Paritätische Mitbestimmung und Grundgesetz: Verfassungsrechtliche Fragen zur gesetzlichen Einführung der paritätischen Unternehmensmitbestimmung [1 ed.] 9783428432882, 9783428032884

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Paritätische Mitbestimmung und Grundgesetz: Verfassungsrechtliche Fragen zur gesetzlichen Einführung der paritätischen Unternehmensmitbestimmung [1 ed.]
 9783428432882, 9783428032884

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Schriften zum Öffentlichen Recht Band 257

Paritätische Mitbestimmung und Grundgesetz Verfassungsrechtliche Fragen zur gesetzlichen Einführung der paritätischen Unternehmensmitbestimmung

Von

Rupert Scholz

Duncker & Humblot · Berlin

RUPERT SCHOLZ

Paritätische Mitbestimmung und Grundgesetz

Schriften zum ö f f e n t l i c h e n Band 257

Recht

Paritätische Mitbestimmung und Grundgesetz Verfassungsrechtliche Fragen zur gesetzlichen Einführung der paritätischen Unternehmenemitbestimmung

Von

Prof. Dr. Rupert Scholz

DUNCKER

&

HUMBLOT/BERLIN

Alle Rechte vorbehalten © 1974 Duncker & Humblot, Berlin 41 Gedruckt 1974 bei Berliner Buchdruckerei Union GmbH., Berlin 61 Printed in Germany ISBN 3 428 03288 8

Inhaltsverzeichnis A. Einleitung

9

B. Zur Grundproblematik

der paritätischen Mitbestimmung

allgemein . .

I. Entwicklung und Ziele der Mitbestimmungsgesetzgebung

10 10

I I . Politische, soziale und ökonomische Implikationen der Mitbestimmung und das Unternehmen als reale Ordnungsaufgabe

11

I I I . Verfassungsrechtliche und verfassungsmethodische Grundfragen . .

20

C. Paritätische fassung

Mitbestimmung

und grundgesetzliche

Gesellschaftsver-

24

I. Gesellschaftsverfassungsrechtliche Bezüge der paritätischen M i t bestimmung und Dimensionen der grundgesetzlichen Gesellschaftsverfassung

24

I I . Der demokratische und soziale Rechtsstaat als Rahmen der grundgesetzlichen Gesellschaftsverfassung

25

I I I . Paritätische ordnung

Mitbestimmung

und

demokratische

Gesellschafts-

28

IV. Paritätische Mitbestimmung, Wirtschaftsverfassung und Arbeitsverfassung

31

1. Die offene Wirtschafts- und Arbeits Verfassung des Grundgesetzes

31

2. Gesellschaftliche Autonomie und dezentrale Gesellschaftsordnung als Strukturprinzipien der offenen Wirtschafts- und Arbeitsverfassung

34

3. Die konkreten Verfassungsgarantien der freiheitlichen und dezentralen Wirtschafts- und Arbeitsordnung

41

4. Die paritätische Mitbestimmung als ordnungs- und strukturpolitisch legitime Maßnahme

44

5. Zusammenfassung

48

D. Paritätische Mitbestimmung

und Grundrechte — Grundpositionen

..

50

I. Paritätische Mitbestimmung und grundrechtliche Legitimation . .

50

1. Paritätische Mitbestimmung und arbeitnehmerische bestimmung durch soziale Teilhabe 2. Parität von Kapital und Arbeit

Selbst-

50 52

Inhaltsverzeichnis

6

I I . Paritätische Mitbestimmung und grundrechtliche Schranken

56

1. Paritätische Mitbestimmung, Eigentumsgarantie, Wirtschaftsund Gewerbefreiheit

56

2. Paritätische Mitbestimmung und Koalitionsrecht

60

3. Weitere Grundrechtsprobleme

62

I I I . Verfassungsrechtliche Folgerungen

62

I V . Grenzen mitbestimmungsrechtlicher Parität 1. Parität als Grenzproblem

64 64

2. Parität im System von institutioneller und funktioneller, unmittelbarer und mittelbarer Unternehmensmitbestimmung

64

3. Paritätische Mitbestimmung i m MitbestG und in der Montanmitbestimmung

66

4. Paritätische Mitbestimmung und Betriebsverfassung

67

5. Paritätische Mitbestimmung und koalitionsrechtliche stimmung

Mitbe-

6. Parität und Überparität als mitbestimmungsrechtliches Konkurrenzproblem E. Paritätische sung

Mitbestimmung

und grundgesetzliche Eigentumsverjas -

I. Struktur und Inhalt der Eigentumsgarantie

68 70

75 75

1. Allgemeines

75

2. Eigentumsschutz als ökonomische Substanz- und Funktionsgewährleistung

77

3. Eigentumsschutz, Funktionsfähigkeit ökonomische Rentabilität

79

von Unternehmen

und

4. Eigentumsschutz und Rechtsstellung des Anteilseigners I I . Schranken der Eigentumsgarantie

81 82

1. Inhaltsbestimmung — Sozialbindung — Enteignung

82

2. System der Schrankenvorbehalte: Nutzungs-, Verfügungs-, Verteilungs-, Entziehungs- und Organisationsvorbehalt

83

I I I . Paritätische Mitbestimmung und Eigentumsgarantie

86

1. Paritätische Mitbestimmung als Enteignung oder Sozialbindung

86

2. Paritätische Mitbestimmung organisation

89

als sozialstaatliche

Eigentums-

3. Paritätische Mitbestimmung und die Garantie funktionssichernder oder konkurrenzlösender Verfahren I V . Anwendung 1. Die Montanmitbestimmung

92 94 94

2. Der Referentenentwurf des Bundesministers für Arbeit und Sozialordnung

95

3. Der Regierungsentwurf vom 22.2.1974

96

Inhaltsverzeichnis V. Paritätische Mitbestimmung und Sozialisierung F. Paritätische sung

Mitbestimmung

und grundgesetzliche

101 Koalitionsverfas-

102

I. Struktur der Koalitionsfreiheit nach Art. 9 I I I GG

102

1. Individuelle und kollektive Koalitionsfreiheit

102

2. Koalitionsfreiheit, Koalitonsparität, und Koalitionspluralität

103

Koalitionsunabhängigkeit

3. Koalitionsverfahren, Tarifautonomie und Arbeitskampf

107

I I . Paritätische Mitbestimmung und individúale Koalitionsfreiheit . . 108 1. Fragen der positiven Koalitionsfreiheit

108

2. Fragen der negativen Koalitionsfreiheit

109

I I I . Paritätische Mitbestimmung, Koalitionsunabhängigkeit, Koalitionsparität und Koalitionspluralität 114 1. Helativierung der Koalitionsunabhängigkeit

114

2. Relativierung der Koalitionsparität

116

3. Relativierung der Koalitionspluralität

116

IV. Paritätische Mitbestimmung, Tarifautonomie und Arbeitskampf . . 117 1. Funktionelle Schwächung von Tarif autonomie und Arbeits117 kampf 2. Offenes Koalitionsverfahren, legitimer Strukturwandel institutionelle Öffnung der Koalitionsmittel 3. Koalitionsverfahren und Konkurrenzlösung V. Zusammenfassung G. Weitere Grundrechtsprobleme

und

119 121 123

der paritätischen

Mitbestimmung

I. Paritätische Mitbestimmung und Vereinigungsfreiheit 1. Kritik an der paritätischen Mitbestimmung

124 124 124

2. Struktur der grundgesetzlichen Garantie der Vereinigungsfreiheit und das Gesellschaftsrecht 125 3. Verfassungsmäßigkeit der paritätischen Mitbestimmung I I . Paritätische Mitbestimmung und Gleichheitsfragen

127 128

1. Paritätische Mitbestimmung und Unternehmensgleichheit

128

2. Paritätische Mitbestimmung und Arbeitnehmergleichheit

129

H. Ergebnisse

130

Ausgewähltes monographisches Schrifttum

141

A. Einleitung M i t dem Gesetzesentwurf der Bundesregierung vom 22. Februar 1974 (Bundesratsdrucksache 200/74) liegt den gesetzgebenden Körperschaften die Vorlage eines Gesetzes über die Mitbestimmung der Arbeitnehmer (Mitbestimmungsgesetz) vor. M i t diesem Gesetz soll die paritätische Mitbestimmung der Arbeitnehmer i n den sogenannten Großunternehmen verwirklicht werden. M i t dieser Zielsetzung verbinden sich ebenso politische, soziale und ökonomische wie rechtliche Fragen von evidenter Tragweite. Die vorliegende Untersuchung befaßt sich m i t der Frage der Verfassungsmäßigkeit des vorliegenden Gesetzesentwurfs wie der paritätischen Mitbestimmung allgemein. Aus dieser Aufgabenstellung ergeben sich zugleich die thematischen Eingrenzungen der folgenden Betrachtungen. Der ausdrücklichen Erwähnung dessen bedarf es gerade gegenüber der aktuellen Diskussion der Mitbestimmungsfrage i n Wissenschaft und politischer Öffentlichkeit. Denn i m Streit u m Legitimation, Rechtmäßigkeit und Zweckmäßigkeit einer paritätischen Unternehmensmitbestimmung vermengen und vertauschen sich nur allzu oft rechtliche Schlußfolgerungen m i t Argumenten politischer oder sozioökonomischer A r t . Eine Untersuchung der Verfassungsmäßigkeit der paritätischen Mitbestimmung muß sich von solchen Argumentationen oder Argumentationsversuchen freihalten. Die Fragen der wirtschaftsund sozialpolitischen Eignung oder Berechtigung einer paritätischen Mitbestimmung beantwortet nicht das Verfassungsrecht. Auch die Entscheidung über ein ordnungspolitisch derart weit ausholendes Vorhaben obliegt zunächst dem Gesetzgeber und seiner politischen Erkenntnis. Aufgabe des Verfassungsrechts ist es allein, die rechtlichen Grenzen solcher Ordnungsvorhaben aufzuzeigen.

B. Zur Grundproblematik der paritätischen Mitbestimmung allgemein I. Entwicklung und Ziele der Mitbestimmungsgesetzgebung Der Gesetzesentwurf der Bundesregierung vom 22. 2.1974 zur Einführung der paritätischen Unternehmensmitbestimmung (MitbestG) 1 baut auf der bestehenden Mitbestimmung i n der Betriebs- und Unternehmensverfassung auf. Nach den Gesetzgebungen der Montan-Mitbestimmung 2 sind die Unternehmen des Montanbereichs paritätisch i n der Weise mitbestimmt, daß die Aufsichtsräte der Unternehmen mit der gleichen Zahl von Mitgliedern der Anteilseigner und der Arbeitnehmerschaft zuzüglich eines „neutralen Mitglieds" (11., 15. oder 21. Mann)) besetzt sind. Nach dem Betriebsverfassungsrecht besteht für verschiedene andere Unternehmen eine Mitbestimmung der Arbeitnehmer i m Aufsichtsrat zu einem Drittel 3 . Neben dieser unternehmensverfassungsrechtlichen Mitbestimmung besteht seit dem BetrVG von 1952 und ausgebaut i m BetrVG von 1972 die organisatorisch und funktionell von der Unternehmensverfassung grundsätzlich geschiedene Mitbestimmung der Arbeitnehmer i m innerbetrieblichen Bereich 4 . Eine allgemeine paritätische Unternehmensmitbestimmung besteht bisher demgemäß nicht. Angesichts der Mitbestimmungsregelungen i m Montanbereich und deren, unter dem Aspekt der Erprobung wiederholten Geltungsverlängerung 5 ist der Gesetzgeber jedoch — vor allem 1 BR-Drucks. 200/74 = BT-Drucks. 7/2172. Vgl. Gesetz über die Mitbestimmung der Arbeitnehmer in den Aufsichtsräten und Vorständen der Unternehmen des Bergbaus und der Eisen und Stahl erzeugenden Industrie vom 21.5.51 (BGBl I S. 347) — MontanMitbestG —, Gesetz zur Ergänzung des MontanMitbestG vom 7.8.56 (BGBl I S. 707) — MontanMitbestErgG — und Gesetz über die befristete Fortgeltung der Mitbestimmung in bisher den Mitbestimmungsgesetzen unterliegenden Unternehmen vom 29.11. 71 (BGBl I S. 1857) — MontanMitbestFortgG. 3 Vgl. näher §§76 ff. BetrVG vom 11.10.52 (BGBl I S. 681) i . V . m . §129 BetrVG vom 15.1. 72 (BGBl I S. 13). 4 Zu einzelnen oder möglichen Überschneidungen funktioneller Art vgl. unter D I V 4, 6. 5 Zur Verfassungsmäßigkeit des MontanMitbestErgG (Erstes Fortgeltungsgesetz oder sogenannte „Lex Rheinstahl") vgl. BVerfGE 25, 371 ff.; BayObLG, DB 72, 393 ff.; zur Verfassungsmäßigkeit des MontanMitbestFortgG (Zweites Fortgeltungsgesetz) vgl. R.Scholz, Die A G 72, 195ff.; von Zezschwitz, BB 71, 479 ff.; Kittner, BB 71, 1057 ff. 2

II. Politische, soziale und ökonomische Implikationen

11

unter dem Aspekt der Gleichbehandlung — i n einen gewissen Zugzwang geraten 6 . A m 4. 2.1970 hat die vom Bundestag am 14. 6.1967 eingesetzte Sachverständigenkommission (sogenannte Biedenkopf-Kommission) ihren Erfahrungsbericht „Mitbestimmung i m Unternehmen" vorgelegt 7 ; und nach diesem Bericht schien die Mitbestimmungsfrage der allgemeineren Entscheidung zugänglich geworden zu sein. Hiervon geht der vorliegende Regierungsentwurf ausdrücklich aus, wenngleich die von der Sachverständigenkommission seinerzeit unterbreiteten Gesetzgebungsvorschläge hinter den ordnungspolitischen Vorstellungen der Bundesregierung bzw. des vorliegenden Regierungsentwurfs zurückblieben 8 . Die Grundzielsetzung des Regierungsentwurfs lautet: Herstellung gleichberechtigter und gleichwertiger Beteiligung der Arbeitnehmer im Großunternehmen und damit Verwirklichung einer demokratischen Gesellschaftsordnung im Zeichen freiheitlicher Sozialstaatlichkeit bei erhaltener privatwirtschaftlicher Funktionsfähigkeit der Unternehmen 9. Als entsprechende Großunternehmen versteht § 1 MitbestG Unternehmen i n der Rechtsform der AG, der K A G , der GmbH, der bergrechtlichen Gewerkschaft m i t eigener Rechtspersönlichkeit, der Erwerbsund Wirtschaftsgenossenschaft m i t jeweils mehr als 2 000 Arbeitnehmern. Das MitbestG knüpft damit i n grundsätzlicher Sach- und Zielgerechtigkeit an die Zahl der Beschäftigten und nicht an Kriterien wie die der Wertschätzung oder der Bilanzsumme an 1 0 . II. Politische, soziale und ökonomische Implikationen der Mitbestimmung und das Unternehmen als reale Ordnungsaufgabe Die gesetzliche Einführung der paritätischen Mitbestimmung auf der Grundlage des vorliegenden Gesetzesentwurfs bewirkte politisch, sozial und ökonomisch einen beträchtlichen Strukturwandel der bestehenden sozioökonomischen Ordnungsverhältnisse, weit über die bloße Neuund Umorganisation der Unternehmensverfassung hinaus 11 . « Vgl. näher und m. w. Nachw. R. Scholz, Die A G 72, 195 ff. bes. 201 f. 7 BT-Drucks. VI/334. s Vgl. Amtl. Begr. zum MitbestG, BR-Drucks. 200/74, S. 15. » Vgl. Amtl. Begr., a.a.O., S. 15 f. io Vgl. auch Amtl. Begr., a.a.O., S. 18, zu § 1; zu Gleichbehandlungsproblemen aus Unternehmenssicht vgl. unten G I I 1. n Vgl. näher schon R. Scholz, Staat 74, 91 (92 ff.); Badura, Die Verfassung als Auftrag, Richtlinie und Grenze der Wirtschafts- und arbeitspolitischen Gesetzgebung, 1973, S. 14; Rupp, Grundgesetz und „Wirtschaftsverfassung", 1974, S. 22 ff.

12

B. Grundproblematik

Über diesen grundsätzlichen Aspekt besteht fast allgemeine Einhelligkeit, außerordentlich kontrovers sind lediglich die Fragen der politischen, rechtlichen und wirtschaftlich-sozialen Bewertung. Hier gehen die Meinungen trotz der recht vielfach klärenden Befunde des Berichts der Biedenkopf-Kommission 12 weit auseinander. Die gemeinsame Schwierigkeit aller dieser Wertungsversuche liegt i n der entwicklungspolitischen Ungewißheit oder Offenheit, die einer so durchgreifend neu- oder umgestaltenden Gesetzgebung notwendig zu eigen ist. Fast jede Bewertung — die gesetzgeberische Zielerwartung vollauf eingeschlossen — basiert oder beruft sich auf bestimmte Realdiagnosen und Zukunftsprognosen, die ihrerseits aber ebenso offen und komplex wie — angesichts der Neuartigkeit des ordnungspolitischen Gesamtsachverhalts — häufig schon methodisch zu problematisieren sind. Trotz dieser Relativierungen sind die Grundpositionen jener Wertungen oder Wertungsversuche für die verfassungsrechtliche Würdigung der paritätischen Mitbestimmung jedoch relevant, und zwar ebenso unter den Aspekten der rechtspolitischen Legitimation wie unter den Aspekten der rechtlichen und tatsächlichen Folgen. a) Legitimatorisch gelten als rechtspolitische Grundlage der paritätischen Mitbestimmung der Grundsatz der Parität von Kapital und Arbeit, die Forderung nach nicht nur sozial, sondern auch wirtschaftlich partizipativer Selbstbestimmung der Arbeitnehmer, die Forderung nach Demokratisierung der Unternehmen (Wirtschaft), die Forderung nach Kontrolle und Rechtfertigung ökonomischer (Unternehmens-) Macht, das Ziel optimaler Integration der wirtschaftlichen und sozialen Interessen von Kapitaleignern und Arbeitnehmern bzw. deren Wendung zur kooperativen statt konfliktbestimmten Ordnung. b) Kritisch w i r d gegen die paritätische Mitbestimmung vor allem eingewandt: Als Maßnahme der Umverteilung von Wirtschafts vermögen verfüge sie partielle Enteignungen oder Vergesellschaftungen. Die paritätische Mitbestimmung verlagere bzw. verfestige den Gegensatz zwischen Kapital und Arbeit i n den Organen oder Entscheidlingszentren der Unternehmen. Das Unternehmen werde seiner ursprünglichen ökonomischen Grundfunktion entkleidet. Es werde zur institutionellen Konfliktplattform und sei damit i n seiner wirtschaftlichen Effizienz oder Funktionsfähigkeit gefährdet. Die unternehmensleitenden Prinzipien privatnütziger Rentabilität, privatautonomer Steuerung, freien Kapitaleinsatzes und verantwortlichen Kapitalrisikos würden durch eine Ordnung bedroht, die an die Stelle der bisherigen interessenmonistischen Unternehmensstruktur eine solche interessendualistischer A r t setzte. Durch die institutionelle Beteiligung der Gewerkschaften an * 2 Vgl. BT-Drucks. VI/334.

II. Politische, soziale und ökonomische Implikationen

13

der Unternehmensmitbestimmung würden diese zu (paritätischen) Trägern der Unternehmensmacht und damit zu übermächtigen Trägern gesamtökonomischer Macht. Solche Gewerkschaftsmacht bedrohe die dezentralen Steuerungs- und Verhaltensmechanismen der M a r k t w i r t schaft ebenso wie das System der Tarifautonomie m i t deren Voraussetzungen von gleichgewichtiger und gegnerfreier Organisation der Tarifpartner 1 8 . c) ökonomisch und soziologisch gesehen berührt die paritätische M i t bestimmung demnach zwei grundsätzliche, ordnungspolitisch i m allgemeinen geschiedene Kreise: einmal den (mikroökonomischen) Bereich des Unternehmens und seiner Organisation und zum anderen den (makroökonomischen) Bereich der wirtschaftlichen Gesamtordnung. Als ordnungspolitischer Gestaltungsgegenstand steht zwar das Unternehmen i m Vordergrund; allein seiner Organisation g i l t die unmittelbare Zielsetzung der Mitbestimmungsgesetzgebung. Mittelbar berührt diese aber auch die Gesamtheit der wirtschaftlichen Ordnung selbst. Denn die Steuerungs- und Konfliktmechanismen der paritätischen Mitbestimmung modifizieren mit der organisatorischen Grundstruktur des Unternehmens auch die — wesentlich auf das Unternehmen und seine wettbewerblich-private sowie dezentralisierende Autonomie gegründete — Struktur des ökonomischen Gesamtsystems. A u f der anderen Seite verfolgt die paritätische Mitbestimmung aber auch Ziele, die für die Struktur der gegebenen Wirtschaftsordnung fördernde oder stabilisierende Wirkungen äußern sollen bzw. erreichen können. Dies gilt insbesondere für die Ziele der höheren Integration von Kapitaleigner- und Arbeitnehmerinteressen i m Unternehmen als „gemeinsamer" Veranstaltung von Kapitaleignern und Arbeitnehmern. 13 I m einzelnen vgl. zu diesen Argumentationen und ihren widerstreitenden Beweisführungen besonders Bericht der Biedenkopf-Kommission, B T Drucks. VI/334, S. 18ff.; vgl. weiterhin u.a. Schwerdtfeger, Unternehmerische Mitbestimmung der Arbeitnehmer und Grundgesetz, 1972, S. 54 ff., 61 ff., 69ff., 111 ff.; O.Kunze, Wirtschaftliche Mitbestimmung als Legitimationsproblem, 1970, S. 15 ff.; L. Raiser, Rechtsfragen der Mitbestimmung, 1954, S. 11 ff.; von Nell-Breuning, Mitbestimmung, 1968, S.48ff., 101 ff.; Nemitz-Becker, Mitbestimmung und Wirtschaftspolitik, 1967; Apel, Mitbestimmung. Grundlagen, Wege, Ziele, 1969, S. 20 ff., 40 ff., 67 ff.; T. Raiser, Marktwirtschaft und paritätische Mitbestimmung, 1973, S. i l f f . ; ders., JZ 74, 273 ff.; Rupp, Grundgesetz, S. 22 ff.; Buchner, ZfA 74, 147 ff.; K. Maier, Interdependenzen zwischen Mitbestimmung und betrieblicher Partnerschaft, 1969, S. 37 ff.; H. Krüger, Paritätische Mitbestimmung, Unternehmensverfassung, Mitbestimmung der Allgemeinheit, 1973, S. 21 ff., 60 ff.; Böhm-Briefs, Mitbestimmung — Ordnungselement oder politischer Kompromiß, 2. Aufl. 1973; Pernthaler, Qualifizierte Mitbestimmung und Verfassungsrecht, 1972; Biedenkopf, Mitbestimmung. Beiträge zur ordnungspolitischen Diskussion, 1972; R. Scholz, Staat 74, 92 ff.; Lieser, Der Mensch im Mittelpunkt? Thesen und Dokumente zur Mitbestimmung, 1971, S. 7 ff.

14

B. Grundproblematik

Die Struktur gerade des Großunternehmens als eines bestimmten Sozialsystems (Sozialgebildes) sieht sich einschließlich der hieraus folgenden Ordnungsaufgaben seit längerem erkannt 1 4 . Dies gilt einmal für das Ordnungsproblem ökonomischer Macht und der sich an diese (rechtspolitisch) anfügenden „Legitimationslast" von (Groß-)Unternehmen 15 ; und dies gilt zum anderen für die rechtliche Organisation des Unternehmens selbst, die durch den Prozeß zunehmender Verselbständigung der Organwalter i m Unternehmen (Management oder sogenannter Produktionsfaktor Disposition) und parallel hierzu durch die zunehmende Mediatisierung der — vor allem gesellschaftsrechtlich organisierten — Eigentümerrechte der Kapitaleigner gekennzeichnet ist 1 6 . Die Empirie dieses Entwicklungsprozesses hat sogar zum Schlagwort vom „Unternehmen an sich" 1 7 , d. h. zum auch rechtlich i n sich stehenden Unternehmen geführt. I n Wahrheit lebt dieses Schlagwort freilich aus der empirischen wie rechtlichen Uberzeichnung; ein „Unternehmen an sich" besteht tatsächlich nicht und würde von der gegebenen Rechtsordnung auch nicht toleriert 1 8 . Andererseits führen die Entwicklungen der stärkeren Verselbständigung der Unternehmen selbst, der fundamentalen Funktion einer unternehmensmäßig gegliederten Wirtschaft und der zumindest realwirtschaftlich gegebenen Unternehmensmacht zum juristischen Ordnungsproblem der Rechtsfigur des Unternehmens bzw. des Unternehmensverfassungsrechts. Die gesetzliche Einführung der paritätischen Mitbestimmung bedeutete einen ersten größeren Schritt zur Neuorganisation des Unternehmensrechts, durch den gerade das Verhältnis von Kapitaleignern, Unternehmensmanagement und Arbeitnehmern auf eine neue rechtliche Vgl. näher bes. T. Raiser, Das Unternehmen als Organisation, 1969, S. 93 ff., 115 ff., 138 ff., 153 ff.; von Nell-Breuning, Kronstein-Festgabe 1967, S. 47 ff. 15 Ausdruck von Steindorff, Larenz-Festschrift 1973, S. 217 (239); zum Problem vgl. gerade aus mitbestimmungsrechtlicher Sicht Schwerdtfeger, Mitbestimmung, S. 61 ff., 72 ff.; O. Kunze, Mitbestimmung, S. 15 ff.; von NellBreuning, Mitbestimmung, S. 48 ff., 101 ff.; Krelle, in: Nemitz-Becker, M i t bestimmung und Wirtschaftspolitik, S. 119 (132 f.); vgl. allgemein zur hiesigen Problematik auch R. Scholz, Konzentrationskontrolle und Grundgesetz, 1971, S. 63 ff. iß Vgl. hierzu bes. Suhr, Eigentumsinstitut und Aktieneigentum, 1966, S. 40 ff., 95, 141 ff.; vgl. auch R. Scholz, Konzentrationskontrolle, S. 10 f. 17 Benda, Industrielle Herrschaft und sozialer Staat, 1966, S. 329. 18 Vgl. ablehnend demgemäß von Nell-Breuning, Kronstein-Festgabe, S. 50 f.; E. R. Huber, Grundgesetz und wirtschaftliche Mitbestimmung, 1970, S. 86 ff.; Pernthaler, Mitbestimmung, S. 69; Reuter, Privatrechtliche Schranken der Perpetuierung von Unternehmen, 1973, S. 79 ff.

II. Politische, soziale und ökonomische Implikationen

15

Basis gestellt würde: Wo die ökonomische und rechtliche Verfügung und Nutzung der Produktionsmittel sich bisher nur aus dem Eigentum ableitete und demgemäß auch gesetzlich legitime Macht gegenüber dem Produktionsfaktor „Arbeit" ausübte 19 , dort würde die Herrschaft über die unternehmensmäßigen Produktionsmittel jetzt einem gleichsam mitgliedschaftlich verfaßten Kondominium von Kapitaleignern und Arbeitnehmern überantwortet 2 0 . Dieses Kondominium schränkte allerdings die privatautonome Verfügungsfreiheit der Kapitaleigner i n beträchtlichem Maße ein und gestaltete die ökonomische Zielstruktur des Unternehmens zur interessendualistischen (interessenpluralistischen) Organisation u m 2 1 ; neben die betriebswirtschaftliche Rentabilität träte das Ziel der sozialen Rentabilität 2 2 ; neben dem Ziel der Gewinnmaximierung wirkte i n unternehmensintern erheblich verstärkter Weise das Ziel sozialpolitischer Interessenbefriedigung. Ordnungspolitisch gesprochen bedeutet dies, daß das Unternehmen i m System der paritätischen Mitbestimmung zum „geschlossenen System" w i r d 2 3 . Das gleiche gilt i m organisationssoziologischen Sinne: Auch als organisatorisches System gewinnt das Unternehmen neue Züge. Es w i r d zum System einer besonderen Sozialautonomie von Kapitaleignern und Arbeitnehmern i n entsprechend vorgeschriebener Kompetenzgemeinschaft 24 . Uber die (verfassungs-)rechtliche Qualifikation der paritätischen bestimmung und ihrer ordnungs- sowie organisationspolitischen scheidung ist damit aber noch nichts gesagt; denn ordnungsorganisationspolitische Feststellungen dieser A r t verharren, für

MitEntund sich

19 Zu dieser grundsätzlich schon bestehenden „Machtrechtfertigung", die durch eine Mitbestimmungsgesetzgebung lediglich zu verbessern oder zu intensivieren, nicht aber — wie teilweise behauptet— überhaupt erst zu begründen wäre, vgl. aus verfassungsrechtlicher Sicht bereits R. Scholz, Die Koalitionsfreiheit als Verfassungsproblem, 1971, S. 8 ff.; Rittner, in: Marburger Gespräch über Eigentum — Gesellschaftsrecht — Mitbestimmung, 1967, S. 50 (52 N. 9 a, 67 ff.); H. Krüger, Allgemeine Staatslehre, 2. Aufl. 1966, S. 420 ff., 430 ff.; Badura, Eigentum im Verfassungsrecht, 49. DJT, I I , 1972, T 23; Rupp, Grundgesetz, S. 24 f. 20 Vgl. z.B. Löwisch, in: Böhm-Briefs, Mitbestimmung — Ordnungselement oder politischer Kompromiß, 1973, S. 131 (139 f.) ; T. Raiser, Unternehmen, S. 138 ff., 153 ff., 157 ff.; Zöllner, Fechner-Festschrift, 1973, S. 155 (165 f.). 21 Vgl. O. Kunze, RdA 72, 257 (259); H. Krüger, Mitbestimmung, S.65ff. 22 Biedenkopf, Kronstein-Festgabe, 1967, S. 79 (85 ff.); vgl. dazu auch T. Raiser, Marktwirtschaft, S. 33 ff.; Rauscher, in: Böhm-Briefs, Mitbestimmung — Ordnungselement oder politischer Kompromiß, 1973, S. 87 (92 ff.). 2 3 Biedenkopf, Kronstein-Festgabe, S. 95. 24 Vgl. hierzu namentlich Mestmäcker, F A Z vom 9.3.74; zur allein soziologisch-politologischen Sinn- und Begriffsqualität von „sozialer Selbstverwaltung" und „sozialer Autonomie" im sozialpartnerschaftlichen Raum vgl. auch bereits R. Scholz, Koalitionsfreiheit, S. 159 ff.

16

B. Grundproblematik

genommen, i m metajuristischen Bereich — ein nur allzu oft übersehener und gerade die Diskussion u m die paritätische Mitbestimmung massiv belastender Umstand. d) Eine vorsichtige Abschichtung und Würdigung der vorstehenden Wertungen sowie Prognosen ergibt oder rechtfertigt immerhin die folgenden, auch rechtlich relevanten Feststellungen oder Folgeerwartungen. Auszugehen ist dabei vor allem von den Erhebungen der Biedenkopf-Kommission, wenngleich diesen gegenüber einschränkend festzuhalten ist, daß die Erfahrungen der Montanmitbestimmung für die allgemeine Einführung der paritätischen Mitbestimmung nur partiell gültige Erkenntnisse vermitteln können. Denn abgesehen von der teilweise anders gearteten Organisation der Montanmitbestimmung handelt es sich bei ihr doch nur u m eine Form sektoraler Mitbestimmung i n einem Wirtschaftsbereich, dessen Organisation auf besondere Weise mit spezifischen Nachwirkungen der Besatzungszeit verbunden ist 2 5 . Unter Berücksichtigung dieses Vorbehalts ist für die paritätische M i t bestimmung allgemein immerhin von folgenden Prämissen, Ergebnissen und Folgeerwartungen auszugehen: (1) Die paritätische Mitbestimmung verändert die unternehmensmäßigen Grundfunktionen i m Sinne institutioneller Funktionspluralität (wirtschaftliche und soziale Rentabilität). Diese Funktionspluralität impliziert aber nicht die unternehmensmäßige Dysfunktionalität; denn die Verbindung von wirtschaftlicher und sozialer Funktion ist Unternehmen, unternehmerischem Verhalten und unternehmensmäßiger Organisation nicht wesensfremd (partiell offene Unternehmensfunktionalität). (2) M i t der Änderung der Unternehmensstruktur verändern sich auch die Mechanismen der unternehmerischen Entscheidungsfindung. Die soziale Interessenkomponente w i r d verstärkt; welche Auswirkungen dies für die Beziehungen von wirtschaftlicher und sozialer Rentabilität letztlich oder definitiv haben wird, erscheint augenblicklich allerdings kaum abschätzbar. Immerhin verfolgt das MitbestG das Ziel, die grundsätzliche Gewinnorientierung der Unternehmen nicht anzutasten. Die Erfahrungen der Montanmitbestimmung bekunden zwar Tendenzen auf Seiten der Arbeitnehmervertreter, stärker Aspekte der Arbeitsplatzsicherung, der Lohnhöhe und der unternehmensmäßigen Selbstfinanzierung ins Spiel zu bringen 2 6 ; der Interessendualismus zwischen Kapital25 Vgl. auch z.B. Scheuner, Die Rolle der Sozialpartner in Staat und Gesellschaft, 1973, S. 54; E . R . Huber, Grundgesetz, S. 130 ff.; R. Scholz, Staat 74, 92. 2 « Vgl. Bericht der Biedenkopf-Kommission, a.a.O., S. 33, 43 ff., 47, 79.

II. Politische, soziale und ökonomische Implikationen

17

eignem und Arbeitnehmern besteht i n dieser Weise fort; die Grundausrichtung der Unternehmen auf den prinzipiellen Primat der ökonomischen Rentabilität blieb jedoch erhalten 27 . (3) Die Veränderung der Unternehmensstruktur i m Sinne paritätischer Kooperation von Kapitaleignern und Arbeitnehmervertretern, auf der Grundlage der Aufsichtsratsmitbestimmung, verändert die Struktur der bisherigen gesellschaftsrechtlichen Unternehmensverfassung 2® und kann zu Beeinträchtigungen i n der Unternehmensreagibilität führen; entsprechende Erfahrungen, die vor allem auf der Beobachtung der interessenmäßigen Fraktionierung von „Kapitaleignern-" und „Arbeitnehmerbank" basieren, vermittelt der Bericht der Biedenkopf-Kommission 29 . Analoge Folgerungen dürften für die allgemeine Einführung der paritätischen Mitbestimmung zu ziehen sein. Das MitbestG setzt ausdrücklich auf den „Einigungszwang" als institutionelles Grundkonzept paritätischer Mitbestimmung 3 0 . Dieses Konzept bildet die schlüssige Konsequenz einer Organisation, die Kooperation und Integration von partiellen Interessengegnern fordert. Daß damit gewisse Reibungsverluste und Elastizitätsminderungen verbunden sind, liegt auf der Hand. Nicht offenbar ist jedoch, daß damit auch die Funktionsfähigkeit der Unternehmen schlechthin (übermäßig) beeinträchtigt wäre. (4) Die paritätische Mitbestimmung stärkt die Stellung der Gewerkschaften, indem sie diesen die institutionelle Beteiligung i m Aufsichtsrat des Unternehmens über die drei eigenen Vertreter (§ 7 I I Nr. 2 MitbestG) garantiert und ihnen zum anderen über ihren allgemeinen Einfluß auf die sieben unternehmenseigenen Arbeitnehmervertreter i m Aufsichtsrat (§ 7 I I Nr. 1 MitbestG) eine starke Leitungsfunktion i n mitbestimmten Unternehmen sichert. Die unmittelbare Unternehmensleitung obliegt zwar dem gesetzlichen Vertretungsorgan, d. h. dem Vorstand etc. (§§ 27 ff. MitbestG). Da dieses Organ aber vom paritätisch zusammengesetzten Aufsichtsrat bestellt w i r d (§ 28 MitbestG), ist auch vom wesentlich paritätisch orientierten bzw. proportional zusammengesetzten Vertretungsorgan auszugehen. § 28 I V MitbestG sieht bei der Bestellung des Vertretungsorgans zwar letztlich, d. h. i m Falle absolut 27 Vgl. Bericht der Biedenkopf-Kommission, a.a.O., S. 36 ff., 42 ff., 79, 83, 87. 28 Vgl. näher hierzu z.B. Peltzer, BB 74, 440ff.; Martens, BB 73, 1118; ders., Z H R 138, 179 ff.; Loos, DB 74, 823 ff.; H. P. Westermann, WestermannFestschrift, 1974, S. 563 ff. 29 Vgl. a.a.O., S. 35 ff., 49, 78 ff. 30 Vgl. Amtl. Begr. zu § 26, BR-Drucks. 200/74, S. 27. 2 Scholz

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B. Grundproblematik mangelnder Einigung, das Recht des Wahlorgans (Hauptversammlung etc.) und damit der Kapital- bzw. Anteilseigner vor, über Personalvorschläge des Aufsichtsratsvorsitzenden und seines Stellvertreters allein zu entscheiden. Von diesem Letztentscheidungsrecht des Wahlorgans w i r d aber kaum viel Gebrauch gemacht werden; denn gerade bei Publikumsgesellschaften setzte dies die außerordentliche Mobilisierung der Hauptversammlung (etc.) voraus; und derartiger Aufwand dürfte i n aller Regel vermieden werden. Dies bedeutet wiederum, daß es praktisch oder i n aller Regel bei der paritätischen Entscheidungskompetenz des A u f sichtsrats und dessen Verpflichtung zum einigenden Kompromiß bleiben wird. Etwas anderes dürfte nur i n den Fällen gelten, i n denen die Zahl der Anteilseigner gering ist (voll oder fast ausschließlich von einem Gesellschafter beherrschte Kapitalgesellschaften, Familienunternehmen). Hier kommt dem Letztentscheidungsrecht des Wahlorgans unzweifelhaft erhebliche Bedeutung zu. Für die Mehrheit der Fälle oder auch typische Konstellation w i r d sich aber eine paritätische oder doch annähernd paritätische Orientierung des gesetzlichen Vertretungsorgans ergeben. Eindeutig wäre dies i m Referentenentwurf des Bundesministers für Arbeit und Sozialordnung der Fall gewesen; denn dieser sah eine Regelung nach A r t des § 2 8 I V 3 MitbestG noch nicht vor. Diese unternehmensintern verstärkte Position der Gewerkschaften hat Folgen für das System der Tarifautonomie 3 1 . Denn wo dies auf der Auseinandersetzung und vertraglichen Einigung von gleichgewichtigen und wechselseitig unabhängigen Tarifpartnern, d.h. Gewerkschaften einerseits und Arbeitgeberverbänden bzw. Einzelarbeitgebern andererseits, aufbaut, dort verlagert sich der prinzipielle Konflikt zwischen arbeitgeberischem Kapitalinteresse und gewerkschaftlich organisiertem Arbeitnehmerinteresse bereits m i t auf die Ebene der unternehmensinternen Willensbildung bzw. Entscheidungsfindung. Der Interessenkonflikt w i r d nicht nur i m System von Arbeitskampf und tarifvertraglicher Einigung ausgetragen; er w i r d auch zwischen unternehmensinterner „Anteilseigner-" und „Arbeitnehmerbank" und ihren Fraktionen i m gesetzlichen Vertretungsorgan ausgetragen — gegebenenfalls bei der Abstimmung i m Unternehmens-

3i Vgl. näher und zum folgenden Bericht der Biedenkopf-Kommission, a.a.O., S. 93 ff.; Zöllner-Seiter, Paritätische Mitbestimmung und Artikel 9 Abs. 3 Grundgesetz, 1970, S. 9 f., 16 ff., 20 ff., 52 ff.; Schwerdtfeger, Mitbestimmung, S. 121 ff., 251 ff.; Pernthaler, Mitbestimmung, S. 175 ff.; Biedenkopf, Kronstein-Festgabe, S. 96 ff.; ders., RdA 70, 129 (135 f.); ders., Mitbestimmung, S. 252 ff.; R. Scholz, Staat 74, 105 ff.; Buchner, ZfA 74, 180 ff.; Rupp, Grundgesetz, S. 26 f.

II. Politische, soziale und ökonomische Implikationen

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vorstand darüber, wie man tarifpolitischen Forderungen der Gewerkschaften begegnet, oder auch i n der Weise, daß die arbeitgeberische Seite bei Tarifverhandlungen m i t von Vorstandsmitgliedern vertreten wird, die Mitglieder der gewerkschaftlichen Gegenseite sind. A n dieser Stelle offenbaren sich nicht nur mögliche Rollenkonflikte (Doppelrolle von Gewerkschafts- und Vorstandsmitglied) sondern auch (potentielle) Machtverschiebungen zugunsten der Gewerkschaften, d. h. Machtverschiebungen, die das von der Tarifautonomie vorausgesetzte Machtgleichgewicht empfindlich stören können. Diese Feststellung t r i f f t besonders auf den — i n der bisherigen Tarifpraxis allerdings noch recht seltenen — Fall des Firmen- oder Haustarifvertrages zu. I m weiteren wirken sich die entsprechenden Machtverschiebungen aber auch auf die Stellung der Arbeitgeberverbände aus. Es fehlen zwar gesicherte empirische Erkenntnisse über das interne Funktionieren und die interne Willensbildung der Arbeitgeberverbände, insbesondere hinsichtlich der Frage, ob und inwieweit die — künftig mitbestimmten — Großunternehmen die tatsächliche Tarifpolitik der Arbeitgeberverbände bestimmen, bzw. umgekehrt, ob und inwieweit der Einfluß der nichtmitbestimmten Klein- und Mittelunternehmen die Unabhängigkeit und balancierende Gleichgewichtigkeit der Arbeitgeberverbände insgesamt erhalten kann. Es bestehen jedoch hinreichende Zweifel daran, daß von diesen Unternehmen wirklich ausreichend neutralisierende Wirkungen auf die Gesamtpolitik der Arbeitgeberverbände ausgehen können. Aus alledem folgt, daß die Einführung der paritätischen Mitbestimmung m i t Sicherheit erhebliche Einflüsse auf das bestehende System von Tarifautonomie und Tarifpolitik nehmen wird. Daß die paritätische Mitbestimmung i m Bereich der Montanmitbestimmung offensichtlich zu keinen ernsteren Beeinträchtigungen der Tarifautonomie geführt hat, spielt dabei keine größere Rolle. Denn auch insoweit gilt wiederum der nicht nur quantitative, sondern auch qualitative Unterschied zwischen paritätischer M i t bestimmung i m sektoralen Wirtschaftsbereich Montanwirtschaft und der paritätischen Mitbestimmung i n der Gesamtwirtschaft. Andere Momente möglicher Gleichgewichtsverschiebungen liegen i m Bereich der umfassenden Informationsmöglichkeiten der Gewerkschaften über die mitbestimmten Unternehmen bzw. m i t bestimmungsbetroffenen Wirtschaftszweige und ihre Arbeitgeberverbände. Diese Erfahrung teilt auch der Bericht der BiedenkopfKommission mit, wenngleich m i t der ausdrücklichen Feststellung, daß der höhere Informationsstand der Gewerkschaften über die 2*

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B. Grundproblematik wirtschaftliche Lage und Leistungsfähigkeit der mitbestimmten Unternehmen auch zu tarifpolitisch größerer Zurückhaltung der Gewerkschaften i n Krisensituationen geführt hat 3 2 .

e) Diese Tatbestände bewirken den grundsätzlichen Strukturwandel i n der gegebenen Unternehmens-, Wirtschafts- und Arbeitsordnung. Sie sind daher auch für die verfassungsrechtliche Beurteilung der paritätischen Mitbestimmung maßgebend. I I I . Verfassungsrechtliche und verfassungsmethodische Grundfragen Verfassungsrechtlich w i r f t die Einführung der paritätischen Mitbestimmung eine ganze Reihe von grundsätzlichen Fragen auf. Dem evidenten Rang der paritätischen Mitbestimmung als gesellschaftspolitisch zentraler Ordnungsentscheidung entsprechend handelt es sich hierbei nicht nur u m Fragen der verfassungsrechtlichen Legitimation insgesamt oder der inhaltlichen Vereinbarkeit m i t einzelnen Verfassungsbestimmungen; es handelt sich vielmehr über diese konkreten Fragen hinaus auch um verfassungsrechtliche Grundfragen, d. h. Fragen von elementarer Verfassungsbedeutung. Die Diskussion u m die Verfassungsmäßigkeit der paritätischen M i t bestimmung ist bisher vor allem — m i t kontroversen Ergebnissen i m einzelnen — aus grundrechtlicher Sicht geführt worden; und dies m i t Recht, soweit es um die Vereinbarkeit einzelner Institute oder einzelner organisatorischer Ausformungen paritätischer Mitbestimmung m i t verfassungsrechtlichen Gewährleistungen geht. Auf der anderen Seite kann sich eine verfassungsrechtliche Würdigung der paritätischen Mitbestimmung aber nicht auf die Dimensionen derart konkreter Verfassungskontrollen beschränken. Denn die paritätische Mitbestimmung impliziert — über die konkrete Umgestaltung der Unternehmensverfassung hinaus — einen, wie gezeigt, grundsätzlich relevanten Strukturwandel der gegebenen Arbeits-, Wirtschafts- und Sozialordnung, d. h. einen Strukturwandel, der auch für die grundgesetzliche Gesellschaftsverfassung insgesamt von großer Bedeutung ist 3 3 . Die Theorie von der grundgesetzlichen Gesellschaftsverfassung bzw. den ordnungspolitischen Gestaltungsmöglichkeiten gerade sozialstaatlicher Gesetzgebung erscheint jedoch noch recht wenig entwickelt. Besonders augenfällig w i r d dies i m Bereich der Lehre von der grundgesetzlichen Wirtschaftsverfassung als Teilbereich der Gesellschaftsverfassung (neben Arbeits-, Sozial- und Kulturverfassung). Hier standen 32 Vgl. a.a.O., S. 47. 33 Vgl. näher bereits R. Scholz, Staat 74, 92 ff.

III. Verfassungsrechtliche und verfassungsmethodische Grundfragen

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Verfassungsrechtsprechung und Verfassungslehre bisher fast ausschließlich vor der Aufgabe, konkrete Interventionen des wirtschafts- und/oder soziallenkenden Gesetzgebers an der Verfassung, und hier namentlich an den Grundrechten, zu messen. Die Einführung der paritätischen M i t bestimmung geht über den Rahmen solcher (punktueller) Interventionen jedoch hinaus. Denn sie begreift sich weniger als punktuell-interventionistischer Eingriff i n den wirtschaftlichen und sozialen Ablauf, denn als weitgehende Um- und Neuorganisation der Träger und Verantwortlichkeiten i n der unternehmensmäßig gegliederten Wirtschaft schlechthin. I n diesem Vorgang, eine „Intervention" von besonderem Ausmaß o. ä. zu sehen, bedeutete verfassungsrechtlich eine wesentliche Problemverkürzung. Denn die Einführung einer ordnungspolitischen Strukturmaßnahme, wie sie die paritätische Mitbestimmung darstellt, bildet gegenüber wirtschafts- und/oder sozialpolitischen Interventionen der geschilderten A r t zunächst ein echtes aliud — unabhängig von wirtschafts- und sozialpolitisch relevanten Interventionswirkungen, die die paritätische Mitbestimmung naturgemäß miteinschließt; selbst diese Interventionswirkungen sind aber — ihrer gesellschaftspolitischen Besonderheit entsprechend — anders strukturiert. Dies zeigt sich z. B. i n der zentralen Interventionszone des Art. 14 GG. Die paritätische M i t bestimmung beschränkt das Eigentum, indem es seine unternehmenswirtschaftliche Nutzung der Mitbestimmung durch die Arbeitnehmerschaft unterstellt 3 4 . Diese Beschränkung erfolgt aber nicht i n den interventionsrechtlich gewohnten Formen des Eingriffs i n das Eigentum „von außen" her bzw. i n dessen Substanz, sondern durch die Organisation des Eigentums als gesellschaftlich-ökonomischer Sachverhalt, d. h. gleichsam „von innen" her 3 5 . Dieser Wesenszug der paritätischen Mitbestimmung liegt i n ihrer gesellschaftspolitischen Zielrichtung begründet; wirtschaftsverfassungsrechtlich ist er jedoch neuartig und fordert verfassungsinterpretatorisch daher andere Kriterien oder doch methodisch besonderes Rüstzeug 36 . 34

Siehe im einzelnen hierzu unten E. 35 Vgl. Sendler, DÖV 74, 73 (78 f.); auch Fröhler, GewArch 74, 2 (5). 3« Vgl. schon R. Scholz, Staat 74, 97 f.; vgl. in ähnlicher Blickrichtung auch Mestmäcker, Über Mitbestimmung und Vermögensverteilung, 1973, S. 14 f. Entsprechende verfassungsmethodische Probleme treten bei anderen gesellschaftspolitisch zentralen Ordnungsentscheidungen wie der Konzentrationskontrolle im Wettbewerbsrecht und der (initiierten) überbetrieblichen Vermögensbildung auf; vgl. dazu bes. R. Scholz, Konzentrationskontrolle und Grundgesetz, 1971; Rupp, in: Tuchtfeldt, Soziale Marktwirtschaft im Wandel, 1973, S. 91 ff.; Scheuner, Die überbetriebliche Ertragsbeteiligung der Arbeitnehmer und die Verfassungsordnung, 1972; R. Scholz, RdA 73, 65 ff.; Mestmäcker, a.a.O.; Meessen, DÖV 73, 812 ff.

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B. Grundproblematik

Die verfassungsrechtliche Beurteilung der paritätischen Mitbestimmung ruft damit und wesentlich schon verfassungsmethodische Probleme hervor — Probleme, die sich nur durch ein fundierteres Verständnis der grundgesetzlichen Gesellschaftsverfassung und die spezifische Untersuchung der paritätischen Mitbestimmung aus der Sicht der Grundbedingungen der grundgesetzlichen Gesellschaftsverfassung, d.h. des demokratischen und sozialen Rechtsstaates, lösen lassen. I m Lichte dieser Verfassungsprinzipien und ihrer gesellschaftsverfassenden Intendanzen sind die gestaltungsrechtlichen Möglichkeiten der paritätischen Mitbestimmung als gesellschaftspolitisch offensive Ordnungsgesetzgebung zu sehen und zu prüfen. Verfassungsmethodische Probleme stellen sich darüber hinaus gegenüber den Fragen der tatsächlichen Eignung, Funktionsfähigkeit und Zweckmäßigkeit der paritätischen Mitbestimmung. Gerade diese Fragen sind, wie gezeigt, eminent umstritten. Die Vielzahl der hier widerstreitenden Beurteilungen bzw. Zukunftsprognosen ist für die verfassungsrechtliche Beurteilung zwar nicht bedeutungslos; sie spielt gegenüber der verfassungsrechtlichen Grundbewertung aber keine zentrale Rolle. Denn Fragen der Zweckmäßigkeit und Effizienz i m weitesten Sinne sind für die Frage der Verfassungsmäßigkeit einer Gesetzgebung oder sonstigen staatlichen Maßnahme nur von sehr begrenztem Belang®7. Die verfassungsrechtliche Prüfung hat sich auf die Rechtsmaßstäbe des Verfassungsgesetzes zu beschränken; politisch- oder wirtschaftlich-tatsächliche Wertungen haben prinzipiell außerhalb der Verfassungsbetrachtung zu bleiben. Entsprechende Vorbehalte haben gegenüber politisch-ideologischen Wertungen zu gelten, d. h. gegenüber Wertungen, die gerade die Mitbestimmungsdiskussion i n beträchtlichem Maße belasten und i m Grunde zunächst ideologiekritischer Kontrolle bedürften. Selbst Ideologiekritiken dieser A r t eröffneten entsprechenden Argumentationen aber noch nicht den Weg oder Anspruch auf verfassungsrechtliche Relevanz. Insgesamt ordnet sich die Frage nach der Verfassungsmäßigkeit der paritätischen Mitbestimmung i n die folgenden Problemkomplexe ein: (1) Stellung und Legitimation der paritätischen Mitbestimmung i m System dei grundgesetzlichen Gesellschaftsverfassung, insbesondere i n der Wirtschafts- und Arbeitsverfassung. (2) Paritätische Mitbestimmung und grundgesetzliche Eigentumsverfassung. 37 Allgemein zur Effizienz als Rechtsmaßstab vgl. Leisner, Effizienz als Rechtsprinzip, 1971, S. 10ff., 24ff., 38 ff., 48ff.; Häberle, AÖR 98, 625 ff.; zur rechtlichen Kontrolle der Zweckmäßigkeit wirtschaftspolitischer Ordnungsmaßnahmen vgl. noch unten C I V 1,2,3.

III. Verfassungsrechtliche und verfassungsmethodische Grundfragen (3) Paritätische Mitbestimmung und grundgesetzliche fassung.

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Koalitionsver-

Daneben bestehen noch weitere Verfassungsfragen, insbesondere i m Bereich von Gleichheitssatz und Vereinigungsfreiheit; ihre Problematik steht jedoch nicht i m Zentrum der grundsätzlichen Fragen u m das Verhältnis von paritätischer Mitbestimmung und Grundgesetz.

C. Paritätische Mitbestimmung und grundgesetzliche Gesellschaftsverfassung I. Gesellschaftsverfassungsrechtliche Bezüge der paritätischen Mitbestimmung und Dimensionen der grundgesetzlichen Gesellschaftsverfassung Die paritätische Mitbestimmung berührt und gestaltet die W i r t schafts-, Sozial- und Arbeitsordnung, d. h. jene Ordnungsbereiche, die verfassungsrechtlich i m System der grundgesetzlichen Gesellschaftsverfassung m i t ihren Teilsystemen von Sozial-, Wirtschafts- und Arbeitsverfassung wurzeln. I n ihrem ordnungspolitisch weitreichenden Gestaltungsanspruch greift die paritätische Mitbestimmung zugleich an die elementaren Grundlagen der grundgesetzlichen Gesellschaftsverfassung. Denn die ordnungspolitischen Ziele der paritätischen Mitbestimmung — mehr Demokratie i n der Wirtschaft, mehr Selbstbestimmung der Arbeitnehmer und mehr Bändigung sozialer Konflikte durch partielle Umverteilung von unternehmerischen Dispositionsrechten — weisen auf eine weitgehende Neu- und Umorientierung jener Ordnungsmaßstäbe hin, die für die Sozial-, Wirtschafts- und Arbeitsordnung bisher dominant waren. Aus diesem Grunde muß die paritätische Mitbestimmung i n umfassenderer Weise an den verfassungsrechtlichen Grundprinzipien der grundgesetzlichen Gesellschaftsverfassung gemessen werden. Schwierigkeiten bereitet hierbei allerdings die verfassungsinterpretatorisch wiederum unterentwickelte Theorie von der grundgesetzlichen Gesellschaf ts Verfassung 1 .

Das Grundgesetz verfügt über kein gesellschaftspolitisch geschlossenes Ordnungssystem 2 , und i m System des demokratischen Rechts- und Sozialstaates besteht auch keine absolute Scheidung von demokratischem Staat und liberal-autonomer Privatrechtsgesellschaft mehr. Staat und Gesellschaft sind als politisches Gemeinwesen zur Einheit verfaßt 3 , und dies bedeutet, daß der demokratische Staat (Gesetzgeber) grundsätzlich 1

Vgl. näher bereits R. Scholz, Staat 74, 92 ff. Vgl. näher und m. w. Nachw. bereits R. Scholz, Koalitionsfreiheit, S. 151 ff., bes. S. 165 ff. 3 Vgl. näher L. Raiser, 46.DJT, I I , 1967, B 30 f.; Ehmke, Smend-Festgabe, 1962, S. 23 (24 ff.); R. Scholz, Koalitionsfreiheit, S. 151 ff. 2

II. Der demokratische und soziale Rechtsstaat

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zur ordnungspolitischen Gestaltung der Gesellschaft und ihrer Funktionsbereiche berechtigt ist. Andererseits bestehen zwischen Staat und Gesellschaft aber funktionale Scheidungen, die die staatlichen Ordnungskompetenzen beschränken und die die Gesellschaftsverfassung von der Staatsverfassung prinzipiell abgrenzen 4 . Diese Abgrenzungslage führt dazu, daß die staatliche Gesellschaftspolitik ihrerseits auf Schranken — namentlich grundrechtlicher A r t — t r i f f t und daß auch die staatliche Organisation der Gesellschaft nicht schrankenfrei möglich ist 5 . Die grundgesetzliche Gesellschaftsverfassung garantiert der Gesellschaft das prinzipielle Recht politischer, wirtschaftlicher, sozialer und kultureller Autonomie^. M i t diesen Autonomierechten muß auch die paritätische Mitbestimmung i m Einklang stehen. Ihrer grundsätzlichen Zielsetzung nach sucht die paritätische Mitbestimmung zwar gesellschaftliche Autonomien gerade i m Arbeitsleben zu stärken; andererseits organisiert sie die unternehmensmäßige Eigentumsordnung und die koalitionsrechtliche Arbeitsordnung aber wesentlich neu oder um und bedarf insoweit auch der Kontrolle von Seiten der grundgesetzlichen Gesellschaftsverfassung und ihrer funktionellen Freiheits- und Autonomiegewährleistungen. I I . Der demokratische und soziale Rechtsstaat als Rahmen der grundgesetzlichen Gesellschaf tsverf assung Die grundgesetzliche Gesellschaftsverfassung basiert auf den Grundprinzipien von Demokratie, Rechtsstaatlichkeit, Sozialstaatlichkeit sowie auf den Grundrechten. Nach A r t . 20 I, 281 GG sind die Prinzipien von Demokratie, Rechts- und Sozialstaatlichkeit miteinander gleichrangig und komplementär verbunden 7 . Für die staatliche Gesellschaftspolitik bedeutet dies, daß sie sich grundsätzlich i m Rahmen dieser Grundprinzipien und ihrer wechsel4 Vgl. hierzu Böckenförde, Hefermehl-Festgabe, 1972, S. 11 (16 ff.); R. Scholz, a.a.O., S. 154 ff. 5 Diese Grenzen sind vor allem unter dem Stichwort von der unzulässigen „Verstaatlichung der Gesellschaft" offenkundig geworden. Vgl. dazu Ridder, Zur verfassungsrechtlichen Stellung der Gewerkschaften nach dem Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland, 1960, S. 11 ff.; Rupp, in: Hoppmann, Konzertierte Aktion, 1971, S. 1 (8); Biedenkopf, BB 68, 1005 (1009 f.); R. Scholz, Koalitionsfreiheit, S. 183 f.; ders., Staat 74, 96. « Dies ist der Sinn der Komponente „freiheitlich" im System der „freiheitlich-demokratischen Grundordnung" (BVerfGE 34, 307, 317). 7 Vgl. näher bereits R. Scholz, Koalitionsfreiheit, S. 183 ff.; ders., in: Materialien zum Bericht zur Lage der Nation, 1974 (BT-Drucks. 7/2423), Kap. I I , Staatliche und gesellschaftliche Ordnung, Tz. 252 ff., 289 ff.; vgl. auch BVerfGE 5, 85 (198).

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C. Mitbestimmung und Gesellschaftsverf assung

seitigen Ergänzungen sowie Beschränkungen halten muß. Die Ermächtigung des Staates zur aktiven Gesellschaftspolitik liegt kompetentiell i m Demokratieprinzip und inhaltlich vor allem i m Sozialstaatsprinzip; die Grenzen solcher Gesellschaftspolitik liegen i m Bereich von Grundrechten und Rechtsstaatsprinzip. Gesellschaftspolitische Gestaltungen aufgrund des Sozialstaatsprinzips müssen sich des verfassungsrechtlich vorgegebenen Spannungsverhältnisses zwischen der rechtsstaatlichen Gewährleistung eines möglichst hohen Maßes gesellschaftlich intakter Freiheit und Autonomie sowie der sozialstaatlichen Gewährleistung eines möglichst großen Maßes staatlich gesicherter Sozialgerechtigkeit stets bewußt bleiben bzw. stets den entsprechenden Kompromiß finden 8 . Die zentrale Ordnungsermächtigung des Staates bzw. der Gesetzgebung zur aktiven Gesellschaftspolitik liegt demzufolge i m Sozialstaatsprinzip. I n ihm findet, wie zu zeigen sein wird, auch die paritätische Mitbestimmung ihre grundsätzliche Legitimation. Das Sozialstaatsprinzip umfaßt die Garantie, den Schutz und Auftrag zur sozialen Gerechtigkeit, sozialen Sicherheit und gerechten Sozialordnung 9 . M i t diesen Grundsätzen bleibt das Sozialstaatsprinzip inhaltlich weitgehend offen bzw. konkretisierungsbedürftig. Das Sozialstaatsprinzip orientiert sich an der Dynamik der wechselnden sozialen Verhältnisse und ist damit keinem funktionell oder inhaltlich abschließenden Aufgaben« oder Kompetenzkatalog zugänglich. Von der Verfassung definiert sieht sich allein die vorgenannte Grundmaxime. Uber die aus ihr i n konkreter Sozial-, Gesellschafts- oder Wirtschaftspolitik abzuleitenden Folgerungen sagt das Sozialstaatsprinzip grundsätzlich nichts aus. Das Sozialstaatsprinzip ist an der Offenheit der gesellschaftlichen Entwicklung ausgerichtet und reagiert inhaltlich so i n immer neuer Weise. Oder anders ausgedrückt: Der politische Ordnungs- und Leistungsauftrag des Sozialstaatsprinzips fordert immer neue Konkretisierungen. Das Sozialstaatsprinzip des Grundgesetzes funktioniert als permanenter Konkretisierungsauftrag 10. Dieser Konkretisierungsauftrag ist an alle Staatsgewalten adressiert, vor allem an den Gesetzgeber. Seine demokratische Legitimation w i r d i m Sozialstaat zur Ermächtigung aktiver Sozialgestaltung 11 . s Vgl. z.B. Bachof, W D S t R L 12, 37 (44ff.); Scheuner, in: Hundert Jahre deutsches Rechtsleben, I I , 1960, S.229 (261 f.); Hesse, in: Forsthoff, Rechtsstaatlichkeit und Sozialstaatlichkeit, 1968, S. 557 (567 ff.). ö Vgl. BVerfGE 5, 85 (198); 22, 180 (204); 27, 253 (283); 33, 303 (334 f.). io Vgl. bereits R. Scholz, VSSR 73, 283 (285); ders., in: Materialien zum Bericht zur Lage der Nation 1974, BT-Drucks. 7/2423, Tz. 270. Vgl. BVerfGE 1, 97 (105); 8, 274 (329); 22, 180 (204); 27, 253 (283).

II. Der demokratische und soziale Rechtsstaat

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Die konkrete gesellschafts-, sozial- oder wirtschaftspolitische Gesetzgebung aktualisiert den sozialstaatlichen Generalauftrag und f ü l l t i h n inhaltlich aus. Dabei eröffnet das Sozialstaatsprinzip dem Gesetzgeber viel gestaltungspolitisches Ermessen; denn von i h m erwartet es die in der Zeit konkret „richtige" Sozialentscheidung 12. Die Grenzen dieser Kompetenz des Gesetzgebers liegen bei den Grundrechten und den rechtsstaatlichen Garantien. Das Sozialstaatsprinzip hat dem Staat (Gesetzgeber) hiermit eine Fülle von Aufgaben und Kompetenzen zugewiesen; es hat den Staat zum Leistungsstaat und zum wesentlichen Garanten der sozialen Ordnung verfaßt 1 3 . Die grundgesetzliche Gesellschaftsverfassung steht damit maßgebend i m Zeichen der sozialstaatlichen Ordnung. Die Gesellschaft verfügt über die verfassungsrechtlichen Garantien sozialer Sicherheit u n d sozialer Gerechtigkeit; sie untersteht zum anderen aber auch den besonderen Pflichten sozial gerechter Verteilung und sozial gerechter Gesellschaftsordnung. I n diesem Sinne ist das Menschenbild des Grundgesetzes das des i n rechtlicher und sozialer Gemeinschaft gebundenen und verantwortlichen Individuums 1 4 ; und i m gleichen Sinne ist vor allem das Eigentum an den Grundsatz der Sozialpflichtigkeit als Spezialausformung des Sozialstaatsprinzips gebunden (Art. 14 I I GG) 1 5 . Bürgerliche Freiheit und wirtschaftliche Autonomie bestehen unter dem grundgesetzlichen Sozialstaat nicht unabhängig von staatlicher Lenkung und gesetzlicher Ordnungspolitik. Freiheit unter dem Sozialstaat bedeutet vielmehr sozial gesicherte und damit auch sozial verantwortliche Freiheit 1 0 ; und die konkrete Bestimmung der sozialen Verantwortlichkeiten gesellschaftlicher und bürgerlicher Freiheit i m einzelnen obliegt vorrangig wiederum dem Gesetzgeber bzw. seiner sozialstaatlichen Ordnungs- und Verteilungspolitik. Die paritätische Mitbestimmung fällt in diesen grundsätzlichen Ermächtigungsrahmen. Sie ist ihrer Zielsetzung nach sozialpolitische Verteilungsmaßnahme, wirtschafts- und arbeitspolitische' Lenkungsmaßnahme sowie Maßnahme zur Erweiterung der sozialen Rechte und Freiheiten der Arbeitnehmer; die arbeitnehmerische Teilhabe und Selbst12 Vgl. BVerfGE 10, 354 (370 f.); 17, 1 (23); 18, 257 (267, 273 f.); 27, 253 (283). 13 Vgl. näher zuletzt Martens, V V D S t R L 30, 7 (8 ff.); Häberle, V V D S t R L 30, 43 (44 ff., 55 ff.). Vgl. u.a. BVerfGE 4, 7 (15); 8, 274 (329); 27, 344 (351); 33, 303 (334). iß Vgl. BVerfGE 20, 351 (361); 21, 73 (83); Leisner, Sozialbindung des Eigentums, 1972, bes. S. 43 ff., 147 ff., 209 ff. iß Vgl. Scheuner, D Ö V 71, 505 (506 ff.); Friauf, DVB1 71, 674 (675 ff.); Häberle, V V D S t R L 30, 90 ff.

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C. Mitbestimmung und Gesellschaftsverfassung

bestimmung i m unternehmerischen Arbeits- und Wirtschaftsprozeß soll gesichert und ausgebaut werden 1 7 . Zielsetzungen dieser A r t sind durch das Sozialstaatsprinzip grundsätzlich legitimiert 1 8 . Daß die paritätische Mitbestimmung sowohl die soziale als auch die wirtschaftliche Ordnung gestaltet, spielt unter den Aspekten des Sozialstaatsprinzips keine Rolle. Denn dies ermächtigt den Gesetzgeber ebenso zu sozial- wie zu wirtschaftspolitischen Maßnahmen. Die gegenteilige, von E. R. Huber 1 9 vertretene Auffassung, derzufolge das Sozialstaatsprinzip zwar zu Formen sozialer Mitbestimmung als Elementen der Sozialverfassung, nicht aber zu Formen wirtschaftlicher (Unternehmens-) Mitbestimmung als Elementen der Wirtschaftsverfassung ermächtige, verkennt Sinn und Reichweite der Regelungs- und Ordnungsbefugnisse des Gesetzgebers i m Sozialstaat 20 . Problematisch bleibt nach alledem nur die Frage, ob die Grenzen der grundgesetzlichen Gesellschaftsverfassung i m übrigen sowie die grundrechtlichen und rechtsstaatlichen Grenzen durch die vorliegende Ausgestaltung der paritätischen Mitbestimmung i m MitbestG eingehalten sind. I I I . Paritätische Mitbestimmung und demokratische Gesellschaftsordnung Das MitbestG w i l l „den Bestand und den weiteren Ausbau unserer demokratischen Gesellschaftsordnung" fördern 2 1 . Das MitbestG bekennt sich damit zum Prinzip gesellschaftlicher Demokratie bzw. (partieller) Wirtschaftsdemokratie als ordnungspolitischer Leitmaxime. Verfassungsrechtlich ist diese Zielsetzung jedoch kaum von unmittelbarer Relevanz. Denn das Grundgesetz kennt ein Prinzip gesellschaftlicher oder Wirtschaftsdemokratie nicht 2 2 . i? Vgl. ausführlich Schwerdtfeger, Mitbestimmung, S. 180 ff.; auch R. Scholz, Staat 74, 102. 18 Vgl. u.a. Schwerdtfeger, a.a.O., S. 153 ff., 158 ff., 180 ff., 259 ff., 265; R. Scholz, a.a.O. 19 Vgl. Grundgesetz, S. 34 ff. 20 Vgl. entsprechend Schwerdtfeger, a.a.O., S. 158 ff. 21 Amtl. Begr., BR-Drucks. 200/74, S. 15. 22 Vgl. näher R. Scholz, Koalitionsfreiheit, S. 162 ff.; ders., Staat 74, 96 ff.; Schwerdtfeger, Mitbestimmung, S. 69 ff., 186 ff.; Biedenkopf, Kronstein-Festgabe, S. 88; H. Krüger, Mitbestimmung, S. 21 ff.; ders., Der Regierungsentwurf eines Betriebsverfassungsgesetzes vom 29. Januar 1971 und das Grundgesetz, 1971, S. 23 ff.; T. Raiser, JZ 74, 279; vgl. auch Bericht der BiedenkopfKommission, a.a.O., S. 65 f.

III. Mitbestimmung und demokratische Gesellschaftsordnung

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Das Grundgesetz konstituiert das demokratische Prinzip als Staatsform und nicht als konstitutionellen Bestandteil der Gesellschaftsverfassung. Ausnahmen hiervon bestehen nur i n den Bereichen staatspolitisch relevanter Selbstorganisation, wie den politischen Parteien gemäß Art. 2113 GG und größeren Verbänden i n gegebenenfalls analoger Anwendung des Grundsatzes aus Art. 2113 GG 2 3 . I n diesen Fällen handelt es sich aber nicht um Institutionen verfassungsrechtlicher Demokratisierung der Gesellschaft, sondern um Institutionen der politisch-demokratischen Willensbildung i m Vorfeld der allgemeinen staatlichen Demokratie. Darüber hinaus kennt das Grundgesetz — seiner prinzipiellen Unterscheidung zwischen Staatsverfassung und Gesellschaftsverfassung gemäß — keine Formen gesellschaftlicher (Sonder-) Demokratien 2 4 . Hieraus folgt, daß eine Demokratisierung privater Wirtschaftsunternehmen sich nicht i n dem Sinne legitimieren läßt, daß Privatwirtschaft und Staatsorganisation schlechthin identischen (demokratischen) Strukturprinzipien verpflichtet seien. I m Gegenteil, die Scheidung von demokratisch konstituierter Staatlichkeit und wesentlich privatautonom organisierter Gesellschaft zieht hier die maßgebende Grenze und schließt entsprechende Identifizierungen i m allgemeinen aus. Dem entgegengesetzte Identitätsforderungen lassen sich auch nicht auf jene Bedeutungsdimension der Sozialstaatsklausel stützen, die man als „Homogenisierungsbestimmung zwischen Staat und Gesellschaft" 25 bezeichnet hat 2 € . Verfassungsrechtlich kann das Bestreben nach „Wirtschafts-" oder auch „Unternehmens-" bzw. „Betriebsdemokratie" nichts anderes als ein bestimmtes sozialpolitisches, d. h. nicht normativ von der Verfassung vorgegebenes Programm ausdrücken 27 ; und dies bedeutet wiederum daß sich entsprechende Demokratisierungsforderungen nicht auf das grundgesetzliche Demokratieprinzip und seine Konstitutionsdirektiven stützen lassen. Andererseits kann sich aber der sozialstaatliche Gesetzgeber bei der Aufstellung und Regelung seiner sozialpolitischen Ord23 Vgl. näher z.B. Ridder, Zur verfassungsrechtlichen Stellung der Gewerkschaften, S. 16 ff., 24, 28 f.; Kriele, W D S t R L 29, 46 (74 ff.); Hesse, W D S t R L 17, 11 (39); R. Scholz, Koalitionsfreiheit, S. 174 ff. 24 Vgl. näher Leibholz, Strukturprobleme der modernen Demokratie, 3. Aufl. 1967, S. 333 f.; ders., W D S t R L 24, 5 (23 ff.); Schwerdtfeger, Mitbestimmung, S. 69 ff.; H. Klein, Die Grundrechte im demokratischen Staat, 1972, S. 15 f., 45 ff.; Rupp, in: Hoppman, Konzertierte Aktion, S. 13 f.; Dagtoglou, Der Private in der Verwaltung als Fachmann und Interessenvertreter, 1964, S. 44 f. 25 Ridder, a.a.O., S. 18. 2« Vgl. Schwerdtfeger, a.a.O., S. 107 f., 1911; R. Scholz, Koalitionsfreiheit, S. 181, 183 ff.; ders., Staat 74, 96. 27 Vgl. auch Bericht der Biedenkopf-Kommission, a.a.O., S. 65 f.

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C. Mitbestimmung und Gesellschaftsverfassung

nungsziele auch der Instrumentarien einer Wirtschafts- oder Unternehmensdemokratie bedienen. Er kann diese instrumental gerade zur Sicherung gesellschaftlicher Freiheiten i m sozialen Bereich oder zur Kontrolle gesellschaftlicher (ökonomischer) Macht einsetzen 20 . I n diesem Falle handelt es sich aber nicht u m die Erfüllung eines irgendwie gearteten Demokratieauftrages der Verfassung (er könnte nur staatlich-konstitutioneller A r t sein), sondern u m einen Akt unterverfassungsrechtlicher Gestaltung. M i t dieser Maßgabe sieht sich auch die Organisationsform einer (paritätischen) Mitbestimmung legitimiert. Denn i h r demokratisierender Effekt ist i m beschriebenen Sinne instrumental; er dient der Erweiterung arbeitnehmerischer Freiheiten i m Unternehmen und der gesteigerten Kontrolle ökonomischer Unternehmensmacht durch die Arbeitnehmer. Die demokratisierenden Wirkungen der paritätischen M i t bestimmung leiten sich demgemäß aus der sozialstaatlichen Gestaltungsfreiheit des Gesetzgebers ab (mittelbare Verfassungslegitimation). Andere Grundsätze gerade aus der Sicht des demokratischen Verfassungsprinzips gelten für eine (paritätische) Mitbestimmung i n staatlichen Unternehmen bzw. Unternehmen, die staatliche Verwaltungsfunktionen erfüllen und damit organisatorischer Teil der öffentlichen Verwaltung sind. Hier gilt der ausschließliche Vorrang von staatlicher Demokratie und deren Vorbehalten egalitär-repräsentativer Legitimation. Jede Mitbestimmungsordnung, die an die Stelle dieser Legitimationsvorbehalte die besondere Entscheidungsteilhabe bzw. Entscheidungskompetenz von arbeitnehmerischen oder auch sonstigen gesellschaftlichen Gruppen setzte, privilegierte diese Gruppen u n d verletzte damit die Prinzipien von demokratischer Egalität und Allgemeinheit sowie i m Zusammenhang damit das Prinzip der demokratisch-parlamentarischen Legitimation aller staatlichen Verwaltung 2 9 . 28 Vgl. R. Scholz, Staat 74, 96. 2» Zu diesen Grenzen der Mitbestimmung in öffentlicher Verwaltung und öffentlichem Dienst vgl. näher bes. Leisner, Mitbestimmung im öffentlichen Dienst, 1970, S. 39 ff., 44 ff., 62 ff., 65 ff.; Ossenbühl, Erweiterte Mitbestimmung in kommunalen Eigengesellschaften, 1972, S. 35 ff.; Obermayer, Mitbestimmung in der Kommunalverwaltung, 1973, S. 22 ff.; Püttner-Wössner, Die Mitbestimmung in kommunalen Unternehmen unter dem Grundgesetz, 1972, S. 49 ff.; Püttner, in: von Oertzen, „Demokratisierung" und Funktionsfähigkeit der Verwaltung, 1974, S.73ff.; Biedenkopf-Säcker, ZfA 1971, 211 ff.; Kisker, DÖV 72, 520 ff.; H . P . Schneider, D Ö V 72, 598 ff.; Duden, ZRP 72, 29 ff.; T. Raiser, RdA 72, 65 ff.; R. Scholz, Funktionsfähige Verwaltung im demokratischen Rechtsstaat. Zweifelsfragen zur geplanten Neuordnung der Postverfassung, Sonderpublikation des Deutschen Postverbandes 1973, S. 5 ff.; dcrs., Staat 74, 92 f.; zu den grundsätzlichen Schranken arbeitsrechtlicher oder personalvertretungsrechtlicher Mitbestimmungsbefugnisse im demokratischen Verfassungsstaat vgl. auch bereits BVerfGE 8, 1 (17 f.); 17, 319 (333 ff.); 19, 303 (321 ff.); 28, 295 (306 ff.).

IV. Mitbestimmung, Wirtschafts- und Arbeitsverfassung

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Aus diesem Grunde lassen sich sozialstaatliche Mitbestimmungsforderungen i m staatlichen Bereich nicht i n gleicher Weise verfolgen oder durchsetzen wie i m privatwirtschaftlichen Bereich. Dies w i r d freilich häufig übersehen — von Protagonisten einer allseitigen (paritätischen) Mitbestimmung bis h i n zu einzelnen Gemeinden (paritätische Mitbestimmung i n kommunalen Eigenbetrieben) und sogar bis h i n zu bundesgesetzgeberischen Ordnungsvorhaben. I n letzterer Hinsicht ist auf den vorliegenden Entwurf eines Gesetzes über die Unternehmensverfassung der Bundespost (PostVerfG) 30 zu verweisen, der deutlich die (verwaltungsrechtlichen) Strukturen von wirtschaftlicher Organisation des Verwaltungsbetriebes Bundespost m i t den (mitbestimmungsfähigen) Strukturen privater Unternehmenswirtschaft verwechselt und so die Gefahr einer verfassungswidrigen Ordnung der Bundespost heraufbeschwört 31 . I m Bereich der öffentlichen Verwaltung dürfen Mitbestimmungsforderungen nicht an die kompetentielle Funktionshoheit der staatlich bestellten und gesetzlich legitimierten Organwalter rühren. Mitbestimmungsforderungen lassen sich allein — i n abgestufter Funktionalität — unterhalb dieser Kompetenzschwelle realisieren. Diese Feststellung bet r i f f t die Verfassungsmäßigkeit des MitbestG allerdings nur mittelbar. Denn dieses Gesetz zielt nicht auf die Verwaltungsunternehmen, sondern auf die Unternehmen i n der Privatwirtschaft. Verfassungsrechtlich problematisch kann das MitbestG daher lediglich dort werden, wo seine konkrete Anwendung auf ein privatrechtlich organisiertes Verwaltungsunternehmen (verwaltungseigene Kapitalgesellschaft) dessen verwaltungsrechtliche Kompetenzhoheit i n Frage stellt. Hier hätten nach den Grundsätzen vom Vorrang der staatlichen Demokratie die gesetzlichen Mitbestimmungsrechte der dem Unternehmen angehörenden Arbeitnehmer zurückzutreten bzw. entsprechende Funktionseinschränkungen hinzunehmen. IV. Paritätische Mitbestimmung Wirtschaftsverfassung und Arbeitsverfassung 1. Die offene Wirtschafts-

und Arbeitsverfassung

des Grundgesetzes

a) Die paritätische Mitbestimmung bewirkt, wie gezeigt, einen beträchtlichen Strukturwandel der geltenden Wirtschafts- und Arbeitsordnung. Sie muß sich daher i n das System der grundgesetzlichen W i r t schafts- und Arbeitsverfassung einfügen. Diese Forderung gilt unab30 Vgl. BT-Drucks. 7/81. 31 Vgl. näher R. Scholz, Funktionsfähige Verwaltung im demokratischen Rechtsstaat, a.a.O.; ders., Staat 74, 93 m. N. 4.

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C. Mitbestimmung und Gesellschaftsverfassung

hängig von der Feststellung der grundsätzlich sozialstaatlichen Legitimation einer paritätischen Mitbestimmung; denn auch das Sozialstaatsprinzip ist seinerseits Bestandteil der grundgesetzlichen Gesellschaftsverfassung; auch seine Ermächtigungen stehen daher, wie gezeigt, unter dem Vorbehalt der übrigen wirtschafts- und arbeitsverfassenden Ordnungsentscheidungen des Grundgesetzes, namentlich also derer von Rechtsstaatsprinzip und Grundrechten. des Grundgesetzes ist nach ganz herrb) Die Wirtschaftsverfassung schender Auffassung nicht die eines bestimmten, inhaltlich geschlossenen oder präformierten Ordnungssystems, sondern die des ordnungspolitisch gestaltungsfähigen, d. h. offenen Ordnungssystems (offene oder neutrale Wirtschaf tsverfassung) 22. Die Grundstrukturen dieses offenen Ordnungssystems liegen einmal i n der prinzipiellen Gewährleistung gesellschaftlich-privater Autonomie und zum anderen i m wirtschafts- sowie sozialpolitischen Ordnungsmandat des demokratischen Gesetzgebers. Die verfassungsrechtliche Basis jener gesellschaftlichen Autonomie und ihrer vielfältigen, individualen wie kollektiven Freiheitsbezüge w i r d von den Grundrechten begründet. Damit läßt sich aus dem Grundgesetz weder das gelegentlich angenommene Bekenntnis zur (liberalen oder sozialen) Marktwirtschaft noch das Bekenntnis zu anderen, vergleichbar geschlossenen Ordnungssystemen ableiten. Die Ordnung der Wirtschaft ist vorrangig Aufgabe der unterverfassungsrechtlichen Gesetzgebung. Der Gesetzgeber entscheidet grundsätzlich nach seinem gestaltungspolitischen Ermessen über die konkret verbindliche Wirtschaftsordnung. Grenzen findet diese Gestaltungsbefugnis des Gesetzgebers erst an den allgemeinen Strukturprinzipien von Rechts- und Sozialstaat sowie an den Grundrechten als den konkreten Ordnungsentscheidungen für die gesamte Gesellschafts-, Wirtschafts- und Arbeitsverfassung. Innerhalb der Grenzen dieser konkreten Verfassungsentscheidungen entscheidet der Gesetzgeber vor allem darüber, welche Ordnungsmaßnahme die „beste, angemessenste und zweckmäßigste Lösung" für ein wirtschafts- oder sozialpolitisches Ordnungsproblem zu bewirken hat 3 3 . 32 vgl. näher sowie zum folgenden: BVerfGE 4, 7 (17 f.); 7, 377 (400); 14, 263 (275); 21, 73 (78); Ehmke, Wirtschaft und Verfassung, 1961, S.68ff.; Scheuner, V V D S t R L 11, 1 (19 ff.); Zacher, Böhm-Festschrift, 1965, S. 63 (89 ff.); Benda, in: Gemper, Marktwirtschaft und soziale Verantwortung, 1973, S. 185 (188 ff.); R. Scholz, Konzentrationskontrolle, S. 26 ff.; zur Rechtsprechung des BVerfG vgl. zusammenfassend Badura, AöR 92, 382 ff. 33 Vgl. u.a. und zugleich mit w.Nachw. BVerfGE 18, 315 (325); vgl. zum ganzen auch Badura, AöR 92, 382 ff.; R. Scholz, Konzentrationskontrolle, S. 26 ff.

IV. Mitbestimmung, Wirtschafts- und Arbeitsverfassung

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I n dieser gesetzlichen Kompetenz des Gesetzgebers liegt zugleich die Befugnis der ordnungspolitischen Zielbestimmung sowie der ordnungspolitischen Entscheidung von Zielkonflikten; konkurrieren (rechts-) politisch unterschiedliche oder konträre Ordnungsziele, so steht die Entscheidung grundsätzlich dem Gesetzgeber kraft seiner demokratischen Gestaltungsmacht zu. I m gleichen Zusammenhang steht dem Gesetzgeber auch das Recht zur experimentellen Ordnungsentscheidung zu; er ist m i t anderen Worten befugt, bestimmte wirtschafts- oder sozialpolitische Ordnungskonzepte gesetzlich zu erproben, ohne daß er schon vorher den Beweis für das Gelingen eines jeden Experiments antreten müßte. Das Bundesverfassungsgericht hat dem Gesetzgeber i m System der offenen Wirtschaftsverfassung so ein breites Entscheidungsfeld eingeräumt; und i m Hinblick auf die „Dynamik, Komplexität und mangelnde Vorhersehbarkeit der wirtschaftlichen Entwicklung" 3 4 hat es dem Gesetzgeber auch einen besonderen Entwicklungsspielraum als Zone kontrollfreier Tatsacheneinschätzung oder Prognostik zugestanden, innerhalb deren sogar gesetzgeberische Fehlprognosen gerechtfertigt bzw. hinzunehmen sein können 3 5 . Hiernach müssen Irrtümer des Gesetzgebers über den realen (wirtschaftlichen) Verlauf seiner Entscheidung bzw. der dieser zugrunde liegenden Tatsachenerwartung grundsätzlich i n Kauf genommen werden, sofern das Vorliegen einer verfehlten Entwicklungsprognose nicht schon i m Ansatz offenkundig w a r 3 6 . Stellt sich die Unrichtigkeit der Prognose erst später heraus, so ist der Gesetzgeber lediglich verpflichtet, seine Maßnahme „nach Erkenntnis der tatsächlichen Entwicklung dieser entsprechend aufzuheben oder zu ändern" 3 7 . Diese einer nachträglichen Restitutionspflicht nahekommende Verpflichtung des Gesetzgebers ist vor allem für ordnungspolitisch experimentierende Gesetzgebungen wichtig. Denn gerade sie sind wesentlich auf Zukunftsprognosen angewiesen und damit i n substantiell besonderer Weise durch Fehleinschätzungen gefährdet. Verfassungsrechtlich liegt der Gedanke einer solchen gesetzlichen Restitution ex post i n den rechtsstaatlichen Grundsätzen der Verhältnismäßigkeit begründet: Es wäre unverhältnismäßig, dem Gesetzgeber eine nicht vorhersehbare Fehlst BVerfG, DVB1 70, 898 (899). 3ß Vgl. näher hierzu R. Scholz, Wirtschaftsaufsicht und subjektiver Konkurrentenschutz, 1971, S. 107 ff.; ders., Konzentrationskontrolle, S. 34 ff., und mit unmittelbarem Bezug auf die Mitbestimmungsgesetzgebung bereits in Die A G 72, 201 f. 3« Vgl. BVerfGE 16, 147 (181 ff.); 18, 315 (322); 25, 1 (12 f.); 30, 250 (263 f.); BVerfG, DVB1 70, 899 und NJW 71, 1257 f. 37 BVerfGE 25, 12 f. 3 Scholz

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C. Mitbestimmung und Gesellschaftsverfassung

Prognose mit der W i r k u n g einer Verfassungswidrigkeit des betreffenden Gesetzes von Anfang an (ex tunc) anzulasten; es ist jedoch verhältnismäßig, den Gesetzgeber nach Erkennntnis der etwaigen Fehlprognose zur nachträglichen Änderung, Aufhebung oder Anpassung seiner Gesetzgebung zu verpflichten. Zu realisieren ist diese Verpflichtung über die — jederzeit mögliche — Diskussion der rechtlichen und tatsächlichen Folgen des Gesetzes. Diese Grundsätze sind i n der zitierten Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts deutlich angelegt und finden ihre verfassungsrechtliche Legitimation, wie gezeigt, i m Verhältnismäßigkeits- bzw. Rechtsstaatsprinzip 38 . Zusammenfassend ist demnach festzustellen, daß die grundsätzliche Entscheidungsfreiheit des Gesetzgebers i n wirtschaftspolitischen Fragen i n zweierlei Richtung gebunden ist: (1) i n rechtlicher Hinsicht an die konkreten Ordnungsentscheidungen der Verfassung (insbesondere Grundrechte und Prinzipien des sozialen Rechtsstaates); (2) i n tatsächlicher Hinsicht an den Vorbehalt nachträglicher Restitution, sofern sich die einer wirtschaftspolitischen Maßnahme zugrunde liegende Entwicklungsprognose später als verfehlt erweist und ein Beibehalten der Maßnahme unverhältnismäßig wäre. c) Für die grundgesetzliche Arbeitsverfassung gelten grundsätzlich die gleichen Maßstäbe. Auch sie ist keinem geschlossenen Ordnungssystem verpflichtet, auch sie ist prinzipiell offen wie die Wirtschaftsverfassung 39 . Ebenso wie diese baut die Arbeitsverfassung auf den konkreten Ordnungsentscheidungen namentlich der Grundrechte und des sozialen Rechtsstaates auf; i m übrigen steht auch sie der gesetzgeberischen Gestaltung weitgehend offen gegenüber. 2. Gesellschaftliche Autonomie und dezentrale Gesellschaftsordnung als Strukturprinzipien der offenen Wirtschafts- und Arbeitsverfassung Das System der offenen Wirtschafts- und Arbeitsverfassung baut einmal auf den grundrechtlichen Freiheitsgarantien und zum anderen auf dem wirtschafts- und sozialpolitischen Ordnungsmandat des Ge38 Vgl. näher hierzu R. Scholz, Wirtschaftsaufsicht, S. 107 ff. 3» Vgl. R. Scholz, Koalitionsfreiheit, S. 151 ff., bes. 191 ff.; Rüthers, Arbeitsrecht und politisches System, 1972, S. 17 ff.; Lerche, Verfassungsrechtliche Zentralfragen des Arbeitskampfes, 1968, S. 26 ff.

IV. Mitbestimmung, Wirtschafts- und Arbeitsverfassung

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setzgebers auf. Dies ist der — insoweit einhellige und richtige — Grundbefund der bisherigen Theorie von der grundgesetzlichen GesellschaftsVerfassung bzw. Wirtschafts- und Arbeitsverfassung. Noch kaum geklärt ist dagegen die Frage, nach welchen inneren Strukturgesetzen sich jene gesellschaftlichen Freiheiten i n der grundgesetzlichen Wirtschafts- und Arbeitsverfassung entfalten und welche systemgestaltenden Konsequenzen für die grundgesetzliche Wirtschaftsund Arbeitsverfassung selbst aus derart strukturellen Gesetzlichkeiten folgen bzw. folgen können. Dieser außerordentlich bedeutsamen Frage hat man bisher wenig Aufmerksamkeit gewidmet. Dies mochte gegenüber einer Sozial- und Rechtsentwicklung vertretbar sein, die vom grundsätzlichen Primat der wirtschaftlichen und sozialen Autonomie einer — nach wie vor liberalen Formprinzipien verpflichteten — „Privatrechtsgesellschaft" (F. Böhm) und vom demgemäß begrenzten Ordnungsanspruch eines mehr punktuell korrigierenden als umfassend lenkenden Interventionsstaats gekennzeichnet wurde. Die neuere Entwicklung geht jedoch andere Wege; die Frage der gesetzlichen Einführung der paritätischen Mitbestimmung bietet hierfür ein maßgebendes Beispiel, vielleicht sogar ein Beispiel von wirklicher Signalwirkung. Das ordnungspolitische Selbstverständnis des Staates hat sich gewandelt und wandelt sich rasch weiter. Der moderne Staat — und nicht nur konkrete Regierungen oder Parlamentsmehrheiten — begreift sich und sein Ordnungsmandat gegenüber der Gesellschaft mehr und mehr als offensiven und umfassend sozialpolitischen Ordnungsauftrag. Der Staat rückt damit mehr und mehr i n die Rolle des zentralen Gestaltungsfaktors auch für die gesellschaftliche „Eigen-" oder „Binnenordnung". Die Ordnungsermächtigungen des grundgesetzlichen Sozialstaatsprinzips lassen an der Legitimation dieses staatlichen Selbstverständnisses keinen Zweifel. Zweifel und Probleme geben lediglich die Grenzen dieser staatlichen Ordnungs- und Gestaltungsbefugnisse auf. Solange sich der Staat auf die Rolle des eher defensiv korrigierenden als offensiv gestaltenden Ordnungsgebers beschränkte, solange halfen die klassisch liberalen Abwehrmaßstäbe des überkommenen Grundrechtsverständnisses vollauf. Ausgehend vom Grundansatz prinzipiell allumfassender gesellschaftlicher Autonomie galt es meist nur, einzelne („übermäßige") Freiheitsbeschränkungen abzuwehren bzw. entsprechende („übermäßige") Lenkungsansprüche des Staates zu disziplinieren. Diese Maßstäbe werden jedoch dort relativiert oder fragwürdig, wo der Staat beginnt, die bisher fast apriorisch vorausgesetzte und damit meist nur formal definierte „gesellschaftliche Autonomie" selbst zu verfassen oder (partiell) umzuorganisieren. Daß der Staat hierzu i n ständig intensiverem Maße aufgerufen ist, weil gerade er mehr und mehr zum 3*

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C. Mitbestimmung und Gesellschaftsverfassung

sozialen Garanten aller gesellschaftlichen Freiheit und Autonomie geworden ist, ist dabei von mehr erklärender als konstituierender Bedeutung. Sicher ist jedenfalls soviel, daß der Staat m i t dieser sozialen Garantenstellung auch ein außerordentliches Maß an Verantwortung für die Organisation der Gesellschaft übernommen hat. M i t dieser Verantwortung stellt sich andererseits die Frage nach den Grenzen der Verantwortung und der staatlichen Berechtigung zur gesellschaftlichen Organisation insgesamt. Die bisherigen Erfahrungen auf diesem Gebiet zeigen bereits eines: Der bloße Rückgriff auf einzelne, punktuell disziplinierende oder freiheitsbewahrende (Grund-)Rechtspositionen individual- wie kollektivrechtlicher A r t genügt häufig nicht mehr. Er verbürgt einmal wenig Schutz gegen generelle oder ordnungspolitisch umfassende Gestaltungsmaßnahmen, und er versperrt überdies, was zumeist noch schlimmer ist, den Blick auf das Verhältnis von ordnungspolitischem Gestaltungskonzept und gesellschaftlicher Autonomie insgesamt. So kann beispielsweise eine ordnungspolitische Maßnahme des Gesetzgebers i n sachsowie systemgerechter Weise bestimmte Autonomie- oder Freiheitsbereiche um- oder neuverfassen und dabei (notwendige) Freiheitsbeschränkungen gegenüber einzelnen Bürgern vornehmen; eine rein punktuell-eingriffsbezogene Grundrechtskontrolle zugunsten dieser Bürger w i r d sich hier i n aller Regel jener konkreten Freiheitsbeschränkungen annehmen und sich — konsequent — schwer tun, über der Wertung dieser „Eingriffe" den neu geordneten Freiheits- oder Autonomiebereich i n seiner — gegebenenfalls jetzt erst funktionell gesicherten — Gesamtheit zu erfassen. Grundrechtskontrolle ist zwar stets eingriffsbezogen zu denken. Inhaltlich muß sich die Grundrechtskontrolle aber mehr den Perspektiven auch umfassenderer Systemwertungen öffnen. Gerade die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts versucht dies i n wachsendem Maße 40 . Das notwendige Rüstzeug hierfür fehlt aber wohl noch allenthalben. Der Grund dafür dürfte auf der Hand liegen: Die strukturellen Eigenund Ablaufgesetzlichkeiten gesellschaftlicher Freiheits- und Autonomiebereiche insgesamt sehen sich zu wenig durchschaut oder noch zu knapp berücksichtigt. Oder anders ausgedrückt: Die individualen und konkreten Freiheitsgewährleistungen der Grundrechte sind für sich genommen zwar recht weitgehend aufgehellt bzw. selbstverständlich geworden. Interpretatorisch nicht oder doch nicht hinreichend aufgehellt sind dagegen die generalen und abstrakten Systemwirkungen grundrechtlicher Freiheitsgewährleistungen, d.h. diejenigen Wirkungen, die von den einzelnen Freiheitsverbürgungen typischerweise ausgehen und 40 Vgl. deutlich etwa die Fragestellung in BVerfGE 30, 292 (313 ff., 332 ff.).

IV. Mitbestimmung, Wirtschafts- und Arbeitsverfassung

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damit zugleich den jeweiligen Freiheitsbereich i n seiner Gesamtheit i n Gestalt bestimmter (typischer) Funktions- oder Strukturformen konstituieren. I n diesem Sinne hat vor allem die Theorie von der Wirtschaftsverfassung bisher kaum vermocht, das Verhältnis von ordnungspolitischer Offenheit und tatsächlich wirksamer Wettbewerbs- oder Marktwirtschaft zu erklären. Es ist zwar sicher, daß das Grundgesetz kein ordnungspolitisches System der Marktwirtschaft als solches postuliert; ebenso sicher ist aber, daß aus der Wirksamkeit der wirtschaftlichen Hauptfreiheitsrechte (reale Ausübung der Grundrechte aus A r t . 12, 14 GG) eine tatsächliche Wettbewerbsordnung erwächst 41 ; und ebenso sicher sollte weiterhin sein, daß dieses tatsächliche Entstehen einer wettbewerblichen Ordnung nicht ohne strukturellen Einfluß auf den grundrechtlichen Freiheitsbereich wirtschaftlichen Verhaltens insgesamt bleiben kann. Fraglich ist nur, w o r i n diese Struktur- oder Systemwirkungen rechtlich i m einzelnen bestehen und inwieweit sie wiederum als typische und damit tatbestandlich generalisierbare Bestandteile der jeweils zugrunde liegenden Freiheitsgewährleistung zu gelten haben. Betrachtet man allerdings gerade jene wirtschaftlichen Hauptgrundrechte aus A r t . 14 und A r t . 12 GG i n ihrer tatsächlichen und typischen Funktionalität, so w i r d schnell offenbar, daß beide Grundrechte auch über evident systembildende Funktionen verfügen — Funktionen, die man als makroökonomische Systemwirkungen bezeichnen kann und als solche jenen mikroökonomischen Wirkungen gegenüberstellen kann, die das konkrete Grundrechtsbild individual ausgeübter Eigentums-, Berufs» und Gewerbefreiheit bestimmen sowie inhaltlich geprägt haben: Die Eigentumsgarantie des A r t . 14 GG garantiert prinzipiell auch das privatunternehmerisch genutzte Produktiveigentum 4 2 . Die Gewährleistung des A r t . 14 GG bekennt sich damit und zunächst zur mikroökonomischen Systemvorstellung der grundsätzlich freien und privaten sowie individualen Nutzung unternehmerischen Vermögens nach den Regeln von wirtschaftlicher Rentabilität und persönlichen Erfolgs sowie Risikos 43 . Diese Systemwirkung der Eigentumsgarantie bleibt jedoch nicht ihre einzige. Denn aus der Gesamtheit dieser mikrökonomischen Systemwirkungen entwickelt sich zugleich und weiterhin das B i l d einer beVgl. näher bereits R. Scholz, Z H R 132, 97 (105 ff.); ders., Konzentrationskontrolle, S. 44 ff. 42 Vgl. im einzelnen hierzu unten E 1 1 , 2. 43 Vgl. näher Badura, 49. DJT, I I , T 21 ff.; Rittner, Schilling-Festschrift, 1973, S. 363 (378 ff.); vgl. weiterhin bes. BVerfGE 14, 263 (277); 14, 288 (293); 30, 293 (334).

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C. Mitbestimmung und Gesellschaftsverfassung

stimmten funktionstypisch verfaßten Wirtschaftsordnung — einer Ordnung nämlich, die vom Prinzip des Privateigentums an den Produktionsmitteln ausgeht und den realen Wirtschaftsabkuf damit den Strukturgesetzen von Privatautonomie, tatsächlichem (also nicht ordnungspolitisch aufgegebenem) Wettbewerb und dezentralisierter Selbstregulation überantwortet 4 4 . Dieses strukturelle B i l d kann als makroökonomische Systemvorstellung bzw. als weitere (vermittelte) Systemwirkung bezeichnet werden, die gleichfalls dem Schutz der Eigentumsgarantie aus A r t . 14 GG untersteht. Das real bedeutsame wie rechtlich entscheidende Moment dieser makroökonomischen Seite der Systemwirkungen des A r t . 14 GG ist der Ordnungstatbestand der Dezentralität. Dezentralität entsteht durch die Verteilung des Privateigentums an den Produktionsmitteln auf die Mehrheit der wirtschaftenden Personen und Unternehmen. Namentlich Person und Funktion des Aktionärs bilden ein charakteristisches Beispiel solcher eigentumsrechtlicher Dezentralisation i n Gestalt der Kapitalgesellschaft 45 . Dezentralität nennt so ein wirksames Organisationskonzept, das gesellschaftliche (wirtschaftliche) Funktionen auf Mehrheiten von Rechtssubjekten verteilt, sei es i n Form der Delegation, sei es i n Form der tatsächlichen Konkurrenz. Dezentralität ist i n diesem Sinne nicht nur ein Element der äußeren Zweckmäßigkeit (Dezentralisation als Grundlage der Effektivität), sondern vor allem Vermittler von innergesellschaftlicher Selbstregulation und Selbstorganisation. Unter freiheitsr e c h t l i c h e n G e s i c h t s p u n k t e n sichert u n d verwirklicht solche Dezentrali-

sation bürgerliche Freiheit und gesellschaftliche Autonomie, indem Macht und Zuständigkeiten innerhalb der Gesellschaft verteilt werden bzw. i n Wechsel- wie gegenseitiger Steuerungskonkurrenz gebrochen und kontrolliert werden. Dezentralität und Dezentralisation folgen so als (makroökonomische) Systemwirkung auch aus der grundrechtlichen Eigentumsgarantie und bilden zugleich die Grundlage einer verfassungsgerechten Eigentumssowie Wirtschaftsordnung. Daraus folgt, daß eine verfassungsgerechte Eigentumspolitik sich eben dieser Organisationsgrundsätze stets bewußt zu bleiben hat. Denn diese sind von der Verfassung als makroökonomische Systemvorstellung innerhalb des Grundrechts aus A r t . 14 GG 44 Vgl. Badura, a.a.O., T 24; Mestmäcker, Mitbestimmung, S. 10 ff.; Rupp, Grundgesetz, S. 22, 35; Rittner, a.a.O., S. 382; Friauf, in: Gemper, Marktwirtschaft und soziale Verantwortung, 1973, S. 438 (450); vgl. auch Lutter, Der Aktionär in der Marktwirtschaft, 1974, S. 26 ff., 44 f. 45 Vgl. dazu bes. Lutter, Aktionär in der Marktwirtschaft, S. 26 ff.

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mitintendiert. Das bedeutet andererseits freilich nicht, daß die Verfassung schon selbst ein bestimmtes (ordnungspolitisch geschlossenes) Modell der Dezentralisation postuliert hätte; eine solche Annahme wäre m i t den Prinzipien der offenen Wirtschafts- und Arbeitsverfassung unvereinbar. Und deshalb ist auch das materiale Konzept einer Marktwirtschaft als Ordnungssystem verfassungsrechtlich nicht vorgegeben. Dezentralität als verfassungsrechtlich relevantes Ordnungskonzept ist vielmehr und wesentlich formal beschaffen. Dezentralität meint lediglich die äußere Organisation tatsächlicher bürgerlicher Freiheit und realer gesellschaftlicher Autonomie, überläßt deren konkrete Ausgestaltung und konkrete Inhaltsbestimmung aber weitgehend dem unterverfassungsrechtlichen Gesetzgeber und seiner wirtschaftspolitischen Entscheidung. Die Dezentralität fügt sich so als verfassungsrechtlich effektives Instrument zur tatsächlichen Sicherung von Freiheit v o l l und ganz i n das gestaltungsfähige Gefüge der offenen Wirtschafts- und Arbeitsverfassung ein. Diese verfassungsrechtliche Relevanz der Dezentralität äußert sich nicht nur i n der Eigentumsgarantie des A r t . 14 GG. Sie bildet vielmehr ein durchgängiges Strukturprinzip innerhalb der gesamten Grundrechtsordnung . I m wirtschaftlichen Bereich findet sich die Systemvorstellung der freiheitlich-dezentralen Ordnung ebenso i n der Garantie der Berufs- und Gewerbefreiheit aus A r t . 12 GG sowie gegebenenfalls auch i n der Garantie der allgemeinen Handlungsfreiheit aus A r t . 2 I GG mitangelegt 4 6 . I m System der grundgesetzlichen Arbeitsverfassung findet sich der Gedanke der dezentralen Ordnung vor allem i n der Koalitionsfreiheit des A r t . 9 I I I GG m i t ihren Garantien von gesellschaftlicher Ordnungsoder Sozialautonomie (Tarifautonomie etc.) maßgebend mitkonstituiert. I m Bereich der grundgesetzlichen Kommunikationsverfassung bestimmt der Grundsatz der Dezentralität vor allem die Organisation der organisierten Massenmedien (Art. 5 1 GG). Presse- und Rundfunkfreiheit sind von Verfassungs wegen auf ein System personeller wie funktioneller Pluralität festgelegt; und Pluralität i n diesem Sinne heißt organisationstheoretisch nichts anderes als Dezentralisation oder Dezentralität. Diese Dezentralität unterscheidet sich allerdings von der Dezentralität i m wirtschaftlichen Bereich. Denn dort w i r k t vor allem der Wettbewerb als Dezentralisationsfaktor; und i m (kulturellen) Kommunikationsbereich kann der Wettbewerb nur sehr begrenzte Wirksamkeit beanspruchen 47 . 4

« Zu Art. 2 I G G vgl. allerdings auch noch nachstehend unter 3. Vgl. näher H. Krüger, Die öffentlichen Massenmedien als notwendige Ergänzung der privaten Massenmedien, 1965, S. 31 ff.; vgl. auch R. Scholz, Z H R 132, 102 f 47

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C. Mitbestimmung und Gesellschaftsverfassung

I m Kommunikationsbereich bedarf es vor allem der inhaltlichen (meinungsbildenden) Pluralität; und solche Pluralität ist zwar auf die Dezentralisation der Meinungsträger, weniger aber auf deren Wettbewerb angewiesen. Die Ordnungsmacht des Prinzips der Dezentralität schlägt sich schließlich und allgemein i m Gedanken von der „gesellschaftlichen Gewaltenteilung" nieder. Denn die Vorstellung, auch innerhalb der Gesellschaft auf die freiheitssichernden Kräfte von gegenseitiger Gewaltenteilung und wechselseitiger Gewaltenhemmung zu vertrauen, bedeutet organisationstheoretisch wiederum nichts anderes, als auf die organisatorische Ordnungskraft von Dezentralität und Dezentralisation zu bauen bzw. deshalb gesellschaftliche Funktionen und gesellschaftliche Funktionsträger nach Möglichkeit zu dezentralisieren. Der Effekt einer innerhalb der Gesellschaft bewirkten Gewaltenteilung entstünde i n aller Regel als zwangsläufige Folge einer derartigen innergesellschaftlichen Organisation. Zusammenfassend ist danach festzuhalten, daß die grundgesetzliche Gesellschaftsverfassung — vor allem i n ihren Sektoren von W i r t schafts- und Arbeitsverfassung — offen i m Sinne von konkreter Gestaltbarkeit ist, daß sie sich zugleich aber bestimmten (grundrechtstypischen) Systemwirkungen verpflichtet weiß. Eine der bedeutsamsten Systemwirkungen wie gültigsten Systemvorstellungen dieser A r t bildet das Prinzip der dezentralen Ordnung bzw. das Prinzip der Sicherung von bürgerlicher Freiheit und gesellschaftlicher Autonomie durch Dezentralisation gesellschaftlicher Zuständigkeiten. Dieses Prinzip ist von der bisherigen Wirtschafts- und Arbeitsverfassungstheorie nur wenig beachtet worden. Gerade die Diskussion u m die paritätische Mitbestimmung offenbart diesen Mangel. Andere Problemzusammenhänge, i n denen das Prinzip der Dezentralität außerordentliche Relevanz bewiesen hat oder noch beweisen wird, finden sich i n der wettbewerbsrechtlichen Fusionskontrolle und i n der geplanten arbeitnehmerischen Vermögensbildung durch fondskonzentrierte Gewinn- und Unternehmensbeteiligung. Die durch die Novelle zum GWB vom 3.8.1973 (BGBl. I S . 917) eingeführte Fusionskontrolle für Großunternehmen (§§ 23 ff. GWB) bildet einen wesentlichen Beitrag zur Sicherung und Aufrechterhaltung der dezentralen Ordnung i n der Wirtschaft. Sie entspricht daher ganz den Intentionen der grundrechtlichen Gewährleistung wirtschaftlicher Freiheit 4 8 . 48 Zur Verfassungskonformität der Fusionskontrolle vgl. im einzelnen R. Scholz, Konzentrationskontrolle, bes. S. 26 ff., 38 ff., 61 ff., 77 ff.

IV. Mitbestimmung, Wirtschafts- und Arbeitsverfassung

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Die Bestrebungen zur Einführung einer arbeitnehmerischen Vermögensbildung über regionale Vermögensfonds, die bei sich die Gewinn- und Unternehmensanteile der abführungspflichtigen Gesellschaften konzentrieren 49 , sind dagegen m i t den Grundsätzen einer dezentralen Wirtschaftsordnung schwerlich vereinbar. Denn i n diesen Vermögensfonds würde i m Laufe der Zeit derart viel ökonomische Macht auf regionaler Basis kumuliert und tatsächlich konzentriert, daß sich das System der dezentral-freiheitlichen Unternehmensordnung i n der W i r t schaft nur allzubald i n Frage gestellt sehen müßte 5 0 . Hierbei spielte gegebenenfalls auch die paritätische Mitbestimmung eine Rolle. Denn wenn jene Vermögensfonds, wie teilweise angestrebt, unter maßgeblicher Beteiligung der Gewerkschaften errichtet würden, so dürfte dieser gewerkschaftliche Machtzuwachs auch unter den Aspekten einer paritätischen Mitbestimmung und ihrer gleichfalls gewerkschaftsstärkenden Kompetenzwirkungen nicht außer Betracht gelassen werden. 3. Die konkreten Verfassungsgorantien der freiheitlichen und dezentralen Wirtschafts - und Arbeitsordnung a) Die gesetzliche Einführung der paritätischen Mitbestimmung muß sich wie jede andere wirtschafts- u n d sozialpolitische Gesetzgebung i m Rahmen der offenen Wirtschafts- und Arbeitsverfassung bzw. i m Rahmen der diese prägenden konkreten Grundrechtsentscheidungen halten. Diese Grundrechtsentscheidungen garantieren die wirtschaftliche Freiheit und ordnen die Wirtschaft nach den Grundsätzen einer freiheitlichdezentralen Ordnung. Die Strukturen dieser Ordnung bestimmen vor allem, wie schon vorstehend deutlich wurde 5 1 , die Grundrechte aus A r t . 14,12, 9 I I I GG. Die Eigentumsgarantie des A r t . 14 GG ist i n ihrer mikroökonomischen Systemwirkung (Schutz der grundsätzlichen freien, privaten und individualen Nutzung wirtschaftlichen Vermögens) wie i n ihrer makroökonomischen Systemwirkung (Schutz einer auf das Privateigentum an den Produktionsmitteln gegründeten Wirtschaftsordnung) maßgebend 52 . Diese zweifache Systemwirkung des A r t . 14 GG unterliegt zwar den Schranken gerade sozialstaatlicher Lenkungsmaßnahmen (Art. 201/28 I 49 Zu den diesbezüglichen Modellen vgl. einmal die Übersicht in RdA 73, 112 ff. sowie den vorliegenden, aber bisher nicht veröffentlichten Referentenentwurf eines Vermögensbeteiligungsgesetzes vom Januar/Februar 1974. 50 Zu dieser Problematik vgl. im einzelnen bes. Scheuner, Die überbetriebliche Ertragsbeteiligung der Arbeitnehmer und die Verfassungsordnung, 1972, S. 33 ff., 37 ff.; Mestmäcker, Mitbestimmung, S. 28 ff.; R. Scholz, RdA 73, 65 ff. si Vgl. 2. 52 Siehe vorstehend unter 2.

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i n Verb. m. A r t . 14 I I GG). Über die Wesensgehaltssperre des A r t . 19 I I GG bleibt die systembildende Grundfunktion der Eigentumsgarantie aber unanfechtbar. Die Garantie der Berufsfreiheit aus A r t . 12 I GG, die auch die allgemeine Gewerbefreiheit gewährleistet 53 , konstituiert ein System freiheitlich-privatautonomen Berufs- und Gewerbeverhaltens — ein grundsätzlich freies Unternehmertum eingeschlossen — und verbindet sich m i t der Garantie des A r t . 14 GG so zur Grundgewährleistung der freiheitlich-dezentralen Wirtschaftsordnung. Hinzu t r i t t nach herrschender Lehre noch die Gewährleistung des A r t . 2 I GG, die i n der Auslegung des Bundesverfassungsgerichts als allgemeine Handlungsfreiheit 6 4 auch die Freiheit des wirtschaftlichen Verhaltens, d. h. die Vertrags-, Wettbewerbs- und Unternehmerfreiheit, schützen soll 5 5 . Richtigerweise wäre hier allerdings allein auf die Garantien der A r t . 12 und 14 GG und deren spezifisches Zusammenspiel 56 abzustellen. Denn gerade die Ausübung dieser Freiheiten führt zu den Freiheitskomplexen von Vertrags-, Wettbewerbs- und Unternehmerfreiheit 5 7 . I m Systemzusammenhang folgt aus diesen Grundrechtsgarantien eine dezentrale Wirtschaftsordnung bzw. eine Wirtschaftsordnung, die wesentlich markt- oder wettbewerbswirtschaftliche Züge trägt 5 8 , ohne damit jedoch, wie gezeigt, die Marktwirtschaft als geschlossenes Ordnungssystem selbst zu postulieren. Verfassungsrechtlich sieht sich dieses Ergebnis auch durch die Regelung des A r t . 109 I I GG bestätigt, die sich über das — i n § 1 StWG näher definierte — „gesamtwirtschaftliche Gleichgewicht" auch zum „Rahmen der marktwirtschaftlichen Ordnung" bekennt, d. h. einer Rahmenordnung, innerhalb deren die Lenkungsziele von Stabilität, Vollbeschäftigung, außenwirtschaftlichem Gleichgewicht und Wirtschaftswachstum zu erreichen sind. Der Bezug der grundgesetzlichen Wirtschaftsverfassung zur Marktwirtschaft als konkrete Form der freiheitlich-dezentralen Wirtschaftsordnung ist damit deutlich limitiert; marktwirtschaftliche OrdnungsM Vgl. u.a. BVerfGE 11, 168 (183); 14, 19 (22). 5* Vgl. BVerfGE 6, 32 (36 ff.). 55 Vgl. BVerfGE 8, 274 (328); 9, 3 (11); 10, 89 (99); 12, 341 (347); Ballerstedt, Grundrechte I I I / l , 1958, S. 1 (70); Nipperdey-Wiese, Grundrechte IV/2, 1962, S. 741 (879); Maunz-Dürig-Herzog, GG, Art. 2 I Rdnr. 46. 5« Zu ihm vgl. allgemein bes. Leisner, JZ 72, 33 ff. 57 Vgl. näher bereits R. Scholz, Koalitionsfreiheit, S. 9, 108 ff.; ders., Z H R 132, 97 (105 ff.) m . w . Nachw.; vgl. für die Wettbewerbsfreiheit und ihre Ableitung aus Art. 12 GG jetzt auch BVerfGE 32, 311 (316 ff.). 58 Vgl. BVerfGE 32, 317 f.

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formen folgen mittelbar aus den Systemwirkungen der genannten Grundrechte, unterliegen inhaltlich aber den vielfältigen Vorbehalten der staatlichen Wirtschaftspolitik 5 9 . Umgekehrt begrenzen diese marktwirtschaftlichen Verfassungsinhalte die staatliche Wirtschaftspolitik aber dort, wo diese an das System der freiheitlich-dezentralen Wirtschaftsordnung rührte. Aus diesem Grunde sind namentlich Ordnungssysteme zentralverwaltungswirtschaftlicher oder sozialistischer A r t m i t dem Grundgesetz nicht zu vereinbaren 60 . Die Befürchtung eines derartigen Ordnungssystems w i r d der paritätischen Mitbestimmung verschiedentlich entgegengehalten. Die paritätische Mitbestimmung soll den Schritt zur „planwirtschaftlich organisierten ,Gemeinwirtschaft' " 6 1 , den Schritt zur sozialisierenden Vergesellschaftung® 2 oder den Schritt zu den zentralistischen Steuerungsmechanismen eines „Gewerkschaftsstaates" oder einer „gewerkschaftlichen Hegemonie" i n der Wirtschaft einschließen 63 . Träfen diese Befürchtungen zu, so wäre die paritätische Mitbestimmung m i t der grundgesetzlichen Wirtschaftsverfassung i n der Tat unvereinbar. b) Die gleiche Feststellung hätte hinsichtlich der grundgesetzlichen Arbeitsverfassung zu gelten. Denn auch sie stützt sich wiederum auf die gleichen Strukturgesetze wie die grundgesetzliche Wirtschaftsverfassung. Auch die Arbeitsverfassung basiert inhaltlich auf den konkreten Ordnungsentscheidungen der A r t . 2 I, 12, 14 GG und fordert damit eine freiheitlich-privatautonome sowie dezentral gesteuerte Ordnung 6 4 . Diese Ordnung empfängt ihre besondere Prägung durch die Garantie der Koalitionsfreiheit aus A r t . 9 I I I GG 6 5 . Diese, i n ihrer Zielsetzung zwar sozial verfaßte 60 , i n ihren Funktionsmechanismen — Tarifauto59 Zum Bild der in diesem Sinne „limitierten Marktwirtschaft" und deren auch sonstigen Verfestigung in der geltenden Wirtschaftsordnung vgl. schon R. Scholz, Konzentrationskontrolle, S. 26 ff. 60 Vgl. Benda, in: Gemper, Marktwirtschaft, S. 195 ff.; Badura, DÖV 68,446 (447); ders., Verwaltungsrecht i m liberalen und sozialen Rechtsstaat, 1966, S. 16; E. R. Huber, Nationalstaat und Verfassungsstaat, 1965, S. 270 ff.; Rittner, Schilling-Festschrift, S.382f.; Sendler, DÖV 71, 16 (17 m . N . 14). 61 Pernthaler, Mitbestimmung, S. 125. 62 Vgl. z.B. F. Klein, Eigentumsbindung, Enteignung, Sozialisierung und Gemeinwirtschaft im Sinne des Bonner Grundgesetzes, 1972, S. 25 ff.; E. R. Huber, Grundgesetz, S. 121 ff. 63 Vgl. in diesem Sinne z. B. E. R. Huber, Kaufmann-Festschrift, 1972, S. 237 (244 ff.). 64 Vgl. näher zur grundsetzlichen Arbeitsverfassung R. Scholz, DB 72, 1771 (1774 ff.); ders., Koalitionsfreiheit, S. 158 ff. 65 Vgl. schon vorstehend unter 2. 66 Vgl. z.B. Badura, Berber-Festschrift, 1973, S. 11 (28f.).

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C. Mitbestimmung und Gesellschaftsverfassung

nomie und Arbeitskampf — aber eindeutig dem liberalen Formprinzip verpflichtete Ordnung 6 7 bedingt ein System gesellschaftlich autonomer, auf der gleichgewichtigen Auseinandersetzung und Einigung der Sozialpartner beruhender Arbeitsordnung, die durch jede zentralverwaltungswirtschaftliche oder die institutionelle Gleichgewichtigkeit aufhebende „Gewerkschaftsstaatlichkeit" gefährdet bzw. zerstört würde. Auch insoweit gelten für das Verhältnis von Arbeitsverfassung und paritätischer Mitbestimmung die gleichen Maßstäbe wie für das Verhältnis von Wirtschaftsverfassung und paritätischer Mitbestimmung. 4. Die paritätische Mitbestimmung ordnungs- und strukturpolitisch legitime

als Maßnahme

a) Die paritätische Mitbestimmung verfaßt die mitbestimmten Unternehmen zu einem „geschlossenen System" institutionalisierter Zuständigkeiten von Anteilseignern und Arbeitnehmern 6 8 . M i t dieser Organisation w i r d die privatautonom-dezentrale Systemfunktion des Unternehmens aber nicht aufgehoben; der teilweise behauptete Schritt zur Planwirtschaft ist m i t der Umgestaltung der Unternehmensverfassung nicht verbunden. Die paritätische Mitbestimmung ist deshalb, wie auch die Biedenkopf-Kommission hervorgehoben hat 6 9 , m i t einer freiheitlich-dezentralen bzw. marktwirtschaftlichen Ordnung prinzipiell vereinbar 7 0 . Die paritätische Mitbestimmung w i r d zwar, m i t einiger Wahrscheinlichkeit, die unternehmerische Rentabilitätsziele umgewichten und die soziale Rentabilität neben der wirtschaftlichen Rentabilität künftig stärker zur Geltung bringen als dies bisher der Fall gewesen ist. Definitive Aussagen hierüber lassen sich vorerst zwar kaum machen; tendentiell dürfte eine solche Entwicklung i n der paritätischen Mitbestimmung aber mitangelegt sein. Auch dies vertrüge sich jedoch m i t der grundgesetzlichen Wirtschaftsverfassung. Denn die sozialstaatliche Ordnungskompetenz gibt dem Gesetzgeber durchaus das Recht, zugunsten legitimer sozialpolitischer Ziele wirtschaftliche Rentabilitätsinteressen zurückzustellen. Dieses legitim sozialpolitische Ordnungsziel liegt i n der Erweiterung sozialer Freiheiten zugunsten der Arbeitnehmer; der Schutz dieser Freiheiten läßt sich auf verschiedene Weise bewerkstelligen: entweder 67 Vgl. R. Scholz, Koalitionsfreiheit, S.25ff., 33 ff., 283 ff.; Richardi, Betriebsverfassung und Privatautonomie, 1973, S. 8. 68 Siehe oben B I I . 69 Vgl. Bericht, a.a.O., S. 89. 70 Vgl. auch T. Raiser, Marktwirtschaft, S. 45 ff., 58 ff.

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durch konkrete Schutzgesetzgebung zugunsten der Arbeitnehmer oder durch gesellschaftsautonome Interessenregulierungen kraft kollektivvertraglicher Einigung (Tarifvertrag) oder schließlich durch Formen institutioneller Mitbestimmung. A l l e diese Formen des sozialen Arbeitnehmerschutzes finden sich i n der bisherigen Rechtsordnung vertreten. Die Einführung der paritätischen Mitbestimmung erweitert die Mitbestimmung von den bisherigen Formen vorwiegend sozialer M i t w i r k u n g (Betriebsverfassung) zur auch wirtschaftlichen M i t w i r k u n g der Arbeitnehmer. Dies implizierte die Erweiterung der Arbeitnehmerfreiheiten zu Lasten der wirtschaftlichen Unternehmerfreiheiten bzw. die Verstärkung der sozialen Interessen zu Lasten der wirtschaftlichen Rentabilitätsinteressen. Eine solche Umgewichtung des Interessenschutzes oder solche Umverteilung von Freiheitssphären verstößt jedoch für sich genommen noch nicht gegen die verfassungsrechtliche Wirtschaftsordnung. Die wirtschaftsverfassungsrechtliche (makroökonomische) Systemfunktion des A r t . 14 GG gebietet lediglich, das wirtschaftliche Rentabilitätsinteresse und die unternehmerischen Eigentumsfreiheiten nicht völlig zu relativieren oder gar allgemein auszuschalten 71 . Dies ist i m Falle der paritätischen Mitbestimmung jedoch nicht der Fall und erklärtermaßen auch nicht beabsichtigt. Die paritätische M i t bestimmung kann zwar den grundsätzlichen Zielkonflikt zwischen unternehmerischen und arbeitnehmerischen Freiheiten sowie zwischen w i r t schaftlicher und sozialer Rentabilität oder — i n die Terminologie des Wirtschaftsverwaltungsrechts übersetzt — zwischen rechtsstaatsgebundener Intervention und sozialstaatlicher Distribution nicht leugnen. Innerhalb solcher Zielkonflikte spricht aber wieder der Gesetzgeber kraft seiner ordnungspolitischen Gestaltungsmacht das i n der Regel letzte Wort. Seine gesetzliche Entscheidung muß zwischen beiden — verfassungsrechtlich gleichermaßen legitimierten — Zielsetzungen den wirtschafts- und sozialpolitisch sinnvollen sowie verfassungskonformen Ausgleich herstellen 72 . Unter dem Aspekt der wirtschaftsverfassungsrechtlichen Systemfunktion ökonomischer Unternehmensrentabilität bestehen gegen die Regelungen des MitbestG hiernach keine Bedenken — eine Feststellung, die allerdings die konkrete Vereinbarkeit des MitbestG m i t A r t . 14 GG noch nicht präjudiziell 7 3 . 71 Zum Verhältnis von grundgesetzlicher Eigentumsgarantie und Rentabilität vgl. im einzelnen noch unten E I 3. 72 Vgl. allgemein bereits und näher R. Scholz, Konzentrationskontrolle, S. 77 ff. 73 Vgl. dazu unten E.

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A n dieser Stelle geht es allein um die Vereinbarkeit der paritätischen Mitbestimmung m i t der makroökonomischen Systemfunktion des A r t . 14 GG; und diese Vereinbarkeit ist gegeben, da die Neuorganisation der Unternehmensverfassung das System der privatnützig-gewiimmaxirmerenden und dezentral gesteuerten Unternehmenswirtschaft nicht als solches aufgibt oder derogiert. Die wirtschaftliche Rentabilität kann freilich auch i n noch anderer Weise gefährdet sein: durch Regelungen nämlich, die die Effizienz der Unternehmensführung i n einer Weise beeinträchtigten, daß die elementaren Voraussetzungen erfolgreichen Wirtschaftens — Leistungsfähigkeit, Mobilität, Elastizität, Anpassungsfähigkeit usw. — schon institutionell nicht mehr zu garantieren wären. Die paritätische Mitbestimmung hat bekanntlich gerade i n dieser Hinsicht viel Befürchtungen und Zweifel hervorgerufen; teilweise bestärkt durch Erfahrungen aus der Montanmitbestimmung, i n der augenscheinlich gewisse Reibungsverluste aufgetreten sind. Auch hieran anknüpfende K r i t i k tangiert die w i r t schaftsrechtliche Verfassungskonformität der paritätischen Mitbestimmung indessen nicht. Denn den genannten Befürchtungen und Zweifeln liegen offenkundig und allein Erwägungen ökonomischer Zweckmäßigkeit zugrunde; und die Frage ökonomischer Zweckmäßigkeit berührt die Verfassung, wie gezeigt, prinzipiell nicht. Hier überläßt sie wiederum dem Gesetzgeber die Entscheidung; dies zumindest insoweit und solange, wie der Gesetzgeber für seine konkrete Entscheidung seinerseits sachliche Gründe anführen kann (Willkürkontrolle) 7 4 . Uber Gründe dieser A r t verfügt der Gesetzgeber i m Falle der paritätischen Mitbestimmung i n ausreichendem Maße: Die paritätische M i t bestimmung soll soziale Freiheitsräume erweitern, sie soll soziale Konflikte abbauen und zur besseren Integration der Interessen von Kapital und Arbeit dienen. Diese Zielsetzung verspricht ihrerseits eine Optimierung wirtschaftlichen Nutzens und ist unter Zweckmäßigkeitsgesichtspunkten daher zur Zeit nicht angreifbar. Ob sich die zugrunde liegende gesetzgeberische Erwartung erfüllt, ist dabei bzw. vorerst nur von sekundärer Bedeutung. Denn insoweit gelten die Grundsätze des gesetzgeberischen Entwicklungsspielraums; dies freilich m i t der weiteren Wirkung, daß i m Falle der gesetzgeberischen Fehleinschätzung (Fehlprognose) gesetzliche Korrektur- oder Restitutionsmaßnamen zur Wiederherstellung der unternehmensmäßigen Effizienz getroffen werden müßten. Die wirtschaftspolitische Eignung und Zweckmäßigkeit der paritätischen Mitbestimmung w i r d damit auf Jahre unter dem Vorbehalt einer intensiven Folgendiskussion stehen. Dies ändert jedoch 74 Zum Willkürverbot als Schranke lenkender bzw. systemändernder Wirtschaftsgesetzgebungen vgl. BVerfGE 6, 55 (70, 77); 12, 151 (164); 12, 341 (349); 26, 1 (10f.); 27, 111 (127); R. Scholz, Konzentrationskontrolle, S.27ff.

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nichts an ihrer heute festzustellenden Vereinbarkeit m i t der grundgesetzlichen Wirtschaftsverfassung und deren augenblicklich wirksamen Ordnung, b) Die vorstehenden Feststellungen gelten für eine Mitbestimmung paritätischer A r t . Sie würden nicht für eine Mitbestimmung gelten, die der Arbeitnehmerseite eine Überparität einräumte. Denn die Überparität würde einmal das Verhältnis eines abgewogenen Miteinanders von w i r t schaftlich-unternehmerischem u n d sozial-arbeitnehmerischem Funktionsinteresse aufheben und würde zum anderen der Gefahr gewerkschaftlicher Übermacht aktuellen Gehalt geben. Die Gewerkschaften würden i m System einer überparitätischen Mitbestimmung so viel w i r t schaftliche Macht bei sich konzentrieren, daß die Mechanismen eines dezentralen Wirtschaftsablaufs tatsächlich oder doch potentiell bedroht wären. Die Mitbestimmung würde i n diesem Falle eines ihrer wichtigsten Ziele i m übrigen selbst aufgeben: nämlich ein Ubermaß ökonomischer Macht zu verhindern bzw. ökonomische Macht auf Unternehmensebene zu kontrollieren bzw. noch mehr zu dezentralisieren. Gerade m i t dieser Zielsetzung fügt sich die paritätische Mitbestimmung i n das Grundgefüge der gegebenen Wirtschaftsverfassung ein, selbst wenn sie sich hierbei neuartiger Mechanismen bedient 75 . Das System eines „Gewerkschaftsstaates" wäre mit diesem Grundgefüge nicht mehr vereinbar. Die paritätische Mitbestimmung i n ihrer derzeit vorgeschlagenen bzw. diskutierten Form impliziert die Vision des „Gewerkschaftsstaates" jedoch nicht. Gewerkschaftliche Macht w i r d sich zwar vor allem dort potenzieren, wo bestimmte Wirtschaftsbranchen unter stärkerem und zentralerem Einfluß einzelner Gewerkschaften stehen. Hier kann an das Entstehen größerer Machtpositionen gewerkschaftlicher A r t vor allem über die umfassenden Informationsmöglichkeiten gedacht werden, die den betreffenden Gewerkschaften durch ihre „branchenbeherrschende" Beteiligung an der Mitbestimmung i n den branchenzugehörigen Unternehmen eröffnet werden. Z u r ökonomisch unverträglichen Macht werden derartige Informationssysteme aber erst dort, wo sie zu aktiver Machtpolitik gebraucht oder gar mißbraucht würden. I n solchen Fällen kann es der Einführung mißbrauchswehrender Rechtsinstitute bedürfen. I m Augenblick besteht hierfür aber kein Anhalt. Aus diesem Grunde bleibt jeder verfassungsrechtlichen K r i t i k aus der Sicht der Wirtschaftsverfassung — zumindest zur Zeit — kein begründender Raum. Der Gesetzgeber kann sich m i t ebenso stichhaltigen 75 Zur Brechung ökonomischer Macht als legitime Zielsetzung im System der grundgesetzlichen Wirtschaftsverfassung vgl. m. w. Nachw. bereits R. Scholz, Konzentrationskontrolle, S. 63 ff.

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Gründen wie seine K r i t i k e r auf die gegenteilige Zukunftserwartung (Entwicklungsprognose) berufen. c) Der Gesichtspunkt gewerkschaftlicher Machtkonzentration ist mehr noch als i n wirtschaftsverfassungsrechtlicher Hinsicht i n arbeitsverfassungsrechtlicher Hinsicht wichtig. Denn ein zu hohes Maß an gewerkschaftlicher Macht kann die Gleichgewichtigkeit der Sozialpartner stören und damit das System der grundgesetzlichen Koalitionsverfassung m i t ihren dezentralisierenden Instrumentarien von Tarifautonomie und gleichgewichtig geführtem Arbeitskampf durchbrechen. I m Falle einer überparitätischen Mitbestimmung der Arbeitnehmer wäre diese Gefahr m i t Sicherheit gegeben 76 . I m Falle der paritätischen Mitbestimmung muß dies jedoch keineswegs so sein. Hier kommt es allein auf die konkrete Ausgestaltung der Mitbestimmungsmechanismen und auf deren verfahrensmäßiges Verhältnis zur Tarifautonomie und zum Arbeitskampf an. Eine Unvereinbarkeit von paritätischer Mitbestimmung und Koalitionsverfassung eo ipso besteht m i t anderen Worten nicht 7 7 . Aus diesem Grunde scheitert das System der paritätischen Mitbestimmung auch nicht am Grundgefüge der grundgesetzlichen Arbeitsverfassung. Denkbar ist allein, daß die konkrete Ausgestaltung der paritätischen Mitbestimmung i m MitbestG m i t einzelnen Instituten oder Verfahrensformen der koalitionsrechtlichen Garantien aus A r t . 9 I I I GG kollidierte. Ob dies der Fall ist und wie dem gegebenenfalls zu begegnen wäre, beinhaltet jedoch keine Frage nach der Vereinbarkeit von paritätischer Mitbestimmung und grundgesetzlicher Arbeitsverfassung allgemein, sondern allein eine Frage der konkreten Vereinbarkeit von Koalitionsrecht und paritätischer Mitbestimmung 7 8 . 5. Zusammenfassung Insgesamt ist demnach festzustellen, daß die paritätische Mitbestimmung sich prinzipiell i n das System der grundgesetzlichen W i r t schafts- und Arbeitsverfassung einfügt. Wirtschafts- oder arbeitsverfassungsrechtliche Unverträglichkeiten erwüchsen erst i m Falle überparitätischer Mitbestimmungsrechte der Arbeitnehmerschaft. Unabhängig davon ist festzuhalten, daß die gesetzliche Einführung der paritätischen Mitbestimmung ordnungspolitisch einen wesentlichen Vgl. hierzu noch näher unten D I V 5, 6, F I I I 2. 77 Vgl. im Ergebnis Schwerdtfeger, Mitbestimmung, S. 253 ff.; Säcker, DRdA 73, 89 (94 ff.); R. Scholz, DB 72, 1772 ff.; ders., Staat 74, 105 ff.; DietzRichardi, BetrVG, 5. Aufl. 1973, § 76 BetrVG 1952 Vorbem. Rdnr. 37 f. 78 Vgl. dazu weiter unten F.

IV. Mitbestimmung, Wirtschafts- und Arbeitsverfassung

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Strukturwandel für die gegebene Wirtschafts- und Arbeitsordnung implizierte. Die paritätische Mitbestimmung ist wirtschafts- und arbeitsverfassungsrechtlich daher auch unter den Aspekten eines wirtschaftsund sozialpolitisch spezifischen Ordnungsexperiments zu würdigen, das seinerseits durchaus noch der Bewährung bedarf, zur Zeit aber i n legitimer Weise die Möglichkeiten sozialstaatlicher Ordnungsgebung ausnutzte. Die Einführung der paritätischen Unternehmensmitbestimmung ist von Sozialstaats wegen gerechtfertigt, wobei lediglich festzuhalten ist, daß das Sozialstaatsprinzip den Gesetzgeber zur paritätischen Mitbestimmung zwar ermächtigt, zu deren Realisierung aber nicht etwa verpflichtet. Ein Verfassungsauftrag zur Realisierung einer paritätischen Mitbestimmung ist aus dem Grundgesetz nicht ableitbar; die grundgesetzliche Wirtschafts- und Arbeitsverfassung steht ihrer Realisierung jedoch und prinzipiell offen gegenüber 79 .

Vgl. Schwerdtfeger, Mitbestimmung, S. 153 ff., 158; Säcker, DRdA 73, 93 f.; R. Scholz, Staat 74, 101; vgl. auch T. Raiser, Marktwirtschaft, S.45ff. 4 Scholz

D. Paritätische Mitbestimmung und Grundrechte — Grundpositionen Nachdem damit das Verhältnis von paritätischer Mitbestimmung und grundgesetzlicher Wirtschafts- und Arbeitsverfassung untersucht ist, bedarf es nunmehr der konkreten Verfassungskontrolle der paritätischen Mitbestimmung an Hand der Grundrechte; denn bisher wurden diese der paritätischen Mitbestimmung allein i n ihrer systemleitenden Grundfunktion für das Gefüge der grundgesetzlichen Wirtschafts- und Arbeitsverfassung insgesamt gegenübergestellt. I m einzelnen ist zwischen mitbestimmungslegitimierenden und mitbestimmungsbeschränkenden Grundrechtspositionen zu unterscheiden. I. Paritätische Mitbestimmung und grundrechtliche Legitimation 1. Paritätische Mitbestimmung und arbeitnehmerische Selbstbestimmung durch soziale Teilhabe Die freie Selbstbestimmung des einzelnen gehört zu den tragenden Grundsätzen der grundrechtlichen Wertordnung. Sie findet sich i n den Prinzipien der A r t . 11/2 I GG niedergelegt 1 und w i r k t über diese Bestimmungen auch i n alle anderen Grundrechtsbezirke ein. Hiernach gilt das Prinzip der freien Selbstbestimmung nicht nur i m Verhältnis von Bürger und Staat, sondern grundsätzlich auch i m gesellschaftlichen Bereich. Die sozialstaatliche Ordnung verpflichtet den Staat (Gesetzgeber), die freie Selbstbestimmung des einzelnen auch gegenüber gesellschaftlichen Mächten zu schützen 2 . I m Verhältnis von Arbeitnehmer und Arbeitgeber konkretisiert sich diese Schutzverpflichtung u. a. i n der Garantie der Koalitionsfreiheit aus A r t . 9 I I I GG m i t dem Ziel, die Selbstbestimmung der organisierten Arbeitnehmerschaft i m Prozeß von kollektiver Einigung und Auseinandersetzung zwischen den Sozialpartnern zu sichern 3 . 1 Vgl. allgemein hierzu sowie auch zum folgenden BVerfGE 5, 85 (204); Maihofer-Behrendt, Die Würde des Menschen, 1967, S. 13, 41 ff., 44 ff.; R. Scholz, Koalitionsfreiheit, S. 71 ff. 2 Vgl. unmittelbar für die Frage der Mitbestimmung sowie näher und mit w.Nachw. dazu Schwerdtfeger, Mitbestimmung, S. 171 ff.; Däubler, Das Grundrecht auf Mitbestimmung, 1973, S. 129 ff.

I. Mitbestimmung und grundrechtliche Legitimation

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Andererseits folgt aus dieser Regelung des A r t . 9 I I I GG allerdings kein generelles oder apriorisch postulierbares „Grundrecht auf Mitbestimmung" schlechthin 4 . Eine derartige, ordnungspolitisch geschlossene Entscheidung kennt das offene Ordnungssystem des Grundgesetzes gerade nicht 5 . Mitbestimmung bildet allgemein zwar eine Form aktualisierter Selbstbestimmung; m i t dieser Maßgabe bedarf sie aber selbst erst der rechtlichen Aktualisierung durch das Gesetz. Oder m i t anderen Worten: Erst der sozialstaatlich aktive Gesetzgeber befindet i m Rahmen seiner gestaltungspolitischen Entscheidung darüber, ob und wie er (erweiterte) Selbstbestimmungschancen durch institutionelle Formen von Mitbestimmung schafft oder gewährt 6 . E i n gegenteiliges Ergebnis ließe sich nur dann begründen, wenn das Grundgesetz selbst über ein ausdrücklich soziales Recht auf Mitbestimmung verfügte; denn ein solches Recht wäre soziales Grundrecht i m Sinne eines verfassungsrechtlich verbürgten, subjektiv-rechtlichen A n spruchs des bzw. der Arbeitnehmer auf entsprechende soziale („gesellschaftliche") Teilhabe oder Partizipation. E i n solches Grundrecht kennt das Grundgesetz jedoch ebensowenig wie es sonstige sozialgrundrechtlichen Gewährleistungen anerkennt. Die grundgesetzliche Grundrechtsordnung enthält m i t Ausnahme der sozialen Teilgarantien i n Art. 6 und A r t . 9 I I I prinzipiell keine sozialen Grundrechte 7 ; und auch das Sozialstaatsprinzip erschließt als objektiv-rechtliches Verfassungsprinzip keine derartigen subjektiv-rechtlichen Gewährleistungen 8 . Andererseits w i r k t das Sozialstaatsprinzip aber auf die (liberalen) Grundrechtsgarantien ein und öffnet diese positionell auch sozialen Teilhaberechten. Solche Teilhaberechte erwachsen oder ergänzen die grundrechtlichen Abwehransprüche insbesondere dort, w o der Staat nicht nur Garant rechtlicher, sondern auch realer (sozialer) Freiheit ist 9 . 3 Vgl. Däubler, Grundrecht, S. 174 ff. ; Richardi, Kollektivgewalt und Individualwille bei der Gestaltung des Arbeitsverhältnisses, 1968, S. 122 ff.; auch Säcker, Grundprobleme der kollektiven Koalitionsfreiheit, 1969, S. 70; R. Scholz, Koalitionsfreiheit, S. 69 ff. 4 I n diesem Sinne aber Däubler, a.a.O., S. 129 ff., 174 ff. und passim. 5 Vgl. im Ergebnis entsprechend Schwerdtfeger, Mitbestimmung, S. 175 ff. « Ebenso Schwerdtfeger, a.a.O.; vgl. auch Scholz, Staat 74, 102. 7 Vgl. z. B. Brunner, Die Problematik der sozialen Grundrechte, 1971, S. 8 ff. ; Zacher, Sozialpolitik und Menschenrechte in der Bundesrepublik Deutschland, 1968, S. 29; Tomandl, Der Einbau sozialer Grundrechte in das positive Recht, 1967, S. 16 ff.; Wertenbruch, G. Küchenhoff-Festgabe, 1967, S. 343 (354). 8 Vgl. BVerfGE 1, 97 (105); 11, 50 (56); 33, 303 (331); Menzel, DÖV 72, 537 (545). » Vgl. Martens, V V D S t R L 30, 21 ff.; Häberle, W D S t R L 30, 69 ff., 90 ff.; Scheuner, DÖV 71, 505 (510 ff.); Friauf, DVB1 71, 674 (675 ff.).

4*

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D. Paritätische Mitbestimmung und Grundrechte

Oder i n den Worten des Bundesverfassungsgerichts: „Je stärker der moderne Staat sich der sozialen Sicherung . . . der Bürger zuwendet (zu ergänzen wäre: zuwenden muß), desto mehr t r i t t i m Verhältnis zwischen Bürger und Staat neben das ursprüngliche Postulat grundrechtlicher Freiheitssicherung vor dem Staat die komplementäre Forderung nach grundrechtlicher Verbürgung der Teilhabe . . . 1 0 ." Die Realisierung und Aktualisierung solcher sozialen Teilhabe untersteht allerdings der prinzipiellen Entscheidung des Gesetzgebers 11 bzw. seiner sozialstaatlichen „Grundrechtspolitik" 1 2 . Dies gilt folglich auch für die paritätische Mitbestimmung. Sie bildet eine Form erweiterter sozialer Teilhabe i m Arbeitsleben und dient damit der freiheitlich-sozialen Selbstbestimmung der Arbeitnehmer. M i t dieser Maßgabe verfügt die paritätische Mitbestimmung über die grundsätzliche verfassungsrechtliche Legitimation aus den Prinzipien von Selbstbestimmung (Art. 11/2 I GG) und Sozialstaatlichkeit (Art. 201/281GG) 1 3 . Diese Legitimation impliziert jedoch nur die grundsätzliche Ermächtigung des Gesetzgebers und nicht etwa ein unmittelbar soziales Grundrecht auf Mitbestimmung bzw. auch keinen entsprechenden Verfassungsauftrag 1 4 . 2. Parität von Kapital und Arbeit Als grundrechtlich legitimatorische Grundlage der paritätischen M i t bestimmung kommt weiterhin die Forderung nach Parität von Kapital und Arbeit i n Betracht 15 . Inhaltlich w i r d diese Forderung zum einen Teil i m Zusammenhang m i t den Vorstellungen von der Wirtschaftsdemokratie geltend gemacht 16 ; zum anderen Teil korrespondiert die Forderung nach Parität von Kapital und Arbeit m i t den allgemeineren Sinnzusammenhängen von wirtschaftlicher und sozialer Gleichheit 17 . io BVerfGE 33, 303 (330 f.). u Vgl. zuletzt BVerfGE 33, 331; zur Einwirkung staatlicher Gesellschaftspolitik auf die Grundrechte allgemein vgl. Herzog, Hirsch-Festschrift, 1968, S. 63 ff. 12 Häberle, V V D S t R L 30, 56, 103. 13 Vgl. R. Scholz, Staat 74, 102. 14 Vgl. ebenso im Ergebnis Schwerdtfeger, Mitbestimmung, S. 175 ff.; Säcker, DRdA 73, 93; vgl. auch bereits R. Scholz, Staat 74, 102. 15 I m Sinne der legitimatorischen Wirkung dieser Forderung vgl. z.B. Schachtschnabel, in: Nemitz-Becker, Mitbestimmung und Wirtschaftspolitik, 1967, S. 175 (188); Weis, Wirtschaftsunternehmen und Demokratie, 1970, S. 48 f. 16 Vgl. so u.a. Schachtschnabel, a.a.O.; Weis, a.a.O. 17 Zur Parität von Kapital und Arbeit als „sozialethischem" Grundsatz vgl. Bericht der Biedenkopf-Kommission, a.a.O., S. 101.

I. Mitbestimmung und grundrechtliche Legitimation

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A l l e i n dieser letztere Bezug ist verfassungsrechtlich relevant. Denn nachdem sich gezeigt hat, daß die Ordnungsvorstellung der Wirtschaftsdemokratie der offenen Gesellschaftsverfassung des Grundgesetzes unbekannt ist, steht auch fest, daß eine wirtschaftsdemokratische Begründung der Forderung nach Parität von Kapital und Arbeit verfassungsrechtlich keine Zugkraft besitzt 18 . Als soziale Forderung kann sich die Parität von Kapital und Arbeit zunächst gleichfalls auf keine unmittelbare Verfassungsgrundlage stützen. Denn „Kapital" und „Arbeit" sind ihrerseits so wesensverschieden, daß eine tatbestandliche Identität oder Vergleichbarkeit i m Sinne des allgemeinen Gleichheitssatzes aus A r t . 3 1 GG von vornherein ausscheidet 19 . A r t . 3 I GG schützt die rechtliche Gleichheit oder Gleichbehandlung tatsächlich gleicher Tatbestände und fordert als Rechtsgleichheit i n diesem Sinne zunächst nicht die tatsächliche Gleichstellung oder Gleichbehandlung ungleicher oder nicht direkt miteinander vergleichbarer Tatbestände 20 . Die Forderung nach tatsächlicher Gleichstellung der Rechte von Kapital und Arbeit kann sich daher nur auf die Grundsätze sozialer Gleichheit stützen, d. h. Grundsätze, die ihrerseits vom Staat die positive Leistung oder Förderung als sozialpolitische Gleichstellung des Produktionsfaktors Arbeit m i t dem Produktionsfaktor Kapital verlangen. Gleichstellungspostulate dieser A r t wurzeln allerdings nicht i m Gleichheitssatz des A r t . 3 I GG: denn dieser beinhaltet als Garantie rechtlicher (sprich: i m Faktischen bereits gegebener) Gleichheit keine Garantie sozialer (sprich: i m Faktischen erst durch Förderung oder Ausgleich zu erreichender) Gleichberechtigung. Auch A r t . 3 1 GG enthält kein soziales Grundrecht 21 . Dies ist vor allem beim Streit u m die sogenannte Chancengleichheit und ihr Verhältnis zu A r t . 3 I GG offenkundig geworden 22 . Vgl. Schwerdtfeger, Mitbestimmung, S. 82 ff., 180 ff.; Pernthaler, Mitbestimmung, S. 93 f.; R. Scholz, Staat 74, 102; vgl. weiterhin H. Krüger, Mitbestimmung, S. 48 ff.; Mestmäcker, Mitbestimmung, S. 19; von Plessen, Qualifizierte Mitbestimmung und Eigentumsgarantie, 1969, S. 42 ff. ™ Vgl. auch Schwerdtfeger, a.a.O., S. 84 f.; H. Krüger, a.a.O.; Höpp, BB 74, 803 ff. 20 Vgl. allgemein zu dieser Ausrichtung des Gleichheitssatzes bes. die ständige Rechtsprechung des BVerfG (u. a. BVerfGE 1, 14 [52 f.]; 3, 58 [135 f.]; 9, 237 [244]; 18, 38 [46]); zur spezifischen Orientierung des Gleichheitssatzes an der Rechtsgleichheit vgl. bereits R. Scholz, Wirtschaftsaufsicht, S. 147 f.; ders., N J W 69, 1044 f.; vgl. auch Scholler, Die Interpretation des Gleichheitssatzes als Willkürverbot oder als Gebot der Chancengleichheit, 1969, S. 15. 21 Vgl. mit direktem Bezug zur paritätischen Mitbestimmung auch Schwerdtfeger, a.a.O., S. 183 ff.

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D. Paritätische Mitbestimmung und Grundrechte

Chancengleichheit bedeutet die tatsächliche Gleichstellung des w i r t schaftlich oder sozial Schwächeren m i t dem wirtschaftlich oder sozial Stärkeren durch staatliche Leistung, und kann sich damit nicht unmittelbar auf A r t . 3 1 GG berufen. Der Bezug zum Gleichheitssatz gelingt erst über das Sozialstaatsprinzip, das auch den Gleichheitssatz m i t einzelnen Garantien sozialer Gleichstellung anzureichern vermag 2 5 . Auch der Grundsatz der Parität von Kapital und Arbeit kann nur über diese Brücke verfassungsrechtliche Bedeutung gewinnen. Das heißt zugleich, daß es auch hier wiederum des konkretisierenden Sozialstaatsentscheids des einfachen Gesetzgebers bedarf. Denn auch i m Lichte sozialstaatlicher Auslegung läßt sich aus A r t . 3 1 GG kein allgemeines bzw. generell verbindliches Recht auf soziale oder tatsächlich-chancenmäßige Gleichstellung ableiten 24 . Für das Verhältnis der Produktionsfaktoren von Kapital und Arbeit ergibt sich dies i m übrigen auch aus der spezialen Gleichheitsgarantie, die i n der Grundrechtsgewährleistung des A r t . 9 I I I GG für das Verhältnis der Sozialpartner mitenthalten ist. Diese Gleichheitsgewährleistung funktioniert i n Gestalt der Kampfparität oder Waffengleichheit bzw. allgemeinen Gleichgewichtigkeit beider Tarifvertragsparteien und soll über diese den optimalen sozialen Kompromiß i m tarifpolitischen Konflikt vermitteln 2 5 . Diese Koalitionsparität bzw. Gleichheit der koalitionsrechtlichen Einigungs- und Kampfmittel basiert auf keiner generellen Identität von Mitteln und Waffen, ist also weniger rechtlich-formale, als tatsächlichmaterielle (Chancen-)Gleichheit 26 . Als solche Gleichheit i m Faktischen setzt sie die Verfassung aber voraus, und zwar i n der Erkenntnis, daß zwischen den Sozialpartnern 22

Vgl. dazu und zum folgenden Scholler, a.a.O., S. 14 ff.; R. Scholz, Wirtschaftsaufsicht, S. 147 ff.; Fröhler, Die verfassungsrechtliche Grundlegung des sozialen Rechtsstaats in der Bundesrepublik Deutschland und in der Republik Österreich, 1967, S.36, 43. 2 * Vgl. BVerfGE 5, 85 (206); Zacher, AöR 93, 341 (371 ff., 383); Häberle, W D S t R L 30, 96 ff.; R. Scholz, a.a.O. 24 Vgl. Fröhler, a.a.O., S.36; R. Scholz, a.a.O. 2 ® Vgl. näher hierzu und mit w. Nachw. BAGE 1, 291 (308); BAG, A P Art. 9 G G Arbeitskampf Nr. 43; Kaiser, Die Parität der Sozialpartner, 1973, bes. S. 4 ff., 11 ff., 24 ff., 38 ff., 44 ff.; Bötticher, Waffengleichheit und Gleichbehandlung der Arbeitnehmer im kollektiven Arbeitsrecht, 1956; Säcker, Gruppenparität und Staatsneutralität als verfassungsrechtliche Grundprinzipien des Arbeitskampfrechts, 1974, bes. S. 98 ff., 112 ff.; Lerche, Verfassungsrechtliche Zentralfragen des Arbeitskampfes, 1968, S. 64 ff.; MayerMaly, Peters-Gedächtnisschrift, 1967, S. 938 ff.; R. Scholz, Koalitionsfreiheit, S. 262 ff., 316 ff., 353 ff. 26 Vgl. z.B. Rüthers, JurA 70, 85 (89ff.); R. Scholz, Koalitionsfreiheit, S. 263 ff.

I. Mitbestimmung und grundrechtliche Legitimation

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Gleichgewichtigkeit bestehen muß, u m ein funktionsfähiges Tarifvertragssystem zu erhalten. Eine positive Handlungspflicht des Staates entsteht erst dort, wo diese (vorausgesetzte) Gleichheit tatsächlich nicht mehr gegeben oder tatsächlich gefährdet ist. I n diesem Falle erwächst dem Staat die sozialstaatliche Pflicht, das System der koalitionsrechtlichen Kampf- und Einigungsmittel so zu gestalten oder zu verändern, daß jene Gleichgewichtigkeit (wieder) hergestellt w i r d 2 7 . Derartige staatliche Maßnahmen sind aber auf den genannten Grenzfall beschränkt. I m übrigen darf der Staat i n das freie Spiel der Kräfte zwischen den Tarifparteien i n keiner Weise eingreifen; der Staat muß namentlich i m Arbeitskampf die strikte Neutralität wahren 2 8 . Projiziert man diese Spezialausformung sozialer Gleichheit i m Arbeitsleben auf die Forderung nach (genereller) Parität von Kapital und Arbeit, so werden die Grenzen dieser Forderung und die Grenzen ihrer verfassungspolitischen Möglichkeiten weiter offenkundig: Zwischen den Produktionsfaktoren Kapital und Arbeit besteht keine faktische Identität; dennoch sind beide aufeinander bezogen und stehen i m Verhältnis sowohl von Gemeinsamkeit wie Gegensätzlichkeit. Dieses Verhältnis ist freiheitlich und dynamisch zugleich verfaßt und schließt damit jede statische, einseitig uniformierende oder sonst übermäßig homogenisierende Gestaltung aus. Entscheidend ist allein die grundsätzliche Gleichgewichtigkeit beider i m Prozeß von sozialer Auseinandersetzung und Einigung. Für diesen Prozeß stellt A r t . 9 I I I GG m i t den Grundsätzen von Kampfparität und Staatsneutralität die zentralen Verfahrensregeln auf. Hieraus folgt weiterhin, daß die oben getroffene Feststellung von der sozialstaatlichen Gestaltungsbefugnis des Gesetzgebers zur (weiteren) Gleichstellung von Kapital und Arbeit von Seiten des A r t . 9 I I I GG auch spezifischen Schranken unterliegt: Maßnahmen zur Gleichstellung von Kapital und Arbeit sind verfassungsrechtlich statthaft, soweit sie die spezielle (und als solche vorrangig zu beachtende) Gleichgewichtigkeit der Sozialpartner fördern oder unterstützen. Solche Maßnahmen sind aber unstatthaft, wenn sie diese Gleichgewichtigkeit stören oder aufheben; dies kann auch dann der Fall sein, wenn die allgemeine Gleichheit von Kapital und Arbeit zwar unterstützt oder gefördert wird, i n der speziellen Gleichgewichtslage zwischen den Tarifvertragsparteien aber Ungleichgewichtigkeiten auftreten. Konkret ist dies allerdings das 27 Vgl. R. Scholz, a.a.O., S. 264 ff.; Rüthers, JurA 70, 107 ff., mit der klaren Konsequenz des sozialstaatlichen Gesetzgebungsauftrages. 28 Vgl. B A G E 1, 308; 14, 52 (59); Säcker, Gruppenparität, bes. S.27ff., 112 ff., Schiaich, Neutralität als verfassungsrechtliches Prinzip, 1972, S. 112 ff.; R. Scholz, a.a.O., S. 352 ff.

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D. Paritätische Mitbestimmung und Grundrechte

Problem der Vereinbarkeit Koalitionsfreiheit 2 9 .

von paritätischer

Mitbestimmung

und

A n der hiesigen Stelle ist zusammenfassend festzuhalten, daß der Grundsatz von der Parität von Kapital und Arbeit m i t Ausnahme der spezifischen Ausformungen i n Art. 9 I I I GG keinen Rechtsgrundsatz von unmittelbarer Verfassungsrelevanz darstellt. Solche Relevanz erreicht die (sozialgrundrechtliche) Ordnungsvorstellung von der Parität der beiden Produktionsfaktoren erst über den Sozialstaatsgrundsatz und dessen Ermächtigung für den Gesetzgeber, durch wirtschafts- und/ oder sozialpolitische Maßnahmen entsprechende Paritäten vorzusehen. Die paritätische Mitbestimmung verwirklicht die Parität von Kapital und Arbeit, indem sie die Unternehmensleitung der gleichberechtigten M i t w i r k u n g von Kapitaleignern und Arbeitnehmern überantwortet. M i t dieser Maßgabe verfügt die paritätische Mitbestimmung auch i n der Ordnungsvorstellung von der Parität von Kapital und Arbeit über die Verfassungslegitimation des Sozialstaatsprinzips — eine Legitimation, die allerdings und ebenso wie die Legitimation der Selbstbestimmung mittels sozialer Teilhabe auf keinem Verfassungsauftrag und keinem sozialen Grundrecht, sondern allein auf der sozialstaatlichen Regelungsermächtigung für den Gesetzgeber beruht. I I . Paritätische Mitbestimmung und grundrechtliche Schranken Die verfassungsrechtliche Grundlegitimation der paritätischen M i t bestimmung liegt damit auch grundrechtlich gesehen i m Sozialstaatsprinzip bzw. i n dessen Ermächtigung zur sozialen Grundrechtspolitik. Dieser Grundrechtslegitimation stehen die rechtsstaatlichen bzw. grundrechtlichen Bindungen aller staatlichen Gesellschaftspolitik gegenüber. Dem umfassenden Ordnungsanspruch der paritätischen Mitbestimmung entsprechend sind die grundrechtlichen Positionen breit und vielschichtig, m i t denen sich jede Mitbestimmungsgesetzgebung auseinanderzusetzen hat. Diese Positionen und die auf sie gestützten Verfassungskritiken an der paritätischen Mitbestimmung sind i m folgenden zusammenzustellen. 2. Paritätische Mitbestimmung, Eigentumsgarantie Wirtschafts- und Gewerbefreiheit a) Die paritätische Mitbestimmung beschränkt das Eigentum der Kapital- oder Anteilseigner an den Unternehmensgesellschaften, indem sie deren unternehmensinterne Leitung paritätisch den von der Arbeit29

Vgl. dazu im folgenden unter I I sowie weiter unten F I I I 2.

I . Mitbestimmung und grundrechtliche

an

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nehmerschaft bestellten Organen mitüberantwortet. Hierin liegt ein Rechtsverlust der Kapital- oder Anteilseigner, der unter den verfassungsrechtlichen Garantieaspekten des A r t . 14 GG relevant ist. I m Gegensatz zur früher erörterten makroökonomischen Systemfunktion der verfassungsrechtlichen Eigentumsgarantie geht es hier um deren mikroökonomische Systemfunktion, d. h. um die Frage, ob die von der gesetzlichen Einführung der paritätischen Mitbestimmung direkt betroffenen, augenblicklichen Eigner der mitbestimmungspflichtigen Unternehmen i m Sinne des A r t . 14 I I I GG (entschädigungslos) enteignet werden. Diese Frage ist bisher breit diskutiert worden und verschiedentlich bejaht worden 3 0 . Die ausführlichste Begründung dieser These hat kürzlich Pernthaler vorgelegt 31 . Für i h n impliziert die paritätische Mitbestimmung die „grundsätzliche Aufhebung des autonomen Verfügungsrechts"; sie erscheint i h m daher als „schwerwiegendster Eigentumseingriff" 3 2 , der sowohl unter den Aspekten der Eigentumsbindung gemäß A r t . 14 I I GG 3 3 , wie unter den Aspekten der entschädigungslosen Enteignung gemäß A r t . 14 I I I GG 3 4 , wie schließlich unter den Aspekten der Wesensgehaltsgarantie gemäß A r t . 19 I I verfassungswidrig sein soll 3 5 . Anderen Autoren zufolge t r i f f t diese Beurteilung jedoch nicht zu 3 6 . Vor allem Schwerdtfeger hat i n seiner eingehenden Expertise 37 , abgesehen von geringfügigen Randkorrekturen, die Auffassung der prinzipiellen Vereinbarkeit von paritätischer Mitbestimmung und verfassungsrechtlicher Eigentumsgarantie vertreten 3 8 . 30 Vgl. bes. Pernthaler, Mitbestimmung, S. 67 ff.; E.R. Huber, Grundgesetz, S. 86 ff.; Fröhler, GewArch 74, 4 ff.; Rasch, BB 74, 532 (534 f.); Kindermann, D B 74, 1159 ff.; von Plessen, Mitbestimmung, S. 53 ff.; Herion, in: Eigentum — Wirtschaft — Fortschritt, 1970, S. 195 (198 ff., 205); vgl. auch Obermayer, DB 71, 1715 (1721 f.). Vgl. Mitbestimmung, S. 67 ff.; dazu vgl. auch bereits R. Scholz, Staat 74, 103 ff. 32 a.a.O., S. 105. 33 Vgl. a.a.O., S. 80 ff. 34 Vgl. a.a.O., S. 98 ff. 3® Vgl. a.a.O., S. 114 ff. 3« Vgl. bes. Schwerdtfeger, Mitbestimmung, S. 233 ff., T. Raiser, Marktwirtschaft, S. 47ff.; O.Kunze, RdA 72, 261 ff.; Schefold, ZSchweizR n . F . 93, 1974, S. 1 (35 ff.); R. Scholz, Staat 74, 104 f. 37 Vgl. Mitbestimmung, S. 233 ff. 35 Vgl. dazu auch bereits R. Scholz, Staat 74, 103 ff.

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D. Paritätische Mitbestimmung und Grundrechte

Neben dem Streit zu Art. 14 GG w i r d auch die Meinung vertreten, daß die paritätische Mitbestimmung eine entschädigungslose Sozialisier rung i m Sinne des A r t . 15 GG oder doch „kalte Sozialisierung" bewirke und auch aus diesem Grunde verfassungswidrig sei 59 . b) Neben der Frage der Vereinbarkeit von paritätischer Mitbestimmung und Eigentumsgarantie w i r d auch die Frage der Vereinbarkeit von paritätischer Mitbestimmung und grundrechtlich garantierter Wirtschaftsfreiheit erörtert 4 0 . Gemeint ist damit die Beschränkung, die die Kapital- oder Anteilseigner i n ihrer unternehmensmäßigen Betätigungs- oder Entfaltungsfreiheit durch die paritätischen Leitungsrechte der Arbeitnehmer hinnehmen müssen. Als betroffenes Rechtsgut w i r d die allgemeine Handlungsfreiheit i m Sinne des A r t . 2 I GG angeführt 4 1 . Die Vertreter dieser Diskussion können sich auf jene wesentlich herrschende Auffassung berufen, die der allgemeinen Handlungsfreiheit aus Art. 2 I GG i n Gestalt von Wirtschafts- oder Unternehmensfreiheit noch neben dem Spezialgrundrecht des A r t . 14 GG Raum geben w i l l 4 2 . Diese Auslegung des A r t . 2 1 GG verkennt allerdings ebenso die Subsidiarität des Generalgrundrechts (Auffanggrundrecht) aus A r t . 2 I GG gegenüber den speziellen Grundrechten (zu denen auch das Recht aus A r t . 14 GG gehört) 45 , wie den weiteren Umstand, daß das Eigentumsrecht aus A r t . 14 GG m i t dem Schutz des Rechts am eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetrieb 44 auch die Freiheit der eigentümerischen bzw. unternehmerischen Nutzung dieses Rechts, d. h. eben die Freiheit der unternehmerischen Betätigung, gewährleistet; dies zumindest i m Zusammenwirken m i t der Garantie von Berufs- und Gewerbefreiheit aus A r t . 12 GG 4 5 . 39 Vgl. E. R. Huber, Grundgesetz, S. 123 ff.; F. Klein, Eigentumsbindung, S. 25 ff.; vgl. auch von Berenberg-Gossler, Die A G 68, 37 ff., 67 ff., 108 (110 ff.). 40 Vgl. bes. Schwerdtfeger, Mitbestimmung, S. 205 ff.; Pernthaler, Mitbestimmung, S. 151 ff.; E. R. Huber, Grundgesetz, S. 25 ff. 41 Zu deren diesbezüglichem Inhalt vgl. bereits oben C I V 2 a. 42 Vgl. hierzu die Nachw. oben C I V 2 a. 4 3 Zu dieser Subsidiarität des Art. 2 1 G G vgl. u.a. BVerfGE 9, 338 (343); 21, 220 (234); Scheuner, Überbetriebliche Ertragsbeteiligung, S. 53. 44 Zu dieser Gewährleistung des Art. 14 GG vgl. u. a. BVerfGE 1, 264 (277); 13, 225 (229); BVerwGE 3, 254 (256); B G H Z 23, 157 (162 ff.); 45, 83 (87 ff.); 49, 231 (236 ff.); Buchner, Die Bedeutung des Rechts am eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetrieb für den deliktsrechtlichen Unternehmensschutz, 1971, S. 130 ff., 245 ff.; weitere Nachw. aus der Rechtsprechung vgl. bei Badura, Entschädigung nach Enteignungsgrundsätzen, 1971. 45 Siehe bereits oben C I V 3 a.

I . Mitbestimmung und grundrechtliche

an

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Aus diesem Grunde bedarf es nach hier vertretener Auffassung keiner gesonderten Prüfung des Art. 2 I GG neben der des A r t . 14 GG. Selbst wenn man aber der zitierten Gegenmeinung folgen wollte, so würde m i t dieser i m Endergebnis dennoch Einigkeit erzielt werden. Denn über den Schrankenvorbehalt der „verfassungsmäßigen Ordnung" i m Sinne des Art. 2 I GG, m i t dem Bundesverfassungsgericht als Gesamtheit aller formell und materiell verfassungsgemäßen Rechtsnormen interpretiert 4 0 , würde sich keine andere Beurteilung der Verfassungsmäßigkeit der paritätischen Mitbestimmung als nach A r t . 14 GG ergeben 47 . Aus diesem Grunde kann sich die weitere Betrachtung, gleichgültig welcher Auffassung man für das Verhältnis von Art. 14 und A r t . 2 I GG folgen w i l l , jedenfalls auf die Prüfung des A r t . 14 GG beschränken; das Ergebnis zu Art. 2 I GG fiele jeweils entsprechend aus. c) Nicht nur i n ihrer Systemwirkung für die (allgemeine) Wirtschaftsfreiheit w i r d auch die Berufs- und Gewerbefreiheit des A r t . 12 GG der paritätischen Mitbestimmung gegenübergestellt; auch i h r Garantiebereich soll durch eine Gesetzgebung berührt sein, die juristische Unternehmenspersonen strukturell auf eine (paritätische) Mitbestimmung festlegt 4 8 . Tatsächlich t r i f f t diese Qualifizierung aber nur i n recht begrenztem Umfange zu. Denn die paritätische Mitbestimmung verändert nur die Unternehmensstruktur und nicht die — von A r t . 12 GG erfaßte — gewerbliche Unternehmensfunktion. Auf die Unternehmensfunktion griffe die paritätische Mitbestimmung nur dann durch, wenn sie die Aufgabe oder inhaltliche Veränderung der gewerblichen Zielsetzung des m i t bestimmten Unternehmens implizierte. Dies ist jedoch nicht der Fall. Die Berufs- und Gewerbefreiheit des A r t . 12 GG garantiert weiterhin als wesentlichen Teiltatbestand auch die Erwerbsfreiheit 4 9 . Diese Erwerbsfreiheit steht ihrerseits wiederum i m engen Zusammenhang m i t der Eigentumsgarantie des A r t . 14 GG; denn diese gewährleistet mit dem Recht am eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetrieb auch die grundsätzliche Ausrichtung des Unternehmens am Ziel der 46

Vgl. BVerfGE 6, 32 (37 ff.) und seitdem ständige Rechtsprechung. Zum Beleg vgl. die — im übrigen kontroversen — Ausführungen von Schwerdtfeger, Mitbestimmung, S. 205 ff. und S. 217 ff.; E.R. Huber, Grundgesetz, S. 25 ff. und S. 86 ff. 48 Vgl. Mestmäcker, Westermann-Festschrift, 1974, S. 411 (415 ff.). 4 » Vgl. BVerfGE 20, 31 (34); 28, 119 (142); 30, 292 (335); Wittig, G.-MüllerFestschrift, 1970, S. 575 (590); R. Scholz, Wirtschaftsaufsicht und subjektiver Konkurrentenschutz, 1971, S. 143 ff.; Mestmäcker, a.a.O., S. 414 ff. 47

60

D. Paritätische Mitbestimmung und Grundrechte

ökonomischen Rentabilität sowie eine entsprechend zielkonforme Unternehmensorganisation 50 . Bei richtiger Differenzierung zwischen diesen Schutzgutkomplexen des A r t . 12 GG einerseits und des A r t . 14 GG andererseits zeigt sich, daß für die paritätische Mitbestimmung wiederum A r t . 14 GG und nicht Art. 12 GG maßgebend ist. Denn die paritätische Mitbestimmung setzt bei der Organisation des Unternehmens bzw. bei der Organisation der zielbestimmenden Unternehmensfaktoren, nicht jedoch bei der allgemeinen Erwerbsfunktion der unternehmensmäßig organisierten W i r t schaftseinheit an. Aus diesem Grunde kann auf die nähere Diskussion des Verhältnisses von paritätischer Mitbestimmung und Berufs- bzw. Gewerbefreiheit verzichtet werden. Der relevante Schutzbereich liegt prinzipiell allein i n der Zone des A r t . 14 GG. 2. Paritätische Mitbestimmung

und Koalitionsrecht

Neben der Eigentumsgarantie steht als zweiter zentraler Problemkomplex die grundrechtliche Garantie der Koalitionsfreiheit (Art. 9 I I I GG). I h r Organisations- und Verfahrenssystem w i r d durch die paritätische Mitbestimmung tangiert und teilweise umgestaltet. Dieser Vorgang hat zur gegebenen Verfassungskritik der paritätischen Mitbestimmung aus A r t . 9 I I I GG geführt — eine K r i t i k , die sich, wie zu zeigen sein wird, auf eine ganze Reihe ernsthafter Bedenken stützen kann und, wie schon an dieser Stelle als wohl einhellige Erkenntnis festgehalten werden kann, jedenfalls dann oder unzweifelhaft begründet wäre, wenn die paritätische Mitbestimmung zur koalitionsrechtlichen Uberparität der Arbeitnehmerseite führen würde 5 1 . Die tragenden Einwände jener K r i t i k gegen die paritätische Mitbestimmung gehen i n die folgende Richtung: Die paritätische Mitbestimmung verändere die Leitungsstruktur der mitbestimmten Großunternehmen derart, daß die unternehmerischen Arbeitgeber i m Verfahren von Tarifautonomie und Arbeitskampf keinen gleichgewichtigen (waffengleichen) und unabhängigen (gegnerfreien) Kontrahenten und Gegenspieler der Gewerkschaften mehr abgäben. Dies sei jedoch die verfassungsrechtlich vorausgesetzte bzw. vorgeschriebene funktionelle Grundbedingung des A r t . 9 I I I GG; eine Funktionsbedingung, die eine Arbeitgeberschaft, die paritätisch von der Arbeitnehmerseite (im Aufsichtsrat 50 Vgl. näher noch unten E 1 3 . si I m verfassungsrechtlich kritischen Sinne aus der Sicht des Art. 9 I I I GG vgl. bes. sowie zum folgenden Pernthaler, Mitbestimmimg, S. 175 ff.; Biedenkopf, Kronstein-Festgabe, S. 79 ff.; ders., RdA 70, 135 f.; Zöllner-Seiter, M i t bestimmung, S. 16 ff.; Zöllner, AöR 98, 71 (89 ff.); E . R . Huber, Grundgesetz, S. 74 ff.; Hanau, BB 69, 760 ff., 1497 ff.; Rasch, BB 74, 535 f.; Kindermann, DB 74, 1164 ff..

I . Mitbestimmung und grundrechtliche

an

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und damit letztlich auch i m gesetzlichen Vertretungsorgan) und folglich maßgebend von den Gewerkschaften selbst mitbestimmt werde, nicht mehr erfüllen könne. Und weiter: Wenn das einzelne Unternehmen nicht mehr gegnerfrei sei, so werde auch die tarifpolitisch unabdingbare Gegnerunabhängigkeit der Arbeitgeberverbände bedroht. Die paritätische Mitbestimmung verlagere den Interessenkonflikt zwischen Arbeitgeber- und Arbeitnehmerinteresse i n die Leitungsstruktur des Unternehmens selbst; sie gefährde damit die funktionelle Bedeutung des Tarifvertrags als verfassungsrechtlich vorrangigem Steuerungsmittel. Die Gesamtheit dieser Argumentationen orientiert sich am bestehenden bzw. i m geltenden Arbeitsrecht, also unterverfassungsrechtlich verankerten System und B i l d der koalitionsrechtlichen Kampf- und Einigungsverfahren. Daraus folgt die verfassungsrechtlich entscheidende Fragestellung, ob dieses bestehende System verfassungsrechtlich geschlossen ist oder ob es gewisse Modifikationen erlaubt. Die Auffassungen hierzu sind kontrovers 5 2 . Andere Probleme aus dem Koalitionsrecht erwachsen u m die Frage des Rechts der Gewerkschaften, eigene Vertreter i n die Aufsichtsräte der mitbestimmten Unternehmen zu entsenden bzw. für diese vorzuschlagen, sowie u m die Frage nach deren Repräsentationskompetenz gegenüber den nicht organisierten Arbeitnehmern eines solchen mitbestimmten Unternehmens (Fragen der positiven und negativen Koalitionsfreiheit) 5 3 , und die Frage, ob und inwieweit die paritätische Mitbestimmung — gerade i n ihrer konkreten Ausformung i m MitbestG — den nach herrschender Meinung von der Verfassung garantierten Koalitionspluralismus 5 4 w a h r t 5 5 . 52 I m Sinne eines offeneren Verständnisses der Garantie des Art. 9 I I I G G — mit entsprechenden Konsequenzen für die Frage der Verfassungsmäßigkeit einer paritätischen Mitbestimmung — vgl. bes. Schwerdtfeger, Mitbestimmung, S. 249 ff.; Säcker, DRdA 73, 95 f.; Buchner, in: Low, 25 Jahre Grundgesetz, 1974, S. 5 (27); R. Scholz, Staat 74, 105 ff.; ders., Koalitionsfreiheit, S. 148 f., 222 ff., 250 ff.; ders., DB 72, 1772 ff.; Reuß, AuR 74, 161 (164 f.); T. Raiser, JZ 74, 277 f.; vgl. schließlich auch, wenn auch sicher zu weitgehend, Däubler, Grundrecht, S. 174 ff. Die Vereinbarkeit der paritätischen Mitbestimmung mit Art. 9 I I I GG bejahen weiterhin z.B. T. Kunze, BB 71, 356 ff.; Roscher, RdA 72, 279ff. 53 Vgl. zu diesen Fragen Schwerdtfeger, Mitbestimmung, S. 80 ff., 87, 105, 116, 120, 248 f.; Zöllner-Seiter, Mitbestimmung, S. 11 ff.; Pernthaler, Mitbestimmung, S. 1911; Däubler, Grundrecht, S. 280 ff.; Biedenkopf, KronsteinFestgabe, S. 103 f.; ders., Mitbestimmung, S. 253, 262 ff. 54 Vgl. bes. BAGE 4, 22 (25); 21, 201 (208); vgl. hierzu mit w. Nachw. auch R. Scholz, Koalitionsfreiheit, S. 47 f., 379 f. 55 Vgl. hierzu bisher und namentlich Schwerdtfeger, a.a.O., S. 139 f., 263.

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D. Paritätische Mitbestimmung und Grundrechte 3. Weitere Grundrechtsprobleme

Eigentums- und Koalitionsrecht bilden die zentralen Problemkomplexe für die Frage der Verfassungsmäßigkeit der paritätischen Mitbestimmung. Daneben bestehen noch einige andere Grundrechtsfragen, die zum Teil ebenfalls zur Annahme von Verfassungswidrigkeiten der paritätischen Mitbestimmung geführt haben: Hierzu gehört zunächst die Frage der Vereinigungsfreiheit aus Art. 9 I GG. Aus ihr hat man teilweise auf die Verfassungswidrigkeit einer Unternehmensverfassung geschlossen, die die Organisations- und Privatautonomie der Kapital- und Anteilseigner an die institutionellen Mitbestimmungsrechte der Arbeitnehmerschaft bindet 5 6 . I m weiteren gehören hierher Fragen des Gleichheitssatzes (Art. 3 1 GG): nämlich einmal die Frage der Gleichbehandlung von mitbestimmungspflichtigen und mitbestimmungsfreien Unternehmen und zum anderen die Frage der Gleichbehandlung der mitbestimmungsberechtigten Arbeitnehmer i n einem Mitbestimmungssystem, das zwischen Arbeitern und Angestellten einerseits sowie leitenden Angestellten als Vertretern des Produktionsfaktors Disposition andererseits differenziert. I I I . Verfassungsrechtliche Folgerungen Zusammenfassend ergibt sich demnach ein Spektrum zum Teil gegensätzlicher Grundrechtspositionen. I n ihr Spannungsfeld sieht sich jede gesetzliche Realisierung der paritätischen Mitbestimmung gestellt. I m weiteren Zusammenhang lassen sich die geschilderten (potentiellen) Grundrechtskonflikte zwischen sozialer Selbstbestimmung der Arbeitnehmer und eigentums- sowie koalitionsrechtlichem Schutz der Kapitalbzw. Anteilseigner auf den Grundkonflikt jeder offensiv gestaltenden Gesellschaftspolitik reduzieren: den potentiellen Gegensatz zwischen sozialstaatlicher Ordnungsermächtigung und rechtsstaatlicher (einschließlich grundrechtlicher) Ermächtigungsgrenze, oder anders ausgedrückt: der potentielle Gegensatz zwischen sozialstaatlicher Distribution und rechtsstaatlicher Intervention. I n diesem Gegensatz können nicht nur ordnungspolitische Zielkonflikte, sondern auch verfassungsrechtliche Konflikte aufbrechen; und dies ist von der Verfassung auch gewollt oder doch bewußt i n Kauf genommen. Denn nur so sieht sich ein ausgewogenes Verhältnis von sozialstaatlicher Ordnungskompetenz einerseits und rechtsstaatlicher Begrenzung staatlicher Ordnungsmacht andererseits gewährleistet. »« Vgl. bes. in diesem Sinne Pernthaler, Mitbestimmung, S. 22 ff., 35 ff., 44 ff., 61 ff.; E.R. Huber, Grundgesetz, S.46ff.; a. A. Schwerdtfeger, Mitbestimmung, S. 202 ff.; R. Scholz, Staat 74, 102 f.

III. Verfassungsrechtliche Folgerungen

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Für die gesetzgeberische Gestaltung bzw. für deren verfassungskonforme Handhabung folgt daraus das Gebot, den richtigen (verfassungsgerechten) Ausgleich zwischen den sozialstaatlichen Distributionszielen und den rechtsstaatlichen Interventionsgrenzen zu finden 57 . I m Falle der paritätischen Mitbestimmung können die geschilderte Grundrechtslegitimation und die geschilderten Grundrechtspositionen der Kapitaleigner miteinander kollidieren. Angesichts der prinzipiellen Gleichrangigkeit aller grundrechtlichen Wertentscheidungen scheidet eine Vorrangentscheidung, sei es zugunsten der sozialen Selbstbestimmungsinteressen der Arbeitnehmer, sei es zugunsten der wirtschaftlichen Unternehmensinteressen der Kapitaleigner, grundsätzlich aus 58 . Hieraus folgt weiterhin, daß die Lösung potentieller Kollisionen nach den Grundsätzen des Übermaßverbots über die Vorstellung „des nach beiden Seiten h i n schonendsten Ausgleichs" 59 zu erfolgen hat 6 0 . Kompetentiell liegt dieses Ausgleichsverf ahren wesentlich i n der Hand des Gesetzgebers und seiner konfliktlösenden Entscheidung 61 . Diese Entscheidungskompetenz kann also auch von einer Mitbestimmungsgesetzgebung wirksam ausgeübt werden; natürlich unter der Voraussetzung, daß sie die genannten Verfassungserfordernisse inhaltlich wahrt und erfüllt. Die gesetzgeberische Entscheidungskompetenz sieht sich damit i n mehrfacher Weise legitimiert: Dem Gesetzgeber steht die sozialpolitische Gestaltungskompetenz aus dem Sozialstaatsprinzip zu, i h m steht die wirtschaftspolitische Ordnungskompetenz aus der offenen Wirtschaftsund Arbeitsverfassung zu und i h m steht weiterhin die Kompetenz zur Lösung von kollidierenden Grundrechten zu. Die Gesetzgebung zur paritätischen Mitbestimmung kann auf diesen drei, inhaltlich miteinander verbundenen Legitimationsschichten aufbauen. 57 Vgl. hierzu allgemein schon R. Scholz, Konzentrationskontrolle, S. 77 ff. Hiergegen läßt sich kein angeblicher Vorrang von personalen Freiheitswerten gegenüber sachlichen oder ökonomischen Vermögenswerten ins Feld führen (vgl. in dieser Richtung allerdings Dürig, in: Summum ius — summa iniuria, 1963, S. 80 [84]; Maunz-Dürig-Herzog, GG, Art. 1 Rdnr. 33, Art. 2 Rdnr. 13 N 1). Vgl. dagegen mit Bezug gerade zur paritätischen Mitbestimmung richtig Schwerdtfeger, Mitbestimmung, S. 179 f.; vgl. allgemein sdion R. Scholz, Koalitionsfreiheit, S. 111 m. N. 27. ß® Lerche, Übermaß und Verfassungsrecht, 1961, S. 153. 60 Zum Problem der Grundrechtskollision und ihrer entsprechenden Lösung vgl. bes. Lerche, a.a.O., S. 125 ff.; R. Scholz, Koalitionsfreiheit, S. 115 ff.; Berg, JuS 69, 16 ff.; vgl. auch BVerfG, DVB1 74, 31 ff.; BVerfGE 30, 173 (191 ff.). ei Vgl. Lerche, a.a.O.; R. Scholz, a.a.O., S. 115; vgl. für die paritätische Mitbestimmung auch Schwerdtfeger, Mitbestimmung, S. 179 f. 58

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D. Paritätische Mitbestimmung und Grundrechte

I m folgenden sind ihre konkreten Gestaltungsmöglichkeiten an den bezeichneten Grundrechtsgrenzen zu messen. IV. Grenzen mitbestimmungsrechtlicher Parität 1. Parität als Grenzproblem Die Parität als legitimatorisches Leitprinzip der Mitbestimmung nennt zugleich die Grenze der Mitbestimmung. Denn jede Uberparität arbeitnehmerischer Mitbestimmung würde m i t Sicherheit, wie an den grundrechtlichen Grundpositionen bereits deutlich geworden ist, m i t den Garantien des A r t . 14 und des A r t . 9 I I I GG kollidieren. Diese Erkenntnis entspricht einer — insoweit recht einhelligen — Verfassungsinterpretation; für sie ist die Frage der Zulässigkeit von Parität kontrovers, die Frage der Unzulässigkeit von Überparität aber nicht kontrovers 62 . Hieraus folgt, daß das Mitbestimmungssystem des MitbestG ebenso wie das System der bisherigen Mitbestimmungsregelungen i m Zusammenhang auf seinen paritätischen Gehalt hin untersucht werden muß. 2. Parität im System von institutioneller und funktioneller unmittelbarer und mittelbarer Unternehmensmitbestimmung Daß eine solche Untersuchung den Zusammenhang aller bestehenden und geplanten Mitbestimmungsregelungen betrachten und beachten muß, ergibt sich aus dem Umstand, daß die Kumulierung verschiedener Mitbestimmungsrechte auch i n unterverfassungsrechtlicher Hinsicht zur Potenzierung von Mitbestimmungsrechten und damit zur faktisch überparitätischen Gesamtmitbestimmung führen kann. I n diesem Sinne ist zwischen verschiedenen Dimensionen der M i t bestimmung zu unterscheiden: Zunächst ist zwischen der institutionellen und der funktionellen Uniernehmensmitbestimmung zu unterscheiden, wobei mit institutioneller Mitbestimmung die direkte, institutionell eingeführte Unternehmensmitbestimmung gemeint ist, und mit funktioneller Mitbestimmung diejenige Mitbestimmung gemeint ist, die auf der Grundlage anderer Mitbestimmungsinstitute materiell auch unternehmensmitbestimmende Funktionen enthält. Als funktionelle Mitbestimmung i n diesem Sinne ist namentlich die Betriebsverfassung zu würdigen. I m weiteren ist zwischen unmittelbarer und mittelbarer Mitbestimmung zu unterscheiden, wobei als unmittelbare Mitbestimmung jede 62 Vgl. lediglich Däubler, Grundrecht, S. 268 f., auch S. 411 ff., der auch die überparitätische Mitbestimmung mit Art. 14 GG etc. für vereinbar erklärt; dies freilich verbunden mit einer „Dividendengarantie" für die Anteilseigner.

IV. Grenzen mitbestimmungsrechtlicher Parität

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Form institutioneller und funktioneller Mitbestimmung i m Unternehmen und/oder Betrieb zu erkennen ist, und als mittelbare Mitbestimmung jede Form von unternehmensrelevanter Entscheidungsteilhabe zu verstehen ist, die zwar auf dem Grundgedanken arbeitnehmerischer Selbstbestimmung aufbaut, organisatorisch aber nicht auf der Unternehmens- und/oder betriebsinternen Entscheidungsteilnahme basiert. Als mittelbare Mitbestimmung i n diesem Sinne funktioniert vor allem das Koalitionsrecht m i t seinen Verfahrensgarantien von Tarifautonomie und Arbeitskampf. Unter dem Gesichtspunkt der paritätischen und nicht überparitätischen Teilhabe der Arbeitnehmer an der unternehmerischen Leitungsfunktion bestehen zwischen diesen Formen der Mitbestimmung verschiedene Zusammenhänge und Interdependenzen — Wirkungen also, die für das — geboten materiale — Verständnis der Parität (Parität nicht als formale Rechtsgleichheit , sondern als materiale Gleichstellung in faktischer und sozialer Hinsicht) von ausschlaggebender Bedeutung sind. Nicht außer Betracht bleiben können schließlich außerhalb der M i t bestimmung liegende Teilhabemöglichkeiten, die geeignet sind, auf Seiten der Kapitaleigner Gleichgewichtsverschiebungen zugunsten der Arbeitnehmerschaft oder ihrer Organisationen vorzunehmen. Von Bedeutung sind hier einmal eventuelle Erwerbsverbote für Anteile an m i t bestimmten Unternehmen und zum anderen die gegebenen Pläne zur überbetrieblichen Ertragsbeteiligung der Arbeitnehmer durch fondskonzentrierte Gewinn- und Unternehmensbeteiligung 63 . Sofern diese letzteren Vermögensbildungspläne zu den diskutierten Konzentrationen von Unternehmensanteilen bei regionalen Fonds, Anlagegesellschaften o. ä. führen sollten und diese wiederum, wie teilweise gefordert, unter dem maßgebenden Einfluß der Gewerkschaften stehen sollten, so stellten sich nicht nur immanente Verfassungsprobleme für diese Vermögensbildungsgesetzgebung selbst?4, sondern auch für die paritätische M i t bestimmung. Denn über solche Einflußmöglichkeiten der Gewerkschaften auf Seiten der Kapitaleigner könnte das Gesamtgefüge paritätischer Unternehmensleitung aus der (verfassungsrechtlich geforderten) Balance geraten 65 . Diese, mangels gesetzlicher Realisierung jenes Vermögensbildungsmodells noch nicht aktuelle Gefahr hat der Gesetzgeber i m Auge zu 63 Vgl. hierzu schon oben C I V 2 mit N. 49. 64 Vgl. hierzu näher Scheuner, Überbetriebliche Ertragsbeteiligung; R. Scholz, RdA 72, 65 ff.; Mestmäcker, Mitbestimmung; Meessen, D Ö V 73, 812 ff. 65 Vgl. Scheuner, a.a.O., S. 70 f.; R. Scholz, RdA 72, 69; Mestmäcker, a.a.O., S. 10 ff., 26; Zacher, Berber-Festschrift, 1973, S. 549 (557 ff.). 5 Scholz

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D. Paritätische Mitbestimmung und Grundrechte

behalten — und zwar bei Mitbestimmungs- wie bei Vermögensbildungsgesetzgebung. Für den augenblicklichen Rechtszustand bedarf es folglich nur der Untersuchung der gegebenen Formen von institutioneller und funktioneller sowie unmittelbarer und mittelbarer Mitbestimmung und ihrer Paritäts- bzw. eventueller Uberparitätseffekte. 3. Paritätische Mitbestimmung im MitbestG und in der Montanmitbestimmung a) I m Entwurf zum MitbestG ist die Parität der Mitbestimmung i m wesentlichen durchgeführt. Denn der Aufsichtsrat w i r d grundsätzlich paritätisch besetzt; und über seine paritätische Besetzung ist auch mit der entsprechend proportionalen Besetzung des gesetzlichen Vertretungsorgans (Vorstand etc.) zu rechnen. Eine gewisse Einschränkimg dieser Paritätsverfassving liegt nur i n der Bestimmung des § 2 8 I V 2, 3 MitbestG, derzufolge ein begrenztes (relatives) Letztentscheidungsrecht i n der Frage der Vorstandsbestellung beim Wahlorgan (Hauptversammlung etc.) liegt 6 6 . Daß die tatsächliche Bedeutung dieses Letztentscheidungsrechts aber nicht sonderlich groß ist, wurde bereits dargelegt 67 . Der vorangegangene Referentenentwurf des Bundesministers für Arbeit und Sozialordnung enthielt diese Regelung freilich noch nicht. Seine Lösung der Parität war daher noch vollständiger. Dieser Umstand konnte jedoch (verfassungs-)rechtliche Zweifel anderer A r t hervorrufen (Problem der Funktionsfähigkeit der Unternehmen bei PattVerhältnissen mangels Letztentscheidungskompetenz einer Seite). Politische Zweifel an der paritätischen Lösung des MitbestG knüpfen weiterhin noch an der gesonderten Stellung der leitenden Angestellten gemäß §§ 3 Nr. 3, 15 I I MitbestG an 6 8 ; aus rechtlicher Sicht sind diese Zweifel jedoch nicht begründet. Denn auch der leitende Angestellte ist und bleibt, gleichgültig wie er abgegrenzt w i r d und gleichgültig inwieweit er sich tatsächlich m i t Unternehmer- oder Arbeitnehmerinteressen zu identifizieren geneigt ist, Arbeitnehmer. Er gehört rechtlich zur Arbeitnehmerschaft, und kann daher auch nicht faktisch der „Kapitaleignerbank" zugerechnet werden. Denn entscheidend ist, daß das M i t 66 Entsprechend nach § 28 V MitbestG für die Frage des Widerrufs der Bestellung eines Vorstandsmitglieds. 67 Vgl. oben B I I d (4). 68 Zum Begriff des leitenden Angestellten vgl. BAG, DB 74, 826 ff.; zum zugrunde liegenden Abgrenzungsstreit vgl. auch mit w. Nachw. z. B. RüthersStindt, BB 73, 973 ff.; Hoffmann, NJW 74, 1161 ff.

IV. Grenzen mitbestimmungsrechtlicher Parität

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bestimmungsrecht des leitenden Angestellten rechtlich wie tatsächlich nicht zur (eigentumsrechtlich abgeleiteten) Disposition des Kapitaleigners steht 69 . Der leitende Angestellte bestimmt aus eigenem, kapitalunabhängigem, also arbeitnehmerischem Rechte mit. Er beschränkt die kapitaleignerische Entscheidungsbefugnis mit anderen Worten genauso, wie dies bei der Mitbestimmung der anderen Arbeitnehmer der Fall ist. Aus diesem Grunde lassen sich aus der selbständigen Mitbestimmungsbefugnis der leitenden Angestellten keine Einwände gegen eine „angeblich nicht voll erreichte Parität der Arbeitnehmer" herleiten 7 0 . b) Das Modell der Montanmitbestimmung ist anders als das Mitbestimmungsmodell des MitbestG konstruiert. Hier setzt sich der A u f sichtsrat aus elf Mitgliedern zusammen: vier Vertretern der Anteilseigner und einem weiteren Mitglied, die sämtlich vom Wahlorgan, d. h. von der Kapitaleignerseite gewählt werden (§§ 4 I lit. a, 5 MontanmitbestG), vier Vertretern und einem weiteren Mitglied von der Arbeitnehmerseite (§§ 4 1 lit. b, 6 MontanmitbestG) und einem weiteren M i t glied (dem sogenannten neutralen 11. Mann), das durch das Wahlorgan auf Vorschlag der übrigen Aufsichtsratsmitglieder gewählt w i r d §§ 4 1 lit. c, 8 MontanmitbestG). Dieses Mitbestimmungssystem verwirklicht insofern keine volle rechtliche Parität, als es einen neutralen Mann zusätzlich enthält, der i n Letztentscheidung vom Wahlorgan, d. h. von der Kapitaleignerseite bestimmt wird. Andererseits steht vor diesem Letztentscheidungsrecht aber das Vorschlagsrecht des Aufsichtsrats mit entsprechendem Einigungszwang; das Letztentscheidungsrecht des Wahlorgans ist gebunden und gelangt zur vollen Entscheidungskompetenz erst nach Ausfallen der umfänglichen paritätischen Verfahrensmechanismen des § 8 MontanmitbestG. Insgesamt dominiert i n der Montanmitbestimmung daher das Prinzip der Parität, ebenso wie i m System des MitbestG 7 1 . 4. Paritätische Mitbestimmung

und Betriebsverfassung

I m System der Betriebsverfassung bestehen zwar keine institutionell mitbestimmten Unternehmensorgane; funktionell steht der Arbeitnehmerschaft i n einzelnen Bereichen aber ein gleichrangiges Mitbestim69 Dieser Aspekt ist auch im Verhältnis zu Art. 9 I I I G G maßgebend, wie von Säcker, Manager-Magazin V/1973, S. 36 (40), wohl nicht hinreichend berücksichtigt wird. ™ Zur mitbestimmungsrechtlichen Stellung der leitenden Angestellten vgl. weiter noch unten G I I 2. 71 Entsprechend ist die Struktur der Mitbestimmung nach dem MontanmitbestErgG beschaffen (vgl. §§ 5 - 7). 5*

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D. Paritätische Mitbestimmung und Grundrechte

mungsrecht i n unternehmensrelevanten Fragen zu (wirtschaftliche M i t bestimmung). Nach dem BetrVG von 1972 ist dies namentlich bei der Betriebsänderung (Betriebseinschränkung, Betriebsstillegung, Betriebsverlegung, Betriebszusammenschluß etc.) der Fall (§§111 ff. BetrVG). Hier fordert das Betriebsverfassungsrecht den Interessenausgleich zwischen Unternehmer und Betriebsrat und überläßt die Letztentscheidung über den der Betriebsänderung gegebenenfalls nachfolgenden Sozialplan den außerbetrieblichen Instanzen von Arbeitsgerichtsbarkeit und Einigungsstelle. I m Bereich der sozialen Mitbestimmung des Betriebsrats ergeben sich ähnliche Relevanzen unternehmenswirtschaftlicher A r t namentlich i m Bereich der Mitbestimmung des Betriebsrats nach § 87 I Nr. 11 BetrVG („Festsetzung der Akkord- und Prämiensätze und vergleichbarer leistungsbezogener Entgelte, einschließlich der Geldfaktoren"). Diese Mitbestimmung des Betriebsrats steht institutionell zwar außerhalb der Unternehmensmitbestimmung. Unter dem Aspekt funktioneller Arbeitnehmermitbestimmung kann sie jedoch zu paritätsändernden Einflüssen führen. Es läßt sich zwar nicht ohne weiteres von einer „Uberparität der Arbeitnehmerrepräsentanz" sprechen 72 ; für die Arbeitnehmerschaft w i r d kompetenzmäßig aber „ein doppeltes Netz aufgespannt" 73 , das die Gesamtbalance zu Lasten der Kapitaleigner verschieben kann (Prävalenz der Arbeitnehmerschaft) 74 . Die Konsequenz dessen ist, daß entsprechende balanceverschiebende und damit paritätsgefährdende Überschneidungen von institutioneller (Unternehmens-)Mitbestimmung und funktioneller (Betriebs-)Mitbestimmung auch verfassungsrechtlich nicht außer acht bleiben dürfen. 5. Paritätische Mitbestimmung

und koalitionsrechtliche

Mitbestimmung

I m Verhältnis von unmittelbarer und mittelbarer Mitbestimmung stehen sich paritätische Unternehmensmitbestimmung und Koalitionsfreiheit gegenüber. Denn auch die Koalitionsfreiheit wurzelt i m Prinzip arbeitnehmerisch-sozialer Selbst- bzw. Mitbestimmung und ist damit nicht isoliert von der paritätischen Unternehmensmitbestimmung zu sehen. Ebenso wie diese basiert die Koalitionsfreiheit oder koalitionsrechtliche Mitbestimmung auf dem Leitprinzip der Parität (Koalitionsparität). Diese Parität der Koalitionen steht nicht außerhalb der M i t bestimmungsparität, da die Gewerkschaften an der Unternehmensmit72 So aber Rüthers, Arbeitgeber 73, 491 (492); ders., Arbeitsrecht und politisches System, 1973, S. 161 f. 73 Zöllner, RdA 69, 65 (68). 74 Vgl. Zöllner, RdA 69, 68 f.; Zöllner-Seiter, Mitbestimmung, S. 6; Hanau, BB 69, 7641; 69, 1497 ff.; Rüthers, a.a.O.; vgl. auch Säcker, DRdA 73, 9 5 1

IV. Grenzen mitbestimmungsrechtlicher Parität bestimmung 7 5 unmittelbar beteiligt sind (Gewerkschaftsvertreter Aufsichtsrat) 76 .

69 im

Koalitionsparität und Mitbestimmungsparität müssen demgemäß ihrerseits i n einem Verhältnis zueinander stehen, das auf beiden Ebenen der Mitbestimmung — (unmittelbare) Unternehmensmitbestimmung und (mittelbare) Koalitionsmitbestimmung — die gegenseitige Parität intakt hält bzw. Uberparitäten verhindert. Die Gefahr einer Überparität zugunsten der arbeitnehmerischen Seite besteht i n beiderlei Hinsicht i m Bereich von Tarifautonomie und Arbeitskampf. Tarifverträge werden zwischen der Gewerkschaft und dem Arbeitgeberverband (Verbandstarif) oder dem Einzelarbeitgeber (Haus- oder Firmentarif) ausgehandelt. Werden solche Verhandlungen vom gesetzlichen Vertretungsorgan (Vorstand) eines mitbestimmten Unternehmens geführt (Haustarif), so schlägt die Gefahr einer Überparität unmittelbar durch. Denn der betreffende Unternehmensvorstand w i r d seinerseits i n aller Regel paritätisch zusammengesetzt sein und damit dem Einfluß der gewerkschaftlichen Seite geöffnet sein. Für die Unternehmensmitbestimmung stellt sich damit das Problem funktioneller Uberparität; für die Koalitionsfreiheit stellt sich damit das Problem von Koalitionsparität und Gegnerunabhängigkeit. I n Falle des Verbandstarifs können sich entsprechende Konsequenzen über die mittelbare Beeinflussung des Arbeitgeberverbandes durch die mitbestimmten Mitgliedsunternehmen ergeben. Die parallele Problematik kann i m Bereich des Arbeitskampfes auftreten, wenn es u m die Frage geht, ob (gewerkschaftlich gebundene) Arbeitnehmervertreter an einem gewerkschaftlich geführten Streik teilnehmen dürfen bzw. über die Frage einer Aussperrung gegen die Gewerkschaft, der sie selbst angehören, mitentscheiden dürfen. Vor allem für den Streik ist i n diesem Zusammenhang von der Unmöglichkeit oder Rechtswidrigkeit des „ I n sich-Streiks" gesprochen worden 7 7 . Aus allen diesen Gründen ist die paritätische Mitbestimmung auf massive K r i t i k sowohl verfassungs- wie arbeitsrechtlicher A r t gestoßen 78 . 75 Und entsprechend an der Betriebsmitbestimmung gem. §§2, 3 BetrVG von 1972. 76 Zur verfassungsrechtlichen Legitimation dieser Beteiligung der Gewerkschaften an der Unternehmensmitbestimmimg vgl. unten F I I 2. 77 Biedenkopf, Kronstein-Festgabe, S. 100 f. 78 Vgl. bes. Hanau, BB 69, 760 ff.; Biedenkopf, Kronstein-Festgabe, S.96ff.; ders., RdA 70, 135 f.; ders., Mitbestimmung, S. 252 ff.; Zöllner, RdA 69, 69 ff.; Zöllner-Seiter, Mitbestimmung, S. 9 f., 16 ff., 20 ff., 52 ff.; Pernthaler, Mitbestimmung, S. 175 ff.; E. R. Huber, Grundgesetz, S. 74 ff.; Harms, Bartholomeyczik-Festschrift, 1973, S. 101 (105); Rasch, BB 74, 535 f.; vgl. auch Bericht der Biedenkopf-Kommission, a.a.O., S. 93 ff.

70

D. Paritätische Mitbestimmung und Grundrechte

Ohne daß schon an dieser Stelle auf deren (verfassungs-)rechtliche Begründetheit einzugehen wäre, bleibt doch festzustellen, daß reale Folgen dieser A r t beide Paritätssysteme, d. h. die von Mitbestimmung wie von Koalitionsfreiheit, tatsächlich gefährden oder beeinträchtigen würden. 6. Parität und Überparität als mitbestimmungsrechtliches Konkurrenzproblem Insgesamt ergibt sich demnach, daß das infrage stehende Modell der paritätischen Mitbestimmung nach dem MitbestG — und Gleiches hatte für den Referentenentwurf des Bundesministers für Arbeit und Sozialordnung sowie für die Montanmitbestimmung zu gelten — für sich genommen keine Überparität der arbeitnehmerischen Seite impliziert. Die Gefahr von Überparitäten kann sich lediglich i m Einzelfall durch Überschneidungen mit Formen funktioneller Unternehmensmitbestimmung (Betriebsverfassung) und mittelbarer Mitbestimmung (Koalitionsrecht) ergeben. Das Problem der Überparität ist demgemäß weniger ein Problem der anstehenden Mitbestimmungsgesetzgebung als ein Problem der Kumulation von konkreten Mitbestimmungsrechten. Solche Kumulationen ergeben sich aus dem Zusammentreffen unterschiedlicher Mitbestimmungskompetenzen; ihre Verhinderung ist demgemäß zunächst Aufgabe der zwischengesetzlichen Konkurrenzlösung. Konkurrenzlösungen dieser A r t sind den gegebenen Mitbestimmungsgesetzgebungen zum großen Teil bereits bekannt. Besonders entwickelt sieht sich das Prinzip der mitbestimmungsrechtlichen Konkurrenzlösung i m Verhältnis von koalitionsrechtlicher und betriebsverf assungsrechtlicher Mitbestimmung. So grenzen die Regelungen der §§ 2 I, I I I , 74 I I I , I I I , 77 I I I , 871 BetrVG von 1972 die Kompetenzen von Koalitionsrecht und Betriebsverfassung definitiv ab und verhindern so kompetentielle Kumulationen wie inhaltliche Kollisionen zwischen koalitionsrechtlichen (namentlich tarifvertraglichen) und betriebsverfassungsrechtlichen (Mitbestimmungs-)Maßnahmen 79 . Dieses Verfahren der gesetzlichen Konkurrenzlösung entspricht den sachlichen Bedürfnissen von Koalitionsrecht und Betriebsverfassung, und w i r d zugleich auch der wechselseitigen verfassungsrechtlichen Legitimation gerecht. Denn nicht nur das Koalitionsrecht verfügt über eine solche Legitimation (in Art. 9 I I I GG), sondern auch die Betriebs79 Vgl. hierzu auch Säcker, DRdA 73, 95 f.; vgl. für das Verhältnis von betriebsverfassungsrechtlicher Kooperationspflicht und koalitionsrechtlichantagonistischer Tarifzuständigkeit auch Buchner, DB 74, 530 (531 f.); zum Konkurrenzproblem vgl. weiterhin recht klar Reuter-Streckel, Grundfragen der betriebsverfassungsrechtlichen Mitbestimmung, 1973, S. 12 ff., 30 ff.

IV. Grenzen mitbestimmungsrechtlicher Parität

71

Verfassung verfügt über eine verfassungsrechtliche Grundlegitimation: und zwar i m Sozialstaatsprinzip sowie i n der grundgesetzlichen Kompetenznorm des Art. 74 Nr. 12, die sich m i t der verfassungsgesetzlichen Erwähnung der „Betriebsverfassung" als Teil der Kompetenzmaterie „Arbeitsrecht" auch als sozialpolitisches Bekenntnis zur Betriebsverfassung als Grundlage einer innerbetrieblichen Mitbestimmung versteht 80 . Das Prinzip der Konkurrenzlösung läßt sich weiterhin auch i m Recht der Unternehmensmitbestimmung, wenngleich nicht i n entsprechend erschöpfender Form wie zwischen Koalitionsrecht und Betriebsverfassungsrecht, nachweisen: nämlich i n den Regelungen der §§ 15 MontanmitbestErgG, 29 MitbestG. I n beiden Fällen werden der Mehrheit der Stimmen der Anteilseigner i m Aufsichtsrat bestimmte Entscheidungsrechte vorbehalten, die m i t Beteiligungen des mitbestimmten Unternehmens an dritten Unternehmen zusammenhängen und die auf Grund solcher Beteiligungen nicht zur Kumulation von Mitbestimmungsrechten oder zur mittelbaren Erstreckung von Mitbestimmungsrechten der Arbeitnehmerschaft der herrschenden Unternehmen auf nichtmitbestimmungspflichtige abhängige Unternehmen führen sollen 81 . Der gleiche Gedanke liegt der Regelung des § 31 I I MitbestG zugrunde, die die drittelanteilige Aufsichtsratsmitbestimmung der Arbeitnehmer gemäß §§ 76 ff. BetrVG von 1952 i n deren gemäß § 129 BetrVG von 1972 fortgeltenden Fassung für Unternehmen, die unter die paritätische Mitbestimmung nach dem MitbestG fallen (fallen sollen), folgerichtig — ebenso wie für die Montanmitbestimmung — ausschließt, da anderenfalls i n der Arbeitnehmerbeteiligung i m Aufsichtsrat kraft Kumulation der Mitbestimmungsrechte aus MitbestG und BetrVG die Überparität zugunsten der Arbeitnehmer einträte (§ 85 I I BetrVG von 1952 i n der Fassung des § 31 I I MitbestG). Hinter der Gesamtheit dieser konkurrenzlösenden Regelungen steht, wie auch F. J. Säcker aufgezeigt hat 8 *, ein allgemeines Prinzip, das durchaus der erweiternden Auslegung zugänglich ist. Hiernach stehen 80

Vgl. näher bereits R. Scholz, Koalitionsfreiheit, S. 7 f.; zu derart materiell-rechtlichen Sinngehalten von (grundgesetzlichen) Kompetenzbestimmungen vgl. allgemein bes. von Pestalozza, Staat 72, 161 ff.; Ehmke, W D S t R L 20, 53 (89ff.); R. Scholz, a.a.O., jeweils mit w.Nachw. Das Konkurrenzproblem zwischen Betriebsverfassung und Koalitionsverfassung läßt sich demgemäß auch nicht dadurch lösen oder verschieben, indem man etwa Kompetenzen wie die des § 87 I Nr. 11 BetrVG von 1972 (betriebsverfassungsrechtliche Mitbestimmungskompetenz im Bereich materieller Arbeitsbedingungen) für unvereinbar mit Art. 9 I I I GG erklärt (so aber z. B. Obermayer, DB 71, 1715 [1721 f.]). Vgl. auch Amtl. Begr. zu § 29 MitbestG, a.a.O., S. 27 f. 82 Vgl. DRdA 73, 95 f.

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D. Paritätische Mitbestimmung und Grundrechte

die Mitbestimmungssysteme von Koalitionsverfassung, Betriebsverfassung und Unternehmensverfassung i n ihren spezifischen Organisationen und ihren spezifischen Ordnungsaufgaben prinzipiell nebeneinander und sind i m Falle der konkreten Konkurrenz nach dem Gedanken der Verhinderung von kumulativen Mitbestimmungsrechten voneinander abzugrenzen. Das bedeutet einmal, daß organisatorisch keine wechselseitigen Mitbestimmungspotenzierungen eintreten dürfen, und das bedeutet zum anderen, daß funktionell keine Doppelzuständigkeiten auftreten dürfen. Nach dem Grundsatz der Spezialität ist jeweils die speziellere Mitbestimmungsorganisation und speziellere Mitbestimmungskompetenz allein und ausschließlich zuständig. Hieraus folgt zunächst, daß die Abgrenzungsregelungen der §§ 77 I I I , 871 BetrVG von 1972 (Verhältnis Betriebsverfassung—Tarifvertrag) auch für das Verhältnis von Unternehmensverfassung und Tarifvertrag mit der Maßgabe (analog) gelten können, daß die Mitbestimmung nach dem MitbestG überall dort funktionell zurückzutreten hat, wo die Koalitionen von ihren Zuständigkeiten aus Tarifautonomie und Arbeitskampf bereits Gebrauch gemacht haben 83 . Der entsprechende funktionelle Vorrang der Koalitionsverfassung vor der Unternehmensverfassung folgte aus der spezialen und zudem verfassungskräftig abgesicherten Ermächtigung des A r t . 9 I I I GG (speziale Arbeitnehmermitbestimmung nach A r t . 9 I I I GG gegenüber der M i t bestimmung der Arbeitnehmer aufgrund des Sozialstaatsprinzips). Legislatorisch wäre umgekehrt zu empfehlen, daß i n das MitbestG auch ausdrücklich entsprechende Konkurrenzregeln aufgenommen w ü r den. Weiterhin ist für das Verhältnis von Koalitionsverfassung und Unternehmensverfassung festzuhalten, daß die paritätische Mitbestimmung auch organisatorisch die Gleichgewichtigkeit i m Koalitionsverfahren (Koalitionsparität) nicht beeinträchtigen darf (speziale und verfassungsrechtlich primäre Garantie der Koalitionsparität gegenüber der M i t bestimmungsparität). Diese Wirkung ließe sich i n der Form erreichen, daß man analog § 29 MitbestG verführe und alle tarifpolitischen Vereinbarungen oder Maßnahmen des gesetzlichen Vertretungsorgans des Unternehmens (Vorstand) an die Zustimmung oder das Vetorecht der Mehrheit der Vertreter der Anteilseigner i m Aufsichtsrat bände 84 . Damit wäre dem Rollen- und Interessenkonflikt von Arbeitnehmervertretern (Gewerkschaftsmitgliedern) i m Tarifstreit ebenso begegnet es Vgl. Säcker, DRdA 73, 95 f. 84 Vgl. für die gewerkschaftlich entsandten Aufsichtsratsmitglieder auch bereits Wiedemann, JZ 70, 593 (602).

IV. Grenzen mitbestimmungsrechtlicher Parität

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wie der Gefahr der mittelbaren Überparität der arbeitnehmerischen Seite. Auch insofern wäre wiederum die ausdrückliche Aufnahme einer entsprechenden Bestimmung i n das MitbestG zu empfehlen. Desgleichen ist zu empfehlen, daß eine Bestimmung nach A r t des § 24 S. 2 Referentenentwurf zum MitbestG i n das MitbestG aufgenommen wird, derzufolge die Aufsichtsratsmitglieder „an Aufträge und Weisungen nicht gebunden" sind. Diese Regelung würde zwar ohnehin allgemeinen Grundsätzen des deutschen Gesellschaftsrechts entsprechen 85 ; aus Gründen der Klarstellung sollte sie aber auch noch ausdrücklich i n einem Gesetz vertreten sein, das gerade i m tarifpolitischen Bereich m i t erheblichen Interessenkonflikten und Rollenkonflikten rechnen muß. Die vorstehend empfohlene Lösung der Stimmrechtsbeschränkung der Arbeitnehmervertreter bzw. vorrangigen Entscheidungsbefugnis der Anteilseignervertreter i n tarifpolitischen Fragen entspricht i m übrigen auch jenen allgemeinen Grundsätzen des deutschen Unternehmensrechts, denen zufolge bei (potentiellen) Interessenkonflikten zwischen Aufsichtsratsmitgliedern, Vorstandsmitgliedern etc. einerseits und dem von ihnen vertretenen Unternehmen andererseits m i t Stimmrechts- und Funktionsbeschränkungen zu helfen ist 8 6 . Wenig sinnvoll erscheint i m Gegensatz zur vorstehenden Lösung der Gedanke, bei paritätisch mitbestimmten Unternehmen den Haus- oder Firmentarifvertrag gänzlich auszuschließen 87 . Sofern die (mittelbare) Überparität droht, w i r d sich diese zwar besonders bei Tarifverträgen dieser A r t auswirken. Andererseits und wie gezeigt, kann diese mittelbare Überparität aber auch auf den Verbandstarifvertrag durchschlagen. Und aus diesem Grunde ist durch die bloße Beschränkung oder den bloßen Ausschluß einzelner Formen koalitionsrechtlicher Einigung wenig an effektiver Konkurrenzlösung zu erwarten. A u f der Grundlage der hier empfohlenen Konkurrenzlösung bleiben auch die Arbeitskampfregeln wesentlich unproblematischer bzw. konfliktfrei: Die Arbeitnehmervertreter i m Aufsichtsrat können sich, ihrer Arbeitnehmersolidarität entsprechend, am von ihrer Gewerkschaft geführten Streik beteiligen; denn sie wirken auf die arbeitgeberische Gegenentscheidung bzw. Kampfhaltung mangels Mitbestimmungses Vgl. auch unten § 4 I I I 2 MontanmitbestG. 86 Vgl. in diesem Sinne §§ 33 I I , V, 35 I, 82 I I , 88, 89 I V , 93 I I 3, 100 I I 2, 3, I I I , 105, 111 I V , 112, 114, 115, 136 I, 142 I, 143, 164, 245 V, 246, 284, 287 I I I , 350 I 1, 394 AktG; 15 I MontanmitbestErgG; 37, 47 I V GmbHG; 27, 37, 39 I I I , 43 I I I , 56 I, I I Erwerbs- und WirtschaftsgenossenschaftenG; 112, 116 I I , 164, 170 HGB. 87 Vgl. allerdings auch Zöllner, RdA 69, 71.

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D. Paritätische Mitbestimmung und Grundrechte

kompetenz nicht mehr m i t ein. Ebenso könnten sie ausgesperrt werden. Insgesamt könnten so auch i m Rahmen der allgemeinen paritätischen Mitbestimmung jene Arbeitskampfregeln funktionieren, die nach herrschender Lehre schon für die Montanmitbestimmung als maßgebend galten 88 . Für die Arbeitnehmervertreter bzw. die der Arbeitnehmerseite verbundenen Vorstandsmitglieder käme als Unternehmensorgane zwar eine Teilnahme am Arbeitskampf ohnehin nicht i n Betracht 8 9 ; über die allgemeine Entscheidungskompetenz der Anteilseignervertreter i m A u f sichtsrat wären aber auch sie von allen weiteren Interessen- und Rollenkonflikten (bis hin zur Frage der Wiederwahl durch die Arbeitnehmer des Unternehmens) wesentlich befreit. M i t der Erkenntnis und weitgehenden Lösung des Problems der Überparität als Konkurrenzproblem ist über die verfassungsrechtliche Seite solcher Konkurrenzlösungen zwar noch nichts gesagt. Es ist aber bereits aufgezeigt, daß die verfassungsrechtlich problematische oder verfassungswidrige Überparität der Arbeitnehmer nicht notwendig allgemeine oder gar irreparable Folge des MitbestG wäre. Und diese Feststellung ist auch für die verfassungsrechtliche Würdigung der paritätischen Mitbestimmung insgesamt von erheblicher Bedeutung. Denn sie weist zumindest den Weg zur verfassungskonformen Auslegung, Fortentwicklung oder Handhabung einzelner „überparitätsanfälliger" Regelungen.

88 Vgl. zusammenfassend hierzu Brox-Rüthers, Arbeitskampfrecht, 1965, 'S. 113 f. 89 Vgl. Hueck-Nipperdey-Säcker, Lehrbuch des Arbeitsrechts, II/2, 7. Aufl. 1970, S. 976.

£. Paritätische Mitbestimmung und grundgesetzliche Eigentumsverfassung Die paritätische Mitbestimmung beschränkt das Eigentum der Kapitalbzw. Anteilseigner und muß sich deshalb, wie bereits gezeigt, i m Rahmen der Beschränkungsmöglichkeiten des A r t . 14 GG halten. Wie ebenfalls bereits gezeigt, ist diese Beschränkung des Eigentums atypisch, gemessen an den „klassischen" (bekannten) Instrumentarien oder Techniken interventionistischer Eigentumsbeschränkung: Das Eigent u m der Anteilseigner w i r d nicht „von außen" beschränkt, sondern „von innen" — i m Rahmen sozialstaatlicher Distribution — umorganisiert 1 . Die Frage, wie die grundgesetzliche Eigentumsgarantie auf solche Maßnahmen reagiert, ist nach wie vor recht offen. Aus diesem Grunde bedarf es hier zunächst der allgemeineren Bestimmung des Garantiegehalts des A r t . 14 GG. I. Struktur und Inhalt der Eigentumsgarantie 1. Allgemeines Das Eigentum i m Sinne des A r t . 14 GG garantiert prinzipiell jedes Vermögenswerte (private) Recht, die freie sowie privatnützige Verfügung über dieses Recht und die freie Disposition über den sachlichen, w i r t schaftlichen oder sonstigen Nutzen dieses Rechts 2 . M i t dieser Maßgabe bildet das Eigentum ein „elementares Grundrecht" 3 ; das Bekenntnis des Grundgesetzes zu ihm beinhaltet „eine Wertentscheidung ... von besonderer Bedeutung für den sozialen Rechtsstaat": „Das Eigentum ist das wichtigste Rechtsinstitut zur Abgrenzung privater Vermögensbereiche 4 ." Das .Eigentum sieht sich so „als Rechtsinstitut wie auch in seiner konkreten Gestalt in der Hand des einzelnen Eigentümers" gewährleistet 5 . 1 Vgl. Sendler, DÖV 74, 78 f., sowie schon oben B I I I . Zu diesem Inhalt des Art. 14 G G vgl. u. a. sowie mit w. Nachw. BVerfGE 20, 351 (355 f.); 26, 215 (222); 31, 229 (240 f.); B G H Z 6, 270 (278 f.); 54, 293 (295); Badura, 49. DJT, Bd. I I , T 11 ff.; Maunz-Dürig-Herzog, GG, Art. 14 Rdnr. 32 f. 3 BVerfGE 14, 263 (277); 24, 367 (389). 4 BVerfGE 14, 277. 5 BVerfGE 24,389. 2

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Die verfassungsrechtliche Eigentumsgarantie gewährleistet ihrem Träger nicht nur den vermögensmäßigen Rechtsbestand, sondern einen prinzipalen „Freiheitsraum i m vermögensrechtlichen Bereich"; das Eigentum steht m i t anderen Worten i m „inneren Zusammenhang mit der Garantie der persönlichen Freiheit" 6 und ist damit vorrangig nicht Sach-, sondern Rechtsträgergarantie 7 . Sachlich umfaßt die Garantie des A r t . 14 GG alle Formen des Eigentums, d. h. das persönliche Eigentum ebenso wie das Konsumtions- und Produktionseigentum. I m übrigen baut der verfassungsrechtliche Eigentumsbegriff aber auf keiner inhaltlich absolut geschlossenen Eigentumsvorstellung auf. A r t . 14 GG steht der Entwicklung und ihren Wandlungen von Vermögen, Vermögenswirksamkeit und Vermögensrecht durchaus offen gegenüber 8 ; die Eigentumsgarantie versteht sich m i t anderen Worten nicht als Status-quo-Garantie 9 . Diese (partielle) Offenheit des verfassungsrechtlichen Eigentumsbegriffs äußert sich i n einem Verständnis des Eigentums, das auch konkreten (entwicklungsbedingten) Situationsbefangenheiten Raum gibt 1 0 und schlägt sich überdies auch institutionell i n der gesetzgeberischen Ermächtigung des A r t . 1412 GG nieder, derzufolge „ I n h a l t und Schranken" des Eigentums „durch die Gesetze bestimmt" werden — was freilich nicht bedeutet, daß der Gesetzgeber etwa beliebig über den Inhalt des (verfassungsrechtlich geschützten) Eigentums disponieren dürfte. Der Gesetzgeber hat vielmehr bei jeder eigentumsrelevanten Gesetzgebung „die grundlegende Wertentscheidung des Grundgesetzes zugunsten des Privateigentums i m herkömmlichen Sinne zu beachten" 11 . Der Gesetzgeber hat andererseits allerdings, da es „keinen vorgegebenen und absoluten Begriff des Eigentums gibt und Inhalt und Funktion des Eigentums der Anpassung an die gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse fähig und bedürftig sind" 1 2 , die Aufgabe, i m Rahmen des Art. 14 12 GG den entsprechend konkretisierten Inhalt des Eigentums festzulegen (fortzuführen) 13 und hierbei namentlich „sachgerechte Maßstäbe festzulegen, die eine der Natur und der sozialen 6 BVerfGE 24, 389. 7 BVerfGE 24,400. 8 Vgl. bes. Sendler, DÖV 71, 16 (18); 74, 80 ff.; auch Stein, G.-MüllerFestschrift, 1970, S. 503 ff. ® Vgl. Badura, 49. DJT, Bd. I I , T 16; Sendler, Gedanken zu einer Neukonzeption der Eigentums Verfassung, 1972, S. 11. io Vgl. z.B. B G H Z 23, 30 (32); 23, 157 (163); 45, 150 (159); 49, 231 (237); BVerwG, DVB1 70, 57 (59)); 70, 60; 70, 62 ff. u BVerfGE 14, 278. 12 BVerfGE 31, 240. 13 BVerfGE 24, 389.

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Bedeutung des Rechts entsprechende Nutzung und angemessene Verwertung sicherstellen" 14 . 2. Eigentumsschutz als ökonomische Substanzund Funktionsgewährleistung I m Bereich des Produktionseigentums dominiert als rechtliche Gewährleistung das Recht am Unternehmen bzw. am eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetrieb 15 . Unter der Kategorie dieses Rechts vereinigt sich die Gesamtheit der schutzfähigen Positionen wirtschaftlichen und wirtschaftsrechtlichen Eigentums 16 . Diese Positionen umfassen vor allem den substantiellen Bestand des Unternehmens (Gewerbebetriebs) 17 , den Kern seiner wirtschaftlichen Nutzungsmöglichkeiten (z. B. Schutz des Kundenstamms) 18 und schließlich die freie Verfügung des Eigentümers über seine unternehmensmäßigen Vermögenswerte, die freie Disposition über den ökonomischen Einsatz und die gewerbliche Nutzung ebenso wie die tatsächliche Sachherrschaft eingeschlossen19. Der wirtschaftliche (wirtschaftsrechtliche) Eigentumsbegriff unterscheidet sich damit wesentlich vom Begriff des Sacheigentums, insbesondere dadurch, daß das wirtschaftliche Eigentum wesentlich Ergebnis und Funktion des ökonomischen Ordnungsprinzips ist 2 0 . Der Eigentumsbegriff sieht sich damit maßgebend funktional , d. h. von den Entwicklungen und Wandlungen gerade des ökonomischen Bereichs, bestimmt 2 1 . 14 BVerfGE 31, 241. 15 Zum Schutz dieses Rechts durch Art. 14 G G vgl. bereits oben D I I 1. 16 Zum wirtschaftsrechtlichen Eigentumsbegriff und seinem Schutz durch Art. 14 G G vgl. Rittner, Schilling-Festschrift, S. 380 ff.; ders., Marburger Gespräch, S. 56 ff. 17 Vgl. näher, mit w. Nachw. hierzu und zum folgenden Buchner, Die Bedeutung des Rechts am eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetrieb für den deliktsrechtlichen Unternehmensschutz, 1971, S. 75 ff., 118 ff., 135 ff.; Fikentscher, Kronstein-Festgabe, 1967, S. 261 ff. is Vgl. z.B. BGHZ 23, 163; BGH, NJW 65, 1907 (1908 ff.). 19 Vgl. näher bes. BVerfGE 4, 7 (16); 24, 389 f.; Scheuner, Überbetriebliche Ertragsbeteiligung, S. 52 ff.; ders., Die staatliche Einwirkung auf die Wirtschaft, 1971, S. 49 ff. ; Benda, in: Gemper, Marktwirtschaft und soziale Verantwortung, S. 195; Badura, 49. DJT, Bd. I I , T 13 ff.; H. Krüger, Regierungsentwurf, S. 13; Pernthaler, Mitbestimmung, S. 75 f. 29 Vgl. Rittner, in: Marburger Gespräch, S. 58. 2i Vgl. Badura, a.a.O., T 7 ff., 20 ff., 26 ff.; Scheuner (-Küng), Der Schutz des Eigentums, 1966, S. 23 f.; Saladin, Grundrechte im Wandel, 1970, S. 391 ff.; Friauf, in: Gemper, Marktwirtschaft, S. 439 ff.; Biedenkopf, Mitbestimmung,

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Oder anders ausgedrückt: Die verfassungsrechtliche Eigentümsgarantie des A r t . 14 GG baut nicht nur auf einem sachlich-substanzhaft („Substanzeigentum"), sondern auch auf einem funktional angelegten Verständnis des schutzfähigen Vermögensrechts auf („Funktionseigentum") 22. Hierbei ist allerdings davon auszugehen, daß zwischen Substanzeigentum und Funktionseigentum nicht etwa ein Unterschied oder gar inhaltlicher Gegensatz bestünde. I m Gegenteil: Verfassungsrechtlicher Eigentumsschutz heißt (gerade i m wirtschaftlichen Bereich) Schutz funktionaler Vermögensrechtssubstanz bzw. Schutz von substantiellen Vermögensrechtswerten in ihrer spezifisch (ökonomisch/sozial) relevanten Funktionalität. Diese Einheit von substantiellem und funktionalem Eigentumsschutz w i r d allerdings meist nicht erkannt. Man versucht vielfach zu unterscheiden und endet bei Gegensätzlichkeiten i n der tatsächlichen Aussage wie rechtlichen Wertung, für die A r t . 14 GG i n Wahrheit keinen Raum bietet. Solche Mißverständnisse belasten, wie Schwerdtfeger gezeigt hat 2 *, auch die Diskussion u m das Verhältnis von paritätischer Mitbestimmung und Eigentumsgarantie: Wer mehr „substanzhaft" denkt, gelangt scheinbar zwingend zum Verfassungsverstoß (Eingriff i n die Sachherrschaft über das Unternehmen), und wer „funktional" denkt, scheint ebenso zwingend zum Gegenteil zu gelangen (Unternehmenseigentum als mitbestimmungsfähige oder mitbestimmungsbedürftige Wirtschaftsfunktion i n der Industriegesellschaft). Beide Auffassungen treffen — zumindest i n dieser Form — jedoch nicht zu. Denn das Eigentum ist als Schöpfung der Rechtsordnung und zugleich real w i r k same Vermögensbasis nicht schlicht vorgegebene oder i n sich von vornherein geschlossene „Substanz"; und umgekehrt ist das Eigentum auch nicht ausschließlich Produkt sozioökonomischer Funktionalität (und damit beliebig „austauschbaren" Funktionen geöffnet). Richtig ist vielmehr, daß das Eigentum Substanz und Funktion i n einem ist: nämlich Vermögenssubstanz i n ihrer aktualen (sozial und/oder ökonomisch wirksamen) Funktion („Substanzeigentum in Funkion"). Dies ist der Sinn, den auch die Garantie des A r t . 14 GG aus der funktionalen Interpretationsmethode erfährt und der ihre legitime Öffnung gegenüber der sozialen und ökonomischen Realität vermögensrechtlicher Wirksamkeit und eigentümerischer Nutzung erlaubt 2 4 . S. 149; Rittner, Marburger Gespräch, S. 55 ff.; Suhr, Eigentumsinstitut, S. 22 ff., 39ff., 83ff.; R. Scholz, Koalitionsfreiheit, S. 102; ders., Staat 74, 98ff. 22 Vgl. hierzu bes. Badura, a.a.O., T 2 7 ; Saladin, a.a.O., S. 395; Pawlowski, AcP 165, 395 ff. 23 Vgl. Mitbestimmung, S. 219 ff. 24 Zur funktionalen Methode und ihrem zentralen Platz in der Grundrechtsauslegung vgl. R. Scholz, Koalitionsfreiheit, S. 96 ff. mit w. Nachw.

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Hieraus folgt, daß die Eigentumsgarantie des Art. 14 GG — i n ihrem institutionellen Begriffskern — zwar an der rechtlich und tatsächlich gegebenen Substanz eines Vermögensrechts anknüpft, daß sie andererseits aber den Inhalt dieser Substanz m i t einem wandlungs- und entwicklungsoffenen Begriffshof umgibt, der die betreffende Substanz „Eigentum" i n ihrer konkreten Wirksamkeit, d. h. i n ihrer aktualen sozioökonomischen Funktion, aufnimmt und bei der konkret-gültigen bzw. augenblicklich-relevanten Bewertung eines Vermögenswerten Rechts mitberücksichtigt 25 . Die Aufnahme und Berücksichtigung der aktuellen Funktionen eines Eigentumsrechts obliegt vornehmlich dem Gesetzgeber. Uber die Kompetenz aus A r t . 14 F2 GG soll gerade er den Inhalt des Eigentums an die gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse anpassen 26 . Für die gesetzliche Einführung der paritätischen Mitbestimmung bedeutet dies, daß keine jener schnellen Schlußfolgerungen — verfassungswidriger Eingriff i n das Substanzeigentum oder verfassungsmäßige Gestaltung des Funktionseigentums — statthaft ist. Denn jede funktionale Eigentumsgestaltung nach Art. 1412 GG muß die prinzipale Wertentscheidung des Art. 1411 GG beachten 27 ; und dies bedeutet nichts anderes, als daß der Begriffskern der Eigentumsgarantie auch bei funktionsadäquater Gesetzgebung gewahrt werden muß — ein Ergebnis, das seine weitere Verfestigung i n den absoluten Regelungssperren der Wesensgehaltsgarantie des Art. 19 I I GG findet. 3. Eigentumsschutz , Funktionsfähigkeit von Unternehmen und ökonomische Rentabilität M i t dem funktionalen Schutz des Eigentums sind auch die Funktionsspecifica des Rechts am Unternehmen (Rechts am eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetrieb) gewährleistet. Dies bedeutet, daß auch die ökonomische Rentabilität und funktionelle Bestandsfähigkeit des Unternehmens am M a r k t etc. m i t i m Schutzbereich des A r t . 14 GG liegen müssen. Dies ist i m Grunde unstreitig; fraglich und ungewiß sind aber die Grenzen solchen Schutzes von Funktionsfähigkeit und Rentabilität. Als prinzipieller Ausgang gilt hier die Erkenntnis des Bundesverfassungsgerichts, daß der (wirtschaftliche) Eigentümer Anspruch darauf hat, daß i h m „der wirtschaftliche Nutzen" seines Vermögens oder seiner 25 Zu dieser (auch) grundrechtlich relevanten Differenzierung zwischen Begriffskern und Begriffshof vgl. näher R. Scholz, Wirtschaftsaufsicht, S. 136 ff. 2 6 BVerfGE 24,389; 31,240. 2 7 BVerfGE 21,73 (82); 24,389.

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Tätigkeit zugeordnet w i r d 2 8 und daß ihm eine „angemessene Verwertung" — nicht aber „jede nur denkbare wirtschaftliche Verwertungsmöglichkeit" — garantiert w i r d 2 9 . Ebenso hat das Bundesverfassungsgericht anerkannt, daß die „Funktionsfähigkeit" von Unternehmen (Aktiengesellschaften) mit Schutzgut des A r t . 14 GG ist 3 0 . Setzt man diese Grundsätze zur „Substanz" des Rechts am Unternehmen i n bezug, so w i r d zweierlei offenkundig: Funktionsfähigkeit und Rentabilität bilden keine absoluten, sondern allein relative Schutzpositionen, d. h. Positionen, deren Beeinträchtigung erst dann als „substantieller" Eingriff i n das Eigentum selbst relevant werden können, wenn m i t ihrer Beeinträchtigung zugleich Existenz, Sinn und Funktion des Unternehmens schlechthin i n Frage gestellt werden. Positiv gewendet bedeutet dies: (1) Unternehmen dürfen nicht zur völligen Funktionsunfähigkeit verurteilt werden; andererseits können sie aber nicht die Ermöglichung jeweils optimaler Funktionsbedingungen beanspruchen. (2) A r t . 14 GG schützt den substantiellen Bestand dessen, „was i n seiner Gesamtheit den wirtschaftlichen Wert des konkreten Gewerbebetriebes ausmacht" 31 . Von diesem Schutz ausgenommen sind folgerichtig alle Elemente, die noch nicht zum substantiell meßbaren Vermögenswert erstarkt sind wie namentlich „bloße Gewinnchancen, Zukunftshoffnungen oder sonstige Erwartungen und Aussichten" 32 ; das gleiche gilt hinsichtlich des Schutzes der Unternehmensliquidität 3 3 und der Wachstumserwartungen oder Produktionserweiterung 3 4 . Der Schutz solcher Eigentumschancen (und nicht Eigentumsrechte) liegt grundsätzlich nur i m Bereich der Freiheit wirtschaftlicher Betätigung und der ihr korrespondierenden Erwerbsfreiheit (Art. 12 GG) 3 5 . Der Schutzbereich des A r t . 14 GG erschließt sich solchen Chancen und Freiheiten erst dort, wo entweder die grundsätzliche Ausrichtung 28 BVerfGE 31, 243. 2» BVerfGE 31, 248 (252). so BVerfGE 14, 279; zum Schutz der Wettbewerbsfähigkeit als spezieller Ausrichtung der Funktionsfähigkeit vgl. auch R. Scholz, Konzentrationskontrolle, S. 52 ff. 31 BGHZ 48, 65 (66) und ständige Rechtsprechung. 32 BGHZ 48, 58 (61) und ständige Rechtsprechung 33 Vgl. BVerfGE 4, 17. 34 Vgl. BVerfGE 8, 71 (79 f.); 21, 150 (154 ff.). 35 Vgl. oben D I I 1 c.

I. Struktur und Inhalt der Eigentumsgarantie

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der Unternehmenszielgebung bzw. Unternehmensorganisation auf das Prinzip der ökonomischen Rentabilität selbst i n Frage gestellt w i r d 3 6 , oder wo m i t dem Entzug bzw. der Vereitelung von Erwerbschancen zugleich die Funktionsgrundlage für eine überhaupt sinnvolle, d. h. w i r t schaftlich rentable Eigentumsnutzung entfällt (Schutz vor absoluter Inrentabilität) 3 7 . Für die paritätische Mitbestimmung bedeutet dies, daß diese jedenfalls dann mit A r t . 14 GG unvereinbar wäre, wenn sie das Prinzip der ökonomischen Unternehmensrentabilität vollends aufgäbe oder i n materiell entsprechender Weise aushöhlte 38 . 4. Eigentumsschutz und Rechtsstellung des Anteilseigners Der eigentumsrechtliche Schutz des A r t . 14 GG gilt für jede Form von Kapitaleignerschaft. Sowohl der Einzelunternehmer als auch der Anteilseigner ist v o l l geschützter Rechtsträger i m Sinne des A r t . 14 GG. Das letztere gilt vor allem für den Aktionär (wie für jeden anderen Kapitalgesellschafter), gleichgültig ob es sich u m den Groß- oder u m den Publikumsaktionär handelt 3 9 . Die Aktie ist „gesellschaftsrechtlich vermitteltes Eigentum" 4 0 ; sie „gewährt dem Aktionär neben den Mitgliedschaftsrechten vermögensrechtliche Ansprüche auf Gewinnbeteiligung, gegebenenfalls auf Bezug junger A k t i e n und auf die Abwicklungsquote" 4 1 . Die Aktie ist i n der Regel zwar „mehr reine Kapitalanlage als unternehmerische Beteiligung" 4 2 ; dennoch verkörpert sie rechtlich aber auch die unternehmerische Betätigung. I m Aktieneigentum vollzieht sich zwar jene Mediatisierung des Eigentums bzw. funktionelle Spaltung zwischen „Verfügungs-" und „Nutzungseigentum" 4 3 . Tatsächlicher Träger der Verfügungsmacht ist zwar das Management; seine rechtliche Legitimation ruht aber allein i m Recht der Aktionäre und ihrer Delegationsmacht (abgeleitete Verfügungsmacht) 44 . 36 Vgl. oben D I I 1 c und deutlich etwa H. Krüger, Regierungsentwurf, S. 20 f. 37 Vgl. näher R. Scholz, Konzentrationskontrolle, S. 55 f., 80 f. 3S Zur mangelnden Maßgeblichkeit des Art. 12 GG vgl. bereits D I I 1 c. 39 Vgl. ausführlich hierzu Schwerdtfeger, Mitbestimmung, S. 217 ff.; Suhr, Eigentumsinstitut, S. 39 ff., 83 ff.; Rupp, in: Tuchtfeldt, Soziale Marktwirtschaft im Wandel, S. 102 ff.; R. Scholz, Konzentrationskontrolle, S. 10 ff.; Scheuner, Uberbetriebliche Ertragsbeteiligung, S. 54 ff. 40 BVerfGE 14, 276; 25, 371 (407). 41 BVerfGE 14, 276. 42 BVerfGE 14, 283; auch BVerfGE 4, 26. 43 Vgl. dazu Suhr, Eigentumsinstitut, S. 40 ff., 141 ff.; R. Scholz, Konzentrationskontrolle, S. 10 ff.; Badura, a.a.O., T 9. 6 Scholz

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. Mitbestimmung und grundgesetzliche

insverfassung

Aus diesem Grunde ist es verfehlt und rechtlich unstatthaft, das Aktieneigentum als bloßes „Rentenrecht" 45 oder schlichtes „Obligationsrecht" 4 6 zu werten und das „Verfügungseigentum" damit von der Rechtsstellung des Aktionärs abzulösen 47 . Für die Mitbestimmungsgesetzgebung folgt hieraus, daß der Schutz des Art. 14 GG für jeden Kapital- oder Anteilseigner zum Zuge kommt, gleichgültig wie das mitbestimmte Unternehmen seinerseits (gesellschaftsrechtlich) organisiert ist und gleichgültig, wie groß oder klein der Anteil des einzelnen Eigners ist. Die konkrete Eigentumsbeschränkung vollzieht sich gegenüber den Anteilseignern über die paritätische Besetzung des Aufsichtsrats und den damit i n aller Regel verbundenen Einfluß der Arbeitnehmervertreter auf Person, Bestellung und Abberufung der Vorstandsmitglieder. Auch solche (mittelbaren) Einflüsse sind unter dem Gesichtspunkt des A r t . 14 GG jedoch schutzrelevant 48 ; denn die Garantie des A r t . 14 GG erfaßt jede Form der Eigentumsbeschränkung, gleichgültig i n welchen Rechtsformen sich diese vollzieht. I I . Schranken der Eigentumsgarantie 1. Inhaltsbestimmung

— Sozialbindung — Enteignung

Die Schranken der Eigentumsgarantie des A r t . 14 GG gliedern sich vor allem i n die Sozialbindung (Art. 14 I I GG) und die Enteignung (Art. 14 I I I GG). Beide Schrankenvorbehalte sind, gleichgültig wie man i m Streit um ihre Abgrenzung i m einzelnen Stellung beziehen w i l l , nach der Intensität der inhaltlichen Eigentumsbeschränkung gestuft, d. h. die übermäßig intensive Sozialbindung kann i n die entschädigungspflichtige Enteignung (enteignungsgleicher Eingriff) „umschlagen". Die Kompetenz des Gesetzgebers zur Inhaltsbestimmung aus A r t . 14 12 GG spielt i m Rahmen der Sozialbindung die tragende Rolle: Der Gesetzgeber ist i m wesentlichen für die konkrete Ausgestaltung der Sozialpflichtigkeit des Eigentums zuständig (Art. 14 I 2/H GG). 44 Vgl. Lutter, Aktionär in der Marktwirtschaft, S. 27 ff., 30 ff.; Rupp, a.a.O., S. 107; Scheuner, a.a.O., S. 54 ff.; Badura, a.a.O., T 9 f.; Friauf, in: Gemper, a.a.O., S. 450. 45 Vgl. für die „de facto-Situation" Rupp, a.a.O., S. 106. 46 Vgl. Wiethölter, Juristenjahrbuch Bd. 7, 1966/67, S. 162 (174). 47 Vgl. Scheuner, a.a.O., S. 54 ff.; Schwerdtfeger, Mitbestimmung, S.231; Badura, a.a.O., T 9 f.; vgl. auch Pernthaler, Mitbestimmung, S. 70 ff., 73 ff.; Leisner, Sozialbindung des Eigentums, 1972, S. 80 ff.; BVerfGE 14, 280 f.; 25, 406 — in entgegengesetzter Richtung vgl. allerdings etwa O. Kunze, RdA 72, 268. 48 Vgl. richtig Bericht der Biedenkopf-Kommission, a.a.O., S. 75.

I I . Schranken der Eigentumsgarantie

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2. System der Schrankenvorbehalte: Nutzungs-, VerfügungsVerteilungs-, Entziehungs- und Organisationsvorbehalt Die Beschränkbarkeit des Eigentums vollzieht sich i n den Stufen von Sozialbindung, Enteignung und i m weiteren auch auf der Stufe der potentiellen Sozialisierung (Art. 15 GG) 4 9 . Wie bei allen Grundrechtsbeschränkungen zwingt das Prinzip des Übermaßverbots zum jeweils geringstmöglichen Eingriff 5 0 . Inhaltlich spielen bei diesen Schrankenvorbehalten das Sozialstaatsprinzip und die allgemeinen Garantien von Freiheit und Gleichheit die dominierende Rolle: „Jede gesetzliche Inhalts- und Schrankenbestimmung" hat neben der „grundlegenden Wertentscheidung des Grundgesetzes zugunsten des Privateigentums" „insbesondere" den „Gleichheitssatz", das „Grundrecht auf freie Entfaltung der Persönlichkeit" und die „Prinzipien der Rechts- und Sozialstaatlichkeit" zu beachten 51 . Das Sozialstaatsprinzip findet zudem seine konkrete Ausgestaltung i n der Sozialpflichtigkeitsklausel des A r t . 14 I I GG. Hiernach soll das Eigentum „dem Wohle der Allgemeinheit dienen"; und aus dem gleichen Grunde kann auch die Eigentumsentziehung (Enteignung) nach A r t . 14 I I I 1 GG statthaft sein. Der hier verwandte Begriff des Gemeinwohls ist allerdings, wie auch sonst oder allgemeiner 52 , von inhaltlich offener bzw. konkretisierungsbedürftiger A r t ; und dies bedeutet, daß namentlich dem demokratischen Gesetzgeber die maßgebende Konkretisierungskompetenz zuwächst 55 . Er hat die konkrete Gemeinwohlentscheidung i m Rahmen der genannten verfassungsrechtlichen Wert- und Grundprinzipien zu setzen. Für das Verhältnis von Eigentumsschutz und Eigentumsschranke treffen allerdings die Bestimmungen der Art. 14 II, I I I GG schon ihre eigene rechtsstaatliche (verhältnismäßige) Vorentscheidung: Die Sozialbindung steht hiernach neben dem Eigentumsschutz; das Eigentum ist, wie Art. 14 I I 2 GG ausdrücklich feststellt, „zugleich" sozialpflichtig, d. h. es untersteht keiner vorrangigen (aber auch keiner nachrangigen) Sozialbindung. Den Vorrang einer Sozialbindung kann erst die Enteignung — unter den rechtlich verschärften Bedingungen des A r t . 14 I I I GG — bewirken, d. h. diejenige (entschädigungspflichtige) Entscheidung, die das Eigentum „zum Wohle der Allgemeinheit" entzieht. 49

Zu dieser Stufung vgl. R. Scholz, Konzentrationskontrolle, S. 63 ff. so Vgl. u. a. BVerfGE 24, 404. 51 BVerfGE 14, 278. 52 Vgl. z. B. Lerche, AöR 90, 341 (367 f.); Ryffel, in: Wohl der Allgemeinheit und öffentliche Interessen, 1968, S. 13 (17 ff.); Rupp, ebenda, S. 116 (117); R. Scholz, Konzentrationskontrolle, S. 83 f. 53 Vgl. BVerfGE 24, 403 f.

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. Mitbestimmung und grundgesetzliche

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Zur Durchführung von Sozialbindung und Enteignung stehen dem Gesetzgeber verschiedene Vorbehaltsformen zur Verfügung: I m Rahmen des A r t . 14 I I GG kann er das Eigentum vor allem i n seinen Nutzungsmöglichkeiten und Verfügungsmöglichkeiten beschränken. I m Rahmen von 14 I I und A r t . 14 I I I GG (je nach Eingriffsintensität) kann er die Verteilung des Eigentums regeln. I m Rahmen des A r t . 14 I I I GG kann er die Entziehung des Eigentums vornehmen. Und vornehmlich i m Rahmen des A r t . 14 I I GG kann er das Eigentum schließlich bestimmten Organisationsmaßnahmen unterwerfen. Die Schrankenvorbehalte von Nutzung, Verfügung, Verteilung und Entziehung sind selbstverständlich und bekannt. Sie implizieren jene „klassischen" Akte der Beschränkung und Bindung von Eigentum, d. h. Akte, die „von außen" an die bestehende „Substanz Eigentum" herangetragen werden. Der Schrankenvorbehalt der Eigentumsorganisation impliziert dagegen einen bisher weniger beachteten, trotzdem aber höchst bedeutsamen Schrankenvorbehalt: nämlich die Beschränkung und Gestaltung des Eigentums „von innen her" durch die rechtliche Organisation der dem Eigentum zugrunde liegenden Vermögenswerte. Selbstverständlich ist auch dieser Vorbehalt, soweit er besagt, daß das Eigentum als Recht, das bestimmten Rechtssubjekten zugeordnet wird, der juristischen Konstituierung bzw. rechtlichen Organisation bedarf. Weniger selbstverständlich erscheint aber noch jene andere Dimension des Organisationsvorbehalts, die das Eigentum als Teil der Sozialordnung begreift 5 4 und folgerichtig auch seine gesellschaftlichen Bezüge rechtlich organisiert. Organisationsakte dieser A r t sind jedoch, wie näheres Zusehen ergibt, nichts Außergewöhnliches. Sie sind vielmehr elementarer Bestandteil einer gerade sozialstaatlich verfaßten Grundrechtsordnung, d.h. einer Freiheitsverfassimg, die wesentlich auf staatliche Unterstützung, Vorsorge und Verteilung angewiesen ist. Organisationsmaßnahmen bewirken hier oft erst die Funktionsfähigkeit oder innergesellschaftliche Fundierung einer verfassungsrechtlich vorgegebenen Freiheit. Besonders deutlich werden die Öffnung oder gar Abhängigkeit grundrechtlicher Freiheiten von solchen (sozialstaatlichen) Organisationsakten i m Bereich der Kommunikationsgrundrechte 55 . Für A r t . 14 GG hat man das Moment des Organisationsbedarfs bisher nur wenig beachtet; sicher nicht zuletzt deshalb, w e i l das Eigentum 54 Vgl. so aber schon eindeutig klarstellend BVerfGE 14, 279; 25, 407 und neuerdings vor allem BVerfG, NJW 74, 1499. 55 Vgl. zum Ganzen näher Lerche, Verfassungsrechtliche Zentralfragen des Arbeitskampfes, S. 37 ff., 49 ff.; R. Scholz, Koalitionsfreiheit, S. 348 ff.; ders., JuS 74, 299 (302 f.); Rupp, W D S t R L 27, 113 (117 ff.); ders., in: Tuchtfeldt, a.a.O., S. 112; vgl. auch BVerfGE 35, 79 (124).

I. S

r

n

der Eigentumsgarantie

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bisher allzu eindimensional als bloße (substantielle) Vermögensrechtsträgerschaft einzelner Hechtssubjekte gesehen worden ist. Betrachtet man dagegen auch seine funktionalen Wirkungen, so werden auch seine gesellschaftlichen — und hier auch evident kommunikativen — Bezüge und Strukturen sichtbar 5®. Offenkundig w i r d dies i m Unternehmensrecht. Denn das Unternehmen ist nur einerseits sachliches Substrat wirtschaftlichen Eigentums; es ist zum anderen auch soziales Gebilde bzw. kommunikativ-soziales System 57 . Gerade unternehmensmäßiges Eigentum bedarf der rechtlichen Organisation i m freiheitsrechtlich-rechtsstaatlichen wie i m teilhaberechtlich-sozialstaatlichen Sinne: Als Substrat privatwirtschaftlichen Eigentums bedarf das Unternehmen der rechtlich-organisatorischen Zuordnung zum Kapitaleigner; eine Aufgabe, die das bürgerliche Vermögens- und Gesellschaftsrecht leisten. Als System sozialer Beziehungen — namentlich zwischen Kapitaleignern, Organen und Arbeitnehmern — bedarf das Unternehmen zugleich der sozialstaatlichen Organisation, die die „unternehmensinternen" Freiheits- und Sozialsphären voneinander abgrenzt bzw. auf die Grundlage einer gemeinsamen Sozialordnung stellt. Auch diese Aufgabe können Vermögens- und Gesellschaftsrecht leisten. Der Gesetzgeber kann sich aber auch anderer Organisationsmaßnahmen sozialordnender A r t bedienen, wie einer M i t bestimmungsgesetzgebung 58 . Betriebsverfassung und Montanmitbestimmung bilden bereits Beispiele dieser A r t . I n diesem Sinne kennt die gesamte Unternehmensverfassung insgesamt zwei Dimensionen, die der Gesetzgeber über seinen Organisationsvorbehalt aus A r t . 1412, I I GG konkretisierend ausfüllt oder gestaltet. I m Sinne einer („zugleich") rechts- und sozialstaatskonformen Ordnung geht es hierbei darum, eine „ausgewogene Sozial- und Eigentumsordnung" 5 9 auch für das Unternehmen zu entwickeln.

56 Zur kommunikativen Struktur im wirtschaftlichen Bereich vgl. R. 57 Vgl. bereits oben B I I c; vgl. mann, Grundrechte als Institution, 58 Vgl. BVerfGE 25, 407. 5» BVerfGE 14, 279.

auch der Eigentumsgarantie namentlich Scholz, Koalitionsfreiheit, S. 291 ff. aus rechtssoziologischer Sicht bes. Luh1965, S. 108 ff.

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inserfassung

I I I . Paritätische Mitbestimmung und Eigentumsgarantie 1. Paritätische Mitbestimmung

als Enteignung oder Sozialbindung

Die Einführung der paritätischen Mitbestimmung bezweckt keine Enteignung, da sie den Kapital- bzw. Anteilseignern ihr Vermögensrecht am Unternehmen nicht entzieht oder zu entziehen beabsichtigt. Die paritätische Mitbestimmung sucht lediglich die unternehmerische Verfügung und Disposition auf die Grundlage einer paritätischen Verfügungskompetenz von Kapital- bzw. Anteilseignern und Arbeitnehmern zu stellen. Selbst wenn der damit verbundene Rechtsverlust der Kapital- bzw. Anteilseigner schon die materiellen Grenzen des A r t . 14 I I I GG, wie teilweise ja angenommen wird, überschreiten sollte, so w i r d doch fast allgemein davon ausgegangen bzw. anerkannt, daß es sich jedenfalls nicht u m den wesensmäßig typischen Fall einer Enteignung i m Sinne des A r t . 14 I I I GG handeln könne 6 0 . Denn diese setzt die eingriffsmäßige Eigentumsentziehung und nicht „bloß" die kompetentielle Umverteilung oder Umorganisation eigentümerischer (unternehmerischer) Dispositionsbefugnisse voraus. Andererseits wären die Grenzen des A r t . 14 I I I GG doch überschritten, wenn diese Umverteilung oder Umorganisation jener Dispositionsbefugnisse materiell den mitbestimmten Unternehmen die Privatnützigkeit, die Rentabilität i m vorstehend entwickelten Sinne oder die Funktionsfähigkeit i m vorstehend entwickelten Ausmaß nähme oder „auf kaltem Wege" zur faktischen Entziehung der eigentümerischen Dispositionsrechte führte. Das Grundkonzept einer paritätischen Mitbestimmung impliziert solche Verfassungsverstöße indessen nicht. Denn die Privatnützigkeit der Unternehmen zugunsten ihrer Eigner bleibt unberührt; das Leitprinzip der ökonomischen Rentabilität bleibt unangefochten; die Funktionsfähigkeit der Unternehmen soll gleichfalls erhalten bzw. über die kooperative Verantwortung von Kapitaleignern und Arbeitnehmervertretern auf eine neue, tragfähige Grundlage gestellt werden; und die Dispositionsrechte der Kapitaleigner sollen i n Gestalt jener kooperativen Verantwortung gleichfalls unberührt bleiben. Das bedeutet, daß sich eine Gesetzgebung zur Einführung der paritätischen Mitbestimmung grundsätzlich nicht auf der Ebene des A r t . 14 I I I GG, sondern auf der des A r t . 1412, I I GG bewegt, Die paritätische Mitbestimmung erfüllt sich auf der Schrankenstufe von Verfügungs- und Organisationsvorbehalt, indem sie der kapitaleignerischen Verfügungsfreiheit kompetentielle 60 Vgl. bes. Schwerdtfeger, Mitbestimmung, S. 217 f.; Rupp, Grundgesetz, S. 36 ff.; Pernthaler, Mitbestimmung, S. 80 ff.; vgl. auch bereits R. Scholz, Staat 74, 100.

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Grenzen setzt (Mitbestimmung der Arbeitnehmer) und die Unternehmensverfassung selbst zur Kooperationsordnung von Kapitaleignern und Arbeitnehmern umorganisiert. I n den Gewährleistungsbereich des A r t . 14 I I I GG könnten solche Maßnahmen nur einschlagen, wenn A r t . 14 GG schon selbst eine bestimmte (nicht-mitbestimmte oder monistische, nicht-dualistische) Unternehmensverfassung garantierte. Dies ist jedoch, wie wohl einhellig anerkannt, nicht der Fall 6 1 . Auch das Bundesverfassungsgericht geht offensichtlich von dieser Auffassung aus. Denn es stellt die qualifizierte Mitbestimmung ausdrücklich i n den Sinnzusammenhang der legitim eigentumsgestaltenden Sozialordnung 62 und weist für das Aktienrecht als maßgebendem Bereich der gesellschaftlichen Unternehmensverfassung m i t Recht darauf hin, daß dies nur organisatorisch-formalen Inhalt habe 63 , was umgekehrt nichts anderes besagt, als daß die materiale Frage der Unternehmensverfassimg gestaltungspolitisch offen ist bzw. von Verfassungs wegen offen sein soll. Die paritätische Mitbestimmung mindert die ökonomische Rentabilität zwar dahin, daß i n mitbestimmten Unternehmen die Gesichtspunkte der sozialen Rentabilität künftig mehr zum Zuge kommen dürften. Eigentumsrechtlich ist dies aber solange nicht relevant, wie die ökonomische Rentabilität nicht ausgeschaltet oder ausgehöhlt w i r d ; und hierfür besteht vorerst kein Anhalt. I m übrigen und wie gezeigt, besteht kein verfassungsverbürgtes Recht auf maximale Rentabilität oder optimale Realisierung aller möglichen Gewinnchancen. Solange die ökonomisch angemessene Nutzung gewährleistet ist, solange ist auch A r t . 14 GG genügt. Aus diesem Grunde läßt sich auch insoweit kein Verstoß gegen Art. 14 I I I GG (entschädigungsloser Eingriff) nachweisen. Problematischer erscheint dagegen der Gesichtspunkt der Funktionsfähigkeit der mitbestimmten Unternehmen. Geht man, wie i m augenblicklichen Zusammenhang, vom Grundkonzept der paritätischen M i t bestimmung, d.h. der vollen und uneingeschränkten Parität von Kapitaleignern und Arbeitnehmern, aus, so lassen sich unschwer Fälle ausmachen, i n denen sich die Parität i n ein absolutes Patt verwandelt — m i t der potentiellen Folge absoluter Funktionsunfähigkeit des mitbestimmten Unternehmens. Dieser Grenzfall ist der paritätischen Mitbestimmung sicherlich nicht konzeptionell zu eigen. I m Falle der absoluten Verweisung auf den 61 Vgl. deutlich klarstellend zuletzt Richardi, Die Mitbestimmung und unternehmerische Handlungsfreiheit, in: Zur Konzeption des Betriebsverfassungsgesetzes 1972, 1973, S. 27 (28). 62 BVerfGE 25, 407. 63 BVerfGE 14,275.

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Einigungszwang wie beispielsweise i m Referentenentwurf des Bundesministers für Arbeit und Sozialordnung ist jener Grenzfall aber sehr nahe; denn hier fehlte jeder Mechanismus zur Uberwindung etwaiger Pattkonstellationen bei nicht realisierbarer Einigung zwischen den Vertretern der Kapitaleigner und der Arbeitnehmer. Andererseits bedeutete jener Grenzfall auch aus der Sicht der paritätischen Mitbestimmung nichts anderes als die (letztliche) Verweigerung der konzeptionell angestrebten Kooperation und damit möglichen Mißbrauch des Mitbestimmungsmodells selbst. Solche Gefahren muß die gesetzliche Einführung der paritätischen Mitbestimmung miteinkalkulieren; sie muß ihnen auch institutionell begegnen. A u f welchem Wege dies zu geschehen hat, w i r d später zu erörtern sein 64 . I m hiesigen Zusammenhang genügt die Erkenntnis des Mißbrauchs. Sie zeigt, daß Gefahren dieser A r t jedenfalls nicht typischer Bestandteil des Grundkonzepts der paritätischen Mitbestimmung sind 6 5 und ihr damit auch nicht konzeptionell bzw. generell angelastet werden dürfen. Ob eine paritätische Mitbestimmung — mit ihren ja bestehenden bzw. wahrscheinlichen Reibungsverlusten — die w i r k l i c h zweckmäßigste, sprich: funktionstüchtigste Unternehmensstruktur verspricht, ist zweifelhaft. Dies ändert allein jedoch nichts an ihrer rechtlichen Vereinbarkeit m i t A r t . 14 GG. Denn die Frage der Zweckmäßigkeit liegt, wie gezeigt, auch i m Verhältnis zu A r t . 14 GG beim prinzipiellen Gestaltungsermessen des Gesetzgebers. Insgesamt ergibt sich demnach, daß die Grundidee der paritätischen Mitbestimmung keine Enteignung bewirkt bzw. keine Quasi-Enteignung auslöst. Die paritätische Mitbestimmung hält sich schrankenrechtlich auf der Stufe der Sozialbindung, konkret: i n Gestalt des Verfügungs- und Organisationsvorbehalts. Etwas anderes hätte naturgemäß für die überparitätische Mitbestimmung zu gelten. Sie implizierte die Prävalenz der arbeitnehmerischen Dispositionsrechte und würde damit i n die Rechtsstellung der Kapitalbzw. Anteilseigner auf eigentumswidrige — oder unter dem Aspekt des A r t . 14 I I I GG: auf entschädigungspflichtige — Weise eingreifen (nicht mitbestimmtes, sondern fremdbestimmtes Unternehmen) 66 . Hiergegen ließe sich auch nicht einwenden, - daß das Bundesverfassungsgericht i m Feldmühle-Urteil 6 7 sogar das durch Mehrheitsumwand6* Vgl. unten 3. 65 Dies beweist im übrigen auch die Entwicklung der Montanmitbestimmung. «« a. A., aber nicht haltbar dagegen Däubler, Grundrecht, S. 268 f. 67 BVerfGE 14, 263 ff.

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lung erzwungene Ausscheiden einzelner Aktionäre aus einer A G noch toleriert bzw. für mit A r t . 14 GG vereinbar erklärt hat 6 8 . Das Bundesverfassungsgericht hat einmal seine diesbezüglichen Bedenken nicht verhehlt und zum anderen darauf hingewiesen, daß ein solches Ausscheiden von Aktionären gerade i n der eigentumsrechtlichprivatautonomen Grundstruktur des Aktienrechts einbeschlossen liegt, d. h. hier ging es gerade nicht u m außerhalb des Aktienrechts liegende Beschränkungen (wie i m Falle potentieller Prävalenzen von Arbeitnehmervertretern), sondern u m immanente Folgeerscheinungen eines i m übrigen eigentumskonformen Aktienrechts. Für die paritätische Mitbestimmung gelten die vorstehenden Feststellungen und Bedenken aus der Sicht des A r t . 14 GG grundsätzlich nicht. Die paritätische und nicht überparitätische Mitbestimmung hält sich prinzipiell i m Rahmen der verfassungsrechtlich legitimen (nicht entschädigungspflichtigen) Sozialbindung des Eigentums 69 . Auch sozialbindende Maßnahmen dieser A r t bedürfen allerdings der rechts- und sozialstaatlichen Legitimation, u m nicht dem Verdikt einer unverhältnismäßigen Eigentumsbindung zu verfallen. Des weiteren ist die Frage der Mißbrauchswehr wesentlich. Die paritätische Mitbestimmung muß i n ihrer konkreten Ausformung über entsprechende Abwehrinstrumentarien oder Korrekturmittel verfügen 70 . 2. Paritätische Mitbestimmung als sozialstaatliche Eigentumsorganisation Die paritätische Mitbestimmung baut, wie gezeigt, auf verschiedenen sozialstaatlichen Grundlegitimationen auf (Stärkung arbeitnehmerischer Selbstbestimmung und Teilhabe, Kontrolle ökonomischer Unternehmensmacht, soziale Interessenintegration i m Unternehmen). A l l e diese Legitimationen sind inhaltlich geeignet, den Vorbehalt der Sozialbindung des Eigentums auszufüllen. Hierüber darf die Neuartigkeit der vom Gesetzgeber gewählten A r t des Umsetzungsvorbehalts nicht hinwegtäuschen. Der Gesetzgeber ist durchaus berechtigt, die Sozialbindung des Eigentums nicht nur i n den mehr traditionell bekannten Vorbehaltsformen von Nutzungs- und Verfügungsschranke, sondern auch m i t der neuen bzw. bisher weniger gewohnten Schrankenform des Organisa68 Vgl. 69 Vgl. S. 170 ff., Martens, 70 Vgl.

BVerfGE 14, 276 ff. im Ergebnis auch und insbesondere Schwerdtfeger, Mitbestimmung, 231 ff.; T. Raiser, JZ 74, 277 ff.; O. Kunze, RdA 72, 261 ff.; auch Z H R 138, 211 f.; vgl. auch bereits R. Scholz, Staat 74, 104 f. auch BVerfGE 14, 279.

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tionsvorbehalts durchzusetzen. Das bedeutet zwar, daß das (Unternehmens-)Eigentum auch inhaltlich intensiver neu gestaltet w i r d (Organisation des Eigentums „von innen" her); oder anders ausgedrückt: das Eigentum w i r d weniger i n Gestalt freiheitlicher Ausübungsformen als i n Gestalt institutioneller Kompetenzformen geordnet. Grundsätzlich legitime Sozialbindung und Inhaltsgestaltung bleibt aber auch die derart beschaffene Eigentumsorganisation. Eine solche Umorganisation der mitbestimmten Unternehmen (dualistische Unternehmensstruktur) beschränkt allerdings die Nutzungsund Dispositionsfreiheit der Anteilseigner. Solche Freiheitsbeschränkungen liegen jedoch i m Rahmen des sozialstaatlich Hinnehmbaren. Solange die paritätische Mitbestimmung nicht zur überparitätischen Fremdbestimmung der Unternehmen führt, ist der Rahmen des A r t . 14 12, I I GG grundsätzlich gewahrt. Etwas anderes würde nur dann gelten, wenn der ordnungspolitische Zielkonflikt zwischen eigentümerischer Unternehmerfreiheit und sozialer Arbeitnehmerteilhabe durch die paritätische Mitbestimmimg i n unverhältnismäßiger Weise zu Lasten der Anteilseigner bzw. zu Lasten der Eigentumsgarantie gelöst würde. Dann versagt auch der Hinweis auf die sozialstaatliche Organisationsmacht des Gesetzgebers; denn gegenüber den verfassungsmaterialen Wertentscheidungen von Eigentum, Freiheit und Teilhabe besitzt auch der Organisationsvorbehalt aus A r t . 1412, I I GG nur instrumentale oder formale Bedeutung: Er hat jenen Wertentscheidungen i n konfliktlösender Weise zu dienen, und nicht umgekehrt ihren materialen Rang zu durchbrechen oder zu relativieren. Für das materiale Verhältnis von Eigentum, Freiheit und Teilhabe gelten die allgemeinen Grundsätze prinzipieller Gleichrangigkeit. Das Eigentum ist selbst Grundlage der (wirtschaftlichen) Freiheit (Voraussetzung wirtschaftlicher Entfaltung) 7 1 und zugleich objektivierte Freiheit, d.h. Ergebnis (Objektivation) ausgeübter Wirtschafts- oder Erwerbsfreiheit 7 2 . Das Eigentum rangiert damit neben und nicht unterhalb der Freiheit — eine zwingende Einsicht, der freilich manchmal nicht hinreichend entsprochen wird. Dies gilt vor allem für jene Stimmen, die das Eigent u m lediglich als Voraussetzung oder M i t t e l der Freiheit verstehen und 71 Vgl. näher Friauf, in: Gemper, Marktwirtschaft, S. 442 ff.; Kloepfer, Grundrechte als Entstehenssicherung und Bestandsschutz, 1970, S. 15 N. 73, auch S. 35 ff.; R. Scholz, Koalitionsfreiheit, S. 108; vgl. des weiteren auch BVerfGE 24, 389. 72 Vgl. R. Scholz, Koalitionsfreiheit, S. 83 ff.; Rüthers, Arbeitsrecht und politisches System, S. 157 (Eigentum als „materialisierte Freiheit").

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ihm damit nur eine „auxiliäre" Funktion einräumen wollen. Zu Recht ist solchem Funktionsverständnis zuletzt H. H. Friauf entgegengetreten 73 . Von diesem — schon i m Ansatz verfehlten — Verständnis der Eigentumsgarantie ist es nicht weit bis zu jener Mißdeutung des Verhältnisses von paritätischer Mitbestimmung und A r t . 14 GG, derzufolge die grundgesetzliche Eigentumsgarantie „Voraussetzung für einen verfassungskonformen Freiheitsgebrauch" sei, solcher Freiheitsgebrauch aber der der „Selbstbestimmung von Arbeitnehmern" sei und damit letzthin auch der „Entzug aller (eigentümerischen) Herrschaftsbefugnisse" i m Rahmen einer überparitätischen Mitbestimmung verfassungsrechtlich statthaft sein soll 7 4 . Hier w i r d das Verhältnis von Eigentum und Freiheit deshalb i n sein Gegenteil verkehrt, weil die freiheitsfordernde Funktion des Eigentums von Freiheiten her definiert wird, die der eigentümerischen Freiheit sogar entgegengesetzt sind. So kann man die Eigentumsgarantie jedoch nicht relativieren. Denn ihr Freiheitsbezug gilt dem Eigentümer, und die Freiheiten Dritter können nur als Eigentumsschranke wirksam sein 75 . Auch die Sozialbindung öffnet keinen solchen Interpretationsweg; auch sie erlaubt keine Definition des Eigentumsinhalts aus den Freiheiten oder Freiheitsrechten Dritter 7 6 . Eigentum und eigentümerische Freiheit stehen damit den sozialstaatlichen Freiheitsschranken und den sozialen Teilhaberechten der A r beitnehmer gegenüber. Zwischen beiden, miteinander v o l l gleichrangigen Wertentscheidungen muß der verhältnismäßige, d. h. der „nach beiden Seiten h i n schonendste" Ausgleich (P. Lerche) hergestellt werden. Die entsprechende Umorganisation des Unternehmenseigentums zur m i t bestimmten Unternehmensverfassung vermag diesen Ausgleich i n verfassungsgerechter Weise zu leisten. Daß das Unternehmenseigentum damit i n seiner ökonomischen Rentabilität tangiert wird, ist dabei nicht maßgebend. Denn insoweit hat das Ziel ökonomischer Rentabilität dem verfassungsrechtlich gleichrangigen Ziel sozialer Rentabilität Raum zu geben. Für das Verhältnis von ökonomischer und sozialer Rentabilität gilt insoweit wieder der „Zugleich"-Satz des Art. 14 I I 2 GG: Der freiheitlich-ökonomische Ge™ Vgl. in: Gemper, a.a.O., S. 442 ff.; vgl. auch Leisner, Jahrreiß-Festschrift, 1974, S. 135 (140 ff.). 74 Däubler, Grundrecht, S. 172 f., 268 f. 75 Entgegengesetzt Däubler, a.a.O., S. 172. 76 Vgl. grundlegend sowie auch mit Bezug zur Mitbestimmungsfrage Leisner, Sozialbindung des Eigentums, S. 81 ff.; ders., Jahrreiß-Festschrift, S. 137 ff.

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brauch unternehmerischen Eigentums soll „zugleich" dem sozialen Freiheits- und Teilhaberecht der Arbeitnehmerschaft als sozialstaatlich legitimierter Gemeinwohlentscheidung des gesellschaftspolitisch aktiven Gesetzgebers dienen. Unter dem Gesichtspunkt der Verhältnismäßigkeit verbleibt damit nur noch das Problem der Funktionsfähigkeit der paritätisch mitbestimmten Unternehmen. Auch diese Funktionsfähigkeit muß von der Neuorganisation des Unternehmensverfassungsrechts gewahrt werden 7 7 . 3. Paritätische Mitbestimmung und die Garantie funktionssichernder oder konkurrenzlösender Verfahren Das Problem des Schutzes der Funktionsfähigkeit der mitbestimmten Unternehmen erweist sich aus grundrechtlicher Sicht, wie bereits oben deutlich geworden ist 7 8 , maßgebend als Problem der funktionssichernden bzw. konkurrenzlösenden Verfahren: Das Eigentumsrecht der Anteilseigner am mitbestimmten Unternehmen darf durch keine überparitätische Mitbestimmung der Arbeitnehmer majorisiert werden; die Leitungsstruktur des Unternehmens darf nicht durch unternehmensinterne Pattkonstellationen lahmgelegt werden 7 8 3 ; die eventuelle Kumulierung von Mitbestimmungsrechten muß durch entsprechende Konkurrenzlösungen aufgefangen werden. Alle diese Aufgaben und Maßnahmen liegen auf der Ebene des M i t bestimmungsverfahrens bzw. der verfahrensmäßigen Ordnung innerhalb des mitbestimmten Unternehmens. Die Eigentumsgarantie fordert demgemäß entsprechende Vorkehrungen. Denn das Recht aus A r t . 14 GG bedingt, wie die anderen Grundrechte auch, ein System möglichst effektiven Grundrechtsschutzes 79 ; und ein solches System impliziert, wie das Bundesverfassungsgericht gerade für organisationsbedürftige Freiheitsräume ausgeführt hat, die Forderung nach wirksamen Rechtsbehelfen gegen Mißbrauch 80 , die Forderung nach Maßnahmen, die die Gefahr der Funktionsfähigkeit nach Möglichkeit ausschließen 81 , und die Forderung nach möglichst formalisierten, gerichtlich kontrollierten Verfahren 82 . Hinzu kommt als weitere Forderung gerade für experimentierende oder wirtschafts- bzw. eigentumspolitisch umgestaltende Gesetzgebun77 Vgl. in diesem Sinne auch BVerfGE 14, 279. 78 Vgl. oben D I V . 78a vgl. auch Rupp, Grundgesetz, S. 42 ff. 79 Vgl. zu Art. 14 G G unmittelbar BVerfGE 24, 401. so BVerfGE 14, 283 (für das Aktieneigentum bzw. den Aktionär). 8 i Vgl. BVerfGE 24, 401; 35, 79 (124). S2 Vgl. BVerfGE 33, 303 (341).

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gen die Forderung nach einer „weichen Überleitung", die den Betroffenen die adäquate Anpassung ermöglicht 8 3 ; und auch dies bedeutet wiederum die maßgebende Forderung nach funktionssichernden und härtemildernden Verfahren. Auch die Einführung der paritätischen Mitbestimmung ist bereits unter diesem Gesichtspunkt gewürdigt worden und mit einem solchen Verfahrensvorbehalt konfrontiert worden 8 4 . Gerade vor den Grundsätzen des Bundesverfassungsgerichts ist dieser Forderung m i t der Maßgabe beizupflichten, daß die paritätische Mitbestimmimg jedenfalls mit funktionssichernden — und dies bedeutet: vornehmlich m i t konkurrenzlösenden — Verfahrensregeln ausgestattet wird. Als vornehmlich konkurrenzlösende Regeln haben diese Verfahren namentlich diejenigen Inhalte aufzunehmen oder fortzuführen, die oben 85 zur Konkurrenzlösung innerhalb der Mitbestimmungsrechte entwickelt wurden. M i t dieser Maßgabe ist die Vereinbarkeit des Grundkonzepts einer paritätischen Mitbestimmung m i t der verfassungsrechtlichen Eigentumsgarantie auch unter dem Aspekt der Funktionsfähigkeit mitbestimmter Unternehmen prinzipiell zu bejahen. Entsprechende Überlegungen finden sich, wenngleich m i t sehr unterschiedlicher Ausrichtung, auch i m bisherigen Schrifttum vertreten: So hat sich G. Schwerdtfeger bemüht, auf der Grundlage des geltenden Aktienrechts entsprechende Verfahrensregelungen zu entwickeln 8 6 . Deren Grundlage sieht Schwerdtfeger i n der Verpflichtung der Vorstandsmitglieder auf das ökonomische Rentabilitätsziel des Unternehmens und i n der Einhaltung dieser Pflicht durch potentielle Schadensersatzansprüche oder Abberufungsmöglichkeiten gegenüber pflichtw i d r i g handelnden Vorstandsmitgliedern. Da das Kapitalrisiko bei den Anteilseignern liegt, postuliert Schwerdtfeger die Berechtigung zu diesen Maßnahmen — i n entsprechender Modifikation der Regelungen aus §§84111, 103 I I I , 93, 112 A k t G — nicht nur für den Aufsichtsrat i n seiner Gesamtheit, sondern auch allein bzw. ausschließlich für die Vertreter der Anteilseigner i m Aufsichtsrat. Diese Vorschläge wären i n der Tat geeignet, konkurrenzlösend und funktionssichernd zu wirken. Verfassungsrechtlich zwingend sind sie jedoch nicht; es lassen sich vielmehr auch anders strukturierte Lösungen denken. Einen Weg zu solchen Lösungen weist, wie zu zeigen sein wird, auch das MitbestG 8 7 . 83 Vgl. Salzwedel, Verwaltung 72, 11 (13); Sendler, DÖV 74, 73 (78, 81 f.). 84 Vgl. Lerche, Z H R 134, 363 (366); Schwerdtner, Blätter für Steuerrecht, Sozialversicherung und Arbeitsrecht 1972, 33 (37). 85 Vgl. D IV. 86 Vgl. Mitbestimmung, S. 210 ff. 87 Vgl. im folgenden I V 3.

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Einen anderen, verfassungsrechtlich jedoch nicht gangbaren Weg emfiehlt Däubler über die Dividendengarantie zugunsten der Anteilseigner bei i m übrigen sogar überparitätischen Mitbestimmungsrechten der Arbeitnehmer 8 8 . Hier wäre Pattkonstellationen zwar vorgebeugt, zugleich wären die verfassungsrechtlich geschützten Eigentumsrechte der Anteilseigner aber hinfällig geworden. Aus diesem Grunde ist eine solche Konkurrenzlösung verfassungsrechtlich ausgeschlossen. Entsprechend der ordnungspolitischen Gestaltungsfreiheit des Gesetzgebers liegt die Auffindung und Gewährleistung der richtigen und verfassungskonformen Verfahrensregeln grundsätzlich i n seiner Hand. Auf dem Hintergrund dieser Voraussetzung sind die bestehenden sowie befürworteten Mitbestimmungsmodelle zu würdigen. I V . Anwendung 1. Die

Montanmitbestimmung

Die Montanmitbestimmung verfügt, wie bereits oben ausgeführt wurde 8 9 , durch die Einrichtung des „neutralen 11. Mannes", der letztentscheidungsmäßig vom Wahlorgan, d. h. von den Anteilseignern, benannt wird, und durch die Regelung des § 15 MontanmitbestErgG über einigermaßen funktionssichernde Verfahrensmechanismen, um Uberparitäten und funktionsgefährdende Pattkonstellationen zu verhindern. Die Einführung eines „11. Mannes" verhindert auf w o h l einfachste Weise das Entstehen von funktionsgefährdenden Pattkonstellationen. Aus diesem Grunde ist die Montanmitbestimmung auch keinen sehr durchschlagenden Einwänden von Seiten des A r t . 14 GG her begegnet — eine Feststellung, die sicher nicht nur i n der vorkonstitutionellen Herkunft der Montanmitbestimmung begründet ist. Aus dem gleichen Grunde könnte die Montanmitbestimmung auch zum Konstruktionsvorbild für andere Formen der paritätischen Mitbestimmung werden. Denn über den „11. Mann" ist der — einer jeden Parität potentiell immanenten — Pattkonstellation schon institutionell vorgebeugt. Die Figur eines solchen „neutralen" Zusatzmitglieds i m paritätisch zusammengesetzten Aufsichtsrat unterliegt allerdings bestimmten rechtlichen Bindungen von Seiten des A r t . 14 GG; der „Neutrale" darf nie Ausfluß arbeitnehmerischer Uberparität sein. Dies bedeutet nicht nur die funktioneller Verpflichtung des „Neutralen" auf das Unternehmenswohl mit seinen Leitprinzipien von ökonomischer Rentabilität und 88 8

Vgl. Grundrecht, S.268f., 411 ff. » Vgl. D I V 3 b, 6.

IV. Anwendung

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unternehmensmäßiger Funktionsfähigkeit. Dies bedeutet auch die organisatorische Bindung an ein Letztentscheidungsrecht der Kapitaleigner: Die Bestellung eines „neutralen" Aufsichtsratsmitglieds darf nicht gegen den Willen der Kapitaleigner erfolgen. Die Regelung des § 8 MontanmitbestG genügt dieser Forderung dadurch, daß sie — freilich nach höchst kompliziertem Vorverfahren — ein solches Letztentscheidungsrecht zugunsten der Kapitaleigner (Wahlorgan) anerkennt. Wesentlich i n diesem Verfahren ist aber die inhaltliche und gerichtlich vorzunehmende Eignungskontrolle dahin, ob eine als neutrales Aufsichtsratsmitglied vorgeschlagene Person „die Gewähr für ein gedeihliches Wirken für das Unternehmen bietet" (§ 8 I I I 2 MontanmitbestG). Für den augenblicklichen Streit u m die Gestaltung der paritätischen Mitbestimmung nach dem MitbestG folgt aus diesen Grundsätzen unter anderem, daß jeder Versuch verfassungswidrig wäre, der es unternähme, den politischen Streit u m den mitbestimmungsrechtlichen Status der leitenden Angestellten dahin zu lösen, daß ein Vertreter dieser Angestellten als zusätzlicher „neutraler Vertreter" i n den Aufsichtsrat des mitbestimmten Unternehmens einzöge. Eine solche Lösung implizierte rechtlich nämlich die Uberparität zugunsten der Arbeitnehmer; die Anteilseigner stünden der Gesamtheit von Arbeitnehmervertretern und leitenden Angestellten i n der Unterparität gegenüber und wären somit i n ihrem Grundrecht aus A r t . 14 GG verletzt. Auch hier offenbart sich wieder, daß der leitende Angestellte rechtlich zur „Arbeitnehmerbank" gehört und daher keine Mitbestimmungsrechte „zwischen" den Anteilseignern und den (übrigen) Arbeitnehmern innehaben kann. U m die Parität der Anteilseigner zu sichern, muß der „11. Mann" (auch) über die Legitimation und Delegation der Anteilseigner verfügen; ein von der „Bank leitender Angestellter" bestellter „11. Mann" besäße diese aber nicht. 2. Der Referentenentwurf des Bundesministers für Arbeit und Sozialordnung Der Referentenentwurf des Bundesministers für Arbeit und Sozialordnung zu einem Mitbestimmungsgesetz erfüllte die vorstehenden Voraussetzungen einer verfassungskonformen Verfahrensregelung prinzipiell nicht, da er keine Vorkehrungen gegen die funktionslähmende Pattkonstellation enthielt. Der Referentenentwurf setzte ausschließlich auf den Einigungszwang der beteiligten Kapital- und Arbeitnehmervertreter; und dieses Verfahren ist nicht ausreichend, da es gegen Mißbrauch und Obstruktion keine Abwehrmittel parat h ä l t 8 9 a . 89a

Vgl. auch Rupp, Grundgesetz, S. 42 ff.

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Der Referentenentwurf war allerdings nicht verfassungswidrig, wie gelegentlich angenommen wurde, weil er keine Prävalenz der Anteilseigner kannte. Verfassungsrechtlich bedenklich war nicht sein Bekenntnis zur höchstmöglichen Parität von Anteilseignern und Arbeitnehmern; verfassungsrechtlich bedenklich war allein, daß die konkret gewählte Paritätslösung keine funktionssichernden Verfahren für die potentiell stets mögliche Pattkonstellation enthielt. Dieses verfahrensrechtliche Ordnungsdefizit des Referentenentwurfs führte zu dessen tatsächlicher Unvereinbarkeit mit A r t . 14 GG; und Entsprechendes hätte für jede gleichartige Paritätslösung zu gelten. 3. Der Regierungsentwurf

vom 22. 2.1974

a) Der Regierungsentwurf zum MitbestG unterscheidet sich vom vorangegangenen Referentenentwurf dadurch, daß er i n den Regelungen der §§ 28, 29 bestimmte Konkurrenzlösungen und Funktionssicherungen enthält: § 29 MitbestG soll die Uberparität der Arbeitnehmer i m Fall von Beherrschungsverhältnissen zwischen zwei Unternehmen verhindern 9 0 ; und § 28 IV, V MitbestG soll die Pattkonstellation bei Bestellung und Widerruf von Vorstandsmitgliedern verhindern. Die grundsätzliche Verfassungskonformität dieser Lösung (relatives Letztentscheidungsrecht der Mehrheit der Anteilseigner) hatte sich gleichfalls bereits früher abgezeichnet 91 . b) Für die Funktionsfähigkeit des (mitbestimmten) Unternehmens ist das Bestehen eines funktionierenden gesetzlichen Vertretungsorgans (Vorstands) unabdingbar. Da diesem zwingenden Erfordernis wegen A r t . 14 GG nicht zu Lasten der Anteilseigner begegnet werden darf (Unzulässigkeit einer Überparität der Arbeitnehmervertreter i m Aufsichtsrat), kommt für die Vorstandsbestellung nur eine Lösung nach A r t des § 2 8 I V MitbestG i n Betracht. Das Verfahren des § 2 8 I V MitbestG kann allerdings sehr umständlich und zeitraubend werden, m i t der weiteren Konsequenz, daß die Reagibilität des Unternehmens trotzdem ernsthaft beeinträchtigt wird. I n diesem Falle hift jedoch das Verfahren des § 85 A k t G i n Verbindung m i t § 281 MitbestG, wonach „ i n dringenden Fällen" eine gerichtliche Bestellung von Vorstandsmitgliedern möglich ist. Hiernach ist der „Anteilseignerbank" i m Aufsichtsrat das Recht einzuräumen, i n Fällen zeitlich übermäßiger Verzögerung m i t der weiteren Folge einer Gefährdung der Funktionsfähigkeit des Unternehmens insgesamt das zuständige Gericht zwecks gerichtlicher Vorstandsbestellung anzurufen. Ein entsprechendes Recht kann der „Arbeitnehmerbank" i m Aufsichtsrat zustehen; denn wenn die funk90 Vgl. näher oben D I V 6. Vgl. oben D I V 3 a, 6.

IV. Anwendung

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tionsgefährdende Verzögerung auf das Verhalten der Anteilseigner zurückgeht, sind die Arbeitnehmervertreter — aufgrund ihrer inhaltlich gleichen Verpflichtung zum Unternehmenswohl (Wahrung der Funktionsfähigkeit und ökonomische Rentabilität) — gehalten und berechtigt, ihrerseits die erforderlichen Maßnahmen zur Funktionssicherung nach § 85 A k t G zu ergreifen. Dieses Recht der Arbeitnehmer w i r k t sich i m übrigen auch auf das relative Letztentscheidungsrecht der Anteilseigner aus § 2 8 I V MitbestG aus. Denn wenn die Anteilseigner ihrerseits das Verfahren der Vorstandsbestellung (mißbräuchlich) verzögern, kann der Tatbestand des § 281 MitbestG i n Verbindung m i t § 85 A k t G vor dem Tatbestand des § 2 8 I V MitbestG erfüllt sein; dies berechtigte die Arbeitnehmervertreter i m Aufsichtsrat, den Antrag nach § 851 A k t G beim zuständigen Gericht zu stellen; und dies bedeutete wiederum, daß das überparitätische Entscheidungsrecht der Anteilseigner aus § 2 8 I V MitbestG i n den entsprechend dringenden Fällen des § 851 A k t G dem paritätischen A n tragsrecht der Arbeitnehmervertreter aus §§ 281 MitbestG, 851 A k t G (einstweilen) wiche. Oder m i t anderen Worten: Von der Regelung der §§ 281 MitbestG, 85 A k t G geht nicht nur ein funktionssichernder, sondern auch ein partiell paritätsstärkender Einfluß aus. Dieser letztere Einfluß ist von den bisherigen K r i t i k e r n der (überparitätischen) Lösung des § 28 I V MitbestG freilich und offenkundig übersehen worden. Der Zusammenhang der Regelungen aus den §§ 28IV, 28 I MitbestG i n Verbindung m i t § 85 A k t G führt für die Frage der Bestellung der M i t glieder des gesetzlichen Vertretungsorgans (Vorstand) insgesamt also zum Ergebnis der Ubereinstimmung m i t A r t . 14 GG und zugleich zu einem paritätsgerechten Gesamtergebnis. c) Eines entsprechenden Ergebnisses bedarf es für den Fall des Widerrufs der Bestellung eines Mitgliedes des gesetzlichen Vertretungsorgans. Für diesen Fall verweist § 28 V MitbestG auf das Verfahren der Bestellung von Mitgliedern des gesetzlichen Vertretungsorgans gemäß § 28 I I - I V MitbestG, d. h. auch hier gilt wiederum das Letztentscheidungsrecht zugunsten der Mehrheit der Anteilseignervertreter i m Aufsichtsrat. Diese Lösung ist i m Grundsätzlichen ebenso verfassungsgeboten wie die Lösung zur Bestellung der Mitglieder des gesetzlichen Vertretungsorgans. Denn die Funktionsfähigkeit des Unternehmens bedingt auch die Möglichkeit, sich von Vorstandsmitgliedern trennen zu können, die ihre Pflichten und Aufgaben nicht unternehmensgerecht erfüllen. Die Funktionsfähigkeit des Unternehmens setzt weiterhin allerdings voraus, daß eine solche Trennung auch i n angemessener Zeit möglich ist und nicht durch (erneute) Pattkonstellationen i m Aufsichtsrat inhibiert werden kann. 7 Scholz

98

. Mitbestimmung und grundgesetzliche

insverfassung

Als Gründe für den Widerruf der Bestellung eines Mitglieds des gesetzlichen Vertretungsorgans (Vorstandsmitglieds) gelten nach §§ 28 V, I MitbestG i n Verbindung m i t § 84 I I I A k t G vor allem die grobe Pflichtverletzung, die Unfähigkeit zur ordnungsmäßigen Geschäftsführung sowie der Vertrauensentzug durch die Hauptversammlung (Wahlorgan) — § 84 I I I 21. Hs. A k t G —. I m Lichte der Mitbestimmungsregelungen des MitbestG werden die beiden ersten Gründe zentrale Bedeutung haben, und der dritte Grund w i r d i m wesentlichen dahin zu verstehen sein, daß das Wahlorgan (Hauptversammlung) einem Mitglied des gesetzlichen Vertretungsorgans wegen Pflichtverletzungen, Unfähigkeiten usw. berechtigterweise sein Vertrauen entzieht (vgl. auch § 841112 2. Hs. AktG); es muß mit anderen Worten wieder u m das Wohl des Unternehmens und seine ökonomisch effiziente sowie sachgerechte Leitung gehen. Entspricht die Regelung des § 28 V MitbestG somit den sachlichen Anforderungen des A r t . 14 GG, so genügt sie doch i n verfahrensmäßiger Hinsicht noch nicht vollständig. Denn das Verfahren des relativen Letztentscheidungsrechts aus § 28 V, I V MitbestG kann wiederum derart zeitraubend und umständlich werden, daß gerade schnelle Maßnahmen — und um deren Erfordernis w i r d es i n aller Regel gehen — unter Umständen ausgeschlossen sind. Dies muß zur Wahrung des A r t . 14 GG jedoch verhindert werden. Die verfassungsrechtlichen Grundsätze zum Schutze der Funktionsfähigkeit des Unternehmens fordern eine entsprechende Lösung wie sie die effiziente Regelung des § 281 MitbestG i n Verbindung m i t § 85 A k t G für die Bestellung der Mitglieder des gesetzlichen Vertretungsorgans eröffnet. U m diesem verfassungsrechtlichen Erfordernis zu genügen, bieten sich regelungsmäßig zwei Wege an: (1) Die Mehrheit der Anteilseignervertreter i m Aufsichtsrat kann von den Rechten aus § 28 V MitbestG (auch) sofort, d. h. ohne vorheriges Beschreiten des umständlichen Verfahrenszuges aus § 28 I I - I V MitbestG, Gebrauch machen; oder: sie darf dies zumindest i n solchen (dringenden) Fällen, i n denen anderenfalls ernste Gefahren für die Funktionsfähigkeit des Unternehmens bzw. seiner Leitung drohen. (2) Die Mehrheit der Anteilseignervertreter i m Aufsichtsrat — und Entsprechendes hätte für die Arbeitnehmervertreter zu gelten — kann i m Wege einstweiligen Gerichtsschutzes vorgehen und bis zur Ausschöpfung des Abberufungsverfahrens nach § 28 I I - I V M i t bestG die sofortige gerichtliche Suspendierung eines Mitglieds des gesetzlichen Vertretungsorgans erwirken (Analogie zu § 85 AktG).

IV. Anwendung

99

Beide Wege wären verfassungskonform, w e i l sie die Funktionsinteressen des Unternehmens i n ausreichendem Maße wahrten. Der augenblicklich vorliegende Gesetzesentwurf bietet hierauf jedoch noch keine hinreichend klare Antwort. Den Weg zu (2) sieht der Gesetzesentwurf, wie auch das AktG, nicht ausdrücklich vor. Der Weg zu (1) ließe sich dagegen bei verfassungskonformer Änderung der gegebenen Fassung des § 28 V MitbestG einschlagen. Die Bestimmung des § 28 V M i t bestG wäre dann dahin zu fassen, daß die Abberufung eines Mitglieds des gesetzlichen Vertretungsorgans, bei Vorliegen der genannten Gründe, entweder durch die Mehrheit der Aufsichtsratsmitglieder insgesamt oder — alternativ also — auch durch die Mehrheit der Anteilseignervertreter allein erfolgen könnte. Für diese Lesart spricht i m übrigen § 84 I I I 2 A k t G ; denn wenn als Abberufungsgrund auch der Vertrauensentzug durch die Hauptversammlung (Wahlorgan) gelten soll, so ist es folgerichtig, auch deren Vertreter i m Aufsichtsrat allein über die tatsächliche Abberufung entscheiden zu lassen. Für das weitere Gesetzgebungsverfahren ist jedoch eine entsprechend ausdrückliche Regelung zu empfehlen. Wenn die vorstehende (verfassungskonforme) Modifikation vom Gesetzgeber auch gebilligt werden sollte, so sollte er dies auch i n entsprechender Form ausdrücklich kundtun. Zugleich ist allerdings noch einmal darauf hinzuweisen, daß auch der oben zu (2) entwickelte Weg eine verfassungskonforme Lösung bewirken würde und daß daher dem Gesetzgeber auch das Recht eröffnet wäre, diesen Weg — durch entsprechende Änderung der §§ 84, 85 A k t G — einzuschlagen. d) Neben den Fragen des gesetzlichen Vertretungsorgans und seiner Besetzung stellen sich aus der Sicht des A r t . 14 GG Fragen der funktionellen Doppelzuständigkeit bzw. der mitbestimmungsrechtlichen Potenzierung von Arbeitnehmerrechten, mit der Folge der mittelbaren oder funktionellen Uberparität. Wie bereits oben 92 festgestellt wurde, geht es hierbei u m die Konkurrenzprobleme zwischen Unternehmensmitbestimmung einerseits und Koalitions- sowie Betriebsmitbestimmung andererseits. Alle diese Konkurrenzfragen implizieren die Gefahr der mittelbaren oder funktionellen Überparität und schlagen daher (auch) i n den Gewährleistungsbereich des A r t . 14 GG ein. Nach den gleichfalls bereits oben 93 aufgestellten Grundsätzen zur Konkurrenzlösung ist die Verfassungskonformität des MitbestG hier über die Regeln vom Vorrang der spezielleren Mitbestimmung und vom eingeschränkten Mitbestimmungsrecht der Arbeitnehmer i n der Unternehmensmitbestimmung zu erreichen. 9

2 Vgl. D IV. 03 Vgl. D I V 6.

7*

100

. Mitbestimmung und grundgesetzliche

insverfassung

Für die Konkurrenz zwischen Eigentumsrecht und Koalitionsmitbestimmung ist auf die späteren Ausführungen zum Verhältnis von paritätischer Mitbestimmung und Koalitionsverfassung zu verweisen 94 . Denn insoweit erweisen sich die Abgrenzungen zur Reichweite des A r t . 9 I I I GG als die speziellere Rechtsgrundlage. I m Verhältnis zur Betriebsverfassung können sich Potenzierungen der Mitbestimmungsbefugnisse i n den Fällen der §§871 Nr. 11, 111 ff. BetrVG von 1972 ergeben 95 . Die maßgebende Konkurrenzablösung nach Maßgabe der Spezialität läßt die hiesigen Mitbestimmungsbefugnisse des Betriebsrats unberührt, fordert aber korrespondierende (ausgleichende) Einschränkungen der Mitbestimmungsbefugnisse der Arbeitnehmer i n der Unternehmensmitbestimmung. Diese Einschränkungen müssen auf der Ebene des Stimmrechts erfolgen. Hiernach müssen die entsprechenden Entscheidungen des gesetzlichen Vertretungsorgans (Vorstands) an einen qualifizierten Stimmrechtsvorbehalt zugunsten der Anteilseigner gebunden werden. Diese Bindung sollte i m Wege der Rückkoppelung an den A u f sichtsrat ermöglicht werden. Denn selbst wenn, wie höchstwahrscheinlich, auch das gesetzliche Vertretungsorgan — entsprechend der paritätischen Mitbestimmung des Aufsichtsrats — i n proportionaler Besetzung (paritätisch) zusammengesetzt sein wird, bleibt das gesetzliche Vertretungsorgan doch ein einheitliches Organ, innerhalb dessen sich Stimmrechtsbeschränkungen kaum auf praktikable Weise instituieren lassen. Aus diesem Grunde sollte die Stimmrechtsbeschränkung i n der Weise vorgenommen werden, daß Beschlüsse des gesetzlichen Vertretungsorgans i n Mitbestimmungsangelegenheiten nach §§ 87 I Nr. 11, 111 ff. BetrVG von 1972 an die Zustimmung — oder zumindest an das Vetorecht — der Mehrheit der Anteilseignervertreter i m Aufsichtsrat gebunden werden. Das Vorbild zu dieser Regelung findet sich i n der Bestimmung des § 29 MitbestG 9 0 . Das laufende Gesetzgebungsverfahren sollte sich jedoch nicht m i t dieser verfassungskonformierenden Rechtsanalogie begnügen. Statt dessen sollten entsprechende Regelungen auch ausdrücklich i n das MitbestG aufgenommen werden; und zwar aus Gründen der rechtssystematischen Klarkeit sowohl i n das MitbestG als auch i n das BetrVG von 1972. e) Zusammenfassend ist demnach festzustellen, daß das MitbestG i n seiner vorliegenden Fassimg zum Schutze der Funktionsfähigkeit der »4 vgl. unten F. »s Vgl. näher oben D I V 4. ®« Vgl. hierzu schon oben D I V 6.

V. Mitbestimmung und Sozialisierung

101

Unternehmen und zum Schutze vor arbeitnehmerischer Uberparität verschiedener Korrekturen bedarf. V. Paritätische Mitbestimmung und Sozialisierung Neben der Eigentumsgarantie des A r t . 14 GG soll nach Auffassung von Verfassungskritikern auch die Sozialisierungsermächtigung des A r t . 15 GG durch die paritätische Mitbestimmung berührt oder gar — mangels Entschädigungsregelung — verletzt sein 97 . Tatsächlich t r i f f t diese Auffassung jedoch nicht zu. Denn die Einführung der paritätischen Mitbestimmung erfüllt tatbestandlich keines der sozialisierungsrechtlichen Merkmale von „Vergesellschaftung", „Gemeineigentum" oder „Gemeinwirtschaft" 9 8 i m Sinne des A r t . 15 GG 9 0 . Die paritätische Mitbestimmung verstaatlicht nicht; sie begründet keine staatlich-öffentlichen Herrschafts- oder Dispositionsrechte gegenüber den mitbestimmten Unternehmen; sie läßt die privat- und m a r k t wirtschaftliche Unternehmensverfassung prinzipiell unberührt. Man mag die paritätische Mitbestimmung mit P. Pernthaler als „kollektivprivatnützig organisierte Veranstaltung" bezeichnen; m i t einer Sozialisierung hat sie damit noch nichts gemein 1 0 0 . Die paritätische Mitbestimmung kann demgegenüber auch nicht als „kalte Sozialisierung" oder als angeblicher ,.Akt der Sozialentwährung" angesprochen werden, der die Schranken der Ermächtigimg des A r t . 15 GG überschreite 101 . Die paritätische Mitbestimmung schlägt allein i n den — i n Abwandlung des Zitats Pernthalers als „individual-privatnützig" zu bezeichnenden — Gewährleistungsbereich des A r t . 14 GG ein und ist daher nur von diesem her zu beurteilen. Da die paritätische Mitbestimmung m i t A r t . 14 GG grundsätzlich zu vereinbaren ist, kann ihre Verfassungsmäßigkeit auch nicht unter Berufung auf die — inhaltlich völlig anders orientierte — Vorschrift des A r t . 15 GG angezweifelt werden. 97

Vgl. näher bereits oben D I I 1 a. Zu diesen Tatbestandsmerkmalen vgl. im einzelnen bes. Ipsen , W D S t R L 10, 74 ff.; Ridder, W D S t R L 10, 124 ff.; H. Krüger, Grundrechte I I I / l , 1958, S. 267 ff.; F. Klein, Eigentumsbindung, Enteignung, Sozialisierung und Gemeinwirtschaft im Sinne des Bonner Grundgesetzes, 1972. 99 Vgl. ausführlich bereits Pernthaler, Mitbestimmung, S. 136 ff.; Schwerdtfeger, Mitbestimmung, S. 221 f., 243 ff.; Maunz-Dürig-Herzog, GG, Art. 15 Rdnr. 9; vgl. auch schon R. Scholz, Staat 74, 103. 100 vgl. Pernthaler, a.a.O., S. 137. 98

101

Vgl. anders aber F. Klein, a.a.O., S. 25 ff., 28.

F. Paritätische Mitbestimmung und grundgesetzliche Koalitionsverfassung Neben der Eigentumsgarantie des A r t . 14 GG steht als zweiter zentraler Problemkomplex das Verhältnis von paritätischer Mitbestimmung und Koalitionsfreiheit (Art. 9 I I I GG). Die wesentlichsten Positionen der bei A r t . 9 I I I GG ansetzenden Verfassungskritik wurden bereits oben abgesteckt 1 . I. Struktur der Koalitionsfreiheit nach Art. 9 I I I GG 1. Individuale

und kollektive

Koalitionsfreiheit

Das Grundrecht des A r t . 9 I I I GG garantiert nach herrschender Meinung sowohl die individúale wie die kollektive Koalitionsfreiheit (sog. Doppelgrundrecht) 2. Individuale Koalitionsfreiheit heißt das Koalitionsrecht des einzelnen Arbeitnehmers und Arbeitgebers. Diese Gewährleistung umschließt einmal das Recht des einzelnen, sich zu Koalitionen zusammenzuschließen, solchen beizutreten sowie sich i n denselben mitgliedsmäßig zu betätigen (positive Koalitionsfreiheit) 2, und zum anderen das Recht, sich nicht zu Koalitionen zusammenzuschließen, diesen fernzubleiben bzw. aus denselben auszutreten (negative Koalitionsfreiheit) A. Die kollektive Koalitionsfreiheit umfaßt nach herrschender Auffassung das Koalitionsgrundrecht der Koalitionen selbst auf freien Bestand und freie Betätigung 5 . 1 Vgl. D I I 2. 2 Vgl. z.B. BAGE 20, 175 (210); W. Weber, Koalitionsfreiheit und Tarifautonomie als Verfassungsproblem, 1965, S. 11; Richardi, Kollektivgewalt und Individualwille bei der Gestaltung des Arbeitsverhältnisses, 1968, S. 77; zur Kritik dieser Lehre vgl. — zugleich m. w. Nachw. — R. Scholz, Koalitionsfreiheit, S. 40 ff., 121 ff. 3 Vgl. BVerfGE 17, 319 (333); 19, 303 (312); BAGE 20, 213 f.; R. Scholz, Koalitionsfreiheit, S. 41 ff. m. w. Nachw. 4 Vgl. B A G E 20, 214 ff.; R. Scholz, Koalitionsfreiheit, S. 41 f., 64 ff., 150, 274 ff. m. w. Nachw. 5 Vgl. näher sowie zum folgenden BVerfGE 4, 96 (101 ff.); 17, 319 (333); 18, 18 (26); 28, 295 (304); B A G E 14, 282 (288 f.); 19, 217 (222 ff.); 20, 211 ff.; Säcker, Grundprobleme der kollektiven Koalitionsfreiheit, 1969, S. 33 ff.; R. Scholz, Koalitionsfreiheit, S. 51 ff.; ders., Das Grundrecht der Koalitionsfreiheit, 1972, S. 29 ff. m. jeweils w. Nachw.

I. Struktur der Koalitionsfreiheit nach Art. 9 I I I GG

103

Kollektivrechtliche Schutzpositionen sind hiernach der freie Verbandsbestand und die freie Verbandsorganisation (Koalitionsbestandsgarantie), der freie Koalitionszweck (Koalitionszweckgarantie) und die freie Koalitionseinigung sowie der freie Koalitionskampf (Koalitionsverfahrens- und Koalitionsmittelgarantie). 2. Koalitionsfreiheit, Koalitionsunabhängigkeit

Koalitionsparität und Koalitionspluralität

I m Rahmen der Garantien von freiem Koalitionsbestand und freiem Koalitionsverfahren stehen i m weiteren die Garantien der Koalitionsparität, der Koalitionsunabhängigkeit und der Koalitionspluralität. a) Sinn und Inhalt der Koalitionsparität als Gewährleistung der gegenseitigen Gleichheit und Gleichgewichtigkeit von organisierter Arbeitnehmerschaft und Arbeitgeberschaft wurden bereits i m Zusammenhang mit dem Postulat der Parität von Kapital und Arbeit dargestellt; hierauf kann auch i m hiesigen Zusammenhang verwiesen werden 6 . b) Die Koalitionsunabhängigkeit ist ebenso wie die Koalitionsparität essentielle Voraussetzung eines funktionierenden Koalitionsverfahrens 7 . Beide Prinzipien hängen eng miteinander zusammen, da die Parität auch die gegenseitige Unabhängigkeit bzw. die Freiheit vom Gegner mitbedingt. I n diesem Sinne ist die Gegnerfreiheit zur wichtigsten Ausformung der koalitionsrechtlichen Unabhängigkeitsgarantie geworden: Mitglieder der Gewerkschaften sollen prinzipiell nicht den Arbeitgebern bzw. Arbeitgeberverbänden angehören sowie umgekehrt. Dieser Satz bildet freilich gleichzeitig eine formale Regel, die nicht absolut gelten kann oder die doch nur insoweit Geltung beanspruchen darf, wie nicht die materiale Unabhängigkeit einer Koalition durch die Gegenseite tatsächlich bedroht wird. Dies dürfte seit den entsprechenden Darlegungen H. C. Nipperdeys 8 allgemein anerkannt sein; lediglich R. Dietz hat das Postulat der Gegnerfreiheit — i n Gestalt der absoluten Gegnerreinheit — i m strikt formalen Sinne verfochten 9 . I m Wahrheit kann es jedoch nicht darum gehen, einem Verband die Koalitionseigenschaft oder die Tariffähigkeit zu bestreiten, nur weil zu seinen Mitgliedern auch Angehörige der Gegenseite gehören. Entscheidend ist vielmehr und allein, ob der betreffende Koalitionsverbarid i n « Vgl. oben D I 2, I I 2, I V 5, 6. 7 Vgl. Nipperdey, Möhring-Festschr., 1965, S. 87 ff.; Dietz, Grundrechte I I I / l , 1958, S. 417 (428 ff.); R. Scholz, Koalitionsfreiheit, S.47f.; auch BVerfGE 4, 106; 18, 28. 8 Vgl. Möhring-Festschr., S. 89 ff. 9 Vgl. Grundrechte I I I / l , S. 428 ff.

104

F. Mitbestimmung und grundgesetzliche Koalitionsverfassung

der Lage ist, seinen Willen unbeeinflußt von der Gegenseite zu bilden und zur freien Auseinandersetzung m i t der Gegenseite zu stellen 10 . Diese Grundsätze sind allerdings zwingender Natur, d.h. sie sind weder abdingbar noch verzichtbar. Dies ergibt sich letztlich aus dem spezifischen Zusammenhang von Koalitionsunabhängigkeit und koalitionsrechtlicher Grundrechtsträgerschaft. Das Grundrecht der Koalitionsfreiheit steht nach A r t . 9 I I I 1 GG „jedermann" und „allen Berufen" zu; die Koalitionsfreiheit ist damit ein Menschenrecht m i t besonderem sozialen Qualifikationsmerkmal. I m weiteren ist die Koalitionsfreiheit ein Menschenrecht, dessen Grundrechtsträgerschaft sowohl für Arbeitnehmer wie für Arbeitgeber gilt, zwischen diesen aber rechtlich differenziert. Arbeitnehmer und Arbeitgeber können Grundrechtsträger nur jeweils für sich, d. h. geschieden von der Gegenseite, sein; denn Sinn der Koalitionsfreiheit ist die Gewährleistung eines (auch) kontradiktorischen Verfahrens zwischen arbeitnehmerischen Grundrechtsträgern einerseits und arbeitgeberischen Grundrechtsträgern andererseits. Wer i n diesem Sinne arbeitnehmerischer Grundrechtsträger der Koalitionsfreiheit ist, beantwortet wesentlich das Arbeitsrecht, gegebenenfalls i m korrigierenden Sinnzusammenhang m i t der Garantie des A r t . 12 GG als der maßgebenden Verfassungsgewährleistung auch des arbeitnehmerischen Freiheitsstatus. Wer i m vorstehenden Sinne arbeitgeberischer Grundrechtsträger i m Sinne des A r t . 9 I I I GG ist, beantworten einmal wiederum das allgemeine Arbeitsrecht und das Grundrecht des A r t . 12 GG (unternehmerische Berufsfreiheit). Als weiterer korrigierender Maßstab kommt für die arbeitgeberische Seite aber noch die Grundrechtsgewährleistung des A r t . 14 GG hinzu. Denn die arbeitgeberische Grundposition bestimmt sich entscheidend aus der kapitaleignerischen Herrschaft über die Produktionsmittel; und diese Herrschaft ist grundrechtlich wiederum i n der Eigentumsgarantie des A r t . 14 GG konstituiert. Demgemäß erklärt sich das Grundrecht der Koalitionsfreiheit auch wesentlich als „Gegengrundrecht" der organisierten Arbeitnehmerschaft zum arbeitgeberischen Grundrecht aus A r t . 14 GG. Dies ist der historische und zugleich auch heute noch maßgebende Sinn der grundrechtlichen Gewährleistung des A r t . 9 I I I GG. Wenn das Grundrecht der Koalitionsfreiheit unabhängig davon nicht nur den Arbeitnehmern, sondern auch den Arbeitgebern zusteht, so erklärt sich dies allein aus den funktionellen Erfordernissen des Koalitionsverfahrens; denn koalitionsrechtliche Einigungen und Auseinandersetzungen (Tarifvertrag, Arbeitskampf etc.) können allein i m wechselseitigen und gegenseitigen io Vgl. Nipperdey, a.a.O.; vgl. weiterhin T. Kunze, BB 71, 356 (357 f.); H. Scholz, RdA 73, 69.

I. Struktur der Koalitionsfreiheit nach Art. 9 I I I GG

105

sowie gleichgewichtigen Zusammenspiel von Arbeitnehmerschaft einerseits und Arbeitgeberschaft andererseits funktionieren. Diese Feststellung ändert aber nichts am spezifischen Zusammenhang der grundrechtlichen Gewährleistung aus A r t . 9 I I I GG m i t den Gewährleistungen aus A r t . 12 und A r t . 14 GG; grundrechtssystematisch bildet die Koalitionsfreiheit i n Wirklichkeit nichts anderes als ein „spezifisch „qualifiziertes Ausübungsrecht" i m sinnbestimmenden Wirkungszusammenhang m i t den Grundrechten aus A r t . 12 und A r t . 14 G G 1 0 a . Hieraus folgt, daß eine Bestimmung der Grundrechtsträgerschaft des Art. 9 I I I GG nicht ohne Bezug auf die Grundrechte aus A r t . 12 und A r t . 14 GG erfolgen kann. Für den arbeitnehmerischen Grundrechtsträger ist, wie bereits erwähnt, letztlich die Grundrechtsgarantie des A r t . 12 GG maßgebend. Für den arbeitgeberischen Grundrechtsträger ist neben der Grundrechtsgarantie des A r t . 12 GG materiell auch die Grundrechtsgarantie des A r t . 14 GG maßgebend. Arbeitgeberischer Grundrechtsträger ist demgemäß nicht nur derjenige, der über den formellen Status eines Arbeitgebers i. S. des allgemeinen Arbeitsrechts verfügt; Grundrechtsträger ist vielmehr nur derjenige, der über diesen arbeitsrechtlichen Status hinaus auch Inhaber des die Arbeitgeberschaft vermittelnden Produktiveigentums ist. Denn nur i h m gegenüber bedarf es des koalitionsrechtlichen Schutzes der Arbeitnehmer; und nur er ist realer Gegenspieler i m Sinne der kontradiktorischen Koalitionsverfahrensgarantie. Die bisherige Interpretation des A r t . 9 I I I GG bedurfte dieser Besinnung freilich kaum. Denn die Einheit von arbeitgeberischem und eigentümerisch-unternehmerischem Rechtsstatus war auf der arbeitgeberischen Seite i n aller Regel gegeben. Unter den Gesichtspunkten einer paritätischen Mitbestimmung bedarf es hier jedoch der weiteren Differenzierung bzw. Rückbesinnung auf den eigentlichen Sinn des A r t . 9 I I I GG. I m paritätisch mitbestimmten Unternehmen werden die arbeitgeberischen Leitungsbefugnisse i m Unternehmen auch von den Vertretern der Arbeitnehmerschaft ausgeübt. Diese sind aber nicht Inhaber des Produktiveigentums i m Sinne des A r t . 14 GG; sie sind folglich auch nicht grundrechtlich als Träger der Koalitionsfreiheit des Arbeitgebers legitimiert. Dies sind auch i m paritätisch mitbestimmten Unternehmen nur die von den Kapitaleignern entsandten Vorstandsmitglieder. Für das Koalitionsverfahren folgt daraus der mit Recht allgemein anerkannte Grundsatz der Koalitionsunabhängigkeit. A n i h m führt namentlich nicht jenes formale Argument vorbei, demzufolge auf der arbeitgeberischen Seite jedermann Grundrechtsträger sei, der arbeitgeberische Funktionen i m Sinne des Arbeitsrechts ausübe, d.h. gegebenenfalls auch ein paritätisch mitbestimmter Unternehmensvorioa vgl. näher bereits R. Scholz, Koalitionsfreiheit, S. 145 ff.

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F. Mitbestimmung und grundgesetzliche Koalitionserfassung

stand. Eine solche formale bzw. allein von der Ebene unterhalb des Verfassungsrechts her argumentierende Schlußfolgerung verkennt den verfassungsrechtlich vorausgesetzten Sinnzusammenhang zwischen A r t . 9 I I I und A r t . 14 GG: Arbeitgeberischer Grundrechtsträger kann nur derjenige sein, der auch Inhaber des Produktiveigentums ist bzw. dessen arbeitgeberische Funktionen sich aus der Legitimation durch den Inhaber jenes Produktiveigentums ableiten. Problematisch geworden sind diese Grundsätze bereits i m Sinnzusammenhang m i t der Montanmitbestimmung. Gerade i n der Diskussion u m diese sind aber die tragenden Prinzipien materialer Koalitionsunabhängigkeit deutlich geworden. Hiernach ist m i t H. C. Nipperdey 1 1 zusammenfassend festzuhalten: Die Koalitionsunabhängigkeit fordert keine absolute Gegnerreinheit; sie fordert aber, daß der Arbeitgeber selbst bzw. der oder diejenigen, die seine Funktion als gesetzliches Vertretungsorgan (Vorstand) wahrnehmen, nicht Mitglied einer Gewerkschaft sind, bzw. umgekehrt, daß die Vorstände und Tarifkommissionen der Gewerkschaften nicht m i t Organmitgliedern der Gegenseite durchsetzt sind. Unter den Aspekten der Montanmitbestimmung haben sich Zweifel vor allem gegenüber der Gewerkschaftszugehörigkeit des Arbeitsdirektors aufgetan. R. Dietz hat i n der Person des Arbeitsdirektors die Koalitionsunabhängigkeit als gefährdet gesehen 12 ; H. C. Nipperdey gelangte zur gegenteiligen Auffassung 13 ; und dies i m Ergebnis m i t Recht. Entgegen Nipperdeys Abstellen auf die Relativierung der Gegnerfreiheit des Koalitionsrechts durch das Mitbestimmungsrecht 14 ist hierbei aber auf die Funktionen des Arbeitsdirektors i m mitbestimmten Unternehmen abzustellen. Diese sind insgesamt nämlich nicht derart umfassend, daß sie die Freiheit der Willensbildung i m gesetzlichen Vertretungsorgan so beeinflussen könnten, daß bereits von einer (potentiellen) Gefährdung der Koalitionsunabhängigkeit gesprochen werden könnte. Und dieser Umstand ist entscheidend. Er ist auch gegenüber jeder anderen Mitbestimmungsgesetzgebung maßgebend; keine Gesetzgebung dieser A r t darf die Gegnerfreiheit eines der beiden Sozialpartner so weit relativieren, daß deren verfassungsrechtlich geforderte, materiale Unabhängigkeit verletzt oder bedroht wird. c) Zur Koalitionsfreiheit gehört weiterhin die Koalitionspluralität, d. h. die Garantie des freien und gleichen Wettbewerbs der Koalitionen untereinander 15 . 11 Vgl. a.a.O., S. 89 ff. 12 Vgl. a.a.O., S. 432. 13 Vgl. a.a.O., S. 99 f. 14 Vgl. a.a.O., S. 100. is Vgl. bes. B A G E 21, 201 (206 ff.); auch BVerfGE 18, 18 (33) sowie die Nachweise oben D I I 2 N. 54.

I. Struktur der Koalitionsfreiheit nach Art. 9 I I I GG 3. Koalitionsverfahren

, Tarifautonomie

107

und Arbeitskampf

Die Garantie des Koalitionsverfahrens gewährleistet als Koalitionsmittel die funktionsadäquaten Verfahrensformen bzw. diejenigen Verfahren, die die Grundfunktionen der Koalitionsfreiheit — Einigung und Auseinandersetzung über die „Arbeits- und Wirtschaftsbedingungen" (Art. 9 I I I GG) — erfüllen. A r t . 9 I I I GG schützt somit vor allem die Tarifautonomie 1 6 und den Arbeitskampf m i t seinen hauptsächlichen Formen Streik und Aussperrung 17 . Nach herrschender Meinung sollen diese Koalitionsmittel sogar institutionell garantiert sein (sog. Kernbereichsgarantien von Tarifvertrag, Streik und Aussperrung) 18 . Diese Lehre verkennt allerdings den wesentlich offenen Charakter des Grundrechts aus Art. 9 I I I GG 1 9 . Dieses Grundrecht hat i n der bisherigen Verfassungswirklichkeit zwar ganz auf der Grundlage von Tarifautonomie, Streik und Aussperrung funktioniert; und dies bedeutete, daß Tarifvertrag, Streik und Aussperrung als funktionstypische Koalitionsmittel auch unter dem Schutz des A r t . 9 I I I GG standen bzw. stehen. Andererseits bedeutete und bedeutet dies jedoch nicht, daß jene Koalitionsmittel die verfassungsrechtlich einzig garantierten bzw. einzig verfassungsmäßigen Koalitionsmittel wären. I m Gegenteil, das Grundrecht des Art. 9 I I I GG fordert lediglich, daß der einfache Gesetzgeber den Koalitionen die funktionell erforderlichen und zugleich effektiven Koalitionsmittel zur Verfügung stellt; und i n Erfüllung dieser Verpflichtung hat der Gesetzgeber den Koalitionen i m T V G das Tarifvertragssystem zur Verfügung gestellt. Dies bedeutete aber nicht, daß dieses Tarifvertragssystem das einzige oder einzig mögliche Koalitionsmittel darstellte; neben dem Tarifvertrag stehen schon heute noch weitere Koalitionsmittel; und neben den Tarifvertrag können auch noch andere Koalitionsmittel treten; je nach Entwicklung können sogar andere Koalitionsmittel an die Stelle von Tarifvertrag, Streik, Aussperrung usw. treten. Das letztere w i r d von der herrschenden Meinung freilich nicht anerkannt. Sie beharrt auf der institutionellen Sicht der Koalitionsfreiheit i« Vgl. z.B. BVerfGE 4, 96 (106); 20, 312 (317); BAGE 2, 75 (77); 21, 201 (205); Säcker, Grundprobleme, S. 71 ff.; Dietz, Grundrechte, I I I / l , S. 460 ff.; Biedenkopf, Grenzen der Tarifautonomie, 1964, S. 102 ff. 17 Vgl. näher vor allem BAGE 1, 291 (304 ff.); B A G AP Art. 9 G G Arbeitskampf Nr. 43; Brox-Rüthers, Arbeitskampfrecht, S. 41 ff.; Säcker, Grundprobleme, S. 81 ff. 18 Vgl. näher bes. Säcker, a.a.O., S. 33 ff., 89 ff. 1 9 Vgl. näher sowie zum folgenden R. Scholz, Koalitionsfreiheit, S. 148 f., 222 ff., 250 ff.; ders., DB 72, 1771 (1772 ff.); ders., Staat 74, 105 ff.; vgl. weiterhin bereits die Nachweise oben D I I 2 N. 52.

108

F. Mitbestimmung und grundgesetzliche Koalitionsverfassung

und übersieht damit, wie ich an anderer Stelle näher dargelegt habe 20 , die verfassungsrechtlich vorgegebene Offenheit des Grundrechts aus A r t . 9 I I I GG — eines Grundrechts, das der sozialen und wirtschaftlichen Entwicklung bewußt offen gegenübersteht und lediglich fordert, daß auch bei veränderten sozialen und wirtschaftlichen Verhältnissen das Grundsystem eines freien Koalitionsverfahrens, d.h. Einigung und Auseinandersetzung der Sozialpartner innerhalb adäquater und effektiver Verfahrensformen (Koalitionsmittel), erhalten bleibt. Dies entspricht i m übrigen auch der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts, die sich niemals ganz auf die enge Lesart der herrschenden Meinung und ihrer institutionellen Deutung der Koalitionsfreiheit eingelassen hat. Das Bundesverfassungsgericht hat statt dessen betont, daß „die Verfassungsgarantie des A r t . 9 Abs. 3 GG auch Bestätigungen schützt, die auf andere Weise als durch Abschluß von Tarifverträgen die Arbeits- und Wirtschaftsbedingungen wahren und fördern sollen" 2 1 . Das Bundesverfassungsgericht hat weiterhin auch den offenen Charakter der Koalitionsfreiheit anerkannt, wenn es allein auf die „spezifisch koalitionsgemäße Bestätigung" abstellt? 2 und i m Einklang damit festhält, daß A r t . 9 I I I GG „den Koalitionen grundsätzlich die Wahl der Mittel" überläßt, „die sie zur Erreichung ihres Zwecks für geeignet halten" 2 3 . Diese Offenheit der Koalitionsfreiheit ist auch für die paritätische Mitbestimmung und ihre koalitionsverfassungsrechtliche Beurteilung maßgebend. Gerade die paritätische Mitbestimmung hat diese Offenheit nämlich aktualisiert. Der bereits oben 24 dargestellte Strukturwandel der Koalitionsverfassung durch die paritätische Mitbestimmung kann sich nur aufgrund bzw. i m Rahmen dieser verfassungsrechtlichen Offenheit vollziehen 25 . I I . Paritätische Mitbestimmung und individúale Koalitionsfreiheit 1. Fragen der positiven Koalitionsfreiheit Die positive Individualkoalitionsfreiheit würde durch die paritätische Mitbestimmung verletzt, wenn diese zur Folge hätte, daß Unternehmen 20 21 22 23 24 25

Vgl. bes. Koalitionsfreiheit, S. 148 f., 222 ff., 250 ff. BVerfGE 19, 303 (313 f.). Vgl. BVerfGE 20, 312 (319 f.). BVerfGE 18, 32. Vgl. B I I , D I I 2. Vgl. weiter unten I I I .

II. Mitbestimmung und individúale Koalitionsfreiheit

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beispielsweise gehindert würden, sich i n Arbeitgeberverbänden zu organisieren bzw. solchen Verbänden beizutreten. Befürchtungen dieser A r t sind teilweise gegenüber den gewerkschaftlichen Einflüssen auf die mitbestimmten Unternehmensvorstände laut geworden. Rechtlich besteht hierfür jedoch kein Anlaß. Denn nach A r t . 9 I I I 2 GG wäre jede versuchte Einflußnahme dieser A r t schon von Verfassungs wegen verboten; entsprechende Absprachen wären nichtig. Aus diesem Grunde erübrigt sich für die Einführung der paritätischen Mitbestimmung jede weitere Vorkehrung gegenüber Mißbräuchen solcher A r t . 2. Fragen der negativen Koalitionsfreiheit Die negative Koalitionsfreiheit der Arbeitnehmer könnte durch die paritätische Mitbestimmung i n zweierlei Hinsicht berührt sein: einmal durch das Recht der Gewerkschaften, eigene Vertreter i n die Aufsichtsräte der mitbestimmten Unternehmen zu entsenden, und zum anderen durch die Gefahr, daß durch die Gewerkschaften i n den m i t bestimmten Unternehmen übermäßiger Beitrittsdruck auf die nichtorganisierten Arbeitnehmer ausgeübt werden könnte. Daneben stellt sich die Frage, ob die negative Koalitionsfreiheit der Arbeitgeber durch die paritätische Mitbestimmung berührt wird. a) Das Entsendungsrecht der Gewerkschaften 26 ist problematisch unter dem Gesichtspunkt der mangelnden Repräsentationsfähigkeit. Die Gewerkschaften besitzen nämlich keinen allgemeinen Repräsentationsauftrag für die Arbeitnehmerschaft insgesamt; sie vertreten allein ihre Mitglieder 2 7 . Die nichtorganisierte Arbeitnehmerschaft ist demgemäß nicht verpflichtet, sich durch die Gewerkschaften vertreten zu lassen. Aus diesem Grunde kann ein selbständiges — automatisches — Entsendungsrecht der Gewerkschaften i n die Aüfsichtsräte der mitbestimmten Unternehmen keinesfalls vor A r t . 9 I I I GG bestehen 28 . Andererseits kann aber ein Vorschlagsrecht nach Maßgabe der §§ 7 I I Nr. 2, 16 MitbestG m i t A r t . 9 I I I GG vereinbar sein. Denn wenn sich dem selbständigen oder automatischen Entsendungsrecht der Gewerkschaften das Grundrecht der individualen Koalitionsfreiheit der nichtorganisier26 Kritisch zu diesem vgl. bes. Biedenkopf, Kronstein-Festgabe, S. 102 ff.; ders., Mitbestimmung, S. 252 f.; Pernthaler, Mitbestimmung, S. 191 f. 27 Vgl. Biedenkopf, a.a.O.; Schwerdtfeger, Mitbestimmung, S. 137; allgemein zur Repräsentationsfunktion der Koalitionen vgl. R. Scholz, Koalitionsfreiheit, S. 162 ff. 28 Vgl. Pernthaler, a.a.O., S. 191 f.; Biedenkopf, a.a.O.; R. Scholz, Staat 74, 110.

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ten Arbeitnehmer entgegenstellt, so spricht für eine — weniger intensive — Beteiligung der Gewerkschaften an der paritätischen Mitbestimmung doch das Grundrecht der kollektiven Koalitionsfreiheit. Denn dieses Grundrecht garantiert den Gewerkschaften die Beteiligung an jenen Verfahren oder Einrichtungen des Arbeits- und Wirtschaftslebens, die funktionell an die Stelle des Tarifvertragssystems treten oder doch teilweise i n dessen Funktionsbereich einschlagen. Dies t r i f f t für die paritätische Mitbestimmung, wie bereits oben dargelegt wurde 2 9 , grundsätzlich zu. Denn die paritätische Mitbestimmung impliziert einen gewissen Funktionsverlust der Tarifautonomie 3 0 und verbindet sich mit dieser i m übrigen über das gemeinsame (übergreifende) Grundkonzept der sozialen, wirtschaftlichen und koalitionsmäßigen Mitbestimmung der Arbeitnehmerschaft. Hieraus folgt, daß eine paritätische Mitbestimmung nicht einseitig zu Lasten der Gewerkschaften bzw. der von ihnen organisierten koalitionsmäßigen Mitbestimmung durchgeführt werden kann. Wenn die paritätische Mitbestimmung, wie es der Fall ist, Funktionseinbußen für die koalitionsmäßige Mitbestimmung („spezifisch koalitionsmäßige Betätigung") bewirkt, so muß der Mitbestimmungsgesetzgeber den Koalitionen, hier also den Gewerkschaften, die Kompensation der Beteiligung an der paritätischen Unternehmensmitbestimmung gewähren. Diese Kompensationspflicht des Gesetzgebers folgt aus dessen rechtsund sozialstaatlicher Grundrechts Verantwortung: Der rechtsstaatskonforme Grundrechtseingriff untersteht — zunächst wie allgemein — den Vorbehalten des Übermaßverbotes, namentlich also dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit. Die Eingriffskontrolle aus diesem Vorbehaltsbereich reicht inhaltlich, wie sich zunehmend erweist, aber dort nicht mehr aus, wo der (rechtsstaatlich gebundene) Grundrechtseingriff seinerseits einem sozialstaatlich legitimierten Verteilungszweck dient. Hier beinhaltet der Grundrechtseingriff i n aller Regel zugleich einen A k t positiver Gewährung oder Leistung, gegebenenfalls zugunsten dritter, d. h. eingriffsbegünstigter Personen. Dies ist vor allem dort der Fall, wo i m Wege der Umverteilung verfahren w i r d ; hier besteht volle Koinzidenz zwischen der Leistung zugunsten des einen und dem Eingriff zu Lasten des anderen. Koinzidenzen dieser A r t bleiben i n ihrer Eingriffswirksamkeit selbstverständlich dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz verpflichtet; dessen Bremswirkung kann andererseits aber den sozialstaatlich legitimierten Leistungszweck oder die Erfüllung der dem Staat sozialstaatlich obliegenden Leistungspflicht nicht (vollends) vereiteln oder derogieren. Hier bedarf es vielmehr des rechts- und sozialst Vgl. D I I 2. 30 Vgl. dazu auch noch im folgenden I V .

II. Mitbestimmung und individúale Koalitionsfreiheit

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staatskonformen Ausgleichs. Diesen Ausgleich vermag das (formale) Prinzip der Kompensation zu leisten, wenn man erkennt, daß der zur Leistung erforderliche Grundrechtseingriff seinerseits kompensierende Leistungen zugunsten des Eingriffsgeschädigten fordert. Der aus sozialen Gründen eingreifende Staat begibt sich auf die Ebene der Leistung bzw. — grundrechtlich gesprochen — auf die Ebene des status positivus; er verläßt m i t anderen Worten partiell die Ebene des status negativus. Der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit ist jedoch am Schutz des letzteren orientiert (Abwehr und Begrenzung staatlicher Eingriffe i m status negativus). Deshalb funktioniert der statusnegative Verhältnismäßigkeitsgrundsatz hier i n nicht mehr hinreichendem Maße. Funktionsfähiger ist dagegen der Kompensationsgrundsatz, den man auch als statuspositive Ergänzung oder Variante des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes verstehen könnte. Denn i m Wege der gleichfalls positiven Leistung w i r d der eingriffsmäßig bewirkte Rechtsverlust ausgeglichen und damit auch verhältnismäßig gestaltet. Diesen Gedanken der Kompensation als Form statuspositiver Verhältnismäßigkeit hat auch das Bundesverfassungsgericht bereits dort aufgenommen, wo — wie i m Falle des numerus clausus — die statuspositive Leistungsverantwortung des Staates für ein Grundrecht (Ausbildungsfreiheit aus A r t . 12 GG) längst dessen statusnegativen Abwehrgehalt überholt hat — m i t der Konsequenz der teilweisen Wendung des liberalen Abwehrrechts zum sozialen Teilhaberecht 31 . Diese Wendung eines an sich freiheitsrechtlich verfaßten Grundrechts zum Teilhaberecht bedeutet i n Wahrheit nichts anderes, als daß der faktische Verlust des Grundrechts an tatsächlicher Freiheitssubstanz i m status negativus durch die kompensierende Leistung des sozialpflichtigen Staates i m status positivus ausgeglichen w i r d bzw. auszugleichen ist. Kompensationsvorgänge dieser A r t liegen besonders dort nahe, wo der Staat gesellschaftliche Autonomiebereiche durch die Übernahme eigener Zuständigkeiten oder durch die innergesellschaftliche Umverteilung von Zuständigkeiten funktionell beschneidet. Hier genügt die bloße Abwehrreaktion des statusnegativen Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes nicht; denn sie stört m i t der rechtsstaatlichen Eingriffsabwehr zugleich den sozialstaatlichen Leistungs- oder Ordnungszweck. Richtiger ist es, statt dessen zugunsten der eingriffsbetroffenen Funktionsträger die kompensierende Funktionsgewähr zu fordern, sei es i n Gestalt neuer (anderer) Autonomien oder sei es i n Gestalt der Beteiligung am sozialstaatlich umverfaßten (neu geordneten) Funktionsprozeß. Derartige Kompensationsforderungen werden zum geradezu typischen Ausgleichsmittel i m Koalitionsverfassmigsrecht. Denn dessen zentrale 3i Vgl. näher BVerfGE 33, 303 (330 f.).

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F. Mitbestimmung und grundgesetzliche Koalitionsverfassung

Bewährungsprobe liegt i n der permanenten oder doch latent permanenten Konkurrenz zwischen staatlichem und koalitionsmäßigem Funktionsanspruch. Da das Koalitionsrecht über keine der staatlichen Kompetenz vergleichbare Zuständigkeitsgarantie verfügt (offenes Koalitionsverfahren), hilft im Falle des Funktionsverlustes an den (eingreifenden) Staat nur die Forderung nach kompensatorischer Funktionsgewähr durch den (leistenden) Staat 32. Diese Fragestellung bestimmt auch das Verhältnis von paritätischer Mitbestimmung und Koalitionsrecht. Denn wenn die paritätische M i t bestimmung die verfassungsrechtlich geschützten Funktionsrechte der Gewerkschaften zugunsten der Selbstbestimmungsrechte der (organisierten wie nicht-organisierten) Arbeitnehmer i m Unternehmen schwächt, so muß der Gesetzgeber den Gewerkschaften grundsätzlich eine verfassungsgerechte Kompensation i m Wege der Beteiligung an der arbeitnehmerischen Unternehmensmitbestimmimg gewähren. Diese Kompensation muß sich inhaltlich allerdings i m Rahmen der (negativen) Individualkoalitionsfreiheit halten. Die potentielle A n t i nomie zwischen individualer und kollektiver Koalitionsfreiheit fordert auch hier den verfassungsgerechten Ausgleich 33 . Dieser Ausgleich muß i n der Weise erfolgen, daß die gewerkschaftlich entsandten Arbeitnehmervertreter auch durch die nichtorganisierten Arbeitnehmer legitimiert, d.h. auch von diesen gewählt werden. Diese Lösung sehen die §§ 15, 16 MitbestG ausdrücklich vor; das bedeutet, daß insoweit kein Verstoß des MitbestG gegen die negative Koalitionsfreiheit vorliegt. Ein solcher Verstoß wäre nur dort gegeben, wo den Gewerkschaften ein selbständiges bzw. automatisches Entsendungsrecht, ohne Rücksicht auf den Willen der nichtorganisierten Arbeitnehmer, eingeräumt werden würde. Darüber hinaus ist erforderlich, daß die von den Gewerkschaften vorgeschlagenen und gewählten Arbeitnehmervertreter unabhängig und weisungsfrei von denjenigen Gewerkschaften sind, die sie vorgeschlagen haben. Auch aus diesem Grunde sollte i n den Regierungsentwurf zum MitbestG eine Bestimmung nach A r t des § 24 S. 2 des Referentenent32 Zu diesem Prinzip der Kompensation zwischen Staat und Koalitionen im System des offenen Koalitionsverfahrens aus Art. 9 I I I G G vgl. näher schon R. Scholz, Koalitionsfreiheit, S. 149 m. N. 10; und zur spezifisch kompensationsrechtlichen Problematik der Konzertierten Aktion: AöR 99, 511 (514f.); vgl. entsprechend auch die Fragestellung bei Schwerdtfeger, M i t bestimmung, S. 256 f.; vgl. allgemein auch schon R.Scholz, Wirtschaftsaufsicht, S. 156 ff.; im Rahmen des Gleichheitssatzes vgl. bereits Ipsen, Grundrechte I I , 1954, S. 111 (195); Friauf, Jahrreiß-Festschrift, 1974, S.45 (66). 33 Zu diesem partiell antinomischen Verhältnis zwischen individualer und kollektiver Koalitionsfreiheit vgl. näher bereits R. Scholz, Koalitionsfreiheit, S. 62 ff., 150 m. w. Nachw.

II. Mitbestimmung und individúale Koalitionsfreiheit

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wurfs des Bundesministers für Arbeit und Sozialordnung bzw. des § 4 I I I 2 MontanmitbestG aufgenommen werden 3 4 . Verfassungsrechtlich problematisch ist i m weiteren die Regelung des § 2 1 1 Nr. 4 MitbestG, derzufolge von den Gewerkschaften vorgeschlagene Aufsichtsratsmitglieder nur auf Antrag der betreffenden Gewerkschaften vom Wahlmännergremium abberufen werden können. Zur Erreichung einer verfassungskonformen Lösung empfiehlt es sich hier, wie i n den Fällen des § 211 Nr. 1 - 3 MitbestG jeweils die Belegschaft selbst entscheiden zu lassen. Angesichts der Dreiteilung zwischen Arbeitern, Angestellten und leitenden Angestellten sollten drei Viertel der Gesamtbelegschaft entweder das alleinige Antragsrecht auf Abberufung haben oder zumindest alternativ, d. h. neben den Gewerkschaften, antragsbefugt sein. Ein alleiniges Antragsrecht der Gewerkschaften läßt sich — trotz des Abberufungsrechts der Wahlmänner — mit der negativen Koalitionsfreiheit schwerlich vereinbaren. Denn i m Gegensatz zur Wahl der Arbeitnehmervertreter i m Aufsichtsrat geht es bei der A b berufung einmal nicht u m die Entscheidung zwischen mehreren Kandidaten und zum anderen kann die Abberufung eines Aufsichtsratsmitglieds — gerade aus betrieblichen oder unternehmenswirtschaftlichen Gründen — auch für die Belegschaft eines Unternehmens ungleich dringender als eine bestimmte Wahl sein. b) Die negative Koalitionsfreiheit untersagt als freiheitsrechtliches Korrelat zur positiven Koalitionsfreiheit jeden Koalitionszwang bzw. jeden sozialinadäquaten Druck, der auf den Nichtorganisierten ausgeübt wird, u m ihn zum E i n t r i t t i n eine Koalition zu bewegen 35 . E i n solcher Druck könnte sich über die verstärkte Stellung der Gewerkschaften i m mitbestimmten Unternehmen dann ergeben, wenn die Gewerkschaften ihre unternehmensinterne Macht dazu mißbrauchten, auf den Beitritt von nichtorganisierten Arbeitnehmern, beispielsweise durch Beschränkung von Aufstiegsmöglichkeiten etc., hinzuwirken 3 6 . Ein solches Verhalten erzeugte sicherlich sozialinadäquaten Druck und wäre daher über die Regelung des A r t . 9 I I I 2 GG m i t der grundrechtlichen Garantie der negativen Koalitionsfreiheit unvereinbar. Andererseits sind solche Gefahren der paritätischen Mitbestimmung nicht konzeptionell bzw. von vornherein eigentümlich. Es würde sich stets u m mittelbare Auswirkungen einer durch die paritätische Mitbestimmung zwar begründeten, inhaltlich aber mißbrauchten Machtstel34 Vgl. auch bereits oben D I V 6. 35 Vgl. bes. BAGE 19, 217 (227); 20, 175 (214) ff.); BVerfG, NJW 1971, 2301; HessVGH, DVB1 74, 425 (429). 36 Vgl. auch Zöllner-Seiter, Mitbestimmung, S. 12 ff. 8 Scholz

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F. Mitbestimmung und grundgesetzliche Koalitionserfassung

lung handeln. Aus diesem Grunde kann für die paritätische Mitbestimmung nicht als solche bzw. für die gewerkschaftliche Beteiligung an der Mitbestimmung nicht generell auf eine Unvereinbarkeit m i t A r t . 9 I I I GG geschlossen werden. Die Stellung der Gewerkschaften innerhalb der paritätischen Mitbestimmung mag zwar für viele Arbeitnehmer den Anreiz, einer Gewerkschaft beizutreten, verstärken. E i n solcher Anreiz und seine Vermittlung sind aber mit der, vom Grundrecht der kollektiven Koalitionsfreiheit mitgarantierten Freiheit der Gewerkschaften zur Mitgliederwerbung auch innerhalb der Betriebe 3 7 durchaus vereinbar. Aus diesem Grunde ist ein Verstoß gegen die negative Koalitionsfreiheit nicht erkennbar: Mißbräuchen i m Einzelfall ist über die Grundsätze des A r t . 9 I I I 2 GG zu begegnen 38 . c) Die negative Koalitionsfreiheit der Arbeitgeber erachtet P. Pernthaler dadurch für verletzt, daß diese „ m i t (den) Arbeitnehmern und den Repräsentanten ihrer Koalitionen i n eine gemeinsame Entscheidungsstruktur" gezwungen werden 3 9 . Hieran ist jedoch nur soviel richtig, daß die paritätische Mitbestimmung die mitbestimmten Unternehmen zur gemeinschaftlichen Leitungsstruktur verpflichtet. Diese unternehmensverfassungsrechtliche Entscheidung beinhaltet aber keinen (verfassungswidrigen) Koalitionszwang. Verbindlich begründete Kooperationsverhältnisse (zwischen Arbeitgebern (Arbeitgeberverbänden) und Arbeitnehmern (Gewerkschaften) gibt es auch sonst (Arbeits- und Sozialgerichtsbarkeit, Selbstverwaltung i n der Sozialversicherung), ohne daß hier von einem Verstoß gegen die negative Koalitionsfreiheit gesprochen werden könnte. Gegen die negative Koalitionsfreiheit verstieße die paritätische Mitbestimmung erst dann, wenn sie die Arbeitgeber (Unternehmen) zu M i t gliedschaften i n den Gewerkschaften zwänge. Dies ist jedoch, wie unschwer erkennbar, nicht der Fall. I I I . Paritätische Mitbestimmung, Koalitionsunabhängigkeit Koalitionsparität und Koalitionspluralität 1. Relativierung

der

Koalitionsunabhängigkeit

Die paritätische Mitbestimmung relativiert die Koalitionsunabhängigkeit, indem sie die Leitungsstrukturen der mitbestimmten Unterneh37 Vgl. BVerfGE 19, 321 f.; 28, 304 ff.; BAGE 19, 222 ff.; vgl. zum ganzen auch Rüthers, Das Recht der Gewerkschaften auf Information und Mitgliederwerbung im Betrieb, 1968. 3 8 Vgl. im Gesamtergebnis auch Zöllner-Seiter, a.a.O. 3» Vgl. Mitbestimmung, S. 191.

I I I . Mitbestimmung, Koalitionsunabhängigkeit, -parität und -pluralität

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men — Aufsichtsrat unmittelbar und gesetzliches Vertretungsorgan mittelbar — (paritätisch) auch m i t Vertretern der koalitionsmäßigen Gegenseite besetzt. A m deutlichsten w i r d dies dort, wo es u m die tarifpolitische Willensbildung i n einem Unternehmen geht, das m i t derselben Gewerkschaft i n Verhandlungen um einen Haustarifvertrag steht, deren Vertreter unmittelbar dem Aufsichtsrat und mittelbar dem Vorstand dieses Unternehmens angehören 40 . Ähnlich ist die Situation beim Verbandstarif vertrag, wenn die Tarifpolitik eines Arbeitgeberverbandes wesentlich von dessen mitbestimmten Mitgliedsunternehmen geprägt wird. I n diesen Fällen ist die Koalitionsunabhängigkeit i m oben 41 dargestellten Sinne ernsthaft bedroht; der daraus folgende Verstoß gegen A r t . 9 I I I GG liegt auf der Hand 4 2 . Dieser Verstoß resultiert allerdings nicht allein daraus, daß das Prinzip der Gegnerfreiheit (Gegnerreinheit) nicht gewahrt wäre. Entscheidend ist vielmehr, daß keine von der Gegenseite unabhängige Willensbildung i m Unternehmen oder Arbeitgeberverband mehr gewährleistet wäre; denn der arbeitnehmerische Koalitionsgegner wäre unmittelbar i m gesetzlichen Vertretungsorgan, funktionell also — freilich nicht i m verfassungsrechtlich maßgebenden Sinne (Zusammenhang von Art. 9 I I I und A r t . 14 GG!) — „als Arbeitgeber", mit vertreten 4 3 . Trotzdem ließe sich die Garantie der koalitionsunabhängigen Willensbildung wahren, ohne daß auf das Grundmodell der paritätischen M i t bestimmung selbst verzichtet werden müßte. I m Sinne des, w i e gezeigt, materialen Verständnisses der Koalitionsunabhängigkeit genügten auch kompetentielle Begrenzungen innerhalb der Mitbestimmung, u m den Erfordernissen des A r t . 9 I I I GG zu genügen: Sofern die Vertreter der Arbeitnehmerseite i n den Leitungsgremien der mitbestimmten Unternehmen bei tarifpolitischen Fragen ohne (maßgebendes) Stimmoder Leitungsrecht blieben, bliebe die (materiell) unabhängige Willensbildung der arbeitgeberischen Seite i n tarifpolitischen Fragen ohne weiteres erhalten. 49 M i t Recht weist Zöllner, RdA 69, 71, darauf hin, daß der Grundsatz der Koalitionsunabhängigkeit auch für den einzelnen Arbeitgeber (im Bereich des Haustarifvertrags) gelten muß. 41 Vgl. I 2. 42 i m Sinne einer entsprechenden Verfassungswidrigkeit vgl. bes. ZöllnerSeiter, Mitbestimmung, S. 25 ff.; Zöllner, RdA 69, 71 f.; E. R. Huber, Grundgesetz, S. 76 ff.; a. A. Roscher, RdA 72, 279 ff.; T. Kunze, BB 71, 357 f. 43 A n dieser Problematik führt auch nicht jenes formale bzw. Scheinargument vorbei, demzufolge die paritätische Mitbestimmung sich auf den Aufsichtsrat beschränke und somit nicht im, für die Tarifpolitik zuständigen gesetzlichen Vertretungsorgan wirksam sei (vgl. in dieser Richtung aber T. Kunze, a.a.O.).

*

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F. Mitbestimmung und grundgesetzliche Koalitionsverfassung

Den Weg zu dieser — relativ einfachen, aber verfassungskonformen — Lösung weisen die oben entwickelten Grundsätze zur Konkurrenzlösung": Analog § 29 I MitbestG müßten alle tarifpolitisch relevanten Entscheidungen des gesetzlichen Vertretungsorgans an die Zustimmung oder (zumindest) an das Vetorecht der Mehrheit der Vertreter der Anteilseigner i m Aufsichtsrat gebunden werden. Damit wäre i m Haustarifvertrag wie i m Verbandstarifvertrag eine einwandfreie koalitionsunabhängige Willensbildung und Entscheidungsfindung auf der arbeitgeberischen Seite gewährleistet; den zwingenden Grundsätzen der Koalitionsunabhängigkeit gemäß A r t . 9 I I I GG wäre folglich genügt. Für das laufende Gesetzgebungsverfahren ist allerdings die Forderung zu wiederholen, diesen Weg der verfassungskonformen Praktizierung der paritätischen Mitbestimmung i m Bereich der Tarifpolitik auch gesetzesausdrücklich, d. h. durch Aufnahme einer entsprechenden Vorschrift i n das MitbestG, zu fixieren. Als Regelungsvorbild dient hierbei die Vorschrift des § 29 MitbestG. 2. Relativierung

der Koalitionsparität

Für die Koalitionsparität gelten die gleichen Grundsätze wie für die Koalitionsunabhängigkeit. Dies wurde bereits oben 45 deutlich und bestätigt sich anhand der vorstehenden Feststellungen zur Koalitionsunabhängigkeit: I n der Kumulierung ihrer funktionellen (Mitbestimmung-)Befugnisse führen Mitbestimmungsparität und Koalitionsparität zur arbeitnehmerischen Uberparität; und diese ist m i t A r t . 9 I I I GG nicht zu vereinbaren. Aus diesem Grunde bedarf es auch hier der entsprechenden Paritätskorrektur. Als Weg hierzu bietet sich das gleiche konkurrenzlösende Verfahren wie zur Koalitionsunabhängigkeit an (Beschränkung der arbeitnehmerischen Stimm- bzw. Entscheidungsrechte durch Zustimmungs- oder Vetovorbehalte zugunsten der Mehrheit der Anteilseigner i m Aufsichtsrat, analog § 29 MitbestG) 4 6 . 3. Relativierung

der Koalitionspluralität

Der Grundsatz der Koalitionspluralität gewährleistet die Gleichheit und den freien Wettbewerb der Koalitionen untereinander. Diesen Grundsatz muß prinzipiell jedes Gesetz beachten, das Verfahrensweisen koalitionsmäßiger Betätigung regelt oder zur Verfügung stellt. 44 Vgl. D I V 6. 45 Vgl. D I V 5, 6. 46 Vgl. vorstehend 1 und oben D I V 6.

IV. Mitbestimmung, Tarifautonomie und Arbeitskampf

117

I n Verbindung m i t dem Gleichheitssatz des A r t . 3 1 GG muß der Gesetzgeber darauf achten, daß die konkurrierenden Gewerkschaften oder Arbeitgeberverbände i n ihrer bestehenden Pluralität gleichbehandelt werden. Das vom MitbestG für die Arbeitnehmervertreter i m A u f sichtsrat vorgesehene Wahlverfahren entspricht diesen Grundsätzen nicht. Dieses Wahlverfahren ist nämlich so gestaltet, daß zunächst die Wahlmänner von allen wahlberechtigten Arbeitnehmern i n gemeinsamer Wahl nach den Grundsätzen der Verhältniswahl gewählt werden (§101 MitbestG) und daß anschließend die Wahlmänner i m Wege der Mehrheitswahl gemeinsam die Vertreter der Arbeiter, Angestellten und leitenden Angestellten i m A u f sichtsrat wählen (§15 MitbestG). Durch diese Kopplung zweier Wahlverfahren m i t Verhältnis- und Mehrheitswahl ergibt sich ein evidenter Konzentrationsvorgang zugunsten jeweils der Gewerkschaft, die sowohl Arbeiter, Angestellte als auch leitende Angestellte vertritt (Gewerkschaften i m DGB). Gewerkschaften, die dagegen, wie etwa die DAG, nur eine Gruppe von Arbeitnehmern vertreten (Angestellte i n der DAG), haben gegenüber dieser Konzentration kaum eine vergleichbare Chance, eigene (Angestellten-)Vertreter i n den Aufsichtsrat mitbestimmter Unternehmen zu bringen und damit i n gleicher Weise an der Unternehmensmitbestimmung zu partizipieren. Angesichts der grundsätzlichen Bedeutung der paritätischen Mitbestimmung für das Koalitionsverfahren ist eine solche Teilhabechance jedoch als verfassungsgeboten zu erkennen. Der verfassungsrechtlich vorausgesetzte Koalitionspluralismus muß — zumindest i n Gestalt eines M i n derheitenschutzes — auch in den Einrichtungen der paritätischen Mitbestimmung wirksam sein. Aus diesem Grunde sollte das Wahlverfahren des MitbestG etwa i n dem Sinne der Forderung der D A G 4 7 dahin abgeändert werden, daß jeweils die Wahlmänner einer Arbeitnehmergruppe (Arbeiter, Angestellte, leitende Angestellte) auch die ihrer Gruppe zustehenden A u f sichtsratsmitglieder selbst wählen (keine gemeinsame Mehrheitswahl). A u f diese Weise wären auch die Minderheitenrechte kleinerer Gewerkschaften gewahrt. I V . Paritätische Mitbestimmung Tarifautonomie und Arbeitskampf 1. Funktionelle

Schwächung von Tarif autonomie und Arbeitskampf

Wenn die paritätische Mitbestimmung dazu führt, daß sich der soziale Konflikt zwischen Kapital- und Arbeitnehmerinteressen wesentlich i n das mitbestimmte Unternehmen selbst bzw. auf dessen Leitungsebenen 47 Vgl. DAG-Pressedienst vom 25.3.1974.

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F. Mitbestimmung und grundgesetzliche Koalitionserfassung

verlagert 4 8 , so kann dies vor allem dazu führen, daß Tarifautonomie und Arbeitskampf als (bisher) zentrale Koalitionsmittel funktionelle Einbußen hinnehmen müssen. Dies ist jedenfalls die Grundannahme der Verfassungskritik, die die paritätische Mitbestimmung von Seiten des Koalitionsrechts bisher erfahren hat 4 9 . Ob die zugrundeliegende Entwicklungserwartung tatsächlich zutrifft, läßt sich vorerst zwar kaum entscheiden. Für die Richtigkeit dieser Erwartung sprechen aber derart viel Indizien, daß auch der Gesetzgeber selbst zur entschiedenen und verfassungskritischen Aufmerksamkeit gezwungen sein muß. I m System der paritätischen Mitbestimmung behielte der Tarifvertrag zwar seine Ordnungs- und Kartellfunktion. Seine zentrale Lohnfunktion dürfte aber dadurch rechtlich gemindert werden, daß unternehmensinterne Lohneinigungen oder doch zwischen den Sozialpartnern schon unternehmensintern vereinbarte Vorentscheidungen die tatsächliche Relevanz des Tarifvertrages als des primären lohnpolitischen Ordnungsinstruments zurückdrängten 50 . Für die Theorie von der institutionellen Verfassungsgewährleistung der Tarifautonomie müssen sich an eine solche Entwicklung oder deren Drohen zwangsläufig erhebliche Verfassungsbedenken gegen die paritätische Mitbestimmung insgesamt knüpfen. Für den Arbeitskampf treten ähnliche Fragen auf. Der grundsätzliche Interessengegensatz zwischen Kapital und Arbeit besteht fort. Das Kampfsystem von Streik und Aussperrung kann aber nicht mehr funktionieren, wenn jener Gegensatz faktisch bereits i n den Leitungsgremien der mitbestimmten Unternehmen zwischen Kapital- und A r beitnehmervertretern (im gesetzlichen Vertretungsorgan) ausgetragen wird. Der Streik müßte i n der Konsequenz, wie namentlich von K . Biedenkopf veranschaulicht 51 , zum (rechtswidrigen) „In-sich-Streik" werden. Und die Aussperrung könnte, da sie vom gesetzlichen Vertretungsorgan erklärt werden müßte, möglicherweise überhaupt nicht mehr zum Tragen kommen; denn das gesetzliche Vertretungsorgan wäre als mittelbar paritätisch mitbestimmtes Gremium nicht mehr Vertreter der Kapitaleigner, sondern auch Vertreter der — gegebenenfalls auszusperrenden — Arbeitnehmer 5 2 . 48 Vgl. oben B I I , D I I 2, I V 5, 6. 49 Vgl. bes. Zöllner-Seiter, Mitbestimmung, S. 16 ff.; Zöllner, RdA 69, 71 f.; Pernthaler, Mitbestimmung, S. 175 ff.; E. R. Huber, Grundgesetz, S. 80 ff.; Hanau, BB 69, 760 ff.; Biedenkopf, Kronstein-Festgabe, S. 79 ff.; ders., RdA 70, 135 f.; Rasch, BB 74, 535 f. so Vgl. auch Schwerdtfeger, Mitbestimmung, S. 122 f. 51 Vgl. Kronstein-Festgabe, S. 101. 52 Vgl. Hanau, BB 69, 762.

IV. Mitbestimmung, Tarif autonomie und Arbeitskampf

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Abgesehen vom Rollenkonflikt, i n den der Arbeitnehmervertreter i m gesetzlichen Vertretungsorgan hierbei gerät, kann ein funktionierendes und effektives Arbeitskampfsystem unter solchen Bedingungen auch rechtlich kaum noch vorausgesetzt werden. Hinzu kommen die Beeinträchtigungen von Koalitionsunabhängigkeit und Koalitionsparität. Diese gehören gleichfalls zu den tragenden Voraussetzungen eines funktionsfähigen Tarifvertragssystems, werden durch die paritätische Mitbestimmung aber gleichfalls beträchtlich relativiert 5 3 , so daß die Verfassungskritik an der Schwächung der Tarifautonomie durch die paritätische Mitbestimmung auch von dieser Seite her begründet erscheint — dies jedenfalls unter der Voraussetzung, daß Koalitionsparität und Koalitionsunabhängigkeit nicht ihrerseits durch entsprechend verfassungskonforme Modifikationen innerhalb der paritätischen Mitbestimmung erhalten werden 5 4 . 2. Offenes Koalitionsverfdhren, legitimer Strukturwandel und institutionelle Öffnung der Koalitionsmittel Die obige Verfassungskritik geht freilich von der prinzipiellen (institutionellen) Unabänderlichkeit der Koalitionsmittel Tarifvertrag, Streik und Aussperrung bzw. von der Vorstellung eines inhaltlich geschlossenen Koalitionsverfahrens aus, während A r t . 9 I I I GG nach richtiger Auffassung auf der Vorstellung des inhaltlich wie instrumenten offenen Koalitionsverfahrens aufbaut 5 5 . Dies bedeutet, daß das Koalitionsverfahren auch inhaltlichen Wandlungen zugänglich ist, selbst wenn diese zu Lasten von Tarifautonomie, Streik und Aussperrung gehen. Diese Feststellung ist für das Verhältnis von Koalitionsverfassung und paritätischer Mitbestimmung entscheidend. Sie vermittelt nämlich die Erkenntnis, daß die paritätische Mitbestimmung als sozialstaatlich legitimierter Strukturwandel i n der Wirtschafts- und Arbeitsverfassung auch nicht an der grundrechtlichen Garantie des A r t . 9 I I I GG scheitern kann. I m Gegenteil, das Koalitionsverfahren steht strukturellen Wandlungen dieser A r t durchaus offen gegenüber. A r t . 9 I I I GG fordert lediglich, daß den grundrechtlich legitimierten Ordnungs- und Teilhabeansprüchen der Koalitionen gegebenenfalls i n anderer (kompensatorischer) Form genügt w i r d 5 6 . es Vgl. oben I I I 1, 2. 54 Vgl. wiederum oben I I I 1, 2. 55 Vgl. oben I 3. 66 Vgl. in diesem Sinne Schwerdtfeger, Mitbestimmung, S. 249 ff.; Säcker, DRdA 73, 95 f.; Buchner, in: Low, 25 Jahre Grundgesetz, S. 27; Däubler, Grundrecht, S. 174 ff.; R. Scholz, Staat 74, 105 ff.; ders., Koalitionsfreiheit, S. 121, 148 f.; ders., DB 72, 1772 ff.

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F. Mitbestimmung und grundgesetzliche Koalitionserfassung

Aus diesem Grunde muß sich die paritätische Mitbestimmung m i t der Koalitionsverfassung arrangieren. Sie muß dieser entweder, einschließlich deren überkommenen Koalitionsmitteln (Tarifvertrag, Streik, Aussperrung), genügend Entfaltungsraum innerhalb der eigenen Verfahrensordnung belassen oder aber diese eigene Verfahrensordnung m i t kompensatorischen Koalitionsmitteln für Gewerkschaften und Arbeitgeberverbände ausstatten. Verfolgte eine Mitbestimmungsgesetzgebung den letzteren Weg, so müßte sie ihrerseits den Kanon der bestehenden Koalitionsmittel auch institutionell für neue Verfahrensformen öffnen 57 . Solche Verfahrensformen müßten, dem System der Unternehmensmitbestimmung entsprechend, auf der Ebene der Unternehmensverfassung liegen. Vorstellungen dieser A r t haben sich beispielsweise i m von D. Hensche 58 entwickelten Konzept eines „mitbestimmungsrechtlichen Unternehmensvertrages" niedergeschlagen; und dies i n prinzipiell verfassungslegitimer Weise. Denn die paritätische Mitbestimmung könnte durchaus über ein solches Institut jene Schwächungen oder Relativierungen der Tarifautonomie auffangen bzw. auf der Ebene des Unternehmens selbst kompensieren 59 . Schwieriger würde es allerdings m i t dem Arbeitskampf werden; denn eine (kompensatorische) Verlagerung oder Substituierung von Streik und Aussperrung bzw. von analogen Kampfmitteln auf die Ebene des Unternehmens selbst erscheint nur schwer realisierbar. Der Kanon der verfassungsmäßigen Kampfmittel ist zwar ebensowenig geschlossen wie der Kanon der koalitionsmäßigen Einigungsmittel 6 0 . Die Einführung oder Realisierung neuer Kampfmittel kann jedoch kaum ohne gesetzliche Organisation geschehen. Für einen „mitbestimmungsrechtlichen Unternehmenskampf" würde dies sogar auf unabdingbare Weise gelten. Denn ein solcher Arbeitskampf liefe, abgesehen von seiner funktionellen Grundproblematik, immer Gefahr, m i t der 57 Zur grundsätzlichen Statthaftigkeit bzw. koalitionsrechtlichen Möglichkeit solcher Öffnungsvorgänge innerhalb einer Mitbestimmungsordnung vgl. bes. Schwerdtfeger, a.a.O.; Büchner, a.a.O.; Däubler, a.a.O.; R. Scholz, a.a.O. 5 8 Vgl AuR 71, 33 (38 f.). 59 Vgl. dazu auch bereits R. Scholz, Staat 74, 107 f. so Vgl. näher Zöllner, Bötticher-Festschrift, 1969, S. 427 (430 ff.); R. Scholz, Koalitionsfreiheit, S. 120 f., 149 f. — A n dieser Feststellung hat im übrigen auch die durch die Notstandsgesetzgebung vom 24.6.1968 (BGBl. I S. 709) eingefügte Regelung des Art. 9 I I I 3 G G nichts geändert. Diese erkannte den Arbeitskampf zwar auch ausdrücklich an, ohne damit aber eine inhaltsändernde Festschreibung der grundgesetzlichen Arbeitskampfordnung bzw. Änderung gegenüber der bestehenden „offenen Kampf Ordnung" vorzunehmen. (Vgl. näher zu dieser Bedeutung des Art. 9 I I I 3 G G A. Hueck, RdA 68, 430 (431); Rüthers, DB 68, 1948 (1949 f.); Lerche, Zentralfragen des Arbeitskampfes, S. 89 ff.).

IV. Mitbestimmung, Tarif autonomie und Arbeitskampf

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betriebsverfassungsrechtlichen Friedenspflicht des § 74 I I BetrVG von 1972 zu kollidieren. Hieran änderte auch ein Institut nach A r t des „mitbestimmungsrechtlichen Unternehmensvertrages " nichts; denn selbst wenn dieses Institut realisiert werden würde, bliebe sein arbeitskampfrechtliches Gegeninstitut doch i m dunkeln 6 1 . Der vorliegende Regierungsentwurf zum MitbestG enthält i m übrigen keine Regelungen dieser oder ähnlicher A r t . Er greift weder die Vorstellung des „mitbestimmungsrechtlichen Unternehmensvertrages" noch vergleichbare Vorstellungen auf; und er unternimmt auch keine Regelung zur Anpassung von paritätischer Mitbestimmung und Arbeitskampfrecht. Dieser Umstand läßt allein die Schlußfolgerung zu, daß der Gesetzgeber am Koalitionsverfahren i n seiner überkommenen Gestalt, die bisherigen Koalitionsmittel also eingeschlossen, festhalten wollte, oder m i t anderen Worten: daß die paritätische Mitbestimmung im Rahmen der geltenden Koalitionsverfassung und ihrer Verfassungswirklichkeit durchgeführt werden soll. Eine solche Entscheidung steht dem Gesetzgeber kraft seines w i r t schafts- und sozialpolitischen Gestaltungsermessens naturgemäß frei. Andererseits führt dies aber zu den geschilderten Unverträglichkeiten zwischen Koalitions- und Mitbestimmungsverfahren sowie den daraus resultierenden Verfassungsbedenken. 3. Koalitionsverfahren

und Konkurrenzlösung

Den vorstehenden Verfassungsbedenken kann lediglich i m Wege der Konkurrenzlösung nach Maßgabe der oben 62 dargestellten Grundsätze begegnet werden. Hiernach müssen die bestehenden, aktualtypischen Koalitionsmittel von Tarifvertrag, Streik und Aussperrung funktionsfähig gehalten werden. Dies kann wiederum nur i n der Weise gelingen, daß die tarifpolitische Willensbildung i m Unternehmen i n koalitionsrechtlicher Unabhängigkeit erfolgt. Dies wiederum erzwingt entsprechende Einschränkungen der arbeitnehmerischen Mitbestimmungsrechte zugunsten der anteilseignerischen (arbeitgeberischen) Entscheidungsrechte. I m einzelnen kann hier auf die obigen Ausführungen verwiesen werden 6 3 . Die Funktionen des Arbeitgebers werden i m (mitbestimmten) Unternehmen vom gesetzlichen Vertretungsorgan (Vorstand) wahrgenommen — entweder mittelbar durch die Repräsentanz des Unternehmens i m Arbeitgeberverband (Verbandstarifvertrag) oder unmittelbar als ei Vgl. auch Hensche, AuR 71, 39 m. N. 38. 62 Vgl. D I V 6. 63 Vgl. D I V 6, F I I I 1, 2.

122

F. Mitbestimmung und grundgesetzliche Koalitionsverfassung

Tarif partner der Gewerkschaft selbst (Haustarifvertrag). Die hier bestehenden tarifpolitischen Entscheidungsbefugnisse des gesetzlichen Vertretungsorgans bedürfen, wie gezeigt, der Rückkoppelung an die Entscheidung der Mehrheit der Anteilseigner i m Aufsichtsrat (analog § 29 MitbestG). Dieses Verfahren funktioniert i m Falle der Tarif Verhandlungen und des Abschlusses von Tarifverträgen, abgesehen von Momenten zeitlicher Verzögerung, ohne weiteres. Schwieriger ist die Situation lediglich i m Falle des Arbeitskampfes. Hier sind folgende Situationen zu unterscheiden: (1) Ein mitbestimmtes Unternehmen w i r d bestreikt; hier darf das gesetzliche Vertretungsorgan nur m i t entsprechender Zustimmung der Mehrheit der Anteilseigner i m Aufsichtsrat nachgeben. (2) Das mitbestimmte Unternehmen w i r d bestreikt und steht vor der Frage einer Abwehraussperrung; hier muß der Mehrheit der A n teilseigner i m Aufsichtsrat auch die unmittelbare Entscheidungskompetenz über die Erklärung der Aussperrung zustehen, vermittelt über ein entsprechendes Weisungsrecht gegenüber dem gesetzlichen Vertretungsorgan. (3) Das mitbestimmte Unternehmen steht vor der Frage der Angriffsaussperrung; hier muß das gleiche wie zu (2) gelten: Die Mehrheit der Anteilseigner i m Aufsichtsrat entscheidet über die Erklärung der Aussperrung und verfügt über ein entsprechendes Weisungsrecht gegenüber dem gesetzlichen Vertretungsorgan. Diese Grundsätze werden unmittelbar i m Falle des Arbeitskampfes u m einen Haustarifvertrag praktisch. I m Falle des Arbeitskampfes u m einen Verbandstarifvertrag stellt sich die Situation etwas anders dar. Hier muß die freie Entscheidung des kämpferischen Arbeitgeberverbandes i n entsprechender Weise abgesichert werden. Dies hat i n der Weise zu geschehen, daß die Willensentscheidungen der mitbestimmten Unternehmen bzw. ihrer Vorstände i m Rahmen der tarifpolitischen Verbandsmaßnahmen ihrerseits an die Zustimmung oder Weisimg der jeweiligen Anteilseignermehrheiten i n den betreffenden Aufsichtsräten gebunden werden. M i t diesen Lösungen würde allen verfassungsrechtlichen Anforderungen der Koalitionsfreiheit genügt. Paritätische Mitbestimmung und Koalitionsverfahren stünden i n verfassungskonform voneinander abgegrenzter Wirksamkeit nebeneinander 64 . 64 Gegen diesen Lösungsweg spricht auch nicht der Umstand, daß der Aufsichtsrat traditionellerweise nicht Träger entsprechender Entscheidungskompetenzen ist. I m System der paritätischen Mitbestimmung wird der Aufsichtsrat nämlich, wie bereits § 29 MitbestG zeigt, auch zum partiellen Träger

V. Zusammenfassung

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Den Weg zu dieser Lösung weist, wie gezeigt, die Vorschrift des § 29 MitbestG. I m laufenden Gesetzgebungsverfahren sollten aber, wie gleichfalls früher postuliert, auch ausdrückliche Regelungen entsprechender A r t i n das MitbestG aufgenommen werden. V. Zusammenfassung Zusammenfassend ist demnach festzustellen, daß das Verhältnis von paritätischer Mitbestimmung und Koalitionsfreiheit verfassungsrechtlich problematisch ist. Die paritätische Mitbestimmung fügt sich nicht ohne verfassungserhebliche Reibungen i n das System der grundgesetzlichen Koalitionsverfassung ein. Dies bedeutet jedoch nicht, wie teilweise angenommen wird, daß die Einführung der paritätischen Mitbestimmung generell an der Grundrechtsgarantie des A r t . 9 I I I GG scheitern muß. Paritätische Mitbestimmung und Koalitionsrecht sind vielmehr i n ihren partiell konträren Verfahrens- und Wirkungsformen so aufeinander abzustimmen, daß beide Systeme nebeneinander bestehen können; den juristischen Weg hierzu weist das Prinzip der wechselseitigen Konkurrenzlösung. Für das MitbestG folgt hieraus allerdings die Forderung einiger verfassungskonformer Auslegungen oder Handhabungen bzw. die Forderung nach entsprechenden Veränderungen i m Gesetz selbst.

von Entscheidungs- oder Verwaltungskompetenzen. Der klassische Gegensatz zwischen Aufsichtsrat und gesetzlichem Vertretungsorgan wird teilweise eingeebnet zugunsten entsprechend konkurrierender Entscheidungskompetenzen.

G. Weitere Grundrechtsprobleme der paritätischen Mitbestimmung Neben den zentralen Grundrechtsfragen der grundgesetzlichen Eigentums- u n d Koalitionsgarantie stellen sich für die paritätische Mitbestimmung grundrechtliche Probleme i m Bereich der Vereinigungsfreiheit aus A r t . 9 I GG und i m Bereich des Gleichheitssatzes aus A r t . 3 I GG. I. Paritätische Mitbestimmung und Vereinigungsf reiheit 1. Kritik

an der paritätischen

Mitbestimmung

Die maßgebenden Einwände gegen die Verfassungsmäßigkeit der paritätischen Mitbestimmung aus der Sicht der Vereinigungsfreiheit des A r t . 9 I GG haben E. R. Huber 1 und P. Pernthaler 2 formuliert. Huber zufolge soll die paritätische Mitbestimmung die Autonomie der Personalund Kapitalgesellschaften, deren Freiheit zur gesellschaftsrechtlichen Organbildung und deren Selbstbestimmung allgemein beeinträchtigen 3 . Pernthaler leitet aus A r t . 9 I GG die Institutsgarantie eines „Kernbestandes von Einrichtungen des Assoziationsrechts" ab; zu dieser Institutsgarantie rechnet er vor allem den Bestandsschutz, die freie Entfaltung u n d die Autonomie der Willensbildung aller gesellschaftsrechtlich organisierten Unternehmen ab 4 . I n diese Institutsgarantie soll die paritätische Mitbestimmimg dadurch eingreifen, daß sie die verfassungsmäßigen Grenzen der „grundrechtskonformen Gesellschaftstype" nicht mehr einhalte und den Anteilseignern Mitgliedschafts-, Verfügungs- sowie Anteilsrechte entziehe®. Die paritätische Mitbestimmung stoße so zur verfassungswidrig öffentlich-rechtlichen Zwangsorganisation der mitbestimmten Unternehmen 6 und damit zum wesensgehaltswidrigen „Mißbrauch der privatrechtlichen Formenwelt der Assoziationsfreiheit" vor 7 . 1 2

s 4 5 6 7

Vgl. Vgl. Vgl. Vgl. Vgl. Vgl. Vgl.

Grundgesetz, S. 46 ff. Mitbestimmung, S. 22 ff. a.a.O., S. 52 ff., 56 ff., 61 ff., 64 ff. a.a.O., S. 24 ff a.a.O., S. 35 ff., 39 ff., 44 ff. a.a.O., S. 36, 39 ff., 51. a.a.O., S. 61 ff.

I. Mitbestimmung und Vereinigungsfreiheit

125

Für Huber wie Pernthaler kommt der Garantie des A r t . 9 I GG daher maßgebende Bedeutung bei der Begrenzung jeder Gesetzgebung zur Einführung einer qualifizierten oder paritätischen Mitbestimmung zu. Die Gegenauffassung hat vor allem G. Schwerdtfeger vertreten. Auch i h m zufolge verleiht A r t . 9 1 GG dem gesellschaftsrechtlich organisierten Zusammenschluß verfassungsrechtlichen Schutz 8 . Dieser Schutz soll aber nur solche Eingriffe des Gesetzgebers abwehren, die sich gegen den Bestand des betreffenden Zusammenschlusses selbst richten („spezielle Vereinigungsfreiheit"); A r t . 9 1 GG soll m i t anderen Worten keinen Schutz gegen solche Maßnahmen eröffnen, die sich — wie die paritätische Mitbestimmung — nicht gegen den gesellschaftsrechtlichen Zusammenschluß als solchen, sondern gegen dessen ökonomisch-eigentumsnutzenden (unternehmensmäßigen) Zweck richten bzw. die unternehmensmäßige Organisation dieses Zwecks und seiner Verfolgung zu regeln versuchen 9 . I m Ergebnis w i l l Schwerdtfeger demgemäß und, wie zu zeigen sein wird, m i t Recht, einen Verfassungsverstoß gegenüber A r t . 9 I GG verneinen 10 . 2. Struktur der grundgesetzlichen Garantie der Vereinigungsfreiheit und das Gesellschaftsrecht Die grundgesetzliche Garantie des A r t . 9 I GG schützt grundsätzlich sämtliche Formen der Vereinigung von Rechtssubjekten (Individuen), angefangen vom nichtrechtsfähigen Verein bis zur Kapitalgesellschaft 11 . Die Vereinigungsfreiheit ist i n diesem umfassenden Sinne Kommunikationsgrundrecht 12 ; sie gehört zu den tragenden Grundlagen der grundgesetzlichen Kommunikationsverfassung 13 . M i t dieser Maßgabe nimmt die Vereinigungsfreiheit politische wie wirtschaftliche, soziale wie kulturelle Betätigungszwecke auf und vermittelt diesen das organisatorische Rüstzeug zur kollektiven Verfolgung, sei es i n Gestalt des Personenverbandes, sei es i n Gestalt der Verbandsperson. Die Vereinigungsfreiheit baut damit auf dem formalen Vereinigungsbegriff auf, d.h. sie schützt prinzipiell jede Form von Vereinigung, Gesellschaft oder Zusammenschluß, ohne auf deren materiale Inhaltsorientierung (Vereinigungszweck) Einfluß zu nehmen 14 . 8

Vgl. Mitbestimmung, S. 201. » Vgl. a.a.O., S. 202 ff. Vgl. im Ergebnis entsprechend bereits R. Scholz, Staat 74, 103. Vgl. näher Maunz-Dürig-Herzog, GG, Art. 9 Rdnr. 35 ff.; R. Scholz, Konzentrationskontrolle, S. 40 ff., jeweils mit w. Nachw. 12 Vgl. Maunz-Dürig-Herzog, a.a.O., Rdnr. 6; R. Scholz, Koalitionsfreiheit, S. 292 ff. 13 Vgl. näher R. Scholz, Koalitionsfreiheit, S. 294.

126

G. Weitere Grundrechtsprobleme

Die Vereinigungsfreiheit steht m i t anderen Worten nie allein. Sie verbindet sich stets m i t anderen Freiheitsrechten als den zweckbestimmenden Freiheiten. Die Vereinigungsfreiheit ist i n diesem Sinne M i t t e l zur kollektiven (organisierten, „vereinigten") Verfolgung oder Ausübung sonstiger, individualer Freiheitszwecke. Oder anders und wie an anderer Stelle 1 5 näher ausgeführt: Die Vereinigungsfreiheit ist grundrechtssystematisch „Ausübungsrecht" i m Dienste anderer Grundrechte bzw. i m Dienste von „Inhaltsrechten Diese Feststellung ist auch für die vorliegende Frage entscheidend. Denn erst sie zeigt, welcher Stellenwert dem Gesellschafts- und Unternehmensverfassungsrecht i m System des A r t . 9 1 GG zukommt: Das Grundrecht der Vereinigungsfreiheit ist naturgemäß darauf angewiesen, daß der einfache Gesetzgeber den vereinigungswilligen Individuen eine Fülle von rechtlich durchnormierten Vereinigungstypen zur Verfügung stellt. I n diesem Sinne ist die Vereinigungsfreiheit auf entscheidende Weise von der unterverfassungsrechtlichen Organisationsgesetzgebung abhängig — ein, wie schon oben deutlich wurde 1 6 , charakteristisches Merkmal (auch) der Vereinigungsfreiheit als Kommunikationsgrundrecht. Der Verfassungsgeber selbst hat bewußt darauf verzichtet, schon seinerseits ein bestimmtes Organisationsrecht für das System der statthaften Vereinigungen zu statuieren. Denn die Entwicklung und Prästierung eines solchen Rechts ist wesensmäßige Aufgabe der einfachen Gesetzgebung und ihrer Anpassungs- oder Elastizitätschance. A r t . 9 I GG beläßt dem einfachen Gesetzgeber auf diese Weise viel (notwendigen) Spielraum. Verfassungskritisch reagiert A r t . 9 I GG erst dort, wo der einfache Gesetzgeber die Schöpfung eines geeigneten Organisationsrechts überhaupt unterläßt oder wo er dies m i t unverhältnismäßigen Organisationsschranken durchsetzt. Jenseits dieser Verfassungsschranken ist das Organisationsrecht der Vereinigungen aber gestaltungsfähig und wesentlich — bzw. dem verfassungsrechtlich formalen Vereinigungsbegriff entsprechend — organisatorisch-formal beschaffen 17 . Schon hieraus folgt, daß eine Mitbestimmungsgesetzgebung, soweit sie das geltende Gesellschafts- und Unternehmensverfassungsrecht umgestaltet, nicht an A r t . 9 I GG scheitern kann. u Vgl. Maunz-Dürig-Herzög, a.a.O., Rdnr. 35 ff.; Dietz, Grundrechte I I I / l , 1958, S. 417 (419); von Münch, Bonner Kommentar, Art. 9 Rdnr. 27 f., 44; R. Scholz, Konzentrationskontrolle, S. 40 f. ** Vgl. R. Scholz, Konzentrationskontrolle, S. 42 ff.; Koalitionsfreiheit, S. 110, 291 f. " Vgl. E I I 2. " Vgl. für das Aktienrecht auch BVerfGE 14, 263 (275).

I. Mitbestimmung und Vereinigungsfreiheit

127

Vollends deutlich w i r d dies jedoch an Hand der Schrankensystematik des A r t . 9 1 GG. Die Vereinigungsfreiheit untersteht einmal den Schranken des A r t . 9 I I GG und zum anderen untersteht sie i n ihrer Eigenschaft als Kommunikationsgrundrecht den Schranken des „allgemeinen Gesetzes" i m Sinne des A r t . 5 I I GG 1 8 . Als „Ausübungsrecht " nimmt die Vereinigungsfreiheit schließlich diejenigen grundrechtlichen Schrankeneffekte auf, die das korrespondierende Inhaltsrecht " i n legitimer Weise beschränken. Ist beispielsweise eine bestimmte Berufs- oder Eigentumsschranke i m Sinne der A r t . 12 12, 1412 GG dem Individuum gegenüber wirksam, so ist sie dies auch derjenigen Vereinigung gegenüber, die das betreffende „Inhaltsrecht" aus A r t . 12, 14 GG kollektiv ausübt. Denn da zwischen A r t . 9 1 und A r t . 12, 14 GG auch i n wirtschaftlicher Hinsicht ein Mittel-Zweck-Verhältnis besteht, gewährt auch A r t . 9 I GG nicht mehr an (legitimen) wirtschaftlichen Freiheitszwecken als A r t . 12, 14 GG sie dem einzelnen i n seiner individualen Grundrechtsausübung gewähren 19 . Dies verkennt, wer annimmt, daß die Schrankensystematik des A r t . 9 sich i n A r t . 9 I I GG erschöpft; derjenige hätte gleichzeitig nämlich zu dem Ergebnis zu gelangen, daß die kollektive Ausübungsform „Vereinigung" auch inhaltlich mehr an (wirtschaftlichen etc.) Rechten gewährt, als i m Schutzbereich der A r t . 12, 14 (etc.) GG enthalten ist; und dieses Ergebnis wäre keineswegs haltbar. Der richtige Interpretationsweg ist demgemäß ein anderer: Die Vereinigungsfreiheit schützt die kollektive Ausübungsform, nicht aber den Zweck, den ein solches K o l l e k t i v (Vereinigung) verfolgt. Der Schutz dieses Zwecks richtet sich nach den (allgemeinen) Regeln der A r t . 12, 14 GG. Deren Schranken sind m i t anderen Worten auch gegenüber der nach Art. 9 I GG gebildeten Vereinigung (Kapitalgesellschaft) wirksam. 3. Verfassungsmäßigkeit

der paritätischen

Mitbestimmung

A u f der Grundlage der obigen Feststellungen ist auch die Frage der Vereinbarkeit von paritätischer Mitbestimmung und Vereinigungsfreiheit zu beurteilen. Die paritätische Mitbestimmung zielt auf die Neu- oder Umorganisation der Unternehmensverfassung und damit auf den Gewährleistungsbereich des A r t . 14 GG. Daß sie sich zu ihrer Durchsetzung des Gesellschaftsrechts bzw. Unternehmensverfassungsrechts bedient, liegt i n der Sachlogik des zugrunde liegenden Regelungsgegenstandes: Um den iß Vgl. näher und mit w.Nachw. R. Scholz, Koalitionsfreiheit, S. 335 ff.; zum Organisationsrecht als in diesem Sinne „allgemeines Gesetz" vgl. R. Scholz, ebd., S. 348 ff. 19 Vgl. näher schon R. Scholz, Konzentrationskontrolle, S. 42 ff.

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G. Weitere Grundrechtsprobleme

wirtschafts- und sozialpolitischen Zweck der paritätischen Mitbestimmung zu erreichen, muß nicht nur das Eigentumsrecht selbst umorganisiert werden; es müssen auch seine gesellschaftsrechtlichen Ausübungsformen partiell neu gestaltet werden. Da diese Maßnahmen aber m i t Art. 14 GG grundsätzlich vereinbar sind, scheitert ihre gesamte Verfassungsmäßigkeit auch nicht an A r t . 9 1 GG. Denn insoweit schlägt die verfassungsrechtlich legitime Beschränkung des „Inhaltsrechts" aus A r t . 14 GG auch gegenüber der „ausübungsrechtlichen" Gewährleistung des Art. 9 1 GG durch 20 . Etwas anderes könnte nur dann gelten, wenn m i t der paritätischen Mitbestimmung die generelle Auflösung des privatautonomen Gesellschaftsrechts verbunden wäre; denn dies verstieße gegen den Wesensgehalt der Vereinigungsfreiheit (Art. 91, 19 I I GG). Hiervon kann jedoch keine Hede sein. Die paritätische Mitbestimmimg ist demgemäß m i t dem Grundrecht der Vereinigungsfreiheit aus A r t . 9 1 GG i n vollem Umfange, d.h. i m Grundkonzept ebenso wie i n der konkreten Gestaltung des MitbestG, vereinbar 2 1 . I I . Paritätische Mitbestimmung und Gleichheitsfragen Fragen um das Verhältnis von Gleichheitssatz und paritätischer Mitbestimmung können sich sowohl auf die Gleichbehandlung der von der Mitbestimmungsgesetzgebung betroffenen Unternehmen als auch auf die Gleichbehandlung der Arbeitnehmer untereinander bzw. i m System differierender Mitbestimmungsrechte beziehen. 1. Paritätische Mitbestimmung

und Unternehmensgleichheit

Die paritätische Mitbestimmung differenziert zwischen mitbestimmungspflichtigen Großunternehmen und nichtmitbestimmungspflichtigen Mittel- sowie Kleinunternehmen. Diese Differenzierung beinhaltet eine äußerliche Ungleichbehandlung, ist aber auch als solche m i t dem Gleichheitssatz des A r t . 3 I GG vereinbar. Denn dessen Willkürverbot 2 2 ist nicht verletzt. Die Differenzierung zwischen Großunternehmen und anderen Unternehmen erfolgt nicht ohne sachlichen Grund; denn das Großunternehmen rechtfertigt als sozialer und ökonomischer Machtfaktor ersten Ranges durchaus besondere Maßnahmen der Kontrolle, Verantwortung und damit auch der arbeitnehmerischen Mitbestimmimg 2 3 . 20 Vgl. bereits R. Scholz, Staat 74, 103. Vgl. im Ergebnis entsprechend Schwerdtfeger, Mitbestimmung, S. 202 ff.; auch bereits R. Scholz, Staat 74, 103. 22 Zu diesem Inhalt des A r t . 3 I G G vgl. u.a. BVerfGE 1, 117 (140f.); 7,305 (315); 11, 105 (120 ff.); 15, 167 (201) und ständige Rechtsprechung. 21

II. Mitbestimmung und Gleichheitsfragen

129

Da die Abgrenzung der Großunternehmen i m MitbestG gleichfalls nicht von sachwidrigen Kriterien getragen w i r d 2 4 , und da m i t dem MitbestG auch die früheren Differenzierungen zwischen mitbestimmungspflichtiger Montanwirtschaft und sonstiger, nicht mitbestimmungspflichtiger Wirtschaft 2 5 aufgehoben sind, scheidet jeder Verstoß gegen Art. 3 I GG aus. 2. Paritätische Mitbestimmung

und Arbeitnehmergleichheit

Nach § 3 MitbestG gelten als Arbeitnehmer die Arbeiter i m Sinne des § 6 I BetrVG von 1972, die Angestellten i m Sinne des § 6 I I BetrVG von 1972 sowie die leitenden Angestellten i m Sinne des § 5 I I I BetrVG von 1972. Die mitbestimmungsrechtlichen Befugnisse dieser voneinander unterschiedenen Arbeitnehmergruppen richten sich nach ihrem zahlenmäßigen Verhältnis i m Unternehmen (§15111 MitbestG); unabhängig davon müssen dem Aufsichtsrat der mitbestimmten Unternehmen allerdings mindestens ein Arbeiter, ein Angestellter und ein leitender Angestellter angehören (§ 15 I I 2 MitbestG). Da gerade die leitenden Angestellten i n aller Regel i n der Minderheit befindlich sind, könnte i n der Regelung des § 15 I I 2 MitbestG eine Ungleichbehandlung bzw. Bevorzugung der leitenden Angestellten gesehen werden. Diese würde aber nicht gegen den Gleichheitssatz des A r t . 3 I GG verstoßen. Denn eine solche Differenzierung ist nicht willkürlich. Der Gesetzgeber ist durchaus berechtigt, zwischen den Arbeitnehmern zu unterscheiden und hierbei einer zahlenmäßig schwächeren Gruppe, die den wirtschaftlichen Faktor Disposition verkörpert, besondere Rechte einzuräumen. Diese Rechte beschränkten sich inhaltlich zudem auf den Minderheitenschutz und verfügen damit über eine besondere sachliche Legitimation. Die Stellung der leitenden Angestellten innerhalb einer Mitbestimmungsgesetzgebung impliziert zwar stets ein besonderes Bewertungsproblem und kann durchaus auch kritischer gesehen werden* 6 . I m Rahmen seines wirtschaftspolitischen Gestaltungs- und Typisierungsspielraums steht dem Gesetzgeber aber die uneingeschränkte Befugnis zu, i n entsprechender Weise zwischen den verschiedenen Gruppen der Arbeitnehmerschaft zu differenzieren. 23 Vgl. auch schon R. Scholz, Die A G 72, 199 f.; zur verfassungsrechtlichen Statthaftigkeit einer Konzentrationskontrolle gegenüber Großunternehmen und deren vergleichbarer Fragestellung vgl. R. Scholz, Konzentrationskontrolle, S. 28 ff. und passim. 24 Vgl. dazu schon oben B I. 26 Zur hiesigen Gleichheitsproblematik vgl. mit w. Nachw. bereits R. Scholz, Die A G 72, 197 ff. sowie oben B I. 26 Vgl. in dieser Richtung z. B. Steindorff, AuR 73, 97 ff. mit w. Nachw. 9 Scholz

H. Ergebnisse I. 1. Die gesetzliche Einführung der paritätischen Unternehmensmitbestimmung — durch den vorliegenden Regierungsentwurf eines MitbestG oder auch durch andere Konstruktionsmodelle (z. B. Modell der Montanmitbestimmung) — bewirkt politisch, sozial und ökonomisch einen beträchtlichen Strukturwandel nicht nur der bestehenden Unternehmensverfassimg (mikroökonomischer Gestaltungseffekt), sondern auch der realen Wirtschafts- und Arbeitsverfassung (makroökonomischer Gestaltungseffekt). Verfassungsrechtlich berühren diese Wandlungen vor allem die grundgesetzliche Arbeitsund Wirtschaftsverfassung sowie die grundrechtliche Eigentumsund Koalitionsverfassung (Art. 14, 9 I I I GG). 2. Als sozialpolitische Legitimation der paritätischen Mitbestimmung werden angeführt: der Grundsatz der Parität von Kapital und Arbeit, die Forderung nach nicht nur sozial, sondern auch w i r t schaftlich partizipativer Selbstbestimmung der Arbeitnehmer, die Forderung nach Demokratisierung der Unternehmen (Wirtschaft), die Forderung nach Kontrolle und Rechtfertigung ökonomischer (Unternehmens-) Macht, das Ziel optimaler Integration der w i r t schaftlichen und sozialen Interessen von Kapital- bzw. Anteilseignern und Arbeitnehmern bzw. deren Wendung zur kooperativen statt konfliktbestimmten Ordnung. 3. Kritisch w i r d gegen die paritätische Mitbestimmung vor allem eingewandt: Als Maßnahme der Umverteilung von Wirtschaftsvermögen verfüge sie partielle Enteignungen oder Vergesellschaftungen. Die paritätische Mitbestimmung verlagere bzw. verfestige den Gegensatz zwischen Kapital und Arbeit i n den Organen oder Entscheidungszentren der Unternehmen. Das Unternehmen werde seiner ursprünglichen ökonomischen Grundfunktion entkleidet und zur institutionellen Konfliktplattform; seine wirtschaftliche Effizienz und Funktionsfähigkeit werde damit gefährdet. Die unternehmensleitenden Prinzipien privatnütziger Rentabilität, privatautonomer Steuerung, freien Kapitaleinsatzes und verantwortlichen Kapitalrisikos würden durch eine Ordnung bedroht, die an die Stelle der bisherigen interessenmonistischen Unternehmensstruktur eine solche

H. Ergebnisse

131

interessendualistischer A r t setze. Durch die institutionelle Beteiligung der Gewerkschaften an der Unternehmensmitbestimmung w ü r den diese zu anteiligen Trägern der Unternehmensmacht; und solche Gewerkschaftsmacht bedrohe die dezentralen Steuerungs- und Verhaltensmechanismen der Marktwirtschaft ebenso wie das System der Tarifautonomie m i t deren Voraussetzungen von gleichgewichtiger und gegnerfreier Organisation der Sozialpartner. 4. I m Verfassungsstreit um die paritätische Mitbestimmung kommt diesen verteidigenden wie kritischen Argumentationen nur insoweit Bedeutung zu, als diese sich auf begründete oder begründbare Entwicklungserwartungen sowie auf grundgesetzlich w i r k l i c h vorgegebene Rechtspositionen stützen können. II. 1. Die paritätische Mitbestimmung verändert die unternehmensmäßige Grundfunktion i m Sinne stärkerer Funktionspluralität (Zielsetzungen unternehmerischer Rentabilitätsinteressen und arbeitnehmerischer Sozialinteressen). Diese Funktionspluralität impliziert aber nicht die unternehmensmäßige Dysfunktionalität; denn die Verbindung von wirtschaftlicher und sozialer Grundfunktion ist Unternehmen, unternehmerischem Verhalten und unternehmensmäßiger Organisation auch bisher nicht wesensfremd gewesen (partiell offene Unternehmensfunktionalität). 2. Die Veränderung der Unternehmensstruktur i m Sinne paritätischer Kooperation von Kapitaleignern und Arbeitnehmervertretern, auf der Grundlage der Aufsichtsratsmitbestimmung, verändert die Struktur der bisherigen gesellschaftsrechtlichen Unternehmensverfassung. Deren neues Grundprinzip heißt Einigungszwang zwischen den unternehmensinternen Sozialpartnern. Dieses Grundprinzip kann zu gewissen Reibungsverlusten und Elastizitätsminderungen führen; nicht erkennbar ist jedoch, daß damit die Funktionsfähigkeit der Unternehmen unüberwindbar beeinträchtigt würde. 3. Die paritätische Mitbestimmung stärkt die Stellung der Gewerkschaften, indem sie diesen die institutionelle Beteiligung i m A u f sichtsrat des Unternehmens über die drei eigenen Vertreter garantiert und ihnen zum anderen über ihren allgemeinen Einfluß auf die sieben unternehmenseigenen Arbeitnehmervertreter i m Aufsichtsrat eine wesentliche Leitungsfunktion i n mitbestimmten Unternehmen sichert. Die unmittelbare Unternehmensleitung obliegt zwar dem gesetzlichen Vertretungsorgan. Da dieses Organ aber vom paritätisch 9*

132

H. Ergebnisse

zusammengesetzten Aufsichtsrat bestellt wird, ist auch vom wesentlich paritätisch orientierten bzw. proportional zusammengesetzten Vertretungsorgan auszugehen. § 2 8 I V MitbestG sieht bei der Bestellung des Vertretungsorgans zwar letztlich, d. h. i m Falle absolut mangelnder Einigung, das Recht des Wahlorgans und damit der Kapital- bzw. Anteilseigner vor, über Personalvorschläge des Aufsichtsratsvorsitzenden und seines Stellvertreters allein zu entscheiden. Von diesem (relativen) Letztentscheidungsrecht des Wahlorgans w i r d aber namentlich bei Publikumsgesellschaften kaum praktischer Gebrauch gemacht werden bzw. Gebrauch gemacht werden können (anders i n v o l l oder fast ausschließlich von einem Gesellschafter beherrschten Kapitalgesellschaften sowie beispielsweise i n Familienunternehmen). 4. Diese unternehmensintern verstärkte Position der Gewerkschaften hat Folgen für das System der Tarifautonomie. Denn wo dies auf der Auseinandersetzung und vertraglichen Einigung von gleichgewichtigen und wechselseitig unabhängigen Sozialpartnern, d.h. Gewerkschaften einerseits und Arbeitgeberverbänden bzw. Einzelarbeitgebern andererseits, aufbaut, dort verlagert sich der prinzipielle Konflikt zwischen arbeitgeberischem Kapitalinteresse und gewerkschaftlich organisiertem Arbeitnehmerinteresse bereits m i t auf die Ebene der unternehmensinternen Willensbildung. Der Interessenkonfiikt w i r d nicht nur i m System von Arbeitskampf und tarifvertraglicher Einigung ausgetragen; er w i r d auch zwischen den unternehmensinternen Anteilseigner- und Arbeitnehmerfraktionen sowie deren Vertretern i m gesetzlichen Vertretungsorgan ausgetragen — gegebenenfalls bei der Abstimmung i m Vertretungsorgan darüber, wie man tarifpolitischen Forderungen der Gewerkschaften begegnet, oder auch i n der Weise, daß die arbeitgeberische Seite bei Tarifverhandlungen m i t von Vorstandsmitgliedern vertreten wird, die Mitglieder der gewerkschaftlichen Gegenseite sind. 5. A n dieser Stelle offenbaren sich nicht nur mögliche Rollenkonflikte (Doppelrolle von Gewerkschafts- und Vorstandsmitglied), sondern auch Machtverschiebungen zugunsten der Gewerkschaften, d. h. Machtverschiebungen, die das von der Tarifautonomie vorausgesetzte Prinzip der Koalitionsparität (Machtgleichgewicht) sowie das Prinzip der gegenseitigen Koalitionsunabhängigkeit stören können. III. 1. Standort und Legitimation der paritätischen Mitbestimmimg i m System der grundgesetzlichen Gesellschaftsverfassung bestimmen

H. Ergebnisse sich nach den Grundprinzipien von Grundrechten und demokratischem sowie sozialem Rechtsstaat (Art. 1 ff., 201/281 GG). Die grundgesetzliche Gesellschaftsverfassung (Wirtschafts-, Arbeitsund Sozialverfassung) baut hiernach auf einem offenen Ordnungssystem auf. Dieses System ist strukturell auf die Garantie und Erhaltung einer freiheitlichen und dezentralen Gesellschaftsordnung festgelegt. Die konkreten Inhalte der gesellschaftlichen Ordnung werden maßgebend durch die Gestaltungsbefugnisse des demokratischen Gesetzgebers bestimmt. 2. Die verfassungsrechtlich tragende Legitimationsgrundlage der paritätischen Mitbestimmung liegt nicht i m Bereich des demokratischen Verfassungsprinzips; denn dies ist nach dem Grundsatz zunächst Konstitutionsprinzip der staatlichen und nicht der gesellschaftlichen Ordnung. Ordnungsvorstellungen nach A r t einer „Wirtschafts-" und „Unternehmensdemokratie" sind der offenen Gesellschaftsverfassung des Grundgesetzes prinzipiell unbekannt. 3. Die verfassungsrechtliche Grundlegitimation der paritätischen M i t bestimmung liegt i m Sozialstaatsprinzip. Das Sozialstaatsprinzip fordert neben der sozialen Sicherheit die gerechte Sozialordnung. M i t deren konkreter Verwirklichung beauftragt es vornehmlich den Gesetzgeber; das Sozialstaatsprinzip funktioniert so als permanenter Konkretisierungsauftrag m i t inhaltlich breitem Gestaltungsspielraum für den Gesetzgeber. 4. Die paritätische Mitbestimmung basiert auf dem Ordnungsziel sozialer Selbstbestimmung i m Arbeitsleben. Sie sucht dessen Erfüllung i m Ausbau arbeitnehmerischer Partizipationsrechte innerhalb des unternehmensmäßig organisierten Arbeits- und Wirtschaftsprozesses. Als Gewährleistung sozialer Teilhabe i n diesem Sinne verfügt die paritätische Mitbestimmung über die grundsätzliche Verfassungslegitimation einer gültigen Konkretisierung des Sozialstaatsprinzips i n Verbindung m i t den Prinzipien freiheitlich-sozialer Selbstbestimmung (Art. 11/2 I GG). 5. Die gesetzliche Einführung der paritätischen Mitbestimmung ist ebenso Maßnahme sozialpolitischer Distribution wie Maßnahme wirtschaftspolitischer Intervention. Als Interventionsmaßnahme untersteht die paritätische Mitbestimmung den Schranken der Grundrechte und des Rechtsstaatsprinzips. 6. Die Wirtschafts- und Arbeits Verfassung des Grundgesetzes ist die des offenen Ordnungssystems. I n diesem System hat der Gesetz-

134

H. Ergebnisse

geber die Befugnis auch zu strukturell neuartigen oder ordnungspolitisch experimentellen Maßnahmen; deren verfassungsrechtliche Wirksamkeit baut auf den Prärogativen von gesetzgeberischem Entwicklungsspielraum und gesetzgeberischer Zweckmäßigkeitsentscheidimg auf bzw. deren verfassungsrechtlich begrenzter Kontrollfähigkeit auf. 7. Die offene Wirtschaftsverfassung des Grundgesetzes impliziert über die Eigentumsgarantie des A r t . 14 GG nicht nur die mikroökonomische Systemvorstellung der grundsätzlich privaten und individualen Nutzung unternehmerischen Vermögens nach den Regeln von wirtschaftlicher Rentabilität und privaten Erfolgs und Risikos, sondern auch die makroökonomische Systemvorstellung einer auf das Privateigentum an den Produktionsmitteln gegründeten W i r t schaftsordnung, d. h. einer Wirtschaftsordnung, die maßgebend nach den Prinzipien von Privatautonomie, Wettbewerb und dezentraler Steuerung funktioniert. 8. Die grundgesetzliche Arbeitsverfassung baut auf entsprechenden Systemvorstellungen wie die grundgesetzliche Wirtschaftsverfassung auf. Auch m i t ihrem offenen Ordnungssystem ist eine paritätische Mitbestimmung i m Grundsatz vereinbar. IV. 1. Steht die grundgesetzliche Wirtschafts- und Arbeitsverfassung der gesetzlichen Einführung der paritätischen Mitbestimmung kraft deren sozialstaatlicher Legitimation prinzipiell offen gegenüber, so muß sich die konkrete Organisation der Unternehmensmitbestimmung andererseits i n den Grenzen der konkret wirtschafts- und arbeitsverfassenden Grundrechtsgarantien halten. Von maßgebender Bedeutung sind hierbei die Eigentumsgarantie aus A r t . 14 GG und die Garantie der Koalitionsfreiheit aus Art. 9 I I I GG. 2. Das Leitprinzip der Mitbestimmung heißt Parität von Kapital und Arbeit. Diese Parität ist verfassungsrechtlich zwar nicht vorausgesetzt, aber sozialstaatlich legitimiert. Über die Konstruktionsformen einer konkret bewirkten Parität von Kapital und Arbeit entscheidet grundsätzlich der Gesetzgeber. 3. Immanent und verfassungsrechtlich vorausgesetzte Grenze jeder Mitbestimmung ist die Unzulässigkeit der Uberparität arbeitnehmerischer Mitbestimmungsrechte. Mitbestimmungsrechte dieser A r t sind weder m i t A r t . 14 noch m i t A r t . 9 I I I GG vereinbar.

4. Das Problem der Uberparität kann sich sowohl innerhalb einer Mitbestimmungsgesetzgebung (unmittelbare Uberparität) als auch

H. Ergebnisse außerhalb einer solchen durch funktionelle Doppelzuständigkeiten oder Kompetenzpotenzierungen von Unternehmensmitbestimmung einerseits und betriebsverfassungsrechtlichen oder tarifvertraglichen Regelungsbefugnissen andererseits ergeben (mittelbare Überparität durch Kumulation von Unternehmensmitbestimmung und Betriebsbzw. Koalitionsmitbestimmung). Das Problem unmittelbarer Parität stellt sich für das MitbestG ebensowenig wie für die sonst zur Diskussion stehenden Mitbestimmungsmodelle, namentlich nicht für die Montanmitbestimmung. Das Problem mittelbarer Überparität ist dagegen für bestimmte Einzelfälle aktuell, i n denen sich mitbestimmungsmäßig Doppelzuständigkeiten oder Kompetenzpotenzierungen ergeben. 5. Rechtssystematisch erweist sich das Problem mittelbarer Überparität als Problem der Konkurrenz von verschiedenen gesetzlichen Arbeitnehmerrechten, sei es, daß diese auf dem Gebiet der Unternehmensmitbestimmung, der Betriebsmitbestimmung oder der Tarifautonomie liegen. Konkurrenzprobleme dieser A r t bestehen auch zwischen Betriebsmitbestimmung und Tarifautonomie. Die erforderliche Konkurrenzlösung nimmt hier das BetrVG vor. Entsprechende Konkurrenzlösungen fordert das Recht der Unternehmensmitbestimmung. Eine beispielhafte Regelung dieser A r t findet sich bereits i n § 29 MitbestG. Dem i n dieser Regelung verankerten Rechtsgedanken kommt allgemeine Bedeutung zu. Hiernach ist i n allen Fällen, i n denen die Kumulation von arbeitnehmerischen Mitbestimmungsbefugnissen etc. zu mittelbaren Überparitäten führt (führen kann) der Mehrheit der Anteilseignervertreter i m Aufsichtsrat des mitbestimmten Unternehmens das ausschlaggebende und damit wieder paritätssichernde Entscheidungsrecht einzuräumen. De lege ferenda sollte dieses Entscheidungsrecht allerdings auch ausdrücklich, d. h. über den Rechtsgedanken des § 29 MitbestG hinaus, i n der Mitbestimmungsgesetzgebung positiviert werden. 6. Das Verfahren der Konkurrenzlösung folgt i m übrigen den Regeln von Spezialität (Vorrang der jeweils spezielleren Mitbestimmungsbefugnis) und verfassungsrechtlichem Vorrang (Vorrang der koalitionsrechtlichen Ordnungsbefugnisse vor der Unternehmens- und der Betriebsmitbestimmung). Über das Verfahren der Konkurrenzlösung gelingt die verfassungsgerechte Einordnung der paritätischen Mitbestimmung i n das System bestehender Arbeitnehmerrechte.

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H. Ergebnisse V.

1. Die grundgesetzliehe Eigentumsgarantie des A r t . 14 GG gewährleistet das Privateigentum der Kapital- bzw. Anteilseigner am Unternehmen einschließlich der unternehmerischen Leitungs-, N u t zungs- und Dispositionsbefugnisse. Die Eigentumsgarantie des A r t . 14 GG schützt i m weiteren die Privatnützigkeit und die Funktionsfähigkeit des unternehmerisch genutzten Eigentums. Die paritätische Mitbestimmung beschränkt diese Rechtspositionen zu Lasten der Anteilseigner. Sie muß sich daher i n den Grenzen der Schrankenvorbehalte des A r t . 14 GG halten. 2. Die Schranken der Eigentumsgarantie des A r t . 14 GG gliedern sich stufenförmig i n die Vorbehalte der Inhaltsbestimmung (Art. 1412 GG), der Sozialbindung (Art. 14 I I GG), der Enteignung (Art. 14 I I I GG) und der Sozialisierung (Art. 15 GG). Inhaltlich gliedern sich diese Schranken i n den Nutzungs-, den Verfügungs-, den Verteilungs-, den Entziehungs- und den Organisationsvorbehalt. Sind die ersteren Vorbehalte der bisherigen Schrankendoktrin recht geläufig, so gilt dies für den zuletzt genannten Organisationsvorbehalt nur i n sehr eingeschränktem Maße. Seine Bedeutung ist jedoch gerade i m Recht der Sozialordnung unübersehbar. Gerade unternehmensmäßiges Eigentum bedarf der rechtlichen Organisation i m freiheitsrechtlich-rechtsstaatlichen wie i m teilhaberechtlich-sozialstaatlichen Sinne: Als Substrat privatwirtschaftlichen Eigentums bedarf das Unternehmen der rechtlich-organisatorischen Zuordnung zum Kapital- und Anteilseigner. Als System sozialer Beziehungen — namentlich zwischen Kapitaleignern, Organen und Arbeitnehmern — bedarf das Unternehmen zugleich der sozialstaatlichen Organisation, die die unternehmensinternen Freiheits- und Sozialsphären voneinander abgrenzt bzw. auf die Grundlage einer gemeinsamen Sozialordnung stellt. Aufgaben der letzteren A r t erfüllt eine mitbestimmungsrechtliche Organisationsgesetzgebung. 3. Die paritätische Mitbestimmung bewirkt keine Enteignung oder Sozialisierung. Denn die mitbestimmten Unternehmen bleiben i m Eigentum ihrer Eigner; die Privatnützigkeit der Unternehmen bleibt grundsätzlich unberührt; das Leitprinzip der ökonomischen Rentabilität bleibt grundsätzlich unangefochten bzw. w i r d nur partiell zugunsten verstärkter sozialpolitischer Zielsetzungen gemindert. Das bedeutet, daß sich die paritätische Mitbestimmung auf der Schrankenstufe von Verfügungs- und Organisationsvorbehalt hält (Art. 14 1 2 / I I GG).

H. Ergebnisse 4. Das System des Einigungszwangs als funktionelle Grundlage der paritätischen Mitbestimmung kann allerdings die (verfassungsrechtlich mitgeschützte) Funktionsfähigkeit der mitbestimmten Unternehmen durch entscheidungs- oder reagibilitätshindernde Pattkonstellationen beeinträchtigen. Derartige Beeinträchtigungen rechtfertigt die eigentumsrechtliche Sozialbindung nicht. Aus diesem Grunde bedarf es des vorbeugenden Einbaus funktionssichernder Verfahren, d. h. von Verfahrensweisen, die derartige Konstellationen ausschließen. Verfassungskonforme Verfahren dieser A r t finden sich i n der Montanmitbestimmung beispielsweise i n der Einrichtung des „11. Mannes". I m MitbestG findet sich eine derartige verfassungskonforme Verfahrensweise i m Letztentscheidungsrecht der Anteilsvertreter i m Aufsichtsrat gem. § 28IV, V. Dieses Letztentscheidungsrecht ist bei entsprechend effizienter Auslegung geeignet, Pattkonstellationen bei der Bestellung der Mitglieder des gesetzlichen Vertretungsorgans als der maßgebenden Entscheidungsebene des Unternehmens auszuschließen. Problematisch bleibt allerdings das Verfahren des § 28 V MitbestG für den Fall der Abberufung eines Mitglieds des gesetzlichen Vertretungsorgans. Da die Abberufung i n aller Regel einen eiligen Fall bildet, ist das langwierige Verfahren des § 28 I I - I V MitbestG nicht geeignet, eine funktionssichere Lösung tu gewährleisten. U m die verfassungsrechtlich geschützte Funktionsfähigkeit des Unternehmens auch hier zu sichern, bieten sich regelungsmäßig zwei Wege an: a) Die Mehrheit der Anteilseignervertreter i m Aufsichtsrat kann von den Rechten aus § 28 V MitbestG (auch) sofort, d. h. ohne vorheriges Beschreiten des Verfahrenszuges aus § 28 I I - V MitbestG, Gebrauch machen; oder: sie darf dies zumindest i n solchen (dringenden) Fällen, i n denen andernfalls ernste Gefahren für die Funktionsfähigkeit des Unternehmens bzw. seiner Leitung drohen. b) Die Mehrheit der Anteilseignervertreter i m Aufsichtsrat — und Entsprechendes hätte für die Arbeitnehmervertreter zu gelten — kann i m Wege einstweiligen Gerichtsschutzes vorgehen und bis zur Ausschöpfung des Abberufungsverfahrens nach § 28 I I - V MitbestG die sofortige gerichtliche Suspendierung eines Mitglieds des gesetzlichen Vertretungsorgans erwirken (analog § 85 AktG). 5. Zur Verhinderung funktioneller Überparitäten fordert A r t . 14 GG die Verallgemeinerung des konkurrenzlösenden Verfahrens aus § 29 MitbestG namentlich i m Bereich wirtschaftlicher Mitbestimmung nach dem BetrVG.

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H. Ergebnisse VI.

l v Das Grundrecht der Koalitionsfreiheit aus A r t . 9 I I I GG schützt die individualen Rechte der positiven und negativen Koalitionsfreiheit sowie die kollektiven Rechte des freien Bestandes und der freien Betätigung von Gewerkschaften und Arbeitgeberverbänden (Koalitionsbestands-, Koalitionszweck-. Koalitionsverfahrens- sowie Koalitionsmittelgarantie) sowie die Organisationsgrundsätze von Koalitionsparität, Koalitionsunabhängigkeit und Koalitionspluralität. 2. Die individúale Koalitionsfreiheit w i r d durch die paritätische M i t bestimmung grundsätzlich nicht berührt. Problematisch kann nur ein (selbständiges) Entsendungsrecht von Arbeitnehmervertretern durch die Gewerkschaften unter dem Gesichtspunkt der negativen Koalitionsfreiheit der nichtorganisierten Arbeitnehmer werden. I m MitbestG ist dieses Entsendungsrecht der Gewerkschaften aber als bloßes Vorschlagsrecht ausgestaltet und damit verfassungsrechtlich nicht problematisch. Problematisch bleibt allein die Ausgestaltung des Abberufungsrechts (§ 211 Nr. 4 MitbestG). 3. Die paritätische Mitbestimmung relativiert die Koalitionsunabhängigkeit, indem sie die Leitungsebenen der mitbestimmten Unternehmen — Aufsichtsrat unmittelbar und gesetzliches Vertretungsorgan mittelbar — (paritätisch) auch m i t Vertretern der koalitionsmäßigen Gegenseite besetzt. A m deutlichsten werden die Auswirkungen dessen dort, wo es um die tarifpolitische Willensbildung in einem Unternehmen geht, das m i t derselben Gewerkschaft i n Verhandlungen um einen Haustarifvertrag steht, deren Vertreter unmittelbar dem Aufsichtsrat und mittelbar dem gesetzlichen Vertretungsorgan dieses Unternehmens angehören. Ähnlich ist die Situation beim Verbandstarifvertrag, wenn die Tarifpolitik eines Arbeitgeberverbandes wesentlich von dessen mitbestimmten M i t gliedsunternehmen geprägt wird. Dieser Beeinträchtigung der Koalitionsunabhängigkeit ist i m Wege konkurrenzlösender Verfahren zu begegnen: Sofern die Vertreter der Arbeitnehmerseite i n den Leitungsgremien der mitbestimmten Unternehmen bei tarifpolitischen Fragen ohne maßgebendes Stimmoder Leitungsrecht bleiben, bleibt die materiell unabhängige Willensbildung der arbeitgeberischen Seite i n tarifpolitischen Fragen erhalten. Den Weg zu dieser Lösung weist der Rechtsgedanke des § 29 MitbestG. I h m zufolge müßten alle tarifpolitisch relevanten Entscheidungen des gesetzlichen Vertretungsorgans an die Zustimmimg oder (zumindest) an das Vetorecht der Mehrheit der Vertreter der Anteilseigner i m Aufsichtsrat gebunden werden. Damit wäre i m Haus-

H. Ergebnisse tarifvertrag wie i m Verbandstarifvertrag eine koalitionsunabhängige Willensbildung auch auf der arbeitgeberischen Seite gewährleistet. Es empfiehlt sich allerdings, i n den Entwurf zum MitbestG auch eine ausdrückliche Regelung dieser A r t aufzunehmen. 4. Der Grundsatz der Koalitionsparität fordert die materiale Gleichgewichtigkeit der Sozialpartner. Diese Gleichgewichtslage kann durch die paritätische Mitbestimmung aufgehoben werden, sofern nicht wiederum auf konkurrenzlösende Regeln wie zu 3) zurückgegriffen wird. 5. Der Grundsatz der Koalitionspluralität gewährleistet die Gleichheit und den freien Wettbewerb der Koalitionen untereinander. Das vom MitbestG für die Bestimmung der Arbeitnehmervertreter i m A u f sichtsrat vorgesehene Wahlverfahren ist m i t diesem Grundsatz kaum vereinbar (Verbindung von Verhältniswahl und Mehrheitswahl gem. §§ 10 I, 15 MitbestG). Hier bedarf es der Modifikation zugunsten eines gesicherten Minderheitenschutzes. 6. Wenn die paritätische Mitbestimmung dazu führt, daß sich der soziale Konflikt zwischen Kapital- und Arbeitnehmerinteressen wesentlich i n das mitbestimmte Unternehmen selbst bzw. auf dessen Leitungsebenen verlagert, so führt dies vor allem dazu, daß Tarifautonomie und Arbeitskampf als (bisher) zentrale Koalitionsmittel funktionelle Einbußen hinnehmen müssen. Dies ist allerdings nicht schädlich, wenn man erkennt, daß die (offene) Koalitionsverfahrensgarantie des Art. 9 I I I GG auch andere Koalitionsmittel als (kompensatorische) Einigungs- und Kampfinstitute für die Sozialpartner zuläßt. Diese Institute müßten allerdings vom Gesetzgeber ausdrücklich entwickelt bzw. zur Verfügung gestellt werden. Da dies für die augenblicklich initiierte Mitbestimmungsgesetzgebung nicht zutrifft, muß sich diese i n das System der bisherigen Koalitionsmittel — Tarifvertrag, Streik und Aussperrung — einfügen. 7. Maßgebendes Verfahren hierzu bildet das Verfahren der Konkurrenzlösung. Hiernach müssen die bestehenden Koalitionsmittel von Tarifvertrag, Streik und Aussperrung auch gegenüber der paritätischen Mitbestimmung funktionsfähig gehalten werden. Dies kann wiederum nur i n der Weise gelingen, daß die tarifpolitische Willensbildung i m mitbestimmten Unternehmen i n koalitionsrechtlicher Unabhängigkeit erfolgt. Dies wiederum bedingt entsprechende Einschränkungen der arbeitnehmerischen Mitbestimmungsrechte zugunsten der anteilseignerischen (arbeitgeberischen) Entscheidungsrechte i m Bereich der tarifpolitischen Willensbildung. Den Weg für

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H. Ergebnisse

diese Einschränkungen weist wieder der (zu verallgemeinernde) Rechtsgedanke des § 29 MitbestG. a) Für den Abschluß von Tarifverträgen bedeutet dies, daß die gesetzlichen Vertretungsorgane der mitbestimmten Unternehmen der Zustimmung der Mehrheit der Anteilseignervertreter i m Aufsichtsrat zum konkret beabsichtigten Vertragsschluß bedürfen (gegebenenfalls vermittelt durch die Willensbildung i m Arbeitgeberverband). b) Für den Arbeitskampf bedeutet dies: aa) Wenn ein mitbestimmtes Unternehmen bestreikt wird, darf das gesetzliche Vertretungsorgan nur m i t entsprechender Zustimmung der Mehrheit der Anteilseignervertreter i m Aufsichtsrat nachgeben. bb) I m Falle der Aussperrung muß der Mehrheit der Anteilseignervertreter i m Aufsichtsrat die unmittelbare Entscheidungskompetenz über die Erklärung der Aussperrung zustehen, gegebenenfalls vermittelt über ein entsprechendes Weisungsrecht gegenüber dem gesetzlichen Vertretungsorgan. Diese Grundsätze werden unmittelbar i m Falle des Arbeitskampfes u m einen Haustarifvertrag praktisch. I m Falle des Arbeitskampfes u m einen Verbandstarifvertrag sollten diese Grundsätze i n der Weise zum Tragen kommen, daß die Willensentscheidungen der mitbestimmten Unternehmen bzw. ihrer gesetzlichen Vertretungsorgane i m Rahmen der tarifpolitischen Verbandsmaßnahmen ihrerseits an die Zustimmung oder Weisung der jeweiligen Anteilseignermehrheiten i n den betreffenden Aufsichtsräten gebunden werden. VII. 1. Die paritätische Mitbestimmung ist m i t der Vereinigungsfreiheit des Art. 9 1 GG vereinbar, da diese dem Gesetzgeber die grundsätzlich freie Entscheidung über das Gesellschafts- und Unternehmensverfassungsrecht einräumt. 2. Die paritätische Mitbestimmung verstößt nicht gegen den Gleichheitssatz des A r t . 3 I GG. Die von ihr vorgenommenen Differenzierungen zwischen mitbestimmungspflichtigen Großunternehmen und nicht-mitbestimmungspflichtigen Mittel- bzw. Kleinunternehmen sowie zwischen Arbeitern, Angestellten und leitenden Angestellten entbehren der sachlichen Rechtfertigung nicht und sind damit verfassungsmäßig.

Ausgewähltes monographisches Schrifttum Biedenkopf, Kurt H.: Mitbestimmung. Diskussion, Köln 1972

Beiträge

zur

ordnungspolitischen

Böhm, Franz und Götz Briefs: Mitbestimmung — Ordnungselement oder politischer Kompromiß, 2. Auflage, Stuttgart 1973 Däubler, Wolfgang: Das Grundrecht auf Mitbestimmung, Frankfurt/M. 1973 Hub er, Ernst Rudolf: Stuttgart u. a. 1970

Grundgesetz

und wirtschaftliche

Mitbestimmung,

Krüger, Herbert: Paritätische Mitbestimmung, Unternehmensverfassung, Mitbestimmung der Allgemeinheit, Düsseldorf 1973 Kunze, Otto: Wirtschaftliche Karlsruhe 1970

Mitbestimmung

als

Legitimationsproblem,

Lieser, Joachim: Der Mensch im Mittelpunkt? Thesen und Dokumente zur Mitbestimmung, Köln 1971 Mestmäcker, Ernst-Joachim: Über Mitbestimmung und Vermögensverteilung, Tübingen 1973 von Nell-Breuning,

Oswald: Mitbestimmung, Frankfurt/M. 1968

Nemitz, Kurt und Richard Becker: Mitbestimmung und Wirtschaftspolitik, Köln 1967 Pernthaler, 1972

Peter: Qualifizierte Mitbestimmung und Verfassungsrecht, Berlin

von Plessen, Christian-Friedrich: Qualifizierte Mitbestimmung und Eigentumsgarantie, Köln u.a. 1969 Raiser, Ludwig: Rechtsfragen der Mitbestimmung, Köln—Opladen 1954 Raiser, Thomas: Marktwirtschaft und paritätische Mitbestimmung. Zur Kritik des Berichts der Mitbestimmungskommission, Heidelberg 1973 Scholz, Rupert: Die Koalitionsfreiheit als Verfassungsproblem, München 1971 Schwerdtfeger, Gunther: Unternehmerische Mitbestimmung der Arbeitnehmer und Grundgesetz, Frankfurt/M. 1972 Zöllner, Wolfgang und Hugo Seiter: Paritätische Mitbestimmung und Artikel 9 Abs. 3 Grundgesetz, Köln u. a. 1970