Pfeiffer, 1. Juni 1950.

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terniert. Im Rahmen eines umfangreichen Diplomatenaustausches kehrte er bereits im März 1944 nach Europa zurück. Hier wurde er erneut in der Pariser Botschaft beschäftigt und war nach der Alliierten Invasion von Frankreich bis zum Kriegsende in Berlin in der Politischen Abteilung des Auswärtigen Amts tätig.204 Unter anderem durch seinen Bruder konnte Anton Pfeiffer sowohl während der Weimarer Republik und der NS-Zeit Kontakte zu Diplomaten und weiteren Mitarbeitern des Auswärtigen Amts knüpfen, auf die er nach 1945 zurückgriff. Außerdem konnte er sich nach 1945 bei der Personalanwerbung von ehemaligen Diplomaten für die Staatskanzlei auf seinen Bruder berufen oder dessen persönliche Einschätzung einholen. Mit Hans von Herwarth, Philipp Freiherr von Brand, Margarethe Bitter, Hans Schwarzmann, Rudolf Holzhausen, Hans-Christian Halter, Gebhard Seelos und Wilhelm Kopf arbeiteten bis 1949 nicht weniger als acht Personen aus dem ehemaligen Auswärtigen Amt auf der Führungsebene der Staatskanzlei. Die Mehrheit dieser Gruppe wechselte 1949 oder 1950 zurück an die Bundesbehörden. Drittens waren die bayerisch-katholischen Studentenverbindungen, denen viele Beamte während ihrer Studienzeit im Kaiserreich oder der Weimarer Republik beigetreten waren, ein wichtiges Netzwerk in der Nachkriegszeit. Dabei stellte eine Mitgliedschaft für Pfeiffer und Kraus eine Art Garantie dar, dass eine Person zur bayerisch-konservativ-katholischen Mentalität in der Staatskanzlei passen würde. Sowohl Pfeiffer als auch Kraus waren vor dem Ersten Weltkrieg Mitglied der katholischen Studentenverbindung Ottonia im Kartellverband katholischer deutscher Studentenvereine gewesen. Außerdem hatte Kraus 1921 die OttoniaSchwesterverbindung K.St. V. Franko-Isaria gegründet, bei denen Peter Pfeiffer Mitglied und Anton Pfeiffer Ehrenphilister wurde.205

Vom Mythos der sauberen Verwaltung: Der Fall Fritz Baer Exemplarisch für die zielgerichtete Anwerbung ist der Fall des Oberregierungsrats Fritz Baer, der im Januar 1946 vom Münchener Oberfinanzpräsidenten zum Leiter 204 Für Peter Pfeiffers Lebenslauf beim Auswärtigen Amt: PAAA, P14 54980–83. Für die ausführliche Korrespondenz zwischen den beiden Brüdern aus dem Kaiserreich, der Weimarer Republik, die NS-Zeit und die Nachkriegszeit: IfZ, ED 355 9 bis 26. 205 Im Nachlass von Kraus sind zwei Schriften über die Geschichte der K.St. V. Franko-Isaria überliefert: Georg Völkl, K.St. V. Franko-Isaria im K. V. Unsere Geschichte 1921–1931, München 1931; Autor unbekannt, Katholische Studentenverbindung Isaria im KV zu Freising-Weihenstephan, 1921–2011, Festschrift anlässlich des 90. Stiftungsfestes (2011). Letzteres enthält auch Mitgliederlisten, aus denen die Mitgliedschaften der beiden Pfeiffer-Brüder hervorgeht: BayHStA, NL Hans Kraus 8.

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des Finanzamts München-Land ernannt wurde. Baer hatte dort seinen Schreibtisch kaum eingeräumt, als Anton Pfeiffer ihn auf Empfehlung von Hans Kraus für Dienstleitung in der Staatskanzlei abzuwerben versuchte.206 Die katholischen Verbindungsbrüder Hans Kraus und Fritz Baer kannten sich aus der katholischen Studentenverbindung Ottonia München, der sie beide vor 1933 angehört hatten, und waren befreundet.207 Außerdem war Baer bereits im Herbst 1945 der CSU beigetreten.208 Weil in der Finanzverwaltung sehr wenig Beamte des höheren Diensts verfügbar waren, wurde der Antrag Pfeiffers zunächst vom Finanzministerium auf nachdrücklichem Wünsch des Oberfinanzpräsidenten abgelehnt und der Eintritt Baers in die Staatskanzlei erfolgte erst zum 4. Juli 1946.209 Zu diesem Zeitpunkt übernahm Kraus die Leitung der Staatskanzlei von Pfeiffer, der wiederum die Leitung des Sonderministeriums übernahm. Der Fall Baer ist nicht nur exemplarisch für die Reaktivierung von Netzwerken nach 1945, sondern zugleich auch für die selektive und einseitige Wahrnehmung von NS-Belastung in der Nachkriegszeit. Baer war zu keinem Zeitpunkt der NSDAP210 beigetreten, dafür allerdings einigen NS-Organisationen und Verbänden,211 und galt in der Nachkriegszeit nach den formalen Kriterien der USFET-Di206 BayHStA, MF 69372, Pfeiffer an das Staatsministerium der Finanzen, 12. Januar 1946. 207 In einem Vortrag vor der CSU Planegg am 2. Juli 1985 bezeichnete Baer den bereits 1952 verstorbenen Kraus als „langjähriger Freund“. Baer hielt den Vortrag zum Thema Nachkriegszeit und Entstehung der CSU aus Anlass des 40-jährigen Jubiläums der Partei. Eine Kopie der Rede befindet sich im Privatbesitz des Autors der vorliegenden Dissertation. 208 Dies lässt sich aus einer Rede im Besitz des Autors des vorliegenden Buches ableiten. Außerdem ist Baers Mitgliedschaft in der CSU sowohl durch seinen Sohn, Rudolf Baer, als auch durch den ehemaligen Ministerialbeamter Konrad Kruis, der in den 1960er Jahren unter Baer in der Staatskanzlei arbeitete, bestätigt worden. 209 Im Juni war Baer noch an das Landesamt für Vermögensverwaltung und Wiedergutmachung gewechselt, wo er als vorläufiger Hauptabteilungsleiter arbeitete. Nachdem er im Juli 1946 seinen Dienst in der Staatskanzlei angetreten hatte, wurde er am 1. August 1946 zum Regierungsdirektor ernannt: BayHStA, StK 30858, Ministerpräsident Hoegner an Ministerialrat Sterner (Leiter des Landesamts für Vermögensverwaltung und Wiedergutmachung), 4. Juli 1946. 210 Die Akte BArchB, R 9361/I/43970 ist fälschlicherweise Fritz Baer zugeschrieben worden. Die Akte enthält ein Parteigerichtsverfahren der NSDAP gegen den Parteigenossen Fritz Baer, der 1937 aus der Partei ausgeschlossen wurde. Weil im Originaldokument allerdings kein Geburtsdatum aufgenommen wurde, bleibt unklar, um welchen Fritz Baer es sich hier stattdessen handelt (das Geburtsdatum auf der Vorderseite, das jetzt dort zu lesen ist, wurde von einem Sachbearbeiter erst nach 1945 hinzugefügt). Wäre Fritz Baer tatsächlich 1937 aus der NSDAP geworfen worden, dann wäre er in den Devisenstellen nie befördert worden, denn dies wäre mit § 26 des Deutschen Beamtengesetzes von 1937, wonach ein Beamter jederzeit „rücksichtslos für den NS-Staat“ einzutreten hatte, nicht möglich gewesen. Außerdem geht aus den Befähigungsberichten in seiner Personalakte hervor, dass es gegen Baer keine politischen Bedenken gab. 211 Aus dem „Vorschlag zur Ernennung“ des Reichswirtschaftsministeriums aus 1941 geht hervor, dass Baer Mitglied im RDB, RLB, NSRB sowie Mitglied und Blockwart der NSV war: BArchB, R

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rektive trotzdem als unbelastet. Dies machte den erfahrenen Spitzenjuristen des höheren Diensts nach 1945 für Pfeiffer und Kraus zu einem begehrten Fachexperten. Doch was bei Baers Einstellung nahezu komplett in den Hintergrund geriet oder als Fachexpertise und Arbeitserfahrung für den staatlichen Wiederaufbau wahrgenommen wurde, war die Tatsache, dass er während der NS-Zeit in Berlin und München in der Überwachungsabteilung der jeweiligen Devisenstellen gearbeitet hatte. Gerade diese Devisenstellen hatten im „Dritten Reich“ eine zentrale Rolle bei der wirtschaftlichen Verdrängung und fiskalischen Ausplünderung der Juden vor ihrer Deportation und Ermordung gespielt.212 Dies wurde jedoch weder von den formalen Kriterien der Militärregierung noch von Pfeiffer und Kraus, die vor allem von ihrem persönlichen Eindruck eines Beamten ausgingen, als NS-Belastung eingeordnet. Die Devisenstellen machten während der NS-Zeit einen Teil von einem umfangreichen staatlichen Devisenbewirtschaftungssystem aus. Die Reichsregierung des Reichskanzlers Heinrich Brüning hatte die Devisenbewirtschaftung im Juli 1931 als währungs- und handelspolitische Notmaßnahme eingeführt, weil die deutschen Auslandsschulden seit dem Ersten Weltkrieg massiv angestiegen waren und die staatlichen Devisenreserven ein alarmierend niedriges Niveau erreicht hatten.213 Mit der Devisenbewirtschaftung, „also d[er] staatliche[n] Regulierung der Verwendung von Devisen“,214 versuchte die Reichsregierung diese Situation nun zu kontrollieren. Doch dabei blieb es nach 1933 nicht. Die Devisenbewirtschaftung wurde darüber hinaus zum Kontroll- und Lenkungsinstrument der nationalsozialistischen Wirtschaftspolitik. Zu deren Leitlinien gehörte das Streben nach einem Höchstmaß an Autarkie sowie eine starke Orientierung auf die Binnenwirtschaft.215 Diese Zielsetzung erforderte die unmittelbare staatliche Kontrolle der Außenwirtschaft. Dazu schuf sich das NS-Regime nicht nur ein Verwaltungsapparat 601/1665, Bl. 378, Vorschlag zur Ernennung des Regierungsrats Dr. Fritz Baer zum Oberregierungsrat, 7. Oktober 1941. An dieser Stelle möchte ich mich herzlich bei Professor Stefan Fisch für den Hinweis auf Baers Akte in diesem Bestand bedanken. Ein Überblick von Baers Mitgliedschaften befindet sich ebenfalls in seiner Spruchkammerakte, StAM, SpKA K 57, Baer, Fritz, Meldebogen, 25. April 1946, sowie in BArchB, R 9361/II/33668. 212 Zu der Rolle der Devisenstellen in der NS-Zeit vgl. Christoph Franke, Die Rolle der Devisenstellen bei der Enteignung der Juden, in: Katharina Stengel (Hrsg.), Vor der Vernichtung. Die staatliche Enteignung der Juden im Nationalsozialismus, Frankfurt am Main 2007, S. 80–93; Christoph Franke, Legalisiertes Unrecht. Devisenbewirtschaftung und Judenverfolgung am Beispiel des Oberfinanzpräsidiums Hannover 1931–1945, Hannover 2011; Meinl/Zwilling, Legalisierter Raub, S. 100–110; Kuller, Bürokratie und Verbrechen, S. 201–242. 213 Vgl. Franke, Rolle der Devisenstellen, in: Stengel (Hrsg.), Vor der Vernichtung, S. 80 f.; Kuller, Bürokratie und Verbrechen, S. 205–208. 214 Franke, Rolle der Devisenstellen, in: Stengel (Hrsg.), Vor der Vernichtung, S. 80. 215 Vgl. ebenda, S. 81.

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sondern zugleich eine hochgradig komplizierte Devisengesetzgebung. Der Historiker Christoph Franke bringt diese Entwicklung treffend auf den Punkt: „Was im Sommer 1931 noch als Devisennotrecht mit einigen wenigen Verordnungen begonnen hatte, entwickelte sich bis zum Ende des ‚Dritten Reiches‘ zu einem selbst für Fachleute kaum noch zu durchschauenden Gestrüpp aus Gesetzen und Richtlinien sowie einer in die Tausende gehenden Zahl von ergänzenden Verordnungen und Erlassen.“216 Obwohl sich die Devisenpolitik vor 1933 nicht spezifisch gegen Juden richtete, war das umfassende staatliche Devisenbewirtschaftungssystem mit seinen umfangreichen Kompetenzen im NS-Staat beinahe dafür prädestiniert, um ebenfalls für die wirtschaftliche Verdrängung und fiskalische Ausplünderung der Juden eingesetzt zu werden. Dabei bildeten die jeweiligen Devisenstellen das Rückgrat des „System[s] der Ausplünderung“.217 Weil das Wirtschaftsministerium über keine Mittelebene verfügte, wurden die Devisenstellen 1931 den zum Reichsfinanzministerium gehörenden Landesfinanzämtern angegliedert. Ihre sachlichen Anweisungen erhielten sie von Anfang an vom Reichswirtschaftsministerium. Bis 1936 unterstanden sie allerdings in organisatorischer, haushaltsrechtlicher und personeller Hinsicht dem Reichsfinanzminister.218 Mit ihrer Arbeit trugen die Devisenstellen insbesondere in drei Hinsichten am legalisierten Unrechtssystem gegen die jüdische Bevölkerung bei: Zuerst überwachten sie die sogenannte Auswanderung der Juden zwischen 1933 und 1941 und konfiszierten dabei gesetzesgemäß große Teile ihres Vermögens und Besitzes.219 Zweitens konnten sie zur Bekämpfung von Kapitalflucht „Sicherungsanordnungen“ verhängen. Damit wurde das Vermögen einer Person oder eines Unternehmens gesperrt und dem unmittelbaren Zugriff entzogen.220 Drittens spielten die Devisenstellen eine wichtige Rolle bei der „Arisierung“ von jüdischen Unternehmen. Mit Sicherheitsanordnungen konnten Unternehmer im Fall des Verdachts eines Devisenvergehens der Unternehmensleitung entnommen werden. Dabei wurden anschließend Treuhänder eingesetzt, die in der Regel „arische“ Käufer für das Unternehmen suchten und dabei selber von der

216 Exemplarisch dafür ist der sehr umfangreiche Bestand der Oberfinanzdirektion München an formellen Devisengesetzen, Richtlinien, Mitteilungen und Runderlassen des Reichswirtschaftsministeriums sowie der Reichsstelle für Devisenbewirtschaftung zwischen 1931 und 1943 im Staatsarchiv München: StAM, OFD 307–395. Zit. nach Franke, Rolle der Devisenstellen, in: Stengel (Hrsg.), Vor der Vernichtung, S. 81. 217 Zum „System der Ausplünderung“ und der Rolle der Devisenstellen vgl. Meinl/Zwilling, Legalisierter Raub, S. 49–72, 100–110. 218 Vgl. Franke, Legalisiertes Unrecht, S. 122 f. 219 Vgl. Franke, Rolle der Devisenstellen, in: Stengel (Hrsg.), Vor der Vernichtung, S. 84 f. 220 Vgl. ebenda, S. 85 ff.

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finanziellen Abwicklung profitierten.221 Für die Durchführung dieser alltäglichen Aufgaben arbeiteten die Devisenstellen mit mindestens 22 anderen Behörden und Institutionen zusammen, darunter das Reichsbankdirektorium, Reichsfinanzministerium, Reichssicherheitshauptamt, Reichsjustizministerium sowie Dienststellen der NSDAP und der Gestapo.222 Bei der Durchführung von Sicherungsanordnungen spielten die Überwachungsabteilungen der jeweiligen Devisenstellen die wichtigste Rolle. Weil die Zahl der Verstöße gegen das Devisenrecht bereits bis 1935 rasant anstieg, erweiterten sich die Aufgaben der Devisenstellen durch neue Devisengesetze im Bereich der Strafverfolgung erheblich.223 Somit wurden in zehn Devisenstellen, darunter auch Berlin und München, separate „Devisen-Straf- und Rechtsabteilungen“ („Devisenstelle (S)“) eingeführt, die neben der „Devisen-Genehmigungsabteilung“ existierten.224 Ab 1939 wurden die Straf- und Rechtsabteilungen der jeweiligen Devisenstellen auf Vorschlag des Reichswirtschaftsministeriums unter dem Namen „Devisenstelle-Überwachungsabteilung“ vereinheitlicht. Außerdem wurden deren Aufgaben zentral definiert: Überwachung von zahlreichen Kapitalfluchtvorschriften, Bearbeitung aller Strafsachen, die Sicherungs- und Devisenprüfungssachen sowie die Devisenberater- und Rechtsauskunftssachen.225 In zwei Überwachungsabteilungen arbeitete während der NS-Zeit der aufstrebende Fritz Baer. Der 1901 in der Oberpfalz geborene Baer hatte zwischen 1921 und 1925 Rechtswissenschaft in Würzburg und München studiert. Nachdem er 1925 die Erste und 1928 erfolgreich die Zweite Große Juristische Staatsprüfung abgelegt und zusätzlich in Würzburg promoviert hatte, setzte er seine Verwaltungslaufbahn ab 1929 als Assessor in der bayerischen Finanzverwaltung und ab 1930 als Regierungsassessor in der Reichsfinanzverwaltung fort.226 Hier arbeitete er zwischen 1932 und 1939 als Sachgebietsleiter für Devisenprüfungen und Straf- und Sicherungssachen im Rang eines Regierungsrats in der Straf- und Rechtsabteilung

221 Vgl. ebenda, S. 87 f. 222 Für die gesamte Liste und Art der Zusammenarbeit zwischen den Devisenstellen und jeweiligen Behörden und Institutionen vgl. Franke, Legalisiertes Unrecht, S. 134–161; Meinl/Zwilling, Legalisierter Raub, S. 100 ff. 223 Zu dieser neuen Gesetzgebung vgl. Christiane Kuller, Finanzverwaltung und Judenverfolgung. Die Entziehung jüdischen Vermögens in Bayern während der NS-Zeit, München 2008, S. 21; Franke, Legalisiertes Unrecht, S. 56–62. 224 Die „Devisen-Genehmigungsabteilungen“ umfassten die Aufgaben der ursprünglichen Devisenstellen. 225 Vgl. Franke, Legalisiertes Unrecht, S. 123 f. 226 Vgl. BayHStA, StK 30859, Personalbogen Fritz Baer, 15. Juni 1938. Vgl. für Baers Zeit in de bayerischen Finanzverwaltung im Jahre 1929 StAM, PA 24300, Dienstliche Würdigung Fritz Baer, 22. April 1929.

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der Devisenstelle des Oberfinanzpräsidiums Berlin.227 Im Mai 1938 stieg er im gleichen Bereich zum Gruppenleiter auf. Von hier aus erfolgte im September 1939 seine Versetzung an die Devisenstelle ans Oberfinanzpräsidium in München, wo er bis zum Kriegsende 1945, unterbrochen von einer kurzen Wehrmachtseinberufung im Herbst 1941, Leiter der Überwachungsabteilung war.228

Abb. 3: Fritz Baer 1938

Im Bereich der Devisenstellen lag während der NS-Zeit die Zahl der NSDAP-Mitglieder unter den Ersternennungen bei etwa 83,5 %. Außerdem konnte der Historiker Stefan Fisch aufgrund von weiteren formalen Kriterien bei mindestens 98 %

227 Obwohl Baer bereits seit 1932 in der Devisenstelle des Oberfinanzpräsidiums Berlin tätig war, wurde er hier erst zum 1. Oktober 1938 vom Reichswirtschaftsminister auf eine Planstelle versetzt. Obwohl die Devisenstellen ihre sachlichen Anordnungen vom Reichswirtschaftsministerium erhielten, gehörten sie bis 1936 zur Reichsfinanzverwaltung. Erst durch eine gemeinsame Vereinbarung übertrug das Reichsfinanzministerium 1936 die Zuständigkeit der Devisenstellen an das Reichswirtschaftsministerium. Die hier beschäftigten Reichsfinanzbeamten wurden ab dem Zeitpunkt an die Devisenstellen abgeordnet. Baer war somit bis Oktober 1938 an der Devisenstelle des Oberfinanzpräsidiums abgeordnet, bis er auf eine Planstelle übernommen wurde: BayHStA, StK 30859, Reichswirtschaftsminister (gez. Kröger) an Baer, 31. Dezember 1938; Reichsfinanzminister an Oberfinanzpräsidenten Berlin, 13. Februar 1939. Für die Vereinbarung zwischen den Reichsministerien vgl. Franke, Legalisiertes Unrecht, S. 122 f. 228 BayHStA, StK 30859.

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der Fälle eine NS-nahe Haltung feststellen.229 Somit erlebte das Arbeitsumfeld, in dem Baer bereits seit 1932 arbeitete, während der NS-Zeit einen massiven Zuwachs an NSDAP-Mitgliedern. Außerdem handelte es sich bei zwei Dritteln der Beförderten in den Devisenstellen um NSDAP-Mitglieder.230 Vor diesem Hintergrund liegt die Vermutung nahe, dass Fritz Baer kein überzeugter Nationalsozialist war und sich selbst vielmehr als apolitischen Berufsbeamten und juristischen Fachexperten wahrnahm. Hätte Baer aus nationalsozialistischer Überzeugung gehandelt, dann wäre er spätestens 1937 der NSDAP, SS oder SA beigetreten, denn davon hätte er im Hinblick auf seine Laufbahn innerhalb der Devisenstellen stark profitieren können. Um zumindest politisch nicht negativ aufzufallen, trat er stattdessen dem RDB, RLB, NSRB sowie der NSV bei. Dabei handelte es sich eher um Alibi-Mitgliedschaften, die die meisten Beamten hatten, jedoch kein Indiz für eine besondere Nähe zur NSDAP waren.231 Dennoch zeigte sich der intelligente und opportunistische Finanzbeamte Baer in seinem Handeln als ein „williger Funktionsträger“, um sich die politische Zielsetzung des NS-Staats anzueignen und die antisemitischen Wirtschaftsmaßnahmen voranzutreiben.232 Sein Leistungsdenken und Effizienzstreben als Beamter konvergierten in vielerlei Hinsicht mit den nationalsozialistischen Zielen. Außerdem versuchte er sich zu profilieren. In den Devisenstellen war der Personalbedarf hoch, es gab jedoch einen Mangel an Beförderungsstellen.233 Um seine Laufbahn voranzutreiben, musste sich Baer somit von seinen Kollegen unterscheiden. Mögliche Nachteile, die er als Nicht-Parteigenosse im Vergleich zu Kollegen in politisch-ideologischer Hinsicht hatte, kompensierte er, indem er sich mit seinem 229 Neben Mitgliedschaften in der NSDAP zählte Fisch als weitere Indikatoren ebenfalls Anträge auf eine Mitgliedschaft in der NSDAP sowie SS- und SA-Mitgliedschaften. Vgl. Stefan Fisch, Willkür und Regelhaftigkeit. Personal und Organisation des Reichswirtschaftsministeriums im Dritten Reich, in: Albrecht Ritschl (Hrsg.), Das Reichswirtschaftsministerium in der NS-Zeit. Wirtschaftsordnung und Verbrechenskomplex, Göttingen 2016, S. 18–75, hier S. 55 f., 61. 230 Vgl. ebenda, S. 58. Für die Personalentwicklung in der Devisenstelle Berlin im Jahre 1935 vgl. BArchB, R 3101/15211, Vermerk über die Sitzung vom 31.5.1935 betr. Besetzung der Prüfstellen mit Personal der Devisenstellen, 12. Juni 1935. 231 Zu diesen Alibimitgliedschaften vgl. Fisch, Willkür, in: Ritschl (Hrsg.), Reichswirtschaftsministerium, S. 55 f. 232 Susanne Meinl und Jutta Zwilling konnte auch für die Devisenstelle in Frankfurt am Main feststellen, dass die Berufsbeamten sich als willige Funktionsträger der Devisenpolitik profilierten, jedoch lediglich ein kleiner Teil der NSDAP angehörte. Vgl. Meinl/Zwilling, Legalisierter Raub, S. 103. 233 Siehe dazu die zahlenmäßigen Übersichten zu der personellen Besetzung der jeweiligen Devisenstellen: BArchB, R 3101/30045. Dabei werden die Genehmigungsabteilung und Überwachungsabteilung getrennt aufgeführt. Für einen namentlichen Überblick über die Zahl der Planstellen vgl. BArchB, R 3101/30047, Nachweisung, 1942. Auch Baers Name steht auf dieser Liste. Vgl. Fisch, Willkür, in: Ritschl (Hrsg.), Reichswirtschaftsministerium, S. 58 f.

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Fachwissen im Rahmen der fiskalischen Ausplünderung der Juden profilierte. Gerade das Karrierestreben der Beamten wirkte als Triebmotor für die Radikalisierung der finanziellen Verfolgungsmaßnahmen.234 Im Befähigungsbericht des Oberfinanzpräsidenten über Baer hieß es: „Juristische Begabung, Devisenrechtskenntnisse und wirtschaftliches Verständnis liegen erheblich über den Durchschnitt. Der Fortentwicklung und Vertiefung des Devisenprüfwesens und der praktischen Schulung der Devisenprüfer widmet er sich mit besonderem Eifer und Geschick.“235 Dabei rechtfertigte Baer als Finanzbeamter im Arbeitsalltag sein Handeln vermutlich zugleich mit der Vorstellung, dass er seine Arbeit nach bindenden, gesetzlichen Vorgaben durchführte, so dass seine Arbeit den „Anschein der Legitimität“ haben konnte.236 In der Wahrnehmung vieler Finanzbeamter handelte es sich bei den antisemitischen Maßnahmen um ein legales Verfahren, das zur „bürokratischen Normalität“237 gehörte. Viele Finanzbeamte benutzten diese Sichtweise darüber hinaus nach 1945 als Rechtfertigungs- und Entlastungsstrategie für ihr Handeln im Nationalsozialismus.238 Bereits während seiner Zeit in der Devisen-Straf- und Rechtsabteilung in Berlin legte Baer, zusammen mit einem Kollegen aus der Devisenstelle, aus eigener Initiative eine verwaltungstechnische Abhandlung und Handreichung über die Auswertung von Devisenprüfungsberichten bei Industrie- und Handelsfirmen vor.239 Das Ziel der Publikation war es „klarzulegen, in welcher Form eine Devisenprüfung ihren Abschluß findet und welche Folgerungen aus den festgestellten Tatsachen gezogen werden“ konnten, um somit das Funktionieren der Verwaltung zu optimieren.240 Dabei ging Baer insbesondere auf die Strafmaßnahmen innerhalb des Devisenrechts und auf die Sicherungsanordnungen ein, die mit „vorbeugenden Maßnahmen“ im Fall eines Kapitalfluchtverdachts Devisenverschiebungen verhindern sollte. Dabei betonte er, wie erfolgreich die Sicherungsanordnungen 234 Vgl. Kuller, Bürokratie und Verbrechen, S. 438 f. 235 BayHStA, StK 30859, Befähigungsbericht des Oberfinanzpräsidenten Berlin über Fritz Baer, 18. April 1939. 236 Sogar die politisch Verfolgten nahmen die finanziellen Maßnahmen der Finanzbehörden im Gegensatz zu den Willkürmaßnahmen der Parteigliederungen als rechtmäßig wahr. Vgl. Kuller, Bürokratie und Verbrechen, S. 12, 440 f. 237 Vgl. ebenda, S. 12. 238 Äußerungen von Baer zu seiner Tätigkeit während der NS-Zeit sind in den für dieses Buch ausgewerteten Archivakten nicht überliefert. Für eine allgemeine Einordnung von den deutschen Deutungen der eigenen Vergangenheit in der Nachkriegszeit in Nordrhein-Westfalen vgl. Leßau, Entnazifizierungsgeschichten, S. 199–267. 239 Vgl. Fritz Baer, Der Devisenprüfungsbericht und seine Auswertung, in: Fritz Baer/Otto Werner (Hrsg.), Devisenprüfung und Devisenprüfungsbericht bei Industrie- und Handelsfirmen, Berlin 1939, S. 36–62. 240 Ebenda, S. 39.

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bezüglich der jüdischen Auswanderer waren: „Die Praxis hat gezeigt, daß die Sicherungsanordnung ein sehr wirksames Mittel zur Bekämpfung der Kapitalflucht ist. Ein Schulbeispiel für die Vorbereitung der Kapitalflucht ist die Transferierung von inländischem Kapital durch den Export. Jüdische Auswanderer pflegten vielfach ihren Export vor ihrer Auswanderung erheblich zu steigern, um dann ihren Außenständen nachzureisen und hatten auf diese Weise einen vollen Transfer mindestens eines Teiles ihres Vermögens erreicht. Derartige Machenschaften konnten durch Sicherungsanordnungen verhütet werden.“241 Dabei verstand es Baer, im Sinne des Regimes fachlich und verwaltungstechnisch zu argumentieren und sich somit zu profilieren: „Doch sind all die vielen Maßnahmen, Gesetze, Verordnungen, Runderlasse, Richtlinien, Einzelerlasse Genehmigungen und nicht zuletzt Devisenprüfungen nicht Selbstzweck oder eine reine Freude für die Wirtschaftsbehörden. Behörden und Wirtschaftsunternehmen dienen vielmehr alle einem großen Ziel: der wirtschaftlichen Freiheit und Unabhängigkeit unseres großen deutschen Volkes.“242 Die Veröffentlichung blieb nicht ohne Erfolg und bereits im September 1940 legten Baer und sein Kollege ein nun 312-seitiges Buch zum gleichen Thema vor.243 Die große Menge von zum Teil unveröffentlichten Gesetzen und Verordnungen schuf bei den Devisenbehörden ein Bedürfnis nach Übersichtswerken. Auch in diesem Buch behandelte Baer die Maßnahmen gegen die Kapitalflucht und Sicherungsanordnungen direkt bezogen auf die jüdische Bevölkerung.244 Baers eigene Initiativen wurden belohnt. Nachdem ihm 1939 die Leitung der Überwachungsabteilung der Münchner Devisenstelle übertragen wurde, wurde er 1941 trotz der mangelnden Aufstiegsmöglichkeiten zum Oberregierungsrat befördert.245 Als Leiter der Überwachungsabteilung trug Baer die Verantwortung für seine Sacharbeiter und die Organisation und Durchführung der Sicherungsanordnungen und Strafsachen. Dabei hielt er sich in wichtigen Fällen die Schlusszeichnung vor.246 Er nahm ab September 1939 an den wöchentlichen Treffen des Führungspersonals mit dem Leiter der Devisenstelle teil, sodass er über die gesamte Tätigkeit und Entwicklung in der Devisenstelle und Devisenbewirtschaftung Bescheid 241 Ebenda, S. 59. 242 Ebenda, S. 62. 243 Vgl. Fritz Baer/Otto Werner, Devisenrecht und Devisenprüfung. Unter besonderer Berücksichtigung der Industrie- und Handelsfirmen, Berlin 1940. 244 Vgl. ebenda, S. 52–55. 245 BayHStA, StK 30859, Personalbogen Fritz Baer, 15. Juni 1938. Der Personalbogen wurde 1938 ausgefüllt und in den nachfolgenden Jahren mit Bleichstift aktualisiert. 246 Ab 1942 sollten auf Anordnung des Reichswirtschaftsministers auch die Abteilungsleiter Personalangelegenheiten bearbeiten.Vgl. BArchB, R 3101/30047, Der Reichswirtschaftsminister an die Devisenstellen, 11. November 1942.

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wusste.247 Dabei wurde regelmäßig unter aktiver Gesprächsbeteiligung von Baer über die Aufgaben der Überwachungs-Abteilung sowie die Optimierung von den Verwaltungsabläufen mit anderen Arbeitsbereichen gesprochen – auch über die Abwicklung von jüdischen Vermögenstransfers.248 Exemplarisch für das Vorgehen der Überwachungs-Abteilung ist der Umgang mit der bekannten jüdischen Kunsthändlerfamilie Bernheimer, die während der NS-Zeit von den bayerischen Finanzbehörden systematisch finanziell ausgeplündert wurde. Vielen Mitglieder der Familie Bernheimer entzogen Beamte der Devisenstelle München große Teile ihres Privatvermögens.249 Außerdem wurde der weltweit bekannte Kunst- und Antiquitätenhandel von Otto Bernheimer, für dessen Kunstsammlung Hitler sich persönlich interessierte, durch die Devisenstelle München und eine Vielzahl an staatlichen und parteilichen Behörden und Organisationen „entjudet“.250 Obwohl ein Baer unterstellter Sachbearbeiter diese „Arisierung“ bearbeitete, sanktionierte Baer mit seiner Unterschrift im Oktober 1939, dass die Sicherungsanordnung gegen die Familie verlängert wurde, sodass die treuhänderische Verwaltung des Bernheimischen Kunsthandels weitergeführt werden konnte.251 Fritz Baers Rolle bei der Durchführung von Sicherungsanordnungen gegen Juden während der NS-Zeit macht es umso zynischer, dass er im Juni 1946 kurze Zeit Hauptabteilungsleiter im Bayerischen Landesamt für Vermögensverwaltung und Wiedergutmachung war, bevor ihn Hans Kraus in die Staatskanzlei holte. In seinem Fall wurde der Bock zum Gärtner. Der Fall Baer beweist einmal mehr, dass 247 Für die gesamten Besprechungen des Führungspersonals der Devisenstelle zwischen 1938 und 1940: StAM, OFD München, 396. 248 So wurde während der Besprechung am 21. Dezember 1939 über Bezahlungen an „inländische Juden aus Auswanderer- bezw. Vorzugssperrguthaben“ gesprochen: Ebenda. 249 Die systemische finanzielle Ausplünderung der Familie Bernheimer durch die bayerischen Finanzbehörden zwischen 1937 und 1943 – wobei die Devisenstelle München eine Hauptrolle spielte – ist ausführlich im folgenden Aktenbestand überliefert: StAM, OFD München, 414–419. Vgl. Jan Schleusener, Vom Kunsthändler zum Kaffeebauer. Ausschaltung und Emigration am Beispiel Bernheimer, in: zeitenblicke 3 (2004), H. 2, URL: http://www.zeitenblicke.de/2004/02/schleusener/index.html [6. Juni 2020]. 2015 ist ebenfalls eine Masterarbeit zu dieser Thematik erschienen vgl. Melida Steinke, „Sonderfall Bernheimer“? Die Enteignung des Privatbesitzes und die Übernahme der L. Bernheimer KG durch die Münchner Kunsthandels-Gesellschaft/Kameradschaft der Künstler München e. V., München 2015. Zur Rolle der bayerischen Finanzbehörden bei der Enteignung jüdischen Vermögens vgl. Kuller, Finanzverwaltung; Hans Günter Hockerts/Christiane Kuller/Axel Drecoll/Tobias Winstel (Hrsg.), Die Finanzverwaltung und die Verfolgung der Juden in Bayern. Bericht über ein Forschungsprojekt der LMU München in Kooperation mit der Generaldirektion der Staatlichen Archive Bayerns, München 2004. 250 Aus Sicht des Opfers vgl. Otto Bernheimer, Erinnerungen eines alten Münchners, München 1957. 251 StAM, OFD München, 415, Devisenstelle München (Ü.-Abt.) an den Reichswirtschaftsminister, 13. Oktober 1939.

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Beamte nicht notwendigerweise der NSDAP, SS oder SA beigetreten sein mussten, um im Sinne des NS-Regimes zu handeln.252 Seine früheren Dienstobliegenheiten wurden jedoch weder von der Militärregierung noch von Pfeiffer und Kraus als politische Belastung wahrgenommen. Obwohl die Spruchkammer in vielen Fällen sehr wohl die Handlungen beurteilten – wie aus dem Fall von Karl Weinisch hervorgeht –, wurde dies in der Regel nur in Kombination mit einer formalen Belastung gemacht. Weil Baer aber formal als unbelastet galt, gab es zur Beurteilung seines Handelns keinen Anlass und er bekam 1949 von der Spruchkammer München die Bestätigung, dass er vom Gesetz nicht betroffen war.253 Seine Fachkenntnisse wurden als notwendige Voraussetzungen für den Aufbau des bayerischen Staats nach dem Zweiten Weltkrieg gedeutet – ohne kritische Hinterfragung, wofür er diese während der NS-Zeit eingesetzt hatte. Zugleich konnte er sich als vermeintlich unpolitischer Fachexperte darauf berufen, während der NS-Zeit den Staat, jedoch nicht die NS-Politik unterstützt zu haben. Diese exkulpierende Selbstwahrnehmung ermöglichte viele Beamten nach 1945 eine Rückkehr in die Ministerialverwaltung. Aus Baers Tätigkeit geht jedoch eindeutig hervor, dass diese Abgrenzung zwischen Staat und Partei mit der Realität des NSStaats nicht zu tun hatte, wie auch weitere Studien der NS-Forschung nachgewiesen haben.254 Baer konnte seine Laufbahn ab 1946 in der Staatskanzlei fortsetzen, wo er bis zu seiner Versetzung in den Ruhestand die Personalpolitik der bayerischen Ministerialverwaltung wesentlich mitprägte. Außerdem entwickelte er sich hier zum wichtigsten Beamten der Behörde und war von 1957 bis 1960 und von 1962 bis 1967 deren Leiter.

252 Dazu vgl. Kuller, Bürokratie und Verbrechen, S. 402–426. 253 Baer hat bereits im April 1946 seinen Fragebogen bei der Spruchkammer München-Land eingereicht. Im Mai 1948 wurde sein Fall behandelt und er wurde zunächst, zu seiner eigenen Überraschung, mit einem Sühnebescheid in die Gruppe IV der Mitläufer eingereiht. Der Vorsitzende der Spruchkammer begründete das Urteil mit Baers Tätigkeit als Blockwalter für die NSV und als Blockhelfer für den NSRB, obwohl er damit nicht unter dem Befreiungsgesetz fiel. Baer legte gegen die Entscheidung Einspruch ein, betonte dabei, dass er kein NSDAP-Mitglied gewesen war und wurde schließlich im September 1949 von der Spruchkammer mit dem Urteil „vom Gesetz nicht betroffen“ freigesprochen.Vgl. StAM, SpKA K 57, Baer, Fritz, Urschrift der Spruchkammer, Hauptkammer München, 13. September 1949. 254 Exemplarisch vgl. Jasch, Staatssekretär Wilhelm Stuckart; Bernhard Gotto, Nationalsozialistische Kommunalpolitik. Administrative Normalität und Systemstabilisierung durch die Augsburger Stadtverwaltung 1933–1945, München 2006.

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Diplomatischer Überlebenskünstler: Hans-Heinrich „Johnny“ Herwarth von Bittenfeld Auch der Fall des Diplomaten Hans-Heinrich Herwarth von Bittenfeld ist ein Beispiel dafür, wie alte Netzwerke am Kriegsende reaktiviert wurden und was in den Augen der Zeitgenossen als NS-Belastung galt. Der nationalkonservative, antikommunistisch eingestellte Diplomat und Russlandexperte – bei vielen einfach als „Johnny“ bekannt – war zwischen 1945 und 1949 eine der facettenreichsten Persönlichkeiten in der Staatskanzlei. Er verfügte bereits in den 1930er Jahren über ein sehr umfangreiches Netzwerk und zeigte sich unter den wechselnden politischen Konstellationen ein diplomatischer Überlebungskünstler, der immer über Kontakte zu den richtigen Personen verfügte und darauf bedacht war, seine Laufbahn weiter voranzutreiben. Weil er zu keinem Zeitpunkt der NSDAP beigetreten war, zu den Unterstützern des 20. Juli 1944 gehörte und außerdem eine jüdische Großmutter hatte, galt von Herwarth 1945 als unbelastet. Nach dem Krieg konnten US-Diplomaten außerdem bestätigen, dass er 1938 französische und britische Diplomaten mit Informationen über die Pläne Hitlers in Bezug auf die Tschechoslowakei versorgt hatte. Von Mai bis August 1939 hatte er den amerikanischen Diplomaten weitere vertrauliche Informationen in der Hoffnung zugespielt, den Krieg verhindern zu können.255 Somit stellte ihn Anton Pfeiffer bereits im November 1945 mit Unterstützung von Hoegner in die Staatskanzlei ein.256 Dennoch ist auch von Herwarth ein Bespiel dafür, dass sich formal unbelastete Personen während der NS-Zeit durchaus an Verbrechen beteiligt hatten. Doch dafür interessierte sich im Rahmen des staatlichen Wiederaufbaus und des sich abzeichnenden Kalten Kriegs keiner. Vielmehr wurden seine Kenntnisse über die Sowjetunion als wichtige Ressource für die Nachkriegszeit eingeordnet. Dabei betrieb der Diplomat in der Nachkriegszeit eine aktive „Biografiepolitik“, um sich als Opfer des NS-Regimes darzustellen. Der 1904 in Berlin geborene Diplomat studierte zwischen 1922 und 1926 Jura in Berlin, Breslau und München, legte 1926 die Erste Juristische Staatsprüfung ab und trat anschließend in den bayerischen Staatsdienst ein.257 Ein Jahr später wurde er in das Auswärtige Amt einberufen und 1929 legte er die diplomatisch-konsularische Prüfung ab. Nachdem er 1930 als Attaché an die deutsche Botschaft in Paris geschickt worden war, folgte 1931 Moskau, wo er bis zu seinem Übertritt in die 255 Vgl. Conze/Frei/Hayes/Zimmermann, Das Amt, S. 364. 256 Siehe die Verträge in: BayHStA, 13405. Herwarth erzählt ebenfalls in seinen Memoiren über die Einstellung vgl. Herwarth, Von Adenauer, S. 13–19. 257 Für von Herwarths biographische Eckdaten vgl. Auswärtiges Amt (Hrsg.), Biographisches Handbuch des deutschen Auswärtigen Dienstes 1871–1945. Bd. 2 G–K, Paderborn u. a. 2004, S. 485 f.

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Wehrmacht im August 1939 blieb. In der Rückschau erwies sich die entscheidende Bedeutung der Jahre in Moskau für Herwarth von Bittenfelds restliche Laufbahn. Dort baute er ein umfangreiches Netzwerk zu deutschen und ausländischen Politikern, Diplomaten und Heeresvertretern auf. So lernte er 1932 Peter Pfeiffer in Moskau kennen.258 Ebenfalls hatte er in Moskau Kontakt zu den US-Diplomaten Loy Henderson, George Kennan, Charles Bohlen und Charles Thayer.259 Zugleich prägten diese Jahre von Herwarths antikommunistisches Weltbild und erlaubten ihm, Fachkenntnisse und Erfahrungen über die Politik und das Funktionieren der Sowjetunion zu sammeln, die ihm sowohl während des Kriegs als auch danach nützlich waren.

Abb. 4: Hans-Heinrich Herwarth von Bittenfeld 1950

Von Herwarth war kein Anhänger des Nationalsozialismus und trat zu keinem Zeitpunkt der NSDAP bei. Vielmehr stand er unter dem Einfluss des Berufsdiplo258 Vgl. Hans von Herwarth, Zwischen Hitler und Stalin. Erlebte Zeitgeschichte 1931 bis 1945, Frankfurt am Main 1982, S. 70, 72, 85; Peter H. Pfeiffer, Erinnerung an Moskau, in: Wilhelm Reissmüller (Hrsg.), Der Diplomat. Eine Festschrift zum 70. Geburtstag von Hans von Herwarth, Ingolstadt 1974, S. 218–225. 259 Dazu vgl. Herwarth, Zwischen Hitler und Stalin, S. 62–80; Klaus Mehnert, Vier Amerikaner in Herwarths Moskau, in: Wilhelm Reissmüller (Hrsg.), Der Diplomat. Eine Festschrift zum 70. Geburtstag von Hans von Herwarth, Ingolstadt 1974, S. 186–193. Zu Herwarths Zeit in Moskau siehe auch: PAAA, P1 5902.

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maten, Friedrich Werner Graf von der Schulenburg, der seit 1934 als Botschafter in Moskau, im Gegensatz zu Hitler und seinen ideologischen Hardlinern, für einen „deutsch-sowjetischen Ausgleich“ plädierte und mit allen Mitteln versuchte, den Angriff auf die Sowjetunion am 22. Juni 1941 zu verhindern.260 Außerdem galt Herwarth nach den „Nürnberger Gesetzen“ wegen seiner jüdischen Großmutter als „jüdischer Mischling zweiten Grades“.261 Dies führte aber nicht dazu, dass er, im Gegensatz zu seinen Opfernarrativen aus der Nachkriegszeit, zum Opfer des NSRegimes wurde.262 In seinen Memoiren skizziert Herwarth, dass er nach der Machtübernahme der Nationalsozialisten unter anderem durch eine Intervention des Leiters der Personal- und Verwaltungsabteilung im Auswärtigen Amt, Hans Schroeder, nicht entlassen wurde. Mit Hilfe des deutschen Botschafters in Moskau, Graf von der Schulenburg, wurde er außerdem 1938, noch kurz vor der Ernennung von Ribbentrops zum Außenminister, zum Legationssekretär ernannt.263 Allerdings wurde ihm dabei mitgeteilt, dass er in keine leitende Stellung aufsteigen und nicht Behördenchef werden konnte.264 Was Herwarth in seinen Memoiren aber nicht erwähnte, war seine Ernennung am 25. November 1939 zum Gesandtschaftsrat. Noch 1940 verfügte er über seinen Diplomatenstatus mit den entsprechenden Reiseprivilegien.265 Auch als er 1939 in die Wehrmacht eingezogen wurde, wurde er mehrmals befördert, erreichte den Rang eines Offiziers, und seine „nicht-arische“ Abstammung stellte keineswegs ein Hindernis dar. Dabei profitierte er davon, dass er sich während der Weimarer Republik an der sogenannten Schwarzen Reichswehr beteiligt und auch beim Kapp-Putsch gegen die Kommunisten gekämpft hatte.266 Deswegen entschied sich Hitler noch im November 1944 dafür, Herwarth erneut von den antijüdischen

260 Zu den Auffassungen von der Schulenburgs, die Herwarth unterstützte, vgl. Herwarth, Zwischen Hitler und Stalin, S. 124–130, 215; Conze/Frei/Hayes/Zimmermann, Das Amt, S. 305 f. 261 Siehe die Dokumente aus Herwarths Zeit im AA in: BayHStA, StK 13405. 262 Siehe dazu die Darstellungen von Herwarth, die auch durch Anton Pfeiffer und Fritz Baer übernommen wurden, in: BayHStA, StK 13405. 263 Bereits im Dezember 1936 sollte Herwarth nach eigenen Angaben in seinen Memoiren zum Legationssekretär ernannt werden. Weil das AA aber befürchtete, dass dies zu Kritik der NSDAPParteistelle und Herwarths Entlassung führen würde, wurde damals davon abgesehen. Siehe: PAAA, P1 5901, Abschrift Vorschlag zur Ernennung, 7. Dezember 1936; P1 5902, Begl. Abschrift Pers. H 573 Ang. 1, Ernennungsurkunde, Februar 1928. Vgl. auch Herwarth, Zwischen Hitler und Stalin, S. 105–110; Conze/Frei/Hayes/Zimmermann, Das Amt, S. 156 f. 264 Vgl. Herwarth, Zwischen Hitler und Stalin, S. 110. 265 Vgl. Hans-Jürgen Döscher, Verschworene Gesellschaft. Das Auswärtige Amt unter Adenauer zwischen Neubeginn und Kontinuität, Berlin 1995, S. 117. 266 PAAA, P 5901, Abschrift vom Auswärtigen Amt vom Vorschlag zur Ernennung Herwarth von Bittenfeld, 24. September 1935. Vgl. auch Döscher, Das Auswärtige Amt, S. 118.

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Maßnahmen auszunehmen.267 Außerdem gibt es Aussagen von ehemaligen Diplomaten, dass Herwarth von Hitler zum „Ehrenarier“ ernannt wurde.268 Auch wenn Herwarth auf dem Papier als „nicht-Arier“ kategorisiert wurde, wie er nach 1945 immer wieder betonte, konnte er sich in der Praxis des NS-Staats sehr wohl behaupten und spielte im Zweiten Weltkrieg eine Hauptrolle bei der Anwerbung von Freiwilligenverbänden an der Ostfront. Beim deutschen Angriff auf Polen 1939 gehörte von Herwarth einem Kavallerieregiment an, das anschließend 1940 auch am Westfeldzug und 1941 am Feldzug gegen die Sowjetunion beteiligt war.269 Nach seinem Einsatz an der Ostfront arbeitete von Herwarth zwischen März und Juni 1942 erneut unter von der Schulenburg, dieses Mal in einem Referat der Politischen Abteilung („Russland-Gremium“), das für die besetzten und unbesetzten Gebieten der Sowjetunion zuständig war und sich in einem Kompetenzstreit mit anderen Behörden befand, unter anderem dem Ostministerium Alfred Rosenbergs.270 Anschließend arbeitete von Herwarth unter dem Vetter seiner Frau, Major Claus Graf von Stauffenberg, in der Organisationsabteilung des Generalstabs des Heeres. Von Stauffenberg war für die Organisierung und Aufstellung neuer Truppenteile zuständig und konnte einen Reserveoffizier wie von Herwarth gebrauchen, um die Freiwilligeneinheiten mit osteuropäischen Soldaten im Kampf gegen den Bolschewismus und die Rote Armee zu organisieren. Dazu führte von Herwarth Vernehmungen mit Kriegsgefangenen durch.271 In den westlichen Grenzprovinzen des Sowjetimperiums wurde die deutsche Wehrmacht ab Juni 1941 von einer Mehrheit der nicht-russischen Bevölkerung aus unterschiedlichen Gründen als Befreier empfangen. Einheimische Soldaten und Offiziere waren aus einer Mischung von Antikommunismus und Patriotismus bereit, sich den deutschen Truppen anzuschließen und ihre Heimat im „Kreuzzug gegen den Bolschewismus“ gegen die die Sowjetunion zu verteidigen.272 Dabei entdecke die Bevölkerung allerdings erst später, dass ihre angestrebte nationale Autonomie im direkten Gegensatz zur Zielsetzung von Hitlers Besatzungspolitik stand.273 Für viele Soldaten war das Überlaufen zu den deutschen Truppen au-

267 Vgl. ebenda, S. 117 ff. 268 Überlieferungen dazu in Herwarths Personalakten gibt es nicht. Vgl. ebenda, S. 119. 269 Vgl. Herwarth, Zwischen Hitler und Stalin, S. 190–240. 270 Zu diesem Kompetenzstreit vgl. ebenda, S. 244 f.; Rolf-Dieter Müller, An der Seite der Wehrmacht. Hitlers ausländische Helfer beim „Kreuzzug gegen den Bolschewismus“ 1941–1945, Berlin 2007, S. 14–16. Zu Herwarts Tätigkeit in diesem Referat siehe: PAAA, P1 5903, Fernschreiben vom 3. März 1942. 271 Vgl. Herwarth, Zwischen Hitler und Stalin, S. 227. 272 Vgl. Müller, Hitlers ausländische Helfer, S. 153–155, Zit. nach S. 154. 273 Vgl. ebenda, 153–241.

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ßerdem eine Möglichkeit, den schlechten Umständen der Kriegsgefangenschaft zu entkommen. Um die Organisation der Freiwilligeneinheiten mit nicht-russischen Minderheiten weiter voranzutreiben, wurde der General der Kavallerie Ernst Köstring am 1. September 1942 zum „Beauftragter General für Kaukasusfragen bei der Heeresgruppe A“ bestellt. Ein Jahr später wurde er zum „General der Osttruppen“ ernannt und sollte nun die Anwerbung von russischen Freiwilligen und die Organisation von russischen sogenannten Ostlegionen – zusätzlich zu der großen Zahl sogenannter russischer „Hilfswillige“ („Hiwis“) –, vorantreiben, bevor er 1944 zum „General der Freiwilligenverbände im Oberkommando des Heeres“ ernannt wurde.274 Aus Herwarths Memoiren geht hervor, dass Herwarth 1942 zunächst Stauffenberg von der Ernennung Köstrings überzeugte und anschließend Köstring dazu brachte, diesen Posten anzunehmen.275 Das Ziel von Stauffenbergs und Köstrings war, mit dem Einsatz von osteuropäischen Freiwilligen zwischen 1942 und 1944 eine politische und militärische Wende an der Ostfront herbeizuführen.276 Herwarth wurde zum Adjutanten Köstrings ernannt, sodass er im Rahmen des sogenannten Osttruppenprograms für alle unter der Administration der deutschen Wehrmacht stehenden Freiwilligen in Ost-Europa – darunter Russen, Ukrainer, Aserbeidschaner, Armenier, Georgier, Nordkaukasier und Turkmenen – mitverantwortlich war und Führungsaufgaben übernahm.277 In dieser Funktion war Herwarth an der „politischen Kriegsführung“ gegen die Sowjetunion beteiligt, die darauf gerichtet war, mit dem Einsatz von Propaganda, Sabotage und Freiwilligen den Kampfwillen des kommunistischen Feindes zu untergraben.278 Von Herwarth kannte den ehemaligen Militärattaché Köstring aus der gemeinsamen Zeit an der Botschaft in Moskau. Köstring, der auch gute Beziehungen zu von der Schulenburg hatte, teilte die Vorstellungen von Stauffenberg und Herwarth über den Einsatz von osteuropäischen Freiwilligen sowie deren Ablehnung der Antirusslandpolitik. Obwohl Köstring und Herwarth bis 1941 gegen den Krieg mit der Sowjetunion waren, sahen sie diesen nach dem Beginn des Vernichtungsfeldzugs als eine Möglichkeit, Russland vor dem Bolschewismus zu retten und die 274 Vgl. ebenda, S. 213–219. Vgl. auch Hermann Teske (Hrsg.), General Ernst Köstring. Der militärische Mittler zwischen dem Deutschen Reich und der Sowjetunion 1921–1941, Frankfurt am Main 1965. 275 Vgl. Herwarth, Zwischen Hitler und Stalin, S. 241–261. 276 Vgl. Müller, Hitlers ausländische Helfer, S. 239. Vgl. auch Hans von Herwarth, Geleitwort, in: Hermann Teske (Hrsg.), General Ernst Köstring. Der militärische Mittler zwischen dem Deutschen Reich und der Sowjetunion 1921–1941, Frankfurt am Main 1965, S. 9–12. 277 Vgl. Christopher Simpson, Der amerikanische Bumerang. NS-Kriegsverbrecher im Sold der USA, New York 1988, S. 112 f. 278 Vgl. ebenda, S. 33 f.

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Völker in den von der Sowjetunion beherrschten Gebieten zu befreien.279 Nach einem Sieg über Stalin sollte mit Russland Friede geschlossen werden, sodass das Deutsche Reich zumindest auf dem Stand von 1937 erhalten bleiben konnte. Dazu sollten mit dem Einsatz der Freiwilligen ein russischer Bürgerkrieg entfesselt werden. Köstring und Herwarth schrieben der russischen Bevölkerung beim Kampf gegen Stalin eine entscheidende Rolle zu: „Russland soll durch Russen besiegt werden“.280 Zugleich lehnten sie die Gräueltaten des NS-Regimes gegen die jüdischen und osteuropäischen Völker sowie deren rassistische Einstufung als „Untermenschen“ ab.281 Sie hielten diese für einen strategischen Fehler Hitlers, denn anstatt die Unzufriedenheit gegen Stalin zu mobilisieren und die Freiwilligen menschlich zu behandeln und gleichzustellen, treibe die „Ostpolitik“ die Bevölkerung als „rechtlose Sklaven“ zurück in die Arme Stalins. Ihre Vorstellungen standen denen Hitlers gegenüber, sodass sich Herwarth und Stauffenberg bereits 1942 über die Möglichkeit eines Putsches gegen den „Führer“ austauschten.282 Hitler lehnte den Einsatz von osteuropäischen Freiwilligen grundsätzlich ab, weil er seinen rassistischen Grundüberzeugungen und Germanisierungszielen widersprach. Deswegen galt der „Führer“ als stärkster Bremsklotz.283 Dennoch schob Hitler im Laufe des Krieges seine ideologischen Vorbehalte zur Seite, als der Einsatz von Freiwilligen als willkommenes „Kanonenfutter“ immer notwendiger wurde.284 In seinen Memoiren stellt von Herwarth seine Tätigkeit bei den Freiwilligeneinheiten zwischen 1942 und 1945 an der Seite von Staufenberg und Köstring von Anfang an als Widerstand gegen die Ostpolitik Hitlers und als einen antibolschewistischen Befreiungskrieg Osteuropas dar. Diese Darstellung ist, wie hier oben dargelegt, nicht falsch, jedoch zugleich idealisiert und einseitig. Obwohl von Stauffenberg, Köstring und Herwarth eine andere Russlandpolitik als Hitler verfolgten, führte der Einsatz der Freiwilligen dazu, dass die Alliierten wesentlich länger brauchten, um das „Dritte Reich“ militärisch zu schlagen.285 So kämpften noch im letzten Kriegsjahr nicht weniger als eine Million osteuropäischer Freiwilliger an der Seite der Wehrmacht, während die deutsche Truppenstärke in dieser Phase

279 Vgl. Herwarth, Zwischen Hitler und Stalin, S. 254 f. 280 BArchF, RH22 235, Protokoll einer Besprechung über die zukünftige Ostpolitik in den besetzten russischen Gebieten zwischen Vertretern der Wehrmacht, u. a. mit von Stauffenberg und Alfred Rosenberg am 18. Dezember 1942. Zu diesem Treffen vgl. auch Michael Wildt, Generation des Unbedingten. Das Führungskorps des Reichssicherheitshauptamtes, Hamburg 2003, S. 677 f. 281 Vgl. Herwarth, Zwischen Hitler und Stalin, S. 305–322. 282 Vgl. ebenda, S. 286. 283 Zu den Auffassungen Hitlers vgl. Müller, Hitlers ausländische Helfer, S. 14–16. 284 Vgl. ebenda, S. 244. 285 Zum Einfluss von dem Einsatz der Freiwilligen im Zweiten Weltkrieg vgl. ebenda, S. 243–246.

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bei lediglich etwa 2,5 Millionen lag.286 Dies stellt zugleich den Kern des Problems dar, denn von Stauffenberg und die anderen wollten den Krieg keineswegs verlieren. Sie waren bloß nicht mit der Art und Weise einverstanden, wie der Krieg geführt wurde, und sahen in Hitlers Ostpolitik eine Bedrohung für den Erhalt des Deutschen Reiches. Eine andere Russlandpolitik und der Tod Hitlers im Falle eines erfolgreichen Attentats hätten also zum Untergang der Sowjetunion und des Kommunismus sowie zum Erhalt des Deutschen Reiches führen müssen, doch eine Kapitulation war zu keinem Zeitpunkt das Ziel des national-konservativen Kreises. Außerdem beteiligten sich die Freiwilligenverbände an der Ostfront an der Seite der Wehrmacht intensiv an der Judenverfolgung und Partisanenbekämpfung.287 Insbesondere in den letzten Jahren des Krieges überließ die deutsche Wehrmacht zunehmend die „Drecksarbeit“ den Freiwilligeneinheiten.288 Die Partisanen fochten als kommunistische Widerstandskämpfer gegen die deutsche Besatzung und wurden dabei von der Roten Armee und der politischen Führung in Moskau unterstützt. In seinen Memoiren gab Herwarth Hitler die Schuld für die zunehmende Zahl der Partisanen im Laufe des Krieges, weil dieser die enttäuschten Freiwilligen zurück in die Hände Stalins getrieben habe.289 Herwarth erwähnte in seinem Buch aber nicht, dass auch er zumindest 1944 bei der Partisanenbekämpfung mit Freiwilligeneinheiten involviert war. Bei dieser Art von Bekämpfung kam es zur Massenerschießungen von tausenden zivilen Geiseln, zur Plünderung von Dörfern und weiteren Verbrechen.290 Am Kriegsende waren von Herwarths Händen sicherlich nicht braun, aber dennoch klebte Blut daran. Doch dafür interessierte sich in der Nachkriegszeit niemand. Am Kriegsende hielt sich Herwarth mit seiner Frau und Tochter in Kitzbühel in Tirol auf.291 Hier ergab er sich als Offizier der amerikanischen Militärregierung und bereits kurze Zeit später reiste er als Dolmetscher an der Seite von Captain Robert Kennefax nach Salzburg. Hier wurde er von seinem alten Freund aus Mos286 Vgl. ebenda, S. 243 f. 287 Vgl. Simpson, Amerikanischer Bumerang, S. 33–42. 288 Vgl. ebenda, S. 34. 289 Vgl. Herwarth, Zwischen Hitler und Stalin, S. 229, 332 f. 290 Dazu vgl. Simpson, Amerikanischer Bumerang, S. 113. 291 Um das Ehepaar Herwarth – „Johnny“ und „Pussi“ – gab es in der Nachkriegszeit viele Gerüchte. In den Handakten von Karl Schwend befindet sich ein Dokument aus 1954, zum Zeitpunkt als die Personalpolitik im AA in der Öffentlichkeit kritisiert wurde, mit folgender Behauptung: „Auf derselben Linie [Verweis nach Anschuldigungen gegen Hans Schroeder] liegt die aktenmäßig klargelegte Kassenplünderung durch Baron von Herwarth im April 1945 in Kitzbühel, welche der lebenshungrigen Baronin Herwarth bis 1948 das Verbleiben in Österreich finanziell sicherte.“ Der Autor ist unbekannt und schrieb unter dem Deckname „Albert Deschanel“. Ob die Behauptungen stimmen, lässt sich nicht nachverfolgen. Siehe: BayHStA, StK 13069, „Diplomatische Nachrichten der Woche“, Genf, 23. Juli 1954.

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kau, dem US-Diplomat Charles Thayer, aufgespürt, der gerade zum Leiter des OSS in Österreich ernannt war.292 „Charlie“ und „Johnny“ hatten bereits zu ihrer Moskauer Zeiten eine enge Freundschaftsbeziehung gepflegt, und die Begegnung nach dem Krieg war dadurch sehr positiv.293 Dabei konnten sie voneinander profitieren. Thayer betrachtete Herwarth als Gegner des NS-Regimes, der nur zufällig in der Wehrmacht aktiv gewesen war. Er wusste, dass Herwarth Hitlers Ostpolitik kritisiert und dass er Verbindungen zu von Stauffenberg hatte. Thayer erinnerte sich auch daran, dass Herwarth 1939 die US-Diplomaten mit geheimen Informationen versorgt hatte. Ausschlaggebend war außerdem, dass Herwarth durch sowohl seine Erfahrung in Moskau als auch an der russischen Front über einzigartige Informationen über die Sowjetunion verfügte. Nicht weniger als neun Wochen blieb Herwarth in Salzburg bei Thayer, um ihn über alles, das sich an der Ostfront abgespielt hatte, zu informieren und seine Erfahrungen mit den Freiwilligen zu verschriftlichen.294 Herwarth profitierte umgekehrt von Thayer. Obwohl er den OSSLeiter darüber informierte, dass er sich an der Partisanenbekämpfung beteiligt hatte, strich Thayer ihn von der Liste der im US-Gewahrsam befindlichen Personen, ersparte ihm die amerikanischen Kriegsgefangenenlager, regelte seine Entlassung aus der Wehrmacht und entließ ihn aus der amerikanischen Haft. Im Kampf gegen den Kommunismus hielt auch Thayer die Bekämpfung von Partisanen und alles, was während des Krieges dazu gehörte, nachts nicht wach. Somit wurde Herwarths Vergangenheit nach dem Krieg nicht einmal oberflächig untersucht und er war er wenige Wochen nach Kriegsende wieder auf freiem Fuß.295 Im Spätsommer 1945 wurde Herwarth auf Vermittlung von Thayer nach Wiesbaden zu „Interstate“ geschickt. Hier befand sich das „Special State Department Mission for the Interrogation of German Personnel“, das sich um die Erfassung von nachrichtendienstlichen Informationen kümmerte, die der Armee bei ihrem Vormarsch entgangen waren. Dabei ging es um die Organisation des Auswärtigen Amts, die Entwicklung der deutschen Außenpolitik sowie um die deutschen Botschaften, die gegen die USA spioniert hatten.296 Ganz oben auf der Befragungsliste standen die deutschen Diplomaten, die wie Herwarth in der Sowjetunion Dienst getan hatten und in der Nachkriegszeit eine Sonderbehandlung der Amerikaner genossen. So traf Herwarth in Wiesbaden zu seiner Überraschung seinen ehemali-

292 Vgl. Herwarth, Zwischen Hitler und Stalin, S. 352. 293 Vgl. ebenda, S. 75 ff., 352. 294 Vgl. Charles W. Thayer, Bears in the Caviar, Philadelphia 1951, S. 185; Herwarth, Zwischen Hitler und Stalin, S. 352–354. 295 Vgl. Herwarth, Zwischen Hitler und Stalin, S. 354; Simpson, Amerikanischer Bumerang, S. 92, 113. 296 Zu „Interstate“ vgl. Conze/Frei/Hayes/Zimmermann, Das Amt, S. 363–374.

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gen Kollegen aus Moskau, Herbert von Dirksen und Andor Hencke.297 Ihre Einsichten, Beobachtungen und Erfahrungen beeinflussten in der Nachkriegszeit das Russlandbild von George Kennan und Charles Thayer. So gaben sie ausführliche Informationen über die nationalistische Bewegung in der Ukraine sowie über die antikommunistischen Potentiale in Osteuropa und die deutsche Kriegsführung gegen die Sowjetunion.298 Dabei verfolgten sie auch ihre eigenen Interessen. So hielt Herwarth an seiner Sichtweise fest, dass Hitler für die Verbrechen im Osten verantwortlich sei, dass die Wehrmacht gewusst habe, dass man die Sowjetunion nur mit Freiwilligen bekämpfen könne und deswegen die schlechte Behandlung der osteuropäischen Völker abgelehnt habe.299 Hätte Hitler auf Leute wie von Stauffenberg und Herwarth gehört, so lautete die unausgesprochene Schlussfolgerung, dann hätte Deutschland den Krieg nicht verloren und die Sowjetunion wäre in einem Bürgerkrieg besiegt worden.300 Herwarth war im Sommer 1945, zusammen mit „Charlie“ nach Bayern gefahren, um dort alte Bekannten, darunter Prinz Albrecht von Bayern, zu besuchen und zugleich in der Staatskanzlei vorbeizuschauen. Daraufhin meldete sich Anton Pfeiffer im Oktober 1945 mit einem Brief bei Herwarth in Wiesbaden mit der Anfrage, ob der ehemalige Diplomat für die Staatskanzlei arbeiten wolle.301 Herwarth ergriff die Chance, und obwohl er sich bis dahin nicht für die bayerische Staatlichkeit interessiert hatte, passte er sich problemlos seinem neuen Arbeitsumfeld an. Ein Diplomat, der zu diesem Zeitpunkt bereits einsetzbar war und über ein umfangreiches internationales Netzwerk verfügte, war für Anton Pfeiffer und Wilhelm Hoegner Gold wert. Seine außenpolitischen Fähigkeiten und Erfahrungen aus der Zeit vor 1945 wurden in der Nachkriegszeit als wichtige Ressource für den Aufbau der bayerischen Staatlichkeit nach 1945 gedeutet. Außerdem teilten Pfeiffer und Hoegner die antikommunistischen Auffassungen von Herwarth. Es ist unwahrscheinlich, dass sie Kenntnis von Herwarths Teilnahme an der Partisanenbekämpfung hatten, doch dies wäre mit Sicherheit kein Grund gewesen, um ihn nicht in den Dienst der Staatskanzlei zu übernehmen. Viel wichtiger war außerdem Pfeiffers persönlicher Eindruck von „Johnny“, der ja mit seinem Bruder Peter zusammengearbeitet hatte.302 In der Staatskanzlei stieg Herwarth rasch auf. Bei 297 Vgl. ebenda, S. 363 f.; Herwarth, Zwischen Hitler und Stalin, S. 354. 298 Siehe dazu von Herwarths Manuskript „Deutschland und die ukrainische Frage“ in: RG59, 1082 (A1), M679, 2. Vgl. auch Conze/Frei/Hayes/Zimmermann, Das Amt, S. 363–374. 299 Vgl. ebenda, S. 369. 300 Auch Charles Thayer hielt noch in den 1950er Jahren an dieser Sichtweise fest. Vgl. Charles W. Thayer, Die unruhigen Deutschen, Bern 1958, S. 208. 301 Vgl. Herwarth, Von Adenauer, S. 15. 302 Als 1951 das Auswärtige Amt in der Frankfurter Rundschau angegriffen wurde und auch Herwarth in die Schusslinie geriet, erklärte Pfeiffer, dass ihm keine NS-Belastung bekannt sei

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seiner Einstellung übernahm er die Leitung des Referats für die Besatzungsangelegenheiten, sodass er der Verbindungsmann sowohl zur amerikanischen Militärregierung als auch zu den interzonalen und internationalen Gremien und Organisationen wurde.303 Bereits 1946 wurde er, nachdem Pfeiffer lange gegenüber dem Finanzministerium darauf gedrungen hatte, als Regierungsdirektor in das Beamtenverhältnis übernommen. 1947 übernahm er unter Hans Ehard die Leitung der Gruppe für „zwischenstaatliche Angelegenheiten“. In diesen Funktionen trug Herwarth wesentlich zur Ausführung der bayerischen Außenpolitik bei, bis er im September 1949 an das Bundeskanzleramt abgeordnet wurde, wo er für die Protokollabteilung zuständig war und sich am Wiederaufbau des Auswärtigen Amts beteiligte.304 Der Netzwerker Herwarth war in der Nachkriegszeit allerdings keineswegs nur für die Staatskanzlei aktiv. Zugleich gehörte er zu den frühen Unterstützern der sogenannten Organisation Gehlen – die Vorgängerorganisation des 1956 entstandenen Bundesnachrichtendienstes (BND).305 Die Organisation wurde ab dem Frühjahr 1946 mit finanzieller Unterstützung der US-Armee aufgebaut und stand unter ihrer Aufsicht. Im Juli 1949 löste die Central Intelligence Agency (CIA) die USund dass die Staatskanzlei mit ihm nur gute Erfahrungen gemacht habe. Siehe: BayHStA, NL Anton Pfeiffer 5, 100-14 Ber. Nr. 94 g, 13. September 1951. Für die vollständige Artikel Vgl. Döscher, Das Auswärtige Amt, S. 155–165. 303 BayHStA, StK 13405. 304 Mit Eingang vom 1. April 1950 wurde aus der Protokollabteilung die „Abteilung Protokoll der Dienststelle für Auswärtige Angelegenheiten“. Zugleich war Herwarth stellvertretender Chef des Bundespräsidialamts. Siehe: PAAA, P14 49955. 305 In der Nachkriegszeit gab es ebenfalls Gerüchte, dass Herwarth und seine Frau Elisabeth 1947 für den französischen Nachrichtendienst arbeiteten. Nach aller Wahrscheinlichkeit stimmten diese Gerüchte dennoch nicht, obwohl Kontakt zum französischen Nachrichtendienst nicht ausgeschlossen werden kann. Die Gerüchte wurden 1951 und 1952 durch Hans-Konrad Schmeisser verbreitet, der selbst für den französischen Nachrichtendienst arbeitete und im November 1947 gegen Bezahlung Akten zwei Akten über die Pfalzfrage aus der Staatskanzlei gestohlen und abfotografiert hat. Mit diesen geheimen Akten wollten die Franzosen sich über die bayerische Pfalzpolitik informieren, um Einfluss auf die föderalistische Gestaltung eines neuen deutschen Staats zu nehmen. Schmeisser behauptete, als er 1951 und 1952 von der deutschen Polizei verhört wurde, dass Herwarth dem französischen Nachrichtenddienst bei der Planung des Diebstahls geholfen haben soll. Beweise dafür existieren allerdings nicht. Zu diesem Diebstahl und der angeblichen Rolle von Herwarth, wozu sich Staatssekretär Albrecht Haas noch 1955 im Bayerischen Landtag im Namen der Staatskanzlei äußern musste, und der Schmeisser-Affäre vgl. Herbert Elzer, Die Schmeisser-Affäre. Herbert Blankenhorn, der „Spiegel“ und die Umtriebe des französischen Geheimdienstes im Nachkriegsdeutschland (1946–1958), Stuttgart 2008, S. 35–41. Einzelne Dokumente, worunter die Erklärung von Albrecht Haas, sind ebenfalls überliefert in: PAAA, P14 49955. Für die Berichterstattung zum Diebstahl aus 1947 in Aus erster Hand siehe: BayHStA, NL Anton Pfeiffer 362. Ich möchte mich an dieser Stelle ganz herzlich bei Gerhard Sälter für den Hinweis auf die Schmeisser-Affäre bedanken.

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Armee als Geld- und Auftraggeber ab.306 Die Arbeit der Organisation Gehlen umfasste Spionageabwehr und Aufklärung über kommunistische Aktivitäten in der amerikanischen Besatzungszone (ab 1949 im gesamten Gebiet der Bundesrepublik) sowie militärische Aufklärung und Spionage in der sowjetischen Besatzungszonen in Deutschland und Österreich, den sowjetischen Satellitenstaaten sowie der Sowjetunion selbst.307 Die US-Armee wollte beim sich abzeichnenden Kalten Krieg von der Expertise ehemaliger Wehrmachtsspezialisten über Osteuropa und die Sowjetunion profitieren, weil ihr eigener Geheimdienst in der Nachkriegszeit kaum über solches Wissen verfügte. Somit wurde die Organisation mit vielen Personen aus der ehemaligen Abteilung „Fremde Heere Ost“, unter anderem dem ehemaligen Leiter Reinhard Gehlen, im Oberkommando des Heeres aufgebaut. Gehlen hatte zwischen Mai 1942 und April 1945 die Abteilung „Fremde Heere Ost“ geleitet und war somit für die Fremdlagebeurteilung im Krieg gegen die Sowjetunion zuständig gewesen.308 Im Mai 1945 stellte er sich der amerikanischen Armee und verbrachte anschließend seine Kriegsgefangenschaft in den USA. Weil es Gehlen noch vor Kriegsende gelungen war, die Unterlagen seiner militärischen Ost-Aufklärung in Sicherheit zu bringen, war er in der Nachkriegszeit ein interessanter Gesprächspartner für die Amerikaner.309 Im Juli 1946 kehrte er mit sieben ehemaligen Wehrmachtsoffizieren zurück nach Deutschland. Obwohl er nicht direkt die Leitung über die Organisation hatte, deren Aufbau seit April 1946 unter dem Decknamen „Operation Rusty“ lief, konnte sich Gehlen gegenüber dem ersten Leiter durchsetzen, der ehemalige Oberstleutnant der Abwehr Hermann Braun.310 Im Februar 1947 übernahm er die Leitung der Organisation und im Dezember des gleichen Jahres zog sie nach Pullach bei München in die ehemalige „Reichssiedlung Rudolf Heß“. Wie der Historiker Klaus-Dietmar Henke dargelegt hat, beschränkten sich die Aufgaben der Organisation Gehlen jedoch nicht auf die Auswertung von Auslandsnachrichten im Kampf gegen den Kommunismus. Zugleich beteiligte sich die Organisation auf Initiative von Gehlen selbst umfassend an illegaler Inlandsspionage gegen die demokratische Organisationen der Bundesrepublik: Parteien, Vereine und Verbände.311 Mit dem gern genutzten Argument „Spionageabwehr“ richteten sich die Aktivitäten von Gehlens Mitarbeitern, Zuträgern, Agenten und V-Leuten 306 Vgl. Thomas Wolf, Die Entstehung des BND. Aufbau, Finanzierung, Kontrolle, Berlin 2018, S. 36–272. 307 Vgl. ebenda, S. 37. 308 Zu Gehlens Biografie und Handeln im Zweiten Weltkrieg vgl. Rolf-Dieter Müller, Reinhard Gehlen. Geheimdienstchef im Hintergrund der Bonner Republik. Die Biografie, Berlin 2018. 309 Zu Gehlens Gründungsmythos des BND vgl. Henke, Geheime Dienste. 310 Dazu vgl. Wolf, Entstehung des BND, S. 36–43. 311 Vgl. Henke, Geheime Dienste, S. 12 f.

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gegen alles, was nicht in ihr militant antiliberales Weltbild passte.312 Sowohl beim Aufbau der Organisation als auch der Inlandsspionage erhielt Gehlen Unterstützung vom politischen Katholizismus in Bayern, der in Behörden, Parteien und Landesregierung weitverbreitet war und die gleiche etatistische-autoritäre, antiliberale, demokratieskeptische und antikommunistische Haltung vertrat.313 Bereits vor der Gründung der Bundesrepublik schuf sich Gehlen in Bayern ein Netz von Verbindungen und Verbündeten, die die gleichen Ziele wie er verfolgten, so auch Hans Ehard und Alois Hundhammer.314 Diese Gespräche mit Politikern und Ministerialbeamten, die zum üblichen Geschäft eines Nachrichtendienstes gehören, sicherten Gehlen ein beträchtliches innenpolitisches Orientierungswissen.315 Damit gab er sich aber nicht zufrieden. Um Inlandsspionage betreiben zu können, setzte er zusätzliche Instrumente ein: „Sonderverbindungen“, „Spionageabwehr“ und „strategischer Dienst“.316 Hier kam Herwarth ins Spiel. Herwarth und Gehlen kannten sich durch ihre gemeinsame Beteiligung am sogenannten Wlassow-Projekt im Zweiten Weltkrieg.317 Die beiden trafen sich nach Gehlens Rückkehr nach Deutschland regelmäßig und Herwarth gehörte unter dem Decknamen „Onkel Johnny“ (J-1831)318 zu Gehlens „Sonderverbindungen“. Dies bedeutete, dass er, im Gegensatz zu V-Leuten die zum üblichen Instrumentarium eines Nachrichtendiensts gehören, nicht planmäßig Aufklärung betrieb und nicht zur Organisation Gehlen gehörte, dieser dennoch zur Verfügung stand und sie mit Informationen versorgte.319 Aus den Akten des BND geht außerdem hervor, dass Herwarths Frau, Elisabeth „Pussi“ Herwarth von Bittenfeld (geb. Freiin von Redwitz), die in den Nachkriegsjahren mit deren Tochter Alexandra in Kitzbühel (Österreich) verblieb, ebenfalls eine Sonderverbindung der Organisation war.320 Herwarth stand, wie er 1990 mit Stolz in seinen Memoiren schrieb, in der Nach-

312 Vgl. ebenda. 313 Vgl. ebenda, S. 533. 314 Vgl. ebenda, S. 87–90. 315 Vgl. ebenda, S. 260 f. 316 Vgl. ebenda, S. 260–306. 317 Ziel des Wlassow-Projekts Projekts war die Formierung einer Armee („Russischen Befreiungsarmee“) an der Seite der Wehrmacht mit russischen Freiwilligen unter der Leitung des ehemaligen sowjetischen Generalleutnant Andrej S. Wlassow im Kampf gegen die Sowjetunion. Vgl. Müller, Hitlers ausländische Helfer, S. 215–219. 318 Vgl. Herwarths BND-Personalakte: BND-Archiv, 27715_OT. Auf einer Liste mit Sonderverbindungen wird Herwarth mit Code „J-1831“ angezeichnet. Aus der Personalakte geht aber hervor, dass er ebenfalls unter „V-1831, JSV“ registriert war. 319 Zur Funktion einer Sonderverbindung innerhalb der Organisation Gehlen und die sich über Zeit hinweg ändernde Definitionen vgl. Henke, Geheime Dienste, S. 261–264. 320 Siehe: BND-Archiv, 1455_OT, Liste mit Sonderverbindungen, 14. April 1950.

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kriegszeit im regelmäßigen Informationsaustausch mit Gehlen.321 So geht aus einer Aktennotiz über eine Besprechung am 17. Juni 1949 hervor, dass Herwarth Gehlen mit ausführlichen Insider-Informationen über die deutsche Innen- und Außenpolitik versorgte. Herwarth erläuterte die Haltung in der Staatskanzlei gegenüber dem zukünftigen Grundgesetz, und gab seine Einschätzung über eine Vielzahl an Personen, die Leitungspositionen in den gerade entstehenden Bundesbehörden übernommen hatten oder für einen zukünftigen Posten in Frage kamen.322 Aus der Notiz geht hervor, dass Herwarth für diese Informationen sein umfangreiches Netzwerk nutzte. Doch dabei blieb es nicht. Zwischen 1946 und 1949 war Herwarth zugleich ein stiller Unterstützer der sogenannten Professorengruppe, die am Rande der Organisation Gehlen aktiv war und gegen Bezahlung Studien zu Ost-Europa vorlegte.323 In dieser Gruppe versammelten sich die prominenten Vertreter der Ostforschung in Deutschland aus der Zeit vor und nach 1945, darunter Werner Conze, Theodor Oberländer, Gunther Ipsen, Hans Koch, Werner Markert, Reinhart Maurach, Hermann Raschhofer, Otto Schiller und Peter-Heinz Seraphim. Letzterer hatte die Kooperation ins Leben gerufen, um die Ostforschung nach 1945 wiederzubeleben und dabei auf den Erkenntnissen aus der Zeit vor 1945 aufgebaut. Darüber hinaus spielte Herwarth eine zentrale Rolle in der Organisation der am 17. März 1949 errichteten „Dienststelle 35“.324 Als die Gründung der Bundesrepublik mit großen Schritten voranging, versuchte Gehlen über diese Dienststelle den Einfluss der Sonderverbindungen auf die politischen Gestaltungsprozessen zu verstärken. Eine Liste mit Sonderverbindungen aus dem Frühjahr 1950 enthielt nicht weniger als 250 Namen, darunter auch Herwarths.325 Hans Ehard stand nicht auf der Liste, wurde dennoch auf einer zusätzlichen handgeschriebenen Liste, zusammen mit Hans Globke, Thomas Dehler und Alois Hundhammer, als jemand „zur Unterhaltung empfohlen“ gekennzeichnet.326 Der Ministerpräsident war keine Sonderverbindung, hatte dennoch ein enges Verhältnis zu Gehlen, ja profitierte sogar von Gehlens geheimen Übersichten mit „Innenpolitischen Informationen“.327 321 Vgl. Herwarth, Von Adenauer, S. 203, 265. 322 BND-Archiv, 27715_OT, Aktennotiz über Besprechung 34 mit Jonny [sic!] und Toni am 17. Juni 1949. Zu den Gesprächen zwischen Herwarth und Gehlen 1948 und 1949 siehe auch: BND-Archiv, N19/1_OT, Aktennotiz über Besprechung am 7.4.1948 im Atelier, 8. April 1948; 4313_OT, November 1949. 323 Zu der Professorengruppe, deren Mitglieder, Zielsetzung sowie die Rolle von Herwarth vgl. Wolf, Entstehung des BND, S. 65–74. 324 Vgl. Henke, Geheime Dienste, S. 264–269. 325 Vgl. ebenda, S. 270 f. 326 Zit. nach ebenda, S. 271. 327 Die „Innenpolitischen Informationen“ waren nur für Gehlens wichtige Kontaktpersonen bestimmt. Außerdem erhielt Ehard Informationen über die Entwicklungen der politischen Parteien,

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Das Führungspersonal der Abteilung 35 – „ein ganz kleiner Klub“ –, das für die Führung und Nutzung der Sonderverbindungen zuständig war, befand sich nicht in Pullach, sondern in einer Münchner Villa in der Walhallastraße 7 in der Nähe des königlichen Hirschgartens.328 Auf dem Türschild stand „Richter & Co., Industriebeteiligungen“.329 Chef dieser „Tarnfirma“ war Herwarth. Otto Harald André Mors, ehemaliger Wehrmachtsoffizier und Teil des Führungspersonals von „35“, schilderte Herwarths Rolle, um den Schein einer normalen Firma zu wahren, wie ein aufregendes Spiel: „Die akrobatischen Kunststücke, die dieser gegenüber den Behörden, Innungen, Steuerämtern, der Konkurrenz, der Polizei, der Industrie- und Handelskammer, den Fachverbänden und Interessenvertretungen vollführen musste, um das Unternehmen ohne Panne und ohne ‚Aufplatzen‘ am Leben zu erhalten, würden eine eigene Zirkusvorstellung füllen! Die beamtenstarre und paragraphenhörige Gründlichkeit, die bis ins Einzelne durchorganisierte deutsche Verwaltung, der natürlich jedes Verständnis für nachrichtendienstliche Notwendigkeiten fehlte und auf ein Augenzwinkern nur mit der Empörung reagierte, hier werde eine Beamtenbestechung versucht, gebar immer neue groteske Situationen, die ‚Onkel Johnny‘ als ‚Drahtseilakt ohne Netz‘ lösen musste!“330 Herwarth trug mit seinen Fertigkeiten wesentlich zur Organisation und zum Funktionieren von Gehlens Sonderverbindungen und somit zur Inlandsspionage bei. Dabei versäumte er nicht, die Organisation Gehlen auch direkt in der Staatskanzlei zu positionieren. Aus der BND-Personalakte vom persönlichen Referenten des Leiters der Staatskanzlei, Hans Schwarzmann, geht hervor, dass dieser im Februar 1949 als V-Mann der Organisation Gehlen in der Staatskanzlei angeworben wurde (siehe Kapitel 3.3). Dafür waren höchstwahrscheinlich Herwarth und mit Sicherheit dem ihn unterstellten Hans-Christian Halter, ebenfalls ein ehemaliger Diplomat aus dem Auswärtigen Amt, zuständig.331 Somit verfügte Gehlen über einen zusätzlichen direkten Informationskanal in der Spitze der Staatskanzlei. Auch als Herwarth 1949 nach Bonn umzog, setzte er seine Arbeit für die Abteilung 35 fort, bis sie 1953 aufgelöst wurde. Auch danach verfolgten Gehlen und seiner Organisation Schwarzmanns Lebenslauf und setzten sie sich gelegentlich mit ihm in Verbindung.332 Gewerkschaften, Organisationen, Kirchen, usw., und außerdem viel Material über die KPD. Ebenfalls besorgte Gehlen Ehard gelegentlich Informationen über Personen. Dazu vgl. ebenda, S. 88 f. 328 Zit. nach: BND-Archiv, N19/1_OT, Otto Harald André Mors, Autobiographische Reminiszenzen, Teil IV: „Das Zweite Leben“ (1950–1986), S. 557. 329 Ebenda. 330 Ebenda. 331 BND-Archiv, 27714_OT, Schwarzmann, Hans Dr., V-11 903, Mai 1956. 332 Exemplarisch: NA, RG. 263, Gehlen, Reinhard, Volume 1, MGFA-3000, Chief Foreign Division V(?), Chief of Station, Karlsruhe, Operational Utility [Reinhard Gehlen] Visit to Bonn, 3 June 1950.

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3.3 Vergangenheitspolitik und die frühe Wiedereinstellung der „Ehemaligen“ 1947–1954 Die Einstellungspraxis in der Staatskanzlei stand unter Ministerpräsident Hans Ehard von Anfang an im Zeichen seiner offensiven föderalistischen Politik. Dabei stützte sich Ehard auf die Staatskanzlei als „außenpolitische“ Schaltzentrale, deren politische Wirkungsmacht nicht zuletzt von der weiteren Besetzung von führenden Schlüsselpositionen und dem Ausbau des Personalbestands abhing. Das Ziel war insbesondere, die Koordination der bayerischen Interessensvertretung in den jeweiligen länderübergreifenden Gremien zu verstärken und auszubauen.333 Zugleich führte die Politik Ehards während der ersten anderthalb Jahre seiner Regierungszeit zu einem rasanten Personalzuwachs in der Staatskanzlei. Beschäftigte die Behörde im Februar 1947 noch 69 Personen, so stieg die Zahl bis August 1948 bereits auf etwa 102 an. Nicht zuletzt verdoppelte sich dabei das Führungspersonal von 15 auf 27 Personen.334 War der Föderalismus eine Triebkraft dieser Expansion, so wurde sie zugleich von zwei weiteren Faktoren begleitet: Die frühe Auseinandersetzung mit den Entnazifizierungsfolgen und der Demokratisierungspolitik der Militärregierung im öffentlichen Dienst. Dabei waren der Ministerpräsident und die Staatskanzlei die Hüter des konservativen bayerischen Berufsbeamtentums.

Personalpolitik in der behördlichen Alltagspraxis Die Wiederberufung von Anton Pfeiffer zum Leiter der Staatskanzlei im Dezember 1946 war ein Zeichen für die Kontinuität in der Behörde. Unter seiner Leitung war in der Nachkriegszeit bereits eine auf die bayerische Eigenstaatlichkeit gerichtete personelle Grundlage gelegt worden, auf der 1947 weiter aufgebaut werden konnte. So blieb Ehards offensive föderalistische Politik das grundlegende Anwerbungsprinzip für das Führungspersonal bis 1950: Die Staatskanzlei brauchte nicht nur hochqualifizierte Juristen, sondern auch Personen mit politischer oder diplomatischer Erfahrung. Für die Anwerbung waren weiterhin die Netzwerke und Personalreservoirs der ehemaligen BVP und CSU, das ehemalige Auswärtige Amt sowie Dies geht ebenfalls aus der Personalakte von Hans Schwarzmann hervor: BND-Archiv, 27714_OT, V-11 903, Beschreibung von Hans Schwarzmann, Mai 1956; Büro Vogt an Herrn Degenhardt (nur persönlich), 2. August 1967. 333 Vgl. Gelberg, Hans Ehard, S. 50–64. 334 BayHStA, MSo 0104, Geschäftsverteilungsplan der Staatskanzlei, 3. Februar 1947 vgl. StK 13374, Fragebogen von den Beamten, Angestellten und Arbeitern der Bayerischen Staatskanzlei aus 1948; StK 15937, Verschiedene Umlauflisten des Personals der Staatskanzlei aus dem Zeitraum 1945–1950.

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3 Führungspersonal und Personalpolitik

die bayerische katholische Studentenverbindung wichtig. Aber auch weitere Personen, die in der Regel bereits in anderen Bereichen der bayerischen Verwaltung gearbeitet hatten, kamen über Empfehlungen, Bewerbungen oder schlichtweg über Zufall in die Staatskanzlei. Außerdem kehrten nach ihrer Entnazifizierung ab 1947 unterschiedliche Beamte zurück, die bereits vor 1945 in der Staatskanzlei gearbeitet hatten. Ehard und Pfeiffer organisierten nun in der Staatskanzlei einiges neu. Das Personalwesen wurde Fritz Baer übertragen.335 Baer war zu diesem Zeitpunkt für die wesentlichen Bereiche der Personalpolitik in der Staatskanzlei zuständig, so zum Beispiel die Vorauswahl, Anwerbung, Neu- oder Wiedereinstellung sowie Planung, Beförderung und Weiterbildung des Personals.336 Außerdem legte er seine Vorschläge dem Finanzministerium vor, stellte die monatlichen Berichte für die Militärregierung über die Personalentwicklung der Staatskanzlei seit Kriegsende zusammen und beobachtete die Durchführung der unterschiedlichen Personalverordnungen und des Beamtenrechts.337 Somit übernahm er wesentliche Aufgaben, die während Hoegners Regierungszeit noch großenteils in den Händen des Leiters der Staatskanzlei gelegen hatten. Bei seiner Arbeit im Bereich der Personalpolitik wurde Baer in der Gruppe A von Ludwig Tiefenbacher unterstützt, der bereits seit Juli 1945 in der Staatskanzlei arbeitete.338 Der aus Bayern stammende Tiefenbacher (Jahrgang 1891) hatte bereits 1912 die Prüfung für den mittleren Staats- und Gemeindeverwaltungsdienst erfolgreich bestanden und zwischen 1919 und 1943 im Bayerischen Staatsministerium für Ernährung und Landwirtschaft gearbeitet. Zwischen 1929 und 1931 war er Mitglied der BVP gewesen.339 Aus dem Staatsdienst wurde er 1943 aus politischen Gründen entlassen und vom Sondergericht 3 beim Landgericht München I zu einem Jahr Haft verurteilt. Grund für die Verurteilung war ein Vergehen Tiefenbachers gegen das Heimtückegesetz vom 20. Dezember 1934. Tiefenbacher hatte sich im April 1942 aus Anlass von Kriegsmaßnahmen in der Verwaltung gegenüber Kollegen im Ministerium zu der Äußerung „Wann kommt ihr wieder zum ‚Heil Hitler‘ 335 BayHStA, StK 15936, Baer an das Landespersonalamt, 12. Juni 1950; StK 15944, Geschäftsverteilung der Bayerischen Staatskanzlei, 30. August 1948. 336 BayHStA, MF 69372, Baer an das Finanzministerium, 16. Juli 1948. Vgl auch die jeweiligen statistischen Übersichten über das Personal der Staatskanzlei, die zwischen 1945 und 1948 für die Militärregierung erstellt werden mussten. Ab 1947 wurden diese systematisch von Pfeiffer und Baer unterschrieben: StK 13903 und 13904. 337 BayHStA, StK 15944, Geschäftsverteilung der Bayerischen Staatskanzlei, 30. August 1948. 338 Fritz Schäffer hatte Tiefenbacher im Juli 1945 im Angestelltenverhältnis in der Staatskanzlei eingestellt. Im Oktober 1945 wurde er in das Beamtenverhältnis übernommen. Die folgenden Angaben nach: BayHStA, StK 13461, Personalbogen Ludwig Tiefenbacher, 17. Oktober 1952. 339 Ebenda, Erklärung, September 1940.

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schreien zusammen?“ hinreißen lassen.340 Außerdem hatte er über die führenden Personen der Partei und des Staats regelmäßig als „Lumpen und Bazi“ gesprochen.341 Tiefenbacher war nie der NSDAP beigetreten, lediglich der NSV und dem RLB, und galt in der Staatskanzlei dementsprechend nach 1945 als unbelastet und darüber hinaus als politisch Verfolgter des NS-Regimes.342 Baer unterstützte 1949 den Antrag Tiefenbachers auf Wiedergutmachung beim Landesentschädigungsamt.343 Zunächst arbeitete er in der Staatskanzlei als Haushaltsreferent, bevor er im November 1946 außerdem die Personalangelegenheiten für die Beamten im einfachen Dienst sowie für Angestellte und Arbeiter in der Staatskanzlei übernahm.344 1950 richtete die Staatskanzlei ein zusätzliches Referat für die Personalangelegenheiten des Ministerpräsidenten und der Staatsregierung unter der Leitung des Oberregierungsrats Hans Kellner, ein der in den zurückliegenden Jahren in der Landesdienstelle des Länderrats und des Wirtschaftsrats in der Staatskanzlei gearbeitet hatte. Die Entlastung vom Alltagsgeschäft der Personalverwaltung seiner Behörde brachte für Anton Pfeiffer den Vorteil, dass er sich auf die bayerische „Außenpolitik“ konzentrieren konnte. Dies war umso notwendiger, denn Pfeiffer war wegen seiner Arbeit im Parlamentarischen Rat und häufiger Krankenhaus- oder Kuraufenthalte oft nicht vor Ort in der Prinzregentenstraße. Dennoch blieb die Personalpolitik, ähnlich wie die meisten Entscheidungsprozesse in der Staatskanzlei, hierarchisch organisiert. So behielt sich Pfeiffer, der als Leiter schließlich für die „Arbeitsfähigkeit des Apparats der Staatskanzlei“ verantwortlich war, die wichtigsten Entscheidungen selbst vor – auch wenn er abwesend war.345 Außerdem mischte er sich direkt ein, wenn eine Entscheidung eine hohe politische Bedeutung mit sich zog. Auch äußerte er sich – oder der Ministerpräsident – in der Regel zur Personalpolitik der Staatskanzlei in der Öffentlichkeit. Dazu unterstütze Baer Pfeiffer mit sogenannten Vormerkungen, die die nötigen Informationen und in den meisten Fällen auch eine Empfehlung enthielten. Auf diesem Weg beeinflusste Baer die Entscheidungsprozesse und prägte die Personalpolitik ebenfalls inhaltlich mit. 340 BArchB, R 3001/148792, Urteil des Sondergerichts 3 in der Strafsache gegen Ludwig Tiefenbacher, 1. September 1943, S. 3. 341 Ebenda, S. 3–6. 342 BayHStA, LEA 37392, Antrag Ludwig Tiefenbacher auf Wiedergutmachung, 12. Januar 1950. 343 BayHStA, StK 13461, Baer an den Staatsminister der Finanzen Hans Kraus, 17. November 1949. 344 Vgl. BayHStA, MF 69372, Kraus an das Finanzministerium, 2. November 1946. 345 Vgl. dazu BayHStA, NL Anton Pfeiffer 71, Vormerkung von Baer für Pfeiffer, 11. November 1949; Vormerkung Baer für Pfeiffer, 2. September 1948; Vormerkung Pfeiffer für Baer, 14. September 1948.

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3 Führungspersonal und Personalpolitik

Pfeiffer traf die wichtigsten Entscheidungen über die Personalplanung und die Besetzung von leitenden Schlüsselpositionen immer in Absprache mit Hans Ehard. Die Hierarchie bei Personalentscheidungen in der Staatskanzlei begann also auf dem Schreibtisch von Tiefenbacher und endete auf denen von Pfeiffer und Ehard. Mit Baer aber insbesondere mit Pfeiffer, Schwend und Ehard lag zwischen 1947 und 1954 die Personalpolitik der Staatskanzlei somit in den Händen von prominenten CSU-Mitgliedern des konservativen Parteiflügels.

Rahmenbedingungen der Personalpolitik Die gesetzlichen Rahmenbedingen für personalpolitische Entscheidungen innerhalb der Staatskanzlei während Ehards Regierungszeit bildeten insbesondere die Bayerische Verfassung, das Bayerische Beamtengesetz von 1946, das Befreiungsgesetz aus dem selben Jahr sowie die Verordnung Nr. 113, die Anfang 1947 die Wiedereinstellung von aus politischen Gründen entfernten Verwaltungsangehörigen regelte, außerdem das Gesetz zu Artikel 131 des Grundgesetzes und die vom Landtag beschlossenen Stellenpläne. Die wesentliche gesetzliche Grundlage wurde – abgesehen von der Verordnung Nr. 113 sowie vom 131er Gesetz – bereits während Hoegners Regierungszeit gelegt. Dennoch war der Rahmen zu keinem Zeitpunkt statisch; vielmehr entfaltete sich die Personalpraxis als ein dynamischer Prozess, wobei die Staatskanzlei in zunehmenden Ausmaß – über die eigene Behörde hinaus – Einfluss auf sowohl den Rahmen als auch auf die Umsetzung der Personalpolitik in der bayerischen Ministerialverwaltung nahm. Diese Dynamik wurde nicht zuletzt dadurch befördert, dass Ehard zwar am 15. Januar 1947 dafür plädierte, dass die Personalangelegenheiten des Ministerrats in einer Geschäftsordnung neugeregelt werden mussten, die Umsetzung jedoch bis 1952 nicht erfolgte, sodass sich viele Entscheidungsprozesse in der Praxis weiterentwickelten.346 Die offensive föderalistische Politik Ehards führte während der ersten anderthalb Jahre seiner Regierungszeit zu einem wachsenden Personalbedarf in der Staatskanzlei, der stark mit dem Aufbau des Friedensbüros sowie der Dienststellen Bayerns in Frankfurt und Stuttgart zusammenhing. Somit war es zunächst entscheidend, dass der Ministerpräsident seine Personalpläne für die Staatskanzlei im Haushaltsausschuss des Bayerischen Landtags durchsetzen konnte. In der Regel vertrat Ehard im Haushaltsausschuss die Interessen der Staatskanzlei persönlich und wurde dabei von Pfeiffer, Baer und Claus Leusser unterstützt.347 Bei den 346 Dazu: Ministerratssitzung Nr. 5, 15. Januar 1947, in: Protokolle Kabinett Ehard I, S. 81. 347 ArchdBL, Ausschuss für den Staatshaushalt, 1. Legislaturperiode, 18. Sitzung, 14. Juli 1947, S. 1.

3.3 Vergangenheitspolitik und die frühe Wiedereinstellung der „Ehemaligen“



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Haushaltsverhandlungen im Sommer 1947 bremsten die Vertreter des Finanzministeriums die Einstellungswünsche der Staatskanzlei. Doch Baer setzte sich schließlich mit dem Argument durch, dass es sich bei den neuen Stellen um vorübergehende Maßnahmen handele, die im Interesse der bayerischen Eigenstaatlichkeitspolitik notwendig seien und nach der Gründung der Bundesrepublik wieder abgebaut werden sollten.348 Tatsächlich sank die Zahl der Beschäftigten in der Prinzregentenstraße 7 bis Mai 1950 auf 90 Personen; vier Jahre später beschäftigte die Staatskanzlei nur noch 72 Beamte, Angestellte und Arbeiter.349 Diese Zahl von etwa 70 Personen bildete auch während der Nachfolgerregierungen unter Hoegner, Seidel und Ehard den Kernbestand der Staatskanzlei. Grundlegend für die Ernennung des Führungspersonals in der Staatskanzlei war außerdem Artikel 55 § 4 der Bayerischen Verfassung, wonach die Staatsregierung die leitenden Beamten der Ministerien ernennt oder befördert.350 Diese Bestimmung war in ähnlicher Form bereits im Juli 1945 in die vorläufige Geschäftsordnung der bayerischen Regierung aufgenommen worden und stellte eine wichtige Kontinuität in der ministerialen Personalpraxis der Nachkriegszeit dar. Die Bedeutung dieser Ernennungs- und Beförderungspraxis der Ministerialverwaltung wurde im Rahmen der Koalitionsverhandlungen zwischen den Landtagsfraktionen der CSU und SPD im Januar 1947 noch ergänzt und spezifiziert: „Alle wichtigen Beamtenstellen werden im Ministerrat im gegenseitigen Einvernehmen besetzt. Dabei ist Bedacht darauf zu nehmen, daß fähige Bewerber nicht lediglich wegen ihrer Zugehörigkeit zu einer Partei zurückgewiesen werden. Andererseits dürfen ungeeignete Inhaber von öffentlichen Ämtern nicht deswegen gehalten werden, weil sie einer bestimmten Partei angehören.“351 Vermutlich handelte es sich dabei, so lässt sich aus einer Sitzung des CSU-Landesausschusses im Januar 1947 in Augsburg ableiten, um einen Versuch der CSU, die Personalpolitik in den von der SPD regierten Ministerien im Griff zu behalten.352 Darüber hinaus wurde 1948 im Auftrag des Ministerrats in der Staatskanzlei ein Ausschuss für Personalangelegenheiten eingerichtet, um die Einstellungs- und 348 Ebenda, S. 21. 349 Vgl. ArchdBL, Ausschuss für den Staatshaushalt, 2. Legislaturperiode, 270. Sitzung, 17. März 1954. Es handelte sich hier lediglich um das Personal, das direkt in der Staatskanzlei aktiv war. Darüber hinaus arbeiteten im Mai 1950 ebenfalls noch 23 Personen im Landespersonalamt und 14 Personen in der Dienststelle des Bayerischen Bevollmächtigten beim Bund, die haushaltstechnisch ebenfalls zur Staatskanzlei gehörten. Siehe: BayHStA, StK 15936, LPA an StK, 15. April 1950; StK 15937, Personalstandnachweisung vom 2. Oktober 1954. 350 Dies war bereits in der Geschäftsordnung für die vorläufige Regierung vom 26. Juli 1945 aufgenommen worden. 351 Zit. nach: Gelberg, Einleitung, in: Protokolle Kabinett Hoegner I, S. XX. 352 „Nr. 27: Sitzung des Landesausschusses der CSU der Christlich-Sozialen Union am 3. Januar 1947 in Augsburg“, in: Mintzel/Fait (Hrsg.), Die CSU, S. 970.

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3 Führungspersonal und Personalpolitik

Beförderungsanträge der jeweiligen Ministerien bereits im Vorfeld der Ministerratssitzungen zu überprüfen. In diesem Ausschuss saßen für die Staatskanzlei Fritz Baer und Claus Leusser, für das Sonderministerium der Ministerialbeamte Peter Erber, der von der Staatskanzlei in das Ministerium abgeordnet wurde, sowie der Personalreferent des Finanzministeriums Matthias Metz, der in Personalunion Generalsekretär des Landespersonalamts war. Somit überwachten Vertreter des konservativen bayerischen Berufsbeamtentums die Einstellung und Beförderung des Führungspersonals der bayerischen Ministerien. Anstatt des Ausschusses wurde 1950 ein Referat in der von Fritz Baer geleiteten Verwaltungsabteilung der Staatskanzlei eingerichtet, das sowohl die Personalangelegenheiten des Ministerpräsidenten als auch der Staatsregierung bearbeitete und vorbereitete.353 Neben dem Ausschuss koordinierten die Staatskanzlei bzw. das Finanzministerium ebenfalls Personalreferententreffen. Hier trafen sich die Personalreferenten der jeweiligen Ministerien unter dem Vorsitz der Staatskanzlei oder des Finanzministeriums, um sich über die personalpolitischen Entwicklungen innerhalb der bayerischen Ministerialverwaltung auszutauschen und informieren zu lassen.354 In der Geschäftsordnung der Staatsregierung von 1952 wurde festgelegt, dass Ernennungsvorschläge für das Führungspersonal der Ministerialverwaltung im Vorfeld der Ministerratssitzungen an die Staatskanzlei zu schicken waren. Somit übernahm die Staatskanzlei ab 1947 zusätzliche Aufgaben im Dienst des Ministerpräsidenten und der Staatsregierung. Sie verfügte, zusammen mit dem Staatsministerium der Finanzen, über einen einzigartigen Einblick in die Personalpolitik der bayerischen Ministerien. Dennoch lag die Personalführung in den jeweiligen Ministerien nach dem Ressortprinzip bei den Ministern; die Staatskanzlei wurde informatorisch beteiligt, konnte sich jedoch nicht in die Personalpolitik der Ministerien einmischen. Die wichtigste Person im behördlichen Alltag der Staatskanzlei war dabei Fritz Baer, der als eine Art Hüter des bayerischen Berufsbeamtentums sowohl in der Staatskanzlei als auch darüber hinaus agierte. Diese Funktion erfüllte die Staatskanzlei auch bei der Ausführung des Beamtengesetzes in Bayern. Die Staatskanzlei musste ihre Personalpolitik nach dem Bayerischen Beamtengesetz vom 28. Oktober 1946 richten. Doch die Praxis sah ab 1947 anders aus, denn die Staatsregierung brachte dem Gesetz wenig Wertschätzung entgegen.355 Das Bayerische Beamtengesetz war 1946 der Versuch der Civil Service Branch der ame353 BayHStA, StK 15944, Geschäftsverteilung Staatskanzlei, März 1950, S. 3. 354 Die Personalreferententreffen sind nur lückenhaft überliefert. Vgl. exemplarisch BayHStA, MF 69383, Niederschrift über die Besprechung der Personalreferenten der Staatsministerien am 25. Oktober 1949, 30. Mai 1950; Niederschrift über die Besprechung der Personalreferenten der Staatsministerien am 30. Mai 1952, 10. Juni 1952. 355 Vgl. Curt Garner, Schlußfolgerungen aus der Vergangenheit? Die Auseinandersetzungen um die Zukunft des deutschen Berufsbeamtentums nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges, in:

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rikanischen Militärregierung, neben der Entnazifizierung der Beamtenschaft eine grundlegende Demokratisierung des Beamtenapparats durchzuführen. Dabei zeigte die amerikanische Militärregierung im Vergleich zu den anderen Besatzungsmächten das größte Interesse an einer strukturellen Reform des öffentlichen Dienstes.356 Aus Sicht der Amerikaner war das traditionelle deutsche Berufsbeamtentum undemokratisch. Zum einen machte die Militärregierung das Berufsbeamtentum für den Untergang der Weimarer Republik verantwortlich und warf diesem – aus guten Gründen – vor, sich auf allen Ebenen maßgeblich am NS-Staat beteiligt zu haben. Zum anderen stellte das deutsche Berufsbeamtentum in Hinblick auf die Zukunft ein Hemmnis für den Wiederaufbau der parlamentarischen Demokratie in Deutschland dar.357 Dabei richtete sich die Kritik der Militärregierung gegen die Verletzung des Prinzips der Gewaltentrennung, gegen die Nicht-Einhaltung des Gleichheitsgrundsatzes sowie gegen die mangelnde Öffentlichkeit des deutschen öffentlichen Dienstes.358 Konkret kritisierte sie das Selbstverständnis vieler Beamter als „autoritäre Vollstrecker obrigkeitlicher Herrschaft“, obwohl sie eigentlich „hilfreiche Diener des Volks“ sein sollten. Auch die Anstellung der Beamten auf Lebenszeit, der Klassenunterschied zwischen Beamten und Angestellten sowie die Rekrutierung von Beamten nach einseitigen Kriterien standen in der Kritik. Anstatt jedoch dem deutschen Beamtenapparat ein neues Beamtengesetz aufzudrängen, beauftragte die Militärregierung Anfang 1946 voller Idealismus die jeweiligen Länderregierungen, selbst neue Beamtengesetze zu entwerfen.359 Somit sollten die Gespräche über ein neues Gesetz auf deutscher Seite für die zuständigen Politiker und Ministerialbeamte zu einer Art demokratischen Lernprozess werden.360 Doch im Juni 1946 griffen Hoegner und die anderen Ministerpräsidenten in die amerikanische Zone ein. Hans-Erich Volkmann (Hrsg.), Ende des Dritten Reiches – Ende des Zweiten Weltkriegs. Eine perspektivische Rückschau, München 1995, S. 607–674, hier S. 612 ff. 356 Zum Umgang mit dem Beamtengesetz in den jeweiligen Besatzungszonen vgl. ebenda. 357 Dazu vgl. Wolfgang Benz, Versuche zur Reform des öffentlichen Dienstes in Deutschland 1945–1952. Deutsche Opposition gegen alliierte Initiativen, in: Vierteljahrshefte für Zeitgeschichte 29 (1981), H. 2, S. 216–245, hier S. 219; Garner, Schlußfolgerungen, in: Volkmann (Hrsg.), Ende, S. 612 f.; Curt Garner, Der öffentliche Dienst in den 50er Jahren: Politische Weichenstellungen und ihre sozialgeschichtlichen Folgen, in: Axel Schildt/Arnold Sywottek (Hrsg.), Modernisierung im Wiederaufbau. Die westdeutsche Gesellschaft der 50er Jahre, Bonn 1993, S. 759–790, hier S. 760; Lutz Niethammer, Zum Verhältnis von Reform und Rekonstruktion in der US-Zone am Beispiel der Neuordnung des öffentlichen Dienstes, in: Vierteljahrshefte für Zeitgeschichte 21 (1973), H. 2, S. 177–188, hier S. 181–185; Hermann-Josef Rupieper, Die Wurzeln der westdeutschen Nachkriegsdemokratie. Der amerikanische Beitrag 1945–1952, Leverkusen 1993, S. 173–183. 358 Vgl. Benz, Versuche zur Reform, S. 219. 359 Dazu vgl. Leusser (Hrsg.), Bayerisches Beamtengesetz, S. XI–XV. 360 Vgl. Garner, Schlußfolgerungen, in: Volkmann (Hrsg.), Ende, S. 612 ff.

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Sie plädierten dafür, das Deutsche Beamtengesetz von 1937 in entnazifizierter Form beizubehalten und bei der Ausarbeitung eines neuen Gesetzes in der Zukunft die Parlamente miteinzubeziehen.361 Dieser Vorschlag stieß jedoch auf keine Unterstützung der Militärregierung, sodass in Bayern im Oktober 1946 unter Druck ein neues Beamtengesetz (BayBG) erlassen wurde. Dabei stellte sich das Gesetzgebungsverfahren jedoch nicht als demokratischer Lernprozess heraus, sondern es gab auf bayerischer Seite eine große Beharrlichkeit zum Schutz des traditionellen Berufsbeamtentums. Nicht zuletzt wurde in Artikel 95, Satz 2 von der Bayerischen Verfassung festgelegt, dass in Bayern das Berufsbeamtentum „grundsätzlich aufrechterhalten wurde“.362 Bei dieser konservativen, gegen Modernisierung und Demokratisierung gerichteten Politik spielten sowohl der Ministerpräsident als auch die Staatskanzlei eine wichtige Rolle. Claus Leusser fasst in seinem Kommentar die leitenden Grundsätze des Beamtengesetzes vom Oktober 1946 wie folgt zusammen: „Demokratisierung und Entpolitisierung der Beamtenschaft, Aufrechterhaltung des Berufsbeamtentums, Verbesserung der persönlichen Rechtsstellung der Beamten.“363 Ein wichtiges Merkmal der Demokratisierung des Beamtengesetzes stellte dabei Artikel 4 dar, der vorschrieb, „dass bei der Auswahl der Bewerber für Beamtenstellen alle Schichten der Bevölkerung ohne Rücksicht auf Geschlecht, Rasse und Religionsbekenntnis zu berücksichtigen [waren]“.364 Diese Vorschrift stand in Kontrast zu der bis dahin vorherrschenden Einstellungspolitik in den bayerischen Ministerien, insbesondere im Hinblick auf den geringen Anteil von Frauen unter dem Führungspersonal.

Staatskanzlei, Landespersonalamt und die gebremste Demokratisierung des bayerischen Berufsbeamtentums Eine Zäsur im deutschen Staatsrecht stellte darüber hinaus die nach dem BayBG vorgeschriebene Gründung eines Landespersonalamts dar, das dem Vorbild der amerikanischen Civil Service Commissions nachempfunden war.365 Zweck des Landespersonalamts war insbesondere, die Personalverwaltung von politischer 361 Vgl. ebenda, S. 614. 362 Vgl. Nawiasky/Leusser (Hrsg.), Verfassung, S. 173 f. 363 Leusser (Hrsg.), Bayerisches Beamtengesetz, S. XV. 364 Ebenda, S. 6. 365 BayHStA, Bayerisches Landespersonalamt 1, Konrad Raumer, 25 Jahre Bayerns „Unabhängige Stelle“ 1947–1972, München 1972, S. 3 f. Vgl. Leusser (Hrsg.), Bayerisches Beamtengesetz, S. 41. In Hessen wurde im Rahmen der neuen Beamtengesetzgebung ebenfalls ein Landespersonalamt gegründet; in Baden-Württemberg eine Landesbeamtenstelle. Vgl. Benz, Versuche zur Reform, S. 220.

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Beeinflussung freizuhalten und die einheitliche Durchführung des Beamtengesetzes zu garantieren. In der Praxis beschränkte es sich darauf, die Einhaltung der beamtenrechtlichen Bestimmungen zu überwachen.366 Außerdem spielte das Landespersonalamt eine wichtige Rolle bei der Aufsicht über die beamtenrechtlichen Prüfungen, beim Erlass der Laufbahn- und Prüfungsordnungen sowie für die Vorschriften über die Aus- und Fortbildung der Beamten.367 Schließlich vereinbarte Ministerpräsident Ehard bereits Anfang 1947 mit dem Landespersonalamt, dass für die Ernennung oder Beförderung von Beamten des höheren Diensts, die im Ministerrat besprochen wurden, beim Landespersonalamt eine Stellungnahme einzuholen war.368 Das war aber eine entscheidende Kompetenzabschwächung im Vergleich zum amerikanischen Vorbild, denn diese Stellungnahmen waren unverbindlich. Nicht das Landespersonalamt, das von der Militärregierung als Motor der Demokratisierung vorgesehen war, sondern der Ministerrat hatte das letzte Wort über die Besetzung von Schlüsselpositionen in der Ministerialverwaltung. Somit konnten der Ministerpräsident und die Minister auch Quereinsteiger in Leitungsposten verbeamten, die nach den Stellungnahmen des Landespersonalamts die Anforderungen der Laufbahn- und Prüfungsordnungen nicht erfüllten.369 Über die Stellungnahmen entschied das Beschlusskollegium des Landespersonalamts, das im BayBG und in den Verwaltungsakten einfach „das Landespersonalamt“ genannt wurde, obwohl es nur ein Teil des Amts war. Diese Praxis wurde 1952, mit einer etwas aufgelockerten Formulierung, ebenfalls in die Geschäftsordnung der Bayerischen Staatsregierung aufgenommen.370

366 Artikel 47 BayBG hatte die Aufgaben des Landespersonalamts noch wesentlich umfassender festgelegt: Erstellung und Führung eines Verzeichnisses sämtlicher Beamtenstellen, Nachprüfung der Gehälter, Erstellung und Führung einer Kartei sämtlicher Beamten, Führung von Einstellungs- und Beförderungslisten, Unbedenklichkeitsbescheinigungen und Gehaltsanweisungen. Doch weil der Verwaltungsapparat des Landespersonalamts dazu nicht ausreichte, wurden Aufgaben-Schwerpunkte gesetzt. Vgl. Leusser (Hrsg.), Bayerisches Beamtengesetz, S. 45 ff.; BayHStA, Bayerisches Landespersonalamt 1, Konrad Raumer, 25 Jahre Bayerns „Unabhängige Stelle“ 1947– 1972, München 1972, S. 6. 367 BayHStA, Bayerisches Landespersonalamt 1, Konrad Raumer, 25 Jahre Bayerns „Unabhängige Stelle“ 1947–1972, München 1972, S. 6. Für die Tätigkeitsberichte des Landespersonalamts über die Jahre 1947 bis 1951, die von der Behörde selber erstellt wurden, siehe: BayHStA, MF 69376. 368 Nr. 13 Ministerratssitzung, 8. März 1947, in: Protokolle Kabinett Ehard I, S. 254–273, hier S. 271. 369 Vgl. dazu der Fall von Ernst Deuerlein in Kapitel 5.2. 370 Insbesondere wenn der vorgeschlagene Beamte die Voraussetzungen für den höheren Dienst nicht erfüllte, konnte der zuständige Minister die Vorausbildung durch das Landespersonalamt kontrollieren und mit den Voraussetzungen vergleichen lassen.

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Nachdem die organisatorischen und personellen Vorbereitungen zur Gründung des Landespersonalamts bereits 1946 angelaufen waren, fand die erste vorbereitende Sitzung des Beschlusskollegiums am 25. Januar 1947, die erste öffentliche Sitzung am 19. Februar statt.371 Die Sitzungen, in denen die Entscheidungen getroffen wurden, waren öffentlich und fanden monatlich statt. Dabei waren in der Regel neben den Mitgliedern des Landespersonalamts und dem Generalsekretär ebenfalls Vertreter der Militärregierung und der jeweiligen Ministerien anwesend, um sich über die Entscheidungen zu informieren. Zugleich trafen sich die Mitglieder ebenfalls monatlich im Vorfeld der öffentlichen Sitzungen hinter geschlossenen Türen, um die Beschlüsse vorzubereiten.372 Die Mitglieder des Beschlusskollegiums waren nach Artikel 41 des BayBG unabhängig und, ähnlich wie Richter, lediglich dem Gesetz unterworfen.373 Außerdem übten sie ihre Arbeit ehrenamtlich aus. Die Zusammensetzung des Kollegiums war ebenfalls im BayBG festgelegt: Neben einem Beamten der inneren Verwaltung und der Finanzverwaltung sollten außerdem ein Richter, ein Hochschullehrer, ein Vertreter der Beamtengewerkschaften und zwei unabhängige, nicht verbeamtete Personen Sitz im Beschlusskollegium haben.374 Ein Mitglied hatte während der Sitzungen den Vorsitz inne. Die Dienstaufsicht über das Landespersonalamt lag beim Ministerpräsidenten und wurde praktisch zu einem erheblichen Teil von der Staatskanzlei wahrgenommen. Der Ministerpräsident berief die Mitglieder des Beschlusskollegiums und bestellte außerdem einen Generalsekretär. Dieser war als Leiter mit dem ihm unterstellten Generalsekretariat für die Alltagsgeschäfte des Landespersonalamts und die Vorbereitungen des Beschlusskollegiums zuständig, und er war persönlich zur Unterstützung des Vorsitzenden bei den Sitzungen anwesend. In der Regel eröffnete der Generalsekretär die Sitzungen 371 Zu den Vorbereitungen zur Gründung der Landespersonalämter im November 1946 in der amerikanischen Besatzungszone vgl. BayHStA, MF 69375, Kurze Niederschrift [durch Metz unterschrieben] über die Konferenz vom 25. und 26. November in Stuttgart über das Ausbildungs- und Prüfungswesen, 30. November 1946. Die erste Sitzung des Landespersonalamts ist überliefert in: BayHStA, Bayerisches Landespersonalamt 2, Niederschrift über die Besprechung des Landespersonalamts vom 25. Januar 1947. 372 Im Bayerischen Hauptstaatsarchiv befindet sich ein umfangreicher Bestand mit den Niederschriften von sowohl öffentlichen als auch geschlossenen monatlichen Sitzungen des Landespersonalamts, inklusive Teilnehmerlisten. Vgl. für die Jahre 1947 bis 1949: BayHStA, Bayerisches Landespersonalamt 2–4. 373 Vgl. Leusser (Hrsg.), Bayerisches Beamtengesetz, S. 43. 374 Vgl. ebenda, S. 42. Ab 1954 wurde das Beschlussgremium durch eine Gesetzesveränderung um einen Vertreter der Kommunalverwaltung erweitert. Außerdem umfasste das Landespersonalamt seit dieser Veränderung neun Mitglieder: Bayerisches Gesetz- und Verordnungsblatt, Nr. 22, 22. Dezember 1954, Gesetz zur Änderung des Bayerischen Beamtengesetzes und über versorgungsrechtliche Maßnahmen, 17. Dezember 1954, S. 325–328, hier: S. 325.

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mit den letzten Informationen über die Entwicklungen im bayerischen Beamtenwesen. Das Beschlusskollegium war zwar das Entscheidungsgremium, aber das Generalsekretariat bereitete alle Beschlussvorlagen vor und nahm dadurch ebenfalls Einfluss auf den Entscheidungsprozess.375 Zwischen 1947 und 1949 war die amerikanische Militärregierung dauerhaft unzufrieden und enttäuscht über das Funktionieren des Landespersonalamts. Das Amt sollte nach der Einführung des neuen Beamtengesetzes, an dem die Militärregierung inhaltlich noch viel auszusetzen hatte, die Demokratisierung und Modernisierung des bayerischen Beamtentums vorantreiben. Doch die Praxis im Beschlusskollegium sah ganz anders aus und war stattdessen vielmehr auf den Schutz des traditionellen bayerischen Berufsbeamtentums gerichtet. Als sich die Militärregierung darum bemühte, das Beschlusskollegium des Landespersonalamts zu einer Reformpolitik zu bewegen,376 stieß sie bei den Mitgliedern immer wieder auf Widerstand. Im September 1947 warf ein Vertreter der Militärregierung Generalsekretär Metz vor, „dass die Einrichtung des Landespersonalamts in Bayern nicht ernst genommen [wird] und nichts vorwärts [geht]“.377 Metz sollte daraufhin noch 1947 wegen „Widerspenstigkeit“ entlassen werden, was letztendlich nicht geschah, weil damit das Problem des Beschlusskollegiums nicht gelöst worden wäre.378 Es sagt außerdem viel über die konservative Grundhaltung der meisten Mitglieder des Beschlusskollegiums aus, dass beispielsweise der Generalsekretär der Bayerischen Gewerkschaften, Georg Reuter, bereits ab Juli 1947 nicht länger an den Sitzungen teilnahm, weil er mit dem Widerstand der anderen gegen die Reformbemühungen unzufrieden war.379 375 Zu den Aufgaben des Sekretariats gehörten nach einer Selbstdarstellung von Peter Erber: Die Vorbereitung und Durchführung von den Beschlüssen des Beschlusskollegiums, die Abwicklung vom gesamten Schrift- und Parteiverkehr, die Abgabe von Stellungnahmen und Gutachten, das Organisieren von Besprechungen und das Lösen von Problemen. Das Sekretariat war am Anfang sehr klein und verfügte 1949 über einen Stellvertretenden Generalsekretär sowie zwei Beamte des höheren Diensts, drei Beamte des gehobenen Diensts und elf Angestellte; BayHStA, MF 15936, Landespersonalamt an die Staatskanzlei, 15. April 1950. Siehe dazu in der gleichen Akte auch den Artikel von Peter Erber, Schutzdamm des Berufsbeamtentums. Vorbilder und Aufbau des Landespersonalamtes, in: Bayerische Staatszeitung, Nr. 37, 15. September 1951, S. 2, sowie den vom Landespersonalamt erstellten Tätigkeitsbericht über die Jahre 1947, 1948 und 1949, S. 25. 376 Vgl. BayHStA, MF 69375, Abschrift [der Militärregierung] für das Landespersonalamt, 18. August 1947; Abschrift Amt der Militärregierung für Hessen, Wiesbaden, Deutschland an Ministerpräsident, Betreff: Staatsdienst, 21. Juli 1947. 377 Ebenda, Landespersonalamt an den Ministerpräsidenten, betreff: Landespersonalamt, 4. September 1947, S. 1. 378 Vgl. Benz, Versuche zur Reform, S. 221. 379 Obwohl Reuter sich im Vorfeld der Sitzungen immer wegen seiner Teilnahme an einer anderen Veranstaltung entschuldigen lies, geht aus einer Niederschrift der Militärregierung hervor, dass er mit der Politik der anderen Mitglieder unzufrieden war. Die letzte Sitzung, an der Reuter

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Im Februar 1949 erhielt Ministerpräsident Hans Ehard ein umfangreiches und kritisches Schreiben vom Leiter der amerikanischen Militärregierung in Bayern, Murray D. Van Wagoner, über die Handhabung des BayBG. Der Brief richtete sich vor allem gegen das Landespersonalamt, das Van Wagoner für alle Versäumnisse seit 1947 verantwortlich machte. In einem Radiointerview, das kurz danach vom Bayerischen Rundfunk ausgestrahlt wurde, erklärte die Militärregierung, dass das Landespersonalamt seinen Hauptauftrag umgegangen habe, nämlich „die Beamtenschaft aus einer Klasse, die ihre Autorität vom Staat herleitet, in eine Gruppe qualifizierter und demokratisch denkender Diener“ umzuwandeln.380 Die Fundamentalkritik richtete sich gegen die fortbestehende Hierarchie der Beamten, die Aufrechterhaltung der „kastenmäßigen Unterscheidung“ zwischen Beamten und Angestellten, die Überbewertung von formaler Schulbildung gegenüber Prüfungen und Berufserfahrung, das Juristenmonopol im höheren Dienst, das Freihalten von Stellen für noch nicht entnazifizierte Beamte, wodurch Angestellte benachteiligt wurden, die Benachteiligung von älteren Angestellten bei der Übernahme ins Beamtenverhältnis sowie gegen die Diskriminierung von Frauen und nicht-gebürtigen Bayern.381 Das Landespersonalamt, so legte Van Wagoner dar, sollte das Prüfungsverfahren in der Verwaltung von ihren undemokratischen, kastenähnlichen Merkmalen befreien. Außerdem sollte es mit seinen geheimen Sitzungen aufhören, dafür sorgen, dass offene Stellen über ein öffentliches Ausschreibungsverfahren bekannt gegeben wurden, und nicht zuletzt die Beamten im bayerischen Staatsdienst in einer Zentralkartei erfassen.382 Schließlich sollte ebenfalls die Bevorzugung von Personen mit einer von der NS-Zeit belasteten Vergangenheit gegenüber unbelastete Personen ein Ende gesetzt werden.383 Noch vor der Gründung der Bundesrepublik drangen die Amerikaner auf einen grundlegenden Kurswechsel. Dazu empfahlen sie Ehard, die Schlüsselpositionen des Landespersonalamts mit neuen Personen zu besetzen. Obwohl am 9. April Generalsekretär Metz zurücktrat und ersetzt wurde, blieb ein Personalaustausch im Beschlusskollegium aus.384 Ehard nahm die Reform des Beamtengesetzes nun teilnahm war im Juli 1947. Dazu: BayHStA, Bayerisches Landespersonalamt 2. Zur Niederschrift der Amerikaner vgl. Benz, Versuche zur Reform, S. 221. 380 Zit. nach: ebenda, S. 222. 381 Vgl. ebenda. 382 Obwohl im Dezember 1948 ein Entwurf für die Karteikarten vorlag, wurde mit der Führung der Beamtenkartei zu keinem Zeitpunkt angefangen. Ein Karteikarten-Entwurf befindet sich in: BayHStA, MF 69375. Eine kommentierte Ausgabe des Beamtengesetzes hielt 1955 ebenfalls fest, dass die Kartei nicht realisiert wurde. Vgl. Karl F. Fees, Bayerisches Beamtengesetz vom 28. Oktober 1946. Unter Berücksichtigung des Gesetzes zur Änderung des Bayerischen Beamtengesetzes und über versorgungsrechtliche Maßnahmen vom 17. Dezember 1954, München 1955, S. 45. 383 Vgl. Benz, Versuche zur Reform, S. 221. 384 Dazu: BayHStA, Bayerisches Landespersonalamt 1.

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in die eigene Hand und setzte einen Personalausschuss in der Staatskanzlei ein, der bereits die Personalangelegenheiten des Ministerrats vorbereitete. Er wollte ein neues Beamtengesetz entwerfen und widersprach so dem Wunsch der Militärregierung, die für eine Novellierung des Gesetzes von 1946 plädierte. Dies führte dazu, dass der gerade zurückgetretene Generalsekretär Metz, der zusammen mit Baer und Leusser ebenfalls Teil dieses Personalausschusses war, nun am Entwurf des neuen Gesetzes mitarbeitete.385 Obwohl Ehard der Militärregierung versicherte, dass ihre Wünsche berücksichtigt werden würden, entpupte sich der neue Entwurf im Juni 1949 als noch reaktionärer, als das bereits existierende Gesetz.386 Van Wagoner plädierte daraufhin zwar intern für weitere Schritte gegen die Regierung. Dazu blieb jedoch kaum noch Zeit übrig. Der Gesetzesentwurf von Ehards Ausschuss verschwand zwar schließlich in einer Schublade, zu einer Demokratisierung des Beamtenrechts im Sinne der Militärregierung kam es jedoch vor der Gründung der Bundesrepublik in Bayern nicht mehr.387 Ein wichtiger Faktor für das Scheitern der Demokratisierungsbestrebungen der Militärregierung im bayerischen Beamtenapparat war der umfangreiche Widerstand der bayerischen Politik gegen das Landespersonalamt. Die Ministerien, insbesondere das Finanzministerium, aber auch der Bayerische Landtag fühlten sich in ihren traditionellen personalpolitischen Zuständigkeitsbereichen vom neuen Amt bedroht.388 Vor diesem Hintergrund gab es Anfang der 1950er Jahre Diskussionen innerhalb der Ministerialverwaltung über die staatsrechtliche Position des Landespersonalamts.389 Zugleich gab es Bestrebungen im Finanzministerium und im Bayerischen Landtag, das Landespersonalamt in das Finanzministerium zu integrieren, sodass dieses Ministerium das „Beamtenministerium“ bleiben würde 385 Vgl. Benz, Versuche zur Reform, S. 223. 386 Vgl. ebenda, S. 224. 387 Vgl. zu den Demokratisierungsbestrebungen der Militärregierung im Beamtenapparat der Bizone und anschließend in der Bundesrepublik Rudolf Morsey, Personal- und Beamtenpolitik im Übergang von der Bizonen- zur Bundesverwaltung (1947–1950). Kontinuität oder Neubeginn?, in: Rudolf Morsey (Hrsg.), Verwaltungsgeschichte. Aufgaben, Zielsetzungen, Beispiele, Berlin 1977, S. 191–238; Udo Wengst, Beamtentum zwischen Reform und Tradition. Beamtengesetzgebung in der Gründungsphase der Bundesrepublik Deutschland 1948–1953, Düsseldorf 1988; Benz, Versuche zur Reform, S. 225–245; Garner, Schlußfolgerungen, in: Volkmann (Hrsg.), Ende, S. 642–662; Garner, Öffentlicher Dienst, in: Schildt/Sywottek (Hrsg.), Modernisierung; Rupieper, Wurzeln, S. 183–199; Hermann-Josef Rupieper, Amerikanisierung in Politik und Verwaltung Westdeutschlands. Ein problematisches Konzept, in: Konrad Jarausch (Hrsg.), Amerikanisierung und Sowjetisierung in Deutschland 1945–1970, Frankfurt am Main 1997, S. 49–65. 388 BayHStA, MF 69375, Landespersonalamt an den Ministerpräsidenten, Betreff: Landespersonalamt, 4. September 1947, S. 1 ff. 389 BayHStA, MF 69376, Hans Kellner, Das Landespersonalamt im bayerischen Beamtenrecht, in: Bayerische Staatszeitung, 20. Mai 1950, ohne Seite.

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und von hier aus die Personalpolitik wieder vereinheitlicht werden konnte.390 Diese Pläne wurden jedoch zu keinem Zeitpunkt umgesetzt. Zugleich stellten der Haushaltsausschuss und der Bayerische Landtag sich bei der Genehmigung der Haushaltspläne des Landespersonalamts quer, sodass das Amt lediglich begrenzte finanzielle und personelle Mittel zur Verfügung hatte. Dazu hatte das Amt insbesondere während der ersten Jahre Raumprobleme, was den Arbeitsalltag des Personals beeinträchtigte. Ministerpräsident Ehard und die Staatskanzlei waren jedoch der wichtigste Grund für die gebremste Demokratisierung und Modernisierung im Beamtenwesen. Sie hatten einen großen Einfluss auf die Personalpolitik im Landespersonalamt und verhielten sich wie Hüter des traditionellen Berufsbeamtentums. Für Ehard, der sich den Beamten nach wie vor sehr verbunden fühlte, war der Inhaber eines Leitungsamts „die Seele einer guten Regierung“.391 Obwohl der Ministerpräsident auf die Beschlüsse des Landespersonalamts keinen Einfluss hatte, diese dennoch unter Umständen beanstanden konnte,392 hatte er zusammen mit dem Ministerrat sehr wohl Einfluss auf die Auswahl der Mitglieder des Beschlusskollegiums und des Generalsekretärs. Dabei zeichnete sich eine klare Tendenz ab, Personen zu ernennen, die im Sinne des traditionellen Beamtentums argumentierten. So galt der erste Generalsekretär Matthias Metz als ein Vertreter des konservativen bayerischen Berufsbeamtentums, der zu den führenden Experten auf dem Gebiet der Personalpolitik gehörte, jedoch „rückständig“ und für „moderne Auffassungen“ über die Beamtenpolitik nicht zugänglich war.393 Nach Rücksprache zwischen Ehard und dem Ministerrat wurde er dennoch ernannt.394 Als Metz 1949 auf Druck der Militärregierung als Generalsekretär zurücktrat, wurde der bayerische Jurist und Ministerialbeamte Peter Erber sein Nachfolger – und dieser war ebenfalls ein traditioneller bayerischer Berufsbeamter. Er war wie Metz vor 1933 Mitglied der BVP gewesen. Als Pfeiffer 1946 Sonderminister wurde, holte er Erber in das Ministerium, im April 1947 wechselte Erber für kurze Zeit in die Staatskanzlei,

390 Ebenda, Staatsministerium der Finanzen an die Staatskanzlei, Betreff: Eingliederung des Landespersonalamts in den Geschäftsbereich des Staatsministerium der Finanzen, 14. Juni 1952. 391 Vgl. Benz, Versuche zur Reform, S. 224. 392 Wenn Beschlüsse des Landespersonalamts Gesetzen widersprachen oder das öffentliche Interesse erheblich gefährdeten, konnte der Ministerpräsident eine Beanstandung einlegen. Wenn daraufhin keine Lösung gefunden wurde, konnte der Verwaltungsgerichtshof eingeschaltet werden. Vgl. Leusser (Hrsg.), Bayerisches Beamtengesetz, S. 43. 393 Vgl. Nr. 55 Ministerratssitzung, 4. Dezember 1946, in: Protokolle Kabinett Hoegner I, S. 1006– 1027, hier S. 1021. 394 Vgl. Nr. 5 Ministerratssitzung, 15. Januar 1947, in: Protokolle Kabinett Ehard I, S. 61–95, hier S. 80 f.

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um im Februar 1948 als Ministerialrat in das Sonderministerium zurückzukehren.395 Exemplarisch für die konservative Personalpolitik im Beschlusskollegium war die Ernennung des CSU-nahen bayerischen Landeshistorikers Max Spindler als Vertreter des Hochschulwesens.396 Spindler gründete 1947 das Institut für Bayerische Geschichte und spielte als Landeshistoriker und Partner der bayerischen Politik und Ministerialverwaltung eine führende Rolle für die staatliche Identitätspolitik nach 1945.397 Er verstand die bayerische Landesgeschichtsschreibung als „Legitimationswissenschaft“ und in seinen „Meistererzählungen“ bayerischer Geschichte stand der Staat im Zentrum.398 Dabei spielte die Beamtenschaft seit der Gründung des modernen bayerischen Staats unter Montgelas als kontinuierlich etatistischer Träger des Staatsganzen eine zentrale Rolle.399 Somit war die Vertretung des Hochschulwesens im Landespersonalamt mit einer Person besetzt, die im Sinne des konservativen bayerischen Berufsbeamtentums sowie der bayerischen Staatlichkeit argumentierte. Dies galt ebenfalls für den ersten Vorsitzenden des Beschlusskollegiums, den Präsidenten des Bayerischen Obersten Landesgerichts Anton Konrad. In einem Interview erklärte Konrad im Juli 1952 gegenüber der Bayerischen Staatszeitung, dass „das Landespersonalamt nichts anders als ein Bollwerk des Berufsbeamtentums im Sinne unserer großen Verwaltungstradition“ sein soll-

395 Erber wurde von der Staatskanzlei an das Sonderministerium abgeordnet und behielt seine Planstelle in der Staatskanzlei: BayHStA, MF 69372, Baer (Staatskanzlei) an das Finanzministerium, 23. Dezember 1947. 396 Für einen Gesamtüberblick über die Mitglieder des Beschlusskollegiums zwischen 1947 und 1960 siehe die Ernennungsurkunden und Personalübersichte in: BayHStA, Bayerisches Landespersonalamt 1. 397 Zu Spindlers Person Vgl. Ferdinand Kramer, Max Spindler (1894–1986) und Karl Bosl (1908– 1993), in: Katharina Weigand (Hrsg.), Münchner Historiker zwischen Politik und Wissenschaft. 150 Jahre Historisches Seminar der Ludwig-Maximilians-Universität, München 2010, S. 259–279; Andreas Kraus, Die staatspolitische Bedeutung der bayerischen Geschichte, in: Wilhelm Volkert/Walter Ziegler (Hrsg.), Im Dienst der bayerischen Geschichte. 70 Jahre Kommission für Bayerische Landesgeschichte; 50 Jahre Institut für Bayerische Geschichte, München 1999, S. 1–17, hier S. 10– 16; Karl-Ulrich Gelberg, Die Gründung des Instituts für Bayerische Geschichte und die Jahre unter der Leitung von Max Spindler (1946/47–1959/60), in: Wilhelm Volkert/Walter Ziegler (Hrsg.), Im Dienst der bayerischen Geschichte. 70 Jahre Kommission für Bayerische Landesgeschichte; 50 Jahre Institut für Bayerische Geschichte, München 1999, S. 407–435. 398 Für eine kritische Analyse von der Rolle der bayerischen Geschichtsschreibung nach 1945 vgl. insbesondere Löffler, Landesgeschichtsschreibung und Geschichtspolitik; Vollhardt, Staatliche Heimatpolitik, in: Fenn (Hrsg.), Aus der Werkstatt; Vollhardt, Staatliche Heimatpolitik und Heimatdiskurse, S. 69–90. 399 Vgl. Löffler, Landesgeschichtsschreibung und Geschichtspolitik, S. 203, 207 ff.

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te.400 Gerade dies wollte die Militärregierung mit der Gründung des Landespersonalamts verhindern. Auch die Personalpolitik im Generalsekretariat unterlag der strikten Kontrolle des Ministerpräsidenten und somit der Staatskanzlei. Als sich jedoch 1948 herausstellte, dass Metz sich die Personalentscheidungen selbst vorbehielt, erhielt er im Dezember 1948 ein unmissverständliches Schreiben von Fritz Baer. Er teilte ihm mit, dass diese Praxis ein offensichtlicher Verstoß gegen Artikel 42 des Beamtengesetzes war und dass der Ministerpräsident und die Staatskanzlei für die Personalveränderungen zuständig waren.401 Baer forderte, die gesamten Personalangelegenheiten der Staatskanzlei zu übertragen. Der Einfluss der Staatskanzlei auf das Beschlusskollegium wurde noch größer, als Fritz Baer im April 1954 zu dessen Vorsitzenden ernannt wurde. Auf welcher gesetzlichen Grundlage dies geschah bleibt unklar, denn als Abteilungsleiter in der Staatskanzlei war Baer kein Repräsentant der im Artikel 40 des Beamtengesetzes festgelegten Personengruppen, auch nicht nach der Gesetzesänderung vom Dezember 1954.402 Auch nach der Einführung des neuen Beamtengesetzes von 1960 und der Integration des Landespersonalamts als Landespersonalausschuss in die Staatskanzlei blieb Baer Vorsitzender des Beschlusskollegiums. Die richterliche Unabhängigkeit der Mitglieder des Beschlusskollegiums schloss offensichtlich nicht aus, dass sowohl die Staatskanzlei als auch der Ministerpräsident indirekt über die Personalpolitik sehr wohl Einfluss auf die Entscheidungsprozesse zum Schutz des traditionellen bayerischen Berufsbeamtentums nehmen konnten. Obwohl vom Festhalten am traditionellen Berufsbeamtentum in der Nachkriegszeit zweifellos eine stabilisierende Wirkung ausging, verpasste die Demokratie dadurch eine Chance.

Die Verordnung Nr. 113 und die frühe Rückkehr der „Ehemaligen“ Während Hans Ehard die Demokratisierung und Modernisierung der Beamtenschaft erheblich abbremste, ja diese praktisch verhinderte, setzte unter seiner Leitung ab 1947 zugleich eine Tendenz zur Bewältigung der Entnazifizierungsmaßnahmen und zur Wiedereinstellung eines Großteils der entlassenen Beamten in 400 BayHStA, MF 69376, Ein Bollwerk des Berufsbeamtentums. Gespräch mit Präsident Dr. Anton Konrad, Vorsitzender des Landespersonalamts, in: Bayerische Staatszeitung, 27. Juli 1952. 401 BayHStA, MF 69375, Fritz Baer (Staatskanzlei) an das Landespersonalamt (Metz), Betrifft: Personalangelegenheiten des Landespersonalamts, 7. Dezember 1948. 402 Vgl. Bayerisches Gesetz- und Verordnungsblatt, Nr. 22, 22. Dezember 1954, Gesetz zur Änderung des Bayerischen Beamtengesetzes und über versorgungsrechtliche Maßnahmen, 17. Dezember 1954, S. 325–328, hier: S. 325; Fees, Bayerisches Beamtengesetz, S. 42.

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Bayern ein. Ehards Umgang mit der Entnazifizierung ab Dezember 1946 war eine Zäsur in der bayerischen Nachkriegsgeschichte. Das Inkrafttreten der Bayerischen Verfassung, die Konstituierung des Landtags sowie die Wahl Hans Ehards zum Bayerischen Ministerpräsidenten waren wesentliche Schritte auf dem Weg zur Selbstregierung in Bayern. Die Verfassung verlieh Ehards Amt als Ministerpräsident darüber hinaus eine neue demokratische Legitimität. Obwohl sich die Militärregierung mit ihrem Schreiben vom 30. September 1946 – mit dem sie das Verhältnis zu den Landesregierungen in der amerikanischen Besatzungszone neu definierte – noch zahlreiche Eingriffsmöglichkeiten in die Landespolitik vorbehielt, nicht zuletzt im Bereich der Entnazifizierung, verfügte Ehard über umfangreichere politische Gestaltungsmöglichkeiten als sein Amtsvorgänger. Diese wusste er, im Sinne seiner auf Eigenstaatlichkeit gerichtete Politik, zu nutzen. Während der Ministerratssitzung vom 15. Februar 1947 erklärte der Ministerpräsident, dass die Einstellungsbegrenzungen von Hoegner für die Ministerien („Lex Hoegner“) überholt seien und kurzfristig mit neuen Richtlinien für die Wiedereinstellung von Beamten zu rechnen sei.403 Bereits 1946 war nach der Einführung des Befreiungsgesetzes Unklarheit über die Frage entstanden, ob entnazifizierte Beamten wiedereingestellt werden durften.404 Während 1946 einerseits noch an der Lex Hoegner festgehalten wurde, arbeitete Hoegners Regierung andererseits bereits auf Hochtouren an einer Gesetzgebung, die nun die Wiedereinstellung von durch Spruchkammern entnazifizierte Beamte ermöglichen sollte. Diese wurde im Januar 1947 in der Form der Verordnung „Nr. 113 zur Regelung der Rechtsverhältnisse der vom Gesetz zur Befreiung von Nationalsozialismus und Militarismus betroffenen Beamten“ realisiert und von der Militärregierung im März genehmigt.405 Das Hauptziel der Verordnung bestand darin, die entlassenen Beamten, die von den Spruchkammern in die Kategorien „Minderbelastete“, „Mitläufer“ oder „Entlastete“ eingereiht oder „vom Gesetz nicht betroffen“ waren, unter bestimmten Bedingungen eine Rückkehr in die Verwaltung zu.406 Allerdings merkte Ehard 403 Die Lex Hoegner wurde zwar zu keinem Zeitpunkt offiziell außer Kraft gesetzt, dennoch verlor er nach der Einführung der Verordnung 113 vollständig ihre Bedeutung. Vgl. Nr. 10 Ministerratssitzung, 15. Februar 1947, in: Protokolle Kabinett Ehard I, S. 170–205, hier S. 186. 404 Vgl. BayHStA, StK 11918, Entwurf für Schreiben Ministerpräsident Hoegner an alle bayerischen Staatsministerien, 23. November 1946. 405 Vgl. Woller, Gesellschaft und Politik, S. 113. 406 Vgl. Balcar/Schlemmer (Hrsg.), Spitze der CSU, S. 241; Woller, Gesellschaft und Politik, S. 113. Zur Verfassungswidrigkeit der Verordnung Nr. 113 vgl. Entscheidung des Bayerischen Verfassungsgerichtshofes wegen Verfassungswidrigkeit der Art. 184 Bayerischen Verfassung, der Art. 162 und 165 des Bayerischen Beamtengesetzes, der Verordnung Nr. 113 vom 29.1.1947 und 14.7.1948 und der hierzu ergangenen Vollzugsbestimmungen, sowie der VO vom 17.8.1948, in: BGVBL., Nr. 16, 24. Juli 1950, S. 97–106.

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zugleich im Ministerrat dazu an, dass „man sehr zurückhaltend sein müsse und diese Leute nicht in irgend einer hervorgehobenen Position verwenden dürfe“.407 Die Verordnung erklärte das Beamtenverhältnis sowie die Besoldungs- und Pensionsansprüche von den aus politischen Gründen entlassen Beamten für erloschen. Zugleich definierte sie die Bedingungen für eine Wiedereinstellung. Hauptschuldige und Belastete waren von einer Wiederverwendung ausgeschlossen. Minderbelastete durften nur im Angestelltenverhältnis und in einer untergeordneten Stellung wiederverwendet werden. Mitläufer und Entlastete sowie Personen, die vom Gesetz nicht betroffen waren, konnten grundsätzlich wieder ins Beamtenverhältnis übernommen werden, mussten dazu allerdings von ihren früheren Behörden auf ihre fachliche und persönliche Eignung überprüft werden. Zugleich war zur Wiedereinstellung die Genehmigung der Militärregierung sowie des zuständigen Staatsministeriums notwendig. Nachdem verschiedene Betroffene vor dem Bayerischen Verfassungsgerichtshof gegen die Verordnung geklagt hatten, erklärte sie das Gerichtshof im Juli 1950 für verfassungswidrig und nichtig. Diese Wiedereinstellungspolitik konnte auf politische, gesellschaftliche und kirchliche Unterstützung setzen. So wurden überall in Bayern bereits nach der Einführung des Befreiungsgesetzes die Einstellungsrichtlinien der Staatsregierung ignoriert, sodass beispielsweise zur Jahreswende 1946/47 die formale Belastung unter dem Führungspersonal im Regierungsbezirk Oben- und Mittenfranken bei etwa 35 Prozent lag.408 Zugleich ging aus Umfragewerten der Militärregierung hervor, dass der Anteil der Bevölkerung in Bayern, die der Entnazifizierung zustimmte, von 57 Prozent im März auf 34 Prozent im Dezember 1946 gesunken war. Damit hatte die „verhasste Entnazifizierung“ von Anfang an mit erheblichem Widerstand aus der Bevölkerung zu kämpfen.409 Zugleich distanzierten sich die CSU und FDP 1947 in zunehmenden Ausmaß von der Entnazifizierung, während die Kirchen sie in Bayern bereits ab 1946 sabotiert hatten.410 Auch die Militärregierung kam 1947 zum Schluss, dass die Entnazifizierung in zunehmenden Ausmaß ein Hemmnis für die wirtschaftliche Entwicklung ihrer Zone sowie für die Westintegration war. Unter weiterem Druck des sich zuspitzenden Kalten Kriegs und einem Umschwung im Mai 1947 in der amerikanischen Öffentlichkeit gegen die Entnazifizierung, war auch das OMGUS an einer beschleunigten Abhandlung der Entnazifizierung interessiert. Die Militärregierung hielt zwar nach außen am Befreiungsgesetz fest, den407 Vgl. Nr. 10 Ministerratssitzung, 15. Februar 1947, in: Protokolle Kabinett Ehard I, S. 170–205, hier S. 186. 408 Vgl. Woller, Gesellschaft und Politik, S. 113. 409 Vgl. Woller, Loritz-Partei, S. 42–49. Zit. nach: Hoegner, Schwieriger Außenseiter, S. 233. 410 Grundsätzlich hielt die CSU die Entnazifizierung für etwas Gutes, lehnte sie jedoch die Ausführung der Entnazifizierung ab. Vgl. Hoser, Entnazifizierung, in: Schuster (Hrsg.), Entnazifizierung, S. 493.

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noch sollten schließlich nur noch die Hauptschuldigen einem Verfahren unterzogen werden. Die übrigen Personengruppen sollten dagegen so schnell wie möglich amnestiert oder zu Mitläufern erklärt werden.411 So erließ die Militärregierung am 5. Februar 1947 die bereits kurz vor dem Weihnachtsabend 1946 angekündigte Weihnachtsamnestie, wodurch körperbehinderte und einkommensschwache Personen, die von den Spruchkammerklägern nicht in die Gruppen I bis III eingestuft waren, von der Entnazifizierung ausgenommen wurden.412 Dadurch wurde ein erster, jedoch großer Schritt in Richtung Rehabilitierung der sehr umfangreichen Gruppe „Mitläufer“ („kleine Nazis“) gemacht. Durch die Jugend- und Weihnachtsamnestie kamen insgesamt 80 Prozent der vom Befreiungsgesetz betroffenen Personen nie mit einer Spruchkammer in Berührung.413 Die Bearbeitung der Amnestieanträge lag in den Händen der Spruchkammer, die von dem demagogisch-populistischen Sonderminister Alfred Loritz, auch bekannt als „die Hoffnung der kleinen Nazis“,414 geleitet wurde. Sie legten eine Weihnachtsamnestie großzügig und sehr flexibel aus, sodass die Gruppe, die vom Befreiungsgesetz nichts mehr zu fürchten hatte, wesentlich größer war, als die Militärregierung im Vorfeld eingeschätzt hatte. Somit profitierten durch Missbrauch und Fehlurteile nicht nur die anvisierte Menge der Bagatellfälle sondern auch viele stark von der NS-Zeit belasteten Personen, was jedoch durch die Schnellverfahren in der undurchschaubar gewordenen Spruchkammerpraxis komplett unterging.415 Zugleich gab es in den Spruch- und Berufungskammern unter Loritzs Leitung eine weitverbreitete Tendenz, auch schwerbelastete Personen als Mitläufer einzureihen. So entwickelte sich das Spruchkammersystem, wie Lutz Niethammer in seiner zum Standardwerk gewordenen Studie dargelegt hat, zu einer „Mitläuferfabrik“, die darauf ausgerichtet war, schwerbelastete Personen so schnell wie möglich zu rehabilitieren.416 Obwohl Ehard befürchtete, dass Loritzs Vorgehen 411 Vgl. ebenda, S. 500–503. 412 Bereits unter Anton Pfeiffer wurde eine Jugendamnestie für Personen, die nach 1919 geboren waren und nicht in die Gruppe I oder II eingereiht waren, durchgeführt. Vgl. ebenda, S. 503 f. 413 Bis zum 31. Dezember 1949 wurden in Bayern 6.780.188 Fragebögen bearbeitet, unter denen sich etwa eine Million Menschen vorübergehend in Bayern aufhielten. Davon waren 4.909.532 Millionen (72 %) nicht betroffen. Betroffen und von den Spruchkammern behandelt waren 1.870.656 Personen, wovon 1.869.378 Fälle direkt erledigt werden konnten. Davon profitierten wiederum 529.357 Personen von der Jugendamnestie und 977.079 von der Weihnachtsamnestie (zusammen etwa 80 %). Aus anderen Gründen wurden 72.833 Personen ebenfalls amnestiert. 280.139 Personen (15 %) wurden in eine der fünf Kategorien eingereiht. Von dieser letzten Gruppe waren 8.858 Personen entlastet, 783 wurden als hauptschuldig befunden, belastet waren 11.164 Personen, minderbelastet 53.116 und 216.218 waren Mitläufer. Vgl. ebenda. 414 Woller, Loritz-Partei, S. 44. 415 Vgl. Woller, Gesellschaft und Politik, S. 143 f. 416 Vgl. Niethammer, Mitläuferfabrik, S. 436–483.

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die Wiedergewinnung der bayerischen Eigenstaatlichkeit bedrohen könnte – nicht zuletzt weil der Sonderminister das von Pfeiffer aufgebaute Sonderministerium innerhalb kürzester Zeit in ein administrativen Chaos gestürzt hatte –, blieb es lediglich bei Warnungen seitens der Militärregierung.417 Die Tendenz, am laufenden Band Mitläufer zu produzieren, wurde im August 1947 verstärkt, als der US-Kriegsminister verkündete, dass die Entnazifizierung bis zum 31. März 1948 beendet werden sollte. Dazu wurden am 7. Oktober 1947 das erste und am 25. März 1948 das zweite Änderungsgesetz zum Befreiungsgesetz angenommen. Mit dem ersten Änderungsgesetz wurde das Beschäftigungsverbot für Personen, die nicht zu den Gruppen I oder II gehörten, gelockert. Außerdem konnten die Kläger diejenigen, die nominell zu der Gruppe II gehörten, ohne öffentliches Verfahren als Mitläufer einstufen. Nach dem zweiten Änderungsgesetz galt das Beschäftigungsverbot nur noch für die Hauptschuldigen und so konnten die Öffentlichen Kläger die Belasteten mit Schnellverfahren in die Kategorie der Mitläufer einstufen.418 Somit wurde das Befreiungsgesetz schließlich zu einer Art Generalamnestie für die Schwerbelasteten, zumal die Special Branch der Militärregierung am 28. Mai 1948, später als ursprünglich beabsichtigt war, ihre Kontrolle über die Spruchkammer einstellte.

Das 131er Gesetz Am 23. Mai 1949 ging die Entnazifizierung in die Hände der Bundesrepublik über. Der Historiker Norbert Frei hat für den Umgang mit NS-Vergangenheit in der frühen Bundesrepublik den Begriff „Vergangenheitspolitik“ geprägt. Mit dem Konzept brachte er die Bemühungen aller Fraktionen des ersten Bundestags ab Herbst 1949 auf den Punkt, eine Beendigung, teilweise sogar Rückgängigmachung der politischen Säuberung der Alliierten zu realisieren. Es handelte sich dabei um die „Bewältigung der frühen NS-Bewältigung“, die eine Mischung aus „Amnestie, Integration und Abgrenzung“ darstellte, und deren Adressaten nicht die Opfer des Nationalsozialismus sondern die „Opfer“ der Säuberungspolitik der Alliierten waren.419 Diese Politik, die bis in die späten fünfziger Jahre andauerte, konnte mit der Unterstützung der westdeutschen Gesellschaft rechnen, deren große Mehrheit einen Schlussstrich unter der Säuberungspolitik erwartete. Sie erfüllte zunächst eine wichtige Funktion bei der kurzfristigen Stabilisierung der jungen Bundesrepublik und der Integration der von den Entnazifizierungsmaßnahmen betroffenen Perso417 Vgl. Woller, Loritz-Partei, S. 55. 418 Vgl. Hoser, Entnazifizierung, in: Schuster (Hrsg.), Entnazifizierung, S. 502 f. 419 Vgl. Frei, Vergangenheitspolitik, S. 13 f.

3.3 Vergangenheitspolitik und die frühe Wiedereinstellung der „Ehemaligen“ 

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nen. Die große Gruppe der aus politischen Gründen entlassenen Beamten profitierte davon.420 Neben den sogenannten Straffreiheitsgesetzen421 (1949 und 1954) bildete das „Gesetz zur Regelung der Rechtsverhältnisse der unter Artikel 131 des Grundgesetzes fallenden Personen“ den wichtigsten Meilenstein der Vergangenheitspolitik. Das im Mai 1951 erlassene Bundesgesetz regelte die Rechtsverhältnisse der insgesamt etwa 350.000 „verdrängten Beamten und Berufssoldaten“, die vor dem 8. Mai 1945 im öffentlichen Dienst gearbeitet hatten und in der Nachkriegszeit entlassen worden waren oder infolge der deutschen Teilung ihre Beschäftigungsbehörde verloren hatten.422 Doch nicht erst die 1950er Jahre und das 131er Gesetz stellten in der Staatskanzlei einen „Sieg der Ehemaligen“ dar.423 Vielmehr siegten sie bereits vor der Gründung der Bundesrepublik und zwar ab 1947 mit der Verordnung Nr. 113. Was aus bayerischer Sicht 1947 bereits mit der Verordnung Nr. 113 anfing, wurde auf Bundesebene mit dem 131er Gesetz – allerdings wesentlich umfangreicher – fortgesetzt. Mit dieser Verordnung machten Ehard und die Bayerische Staatsregierung 1947 bereits einen grundlegenden Schritt, der von der Militärregierung genehmigt wurde, um zahlreiche Mitläufer wieder einzustellen und zu integrieren. Darunter befanden sich auch Personen, die zwar erheblich belastet waren, jedoch von den Missständen der Spruchkammerpraxis profitiert hatten. Bis Dezember 1948 fanden in Bayern bereits 14.400 Beamte den Weg zu ihren Schreibtischen zurück.424 Somit standen die Jahre zwischen 1945 und 1949 in Bayern nicht nur im Zeichen der amerikanischen Säuberungen und Entlassungswellen.425 Vielmehr wurde hier zugleich mit der Verordnung Nr. 113 Vergangenheitspolitik betrieben, die auf eine 420 Vgl. ebenda. 421 Vgl. ebenda, S. 29–54, 100–133. 422 Darunter waren 197.332 „verdrängte Beamte“ (darunter 33.397 Arbeiter und Angestellte) und 147.595 ehemalige Wehrmachtsangehörige. Einschließlich der Familienangehörigen waren insgesamt von dem Gesetz etwa 1,3 Millionen Personen in der Bundesrepublik betroffen (ohne Berücksichtigung der Anspruchsberechtigten von Bahn und Post). Vgl. ebenda, S. 70 f.; Peter Reichel, Vergangenheitsbewältigung in Deutschland. Die Auseinandersetzung mit der NS-Diktatur in Politik und Justiz, München 2007, S. 112. 423 Mit diesem Ausdruck von Eugen Kogon hat der Historiker Dominik Rigoll die Einstellung der „131er“ in das Bundesinnenministerium, in manchen Fällen auf Kosten von unbelasteten Beamten, auf den Punkt gebracht. Vgl. Dominik Rigoll, „Ein Sieg der Ehemaligen“: Beamtenrechtliche Weichenstellungen für „45er“ und „131er“, in: Frank Bösch/Andreas Wirsching (Hrsg.), Hüter der Ordnung. Die Innenministerien in Bonn und Ost-Berlin nach dem Nationalsozialismus, Göttingen 2018, S. 407–435. Vgl. auch Dominik Rigoll, Das Gründungspersonal der Bonner Bundesbehörden. Über Karriere- und Rekrutierungsmuster nach 1945, in: Frank Bösch/Martin Sabrow (Hrsg.), ZeitRäume 2016, Göttingen 2016, S. 55–72. 424 Vgl. Hoser, Entnazifizierung, in: Schuster (Hrsg.), Entnazifizierung, S. 505. 425 Vgl. Norbert Frei, 1945 und wir. Das Dritte Reich im Bewußtsein der Deutschen, München 2009, S. 42–45.

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schrittweise „Bewältigung der frühen NS-Bewältigung“ und eine Rückkehr und Integration der „Ehemaligen“ in die bayerische Ministerialverwaltung zielte. Hier fing bereits eine wesentliche Tendenz zur Bewältigung der Entnazifizierung an, deren Umfang nach der Gründung der Bundesrepublik exponentiell zunahm.426 Diese Entwicklung spiegelte sich in der formalen NS-Belastung in der Staatskanzlei (siehe auch Grafik 1). Die Verordnung Nr. 113 führte in Kombination mit den jeweiligen Amnestien und der weitverbreiteten Rehabilitierungspraxis in den Spruchkammern zu einem Anstieg von ehemaligen NSDAP-Mitgliedern. Bis Februar 1947 arbeitete in der gesamten Staatskanzlei lediglich eine Person, die Mitglied in der NSDAP gewesen war: der Angestellte und erste Vorsitzende des Betriebsrats Max Schwenke.427 Vermutlich hatte er seinen Beitritt im Jahre 1940 allerdings vor seinen Vorgesetzen verschwiegen, denn auf den Personalübersichten der Staatskanzlei nach 1945 wurde er konsequent als Nicht-Mitglied aufgeführt, sodass die Staatskanzlei davon ausging, dass die Lex Hoegner eingehalten wurde. Bereits im August 1948 waren jedoch 18,5 Prozent des Führungspersonals Mitglied der NSDAP gewesen, im Mai 1950 lag die Zahl bei 27,3 Prozent und 1953 erreichte sie mit etwa 28 Prozent einen Höhepunkt. Dabei blieb die absolute Zahl der ehemaligen Mitglieder auf der Führungsebene allerdings stabil – 1948 handelte es sich um fünf und 1950 sowie 1953 um sechs Personen – und die relative Zunahme ergab sich vor allem aus dem Rückgang des Führungspersonals von 27 im August 1948 auf 22 bzw. 21 Personen im Mai 1950 und 1953. In der gesamten Staatskanzlei lag die formale NS-Belastung im August 1948 bei 11,7 Prozent, im Mai 1950 bei 16,6 Prozent und 1953 bei 16,0 Prozent. Im gleichen Zeitraum sank allerdings die Gesamtpersonalstärke von 102 auf 81 Personen. Mit einer absoluten Zahl von 12 ehemaligen Parteigenossen im Gesamtpersonal stellte die Staatskanzlei um 1948 eine auffallende Ausnahme innerhalb der bayerischen Ministerialverwaltung dar, denn in den meisten Geschäftsbereichen der bayerischen Ministerien wurden zu diesem Zeitpunkt bereits jeweils tausende ehemaligen NSDAP-Mitglieder beschäftigt.428 426 Angela Borgstedt spricht von den landesgesetzlichen Initiativen zur Wiedereinstellung und Integration von entnazifizierten Beamten als einen „Vorgeschmack“ vom späteren 131er Gesetz. Vgl. Angela Borgstedt, Die kompromittierte Gesellschaft. Entnazifizierung und Integration, in: Peter Reichel/Harald Schmid/Peter Steinbach (Hrsg.), Der Nationalsozialismus – die zweite Geschichte. Überwindung, Deutung, Erinnerung, München 2009, S. 85–104, hier S. 100. 427 Zu seiner Funktion als Vorsitzender des Betriebsrats: BayHStA, StK 13430/1, Pfeiffer an Schwenke, 22. April 1948. Zu Schwenkes NSDAP-Mitgliedschaft: BArchB, R 9361-IX Kartei/40881352. 428 Die größte Zahl an ehemaligen NSDAP-Mitgliedern befand sich in den Geschäftsbereichen des Staatsministeriums des Innern, des Staatsministeriums der Justiz, des Staatsministeriums für Unterricht und Kultus sowie des Staatsministeriums der Finanzen. Siehe: ArchdBL, Legislaturperiode 1, Beilage 2403 zur Beilage 2107, Bayerische Staatskanzlei an den Präsident des Bayerischen Landtags, Übersicht über die in der Staatsverwaltung beschäftigten bzw. wieder entlassenen ehemaligen Mitglieder der NSDAP und deren Gliederungen, der politischen und rassisch Verfolgten

3.3 Vergangenheitspolitik und die frühe Wiedereinstellung der „Ehemaligen“ 

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%

Gr. 1: Anteil der NSDAP- und SA-Mitglieder im Führungspersonal der Staatskanzlei zu neun Messzeitpunkten zwischen April 1945 und Dezember 1962. Angaben der Verteilung pro Zeitpunkt erfolgen in Prozent (%). Prozentangaben beziehen sich auf folgende Grundgesamtheiten des Führungspersonals: April 1945 N = 8; August 1945 N = 12; Oktober 1945 N = 13; Februar 1947 N = 15; August 1948 N = 27; Mai 1950 N = 22; 1953 N = 21; Februar 1957 N = 19; Dezember 1962 N = 8.

Die formale NS-Belastung in der Staatskanzlei erreichte bereits einen Höhepunkt, als im Bundestag noch über das 131er Gesetzes diskutiert wurde.429 Damit wich die Entwicklung in der Staatskanzlei deutlich von der in den Bundesministerien ab, wo die Durchführung des 131er Gesetzes großenteils mit dem personellen Aufbau zusammenfiel, sodass hier die formale Belastung im Laufe der 1950er Jahre rasant anstieg.430 In der Staatskanzlei war die Besetzung der Schlüsselpositionen dagegen 1951 bereits abgeschlossen, ja ging die Tendenz sogar in die Richtung eines Personalabbaus. Dies geht ebenfalls aus der Durchführung des 131er Gesetzes in der Staatskanzlei ab 1951 hervor, die in den Händen von Tiefenbacher und Baer lag. Nach § 12 des 131er Gesetzes mussten Bund, Länder und Gemeinden 20 Prozent ihres Besoldungsaufwands für „131er“ ausgeben und nach § 13 ebenfalls 20 Prozent und der Flüchtlinge nach dem Stand vom 31.12.1948, abgeschickt am 1. April 1949, S. 6 f., https:// www.bayern.landtag.de/www/ElanTextAblage_WP01/Drucksachen/0000002000/01-02403.pdf [31. Juli 2023]. 429 Die Diskussionen über einzelne Paragraphen und die Vorbereitung des 131er Gesetzes zwischen Bayern und dem Bund zwischen 1949 und 1953 sind ausführlich in den „Generalakten“ überliefert: BayHStA, StK 11861, 11862. Vgl. Frei, Vergangenheitspolitik, S. 69–100. 430 Vgl. Stange, Leitende Beamten, in: Bösch/Wirsching (Hrsg.), Hüter der Ordnung, S. 88–94.

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ihrer Planstellen mit „131ern“ besetzen.431 Wichtig war allerdings, dass in der bayerischen Ministerialverwaltung bei der Umsetzung von den beiden Paragraphen nicht jede Einzelbehörde diese Quote erfüllen musste, sondern die bayerische Verwaltung als Einheit galt und somit der Durchschnitt aller Landesbehörden zählte.432 Somit konnten die zu geringen Anteile an Besoldungsbeiträgen und „131er“ in der einen Behörde durch eine Übererfüllung in einer anderen kompensiert werden. In Bayern war das Ministerium der Finanzen für den Vollzug und die Koordination des 131er Gesetzes zuständig. Die Staatskanzlei wurde dabei fortdauernd auf dem Laufenden gehalten und erfüllte eine kontrollierende Rolle. Das Finanzministerium kontrollierte für die gesamte Landesverwaltung, wie sich die Zahl an Beschäftigten „131er“ und wie sich die Besoldungsbeiträge entwickelten. Dabei warnte der Finanzminister regelmäßig mit einem Rücklauf an „131er“ und vor der Gefahr, dass Bayern den Bund finanziell kompensieren müsste, wenn die 20 Prozent Hürde nicht länger erreicht würde. Ebenfalls war beim Finanzministerium die für die bayerische Verwaltung zuständige „Landesunterbringungsstelle“ untergebracht, von dort aus die Wiedereinstellung von „131ern“ in Bayern zentral koordiniert wurde. Neben der gesetzlichen Pflicht, 20 Prozent der Planstellen mit „131ern“ zu besetzen, erfüllte die bayerische Ministerialverwaltung zugleich eine praktische Rolle. So wurden die Anträge von „131ern“ auf Wiedereinstellung bei den Landratsämtern in Bayern abgegeben und von dort aus an die zuständige Ministerialbehörde geschickt, die die Bewerbungen für die Bundesministerien wiederum an Bonn weiterleitete. Die Staatskanzlei war für die Wiedereinstellungsanträge von ehemaligen Mitarbeitern des Auswärtigen Amts zuständig. Von Anfang an lag die Zahl der „131er“ in der Staatskanzlei unter 20 Prozent und nahm außerdem im Laufe der 1950er Jahre weiter ab. Lag der Anteil nach § 13 im Bereich der Staatskanzlei im März 1952 bei 17,5 Prozent, so sank er bis März

431 Vgl. Henning von Arnim (Hrsg.), Gesetz zur Regelung der Rechtsverhältnisse der verdrängten Beamten und Berufssoldaten. (Gesetz nach Artikel 131 des Grundgesetzes), Berlin u. Frankfurt am Main 1951, S. 56–59. 432 Für die allgemeinen Durchführungsvorschriften- und Verordnungen des 131er Gesetzes in Bayern unter dem Einfluss des Bund-Länder-Verhältnis: BayHStA, StK 11861–11868. Vgl. Henning von Arnim (Hrsg.), Durchführungsbestimmungen zum Gesetz zur Regelung der Rechtsverhältnisse der verdrängten Beamten und Berufssoldaten. (Gesetz nach Artikel 131 des Grundgesetzes), Berlin u. Frankfurt am Main 1952. Für die konkrete Durchführung in der bayerischen Ministerialverwaltung und die koordinierende Rolle des Finanzministeriums: BayHStA, StK 11869–11871. Die Bewerbungen für das Auswärtige Amt, die von der Staatskanzlei aus weitergeleitet wurden, sind in der Akte 11872 überliefert. Für die Durchführung des 131er Gesetzes in der Staatskanzlei: BayHStA, StK 11873, 11874.

3.3 Vergangenheitspolitik und die frühe Wiedereinstellung der „Ehemaligen“



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1959 auf 8,5 Prozent.433 Die Staatskanzlei erfüllte § 12 jedoch nie: Im März 1952 lag der Besoldungsaufwand für „131er“ bei 15,5 Prozent und im März 1958 lediglich noch bei 12,8 Prozent. Damit war die Staatskanzlei nicht allein. Im Justiz- und insbesondere im Kultusministerium nahmen sowohl die Anzahl der beschäftigten „131er“ als auch deren Besoldungsbeiträge im Laufe der 1950er Jahre ab, sodass die Anteile bis unter die Pflichtgrenze sanken, was wiederum zu Sorgen im Finanzministerium führte.434 Außerdem geht aus der personellen Zusammensetzung der Gruppe „131er“ in der Staatskanzlei hervor, dass es sich hier ohne Ausnahme um Personen handelte, die spätestens bereits 1947 oder 1948 in die Staatskanzlei eingestellt worden waren – darunter Karl Schwend, Hans Schwarzmann, Friedrich Glum und Philipp Freiherr von Brand.435 Der Führungsebene in der Staatskanzlei war wenig daran gelegen, ab 1951 nach dem 131er Gesetz noch mehr Personen in die Behörde einzustellen, als dort bereits arbeiteten – allerdings nicht, weil sie die von der NS-Zeit belasteten Personen prinzipiell nicht einstellen wollte, sondern weil sie das Arbeitsniveau in der Behörde nicht mit der Einstellung von Personen aus der sehr heterogenen Gruppe der „131er“ aufs Spiel setzen wollte.436 Das Resultat der Säuberungspolitik der amerikanischen Militärregierung stand in vielerlei Hinsicht in Kontrast zu dem umfangreichen und revolutionären Elitenaustausch, der zum Beginn der Besatzungszeit vorgenommen wurde. Dennoch wäre es zu vereinfacht dargestellt, sie nur als gescheitert zu betrachten. Immerhin wurden zwischen 1945 und 1949 ebenfalls Kriegsverbrecher hart bestraft,437 NS-Funktionäre jahrelang interniert und die Entnazifizierungspolitik bedeutete für viele Mitläufer als Strafe für ihren Opportunismus eine „temporäre 433 Zum Bereich der Staatskanzlei wurde nicht nur der Kernbereich der Behörde mitgezählt, sondern auch die Bereiche des Landespersonalamts und des Bevollmächtigten Bayerns beim Bund. 434 Für den Gesamtüberblick mit einem Vergleich zwischen 1952 und 1958 vgl. BayHStA, StK 11874, Übersicht über die Erfüllung des Planstellenpflichtanteils nach § 13 des Gesetzes zu Artikel 131 GG, 31. März 1958. 435 Vgl. BayHStA, StK 11873, Baer an Finanzministerium, 9. Juli 1951. Daneben konnten vier Personen, die vor dem 8. Mai 1945 in der Staatskanzlei gearbeitet hatten, von § 63 des 131er Gesetzes profitieren, sodass sie einen Anspruch auf Versorgungsbezüge erhielten, ohne jedoch in die Staatskanzlei zurückzukehren. Nach § 63 zählte diese Gruppe allerdings nicht bei der Ermessung der 20 Prozent mit. Vgl. Arnim (Hrsg.), Gesetz zur Regelung, S. 134–139. Für die vier betroffenen Personen, darunter der ehemalige Leiter der Pressestelle in der Staatskanzlei Michael Bäuml: BayHStA, StK 11862, Entwurf: Übersicht der nicht wiedereingestellten, nach § 63 des Gesetzes zu Art. 131 GG unterzubringenden Personen der StK, 1. Dezember 1951. 436 Die sehr heterogene Zusammensetzung der vom 131er Gesetz betroffenen Personengruppe, zu der viele Vertriebene und Flüchtlinge zählten, stieß mit dem homogenen Einstellungsideal der Staatskanzlei zusammen. 437 Vgl. Gerd R. Ueberschär, Der Nationalsozialismus vor Gericht. Die alliierten Prozesse gegen Kriegsverbrecher und Soldaten, 1943–1952, Frankfurt am Main 2008.

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3 Führungspersonal und Personalpolitik

soziale Deklassierung und gesellschaftliche Demütigung“.438 So brauchten viele Mitläufer, die im Sommer 1945 entlassen wurden, mindestens zwei Jahre, jedoch in vielen Fällen wesentlich länger, um wieder in die Verwaltung zurückzukehren. Exemplarisch dafür ist der Fall von Karl Schwend, dessen Entnazifizierungsverfahren sich seit dem Sommer 1945 in die Länge zog. Erst durch eine persönliche Intervention von Pfeiffer als Sonderminister im Oktober 1946 ging das Verfahren gegen den ehemaligen Leiter der BVP-Korrespondenz voran.439 Im März 1947 erhielt er dann, obwohl er mit Pfeiffer und Ehard über die einflussreichsten Freunde verfügte, die es in der bayerischen Politik gab, seinen Sühnebescheid und wurde in die Gruppe der Mitläufer eingereiht. Gerade von dieser sozialen und finanziellen Demütigung ging zugleich ein großes Potenzial für die Integration und Anpassungsbereitschaft der Mitläufer und die Stabilisierung der Verwaltung aus, denn für die Betroffenen war klar, dass sich dem neuen System zumindest äußerlich anzupassen die einzige Option war, um aus ihrer schwierigen Lage herauszukommen. Zur Integration von „Ehemaligen“ trug darüber hinaus die Wahrnehmung von NS-Belastung durch das für die Personalpolitik zuständige Führungspersonal in der Staatskanzlei bei. Unter der Führung Anton Pfeiffers hatte sich hier bereits 1945/1946 die pauschalisierende Vorstellung durchgesetzt, dass es sich bei den meisten formal Belasteten um „Karteigenossen“, jedoch nicht um überzeugte „Parteigenossen“ handelte. Diese Auffassung dominierte in der Staatskanzlei nach wie vor, sodass Ehard, Pfeiffer und Baer die formalen Mitgliedschaften vieler „Ehemaligen“ nicht als NS-Belastung wahrnahmen. Zugleich klammerten sie die Frage nach belastenden Handlungen aus der NS-Zeit großenteils aus oder relativierten, pauschalisierten und bagatellisierten sie – auf ähnliche Weise wie die formale Belastung – aufgrund von hervorgebrachten Zwangslagen im NS-Staat. Schuld am Nationalsozialismus und der Pervertierung des Staatssystems trug in ihren Augen eine kleine nationalsozialistische Elite, jedoch nicht die Masse der Verwaltungsbeamten. Zur Exkulpation von zahlreichen Beamten trugen Ehard und Pfeiffer mit sogenannten Persilscheinen für Beamte bei, die sie in der Staatskanzlei einstellen wollten. Außerdem waren sie weniger an der Frage interessiert, wofür ein Beamter sein Expertenwissen vor 1945 eingesetzt hatte, sondern vielmehr, wie sie dies nach 1945 einsetzen konnten. Dabei heiligte der eigenstaatliche, föderalistische Zweck 438 Vgl. Frei, 1945 und wir, S. 43; Reichel, Vergangenheitsbewältigung, S. 36 f. Zit. nach: Clemens Vollnhals (Hrsg.), Entnazifizierung. Politische Säuberung und Rehabilitierung in den vier Besatzungszonen 1945–1949, München 1991, S. 262. 439 StAM, SpKA K 1741, Schwend, Karl, Brief Schwend an Pfeiffer, 30. September 1946. Auf dem Brief steht ein handschriftlicher Vermerk von Pfeiffer vom 7. Oktober 1946 an seine Beamten im Sonderministerium, den Fall „bald zu behandeln“.

3.3 Vergangenheitspolitik und die frühe Wiedereinstellung der „Ehemaligen“



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die von der NS-Zeit belasteten Mittel; der Umgang mit der NS-Belastung der Beamtenschaft wurde eindeutig der bayerischen Eigenstaatlichkeitspolitik untergeordnet. Dies erklärt, warum Pfeiffer, obwohl er im „Dritten Reich“ unter der NS-Bildungspolitik stark gelitten hatte, prinzipiell kein Problem damit hatte, belastete Beamte in der Staatskanzlei einzustellen. Dabei hatte er bereits 1946 als Sonderminister für einen schnellstmöglichen Schlussstrich unter der NS-Vergangenheit plädiert, um damit den staatlichen Wiederaufbau voranzutreiben.440 Zugleich ließen Ehard, Pfeiffer und Baer sich stark von ihrem persönlichen Eindruck vom Charakter und Fachwissen eines Beamten leiten. Dabei stand ihnen das das Leitbild des bayerischen Berufsbeamten als staatsdienender, apolitischer Fachexperte vor Augen, mit dem sich insbesondere Ehard und Baer selbst identifizierten. Schließlich spielte bei Ehard und Baer ein biographischer Aspekt eine Rolle. Beide hatten während der NS-Zeit als Beamte in der Verwaltung gearbeitet, sahen sich jedoch als unbelastet an. Hätten sie allerdings die Handlungen von anderen Beamten kritisch hinterfragt, so hätten sie damit indirekt auch ihr eigenes Handeln kritisch hinterfragen müssen, was eindeutig nicht in ihrem Interesse war. Somit überließen sie das Urteilen über die NS-Vergangenheit den Spruchkammern und konzentrierten sich auf die Fachkenntnisse der Beamten. In diesem Sinne resultierten die Verordnung Nr. 113 und die Entnazifizierungspraxis in den Spruchkammern ab 1947 nicht so sehr in einem neuen Verständnis von NS-Belastung. Vielmehr boten sie dem Führungspersonal die Möglichkeit, um auf der Führungsebene der Staatskanzlei Fachexperten einzustellen, die zwar der NSDAP beigetreten, jedoch nach ihrer Wahrnehmung keine Nationalsozialisten waren. Damit verlor die Frage nach einer Mitgliedschaft in der NSDAP, deren Organisationen und Gliederungen ab 1947 zunehmend an Bedeutung. Sie war in der Einstellungspraxis nicht länger ein Ausschlusskriterium. So ergriffen Ehard und Pfeiffer 1947 die Chance, Karl Schwend nach seiner Entnazifizierung durch die Spruchkammer zunächst im Angestelltenverhältnis zu beschäftigen.441 Als Karl Schwend 1948 die Leitung der Gruppe B „Innenpolitik“ übernahm, war er nach Kriegsende der erste Gruppenleiter, der Mitglied der NSDAP gewesen war. Aus den Personalakten geht außerdem hervor, dass für die Wiedereinstellung eines entlassenen Beamten nicht so sehr die Frage nach seiner NS-Belastung relevant war, sondern die nach seinem Verhalten während der NS-Zeit gegenüber seinen Kollegen. So wollte der Regierungsoberinspektor Hermann Winter, der zum 1.

440 Vgl. Anton Pfeiffer, Meine Aufgabe, in: Bayerischer Staatsanzeiger, 27. Juli 1946. Konrad Adenauer argumentierte drei Jahre später in seiner ersten Regierungsklärung als Bundeskanzler in genau die gleiche Richtung. Vgl. Stange, Leitende Beamten, in: Bösch/Wirsching (Hrsg.), Hüter der Ordnung, S. 119. 441 BayHStA, StK 13455, Vormerkung über Karl Schwend, 19. Oktober 1949.

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3 Führungspersonal und Personalpolitik

Mai 1933 der NSDAP beigetreten war und bereits während der NS-Zeit in der Staatskanzlei gearbeitet hatte, 1948 nach seiner Entnazifizierung in die Behörde zurückkehren. Dennoch lehnte Baer seine Wiedereinstellung gegenüber dem Finanzministerium mit dem Argument ab, dass sich der Teil des Personals in der Staatskanzlei, der während der NS-Zeit mit ihm zusammengearbeitet hatte, über das frühere Verhalten von Winter beklagte und seine Wiedereinstellung ablehnte. Somit würde seine Wiedereinstellung zu internen Reibungen in der Behörde führen.442 Die Wiedereinstellung von „Ehemaligen“ konnte auf Dauer nicht mit der Unterstützung aller Beteiligten geplant werden, wie aus einem Brief des während der NS-Zeit politisch Verfolgten Personalreferenten Ludwig Tiefenbachers hervorgeht. Obwohl es keinerlei Hinweise auf Spannungen oder Konflikte zwischen Tiefenbacher und Baer innerhalb der Gruppe A gibt, äußerte der Beamte im Mai 1949 seine Unzufriedenheit über die Einstellungspraxis der bayerischen Ministerialverwaltung gegenüber CSU-Innenminister Willi Ankermüller. Dieser wollte Tiefenbacher als Personalreferent für sein Ministerium anwerben. Der Beamte der Staatskanzlei lehnte in einem ausführlichen Brief das Angebot jedoch mit der folgenden Begründung ab: „Unter Bezugnahme auf die Anfrage, die Sie in der vorigen Woche an mich zu richten die Güte hatten, muss ich nach langer und gewissenhafter Abwägung aller in Betracht kommenden Umstände zu meinem Bedauern erklären, dass ich der Berufung in das Staatsministerium des Innern leider nicht Folge leisten kann. Maßgebend für diesen Entschluss sind folgende Gründe: […] Die gegenwärtige Entwicklung bei den Spruchkammern geht leider dahin, auch den politisch schwerer belasteten ehemaligen Beamten-Parteigenossen durch deren Einstufung als Mitläufer oder als Entlastete die Voraussetzungen für die Wiedereinstellung als Beamte zu schaffen. Liegt einmal ein derartiger Spruch vor, so ist es für die Verwaltung erfahrungsgemäß schwer, die Wiederanstellung auf längere Dauer abzulehnen. Als Personalreferent käme ich dadurch wohl oder übel öfter in die Lage, Personalveränderungen mitzumachen, die mich in einen inneren Konflikt mit meiner bisherigen Einstellung und Haltung zum Nationalsozialismus bringen.“443 Der Fall Tiefenbacher offenbart die Schwierigkeiten, die bei der Zusammenarbeit von politisch Verfolgten und Ehemaligen im Verwaltungsalltag entstehen konnten. Dennoch stellte der Fall in der Staatskanzlei eine Ausnahme dar. Tiefenbacher er442 BayHStA, MF 69372, Staatskanzlei (Baer) an das Staatsministerium der Finanzen, 16. Juli 1948. Damit folgte Baer ebenfalls Artikel 7 von der Verordnung Nr. 113, wonach Beamte nicht am gleichen Dienstort wiedereingestellt werden durften, wenn sich daraus Unzuträglichkeiten für die Verwaltung oder den Beamten ergäben. Vgl. Verordnung Nr. 113, in: BGVBL, Nr. 7, 1947, S. 83. 443 BayHStA, StK 13461, Tiefenbacher an Staatsminister des Innern (Ankermüller), 4. Mai 1950, S. 1.

3.3 Vergangenheitspolitik und die frühe Wiedereinstellung der „Ehemaligen“



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füllte, trotz der weiteren Beseitigung der Entnazifizierungspolitik im Laufe der 1950er Jahre, bis zu seiner Ruhestandsversetzung 1959 seine Aufgaben in der Staatskanzlei im Bereich der Personalpolitik. Ab 1947 stellte die Staatskanzlei nicht nur ehemalige NSDAP-Mitglieder in ihrem Führungsbereich ein. Unter den insgesamt 14 Personen, die zwischen 1947 und 1950 ihren Weg in die Staatskanzlei fanden, befanden sich sieben Parteigenossen, sodass der Anteil der „Ehemaligen“ unter den Neueingestellten des Führungspersonals bei 50 Prozent lag. Im Bereich des gehobenen Diensts sah es dagegen ganz anders aus. Hier waren fünf von sechs Personen, die 1950 im gehobenen Dienst in der Staatskanzlei beschäftigt wurden, Parteigenosse gewesen, sodass die formale Belastung hier bei etwa 83 Prozent lag. Obwohl formale Belastung ab 1947 kein Ausschlusskriterium mehr war, ging die Staatskanzlei bei der Einstellung von ehemaligen NSDAP-Mitgliedern unter dem Führungspersonal zurückhaltender hervor. So wurden diese abgesehen von Karl Schwend, bis Anfang der 1950er Jahre zwar als Referatsleiter oder als Referent, jedoch nicht als Abteilungsleiter beschäftigt. Unter den Ehemaligen befanden sich außerdem keine „alten Kämpfer“. Von den sieben ehemaligen Parteimitgliedern waren sechs der NSDAP frühestens 1937 beigetreten, eine Person dagegen bereits 1933. Damit sollte in Hinblick auf die Militärregierung und die Öffentlichkeit der Eindruck vermieden werden, dass sich auf der Führungsebene der Staatskanzlei eine Art „Renazifizierung“ vollzog.444 Dennoch fällt auf, dass sich unter den ehemaligen Parteigenossen ein ehemaliger Rottenführer der SA befand, der Jurist und Verwaltungsbeamte Wilhelm Henle, der bereits im November 1933 der SA beigetreten war.445 Daraus lässt sich ableiten, dass diese Belastungen in der Staatskanzlei nicht als solche wahrgenommen wurden oder nach außen als vertretbar erschienen. Diese Zurückhaltung war keinesfalls überflüssig. Das geht aus den politischen Angriffen gegen Friedrich Glum und Hans Schwarzmann hervor. Sie sind insbesondere exemplarisch für die selektive Art und Weise, worauf NS-Belastung in den ersten Nachkriegsjahren innerhalb der hitzigen bayerischen Parteipolitik als Waffe eingesetzt werden konnte, um politische Gegner in der Öffentlichkeit auszuschalten.

444 Zu diesem Begriff vgl. Ruck, Korpsgeist, S. 231. 445 Dazu: StAM, SpK A, K 677, Henle, Wilhelm; BArchB, R/9361/II/396804. In zwei weiteren Fällen waren die Personen zwar Mitglied der SA gewesen, hatten jedoch kein Amt bekleidet.

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„Zentralist oder Föderalist?“ Der Angriff gegen Friedrich Glum Am 7. August 1948 erschien in der SZ ein Artikel unter dem Titel „Zentralist oder Föderalist? Peinliche Enthüllungen um die bayerische Staatskanzlei“.446 Obwohl es sich um einen kleinen Beitrag auf der zweiten Seite der Zeitung handelte, wogen die Folgen für die Staatskanzlei und insbesondere für den Beschuldigten, Friedrich Glum, schwer. Dem Artikel war zu entnehmen, dass Glum „Opfer eines Angriffes der ‚Bavaria‘, des Nachrichtenblattes der Bayernpartei“ geworden war. Dessen Hauptredakteur, Dr. Rupert Sigl, hatte in einem offenen Brief einen Artikel von Friedrich Glum vom 4. Oktober 1933 in der Berliner Börsenzeitung ans Tageslicht gezogen. In dem Artikel hatte Glum unter dem Titel „Die geistige Auseinandersetzung mit der nationalsozialistischen Revolution“ folgendes geschrieben: „In der Stunde des Sieges sind viele Politiker gescheitert. Deutschland zum Glück zeigte es sich, dass Hitler wirklich ein genialer Staatsmann ist. Er ging aufs Ganze. Am genialsten wohl, wie er sofort den Herd der Gegenrevolution in Bayern erstickte und den Mut hatte, das heiße Eisen des bayerischen Länderpartikularismus, um das alle mit der Reichsreform befassten wie die Katzen um den heißen Brei herumgegangen waren, anzupacken und noch vor der endgültigen Liquidation der Länder durch die Gleichschaltungsgesetze erkennen ließ, dass es in Zukunft nur noch ein einheitliches Reich für die deutsche Nation geben werde, damit den Traum von Freiherrn von Stein und der Befreiungskriege verwirklichend.“ Die Süddeutsche Zeitung verschwieg, dass Glum am 10. November 1933 in der gleichen Zeitung einen Artikel zum Thema „Volksbefragung“447 veröffentlicht hatte, in dem er unter anderem schrieb, dass Hitlers Größe darin bestehe, dass „er sich durch staatsrechtliche Formeln nicht bestimmen“ lasse und dass der „Führer“ wolle, dass „das 3. Reich nicht ein autoritärer Staat sei, indem nur blindlings gehorcht werden soll, sondern er will, dass es ein Volksstaat sein soll, in dem Führer und Nation in den großen entscheidenden Fragen eins sind.“448

446 Autor unbekannt, „Föderalist oder Zentralist? Peinliche Enthüllungen um die bayerische Staatskanzlei“, Süddeutsche Zeitung, 7. August 1948, S. 2. 447 Kopien der beiden Artikel aus der Börsen-Zeitung befinden sich in der Personalakte von Friedrich Glum: BayHStA, StK 13398. Kopien von den Originalen sind im Archiv der MaxPlanck-Gesellschaft verfügbar: AdMPG, D844. 448 BayHStA, StK 13398, Abschrift aus der Berliner-Börsenzeitung vom 10. November 1933, Nr. 528 Abendausgabe, S. 1.

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Abb. 5: Friedrich Glum 1952

Mit diesem Angriff gegen einen Ministerialbeamten der von der CSU-geleiteten Staatskanzlei, der außerdem noch CSU-Mitglied war und als wichtige bayerische Verbindungsperson für den Aufbau des deutschen Bundesstaats galt, versuchte die gerade im März 1948 landesweit lizenzierte Bayernpartei (BP), sich auf Kosten der CSU zu profilieren.449 Die Bayernpartei sammelte in der Nachkriegszeit radikalföderalistische und teilweise sogar separatistischen Elemente, denen der Kurs der CSU zu kompromissbereit erschien. Zugleich stellte sie eine Alternative dar für diejenigen, die sich im rechten Flügel der CSU nicht durchsetzen konnten und somit ihre Partei den Rücken kehrten. Auch gehörten monarchistische Gruppen zu ihrer Klientel, die nach dem Verbot der Bayerischen Heimat- und Königspartei nach einer politischen Heimat suchten. Was 1948 zusätzlich zum Erfolg der Partei beitrug, war der Übertritt des populären CSU-Politikers und Landwirtschaftsministers Joseph Baumgartner, der am 19. Juni zum Parteivorsitzenden gewählt wurde.450 Der Bayernpartei war 1948 viel daran gelegen, sich als eine radikalföderalistische Alternative zur CSU zu profilieren. Dafür bot der Angriff gegen Glum eine ausgezeichnete Chance, denn der Ministerialbeamte spielte als Verfassungsrefe449 Zu Bayernpartei vgl. Ilse Unger, Die Bayernpartei. Geschichte und Struktur 1945–1957, Stuttgart 1979; Gelberg, Kriegsende, in: Schmid (Hrsg.), Neues Bayern, S. 783 ff.; Uwe Kranenpohl, Bayernpartei (BP), publiziert am 08.07.2019; in: Historisches Lexikon Bayerns, URL: https://www.historisches-lexikon-bayerns.de/Lexikon/Bayernpartei_(BP) [3. Oktober 2022]. 450 Vgl. Gelberg, Kriegsende, in: Schmid (Hrsg.), Neues Bayern, S. 784.

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rent in der Staatskanzlei eine wichtige Rolle bei der bayerischen Interessensdurchsetzung auf dem Weg zum Grundgesetz.451 Die Bayernpartei wurde bei ihrem Angriff durch den damaligen Generaldirektor der Generalverwaltung der MaxPlanck-Gesellschaft, Ernst Telschow, geholfen. Telschow hatte Glum 1937 als Generalsekretär der Kaiser-Wilhelm-Gesellschaft (KWG) abgelöst und wollte zwischen 1945 und 1948 verhindern, dass Glum in die Generalverwaltung der Nachfolgeorganisation, die Max-Planck-Gesellschaft, zurückkehrte.452 Dazu beauftragte er sogar einen Privatdetektiv, der den Artikeln von Glum auf die Spur kam und diese an die Bayernpartei weiterleitete, um dem ehemaligen Generalsekretär auch in Bayern auszuschalten. Mit dem Angriff gegen Glum, der im offenen Brief von Rupert Sigl außerdem als „preußischer Deutschnationaler“ und als „Urfeind Bayerns“ bezeichnet wurde, versuchte die Bayernpartei öffentlich anzuzweifeln, dass der bayerische Föderalismus bei der CSU und einem Beamten, der einen Lobgesang auf die Gleichschaltung Bayerns angestimmt hatte, wirklich in guten Händen war.453 Dies hatte sie bereits im Herbst 1946 getan, als der ebenfalls als „Preußen“ eingestufte Hans von Herwarth unter Hoegner ins Beamtenverhältnis übernommen werden sollte.454 Der persönliche Angriff der Bayernpartei gegen Glum bedrohte die von der Staatskanzlei aus koordinierte offensive föderalistische Politik. Der Angriff sowie der Inhalt der Artikel überraschten Ehard, Pfeiffer und Glum.455 Glum war 1946 noch unter Hoegner sogar auf Empfehlung der amerikanischen Militärregierung in die Staatskanzlei eingestellt worden, war zu keinem Zeitpunkt der NSDAP beigetreten und galt auch nach der Spruchkammer als „vom Gesetz nicht betroffen“.456 Nun stellte man sich auch in der Staatskanzlei die Frage, ob Glum für die föderalistische Interessensvertretung noch die richtige Person war, obwohl keine Hinweise existierten, dass er gegen seine Dienstpflicht versto-

451 Nach Glum überließ Pfeiffer ihn die wesentliche Verfassungsarbeit für das Grundgesetz. Dazu vgl. Friedrich Glum, Zwischen Wissenschaft, Wirtschaft und Politik. Erlebtes und erdachtes in vier Reichen, Bonn 1964, S. 601. 452 Auch Glum wusste aus welcher Ecke dieser Angriff ursprünglich kam. Für seine Sichtweise auf die „Aktenbombe“ in Bayern siehe: AdMPG, III 1 206, Brief Glum vom 28. Juli 1948. Zu dieser Streit vgl. auch Rüdiger Hachtmann, Eine Erfolgsgeschichte? Schlaglichter auf die Geschichte der Generalverwaltung der Kaiser-Wilhelm-Gesellschaft im „Dritten Reich“, Berlin 2004, S. 26. 453 Der in der „Bavaria“ veröffentlichte Brief ist überliefert in: BArchK, N1457, Bd. 2. 454 Hoegner verteidigte Herwarth damals erfolgreich mit der Begründung, dass die Herwarths eine alte Familie aus Augsburg waren. Vgl. Herwarth, Von Adenauer, S. 17. 455 In seinen Memoiren geht Glum ausführlich auf den „schweren Schock“ ein. Vgl. Glum, Zwischen Wissenschaft, S. 625 ff. 456 Die Spruchkammer in München hatte am 12. Januar 1948 entschieden, dass Glum auf Grund seines Meldebogens vom Gesetz nicht betroffen war. Siehe: BayHStA, StK 13398, Der Öffentliche Kläger bei der Spruchkammer X an Friedrich Glum, 12. Januar 1948.

3.3 Vergangenheitspolitik und die frühe Wiedereinstellung der „Ehemaligen“



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ßen hatte.457 In der Beurteilung, ob eine Person NS-belastet war, spielten Handlungen und Berufserfahrungen aus der NS-Zeit selten eine Rolle und der persönliche Eindruck war viel wichtiger. Die Tatsache, dass Glum sich jedoch 1933 lobend über Hitlers Angriff gegen die bayerische Staatlichkeit und den Föderalismus geäußert hatte, wurde durch Pfeiffer und Ehard als sehr kritisch wahrgenommen. Dabei ging es für die Staatskanzlei weniger um Glums Haltung zur nationalsozialistischen Ideologie458, sondern um die Frage, ob er Zentralist oder Föderalist war. Glum wurde sofort nach dem offenen Brief in der „Bavaria“ vom 17. Juli 1948 beurlaubt. Damit wollte die Staatskanzlei sowohl nach innen als auch nach außen den Angriff der Bayernpartei im Griff bekommen. Obwohl die Staatskanzlei Glum nicht öffentlich im Schutz nahm, erwecken ihre Handlungen den Eindruck, dass sie hinter geschlossenen Türen an einer Rehabilitation von Glum arbeitete. Fritz Baer legte am 30. August 1948 im Auftrag von Pfeiffer eine Analyse zu den vier „Maßnahmen“, die gegen Glum in Betracht kamen, vor: die Durchführung eines Spruchkammerverfahrens, Einleitung eines Verfahrens wegen etwaiger Fragenbogenfälschung, Einleitung eines Dienstverfahrens sowie die Anfechtung der Ernennung wegen arglistiger Täuschung.459 Glum hatte bereits im Juli 1948 vorgeschlagen, ein Spruchkammerverfahren gegen sich selbst durchzuführen. Auch Baer beurteilte diese Option als die einzig sinnvolle. Somit entscheid sich Baer für die mildeste Maßnahme, denn es war absehbar, dass ein Spruchkammerverfahren zu diesem Zeitpunkt im Fall von Glum maximal zu einer Einstufung als „Mitläufer“ führen würde, sodass er seine Stelle nicht verlieren würde. Nach Baers Vorarbeit erkundigte sich Ehard im Oktober persönlich bei Ludwig Hagenauer, Staatsminister für Sonderaufgaben und CSU-Mitglied, ob die Möglichkeit eines Spruchkammerverfahrens in Betracht komme.460 Daraufhin wurde Glum im Dezember 1948 vom Generalankläger beim Kassationshof verhört. Bereits im Januar fand auf Drängen Ehards hin, der die Angelegenheit schnell zu Ende bringen wollte, die mündliche Aussprache statt; das Verfahren gegen Glum wurde wie erwartet eingestellt.461 Glum hatte zwar seine Sympathien für den Nationalsozialismus öffentlich verbreitet, sich nach diesem Fehltritt jedoch rasch von

457 Ebenda, Vormerkung Baer zu den Maßnahmen gegen Glum, 30. August 1948. 458 Dazu schrieb Glum in seinen Memoiren: „In der Staatskanzlei nahm man den nicht auf Bayern bezüglichen Teil des Artikels in der Börsenzeitung übrigens nicht tragisch.“ Glum, Zwischen Wissenschaft, S. 627. 459 BayHStA, StK 13998, Vormerkung Baer zu den Maßnahmen gegen Glum, 30. August 1948. 460 Ebenda, Entwurf Brief Ehard an Hagenauer, Oktober 1948. 461 Ebenda, Glum an Baer, 8. Januar 1949; StAM, SpKA 522, Glum, Friedrich, Urschrift Generalkläger beim Kassationshof, 21. Januar 1949.

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diesem abgewendet und sogar Widerstand geleistet, versicherte der Kassationshof.462 Dennoch wurde im Februar 1949 die Wiederverwendung von Glum durch die Staatskanzlei als „nicht zweckmäßig“ beurteilt: „Glum hat im Jahre 1933 die damalige bayerischen [sic!] Regierung, an deren föderalistische Grundhaltung die bayerischen Regierungen nach 1945 wieder angeknüpft haben, eben wegen ihres Föderalismus in sehr unschöner Weise angegriffen und eine ausgesprochen zentralistische Einstellung an den Tag gelegt. Wenn auch möglich ist, dass Professor Glum in der Zwischenzeit wirklich ein überzeugter Föderalist geworden ist, so würde seine Wiederverwendung als Referent für Verfassungsfragen in der Bayerischen Staatskanzlei trotzdem herausfordernd wirken und zu dauernden neuen Angriffen in der Öffentlichkeit Anlaß geben.“463 Nicht Glums tatsächliche Zuverlässigkeit im Sinne der föderalistischen Staatsdoktrin, sondern die Gefahr einer Skandalisierung ließ die Staatskanzlei schließlich doch von ihrem Verfassungsreferenten abrücken. Aus diesem Grund sollte für Glum, der immer noch bezahlt beurlaubt war, eine neue Stelle gefunden werden, was sich allerdings als sehr mühselig herausstellte. Weil sich lange keine für alle Parteien zufriedenstellende Lösung finden ließ, versetzte ihn die Staatskanzlei schließlich 1952 mit 61 Jahren vorzeitig in den Ruhestand.464 Der Fall Glum illustriert, wie eine NS-Belastung zielgerichtet als politisches Angriffsmittel benutzt wurde. Er zeigt auch, wie sehr Beamten nach 1945 daran gelegen war, sich den neuen politischen Verhältnissen anzupassen. Im Fall von Glum hatten seine Äußerungen 1933 bereits eine Vorgeschichte. Glum stammte aus einem bildungsbürgerlichen Milieu, hatte zwischen 1911 und 1916 Staats- und Verwaltungsrecht in München, Kiel, Berlin und Bonn studiert und war 1920 mit einer Dissertation über die Verfassungen von Paris, London, New York, Wien und Berlin promoviert worden.465 Drei Jahre später legte er seine Habilitationsschrift über die „Selbstverwaltung der Wirtschaft vor“. Ab 1930 wurde Glum zum außerordentlichen Professor für Staats- und Verwaltungsrecht in Berlin ernannt. Zu462 StAM, SpKA 522, Glum, Friedrich, Urschrift Generalkläger beim Kassationshof, 21. Januar 1949. Die Spruchkammerakte enthält eine große Zahl an entlastenden Erklärungen von ehemaligen jüdischen Kollegen von Glum aus seiner Zeit bei KWG. Siehe dazu ebenfalls Briefwechselungen von Glum in: AdMPG, III 3456, III 47 496. 463 BayHStA, StK 13998, Vormerkung Baer zur weiteren Verwendung vom Ministerialdirigenten Friedrich Glum, S. 2. 464 Ebenda, Vormerkung Betreff: Ruhestandsversetzung des Ministerialdirigenten Prof. Dr. Friedrich Glum, 17. März 1952. 465 Zu Glums Biographie vgl. Hachtmann, Erfolgsgeschichte?, S. 24–27; Bernhard Vom Brocke, Friedrich Glum (1891–1974), in: Kurt G. A. Jeserich/Helmut Neuhaus (Hrsg.), Persönlichkeiten der Verwaltung. Biographien zur deutschen Verwaltungsgeschichte 1648–1945, Stuttgart 1991, S. 449– 454.

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gleich wurde er 1920 nebenamtlicher Generalsekretär der Kaiser-Wilhelm-Gesellschaft, eine Funktion, die er zwischen 1922 und 1937 als Generaldirektor hauptamtlich bekleidete und weitgehend ausbaute. Außerdem war er zwischen 1930 und 1937 Mitglied des Senats.466 Durch seine Tätigkeit in der KWG verfügte er über ein umfangreiches Netzwerk in großbürgerlich-nationalliberalen beziehungsweise rechtskonservativen Honoratiorenkreisen, das zahlreiche Klubs und Vereine umfasste.467 Bereits während der Weimarer Republik interessierte und engagierte er sich politisch. Er gehörte zum national-konservativen Lager und war zwischen 1931 und 1933 Mitglied der Deutschnationalen Volkspartei (DNVP) – die unter der Leitung von Alfred Hugenberg ab 1928 wesentlich zur „Salonfähigkeit“ der NSDAP beitrug.468 Glum verstand sich als Intellektueller und machte, so geht aus seinen vielen Publikationen hervor, aus seinen politischen Ansichten kein Geheimnis.469 Bezahlte Glum in der Nachkriegszeit den Preis für seine Anpreisung des nationalsozialistischen „Einheitsstaats“, so hatten die Artikel 1933 jedoch eher Befremden und Misstrauen bei überzeugten Nationalsozialisten ausgelöst. In seinem Buch „Das geheime Deutschland“ hatte Glum noch 1930 den italienischen Faschismus und Mussolini gefeiert: „Man denkt auch mit staunender Bewunderung an die Macht des faschistischen Geistes. Denn das ist es, was uns in diesen Tagen immer wieder ganz deutlich geworden ist. Der Faschismus hat der Nation, mögen seine inneren Missstände auch groß sein, neue sittliche Antriebe gegeben. Zwar ist es sicher richtig, dass der Duce und seine Unterführer brutal zur Unterdrückung ihren Gegner vorgegangen sind, ja es mag sogar richtig sein, dass es keine Freiheit außerhalb und manchmal auch innerhalb des Faschismus gibt. Aber selbst wenn achtzig Prozent von dem wahr wäre, was im Auslande von den verbannten Italienern über Unterdrückung und Beschränkung der persönlichen Freiheit für die nicht der faschistischen Partei Angeschlossenen erzählt wird, es bliebe doch die Tatsache bestehen, dass die größere Hälfte der Italiener entweder überzeugte Fa-

466 Eine sehr ausführliche Analyse der Rolle der Generalverwaltung der KWG bietet Rüdiger Hachtmann, Wissenschaftsmanagement im „Dritten Reich“. Geschichte der Generalverwaltung der Kaiser-Wilhelm-Gesellschaft, Göttingen 2007 Glums Tätigkeit in der KWG ist umfassend überliefert in seiner Personalakte: AdMPG, III 67 598. 467 Zu diesem Netzwerk vgl. Hachtmann, Erfolgsgeschichte?, S. 27–30. 468 Zur DNVP unter Hugenberg vgl. Klaus Wernecke/Peter Heller, Der vergessene Führer, Alfred Hugenberg. Pressemacht und Nationalsozialismus, Hamburg 1982. 469 Exemplarisch: Friedrich Glum, Das geheime Deutschland. Die Aristokratie der demokratischen Gesinnung, Berlin 1930; Friedrich Glum, Zum Problem der Staatsautorität, in: H. Konen/ J. P. Steffes (Hrsg.), Volkstum und Kulturpolitik. Eine Sammlung von Aufsätzen, Köln 1932, S. 76–90. Siehe auch die große Zahl an Vorlesungen und Veröffentlichungen aus der Weimarer Republik in: BArchK, N1457, Bd. 16, 18, 19, 22, 24, 52.

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schisten oder dem Faschismus für die sittliche Erneuerung ihres Volkes dankbar sind.“470 In diesem Buch sprach sich Glum explizit gegen die „Parteidiktatur“ in Deutschland aus („davor möge uns Gott bewahren!“), die er als Kontrast zur Mussolinis „Diktatur der Demokratie“ sah und die eben nur wegen Mussolinis Persönlichkeit möglich sei.471 Glums Referenzmodell der Demokratie stellte somit nicht die Weimarer Republik dar. Stattdessen favorisierte er eine „Demokratie der Gesinnung“, „die über alle Stände und Klassen hinweg uns [die Deutschen, RT] erst zu einer Nation machen kann“, und die „Raum lässt für ein verantwortungsbewusstes Führertum“.472 Weil aber nach Glums Einschätzung in Deutschland keiner über die gleichen Qualitäten wie Mussolini verfügte – was Hitler unmittelbar disqualifizierte – und das deutsche Volk außerdem keine Nation darstellte, „blieb nur der Weg über die Partei-Diktatur“ übrig, den Glum ablehnte.473 Mit dieser Mussolini-Schwärmerei hatte sich Glum in den Kreisen der Nationalsozialisten nicht beliebt gemacht. Obwohl die beiden Beiträge in der BörsenZeitung 1933 den Versuch darstellten, seine Loyalität zu Hitler zu bezeugen und auf Distanz zu seinen früheren politischen Auffassungen zu gehen, zeigten sich auch hier ideologische Unterschiede zum Nationalsozialismus. Glum gehörte zum rechtsautoritären Kreis um Franz von Papen, der die NS-Bewegung für seine Zwecken benutzen wollte.474 Trotz seiner national-konservativen Gedankenwelt stieß Glum 1933 nicht die informellen Machtzirkel der nationalsozialistischen Staatselite vor; sein umfangreiches Netzwerk verlor nach 1933 stark an politischem Wert. Nicht zuletzt aus diesem Grund musste er 1937 als Generaldirektor der KWG ausscheiden. Aus der Tatsache, dass er Anfang 1936 für eine lange Audienz zu Mussolini fuhr, geht außerdem hervor, dass er 1933 seine Verehrung für den „Duce“ keineswegs verloren hatte.475 In der Nachkriegszeit profilierte sich Glum rasch als föderalistisch-demokratisch eingestellter Intellektueller; von seiner Mussolini-Schwärmerei war nichts

470 Glum, Geheimes Deutschland, S. 9 f. Vgl. dazu auch Bernd Weisbrod, Das „Geheime Deutschland“ und das „Geistige Bad Harzburg“. Friedrich Glum und das Dilemma des demokratischen Konservatismus am Ende der Weimarer Republik, in: Christan Jansen/Lutz Niethammer/Bernd Weisbrod (Hrsg.), Von der Aufgabe der Freiheit. Politische Verantwortung und bürgerliche Gesellschaft im 19. und 20. Jahrhundert. Festschrift für Hans Mommsen, Berlin 1995, S. 285–308. 471 Glum, Geheimes Deutschland, S. 67–71. 472 Ebenda, S. 18. 473 Ebenda, S. 70. 474 Vgl. Hachtmann, Erfolgsgeschichte?, S. 26 f. 475 Vgl. Wolfgang Schieder, Mythos Mussolini. Deutsche in Audienz beim Duce, München 2013, S. 312 ff.

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mehr zu spüren.476 In seiner Stellungnahme zu seinen Artikeln von 1933 gegenüber der Staatskanzlei schrieb Glum 1948: „Ich selbst war bisher [bis 1933, RT] immer auch literarisch für eine föderalistische Gestaltung von Süddeutschland eingetreten.“477 Vermutlich hatte er dabei unter anderem eine Passage aus „Das geheime Deutschland“ im Kopf, in der er diese These äußerte: „Wenn auch die Entwicklung zum Einheitsstaat in Norddeutschland zur Integration des Staates beitragen würde, so sollte man doch, falls den süddeutschen Ländern den Staatscharakter zu erhalten nicht möglich ist, von einer Reichsreform absehen, da die Gegensätze zwischen Süddeutschland und Norddeutschland dadurch vermehrt werden würden.“478 Der Inhalt dieser Passage stand im klaren Gegensatz zum Lob des Einheitsstaats nach der „Machtergreifung“. Obwohl Glum zumindest für Norddeutschland die Vorteile eines Einheitsstaates betonte, plädierte er zugleich für die „Erhaltung des Staatscharakters der süddeutschen Länder“.479 Somit ist seine Stellungnahme von 1948, dass er ursprünglich für „eine föderalistische Gestaltung von Süddeutschland“ eingetreten sei, nicht falsch, aber eine klare Position im Sinne des von Bayern aus vertretenen Föderalismus hatte er während der Weimarer Republik nicht vertreten. Dennoch geht aus Glums Buch hervor, dass er sich bereits vor 1933 vom Gewicht der süddeutschen Staatsvorstellungen innerhalb des Deutschen Reiches bewusst war, und an dieser Problematik konnte er nach 1945 gedanklich anknüpfen. Glums Positionierung in der Nachkriegszeit war eine notwendige Anpassungsleistung. Glum war sich darüber im Klaren, dass er sich in der bayerischen politischen Landschaft nur effektiv integrieren konnte, wenn er den Föderalismus entschieden verfocht. Deswegen trat er ebenfalls der CSU480 bei und konvertierte zum Katholizismus. Zugleich setzte er sich in der Staatskanzlei für die Entwicklung einer föderativ-staatlichen Organisation der außeruniversitären Forschung ein.481 476 Vgl. Friedrich Glum, Bemerkungen zum organisatorischen Teil einer zukünftigen deutschen Verfassung, in: Süddeutsche Juristenzeitung 3 (1948), H. 3, S. 113–118; Friedrich Glum, Der künftige deutsche Bundesstaat, München 1946, S. 17. 477 BayHStA, StK 13398, Stellungnahme Glum [ohne Titel], [ohne Datum], S. 3. Für weitere Stellungnahmen und Korrespondenz zwischen Glum und Vertretern der Wissenschaft und Politik siehe: BArchK, N1457, Bd. 2; N1086 Louis Hermann Brill, Bd. 27 a. 478 Glum, Geheimes Deutschland, S. 115. 479 Ebenda, S. 120. 480 Glum trat am 2. Februar 1948 der CSU bei. Auch nach seiner Beurlaubung blieb er Mitglied der CSU. Seine Mitgliedskarte befindet sich in: BArchK, N1457, Bd. 2. Glum wurde ursprünglich für eine Stelle im Bayerischen Kultusministerium in Erwägung gezogen. Als er diese Stelle jedoch nicht bekam, setzte er sich mit Hoegner in Verbindung und wurde am 19. August 1946 in die Staatskanzlei wegen seiner Staatsrechtkenntnisse eingestellt. Siehe: Ebenda. 481 Vgl. Vom Brocke, Glum, in: Jeserich/Neuhaus (Hrsg.), Persönlichkeiten, S. 453. Siehe auch: BArchK, N1457, Bd. 15, Denkschrift über die Lage der Forschungsinstitute und Forschungsanstalte in Berlin, ohne Datum [Dokument stammt aus direkter Nachkriegszeit].

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Seine föderalistische Einstellung nach 1945 folgte allerdings nicht lediglich aus strategischen beziehungsweise opportunistischen Motiven. Sie stellte ebenfalls, so geht zumindest aus Glums Selbstdarstellung hervor, ein Lernmoment dar: „Ich habe seit 1945 den Wunsch, am Aufbau unserer Demokratie mitzuarbeiten! Gerade weil ich die Schwäche der Weimarer Demokratie schon vor 1933 erkannt habe, die dann zur Diktatur geführt hat, und weil ich fürchte, dass die restlose Wiederherstellung der Weimarer Demokratie wieder zu einer Diktatur führen könnte, deren entsetzliche Folgen ich als eine deutsche Schmach empfinde, bin ich leidenschaftlich für ein System eingetreten, das auf der Basis des englischen Mehrheitswahlrechts und einer starken Mitwirkung der Länder bei der Ausübung der Bundesgewalt eine aktionsfähige Regierung gewährleistet.“482 Weil Glum sich in der Nachkriegszeit als Föderalist profilierte, hegte die Staatskanzlei bis 1948 keinen Verdacht, dass er 1933 in eine zentralistische Richtung argumentiert hatte. Auch kurz nach seiner Beurlaubung in der Staatskanzlei widmete er seine Forschungstätigkeit dem Föderalismus sowie dem parlamentarischen Regierungssystem in Deutschland, was aus unterschiedlichen Publikationen hervorgeht.483 Doch auch diese Veröffentlichungen konnten den Angriff der Bayernpartei und dessen Konsequenzen nicht rückgängig machen.

„Einen Schwager der Familie Ribbentrop“. Der Angriff gegen Hans Schwarzmann Am 26. April 1949 berichtete die Süddeutsche Zeitung erneut über einen Angriff gegen Personal der Staatskanzlei.484 Dieses Mal war es Alfred Loritz, der ehemalige bayerische Entnazifizierungsminister und Vorsitzende der Wirtschaftlichen Aufbau-Vereinigung (WAV), der während einer öffentlichen Rede zwei Tage zuvor vor einer großen Menge am Königsplatz die Staatsregierung und insbesondere die Staatskanzlei attackiert hatte. Ähnlich wie die Bayernpartei, versuchte die WAV – die vom Beginn an eine klassische Protestpartei darstellte –, sich mit Kritik an CSU und Regierungsparteien zu profilieren und die Unzufriedenheit der Bevölkerung zu ihrem Vorteil zu mobilisieren.485 Die Partei hatte seit der Entlassung von Loritz als Sonderminister im Januar 1947 turbulente Jahre hinter sich, die zu einer inter482 BayHStA, StK 13398, Stellungnahme Glum [ohne Titel], [ohne Datum], S. 7. Vgl. auch Glum, Der künftige. 483 Vgl. Friedrich Glum, Das parlamentarische Regierungssystem in Deutschland, Großbritannien und Frankreich, München 1950; Friedrich Glum, Krise der Demokratie!, München 1951. 484 Vgl. Autor unbekannt, „Loritz kritisiert“, in: Süddeutsche Zeitung, 26. April 1949, S. 2. 485 Vgl. Woller, Loritz-Partei, S. 65–126; Gelberg, Kriegsende, in: Schmid (Hrsg.), Neues Bayern, S. 787 ff.

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nen Zersplitterung geführt hatten, sodass dem Vorsitzenden 1949 viel daran gelegen war, die Partei zu stabilisieren. Dazu war ein öffentlich groß inszenierte „Enthüllungen“ zum Schaden der Staatsregierung ein ideales Mittel. Aus einer bisher klassifizierten Akte des BND geht hervor, dass der WAV-Vorsitzende die Informationen von Robert Kempner, dem stellvertretenden amerikanischen Chefankläger bei den Nürnberger Kriegsverbrecherprozessen, bekommen hatte. Aus der Notiz geht hervor, dass zwischen Kempner und Schwarzmann persönliche Spannungen existierten: „Dr. Sch.[warzmann] war im Wilhelmstr.Prozess in Nürnberg von einem gewissen Kempner (Ankläger des amerik. Militärgerichtes) verhört worden. Im April 1949 traf Kempner Dr. Sch.[warzmann] zufällig in Schondorf und versuchte mit ihm eine private Unterhaltung zu führen. Sch.[warzmann] wich jedoch aus und rühmte sich später im Freundeskreis dadurch Kempner bloßgestellt zu haben. Kempner hat daraufhin das protokollarische Material aus dem Nürnberger Prozess Loritz zur Verfügung gestellt was dieser auf einer öffentl. Kundgebung am 24.4.49 auf dem Königlichen Platz [Königsplatz] in München gegen Schwarzmann verwendete.“486 Loritz’ „Enthüllungen“ bestanden darin, dass Hans Schwarzmann, der in der Bayerischen Staatskanzlei beschäftigt war, ein „Schwager der Familie Ribbentrop“ sei.487 Darüber hinaus griff Loritz Ehard persönlich an und warf ihm vor, sich „seinerzeit als Staatssekretär im Justizministerium nicht gegen das Entnazifizierungsgesetz“ gewandt und 1924 eine Lobrede auf Ernst Röhm gehalten zu haben. Aus dem gleichen Artikel war zu entnehmen, dass Ehard bereits während einer Kundgebung der CSU auf die „grotesken Behauptungen und unerhörten Beschimpfungen durch einen Herrn Loritz“ reagiert hatte: „Zu den Behauptungen über Dr. Hans Schwarzmann erklärt Dr. Ehard, dass dieser als junger Mann im Auswärtigen Amt Dienst des Dritten Reiches nur eine untergeordnete Stellung bekleidete und nichts mit der nationalsozialistischen Politik zu tun hatte. […] Nach den Feststellungen der bayerischen Staatskanzlei gehörte Dr. Schwarzmann niemals dem ‚Büro Ribbentrop‘ an und ist auch kein Schwager von ihm. Lediglich die Mutter seiner Frau ist eine Schwester von Frau Henckel, der Mutter der Frau von Ribbentrop. Im übrigen [sic] seien die von Loritz erhobenen Anschuldigungen schon früher von der Militärregierung untersucht und als völlig haltlos befunden worden.“488

486 Siehe: BND-Archiv, 27714_OT, S-2006, Notiz 34b, 2.5.49, S. 12. 487 Autor unbekannt, „Loritz kritisiert“, in: Süddeutsche Zeitung, 26. April 1949, S. 2. 488 Ebenda. Siehe ebenfalls Artikel aus der Abendzeitung vom 30. April 1949 unter dem Titel: „Fall Schwarzmann wird vom Sonderministerium überprüft“ in: StdA München, DE-1992-ZA-P0473-41.

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Auch aus heutiger Sicht kann man sich nur dem anschließen, was Ehard anschließend über den WAV-Vorsitzenden anmerkte: „Es sei merkwürdig, dass Herr Loritz am Mitläufer Dr. Schwarzmann Anstoß nehme, während er sich sonst so sehr für diese Kategorie eingesetzt habe.“ Tatsächlich hatte Loritz als Sonderminister in Bayern die Tore zur „Mitläuferfabrik“ geöffnet. Dieser Angriff zeigt ebenfalls, wie NS-Belastungen in der Nachkriegszeit als politisches Druckmittel eingesetzt wurden. Zugleich sagt die Reaktion Ehards viel über das Verständnis von NSBelastung in der Staatskanzlei aus. Es fällt auf, dass Ehard und die Staatskanzlei Schwarzmann im Gegensatz zu Glum sofort öffentlich in Schutz nahmen und verteidigten. Entscheidend war, dass Schwarzmann während der NS-Zeit nicht gegen den bayerischen Staat und somit gegen den Föderalismus argumentiert oder gehandelt hatte. Obwohl die Richtigstellung Ehards durchaus den Tatsachen entsprach, geht aus der Beurteilung, dass Schwarzmann nichts mit der nationalsozialistischen Politik zu tun hatte, ebenfalls hervor, dass die Staatskanzlei eine selektive Wahrnehmung hatte. Pfeiffer hatte Schwarzmann im Dezember 1947 als seinen persönlicher Referenten im Angestelltenverhältnis eingestellt.489 Der 1913 in Aschaffenburg geborene Jurist hatte in München, Erlangen und Königsberg Jura und Nationalökonomie studiert und legte 1935 in München die Erste Juristische Staatsprüfung ab. Im Jahre 1936 absolvierte er an der Universität in Erlangen die volkswirtschaftliche Abschlussprüfung und promovierte ebenfalls zum Doktor der Rechte.490 Anschließend arbeitete er ab 1937 bis zum Kriegsausbruch als Sekretär bei der „Internationalen Zement Export Konferenz“ in Paris. Bereits als Student trat Schwarzmann im Mai 1933 der NSDAP und der SA bei.491 Aus der SA trat er allerdings bereits drei Monate später wieder aus.492 Zwischen 1934 und 1936 war Schwarzmann Mitglied der Deutschen Studentenschaft sowie zwischen 1942 und 1945 Mitglied des Reichsbunds Deutscher Beamter.493 Im Februar 1940 meldete sich Schwarzmann nach seiner Rückkehr nach Deutschland beim Auswärtigen Amt. Daraufhin arbeitete er zunächst zwei Monaten in der Wirtschaftsabteilung, bis er im April 1940 als Attaché für vier Monate an die Gesandtschaft in Kopenhagen geschickt wurde. Bereits 489 PAAA, P14 57473, Personalbogen Hans Schwarzmann, 23. Juni 1951. Vgl. dazu auch Conze/ Frei/Hayes/Zimmermann, Das Amt, S. 358. Fälschlicherweise wird Schwarzmann hier allerdings als „Ribbentrops Schwäger“ aufgeführt. 490 Schwarzmann promovierte zum Thema „Die Anfechtung der Annahme der Erbschaft wegen Irrtums“. Ein Exemplar der Dissertation befindet sich in: PAAA, P14 57472. Vgl. auch P14 57473, Personalbogen Schwarzmann, 23. Juni 1951. 491 BArchB, R 9361-VIII Kartei/22421447. 492 StAM, SpKA 1736, Schwarzmann, Hans, Abschrift vom Spruch der Spruchkammer Landsberg, Aktenzeichen K434/1947, 22. August 1947, S. 1. 493 Ebenda.

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im August 1940 kehrte er nach Berlin zurück und wurde bis November 1941, wegen seiner Kenntnisse über Frankreich, als wissenschaftlicher Hilfsarbeiter für „Frankreichfragen“ im Büro des Reichsministers des Auswärtigen, Joachim von Ribbentrop, beschäftigt.494 Diese Tätigkeit spielte Ehard als eine „untergeordnete Stellung“ ohne Bezug zur NS-Politik runter. Dies tat er nicht nur gegenüber der CSU-Versammlung, sondern wiederholte seine Aussagen ausführlich im Haushaltausschuss am 13. Juni 1949.495 Obwohl Schwarzmann im Büro von Ribbentrop tatsächlich eine untergeordnete Rolle spielte, hatte seine Tätigkeit sehr wohl Bezug zur NS-Politik. Als Frankreichexperte leitete er die Berichte aus Paris an den Minister oder die zuständigen Referenten weiter und nahm Telefonate aus Paris ab.496 Dabei ging es in diesem Zeitraum in der Regel um nicht weniger als den Berichtverkehr mit dem deutschen Botschafter in Paris, dem Ribbentrop-Vertrauten Otto Abetz.497 Die deutsche Botschaft in Paris war eine der tragenden Säulen der Besatzungsherrschaft und Abetz, der seit 1935 SS-Mitglied und 1940 über die sogenannte Dienststelle Ribbentrop498 in das Auswärtige Amt geraten war, galt 1940 als Initiator der antisemitischen Maßnahmen in Frankreich und trug 1942 zur Deportationen der französischen Juden aktiv bei.499 In den Berichten, die durch Schwarzmanns Hände gingen, ging es um die Besatzungspolitik500 in Frankreich. Teilweise wurde über die Maßnahmen gegen Ju494 Siehe dazu insbesondere: PAAA, P1 14184, P1 14185. 495 ArchdBL, Ausschuss für den Staatshaushalt, 1. Legislaturperiode, 95. Sitzung, 13. Juni 1949. 496 Ebenda, S. 31–35; StAM, SpKA 1736, Schwarzmann, Hans, Senatspräsident Braun an das Bayerische Ministerium für Sonderaufgaben (z. Hd. Staatssekretär Camille Sachs), 5. Mai 1949, S. 3. 497 Zu Abetz vgl. Roland Ray, Annäherung an Frankreich im Dienste Hitlers? Otto Abetz und die deutsche Frankreichpolitik 1930–1942, München 2000; Michael Mayer, Diplomaten im Krieg: Die Deutsche Botschaft Paris und die NS-Unrechtspolitik im besetzten Frankreich, in: Johannes Hürter/Michael Mayer (Hrsg.), Das Auswärtige Amt in der NS-Diktatur, Berlin 2014, 177–195, hier S. 178–188. 498 Die „Dienststelle Ribbentrop“ war ein Parteiamt der NSDAP, das 1935 gegründet wurde und ist nicht zu verwechseln mit dem Büro Ribbentrop im AA. Das Büro hatte im NS-Staat eine informelle außenpolitische Funktion, die insbesondere darin bestand, persönliche Beziehungen zu Funktionsträgern von anderen Staaten zu knüpfen und im Ausland ein positives Bild vom „Dritten Reich“ zu verbreiten. Vgl. Ray, Annäherung, S. 123–127. 499 Für die Rolle von Abetz und der deutschen Botschaft in Paris bei der Judenverfolgung vgl. Mayer, Diplomaten im Krieg, in: Hürter/Mayer (Hrsg.), Das Auswärtige Amt. Mayer verweist in seinem Beitrag auf wichtige Unterschiede zu den Schlussfolgerungen aus der Studie „Das Amt und die Vergangenheit“. Er kritisiert insbesondere die Behauptung, die Botschaft habe eine entscheidende Rolle bei der Deportation der Juden aus Frankreich gespielt. Vgl. Conze/Frei/Hayes/ Zimmermann, Das Amt, S. 228. 500 Zum Vichy-Regime und dessen Rolle bei der Judenverfolgung vgl. Michael Mayer, Staaten als Täter. Ministerialbürokratie und „Judenpolitik“ in NS-Deutschland und Vichy-Frankreich. Ein Ver-

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den sowie die Planung der Judenverfolgung in Frankreich berichtet. So empfing Schwarzmann am 9. Oktober 1940 einen Bericht von der „Dienststelle des Bevollmächtigten des Auswärtigen Amts beim Militärbefehlshaber in Frankreich“, Rudolf Schleier (dem Stellvertreter Abetzs), in dem die geltenden Maßnahmen gegen die Juden in Frankreich dargelegt und um sofortige Stellungnahme des Auswärtigen Amts gebeten wurde.501 Aus dem Bericht geht unter anderem hervor, dass alle Juden sich bis zum 20. Oktober ins Judenregister einzutragen hatten. Ein Schreiben von Abetz vom 6. März 1941, das Schwarzmann an Ribbentrop übergeben sollte, enthielt Details über die anvisierte Organisation der Judenverfolgung in Frankreich: „In der Frage der Gründung eines zentralen Judenamtes für Frankreich hat Darlan Bereitschaft gezeigt, die Französische Regierung Trägerin einer solchen Einrichtung sein zu lassen, jedoch darauf aufmerksam gemacht, dass die Einstellung Marschall Pétains zur Judenfrage große Schwankungen zeige. Der Marschall möchte den Eingesessenen und im Kriegsdienst für Frankreich ausgezeichneten französischen Juden nicht die gleiche Behandlung zuteil werden lassen wie den vom Ausland eingewanderten Juden. Trotz dieser Einstellung Pétains, die kein sehr aktives Wirken eines von seiten [sic!] der Französischen Regierung gegründeten zentralen Judenamtes erwarten lässt, ist es empfehlenswert, die Gründung durch die Französische Regierung vornehmen zu lassen. Das zentrale Judenamt erhält dadurch eine gesetzlich gültige Grundlage, und es kann durch deutschen Einfluss im besetzten Gebiet derart aktiviert werden, dass das unbesetzte Gebiet gezwungen ist, sich den getroffenen Maßnahmen anzuschließen.“502 Schwarzmann war nicht in der Position, um mit eigenen Initiativen oder als Antreiber zur Judenverfolgung in Frankreich beizutragen. Doch er erlangte Insiderinformationen über die Besatzungspolitik und die Repressalien gegen die jüdische Bevölkerung.503 Genau zu dieser Schlussfolgerung kam auch der Senatsprägleich, München 2010; Henry Rousso, Vichy. Frankreich unter deutscher Besatzung 1940–1944, München 2009; Henry Rousso, Frankreich und die „dunklen Jahre“. Das Regime von Vichy in Geschichte und Gegenwart, Göttingen 2010. 501 Nr. 165: Die Dienstelle des Bevollmächtigten des Auswärtigen Amts beim Militärbefehlshaber in Frankreich an das Auswärtige Amt, 9. Oktober 1940, in: Hans Rothfels (Hrsg.), Akten zur deutschen auswärtigen Politik 1918–1945, Serie D: 1937–1945, Bd. XI.1, Die Kriegsjahre, Vierter Band, Erster Halbband, 1. September bis 13. November 1940, Bonn 1964, S. 234 f. 502 Nr. 127: Botschafter Abetz an das Auswärtige Amt, 6. März 1941, in: Hans Rothfels (Hrsg.), Akten zur deutschen auswärtigen Politik 1918–1945, Serie D: 1937–1945, Bd. XII.1, Die Kriegsjahre, Fünfter Band, Erster Halbband, 1. Februar bis 5. April 1941, Göttingen 1969, S. 187 f., hier S. 188. 503 Vgl. Nr. 442: Botschafter Abetz an das Auswärtige Amt (für Dr. Schwarzmann), 3. Dezember 1940, in: Hans Rothfels (Hrsg.), Akten zur deutschen auswärtigen Politik 1918–1945, Serie D: 1937– 1945, Bd. XI.1, Die Kriegsjahre, Vierter Band, Zweiter Halbband, 13. November 1940 bis 31. Januar 1941 (Bonn 1966), S. 647 f.; PAAA, P14 57543, Brief Schwarzmann an Abetz, 28. Mai 1941; Nationalrat der nationalen Front des demokratischen Deutschland Dokumentationszentrum der staatlichen

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sident des Kassationshofs, der im Mai 1949 den Fall Schwarzmann erneut überprüfte.504 Er schloss seinen Bericht mit der Mitteilung, dass er keinen Anlass sah, das Verfahren gegen Schwarzmann erneut zu öffnen, weil er auf Grund der vorliegenden Dokumente zum gleichen Schluss wie die Landsberger Spruchkammer im August 1947 kam: Mitläufer.505 Gerade die Tatsache, dass Schwarzmann eine untergeordnete Stelle bekleidet hatte, wurde in der Nachkriegszeit zu seinem Vorteil ausgelegt. Dabei wurde die Verantwortung für die Verbrechen auf die Hauptverantwortlichen, in diesem Fall Ribbentrop und Abetz, geschoben. Ehard folgte in seiner öffentlichen Verteidigung von Schwarzmann ebenfalls diesen Gedanken. Schwarzmanns wichtigster Fürsprecher war Anton Pfeiffer. Schwarzmann und Pfeiffer hatten sich sehr wahrscheinlich 1942 in Algiers kennengelernt. Im November 1941 war Schwarzmann in das deutsche Generalkonsulat in Casablanca versetzt worden. Im Februar 1942 wechselte er erneut, dieses Mal nach Algier. Dort arbeitete Schwarzmann bis November 1942 als Vizekonsul unter dem Bruder von Anton Pfeiffer, dem damalige Generalkonsul und Diplomat Peter Pfeiffer. Letzterer bekam 1942 von seinem Bruder Anton in Algier Besuch, und hier hatte er die Möglichkeit, ausführlich mit Schwarzmann zu reden.506 Zusammen mit Peter Pfeiffer wurde Schwarzmann im November 1942 von den alliierten Truppen in Algier festgenommen und über England in die Vereinigten Staaten in ein Internierungslager gebracht. Im Rahmen eines Gefangenenaustausches kehrten sie im März 1944 nach Deutschland zurück. Daraufhin arbeitete Schwarzmann bereits seit Ende März 1944 kurze Zeit in der Handelsabteilung des Auswärtigen Amts, wurde auf Empfehlung Peter Pfeiffers zum Legationsrat befördert, und kehrte im Juni für kurze Zeit in das Büro von Ribbentrop zurück, bevor er ab Juli bis zum Kriegsende als Gebirgsjäger bei der Wehrmacht eingesetzt wurde.507 Anton Pfeiffer war sehr von dem charmanten Schwarzmann beeindruckt. Aus der persönlichen Korrespondenz mit seinem Bruder geht hervor, dass er sich während seiner Inhaftierung in den Vereinigten Staaten ebenfalls für Schwarzmann Archivverwaltung der DDR (Hrsg.), Braunbuch. Kriegs- und Naziverbrecher in der Bundesrepublik, Berlin 1965, S. 252 ff. 504 StAM, SpKA 1736, Schwarzmann, Hans, Senatspräsident Braun an das Bayerische Ministerium für Sonderaufgaben (z. Hd. Staatssekretär Camille Sachs), 5. Mai 1949, S. 4. 505 Ebenda; Abschrift der Entscheidung der Spruchkammer Landsberg, 22. August 1947. 506 Für diese Reise von Pfeiffer siehe: BayHStA, NL Anton Pfeiffer 1, Wichtigste Lebensdaten von Anton Pfeiffer, ohne Datum. 507 Zu den „Verhaftungen, Internierungen und Repatriierungen“ von Diplomaten durch die westlichen Mächte vgl. Conze/Frei/Hayes/Zimmermann, Das Amt, S. 321–342. Peter Pfeiffer schrieb im März 1944 einen sehr lobenden Empfehlungsbrief für eine Beförderung von Schwarzmann. Siehe: PAAA, P1 14184, Generalkonsul Pfeiffer an das AA, Betrifft: Beförderung des Vizekonsuls Schwarzmann, 14. März 1944; Einweisung Schwarzmann in eine Planstelle als Legationsrat (Pers. H 2492), 27. März 1944.

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einsetzte und Nachrichten an dessen Familie weiterleitete.508 Sowohl Anton als auch Peter Pfeiffer setzen sich anschließend in der Nachkriegszeit für Schwarzmanns Entnazifizierung ein. Als 1947 die Wiedereinstellung der entnazifizierten Beamten möglich wurde, versuchte Anton Pfeiffer die Entnazifizierung von Schwarzmann zu beschleunigen, sodass er ihn als seinen persönlichen Referenten in der Staatskanzlei einstellen konnte. Schwarzmann arbeitete in der Nachkriegszeit in Landsberg als Dolmetscher für die Militärregierung.509 Pfeiffer wusste, dass er sich mit seinem Einsatz für Schwarzmann dessen Loyalität sichern würde. Zugleich verfügte Schwarzmann über außenpolitische Kompetenzen, die in der Staatskanzlei sehr willkommen waren. Seine Stelle im Ministerbüro unter Ribbentrop wurde in der Nachkriegszeit als zu unbedeutend beurteilt, um als NS-Belastung zu gelten, doch gerade die außenpolitischen Erfahrungen aus dieser Zeit wurden als wichtige Kompetenzen für den Aufbau des bayerischen Staats gedeutet.

Abb. 6: Hans Schwarzmann (l.) und der Hohe Kommissar der USA John McCloy

508 Siehe den Briefwechsel in: IfZ, ED 355, 24. 509 StAM, SpKA 1736, Schwarzmann, Hans, Eidesstattliche Erklärung Anton Pfeiffer für Hans Schwarzmann, 11. Januar 1947. Siehe auch Brief von Pfeiffer an den Öffentlichen Kläger der Berufungskammer für Oberbayern, 9. April 1947.

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In seinem Persilschein für Schwarzmann unterstrich Pfeiffer indirekt, dass Schwarzmann genaue Kenntnis von den NS-Verbrechen in Frankreich hatte: „Es war mir wertvoll, in ihm [Schwarzmann, RT] einen deutschen Auslandsbeamten kennen zu lernen, der sich nie durch propagandistische Schlagworte blenden oder in seiner Haltung durch parteipolitische Gesichtspunkte und Rücksichten beeinflussen ließ. […] Herr Dr. Schwarzmann war seiner Natur und seiner Überzeugung nach ein Gegner der nationalsozialistischen Gewaltpolitik. Er hatte die ungeheuren Gefahren dieser Politik klar erkannt und war stets bemüht, ihr an seinem Platze entgegenzuarbeiten und ihre Äußerungen und Wirkungen zu verhindern oder abzuschwächen. […] Er [hat] durch verständnisvolles, würdiges Auftreten die Erkenntnis gefördert, dass die nationalsozialistische Brutalität und Anmaßung nicht ein Wesensmerkmal des deutschen Volkes, sondern lediglich einer kleinen, mehr durch Machtgier und Unwissenheit als durch Leistung und Kenntnisse hervorstechenden Schicht waren. Ich bin überzeugt, dass Herrn Dr. Schwarzmann besonders befähigt ist, auch in der jetzigen Zeit nicht nur für seine Person, sondern auch für das deutsche Volk Sympathien zu gewinnen, wo immer er mit Ausländern in Berührung kommt.“510 Schwarzmann behielt trotz der Anschuldigungen seine Stelle in der Staatskanzlei. Möglicherweise spielte dabei noch ein anderer Faktor eine Rolle. Aus Schwarzmanns BND-Akte geht hervor, dass er seit Februar 1949 als V-Mann (V11903) für die Organisation Gehlen in der Staatskanzlei aktiv war.511 Somit übergab der persönliche Referent des Leiters der Staatskanzlei Informationen über die Staatskanzlei und Bayerische Staatsregierung an die Organisation Gehlen zu einem Zeitpunkt weiter, als die Gründung der Bundesrepublik immer näher kam. Die Organisation Gehlen entfaltete zu diesem Zeitpunkt nicht nur Aktivitäten im Bereich der Auslandsspionage, sondern war illegaler Weise ebenfalls umfassend im Bereich der politischen Inlandsspionage aktiv, um umfassend Einfluss auf den Gründungsprozess der Bundesrepublik nehmen zu können.512 Mit Ehard, Herwarth und Schwarzmann verfügte Gehlen 1949 über zumindest drei Informationsquellen in der Staatskanzlei, was zeigt, wie umfangreich sein innenpolitischer Informationshunger zu diesem Zeitpunkt war.

510 StAM, SpKA 1736, Schwarzmann, Hans, Eidesstattliche Erklärung Anton Pfeiffer für Hans Schwarzmann, 11. Januar 1947. 511 Dies erklärt ebenfalls, warum sich in der Personalakte von Schwarzmann eine Notiz über den Angriff von Loritz befindet. Aus einer Beurteilung aus Mai 1956 geht hervor, dass er für Gehlen mit „Personalauskünften, Visenbeschaffung, wirtschaftlicher Unterbringung“ beschäftigt war. Siehe: BND-Archiv, 27714_OT, S. 24. 512 Vgl. dazu Henke, Geheime Dienste. Die Rolle von Schwarzmann als V-Mann wird in dieser Studie nicht erwähnt.

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Angeworben wurde Schwarzmann von Hans-Christian Halter, der in der Staatskanzlei als Referent für das Sachgebiet „Konsulate, protokollarische Angelegenheiten, Pass-Angelegenheiten, technischer Verkehr mit dem deutschen Büro für Friedensfragen“ zuständig war, und mit sehr hoher Wahrscheinlichkeit durch dessen Vorgesetzten Hans Herwarth von Bittenfeld.513 Das ehemalige NSDAP-Mitglied Halter entstammte dem Auswärtigen Amt und hatte in den Jahren 1938 und 1939 in Ribbentrops Büro gearbeitet.514 Welche Verbindung er zur Organisation Gehlen hatte, geht aus Schwarzmanns Akte nicht hervor. Herwarth war in der Nachkriegszeit als früher Unterstützer und ab 1949 als „Sonderverbindung“ der sogenannten Abteilung 35 für Gehlen aktiv (siehe Kapitel 3.2). Als Loritz Schwarzmann 1949 in der Öffentlichkeit angriff, fungierte Schwarzmann gerade zwei Monate als V-Mann. Wäre er von der Staatskanzlei entlassen worden, dann hätte Gehlen einen Informanten in der Staatsregierung verloren. Somit lässt sich nicht ausschließen, dass sich Gehlen bei Ehard – mit dem er regelmäßig Kontakt hatte und ein sehr gutes Verhältnis pflegte515 – für den Erhalt von Schwarzmann eingesetzt hat, ohne dass Ehard freilich wusste, dass Schwarzmann ein V-Mann war.516 Die Anschuldigungen gegen Schwarzmann stellten für Gehlen allerdings keineswegs ein Grund dar, die Zusammenarbeit abzubrechen. Wie der Historiker Gerhard Sälter gezeigt hat, war gerade die Organisation Gehlen in der Anfangszeit eine Überlebungsgemeinschaft für ehemalige schwerbelastete NS-Tätern, die von ihr sogar

513 In den durch den BND dem Autor zugänglich gemachten Kopien, ist ein Name unlesbar gemacht und nur der Name von Halter lesbar. Weil Schwarzmann aber im September 1950 bei seinem Umzug nach Bonn Hans von Herwarth („Herr v. H.“) als zukünftige Verbindungsperson zur Organisation Gehlen nannte, muss dieser über Schwarzmanns Tätigkeit Bescheid gewusst haben. Siehe: BND-Archiv, 27714_OT, Streng vertraulich! Betr.: Versetzung V – 11903, 6. September 1950. 514 Vgl. Thomas W. Maulucci, Adenauer’s foreign office. West German diplomacy in the shadow of the Third Reich, DeKalb, IL 2012, S. 173. Vgl. auch Ministery of Foreign Affairs of the German Democratic Republic, Nazi Diplomat’s in Bonn’s Service, Dresden 1969, S. 10, 46. Zu Halters Mitgliedschaft in der NSDAP vgl. BArchB, R 9361-IX Kartei/13260308. 515 Ehard erhielt von Gehlen unter anderem die „Innenpolitischen Informationen“ und zusammenfassende Übersichten über Parteien, Gewerkschaften, Organisationen, Kirchen, usw. Die Beziehung zwischen Ehard und Gehlen begann 1948 und dauerte bis zum Lebensende von Gehlen. Dazu vgl. Henke, Geheime Dienste, S. 87–90. 516 Gehlen und Ehard trafen sich sehr wahrscheinlich am 26. April, zwei Tage nach der Rede von Loritz. Vgl. ebenda, S. 88. Schwarzmann erklärte sich im November 1949 gegenüber der Organisation Gehlen bereit, hauptamtlich im Wirtschaftsbereich für die Organisation aktiv zu werden (der Ort oder die Organisation ist unlesbar gemacht, aber vermutlich ging es hier um Bonn), falls er aus der Staatskanzlei ausscheiden müsse. Siehe: BND-Archiv, 27714_OT, Beurteilung Schwarzmann Mai 1956, S. 25.

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aktiv rekrutiert wurden.517 Als Schwarzmann im September 1950 nach Bonn in die „Dienststelle für Auswärtige Angelegenheiten“ im Bundeskanzleramt wechselte, wurde seine Arbeit als V-Mann beendet. Er wechselte jedoch als „Sonderverbindung“ in die Abteilung 35 mit Hans von Herwarth als Kontaktperson zur Organisation Gehlen.518 Seine NS-Vergangenheit verfolgte ihn noch bis zum Ende der sechziger Jahre.519

Nach der Gründung Nach der Gründung der Bundesrepublik musste sich die Staatskanzlei der neuen politischen Realität anpassen. Dadurch forderte Pfeiffer in seinem letzten Jahr als Leiter noch eine organisatorische und personelle Umstrukturierung. Bis 1949 waren viele Bereiche der Staatskanzlei auf die offensive föderalistische Politik Ehards und deren Durchsetzung in den länderübergreifenden Organen fokussiert. Nach dem Inkrafttreten des Grundgesetzes wurden die nun überflüssig gewordenen Sachgebiete aufgelöst. Vor allem die Rechts- und Verwaltungsabteilung übernahmen die föderalistischen Aufgaben der Staatskanzlei. Diese konzentrierten sich ab 1949 auf die Tätigkeit Bayerns im Bundesrat sowie auf die Arbeit des Bevollmächtigten Bayerns beim Bund. Diese Umstrukturierung bedeutete allerdings keineswegs, dass damit Ehards föderalistische Politik vorbei war. Gerade weil das Grundgesetz nach seiner Meinung zu wenig Garantien für einen stabilen Föderalismus in der Bundesrepublik enthielt, blieben er und die Staatskanzlei über 1949 hinaus bei seiner föderalistischen Politik, um zu kontrollieren, ob das Grundgesetz in der Regierungspraxis tatsächlich föderalistisch ausgelegt wurde.520 517 Vgl. Gerhard Sälter, NS-Kontinuitäten im BND. Rekrutierung, Diskurse, Vernetzungen, Berlin 2022. 518 PAAA, P14 57472, Albert Haas an Anton Pfeiffer, 30. Juni 1950. Für die Verbindung zur Organisation Gehlen: BND-Archiv, 27714_OT, Vertrauliches Dokument zur Versetzung von Hans Schwarzmann, 6. September 1950, S. 16. 519 So war er Anfang September 1951 unter den Beamten des AA, die in einer Artikelserie der Frankfurter Rundschau wegen ihrer NS-Vergangenheit kritisiert wurden. Daraufhin untersuchte der sogenannte Untersuchungsausschuss Nr. 47 des Bundestages die NS-Vergangenheit der Betroffenen und legte am 18. Juni 1952 seinen Abschlussbericht vor. Für den Ausschussbericht siehe: PAAA, P14 57472; B2 32. Zum Untersuchungsausschuss Nr. 47 vgl. Conze/Frei/Hayes/Zimmermann, Das Amt, S. 475–488. Aus der Personalakte P14 57472 geht ebenfalls hervor, dass Schwarzmanns Name 1959 in einem von der DDR gegen die Bundesrepublik gerichteten Pamphlet genannt wurde. Ebenfalls wurde er im „Braunbuch“ als „Vertrauter Ribbentrops“ genannt (vgl. auch: Nationalrat, Braunbuch, S. 252 ff.). Im Jahre 1966 wurde er von der dänischen Zeitung Information wegen seiner Rolle in Kopenhagen 1940 angegriffen. 520 Vgl. Gelberg, Hans Ehard, S. 274.

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Die Gründung der Bundesrepublik hatte zugleich Konsequenzen für den Umfang und die Zusammensetzung des Personalbestands. So wurde der ehemalige Diplomat Hans-Heinrich Herwarth von Bittenfeld, der eine wichtige Rolle für den Kontakt mit der Militärregierung gespielt hatte, im September 1949 an das Bundeskanzleramt in Bonn abgeordnet und übernahm dort die Leitung der Protokollabteilung.521 Hans Schwarzmann wechselte im Juli 1950 ebenfalls in das Bundeskanzleramt, wo er in der Dienststelle für Auswärtige Angelegenheiten beschäftigt wurde. Hier arbeitete er erneut mit Herwarth von Bittenfeld zusammen, der bereits im April 1950 in die Abteilung gewechselt war.522 Im gleichen Jahr wechselte die einzige Beamtin auf der Führungsebene der Staatskanzlei, Oberregierungsrätin Margarethe Bitter, in das Bundesjustizministerium, nachdem die von ihr bearbeiteten Aufgaben im Bereich der Flüchtlingspolitik beendet waren.523 Zwischen der Staatskanzlei und ihren nachgeordneten Dienststellen wurde das Führungspersonal neu verteilt, sodass der Kernbestand in der Prinzregentenstraße 7 sich verkleinerte, die Dienststelle des Bevollmächtigten Bayerns beim Bund sowie das Landespersonalamt jedoch weiter verstärkt wurden. So wechselte Regierungsrat Fritz Schachinger in das Generalsekretariat des Landespersonalamts, wo er unter Ministerialrat Peter Erber arbeitete, der als Nachfolger von Matthias Metz 1949 zum Generalsekretär ernannt worden war und nach seiner Abordnung an das Sonderministerium nicht mehr in die Staatskanzlei zurückkehrte. Zugleich wechselte Regierungsrat Willy Kopf, der vor 1945 im Auswärtigen Amt gearbeitet hatte, in die ab 1949 aufgebaute Dienststelle des Bevollmächtigten Bayerns beim Bund in Bonn. Dort arbeitete bereits sein Kollege Hermann Winter, der 1948 wegen seines Verhaltens während der NS-Zeit nicht in die Staatskanzlei hatte zurückkehren können, nun aber in der Bonner Dependance unterkam.524 Durch diese Verschiebungen im Gefüge der Staatskanzlei sank die Zahl der in der Prinzregentenstraße beschäftigten Personen von 102 im Jahre 1948 auf 81 im Jahr 1953. Auf einen Stellenabbau hatte auch das Finanzministerium in den Haushaltsveränderungen mehrfach gedrungen.525 Als Karl Schwend im September 1950 die Leitung der Staatskanzlei zunächst kommissarisch von Anton Pfeiffer übernahm, stand der Umgang mit der NS-Vergangenheit in Bayern und in der Bundesrepublik längst im Zeichen von Amnestie 521 BayHStA, StK 13405, Abschrift Staatskanzlei von Entlassung Herwarth von Bittenfeld aus dem bayerischen Staatsdienst, 29. November 1950. 522 PAAA, P14 49955, Personalbogen Herwarth von Bittenfeld, 1. Juni 1950. 523 BayHStA, StK 13380, Leiter der Staatskanzlei an das Auswärtige Amt, 8. Juni 1951. 524 BayHStA, StK 13419, Melde- und Personalbogen von Wilhelm Kopf zum 131er Gesetz, 20. November 1951. 525 BayHStA, MF 69372, Brief Anton Pfeiffer an Fritz Terhalle, 26. Juni 1946; Brief Hans Kraus an Fritz Terhalle, 15. Juli 1946.

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und Integration, und in der Politik waren bereits wesentliche Schritte unternommen wurden, um einen Schlussstrich unter die Entnazifizierung zu ziehen. So war im Bundestag 1949 in einem Eilverfahren das Straffreiheitsgesetz verabschiedet worden, das sämtliche Straftaten amnestierte, die vor dem 15. September 1949 begangen worden waren und mit sechs Monaten Gefängnis geahndet werden konnten. Nebenbei liefen die Vorbereitungen für das 1951 verabschiedete 131er Gesetz bereits auf Hochtouren.526 Außerdem arbeitete 1950 ein beratender Parlamentsausschuss im Bundestag an der weiteren Beseitigung der Entnazifizierung, dessen Empfehlungen an die Länder problemlos an den bereits in den Ländern vorangetriebenen Initiativen anschlossen. Am 31. März 1950 wurde in Bayern das Sonderministerium aufgelöst und am 27. Juli 1950 beschloss der Landtag beinahe einstimmig das „Gesetz zum Abschluß der politischen Befreiung“.527 Mit diesem Gesetz wurden die meisten Verfahren eingestellt, die noch existierenden Tätigkeitsbeschränkungen wurden aufgehoben und die Entnazifizierung ab diesem Zeitpunkt auf Verfahren gegen Hauptschuldige und Belastete reduziert. Obwohl damit die Entnazifizierung noch nicht definitiv abgeschlossen war und sich weiter hinzog, verlor sie in der Personalpolitik der Staatskanzlei und in den Ministerien nach 1950 die wenige ihr bis dahin noch verbliebene Bedeutung vollständig. Ebenfalls einstimmig verabschiedete der Bayerische Landtag am 10. Oktober 1953 ein Gesetz, das alle seit dem 1. Januar 1953 heimgekehrten und noch festgehaltenen Kriegsgefangenen von der Entnazifizierung ausnahm.528 Am 3. August 1954 erfolgte im Landtag die Annahme des zweiten Gesetzes zum Abschluss der politischen Befreiung, das als finalen Termin für die Entnazifizierung den 30. Oktober 1954 festlegte.529 Lediglich bis zu diesem Tag konnten noch Anträge auf Einleitung von Verfahren oder auf Wiederaufnahme gestellt werden. Zugleich sah das Gesetz die Aufhebung der meisten Sühnemaßnahmen vor, etwa die Aberkennung des passiven Wahlrechts. Am 17. Dezember 1959 wurde das dritte und letzte Abschlussgesetz verabschiedet.530 Das dritte Abschlussgesetz enthielt nur noch dem Hauptschuldigen das passive Wahlrecht vor. Außerdem durfte weiterhin nicht in öffentliche Ämter eingestellt werden. Mit diesem Gesetz wurden die Spruchkammern geschlossen, sodass das Befreiungsgesetz in Bayern nun definitiv begraben war. 526 Vgl. Frei, Vergangenheitspolitik, S. 30–53. 527 Gesetz zum Abschluß der politischen Befreiung, in: BGVBL., Nr. 17, 29. August 1950, S. 107 f. 528 Gesetz über die Entnazifizierung der Kriegsgefangenen und Zivilverschleppten vom 27. Oktober 1952, in: BGVBL, Nr. 24, 2. November 1953, S. 183. 529 Zweites Gesetz zum Abschluß der politischen Befreiung vom 11. August 1954, in: BGVBL, Nr. 16, 16. August 1954, S. 161 ff. Vgl. Peter Jakob Kock, Der Bayerische Landtag. Eine Chronik, München 2006, S. 99 f. 530 Drittes Gesetz zum Abschluß der politischen Befreiung vom 3. Februar 1960, in: BGVBL, Nr. 2, 10. Februar 1960, S. 11–14.

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So wurde der Umgang mit der NS-Vergangenheit in der Bundesrepublik in den 1950er Jahren stark vom Schlussstrichdenken in Kombination mit einem beispiellosen bundesrepublikanischen Umgang der NS-Bewältigung geprägt. Die abnehmende Bedeutung von formaler NS-Belastung in der Einstellungspraxis geht nicht zuletzt aus der Tatsache hervor, dass die Staatskanzlei mit Karl Schwend bereits 1950 von einem ehemaligen NSDAP-Mitglied geleitet wurde – allerdings lediglich im Rang eines Ministerialbeamten und nicht als Staatssekretär.531 Zugleich spiegelte sich diese Entwicklung in den Personalbögen wider. In der zweiten Hälfte der 1940er Jahre mussten die Beamten auf dem Personalbogen ihre komplette formale Belastung angeben, sodass die Behörde präzise im Blick hatte, ob und wann eine Person der NSDAP und weiteren Gliederungen sowie Organisationen beigetreten war.532 Zu Beginn der 1950 Jahre wurden die Einstellungsbögen jedoch geändert und die Frage nach NS-Belastung wurde auf die Frage nach dem Urteil der Spruchkammer reduziert.533 Somit wusste die Ministerialbehörde zwar, ob ein Beamter formal von der NS-Zeit belastet war, die Details blieben jedoch komplett ausgeblendet. Dadurch geriet die Frage nach Fachkenntnissen noch stärker in den Fokus der für die Einstellungspolitik zuständigen Personen – wozu in der Behörde neben Schwend immer noch Ehard, Baer und Tiefenbacher gehörten, die für die Organisation und Umsetzung eine wichtige Kontinuität in der Behörde darstellten. Dieser Fokus führte zu einer neuen Anwerbungspraxis. Hatten Pfeiffer und Kraus sich noch stark auf ihre Netzwerke verlassen, um vertrauenswürdige Personen nach ihren persönlichen Präferenzen anzuwerben, so trat dieses Auswahlkriterium im Laufe der 1950er Jahre weitgehend in den Hintergrund. Auch Pfeiffers Präferenz für Personen mit diplomatischen und politischen Erfahrungen war seit 1949 überflüssig geworden. Die Staatskanzlei warb ihr Personal vielmehr fachorientiert aus anderen Bereichen der bayerischen Ministerialverwaltung ab. Weil diese Personen in den meisten Fällen bereits seit einigen Jahren wieder in der Verwaltung arbeiteten, sah die Staatskanzlei dabei keinen Anlass, um deren NS-Vergangenheit erneut unter die Lupe zu nehmen. Daneben existierte ein regelmäßiger Personalaustausch zwischen der Staatskanzlei und der Dienststelle des Bevollmächtigten in Bonn. Dadurch homogenisierte sich das Führungspersonal, das im

531 Ob Schwends formale Belastung der Grund für die Tatsache war, dass er im Gegensatz zu seinem Vorgänger nicht als Staatssekretär sondern als Ministerialdirigent die Staatskanzlei leitete, geht aus den Akten nicht hervor. Ein anderer Grund könnte sein, dass die Koalitionspartner SPD und GB/BHE den Einfluss der CSU in der Staatskanzlei schwächen wollten. Schwend durfte zwar an den Sitzungen des Ministerrats teilnehmen, hatte jedoch kein Stimmrecht. 532 Exemplarisch: BayHStA, StK 30864, Personalbogen Peter Bußler, 9. September 1947. 533 Ebenda, Personalbogen Peter Bußler, 22. Oktober 1952.

3.3 Vergangenheitspolitik und die frühe Wiedereinstellung der „Ehemaligen“



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Laufe der 1950er Jahre nahezu komplett aus Verwaltungsjuristen bestand, ohne jegliche diplomatische oder politische Erfahrungen. Beispielhaft für diese Entwicklungen sind die Einstellungen in der Rechts- und Verwaltungsabteilung. Als der erste Bevollmächtigte Bayerns beim Bund, Ernst Rattenhuber, 1951 starb, wurde Claus Leusser sein Nachfolger, der bis dahin die Rechtsabteilung geleitet hatte. Als neues juristisches Schwergewicht wurde der Regierungsdirektor Erich Gerner für die Leitung der Rechtsabteilung geworben. Gerner, bereits seit 1933 Mitglied der NSDAP und weiterer NS-Organisationen, war 1946 von der Spruchkammer in die Gruppe III der Minderbelasteten eingereiht worden. Ein Jahr später wurde er von der Berufungskammer in die Gruppe IV der Mitläufer eingestuft, sodass seiner Wiederberufung als Amtsgerichtsrat in das Beamtenverhältnis auf Lebenszeit am Amtsgericht in München 1948 nichts mehr im Weg stand.534 Nachdem er 1950 zum Oberlandesgerichtsrat befördert worden war, wurde er an die Dienstelle des Bayerischen Bevollmächtigten in Bonn abgeordnet. Er kam 1951 in die Staatskanzlei, als Leusser in umgekehrter Richtung nach Bonn wechselte und dort die Leitung übernahm. Dass damit die Rechtsabteilung von einem ehemaligen Parteimitglied geleitet wurde, wurde innerhalb der Staatskanzlei nicht problematisiert. Wichtiger war, dass ein erfahrener Spitzenjurist von der Staatskanzlei für eine tadellose Zusammenarbeit zwischen dem Bevollmächtigten beim Bund und der Bayerischen Staatsregierung sorgte – zur Durchsetzung der bayerischen föderalistischen Interessen. Als Stellvertretender Leiter der Rechtsabteilung arbeitete der ebenfalls als Jurist ausgebildete Peter Bußler, der daneben die Leitung für das Referat für die Bundesgesetzgebung übernahm, unter Gerner. Bußler war 1933 der SA und 1937 der NSDAP sowie weiteren NS-Organisationen beigetreten und hatte außerdem in der SA ab 1936 den Rang eines Scharführers gehabt.535 Von der Spruchkammer wurde er 1946 in die Gruppe der Mitläufer eingereiht und 1947 wieder in den juristischen Vorbereitungsdienst aufgenommen. 1947 wurde er als Regierungsassessor in das Staatsministerium des Innern eingestellt, wo er bis 1949 zum Regierungsrat aufstieg, bevor er im Oktober 1950 in die Staatskanzlei übernommen wurde. Auch im Fall von Bußler spielte seine NS-Belastung keine Rolle, was ebenfalls der Tatsache geschuldet war, dass die Leitung der Rechtsabteilung in der Staatskanzlei bereits 1951 in den Händen von ehemaligen Parteimitgliedern lag. Unter Karl Schwend blieb die absolute Zahl an ehemaliger NSDAP-Angehöriger unter dem Führungspersonal im Vergleich zu seinem Vorgängers allerdings gleich, weil drei Abgänge die drei Zugänge ausglichen. 534 StAM, SpkA K 505, Gerner, Erich, Abschrift vom Beschluss des Kassationshofs im Bayerischen Staatsministerium für Sonderaufgaben, 3. August 1948. 535 BayHStA, MJu 25062, Personalbogen Erich Gerner, 19. Februar 1938.

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3 Führungspersonal und Personalpolitik

3.4 Nach der Entnazifizierung 1954–1962 Im Dezember 1954 stand mit dem Ende von Ehards dritter Regierung und dem Übergang zu Hoegners Viererkoalition ein Generationswechsel an der Spitze der Staatskanzlei bevor. Nach Pfeiffer, Kraus und Schwend, die 1890 oder früher geboren waren, traten zwischen 1954 und 1962 mit Albrecht Haas (geboren 1906) sowie Fritz Baer (geboren 1901) zwei Repräsentanten der Kriegsjugendgeneration und mit dem wesentlich jüngeren Franz Heubl (geb. 1924) sogar ein Repräsentant der Flakhelfer-Generation ins Rampenlicht der Staatskanzlei.536 Dennoch weist dieser Zeitraum zugleich große personellen Kontinuitäten auf. Als Alfons Goppel im Dezember 1962 nach seiner Wahl zum Ministerpräsidenten in die Staatskanzlei einzog, waren die Abteilungen und Referate noch großenteils mit Personal besetzt, das unter Karl Schwend, teilweise sogar noch früher eingestellt worden war. Weder der Anfang noch das Ende der Viererkoalition (1954–1957) führten in der Staatskanzlei zu einem personellen Bruch. Vielmehr blieben unter Hoegner und Haas (1954–1957), Seidel und Baer (1957–1960) sowie Ehard und Heubl (1960–1962) die Stellenbesetzung der Abteilungen und Referaten großenteils intakt. Dies galt ebenfalls für den Umfang des Kernpersonalbestands, das zwischen 1954 und 1961 bei etwa 70 Personen lag.537 Der wichtigste Grund dafür waren die jeweiligen Regierungskoalitionen, die dazu führten, dass in der Regierungspraxis Kompromisse geschlossen wurden und keine Partei die Staatskanzlei eindeutig für ihre Politik in Anspruch nehmen konnte. Das beste Beispiel dafür ist die Zusammenarbeit zwischen Ministerpräsident Hoegner und dem FDP-Politiker Haas. War die Staatskanzlei für Hans Ehard zwischen 1947 und 1954 unter der Dominanz des rechten CSU-Flügels ein politisches, ja sogar parteipolitisches Instrument des Ministerpräsidenten gewesen, so erfüllte die Behörde unter Hoegner und Seidel vielmehr eine verwaltende und koordinierende Rolle. Obwohl Seidel verschiedene Versuche unternahm, die politische Schlagkraft der Behörde durch eine Organisationsreform zu vergrößern, änderte das in der Praxis nichts. Außerdem verhinderte sein sich zunehmend verschlechternder Gesundheitszustand ein langfristiges Durchgreifen.538 Auch die kurze Rückkehr von Hans Ehard als geschäftsführender Ministerpräsident Anfang der 536 Zu „Flakhelfer“ Generation: Frei, 1945 und wir, S. 41. 537 Hier sind das Landespersonalamt, die Dienststelle des Bayerischen Bevollmächtigten sowie die Landeszentrale nicht mitgerechnet. Siehe: BayHStA, StK 15936, Personalstandnachweisung der Bayerischen Staatskanzlei für das Bayerische Statistische Landesamt zum 2. Oktober 1955. 538 Zu diesen Versuchen siehe: BayHStA, StK 15944, Anlage zur Geschäftsverteilung der Staatskanzlei von Fritz Baer, 20. Dezember 1958; Erläuterungen zum Entwurf eines Organisationsschemas und eines Geschäftsverteilungsplanes für die Bayerische Staatskanzlei von Claus Leusser, 20. November 1958.

3.4 Nach der Entnazifizierung 1954–1962



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1960er Jahre brachte keine wesentliche Änderung. Eine Rolle spielte dabei, dass die Staatskanzlei 1954 bereits über einen gut funktionierenden und eingespielten Beamtenapparat verfügte. Ein Personalaustausch hätte somit das Risiko verursacht, dass wichtige Erfahrungen und Fachkenntnisse in der Behörde verloren gegangen wären. Somit gab es für die Ministerpräsidenten und die Leiter keinen Anlass beziehungsweise keine Möglichkeit, das Führungspersonal auszutauschen, und sie hinterließen bei den Regierungswechseln lediglich einen geringen personalpolitischen Fußabdruck. Auch in der Organisation und Umsetzung der Personalpolitik zeigte sich eine große Kontinuität, insbesondere verkörpert durch Fritz Baer. Dieser blieb während des gesamten Zeitraums und darüber hinaus, dabei unterstützt von seinen Referenten, für die alltägliche Organisation und Durchführung der Personalpolitik in der Abteilung I zuständig. Dabei verfügte die Staatskanzlei Mitte der 1950er Jahre längst über eingeschliffene personalpolitische Verfahren, wofür unter Anton Pfeiffer die hierarchische, organisatorische Grundlage gelegt wurde. Zugleich hatte sich die Funktion der Staatskanzlei für die Personalpolitik der Staatsregierung insgesamt weiter ausgebaut und verfestigt – nicht zuletzt 1954 mit der Übernahme des Amts des Vorsitzenden im Beschlusskollegium des Landespersonalamts durch Fritz Baer. Während die formale NS-Belastung in anderen Behörden, insbesondere in den Bundesministerien, im Laufe der 1950er Jahre rasant anstieg, wies die Staatskanzlei sowohl einen relativen als auch absoluten Rücklauf auf. Im Februar 1957 waren lediglich noch drei Führungspersonen ehemalige NSDAP-Mitglieder und auch im weiteren Bereich der Behörde sank die Zahl der „Ehemaligen“. Wegen der hohen Personalkontinuität kamen nur wenige Beamte neu an die Staatskanzlei, während zugleich einige der vormals politisch Belasteten in den Ruhestand traten. Auf Schwend, der der NSDAP angehört hatte, standen zudem nur formal unbelastete Personen an der Spitze der Staatskanzlei. Dies galt bis zur Wahl Alfons Goppels ebenfalls für die Ministerpräsidenten.

Albrecht Haas und die Viererkoalition Während der Viererkoalition spielte die Frage nach NS-Belastung in der Staatskanzlei kaum eine Rolle. Wichtiger war dagegen die Ausschaltung der politischen Dominanz der CSU im Personalbestand. Mit der Ernennung des evangelischen Juristen und bayerischen FDP-Politikers Albrecht Haas zum Leiter der Staatskanzlei im Dezember 1954 lag die Leitung der Behörde zum ersten Mal in der Nachkriegszeit nicht in den Händen eines katholischen CSU-Politikers. Haas, ein gebürtiger Oberfranke, hatte zwischen 1925 und 1930 Rechts- und Staatswissenschaft in Mün-

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chen, Heidelberg und Erlangen studiert und 1930 die Erste, 1933 die Zweite Juristische Staatsprüfung erfolgreich abgelegt. Zwischen 1934 und 1940 war er in Nürnberg als selbständiger Rechtsanwalt tätig und zwischen Januar 1940 und Juni 1945 leistete er seinen Wehrdienst.539 Haas war während der NS-Zeit zwar Mitglied des Nationalsozialistischen Rechtswahrerbunds gewesen, aber zu keinem Zeitpunkt der NSDAP beigetreten. Deswegen galt er in der Nachkriegszeit als unbelastet und wurde bereits im August 1945 von der Militärregierung als kommissarischer Oberamtsrichter im Amtsgericht Schwabach eingesetzt.540 Dieses Amt, das er nach eigener Angabe „opferbereit“ für den Wiederaufbau übernahm, bekleidete er bis 1947, bevor er seine Tätigkeit als selbständiger Anwalt wiederaufnahm. Zugleich wurde Haas nach 1945 politisch aktiv. Bereits zwischen 1929 und 1933 war er Mitglied der Deutschen Volkspartei gewesen.541 Nach 1945 war er Mitbegründer der FDP in Franken, ab 1947 Mitglied des Landesvorstands und 1950 zog er für die Partei in den Bayerischen Landtag ein. Neben seiner Tätigkeit als Leiter der Staatskanzlei übernahm er 1956 als Nachfolger von Thomas Dehler, den ersten Bundesjustizminister der Bundesrepublik, den Landesvorsitz der FDP in Bayern. Mit der gemeinsamen Abneigung gegenüber der CSU, die die Grundlage für die Viererkoalition bildete, verfolgten Haas und Hoegner in der Staatskanzlei unmittelbar nach der Regierungsbildung ein personalpolitisches Ziel: den Einfluss der CSU in der Behörde so weit wie möglich reduzieren. Dabei geriet Ernst Deuerlein ins Visier, der als Leiter des Presseamts bis 1954 zusammen mit Karl Schwend die Politik Ehards ideologisch gestaltet hatte (siehe Kapitel 4.3 und 5.2) und nun unter Druck die Behörde verlassen musste. Während der 64-jährige Schwend 1955 in den Ruhestand trat, wurde der erst 36-jährige Deuerlein durch Hoegner und Haas dazu gedrängt, frühzeitig seine Pensionierung zu beantragen. Während Hoegner im Fall Deuerlein kompromissbereit war, bestanden insbesondere Haas 539 Eine Anfrage beim Staatsarchiv Nürnberg nach Akten über die Tätigkeit von Haas als Rechtsanwalt zwischen 1934 und 1940 ist ergebnislos geblieben. Das Archiv hat rückgemeldet, dass diese Akten höchstwahrscheinlich nicht mehr existieren. 540 1946 beklagte sich die Militärregierung beim Justizministerium darüber, dass Haas die Entlassung von Nationalsozialisten nicht ausreichend durchführte, ja sogar „heftig dagegen protestierte“, als hätte er kein Interesse an einer schnellen Entnazifizierung. Das Justizministerium ließ daraufhin die Vorwürfe durch den Oberlandesgerichtspräsidenten, Hans Heinrich, untersuchen, der wiederum den Präsidenten des Landgerichts Nürnberg-Fürth, Camille Sachs, um eine Einschätzung bat. Sachs betonte gegenüber Heinrich, dass Haas sich unter den schwierigen Umständen korrekt verhalten hatte und die von der NS-Zeit belasteten Personen lediglich nicht entlassen hatte, weil dadurch die Funktionsfähigkeit des Amtsgerichts gefährdet gewesen wäre. Außerdem gab es nach Sachs Einschätzung keineswegs Anlass, um an Haas antinationalsozialistischen Einstellung zu zweifeln. Für diesen Vorgang: BayHStA, MJu 26793, Präsident des Landgerichts Nürnberg-Fürth an den Oberlandesgerichtspräsidenten, 30. Juni 1946. 541 Ebenda, Personalbogen Albrecht Haas, ohne Datum [vermutlich 1945 oder 1946].

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und die FDP darauf, Deuerlein aus der Staatskanzlei zu entfernen. Dabei focht Haas 1955 sogar Deuerleins Verbeamtung an, wobei er seine frühere Morphiumsucht ins Spiel brachte. Daraufhin wurde Deuerlein schließlich ins Versorgungsamt München II versetzt.542 Hoegner und Haas verstanden die Öffentlichkeitsarbeit wie Ehard als eine politische Tätigkeit, für die ein politisches Vertrauensverhältnis zum Behördenchef nötig erschien. Mit dem Auszug der beiden „Steuermänner“ Ehards aus der Staatskanzlei war der politische Einfluss der CSU in der Staatskanzlei für die Dauer der Viererkoalition gebrochen.543 Darin liegt allerdings auf der Führungsebene zugleich die wichtigste Personalentscheidung durch Hoegner und Haas in der Behörde.

Hanns Seidel Hoegners Nachfolger als Ministerpräsident war 1957 der CSU-Landesvorsitzende Hanns Seidel, der ebenfalls formal unbelastet war.544 Seidel wurde 1901 in Aschaffenburg geboren. Zwischen 1921 und 1925 studierte er Rechtswissenschaft, Volkswirtschaft und Germanistik in Würzburg, Freiburg und Jena. Nachdem er 1928 die Zweite Juristische Staatsprüfung und seine Promotion erfolgreich abgeschlossen hatte, ließ er sich als Rechtsanwalt in Aschaffenburg nieder. Am Vorabend der Machtübernahme Hitlers trat er 1932 der BVP bei, weshalb er im Juni 1933 durch die Nationalsozialisten verhaftet wurde und nach seiner Freilassung einige Wochen nach Memel in Litauen floh. Noch während der NS-Zeit kehrte er allerdings nach Aschaffenburg zurück, wo er bis zum Kriegsausbruch weiter als Rechtsanwalt tätig war. 1940 wurde er zur Wehrmacht eingezogen und war während des Kriegs in einer Panzerdivision tätig. Das Ende des Zweiten Weltkriegs erlebte Seidel in einem amerikanischen Gefangenenlager. Bereits im Juni 1945 konnte er aber nach Bayern zurückkehren. Seidel galt als von der NS-Zeit unbelastet und wurde bereits im Oktober von der Militärregierung als Landrat in Aschaffenburg eingesetzt. Bereits 1945 schloss er sich der CSU an und bekannte sich zu dem liberal-konservativen und interkonfessionellen Flügel Josef Müllers.545 Nachdem er 1946 für die CSU in die Verfassunggebende Landesversammlung gewählt wurde, zog er im Dezember des gleichen Jahrs in den Landtag ein, dem er bis zu seinem Tod angehörte. Wichtige politische 542 BayHStA, StK 13387, Vormerkung zur Anfechtung der Ernennung von Ernst Deuerlein zum Beamten, am 31. Januar 1955 erstellt von Fritz Baer. 543 Vgl. Wegmaier, Steuermänner, S. 594–602. 544 Zu Seidels Biografie: Deutinger, Hanns Seidel, in: Aretz/Morsey/Rauscher (Hrsg.), Zeitgeschichte; Gross, Hanns Seidel. 545 Vgl. Schlemmer, Aufbruch, S. 90.

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Erfahrungen sammelte er zwischen 1947 und 1954 als Bayerischer Wirtschaftsminister. Obwohl Konrad Adenauer ihn 1950 als Staatssekretär in das Bundeskanzleramt nach Bonn holen wollte, blieb er bis zum Ende Ehards dritter Regierung Wirtschaftsminister. Nachdem er 1954 sein Ministeramt durch das Zustandekommen der Viererkoalition verlor, konzentrierte er sich als CSU-Vorsitzender auf die organisationspolitische Modernisierung seiner Partei. Am 16. Oktober 1957 wurde er Ministerpräsident einer Regierungskoalition zwischen CSU, FDP und Gesamtdeutscher Block/Bund der Heimatvertriebenen und Entrechteten (GB/BHE). Als Ministerpräsident profilierte Seidel sich vor allem mit seiner politischen Steuerung Bayerns von einem Agrar- zum Industriestaat.546

Die „Blutrichter-Kampagne“: Der Fall Peter Erber Ende der 1950er Jahre fing mit kleinen Schritten eine neue Phase im Umgang mit der NS-Vergangenheit in der Bundesrepublik an. Die Vergangenheitspolitik machte langsam, ohne klaren Bruch für eine Phase der Vergangenheitsbewältigung Platz, in der die Aufmerksamkeit für die NS-Vergangenheit zunahm.547 Während der zweiten Hälfte der 1950er Jahre entfachte die DDR mit den „Braunbüchern“ die Diskussion über die „Renazifizierung“ der Bundesrepublik, um die Bonner Demokratie zu diskreditieren. Im Mai 1957 startete die DDR im Rahmen ihrer Deutschlandpolitik ihre erste, aufwendigste und folgenreichste vergangenheitspolitische Großkampagne, die gegen „Hitlers Blutrichter im Dienst des Adenauer-Regimes“ gerichtet war und unter dem Namen „Blutrichter-Kampagne“ bekannt wurde.548 Dabei kritisierte die DDR in der Öffentlichkeit zum einen die Rolle, die viele Justizbeamte und Rechtswissenschaftler bei der theoretischen Rechtsfertigung und aktiven Unterstützung des Terrors des NS-Regimes gespielt hatten. Zum anderen richtete sich die Kritik gegen die Rolle der Nachkriegsjustiz im Kapitalismus als Verfolger des Klassengegners.549 Ab Mai 1957 verbreitete die DDR drei Jahre lang alle sechs Monate neue Broschüren mit Namen von westdeutschen Richtern und Staatsanwälten, die sich am NS-Terror beteiligt hatten. Um diesen Listen Glaubwürdigkeit zu verleihen, wurden zugleich belastende Dokumente veröffent546 Vgl. Gross, Hanns Seidel, S. 92–100. 547 Vgl. Frei, 1945 und wir, S. 49–52. 548 Vgl. Annette Weinke, Die Verfolgung von NS-Tätern im geteilten Deutschland. Vergangenheitsbewältigung 1949–1969 oder: eine deutsch-deutsche Beziehungsgeschichte im Kalten Krieg, München 2002, S. 76; Marc von Miquel, Ahnden oder amnestieren? Westdeutsche Justiz und Vergangenheitspolitik in den sechziger Jahren, Göttingen 2004, S. 27–39. 549 Weinke, Verfolgung von NS-Tätern, S. 77.

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licht.550 Reagierten die westdeutsche Presse und die Bundesregierung zunächst zurückhaltend und zögernd auf die Kampagne, so gingen bereits 1957 die ersten Landesjustizverwaltungen dazu über, hinter geschlossen Türen die Anschuldigungen gegen Juristen zu untersuchen.551 Obwohl Bundesjustizminister Schäffer eine allgemeine Untersuchung zunächst ablehnte und keine „zweite Entnazifizierung“ durchführen wollte, blieb ihm 1958 unter dem Druck von seinen Ministerkollegen wie auch der nationalen und internationalen Öffentlichkeit nichts anders übrig, den Vorwürfen nachzugehen. Dabei blieb es den Bundesländern allerdings selber überlassen, über die Verfahrensweise und das Ausmaß der Überprüfungsaktion zu entscheiden.552 Zur Unterstützung bei diesen Untersuchungen wurde 1958 die Zentrale Stelle in Ludwigsburg gegründet.553 Im Zuge dieser Untersuchungen bekam das bayerische Justizministerium im April 1960 Post aus Schleswig-Holstein. In einem Schreiben wurde das Ministerium von dem Justizminister in Schleswig-Holstein darüber informiert, dass Peter Erber während der NS-Zeit als Beamter der Staatsanwaltschaft beim ehemaligen Sondergericht in Kiel an acht Verfahren mitgewirkt hatte, bei denen die Todesstrafe ausgesprochen wurde.554 Bevor das Justizministerium die Staatskanzlei über den Fall informierte, fragte sie Anfang Mai beim Justizministerium in Schleswig-Holstein nach, ob dort oder bei anderen Landesjustizverwaltungen bereits „gegen andere in diesen Verfahren beteiligte Richter oder Staatsanwälte dienstaufsichtliche oder strafrechtliche Maßnahmen“ eingeleitet worden waren.555 Daraufhin antwortete das Justizministerium in Schleswig-Holstein, dass es „keinen Anlass“ gefunden hatte, um solche Maßnahmen gegen die Betroffenen einzuleiten.556 Am 10. Mai ent-

550 Vgl. ebenda, S. 76–101. 551 Vgl. ebenda, S. 76–100. 552 Vgl. ebenda, S. 90. 553 Vgl. ebenda, S. 82. 554 Für eine Übersicht über die acht Verfahren aus der NS-Zeit sowie über den behördlichen Vorgang des Bayerischen Justizministeriums und der Staatskanzlei 1960 und 1961 siehe: BayHStA, MJu 26904; StK 30868. An dieser Stelle möchte ich mich herzlich bei meiner Kollegin Ana Lena Werner für den Hinweis auf die Überlieferung vom Fall Erber im Bestand des Bayerischen Justizministeriums bedanken. Vgl. knapp zu Erber Ana Lena Werner, Justizbilder. Landesjustiz, NSVergangenheit und Demokratie am Beispiel des bayerischen Justizministeriums in der Nachkriegszeit. Diss. phil. Ludwig-Maximilians-Universität München, Diss. phil. München 2022, S. 325. Für Erbers positive Dienstbeurteilungen am Sondergericht in Kiel während der NS-Zeit siehe seine Akte aus dem NS-Archiv des Ministeriums für Staatssicherheit der DDR: BArchB, VBS1018-ZBII-1693-A.13, Dienstbeurteilung Peter Erber, 8. Juli 1937. 555 BayHStA, MJu 26904, Bayerisches Staatsministerium der Justiz an den Herrn Justizminister des Landes Schleswig-Holstein, 29. April 1960. 556 Ebenda, Der Justizminister des Landes Schleswig-Holstein an das Bayerische Staatsministerium der Justiz, 5. Mai 1960.

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hielt das bayerische Justizministerium die Strafakten des ehemaligen Sondergerichts aus Kiel, und zwei Tage später wurde die Staatskanzlei über den Fall informiert. Am 21. Mai bestellte Baer daraufhin die Akten zu sich in die Staatskanzlei. Aus verschiedenen Anfragen des Justizministeriums bei der Staatskanzlei geht hervor, dass die Akten bis Juli 1961 in der Staatskanzlei verblieben, weil sie dort „weiterhin benötigt wurden“.557 Anscheinend wollte sich die Staatskanzlei im Fall Erber Zeit lassen und keine allzu schnelle Entscheidung treffen. Dazu gab es gute Gründe. Bereits im Dezember 1959 war Albrecht Haas, jetzt in seiner Rolle als bayerischer Justizminister, in der Süddeutschen Zeitung stark für seinen Auftritt im Bayerischen Landtag in der Sache „Blutrichter“ kritisiert worden. Der Minister hatte sich vor seine Richter und Anwälte gestellt und versucht, die Arbeit der Sondergerichte mit dem Argument zu verteidigen, dass diese „sich fast ausschließlich mit rein kriminellen Fällen“ befasst hätten und deren Urteile „sorgfältig begründet“ worden seien.558 Die verantwortungsvollen Schlüsselpositionen, die Erber in der Nachkriegszeit übernommen hatte, konnten der Staatskanzlei nun rückwirkend Probleme verursachen. Bereits unter Anton Pfeiffer hatte er eine wichtige Rolle im Sonderministerium gespielt, außerdem war er seit 1949 Generalsekretär des Landespersonalamts und somit mitverantwortlich für die Kontrolle der gesamten Personalpolitik in der bayerischen Ministerialverwaltung. Somit stand die Glaubwürdigkeit der Arbeit des Landespersonalamts als demokratische Institution auf dem Spiel. Außerdem liefen die Vorbereitungen für ein neues Bayerisches Beamtengesetz im Mai 1960 bereits auf Hochtouren. Nach dessen Verabschiedung am 1. September 1960 sollte das Landespersonalamt in der Form eines Landespersonalausschusses als Abteilung unter der Leitung Erbers in die Staatskanzlei integriert werden. Dieses Vorhaben machte die Vorwürfe gegen Erber umso heikler, vor allem wenn der Fall an die Öffentlichkeit geraten würde. Letzteres geschah jedoch nicht und am 19. Juli 1961 traf der Leiter der Staatskanzlei, Franz Heubl, nach Rücksprache mit dem Staatssekretär des Bayerischen Staatsministeriums der Justiz, die Entscheidung, dass von der Staatskanzlei aus keine Schritte gegen Peter Erber unternommen wurden.559 Fritz Baer hatte außerdem eine Analyse über die strafrechtlichen Begründung der acht Todesurteile aus dem Jahr 1944 erstellt, die er bereits am 3. Februar 1961 dem Staatssekretär des 557 Die unterschiedlichen Nachfragen des Justizministeriums bei der Staatskanzlei sind überliefert in: BayHStA, MJu 26904. 558 Ernst Müller-Meiningen Jr., Justiz – nicht ferngesehen, in: Süddeutsche Zeitung, 3. Dezember 1959, S. 1. 559 BayHStA, StK 30868, Zu Nr. I – 050 – 104 (Bl. 189–194); Fritz Baer an das Bayerische Staatsministerium der Justiz, Betreff: Angriffe gegen Richter und Staatsanwälte wegen ihrer Tätigkeit in der nationalsozialistischen Zeit; hier: Min. Dirig. Dr. Peter Erber, 19. Juli 1961 (Nr. 195).

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Bayerischen Staatsministeriums der Justiz mit der Bitte um Zustimmung vorgelegt hatte. Baer kam zum folgenden Schluss: „Sämtlichen Verurteilungen liegen kriminelle Straftaten zugrunde. Das Strafmass entsprach allerdings der Rigorosität der Bestimmungen der NS-‚Rechtspflege‘. Aus den Akten ergibt sich nichts, woraus Herrn Dr. Erber ein weiterer Vorwurf, als dass er überhaupt an diesen Verfahren mitgewirkt habe, gemacht werden könnte.“560 Aus der gleichen Analyse geht hervor, dass es zwar umstritten war, „ob die Urteile objektiv rechtswidrig waren“. Aber solange das Justizministerium in Schleswig-Holstein keine dienstaufsichtlichen oder strafrechtlichen Schritten gegen die damaligen Richter unternahm, plädierte Baer dafür, dass gegen „einen weisungsgebundenen Beamten der Staatsanwaltschaft [Erber] ebenfalls keine rechtlichen Schritte erforderlich sind“.561 Dieser Begründung stimmte der Staatssekretär der Justiz zu und Erber blieb daraufhin als Leiter des Landespersonalausschusses bis zu seiner Ruhestandsversetzung 1969 im Amt, ohne wegen dieses schwarzen Kapitels seiner Karriere belangt zu werden. 1966 wurde er sogar als Nachfolger von Philipp Freiherr von Brand zum stellvertretenden Leiter der Staatskanzlei ernannt.

Die Staatskanzlei als Sprungbrett: Franz Heubl Franz Heubl wollte mit seiner Entscheidung, auf ähnliche Weise wie Albrecht Haas das bayerische Berufsbeamtentum verteidigen und es vor einem öffentlichen Skandal bewahren. Den moralischen Preis, den er dafür zahlte, war, dass das Handeln Erbers am Sondergericht ohne dienstliche oder strafrechtliche Konsequenzen blieb.562 Dies mag vielleicht in Hinblick auf Heubls Biografie überraschen, denn er und seine Familie hatten während der NS-Zeit unter der Entlassung des Vaters, der Beamter und BVP-Mitglied war, gelitten.563 Dabei war der 1924 in München geboren und aufgewachsene Heubl von der NS-Zeit zumindest formal unbelastet geblieben und zu keinem Zeitpunkt dem Jungvolk oder der Hitlerjugend beigetreten.564 Während des Zweiten Weltkriegs hatte Heubl ab 1943 nach seinem Abitur Wehrdienst bei den Gebirgsjägern geleistet. Als Leiter der Staatskanzlei folgte Heubl nicht dieser familiären, NS-distanzierten Prägung, sondern priorisierte die

560 Ebenda. 561 Ebenda. 562 Ebenda. 563 Vgl. Balke, Die Präsidenten, S. 241 f. 564 Dazu äußerte sich Heubl 1998 in einer Radiosendung mit dem Bayerischen Rundfunk: Dr. Franz Heubl, Landtagspräsident a. D. im Gespräch mit Werner Reuß, 21. August 1998, https://www. br.de/fernsehen/ard-alpha/sendungen/alpha-forum/franz-heubl-gespraech100.html [19. Juli 2020].

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Verteidigung des behördlichen Interesses und des bayerischen Berufsbeamtentums.565 Daneben hätte ein öffentlicher Skandal wegen der NS-Vergangenheit eines der Beamten der Staatskanzlei sich ebenfalls negativ auf die Laufbahn des erst 36jährigen, aufstrebenden Heubls auswirken können. Nach dem Krieg ging es für ihn in vielerlei Hinsicht schnell aufwärts. Zwischen 1946 und 1950 studierte er Rechts- und Staatswissenschaft an der Universität München und schloss 1947 die Erste und 1950 die Zweite Juristische Staatsprüfung ab. Außerdem promovierte er 1948 über die staatsrechtliche Entwicklung Bayerns im Jahre 1945.566 Zugleich gehörte er direkt nach dem Krieg zum Gründungskreis der CSU in München und wurde zu ihrem ersten Parteisekretär ernannt. 1948 machte er einen weiteren Schritt in der politischen Karriere, als Anton Pfeiffer, mit dem die Familie Heubls seit Jahren befreundet war, ihn als Sekretär mit organisatorischen Aufgaben während des Verfassungskonvents der Ministerpräsidenten am Herrenchiemsee betraute. Anschließend war er 1949 Sekretär beim Parlamentarischen Rat in Bonn. Zwischen 1950 und 1960 arbeitete Heubl als Ministerialbeamter im bayerischen Kultusministerium. Daneben nahm seine politische Laufbahn Fahrt auf, als er 1953 für die CSU in den bayerischen Landtag und bereits 1958 mit erst 34 Jahren durch die Fraktion im Landtag zu deren Vorsitzenden gewählt wurde. Somit übte Heubl zwischen 1960 und 1962 als Leiter der Staatskanzlei und CSU-Fraktionsvorsitzender im Bayerischen Landtag eine legislative und exekutive Rolle aus.567 Doch für Heubl war die Übernahme der Leitung der Staatskanzlei nicht das Hauptziel. Vielmehr diente sie als Sprungbrett, um seine föderalistischen und europäischen Ambitionen voranzutreiben und sich innerhalb der CSU – insbesondere gegenüber Franz Josef Strauß – weiter profilieren zu können. Dies gelang ihm, denn als Alfons Goppel 1962 das Amt des Ministerpräsidenten antrat, ernannte er Heubl zum Staatsminister für Bundesangelegenheiten und Bevollmächtigten Bayerns beim Bund.568

565 So war Heubl zwischen 1955 und 1959 Vorsitzender der Beamtenvereinigung der CSU. 566 Vgl. Franz Heubl, Die staatsrechtliche Entwicklung Bayerns im Jahre 1945, München 1948. 567 Heubl hat später seine Entscheidung, die beiden Ämter nebeneinander zu erfüllen, als „Todsünde“ bezeichnet. Vgl. Interview mit Landtagspräsident a. D. Dr. Franz Heubl, in: Burkhard Haneke/Renate Höpfinger (Hrsg.), Geschichte einer Volkspartei. 50 Jahre CSU, 1945–1995, Grünwald 1995, S. 558. Der Politikwissenschaftler Theodor Eschenburg kritisierte 1964 den Bayerischen Kultusminister Theodor Maunz wegen einer ähnlichen Konstruktion und erwähnte dabei auch den Fall Heubl. Eschenburg nannte diese Praxis zwar „rechtlich nicht verboten“, jedoch als nicht wünschenswert. Vgl. Theodor Eschenburg, Zur politischen Praxis in der Bundesrepublik. Kritische Betrachtungen 1961–1965, München 1966, S. 161 f. 568 Damit löste Heubl zugleich Claus Leusser als Bevollmächtigten Bayerns in Bonn ab.

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Während Heubls Zeit als Leiter der Staatskanzlei vollzog sich die Integration des Landespersonalamts in die Staatskanzlei. Dies führte im Dezember 1960 zu einem erneuten Anstieg der formalen Belastung unter dem Führungspersonal. Generalsekretär Peter Erber war zwar formal unbelastet, dennoch handelte es sich bei zwei der ihm unterstellten Referatsleiter, Konrad Raumer und Josef Eisfelder, um ehemalige NSDAP-Mitglieder, die außerdem der SA beigetreten waren.569 Auch in diesem Fall ging dennoch die Verwaltungslogik auf, dass NS-Belastung von bereits verbeamteten Mitarbeitern nicht erneut untersucht werden musste. Dass die Frage nach NS-Belastung im Denken von Fritz Baer 1960 definitiv seine Relevanz als Beurteilungskriterium verloren hatte, geht außerdem aus der Tatsache hervor, dass er für die frei gewordene Stelle des politisch verfolgten Personalreferenten Ludwig Tiefenbacher, der 1959 aus Altersgründen in den Ruhestand versetzt wurde, ausgerechnet Rudolf Schambeck vorschlug.570 Dieser hatte bereits vor 1945 im gehobenen Dienst in der Staatskanzlei gearbeitet. In der Nachkriegszeit wurde Schambeck entlassen, weil er zum 1. Mai 1933 der NSDAP beigetreten und außerdem politischer Leiter beim Gauamt für Beamte571 und Hauptvertrauensmann beim RDB gewesen war. Die Spruchkammer stufte ihn 1948 in die Gruppe III der Minderbelasteten ein, dennoch kam auch er ein Jahr später endgültig als Mitläufer aus der Mitläuferfabrik raus. Nachdem er 1949 zunächst als Angestellter im Münchner Rechnungsamt des Oberfinanzpräsidiums in die bayerische Verwaltung zurückgekehrt war, wurde er 1952 als Regierungsoberinspektor wieder in die Staatskanzlei eingestellt. Dort schaffte er 1958 den Aufstieg als Regierungsrat in den höheren Dienst.

Ausblick in die Ära Goppel Obwohl die von der DDR betriebene Skandalisierung seit der „Bluttrichter-Kampagne“ in der Luft der Bonner-Republik hing und das innerhalb der westdeutschen 569 Zu Josef Eisfelder vgl. BayHStA, StK 13391, Personalbogen Josef Eisfelder, 16. November 1963; BArchB, R9361-VIII Kartei/7950963; Zu Konrad Raumer vgl. BayHStA, StK 30887, Personalbogen Konrad Raumer, 1. September 1939; BArchB, VBS1/1140006637, Parteistatistische Erhebung von Konrad Raumer aus 1939; R9361-IX Kartei/33861017. 570 BayHStA, StK 13445, Vormerkung der Staatskanzlei über Regierungsrat Rudolf Schambeck, 23. Januar 1962. 571 Ebenda, Vorschlag zur Ernennung von Rudolf Schambeck zum Regierungsamtmann durch Paul Giesler, 11. März 1944. Zur Rolle dieser Gauämter für Beamte im NS-Staat vgl. Hubert Roser/ Peter Spear, „Der Beamte gehört dem Staat und der Partei.“ Die Gauämter für Beamte und für Kommunalpolitik in Baden und Württemberg im polykratischen Herrschaftsgefüge des NS-Regimes, in: Cornelia Rauh/Michael Ruck (Hrsg.), Regionale Eliten zwischen Diktatur und Demokratie. Baden und Württemberg, 1930–1952, München 1993, S. 71–102.

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3 Führungspersonal und Personalpolitik

Gesellschaft und Behörden weitverbreitete „Schlußstrich“-Denken zunehmend von westdeutschen Intellektuellen und Jugendlichen kritisiert wurde, blieb die Wahl von Alfons Goppel am 11. Dezember 1962 zum Bayerischen Ministerpräsidenten unkommentiert. Der Kompromiss-Kandidat der CSU war 1933 der SA und 1937, als die Mitgliedersperre aufgehoben wurde, der NSDAP sowie weiteren Parteigliederungen und -organisationen beigetreten.572 Im Dezember 1946 war er von der Spruchkammer in Aschaffenburg in die Kategorie der Mitläufer eingereiht worden.573 Somit hatte Bayern 1962 – kurz nach der „Spiegel-Affäre“ – zum ersten Mal in der Nachkriegszeit einen „Ehemaligen“ als Ministerpräsidenten. Dennoch wurde in der Öffentlichkeit über Goppels NS-Vergangenheit nicht diskutiert. Sogar als sein Kultusminister Theodor Maunz 1964 zurücktreten musste, nachdem er unter starker öffentlicher Kritik wegen seiner Schriften aus der NS-Zeit zur Legitimierung des NS-Staats und dessen „Führer“ geraten war, blieb Goppels NS-Vergangenheit in der Öffentlichkeit unkommentiert.574 Der CSU-Politiker wurde in der Nachkriegszeit zu keinem Zeitpunkt, mit einer einzigen Ausnahme 1947, mit seinen NSMitgliedschaften konfrontiert.575 Ausschlaggebend war dabei vermutlich die Tatsache, dass diese – wenn überhaupt – lediglich als formale Belastung wahrgenommen wurden und er 1932 der BVP beigetreten und für die Partei aktiv gewesen war.576 Zudem hatte Goppel keine prominenten Stellen im NS-Staat bekleidet, sondern war zwischen 1934 und 1939 Gerichtsassessor am Amtsgericht Mainburg, Staatsanwalt am Landesgericht Kaiserslautern und Amtsgerichtsrat in Aschaffenburg gewesen. Obwohl er in Aschaffenburg acht Monate lang als stellvertretender Vorsitzender des ideologisch hochaufgeladen Erbhofgerichts aktiv war, gibt es keine Hinweise dafür, dass Goppel im NS-Staat aus nationalsozialistischer Überzeugung handelte. Vielmehr versuchte der junge, aufstrebende Jurist und Beamte mit seinen Mitgliedschaften seine staatliche Laufbahn im bayerischen Justizdienst sicherzustellen, bis er 1939 in 572 Obwohl Goppel in der NSDAP-Mitgliedkartei als Vollmitglied geführt wurde, behauptete Goppel noch 1952, dass er seit 1937 lediglich Parteianwärter gewesen sei. Selbst erklärte er seine Unwissenheit über die Vollmitgliedschaft damit, dass er 1939 bereits in der Wehrmacht diente, als er die vollständige Mitgliedschaft erreichte. Tatsache ist auch, dass er sich noch im Krieg als Parteianwärter ausgab, obwohl er von der Vollmitgliedschaft profitiert hätte. Zu Goppels Mitgliedschaften siehe die unterschiedlichen Personalbogen aus der NS-Zeit in: BArchB, VBS-1018-ZBIII1682 A.10; BayHStA, MJu 26790. Siehe auch seine NSDAP-Mitgliedschaft in: BArchB, R 9361-VIII Kartei/9010235. Vgl auch dazu Stefan März, Alfons Goppel. Landesvater zwischen Tradition und Moderne, Regensburg 2016, S. 36–39. 573 Vgl. ebenda, S. 46. 574 Zum Fall Maunz in der Nachkriegszeit vgl. Anne-Kristin Hübner, Theodor Maunz. Brüche und Kontinuitäten einer Biographie (1945–1964), München 2015. 575 Vgl. März, Landesvater, S. 47. 576 Vgl. ebenda, S. 25–28.

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die Wehrmacht eingezogen wurde.577 Dazu passte er sich der Handlungslogik des NS-Staats an, trug deren Politik als Beamter mit, jedoch ohne innerliche ideologische Überzeugung. Gleichwohl legte das Ministerium für Staatssicherheit (MfS) in der DDR eine Akte zu Goppels NS-Vergangenheit an.578 Aus dieser MfS-Akte geht aber nicht hervor, dass die ostdeutschen Beamten belastende Gerichtsfälle mit Skandalpotential, wie im Fall Erbers, entdeckten, sonst hätte die DDR diese mit Sicherheit benutzt, um den neugewählten Bayerischen Ministerpräsidenten öffentlich zu diskreditieren. Dies zeigt, dass das MfS sich auf Personen der westdeutschen Öffentlichkeit konzentrierte, deren Aktivitäten und berufliche Positionen während der NS-Diktatur sie gleichermaßen kompromittierten. Bei der großen Zahl an „Ehemaligen“ in der Bundesrepublik reichte eine Mitgliedschaft für einen Skandal nicht aus. Die Ära Goppel brachte für die Staatskanzlei große personalpolitische und strukturelle Veränderungen mit sich, die das Produkt sowohl von Goppels politischer Zielsetzung als auch von deren Implementierung waren. Insbesondere die Tatsache, dass Goppel seine politische Richtlinienkompetenz aktiv für die langfristige politische Planung in Bayern verwendete, wirkte sich stark auf die Staatskanzlei aus. Lag die Zahl der Beschäftigten 1961 bei etwa 110, so beschäftigte die Staatskanzlei 1973 bereits 242 Personen.579 Dennoch stellte 1962 keine personalpolitische Zäsur dar. Vielmehr hielt Goppel am vorhandenen Führungspersonal fest, darunter Fritz Baer, der bis 1967 sowohl die Staatskanzlei als auch die für die allgemeine Staatspolitik zuständige Abteilung A leitete. Außerdem fing der Zuwachs des Personals bereits vor der Goppel-Ära an, als 1955 in der Staatskanzlei unter Hoegner die „Bayerische Landeszentrale für Heimatdienst“ gegründet und 1960 das Landespersonalausschuss in die Staatskanzlei integriert wurde, sodass der Kernpersonalbestand sich von etwa 70 auf 110 Personen vergrößerte. Wurde die Personalpolitik in der Nachkriegszeit stark von Netzwerken aus dem ehemaligen Auswärtigen Amt geprägt, so spielten diese bereits seit dem Anfang der 1950er Jahre keine Rolle mehr. Als wichtiges Anwerbekriterium stellte sich während Goppels Regierungszeit die Frage heraus, ob ein Ministerialbeamter neben seinen Fachkenntnissen und -qualitäten einen bayerisch-katholischen Hintergrund hatte. Ausschlaggebend konnte insbesondere eine Mitgliedschaft in einer katholischen Studentenverbindung sein.580 Diese Eigenschaften wurden durch die 577 Siehe dazu: BArchB, VBS-1018-ZBIII-1682 A.10, Personalbogen Alfons Goppel, 1936; BayHStA, MJu 26790, Personalbogen Alfons Goppel, 1957. 578 BArchB, VBS-1018-ZBIII-1682 A.10. 579 Siehe dazu die jeweiligen Personalstandnachweisungen der Staatskanzlei für das Bayerische Statistische Landesamt in der Akte: BayHStA, StK 15936. 580 Der bayerische Ministerialbeamte Konrad Kruis hat am 16. Juni 2017 gegenüber dem Autor erklärt, dass sich Goppel bei Bewerbungsverfahren für die Staatskanzlei im Fall von gleicher

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3 Führungspersonal und Personalpolitik

katholischen Verbindungsbrüder Goppel und Baer als eine Art Garantie beurteilt, dass ein Beamter sich dem Arbeitsklima in der Staatskanzlei anpassen konnte und über die richtige Mentalität als bayerischer Beamter verfügte. Auch Baers Nachfolger als Leiter der Staatskanzlei, Rainer Keßler (1967–1982), war ein katholischer Verbindungsbruder.581 Zudem war 1963 Baers Nachfolger als Leiter der Verwaltungs- und Personalabteilung, Werner Dünnbier, katholisch.582 Somit dominierte auch unter Goppel die Mentalität des politischen Katholizismus bei der Personalpolitik der Staatskanzlei. Zugleich vollzog sich auf der Ebene des Führungspersonals in den 1960er Jahren einen Generationswechsel. Mit dem Ausscheiden von Fritz Baer (1967) und dessen Stellvertreter, Philipp Freiherr von Brand (1966), gingen die letzten beiden Führungspersonen aus der Kriegsjugendgeneration in den Ruhestand, die seit der Nachkriegszeit den Wiederaufbau der Staatskanzlei wesentlich mitgestaltet hatten. Nun rückte mit Rainer Keßler als Leiter der Staatskanzlei, Ferdinand Jacquet als persönlicher Referent des Ministerpräsidenten sowie Werner Dünnbier als Leiter der Verwaltungs- und Personalabteilung und Raimund Eberle als Leiter der Pressestelle Vertreter der Flakhelfer-Generation ins Rampenlicht, die in den 1920er Jahren geboren war. Angehörige dieser Alterskohorte waren oft Mitglied der Hitlerjugend gewesen und hatten im Krieg in der Wehrmacht gedient.583 Obwohl die Frage nach NS-Belastung bereits Anfang der 1950er Jahre an Bedeutung verloren hatte, führte Goppels Personalpolitik und der Ausbau des Personalbestands keineswegs zu einer Zunahme an formaler NS-Belastung in der Behörde. Als 1963 Erich Maußer, der 1937 der NSDAP beigetreten war, als Referent in die Abteilung A berufen wurde, war das eine Ausnahme. Die anderen formal belasteten Führungspersonen, Konrad Raumer und Peter Bußler, arbeiteten bereits vor 1962 in der Staatskanzlei.584 Von Beginn seiner Regierungszeit an präsentierte sich Goppel in der Tradition seiner Vorgänger als Hüter des bayerischen Berufsbeamtentums, dem er ähnlich wie Hans Ehard ja selber entstammte. So erklärte er am 19. Dezember 1962 am fachlicher Qualifizierung, in der Regel für den Kandidaten mit einem katholischen Hintergrund entschied und außerdem eine Mitgliedschaft in einer katholischen Studentenverbindung sehr vorteilhaft war. 581 Keßler leitete zwischen 1963 und 1967 die Dienststelle des Bevollmächtigten Bayerns beim Bund, bevor er 1967 die Leitung der Staatskanzlei übernahm. Zu seiner Person siehe: BayHStA, MF 86509, Übersicht der Staatskanzlei über den Werdegang von Rainer Kessler, 26. September 1966. 582 Aus seiner Personalakte geht nicht hervor, ob er ebenfalls Mitglied in einer katholischen Studentenverbindung gewesen war. Vgl. BayHStA, StK 13390. 583 Zu der Flakhelfergeneration vgl. Frei, 1945 und wir, S. 42. 584 Zu Bußler vgl. BayHStA, StK 30864, Personalbogen Peter Bußler, 1. November 1949. Zu Maußers Mitgliedschaft in der NSDAP siehe: BArchB, R 9361-IX Kartei/27990796.

3.4 Nach der Entnazifizierung 1954–1962



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Ende seiner ersten Regierungserklärung im Bayerischen Landtag Folgendes: „Das Berufsbeamtentum im öffentlichen Dienst hat sich bewährt. Darum soll es weiterhin die zuverlässige Grundlage des öffentlichen Dienstes vor allem dort sein, wo der Staat mit hoheitlicher Gewalt dem Bürger gegenübertritt.“585 Somit hielt auch Goppel an der bayerischen Tradition des Berufsbeamtentums. Das Beamtentum sorgte für staatliche Stabilität, doch die Rolle der anderen Akteure in der Demokratie gewann während Goppels Regierungszeit innerhalb der Staatsvorstellung der Ministerialbeamtem an Bedeutung. Zugleich gab Goppel 1967 den Anstoß zur Modernisierung der bayerischen Beamtenschaft. So bekam Fritz Baer 1967 kurz vor seinem Ruhestand den Auftrag vom Ministerpräsidenten, einen Lehrgang für Verwaltungsführung für den höheren Dienst zu konzipieren, der bereits ein Jahr später eröffnet wurde und bis heute in Bayern als „Prinzenkurs“ bekannt ist.586 Der Lehrgang war eine Reaktion auf die Diskussionen in Bayern und der Bundesrepublik über die Rolle der Beamtenschaft im demokratischen Staat.587 Die Verwaltung in der Bundesrepublik wurde zumindest bis in den späten 1950er Jahren durch ein elitäres, etatistisches Selbstverständnis gekennzeichnet, das in den 1960er Jahren zunehmend intern und extern diskutiert wurde. Der Lehrgang sollte dazu beitragen, so schrieb Baer rückblickend 1988, dass nicht „Technokraten“ herangezüchtet, sondern „Menschen“ gebildet wurden, „die mit gesundem Blick die Erfordernisse einer modernen Verwaltung erkennen und als reife Persönlichkeiten im Interesse der Verwaltung und damit der Bürger im Freistaat Bayern arbeiten.“588 War traditionell der Staat der Bezugspunkt der Beamten, so verlegte sich der Fokus ab den 1960er Jahren schrittweise auf die konkrete Verfassungsordnung. Dabei sollte der höhere Ministerialbeamte nicht nur Fachexperte sein, sondern zugleich den „Aufgaben des modernen Verwaltungsapparates […] im Zeitalter schneller technischer Erfindungen und Neuerungen“ gewachsen sein.589 Die „Beweglichkeit und Anpassungsfähigkeit“ der Führungsschicht des Staates stellten für Baer einen Schwerpunkt dar.590 585 Regierungserklärung von Ministerpräsident Alfons Goppel vor dem Bayerischen Landtag (Kabinett Goppel I), in: Quellen zur politischen Geschichte Bayerns in der Nachkriegszeit, Band 2 (1957–1978), bearb. von Karl-Ulrich Gelberg, München 2005, S. 162–173, hier S. 173. 586 Siehe dazu: BayHStA, StK 30858. Vgl. ebenfalls Bayerische Staatskanzlei (Hrsg.), 20 Jahre Lehrgang für Verwaltungsführung 1968–1988, München 1988; Bayerische Staatskanzlei, 50 Jahre Lehrgang für Verwaltungsführung 1967–2017, München 2017. 587 Vgl. Fritz Baer, Die Entstehung der Lehrgänge für Verwaltungsführung, in: Bayerische Staatskanzlei (Hrsg.), 20 Jahre Lehrgang für Verwaltungsführung 1968–1988, München 1988, S. 12–15, hier S. 12. 588 Ebenda, S. 14 f. 589 Ebenda, S. 14. 590 Alfons Goppel, „Wider die Bürokratie“ – Eine leistungsfähige und bürgernähe Beamtenschaft für den Freistaat, in: Bayerische Staatskanzlei (Hrsg.), 20 Jahre Lehrgang für Verwaltungs-

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3 Führungspersonal und Personalpolitik

Verstand sich die Staatskanzlei in der Nachkriegszeit insbesondere als die Hüterin des traditionellen Beamtentums in der Tradition des 19. Jahrhunderts, so leitete sie in den 1960er Jahren unter dem Einfluss der sich verändernden politischen Kultur dessen Modernisierung ein. Dafür war Baer nicht zuletzt selbst ein Beispiel. Hatte er sich als Beamte während der NS-Zeit mühelos und erfolgreich der Handlungslogik des NS-Staats angepasst, so passte er sich nach 1945 genau so schnell dem neuen demokratischen Staat an und konzipierte 1967 sogar im Herbst seiner Laufbahn die Modernisierung des Beamtentums mit. Er stellte eine Kontinuität im Wandel dar.

3.5 Das Führungspersonal 1945–1962: Ein Sozialprofil Wie setzte sich das Führungspersonal in der Staatskanzlei zwischen Juni 1945 und Dezember 1962 in Hinblick auf Ausbildungen, Berufserfahrungen und Parteimitgliedschaften zusammen? Von den 69 leitenden Personen – darunter vier Ministerpräsidenten, sechs Leiter der Staatskanzlei, sechs persönliche Referenten, sechs Abteilungsleiter, drei stellvertretende Abteilungsleiter sowie 46 Referatsleiter und Referenten591 – handelte es sich in etwa 64 Prozent der Fälle (44 Personen) um Juristen, die die Zweite Juristische Staatsprüfung abgelegt hatten, und in 20 Prozent (14 Personen) um Geisteswissenschaftler. Sieben Personen, etwa zehn Prozent, hatten andere Ausbildungen absolviert, so zum Beispiel die Lehrgänge für den mittleren und gehobenen Verwaltungsdienst, leiteten aber dennoch Referate in der Staatskanzlei.592 Die Juristen dominierten in der Staatskanzlei mit etwa 64 Prozent den Personalbestand eindeutig, sodass auch für die Staatskanzlei nach 1945 das „Juristenmonopol“ galt, so wie das in der öffentlichen Wahrnehmung oft mit der deutschen Verwaltung in Verbindung gebracht wird. Dabei nahm ihr Anteil am Führungspersonal im Laufe der 1950er Jahren durch die sich verändernde Anwerbungspraxis zu, nur in der Pressestelle arbeiteten durchgehend Personen mit einem journalistischen oder geisteswissenschaftlichen Hintergrund.

führung 1968–1988, München 1988, S. 8–11, hier S. 9 f. Dazu passt ebenfalls Baers Plädoyer für mehr „Generalisten“ anstatt „Spezialisten“ innerhalb der bayerischen Verwaltung. Vgl. Baer, Verwaltung, in: Kroher (Hrsg.), Nach 20 Jahren, S. 70 f. 591 Dabei wird von den höchsten Positionen ausgegangen, die die Personen innerhalb der Staatskanzlei erreichten. 592 Bei vier Personen konnte aufgrund fehlender Personalakten keine Vorbildungen festgestellt werden.

3.5 Das Führungspersonal 1945–1962: Ein Sozialprofil 

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Von den 44 Juristen hatten 34 Prozent bereits während der Weimarer Republik im Verwaltungs- und Justizdienst gearbeitet; sie setzten ihre Tätigkeit während der NS-Zeit fort (siehe auch Grafik 2). Weitere neun Prozent stiegen erst während der NS-Zeit in den Verwaltungs- oder Justizdienst ein, sodass insgesamt etwa 43 Prozent der Juristen während der NS-Zeit in der Verwaltung tätig gewesen war. Daneben gab es drei Personen, etwa sieben Prozent, die zwar während der Weimarer Republik in der Ministerialverwaltung gearbeitet hatten, jedoch 1933 aus politischen Gründen ausscheiden mussten. Zugleich wies die Staatskanzlei mit 20,5 Prozent einen relativ hohen Anteil an Juristen auf, die während der NS-Zeit außerhalb der Verwaltung, zum Beispiel im Bankenwesen, als Dozent oder Anwalt, tätig gewesen waren. Eine ebenfalls umfangreiche Gruppe, etwa 30 Prozent, stieg erst nach 1945 in die Verwaltung ein, wobei es sich in der Regel um Nachwuchspersonal handelte, das zwischen 1920 und 1930 geboren wurde.

%

Gr. 2: Links der Linie: Gesamtanteil des Personals der Staatskanzlei mit einem Studienabschluss in Rechtswissenschaften (Juristen). Rechts der Linie: Zuordnung des juristischen Personals nach Beschäftigungs- bzw. Einsatzbereichen. Angaben erfolgen in Prozent (%).

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3 Führungspersonal und Personalpolitik

Bei etwa einem Drittel des gesamten Führungspersonals, 24 Personen, konnte festgestellt werden, dass dieses bereits zur NS-Zeit in der Ministerialverwaltung gearbeitet hatte. Bei dieser Gruppe waren die Juristen mit 19 Personen eindeutig überrepräsentiert; dagegen hatte lediglich eine Person aus den Geisteswissenschaften den Schritt in die Verwaltung gewagt. In den übrigen Fällen handelte es sich um Personen des mittleren und gehobenen Verwaltungsdiensts. Somit waren es im Personalbestand der Staatskanzlei nach 1945 insbesondere die Juristen gewesen, die zur Aufrechterhaltung der Verwaltung im NS-Staat beigetragen hatten. Für die politische Haltung des Personals im Untersuchungszeitraum ist nicht nur die Frage nach einer Mitgliedschaft in der NSDAP, sondern auch nach Mitgliedschaften von anderen Parteien relevant (wobei manche Personen nach 1933 zur NSDAP wechselten). Obwohl solche Mitgliedschaften in den personalpolitischen Sachakten und Personalakten nur unsystematisch erfasst wurden, konnte dennoch festgestellt werden, dass zumindest 27,5 Prozent des Personals (19 Personen) vor 1933 Mitglied einer politischen Partei gewesen waren (allerdings nicht der NSDAP). Dabei war die BVP mit 14 Personen am stärksten repräsentiert. Nach 1945 war 31,8 Prozent (22 Personen) Mitglied in einer Partei, wobei die CSU mit 13 und die SPD mit sieben Personen dominierten. Von diesen Personen stellten die Ministerpräsidenten und die Leiter der Staatskanzlei, die ohne Ausnahme Mitglied in einer Partei waren, bereits 50 Prozent dar. Bis zu Beginn des Zeiten Weltkrieges handelte es sich bei den zwei höchsten Beamten der Staatskanzlei, Leopold Krafft von Dellmensingen und Paul von Stengel, um ehemalige BVP-Mitglieder. Nach 1945 dominierte auf der Führungsebene die CSU. Obwohl die meisten Beamten sich bei ihrer Arbeit jedoch als unpolitische Fachexperten verstanden, zeigt sich somit dennoch eine ideologische Grundorientierung unter dem Führungspersonal ab. Der Anteil der NSDAP-Mitglieder unter dem Führungspersonal war in der Staatskanzlei mit 25 Prozent im Vergleich zu den Prozentsätzen der Bundesministerien relativ gering (siehe auch Grafik 3). Von den 17 Betroffenen waren vier Personen 1933 und zwölf Personen 1937 oder später der NSDAP beigetreten. Eine Person hatte einen Antrag auf Aufnahme gestellt, der allerdings abgelehnt wurde. Dennoch wird dieser Antrag hier ebenfalls als eine aktive Handlung zur Annäherung an das NS-Regimes verstanden. Von diesen 17 Personen waren sieben ebenfalls weiteren NS-Organisationen beigetreten und sechs Personen sowohl NS-Organisationen als auch der SA (wovon wiederum zwei eine Funktion in der SA bekleideten). „Alte Kämpfer“ wurden nach 1945 in der Staatskanzlei nicht eingestellt, was ebenfalls für SS-Mitglieder galt. Für weitere 23 Personen (33,3 Prozent) konnte festgestellt werden, dass sie der SA oder weiteren NS-Organisationen, jedoch nicht der NSDAP angehörten. Somit waren etwa 60 Prozent des gesamten Führungspersonals während der NS-Zeit der NSDAP beziehungsweise weiteren NS-Organisati-

3.5 Das Führungspersonal 1945–1962: Ein Sozialprofil



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on verbunden gewesen. Dies verwundert vor dem Hintergrund des umfassenden Herrschaftsanspruchs der NSDAP nicht. Den größten Teil dieser Gruppe machten die Personen aus, die während der NS-Zeit im öffentlichen Dienst arbeiteten und für die es auf Dauer beinahe unmöglich war, nicht organisatorisch von der NSDAP oder ihrer Gliederungen erfasst zu werden.593 Wie die Forschung gezeigt hat, gab es viele unterschiedliche Motive, der NSDAP oder ihrer Gliederungen beizutreten und Mitgliedschaften können ohne weitere Kontextualisierung nur erste Hinweise für das Verhältnis einer Person zum Nationalsozialismus dienen.594 Grundlegend festgehalten soll dabei jedoch, dass es sich mindestens um Versuche handelte, sich dem NS-Regime anzunähern – obwohl man freilich auch ohne Mitgliedschaft im Sinne des NS-Regimes handeln konnte.595 %

Gr. 3: Links der Linie: Gesamtanteil der NSDAP-Mitglieder in der Staatskanzlei. Rechts der Linie: Zuordnung der NSDAP-Mitglieder nach Beitrittsmerkmalen und weiteren Mitgliedschaften. Angaben erfolgen in Prozent (%). Mehrfachbenennung möglich.

593 Vgl. Frei, Der Führerstaat, S. 120. 594 Vgl. Jürgen W. Falter, Spezifische Erklärungsmodelle und Motive der NSDAP-Mitgliedschaft, in: Jürgen W. Falter (Hrsg.), Junge Kämpfer, alte Opportunisten. Die Mitglieder der NSDAP 1919– 1945, Frankfurt am Main 2016, S. 65–87; Falter, Hitlers Parteigenossen. 595 Vgl. Conze/Frei/Hayes/Zimmermann, Das Amt, S. 158. Dazu auch: Stefanie Palm/Irina Stange, Vergangenheiten und Prägungen des Personals des Bundesinnenministeriums, in: Frank Bösch/ Andreas Wirsching (Hrsg.), Hüter der Ordnung. Die Innenministerien in Bonn und Ost-Berlin nach dem Nationalsozialismus, Göttingen 2018, S. 118–177, hier S. 125.

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3 Führungspersonal und Personalpolitik

3.6 Die Einstellungspraxis: Erfahrungsgruppen und Vergangenheiten Während der ersten Nachkriegsjahre lag der Fokus in der Einstellungspraxis infolge der Entnazifizierungspolitik der Militärregierung und der „Lex Hoegner“ zumindest bis 1947 einseitig auf der Frage nach formaler NS-Belastung – insbesondere in Bezug auf eine Mitgliedschaft oder Funktion in der NSDAP, SA und SS. Dies wird durch die Tatsache bestätigt, dass zwischen Oktober 1945 und Februar 1947 lediglich ein Beamter im gesamten Personalbestand der Staatskanzlei ein ehemaliger Parteiangehöriger war, der seine Vergangenheit vor der Staatskanzlei verschwiegen hatte. Obwohl freilich kein Beamter nach 1945 lediglich in die Staatskanzlei eingestellt wurde, weil er formal unbelastet war, so stellte sich die Frage nach formaler NS-Belastung während der ersten Jahren des Wiederaufbaus für die personelle Zusammensetzung der Staatskanzlei als entscheidend heraus. Sie beeinflusste sowohl das Moment der Einstellung in die Staatskanzlei als auch den Karriereverlauf sowie den Umgang der Beamte mit ihrer eigenen Vergangenheit. Richtet man somit den Blick auf die Einstellungspraxis in der Staatskanzlei in Kombination mit den Lebensläufen der jeweiligen eigenstellten Personen, dann lassen sich innerhalb des Personalbestands vier Erfahrungsgruppen unterscheiden: das Personal des Wiederaufbaus, die formal Unbelasteten, die formal Belasteten sowie das Nachwuchspersonal. Dabei hat sich die vorliegende Studie von dem heuristischen Typologie-Ansatz aus der Studie zum Bundesinnenministerium inspirieren lassen: Im Gegensatz zu anderen Behördenprojekten wird nicht von „NSTypen“ oder Generationen ausgegangen, sondern es wurden vielmehr die konkreten Einstellungsprozesse in der Behörde in Kombination mit der Wahrnehmung von NS-Belastung sowie die Selbstdarstellung der Beamten in den Blick genommen.596 Zugleich stellt sich hier die Frage nach gemeinsamen Erfahrungen, Prägungen und Karriereverläufen. Eins hatten dabei alle Personen gemeinsam: Niemand wollte nach 1945 ein Nationalsozialist gewesen sein. Bei dieser Analyse sind allerdings die Ministerpräsidenten außen vorgelassen, weil ihre Ernennung zunächst von der Militärregierung und ab Dezember 1946 von der Landtagswahl abhängig war. Die Leiter der Staatskanzlei sind in die Gruppenanalyse nur eingeflossen, wenn sie vor ihrer Ernennung bereits als Beamte in der Staatskanzlei aktiv waren. Das leitende Personal beim Wiederaufbau der Staatskanzlei umfasste 1945/46 eine Gruppe von etwa zehn Personen, die zwischen 1879 und 1900 geboren wurden. Darunter waren Anton Pfeiffer, Hans Kraus sowie Ludwig Tiefenbacher und 596 Vgl. Palm/Stange, Vergangenheiten und Prägungen, in: Bösch/Wirsching (Hrsg.), Hüter der Ordnung, S. 127 f.

3.6 Die Einstellungspraxis: Erfahrungsgruppen und Vergangenheiten



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Friedrich Glum. Mit Pfeiffer und Kraus als Abteilungsleiter und weiteren Personen als Referatsleiter besetzte die Gruppe 1945/46 die wichtigsten Stellen in der Staatskanzlei und prägte somit die Behörde wesentlich mit. Sie hatten alle ihre Kindheit und in den meisten Fällen auch ihr Studium während des Kaiserreichs zugebracht und während einige bereits vor 1918 in das Berufsleben einstiegen, begannen andere am Anfang der Weimarer Republik. Neun Personen aus dieser Gruppe waren während der Weimarer Republik Mitglied einer politischen Partei, sodass sie die politischen Probleme in der Weimarer Republik aus der Nähe mitbekamen. Die NS-Zeit erlebten sie unterschiedlich. Während einige wie Hans Kraus ihre Arbeit in der Verwaltung fortsetzen konnten, wurden fünf andere Personen während der NS-Zeit entweder entlassen oder politisch verfolgt und festgenommen. Obwohl alle nach dem Kriegsende die Fragebögen der Militärregierung ausfüllen mussten und für ihre Einstellung die Zustimmung der Amerikaner notwendig war, verlief dieser Prozess für sie ohne Probleme und sie konnten bereits kurz nach Kriegsende ihre Arbeit in der Verwaltung aufnehmen. Wichtig war dabei die Tatsache, dass keiner der NSDAP, SA oder SS beigetreten war, und sie allen somit als unbelastet galten. Was einige Personen außerdem kennzeichnete, ist, dass sie ihre Funktionen in der Staatkanzlei nach 1945, in den meisten Fällen bis zur Ruhestandversetzung, relativ lang bekleideten. So blieb Pfeiffer bis 1950 Leiter der Staatskanzlei, war Kurt Pfister bis 1951 Kulturreferent, arbeitete Josef Kollinger bis 1954 im Vorzimmer des Ministerpräsidenten und leitete Tiefenbacher sogar bis 1959 das Personalreferat. Eine zweite Gruppe von etwa 25 Personen, die ebenfalls bereits ab dem Sommer 1945 ihren Weg in die Staatskanzlei fand, setzte sich aus Personen, die zwischen 1900 und 1915 geboren waren, zusammen. Exemplarisch für diese Gruppe sind Fritz Baer, Claus Leusser sowie Hans von Herwarth. Sie wurden in vielen Fällen von den Personen aus der Gruppe vor 1900 angeworben und eingestellt. Sie hatten ebenfalls noch im Kaiserreich ihre Kindheit verbracht, ihr Studium jedoch erst am Ende der Weimarer Republik oder am Anfang des „Dritten Reiches“ absolviert. Somit fiel ebenfalls ihr Berufseinstieg mit dem Ende der Weimar Republik und dem Anfang der NS-Zeit zusammen. Die meisten Personen aus dieser Gruppe wurden während des Zweiten Weltkrieges in die Wehrmacht gezogen. Einzelfälle gerieten am Kriegsende in amerikanische Gefangenschaft, konnten aber über den Kontakt zu den Amerikanern nach ihrer Entlassung schnell in die Verwaltung einsteigen. Was diese Personen mit der Generation vor 1900 gemeinsam hat, ist dass sie keine Mitglieder der NSDAP gewesen waren. Sie galten somit nach Kriegsende als formal unbelastet, konnten in manchen Fällen bereits ab Sommer 1945 mit der Zustimmung der Militärregierung beschäftigt werden und waren vom Befreiungsgesetz 1946 nicht betroffen. Zwei Personen aus dieser Gruppe wurden sogar als „Halbjude“ während der NS-Zeit verfolgt.

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3 Führungspersonal und Personalpolitik

Was ein Teil dieser Gruppe jedoch zugleich kennzeichnete, war eine große Bereitschaft, den Gliederungen der NSDAP sowie im Einzelfall der SA beizutreten. Dies galt insbesondere für die Hälfte der Personen, die während der NS-Zeit in der Verwaltung arbeiteten und sich damit dem Regime annähern wollten. Für diese Personen galt zugleich, dass sie die Verwaltung im NS-Staat maßgeblich mittrugen, jedoch nicht an prominenten Stellen, sodass diese Tätigkeit nach 1945 nicht als NSBelastung wahrgenommen wurde. Vielmehr konnten sich diese Personen als juristische Fachexperten in der Staatskanzlei profilieren und sich somit in das neue politische System integrieren. Dabei stiegen sie bereits schnell in der Hierarchie der Staatskanzlei auf. Die Personen aus dieser Gruppe, die bereits 1945 oder Anfang 1946 in die Staatskanzlei eintraten, so Leusser, Baer und von Herwarth, wurden spätestens 1946 in das Beamtenverhältnis übernommen, noch im gleichen Jahr mehrfach befördert und 1947 zu Abteilungsleitern ernannt. Damit lösten sie das ältere Wiederaufbaupersonal in einem rasanten Tempo ab. Während Personen wie von Herwarth 1949 in die Bundesverwaltung wechselten, prägten andere die Staatskanzlei bis zum Ende der 1950er Jahre, ja im Fall Fritz Baers sogar bis 1967. Obwohl die ältere Gruppe über politische Entscheidungsmacht verfügte, waren insbesondere diese Personen für die fachmäßige Umsetzung zuständig. Exemplarisch für diese zweite Gruppe war auch der 1904 geborene Hermann Proebst, der zwischen 1947 und 1949 das Presse- und Informationsamt der Staatskanzlei leitete. Proebst konnte in der Nachkriegszeit von der Tatsache profitieren, dass er zu keinem Zeitpunkt der NSDAP beigetreten war und über relevante journalistische Erfahrungen verfügte. Außerdem war er Mitglied einer katholischen Studentenverbindung in München gewesen. In seinem Lebenslauf betonte Proebst beständig, dass er 1937 aufgrund seiner Verweigerung, der NSDAP beizutreten, als Leiter der Abteilung Kunst beim Berliner Rundfunksender entlassen worden war.597 „Um weiteren Nötigungen zum Eintritt in nationalsozialistische Kulturorganisationen zu entgehen“, so Proebst, „erfolgt schließlich die Ausreise nach Jugoslawien, wo die nächsten Jahre mit Untersuchungen zur Geschichte der Balkanvölker und mit gelegentlicher Mitarbeit bei Zeitschriften und Verlagen vorübergingen.“598 Was Proebst jedoch in seinem Lebenslauf verschwieg, war seine Mitgliedschaft bei der Reichsschrifttumskammer sowie seine schriftstellerische Tätigkeit, mit der er die deutsche Besatzungsherrschaft in Jugoslawien während des Zweiten Weltkrieges propagandistisch begleitete und legitimierte.599 So schrieb er in Jugoslawien als Herausgeber ideologischer Hetzschriften gegen Juden und 597 BayHStA, StK 13434, Stichworte zu einem Lebenslauf, Hermann Proebst, Oktober 1947. 598 Ebenda, S. 3. 599 Zu Proebst Mitgliedschaft in der Reichsschrifttumskammer siehe: BArchB, R/9361/V/9531, Fragebogen zur Erarbeitung des Aufnahmeantrages für die Reichsschrifttumskammer, 20. Mai 1939.

3.6 Die Einstellungspraxis: Erfahrungsgruppen und Vergangenheiten 

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Serben in der Wochenzeitung Neue Ordnung und war zugleich als Hauptschriftleiter für die Deutsche Zeitung aktiv.600 Durch eine geschickte Biografiepolitik blieb diese schriftstellerische Tätigkeit in der Nachkriegszeit dennoch zunächst unbekannt. Was Proebst als Distanz zum NS-Regime darstellte, war nichts anderes als aktive Propaganda in dessen Sinne. Proebst passte sich mit seiner Haltung und seinen Schriften in der Nachkriegszeit mühelos den neuen politischen Verhältnissen an und wechselte 1949 zur Süddeutschen Zeitung, wo er 1960 die Chefredaktion übernahm.601 Eine dritte Personengruppe von etwa zwölf Personen stellte eine Mischform aus den beiden obigen Gruppen dar, weil sich ihre Angehörigen aus den Altersgruppen zwischen 1890 und 1915 zusammensetzte. Was diese Personen jedoch von den anderen Gruppen unterscheidet, ist ihre Zugehörigkeit zur NSDAP. Oder sie hatten, wie im Fall von Philipp Freiherr von Brand, eine Position innerhalb der Verwaltung des Auswärtigen Amts bekleidet, die als eine formale Belastung galt. Abgesehen von Karl Schwend handelte es sich bei diesen Personen um Juristen, die während der NS-Zeit in der Justizverwaltung oder Verwaltung des Auswärtigen Amts gearbeitet und somit das System wesentlich mitgetragen hatten. Viele waren ebenfalls am Kriegsende in die Wehrmacht eingezogen worden und verblieben am Kriegsende in amerikanischer Gefangenschaft. Im Gegensatz zu den anderen Gruppen wurden diese Personen 1945 aus dem Verwaltungsdienst entlassen und eine Wiedereinstellung war aufgrund ihrer Belastung nicht möglich. Erst nach dem Abschluss ihrer Spruchkammerverfahren und der Einführung der Verordnung Nr. 113 öffnete sich die Verwaltungstür für diese Personen ab 1947 wieder schrittweise. Bis dahin sammelten sie Persilscheine, die ihnen oft von den älteren Personen in der Staatskanzlei ausgestellt wurden, und versuchten, durch schriftliche Pauschaldistanzierungen vom Nationalsozialismus ihre Unschuld vor den Spruchkammern darzulegen. Weil die in solchen Briefen dargelegten Zwangslagen vom Führungspersonal der Staatskanzlei unterstützt wurden, konnten diese formal belasteten Personen leicht in die Staatskanzlei integriert werden und galten nicht als Nationalsozialisten. Obwohl zwei Personen, Karl Schwend und Philipp Freiherr von Brand, bereits schnell nach ihrer Einstellung 1947 zu Abteilungsleitern ernannt wurden, waren die Aufstiegsmöglichkeiten für diese Gruppe insgesamt gering und die meisten formal belasteten Personen arbeiteten als Referent oder Referatsleiter. Dazu kam, dass die meisten von ihnen, im Gegensatz zu den

600 Diese Schriften sind im Nachlass von Hermann Proebst überliefert: BayHStA, NL Hermann Proebst 42, 44, 80, 81, 84. 601 So geht exemplarisch aus einem Artikel aus der Nachkriegszeit zur Demokratie in Bayern hervor. Siehe: BayHStA, NL Hermann Proebst, 47. Vgl. auch Hermann Proebst, Durchleuchtete Zeit. Politische und historische Betrachtungen eines Journalisten, München 1969.

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3 Führungspersonal und Personalpolitik

formal unbelasteten Personen, zunächst in das Angestelltenverhältnis übernommen wurden. Dies hing vermutlich sowohl mit dem knappen Haushaltsplan der Staatskanzlei, als auch mit der Tatsache, dass diese Personen sich zuerst beweisen mussten, zusammen. Letzteres war allerdings in den meisten Fällen kein Problem, denn den betroffenen Beamten war klar, dass ihre berufliche Zukunft von ihrer Arbeit im Sinne der parlamentarischen Demokratie abhängig war. Eine vierte Erfahrungsgruppe in der Staatskanzlei stellte zwischen 1945 und 1962 das Nachwuchspersonal mit etwa 14 Personen dar. Die Personen aus dieser Gruppe waren zwischen 1918 und 1932 geboren, verbrachten somit ihre Kindheit in der Weimarer Republik und im „Dritten Reich“ und konnten in den meisten Fällen erst nach dem Zweiten Weltkrieg ihr Studium beginnen oder fortsetzen, das sie dann um 1950 abschlossen. Ein Beamter war in der NS-Zeit als Jugendlicher dem Deutschen Jungvolk beigetreten. Für zumindest vier weitere Beamte und eine Beamtin konnten festgestellt werden, dass sie während der NS-Zeit Mitglied der Hitlerjugend beziehungsweise des Bunds Deutscher Mädel waren. Der bereits 1918 geborene Ernst Deuerlein wurde außerdem 1939 Mitglied der NSDAP und wechselte von der Hitlerjugend zum NS-Studentenbund. Insbesondere die 1926 oder früher geborenen Personen aus dieser Gruppe wurden darüber hinaus am Ende des Zweiten Krieges in die Wehrmacht eingezogen oder als Flakhelfer eingesetzt. Nach dem Krieg fielen die meisten Personen aus dieser Gruppe unter die Jugendamnestie, sodass außer Deuerlein niemand aus dieser Gruppe mit einer Spruchkammer in Berührung kam. Diese Personengruppe, zu der neben Ernst Deuerlein ebenfalls der spätere Münchner Oberbürgermeister Hans-Jochen Vogel gehörte, fand frühestens um 1950 ihren Weg in die Staatskanzlei, wurde hier jedoch sofort mit verantwortlichen Aufgaben betraut. So zog Deuerlein im November 1949 als Referent in das Informations- und Presseamt der Staatskanzlei ein und dem damals noch nicht mal 30-jährigen Hans-Jochen Vogel übertrug Hoegner 1955 die Leitung des Sonderreferats für Rechtsbereinigung. Bereits drei Jahre später wurde er für die SPD zum Stadtrat der Landeshauptstadt München gewählt und schied er aus der Staatskanzlei aus.

4 Schaltzentrale des bayerischen Föderalismus: Die Staatskanzlei in der Nachkriegsdemokratie Wer heute in München auf dem Weg vom Friedensengel zum Haus der Kunst an der Prinzregentenstraße 7 vorbeikommt, vermutet wahrscheinlich nicht, dass sich in diesem Gebäude nach dem Zweiten Weltkrieg beinahe 50 Jahre lang das politische Machtzentrum Bayerns befand. Doch das eher kleine, unscheinbar wirkende Gebäude, das direkt mit der Schack-Galerie verbunden ist, wurde im Sommer 1945 zum Dekor für die politische Schaltzentrale des bayerischen Staats. Von hier aus regierten die bayerischen Ministerpräsidenten der Nachkriegszeit bis 1993. Die Staatskanzlei entwickelte sich dabei zum politischen und organisatorischen Mittelpunkt der bayerischen Ministerialverwaltung. Hier befand sich der etatistische, selbstbewusste amtliche „Generalstab“ der bayerischen Politik, an dem keine staatliche Behörde innerhalb von Bayern oder der Bundesrepublik einfach vorbei arbeiten konnte.1 Obwohl die Staatskanzlei in der Nachkriegszeit zunehmend eine Vielzahl an Aufgaben übernahm, wurde von hier aus bis 1962 insbesondere die bayerische föderalistische Politik koordiniert. Die Staatskanzlei ließ dabei keine Möglichkeit ungenutzt, um die Interessen des Freistaats gegenüber den anderen Ländern, und nach der Gründung der Bundesrepublik, gegenüber dem Bund durchzusetzen. Wie schlug sich die föderalistische Politik des Führungspersonals auf die Organisationsstrukturen der Behörde nieder und wie wurde sie von hier aus umgesetzt? Auf welcher verfassungsrechtlichen Grundlage basierte die Rolle der Staatskanzlei? Und welche Organisationskultur kennzeichnete die kleine Behörde an der Verwaltungsspitze des Freistaats?

4.1 „Erwägungen zur Frage Kanzlei des Bayerischen Ministerpräsidenten“ Sowohl die Organisation als auch die Aufgaben der heutigen Staatskanzlei haben ihren Ursprung im Sommer 1945. Durch die große Zahl an Aufgaben, die auf ihn zukam, wusste Fritz Schäffer bereits vor seinem Amtsantritt, dass er eine ihm direkt unterstellte Behörde benötigte. Dazu setzte er sich mit Anton Pfeiffer in Verbindung. Mit seinem alten BVP-Verbündeten führte er im Mai, Juni und Juli 1945 verschiedene Gespräche über die Organisation einer solchen Behörde. Pfeiffer

1 Der Begriff „Generalstab“ wurde vom ehemaligen Amtschef der Bayerischen Staatskanzlei, Rudolf W. Schmitt, in einem Brief vom 5. August 1991 an Fritz Baer zur Umschreibung der Staatskanzlei benutzt. Für diesen Brief siehe: BayHStA, StK 30858. https://doi.org/10.1515/9783111317731-005

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4 Schaltzentrale des bayerischen Föderalismus

verfasste über diese Gespräche eine getippte Niederschrift, wahrscheinlich um sich später an Gesprächsdetails erinnern zu können.2 Obwohl Pfeiffer dabei seine eigene Rolle sowie seine Verhandlungsstrategie idealisierte, gibt die Niederschrift einen spannenden Einblick in die Interessen und Überlegungen beider Politiker im Sommer 1945. Sie zeigt nicht nur, welche politische Erfahrungen und Vorstellungen das Handeln Schäffers und Pfeiffers prägten, sondern sie ist auch als exemplarisch für die grundlegende Frage nach dem Wiederaufbau der bayerischen Staatlichkeit 1945 zu betrachten. In den Vorstellungen zur Organisation der Staatskanzlei spiegelten sich zugleich jene über den Wiederaufbau und die Zukunft des bayerischen Staats. Aus Pfeiffers Niederschrift geht hervor, dass Schäffer am 20. Mai, inspiriert vom englischen politischen System, anstelle des Ministeramts die Idee eines „Privatsekretariat[s] des Ministerpräsidenten“ vorschwebte.3 Dabei orientierte er sich vermutlich zugleich am Ministeramt, wie es ab März 1943 existiert hatte.4 Schäffer hatte ein in personeller und organisatorischer Hinsicht bescheidenes Sekretariat vor Augen, das ihn – ausgehend von seinen Vorstellungen einer etatistischen Notstandsverwaltung – bei den wesentlichen Aufgaben als Ministerpräsident unterstützen könnte. Dieses Privatsekretariat sollte zumindest drei gleichberechtigte Personen umfassen, die dem Ministerpräsidenten direkt unterstellt waren. So benötigte Schäffer eine Person für die Verbindung zur Militärregierung, einen juristischen Beamten für den Kontakt mit den Ministerien und – am dringendsten – einen Privatsekretär, der „auch gleichzeitig mit allen Richtungen im Lande Fühlung hatte, vor allem mit den jüngeren Leuten“.5 Der verbindende Mittelpunkt der Ministerialverwaltung war er nach dieser Vorstellung selbst. Pfeiffer, so teilte er mit, ziehe „entweder eine Funktion im Kultusministerium in Betracht oder eine Tätigkeit im Büro des Ministerpräsidenten.“6 Eine Präferenz für Pfeiffers Entscheidung hatte Schäffer trotzdem, denn er bemerkte, dass seinen alten Freund für den Kontakt mit den Militärbehörden im Sinn hatte.7 Pfeiffer sollte lediglich dem Ministerpräsidenten unterstellt sein, weil er, so bemerkte Schäf2 BayHStA, NL Anton Pfeiffer 540, „Besprechungen 1945“, 16. Juni 1945, S. 1–11. 3 Die Idee dazu wiederholte er am 22. Mai. Siehe: Ebenda, S. 4. Den Begriff „Staatskanzlei“ verwendete Schäffer nicht. Ob es sich dabei um eine absichtliche Entscheidung handelte, geht aus der Niederschrift nicht hervor. 4 Vgl. Gelberg, Einleitung, in: Protokolle Kabinett Schäffer, S. 109; Rittenauer, Das Amt, S. 336 ff. 5 BayHStA, NL Anton Pfeiffer 540, „Besprechungen 1945“, 16. Juni 1945, S. 3. 6 Auffällig ist, dass es sich bei der 11-seitigen Niederschrift, die am 11. Juni 1945 entstanden ist, um ein getipptes, mit Seitenzahlen versehenes Dokument, und nicht um handgeschriebene Notizen handelt. Vermutlich wollte sich Pfeiffer absichern, dass er sich zu einem späteren Zeitpunkt noch genau an den Verlauf der Verhandlungsprozesse zwischen ihm und Schäffer erinnern konnte. Siehe: Ebenda, „Besprechungen 1945“, 16. Juni 1945, S. 1–3. 7 Ebenda, S. 3.

4.1 „Erwägungen zur Frage Kanzlei des Bayerischen Ministerpräsidenten“ 

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fer, wahrscheinlich nicht bereit wäre, sich „einem anderen Herrn [zu] unterstellen“.8 Schäffer hoffte, sich auf diese Weise Pfeiffers Unterstützung beim Aufbau seines Privatsekretariats zu sichern. Dieser war jedoch von diesem Angebot nicht überzeugt. Er lässt in seiner Niederschrift über das Gespräch klar erkennen, dass ihm seiner Meinung nach mehr zustand, als Schäffer ihm anbot. Der ehemalige Generalsekretär der Bayerischen Volkspartei betonte, dass er langjährige Erfahrung in der bayerischen Politik und im Unterrichtswesen vorweisen konnte.9 Besonders enttäuscht war er darüber, dass Schäffer das Kultusministerium, das auch kurz angesprochen wurde, mit einer „juristischen Spitze“ ausstatten wollte, anstatt jemanden einzustellen, der mit der Kulturpolitik vertraut war.10 Die zähen Verhandlungen zwischen Pfeiffer und Schäffer fanden auch zwei Tage später, am 22. Mai, noch kein Ende. Schäffer betonte erneut, dass er Pfeiffers Erfahrungen für den Kontakt mit der Militärregierung gut gebrauchen konnte. Pfeiffer sprach dagegen ein weiteres Mal seine Unzufriedenheit über die vorgesehene Personalpolitik im Kultusministerium aus. Dies löste bei Schäffer Zweifel darüber aus, ob er wirklich mit Pfeiffers Unterstützung rechnen konnte. Als beide sich neun Tage später, am 31. Mai, zum dritten Mal trafen, war Schäffer bereits seit drei Tagen im Amt. Obwohl Pfeiffer trotz seiner Unzufriedenheit dem Ministerpräsidenten gegenüber seine Unterstützung beteuerte, wurde die Entscheidung über die Übernahme eines Amts auf den 6. Juni verschoben. „Die Entscheidung sei garnicht [sic!] so eilig“, meinte Schäffer. Zu diesem Zeitpunkt hatten sowohl Schäffer als auch die Militärregierung noch keine Personen aus der Staatskanzlei entlassen, sodass es keinen akuten Personalbedarf gab. Dennoch realisierte der Ministerpräsident, dass diese Situation nur vorübergehend war, und er wollte sich lieber früher als später der Unterstützung von geeigneten Personen sicher sein. Die weiteren Verhandlungen zwischen Pfeiffer und Schäffer zur Übernahme eines Amts in der Staatskanzlei offenbaren auf beiden Seiten eine Mischung aus Zweifel und strategischer Überlegung. Am 6. Juni teilte Pfeiffer dem Ministerpräsidenten mit, dass er sich für das Referat für das Höhere Schulwesen im Kultusministerium entschieden hatte. Schäffer reagierte den Umständen entsprechend enttäuscht, versprach Pfeiffer jedoch, dass er sich wegen seiner Anstellung mit dem vorgeschlagenen Kultusminister Otto Hipp in Verbindung setzen werde. Weitere Initiativ zur Einstellung eines Leiters der Staatskanzlei unternahm Schäffer erst mal nicht, sodass die Stelle noch bis Mitte Juli unbesetzt blieb. Möglicherweise hatte der Ministerpräsident die Hoffnung nicht verloren, Pfeiffer würde es sich noch einmal anders überlegen. 8 Ebenda. 9 Ebenda, S. 4. 10 Ebenda, S. 3.

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4 Schaltzentrale des bayerischen Föderalismus

Vieles weist darauf hin, dass Pfeiffer schnell feststellte, dass er im Sekretariat des Ministerpräsidenten mehr Einfluss auf die bayerische Politik als im Kultusministerium nehmen konnte – insbesondere, wenn er die Organisation dieses Sekretariats mitgestalten könnte. Er kam zur Einsicht, so schreibt er in seiner Niederschrift, dass das von Schäffer angestrebte Privatsekretariat zur Unterstützung seiner Aufgaben nicht ausreichen würde. Ein gewisses Maß an Selbstinszenierung schwang in seiner Darstellung mit: „So bildete sich in mir die Überzeugung heraus, dass unter den gegebenen Umständen die Arbeit des Ministerpräsidenten zu einem bösen Verschleiss [sic!] von Nerven und von Arbeits- und Erfolgschancen führen müsse, wenn er sich nicht einen Apparat schaffe, der alles andere als ein ‚Privatsekretariat des Ministerpräsidenten‘ darstellt, sondern der den Gegebenheiten tatsächlich angepasst ist. Aus diesem Spiel der Gedanken entstand eine Skizze: ‚Erwägungen zur Frage Kanzlei des Bayerischen Ministerpräsidenten‘.“11

Ein Ziel, unterschiedliche Vorstellungen Der Grundgedanke von Pfeiffers Organisationsplan war eindeutig. Nach einer Analyse der Politik der Militärregierung und der Frage, auf welchen Elementen Schäffers Position als Ministerpräsident beruhte, stellte Pfeiffer fest: „Auf alle Fälle muss die Arbeit auf der bayerischen Seite die Erringung eines Höchstmasses [sic!] von Zuständigkeit zum Ziele haben; […] Regierung – im Einvernehmen mit der Besatzungsmacht – muss das Ziel sein, nicht Selbstverwaltung in Ausführung empfangener Anordnungen.“12 Pfeiffers Hauptziel war es, die Militärregierung „modellhaft“ davon zu überzeugen, dass die Bayerische Staatsregierung selber in der Lage war, eine funktionierende Verwaltung zu organisieren, sodass Bayern kurzfristig seine Souveränität zurückgewinnen würde. Vielleicht konnte Bayern dabei, so erörterte Pfeiffer, sogar von der politischen Situation der Nachkriegszeit und der Abwesenheit eines Bundesstaats profitieren. Bayern sollte deswegen möglichst schnell wieder zu einem selbständigen Staat werden und über eine „Staats- statt Landesregierung“ verfügen.13 So wollte Pfeiffer verhindern, dass Bayern nach der zentralistischen Politik der Weimarer Republik und dem „Dritten Reich“ erneut Entscheidungsmacht verlor. 11 Ebenda, S. 11. 12 BayHStA, NL Anton Pfeiffer 55, „Erwägungen zur Frage Kanzlei des Bayerischen Ministerpräsidenten“, 11. Juni 1945, S. 2. 13 Ebenda, S. 1–3. Vgl. Pfeiffer, Wie Bayern, in: Bayerische Staatskanzlei (Hrsg.), Unser Bayern. Ein Exemplar des Texts befindet sich auch in: BayHStA, NL Anton Pfeiffer 332, „Wie Bayern wieder ein Staat wurde“, 19. Juni 1950. Vgl. Kock, Bayerns Weg, S. 102–110; Foelz-Schroeter, Föderalistische Politik, S. 16 f.

4.1 „Erwägungen zur Frage Kanzlei des Bayerischen Ministerpräsidenten“ 

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Pfeiffer hatte dabei eine Hauptrolle für die Staatskanzlei vorgesehen. Er skizzierte für die Neuerrichtung drei Abteilungen: eine Rechtsabteilung, eine politische Abteilung und eine Verwaltungsabteilung.14 Die Rechtsabteilung sollte für die Gesetzgebung und Kontakte mit den Ministerien zuständig sein, die politische Abteilung für die Innen- und Außenpolitik und die Verwaltungsabteilung für den Haushalt und die Verwaltung der Staatskanzlei. Hiermit schaffte Pfeiffer schriftlich die Grundlage für eine moderne Staatskanzlei als Schaltzentrale der bayerischen Regierungspolitik.15 Die drei Abteilungen sollten von einem „Chef“ der Staatskanzlei geleitet werden, für dessen Unterstützung ein persönlicher Referent zur Verfügung stehen sollte. Dieser Chef der Staatskanzlei wiederum war dem Ministerpräsidenten untergeordnet. Diese Organisationsstrukturen boten dem Ministerpräsidenten den Vorteil, dass er viele Routineaufgaben delegieren konnte, sodass er freie Kapazitäten für die langfristige politische Planung hatte. Für den Leiter der Staatskanzlei bedeutete dies, dass er sich maßgeblich an der Politik beteiligen konnte.16 Dies war im Sinne Anton Pfeiffers, der sich selbst neben seiner Position als Leiter der politischen Abteilung auch als Leiter der gesamten Staatskanzlei verstand.17 In der Beschreibung der politischen Abteilung fällt auf, wie ausführlich und genau Pfeiffer die außenpolitischen Aufgaben der Staatskanzlei festhielt. Ein Schwerpunkt war der diplomatische Kontakt mit der Militärregierung, der seiner Vorstellung nach zum Hauptaufgabengebiet der Staatskanzlei zur Sicherung des bayerischen Staats in der Nachkriegszeit gehörte. So sah Pfeiffer die Haupttätigkeit der Behörde nach 1945 vor allem in der Tradition des ehemaligen bayerischen Staatsministeriums des Äußern vor 1918 – und somit als ein Symbol für die Zu14 Die Skizze enthielt eine Beilage, in der die Organisationsstruktur dargelegt war: BayHStA, NL Anton Pfeiffer 55, „Beilage“. 15 Niethammer ging aufgrund einer persönlichen Aussage Schäffers davon aus, dass die Skizze des vorläufigen Aufbaus der Staatskanzlei im Nachlass Pfeiffers aus der Feder des ehemaligen Reichswehrministers Otto Geßler entstammte. Dies ist dennoch höchst unwahrscheinlich, weil die Organisationsstruktur der Staatskanzlei eindeutig als Beilage zu Pfeiffers Erwägungen über die Organisationsform und Aufgaben der Staatskanzlei gedacht war. Die Beilage wurde aber zu einem späteren Zeitpunkt als die Erwägungen verfasst, vermutlich erst Mitte Juli. Otto Geßler wird auf der Skizze namentlich als Staatsrat und Leiter der Staatskanzlei angedeutet. Vgl. Niethammer, Die amerikanische Besatzungsmacht, S. 195. Vgl. Reuter, Graue Eminenz, S. 260. 16 Eine vergleichbare Situation gab es in der Staatskanzlei bereits in den Jahren 1933 und 1934 in der Staatskanzlei, als Hermann Esser unter Ministerpräsident Siebert Leiter der Staatskanzlei war. Danach übernahm Siebert selbst die Leitung. 17 Sowohl aus Pfeiffers Organisationsplan als auch aus seinem Brief an Karl Schwend geht hervor, dass für ihn die Leitung der politischen Abteilung logischerweise mit der Leitung der Staatskanzlei zusammenhing: BayHStA, NL Anton Pfeiffer 55, „Beilage“, S. 1–3; NL Anton Pfeiffer 368, Brief von Anton Pfeiffer an Karl Schwend, 16. Juli 1945.

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4 Schaltzentrale des bayerischen Föderalismus

rückeroberung der bayerischen Eigenstaatlichkeit.18 Pfeiffer formulierte dies später explizit in einem Brief an eine alte Freundin, Carola von Schillings, im Herbst 1945: „Meine besondere Dienstaufgabe, ist die Betreuung jener Angelegenheiten, die im früheren Bayerischen Staat dem Ministerium des Äußern übertragen waren.“19 In den Vorbemerkungen zu seiner Skizze ging Pfeiffer in der historischen Einordnung der Staatskanzlei sogar noch einen Schritt weiter: „Bis 1933 hatte Bayern entweder ein Ministerium des Äussern oder eine Staatskanzlei. Der jetzt für die Staatsspitze benötigte Apparat ist wichtiger als die entsprechenden Einrichtungen zwischen 1871 und 1933. Es kann sich ergeben, dass er ähnlich wichtig wird wie das Ministerium des Äussern zwischen 1806 und 1871.“ Hier ging Pfeiffer von einer Situation aus, die vergleichbar mit dem Deutschen Bund war. Dennoch setzte sich im Laufe der Zeit den Vergleich zwischen der Staatskanzlei und das ehemalige bayerische Ministerium des Äussern bis 1918 durch. Zugleich sah Pfeiffer jedoch, welch wichtige Rolle die politische Abteilung bei innenpolitischen Angelegenheiten spielen konnte. Am 16. Juli 1945 schrieb Pfeiffer an Karl Schwend, dass die politische Abteilung als „politisches Instrument“ des Ministerpräsidenten rasch aufgebaut und deren Aufgaben wesentlich erweitert werden müssten: „da […] bereits eine bedeutende Erweiterung der Zuständigkeit in Aussicht gestellt ist und auch der Gedanke einer Volksvertretung sowie Wiederaufbau einer Reichsverwaltung erwogen wird, ergeben sich jetzt schon eine Fülle von politischen Problemen“.20 Der Gedanke, dass ein Parlament erneut zur politischen Grundlage des bayerischen Staats werden könnte, löste bei Pfeiffer nach seinen Erfahrungen während der Weimarer Republik Skepsis aus. Vor diesem Hintergrund sollte die Staatskanzlei nun in der Zukunft auch als kontrollierende, stabilisierende und staatsschützende Instanz gegenüber dem Landtag auftreten. Darüber hinaus war sich Pfeiffer dessen bewusst, dass der mögliche Wiederaufbau einer neuen Reichsverwaltung zu Kompetenzstreit mit den Ländern führen würde, sodass es umso wichtiger war, dass die Staatskanzlei die bayerischen Interessen vertreten und verteidigen könnte. 18 BayHStA, NL Anton Pfeiffer 55, „Erwägungen zur Frage Kanzlei des Bayerischen Ministerpräsidenten“, 11. Juni 1945, S. 4. 19 BayHStA, NL Anton Pfeiffer 361, Brief von Anton Pfeiffer an Carola von Schillings, ohne Datum. Pfeiffer formulierte dies auch explizit in einem Brief an Karl Schwend: BayHStA, NL Anton Pfeiffer 368, Brief von Anton Pfeiffer an Karl Schwend, 16. Juli 1945. 20 Ebenda. Am 6. Juli hatten sich zwei Vertreter der Militärregierung bei Pfeiffer und Schwend ausführlich nach der BVP und den politischen Parteien in Deutschland erkundigt. Somit wussten die beiden BVP-Mitglieder, dass die Militärregierung bereits im Juli 1945 an der Wiederzulassung der politischen Parteien arbeitete. Siehe: BayHStA, NL Anton Pfeiffer 32, „Aktennotiz über ein Gespräch betreffend Parteienbildung mit den amerikanischen Sergeanten Coleman und Harrisen“, ohne Datum [vermutlich Juli 1945].

4.1 „Erwägungen zur Frage Kanzlei des Bayerischen Ministerpräsidenten“ 

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Nun ging es für Pfeiffer darum, Schäffer von seinem Plan zu überzeugen und deutlich zu machen, dass ein Sekretariat auf Dauer nicht den umfangreichen Aufgaben gewachsen wäre, die auf den Ministerpräsidenten zukamen. Um jedoch den Anschein zu wahren, er habe die Erwägungen nicht ausschließlich zu seinem eigenen Vorteil verfasst, wendete er sich mit seinem Entwurf zunächst an Josef Oesterle, der unter Pfeiffer zwischen 1925 und 1933 stellvertretender Generalsekretär der BVP gewesen war, sowie Hans Ehard und Karl Schwend.21 Wenn er diese Personen von seinen Erwägungen überzeugen und ihre Unterstützung gewinnen könnte, dann stünde er gegenüber Schäffer in einer besseren Verhandlungsposition. Der Ehemaligen-Kreis der BVP war sich darüber einig, dass die Überlegungen Schäffer zugetragen werden sollten. Am 13. Juni nahm sie Schäffer von Karl Schwend entgegen. Der ehemalige Leiter der BVC war über die Verhandlungen zwischen Schäffer und Pfeiffer auf dem Laufenden und erfüllte als Vertrauter beider Personen eine vermittelnde Rolle bei dem Wiederaufbau der Staatskanzlei.22 Schäffer ließ sich trotz Schwends Vermittlung nicht allzu leicht von Pfeiffers Organisationsplan überzeugen, und lehnte ihn zunächst sogar ab. Er sah die Funktion der Staatskanzlei zu dem Zeitpunkt vor allem als juristisches Koordinierungszentrum für die Ministerien, das beim Aufbau der bayerischen Staatsverwaltung den Ministerpräsidenten unterstützen sollte.23 Obwohl bereits die ersten Beamten und Angestellten seit Juni in der Staatskanzlei tätig waren, hielt Schäffer die grundlegende Frage nach deren Organisationsstruktur und Leitung noch bis Mitte Juli offen. Am 10. Juli stimmte Schäffer der Berufung von Anton Pfeiffer in die Staatkanzlei letztendlich zu. Dazu trug im Hintergrund bei, dass die Funktionsfähigkeit der Behörde durch die Ausführung der neuen USFET-Direktive vom 7. Juli unter Druck geriet.24 Schäffer musste nun handeln, damit der Personalbestand seiner Behörde nicht ohne Ersatz weiter abgebaut wurde. Außerdem war die Leitungsebene durch die Folgen vom Kriegsende und aufgrund von Entlassungen von Mitte Juni unbesetzt geblieben. Der Ministerpräsident konnte die Unterstützung der Staatskanzlei für den Kontakt zur Militärregierung mehr als gebrauchen. So übernahm Anton Pfeiffer ab dem 10. Juli die Leitung der politischen Abteilung, musste seinen Fragebogen dennoch von der Militärregierung kontrollieren und seine Ernennung bestätigen lassen.25

21 BayHStA, NL Anton Pfeiffer 540, „Besprechungen 1945“, S. 13. 22 BayHStA, NL Anton Pfeiffer 368, Brief Anton Pfeiffer an Karl Schwend, 16. Juli 1945. Siehe auch: BayHStA, NL Anton Pfeiffer 540, „Besprechungen 1945“, S. 1–11. 23 BayHStA, NL Anton Pfeiffer 368, Brief Anton Pfeiffer an Karl Schwend, 16. Juli 1945. 24 Vgl. Vollnhals, Einleitung, in: Vollnhals (Hrsg.), Politische Säuberung, S. 10. 25 BayHStA, NL Anton Pfeiffer 368, Brief Anton Pfeiffer an Karl Schwend, 16. Juli 1945.

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4 Schaltzentrale des bayerischen Föderalismus

Außerdem war auch Schäffer nach Gesprächen mit Pfeiffer und Schwend zwischen Mitte Juni und Anfang Juli 1945 zu der Einsicht gelangt, dass eine politische Abteilung in der Staatskanzlei unter der sich ändernden Besatzungspolitik im Interesse der Entwicklung des bayerischen Staats sei. Pfeiffer berichtete dazu Schwend in seinem Brief vom 16. Juli 1945 Folgendes: „Die Vorgeschichte der nun zustandengekommen [sic!] Arbeit von Fritz mit mir ist Dir bekannt. Wir [Pfeiffer und Schäffer, RT] unterschieden uns ursprünglich grundsätzlich in unserer Auffassung von dem Aufgabenkreis und dem dadurch bedingten Apparat der neu aufzubauenden Staatskanzlei. Unsere Standpunkte haben sich durch die Erfahrung ziemlich weitgehend genähert. Ich meinerseits übersehe nun ziemlich genau den Umfang und das Gewicht der Arbeit, die von der juristischen Seite her geleistet werden muss. Anderseits sieht Fritz das grosse Aufgabengebiet, das ausserhalb der juristischen Abteilung besonderer Pflege bedarf und für dessen Bearbeitung die verantwortliche Kraft doch gewisse Voraussetzungen mitbringen muss.“26 Nach dieser Einigung trat Schäffers Idee eines Sekretariats des Ministerpräsidenten in den Hintergrund und die Staatskanzlei wurde im Juli 1945 nach dem von Pfeiffer vorgelegten Organisationsplan aufgebaut. Somit verfügte die Staatskanzlei im Sommer über eine Abteilung für „Staatsrechtliche Angelegenheiten“, für „Politische und Kulturpolitische Angelegenheiten“ und über eine „Verwaltungsabteilung“.27

Konkurrenzkampf? Christiane Reuter-Boysen argumentiert in ihrer Biografie von Anton Pfeiffer, dass Schäffer wahrscheinlich in diesem einen Konkurrenten für die wesentlichen Entscheidungen über die Zukunft der bayerischen Politik gesehen habe. Als exemplarisch dafür sieht sie die schwierigen Verhandlungen zwischen den ehemaligen BVP-Politikern und insbesondere die Art und Weise, mit der sich Pfeiffer gegenüber Schäffer strategisch durchzusetzen versuchte.28 Christoph Henzler hält dagegen, dass Reuter-Boysen die politische Machtposition Pfeiffers nach dem Krieg überschätze. Er betont in seiner Biografie zur politischen Laufbahn Schäffers nach dem Zweiten Weltkrieg, dass keine Hinweise dafür existieren, dass die Militärregierung aus eigener Initiative Pfeiffer für eine hohe Position innerhalb der vorläu-

26 Ebenda. 27 BayHStA, StK 11616, „Amt des Ministerpräsidenten – Bayerische Staatskanzlei“, 12. September 1945. 28 Vgl. Reuter, Graue Eminenz, S. 91 f.

4.1 „Erwägungen zur Frage Kanzlei des Bayerischen Ministerpräsidenten“ 

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figen bayerischen Regierung oder Verwaltung in Erwägung gezogen habe.29 Eine solche Position hätte Pfeiffer zum potenziellen Konkurrenten Schäffers gemacht. Wie so oft in der Geschichte liegt die Wahrheit vielmehr in der Mitte. Pfeiffer war bereits am 3. Mai 1945, als die Amerikaner das Gebiet von Krailling und Planegg im Südwesten von München erreichten, als „military advisor“ herangezogen worden. Der leitende Offizier des Bataillons war sich schnell der Tatsache bewusst, dass Pfeiffer sowohl durch seine politische Erfahrung als auch durch seine Sprachkenntnisse eine wichtige Rolle für die Zielsetzung der Militärverwaltung spielen konnte.30 Dennoch gibt es tatsächlich keine Hinweise, dass die Amerikaner ihn bereits im Sommer 1945 aus eigener Initiative für ein höheres Amt, ja sogar als Minister oder Ministerpräsidenten, in Erwägung zogen. Dessen ungeachtet wollte Fritz Schäffer selbst über die Richtlinien der bayerischen Politik unter der Besatzungsmacht entscheiden. Von diesem Gedanken aus hatte er das Privatsekretariat des Ministerpräsidenten konzipiert. Pfeiffer hatte dagegen vielmehr eine umfangreichere Behörde mit einer eigenständigeren politischen Wirkungsmacht vor Augen. Die Leitung dieser Behörde hätte ihm außerdem einen erheblichen Einfluss auf die politischen Entscheidungen gegeben. Obwohl Schäffer Pfeiffers Konzept für die Staatskanzlei letztendlich zustimmte, zeigt seine Entscheidung, Otto Geßler, zum vorläufigen Leiter zu ernennen, dass er Pfeiffer nicht zu viel Einfluss erteilen wollte. Dies war ein klares Signal in die Richtung Pfeiffers und machte ihm zunächst einen Strich durch die Rechnung. Er musste sich nun doch, zumindest auf dem Papier, einem Leiter unterstellen und sich mit dem Rang eines Ministerialdirektors zufrieden geben. Eigentlich war er der Meinung, dass nur der Rang eines Staatsrats angemessen sei, wenn er im Namen der Staatsregierung mit der Militärregierung verhandeln sollte.31 Geßler musste allerdings wegen seiner Vergangenheit bereits im August seinen Schreibtisch wieder räumen – und Schäffer folgte nicht viel später (siehe Kapitel 3.1). Die Konsequenzen von Geßlers Entlassung für die Funktionsfähigkeit der Staatskanzlei stellten sich zunächst als gering heraus. Bereits Anfang September übernahm Anton Pfeiffer inoffiziell die Leitung über die gesamte Behörde, sodass deren Funktionalität nicht gefährdet wurde. Pfeiffer hatte seit seinem Eintritt in die Behörde wesentlich intensiver als Geßler zu der organisatorischen und personellen Entwicklung beigetragen. Geßler war nach außen der Leiter der Staatskanz29 Vgl. Henzler, Fritz Schäffer, S. 103. 30 Vgl. zu Pfeiffers Aktivitäten als military advisor vgl. Reuter, Graue Eminenz, S. 85 f. 31 Dazu äußerte er sich ausführlich gegenüber Schwend: BayHStA, NL Anton Pfeiffer 368, Brief Anton Pfeiffer an Karl Schwend, 16. Juli 1945. Auch aus Pfeiffers Beilage zu seinem Organisationsplan für die Staatskanzlei geht hervor, dass er sich die Möglichkeit offen hielt, nach außen als offizieller politischer Stellvertreter des Ministerpräsidenten aufzutreten: BayHStA, NL Anton Pfeiffer 55, „Beilage“, S. 2.

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lei gewesen, Pfeiffer jedoch der tatsächliche Kopf der Behörde. Aus dem Geschäftsverteilungsplan der Staatskanzlei vom 12. September 1945 geht hervor, dass Pfeiffer die wichtigsten Aufgaben der Staatskanzlei in die von ihm geleitete Abteilung II für politische Angelegenheiten untergebracht hatte.32 Danach vertrat Pfeiffer den Ministerpräsidenten nach dessen Weisung und regelmäßig im Staatsrat. Außerdem war er für „innerbayerische und innerdeutsche politische Angelegenheiten“ zuständig. Seine eigene Rolle skizzierte Pfeiffer in einem Brief vom 16. August 1945 an die langjährige Reichstagabgeordnete der BVP, Thusnelda Lang-Brumann: „Seit einem guten Monat bin ich hier in der Staatskanzlei tätig mit der Aufgabe, einen Apparat aufzubauen, der dem Ministerpräsidenten das Rüstzeug für eine solche Führung der Geschäfte gibt, daß er sich nicht um allzu viele Dinge selber kümmern muß und daß die Belastung an Nerven und Gesundheit nicht allzu drückend wird.“33 Aus dem Zitat geht zugleich hervor, dass der Aufbau der Staatskanzlei in dieser Anfangsphase ein dynamischer Prozess war, der ständig sowohl von politischen Erfahrungen und Vorstellungen als auch von der sich ändernden politischen Lage der Besatzungszeit geprägt wurde. Die Ernennung Wilhelm Hoegners am 28. September 1945 zum Bayerischen Ministerpräsidenten erwies sich für Pfeiffers Staatskanzlei-Pläne als überraschend vorteilhaft. Eigentlich lag die Entlassung des konservativ-bürgerlichen Pfeiffer auf der Hand, denn gerade er verkörperte die unter Kritik geratene Personalpolitik von Fritz Schäffer. Außerdem gab es für Hoegner die Möglichkeit, den SchäfferVertrauten durch einen eigenen Vertrauten aus der SPD zu ersetzen. Dennoch hielt Hoegner am „Architekten“ der Staatskanzlei fest und installierte ihn am 22. Oktober offiziell in der Position eines Staatssekretärs als Leiter der Staatskanzlei.34 Hoegner schätzte Pfeiffers Fachqualitäten als „guten Organisator“ und ließ ihm beim Aufbau der Staatskanzlei größtenteils freie Hand.35 Ohne Schäffers Einmischung hatte Pfeiffer den Weg frei, um die Staatskanzlei nach seinen Vorstellungen zu leiten, weiter aufzubauen und dabei organisatorische sowie personalpolitische Schwerpunkte zu setzen. Pfeiffer gelang es anschließend erstaunlich schnell, die Staatskanzlei zur bayerischen Regierungszentrale zu entwickeln. Bereits am 26. Februar 1946 erklärte er in einer Rede bei der ersten Arbeitssitzung des Bayerischen Beratenden Landesausschusses: „Die Bayerische Staatskanzlei […] ist nicht mehr das Personalbüro 32 BayHStA, StK 11616, „Amt des Ministerpräsidenten – Bayerische Staatskanzlei“, 12. September 1945. 33 BayHStA, StK 12885, Anton Pfeiffer an Thusnelda Lang-Brumann, 16. August 1945. 34 Protokoll Nr. 3: Ministerratssitzung Montag, 22. Oktober 1945, in: Protokolle Kabinett Hoegner I, S. 17–21, hier S. 20. 35 Hoegner, Schwieriger Außenseiter, S. 233. Vgl. Reuter-Boysen, Anton Pfeiffer, in: Aretz/Morsey/Rauscher (Hrsg.), Zeitgeschichte, S. 133.

4.2 Die verfassungsrechtliche Grundlage der Staatskanzlei als Regierungszentrale 

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oder Sekretariat des Ministerpräsidenten, sondern die zusammenfassende Spitze aller Staatsaufgaben, die der Entscheidung des Ministerpräsidenten unterstehen und nicht unmittelbar einem Ressortministerium zugehören.“36 Mit dieser Definition grenzte er seine Behörde ganz klar von der NS-Zeit ab und präsentierte sie zugleich im Kontrast zu Schäffers ursprünglichen Vorstellungen von einem bescheidenen Sekretariat des Ministerpräsidenten. Zugleich betonte Pfeiffer ihre Bedeutung als Regierungszentrale in der Nachkriegszeit. Die Staatskanzlei unterstützte zwar den Ministerpräsidenten, dennoch entwickelte sie in der Regierungspraxis eigenständige politische Wirkungsmacht.

4.2 Die verfassungsrechtliche Grundlage der Staatskanzlei als Regierungszentrale Die Funktion der Bayerischen Staatskanzlei ist im ersten Satz von Artikel 52 der Bayerischen Verfassung von 1946 wie folgt fixiert: „Zur Unterstützung des Ministerpräsidenten und der Staatsregierung in ihren verfassungsmäßigen Aufgaben besteht eine Staatskanzlei.“37 Die Formulierung stammt von Hans Nawiasky, dem staatsrechtlichen Berater von Ministerpräsident Wilhelm Hoegner; sie wurde während der 7. Sitzung des Vorbereitenden Verfassungsausschusses am 3. April 1946 besprochen und von den Teilnehmern angenommen.38 Die Staatskanzlei hatte sich bis dahin in der Regierungspraxis etabliert, aber ihre Funktion war noch nicht schriftlich festgehalten; auch nicht in der Geschäftsordnung der Staatsregierung von Juli 1945. Artikel 52 gab damit der Staatskanzlei erstmals eine juristische Existenzgrundlage. Anton Pfeiffer betonte in derselben Sitzung des Vorbereitenden 36 Unterstreichung im Originaltext; BayHStA, NL Anton Pfeiffer 320, „Die staatsrechtliche Entwicklung in Bayern seit dem Zusammenbruch des Dritten Reiches“, 26. Februar 1946, S. 9. Zum Beratenden Landesausschuss vgl. Kapitel 2.3. 37 Nawiasky/Leusser (Hrsg.), Verfassung, S. 135. 38 Auffällig ist, dass Hoegner 1946 in seinem Vorentwurf für den Vorbereitenden Verfassungsausschuss keine Staatskanzlei vorgesehen hatte. Diese Tatsache ist dennoch keineswegs ein Indiz dafür, dass er die Behörde für überflüssig hielt. Vielmehr ist davon auszugehen, dass er die Staatskanzlei aufgrund ihrer Funktion 1945 und 1946 als „Nichtgeschäftsbereich“ einordnete und aus diesem Grund nicht explizit in die Verfassung aufnehmen wollte. Der Jurist und ehemalige Richter des Bundesverfassungsgerichts, Konrad Kruis, der zwischen 1960 und 1987 in der Bayerischen Staatskanzlei tätig war, weist in seinem Aufsatz über die Behörde daraufhin, dass die meisten Länder mit einem „beredtem Schweigen“ die Staatskanzlei sogar komplett in ihren Landesverfassungen übergehen. In ähnlicher Weise werden das Bundespräsidialamt und das Bundeskanzleramt nicht im Grundgesetz erwähnt. Vgl. Kruis, Bayerische Staatskanzlei, S. 163; Volker Busse/Hans Hofmann (Hrsg.), Bundeskanzleramt und Bundesregierung. Aufgaben, Organisation, Arbeitsweise, Bonn 2017, S. 48 f.

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Verfassungsausschusses, dass „bei der Fülle der Aufgaben beim Ministerpräsidenten eine zusammenfassende Stelle mit einem gewissen Apparat und einer gehobenen Bedeutung da sein solle, wie die Erfahrung gezeigt habe“.39 Mit Artikel 52 wurde unterstrichen, dass der Staatskanzlei nach Artikel 49 der Bayerischen Verfassung, im Gegensatz zu den bayerischen Ministerien, als „Nichtgeschäftsbereich“40 keine Eigenfunktion zugedacht wurde – unabhängig vom Umfang und der Relevanz ihrer Aufgaben.41 Die Staatskanzlei war staatsrechtlich ausschließlich durch ihre Dienstleistungsfunktion für den Ministerpräsidenten und die Staatsregierung definiert.42 Als Dienststelle war und ist sie dem Ministerpräsidenten unmittelbar nachgeordnet. Dabei war die hervorgehobene Position des Ministerpräsidenten in der Regierungspraxis sowohl während der vorkonstitutionellen Regierungen von Fritz Schäffer und Wilhelm Hoegner als auch nach der Verfassunggebung im Dezember 1946 prägend für die Position und Aufgaben der Staatskanzlei. Weil der Ministerpräsident als Mittelpunkt der bayerischen Regierung die bayerische Staatlichkeit sowohl in der Innen- als auch Außenpolitik verkörperte, befand sich die Staatskanzlei im Zentrum der Macht. Vor diesem Hintergrund stärkte 1946 die Ablehnung des Amts des Staatspräsidenten durch die Landesversammlung die Position der Staatskanzlei. Hätte der Ministerpräsident unter einem Staatspräsidenten regiert, dann hätte die Staatskanzlei sich wahrscheinlich nicht zu der wirkungsmächtigen Regierungszentrale entwickeln können, zu der sie in der Nachkriegszeit wurde.43 Ihre Aufgaben wären in dem Fall weniger von politischer sondern vielmehr von juristischer und verwaltender Natur gewesen. 39 7. Sitzung des Vorbereitenden Verfassungsausschusses am 3. April 1946 in der Bayer. Staatskanzlei, in: Die Protokolle des Vorbereitenden Verfassungsausschusses in Bayern 1946, S. 161. Nach dem Ressortprinzip der Bayerischen Verfassung gibt es keine ressortfreien Räume für Regierungsgeschäfte. Somit kann die Staatskanzlei als Nichtressort (Nichtgeschäftsbereich) nur die Aufgaben umsetzen, die verfassungsrechtlich entweder unter der Richtlinienkompetenz des Ministerpräsidenten oder der Koordinierungskompetenz der Bayerischen Staatsregierung fallen. Vgl. Gerd Michael Köhler, Der bayerische Staatssekretär nach der Verfassung von 1946, München 1982, S. 68 f. 40 Zit. nach: Kruis, Bayerische Staatskanzlei, S. 164. 41 Vgl. Nawiasky/Leusser (Hrsg.), Verfassung, S. 131; Alfons Goppel, Vielgestaltigkeit der Aufgaben, in: Fritz Morstein Marx (Hrsg.), Die Staatskanzlei: Aufgaben, Organisation und Arbeitsweise auf vergleichender Grundlage, Berlin 1967, S. 25–29, hier S. 25. 42 Vgl. Zerr, Staatskanzleien, in: Schneider/Wehling (Hrsg.), Landespolitik, S. 185. 43 Aus den Protokollen des Vorbereitenden Verfassungsausschuss geht dennoch hervor, dass eine Staatskanzlei zur Unterstützung des Ministerpräsidenten und der Staatsregierung auch im Fall eines Staatspräsidenten an der Spitze des Staats vorgesehen war. Artikel 35 c über die Staatskanzlei wurde – im Gegensatz zu anderen Artikeln – nicht aus der Version des Verfassungsentwurfs mit einem Staatspräsidenten gestrichen. Vgl. 8. Sitzung des Vorbereitenden Verfassungsausschusses am 4. April 1946 in der Bayer. Staatskanzlei, in: Die Protokolle des Vorbereitenden Verfassungsausschusses in Bayern 1946, S. 166.

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Die blasse Formulierung von Artikel 52 stand von Anfang an im starken Kontrast zum behördlichen Selbstverständnis der Staatskanzlei als Regierungszentrale. Auf dem Papier hatte die Staatskanzlei zwar lediglich eine unterstützende Funktion gegenüber dem Ministerpräsidenten und der Staatsregierung, in der Regierungspraxis etablierte sie sich jedoch durch das Handeln des Führungspersonals als koordinierender Mittelpunkt der bayerischen Staatsregierung. Dabei war die Fixierung des Artikels 52 von einem politischen Kalkül geprägt. Wie der Begriff „Unterstützung“ in der Regierungspraxis zu verstehen war, wurde in der Verfassung nicht weiter ausgeführt oder festgelegt. Der Ministerpräsident und das Führungspersonal der Staatskanzlei verfügten so über Gestaltungs- und Handlungsspielräume, um die koordinierende Rolle der Staatskanzlei weiter zu definieren und auszubauen. Drei der wiederkehrenden Aufgabenbereiche wurden im Juni 1948 zum ersten Mal in einem Dokument mit dem Titel „Grundsätzliche Feststellungen über den Aufgabenkreis und die Organisation der Bayerischen Staatskanzlei“ vom Ministerpräsidenten Ehard und dem Leiter der Staatskanzlei Pfeiffer fixiert.44 Obwohl diese Aufgaben-Kernbereiche bis 1962 existierten, waren sie keineswegs statisch. Vielmehr wurden sie immer wieder unter dem Einfluss der sich wechselnden politischen Konstellationen und Vorstellungen des Führungspersonals geändert, ergänzt und spezifiziert. Dennoch bildeten sie die Grundlage der Arbeit der Staatskanzlei. Der erste Bereich umfasste die Aufgaben des Ministerpräsidenten. Obwohl die Staatskanzlei kein eigener Geschäftsbereich war, enthielt sie ab 1945 Elemente, die diesem ähnelten, die sich aus den Staatsoberhauptfunktionen des Bayerischen Ministerpräsidenten ergaben.45 Die Staatskanzlei unterstütze den Ministerpräsidenten in seiner außenpolitischen Sachkompetenz, das heißt zwischen 1945 und 1949 zunächst gegenüber der Militärregierung, dann gegenüber den Ländern der US-Zone und schließlich gegenüber den Ländern der anderen Besatzungszonen. Diese Aufgaben stellten von Anfang an einen Schwerpunkt in der politischen Tätigkeit der Behörde dar und gewannen insbesondere ab 1947 im Rahmen der Verhandlungsprozesse über die Gründung der Bundesrepublik stetig an Bedeutung. Außerdem gehörte zu jenen originären Aufgaben der Staatskanzlei die Unterstützung des Ministerpräsidenten bei der Bestimmung und der Umsetzung der Richtlinien der Politik – der eigentlichen Funktion des Regierungschefs. Des Weiteren unterstützte sie bei der Ausfertigung und Verkündung von Gesetzen (im

44 BayHStA, NL Hans Ehard 1577, „Grundsätzliche Feststellungen über den Aufgabenkreis und die Organisation der Bayerischen Staatskanzlei“, 28. Juni 1948. 45 § 2 „Aufgabenbereich des Ministerpräsidenten“, in: Ebenda, S. 1. Siehe auch: BayHStA, StK 15944, Anlage von Fritz Baer zur Geschäftsverteilungsplan für die Staatskanzlei, 20. Dezember 1958, S. 1–3.

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Austausch mit dem Landtag und dem Senat) sowie bei der Ausübung des Begnadigungsrechts.

Abb. 7: Der Protokollchef der Staatskanzlei Philipp Freiherr von Brand (l.) assistiert Bundespräsident Theodor Heuss (2. v. l.) bei der Beisetzung des ehemaligen Reichswehrministers Otto Geßler am 28. März 1955 in Lindenberg im Allgäu. Rechts vom Bundespräsidenten läuft der stellvertretende Bayerische Ministerpräsident Joseph Baumgartner (CSU)

Die Unterstützung der Bayerischen Staatsregierung war der zweite Bereich; diese fiel allerdings wesentlich geringer aus als die des Ministerpräsidenten. Hier handelte es sich um die Vorbereitung und Durchführung der Sitzungen des Ministerrats, wobei die Niederschrift der Sitzungen zu den wichtigsten Aufgaben gehörte. Außerdem vollzog die Staatskanzlei die Beschlüsse des Ministerrats, wenn nötig durch Zuleitung an die einzelnen Ministerien.46 Der dritte Aufgabenbereich stand im Zeichen der Zusammenarbeit zwischen dem Ministerpräsidenten und der Staatsregierung. Hier ging es um die Koordinierung der Ministerien, den Verkehr mit dem Landtag und dem Senat, die Beziehungen zur Presse, die Herausgabe des 46 § 3 „Unterstützung der Staatsregierung“, in: BayHStA, NL Hans Ehard 1577, „Grundsätzliche Feststellungen über den Aufgabenkreis und die Organisation der Bayerischen Staatskanzlei“, 28. Juni 1948, S. 2.

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Bayerischen Gesetzes- und Verordnungsblattes und des Bayerischen Staatsanzeigers sowie um die Führung eines Archivs.47 Prägend für das Funktionieren und die Wirkungsmacht der Staatskanzlei war ebenfalls der zweite Satz von Artikel 52: „Ihre Leitung kann einem eigenen Staatssekretär übertragen werden“.48 Dieser zweite Satz war eng mit dem Ehrgeiz Pfeiffers verbunden, der die Staatskanzlei nicht als Ministerialbeamter sondern als Staatssekretär leiten wollte.49 Dieser hatte das Recht und die Pflicht, an den Sitzungen des Bayerischen Ministerrats teilzunehmen, war Mitglied der Staatsregierung und hatte somit eine vergleichbare Position wie die ressortangehörigen Staatssekretären.50 Dennoch gab es hier einen wichtigen Unterschied, denn der Staatssekretär der Staatskanzlei leitete diese – im Gegensatz zu den Staatssekretären der jeweiligen Ressorts – wie ein Staatsminister in unmittelbarer Verantwortung gegenüber dem Landtag.51 Sein Amt hat somit kein Stellvertretercharakter; er selbst – und nicht der Ministerpräsident – war der Behördenleiter und innerhalb der Staatskanzlei war er unbegrenzt weisungsbefugt.52

Verborgene Machtfülle Die Leitung der Staatskanzlei hatten zwischen 1945 und 1962 vier Staatssekretäre inne: Anton Pfeiffer (1945–1950), Hans Kraus (1946), Albrecht Haas (1954–1957) und Franz Heubl (1960–1962). Karl Schwend (1950–1954) und Fritz Baer (1957–1960) wa47 § 4 „Zusammenwirken von Ministerpräsident und Staatsregierung“, in: Ebenda. 48 Nawiasky/Leusser (Hrsg.), Verfassung, S. 135. 49 Vgl. Köhler, Bayerischer Staatssekretär, S. 67. 50 Die Staatssekretäre hatten als Regierungsmitglieder eine eigene Stimme im Ministerrat und konnten bei Abstimmungen frei von Weisungen abweichend vom Minister stimmen. Vgl. ebenda, S. 12. 51 Die Staatssekretäre können nach der Bayerischen Verfassung nur als Stellvertreter eines Ministers ein Ressort leiten. Weil die Staatskanzlei kein Ressort sondern eine dem Ministerpräsidenten untergeordnete Dienststelle ist, kann ihre Leitung einem Staatssekretär übertragen werden. Vgl. ebenda, S. 13 f., 67–71. 52 Vgl. ebenda, S. 69. Fritz Baer bekräftigte dies in einem Kommentar zum Geschäftsverteilungsplan der Staatskanzlei von 1958: „Dem Leiter der Staatskanzlei obliegt die Aufsicht über den gesamten Geschäftsbetrieb; er ist dafür verantwortlich, dass die Staatskanzlei ihre Aufgabe, den Ministerpräsidenten und die Staatsregierung zu unterstützen, erfüllen kann; er hat dafür zu sorgen, dass ein entsprechender Arbeitsstab vorhanden ist, der den Ministerpräsidenten von allen nicht grundsätzlichen Angelegenheiten entlastet. Seine Aufgabe ist weiterhin, in wichtigen Angelegenheiten den Ministerpräsidenten zu beraten und in seinem Auftrage repräsentative Pflichten zu erfüllen, soweit sie nicht dem Leiter der Protokollabteilung übertragen werden.“ Vgl. auch BayHStA, StK 15944, Anlage von Fritz Baer zur Geschäftsverteilungsplan für die Staatskanzlei, 20. Dezember 1958, S. 3, 4.

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ren dagegen lediglich Berufsbeamte im Rang eines Ministerialdirigenten bzw. -direktors. Sie durften zwar an den Sitzungen des Bayerischen Ministerrats teilnehmen, machten jedoch keinen Teil der Bayerischen Staatsregierung aus und hatten dementsprechend kein Stimmrecht. Als Pfeiffer im Juli 1946 die Leitung des Sonderministeriums für die Entnazifizierung übernahm, wurde sein Amt vom bereits in der Staatskanzlei als Abteilungsleiter tätigen CSU-Politiker Hans Kraus bis zum Ende der Regierung Hoegners weitergeführt. Die Regierungspraxis zeigte, dass die jeweiligen Leiter nicht im Schatten des Ministerpräsidenten ihre Aufgaben erfüllten. Vielmehr entfalteten die Leiter, insbesondere diejenigen im Amt eines Staatssekretärs, eigenständige politische Initiativen, die über die reine Unterstützung des Ministerpräsidenten hinaus wirkte. Die Tatsache, dass der Stellenwert des Amts auch in der Öffentlichkeit wahrgenommen wurde, geht beispielsweise aus einem Artikel in der Süddeutschen Zeitung vom Oktober 1957 hervor: „Wer wird die neue ‚graue Eminenz‘ in Seidels Staatskanzlei? Diese Frage beschäftigt derzeit alle Politiker, die wissen, welche verborgene Machtfülle sich in der Hand des Chefs der Staatskanzlei ansammeln läßt.“53 Dabei spielten die Persönlichkeiten und Vorstellungen der jeweiligen Leiter eine große Rolle. So ging der Ruf des Leiters der Staatskanzlei als „graue Eminenz“ insbesondere auf Anton Pfeiffer zurück. Er erwarb sich zwischen 1945 und 1950 eine solche Machtposition, vor allem in der bayerischen „Außenpolitik“, dass ohne ihn keine wichtige Entscheidung im Freistaat getroffen wurde.54 Interessant in diesem Kontext ist eine Beobachtung Karl Loewensteins.55 Der Professor für Politikwissenschaft und Staats- und Verfassungsrecht war 1933 vor dem Nationalsozialismus in die USA geflüchtet, wo er unter anderem an der Yale University in New Haven und am Amherst College in Massachusetts lehrte. Bereits während des Zweiten Weltkrieges trat er als Berater für den Amerikanischen Generalstaatsanwalt für Fragen der Staatsschutzgesetzgebung auf. 1945 kehrte er nach dem Krieg als juristischer Berater der amerikanischen Militärregierung kurz nach Deutschland zurück. In Deutschland führte Loewenstein zwischen August und November 1945 Interviews mit prominenten Juristen und Politikern, zum Beispiel Hoegner, Ehard und Pfeiffer, an deren Einschätzungen über die Zukunft des Justizwesens in Deutschland er interessiert war. Die Inhalte dieser Gespräche schrieb Loewenstein in Kombination mit seiner persönlichen Einschätzung der betroffenen Personen

53 Autor unbekannt, „Wer wird die neue ‚graue Eminenz‘“, Süddeutsche Zeitung, 19./20. Oktober 1957, S. 4. 54 Vgl. Schlemmer, Anton Pfeiffer, in: Buchstab (Hrsg.), Verantwortung, S. 294. 55 Zu Loewensteins Person und Werk vgl. Markus Lang, Karl Loewenstein. Transatlantischer Denker der Politik, Stuttgart 2007.

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zu der Frage, ob sie für ein Amt im Justizwesen geeignet waren, für die amerikanische Militärregierung nieder. Zu Pfeiffer schrieb er nach dem Interview Folgendes: „At the present time he is Staatsrat in charge of the Praesidialkanzlei [Staatskanzlei], a position which enables him to influence personnel and policies of all other administries [sic!]. He was in a similar position already on the [sic!] Fritz Schaeffer, but he is not a holdover from the old Cabinet but rather more the fixed point around which the Ministerial machinery rotates. Practically he is more influential than the Prime Minister himself because of his intimate connection with Bavarian politics and his profession as politician.“56 Inwiefern diese Analyse Loewensteins auf Aussagen von Pfeiffer basierte oder Loewensteins eigene Schlussfolgerung darstellte, geht aus dem Dokument nicht genau hervor. Wahrscheinlich war es eine Mischung aus beidem, die jedoch zumindest viel über Pfeiffers Ruf aussagt. Außerdem geht aus einem handgeschriebenen Zettel aus dem Nachlass von Anton Pfeiffer hervor, dass im Januar 1948 bereits Spannungen zwischen Pfeiffer und Ehard entstanden.57 Dabei spielte Pfeiffers eigensinniges Handeln auf dem Gebiet des Föderalismus, worüber er den Ministerpräsidenten zunehmend weniger informierte, eine große Rolle. Ehard füllte sich dadurch in seiner Machtposition als Ministerpräsident angegriffen. Obwohl der Name Pfeiffers in der Öffentlichkeit am stärksten mit der Umschreibung „graue Eminenz“ verbunden wurde, galt sein Nachfolger Schwend ebenfalls als eine mächtige Person. So berichtete Hans von Herwarth bereits im 17. Juni 1949 an die Organisation Gehlen, dass Ehard in Frage Grundgesetz zu stark unter dem Einfluss von Schwend stehe, auch wenn von Herwarth Schwend kein „Mann von Format“ fand, weil ihm „der Überblick“ fehlte.58 Außerdem spottete Der Spiegel 1952, dass Schwend zusammen mit Ernst Deuerlein (siehe Kapitel 5.2) mühelos Bayern steuern könnte, falls das Kabinett „einmal durch einen unvorhergesehenen Umstand am Regieren verhindert sei.“59 Anders hingegen war die öffentliche Wahrnehmung im Januar 1961 unter Franz Heubl, als die Fränkische Tagespost über „die Staatskanzlei ohne graue Eminenz“ berichtete.60 56 ACA, Karl Loewenstein Papers, Box 46, Folder 9, OMGUS-Legal Division – Interviews judicial Candidates, Aug–Nov 1945, Anton Pfeiffer, S. 1. Ich möchte mich an dieser Stelle herzlich bei Dr. Samuel Miner für diesen Hinweis bedanken. 57 BayHStA, NL Anton Pfeiffer 540, Notiz vom 1. Januar 1948, S. 1–3. 58 BND-Archiv, 27715_OT, Aktennotiz über Besprechung 34 mit Johnny und Toni am 17.6.49, S. 2. 59 Autor unbekannt, „Was nie zur Sprache kam“, in: Der Spiegel, 21. August 1952, https://www. spiegel.de/politik/was-nie-zur-sprache-kam-a-32aa4ec6-0002-0001-0000-000021977450?context=issue [1. August 2023]. 60 Hilde Balke, ‚Die Staatskanzlei ohne graue Eminenz‘, Fränkische Tagespost, 28. Januar 1961. Artikel überliefert in: BayHStA, StK 15939.

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Nichtgeschäftsbereich Durch die Organisation der Staatskanzlei als Nichtgeschäftsbereich erhielt sie in der Nachkriegszeit neue Aufgaben. So wurde ihr die 1955 gegründete „Bayerische Landeszentrale für Heimatdienst“ (ab 1964 „Bayerische Landeszentrale für politische Bildungsarbeit“) unterstellt. Außerdem wurde die Staatskanzlei 1960 um die Geschäftsstelle des Landespersonalausschusses erweitert. Seit der Gründung des Landespersonalamts 1947 führte der Ministerpräsident und somit die Staatskanzlei bereits die Dienstaufsicht über die Behörde.61 Die Organisation der Staatskanzlei als Nichtgeschäftsbereich hatte für den Ministerpräsidenten den Vorteil, dass er Aufgaben aus Staatsinteresse in seine Nähe rücken konnte. Dabei existierte allerdings ein natürliches Spannungsverhältnis mit dem sogenannten Ressortprinzip. Nach Artikel 51 der Bayerischen Verfassung führte jeder Minister sein Ministerium selbständig und unter eigener Verantwortung gegenüber dem Bayerischen Landtag.62 Dementsprechend war und ist es dem Ministerpräsidenten staatsrechtlich nicht erlaubt, über die Staatskanzlei in die jeweiligen bayerischen Staatsministerien hineinzuregieren. Die Staatskanzlei erfüllte zwar zu jedem Zeitpunkt die Koordinationsrolle, durfte jedoch staatsrechtlich die Ministerien nicht zum Zuarbeiten degradieren. Dass es dabei in der Regierungspraxis zu Spannungen zwischen dem Ministerpräsidenten und der Staatskanzlei einerseits und den Ministerien anderseits kommen konnte, geht aus der umfangreichen und hitzigen Debatte über die Einführung einer neuen Geschäftsordnung 1956 hervor.63 Die Debatte zeigte, dass die Grenze zwischen der Richtlinienkompetenz des Ministerpräsidenten und dem Ressortprinzip in der Praxis keineswegs festgelegt war, sondern vielmehr ein dynamischer Aushandlungsprozess zwischen den Ministerialbehörden darstellte. Sowohl Wilhelm Hoegner als auch Hans Ehard hielten zwischen 1946 und 1950 an der Geschäftsordnung von Juli 1945 fest. Diese Praxis wurde lediglich um einige Regeln und Richtlinien ergänzt, um den Ablauf des Gesetzgebungsverfahrens innerhalb der Ministerialverwaltung zu vereinheitlichen.64 Obwohl sowohl im Ministerrat als auch in der Staatskanzlei mehrmals über die Möglichkeit, eine neue Geschäftsordnung einzuführen, gesprochen wurde, wurde dieses Anliegen

61 Zum Verhältnis vom Ministerpräsidenten und Landespersonalamt vgl. Kapitel 3.3. 62 Vgl. Nawiasky/Leusser (Hrsg.), Verfassung, S. 134. 63 Nach Artikel 53 der Bayerischen Verfassung gibt sich die Bayerische Staatsregierung eine Geschäftsordnung. Diese wurde von der Staatskanzlei fixiert und im Zusammenspruch mit den Ministerien entwickelt. Vgl. ebenda, S. 135. 64 Vgl. Kratzer, Bayerischer Ministerpräsident.

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bis 1952 nicht umgesetzt.65 Erst die dritte Staatsregierung (1950–1954) unter Ehards Leitung, eine Neuauflage der Regierungskoalition zwischen CSU und SPD unter Beteiligung des GB/BHE, führte am 1. August 1952 eine neue Geschäftsordnung ein. Diese war vor allem das Ergebnis der sich seit 1945 veränderten politischen und staatsrechtlichen Verhältnisse in Bayern und der Bundesrepublik. So wies Ministerpräsident Ehard während der Ministerratssitzung vom 22. April 1952 darauf hin, dass die Organisation zwischen den Ministerien untereinander, zwischen der Staatsregierung und dem Landtag und Senat sowie den Bundesbehörden neu geregelt werden müsse.66 Die neue Ordnung fixierte die Zuständigkeit der Staatsregierung, den Ablauf und die Organisation der Sitzungen des Ministerrats sowie des Gesetzgebungsverfahrens, die Ernennung von Beamten sowie schließlich die Kommunikation mit dem Landtag, dem Senat und mit dem Bund. Die Richtlinienkompetenz des Ministerpräsidenten wurde erst in § 11 erwähnt und seine hervorgehobene Position zugunsten des Ministerrats im Vergleich zu 1945 etwas abgeschwächt.67 Er verfügte allerdings nach wie vor über eine Vielzahl an Befugnissen und führte im Ministerrat den Vorsitz. Für die Staatskanzlei wurde festgelegt, dass sowohl ihr Leiter als auch der Leiter des Presse- und Informationsamts sowie ein Beamter als Protokollführer an den Sitzungen des Ministerrats teilnehmen durften.68 Verlief die Einführung der neuen Geschäftsordnung 1952 trotz verschiedener Kritikpunkte der jeweiligen Ressorts letztendlich unproblematisch, so stand sie im großen Kontrast zu der hitzigen Diskussion innerhalb der Staatsregierung und der bayerischen Öffentlichkeit 1956. Zum Streitpunkt dieser beinahe ein Jahr andauernden Debatte wurden das Amt des Ministerpräsidenten und dessen Möglichkeiten, über die Staatskanzlei Einfluss auf die Politik der jeweiligen Staatsministerien zu nehmen. Dies geschah vor dem politischen Hintergrund der sogenannten Viererkoalition (1954–1957), die unter der Leitung von Wilhelm Hoegner stand. Obwohl die CSU die Landtagswahl im November 1954 mit 38 % der Stimmen eindeutig 65 Obwohl Ministerpräsident Hans Ehard noch in derselben Nacht seiner Wahl zum Ministerpräsidenten am 21. Dezember 1946 den Ministerialdirigent und Staatsrechtswissenschaftler Friedrich Glum in der Staatskanzlei mit der Ausarbeitung einer neuen Geschäftsordnung beauftragte, kam diese nicht über die Anfänge hinaus. Wilhelm Hoegner hatte bereits am 24. November 1945 im Ministerrat über die fehlende Geschäftsordnung gesprochen. Auch Ehard behandelte das Thema am 23. Dezember 1946 im Ministerrat und betonte, dass eine Geschäftsordnung für die grundsätzliche Koordinierung von den Ministerien Priorität hatte. Dennoch wurde das Vorhaben nicht vor 1952 umgesetzt. Vgl. Ministerratssitzung, 23. Dezember 1946 in: Protokolle Kabinett Ehard I, S. 4; Protokolle Kabinett Hoegner I, S. 124. 66 Nr. 7: Geschäftsordnung für die Bayerische Staatsregierung vom 1. August 1952, in: Kratzer, Bayerischer Ministerpräsident, S. 208–214. 67 Vgl. ebenda, S. 211 f. 68 Vgl. ebenda, S. 209.

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gewonnen hatte, kam es überraschenderweise nicht zu einer vierten Regierungskoalition unter der Leitung Hans Ehards.69 Stattdessen schloss die SPD eine Koalition mit dem GB/BHE, der FDP sowie mit der Bayernpartei. Die Koalition war insbesondere eine Reaktion auf die Kulturpolitik des konservativ-katholischen Flügels der CSU.70 Neben dieser gemeinsamen Unzufriedenheit über die CSU hing die Zusammenarbeit innerhalb der Koalition zugleich von Hoegners Integrationsfähigkeit als Ministerpräsident ab.

Abb. 8: Sitzung der Viererkoalition am 21. August 1956 in einer oberbayerischen Bauernstube unter der Leitung des Ministerpräsidenten Wilhelm Hoegner (2. von links). Links von Hoegner sitzt der stellvertretende Ministerpräsident Joseph Baumgartner (CSU). Rechts direkt neben Hoegner der Leiter der Staatskanzlei Albrecht Haas (FDP). Neben ihm (v. l. n. r.) der Innenminister August Geislhöringer (BP), der Wirtschaftsminister Otto Bezold (FDP) und der Staatssekretär Friedrich Meinzold

Um den „ganzen Laden“ von vier ideologisch auseinanderliegenden Parteien zusammenzuhalten und seine Richtlinienkompetenz zu wahren, griff Hoegner auf autoritäre Mittel zurück.71 Diese schlugen sich auch in seinen Vorstellungen für 69 Vgl. Gelberg, Kriegsende, in: Schmid (Hrsg.), Neues Bayern, S. 818; Lanzinner, Zwischen Sternenbanner, S. 372 f. 70 Vgl. Gelberg, Kriegsende, in: Schmid (Hrsg.), Neues Bayern, S. 821–837. 71 Kritzer, Wilhelm Hoegner, S. 336.

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eine neue Geschäftsordnung der Bayerischen Staatsregierung nieder. Konkreter Anlass für die Überarbeitung der Geschäftsordnung war die Verwaltungsvereinfachung, die bereits unter der Vorgängerregierung von Ehard thematisiert und während Hoegners Regierung weiter konzipiert und umgesetzt wurde.72 Die dazu gegründete Kommission empfahl unter anderem eine Überarbeitung und Aktualisierung der Geschäftsordnung der Bayerischen Staatsregierung von 1932, die wesentlich ausführlicher als die Geschäftsordnung von 1952 war, um die Arbeitspraxis der Regierung einfacher, einheitlicher und effektiver zu gestalten. Daraufhin wurde in der Rechts- und Verfassungsabteilung der Staatskanzlei ein Entwurf für eine neue Verteilung der Aufgaben der Staatsverwaltung über die einzelnen Geschäftsbereiche konzipiert. Dieses Papier wurde am 23. Februar 1956 an die jeweiligen Ressorts geschickt.73 Dies war der Anfang einer hitzigen Diskussion, die bis Ende des Jahres anhielt. Im Mittelpunkt der Kritik standen die Aufgaben der Staatskanzlei und vor allem die im Entwurf fixierte Zuständigkeit für „die Bearbeitung einzelner Fragen, die sich aus der Bestimmung der Richtlinien der Politik durch den Ministerpräsidenten ergeben, insbesondere aller grundsätzlichen Angelegenheiten der staatsbürgerlichen Erziehung, des Wehrwesens und der staatlichen Aufgaben auf dem Gebiete der Kern-Energie“.74 Dies bedeutete, dass der Ministerpräsident auf diesen Themengebieten über die Staatskanzlei direkten Einfluss auf die Politik der damit verbundenen Ressorts nehmen konnte. Dies wiederum wurde von den Ministerien als ein Verstoß gegen das Ressortprinzip ausgelegt. Sowohl der Entwurf vom Februar 1956 als auch die überarbeitete und vollständige Version, die von der Staatskanzlei im August 1956 an die jeweiligen Ressorts zur Beurteilung geschickt wurden, zeigten deutlich, dass die Politik der Ressorts von oben zunehmend über die Staatskanzlei kontrolliert werden sollte. Obwohl die Rechtsabteilung der Staatskanzlei in der Zwischenzeit versuchte, den Anregungen der jeweiligen Ressorts Rechnung zu tragen, änderte sich daran zwischen Februar und August 1956 nach der Meinung der Ministerien viel zu wenig. Kritik konnte also nicht ausbleiben. Vor allem das Kultusministerium fühlte sich durch die vorgesehenen Aufgaben der Staatskanzlei in ihrem Aufgabenbereich angegriffen. Ein Ministerialbeamter warf dem Ministerpräsidenten vor, dass die Staatskanzlei dadurch zu einem „Überministerium“ werde, „das die wichtigsten Angelegenheiten der Ministerien selbst in die Hand nimmt und diesen im wesentlichen [sic!] nur mehr verwaltende

72 Vgl. Kratzer, Bayerischer Ministerpräsident, S. 70. 73 Es handelte sich hier zunächst lediglich um den Teil zur Geschäftsverteilung und nicht um eine vollständige Überarbeitung der Geschäftsordnung. Diese erfolgte bis Juni 1956. Vgl. ebenda, S. 71. 74 Ebenda, S. 72.

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Funktionen zuweist“.75 Dabei beriefen sich die jeweiligen Ministerialbeamten in den internen Vormerkungen an die Staatskanzlei darauf, dass die Staatskanzlei nach der Bayerischen Verfassung keinen eigenen Geschäftsbereich darstellte. Somit sei es nicht möglich, die Verwaltungsaufgaben im Lehrbereich auf diese Behörde zu übertragen, auch nicht im Rahmen der Richtlinienkompetenz des Bayerischen Ministerpräsidenten.76 Diese Argumentation wurde von den meisten Ministerien übernommen und unterstützt. Nach Meinung der Ministerien sollte insbesondere verhindert werden, dass der Ministerpräsident im Rahmen der „Richtlinienfrage“ unbegrenzt Aufgaben aus den Ressorts über die Staatskanzlei an sich ziehen würde.77 Diese Kritik wurde auch in Zeitungen publik gemacht. So wurde Hoegner am 4. August im Bayernkurier vorgeworfen, dass er mit „scharfer Kontrolle“ die nicht von der SPD geführten Ministerien den Einfluss seiner Partei unterwerfen wolle.78 Der Tages-Anzeiger kritisierte diese Politik ebenfalls, indem er die Staatskanzlei als „eine Art Sonderministerium“ mit Aufgaben, „die zu den besonderen Anliegen der SPD gehören“ terminologisch in die Nähe der Regierungsbehörde für die völlig diskreditierte Entnazifizierung rückte.79 Obwohl die Staatskanzlei den ihr in der Öffentlichkeit vorgeworfen „kalten Staatsstreich“ zurückwies, musste die Rechtsabteilung den Entwurf ab August 1956 mehrmals aufgrund der kritischen Anmerkungen der Ministerien überarbeiten.80 Dabei kam es erneut zu Spannungen mit den Ministerien. In der Endversion der Geschäftsordnung, die am 18. Dezember 1956 im Ministerrat besprochen wurde, waren nun die Aufgaben der Staatskanzlei im Rahmen der Richtlinienkompetenz des Ministerpräsidenten wesentlich geringer, als Hoegner ursprünglich angestrebt hatte. Diese hitzige Diskussion von 1956 zeigt, dass die Staatskanzlei nach 1945 zwar den koordinierenden Mittelpunkt der bayerischen Ministerialverwaltung zur Unterstützung des Ministerpräsidenten war, die jeweiligen Ministerien jedoch darauf achteten, dass sie sich zu keinem Zeitpunkt zu einem „Überministerium“ entwickelte. Die Auslegung einer „Unterstützung“ des Ministerpräsidenten war letztendlich in der Praxis mit Grenzen verbunden – auch wenn sich der Ministerpräsident und das Führungspersonal der Staatskanzlei nicht davor scheuten, diese auszutesten.

75 76 77 78 79 80

Zit. nach: ebenda, S. 75. Vgl. ebenda, S. 81. Vgl. ebenda, S. 79–87. Zit. nach: ebenda, S. 74. Zit. nach: ebenda, S. 75. Ebenda, S. 76.

4.3 Organisationsstrukturen des Föderalismus von Schäffer bis Goppel



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4.3 Organisationsstrukturen des Föderalismus von Schäffer bis Goppel In der dynamischen organisatorischen Entwicklung der Staatskanzlei spiegelten sich die politischen Vorstellungen, Zielsetzungen und Realitäten der Nachkriegszeit. Dabei stellte sich der Föderalismus insbesondere in den ersten Nachkriegsjahren in der Politik und Organisation der Staatskanzlei als ein Schwerpunkt heraus, auch wenn er freilich nicht ihr einziges Arbeitsgebiet war. Obwohl die Organisation der Staatskanzlei zwischen 1945 und 1962 regelmäßig neu strukturiert wurde, blieb die grundlegende Abteilungs- und Referatsstruktur aus dem Konzept von Anton Pfeiffer aus Juni 1945 bestehen – allerdings mit unterschiedlichen Schwerpunktsetzungen. In seinen Erwägungen zur Staatskanzlei war Pfeiffer von drei Abteilungen ausgegangen – Recht, Politik und Verwaltung –, die von Abteilungsleitern geführt werden sollten.81 Diese Abteilungen waren wiederum jeweils in Referate untergegliedert. In der politischen Abteilung, die von Pfeiffer geleitet wurde, existierte seit 1945 ein sehr wirkmächtiges Referat, ebenfalls unter seiner Leitung, das für die Vertretung des Ministerpräsidenten und des Staatsrats sowie für die innerbayerischen und innerdeutschen Angelegenheiten zuständig war.82 Mittels dieser Abteilung und dieses Referats konnte Pfeiffer Einfluss auf den staatlichen Wiederaufbau nehmen. Zur Abteilung gehörten außerdem Referate für die Flüchtlingsfrage, die Kulturpolitik sowie das Presseamt. Über den Abteilungen der Staatskanzlei stand der Ministerpräsident und direkt unter ihm der Leiter der Staatskanzlei, in der Regel jeweils unterstützt von einem persönlichen Referenten. Dies blieb zumindest bis 1962 in der Geschäftsverteilung behalten.

1945–1946 Während der Regierungszeit von Wilhelm Hoegner 1945 und 1946 wurden sowohl diese Struktur als auch die Referate großenteils beibehalten. Lediglich die Rechtsund Verwaltungsabteilung wurden zusammengelegt. In der Politischen Abteilung existierten nun Referate für die Innenpolitik, für den Verkehr mit den Besatzungsbehörden, für die Sonderkommission für die jüdische Bevölkerung, für Kulturpolitik sowie eine Informationsstelle, ein Presseamt und ein Sprachendienst. In der Abteilung für Recht- und Verwaltungsfragen existierten Referate für die Gesetzge81 BayHStA, NL Anton Pfeiffer 55, „Beilage. Spitze der Bayerischen Staatsregierung (Skizze für einen vorläufigen Aufbau)“, 11. Juni 1945. 82 BayHStA, StK 11616, Amt des Ministerpräsidenten – Bayerische Staatskanzlei, 12. September 1945, S. 2 f.

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bung, die Koordination der bayerischen Behörden, für den Länderrat, für das Landespersonalamt (das noch im Aufbau war) sowie für die Verwaltungsangelegenheiten des eigenen Betriebs und eine Registratur.83 Somit war die Staatskanzlei mit Abteilungen und grundlegenden Referaten ausgestattet, um die Reföderalisierungspolitik von Wilhelm Hoegner in der Innen- und Außenpolitik zu unterstützen und voranzutreiben. Stand Hoegners Reföderalisierungspolitik zum einen stark im Zeichen der bayerischen Verfassunggebung, bei der die Staatskanzlei eine zentrale unterstützende Rolle spielte, so stellte zum anderen die bayerische Interessensvertretung im Länderrat in Stuttgart einen Schwerpunkt dar. Der Länderrat entstand am 17. Oktober 1945 auf Initiative der amerikanischen Militärregierung und stellte den Versuch dar, eine zentrale Koordinationsstelle für die Zusammenarbeit der deutschen Länder innerhalb der amerikanischen Besatzungszone zu kreieren. Dabei ging es insbesondere um die Koordination sowohl der Landesgesetzgebung als auch von länderübergreifenden Gesetzen innerhalb der gesamten Zone.84 In der Staatskanzlei stieß der Länderrat vom Anfang an auf erhebliche Skepsis. Hoegner und Pfeiffer waren sich darüber einig, dass sich der Länderrat zu keinem Zeitpunkt zu einer Zentralregierung auf Kosten der gerade wiedererworbenen Staatlichkeit der jeweiligen Länder entwickeln durfte. Als Sonderbeauftragter Bayerns im Länderrat kritisierte Pfeiffer insbesondere das Generalsekretariat und dessen Generalsekretär, den SPD-Politiker Erich Roßmann, dessen Zentralisierungsbestrebungen auf wenig Verständnis in Bayern stießen. Von der Staatskanzlei aus mobilisierte Pfeiffer sein umfangreiches Netzwerk, um vom Anfang an Einfluss auf die Aufgaben, Organisation und Zusammensetzung des Generalsekretariats zu nehmen und die bayerischen Interessen in den jeweiligen Gremien durchzusetzen. Ein zentralistisches System wurde der Länderrat schließlich jedoch nicht. Die Gesetzgebung wurde in den jeweiligen Ländern getrennt verkündet, der Rat hatte keine rechtssetzende oder vollstreckende Gewalt und Beschlüsse mussten einstimmig durch die Ministerpräsidenten bestimmt werden.85 Als sich im Herbst 1946 das Entstehen von bizonalen Gremien zwischen der amerikanischen und britischen Zone abzeichnete, änderte sich die Haltung in der Staatskanzlei gegenüber der „Zentrale“ in Stuttgart, ja sie wurde sogar zum wichtigen föderalistischen Part-

83 BayHStA, StK 15944, Staatskanzlei an das Bayerische Staatsministerium für Wirtschaft, Betreff: Geschäftsverteilungsplan, 25. April 1946. 84 Vgl. Sebastian Lamm, Länderrat des amerikanischen Besatzungsgebietes, publiziert am 16.07.2012; in: Historisches Lexikon Bayerns, URL: https://www.historisches-lexikon-bayerns.de/Lexikon/Länderrat_des_amerikanischen_Besatzungsgebietes [30. November 2022]. 85 Vgl. ebenda; Treml/Kock, Bayern seit 1945, in: Treml (Hrsg.), Geschichte des modernen Bayern, S. 576 f.

4.3 Organisationsstrukturen des Föderalismus von Schäffer bis Goppel



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ner gegen die nun als Bedrohung wahrgenommenen bizonalen Zentralisierungsbestrebungen.86

1947–1949 Die Regierungszeit von Hans Ehard zwischen 1947 und 1949 führte zunächst zu einem umfangreichen Zuwachs und einer Ausdifferenzierung von Aufgaben. Aus der defensiven Staatssicherungspolitik von Hoegner wurde eine offensive föderalistische Politik, die von Maximalforderungen ausging und auf zwischenstaatlicher Kooperation als Gründungsprinzip des Föderalismus basierte. Die Staatskanzlei entwickelte sich im Rahmen dieser Politik weiter zur Schaltzentrale. Aus diesem Anlass wurde nicht nur eine neue Geschäftsverteilung, sondern auch eine Geschäftsordnung festgelegt. In der Geschäftsordnung wurden insbesondere das Zeichnungs- und Mitzeichnungsrecht sowie die Rolle des Ministerpräsidenten und des Leiters der Staatskanzlei im alltäglichen, hierarchisch organisierten Betriebsablauf festgelegt.87 Aus der neuen Geschäftsverteilung geht hervor, dass zwei Abteilungen aus der Regierungszeit Hoegners in die Gruppen A bis F umgeändert wurden, die wiederum in insgesamt 17 „Sachgebiete“ unterverteilt wurden.88 Die Gruppe A war für das Personal und die Verwaltung in der Staatskanzlei und die Ministerialverwaltung zuständig, während die Gruppe B für die Innenpolitik (inklusiv Kulturpolitik und Presseamt) zuständig war. Die Gruppe C stand im Zeichen der zwischenstaatlichen Angelegenheiten, die während der Regierung von Ehard erheblich an Bedeutung gewann. Dies galt ebenfalls für die Gruppe E, die die Landesdienststellen für den Länderrat in Frankfurt und Stuttgart darstellte. Diese beiden Gruppen waren für die offensive Föderalismuspolitik von Hans Ehard von großer Bedeutung, obwohl die gesamte Behörde diese mittrug. Dabei wurden sie außerdem unterstützt von der Gruppe D für Rechts- und Gesetzgebungsangelegenheiten sowie von der Gruppe F für Verfassungsfragen und Sonderaufträge. Damit verschaffte sich das Führungspersonal der Bayerischen Staatskanzlei ein Instrumentarium in der Tradition des Staatsministeriums des Äußern. Wider Erwarten erwies sich nicht der Bayerische Ministerrat, sondern die Staatskanzlei in der Regierungspraxis als der Motor des bayerischen Föderalismus.89 Nicht nur 86 Vgl. Reuter, Graue Eminenz, S. 135–141; Gelberg, Hans Ehard, S. 56 ff. 87 Das Zeichnungsrecht wurde bereits 1948 in einigen Fällen durch die große Zahl an zu bearbeitenden Angelegenheiten um die Sachbearbeiter erweitert. Siehe dazu: StaBi, Ana 308 33, Schwend an die Herren Gruppenleiter im Hause, 12. Oktober 1948. Für die Geschäftsordnung siehe: BayHStA, StK 15944, Geschäftsordnung der Bayerischen Staatskanzlei, 1. Juli 1948. 88 Ebenda, Bayerische Staatskanzlei: Geschäftsverteilung, 30. August 1948. 89 Vgl. Gelberg, Hans Ehard, S. 63.

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wurde in den Jahren von hier aus Ehards Politik im Länderrat der US-Zone und später in der Bizone konzipiert, unterstützt und umgesetzt, darüber hinaus spielte Anton Pfeiffer eine große Rolle bei der Gründung des „Büros für Friedensfragen“ sowie bei den Sitzungen des „Ellwanger Kreises“ und dessen Verfassungskommission.90 Von der Staatskanzlei aus wurden 1947 und 1948 nahezu alle Gremien mobilisiert und Möglichkeiten benutzt, um die bayerischen föderalistischen Maximalforderungen voranzutreiben und zu organisieren und zugleich institutionelle Entwicklungen abzuwehren, die präjudizierend auf einen zentralistischen Einheitsstaat hinauslaufen konnten.91 Eine zentrale Rolle spielten dabei in der Staatskanzlei, neben den Schlüsselfiguren Ehard und Pfeiffer, Hans von Herwarth, Friedrich Glum, Karl Schwend und Claus Leusser. Symbolisierte der Länderrat der US-Zone während Hoegners Regierungszeit noch die drohende Gefahr des Zentralismus, so wurde sie für Ehard zum Forum und verfassungspolitischen Modell, um den föderalistischen Aufbau des deutschen Staats voranzutreiben. Stattdessen kämpften Ehard und die Staatskanzlei vom Anfang an gegen die Verwaltungsräte und Verwaltungsämter der im Dezember 1946 gegründeten Bizone und ab Juni 1947, nach der Neuordnung der Bizone, gegen dessen Wirtschaftsrat und Exekutivrat in Frankfurt.92 Ehard lehnte im Länderrat entschlossen ab, dass die bizonalen Ämter, die Ehard aus seiner Erfahrung mit Zentralismus und Reichsbürokratie verband, Gesetzgebungsbefugnis gegenüber den Ländern bekamen.93 Neben dem Länderrat griff die Staatskanzlei zu einem anderen Mittel, um den Zentralisierungsbestrebungen entgegenzuwirken: die Ministerpräsidentenkonferenz. Am Vorabend der Neuordnung der Bizone organisierte die Staatskanzlei vom 6. bis 8. Juni 1947 in München eine Konferenz – aus „rein bayerischen Erwägungen“ – für die Regierungschefs aus allen Teilen Deutschlands.94 Mit dieser Initiative wollte Ehard den Föderalismus aufwerten, den Anspruch der Länder bei den Alliierten auf Mitwirkung bei der Bizone und dem Aufbau des Nationalstaats verstärken und die Konferenz zu einer Dauereinrichtung machen. Obwohl die Initiative zu spät kam, um Einfluss auf die Neuordnung der Bizone auszuüben, gelang es Ehard und die Staatskanzlei zumindest, einige Vorwürfe und Vorurteile gegenüber dem bayerischen Föderalismus für die Verfassunggebung zu entschärfen und den bayerischen Willen zur deutschen Ein90 Zu diesen Aktivitäten vgl. Reuter, Graue Eminenz, S. 135–214; Gelberg, Hans Ehard, S. 50–256; Kock, Bayerns Weg, S. 256–285. 91 Vgl. Gelberg, Hans Ehard, S. 50–256; Treml/Kock, Bayern seit 1945, in: Treml (Hrsg.), Geschichte des modernen Bayern, S. 576–589. 92 Vgl. Gelberg, Hans Ehard, S. 56–59. 93 Vgl. ebenda, S. 96. 94 Vgl. ebenda, S. 86–92; Treml/Kock, Bayern seit 1945, in: Treml (Hrsg.), Geschichte des modernen Bayern, S. 578.

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heit zu demonstrieren.95 Zugleich leitete die Konferenz mittelfristig die Zusammenarbeit der drei Westzonen ein, nachdem sich die Abgesandten der Ostzone von der Konferenz zurückgezogen hatten. Dennoch stellten sich die bayerischen, föderalistischen Maximalansprüche als nicht mehrheitsfähig heraus. Auch Konrad Adenauer lehnte die bayerischen Vorstellungen einer Bundesratsverfassung ab, die von der unmittelbaren Beteiligung der Länder an der Leitung des Bundes, die Reduzierung der Bundesverwaltungen auf Auswärtiges, Post und Bahn sowie eine Aufgliederung der Finanzhoheit zwischen Bund und Ländern ausging.96 Dennoch fühlte sich Ehard in seinen Vorstellungen verstärkt, als die Militärgouverneure Lucius D. Clay, Brian Hubert Robertson und Pierre Koenig am 1. Juli 1948 den Ministerpräsidenten der Trizone die sogenannten Frankfurter Dokumente überreichten.97 Damit wurden die Ministerpräsidenten ermächtigt, innerhalb von zwei Monaten eine Verfassungsgebende Versammlung zu berufen, die eine demokratische Verfassung mit einer föderalistischen Regierungsform ausarbeiten sollte. Für Ehard stellte der Auftrag eine Stärkung der Positionen der Ministerpräsidenten gegenüber dem zentralistischen Wirtschaftsrat dar. Nun sollte die Staatskanzlei erneut die Initiative ergreifen, um über den ebenfalls gebildeten „Verfassungsausschuss der Ministerpräsidenten der westlichen Besatzungszonen“ maximal Einfluss auf die Verfassunggebung nehmen zu können. Sie organisierte daraufhin im August 1948 das Herrenchiemsee-Konvent, zu dem die gesamte Führungsebene und große Teile des unterstützenden Personals der Staatskanzlei eingeschaltet wurden.98 Dort sollte nun unter der Leitung von Anton Pfeiffer gegenüber den anderen zehn Ländern der westlichen Zone die Position der Ministerpräsidenten sowie der Föderalismus als Gestaltungsprinzip für den Bundesstaat sichergestellt werden. Pfeiffer und die bayerische Fraktion übten mit ihrem Entwurf eines Grundgesetzes erheblichen Einfluss auf den abschließenden „Tätigkeitsbericht“ des Konvents aus.99 Auch wenn die bayerischen Maximalansprüche schließlich im Parlamentarischen Rat teilweise scheiterten und das Grundgesetz am 20. Mai 1949 im Bayerischen Landtag abgelehnt wurde, konnten Ehard, Pfeiffer und die Staatskanzlei zumindest durchsetzen, dass das Grundgesetz und insbesondere der von Ehard propagierte Bundesrat eine föderalistische Ausgangsbasis für die Zukunft darstellten – auch wenn diese als „labil“ eingeordnete Basis nicht so umfangreich war, wie sie im Sinne der bayerischen Eigenstaatlichkeit gewünscht war.100 95 Vgl. Gelberg, Hans Ehard, S. 88–92. 96 Vgl. Treml/Kock, Bayern seit 1945, in: Treml (Hrsg.), Geschichte des modernen Bayern, S. 580. 97 Vgl. ebenda. 98 Vgl. Lanzinner, Zwischen Sternenbanner, S. 150 ff. 99 Vgl. Treml/Kock, Bayern seit 1945, in: Treml (Hrsg.), Geschichte des modernen Bayern, S. 581 f. 100 Vgl. ebenda, S. 586 f.; Gelberg, Hans Ehard, S. 266–273, Zit. nach S. 274.

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1949–1954 Nach der Gründung der Bundesrepublik wurde die Organisation der Staatskanzlei auf Anordnung von Pfeiffer am 1. Oktober 1949 zunächst improvisiert der neuen politischen Situation angepasst.101 War die Organisation der Staatskanzlei vor 1949 auf die vielseitige föderalistische Politik von Ehard abgestimmt, so fokussierte sich der Föderalismus nach der Gründung der Bundesrepublik und Schritt für Schritt trat eine Stabilisierung und Normalisierung des Betriebs ein. In diesem Prozess wurde unter anderem die überflüssig gewordene Abteilung E aufgelöst und Aufgaben auf andere Abteilungen übertragen. Zugleich begannen in der Staatskanzlei Gespräche über eine neue Geschäftsverteilung. Diese wurde bereits im November 1949 festgelegt, trat jedoch erst zum 1. März 1950 in Kraft.102 Es wurde dabei auf Pfeiffers ursprünglichen Entwurf mit Abteilungen für Politik, Verwaltung sowie Rechts- und Verfassungsangelegenheiten zurückgegriffen. Die drei Abteilungen wurden um eine vierte für die Protokollführung während der Sitzungen des Ministerrats ergänzt.103 Bis dahin wurde diese Aufgabe von einem anderen Referat wahrgenommen. Dennoch bedeutete die Gründung der Bundesrepublik keineswegs das Ende von Ehards föderalistischer Politik. Vielmehr hatte der „Kampf erst begonnen“ und dabei stand ihm die Staatskanzlei nach wie vor zur Seite.104 Plattform für Ehards föderalistische Politik wurde der Bundesrat und insbesondere der Ausschuss für Auswärtige Angelegenheiten, dessen Vorsitz er bis 1954 führte. Über dieses Amt versuchte Ehard, den Mitwirkungsanspruch des Bundesrats an der Außenpolitik der Bundesregierung und somit den gesamten Stellenwert dieser Institution innerhalb des politischen Systems grundsätzlich zu stärken und auszuschöpfen. Zudem amtierte er 1950 und 1951 als Bundesratspräsident und versuchte in dieser Funktion, die von ihm befürchtete Beseitigung des Bundesrats und somit den Föderalismus zu verhindern. Weil das Grundgesetz ein Provisorium war, befürchtete Ehard, dass eine mögliche deutsche Wiedervereinigung zur Beseitigung des Bundesrats führen könnte. Deswegen richteten sich Ehard und die Staatskanzlei gegen alle von Bonn ausgehenden Tendenzen, um die föderative Ordnung der jungen Bundesrepublik zu zentralisieren.

101 BayHStA, StK 15944, Hausverfügung von Anton Pfeiffer, ohne Datum [vermutlich September 1949]. 102 Ebenda, Vormerkung. Betreff: Besprechung der Gruppenleiter für Fragen der Geschäftsordnung, 21. Oktober 1949. 103 Ebenda, Geschäftsverteilung Bayerische Staatskanzlei, 1. März 1950; Schreiben Bayerische Staatskanzlei an allen Bayerische Staatsministerien, 25. Februar 1950. 104 Gelberg, Hans Ehard, S. 274.

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Dabei war die Relevanz der politischen Abteilung für Ehards Wirkungsmacht als Ministerpräsident und CSU-Parteivorsitzender zwischen 1950 und 1954 kaum zu überschätzen. Unter der Leitung Schwends wurde von hier aus, in Zusammenarbeit mit Ernst Deuerlein, der im Referat des Presse- und Informationsamts in der politischen Abteilung arbeitete und ebenfalls zu Schwends Stellvertreter als Abteilungsleiter wurde, die Politik des Ministerpräsidenten ideologisch gestaltet und formuliert, nach außen mit einer Publikationsoffensive verteidigt (siehe Kapitel 5.2) und in der Regierungspraxis durchgesetzt.105 Dabei standen Schwend und Deuerlein Ehard ebenfalls als Berater zur Seite. Zugleich entwickelte sich die politische Abteilung der Staatskanzlei unter Schwend zu einer Art CSU-Parteizentrale zur Koordinierung der Aufgaben von Ehard als Parteivorsitzenden der CSU.106 Nachdem Ehard 1949 den Parteivorsitz der CSU übernommen hatte, verloren die Parteigremien zunehmend an Bedeutung, und die Parteiführung konzentrierte sich auf die Staatskanzlei, wobei Schwend und Deuerlein die organisatorischen Hauptakteure waren. Diese Symbiose zwischen Partei und Politik ging sogar so weit, dass 1953 die Bundestagswahl und 1954 die Landtagswahl für die CSU von der Staatskanzlei aus vorbereitet wurde.107 Von großer Bedeutung für den bayerischen Einfluss auf die Bundespolitik sowie der strategischen Konzipierung war ab 1949 ebenfalls der Bayerische Bevollmächtigte beim Bund, der in der Tradition des Bayerischen Bevollmächtigten beim Wirtschaftsrat stand. Am 3. September 1949 legte Ehard im Ministerrat seine Gedanken zu diesem Amt auf den Tisch: „Man müsse sich […] darüber klar sein, dass eine ständige Vertretung Bayerns am Bundessitz sein müsse. Ein qualifizierter Mann müsse die Leitung dieser Vertretung haben, dem eine Reihe von Sachreferenten aus den einzelnen Ministerien beigegeben werden müssten. Auf die Zusammenarbeit dieser Leute mit dem Bundesrat, Bundestag und der Bundesregierung müsse ganz entscheidendes Gewicht gelegt werden. Wenn die Arbeit dieser Leute in Bonn und deren Verbindung mit den einzelnen Ministerien hier nicht absolut zuverlässig sei, kämen wir in die größten Schwierigkeiten und würden an die Wand gedrückt.“108 Für Ehard stellte der Bevollmächtigte und dessen Dienststelle in Bonn eine zentrale Verbindung zwischen dem Bund und der Staatsregie105 Vgl. Wegmaier, Steuermänner. 106 Vgl. ebenda, S. 587; Schlemmer, Aufbruch, S. 435. 107 Vgl. Thomas Schlemmer, Einleitung, in: Jaromír Balcar/Thomas Schlemmer (Hrsg.), An der Spitze der CSU. Die Führungsgremien der Christlich-Sozialen Union 1946 bis 1955, München 2007, S. 1–31, hier S. 15; Wegmaier, Steuermänner, S. 593. 108 Siehe „Punkt I. Bundesangelegenheiten“ aus der Ministerratssitzung vom 3. September 1949 in: Die Protokolle des Bayerischen Ministerrats 1945–1962, Das Kabinett Ehard II, 20. September 1947 bis 18. Dezember 1950, Band 2, 5.1.1949–29.12.1949, bearb. v. Karl-Ulrich Gelberg, München 2005, S. 238–248.

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rung und Staatskanzlei dar. Deswegen sollte der Bevollmächtigte autoritätsstark sein, über ausreichend Fachqualität verfügen und außerdem als Stimme des Bayerischen Ministerpräsidenten in Bonn dienen. Deswegen wollte Ehard keine politisch ambitioniertere Person, die eigenständig agieren würde, sondern einen weisungsgebundenen Beamten im Rang eines Ministerialdirektors, der im Sinne des Ministerpräsidenten handelte.109 Die Dienstelle in Bonn spielte sowohl eine zentrale Rolle bei der bayerischen Interessensvertretung als auch bei der Informationsversorgung der Staatskanzlei über die Bonner Politik. Nicht nur der Bevollmächtigte, sondern ebenfalls die Beamten in der Dienststelle schickten regelmäßig Berichte an die Staatskanzlei.110 Dazu befanden sich in der Dienststelle Referenten aus den jeweiligen bayerischen Ministerien, die für die Dauer von einem Jahr abgeordnet wurden und für einen sachpolitischen Bereich zuständig waren.111 Ein wichtiges Gremium für den Bevollmächtigten in Bonn stellte der Ständige Beirat beim Bundesrat dar. Obwohl der Bundesrat noch im November 1949 entschied, dass dessen Mitglieder vom Bundesrat bestimmt wurden, ging die Entwicklung in der Verwaltungspraxis in eine andere Richtung. Wichtiger als der Beirat stellten sich die wöchentlichen Treffen der Bevollmächtigten heraus.112 Die Befürchtung der Staatskanzlei, dass damit der Beirat beseitigt würde, stellte sich allerdings als unbegründet heraus. Stattdessen wurde der Beirat das Gremium, in dem sich die Bevollmächtigten wöchentlich trafen. Diese Treffen spielten eine wichtige Rolle für die Koordinierung der Politik zwischen dem Bundesrat, der Bundesregierung und dem Bundestag.113 Zugleich erfüllt sie bis heute eine beratende Rolle für den Bundesratspräsidenten. Der erste Bayerische Bevollmächtigte, der CSU-Politiker Ernst Rattenhuber, war eher eine bayerische Repräsentationsfigur in Bonn. Er verfasste nur sporadisch Berichte für die Staatskanzlei und verfügte nicht über ein Netzwerk, um die

109 Vgl. Gelberg, Hans Ehard, S. 297. Für Pfeiffers Vorstellungen zur Person des Bevollmächtigten Bayerns sowie zur Dienststelle siehe: BayHStA, StK 13079, Entwurf Anton Pfeiffer Dienststelle in Bonn, 11. September 1949; Vormerkung Anton Pfeiffer, 24. September 1949. 110 Für die Berichterstattung während der Regierungszeit von Ehard bis 1954 siehe: BayHStA, StK 13079–13084. 111 Für die Personalverhältnisse in Bonn siehe: BayHStA, StK 13472, 13473; NL Anton Pfeiffer 63. 112 An dieser Stelle möchte ich mich herzlich bei Frau Staatssekretärin Dr. Ute Rettler und Herrn Clemens Neumann für die Möglichkeit bedanken, die Protokolle des Beirats bis 1964 vor Ort im Bundesrat im Vorzimmer der Frau Staatssekretärin einsehen zu können. In den Sitzungen des Beirats wurden insbesondere Beschlüsse getroffen oder Stellungnahmen geäußert zu den Plenarsitzungen des Bundesrats. Siehe: Bundesrat, Ständiger Beirat Sitzungen, Bd. 1, 2 und 3. 113 Vgl. Gelberg, Hans Ehard, S. 304.

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bayerischen Interessen effektiv durchsetzen zu können.114 Rattenhubers Nachfolger wurde Claus Leusser. Der Ministerialbeamte galt als Spitzenjurist der Staatskanzlei und hatte bereits vor 1949 als Fachexperte wesentlich zu Ehards föderalistischer Politik beigetragen. Ab 1952 systematisierte sich unter seiner Leitung die Arbeit in der Bonner Dienststelle, und sie nahm als Instrumentarium des Föderalismus nun Fahrt auf. Nicht zuletzt verfasste Leusser selbst regelmäßig Berichte für die Staatskanzlei, die von seinen Fachkenntnissen und politischen Einschätzungen zeugen. Rattenhuber hatte Bayern repräsentiert, doch Leusser gelang es, die Dienstelle im Sinne Ehards zu einer föderalistischen Schaltzentrale in Bonn zu transformieren, die eng mit der Staatskanzlei in Verbindung stand und zusammenarbeitete. Bei dieser Zusammenarbeit spielte in der Staatskanzlei die Rechts- und Verfassungsabteilung eine große Rolle, die bis zu seiner Abordnung nach Bonn unter der Leitung von Leusser stand. Dessen Nachfolger als Abteilungsleiter wurde 1952 das juristische Schwergewicht Erich Gerner. Ehard hatte bereits 1949 im Ministerrat hervorgehoben, dass die Verbindung zwischen der Dienstelle in Bonn und den bayerischen Ministerien von entscheidender Bedeutung für die bayerische föderalistische Agenda sei. Deswegen koordinierte die Staatskanzlei Wochen im Vorfeld, in dem das Plenum des Bundesrats zusammentrat, die „Koordinierungsbesprechungen für Bundesangelegenheiten“.115 Dabei trafen sich die Fachreferenten der jeweiligen Ministerien unter dem Vorsitz von Leusser oder Gerner, die von weiteren Angehörigen der Staatskanzlei unterstützt wurden. Die Treffen standen insbesondere im Zeichen der Tagesordnung des Bundesrats und des Bundestags, wozu die Anwesenden sich fachlich äußerten. Diese Stellungnahmen, die anschließend von Leusser oder Gerner mündlich im Ministerrat vorgetragen wurden, dienten als Grundlage, um die föderalistische Strategie zu besprechen und festzulegen.116 Zugleich wurden die Stellungnahmen dem Bevollmächtigen in Bonn weitergeleitet. Somit stellte die Verbindung zwischen der Staatskanzlei und der Dienststelle

114 Aus den Protokollen der Sitzungen des Ständigen Beirats geht hervor, dass Anton Pfeiffer und nicht Ernst Rattenhuber an den ersten Beiratssitzungen teilnahm und sogar dessen Vorsitzender war. Auch in diesem Gremium wollten Pfeiffer und die Staatskanzlei die Initiative greifen. Wenn Pfeiffer nicht anwesend sein konnte, wurde er durch Rattenhuber als Vorsitzende und gelegentlich Claus Leusser vertreten. Somit verfügte Leusser bereits über viel Erfahrung, als er das Amt von Rattenhuber übernahm. Siehe: Bundesrat, Ständiger Beirat Sitzungen, Bd. 1, Verzeichnis der Mitglieder für den Ständigen Beirat des Bundesrats, 10. November 1949; Anwesenheitsliste 2. Sitzung des Ständigen Beirats am 17.11.1949. 115 Die Kurzprotokolle dieser Koordinierungsbesprechungen sind überliefert in: BayHStA, Bevollmächtigter Bayerns bei Bund, 9/1–15/II. 116 Vgl. Gelberg, Hans Ehard, S. 295–300.

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in Bonn in Kombination mit dem Ausschuss für Auswärtige Politik im Bundesrat bis 1954 die organisatorische Grundlage für Ehards bundespolitischen Initiativen dar.

Abb. 9: Eine Pressekonferenz der CSU am 9. Dezember 1954. Nachdem die Parteien SPD, Bayernpartei, FDP und GB/BHE bekannt gegeben hatte, eine Viererkoalition bilden zu wollen, erklärte die CSU während der Pressekonferenz erneut ihre Verhandlungsbereitschaft. Dabei waren anwesend (v. l. n. r.) Karl Schwend, Hans Ehard, Franz Josef Strauß, Karl Greib, Hanns Seidel, Alois Hundhammer, Georg Meixner und Josef Schwalber

1954–1957 Die Verschmelzung von den Staats- und Parteiaufgaben des Ministerpräsidenten in der Staatskanzlei wurde sofort am Anfang der Viererkoalition 1954 beendet. Ehards Nachfolger Hoegner transformierte die politische Abteilung in ein Presseund Informationsamt. Dabei wurden verschiedene politische Aufgaben, darunter die Bundesratsangelegenheiten, auf die Referate der Rechts- und Verfassungsabteilung verteilt; es entfiel jedoch die Parteiarbeit der Staatskanzlei. Im Gegensatz zu Ehard hatte Hoegner es mit einem Leiter der Staatskanzlei zu tun, der nicht

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Mitglied derselben Partei wie er war: Mit dem FDP-Mitglied Albrecht Haas an der Spitze konnte Hoegner nicht auf die politische Abteilung der Staatskanzlei als Koordinierungszentrum für sozialdemokratische Akzentsetzungen. Ihr parteipolitisches Profil erhielt die Regierungsarbeit daher in Zusammenarbeit mit der Landtagsfraktion der SPD.117 Dennoch blieb die Organisationsstruktur der Staatskanzlei mit vier Abteilungen bestehen.118 Außerdem knöpfte Hoegner nahtlos bei der föderalistischen Politik seines Vorgängers im Bundesrat an, die während der Viererkoalition insbesondere im Zeichen der finanziellen Beziehungen zwischen dem Bund und den Ländern standen.119 Diese Kontinuität geht außerdem aus der Tatsache hervor, dass Leusser weiterhin der Bevollmächtigte in Bonn blieb und auch Erich Gerner weiterhin die Koordinierungsbesprechungen mit den Vertretern der Ministerien in der Staatskanzlei leitete. Anders als unter Ehard war aber der Leiter der Staatskanzlei, Albrecht Haas, regelmäßig bei diesen Treffen in der Staatskanzlei anwesend.120 Obwohl sich Hoegners Regierungsarbeit insbesondere auf Kulturpolitik und eine Vereinfachung der bayerischen Verwaltung richtete, stellte die Viererkoalition keine organisatorische Zäsur mit wesentlichen Veränderungen für die bis dahin durch die CSU geleitete Staatskanzlei dar.121 Dennoch wurden einige Aufgaben neu verteilt und zusammengelegt, wobei die Verwaltungsvereinfachung eine Rolle spielte. Hatte die Staatskanzlei 1950 noch zwölf Referate, so sank die Zahl während der Viererkoalition auf acht.122

1957–1960 Während der Nachfolgerregierung unter der Leitung des CSU-Ministerpräsidenten Hanns Seidel wurde die Geschäftsverteilung zunächst übernommen, jedoch zu-

117 BayHStA, StK 15944, Anlage von Fritz Baer zur Geschäftsverteilungsplan für die Staatskanzlei, 20. Dezember 1958, S. 5. 118 Ebenda, Vorläufige Aufstellung über die Verteilung der Geschäfte in der Bay. Staatskanzlei, ohne Datum [vermutlich Dezember 1954/Januar 1955]. 119 Vgl. Gelberg, Kriegsende, in: Schmid (Hrsg.), Neues Bayern, S. 832. 120 Siehe beispielsweise die Sitzungen im Jahre 1956: BayHStA, Bevollmächtigter Bayerns beim Bund, 12/I. 121 Vgl. Gelberg, Kriegsende, in: Schmid (Hrsg.), Neues Bayern, S. 824–831. 122 BayHStA, StK 15944, Geschäftsverteilung Bayerische Staatskanzlei, 1. März 1950 vgl. Vorläufige Aufstellung über die Verteilung der Geschäfte in der Bay. Staatskanzlei, ohne Datum [vermutlich Dezember 1954/Januar 1955].

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gleich zur Diskussion gestellt.123 Im Gegensatz zu Hoegner, der sich insbesondere auf Kulturpolitik fokussiert hatte, lieferte Seidel in seinen Regierungserklärungen eine umfassende Analyse von der Entwicklung Bayerns nach 1945. Unter Seidel vollzog sich ein Wandel zum Primat der Wirtschaftspolitik – wobei die bayerische Industrie gefördert werden sollte, ohne die bayerische Landwirtschaft zu vernachlässigen.124 Auch Seidel bekannte sich zum föderalistischen Staatsprinzip, allerdings stärker als seine Vorgänger aus einem ökonomischen Gesichtspunkt. Somit stand der Föderalismus unter Seidel im Zeichen eines Abwehrkampfs gegen die zentralistischen Bestrebungen aus Bonn, um die Länderfinanzverwaltungen durch die Bundesfinanzverwaltung zu ersetzen. Seidels umfassende Zukunftsperspektive für Bayern führte dazu, dass er die Richtlinienkompetenz des Ministerpräsidenten stärker als seine Vorgänger für sich in Anspruch nahm, sodass die Rolle der Staatskanzlei als politische Koordinationsstelle der bayerischen Ministerialverwaltung wieder an Bedeutung gewann. Vor diesem Hintergrund wurde während Seidels Regierungszeit über eine neue Organisationsstruktur für die Behörde diskutiert. So legte der Leiter der Staatskanzlei, Ministerialdirigent Fritz Baer, im März 1958 eine neue Geschäftsverteilung vor.125 Diese hielt an den vier Abteilungen fest, ergänzte die Protokollabteilung jedoch um Auslandsangelegenheiten und erhöhte die Zahl der Referate auf zehn. Seidel war anscheinend mit dem Entwurf unzufrieden, denn noch im gleichen Jahr beauftragte er persönlich Claus Leusser mit dem Entwurf einer neuen Geschäftsverteilung für die Staatskanzlei, die dann auch am 20. November 1958 vorlegt wurde.126 Leusser wies in den „Erläuterungen“ zu seinem Entwurf darauf hin, dass die Staatskanzlei eine „dienende und unterstützende Rolle hatte“, sich dennoch nicht „lediglich auf reine Koordinierungs- oder vielleicht gar nur interne Verwaltungsaufgaben“ beschränken durfte. Sie musste stets ein „verwendungsfähiges Instrument in der Hand des Ministerpräsidenten“ sein.127 Leusser wollte das Pfeiffersche Abteilungssystem wieder einführen, sodass die Zahl der Abteilungen auf drei reduziert, die Zahl der Referate jedoch auf zwölf ansteigen würde. Insbesondere die Wiedereinführung einer politischen Abteilung war in Leussers Augen für die Staatskanzlei als Instrument des Ministerpräsiden-

123 Ebenda, Bayerische Staatskanzlei, Geschäftsverteilung, 17. Oktober 1957; vgl. A. Koehler/K. Jansen (Hrsg.), Die Bundesrepublik 1958/59. Vereinigt mit Handbuch für die Bundesrepublik Deutschland, Berlin 1958, S. 495. 124 Vgl. Gelberg, Kriegsende, in: Schmid (Hrsg.), Neues Bayern, S. 840–844. 125 BayHStA, StK 15944, Entwurf Bayerische Staatskanzlei, Geschäftsverteilung, 1. April 1958. 126 Ebenda, Entwurf einer Geschäftsverteilung für die Staatskanzlei, 20. November 1958. 127 Ebenda, Erläuterungen zum Entwurf eines Organisationsschemas und eines Geschäftsverteilungsplanes für die Bayerische Staatskanzlei, 20. November 1958.

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ten von wesentlicher Bedeutung.128 Dabei plädierte er außerdem dafür, ausgehend von seinen Erfahrungen während der Viererkoalition, dass der Leiter der Staatskanzlei der gleichen politischen Partei wie der Ministerpräsident angehören oder zumindest die gleiche politische Zielsetzung verfolgen sollte.129 Aus einem Gegenentwurf von Fritz Baer vom Dezember 1958 geht hervor, dass der Leiter der Staatskanzlei von Leussers Entwurf nicht ganz überzeugt war, ja sich wahrscheinlich durch die Einbeziehung des Bayerischen Bevollmächtigten sogar von Seidel übergangen fühlte.130 Baer hielt in seinem Entwurf an den vier Abteilungen fest, die sich in der Regierungspraxis nach seinen Ansichten als „zweckmäßig“ erwiesen hatten, und er schloss sein Schreiben mit der folgenden Mitteilung: „Nach den Erfahrungen hat sich die Organisation der Bayerischen Staatskanzlei seit den Jahren nach dem Krieg grundsätzlich bewährt.“131 Während Leusser insbesondere die politische Funktionalität der Staatskanzlei verstärken wollte, ging Baer mehr von der unterstützenden „Aufsichtsfunktion“ über den Gesamtbetrieb aus. Obwohl die beiden mit dem Begriff „Unterstützung“ des Artikels 52 der Bayerischen Verfassung argumentierten, hatten sie unterschiedliche Vorstellungen und Vorschläge. Baer deutete zwar ebenfalls an, dass einiges für die Wiedereinführung einer politischen Abteilung sprach, bekannte sich dennoch nicht eindeutig dazu.132 Zu einer Entscheidung zwischen diesen zwei Organisationsmodellen mit ihren unterschiedlichen Implikationen für die Rolle der Staatskanzlei kam es während der zweiten Regierung von Hanns Seidel jedoch nicht mehr, sodass die vier Abteilungen der Staatskanzlei bestehen blieben.

1960–1962 Nach dem gesundheitlich bedingten Rücktritt von Hanns Seidel als Ministerpräsident, der ebenfalls verhinderte, dass die Organisation der Staatskanzlei stärker zum Instrumenten des Ministerpräsidenten wurde, übernahm Hans Ehard im Januar 1960 erneut die Leitung der Bayerischen Staatsregierung. Obwohl Ehard in seiner Regierungserklärung anmerkte, dass er die Transformationspolitik von Seidel bis zum Ende seiner Legislaturperiode fortsetzen wollte, so zeigten sich doch eine andere, konservativere Schwerpunktsetzung in seiner Politik. Ehard fokussierte sich, wie schon während seiner Amtszeit bis 1954, auf sein eigenes föderalis128 Ebenda, S. 1 f. 129 Ebenda, S. 1. 130 Ebenda, Entwurf Bayerische Staatskanzlei Geschäftsverteilung, 1. Januar 1959. 131 Ebenda, Anlage von Fritz Baer zur Geschäftsverteilungsplan für die Staatskanzlei, 20. Dezember 1958, S. 4, 6. 132 Ebenda, S. 4 f.

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tisches Hauptthema: das Bund-Länder-Verhältnis. Außerdem hatte er wenig Gefühl für die Seidelsche Wirtschaftspolitik, obwohl diese unter Wirtschaftsminister Otto Schedl keineswegs an Bedeutung verlor.133 Zugleich war Ehard 1961 und 1962 Präsident des Bundesrats. Auch während seiner vierten Regierung wurde keine politische Abteilung in der Staatskanzlei eingeführt, sodass die Tätigkeit der Behörde insbesondere koordinierend war und weniger im Zeichen der Richtlinienkompetenz des Ministerpräsidenten stand. Franz Heubl, seit 1958 Vorsitzender der CSU-Landtagsfraktion, wurde unter Ehard als Staatssekretär zum Leiter der Staatskanzlei. Er nutzte die Möglichkeiten, um seine Machtposition als Leiter zu verstärken. So wurde 1960 das Informationsund Presseamt der Staatskanzlei direkt dem Staatssekretär unterstellt.134 Außerdem geht aus einem internen Schreiben von Heubl an die Staatskanzlei hervor, dass er sich selbst ab April 1961 Aufgaben im Bereich der Bundespolitik, in der Geschäftsverteilung sowie die Dienstaufsicht über den Bayerischen Bevollmächtigten beim Bund und über die Mitglieder des Landespersonalausschusses vorbehielt.135 Im Gegensatz zu seinem Vorgänger Baer wollte sich der politisch ambitionierte Heubl nicht mit der Aufsichtsfunktion der Staatskanzlei zufrieden geben und benutzte seine Stelle als politisches Sprungbrett Richtung Bonn.136 Währenddessen blieb Baer für die Überwachung der Geschäftsgänge sowie für die Koordinierung der Abteilungen zuständig, sodass Heubl seine Hände für die politischen Angelegenheiten frei hatte.137 Eine andere grundlegende Veränderung war die Integration des Landespersonalausschusses als neue vierte Abteilung. Dieser hatte bereits seit 1947 als Generalsekretariat des Landespersonalamts unter Aufsicht des Ministerpräsidenten und der Staatskanzlei existiert und wurde nach dem Inkrafttreten des neuen Bayerischen Beamtengesetzes am 1. September 1960 direkt in der Staatskanzlei untergebracht.138 133 Vgl. Gelberg, Kriegsende, in: Schmid (Hrsg.), Neues Bayern, S. 851. 134 BayHStA, StK 15944, Geschäftsverteilungsplan der Bayerischen Staatskanzlei, 1. Februar 1960, S. 3. 135 BayHStA, StK 15945, Schreiben von Franz Heubl, Betreff: Geschäftsverteilungsplan der Bayerischen Staatskanzlei, 30. März 1961; Geschäftsverteilungsplan der Bayerischen Staatskanzlei mit Änderungsvorschlägen entsprechend dem Entwurf RiW, 1. April 1961, S. 2. 136 Vgl. Claudia Friemberger, Alfons Goppel. Vom Kommunalpolitiker zum bayerischen Ministerpräsidenten, München 2001, S. 176. 137 Dazu wurde ebenfalls an der Stelle des persönlichen Referenten des Ministerpräsidenten ein sogenanntes Präsidialbüro eingerichtet. Dieses Büro sollte sowohl Aufgaben des Ministerpräsidenten als auch des Leiters der Staatskanzlei übernehmen. BayHStA, StK 15945, Geschäftsverteilungsplan der Bayerischen Staatskanzlei, 1. April 1961, S. 3, 5. 138 BayHStA, Bayerisches Landespersonalamt 1, „25 Jahre Bayerns ‚Unabhängige Stelle‘ 1947– 1972“ von Ministerialdirigent Konrad Raumer (Generalsekretär des Bayerischen Landespersonalausschusses), Februar 1972, S. 9 f.

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1963: Beginn einer neuen Phase Alfons Goppel ließ bereits 1963 kurz nach seiner Ernennung zum Ministerpräsidenten wesentlich neue Organisationskonzepte für die Staatskanzlei entwickeln.139 Unter seiner Leitung begann für die Organisation und Wirkungsmacht der Behörde in der Nachkriegszeit eine neue Phase. Hatte der Strukturwandel in Bayern vom Agrar- zum Industriestaat bereits 1957 unter dem Wirtschaftsexperten und ehemaligen Wirtschaftsminister (1947–1954) Hanns Seidel angefangen, wobei sich im Vergleich zu den Vorgängerregierungen ein Wandel zum Primat der Wirtschaftspolitik140 vollzog, so wurde er zwischen 1962 und 1978 unter Goppels Leitung fortgesetzt und abgeschlossen. Goppel, der auf keinen der CSU-internen Flügel festgelegt war, inhaltlich jedoch dem konservativ-katholischen „Petrakreis“141 um Alois Hundhammer näher als dem evangelisch-liberalen Flügel um Finanzminister Rudolf Eberhard stand, gelang es, dem Amt des Ministerpräsidenten einen neuen Inhalt zu geben. So wurde er dank einer Konsenspolitik, welche die CSU in den 1960er und 1970er Jahren zu einer auf breite Akzeptanz gestützten Querschnittspartei formte, auf Dauer in Bayern als „Landesvater“ wahrgenommen, der „Kontinuität im Wandel“ verkörperte und zu einer Verstärkung der bayerischen Identität beitrug.142 Im Gegensatz zu seinen Amtsvorgängern, ausgenommen Hanns Seidel, scheute er sich dabei nicht, seine Richtlinienkompetenz als Ministerpräsident für sich in Anspruch zu nehmen und die Staatskanzlei dabei als Instrument einzusetzen. Zugleich benutzte er wie keiner seiner Vorgänger seine Regierungserklärungen im Bayerischen Landtag.143 Dabei entschied er selbst über die zentralen Betätigungsfelder der Staatsregierung, während die Fachminister ihre Vorstellungen in diese Leitlinie einzufügen hatten. Ein Schwerpunkt seiner Politik stellte in den 1960er Jahren die Wirtschaftspolitik dar. Zugleich verteidigte er die bayerischen föderalistischen Interessen, die sich in den 1960er Jahren insbesondere auf den Gebieten der Kultur- und Finanzpolitik in der Defensive befanden, ge-

139 Vgl. für diese Konzepte und die Organisationspläne aus der Regierungszeit von Goppel: BayHStA, StK 15945, 15946. 140 Auch Seidel hielt am Föderalismus als Staatsprinzip der Vorgängerregierungen fest, betrachtete den jedoch insbesondere unter ökonomischen Gesichtspunkten. 141 Beim „Petrakreis“ handelte es sich um eine informelle, konservativ-katholische Gesprächsrunde um Alois Hundhammer, bei der neben Parteimitgliedern auch oft Journalisten und Beamte anwesend waren. Die Runde wurde nach dem Hotel ernannt, in dem die Treffen stattfanden. Vgl. März, Landesvater, S. 87; Gelberg, Kriegsende, in: Schmid (Hrsg.), Neues Bayern, S. 861. 142 Vgl. März, Landesvater, S. 95–99. Zit. nach Gelberg, Kriegsende, in: Schmid (Hrsg.), Neues Bayern, S. 860. 143 Vgl. Gelberg, Kriegsende, in: Schmid (Hrsg.), Neues Bayern, S. 862.

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genüber dem Bund und ergriff zugleich, zur Unzufriedenheit von Adenauer, die Initiative zu einer bayerischen Europapolitik.144 So wurde die Staatskanzlei unter Goppel um die Abteilung „Richtlinien der Politik“ erweitert, was für die Durchsetzung von Goppels Politik von großer Bedeutung war und zugleich eine längerfristige politische Planung ermöglichte. Um diese Abteilung zu unterstützen, wurde darüber hinaus zum gleichen Zeitpunkt das Konzept für ein „politisches Büro beim Ministerpräsidenten“ entwickelt. Im Konzept hieß es, „das politische Büro soll dem Ministerpräsidenten bei der Festlegung der Richtlinien der Politik und der langfristigen Planung unterstützen. Seine Hauptaufgabe ist es, außerhalb der Belastung durch Tagesgeschäfte und termingebundene Verwaltungsvorgänge, die politischen Erfordernisse zu erforschen und Programme für die zukünftige Gestaltung der Landespolitik zu entwickeln. Dabei ist die Verbindung zur wissenschaftlichen Forschung zu pflegen. Deren Ergebnisse sollen für die praktische politische Anwendung durchgearbeitet werden. Das politische Büro beschäftigt sich vor allem mit Themen und Methoden, deren Bearbeitung durch den normalen Verwaltungsapparat nicht möglich ist“.145 Obwohl dieses Büro, höchstwahrscheinlich, zu keinem Zeitpunkt zustanden gekommen ist, zeigt das Konzept, welche Priorität die Richtlinien der Politik und die politische Abteilung für Goppel hatten.146 Eine ebenfalls wichtige Veränderung dazu war, dass in dieser Abteilung Referenten aus den jeweiligen Ministerien arbeiteten, die in der Regel nach einigen Jahren wieder zurück in die Ministerien wechselten, sodass die Staatskanzlei sich organisatorisch zunehmend zu einem Spiegel der bayerischen Ministerialverwaltung entwickelte.147 Dies führte in der Praxis zu einem fortdauernden Zuwachs von Aufgaben und Personal, sodass die Staatskanzlei am Ende von Goppels Regierungszeit wesentlich größer als am Anfang war.

144 Vgl. ebenda, S. 864. Für die bayerische Europapolitik zwischen 1945 und 1979 vgl. Alexander Wegmaier, „Europäer sein und Bayern bleiben“. Die Idee Europa und die bayerische Europapolitik 1945–1979, München 2018. Vgl. auch Ludwig Huber (Hrsg.), Bayern, Deutschland, Europa. Festschrift für Alfons Goppel, Passau 1975. 145 Als Hauptamtliches Personal hatte der Verfasser Emil Kroher einen Soziologen, Psychologen, Historiker, Volkswirtschaftler und Politikwissenschaftler vorgesehen. BayHStA, StK 15945, Entwurf für ein politisches Büro beim Ministerpräsidenten von Dr. Emil Kroher, ohne Datum, S. 1. 146 Das politische Büro taucht nur als Konzept auf, ist jedoch in den Geschäftsverteilungsplänen aus Goppels Regierungszeit nicht auffindbar: Ebenda, Geschäftsverteilungsplan der Staatskanzlei, 1. März 1963. 147 Vgl. Kruis, Bayerische Staatskanzlei, S. 167 f.

4.4 Organisationskultur in der Prinzregentenstraße 7



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Abb. 10: Ministerpräsident Alfons Goppel (2. v. l.) trifft sich 1965 mit seinen Amtsvorgängern Hans Ehard (l.), Wilhelm Hoegner (2. v. r.) und Fritz Schäffer (r.)

4.4 Organisationskultur in der Prinzregentenstraße 7 Obwohl die verfassungsrechtliche Grundlage und die Organisationsstrukturen von großer Bedeutung für den institutionellen Zusammenhalt der Staatskanzlei waren, sagen sie zunächst noch wenig über deren Kultur – über die „institutionelle Wirklichkeit“ – aus.148 „Fragen der Verwaltungsorganisation sind wichtig. Wichtiger aber sind die Menschen, die den komplizierten Mechanismus in Gang setzen und wirksam werden lassen“, schrieb 1966 der Leiter der Staatskanzlei, Fritz Baer, dazu.149 Personen, Arbeitswege, Aufgaben, Umgangsformen und Hierarchien bildeten ein interdependentes Gebilde, das durch die räumlichen Gegebenheiten zusammengehalten und geprägt wurde. Somit soll nun der Blick auf die behördliche Praxis gerichtet werden, im Sinne einer kulturgeschichtlichen Institutionsgeschichte. Dabei stehen zwei Elemente im Mittelpunkt: die Raumsituation in der Be-

148 Löffler, Moderne Institutionsgeschichte, in: Kraus/Nicklas (Hrsg.), Geschichte der Politik, S. 168. 149 Baer, Verwaltung, in: Kroher (Hrsg.), Nach 20 Jahren, S. 69.

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hörde, die den Arbeitsalltag des Personals wesentlich prägte, sowie das Selbstverständnis und die Mentalität der leitenden Beamten.

Die Raumsituation Es ist etwas ironisch, dass die Staatskanzlei nach dem Krieg ausgerechnet in das Gebäude zog, das am Anfang des 20. Jahrhunderts speziell für die Preußische Gesandtschaft in München erbaut wurde.150 Während der NS-Zeit war der Standort der Staatskanzlei das Palais Montgelas am Promenadenplatz gewesen, das vor 1933 bereits als Dienstsitz für das Ministerium des Äußern gedient hatte. Durch Bombardements am Ende des Zweiten Weltkriegs musste die Staatskanzlei jedoch umziehen und wich in das Gebäude in der Prinzregentenstraße 7 aus, wo sich während der NS-Zeit der Dienstsitz des Reichsstatthalters Ritter von Epp befunden hatte.151 Obwohl das Gebäude die Bombardements im Krieg insgesamt relativ gut überstanden hatte, waren die Innenräume am Kriegsende durch Bombenschaden schwerbeschädigt.152 Aus einem Schreiben von Fritz Schäffer an die Militärregierung im Juli 1945 geht hervor, dass das Landbauamt München unter Zeitdruck trotz des Materialmangels den Dachstuhl sowie die Türen, Fenstern, Rollläden und Fußböden der Staatskanzlei zu reparieren versuchte.153 Zudem mussten die Telefon-, Klingel-, Licht-, Starkstrom- und andere Versorgungsleitungen in den einzelnen Räumen des Gebäudes repariert oder neu angelegt werden. Das Gebäude war zwar am Kriegsende noch da, es war jedoch lediglich begrenzt funktionsfähig. Vor diesem Hintergrund waren die dortigen Arbeitsumstände in der Nachkriegszeit nicht optimal. Noch im Oktober und November 1945 war es dem Landbauamt nicht gelungen, die meisten kaputten Fenster und Türen zu ersetzen, sodass wegen des vorstehenden Winters eine ernsthafte Beeinträchtigung des Dienstbetriebs drohte.154 Darüber hinaus funktionierte zu Beginn des Winters 1945/46 das Heizungssystem nicht, was die Arbeit des Personals ebenfalls wesentlich erschwerte.155 Problematischer auf die Dauer war aber, dass die Räume in der Staatskanzlei in der Regel klein waren, sogar die des Leiters der Staatskanzlei so150 Martin Rehm, Nur der preußische Adler blieb…Öffentliche Münchener Gebäude (II): Der Amtssitz der bayerischen Staatskanzlei, in: Süddeutsche Zeitung, 19./20. Mai 1962, S. 12. 151 Vgl. Grau, Reichsstatthalter in Bayern, in: Rumschöttel/Ziegler (Hrsg.), Staat und Gaue, S. 144. 152 Siehe dazu die unterschiedlichen Schreiben von Fritz Schäffer aus Juli 1945 in: BayHStA, StK 16015. 153 Ebenda, Fritz Schäffer an die Militärregierung für Bayern, Betreff: Diensträume des Herrn Ministerpräsidenten, 19. Juli 1945. 154 Ebenda, Anton Pfeiffer an das Arbeitsamt, 18. Oktober 1945. 155 Vgl. Herwarth, Von Adenauer, S. 17.

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wie des Ministerpräsidenten, und viele Möbel und Schreibtische in der Nachkriegszeit bereits veraltet waren.156 So berichtete die Süddeutsche Zeitung noch 1962 im Rahmen einer Themenreihe, dass in der Staatskanzlei Schreibtische aus der Zeit vor dem Ersten Weltkrieg keine Ausnahme waren.157 Außerdem herrschte vom Anfang an nach dem Krieg in der Behörde Platzmangel, was Anfang der 1960er Jahre durch den starken Zuwachs von Personal einen vorläufigen Höhenpunkt erreichte.158 Ebenfalls geht aus „vertraulichen“ Dokumenten von 1951 aus dem Nachlass von Karl Schwend hervor, dass die Raumverteilung des Gebäude Sicherheitsrisiken mit sich brachte. So kam es in den Nachkriegsjahren wiederholt vor, dass sich Besucher, die zu den Abteilungsleitern oder Referenten im zweiten Stockwerk wollten, unangemeldet Zugang zum Vorzimmer des Ministerpräsidenten im ersten Stockwerk verschaffen konnten.159 Daneben stellte sich das Gebäude als ungeeignet für größere Empfänge, zum Beispiel bei Staatsbesuchen von ausländischen Regierungsvertretern, heraus.160 Aus diesem Grund benutzte Ministerpräsident Goppel ab 1968 das von der Staatskanzlei nur wenige Meter entfernte Prinz-Carl-Palais als Dienstsitz für Repräsentationszwecke. Zur Beseitigung des Platzmangels bekam die Staatskanzlei bereits in der zweiten Hälfte der 1940er Jahre Räume im Nachbarhaus in der Prinzregentenstraße 5 zugeteilt.161 Während sie dieses Gebäude in den 1940er und 1950er Jahren unter anderem mit dem Innenministerium teilte, übernahm sie das Gebäude wegen des starken personellen und institutionellen Zuwachses 1967 vollständig.162 156 Vgl. Martin Rehm, Nur der preußische Adler blieb…Öffentliche Münchener Gebäude (II): Der Amtssitz der bayerischen Staatskanzlei, Süddeutsche Zeitung, 19./20. Mai 1962, S. 12. 157 Vgl. Ebenda. 158 Um andere bayerische Behörde 1945 und 1946 wegen des Platzmangels zu unterstützen, stellte die Staatskanzlei Räume in der Prinzregentenstraße 7 zur Verfügung. So befanden sich im Februar 1946 in 12 bis 15 Räume Referenten aus dem Innenministerium in der Staatskanzlei. Dies setzte den eigenen Dienstbetrieb unter Druck. Siehe: BayHStA, StK 16015, Anton Pfeiffer an Staatsminister des Innern Josef Seifreid, 4. Februar 1946. 159 Dabei war das Problem nicht nur, dass sie unterwegs am Zimmer des Ministerpräsidenten vorbeikamen, sondern ebenfalls, dass sie von den Pförtnern unbeaufsichtigt hochgeschickt wurden, ohne den betroffenen Abteilungsleitern oder Referenten Bescheid zu geben. Auch konnten Besucher, die mit dem Grundriss vertraut waren, über den Eingang im Hinterhof Zugang zum gesamten Haus bekommen. Deswegen schlug der Referent Kellner im November einige Sicherheitsveränderungen vor. Siehe dazu: StaBi, Ana 308 33, Vormerkung, Betreff: Sicherheit der Bayerischen Staatskanzlei, 30. November 1951. 160 Vgl. ebenda; H. A., Der Tag des Ministerpräsidenten. Ein Schreibtisch, der nie leer wird/ Dienstreisen, Staatsbesuche und Sorge, in: Süddeutsche Zeitung, 7. Februar 1948, S. 3. 161 BayHStA, StK 16015, Bayerisches Staatsministerium des Innern an die Staatskanzlei, 18. Januar 1950. 162 BayHStA, StK 16018, Niederschrift über die Übergabe des Gebäudes Prinzregentenstraße 5 in die Verwaltung der Bayer. Staatskanzlei, 6. November 1967 (unterschrieben von Jaquet). Dabei

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Hier befand sich bereits seit 1960 unter anderem die Dienststelle des Landespersonalausschusses.

Abb. 11: Zuschauer vor der Staatskanzlei in der Prinzregentenstraße 7 beim Staatsbesuch des Bundespräsidenten Theodor Heuss im Oktober 1949

Erst am 6. Mai 1993 zog die Staatskanzlei unter Ministerpräsident Edmund Stoiber in das heutige, wesentlich größere Gebäude am Franz-Josef-Strauß-Ring 1 in Münwurden von der Prinzregentenstraße 5 direkte Durchgänge zum zweiten und dritten Stockwerk der Staatskanzlei geschaffen. Dies war insbesondere relevant für die Geschäftsstelle des Landespersonalausschusses, die vollständig in die Prinzregentenstraße 5 zog und sich dort über die unterschiedlichen Stockwerke verteilte. Vgl. ebenda, Vormerkung Betreff: Belegung der Räume im staatlichen Anwesen Prinzregentenstraße 5 durch Angehörige der Staatskanzlei nach dem Auszug der derzeit dort untergebrachten Bediensteten des Bayer. Staatsministeriums für Arbeit und soziale Fürsorge, 25. Juli 1966.

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chen. Der Neubau entstand zwischen 1989 und 1993 weniger als ein Kilometer vom alten Gebäude entfernt an der Stelle, wo sich zwischen 1905 und 1945 das Bayerische Armeemuseum befunden hatte. Dessen Gebäude wurde am Ende des Zweiten Weltkriegs durch alliierte Bombardements schwer beschädigt. Nach dem Krieg stand lediglich noch der mittlere Kuppelbau, die beiden Flügel waren großenteils zerstört. Am 6. Februar 1962 entschied sich der Bayerische Ministerrat zu einem Neubau der Staatskanzlei. Der Anstoß dazu wurde mit zwei Anträgen im Bayerischen Landtag gegeben. Am 23. März 1961 stellte Wilhelm Hoegner mit seiner SPDFraktion im Bayerischen Landtag den Antrag, im Rahmen der Neugestaltung des Bayerischen Armeemuseums ein „Haus der Bayerischen Geschichte“ zu errichten. Daraufhin stellte die Bayernpartei am 4. Mai 1961 den Antrag, dessen Errichtung mit einem Neubau der Staatskanzlei zu verbinden. Somit wurde das Schicksal vom Haus der Bayerischen Geschichte mit dem der Staatskanzlei verbunden. Nachdem zwischen 1945 und 1960 verschiedene Pläne für einen (teilweisen) Wiederaufbau des Gebäudes des Armeemuseums im Sande verliefen, sollte an dieser Stelle nun ein Gebäude für sowohl die Staatskanzlei als auch für das Haus der Bayerischen Geschichte entstehen. 1968 entschied der Ministerrat sich jedoch gegen die ursprünglichen Pläne und es wurde die Möglichkeit erkundet, im Finanzgarten ein neues Gebäude neben dem Prinz-Carl-Palais zu bauen. Weil diese Pläne bau- und sicherheitstechnisch nicht realisierbar waren, trieb der Bayerische Ministerpräsident Franz-Josef Strauß (1978–1988) ab 1980 den ursprünglichen Plan voran. 1982 gewann das Architektenteam Diethard J. Siegert und Reto Gansser den Architektenwettbewerb. Voraussetzung für die Entwürfe war der Erhalt des Kuppelbaus, der im Entwurf integriert werden sollte. Weil die Stadt und die Staatsregierung sich jedoch über die Baupläne nicht einigen konnten, dauerte es bis 1989, ehe mit den Bauarbeiten angefangen werden konnte. Bei der Realisierung der Staatskanzlei wurde der ursprüngliche Plan, das Haus der Bayerischen Geschichte im gleichen Gebäude unterzubringen, schließlich aufgegeben.163 Der Arbeitsalltag in der Prinzregentenstraße 7 richtete sich nach den vier Stockwerken (Erdgeschoss und drei Obergeschossen) des relativ kleinen Gebäudes, die eine gewisse personelle Hierarchie abbildeten. Im Erdgeschoss befand sich vom Eingang aus gesehen auf der linken Seite eine kleine Zahl an Zimmern, darunter das vom Protokollchef des Ministerrats. Eine majestätische Treppe führte in das erste Stockwerk, wo sich (von der Treppe aus gesehen) rechts das Zimmer des Leiters der Staatskanzlei und links das fast doppelt so große Zimmer des Mi163 Vgl. Achim Fuchs, Vom Armeemuseum zur Staatskanzlei, Regensburg 2005, S. 26–36. Zur Entstehungsgeschichte vom Haus der Bayerischen Geschichte vgl. Vollhardt, Geschichtspolitik im Freistaat. Eine umfangreiche Sammlung Zeitungsartikel zu den Neubauplänen der Staatskanzlei befindet sich in: StdA München, DE-1992-ZA-13664 Staatsregierung – Bayerische Staatskanzlei.

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nisterpräsidenten befanden.164 Von den beiden Zimmern aus schaute man direkt auf die Prinzregentenstraße. Die beiden Zimmer wurden von jeweils einem Vorzimmer für die persönlichen Referenten und die Sekretärinnen voneinander getrennt. Diese Räumlichkeiten im ersten Stock dienten als Treffpunkt für die Referatsleiter mit dem Leiter der Staatskanzlei sowie dem Ministerpräsidenten.165 In diesem Stockwerk befand sich ebenfalls versteckt in einem Hinterzimmer die Treppe zum „Lokuszimmer“. Ein separates Treppenhaus mit eigenem Eingang führte in das zweite und dritte Stockwerk. Im zweiten Stockwerk befanden sich die Büros der meisten Abteilungs- und Referatsleiter sowie ein Teil der weiteren Beamten und des unterstützenden Personals.166 Im dritten Stockwerk arbeiteten weitere Beamte und es befanden sich dort auch die Arbeitsplätze des unterstützenden Personals, so auch die vielen weiblichen Schreibkräfte.167 Obwohl sich der Leiter der Staatskanzlei und der Ministerpräsident einerseits und die Abteilungs- und Referatsleiter anderseits in getrennten Stockwerken befanden, waren die Arbeitswege in der Behörde kurz, sodass die leitenden Beamten schnell in den ersten Stock bestellt werden konnten, um sich zu den von ihnen bearbeiteten Sachgebieten zu äußern.168 Dies funktionierte jedoch nicht immer: So geht beispielsweise aus Pfeiffers Notizen von 1948 hervor, dass der Leiter der Staatskanzlei sowie der Ministerpräsident nicht immer genau im Blick hatten, was sich im zweiten Stockwerk abspielte und womit das Führungspersonal in wessen Auftrag beschäftigt war.169 Dennoch trug die Kombination eines kleinen Gebäudes mit einem relativ kleinen Personalbestand, der 1945 bei etwa 49 und 1962 bei etwa 112 Personen lag, stark zur inneren Kohäsion der Behörde bei, und unterschied sich so von wesentlich umfangreicheren Ministerien. Während sich in den umfangreicheren bayerischen Ministerien, in deren Geschäftsbereichen hunderte, in einigen Fällen selbst tausende Personen beschäftigt wurden, und ab 1949 verstärkt in den Bundesministerien oft unterschiedliche Abteilungskulturen herausbildeten,

164 Für die Raumverteilung in der Staatskanzlei siehe: BayHStA, StK 16017, Prinzregentenstraße 7, 1. Obergeschoss, Landbauamt München, Juli 1946. 165 So erklärte Werner Buchner in einem Gespräch mit dem Autor am 23. Juli 2019. 166 BayHStA, StK 16017, Prinzregentenstraße 7, 2. Obergeschoss, Landbauamt München, 25. Juni 1945. 167 Die folgenden Akten enthalten Raumplanungen der Staatskanzlei aus der direkten Nachkriegszeit: BayHStA, StK 15937, 15939. Hilfreich ist außerdem eine „Weihnachtszeitung“ aus der Staatskanzlei aus dem Jahre 1947. Darin sind über einige Personen aus der Staatskanzlei Reime aufgenommen, die oft aussagten, wo die Betroffenen ihren Schreibtisch stehen hatten: BayHStA, NL Anton Pfeiffer 71. 168 Vgl. H. A., Der Tag des Ministerpräsidenten. Ein Schreibtisch, der nie leer wird/Dienstreisen, Staatsbesuche und Sorge, in: Süddeutsche Zeitung, 7. Februar 1948, S. 3. 169 BayHStA, NL Anton Pfeiffer 540, Notiz vom 1. Januar 1948, S. 1.

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gibt es keine Hinweise darauf, dass dies in der Staatskanzlei auch der Fall war.170 Vielmehr verstanden sich die leitenden Beamten, die hauptsächlich im zweiten Stock nur ein Zimmer voneinander entfernt arbeiteten, als eine Gruppe von Fachexperten. Der Leiter einer Abteilung war oft zugleich stellvertretender Leiter einer anderen Abteilung und umgekehrt, was sich in der Raumplanung der Staatskanzlei niederschlug. Dabei spielte direkt nach dem Krieg der Personalmangel eine große Rolle, wie aus den Memoiren von Herwarth hervorgeht: „Die Arbeitsteilung in einer personell so schwach ausgestatteten Behörde wie der Staatskanzlei war verständlicherweise nicht so streng, wie das heute [1990, RT] der Fall ist.“171 Dennoch hatten die Fachexperten freilich alle ihre eigenen Fachbereiche und Spezialisierungen. Die innere personelle Kohäsion sowie das Arbeitsklima sind exemplarisch aus einer achtseitigen „Weihnachts-Zeitung der Bayerischen Staatskanzlei“ vom Dezember 1947 erkennbar.172 Wer die Zeitung innerhalb der Staatskanzlei verfasst hat, ist unklar. Die freie und offene Schreibweise in Kombination mit dem gut informierten Überblick lässt jedoch vermuten, dass es sich um einen gut vernetzten Mann aus der Führungsebene handelte (möglicherweise unterstützt von weiteren Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern). Die Zeitung kombinierte satirische und scherzende mit wertschätzenden Elementen und fing mit einem kurzen Gedicht über die gesamte Staatskanzlei an. Anschließend folgten individuelle Gedichte über etwa 40 Personen – ein erheblicher Bestandteil des damaligen Personalbestandes. Dabei fällt auf, dass Gedichte mit persönlichen Details sowohl über den Ministerpräsidenten und Leiter als auch über die Abteilungsleiter, Sachbearbeiter, Schreibkräfte und Fahrer verfasst wurden. Für ein Ministerium wäre es wegen der hohen Beschäftigtenzahl praktisch unmöglich gewesen, eine vergleichbare Zeitung zu verfassen, höchstens vielleicht für eine individuelle Abteilung. Der Verfasser wollte die Weihnachtsfeier als Anlass nehmen, um so viel wie möglich Personen und ihre Arbeit spielerisch zu beleuchten und – „je nachdem wie sie sich betragen“ – zu würdigen.173 Zugleich bot sie die Möglichkeit, die interne Kohäsion sowie die Identität der Behörde zu verstärken. Obwohl die Zeitung lediglich eine Momentaufnahme darstellt, bestätigt ihr Inhalt den Eindruck, dass es sich bei der Staatskanzlei um eine kleine und intern gut vernetzte Behörde handelte, in der sich das 170 Vgl. exemplarisch Bernhard Löffler, Personelle und institutionelle Strukturen des Bundeswirtschaftsministeriums 1945/1949 bis 1990, in: Werner Abelshauser (Hrsg.), Das Bundeswirtschaftsministerium in der Ära der Sozialen Marktwirtschaft. Der deutsche Weg der Wirtschaftspolitik, Bd. 4, München, Wien 2016, S. 95–192, hier S. 177–186. 171 Herwarth, Von Adenauer, S. 18. 172 BayHStA, NL Anton Pfeiffer 71, Weihnachts-Zeitung der Bayerischen Staatskanzlei, Dezember 1947. 173 Ebenda, S. 2.

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Abb. 12: Umschlag der Weihnachtszeitung der Staatskanzlei vom Dezember 1947

Personal weniger als Teil einer spezifischen Abteilung, sondern vielmehr als Teil der „Staatskanzlei“ verstand und viele Personen sich im Arbeitsalltag regelmäßig auf dem Flur begegneten. Wenn die Personen sich schon einer Gruppe zugehörig fühlten, dann vielmehr den Kollegen und Kolleginnen im gleichen Stockwerk als denjenigen einer spezifischen Abteilung.174 Obwohl das Klima zwischen 1945 und 1962 freilich immer in Bewegung war, geht aus einem Artikel aus der Fränkischen Tagespost vom Januar 1961 hervor, dass die innere Kohäsion in der Behörde nach wie vor sehr groß und typisch für die Staatskanzlei war: „Der geringe Umfang der 174 In der Weihnachts-Zeitung wird nicht auf Zugehörigkeit zu einer Abteilung hingewiesen, sondern bei manchen Personen wird lediglich erwähnt, in welchem Stockwerk sie arbeiteten. Siehe beispielsweise die Gedichte über Frau Stocker und Ministerialrat Baer auf S. 4.

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Staatskanzlei hat einen großen Vorteil. Hier kommt jeder täglich mit dem anderen in Verbindung. Alles ist aufeinander eingespielt und greift ineinander. Team-Work wird hier täglich in Reinkultur praktiziert, ganz von selbst. Das ist auch bitter nötig, denn in diesem Haus laufen alle Fäden der bayerischen Politik zusammen.“175

Selbstverständnis des Berufsbeamtentums Neben der behördlichen Raumsituation kombiniert mit dem überschaubaren Umfang des Personalbestandes prägte das elitäre Selbstverständnis des Führungspersonals die Organisationskultur der Staatskanzlei. Zumindest bis zum Generationswechsel Mitte der 1960er Jahre wurde dieses Selbstverständnis noch stark von den idealisierten Vorstellungen über das Berufsbeamtentum aus der Zeit der Monarchie geprägt. Zuerst verstanden sich die meisten führenden Beamten nach dem Zweiten Weltkrieg als unpolitische Fachexperten in der Tradition des höheren deutschen Berufsbeamtentums. Dies war allerdings keine Besonderheit der Staatskanzlei, sondern galt für große Teile der bayerischen und ab 1949 bundesdeutschen Ministerialverwaltung.176 Nimmt man die Abteilungs- und Referatsleiter in der Staatskanzlei in den Blick, dann handelte es sich hier in der Regel nach 1945, und erst recht ab 1950, im Sinne des „Juristenmonopols“ um akademisch ausgebildete Juristen, von der die ältere Generation bereits vor 1945 im höheren Verwaltungsdienst gearbeitet hatte. Sie waren durch ihre Ausbildung sowie Verwaltungserfahrung für die Leitung der Abteilungen sowie die Bearbeitung eines Sachgebietes besonders qualifiziert und nahmen sich selbst darüber hinaus als besonders qualifiziert wahr, was zu ihrem elitären Selbstverständnis beitrug.177 Sie verstanden sich in den meisten Fällen, so geht aus den Personalakten hervor, beispielsweise als Experten auf den Sachgebieten der bayerischen Innen- und Außenpolitik, bayerischen Gesetzgebung, Bundesgesetzgebung sowie Kulturpolitik. Neben der größeren Zahl an Spezialisten, gab es insbesondere auf der Ebene der Abteilungsleiter ebenfalls eine kleine Zahl an Generalisten, die sich, wegen der Koordinierungsfunktion der Staatskanzlei, mit vielen unterschiedlichen Themen beschäftigen mussten. Darunter war auch der Leiter der Staatskanzlei im Rang eines Ministerialbeamten (nicht als Staatssekretär).178 175 Hilde Balke, ‚Die Staatskanzlei ohne graue Eminenz‘, Fränkische Tagespost, 28. Januar 1961. Artikel überliefert in: BayHStA, StK 15939. 176 Vgl. Günther/Maeke, Unpolitischer Beamter, in: Bösch/Wirsching (Hrsg.), Hüter der Ordnung, S. 263–272. 177 Vgl. ebenda, S. 263. 178 Im Gegensatz zu anderen deutschen Ländern stellen die Staatssekretäre in Bayern nicht die höchsten Beamten des höheren Diensts dar. Die Staatssekretäre stehen nach der Bayerischen

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Zu der Berufsauffassung der Beamten gehörte zugleich ihre Loyalität zum Staat, bürokratische Zuverlässigkeit sowie obrigkeitsorientierte Dienstwilligkeit.179 Außerdem war dabei entscheidend, dass sie aus ihrer rechtspositivistischen Einstellung ihre Tätigkeit „rein sachbezogen, gemeinwohlorientiert und unpolitisch“ unabhängig von parteipolitischen Präferenzen deuteten.180 Darüber hinaus fühlten sich die Ministerialbeamten im Sinne des Etatismus dem bayerischen Staat als „einer von den konkreten politischen Rahmenbedingungen abstrahierten und idealisierten Ordnungsvorstellung“ verbunden.181 Sie dienten dem Staat, jedoch nicht notwendigerweise dem „Staatsgeist“ (der Staatsform).182 Somit versteckten sich nach 1945 hinter der staatsneutralen Fassade des deutschen Berufsbeamtentums, wie es bereits während der Weimar Republik der Fall gewesen war, oft Vorbehalte, Skepsis oder sogar radikale Ablehnung gegenüber dem politischen System.183 Die staatsneutrale Haltung der Beamtenschaft führte somit nicht zu einer politisch-weltanschaulichen Neutralität. Damit wich die wesentliche Grundeinstellung zum Staat in Bayern nicht ab von den Ministerialbeamten in anderen deutschen Regionen184 sowie in der ehemaligen Reichs- und in der Nachkriegszeit neu entstehenden Bundesministerialverwaltung.185 Ein wichtiges, weiteres allgemeines Element, dass das Arbeitsethos der Beamten nach 1945 prägte, war dessen Herleitung aus der Geschichte. Orientierungspunkt in Bayern war dabei insbesondere die Ministerialverwaltung des Bayerischen Königreichs, so wie die Beamten der Verfassung im gleichen öffentlich-rechtlichen Verhältnis wie die Minister. Stattdessen sind die Ministerialdirektoren die höchsten Beamten in den Ministerien. Vgl. Bayerischer Landtag, 16. Wahlperiode, Drucksache 16/17047, 3.7.2013, Schriftliche Anfrage des Abgeordneten Florian Streibl Freie Wähler vom 30.4.2013, https://www1.bayern.landtag.de/www/ElanTextAblage_WP16/Drucksachen/Schriftliche%20Anfragen/16_0017047.pdf [17. Februar 2023]. 179 Vgl. Schönhoven, Politischer Katholizismus, in: Broszat/Mehringer (Hrsg.), Die Parteien, S. 618. 180 Günther/Maeke, Unpolitischer Beamter, in: Bösch/Wirsching (Hrsg.), Hüter der Ordnung, S. 268. 181 Ebenda. 182 Dazu vgl. Forstner, Beamte, S. 33 f. 183 Michael Ruck, Die Tradition der deutschen Verwaltung, in: Anselm Doering-Manteuffel (Hrsg.), Strukturmerkmale der deutschen Geschichte des 20. Jahrhunderts, Berlin 2006, S. 95– 108, hier S. 98 f. 184 Vgl. Forstner, Beamte, S. 34; Schönhoven, Politischer Katholizismus, in: Broszat/Mehringer (Hrsg.), Die Parteien, S. 618; Ruck, Korpsgeist; Michael Ruck, Administrative Eliten in Demokratie und Diktatur. Beamtenkarrieren in Baden und Württemberg von den zwanziger Jahren bis in die Nachkriegszeit, in: Sven Reichardt/Wolfgang Seibel (Hrsg.), Der prekäre Staat. Herrschen und Verwalten im Nationalsozialismus, Frankfurt am Main 2011, S. 37–69; Rauh/Ruck (Hrsg.), Regionale Eliten. 185 Vgl. Günther/Maeke, Unpolitischer Beamter, in: Bösch/Wirsching (Hrsg.), Hüter der Ordnung, S. 263–272.

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Bundesministerialverwaltung sich an der Reichsverwaltung des Deutschen Kaiserreichs orientierten.186 In der Staatskanzlei stand Fritz Baer exemplarisch für diese Berufsauffassungen. Zum Beamtentum aus der Zeit des Kaiserreichs schrieb Fritz Baer in der Nachkriegszeit: „Es liegt ein hoher sittlicher Wert in einem recht verstandenen Treueverhältnis des Beamten, wie es vor der Revolution 1918 zum angestammten Herrscherhaus bestand. Die Treue verband den Beamten auch damals nicht allein mit dem Herrscher, sondern auch mit dem Staat. […] Aus dem Treueverhältnis zum Herrscher wird Treueverhältnis zum Staat. Der Beamte fühlt sich nicht nur als Beauftragter seines Herrn, sondern als Beauftragter der Gesamtheit, zum Wohle der Gesamtheit tätig zu werden. Dieses Berufsethos ist wohl eine der sichersten Grundlagen des Berufsbeamtentums.“187 Diese Sätze entstammten einem Artikel des Ministerialbeamten, den er 1949 in Die öffentliche Verwaltung unter dem Titel „Die rechtlichen und sittlichen Grundlagen des Beamtentums“ veröffentlicht hatte. Der Artikel stellte – vor dem Hintergrund der Alliierten Reformversuche – an erster Stelle eine Verteidigung des traditionellen deutschen Berufsbeamtentums dar verbunden mit dem Anliegen, sich über „die rechtlichen und sittlichen Grundlagen des Berufsbeamtentums zu vergegenwärtigen“.188 Fritz Baer sah für die Beamtenschaft eine wichtige Rolle als „Vermittler“: „Ein gesundes, moralisch einwandfreies und fachlich vorgebildetes Berufsbeamtentum ist eine der wichtigsten Gruppen des staatlichen und gesellschaftlichen Lebens. Der Berufsbeamte soll der Vermittler sein zwischen den einzelnen Staatsbürgern und dem Staat und kann zu seinem Teil viel beitragen zur Überbrückung der Gegensätze zwischen Besitz und Nichtbesitz, zwischen individueller Freiheit und gesetzlicher Bindung.“189 Die Vorstellung des Beamten als Vermittler zwischen Staat und Gesellschaft war vor allem ein Produkt der Weimarer Republik. Im Deutschen Kaiserreich nahmen die Beamten sich an erster Stelle als Staatsdiener wahr. Nach der Revolution von 1918 wandelte sich diese Auffassung jedoch unter dem Einfluss der politischen Pluralität des neuen politischen Systems zu einer „demonstrativen Überparteilichkeit“.190 Nach dem Rechtshistoriker Hans Hattenhauer sicherte sich

186 Vgl. ebenda, S. 264. 187 Fritz Baer, Die rechtlichen und sittlichen Grundlagen des Beamtentums, in: Die Öffentliche Verwaltung 2 (1949), S. 65–67, hier S. 66 f. 188 Ebenda, S. 65. 189 Ebenda. 190 Forstner, Beamte, S. 35. Vgl. auch Hans Hattenhauer, Zum Beamtenleitbild des 20. Jahrhunderts, in: Institut für Zeitgeschichte (Hrsg.), NS-Recht in historischer Perspektive, München 1981, S. 109–133, hier S. 123 ff.

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die Beamtenschaft damit bereits während der Weimarer Republik zum Teil die Parteiübergreifende Rolle, die vor 1918 vom Monarchen erfüllt wurde.191 Baer knüpfte bei dieser Vorstellung des Vermittlers an und sah nach 1945 nach wie vor die bayerische Ministerialverwaltung als den wichtigsten, eigenständigen Staatsstand im Freistaat, der mit seiner Sachlichkeit und Neutralität für Bestand und Dauer des bayerischen Staats sorgte: „Dem Beamtenverhältnis eigentümlich ist insbesondere die Pflicht des Beamten zur Treue gegenüber dem Staat. Sie verlangt persönliche Aufopferung im Dienst und wird bekräftigt durch den Diensteid. Das Treueverhältnis verbindet den Beamten ganz besonders mit dem Staat und verpflichtet ihn zum Dienst am Volksganzen; er gehört nicht einer Partei oder Gruppe. Der Beamte hat daher auch kein Streikrecht; er muss seinen Dienst unparteiisch, selbstlos, neutral erfüllen.“192 Zugleich warnte er vor der Gefahr, die von „gesellschaftlichen Mächten und Gruppen“, „wirtschaftlichen Kräften“ sowie „politischen Parteien“ für die Neutralität des Berufsbeamtentums im „Volksstaat“ ausging.193 Vor diesem Hintergrund steckte hinter der vermittelnden Rolle, die Baer für die Beamtenschaft vorsah, zugleich eine gewisse Skepsis über das Funktionieren der parlamentarischen Demokratie. In seinem Artikel schrieb er zwar, in Übereinstimmung mit der Bayerischen Verfassung und dem Bayerischen Beamtengesetz, dass der Beamte „für die demokratische Staatsform einzutreten“ hatte.194 Damit stellte er die parlamentarische Demokratie als Staatsform nicht grundlegend zur Diskussion. Dennoch benötigte es in der Nachkriegszeit eine unpolitische, auf Fachlichkeit bezogene staatstragende Instanz wie die Beamtenschaft, um gegenüber der Pluralität der Demokratie und der Hektik der politischen Parteien und des parlamentarischen Betriebs für staatliche Stabilität zu sorgen.195 Die Beamtenschaft stand somit nicht in der pluralistischen Gesellschaft, sondern diente in der parlamentarischen Demokratie als vermittelnder und verbindender eigenständiger Stand zwischen Gesellschaft und Staat. Damit das Berufsbeamtentum in der Nachkriegszeit seine staatstragende Rolle wieder erfüllen konnte, sollte es sich nach Baer auf die ursprüngliche sittliche Macht eines „aus alten deutschen Anschauungen und dem Christentum stammenden Amtsbegriffs“ kon191 Vgl. Hattenhauer, Beamtenleitbild, in: Institut für Zeitgeschichte (Hrsg.), NS-Recht, S. 123 ff. 192 Baer, Grundlagen des Beamtentums, S. 66. Die gleichen Auffassungen legte Baer 1950 in seinem Beitrag an „Unser Bayern“ dar. Vgl. Fritz Baer, Verwaltungsaufbau im Staat und in den Gemeinden, in: Bayerische Staatskanzlei (Hrsg.), Unser Bayern. Politik, Wirtschaft, Kultur, München 1950, S. 23–24. 193 Baer, Grundlagen des Beamtentums, S. 67. 194 Ebenda, S. 66. Dazu vgl. auch Baer, Verwaltung, in: Kroher (Hrsg.), Nach 20 Jahren, S. 69. 195 Diese Gedanken standen in der Tradition der Staatsrechtslehre aus der Weimarer Republik. Vgl. Hattenhauer, Beamtenleitbild, in: Institut für Zeitgeschichte (Hrsg.), NS-Recht, S. 123 f.

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zentrieren: „Besinnen wir uns wieder auf die Ursprünge des Beamtentums und auf ihre [sic!] Kraft aus den sittlichen Werten, dann wird auch die Berufsarbeit der Beamten zu jener dienenden Einordnung in das Gemeinschaftsleben des Volksganzen werden, die stets eine der stärksten Stütze des deutschen Staates gewesen ist. Mögen daher die Haupttugenden des Berufsbeamtentums bleiben, die es immer gewesen sind: Fleiß, Leistung, Berufstreue, Unbestechlichkeit.“196 Baer war in der Nachkriegszeit keineswegs der einzige Beamte, der diese Ansichten in der Staatskanzlei vertrat. Die Äußerungen von Johannes von Elmenau197, der seit 1946 in der Staatskanzlei als Referent Leiter der Landesdienststelle des Länderrats und der Zweizonenämter und ab 1948 als kommissarischer Bevollmächtigter beim Vereinigten Wirtschaftsgebiet tätig war, gingen in einem Artikel in der Süddeutschen Zeitung von 1947 die gleiche Richtung. Auch von Elmenau leitete das Beamtentum der Nachkriegszeit aus der bayerischen Geschichte her: „Bedeutsamer [als die Wurzeln des Berufsbeamtentums im Frühabsolutismus, RT] ist, dass das heutige Beamtentum in Bayern seine Prägung dem Grafen Montgelas verdankt, der vor knapp 150 Jahren das Bayern der Neuzeit geschaffen hat. Seit Napoleons Tagen ist das Land von Königen und Kabinetten, von Generalstaatskommissaren und Reichsstatthaltern regiert worden, geleitet aber wurde es von einer Beamtenschaft, die in Art einer Zunft nach selbstgewählten Regeln – strenge Prüfungen mit kunstvollem Bewertungssystem – sich ergänzt, alle soziologischen Merkmale einer Gruppe aufweist und von starkem Beharrungsvermögen getragen ist.“198 Auch wenn von Elmenau einräumte, dass das „Spezialistentum“ Schwächen hatte, plädierte er für ein Festhalten am traditionellen Beamtentum und gegen „überstürzte Reformen“: „Worauf gründet sich nun die Stärke des Beamtentums im öffentlichen Leben, seine Unentbehrlichkeit und seine Dauerstellung? Einfach auf die Tatsache seines Spezialistentums. […] Der Leviathan des modernen Staates kann nur von geschulten Steuerleuten gemeistert werden.“ Auch von Elmenau konzedierte, dass die Verwaltung nun im Dienst des Parlaments und der diesem verantwortlichen Regierung stand, sah jedoch, ähnlich wie Baer, im Beamtentum die wichtigste staatstragende Instanz.

196 Baer, Grundlagen des Beamtentums, S. 67. Auch in Baden und Württemberg knüpfte das Beamtentum nach 1945 bei dieser Tradition an. Vgl. Ruck, Korpsgeist, S. 231–256. 197 Von Elmenau wurde während der NS-Zeit als „Halb-Jude“ verfolgt. Dazu und zu seiner weiteren Biografie siehe: BayHStA, NL Johannes von Elmenau 4, Brief Elmenau an die Finanzabteilung der Militärregierung, 6. Juni 1945. 198 Johannes von Elmenau, „Spezialistentum – Stärke und Schwäche“, Süddeutsche Zeitung [Tag und Monat unlesbar] 1947, S. 7. Der Artikel sowie das ursprüngliche Textmanuskript mit dem identischen Inhalt unter dem Titel „Modernes Beamtentum!“ sind überliefert in: BayHStA, NL Johannes von Elmenau 137.

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Obwohl die meisten Führungsbeamten der Staatskanzlei das Leitbild des unpolitischen Fachexperten folgten, zeigt auch das Beispiel Baer, dass sich hinter dieser Fassade sehr wohl ein konservativ-katholisch-bürgerliches Weltbild befand, das Baer auch durch seine Zugehörigkeit zur CSU markierte. Dieses Weltbild brachte er 1974, als er bereits im Ruhestand war, in einer Publikation auf den Punkt: „Wer ist also konservativ? Wer konservative Werte und Prinzipien hoch hält, wie Tradition, Ordnung, Autorität, Dauer, Stabilität, Institution, ferner Religion, Heimat, Familie, Volk, Boden, Kontinuität, Werden, Wachsen und Geschichte.“ Dem fügte er hinzu: „Jeder sollte heute darüber nachdenken, was konservativ wirklich bedeutet. Insbesondere sollte der Konservative selbst heute den Mut und die Kraft aufbringen, offen für konservative Vorstellungen und Werte einzutreten. Es ist gar nicht altmodisch, konservativ zu sein, da sich das alte Wahre immer bewährt hat. Es soll den Konservativen nicht beirren, wenn er manchmal belächelt wird. Man könnte eher über die vielen modernen Ideen lachen, die ach so kurzlebig sind! Darum keine Scheu und Angst, konservativ zu sein und sich als solchen zu bekennen. Wer wollte das angesichts der Zerstörungen so vieler geistiger, seelischer und auch materieller Werte, an deren Erhaltung der Mensch angewiesen ist, nicht tun?“199 Bereits vor 1933 kennzeichnete dieses Eintreten für eine katholisch-konservative Gesellschaftsordnung sowie ein konservatives Staatsdenken einen Teil der bayerischen Ministerialverwaltung. Auch nach 1945 war diese Haltung in den bayerischen Behörden, in den CSU-Landesregierungen sowie unter der bayerischen Bevölkerung weitverbreitet.200 Insbesondere Schäffer, Ehard, Pfeiffer und Schwend prägten auf der Führungsebene ein solches Klima in der Staatskanzlei, das von führenden Beamten wie Baer innerlich mitgetragen wurde. Dabei zeigt allerdings das Beispiel von Schwend, dass sich nicht alle Ministerialbeamte als unpolitische Fachexperten verstanden.201 Dennoch ermöglichte in den meisten Fällen das etatistische Selbstbild des unpolitischen Beamten in Kombination mit dem 199 Fritz Baer, Wer ist konservativ? Betrachtungen, Stellungnahmen und Erkenntnisse zum Begriff des Konservatismus heute, in: Fritz Baer/Gerd-Klaus Kaltenbrunner/Golo Mann (Hrsg.), Konservativ. Drei Aussagen zu einem aktuellen Thema, München 1974, S. 13–25, hier S. 23 ff. 200 Vgl. Henke, Geheime Dienste, S. 533; Forstner, Beamte, S. 34; Schönhoven, Politischer Katholizismus, in: Broszat/Mehringer (Hrsg.), Die Parteien, S. 618. 201 Im Gegensatz zu anderen deutschen Ländern sowie dem Bund, existiert in Bayern das Phänomen des politischen Beamten nicht. Darauf wurde 1946 im Bayerischen Beamtengesetz verzichtet, weil politische Beamte im gewissen Widerspruch zu dem Leistungs- und Lebenszeitprinzip des Beamtentums standen. Dennoch stand am Anfang der Viererkoalition eindeutig fest, dass Schwend trotz seiner Beamtenstatus wegen seiner CSU-Parteiarbeit unter keinen Umständen Leiter der Staatskanzlei bleiben konnte. Zur Ablehnung des Amts des politischen Beamten in Bayern siehe: Bayerischer Landtag, 16. Wahlperiode, Drucksache 16/17047, 3.7.2013, Schriftliche Anfrage des Abgeordneten Florian Streibl Freie Wähler vom 30.4.2013, https://www1.bayern.landtag.de/

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„Leistungsprinzip“ der bayerischen Verwaltung nach 1945 eine Anpassung an das neue politische System und an die neuen politischen Verhältnisse, auch wenn die Ministerialbeamten dieser innerlich mit Distanz oder Ablehnung gegenüberstanden. Zugleich konnte Baer seine CSU-Mitgliedschaft als Unterstützung für die nach 1945 beinahe durchgehend staatstragende politische Partei, und somit als Unterstützung für den bayerischen Staat, auslegen. Neben dem Selbstverständnis als unpolitische Experten, das nach 1945 über Bayern hinaus das deutsche Beamtentum kennzeichnete, gab es in der Organisationskultur der Staatskanzlei Elemente, die typisch für die höhere Beamtenschaft in Bayern und insbesondere die Bayerische Staatskanzlei waren. So trug zum elitären Selbstverständnis des Führungspersonals der Staatskanzlei ihr bayerisches Sonderbewusstsein bei. Sie verstanden sich an erster Stelle als bayerische Beamte im Dienst des bayerischen Staats, die in der Tradition des bayerischen Berufsbeamtentums ausgebildet wurden und somit in qualitativer und fachlicher Hinsicht den Verwaltungsbeamten aus anderen Teilen Deutschlands. Dabei hatte Bayern im 19. Jahrhundert eine Schlüsselposition eingenommen, weil sich das moderne deutsche Berufsbeamtentum aus einer „spezifisch süddeutschen Tradition entwickelte“.202 Außerdem hatte Bayern als erstes der deutschen Länder die Eingriffsrechte des Monarchen in die Staatsverwaltung durch den Erlass einer Dienstpragmatik eingeschränkt.203 Weil dies in Preußen zu keinem Zeitpunkt geschah, blieben die Beamten dort vielmehr noch Diener des Königs als Diener der Verfassung. In Bayern stand dagegen neben der Treue zur Krone die Verfassung im Vordergrund, sodass hier von den Beamten weniger ein „Untertatengeist“ eingefordert werden konnte als in Preußen. Somit waren die bayerischen Beamten traditionell regierungsferner eingestellt als in Preußen und hatten größere Spielräume für Selbstentscheidungen. Sie hatten es, nach der Historikerin Marita Krauss, im Laufe des 19. Jahrhunderts geschafft, sich zur „strukturdominanten Gruppe“ innerhalb des Staats zu etablieren.204 Das bayerische Verwaltungssonderbewusstsein begrenzte sich allerdings keineswegs zur Staatskanzlei und es war innerhalb der bayerischen Ministerialbürokratie ein weitverbreitetes Phänomen. Beamte, die der bayerischen Verwaltung nicht entstammten, wurden in der direkten Nachkriegszeit als eine Bedrohung für die Qualität und das Funktionieren der bayerischen Beamtenschaft wahrgenommen.

www/ElanTextAblage_WP16/Drucksachen/Schriftliche%20Anfragen/16_0017047.pdf [17. Februar 2023]. 202 Forstner, Beamte, S. 29. 203 Vgl. Marita Krauss, Herrschaftspraxis in Bayern und Preußen im 19. Jahrhundert. Ein historischer Vergleich, Frankfurt am Main 1997, S. 189 f. 204 Ebenda, S. 241.

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Im speziellen Fall der Staatskanzlei wurde das elitäre Selbstverständnis als bayerischer Beamter durch ein drittes Element verstärkt. Stellte die ministeriale Beamtenschaft bereits eine homogene Elite unter den bayerischen Beamten205 dar, so standen (und stehen) die leitenden Beamten der Staatskanzlei im Zentrum dieser Elite. Sie arbeiteten direkt vor und unter dem Bayerischen Ministerpräsidenten in der Herzkammer der bayerischen Ministerialverwaltung. Hier wurden juristische Schwergewichte eingestellt, die das Gewicht der vielseitigen Aufgaben tragen und sowohl innerhalb als auch außerhalb von Bayern die Politik des Ministerpräsidenten in Zusammenarbeit mit anderen Behörden koordinieren und durchsetzen konnten. Sie verkörperten nach innen und außen im Dienst des Ministerpräsidenten den bayerischen Staat und nahmen sich als dessen Hüter wahr. Somit verstärkte sich das elitäre Selbstverständnis der Beamten und die Spitzenpositionen, die sie innerhalb der bayerischen Ministerialverwaltung einnahmen.206 Schließlich verstand sich die bayerische Ministerialverwaltung als der Träger des bayerischen Föderalismus.207 Während der gesamten Weimarer Republik hatte sie die föderalistische Politik der Bayerischen Staatsregierung aktiv mitgetragen und auch nach 1945 stellte sie sich als ihr wichtigster Träger heraus. Während die Bundesministerialbeamten nach 1945 vielmehr nationalistisch208 eingestellt waren 205 Die höheren, leitenden Ministerialbeamten standen in Bayern am Ende des 19. und Anfang des 20. Jahrhunderts zunehmend gegenüber der „Masse“ an Beamten des mittleren und unteren Dienstes. Die Beamten der Staatspitze wurden auf gemeinsame Normen eingeschworen, was die Kohärenz, Solidarität sowie Homogenität in der Gruppe stärkte, und sie waren für die Kontrolle von der Einhaltung ihrer eigenen Vorgaben zuständig. Während sich die ministeriale Elite mit den gesellschaftlichen Verhältnissen identifizierte, plädierte die Masse der anderen Beamten u. a. für mehr politische Partizipation. Dies resultierte 1917 in der Gründung des Bayerischen Beamtenund Lehrerbundes. Dadurch vergrößerte sich die Entfremdung zwischen der Spitze und der Mehrzahl der Beamtenschaft bis zum Rücktritt des bayerischen Königs. Vgl. dazu Georg Kalmer, Beamtenschaft und Revolution. Eine sozialgeschichtliche Studie über Voraussetzungen und Wirklichkeit des Problems, in: Karl Bosl (Hrsg.), Bayern im Umbruch. Die Revolution von 1918, ihre Voraussetzungen, ihr Verlauf und ihre Folgen, München 1969, S. 201–261; Krauss, Herrschaftspraxis, S. 241; Schönhoven, Politischer Katholizismus, in: Broszat/Mehringer (Hrsg.), Die Parteien, S. 618; Forstner, Beamte, S. 30 f. 206 Inwiefern dies für die Referenten und Referentinnen galt, die ab den 1960er Jahre von den Ministerien aus an die Staatskanzlei abgeordnet wurden und nach einigen Jahren in die Ministerien zurückkehrten, muss noch weiter untersucht werden. Diese fühlten sich, vermutlich, eher den Ministerien, denen sie entstammten verbunden, als der Staatskanzlei. 207 Vgl. Karl-Ulrich Gelberg, Föderalismus, publiziert am 03.07.2006; in: Historisches Lexikon Bayerns, URL: https://www.historisches-lexikon-bayerns.de/Lexikon/Föderalismus [10. September 2022]. 208 Dazu vgl. Günther/Maeke, Unpolitischer Beamter, in: Bösch/Wirsching (Hrsg.), Hüter der Ordnung, S. 272–275.

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und aus dieser Überzeugung handelten, zeigte sich unter den bayerischen Spitzenbeamten eine föderalistische Grundhaltung. Obwohl diese politische Überzeugung einerseits mit ihrer unpolitischen Haltung zusammenstieß, ging es andererseits für die bayerische Ministerialverwaltung um ihre Eigenständigkeit und um den Schutz der bayerischen Verwaltungskompetenzen gegenüber der Bundesverwaltung. Diese wurden aus bayerischer Sicht bereits durch die zentrale Reichsverwaltung der Weimarer Republik bedroht und sollten nach 1945 gegenüber der entstehenden Bundesministerialverwaltung konsolidiert und verteidigt werden. Um dem bayerischen Staat und der bayerischen Staatlichkeit zu dienen und verwalten zu können, trugen die bayerischen Ministerialbeamten somit auch aus Überzeugung die föderalistische Politik der bayerischen Regierung mit.

Das „Problem Frau ORR Dr. Bitter“ Zum Schluss bietet eine Genderperspektive einen interessanten Einblick in die Organisationskultur der Bayerischen Staatskanzlei. Zumindest bis 1962 bestand die Gruppe der Abteilungsleiter komplett aus Männern. Lediglich eine Frau, Christina Übelacker, stieg bis dahin bis zur Referatsleiterin auf – jedoch nicht zur Abteilungsleiterin (siehe Kapitel 3).209 Zehn Jahre später war die Situation praktisch unverändert und unter den 47 Beamten des höheren Diensts arbeitete lediglich eine Frau.210 Das von Männern dominierte Arbeitsklima geht ebenfalls klar aus der bereits erwähnten Weihnachts-Zeitung hervor. Obwohl die Arbeit der Frauen, beispielsweise als Sekretärin oder Schreibkraft, durchaus wertgeschätzt wurde, enthielten viele Gedichte zugleich Anmerkungen über ihr Aussehen (zum Beispiel „nette Figur“, „schöne Frisur“, „Spezialistin für Mode“) und Verhalten gegenüber männlichen Kollegen.211 Das Verhalten der Männer gegenüber den Mitarbeiterinnen wurde zwar ebenfalls scherzhaft thematisiert, dennoch meistens in Kombination mit Anmerkungen über ihre fachlichen Qualitäten als Beamter (zum Beispiel „wahnsinnig schnell diktieren“ oder „Verständnis für seine Leute“).212 Obwohl eine Überinterpretation der Weihnachts-Zeitung vermieden werden soll, spiegeln sich in diesem Dokument die Merkmale eines Arbeitsklimas, in dem eine hochqua209 BayHStA, MInn 85244, Schreiben der Staatskanzlei über Christine Übelacker, 30. Dezember 1954. 210 Aus einer Personalstandsnachweisung geht außerdem hervor, dass sich unter den 103 Beamten der Staatskanzlei lediglich fünf Frauen befanden. Dagegen arbeiteten 79 Frauen unter den insgesamt 107 Angestellten. Siehe: BayHStA, StK 15936, Personalstandsnachweisung zum 2. Oktober 1972. 211 Sie beispielsweise das Gedicht über Gräfin Podewils, die Sekretärin Anton Pfeiffers, auf S. 4. 212 Siehe die Gedichte über Baer und Leusser auf S. 4 und 5.

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lifizierte männliche Elite die Entscheidungen traf und sich für die fachliche Arbeit zuständig sah, während Frauen dabei eine unterstützende Rolle spielten und bestenfalls attraktiv aussehen konnten. Der Umgang des Führungspersonals mit der selbstbewussten Beamtin Margarethe Bitter bestätigt diesen Eindruck. Sie arbeitete von Oktober 1946 bis Dezember 1949 als Regierungsrätin in der Staatskanzlei. Die 1902 in Kairo als Tochter des renommierten Bakteriologen Heinrich Bitter geborene Juristin verbrachte ihre Jugend großenteils in ihrer Geburtsstadt, bevor sie im August 1914 mit ihrer Familie nach Deutschland umsiedelte.213 Mit Beginn des Sommersemesters 1922 studierte sie Nationalökonomie, Philosophie und Geschichte an der Universität Kiel. Ein Jahr später wechselte sie an die Universität München, wo sie ausschließlich Jura studierte. Im März 1927 legte sie dort die Erste Juristische Prüfung ab und trat anschließend für ihre Referendarzeit in den bayerischen Verwaltungsdienst ein. Zugleich promovierte sie an der Universität Halle, wo sie 1929 mit einer Dissertation über „Das Zucht- und Arbeitshaus sowie das Kriminalinstitut des Reichsgrafen R. L. Schenk von Castell zu Oberdischingen von 1789–1808“ promovierte. Im April 1930 legte Bitter erfolgreich die Zweite Juristische Prüfung ab. Weil die bayerische Ministerialverwaltung zu diesem Zeitpunkt jedoch keine Assessorin oder Richterin beschäftigte, war sie gezwungen, ihre juristische Laufbahn in Bayern aufzugeben. Ein Jahr später zog sie mit ihrer Mutter und Schwester zurück nach Kairo, wo sie ab 1935 als selbständige Rechtsanwältin arbeitete. Dort etablierte sie sich innerhalb der deutschen Gemeinschaft erfolgreich und vertrat als Anwältin große Firmen wie die IG Farben, die Auto Union sowie das Deutsche Kalisyndikat. Als sie 1939 mit ihrer Mutter auf Erholungsurlaub in Deutschland war, verhinderte der Ausbruch des Zweiten Weltkrieges ihre geplante Rückkehr nach Kairo. Bereits im Oktober 1939 trat sie daraufhin eine Stelle im Auswärtigen Amt an. Dort arbeitete sie mit ihren Sprachkenntnissen als wissenschaftliche Hilfsarbeiterin im sogenannten Pers Z.-Referat in Berlin-Dahlem. Der Name des Referats war ein Deckname für den Chiffrierdienst und die Kryptologie des Auswärtigen Amtes.214 213 Zu ihrer Biographie vgl. PAAA, P14 45911, Personalbogen Margarethe Bitter, 16. Januar 1953; Lebenslauf Margarethe Bitter, 1950. Ihre Lebensdaten sind ebenfalls in einem Sammelband über Frauen im Auswärtigen Amt dargelegt. Vgl. Christiane Scheidemann, Margarethe Bitter. Sie beherrschte sieben Sprachen, in: Ursula Müller/Christiane Scheidemann (Hrsg.), Gewandt, geschickt und abgesandt. Frauen im Diplomatischen Dienst, München 2000, S. 85–92. 214 Der Frauenanteil in diesem Referat war relativ hoch. Im Jahre 1942 waren 46 von den 229 höheren Angestellten Frauen. In diesem Beschäftigungssektor gelang es Frauen überraschend oft, ins Auswärtige Amt zu kommen. Vgl. Martin Kröger, Aspekte der Personalentwicklung im Auswärtigen Amt – der höhere Auswärtige Dienst 1933–1945, in: Johannes Hürter/Michael Mayer (Hrsg.), Das Auswärtige Amt in der NS-Diktatur, Berlin 2014, S. 3–20, hier S. 9. Zur technischen Seite dieses Referats vgl. Michael van der Meulen, The Road to German Diplomatic Ciphers – 1919 to 1945, in: Cryptologia 22 (1998), H. 2, S. 141–166.

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Zwischen April 1943 und Juni 1944 arbeitete sie in der gleichen Funktion am Generalkonsulat in Paris, wo sie mit der Entzifferung von Geheimschriften beschäftigt war. Im Juli 1944 wurde sie zurück nach Berlin berufen, wo sie ihre Arbeit im Referat Pers Z., das mittlerweile in Hirschberg (Schlesien) untergebracht war, erneut aufnahm. Zum Zeitpunkt der deutschen Kapitulation befand sie sich in Oberbayern. Nachdem sie einige Monate als Dolmetscherin gearbeitet hatte, wurde sie im März 1946 durch Hans-Heinrich Herwarth von Bittenfeld, den sie aus dem Auswärtigen Amt kannte und der in der Staatskanzlei die Abteilung für „zwischenstaatliche Angelegenheiten“ leitete, als wissenschaftliche Hilfsarbeiterin eingestellt.215 Bereits im Oktober des gleichen Jahres wurde sie zur Regierungsrätin ernannt und ins Beamtenverhältnis auf Lebenszeit übernommen.216 Bei ihrer Einstellung war vorteilhaft, dass Bitter zu keinem Zeitpunkt der NSDAP beigetreten war. Bis zu ihrer Einstellung in München hatte Bitter bereits gezeigt, dass sie eine intelligente, selbstbewusste und internationale Frau war, die über juristische Spitzenqualitäten verfügte. In der Staatskanzlei beschäftigte sie sich intensiv mit der Kriegsgefangenenfrage.217 Auf ihre Initiative wurde in München im Februar 1947 die Bayerische Landesarbeitsgemeinschaft für Kriegsgefangene geschaffen. Von dieser Stelle aus sollten die verschiedenen Stellen, die sich in Bayern mit dem Schicksal deutscher Kriegsgefangenen im Ausland beschäftigten, zusammengelegt werden.218 Darüber hinaus vertrat Bitter Bayern im Ausschuss für Kriegsgefangenenfragen beim Länderrat, deren Vorsitzende sie zweimal je sechs Monate war, im interzonalen Ausschuss für Auswanderungsfragen sowie in der interzonalen Arbeitsgemeinschaft der Länder für Suchdienstfragen.219 Aus Bitters Lebenslauf geht klar hervor, dass sie sich überall intensiv an der Organisation der Kriegsgefangenenfragen in den Nachkriegsjahren beteiligte. So führte sie die Aufsicht über die Suchdiensteinrichtungen in Bayern von der Staatskanzlei aus und wirkte an deren Reorganisation mit, sodass sie zusammen mit anderen „lange bevor die Bundesregierung bestand, die Grundlagen für die Erfassung der Vermissten und Kriegsgefangenen“ schuf.220 Außerdem reiste sie ab März 1949 etwa alle acht bis 215 Siehe dazu: PAAA, P14 45911, Lebenslauf Margarethe Bitter 1950, Bl. 5–11. 216 Ebenda, Beglaubigte Abschrift Urkunde 23. Oktober 1946, Bl. 13. 217 Zu ihrer Tätigkeit für das Kriegsgefangenen- und Flüchtlingswesen zwischen 1946 und 1950 siehe: BayHStA, NL Margarethe Bitter 1–4; IfZ, ED 449 NL Margarethe Bitter, 1–19. 218 Zur Organisation des Kriegsgefangenenwesens in Bayern und Deutschland zwischen 1945 und 1955 vgl. Michael Borchard, Die deutschen Kriegsgefangenen in der Sowjetunion. Zur politischen Bedeutung der Kriegsgefangenenfrage 1949–1955, Düsseldorf 2000; Arthur L. Smith, Heimkehr aus dem Zweiten Weltkrieg. Die Heimkehr der deutschen Kriegsgefangenen, München 1985; Arthur L. Smith, Die „vermißte Million“. Zum Schicksal deutscher Gefangener nach dem Zweiten Weltkrieg, München 1992. 219 PAAA, P14 45911, Lebenslauf, Bl. 3 f. 220 Zit. nach ebenda, Bl. 7.

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zehn Wochen nach Paris, um dort die Organisation der Verteidigung der wegen Kriegsverbrechen angeklagten Deutschen in Frankreich auszubauen. Daneben beschäftigte sie sich in der Staatskanzlei zeitweilig mit Flüchtlingsfragen.221 Am 1. Dezember 1949 beschloss der Bundestag, dass eine Zentrale Rechtsschutzstelle für Deutsche, die von nichtdeutschen Gerichten für NS- oder Kriegsverbrechen angeklagt oder verurteilt waren, eingerichtet werden sollte.222 Diese Stelle war seit ihrer Gründung von 1950 bis 1953 dem Bundesministerium der Justiz unterstellt.223 Wegen ihrer Fachkenntnisse auf diesem Gebiet übernahm Bitter im März 1950 die Leitung des Kriegsgefangenenreferats in der Dienststelle und wurde somit an das Bundesministerium der Justiz abgeordnet.224 Die Tatsache, dass Bitter eine wichtige, koordinierende Rolle für Kriegsgefangenenfragen spielte und dabei viel Eigeninitiative zeigte, stieß beim männlichen Führungspersonal der Staatskanzlei auf wenig Wertschätzung. Obwohl aus Dienstbeurteilungen, Gesprächsniederschriften sowie Korrespondenz zwischen Führungspersonal der Staatskanzlei, dem Bundesministerium der Justiz und dem Auswärtigen Amt im Zeitraum 1950 bis 1955 hervorgeht, dass ihre juristische Fachqualitäten und ihr Intellekt durchaus anerkannt und gelobt wurden, gab es starke Kritik an ihrer Persönlichkeit und Handlungsweise.225 Diese wurde im Laufe 1951 explizit verschriftlicht, als sich abzeichnete, dass die Rechtschutzstelle für Kriegsgefangenen vom Auswärtigen Amt übernommen werden sollte. Daraufhin setzte sich Karl Schwend persönlich im Auftrag Hans Ehards mit dem Legationsrat Herbert Dittmann in Verbindung, der im Auftrag Adenauers den personellen Aufbau des Auswärtigen Amts vorbereitete.226 Ehard strebte die endgültige Übernahme Bitters in den Bundesdienst an, die während ihrer Zeit im Bundesministerium der 221 Zur Organisation des Flüchtlingswesens in Bayern vgl. Johannes-Dieter Steinert, Die große Flucht und die Jahre danach. Flüchtlinge und Vertriebene in den vier Besatzungszonen, in: HansErich Volkmann (Hrsg.), Ende des Dritten Reiches – Ende des Zweiten Weltkriegs. Eine perspektivische Rückschau, München 1995, S. 557–579; Franz J. Bauer, Flüchtlinge und Flüchtlingspolitik in Bayern. 1945–1950, Stuttgart 1982. 222 Mit dieser Entscheidung ging das Fachgebiet der Kriegsgefangenen von den Ländern auf den Bund über. Vgl. Borchard, Deutsche Kriegsgefangenen, S. 89–95. 223 Zu dieser Arbeit und der Rolle Bitters vgl. Görtemaker/Safferling, Akte Rosenburg, S. 213 f.; Frei, Vergangenheitspolitik, S. 188. 224 BayHStA, StK 13380, Brief Staatskanzlei an den Bundesminister der Justiz, 13. Dezember 1949. 225 Diese Kritik ist ausführlich in den Personalakten überliefert: BayHStA, StK 13380, Brief Leiter der Bayerischen Staatskanzlei an das Auswärtige Amt, 8. Juni 1951; PAAA, P14 45911, Aktenvermerk Herbert Dittmann, 20. August 1951. 226 BayHStA, 13380, Hans Ehard an Ritter von Lex, 21. August 1951; PAAA, P14 45911, Karl Schwend an das Auswärtige Amt, 8. Juni 1951. Zur Tätigkeit Dittmanns beim Wiederaufbau des Auswärtigen Amts vgl. Conze/Frei/Hayes/Zimmermann, Das Amt, S. 448–466; Görtemaker/Safferling, Akte Rosenburg, S. 218 f.

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Justiz nicht erfolgt war, sodass die Staatskanzlei eine Planstelle neubesetzten konnte. Dass es bei dieser Aktion jedoch nicht nur um eine freie Planstelle ging, geht aus zwei Niederschriften hervor. Am 14. August 1951 traf Dittmann persönlich in der Staatskanzlei ein, um das „Problem Frau ORR Dr. Bitter“ zu besprechen.227 Über dieses Treffen existieren zwei Niederschriften: eine von Dittmann und eine vom Hans Kellner, dem Personalreferenten der Staatskanzlei, der zusammen mit dem Regierungsdirektor Freiherr von Brand beim Gespräch anwesend war. Aus Dittmanns Version geht hervor, dass die Staatskanzlei bereits mit einer Absage vom Auswärtigen Amt gerechnet hatte, weil Bitter angeblich eine „schwierige Persönlichkeit“ hatte, die sie für das Amt ungeeignet mache.228 Zugleich geht aus dem Dokument hervor, dass Kellner und Freiherr von Brand über die Abordnung Bitters nach Bonn sehr erleichtert waren und nach einer Lösung suchten, damit sie nicht wieder nach München zurückkehren würde. Eine Rücknahme in die Staatskanzlei hielten sie außerdem für „sehr schwierig“, weil sich „sämtliche Abteilungsleiter in der Bayerischen Staatskanzlei nachdrücklich geweigert hätten, Frau Bitter wieder zu übernehmen“.229 Kellner wies in seiner Niederschrift zynisch daraufhin, dass Bitter sich „in der Staatskanzlei allgemein unbeliebt gemacht hatte“, dass „ihre Tätigkeit im wesentlichen [sic!] in Auslandsreisen bestanden habe, über deren Erfolg der Bayerischen Staatskanzlei niemals etwas Bestimmtes bekannt geworden sei“ und dass sie „lediglich auf Empfehlung des Herrn v. Herwarth“ eingestellt wurde.230 Kellner spekulierte darauf, dass Bitter sich selbst bemühen würde, „in irgendeine Bonner Behörde übernommen zu werden“, wenn ihr mitgeteilt wurde, dass eine Rückkehr nach München ausgeschlossen war.231 Was Bitters Übernahme in den Bundesdienst nach Dittmanns Einschätzung zusätzlich erschwerte, war, dass sie sich in Bonn und Paris bereits „missliebig“ gemacht hatte.232

227 Zit. nach: PAAA, P14 45911, Aktenvermerk Herbert Dittmann, 20. August 1951, Bl. 8. 228 Ebenda. 229 Ebenda. 230 BayHStA, StK 13380, Vormerkung Kellner, Betr. ORR. Dr. Margarethe Bitter, 16. August 1951. 231 Zit. nach: ebenda. 232 Ebenda. Im Oktober 1951 widerlegte Bitter die Vorwürfe zu ihrem Auftritt in Paris 1949 in unterschiedlichen Abschriften für das Bundesministerium der Justiz. Das Auswärtige Amt ging nämlich davon aus, dass Bitter wegen ihres Auftritts in Paris kein Einreisevisum für Frankreich bekam, weil ihr durch die französische Hohe Kommission „Mangel an Takt“ vorgeworfen wurde. In ihren ausführlichen Schreiben erwiderte Bitter jedoch, dass diese Vorwürfe auf Verhandlungen basierten, die sie zu keinem Zeitpunkt geführt hatte. Siehe: PAAA, P14 45911, Abschrift Margarethe Bitter, 3. Oktober 1951; Stellungnahme zum Schreiben des Herrn Staatssekretärs des Auswärtigen Amtes vom 5. Oktober 1951, 10. Oktober 1951.

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Es wäre zu einseitig, die Abschiebungsbemühungen der Staatskanzlei allein auf Frauenfeindlichkeit zurückzuführen. So geht aus Bitters eigener Darstellung über ihr Handeln in Paris hervor, dass sie Konflikte nicht scheute und sich wenig mit der Frage beschäftigte, ob sie sich mit ihrem Einsatz für die deutschen Kriegsgefangenen „beliebt oder unbeliebt“ machte.233 Dennoch wäre es ebenfalls zu einseitig zu behaupten, dass Bitters Geschlecht gar keine Rolle spielte und die Kritik gegen sie rein professioneller Art war. Bitter nahm als Referentin eine Sonderposition unter dem Führungspersonal der Staatskanzlei ein, die außerdem sehr stark von der Unterstützung des Abteilungsleiters Hans von Herwarth abhängig war. Die Tatsache, dass sie außerdem eine starke, unabhängig handelnde Frau war, die in ihrer Arbeit sehr engagiert und aus eigener Initiative operierte und mit internationalen Vertretern Verhandlungen führte, stieß bei Pfeiffer, Schwend und manchen Abteilungsleitern auf Widerstand und Befremden. Die Staatskanzlei wurde von oben nach unten (räumlich betrachtet jedoch von unten nach oben) mit einem strengen Regime und nach klaren hierarchischen Vorschriften von Männern geleitet.234 Innerhalb dieses Arbeitsklimas gab es kaum Platz für eine hochqualifizierte Frau, die auf ihrem Sachgebiet ihre eigene Strategie verfolgte und sich dabei den Umgangsformen und der Handlungslogik der administrativen Männerwelt, in der sie operieren musste, wenig anpasste.235 Nach einer umfangreichen Korrespondenz zwischen der Staatskanzlei, dem Bundeskanzleramt, dem Bundesministerium des Innern, dem Bundesministerium der Justiz sowie dem Auswärtigen Amt, an der sich Hans Ritter von Lex, Herbert Blankenhorn, Thomas Dehler und sogar Konrad Adenauer persönlich beteiligten, und in deren Verlauf Margarethe Bitter auf Papier von der einen zur anderen Dienststelle geschoben wurde, wurde sie 1953 schließlich doch in den auswärtigen Dienst als Konsulin in New York übernommen.236 Somit gehörte Bitter zu den ersten Frauen im Auswärtigen Dienst nach 1945.237

233 Ebenda. 234 In der „Weihnachts-Zeitung“ wurde Pfeiffers Regierungsstil so umschrieben: „Er hält straff die Zügel in der Staatskanzlei.“ Siehe: BayHStA, NL Anton Pfeiffer 71, Weihnachts-Zeitung der Bayerischen Staatskanzlei, Dezember 1947, S. 3. 235 Zu dieser Thematik vgl. auch Maren Richter, „Aber ich habe mich nicht entmutigen lassen“. Maria Daelen – Ärztin und Gesundheitspolitikerin im 20. Jahrhundert, Göttingen 2020. 236 PAAA, P14 45911, Vorschlag zur Ernennung von Margarethe Bitter zu Konsulin I. Klasse, 28. Mai 1953. 237 Dazu vgl. Ursula Müller/Christiane Scheidemann (Hrsg.), Gewandt, geschickt und abgesandt. Frauen im Diplomatischen Dienst, München 2000; Conze/Frei/Hayes/Zimmermann, Das Amt, S. 464 f.

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Fazit In der Gesamtschau wurde die Organisationskultur in der Prinzregentenstraße 7 seit 1945 bis Mitte der 1960er Jahre durch enge Raumverhältnisse und Leitungsbeamte geprägt, die sich in der Regel als unpolitische, etatistische Fachexperten im Dienst des Gemeinwohls verstanden. In der parlamentarischen Demokratie nahmen sie ihre Aufgabe als vermittelnde, staatstragende Instanz gegenüber den politischen Parteien und dem Parlament wahr. Gerade die Rolle als staatstragende Institution wurde der Bayerischen Staatskanzlei nach 1945 – sowohl intern als auch von außen – auf den Leib geschrieben. Zugleich gehörte das Führungspersonal zur ministeriellen Elite der bayerischen Beamtenschaft, die sich als bayerisch verstand, ihre Arbeit an erster Stelle im Dienst des bayerischen Staats erfüllte und außerdem aus politischer Überzeugung und aus eigenen Machtsinteressen die föderalistische Politik der Bayerischen Staatsregierung mittrug. Zugleich wurde das amtliche Selbstverständnis der Führungsbeamten in der Staatskanzlei von der politischen Führung aus unterstützt, die teilweise selbst, wie im Fall von Schäffer und Ehard, der bayerischen Verwaltung entstammten und sie nach 1945 als wichtigste Voraussetzung für die staatliche Stabilität sah. Außerdem zeigt das Beispiel Baer, dass hinter der unpolitischen Fassade katholisch-konservative Überzeugungen standen, die weitgehend mit Grundsätzen der CSU übereinstimmten. Somit waren die Übergänge zwischen Politik und Verwaltung in der Staatskanzlei in mancherlei Hinsicht fließend. Darüber hinaus fanden die politische Führung und Beamtenschaft sich in der gemeinsamen Zielsetzung, die bayerische Staatlichkeit in der Nachkriegszeit aufzubauen und nach 1949 so viel wie möglich Einfluss auf die Bundespolitik im Sinne des Freistaats zu nehmen. Politik und Verwaltung sahen sich als Hüter des Freistaats.

5 Geschichtspolitik: Die Neuerfindung des bayerischen Staats nach 1945 Die bayerischen Ministerpräsidenten und das Führungspersonal der Staatskanzlei erkannten nach dem Zweiten Weltkrieg das legitimatorische, stabilisierende und identitätsstiftende Potential der bayerischen Geschichte für die Konsolidierung des bayerischen Staats sowie für die ideologische Begründung des Föderalismus. Sie führten und pflegten mit ihren Reden, Artikeln, Büchern, Denkschriften, Rundfunkbeiträgen sowie mit ihrer Unterstützung für das Institut für Bayerische Geschichte eine offensive Geschichtspolitik.1 Deren Zielsetzung beinhaltete grundsätzlich zwei eng miteinander verbundene Elemente: die Exkulpation und Abgrenzung Bayerns von den Verbrechen des „Dritten Reiches“ sowie die Verstärkung der staatlichen Identität im Narrativ einer mehr als tausendjährigen Traditionsund Erfolgsgeschichte des bayerischen Staats. Dabei wurden sie ab 1946 aktiv vom Institut für Bayerische Geschichte unterstützt, das unter der Leitung des bayerischen Landeshistorikers Max Spindler historische „Legitimations- und Gegenwartswissenschaft“ im Dienst des Freistaats betrieb.2 Obwohl die Ministerpräsidenten und die Staatskanzlei sowie das Institut keineswegs die einzigen geschichtspolitischen Akteure in Bayern nach 1945 waren, prägten sie durch ihre enge symbiotische Zusammenarbeit die Geschichtspolitik und das Geschichtsbewusstsein in Bayern wie kaum ein anderer Akteur. Zur Neuerfindung des bayerischen Staatsbewusstseins nach dem Zweiten Weltkrieg wusch die historiografische Hand die politische und umgekehrt.3

1 Zur Geschichtspolitik als Forschungsfeld vgl. Stefan Troebst, Geschichtspolitik, Version: 1.0, in: Docupedia-Zeitgeschichte, 04.08.2014, http://docupedia.de/zg/troebst_geschichtspolitik_v1_de_2014 [10.06.2021]; Wolfrum, Geschichtspolitik in der Bundesrepublik, S. 13–38. 2 Zur Geschichtsschreibung als Legitimationswissenschaft vgl. Peter Schöttler, Geschichtsschreibung als Legitimationswissenschaft 1918–1945. Einleitende Bermerkungen, in: Peter Schöttler (Hrsg.), Geschichtsschreibung als Legitimationswissenschaft. 1918–1945, Frankfurt am Main 1999, S. 7–30. 3 Vgl. allgemein Löffler, Landesgeschichtsschreibung und Geschichtspolitik; Löffler, Historische Staatlichkeit; Wolfrum, Geschichtspolitik in Bayern, in: Schlemmer/Woller (Hrsg.), Politik und Kultur; Vollhardt, Staatliche Heimatpolitik und Heimatdiskurse; Kraus, Staatspolitische Bedeutung, in: Volkert/Ziegler (Hrsg.), Im Dienst. https://doi.org/10.1515/9783111317731-006

5.1 Bayerische Geschichte als „historische Legitimationswissenschaft“



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5.1 Bayerische Geschichte als „historische Legitimationswissenschaft“ Am 5. Juli 1946 sprach Max Spindler in der Bayerischen Staatskanzlei bei Ministerpräsident Hoegner vor. Spindler wollte Hoegner von der Gründung eines Instituts für Bayerische Geschichte überzeugen und hatte sich im Vorfeld des Gesprächs bereits der Unterstützung des Rektors der Universität München sowie der verantwortlichen Personen im Kultusministerium versichert.4 Der Historiker wollte mit der Gründung dieses Instituts eine „zentrale Einrichtung der landesgeschichtlichen Forschung“ in Bayern schaffen, um die Position der bayerischen Landesgeschichtsschreibung in Deutschland zu verstärken.5 „Möge über den drängenden Aufgaben der Gegenwart nicht die Schaffung einer Einrichtung verabsäumt werden, die in Bayerns ureigenstem Interesse liegt“, schrieb er dazu in einer Denkschrift, die er für das Treffen mit Hoegner vorbereitet hatte.6 Noch bevor Spindler im Gespräch mit Hoegner jedoch seinen Plan begründen konnte, unterbrach ihn Hoegner und erteilte ihm die Unterstützung für die Institutsgründung.7 Der Ministerpräsident machte die Institutsgründung daraufhin sogar zur Chefsache und setzte sich, ohne Beratung im Ministerrat, sofort mit dem Kultusministerium in Verbindung, um die Gründung in die Wege zu leiten. In dem Schreiben an das Kultusministerium betonte Hoegner, dass er die Gründung des Instituts „auf das Wärmste“ begrüßte und persönlich an der Angelegenheit „ganz besonderen Anteil nimmt“, sodass er über den Fortgang auf dem Laufenden gehalten werden wollte.8 Als das Kultusministerium die Staatskanzlei daraufhin im Oktober 1946 darüber informierte, dass die Verhandlungen über die Institutionsgründung weitgehend abgeschlossen waren, äußerte Hoegner seine Befriedigung und drängte das Kultusministerium, die Gründung noch in seiner Amtszeit und vor der Landtagswahl am 1. Dezember 1946 zu realisieren.9 Obwohl dies nicht gelang, erteilte das Finanzministerium am 22. November die Zustimmung für die Errichtung des Instituts. Außerdem stattete Hoegner Spindler noch kurz vor der Landtagswahl mit 5.000

4 Vgl. Wolfrum, Geschichtspolitik in Bayern, in: Schlemmer/Woller (Hrsg.), Politik und Kultur, S. 366 f. 5 Zit. nach: Gelberg, Die Gründung, in: Volkert/Ziegler (Hrsg.), Im Dienst, S. 410. 6 Zit. nach: ebenda, S. 409. 7 So umschrieb Spindler 1954 die Geschichte mit Gefühl für Dramaturgie in einem persönlichen Brief an Hoegner zu dessen 60. Geburtstag. Vgl. ebenda. 8 Zit. nach: ebenda, S. 411. 9 Vgl. Wolfrum, Geschichtspolitik in Bayern, in: Schlemmer/Woller (Hrsg.), Politik und Kultur, S. 367 f.

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5 Geschichtspolitik: Die Neuerfindung des bayerischen Staats nach 1945

Reichsmark für den Aufbau aus. Damit war die Grundlage für die Institutionsgründung, die am 15. Februar 1947 vollzogen wurde, bereits 1946 gelegt.10 Offensichtlich hatte das Institut für Bayerische Geschichte für Hoegner hohe Priorität. Obwohl dabei mit Sicherheit auch wissenschaftliche Motive eine Rolle spielte, wusste der Ministerpräsident sich insbesondere um das Legitimationspotential des Instituts für seine föderalistische Politik, nicht zuletzt gegenüber seinen eigenen Parteigenossen.11 Dies galt ebenfalls für Hoegners Nachfolger Ehard. Spindlers Befürchtungen, dass Ehard 1947 die Pläne zur Institutgründung nicht in vollem Umfang wie sein Vorgänger unterstützen würde, stellten sich als unbegründet heraus. Im Oktober 1947 versicherte der Ministerpräsident Spindler, dass er mit der Erforschung der bayerischen Landesgeschichte nichts weniger als „ein wichtiges staatspolitisches Interesse“ verbinde.12 Die Gründung des Instituts für Bayerische Geschichte war somit ein Politikum, das, wie der Historiker Edgar Wolfrum zu Recht bemerkt hat, „ohne die zeitliche, politische und personelle Konstellation der Nachkriegszeit“ nicht möglich gewesen wäre.13 Zugleich stellte sie deutschlandweit betrachtet eine Ausnahme dar, denn die Haltung der führenden politischen Elite der Nachkriegszeit wurde gerade durch Misstrauen gegenüber der traditionellen Geschichtswissenschaft, die sich als Legitimationswissenschaft des Nationalismus verstanden hatte, gekennzeichnet.14 Durch die herausragende Rolle von Spindler, die sich in der Praxis als die eines „Staatshistoriografen“ und „Chefinterpreten“ umschreiben lässt, und seine Nähe zu den Ministerpräsidenten und zur Staatskanzlei, nicht zuletzt auch als Mitglied des Landespersonalamts und als Politikberater, verschwammen dabei von Anfang an die Grenzen zwischen Politik und Wissenschaft.15 Die Landesgeschichtsschreibung „in der Münchner Zentrale der Orthodoxie um das Institut für Bayerische Geschichte“16 verstand sich unter Spindlers Leitung dezidiert als Teil einer staatlichen Identitätspolitik, als eine „Legitimationswissenschaft“ mit öffentlichem Auftrag, die mit ihrer Forschung ein wichtiges staatspolitisches Interesse vertrat. „Ohne Geschichtsbewusstsein kein Staatsbewusstsein, und wenn man fortfährt: 10 Nach einer Einschätzung von Spindler brauchte das Institut für seine Ausstattung einmalig insgesamt 12.000 Reichsmark. Vgl. Gelberg, Die Gründung, in: Volkert/Ziegler (Hrsg.), Im Dienst, S. 412. 11 Vgl. Wolfrum, Geschichtspolitik in Bayern, in: Schlemmer/Woller (Hrsg.), Politik und Kultur, S. 367; Löffler, Landesgeschichtsschreibung und Geschichtspolitik, S. 201. Zu Hoegners Außenseiterrolle vgl. Kapitel 2.3. 12 Zit. nach: Wolfrum, Geschichtspolitik in Bayern, in: Schlemmer/Woller (Hrsg.), Politik und Kultur, S. 368. 13 Ebenda, S. 367. 14 Vgl. Brechtken, Gründungswege, in: Brechtken (Hrsg.), Aufarbeitung, S. 66. 15 Löffler, Landesgeschichtsschreibung und Geschichtspolitik, S. 202. 16 Ebenda.

5.1 Bayerische Geschichte als „historische Legitimationswissenschaft“



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Ohne Staatsbewusstsein keine Staatsregierung, so wüßte ich nicht, was dagegen einzuwenden wäre“, schrieb Spindler 1969 dazu in einem Dankesbrief an den Kultusminister Ludwig Huber, der den Historiker mit einem Brief zu seinem 75. Geburtstag gratulierte und für seine wissenschaftlichen Verdienste gewürdigt hatte.17 Obwohl die Ministerpräsidenten und die Staatskanzlei zu Spindlers wichtigsten geschichtspolitischen Ansprechpartnern gehörten, blieben die Verbindungen zwischen dem Institut für Bayerische Geschichte und der bayerischen Ministerialverwaltung keineswegs auf diese beiden Akteure begrenzt. So stellte das bayerische Kultusministerium für die Vermittlung der bayerischen Geschichte einen weiteren, wichtigen Ansprechpartner auf Regierungsebene dar. Zugleich galt und gilt das Institut als „Kaderschmiede für den Freistaat“ und viele Absolventen fanden ihren Weg von hier aus in die höhere Beamtenschaft der bayerischen Ministerien oder wurden auf die Lehrstühle der seit 1960 anwachsenden bayerischen Universitätslandschaft installiert.18 Weitere Absolventen wurden und werden zielgerichtet beim Bayerischen Rundfunk, in der Denkmalpflege, in den diversen bayerischen Verbänden und Vereinen, in der Landeszentrale für politische Bildung untergebracht oder die Leitung von bayerischen Museen, Archiven, Bibliotheken und Schulen wurden ihnen übertragen.19 Darüber hinaus wurden Spindlers Reden und Schriften von der bayerischen Ministerialverwaltung „eifrig rezipiert“, sodass er das Geschichtsbild der bayerischen Beamtenschaft wesentlich prägte.20 Vor diesem Hintergrund beeinflusste Spindler die Geschichtspolitik in Bayern weiter über die Ministerpräsidenten und die Staatskanzlei hinaus und sein Geschichtsbild wurde parteiübergreifend mitgetragen.

Max Spindler Ausschlaggebend für die Zusammenarbeit zwischen Wissenschaft und Politik war insbesondere Max Spindler.21 Der 1894 in Oberfranken geborene Historiker war 1946 bereits vor seinem Gespräch mit Hoegner zum Professor für Mittlere und 17 Zit. nach: Gelberg, Die Gründung, in: Volkert/Ziegler (Hrsg.), Im Dienst, S. 409. 18 Löffler, Landesgeschichtsschreibung und Geschichtspolitik, S. 204. 19 Vgl. ebenda. 20 Ebenda, S. 201. 21 Zu Spindlers Biografie vgl. Andreas Kraus, Max Spindler. Persönlichkeit und Werk, in: Zeitschrift für bayerische Landesgeschichte (1986), H. 49, S. 579–596; Ferdinand Kramer, Der Lehrstuhl für bayerische Landesgeschichte von 1917 bis 1977, in: Wilhelm Volkert/Walter Ziegler (Hrsg.), Im Dienst der bayerischen Geschichte. 70 Jahre Kommission für Bayerische Landesgeschichte; 50 Jahre Institut für Bayerische Geschichte, München 1999, S. 351–406; Kramer, Max

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Neuere sowie Bayerische Geschichte an der Universität München ernannt worden. Er folgte damit den Historiker Karl Alexander von Müller auf, der wegen seiner formalen NS-Belastung und seines Handelns während der NS-Zeit von der amerikanischen Militärregung aus dem Hochschuldienst entlassen wurde.22 Spindler war dagegen nur der NSV und dem NS-Lehrerbund beigetreten und galt nach Kriegsende als unbelastet.23 Von 1930 bis 1934 hatte er als Privatdozent an der Universität München gearbeitet. Dort wurde er 1935 zum außerordentlichen, 1939 zum außerplanmäßigen Professor ernannt. Nach zweijährigem Wehrdienst vertrat er 1942 und 1943 einen Lehrstuhl in Jena, bevor er wieder an die Universität in München zurückkehrte. Obwohl seine kritische Haltung gegenüber dem NS-Regime sowohl beim Kultusministerium als auch bei der Gestapo bekannt war, konnten die Vorwürfe gegen seine Person 1937 nicht nachgewiesen werden. Weil er politisch nicht im Vordergrund trat, konnte er seine Position in München bis zum Kriegsende behalten.24 Spindlers staatspolitische und historische Auffassungen stimmten in vielerlei Hinsicht mit denen der Ministerpräsidenten und des Führungspersonals der Staatskanzlei überein. So stand er politisch dem katholisch-konservativen Flügel der CSU nahe, dessen föderalistische Staatsauffassungen auch Hoegner teilte, wie 1946 beispielsweise aus der Verfassungsdiskussion über das Amt eines Bayerischen Staatspräsidenten hervorging. Das Denken Spindlers in der Nachkriegszeit war insbesondere von zwei Elementen geprägt. Zuerst knüpfte er an die historiografische Tradition seines Lehrers Michael Doeberl an, der von 1917 bis zu seinem Tod 1928 Inhaber des Lehrstuhls für bayerische Geschichte an der Universität in München und Mitglied der BVP gewesen war.25 Wie Doeberl vertrat Spindler einen ausgesprochenen staatsbayerischen Standpunkt. Außerdem spielten Spindlers negative Erfahrungen aus der NS-Zeit eine große Rolle. Die Landesgeschichte im Spindler, in: Weigand (Hrsg.), Münchner Historiker; Wolfrum, Geschichtspolitik in Bayern, in: Schlemmer/Woller (Hrsg.), Politik und Kultur, S. 366–369. 22 Zu Karl Alexander von Müllers Handeln in der NS-Zeit vgl. Matthias Berg, Karl Alexander von Müller. Historiker für den Nationalsozialismus, Göttingen 2014; Kramer, Der Lehrstuhl, in: Volkert/Ziegler (Hrsg.), Im Dienst, S. 365–378. 23 Vgl. Kramer, Der Lehrstuhl, in: Volkert/Ziegler (Hrsg.), Im Dienst, S. 379. 24 Vgl. ebenda, S. 381. 25 Zu Doeberls Person und Geschichtsauffassungen vgl. ebenda, S. 353–363; Christoph Weisz, Die Revolution von 1918 im historischen und politischen Denken Münchner Historiker der Weimarer Zeit. (Konrad Beyerle, Max Buchner, Michael Doeberl, Erich Marcks, Karl Alexander von Müller, Hermann Oncken), in: Karl Bosl (Hrsg.), Bayern im Umbruch. Die Revolution von 1918, ihre Voraussetzungen, ihr Verlauf und ihre Folgen, München 1969, S. 535–578; Christoph Weisz, Geschichtsauffassung und politisches Denken Münchener Historiker der Weimarer Zeit. Konrad Beyerle, Max Buchner, Michael Doeberl, Erich Marcks, Karl Alexander von Müller, Hermann Oncken, Berlin 1970.

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„Dritten Reich“ hatte nach seiner Ansicht zu sehr der Legitimierung der Zentralisierungspolitik des NS-Staats gedient, wodurch die Geschichte der deutschen Einzelstaaten in den Hintergrund gedrängt worden war.26 Diese Tendenzen in der Landesgeschichtsschreibung wollte Spindler nach 1945 rückgängig machen.

Meistererzählung bayerischer Geschichte Somit entstand in der Nachkriegszeit unter seiner Leitung eine Meistererzählung der bayerischen Geschichte, die vier Hauptargumentationslinien kennzeichneten und die eng an die föderalistische Politik von Ehard und der Staatskanzlei anschloss.27 Um welche Argumentationslinien ging es dabei? Spindler wollte, ähnlich wie Ehard, Pfeiffer und Schwend, an der alten bayerischen Geschichtstradition anknüpfen. Somit stellte die erste Argumentationslinie die Kontinuität und die lange Dauer in der bayerischen Geschichte dar. In dieser Interpretation gab es eine fast tausendjährige kohärente, lineare Entwicklung vom sechsten Jahrhundert bis zur Gegenwart. Von grundlegender Bedeutung für diese Kontinuität in der bayerischen Geschichte war das organische Zusammenspiel von drei Elementen gewesen: Stamm, Territorium und Dynastie. Doch dieses Zusammenspiel funktionierte nur, und hier kommt die zweite Argumentationslinie ins Spiel, im Rahmen eines Staats. Der moderne Staat, so wie er während der Ära Montgelas und der Regierungszeit König Ludwigs I. in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts mit einer Mischung aus Tradition und Modernisierung begründet worden war, stellte den Fluchtpunkt der bayerischen Geschichte dar. Vor diesem Hintergrund wurden die Elemente moderner Staatlichkeit auf die bayerische Geschichte in Gestalt eines teleologischen Entwicklungsnarratives des bayerischen Staats projiziert.28

26 Vgl. Kramer, Der Lehrstuhl, in: Volkert/Ziegler (Hrsg.), Im Dienst, S. 382 f. 27 Exemplarisch für diese Argumentationslinien sind die jeweiligen Bände des „Handbuch für Bayerische Geschichte“, von denen Spindler der Herausgeber und zugleich der Autor von unterschiedlichen Beiträgen war. Besonders interessant für Spindlers Verständnis der bayerischen Landesgeschichte sind dabei seine Vorworte zu den jeweiligen Bänden. Vgl. Max Spindler (Hrsg.), Handbuch der bayerischen Geschichte. Band I, Das Alte Bayern, Das Stammesherzogtum bis zum Ausgang des 12. Jahrhunderts, München 1968; Max Spindler (Hrsg.), Handbuch der bayerischen Geschichte. Band II, Das Alte Bayern, Der Territorialstaat vom Ausgang des 12. Jahrhunderts bis zum Ausgang des 18. Jahrhunderts, München 1969; Max Spindler (Hrsg.), Handbuch der bayerischen Geschichte. Band IV, Das Neue Bayern 1800–1970, Zweiter Teilband, München 1975; Max Spindler (Hrsg.), Handbuch der bayerischen Geschichte. Band IV, Das Neue Bayern 1800– 1970, Erster Teilband, München 1979. 28 Vgl. Max Spindler, Die Regierungszeit Ludwigs I. (1825–1848), in: Max Spindler (Hrsg.), Handbuch der bayerischen Geschichte. Band IV, Das Neue Bayern 1800–1970, Erster Teilband, Mün-

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So wurde aus dem bayerischen Volksstamm, dessen genauen Ursprung unklar sei,29 als Staatsform ein Stammesherzogtum konstruiert, das ungefähr ab 600 nach Christus bis ins hohe Mittelalter existierte. In der Phase vom ausgehenden 12. bis zum beginnenden 14. Jahrhundert wurde das zweite grundlegende Element virulent: das Territorium. Daraus wurde als Staatstypus der Landesherrschaft oder der Territorialstaat konstruiert. Dieses Gebiet galt nach Spindlers Deutung als der „Bewahrer der Stammestradition“.30 Für den Zusammenhalt von Stamm und Territorium wurde nun das dritte Element im Staatswerdungsprozess geschichtsmächtig: die Dynastie. Zwischen 1180 und 1918 sorgte die Wittelsbacher Dynastie für staatliche Kontinuität und trieb die Entwicklung der staatlichen Strukturen und Einrichtungen voran. Obwohl die drei Elemente jeweils unverzichtbar für das große Narrativ waren, sah Spindler den bayerischen Staat als das „Rückgrat des geschichtlichen Lebens“.31 Der Staat stand somit in Spindlers Augen notwendigerweise, unvermeidbar im Zentrum der Landesgeschichtsschreibung. Mit der zweiten Argumentationslinie hing außerdem die dritte eng zusammen, die sich stark auf die politische Situation in der Nachkriegszeit bezog. Spindler betonte in seinen Schriften, dass bereits das frühe Stammesherzogtum ein starker, unabhängiger Staat mit einer ausgeprägten Eigenständigkeit gewesen sei, der außerdem über eine reiche Repräsentationssymbolik verfügt habe und reichs- beziehungsweise deutschlandweiten Einfluss besessen oder zumindest diesen Anspruch erhoben habe.32 Aus diesem Narrativ des kraftvollen, eigenständigen Bayern legitimierte Spindler in der Nachkriegszeit die Rolle des bayerischen Staats als Vorkämpfer und Protektor des Föderalismus in Deutschland und Europa. In der historischen Tradition des eigenständigen bayerischen Staats, versicherte Spindler Ehard 1947, könne „die deutsche Frage der Gegenwart […] nur vom deutschen Einzelstaat her gelöst werden“.33 Dabei hatte Spindler die Aufgabe, so umschrieb er es selbst, diese Einzelstaatstradition bewusstseinsmäßig bei der Neuerfindung des bayerischen Staats nach 1945 abzusichern.34 Die vierte Argumentationslinie war die des bayerischen Staats als „friedlicher Kulturstaat“ in christlicher Tradition. In diesem Narrativ hatte sich die staatliche chen 1979, S. 89–223; Löffler, Landesgeschichtsschreibung und Geschichtspolitik, S. 206 f.; Wolfrum, Geschichtspolitik in Bayern, in: Schlemmer/Woller (Hrsg.), Politik und Kultur, S. 369. 29 Vgl. Löffler, Historische Staatlichkeit, S. 206. 30 Spindler (Hrsg.), Handbuch I, S. VII f. 31 Vgl. Wolfrum, Geschichtspolitik in Bayern, in: Schlemmer/Woller (Hrsg.), Politik und Kultur, S. 367. Zum Staatdenken von deutschen Historikern nach 1945 vgl. Gabriele Metzler, Der Staat der Historiker. Staatsvorstellungen deutscher Historiker seit 1945, Berlin 2018. 32 Vgl. Löffler, Landesgeschichtsschreibung und Geschichtspolitik, S. 210 f. 33 Zit. nach: ebenda, S. 208. 34 Vgl. ebenda.

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Entwicklung Bayerns Hand in Hand mit dem Willen zu einer selbständigen Kulturentwicklung vollzogen, die einerseits von den Fürsten, insbesondere den Wittelsbachern, und anderseits von der katholischen Kirche und den Klöstern vorangetrieben wurde.35 Dieses Narrativ wurde nach 1945 zugleich benutzt, um den neuen bayerischen Staat von den negativen preußischen Traditionen abzugrenzen. Während der bayerische Stamm sich primär mit ihrer „Kulturaufgabe“ beschäftigt hatte, wurde dagegen die Rolle Preußens in der deutschen Geschichte mit „Eroberung, Macht und Herrschaft“ verbunden. Diese Lesart hatte in der Nachkriegszeit weitreichende Konsequenzen für die faktisch ausbleibende geschichtswissenschaftliche Auseinandersetzung mit der Rolle Bayerns im Nationalsozialismus. Weil der bayerische Staat zwischen 1933 und 1945 nach dieser Sichtweise nicht existiert hätte, setzte sich in der Landesgeschichtsschreibung die Vorstellung durch, dass es keine Geschichte mehr gab, die erzählt werden konnte. So wird die NS-Zeit in Spindlers monumentalen Handbuch zur bayerischen Geschichte auf lediglich 19 von insgesamt 1.398 Seiten behandelt, von denen sieben im Zeichen des bayerischen Widerstands gegen dem Hitler-Regime stehen.36 Zugleich setzte sich mit dieser Leseart die Auffassung durch, dass es der bayerischen Staatsregierung während der NS-Zeit an einer rechtlichen und politischen Grundlage zum autonomen Handeln gefehlt habe, sodass der bayerische Staat, der seine „Staatspersönlichkeit“37 verloren habe, für die Verbrechen des NS-Regimes keine Verantwortung tragen könne. Vielmehr seien der bayerische Staat und seine Behörden selbst zum Opfer des „preußischen Zentralismus und Militarismus“ geworden.38 Ziel war es dann auch, den bayerischen Staat nach 1945 von der NS-Zeit abzugrenzen und im Rahmen der staatlichen Identitätspolitik wieder an die tausendjährige bayerische Erfolgsgeschichte anzuknüpfen. Somit wurde die NS-Zeit als ein „Fremdkörper“39 und als „eine kurze Unterbrechung“40 in der ansonsten erfolgreich verlaufenden bayerischen Geschichte wahrgenommen. Diese Sichtweise hat die bayerische Landesgeschichtsschreibung mindestens noch bis in die 1990er Jahre dominiert und somit eine kritische Auseinandersetzung mit dem Handeln der bayerischen Behörden im Nationalsozialismus verhindert. Somit ging die bayerische staatliche Identitätspolitik nach 1945 auf das Konto 35 Vgl. ebenda, S. 211 f. 36 Vgl. Ludwig Volk, Bayern im NS-Staat 1933 bis 1945, in: Max Spindler (Hrsg.), Handbuch der bayerischen Geschichte. Band IV, Das Neue Bayern 1800–1970, Erster Teilband, München 1979, S. 518–537. 37 Löffler, Landesgeschichtsschreibung und Geschichtspolitik, S. 212. 38 Exemplarisch dafür: Pfeiffer, Wie Bayern, in: Bayerische Staatskanzlei (Hrsg.), Unser Bayern. 39 Vollhardt, Staatliche Heimatpolitik und Heimatdiskurse, S. 74. 40 Löffler, Landesgeschichtsschreibung und Geschichtspolitik, S. 212.

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der Opfergruppen der NS-Zeit, deren Verfolgung, Ausplünderung und Ermordung in der bayerischen Landesgeschichtsschreibung Jahrzehnte lang kaum erforscht wurde, und es dauerte bis 1995, bis mit Edmund Stoiber zum ersten Mal seit dem Zweiten Weltkrieg ein Bayerischer Ministerpräsident in offizieller Eigenschaft die Gedenkstätte in Dachau besuchte.

5.2 Die Staatskanzlei schreibt Geschichte Wilhelm Hoegner, Hans Ehard und die Staatskanzlei überließen nach 1945 keineswegs nur Spindler die Initiative zum Wiederaufbau des bayerischen Staatsbewusstseins. Vielmehr wurde auch in der Staatskanzlei aktiv Geschichte geschrieben und die Ministerpräsidenten ließen keine Chance ungenutzt, vor allem in den ersten Nachkriegsjahren, um mit ihren öffentlichen Auftritten anti-preußische Vorurteile und Resentiments zu pflegen, die in Bayern bereits eine lange Vorgeschichte hatten,41 und ihr Amt sowie ihre föderalistische Politik mit der langen geschichtlichen Tradition Bayerns zu legitimieren. Bereits Fritz Schäffer hatte am 14. Juni 1945 in seiner im Radio ausgestrahlten Regierungserklärung daraufhin gewiesen, dass „Preußen-Deutschland und sein Geist […] im Nationalsozialismus aufgegangen und mit ihm gestorben [sind]“.42 Preußen galt in der Nachkriegszeit in Bayern, und übrigens auch in den Kreisen der amerikanischen Militärregierung, als Ausgeburt des Militarismus und Zentralismus. Somit bediente sich bereits Schäffer in der Öffentlichkeit einem Narrativ, dass die Schuld am Nationalsozialismus Preußen gab und vom bayerischen Staat fernhielt. Doch erst ab der Regierungszeit von Hans Ehard nahm die aktive und kohärente Geschichtsdeutung in der Staatskanzlei Fahrt auf. Das politische Ziel bestand darin, den offensiven, von maximalen Ansprüchen ausgehenden Föderalismus von Ehard mit einem historischen Narrativ in Reden, Artikeln, Büchern, Denkschriften und Radiobeiträgen zu untermauern und voranzubringen. Zugleich sollte der staatliche Wiederaufbau nach 1945 als bayerische Erfolgsgeschichte und als Kontrast zum preußischen Zentralismus der NS-Zeit dargestellt werden. Davon war die durch die Staatskanzlei herausgegebene Beilage „Unser Bayern“ von 1950 mit Beiträgen zur „Politik, Wirtschaft und Kultur“ ein offensichtliches Beispiel.43 In seinem Geleitwort schrieb Hans Ehard: „Aus diesen Ausschnitten aus bayeri41 Vgl. Wolfrum, Geschichtspolitik in Bayern, in: Schlemmer/Woller (Hrsg.), Politik und Kultur, S. 357. 42 Regierungserklärung des Ministerpräsidenten Fritz Schäffer über Radio München, 14. Juni 1945, in: Quellen Band I, S. 190. 43 Vgl. Bayerische Staatskanzlei (Hrsg.), Unser Bayern. Politik, Wirtschaft, Kultur, München 1950.

5.2 Die Staatskanzlei schreibt Geschichte



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scher Aufbauarbeit spricht aber nicht nur die auf dem Besonderen beruhende Eigenheit, sondern auch die dem Ganzen dienende Verbundenheit. Die Beiträge am Wiederaufbau Bayerns sind Beiträge am Wiederaufbau Deutschlands. Weil wir uns für das Ganze fruchtbar erhalten wollen, sind wir hierzulande so eifrig darauf bedacht, dass der Mutterboden unseres Schaffens in seiner natürlichen Fruchtbarkeit erhalten bleibt.“44 Die Spindoctors dieses Kampf- und Erfolgsnarratives in der Staatskanzlei waren Pfeiffer, Leusser, Baer und insbesondere Karl Schwend und Ernst Deuerlein. Schwend hatte als ehemaliger Herausgeber und Hauptschriftleiter der Bayerischen Volkspartei-Correspondenz sowie als Vorsitzender des Landesverbandes der Bayerischen Volksparteipresse bereits viel Erfahrung mit dem Verfassen und Veröffentlichen von historisch untermauerten, politisch-ideologischen Texten.45 Die meisten Reden Ehards bis 1950 entstammten Schwends Feder. Als Schwend 1950 zum Leiter der Staatskanzlei ernannt wurde, übernahm bis zum Ende von Ehards dritter Regierung vor allem der fast 30 Jahre jüngere Historiker Ernst Deuerlein die Funktion des Textschreibers des Ministerpräsidenten.

Ernst Deuerlein Deuerlein wurde 1918 im mittelfränkischen Rückersdorf geboren und besuchte ab 1931 das humanistische Melanchton-Gymnasium in Nürnberg. Obwohl er einer evangelisch-lutherischen Familie entstammte, engagierte er sich während seiner Zeit in Nürnberg bei der katholischen Jugendbewegung als Mitglied des „Katholischen Jungmännerverbandes“ sowie der Schülerbewegung „Bund Neudeutschland“. Offiziell waren die beiden Verbände politisch neutral, dennoch zeigten sie in der Praxis eine große Nähe zur BVP und distanzierten sich von den kommunistischen und rechtsnationalen Parteien. Für Deuerlein stellten diese Jahre „die geistige Heimat“ seiner Jugend dar, deren Einfluss sowohl während der NS-Zeit als auch nach 1945 deutlich spürbar blieb. Deuerleins Verhältnis zum NS-Regime war von Ambivalenz gekennzeichnet. Dabei ist eine präzise Einordnung durch die teilweise lückenhafte Quellenlage schwierig, zumal Deuerlein sowohl vor als auch nach 1945 eine aktive Biografiepolitik betrieb, um je nach politischem Kontext gut dazustehen.46 Fest steht, dass sich Deuerlein 1933 weigerte, der Hitlerjugend beizutreten, was ihn 1934 sogar sein 44 Vgl. Hans Ehard, Zur Aufklärung über das wahre Bayern, in: Bayerische Staatskanzlei (Hrsg.), Unser Bayern. Politik, Wirtschaft, Kultur, München 1950, S. 3. 45 Vgl. Wegmaier, Steuermänner, S. 568 f. 46 Vgl. ebenda, S. 577 f.

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Schulstipendium der Stadt Nürnberg kostete. Schließlich trat er der HJ 1937 bei, weil das Direktorat des Gymnasiums den Besuch der Schule von einer Mitgliedschaft abhängig machte. Zugleich blieb er aber den katholischen Jugendverbänden während der NS-Zeit verbunden.47 Während seines Spruchkammerprozesses behauptete Deuerlein Anfang 1947, dass er wegen seiner Nähe zu den katholischen Verbänden in Konflikt mit der lokalen Leitung der HJ geraten und 1938 ausgeschlossen worden sei. Belege dafür gibt es allerdings nicht.48 Außerdem agierte er während der NS-Diktatur systemkonformer, als er in der Nachkriegszeit zugeben wollte. Nach eigener Angabe gegenüber der Reichsschrifttumskammer – in der er seit 1940 Mitglied werden wollte – hatte er bei der HJ die lokale Presse- und Propagandastelle geleitet.49 Außerdem trat er am 1. Oktober 1939 als Anwärter dem NS-Studentenbund bei, um ein Stipendium sowie Hörgeldermäßigung für sein Studium der Philologie an der Universität Erlangen zu beantragen. Zugleich ließ er sich von der Kriegsbegeisterung anstecken. Als Student wurde er nicht bereits 1939 zur Wehrmacht einberufen, sondern nahm er erst 1940 als Unteroffizier in einer Nachrichtenabteilung am Frankreichfeldzug teil, bevor er 1941 an die Ostfront versetzt wurde. Vom Enthusiasmus über den Kriegsverlauf mitgerissen, erstellte Deuerlein verschiedene kriegsverherrlichende propagandistische Texte und lobhudelte Hitler als dem „Baumeister der neuen Herrlichkeit des Reiches der Deutschen“.50 Zu Recht merkt der Historiker Alexander Wegmaier an, dass von Gegnerschaft gegenüber dem Nationalsozialismus in den ersten Kriegsjahren bei Deuerlein nichts zu spüren ist. So versuchte er immer wieder, neue Texte im Sinne des Regimes zu veröffentlichen, führte Verhandlungen mit dem NSDAP-Zentralverlag Franz Eher über die Veröffentlichung seines Kriegstagebuches, versuchte Mitglied der Reichsschrifttumskammer zu werden und bekundete sein Interesse am Aufbau des Zentralorgans des Nationalsozialistischen Deutschen Studentenbundes.51 Inwiefern Deuerlein zu diesem Zeitpunkt aus nationalsozialistischer Überzeugung handelte, lässt sich dennoch nicht eindeutig feststellen. So wurde er zu keinem Zeitpunkt Mitglied der NSDAP. Fest steht zumindest, dass er bereit war, sich der Handlungslogik des NS-Staats anzupassen, um seine schriftstellerische Karriere voranzutreiben.

47 Vgl. ebenda, S. 577. 48 Vgl. ebenda, S. 278. 49 Vgl. ebenda. 50 Zit. nach: ebenda, S. 579. 51 Diese Tätigkeiten sind überliefert in: BArchB, R/9361/V/4740, verschiedene Briefen von Deuerlein an die Reichsschrifttumskammer aus 1940 und 1941; R/9361/II/160143, unterschiedliche Briefen von Deuerlein an den N. S. D. Studentenbund, 1939–1942. Vgl. Wegmaier, Steuermänner, S. 580 f.

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Der Krieg an der Ostfront nahm für Deuerlein 1942 eine lebensentscheidende Wendung, als infolge einer Verwundung sein linkes Bein amputiert werden musste und danach langwierige Infektionen folgten.52 Daraufhin wurde ihm in Nürnberg die Leitung der vakanten Studentenführung übertragen, bevor er sich ab September 1944 als Kompaniechef und später Bataillonsadjudant an der Verteidigung und Übergabe der damaligen Sedankaserne in Fürth beteiligte. Nach der Befreiung durch die Amerikaner befand er sich vom 19. April bis zum 30. Mai 1945 in amerikanischer Gefangenschaft. Nach dem Krieg arbeitete Deuerlein für kurze Zeit beim Bayerischen Roten Kreuz, bevor er 1946 sein Studium wiederaufnahm und erfolgreich abschloss. Gleichzeitig arbeitete er als Lektor beim Nürnberger Verlag „Die Egge“. Weil ihn die Universität Erlangen wegen seiner Tätigkeit als Studentenführer im NS-Staat ablehnte, wurde er im Mai 1947 an der Münchner Universität mit seinem Hauptfach Mittlere und Neuere Geschichte und den Nebenfächern Bayerische Landesgeschichte und Philosophie bei Walter Goetz und Max Spindler mit einer Dissertation „Über den katholischen Klerus in der ersten Deutschen Nationalversammlung 1848/49“ promoviert.53 Bereits nach dem Abschluss seines Studiums war Deuerlein 1946 im Bayerischen Landesjugendausschuss und im Landesjugendamt des Innenministeriums tätig. Dort lernte er eine Person kennen, über die er 1949 seinen Weg in die Staatskanzlei fand: Franz Josef Strauß. Strauß leitete das Landesjugendamt zwischen 1947 und 1949. Er und Deuerlein, beide ehemalige Weltkriegsoffiziere und fast im gleichen Alter, verband eine gute Beziehung miteinander, die sie über 1949 hinaus mit Briefen weiter pflegten.54 Im März 1949 musste Deuerlein wegen seiner Morphiumabhängigkeit das Innenministerium verlassen.55 Daraufhin wechselte er in die CSU-Landesleitung, die wiederum unter der Leitung von Strauß in seiner Funktion als Landesgeschäftsführer und später Generalsekretär stand.56 In dieser Landesgeschäftsstelle der CSU konnte Deuerlein seine Ambitionen als Schriftsteller weiter vorantreiben und von seiner bereits erworbenen Erfahrung in diesem Bereich profitieren. Hier war er im Wesentlichen für die Pressearbeit und als Redakteur für die Parteizeitung „Union“ zuständig. Für diese Arbeit

52 Vgl. ebenda, S. 581. 53 Deuerleins Dissertation blieb ungedruckt. 54 BayHStA, StK 13387, Erklärung Franz Josef Strauß vom 3.3.1955. Für die Korrespondenz zwischen Strauß und Deuerlein zwischen etwa 1949 und 1961: HSS, NL Strauß Fam 495, 737, 870 und 934; NL Strauß BMVg 428. 55 Dazu gibt es unterschiedliche Beschreibungen in Deuerleins Personalakte: BayHStA, StK 13387, Vormerkung zur Anfechtung der Ernennung von Ernst Deuerlein zum Beamten, am 31. Januar 1955 erstellt von Fritz Baer; Brief Karl Schwend an Albrecht Haas, 14. Februar 1955. 56 Vgl. Wegmaier, Steuermänner, S. 586 f.

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wurde er von Ehard als Parteivorsitzender der CSU ausdrücklich gelobt57 und Deuerlein war von einer Stelle im Presse- und Informationsamt der Staatskanzlei lediglich einen Empfehlungsbrief von Strauß entfernt. Bereits im November 1949 wechselte Deuerlein auf die Empfehlung von Strauß58 in die Staatskanzlei, dennoch blieb er mindestens bis Januar 1950 noch nebenamtlicher Redakteur der CSU-Parteizeitung. Aus dieser Doppelfunktion geht klar hervor, wie eng die Verbindungen zwischen der CSU-Leitung und Staatskanzlei bereits zu diesem Zeitpunkt waren.59 Deuerlein wurde am 1. Juli 1952 als Regierungsrat in das Beamtenverhältnis übernommen und genau ein Jahr zum Oberregierungsrat befördert. Weil Ehard von den Qualitäten Deuerleins überzeugt war, stellte dabei die Tatsache, dass der Historiker die Anforderungen für das Beamtenverhältnis nicht erfüllte, kein Hindernis dar. Bereits die Tatsache, dass Karl Schwend ein Student Michael Doeberls und Ernst Deuerlein ein Promovend Max Spindlers war, illustriert, wie eng die bayerische Landesgeschichte nach 1945 mit der Bayerischen Staatskanzlei verknüpft war, welche Geschichtsauffassung dominierte und an welchen Traditionen aus der bayerische Geschichte nach 1945 angeknüpft wurde. So schrieb Schwend im Vorwort von seinem Buch „Bayern zwischen Monarchie und Diktatur“, das er in den Jahren 1946 und 1947 auf Drängen von Pfeiffer verfasste, folgendes: „Das historische Einführungskapitel, das sich mit der bayerischen Frage im neunzehnten Jahrhundert befaßt, lehnt sich an die Arbeiten des bayerischen Historikers, meines verehrten Lehrers Michael Doeberl, an.“60 Umgekehrt ehrte Max Spindler den verstorbenen Ernst Deuerlein im Vorwort vom vierter Band seines Handbuchs für Bayerische Geschichte: „Seine [Deuerleins, RT] Mitarbeit erschien umso wertvoller, als er, früher in der Bayerischen Staatskanzlei tätig, die Nachkriegsjahre eine Zeitlang in nächster Nähe der Verantwortlichen erlebt hatte.“61 Obwohl Pfeiffer, Baer und Leusser in der Staatskanzlei auch jeweils ihre Beiträge lieferten, waren es insbesondere Schwend und Deuerlein, die Ehards föderalistische Politik historisch und ideologisch untermauerten und die programmatischen Grundpositionen formulierten.62 Dabei begrenzte sich ihre Schreibarbeit 57 Vgl. ebenda, S. 587. 58 Deuerlein strebte diese Versetzung bereits Anfang 1949 an: HSS, NL Strauß Fam 495, Deuerlein an Strauß, 22. März 1949. 59 Vgl. Wegmaier, Steuermänner, S. 587. 60 Vorwort in: Karl Schwend, Bayern zwischen Monarchie und Diktatur, München 1954. 61 Vorwort in: Spindler (Hrsg.), Handbuch IV. Für Deuerleins Beitrag, der von Wolf D. Gruner vollendet wurde vgl. Ernst Deuerlein/Wolf Gruner, Die politische Entwicklung Bayerns 1945 bis 1972, in: Max Spindler (Hrsg.), Handbuch der bayerischen Geschichte. Band IV, Das Neue Bayern 1800–1970, Zweiter Teilband, München 1975, S. 538–644. 62 Vgl. Wegmaier, Steuermänner, S. 588 f.; Gelberg, Hans Ehard, S. 335, 489 f.

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keineswegs nur auf die Reden des Ministerpräsidenten. Darüber hinaus schrieben sie eifrig für die Bayerische Staatszeitung, die seit 1950 wieder als Wochenzeitung erschien, sowie für die von der Staatskanzlei dazu herausgegebene Beilage „Unser Bayern“63 und für eine Vielzahl an weiteren Zeitungen und Zeitschriften. Ihre Texte stellten eine Mischung aus Geschichtsschreibung und politischer Publizistik dar, wobei die Grenzen zwischen beiden Textsorten oft fließend waren. Aus den umfangreichen Ordnern mit Artikeln im Nachlass von Deuerlein geht hervor, dass er als junger Historiker während seiner Zeit in der Staatskanzlei sehr produktiv war und unter vielen unterschiedlichen Pseudonymen Artikel veröffentlichte.64 Insbesondere die Bayerische Staatszeitung bot die Staatskanzlei unbegrenzte Möglichkeiten, um die Tagespolitik in der Bundesrepublik in der Öffentlichkeit zu kommentieren und Ehards Föderalismus gegenüber Adenauers Bundespolitik zu verteidigen.65 Sowohl Schwend als auch Deuerlein glossierten in der Staatszeitung regelmäßig auf polemische Weise das politische Geschehen.66 Insbesondere verteidigten sie zwischen 1950 und 1954 das Recht des Bundesrates auf Beteiligung an der Außenpolitik, um Ehard als Vorsitzenden des Auswärtigen Ausschusses im Bundesrat zu unterstützen. Obwohl sich im Geschichtsnarrativ der Staatskanzlei ab 1947 in vielerlei Hinsicht die Argumentationslinien der Spindlerschen Schule widerspiegelten, setzten Schwend und Deuerlein – und somit Ehard – eigene historische Schwerpunkte. Vergleicht man außerdem die Reden Ehards aus dem Jahr 1947 mit 1954, so zeichnet sich eine klare historische und ideologische Entwicklung in der Begründung seines Föderalismus ab. Die Reden von 1947 waren noch stark von den persönlichen Erfahrungen der Weimarer Republik und des „Dritten Reiches“ geprägt. Exemplarisch dafür ist Ehards berühmt gewordene Eichstätter Rede zum Thema „Föderalismus und Demokratie“ vor der Landesversammlung der CSU am 30. August

63 Die Idee zu der von der Staatskanzlei herausgegeben Beilage „Unser Bayern“ zur Staatszeitung kam von Max Spindler und sollte ebenfalls zur Vergrößerung des bayerischen Staatsbewusstseins beitragen. Vgl. Wolfrum, Geschichtspolitik in Bayern, in: Schlemmer/Woller (Hrsg.), Politik und Kultur, S. 370. 64 StaBi München, Ana 463, 39–48. 65 Obwohl es nicht vertraglich festgelegt war, war die Staatszeitung verpflichtet, Beiträge von Regierungsmitgliedern und Behördenvertretern aufzunehmen. Dazu vgl. Paul Hoser, Bayerische Staatszeitung (BSZ), publiziert am 05.03.2013; in: Historisches Lexikon Bayerns, URL: http://www. historisches-lexikon-bayerns.de/Lexikon/Bayerische_Staatszeitung_(BSZ) [10. Juni 2021]. 66 Diese Beiträge aus der Bayerischen Staatszeitung sind jeweils überliefert in: StaBi München, Ana 463, 42, exemplarisch: „Zählebige Entnazifizierung“, 18. März 1953; „Auch der Staat braucht Schutz“, 25. November 1952; Ana 308, 42, exemplarisch: „Bayerische Passion“, 9. April 1952; „Merkwürdige Hüter der Verfassung“, 19. April 1951; „Festigung der Ordnung“, 5. Oktober 1950.

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1947.67 Die Botschaft von Ehards Rede war eindeutig: Bayern sollte als „Hüter des Föderalismus“ in Deutschland eine Vorreiterrolle beim Aufbau eines föderalistischen deutschen Nationalstaats spielen. „Der preußische Staat existiert nicht mehr. Damit ist das Haupthindernis für eine wirkliche föderative Organisation Deutschlands weggefallen. So lange Preußen existierte, war wirklicher Föderalismus in Deutschland nicht möglich“, sagte Ehard zu den neuen Möglichkeiten in der Nachkriegszeit. Um die „Aufgabe Bayerns“ weiter zu begründen, legte er dar, wie die bayerische Staatlichkeit ab 1866 durch die deutsch-nationale Einheitsbewegung unter Druck geraten war. Zugleich betonte er anschließend, dass „der Weg von Weimar nicht nochmal eingegangen werden“ dürfe.68 Damit bediente Ehard sich bei der Neuesten Geschichte und stilisierte insbesondere die Gründung der Weimarer Republik 1919 als Warnung und Negativbeispiel beim staatlichen Wiederaufbau nach 1945. Unitarisierung und Zentralisierung, dies lehrte die Geschichte in Ehards Deutung, waren eindeutig Feinde der Demokratie, während Föderalismus, so wie Bayern ihn schon immer angestrebt hatte, als Synonym für Demokratie zu verstehen war. Obwohl Ehard nicht explizit die Frage nach der Schuld am Nationalsozialismus aufwarf, ließ er kaum Zweifel daran, was die Ursache für die Machtübernahme Hitlers gewesen war: „die Reichs- und preußische Staatskatastrophe“.69 Davon grenzte er die historische Rolle des bayerischen Staats eindeutig ab, betonte die historische Rolle Bayerns als Vorreiter des Föderalismus und markierte insbesondere das bayerische Staatsbewusstsein, dass trotz allem als einziges in Deutschland überlebt hatte. „Bayern [steht] im Ganzen gesehen immer noch als klar umrissenes staatliches Gebilde da. Das älteste Staatsgebilde hat sich auch als das zäheste erwiesen“, so Ehard in seiner Rede.70 Schließlich plädierte er für eine „abendländische Erneuerung“ im Sinne einer Gemeinschaft der europäischen Völker.71 Die gleichen Topoi akzentuierte Ehard drei Monaten später im Münchner Prinzregentheater bei einer CSU-Versammlung: „Die vornehmste Aufgabe der bayerischen Staatsführung ist es, darauf bedacht zu sein, daß Bayern als lebendige Zelle deutscher föderalistischer Staatsgestaltung gestärkt und geschützt wird und wirksam gemacht wird, wenn es an die Frage einer neuen Verfassung für Deutsch67 Um die Wirkung und Reichweite der Rede zu vergrößern, erschien sie gedruckt mit einem Vor- und Nachwort, das mit hoher Wahrscheinlichkeit von Karl Schwend verfasst wurde. Vgl. Ehard, Freiheit. Die Rede von Ehard führte zum Bruch in der bayerischen Regierungskoalition zwischen CSU und SPD. 68 Ebenda, S. 23. 69 Ebenda, S. 22. 70 Ebenda, S. 23. 71 Ebenda, S. 31–36.

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land herangeht. […] Wenn Freiheit und Friede zwei Leitsterne föderalistischen Denkens sind, dann kann man sagen, daß es sich um alte bayerische Ideale handelt. In dem Wort Freiheit ist alles enthalten, was die Demokratie von der Diktatur unterscheidet. Bayern ist, das liegt im Wesen seiner Bevölkerung, ein ur-demokratisches Land. […] Bayern ist aber auch ein ausgesprochenes friedliches Land […] Als Hitler im Jahre 1939 als Diktator in einem rein zentralistisch gewordenen Deutschland den unseligen Krieg entfachte, existierte kein Bayern, das einen politischen Begriff dargestellt hätte. Nicht mit kriegerischen, aber um so mehr mit kulturellen Ambitionen war von jeher die bayerische Politik erfüllt.“72 Um schließlich die Position, in der sich Bayern zwischen 1945 und 1949 befand, aus einer historischen Perspektive zu verstärken, sprach Ehard im Dezember 1947 vor einer CSU-Versammlung in Bamberg von der „bayerischen Frage“. Obwohl die bayerische Frage zu diesem Zeitpunkt freilich kein neues Thema war und sie 1945 und 1946 bereits zu einer Spaltung der CSU73 geführt hatte, wurde sie ab diesem Zeitpunkt roten Faden in Ehards Reden. Ehard thematisierte sie 1947 wie folgt: „Seit es eine deutsche Frage gibt, gibt es eine bayerische Frage! Was ist die deutsche Frage? Nichts anderes als das Trachten und Sinnen der Deutschen, zu einer befriedigenden Lösung ihrer staatlichen Verhältnisse zu kommen, nichts anderes als das Streben nach einem deutschen Staat, der den deutschen Verhältnissen und dem Wesen des deutschen Volkes angemessen ist. Was ist die bayerische Frage? Nichts anders als das Trachten und Sehnen des bayerischen Volkes, seinen bayerischen Staat in ein richtiges, seinem Wesen angemessenes Verhältnis zum übrigen Deutschland zu bringen. Sie sehen, wie die beiden Fragen auf’s Engste miteinander zusammenhängen, wie die zweite Frage nur ein Stück der ersten Frage ist. Nie war es ein Problem, ob Bayern zu Deutschland gehöre, nie wird das bayerische Problem in eine solche Frage einmünden. Jederzeit war die bayerische Frage nur eine Frage der richtigen und sinngemäßen Einordnung Bayerns in ein sinnvoll geordnetes Deutschland. Wenn man sich das immer vor Augen hielte, gäbe es weniger törichte, falsche oder besorgte Urteile über das, was Bayern will und immer gewollt hat.“74 Vom Anfang seiner Regierungszeit an pflegte Ehard somit mit wesentlicher Unterstützung von Schwend ein historisches Narrativ des bayerischen Staats als eines starken, traditionsreichen, kulturreichen, friedvollen und demokratiegesinn72 Rede des Bayerischen Ministerpräsidenten Dr. Hans Ehard, Gehalten am 30. November 1947 11 Uhr Vormittags in einer Versammlung der CSU zu München im Prinzregenten-Theater, München 1947, S. 21. 73 Dazu vgl. Schlemmer, Aufbruch, S. 17–27. 74 Das Manuskript der Rede befindet sich im Nachlass von Schwend: StaBi München, Ana 308, Rede des Bayerischen Ministerpräsidenten Dr. Hans Ehard in der Versammlung der CSU in Bamberg am 28. Dezember 1947, S. 37 f.

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ten Staatswesens, das auf ein fast unverändertes Territorium und eine föderalistische Tradition zurückgreifen konnte und nach 1945 die Vorreiterrolle beim föderalistischen Staatsaufbau auf sich nehmen sollte. Mit diesem Narrativ forcierte er die Neuerfindung und Verstärkung des bayerischen Staatsbewusstseins. Bayern sollte als einziger noch existierender Staat selbstbewusst Deutschland den Weg zur Einheit auf einer föderalistischen Grundlage mit maximaler Eigenständigkeit für die jeweiligen Staaten zeigen. Preußen hatte dagegen ab 1866 mit seinem Zentralismus schrittweise das Deutsche Reich in die Katastrophe des Nationalsozialismus geführt und dabei den bayerischen Staat gegen seinen Willen mitgezogen. Der bayerische Staat hatte dagegen stets das richtige Verhältnis zwischen den Gliedstaaten und der Nation vor Augen gehabt. Vor diesem Hintergrund trug der bayerische Staat keine Mitverantwortung für die Verbrechen des NS-Regimes, sondern war selbst zum Opfer des NS-Regimes geworden. Dennoch hatten Formen der bayerischen Staatlichkeit überlebt, während Preußen mit dem Nationalsozialismus untergegangen war. Als Ehards wichtigster Redenschreiber übernahm Deuerlein ab 1950 dieses historische Grundnarrativ von Schwend. Der hatte sich jedoch insbesondere auf die Geschichte des modernen im 19. Jahrhundert entstandenen bayerischen Staats konzentriert, obwohl er natürlich immer wieder die Tradition betonte, und setzte ganz klar die Weimarer Republik als Negativfolie für die Gegenwart ein. Auch Schwends eigenes Buch „Bayern zwischen Monarchie und Diktatur“ war dafür ein eindeutiges Beispiel. Deuerlein näherte sich in seiner Darstellung jedoch zugleich der Geschichte der langen Dauer von Spindler an und verortete die „bayerische Frage“ vielmehr in einer mehr als tausendjährigen Eigengeschichte. Zugleich erweiterte Deuerlein im Vergleich zu Schwend die Grundprogrammatik des Föderalismus um das katholische Subsidiaritätsprinzip, wobei er Föderalismus als die politische Form der Subsidiarität verstand.75 Aufschlussreich für diese Erweiterungen ist ein Manuskript von Deuerlein mit dem Titel „Bayern und Deutschland. Tatsachen und Betrachtungen zur bayerischen Frage in der deutschen Geschichte“, das er 1952 für eine Sendung im Bayerischen Rundfunk verfasste.76 Am Anfang der Sendung hieß es: „Die bayerische Frage ist keine historische Reminiszenz, keine bayerische Sentimentalität; sie ist die Existenzfrage Bayerns, vor 1000 Jahren in gleicher Weise wie heute.“77 Die bayerische Frage entwickelte sich somit unter Einfluss von Deuerlein zu einem mehr als 75 Vgl. Hans Ehard, Die geistigen Grundlagen des Föderalismus. Ein Vortrag des Bayerischen Ministerpräsidenten Dr. Hans Ehard, gehalten am 3. Juni 1954 im Rahmen einer Vortragsreihe der Universität München, Bamberg 1968. Vgl. Wegmaier, Steuermänner, S. 589. 76 Das Manuskript befindet sich im Nachlass Deuerleins: StaBi München, Ana 463, 42. 77 Bayern und Deutschland. Tatsachen und Betrachtungen zur bayerischen Frage in der deutschen Geschichte, S. 2.

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tausendjährigen Kampf, der 1952 keineswegs abgeschlossen erschien. Die Rundfunksendung war klar als politische Bildung im doppelten Sinne gedacht, indem sie zugleich historisches Bewusstsein vermitteln und den Regierungsstandpunkt untermauern sollte.78 Der Inhalt der Sendung stimmte eins zu eins mit den Reden des Ministerpräsidenten überein. Sie steht damit exemplarisch für das Spindlersche Credo, dass die Pflege der bayerischen Geschichte die Pflege des bayerischen Staats sei, und somit für die Verwischung von Geschichtswissenschaft und Politik in Bayern.

Die Bayerische Landeszentrale für Heimatdienst Die Viererkoalition bedeutete sowohl für Schwend als auch für Deuerlein das Ende von ihren schriftstellerischen Aktivitäten in der Staatskanzlei zur Untermauerung und Unterstützung von Ehards föderalistischer Politik. Dies bedeutete allerdings keineswegs, dass unter Wilhelm Hoegner ab 1954 die geschichtspolitische Publizistik der Staatskanzlei beendet wurde oder ein ideologischer Bruch mit der föderalistischen Politik Ehards eintrat. In seinen jeweiligen Regierungserklärungen vor dem Landtag betonte Hoegner, dass er an der föderalistischen Politik der bayerischen Vorgängerregierungen seit 1945 festhielt. „Bayern nicht in einem deutschen Einheitsstaat verschwinden zu lassen, sehe ich […] als geschichtliche Aufgabe jedes bayerischen Politikers“, sagte er unter Beifall der Regierungsparteien und einer ganzen Reihe von CSU-Abgeordneten im Januar 1956 vor dem Bayerischen Landtag.79 Hoegner setzte somit ebenfalls die Geschichtspolitik der Staatskanzlei, die auf eine Vergrößerung des bayerischen Staatsbewusstseins sowie die historische Legitimation des Föderalismus abzielte, fort. Hatte er 1946 eine entscheidende Rolle bei der Gründung des Instituts für Bayerische Geschichte gespielt, so wurde 1955 unter seiner Leitung die „Bayerische Landeszentrale für Heimatdienst“ als unabhängige Organisation gegründet.80 Diese unterstand organisa78 Ebenda. 79 Erklärung des Ministerpräsidenten Wilhelm Hoegner vor dem Bayerischen Landtag über die Ziele seiner Regierung (17-Punkte-Programm), 17. Januar 1956, in: Gelberg, Quellen Band I, S. 603. Siehe ebenfalls: Regierungserklärung des Ministerpräsidenten Wilhelm Hoegner (Kabinett Hoegner II) vor dem Bayerischen Landtag (Ziele der Viererkoalition), 11. Januar 1955, in: Ebenda, S. 549–571. 80 1964 wurde die Landeszentrale in die Bayerische Landeszentrale für politische Bildung umbenannt. 1995 wurde sie von der Staatskanzlei in die Zuständigkeit des Staatsministeriums für Bildung und Kultur, Wissenschaft und Kunst überführt. Zur Entstehungsgeschichte der Bayerischen Landeszentrale für Heimatdienst vgl. Niklas Hilber, Bayerische Landeszentrale für politische Bildungsarbeit, publiziert am 21.2.2017, in: Historisches Lexikon Bayerns, URL: http://www.historisches-lexikon-bayerns.de/Lexikon/Bayerische_Landeszentrale_für_politische_Bildungsarbeit [18.

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torisch der Staatskanzlei sowie der persönlichen Aufsicht des Ministerpräsidenten. Die Landeszentrale verband insbesondere in den ersten Jahren ihre Bildungsaufgaben zur Vermittlung der Demokratie mit der Stärkung der gesamtbayerischen Identität. Exemplarisch dafür ist ein 400-seitiger Sammelband, der 1956 unter dem Titel „Bayern: Ein Land verändert sein Gesicht“ erschien.81 Das Buch begann mit einem Vorwort sowie einem Fotoporträt Wilhelm Hoegners und stellte eine Erfolgsgeschichte des bayerischen Staats dar, die das moderne Bayern als Industriestaat mit seiner Geschichte und seinen Traditionen verknüpfte. Gerade die Kombination aus „Förderung des Neuen“ und die „Pflege des bewährten Alten“ stellte nach Hoegner in seinem kurzen Gleitwort das bayerische Erfolgsrezept dar. Deswegen sollte dem Leser nahegebracht werden, „wie die Aufgaben der Gegenwart“ in Bayern „aufgegriffen und gelöst worden sind, ohne dass die wertvollen Kulturdenkmäler und Überlieferungen der Vergangenheit preisgegeben wurden.“82 So enthielt der Sammelband Beiträge über das „bayerische Volk“, inklusive eine Verteidigung des Föderalismus nach 1945, über die „Stämme und Landschaften“, mit vielen Verweisen auf regionalen Identitäten, sowie über „Wirtschaft und Verkehr“. Der erste Aufsatz war aus der Hand des bayerischen Landeshistorikers Karl Bosl,83 der damals Professor für mittlere und neuere Geschichte an der Universität Würzburg war, und rekapitulierte die Geschichte des modernen bayerischen Staats zwischen 1806 und 1956.84 Mit seinem Beitrag knüpfte Bosl, der während der Bildung der Viererkoalition zeitweise als Kultusminister im Gespräch gewesen war,85 bei der Spindlerschen Meistererzählung bayerischer Geschichte aus der Nachkriegszeit an. Er behandelte ausführlich die Verdienste des modernen bayerischen Staats als „Träger der neuzeitliche Kulturpflege“ sowie als „VorkämpSeptember 2022]; Karl-Ulrich Gelberg, „Wer mitbestimmen will, muss etwas wissen…“. Die Entstehung der Bayerischen Landeszentrale für politische Bildungsarbeit, München 2005. 81 Vgl. Bayerische Landeszentrale für Heimatdienst (Hrsg.), Bayern: ein Land verändert sein Gesicht, München 1956. 82 Wilhelm Hoegner, Gleitwort, in: Bayerische Landeszentrale für Heimatdienst (Hrsg.), Bayern: ein Land verändert sein Gesicht, München 1956, o. S. 83 Bosl behauptete nach dem Krieg während seines Spruchkammerverfahrens, dass er während der NS-Zeit in Verbindung zu Widerstandsaktionen gestanden hätte. Die neuere Forschung hat allerdings herausgefunden, dass Bosl sich im „Dritten Reich“ opportunistisch und systemkonform verhielt. Zum Widerstandskämpfer stilisierte er sich also erst nach dem Krieg. Vgl. Kramer, Der Lehrstuhl, in: Volkert/Ziegler (Hrsg.), Im Dienst, S. 391–404. Vgl. Benjamin Z. Kedar/Peter Herde, Karl Bosl im Dritten Reich, Berlin 2016. 84 Vgl. Karl Bosl, Der moderne bayerische Staat von 1806–1956, in: Bayerische Landeszentrale für Heimatdienst (Hrsg.), Bayern: ein Land verändert sein Gesicht, München 1956, S. 11–32. 85 Vgl. Kramer, Der Lehrstuhl, in: Volkert/Ziegler (Hrsg.), Im Dienst, S. 394.

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fer des föderativen Staatsprinzips“ seit 1918 und 1945.86 Zugleich behandelte er die NS-Zeit ausgesprochen knapp und betonte, dass die Hoheitsreichte der deutschen Bundesstaaten „auf das Reich übergingen“.87 Bosl stellte damit den bayerischen Staat als Opfer des NS-Staats dar, grenzte ihn zugleich von dessen Verbrechen ab, knüpfte darüber hinaus bei der älteren Erfolgsgeschichte des bayerischen Staats an und lieferte zugleich die historische Legitimation für den Föderalismus nach 1945. Der Inhalt des Artikels zeigt, dass diese Erzählung bayerischer Geschichte damals in der Staatskanzlei keineswegs nur durch Ehard und die CSU, sondern ebenfalls durch Hoegner in Zusammenarbeit mit den bayerischen Landeshistorikern propagiert wurde. Mit der Buchpublikation vereinnahmte Hoegner die föderalistische Politik der Vorgängerregierungen für sich und präsentierte sich, ähnlich wie seine Kontrahenten von der CSU, als Hüter der Tradition sowie als Politiker des technologischen, wirtschaftlichen und sozialen Fortschritts.88 Als Karl Bosl 1960 die Leitung des Instituts für bayerische Geschichte sowie den Lehrstuhl für Bayerische Geschichte an der Ludwig-Maximilians-Universität von Max Spindler übernahm, blieb die Verbundenheit zwischen dem Führungspersonal der Staatskanzlei und der bayerischen Landesgeschichtsschreibung groß. So legte Fritz Baer 1971, als er bereits im Ruhestand war, eine „Dokumentation und Analyse“ zu den bayerischen Ministerpräsidenten zwischen 1945 und 1962 vor. Diese erschien als Beiheft zur Zeitschrift für Bayerische Landesgeschichte. Im Vorwort schrieb Baer: „Der Verfasser war von 1946 bis 1967 in der Bayerischen Staatskanzlei tätig und 7 Jahre mit der Leitung dieser Behörde betraut. Die Auswahl des dokumentarischen Materials und die Analysen beruhen auf der Kenntnis der meisten der genannten Persönlichkeiten und auf den langjährigen Erfahrungen in der politischen Zentralbehörde Bayerns, aber auch auf eigenen Erlebnissen und Beobachtungen. […] Das Buch will ein Beitrag zur Geschichte der bayerischen Nachkriegspolitik sein und insbesondere der Jugend zeigen, welche Arbeitslast die ersten Männer getragen haben.“89 Fünf Jahre später legte Baer einen Band mit „Dokumenten“ zu den Regierungen zwischen 1945 und 1962 vor, der in der von Karl Bosl herausgegebenen Reihe zur „Geschichte von Staat und Gesellschaft in Bayern“ erschien.90 Freilich verfügte Baer durch seine Tätigkeit in der Staatskanzlei über Kenntnisse über die bayerische Nachkriegspolitik wie kein anderer. Dennoch zeigt die Wahl Baers zugleich, wie sehr Politik und Wissenschaft zu diesem Zeitpunkt in Bayern vermischt waren und wie sehr diese Vermischung von beiden 86 Bosl, Moderner bayerischer Staat, in: Bayerische Landeszentrale für Heimatdienst (Hrsg.), Bayerische Landeszentrale für Heimatdienst 1956, S. 27, 29. 87 Ebenda, S. 31. 88 Vgl. Vollhardt, Staatliche Heimatpolitik und Heimatdiskurse, S. 245 f. 89 Baer, Ministerpräsidenten, o. S. 90 Vgl. Fritz Baer (Hrsg.), Die Regierungen 1945–1962, München 1976.

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Seiten als vorteilhaft beurteilt wurde. Der Ministerialbeamte durfte eine Erfolgsgeschichte über den Wiederaufbau des bayerischen Staats nach 1945 schreiben, den er selbst wesentlich mitgeprägt hatte.91

5.3 Die Staatskanzlei und die Anfänge des Instituts für Zeitgeschichte Der Historiker Edgar Wolfrum argumentiert in seinem Aufsatz über die Geschichtspolitik in Bayern nach 1945, dass es „grundfalsch“ wäre anzunehmen, dass Bayern nach 1945 nur damit beschäftigt war, „antipreußische Ressentiments zu pflegen, altehrwürdige Tradition zu kultivieren und sein historisches Territorium wieder zu gewinnen“.92 Sein wichtigstes Argument dafür ist die Rolle von Anton Pfeiffer bei der Gründung des Instituts für Zeitgeschichte. Wolfrum beschreibt diese Rolle sogar „als die treibende Kraft in der kritischen Aufarbeitung der NS-Diktatur“.93 Tatsächlich kann nicht geleugnet werden, dass Pfeiffer und die Bayerische Staatskanzlei in der Nachkriegszeit eine ausschlaggebende Rolle bei der Errichtung eines „Instituts zur Erforschung der nationalsozialistischen Politik“ – das 1952 zum „Institut für Zeitgeschichte“ umgetauft wurde – spielten. Dennoch argumentiert Wolfrum mit seiner Argumentation an Pfeiffers Sicht auf die NS-Vergangenheit und an seinen Interessen vorbei, die nicht bedingungslos im Zeichen einer kritischen Aufarbeitung der NS-Zeit standen. Die Gründung des Instituts war in der Nachkriegszeit keineswegs nur ein Projekt der Staatskanzlei. Vielmehr wurde sie zu einem länderübergreifenden Anliegen in der amerikanischen Besatzungszone, an dem prominenten Politiker und politische Beamten beteiligt waren. Zu dieser Gruppe gehörten neben Anton Pfeiffer insbesondere Hermann Brill, Theodor Heuss, Rudolf Holzhausen, Gerhard Kroll, Dieter Sattler und Walter Strauß.94 Bereits Ende 1945 hatte der bayerische Architekt und Kulturpolitiker Dieter Sattler95, der zu dem Zeitpunkt beim „Munich Central Art Collecting Point“ arbeitete, der Staatskanzlei vorgeschlagen, die von den Amerikanern beschlagnahmten Akten der NSDAP zur Grundlage eines Instituts 91 Vergleichbar ist Deuerleins Beitrag mit Spindlers Handbuch der bayerischen Geschichte. Vgl. Deuerlein/Gruner, Politische Entwicklung, in: Spindler (Hrsg.), Handbuch IV. 92 Wolfrum, Geschichtspolitik in Bayern, in: Schlemmer/Woller (Hrsg.), Politik und Kultur, S. 360. 93 Ebenda. 94 Zu diesen Personen vgl. Brechtken, Gründungswege, in: Brechtken (Hrsg.), Aufarbeitung, S. 69 f. 95 Zu Sattler vgl. Ulrike Stoll, Kulturpolitik als Beruf. Dieter Sattler (1906–1968) in München, Bonn und Rom, Paderborn 2005.

5.3 Die Staatskanzlei und die Anfänge des Instituts für Zeitgeschichte



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zur Erforschung des Nationalsozialismus zu machen.96 Weil die Amerikaner die im „Collecting Point“ gelagerten Akten kurz darauf aus München abtransportierten, lief dieser Vorschlag ins Leere. Zwei Jahre später folgte eine zweite Anregung. Dieses Mal beantragte der Leiter der früheren Landesdienststelle für Heimatdienst in Württemberg-Baden, Ernst Steinbach, beim Generalsekretär des Länderrats Erich Roßmann ein „Amt für Politische Dokumentation“ und lieferte zugleich einen Satzungsentwurf dazu.97 Das Amt sollte nach diesem Entwurf von den Ländern der amerikanischen Zone – Württemberg-Baden, Bremen, Hessen und Bayern – getragen werden. Daraufhin diskutierten Vertreter der jeweiligen Länder am 14. April 1947 über Wege, diesen Plan zu realisieren. Grob lagen hier drei Optionen auf dem Tisch: Ein Dokumentationszentrum, eine Einrichtung zur historisch-politischen Information und publizistischen Aufklärung sowie ein Forschungsinstitut mit unabhängiger wissenschaftlicher Themenfindung und Führung.98 Um dieses Modell näher zu erörtern, wurde ein Ausschuss eingesetzt. Dieser Ausschuss, mit Vertretern aus den Kultusministerien und den Staatskanzleien der jeweiligen Länder, trat am 20. Juni 1947 in Stuttgart zum ersten Mal zusammen und sollte über die einzelnen Aufgaben und Einrichtungen eines Forschungsinstituts entscheiden. Bayern wurde dabei durch Friedrich Glum im Namen der Staatskanzlei sowie durch Dieter Sattler, der mittlerweile der CSU beigetreten war und als Staatssekretär im Bayerischen Staatsministerium für Unterricht und Kultus arbeitete, vertreten. Beide schlugen vor, dass Institut in München zu errichten. Aus Sorge, dass sich das Institut somit in CSU-Nähe befinden würde, wollten die anderen Vertreter des Gremiums sich allerdings noch nicht auf München festlegen.99 Außerdem wurde während dieser Sitzung eine Grundstruktur mit einem Verwaltungsrat und einem Vorstand für das Institut festgelegt.100 Diese wurde allerdings in den nachfolgenden Wochen, durch unterschiedliche Vorstellungen und Interessen der jeweiligen Landesregierungen über die Rolle der politischen Vertreter sowie des Wissenschaftlichen Rats, noch wesentlich geändert.101 96 Vgl. Hellmuth Auerbach, Die Gründung des Instituts für Zeitgeschichte, in: Vierteljahrshefte für Zeitgeschichte (1970), H. 18, S. 529–554, hier S. 529; Horst Möller, Das Institut für Zeitgeschichte und die Entwicklung der Zeitgeschichtsschreibung in Deutschland, in: Horst Möller/Udo Wengst (Hrsg.), 50 Jahre Institut für Zeitgeschichte. Eine Bilanz, Berlin 1999, S. 1–68, hier S. 8. 97 Vgl. Auerbach, Die Gründung, S. 529 f. 98 Ebenfalls diskutiert wurde, ob die Wirkung des Instituts insbesondere für die Außen- oder Innenpolitik von Bedeutung sein könnte. Aus bayerischer Sicht war das vor allem außenpolitisch hinsichtlich der Schuldfrage-Debatte gegenüber den Alliierten der Fall. Vgl. ebenda, S. 530 f; Brechtken, Gründungswege, in: Brechtken (Hrsg.), Aufarbeitung, S. 66. 99 Vgl. Auerbach, Die Gründung, S. 533. 100 Dazu vgl. ebenda, S. 531. 101 Zu diesen unterschiedlichen zeitgenössischen Vorstellungen vgl. ebenda, S. 532.

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Umstritten war insbesondere, ob die wissenschaftliche Führung von innen oder von außen erfolgen sollte. Erst am 6. August erreichte der Ausschuss, in dem erneut Glum und Sattler Bayern vertraten, eine Einigung über die Errichtung eines selbständigen Instituts durch einen Staatsvertrag der Länder. Während über die Rolle eines Kuratoriums mit Regierungsvertretern für die Richtlinien und Arbeitsweisen des Instituts Konsens herrschte, waren die Vertreter sich uneinig über die Rolle wissenschaftlichen Rats. Erst während der internen Länderratssitzung am 8. und 9. September 1947 entschieden die beteiligten Ministerpräsidenten, dass der wissenschaftliche Rat die Richtlinien für die Arbeit innerhalb des vom Kuratorium gesetzten Rahmens bestimmen sollte. Dieser Rat sollten außerdem zwölf fachliche geeignete Personen von wissenschaftlicher, politischer und publizistischer Bedeutung umfassen.102 Als Name wurde „Institut zur Erforschung der nationalsozialistischen Politik“ festgelegt. Im Gebäude der Staatskanzlei wurde am 7. Oktober 1947 die Stiftungsurkunde des Instituts feierlich unterzeichnet, das seinen Standort in München haben sollte.103 Damit war das Institut zumindest auf Papier gegründet. Ebenfalls in der Staatskanzlei trat kurz darauf am 16. und 17. Oktober sowie am 25. November unter der Leitung Pfeiffers das Kuratorium zusammen, um den Aufbau des Instituts und die personelle Zusammensetzung des Wissenschaftlichen Rats festzulegen. Während einer Vorbesprechung am 16. Oktober, in der die personelle Besetzung des Wissenschaftlichen Rats vorbereitet wurde, waren für Bayern Pfeiffer, Sattler und Glum sowie zur Unterstützung Baer, Pfister und Schwend anwesend.104 Vertreter für Baden und Württemberg fehlten bei dieser Sitzung, und Hessen wurde durch Staatssekretär Brill und Ministerialdirektor Karl Knappstein vertreten. Die Staatskanzlei trat also mit ihrem Spitzenpersonal an. Aus den Protokollen des Gesprächs geht klar hervor, dass es bei der Gründung des Instituts eine wichtige Rolle spielte. Pfeiffer schlug Max Spindler als Mitglied des Wissenschaftlichen Rats vor, der daraufhin ohne Widerspruch auf die Liste übernommen wurde.105 Die Runde einigte sich ebenfalls darauf, Pfeiffer den Vorsitz des Kuratoriums zu übertragen.106 Beim Treffen am 17. Oktober, an dem nun ebenfalls die Vertreter Württemberg-Badens, Staatssekretär Fritz Eberhard und Ministerialrat Hans Rupp, teilnahmen, wurde Glum beauftragt, beim OMGUS die Frage der Finanzierung aufzu102 Vgl. ebenda, S. 533. 103 BayHStA, StK 12997, Stiftungsurkunde für das Institut zur Erforschung der nationalsozialistischen Politik, 7. Oktober 1947. 104 Ebenda, Protokoll zu der Sitzung betreffend „Institut zur Erforschung der nationalsozialistischen Politik“, 16. Oktober 1947, S. 1. 105 Für die Liste über die am 17. Oktober eine Übereinstimmung erreicht wurde, inklusiv Max Spindler, siehe: Ebenda, S. 4 f. 106 Ebenda, S. 7.

5.3 Die Staatskanzlei und die Anfänge des Instituts für Zeitgeschichte 

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greifen.107 Außerdem sollte Glum zusammen mit Baer zwei Haushaltsvorschläge vorbereiten. Somit lag die organisatorische Zukunft des Instituts zu diesem Zeitpunkt zu einem erheblichen Teil in den Händen des Führungspersonals der Bayerischen Staatskanzlei. Bei der folgenden Sitzung des Kuratoriums in der Staatskanzlei am 25. November 1947 wurde eine Liste mit neun Wissenschaftlern, darunter Max Spindler, besprochen, die ab 1948 in den Wissenschaftlichen Rat berufen werden sollten.108 Dennoch scheiterte der Aufbau des Instituts zunächst an Finanzierungsproblemen, die insbesondere das Resultat der Währungsreform vom Juni 1948 waren.109 Erst am 8. Dezember 1948 stand das Institut wieder auf der Tagesordnung, als sich die Leiter der Staatskanzleien der beteiligten Bundesländer in Bonn trafen.110 Daraufhin ergriff Pfeiffer als Vorsitzender des Kuratoriums die Initiative. Pfeiffer versprach, in der Reitmorstraße, in der Nachbarschaft der Bayerischen Staatskanzlei, einige Räume zur Verfügung zu stellen, um fürs erste mindestens eine Materialsammelstelle einzurichten.111 Weil das Institut auf keinen Fall ein Bundesinstitut werden sollte, einigten sich die Anwesenden darauf, ihre Regierungen um die erforderlichen Mittel zu bitten. Außerdem beabsichtigten sie, das Institut über die amerikanische Zone hinaus auf eine trizonale Basis zu bringen, nicht zuletzt um auf diesem Weg die finanzielle Basis zu erweitern.112

Rudolf Holzhausen Die Leitung der vorläufigen Materialsammelstelle in der Reitmorstraße übernahm Ministerialrat Rudolf Holzhausen. Zu Recht hat Magnus Brechtken auf die bisher in der Forschung unterbeleuchtete Rolle von Holzhausen für die Frühgeschichte des Instituts hingewiesen.113 Bereits im Juli 1945 hatte Holzhausen seine Gedanken 107 Ebenda, S. 3. 108 Dazu vgl. Brechtken, Gründungswege, in: Brechtken (Hrsg.), Aufarbeitung, S. 71. 109 Dazu vgl. Auerbach, Die Gründung, S. 535 f.; Brechtken, Gründungswege, in: Brechtken (Hrsg.), Aufarbeitung, S. 71. 110 Anlass waren Sitzungen des Parlamentarischen Rats. Siehe zu Brills Initiative: BayHStA, StK 12997, Brill an Pfeiffer, 20 November 1948. 111 In diesem Gebäude befanden sich bereits die Siedlungsgesellschaft sowie für die Staatskanzlei die Staatsanzeiger und das Gesetzesblatt. Holzhausen hatte sich im Vorfeld des Treffens nach dieser Option erkundigt. Siehe: BayHStA, 12997, Vormerkung Holzhausen für Pfeiffer, 7. Dezember 1948. 112 Vgl. Auerbach, Die Gründung, S. 536; Brechtken, Gründungswege, in: Brechtken (Hrsg.), Aufarbeitung, S. 78. 113 Vgl. Brechtken, Gründungswege, in: Brechtken (Hrsg.), Aufarbeitung, S. 73. Vgl. Auerbach, Die Gründung, S. 536.

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zur politischen Situation und zu einer Neukonstitution der deutschen Gesellschaft niedergeschrieben und dabei die Idee zu einem deutschen Forschungs- und Aufklärungs-Ausschuss dargelegt. Der 1889 in Thüringen geborene Jurist war im Ersten Weltkrieg preußischer Berufsoffizier gewesen. Nach dem Krieg wechselte er 1919 in den Auswärtigen Dienst und wurde 1934 vom NS-Staat in den Ruhestand versetzt.114 Vermutlich spielte dabei eine Rolle, dass Holzhausen nach den Maßstäben des NS-Regimes eine „volljüdische“ Frau hatte.115 Am 14. Oktober 1945 wurde Holzhausen als Oberregierungsrat in das bayerische Innenministerium aufgenommen. Hier machte er als unbelasteter Beamter rasch Karriere und stieg 1946 zum Ministerialrat und Vertreter des bayerischen Wirtschaftsministeriums beim Alliierten Kontrollrat in Berlin auf.116 Im Herbst 1947 wurde Holzhausen Leiter der Verbindungsstelle der Staatskanzlei und der Bayerischen Staatsregierung in Berlin.117 Laut Brechtken präsentierte sich Holzhausen in der Nachkriegszeit als „reflektierter Demokrat“, der sich „über die Grundcharakteristika der Traditionen deutscher politischer Kultur“ wenig Illusionen machte.118 Er führte die obrigkeitsstaatliche Haltung vieler Deutschen auf den Wunsch zurück, sich vom politischen Wettbewerb und dem zivilisierten Kampf um Ideen und Mehrheiten fernzuhalten.119 Holzhausen kritisierte Stimmen, die Politik für ein schmutziges Geschäft und politische Parteien für ein Übel hielten und die Vorstellung einer „Volksgemeinschaft“ über das selbständige Individuum stellten.120 Bereits im Oktober 1946 legte er ein Exposé mit dem Titel „Vorschlag zur Begründung einer ‚Forschungs- und Aufklärungsstelle für die Geschichte der nationalsozialistischen Zeit‘“ vor. Darin bemängelte er die schwache politische Urteilsfähigkeit der meisten Deutschen, verwies auf das Versäumnis nach dem Ersten Weltkrieg, die Ursache der Katastrophe zu erforschen, und beklagte sich über die fehlende Selbstreflexion der Deutschen über ihre Willfährigkeit und Mitverantwortung während der NS-Zeit. Deswegen sollte das Institut eine „systematische Durchforschung der Nazizeit“ in die Wege und damit eine Selbstaufklärung der deutschen Gesellschaft anstoßen. Im August legte 1948 legte Holzhausen einen weiteren Entwurf zu „Vorbereitungen für die

114 Vgl. Brechtken, Gründungswege, in: Brechtken (Hrsg.), Aufarbeitung, S. 73. 115 Dazu siehe: BArchF, Pers. 6, 191677, Luftwaffenpersonalamt an Chef des Ausbildungswesens der Luftwaffe, betr. Holzhausen, 29. Juli 1940; PAAA, NL Wilhelm Haas 13, Personaldaten Rudolf Holzhausen, Bl. 84. 116 Vgl. Brechtken, Gründungswege, in: Brechtken (Hrsg.), Aufarbeitung, S. 74. 117 Vgl. zu dieser eher unbedeutenden Verbindungsstelle Gelberg, Hans Ehard, S. 56. 118 Brechtken, Gründungswege, in: Brechtken (Hrsg.), Aufarbeitung, S. 77. 119 Vgl. ebenda. 120 Vgl. ebenda.

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Geschichtsschreibung des ‚Dritten Reiches‘“ vor und konzipierte eine „Erfassungsstelle für Materialien zur Geschichte des Nationalsozialismus“.121 Die Organisation des Instituts nahm erst richtig Fahrt auf, als Pfeiffer und das Führungspersonal der Staatskanzlei am 27. und 28. Februar 1949 das Kuratorium und den Wissenschaftlichen Rat nach München in die Prinzregentenstraße 7 einluden – inklusiv Rahmenprogramm mit gemeinsamen Essen und Besuch der Bayerischen Staatsoper.122 Bei dem Treffen am 27. Februar, setzte Pfeiffer den promovierten Volkswirt Gerhard Kroll als Generalsekretär durch.123 Obwohl seine Ernennung zuerst nur provisorisch gedacht war und nicht vom ganzen Wissenschaftlichen Rat mitgetragen wurde, nahm das Institut im Mai 1949 unter seiner Leitung ihre Arbeit in der Reitmorstraße auf. Kroll blieb bis 1951 auf dem Posten. Allerdings wurde die Finanzierungsfrage weder im Februar noch im Mai 1949 geklärt, sodass sich Pfeiffer noch 1950 beim Bundesrat für zusätzliche Gelder einsetzte.124 Insgesamt zeigt die Gründungsgeschichte deutlich, dass Pfeiffer und die Staatskanzlei bei der Organisation des Instituts zur Erforschung der nationalsozialistischen Politik eine ausschlaggebende Rolle spielten – wenn auch immer wieder Initiativen von anderen Politikern und politischen Beamten ausgingen.

Die Rolle Anton Pfeiffers Dennoch ist es aus zwei Gründen problematisch, Pfeiffer als treibende Kraft „der kritischen Aufarbeitung der NS-Zeit“ darzustellen.125 Zuerst stand für Pfeiffer nach 1945 eindeutig fest, dass eine kleine preußische Elite die Schuld am Nationalsozialismus trug und den Staat kriminalisiert hatte.126 Außerdem verteidigte Pfeiffer genau so fleißig wie Ehard und Schwend das moralische Selbstentschuldigungsnarrativ des bayerischen Staats, beispielsweise 1950 in „Unser Bayern“: „Der Nationalsozialismus hat versucht, unseren bayerischen Staat, ein ehrwürdiges staatliches 121 Vgl. ebenda, S. 74 f. 122 Vgl. BayHStA, 12997, Programm der Bayerischen Staatskanzlei für die Sitzung des Kuratoriums und des Wissenschaftlichen Rats am 27. und 28. Januar, 25. Februar 1949. 123 Damit übernahm Kroll die improvisatorische Leitung von Holzhausen. Siehe: BayHStA, StK 12997, Protokoll über die 3. Sitzung des Kuratoriums des Instituts zur Erforschung der nationalsozialistischen Politik, 27. Februar 1949, S. 2–8. 124 Erst im Herbst 1950 schufen Bayern und der Bund eine halbwegs gesicherte finanzielle Basis. Zum „Dauerkonflikt“ um die Finanzen in der Anfangszeit vgl. Brechtken, Gründungswege, in: Brechtken (Hrsg.), Aufarbeitung, S. 78–83, 96 ff., 100 f. 125 Die Rolle Pfeiffers geht insbesondere aus den Akten BayHStA, StK 12997 und 13113 hervor. Vgl. Wolfrum, Geschichtspolitik in Bayern, in: Schlemmer/Woller (Hrsg.), Politik und Kultur, S. 360. 126 Vgl. Kapitel 3.2.

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Gebilde, das auf eine mehr als tausendjährige ehrenvolle Tradition mit gewaltigen kulturellen Leistungen zurückblicken konnte, aus der Realität staatlichen Lebens auszulöschen.“127 Deswegen ist es ausgeschlossen, dass Pfeiffer als Chef der Staatskanzlei bedingungslos an einer offenen, kritischen Aufarbeitung der NS-Diktatur interessiert war, denn diese hätte den Wiederaufbau des bayerischen Staats sowie die föderalistische Politik des Ministerpräsidenten Ehards gefährden können. Dessen ungeachtet war er sich der positiven Wirkung bewusst, die die Gründung des Instituts im Ausland generieren würde.128 Auch wenn Pfeiffer wie auch die anderen Förderer des Instituts davon überzeugt war, dass der Enthusiasmus für den Nationalsozialismus in der deutschen Bevölkerung viel größer war, als die Deutschen in Nachkriegszeit zugeben mochten, hätte er nie gegen die Interessen des bayerischen Staats gehandelt.129 Es ist Pfeiffers Verdienst, dass mit Holzhausen ein reflektierter Demokrat die Forschungsgrundlage des Instituts für Zeitgeschichte legte. Dennoch kann es sich aus Pfeiffers Sicht bei der von Holzhausen nachgestrebten Aufklärung der Bevölkerung lediglich um eine Aufklärung gehandelt haben, die keine Bedrohung für das Geschichtsnarrativ der Staatskanzlei darstellte.130 Pfeiffer war lediglich an einer Aufarbeitung der NS-Zeit interessiert, insofern diese im Sinne des bayerischen Staats und seiner föderalistischen Politik war. Obwohl dies freilich nicht explizit aus dem Protokoll hervorgeht, brachte er sehr wahrscheinlich deswegen am 16. Oktober 1947 Max Spindler als Mitglied des Wissenschaftlichen Rats ins Spiel. Zweitens geht aus Pfeiffers Handeln hervor, dass er von Anfang an Einfluss auf die Organisation sowie die Personal- und Forschungspolitik des Instituts ausübte. Dabei wurde er in vielerlei Hinsicht vom Führungspersonal der Staatskanzlei unterstützt. Ob der Standort in der Reitmorstraße 29 gegenüber der Staatskanzlei politisches Kalkül war, so wie Klaus-Dietmar Henke zu suggerieren scheint, geht aus den Akten nicht eindeutig hervor und könnte ebenfalls der schwierigen Raumlage in München nach dem Krieg geschuldet sein. In einer Vormerkung von 127 Pfeiffer, Wie Bayern, in: Bayerische Staatskanzlei (Hrsg.), Unser Bayern, S. 7. 128 Auch Brill sah das Institut als eine Gelegenheit für die deutsche Wissenschaft, um sich international zu rehabilitieren. Vgl. BayHStA, StK 12997, Protokoll zu Sitzung betreffend „Institut zur Erforschung der nationalsozialistischen Politik“, 16. Oktober 1947, S. 3. 129 Zur Skepsis von Politikern in der Nachkriegszeit gegenüber der deutschen Bevölkerung vgl. Brechtken, Gründungswege, in: Brechtken (Hrsg.), Aufarbeitung, S. 66 f. 130 Auch Schwend betonte am 27. Februar 1949, dass es nicht die Aufgabe des Instituts sei, „eine lückenlose Geschichte des Nationalsozialismus“ zu schreiben, dass es aber eine gewisse „erzieherische Absicht“ verfolge und eine „publizistische Aufgabe“ zu erfüllen habe. Siehe: BayHStA, StK 12997, Protokoll über die 3. Sitzung des Kuratoriums des Instituts zur Erforschung der nationalsozialistischen Politik, 27. Februar 1949, S. 6.

5.3 Die Staatskanzlei und die Anfänge des Instituts für Zeitgeschichte



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Holzhausen für Pfeiffer vom 7. Dezember 1948 heißt es: „Als greifbares Objekt für die Unterbringung eines Geschichtsinstituts ist bis jetzt nur eine 7-Zimmeretage in der Reitmorstraße 29 aufgetaucht. Das Haus befindet sich in der Wiederherstellung. […] Zur Verfügung würde evtl. die obere Etage des Hauses stehen, die in 2 bis 3 Monate fertiggestellt werden könnte.“131 Fakt ist dennoch, dass das Institut in der Anfangszeit lediglich über die Telefonverbindung der Staatskanzlei erreichbar war.132 Darüber hinaus war die Ernennung des CSU-Mitglieds Krolls, die von Pfeiffer vorangetrieben wurde, ein reines Politikum.

Gerhard Kroll Der 39-jährige Kroll war kein Historiker, sondern ein promovierter Volkswirt, gehörte in der Nachkriegszeit zu den prominenten Gründungsmitgliedern der CSU und hatte seine Partei von 1946 bis 1950 im Bayerischen Landtag und in den Jahren 1948 und 1949 im Parlamentarischen Rat vertreten.133 Außerdem gehörte er dem Landesvorstand der CSU an. Henke beschreibt ihn als eine „kluge Persönlichkeit, für verantwortliche Positionen“, die „allzu selbstbewusst“ war und zur „Selbstherrlichkeit“ neigte.134 Kroll, der zwischen 1929 und 1938 noch Philosophie studiert hatte, war am Institut für Konjunkturforschung in Berlin tätig gewesen und erlebte die letzten Kriegsjahre als Soldat.135 Das ehemalige SPD-Mitglied war in der Nachkriegszeit zum vehementen Anhänger und einen der unermüdlichsten Organisatoren der sogenannten Abendland-Bewegung geworden.136 Der Gedanke des christlichen Abendlandes war in der Nachkriegszeit sowohl in der Adenauer-CDU als auch in der Ehard-CSU weitverbreitet. Kroll sah in der „neuzeitlichen Gottlosigkeit“ und „Diesseitigkeit“ des modernen Menschen die tiefere Ursache für eine Gesellschaftskrise, die in die Katastrophe des Nationalsozialismus gemündet war. Als Richtlinie für den radikalen Neuanfang in Deutschland nach dem Krieg plädierte der entschiedene antinationalsozialistische und antikommunistische CSU-Politiker für die Ethik und Moral des Christentums sowie ein katholisch-ständestaatliches und föderalistisches Ordnungsmodell, wobei er sich explizit auf die mittelalterli-

131 Vgl. dazu ebenda, Vormerkung von Holzhausen für Pfeiffer, 7. Dezember 1948. Vgl. Henke, Geheime Dienste, S. 542. 132 Vgl. Auerbach, Die Gründung, S. 538. 133 Vgl. Wolfrum, Geschichtspolitik in Bayern, in: Schlemmer/Woller (Hrsg.), Politik und Kultur, S. 360 ff. 134 Henke, Geheime Dienste, S. 540. 135 Vgl. Auerbach, Die Gründung, S. 538. 136 Zu dieser Bewegung vgl. Henke, Geheime Dienste, S. 535.

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che Reichsidee bezog.137 Die evangelischen und katholischen Christen sollten sich als Hüter des christlichen Abendlandes bekennen. In Krolls Augen war die Bonner Demokratie eine „Formaldemokratie“ ohne inhaltliche Bestimmung. Zugleich stand er dem Demokratisierungsehrgeiz der westlichen Demokratien in Deutschland kritisch gegenüber.138 Somit standen die Gedanken Krolls in vielerlei Hinsicht in großem Kontrast zur Haltung von Rudolf Holzhausen, der sich vielmehr als liberaler Demokrat verstand. Pfeiffer hatte seinen Parteifreund Kroll bereits am 8. Dezember 1948 während der Sitzung mit den vier Staatskanzleien bei der Organisation des Instituts involviert. Am 27. Februar 1949 bestellte das Kuratorium auf Empfehlung Pfeiffers, ohne den Wissenschaftlichen Rat zu konsultieren, Kroll zum Generalsekretär des Instituts.139 Diese Wahl passte zu den geschichtspolitischen Absichten der Staatskanzlei, doch Kroll erfüllte auch noch einen weiteren Punkt des Anforderungsprofils. Pfeiffer benötigte nämlich einen politisch gut vernetzten Manager, der die nötigen Gelder zu beschaffen wusste. Während Pfeiffer am 16. Oktober 1947 in der Staatskanzlei noch erklärt hatte, dass das Gesicht des Instituts durch den Wissenschaftlichen Rat und nicht so sehr durch das Kuratorium und den Geschäftsführer bestimmt werde, so hatte er am 27. Februar 1949 offensichtlich seine Meinung geändert: „Es sei sehr bedrückt gewesen, dass die Arbeit in letzter Zeit hätte ruhen müssen, und zwar nicht nur durch die starke dienstliche Inanspruchnahme der Mitarbeiter, sondern vor allem durch die seit dem 20. Juni aufgetretenen finanziellen Schwierigkeiten. Für die morgige Tagung des Wissenschaftlichen Rates des Instituts wolle er vornherein sagen, dass man nicht nur einen Wissenschaftlichen Rat brauche, sondern dass die technische Arbeit im Vordergrund stehe. […] Es müsse rasch eine Vorfinanzierung herbeigeführt und der erforderliche Personalstand erschaffen werden.“140 Für Pfeiffer stand im Februar 1949 fest, dass die Existenz des Instituts immer noch auf dem Spiel stand und somit die Forschung zunächst von zweitrangiger Bedeutung war. Daher stellte die Ernennung Krolls nicht lediglich eine Form politischer Einflussnahme dar, sondern Pfeiffer sah sie ebenfalls als ein Mittel, um die Zukunft des Instituts bei den Ländern und dem Bund in politisch-finanzieller Hinsicht sicherstellen zu können. Dafür brauchten Pfeiffer und das Kuratorium weniger einen Historiker als vielmehr einen Politiker.

137 Ebenda, S. 540 f. 138 Vgl. ebenda, S. 541. 139 BayHStA, StK 12997, Protokoll über die 3. Sitzung des Kuratoriums des Instituts zur Erforschung der nationalsozialistischen Politik, 27. Februar 1949, S. 3. 140 Ebenda, Protokoll zu Sitzung betreffend „Institut zur Erforschung der nationalsozialistischen Politik“, 16. Oktober 1947, S. 1.

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Dennoch stieß die Ernennung am nächsten Tag bei den Professoren des Wissenschaftlichen Rats auf Widerstand.141 Daraufhin beruhigte das Kuratorium die Wissenschaftler mit der Mitteilung, dass es sich lediglich um eine vorläufige Ernennung handelte. Dennoch erhielt Kroll bereits am 18. März 1949 seinen Anstellungsvertrag, ohne dass der Rat nochmal gefragt wurde.142 Die Ernennung Krolls war somit ein Politikum, das bis zu seinem Rücktritt 1951 unter den Mitgliedern des Wissenschaftlichen Rats umstritten blieb. In der Praxis agierten das Kuratorium zusammen mit Kroll am Wissenschaftlichen Rat vorbei, sodass dessen prominentesten Mitglied, der Freiburger Historiker und Vorsitzende des Deutschen Historikerverbandes, Gerhard Ritter, sich sogar schriftlich darüber beklagte, dass die Organisation des Instituts innerhalb der Ministerialbürokratie zustande gekommen war, ohne Mitwirkung der Mitglieder des Wissenschaftlichen Rats.143 Ein intellektueller Dauerkonflikt zwischen Kroll und Ritter über das Personal, Zweck und Ziel des Instituts war das Resultat. Der Generalsekretär konnte sich schließlich gegenüber den entschlossenen Historikern nicht durchsetzen und bereits im Herbst 1950 wurde Krolls Stelle neu ausgeschrieben. Allerdings hatte er bereits absehen können, dass er auf lange Dauer nicht an der Spitze des Instituts bleiben würde.144 Die Gründung des Instituts für Zeitgeschichte war in der Nachkriegszeit auf eine politische Geburt hinausgelaufen, bei der die Historiker Zuschauer und Begleiter gewesen waren. Mit Kroll hatte ein katholisch-abendländischer Fundamentalist die Leitung bekommen, der außerdem ein Verbündeter Gehlens sowie des ehemaligen Generals Hans Speidels war. In deren Sinne wurde die zukünftige Forschungsagenda des Instituts beeinflusst.145 Auch wenn, wie Magnus Brechtken zu Recht bemerkt hat, das Institut als „reale Forschungseinrichtung“ 1949 und 1950 noch kaum existent war und Krolls Tätigkeit vielmehr im Zeichen der fundamentalen Existenzfrage des Instituts stand, zeichnete sich hier eine Tendenz ab, die schließlich durch die Ersetzung Krolls als Generalsekretär beendet wurde. Henkes Bezeichnung der Ernennung Krolls als „Skandalon“ für die historische Zunft ist vor diesem Hintergrund etwas überspitzt, unbegründet dennoch keineswegs.146 141 Vgl. Auerbach, Die Gründung, S. 538. 142 Vgl. ebenda; Henke, Geheime Dienste, S. 542. 143 Vgl. BayHStA, StK 12997, Protokoll zu Sitzung betreffend „Institut zur Erforschung der nationalsozialistischen Politik“, 16. Oktober 1947, S. 1. Vgl. Henke, Geheime Dienste, S. 543. 144 Vgl. Brechtken, Gründungswege, in: Brechtken (Hrsg.), Aufarbeitung, S. 100. 145 Zu Krolls Verbindung zu Gehlen und seiner Organisation vgl. Henke, Geheime Dienste, S. 533–577. Zu Hanns Speidel und den Anfängen des Instituts für Zeitgeschichte vgl. Dieter Krüger, Hans Speidel und Ernst Jünger. Freundschaft und Geschichtspolitik im Zeichen der Weltkriege, Paderborn 2016, S. 185–212. 146 Henke, Geheime Dienste, S. 541.

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Mit Kroll verfügte Anton Pfeiffer zugleich über einen Parteifreund als Generalsekretär an einer wichtigen Stelle mit enormen Vollmachten, der zu keinem Zeitpunkt das bayerische Geschichtsnarrativ der Nachkriegszeit und die staatlichen Interessen gefährden würde. Auch in der Anfangsphase des Instituts für Zeitgeschichte sollten Politik und Wissenschaft zum Vorteil des bayerischen Staats zusammenarbeiten. In der Geschichtspolitik der Staatskanzlei standen die Interessen des bayerischen Staats zu jedem Zeitpunkt im Zentrum.

Fazit Wie konnte sich die Bayerische Staatskanzlei in der Nachkriegszeit zur Schaltzentrale der bayerischen Regierungspolitik und des bayerischen Föderalismus entwickeln? Welche politischen Zielsetzungen verfolgten die agierenden Personen dabei und wie setzten sie diese um? Zur Beantwortung dieser Fragen wurden in der vorliegenden Studie drei Aspekte der Bayerischen Staatskanzlei – das Führungspersonal, die Organisationskultur und die Handlungsfelder – aus dem Zeitraum 1945 bis 1962 exemplarisch untersucht. Ausschlaggebend für die Entwicklung der Behörde nach dem Zweiten Weltkrieg waren zunächst die Gründungsväter und deren politische Erfahrungen und Zukunftsvorstellungen. Sie prägten sowohl die Personalpolitik als auch die Organisationskultur und die politischen Schwerpunkte der Staatskanzlei. Es gab 1945 in Bayern, ähnlich wie später in der Bonner Republik, keine „Stunde null“.1 Ohne Ausnahme handelte es sich bei den Gründungsvätern der Staatskanzlei um bayerische Politiker, die um 1890 geboren waren, vom politischen Klima des späten bayerischen Königreichs bzw. Deutschen Kaiserreichs geprägt wurden und für die die Konstituierung der Weimarer Republik 1918/19 eine entscheidende politische Zäsur für ihren Eintritt in die Politik darstellte. Sie machten dennoch während der Weimarer Republik und NS-Zeit unterschiedliche Erfahrungen. Der konservativ-katholische Flügel der CSU um Fritz Schäffer, dem auch Anton Pfeiffer und Karl Schwend angehörten und dem Hans Ehard am nächsten stand, kämpfte nach 1945 mit einem doppelten „Weimar-Komplex“ (1918/19 und 1933). Sie betrachteten die zentralistische Weimarer Reichsverfassung bereits 1919 als einen großen Fehler und fühlten sich 1933 durch die Machtübernahme der Nationalsozialisten darin bestätigt. Außerdem verblieben Schäffer, Pfeiffer, Schwend und Ehard während der NS-Zeit in Bayern und passten sich in unterschiedlichem Ausmaß den neuen politischen Verhältnissen an. Schäffer wurde von dieser Gruppe am stärksten mit politischer Verfolgung konfrontiert. Für den ursprünglich zentralistisch eingestellten Sozialdemokraten Wilhelm Hoegner stellte insbesondere das Jahr 1933 die Katastrophe der Republik dar. Auch er wurde 1933 politisch verfolgt und flüchtete ins Exil in die Schweiz, wo er seine Schlussfolgerungen über das politische System der Weimarer Republik zog. Seine Exilzeit wurde für ihn zum wichtigen Lernprozess, wobei er für seine Staatsund Ordnungsvorstellungen einerseits nach Weimar schaute, anderseits nach föderalistischen Lösungen für die Zukunft suchte. Diese föderalistische Wendung im Denken Hoegners im Exil stellte in Kombination mit seiner Fixierung auf die bayerische Staatlichkeit eine wichtige Grundlage für die Zusammenarbeit mit den aus dem rechten Flügel der CSU stammenden Gründungsväter der Staatskanzlei dar. 1 Vgl. Görtemaker, Geschichte der Bundesrepublik, S. 31. https://doi.org/10.1515/9783111317731-007

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Sie strebten während der Besatzungszeit allen nach dem gleichen Ziel: den bayerischen Staat sowohl von innen als auch nach außen konsolidieren und verteidigen. Hier kam die Staatskanzlei ins Spiel. Der begabte Koordinator Anton Pfeiffer verstand es, die Organisation der Behörde auf den Wiederaufbau des bayerischen Staats sowie den Föderalismus zuzuspitzen und zugleich der neuen, im Vergleich zur Weimarer Republik hervorgehobenen Position des Bayerischen Ministerpräsidenten anzupassen. Dabei stellte das Jahr 1945 eine Zäsur in der Geschichte der Staatskanzlei dar. Während 1933 sowohl der Personalbestand als auch die Organisation zunächst noch großenteils in Takt geblieben waren, musste die Behörde 1945 grundlegend neu aufgebaut werden. Dies gab Pfeiffer die Chance, sie weitgehend nach seinen Vorstellungen den neuen politischen Verhältnissen anzupassen. Beim Wiederaufbau wurde die Staatskanzlei vom Führungspersonal dezidiert als Opfer des NS-Regimes dargestellt. Obwohl die Staatskanzlei tatsächlich im Laufe der NS-Zeit stark an politischer Bedeutung eingebüßt hatte, war sie keineswegs ein Opfer des Regimes. Die Tatsache, dass sie sich im NS-Herrschaftsgefüge nicht behaupten konnte, schließt nicht aus, dass sie und der Bayerische Ministerpräsident in vielerlei Hinsicht die verbliebenen Handlungsspielräume benutzten, um die NS-Politik mitzutragen. Es war schließlich keine Frage des Wollens, sondern des Könnens. Die Stilisierung der Staatskanzlei als Opfer war dennoch typisch für das bayerische Nachkriegsnarrativ über die eigene Rolle in der NS-Zeit. Zugleich knüpfte Pfeiffer an der politischen Tradition der alten Staatskanzlei aus der Zeit vor 1933 an. Erneut sollte die Staatskanzlei als Symbol des bayerischen Staats dem Kampf um die eigene Staatlichkeit dienen. Gerade in den dynamischen Nachkriegsjahren wurden die Weichen der Behörde gestellt, die zumindest bis zum Amtsantritt von Ministerpräsident Alfons Goppel 1962 die Tätigkeit, Organisation sowie Personalpolitik der Behörde prägten. 1946 stand der Kampf um die eigene Staatlichkeit im Zeichen des staatlichen Wiederaufbaus und der bayerischen Verfassungsgebung. Obwohl die amerikanische Besatzungsmacht die Richtung für die grundlegende Form des politischen Systems vorgab – eine parlamentarische Demokratie –, gab es keine Amerikanisierung, in die politische Ordnungsvorstellungen einseitig aus den Vereinigten Staaten nach Bayern transportiert und dort übernommen wurden. Vielmehr orientierten sich die Akteure in der Staatskanzlei, mit Ministerpräsident Hoegner in einer Vorreiterrolle, an der eigenen, bayerischen und deutschen Verfassungsgeschichte. Diese diente als Beispiel und Negativfolie für den Aufbau eines demokratischen Staats in Bayern – nicht das politische System der Vereinigten Staaten. Außerdem existierte unter den Beteiligten eine Tendenz, die Demokratie mit autoritären, obrigkeitsstaatlichen Mitteln schützen zu wollen. So waren sich auch die Gründungsväter der Staatskanzlei unsicher, ob die Bevölkerung kurz nach der NS-Zeit bereit für die Demokratie war. Somit ging es 1946 bei der bayerischen Verfassungsge-

Fazit 

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bung weniger um die Frage, wie das politische System im Vergleich zur Weimarer Republik demokratischer, mit einer größeren Einbeziehung der Bevölkerung, gestaltet werden konnte, sondern vielmehr um den Schutz des bayerischen Staats vor neuen Umsturzgefahren. Eine vergleichbare Tendenz kam zwei Jahren später während der Verhandlungen im Parlamentarischen Rat um das Grundgesetz für die Bundesrepublik auf.2 Vor diesem Hintergrund wurde 1946 während der Verfassungsgebung die alte Forderung aus den Kreisen der BVP nach der Einführung des Amts eines Staatspräsidenten, für die sie bereits in der Weimarer Republik geworben hatten, wieder aktuell. Dennoch konnten sich deren Befürworter, darunter Hoegner sowie CSU-Mitglieder des rechten Parteiflügels, am Ende nicht durchsetzen. Zugleich wehrte die amerikanische Besatzungsmacht Hoegners Versuch ab, über die Bayerische Verfassungsgebung bereits Einfluss auf die Bildung eines zukünftigen Bundesstaats zu nehmen. Stand die Politik von Schäffer und Hoegner insbesondere im Zeichen des staatlichen Wiederaufbaus sowie der Konsolidierung der Staatlichkeit, die bei Hoegner die Form einer defensiven föderalistischen Politik annahm, so konnte Hans Ehard 1947 von den größeren Handlungsspielräumen, die ihm durch die amerikanische Besatzungsmacht gewährt wurden, profitieren. Er startete eine Offensive, bei der er einen zukünftigen Bundesstaat so stark wie möglich im föderalistischen Sinne beeinflusste. Diese Politik wurde vollständig von der Staatskanzlei unter der Leitung Pfeiffers getragen, obwohl die Aktivitäten der Behörde sich in der Regierungspraxis freilich nicht auf den Föderalismus begrenzten. Die Staatskanzlei ließ bis zur Gründung der Bundesrepublik keine Möglichkeit ungenutzt, über die unterschiedlichen politischen Foren und Gremien der Nachkriegszeit – Länderrat, Wirtschaftrat, Ministerpräsidentenkonferenzen, Parlamentarischer Rat, Ellwanger Kreis – Einfluss zu nehmen. Nach der Gründung der Bundesrepublik diente insbesondere der Bundesrat als föderalistisches Forum, wobei die Zusammenarbeit zwischen der bayerischen Vertretung in Bonn und der Staatskanzlei eine Schlüsselrolle für die Durchsetzung der bayerischen Interessen spielte. Auch unter Ehards Nachfolgern, Wilhelm Hoegner und Hanns Seidel, bildete diese föderalistische Manifestation den Hauptteil der Tätigkeit der Staatskanzlei, auch wenn Seidel im Vergleich zu seinen Vorgängern insbesondere wirtschaftspolitische Schwerpunkte setzte. Erst unter Alfons Goppel entstand ein erheblicher Zuwachs von Aufgaben in der Staatskanzlei. Sie entwickelte sich im Rahmen der Richtlinienkompetenz des Ministerpräsidenten zu einer umfassenden Regierungszentrale und einem Spiegel der bayerischen Ministerialverwaltung, die sich mit der langfristigen Planung Bayerns beschäftigte. Dabei gewann die bayerische Europapolitik neben dem Föderalismus erheblich an Bedeutung. 2 Vgl. Doering-Manteuffel, Wie westlich, S. 47–58.

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Fazit

Ausschlaggebend für die Entwicklung der Staatskanzlei zur Schaltzentrale war auch die Personalpolitik, die stark von der föderalistischen Zielsetzung geprägt wurde. Drei Rekrutierungsnetzwerke stellten sich in der Nachkriegszeit als entscheidend für die Personalpolitik heraus: die ehemalige BVP und neugegründete CSU, das ehemalige Auswärtige Amt aus der Zeit vor 1945 sowie die bayerischkatholischen Studentenverbindungen. Neben der Anwerbung von Spitzenjuristen war die strategische Einstellung von Personen mit internationalen und diplomatischen Erfahrungen ein entscheidender Schritt im bayerischen Nachkriegskampf um den eigenen Staat. Dabei spielten Netzwerke aus der NS-Zeit, die auch nach 1945 gepflegt wurden, eine sehr wichtige Rolle, wie beispielsweise die Verbindung zwischen Hans von Herwarth und Reinhard Gehlen, aber auch zwischen Anton und Peter Pfeiffer und Hans Schwarzmann. Nach der Gründung der Bundesrepublik verlor das ehemalige Auswärtige Amt als Personalreservoir schnell an Bedeutung. Außerdem spielte das Selbstverständnis der Ministerialbeamten eine wichtige Rolle. In der Staatskanzlei arbeiteten selbstbewusste, autoritätsstarke Männer – für Frauen war auf der Führungsebene kaum Platz –, die an der bayerischen etatistischen Verwaltungstradition des 19. Jahrhunderts anknüpften. Die führenden Beamten sahen sich als unpolitische Staatsdiener und Fachexperten, was deren Integration in das neue politische System nach dem Krieg zusätzlich erleichterte, sowie als die stabile Grundlage des bayerischen Staats. Dabei stellten sie eine dem Ministerpräsidenten direkt unterstellte Elite innerhalb der bereits elitären homogenen bayerischen Ministerialbürokratie dar. Die innere Kohärenz dieser Gruppe wurde vom kleinen Gebäude in der Prinzregentenstraße 7 in München noch verstärkt. Während in den umfangreichen Ministerien unterschiedliche Abteilungskulturen entstanden, wies die Staatskanzlei eine große innere räumliche und organisatorische Kohäsion auf, wobei die jeweiligen Abteilungen vielmehr als ein Gesamtteam funktionierten, auch wenn sie unterschiedlichen Aufgaben hatten. Darüber hinaus verstand sich das Führungspersonal in der Tradition der Weimarer Republik als Träger des bayerischen Föderalismus. Diese Charakteristika des Führungspersonals schlossen nahtlos bei der politischen Zielsetzung der politischen Gründungsväter an und trugen wesentlich zum Funktionieren der Staatskanzlei als Schaltzentrale des Föderalismus sowie der Ministerialverwaltung bei. Sowohl die Politiker als auch die führenden Beamten strebten nach einem starken autoritären und stabilen bayerischen Staat, betrachteten die Demokratie als Staatsform zumindest in den direkten Nachkriegsjahren mit Skepsis, hatten innerliche Vorbehalte und dachten eher von der Ministerialverwaltung als von dem Parlament und der Gesellschaft her, auch wenn sie sich formell zum neuen System bekannten. Diese Zusammenarbeit zwischen Politik und Beamtenschaft wurde zusätzlich durch die Tatsache gestärkt, dass sich bei

Fazit 

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wichtigen Führungsbeamten hinter der unpolitischen Fassade die Ordnungsvorstellungen des konservativen politischen Katholizismus verbargen und eine Mitgliedschaft in der CSU oder zumindest eine CSU-nahe Haltung eher Regel als Ausnahme war. Dabei funktionierte die Staatskanzlei zwischen 1950 und 1954 sogar als inoffizielle Parteizentrale der CSU. Auf der Führungsebene der Staatskanzlei war somit eine politisch-katholische, autoritär-etatistische Hüter-Mentalität weitverbreitet, die die Organisationskultur der Behörde bis Anfang der 1960er Jahre mitprägte. Außerdem profilierte sich die Behörde zusammen mit dem Landespersonalamt (ab 1960 Personalausschuss) in der Nachkriegszeit als der Hüter des bayerischen Berufsbeamtentums und verhinderte damit eine von der amerikanischen Militärregierung nachgestrebte Demokratisierung und Liberalisierung. Erst im Laufe der 1960er Jahre entstand unter Alfons Goppel, angestoßen durch den Liberalisierungsdiskurs in der Bundesrepublik, eine Diskussion in der Staatskanzlei über die Rolle des Berufsbeamtentums in der Demokratie. Die Impulse dazu kamen aber eher von außen als aus der Behörde selbst. Auch unter Goppel hielt die Staatskanzlei an der Tradition des bayerischen Berufsbeamtentums fest. Dessen Charakter sollte jedoch weniger technokratisch, sondern menschlicher und näher an den Bürgerinnen und Bürgern gestaltet und modernisiert werden. Damit stellte Bayern keine Ausnahme dar. Überall in der Bundesrepublik dominierte in der Nachkriegszeit ein autoritäres Verständnis in der Verwaltungstradition des 19. Jahrhunderts, bevor sich die Mentalität des Beamtentums durch die schrittweise verlaufende Liberalisierung in den 1950er Jahren änderte. Direkt nach dem Krieg wurde die Frage nach NS-Belastung dem staatlichen Wiederaufbau und den personalpolitischen Interessen untergeordnet. Die Staatskanzlei versuchte, so viele von der amerikanischen Besatzungsmacht entlassene Ministerialbeamten als „nicht-aktive Nazis“, als „nominell Belastete“ oder „Karteigenossen“ darzustellen, damit sie wieder eingestellt werden konnten. Diese Politik wurde von ehemaligen Mitgliedern der BVP wie Schäffer und Pfeiffer betrieben, die selbst zu keinem Zeitpunkt der NSDAP beigetreten waren. Pfeiffer empfand im Sinne des staatlichen Wiederaufbaus seinen persönlichen Eindruck von einem Beamten wichtiger als das, was der Betroffene auf seinem Meldebogen ausgefüllt hatte. Zugleich wollte keiner in der Nachkriegszeit ein Nazi gewesen sein, sodass sich viele Beamte nach den Erniedrigungserfahrungen des Spruchkammersystems mit einer aktiven Biografiepolitik vom Nationalsozialismus distanzierten und ins neue politische System integrierten. Diese Wiedereinstellungsbestrebungen standen im starken Kontrast zu dem umfassenden Elitenaustausch, den sich die Amerikaner nach dem Krieg in ihrer Zone vorgenommen hatten. Wurde in der Staatskanzlei die formale Belastung relativiert, so wurden die konkreten Handlungen der Beamten in der NS-Zeit erst recht nicht als Belastung beurteilt. Was ein Beam-

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Fazit

ter während der NS-Zeit gemacht hatte, war nicht relevant; was zählte, war, was er nach 1945 mit seinen Fachkenntnissen machen konnte. In dieser Hinsicht konnte diese Studie nachweisen, dass bereits kurz nach Kriegsende Beamte wie Fritz Baer eingestellt wurden, die zwar in formaler Hinsicht als unbelastet galten, sich dennoch an Verbrechen gegen die jüdische Bevölkerung während der NS-Zeit beteiligt hatten. Dennoch entwickelte sich die Staatskanzlei – deren Anteil ehemaliger NSDAPMitglieder am Personal bis zu 28 % betrug – im Vergleich zu anderen Ministerialbehörden auf der Bund- und Länderebene nicht zu einem Sammelbecken für „Ehemalige“. Schlüsselpositionen auf der Führungsebene wurden bereits in den ersten Nachkriegsjahren, als das von Hoegner im Dezember 1945 ausgesprochene Beschäftigungsverbot für vormalige Parteimitlgieder noch galt, mit formal unbelasteten Personen besetzt. Anders als im Falle der Bundesministerien verlief der Aufbau der bayerischen Ministerialverwaltung parallel zur Entnazifizierung. Außerdem vermied es die Staatskanzlei nach der Abschaffung der Lex Hoegner, ehemalige NSDAP-Mitglieder auf prominente Positionen zu berufen, damit sie sich politisch nicht angreifbar machte. Am Beispiel von Hans Schwarzmann zeigt sich, wie stark der öffentliche Diskurs dessen NS-Vergangenheit skandalisierte. Dieses Beispiel belegt, dass NS-Belastung in der Nachkriegszeit auch eine dynamische Kategorie war, die zu unterschiedlichen Zeitpunkten durch die Zeitgenossen mit unterschiedlichen politischen Interessen selektiv ausgefüllt wurde. Für den vergleichsweisen geringen Prozentsatz an ehemaligen Mitgliedern der NSDAP war zudem ausschlaggebend, dass es sich bei der Staatskanzlei um eine kleine Behörde handelte, die selektiv Personen einstellen konnte und keine Masse an Ministerialbeamten brauchte. Bei der Anwerbung wurde insbesondere darauf geachtet, dass eine Person aus Bayern stammte oder zumindest den Maßstäben und Ansprüchen der bayerischen Verwaltung entsprach und sich aus voller Überzeugung für den bayerischen Staat und dessen Existenz einsetzte. So war es für die Staatskanzlei kein Problem, von der NS-Zeit belastete Beamten aus Bayern einzustellen, aber eine Einstellung von unbelasteten Beamten aus anderen deutschen Regionen, insbesondere aus dem ehemaligen Preußen, war problematisch. Letztere waren in den Augen der bayerischen Traditionshüter nicht mit dem Wesen der bayerischen Verwaltung vertraut und stellten somit eine potenzielle Bedrohung für deren Funktionieren und für den bayerischen Staat dar. Aus diesem Grund versuchte die Staatskanzlei in den 1950er Jahren, die Einstellung von nicht-bayerischen sogenannten 131ern so gut wie möglich zu umgehen, jedoch nicht, weil eine formale NS-Belastung an sich als problematisch beurteilt wurde. Beim Großteil des Führungspersonals konnte im Denken und Handeln nach 1945 keine Spezifika aus der NS-Zeit festgestellt werden, was allerdings kein Indiz

Fazit



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dafür ist, dass die führenden Ministerialbeamten die NS-Politik in den jeweiligen Verwaltungen nicht aktiv mitgetragen hatten. Vielen beriefen sich in der Nachkriegszeit exkulpierend darauf, dass sie dem Staat, jedoch nicht dem Nationalsozialismus gedient hatten und pflegten somit den Mythos der sauberen Verwaltung. Der Hauptgrund für diese Diskontinuität zur NS-Zeit lag in der Tatsache, dass die Staatskanzlei nach 1945 großenteils mit neuem Personal aufgebaut wurde, das vor 1945 in anderen Fachbereichen, zum Beispiel der Finanzverwaltung, tätig gewesen war. Zugleich stand die föderalistische Zielsetzung im großen Kontrast zur Zentralisierungspolitik des NS-Staats und die Staatskanzlei grenzte sich aktiv von der NSZeit ab. Somit ergaben sich sachinhaltlich für das Führungspersonal viele Möglichkeiten, sich mit ihrer neuen Arbeit von der Politik des NS-Staats zu distanzieren und an den bayerischen Traditionen aus der Zeit vor 1933 anzuknüpfen. Vergessen werden darf jedoch nicht, dass Beamte wie Hans von Herwarth oder Hans Schwarzmann umfassend in die illegale, undemokratische Inlandsspionage der Organisation Gehlen involviert waren, wobei Netzwerke und antikommunistische Vorstellungen aus der NS-Zeit eine zentrale Rolle spielten. Der Antikommunismus hatte allerdings in Bayern bereits eine längere Vorgeschichte, war bereits während der Weimarer Republik in den Kreisen der BVP weitverbreitet gewesen und wurde von den Amerikanern des Kalten Krieg aktiv unterstützt. Schließlich trug die Geschichtspolitik der Staatskanzlei zur Umsetzung ihrer politischen Zielsetzung bei. Von Anfang an führte die Staatskanzlei nach 1945 eine dezidierte Geschichtspolitik und pflegte ein bayerisches Erfolgsnarrativ, um ihre föderalistische Zielsetzung historisch zu legitimieren, Bayern von den Verbrechen des NS-Staats zu distanzieren, ja sogar als Opfer darzustellen, und die staatliche Identität Bayerns zu stärken. Dabei wurde sie aktiv von der bayerischen Landesgeschichte unterstützt, die sich unter der Führung Max Spindlers als eine historische Legitimations- und Gegenwartswissenschaft verstand und über enge Verbindungen zur Staatskanzlei verfügte. Doch auch das Führungspersonal der Staatskanzlei beteiligte sich mit eigenen Publikationen an dieser geschichtspolitischen Offensive. Zugleich nahm die Staatskanzlei in der Nachkriegszeit im Sinne des bayerischen Geschichtsnarratives politischen Einfluss auf die Gründung des Instituts für Zeitgeschichte, die damit auf eine politische Geburt hinauslief. Die Staatskanzlei entwickelte sich zwischen 1945 und 1962 zu einer effektiven, stabilen Schaltzentrale im Mittelpunkt der bayerischen Ministerialverwaltung. Auch wenn sie ihre föderalistischen Vorstellungen nicht eins zu eins umsetzen konnte, so hat sie die Bundespolitik der Nachkriegszeit dennoch in vielerlei Hinsicht mitgeprägt und gestaltet. Zugleich trug sie mit ihrer Geschichtspolitik zum Wiederaufbau der bayerischen staatlichen Identität und somit zur politischen Stabilität des bayerischen Staats bei. Dennoch hatte das Handeln der Bayerischen Staatskanzlei eine Kehrseite. So wurden NS-Belastungen in der Behörde aktiv rela-

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Fazit

tiviert oder selektiv wahrgenommen, sodass Beamte ihre Laufbahn nach 1945 problemlos fortsetzen konnten. Zugleich profitierte sie einerseits von den Informationen der Organisation Gehlen und Beamte der Staatskanzlei trugen anderseits zu deren illegalen Machenschaften bei. Außerdem führte das einseitige Geschichtsnarrativ der Staatskanzlei und die enge Zusammenarbeit mit der Landesgeschichtsschreibung dazu, dass für NS-Opfergruppen, an erster Stelle für die jüdische Bevölkerung, kaum Platz in der bayerischen Geschichtsschreibung war. Die Erfolgsgeschichte des bayerischen Staats nach 1945 hatte auch ihre Schattenseiten.

Anlagen Anlage A: Anteil NSDAP- und SA-Mitglieder am Gesamt- und Führungspersonal

%

Anteil der NSDAP- (blau) und SA-Mitglieder (grün) am Gesamtpersonal sowie Anteil der NSDAP- (orange) und SA-Mitglieder (gelb) am Führungspersonal der Staatskanzlei zu neun Messzeitpunkten zwischen April 1945 und Dezember 1962. Angaben der Verteilung pro Zeitpunkt erfolgen in Prozent (%). Prozentangaben beziehen sich auf folgende Grundgesamtheiten des Gesamtpersonals: April 1945 N = 43; August 1945 N = 50; Oktober 1945 N = 49; Februar 1947 N = 69; August 1948 N = 102; Mai 1950 N = 90; 1953 N = 81; Februar 1957 N = 77; Dezember 1962 N = 43. Prozentangaben beziehen sich auf folgende Grundgesamtheiten des Führungspersonals: April 1945 N = 8; August 1945 N = 12; Oktober 1945 N = 13; Februar 1947 N = 15; August 1948 N = 27; Mai 1950 N = 22; 1953 N = 21; Februar 1957 N = 19; Dezember 1962 N = 8. © Rick Tazelaar

https://doi.org/10.1515/9783111317731-008

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Anlagen

Anlage B: Geschäftsverteilungsplan der Bayerischen Staatskanzlei September 1945

Anlage C: Geschäftsverteilungsplan der Bayerischen Staatskanzlei April 1946

Anlage C: Geschäftsverteilungsplan der Bayerischen Staatskanzlei April 1946



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Anlagen

Anlage D: Geschäftsverteilungsplan der Bayerischen Staatskanzlei August 1948

Anlage E: Geschäftsverteilungsplan der Bayerischen Staatskanzlei Januar 1951 

Anlage E: Geschäftsverteilungsplan der Bayerischen Staatskanzlei Januar 1951

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384  Anlagen

Anlage F: Geschäftsverteilungsplan der Bayerischen Staatskanzlei 1955

Anlage G: Geschäftsverteilungsplan der Bayerischen Staatskanzlei Januar 1961 

Anlage G: Geschäftsverteilungsplan der Bayerischen Staatskanzlei Januar 1961

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Abbildungen und Grafiken Claus Leusser; Quelle: BayHStA, MJu 26811 — 165 Pressekonferenz Anton Pfeiffer in der Staatskanzlei zur Lage der Entnazifizierung in Bayern, 22. Juni 1946; © Poehlmann, Quelle: BayHStA, StK Fotos 84 — 173 Abb. 3: Fritz Baer 1938; Quelle: BayHStA, StK 30859 — 185 Abb. 4: Hans-Heinrich Herwarth von Bittenfeld 1950; Quelle: PAAA, P14 49955 — 192 Abb. 5: Friedrich Glum 1952; Quelle: BArchK, N1457, Bd. 24 — 235 Abb. 6: Hans Schwarzmann und der Hohe Kommissar der USA John McCloy; ©Fosch/Süddeutsche Zeitung Photo — 248 Abb. 7: Philipp Freiherr von Brand assistiert den Bundespräsidenten Theodor Heuss bei der Beisetzung des ehemaligen Reichswehrministers Otto Geßler, 28 März 1955; © Deutsche Presse-Agentur GmbH, Quelle: BayHStA, StK Fotos 130 — 292 Abb. 8: Sitzung der Viererkoalition, 21. August 1956; © Deutsche Presse-Agentur GmbH, Quelle: BayHStA, StK Fotos 111 — 298 Abb. 9: Pressekonferenz der CSU, 9. Dezember 1954; © Deutsche Presse-Agentur GmbH, Quelle: BayHStA, StK Fotos 163 — 310 Abb. 10: Ministerpräsident Alfons Goppel trifft sich 1965 mit seinen Amtsvorgängern Hans Ehard, Wilhelm Hoegner und Fritz Schäffer; © Fritz Neuwirth/Süddeutsche Zeitung Photo — 317 Abb. 11: Zuschauer vor der Staatskanzlei in der Prinzregentenstraße 7 beim Staatsbesuch des Bundespräsidenten Theodor Heuss, Oktober 1949; © Lily Landgraf-Lindinger, Quelle: BayHStA, StK Fotos 94 — 320 Abb. 12: Umschlagseite von der Weihnachtszeitung der Staatskanzlei aus Dezember 1947; Quelle: BayHStA, NL Anton Pfeiffer 71 — 324 Gr. 1: NSDAP und SA im Führungspersonal; © Rick Tazelaar — 227 Gr. 2: Beschäftigte im Verwaltungs- und Justizdienst; © Rick Tazelaar — 271 Gr. 3: NSDAP-Anteil; © Rick Tazelaar — 273 Abb. 1: Abb. 2:

https://doi.org/10.1515/9783111317731-009

Abkürzungen AA Abb. Abt. ACA AdMPG ArchdBL BArchB BArchF BArchK BayBG BayHStA BDC betr. BND BP BVC BVP bzw. CDU CIA CIC CSU DDP DDR DNVP DVP FDP FN GB/BHE Gr. GVBL Hiwis HJ HSS IfZ KPD KWG

Auswärtiges Amt Abbildung Abteilung Amherst College Archives and Special Collections Archiv der Max-Planck-Gesellschaft Archiv des Bayerischen Landtags Bundesarchiv Berlin-Lichterfelde Bundesarchiv Freiburg Bundesarchiv Koblenz Bayerisches Beamtengesetz Bayerisches Hauptstaatsarchiv Berlin Document Center Betreff Bundesnachrichtendienst Bayernpartei Bayerische Volkspartei-Correspondenz Bayerische Volkspartei beziehungsweise Christlich Demokratische Union Deutschlands Central Intelligence Agency Counter Intelligence Corps Christlich-Soziale Union Deutsche Demokratische Partei Deutsche Demokratische Republik Deutsch Nationale Volkspartei Deutsche Volkspartei Freie Demokratische Partei Fußnote Gesamtdeutscher Block/Bund der Heimatvertriebenen und Entrechteten Grafik Bayerisches Gesetz- und Verordnungsblatt Hilfswillige Hitlerjugend Hanns-Seidel-Stiftung Institut für Zeitgeschichte München-Berlin Kommunistische Partei Deutschlands Kaiser-Wilhelm-Gesellschaft

https://doi.org/10.1515/9783111317731-010

388  Abkürzungen

KZ LEA LMU LPA MA MF MfS MinDir MinDirig MInn MJu MP MR MSo NA NL NSAHB NSDAP NSRB NSV OFD o. D. o. S. OLG OMGB OMGUS ORH ORR OSS PAAA Pg. RD RDB RegAss RKB RKK RLB RMG RR SA SD

Konzentrationslager Landesentschädigungsamt Ludwig-Maximilians-Universität Landespersonalamt Ministerium des Äußern Bayerisches Staatsministerium der Finanzen Ministerium für Staatssicherheit Ministerialdirektor Ministerialdirigent Bayerisches Staatsministerium des Innern Bayerisches Staatsministerium der Justiz Ministerpräsident Ministerialrat Bayerisches Staatsministerium für Sonderaufgaben National Archives Nachlass Nationalsozialistischer Altherrenbund Nationalsozialistische Deutsche Arbeiterpartei Nationalsozialistischer Rechtswahrerbund Nationalsozialistische Volkswohlfahrt Oberfinanzdirektion ohne Datum ohne Seite Oberlandesgericht Office of Military Government for Bavaria Office of Military Government, United States Bayerische Oberste Rechnungshof Oberregierungsrat Office of Strategic Services Politisches Archiv des Auswärtigen Amts Parteigenosse Regierungsdirektor Reichsbund der deutschen Beamten Regierungsassessor Reichskolonialbund Reichskulturkammer Reichsluftschutzbund Regional Military Government Regierungsrat Sturmabteilung Sicherheitsdienst

Abkürzungen

SHAEF SPD S. SpKA SS StaBi München StdA München StK StAM SZ u. u. a. US(A) USFET USPD vgl. WAV



Supreme Headquarters Allied Expeditionary Forces Sozialdemokratische Partei Deutschlands Seite Spruchkammerakte Schutzstaffel Staatsbibliothek München Stadtarchiv München Bayerische Staatskanzlei Staatsarchiv München Süddeutsche Zeitung und unter anderem/unter anderen United States of America European Theater of Operations, United States Army Unabhängige Sozialdemokratische Partei Deutschlands vergleiche Wirtschaftliche Aufbau-Vereinigung

389

Quellen und Literatur Ungedruckte Quellen Amherst College Archives and Special Collections (ACA) Karl Loewenstein Papers, Box 46, Folder 9

Archiv der Max-Planck-Gesellschaft (AdMPG) III 1 206 III 3456 III 47 496 III 61 782 III 67 598 D844

Archiv des Bayerischen Landtags (ArchdBL) Ausschuß für den Staatshaushalt, 1. Legislaturperiode, 18. Sitzung, 14. Juli 1947 Ausschuß für den Staatshaushalt, 1. Legislaturperiode, 95. Sitzung, 13. Juni 1949 Ausschuß für den Staatshaushalt, 2. Legislaturperiode, 270. Sitzung, 17. März 1954

Archiv des Instituts für Zeitgeschichte (IfZ) ED 120 NL Wilhelm Hoegner 17, 19, 120, 127, 129, 331 ED 449 NL Margarethe Bitter 1–19 ED 355 NL Familie Pfeiffer 9–26

Bayerisches Hauptstaatsarchiv (BayHStA) NL Margarethe Bitter 1–4 NL Hans Ehard 11, 12, 13, 14, 267, 1577, 1628, 2107 NL Johannes von Elmenau 4, 137 NL Hans Kraus 1, 8, 15 NL Anton Pfeiffer 1, 5, 20, 21, 30, 32, 41, 53, 55, 57, 63, 71, 110, 119, 142, 147, 149, 320, 325, 327, 332, 361, 362 368, 540 NL Hermann Proebst, 42, 44, 47, 80, 81, 84 Bayerisches Landespersonalamt 1–4 Bevollmächtigter Bayerns beim Bund 9/1–15/II, 1313 LEA 1190, 37392 MA 102049 MF 15936, 69372, 69375, 69376, 69381, 69383, 69386, 77571, 77702, 86411, 86509 MInn 85244 MJu 25062, 25915, 26782, 26790, 26793, 26802, 26811, 26904 MSo 0104, 2915 ORH 948, 949 StK 734, 5438, 5440, 5441, 5447, 7586, 7587, 10911, 10912, 10916, 11610, 11611, 11616, 11619, 11632, 11642, 11861–11874, 11918, 11919, 12885, 12997, 13069, 13079–13084, 13113–13116, 13373, 13374, 13375, 13377, 13380, 13382, 13384, 13385, 13387, 13389, 13390, 13391, 13398, 13399, 13401, 13405, 13412, 13416, 13418, 13419, 13423, 13430/1, 13433, 13434, 13438, 13445, 13453, 13454, 13455, 13457, 13461, 13462, 13468, 13471–13475, 13901, 13903, 13904, 13911, 13912, 15936, 15937, 15939,

https://doi.org/10.1515/9783111317731-011

Ungedruckte Quellen 

15944, 15945, 15946, 16015, 16017, 16018, 30858, 30859, 30860, 30864, 30867, 30868, 30871, 30875, 30876, 30883, 30885, 30887, 30889, 30893, 30896 30898, 30901

Bundesarchiv Berlin-Lichterfelde (BArchB) R 58/9683 R 601/1665 R 1501/130210 R 1507/545 R 3001/148792 R 3101/15211 R 3101/30045 R 3101/30047 R 9361/I/43970 R 9361/II/33668 R 9361/II/52535 R/9361/II/160143 R/9361/II/261478 R/9361/II/372416 R 9361/II/396804 R/9361/II/505189 R/9361/II/559709 R/9361/II/561051 R/9361/V/4740 R/9361/V/9531 R/9361/V/31122 R/9361/V/25484 R 9361-VIII Kartei/7950963 R 9361-VIII Kartei/9010235 R 9361-VIII Kartei/12631460 R 9361-VIII Kartei/22421447 R 9361-IX Kartei/10810056 R 9361-IX Kartei/13260308 R 9361-IX Kartei/14821102 R 9361-IX Kartei/27990796 R 9361-IX Kartei/33861017 R 9361-IX Kartei/40870844 R 9361-IX Kartei/40881352 R 9361-IX Kartei/43320171 VBS 1/1120007608 VBS 1/1140006637 VBS 1/1140018689 VBS-1018-ZBII-1693-A.13 VBS-1018-ZBIII-1682-A.10

Bundesarchiv Freiburg (BArchF) RH22 235 Pers. 6-191677 Pers. 6-281152

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392 

Quellen und Literatur

Bundesarchiv Koblenz (BArchK) N1086/Bd. 27a N1168/Bd.1, 14 N1457/ Bd. 2, 12–15, 16, 18, 19, 22, 24, 52 R58 9683

Bundesrat Ständiger Beirat Sitzungen, Bd. 1, 2, 3

BND-Archiv 1455_OT 4313_OT 27714_OT 27715_OT N19/1_OT

Hanns-Seidel-Stiftung (HSS) NL Strauß Fam 495, 737, 970, 934 NL Strauß BMVg 428

National Archives, Collegepark Maryland (NA) RG59, 1082 (A1), M679, 2 RG260, 638 (A1), 274, 390, 46, 24, 1 RG263, A1 88, ZZ88, ARADI, ZSOLT, Volume 3 RG263, Gehlen, Reinhard, Volume 1, MGFA-3000

Politisches Archiv des Auswärtigen Amts (PAAA) NL Wilhelm Haas 13 NL Gustav Stresemann 3, 13 B2 32 B100, 2700 P1: 1192, 1193, 14184, 14185, 1622, 1623, 1624, 1625, 5901, 5902, 5903 P14: 45911, 45912, 49955, 54980, 54981, 54982, 54983, 57472, 57473, 57543

Staatsarchiv München (StAM) Oberlandesgericht München, Erbhofgericht 12 OFD München 307–396, 414–419 OLG München, 639 PA 24300 SpKA K 57, Baer, Fritz SpKA K 522, Glum, Friedrich SpKA K 677, Henle, Wilhelm SpKA K 1575, Schäffer, Fritz SpKA K 1736, Schwarzmann, Hans SpKA K 1741, Schwend, Karl SpkA K 1933, Weinisch, Karl

Staatsbibliothek München (StaBi) Ana 308, 33, 42, Schachtel 1, 2 Ana 463, 39–48, 58–65

Gedruckte und digitalisierte Quellen 

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Stadtarchiv München (StdA München) München, DE-1992-ZA-13664 Staatsregierung – Bayerische Staatskanzlei DE-1992-ZA-P-0473-41 Hans Schwarzmann

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394  Quellen und Literatur

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Personenregister Abetz, Otto 245, 247 Adcock, Clarence 87 Adenauer, Konrad 13, 119, 132, 177, 231, 260, 305, 316, 336, 338, 367 Altendorfer, Otto 58, 126 Ankermüller, Willi 232 Anspach, Ernst 158 Aradi, Zsolt 178 Aretin, Erwein von 65 Baer, Fritz 10, 71, 180 ff., 184–190, 206–210, 217, 220, 227, 230 ff., 237, 256 f., 262 f., 265, 267–270, 275 f., 293, 312 ff., 317, 324, 327– 330, 349, 352, 359, 362 Baer, Rudolf 181 Baumgartner, Joseph 82, 235, 292, 298 Bäuml, Michael 140, 142, 229 Bayern, König Ludwig I von 2, 345 Bayern, König Ludwig III von 75, 89 Bayern, Kronprinz Rupprecht von 67, 127, 152 f. Bayern, Prinz Albrecht von 199 Bernheimer, Familie 138, 189 Bernheimer, Otto 189 Bezold, Rudolf von 38, 140, 298 Blankenhorn, Herbert 338 Blessing, Werner K. 10 Bleyer, Joseph 36 Bitter, Heinrich 334 Bitter, Margarethe 177, 180, 252, 333–338 Boepple, Ernst 44, 140 Bohlen, Charles 192 Bonn, Moritz Julius 75 Borgstedt, Angela 226 Bosl, Karl 358 f. Brand zu Neidstein, Philipp Freiherr von 157, 180, 229, 263, 268, 277, 292, 337 Brandt, Rudolf 154 Braun, Hermann 201 Braun, Otto 94 Brechtken, Magnus 363 f., 369 Brill, Hermann 360, 362, 366 Bromage, Arthur 143 Brüning, Heinrich 93, 182 Bußler, Peter 255, 268 Buttmann, Rudolf 29 f., 36

https://doi.org/10.1515/9783111317731-012

Clay, Lucius D. 305 Conze, Werner 203 Darré, Walther 117 Dehler, Thomas 104, 203, 258, 338 Deschanel, Albert 197 Deuerlein, Ernst 1, 213, 258 f., 278, 295, 307, 349–353, 356 ff. Dirks, Walter 66 Dirksen, Herbert von 199 Dittmann, Herbert 336 f. Dittmar, Ludwig 42 f., 140 Doeberl, Michael 344, 352 Dorn, Walter L. 86 f. Dornier, Claude 128 Dulles, Allen 94 f., 178 Dünnbier, Werner 268 Eberhard, Fritz 362 Eberhard, Rudolf 315, 362 Eberle, Raimund 268 Eberstein, Karl Freiherr von 154 Ebert, Friedrich 157 Eckardt, Hans von 156, 158 Eder, Eugen 140 Ehard, Hans 3, 13, 14, 18, 46 f., 56, 86, 99 f., 104 f., 107, 109, 111–124, 126, 157, 160, 171 f., 179, 200, 202 f., 205 f., 208 f., 213, 216 ff., 220 f., 223, 225, 230 f., 236 f., 243 ff., 247, 249 ff., 256, 259, 268, 285, 294–299, 303– 311, 313 f., 317, 330, 336, 339, 342, 345 f., 348 f., 349, 352–357, 365 ff., 371, 373, 376 Eichbichler, Robert 175 Eisenhower, Dwight D. 73, 87, 159 Eisfelder, Josef 265 Eisner, Kurt 58 f., 75, 78, 90 Elmenau, Johannes von 179, 329 Epp, Franz Ritter von 27–29, 38 f., 68, 318 Erber, Peter 210, 215, 218 f., 252, 260–263, 265, 267 Eschenburg, Theodor 264 Escherich, Georg 63 Esser, Hermann 29, 31 f., 36, 283 Faulhaber, Michael von 52 Fisch, Stefan 182, 185 f. Frank, Hans 113

416 

Personenregister

Franke, Christoph 183 Frei, Norbert 224 Frick, Wilhelm 38 f. Gabler, Karl 128 Gansser, Reto 321 Geislhöringer, August 298 Gehlen, Reinhard 13, 200–204, 249 ff., 295, 369, 378 Gelberg, Karl-Ulrich 17 f., 115, 133 Gerner, Erich 255, 309, 311 Geßler, Otto 150–156, 158, 283, 287, 292 Giesler, Paul 41–44 Globke, Hans 203 Glum, Friedrich 177 f., 229, 233–242, 244, 275, 297, 304, 361 ff. Goetz, Walter 351 Goppel, Alfons 3, 47, 256 f., 264–269, 301, 315 ff., 319, 372, 375 Greib, Karl 310 Haas, Albrecht 200, 256–259, 263, 293, 298, 311 Hagenauer, Ludwig 237 Halter, Hans-Christian 180, 204, 250 Hamm, Eduard 152 ff. Hang, Josef 140 Hattenhauer, Hans 327 Heim, Georg 60 Heinrich, Hans 258 Held, Heinrich 26 f., 36, 59 f., 62, 67–69, 109, 123, 126, 161 Held, Josef 109 Hencke, Andor 199 Henderson, Loy 192 Henke, Klaus-Dietmar 19, 201, 366 f., 369 Henle, Wilhelm 233 Henzler, Christoph 71, 286 Herwarth von Bittenfeld, Alexandra 202 Herwarth von Bittenfeld, Elisabeth („Pussi“) 200, 202 Herwarth von Bittenfeld, Hans-Heinrich („Johnny“) 72, 177 f., 180, 191–204, 236, 249–252, 275 f., 295, 304, 323, 335, 338, 377 Herzfelder, Felix 115 Heß, Rudolf 201 Heubl, Franz 256, 262–265, 293, 295, 314 Heuss, Theodor 292, 320, 360 Hindenburg, Paul von 67, 78 Hipp, Otto 158, 281

Hitler, Adolf 28 f., 36, 38 f., 42, 60, 65, 67–70, 80, 90–93, 112 f., 121, 129, 153 f., 189, 193 f., 196–199, 234, 237, 240, 347, 354 Hoegner, Anna 90 Hoegner, Wilhelm 46 f., 56, 72, 85–107, 110 f., 121, 130, 133, 159–163, 165–169, 171 ff., 176 f., 179, 191, 199, 206, 208 f., 211, 221, 226, 236, 241, 256, 258 ff., 267, 274, 278, 288 ff., 294, 296–299, 301–304, 310 ff., 317, 321, 341 ff., 348, 357 f., 371, 373 Hoffmann, Johannes 26, 30 Holzhausen, Rudolf 180, 360, 363 f., 366–368 Horlacher, Michael 82, 107 f., 111 f., Huber, Ludwig 343 Hugenberg, Alfred 239 Hundhammer, Alois 14, 82 f., 104, 108, 121 f., 202 f., 310, 315 Ipsen, Gunther 203 Jacquet, Ferdinand 268 Kahr, Gustav von 26, 64 Keegan, Charles E. 49–52, 54 f., 135 f., 146 f., 156, 159 Kellner, Hans 207, 319, 337 Kelsen, Hans 96 Kempner, Robert 243 Kennan, George 192, 199 Kennefax, Robert 197 Kershaw, Ian 41 Keßler, Rainer 268 Knappstein, Karl 362 Koch, Hans 203 Kock, Peter Jakob 98 Koenig, Pierre 305 Kogon, Eugen 225 Koll, Karl 144 Kollinger, Josef 275 Konrad, Anton 219 Kopf, Wilhelm 180, 252 Köstring, Ernst 195 f. Krafft von Dellmensingen, Leopold 34, 36, 272 Kraus, Hans 21, 45, 161–164, 175 f., 179–182, 189 f., 254 f., 274 f., 293 f. Krauss, Marita 331 Kritzer, Peter 93 Kroher, Emil 316 Kroll, Gerhard 360, 365, 367–370 Kruis, Konrad 181, 267, 289

Personenregister 

Landauer, Gustav 79 Lang-Brumann, Thusnelda 288 Leonhard, Jörn 8 f., Leusser, Claus 163–166, 175, 208, 210, 212, 217, 255, 264, 275 f., 304, 309, 311 ff., 349, 352 Lex, Hans Ritter von 29, 51, 68 f., 81, 126, 154, 338 Levine, Eugen 79 Limbach, Manuel 153, 155 Loewenstein, Karl 294 f. Loritz, Alfred 223, 242 ff., 249 f. Löffler, Bernhard 11, 18 Mai, Uwe 117 Markert, Werner 203 Maunz, Theodor 264, 266 Maurach, Reinhart 203 Maußer, Erich 268 McCloy, John 248 Meinl, Susanne 186 Meinzold, Friedrich 298 Meixner, Georg 310 Metz, Matthias 210, 215–218, 220, 252 Montgelas, Maximilian von 1, 23, 219, 329, 345 Morenz, Ludwig 114 Mors, Otto Harald André 204 Morsey, Rudolf 120 Muller, Walter J. 159 Murphy, Robert D. 77, 111 Mussolini, Benito 239 f. Mühsam, Erich 78 f. Müller, Josef 14, 82–85, 104, 108 f., 111 f., 121 f., 259 Müller, Karl Alexander von 344 Nawiasky, Hans 95 f., 99, 103, 105, 107, 122, 289 Neithardt, Georg 117 f. Neumann, Clemens 308 Niethammer, Lutz 17, 223 Oberländer, Theodor 203 Oesterle, Josef 285 Osthelder, Ludwig 147 Papen, Franz von 240 Patton, George 159 Pétain, Philippe 246 Pfeiffer, Anton 1, 21, 47, 53 f., 57, 68, 70, 73–86, 89, 92, 97–102, 104 f., 108–112, 124, 126 f., 129 f., 133, 150 f., 157, 160–166, 168–182, 190 f., 199 f., 205–208, 218, 223 f., 230 f.,

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236 f., 247 ff., 251 f., 254, 256 f., 262, 264, 274 f., 279–289, 291, 293 ff., 301 f., 304 ff., 309, 312, 322, 330, 338, 345, 348, 352, 360, 362 f., 365–368, 370 ff., 374 f. Pfeiffer, Maximilian 76 Pfeiffer, Peter 76, 81, 179 f., 192, 247 f., 374 Pfister, Kurt 179, 275, 362 Pfundtner, Hans 39 Pius XII., Papst 81 Pollock, James K. 87 Preß, Eugen 140 Proebst, Hermann 276 f. Raschhofer, Hermann 203 Rattenhuber, Ernst 51, 54, 255, 308 f. Raumer, Konrad 265, 268 Reese, Robert A. 147 Reifferscheid, Friedrich 179 Rettler, Ute 308 Reuter, Georg 215 Reuter-Boysen, Christiane 111, 286 Ribbentrop, Familie 242 Ribbentrop, Joachim von 193, 245, 247 f., 251 Rigoll, Dominik 225 Rittenauer, Daniel 15, 22, 40 Ritter, Gerhard A. 91, 369 Robertson, Brian Hubert 305 Rosenberg, Alfred 194 Roßhaupter, Albert 99 Roßmann, Erich 302, 361 Röhm, Ernst 243 Sachs, Camille 120, 258 Sattler, Dieter 360 ff. Sälter, Gerhard 200, 250 Schachinger, Fritz 252 Schambeck, Rudolf 265 Scharnagl, Karl 51, 53 f., 70, 74, 99, 154, 165 Schäffer, Fritz 3, 14, 17, 46 f., 50–61, 63, 65–75, 78, 80–83, 86–90, 92, 95, 103, 108 ff., 121 f., 124, 126, 127, 129 f., 132 f., 136–139, 141, 143 f., 146–152, 155–160, 162, 165, 169 f., 176, 261, 279–283, 285–290, 295, 301, 317, 318, 330, 339, 348, 371, 373 Schäffer, Gottfried 58 Schäffer, Karl 59 Schedl, Otto 314 Schemm, Hans 111 Schlemme, Thomas 18

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Personenregister

Schiller, Otto 203 Schillings, Carola von 284 Schleier, Rudolf 246 Schlögel, Alois 82 Schmeisser, Hans-Konrad 200 Schmelzle, Hans 25 f. Schmidt, Wilhelm 26 Schmitt, Heinrich 99, 171–174 Schmitt, Rudolf W. 279 Schroeder, Hans 193, 197 Schulenburg, Friedrich Werner Graf von der 193 f. Schultze-Gaevernitz, Gero von 94 Schwalber, Josef 310 Schwarzmann, Hans 180, 204 f., 229, 233, 242– 252, 374, 376 f. Schwend, Karl 66, 84, 112, 124–130, 156 f., 176, 197, 208, 229 ff., 233, 252–258, 277, 283– 287, 293, 295, 304, 307, 310, 319, 330, 336, 338, 345, 349, 352–355, 357, 362, 365 f., 371 Schwenke, Max 226 Seefried, Elke 65 Seelos, Gebhard 180 Seidel, Hanns 209, 256, 259, 310–313, 315, 373 Seibel, Wolfgang 10 f. Seifried, Josef 99 Seraphim, Peter-Heinz 203 Siebert, Ludwig 28 f., 31 f., 34–41, 44, 283 Siegert, Diethard J. 321 Sigl, Rupert 234, 236 Speidel, Hans 369 Sperr, Franz 152 ff., 154 Spindler, Max 125, 219, 340–348, 351 ff., 356 f., 359f., 362 f., 366

Stalin, Josef 196 Stauffenberg, Claus Graf von 154, 194–198 Steber, Martina 63 Steinbach, Ernst 361 Stengel, Paul von 34, 272 Stocker, Annemarie 324 Stoiber, Edmund 320, 348 Strauß, Franz Josef 264, 310, 321, 351 f. Strauß, Walter 360 Stresemann, Gustav 76 Telschow, Ernst 236 Terhalle, Fritz 21, 162, 166 Thalhamer, Josef 52 Thayer, Charles („Charlie“) 192, 198 f. Tiefenbacher, Ludwig 161, 179, 206 ff., 227, 232, 265, 274 f. Toller, Ernst 78 Truman, Harry S. 48 Übelacker, Christina 333 Vielberth, Wilhelm 80 Vogel, Hans-Jochen 278 Wagner, Adolf 37, 39, 41 f., Wagoner, Murray D. Van 216 f. Wegmaier, Alexander 125, 128, 350 Weinisch, Karl 138–144, 146 ff., 190 Werner, Ana Lena 261 Wimmer, Thomas 99 Winter, Hermann 231, 252 Wirth, Joseph 94 Wlassow, Andrej S. 202 Wohlmuth, Georg 126 Wolfrum, Edgar 18 f., 342, 360 Woller, Hans 18 Zwilling, Jutta 186

Der Autor

Foto: © Rick Tazelaar

Rick Tazelaar ist University Lecturer für Neuere und Neueste Geschichte an der Universität Utrecht (Niederlande).

https://doi.org/10.1515/9783111317731-013