Paris un Wiene: Ein jiddischer Stanzenroman des 16. Jahrhunderts von (oder aus dem Umkreis von) Elia Levita [Reprint 2015 ed.] 9783110920239, 9783484601741

This book announces the rediscovery of a major milestone in the history of 16th century European narrative literature. T

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German Pages 400 [404] Year 1996

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Paris un Wiene: Ein jiddischer Stanzenroman des 16. Jahrhunderts von (oder aus dem Umkreis von) Elia Levita [Reprint 2015 ed.]
 9783110920239, 9783484601741

Table of contents :
Inhaltsverzeichnis
Vorwort
Einführung
Einrichtung des Textes
Transkriptionszeichen
Faksimile: Titelblatt Verona 1594 (Exemplar Verona)
Paris un Wiene. Text
Faksimile: Schlußszene (Exemplar Cambridge)
Anhang I : Das Titelblatt
Anhang II : Bilder und Bilderklärungen
Anhang III: Die beiden Epiloge
Glossar I : Index der hebr.-aramäischen Komponente
Glossar II: Index der Italianismen (bzw. Romanismen)
Glossar III : Zur deutschen Komponente
Glossar IV: Index Geographicus
Bibliographie
Fachspezifische Abkürzungen

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Paris un Wiene MU

Paris un Wiene Ein jiddischer Stanzenroman des 16. Jahrhunderts von (oder aus dem Umkreis von) Elia Levita Eingeleitet, in Transkription herausgegeben und kommentiert von Erika Timm unter Mitarbeit von Gustav Adolf Beckmann

Max Niemeyer Verlag Tübingen 1996

Die Deutsche Bibliothek - CIP-Einheitsaufnahme Ëliyyâhû Bâhûr: Paris un Wiene : ein jiddischer Stanzenroman des 16. Jahrhunderts / von (oder aus dem Umkreis von) Elia Levita. Eingeleitet, in Transkription hrsg. und kommentiert von Erika Timm unter Mitarb. von Gustav Adolf Beckmann. - Tübingen : Niemeyer, 1996 NE: Timm, Erika [Hrsg.] ISBN 3-484-60174-4 Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlages unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Gedruckt auf alterungsbeständigem Papier. Printed in Germany. Satz: Stefanie Roll, Trier Druck: Guide-Druck, Tübingen Buchbinder: Heinr. Koch, Tübingen

Inhaltsverzeichnis Vorwort

VII

Einführung: 1

Das Werk und die vorliegende Ausgabe

2

Druck- und Wiederentdeckungsgeschichte

3

Paris un Wiene und die italienische Literatur (I): Die Vorlage

4

Paris un Wiene und die italienische Literatur (II): Die Stanze

XI XIV XXII XXXIV

5

Isolierte Reimpaare - vom Dichter oder vom Drucker? . .

6

Paris un Wiene und die italienische Literatur (III): Der Canto

LV

Paris un Wiene und die italienische Literatur (IV): Weibliche Schönheitspflege

LXXIV

8

Bearbeitungstendenzen, insbesondere Humor

LXXXI

9

Paris un Wiene als jüdisches Werk

7

10

L

CXIX

Zum Problem der Autorschaft

CXXXVI

Einrichtung des Textes

CXLVII

Transkriptionszeichen

CXLVIII

Faksimile: Titelblatt Verona 1594 (Exemplar Verona)

CLI

Paris un Wiene

1

Faksimile: Schlußszene (Exemplar Cambridge)

201

Anhänge: Nicht vom Autor stammende Texte: Anhang I:

Das Titelblatt

203

Anhang II:

Bilder und Bilderklärungen

204

Anhang III : Die beiden Epiloge

207

Glossar I:

Index der hebr.-aramäischen Komponente

. . . .

209

Glossar II:

Index der Italianismen (bzw. Romanismen) . . . .

212

Glossar III:

Zur deutschen Komponente

218

Glossar IV:

Index Geographicus

232

Bibliographie

235

Fachspezifische Abkürzungen

251

Vorwort

»Gut Ding will Weile.« Meine Beschäftigung mit dem jiddischen Paris un Wiene begann vor mehr als zwanzig Jahren, als ich über die damals nachweisbaren zwei Drittel des Textes in Trier ein Seminar abhielt. Ein zweites Seminar folgte Mitte der achtziger Jahre, ebenfalls noch vor Bekanntwerden des vollständigen Textes; im Anschluß daran stellte Liliane Gehlen in ihrer Magisterarbeit zusammen, was man zu diesem Zeitpunkt über den Text wissen und mutmaßen konnte. Die im Laufe der Jahre entstandene erste Rohtranskription haben anschließend vor allem Ursula Becker und Christiane Bielawski-Wolff in den Computer eingegeben - eine bei den zahllosen Diakritika nervenaufreibende Arbeit. Andrea Rapp erstellte daraus unter anderem einen Index verborum, ohne den später weder der Text genügend einheitlich noch Kommentar und Glossare genügend vollständig hätten gestaltet werden können. Für Einleitung, Kommentar und Glossare haben sich dann die beiden auf dem Titelblatt genannten Herausgeber ihre Arbeit 'in erster Instanz' so geteilt, daß G. A. Beckmann die romanistischen Bezüge einschließlich der Vorlagenund Datierungsfragen sowie die Details der historischen Geographie bearbeitet hat, ich selbst alle jiddistischen Aspekte sowie die germanistischen und hebraistischen Hintergrundsfragen. 'In zweiter Instanz' hat sich jeder zu jedem Satz des anderen in Einleitung und Kommentar und zu einer Unzahl Interpunktionszeichen des Haupttextes mit solcher Hingabe als advocatal-us diaboli betätigt, daß wir jetzt guten Gewissens die Verantwortung für alle verbleibenden Mängel dem jeweils anderen zuschieben dürfen. Fast gleichzeitig hat als erster kritischer Leser von Haupttext und Kommentar Wulf-Otto Dreeßen, Stuttgart, auch unser eigenes Verständnis nicht weniger Textstellen noch merklich gefördert. Vor allem in der Schlußphase der Arbeit haben Anke Kleine, Anna Maria Trede und Tanja Vadrot Korrektur gelesen. Im Umgang mit dem von mir benutzten Tübinger System von Textverarbeitungsprogrammen (TUSTEP) hat mich Dr. Michael Trauth beraten. Für die Gestaltung der Druckvorlage - die ja heute im Zuge der Computerisierung immer mehr in die Verantwortung der Autoren übergeht hatte ich das Glück, in Stefanie Roll eine Mitarbeiterin zu finden, die dank ihrer mehrjährigen Erfahrung mit ähnlichen Druckvorlagen souverän die Interessen von Wissenschaftlern, Computern und künftigen Lesern zu jener endgültigen Form auszubalancieren verstand, die erst den Namen 'Buch' verdient.

Vili

Einführung

Die Betreuung durch den Max Niemeyer Verlag, insbesondere durch Birgitta Zeller, Daniela Zeiler und Wolfgang Herbst, habe ich - nicht zum ersten Mal - als vorbildlich empfunden. Der Direktor der Bibliothek des Bischöflichen Seminars Verona, Don Angelo Orlandi, sowie Master and Fellows of Trinity College Cambridge, repräsentiert durch Herrn Bibliothekar David McKitterick, gestatteten freundlicherweise die Benutzung und Reproduktion von Faksimiles ihrer Exemplare. Allen Genannten gilt mein aufrichtiger Dank.

Chone Shmeruk widme ich in herzlicher Hochachtung dieses Buch (mit Ausnahme des Umschrifttextes - denn ich würde nie wagen, ihm einen jiddischen Text in lateinschriftlicher Verfremdung aufzudrängen). Von dem Verhältnis der vorliegenden Ausgabe zu der seinen ist gleich auf den folgenden Seiten die Rede. E. T.

Einführung

1

Das Werk und die vorliegende Ausgabe

1.1 Daß ein Stern erster Größe am literarischen Himmel des sechzehnten Jahrhunderts erst heute entdeckt wird, übersteigt wohl die Erfahrung ganzer Generationen von Literaturhistorikern. Als 1986 die Veroneser Romanistin Anna Maria Babbi in einer Appendice bibliografica berichtete, sie habe in margine ihrer Suche nach romanischen Fassungen des Paris-und-VienneStoffes erstmalig auch ein vollständiges Exemplar der jiddischen Versfassung aufgefunden - nämlich des 1594 von Abraham ben Mattitja Bat-seva in der Druckerei von Francesco dalle Donne in Verona veranstalteten Druckes [im folgenden: PuW] - sprach sie mit einer inzwischen exzessiv wirkenden Bescheidenheit von un ritrovamento che mi pare interessante (1986: 393), drei Jahre später von einem Text di indiscutibile valore (1989:134). Im Jahre 1988 bezeichnete in der literarhistorischen Einleitung zu einer Faksimileausgabe Jean Baumgarten das Werk schon als den texte le plus libre et le plus beau de la littérature yidich ancienne und gleichzeitig als die première œuvre de la littérature yidich moderne (1988: 23, 7). Soeben erschien nun die erste sprachlich und literarisch voll durchgearbeitete Edition des Werkes in heutiger hebräischer Quadratschrift; ihr Herausgeber, der Jerusalemer Jiddist Chone Shmeruk - in unserem Zeitalter sicherlich 'der' Historiker der jiddischen Literatur und in aller Regel mit literarischem Lob eher zurückhaltend konnte von dem »wichtigsten und erquickendsten Werk [...] der ganzen älteren jiddischen Literatur« sprechen und seinen Autor einen Dichter von Format nennen, »hochbegabt, sophisticated und von scharfem Witz, mit einer Gestaltungskraft, die in der jiddischen Literatur des 16. Jahrhunderts ihresgleichen sucht - und nicht nur in dieser« (Shmeruk 1995: 12). 1.2 Von den beiden Herausgebern der heute vorgelegten lateinschriftlichen Ausgabe hatte Erika Timm das Vergnügen und die Ehre, mit Shmeruk während der Entstehung seiner Ausgabe in laufendem Gedankenaustausch zu stehen und mancherlei Einzelheiten zu ihr beizutragen, was unser illustrer Kollege in großzügiger Weise auf dem Titelblatt zum Ausdruck gebracht hat. In umgekehrter Richtung sind dabei in unsere eigene Ausgabe auf Schritt und Tritt Erkenntnisse aus Shmeruks Ausgabe in solchem Maße eingeflossen, daß die jüngere Ausgabe zwangsläufig vom Licht der älteren zehrt. Auch an dieser Stelle möchten wir deshalb noch einmal Professor Shmeruk und zugleich der Hebräischen Akademie der Wissenschaften als Trägerin seiner Ausgabe in aller Form unseren Dank aussprechen. 1.3 Was nun unser eigenes Urteil über den dichterischen Rang des Werkes angeht, so glauben wir mit der folgenden Formulierung nicht zu hoch zu greifen: wer künftig aus der europäischen Erzählliteratur - in Vers oder Prosa - des Jahrhunderts zwischen 1460 und 1560 die etwa zehn bedeutendsten

XII

Einführung

Werke aufzählen will, der sollte nicht zögern, in einem Atem mit dem Morgante, den beiden Orlando, der Celestina (wenn wir dieses Lesedrama der erzählenden Dichtung zuzählen dürfen), dem Heptameron, dem Gargantuaund-Pantagruel-Zyklus und einzelnen anderen Werken, über die schwerer Konsens zu erzielen sein wird, auch den jiddischen Paris-un-Wiene-Roman zu nennen - obwohl dieser 'nur' die Bearbeitung eines vorher schon international-europäisch gewordenen Erzählstoffes ist. Bereits das bloße Auftauchen eines Werkes von solcher Qualität darf ein literarhistorisches Wunder genannt werden; vielleicht noch wundersamer ist aber - insbesondere vor dem Hintergrund der traditionellen jüdischen Literatur - die Art dieser Qualität: in einer renaissancehaft-positiven Darstellung der condition humaine durchdringen sich ständig hohe Emotionalität und durchschlagender Humor zu einer geradezu erhabenen Einheit, die eine volle Entsprechung in Antike und Mittelalter wohl gar nicht, in der Renaissance am ehesten bei Ariost hat. Wobei sogleich zweierlei hinzuzufügen ist: erstens, daß in allen außerjüdischen Fassungen des Stoffes zwar eine zierliche Wohlerzogenheit spätritterlicher gehobenster Unterhaltungsliteratur, aber - von zwei Szenen abgesehen - so gut wie kein Humor vorzufinden ist; der jiddische Autor exerziert uns also das schon literaturtheoretisch faszinierende Kunststück vor, eine nahezu unveränderte Handlung durch neue Beleuchtung komisch wirken zu lassen. Und zweitens: dieser Humor ist von dem Ariostschen schon dadurch verschieden, daß er von Phantastik frei, vielmehr ganz auf psychologischen Realismus gegründet ist. Es ist also keineswegs einfach ein Ariostnachahmer entdeckt worden. 1.4 Wo bereits eine Faksimile-Ausgabe und eine Ausgabe in heutiger hebräischer Quadratschrift vorliegen, mußte es unser Ziel sein, eine möglichst große Leserschaft zu erreichen, die die hebräische Schrift nicht - oder nicht flüssig genug für die angemessene Rezeption eines literarischen Kunstwerks beherrscht, doch dank ihres sprachlichen und kulturellen Hintergrundes zu einem intensiveren Verständnis als durch eine bloße Übersetzung fähig ist. Zwar erhebt auch unser Umschriftsystem den Grundanspruch einer wissenschaftlichen Edition, nämlich eine eindeutige Rekonstruktion der Originalgraphien zu ermöglichen; doch lehnt es sich in der Zeichenwahl an eine historisch gewachsene Orthographie, die deutsche, an. Wenn wir etwa - um den auffälligsten Fall zu nennen - das undiakritizierte Schin nicht durch das ebenso einheitliche / / / der API, auch nicht slavisierend-diakritizierend durch s, nicht anglisierend durch das Digraph sh, sondern durch das Trigraph sch wiedergeben, das dieser oder jener nichtdeutsche Leser als teutonischschwerfällig empfinden mag, dann opfern wir hier formale Eleganz dem von uns als noch dringlicher empfundenen Anliegen, mit unserer im deutschen Sprachgebiet erscheinenden Ausgabe zuvörderst ebendort dem Werk - und darüberhinaus der jiddischen Literatur insgesamt - möglichst viele Freunde zu erwerben. »Wir wollen weniger erhoben, doch fleißiger gelesen sein.«

Das Werk und die vorliegende Ausgabe

XIII

Im selben Sinne einer elementaren Verständnishilfe haben wir uns ferner bemüht, bei ihrem ersten Vorkommen alle Wörter, die nicht auch der deutschen Gegenwartssprache (etwa im Umfang des einbändigen Wörterbuchs von Wahrig) angehören, jeweils am Fuße der Seite knapp zu erklären. (Ausführlichere Auskunft speziell über alle nicht-deutschkomponentigen Elemente findet der Leser hingegen in den Glossaren.) 1.5 Bei einer so eingerichteten Ausgabe können wir selbstverständlich ungeduldigen Leserinnen und Lesern nicht böse sein, wenn sie sich, statt die vorliegende Einführung weiterzulesen, zunächst an den Text machen. Vielleicht sollten sie diesen dann von vornherein sogar mit optimaler Lesegeschwindigkeit zu bewältigen suchen; dafür halten wir jene Geschwindigkeit, die sie in ihrer Muttersprache bei der lauten Lektüre eines ihnen unbekannten Gedichtes anstreben würden. Wir gehen dabei von der Erfahrung aus, daß ein fühlbar unvollkommenes Ganzheitserlebnis eine der besten Motivationen ist für anschließende Bemühungen um ein genaueres und historisch fundierteres Verständnis.

2

Druck- und Wiederentdeckungsgeschichte

2.1 Der älteste PuW-Druck, von dem wir Nachricht haben, stammt aus Sabbioneta im damaligen Herzogtum Mantua, und zwar aus dem Jahre 1556. Denn in den Listen aller Bücher in jüdischem Privatbesitz, die 1595 in Mantua der katholischen Zensur vorgelegt werden mußten, wird zweimal der jiddische PwPF-Roman als Druck aus Sabbioneta aufgeführt, einmal ohne Jahreszahl und einmal mit einer zunächst als nicht vollständig lesbar bezeichneten Jahreszahl (Shmeruk 1982: Nr. 33 mit älterer Literatur), die aber inzwischen von Zippora Baruchson überzeugend als Ί556' dechiffriert wurde (1989/90: 56f.). 2.2 Auf der Titelseite des heute vollständig vorliegenden Drucks Verona 1594 wird gesagt, das Werk sei schon »andere Male« (andèrè molt, Plural) 1 gedruckt worden, »aber nie in solcher Gestalt noch in solchen Lettern«. Die »Lettern« meinen die hier verwendete Raschischrift, die in der Tat in jiddischen Drucken ganz ungewöhnlich ist. »In solcher Gestalt« muß sich auf die in jiddischen Drucken damals noch ganz ungewöhnliche Großzügigkeit beziehen, mit jedem Vers (und nicht nur mit jeder Strophe) eine neue Druckzeile zu beginnen, 2 vielleicht auch auf die Ausstattung mit Holzschnitten; hingegen kann es nicht gut »in jiddischer, nicht italienischer Sprache« meinen, da ja mindestens ein jiddischer Druck vorhergeht. Dann aber hat der Redaktor der Titelseite wohl auch bei den »anderen Malen« nur an jiddische Drucke gedacht, und wir sollten vor oder nach 1556 noch mit mindestens einem weiteren verlorenen Druck rechnen. 2.3 Dem Druck Verona 1594 gehören an: 2.3.1 ein stark beschädigtes Einzelblatt, das von Aaron Freimann (Frankfurt) 1924 an das Hebrew Union College in Cincinnati verkauft und kurz 1 2

Unrichtig 'une seconde fois', Baumgarten 1988:5. Diese beiden Fakten hängen wie folgt zusammen. Der Drucker von 1594 (oder schon ein Vorgänger) erkannte, daß die (damals essentiell nichtjüdische) Praxis, mit jedem Vers eine neue Zeile zu beginnen, die Struktur der Stanze - insbesondere deren Reimschema - klarer herausbringt und daß sie keine Papierverschwendung bedeutet, wenn man zweispaltig druckt. Nun sind in Pu W Verse von etwa 35 hebräischen Lettern nicht selten; doch von jener jiddischen Normaltype ('wajbertajtsch'), die der Drucker 1595 bei gleichem Format für das Kuhbuch verwenden wird, passen nur etwa 60, nicht 70 Lettern in die Zeile. Deshalb ließ sich in PuW Zweispaltigkeit nur durch Ausweichen auf Raschischrift erreichen, deren Schlankheit jedem Fachmann aus den Randtexten von Rabbinerbibel und Talmud bekannt war; dann aber blieb sogar Platz für einen Seitenrahmen und eine Mittelleiste. - Unseres Wissens hat von jiddischen Werken vor PuW nur der Doniel, Basel 1557, eine Druckzeile je Vers, und zwar einspaltig; doch sind dort die Verse oft etwa 50 Lettern lang, so daß Zweispaltigkeit von vornherein unmöglich war.

Druck- und Wiederentdeckungsgeschichte

XV

darauf von Shatzky (1926:187-196) im Faksimile ediert und besprochen wurde. Leider ist im Short-Title Catalog of Books Printed in Italy and of Books in Italian Printed Abroad 1501-1600 Held in Selected North American Libraries (Boston 1970:2.522) der Einzelblatt-Charakter des Fragments nicht zu erkennen, so daß in der Sekundärliteratur gelegentlich mißverständlich von einem exemplaire très amputé oder ähnlich die Rede ist (so Baumgarten 1988:5). Andererseits war 1927 nach einer persönlichen Mitteilung Freimanns an Max Weinreich ein Hugo Bondi in Frankfurt noch immer im Besitz von Resten eines Exemplars (Max Weinreich 1927/28: 22 Anm. 12), nahezu sicher also von anderen Resten desselben Exemplars. Wie das erhaltene Einzelblatt so boten laut Freimann auch diese Reste nur Textteile, die auch in dem jetzt zu besprechenden Cambridger Exemplar erhalten sind. 2.3.2 das Exemplar des Trinity College Cambridge aus dem Nachlaß Aldis Wright, dem das erste Drittel des Textes (24 von 72 Blättern) fehlt. Es wurde von Moses Gaster entdeckt und schon von Leo Landau (1912: XXIX Anm.) für eine Edition in Aussicht genommen; es wurde dann aus erster Hand beschrieben von Max Weinreich (1928:172-191, mit Abdruck von fast vierzig Stanzen) und Maks Erik (1928: 195-202), nach einer Fotokopie beschrieben von I. Zinberg (1935: 91-102), auf dem G. Weil (1963: 183-192) fußt; es wurde von Benjamin Hrushovski für seine Studie über Elia Levitas Metrik (1964: 108-146) und von Leo Fuks für seine Diskussion des Autorproblems (1977: 169-178) herangezogen; ebenso wurde es von Liliane Gehlen ihrer ungedruckten Magisterarbeit Der jiddische 'Paris-und-Wiene'-Druck von 1594 (Trier 1987) zugrunde gelegt. Aber wegen seines akephalen Charakters war auch 75 Jahre nach Landaus Ankündigung noch keine Faksimile- oder sonstige Ausgabe erschienen. 2.3.3 das äußerst lückenhafte Exemplar Ebr. 1080 der Mailänder Biblioteca Braidense, das aber gegenüber dem Cambridger Exemplar an zusätzlichem Text immerhin die Blätter 18-19 und 21-23 enthält. Es wurde Sara Zfatman und Giulio Busi etwa zu der Zeit bekannt, als Anna Maria Babbi das vollständige Veroneser Exemplar entdeckte, und hat deshalb wenig Beachtung gefunden (meines Wissens erste Erwähnung durch Baumgarten 1988: 25 Anm. 7). 2.3.4 das Veroneser Exemplar, Biblioteca del Seminario Vescovile, Fonds Venturi, no. 192. Es wurde 1816 von seinem damaligen Besitzer, dem Abate Giuseppe Venturi, als Rarität kurz beschrieben in seiner Einleitung zu einer versifizierten italienischen Psalmenübersetzung, die einer seiner Freunde mit seiner Unterstützung verfertigt hatte (Gazola-Venturi 1816: VI Anm. 27). Ein halbes Jahrhundert später kam Venturis Notiz Jacob Zedner, dem HebraicaBibliothekar des British Museum, zu Gesicht. Er gab die Tatsache, daß Venturi das Buch besessen hatte, an Steinschneider weiter, der sie anmerkungsweise

XVI

Einführung

in seiner Zeitschrift Hebräische Bibliographie publizierte (Steinschneider 1865: 16 Anm. 5). Doch war der Bodleiana-Katalog damals schon fertiggestellt; Steinschneider konnte also PuW erst 1894 in den Nachtrag aufnehmen (Nr. 630 [3995]). Dort erwähnte er aber Venturi nicht mehr namentlich, sondern verwies nur global zurück auf die Hebräische Bibliographie und bemerkte sogar ausdrücklich: »Ex[em]pl[ar] nullum notum«. Dies mag ein wenig dazu beigetragen haben, daß 120 Jahre lang nach der Veröffentlichung von Zedners Notiz kein Jiddist je bei einer Veroneser Bibliothek angefragt zu haben scheint, was aus Venturis Bücherschätzen geworden sei. Er hätte zweifellos erfahren, daß sie dem Bischöflichen Seminar vermacht worden waren und dort hätte er das Buch wohl schon ebenso problemlos auffinden können wie dann 1986 Anna Maria Babbi im Rahmen ihrer komparatistischen Forschungen über den Paris-und-Vienne-Stoff. Dieses Exemplar liegt also sowohl der Faksimile-Ausgabe von Marchetti-Baumgarten-Salomoni als auch, unabhängig davon, der Shmerukschen Ausgabe zugrunde. 2.3.5 ein Exemplar des Jewish Theological Seminary in New York, das offenbar schon in sehr fragmentarischem Zustand in dessen Bibliothek kam und 1966 bei einem Brand noch weit stärker beschädigt wurde. Das Fragment von dem wir eine Fotokopie des jetzigen Zustandes besitzen - gehört zwar dem Druck Verona 1594 an (wie die erhaltenen Teile von Blatt 45, 58, 68 und 70 ganz eindeutig zeigen), ist aber vor allem dadurch interessant, daß ein Schreiber offenbar des 17. Jahrhunderts abgerissene Teile von Blättern (so von Blatt 68 und 70) und fehlende Blätter (so 61-63) sehr sauber durch einen angeklebten bzw. eingebundenen handschriftlichen Text ersetzt hat. Dieser stimmt im großen und ganzen zu dem uns bekannten Drucktext; doch ist ot durch nun ersetzt, und in der Phonemik zeigen sich Abweichungen (schwere Fälle von binnendeutscher Konsonantenverwechslung), speziell Verjüngungen (volle Durchführung der Entrundung, häufigeres ä < ai). Wir wagen nicht zu entscheiden, ob der Schreiber so sorglos aus einem weiteren Exemplar von Verona 1594 transkribierte oder ob er 2.4 eine jüngere Vorlage hatte; auch gewisse Verschiebungen im Seitenspiegel der neugeschriebenen Seiten gegenüber Verona 1594 scheinen einer doppelten Erklärung fähig, indem der Schreiber entweder die Bilder aus Verona 1594 nicht kopieren wollte oder sie in einer anderen Vorlage nicht vorfand. Auf der Rectoseite des halb erhaltenen Schlußblattes werden sich mit viel Geduld vielleicht noch Teile einer handschriftlichen Bemerkung entziffern lassen, die im Veroneser Druck keine Entsprechung hat. Falls dem handschriftlichen Ersatztext eine andere Vorlage als Verona 1594 zugrunde liegt, kommt dafür nach menschlichem Ermessen nicht der gleich zu nennende Prager Bak-Druck in Frage, auf den die zu erklärenden Textabweichungen nicht zutreffen. Wohl aber ist daran zu erinnern, daß J. L. Bato (1956:33) in einem Passus, der mehrere Schiefheiten und keinerlei Belege enthält, behaup-

Druck- und Wiederentdeckungsgeschichte

XVII

tet, Paris un Vien [sie] sei nach dem Veroneser Druck von 1594 noch ristampato più tardi a Udine - obwohl Udine sonst in den Annalen des jüdischen Druckwesens nicht vorzukommen scheint. 2.5 Nun zum gerade erwähnten Prager Bak-Druck! Gegen Ende des Jahres 1993 entdeckte in der österreichischen Nationalbibliothek in Wien der junge Judaist Thomas Soxberger, daß ein im Zettelkatalog unter abwegigem Titel verzeichnetes Buch in Wirklichkeit einen bisher unbekannten Druck des jiddischen PuW darstellt; er hat darüber inzwischen in Nr. 12 der Trierer Jiddistik-Mitteilungen (November 1994) berichtet. Auf seine Nachricht hin hat im Juni 1994 auch Erika Timm eine Woche lang an Ort und Stelle den Text durchgeprüft. Das Titelblatt lautet: Das sefer haist Paris un Wiene es sténèn schéne sèmuess drine . wer es wart lai'èn der wert es dorine gèf[i]ne . un is andère mólt wordèn gédrukt abèr ni' in sôlchèn géstàlt noch sôlchè letrès hiipsch un béschaidlich mit alé sàchén as ir wert wòl sehèn in gòtès namèn sòl es sein omen gédrukt alhi in der kaisèrlich haipt-stat Prag

Die Type ist bei Jakob Bäk von 1605 bis 1615 nachweisbar (nicht mehr in den Drucken seit 1618); die Titelblattverzierung ist bekannt aus Bäks Kéròvéz (I. Teil) von 1615. Der Druck ist unbebildert und enthielt von vornherein nicht die 13 Stanzen des Vorwortes sowie die außerstanzischen Cantoschlußverse (wohl aber die ebenso außerstanzischen Cantoeingangsverse). Dem Exemplar fehlt außerdem der Schluß ab 658.7 durch Verlust von offenbar nur einer Lage ( ~ durchschnittlich 60 Stanzen); unklar bleibt freilich, ob die Schlußzusätze von 1594 ganz oder teilweise wiederabgedruckt waren. Anders als 1594, aber wie in der altjiddischen Literatur üblich, wird nur am Strophenanfang, nicht bei jedem Vers, eine neue Druckzeile begonnen. Insgesamt ist der Text äußerst fehlerhaft: er enthält über 400 klare Druckfehler, darunter Dutzende von Wortauslassungen, häufig sogar bei Reimwörtern. Da sich im Text des Titelblattes ein ungenügend motiviertes mit alé sàchén genau dort befindet, wo das Titelblatt von 1594 mit al seiné gémôlz hat, war die Vorlage offenbar illustriert. Dafür spricht auch, daß der Zweizeiler der ersten Bildunterschrift von 1594 als Kapitelüberschrift verkannt worden und demgemäß stehen geblieben ist. Außerdem sind die zahlreichen Verwechslungen von Waw und Sajin, von Gimel und Nun, von Nun und Zade (auch Schlußnun und Schlußzade), von Schlußmem und Samech nicht aus Bäks Typen selbst zu erklären, sondern deuten auf eine Vorlage in Raschischrift (wie den Druck von 1594); und schließlich scheinen mehrfach un-

XVIII

Einführung

saubere Buchstabenfolgen des Druckes von 1594 (aber nach menschlichem Ermessen nicht anderer verlorener Drucke) zu Mißverständnissen im BäkDruck geführt zu haben. Andererseits haben sich bisher zwei Fälle finden lassen, die theoretisch am Druck von 1594 vorbei auf eine ältere Vorlage deuten könnten: die italianisierende Variante falkön statt des genuin jiddischen falkfén) erscheint bei Bäk schon 34.2, 1594 erst 553.2, und ein inhaltlich richtiges feilén 626.1 bei Bäk verdient den Vorzug vor dem vagen vein von 1594. Man hat also nur die Wahl zwischen zwei Annahmen. Erstens: Vorlage war der Druck von 1594, den Jakob Bäk zweifellos kennenlernte, als er 1595 in derselben Veroneser Druckerei den Midras Tanhuma drucken ließ; dann muß man freilich annehmen, daß der Setzer (aufgrund eines Italienaufenthaltes oder durch interessierte Lektüre der Vorlage) die italo-jiddische Form falkón kannte und daß er bei 626.1 (in Erinnerung an 615.3) fein in feilén besserte. Oder zweitens: Vorlage war ein Druck von vor 1594, der aber schon den Bilderzyklus enthielt und in Raschischrift gedruckt war; der Druck von 1594 wäre davon ein ungewöhnlich sklavischer Nachdruck. Die erste Annahme ist wohl die wahrscheinlichere ; bei beiden Annahmen ist der Prager Druck textkritisch so gut wie wertlos, verbreitert aber immerhin die Wirkungsgeschichte des Werkes. 2.6 Hiermit erschöpft sich die Druckgeschichte des Werkes und zugleich seine Wiederentdeckungsgeschichte, soweit man diese an identifizierbare Exemplare knüpfen kann. Es bleiben nur noch einzelne bibliographische Erwähnungen zu registrieren, bei denen das nicht der Fall ist. - Im Jahre 1680 fügte der erste jiddische Bibliograph, Sabbatai Baß, seinem berühmten Éiftei jesenim eine bloße Titelliste von ungefähr 75 im Druck vorliegenden jiddischen Büchern bei, worin wir auch Paris un" Viene finden (Liste 10/3 vor Beginn des alphabetischen Teils). Gerade daß er über den Titel hinaus nichts zu dem Buch zu vermelden hat, darf man wohl mit Fuks (1977: 169) dahingehend deuten, daß er das Buch nicht gesehen hat. - Im Jahre 1806 reproduzierte Sabbatais Nachdrucker Uri Rubinstein in Zolkiew diese Liste buchstäblich genau, kam aber in seinem Ergänzungsteil nicht auf unser Werk zurück; auch er hat es also offensichtlich nicht gesehen. - Im Jahre 1852 gab der Wilnaer Bibliograph Benjacob in seiner Umarbeitung und Erweiterung von Azuláis Sefer sem ha-gedolim (Teil II: Artikel Paris us [sie] Wiene) eine kurze Beschreibung des Druckes Verona 1594. Sie war uns dort nicht zugänglich, wurde aber von Steinschneider in der erwähnten Anmerkung von 1865 (: 16 Anm. 5) zur Gänze zitiert und erscheint so auch wieder in Benjacobs posthum gedrucktem Standardwerk Ozar ha-sefarim (1880: 455 Nr. 10, Artikel Paris und [sie] Wiene). Sie enthält vier Mitteilungen, die bei Venturi fehlen: PuW ist (1) 'eine schöne Erzählung' (sippur ma'ase jafe), (2) 'in zehn Teilen', (3) von Elijahu Βeher

Druck- und Wiederentdeckungsgeschichte

XIX

(den Benjacob noch mit Fragezeichen, aber zu Recht als Elijahu Bahur identifiziert), (4) nach einer italienischen Vorlage (mill[eson] Romi). Benjacobs Zeugnis ist also eindeutig unabhängig von Venturi-Zedner-Steinschneider. Er selbst gibt als Quelle hosafot Sfiftei] j[esenim] an; darunter sind offensichtlich jene handschriftlichen Ergänzungen zu Sabbatai-Rubinstein zu verstehen, die Benjacob laut seinem Abkürzungsverzeichnis (1880: nach S. XXXII) von einem Ungenannten (me-hacham a[lmoni]) erhalten hatte. Heute, nach Auffindung des vollen Textes, sollte klar sein, daß Benjacobs Gewährsmann den Namen Elijahu (bzw. Elje) Behèr - in dieser höchst auffälligen Schreibweise - aus dem Proömium des Werkes selbst hatte, welches er entweder nur oberflächlich gelesen hatte oder aber schon ähnlich interpretierte, wie wir es unten vorschlagen werden. In Benjacobs Ozar von 1880 hat dann zwar Steinschneider, der bei der posthumen Drucklegung behilflich war, in eckigen Klammern und mit seinen eigenen Initialen hinzufügen lassen, die von Benjacob vorgeschlagene Identifizierung des Druckortes Ber(è)n mit Verona werde bestätigt durch 'Ventura' [sie] im Eingang von dessen italienischer Psalmenbearbeitung; doch abgesehen von dieser nachträglichen Bemerkung ging in diesem ganzen Falle der Informationsfluß - durchaus anders als Weinreich (1928:172) und Fuks (1977:169) sich das vorstellten - von Benjacob zu Steinschneider. - Die Notiz bei Friedberg schließlich (1951-56:3.821, Pe 29) ist eine verkürzte Wiedergabe derjenigen aus Benjacobs Ozar \ da Friedberg hier - anders als meist - keine Seitenzahl angibt, hat er das Cambridger Exemplar offensichtlich nicht gesehen. 2.7 Freilich reichten Sabbatais, Venturis, Benjacobs und auch Steinschneiders bibliographische Mitteilungen in hebräischer, italienischer, deutscher und lateinischer Sprache noch immer nicht aus, die vergleichende Literaturwissenschaft zu erreichen: als Kaltenbacher 1903 in einer sonst sehr nützlichen Monographie zum Paris-und-Vienne-Stoff (die erst durch Babbi 1991 und 1992 abgelöst wurde) die gesamteuropäische Überlieferung skizzierte, war ihm die Existenz einer jiddischen Fassung noch immer schlechthin unbekannt. Die negativen Folgen dieser Tatsache sind schwer zu überschätzen; zu ihnen gehört z.B. zweifellos, daß noch in Kindlers Literatur-Lexikon (1965ff.) der jiddische PuW-Roman im Artikel Paris et Vienne vergessen und erst im Nachtragsband von O. F. Best behandelt wurde. 2.8 Insgesamt illustriert so die (Nicht-)Wirkungsgeschichte von PuW mit ungewöhnlicher Deutlichkeit einige Begrenzungen der jiddischen literarischen Tradition, aber mehr noch ihrer Erforschung. 2.8.1 Erstens sollte man sich der Einsicht nicht verschließen, daß in der jüdischen Diasporagesellschaft mindestens bis zur Emanzipationszeit zwar nicht notwendigerweise die Entstehungs-, wohl aber die Überlebensaussich-

XX

Einführung

ten von alltagssprachlicher Literatur in erster Instanz von ihrer faßbaren religiösen Funktion abhingen. Was sich da unzweideutig bewährte - sei es in der sprachlichen Heranführung an die kanonischen Grundschriften des Judentums, sei es in der Pflege der Religiosität und Ethik des 'einfachen' Juden -, konnte viele Generationen mit ungeschwächtem Erfolg überdauern, wie die Zenerene, eine Art jiddischer Bibelkommentar für den Familiengebrauch, der trotz seiner Dickleibigkeit von etwa 1600 bis ins 20. Jahrhundert über zweihundert Nachdrucke erlebte (Shmeruk 1981: 148 f.). Wo aber eine solche Funktion für die Zeitgenossen undefinierbar blieb, war das Werk, obgleich geduldet, doch von jenen ständigen politisch-wirtschaftlichen Umwälzungen bedroht, die zusammen die äußere Geschichte der Diaspora ausmachen. Im Falle von PuW schwand das jiddische Lesepublikum in Italien, für das das Werk primär geschrieben war, nach 1600 binnen weniger Jahrzehnte aus der Geschichte dadurch, daß ein Teil von ihm zum Italienischen als neuer Muttersprache überging und der andere Teil aus Italien hauptsächlich nach Osteuropa auswanderte,3 wo die wirtschaftlichen Aussichten zunächst besser waren, aber zur Bewahrung eines renaissancenahen Lebensgefühls von vornherein die Voraussetzungen fehlten. Zwar hat in derselben Situation das zweite italo-jiddische Stanzenepos, Elia Levitas Bovobuch die Verpflanzung überstanden (Shmeruk 1988:154-156), vermutlich dank seiner peripetienreicheren, handfesteren Handlung, die auch beim Schwinden eines solchen Lebensgefühls nur wenig verlor; doch war PuW eben nicht aus diesem Holz geschnitzt. 2.8.2 Zweitens veranschaulicht PuW, wie der langsame Untergang eines jiddischen Buches durch eine 'Diaspora' eigener Art führt: durch die Zerstreuung seiner letzten, oft schon fragmentarischen Exemplare über die Bibliotheken der Welt, auch kleinere, selbst vom Fachmann nicht vorhersagbare. Aus bibliotheksinterner Perspektive gelten solche jiddischen Bücher dann leicht als peripherer Bestand oder sogar als Kuriosa; ihre sachgemäße Katalogisierung und mehr noch die Veröffentlichung der Kataloge kommt aus Mangel an Fachleuten nur schwer in Gang. 4 Dazu addieren sich aber noch die Ungenauigkeiten oder doch Lakonismen der wenigen Fachleute selbst, hier veranschaulicht durch Zedner und Steinschneider.5 3

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Vgl. hierzu den unüberholten Aufsatz von Shulvass 1950 und zum Abbruch der italo-jiddischen Drucktradition gleich nach 1600 Shmeruk 1982. Einer der beiden gegenwärtigen Herausgeber hat kürzlich versucht, den zeitlichen Ablauf (und den Charakter) der italo-jiddischen Literaturproduktion in knappster Form 'auf den Punkt zu bringen' (Timm 1991: 61-64). So sind, was jiddische Drucke in großen deutschen Bibliotheken angeht, die Kataloge in Erlangen und Rostock (beide unter entscheidender Mitwirkung von Hermann Süß, Fürstenfeldbruck) sowie in Frankfurt gerade druckreif geworden, in München in zügiger Erstellung begriffen. Hier sei daran erinnert, daß in der Jiddistik eigentlich erst die israelische Forschung der letzten fünfzehn Jahre - und zwar in bewußter Reaktion auf frühere Unzuläng-

Druck- und Wiederentdeckungsgeschichte

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2.8.3 Daß man auf diese Weise zu keinem Zeitpunkt vor Überraschungen sicher ist, hat - drittens - im Falle von PuW gewiß zum langen Hinausschieben einer Ausgabe beigetragen: kein Wissenschaftler und noch weniger ein Verleger ediert gern ein Fragment, wenn die Entdeckung eines vollständigen Exemplars gleichsam in der Luft liegt. 2.8.4 Viertens verführt nun gerade beim Wissen um die Existenz des Textes das Fehlen einer Edition manchmal zu elementaren Fehlaussagen über seinen Inhalt. 6 Das Werk wird immer wieder einmal »vorgestellt«, aber von seinen konkreten Aspekten ist in den 75 Jahren zwischen 1912 und 1987 nur das Metrum kompetent untersucht worden (Hrushovski 1964). Gegen solche Verkrampfungen der Forschungssituation helfen nur Ausgaben, und zwar umso wirksamer, je lesbarer sie sind.

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lichkeiten - maximale Maßstäbe bibliographischer Genauigkeit, insbesondere im Nachweis von Exemplaren, gesetzt hat; vgl. etwa Shmeruk 1981: 75-116, 1982 passim, Zfatman 1985 passim. Selbst der sonst so gewissenhafte Max Weinreich mißverstand bei seinem Cambridge-Aufenthalt unter Zeitdruck einen längeren Abschnitt der Handlung gründlich (1928:175): »Un Dolfin macht bakant, as wer es wet ojshejln sajn tochter, der wet si bakumen far a froj un jarschenen dem tron.« Danach dann (wenn auch wahrscheinlich über eine Zwischenstufe) O. F. Best in Kindlers Literatur-Lexikon: »Da die vor Sehnsucht erkrankte Vienna von keinem Arzt geheilt werden kann, sieht sich ihr Vater gezwungen, ihre Hand demjenigen zu versprechen, der sie von ihrem Siechtum befreien kann.« Man vergleiche jetzt die Ausgabe!

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Paris un Wiene und die italienische Literatur (I) : Die Vorlage

3.1 Die Urfassung der Erzählung von Paris und Vienne entstand so gut wie sicher schon im 14. Jahrhundert, wenn auch vielleicht zunächst in einer nicht auf uns gekommenen Fassung (vgl. Babbi 1991: 11-15, 1992: 15-22, Kaltenbacher 1903: 342-346). Die Erzählung gehört zu den erfolgreichsten des späteren Mittelalters: sie liegt uns - in jeweils einer oder mehreren handschriftlichen oder gedruckten, vollständigen oder fragmentarischen Prosa- oder Versfassungen - in französischer, italienischer, katalanischer, spanischer (auch aljamiado-spanischer), englischer, flämischer, niederdeutscher, schwedischer, lateinischer, jiddischer, armenischer, neugriechischer, russischer und rumänischer Überlieferung vor (Babbi 1991: 29-153). Nach der Forschermehrheit war das Original französisch. Doch wird gerade in der ältesten französischen Fassung behauptet, sie sei aus einer provenzalischen und diese aus einer katalanischen geflossen ; deshalb - und mit Berufung auf einige Frühbezeugungen und auf den 'realistischen', d. h. wunderfeindlichen Grundcharakter der Erzählung - treten einige Forscher für katalanischen Ursprung ein (zur Forschungslage vgl. Babbi 1991:12-14). Glücklicherweise brauchen wir hier nicht Partei zu ergreifen. Denn für die weitere Ausstrahlung des Stoffes über Europa ist eindeutig die französische Überlieferung verantwortlich: auf sie gehen auch die in Italien kursierenden Fassungen - die italienischen, die lateinische und die jiddische - direkt oder indirekt, aber ohne die geringsten Indizien für das Dazwischentreten weiterer Sprachen zurück. 3.2 Schon auf dem Titelblatt des Veroneser PuW-Omcks lesen wir nun, die Erzählung sei ous krìstén sprich wordén gènumén. Ähnlich drückt sich der Dichter gleich im Proömium aus und fügt hinzu, daß auch 'viele' seiner Leser die Erzählung 'in der Sprache der Christen' schon gelesen hätten (10.4-7). Daß der Dichter in Italien schreibt, wird nicht nur nahegelegt durch seine Kenntnis der dortigen jüdischen Gemeinden (374ff., speziell 380), sondern ist angesichts der Häufigkeit seiner Italianismen so gut wie unbestreitbar. Schon a priori ist dann wohl die einzige 'Christensprache', in der dort 'viele' seiner Leser ein Buch gelesen haben können, das Italienische. Denn mit dem Lateinischen beschäftigen sich aus religiöser Abneigung nur extrem wenige Juden, und deutsche oder französische Bücher kommen nicht in großer Zahl über die Alpen. Umgekehrt braucht die Faszination, die das Italienische auf die Italo-Aschkenasen ausgeübt hat, angesichts der italienischen Vorlage schon des Bovobuchs von 1507 und der vielen Italianismen ebendort und in anderen italo-jiddischen Werken, vor allem aber angesichts der bald nach 1600 unübersehbar werdenden Italianisierung der in Italien Verbleibenden keines weiteren Beweises.

Paris un Wiene und die italienische Literatur (I)

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3.3 In der Tat erfahren wir nun in 428.1 und 428.7 wenigstens, die Quelle (im Singular) sei in welschén spròch, kurz in welschèn geschrieben. Der Dichter benutzt dieses Wort freilich noch im alten weiten Sinne 'romanisch'; denn auch König Dolfins Heimat Vienne im Dauphiné, das vom König von Frankreich zu Lehen geht (497.5), liegt in welsch land (587.4), und der dort geborene Paris spricht als Muttersprache ebenfalls welsch (671.1, 690.7). Andererseits aber bedeutet doch 'welsch' im Deutschen und Jiddischen des 16. Jahrhunderts in erster Linie 'italienisch'. So übersetzt etwa Luther das Land Ιταλία, wohin in der Apostelgeschichte (27.1) Paulus gebracht wird, als Welschland, wohl weil ihm hier 'Italien' noch zu gelehrt geklungen hätte. Und so nennt auch Elia Levita die italienische Vorlage seines Bovobuchs ein welsch buch (Vorrede, v. 29; 2.4), die Italianismen in seinem eigenen Text welschè wortér (Vorrede ν. 32 und zu Beginn des Glossars am Buchende); der Schreiber Anschel Levi, dem 1579 in seiner Niederschrift einer jiddischen midraschartigen Erweiterung der Pirqe Avot die Italianismen schon dutzendweise glatt durch die Feder gehen (Liste bei Maitlis 1979: 212-220), teilt in seinem Schreibernachwort mit, er sei kumèn ous tôùtschén in welsch land (Maitlis 1979: 174, Vers 20); und im Veroneser Kuhbuch-Druck von 1595 (fol. 35v) hofft ein armer Kinderlehrer, der auf dem Weg nach Venedig ist, nun in welsch länd sein Glück zu machen. 3.4 Zunächst überraschen muß es dann, daß unser Dichter die Sprache seiner (singularischen) Quelle wahlweise auch latein nennt (11.1). Aber latein ist für ihn auch an anderen Stellen einfach ein Synonym von 'romanisch'. So heißt es 587.3f. von dem in Alexandria gefangenen Dolfin, er könne 'nur'(!) latein, weil er in welsch land geboren sei; gleich darauf wird 588.3 dieselbe Sprache der Walhén spròch genannt. Ähnlich hat vorher (556.5-7, vgl. auch 565.3) der angeblich im Orient aufgewachsene Paris behauptet, ihm sei latein [...] noch der spròch vun jener statèn, d.h. die romanische Landessprache des Dolfin, unverständlich. 3.4.1 Dieser Gebrauch ist bisher für das Jiddische nirgends signalisiert worden; auch für das Deutsche ist er weder bei Lexer noch bei Grimm verzeichnet. Dennoch steht er in einer handfesten historischen Tradition. Im christlichen Italienisch ist latino in der eindeutigen Bedeutung 'das Italienische' (vereinzelt präzisiert zu latino volgare) laut Battaglia (1961 ff.: Art. latino 17, vgl. dort auch 6 in fine) von den Anfängen bis zu Boccaccio zu belegen. Doch ist das zu kurz gegriffen: altvenezianisch latin ist auch im 15. Jahrhundert so noch ganz gängig (Pausch 1972: 12, 262, 312); vor allem aber hat die italienische Paris-und-Vienne-Überlieferung mehrfach noch latino in dieser Bedeutung7 (so die von Babbi edierte nordostitalienische Handschrift des 7

Zum breiteren historischen Hintergrund dieser Gebrauchsweise vgl. Holtus 1987, Kramer 1983, Müller 1973, jeweils passim.

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15. Jahrhunderts, 1991: 228 zweimal, 236, 238; ferner an den entsprechenden Stellen die gesamte Drucktradition, die hier also ebenfalls eine im 15. Jahrhundert in Nordostitalien auskristallisierte Textfassung perpetuiert). 3.4.2 Noch hartnäckiger erhielt sich diese Bedeutung im jüdischen Italienisch: dort heißt z.B. die italienische (aber selbstverständlich in hebräischen Lettern gedruckte) Übersetzung des Normalgebetbuchs (Siddur) im Druck Bologna 1538 noch Tefiliot latine, und im Vorwort sagt der Herausgeber: »Essendo costretto e pregato da molte gentili donne e dabbene quali desidirano de dire la lor Tefillah latino, deliberai, con l'aiuto di Dio, traslatare in latino un Siddur di tutto l'anno [...]« (So in der Umschrift von Freedman 1972:103, vgl. ibd. S. 4. Um Mißverständnisse zu vermeiden, sei darauf hingewiesen, daß die Gebetstexte des Buches selbst durchaus eine unauffällige Varietät inmitten der anderen Varietäten 'der' traditionellen italienischen Übersetzung darstellen; wenn der Herausgeber also 'einen Siddur übersetzt', so heißt das essentiell: er geht am hebräischen Text entlang und erinnert sich der ihm größtenteils wohl von Jugend auf - bekannten Varietät(en) der traditionellen Übersetzung.) Erst im Nachdruck Mantua 1561 heißt es dann statt latino jeweils vulgar (Freedman loc. cit.). Vorher fühlten sich also die meisten Benutzerinnen und Benutzer dieser Gebetbücher bei ihrem Gebrauch von latino noch keineswegs dadurch gestört, daß ihre christlichen Nachbarn mit diesem Wort schon so gut wie ausschließlich eine andere Sprache bezeichneten, die den Juden als Sakral- und Bildungssprache der katholischen Kirche weitgehend unsympathisch war. Vor allem Terracini (1956/57: 249 Anm. 24, mit älterer Literatur) hat darauf hingewiesen, daß dieser Archaismus der italienischen Juden nicht von der Tatsache zu trennen ist, daß bei ihnen latino die traditionelle Übersetzung des (lautähnlichen!) hebräischen lo'ez, la'az war. Lo'ez bedeutet in der Bibel 'unverständlich ( = unhebräisch) redend' (Ps 114.1), seit talmudischer Zeit (wo daneben das Abstraktum la'az sichtbar wird) '(in) eine(r) (beliebigen) Diasporasprache (redend)', daneben aber prägnant im Talmud 'griechisch' und im Mittelalter sehr häufig (schon unter der Attraktion von latino ?) 'romanisch'. Wie man sieht, ist die Entstehung dieser Entsprechung lo'ez, la'az ~ latino umso einfacher zu verstehen, je weiter man zurückgeht in eine Zeit, wo im Sprachbewußtsein der Romania lingua latina noch die Alltags- ebenso wie die Gelehrtensprache abdeckte und ebendeshalb noch keine einseitig 'kirchliche' Aura um sich hatte. Andererseits wurde von der Romania aus die prägnante Bedeutung von hebräisch lo'ez, la'az als 'romanisch' (z.B. jüdisch-französisch) auch im aschkenasischen Bereich, d.h. zunächst in Deutschland, früh allgemein bekannt (vgl. z.B. Timm 1977: 22b mit Bezug auf eine Handschrift von 1290 aus Westdeutschland); jetzt sehen wir, daß zumindest in Italien die Jiddischsprecher auch die ganz parallele Bedeutung von italo-jüdisch latino als 'romanisch' semantisch in ihr (lautlich deutschkomponentiges) Wort latein hineinnahmen. Ein solcher Fall zeigt drastisch, wie oberflächlich es sein kann, deutschkomponen-

Paris un ¡Viene und die italienische Literatur (I)

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tige jiddische Wörter kurzerhand auch semantisch mit ihren lautlichen deutschen Entsprechungen gleichzusetzen. 3.5 Daß somit sowohl die allgemeine kulturelle Situation der Italo-Aschkenasen wie auch die ausdrücklichen Aussagen unseres Dichters auf eine italienische Vorlage - und nur auf diese - verweisen, entbindet uns nicht von der Nachkontrolle an den Texten selbst. 3.5.1 Der lateinische Text, in sehr gepflegter, an Cicero orientierter Prosa von einem französischen Diplomaten in Venedig für die Söhne des Kanzlers von Frankreich geschrieben, wurde 1516 in Venedig im Auftrag des Autors und 1517 noch einmal in Paris gedruckt (Babbi 1991: 135f.; im folgenden ist die Erstauflage zitiert nach dem Exemplar der Münchener Staatsbibliothek Rara 4501). Er folgt im wesentlichen der französischen Tradition (wie man durch Vergleich mit dem französischen Text bei Babbi 1992: 57-139 leicht feststellen kann) und hat deshalb oft andere Erzählmotive (im folgenden jeweils an erster Stelle genannt), wo PuW und die italienischen Texte (oder doch deren Gros) zusammengehen: Nach den nächtlichen Serenaden steht zur Diskussion: nur die Reaktion der Eltern / auch die von Vienne. Beim nächtlichen Überfall der zehn Schergen auf Paris und Odoardo gibt es: nur Verwundete / auch Tote. Der Dolf in schickt dann auf die Lauer : 100 Mann / 25 Mann. Das Turnier in Vienne findet statt: am 1. April / am 1. Mai. Viennes Konkurrentinnen bei dem folgenden Turnier in Paris: bleiben ungenannt / heißen Costanza und Floria. Odoardo erinnert Paris nur (auf des Vaters Wunsch) an seine Sohnes- bzw. Ritterpflichten / er fügt noch eine frauenfeindliche Invektive hinzu. Paris' Vater erholt sich von seiner Krankheit: erst aufgrund von Paris' Rückkehr / schon vorher. Auf Paris' Vorwürfe hin: gesteht die Mutter, Vienne in die Kammer gelassen zu haben / gesteht die Mutter nichts. Von der Auseinandersetzung zwischen Viennes und Paris' Vater benachrichtigt: Vienne den Paris durch Odoardo / umgekehrt Paris seine Vienne persönlich. Paris' Vater überweist dem Sohn: 3000 Goldstücke / 500 Goldflorentiner oder Dukaten. Was der Freier aus Burgund am Ende zu Hause meldet: bleibt ungesagt / wird mitgeteilt. Paris begibt sich von Venedig in den Orient: über Alexandria / über Konstantinopel. Der Dolfin antwortet dem Sultan: trutzig / kleinlaut. Paris macht die Mamelucken betrunken und: tötet sie / läßt sie schlafen. Der heimgekehrte Paris gibt sich Vienne zu erkennen: beim ersten Besuch / beim zweiten Besuch. Sobald Paris und Vienne gemeinsam zu Dolfin kommen: geben sie das Komödienspiel auf / spielen sie noch eine Zeitlang weiter. Dem scheinen keine Gemeinsamkeiten der lateinischen und der jiddischen Fassung gegen die italienische Überlieferung (oder deren Gros) gegenüberzustehen. Unter diesen Umständen dürfen wir die lateinische Fassung als potentielle Vorlage ausscheiden (unrichtig also Baumgarten 1988:7).

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3.5.2 Bis zum Jahre 1556, dem Terminus ante quem von PuW(yg\. oben 2.1), umfaßt nach dem gegenwärtigen Forschungsstand - die französische Überlieferung neun Handschriften (von denen sich eine freilich stemmatisch zu den Drucken stellt) und mindestens zwölf Drucke (Babbi 1991: 29-55, 1992: 9-36); - die italienische Überlieferung sieben Handschriften (Babbi 1991: 57-87; 1992: 39-50) und 27 Drucke (Babbi 1991: 87-108). Die französische Überlieferung ist zur Gänze in Prosa, die italienische ist es bis zum Jahre 1571. 3.5.2.1 In dem Block der 8 französischen Handschriften heißt Paris' Diener Olivier, in allen anderen Fassungen Georg (Kaltenbacher 1903: 356, Babbi 1991: 39, 1992:13). In PuW heißt er Grégól (329.1), was zwar eine Koseform von Gregor, nicht Georg ist, aber doch graphisch an Georg, nicht Olivier anschließt. PuW stellt sich also gegen den ältesten französischen Handschriftenblock zur jüngeren Überlieferung. 3.5.2.2 In den stemmatisch vor der italienischen Drucktradition stehenden Fassungen (französische Handschriften und Drucke, italienische Handschriften) werden Viennes Erzieherin einerseits, Viennes Freundin andererseits deutlich unterschieden, obwohl in einem Teil der Überlieferung die letztere schon Tochter der ersteren ist. In der italienischen Drucktradition wird diese Unterscheidung zwischen Mutter und Tochter nur in den Einleitungssätzen festgehalten, dann vergessen: ein und dieselbe Isabella ist erst Viennes Erzieherin, wird allmählich aus der Erzieherin zur Vertrauten und heiratet schließlich Paris' Freund Odoardo, als Vienne Paris heiratet; die jetzt unpassenden Einleitungssätze schleppen sich aber durch die gesamte Überlieferung weiter (vgl. dazu Babbi 1991: 88). Unser Erzähler folgt ganz der italienischen Drucktradition; nur hat er den Widerspruch beseitigt, indem er von vornherein nur eine Person einführt, und zwar eine 'edle Jungfrau' und 'Maid' (24.2 und 7), so daß der Altersunterschied keine volle Generation beträgt und leichter zurücktritt. Weitere Neuerungen der italienischen Drucke sind die schon erwähnte frauenfeindliche Invektive Odoardos im Gespräch mit Paris (die von Babbi 1991: 89f. zu Recht als del tutto inattesa bezeichnet wird und deshalb auch für Stemmauntersuchungen als hochspezifisch gelten darf) sowie das Schlußlob für Vienne vor dem Hintergrund eines Zweifels an - mit unsicheren Ausnahmen - den heutigen Frauen (dazu etwas zu knapp Babbi 1991: 93). Auch in diesen beiden Fällen geht PuW (Stanzen 167-184 und 708-713) mit der Drucktradition, sie freilich mit grandioser Beredtheit überbietend. Da wir zu diesen Argumenten trotz beträchtlicher Bemühungen nicht die geringsten Gegenargumente, also Hinweise auf eine Kontamination von außerhalb der italienischen Drucktradition, haben finden können, dürfen wir nunmehr mit Nachdruck feststellen: die Vorlage von PuW ist in der italienischen Drucktradition und nur dort zu suchen.

Paris un Wiene und die italienische Literatur (I)

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3.6 Der Versuch allerdings, sie innerhalb dieser Tradition noch näher einzugrenzen, führt auf ein komplizierteres und deshalb auch weniger sicheres Ergebnis. Von den heute aufzählbaren 27 italienischen Drucken aus der Zeit vor 1556 sind acht (in der folgenden Liste die Nr. 3, 5, 7, 13, 18, 19, 24, 27) nur aus bibliographischen Notizen ohne Exemplarnachweis bekannt, was bei der Anzahl privater Frühdrucksammler nicht erstaunlich ist. Von einem neunten Druck, aus dem Jahre 1533 (Nr. 17), ist das mutmaßliche Unikum von seinem Besitzer Carlo Enrico Rava in einer viertelseitigen, recht genauen Beschreibung sowie durch Abbildung der Titelseite und zweier weiterer Holzschnitte vorgestellt worden (1969: Nr. 5429a und Tafel 58). Es befindet sich zwar seit Ravas Tod an unbekanntem Ort; doch läßt die Beschreibung erkennen, daß die von denselben Druckern zehn Jahre später besorgte Neuauflage (Nr. 20) ein seitengleicher, ebenso illustrierter fast buchstabengetreuer Nachdruck ist und so die Unzugänglichkeit des älteren Druckes fast verschmerzen läßt. Alle 18 heute zugänglichen Drucke haben wir an Hand von Mikrofilmen (und bei Londoner und Münchener Exemplaren überdies in Autopsie) untersucht. In der folgenden Liste nennen wir nur das benutzte Exemplar (genauere Information und Bibliographie8 jeweils bei Babbi 1991: 94-103). 1 Tarvisio (Treviso), per Maistro Michiel Manzolo de Parma, 1482; London, BL, IA 28369. 2 Venetia, [Antonius de Strata, de Cremona] 1486; New York, Pierpont Morgan Library, E 21 A, Goff Ρ-116. 3 Firenze 1488. 4 Venetia, per Ioanne da Trino, 1492; London, BL, IA 24013. 5 Venezia 1496. 6 Venetiis, per Ioannem de Tridino, 1504; London, BL, c.62.b.24. 7 Venezia, Melchiorre Sessa, um 1505. 8 Venetiis, per Melchiorem Sessa, 1508; Mailand, Biblioteca Trivulziana, Coli. Η 2585. 9 Venetia, per Piero di Quare(n)gii da Bergamo, 1511; London, BL, c.57.c.4. 10 Venetia, per Ioanne Thacuino da Trino, 1512; Venedig, Biblioteca Marciana, Rari Ven. 498. 11 Venetia, per Comino de Luere, 1512; London, BL, c.20.c.22(4). 12 Mediolani, p(er) Andrea de Brachis et Jo. Iacobu de Rixis, 1515; Paris, BN, Réserve Y2 699. 13 Venezia, Giovanni Tacuino da Trino, 1516. 14 Uenetia, per Marchio Sessa e Piero de Rauani Compagni, 1519; Venedig, Fondazione Giorgio Cini, 432 III C 14. 15 Vinetia, per Ioan(n)e Francisco e Joanne Antonio di Rusconi fratelli, 1522; London, BL, 1074.h.24. 8

An Vorarbeiten zu Babbis jüngster Liste seien hier wenigstens ihre eigenen (1985 und 1988 passim) sowie die Liste bei Mavromatis (1982: 71-81) ausdrücklich genannt. Ohne die dort investierte Arbeit hätte der vorliegende Abschnitt nicht geschrieben werden können.

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Einführung

16 Venetia, per Melchio Sessa, 1528; Cambridge (Mass.), Harvard College Library, Houghton Reading Room. 17 Vinegia, per Francesco Bindoni e Mapheo Pasini compagni, 1533; s. oben. 18 Vinegia, per Alouise de Tortis, 1534. 19 Venezia, de Tortis, 1537. 20 Vinegia, per Francesco Bindoni e Mapheo Pasini compagni, 1543; München, Bayerische Staatsbibliothek, P.o.it. 508 K. 21 Vinegia, per Venturino Roffinello, 1544; Venedig, Fondazione Giorgio Cini, 433 V.A.3. 22 Milano, per li heredi de Vincentio da Medda, 1547; Paris, BN, Réserve Y 1457. 23 [Milano, per Io. Antonio da Borgo] 1547; New York Public Library, Spencer Collection. 24 Venezia, Agostino Bindoni, 1547. 25 Venetia, per Agostino de Bindoni, 1549; Paris, BN, Réserve Y2 1459. 26 Vinegia, per Francesco Bindoni e Mapheo Pasini compagni, 1549; Stuttgart, Württembergische Landesbibliothek, fr.D.8° 5123. 27 Venezia 1554.

Wie bei einem volkssprachlichen Werk im Umfang von etwa 80 heutigen Normaldruckseiten zu erwarten, gibt es in dieser Überlieferung viele Hunderte von graphematischen oder morphematischen Varianten. Ferner hat Mavromatis (1982: 112-122), der von den 18 heute zugänglichen Drucken dieses Zeitraums immerhin acht vor sich hatte (Nr. 1,4, 6, 9, 10, 12,15, 20), über 170 Änderungen des Wortlautes registriert, ohne dabei Vollständigkeit beanspruchen zu können. Er konstatiert auf diese Weise eine gewisse Sonderstellung der Mailänder Nr. 12 von 1515 gegenüber den etwa gleichzeitigen Venezianern, ferner einen leichten Neuerungsschub in Nr. 9 von 1511 und einen zweiten, etwas stärkeren in Nr. 20 von 1543. Dazu ist zweierlei festzustellen. Erstens: Wer Ravas Beschreibung von Nr. 17, die auch Mavromatis bekannt war (1982:73), mit dem zugänglichen Text Nr. 20 vergleicht, wird nicht umhinkönnen, den wichtigeren Erneuerungsschub vermutungsweise von 1543 auf 1533 zurückzudatieren, und wer inzwischen Nr. 16 und Nr. 14 zur Hand hat, sieht definitiv, daß der 'Schub' größtenteils schon 1528, in einigen wichtigen Einzelheiten sogar schon 1519 vollzogen war. Die Einschränkung, daß ein aus einer solchen Überlieferungsreihe gewonnener Terminus post quem lediglich einen Wahrscheinlichkeitswert darstellt, ist also keine nur theoretische: in der Praxis kann ein solcher Terminus durch Verschiebung (und durch Zersplitterung) beträchtlich an Interesse verlieren. Zweitens handelt es sich bei den 170 Änderungen fast ausschließlich um kleine, nur ein oder wenige Worte betreffende. Insgesamt darf man deshalb die italienische Drucktradition durchaus noch konservativ nennen, und wenn man einer Untersuchung von PuW den falschen Druck als Vorlage zugrunde legen würde, so wäre damit außer für die Datierung von PuW nicht viel verloren. Bedenkt man weiter, daß unser Dichter einen romanischen Text in eine nichtromanische Sprache und zugleich Prosa in Stanzen umzugießen

Paris un Wiene und die italienische Literatur (I)

XXIX

hatte und daß er als brillanter Psychologe gerade in Szenenregie und Diktion sehr selbständig war, so muß man von vornherein erwarten, daß die italienischen Varianten nur in den seltensten Fällen bis in den jiddischen Text erkennbar bleiben. Wir halten zwölf solche Fälle für aufführenswert, obwohl bei einigen der Zufall nicht ganz auszuschließen ist. Im folgenden bezeichnet A alle Drucke vor 1519 und den von 1522, Β den von 1519, C alle nach 1519 außer dem von 1522; zitiert wird nach Möglichkeit die Textform von B. 1) PuW 134.1-4:

Der herzèg brócht Vu η Engèl-land Çun seinèr schwestèr Kôstanze wegèn ain krön bèâtekt mit diamànt, un' drei pfund gold was si' ach wegèn. AB

C

Onde lo Re d'Ingelterra mando per sua sorela una bellissima e richa corona tutta fornita de perle e pietre precióse la quale valeva uno grande thesoro. la quale ... thesoro fehlt.

'Drei Pfund Gold' ist Konkretisierung von 'großer Wert'. 2) PuW 135.1, 5 - 8 :

Es kam jó' ach iinsèr Dòlfin [...] nun bróchtèn si1 jó1 ach mitin ain schônèn hut, hat er döhaim génumèn; sein gròsèn hóhèn schaz mòcht wol dèrkene, wer den stich géwinèn wurd Vür Wiene. AB

C

Et lo Dolfino mando per sua figliola Viena uno capello Francesco cargato de perle e bellissime zoglie [...] che era di grande valore. che ... valore fehlt.

3) PuW 205.1 :

Do si' nun hatèn wol géret [...] AB C

e ha vendo ragionato de più cose con grandissimo apiacere [...] e ... apiacere fehlt.

4) PuW 261.1-2:

Noch nimèz wurd mein huid gêwar as Ódárdó [...] AB C

solo Idio ed il mio caro compagno Odoardo l'ha saputo e non altra persona del mondo. e non ... mondo fehlt.

5) PuW 329.1:

Der gètrôù' knecht, der his Grégól; weitere Aussagen über diese Person appellativisch bzw. pronominal.

Einführung

XXX

1482: Georgi, Zorzi, Georgi, Georzi, Zorzi, Georgi (2), Georzi, Giorgi, Georgi, Zorzi. 1486, 1492, 1508, 1519, 1522: Zorzi (je 11). 1504, 1511, 1512 (Trino): Zorzi (4), Giorgi, Giorzo (5), Zorzi. 1512 (Comino): Çorçi (5), Giorço (5), Çorçi. 1515: Zorzo (11). 1528: Georgio (2), dann appellativisch oder pronominal, abschliessend Georgi (1). 1543, 1544, 1547 (Medda), 1547 (Borgo), 1549 (A. Bindoni), 1549 (Bindoni-Pasini): Georgio (2), dann appellativisch oder pronominal, abschließend Georgio (1).

Hier ist (z) bzw. phonetische Schreibung des norditalienischen / d z / (allmählich > /z/), das dem toskanischen (und damit heute schriftsprachlichen) (g(e,i)) ~ / d z / entspricht, wobei im vorliegenden Fall zweimaliges (g) zugleich die seit der Antike historisch 'korrekte' Schreibung des Namens ist. Die Drucker, obwohl weiterhin überwiegend in Venedig ansässig, gehen also von der für sie zunächst naheliegenden phonetisch-norditalienischen über gemischte Formen zur toskanischen und hier zugleich gelehrten Form über. Solange der Name (z) oder (ç) enthält, also in allen Drucken vor 1528, kann ihn niemand als 'Gregor' verkennen. Anders ab 1528: ein Aschkenase in Italien, der christliche Namen im wesentlichen aus der Mündlichkeit, im Venezianer Raum also den Namen 'Georg' nur in der Form /(d)zçr(d)zi/ kennt, kann sehr wohl ein einheitliches Georgio seiner lateinschriftlichen Quelle versehentlich mit Gregorio statt mit Zorzi assoziieren. Das hat unser Dichter getan (und dabei dann 329.1 das Diminutiv Grègòl benutzt). Zudem stimmen PuW und die italienischen Drucke von 1528 an darin überein, daß nur einleitend ein- oder zweimal der Name genannt, dann auf Appellativa oder Pronomina ausgewichen wird. (Die dritte und letzte namentliche Nennung in diesen italienischen Drucken steht isoliert in einer viel späteren Aussage, die in PuW keine Entsprechung hat.) 6) PuW 339.4-6: vür gròsèn tifnis si' ein-sunkèn. der vlóz asó iibèr-hant nam, dás er un' sein pferd blibèn dèr-trunkèn. AB

C

Onde lui col cavallo trabuco in tal modo che non pote insir fuora del fiume perché l'aqua era molto grossa e anegossi col cavallo crudelmente. perché ... grossa fehlt.

7) PuW 374-380: Invektive gegen die Sitten der Venezianer Juden. A BC

Et non parendo li modi venetiani del suo contento ('die venezianischen Sitten sagten ihm nicht zu'). Et non parendogli le mute delle galie esser de suo contento ('die Konvoifahrpläne der Galeeren sagten ihm nicht zu').

Paris un Wiene und die italienische Literatur (I)

XXXI

Der zitierte Halbsatz in A ist der einzige in der italienischen Überlieferung zu findende Auslöser für die große Invektive in PuW (vgl. unten 6.3.9.1). 8) PuW 439.5-8: »[...] sagstu mir es nit als cifsat, ?ür mártér sôlstu nit génesèn; ich zieh dir Vu η anàndèr al dein ódèrn!« Isábele hub Vür angstèn an zu plòdèrn AB

C

che lei dicesse la veritade; altramente la faria per forza de tormento confessare quello e altro. »Si che non te volere lassare guastare la persona per diletto!« Vedendosi Isabella cosi duramente examinata hebbe grandissima paura e senza fare altra scusa disse la veritade. »Si... diletto!« fehlt.

'Die Adern auseinanderziehen' ist Konkretisierung von 'den Körper übel zurichten'. 9) PuW 454.8: wen si wert gèsund, só wil ich dirà ènpitèn. A

Β C

Et che quando fusse Viena liberata che'l dovesse tornare ('und daß, sobald Vienne von ihrer Krankheit frei wäre, er [= der Bräutigam] wiederkommen solle'). E quando sera Viena liberata vi faro a sapere. Et quando Viena fusse liberata gli faria sapere il tutto ('werde er [= der Brautvater] ihm [= dem Bräutigam] die Sache mitteilen').

10) PuW 457.2: wasèr un' bròt A BC

un poco de crude vivande. uno pocho di pane ed aqua.

11) PuW 596.1-8: Wi'-wol der sòldan bévòl al ding, si' sòltèn in mit márter stròfèn, dòch dem zu lib, dò ich vun sing, lisèn si' iz ain türlén ófèn, un mit menchèrlai lisèn si5 in gèring; dás machét in ain wènig hòfèn. bis ouf jen tag wàs ni' kán man mén ermér; nun war er izund jô' um ain pelz wermèr. AB

C

Et benche quelle guardie havesseno per comandamento dal Soldano de non farli alcuno apiacere, ma per amore de Paris li fece gran comodità a lui non lo tenendo cosi strettamente come prima et haveano facto del vivere et di ogni altra cosa. et haveano ... cosa fehlt.

'Pelz' ist Konkretisierung von '(neben Lebensmitteln auch) alles andere'.

Einführung

XXXII 12) PuW 658.5-6: er sach di' trôù un' màrtèr gròs, di' si' al hat Vun seinèn wegèn. A BC

che per suo amore havesse tanto tempo stata in quella presone. che per suo amore havesse patito tante stente ed essere stata in quella presione.

Wie man sieht, sind von den 12 Pu ^-Stellen 9 7 aus A, 10 aus B, 3 aus C erklärbar. Leider sind die beiden nicht aus Β erklärbaren, Nr. 5 und 7, wohl zu spezifisch, um einfach ignoriert werden zu können. Man muß deshalb wohl entweder Kontamination oder einen verschollenen Druck annehmen. Gegen Kontamination spricht nicht etwa schon die ganze Situation. Ein Autor, der 'viele' seiner künftigen Leser bei der Lektüre des italienischen Textes beobachtet hat (10.7), kann auch selbst Zugang zu mehreren Exemplaren gehabt haben; beispielsweise kann er zur ersten Lektüre eines ausgeliehen, nach dem Entschluß zur Bearbeitung ein anderes gekauft haben. Mißlich ist aber, daß zur vollen Abdeckung aller zwölf Stellen gleich drei Texte, nämlich je ein Α-, B- und C-Text, nötig wären (vgl. speziell Nr. 5, 7, 9). Weniger 'kostspielig' ist da wohl die Annahme eines verschollenen Drucks, den man sich dann etwa zeitgleich mit dem von 1519 vorstellen darf. Welche von beiden Annahmen man auch bevorzugt, wird man es für sehr wahrscheinlich ansehen müssen, daß PuW nicht vor etwa 1519 entstanden ist. 3.7 Erst 1571 erschien dann in Genua die erste italienische Versfassung des Paris-und-Vienne-Stoffes, Teluccinis Stanzenepos Paride e Vienna (Babbi 1991:108-110; im folgenden zitiert nach dem dort nicht verzeichneten Exemplar der Mailänder Biblioteca Nazionale Braidense, Rari Castiglioni 103). 9

Zwei weitere Fälle haben wir als nicht beweiskräftig aus der obigen Diskussion ausgeschlossen :l) PuW 133Λ-4 Un' do sich nun génòhèt di zeit, / vil loút, di kamen ein-gédrungén / vun veré land un ' weg gar weit, / vun herzègé, gróvén, ritèr, jungén ist wohl nicht inspiriert durch eine in AB erscheinende, in C (offenbar als für die Erzählung tautologisch) gestrichene Passage (zitiert bei Mavromatis 1982: 116), sondern von der etwas später in allen Drucken vorhandenen inhaltlich ganz ähnlichen Formulierung Al tempo deputato venne tutti li baroni e cavalieri ala cita de Parise. Die Situation wird dadurch verunklärt, daß der jiddische Dichter in der Umgebung dieser Stelle noch weitere Umstellungen vorgenommen hat. - 2) In PuW wird die Namensform Ôdôardô allmählich durch Ódárdó abgelöst (Stanzen 1-150: 16:0; 151-200: 8:5; 200-610: 7:18; 611-717: 0:4); da in einem tendenziell iambischen Text Ódárdó metrisch glatter ist, geht die Ablösung, wenn auch als eine nicht voll bewußte, eher auf den Dichter als auf den Drucker zurück. In den italienischen Drucken finden wir nur Odoardo (jeweils über 70mal); lediglich 1544 erscheint einmal (fol. C III verso) Odardo als offensichtlicher Druckfehler, nämlich 15 Zeilen nach und 12 Zeilen vor einem Odoardo, außerdem inhaltlich zu spät, als daß es Auslöser für das erste Ódárdó in PuW (158.6) sein könnte. Wahrscheinlich haben einfach die vielen italienischen hard-Namen (Bernardo, Guiscardo, Leonardo, Ricardo u.ä.) auf das seltenere -ward attrahierend gewirkt - sei es hier und da schon im Italienischen, sei es im Sprachgebrauch unseres Dichters.

Paris un ¡Viene u n d die italienische Literatur (I)

XXXIII

Trotz des späten Datums (und trotz der Mitteilung des PwíF-Dichters, seine Vorlage sei in Prosa, 11.1 f.) läßt zunächst die Tatsache aufhorchen, daß die Zahl der Canti bei Teluccini wie in PuW zehn beträgt. Doch das erweist sich als Zufall: die meisten Canto-Enden fallen - wie hier wohl nicht im einzelnen ausgeführt zu werden braucht - an andere Stellen der Handlung. Das illustre, aber gefährliche Vorbild Vergils und mehr noch Ariosts unfreiwillig ad absurdum f ü h r e n d , hat Teluccini in jeden Canto Lobsprüche auf G e n u a eingebaut, m a n c h m a l speziell auf seine dortigen G ö n n e r und zwar in einer so vordergründigen Weise, daß das Verfahren in eine Parodie umzuschlagen droht: so stattet der A h n h e r r des Hauptgönners mit gebührender Großzügigkeit Paris f ü r dessen Orientfahrt aus. Ferner hat der Dichter dem Duo ParisOdoardo einen Montino zugesellt: dieser und nicht Odoardo heiratet z u m Schluß Isabella. Odoardo ist vielmehr Isabellas Bruder; dadurch wird eine Hauptvoraussetzung der H a n d l u n g - daß nämlich Paris u n d Vienne nur schwer von der Gegenliebe des anderen erfahren können - unnötig unterminiert. Der Stil ist gleichmäßig 'hoch': Vienne nennt Isabella bei einem m o m e n t a n e n Zerwürfnis sogleich cor di Nerón ; statt 'Rom, Sitz des Papstes' heißt es la santa e rilevata Sede / Che! Tebro inonda, und wenn der Dolfin seinen Weg in den Orient über Kreta nimmt, so betritt er damit jene Gestade, wo einst - welcher Gebildete könnte das verdrängen? - la bella figlia / Del Re Cretense in finto Tauro salse. Man könnte die Beispiele vervielfachen. Von all dem finden wir in PuWselbstverständlich keine Spur; so erübrigt sich auch die Suche über 1571 zurück nach irgendeinem Zusammenhang. 3.8 Zusammengefaßt: Unser Dichter benutzt als Quelle die italienische Prosa-Drucktradition und n u r diese; seine unmittelbare Vorlage war freilich kein einzelner der 18 heute textlich bekannten vor 1556 erschienenen Drukke, sondern entweder ein heute verschollener Druck wohl aus der Zeit u m 1520 oder aber mehrere der genannten Drucke, darunter dann mindestens einer aus der Zeit nach 1520. Dieses Ergebnis empfiehlt sich auch durch die a priori einzige Parallele, die die jiddische Literaturgeschichte hierzu bieten k a n n : auch das andere jiddische Stanzenepos des 16. Jahrhunderts, das schon 1506-07 entstandene Bovobuch, beruht auf der 1480 einsetzenden italienischen Drucküberlieferung des Buovo d'Antona - die freilich eine Stanzenüberlieferung ist - und zwar hauptsächlich oder ausschließlich in deren 1497 erneuerter F o r m (hierzu zuletzt T i m m 1991:68).

4

Paris un Wiene und die italienische Literatur (II) : Die Stanze

4.1 In einem Punkt hält unser Dichter es für nötig, sich schon im Proömium von seinem italienischen Vorgänger abzusetzen (11.1-4): Der es gémácht hot in latein, der hót kain reim nit welén schmekèn. nun hab ich mut, ich wil das mein reimèn durch-ous in alén ekèn.

Diese Entscheidung für den Vers verdient eine Würdigung auf zwei Ebenen. 4.1.1 Zum einen ist es ja in komparatistischer Sicht fast die Regel, daß eine Literatur mit einem langen Zeitalter der Versdichtung beginnt, ehe sie eine Kunstprosa entwickelt. Solche frühe Literatur will Unalltägliches - Göttliches, Heldisches oder schlechthin 'Weisheit' - künden und glaubt dazu auch einer Sprachform zu bedürfen, die sich von den ersten Silben an unverwechselbar vom Gerede des Alltags abhebt und die zudem besser als dieses gegen Deformation bei der Weitergabe geschützt ist. Im wesentlichen gilt das auch für die jiddische Literatur: in der ältesten literarischen Handschrift, der Cambridger Handschrift von 1382, erscheinen die jüdischen Stoffe der vier 'midraschepischen' Gedichte ebenso in Versen wie der internationale Stoff der Löwenfabel und der deutsche des Horant. Das ändert sich nur sehr langsam. Bei manifest-nichtjüdischen Stoffen wird Prosa erst im späten 16. Jahrhundert in der Anverwandlung deutscher Volksbücher faßbar, andererseits erfolgen aber selbst im späten 17. Jahrhundert die beiden Neubearbeitungen des Widuwilt-Stoiizs noch in Versen. Bei den jüdischen Stoffen wiederum beherrscht die Bibel-und-Midraschepik in Versen das Bild bis zur Mitte des 16. Jahrhunderts und treibt bis gegen 1700 noch neue Blüten. Neben Glossen und Glossaren sind zwar schon aus der Zeit um 1400 fortlaufende extrem wörtliche 'Prosa'-Übersetzungen biblischer Bücher erhalten, aber sie sollen zunächst nur dem Wort-für-Wort-Verständnis des Urtextes dienen und deshalb wortweise abwechselnd mit diesem gelesen werden; freilich entfalten sie dann, zusammenhängend und ohne den Urtext geschrieben (und seit Mitte des 16. Jahrhunderts auch gedruckt), allmählich ein gewisses Eigenleben. Wirkliche Erzählprosa tritt uns seit etwa 1500 entgegen in der A/a/ie-Gattung, die dem Exemplum und der Novelle der nichtjüdischen Literaturen entspricht, sich aber stofflich ganz überwiegend aus der jüdischen Tradition speist und auch dort, wo sie internationales Gut aufnimmt, dieses in jüdischem Gewände zu präsentieren pflegt. Erst im späten 16. Jahrhundert greift die Prosa dann von der Kleingattung der Maise auf neue stofflich-jüdische Großgattungen über wie etwa den haggadisch-midraschisch geprägten Bibel-

Paris un Wiene und die italienische Literatur (II)

XXXV

kommentar in Gestalt der berühmten Zenerene.10 Für unseren Dichter und seine Zeitgenossen - spätestens Mitte des 16. Jahrhunderts - ist also die Versform bei Großgattungen und insbesondere bei manifest-nichtjüdischen Stoffen noch durchaus das Übliche; sie stehen hier in einer Tradition, die die Italo-Aschkenasen aus Deutschland mitgebracht haben. Doch liefert diese Tradition nur einen sehr allgemeinen Hintergrund für die Entscheidung des Dichters. 4.1.2 Denn der Dichter entscheidet sich ja - und damit kommen wir zur zweiten Ebene - für die eminent italienische Form der Stanze (Ottaverime, Oktave). Genaugenommen entscheidet er sich freilich nur für deren Reimschema abababcc, ohne daß damit etwas über die Struktur der Reimwörter oder über die Struktur des Einzelverses präjudiziert wäre. Doch unterscheidet im Italienischen eben dieses Schema die Stanze von allen anderen Strophenformen, ist also nicht nur notwendiges, sondern auch hinreichendes Erkennungsmittel einer Stanze. Für die Struktur der Reimwörter hingegen gibt es keine stanzenspezifischen Vorschriften; ebenso hat die Stanze die Tatsache, daß jeder ihrer Verse ein Elfsilber (endecasillabo) ist, mit wichtigen anderen Strophenformen gemein, vor allem den Normalformen von Terzine, Sestine und Sonett, während in manchen anderen Strophenformen ohnehin die Versart (von Gedicht zu Gedicht oder sogar innerhalb der Strophe) wechseln kann. Durch das Reimschema bedingt ist unter diesen Umständen auch die Dynamik der Stanze. Drei Viertel aller Verse, nämlich die Sextette ababab [...] dedede [...], erzeugen im Rezipienten den Grundeindruck alternierender Reime. Er wird periodisch durch ein Reimpaar cc [...] ff [...] unterbrochen. Signalhaft wirkt dabei nicht so sehr das bloße Auftreten des ersten c (das ja doch irgendwann zu erwarten wäre und z.B. bei einer Fortsetzung *cdcd trivial bliebe), sondern die größere Reimdichte des Paares cc: sie verleiht ihm im Vergleich zum Sextett zusätzliche Insistenz, die vor einer Pause zugleich als Schlußsignal gedeutet wird. Angesichts dieser Dominanz des Reimschemas brauchen wir uns nicht zu scheuen, auch nichtitalienische Nachahmungen der Stanze 'Stanzen' zu nennen, sofern nur das Reimschema gewahrt bleibt; so pflegt man ja von den 'Stanzen' der deutschen Tasso-Übersetzung des Diedrich von dem Werder (1626) zu sprechen, obwohl sie aus Sechshebern ( ~ Alexandrinern) und nicht aus Fünfhebern bestehen, die die engste Nachbildung des endecasillabo wären. 4.1.3 In der italienischen Literatur ist nun Boccaccio schon der erste Meister der Stanze, aber wahrscheinlich nicht ihr Erfinder; 11 in den beiden Jahr10

Zum Verhältnis von Vers und Prosa in der jiddischen Überlieferung vor 1800 zuletzt Timm 1993: passim mit ausführlichen Literaturangaben. " Für die italienische Metrik sei hier global auf Elwert (1984) verwiesen; nur müssen dessen entproblematisierende Aussagen über die Anfänge der Stanze (§ 94) im Lichte etwa von Balduino und de Robertis (beide auch 1984) gelesen werden.

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Einführung

hunderten nach ihm wird sie zur vielseitigsten Ausdrucksform der italienischen Literatur überhaupt: die handfest-populären epischen cantari spätestens seit dem 14. Jahrhundert, ein großer Teil der geistlichen Dramen (rappresentazioni sacre) des 14. und 15. Jahrhunderts, die heiter-pseudorustikale Dichtung aus dem Umkreis Lorenzo Medicis in der Art der Nencia nicht weniger als die ambitiösesten italienischen Verse Polizians, schließlich die große Epik eines Pulci, Boiardo und Ariosi - sie alle sind schon vor dem jiddischen PuW in Stanzen geschrieben; ihnen werden das erhabene Pathos Tassos, der strahlende Manierismus von Marinis Adone, das komische Epos La Secchia rapita von Tassoni folgen und allen Genannten noch ein Schwärm von Epigonen. Dieses nichtendenwollende Bekenntnis zum Reimschema abababcc hat natürlich unter anderem eine technische Voraussetzung: das Gebot, drei Viertel aller Verse nicht in Zweier-, sondern in Dreierreime einzubinden, kann in Texten epischer Länge der Nichtvirtuose ohne Verkrampfungen nur einhalten in einer so reimreichen Sprache wie der italienischen, wo - um ein extremes Beispiel zu nennen - schon die Infinitive der ersten Konjugation aufeinander reimen. Im weniger reimreichen Deutschen finden wir die Stanze als Metrum der Großepik erst 1626 in von dem Werders bereits genannter Tasso-Übersetzung, und zu einem alltäglichen Metrum konnte sie hier nicht werden; wo sie auftritt, darf man sie durchweg als bewußte Huldigung an mediterranes Formgefühl verstehen. Das Jiddische steht an Reimmöglichkeiten etwa auf dem Stande des Deutschen, und doch ist schon 120 Jahre vor von dem Werder das Bovobuch in Stanzen, und zwar in recht wohlklingenden Stanzen, geschrieben. Was im Bovobuch noch unmittelbar durch die Vorlage angeregt war, wird in PuW schon gegen die Vorlage durchgeführt als nunmehr frei gesetzter Standard, und zwar jetzt mit geradezu triumphalem Erfolg. Freilich ist die Erfahrung des Dichters davon, was Stanzen an Inhalten und an Weltgefühl tragen können, nicht allein durch das Gelingen des Bovobuchs, sondern inzwischen auch, wie wir sehen werden, durch seine Ariost-Rezeption beflügelt. Dabei ist er sich durchaus darüber im klaren, daß die Stanzenform im Jiddischen nicht leicht durchzuhalten ist: nun hab ich mut. In der Tat gibt es dann bis ins 20. Jahrhundert hinein nur noch ein weiteres jiddisches Stanzenepos, nämlich eine der beiden schon genannten ff7i/ww77/-Bearbeitungen, laut Robert Warnock (1986 passim) erst kurz nach 1671 unter dem Späteinfluß im wesentlichen des Bovobuchs entstanden, ein kulturhistorisch interessantes, aber, wie es scheint, unbeholfenes Werk.12 Und auch aus dem 20. Jahrhundert ist außer 12

In der Bearbeitung wird ausdrücklich gesagt, man könne sie auf dieselbe Melodie singen wie das Bovobuch (Hrushovski 1964: 128 Anm. 58). Warnock zieht zwar zum Vergleich auch PuW heran, aber nur, weil dieses, nicht das Bovobuch dieselbe Spielart der Stanze wie die WW«wi7i-Bearbeitung zeige. In Wirklichkeit sind aber auch zwei Drittel des Bovobuchs in dieser Spielart gedichtet (s. sogleich 4.2.1 und 2), so daß für eine Einwirkung von PuW auf die PPWiWifr-Bearbeitung bisher keinerlei

Paris un ¡Viene und die italienische Literatur (II)

XXXVII

Moses Knapheys' Nachdichtung des Bovobuchs anscheinend (mit Hrushovski 1964: 136) nur Aaron Glanz-Leyeles' autobiographische Dichtung Fabius Lind in (Quasi-)Stanzen (1937) zu nennen. 4.2 Was nun genauer die Struktur der Stanze in Bovobuch und PuW betrifft, so haben dazu Hrushovskis brillante Ausführungen von 1964 auch nach der Entdeckung des vollen Pu ^-Textes weitgehend ihre Gültigkeit behalten. Hier sei nur das Wichtigere daraus mit den jeweils notwendigen Ergänzungen oder Modifikationen referiert, zunächst zu den Reimen, dann zum Metrum. 4.2.1 Im Italienischen sind endbetonte Mehrsilber (und betonte Einsilber) selten; in älterer Zeit haben zudem viele von ihnen Nebenformen mit einem zusätzlichen tonlosen Schlußvokal. Deshalb verzichtet die italienische Dichtung fast ganz auf männliche Reime. 4.2.1.1 Entsprechend beginnt auch das Bovobuch (das insgesamt 650 Stanzen umfaßt) in Nachahmung der italienischen Stanzenform mit ausschließlich weiblichen Reimen. In den Sextetten ist dann von Stanze 23 an zunächst hier und da einer der beiden Reime männlich und damit das Reimgeschlecht alternierend. Etwa von Stanze 50 an nehmen die alternierenden Sextette ständig zu, können etwa ab Stanze 200 als Norm bezeichnet werden und sind von Stanze 263 bis 650 allein noch vertreten, wobei jetzt immer der a-Reim männlich, der b-Reim weiblich ist. 13 Der Dichter hat also fast sofort den Verzicht auf männliche Reime als im Jiddischen aus Gründen der Wortstruktur unerträglich empfunden. Innerhalb weniger hundert Stanzen 'ertastet' er sich dann das Prinzip der alternierenden Versausgänge, das nicht nur sehr zum Wohlklang seiner Verse beiträgt, sondern auch eine ungezwungene Ausnutzung der gängigen jiddischen Wortformen erlaubt. Im Deutschen setzt sich dieses Prinzip im Stanzensextett - und damit gegen das italienische Vorbild - erst mit Heinse und Goethe durch ; wohl aber kann Hrushovski in ziemlich vager Andeutung von ihm sagen, Elia habe es aus dem jiddischen und deutschen folksong (1964: 131 Mitte, 135 Anm. 73). Doch damit der Leser hier nicht nur an unepische Kleinformen denkt, sollte man hinzufügen, daß das Prinzip auch im größten Teil der mittelhochdeutschen Strophenepik schon vorhanden war als Gegensatz i n n e r h a l b der Langzeile zwischen dem weiblichen (wiewohl anfangs noch zweihebig gesprochenen) Ausgang des ersten Halbverses und dem meist männlichen Ausgang des zweiten Halbverses. 14 Dabei trägt freilich der erste Halbvers nur in

13

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Argumente beigebracht sind. (Die Bearbeitung ist nur in einem Exemplar erhalten; Warnock bereitet eine Edition vor.) Stanzen 310 und 596 sind nur scheinbare Ausnahmen: es ist noch raichét, jagét zu lesen. Zur Metrik der älteren deutschen Literatur sei global verwiesen vor allem auf die

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Einführung

einem Teil der Tradition (vor allem seit dem späten 13. Jahrhundert) einen Reim (auf einen anderen ersten Halbvers); doch führt dieser zusätzliche Reim allmählich zur Uminterpretation der vier Langzeilen in acht Kurzzeilen und damit in jene 'Heunenweise', in der 1472 das Dresdner Heldenbuch einen Großteil der deutschen Epik bringt, bzw. in jenes 'Achtgesetz', das innerhalb der jiddischen Bibelepik z.B. dem 1564 in Mantua gedruckten Richter-Epos zugrunde liegt (Timm 1992). Allerdings ergeben sich damit in dieser traditionellen Epik - wie Hrushovski es bereits für die Mehrheit der Volkslieder und die spätere deutsche Stanze festgestellt hat - Verspaare mit der Reihenfolge weiblich-männlich. Diese Reihenfolge kehrt Elia nach Hrushovski wohl deshalb um, weil nur so das gesamte Verspaar reinen Iambenfluß haben kann. 4.2.1.2 Von PuW - das Hrushovski ja erst zu zwei Dritteln kennen konnte sagt er, es setze in den ausnahmslos alternierenden Reimgeschlechtern der Sextette einfach den Schluß des Bovobuchs fort. Inzwischen ergab sich aber bei der Entdeckung des vollen Textes eine kleine Überraschung. Zwar zeigt das Proömium von 13 Stanzen diesen regelmäßigen Wechsel; er fehlt dann aber gleich in der ersten Stanze der eigentlichen Erzählung und in über zwanzig weiteren Stanzen15 bis Nr. 208, von da ab bis zum Schluß (Nr. 717) nur noch in zwei Ausnahmefällen (Nr. 394,421). Nun schreiben ja auch heute die meisten Autoren ihr Vorwort erst zum Schluß. Unser Autor weiß im Proömium nicht nur schon, daß sein Werk zehn Canti hat (11.8) und diese jeweils einen nicht-narrativen Eingang haben (Stanze 12); er zeigt im Proömium auch eine Vorliebe für das Demonstrativum dis statt dosig (5 : 0), die sich mit Beginn der eigentlichen Erzählung abrupt in ihr Gegenteil verkehrt (4 :18 in den Stanzen 14-113), um sich im Rest des Werkes allmählich wieder auf den Stand des Proömiums zuzubewegen. Kurzum, das Proömium ist sichtlich im Nachhinein geschrieben. Aber selbst in den Stanzen 14-208 sähe eine aleatorische Verteilung ganz anders aus: die Regel wird ja auch hier in fast 90% der Fälle respektiert, ist also dem Dichter keineswegs 'unbekannt'. Vielmehr ist dieser (wenn es ein Schüler Elias ist) noch nicht ganz - bzw. (wenn es Elia ist) nach einer vielleicht langen Pause im Jiddischdichten noch nicht wieder ganz - in 'Bestform'. Für die Autorenfrage ist dieser Befund also unergiebig.

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knappe, aber ausgezeichnet lesbare Darstellung von Hoffmann (1967). Für das Folgende herangezogen wurden auch die Darstellungen von Arndt (1959), Heusler (1925, 1927, 1929; 1956), Kauffmann (1912, 1925), Kayser (1960), Minor (1902), H. Paul (1905), O. Paul / I. Glier (1970), Pretzel (1955) und Saran (1907, 1934); wir zitieren sie aber nur, wo sie uns besonders glückliche Formulierungen oder Beispiele zu bieten scheinen. Ihre Zahl schwankt nur geringfügig, je nachdem ob man (gleich nach dem Tonvokal) für m auch unsilbische Aussprache zuläßt oder nicht. Die Frage lohnt hier keine Diskussion; etwas anders unten 4.2.3 bei mehrsilbigen Stämmen.

Paris un Wiene und die italienische Literatur (II)

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4.2.2 Ganz anders als in den Sextetten erscheinen in den stanzenschließenden Reimpaaren des Bovobuchs zwar auch bald hier und da männliche Reime, überschreiten aber selbst um Stanze 200 nicht die 10%-Marke und verschwinden danach allmählich wieder ganz: das abschließende Reimpaar bleibt also weiblich.16 So ist es dann ausnahmslos auch in PuW. Auf diese Weise kann jetzt schon der siebte Vers nicht mehr als Fortsetzung der SextettRhythmik gehört werden, und die Sonderstellung des abschließenden Reimpaares tritt noch klarer hervor als im Italienischen, wo sie ja erst am Ende des Reimpaares - eben aus dem zweiten c-Reimwort - eindeutig zu hören ist. Auch in diesem Punkte nehmen die jiddischen Epen in einer Weise, die man nun verblüffend nennen darf, die deutsche Entwicklung vorweg: denn als Heinse und Goethe in das Sextett alternierende Reimgeschlechter einführten, legten sie für das abschließende Reimpaar weiblichen Reim fest. 4.2.3 Zum Thema Reimgeschlecht sind weiterhin einige Bemerkungen vonnöten über Reimwörter, die den Ton auf der drittletzten Silbe oder noch weiter vorn tragen. Sehr viele davon haben in einer der beiden letzten Silben einen Nebenton (auf einem nicht zu / a / gewordenen Vokal). In aller Regel geht dann erst dieser in den Reim ein ; so, wenn der Hauptton auf einem Präfix ruht wie in an-hèbén (: lébén : ebén) lb, ous-géschribén (: gèblibén : gètribén) 6b, aber auch in Suffixbildungen wie hertikait (: weit : zeit) 9a, kiinigein (: pein : sein) 16a. Das ist die übliche Praxis im Deutschen und mindestens bis ins 17., teilweise bis ins 19. Jahrhundert auch im Jiddischen (U. Weinreich 1955: 98-101). Interessanter sind die verbleibenden, echt daktylischen Reime: sie enthalten in den beiden letzten Silben ein / a / (oder das / i / eines leichten Suffixes wie -ig, -lieh) und stehen an Stellen, wo nach dem oben Gesagten ein weiblicher Reim zu erwarten wäre. Im Bovobuch gibt es nur einen sicheren Fall (318c, von Hrushovski 1964: 129 übersehen): er sprách: »ich wil dir gebèn ain sup', ain sómènè, ich sich wol, du bist ain wildèr dómènè.«

In PuW sind es immerhin ein gutes halbes Dutzend (127c, 398c, 461c, 532c, 633c, 643c und das folgende 131c): »[...] dérwirbt si ain vremdèr, só gè' in kemérlèn un sich, wi mit dir wert um-gèn maistèr hemèrlèn!«

Hrushovski sagt nur knapp, daß solche Reime lend life to the rhythm of the stanza. Detaillierter könnte man sagen: in ihnen steckt eine leichte Komik 16

Hrushovskis Mitteilung (1964: 128, Beobachtung 4), es gebe in den 650 stanzenschließenden Verspaaren des Bovobuchs immerhin noch 31 männliche Reime, ist wahrscheinlich sehr übertrieben: über 20mal endete wohl die 3. Sg. oder das Partizip für den Dichter noch auf -ét statt -t (Stanzen 63, 70, 138 usw.).

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schon durch das plötzliche Übersoll an Gleichklang, das der Dichter leistet; sie wird umso stärker, je unerwarteter die Kopplung der beiden Reimwörter auch semantisch ist. Die Zahl dieser daktylischen Reime wächst in beiden Werken auf ein Mehrfaches an, wenn man mit Hrushovski loc. cit. im Vertrauen auf die heutige ostjiddische Aussprache das -n auch nach tonlosem -er-, also in Wörtern wie patern 'loswerden' {PuIV 672.8), als silbisch ansetzt. Nun sind aber Bovobuch und PuW eindeutig westjiddisch, und für große Teile des Westjiddischen deutet die lateinschriftliche, auf deutsche Leser berechnete Schreibung pattern z.B. bei Tendlau (1860: Nr. 360, 1026), Beem (1970: Nr. 590, 797), Weinberg (1973: 28f., 89) zweifellos auf unsilbisches -«. Und selbst bei ostjiddischer Aussprache scheint uns hier wegen der lautlichen und semantischen Banalität des -n die Wirkung geringer. Gleichgültig, ob man nun diese letztere Gruppe einbezieht oder nicht, steht die Zunahme der daktylischen Reime in Λ/ίΓ gegenüber dem Bovobuch nur scheinbar als Verlust an Regelmäßigkeit (Hrushovski 1964:129) den sonstigen Entwicklungen entgegen. Man darf sie vielmehr deuten als Ausdruck wachsender Souveränität, insofern sich die Lust zu witzigen 'Abweichungen' erst auf dem Hintergrund eines gefestigten Systems entwickeln kann. Entwickeln kann, nicht muß - denn sowohl die deutsche wie die italienische Literatur gehen hier andere Wege. Im Mittelhochdeutschen gab es durchaus proparoxytone Versausgänge, aber sie waren immer zweihebig (jûgendè, dégenè, gnœdigèn, Hoffmann 1967:49, 62, Heusler 1927: § 583). Als sich dann im Typ lândèn > lánden Einhebigkeit einstellte, drang sie allmählich auch bei den Proparoxytona ein: bei Hans Sachs ist laut Heusler (1929: § 846) einhebiges schwérlicher »weniger selten« als zweihebiges schwérlichèr. Doch ist auch das einhebige Proparoxytonon immerhin so selten, daß Minor (1902: 402) seine Existenz bei Sachs ausdrücklich leugnen und sein Aufkommen ins 17. Jahrhundert datieren konnte. Selbst damals nennt Harsdörfer (1667) solche Reimwörter (in Versen mit alternierendem Grundrhythmus) noch 'fast ungebräuchlich', laut Weise (1692) wirken sie leicht läppisch, laut Gottsched 'gar zu spielend und klappernd' (Heusler 1929: § 1001). Ein ganz anderer - nicht komischer, sondern kraftvoll-wogender - Effekt entsteht freilich, wenn man daktylische Reimwörter in Verse mit daktylischem Grundrhythmus stellt; doch das kommt erst im Barock vereinzelt vor (Heusler 1929: § 1047), markanter bei Goethe. Im Italienischen wurden (laut Elwert 1984: § 54ff.) daktylische Reime {rime sdrucciole) von den meisten frühen Dichtern - und großenteils noch von Dante als nicht zum hohen Stil passend - gemieden. Im 14. und 15. Jahrhundert nahmen sie in bescheidenem Umfang zu (so daß sie, wenn wir nach umfangreichen Probezählungen urteilen dürfen, um 1500 etwa 2% aller Reime ausmachten). Kurz vor 1520 kommt es dann zu einer denkwürdigen Unterscheidung: Ariost schreibt von nun an seine Komödien ausschließlich (!) in Versen mit daktylischem Ausgang, aber ohne Reim, was beides als

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Nachahmung der altlateinischen Komödie zu verstehen ist, aber im Italienischen ein tour de force bleibt; gleichzeitig beginnt er jedoch bei der Retouchierung seines Orlando Furioso (die unter anderem eine 'Nobilitierung' durch formale Glättung ist) die ohnehin geringe Zahl daktylischer Reime noch zu vermindern. Dies wird ihm 1564 das Lob des Kritikers Dolce eintragen, nachdem schon 1554 Giraldi den verso sdruccioloso als ungeeignet bezeichnet hatte für die 'heroische' Dichtung, zu der er wohlgemerkt auch den romanzo rechnete (Hempfer 1987:172 f.). Noch im 18. Jahrhundert wird dieses Verdikt nachgesprochen, und wahrscheinlich wäre das Schicksal des daktylischen Reims im Italienischen besiegelt gewesen, hätte er nicht seit 1600 einen Platz in der sangbaren Lyrik - hier natürlich abermals mit ganz anderem ästhetischen Effekt - gefunden (Elwert 1984: § 54, 56). Insgesamt kann man also sagen, daß sich hier im Übergang vom Bovobuch zu PuW eine Perspektive formaler Komik in einem Augenblick auftut, wo ihre Zurückdrängung im Namen einer rigider werdenden Gattungspoetik (und des dahinterstehenden sich wandelnden Zeitgeistes) in Italien gerade beginnt, in Deutschland immerhin bevorsteht. 4.2.4 Die so in ihrer Verteilung beschriebenen Reimgenera sind zunächst bloße rhythmische Schemata und werden erst durch ihre Füllung mit konkretem sprachlichem Material zu Teilen eines Verstextes. Diese Füllung bestimmt den Charakter des Werkes mindestens ebenso sehr wie die Reimschemata selbst. Deshalb seien hier wenigstens einige ihrer auffälligeren Aspekte erwähnt, zunächst - und zum Teil über Hrushovski hinaus - aus der deutschen Komponente. Sowohl im Bovobuch als auch in PuW sind die Reime stark mundartlich konzipiert - nämlich in einem Jiddisch, das seine Sprachheimat in Süd(west)deutschland hat -, aber sie sind innerhalb dieser Mundart in der Regel rein, im Durchschnitt reiner als in vielen etwa gleichzeitigen deutschen Texten, von denen Andreas Heusler (1929: § 849) hat sagen können: »Der Reim der frühneudeutschen Zeit, im ganzen überblickt, erscheint tief gesunken von der Vollkommenheit des 13. Jahrhunderts.« Nur finden wir in beiden Epen ständig zwei Lizenzen : 4.2.4.1 Erstens: Nicht die Qualität, wohl aber die Quantität der Vokale wird ignoriert, so daß also z.B. dinén 'dienen' auf inén 'innen' und bésinén 'besinnen' reimt (PuW 50a).17 Ähnliche Lizenzen sind z.B. von Hans Sachs bekannt, gehen dort aber mit stärkeren qualitativen Unreinheiten im Vokalismus und Konsonantismus einher (zusammengefaßt z.B. bei Minor 1902: 396). Bei Bovobuch und PuW hat man eher den Eindruck einer bewußten 17

Vgl. Bovobuch 4b, 8a, 15b, 26b, 27a, 39b, 40b, 43c, usw.; PuW 5a, 10a, 17c, 32b, 38a, 39a, 40a, 44a, 46a, das oben zitierte 50a usw. (Ich übergehe Fälle, die eines weiteren Kommentars bedürften.)

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Grundsatzentscheidung; doch würde eine Spekulation darüber, ob diese einen konstitutiven Faktor des zugrundeliegenden Sprachsystems selbst spiegelt, hier zu weit führen. 4.2.4.2 Zweitens: Es findet sich ein fakultatives -(e)n im Singular der Nomina sogar im Nominativ aller Genera und im Akkusativ der Neutra, so gleich kain [...] lèbén 'kein Löwe' PuW 1.2, ouf dás bestén 'auf das beste' 25.2.18 Als damals die schwache Deklination (dt. des/dem/den Löwen) im Jiddischen außer in Namen und einzelnen anderen Wörtern unterging, wurde offensichtlich die Endung -(e)n, bevor sie im Singular ganz aufgegeben wurde, eine Zeitlang als funktionslos-spielerisches Element empfunden, das man zumindest in der Dichtung an beliebige Singulare anhängen konnte. 4.2.4.3 Unter den okkasionellen Erscheinungen fallen in beiden Werken die (jeweils 10-15) Verbalformen mit enklitischem Pronomen (meist er) auf, z.B. Pu W 693.2: Dò das künig Dólfin dèr-hórt gleich as ain stòk asó dèrStundèr. asó al di löüt, di dò warèn dórt, dèrstundèn al itlichèr bésundèr. der künig kunt rédèn kain wort íür grós gégaf, Vür gròsèn wundér.

Oder 309.6 in einer auktorialen Passage : Noch stèt nóch gelt al-gèmain der sin, un nimèz wil gédenkèn weitèr. asó tet ach der gut Dólfin; dáruntér ging Páris zu scheitèr. ich lis den altèn man bei in mit aim gèschrai, ich hält, noch schreitèr.

Oder 83.7: wem mèn ain ding angèt, dèr tôù^èl heztén, dás er der is, ders wais am leztén.

'Wen etwas am meisten angeht - der Teufel treibt ihn so, daß er es als letzter erfährt'.19 Ähnliche Reime erscheinen im Deutschen hier und da schon 18 19

Vgl. ferner Bovobuch 2.3, 10.2, 27.3, 37.3, 43.7 usw.; PuW TA, 14.1, 24.7 usw. Vgl. weiter Bovobuch Vorrede llf., 8.3, 19.1, 65.7, 106.8, 126.5, 169.8, 173.7f„ 427.2, 437.2 (und etwas anders 294.7f.); PuW 35.7, 42.7, 161.7, 184.4, 217.7, 259.4, 307.4, 466.2, 516.7, 531.7, 535.4 (vgl. auch 21.1). In PuW sind übrigens solche Enklisefälle auch im Versinnern oft durch Zusammenschreibung sichtbar belassen: -sèri 'sein, dessen, dadurch' 44.4, -ér 'ihrer' (Gen. PI.) 97.5, -èr 'ihr' (Dat. Sg.) 147.5 etc. Im Bovobuch werden sie vermutlich nur durch die konventionelle worttrennende Orthographie verdeckt. Darin liegt kein Argument gegen die Autoreneinheit; denn

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im Mittelalter, werden im Barock mißbilligt (H. Paul 1893: § 81, 83, Minor 1902: 401), finden sich dann wieder - zusammen mit anderen, raffinierteren Formen von Mehrwort-Reimen - seit Goethe, jetzt natürlich in orthographiegerechter Getrenntschreibung. Im Bovobuch sind sie schon Zinberg aufgefallen (1935:91); durch das jiddische Volkslied, das Bindungen wie brojges : tojg es kennt, haben sie vermutlich eine kontinuierliche Geschichte bis zur Jetztzeit, wo sie schon vor dem ersten Weltkrieg literaturfähig waren und später allmählich aufgingen in einer systematischen Suche nach Mehrwort-Reimen (U. Weinreich 1955: 106-109, 1959: 432). Obwohl Reim prinzipiell eine Erscheinung nicht der Sinn-, sondern der Schallseite der Sprache ist, innerhalb deren bekanntlich Redetakte und darunter Silben, nicht aber Wörter abgrenzbar sind, geht doch die normale Erfahrung dahin, daß das Reimen in den Grenzen von Einzelwörtern bleibt: von einem Dichter erwartet man, daß er aus seinem Wort-Schatz jeweils das inhaltlich passende Reim-Wort hervorbringt. Bringt er statt eines Wortes ein ganzes Stück Satz gereimt hervor, so ist das wieder ein überraschendes Übersoll. Enthält der Reim dabei mehrere vollsemantische, möglichst sogar seltene Wörter (wie im Deutschen bei Heine oder Rückert), so ist der Effekt oft virtuos-komisch; besteht das Übersoll aber nur in einem fazilen Wörtchen, dessen Angeklebtwerden gerade für die Umgangssprache typisch ist, so wirkt der Reim eher flapsig-komisch, und zwar in unseren Beispielen despektierlich gegenüber dem Ernst der handelnden Personen selbst. 4.2.5 Von nicht nur literarischer, sondern auch prinzipieller sprachgeschichtlicher Bedeutung ist die Verwendung der hebräischen Komponente in den Reimen. Im Bovobuch finden wir etwa 25mal ein hebräischkomponentiges Reimwort, durchschnittlich also eines in je 26 Stanzen, in Pu W etwa 75mal, also eines in je 9-10 Stanzen. Auch das ist - wie die Zunahme der Proparoxytona (4.2.3) - als Zuwachs an Souveränität und Gelenkigkeit im Reimen zu verstehen. Doch ist das Problem nicht nur ein quantitatives : wie Hrushovski (1964: speziell 123 f.) zu Recht betont, bemühten sich vor Elia Levita die jiddischen Dichter, entweder hebräische Elemente überhaupt aus ihren Texten herauszuhalten (anscheinend, weil sie eine Vermischung der heiligen mit der profanen Sprache für ungehörig hielten) oder sie doch aus den Reimen herauszuhalten (wo die Diskrepanz besonders auffiel) oder schließlich sie wenigstens in der aschkenasischen Sakralaussprache (Max Weinreichs 'Whole Hebrew') erscheinen zu lassen, d. h. in den Schlußsilben mit Vollvokalen und deshalb dort auch mit mindestens einem Nebenton, der dann (wie beim deutschkomponentigen Typ hertikait, vgl. oben 4.3.2) im Reim allein zu berücksichtigen war. Im Bovobuch finden wir dann erstmalig - und danach auch in PuW - die hebräischkomponentigen Elemente systematisch in der ein und derselbe Autor muß ja in dieser Frage bei Beginn der Herstellung einer Reinschrift jeweils eine Globalentscheidung treffen.

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Alltagsaussprache (Max Weinreichs 'Merged Hebrew') gereimt vor. Der Reim beginnt jetzt also mit dem aschkenasischen Haupttonvokal (in der zweitletzten, seltener der drittletzten Silbe), und der oder die Folgevokale sind zu / a / geschwächt (möglicherweise vor silbischem Sonor sogar schon ganz geschwunden): z.B. ist ]inn 'Heirat' nicht mehr /xitùn/, sondern /xít(9)n/ und reimt auf deutschkomponentiges bit(è)n {Bovobuch 206c) oder vòr-mit(è)n {PuW 482c). In der Geschichte jeder Sprache würde man dies als eine ästhetisch wichtige Entwicklung zu größerer Natürlichkeit der Reime und zu vollerer Ausschöpfung der Reimmöglichkeiten der betreffenden Sprache anerkennen. In der Geschichte des Jiddischen bedeutet es mehr: obwohl die Sprache beider Epen in deren Vorworten noch, wie damals üblich, töu(t)sch genannt wird, wird sie doch jetzt durch die gleiche Behandlung ihrer beiden Hauptkomponenten als ein System sui generis und nicht mehr als bloße Nebeneinanderstellung zweier präexistenter Systeme behandelt. Dieses Bekenntnis zum Betonungstyp der aschkenasischen Alltagssprache ist umso bewundernswerter, als es durchgehalten werden mußte nicht nur gegen die ältere jiddische literarische Praxis mit ihren Schlußsilben-Vollvokalen und -Nebentönen, sondern im Italien des 16. Jahrhunderts auch gegen die mittelmeerischen Aussprachetraditionen mit deren Ultimahauptbetonung, die zudem durch die massoretischen Akzente im hebräischen Bibeltext bestätigt wurde - Faktoren, die in Italien auch ein Schüler Elias zwangsläufig fast ebenso gut kannte wie Elia selbst als Autor von Masoret ha-Masoret und Kommentator mehrerer Qimhischer grammatischer Werke. 4.2.6 Auch die italienischen Elemente (die Hrushovski nicht erwähnt) erscheinen im Reim ohne erkennbare Einschränkungen: im Bovobuch mehr als 30mal, in PuW etwa 45mal, also durchschnittlich einmal in 20 bzw. 16 Stanzen. Die Zunahme vom einen zum anderen Werk liegt diesmal nicht so sehr in der Quantität als in der Diversifikation. Einerseits sind die Wörter règaz(èn), sélazèn/sólaz(èn), servirén/serwirén - von denen man sich aus semantischen Gründen leicht vorstellen kann, daß ein Immigrant sie bald 'aufpickt' - Lieblingsreimwörter nicht nur im Bovobuch (mit 5, 2, 2 Reimen), sondern auch noch in PuW {mit 3, 5, 3 Reimen). Andererseits kommen dem Dichter aber in PuW, und zwar nicht aus der Vorlage, beispielsweise Bezeichnungen von Musikinstrumenten wie arpikòrt, baldòsèn (2), von Kosmetika wie solimán, fawe, zukarine, von Begriffen der Mode wie pàniselèn, ala kôrtésane, fris, tabâr sowie von abstrakten Tätigkeiten wie délibérert, dispèrert in den Reim. Schon im Mittelalter hat es in der europäischen Literatur zumindest einmal eine systematische Suche nach seltenen Reimen gegeben: in einem Teil der provenzalischen und in der anschließenden ältesten italienischen Lyrik ; Dante ringt sich dann zu der Einsicht durch, daß auch im hohen Stil schwierige Reime nur mit leichten Reimen gemischt ein Schmuck sind {De vulgari

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eloquentia 2.13.2, zitiert bei Elwert 1984: § 81). Auch in unseren Epen werden seltenere Reime keineswegs systematisch gesucht; wohl aber reflektieren sie - von der rhythmischen Überraschung und der umgangssprachlichen Flapsigkeit über den neuerworbenen Italianismus bis zum traditionsgeladenen Hebraismus - die Sprache des Dichters fast in ihrer ganzen Breite. In allen Literaturen sind Versdichtungen, denen man ein entsprechendes Kompliment machen könnte, jedenfalls vor der Goethezeit sehr selten. 4.2.7 Wir kommen vom Reim zum Metrum. Wie steht es mit dem Bau des Einzelverses? 4.2.7.1 Während - wieder nach Hrushovski - in der englischen, deutschen, hebräischen und russischen Literatur (in der letzteren durch polnische Vermittlung) die Übernahme romanischer Strophenformen und Dichtungsgattungen zumindest zeitweise begleitet war von dem unglücklichen Versuch, auch die rein silbenzählende Struktur des romanischen Einzelverses zu übernehmen, ist dieser Versuch im Bovobuch und in PuW eindeutig nicht gemacht worden. Andererseits bleiben aber beide Werke auch nicht stehen bei der essentiell aus dem deutschen Mittelalter überkommenen Versstruktur etwa des Schemuelbuches und mehr oder minder der gesamten jiddischen Bibel- und Midraschepik, sondern - und das ist überhaupt Hrushovskis Hauptentdeckung - sie übernehmen für ihre Epoche geradezu die Führung in der großräumigsten und nachhaltigsten metrischen Entwicklung, die der nicht-romanische Teil Europas im letzten halben Jahrtausend durchgemacht hat: in der Hinwendung zur »tonisch-syllabischen« Dichtung. Das ist also jene Dichtung, die zwar aus älteren Epochen dieser Literaturen die Zahl der Hebungen als grundlegendes, dem Bau dieser Sprachen angemessenes Prinzip des Versbaus beibehält, aber nunmehr weitgehend die alte Freiheit der Senkungsfüllung aufgibt zugunsten iambischer und trochäischer, seltener anapästischer und daktylischer Betonungsmuster und die auf diese Weise sozusagen als Nebengewinn auch dem Isosyllabismus näherkommt. Hrushovski ist sich bewußt, daß es Tendenzen zu tonisch-syllabischer Dichtung ζ. B. keimhaft schon bei Otfrid, deutlicher bei Konrad von Würzburg gegeben hat; doch erfolge die definitive Hinwendung in England erst im späteren 16. Jahrhundert, in Deutschland bei Opitz, in den beiden anderen Literaturen noch später, werde also von Bovobuch und PuW zuerst vollzogen. Hier unterschätzt Hrushovski zwar merklich die metrische Vielfalt der deutschen Literatur des ausgehenden 15. und des 16. Jahrhunderts: er selbst kann Sebastian Brant mit seinem so außerordentlich einflußreichen Narrenschiff (1494) als Mitbewerber um den zur Diskussion stehenden Ruhmestitel nur knapp zurückweisen (1964: 138). Und da wir heute anders als Hrushovski PuW nicht mehr ins erste, sondern (frühestens) ins vierte Jahrzehnt des 16. Jahrhunderts zu datieren haben (siehe unten 10.2.1), müßte man, wenn man das non plus ultra der Entwicklung einfach in perfekter tonisch-syllabischer Regelmäßigkeit sehen

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wollte, z.B. auf Alberus' Fabeln (zwischen 1525 und 1551) hinweisen, die nicht nur die genaue Silbenzahl, sondern über weite Strecken auch das tonische Prinzip mit einer schon klappernden Regelmäßigkeit einhalten. Gleichzeitig formuliert übrigens 1540 Rebhun, zwei Generationen vor Opitz, das künftige Opitzsche Prinzip schon in der Formel, er wolle nicht 'wider den Akzent stolpern' (zitiert nach Saran 1907: 306). Glücklicherweise sieht nun aber auch Hrushovski als Optimum gerade nicht die mechanische Realisierung des metrischen Schemas, sondern das Verbleiben in einem gewissen kreativen Spannungsfeld zu ihm, und in diesem Sinne dürfte in der Tat kein etwa gleichzeitiges längeres episches Gedicht den beiden jiddischen Epen, insbesondere PuW, gleichkommen. 4.2.7.2 Insgesamt liegt beiden ein iambisches Metrum zugrunde, und zwar im Bovobuch recht gut erkennbar, in PuW noch merklich regelmäßiger. Doch ist es in den Sextetten nicht der fünffüßige Iambus, wie er sich bei Nachbildung des italienischen endecasillabo ergäbe, sondern (mit gelegentlichen Ausnahmen) der vierfüßige. Hrushovski führt ihn wiederum - diesmal expliziter - zurück auf folksong, light verse and short poems both in Yiddish (of which few have been saved) and in their German prototypes. Das scheint uns auch im jetzigen Zusammenhange leicht zu enge Vorstellungen zu wekken; in Wirklichkeit hatte der Vierheber seit langem seine Eignung auch für lange Gedichte unter Beweis gestellt. Nach Heusler ist seit dem Mittelalter überhaupt die deutsche erzählende Dichtung - sowohl die strophische wie die in Reimpaaren - allgemein vierhebig, zum Teil freilich nur in Heuslers eigenwilliger Zählweise mit 'stumpfen', d.h. nicht realisierten Hebungen. Aber auch wenn man ihm hierin nicht folgt, ist zumindest das imposante Korpus der Reimpaardichtung im unbezweifelbaren Sinne vierhebig (Hoffmann 1967:56, Heusler 1927: § 520) und bleibt es auch bis in die Neuzeit, bei männlichen Reimen automatisch, bei weiblichen Reimen dadurch, daß beim Verfall der zweihebig-klingenden Kadenzen (lândèn > lánderi) schon Dichter des 14. Jahrhunderts nicht die sich einstellen wollende Dreihebigkeit akzeptieren, sondern durch sprachliche Auffüllung wieder Vierhebigkeit, jetzt mit überzähliger tonloser Schlußsilbe, herstellen. Dieses Prinzip »gelangt zu allgemeiner Herrschaft« (H. Paul 1893: § 54 und 61), beispielsweise in Brants Narrenschiff (17.14ff. zitiert nach Kauffmann 1912: § 147): Die riehen lädt man zú dem tisch Und bringt in wíltpret, vógel, fisch Und tût on énd mit in hofieren, Diewile der árm stat vor der tiiren [...]

Originell und bewundernswert scheint uns deshalb in den beiden jiddischen Epen nicht so sehr das Metrum des Einzelverses selbst als vielmehr die Tatsache, daß ein Dichter einerseits das Reimschema und damit die narrationsgliedernde Kraft der Stanze aus der italienischen Literatur entlehnt, anderer-

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seits aber die Struktur des Einzelverses als nicht entlehnbar, sondern von Struktur (und Tradition) seiner Muttersprache abhängig erachtet. Er macht sich übrigens die Folgerung aus dieser Erkenntnis nicht leicht: wo immer ein italienischer Dichter einen Reim nach fünf, Diedrich von dem Werder erst nach sechs Füßen finden muß, muß der jiddische Dichter ihn wenigstens in seinen Sextetten (und damit in drei Viertel aller Fälle) nach vier Füßen finden. 4.2.8 Anders entwickeln sich auch in dieser Hinsicht die stanzenschließenden Reimpaare. Schon von Anfang des Bovobuchs an sind hier die Verse, dem Dichter vielleicht noch unbewußt, im statistischen Durchschnitt etwas länger (nach Hrushovski etwa um 0.5 Silben). In der kritischen Region um Stanze 200 wird der Unterschied wohl allmählich bewußt und wächst bis zum Ende des Werkes auf durchschnittlich 1.6 Silben; über die Zahl der intendierten Hebungen ist innerhalb dieser Expansion oft schwer zu entscheiden. In PuW ist der Grundrhythmus dann (wieder mit Ausnahmen) der fünffüßige Iambus. Der Sondercharakter des schließenden Reimpaares gegenüber dem Sextett, der im Italienischen, wie gesagt, erst im achten Vers durch die Reimdichte hörbar wird, ist somit in der vollentwickelten jiddischen Form schon im siebten Vers nicht nur am Reimgeschlecht, sondern auch an der Verslänge erkennbar. Treffend zitiert Hrushovski hier (1964: 134) Wolfgang Kayser, demzufolge gerade in Goethes Stanzen die Zweiteiligkeit durch Rhythmuswechsel zu Beginn des schließenden Reimpaares »ohrenfällig« wird; genau das kann man auch vom zweiten Teil des Bovobuchs und von PuW sagen. Innerhalb des schließenden Reimpaares hat nun Hrushovski im zweiten Teil des Bovobuchs (d. h. von Stanze 200 an) noch einen kleinen Unterschied festgestellt: dort hat der siebte Vers durchschnittlich 10.0, der achte 10.4 Silben; allerdings bleibt unsicher to what extent such subtly rhythmical tendencies were conscious. Aber gerade dieses vielleicht unbewußte kleine Charakteristikum ermutigt uns über Hrushovski hinaus, das zweifellos bewußt gewordene, viel größere Übergewicht des ganzen Reimpaares über das Sextett wieder vor dem Hintergrund einer älteren mitteleuropäischen Tradition zu sehen. Von den Strophenformen der mittelhochdeutschen Epik haben die wichtigste, die Nibelungenstrophe, sowie die Kudrun-, die Walther-und-Hildegund- und die Rabenschlacht-Strophe (Hoffmann 1967: 75-80) alle ein solches 'Achtergewicht' in Gestalt einer verlängerten vierten Langzeile (aus der dann ja bei der späteren Umdeutung zu acht Kurzzeilen die beiden Schlußverse werden). Die Verlängerung ist bei der Walther-und-Hildegund-Strophe und manchmal bei der Rabenschlachtstrophe auf beide Hälften der Langzeile verteilt, allerdings nicht symmetrisch; bei den anderen Strophen konzentriert sie sich ganz auf die zweite Hälfte der Langzeile. Man kann also global sagen, daß sich diese Tendenz zur Betonung des Strophenschlusses schon in der siebten, stärker noch in der achten (Halb- oder Kurz-)Zeile bemerkbar macht. Bei Elia manifestiert sich dieselbe Tendenz, allerdings in einer veränderten

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Erscheinungsform ; es können also auch hier durchaus vage Klangerinnerungen auslösend gewirkt haben. Rückblickend dürfen wir diese Neigung zum 'Achtergewicht' nun wohl auch dafür verantwortlich machen, daß im abschließenden Reimpaar weibliche, nicht männliche Reime erscheinen - eine Tatsache, die wir oben (4.2.2) in ihrer ästhetischen Wirkung beschrieben, aber nicht historisch erklärt haben. 4.2.9 Enjambements schließlich erwähnt Hrushovski nur flüchtig. In der Tat sind sie nicht leicht zu erfassen; denn in Werken, die überhaupt eindeutige Enjambements aufweisen, pflegen zwischen diesen und der Grundstruktur viele Zwischenerscheinungen zu existieren; eine rein grammatische Analyse kann da irreführend sein. Man vergleiche etwa in PuW die beiden folgenden Stanzenübergänge. Zunächst 187.8-188.1: ain grôsèn süfz war er vun herzèn sendén / / U n sprach: »Òdóardó, vröund mein bidèr [...]«

Sodann 189.8-190.1: mit baidé arum was er in um-vangèn. / / Er sprach: »Páris, brudèr mein zart [...]«

Bei rein grammatischer Analyse liegt im ersten Fall die vermeintlich drastischste Art des Enjambements vor, die 'Strophenbrechung', bei inhaltlicher Analyse hingegen besteht voller Parallelismus zwischen beiden Fällen. Läßt sich da der muttersprachliche Leser nicht auch vom Inhalt leiten? 'Strophenbrechungen' gibt es im Bovobuch und PuW je 20-30, aber mit wenigen graduellen Ausnahmen 20 sind sie von dieser unauffälligen, wenn nicht sogar scheinbaren Art. Viel wirkungsvoller sind da die Enjambements im Stanzeninnern, bei denen ein grammatisches Dienstwort, ein Hilfsverb, ein Pronominaladjektiv, eine Zahl durch den Reim und die Trennung von den zugehörigen Wörtern dem Satz unerwartete Insistenz verleiht. Vgl. PuW 157.1-4: Der arum man, der hàt kain ru'; Pàrisèn wesèn kunt er nit vòr-dai'e. er sprách zu im: »ach her gôt, wu sein kumèn hin dein werk di' vrei'e?«

Enjambements dieses Typs gibt es im Bovobuch nur vier, alle in der zweiten Hälfte, in PuW hingegen etwa fünfundzwanzig. 21 Als 'Überschreitungsphänomen', das von der Spannung zu einer elementareren und weiterhin 20 21

Bovobuch Stanzen 81, 94, 198, 204, 326, 594; PuW 103, 439. Bovobuch 334.3, 397.1 und 5, 485.3, vgl. auch 414.5; PuW 42.1, 63.1, 79.5, 87.3, 98.3, 103.5, 115.4, 152.3, 157.3, 161.3, 175.1, 226.1, 247.5, 273.3, 320.5, 321.1, 356.3, 434.3, 513.3, 527.1, 551.3, 570.1, 609.3, 616.3, 699.3, vgl. auch 42.5 und 715.3.

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XLIX

gefühlten Ordnung lebt, sind sie stark dem Geschmackswandel unterworfen. Schon der mittelhochdeutschen Klassik waren sie nicht ganz fremd, wurden später in einigen Werken wie dem Reinfried von Braunschweig und vor allem Michael Beheims Buch von den Wienern (mit 95 Reimen auf 'und'!) marottenhaft häufig, gingen aber sonst im 15. Jahrhundert fühlbar zurück und finden sich bei Brant und Murner nur noch extrem selten (Wahnschaffe 1919: speziell 86ff., 194, 195ff., 202ff., 212-215). Da das Bovobuch wenigstens in der Struktur des Einzelverses Brant ziemlich nahesteht, darf man die erneute Zunahme der Enjambements vom Bovobuch zu PuWwohl ähnlich verstehen wie die der daktylischen Reime (oben 4.2.3): erst im gefestigten System kann spielerische Freiheit gegenüber dem System wieder ästhetisch funktionieren. Auch die insgesamt relativ enjambementfreudige italienische Literatur (Elwert 1984: § 18) kann hier fördernd gewirkt haben, obwohl der späte Ariost im Sinne einer stilistischen Nobilitierung wie einige seiner daktylischen Reime, so auch manche seiner zunächst ziemlich häufigen Enjambements wieder zurücknahm (Turolla 1958 passim, zu nuancieren durch Fubini 1971: 241-247 und die dort zitierte Literatur). 4.3 Zusammengefaßt : Im Bovobuch übernahm Elia aus der italienischen Stanze das Übernehmbare und zugleich Charakteristischste: das Reimschema. Er füllte es, zum Teil nach anfänglichem Tasten, in einer Weise, die in jeder Hinsicht der Struktur seiner Muttersprache adäquat war. Dazu mußte er bei der durchgreifenden Bereicherung des jiddischen Reimschatzes sowohl in der Art der Integration der hebräischen Elemente als auch in der Tatsache der Integration der italienischen Elemente - schlechthin Pionier sein. Im großen Prozeß der Hinbewegung der außerromanischen Verskunst auf das tonisch-syllabische Ideal stand er zu allermindest neben wenigen nichtjiddischen Versautoren in vorderster Linie und war diesen wenigen eindeutig ästhetisch überlegen. Die übrigen Elemente wie die Vierfüßigkeit und die Alternation des Reimgeschlechts einerseits, die 'Achtergewichtigkeit' der Strophe andererseits fand er zwar in der Tradition verschieden weit vorgebildet, gestaltete sie aber erst selbst systematisch zu der Zweiheit Sextett Schlußpaar durch, die der Dynamik der italienischen Stanze mit neuen Mitteln durchaus kongenial war. In PuW bleibt »der Dichter« (mag es Elia oder ein Schüler sein) im Einklang mit der Erwartung seines Publikums dem Vers gegen das Prosavorbild treu, kanonisiert die ÄovoÄwcA-Strophe zu größerer formaler Gleichmäßigkeit, steigert noch die Reimvielfalt und bekundet zugleich in daktylischen Reimen und in Enjambements eine neue, schon spielerische Souveränität gegenüber der inzwischen voll 'gezähmten' Form.

5 Isolierte Reimpaare - vom Dichter oder vom Drucker? Im Pu W-Druck von 1594 finden wir außerhalb der Stanzenkette mehrere Kategorien von Reimpaaren. Obwohl sie sichtlich mehr oder minder periphere Aufgaben erfüllen, bedürfen sie der Besprechung schon wegen der Frage, ob man sie dem Dichter zuschreiben kann. Da die Mehrzahl von ihnen zur Erklärung der Holzschnitte dient, muß auch deren Vorgeschichte hier betrachtet werden. 5.1 Holzschnitte mit Beischriften. Der erste handlungsbezogene Holzschnitt (unmittelbar vor Stanze 14, also zu Beginn der Haupthandlung) hat über sich ein Reimpaar, das eindeutig das Bild beschreibt. Die weiteren 37 handlungsbezogenen Holzschnitte werden jeweils durch ein Reimpaar erklärt, dessen zwei Verse, um 90 Grad nach rechts bzw. links gedreht, beiderseits des Bildes stehen. Daß diese Verse auf den Dichter und damit mindestens bis 1556 zurückgehen, ist gleich aus mehreren Gründen so gut wie ausgeschlossen. 5.1.1 Erstens sind die Bildbeischriften in Reimtechnik, Lautstand und Stil vom Haupttext verschieden: gleich im Reimpaar vor Stanze 14 reimt penetrant A 3 auf E 4 (was der Dichter des Haupttextes noch fast ganz vermeidet); mehrfach finden sich bloße Assonanzen (nach den Stanzen 321, 344,440, 626, 674 und 683), einigemal hyperkorrektes pf (nach 286, 399 und 674), mehrfach aus Reimgründen Abgeschmacktheiten (nach 13, 246, 296, 313, 331, 344 und 669). 5.1.2 Zweitens sind ja überhaupt Illustrationen in die jiddischen Drucke des 16. Jahrhunderts nur langsam eingedrungen. Zum einen klangen dabei wohl engherzigere, mittelalterliche Interpretationen des Bilderverbots nach, zum anderen durften Bücher in der Alltagssprache nicht zu teuer sein. Vor jenem Holzschnittzyklus, der erstmalig in der zweiten Auflage der MinhagimSammlung (Venedig 1593), aber noch nicht in der Erstauflage (Venedig 1590) zu finden ist, hat überhaupt nur ein jiddischer Druck Illustrationen: der Josippon (Zürich 1546). Doch steht er unter Sonderbedingungen, weil er von einem Proselyten mindestens zum Teil für ein christlich-gelehrtes Publikum gedruckt wurde; dabei wurden unter anderem Holzschnitte von Hans Holbein d. J. zum Alten Testament einfach auf andere Inhalte uminterpretiert (zum ganzen Thema vgl. Shmeruk 1986 passim). Im allgemeinen rechneten also vor 1556 Käufer jiddischer Bücher nicht mit Illustrationen. 5.1.3 Drittens berühren sich die Holzschnittzyklen, die wir in manchen italienischen Paris-und-Vienne-Drucken schon vor 1556 finden (nämlich in den

Isolierte Reimpaare - vom Dichter oder vom Drucker?

LI

Nr. 9, 10, 11, 14, 16, 17, 20, 21, 25, 26 unserer Liste oben in 3.6) nicht im geringsten mit unserem Zyklus. Von diesen Zyklen sind übrigens nur der kleine Zyklus in Nr. 14 von 1519 (zwölf Bilder) und ein Teil (etwa zehn Bilder) des Zyklus in Nr. 16 von 1528 eigens für die Paris-und-Vienne-Handlung geschnitten; sonst handelt es sich auch hier noch um Holzschnitte von fremder Herkunft oder äußerster inhaltlicher Vagheit (ζ. B. 'Übergabe eines Briefes', 'zwei Frauen im Gespräch' u. ä.). Erst in dem Druck Venetia, Bortolamio Carampello 1578 (Babbi 1991: 103 f., Nr. 28) taucht dann unvermittelt unser Zyklus auf. Er wurde 1589 wahrscheinlich übernommen von Carampellos Nachfolger Domenico dei Franceschi (Babbi 1991: 104, Nr. 29); das Unikum dieses Druckes ist zwar (wie Nr. 17) seit Ravas Tod unzugänglich, aber von ihm selbst gut beschrieben (Rava 1969: nach Nr. 5429a). Dann folgt unser Druck: er beruht zumindest gegenüber 1578 auf einem Neuschnitt, da er die Bilder seitenverkehrt und in etwas anderer Technik bietet (z. B. gelegentlich mit weißen statt schraffierten Flächen); zudem vermehrt er ihre Zahl durch Wiederholungen (aber dann jeweils mit neuer verbaler Interpretation) von etwa 20 auf fast 40 (vgl. unten Anhang II). Denselben Zyklus finden wir weiterhin - doch mit nur vereinzelten Wiederholungen - in den italienischen Drucken Firenze, Francesco Tosi 1595 (Babbi 1991: 104, Nr. 30) und Verona, Francesco dalle Donne 1603 (Babbi 1991:105, Nr. 33) - bei Tosi seitenrichtig zu 1578 und mit größeren Auslassungen, bei dalle Donne offensichtlich von denselben Druckstöcken, die für PuW gedient hatten, und nur mit wenigen Auslassungen. (Von allen Drucken außer dem Ravaschen liegen uns Mikrofilme vor.) 5.1.4 Die in PuW mit Beischrift versehenen Holzschnitte. 22 1578 A2 r A5T A5V A7\ B5r

22

dort intendierter Inhalt Herrscherpaar | im Hintergrund Gebärende zwei Ritter und Knappe unter Fenster mit Frau, im Hintergrund Bewaffnete im Hintergrund außen zwei Ritter, vorn innen zwei Frauen zwei Ritter im Turnier vor Zuschauern im Oberstock

PuW

1595

1603

13, 385

A2r

A2 r

52, 62

A5V

A4V A5 r

110, 313 93, 141

[A8T

AT, A12 r

Die Holzschnitte von 1595 kommen anscheinend aus denselben Druckstöcken wie die von 1578; doch ist die Druckqualität in den beiden Unika verschieden, oft 1595 besser. Zudem ist das Bild 'zwei Ritter im Turnier vor Zuschauern im Oberstock' ersetzt durch ein anderes 'zwei Ritter vor wohl morgenländischer Stadt'. In den Drucken 1578 und 1603 fehlt die Blattzählung, im Unikum von 1595 ist sie durch Beschneiden des oberen Randes meist weggefallen. Wir müssen deshalb die Lagenzählung zitieren; im Druck 1603 umfaßt jede Lage 8 Doppelblätter - 16 Blätter 32 heutige Seiten. In PuW steht das Bild jeweils nach der angeführten Stanze.

LU 1578 C3V C4r CT

D3r

D8r

E5r E6r Fl v

F5V F7V G2V

G8 r

H6r

H8V I7V

K4V

K6r

Einführung dort intendierter Inhalt vier Frauen stehend, älterer Kranker im Bett zwei Frauen suchend in Zimmer, Seitengelaß mit Trophäen Bischof sitzend, zwei Frauen ihm zugewandt, eine weitere Frau und ein Mann einander zugewandt im Hintergrund außen zwei Ritter | vorn innen zwei Frauen, eintretender Ritter älterer Mann kniend vor König, im Mittel- und Hintergrund drei Gestalten, davon eine gekrönt vier reitende Gestalten im Regen, davon zwei weiblich Berittener erhält Auskunft von Geistlichem König, zwei Frauen hintereinander vor ihm kniend, zwei Bewaffnete, zwei weitere Männer Durchblick auf Stadt, vorn innen Ritter schreibend zwei Schiffe am Hafen | zwei Frauen sitzend, Mann mit Brief stehend König und Königin reden auf zwei Frauen ein, die eine abgewandt | König begrüßt Gast, Gefolge Treppenhaus, im Hintergrund Ritter und Bischof | Bischof, Ritter einredend auf abweisende Frau, Zofe im Hintergrund zwei Mamelucken, vorn Mönch und Ritter vor Kerkerfenster im Hintergrund drei Orientalen, vorn Ritter, zwei Mönche anredend orientalisch gekleideter Ritter mit Schwert vor Schlafenden | Mann löst Gefangenem Fußfesseln im Hintergrund Mönch und Bischof | Frau in den Armen eines Mannes, weitere Frau beiden zugewandt Ratgeber stehend, König sitzend, junges Paar und Zofe kniend, Mönch und Bischof stehend

PuW

1595

204,286

C5V

207

C6V

239, 399

D2V, D6r, H6r

1603 B2r

A15r, B5V

266, 273, 321, 367

B8V, Cl r

296, 528

B13r

344

CT

382,440

F6r

C5V

540

G2V

C8V

327, 487

G5r

C10v C13v

200

246, 251, 470 391,589

D2r

555

D10r

623, 626

K7V

D16v

E5r

331,669, 674 683

E4", L6V

E6V

Isolierte Reimpaare - vom Dichter oder vom Drucker?

LUI

5.2 Holzschnitte ohne Beischriften; sonstige stanzenexterne Cantoschlußsignale. Erst wenn man PuW einmal vom Titelblatt-Holzschnitt 23 bis zur Druckermarke am Buchende 24 bewußt auf typographische Ausstattung durchsieht, fällt auf, wie stark hier noch der horror vacui der frühen Drucker wirkt. Während beispielsweise die Titelrückseite in den Drucken 1595 und 1603 leer ist, wird sie bei uns ausgefüllt durch das ganzseitige Bildnis einer Dame.25 Ebenso ist der zweite Drucker-Epilog unmittelbar vor der Druckermarke, das gereimte Lob auf Verona, offensichtlich eine anmutige Form der Seitenfüllung.26 Da nun der Drucker jeden Canto (und auch den Beginn der eigentlichen Erzählung nach dem Vorwort) auf einer neuen Seite beginnt, muß er jeweils für die Füllung der vorhergehenden Canto-Schlußseite sorgen. Er tut dies je nach Raum durch Holzschnitte, die weder inhaltlich noch stilistisch in den Paris-und-Vienne-Zyklus passen (nach dem Vorwort und Canto 2, 3, 4)27 bzw. durch Vignetten (nach Canto 1 und 8), ferner durch einen Vierzeiler (nach dem Vorwort), ein Reimpaar (nach 1,7, 8, 9) oder eine Prosamitteilung 23

24

25

26

27

Zofe, Dame sich einem Ritter zuwendend, vor Torbogen. O b dieser Holzschnitt schon im Druck von 1578 vorhanden war, ist unbekannt, da v o m U n i k u m das Titelblatt verloren ist; v o r h a n d e n ist er 1589 (Rava 1969: nach Nr. 5429a, auch zu seiner mutmaßlichen Vorgeschichte), 1595 (seitenverkehrt zu PuW) und 1603 (derselbe Druckstock wie in PuW). Von dieser Marke ließ sich übrigens A b r a h a m ben Mattitja Bat-seva schon im folgenden Jahr für das Kuhbuch einen weit prächtigeren Neuschnitt herstellen, vgl. ed. Rosenfeld 1984: 134. Z u m Druck 1578 vgl. die vorletzte Anmerkung. - Bruneiii (1992:107f. mit A n m . 29) weist diesen Schnitt auch nach in einem Modeneser Druck aus der Mitte des 17. Jahrhunderts; sie glaubt aber an eine Entstehung im primo Cinquecento, während uns hohe Halskrause u n d Mondsichelfrisur besser ins späte Cinquecento zu passen scheinen (vgl. z.B. f ü r die Halskrause Bruhn-Tilke Tafeln 64.2 und 4, 78.5, 12, 14, 79.6, 80.8, 84.1, 3, 5, 9 u n d 10, für die Frisur 79.3 und 4) Das gilt auch dann, w e n n er sich an eine örtliche Tradition anlehnen sollte - was nicht unwahrscheinlich ist, da ja in der mittellateinischen Literatur schon der Zweitälteste, u m 800 entstandene Städtelob-Rhythmus gerade Verona z u m T h e m a hat (MGH., PLAeC 1.118-122, vgl. dort speziell Strophe 7). - A propos: wenn die Veroneser Stadtpläne von 1540 und 1560 schon vier Etschbrücken aufweisen (Ponte Scaligero, Pietra, Nuovo und Navi; Schweikhart 1977: 27 u n d Tavola XIII), unser Dichter aber ausdrücklich von 'drei Brücken' spricht, so hat er wohl den Ponte Scaligero als bloßen Bestandteil des Castelvecchio gewertet, das er kurz darauf als 'Schloß neben dem schnellen Fluß' erwähnt; man vergleiche d e n Stadtplan aus dem 15. Jh. in der Enciclopedia Italiana, Art. Verona, wo offenbar aus demselben G r u n d e der Ponte Scaligero u n d nur dieser o h n e Beischrift bleibt. Bruneiii (1992: 108) vermutet, die eleganten Holzschnitte auf der Titelseite (Dame), nach dem Vorwort (Pärchen mit Musikinstrumenten in idyllischer Landschaft) und nach Canto 3 (lauschender Soldat, Amor, schalmeiblasende Hirtin) seien eingefügt per nobilitare una preziosa edizione commissionata da un cliente cui si teneva particolarmente ; die dazu nicht passenden Bilder, nämlich d e n f u r c h t b a r e n Männerkopf nach 2 und das mittelmäßige Bild des Pärchens auf g e m e i n s a m e m Pferd nach 4, übergeht sie wortlos.

LIV

Einführung

(nach 3,4,5); nur nach Canto 6 verzichtet er auf eine Kennzeichnung, da hier der Stanzentext die Seite gerade füllt. Auch diese Verse kann man nicht gut dem Dichter zuschreiben. Der genannte Vierzeiler steht in einer Umrahmung, deren vom Haupttext abtrennende Wirkung auch dem Drucker nicht entgangen sein kann, und unterbricht unglücklich den Zusammenhang zwischen der proömiumschließenden Aufforderung, jetzt aufmerksam zuzuhören (13.8), und dem Erzählanfang. 28 Von den vier cantoschließenden Reimpaaren wiederum enthält dasjenige nach Canto 1 einen Pleonasmus zum Haupttext (44.8), das nach Canto 9 einen Pleonasmus in sich. 5.3 Cantoeinleitende Reimpaare. Anders als in den Cantoausgängen fällt in den Cantoeingängen ein horror vacui des Druckers als Motiv weg. Überdies beeindrucken die cantoeinleitenden Reimpaare ästhetisch gerade durch ihre strenge Regelmäßigkeit: je eines vor allen Canti vom zweiten bis zum letzten;29 im ersten Vers jeweils die bittende Hinwendung des Sprechers ('ich', 'mir', 'mein') zu 'Gott', im zweiten ein Wunschsatz ('daß ich machen kann', 'daß er mir helfe') und die Kennzeichnung des jetzt beginnenden 'Teils' durch die Ordinalzahl, die dabei (mit Ausnahme von 'ander') im Reim steht. Insgesamt haben wir also jeweils denselben durchaus situationsgerechten Gestus eines konzentrierten, kurzen Gebets vor uns mit nur jenem Mindestmaß an Variation, das durch das Zählen der Canti bedingt ist.30 Zudem kontrastiert diese äußerste Schlichtheit sehr glücklich mit der reichen Orchestrierung gerade der Einleitungsstanzen der Canti selbst (vgl. unten Kap. 6). 5.4 Zusammengefaßt: Wir halten von den stanzenexternen Reimpaaren nur die cantoeinleitenden für genuine Bestandteile des Werkes. 28

29

30

Man könnte versucht sein, als weiteres Argument hinzuzufügen, der Messiaswunsch gehöre ans Ende eines ganzen Werkes, nicht schon ans Ende des Vorworts. Aber auch Josef Witzenhausen beendet das Vorwort zu seinem Widiiwilt-DTUck, Amsterdam 1683, mit einem Vierzeiler, der mit unserem nahezu identisch ist (und wahrscheinlich direkt oder indirekt auf ihn zurückgeht): do hat di hakedama ein ent /das got bald maschiach sent / bald in insrin tagen / darouf welen mir amen sagen (so in der Umschrift von Leo Landau 1912: XXXIV). Das Reimpaar vor Canto 1 ist allerdings schwer zu beurteilen : zu seinen Ungunsten spricht wiederum der Reim von A3 auf E 4 sowie die inhaltliche Überflüssigkeit. Sofern der Dichter hier überhaupt einer Anregung bedurfte, kann er sie bei den volkstümlichen italienischen Erzählern des 15. Jahrhunderts (vor und neben Pulci und Boiardo) gefunden haben, die jeden Canto mit einer Anrufung Gottes oder Marias - allerdings als Teil des Stanzentextes - beginnen (Rajna 1900:99); im Buovo d'Antona von 1497 beispielsweise, der mutmaßlichen Vorlage von Elias Bovobuch, umfaßt diese Anrufung vom zweiten Canto an jeweils eine Stanze und klingt nur manchmal in ein Stichwort der Handlung, häufiger nur in eine allgemeine Bitte für das weitere Gelingen der Erzählung aus. Vgl. unten 6.3.1.

6

Paris un Wiene und die italienische Literatur (III): Der Canto

Wenden wir uns nun nach diesem Abtasten der Peripherie wieder dem Stanzentext zu, und zwar dem Aufbau der Canti. Dabei werden unter 'den' Cantoausgängen und -eingängen der Ein- und der Ausgang des ganzen Werkes, die ja unter Sonderbedingungen stehen, zunächst nicht miterfaßt. 6.1 Gleich nach seinem Bekenntnis zum Vers als dem für PuW angemessenen Medium (vgl. oben 4.1) fährt der Dichter fort (11.5-8): wol wisèt: wen ich müd wer sein, sò los ichs mitèn dinèn stekèn un wer mein müdikait mit ru'e hailên; asó wert sich mein buch in zehèn tail tailên.

Müdigkeitsanfälle des Dichters werden also - wie einfach! - zu Cantoenden. Freilich, schon daß er diese Anfälle im voraus zählen kann, macht sie seinem Publikum als Fiktion durchschaubar. 6.1.1 In der Tat stellt ja 'Müdigkeit' mit ihren Varianten schon in der italienischen Epik gängige Topoi des Cantoschlusses; wir greifen - hier und in den folgenden Abschnitten - fast aufs Geratewohl einige italienische Parallelen heraus. So wie unser Dichter am Ende der Canti 2, 3 und 8 aus Müdigkeit eine Pause fordert und sich am Ende von 6 sogar 'steif gesessen hat', so forderten ihre Pause beispielsweise schon Boiardo im Orlando Innamorato (Erstdruck des größten Teils 1483; Canti 1-5,1-8,11-29), der blinde Francesco Bello von Ferrara in seinem Mambriano (spätes 15. Jh., Erstdruck posthum 1509; 1, 3, 31), Ariost im Orlando Furioso (Erstdruck 1516, Fassung letzter Hand 1532; 3, 25, 33, 42). Und so wie unser Dichter sich in Canto 3 einen Hustenreiz geholt (167.6), in Canto 4 'schier lahm geschwatzt' hat und sich 'die Kehle schmieren gehen muß', so hatten sich auch Boiardo (11-13) und Ariost (14) eine rauhe Stimme geholt; Boiardo würde sich beim Weitersingen verheddert haben (II-7); ihm versagte überhaupt die Stimme (11-13), dem Blinden von Ferrara sogar Vers, Leier und Stimme (15); ein anderes Mal konnte der Blinde vor Durst nicht weiter (8), und Berni in seiner BoiardoBearbeitung (vor 1531, Erstdruck posthum 1541) brauchte vor Heiserkeit eine doppelt lange Pause (7). Auch die Feststellung, der Canto sei im Begriff zu lang zu geraten, finden wir vor PuW (6) z.B. in Pulcis Morgante (Fassung letzter Hand 1483; 10, 27), bei Boiardo (1-19,11-11, III-8) und Ariost (10, 23, 29, 39). Wenn unser Dichter ferner sein Publikum auffordert, zum nächsten Canto 'wiederzukommen' (5), so formuliert er damit eine ursprünglich reale, doch seit Pulci überwiegend fiktive, jedenfalls für die Verbreitung epischer

LVI

Einführung

Werke peripher gewordene Situation;31 sie war bei den frühen Anonymi (Rajna 1900:96) und bei Pulci (1, 4, 7 und passim) meist durch einen religiösen Segenswunsch für die Zwischenzeit, dann bei Boiardo (1-1, 1-9, 1-19 und passim) oder Ariost (z.B. 9, 16, 18, 22, 36) ohne religiöse Bezugnahme, aber noch sprachlich eindeutig impliziert. 6.1.2 Eine raffiniertere, witzigere Variante der Cantoschluß-Topik liegt darin, daß die Dichter auf die Personen der Handlung zu reagieren vorgeben: der unsere verläßt die Streithähne, die ihn mit ihrem Geschrei taub machen (Canto 2, 103.7f.), kann vor Enttäuschung über das kleinliche Fehlverhalten des Dolfin nicht weiter (5) oder droht beim Einschlafen seiner Gestalten miteinzuschlafen (9) - so wie Boiardo einmal sein Publikum aufforderte, Roland jetzt in der Klemme sitzen zu lassen (II-8), wie der Blinde von Ferrara hingegen gerade aus Mitleid mit Astolfo nicht weiterkonnte (4), ein andermal zugleich mit Astolfo verstummte (11), bei Rolands Schlag vor Schreck die Leier losließ (13) oder von einem Willkommensgebrüll seiner Personen betäubt wurde (34), wie Degli Agostini in seiner (vorariostschen) Boiardo-Fortsetzung von Schmerz überwältigt wurde (VI-5), wie Ariost erklärte, er müsse jetzt Bradamante verzaubert sitzen lassen, verspreche sie aber samt Ruggiero rechtzeitig zu befreien (13.80), oder schließlich, wie er einmal verstummte, als der Mönch, von dem er erzählte, besser hätte verstummen sollen (28). 6.1.3 Dabei ist von den frühen Anonymi über die bekannten italienischen Epiker bis zu unserem Dichter nahezu allen Schlüssen ihre Knappheit gemeinsam: sie umfassen nur ganz ausnahmsweise bei Ariost einmal vier Stanzen (13), bei uns zehn Verse {PuW 2), meist hingegen ein bis vier Verse, beginnen also jeweils wirklich mitèn dinén in einer Stanze. Auch fallen sie ziemlich selten mit einer größeren inhaltlichen Zäsur zusammen, häufiger überkommen sie das Publikum sogar in diesem Sinne mitèn dinén kurz vor oder nach einem Höhepunkt - wie so oft das 'Fortsetzung folgt' des modernen Zeitungsromans. 6.2.1 Die Mehrzahl der größeren inhaltlichen Zäsuren hingegen fällt in PuW wie schon bei den Italienern ins Cantoinnere und stellt sich als entrelacement, als Überwechseln zu einem anderen Handlungsstrang, dar. Manchmal wird dies auf schlichte Weise explizit gemacht, so 81.1 f.: Pàris wil ich ain weilèn lòsèn un wil öuch singén vun Wiene [...]

Ähnlich 111.7f., 156.1f., 234.8, 482.1f., etwas ausführlicher 491.1-8 mit Hinweis darauf, wie Gott das Zusammentreffen von Paris und dem Dolfin im 31

Vgl. z.B. Hempfer 1987: 120ff. und speziell Hempfer 1982: 137ff. mit Verweisen.

Paris un Wiene und die italienische Literatur (III)

LVII

weiten Orient doch gar hiipschlich gefügt, d. h. in nachträglich plausibler Weise arrangiert habe. Auch im Italienischen waren Übergänge mit einfachen lasciamo (star), (ri)torniamo u.ä. bei Pulci und Boiardo beliebt und wurden noch von Ariost keineswegs verschmäht. 32 Weiterhin kann sich der Dichter durch ein Element der Handlung an ein anderes 'erinnert fühlen', so PuW 382.1-4 durch Paris' Sehnsucht an Wienes Situation - wie Ariost sich durch Rinaldo an Angelicas Situation 'erinnert fühlt' (8.29). 6.2.2 Witzig wird es wieder dadurch, daß der Dichter sich gern in die Handlung selbst hineinziehen läßt: den anderen Turnierteilnehmern befiehlt er zu warten, bis er Paris und Odoardo geholt habe (90.7f.), er trennt verspätet auch die schon erwähnten Streithähne (121.5-122.2), 'zieht' zu Paris nach Genf (402.5f.), hat Sehnsucht nach Odoardo 'dem getreuen Degen' (506.5-8), muß die beiden Frauen im Kerker zurücklassen, bis er sie wird fröhlich lachen machen können, und will inzwischen sehen, wie sich Dolfin als Späher aufführt (525.1-8), und er muß schließlich Paris im weiten Orient suchen gehen, 'ehe der ganz verschwunden ist' (538.1-8) - etwa so wie auch Ariost eine Schlacht 'ein wenig verschiebt' (39.19), aus Neigung zu Ruggiero sich diesem zuwendet (40.61), Olimpia weiterklagen läßt, bis er zu ihr zurückkehren kann (10.35), oder wie er Ruggiero, später Astolfo 'wiederfinden muß', die auf dem Hippogryphen riesige Gebiete überfliegen (6.16 bzw. 22.4). 6.2.3 Das Bovobuch, das - gegen seine Vorlage - noch nicht in Canti gegliedert, sondern fortlaufend erzählt ist, praktiziert zwar den 'schlichten' expliziten Themenwechsel ungefähr zehnmal, darunter zweimal mit witziger Bewertung der unterbrochenen Szene (158.1 f., 350.8), kennt aber dieses angebliche Hineingezogenwerden des Dichters in die Handlung noch so gut wie gar nicht,33 insbesondere nicht zum Zwecke eines entrelacement zweier Handlungsstränge. 32

33

Vgl. z.B. Pulci 9.69, 15.90, 21.100/104/114, 25.200; Boiardo 1-3.31, 1-4.26, 1-4.63, 1-5.56 usw.; Ariost 3.6, 4.50, 11.21, 12.23 usw. Am nächsten kommt ihm der Dichter, wenn er angesichts von Bovos Schamhaftigkeit ausruft, das wäre ihm selber in dieser Situation sicher nicht so gegangen (abér wi winzig wer es Elje Boher gèschehén, 136.8). Doch dieses kurze hypothetische SichHineinversetzen in eine als erotisch verfänglich erachtete Situation der Handlung ist noch kein behauptetes Hineingezogenwerden; es findet sich übrigens als feste Technik schon bei Wolfram von Eschenbach (Parzival 450. Iff., 554.4ff., 807.7 ff., Willehalm 100.8[!], 213.14-25, 231.26Í., 243.23ff„ 427.18ff.; vgl. Pörksen 1971: l l l f . , 193-195). Das mag die Frage aufwerfen, ob humoristische auktoriale Elemente der italo-jiddischen und der sonstigen jiddischen Epik nicht auch der deutschen Epik des Mittelalters entstammen könnten, die ja davon ein ziemlich breites Spektrum entwickelt hatte. Doch die Suche verläuft eher enttäuschend. Aus der handschriftlichen Widuwilt-TraàiûoTi kann man die von Cormeau (1978: 34) als 'echt spielmännisch' bezeichnete Drohung des Erzählers, er werde erst nach einem guten Glas

LVIII

Einführung

6.3 Um ein Vielfaches stärker als durch die Cantoschlüsse und durch die Übergänge zu einem anderen Handlungsstrang wird in PuW der poetische Gesamteindruck beeinflußt durch die Cantoeingänge. Sie zeigen zugleich am eindeutigsten die Beziehungen von PuW zur italienischen Tradition und insbesondere zu Ariost. 6.3.1 Dazu müssen wir kurz die italienische Entwicklung skizzieren. Die volkstümlichen Erzähler vor und neben Pulci und Boiardo begannen ihre Canti mit einer, gelegentlich zwei Stanzen religiösen Inhalts, in der Regel in Gebetform, aber meist nur mit sehr unspezifischer Rückwendung zur Handlung. Als Pulci die Gattung auf höfisches Niveau hob, stattete er diese religiösen Eingänge oft reicher aus, integrierte sie aber nicht sorgsamer; z. B. wird gleich in Canto 3 nach dem Eingang die Handlung unvermittelt wiederaufgenommen mit einem Orlando gli rispose, wobei sich das 'ihm' auf den Lionetto von 2.79 zurückbezieht. Dergleichen läßt die religiösen Eingänge aufgesetzt erscheinen (Rajna 1900: 101 f.), zumal Pulci alles andere als eine kirchenfromme Persönlichkeit war. So eröffnete Boiardo in auffälliger Distanzhaltung zu Pulci seine ersten 16 Canti und noch die meisten der folgenden zwanzig Canti notorisch schmucklos. Da aber auch Kargheit langweilig wird, experimentierte er in der zweiten Hälfte seines Werkes, etwa von Canto II—9 an, mit verschiedenartigen Eingängen, die jeweils inhaltlich mit der Handlung verbunden sind; darunter sind auch einige moralistisch-reflektierende, z.B. über die Inkonstanz oder Konstanz der Frauen (11-12) oder über den Wert der Freundschaft (III—7). Noch stärker auf Vielfalt der Eingänge bedacht war etwa gleichzeitig der Blinde von Ferrara im Mambriano: die Mythologie, die jeweilige Jahreszeit, gelegentlich auch die christliche Theologie, die Gegenwartspolitik oder die Schiffahrtsmetapher geben ihm den Stoff; doch zumindest Canto 40 mit seiner Invektive gegen menschliche Erwerbsgier ist moralistisch-reflektierend. Hauptsächlich an die antike Mythologie hielt sich kurz darauf Degli Agostini in seiner Boiardo-Fortsetzung. 6.3.2 »Endlich kam« Ariost: von seinen 46 Cantoeingängen gehören etwa vierzig dem moralistisch-reflektierenden Typ an. Daß dieser Typ nunmehr von den Zeitgenossen als solcher erkannt und weithin bewundert wurde, zeigt Wein den Protagonisten aus der Gefangenschaft befreien (ed. Landau 1912: 100, vv. 25 ff.), zur Not verbinden mit der Praxis von 'Spielmannsepen' wie Orendel und Münchner Oswald, in Krisensituationen das Publikum zu fragen, wie es weitergehen könne (Pörksen 1971: 185). Doch für die jiddische Bibelepik ist wohl das Schemuelbuch typisch: aus ihm hat Falk die auktorialen Elemente zusammengetragen und auf ihre meist deutsche Herkunft verwiesen (Falk-Fuks 1961: 2.124f., vgl. 2.117); darunter sind nun zwar sieben Fälle expliziten Handlungswechsels, aber fast nichts Humoristisches. Insgesamt ist damit in Fragen auktorialen Humors deutscher Einfluß so punktuell oder unspezifisch, daß wir ihn zumindest für PuW gegenüber dem italienischen Einfluß vernachlässigen können.

Paris un Wiene und die italienische Literatur (III)

LIX

sich am eindeutigsten wohl darin, daß Francesco Berni schon vor 1531,34 also noch zu Ariosts Lebzeiten, in seine Überarbeitung von Boiardos Orlando Innamorato Gesang für Gesang Proömien des Ariostschen Typs einfügte; diese Überarbeitung wurde seit ihrem Erstdruck 1541 in den folgenden fast 300 Jahren immer wieder nachgedruckt, während der echte Boiardo letztmalig 1544 erschien, dann erst 1830-31 wiederentdeckt wurde. 6.3.3 Aus literaturtheoretischer Sicht freilich konnte man ohne Mühe gegen Ariosts Proömientyp (und gegen seine auktorialen Bemerkungen überhaupt) entweder vom aristotelischen Standpunkt aus einwenden, daß der Dichter hier seiner Hauptfunktion, der mimetischen (im Epos also der erzählenden), untreu werde, oder auch vom platonischen Standpunkt, daß der Dichter hier den furor unmittelbarer Inspiriertheit vermissen lasse. Umso eindrucksvoller ist jetzt bei Hempfer (1987: 161-165, 168f.) im einzelnen nachzulesen, wie sich im zunehmend theoriegläubigen 16. Jahrhundert solche Kritiken selbst bei den Theoretikern vom Fach nur langsam durchsetzen konnten. Gegen Ungenannte verteidigte Fórnari (1549) grundsätzlich Ariosts auktoriale Interventionen und hielt Giraldi (1554) gerade die Proömien für würdig di grandissima lode. Uneingeschränkte Bewunderung für die Proömien äußerten auch noch Lavezuola (1584) und Mazzoni (1587), freilich zum Teil wegen deren moralischer Qualitäten - eine naheliegende Verteidigungsstrategie. Gleichzeitig kamen Speroni (vor 1588) und Salviati (um 1586) trotz ihrer strukturellen Kritik der Proömien nicht herum um ein milderndes siano belli quanto si vuole bzw. quantunque [...] gravi sieno, e morali, e bellissimi olir' ogni stima, wobei das Stichwort 'schön' zweifellos das Urteil des großen Publikums spiegelte. Schlechthin negativ urteilten freilich aus engherzig aristotelisierender Perspektive Castelvetro (1570) und Sassetti (um 1575) sowie aus einer fast schikanös wirkenden Addition des aristotelisierenden und des platonisierenden Einwandes Degli Oddi (1587). Auch die negativen Wertungen bezeugen immerhin, wie deutlich der Ariostsche Proömientyp von den Zeitgenossen als Spezifikum wahrgenommen wurde. 6.3.4 Gegen diese Kritiken kann man selbstverständlich geltend machen, daß ihre stillschweigende Gleichsetzung von Erzähl-Ich und Autor oberflächlich ist (Hempfer 1987: 161) und letztlich dazu führen müßte, auch das immer stärkere Hervortreten der 'Autoreflexivität' in der späteren europäischen Erzählliteratur - etwa bei Cervantes, Scarron, Furetière, Fielding, Sterne, Diderot, in der deutschen Romantik und in ungezählten Ausprägungen der Moderne - als illegitim anzusehen (vgl. dazu Hempfer 1982). Uns geht es darüber hinaus aber um eine Beschreibung der spezifischen Leistung dieses 34

In diesem Jahr beantragte Berni beim Dogen von Venedig vergeblich die Druckerlaubnis für seine Boiardo-Bearbeitung (Sorrentino 1933: 156, Chiòrboli 1934: S. XXVI).

LX

Einführung

Proömientyps. Da ist nun gegen die genannten Kritiken zunächst anzumerken, daß Aristoteles' mimetische und Piatons inspiratorische Wesensbestimmung der Dichtung keineswegs so verstanden zu werden brauchen, als müßten sie in jeder einzelnen Partikel eines Werkes realisiert sein. Voraussetzung für das ästhetische Funktionieren des moralistisch-reflektierenden Proömientyps ist vielmehr lediglich, daß der Dichter sich in den Hauptteilen seiner Canti als Storyteller von solcher Konkretionskraft ausweist, daß sein Publikum - oder doch dessen theoretisch unbelasteter Großteil - gar nicht erst auf den Gedanken kommt, die Abstraktion in den Proömien als Talentmangel zu beargwöhnen. Unter dieser Voraussetzung, die bei Ariost und bei unserem Dichter sattsam erfüllt ist, können die Proömien die Wirkung der Narration sogar machtvoll steigern. Denn jede literarische Narration will ja als (positiv oder negativ) exemplarisch, als Beitrag zur Darstellung der condition humaine verstanden werden; sie selbst enthält aber nicht notwendigerweise Signale, die die Richtung und Reichweite dieses Reflexionsprozesses festlegen. Hier wirkt dann das Proömium stimulierend: es schafft um die erzählten Ereignisse eine intensive Signifikanzaura und steigert so den Eindruck ihrer »Welthaltigkeit«. Diese braucht nicht einmal in jedem Augenblick ein moralisch eindeutiges Vorzeichen zu haben, da ja die Meinung des Erzähl-Ichs wenigstens nicht prinzipiell 'die' Meinung des Autors ist: sowohl bei Ariost wie in PuW wechseln misogyner und 'philogyner' Kommentar in so bewußter Koketterie miteinander, daß wir nicht einen von beiden kurzerhand zu 'der' Meinung des Autors erklären können. Andererseits sind in beiden Werken nur wenige Proömien komisch: die auraschaffende Wirkung der Proömien hat also nicht wesensmäßig mit Komik zu tun, sondern umgekehrt kann sich Komik dort wie anderswo einnisten.35 6.3.5 Unser Dichter hat sich nun nicht nur allgemein an dem Ariostschen Proömientyp, sondern auch für etwa die Hälfte seiner Proömien an einzelnen Proömien Ariosts inspiriert. 6.3.5.1 Als exemplarisch darf hier das Verhältnis der Proömien von Ariosts Gesang 21 (Stanzen 1-2) und unserem Gesang 8 (Stanzen 444-445) gelten. 35

Kaum betont zu werden braucht wohl, wie durchgreifend sich dieser moralistischreflektierende Proömientyp in seiner ästhetischen Wirkung von der moralisatio unterscheidet, die in der Gattung der Fabel oft der Erzählung als Epimythion angehängt, manchmal als Promythion vorangestellt wird. Sowohl Nach- wie Voranstellung bedeuten eine klare Abtrennung von der Erzählung; dadurch und mehr noch durch ihre Gedrängtheit hat die moralisatio einen selbstsicher-resuméhaften Charakter, als enthalte sie 'das Wesentliche' der Erzählung. Hingegen steht das Proömium Ariostschen Typs zwar nach einer Atempause des Erzählers, aber gerade 'inmitten' der Ereignisfolge und pflegt auch syntaktisch in die Narration zurückgeführt zu werden ; vor allem aber ist es ausgedehnt genug, u m reflektierend - oft geradezu 'ergriffen' - statt didaktisch zu wirken.

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Né fune intorta crederò che stringa soma così, né così legno chiodo, come la fé ch'una bella alma cinga del suo tenace indissolubil nodo. Né dagli antichi par che si dipinga la santa Fé vestita in altro modo, che d'un vel bianco che la cuopra tutta: ch'un sol punto, un sol neo la può far brutta.

WP òft géschicht das in der welt, dás màn vérhaist »ébig un ümérn!« un wen es den an-trift dás gelt, só géts gélôbnis ganz in driimèrn! sich den, wi' er jemérlich stelt un" is sich vast dárum békümérn, dàs er den géselèn wil bloú'én in di' órén, as wer er génôt gèworén!

La fede unqua non debbe esser corrotta, o data a un solo, o data insieme a mille; e cosi in una selva, in una grotta, lontan da le cittadi e da le ville, come dinanzi a tribunali, in frotta di testimon, di scritti e di postille, senza giurare o segno altro più espresso, basti una volta che s'abbia promesso.

Di' tröü, di' is érlich géwis zu reichén, armèn, jungèn, altén. wol dem, der al zeit redlich is un' sein réd glat un' nit mit valtén. wen ainér aim ain ding vòr-his in ainèm wald, sò sòl ers haltén as wol, as wen es wer viir hundèrt zôùgèn. was màn ain mòl zu-sagt, sòl màn nit lôùgén.

Der Hauptgedanke ist derselbe: Gelöbnisse müssen gehalten werden, selbst wenn es keine Zeugen gibt. Nach diesem Grundsatz werden im unmittelbaren Fortgang der Handlung Zerbino bei Ariost, Wiene in PuW auch handeln. Unser Dichter findet nun bei Ariost zunächst einen Doppelvergleich (Seil : Last = Nagel : Holz = Treue : Seele), den man trotz seiner formalen Ansprüche (Gedrängtheit, Chiasmus) durchaus als konstruiert-pseudokonkret empfinden kann. Anschließend ist von der Antike und speziell von einer Allegorie die Rede - Bereichen, die unser Dichter auch sonst aus seiner Dichtung fernhält, weil sein italo-jiddisches Publikum und wahrscheinlich auch er selbst sie als typische Gegenstände jener Schulkultur der christlichen Umwelt ansahen, die nach ihrem Empfinden ein Jude nicht ohne Identitätsverlust integrieren konnte. An ihre Stelle setzt er drei Beobachtungen aus der Lebenswelt, die nacheinander seinen scharfen Blick bezeugen für sprachpragmatischen Gestus, für materielle Hintergründe und - am eindrucksvollsten - für das Selbstrechtfertigungsbedürfnis des schlechten Gewissens; mit dem 'Bleuen ( = Hineinstoßen) in die Ohren' tritt dabei auch stilistisch jene deftige motorisch-körperbezogene Sprachsphäre hervor, die unser Dichter, aber nicht der Hofmann Ariost liebt. Erst die zweite Stanze Ariosts reizt unseren Dichter auch in der Kleinstruktur zur Nachahmung: Spitzenstellung des Themawortes 'Treue', das unerwartete 'selbst im Walde' (es wäre für sich allein spezifisch genug, um die Annahme einer zufälligen Übereinstimmung beider Proömien auszuschalten), dann, als Vergleich angeschlossen, der Gegensatz 'inmitten einer Fülle von Zeugen', schließlich im Schlußvers sentenzhafte Zusammenfassung mit Beibehaltung der beiden Schlüsselbegriffe 'einmal' und 'zu(ge)sagt'. Insgesamt dürfte der Vergleich der beiden Proömien sowohl die Nachahmung als auch deren Freiheit augenfällig gemacht haben.

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Einführung

6.3.5.2 Ganz ähnlich entsprechen sich die Eingänge zu Ariosts Canto 19 (1-2.6) und PuW Canto 9 (513-515). Der jiddische Dichter übersetzt zunächst die ersten vier Verse Ariosts: 'Wenn jemand reich ist, kann er seine wahren Freunde nicht erkennen, weil ihn wahre und falsche Freunde in ganz derselben Weise umstehen.' Zur Veranschaulichung kontrastiert Ariost in der folgenden Stanze global einen mächtigen und einen bescheidenen Höfling. Doch die Vorstellung des jiddischen Dichters ist abermals spezifischer und zugleich etwas anders: da der Großteil seiner jüdischen Leserschaft eher mit individuellen (auch jüdischen!) Reichen als mit dem eigentlichen Hofleben in Berührung kommt, charakterisiert er zunächst in je einem Vers und durch je eine sehr prägnante Geste vier Schmeichler in ihrer Anbiederung an den Reichen, wobei mit dem Wort gètedér 'Geplapper' auch wieder Deftigkeit in den Text kommt. In vier weiteren Versen wird dann - psychologisch eine ganze Dimension durchdringender als bei Ariost - der zehrende Zwiespalt zwischen heimlichem Haß und mühsamem Parasitentum angesprochen. Beim Motiv des Glückswechsels ('wenn sich nun das Rad wendet') kehrt unser Dichter noch einmal deutlich zu Ariost zurück, weitet aber dessen vier zu zehn Versen aus, weil er Ariosts Glücksverlust als Vermögensverlust konkretisieren und die nun erkennbaren Getreuen - über Ariosts rein weltliche Kategorien hinaus - wenigstens ganz knapp als 'Fromme' charakterisieren will. 6.3.5.3 Entsprechendes gilt für Ariosts Canto 45 (1-4) und unseren Canto 5 (249-250). In der ersten Stanze ist der Grundgedanke: 'Gerade der vom Glück Hochgetragene kann plötzlich in tiefstes Elend fallen' ; die beiden letzten Verse entsprechen sich ziemlich genau, wobei aus ne la miseria estrema bildkräftigeres bis in grund der helén geworden ist. Die zweite Stanze beginnt mit dem Umschaltsignal Così all'incontro ~ Asódér ach widér hèrum ; dann wird die Möglichkeit ebenso steilen Wiederaufstiegs vorgeführt. Doch wo Ariost sie in die weltliche und zugleich noble Formel kleidet, daß, »wer den Kopf schon fast auf den Richtblock gelegt hatte, kurz darauf der Welt seine Gesetze gab«, sagt unser Autor bibelfest und zugleich deftig (nach 1 Sam 2.8), der Gefallene solle in Geduld seine Sünden beklagen, weil »Gott, wenn es ihm zusagt, ihn in kürzester Frist vom Mist in den Himmel heben« könne. Keinen Eindruck auf unseren Autor machen hingegen - wieder als Blüten nichtjüdischer Schulweisheit - Ariosts Fortuna als allegorische Gestalt sowie seine sechs antiken und das je eine französische und ungarische Exemplum für steilen Fall oder Wiederaufstieg. Da Ariost übrigens seinen gesamten Canto 45 erst für die Ausgabe letzter Hand von 1532 gedichtet hat,36 etabliert der gerade vorgeführte Zusammenhang 1532 als Terminus post quem für PuW.

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Vgl. die Ausgabe Debenedetti-Segre 1960 zu Canto 45: »XLV C: manca AB«.

Paris un Wiene u n d die italienische L i t e r a t u r (III)

LXIII

6.3.5.4 M a n c h m a l w e i c h e n a n r e g e n d e r u n d a n g e r e g t e r Text n o c h weiter v o m Verhältnis 1 : 1 ab. So h a t w o h l e i n E i n z e l m o t i v a u s Ariosts P r o ö m i u m zu C a n t o 43 (4.1-4) d a s P r o ö m i u m zu u n s e r e m C a n t o 3 (105-106) inspiriert. 3 7 U n s e r D i c h t e r h a t die Situation w i e d e r ü b e r Ariost h i n a u s d u r c h zwei M o t i v e konkretisiert, v o n d e n e n das erste - m ö g l i c h e r S e l b s t m o r d aus L i e b e s k u m m e r - die S p a n n u n g auf eine s c h o n leicht k o m i s c h e Weise h o c h t r a n s f o r m i e r t , d a m i t das zweite, e i n deutsches S p r i c h w o r t ( W a n d e r 1867: 1.885 Eselskopf N r . 2), sie d u r c h e i n e n f r e c h - a b r u p t e n Bildwechsel u m s o drastischer fallen lassen k a n n : Che d'alcune dirò belle e gran donne ch'a bellezza, a virtù de fidi amanti, a lunga servitù, più che colonne io veggo dure, immobili e constanti?

Es is ain gròs ding zertó zert, dás sich di welt asó sòl wendén, dàs vrawèn-herz sòl sein asó hert un" kalt as stain fun hertèn wendèn. wen ain man schón nem ain blòsès schwert un' welt sich wundèn mit sein hendèn, drum wirdèn si nit waich nóch nit dèr-warmèn, sich ibèr irèn dinèr zu dér-bármén. Es is asó, ich hàb drouf géacht un wais, dás ich nit sag kain liigèn: ain armèr jung al wegèn tracht, wi' er seinèr lib ain ding sòl fügén. er dinèt ir tag un' nacht un' diicht, er kan nimèr tun géniigèn un alés an-gèlègt, ich mus dòch sagèn, as wer ain ésèls kóP mit saif is zwagèn.

6.3.5.5 U m g e k e h r t geht Ariosts P r o ö m i u m zu C a n t o 23 (das n u r e i n e S t a n z e u m f a ß t ) in d a s s e h r elaborierte P r o ö m i u m (602-607) z u u n s e r e m letzten G e s a n g als d r i t t e r u n d letzter Teil e i n (der u n s z u n ä c h s t allein interessiert, 606.5-607.8): Studisi ognun giovare altrui ; che rade volte il ben far senza il suo premio fia: e se pur senza, almen non te ne accade morte né danno né ignominia ria. Chi nuoce altrui, tardi o per tempo cade 37 38

[...] tut idèrmàn, was im is lib, arum un' reich un' jung un' altèn. wen mán Spricht: di berg sein sich nümér rêgèn, abèr di' löüt kumèn sich óft èntgëgén. 38

Daneben mag eine ähnliche Formulierung bei Ariost 1.49.5-6 von Einfluß gewesen sein. Das Sprichwort 'Die Berge kommen nicht zueinander, die Menschen doch' ist laut Davidson (1957: Nr. 305) auch bei den Juden gängig, doch erstens in einer aramäischen Fassung, für die anscheinend keine alte Quelle anzugeben ist, und zweitens in einer hebräischen, die auch erst (samt jiddischer Periphrase) im Zuchtspigél (frühes 17. Jh.) nachzuweisen ist. (Spätere jiddische Formen bei Tendlau 1860: Nr. 699 und Bernstein 1908 s.v. Barg.) Die nichtjüdische Bezeugung ist sehr breit (Wander 1867:

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Einführung

il debito a scontar, che non s'oblia. Dice il proverbio, ch'a trovar si vanno gli uomini spesso, e i monti fermi stanno.

Tut nümér, was dem menschén schat, nòch mit den werk, noch mit den mundèn, wen ir schoun macht un reichtung hàt un er mit armut is ûbèr-wundèn. es is kain sach, di' nit hót ain Stat, un kain mensch, der nit hót ain âtundèn. lôt öuch an armé un an ain kindlèn ligèn ; wen òft dèrStikt ain ris an ainèr vligèn.

Auch hier also Konkretisierung über Ariost hinaus, diesmal durch nachhaltiges Einbeziehen der sozialen Dimension, zum Schluß wieder abrupt-komischer Bildwechsel ins Sprichwort hinein. 39 6.3.5.6 In den mittleren Partien des Orlando Furioso beginnt Ariost nicht weniger als vier Canti mit ausdrücklichen Entschuldigungen gegenüber seinem weiblichen Publikum: Canto 22, weil in 21 Gabrina durch einen langen Bericht ihres Schwagers als Mörderin ihres ersten und ihres zweiten Gatten entlarvt worden ist und der Dichter nun von sich selbst den Verdacht der Misogynie fernhalten will ; Canto 28, weil am Ende von 27 der Gastwirt eine frauenfeindliche Geschichte angekündigt hat, die Ariost jetzt in 28, eben nach gebührender Entschuldigung, in über siebzig Stanzen wörtlich nacherzählen wird, um ihr dann die Spitze zu nehmen durch einen namenlos bleibenden energischen Gegenredner; Canto 29, weil Rodomonte, ohne für seine frauenfeindlichen Worte und Taten in Canto 27 und 28 bestraft worden zu sein, nunmehr ungeniert Isabella den Hof macht ; schließlich Canto 30, weil Ariost am Ende von 29 seine moralische Verurteilung Angelicas in einem Augenblick des Zorns auf alle Frauen ausgedehnt hat. Doch innerhalb solcher 'Entschuldigungen' kann Ariost unversehens die meisten Frauen als untreu bezeichnen (22.1.3 f.) oder groteskerweise von seiner erotisch saftigsten Geschichte behaupten, er erzähle sie nur dem Erzbischof Turpin nach (28.2.3 f.). Der Gesamteindruck ist somit der eines koketten Hin und Hers.40

39

40

1.312f. Berg Nr. 9-13, 32 und 5.958f. Berg Nr. 9, 12-14, 118-121), wobei Wander zwar das Möns cum monte non miscetur des Erasmus, nicht aber Ariosts fast ebenso alte, vollständigere und von ihm selbst ausdrücklich als Sprichwort bezeichnete Formulierung (23.1.7 f.) zitiert. Obwohl unser Dichter das Sprichwort auch unabhängig von Ariost zu kennen scheint ('denn man spricht'), läßt er sich in dem ganzen Passus, wie der Textvergleich zeigt, von Ariost inspirieren. - Das verwandte Sprichwort von dem (je einen) Berg (oder Baum) und Propheten ist nach dem erweiterten Büchmann (1967: 2.464) zwar mohammedanischer Herkunft, aber anscheinend zuerst 1524 in einem abendländischen Orientbericht belegt. Das Sprichwort, wonach 'ein Riese an einer Fliege erstickt', ist in der mittelalterlichen hebräischen Literatur seit dem 11. oder 12. Jh. sehr gängig (Davidson 1957: Nr. 253); unserer Fassung am nächsten kommt wohl (durch ¡ifamim rabbot 'oft') Immanuel von Rom, Mahberot 11.313. Im Deutschen ist anscheinend erst seit dem frühen 17. Jh. zu belegen: »Er erstickt daran wie jener Papst an einer Fliege.« (Wander 1867 : Nachtrag Ersticken Nr. 5). Ein Ansatz dazu findet sich bei Boiardo II-12.3.3-4.8.

Paris un Wiene und die italienische Literatur (III)

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In PuWgleicht nun der Eingang von Canto 4 (Stanze 168ff.) oder vielmehr der ganze Komplex etwa von Stanze 165 bis 185 strukturell Ariosts Canto (27 -) 28, klingt aber verbal hier und da auch an Ariosts Canti 22 und 30 an. Und zwar wird Odoardo ohne inhaltlichen Anlaß vom Dichter unterbrochen, sobald er in 167.3 f. zum misogynen Grundthema seiner Rede gekommen ist, ähnlich wie Ariosts Gastwirt nach seiner das Misogynie-Thema ankündigenden Einleitung (27.135.3-139.8) unterbrochen wird. Beide Dichter beginnen hier einen neuen Canto, weil sie den Cantoeingang als geziemenden Ort für die jetzt fällige auktoriale Einlassung {PuW 168-170.4, Ariost 28.1-3.4) ansehen: sie möchten sich - teilweise also im voraus - für die frauenfeindliche Rede Odoardos bzw. des Wirtes entschuldigen. Verbal klingen hier in PuW aber wohl eher Ariosts Verse 30.3.1-4 und 22.1.1, 5, 7 nach: Ben spero, donne, in vostra cortesia aver da voi perdón, poi ch'io vel chieggio. Voi scusarete, che per frenesia vinto da l'aspra passion, vaneggio. [...] Cortesi donne e grate al vostro amante [...] non vi dispiaccia quel ch'io dissi inante [...] e s'ancor son per spendervi alcun verso [...]

Ô junk-vrawèn gut, ó schônè dirèn, ò pülzéls vrum, ó édèl maidlich! löst mich öur lib-scháft nit vèrlirèn, wen ich dò rédèt schoun zu waidlich. [...] un" sagét ich, was öuch nit wurd géfalèn, só prai' ich öuch iz vór mèhile alèn.

Beide Dichter betonen dann, daß sie nicht nur durch ihre sonstigen Worte (PuW 169.6, Ariost 28.2.5f.), sondern auch durch ihr Verhalten (PuW 170.3, Ariost 28.2.7f.) als Verehrer des weiblichen Geschlechts ausgewiesen seien. Im vorliegenden Fall müßten sie lediglich einer Person der Handlung bzw. der Quelle nachreden (PuW 169.5 und 8; Ariost 28.2.3f., auch 22.2.1f., 22.3.2). Unser Dichter kann hier noch einen Trumpf mehr ausspielen: nicht einmal Odoardo glaube an seine eigenen Worte, sondern wolle nur Paris' Vater gefällig sein (170.1-171.2). Dann folgt die 'Frauenschelte' selbst (PuW 171.3-182.8, Ariost 28.4-74). Soweit sie sich in PuW um das Thema Kosmetik dreht (175.4-181.1), greift unser Dichter auf eine ganz andere, ebenfalls recht umfangreiche italienische Tradition zurück, die wir erst später besprechen können (Kap. 7). Doch das kulminierende anthropologische Argument (182) ist wieder bei Ariost entlehnt (27.121.1-4): Non siate però tumide e fastose, donne, per dir che l'uom sia vostro figlio; che de le spine ancor nascon le rose, e d'una fetida erba nasce il giglio.

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Kain andèr ér ain ν raw' nit hot, as dás mir manén sein vun in gèbôrèn. das wôrfèn si' üns vür gar dròt; abèr ir recht is dó ach vèrlòrèn: sich ach ain rós schmekèdig un' rót, di' wakst dóch vun ainèm rôùchèn dòrén;41 un vun ain stinkédigèn gras kumèn di lilgèn di blumèn hòt màn lib - uns kröüt vèr-tilgèn!

Daß 'aus dem Dorn die Rose hervorgeht' ist auch altes jüdisches, nämlich aramäisches Sprichwort (min sanja nafeq warda, schon Canticum rabba I 1.6 explizit als

LXVI

Einführung

Die 'Frauenschelte' wird dann abgefangen bei Ariosi durch den anonymen Gegenredner, in PuW durch den Autor, wobei ein Hauptargument dasselbe ist (Ariost 28.78.3f., vgl. auch 22.3.1 f. und 22.122.7f.; PuW 184.3-6): di cento potrà dir degne d'onore verso una trista che biasmar si debbe.

sein der bôsèn Çûnf, seks, sibèn, echt, di' selbèn Stróf er un Vèr-derb er! er sein dàrgégèn hundèrt lecht, di do sein gètrou' un vrum un erbèr.

Schon hier übertrifft PuW durch das beunruhigende Aufwärtszählen Ariost abermals an Koketterie, erst recht in dem gleich folgenden, bei Ariost fehlenden 'Dreh': ich sag wol 'lecht' un wils nit bèzoùgèn; wen sagèt ichs géwis, so möcht ich lôûgèn. Bei zusammenhängender Lektüre wirkt gerade dieser ganze Komplex von über zwanzig Stanzen außerordentlich witzig und nicht nur bruchlos in sich, sondern auch bruchlos integriert in eine Gesamthandlung, die doch mit der Handlung des Orlando Furioso gar nichts zu tun hat - ein Beweis mehr dafür, daß unser Dichter seine Ariost-Rezeption auf sehr verschiedenen - und das heißt: auch auf sehr hohen - Abstraktionsebenen der Struktur kreativ zu gestalten verstand. 42 6.3.6 Wenn sich ein Dichter bei mehr als der Hälfte seiner Cantoeingänge an Ariost inspiriert, muß man fragen, ob er nicht bei den übrigen durch die anderen italienischen Renaissance-Epiker beeinflußt ist. Spuren von Pulci, dem Blinden von Ferrara oder Degli Agostini lassen sich hier wohl nicht finden. Etwas anders liegen die Dinge aber bei Boiardo und Berni. 6.3.7 Boiardo beginnt seinen Canto III—8, den letzten voll durchgearbeiteten (III-9 hat einen Notschluß), mit den folgenden beiden Stanzen:

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Sprichwort zitiert), und unser Dichter mag daraus zu der (gegen Ariost) singularischen Form angeregt sein, doch hat er die umgebende Argumentation, wie der Vergleich zeigt, eindeutig aus Ariost. Umgekehrt erstreckte sich diese Rezeption, wie zu erwarten, auch bis in die Kleinstruktur, wofür hier wenigstens kursorisch Belege gegeben seien (Ariost jeweils an erster Stelle, PuW an zweiter). Kurze Erwähnungen der unnahbaren Geliebten des Dichters selbst: 16.1 f. (auch 23.112.3f., 24.3, 30.3.5-4.2, 35.1 f., 42.93-95) ~ 8.4-9.8 (auch 170.3, 183.5-8, 196, 227.7f„ 271.3-8, 524.7f„ 715). Auffällig späte Einführung eines Personennamens: 4.60.lf., 5.21.1 f. usw. (etwa 20 Fälle) ~ 28.7f., 104.1-4. Klare Verbalreminiszenzen: 1.55.7f. ~ 387.3f.; 9.5.4-8 (und 23.110.1-4) ~ 489.4-6 (und 544.7f.); 23.53.If. ~ 17.1-3. Beeinflussung erscheint uns nicht unwahrscheinlich auch bei Einzelbildern wie 8.6.5 (auch 9.79.8, 13.6.8, 23.14.3f., 29.64.4, also tickhaft) ~ 128.3 (auch 343.8 und als modernisierende Steigerung 628.7); 5.53.8 ~ 303.8 (Stanzenende, Reimwort 'Nebel'!), ebenso bei Situationsähnlichkeit: 8.30.8 ~ 241.8 (Stanzenende).

Paris un ¡Viene und die italienische Literatur (III)

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Dio doni zoia ad ogni inamorato, Ad ogni cavallier doni vittoria, A' principi e baroni onore e stato, E chiunque ama virtù, cresca di gloria: Sia pace ed abundanzia in ogni lato! Ma a voi, che intorno odeti questa istoria, Conceda il re del cel senza tardare Ciò che sapriti a bocca dimandare. Donevi la ventura per il freno, E da voi scacci ogni fortuna ria; Ogni vostro desio conceda a pieno, Senno, beltade, robba e gagliardia, Quanto è vostro voler, né più né meno, Sì come per bontate e cortesia Ciascun di voi ad ascoltare è pronto La bella istoria che cantando io conto.

Boiardo entdeckt also bei seinem Publikum Zeichen von Ermüdung und will es durch eine Fata Morgana vom Glück wieder hellwach machen. In dem Augenblick, wo diese Fata Morgana durch ihre pure Vollständigkeit verdächtig wird, läßt er seine Pointe los: zu allen guten Wünschen gehört der Bedingungssatz »in dem Maße, wie ihr mir weiter freundlich zuhört«. Auch unser Dichter beginnt seinen letzten Canto unvermittelt mit einer solchen Fata Morgana (602); da er aber für ein Publikum ohne Fürsten, Höflinge und Condottieri dichtet, ist die Konkretisierung eine andere: Ô legèn dò ain haufèn skiid un dás mir al di' hend drein tetèn! kain kind, kain jiidin nòch jiid wurd sich zu nemèn drübér setèn. iz sein mir al géworèn miid vun disèn buch, wil ich wol wetèn: ir miid zu hôrèn zu in disèn rai'èn, un" ich bin müd un" sat öuch vür-zu-lai'én.

Hier wird das Müdigkeitsmotiv sogar explizit genannt. Zwar ist es syntaktisch nicht mit der Fata Morgana verbunden, doch bleibt diese ganz unerklärt, wenn man unserem Dichter nicht dieselbe Absicht unterstellt wie Boiardo. Daß er sich nur bei diesem einen Eingang an Boiardo inspiriert hätte, ist nicht verwunderlich, da ja Boiardo in der ersten Hälfte seines Werkes auf explizite Eingänge verzichtet, in der zweiten - anders als Ariost - keinen klaren Typ entwickelt. Die Stanze ist auch in chronologischer Hinsicht interessant (wie der Eingang zu Canto 5, oben 6.3.5.3). Denn der französische (Gold-) eicm kam erst um 1500 nach Italien und wurde zunächst im Zusammenhang mit der französischen politischen Präsenz von den einzelnen italienischen Staaten - als scudo - nachgeprägt. Die Republik Venedig führte ihn widerstrebend erst am

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Einführung

15. 5. 1528 (neben dem angestammten Golddukaten) ein (vgl. Grierson 1956: 95; Materialien zum Vordringen des scudo bei Martinori 1915: 459-461 und Tafel CXXIIIf.; Genaueres zum venezianischen Einführungsdekret Papadòpoli Aldobrandini 1907: II 142 und 671). Nun saß die Mehrheit der ItaloAschkenasen und damit die Mehrheit der Leser von PuW zweifellos im Venezianer Staatsgebiet (einschließlich der Terra Ferma). Der Dichter hätte deshalb wohl kaum den scudo als Inbegriff einer 'haufenweise' vorstellbaren Münze gewählt, wenn er nicht erst nach 1528 geschrieben hätte. 6.3.8.1 Wir kommen zu Bernis Boiardo-Bearbeitung. Dort stimmt der neue Eingang von Canto 56 (in Boiardos Zählung war es 11-27) zum Eingang unseres Canto 6 (Stanze 303 ff. ; wir verweisen hier und im folgenden zur Raumersparnis auf unseren Editionstext). In der ersten Stanze handeln beide Dichter von der Geldgier im allgemeinen : Avarizia crudel ; poiché conviene, Ch'ancor la terza volta inetto io sia; Dimmi, ond'ha meritato tante pene L'anima che t'è data in signoria? Perchè se' sì nimica d'ogni bene? Perchè guasti l'umana compagnia, Anzi la compagnia pur naturale? Perchè se' sì radice d'ogni male?

Daß dabei der jiddische Dichter an der Allegorisierung der Avarizia keinen Gefallen finden wird, sollte für uns jetzt schon selbstverständlich sein (303). Doch berührt er ganz wie Berni schon die Tatsache, daß der Geldgierige sogar die compagnia pur naturale, sein eigenes vlaisch un blut, als Ware ansieht (303.5). Und über Berni hinaus ist ihm, dem aschkenasischen Juden, die Unbeständigkeit aller Vermögenswerte vertraut, der er in zwei schönen Vergleichen Ausdruck verleiht (303.7f.). Erst mit der zweiten Strophe wenden sich beide Dichter derjenigen Form der Geldgier zu, die sie hier empört: der Geldgier bei der Heirat. Berni betrachtet die Dinge aus der Perspektive zunächst der Brautleute (56.2), dann des Brautvaters (56.3): Vorrei che mi dicesse un di costoro Che si marita, ovver che piglia moglie, Perch'ha rispetto a la roba e al tesoro Più che non ha a se stesso e le sue voglie? Così si dà marito e moglie a l'oro : L'oro è quel che marito e donna toglie: Non il giudicio nè la elezione, Ma l'avarizia marcia e l'ambizione. Ditemi, padri, ch'avete figliuole, E v'ha Dio d'allogarle il modo dato Onestamente: qual ragione poi vuole

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Che le diate ad un qualche infranciosato? O ad un vecchio, perchè a l'ombra e al sole Abbia terra e tesoro? onde il peccato A giusta penitenza poi vi mena, E da Dio ve n'è data degna pena.

Dem jiddischen Dichter hingegen kommen aus evidenten soziologischen Gründen zuerst die Väter in den Blick, speziell auch hier der Brautvater43 (304), erst dann die jungen Leute, und selbst diese im wesentlichen vertreten durch Mittelspersonen (305). Berni unterschied schon hier zwei Kategorien ungeeigneter Bräutigame: den durch Krankheit und den durch Alter eheuntauglichen. Er verfolgt diese Unterscheidung bis in ihre Auswirkungen auf die jungen Frauen (56.4.1-4): Diventerà di fatto quella un mostro, Piena di mal francese e sporcheria; E l'altra una di quelle che v'ha mostro Nel Canto addietro la novella mia.

Der jiddische Dichter übernimmt jetzt diese Unterscheidung (Stanzen 306, 307), aber in weniger scharfer Gegenüberstellung. Zum Thema Krankheit nennt er das mal francese nicht speziell beim Namen, möglicherweise weil es in der fast geschlossenen jüdischen Gesellschaft weniger Opfer forderte als in der notorisch genußfreudigen nichtjüdischen ; andererseits erinnert er zum Thema Alter daran, daß die Ehe zwischen einem alten Mann und einem jungen Mädchen schon im Talmud heftig mißbilligt wird (Sanhédrin 76ab, auch Jevamot 44a).44 Eine solche Ehe löst ja auch gleich zu Beginn des Bovobuchs die Katastrophe aus (vgl. insbesondere Bovobuch 6.8 und PuW 307.5). 6.3.8.2 Schon Boiardo selbst hatte im Eingang seines Canto III—7 (1-2) ein Lob der Freundschaft gesungen. Berni arbeitete dann in Boiardos Canto 1-5 ein Proömium ein (1-5), worin er auf die Frage, ob Verwandtschaft oder freigewählte Freundschaft stärker sei, salomonisch antwortet, am stärksten seien beide zusammengenommen - wie bei den Brüdern und Freunden Rinaldo und Ricciardetto. Nun kommt in PuW ja kein Brüderpaar, sondern 'nur' das Freundespaar Paris und Odoardo vor. Unser Dichter nimmt deshalb im Eingang seines Canto 2 (Stanze 45 f.) zwar implizit Bernis Frage auf, muß sich aber für Freundschaft entscheiden. 6.3.8.3 Hier ist abermals eine Bemerkung zur Chronologie nötig. Berni kam um 1517 nach Rom in die Dienste des Kardinals Bernardo Dovizi da Bibbie43

44

Im Proömium zu Ariosts Canto 43 kommt das wichtige Brautvatermotiv gar nicht vor, auch ist der Gedankenrhythmus dort ein ganz anderer. Im aschkenasischen Bereich wird diese Mißbilligung z. B. sehr deutlich wiederholt im wirkungsmächtigen Sefer hasidim des 13. Jh. (Vulgatfassung § 379, ed. Wistinetzki § 1102).

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Einführung

na und blieb mit kurzen Unterbrechungen in Rom bis zum Sacco von 1527 (Sorrentino 1933:3f.); Elia Levita - um unseren Lieblingskandidaten für die Autorschaft von PuW nicht zu vergessen - war im Herbst 1515 in Rom angekommen, spätestens 1516 in die Dienste des Augustinergenerals Egidio da Viterbo getreten, der 1517 auch Kardinal wurde, und blieb ebenfalls bis zum Sacco von 1527 (Weil 1963: 73-80, 104-110). Daß die beiden sich innerhalb dieses ganzen Jahrzehnts nicht kennengelernt haben sollten, ist unwahrscheinlich, und Elia, dessen eigene Pasquinaden noch nicht lange zurücklagen (Weil op. cit. 57-66), dürfte für ein dichtendes Weltkind vom Schlage Bernis von vornherein einige Sympathie gehabt haben. In Venedig, wo Elia 1529 wieder angekommen war (Weil op. cit. 110), beantragte Berni 1531 beim Dogen die Druckerlaubnis für seine Boiardo-Bearbeitung, wurde aber abgewiesen, vermutlich aufgrund einer Intrige von Bernis Todfeind Pietro Aretino (Sorrentino 1933: 156, Chiòrboli 1934: S. XXVI). Berni kam 1535 in Florenz zu Tode; seine Boiardo-Bearbeitung wurde erst 1541 in Venedig gedruckt (Chiòrboli loc. cit.), nachdem 1540 Pietro Aretino in einem noch erhaltenen Brief an den Drucker sein Einverständnis unter der Voraussetzung erklärt hatte, daß gewisse in der Bearbeitung enthaltene Ausfälle gegen Aretino unterdrückt würden (vgl. etwa Sorrentino loc. cit.). Gerade wegen dieser skandalumwitterten Druckvorgeschichte darf man annehmen, daß das Werk seit 1531 in Literatenkreisen kursierte; es wäre deshalb mehr als gewagt, aus ihm 1541 als Terminus post quem für PuW abzuleiten, gleichgültig, ob das jiddische Werk nun von Elia stammt oder nicht. 6.3.9 In den beiden verbleibenden Fällen - dem Eingang zu Canto 7 und dem Mittelteil des dreiteiligen Eingangs zum zehnten und letzten Canto bewegt sich unser Dichter zwar ebenfalls im ariostischen Proömienstil, läßt sich aber durch keine Einzelstelle aus der italienischen Versepik anregen. 6.3.9.1 Für den Eingang von Canto 7 findet er vielmehr in seiner italienischen Paris-und-Vienne-Vorlage die kurze Mitteilung, Paris habe sich zur Orientfahrt zunächst von Genua nach Venedig, nach zwei Monaten aber zurück nach Genua begeben und dort eingeschifft; in Venedig hätten ihm nämlich »die venezianische Art und Weise« (so die Drucke von vor 1519 und der von 1522) bzw. »die Fahrpläne der venezianischen Galeeren« mißfallen (so der Druck von 1519 und die Drucke nach 1522; vgl. oben 3.6, Fall 7). Die hierin für die italienische Leserschaft evidente unmittelbare oder mittelbare Kritik am Unvergleichlichkeitsanspruch Venedigs regt nun unseren Dichter vor seiner jüdischen Leserschaft an zu einer entsprechenden Kritik am get, dem jüdischen Venedig (376.3). Diese sieben Strophen Satire (374-380) gehören zweifellos zu den einprägsamsten des ganzen Werkes in ihrem maliziösen psychologischen Durchblick, ihrer szenischen Konkretheit und nicht zuletzt wieder ihrer raffiniert-koketten Perspektivik. Denn der Dichter läßt durch den Mund »vieler« (374.1) die Kritik vortragen

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(374.5-378.8), will sie aus Furcht vor den Venezianer Juden nicht noch ausführlicher wiedergeben (379.1-4), behauptet dann aber, die Venezianer Juden »an allen Stätten, auf Plätzen und Gassen« fleißig verteidigt zu haben (379.5-8), und nimmt sogleich diese Verteidigung zurück (380.1-4). Er scheint also unter den Venezianer Juden zu wohnen, fühlt sich aber dort nicht beheimatet und hat möglicherweise eigene dortige Immigrantenerlebnisse noch nicht vergessen. Da nun Paris keinen Grund gehabt hätte, in Venedig gerade das Ghetto zu durchstreifen, läßt der Dichter anders als seine Vorlage nicht Paris selbst nach Venedig kommen, sondern führt die Venezianer Verhältnisse nur als Kontrast zu denen in anderen Städten, speziell Genua, ein (380.4-8). Der Passus ist wiederum (wie oben 6.3.5.3, 6.3.8.3) auch für die Chronologie von PuW bedeutsam, und zwar diesmal gleich in beiden Richtungen. Einerseits fand am 21. Oktober 1553 in Venedig die große Verbrennung aller greifbaren Exemplare des Talmud und anderer inkriminierter jüdischer Texte statt; 1554 gestattete der Papst zwar wieder den Besitz hebräischer Bücher mit Ausnahme des Talmuds, führte aber die systematische Zensur hebräischer Bücher durch Konvertiten ein; erst gegen 1563 kam im venezianischen Staatsgebiet der hebräische Buchdruck wieder einigermaßen in Gang. 45 Die Ereignisse von 1553 wurden von den Juden über Jahre hinaus als nationales Unglück empfunden; daß sich unser Dichter während dieser Zeit eine herbe Satire auf die venezianischen Juden erlaubt hätte, ist so gut wie unvorstellbar. Wir dürfen also den Terminus ante quem vom Druckdatum 1556 (vgl. 2.1) auf 1553 zurückschieben. Andererseits setzt unser Text nicht nur die Errichtung des Venezianer Ghettos im Jahre 1516 voraus, sondern weit darüber hinaus auch, daß seine Einwohner die Gefahr einer erneuten Ausweisung nicht mehr wirklich ernst nehmen, vielmehr auch die Vorteile ihrer weitgehenden Autonomie erkannt haben (377), ja daß sie mit entwaffnender Selbstverständlichkeit von den anderen Juden die Anerkennung dieses Prestigefaktors erwarten (377.8-378.8, 379.8). Eine solche Entwicklung braucht doch wohl ihre fünfzehn bis zwanzig Jahre; speziell verzeichnet ja Calimani (1988: 70-75) für die Jahre 1519-20 und 1526-28 noch schwere Krisen zwischen den Juden und den Venezianer Behörden und glaubt, daß sich erst um 1537 mit dem Inkrafttreten der zehnjährigen Condotta der Ruf des Ghettos weithin über die Diaspora verbreiten konnte. So kann auch unser Text nicht vor den Dreißigerjahren geschrieben sein. 6.3.9.2 Der Eingang zum zehnten Canto schließlich ist das Finale unter allen Cantoeingängen. Zugleich markiert er den letzten Ruhepunkt der Handlung: 45

Vgl. etwa die Synthese bei Calimani 1988: 129-131. Eine monographische Darstellung der Talmudverbrennung veröffentlichte zu ihrem 400. Jahrestag Ja'ari (1953).

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während nämlich der Leser ohnehin seit 525.1-4 im Hintergrunde seines Bewußtseins das Wissen parat hält, daß im heimatlichen Vienne keine Entspannung der Lage in Sicht ist, haben sich auf dem orientalischen Schauplatz am Ende des neunten Cantos (600) die künftigen Fluchthelfer im Ausgleich für kommende Strapazen zu einer besonders gründlichen Nachtruhe niedergelegt; mit ihrer ersten morgendlichen Tat im zehnten Canto, der heimlichen Bereitstellung des Fluchtschiffes (609.7-610.2), werden die Ereignisse irreversibel, weil sie bei einer Entdeckung nicht mehr harmlos zu erklären wären. Mehr als genug Grund also, den Cantoeingang ungewöhnlich reich, nämlich dreiteilig, zu gestalten. Den signalhaften ersten und den unmittelbar zur Handlung zurückleitenden dritten Teil haben wir bereits besprochen (6.3.5.5, 6.3.7); das Kernstück des Eingangs aber ist sein Mittelteil. Denn jenes Recht zum Pausieren auf dem jeweiligen Handlungsstrang bzw. zum Übergang auf einen anderen Handlungsstrang, das der Dichter in Nachahmung der italienischen Epiker passim an den Cantoenden bzw. im Cantoinnern in Anspruch genommen hat (6.1 und 2), steigert sich nun zu einer gleichzeitigen, visionären Sicht auf alle Handlungsstränge. Dabei wird die Möglichkeit, den unvollendeten Text zu vernichten, scherzhaft erwogen (603.1-4), aber als Verrat des Dichters an »seinen Leuten« verworfen; vielmehr wird der Dichter ihnen nacheinander aus ihren Notlagen - die knapp, aber anschaulich rekapituliert werden (604.1-7) - heraushelfen müssen (604.8-605.2). In demselben Augenblick also, in dem der Dichter dem Publikum seine ganze Verfügungsgewalt über die Erzählung vorführt, wendet er seinen Gestalten seine ganze Empathie zu, eine auktoriale Doppelgebärde von eigenartiger Schönheit.46 6.4 Insgesamt ist somit im selben Maße, wie die Kleinstruktur des Werkes durch Wahl und adäquate Durchgestaltung der Stanzenform geprägt ist, seine Großstruktur geprägt durch die Einteilung in Canti und die Durchgestaltung der Cantoform. Wenn wir etwa am Ende von Canto 1 (44.8) die Bitte lesen: »Laßt euch nun den Gesang [bis hierher] als ersten Canto genügen«, so steht dahinter nicht im Sinne der scherzhaften Bemerkung im Vorwort (11.4-8) ein einfacher Entschluß zum Pausieren, sondern die Entscheidung, daß genau an dieser Stelle die Freundschaft zwischen Paris und Odoardo so wichtig wird (44.5-6), daß die Reflexion über den Wert von Freundschaft (Stanzen 45-46) jetzt in einem Cantoeingang ihren Platz finden muß.

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Sie ist so bei Ariost anscheinend nicht zu finden. Wenn Ariost auf die Vielsträngigkeit seines Werkes hinweisen will, vergleicht er reich gewirkte Gewebe (etwa 2.30.5 f.) oder Musikinstrumente mit vielen Saiten (so 8.29.1-4). Immerhin »hilft« Ariost auch einzelnen seiner Gestalten (so 15.9.6-8, 41.46.6-8) und sagt einmal freilich, ohne diesen Gedanken näher auszuführen -, »mehr als eine« seiner Gestalten erwarte ihn (42.23.6). In gewissem Sinn hat also unser Dichter hier ariostisches Denken über Ariost hinausgeführt.

Paris un Wiene und die italienische Literatur (III)

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6.5 Zusammengefaßt: Die Cantoeinteilung, Ergebnis einer sehr schöpferischen Rezeption der italienischen Versepik, speziell Ariosts, gliedert das Werk nicht in inhaltliche Einheiten, sondern prägt ihm einen Großrhythmus auf, der Aspekten der Handlung eine neue Tiefendimension gibt, indem er sie als Aspekte der condition humaine hervortreten läßt.

7

París un Wiene und die italienische Literatur (IV) : Weibliche Schönheitspflege

7.1 Wenn ein jiddisches Werk in seinem Inhalt ausdrücklich auf einer italienischen Prosavorlage beruht, in seiner Struktur aber implizit von der italienischen Romanzo-Versepik geprägt ist, so wird man es auch auf mögliche weitere Einflüsse der italienischen Literatur zu befragen haben. Zwar kann dabei im ersten Anlauf wohl niemand Vollständigkeit garantieren, schon weil manche italienische Werke dieser Zeit nicht neu ediert und deshalb schwer zugänglich sind (wir werden gleich zwei zu nennen haben). Andererseits sei hier wenigstens47 ein Thema, das der weiblichen Schönheitspflege, dargestellt, bei dem unser Dichter mit seinen Versen 175.5-180.8 eindeutig in der italienischen Tradition steht. Freilich ist es hier schwerer als bei den meisten Cantoeingängen, eine einzelne Quelle unter Ausschluß aller anderen anzugeben. Wir führen das Thema ebendeshalb im zeitlichen Längsschnitt vor, wobei wir jeweils diejenigen Motive und Kosmetikbezeichnungen herausstellen, die sich in PuW wiederfinden. 7.2 Während die lateinischen Kirchenväter - so schon Tertullian, Zeno, Ambrosius, Hieronymus, Augustin, Prudentius 48 - das Schminken mit harten Worten als Ausdruck einer Unzufriedenheit mit dem Schöpfer verurteilen, aber sonst auf seine psychologische und natürlich auf seine technische Seite kaum eingehen, manifestiert sich das Thema um 1300 in der italienischen Literatur mit 7.2.1 einem Sonett, das nahezu sicher von ihrem frühesten namentlich bekannten Bohémien, Cecco Angiolieri, stammt 49 und mentalitätsgeschichtlich zukunftsweisend ist: es betrachtet das Schminken gerade nicht mehr aus religiöser, sondern ganz aus der nervlichen Perspektive des Mannes als des Opfers' und beginnt im Zusammenhang damit gegenüber den Kosmetika selbst schon eine Faszination-wider-Willen zu entwickeln, die sich dann zunehmend in listenhafter Genauigkeit kundgeben wird. Wenn seine donna - so 47

48

49

Doch vgl. außerdem unten 8.4.6.1 zum (möglicherweise indirekten) Einfluß von Castigliones Cortegiano auf das Persönlichkeitsporträt, das der jiddische Dichter 31.5-35.8 von Paris entwirft. Wir geben der Einfachheit halber nur die Migne-Stellen an: Tertullian 1.1306, 1321 ; Zeno 11.294f.; Ambrosius 14.260, 16.196; Hieronymus 22.891, 22.1113; Augustin 39.446; Prudentius 59.1030. Wir zitieren nach Vitale (o. J.: 434f., Nr. CXIV). Dort steht das Sonett zwar unter den Sonetti di dubbia attribuzione (op. cit. 430ff.); es ist aber unter anderem im Hauptkodex der Cecco-Überlieferung, Chigiano L VIII 305, enthalten (op. cit. 286, vgl. 83) und wird z. B. von einer so guten Kennerin der altitalienischen Literatur wie Franca Ageno (1955 passim) kommentarlos als echt angesehen.

Paris un Wiene und die italienische Literatur (IV)

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erzählt uns der Dichter - sich morgens nach dem Aufstehen noch nicht geschminkt hat, ist sie das häßlichste Wesen der Welt (vgl. dazu PuW 179). Sobald sie aber biacca 'Bleiweiß, weiße Schminke', allume mit scagliuol[a] 'Alaun mit Alabasterpulver' (vgl. PuW 176.3 und 7) und Rouge 'im Übermaß' aufgetragen hat, bezirzt sie damit alle Männer und hat insbesondere den Dichter 'wohlabgerichtet, kondizioniert' (corredato). 7.2.2 Boccaccio will mit seiner 1354/55 entstandenen Prosasatire II Corbaccio in Form einer Traumerzählung auf etwa neunzig heutigen Druckseiten offenbar eine Art Summa der Misogynie bieten. Dreimal kommt er auf kosmetische Praktiken: 50 mit Schwefel und anderen Mitteln machen die Frauen ihre Haare golden (vgl. PuW 177.1 f.); von geeigneten Handwerkern läßt sich die Protagonistin oriento solimato 'Quecksilbersublimat' und einen Sud aus Eierschalen bereiten sowie von darauf spezialisierten Frauen Brauen und Stirnhaare auszupfen (vgl. PuW 176.3f. und 6, 177.3f.); vor allem aber hat sie51 morgens beim Aufstehen ein 'grüngelbes Gesicht' von üblem Geruch mit 'runzliger', 'krustiger' und 'ganz eingefallener' Haut (vgl. PuW 179.3, auch 180.6) - aber nur, bis sie sich zurechtmacht (leccarsi 'sich lecken', vgl. PuW 179.2 sich [...] lekén), speziell die biacca auflegt. 7.2.3 Noch im 14. Jahrhundert schrieb auch Franco Sacchetti die 135 Verse seiner Canzone contro a la portatura delle donne fiorentine,52 Er ist wie Boccaccio ein guter Beobachter, aber zugleich sein Antipode durch sein Desinteresse an Stil und Perspektivik. Seiner Nüchternheit verdankt die Canzone jedoch ihre pedantisch-klare Gliederung: vom Haupthaar und abermals der Manie des farlo biondo über die Gesichtskosmetika, welche resümierend 'verfluchte Alchemie' genannt werden (vgl. PuW 176.8 ein ebenfalls diese Kosmetika resümierendes vér-vluchtf), über das Auszupfen von Stirnhaaren und Brauen, aber auch über die auf Taille gearbeiteten Mieder (vgl. PuW 178.3), die Fußbekleidung und die mit ihrer Hilfe vorgetäuschte Körpergröße (vgl. PuW 178.2 und 4) bis hin zu extravaganten Überkleidern. 7.2.4 In Le Galee per Quaracchi,53 einem Scherzgedicht (frottola) von 195 Versen, stellt sich Luigi Pulci (1432-1484) vor, für den Kaufmann Quaracchi seien soeben Galeeren eingetroffen, die »zum Entzücken der Damen und zum Martyrium ihrer Ehemänner« (Ageno 1955: 65) so gut wie ausschließlich mit Kosmetika beladen sind. Wie zu erwarten, generiert dieser Grundgedanke einen Katalog, der dank seines Umfangs auch die Mehrzahl der später in 50 51

52 53

Ausgabe Ricci o. J. 469-561, hier speziell 496f., 516f„ 530f. Hier echot Boccaccio übrigens Cecco (quando la mattina del letto usciva [...] prima che posto s'avesse il fattibello < quando [...] esce la man del letto / che non s'ha post'ancor del fattibello), um ihn dann sogleich konkretisierend zu überbieten. Ausgabe Chiari 1936: 144-147. Ausgabe Orvieto 1986: 21-30.

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Einführung

PuW genannten Kosmetika enthält: den allume (in zwei Spielarten), Schwefel für die Haare, 'Eier' (d.h. Eiweißlotion), limoncini 'Zitronen', fior di fave 'Bohnenblüten', die biacca, zuccherino 'Zuckerbrei', den scagliuolo, den so limato und Rouge gegen 'grüne oder gelbe' Gesichtshaut - auch vom 'Säubern' der Brauen und vom 'Enthaaren' ist wieder die Rede (vgl. PuW 176.7, 177.2, 176.6 [3x], 176.3, 176.7 [2x], 176.3, 179.3 bzw. 180.6, 177.3 f.). 7.2.5 Etwa gleichzeitig mit Pulci läßt ein anderer Toskaner, nämlich nahezu sicher Lorenzo de' Medici selbst, in seiner anmutig-rustikalisierenden Nencia da Barberino54 den Bauernburschen seine Nencia fragen, was er ihr denn vom Marktgang nach Florenz mitbringen solle: zur Auswahl stehen neben einem Dutzend kleinerer Accessoires zu Nencias Kleidung auch eine Schachtel mit Rouge und eine mit biacca. Ihre kommentarlose Erwähnung in der sich bäuerlich-realistisch gebenden Nencia zeigt, daß das Schminken damals auch schon in die ländliche Gesellschaft eingedrungen war. 7.2.6 Noch Tommaseo-Bellini (s. vv. solimato, verzino, zuccherino) schrieben auch eine Ballatetta mit dem Anfang Donne vaghe di lisciare 'ihr schminkfreudigen Frauen' Lorenzo zu. Heute gilt sie nur als Produkt aus seiner Schule, ist aber immerhin schon enthalten in einem undatierten Ballatene-Sammeldruck aus den ersten Jahren des 16. Jahrhunderts und einem ebensolchen Druck von Florenz 15 3 3.55 Der Inhaber einer bottegha preist den potentiellen Kundinnen seine Kosmetika an, darunter verzino 'Brasilholz' (als Farbstoff im Rouge; vgl. PuW 176.5) und die uns (mit geringen Varianten) schon bekannten allume zuccherino, allume di rocco, silimato (1533: solimato), biaccha, atiento vivo (1533: oriento fino), delle fave [...] il fiore. 7.2.7 Aus Lorenzos Umgebung kommt auch Bernardo Giambullari, dessen 80 Stanzen umfassender Sonaglio delle donne zwischen 'um 1490' und 'um 1518' mindestens sechsmal gedruckt wurde. 56 Ein Jüngling will heiraten und 54

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Vgl. z.B. die Ausgabe Simioni (1914: 155 und 280): Strophe 17ff. des Cod. Laur. Ashburnhamiano 419, Strophe 20 und 22 der zuerst 1533 gedruckten Vulgatfassung; vgl. ibd. die Anm. auf 360f. Wir zitieren ersteren (fol. 12r) nach dem Exemplar der Palatina in der Nationalbibliothek Florenz D,4,7,8 (von dem uns ein in der Forschung als unbefriedigend bezeichneter Liebhabernachdruck in 75 Exemplaren, Florenz 1911, unzugänglich blieb), letzteren (fol. 4b) nach dem Exemplar der Corsiniana in Rom 57a7 und danken beiden Bibliotheksverwaltungen für die Fotokopien. In keinem der beiden Drucke findet sich vor unserer Ballatetta die Majuskel L, die dort vor anderen Stücken wohl die Autorschaft Lorenzos bezeichnen soll. Zum bibliographischen Hintergrund vgl. im einzelnen Branca 1958: 397, 398, 409, 411. Fünf Inkunabeln seit »um 1490« verzeichnet der GKW Nr. 10911-10914/10; dazu noch einen Frühdruck von 1518 und einen weiteren Frühdruck; hingegen sprach von einem Erstdruck »um 1495« noch Marchetti 1955: 28 n.4, der aber leider das Stück nicht abdruckt. Wir zitieren GKW 10914/10, also den anonymen Druck Le Sonaglie [sic] dele donne ohne Ort und Jahr, aber noch in gotischer Schrift, nach

Paris un Wiene und die italienische Literatur (IV)

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fragt seinen Freund, den Philosophen Silvio, um Rat (Stanzen 1-6); der rät jedoch ab mit einer frauenfeindlichen Begründung (7-70), die in einer detaillierten Entlarvung der kosmetischen Künste gipfelt (53-69). Da finden wir wieder, um die Haare 'leuchtend blond und schön' zu machen, unter anderem den Schwefel (54.6) und eine allume-An (55.2). 'Siehst du die Frau zu Hause, wenn sie schmutzig und nicht aufgemacht ist, so ist sie gelb und grün [...], daß sie aussieht wie' - und nun kommt eine neue, überraschende Parallele zu PuW 180.8 - 'eine freigelassene Teufelin' (una versiera ischatenata, 57.4; vgl. später, auf »die« Frauen bezüglich, noch einmal diavoli scatenati 69.4).57 Sattsam bekannt sind uns hingegen die Hautlotion mit Eiweiß (58.8), das Auszupfen der Brauen (60.2) und anderer Haare, der solimato (63.1) und das sonstige Quecksilber (63.4), die biacca (hier gleich in drei Arten, 63.5f.), der allume di rocca (63.8), der allume zuccherino und der scangiulo ( ~ scagliuolo, 64.1), der verzino (64.7), der fior di fave (65.2) und der Saft von limoni (66.1). Von allen Wirkstoffen in PuW fehlen hier also nur drei ziemlich unspezifische: Speichel, Essig und Öl. Auch hier spielt dann der Dichter e contrario (wie PuW 180.7) das Trumpf-As männlicher Überheblichkeit aus, den Hinweis auf weiblichen Mund- oder Körpergeruch (69.8). Doch der junge Mann liebt sein Mädchen und zeigt sich unbeeindruckt (71-74); daraufhin polemisiert Silvio nicht mehr grundsätzlich gegen die Ehe, sondern beschränkt sich abschließend auf einige Regeln, die gerade das Gelingen der Ehe ermöglichen sollen (75-80). 7.2.8 Auch Ariosi kommt mehrfach auf das Kosmetikthema. Da er aber in sprachästhetischen Fragen Klassizist wie sein Freund Bembo ist und sich offensichtlich von Fachvokabularen keine poetische Wirkung verspricht, bleibt unsere Ausbeute diesmal ziemlich mager. 7.2.8.1 In der Szene V3 der Prosa-Cassaria (Uraufführung 1508) muß der Diener Fulcio auf seine sich zurechtmachende Herrin warten. Er erwähnt in generischen Begriffen weiße und rote Schminke, auch das Auszupfen der

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dem Exemplar Res.4° P.o.it. 331 (Nr. 11) der Bayerischen Staatsbibliothek München, der wir auch für die Fotokopie danken. Der Titelholzschnitt zeigt ein Mädchen, das eine sehr lange Leine mit großen Narrenschellen (ital. sonagli) hält, die einem jungen Mann (in der Tracht der Zeit um 1500) in Gesäßhöhe umgebunden ist; dieser wendet sich an einen Gelehrten in einem kathederartigen Sitzmöbel, der daraufhin erschrocken die Hand an die Brust legt. Eine mit diesem Holzschnitt nicht ganz leicht vereinbare Erklärung des Titels (freilich in der Vulgatform II Sonaglio delle donne) gibt Ageno (1955: 65 n.6). Daß versiera hier essentiell noch Teufelin' (zu [avjversiere, avversario 'der böse Feind, Teufel'), noch kaum einfach 'Hexe' meint, wird durch das traditionelle Bild der 'Entfesselung' der bösen Geister und durch das parallele diavoli nahegelegt. Gerade Toskaner wie Pulci, Berni und hier eben Giambullari benutzen das Wort noch in der alten Bedeutung; vgl. bei Tommaseo-Bellini s.v. die Belege und die Definition »Spirito infernale immaginato dal popolo per atterrire i fanciulli«..

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Einführung

Brauen, vermeidet aber sichtlich alles chemische Vokabular. Die nötige Konkretheit erreicht Ariost hier vielmehr durch Bewegungsverben ('zehnmal drehen und wenden, auflegen, wieder wegnehmen') und Variation der Gefäßbezeichnungen ('Büchsen, Ampullen, Schalen ...'). 7.2.8.2 Für die Versfassung (Uraufführung 1531) hat er den Monolog sehr erweitert, aber von den uns interessierenden Ingredientien weiblicher Kosmetik sind nur die essentiell unchemischen limoni (V 3.23) hinzugekommen. Auch im Prolog (Vers 61 ff.) wird jetzt das Thema schon ebenso abgehandelt. 7.2.8.3 Nur wenig 'chemischer' geht es in Ariosts fünfter Satire zu (geschrieben spätestens 1520,58 Erstdruck posthum 1534; vv. 202-231). Immerhin wird hier der Speichel als Kosmetikbestandteil erwähnt (wie PuW 176.3), ebenso der sollimato, ferner, und zwar als Altersfolgen des Kosmetikagebrauchs selbst, Falten, schlechte Zähne, Mundgeruch. Erwähnenswert ist auch ein gewisser Parallelismus der gestischen Einkleidung: »Wenn Erculan wüßte, was er auf Lidias Haut küßt« (208 f.) ähnelt unserem »Wenn ein armer Mann ein hübsches Mädchengesicht zu sehen glaubt« (PuW 176.1 f.). Ariost rät übrigens der künftigen Frau des Adressaten, sie solle durch Verzicht auf Schminken »den wenigen und nicht der vulgären Menge« folgen (229f.). Wie schon die kommentarlose Erwähnung in der Nencia erweist auch diese Formulierung die fast allgemeine Verbreitung des Schminkens; sie ist ja auch in PuW die Voraussetzung dafür, daß Odoardos Invektive nicht schlechthin ins Leere geht. 7.3 Neben der schönen Literatur nahm sich des Kosmetikthemas auch schon eine reine Realienliteratur an. So werden allume, biacca, Essig und Eiweiß schon erwähnt in einem Libro degli adornamenti delle donne, das aus dem 14. Jahrhundert stammen soll.59 Im 15. Jahrhundert nimmt Carlo (oder sein Bruder Leon Battista) Alberti in seinen primär schöngeistigen, etwa 25seitigen Traktat Amiria, der die Frauen in Fragen der Anmut beraten soll, immerhin fast neun Seiten detaillierte Kosmetika-Rezepte auf; dort finden wir neben vielen anderen Ingredientien auch unsere allume di rocca, fior di fave, biacca, limoni, Brasilholz, Essig und Eiweiß, dazu die silimati, vor denen er warnt. 60 Die große Caterina Sforza (gestorben 1509) hielt in einem dicken Folianten außer medizinischen und chemischen auch sehr viele kosmetische Rezepte fest; eine Abschrift von etwa 1525 ist erhalten, und siehe da, schon im ersten Viertel fehlen von allen unseren Ingredientien bestenfalls Speichel und öl. 61 58 59 60 61

Vgl. die Ausgabe Segre (1954: 548). Manuzzi 1863: 3, 4, 8; zum Datum Battaglia 1961 ff., Quellenliste s.v. Libro. Ed. Bonucci 1849: 5.267-294, speziell 275-284. Pasolini 1893: 3.609-793. Vgl. 619 sublimato, argento vivo, 622 alume de rocho, 627 chiara de ova, fiori de fava, 628 aceto, 630 solforo, 631 limoni, lume zucharino, scagliola, 632 biacha, 650 verzino.

Paris un Wiene und die italienische Literatur (IV)

LXXIX

Ebenso enthält ein Ricettario galante aus dem frühen 16. Jahrhundert gleich auf den ersten zwanzig Seiten seiner Neuausgabe alle in PuW genannten Substanzen mit Ausnahme von Schwefel und öl. 62 An der Sachkompetenz des Dichters von PuW ist also nicht im geringsten zu zweifeln. 7.4 Dennoch braucht PuW dieser Realienliteratur gleich aus zwei Gründen nichts zu verdanken. Zum einen leistet ja ein schöngeistiges Werk wie der Sonaglio schon als Quelle der Kosmetiktermini praktisch ebenso viel, enthält aber über diese literarischen 'Rohstoffe' hinaus auch die Dialogkonstellation Frauenfeind gegen Verliebten mitsamt dem 'Teufelinnen'- und dem 'Geruchs'-Motiv und erweist dadurch das Thema als literarisch ergiebig. Zum andern: selbst wenn unser Dichter über seine schöngeistigen Inspirationsquellen hinaus noch einzelner Zusatzkenntnisse bedurft haben sollte, brauchen diese nicht aus einem ricettario, sie können einfach aus seiner jüdischen Umgebung stammen. Denn die Herstellung und der Vertrieb von Kosmetika waren großenteils in den Händen von Jüdinnen: erhalten ist z.B. der italienische Begleitbrief einer Jüdin Anna zu einer Kosmetiksendung für Caterina Sforza (Pasolini 1893: 3.608); auch Ariost betrachtet in der genannten fünften Satire die auf dem Markt befindlichen Kosmetika ohne weitere Erklärungen als von Jüdinnen hergestellt (und verbindet damit leider eine unflätig antisemitische Bemerkung, vv. 211-216); der Spanier Francisco Delicado berichtet in seinem zwischen 1513 und 1527 in Rom spielenden, 1528 in Venedig erschienenen Retrato de la Loçana andaluza unter anderem, wie eine aus Neapel stammende christliche Familie die professionellen Feinheiten der Kosmetikaherstellung von einer Gruppe von Sefardinnen lernt, wie Jüdinnen überall in der Stadt solimán und Gesichtswasser verkaufen und wie gegen Ende die andalusische Titelheldin als Kosmetikerin die Jüdinnen überflügelt hat; 63 der erste Bibliograph der italienischen Literatur schließlich, Antonio 62

63

Guerrini 1883: 7 u.ö. zucharino (mit Varianten), 8 vergine, 9 u.ö. allume di rocco, lOu.ö. limoni, 10 caggiuolo, 11 u.ö. biacca, 11 u.ö. solimato, 12 aceto 'Essig', 17 argento vivo, 17 salivo 'Speichel', 18 u.ö. fior di fava. - Was die jiddische Überlieferung selbst betrifft, verdient hier eine kurze Erwähnung nur die heute akephale Hs. Stuttgart H.B. XI 17 (auf einem Innenblatt aus Mestre 1474 datiert und vom selben Schreiber ohne erkennbare Unterbrechung fertiggestellt): von ihren fast tausend erhaltenen Rezepten könnte man reichlich fünfzig als kosmetisch bezeichnen. (An dieser Stelle sei Linda Archibald für Vorarbeiten gedankt.) Doch geht es dabei um Haut- und Haarpflege einschließlich Haartönung mit im Durchschnitt einfacheren und naturnäheren Mitteln als in der italienischen Tradition. Einigemal wird Essig, ganz vereinzelt Quecksilber genannt; dabei machen gerade diese sporadischen und unspezifischen Parallelen einem e contrario klar, wie relativ zusammenhängend die italienische Tradition in sich ist. Abschnitte 5, 9 und 48, Ausgabe Damiani 1972: 47, 55, 191. Bei Segre loc. cit. zu lakonisch erwähnt. - Die Tatsache, daß Delicado hier nach Ausweis der Eigennamen eindeutig sefardische, nicht italienische oder aschkenasische Jüdinnen meint, hilft uns übrigens, eine linguistische Einzelheit in PuW zu verstehen, nämlich das unerwartete, aber durch Reim gesicherte -n von solimán (176.3). Das seit etwa 1300 gut

LXXX

Einführung

Francesco Doni, erwähnt (1551: fol. 102v, Ausgabe Bramanti 1972: 396) das handschriftliche Werk Del conservar la faccia giovane einer Rachel ebrea. 7.5 Zusammengefaßt: Für seine Invektive gegen weibliche Schönheitspflege kann unser Dichter zwar einschlägige Kenntnisse auch aus seiner jüdischen Umgebung gehabt haben. Ganz sicher aber hat er sich zur Hauptsache an der italienischen literarischen Tradition dieses Themas inspiriert. Die wohl denkökonomischte Annahme wäre dabei, daß er den seit etwa 1490 häufig gedruckten Sonaglio von Bernardo Giambullari kannte.

belegte alchimistenlateinische sublimatum (vgl. etwa Du Cange s . w . sublimare, sublimato) sollte als durchsichtiges substantiviertes Partizip auch bei der Übernahme in romanische Idiome an sich nicht für Suffixwandel anfällig sein. In der Tat ist -n in Frankreich unbekannt, im Italienischen offenbar extrem selten (Paoletti 1851 s.v. für Venedig; allerdings steht bei Battaglia der Artikel noch aus). Umso alltäglicher war es spätestens seit dem 15. Jh. im Iberoromanischen; ferner registrierte 1505 Pedro de Alcalá xulimán (mit s-) für das Arabische von Granada, und verwandte Formen mit s- oder s-, auf -n oder -ni setzen sich im heutigen Arabisch durch ganz Nordafrika bis in den Libanon fort (zu allen diesen Steiger 1932: 74 n.5, Corominas DCECH s. v. umbral [sic] und Coromines DECLIC s. v. limit [sic]); dazu kommt noch türkisch ak-sülümen (ak 'weiß'). Mit Steiger loc. cit. ist hier letztlich ein Einfluß von arabisch Sulajmän '(König) Salomo' anzunehmen (und wir fragen uns, ob nicht einfach König Salomos »Quelle von flüssigem Erz« im Koran, Sura 34.13 [12], volkstümlich als Quecksilber gedeutet wurde). Für die Übertragung des -n von Spanien ins Venezianische bieten sich dann die Sefard(inn)en an.

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Bearbeitungstendenzen, insbesondere Humor

Durch die Einteilung in Canti und insbesondere durch die Cantoeingänge hat unser Autor, wie wir gesehen haben (Kapitel 6), in sein Werk gegenüber der Vorlage eine durchaus neue Dimension von Welthaltigkeit hineingetragen. Damit ist aber noch nicht die Frage beantwortet, wie er denn im Normalfall - nämlich außerhalb der von ihm als Canto-Nahtstellen ausgewählten Erzählpunkte - seine Vorlage behandelt. In erster Annäherung kann unsere Antwort lauten: er läßt die Szenenfolge des Inhalts nahezu unangetastet, 64 prägt aber umso nachhaltiger die Tonalität der meisten Einzelszenen um durch stärkere Konkretisierungen von Details, durch Intensivierung der Emotionen und vor allem durch Humor. 65 Wo immer im folgenden nichts Gegenteiliges angemerkt ist, handelt es sich also um Neuerungen gegenüber der Vorlage. 8.1 Konkretisierung. Unser Dichter bezeugt immer wieder eine frappante Fähigkeit, durch Umprägung oder Einführung von Details die Suggestivität und Atmosphärik der Erzählung entscheidend zu steigern - »Bilde, Künstler, rede nicht!«. Aus der Fülle der Beispiele können hier aus Raumgründen nur einige - fast willkürlich - herausgegriffen werden; wir bevorzugen dabei (um nicht dem Abschnitt 8.3 vorzugreifen) solche, bei denen Komik nicht oder nur leise anklingt : 64

Die szenischen Verschiebungen bleiben selbst in der zweiten Hälfte des Werkes noch recht geringfügig, nachdem der Autor durch Umfunktionierung des Themas 'Venedig' (vgl. 6.3.9.1) und die religiös bedingte Vermeidung der Reiseetappen 'Rom' und 'Heiliges Grab' (vgl. unten Kap. 9) eine etwas größere Selbständigkeit in der Handlungsführung gewonnen hat. - Obwohl Prozentangaben den Sachverhalt etwas veräußerlichen mögen, seien hier zwei genannt: von allen Aussagen der längsten verfügbaren Inhaltsangabe, der über 15seitigen von Kaltenbacher (1903: 322-337) zur mutmaßlich ältesten französischen Fassung, träfen etwa 85% auch auf PuW zu. Es wären sogar reichlich 95%, wenn Kaltenbacher statt seiner französischen Fassung die italienische Druckfassung beschrieben hätte, und von den dann verbleibenden knapp 5% Diskrepanzen wäre die Mehrzahl religiös bedingt (vgl. unten Kap. 9). Entscheidend gekürzt hat der Autor von PuW die Turnierbeschreibungen; ferner hat er (s. sogleich 8.1) die Trauminhalte durch eine kurze Polemik gegen Traumdeutung, die Brieftexte durch Résumés ersetzt. - Was die Gesamtlänge angeht, so umfaßt die italienische Fassung im Druck von 1543 etwa 75.000, PuW etwa 54.000 Silben. Für einen sinnvollen Vergleich müßte man aber die meisten Finalvokale des italienischen Textes in Abzug bringen; damit stünden sich beide Texte auch in der Gesamtlänge nahe.

65

Als weiteres Charakteristikum der poetischen 'Handschrift' unseres Autors würde z. B. die ungewöhnliche Flüssigkeit seiner Übergänge eine detaillierte Untersuchung in motivischer wie in syntaktischer Hinsicht verdienen; denn sie trägt zur Geschlossenheit des Werkes nicht wenig bei. Wir versagen sie uns aus Raumgründen.

LXXXII

Einführung

- Geradezu genußvolle Etüden in Konkretisierung sind die Aufzählung der Musikinstrumente (55.2-8) und natürlich die ganze Kosmetikszene (vgl. Kap. 7). - Auf der Brabantfahrt, die ihn von seiner Liebe heilen soll, denkt Paris in der Vorlage »Tag und Nacht« so oft an Wiene, daß »ihm eine Stunde wie tausend Jahre vorkommt«. Statt dieser Zeitangabe heißt es in PuW 198.2 als Hintergrund zu Paris' ruhelosen Liebesgedanken: do schlug es echt un" nöün un* zehén. Die clichéhafte (letztlich wohl aus Ps 90.4 banalisierte) Phrase des Italieners wird also ersetzt durch ein objective correlative (im Sinne von T. S. Eliot), wobei auch sprachlich die additive Dreigliedrigkeit sinnfällig das Weiter-Kriechen der Zeit abbildet. - Träume Wienes erzählt unser Autor nicht nach, weil er (400.1-402.4) nicht an Träume glaubt: er würde nicht mal bei einer Erscheinung des Teufels und »aller seiner Höllenknaben« Angst haben, da Träume einfach ein Nachwirken der Probleme des Träumers vom Vortag sind oder aber durch die Dämpfe entstehen, die - ζ. B. vom Senf - aus einem übervollen Magen ins Gehirn steigen.66 - Wo die Vorlage mehrere seitenlange Briefe über Ereignisse, die der Leser ohnehin kennt, wörtlich reproduziert, gibt PuW in gedrängter Form ihre Inhalte wieder und bemerkt (421.6) zu Odoardos Brief: ouf al virseitén vói, ain ganzèr bògén. - Wenn im Orient Paris ahnungsvoll nach dem Namen des kürzlich gefangenen christlichen Spions fragt, antwortet man ihm in der Vorlage ohne Umschweife, er heiße misser lo Dolfino di Viena. In PuW 561.3-5 stehen dafür die zögernden Teilantworten zweier schlecht informierter Sprecher, die - wie in modernen Kurzgeschichten - einzeln von vager Unheimlichkeit, zusammen von bedrückender Eindeutigkeit sind. - Bei dem Gelage, das die Mamelucken in einen Vollrausch versetzen soll, gibt es laut Vorlage buone vivande e boni vini (blasser geht's nimmer), laut Λ/W 617.4-8, 618.4, 619.2 Brezel, Brot, Tauben, Wachteln, Hühner, Kapaune, Kitze, Lämmer und zwei Krüge eines schweren Weins, eines »Kopfbrechers«, von denen »einer für fünf, sechs Menschen ausgereicht hätte«. Dadurch, daß solche Einzelheiten67 vom Leser selbst dann nicht vorhergesehen werden können, wenn er die Szene als Ganzes in ihrem Stellenwert für die Erzählung schon völlig richtig einschätzt, bannen sie die grundsätzlich jeder Erzählung innewohnende Gefahr, gerade durch völlige 'Berechnetheit' als Artefakt zu wirken und hinter der Wirklichkeitserfahrung des Lesers an 66

67

Zur ideengeschichtlichen Einordnung dieser Erklärung vgl. den Kommentar zu 400.8. Weitere sehr diskussionswürdige teils sachliche, teils psychologische Konkretisierungen gegenüber der Vorlage findet man unter anderem 204.8 ('Frauenmedizinen' statt 'Medizinen'), 227.1 f., 240.2, 356.5, 405.5-8, 531.1, 579.4, 580.7, 588.7, 589.1, 628.1, 628.5-6.

Bearbeitungstendenzen, insbesondere Humor

LXXXIII

Komplexität zurückzubleiben. Im Gegenteil erhöhen sie den Eindruck der 'Welthaltigkeit' der Erzählung nicht weniger, wenn auch mit anderen Mitteln, als die reflektierenden Cantoeingänge. 8.2 Intensivierung der Emotionen. Was die Diktion angeht, sind die französischen und italienischen Prosafassungen des Paris-und-Vienne-Stoffes - wie viele andere Romane derselben Zeit - geprägt durch eine leicht oberhalb der mittleren Stilhöhe angesiedelte unerschütterliche Wohlerzogenheit in Wortwahl und Satzbau: das Ideal höfischer mesure verhindert jedes Abgleiten ins Deftige, aber zugleich jede aufhorchen lassende Darstellung ekstatischer Gefühle. Auch in dieser Hinsicht überschreitet unser Dichter die Erwartungen seiner Leserschaft mit geradezu triumphalem Erfolg - und verblüffend einfachen Mitteln. Von den traditionellen Metaphern der Affektdarstellung sind nur die einfachsten vertreten: vom Herzen, das nicht aus 'Stein' oder 'Eisen' ist,68 von den 'Flammen' der Liebe, des Schmerzes oder des Zornes,69 von der 'Lanze', den 'Pfeilen', dem 'Schwert', den 'Ketten' der Liebe,70 von den 'Wunden' der Liebe oder des Schmerzes.71 Selbst sie mußten auf den aschkenasischen Leser des 16. Jahrhunderts ebenso unabgenutzt wirken wie auf den abendländischen des 12., da die gesamte ältere aschkenasische Literatur, ob hebräisch oder jiddisch anders als die der sefardischen und italienischen Juden - die Liebe als Thema oder zumindest deren positive Darstellung tunlichst gemieden hatte (vgl. unten Kap. 9). Viel stärker als durch solche Gedankenfiguren sind in PuW die großen Dialoge aber sprachlich geprägt durch einen äußerst glücklichen Gebrauch der figurae elocutionis und figurae sententiae,72 also durch eine virtuos-flexible Regieführung auf der syntaktischen und der pragmatischen Ebene, wodurch die Rede Natürlichkeit und großen Atem zugleich gewinnt. Man lese unter diesem Blickwinkel einmal bewußt Vater Jakoms große Vorwurfsrede an seinen vermeintlich trägen Sohn (115.3-119.6), vom zweimaligfanalhaften 'sag mir' über die lange Kaskade zornig-rhetorischer Fragen, den Stoßseufzer Ό Gott!', die Konkretisierung jugendlich-ritterlichen Lebens in der Begriffskette 'Sperber, Hunde, Rosse, Zelter', die beschwörend-werbende Doppelanrede (119.2) und die abschließende evokationsstarke Imperativkette - alle diese Züge sind bei prinzipiell gleichem Inhalt der Vorlage fremd! Mit dieser sprachlichen Dynamik einher geht aber auch hier, bei den großen Affekten, ein untrüglicher psychologischer Sinn für die 'Wahrheit der Gebärde'. Wieder müssen wenige Beispiele genügen. 68 69 70 71 72

105.4, 107.5; 153.4, 457.4. 109.2, 151.5, 256.5; 321.7; 456.5. 110.1; 110.4, 219.2; 219.3; 152.6. 110.6, 198.5, 253.2; 273.6, 418.5. Im Sinne von Lausberg 1973: §§ 600-910. - Bewundernswert ist beispielsweise, welche semantisch-rhythmischen Effekte unser Dichter einer so elementaren Figur wie der Aufzählung zu entlocken vermag (z.B. 50.6, 8, 70.3, 168.1 f., 223.2-4, 529.5, 679.3).

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Einführung

- Wenn Paris Odoardo seine Liebe zu Wiene eingesteht (48.1-50.8), stammt das zentrale Motiv 'Versuch mir nicht die Liebe auszureden' erst von dem jiddischen Dichter, ebenso Odoardos kraftvoll-freundschaftliche Antwort. - Die Faszination, die der bloße Eigenname des geliebten Wesens auszuüben pflegt, wird in 49.3,198.3 und besonders originell in 266.5 f. variiert, jeweils ohne wesentliche Anregung aus der Vorlage. - Beim gegenseitigen Liebesgeständnis zwischen Wiene und Paris (256-263) hat erst der jiddische Dichter Wiene das Du in den Mund gelegt sowie die Rhetorik des 'sag mir' und der direkten Fragen, den 'Wer-da-sah'-Vergleich und die abschließende Anreden-Kette hinzuerfunden. - In der Trennungsszene (350-369) verdanken wir neben einer Reihe anderer Motive erst ihm den Umschlag ins Schweigen (367-368) und damit eine der erhabensten Stellen des ganzen Werkes. - So gut wie ohne Vorbild in der Vorlage sind auch der bildkräftig-detaillierte Vergleich von Paris mit einem Fieberkranken, die Stanze 541, ferner Wienes bekenntnishafte Stanze 657 auf dem Höhepunkt ihrer letzten Prüfung. - Erst in PuW ist in Paris' letzter Bekenntnisrede (690.8-692) seine Liebe zu Wiene als veredelnde Ursache all seines Unglücks herausgearbeitet. - Den schönen Versen 698.7-701.8 schließlich, in denen Odoardo, Isabele und Paris' Eltern zum Abschluß noch einmal die ganze menschliche Wärme des Erzählers empfangen, entsprechen in der Vorlage bei gleichem Inhalt einige atmosphärearme Sätze. Was Stendhal als die Aufgabe des Romanciers bezeichnen wird, nämlich les mouvements du cœur nachzuzeichnen, ist für unseren Dichter sicher ein weit zentraleres Anliegen als etwa für Pulci, Boiardo oder selbst Ariost, bei denen man oft den Eindruck hat, die Riesenteppiche ihrer Handlungen genössen den Primat vor allen Bemühungen um vertiefte und konsistente Psychologie. Übrigens ist auch der rhetorisch-stilistische Duktus der Affektdarstellungen bei allen dreien, insbesondere bei Ariost, ein ganz anderer als bei unserem Dichter. 8.3 Humor: die Diktion. 8.3.1 Der sicherste Ruhmestitel des jiddischen Dichters aber, und zugleich sein unerwartetes Gegengewicht zu aller hohen Emotionalität, ist sein Humor. 73 73

Soweit nicht anders vermerkt, verwenden wir diesen Begriff im Einklang mit fast der gesamten neueren englischsprachigen Forschung (z.B. Berlyne 1969, Chapman 1983, Chapman-Foot 1976 und 1978, Goldstein-McGhee 1972, McGhee 1979, McGhee-Chapman 1980, McGhee-Goldstein 1983) und mit manchen deutschsprachigen Veröffentlichungen (z.B. Zinn 1965 oder der dt. Fassung von Zijderveld, 1976) dergestalt, daß er 'Witz', 'Komik' und einen 'Humor im engeren Sinn' einschließt. Im Englischen wird manchmal auch comedy ('das Komische', so Ruggiers 1977) oder the laughable (so Grant 1924) in diesem Sinn gebraucht. Im Deutschen

Bearbeitungstendenzen, insbesondere Humor

LXXXV

In den nichtjiddischen Fassungen des Stoffes findet man bestenfalls 74 zwei Einzelszenen, die die Bezeichnung 'komisch' verdienen. Sie sind auch in PuW erhalten geblieben, nämlich die Szene, in der die eingekerkerte Wiene dem unerwünschten Freier eine Todkrankheit vortäuscht durch den Geruch der verfaulenden Geflügelstücke, die sie unter die Achsel gesteckt hat, und jene andere, in der Wiene sich zur Freude des Dolfin zur Heirat mit dem 'Morgenländer' bereit erklärt, der sich ihr, aber noch nicht dem Dolfin als Paris zu erkennen gegeben hat. In beiden Fällen steckt die Komik in der Handlung selbst, nicht erst in der Beleuchtung, die auf sie fällt; es sind zwei episodische Einfälle, der zweite allerdings so theaterwirksam, daß noch Molière ihn für das Ende seines Bourgeois gentilhomme übernommen hat. Aber abgesehen von diesen beiden Szenen hat kein anderer als unser jüdischer Autor in dem Paris-und-Vienne-Stoff je komisches Potential gesehen. 8.3.2 Demgegenüber ist das jiddische PuW mit Humor gesättigt, und zwar einem Humor, der, sofern nur der Leser dem primären Wortsinn einigermaßen zügig zu folgen vermag, bis heute ungewöhnlich frisch und kraftvoll geblieben ist. Was an ihm dem Leser am stärksten auffallen muß, ist, daß er sich thematisch kaum eingrenzen läßt: wovon auch gerade die Rede sein mag, die nächste Stanze, ja der nächste Satz kann eine flapsige Bemerkung bringen. Offensichtlich haften in den Augen des Dichters komische Aspekte nahezu allem menschlichen Tun an. 8.3.3 Eine Unterlage für ihre Darstellung - und im Gesamtgemälde eine Art zweite Grundierfarbe, komplementär zu jener hochemotionalen (8.2) - ist ein breites Register ziemlich derber Sprache: sie ist meist 'körperbezogen', findet sich häufiger, sofern überhaupt das Bedürfnis für einen überdachenden Begriff empfunden wird, 'das Komische' bzw. 'Komik' ; in allen Sprachen ist es ferner möglich (und seit Bergson zunehmend beliebt), mit einem gewissen Kategorienwechsel auf den Begriff 'Lachen' auszuweichen (Titel bei Mader 1977:146-152, vgl. auch 134-146). Letzteres ist nicht unproblematisch, weil der 'Humor im engeren Sinn' oft nur zum Lächeln Anlaß gibt. Global sei hier die Klage erlaubt, daß speziell bei der traditionellen, meist philosophisch-ästhetisch oder literaturtheoretisch inspirierten kontinentaleuropäischen Forschung Mehrdeutigkeiten der Grundbegriffe, verbunden mit Kargheit des vorgeführten Beispielmaterials, es oft fast unmöglich machen, mit vernünftigem Zeitaufwand zu entscheiden, wie viel oder wie wenig ein Autor bei einer Aussage mitgemeint hat; umgekehrt kann bei der neueren angloamerikanischen, meist zünftig-psychologischen Forschung die schiere Fülle der Veröffentlichungen, die Verlagerung des Interesses auf Randbereiche des Literarischen sowie die Neigung zu experimentell-statistischen Methoden den Literaturhistoriker vom systematischen Dialog abschrecken. 74

So in den französischen und italienischen Prosafassungen, die uns ja allein zu interessieren brauchen (oben Kap. 3 passim). Hingegen fehlt z. B. im lateinischen Text die zweite Szene, im griechischen Erotòkritos die erste, die zweite ist dort stark umgearbeitet (5.1509ff.).

LXXXVI

Einführung

doch nahezu unter Ausschluß der sexuellen Sphäre.75 Der Autor wendet sie ungeniert auch auf seine Personen aus der Oberschicht an und legt sie ihnen sogar in den Mund. So ist Dolfin mit Paris' Vater, seinem Lehnsmann, 'gesotten und gebraten', d.h. er steht mit ihm auf sehr vertrautem Fuß (31.1-4); andererseits wird er seiner Tochter wünschen, daß sie 'verfaule' und in stiiklich falle (481.7), er 'wirft' einen sorgsam ersonnenen Vorwand schließlich 'heraus', bringt ihn also vor (504.1) und kommt in den Orient her-zu-drabén (528.6). Paris' Vater kann bei seiner Malaria 'nicht scheißen' (200.7), macht vor seiner Bittrede ein vür-géhous (299.1), wünscht sich selbst die Diarrhoe ins Gebein (297.7), bringt endlich den gruz heraus (299.5), muß aber géschnöüzt davongehen (310.5). Odoardo stellt sich für einen Augenblick vor, Paris und er hätten es wol géschisèn ('säßen tief in der Patsche' 131.4); er 'treibt sein Geschwätz lange an' (187.5) und schreibt in seinem Brief 'der Reden mehr als ein Fuder' (409.8); er und Paris sind sozusagen 'aus einem Loch' (265.5). Paris läßt sich nach Meinung seines Vaters hin-tipéln, 'führt ein schlaffes Leben' (114.8); er wird vom Autor einmal der arum tropf genannt (251.1), macht in der großen Bittszene gegenüber seinem Vater ein vor-gèbreï und sonstiges firél-fai' (288.1, 3), muß fürchten, der Dolfin werde ihn hinpurzeln lassen (320.6), muß mit dem gastfreundlichen Pfaffen hin-drabén ins gemeinsame Bett (336.4); er liegt seiner Wiene - und sie ihm - im kröpf (251.3, 393.5); mit dem zu befreienden Dolfin und dem Mönche will er nach Europa hin-weké schnurén (612.8). Isabele schwört in der Not 'dem Teufel ein Bein ab' (387.1); sie und Wiene reagieren in der Angst der Entführungsnacht (beinahe?) mit einer Diarrhoe (331.6) und fürchten im Kerker, bald 'die gagén zu verkehren', also im Tod die Beine von sich zu strecken (664.6). Wiene macht 'ein Geschwätz und Gebrumm', d.h. sie treibt Konversation (203.1), sie erklärt im Zorn, 'auf Geld und Gut, mit Verlaub, zu scheißen' (223.1), läßt 'mehr Seufzer, als sie Haare hat' (227.3), wird, wie Paris fürchtet, bald 'mit einem König hin-streichén' (276.6), ist dann aber, wie ihr Vater feststellen muß, 'zum Teufel gelaufen', also durchgebrannt (341.8), und will schließlich angesichts der Pläne ihrer Eltern 'vor Leid krepieren' (435.2). Selbst die Worte eines Rabbiners auf einer Hochzeit werden - freilich in einem negativen Satz - als gizén 'schwätzen' bezeichnet (696.6). Ein solcher Autor vermutet dann wohl auch zu Recht, seine Leserschaft schreibe ihm 'soviel Speichel wie sonst dreien' zu (13.6).76 8.3.4 Oberhalb dieser 'grundierenden' Schicht sind nun in der Fülle der komischen Einfälle, der vielen 'Farbtupfer', wenigstens zwei Untergruppen noch formal leicht abzugrenzen: auktoriale Bemerkungen und Sprichwörter. 75

76

Nur die Widersacher von Wienes Schönheit dürfen 102.7 f. von anderen Mädchen behaupten, sie seien hüpschér in arsch as si untèrm ponim. Ferner ist 167.2 (aber im irrealen Satz!) möglicherweise grob-sexuell zu nehmen. Einzelne weitere Belege für derbe Sprache haben wir nebenbei schon zitiert in 6.1.1, 6.3.5.1 (Gegensatz zu Ariost!), 6.3.5.2, 6.3.5.3, 7.2.2, 7.2.4, 7.2.7.

Bearbeitungstendenzen, insbesondere Humor

LXXXVII

Zwar sind als Bauelemente einer Erzählung die auktoriale Bemerkung und das Sprichwort keineswegs automatisch komisch (auch in PuW gibt es von beiden ziemlich viele nichtkomische Vorkommensfälle), wohl aber sind sie durch den plötzlichen Fall von der objektiv wirkenden Narration in die pure 'Meinung' des Ich bzw. des 'man' ausgesprochen anfällig dafür, daß sich in ihnen jene 'Inkongruität' manifestieren kann, die etwa von Kant bis heute von der Mehrzahl der Forscher als das zentrale Wesenselement von 'Komik' (und 'Witz') angesehen wird.77 8.3.4.1 Der auktoriale Humor zeigt sich in PuW sehr charakteristisch in den Cantoein- und -ausgängen sowie beim Wechsel der Handlungsstränge; entsprechend haben wir ihn schon in Kap. 6 mitbehandelt. Doch auch mitten in der 'normalen' Erzählung finden sich nicht wenige witzige Einfälle - sei es, daß der Dichter durch die Handlung an seine 'unglückliche Liebe' erinnert wird,78 daß er sich im unerwarteten Augenblick als ein die Handlung mitgenießen wollender Zuschauer in Erinnerung bringt (72.1-4, 430.2), daß er manchmal in koketter Absprache mit der Leserschaft - über den nächsten Erzählschritt entscheiden zu können vorgibt (139.7f., 140.2-8, 216.8, 626.7f.), daß er gegen Ende sein Misogynie-Thema mit einzelnen neuen Zügen nochmals durchexerziert (708.4-716.2) und dabei gar seinen Junggesellenstatus in eigentlich frivoler Weise mit dem Kommen des Messias in Verbindung bringt (716.3 ff.) oder daß er die Handlung in anderer Weise kommentiert. 79 8.3.4.2 Was humorig gebrauchte Sprichwörter angeht, haben wir in Kap. 6 zweimal beobachtet, wie unser Autor ein solches neu einführte (6.3.5.4f. zu 106.8 und 607.8), und zweimal, wie er eines von Ariosi übernahm (6.3.5.5f. zu 606.7f. und 182.5-7). Damit ein Sprichwort witzig wirkt, braucht es nicht unbedingt, von der Erzählung aus gerechnet, eine Metapher zu enthalten: wenn Paris und Odoardo nach dem Sieg über die zehn Häscher des Dolfin sich von den dann aufgestellten fünfundzwanzig nicht fangen lassen wollen, sagt der Dichter ganz unmetaphorisch (75.7f.): man spricht, wi' màn ni' vand asó ain lapén, der sich mèn as ain mol ni' lis dér-schnapèn.80 Im großen und ganzen jedoch wirken in PuW Sprichwörter umso witziger, je tiefer der Leser nicht nur allgemein in den Denkstil der Kollektivweisheit, sondern gleichzeitig durch eine Metapher in einen unerwarteten Vorstellungsbereich hinein'fällt', z. B. in die Tierwelt.81 77

78 79 80 81

Die Theoriegeschichte z.B. bei Keith-Spiegel 1972:7ff. Eine eminent lesbare, wenn auch persönlich geprägte Darstellung der Theorie gibt Koestler [1989]. Den rezenten Diskussionsstand referiert z.B. Suis 1983. Diese Stellen wurden schon in 6.3.5.6 Anm. 42 aufgezählt. Z.B. 119.8, 207.6, 336.5-8, 355.8, 424.8, 521.3f., 585.3-6, 628.8, 665.3f. Vgl. auch 282.8. Tiere: 106.8, 211.8, 457.7f.; partiell: 459.5f„ 607.8. Blumen: 182.5-7. Berge: 606.7f. Feuer/Stroh: 430.5f. Sonstiges: 132.5f„ 199.8, 223.8, 293.4, 316.7, 320.8, 432.2. Witzige Addition zweier Sprichwörter (und dadurch faktisch Bildmischung): 166.7f.

LXXXVIII

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8.3.5 Ästhetisch wirken die derbe Sprache (8.3.3), das 'Dreinreden' (8.3.4.1) und der Appell an die Kollektivweisheit (8.3.4.2) leicht debunking, haben den ungefähren gemeinsamen Nenner 'Man soll sich im Leben nicht so leicht imponieren lassen', humani nihil a me alienum puto. Zusammengenommen sind sie, wie gesagt, ein Gegengewicht zu der hohen Emotionalität (8.2). Doch neutralisieren sie diese nicht einmal dann, wenn sie ganz gelegentlich mit ihr unmittelbar zusammentreffen. So bemerkt der Dichter im eigenen Namen in eine Klage Wienes hinein, diese Klage 'hätte wohl auch einen Stein aus einer dicken Säule herausspringen lassen' (521.3f.); ähnlich in eine Klage Wienes und Isabeles hinein, 'selbst ein Hund hätte beim Zuhören weinen müssen' (665.3 f.). Hören wir uns aber auch je ein Beispiel aus Paris' und aus Wienes Mund an. Paris kann inmitten der hochemotionalen Worte, mit denen er Odoardo seine Liebe zu Wiene eingesteht, verkünden, diese Liebe werde dauern, bis er selbst 'zu Mist' werde (49.5). Und als Isabele - weniger aus Konventionalismus als aus begründeter Furcht vor dramatischen Komplikationen - Wiene daran erinnert, daß sie statt des unebenbürtigen Paris einen Herzog oder König heiraten könne (220), lautet Wienes Antwort wie folgt (221-223): Wiene Sprich: »dein dé'e wer, mein huid un' leib sólt ich nit gebèn ain èdèl mensch, der ?ür mein èr hòt zehèn môl gêwogt sein lebèn? ich sag dir nun un ich dir schwer, ich hab den lib, der is mir ebèn! un wil in libén ach bis in mein endèn, un dein hüntisché réd sòl mich nit wendèn. Was sólèn mir vil herzégé sün, di' tag un nacht im gelt um-schürén un" sein nit gut un' sein nit kün, vir meil zu gén vür iré türén? di' édèl èr is al zeit grün, dás keren gut kan niimèr dürén. gelt un' gut un' land mag man vèr-lirén, ain mensch ain guts, dàs kan niimèr perirèn. In gelt un' gut ich mit urlab scheis ! der is mir gut un' Vrum un' bidér, der is mir hiipsch un' ròt un' weis, géschikt un' stark in al sein glidèr. drum sag ich dir mit al mein vleis: réd mir kain wort nit mén dàrwidèr! un' gib mir hulf un' ròt mit al dein vleisèn odèr mir werèn bôsé niis mit anàndèr beisèn.«

Wie hier auf engem Raum, so vereinigen sich auch in der Gänze des Werkes der Humor, sogar der sprachlich derbste, und die Emotionalität zu einer

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höheren Einheit, die Erzählkunst des jiddischen Dichters wird zu einem großen Wechselbad, das den Leser eine ungewöhnlich breite Spanne menschlichen Fühlens miterleben läßt. 8.4 Humor: die Charaktere. 8.4.1 Besonders eindrucksvoll zeigt sich die Breite und zugleich die Abstufung dieses Humors in der Darstellung der Charaktere, und zwar bemerkenswerterweise gerade dann, wenn wir als Vergleichsfolie den Komödientyp wählen, der par excellence mit dem Begriff 'Charakter' verbunden ist und überdies strukturell mit unserer Handlung vergleichbar ist: eben jenen, den Molière zumindest in L'Ecole des maris, L'Ecole des femmes, L'Amour médecin, L'Avare, Monsieur de Pourceaugnac, Le Bourgeois gentilhomme und Le Malade imaginaire gestaltet hat.82 Hier konzentriert sich bekanntlich die Komik ganz überwiegend auf eine einzige Gestalt, einen Familientyrannen mit einem beherrschenden Charakterfehler, der von den ersten Szenen bis ins dénouement mitleidlos der Lächerlichkeit preisgegeben wird; nur wenn Molière eine weitere Person ausschließlich als Heiratskandidaten des Tyrannen für seine Tochter einführt, 83 partizipiert auch diese voll an der Lächerlichkeit (Monsieur de Pourceaugnac im gleichnamigen Stück, Thomas Diafoirus in Le Malade imaginaire). Am anderen Pol des Spannungsfeldes, bei den Liebenden, mag es zwar einmal einen dépit amoureux geben, und zumindest in der Ecole des femmes werden ihre Handlungen auch durch die Gegenzüge des Tyrannen schrittweise vorangetrieben; meist aber sind die Entstehung und das Warum der Liebe nur recht unspezifisch dargestellt. In PuW müßte bei ähnlicher Bearbeitungstechnik fast alle Komik zu Lasten von Dolfin gehen und insbesondere von den Liebenden tunlichst ferngehalten werden. Gerade das ist nicht der Fall. 8.4.2.1 Dolfin erscheint zunächst als ein König 'wie im Märchen', als bewunderns- und liebenswerter 'friedlich-mächtiger' Herrscher mit einer Hauptstadt, die man, wie es juxig-übertreibend heißt, 'in einem Monat nicht umkreisen' kann (14). Seine herzliche Liebe zu seiner Frau (15.2) und beider Gebet (16) werden schließlich von Gott durch Wienes Geburt belohnt. Auch ein treuer Freund scheint er seinem Vasallen Jakom zu sein (31.1-4). 8.4.2.2 Als er beim Musikerwettbewerb eine freundliche Miene zum Mißlingen seiner eigenen List machen muß (56), mischt sich erstmalig etwas Komik in sein Charakterbild; als er beim Aufstellen der zehn (60.7-61.8) und erst recht der fünfundzwanzig Häscher (73.5-74.8) eine schnell zunehmende 82 83

Mit stärkeren Abweichungen auch in Tartuffe und Le Misanthrope, die deshalb im folgenden außer Betracht bleiben. Anselme in L'Avare und Tartuffe im nach ihm benannten Stück sind nur 'nebenbei' solche Heiratskandidaten, ihre Hauptfunktion ist eine andere.

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Bedenkenlosigkeit zeigt, wird diese Komik bitterer. Immerhin bleibt er noch lange ein liebender Vater, der mit seinen Ablenkungsversuchen (57.7f., 83-84) unwissentlich fördert, was er am meisten fürchten würde (83.6-8). Mit hintergründiger Ironie, die man herkömmlicherweise 'tragisch' nennen würde, käme sie hier nicht in einem komischen Werk vor, läßt der Dichter ihn zu Wiene über den unerkannten Turniersieger sagen (149.5f.): bin ich ims nit zu vòr-geltén gut, so bit ich gçt, er sòl ims lone - wobei der Vordersatz, der der Ironie erst die volle Würze gibt, in der Vorlage noch fehlt. Auch Dolfins anfängliche ahnungslose Bonhomie gegenüber dem Bittsteller Jakom (296.5 f., 298.7 f.) ist von unserem Dichter als höchst wirksame Folie zum kommenden Drama viel plastischer, genüßlicher herausgearbeitet als in der Vorlage. Sie schlägt abrupt um, sobald jenes Reizthema im Raum steht, das seit Menschengedenken der härteste Prüfstein sozialer Bezüge ist: das Konnubium. Während die Vorlage aber Dolfins Nein als reines Standesdenken formuliert (o villano!, cosi bassa conditione), macht der jüdische Dichter hinter diesem Standesdenken schon - in einer für das Renaissance-Italien durchaus realistischen Weise - das Motiv des Geldes explizit (302.3 f., und zehnmal das in der Vorlage fehlende Wort 'Geld' zwischen 303.1 und 309.1). Dolfins moralischer Abstieg in den nächsten knapp zweihundert Stanzen ist dann ein eindeutiger. Komisch an ihm ist jetzt im Umgang mit seiner Tochter und schließlich auch mit dem von ihm selbst auf die Bildfläche gerufenen Freier eine sich welterfahren dünkende, aber zu kurz greifende Schläue (394.6, 395.6-8, 426.4f., 432.2, 432.7-434.8, 436.8-437.2, 450.6-452.4, 453.5-454.8, 460.2-6), die mehrfach schon ins ebenfalls komische 'heulende Elend' umschlägt (437.8, 441.4-8, 442.8, 449.1-4, 450.1-2, 453.1-4, 461.5-465.8). Mitleid des Lesers wird aber noch verhindert durch gleichzeitige Kundgebungen einer gewissen dämonischen Freude (300.5f., 311.7f., 312.5f.) und zunehmender Brutalität (343.3-6, 384.2, 388.6-8, 438.3-4, 439.6-7, 440.5-8, 456.1-457.7), obwohl auch diese der Komik nicht bar sind. 8.4.2.3 Dolfins Wiederaufstieg in der Sympathie des Lesers beginnt gleichzeitig mit seinem Orientabenteuer. Rührend der kandide Übereifer (503.1-4), mit dem Dolfin sich zu dem gefährlichen Späherdienst im Orient bereit erklärt. Für Komik sorgen weiterhin die ausdrückliche Suche nach einem Vorwand (503.8-504.1), dann dieser selbst: 'Pilgerfahrt zum Eiterngrab!' (vgl. dazu unten 9.3.1), schließlich die (Ver-)Kleidung des Pseudopilgers: wo die Vorlage nur unspezifisch sagt vestito a modo de peregrino, staffiert sich unser Dolfin aus mit breitem Hut, typischem Pilgerstab und einem schlechten Mantel, 'als hätte er keine drei Heller' (503.5-505.6). Diese Verkleidung gewinnt neben der tiefstapelnd-komischen eine zweite, nunmehr makaber-komische Dimension, als Dolfin ihr zum Trotz (oder sogar an ihr) durch Verrat erkannt werden kann (527.7, 528.7 f.) und sie nun zum materiellen Beweis seines Spähertums wird. Mit seiner Einkerkerung setzt dann ohnehin das Mitleid des Lesers ein, auch der Autor ist ihm nur 'ein wenig feind' (537.5). Komisch

Bearbeitungstendenzen, insbesondere Humor

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wirken - eben weil der Leser ja auf ein glückliches Ende der Geschichte rechnet - seine Angstanfälle und sein Torkeln während der Befreiung (613.2, 625.6,627.5-8). Der begeisterte Empfang durch seine Untertanen (631.7-633.2) erinnert uns an sein Renommée. Vor allen Dingen aber steht er gegenüber seinem Retter zu seinen Versprechungen, was ihn freilich in der Heiratsfrage sofort in eine komplex-komische Situation bringt (641.1-4). Doch legt ihm unser Dichter von nun an ausgesprochen noble Reden in den Mund (634.4-636.8, 641.5-642.6, 694.2-695.8), wenn man von einer gewissen Selbstgerechtigkeit gegenüber Wiene absieht (685.1-687.8). Ein letztes Mal ist er doch diesmal mitsamt seinem ganzen Hofstaat - Gegenstand saftiger Komik im großen Augenblick seiner Sprachlosigkeit (693). Dann erweist er sich als endgültig geläutert eben dadurch, daß er die Heirat auf der Stelle stattfinden läßt - wobei diese ganze Stanze (696) in der Vorlage nur durch ein unklares in sua presenza und ein zu PuW geradezu gegenläufiges, clichétreues con grandissimo triompho e festa vorgebildet ist. 8.4.2.4 Vorgegeben ist unserem Dichter also nur die allgemeine Entwicklungskurve von Dolfins Charakter; charakteristisch für ihn selbst ist hingegen, daß die Komisierung die Gestalt in ihrer Komplexität bewahrt oder sogar bereichert, statt sie zu typisieren. Vergleicht man einerseits die Art, wie in PuW die 'Geldgier' (jedenfalls in der Begrifflichkeit unseres Dichters) als Movens des Dramas in diesen komplexen und wandlungsfähigen Charakter eingebunden ist, und andererseits z.B. die Monomanie, mit der Molières Arpagon, ebenfalls aus Geldgier, vom Beginn bis zum Ende der Handlung an seiner Kassette hängt, so wird der Unterschied deutlich zwischen einer individualisierend-realistischen und einer typisierenden Komik - und wir sehen nicht, warum er zum Nachteil der ersteren ausschlagen sollte. 8.4.3 Anders als Molière hütet sich unser Autor auch davor, den vom Tyrannen' gewünschten Schwiegersohn um des Effektes willen von vornherein als Karikatur zu zeichnen; Paris wird nicht umso größer, je kleiner sein Nebenbuhler ist, eher im Gegenteil. Der Nebenbuhler ist vielmehr der 'beste' Kandidat nicht nur (wie Monsieur de Pourceaugnac oder Thomas Diafoirus) in der verzerrten Perspektive eines Einzelnen, die vom Publikum sofort als solche durchschaut werden soll, sondern auch nach dem Urteil von Dolfins Gattin, Schwager und Lehnsherrn und damit nach dem allgemeinen Wertekodex seiner Pairs, des Hochadels. Obwohl unser Autor erklärt, jetzt gegenüber seiner Vorlage kürzen zu wollen (428), berichtet er von dem hithen doch mit sichtlichem Detailgenuß (426-427, 429). Der 'edle Junge' (430.1) verliebt sich in Wiene schon auf ihren Ruf großer Schönheit hin, 'und wenn das Feuer das Stroh schmeckt, dann kennt ihr ja den Gang der Dinge' (430.1-6). Nur wenig trübt sich sein Charakterbild ein, wenn wir sehen, wie naiv er gegenüber Dolfins Machenschaften ist und sich 'vorläufig' nach Hause schicken läßt (450.5-455.8). Aber 'stärker zieht ein einziges Haar einer geliebten Frau

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als drei oder vier Zugochsen'. So reitet er bald wieder nach Vienne, diesmal jedoch, wie unser Dichter genauer und süffisanter als die Vorlage sagt, mit zwölf statt hundert Begleitern (459.8, vgl. 430.8), weil er mit gespielter Unbefangenheit schon als Glied der Familie auftritt und der noch immer unsichtbaren Wiene im Hause jetzt nachspürt 'wie die Katze der Maus' (461.1-4). Dennoch macht er auch in den beiden entscheidenden Aussprachen mit Dolfin und Wiene durch seine höfische Redegewandtheit noch eine ziemlich gute Figur (466.1-468.4, 474.1-475.8). Erst vor Wienes scheinbarer pestartiger Krankheit ergreift er die Flucht und 'füllt' jetzt aus Sorge um die eigene Reputation mit der Nachricht von Wienes Krankheit das Land: 'wem er es nicht selbst mitteilen konnte, dem ließ er es nach Hause entbieten' (480). Zwar verbreitet sich auch in der Vorlage von ihm aus die Krankheitsnachricht durch ganz Frankreich, doch ohne daß seine Reputation dabei eine Rolle spielt. Die Schlußnote, mit der er in PuW die Handlung verläßt, ist sicher nicht besonders edel, aber vom Autor nicht nur witzig-realistisch konzipiert; sie hat auch die dramaturgische Tugend, wenigstens im Rückblick sein Abblitzen als charakterlich nicht ganz unverdient erscheinen zu lassen. 8.4.4.1 Graf Jakom ist zugleich Dolfins Vertrauter (30.1-31.4) und Paris' Vater; in unserer Fabel muß er dadurch zwischen zwei Feuer geraten. Und da ihn in der einen Richtung seine Lehnsmannstreue, in der anderen seine Vaterliebe an energischem Vorgehen hindert, steckt in seiner Gestalt ein beträchtliches Potential an Komik der Schwäche. Auch hier ist unser Erzähler der erste, der dafür Gespür hat. Schon Jakoms oben (8.2) formal analysierte Vorwurfsrede an Paris zeigt inhaltlich mehrere ichbezogen-wehleidige Züge (117.6-8, 118.4-8), die in der Vorlage fehlen, ebenso seine Bittrede an Odoardo (159.6, 160.2 und 5f.). Als subjektiv ehrlich rühren sie uns; da aber ihre Ursache, die pessimistische Einschätzung von Paris' Entwicklung, objektiv grotesk verfehlt ist, wirken sie zugleich komisch. Und während Jakom dabei in der Vorlage den Bischof nur als Paris' neuen Mentor erwähnt, hat der jiddische Dichter dieses Motiv insidiös-komisch zu einer Furcht Jakoms gesteigert, der vòr-vlucht pischöf könne Paris behext haben zu dem Entschluß, 'Mönch oder Pfaffe' zu werden (115.4-8, 160.7f.). 8.4.4.2 Wie unser Erzähler dann sogar Jakoms wirklicher Krankheit (199.4f.) gegen die Vorlage beträchtliche Komik abzugewinnen versteht, verdient aus prinzipiellen Gründen eine genauere Analyse. Die Vorlage berichtet, Paris' Vater sei von una terribil febre befallen worden, so daß die Ärzte schon für sein Leben fürchteten. Dann aber habe sich das Fieber als terzana entpuppt, also unter den essentiell drei Malaria-Arten als jene mildeste lästige, aber kaum je tödliche -, die in Südfrankreich (wo ja die Handlung spielt) seit Menschengedenken praktisch die einzige, in Oberitalien immerhin

Bearbeitungstendenzen, insbesondere Humor

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die bei weitem vorherrschende war.84 Sie ist seit der Antike eindeutig definiert durch ihre Fieberanfälle an jedem - in älterer Zählweise - 'dritten' Tag, also alle 48 Stunden; 85 nur verlaufen oft, ganz wie es die Erzählung voraussetzt, die allerersten Krankheitstage dramatisch, aber unspezifisch. 86 Mit der Herausbildung des Terzana-Charakters, so die Vorlage weiter, sei nun der Kranke außer Gefahr gewesen, wenn auch noch zu langer Bettruhe gezwungen. Wie man sieht, ist die Darstellung der Vorlage frei von visueller Aufdringlichkeit und frei von Humor. Unser Autor beginnt stattdessen mit einem ganz leise einschränkenden 'zwar' (Es war wol wor, 200.1): Paris' Vater hatte 'wirklich' die ritèn. Das Wort bedeutet im 16. Jahrhundert allgemein 'Fieberanfälle', sehr häufig aber prägnant 'Wechselfieber, Malaria'. Es folgt ein aufdringlich konkretes und zunächst besorgniserregendes Detail: der Kranke hatte sogar roten Urin (200.2). Die Medizin des 16. Jahrhunderts kennt diesen Befund bei anderen, z.T. sehr schweren Fieberkrankheiten; 87 doch findet er sich oft während der eigentlichen Hitzephasen auch bei der Terzana.88 Unser Autor muß beides gewußt haben; denn zunächst wird jetzt Paris alarmiert (200.3f.); dann aber hat der Vater sein Fieber iìbèr den dritén (seil. Tag) (200.5), womit die Gefahr vorüber sei (200.6). Damit kann in diesem Zusammenhang nur der TerzanaRhythmus gemeint sein, so daß 'über' distributiv ('jeweils, jeden ...', DWb über 16d, temporal-distributiv) und der 'dritte' Tag im alten Sinne zu nehmen ist. Erst nachdem so mit 200.6 die objektive Ungefährlichkeit der Krankheit betont ist, geht das subjektive Drama mit 200.7 f. in seine - komische - Gipfelphase. Während nämlich die Anfangstage der Terzana eher mit Diarrhoe einherzugehen pflegen,89 tritt mit dem ruhigeren Terzanarhythmus - dessen allmähliches Verebben ja die Genesung darstellt - ein Abschlaffen auch der Verdauung ein, dem die alte Medizin durch 'Purgieren' begegnete.90 Unser Autor beschreibt nun im engen Rahmen des Stanzenschluß-Reimpaares erst sehr drastisch die Konstipation, die übrigens den Kranken ärger mitnehme als das Fieber (200.7), dann nicht nur drastisch, sondern auch plastisch (als Steigerung der 'Purgier'-Idee) die notwendig werdenden täglichen Klistiere 84

85

86 87

88 89 90

Vgl. etwa Westphal-Mohr 1961: 223f. oder den Artikel Malaria von E. Marchiafava (der selbst um die Malariaforschung große Verdienste hatte) in der Enciclopedia Italiana, hier 990f. Die quartana ist um ein Vielfaches seltener, die tropica reichte nur mit Ausläufern von Mittel- nach Oberitalien hinein. Vgl. Westphal-Mohr 1961: 217f., 225, Marchiafava (wie vorige Anm.), hier 995, oder den (auch den Forschungsstand des frühen 20. Jhs. klar resümierenden) Artikel Malaria von Kind (1928) in Pauly-Wissowas Realencyclopädie, hier 831f., 833f. Die Belege für lat. tertiana z.B. bei Glare 1976 s.v. Westphal-Mohr 1961: 217, 224f. Vgl. etwa Lorenz Fries 1529: fol. 133", 134r, 135r für 'Causon'-Fieber, die drei Arten von 'Sinochus'-Fieber und die 'Quartana', aber nicht (fol. 134r) für die Tertiana'. Westphal-Mohr 1961: 227, 229; Art. Malaria im Pauly-Wissowa 832. Westphal-Mohr 1961: 228 unten; Brockhaus, Art. Malaria (von 1986). Fries 1529: fol. 134r zur Terzana.

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(200.8). Wie später in der Eingangsszene von Molières Malade imaginaire, nur weniger dezent, ist dabei das Motiv 'Klistiere reihenweise' geeignet, den Kranken aus einem Subjekt der Handlung in ein Objekt ärztlicher Abläufe zu verwandeln. Und da wir gerade durch 200.6 (bzw. bei Molière schon durch den Titel des Stückes) von der Ungefährlichkeit der Situation unterrichtet sind, ist damit dieses Objekt zum Lachen (über 200.7 und 8) freigegeben. Wenn der Erzähler nun ganz kurz danach den noch bettlägerigen Jakom mit einer gewissen zeremoniösen Würde zu umgeben scheint (202.7, 205.5), so muß unter der Nachwirkung jener Roßkur auch diese Würde betulichkomisch wirken. Das gilt auch für Jakoms Selbstdiagnose (203.3-8). Denn im 16. Jahrhundert kannte man zwar noch nicht den bakteriellen Charakter der Malaria, wohl aber seit der Antike und gerade in Italien die ganz offensichtliche Rolle der stehenden Gewässer und der warmen Jahreszeit, so daß die Krankheit allgemein als Infektion durch Miasmen galt.91 Paris' Vater muß deshalb auch auf die Leserschaft des 16. Jahrhunderts larmoyant gewirkt haben, wenn er die durchgemachte Krankheit vielmehr als psychisch bedingt darstellt, eben durch die 'Fehlentwicklung' seines Sohnes (203.5-204.2). Eine zusätzliche Dimension der Komik tut sich dann noch dadurch auf, daß die wirkliche Ursache dieser 'Fehlentwicklung' höchstpersönlich, aber ahnungslos diese Klagen anhört. 8.4.4.3 In Jakoms großer Doppelszene schließlich, seinem Dialog erst mit seinem Sohn, dann mit seinem Herrn (287-302), zeigt er gegenüber seinem Sohn zunächst genau jene komische Bonhomie der völligen Fehlerwartung, die dann Dolfin einen Augenblick gegenüber Jakom selbst zeigen wird. Aber was bei Dolfin in Brutalität umschlagen wird, schlägt bei Jakom in Angst um. Diese Angst nun wird zum roten Faden einer geradezu umwerfenden Komik: Motive wie 'sich setzen' contra 'stehenbleiben' (296.5-8), Begriffe wie vür-géhöüs (299.1), überhaupt die Kette der Angstreaktionen in 298.5-299.5 würde man in der Vorlage vergeblich suchen. Insgesamt ist der Text selbst so fulminant eingängig, daß jede erklärende Paraphrase überflüssig wird. 8.4.5 Odoardo und Isabele sind 'flankierende' Gestalten für die beiden Titelhelden. Gestalten dieses Typs werden leicht zum Dauerzuhörer oder bloßen Echo. Ein guter Erzähler kann dem z. B. entgegenwirken, indem er ihre Ratgeberfunktion betont und mit einer gewissen, mäßigen Spannung zur jeweiligen 'Hauptperson' füllt. 8.4.5.1 Als Paris angesichts des ersten Turniers (in Vienne) noch schwankt, ob er teilnehmen soll, rät ihm Odoardo: in der Vorlage ohne scherzhafte Nebentöne, in PuW hingegen 'lachend' (91.5), womit er zeigt, daß er den uneingestandenen Willen des Freundes auszudrücken sich bewußt ist. Seinen 91

Art. Malaria der Enciclopedia Italiana 987, Art. Malaria im Pauly-Wissowa 837 ff.

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größten Auftritt in PuW hat er, als er, 'gern oder nicht gern' (183.2), auf Jakoms Bitte die große frauenfeindliche Diatribe vorträgt. Sie ist in der italienischen Druckfassung zwar vorhanden, aber sehr matt; das unübertreffliche Glanzstück in PuW (Stanzen 165-185) haben wir bereits in 6.3.5.6 und in Kap. 7 analysiert. Als in der zweiten Hälfte der Handlung Paris' Weg weit von Wiene und somit auch von Jakom und Odoardo wegführt, ist dadurch die funktionale Selbständigkeit Odoardos ohnehin gegeben: er wird sozusagen zu einem in Frankreich verbliebenen Statthalter des Paris, nämlich zum Helfer Jakoms, Wienes und Isabeles. Der Ernst der Ereignisse läßt jetzt freilich nur noch gelegentlich humorige Glanzlichter zu. Gegenüber der Vorlage sehr verlebendigt ist Odoardos 'freudiger Schrecken' (405.7) beim Empfang von Paris' erstem Lebenszeichen aus Genua. Überhaupt neu ist seine Erwägung beim Weggang von Dolfin, daß jetzt die allgemeine Wachsamkeit erschlaffen und niemand auf seine Tunnelbauaktion achten werde (508.3-8). 8.4.5.2 Isabele lebt mit Wiene seit deren frühester Kindheit, wie im einzelnen ausgeführt wird (Stanzen 24-27), gleich as di' töüblich in irèn nesîèn (25.6, die Vorlage ist blasser). Zu gewissen Spannungen muß es kommen, sobald Wiene bei der Besichtigung von Paris' Zimmer diesen als ihren bisher namenlosen Anbeter erkennt (210.1-211.4) und Isabele sofort die sozialen Schwierigkeiten voraussieht. Sie kontert denn auch mit der spöttisch-sprichwörtlichen Frage: 'Gibt es denn keine andere rote Kuh auf der Welt als diese?' (211.8) und muß von nun an energisch warnen (220, 316), freilich nur um vor den noch energischeren Antworten Wienes (221-223, 317.1-318.4) in die Knie zu gehen (224.1-6, 318.5-319.4); denn - wollen wir unserem Dichter auch diesen Rückfall vergeben? - 'die Frauen sind alle wankelmütig' (318.6). 8.4.6 Kommen wir zu den beiden Titelgestalten, zunächst zu Paris! 8.4.6.1 Paris wird gleich bei seiner ersten Nennung in PuW eines ausführlichen Entwicklungsporträts seiner Persönlichkeit gewürdigt (31.5-35.8), eines Porträts, das wir zwar nicht eigentlich humorvoll, umso eindeutiger aber heiter-hochgemut nennen dürfen: der Bogen spannt sich von Intelligenz, Schönheit, Kühnheit, physischer Stärke, Unabhängigkeitssinn, guter und früher schulischer Bildung über die Pflege von Instrumentenspiel, Gesang, Tanz und gesitteten Scherzen bis hin zu allen Formen der Jagd und des Turnierens. Kurzum, wir haben ein Porträt des vollendeten Renaissancejünglings vor uns.92 Doch nennt hier die italienische Vorlage explizit nur die schulische Bildung, die Jagd und das Turnieren und schiebt dann vermittels einer Globalformel über edelstes ritterliches Leben alle weitere Veranschaulichungsarbeit dem Leser zu. Von einem Porträt des Renaissancemenschen kann man 92

Einen - freilich aus Narrationsgründen verkürzten - Widerschein dieses Ideals finden wir auch im Munde Jakoms (116.5-117.3, 119.3f.) und Wienes (221.1-6, 222.5-223.6), beidemal in bezug auf Paris.

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also verblüffenderweise erst bei dem jiddischen Dichter sprechen. Und hier scheint uns vieles deutlich zu verweisen auf Castigliones Cortegiano (geschrieben vor 1518, Erstdruck 1528): das Ganzheitsideal als solches; die Mahnung, daß gerade der körperlich Geschickte sich nicht leichtfertig in Handgreiflichkeiten hineinziehen lassen dürfe (Cort. 1.21; vgl. PuW 32.4); die aktive Ausübung der Musik {Cort. 1.47-48: sie ist für den Edelmann non solamente ornamento, ma necessaria, vgl. auch Cort. 2.13-14) einschließlich der Fähigkeit des sicheren Vom-Blatt-Singens {Cort. 1.47 intendere ed esser sicuro a libro·, vgl. PuW 33.5f.) sowie des Spielens möglichst mehrerer Instrumente {Cort. ibd.; vgl. PuW 33.1 in alèn[\] saitén-spil, auch PuW 52.3 f.), wobei die dolcezza della musica vor allem der Werbung um edle Frauen dient {Cort. 3.52; vgl. PuW 5~i.\)\ die Ausübung des höfischen danzare und nach Meinung einiger auch des volkstümlichen ballare {Cort. 2.11, 2.10; vgl. PuW 33.4 tanzén un* ach springén)\ weiter - daran kann sich Castiglione in fast fünfzig Abschnitten (2.41-89) kaum genugtun - die höfische Kunst der facezie, giochi, motti, burle (vgl. PuW 33.7f.); und schließlich das an unserer Stelle dem heutigen historisch Lesenden auffällige, wenn auch dem jiddischen Dichter vielleicht nicht bewußt gewordene Fehlen jeder religiösen Fundierung dieses Idealporträts. Ob freilich unser Dichter das Werk selbst gelesen hatte oder ob lediglich dessen Wirkungen auf ihn ausstrahlten, ist bei einem solchen nicht-narrativen Anreger von fast 500 Seiten schwer zu entscheiden. 8.4.6.2 Im Verlauf der Erzählung hat Paris nun Gelegenheit, nahezu alle diese Tugenden unter Beweis zu stellen. In einer Hinsicht verschieben sich dabei aber die psychologischen Gewichte doch wesentlich : während im ersten Teil der Erzählung die tumbe Sprachlosigkeit des jungen Liebenden die Grundlage der Komik bildet - und zwar in so evidenter Weise, daß wir das hier nicht im einzelnen nachzuzeichnen brauchen -, verlangt von ihm allmählich die Grundstruktur der Handlung ein immer größeres Maß von weltkluger List und schließlich von Verstellung, die sich dann erst ganz zum Schluß kathartisch auflösen. Als magischen Augenblick des Gleichgewichts zwischen beiden Determinanten der Komik kann man die große Szene des gegenseitigen Liebesgeständnisses zwischen Paris und Wiene (252-263) ansehen. Hier erreicht Paris' Tumbheit ihren Höhe- und zugleich Schlußpunkt in dem so komischen Wie-erschlagen-Dastehen (259; die Stanze ist weitaus plastischer als der Text der Vorlage!); fast gleichzeitig aber hat sich seine Simulationsfähigkeit glänzend, wenn auch erfolglos gemeldet in dem Vers 'neulich schenkte mir das alles ein fremder Ritter' (255.8). Der Gedanke gehört schon der Vorlage an, doch erst der jiddische Dichter gibt ihm umwerfend komische Kraft, indem er ihn in einen einzigen Vers, charakteristischerweise den Stanzenschlußvers zusammendrängt: das Geständnis des Täters schien schon komplett, da bringt er in seinem letzten Satz den 'großen Unbekannten' ins Spiel.

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8.4.6.3 Sobald das gegenseitige Liebesgeständnis gesprochen ist, gibt es für beide Liebenden Gelegenheit zu gemeinsamer Cleverness. Man darf das Vertrauen des Bischofs nicht überstrapazieren, der ja von seiner Galeottorolle nichts ahnt (262.5-8); und man trifft sich am besten (263.7f.) in ainèm kelèr tif, an aim gégatèr, dás es nit merkèn kunt mutèr noch vatèr.

Demgegenüber hat der italienische Erzähler die Anwesenheit des Bischofs schlicht vergessen, erst recht also ihre komische Potenz nicht erkannt, und matt genug läßt er die Liebenden sich wieder 'zum selben Ort' verabreden, von dem wir vorher nur erfahren haben, daß er 'erlaubt und ehrsam' sei. Als alles für die Entführung vorbereitet ist, läßt Paris in PuW die Damen wissen (330.lì.), si' sòltèn j'enè nacht baid seinèr wartèn; er wolt si' kumén hòlèn durch den gartèn.

In der Vorlage fehlt eigentlich nur das durch den gartén - und erst wenn man es wegläßt, erkennt man seine komisch-evokatorische Kraft: es injiziert dem abstrakten Thema 'Entführung' den notwendigen Eindruck perfekter Ortskenntnis. 8.4.6.4 Mehr als genug Gelegenheit zur Verstellung hat Paris dann im Exil. Der jiddische Dichter betont hier klarer und gestisch einprägsamer als die Vorlage die gewinnende Wirkung auf andere, so auf die Falkner (554.1-555.2, 570.1-4, 571.7-572.6, 577.2-6), den Sultan (573, 575f.), den Kadi von Alexandria (579f.), die beiden Mamelucken (583.5-8, 584.5-8, 597.3-8, 616.Iff.), aber auch auf die christlichen Mönche, denen er sich ja auch nicht voll entdecken kann (555.7 f., 566.1 -4, 591.1 f., 599.1 -4 und 8) sowie auf Dolfin selbst (592.1 -4, 594.5 f.). Da die gesamte Erzählung damit steht und fällt, daß die Leserschaft diese ungewöhnlichen psychologischen Erfolge von Paris akzeptiert, widmet unser Dichter ihnen - ohne Vorbild in der Vorlage - noch die schöne Stanze 585, in der er zum Spaß Paris verdächtigt, ein verborgenes Amulett zu tragen. 8.4.6.5 Die Tatsache, daß sich Paris ein für allemal sogar gegenüber seinem Mönchskomplizen und Dolfin als des Französischen unkundiger morgenländischer Christ ausgegeben hat, gewinnt ihre volle Komik erst durch die Rückkehr nach Frankreich (630.5-8, 637.8-638.2, 649.7f., 652.6f„ 654.5f.). Der letzte Effekt, den ihr unser Autor - und wieder erst er - abgewinnt, ist zugleich der schönste. Nachdem Paris Bischof und Mönch hinausgeschickt hat, weil er auf Wiene noch einmal ohne Zeugen einreden wolle, und kurz darauf mit einer heiratswilligen Wiene und einer ebenfalls fröhlichen Isabele herausstürzt, äußert in der italienischen Vorlage nur der Mönch seine 'Verwunderung' über diese 'schnelle Vertrautheit'. Der jiddische Erzähler hingegen hat das Stich wort tôùtèn 'Gebärdensprache' eingeführt: Paris schickt die Geist-

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lichen hinaus, weil er seinen Heiratsantrag durch bloßes tôùtén wiederholen wolle (670.3). Als er in kürzester Zeit Erfolg hat, fragen sich die Geistlichen bange, was das für ein wirkungsmächtiges tôùtén ist (682) : der eine glaubt an bübérei, der andere wohl sogar an Zauber; denn er macht hundert Kreuze. Und Paris kann, scheinbar befremdet, sogar auftrumpfen, die Geistlichen erreichten durch endloses Reden weniger als er durch tôùtén (683.3). Der Kitzel dieses frühen Hymnus auf nonverbale Kommunikation besteht natürlich darin, daß sich hier gerade die Geistlichen das tôùtén taktil vorstellen müssen. 8.4.6.6 Und jetzt ist es für Paris hohe Zeit, alle Verstellung aufzugeben. Als er im Orient von Dolfins Einkerkerung erfahren hatte, empfand er für einen Augenblick eine vraid, di' in was stechén, wie unser Dichter dieses ambivalente Gefühl meisterhaft auf den Begriff bringt (562.2); hiergegen mobilisiert Paris sogleich neben echtem Edelmut auch einen weniger selbstlosen Gedanken: wolt er mir schoun nit gebén Wiene, lecht - hilf ich im - do wert ers kene (562.7f.; vgl. auch 608.5f.). Diese Beimischung ist offensichtlich der Preis, ohne den der welterfahrene und einem psychologischen Realismus verpflichtete Dichter an einen so fulminanten Sieg des Guten, wie ihn die weitere Handlung bringt, nicht glauben könnte. Die Vorlage spricht hier zwar von 'vielerlei Gedanken' in Paris' Kopf, explizit macht sie davon aber nur lupenrein-selbstlose. Als Paris dann den angeketteten Dolfin sieht, ist auch in PuW sein Fühlen wieder ungemischt: un"sein herz bégan sich vast zu sènén (590.4). Doch sich ihm zu erkennen zu geben, wagt er erst, als Dolfin Wiene und ihn zusammengegeben hat. Jetzt endlich kann Paris die Maske mit einer Emphase (690-695) fallen lassen, die der jiddische Dichter sichtlich genossen hat. 8.4.7.1 Wiene bleibt zwar in der gesamten Erzählung im Gegensatz zu Paris, der ja bis nach Indien gelangt, ständig in ihrem Heimatland. Doch in dem zentralen Teil, wo wir beide in unmittelbarer und bewußter Interaktion miteinander sehen - von dem Augenblick an, wo Wiene die Identität ihres Anbeters erkennt, bis zur Trennung während der gemeinsamen Flucht vor Dolfin - ist sie eindeutig die intellektuell Führende, und in der gesamten Erzählung ist sie die moralisch Bewußtere, fähig zu unkonventionellen, aber aus allgemein anerkannten Prämissen schlüssig hervorgehenden und mit heroischer Konsequenz durchgehaltenen Entscheidungen. Das gilt nun freilich schon für die französischen und italienischen Vorstufen; doch hat der jiddische Dichter insgesamt diese Züge noch verstärkt. Als erstes sollten wir uns klarmachen, daß seine drei großen komisch-frauenfeindlichen Tiraden (105-106; 165-167, fortgesetzt mit 171-185; 708.5-713.6) Wiene nicht treffen, sondern zu ihr eine Folie e contrario bilden sollen. Die mittlere tut dies angesichts von Wienes Taten vorher und nachher im Gesamtverlauf der Handlung, die erste und dritte sogar unmittelbar und explizit durch die Nachbarschaft einer Lobeshymne auf Wiene in 107.1 ff. (Gèbenscht

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sòlstez Wienesein ...) und in 708.1 ff. ( Wiene vèr-dinèt noch ain krön ...). Die erstere dieser Lobeshymnen hat der Dichter ohne Vorbild in der Vorlage geschaffen zusammen mit seinem Eingang zum dritten Canto, als er inmitten der Handlung die Entstehung von Wienes Gegenliebe resümierend reflektieren wollte. Die letztere, am Ende der gesamten Handlung, ist angeregt durch das abschiednehmende Vattene in pace o Viena prudentissima der Vorlage, aber durch das schöne Symbol der 'zweiten Krone' sinnfälliger geworden. Zu Paris' Lob äußert der Dichter nirgends im eigenen Namen etwas von ähnlicher Insistenz. 8.4.7.2 Das gilt auch von einem dritten, nun aber humorigen und verkappten Lob und zugleich Signal für Rang Eins in der Erzählung, das der jiddische Dichter, symmetrisch zu dem Schlußlob, aber ohne jede Anregung durch die Vorlage ganz an den Anfang der Handlung gestellt hat: es sind die dramatischen Umstände schon während der Schwangerschaft von Wienes Mutter, besonders aber bei Wienes Geburt (Stanzen 19-23). In der traditionellen Literatur wohl aller Völker - etwa im Mythos, im Märchen, in der Hagiographie - verläuft ja oft schon diese Frühphase des Helden, auch wenn er vielmehr eine Heldin ist, ausgesprochen ungewöhnlich; die Komplikationen können bis zum Tod der Mutter im Kindbett gehen (so im Aschenbrödel-, im Wunderkind-, im Schneewittchen-Märchen Aa-Th 51 OA, 708, 709). Eben dadurch wird der Protagonist bzw. die Protagonistin der Handlung zum erstenmal strukturell als solche(r) ausgewiesen. Unser Dichter erweist diese Ehre Wiene, nicht Paris. Zu diesem Zweck hat er als erstes ausdrücklich die Atmosphäre der Gattung 'Märchen' (durchaus im heutigen Wortsinn) evoziert (14.2); weiterhin staffiert er das Thema mit Einzelheiten aus dem Aberglauben seiner Zeit aus, die komisch-belanglos schon durch die Unmittelbarkeit wirken, mit der sie einander neutralisieren (Stanze 21); durch das talmudische Motiv vom Eid der Mutter in Geburtsnöten 93 leitet er die Erzählung in ernstere Bahnen zurück (Stanze 22), läßt dann aber durch das rein zeitliche as bald (23.2) die Frage einer Kausal Verknüpfung zwischen dem Eid und der unmittelbar folgenden Geburt (23.3f.) letztlich - und wohl mit hintergründigem Lächeln - offen. Zur Bewillkommnung der neuen Erdenbürgerin überträgt der Dichter eine Formel des Bovobuchs vom männlichen auf das weibliche Geschlecht. Dort hat es von Drusiane geheißen (443.5f.): dò géwan si ain schônén, veinén sun, / ain grósén, ain waidlichén, ain langèn, hier jetzt von der Königin: ain gròsé, ain diké, ain schônè maid / was si' nun do mit lib géwinén. 8.4.7.3 Auch Wiene bekommt nun ihr Entwicklungsporträt (Stanzen 25-29). Doch gibt es für das weibliche Geschlecht eben kein rechtes Analogon zum Cortegiano. So vervollständigt der Dichter seine Vorlage hier offenbar nach 93

Vgl. dazu den fortlaufenden Kommentar zu 22.8.

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eigenem Gutdünken: er fügt die vier Verse über weibliche Handarbeiten hinzu (26.1-4), darunter den anschaulich-schönen von Wienes weisèn klòrèn hend. Bei diesen Versen hat zwar wahrscheinlich das traditionelle jüdische Mädchenbild anregend gewirkt, in dem die Handarbeiten schlechthin nicht fehlen durften; 94 doch gehören sie ja andererseits auch in den Kanon des Weiblichkeitsideals der Renaissance. 8.4.7.4 Wienes große, aber nicht 'standesgemäße' Liebe mobilisiert dann und rechtfertigt zugleich reichlich - ihre Aktivität einschließlich ihrer Fähigkeit zur List. In der Vorlage war ihr Schwächeanfall in Paris' Zimmer echt; unser Dichter hingegen hält ihn für gemimt (212.4-8) und läßt Wiene nach dem Hinausgehen der unerwünschten Zeugen schneller vom Bett aufspringen, als er es berichten könne (214.1-4). Bei der Wegnahme von Paris' Trophäen erwähnt er ohne Anregung durch die Vorlage zuerst e contrario die großen, nicht versteckbaren Schilde: Di' schilt zu lósén duchi si' sein gut (225.1) - und läßt so die unversehens entflammte 'Entnahme'-Lust Wienes (und Isabeles) ihre Grenze amüsanterweise erst an der physischen Größe der Beutestücke finden. Als Wiene ihrer Mutter gegenüber das Gespräch auf den Bischof bringt, tut sie das scheinbar planlos: Ain sému'e si' in di' andér muschi (238.1) und strapaziert ungeniert das Vokabular der christlichen Seelsorge: sie 'gehe vielen Lüsten nach', 'sündige' dadurch 'wahrscheinlich'(!) und habe nichts für ihr Seelenheil getan (238.3-6). Auch vergißt sie sicherheitshalber nicht, den 'frommen Mann', dessen Rat sie sich wünscht, nebenbei als 'einen alten' zu qualifizieren (238.7). Die Mutter dankt daraufhin Gott für diese Entwicklung ihrer Tochter ungleich emphatischer als in der Vorlage (239.7f.) und glaubt fügt erst der jüdische Kenner seiner katholischen Umgebung hinzu -, Wiene wolle beichten (240.8). Daß Wiene stärker als Paris die anschließende Entwicklung vorantreibt, macht unser Dichter immer wieder durch sprachliche Signale klar, die so in der Vorlage nicht zu finden sind: als die erste Aussprache mit Paris durch dessen Winkelzug (255.8) ergebnislos zu bleiben droht, da 'legt sie ihre Scham beiseite' (256.3) und redet ohne Umschweife ; als Paris abermals nicht weiter weiß (282.1-4), entgegnet sie energisch asó wil ich nit bleibén hengén und schlägt die Werbung durch Paris' Vater vor (282.6, 284.7f.); als sie schließlich ihres Vaters anderweitige Pläne für ihre Verheiratung ernstnehmen muß, fürchtet sie wiederum, daß sie möcht bleibén klebèn (314.6), und faßt ein heimliches Verlöbnis mit Paris ins Auge (315). Dazu muß sie auch Isabeles Bedenken überwinden. Sie tut es schon im italienischen Text durch eine Selbstmorddrohung, die unser Dichter dann aber spektakulärer faßt: aiη mesér zieh ich ous der schaid (317.5-8). 94

Vgl. etwa Berliner 1900: 12f., Pollack 1971: 33, speziell Anm. 99 (auf S. 200).

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Im Augenblick äußerster Gefahr kann List selbst gegenüber Paris vonnöten sein: als dieser sich in sein Schwert stürzen will, entwindet es ihm Wiene mit einer falschen Versprechung (361.6-363.4). Die Szene steht schon in der Vorlage, ist dort aber schlecht erzählt. Während der Entführung gefaßt, muß Wiene sich schweren Herzens auf Geheiß ihrer Eltern, um Gerüchten entgegenzutreten (394.6), ausgiebig auf Hoffesten zeigen. Der Dichter kleidet diese Idee der Vorlage wieder mit einer Motivfolge aus dem Bovobuch (320.4-6) ein; wie im wesentlichen schon dort, so kennzeichnet auch hier ein gewisses komisch-divahaftes Übersoll die innere Verkrampfung (396): Di' erst war si' al mól bei dem tanz un ging hérein zu brangèn herlich mit rök, di' warèn güldén ganz, un gut gèstain un hupschè perlich. in ainèr hant hilt si' den schwanz, un' in der andér hat si' werlich ain hûpschèn vedèr-pusch, den haist màn wédèl; den hilt si' untèr der nas, di maid édèl.

Auch hier hat Wiene einen Hintergedanken: durch ihr Wohlverhalten erreicht sie die Freilassung von Paris' Vater (398). 8.4.7.5 Nachdem durch den Hühnchentrick (schon in der Vorlage) der burgundische Freier abgeblitzt ist, gibt es freilich im Alltag der Kerkerhaft keine Gelegenheit mehr zu Listen. Selbst unser Dichter kann jetzt nur den Abwehrreaktionen Wienes hier und da einen komischen Aspekt abgewinnen: so wenn sie hinter dem hohlen Rufen ihres Namens aus der Kerkerwand nicht Odoardo, sondern makabrerweise zunächst den Todesengel vermutet (510.5-8), wenn sie über das Abprallen des Hühnchentricks an dem 'Morgenländer' erschrickt (650.1 f., und nicht nur 'sich wundert', wie in der Vorlage) oder wenn sie über das unangemeldete Wiedererscheinen dieses Morgenländers empört ist (668.3-6). 8.4.7.6 Eine letzte, aber zugleich die schönste, Gelegenheit zur List bietet erst die Schlußszene. Wo in der Vorlage Wiene trocken erklärt: o padre mio dilettissimo, io sono apparecchiata ad obedire tutta la vostra volontà, hat PuW die geradezu genießerisch durchgeführte Stanze (688): Wiene sprách: »ó libèr et, ich hab an öuch vreilich tun brechèn. iz wais ich, dás ich unrecht tet; drum wil ich öuch nit mén vür-schwechén un wil als tun, was ir dó ret, un es sòl sein, as ir tet sprechèn, un öuch zu lib wil ich disèn man nemèn, un dàs ichs nit tet, bin ich mich schemèn.

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8.4.8 Die kulminierenden Verse 704.1-706.3 schließlich, in denen unser Dichter ohne die geringste Anregung aus seiner Vorlage den körperlichen Vollzug der Ehe seiner beiden Hauptgestalten thematisiert, bringen nicht nur endgültig deren Lebenswege, sondern auch den hochemotionalen und den humorigen Grundaspekt der Kunst unseres Dichters zur Deckung. Da sie aber dem jüdischen Denkhintergrund des Dichters Entscheidendes verdanken, werden wir in Kapitel 9 noch kurz auf sie zurückzukommen haben (9.4.4 mit Anm. 133). Die Vorlage gibt auf gut einer Druckseite noch einen Ausblick auf die Kinder des Paares und auf den Tod von Dolfin und Jakom. Unser Dichter drängt diese Perspektive energisch zurück (707.1-4) und bemerkt stattdessen von dem Paar selbst mit dem dramaturgisch sicheren Instinkt des großen Erzählers (707.5-6): es is génuk, dás ich si' her / háb alé baid gébrócht zusamén. 8.5 Humor: Institutionen und Kollektive. Alle bisher erwähnten Gestalten in PuW sind als Individuen dargestellt und von Typisierung so weit wie irgend möglich entfernt; stattdessen ist der Dichter einer persönlichen Ästhetik verpflichtet, die wir aus Mangel an einem prägnanteren Ausdruck als psychologischen Realismus auf den Spuren der mouvements du cœur bezeichnen dürfen. Graduell anders steht es mit der Schilderung von Institutionen und Kollektiven - und von einigen Nebengestalten, die im wesentlichen nur eine Institution oder ein Kollektiv verkörpern sollen. 8.5.1 Das trifft bereits auf den König von Frankreich, Dolfins Lehnsherrn, zu: er möchte sichtlich als der gute König schlechthin dastehen. Als sich die Frage nach der Schönsten zu blutigen Streitereien seiner Ritter auszuwachsen beginnt, ersinnt er schon in der Vorlage zur Befriedung das Turnier mit den drei Bannern. Aber die Vorlage läßt diesen Plan durch Boten in ganz Frankreich vortragen und verwendet dazu ausgiebig die indirekte Rede; in PuW hingegen ruft der König seine Getreuen zusammen und trägt selber den Plan in direkter Rede vor (123.6-127.4). Abermals entspricht der indirekten Rede der Vorlage die direkte in PuW bei des Königs Abschiedsworten an Dolfin als den Repräsentanten der siegreichen Partei, und diesmal erlaubt sich der königliche Sprecher vor lauter Leutseligkeit sogar ein apò koinû (146.7). Es ist verblüffend, wie sehr beidemal so einfache Mittel den 'Landesvater'-Eindruck verstärken. Weniger altruistische Nebentöne werden dann aber laut in der Aufforderung des Königs an Dolfin, sich als Späher zur Verfügung zu stellen. In der Vorlage völlig ernst formuliert, wird sie unter den Händen unseres Autors zu einem komisch-hintergründigen Kabinettstückchen politischer, d.h. tendenziöser Rede (499-502): von den immergrünen Motiven der Gattung fehlen

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weder die 'nicht geringe Last', die die Verantwortung dem Sprecher selbst bereite, noch 'groß Nutz und Ehren', die der Angesprochene zu erwarten habe, noch die fertige Formel in nôtèn wert dèrkent der man (499.4, 500.4, 500.5). Das Bewundernswerte liegt nicht darin, daß der jüdische Autor 'von außen' problematische Seiten auch am Monarchen findet, sondern daß er sie in so insidiösem Understatement vorzubringen versteht: für die Desavouierung der königlichen Redeblasen sorgt eben der Fortgang der Handlung selbst. Denn wenn dann Dolfins Oberherr im sicheren Frankreich sehn3 un" wainet asó mar, / dds er bègund zu werèn kaiser (535.5 f.) und den Kreuzzug schlicht ausfallen läßt, so kann sein emotionaler Überschwang seinen Bankrott als Feldherr nicht verdecken, sondern verweist gerade in komisch-peinlicher Weise auf ihn. 8.5.2 Die christliche Geistlichkeit wird in der älteren jiddischen Literatur verständlicherweise meist nicht in schmeichelhaften Tönen erwähnt. Doch auch hier entgeht unser Dichter der Versuchung, sie schlechthin zur bête noire zu machen. 8.5.2.1 Ihr ranghöchster Vertreter, der alte Bischof 'mit Runzelfalten', ist an Ehrbarkeit nicht zu übertreffen und gilt als Heiliger (78.2 ff.). Wie schon in der Vorlage durchschaut er nicht die Motive der jungen Leute, die sich seiner bedienen. Doch anders als in der Vorlage geschildert, ist er leider ein Schwätzer (115.7, 245.3-246.4, 643.7, 648.1 f.) und läßt sich besonders gern von 'hübschen Fräulein' konsultieren (241.8). Den 'verfluchten Bischof nennt ihn nicht der Autor, sondern Paris' Vater (160.7 f.), als dieser befürchtet, man wolle seinen Sohn zum Geistlichen machen. Der Dichter wird sich allerdings ein Lächeln nicht haben verkneifen können darüber, daß er hier scheinbar unbeteiligt die Spannung zwischen zwei Lebensstilen der nichtjüdischen Gesellschaft gegen die Geistlichkeit wenden konnte. 8.5.2.2 Der capellano der Vorlage, bei dem Paris und Wiene während der Entführung Rast machen, ist in PuW zu einem 'Schlemmerpfaffen, einem frommen' (335.4), einem 'guten Prasser' (337.7) geworden. In solchen Ausdrücken keinen Widerspruch zu fühlen, bringt unser Autor wohl wieder nur mit einem Augenzwinkern fertig. Wenn er außerdem Unglauben darüber mimt, daß Paris über Nacht das Zimmer mit dem Geistlichen teilen konnte (336.4-8), so braucht damit gegen diesen wohl kein Verdacht homosexueller Neigungen, sondern nur eine bis ins Physische gehende klassenbezogene Abneigung ausgedrückt zu sein. 8.5.2.3 Der dritte und letzte christliche Geistliche in unserer Erzählung, der orientalische Mönch, ist wie schon in der Vorlage ein notwendiges Instrument in Paris' Händen für dessen Sprachenkomödie (565, 588.8-589.3, 591.1 f. und speziell 599.8). Daß er aber bereit ist, sein Leben einzusetzen für die Be-

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freiung eines gefangenen Glaubensgenossen (566.1-6, 599.1-4), sichert ihm eine grundsätzliche Sympathie des Lesers, auch wenn er - wie schon die Vorlage wenigstens andeutet, PuW dann konkretisiert - während der Tat vor Angst schlottert (625.1-4). 8.5.2.4 Daß Bischof und Mönch schließlich über Paris' vermeintlich nonverbales 'Herumkriegen' Wienes entsetzt sind (vgl. oben 8.4.6.5), ist natürlich ein viel zu schönes Motiv, als daß der jüdische Autor es sich entgehen lassen könnte. 8.5.3 Über die Ritterschaft als Klasse urteilt unser Dichter im Grunde kritischer. Während er das Menschenbild der Renaissance akzeptieren kann, solange es sich in einem überdurchschnittlichen Einzelnen wie Paris ohne Verzerrungen kundgibt (vgl. oben 8.4.6.1), fallen ihm Kollektive aus derselben Klasse im besten Falle durch albernen Übereifer, eine Art Karikatur des höfischen Lebensgefühls, oft genug aber durch pure Lust am Blutvergießen auf. Mit Übereifer und verbalem Engagement auf Leben oder Tod rücken aus der Ferne werbende Herzogs- und Königssöhne auf die dreizehnjährige Wiene vor (29.1-4); bereitwillig stellen sich die Häscher in völliger Verkennung der Kampfeskraft ihrer Gegner in die klirrende Kälte (62); ohne Nachdenken jubelt die Ritterschaft im Unisono dem Turnierplan des Königs von Frankreich oder dem Erbfolgeplan des Dolfin zu (127.5, 637.4). Vor allem aber kommen viele Ritter mit äußerster Ungeduld auf oft gefährlichen Wegen (88.1-4) zu dem, was gemeiniglich 'ein Stechen', also ein Turnier, vom Autor aber manchmal auch trivialisierend 'eine Steche' genannt wird (84.8, 90.6) und was er im krassen Gegensatz zur Vorlage, die darauf mehrere Seiten verwendet, detailliert zu beschreiben ausdrücklich verschmäht (90.1-4, 139.1-4, 140.2-141.2). Bei manchen der Turnierteilnehmer sind Drohgesicht, Donnerschritte und Begleitung durch Trabanten zur Dauerpose geworden (89.4-8); 'nicht wenige' haben einen guten Ruf, und 'viele', so fährt unser Autor ungerührt fort, 'hält man für Schelme' (94.1-2). Das Turnier selbst bringt den allermeisten eine schwere Enttäuschung, worauf dann 'jeder wieder in sein Nest kriecht' (145.3f.). Oft kommt es blutiger. Die zehn Häscher zücken gegen Paris und Odoardo die Schwerter, und - so belehrt uns der prägnante Stanzenschlußvers (72.8) 'sechs wurden verwundet, vier starben'. (Die Vorlage hatte sich damit begnügt, daß 'die Mehrheit der zehn verwundet oder tot blieb'.) Auch als sich die Ritter über der Frage nach der Schönsten zerstreiten (102.2-103.8) und ausgesprochen ordinär werden (102.7 f.), hätten sie sich beinahe 'zu Tode geschlagen' und 'zerhackt zu kleinen Bissen' (121.8, 122.8), wenn nicht gerade noch rechtzeitig dem König von Frankreich die Turnieridee gekommen wäre, die immerhin 'das Gezänk für eine Weile stillte' (128.1). Freilich, in dem allgemeinen Gedränge vor dem Turnier (138.3f.) wurden dann dort zu-

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kwetscht wol drei', / un" denócht sis als gerén laidén. Geht es nun nicht um Frauenschönheit, sondern um einen Kreuzzug, so 'gefällt es ihnen allen zu streiten, hauen, brennen, stechen' (494.5 f.) und mit dem König, der 'den Tanz führt' (495.3), den Heiden 'den großen Kummer anzutun' (502.8). Nur eben, daß diese sich ihn dann nicht antun ließen. Insgesamt entspricht so das Verhalten der Ritterschaft mehr als das aller Einzelpersonen dem, was Bergson für das verborgene Wesen aller Komik hielt: du mécanique plaqué sur du vivant. In unserem Fall steigert dabei der kollektive Charakter des Subjekts den marionettenhaften, zwanghaften Eindruck noch entscheidend: eine Klasse, die sich von einer Betriebsamkeit in die nächste stürzt, um die Erkenntnis der eigenen funktionalen Überlebtheit zu verdrängen. 8.5.4 Verglichen mit dieser Hierarchie auf christlicher Seite wird diejenige auf mohammedanischer Seite etwas kursorischer gezeichnet. Der Sultan ist ein Mensch des Augenblicks. In PuW darf auch er der Expressivität halber ausgiebig in direkter Rede agieren, und zwar in seinem Zorn auf Dolfin gegen die Vorlage, in seiner Leichtgläubigkeit gegenüber Paris in Erweiterung der Vorlage. Unserem Autor wird es so leichter, komische Elemente in die Rede selbst (529.5, 573.3) und in die begleitende Situationsschilderung (530.2, 531.1) einzuschleusen. Leichtgläubigkeit gegenüber Paris' Charme kennzeichnet auch die Falkner sowie die Mamelucken. Doch im Gegensatz zu den sympathischen Falknern werden die 'zwei großen starken Mamelucken', die Kerkermeister, durch eine Art Schreckeffekt im Stanzenschlußvers eingeführt (582.8) und sogleich als potentiell sehr brutal charakterisiert (583.2). Zudem entpuppen sie sich glücklicherweise - als disziplinlos. Ihr Zechen ist dümmlich-lärmend: mit ain gèjichz, mit ain géschrei, / mit ain géklôpf, mit ain gétemér (618.5 f.), ihr Versacken in Volltrunkenheit wird im Detail als abstoßend geschildert (620.3f., 623.1 f.). Indem ihnen so im voraus unser Mitleid entzogen wird, kann der Autor sie als einzige in der ganzen Erzählung mit einer hämischen Pointe verlassen: er läßt sie schlafen, bis sie sich - sehr bald schon - 'voll werden verantworten müssen' (626.8). 8.5.5 Die Allgemeinheit, 'das Volk', kann in einer solchen Erzählung selbst auf der christlichen Seite nur als Hintergrund vorkommen. Manchmal 'sieht' überhaupt erst der jiddische Erzähler diesen Hintergrund: viele Leute, die von nichts wissen, erschrecken über das Schießen und Glockenläuten bei Wienes Geburt (23.7f.) und ebenso - tif-tôf, ging-gang - bei Dolfins Rückkehr (632.1-4); Kaufleute, überhaupt Arm und Reich mit Kind und Kegel stehen in Paris um den Turnierplatz 'wie einst die Juden um das Goldene Kalb' (137.4-8). Zumindest aber ist es erst unser Erzähler, der das komische Potential solcher Szenen erschließt: das Vienneser Turnierpublikum kann nicht umhin, Paris und Odoardo 'nachzuglotzen', eben weil sie ohne Wappen

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einreiten (94.8); gerade als Dolfin schon das Scheitern seines Heiratsplanes fürchten muß, holen seine Untertanen voll spontaner Begeisterung ihren vermeintlichen künftigen Herrn ein (449.6-8): dò hòrt màn ser in alért ekért / juchzén, schrei'én, grilèn mit grósén vraidén: / »es kumt, es kumt des künigs aidén!« Und mit Dolfin stehen 'alle' starr, wenn sich der Morgenländer als Paris zu erkennen gibt (693.1-6): Dó das künig Dölfin dèr-hòrt, gleich as ain stòk asó dèrstundér. asó al di löüt, di dò warèn dórt, dérâtundèn al itlichèr bèsundèr. der künig kunt rédèn kain wort vür gròs gégaf, vür grôsèn wundèr.

8.5.6 Neben den realen Kollektiven muß hier noch ein uneigentliches Kollektiv genannt werden: die Fama. Unser Erzähler vermag nämlich die Ausbreitung von Nachrichten erstaunlich sinnfällig darzustellen. Wo die Vorlage nur ohne speziellen szenischen Rahmen bemerkt, der Dolfin sei damit beschäftigt gewesen, für Wiene einen Mann zu finden, und habe sich noch nicht entscheiden können, doch Paris habe bei dieser Nachricht großen Kummer empfunden - da lesen wir in PuW 272.5-273.2: nun was Páris ain tag vôr-stèn Vun ainèm gtòV ón al gêVerdèn, w? der künig wer in gròs géscheftèn, dás er Wiene wolt zu ain man heftén. Dò das dèrhòrt der édèl knab, ain mesér-stich hát er ènpfundèn.

Die flüchtige Erwähnung des Zwischenträgers, das 'ganz von ungefähr' der Redesituation, das umgangssprachlich-pseudoharmlose zu ain man heftén und die Zusammendrängung der Wirkung in das Bild des Messerstichs - das sind eben die 'Kleinigkeiten', die zusammen die erzählerische Meisterschaft ausmachen. Einige Szenen später hat dann auch die Vorlage ein 'Gerücht'-Motiv (se diceva largamente per la citta), wird aber auch diesmal durch PuW 279.5-280.2 an leicht boshafter Sinnfälligkeit überboten. Ihre schönste Ausprägung - ohne jede Entsprechung in der Vorlage findet die Fama im Augenblick des Happy end (698.1-6): In ainèr halbén virtèl stund, dò was di' stat ganz un gar brumèn. der handèl war in alèr mund, wi' Pàris wer mit dem künig kumèn. idèrmàn wust, wi' di' sach stund un wi' er Wiene hat génumén.

Bearbeitungstendenzen, insbesondere Humor

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8.6 Humor: Versuch einer historischen Situierung. Nachdem wir uns bemüht haben, den Humor unseres Autors in seiner thematischen Vielfalt sichtbar zu machen, sei abschließend wenigstens global versucht, auch seinen historischen Stellenwert zu bestimmen. 8.6.1 Die meisten Kulturen der menschlichen Geschichte glaubten zentrale Werte prinzipiell vor dem Lachen schützen zu müssen. Das gilt nicht nur evidenterweise - für den eindeutig religiösen Bereich.95 Auch weit über diesen hinaus pflegt der Gedanke, daß ein und dieselben Realitäten - Personen, Institutionen, Haltungen oder Ereignisse - sowohl erhabene wie belachenswerte Aspekte haben könnten, in einer Kultur nur schwer an Boden zu gewinnen, schwerer noch die Folgerung, daß das Belachtwerden dieser Realitäten dann nicht nur um einer allgemeinen intellektuellen Unverkrampftheit willen erlaubt sein sollte, sondern uns diese Realitäten sogar menschlich näherbringen könnte. Umgekehrt pflegt aber auch eine Repression des Lachens nicht in beliebigem Umfang zu gelingen, sondern führt lediglich zu einer schärferen Trennung zwischen einer erfolgreich als ernst verteidigten und einer dem Lachen preisgegebenen Sphäre. Es genügt, sich hier an einen Sachverhalt zu erinnern, der als weitgehend exemplarisch für die Literatur des Hoch- und noch des Spätmittelalters gelten darf. Als im späteren 12. Jahrhundert erstmalig im nachantiken Europa Liebe, Ehe und Sexualität zu Zentralthemen erzählender Literatur wurden, da war zwar in einer der ersten Romanhandlungen, dem noch von außen in die höfische Welt eindringenden Tristanstoff, das Hochemotionale noch von einigen frivol-komischen Zügen durchsetzt. In der Folge aber etablierten sich Roman und Fablel (bzw. in Deutschland das Mär) als getrennte Welten; dieselben Gesetze der Sexualmoral, die in jenem mit Selbstverständlichkeit galten, wurden in diesem mit Selbstverständlichkeit verletzt. Die Sublimation im ersten Bereich ging sehr deutlich mit einer Nichtsublimation, mit dem Weiterwirken einer grobschlächtigen Ästhetik, im zweiten einher. 96 Und zwar hielt die Trennungs95

96

Die griechische Kultur mag in dieser Hinsicht insgesamt großzügig gewesen sein (vgl. etwa Lesky 1961, Muth 1992), doch konnte man bekanntlich selbst im demokratischen Athen, wenn man die Götter ironisierend zu verleugnen schien, zum Schierlingsbecher verurteilt werden. Zur strengen Grundhaltung des alten und weithin noch des hochmittelalterlichen Christentums vgl. Steidle 1938 passim, von Campenhausen 1960: 435f., 1963a passim, 1963b: 308, 326f., Suchomski 1975: 9ff. Was uns bei dieser Fragestellung nottut, ist freilich eine im vollen Sinne historische Perspektive, nicht eine vermeintlich überzeitliche systematisch-theologische, die z.B. die Existenz »eines spezifisch christlichen Humors« schon daraus erschließen will, daß »das Evangelium sowohl wie der Humor mit Weltüberwindung zu tun haben« - so Thielecke 1974:97. Ein so scharfsichtiger und unbestechlicher Beobachter wie Suchomski gesteht diesen aus heutiger Sicht grobschlächtigen Charakter für den Großteil der mittelalterlichen komischen Produktion sachlich ein, lehnt aber (Ab-)Wertungen nach nicht-gleichzeitigen Kriterien grundsätzlich ab (1975: 203-205, vgl. auch 5-8 und 225). Schon

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Einführung

linie zwischen beiden Bereichen insgesamt recht gut, nicht weil sie eine gattungstheoretisch-formale, sondern weil sie eine thematisch-soziale war: Komisches, insbesondere Frivol-Komisches, die Domäne von Fablel bzw. Mär, hatte sich außerhalb der Oberschichten abzuspielen. 8.6.2 Zur Praxis stimmte die Theorie. Die Antike hatte einerseits das Belachenswerte (γέλοιον, ridiculum) und speziell den Witz innerhalb der Rhetorik abgehandelt, mit Höhepunkten bei Cicero und Quintilian und mit nur sehr gelegentlicher Bezugnahme auf soziale Kategorien.97 Die mittelalterlichen Nachwirkungen dieses Traditionsstranges sind zu diffus, 98 als daß sie hier behandelt werden könnten oder müßten. Die Antike hatte aber außerdem sehr intensiv Tragödie und Komödie innerhalb der Poetik behandelt; sie hatte dabei beispielsweise sogar Einsicht in deren Gemeinsamkeiten und Verständnis für die Mischform der tragicomoedia gezeigt. Ins Mittelalter hinein wirkte jedoch vor allem der Begriffsgegensatz Tragödie - Komödie selbst, festgemacht an deren Handlungsträgern. Bei Aristoteles waren diese noch im ästhetisch-moralischen Sinne 'würdiger' bzw. 'gemeiner' (φαυλότεροι), aber schon sein unmittelbarer Schüler Theophrast übertrug den Gegensatz in die soziale Sphäre : Könige und Heroen erscheinen in der Tragödie, Bürger und gemeines Volk in der Komödie.99 Von den lateinischen Schulgrammatikern spätestens des 4. Jh. n. Chr. an bleibt diese Ständeklausel100 dann nicht nur bei den Theoretikern, 101 sondern auch im europäischen Drama selbst gültig weil wir anders als er mittelalterliche Komik nicht um ihrer selbst willen, sondern als Folie betrachten, um das Neue einer bestimmten Form nachmittelalterlicher Komik sichtbar zu machen, können wir uns hier seiner theoretischen Entscheidung nicht anschließen. 97 Noch immer lesenswert die Darstellung von Grant (1924). 98 Wesentliches darüber ist knapp gesagt bei Fromm (1962: 321 Anm. 1) und Suchomski (1975: 202 f.). 99 Wir übernehmen die Formulierung von Süß 1920:32f. Die Hauptstelle bei Aristoteles (Poetica 5.1) wird interpretiert z.B. bei Lausberg 1973: § 1185 und bei Fuhrmann 1992: 67 f. Zur Rekonstruktion der Theophrast-Stelle ausführlich McMahon 1929:100-103. 100 Suchomski (1975: 222ff., 1979:14f.) betont zwar, daß diese Klausel, speziell in ihren mittelalterlichen Ausprägungen, nur »die Herrscher und die Vornehmsten« der Tragödie, doch zumindest die »nicht-adeligen Klassen«, die »Personen ohne Einfluß auf das Geschick des Staatswesens« der Komödie zuweise. Entscheidend bleibt aber, daß die Bevölkerung überhaupt in zwei gattungsdefinierende Klassen zerfällt und daß dabei »Einfluß auf das Geschick des Staatswesens« und Komik einander ausschließen. Wie anders PuW\ 101 Hier einige der Formulierungen zur Komödie, in gedrängtester Form zitiert teils nach McMahon 1929: 102-143, teils nach Suchomski 1975: 221-225: Diomedes (4. Jh.): humiles atque privatae personae; Euanthius (dgl.): mediocres fortunae hominum ; Donatus (dgl.): civilium et privatorum', Isidor ("f635): privatorum hominum acta, (in der Vergangenheit speziell) stupra virginum et amores meretricum ; Liber Glossarum (um 750): comoedia = cantica agrestica ; Kaibelsche Glossen (nachisidorianisch): res privatorum et humilium personarum ; Commentum Einsidlense in

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bis ins 18. Jh., wo sie durch die comédie larmoyante einerseits, das 'bürgerliche Trauerspiel' andererseits endgültig überwunden wird. Daß nun das Mittelalter über 'komische Literatur' schlechthin im großen und ganzen so dachte, wie die Theorie ausdrücklich über die 'Komödie' urteilte, darf man schon deshalb zuversichtlich annehmen, weil damals ja die Grundeinsicht in den dramatischen, den 'Theater'-Charakter der Komödie weithin sogar den Theoretikern abhanden gekommen war,102 'Komödie' und 'Komik' also deckungsgleich wurden. Mehr noch: selbst Theoretiker wie Geoffroi de Vinsauf oder John of Garland, die diese Grundeinsicht explizit oder implizit noch erkennen lassen, respektieren, wenn sie uns dann keine comoedia antiken Typs, keine comoedia perfecta, sondern eigene kleine Mustergestaltungen eines komischen Stoffes bieten wollen, eindeutig die Ständeklausel und entnehmen ihr »Personal [...] dem niederen sozialen Bereich« (Suchomski 1979: 20-22). Wenn Walter Haug (1982:17) der Antike zuschreibt, daß sie »das Abgründige des Lachens [...] durch die Stiltrennung hierarchisch gebändigt habe«, so sind wir versucht, seinen Ausspruch für das Gros der erhaltenen mittelalterlichen Literatur dahingehend zu variieren, daß dort die sozialegalitäre Kraft des Lachens - sowohl in ihrer potentiell emanzipatorischen wie in ihrer potentiell klassenüberbrückenden Funktion - durch die Stiltrennung außer Kraft gesetzt erscheint, indem die Ständeklausel jetzt in wohl noch handfesterer Weise als in der Antike Spott von den Oberschichten fernhält und auf die Unterschichten lenkt. Das ist jedenfalls die statistisch bei weitem dominierende Sachlage. 8.6.3 Bei näherem Hinsehen stellt man freilich zu dieser Dichotomie nicht wenige Ausnahmen fest. Donati Artem Minorem: comoedia carmen villanum de vilibus et inanibus rebus compositum ; Commentarius recentior in Terentium (nach 11. Jh.): retenta tarnen vili et humili materia; vulgarespersonae; Uguccione ("f 1210): tractat de rebus villanis rusticanis; Vincenz von Beauvais um 1264): handelt (typischerweise) von Dirnen; John of Garland ("f 1272) : de materia vili et iocosa contexitur; Johannes de Janua (1286): tractat de rebus rusticanis; res privatarum et humilium personarum comprehendit; Benvenuto da Imola (14. Jh.): tractat enim vulgaria et vilia facta ruralium, plebeiorum et humilium personarum. - Wir übergehen mittelalterliche Aussagen, die die Komödie zunächst am niedrigen oder mittleren 'Stil' festmachen, da sich die dann zwangsläufig anschließende Frage, wieweit der jeweilige Stilbegriff seinerseits thematisch-sozial geprägt ist, von Farai (1924b), Brinkmann (1928), Quadlbauer (1962) und Suchomski (1975:229-248) sehr unterschiedlich beantwortet worden ist. Die Renaissancepoetiken nehmen zwar Ciceros (nur durch Donatus überlieferte) Definition der Komödie als »Nachahmung des Lebens, Spiegel der Sitte, Abbild der Wahrheit« (Herrick 1950:20) ernst, bemühen sich um eine detaillierte Analyse speziell der Terenz-, manchmal auch anderer Komödien und rezipieren Aristoteles, behalten aber fast sämtlich die Ständeklausel bei (Beispiele bei Herrick op. cit. 72, 76f., 81-83, 85f., leider jeweils nur in englischer Übersetzung). 102

Vgl. etwa Farai 1924a: 326-328, 381, Suchomski 1975: 226-228 und (mit gewissen Reserven) 1979: 16-20.

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Einführung

In der einen Richtung, auf Ernst und seelische Größe auch des nichtadligen Menschen hin, gab es jene unmittelbar auf die eigentlichen Werte des Christentums zurückgreifende, leider nur viel zu dünne Tradition,103 die im Deutschen ihre vielleicht schönste Ausprägung schon in der Frauengestalt des Armen Heinrich gefunden hat. In der anderen Richtung gab es die Spielmannskomik, die auch gekrönte Häupter und manchmal Hagiographisches 104 zum Thema nimmt; es gab die komische Tierdichtung, die ja die Ständeklausel weitgehend mißachtet, wenn man an die parodierte menschliche Welt des Hofes denkt; es gab die Einbrüche des Komischen ins geistliche Drama, 105 anfangs peripher und durch die Ständeklausel gedeckt, später auch impertinenter. 106 Zu ihnen allen hat Pu W sichtlich keine Beziehungen. Weiterhin gab es die teils außerliterarischen, teils literarischen Erscheinungen, die Bachtin (1970: 12 und passim), von Rabelais aus rückwärtsgehend, mit etwas zu visionärer Kraft107 zu einer Lachkultur-als-Gegenkultur zusam103

Erich Auerbach hat seinen Lieblingsgedanken, daß das Christentum, indem es das Demütige als das wahre Erhabene aufscheinen läßt, die Stiltrennung außer Kraft zu setzen vermag, schon 1946 [1988], stärker noch 1958 an meist hochrangigen Texten so überzeugend vorgeführt, daß der Leser leicht deren statistisch nicht repräsentativen Charakter vergißt. Als statistisch wirksamer Zerstörer der Stiltrennung erwies sich nicht der Geist des Christentums, sondern erst der des 18. Jahrhunderts. 104 Ein ungewöhnlich interessantes Beispiel, den Legendenroman von St. Oswald, hat Haug 1982: 23-30 analysiert. 105 Krüger 1931, Heß 1965, Auerbach 1946 [1988]: 153-156. Zur Kontroverse Warning 1974 - Ohly 1979 vgl. Haug 1982: 19 Anm. 28. 106 Einiges andere können wir hingegen nicht als Verstöße gegen die Ständeklausel anerkennen. In Moriz von Craûn und in Ulrichs von Lichtenstein Frauendienst, beide treffend charakterisiert bei Fromm (1962:335f.), sahen ihre Schöpfer offenbar nichts Komisches. Und was das gelegentliche Vorkommen von bewußt 'schwarzem' Humor schon im Mittelalter angeht - wenn wir zu Verständigungszwecken diesen besonders kraß anachronistischen Begriff trotz des Einspruchs von Suchomski (1975:7) zulassen -, so verstoßen weder das von Glier (1987: 140) so qualifizierte grausige Ende von Wittenweilers Ring noch die von Schupp (1968) ausgiebig besprochenen Mönche von Kolmar gegen die Ständeklausel. Vermutlich ist der 'Schwärzegrad' von Humor prinzipiell eine von der sozialen Stellung der handelnden Personen unabhängige Variable. 107 Bachtins oft globale, oft inkantatorisch-repetitive Darstellungsweise, seine Unbefangenheit bei der ständigen massiven Gegenüberstellung je einer überdimensionalen 'offiziellen' und einer mindestens ebenso überdimensionalen 'Volks'-Kultur unter Vernachlässigung wünschenswerter räumlich-zeitlicher Differenzierungen kann man nicht einfach unbeanstandet lassen. Seine begeisterte (vor allem gegen Wolfgang Kayser gerichtete) Behauptung, in der Groteske sei der Tod nicht die Verneinung des Lebens, sondern zusammen mit der Geburt dessen konstitutives Element (1970: 59.12-23, 60.7-11, 320.9-11 = 1990: 29.7-16, 29.33-37, 23.1-3), mag für gewisse Zeugnisse der Zeit um und nach 1500 zutreffen, schlägt aber den Normalvorstellungen schon des Hoch- und mehr noch des Spätmittelalters geradezu ins Gesicht (zu diesen jetzt Dinzelbacher 1993: 244-260 mit ausführlicher Bibliographie, vgl. auch 285-294); die Sache wird nicht besser dadurch, daß Bachtin hier Goethes Erdgeist zum Zeugen anruft (1970: 59.23 samt Bachtins langer Anmerkung, die leider

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mengeschaut hat: das karnevaleske und verwandte Brauchtum; Parodien, Satiren und sonstige vagantische Bekenntnispoesie; schließlich allgemein die Neigung zu derber, speziell körperbetonter Sprache. Auf diese Gegenkultur zu bewegt sich PuW zwar inhaltlich durch seine sozial nicht begrenzte Respektlosigkeit (8.4.2 und 3) und stilistisch durch seine ebenfalls derbe, relativ körperbetonte Diktion (8.3.3, 8.3.5). Aber damit ergibt sich nur eine entfernte Verwandtschaft. Denn derbe Diktion findet sich ja vom 15. bis 17. Jahrhundert in Deutschland auch bei so wenig Sozialrevolutionären Autoren wie Kaysersberg, Luther, Hans Sachs oder Abraham a Sancta Clara, und in PuW fehlt ihr überdies fast ganz die sexuelle Komponente, die in der Lachkultur gerade hervortritt. Bei dieser Gelegenheit scheinen uns auch einige Bemerkungen zum Stichwort 'Parodie' nötig. Parodie und Travestie setzen das angezielte Primärwerk - bzw. manchmal stattdessen: eine angezielte Institution - als allgemein bekannt voraus und zollen schon dadurch seiner bzw. ihrer 'Größe' zumindest eine Art widerwillige Anerkennung; oft aber - pace Bachtin - wollen sie das Parodierte auch gar nicht negieren, sondern leben aus der spielerischen Spannung zu ihm, etwa nach dem Motto: 'jetzt machen wirs aus Jux mal genau umgekehrt.' Wie die Batrachomyomachie der Ilias nicht nur nicht abträglich ist, sondern auch nicht sein will, so die Cena Cyprianim nicht der Bibel und - dürfen wir hinzufügen - auch die vielen jüdischen Parodien,109 mit oder ohne Anbindung an das Purimfest, nicht der Bibel oder sonstigen jüdischen Glaubensinhalten. Für uns ist nun durchaus wichtig zu erkennen, daß PuW sich weder explizit noch irgendwo implizit auf das 'Ausnahmerecht' (oder eine 'Gegenkultur') von Parodie, Travestie, Karneval oder Purim beruft. Vielmehr huldigt es von Anfang bis Ende einer Ästhetik, die durch das ständige Fragen geprägt ist, 'wie es denn in psychologisch realistischer Weise konkret gewesen sein könne', und die daher sowohl weit komplexer als auch stärker wirklichkeitsorientiert ist, als jedes 'machen wirs aus Jux mal genau umgekehrt' sein könnte. in der deutschen Ausgabe 1990: 29.16 fehlt). Über das Lachen im Mittelalter spricht sich Bachtin (1970: 96.3-10 = 1990: 32.1-8) nahezu umgekehrt aus wie wir oben. Nicht selten unterlaufen Sätze wie (1970: 96.13-16 = 1990: 32.12-15): »Bezeichnenderweise ist selbst noch die kleinste mittelalterliche Parodie so aufgebaut, als wäre sie das Bruchstück einer ganzen und einigen Welt des Komischen.« Die französische Fassung enthält hier noch ein zusätzliches exactement ; trotzdem halten wir den Satz für weder beweisbar noch widerlegbar, sondern für Wortgeklingel, für eine idiosynkratische Variation des Clichés von der 'Ganzheitlichkeit' des Mittelalters. Eine der Bachtinschen Hypothese nahezu diametral entgegengesetzte Auffassung findet man übrigens in Auerbachs Mimesis (1946 [1988]: 262-264): Bachtin scheint auf die Stelle nirgends einzugehen, ja das ganze Buch nirgends zu zitieren. 108 Zu ihr Novati 1889: 266ff„ Lehmann 1963: 12-16, Bachtin 1970: 22, 92f„ 286-288, Suchomski 1975: 209-211. 109 Die klassische Studie über sie ist Davidson (1907). Sehr lesenswert auch der Artikel Parody, Hebrew der EJ.

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8.6.4 Wenn nun alle diese Traditionen als Interpretationsrahmen für den Humor von PuW unergiebig sind, so bleibt nur ein uneigentlicher solcher 'Rahmen': eben die 'Kammlinie' (nicht: 'Tradition') jener wenigen Meisterwerke, deren Schöpfer zwischen dem 12. und dem 16. Jahrhundert - letztlich um einer breiteren Erfassung der condition humaine willen - den Bereich des Komischen erweitert und zu immer stärkerer Überschneidung mit dem Bereich des Hochemotionalen gebracht haben: Chrétien, Wolfram, Boccaccio, Chaucer, Pulci-Boiardo-Ariost (dann etwa gleichzeitig mit PuW Rabelais, später Shakespeare und Cervantes). 8.6.4.1 Bei Chrétien ist oft noch schwer zu entscheiden, ob er einfachen Bericht oder komische Kontrastierung bzw. Ironie beabsichtigt, unter anderem weil er auktoriale Kommentare verschmäht (Kellermann 1967:130-135). Gerade diese Ambivalenz, die seine Romane nicht nur von den Chansons de geste, sondern auch von den Antikenromanen abhebt, hat ihren Reiz (Auerbach 1946 [1988]: 128): »Chrétiens großer Charme beruht zum guten Teil auf seiner Gabe, diesen Ton« - einer »lieblich-zierlichen, klaren und lächelnden, frischen und elegant-naiven Koketterie« - »auf das mannigfaltigste zu entwickeln«. Fragen wir aber nach eindeutiger Komik, so erweisen sich deren Möglichkeiten bei Chrétien (und seinen Nachfolgern in derselben Gattung) als viel enger (Auerbach op. cit. 129): »Die höfische Realistik gibt ein sehr reiches und würziges Lebensbild eines einzigen Standes; einer Schicht, die sich von anderen Schichten der Mitlebenden absondert, sie gelegentlich als bunte, meist als komische oder groteske Staffage auftreten läßt; so daß die ständische Trennung zwischen dem Bedeutenden, Bedeutungsvollen und Hohen einerseits und dem Niedrig-Grotesk-Komischen andererseits inhaltlich ganz streng aufrechterhalten bleibt; zum ersteren Bezirk hat nur die feudale Schicht Zutritt.« 8.6.4.2 Bei Wolfram findet Wehrli (1950: 104) Humor »wohl nicht nur als gelegentliches Stilmittel unter anderen, sondern weithin als eine strukturbestimmende Grundhaltung«, ähnlich Fromm (1962: 336). Das trifft zwar mit Sicherheit zu für Gebilde vom Umfang der zauberhaften Obilot-Episode (Parzival 352f., 357f., 368-375). Doch wenn man mit Wehrli (art. cit. 105-109, contra Bezzola) auch Wolframs Umgestaltung der Blutstropfen-Episode oder mit Fromm (art. cit. 336) das Prinzip der kontrastierenden Ineinanderschichtung von Parzival- und Gawan-Abenteuern unter den Oberbegriff 'Humor' bringt, geschieht dies, wie Wehrli (art. cit. 104) selbst es ausdrückt, »auf die Gefahr hin, den Begriff Humor sehr extensiv zu interpretieren«. In seiner Grundintention eindeutiger und zugleich ob seiner Vielfalt seit langem bewundert ist da der andere Typ Wolframschen Humors, der kommentierende bis offen auktoriale, jene »Verrätselungen des Ausdrucks [...] getragen vom 'krumben', florierten Stil Wolframs überhaupt [...]. Es ist eine Rätselrede, die zwar nicht ohne weiteres einen Lustgewinn komischer Art bringt, aber doch

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einen spirituellen Triumph bedeutet [...]« (Wehrli art. cit. 113). Wolfram »wird sich, wie der moderne Humorist, selbst zum Gegenstand« (Fromm art. cit. 334). Daß nun Wolframs Kunst »das einzige Beispiel des vom Theoretiker Jean Paul geforderten totalen humoristischen Bewußtseins im deutschen Mittelalter« sei (Fromm art. cit. 336), läßt sich, wörtlich genommen, wohl angesichts der gedanklichen Vielfalt des kommentierend-auktorialen Humors noch vertreten; aber damit »der 'Parzival' als humoristischer Roman seine großen Verwandtschaften unter den Romanen der Weltliteratur, vor allem im 'Don Quijote' und im 'Simplizissimus'« hätte (Wehrli art. cit. 109), müßte in ihm das humoristische Element doch wohl auch q u a n t i t a t i v wesentlich stärker hervortreten, als es tut. Vergessen wir nicht, daß Ehrismann auf seinen 85 Wolfram-Seiten dem Humor nur zwei kurze Passagen von je acht oder neun Zeilen und knapp 20 fast zufällige Einzelbemerkungen, de Boor auf seinen etwa 35 Seiten ihm gar nur ein bis zwei Einzelbemerkungen widmete. 110 8.6.4.3 Mit Boccaccio kommen wir zu einem Autor, der ganz bewußt in ein und demselben Decameron das gesamte Spektrum vom Farcenhaft-Obszönen bis zum Tragisch-Erhabenen ausschöpfen will, in jeder Einzelgeschichte aber auf Einheitlichkeit der Höhenlage achtet. Dabei ist nach Auerbach (1946 [1988]: 209) insofern auch »die Trennung der Bezirke gewahrt, als die grob realistischen Stücke meist in sozial niederen Schichten, die gefühlvoll sich dem Tragischen nähernden meist in höheren spielen [...]«. Doch sind der inhaltlich deftigen Ausnahmen nicht ganz wenige; 111 nur wirken sie weniger provozierend, weil Boccaccio hier wie immer einen extrem bewußten, gepflegten Stil schreibt und die Obszönität sprachlich nur hier und da in einer witzigen Metapher durchbrechen läßt. Selbst da, wo (nach Auerbach op. cit. 208) die Erzählungen »Motive der groben Farce verwerten, bleiben Sprachform und Darbietung insofern vornehm, als stets unverkennbar Erzähler und Zuhörer weit über dem Gegenstand stehen [...]«. Wohlgemerkt verlagern dabei Boccaccios (Unter-)Erzähler den Humor nur sehr selten in kommentierende oder auktoriale Bemerkungen; vielmehr setzt Boccaccio sichtlich alles daran, daß die brillant-präzise Personen- und Handlungsschilderung ihre boshaften Insinuationen in sich selbst trägt. Wenn wir trotzdem Boccaccios Humorbegriff letztlich einen ziemlich beschränkten zu nennen wagen, so nicht in technischer, sondern in inhaltlicher Hinsicht: was insgesamt an Humorigem sichtbar wird, gehört in überproportionalem, um nicht zu sagen: obsessionshaftem, Maße dem grobsexuellen Bereich an. 110

111

Ehrismann 1927: 268, 278; de Boor 1964: 92, 108. Essentiell auf Wehrlis Seite steht Bertau (1973: 818f„ 831 f., 839, 979, 983f., 990f„ 995). Obszönitäten auf Kosten von Mitgliedern der Oberschicht finden wir in den Novellen 2.2, 3, 10; 3.3, 5, 6, 7; 5.4, 7; 6.7; 7.6; ferner in 2.7, 3.2 und 7.9, die aber im Islam, unter den Langobarden bzw. in Griechenland spielen. Ich übergehe Grenzfälle, z. B. 5.10, wo das Opfer ein ricco uomo in Perugia, vielleicht also ein Nichtadliger, ist.

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8.6.4.4 Von Chaucers insgesamt 24 Canterbury Tales112 besteht ein knappes Viertel aus Fabliaux; sie können es an Obszönität mit dem Decameron durchaus aufnehmen. 113 Ein zweites Viertel ist ebenfalls komisch, doch in bewußt diversifizierter Form: hierher gehören ein ins Skatologische und ein ins Makabre gewendetes Klerikerhistörchen, eine Alchimistengeschichte, eine Tierfabel, eine Feengeschichte und eine Romanzenparodie. 114 Von allen genannten Erzählungen ist hinsichtlich der Ständeklausel eines der Fabliaux ( The Merchant's Tale) problematisch, weil der düpierte Ehemann ein knyght ist; nur scheinbar problematisch sind Feengeschichte und Romanzenparodie. Mehr als die Erzählungen trägt zur Komik des Gesamtwerkes freilich der einzigartig reiche Rahmen ('General Prologue', Einzelprologe und sonstige links) einschließlich der Dynamik zwischen dem Rahmen und den Erzählungen selbst bei. Viel eher als Boccaccios sozial homogene Gruppe von 10 jungen Florentiner Aristokraten stellt eben Chaucers Schar von über 20 Pilgern vom Ritter und der Priorin bis zum gerade noch persönlich freien, aber körperlich schwer arbeitenden und gesundheitlich gefährdeten Ofenheizer des Alchimisten - einen Querschnitt durch die Gesellschaft dar und damit einen idealen Nährboden sowohl für narrativ ergiebige Spannungen innerhalb der Schar selbst als auch für direkte soziologisch treffende Bemerkungen des Autors. Beide Erzählperspektiven hat Chaucer angefüllt mit einem realistisch-kritischen, aber humanen Humor, der demjenigen von PuW in erster Annäherung nicht unähnlich ist. Doch darf man nicht übersehen, daß Chaucer seinen Ritter und dessen Sohn gar nicht, die Priorin und den Juristen und damit alle seine Gestalten der Oberschicht - nur in den allermildesten, nahezu unmerklichen Formen komisiert, hingegen von den Angehörigen des Mittelstandes und der niederen Geistlichkeit mehr als die Hälfte als dubiöse Existenzen mit den damals als typisch geltenden Lastern ihres jeweiligen Berufsstandes in Verbindung bringt. Indem Chaucer so noch deutlich der mittelalterlichen Tradition der Ständesatire nahesteht, bleibt seine Charakterzeichnung ungefähr auf mittlerem Wege zwischen Typus und Individuum stehen.115 Jedenfalls kann auch in der Rahmenhandlung der Canterbury Tales von unbefangener Komisierung der Oberschichten keine Rede sein. 112

Einschließlich der von Chaucer wohl unplanmäßig (aus eigenem Mißvergnügen?) abgebrochenen Cook's Tale und der um des komischen Effektes willen bewußt abgebrochenen Tale of Sir Thopas. Auch das Gesamtwerk ist bekanntlich Torso geblieben, doch so, daß Aussagen über seine Struktur durchaus sinnvoll sind. 113 The Miller's, Reeve's, Cook's, Shipman's, Merchant's Tale. 114 The Summoner's, Friar's, Canon's Yeoman's, Nuns' Priest's, Wife of Bath's Tale, The Tale of Sir Thopas. Einen engeren Komikbegriff hat Pearsall 1986. 115 In diesem Punkte halten wir es mit jener Vielzahl von Chaucer-Spezialisten (Zitate bei Mann 1973: 289, Anm. 1 von S. 187), gegen die Mann selbst (op. cit. 187ff.) glaubt zu Felde ziehen zu müssen, obwohl niemand so eindringlich wie sie selbst Chaucers Beziehungen zur mittelalterlichen Ständesatire dargestellt hat. Im übrigen waren uns als Nichtanglisten beim vergleichenden Chaucer-Studium vor allem Garbáty 1977, Pearsall 1985 und 1986 sowie Stone 1987 von Nutzen.

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8.6.4.5 Im Gegensatz zu den bisher Genannten bilden Pulci, Boiardo, Ariost untereinander eine sehr enge Traditionslinie. Wie sich unser Dichter in seinem auktorialen Humor und insbesondere bei dessen Verwendung als Gliederungsmittel die letzte Stufe dieser Tradition in bewundernswerter Weise anverwandelt hat, war Gegenstand unseres Kapitels 6. Gegenwärtig geht es uns aber um den gesamten 'sonstigen', nicht-auktorialen Humor, und da gibt es zwischen den Italienern und unserem Dichter doch starke Unterschiede. Die Italiener hoben einen Stoff wieder auf höfisches Niveau, der sich im Munde der Cantastorie trotz seines letztlich tragischen Handlungsverlaufs mit freiwilliger und unfreiwilliger Komik gefüllt hatte. Da unter den Bedingungen der damaligen italienischen Stadtkultur unvermeidlicherweise auch das höfische Publikum das Cantastorie-Stadium des Stoffes zur Kenntnis genommen hatte, wäre eine Neuerzählung in ernstem Stil ein ständiges Ankämpfen gegen unernste Erinnerungen und damit ein verzweifeltes Unternehmen gewesen. Nach anfänglicher Unsicherheit, die sich in manchen Passagen Pulcis noch spiegelt, wurde aus der Not eine neue Tugend der Gattung: der komische Ton wurde beibehalten, jetzt jedoch mit künstlerischer Bewußtheit. Die neuen Rezipienten und bald auch die Dichter setzten dabei freilich diesen Verzicht auf den Ernst eines ursprünglich tragischen Stoffes weithin einem Verzicht auf Authentizität der Handlung selbst gleich. In keiner anderen Gattung wurde so sehr wie im neuen romanzo die Quellenberufung zur vielfach variierten Farce, die Faszinationskraft der Handlung und nicht ihre 'Wahrheit' zum ästhetischen Maßstab, die Phantasie zur dominierenden Kraft des Dichters. Schon Pulci wurde ja bei Mit- und Nachwelt durch seinen Riesen Morgante, seinen Halbriesen Margutte, seine Teufel Astarotte und Farfarello weit berühmter als durch die eher quellentreuen Teile seines Werkes; und selbst mitten in diesen treffen wir nicht nur auf Himmelsstimmen und Interventionen von Engeln (sogar gegenüber dem Dichter selbst, 25.115), sondern auch schon auf einen Zauberpalast (2.19). Boiardo war dann nicht nur einer der größten Gestalten- und Handlungserfinder der italienischen Literatur, sondern integrierte dabei auch den poetischen Apparat und die Atmosphäre des Artusromans in die Gattung: Zauberquellen, Zaubergarten, Zauberlanze, Zauberschwert und Zauberring, ein Unterwasserreich, Zwerge, Riesen, Greifen, Drachen, einen Dämon als Reittier, 'Orco', Sphinx, Sirene, Harpyie, Kentaur, Riesenschlange, Hirsch der Fee Morgana, dazu hingezauberte Trugbilder, die die Helden verwirren nichts fehlt. Ariost schließlich wurde zum selbst nicht mehr überbietbaren Überbieter Boiardos. Nehmen wir als Beispiel die ersten vier Gesänge des Orlando Furioso; dort treffen wir: den Geist eines Erschlagenen, der sich aus einem Fluß erhebt (1.25ff.); die Liebes- und die Haßquelle, die auf mehrere Canti hinaus einen Hauptstrang der Handlung bestimmen werden (1.79 u.ö.); die unterirdische Grabesgrotte des Zauberers Merlin, unter dessen Obhut eine Zau-

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berin vor den Augen der donna guerriera Bradamante in einer Phantasmagorie etwa zwanzig Generationen von Bradamantes künftiger Nachkommenschaft auftreten läßt (3.5-62); den Ring, der je nach Tragweise vor Zauber schützt oder unsichtbar macht und im Epos eine sehr komplexe Rolle spielen wird (3.69, 3.74 u.ö.); den Hippogryph, eine Kreuzung aus Greif und Pferd (4.4ff.), auf dessen Rücken Ruggiero später ein jungfrauenfressendes Seeungeheuer bekämpft (10.106) und Astolfo jene Reisen quer über die bekannte Welt, in die Vorhölle, ins Irdische Paradies und zum Mond durchführen wird (34ff.), ohne die der gesamte Mittelteil des Epos einschließlich der Heilung Rolands unvorstellbar wäre; schließlich ein Zauberschloß in den Pyrenäen, das unter Bradamantes Zugriff von seinem Erbauer in nichts verwandelt wird, womit der dort gefangene Ruggiero einige Augenblicke lang frei vor seiner geliebten Bradamente steht, bis ihn der Hippogryph entführt (4.38-48). Eine Motivklasse für sich im Orlando Furioso sind die 'Feiungen': Rinaldo besitzt einen den Gegner blendenden Zauberschild (10.50); Roland ist nur an der Ferse verwundbar, Ferraù nur am Nabel (12.48f.); Astolfo läßt ein unwiderstehlich-scheußliches Horn ertönen (15.14); Ruggiero hat einen gefeiten Helm (30.59), Bradamante eine Wunderlanze (36.23); selbst Personen zweiten Ranges wie Marfisa und Mandricardo kämpfen in gefeiten Waffen gegeneinander (26.83). Gegen Ende des Werkes kommt es zu immer offeneren Interventionen des Himmels, so wenn für Astolfo Felsen in Pferde (38.33f.), Laub in eine Flotte (39.27) und die Flotte wieder in Laub verwandelt werden (44.20). Als nach Erscheinen des Furioso der Kommandeur einer genuesischen Flotte sich vernehmen ließ, auf der Insel Lampedusa gebe es kein Fleckchen Ebene für einen Kampf von sechs Berittenen, antwortete Ariost in der zweiten Auflage, dieses Fleckchen sei inzwischen durch ein Erdbeben verschüttet worden (42.20-22). Ein solch rauschhaft-heiterer Irrealismus, eine derartige Fetischisierung der Handlungsfülle, insbesondere der Zaubermotive, sind einer gleichzeitigen Bemühung um Psychologie nicht förderlich. Zwar beherrscht Ariost, wenn er will, in virtuoser Weise auch die Register der Psychologie vom Erhabenen bis zum Boshaften: man denke an die Angelica-Medoro-Handlung und an die Etappen der Eifersucht bis hin zum Wahnsinn, in denen Roland die Liebe der beiden zur Kenntnis nehmen muß. Aber meist setzt Ariost seine Prioritäten deutlich anders. Wenn dann Liebe und Haß durch zwei Schluck Quellwasser die Plätze tauschen oder Liebende durch einen Theatercoup sogleich wieder getrennt werden oder dem Titelhelden sein vom Mond zurückgeholter Verstand aus der Flasche in die Nase steigt, so kann man solche und viele ähnliche Szenen über den sublimen Spaß hinaus nicht auch als Beiträge zur Kenntnis des menschlichen Herzens lesen.116 Sie setzen einen radikal anderen Denkstil als den von PuW voraus. 116

Recht freimütig hat dieses Zurücktreten der Psychologie bei Ariost vor Jahrzehnten Toffanin 1964 [1971]: 164-189 festgestellt.

Bearbeitungstendenzen, insbesondere Humor

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8.6.4.6 Der Dichter unseres jiddischen PuW beläßt nicht wie Chrétien seinen Humor im embryonalen Stadium zwischen Sein und Nichtsein; er konzentriert ihn nicht so einseitig wie nach unserer Meinung Wolfram auf die auktoriale Ebene; er billigt anders als Boccaccio der Sexualität im engeren Sinne keine Dominanz zu; er überwindet speziell in der Darstellung der Hauptgestalten energischer als Chaucer mittelalterliche Rücksichtnahmen und Typisierungen. Vor allem aber: indem er sich einen Stoff aussucht, der schon nach dem Willen seines ersten namentlich bekannten Gestalters Pierre de la Cypède nichts 'Unglaubwürdiges' enthalten durfte (Babbi 1991:12 f.), und indem er sich aus Gewissensgründen größere inhaltliche Zusätze prinzipiell versagt, verzichtet er von vornherein auf die Magie des romanzo, des großen Spektakulums, in welchem es dann auf psychologische Schlüssigkeit nicht so sehr ankommt. Gerade weil er den Furioso so ausgezeichnet kannte (vgl. oben Kap. 6), muß seine eigene ästhetische Grundsatzentscheidung für einen relativ strengen Wahrheitsbegriff und damit gegen das unumschränkte Walten der dichterischen Phantasie äußerst bewußt, vielleicht schmerzhaft bewußt, gewesen sein. Wir sind überzeugt, daß sie zu seinem jüdischen Erbe gehört, und kommen deshalb in Kap. 9 kurz auf sie zurück (9.5.1-3). Doch wie dem auch sei - mit Sicherheit ist PuW im Gesamttyp seiner Komik von jedem der oben diskutierten Werke (und erst recht von 'normaler' mittelalterlicher Komik) unterscheidbar und hat deshalb ein Recht darauf, im Konzert der europäischen komischen Literatur als eigene Stimme von hohem Rang gehört und gewertet zu werden. Und zwar ist, jetzt positiv formuliert, das Ziel unseres Autors gerade - was gegenüber der Praxis des romanzo gleich eine doppelte Erschwerung bedeutet - die maximale psychologische Plausibilisierung einer von außen vorgegebenen und zumindest in den narrativen Hauptzügen von ihm als 'glaubwürdig' akzeptierten Handlung. Und da er einen durchdringenden Blick und eine ebenso durchdringende Formulierfähigkeit hat für die komischen Begleitaspekte erhabener Gefühle, für menschliche Eitelkeit und die aus ihr resultierenden Fehleinschätzungen, für die Häufigkeit komisch mißlingender Kommunikationsakte und für das automatenhafte Agieren menschlicher Kollektive, scheint uns sein Werk geprägt zu sein von einer Komik des - sit venia verbo - 'psychologischen Realismus'. Dieser Doppelbegriff mag zunächst matt, ungriffig wirken. 'Psychologisch' ist zum Allerweltswort geworden, und 'Realismus' sollte nach Meinung mancher, um nicht dasselbe Schicksal zu erleiden, nur als Epochenbegriff verwandt werden. Wir leugnen diese Aspekte nicht, glauben aber, daß für unsere Fragestellung gegenläufige Argumente den Vorrang haben sollten. Spätestens Fourriers Studie von 1960 über den courant réaliste im französischen Roman des Mittelalters hat doch wohl Zusammenhänge sichtbar gemacht, für die das von ihm gewählte Adjektiv réaliste bis heute unersetzt ist. Dabei ist freilich zweierlei zuzugeben. Erstens kann der Terminus in diesem 'vor-epochalen' Gebrauch noch nicht per definitionem jene aus dem 'epochalen' Gebrauch

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herrührende Nebenvorstellung einschließen, daß der realistische Künstler sich hauptsächlich mit den Mittel- bis Unterschichten befassen müsse. Und zweitens drängt sich der 'vor-epochale' Realismus-Begriff zuerst als ein relativer auf : ins Auge fallen nicht so sehr 'realistische Werke' als vielmehr Werke, die - manchmal sogar im expliziten Selbstverständnis ihrer Autoren weitaus 'realistischer' sind als andere ; eines der wichtigsten Trennkriterien ist dabei dann eben die Frage nach der 'Glaubhaftigkeit' der Handlung in einem mehr oder minder alltäglichen, fast rudimentär-naturwissenschaftlichen Sinn des Wortes. In ähnlicher Perspektive möchten auch wir an unserem Doppelbegriff festhalten, weil er, gerade elementar-wörtlich genommen, für PuW präzis zutrifft: für unseren Autor ist das überdachende Auswahl- und Darstellungskriterium zweifellos die 'Glaubwürdigkeit' der Handlung, nicht ζ. B. ihr Überraschungs- oder Überbietungseffekt, und Szene für Szene interessiert ihn dann primär die menschliche Psyche in ihrem konkreten Funktionieren, nicht ζ. B. Ideale oder 'Großtaten' als solche. In einem einzigen Aspekt freilich, in der Frage der Religionszugehörigkeit seiner Gestalten, suspendiert unser Autor bewußt seinen realistischen Darstellungsmodus zugunsten eines anderen. Wir dürfen die Besprechung dieses Aspektes, da er mit dem Judentum des Verfassers zusammenhängt, auf das nächste Kapitel verschieben (9.4).

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Paris un ¡Viene als jüdisches Werk

Bisher hatten wir wenig Anlaß, auf das Judentum unseres Autors hinzuweisen. Der Leser könnte insgesamt sogar den Eindruck gewonnen haben, PuW gehöre essentiell der Renaissanceliteratur Italiens an u n d sei fast zufällig 'schon' von einem Juden, 'noch' in einer jüdischen Sprache geschrieben. Doch dieser Eindruck wäre sehr einseitig ; wir möchten ihn hier in gebührendem U m f a n g schon deshalb relativieren, weil es ja die spezifischste Aufgabe des Jiddisten sein muß, alle Mischphänomene herauszustellen, durch die sich die jiddische Literatur vor den Nachbarliteraturen, sei es der hebräischen, der deutschen oder der italienischen, auszeichnet. 9.1 Sprach- und Schriftloyalität. Ein Werk in jiddischer Sprache konnte in Italien von vornherein nur die aschkenasischen unter den jüdischen Lesern erreichen. D e r Autor ist sich bewußt (5.3-6.8), daß die literarische Produktion in dieser Sprache - wenigstens in Italien - schon lange in unverhältnismäßigem U m f a n g an der Genialität des einen Elia Levita hing und daß es u m sie jetzt mit seinem Weggang oder Tod nicht z u m besten steht. Einer der G r ü n d e dafür ist zweifellos, daß das aschkenasische Lesepublikum großenteils schon zweisprachig ist: viele seiner eigenen Leser, so fährt der Autor fort (10.6f.) und impliziert es später noch einmal (428.7), haben »Paris und Vienne« schon auf italienisch gelesen. Doch wenn ihn dieser Umstand sichtlich nicht entmutigt, so spricht daraus einmal sein Vertrauen in die eigenen Erzählerqualitäten (so Shmeruk 1995: 16); außerdem aber mußten seine Leser darin auch so etwas wie eine Sprachloyalität verspüren. Sie war zugleich eine - f ü r Aschkenasen noch wichtigere - Schriftloyalität (wobei die Loyalität zum hebräischen Alphabet selbst essentiell religiös bedingt war, in der Praxis aber auch eine Loyalität zur jiddischen graphematischen Tradition einschloß, vgl. T i m m 1987: §48, speziell 48.3). D e n n da im 16. Jh. die ebenfalls noch in hebräischer Schrift geschriebene und gedruckte jüdisch-italienische Literatur n u r religiöse, keine weltlichen Werke umfaßte, 1 1 7 las das zweisprachige Publikum die italienische Fassung des Stoffes zweifellos in den normalen lateinschriftlichen Drucken. Langfristig gesehen, stand natürlich unser Dichter mit seiner Haltung wenigstens in Italien auf verlorenem Posten. Ein Jahr nach dem Veroneser Druck von 1594 meldeten in Mantua 18 jüdische Haushalte ein italienisches, n u r zwei ein jiddisches Exemplar von »Paris und Vienne« (Shmeruk loc. cit. nach Baruchson 1985: 334). Seit ganz kurz nach 1600 lohnte dann in Italien der Druck jiddischer Bücher nicht m e h r (mit A u s n a h m e der zweisprachi117

Sermoneta im Artikel Judeo-Italian der EJ; vgl. auch das Textspektrum bei Freedman 1972.

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gen, nämlich jiddisch erklärten Pessach-Haggada; Shmeruk 1982: Nr. 28ff.). Ferner hatte schon 1571 der italienische Arzt und Rabbiner David de' Pomi seine italienische Übersetzung selbst des biblischen Buches Kohelet in Lateinschrift herausgebracht, und im ersten Jahrzehnt des 17. Jahrhunderts erschienen wohl die letzten erwähnenswerten hebräischschriftlich-italienischen Drucke (Steinschneider, Cat. Bodl. 4855, 7015). 9.2 Das Jiddisch von PuW. Wie in literarischer, so ist auch in linguistischer Hinsicht die Sprache von Pu W eine durchaus reiche118 - und sie hat viele distinktiv jüdische Züge. Wir können hier nur die wichtigeren berühren. 9.2.1 Was die hebräisch-aramäische Komponente betrifft, haben wir das entscheidende Faktum schon in 4.2.5 herausgearbeitet: sie geht in großem Umfang, und zwar in der aschkenasischen Alltagsaussprache, in gemischte Reime ein. Wir haben dort sowohl die literaturgeschichtliche wie auch die prinzipielle sprachgeschichtliche Bedeutung dieser Tatsache besprochen. 9.2.2 Elemente romanischer Herkunft gibt es in PuW dreierlei: - (im Glossarli durch zwei Sterne markiert:) 'Internationalismen' wie spázirén, tumirén u. ä. ; - (im Glossar II durch einen Stern markiert:) die alte 'romanische' Komponente des Jiddischen (Timm 1987: § 47.2.2), d.h. Wörter, die nördlich der Alpen im Jiddischen, aber nicht im Deutschen bekannt waren, weil sie durch innerjüdische Sprecher- oder Kulturbewegungen ins Jiddische gekommen waren, wie piilzèl, lai'èn (nj. lejenen) u.ä.; sie sind dann mit den aschkenasischen Süd Wanderern in die Romania zurückgelangt. In PuW sind sie ebenso stark vertreten wie in jiddischen Texten aus Süddeutschland, stärker als in solchen aus dem ostjiddischen Bereich; schließlich - (im Glossar II ohne Stern:) 'Italianismen', d.h. Wörter, die diese Südwanderer erst in Italien kennenlernten, wie inpaz u.ä., oder die sie unter dem Einfluß des Italienischen umformten, wie falkòn neben älterem falk(èn). Das Bovobuch hatte reichlich 40 solche Lexeme mit ungefähr 80 Vorkommensfällen; PuW hat rund 50 Lexeme mit etwa 65 Vorkommensfällen, weist also eine etwas größere Diversifikation auf, die ihrerseits auf eine inzwischen souveränere Kenntnis des Italienischen deutet. Doch kann auch hier quantitativ - bei einem Vorkommensfall auf durchschnittlich fast 90 Verse - noch nicht im geringsten von einer drohenden Überfremdung des Wortschatzes die Rede sein. 118

Einen detaillierteren Überblick als den folgenden findet man in der Ausgabe von Shmeruk (1995: Anhang Alef). Diese Überblicke gewinnen zwangsläufig an historischem Hintergrund, wenn man zur allgemeinen Entwicklung des Jiddischen jeweils die einschlägigen Abschnitte bei Timm (1987) vergleicht.

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Wo im Italienischen die toskanische (hochsprachliche) und die nordostitalienische (im wesentlichen venezianische) Form auseinandergehen, beruht die Form in PuW stets auf der letzteren.119 Obwohl unser Autor zumindest den (nahezu) hochsprachlichen Orlando Furioso ausgezeichnet kennt, reproduziert er doch das Italienisch, das er im Alltag um sich hört, nicht dasjenige, das ihm in Lateinschrift, der Schrift der christlichen Kultur, entgegentritt. 9.2.3.1 In der deutschen Komponente fällt dem Leser wohl als erstes auf, daß viele Dienstwörter schon (oder fast schon) den neujiddischen Lautstand aufweisen: buchstäblich Hunderte von Malen finden wir is (vereinzelt is, nie Formen auf -t) 'ist' (nj. is), as (nie Formen mit -/-) 'als, wie' (nj. as),120 asó/aso (nie Formen mit -/-) '(al)so' (nj. asoj), ebenso das Verbalpräfix der-/ der- (nie Formen ohne d-) 'er-' (nj. der-)·, immerhin Dutzende von Malen mir (nie anders) 'wir' (nj. mir), nischt 'nichts', gelegentlich 'nicht' (nj. [gorjnischt), mén (neben seltenerem mer) 'mehr' ( < mhd. mê + parasitischer Nasal; nj. in gewissen Varietäten noch mejn neben standardsprachlichem mer), werén (neben sporadischem werden), ich wer (25mal ohne Variante!) 'ich werde', du werst, werstu, er/si' wert (nie mit -i-), géworén (neben sporadischem géwordén) 'werden' (mit Flexionsformen; nj. wem), anàndèr (nie ain-) 'einander' (nj. anander), nôu'ért (mit graphischen Varianten) und nòrt (neben sporadischem nór) 'nur' (nj. najert neben häufigerem nor), itlichér (mit Flexionsformen) 'jeglicher' (nj. itlecher). Während viele mit PuW etwa gleichzeitige jiddische Texte ein ähnliches Bild bieten (Timm 1987: §49.4), lassen sich diese Formen im Deutschen meist in Dialekten ebenso weit zurückverfolgen, sind hier aber in der schriftlichen Überlieferung Mitte des 16. Jahrhunderts bereits in eine extreme Minderheitenposition gedrängt; ein längerer Text mit einer ähnlichen Anhäufung wie in den jiddischen Texten ist kaum vorstellbar. Da nun bei Lexemen solcher Häufigkeit schon ein Blick aufs Geratewohl in einige deutsche Bücher eine Vorstellung von der deutschen Hauptentwicklung vermitteln mußte, ist klar, daß die Jiddischschreiber entweder diese Entwicklung nicht wahrnahmen (was in Italien schon infolge der dortigen Seltenheit deutscher Bücher möglich war) oder ihr mit deutlicher Distanz gegenüberstanden. Jedenfalls verschrifteten sie - und das ist für die Geschichte beider Sprachen von grundsätzlicher Bedeutung - zwanglosere bzw. weniger konservative Sprachvarietäten als die Träger der deutschen Entwicklung (zum Gesamtproblem vgl. Timm 1986).

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Daß -o in nichtvenezianischer Weise auch nach Nichtsonor gefallen ist (inpaz usw.), braucht nicht trevisanisch-bellunesischer oder nordwestital. Einfluß zu sein, sondern kann einfach das Weiterwirken einer aus dem Deutschen stammenden Übernahmeregel für Italianismen darstellen. Daß in nj. as inzwischen auch 'daß' aufgegangen ist (Timm 1987: 31.4.1, speziell S. 281), kann hier außer Betracht bleiben.

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Essentiell im selben Sinne ist es zu nehmen, wenn in PuW - wie weithin in der gleichzeitigen jiddischen Überlieferung - die Apokope (außer in gewissen Adjektivformen) voll durchgeführt ist (end 'Ende', los 'lasse' usw.), wenn die Velarisierung des mhd. à zu ö durch die Waw-Graphie (außer in einer Reihe von Spezialfällen) 'eingestanden' wird, wenn in der Schreibung auch die Monophthongierung von au zu â durchgedrungen und diejenige von ai zu â sowie die Entrundung der ö- und w-Laute zu e- und /-Lauten immerhin im Vordringen begriffen sind. Das graphematische System ist - 'gesunderweise', möchte man sagen - gegenüber phonomatischen Neuerungen noch prinzipiell offen; speziell gibt es keine Anzeichen dafür, daß - wie weithin im Frühneuhochdeutschen - konservative Graphien ihrerseits konservative Aussprachen hätten fördern können (vgl. Timm 1987: § 48.8.5). Insgesamt ist eine solche unprätentiös-praktizistische Grundhaltung gegenüber den mehr instrumenteilen Seiten (hauptsächlich Laut- und Formenlehre) der Alltagssprachen die im Judentum normale, ganz im Gegensatz zu den italienischen und auch schon den deutschen Bemühungen um eine gerade in diesen Bereichen 'vorbildhafte' Sprachform, die dann, gewollt oder ungewollt, zu einem Instrument der Diskriminierung der sie nicht Meisternden werden mußte. Unser Autor ist bei diesem Praktizismus insgesamt sogar noch etwas ungenierter als der Durchschnitt der jiddischen Tradition: er zeigt ja, wie wir in 4.2.4.3 vorgeführt haben, eine ungewöhnlich starke Vorliebe für die enklitischen Pronomina der Umgangssprache, offenbar weil sie in einem literarischen Werk - besonders in den Reimen - so flapsig-komisch klingen (83.7f. heztén 'hetzt ihn' : am leztén, 531.7f. dérstartèr 'erstarrte er' : mártér usw.). 9.2.3.2 Viel schwerer erkennbar für den heutigen deutschen Leser als dieser die instrumentellen Teile der Sprache betreffende Praktizismus ist ein gewisser Gegenpol dazu hauptsächlich in den inhaltstragenden Teilen : die Präsenz bibelsprachlicher Elemente. Das gilt schon für die ziemlich zahlreichen 'Zitate' im normalen Sinne des Wortes, also Textstücke von mehreren Wörtern; zu ihnen vgl. jeweils den laufenden Kommentar. 121 Sie erscheinen durchweg implizit, d.h. ohne Erwähnung der Bibel. Wenn etwa Paris' Mutter »weint, sie weint bei Nacht« (186.5), so hält der Leser das leicht für eine ad hoc geprägte lyrische Formulierung; gerade die Wiederholung des Verbalbegriffs zeigt aber, daß ein Zitat aus Threni 1.2 vorliegt. Ferner ist oft der Bibeltext um der neuen Situation oder des Versbaus willen syntaktisch verändert; so inspirieren sich im soeben gegebenen Beispiel auch die beiden folgenden Verse (186.6f.) durchaus noch an der genannten Bibelstelle, wie man sich leicht überzeugen kann. Gelegentlich übernimmt der Autor aus der Bibel auch eine bloße Konstellation von Begriffen oder Gestalten ohne den syntaktischen Zusammenhang: so in 1.1 f. 121

Zu 1.1-2,15.2, 22.5, 68.5-8, 162.1 f., 181.6-8, 186.2, 186.5-7, 223.3, 239.7, 250.8, 262.4, 264.6, 282.8, 294.8, 350.8, 466.5, 607.5Í., 614.5, 622.5, 701.2-8.

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die 'vier Wesen' aus Hesekiel 1.10, so in 162.1 f. die Konstellation 'die beiden Freunde begeben sich zu einer vertraulichen Besprechung vor die Stadt' aus 1 Sam 20.11. Während das Erkennen solcher Zitate oder zitatähnlichen Bezüge nur gute Bibelkenntnisse voraussetzt, bedarf es einer spezielleren Vertrautheit mit der altjiddischen Bibelübersetzungstradition, um die linguistisch sehr wichtigen Spuren zu erkennen, die diese Tradition schon auf der Ebene des Einzelwortes allgemein im jiddischen Wortschatz und speziell in /'«JF hinterlassen hat. Ein Beispiel für viele: in der hebräischen Bibel ist das (knapp 350mal vorkommende) Verbum malach 'herrschen' von derselben Wurzel wie das (über 2000mal vorkommende) melech 'König'. Die jüdischen Übersetzer in ihrem Streben nach äußerster Wörtlichkeit wollten auch in der Übersetzung zwei stammverwandte Wörter sehen und bildeten deshalb statt '(be)herrschen' ein Verbum künigén.122 Da zumindest so gut wie alle männlichen Juden in dieser Übersetzungstradition aufwuchsen, wanderte das Wort auch in die Umgangssprache: so sagt dann auch unser Autor, daß der starke Sultan von Ägypten viele Städte und Länder kiinigèt (492.7), und noch heute heißt standardjidd. kinign 'herrschen'. Generell muß hier wieder auf den laufenden Kommentar verwiesen werden; auch dort sind freilich nur recht eindeutige Fälle ohne Anspruch auf Vollständigkeit aufgeführt, 123 da das ganze Gebiet noch dringend weiterer Forschung bedarf:124 so konnte erst kürzlich gezeigt werden, daß selbst ein so triviales Wort wie das Demonstrativum der dosiker seine Karriere im Jiddischen (einschließlich PuW) eindeutig der Bibelübersetzungssprache verdankt. 125 9.3 Partielle Entchristlichung des Inhalts. Noch als linguistisches Problem formulierbar, doch von einiger Relevanz auch für die jiddische Literaturgeschichte ist die Frage, wie in älterer Zeit jüdische Autoren Begriffe - sowohl Abstrakta wie Konkreta - der christlichen Religion bezeichneten. Im babylonischen Talmud (Avoda Zara 45b-46a) wird den Juden verboten, für Gottheiten und Einrichtungen anderer Religionen die Termini undefor122

Im Deutschen hat sich ein Verb kiitiigen bisher nur in einem Text finden lassen, heißt dort aber 'mit einem König versehen' (Lexer s. v.). Die beiden Bildungen sind offensichtlich voneinander unabhängig. 123 Zu 1.7, 23.2, 117.8, 159.6, 177.1, 197.7, 207.4, 249.2, 281.2, 281.8, 285.2, 320.2, 334.7, 391.2, 450.7, 453.8, 458.1, 492.7, 509.4, 525.2, 554.8, 588.8, 607.3, 698.2, 701.3. 124 Eine Reihe sehr alter Belege (die sich inzwischen vervielfachen ließen) findet man bei Timm 1987: §47.2.4, einen Überblick über die sprachgeschichtlich relevanten Mechanismen bei ders. 1991a, eine Darstellung des historischen Umfeldes dieser Tradition bei ders. 1993 passim, speziell 307-315, eine Würdigung des Wörtlichkeitsstrebens als Quelle sprachlicher Kreativität bei ders. 1994. 125 Timm 1987: § 47.2.4 (S. 382f.), 1991a: 69, 72 und (speziell zu PuW) in der Edition Shmeruk 1995: Anhang Alef 1.7.

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miert zu übernehmen, die deren Anhänger verwenden. Infolgedessen gab es im älteren Jiddisch für christliche Spezifika Termini, die teils durch Deformation der christlichen Benennungen, teils einfach aus anderem Wortmaterial gebildet waren.126 Wo immer nun Erzählstoffe nichtjüdischer Herkunft für das jiddische Publikum adaptiert wurden,127 hatten die Bearbeiter die Wahl: 9.3.1 Sie konnten das Verbot respektieren. Manche taten dies ziemlich gewissenhaft, andere weniger, aber wohl keiner ignorierte das Verbot völlig.128 In PuW finden wir auf diese Weise immerhin noch zelem 94.6 'Kreuz' (eigentlich: 'Bildnis'), hegmen 144.5 'Bischof (im Talmud noch 'Anführer', < griech. ήγεμών) und han 384.5 statt San vor einem (italianisierten) Heiligennamen. Dazu kommt bók 599.4 'Gott (der Christen)' im Munde des Mönchs samt dem Ausruf bei' bók 131.2, 160.7, 320.5, 616.3 in Odoardos bzw. Paris' Mund; der heutige Leser möge bedenken, daß hier vielleicht ein Mißbrauch von slav. bog 'Gott' mitspielte129 und daß jedenfalls 'bei Bock' auch im gleichzeitigen Deutsch so häufig war, daß die Brüder Grimm (im DWb Bock 6) dazu bemerkten: »alle bûcher des 15. 16. jh. sind voll dieser rohen flüche, die betheuerungen bei dem namen gottes parodieren sollten«. Und schließlich finden wir in PuW e inen bisher unbelegten, bitter-scherzhaften Distanzierungsausdruck. Als Dolfin seine angebliche Pilgerfahrt zum 'Heiligen Grab' verkünden will, legt ihm der Dichter statt dieses christlich vorbelasteten Ausdrucks den Ausdruck der eltérn grab in den Mund (504.3). Nun beinhaltete bei den Aschkenasen der feste Begriff 'zum Eiterngrab ziehen' (freilich in der Regel hebräischkomponentig ausgedrückt, standardjidd. 126

Darüber ausführlich M. Weinreich 1973: § 44 (speziell 44.3) mit vielen Anmerkungen in Bd. III, die in der englischen Übersetzung von 1980: Abschnitt 3.3 (speziell 3.3.3) fehlen; vgl. auch Timm 1987: 47.2.3. 127 Selbstverständlich ist hier nicht von jenen international-folkloristischen Erzählpatterns von Märchenumfang die Rede, die eben auf 'folkloristischen', d. h. zeitlich und räumlich nur vage bestimmbaren Wegen, in die hebräische bzw. jiddische MaiseLiteratur eindrangen, dabei grundsätzlich, dem Charakter dieser Gattung gemäß, auf einen jüdischen Protagonisten übertragen wurden und deshalb nicht dem damaligen jüdischen Publikum, sondern nur dem heutigen Spezialisten als ursprünglich internationales Erzählgut erkennbar sind (vgl. Timm 1995: Abschnitt 3). Im Gegensatz dazu blieben aber in aller Regel bei den 'literarischen' Übernahmen, um die es oben geht, die Personen der Handlung durch Beibehaltung ihrer Namen und ihres Status dem Publikum grundsätzlich als Nichtjuden erkennbar, unter anderem, weil ja die Bearbeiter darauf rechneten, daß das Renommée des Stoffes beim nichtjüdischen Publikum auch schon eine positive Erwartungshaltung zumindest bei einem Teil des jüdischen Publikums erzeugt hatte. 128 Hierzu und zum folgenden Beispielmaterialien bei Paucker 1959 bzw. 1961 (auch 1961a und 1973), Friderichs-Müller 1981: 1.20ff„ Shmeruk 1988: 36ff„ 106f. 129 M. Weinreich 1973: hier Bd. III, S. 207. Zum jüdischen Gebrauch vgl. außer Paucker 1961: 308 noch BB 42.7 (zur Erklärung vgl. Falk-Fuks 1961 : Bd. I, S. 8), 48.3, 429.6, 548.8, 551.5, 599.1 (speziell zu letzterem vgl. DWb Bock 6).

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kumen ojfkeiver ovess) ein früher oft anstrengendes Unternehmen, da selbst der nächste jüdische Friedhof oft beträchtlich vom Wohnort entfernt lag, oft die Generationen durch einen Wohnortswechsel getrennt waren und manche sehr frommen Juden überhaupt im Alter ins Heilige Land zogen, um dort begraben zu werden. Da aber alles das für Dolfins Eltern nicht zutraf, der Kontext vielmehr eindeutig auf das Heilige Land deutete, meint der Autor wohl hintersinnig '(das Land der) Gräber unserer (Vor-)Eltern (und zum Teil sogar Eltern)'. 9.3.2 Nun mußten aber die Distanzierungstermini, je häufiger sie in einer Erzählung auftraten, desto offensichtlicher kollidieren mit jener Sympathie für eine oder mehrere Hauptgestalten, ohne die erfolgreiches Erzählen fast unmöglich ist. Deshalb wurde die talmudische Vorschrift schon seit Beginn der Überlieferung nicht selten eindeutig übertreten. Schon im Dukus Horant (Hs. von 1382/83) geht die Königin zwar zunächst (485) zur tifle 'christlichen Kirche' (etymologisch: 'Abgeschmacktheit'), bei der Wiederaufnahme dieser Mitteilung aber (489) zur kirche, später allerdings wieder zur tiße (584). Besonders in der liberaleren Atmosphäre Italiens ist der Gebrauch der christlichen Termini sehr häufig. Wie schon das Bovobuch, so benutzt auch PuW krist(én) (limai), münch(én) (38mal) und das (damals auch im Deutschen noch nicht pejorative) pfaf(èn) (13mal); ferner - neben den obengenannten Distanzierungstermini und insgesamt um ein Vielfaches häufiger als diese - kröüzlich 682.7, pischòf (20mal), hailig(èn) (4mal in nichtspielerischer Weise auf Christen bezogen), gót(és) (fast 50mal in direkter, 8mal in indirekter Rede von Christen). 9.3.3 Ästhetisch ergiebiger als diese beiden Pole der Entwicklung waren aber die Zwischenlösungen. Eine erste Möglichkeit bestand darin, die Aussagen der Vorlage durch neutral-monotheistische zu ersetzen. Wie etwa der ¿Xgenoi-Bearbeiter Maria die vil reine magt durch almechtigèr hailigér got ersetzt (Shmeruk 1988:37), so auch der Autor von PuW Wienes Anrufungen der Jungfrau durch Anrufungen Gottes (218.7f., 663.1), ferner Dolfins Eid auf die Hostie durch einen Eid bei 'Seele, Leib und Leben' (622.2). 9.3.4 Manchmal haben die neuen Aussagen auch gar keinen Bezug zur Religion mehr. Wie etwa in Reutlingens Oktavian -Bearbeitung eine Person der Handlung nicht mehr die Basilika von St. Denis, sondern 'eine gewaltige Festung' baut (Paucker 1961:307), so findet in PuW das Pariser Turnier nicht mehr statt infin otto giorni del mese di Settembrio: cioè il giorno de la natività de nostra donna (also am 8.9., zu Mariä Geburt), sondern überhaupt 'am 10. September' (137.2), damit selbst jenen Lesern, die den christlichen Kalender gut kennen, die marianische Assoziation erspart bleibt. Paris besitzt, von seinem Zimmer aus zu erreichen, nicht einen privaten christlichen Betraum,

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sondern eine Souterrain-Kammer (216.3ff., 231.5ff.). Und Odoardo baut nicht 'eine Kapelle', sondern einfach 'ein Haus' als Ausgangspunkt des Tunnels zu Wienes Gefängnis (509.3). 9.3.5 Auf periphere Aussagen der Vorlage ließ sich überhaupt verzichten. So wie Reutlingen im Oktavian manchmal das Prädikat 'Christ' oder 'christlich', aber auch eine Kennzeichnung der Mohammedaner als 'verfluchte Ungläubige' kurzerhand streicht (Paucker 1961: 307 f.), so sagt unser Autor uns im Gegensatz zu seiner Vorlage nicht, daß Paris in Genua Kirchen und Klöster besichtigte, als Pilger den Umweg über Rom auf sich nahm, sogar bis ins Land des Priesters Johannes gelangte, in Jerusalem das Heilige Grab aufsuchte, sich in Kairo über die unchristlichen Sitten ärgerte, beim Sultan für andere Christen eintrat, von den Mönchen zunächst einer Prüfung seiner christlichen Rechtgläubigkeit unterzogen wurde und von seiner Hochzeit bis zu seinem Tod so sehr nach la santissima legge e commandamenti di Christo lebte, daß bei seinem Tod sogar Wunder vorgekommen sein sollen. Ebensowenig erfahren wir, daß der geplante Kreuzzug eine Idee des Papstes Innozenz war, daß Dolfin zu seiner Orientfahrt bereit war, 'weil Gott für uns starb', und daß Dolfins Gefangennahme nahe bei Jerusalem stattfand. Dieselbe Distanz wie zum Christentum wahrte die italo-aschkenasische Literatur übrigens auch zum Bildungsgut antiker Herkunft, offenbar weil es zu sehr Teil des christlichen Schulbetriebs war. So wie Hektor von Troja schon im Bovobuch als Vergleichsmaßstab für Bovos Tapferkeit von Elia Levita bewußt durch Helden der mittelalterlichen Epik ersetzt wurde (Timm 1991: 174f.), so wird derselbe Hektor in PuW als Vergleichsmaßstab für Odoardos (auf dem ersten Turnier bezeugte) Tapferkeit einfach übergangen. Keine Gnade vor den Augen unseres Autors findet natürlich auch der dio d'amor, den ζ. Β. Paris in den schlaflosen Nächten seiner Brabantfahrt anruft - a che ponto [ = punto] m'hai condotto? - und der, wiewohl völlig abgeblaßt, hier doch wohl Amor und nicht der christliche 'Gott der Liebe' sein soll.130 Insgesamt kann man also sagen, daß damals zwar die spezifische Distanzierungssprache des älteren Jiddisch sichtlich - wenigstens in Italien - ihrem Ende entgegenging, daß dies aber keineswegs einer generellen Vereinnahmung der Denkschemata der christlichen Umgebung gleichzusetzen ist. 9.4 Ansätze zu einer Judaisierung des Inhalts. 9.4.1 Während die bisher behandelten Ausdrucksformen, von der Distanzierung bis zur Neutralität, einfach aus der allgemeinen Entwicklung der jüdisch-christlichen Beziehungen ableitbar sind, gibt es zu ihnen in einzelnen jiddischen Werken - nämlich im Bovobuch (1507), in PuW und sporadisch in 130

Vgl. ferner oben 6.3.5.1 zur Entmythologisierung eines Ariostschen Cantoeingangs bei seiner Umarbeitung für PuW.

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Reutlingens OArtóv/aw-Bearbeitung (1580) - eine Art Überschuß, der einer speziellen literarästhetischen Erklärung bedarf. Es ist dies eine wenn auch schwache Tendenz zu einer Judaisierung des Inhalts selbst. 9.4.2 Reutlingen erlaubt sich zweimal einen Scherz (Paucker 1961: 307): ein junger Christ sattelt morgens sein Pferd, ê er taliss un" théfilin benscht; und eine Sultanstochter will, um ihren christlichen Entführer heiraten zu können, 'eine fromme Jüdin werden' (ed. Friderichs-Müller 1981: 66 und 129). 9.4.3 Was hier momentaner Einfall bleibt, hatte zwei Generationen vorher Elia Levita im Bovobuch schon systematischer, obwohl ebenfalls mit großer Sparsamkeit eingesetzt. Merkwürdig auf Elias Publikum mußte in diesem Text schon wirken, daß Bovo, unter Lebensgefahr eine Konversion zum Islam ablehnend, ein Monotheismus-Bekenntnis spricht, welches - einschließlich der Wendung sein ha(i)ligèn namèn für Gott - jedem jüdischen Märtyrer Ehre gemacht hätte (246.2-247.8); daß auch Drusiane und ihre Kusine jüdische Gottesbezeichnungen wie der bòre, bei dem bòre òlem im Munde führen dürfen (163.8, 386.7, vgl. auch 168.5f.); daß Drusiane ferner die ha-mavdilFormel 131 aus der Havdala-Zeremonie und eine hebräische Verfluchungsformel kennt (335.3, 486.5); oder daß Nichtjuden einander beim Gratulieren masel tov bzw. kurz masel wünschen (204.7, 206.7). Als buchstäblich unglaubhaft aber mußte Elias Publikum empfinden, daß Bovo bei einem Schwur als Garantie hinzufügt, andernfalls 'lasse er sich taufen' (159.7); daß er Drusianes Hochzeit noch beim Segen bèruchim ha-josvim erreichen will (300.4, ebenso Drusiane später Bovos Hochzeit, 614.6); daß Bovo seine Hochzeit mit Margarete auf ros hòdes nisen festsetzt (612.5f.) - einen Tag, der im jüdischen Kalender als 'Königsneujahr' (Mischna, Ros ha-sana 1.1) und als Anfangstag eines Festmonats, in dem wichtige Trauerbräuche verboten sind (EJ, s.v. Nisatt), ein geradezu idealer Hochzeitstag ist, hingegen für einen Christen nicht einmal definierbar sein sollte, da er ja im christlichen Kalender jedes Jahr auf einen anderen Tag fällt; weiterhin, daß Drusianes Vater nach gängiger jüdischer Ausdrucksweise einen talmudischen Grundsatz auf 'unsere[!] Weisen' zurückführt (208.5 ff.); daß Drusianes Kusine eine Aussage bekräftigt, 'so wahr ich eine Jüdin bin' (387.1); und vor allem, daß Drusiane und ihr Vater die Namengebungszeremonie für Drusianes Zwillingssöhne nicht als 'Taufe', sondern als Beschneidung - judéschén, briss mile - durchführen (498.6-499.2). 9.4.4 Ganz ähnlich, nur eine Note verhaltener, ist das Verfahren in PuW, Auch hier mußte das jüdische Publikum aufhorchen, wenn die Protagonistin 131

Die sie freilich in profaner Weise zur Unterscheidung zweier Personen anwendet ganz so, wie Elia Levita es einige Jahre nach dem BB in seinem Gedicht Ha-mavdil tun wird.

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jüdische Gottesbezeichnungen wie der bòre und sein hailigér itamén benutzt (257.1, 679.7, vgl. auch 663.1) oder aber wenn sie ein Gesicht macht, als sollte man sie gleich tehern 'die jüdische Totenwaschung an ihr vollziehen' (520.8); wenn auch Paris sich fühlt, als wäre er im gan eden (40.8, vgl. auch 471.8) oder wiederum als wäre er ein ovel 'ein jüdischer rituell Trauernder' (540.7); wenn er am Hals wahrscheinlich 'die denkbar wirksamste Kamee trägt' (585.6 ; vgl. Glossar I) ; wenn die Mutter an Paris mit der festen jüdischen Formel schreibt, der Vater sei ba'avoness 'um [unserer] Sünden willen' krank (199.4); oder wenn nach der Hochzeit 'Bürger, Ritter und Grafen' dem Paris solem alèchem und masel tôv wünschen (702.1-6). Und schlechthin unglaubhaft mußte hier sein, daß Dolfin ausgerechnet zu einem Turnier statt 'jedermann' vielmehr 'ganz Israel' einlädt (84.6); daß Isabele ein Sprichwort von der 'roten Kuh' benutzt (211.8);132 daß Wiene im Monolog von 'Juda und seinem Hahn' redet (313.8); daß mohammedanische Kerkerwärter demnächst bar-mizve werden (626.8); daß Christen ganz wie Juden masel tôv sogar in ihre Eheringe ritzen (696.4); ja daß sie in der Hochzeitsnacht die jüdischen Reinheitsgesetze beachten (705.3f.).133 9.4.5 Doch diesen auf jeweils mehr als 5000 Verse verteilten Detailreihen steht nun die sich mit Selbstverständlichkeit aus der gesamten sonstigen Erzählung aufdrängende Erkenntnis entgegen, daß in diesem geographischen Rahmen Personen mit diesem Sozialstatus (und diesen Namen) keine Juden gewesen sein können. Der Autor beläßt also bewußt sein Publikum in einem Spannungszustand, in welchem es die Personen als Nichtjuden erkennt, sie aber immer wieder kurz so betrachten muß, 'als ob' sie Juden wären. Es ist dies in PuWder einzige Aspekt, der das sonstige Prinzip des 'psychologischen Realismus' (8.6.4.6) durchbricht; gerade deshalb verdient er unsere Aufmerksamkeit. Er ist zunächst einmal ein Bekenntnis des Autors zur jüdischen Religion; stünde der Autor ihr innerlich indifferent oder ablehnend gegenüber, so wäre nicht seine Phantasie in dieser Richtung produktiv. Zugleich aber verstärkte diese 'Veranheimelung' (wir brauchen einen Begriff, der sich 132

Das Thema der roten Kuh inspirierte im jüdischen Bereich bekanntlich einen ganzen Talmudtraktat, und daß das Sprichwort bei Bernstein Nr. 3214 ganz wie bei unserem Autor in der charakteristischen Form der tadelnden Frage erscheint, beweist seinen kontinuierlichen Gebrauch. Dem durchschnittlichen Christen hingegen steht das Thema als ein geradezu typisches alttestamentlich-zeremonialgesetzliches ziemlich fern; deshalb halten wir das entsprechende deutsche 'Sprichwort', das deutsche Sprichwortsammler von Eiselein (1840) bis Wander, Kuh Nr. 174, einander weiterreichen - sofern es überhaupt Realität hat - für einen Rückwanderer aus dem jüdischen Bereich. 133 Im Judentum wird das Datum der Heirat vor allem so gewählt, daß in der Hochzeitsnacht der Vollzug der Ehe nicht durch die Nidda-Gesetze unmöglich gemacht wird (vgl. z.B. Lau 1990: 320). Da Dolfin die Hochzeit aber ganz plötzlich stattfinden läßt, ist diese Voraussetzung hier nicht notwendigerweise erfüllt; ebendeshalb legt der Dichter Wert auf die Feststellung, daß sie zufällig erfüllt ist.

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von der modernen 'Verfremdung' nur durch das Vorzeichen unterscheidet) die Bereitschaft der Rezipierenden, sich mit den Personen der Handlung zu identifizieren: von einer so sympathischen Gestalt wie Wiene stellte man sich nur zu gern vor, sie müßte doch 'eigentlich' auch jüdische Gottesbenennungen und jüdische Ehevorstellungen verinnerlicht haben. Insgesamt wird so über den 'psychologischen Realismus' ein dünner, ganz durchsichtig bleibender Firnis von Utopie gelegt, dem Publikum ein wenig Tagtraum gestattet. 9.5 Die Wahl des Stoffes. Auf eine weniger offensichtliche Weise durch die jüdische Tradition beeinflußt ist aber schon die Wahl des Stoffes selbst. 9.5.1 Mehr noch als die anderen nachantiken europäischen Literaturen tat sich die jiddische schwer, die 'Legitimität der Fiktion' anzuerkennen. Der statistisch überwiegende Sachverhalt blieb hier vielmehr bis zur Emanzipationszeit der, daß die erzählte Handlung zumindest in den Grundzügen durch ein oder mehrere Werke der hebräisch-aramäischen Literatur gedeckt war, der jiddische Autor also seine Tätigkeit notfalls rechtfertigen konnte als das Aufbereiten einer prinzipiell schon gesicherten Wahrheit für ein bestimmtes Publikum. Das gab konservativen jüdischen Kreisen e contrario ein zusätzliches Argument in die Hand gegen das unerwünschte Eindringen nichtjüdischer Erzählstoffe; denn um deren historische Verbürgtheit war es ja meist - wie auch gebildete Christen seit dem Mittelalter laut genug betonten schlecht bestellt. In der Tat mußte mancher jüdische Familienvater, der seinen ungelehrten oder adoleszent-renitenten Familienmitgliedern mit bloßen Appellen an ihre Frömmigkeit nicht genügend beizukommen fürchtete, sich gern des weiteren Arguments bedienen, daß diese Erzählungen 'doch nichts anderes als Lügen und erdichtete Dinge'134 seien und deshalb, so darf man ergänzen, zur Lebensbewältigung selbst in einer völlig verweltlichten Perspektive nichts beitragen könnten. Besonders angreifbar waren nichtjüdische Erzählstoffe natürlich dann, wenn sie Wunder oder sonstige Unglaubhaftigkeiten enthielten. Und es ist verständlich, daß die Abneigung gegen diese Gruppe von Stoffen auch weltoffenere, ja gerade kritische Geister beeinflussen konnte, die keineswegs prinzipiell gegen die Rezeption nichtjüdischer Stoffe eingestellt waren. 9.5.2 Schon der Bovo-Stoff weist übernatürliche Elemente nur in peripherer Stellung auf. Beibehalten hat Elia nur den Pelukan, ein Wesen halb Hund, halb Mensch, und zwar wohl deshalb, weil Pelukan die unentbehrliche 134

So schon die Vorrede zur Bibelübersetzung Konstanz 1544 (z.B. bei Shmeruk 1988:43). Im Vorwort zum Maisebuch Basel 1602 ist die weltliche Argumentation der religiösen vorangestellt: solche Bücher mit nichtjüdischen Stoffen sind werlich eitél schmiz, si' gebén eich nit noch warém noch hiz, ach sein si' nit getlich derbei'.

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Trägergestalt jener großen Szene war, die die komischste des ganzen Werkes noch für den heutigen Leser ist und erst recht für den jüdischen des 16. Jahrhunderts sein mußte: des erpresserischen Verproviantierungsbesuches im Kloster (445-466). Hingegen drängt Elia den Kampf Bovos gegen einen Lindwurm, andere Untiere und einen Riesen in die eine Stanze 507 zusammen, nur um an deren Ende sarkastisch zu bemerken: ich mág es nit schreibén, ich hält es vèr lugén. Im übrigen lebt schon das Bovobuch wie später PuW durchaus von der spannenden Entwicklung menschlicher Beziehungen, speziell Liebesbeziehungen, und von der Verteilung der Handlung über Okzident und Orient135 - wobei freilich die Handlungsfülle größer, doch ihre psychologische Durchdringung (und damit der Humor) geringer ist als in PuW. 9.5.3 Der Paris-und-Vienne-Stoff war von vornherein als ein von Unglaubwürdigkeiten freier konzipiert (8.6.4.6) und hat diesen Charakter auch in Pu W durchaus bewahrt. Darüber hinaus behandelte er aber als Zentralthema - was man vom Bovobuch noch nicht sagen konnte - ein auch im Selbstverständnis der aschkenasischen Gesellschaft hochsignifikantes Problem, die Partnerwahl bei der Heirat. Gerade für eine Gesellschaft ohne eigenen Staat war ja das Funktionieren der Familie als Institution schlechthin überlebenswichtig,136 und dieses hing weitgehend ab vom Zueinanderpassen der Ehepartner. Spätestens seit talmudischer Zeit mußte das jüdische Mädchen vor seiner Verheiratung mit einem bestimmten Partner seine ausdrückliche Zustimmung geben.137 Die allgemeine Bekanntheit dieser Vorschrift erhellt z.B. aus dem gängigen Sprichwort a jidische tochter ken men nit nejtn (Bernstein Nr. 1829; Tojbes 1928:73). Doch dafür, daß ein Mädchen seinerseits gegen den Willen ihres Vaters heiratete, gibt es vom Beginn der Diaspora bis ins 18. Jahrhundert nur extrem vereinzelte Belege,138 obwohl das talmudische Recht, Volljährigkeit beider Partner vorausgesetzt, eine solche Heirat als gültig betrachtet und dafür nicht einmal Sanktionen vorsieht.139 Ausgesucht wurde der Heiratskandidat vielmehr mit Selbstverständlichkeit von den Eltern, die dann das Mädchen um seine Zustimmung angingen. Die damit gegebene Möglichkeit, daß die Eltern und das Mädchen einander in ihren Wünschen auf unbestimmte Zeit blockierten, war zwar in der Wirklichkeit wegen der 135

Zur Bedeutung dieses Themas in der älteren jiddischen Literatur vgl. Timm (1988: 47). 136 Kein Geringerer als Max Weinreich hat im Rahmen seiner soziologischen Fundierung der jiddischen Sprachgeschichte für nötig gehalten, emphatisch festzustellen, daß »der wahre Kern der aschkenasischen Gesellschaft weder die Gemeinde noch die freiwillige Vereinigung, sondern die Familie war« (1973: § 42.2 = 1980: 3.1.2). 137 Vgl. bT Qiddusin 2b, 41a, auch Raschi (in Übernahme von Genesis rabba 60) zu Gn 24.57. 138 Der Fall des R. Aqiva und ein weiterer sind genannt bei Timm 1975: 62 Anm. 59. 139 Vgl. EJ, Art. Marriage, Abschnitt Legal Capacities of the Parties, und Art. Parent and Child, Abschnitt Parental Rights.

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unvermeidbaren Spannungen in der Familie und des Prestigeverlustes nach außen kaum durchzuhalten, stand aber doch sozusagen alptraumhaft im Raum: sie bildet in der einzigen anderen größeren Liebesgeschichte der jiddischen Literatur des 16. Jahrhunderts, in Berta und Simra, die Grundlage der Tragik, so wie sie in Pu W die Grundlage der Beinahe-Tragik bildet. Sieht man einmal davon ab, daß strenggenommen Paris' und Wienes heimliche Treffen nach jüdischem Recht als sogenannter jilfud ein Vergehen darstellen,140 so kann man von dem Verhalten der beiden Titelhelden in PuW sagen, daß es zwar mit den Sitten des aschkenasischen Alltags kollidiert, aber an einer Kollision mit dem talmudischen Recht vorbeikommt. In jüdischer Perspektive bedeuten Wienes Worte (274.5 f., 275.1 f.) ich wais, dàs man kain hithen tut, mein vatèr wert mich ach drum vrògèn. [...] Zu kainèm wil ich sagén jó5, wen nôu'èrt zu dir, du' kûnèr degèn. [...],

daß sie die obengenannte Vorschrift kennt und nötigenfalls maximal für ihre Pläne einzusetzen bereit ist. Sie möchte dabei zunächst auch in Einklang mit der jüdischen Sitte handeln, daß die beiderseitigen Eltern die Heiratsverhandlungen zu übernehmen haben. Erst als dieser Versuch nicht nur fehlschlägt, sondern Paris und seinen Vater um ihre soziale Stellung bringt, ist sie bereit, in Mißachtung der Sitte (aber nicht des Buchstabens des jüdischen Gesetzes) Paris auch gegen den Willen ihres Vaters zu heiraten - zunächst am Ort selbst (315) und erst, als das wegen der Lebensgefahr für Paris (320) nicht geht, irgendwo in der Ferne (324.8-325.4); bis dahin muß, im Einklang mit Gesetz und Sitte, auch die körperliche Erfüllung aufgeschoben werden (324.7). Als die Flucht scheitert, zieht sich Wiene wieder auf das unbestreitbare Recht auch einer Jüdin zurück, von den Eltern vorgeschlagene Freier abzulehnen. Wenn somit in PuW die Partnerwahl aus Liebe und die Heirat gegen den Willen des Vaters zumindest unter bestimmten Voraussetzungen als moralisch gerechtfertigt erscheinen, wenn dabei neben der von Wiene vorgelebten Aktivität der Frau (8.4.7.1-2 und 4-6) auch das von Paris vorgelebte, die körperliche Selbstverwirklichung einschließende männliche Renaissance-Ideal (8.4.6.1) bejaht wird, wenn andererseits die Sorge des Vaters um das 'Glück' seiner Tochter als bloße Sorge um ihre soziale oder vielmehr ihre pekuniäre Stellung (8.4.2.2) entlarvt wird und wenn schließlich im Vorübergehen auch das vorherrschende Lebensgefühl der Venezianer Juden angegriffen wird (6.3.9.1) - dann ist damit wohl auch das Höchstmaß von teils impliziter, teils expliziter Kritik an der aschkenasischen sozialen Wirklichkeit erreicht, das ein Jude damals im Druck formulieren konnte. Diese Haltung trägt sehr dazu bei, dem Werk auch heute noch seine Frische zu bewahren, und schützt den 140

Wie die Treffen Berias und Simras; zum jüdisch-rechtlichen Aspekt vgl. Timm 1975: 61 mit Anm. 53.

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Autor ein für allemal vor dem Verdacht, sein Humor habe die Funktion, einen schlechten Status quo erträglich erscheinen zu lassen. 141 Ebenso offensichtlich und ebenso wichtig sollte für uns aber auch sein, daß diese Kritik das Judentum als Religion nicht traf und nicht treffen wollte. Vielmehr scheint der Autor von dem Stoff gerade fasziniert gewesen zu sein, weil er hier, ohne ernsthaft mit dem Religionsgesetz zu kollidieren, doch per analogiam seine Kritik an der aschkenasischen sozialen Wirklichkeit anmelden konnte. 9.6 Anfangs- und Schlußverse. In diesem Sinne scheinen uns auch die Anfangs- und Schlußverse des Werkes ein nicht nur dichterisch hochstehendes, sondern überdies unverkrampftes, von gutem Gewissen getragenes Bekenntnis des Autors zur Religion seiner Väter zu sein. 141

Wer diesen Grad von Progressivität als zu zahm empfindet, dem sei empfohlen, PuW Zug für Zug zu vergleichen mit jener Fassung des Paris-und-Vienne-Stoffes, die bis heute allgemein als die literarisch höchststehende gilt: mit dem neugriechischen Erotòkritos (wir zitieren im folgenden die italienische Übersetzung von Màspero, 1975). Hier ist die Handlung der italienischen Vorlage umgeschrieben im Sinne einer noch rigideren Gesellschafts- und speziell Sexualmoral, die der Dichter freilich im vorchristlichen Griechenland ansiedelt. Polidoros ( ~ Odoardo) scheut sich nicht, um seinen Freund Erotòkritos ( ~ Paris) von der Liebe zu der Königstochter Aretusa ( ~ Wiene) abzubringen, ihm wider besseres Wissen zu berichten, Aretusa verachte ihn (1.2029ff.). Frosini ( ~ Isabele) wiederum muß fürchten, der König werde, wenn sie ihm Aretusas Liebe meldet, seine eigene Tochter töten, hingegen, wenn er von Aretusas Liebe auf andere Weise erfährt, sie selbst als die verantwortliche Erzieherin aufhängen lassen (1.1729ff.). In der Tat droht der König seiner Tochter mit Tötung, wenn sie den von ihm ausgesuchten Schwiegersohn ablehnt (4.408, 456); er schneidet ihr die Haare mit dem Schwert ab (4.493 ff.), 'schleift' sie in ein Gefängnis (4.510f.) voller Unrat (4.615), läßt in ihr Lager außer Stroh auch Steine und Dornen füllen (4.611 f.) und trägt sich noch kurz vor Ende der Handlung mit dem Gedanken, sie samt der Erzieherin hinrichten zu lassen (5.393, 399f.). Und die Liebenden? Nicht Aretusa, sondern Erotòkritos muß das erste Liebesgeständnis sprechen (3.640-650); Aretusa bleibt bei allen Rendezvous von ihrem Liebhaber durch ein Eisengitter getrennt (3.583 ff.). Eine Entführung wird nicht einmal in Erwägung gezogen. Wie in der Vorlage rettet der verkleidete Erotòkritos schließlich den König, aber nicht durch List aus einem Kerker, sondern durch übermenschliche Heldentaten aus einem schon fast verlorenen Krieg (4 passim). Dafür erzählt er der eingekerkerten Geliebten, um sie zu 'prüfen', noch bei seinem dritten Besuch eine Geschichte vom angeblichen Tod des Erotòkritos (5.938-1016); erst als sie aus einem Ohnmachtsanfall erwacht, gibt er sich zu erkennen. Ihrerseits gestattet sie ihm sogar jetzt noch nicht, sie auch nur anzufassen, bevor nicht ihre Eltern zugestimmt und 'verziehen' haben (5.1199ff.). Freilich lebt das Gedicht auch nach Auffassung seiner Kenner und Liebhaber nicht aus seinen Sozialvorstellungen, sondern aus der weitbogigen lyrischen Intensität seiner Sprache: mit seinen über 10000 Fünfzehnsilbern ist es gegenüber PuW an Versen um drei Viertel länger, an Silben sogar etwa dreimal so lang. Ein größerer Gegensatz der Bearbeitungstendenzen ist kaum vorstellbar.

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9.6.1 Das Werk beginnt, wie viele altjiddische Texte, mit einem Gotteslob, das dann zum Thema überleitet. Dabei ist gegenüber dem Bovobuch die Gedankenführung dichter und zugleich disziplinierter geworden: BB 1.1-2.4: Gòt, den sòl mán èbig lòbèn, un seinè wundèr sòl mán kundèn ; wen er is géachpèrt un dèr-hòbèn in vrumèr loùtèn mundèn. er is géweltig untèn un óbén; sein lòb is nit zu grundèn. kain mensch, der es kan vulendèn; wen es hot noch drum nòch endèn.

PuW 1.1-2.4: Kain mensch kunt stén noch gén fun Stát nòch adèlér nòch oks noch lêbèn, nòch kunt sich rirèn kain blát, kain ding het end noch kent sich an-hêbèn es sei' den gòt, der es géstát, un" is sein hailiklichèn namèn ebèn. er béschaf di' welt ous nischt asò klüglich ; drum is ach nischt widèr sein namèn müglich.

Sein hailigèr namèn sòl mich sterkèn, dás mir nit mus mis-lingèn, zu vulendèn dás dósig werkèn, ain welsch buch zu tôùtsch zu bringèn.

Drum bit ich in un' rüf in an, das er mit mir ach lòs sein wilén, das ich das buch ous-machèn kan, as ich es in sin hab tun der-wélèn, [...]

Das Bovobuch bedarf keiner Erklärung. In PuW (1.1 f.) hingegen werden dieselben vier 'Wesen' genannt wie in Hesekiel 1.10. Dort tragen sie (oder 'eine Erscheinung wie sie') Gottes Thron, repräsentieren also im Grunde seine Schöpfung, und letzteres tun sie auch hier. Doch wollte der Autor nach der Fauna auch die Flora (in 1.3) und nach den Dingen auch die Ereignisse (in 1.4) als Gottes Willen unterstellt nennen (1.5f.). In dem prägnanten Stanzenschluß-Verspaar wird dann das jes me-ajin ausgesprochen (1.7), d.h. die auch im Judentum nahezu zum Dogma gewordene Lehre, daß Gott die Welt ex nihilo geschaffen habe,142 und daraus auf seine fortdauernde Allmacht auch über jeden menschlichen Plan geschlossen (1.8), also auch über das gegenwärtige Projekt des Autors, um dessen Gelingen er folglich bittet (2.Iff.). Wie bei vielen bekenntnishaften Äußerungen aus altjiddischer Zeit gibt sich die Distanzierung gegenüber dem Christentum nur - aber sapienti sat - in der prägnanten Formulierung eines strengen Monotheismus zu erkennen ; Autor und Publikum wissen, daß ein Christ bei gleicher Aussagenlänge schon Christus, die Trinität oder Maria erwähnt hätte. 9.6.2 Entsprechend steht in der älteren jiddischen Literatur - jedenfalls vom 15. Jahrhundert an - am Schluß eines nicht ganz kurzen Textes so gut wie obligatorisch der Wunsch, Gott möge bald das messianische Zeitalter anbre142

Diese Lehre hat sich in der Frühzeit des rabbinischen Judentums allmählich (Details bei Scholem 1970: 60-66) als »die übliche [...] Interpretation des biblischen Schöpfungsberichtes« herauskristallisiert (so z.B. Simon/Simon 1984: 19; spätere Einzelzeugnisse ibd. 48ff., 61 f., 150ff. und passim). Sie wurde allerdings schon innerhalb des mittelalterlichen Judentums einerseits von einzelnen philosophischen Geistern bestritten (ibd. 44,105,160f., 164f., 171 f.) und erfuhr andererseits bei den Mystikern durch den Emanationsgedanken eine Uminterpretation (Scholem op. cit. 75-89).

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chen lassen; auch hier haben die Formulierangen, ohne aggressiv zu sein, für impliziten Abstand von dem christlichen Gedanken der 'Wiederkunft' des Messias zu sorgen. Schon im Bovobuch war der Messiaswunsch durch ein Strophenenjambement an die vorhergehenden Mitteilungen über den Autor angeschlossen (Stanzen 649 und 650). Auch in PuW wechselt der Autor mitten in der Stanze von der eigenen Person zum Messiaswunsch über (716.3), hier aber durch die scherzhafte Bemerkung, er hoffe, seine Heiratsbereitschaft werde noch rechtzeitig vom Anbruch der messianischen Zeit überholt. Wie immer es in der Wirklichkeit um die Heirat oder Heiratsbereitschaft des Autors gestanden haben mag, scheint uns doch das Wörtlichnehmen der jüdischen Eschatologie auf ein unbefangen-positives Verhältnis zum Glauben der Väter zu deuten. 143 9.7 Zusammengefaßt: Unser Autor bewahrt seiner Muttersprache durchaus die Sprach- und die Schriftloyalität; er schreibt ein Jiddisch, das in den instrumentellen Teilen der Sprache (also hauptsächlich Laut- und Formenlehre) unprätentiös und gegenüber den Normierungs- und Bewahrungstendenzen der deutschen Schriftsprache unempfänglich ist, aber die Sprache der jiddischen Bibelübersetzungen in einer Vielzahl sowohl von Zitaten wie von Einzelwörtern spiegelt; er benutzt nur noch zum kleineren Teil die alten Distanzierungstermini für christliche Begriffe, entzieht aber dem Inhalt, wo immer dies möglich ist, das christliche Lokalkolorit auf unauffällige Weise; zugleich judaisiert er die Handlung sozusagen 'tupferhaft' und legt damit über seinen sonstigen 'psychologischen Realismus' eine hauchdünne Schicht von Utopie;

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Nicht befreunden können wir uns andererseits mit Jean Baumgartens Vorschlag (1993: 247f.), PuW als jüdisch-religiöse Allegorie zu lesen: Wiene repräsentiere die Shekhina (d. h. die spezielle Gegenwart Gottes), ihr Vater une figure divine (also wohl: eine Erscheinungsform von Gott selbst), und Paris das Volk Israel auf der Suche nach der Shekhina ; insbesondere stelle der Druckervermerk am Bandende ce roman courtois, qu'on pourrait à tort définir comme 'profane' hinein in eine perspective messianique évidente. Es ergeben sich sofort schwere inhaltliche Aporien, etwa: wieso wird die figure divine negativ-komisch, ja ausdrücklich als geldgierig dargestellt (302.3 f., 309.1-3)? Wieso muß Israel sie befreien, nicht umgekehrt? Weiter: warum verschweigt der Autor völlig seine allegorische Intention, die doch das Buch vor innerjüdischer Kritik geschützt hätte? Warum präsentiert er sich stattdessen als Nachahmer (2.5-8) von Elias jiddischen Büchern, mit denen die Leserschaft 'sich lachend die Zeit vertreiben' kann (5.7f.)? Warum betont er sogar, daß er eine nichtjüdische Vorlage nacherzähle (10.5f.), ohne sie zu 'verfälschen' (428.8)? Der Drucker wiederum stellt im Nachwort wie auf der Titelseite als ungewöhnlich doch nur die Ausstattung seines Buches dar (Raschischrift, Versverteilung im Seitenspiegel, Holzschnitte; vgl. dazu oben speziell 2.2 mit Anmerkungen), und seine Messiasbitte ist die in älteren jiddischen Druckwerken übliche. Insgesamt wird hier eine außerordentlich ernste Grundsatzfrage der heutigen Literaturwissenschaft sichtbar: wie beweist man eigentlich das Vorhandensein einer Allegorie und entgeht der Gefahr einer Methodik, die jede Liebesgeschichte zur Allegorie umzuinterpretieren vermöchte?

Paris un Wiene als jüdisches Werk

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und schließlich: den Paris-und-Vienne-Stoff hat er gewählt, weil dieser von wunderhaften und verwandten Elementen frei ist und ihm zugleich gestattet, an der aschkenasischen sozialen Wirklichkeit eine zwar überwiegend implizite, doch unmißverständliche Kritik anzumelden, ohne das jüdische Religionsgesetz zu tangieren. Er legt uns nahe, darüber nachzudenken, wie sehr das Patriarchat durch die bloße Faktizität und wie wenig es durch das Religionsgesetz gedeckt ist. Andererseits finden wir bei unserem Autor Indizien weder für religiösen Indifferentismus noch für ein Liebäugeln mit dem Christentum, insbesondere - anders als zweieinhalb bis drei Jahrhunderte später bei vielen mitteleuropäischen Maskilim - auch kein über die Sozialkritik hinausgehendes, sozusagen existentielles Krisenbewußtsein.144

144

Wir dürfen es den Leserinnen und Lesern überlassen, diesen Befund zu sehen vor dem heutigen Forschungsspektrum zum Problemkreis 'Judentum und Renaissance', wie es etwa Hava Tirosh-Rothschild in ihrem Forschungsbericht (1990 passim) dargestellt hat - ein Spektrum, das zwar eine Grundtendenz zur Korrektur des zu glänzend-kosmopolitischen Renaissancebildes von Cecil Roth (und letztlich Jacob Burckhardt) erkennen läßt, aber sonst von äußerster Komplexität ist.

10

Zum Problem der Autorschaft

10.1 Gegenüber den formalen und inhaltlichen Aspekten des Werkes selbst ist die Frage nach dem Autor theoretisch zweitrangig. In der Praxis hingegen war sie das schon seit Benjakobs und Steinschneiders Zeiten nicht (vgl. oben 2.6) und wird es wohl auch in Zukunft nicht sein. Auch wir können uns ihrer Faszination nicht ganz entziehen, halten hier aber gesicherte Ergebnisse für gegenwärtig unmöglich. 10.2 Da das Vorwort des Werkes nach Baumgarten (1993: 230) gegenwärtig noch drei konkurrierende Deutungen zuläßt, lassen wir es vorläufig beiseite. Gewinnen wir als erstes aus dem Haupttext einen zeitlichen Rahmen! 10.2.1 Zunächst die Termini post quos: - Der Autor hat nach 1507 geschrieben; denn er setzt in vielfältiger und konkreter Weise die poetischen Erfahrungen des Bovobuchs voraus, indem er sie insgesamt eindeutig übertrifft (oben Kap. 4, 6 und 9 passim). - Er hat mindestens einige Jahre nach 1517 geschrieben; denn er hat die Folgen der türkisch-ägyptischen Schlacht dieses Jahres voll erkannt (vgl. den Index geographicus s.v. Bovel zu 492.8). - Er hat, dem Typ der Vorlage nach, wohl nach 1519 geschrieben (3.6 in fine). - Er hat wohl nach 1528 geschrieben; denn obwohl die meisten seiner Leser und vermutlich auch er selber im Bereich venezianischer Wirtschaftsdominanz wohnten, ist für ihn der Scudo schon die jetzt gängigste Großmünze (6.3.7 in fine). - Er hat wohl nach 1528 auch deshalb geschrieben, weil er mit einiger Wahrscheinlichkeit unmittelbar oder mittelbar von Castigliones Cortegiano beeinflußt ist (8.4.6.1). - Er hat wohl nach 1531 geschrieben; denn er scheint sporadisch von Bernis Boiardo-Bearbeitung beeinflußt zu sein, die nach dem Wunsch ihres Autors 1531 in Venedig erscheinen sollte (6.3.8.3). - Er hat nach 1532 geschrieben; denn er kennt Ariosts Orlando Furioso in der Ausgabe letzter Hand (6.3.5.3 in fine). - Er hat frühestens in den Dreißigerjahren, und zwar eher nach als vor 1537 geschrieben; denn er setzt im (1516 eingerichteten) Venezianer Ghetto eine erst im Verlauf der Dreißigerjahre allmählich möglich gewordene und erst mit der Condotta von 1537 voll plausibel gewordene Mentalität voraus (6.3.9.1 in fine). 10.2.2 Nun die Termini ante quos: - Das Werk wurde 1556 gedruckt (2.1). - Der Autor kann seine Diatribe gegen die Venezianer Juden nicht gut noch

Zum Problem der Autorschaft

CXXXVII

nach der großen Talmud Verbrennung vom Oktober 1553 gewagt haben (6.3.9.1). - Dazu kommt noch ein fragileres Argument. Im Eingang zum Canto 7 (374-380) erwähnt der Autor nacheinander Venedig, Mantua, Ferrara; Udine, Padua, Verona; Genua. Die ersteren drei sind die Hauptstädte der ostoberitalienischen Herzogtümer; die folgenden drei, von Osten nach Westen aufgezählt, gehören zu den bedeutendsten Städten der venezianischen Terra ferma. Da sich der Autor beim 'ungastlichen' Venedig nur für die Juden interessiert hat, denkt sein Publikum auch bei der schnellen Aufzählung der folgenden fünf 'gastlicheren' Städte wohl hauptsächlich an deren Juden. Dann wird, abermals ohne daß ein sprachliches Signal in eine nichtjüdische Welt zurücklenkt, Genua als 'noch gastlicher' bezeichnet. In Wirklichkeit wurden aber aus Genua die (essentiell 1517 zugelassenen) Juden 1550 ausgewiesen (EJ, Art. Genoa ; Roth 1946: 183). Schriebe der Dichter nach diesem Zeitpunkt, so würde er hier sein Publikum zwar nicht auf der streng logischen, aber doch auf der assoziativen Ebene unnötig befremden. 10.2.3 PuW ist also sicher zwischen 1532 und 1553, wahrscheinlich zwischen 1537 und 1550 entstanden. 10.3 Der springende Punkt ist nun, daß die literarische und linguistische Ähnlichkeit zwischen PuW und Bovobuch trotz des literarischen Qualitätsunterschieds geradezu 'unheimlich' groß ist. Von denen, die vor Bekanntwerden des Vorwortes (1988) nach den damals erreichbaren zwei Dritteln des Textes urteilten, hat sich nur Fuks (1977) wegen des Qualitätsunterschiedes für Autorentrennung entschieden, hingegen Max Weinreich (1928), Erik (1928), Zinberg (1935), G. Weil (1963), Hrushovski (1964) und Shmeruk (1965/66: 347 Anm. 7, 1978 passim, 1981: 90ff., 1982: Nr. 21, 1988: 143ff.) wegen der frappanten Übereinstimmungen ohne Zögern für Autorenidentität. 10.3.1 Am eindrucksvollsten, weil detailreichsten ist dabei Hrushovskis Untersuchung der Metrik (im weitesten Sinne) beider Werke, aus der wir in Kap. 4 die Hauptfakten referiert haben. Ihr Fazit zu unserem Problem lautet (1964:127 Anm. 58): » The uniqueness of these patterns and their unconscious nature makes any hypothesis other than that of identical authorship of BB and PV[= PuW] inconceivable.« Eine Reihe weiterer literarhistorischer Aspekte, unter denen PuW mehr oder minder 'Anschlußcharakter' zum Bovobuch hat, haben wir oben erwähnt (3.8; Kap. 4 passim; 6.2.3; 9.4-9.6), und drei Jahrzehnte der menschlichen und künstlerischen Reifung im Italien des frühen 16. Jahrhunderts sind wohl mehr als ausreichend, den gegenüber dem Bovobuch geschmeidigeren und zugleich ästhetisch reicheren Erzählstil in PuW zu erklären.

CXXXVIII

Einführung

10.3.2 Die linguistischen Übereinstimmungen sind womöglich noch stärker. Beide Werke weisen im Reimstand, abgesehen natürlich von den Italianismen, ein Westjiddisch kraß süddeutschen (etwa fränkisch-schwäbischen) Typs auf.145 Im Bovobuch erklärt sich das zur Genüge daraus, daß Elia aus Ipsheim bei Neustadt a. d. Aisch in Mittelfranken stammt. Aber auch der Autor von PuW bemerkt zu einem Sprichwort, es kursiere 'in deutschen Landen' (567.5f.); er ist also in Italien vielleicht ein Einwanderer. Über das Phonemsystem selbst hinaus erstreckt sich die Ähnlichkeit auch auf dessen lexikalische Füllung, speziell den Reimvorrat, und zwar sowohl auf die durchschnittlichen, unauffälligen Reime146 wie auch auf ausgesprochen ausgefallene Einzelreime.147 Bemüht man sich nun ebenso intensiv um das Auffinden von Unterschieden, so findet man nach Ausscheidung einzelner vielleicht illusionärer nur einen statistisch resistenten: beide Texte kennen in deutschsprachigen Reimwörtern /-a/ < /-an/, aber BB nach 'schwäbischem' Typ bei beliebigem Stammauslaut, PuW (mit Ausnahme von 451.4) nach 'fränkischem' Typ nur bei nasalem oder vokalischem Stammauslaut. 148 Elias Heimatort Ipsheim lag in Franken, aber nahe der mutmaßlichen Grenze beider Typen, so daß er beide wohl von Jugend auf kannte; er könnte im BB den reimtechnisch einfacheren Typ, bei zunehmender Virtuosität in PuW dann den schwierigeren, aber ihm angestammten Typ praktiziert haben. Systematische Untersuchungen darüber, welche Bandbreite sprachlicher Veränderungen innerhalb des literarischen Schaffens ein und desselben Autors - in unserem Falle also über drei bis vier Jahrzehnte hinweg - Platz finden kann, scheinen nicht vorzuliegen; sie würden wohl auch nicht zu verallgemeinerbaren Resultaten führen. Für das nähere Umfeld von BB und PuW wären sie schon deshalb unmöglich, weil hier Autorenidentität zweier Werke nirgends gesichert ist. Kurzum, die Linguistik steht bei unserer Frage vor einem non liquet. 10.3.3 Sehr bemerkenswert bleibt aber, daß vor Bekanntwerden des Vorworts die Experten mit nur einer Ausnahme von der Autoreneinheit überzeugt waren. Sie waren das zweifellos - wenn auch großenteils intuitiv -, weil die Übereinstimmungen den verschiedensten Kategorien angehören. Warum sollten die beiden Genies der jiddischen Literatur des 16. Jahrhunderts, wenn 145

Zum ΒΒ vgl. Haines 1979 passim, zu PuW den linguistischen Anhang Alef zu Shmeruk 1995, Abschnitte 2.1-2.5.2. 146 Siehe den exemplarischen detaillierten Vergleich aller Reime mit dem Phonem 0 4 ( ~ mhd. ou) im linguistischen Anhang Alef zu Shmeruk 1995, Abschnitt 3.1.2. 147 Wie etwa 'torkeln' : 'forkeln' BB 602.7f., PuW627.7f. oder - noch auffälliger - lôftèn (statt lüften) : krôftèn (statt kreftén) BB 605.2/4, PuW549.7f. Vgl. auch, daß 'Mama' nach Ausweis der Reime (BB 480.8, PuW 164.2, 238.2) in der betonten ersten Silbe A 2 ( ~ mhd. à) hat gegenüber sonstigem westjidd. E, ( ~ mhd. ä, e, e in geschlossener Silbe), ostjidd. A, ( ~ mhd. a in geschlossener Silbe). 148 Vgl. den Anhang Alef zu Shmeruk 1995, Abschnitte 2.5.2, 3.2.2-3.2.4.

Zum Problem der Autorschaft

CXXXIX

es denn zwei wären, denselben stark dialektalen Lautstand aufweisen? Oder warum sollte der jüngere Autor einerseits höchst kreativ sein, andererseits ohne doch in die Maske seines Lehrers schlüpfen zu wollen - Mimikry treiben? Unterliegt das unauffällige Gros der Reime überhaupt einem bewußten Zugriff? 10.4 Mit der Faksimile-Ausgabe wurde 1988 das Vorwort bekannt: in ihm will ein Anonymus seinem Lehrer Elia Behér ( = Boher)U9 bei dessen Weggang 'aus diesem Land' Tränen nachgeweint haben, stellt aber zugleich sich selbst unmißverständlich als Autor von PuW hin. Das Vorwort kann in der gegenwärtigen Forschungssituation, 150 wie Baumgarten (1993: 230) zu Recht feststellt, auf drei Weisen gedeutet werden: es ist entweder wahr oder eine Mystifikation Elias oder das Produkt eines Mannes, der Elias Werk für sich in Anspruch nimmt. 10.4.1 Die letztgenannte Möglichkeit scheint uns am wenigsten attraktiv. Daß ein Schüler seinem Lehrer nachzutrauern vorgibt (3.1-4), während er ihm den Ruhm eines Meisterwerks stiehlt, wäre zynisch genug. Daß er im selben Atemzug angeblichen anderen Plagiatoren der Werke des Lehrers droht, am Stil werde der wahre Autor erkannt, wäre der Höhepunkt der Schamlosigkeit; denn wer so von Stil (7.3f.) und Autorruhm (3.7-4.4) zu reden weiß, dem könnte man nicht mildernd zubilligen, er verstehe den Begriff des geistigen Eigentums nicht. Doch diese Schamlosigkeit schlüge und spätestens das macht die These unglaubhaft - in ihr Gegenteil um, wenn der Vorwortschreiber dann doch seinen Namen nicht nennt, vielmehr das Werk bescheiden als Nachbildung eines italienischen151 Werkes vorstellt. Man kann die These auch nicht durch die Zusatzannahme aufbessern, der Vorwortschreiber habe ein gutes Gewissen, weil er das Werk immerhin überarbeitet habe. Denn er nimmt ja nicht nur die Cantoeinteilung (11.5-8) einschließlich der Cantoeingänge (12.Iff.), sondern auch in ausdrücklichem Gegensatz zu seinem italienischen Vorgänger das Durchreimen des ganzen Werkes für sich selbst in Anspruch, und zwar als eine in diesem Augenblick angeblich noch vor ihm liegende Aufgabe (11.3 f.), für die er in sehr schönen Versen (1.1-2.4) Gottes Hilfe anruft; für eine schon jiddische Vorstufe bleibt da so gut wie kein Platz mehr. 149

150

151

Zur dialektalen Äquivalenz von Behér mit Boher siehe den linguistischen Anhang Alef zu Shmeruk 1995, Abschnitt 2.4.4. Das Vorwort hatte zunächst Verwirrung gestiftet. Als Baumgarten erst einzelne Verse daraus kannte, darunter die Nennung Elias, und unter Zeitdruck seine Introduction zur Faksimile-Ausgabe schrieb, glaubte er die These von Elias Verfasserschaft bestätigt (ed. Marchetti 1988: 4, 6f.). Fuks (1989) akzeptierte daraufhin im Prinzip Elias Verfasserschaft, suchte aber einem Drucker-Bearbeiter noch einen Teil der Kreativität zuzuschanzen. Zur Sprache der Vorlage vgl. oben Kap. 3.

CXL

Einführung

10.4.2 M a n versteht, daß demgegenüber S h m e r u k (1995) energisch f ü r die erste d e r drei Möglichkeiten optiert hat - etwa nach d e m G r u n d s a t z : ein A u t o r h a t in seinen nicht-narrativen Aussagen A n s p r u c h auf Glaubwürdigkeit, solange kein Gegenbeweis g e f ü h r t ist; die Ä h n l i c h k e i t e n m i t d e m Bovobuch sind a u c h f ü r S h m e r u k ü b e r r a s c h e n d stark, verbürgen aber in letzter Instanz k e i n e Autoreneinheit. D e n Weggang 'aus diesem L a n d ' (3.2) deutet er als Tod, so d a ß das Vorwort n a c h d e m 5. 1. 1549 geschrieben sein müßte. 1 5 2 10.4.3 Unsererseits sähen wir das Dossier g e r n n o c h o f f e n g e h a l t e n ; d e n n die dritte mögliche These, von einer Mystifikation Elias, scheint u n s alles in allem n o c h a m wahrscheinlichsten. 1 5 3 152

Zu Elias Todesdatum vgl. Weil (1963:165f.). - Hier noch eine Kleinigkeit zu Shmeruks Datierung. Wenn Wiene in der Vorlage einen 'Sohn des französischen Grafen Analdo', in PuW 279.8 stattdessen einen 'reichen Herzogssohn aus Meißen' heiraten soll, so muß das nach Meinung aller mit Ausnahme der beiden Liebenden eine gute Partie sein. Doch überrascht Meißen durch seine Lage weit außerhalb des sonst französisch-flandrisch-englischen Konnubialhorizontes der Erzählung. Nun wurde Herzog Moritz von Meißen mit einem Schlage in ganz Europa bekannt, als er durch einen Frontenwechsel im Frühjahr 1547 der katholischen Seite das militärische Übergewicht in Deutschland und sich selbst enorme Gebietsgewinne verschaffte; im Sommer 1552 verschaffte er durch einen zweiten Frontenwechsel wieder der protestantischen Seite das Übergewicht. In der öffentlichen Meinung Italiens muß Meißen also zwischen 1547 und 1552 einen guten Ruf genossen haben, was gut zu Shmeruks These paßt. - Da die These dazu anreizen kann, den Anonymus näher zu identifizieren, seien künftige Forscher gebeten, ihren Kandidaten hinsichtlich seiner Meriten mit einer bestimmten Person zu vergleichen. Der Drucker Meir Parenzo stammt aus Parenzo-Porec, das an der adriatischen Ostküste (so eindeutig richtig EJ, Art. Parenzo, contra Haberman 1959: 62 Anm. 9) etwa 55 km von Muggia (dem Mugél von PuW628.8?) entfernt liegt. Er wird für uns zuerst sichtbar als Adelkinds Juniorpartner beim Druck von Elias Psalmenübersetzung (1545); zur Vollendung seines eigenen Druckes der Sa'arei Dura im Januar 1548 läßt er sich von Elia ein hebräisches Schlußgedicht schreiben, das dann zur letzten auf uns gekommenen Äußerung Elias geworden ist (Weil 1963: 153, 156, 165; Haberman 1959: Nr. 1, 4). Sein Interesse an hebräischer Erzählliteratur bekundet er durch den Nachdruck von Mesal ha-qadmoni (1546). In seinen Drucken von 1547 bis 1549 nennt er sich selbst noch bahur (Haberman art. cit. Nr. 5, 6, 7). Durch seine großen Arbeiten für Bragadin ab 1551 steigt er schnell zum wohl besten Hebraica-Drucker des ganzen 16. Jhs. auf; er ist not only a skilful but ari artistic painter (Amram 1909: 370), und seine Arbeiten compare favorably in beauty and elegance with those of his masters (nämlich der Bomberg-Mannschaft unter Adelkind, EJ, Art. Parenzo). Seinen Druck des Misne Tora (1574-76) ziert er mit einem sehr auffälligen Druckerzeichen (Ja'ari 1944: 22 und 136), auf dem eine gekrönte, aber unbekleidete Venus einen siebenköpfigen Drachen bekämpft; die Beischrift lautet (Ps 45.12): »Und der König wird deine Schönheit begehren.« Wie man das Zeichen im einzelnen auch deutet, es integriert Renaissanceästhetik in die jüdische Tradition. Tut PuW etwas anderes? Von Nachkommen Meirs ist nichts bekannt; nach seinem Tod im Herbst 1575 folgt ihm sein jüngerer Bruder Ascher als Druckaufseher bei Bragadin.

153

Mit der ihm eigenen Unparteilichkeit hat Ch. Shmeruk in seine Ausgabe (1995: 39-41) auch das Exposé aufgenommen, in dem Erika Timm ihm auf seine Bitte hin die Gründe für ihre Bevorzugung der Mystifikationsthese dargelegt hatte. Wir

Zum Problem der Autorschaft

CXLI

10.4.3.1 Die Vorworte zu PuW und zum Bovobuch (von denen das letztere bekanntlich von Elia 1541 in Isny formuliert und unter seinen Augen gedruckt wurde) kommen beide auffällig schnell darauf zu sprechen, daß Elias Ruhm in erster Linie auf seinen gedruckten hebräischen Büchern beruhe; nur sind das bei uns 'sechs bis acht' (4.2), im Bovobuch hingegen 'acht bis neun' (13-15). Schon weil an sich keine Notwendigkeit besteht, in einem jiddischen Kontext und gerade an dieser Stelle auf dieses Thema zu kommen, muß der Zusammenhang als sehr spezifisch gewertet werden und ist offensichtlich nicht nur ein sachlicher, sondern auch ein verbaler: wer die spätere Aussage formulierte, hatte die frühere im Kopf, änderte sie aber bewußt. Sollen wir nun wirklich annehmen, daß der treue Schüler die Werke seines verstorbenen Lehrers besser zu kennen glaubt als einst dieser selbst und mißgünstigerweise die Ruhmessumme des Lehrers ein wenig nach unten korrigiert? Wenn wir dazu nicht bereit sind, gehört das Vorwort von PuW dicht vor dasjenige des Bovobuchs, und Elias 'Weggang aus diesem Land' bezieht sich nicht euphemistisch auf seinen Tod, sondern ganz wörtlich auf seine Abreise aus Italien nach Isny gegen Ende des Jahres 1540 (Weil 1963: 134, 136). Rechnen wir nach! Im Augenblick des Aufbruchs aus Italien waren sechs Werke schon gedruckt: der Kommentar zu Moses Qimhis Mahalach, Soncino 1508; Sefer ha-harkava, Rom 1518\ Sefer ha-bahur, Rom 1518; Pirqei Elijahu, Pesaro 1520; Masoret ha-masoret, Venedig 1538; Sefer tuv tacam, Venedig 1538. Zwei weitere waren 'im Druck'; denn Georges de Selve hatte 1536 das Sefer ha-zichronot zum Druck nach Paris mitgenommen (Weil op. cit. 122 f.), und der Meturgeman lag druckreif für Fagius in Elias Gepäck (Weil op. cit. 115-118, 140f.). (Das Sefer ha-Tisbi hingegen wurde laut seinem Nachwort zum Teil erst auf der Reise verfaßt; Weil op. cit. 134, 136.) Also: 'sechs bis acht'. In Isny wurde zunächst das Sefer ha-Tisbi gedruckt (bis Mitte Februar 1541; Weil op. cit. 136), dann der Meturgeman (bis Anfang Juni; im August wurde nur noch das kaiserliche Privilegium beigedruckt; Weil op. cit. 140f.). Wie das Vorwort zum Sefer ha-Tisbi zeigt, hoffte Elia auch in Isny noch, der Druck des Sefer ha-zichronot sei gleichzeitig in Paris planmäßig vonstatten gegangen (Weil op. cit. 122, vgl. auch 135 Anm. 3). Nach dem Druck des Sefer ha-Tisbi und des Meturgeman, dem Hauptzweck der Reise, fand er dann wohl Zeit, das Vorwort für den Bovobuch -Druck zu redigieren. (Semot devarim hingegen wurde von Fagius erst nach Elias Abreise gedruckt und wäre seiner Natur nach von Elia wohl auch nicht als eines seiner hebräischen Bücher gezählt worden; Weil op. cit. 148f.) Also: 'acht bis neun'. Die Angabe im Λ/fF-Vorwort war also zutreffend vom Sommer 1538 (Weil op. cit. 129) bis zum Februar 1541 (Weil op. cit. 136) und wäre, auch wenn erkennen inzwischen an, daß ainèm menschén in 8.3 nicht nur 'irgendeinem Menschen', sondern auch 'einem bestimmten Menschen' (hier: der Geliebten des Dichters) bedeuten kann und verzichten deshalb im folgenden auf das hieran hängende Argument (Punkt 1 des Exposés).

CXLII

Einführung

Elia nicht der Verfasser sein sollte und wenn in Italien das Wissen um die Isnyer Drucke zunächst ein vages gewesen sein mag, nur noch plausibel gewesen bis allerhöchstens zum Mai 1543, wo Elia nachweislich schon seit einiger Zeit wieder in Venedig aktiv war (Weil op. cit. 245f.).154 10.4.3.2 Ist A r a b e r zu Elias Lebzeiten entstanden, so ist auch ein Blick auf den Umfang des Buches nicht überflüssig. Denn Elia hat ja die Länge vieler seiner Werke durch Gematria festgelegt: so umfaßt z.B. Ha-mavdil 75 Strophen entsprechend seinem Objekt' Hillel und dem ständigen Refrainwort lajla (beide mit dem Zahlenwert 75; Weil op. cit. 63 f.).155 Besonders gern spielt er mit dem Zahlenwert seines eigenen Namens: das Sefer ha-bahur und Pirqei Elijahu bestehen jeweils aus vier Hauptabschnitten, deren jeder 13 Unterabschnitte umfaßt (Weil op. cit. 100); denn 13 ist im Judentum eine traditionell positive, sozusagen 'geisterfüllte' Zahl (13 middot aus Exodus 34.6f.; 13 middot des Rabbi Jismael; 13 iqqarim des Maimonides), und 52 = 4 χ 13 ist der Zahlenwert von Elijahu. Das Sefer ha-Tisbi schließlich umfaßt 712 alphabetisch angeordnete Lexikonartikel. In der Bibel findet man zwar ausschließlich ha-Tisbi (mit Artikel, ebenso auf der Titelseite des Buches sowohl im Namen des Buches als auch im Beinamen, den der Verfasser vom biblischen Elia auf sich selbst überträgt) - das ergäbe 717. Aber da Elia dem Wort auch den letzten Lexikonartikel widmen will (natürlich unter Tav, also ohne ha-), ergibt sich für die Gematria und damit für den Umfang des Buches 712. Das Vorwort von PuW hat 13 Strophen, das Werk als Ganzes 717 Strophen. Kann das wirklich Zufall sein? 10.4.3.3 Doch warum sollte Elia eigentlich diesmal - anders als in den meisten seiner Werke - wenigstens vordergründig anonym geblieben sein? Eine Antwort gibt sein Lebenslauf. In den Jahrzehnten vor 1527 hatte er sich in den Augen des Rabbinates zu einem Enfant terrible entwickelt: er verfertigte, wie zumindest das Bovobuch erweist, aus nichtjüdischen Stoffen jiddische Liebesromane, die den Rabbinern schon prinzipiell (und auch speziell durch die unbefangene Handlungsweise der weiblichen Hauptperson) als frivole Lektüre erscheinen mußten; er stellte als eine Art ewiger Student - denn diese Vorstellung schwingt doch wohl im Beinamen Boher mit - in provozierender Weise die Sprachstudien auf Kosten der eigentlich religiösen Studien 154

155

Weil (op. cit. 154f.) erkennt übrigens - wohl zu Recht - in Adelkinds Nachwort zu Elias Psalmenübersetzung, die (spätestens im Herbst) 1545 in Venedig gedruckt ist, Verbalreminiszenzen aus dem Isnyer Bovobuch-VorwoTt. Man sieht, wie prompt Elias Isnyer Drucke auch in Italien bekannt geworden waren. Das Serefe-Lied hat im heutigen Überlieferungszustand 25 Strophen, wo man vielleicht mit Weil (op. cit. 63) in Analogie zum Ha-mavdil 26 erwarten sollte als Zahlenwert des Tetragramms, das hinter dem ständigen Refrainwort Abonaj steht. Möglicherweise aber sollte das Tetragramm sogar auf der Zahlenebene nur 'angedacht', nicht 'ausartikuliert' werden.

Zum Problem der Autorschaft

CXLIII

heraus; er konnte in der Ghetto-Öffentlichkeit eine wüst-komische Polemik gegen einen Konkurrenten unter anderem über dessen Unterricht für Christen entfachen, war dann aber selbst 13 Jahre Hauslehrer eines Kardinals und äußerte sich manchmal mit Überschwang über dessen hebräische und - ohne jedes le-havdil - griechische und lateinische Kenntnisse (Weil op. cit. 38-105). Dann kam der sacco di Roma von 1527: Elia verlor nicht nur Hab und Gut, sondern mußte erleben, wie entweder einzelne seiner Söhne oder Töchter konvertierten oder sogar Töchter von der Soldateska das Schlimmste zu erleiden hatten. Seine Anspielungen darauf im zweiten Vorwort und im Versnachwort zur Masoret sind dunkel; doch bezeichnete er die Ereignisse als göttliche Strafe für seine 'Schuld' (Weil op. cit. 106-110). Was das auch heißen mag, er schien unter dem Schock von 1527 eine innere Umkehr durchgemacht zu haben. Aber die folgenden Venezianer Jahre verwöhnten ihn allmählich wieder mit einer jetzt sogar internationalen Anerkennung durch Humanisten und Diplomaten; wieder waren hohe Geistliche - der Patriarch von Aquileja, der Bischof von Lavaur - seine Schüler. So stellte er dann im zweiten Vorwort zur Masoret - 1538 gedruckt - neben jene Erinnerungen an 1527 auch eine längere, ausdrücklich gegen 'gewisse Rabbiner' gerichtete Verteidigung der Tatsache, daß er Christen Unterricht gab und gibt. Zugleich konnte die These der Masoret - daß die Vokalzeichen der Bibel nicht vom Sinai oder von Esra, sondern aus nachtalmudischer Zeit stammten - nicht gerade beruhigend wirken (Weil op. cit. 111-132). Sollte nun in dieser etwas gespannten Situation der jetzt Siebzigjährige seinen Gegnern eine weitere - und leichter anzugreifende - Schwachstelle bieten, indem er sich zur Autorschaft eines neuen Liebesromans bekannte, worin diesmal der Dichter ausdrücklich als Verliebter die Handlung kommentiert und die Protagonistin sogar ihre eigene Entführung inszeniert? Zu drucken war das Werk damals (1539/40) in Italien ohnehin nicht, da laut Elias eigener Aussage (Weil op. cit. 133) beide jüdische Druckereien ruhten. Ist es da erstaunlich, wenn der Dichter in Vor- und Nachwort in die Maske eines jungen, noch unverheirateten Schülers seiner selbst schlüpfte (möglicherweise diese Verse sogar einem realen Schüler gleichsam 'auf den Leib' schrieb) und anschließend das Werk im Augenblick seiner Abreise nach Deutschland zur handschriftlichen Zirkulation freigab? Man versteht, daß sein (alter) ego bittere Abschiedstränen weinte, als 'der Meister' im Alter von 70 Jahren Italien ein Lebewohl sagte, das sehr leicht ein endgültiges hätte werden können. In Deutschland begann er dann, sobald die Hebraica gedruckt waren, die geplante Gesamtausgabe seiner jiddischen Werke (so das Bovobuch-VoTwoTt 22-24) mit dem ältesten und zugleich bewährtesten Werk, dem Bovobuch, dem ein Verkaufserfolg von vornherein sicher war. Eine solche Anonymität, fast Pseudonymität hat ja, einschließlich der in ihr liegenden Portion Unernst, in der Literaturgeschichte durchaus ihre Parallelen. In der unmittelbaren Umgebung von Elia Levita ließ z. B. Pietro

CXLIV

Einführung

Aretino um 1521 in Rom in einer anonymen dramatischen Farza Höflinge des Papstes nachdrücklich von Pietro Aretino als gefährlichem, aber integrem Sittenrichter reden; 1525 ließ er im Prolog der römischen Fassung seiner Cortigiana den Pasquino als angeblichen Autor auftreten, gab sich dann aber 1534 im Prolog der Venezianer Umarbeitung selbst als Autor zu erkennen. Auch Elia scheint ein Augenzwinkern nicht haben unterdrücken zu können, wenn er erfleht, daß 'ich wie Elia mein Büchlein fertigstellen kann' (2.5-8). Und er kann sich den Hinweis darauf nicht verkneifen, daß man einen Dichter an seinem géschrift erkennt (7.3-4), an seinem Werk und dessen Machart. Diese Erkenntnis war damals noch selten, aber auf Jiddisch hatte sie wenigstens einer schon mit Nachdruck formuliert, nämlich Elia selbst in den Schlußversen seines Liedes auf das Feuer in Venedig (ed. Shmeruk 1965/66, Strophe 25): Nun wil ich öuch tun nenén, wer dò hót gètracht dás gètrecht. Ir sólt in dòch wol kenèn, man kent in wol an sein gémecht.156 Er is ainèr Vun den bahurim, der stez gern mit in zecht. Dò-mit ain gut selig purim geb öuch der Abónai1 !

In diesem Lied von immerhin 200 Versen nennt also Elia - mit Hinweis auf den Stil als das Identifizierungsmerkmal des Künstlers - nirgends seinen Namen, gibt sich aber abschließend genugsam zu erkennen, indem er sich zuerst als 'einen von den Bachurim' bezeichnet, sogleich aber durch den Zusatz, er zeche gern 'mit den Bachurim' (nicht: 'mit den anderen Bachurim'), andeutet, daß er selbst dieses Prädikat nur noch in uneigentlichem Sinne beanspruchen kann.157 Ebenso weist der Dichter von PuW zunächst auf den Stil als das Identifizierungsmerkmal des Künstlers hin, erklärt dann, seinen Namen nirgends zu nennen, bezeichnet sich aber abschließend (715.8) als 'frei und ledig'. Verführt das den Leser nicht dazu, 'zurückzuübersetzen': also hoher - und hinter dem Appellativum auch hier den Beinamen aufklingen zu hören? 10.4.3.4 Noch auf eine letzte Merkwürdigkeit muß hingewiesen werden. In dem Ausblick auf die messianische Zeit (716.3-717.8) ist es ein und dieselbe singularische Gestalt, die erstens auf einem Esel reitet (komisch umschrieben als 'grauer Bock mit langen Ohren', 716.7), zweitens mit dem 'scheußlich 156

157

'Arbeit, insbesondere geistige (z.B. eine Dichtung), bzw. deren Machart'; vgl. DWb s.v. Gemächt II 4a-f. und Elje Bohers gémecht auf dem Titelblatt des BB von 1541. Elias Beiname ist also zweifellos älter als sein Sefer ha-bahur von 1518; er hat das Buch nach seinem Beinamen benannt (wenn auch doppelsinnig: 'Handbuch, von [Elje] Boher verfaßt', 'Handbuch des Studenten'), nicht umgekehrt.

Zum Problem der Autorschaft

CXLV

klingenden' (nämlich notwendigerweise bis an die Enden der Diaspora dröhnenden) Horn die Juden zum Aufbruch nach Jerusalem aufruft (716.8) und sie drittens dann auch selbst dort hinführt (717.1). Nun gilt in der zeitlichräumlichen Umgebung unseres Autors als der Bläser dieses Horns durchweg Elia. 158 Auf einem Esel reitet seit biblischen Zeiten der Messias selbst, so auch in den meisten Zeugnissen aus der Umgebung unseres Autors. 159 Andererseits stellte man sich damals aber auch Elia auf einem Esel (oder Maultier) reitend vor, so wenn er als Gast zum Sedermahl am Pessachabend kam. 160 Da man den Anbruch der messianischen Zeit ebenfalls für einen Sederabend erwartete,161 wurde Elia ζ. B. auch dargestellt, wie er auf einem Esel eine ganze Familie gleich vom Sedermahl nach Jerusalem bringt, 162 ja in mindestens einer Haggada ist er, mit gezücktem Schwert auf seinem Reittier sitzend, überhaupt der Anführer einer nach Jerusalem ziehenden Schar von Juden, deren letzter vom Sedermahl noch eine halbe Matze in Händen hält. 163 Sehr wahrscheinlich gehören also die Schlußstrophen von PuW dieser eher minoritären Tradition an und führen zum Thema 'Anbruch der messianischen Zeit' als einzige handelnde Einzelperson nicht den Messias, sondern Elia vor, ohne ihn mit Namen zu nennen. Das paßt gut zu der These von Elia Levitas Autorschaft - und zugleich zu der Ankündigung des Autors in 8.2, er werde seinen Namen nirgends nennen. 158

So z.B. in der Münchener Haggada (aschkenasisch, 15. Jh.; ET 11.1409, Abb. I, wo allerdings das Horn schlecht reproduziert ist), in der Zweiten Nürnberger Haggada (aschkenasisch, Mitte 15. Jh.; Müller-v. Schlosser 1898: 170 sowie JL, Art. Elia, Abb.), in der Mantuaner Haggada (Mantua 1560; EJ 6.863, Abb.) und im Venezianer Haggada-Druck von 1609 (EJ 11.1410, Abb. 2). In der Zweiten Nürnberger Haggada weist Elia mit der freien Hand auf den Messias, in den anderen Darstellungen zieht er unmittelbar neben oder vor dem Messias her. 159 Vgl. Sacharja 9.9, bT Sanhédrin 98ab und die in Anm. 158 genannten Bildzeugnisse. 160 Vgl. z. B. ein weiteres Bild der Zweiten Nürnberger Haggada (Müller-v. Schlosser 1898: 158) und das sogenannte zweite Titelblatt der Prager Druckhaggada von 1526 (Müller-v. Schlosser op. cit. 222f. mit Fig. 6 sowie EJ 7.1088, Abb.). 161 Eine Vorstufe dazu, Erlösung im Nissan, schon bT Ros ha-sana 1 la; Präzisierung auf die eine Nacht Exodus rabba, Parasa 18 in fine (zu Ex 12.41). In der Umgebung unseres Autors sind z.B. die Schlußverse von Löb Breschs Einleitungsgedicht zu seinem jiddischen Pentateuchdruck (Cremona 1560; abgedruckt bei Shmeruk 1982: Nr. 12, transkribiert bei Wolf, Jidd. Wb. 43) eindeutig so zu verstehen. 162 So in der Washingtoner Haggada (italo-aschkenasisch, 1478; EJ 6, Farbtafel nach 652 und EJ 7.1086 Abb. 11). 163 Vgl. die Zweite Crawford-Balcarres'sche Haggada (aschkenasisch, um 1500; MüllerV. Schlosser 1898: 186f. mit Tafel XXX.l ; zur Datierung ibd. 182). In der EJ 7.1097 erklärt ferner B. Narkiss, Elia sei in der Zweiten Nürnberger Haggada auf dem Esel reitend als Rückführer der Juden dargestellt; doch können wir in der minutiösen Beschreibung von Müller-v. Schlosser (op. cit. 125-170 und Tafeln XVI-XXVI) ein solches Bild nicht finden. - Elias Rolle beim Anbruch der messianischen Zeit geht letztlich zurück auf Maleachi 3.23f. und wurde in der jüdischen Tradition bald mit der Rolle des Messias selbst harmonisiert, wenn auch mit gewissen Überschneidungen und Schwankungen (die Zeugnisse bis zum Abschluß der midraschischen Epoche bequem bei Strack-Billerbeck 1928: IV 2.779-789, 797f.).

Einrichtung des Textes Die Ausgabe folgt dem Druck Verona 1594. Der Transkription zugrunde gelegt wurde das Veroneser Exemplar (vgl. oben 2.3.4) unter ständiger Vergleichung des fragmentarischen Cambridger Exemplars (2.3.2), das an etlichen Stellen besser lesbar ist. Auf Konjekturen wurde weitgehend verzichtet; nur offensichtliche Druckfehler sowie vom Drucker zerstörte Reime, die allerdings beide nicht selten sind, wurden (in Kursivschrift) korrigiert, die Formen des Originals im Lesartenapparat (d. h. dem oberen der beiden Apparate am Fuße der Seite) verzeichnet. Die Lesarten des Prager Nachdrucks (vgl. oben 2.5) sind in den ganz wenigen Ausnahmefällen angegeben, in denen sie für die Erkenntnis der ursprünglichen Textform von Interesse sein könnten. Der untere Apparat gibt Wort- und Sachkommentare. Für die deutsche Komponente sollen sie im großen und ganzen alles erfassen, was aus einer Durchschnittskenntnis des heutigen Deutsch heraus nicht ohne weiteres verständlich ist; demgegenüber hat das Glossar III nur Überblicksfunktion. Umgekehrt sind für die nicht-deutschen Komponenten und die Geographica im unteren Apparat nur knappste Übersetzungen geboten; vollständig und stärker explikativ sollen hier die zugehörigen Glossare I, II und IV sein.

Transkriptionszeichen

Das Umschriftsystem erlaubt die buchstabengetreue Rekonstruktion des Originals und bietet gleichzeitig die Möglichkeit, über die Transkription hinaus den jeweiligen Lautstand, soweit er erschließbar ist, kenntlich zu machen; bei der Auswahl der Zeichen berücksichtigt es die orthographische Tradition einer größtmöglichen Leserschaft. (Zum theoretischen Status des Systems vgl. Timm 1975:2-4, zu den lauthistorischen Hintergründen Timm 1987 passim.) Normalentsprechung im mhd. Vokalsystem a

κ

á

Aleph

mhd. ä ; auch für monophthongiertes mhd. ei u. ou, vereinzelt öu; vereinzelt für den Indifferenzvokal in unbetonter Endsilbe

ohne Entsprechung

mhd. ä

au



Waw-Jod

mhd. ou

ai

«

Doppeljod

mhd. ei; auch für entrundetes mhd. öu

ài



Aleph-Doppeljod

mhd. ei

Beth

b c

3

ch

Kaph (nur in der hebr.aram. Komponente) raphiertes/finales Kaph

d

Τ

Daleth

e

37

Ajin

mhd. ä, ë, ae; mhd. e in gedeckter Stellung; teilweise mhd. ë vor r; auch für entrundetes mhd. ö in gedeckter Stellung

è

«I

Jod

mhd. e in freier Stellung und mhd. ë; Indifferenzvokal

e

Ajin-Jod im Anlaut

mhd. ë

è

ohne Entsprechung

Indifferenzvokal

Transkriptionszeichen

CXLIX

e

π

He

für die dialektale Infinitivendung und darauf reimende Flexionsendungen (speziell für den Indifferenzvokal am Wortende in Wörtern italienischer Herkunft)

ei

«

Doppeljod

mhd. f; gelegentlich für entrundetes mhd. iu

f

1.B

g

y

Gimel

h

π

He

h

π

Heth (nur in der hebr.aram. Komponente)

i

·»

Jod

s

Jod

j

raphiertes/finales Pe

ι«»

Doppeljod

k

Ρ

Koph

1

·? α,a

Lamed nicht-finales/finales Nun

0 ò

1 Ι κ 1

ö ou

J

m η

mhd. i/ie ; gelegentlich entrundetes mhd. ii/üe

für

nicht-finales/finales Mem Aleph Waw

mhd. ä, ö, ö mhd. ä, δ, ö

"•1

Waw-Jod

mhd. oe, ö

"•1

Waw-Jod

mhd. ü; gelegentlich für diphthongiertes mhd. δ bzw. ö in freier Stellung

ÖU

IX

Aleph-Waw

mhd. ü (selten)

ÖU

•η

Waw-Jod

mhd. iu ; gelegentlich für palatalisiertes mhd. ü



--i

Waw-Doppeljod

mhd. iu ; auch für palatalisiertes mhd. ü

Ρ

D

Γ

Ί

Resch

Τ

Sajin

(stimmhaftes s)

Samech Sin

(stimmloses s) (stimmloses j)

s s s

0 V

Pe

CL

Transkriptionszeichen Ρ

Sin

Γ)

Thaw (nur in der hebr.· aram. Komponente)

ü

Teth

Γ

Thaw (nur in der hebr.· aram. Komponente)

1

Waw

mhd. u/uo ; vereinzelt für den Indifferenzvokal in unbetonter Endsilbe

-1

Waw-Jod

mhd. ü/üe; auch für palatalisiertes mhd. u/uo

1 5

Waw raphiertes Beth

11

Doppelwaw raphiertes Beth Waw (vor vokalischem Waw)

5 1 T.* y

nicht-finales/finales Zade Ajin (im Hiat, nur in der hebr.-aram. Komponente) Aleph (im Hiat und final)

Ein unbezeichnet bleibendes Aleph steht immer: 1) im vokalischen Wortanlaut (außer vor Aleph selbst und vor Ajin), 2) zwischen Doppelwaw und Waw. Bei un" hat das Original vor dem Abkürzungsstrich, wie zu erwarten, nicht-finales Nun. Die Ligatur Aleph-Lamed ist in der Ausgabe in ihre beiden Bestandteile aufgelöst. Die Umschrift der hebr.-aram. Elemente gibt die erschlossene (west-)aschkenasische Aussprache des 16. Jahrhunderts wieder (vgl. oben 4.2.5, speziell zu den Reimen; allgemein zur Entwicklung des Lautstandes der hebr.-aram. Komponente vgl. Timm 1987: § 44-46). Da diese Elemente mit den obigen Transkriptionsregeln nicht voll erfaßt werden, sind im Glossar der hebr.aram. Komponente zu jedem Lemma alle Schreibungen des Originals (einschließlich der Inkonsequenzen der Raphesetzung) aufgelistet. Bindestriche sind als Lesehilfe hinzugefügt; das Original hat Getrenntschreibung. Als Lesehilfe gedacht ist auch die moderne Zeichensetzung; das Original hat (meist) einen Punkt hinter den Zeilen 2, 4, 6 und (meist) einen Doppelpunkt am Ende einer Stanze.

CLI

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E

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2. M

α

S

Pam un Wiene, Verona 1594, Titelblatt. Exemplar der Biblioteca del Seminario Vescovile in Verona.

|

París un Wiene Text

Paris un Wiene 1

Kain mensch kunt stén noch gèn fun Stát nôch adèlèr nòch oks noch lébèn 1 , nòch kunt sich rirèn kain blàt, kain diwg het end noch kent sich an-hèbèn es sei5 den gòt, der es géstát, un is 2 sein hailiklichèn namèn ebèn 3 . er bèschaf 4 di' welt ous nischt 5 asó klügl/ch; drum is ach nischt widér sein namèn 6 müglich.

2

Drum bit ich in « η rüf in an, das er mit mir ach lös sein wilèn, das ich das buch ous-machèn kan, as ich es in sin hab tun der-wélèn 7 , u n hilf 8 mir, as er hulf den man, das di' gánz welt is noch im hilèn 9 , das ich as er mein bichlèn k a n reimèn un al di' réd asó schmitèn 1 0 un leimèn.

1.4 ding] dig. 1.7 kliglch. kehrte Schreibung). 1

2.1 un"] in\

3

2.7 kan] kain (mit Doppeljod, umge-

nj. lejb 'Löwe'. Zu den in 1.1 f. genannten vier Lebewesen vgl. Hesekiel 1.10. 2 zu dieser und anderen abgeschliffenen Formen in Dienstwörtern vgl. Einführung 9.2.3.1. 3 'seinem Namen ( = ihm) recht'. Metonymisches 'der Name Gottes' statt 'Gott' ist im christlichen Bereich ziemlich selten (DWb Name C 5), im jüdischen extrem häufig (vgl. sogleich 1.8), wobei aber der Begriff 'Gott' selbst aus numinoser Scheu meist nur angedeutet wird (vgl. 679.7 f. ; nj. sajn liber nomen 'der liebe Gott' und ha-sem jissborech 'der Herr - gepriesen sei er'). 4 'schuf. Für Gottes Tätigkeit findet sich auch im Dt. neben schaffen seltener und nur bis etwa 1570 beschaffen. Die jidd. Bibelübersetzungssprache optierte hingegen früh für das präfigierte Verb, so noch nj. baschafn. 5 zum Gedankengehalt der gesamten ersten Stanze und speziell zur creatio ex nihilo vgl. Einführung 9.6.1. 6 vgl. zu 1.6. 7 Der unreine Reim ι :é : i hat in Pu W sonst kein Analogon; möglicherweise ist deshalb der-wilèn zu lesen, sozusagen 'erwillen', wobei formal und semantisch das mhd. schwache Vollverb (!) willen samt seinen Weiterbildungen verwillen (Lexer und DWb), gewillen einschließlich des noch lebendigen gewillt (DWb) zu vergleichen ist. 8 Konjunktiv mit analogischem Vokal aus dem Indikativ. 9 mhd. hellen 'tönen, klingen' (-/- aus Präs. Sg. wie nj. biln statt beln). 10 'schmieden' (vgl. DWb s.v., 2γγ; -t- wohl aus kontrahierten Präteritumformen verallgemeinert).

Paris un Wiene

4

3.8 dèrwèrbèn. 1

3

U m disèn man is mir wol and 1 , as wer er mein fatèr odèr schwehèr 2 , un do er zóch ous disèm lánd, dò Iis ich um im menché trehèr 3 . sein námén tut im nit ouf schànd: ich man 4 den altèn rabi 5 Elje Behèr 6 . sein námén lebt al zeit un' tut nit sterbèn; das sein di' büchér, di er hot tun dèrwerbèn 7 .

4

Er hot in der hailigé spròch seks odèr echt schön lósèn drwkèn; das guts 8 is gròs, di' er is hóch, un nimánt kan im si5 zukèn 9 . sint 10 der werdèr man ous dem lánd zôch, dò sein mir hünlich 1 1 ón di' klukèn wi'-wol fil löut haltèn sein sèforim 12 erlich gleich as di1 söu3 di' ketèn odèr perlich 13 .

4.2 driikén.

mhd. ande 'schmerzlich, weh'; auch im Dt. des 16. Jh. noch häufig, Frühnhd. Wb. 2 and, ande. noch nj. schwer 'Schwiegervater'. 3 nj. trer Träne'. 4 'meine'. s. Glossar I. 6 Elija(hu) Bahur = Elje Boher = Elia Levita; hier [behar] nach der alt-west-westjidd. Aussprache von Ί1Π3 (s. a. Glossar I). Zur Interpretation des gesamten Passus vgl. Einführung 10.4.3. 7 mhd. erwerben 'durch tätiges Handeln zu Ende bringen'; zum (noch nj.) der- statt er- vgl. Timm 1987: § 39.1. 8 noch nj. dos guts. 9 mhd. zucken auch 'wegnehmen'. 10 'seit', noch nj. sint. 11 Zum (noch nj.) Diminutivplural auf -lichAlech vgl. Timm 1987: § 17.4 mit Anm. 3; schon in PuW ist nur diese Form zu belegen (vgl. 14.2, 25.6, 167.4, 168.2, 177.4, 183.4, 201.8, 241.8, 376.8, 461.7, 481.7, 511.7, 577.8, 616.4, 682.7, 699.7). 12 hebr. 'jüdische Bücher'. 13 PI. von perei (als Diminutiv gefühlt; ebenso 85.3, 209.2, 396.4). Die Assoziation 'Säue' - 'Perlen' ist durch Matth 7.6 gemeineuropäisch geworden und findet sich von da aus gelegentlich auch im Jidd. (und neueren Hebr.). Genuin jüdisch (Prov 11.22), aber semantisch weiter entfernt ist die Assoziation 'Schwein' - 'goldener Nasenring'. 5

Paris un Wiene 5

Ich fürcht mich, ich rèd zu' fil; drum wil ich sein sèforim légèn nidér, un fun töusch 1 ding ich rédén wil. dóch mus ich kumèn ouf in widèr: wer wert iz machèn purim-lpil 2 , wer spruch 3 , wer cale-lidèr 4 ? wer wert gánzé bûchèr reimèn un schreibèn, dás ir mit láchén wert di' zeit vèr-treibèn?

6

Kain andèr mensch tut ims bèfór, er is a\ain gèblibèn wi'-wol ich ken menché vàr-wor, di' bübérei hàbèn gétribèn, un nòch für menché jor habèn si5 sein buch ous-gèschribèn un hàbèn sich solch ding nit welèn schemèn un habèn drouf gèsigèlt ir selbst nemèn.

7

Si' habèn gémaint zu weisèn dò, as hetén si5 als5 tun dèr-trachtèn 6 . abèr der mensch wert dèr-kent jò5 an sein gèschrift, an seinèr machtèn 7 ! tet mán meinèm buch nun schön ach asó, so welt ichs werlich wenig achtèn; wen warum ich bin nimèz ousén 8 zu laichén 9 nòch kain gèwin nòch er do zu dèr-raichën.

5

6.2 alain] ailán. 1

'deutsch' (meint hier 'jiddisch'). 2 'Purimspiele' (Pl.). - Sie hatten in dieser Frühzeit nicht notwendigerweise dramatische Form, sondern waren oft noch einfach zum monologischen Vortrag bestimmt, so Elias Serefe-Lied von 1514 (ed. Shmeruk 1955/56) und Gumprechts Esther-Lied von etwa 1555 (ed. Stern 1922), das auch den bisherigen Erstbeleg für die Gattungsbezeichnung enthält; allgemein zur Gattung vgl. Shmeruk 1979. Die Edition eines anonymen monologischen Purimspiels des 16. Jhs., das sehr an die Machart Elias erinnert, aus einer neuaufgefundenen jidd. Handschrift (jetzt München BSB, Cod. hebr. 495) ist von Simon Neuberg zu erwarten. 3 wohl (wie schon im Mhd.) 'nicht gesungene kleine Gedichte'. 4 hebr.-jidd. 'Brautlieder' (cale 'Braut'). Die ältesten erhaltenen Lieder dieser Gattung, ein voll zweisprachig hebr.-jiddisches und (mit Nennung der jidd. Gattungsbezeichnung) ein hebräisches mit jidd. Refrain, erscheinen anhangsweise in einem Venezianer jidd. Druck von 1588 (Steinschneider, Cat. Bodl. 3682 - Shmeruk 1982: Nr. 17). 5 'alles', nj. alz. 6 mhd. ertrahten und noch nj. dertrachtn 'ersinnen, erfinden'. 7 'Können' (DWb Macht 3). 8 nj. ojsn sajn 'darauf aus sein, beabsichtigen'. 9 mhd. leichen 'betrügen'.

6

Paris un Wiene 8

Drum ságt das buch ouf disém átánd, es wil mein namén nirgèz nenèn. kumt es ainèm menschèn nôu'èrt 1 zu hánt, sò halt 2 ich wol, es3 wert mich kenèn. ich soit nit sagèn selbst mein schànd; dòch mus ich öuch mein sünd békenèn: ich mach es nôrt ainèr junkfrau 1 wegèn, di' mir im herzèn gégrábén is al-wegèn.

9

Un is si' schön fun mir gár weit, sò hòf ich, es wert zu ir vlihèn 4 un wert ir weisèn mit der zeit, das ich bin gánz ouf ir gèdihèn5. leicht 6 wert es ach ir hertikait ous irèm herzèn kiinèn zihèn, dàs si mich ach ain mólt wert dér-frai'èn as di bulér7, di ir in disèn buch wert lai'èn8.

10

1

Wen ich gédenk an di herté sàch, dò mus ich gleich sifzèn 9 un hischtén 10 . nun wil ich eich mèn 11 sàgèn ach das ir nit maint, ich gé' mit listèn ich sag, das buch dás ich do mach, dás fint màn for in spróch der kristèn, un fil habèn es gélait12 un werén es kene13: es haist, un ich hais es ach, »Páris un Wiene«.

noch nj. najert 'nur'. 2 noch nj. haltn auch 'glauben, meinen'. 3 'Mensch' ist im Aj. wie im älteren Dt. oft Neutrum, so unten 222.8 (mit Bezug auf einen Mann), 352.8 und 667.8 (mit Bezug auf eine Frau). 4 noch nj. flien 'fliegen'. s '(mit seinem/ihrem Denken) fest gerichtet (auf etwas)'. 6 mhd. lîhte 'vielleicht, etwa'. 7 'die Lie9 10 benden'. 8 rom. 'lesen' (vgl. nj. lejenen). noch nj. sifzn. 'seufzen, schluch11 zen' (vgl. DWb beschert, hischeti, hechzen). mhd. mê 'mehr', noch nj. mejn. 12 'gelesen', vgl. zu 9.8. 13 zu diesem sehr charakteristischen Reimtyp mit -e statt -én vgl. Einführung 10.3.2.

Paris un Wiene 11

Der es gémàcht hot in latein1, der hót kain reim nit welèn schmekèn 2 . nun hab ich mut 3 , ich wil das mein reimèn durch-ous in alèn ekèn. wol wisèt: wen ich müd wer sein, sò los ichs mitèn dinèn Stekèn un wer mein müdikait mit ru'e hailén; asó wert sich mein buch in zehèn tail tailên4.

12

Wen ich ain tail an-hèb un reim un das ich ging krunp' 5 ous der strósèn, sò wundèrt 6 es nit kainèr noch kaim; lai'èt fort un seit öuch nit an-stósèn! ich wer wol widèr kumèn haim un wer öuch drum nit stekèn lòsèn. un' wer do héruf wert mit vleis merkèn, der wert nit spôtèn, halt ich, fun disén werkèn.

13

Nun wil ich kumèn ouf den grund un wil öuch nit lengèr dò brei'èn 7 . vár-wor, es is nun wol ain stund; ich hör, wP ir bègund zu schrei'èn. mich dücht 8 , es Spricht izunèn öuer mund: »der hot gèspaP für andèrè drei'èn!« dárum wil ich di5 iibrigèn9 rèd ab-reisèn un bitèn, ir solt mir zu-hôrèn mit fleisèn.

7

Do10 tut di' hakdome 11 folendèn. got sol uns Mosiah12 bald sendèn! das sol gèschehèn in unsèrèn tagèn. druf welèn mir al omen 13 sagèn.

12.4 an-stouién. 1

12.8 disér (vgl. 82.6, 278.8, 548.8).

2 hier 'romanisch', und zwar 'italienisch', vgl. Einführung 3.4. 'hat keinen Geschmack an Reimen gefunden, war an Reimen nicht interessiert'. Zur Vorlage vgl. Einführung Kap. 3; zur Reimtechnik von PuW ibd. Kap. 4. 3 hier fast wie im Nhd., 4 vgl. aber zu 57.1. zur Einteilung in Canti vgl. Einführung Kap. 6. s Das Adj. 'krumm' hat -p auch 506.2, kein -p 250.3 u.ö. - aber nicht in der semantischen Verteilung, die Beranek 1965: Karte 102 festgestellt haben will. 6 'wundere' (funktional Konj.). 7 mhd. briuwen; nj. brajen 'brauen; weitläufig reden'. 8 'deucht'; vgl. zu 10 40.8. 9 noch nj. iberik 'überflüssig, übermäßig'. zur Frage der Echtheit dieser (und aller an Cantoanfängen und -enden noch kommenden) außerstanzischen Verse vgl. Einführung 5.2 und 3. 11 hebr. 'Vorrede'. 1 2 hebr. 'Messias'. 13 hebr. 'Amen'.

Alhi héb ich an, hört mir zu, gros un klain!

14.4 waidilch. 1

14

Es war ain mòlt ain künig ain reichén as di5 mer1, di do an-hébèn di' maidlich. mit tugènt fànd man nit sein gleichèn; er hat ain lánd, dás wás gár waidl/'ch. sein tàg er hat machèn hin-âtreichèn mit lib un vrid-leèèn 2 un fraidlich 3 . sein haibt-stát was schön Win 4 géhaisèn; in ain mônèt kunt mán si nit um-kraisèn.

15

Er hat wol ach ain élich wei¿, di1 hat er in sein herz tun bindèn 5 . di dosig 6 vrau\ dò ich fun schreib, kain mangèl kunt màn an ir findén òn 7 dás, das si mit irèm leib in menchèn jorén nit kunt kindén. der künig gut wolt vár laid drum sterbèn, das er nóch seinèm tôt nit het kain erbèn.

14.6 vrid-lebén mit Kaph ohne Raphe statt Beth.

15.1 weib ] weiv.

endungsloser Plural des Neutrums (wie resthaft, aber für den Sprecher nicht mehr nachvollziehbar in nj. wos is der mer?, eigentlich 'was gibt es an Neuigkeiten?'). Die 'Es-war-einmal'-Einleitungsformel ist zwar inhaltlich seit der Antike und weltweit bekannt (Ranke 1981: 1237 mit Anm. 4), doch im Dt. in ihrem genauen Wortlaut (mit es + was/war + eins mais/einmal) erst bei Pauli (Erstdruck 1522) etwas häufiger, wird hingegen von den meisten Erzählern des 15. und 16. Jhs. zugunsten strafferer Formulierungen oder kunstvollerer Variation kaum benutzt. Wohl aber erscheint sie in einigen jidd. MaiSes, meist märchenartigen, so im Maisebuch-Erstdruck von 1602 in Nr. 134 (von einem lange kinderlosen Königspaar, dem auf inständiges Beten hin ein Kind gewährt wird!), 188, 193, 226II. Mit diesen jüdischen (Quasi-)Märchen vergleicht hier also unser Autor seine Geschichte - offensichtlich halb scherzhaft, da außer der Ausgangssituation kaum Gemeinsamkeiten bestehen. Doch sollte die Tatsache, daß er die Formel nicht nur benutzt, sondern als typisch für volksläufige Erzählliteratur bezeichnet, ihm künftig einen Ehrenplatz sichern in Darstellungen wie Bolte 1920 (wo sein Zeugnis hinter Nr. 72 Platz fände). Ebenso humorig und explizit, wie PuW hier eine Märchen-Einleitungsformel zitiert, zitiert übrigens BB 221.5-6 eine MärchenSchlußformel (»mögen wir noch glücklicher leben als er/sie«), die insbesondere in Märchen der östlichen Mittelmeerhälfte häufig ist (Petsch 1900: 78-81), aber wieder auch in einigen, meist märchenartigen, Maises erscheint (so 1602 in Nr. 95, 202, 226 II, 231). 2 mhd. vridelëben 'friedliches, gesichertes Leben'. 3 mhd. vröudeltche 'freudvoll'. 4 ital. Vorlage: Viena 'Vienne im Dauphiné'; zur Lautform vgl. Index geogr. 5 vgl. 264.6, Gn 44.30, 1 Sam 18.1. 6 noch nj. der dosiker 'dieser'; vgl. dazu Timm 1987: 47.2.4 (S. 382f.), 1991: 72. 7 'ohne, ausgenommen'.

dás erst tail

1

16

Der künig un di5 künigein, mit grôsèm vleisèn alé tagèn warèn si' fastèn, un grôsè pein warén si dohèrum tragèn un batèn gôt, dás er soit sein der trôstér fun irèn grôsèn klagèn un sôlt in ir gébet dás mòlt géwerèn un soit ir durch génód ain kind bêscherèn.

17

Der almechtig un dérbármig 1 gôt, der ni3 vèr-lis noch kain noch kaine, wer nórt sein treP ganz bei im hôt un bit in mit aim herz ain raine, nit er das herz weit fun in lót2 un mit géstàlt un mit augèn is waine. di5 dósigèn mit herz vár im batèn; dárum di5 gròs génód si fun im hatèn.

18

Di' grôs génód wurd in géwert in klaine zeit, in kurzèn tagèn, dás sich dás laid zu fraid vór-kert: di5 èdèl künigin wárd tragèn. di' fraid, di wurd asó gémert, dás es nit stét dò als zu sagèn. den almechtigèn gót in al irèn gèdànkèn warèn si' al iré tag lôbèn un dànkèn,

19

Wi'-wol si' hat ain schweré tracht: si' kunt nit esèn noch hiinèr noch toubèn; kain gutè speis war ir nit gèacht3, nórt flômèn 4 un agrestè5 troubén. al ir géschrai' war tág un nacht, mán sólt ir un-zeitig6 óps7 ous-kloubén; wer ir das brócht, si' inèn wol lónèt. das trib si an nöun gànzèr mônèt.

9

'barmherzig', noch nj. derbarmik. 1 mhd. lât 'läßt'. 3 'geschätzt' - 'willkommen'. 5 'Pflaumen', vgl. die standardjidd. Nebenform flomen. ital. 'sauer oder unreif (von Trauben)'. 6 noch nj. umzajtik 'unreif. 7 noch nj. ojps Obst'. 4

Paris un Wiene

10

22.3 got] git. 1

20

Un do nun was kumèn di' zeit, das si' mit lib soit kumèn nidèr, fil vrau'èn hát si' an irèr seit, di1 édèl kiinigin asó bidér. si' schrai', das mán si hört gár weit: »ouWé mein leib, ouWé mein glidèr!« di' wè'e kamèn ir grós ous der móàèn, abèr dás kind wolt sich nit fun ir lósèn.

21

Nun warèn dórt der vrawèn wi'-fél1, di' mit irèn kiinstèn an-hubèn: di' vrògét nôch ain weisèn zwiVél, di' andèr nòch sómèn Ϋυη rubèn 2 , di' nòch ain linkèn schuch3, di' nòch ain stiVél, un drei' leis4 si' in aim ai' bégrubèn, di Wólt reimèn5 in órèn, di schreibèn ouf nàbél; ain itliché wolt drein-Stósèn ir schnabél.

22

Der kiinigin was wé' un wind6, si' kunt nun nit rastèn noch ru'e. si' sprách: »hilft mir gçt Vun dem kind, es sòl mir vreilich sein ain sèvu'e7, un ouf mein leib ich iz vôr-bind8 ich wais kain andèré rèfu'e 9 - : bei meinèm man, dò wil ich nit mèn ligèn.« si' hilts, as alé vrawèn ha/tèn pfligèn10.

22.8 hlatén.

2 nj. wifl 'wieviel'. mhd. ruobe 'Rübe'; s.a. DWb Rübsame (galt als heilkräftig). noch nj. schuch 'Schuh'. 4 'Läuse'. 5 'raunen' (DWb räumen 3); noch nj. ajnrojmen. 6 mhd. winde 'Schmerz', vgl. auch DWb wind, Adj. ; nj. wind un wej. 7 hebr. 'Schwur'. 8 vgl. hebr. äsar issär 'al-nafso 'ein Enthaltungsgelübde auf sich nehmen' Nu 30.3-12 (Bibelübs. Augsburg 1544: zu vòr-bindèn ain punt ['Bund'] ouf sein leib). 9 10 hebr. 'Heilmittel'. 'pflegen' (zum -/'- vgl. zu 2.6). - Die Frage, weshalb die Bibel der genesenen Wöchnerin ein Sündopfer abverlangt (Lv 12.6-8), wird im Talmud (Nidda 31b) im Namen von Rabbi Simeon ben Jochai dahingehend beantwortet, daß die Frau während der Geburtswehen zu geloben pflege, sich ihrem Manne nie wieder hinzugeben. Übrigens wird in der Zenerene dieses Gelöbnis aus Anlaß von Gn 3.16 ausführlich besprochen (Hinweis von Simon Neuberg). 3

dàs erst tail 23

Dó si' nun hat gèschworèn di' aid, as bald zu hánd was si' éntrinén 1 : ain grôsé, ain diké, ain schônè maid 2 was si' nun do mit lib gèwinèn 3 ! nun war im schlós ain grôsé vraid Vun alé, di' do warèn dinèn; vil löüt, di es nit wustèn, warén dér-schrokén Vun grósén büksén-schisén un lôùtèn glòkèn.

24

Dás kind do hilt mán nun gar hòch; ainèr èdlèn junkwra war máns gebèn. di' selbig es mit vleisén ouf-zóch; ouf es hát si' ir achtung ebèn. un dò das kind wurd grós dár-nóch, dó hat sis hôltèr 4 as ir lebén. Isàbele5 his di' am, di' édèl maidèn; noch tag nôch nacht kunt si vun im schaidèn.

25

Dás maidlèn hát di' junkwra ach lib un" hilt si' érlich ouf dás bestèn. asó ain vraid es mit ir trib, dás si' nümér tórst6 gén ous der vestèn; i7 ainé ätez bei der andèrn blib, gleich as di' töüblich 8 in irèn nestèn. si' warèn bei anàndèr in züchtén un erèn, gleich as si' leipliché schwestèrn werèn.

11

23.7 dér-schrèkén. 1

hier 'gebären'; éntrinèn ist im Aj. die Normalübersetzung der hebr. Wurzel pit 'fliehen, entkommen' und kann auch faktitiv sein (vgl. 281.8, 509.4 'fliehen machen oder lassen'); hier ist es Terminus technicus, nämlich Lehnübersetzung von hebr. pilleta issa 'die Frau hat geboren' (eigentlich: 'hat die Leibesfrucht hervorbrechen lassen'), ganz wie (für Hiob 21.10) in den meisten jidd. Bibelübersetzungen seit spätestens 1400 bis mindestens Anf. 17. Jh. 2 vgl. BB 443.5 f. dò gèwan si ain schônén, veinèn sun, ain 3 gròÉèn, ain waidlichèn, ain langén. noch nj. gewinen a kind 'ein Kind zur Welt bringen'. 4 nj. heiter 'holder'. 5 ital. Vorlage: Isabella. 6 zu mhd. turren·, in PuW 'dürfen', manchmal noch 'wagen', außer 320.5 (und mit Einschränkung 674.1) nur in negativen, fragenden oder bedingten Sätzen (Inf. tôrén, Ind. Präs. tar, terítu, Prät. tórst, Konj. törst); noch nj. nit torn 'nicht dürfen'. 7 mhd. ie 'je'. 8 nj. tajblech Täubchen' (Pl.).

Paris un Wiene

12

27.4 hefzess. 1

26

Si5 lernét 1 si' nun gar bèhend gar wol ous-ne'èn mit der nòdèln. mit irèn weiàèn klòrèn hend kunt si1 ab-nemén alé mòdéln2. un wen ir erbèt3 hat ain end, só warèn si' mit anàndèr ródèln4. dò-mit warèn si5 sich ach gar ser dèrmai'èn 5 ; ach lernt si' si' wol schreibèn un lai'èn.

27

Si' lernèt si' vil édél stük, di' ains kiinigs tóchtèr an-gébiirèn. nischt lis si' ligèn hintèr rük; al Aefzess6 was di' am ous-spürén. si' wis irs als; ach hat si' glük, dás si' ain ding nit óft dirft 7 rürén. si' dürft fòr-wor kain mü' mit ir habèn; gar bald was es ir als im herz gégrabèn.

28

Si war as hüpsch un asó weis, dás, do si' kam zu dreizéhèn jorèn, dò trug si' in dem land den preis; ir lób louchtét hintèn und fòrèn. dem bránd sein herz, dem wurd es eis, un fil nóch ir ébèn krank worèn. idérmán wolt habèn jó' di' schön Wiene 8 asò war ir namén, asò tet man si' nene.

27.7 fór-wr.

27.8 agrabén.

noch nj. lernen auch 'lehren'. - Zu Wienes Entwicklungsporträt vgl. Einführung 2 3 4 8.4.7.3. mhd. model 'Form, Modell, Muster'. 'Arbeit'. DWb rodeln 'mur5 6 7 meln'. mhd. ermeien 'ergötzen'. hebr. 'Feinheiten, Kostbarkeiten'. mhd. dürfen/dürfen und noch nj. darf η 'brauchen' (nur 523.8 'dürfen' wie im Nhd.). 8 ital. Vorlage: Viena (wie die Stadt).

dás erst tail 29

Es warèn vil herzégé un künig sün, di3 dó nóch ir gleich woltèn sterbén. si5 kamèn dar durch weité grün; ir zu lib woltèn si' sich Vór-derbèn. abèr kainèr war ni5 asó kün, der nôrt ain winklèn kunt dèr-werbèn. ir kain wolt si5 an-sehèn mit den agèn; wen vun sôtèn1 ding Wast2 si nóch nit zu sagèn.

30

Nun war ain gróV in disér Stat; der his her Jákóm 3 mit sein namèn. der künég in nun libèr hat as al di' herèn, di' Vür im kamèn. sein géselscháft war er numêr sat, asó wol im al sein werk an-zamèn 4 . untèr al sein gròvèn was kainèr nit grôsèr, der dó hat asó vil gelt, gut un schlôsèr.

31

Der èdél künig was nischt tun, er war sich den mit im bèròtèn. tag un nacht war er bei im nun; mit im war er gésótèn un gébrôtèn 5 . nun hát der gróv ain ainzigèn sun; der war gar klug6 un wol gèrótèn. er war gar schön un vrech 7 in al sein glidèr; kain veinèrn sach màn ni' Vòr noch sidèr8.

13

29.7 augén. 1 mhd. sô-tân 'solch'; vgl. DWb sothan (Formen mit Umlaut). 2 'wußte'. 3 ital. 4 Vorlage: Jacomo, standardital. Giacomo. zu mhd. zëmen 'geziemen' (Prät.). 5 'seine Anwesenheit war für ihn sozusagen das tägliche Brot'; vgl. DWb gesotten 3 6 (schweizerdt.). zum gesamten folgenden Persönlichkeitsporträt und zu seiner Geprägtheit durch die Ideale von Castigliones Cortegiano vgl. Einführung 8.4.6.1. 7 mhd. vrëch 'kühn, tapfer'. 8 mhd. sider 'später'.

14

33.6 sòlfa. 1

Paris un Wiene 32

Der dösig jung, der hiá Páris 1 ; er war nun lecht 2 Vun Vüfzéhén jorèn. er hat ain Sterk gleich wi' ain ris; denôcht war er gern un-Vòr-worèn3. sein êdèlkait gar wol bèwis, dáá er sein zeit nit hat vèr-lòrèn. in laPèn, schreibèn hat er tun studirèn; dárouf hat er Vôr lengst gèscherft sein hirèn.

33

Un ach in alèn saitèn-spil un in sôtèn èdèl dingèn es im in herzèn wol géfil; er kunt wol tanzèn un ach springèn. dár-zu hat er gèlernèt vil di5 nòtèn vun der sòlfe 4 singèn. kain lustig Stuk hat er nit ous-gélóáén, dás er nit kunt als wol ous der mòsèn.

34

Nun iz γόΓ-trib er vil der teg5 mit âperbér-falkèn 6 un mit hündén. wen er nôu'èrt wust ain hüpsch géjeg7, dás im imèz dár-Vun was kündén, durch alé weld8 un grós gèheg wolt er alé zeit ous-gründén. sein hiint 9 un seinè pferd alzeit wol ran én10, dás wénig tir vür im nümér éntranèn.

34.2 -falkón P.

34.7 ranén] ran.

2 ital. Vorlage: Paris (in unserem Werk auf der Endsilbe betont!). 'etwa'; vgl. zu 3 4 9.5. DWb unverworren '(von Raufhändeln) unbehelligt'. ital. 'Note(n), Kunstmusik'. 5 noch nj. teg Tage'. 6 Das Kompositum 'Sperberfalke' (vgl. DWb s. v.) ist durch 546.4 auch für unseren Autor so gut wie gesichert. 7 noch nj. gejeg 'Jagd'. 8 'Wälder'. 9 noch nj. hint 'Hunde'. 10 mhd. rinnen 'rennen'.

dás erst tail 35

Ach war er wol tapfèr un vre i1' in alé Streit, in alé âtechèn. er ?órcht sich vreilich nit ΫΪΪΓ drei' un' ach vür seks, möcht ich schir Sprechèn! kam ainèr, sei' er, wer er sei', ain lanz must er mit im zu-brechén 2 ; un mit ain sôlchèr êr al-zeit béâtundèr, dás es wol alé mensch nam grôsès wundèr.

36

Vil gróVèn hatèn in nun hòlt 3 un hatèn al sein kunschaft 4 gerèn. itlichèr sein géselschaft habèn wolt; si' warén in gar vaát5 ΫόΓ-ërèn. nun hat der jung dás selbig mólt ous alèn ritar, grôvèn, herèn ain édlèn ritar tun ous-lesèn; do-mit hat er al sein géscheft un wesèn.

37

Er hat in lib un wolt im wol vil mèn, as er wolt alé den andèrn; wen si warèn Vòr zeitèn vil mól mit anándér óft tun wandérn. dár-zu gédenkt mich ach noch mol, dás si zóhèn bis in land fun Vlandèrn. di' brüdérschaft hatèn si anándér gebén; ainèr ΫΪΪΓ den andèrn het gèlósèn dás lebèn.

37.6 laund (mit Waw-Jod; umgekehrte Schreibung). 1

15

37.8 anándém.

Ein Lieblingswort unseres Dichters, nur selten 'frei' wie im Nhd., häufiger 'hochgemut, kraftvoll', gelegentlich auch 'ungezwungen, ungehemmt, ungebunden' u.ä. 2 Die Vorsilbe dt. zer- erscheint in PuW meist als zu-, selten als zur- (Timm 1987: § 17.2). 3 noch nj. holt hobn 'liebhaben'. 4 'Bekanntschaft, Vertrautheit'. 5 mhd. vaste 'sehr'.

16

38.2 Ódóardé.

Paris un Wiene 38

Den gutèn un' den libèn géselèn, γόΓ-wor, Ôdôardo 1 si in hisèn. Pàris hat nit tun an im Velén; seinèr géselscháft war er wol géniáén. ain maid war nun Òdòardò wol gèVelèn2, di' hat er in sein herz tun schlisèn. er gèdôcht si' alé zeit mórgèns un ôbènt, wi'-wol si was Vun im weit bis in Pròèènt 3 .

39

Abèr Pàris, der édèl herèn, wust nischt zu sagèn ?un hóvirèn. sein lust hat er ganz gar tun kerèn zu vechtèn, schirmèn un turnirèn; un reitèn, jagén war sein bègerèn un süst 4 ach ous-reitèn spàzirèn. er war al mól der erst im rai'èn 5 ; dò-mit war er sein vatèr ser dèr-vraPèn.

40

Der hat den sun im herzèn hôlt, mèn as ain vatèr was an-gébiirèn. wen er zum künig reitèn sólt in sein gèschlôs, ouf seiné tiirèn 6 , wi5 òft un dik un schir al mólt war er den jungèn mit im Vürén. wen er in sach un mit im kunt rédèn, só ducht 7 in gleich, er wer in dem gan eden 8 .

41

Der jung macht ach kunschaft im hòv; wen édèl in al werk si in vandèn. in alé vor-suchnis, in alé próv 9 war er mit grósèr ér béstandèn. nun kam Páris dem édlèn gròv ain liplich laidlich ätük zu handèn: òft sach er Wiene bei dem künig sizèn dárvun bégan ims herz ser zu dèr-hizèn.

38.8 Provint, wohl durch Verwechslung mit 'Provence'.

1 2 ital. Vorlage: Odoardo. nj. gefein 'gefallen'. 3 ital. Vorlage: Barbant 'Brabant'; 4 s. Index geogr. noch nj. sist 'sonst'. 5 'Schar' (DWb Reihen 5). 6 Türme, Festungen'. 7 'deuchte'; vgl. noch nj. ducht sich und dacht sich 'es scheint'. 8 hebr. 'Paradies'. 9 'Prüfung' (DWb Prüfe)', -ό- hier durch Reim gesichert, nj. aber pruw.

dás erát tail 42

Er ging hinöuf zu-weil¿«s' vir mól, dás ers süát untèr-wegèn het gèlôsèn, un gab ain plik un gab ain kwir 2 ; denôcht tet ers in sôlchèr môsèn, dàs ers nimànz nôch afile 3 ir zu môl nit wolt merkèn lósèn. vòr-wor er hàt si lib; denóch gèdócht er: »ich bin gróv un si ains künigs tóchter.

43

Was hab ich mich génumèn an! w? sòl ich mich zu ir nun gleichèn? ich laf ir nóch, wu ich nit kan nóch nümér mer wer künén raichén. bin ich ain kind ôdèr ain man? wi' wil ich mich so selbèrt laichèn?« di réd war er òft zu im selbèrt sagèn; denócht kunt er si nit vum herzèn schlagèn.

44

Si5 lag im uf sein herzèn hert; kain hiilf wust er im nit zu bôu'èn. het di ΫόΓ-helung lengèr géwert, er hetsèn 4 mügén sterbèn, troù'èn. drum hat er sich dèlibérert 5 , er wolts Ôdôardô als Vór-troù'èn. dò-mit wil ich öuch lósèn ain weilèn stekèn; löst öuch nun dás gésank vür dás tail klekèn 6 .

17

Ich bit eich, lot eich bènigèn 7 , weil das erst tail nit lengèr hot tun figèn.

42.1 zu weilas. 1

44.8 vwr] biir.

'zuweilen ging er viermal (am Tag) hinauf; vgl. zu-weilèné 46.1 u.ö. (zur Form DWb 2 3 zuweilen Sp. 909 oben). zu mhd. kwieren/zwieren 'blinzeln'. hebr. 'sogar'. 4 'hätte sein (= hätte daran)'; vgl. DWb s.w. sein (Gen.) und sen. 5 ital. '(hat sich) entschlossen'. 6 mhd. klecken, nj. klekn 'genügen'. - Zur Technik der Cantoschlüsse vgl. Einführung 6.1-6.1.3, zum wirklichen Grund der Cantogrenze an dieser Stelle vgl. ibd. 6.4 (und 6.3.8.2). 7 mhd. beniiegen (unpersönl.); vgl. nj. banugenen sich 'sich begnügen, zufrieden sein'.

Gòt geb mir glük un hail, dás ich mach dás andèr tail! 45

Ich hab gèhôrt tfun lôûtèn mänd, wP kèrótàm 1 tunèn 2 guts in nôtèn. jò\ wen man ain der dòsigèn Vünd, der ain armèn trôpfèn nôrt wolt bèrôtèn 3 ! ich sich si' ergèr4 as di' hwnd; ich halt, si' lisèn ain wol tôtèn. es hilft kain kunschàft nit nôch alé hiildèn, wen es nôu'èrt an-trift zwai' par giildèn.

46

Es is besér zu-weilèns un gar ôft ain rôt vun ainèm trôùtèn gèselèn as alé di' hülf, di' ainèr hôft, di im sein kèròVim sôlèn zu-âtelèn. ain gutér gésel, er wacht, er schlòft, bei' vinstèr nacht, bei' tag dem helèn macht er seinèr géselscháft ainèm èntgeltèn wi'-wol màn si' ach izundèr vint gar seltén5.

47

Secht do Páris, der édèl degèn: der wer asó ganz gar Vôr-dôrbèn, het er nit gèhat ain rôt zu vregèn: der gèsel, den er im hat dar-worbèn. wer im dás lengèr uf dem herzèn gélegén, ich halt, er wersèn6 dran géstôrbèn. nun wolt er im sagèn, wi di hàndèl gàngèn werèn; dás war im weitèr nüz un gróáé ërèn.

45.1 miìnd] mund.

45.5 hiind] hund.

1 hebr. 'Verwandte'. 2 'tun'. 3 'beraten' (mit Analogieumlaut). 4 Für 'schlecht' hat unser Text im Positiv schlecht (66.1), nicht arg, im Komparativ ergèr (45.5, 175.3, 200.7, s 531.8), nicht schlechtér; vgl. nj. schlecht-erger-ergSt. zum Verhältnis der Stanzen 45-46 zu Berni [I] 5, Stanzen 1-5, vgl. Einführung 6.3.8.2. 6 'wäre sein' (vgl. zu 44.4).

dás andèr tail 48

Er Sprach: »Òdòardó, brudòr zart 1 mein ! du bist der mein, ich hab kain bidèrn. drum gètrôu' ich dir di sach alain, di mich zum tôt schir hôt tun nidèrn 2 . ich haisch ain rôt un di híilf di dein, sei' dich dó-hèrzu zu mól nischt widèrn; ich wais mein grósèn fei in alèn môsèn, abèr ich sag dirs Ϋ0Γ: ich kans nit lôsèn.

49

Drum réd mir dohér-widér nischt un sei' mich dò' nit mén békümérn.« er sprach: »Wiene!« un lis ain hischt3, »ouWè, bricht mir mein herz in driimèrn, un bis das ich nit wer zu mist, só wil ich sein ir dinèr ümérn. abèr mein dinst wil ich si nit lôsèn kene; wen zu ain sôlchèn leib si nit wirdig sene4.

50

Irèr lib-schaft5 grós wil ich nun dinèn. abèr dás dôsig wüs dár-nebén, dás ich nit wil, dás si' es wert inén 6 . drum sòlstu mir dein hiilf her-gebèn.« Ôdôardô was sich nit bésinèn; er sprach: »mein hülf, mein leib, mein lebèn is dir al mòl bèrait zu alèn zeitèn zu gén, zu Stèn, zu Varèn un zu reitèn.«

51

Páris, der sprach: »ich dich nit zeich7, dás dein gutè werk andèrs werèn.« nun was Òdóardó ach wol reich, un zu alé lust war er sich kerèn; man spricht wol ach, wi' gleich un gleich, dás selbig stez géseltzich gerèn8. er kunt wol ach ouf-spilè sàitèn; kain besèrn schlegèr vand man nit in weitèn.

19

48.1 zart mein] mein zart. 1

noch in der Bedeutung 'lieb, teuer'. 2 vgl. 117.8. 3 'Schluchzen' (vgl. DWb Hesch, Hesche und oben 10.2). 4 'sind'. 5 noch nj. libschaft 'Liebe' (nicht pejorativ). 6 'inne'. 7 'zeihe'. 8 Sprichwort, vgl. Wander, Gleich Nr. 51 (und 52-60).

20

Paris un Wiene 52

Nun hatèn si in ains gébôût1, si woltèn gén mit anàndèr schlagèn. war es ôrgél, harpf ôdèr ain löüt, dáá waiá ich öuch nun nit zu sagèn. Páris mit seiném gèsel, der tröüt, zwó Stund è es bégan zu tagèn, gingèn si hèrôùs mit irèn bestèn wòfèn untèr di kamèr, do Wiene was inèn schlôfèn,

53

Un warèn schlagèn aso süsén, dàs si ain krankès hetèn machèn gènesén. gar ôft warèn si si asô griisèn; gar wol gévil ir ach dàs wesèn. si' kunt abèr zu mólt ni' wiisèn, wer di gutèn schlegèr werèn géwesèn. der künig, der hört ach dàs géschleg gerèn, abèr er wolt jo wüsén, wer si' werèn.

54

Dás süs géschleg im wol géfil, as ni' mén was géhôrt ouf sàitèn, dàs in nun ducht, kain andèr spil, dàs wer dár-bei' nit wert zwò meitèn 2 . er spràch zu ainèm knecht: »ich dir bèvil, dás du mir machst ain tanz bèraitèn, un alé guté schlegèr sei' mir her-bn'ngèn!« er gèdócht si' zu kenèn an schlagèn ódèr singèn.

55

Nun welchèr schlégèr das der-hòrt, der war sein gut gézôùg ous-rôùmèn. vil òrgéln, geigèn warèn dórt, vidlèr, lei'èrèr warèn sich nit sôùmèn, der löüt, der harpf, der arpikòrt 3 , der pôùk, der pföuf un der pésôùmèn 4 . vil kamèn, di' ouf den hôrnèr kûnèn blôsèn, un ainèr kam ach dar mit der baldòsèn5.

54.7 brengén. 1 'nun hatten sie sich gemeinsam entschlossen'. 2 DWb Meit 'kleine Münze; Nichtigkeit'. 3 ital. ~ 'Cembalo'. 4 'Posaune' - alles Gen. PI. 5 ital. 'ein großes Saiteninstrument'.

dás andèr tail

58.2 mafét. 1

56

Si schlugèn wol oufs alér-best. der künig was si5 redlich zalén, wi-wol er nit het drum gebèn ain kest1 ; wen es war im als nit wol géfalèn. er hat wol ain un ain gèjest2 un merkt, dàs kainèr fun den alèn war, di untèr seinèr kamèr kumén pflagèn; dás kunt er im nit fum herzèn schlagèn.

57

Un mén nam er im das zu mut 3 , drum das er sach, dás sein Wiene, di' war nümér mén wol-gémut; wen di zu kenèn was si sich sene, er sprach: »wert es mir aso gut, di' dòsigén wil ich werlich kene!« dèr-weil macht er di tóchtèr al tag spàzirèn, dás ir dás dòsig sólt gén ous dem hirèn.

58

Al tag warèn di tenz gefrischt 4 ; ach macAét er si reitèn, jagèn, un óft im weier si5 ach vischt, un ó/t vur si5 im rótél-wagèn5. denòcht hulf ir dás alés nischt, dás si' es kunt Vum herzèn schlagèn. nischt war, dás ir dás herz kunt mén gèringèn6, as di' zu hôrén schlagèn ódér singén.

59

Un wi'-wol dóch das der maid zu mòl ni5 an kain bulschaft war gèlegèn, denòcht gèVil ir dás dòsig wol, un alé tag un tegliché tegèn gèdòcht si dran un merkét wol, dás di vun irèr libschaft wegèn gár óft der necht asò dar schlagèn kemèn; dárum het si gar gern gékent ir nemèn.

21

58.4 òpt chur.

nj. kest 'Kastanie', hier 'Nichtigkeit'. 2 wohl zu siidwestdt. jästen 'etwas hastig tun'; vgl. DWb s. v. und die Mundartwbb. 3 In PuW meist noch wie im Mhd. in der breiten Bedeutung 'Kraft des Denkens, Empfindens, Wollens'. 4 vgl. 165.3. 5 mhd. rotei = rolle ; 'Rollwagen, Wagen zur Personenbeförderung' (s. a. Glossar II). 6 mhd. geringen 'leicht machen'.

22

1

Paris un Wiene 60

Un zu irèr amén óft si sait: »dás dôsig möcht ain blindèr grôûfén 1 , dás di al nacht zu disër zeit Vun meinèn wegèn schlagèn un pfôùfèn.« der vatèr sprach: »nun bait2, nun bait! ich wil di dósigèn wol bégrôùfèn.« un béVòl zèhèn seinér Starkèn rékèn: »acht, wacht alé heint un wartèt ouf drei, vir ekèn!

61

Un secht gar wol, das ir al wacht un seit géwarnt ouf alé dingèn! wen es wert kumèn um mitèr-nacht, so wert ir hôrèn schlagèn un singèn. wen si nun habén vôlend, so acht un seit si as di held an-springèn! un wen es gleich rechté tôûvèl wiirèn3, so acht un seit si5 heint Vür meinér fiirèn.«

62

Di5 knecht sprachèn: »mir wolèns tun«, un tetèn an ir besté wofèn; un do di zeit was kumèn nun, dás idérmán was recht èntschlòfèn, so lôfèn 4 si1 gar resch dár-vun; in alèn ekèn si5 sich vór-schlófèn5, un ouf di schlégèr warèn si' recht harén in ainèr kelt, dàs si mainétèn zu dèr-starèn.

63

Zu rechtèr zeit was ébèn, das di' zwén géselén un ain jungèn, der in dás gézoug nóch-tragèn was, warén kumèn dar un klungèn. si' klungén as wol, as si' ni' bas6 hatèn géschlagén un gèsungèn. dò si' nun hatèn ganz ous tun klingèln, wi' bald warèn si di zèhèn man um-ringèln!

2 3 60.2, 4, 6 hyperkorr. Rundung. mhd. bìten/beiten 'warten'. Kontamination 4 aus 'würden' und 'wären'. Zum Reim vgl. BB 432.5. 'liefen'; mit einer Ausnahme (406.3, im Reim) im Prät./Part. Prät. nur -ö-; zur Lautform vgl. DWb laufen I 3b. Vgl. 5 im Nj. (wo ja nur das Part. Prät. noch existieren kann) gelofn. mhd. sich versliefen 6 'sich verstecken'. mhd. ba? 'besser'.

dás andèr tail

65.8 so] v. 1

64

As werèn si zu mòlt nit veint, warén si5 si5 gar liplich griisèn; di' enfèrtèn widèr, dás es nit scheint, un vôrsich nôu'èrt mit irén tfüáén1. di' âprachèn: »briidèr wüst, dás ir heint wert ΫΪΧΓ dem kiinig kumèn müsén.« Páris dèrschrak un sprách: »seit uns nit eilèn 2 ! ich sag öuch entwèrt in ainèr klainè weilèn«,

65

Un nam Ódóardò ouf ain órt un wolt sich drouf mit im bésinèn. si lisèn si' wol rédèn dòrt; wen si' kuntèn in dóch nit èntrinèn. Páris, der Sprach nun wénig wort: »man is géwordèn unsèr inèn, un bleibèn mir nun izundèr do Stekèn, sò wert sich unsèr ding als sein énplekèn 3 .

66

Der handèl, der Stèt uns gar schlecht, dás dòsig is nun widèr-varèn dô müsén mir uns helfén recht, un tag4 ach nit gar lang zu harén; un ach do unsérn jungèn knecht, den müsén mir mit uns béwarèn. als wer vèr-lòrèn, wen mir in dó lisèn; drum musén mir ouf im ser sein vór-vlisén5.

67

Mir tut nit andèrs wé' un and, as dás du heint Vun meinèn wegèn möchst habèn hi' schadèn un schand. süst hab ich mich Vôr lengst dèr-wegèn6, dás ich dò wil béStén ain stand mit meinèr schilt un schwert un degèn. dás ich mit dem lebèn gè', sòlman nit ¿agèn; ich wil sein lèdig ódèr tòt vór im gètràgèn.«

66.7 dóliién.

67.7 sagén]

23

vagén.

'P. und O. antworteten unauffällig und strebten vorwärts'. 2 'zur Eile antreiben'; 3 4 noch nj. ajln auch transitiv. mhd. enblecken, nj. antplekn 'enthüllen'. mhd. touc, nj. tojg 'taugt'. 5 mhd. vervli??en 'eifrig bedacht'. * mhd. sich erwëgen ; in PuW (selten auch ohne sich) 'sich bewegen, sich entschließen', vereinzelt 'aufs Spiel setzen' (so noch nj.), 'als verloren abschreiben'.

24

68.5 wu'} wi'.

Paris un Wiene 68

Òdóardò zu Pàrisèn Sprach: »sich, dás man nôu'ért béwart den knabèn! du waist, dás ich ni 1 an dir brach 1 ; kain sòrg darfstu2 Vür mich nit habèn. wen du stirbst, dò Stirb ich ach, un dôrtèn wil ich werdèn bégrabèn. was do gêschicht, das mus géschehèn uns baidèn! alain der tòt, der sòl zwûschèn uns schaidèn.« 3

69

Di' réd warèn Páris zu sin; dás er dás wolt, dás hört er gerèn un sprach zum knab: »gé' du do hin!« un zu den löüt war er sich kerèn; mit gutèn wort Sprach er zu in: »unsèrn weg seit uns libèr nit werèn. mir sein nit do wen in èrèn un züchtén; drum löst uns gén, wu1 uns wert dwchtèn 4 .

70

Mir sein des künig alé baid; in seinèm dinst lisèn mir sich brenèn zu guts, zu ér, zu nüz, zu vraid, un was hèrzu ir nôu'ért künt nenèn. denòcht wurd uns sein baidèn laid, dás mán uns heint bei' nacht sólt kenèn.« er sprách der réd zu in un des-gleichèn, un warèn ümédár nôu'ért vür sich streichèn.

71

Di andèrn merktèn ach den schwank un warèn ser ouf si gédihèn. si sprachèn: »kumt ôn vil gézank, gédenkt öuch nit vür uns zu vlihèn!« in ainèm wort, in ainèm schwank warèn si gémain vun ledèr zihèn 5 . mán hört nit mén wort nóch minèr 6 tadèrn 7 ; si schlugèn ouf anándér, dás es was pladèrn 8 .

69.8 dichtén.

1 'im Stich lassen, verraten', vgl. BB 48.3 ; noch nj. brechrt on got (Harkavy) 'gegen Gott sündigen'. 2 vgl. zu 27.6. 3 68.5-8: vgl. Ruth 1.17. 4 DWb däuchten 3 'gefallen' (vgl. 433.7f.). s 'zum Schwert greifen'; zur Redensart vgl. DWb Leder 5. 6 'minder, weniger'; noch nj. miner. 7 mhd. tateren 'schwatzen'. 8 'prasseln'.

dás andèr tail

72.6 gèschhèn.

72

Ich wolt, dás nit wer nacht gèwesèn, dás mán dòch het künén zu-sehén, wP di zwén degèn ous-der-lesèn sich werétén vre? gégèn jen zehén. si kuntèn nit Viir si5 gènesèn: in wénig zeit war es géschehén, dás si mit grósén Streich den pión wwrbén 1 ; seks wurdén géwunt, un vir di sturbèn.

73

Di5 gingén nun anhaim ir âtrôsèn; ir handél, der blib ganz fòr-bòrgèn. dás géschrai5 war gros wol ous der mósèn, do dó-her kam der andèr môrgèn. di werk dem künig iibèl vór-dròsèn, un drouf dò war er veintlich sòrgèn, dás er seinè gutè lôùt asó hat Vôr-lôrèn; dás tet im wé' un bang un vast zórèn.

74

Un fluks macht er im kumèn dar wol iünf un zwainzig starkèr manèn. ain itlichèr het béstandén ain schar; si5 warèn hoch gleich wi5 di' tanèn. er Sprach zu in: »tüt 2 si' ums gar3, dás si5 sich nit schaidèn vun danèn! brengt mir si3 lebèdig4 odèr tòt dèr-schlagèn! di löüt wil ich an-séhèn mit meinèn agèn.«

25

72.7 warbén.

I '(den Kampfplatz) eroberten'. 2 DWb thun IV 2a, vgl. auch 2ba. 3 DWb gar II 4ba 'ums Ganze, durch und durch'. 4 -édig ist Nebenform von -éndig, dem verlängerten Partizip (vgl. hierüber zu schmekédig 182.5); hier - wie im Frühnhd. und in nj. lébedik - Ton auf der Stammsilbe.

26

Paris un Wiene 75

Géharnéscht ganz bis in di3 zén, vii necht warèn si' ouf si1 harèn. di' dòsigèn warèn es Vór-stén; um-süát war gèSprait das garèn1. dás si' nun werèn kumén mén, dô werèn j'o wol géwest mén narèn 2 . man Spricht, wi' mán ni' vand asó ain lapèn3, der sich mèn as ain môl ni' lis dèr-schnapèn4.

76

Si' kamèn nit mén dar kain nacht; si' fòrchtèn, was in mòcht géschehèn. nun war Pàris gar vast bétracht 5 , dás er nit mèn tòrst dar gènehèn 6 . M r laid wurd er aso tfür-schmacht, dás er nit war mèn an-zu-sehèn. vun tág zu tag war im sein sórg mèn herbèr; mán sach in nit mén mit hiind un sperbèr.

77

Sein schirmèn, stechèn hat ain saz 7 ; er war nit mèn vechtèn nòch schlagèn; nóch nam er im nit mén kain sólaz8 mit vischèn, Vôgèln9, reitèn, jagèn. zu-weilèns ging er iibèr den plaz, as wer er an den kòpf gèschlagèn, un nümér sach mán in mit herzèn lachèn, un' was im war, dás kunt im nimán machèn.

1 vgl. Wander, Garn Nr. 45 : Er hat das Garn vergebens gesteckt [ = 'ein Netz gespannt']. Das Bild stammt letztlich wohl aus Ps 35.7, wo hinnäm zwar 'grundlos', nicht 'erfolglos' bedeutet, aber - wie an anderen Stellen der Bibel - seit den Anfängen der jiddischen Überlieferung um 1400 traditionell (so auch von Elia Levita 1545) mit dem inhaltlich doppeldeutigen um-süst übersetzt wird. 2 'dann wären da noch (zwei) Narren mehr gewesen'. 3 mhd. läppe 'Narr'. 4 Das Sprichwort ist bisher anderweitig nicht nachzuweisen. s 'bedacht, auf der Hut'. 6 nj. genenen '(sich) nähern'. 7 'Stillstand, Ende'. 8 ital. 'Entspannung, Vergnügen' (s. Glossar II). 9 DWb vögeln 'Vögel fangen'.

dás andèr tail 78

Nun war ain pischóf do zu Win, ain altèr man mit runzèl-valtèn. kain erbèrèr man, den sach man nin 1 ; Vór ain hailigèn was er gèhàltèn. al grósé bus, di' kam 9ür in Vun armé, reichèn, jungèn, altèn; haimisch un vremd löut al mit im tribèn, der künig, der war in ach vast libèn.

79

Mit den selbigèn man bégund Páris ain gròsè kunschaft an-zu-vangèn, un sôlchè vröüntschaft er béwis, dás der gut pischòf nit in langèn nit esèn kunt nòch trinkèn, bis der édél jung was zu im gángén. di' kunscháft war sich alé tag mén merèn; wen vun seinèr édèlkait hat er in gerèn.

80

Páris, der war ach stez bei' im; er hat in hôltèr as sein leibèn. er sach sein glük, dás es ging schlim; di' zeit wolt er asò vòr-treibèn. vun Wiene Iis er hérôus kain stim; vôr-bôrgèn lis ers bei' im bleibèn. nórt Vun den handèl war er óft rèdèn mit seim gésel Òdòardó zwüschén in bédén.

81

Páris wil ich ain weilèn lòsèn2 un wil öuch singèn vun Wiene, wi' si' dò hàt ain jomèr ain gròsèn, dás si' di' dòsigèn nit kunt kene. si' nam sichs an in solchèr mòsèn, dás ir war dás herz in Vôùer brene. dás siii gèschlég hat irá sô tun énzündén, ir grôsé libscháft künt mán nit dér-gründén.

80.7 rèdèn ] meldén. 1

mhd. niene 'nie'. 6.2.1-6.2.3.

2

27

81.7 süs] siim. zur Technik des Wechsels der Handlungsstränge vgl. Einführung

Paris un Wiene

28

82

Dáá vun irèn wegèn di' vir do lagèn, dás kunt si1 ach sichèrlich merkèn, un dás mán nit mèn dar kam schlagèn, dàs was ir jomèr nóch mèn sterkèn. gègèn Isábele war si1 sich klagén; süst wust kain mensch fun disèn werkèn. dàs si trug uf dem herz ezwás laidlich, dás kunt wol idérmán sehèn béschaidlich1.

83

Dem vatèr, dem was wé' un wind; für laid wolt im sein herz zu-brechèn. er hát jò' nit kain andèr kind un wust nit, was im was gébrechèn. dás sprich-wort2 gét: di5 lib is blind, ich habs mein tag ôft hôrèn sprechèn. wem mèn ain ding angét, dèr tôùVèl heztèn 3 , dàs er der is, ders wais am leztèn4.

84

Nun hat im der künig gèdócht, dás er di' tóchtèr wolt dèrmai'èn. ain vrei' stechèn er zu-samèn brócht; dô-mit maint er si5 dér-vrai'én. in weitê land, Wu er nôrt môcht, dò war er col Jisro'el5 prai'èn 6 , un wer wol kunt mit schwert streitèn, der sólt zu seinèr stech7 kumèn reitèn.

85

Ain schoné schilt, ain kristèline8, di' wurd gèhàngèn an ain eisèn, bèstekt mit perlich un rubine; glabt mir Vór-wor, si' war zu /^reisèn! di' dòsig tartsch9, di' sòlt géwine, wer grôsèr sterk dó wurd béweisèn; dárbei ain kranz, dás war wert vil güldén, un übér als der schön Wiene hüldén.

85.4 freisért. 1 mhd. bescheidenlich 'deutlich'. 2 z.B. Wander, Liebe Nr. 37f., 82-87, 145. 3 'hetzt 4 5 ihn'. vgl. immerhin Wander, Böse (das) Nr. 65. hebr. 'ganz Israel', hier in halb-scherzhaftem Gebrauch (dazu vgl. 9.4.4) 'alle Welt'. 6 rom. 'bitten, einladen'. 7 fem., Turnier'; im Dt. stattdessen 'das Stechen', selten 'der Stich' (vgl. DWb Stich' 8 A lb), beide auch in PuW (35.2 u.ö., 99.8 u.ö.). 'aus Kristall' (vgl. Glossarli). 9 mhd. tartsche '(eine Art) Schild'.

dás andèr tail

29

86

Dás dósig èdèl krenzèlein hat gèmacht Wiene mit irèn hendèn. wi'-wol si' war in grósèr pein un nimèz kunt ir laid nit wendèn, ain wènig trôst nam si iz ein; si hôfet vast, es sôlt sich endèn. si' gèdôcht: »wer wais? untèr den stechèr wer ich lecht kenèn meinès herz brechèr.«

87

Asó ging ous dás grós gèschrai' in weité land dár-bei' un nebén, dás ritèr, gròvèn un alèrlai' löüt, dás do het vrisch sein lebèn, der sólt kumèn den erstèn tag vun mài; dás zìi1, dás war jen tag gleich ebèn. nun alé, di dás grós géschraP dér-hórtén, di' woltén zu dem zil jó5 al sein dòrtèn.

88

Vil kuntèn habèn kain gèduld; si' kamèn dar durch strós gar herbèn. der weg des het mügén sein schuld, dás si' hetèn druntèr mügén sterbèn un nórt alain, dás si den huid vun Wiene woltén dò dèrwerbèn! wen in ale land, dó nórt löüt kamèn, do war dèrlôùcht ir gutèr édlèr namèn.

89

Es kamèn dar vii degèn werd vun herzég, grôvèn un ach ritérn un hiipsché hämisch un guté pferd, gar waidlich löüt mit géstalt bitèrn 2 : wen si1 nôu'èrt gingèn ouf der erd, den ganzèn plaz machtèn si5 zitèrn mit ir géstalt un iré rechté wófèn un mit vil vrei'è knecht, di bei5 in lòfèn.

89.7 géstailt (umgekehrte Schreibung). 1 mhd. zìi 'festgesetzter Zeitpunkt/Ort, Frist, Ende'. spätmhd.-nhd. bi(e)der 'wacker'?

2

'bitter' oder mhd.

biderbe,

30

1

Paris un Wiene 90

Ich wolt öuch wol i ain un' ain der herèn bei' sein namèn nenèn; abèr ich wais, dás ir der kain ni' hot gésehèn noch wert kenèn. nòrt dás wil ich öuch sagèn alain, wi' di' gleich iz zu der Stech renèn; abér si5 sòlèn wartèn, hab ich béVólèn, bis ich Ôdôardô un Pàris gè' hòlèn.

91

Nun war Páris gar vast bètracht; ain rót war er Òdòardèn vrógén: ób er sólt ach sein bei' der schlacht un sólt sein Sterk ach dôrtèn wógèn? Ôdôardô sach in an un lacht un Sprach zu im: »sòl mich gè! ich hab mich das gèVûrcht un habs gè^undèn !« un vreilichèn, ich im wol glab, dás im di' réd warèn as vil wundèn. Vür jomèr kunt er nit rastèn nóch ru'e, bis er seinér Wiene sagét di' Sèmu'e.

274

Er sagèt irs, der degèn gut, mit seinèm kópf nidèr gébógèn. si' sprách: »mein kròn, nim dir kain unmut! brich ich an dir, so sòl mich gót plógèn. i eh wais, dás man kain hithen 4 tut, mein vatér wert mich ach drum vrògèn5. sò sòl ich vreilich géwinèn ain misse mèsune6, wen das meinè gèbain niimèr mèn tune!

275

Zu kainèm wil ich sagèn jò', wen nou'èrt zu dir, du' künér degèn.« der réd, der war Páris jò' vrò', dás er si sach asó dèrwegèn. denòcht sprách er zu ir asó: »ÖÜT gutèn wilèn kant ich al-wegèn. abèr al öür wilèn wert mir nit geltèn, as ich den sitèn sich vun disèr weltèn.

274.5 ich ] ir.

275.6 öür] asiir.

1 'vernehmt betrübliche Geschehnisse'. 2 wohl 'berichteten'. 3 Das Bild ist im Aj. häufig und steckt noch in nj. baheftn sich 'sich mit jemandem (ehelich) verbinden'. 4 hebr. 'Verheiratung'. 5 zu dieser Feststellung Wienes (und zur folgenden Entwicklung überhaupt) vgl. Einführung 9.5.3. 6 hebr. 'gewaltsamer Tod'.

dás füft tail

81

276

Ich bin ain arèmèr gèsel, ir seit tóchtèr ains künig reichèn, un wi' sòl sich ain nidér schwel zu ainèr hòhèn stigèn gleichèn 1 ? ich sich laidèr lôûtèr un hel, dás ir mit ain künig wert hin-Streichèn. ich bit öuch das alain noch mèn noch minèr, dás ir mich nemt mit öuch tfür ain dinèr.«

277

Di' maid, di3 was der rèd dèrblicht 2 , si5 sprách: »du5 hòst zu mir kain trôù'èn. du' mainst dárum, dás màn stez spricht: ouf vrawèn-wort is nit zu bôù'èn3. mein leib nümér mer an dir bricht; was ich dir sag, wert mich nit rôû'èn. hófét ich nit, mein et sólt mich béwerén4, di sach, di wolt ich werlich andèrs kerèn!«

278

Páris, der entwèrt ir drouf nischt, dás er si' nit men wolt bélaidèn. er sprách: »bis ich wer zu mist, sò schaft 5 ouf mich zu libèn un zu /raidèn.« un mit ainèm siifz un mit ainèm hischt warèn si' sich fun anàndèr scha/dèn. Wiene schrai' im nóch, er soit ouf-merkèn, òb ezwás wird dèr-nei'èt6 vun disèn werkèn.

279

Un hin ging er asó seins weg un kam zu seim gésel gár schwerlich, un bèrôtèn sich, in welchèn steg der hàndèl nun mecht ous-gén erlich. nit láng dár-nóch, nit finf, seks teg, dó hört man sàgèn òfèn-werlich7, wi' der künig hát di tòcAtèr vór-haisén ainèm reichèn herzégèn-sun ous Maisèn8.

278.4 praidèn.

278.6 schadén.

279.4 nun] nin.

279.7 tchôtér.

bôr-haisén.

1 Das Bild könnte suggeriert sein durch die gegenteilige Empfehlung des Talmuds (Jevamot 63a): 'Wenn du eine Frau wählst, steig dazu um eine Stufe herab'. 1 Kontaminationsform aus 'erblich/erbleichte'. 3 sprichwörtlich, vgl. Wander, Frauenwort. 4 mhd. bewaren 'wahr machen, bestätigen'. s DWb schaffen C 1 'gebieten'. 6 'ob es 8 in dieser Sache etwas Neues gäbe'. 7 'offen, öffentlich' (vgl. nj. ofnwor). s. Index geogr.

82

Paris un Wiene 280

Mán sagèts asô ibèr-al, dàs es ir selbèrt kam zu òrén. es war ir bitèr as ain gal, es tet ir wé1 un and un zòrèn. Páris sich abèr hinein fiir-ätal1 un kam zu ir ganz gár vèr-lòrèn, bis si3 in mit irén wortèn was dér-wekèn; si Sprách: »mein leib, du must nit dó dér-schrekèn!

281

Dò wil ich sehèn, was du bist wert, dás du ain hülf dár-zu werst klwgèn2.« er áprách: »dèr hándé/ is zu hert, dás mein sin un wiz3 is nit génwgén. sólt mans ous-richtèn mit dem schwert, ich wolt mirés nit besèr fwgèn. mit meinèr kraftèn wolt ich eich gèwinèn, odèr der tôt wird mich des laids èntrinèn 4 .

282

Iz was5 ich nischt andèrs zu tòn, as al mein tag in klag vór-brengèn un eich in eier érèn zu lön, as ich mich hab géfurcht für lengèn.« si sprách: »nain, nain, mein libé krön, asó wil ich nit bleibèn hengèn. mán kans nit als mit schwert dèr-werbèn; doch is zu al ding rót ón zu dem sterbèn 6 .

280.5 piir-stal. 281.2 kligén. 282.8 doch) dich.

281.3 hàndèn.

281.4 génugén.

281.6 figén.

1 mhd. sich verstëln 'unbemerkt wohin gehen'. 2 aj. Bibelübersetzungssprache klugen 'klug handeln, erfolgreich denken', nj. klign sich 'sich etwas einfallen lassen'. 3 hier selbstverständlich noch 'Verstand', nicht 'Witz' im heutigen Sinne. 4 in der aj. Bibel5 übersetzungssprache auch faktitiv 'entweichen machen', vgl. 509.4. 'weiß (ich)'. 6 Sprichwort, vgl. Wander Nachtrag, Ding Nr. 1829: Es ist zu allen Dingen noch rath ohn zum Todt. In seiner heutigen hebr. Form (Alcalay s. v. mavet in fine) ist das Sprichwort durch Umbildung von Prov 21.30 entstanden (das im Talmud Berachot 19b-20a mehrfach im Zusammenhang mit dem Tod zitiert wird).

dás füft tail

285.8 fini] 1

283

Wilstu nun tun, was ich dich haiá, es sei5 dir herb odèr gèringèn1, só hof ich wol un dir vèr-hais: iins wert der hándél wol gèlingèn! ich ság dir iz, un ich es wais, dás mir mein et mit alé dingèn, das er nórt wisèn sólt, dás ich het gerèn, mit leib un gutèn wilèn wurd bèwerèn.

284

Drum is mein haisch un mein gébet: du solst es nit asô losèn bleibèn, un sich un trácht, wi' man im tet, dás màn den hithen machèt treibèn, un das man mit meinèm fatèr ret, dás er mich geb dir zu ainèm weibèn. un do-hèr-zu wer dein et an bestèn; wen er is der libst, den er hot in der vestèn.

285

Ich was, das er in hot ser hôlt; sein réd wert er nit für-schemén 2 . un wen das nit géschehèn solt, só woltèn mirs den andèrs remèn 3 . drum mü1 dich iz dás dósig mòlt, dás mir ain entwèrt bald vèr-nemèn. wen in ainèm augèn-plik mag mán vèr-lirèn, wás man nit / i n t in drei' jor nôch in virèn.« 4

286

Páris ain gròsèn siifz do lis; er sach un merkèt das bös endèn. denécht er ir al ding vèr-his; wen di' gròs libscháft war in blendèn. sein jòmèr er in sich vér-bis un ging nun haim bald un béhendèn. di selbig gánz nácht wár er süfzén un sorgèn, bis dás dò widèr kam der andèr mórgèn.

83

pint.

noch nj. harb 'schwierig' und gring 'leicht'. 2 sehr häufig in der aj. Bibelübersetzungssprache und noch nj. farschemen 'beschämen', normalerweise mit persönlichem Objekt (vgl. 467.7), hier aber metonymisch die Worte einer Person 'zuschanden machen'. 3 mhd. ramen 'anvisieren'. 4 Sprichwort, vgl. Wander, Verlieren Nr. 27 : Man verliert (oft) in einem Augenblick, was man in einem Jahre nicht wiederkriegt.

84

287.2 augén.

Paris un Wiene 287

Do kam er an des vatèrs bet mit grósèn angst un scham in agèn. er spràch zu im: »mein libèr tet1, mein wilén teátu al dein tagèn. drum wil ich dich betèn ain bet, du solst mirs ach nit vèr-sagèn. dás du es nun tun wilst, sei' mir vèr-haisèn süst wil ich mein gèbet nit vun dir haisèn2!«

288

Er sagèt im ain vor-gèbreP3, er solt im sein un-zucht vèr-gebèn, un süst ain grós /ìrèl-/ai >4 , dás er in nit solt losèn klebèn. der vatèr spràch: »nun sag ouf vrei'! ich vèr-hais dir wol bei5 meinèn lebèn: as dò sòl tun ain vatèr vár sein sünén, asó wil ich ach tun, was ich wer kwnèn.«

289

Páris, der kunt nit habèn géduld, di3 Wort zu sagèn, warèn ims herz schneidèn. doch saget er im vun Wienès huid ganz gar, was er dárum was leidèn un wi3 das wer géwesèn schuld, sein sitlich lebèn zu vòr-meidèn. er saget es nun als dem armèn altèn, bis an den punt, dò er was iz an-haltèn.

290

Un dás béschlüs vun al sein wort war er gar haislich an-bègerèn: er sòlt mit dem künig rèdèn nòrt, òb si' im zu ainém weib möcht werèn! dò das der alt krank man dèrhòrt, vür laid wer er géstòrbèn gerèn. er spràch: »libèr sun, 'sòmèr gòt'5 géschworèn, ich fürcht, du3 hebst6 dein wiz vòrlòrèn.

288.3 pirèl-pai'.

288.8 künén ] kenén.

1 wj. tet wie et 'Vater, Papa'. 2 'begehren' (DWb heiszen 3). 3 'langatmige Vorrede'; vgl. zu 13.2. 4 mhd. firlefei (< altfrz. virelai) 'ein bestimmter Tanz', hier schon im Sinne von 'Albernheit'. 5 'so mir Gott (helfe)'; DWb Sommer2 (Sp. 1508f.). 6 von 'haben' (vgl. z.B. PMS § 169 Anm. 8, Weinhold 1883: § 394).

dás füft tail

291.1 oubé. 1

291

Ouvvè, vvu is hin-kumèn dein sin, bistu dich nit selbèrt dèrkene? glabstu, dàs dir der künig Dòlfin wurd gebèn sein tóchtèr Wiene? ich wolt nit nemèn halbèrt Win, dás ich dich in der mòs wolt nene, sòlt er di' wort ain mól Ϋΐιη mir hôrèn, só wurd ich al mein tag nit vor im tôrèn1.

292

Dárum, mein libèr trôûtèr sun, gèbit un schaf in andèr dingèn, sô wil ich es als gerèn tun. das kan ich dir nit vólè-bringèn.« Páris der spràch: »iz sich ich nun, dás dir mein libscháft is géringèn. di entwèrt hab ich nit Vun dir tun wàrtèn, as du5 mich hòst géhát viir ain sun zartén.

293

Ich wais es gleich as wol as du5, dás es dir is gar herb zu mutèn. abèr ich bin génôt dár-zu5, übér den arsch zóch ichs selbst di rutèn 2 . tustu das nit, só háb ich kain ru5 ; hóf nit vun mir ain tag ain gutèn! drum herziger et, ich wil dich bitèn: dein hülf, di sòl nit sein vun mir vòr-schnitèn3.

294

Dein guts, dein hülf mir als dò gib un sei mir mein gèbet iólendèn! dein ainègèn sun, den du3 hòst lib, wilstu in tôtén mit dein hendèn?« den jomèr, den er asó lang trib, der machét den altèn vatèr wendèn. er sach den sun in laid, un im wás windèr4, as sich dèrbarumt der vatèr übér kindèr5.

85

wu ] bu.

mhd. turren ; vgl. zu 25.4. 2 Sprichwort, vgl. Wander, Ruthe Nr. 69: Der ziagt si(ch) a Rott'n iiber'n Arsch 'bringt sich selbst in eine Notsituation' (vgl. dort auch Nr. 40-42, 70, 71). 3 'mir abgeschnitten'. 4 Komp. zu wind 'weh'; vgl. 22.1. 5 vgl. Ps 103.13.

86

Paris un Wiene 295

Er Sprách: »wilátu jó', dáá es géschicht, só wil ich leib un lebèn wògèn, un is dárzu nischt ous-gèricht, asó Vór-wor het ich gèlôgèn.«1 Páris der iprách: »dò ligt an nicht, dás es mir ous den köpf nòrt is gézògèn, un dás ich tu', was m/ch bat mein Wiene, un deinén huid un trei mág durch dèrkene.«

296

Bétrübt gar vast in disèn ding, ain tag, dô es in ducht sein zeitèn, er zu den künig oufèn 2 ging un naigèt sich gègèn im -tun weitèn. der künig in liplich ènpfing un wolt in sezèn an sein seitèn. »nain«, sprách der arum alt, »ich wil nit sizèn, mein tórhait wil ich vór hérôùsér-schmizèn 3 .

297

Abèr ich wil öuch bitén ser mit ain brich-herz 4 un nasé agèn: rèdèt ich, das eich nit ébèn wer, mein mistòt sòlt ir mir vór-tragèn 5 ! di' kunscháft, di' ich háb mit meinèm her, di' Vôr-sichèrt mich, es eich zu sagèn. ich sags un wais dárzu - mich gè' der hilich6 dás es nit müglich is noch minér bilich.

295.7 mich ] much.

297.3 wer] war.

297.6 eich ] eichs.

1 2 3 ital. Vorlage: Et sono certo, questa cosa non havera effetto. 'hinauf. etwa 'herausstoßen' (DWb schmitzen)\ 'meine törichten Worte will ich vorher loswerden'. 4 'mit brechendem Herzen'; vielleicht eine (schein-?)imperativische Bildung wie dt. Kratzfuß und als solche einem größeren Problemkreis zugehörig, vgl. z. B. Wilmanns 5 (1899: §§ 304, 402.1), Paul (1920: §§ 18, 26), Henzen (1965: §§ 36, 44-48). mhd. vertragen 'nachsichtig hingehen lassen'. 6 bedingte Selbstverwünschung: 'daß mich die Diarrhoe/Ruhr/Pest überkomme Ρ Zum Problem vgl. Glossar I.

dás füft tail

87

298

Ich v/ais, dás es nit bilich is, abèr mich hôt dàrzu gèzwungén di' huid Vun meinèm sun Páris, di' tórhait des armèn jungèn.« der alt, der trôpf ΫΙΪΓ angàtèn blis, er kunt koHm ouf-hèbén di' zungèn. der künig sprách: »sag, was du wilst habén ich Vòr-gib1 dirs, hab kain sórg, ouf g/abèn 2 .«

299

Erst machét er ain Vür-géhous3, dás ich öuch izund nit mag schreibèn; Vür grósèn angst, Viir gròsèn gröüs, kunt er ouf seinèn bain kôùm bleibèn. lèsóf4, dó kam der gruz5 hérôus; er sprách: »zu ainèm èlichèn weibèn béger ich öiir tóchtèr, di schön un tüglicA, vur meinèm sun Páris - wen es wer müglich.«

300

Er wolt der réd nòch-gangèn sein, wi'-wol im zitèrèt di' stimèn. abèr der künig Vil im drein mit zòrèn gròs un mit ain grimèn. vür-wor, es war nit ouf ain schein, mán sach dás Vouer ouf im glimèn! er sprách: »het dir nit vèr-haisèn ouf trôù'èn, di' réd wolt ich dich recht machén géroú'én.

301

Du' lòtèr-dib un un-gèert, wi' terstu 6 dich vür meinèr zaigèn? du' bist nit gut, du' bist nit wert, dás du' dich gégèn mir sólst naigèn! is dòch mein stul, mein kròn mèn wert as alès, das du hòst dein aigèn. wilstu nun deinèn sun mit ainèm schlós gleichèn gégèn meinèr tòchtèr mit ain kûnig-reichèn?«

298.1 wais] wiS. volt.

298.6 koum] kaim.

298.8 galbén.

299.7 tüglik.

300.1 wolt]

1 mhd. vergeben 'schenken'. 2 'auf (Treu und) Glauben'. 3 bildlich 'Vorgehäuse' (DWb s.v.). 4 hebr. 'schließlich'. 5 DWb Grütz (auch Grutz) und Grotz(en)' 'Kerngehäuse' oder Grütze (auch mask.) 3 'Zerbröckeltes, kleine Stücke'. 6 zu mhd. turren ; vgl. zu 25.4.

Paris un Wiene

88 302

Er zwagt im wol den kòpf ón lag1 ; Vür-wor, im war dás herz ser warum! un des, dás war sein grôstè klag, dás er was gégèn im jó5 arum. Vun dem ich nit mèn singèn mag; wen ûbèr im ich mich dér-barum. drum wil ich mein gésez2 do lôsèn nidèr, un wolt ir hôrén mén, so kumt den widèr.

Do hot dai füft tail ain end.

nach 302 das] 1

dar.

'er wusch ihm den Kopf ohne Lauge'; vgl. Wander, Lauge Nr. 13: Einen mit trockener Lauge waschen [...]. 2 'Abschnitt eines Textes', DWb Gesetz 10.

Ich bit dich, gót, dás du mein herz dèr-wekst, dás ich ach mach dás dösig tail, dás sekst!

1

303

Vôr-vlucht mus sein dás gelt u n gut 1 un ach, wer dò hòt dran sein glabèn! der mensch drum tag noch nacht nit rut un òft mit recht un óft mit rabèn 2 , un óft Vür-kaft mán vlaisch un blut, nórt dás mán ain hôhèn schaz wil habén. der tôûvèl Vûrèts hin as Vouer schwebél, un as ain grôsèr wind vürét den nebél.

304

Wil ainèr seinèr tóchtér gebén ain man ódèr sein siinèn gebèn weibèr, mán vrógt nit, ób er ain masel 3 kan, òb er is lernèr 4 ódér schreibèr 5 . nôrt ouf dás gelt dò trift der zan, un wen er wer ain ésèls-treibèr, ain zwerg, ain nar, ain stunpf, ain lapèn, hòt er nòrt gelt, dò is mán nóch im schnapèn.

zum Verhältnis der Stanzen 303-307 zu Berni 56 [= 11-27], 1.1-4.4 vgl. Einführung 6.3.8.1. 2 'rauben'. 3 hebr. auch 'das einem Menschen bestimmte Los, Schicksal' (das nach einem Ausspruch Rabbi Haninas, bT Sabbat 156a, auch seine intellektuellen Fähigkeiten einschließt), hier etwa 'Begabung, besondere Fähigkeit', laut M. Weinreich (1928: 185) geradezu 'Beruf. 4 'Person beliebigen Alters, die zumindest den Raschikommentar zur Bibel, hauptsächlich aber Mischna und Talmud, gut und fleißig zu lernen bzw. zu repetieren versteht (oder sogar Lehrvorträge darüber hält)'. Zu 'lernen' in diesem Sinne vgl. im einzelnen Weinberg 1994 s.v. lernen, raschilernen. 5 '(jüdischer) Berufsschreiber', aber auch schon 'Autor', wie noch nj.

90

Paris un Wiene 305

Ain knab, ain maid - gè5 hin un' schniz1 un sei dich druf mit aim bérótèn, sein erâté vròg, sein erStèr giz: »hót si' vii gelt, hót er tèkótèn2?« mán vrôgt nit mén ouf sin noch wiz, ouf vrümkait noch ouf wol-gèròtèn. dás gelt dekt ain itliché bôsè mide3, wen es schoun wer ain mamser ben hanide4.

306

Sich, is ain trópf nöürt gékerbt5 an sein selbs leib òdèr géschlechtèn, hòt ers Vu η altèr schoun gèerbt, ain itliché ding nebuch6 Vôr-schwechtèn7, sein künén als dò mit Vór-derbt kain lób, kain guts kan ims zu-trechtèn8. hòt den der reich ain bruch vir spanèn dikér, só is di' schand nischt uns gelt der ikér9.

307

Ain altèr man in disèr welt hót òft, was dò sòlt habén ain jungèr, un nórt dàrum, dás er hot gelt, ain jungé dirèn im bézwungèr. der-nóch er si3 bei5 nacht dèrkelt, un in sein armèn stirbt si' hungèr. ünsér weisèn habén es wol vór viir-bótèn10; wen jung mit alt kan nümér mén recht hòtèn11.

307.7 bür-bótén. 1

2 DWb schnitzen 4c (Gedankendinge 'schnitzen'). 'Dukaten' (siehe Glossar II). 4 hebr. 'Sitte, Charakterzug'. hebr., eigentlich 'ein im Ehebruch und zugleich im Zustand der Unreinheit der Mutter gezeugtes Kind' (wobei beide Tatbestände aber genauen religionsgesetzlichen Definitionen unterliegen; vgl. EJ, Art. mamzer und niddah), Erstbeleg bT Kalla 16 bzw. Kalla rabbati 2.2; umgangssprachlich eine sehr starke Beschimpfung, etwa 'Superbastard'. - Der ganze Satz (305.7-8) ist wohl expandiert aus Rabbi Josua ben Levis Ausspruch 'Geld reinigt Mamserim' (bT Qiddusin 71a), der sich ebenfalls auf die Einheirat reicher Mamserim in angesehene Familien bezieht 5 (vgl. Levy s.v. kesef). 'mit einem Makel behaftet'. 6 nj. nebech, Partikel zum Ausdruck des Bedauerns, wohl slavischer Herkunft. 7 mhd. verswechen 'schwach machen' + 'ihn'. 8 vgl. DWb zertrechen '(ein Übel) beilegen'. 9 hebr. 'Hauptsache'. 10 vgl. Einführung 6.3.8.1. 11 DWb hotten 'vorwärts kommen, gedeihen'. 3

dás sekst tail

308.4 uuglük. 1

91

308

Nòch tut máns als, dás gelt macht blind, un is sich kainérlaP nit scheme, nimèz gédenkt, wi' as ain wind dás urtgliik óft dás gelt is neme, uns gim1 uns gólt gar bald Vòr-schwind, un den bleibt dò di' gróp bèheme 2 un kan seins vòrlust nûmèr génesèn, un hilft den nit »ich hát, ich bin géwesèn.«

309

Noch Stét nóch gelt al-gémain der sin, un nimèz wil gédenkèn weitèr. asó tet ach der gut Dólfin; dàruntèr ging Pàris zu scheitèr3. ich lis den altèn man bei in mit aim gèschrai, ich hält, noch schreitèr. ich mòcht öuch vür grós laid nit schreibén, wi' er den armèn man hin-wek was treibèn.

310

Vii bosé wort lis er ous nun, un zórnèklich was er im sagèn: »hut dich, dás du' noch ach dein sun mir nümér mén kumt vür mein agèn!« der trópf, der ging géschnôûzt 4 dárVun, as wer er an den köpf géschlagèn. mit grósèn laid war er haim widèr-kerèn un sagét seinèm sun di' bôsèn merèn.

311

Páris dèrschrak der entwèrt vast, «η bald lis ers Wiene wüsén. di' kunt nit hábén ru' noch rast, dás si5 irén lust iz nit kunt biisèn. nun wolt si' den vatèr habèn gétast5 un ging zu im un war in griisèn. mit gròsèn vraidén war er si' an-sehèn un sprách: »hör zu, was mir is höüt géschehèn!

308.6 bèhems.

310.1 er] ei.

311.2 un] in'.

vgl. zu 177.1. 2 hebr. '(Stück) Vieh'. Das Adj. 'grob' (hebr. gas) ist dem Autor wohl suggeriert durch den festen hebr. Ausdruck behema gassah 'Rindvieh' (so über 15mal im babylonischen Talmud). 3 DWb s.v. Scheit: zu Scheiter (PI.) gehen 'zugrunde gehen, nicht zum Ziel kommen'. 4 DWb schneuzen 4c 'anschnauzen'. 5 mhd. tasten 'befühlen', hier etwa 'aushorchen'.

92

Paris un Wiene 312

Hòt nit Páris gèsent sein et ich gèdócht, ich het nit kain gétroùern im zu ain wei'b hòt er dich gèret; merk, wi5 mein herz mir hòt tun Vöüern! di' entwèrt, di' ich im druf tet, di5 wert im al sein leb-tág söüern. é ich dir den armèn man wolt gebèn, è mistu mir im hous Vòr-brengèn dein lebèn.

313

Es sòl abèr nit hin gén lang, dás ich dir wil gebèn ain reichèn.« Wiene Vór-stund nun wol den klang un wolt sich nischt stelèn dèrgleichèn. mit urlap si3 ous der kamèr drang un prôpélt 1 un was hin-streichèn: »é ich ain andèrn nem, wolt ich mich henkèn; Jèhude un sein han werèn nit gle/ch gèdenkèn.« 2

314

Si' sagéts als der am gar drót, un das, dás sagt si5 ir dàrnebèn: »mein et sich nun dèrwegèn hót, ain vremdèn man wil er mir gebèn, un Páris, den wil er habèn tòt; nun merk, wi' ich möcht bleibèn klebèn! un ich wil habèn in un nit kain andèrn, wen er schoun künig wer vun Ôlànd 3 un Vlàndèrn 4 .

312.2 gèdòcht] gèdcht. 1

312.3 weib ] wib. 2

313.8 gleich]

gliiich.

DWb pröppeln, nj. preplen 'murmeln'. Anspielung auf eine noch unidentifizierte jüdische Erzählung, worin ein gewisser Juda und sein Hahn »sich nicht einig waren«, vermutlich über eine Opferung des Hahnes selbst - so wie Wienes Vater und sie selbst »sich nicht einig sind«, sie zum Opfer einer Zwangsheirat zu machen. Damit die Anspielung in Wienes Mund nicht makaber klingt, mußte der Hahn dem Tode wohl entgehen - wie etwa derjenige in Jehuda al-Harizis Tahkemoni (Kap. 10, ed. Toporovski S. 109-114) oder offensichtlich auch derjenige in dem hebr. Sprichwort 'wir kauften einen Hahn, der dann aber unser Hausgenosse wurde', das in Josef Ibn Zabaras Sefer sa'aiuHm ausdrücklich als Sprichwort zitiert wird (ed. Davidson 8.266). 3 ital. 'Holland'. 4 zu Formulierung und Reim vgl. ΒΒ 200.7 f.

dás sekst tail

317.4 oubé.

315

Drum wil ich tun dárzu un-gèwart1 ; mit Páris wil ich mein tröu' Vòr-bindèn. dás er sol sein mein man, der zart, un" ich sein weib, dás sòl sich vindèn, dòmit kain man mén ouf mich hart, mein vatèr wert mich drum nit schindèn. wen ers schoun wert gèwàr un' wert sehèn, lecht wert ers müsén ach lósén gèschehèn.«

316

»Was sagstu dò«, Isábele sprách, »wolstu asó dein vatèr schendèn, un mich un dich un Páris ach um-brangèn al mit deinén hendèn? hòstu dein hirèn asò schwach, dás dich der lust asò sòl blendèn? di' sach is kurz, abèr si' hôt vil zótèn2. nain, nain, dárzu wil ich dir clal3 nit ròtèn.«

317

Dò das dèr-hòrt di'édèl maid, »is das di' hülf«, was si' dò sprechèn, »is das di' tròst vun meinèm laid? ouwe, wilstu ach an mir brechèn? ain mesèr zieh ich ous der schaid un wil mich selbst vür laid dèrstechèn. wen ich wer ligèn tòt in deinèn armèn, òn hülf werstu dich den ouf mich dèrbàrmèn.«

318

Der rèd si' asò vil ous-lis, di' hetèn gèstilt, wer dò wer wütig, un gròsèn lón si' ir vór-his un al ir tag dárum sein gütig. si' wand si' um - wen vòr-wor gèwis, di' vrawèn sein al wendél-mütig -, dás si' ir vòrhis dòch un war ir schwerèn, si' wolt ir helfèn zu al irèn bégerèn.

318.1 Der] dar.

93

318.2 wütg.

1 2 'ungehindert' (zu mhd. wem) oder 'unverzüglich' (zu mhd. warten). nj. zojtn 'Zotten, Fransen'; sprichwörtl. Wendung, verwandt Wander, Sache Nr. 32 und 325 (mit 'Schatten' statt 'Zotten'; es besteht offenbar ein lautlicher Zusammenhang). 3 hebr. 'ganz und gar'.

94

Paris un Wiene 319

Un noch was si ir sagèn mén: »tu' das un was dich tragt dein hirèn; ich wil dir al wegèn bei'-stén, sólt ich mein leib druntér vèrlirèn.« nun sôlt Páris an dás òrt gèn bei ainèr nacht asó zu virèn 1 . dás zil hatèn si3 nun asó gèzógèn; wen bei den tag tôrst erá nit mén wôgén.

320

Nun wurd Pàris dèr-weil gèwar, dás im der künig suchét urzeln 2 un dás der zórén nòch gròs war un war sich alé tag ein-wurzèln. Páris gédòcht: »bei' bôk 3 , er tar 4 mich wol ain tag machèn hin-purzêln! mein vatèr alt war er asó vast klalgèn 5 ; es is bés zu schinpfén untèrm galgèn.« 6

321

Sein rôt hat er alé tag mit seinèm géselèn ous-der-kôrén. Ièsóf es blib, as er im rit: er sólt ain weil sein un-vór-worèn un sólt vun weg ous seim gébit, bis dás dò wurd géStilt der zórén. wi'-wol im dás herz was vlemèn, er wolt vun seim leib Vór urlap nemèn.

322

Asó kam er dar bei5 ainèr nacht, as si5 sich vòr hatèn tun zilèn 7 , un sprách zu ir: »mein kraft, mein macht, ich zieh Vun dir widèr mein wilèn. ich sich, deins vatèrs zórén rächt; drum mus ich in asódèr stilèn. ich zieh wek un bin dir mein herz schenkèn nórt dás du etlich mól sólst mein gèdenkén.

320.1 dér-veiì.

322.7 ich] iz.

1 'gegen vier Uhr'. 2 'hinterhältig handeln gegenüber (jmdm.)', häufig in der aj. Bibelübersetzungssprache (vgl. z.B. GWb urzol, urzoln), im Dt. äußerst selten (Lexer 3 vgl. zu 131.2. 4 vgl. zu 25.4. 2.2017 urzal, DWb irrig s.v. Urasz). Vgl. auch 450.7. 5 hebr. 'verfluchen' (vgl. Glossar I). 6 wohl sprichwörtlich, aber anderweitig bisher nicht nachweisbar. 7 mhd. ziln 'an einen Ort bestellen'.

dás sekst tail

323.8 è] is.

95

323

Un das wil ich dich bitèn mer, du' sôlst zu zeitèn ain wort schreibèn. ich háb nit mut zu zihèn ver nòch hòf es nit lang an-zu-treibèn.« Wiene Sprách: »das is zu schwer, nain, nain, asó wil ich nit bleibèn. sò sòl ich vreilich géwinèn ain Sine1 grósèn, è dás ich dich alain hin-wek wil lósèn.

324

Wilstu jó' zihèn, só kum ich mit, un wen du' zöchst in end der weltèn. nórt zwai1 génód ich dich um bit, un mein gèbet sòl des-mólt geltèn: Isábele sólstu lósèn nit, ir trei' sólstu ir stez vór-geltèn; un mir sólstu nischt tun an meinèn erèn, bis dás du5 mich ènspóst2 irgènz vun verén.

325

Wol wil ich iz, dás ich un du5 sich gélóbèn sólèn in alèn sachèn, un wen mir den kumèn zu ru', mit vraid wolèn mir di5 hóchzeit machèn. wilsm es tun, sò bérait dich zu; in sôlchèn werk mus mán wol wachèn. dárum béâtel di rós un sez dein handèln; den welèn mir mit lib hin-weké wandèln.«

326

Pàris was vró5 der entwèrt schön, wi'-wol er sach di' grós sacone3, un sprách zu ir: »mein herz, mein krön, w? kan ich dir dein gutèn wilèn Iòne? was du5 iz sprichst, dás wil ich tön un wil nit mü' noch angst dran schöne.« un dòrt gélòbtèn si' sich anándér, un ach vérhis er ir zu tun dás andèr.

324.3 zvai'.

325.5

wilíu.

1 hebr. Sinui 'Veränderung (speziell zum Schlechten)'. sar II). 3 hebr. 'Gefahr'.

2

rom. 'geheiratet' (vgl. Glos-

96

Paris un Wiene 327

Er ging un vand ain knecht gar resch, den mòcht er gètrôu'èn leib un lebèn, un gab im gelt ain ganzè tesch1, un gròsèn lôn vèrhis er im dàrnebèn. er spràch: »mir is kumén pér tres 2 ain veind, den sich ich hi5 um-schwebèn. ich trôù, du' werát an mir nit brechèn; drum sag ich dir, ich wil in dèrâtechèn.

328

Bis jens-halbs mer wil ich vu η weg, wen ich im hab gebèn di' króstèn 3 . drum zieh dòhin un sei nit treg, un kòst es gleich, was es mag kôstèn, un béstel mir di' wirt ouf alé steg un drei, vir ròs ouf alé pòstèn4 un ding mir ain schif un mach es harén, dás, wen ich dar géràich, mag iibèr-varèn.«

329

Der gétró'w' knecht, der his Grègôl5, as báld as er sein herèn hát vór-numèn, sô zòch er, as er im bèvòl, un' hin zum mer ain weg ain krumèn. er tet es als un tet es wol; in echt tag war er widèr-kumèn un sagét entwèrt vun al sein gèschichtèn. nun bégan sich her Páris ach zu-zu-richtèn.

330

Mit münz Viilèt er ain kárnir 6 , un ròs un sper war er béstelèn. drei ganzèr tag ódèr schir vir hát er grôs rôt mit seim géselèn. un dò in ducht di' zeit sein schir, dò lis er wüsén Isábelén, si' sòltèn jené nacht baid seinér wartén; er wolt si5 kumèn hòlèn durch den gartèn.

329.1 gétrôù'] 1

gètruiu'.

wj. tesch Tasche'. 2 ital. 'sich zufällig einstellen, über den Weg laufen'. 3 venez. dar de le croste '(Wund-)Krusten verursachen, schwer verletzen' (vgl. Glossar II). 4 ital. 'Etappen für Pferdewechsel auf einer Fernstraße' (s. a. Glossar II). 5 ital. Vorlage: Geòrgie 'Georg'(!); Grègôl muß Diminutiv von 'Gregor' sein, vgl. Einführung 3.6. 6 'Jagdtasche' (vgl. Glossar II).

dàs sekst tail

1

331

Asò wartètèn si5 di5 selb ganz nacht, zu rechtèr zeit si5 al ding vlàisèn1. Isàbele war übél bétracht; si5 kunt abèr nit mén, si' hats Vór-haisén. si' baitètèn wol lang un un-gélacht 2 ; Viir grósèr angst si5 sich bèschàisèn. nun kam zu rechtèr zeit Pàris der werdèn mit sper un schwert un mit pferdèn.

332

Er kam bald an dàs selbig òrt un hulf si' zu ain venstèr ab-lòsèn mit grósèr mff un wènig wort; er tet es als wol un-vèrdròsèn. wi' bald er si5 alé baid ènpórt 3 un sezét si' ouf iré rósèn ich màin wol Isàbele un sein Wiene. den bèganèn si' gar vrei dó-hin zu rene.

333

Sein gétrôù'èr knecht was ach bèrait, un ain règaz4, der stund bèseitén. dò er nun kam, er zu im sait, si' sòltèn vrei' vór-ahèn reitèn; un' er mit seinèn vrawèn ràit in nòch ain klainén weg vun weitèn. di' ràitèn di' nacht un tag hèrwidèr, dàs si' ni' stàigèn ab noch lisèn nidèr.

334

Der weg in noch wol mén vòr-dròs: dó si' kamèn weit, vir meil, nit driibèr, dò hub ain regèn an un gós, uns wetèr wurd iimèdàr triibèr. der regèn, der war asò grós, as het màn in gêschût mit ziibèr. den ganzèn weg wár er dòch nit vór-wagéln5, un óft bégan es ach gár gróp zu hagèln.

97

2 mhd. vlííen 'sich befleißen'. 'ohne zu lachen', 'ohne daß ihnen nach Lachen zumute war'; zur Konstruktion vgl. etwa Paul 1959: 4 §§ 322, 327. 3 mhd. anbœren 'emporheben'. 4 ital. 'Bursche'. 5 vgl. zu 207.4.

98

1

Paris un Wiene 335

Lèàóf, dô es nun war gar äpöt, in ain klain dôrflèn warèn si5 kumèn. dò vand màn wènig wein noch brót nòrt bei ain schlemèr-pfaf ain vrumèn. er sach si' nas un' Vói mit kót; mit zucht hat er si' ein-génumèn. wàs si hatèn menkèlèrei' 1 , warèn si krechéln 2 , un bei' ain Völler warèn si sich bechéln3.

336

Man sòlt gén schlófén, es war Spet, sò wolt Páris dás gèlegér4 habèn: Wiene, Isàbele in ainèm bet, un er war mit dem pfafèn hin-drabén. dás buch, dás spricht, wi' er es tet ain mamser5, wer im drum wil glabèn! ich wolt mir es nit selbèrt zu-gétrôû'èn, un tet ers den, sô mócht es in gèrôû'èn.

337

Di' selb ganz nacht war sein schlòf klain, un ni' hört ouf der vèr-vlucht regèn. zu mórgèns, è der tag recht schàin, do war bald ouf der èdèl degén, un vluks zu rós i ain un kain vür-bas dár-Vun hat er dèr-wegèn. vil lòn un dank gab er dem gutèn prasèr, un ràitèn, bis si' kamèn an ain wasèr.

338

Dás wasèr war wol nit ser tif, jes-halb6 must màn iibèr ain briikén; abèr der regèn aso an-lif, dás er si' hat vôr-vlôzt7 mit stiikèn. Páris dèrschrak un sach un grif 8 , dás im der weg nit wolt béglükén. der knecht sprách: »was kan es schadèn? ich wil hinein, ób mán hèrdurch künt wàdèn.«

2 'Eßwaren', vgl. DWb menkein und S. Wolf, Wb. d. Rotw., Nr. 3550. DWb krö3 4 cheIn 'knabbern'. mhd. sich hecheln 'sich wärmen'. noch nj. geleger 'Lager'. 5 hebr., etwa 'Bastard' (Schimpfwort). 6 'zur anderen Seite hin', vgl. DWb jenshalb ; zum Fall des -n- vgl. DWb jener 1. 7 nj. farflejzn 'überfluten', hier 'wegschwemmen (in Stücken)'. 8 'begriff.

dás sekst tail

1

99

339

Dem pferd liá er gar las1 den zam un spôrnèt eá nóch seinèm dunkèn. dò er asó in di' mit kam, Viir grósèn tifnis 2 si5 ein-sunkèn. der vlóz3 asó übér-hant nam, dás er un sein pferd blibèn dèr-trunkèn. den jomèr, den um in Páris was treibèn, dás Stét mir nit zu sagèn nóch zu schreibèn.

340

Dò wustèn si' nischt mén zu tön; si kórtén 4 widér zu dem pfafén. Páris bat in vröuntlich un schòn, er sólt im hòlz un negèl kafèn un sòlt im vindèn löüt um lòn, was si' nórt kûntèn haisèn un schafén, un sólt di' dòsig brük dèrnoù'èn machèn un sólt nit sparèn gelt in disèr sachèn.

341

Di' lös ich dò bei irèn géwin, zu hakèn, schneidèn, segèn, bórèn, un wil öuch sagèn Vun Dòlfin. der hát Wiene nun vór-lòrèn; er lis si' suchèn durch ganz Win mán vand si' nit hintèn noch vórèn. nun merkt der künig wol ön alèn zweiVèl, dás si' gèlófèn war hin-wek zum tôûvèl.

342

Mit unmut un bétriibtèn wil ruft er sein ritèr un seinè heldèn un sprách: »seit ouf géring un stil un seit den handèl nimèz meldèn! reit hin un sucht mir asó vil in stétèn, dôrfèr, wisèn, weldèn, bisgèn dás ir mein tóchtèr seit dèrspûrèn; vangt si' un seit mir si' her-vürén!

mhd. la? 'lässig, lasch'. 2 noch nj. dos tifenisch 'die Tiefe'. Strömung'. 4 mhd. kârten 'kehrten'.

3

nj. (der) flejz 'Flut,

Paris un Wiene

100

345.5 zvai.

343

Un stelèt sich imèz zu wer, si' zu béschirmén ous den nôtèn, hakt drein, wen es der tôùtfèl wer, un seit si' alè-samén tôtèn.« er bôt ins mit ain zòrèn schwer, dás er sich was drübér dèr-rôtèn. di5 ritèr warèn bald hin-wekè eilèn; ir pferd di1 vlóhèn 1 as vun bógèn pfeilèn.

344

Si3 vlóhén vreilich ouf der erd, un dó si5 vun der stat warén weitèn, dò tailtèn sich di1 löiit zu pferd in alèn ekèn, in alèn seitèn. ain ritèr kam òn al géverd in dás selbig dòrf gleich zu reitèn un vand ébèn den pfaf bei ainèm poù'èrn, der sólt ach kumèn helfèn di briik moù'èrn.

345

Der ritèr bald dem pfaf nòch-schri' : »der künig is ouf dich gébitèn, sag mir, hòstu gésehèn hi' òdèr dás dò wer durch-géritèn zwai vrawèn-bild un ach mit si5 ain man selb-andèr òdèr -dritèn 2 ?« asódèr un asó sein di' s/monim 3 , asó habén si' zure 4 un asó ponim 5 .

346

»Kanstu si' vindèn mit ain vund, sò sag es ouf un machs nit langèn; wen warum, è hin-gét zwó stund, só werèn mich vüfzig man gèlangèn. den suchèn mir bis ouf den grund, mir wolén si' alé habèn gévangèn. un wiistu dàrvun un wolstu vòr-helèn, só henkt màn dich sò warèm an dein kelèn.«

345.7 simonim s. Glossar I.

1 vgl. zu 9.2. 2 'mit einem oder zwei Begleitern'. 'Form, Gestalt'. 5 hebr. 'Gesicht'.

3

hebr. 'Zeichen' (Pl.).

4

hebr.

dás sekst tail

101

347

Der pfaf hört zu mit gròsèn gröüs; vör hertèn angstén war er dèrblaichèn. dàs di3 warèn, di' er hat im hôùs, dás merkt er wol an den wor-zaichèn. er sprách: »mein her, ich machs bald öüs; ich wil noch mich noch öuch nit laichén. ich wil dèrvarèn nóch der brait un' lengèn. bait dô, ich wil öuch ain entwèrt brengèn.«

348

Un vluks machét er ain weg gar krum, bis dás er zu Páris was kumèn. er sprách zu im: »mein her sö vrum, ain sach höt mir mein herz génumèn.« er sagét im dás erst uns drum 1 , was er vum ritèr hat vôr-numèn, di5 zaichèn un di5 bótscháft un di' hawajess 2 , un wi' er im hat gèdrait3 oufs h07ess4.

349

»Ich háb noch nischt vun öuch gésaid; öür libscháft háb ich dran tun schöne, ain entwèrt wart er ouf der haid; ich tar nit schimpfèn 5 mit der kröne, dárum mein her, vun hinèn schaid, dás ich nit kem in gros sacone!« Páris dankt im mit schrek ain hartèn un bat in, er sölt bèseit ain weilé wartèn.

350

Un zu Wiene kam er resch mit den trehèrn in sein agèn, mit aim géstalt blaich as ain esch war er ir das géschicht als sagèn, un mit ain süfz un mit ain hesch6 bégan er asôdèr vast zu klagèn: »ouH>é, mein hiilf, mein rôt is als vèrlôrèn! vèr-vlucht mus sein der tag, dô ich è in gébórèn 7 !

348.7 hawajess s. Glossar I. 350.8 bin] vin.

348.8 hajess s. Glossar I.

350.4 ir] im.

1 mhd. drum '(und das) Ende'. 2 hebr. 'Wesen, Art', hier PI. 'Leben'. 5 'scherzen'. 6 mhd. hësche 'Seufzer, Schluchzer'. Hiob 3.3.

3 7

350.7 oubé.

'gedroht'. 4 hebr. Jer 20.14; vgl. auch

102

351.5 oubé. 1

vgl. zu 9.4.

Paris un Wiene 351

Ach gt, warum sòl das bös gliik ouf mich alain nôrt sein gédihèn 1 ? der vlóz must hin-Vürén di' brük, dás ich des laidá nit sòlt èntflihèn! ouvvè, mein laid schlüg ich zu-rük, wen mir nit wer mein blut ous-zihèn, dáá du1 sòlst widèr haim un alé wegèn sòlst leidèn bös un làidèn Vun meinèn wegèn!

352

OuvPè, het ich dich ni5 gèsehèn an, hestu de in huid mir ni5 bèwisèn! wè5 mir, dás ich di' stich géwan, dás ich sòl izund sein in disèn! ouw>é, ouwé, bétrübtér man un wé' un bang zu dir, Pàrisèn! nun iz wert al di weit mit rechtèn sagèn, du hebst dás édèl mensch machón dèrschlagèn.

353

Ach gót! un gib mir di' génót2, gib mir di1 tròst, gib mir di' vraidèn: ouf mich schik laid, màrter un nôt, di' dò sòl mein Wiene leidèn. un gebstu mir wol iz den tôt, wi5 gerèn wolt ich dô vôr-schaidèn, dás ich wüst, dás es dir, krön, wer ebén un dás du den mit vraidèn lang sòlst lebèn.

354

Dèr-weil mir sein aso vòr-vlucht, dás mir es jó1 nit kûnèn wendèn, só dücht mich sein di' best vlucht, iins selbs tôtèn mit iinsèrn hendèn un sterbén dò in ér un zucht, dás üns kain andèr mensch kan schendèn. un as mir di leib zu haf 3 habèn tun wélèn, aso wurdèn bei' anàndèr sein di5 sèlèn.«

352.1 oubé. 2

'Gnade'.

352.2 dein ] mein. 3

352.5 oubé, oubè.

hier 'vereint'; vgl. zu 174.7.

dás sekst tail 355

Sich an ain haibt-man jomèr tun, wen im der veint dèrschlagt sein Vólkèn, sich an ain milch gégliVèrt' nun, wen si3 gérint un wert zu mólkèn, sich an di' rôt un lôùtèr sun, wen drübér gét ain dikèr wolkèn asó war sich Wienès géStalt vór-wekséln; dás het mán nit Aüpschér kiinèn drekséln.

356

Vun rót un weis es griin-gel was, dò si' Párisén hat vôr-numèn, un Vil in ômecht ebèn, das si' nit kunt rêdèn as di' stumèn. er tet ir esik untèr di' nas, bis dás si' war zu krôftèn kumèn. dás erst wort, dás kam ous irèn môulèn, dás war: »Páris, Páris!« un hub an zu hôùlèn

357

Un sprách: »ach gót in himel hòch, warum testu mich asó vôr-vluchèn? dás unglük mich vun kind ouf zóch, kain guts lis es mich ni' vèrsuchèn 2 . noch höut bei tág laft es /wir nóch, in alé winkèl is es mich suchèn. iz mainèt ich, mein laid als zu dèr-gezèn3, dò hôstu es tun widèr an mich hezèn.

358

Ouvvé, ou »vé, der vraìd, di' klain, ouwé, wi' bald is si' Vòr-schwundèn! ich gédàcht mir, sòlt ain weil wol sein, dò hôt michá laid widèr gèVundèn! nun mus ich haim widèr alain un al tag sterbèn mit leib gésundèn. ach gòt! ich halt, asó zwai rainé herzèn vérdinèn nit asó grôs laid un schmerzén.

355.8 eiipschér. 358.2 oubé. 1

103

357.5 mir mit Ajin statt Mem.

nj. gegliwert 'geronnen, geliert'.

2

vgl. zu 699.5.

358.1 oubé, oubé. 3

vgl. 186.7.

vrair.

104

1

Paris un Wiene 359

Drum mein Páris, was wilstu tun? mir wolèn sich nit selbs um-brengén. schaid du5 íun mir haimlich dár-Vun un' sei dein lebèn nòrt dèrlengèn. un ich wil zu mein vatèr nun; ich hált, er wert mich drum nit hengèn. sein blut wert er schöne un sein ér sòrgén un wert es gern ach haltèn vòr-bórgèn.

360

Di5 bòtèn wil ich den lôsèn hérein, di' dó sein ous nóch mir gézôgén. wen si5 mich dó werèn vindèn alain, sò werèn si' nit weitèr vrógèn. mèn as ir jò5 wert sein mein náin; si' werèn wol mûsèn habèn gèlógèn. ich wil es dòrt béhertén 1 un" wil sagèn, ich bin géwest sólazèn, reitèn, jagèn.«

361

»Náin«, sprách Páris, »das wer zu hert, mit mein lebèn2 wil ich mich nit schaidèn3!« un tet di' hant bald ouf dás schwert un" zòch es blós ous seinèr schaidèn. gègèn seim böüch hat ers gèkert; abèr Wiene, di' èdèl maidèn, di' Vil im drein bald un" gar bèhendèn un sprách: »gibs schwert in meiné hendèn.

362

Tötstu dich selbst asó gering, du' vèrlirst den leib, di' sèi4 dàrnebèn! mach, dás der sèi dòch wol gèling5, weil du' wilst lósèn dein lebèn, un" gib mir her dein scharfè kling un" lös mich dir den tòt dò gebèn.« si5 sagèt im só vil un" was in wàichèn, bis si' im ous der hánt dás schwert was làichèn,

2 'versichern'. 'mein Leben noch besitzend, lebend'. 3 mhd.-frühnhd. sich scheiden 'scheiden, Abschied nehmen', Lexer scheiden, DWb scheiden B l a . 4 Daß Selbstmord auch Verlust des Seelenheils bedeute, ist nicht nur katholische, sondern im Prinzip auch jüdische Lehre, explizit ausgesprochen freilich erst in frühnachtalmudischer Zeit und in der Praxis dadurch eingeschränkt, daß in allen Zweifelsfällen momentane 5 Unzurechnungsfähigkeit angenommen wird (EJ, Art. Suicide). 'daß deine Seele gerettet werde', vgl. DWb gelingen 2a und b.

dàs sekst tail

364.5 oubè. 1

363

Un sazt irs selbèrt an ir brüst un sprách zu im: »du3 must hin-wekèn! vèrhais mirs iz un tu5 es, süät wil ich dás schwert dò in mich Stekèn. is, dàs mán dich nórt nit dér-wüscht, só wil ichá als noch wol zu-dekèn. den hôf ich noch zu gôt, er wert es Viigèn un üns mit der zeit mit vraid bénügén 1 .«

364

Páris der sprách: »wilstu es jò', só kan ich es jó5 ach nit wendèn.« erät hub sich an ain wainèn dò un ain géklôpf mit irèn hendèn. »ouH>è, ich maint nit, dás sich asó bald ünsér vraid un wun sòlt endèn.« asòdér was i ains zum andèrn sagén, un gôt vun himèl warèn si5 es klagèn.

365

Ain ringlein nam Wiene zu hant, dás hat si' an den hals Stez henkèn, un dinèn war ain diamánt; irèn Párisén was si' es schenkèn un bat, er sôlts tragèn an der hant, dás er di' troú' sólt Stez gédenkén. er sòlt si' lósèn wûsèn, bat si' in widèr, wu er wert kumèn hin un sich lósèn nidèr.

366

Dás klagén grôs, das do géschach, vôr-wor, ich kans nit als dèr-schreibén2. mên het máns an-gétribèn ach, het si' der pfaf nórt lósèn bleibèn. der pfaf der las3, was im gébrach; er stupfét 4 si' un was si' treibèn. er sòlt gèentwèrt Aabèn noch Vôr langstèn; dás mán si' nit dèr-schnâpét, was sein angstèn.

364.6 wun] wun\

105

366.7 habén] gabén.

'befriedigen'; vgl. nj. banugenen sich 'sich begnügen'. 2 'genügend beschreiben', dt. erschreiben (DWb s.v., selten), noch nj. derschrajbn (Harkavy). 3 'der Pfaffe erkannte, in welcher Notlage er steckte' (vgl. DWb lesen 41, gebrechen 4d-f)· 4 mhd. stüpfen, stupfen, nj. Stupri 'stoßen, schieben'.

Paris un Wiene

106

367

Wer do het gèhôrt di' bulér baid, di' zu ainèm leib wol sein géglichén, wer do het gésehèn den jomèr laid un' ir géStalt asó Vór-blichèn, wer do het gésehèn ir iζ géschaid1, di' réd, di' wenk, di' kraft èntwichèn, wer es het gésehèn un wer nit wáinén, dem wer sein leib un" herz ous Stainèn.

368

Di' hintèrst 2 réd, den leztèn wank warèn si' sich vest halsèn un küsén un asó eng un asó lank un asó herzèklich un" asó siisèn, dás si' gleich vilèn ouf ain bank, si' kuntèn nit mèn stèn ouf den Vüsén, un' wárd vér-stôpft ir herz, ir wizèn, dás si' ain ainig wort nit kuntèn gizèn.

369

Asó dèrstumt Staig er zu pferd, Páris der wirdig un vrei degèn. er rant an den bách, der jung, der werd, er kunt nit machèn kain andèrn wegèn. un as dò pfligt treibèn géberd, wer sich seins lebèn hòt dèr-w>egèn3, asó was sich Páris kain grôûs nit nemèn, un* wo It mit seinèm rós dás wasèr schwemèn4.

370

Der vlóz war ab-gélófèn lecht, ódèr sein pferd war nit gèladèn ódèr gót, der wolt es habèn schlecht, dás im dás wasèr nit sòlt schadèn. er hat Vòr-wor mèn glük as recht, dás er hèrdurch zu rós was wadèn. er kam hèrdurch un war vür-bas dràbèn, bis er kam zum mer, as ers wolt habèn.

369.6 dèr-begén.

369.8 un] asó.

ι 'das Scheiden' (DWb). 2 aj. hintèrst oft auch zeitlich; vgl. noch im jüdischen Dt. 'die hinteren Feiertage', d. h. »die jeweils beiden letzten der sieben Tage Peßach und Suckot«, Weinberg 1994 s.v. hintere(r). 3 vgl. zu 67.4. 4 mhd. swemmen 'durchschwimmen'.

dás sekst tail 371

Dás schif er ébèn dôrtèn vand, dès im der knecht ?ór hat tun dingén. er Stig hinein, man stis Vun land un Vur seins weg gar un gèringèn1. den kam er widèr ouf den sand, un mit seinèm pferd war er hin-dringèn, bis dás er in ain stat was hin-géraichèn, di' war géhaisén ïenf 2 gleich zu wor-zaichén,

372

Un kam zu ainèm gutèn wirt un war im ain kamèr béâtelèn. den ging er ouf den plaz gèzirt; sein wirdikait, di lôuchtèt helèn. vil ritèr hatèn in dèr-kwirt3 un warèn sich zu im géselén, drum dás er ëdèl war, un noch bèhendèr, dás er war nebuch vremd un élendér.

373

Man tet im an gár grósé ér; man lis in nit mén ins wirts-höüs esén. vun im wil ich nit schreibèn mer; iìbèr dás gèsank bin ich schir dèr-sesèn4. ich hab gèsungèn lang un ser un ouf-zu-hôrèn hat ich vòr-gesèn. nun weil ich dran gèdenk, wil ich ous-lòsèn5, dàs ichs nit lang hilt ous der mósèn6.

372.4 wirdiikait.

107

373.8 ddS] ráí.

1 'geradezu und ohne Schwierigkeiten' (vgl. 696.1, auch 405.2,422.4). 2 'Genua' (nicht 'Genf). 3 'erblickt'; vgl. zu 42.3. 4 DWb ersitzen 2: '(sich) steif sitzen'. s noch nj. ojslosn 'enden, zum Schluß kommen'. 6 'damit ichs nicht unmäßig lang mache' (vgl. noch nj. haltn in ain + Inf. 'ununterbrochen etwas tun'); vgl. auch 601.5.

Ich bit mein gót, den ich Stez libet, dás er mir hilf zu disém tail, dás sibet. 374

Vil lôùt, di' ôfènén ir mund, di5 al môl pfligèn sein gar rédig1, un' schwezèn ôft in ainèm Vund2 ouf iinsèr brûdèr Vun Vènédig. si5 sprechèn, wi' si' sein im grund un-tröulich ser un nit gènédig; kain vremdèn menschèn si an-sehèn kiinèn. nun merk, wi' si im guts nôch hail sein giinèn:

375

Kumt in di' Stat ain vremdèr gast, do is er in gleich èbén stinkèn. er miist wol habèn lang gévast, dás man im geb ain trunk zu trinkèn. es dücht si' sein ain grósèr last, wen si' im mit dem kópP tun winkèn; wen den mund tetèn si zu grós gédrangèn3, wen si' in mit ain solem4 sóltèn ènpfàngèn.

376

Dás nimèz kain wort mit ainèm ret, dás nem im kainèr in sein sinèn. er müst wol lang um-gén im get5, dás er gèselschâft vend dò inèn, es wer den ainèr, der es tet, dás er wolt was mit im géwinèn ódèr wolt in irgèz mit hazrochess6 jukèn dò stét mán um im as di hünlich um di klukèn!

1 2 3 'beredt'. etwa 'üble Nachrede' (DWb Fund 3c). mhd. gedrattc: 'dem Mund täten sie zu große Bedrängnis an'. 4 hebr. 'Friede' (hier als Gruß). s ital. 'jüdisches Ghetto (in Venedig)', 1516 eingerichtet. Zu den Stanzen 374-380, auch zu ihrer Bedeutung für die Datierung von PuW, vgl. Einführung 6.3.9.1. 6 hebr. 'Nötigungen'.

dás sibet tail 377

Si' màinèn ôft, si' habèn ain lap1, un sein dàrmit ir selbst schand weisèn, un óft ainèr inèr bôsèn kap2, der wurd si' ous Vénédig greisèn3. wen si' nou'èrt machèn den kliρ un klap, do haltèn si' sich tragèn den preisèn un herèn vun Vénèdig mit sein môû'èrn un üns Vür iré knecht un pôù'èrn.

378

Wol sein mir pôù'èrn un ach kü', dàs wen sich ir ainér zu üns is Vügén, so hengèn mir an si' wol spót un vrii'. mir wüsén in nit èr an-zu-tun génügén ; kain gelt vèr-drisèt uns, kain mü' un is vèrlórèn als vreilich òn lügén: as bald si Vun uns sein, is als vèr-schwundèn, òdèr si' màinèn schlecht, mir seins vèr-bundèn4.

379

Der rèd war ich vil mén vèrStòn, ich wil si' nit al an mich vasèn. in der fedèr wil ich si' Stekèn lòn; ich Vürcht, si' wûrdèn mich drum hasèn, wi'-wol ich si' vór-entwèrt5 hôn in alèn stèt un' plez un gasèn un richtèt iibèl ous sôlché bérédèr6 un spràch: wers aso, só tragts ir seder7.

380

Der seder is denócht nit gut, das wort, dàs sòl mir nimèz werèn. mir sein jó' al ous vlaisch un blut, un gòt, der is üns al dèrnerèn. zu Màntu'e, zu Fèrer mán das nit tut, zu Weidèn noch zu Pade noch zu Berèn8. noch minèr hàt mán das zu ïenf béwisèn, dò do was kumèn dar iinsèr Pàrisèn.

109

377.5 klip] klif. 1

'sie haben einen Narren vor sich'. 1 'Mantel (mit Kapuze)', hier offenbar Amtstracht eines venezianischen Beamten (vgl. Glossar II). 3 hier wohl 'grausen' + Umlaut, 'vergraulen'. 4 'verpflichtet'. 5 'verteidigt'. 6 'Lästerzungen, Verleumder', vgl. nj. baredn 'verlästern'. 7 hebr. 'Ordnung, Sitte'; 'so bedingt es ihre Sitte'. 8 'Mantua', 'Ferrara', 'Udine', 'Padua', 'Verona' (vgl. jeweils Index geogr.).

110

1

Paris un Wiene 381

Màn tet im an gròs er Vôr-wor, un war ni' mén dôrtèn géwesèn. ich wais, ich sagèt öuch noch Vór, wi' si' mit im hatèn ain wesèn. sein libscháft er nun ni5 vèrlôr; der krankait kunt er ni1 génesèn. al vraid war im nischt münkéln 1 ; das Vouer war im ufèm herz vûnkèln.

382

Mich hót ébèn dèrmant das wort, wu ich Wiene Vôr lis bleibèn. drum wil ich lòsèn Pàris dòrt un wil ain weil vun ir ach schreibèn. Wiene mit dem bòtèn um-kòrt un Isàbele ach, ir kamèr-weibén. si rat 2 hinein mit knecht un mit règazèn, as wer si' süst géwest irgèz sòlazèn.

383

Den pfaf, den Vurt si5 mit ir dar; Viir ain gézôùg was mán in wêlèn. der künig vrògt in, wi' es gangèn war, er sölt ims als ébèn dòrzélèn. er sagèt im den handèl gar un schwur im drouf bei' seinèr sèlèn, wi' si' an der ér nit hetèn tun lestèrn, as werèn si' gèwest brûdèr un schwestèrn.

384

Der künig áprách: »nun sag mir an ich heng dich süst an ain barn ain hòhèn! sag mir ouf bald: wu' is der man, der mit in bei' dir is ein-gèzóhèn?« der pfaf, der schwur bei han Svan 3 : »durch ain wasèr tif is er gèvlòhèn. ich hält es wol gèwis nóch meinèm dunkén, gleich as der knecht is er dinèn dèr-trunkèn.«

zu mhd. munkel 'Kurzweil', etwa 'aufheitern'. 2 mhd. reit 'ritt'. Johannes' (han Ausweichform für San); vgl. Glossar II.

3

ital. 'Sankt

dás sibet tail 385

Er lis den pfaf mit frid gén hin un bat in wol, er sólts dér-kene, un Vrógét in imèz zu Win, di' zucht un ér sòlt er békene. nun hat Vór-wor der künig nin kain wort gèret noch mit Wiene. wol hát er mit den weib machèn béStelèn1, dás si5 sôlt rédèn ΫΟΓ mit Isàbelèn.

386

An ainèm suntag 2 dás géschach, dás di' künigin was noch ir schikèn un Vur aso übér ir tach 3 , dás si5 sich Vòrcht nòrt an-zu-blikèn. Isábele Vòr-entwèrt si' jò' ach, un mit housèn was si' sich vlikèn 4 . lésóf si' ir den handél ganz gar kündét, dás si vum erstèn bis zum leztèn gründét,

387

Un schwur dem tôùvél ab ain báin 5 , Wiene wer gèblibèn vrumén un wer ain pülzél aso rain, as si' ous irèm böuch war kumèn. di' tróst, di' war denócht nit klain. dò das der künig hat vór-numèn, er sach, dás sich di' rèd èbèn zu-trafèn mit j'en, di' er hát géhôrt vum pfafèn.

388

Den ging der künig selbs ain tag mit vôlèn herzèn zu Wiene. er zwug ir wol den kópf ón lag6, dás si' ir Vel wol môcht dèrkene. er sprách zu ir: »ich dir wol sag, mit recht sôlt ich dich machèn brene, wer nit, dás mich zu vast jò' is ΫόΓ-drisèn, dás ich mein aigén blut sòl selbs vór-gisèn.

386.8 vum] bum.

387.1 toúbél.

111

388.3 ir] im.

1 'mit seiner Frau verabredet'. 2 Der Sonntag hat ein negatives Image auch in BB 24.1. 3 sprichwörtl. Wendung, DWb Dach 9. 4 'rechtfertigte sich, so gut sie konnte' (DWb flicken 8 und Hose 5a). 5 sprichwörtl. Wendung, DWb Teufel 17c; vgl. auch Wander, Schwören Nr. 40f. 6 vgl. 302.1.

Paris un Wiene

112

389

Ich sòlt wol habèn mein herz rôch1, as du1 es hóát géhàt ach átáinén. du' hóát mir an-gétòn sólch schmôch, dáá ich Vun dir nit het tun mâinèn. is das dáá kind, dò mir war um gôch, unx alé tag vür gót was wàinèn? het ich dich ni' bègert noch tun andén2, weil du mir an-tust sôlché schmôch un schandén!«

390

Wiene entwèrét3 gar schlecht mit bitèr herz un di' rèd siisèn. si' sach wol, dáá er hat gròs recht; drum ΫΪ1 si' im béhend zu viisèn un sprách: »bren un heng un" schecht4! ich hab gésünt, mach mich drum büsén, un was du mir wilst tun, dàs tu' bèhendèn! dò hòt mein martèr ach dàrmit ain endèn.«

391

Der kiinig ging hin-weké gleich, un in den selbigèn grim-zòrèn5 machét er hin-lègèn in ain keich6 Pàrisèn et, der ous-dèrkóròn. un al sein gut un klaidèr reich, dás sòlt im ach als sein vèrlôrèn. in ainér keichèn was man in bèschlisèn, un er must vür Páris dàs bad ous-gisèn7.

389.5 dòmir. 1 mhd. rou, räch 'roh'. 2 'sich sehnen nach' (Lexer Nachtrag). 3 'antwortete'. Die Form zeigt so gut wie sicher, daß der Wortstamm (durch Metanalyse von *t-t > t in 153.5 u.ö.) bereits entwér- ist, vgl. nj. enfern·, er ist allerdings noch nicht analogisch auf das Substantiv übertragen (entwért 64.8, aber nj. enfer). 4 jidd. schechtn '(rituell) 5 6 schlachten'. nj. grimzorn, häufig in der aj. Bibelübersetzungssprache. mhd. 7 kîche 'Gefängnis'. sprichwörtl. Wendung, verwandt Wander, Bad Nr. 28.

dás sibet tail 392

Wï-wol er laid nit grósé nòt; Ôdôardô trôùt was in bèwarèn. er liá in nit noch vrü' noch spot; kain gelt war er mit im nit Iparèn. un" siist er alé tag ous-bòt1, ôb er Vun P à m è n möcht was dèrtfarèn. dem vatèr war nòch im mèn laid un bangèn, as dás er selbèrt dò lag hert gétfangèn.

393

Der handèl vun den armén trópf, der tet Wiene wé5 ouf irèn etèn un sazt ir i un i in kópf, si5 wolt in mit der zeit dèr-retèn. Páris lag ir wol mén in krópf; Òdàrdó hàt si3 òft gébetèn, er sólt sich sein dèr-vrógèn2 in gutèr mósèn un sólt si' ezwás nöüs bald wiisèn lósèn.

394

Asó vór-gingèn menchèn tegèn; dèr-weil Vór-roùschétèn di' ündén 3 . der künig was sein weib ach vregèn, wi' er den hàndèl sòlt ous-griindèn. asó blibèn si' al baid dèrwegèn, si5 woltèn stòpfèn di' bôsèn miindèn un woltèn nun Wiene nischt tun am lebèn un woltèn ir ain andèrèn man gebèn.

395

Si' wustèn abèr nischt dárvun, dás si3 Páris hát tun gèlôbèn. si5 gédòchtèn, si' wurds gerèn tun un wurd dàrzu al zeit gót lôbèn. es war asó gêblibèn nun, un" drouf hát mán ach an-géhôbèn di' hiipschtèn tenz, di5 mán kunt habèn, dás mán Wiene velèr nit sólt glabèn.

392.6 Pdsirén. 1

'ließ nachforschen'.

2

vgl. zu 581.7.

3

noch nj. ind 'Woge'.

113

114

Paris un Wiene 396

Di' erät war s ζ' al mòl bei dem tanz un ging hérein zu brangèn 1 herlich mit rök, di' warèn güldén ganz, un' gut géâtain un hupsché perlich. in ainèr hant hilt si5 den schwanz2, un" in der andèr hat si1 werlich ain hiipschèn vedèr-pusch, den haist màn wédèl; den hilt si' untèr der ñas, di maid édèl.

397

Si' ging wol alé tag un nacht zu alé tenz un alé spilén. es war ir abèr nischt géacht3, wi'-wol si' wis ain vrei'èn wilèn; si' ging un tet es iibèr macht 4 , dás si' den vatèr jô' wolt stilèn. si' kuntès asò wol mit wort un schwenkèn, dás er ir schuld nit mén was gédenkèn.

398

Ain tag do vand si' in wol-gémut; es ducht si' zeit zu machèn lèdigèn den altèn man, der in di hut war ein-gésezt ôn schuld zu schédigèn. si' kunts só wol, di' maid di' gut, un was dem vatèr sò vil prédigèn, dás er in dóch lis ous nóch irèn bégerèn un" war im al dás sein widèr-kerèn.

399

Wiene nun, dás si' wolt mén mit vatèr un mutèr ein-kumèn, do war si' òft zum /uschòf gén; vun im hatén si' nun nischt vór-numèn 5 . do-mit gab si' in zu Vór-Stèn, si' wer gar hailiklich un vrumèn. wol war si vrum un tets zu lib den irèn; abèr Páris kam ir ni' ous dem hirèn.

396.1 si'] so'.

399.1 Wiens.

399.3

fischóf.

1 'prangen, strahlen'. 2 hier 'Schleppe des Kleides' (DWb Schwanz 2a). 396.1-5 klingen an BB 320.2-6 an. 3 'es bereitete ihr kein Vergnügen' (vgl. 19.3). 4 mhd. über macht 'mit Anstrengung'. s 'von seiner Seite hatten sie nichts (über seine Mittlerrolle zwischen Wiene und Paris) erfahren'.

dás sibet tail 400

O u s d e m hirèn er ir n ü m é r k a m n o c h tag noch nacht n o c h vrü 1 noch spòtew. di' ganz nacht sach si' in im t r a m ; ò f t war si v r ò \ u n ò f t wár si dèrtòtèn . z u mórgèns sagèt sis der a m ; di' m u s t ir al wegèn druf ròtèn, ó b es bétôutèt guts ódèr süst làidèn; si5 muát ir alè mòl ir t r a m bèschaidèn 2 .

401

Ich m a g öuch nit schreibén v u n t r e m 3 ; w e n ich h a b dran a i n klainèn glabèn. w e n m i r der tôùvél selbst vür-kem mit alèn seinèn helén-knabén u n bröcht mir ?ür, ich wais nit wem, k a i n angèst wurd ich d á r u m habèn. ich hált: was bei tag mit vleis is m u m é l n 4 , dás is a i m bei nacht im hirèn drumèln 5 .

402

Ò f t génèn 6 in den köpf di3 denf, w e n ainèr hót zu vil in magèn. ich hált, es tuts der selbig senf; sist glab ich nischt, dás di 3 t r e m tagèn 7 . d r u m lös ich si5 u n zieh gen ï e n f , u n v u n Páris wil ich öuch sagèn. der wár n u n vór langstèn dortèn u n hat grós ér mit werk u n wortèn.

115

400.2 spôtén] Spot. 1 mhd. ertöten 'sterben'. 2 400.5-402.4: Daß Träume einfach Bewußtseinsinhalte aus dem davorliegenden Wachzustand verarbeiten, wird im Talmud (Berachot 55b in fine) als Lehre Jonathans kurz referiert, von Maimonides (More nevuehim 2.36) deutlicher ausgeführt. Daneben steht im Judentum seit biblischen Zeiten der Glaube an die prophetische Bedeutsamkeit mancher Träume; vgl. EJ, Art. dreams. Auch durch die abendländische Überlieferung ziehen sich beide Auffassungen; die naturalistische wird z.B. in den spätantiken, im Mittelalter äußerst beliebten Disticha Catonis (2.31) ganz ähnlich vertreten wie in PuW\ Somnia ne cures; nam mens humana quod optât, / Dum 3 vigilans sperai, per somnum cernii id ipsum. Träume': tram + Umlaut. 4 'leise 5 6 rumoren' (noch nj. mumlen). 'laut rumoren' (noch nj. drumlen). 'gehen'. 7 'taugen'.

116

405.1 brib. 1

Paris un Wiene 403

Als war im nischt1, dem édlèn her; mit lust kunt er noch schlôfèn noch esèn. als, duchi in dórt, wer im zu schwer. er wolt nit mén sein do gésesèn; er wolt hin-wekèn aso fer, dáá er si5 uns land wolt ganz vèr-geâèn. noch denôcht hilt in do Wiene gèVangèn: er wolt wiisèn Vôr, wi' es ir wár gàngèn.

404

Er wolt ?ór-ahèn ach tun zu kund seinèm vatèr un seinèm géselèn, wi1 es im gàngèn war bis in dem grand un wi5 er vür-bas sein sach wolt stelèn. zwén brif schràib er zu Stund, un ain bótèn was er béîtelèn. den zalét er gar wol un gab im zaichèn, dás di briv Òdóardò sóltèn géraichèn.

405

Er nam di' briv un ràit dóhin ón untérlós bald un géringèn. in zéhén tag kam er gén Win un" was Ódárdó di' briv bringèn. waistu es nit, gèschach dir nin, dás dir ain vraid kam ubèrzlingèn 2 ? asó war ach vür vraid Òdàrdò dèrschrekèn, dò im was der bót dàs gèschrift èn/>lekèn.

406

Ôdàrdô nam vun im di' brif un machét sich ouf seinè bainèn, un ainès lafs er dóhin lif un brócht dem vatér ach den seinèn. es ging dem altèn ins herz tif, dás er vür vraid bégünd zu wainèn. den warèn si' sich alé baid dèrmai'èn, un itlichèr bègund sein brif zu lai'èn.

405.4 brib.

'alles galt ihm nichts'.

405.8 ènflekén. 2

DWb urplötzlich (mit Varianten wie urbürzling).

dás sibet tail 407

Ich mag nit sagèn wort vür wort, wi' sich di' briv só wol warèn sezèn. di' mainung 1 wil ich schreibèn nôrt; ich bin nun müd as vil zu schwezèn. der brif, der dem vatèr géhôrt, der machét im di' agèn nezèn; asódèr war er im sein ünglük sagèn, un asó jemèrlich war er im klagèn.

408

Un" wi5 er wer dèr-wegèn mer, er wolt hin-zihén asó weitèn, dás mán nit sólt wiisèn, wu er wer in menchèn jor, in menchèn zeitèn. mit schif wolt er ous-zihèn2 dás mer, mit pferd wolt er dás land ous-reitèn3; drum sólt er in zu mòl nit mén gédenkèn, bis dás im gòt ain hiilf wurd schenkèn.

409

Ach schráib er: »et, ich zieh dár-vun; di' ràis4 mócht ich gar leichtlich sterbèn. drum wil ich dich vast bitèn nun, Ódárdó lós dás mein dèrwerbèn. er sòl al zeit sein recht dein sun, un nóch dein tòt sòl er dich erbèn 5 ; er is ach stez géwest mein libèr brudèr.« der rèd schràib er im mén ain vudèr.

410

Der brif, der, den Òdóardó hat, der stund6, wi5 es im war gérôtèn7 un" wi5 er wer kumèn in di stat un wi5 ims glük übél was hòtèn8. di' mainung war, dás er in bat, er sölt im schreibèn mit dem bòtèn, wi5 mán mit seinèr Wiene het tun handèln, sint dás er vun ir schid un was wandèln.

407.1 vür] bär. 1

117

410.7 wi'] di'.

'Sinn'. 2 'voll durchqueren'. 3 'voll durchreiten'. Konstruktion noch bei nj. ojsrajtn möglich laut GWb. 4 adv. Akk. 'auf der Reise'. 5 'beerben'. 6 'lautete', vgl. DWb stehen II D 9 hß. 7 'ergangen'. 8 vgl. zu 307.8.

118

1

Paris un Wiene 411

Dàrbei'sólt er ir sagèn ach, dáá si' ir márter nit sólt merèn un sólt nun tun mit disèr sach, was ir wer gut un nüz an erèn, dèr-weil dás er ba'avoness1 sach, dás es mit im nischt drous künt werèn. »ir laid is mein tòt, ir vraid mein lebèn; drum sag ir, dás si' tu', was ir is ebèn.

412

Is, dás si5 jó5 wolt haltèn vest ôdèr dás di' sach noch wer vór-hólèn, sò tu' ir mit al ding dás best; lös dir si', brudèr, sein bèvólèn! bin ich schoun izund ous mein nest, kan ich schoun nischt zu disèn mólén, sich nit an 2 ; wen bleib ich ouf der weltèn, só wil ich dirs mit lib noch Vòr-geltèn.«

413

Den handèl gar er im ach schrib, as er hat géschribèn dem altén, wi' er sein sun an sein stat blib in alé mós un recht géstaltén. er bat in ach, im sólt sein lib, dás er in vür ain vatèr wolt haltèn. ach stund in disèm brif vun seim wandèrn, as ir nun hot gèhôrt vór in den andèrn.

414

Do si' di briv hatèn gèlait, was sich der alt zu Ódóardó kerèn; er sprách: »dás wandèln, dás is mir lait; mit al mein macht wil ich ims werèn. was er mir hót Vôr gèsait, dás wil ich tun vun herzèn gerèn. ich nim dich vür ain sun wol ous-dèr-lesèn; wen as ain vatèr bin ich dir stez gèwesèn.

vgl. zu 199.4. DWb ansehen 10.

2

'berücksichtige das nicht (als einen Grund zum Nichtstun)', vgl.

dás sibet tail 415

Drum schreib Páris in sôlchèr móá, wi' mir in al bitèn un rótèn, dás er nit mach di' ráis un stròs. un nim di' Vünf hundèrt tèkòtèn un schik im si' ón untèr-lós mit ainèm bri? mit disèn bòtèn, dás er mag bleibèn dòrt un vrölich zerèn, bis dás di sach ain mòl wert besèr werèn.«

416

Òdàrdò Spràch: »ich wils als tun un wil im schreibèn un ènpitèn, un siist wil ich ach sein öür sun, dás ir sólt stez ouf mich gèbitèn. Páris sòl sein der élich nun; Vun öuch sòl er nit sein vôr-mitèn. ich hôf zu gót, er wert es noch wol sezèn, dás mir sich noch mit lib werèn al dèrgezèn.«

417

Ôdàrdô asó hin-wekè ging, dò si3 ir rót gémacht nun hetèn, un zu Wiene kam er géring. di' hát in nun sò òft gèbetèn, wüst er Vun Páris kainèrlai 1 ding, só sólt er irs nit lòsèn vôr-âpetèn2. asó kam er zu ir bei nacht zu zwai'èn un war ir seinèn briv ébèn vür-lai'én3.

418

Dó Wiene nun den bri? Vôr-stund, si' kunt im köüm ain entwèrt gebèn. vür grósèn vraidèn si' dás dèrStund4, dás ir Páris noch war bei lebèn, un wol gab ir ain grósé wund, dás er noch weitèr wolt um-schwebèn. si' sprách: »libèr Òdàrdó, vroùnd, mein bidèr, gè1 vluks, lèma'an haSem5, un schreib im widèr

119

417.8 briv] brib. 1 'irgendein' (im Bedingungssatz). 2 'er möge es ihr nicht erst mit Verspätung zukommen lassen'. 3 'vorlesen', vgl. zu 9.8. 4 mhd. erstân, hier 'verstehen'. 5 hebr. 'um Gottes Willen'.

Paris un Wiene

120 419

Un grüá in vaát, mein libèn leib, un bit in ser Vun meinèn wegèn, dàs er zu ïenf nórt lengèr bleib un lós di' ràis iz untèr-wegèn. ich wil mit lib noch sein sein weib, un sólt ich mich meins leib dèrwegèn1 ! un sein mir izund schoun bitérlich biisèn, dás lezt wert mit vraid as hönig siisèn.«

420

Asó ging er un schrá/b Páris, as in Wiene hat gébetén, ir réd un werk al gleich pér-zis2 un' aso ach di3 vun seinèm etèn ; un süst er i η dcm brif wis, wi' si' hatén gètón un wi' si' tetèn, un Wiene wer gèwest in grósèn schuldèn, un wi' si' widèr wer ins vatèrs huldèn;

421

Un wi' man hat sein vatèr gèVangèn un wi' in hat wolèn der künig plôgèn, un Wiene wer aso lang an-géhangèn, dás si' in hat ôùsèr gézógèn. er schrib im wol ain bri ν ain langèn, ouf al vir seitèn Vói, ain ganzèr bógèn, al-ding3 bèschaidlich, was do war géschehèn, sint dàs er nit Wiene hat gèsehèn.

422

Dem bòt gab er den bri ν in di hant un ach dàs gelt in ainèr teschèn. er nams un gleich hin-weké rant gar bald un gar géring un reschèn. dàs herz, dàs in nun alèn brant, dàs hàt sich tun ain wènig leschèn, dó si' durch di' dósigèn briv hórtèn, dàs Pàris mit seim lebèn war nun dórtèn.

420.1 schrai'b. 1

vgl. zu 67.4.

420.5 im den. 2

ital. 'genau'.

421.5 brib. 3

422.1 brib.

noch nj. alzding 'alles'.

dás sibet tail

423.6 gabs]

423

Pàris, der wartèt nun gar gôch, dás mán im sólt ain entwért sendén. der bót, der rait un rant un vlòch, bis dás er kam gén ïenf béhendèn. di5 bri? un sgelt er ôùsèr zóch un ga¿>s Páris als in sein hendèn. er tet si' mit sórg ouf un wás si5 laPèn, un dó er al ding sach, was er sich vrai'èn.

424

Er hát ain grósè vraid un wund 1 , der alèr édél knab só gutèr, dás sein Wiene war gèsund un asó ach vatèr un mutèr. er klaidèt sich vun nöü zu stund un wurd al wegèn bas gémutèr. òft wàr er hòfèn vást un óft Vtir-zagèn, as dó pfligèn zu tun, di' solch last tragèn.

425

Stez ging er um in disèr sach un war asó sein zeit vór-treibén. er wolt si' nun wiligèn2 ach un wolt ain weil lengèr dó bleibèn. un' was zu Win nun nous géschach, warén si5 sich anàndèr schreibèn. asó vór-trib er zeit ain ganzè thèkufe 3 , ób zum handèl mócht ouf-stén ain thèrufe 4 .

426

In disèr zeit, in disén teg, dó dó5 géschahèn di' géschichtèn, dó war Dólfin nit géwest treg, un ouf Wiene hát er tun tichtèn 5 . durch sein schwehèr vand er dóch ain weg; der war im ain hithen 6 ous-richtèn mit dem herzégèn-sun Vun Biirgèn-landèn 7 . kain besér hithen war nun nit Vür-handén.

gaví.

121

424.6 wurd] vurd.

1 2 3 4 'Wonne' (vgl. 228.7). 'ihrem Wunsche folgen'. hebr. 'Jahreszeit'. hebr. 5 6 'Arznei'. mhd. lih ten '(er)sinnen, nachdenken, planen'. hebr. 'Verheiratung'. 7 s. Index geogr.

122

Paris un Wiene 427

Es Stund ain weil ouf der balánz1 zwischèn im un j'en Vun Ingilterèn2; abèr der kiinig selbst Vun Franz, den ducht, der dósig wer mén fun erén. durch in richtèt mán es ous ganz; der schwehèr sach es ach gerèn, dás er sólt nemén den un nit den andèrn, den ich sag, was fürSt vun Vlandèrn3.

428

Dàs dósig buch in welschèn4 spróch, dás schreibt gar lang in alèn ekén. ich wil im nit mèn schreibèn nôch; vil übérigé wort lös ich nun stekèn. siist wurd mir mein biichlèn zu hôch, un di' zeit wurd mich dárzu nit klekèn. drum wer es hót gélait Vór-an in welschèn, màin nit, dás ich es dòhèrum wil velschèn.

429

Der dósig hithen, as ich öuch sait, dó er nun was ganz gar géschehèn, dó hàt der künig gròsé vrait. sein aidum5 het er gern gèsehèn; mit ainér bótscháft hát er in géprait6 mit grôvèn, herzègé wol zehèn un bat in vast, er sòlt im serwirén un sólt ain weil zu im kumèn Spàzirèn.

427.5 durch] druck.

429.3 dò hát) dóht.

1 ital. 'Gleichgewicht, (in der) Schwebe'. 2 ital. 'England'. 3 'Fürst von Flandern', ist in der Vorlage der 'Schwiegervater' (427.6) des Dolfin. 4 'romanisch', hier 'italienisch', vgl. Einführung 3.3 und 4. 5 mhd. eidem 'Eidam, Schwiegersohn', noch nj. ejdem. 6 'eingeladen', vgl. 84.6.

dàs sibet tail 430

Der èdèl jung, der war gar vrvè, wi' vand er dórt schad un schándén!

526

Der dòsig künig, der sòldan, der kant ain gròv untèr den kristèn; dem gab er, was er nòrt hisch an6, un gelt un giildèn ganzê kistèn. der dòsig bös vór-retér-man, der tet gros bübérei mit listèn, un was di' kristèn tetèn un' sich béritèn, dás war er dem sòldan stez ènpitèn.

149

525.8 oubé. 1 3 Komp. zu mhd. laζ 'lässig, lasch'. 2 'drinnen'. DWb verlaufen 8 'auf Abwege geraten'. 4 mhd. vergencnisse 'langsamer Untergang'; häufig in der aj. Bibelübersetzungssprache. 5 DWb verschmachten, Nebenform verschmachen 'in Sehnsucht nach etwas zugrunde gehen'. 4 DWb anheischen 'verlangen, bitten'.

150

Paris un Wiene 527

Asò ènpòt er im ach, das si' ouf im hatèn tun dèrtrachtèn, un" wi' un wen un Wu un was si' woltèn tun mit gròsèr machtèn. er schrib: »wolt ir es wûsèn bas, sô seit ouf künig Dólfin achtèn. der wert in sôlché klaid zu öuch génehèn, dès er al öilr land wert wolén Spehèn.«

528

Dàrouf war der sóldan nit treg mán hat es nit gèsagt kaim tabèn. ouf alé Stròs, ouf alé steg hát er béstelt vil seinèr knabèn. asó Vór-gingèn nit vil teg, dás der Dòlfin kam her-zu-drabèn. mit alé sein worzaichèn kam er gégangèn; wi' báld warèn in di' knecht ouf-Vangèn !

529

Vür dem soldán wurd er gébrôcht; der äpräch zu im mit aim grim-zôrèn: »ir kristèn mich nun ΫόΓ-schmòcht1 ; ain bund hát ir ouf mich géschworèn. ir hát gémaint, ir hát gèdócht, es sôlt mir nit kumèn zu órèn, un du, vór-retér, nemst dir in dein sinèn, zu kumèn her, mein sach zu werèn inèn!«

530

Er sagét im wol wort Vür wort u n Wu un was un wi' un wene. dò das der arum Dólfin hört, er sprách: »wárum wil ich mich lósèn mene 2 ? den màrtèr wer ich leidèn nôrt un wers dárzu mûsèn bèkene.« dárum békant er als mit haisè trehèr un ach, wi' er was géwest der spehér.

530.7 er] ar. 1

'verschmäht'.

1

wohl zu mhd. menen '(Vieh) antreiben', DWb mähnen.

dás nôùnt tail 531

Vür zórèn wurd der sôldan rôt un wolt in gleich èbèn dèrâtechèn ôdèr süst gebèn ain bôsèn tôt; abèr sein weisé warèn Sprechèn: »künig, Vôr-nimt iinsèrèn rôt! der tôt, der is kain mensch nit rechèn. wen ir in hát gétôt, as báld dérstartèr; vil ergèr, dás er lebt in laid un màrtèr 1 !«

532

Der dösig rôt gévil im wol, er Sprách: »nun mus er vreilich büsén.« un seinèn knechtèn er bèVól, mán sólt im schmitèn hend un viisèn; un wi' un was mán im tun sòl, dás tet er in nun als zu wiisèn. asó wurd er gévürt in Alésandri'e 2 ; dôrt warèn der géVangéné ain mandri'e 3 .

533

Ain turn war dôrtèn, mich döücht, der war nit miiglich ous-zu-brechèn; nòch sun nòch món dó rein nit loùcht, nòch ótèm, möcht ich ach schir sprechèn. süst war er bös un ñas un vöücht ; dás war aim leib un lebèn schwechèn. den armèn Dòlfin si1 hinein tetèn, dás er sein lebèn sólt dinèn vòr-zetèn4.

534

Mán gab im nórt wasér un brót, dás war mán mit der ünzén wegèn; un starkè löut mán ach ouf-bòt, di1 sòltèn in hiitèn alè wegèn. dò must er jó' leidèn den tôt, das hát er sich nebuch dèrwegèn 5 ; wen das war nit géwónt sein èdèl leibèn. nun merkt, òb er es het kûnèn an-treibèn.

151

1 2 3 derselbe Reim BB 65.7f. ital. Alessàndria. ital. màndria 'Gefängnis', vgl. 4 Glossar II (auch zu dem realen Staatsgefängnis in Alexandria). mhd. verzetten '(verstreut) fallen lassen, verlieren'. 5 'und zu dieser Perspektive rang sich der arme Kerl auch schon durch' (in diesem Sinne auch die Vorlage).

152

Paris un Wiene 535

Di5 laidlich ïèmu'e wurd gèwar, der pòpst, der kiinig un der kaiser, is, dás dem Franzèn wé' drum war mit seinèm klagèn grôs, wol wais er. er schri' un1 wainet asó mar1, dáá er bégund zu werèn haiser. es wir ain klag grós durch ganz Itáli'e2, dás dò géschehèn war asó ain calje 3 .

536

An 4 bótscháft zóch vür den sòldan, òb si' Dólfin küntén dèrgezèn5. si' batèn, er sôlt haischèn an; mit was er wolt, sòlt er in schezèn. si' tetèn vil um disèn man un warèn erst den künig hezèn6. »nain«, sprách er, »kain gelt sòl in nit lôsèn, er mus zu-âpringèn dórt as wi' di' bôsèn.«

537

Is, dás di' lung uns herz zurkeint 7 vun seim gésind, vun seinèm weibèn an dem gèStalt es in an-scheint8 -, ich klag mén si' as seins selbst leibèn. ich bin im jò' ain wènig veint; ich mág im nit hanifess 9 treibèn. im géschach recht, bei meinèm lebèn, dás er Páris nit wolt Wiene gebèn.

538

In lös ich in der keich gar schwach, as er Iis sein tóchtèr un kindèn, un Páris wil ich gèn suchèn ach, é er mir is ganz gar vòr-schwindèn. es is as lang, dás ich in nit sach, dás ich in schir nit wais zu vindèn; wen sint dás dò géschahèn al di' handèln, vil stét un lánd hát er dèr-weil tun wándéln.

537.8 Páris nit] 1 4 7

Párisinit.

2 hebr. 'bitter'. siehe Index geogr. 3 'Vernichtungs(schlag)'; vgl. auch Glossari. 5 6 'eine'. 'etwas Gutes tun', vgl. DWb ergetzen 2. DWb hetzen 3c 'antreiben'. vgl. 460.4. 8 'ihrer Gestalt sieht man es an'. 9 hebr. 'Schmeicheleien'.

dás nöünt tail 539

Ich liá in zihèn, den degèn gut, dás er was gèn Mizrajim reitèn. sint j'enès mòl hat er nit gérut; er hát gémàcht ain weg ain weitèn, durch Indi'e 1 bis gèn Kalikut 2 un andèr land in menchè seitèn un süst vil stèt, di' ich nit mag nenèn; wen ich wais, dás ir si nit wert kenén.

540

Gèn Damesek 3 war er nun widèr-kert un was sich dórt ach nit mén sôùmèn. er wurd bald müd; als war im hert. e i ging im nirgènt nóch dem dôùmèn. vil gelt hát er di' ràis4 Vòr-zert; nun wolt er abèr weitèr rôùmèn 5 . géschlagèn ganz an kópf gleich wi' ain ovel6, hát er dèr-wegèn zu zihèn bisgèn Bovel7.

541

Gleich as ain mensch, der dò is krank, wen in di' hiz, di' kelt is drukèn, ouf kainèr seit ligt er nit lank, dó ouf den böüch, dó ouf den rukèn, dò wil er ouf ain kist, dò uf ain bank, in diicht der krankait ous-zu-rukèn, un dòch kan er der wétág nit génesèn asôdèr gleich war ach Pàrisèn wesèn.

542

Gar bald wurd er an ainèm órt sat, dó-hin, dò-her was er sich riirèn. nun zòch er hin in jené stat, dás selbig land wolt er ach spiirèn. grós unglük hát er vôr géhát, iz war in lecht dás glük dar vürén. er ráit un vur ain weg ain langèn, bis dás er in di stat dòch kam gégangén.

153

540.4 es] er. 1

2 s. Index geogr. s.v., auch allgemeiner zur Orient-Geographie von PuW. 'Kalikut', 3 Hafen in Südwestindien, nicht 'Kalkutta', vgl. Index geogr. hebr. 'Damaskus'. 4 adv. Akk. ; vgl. 409.2. 5 mhd. rumen 'wegziehen'. 6 hebr. Trauernder'. 7 hebr. 'Babylon', hier 'Kairo'; vgl. Index geogr. s.v., auch allgemeiner zur Orient-Geographie von PuW.

154

1

Paris un Wiene 543

In disèr ätat hát der sôldan den stul Vun seinèm künigreichén. dórt warèn hôùsèr gèbôut an, di' kant màn nun an iré zaichèn. di1 leicht 1 màn nun ain itlichèn man, der ous vremdèn landèn is géraichèn. asòdèr nam Páris ach dôrt ain heder 2 , as dò Vun jenèm land nun tragt der seder 3 .

544

Nóch jenèm sit trug er géwant; den tulpan 4 hát er nun tun géwènèn5, den bart as glat as ouf der hant, un drûbèr ain par langé grénèn 6 . kain mensch, der in nun nit dèrkant; er wer ain Türk, warèn si5 wènèn. mench ìpróch kunt er un di5 Vun mòrèn as vrei, as wer er in dem land gébórèn.

545

Un dórt vór-trib vil zeit Páris mit seinèm gétrôùn régazèn. Vun Wienés huid er ni' vór-blis7, ich mag dár-Vun iz nit mén schwazèn. vür disèr stat war nun ain wis, dò ging er ouf gar òft sôlazèn. wen dárouf war mán spilèn, tanzèn, gögeln 8 , un alé mórgèns vru5 wàr màn drouf Vögeln.

546

Des künigs Vôgèler gèmain, di' hiltèn dôrt ouf ainèr stangèn vil hûpschè stiik un gros un klain Vun âperbèr-valkèn, di5 Çôgèl vangèn. dóhèr-zu hát luát Páris der rain, wen er war sein tag vil mit um-gangèn. al tag ging er hinöüs mit grósèn vleisèn, dás er sein herz-laid wolt mit ab-reisèn.

'leiht, vermietet'. 2 hebr. 'Zimmer'. 3 vgl. 379.8. 4 Turban' (vgl. Glossar II). 'sich angewöhnen'. 6 PL 'Schnurrbart' (vgl. Glossar II). 7 mhd. verbläsen 'verschnaufen; eine Pause machen'. 8 mhd. gogelen 'sich ausgelassen gebärden' (DWb auch gögeln). 5

dás nöünt tail 547

Zu-weiléns wen er bei in Stund, dò lis er asó ain wortlèn lafèn, dás er sich ach wol drouf vèrâtund. di' Vogéler al zu-samén trafèn; ain tag tetèn si' ouf ir mund un warèn lang mit im dò klafèn, un durch di' wort wol nit in langèn war er kunscháft mit den vôgélèr vangèn.

548

Vun tag zu tag, Vun mölt zu mòlt, was sich di' vrôûntschàft veintleich1 merèn, dás si' in hatèn ach gár hòlt un warén in al zeit vór-erén; un dás er Vögelan mit in sôlt, dás warèn si' vun im bègerèn. asó tet sich di kunscháft al zeit sterkén Vun wegèn seinèn èdèlèn, gutèn werkèn.

549

Ain mòl, ain tag nit lang dárnóch, as er asó mit in was schwezèn, der obérât Vôgélèr zu im Spróch: »ich hab ain falk ins hous tun sezèn, den halt ünsér künig gar hòch; ain ganzès land is er in schezèn. nöulich wárd er krànk un Vói vun lôftèn 2 ; dèrsint 3 kunt ich in ni brengèn zu krôftèn.

550

Wol hundèrt künst háb ich vórsucht, un kainè is mir ni' géròtèn.« Páris, der sprách: »di' dòsig sucht, di' wolt ich, hàlt ich, wol dè/rótèn. sòl er nun habèn sein ersté vlucht, dó mus mán in vòr-an béschrótèn 4 . un sich in ain mól, ich wil dich lerèn ain kunst, dás er báld gèsund wert werèn.«

549.4 falk] falkòn P.

549.7 vun] bun.

155

550.4 déròtèn.

1 DWb feindlich 2 'gewaltig, sehr'. 2 Derselbe (lautlich unklare) Reim auch BB 605.2, 4, wo eindeutig 'Lüften : Kräften' gemeint ist. 3 'seitdem'; vgl. 454.4 dér-sidér. 4 mhd. beschröten 'beschneiden'.

156

Paris un Wiene 551

Der Vôgèlèr gar hei1 drouf was; er war im bald den falkèn weisén. Páris, der sprách: »nem das un' das krôùt un tu' ims in sein Speisèn. dò werstu sehén, òb dás gras un' òb dás krôûtlèn is zu preisén.« der Vogèler, der war es glabèn; dóch wolt er es jó' Vór-sucht ach habèn.

552

Er wolt im hábén drum gétrôùt; drum wolt er nit dàrouf sein lesèr2 un gab dem vougèl vun dem krôùt, gèschabèn dün mit ainèm mesèr, bis dás er sach géwis un lôùt3, dás er vun tag zu tag ward besèr. in minèr as ain mònet war er génesèn, gèsund un vrisch, as er ni3 war géwesèn.

553

WP bald lôf er zu dem sóldan un brócht im den falkôn 4 vür wundèr un Sprách: »nun nemt, secht, was ich kan: gésund as vór un nóch gèsundèr.« ain reichè schenk er dò gèwan; er gédócht, er künt ain kunst bésundèr, un was den vôgélèr solche schenk schenkèn, dás er sein lebé lang möcht dran gèdenkèn.

554

Der vôgèler hát ach dérkent, dás ers als hát vun Párisén wegén; drum gab er im vun dem présent un sprách zu im: »schaf 5 al dein tegèn! dein vrôùnschâft ouf mein herzèn brent; in deinèm dinst bin ich al wegèn, un ach vérhais ich dir, in wénig tagèn wil ich lôût-seligèn6 dich ins künigs agèn.«

1 2 dem Sinne nach wohl 'hellwach, voll interessiert'. Komparativ von mhd. la? 'lässig, lasch'. 3 mhd. lût auch 'deutlich'. 4 ital. '(großer) Falke'. Wie hier, so waren auch in der Wirklichkeit die Sultane große Liebhaber von Jagdfalken und auf diesem Gebiet ganz von Europa abhängig (Heyd 1885-86: 2.442f., Labib 1965: 331). 5 auch 6 hier wohl 'gebiete', vgl. zu 278.4. 'in Gunst, Gnade bringen', häufig in der aj. Bibelübersetzungssprache.

dás noúnt tail 555

Der édèl jung dankét im ser, un brüdérscháft si' zu haf gabèn. nun hát Páris der vrôùnt wol mer, dò er was mit grós kurz-weil habèn. das warèn münch, di' kant wol er, di5 glabétèn an seinèn glabèn. gégèn den münch war sich Páris ènplekèn; denôcht war er sich nit ganz ouf-dekèn.

556

Er ¡Sprách: »ich kam in das land herein, dás ich noch war ain klainès kindèn. den vatèr nòch di' mutèr mein, di' wüst ich nun nit mén zu vindèn. kain ainig wort kan ich latein1 dás tut mir werlich wé' un windèn asódèr nòch der spròch vun jenèr statèn.« óft mól gar grós géschwáz si3 samèn hatèn.

557

Òft rèdétèn si' vun land gar weit; drouf lis Páris mench süfz un hischtèn. óft rèdët màn vun krig un streit. ain mòlt sprách ainèr ón alé listèn: »ich háb géhórt, wi' ir mechdig seit, der pòpst mit menchèn künig kristén. dárum sein mir sich al gár ser vôr-wundèrn, dás si1 der sóldan sò veintlich is plundèrn.

558

Ich sich, wiJ er vun tag zu tag den kristén tut gar grôsèn schadèn, un is ir kainèr, der dò vór-mag des sein zu nemèn nórt ain vadèn 2 .« Páris, der sprách: »ich öuch wol sag, das bad wert mán gar bald ous-badèn3. ich háb géwis gehört an ainèm endèn, wi' mán dárzu wert tun bald un bèhendèn.«

157

1 'romanisch', vgl. Einführung 3.4. 2 hier Konkretisierung der Negation, vgl. Lexer 3 s.v. 'der Sache ein Ende machen' (also etwas anders als im heutigen Dt.), vgl. Wander, Ausbaden Nr. 2.

Paris un Wiene

158 559

»Jò'«, Sprách der münch, »du' waist lecht nit, dáá nöülich her wol nit in langén, dò kam ain man as ain römit 1 ; es is im laidèr nit wol ous-gangèn. der künig halt in an-gèschmit, un hertèklich ligt er gèVangèn zu Alésandèrs2 in ainèr tifèn keichèn, bis dás im ganz di sél mus dórt èntweichèn.

560

As vil as ich nun kan Vórstòn, dò is der mensch jó1 nit zu schendèn, un in seim land trug er di5 kròn; un der Vun Franzèn war in sendèn, dás er sôlt spehèn Vein un schòn di' land gèmain in alèn endèn. asou is es der sóldan géwar gèworèn un lègét in dórt ein mit grósèn zórèn.«

561

Páris, dem war gar schwer der sin; er Sprách: »wüst ir, wi' si1 in hisèn?« ain münch, der sprách: »mich dücht, Dòlfin; ich kan dirs abèr nit gèwisèn3.« der andèr sprách: »er is Vun Win.« dás war im di' wor-hait ganz bèschlisèn. nun nam Páris iz ein ain schrek ain grósèn; er lis den münch un lôf dóhin sein strôsèn.

562

Er ging nun haim un trachtét ser mit ainér vraid, di' in was stechèn, un òft gèdócht er hin un her, wiJ er sein vatèr hát tun Vór-schwechèn. den sprách er widèr: »er is jó5 mein her. sòl ich bös mit bös nun izund rechèn? wolt er mir schoun nit gebèn Wiene, lecht - hilf ich im - do wert ers kene4.«

1 ital. 'Pilger'. 2 'Alexandria'; zur Form vgl. Index geogr. 3 mhd. gewissen 'verbürgen'. 4 'vielleicht - wenn ich ihm helfe - wird er doch noch die Möglichkeit dazu haben'.

dás nöunt tail

1

563

Un as er trachtèt ouf un ab mit seinèm herz ganz drouf gèdihèn, er sich lèsóf ganz gar dèr-gab, er wolt gén Alésándri'e zihén un wolt drouf légèn al sein hab, òb er in künt machèn hin-vlihèn 1 ; sein sin, wiz, kunst wolt er Vór-suchèn. asó ging er di' münch widèr haim-suchèn

564

Un vrògét si5 widèr hèrum, wiJ dò warèn gangèn di' géschichtèn, un wi' un' wen un warum mán es mit gelt nit tet ous-richtèn. ain münch, der sprách: »es kam wol drum ain bótscháft her, di' sach zu schlichtén. si zóhèn den mit schand widèr ir stròsèn.« süst sagétèn si5 ims als in rechtèr mósén.

565

Pàris spràch zu den münchén ain: »mit dem man wolt ich mich gern mündén 2 , un drum dás ich nit kan latein, was wers, wen mir sich nit ^ór-stündén? drum libèr, trôùtèr brudèr mein, helf mir den handèl recht zu griindèn un zieh mit mir zu im un tu3 es gerèn; ich wils nit umésüst Vun dir bégerèn.«

566

Der münch, der sprách: »es is mir lib, wi'-wol ich vürcht, du légst ain blósèn3. denòcht ich dir mein tröü dó gib, dás ich dich nûmèr mer wil lósén.« asódèr di5 hascome 4 blib, si' woltèn zihèn hin ir stròsèn. Páris Sprách: »wárt, dás ich mein vröünd gésegèn5.« abèr er tets Vun gròs bédürfnis wegèn.

159

2 wohl auch hier 'fliegen', vgl. den identischen Reim 9.2, 4, 6. vgl. zu 245.2. ebenso ΒΒ 266.4; DWb bloß 8b: einen bloßen legen 'schimpflich scheitern'. 4 hebr. 'Einwilligung, Abmachung'. s 'segne', vgl. 248.6.

3

Paris un Wiene

160

567

Er ging un seiné vôgèler vand; di5 sòltèn im mit hiilf serwirèn, wi'-wol es in ducht sein ain schand, un das an-haischèn1 war in irèn2. dôch gét dàs sprich-wort3 in tôùtsch land, wi5 unglük, dàs lernt perirèn 4 . un süát habèn gèsagt iinsèrè weisèn, wiJ nòt dô bricht óft di Stain un eisèn5.

568

Asó ging er zu in ain tag un vand si5 al wol grôs un klainèn un bat si5 Vast, as ich öuch sag, un war si5 ouf alè vrôùntschàft màinèn 6 un hàt vòr-an ain grôs géklag un hub vür libscháft an zu wainèn. er sprách: »ich mus mich nun Vun öuch iz schaidèn; gòt wais, dás es mir is im herzèn laidèn.

569

Nun is es nòt, ich mus es tön; gòt wais, dàs ich mich schaid un-gerèn. ouf disèr stròs ich kain kunscháft hón un hab ach nit vil gelt zu zerèn. drum bit ich öuch herzèklich un schön: seit mir Vun dem sóldan bèwerèn ain bri?, der mich nört vreit vun alé môùtèn 7 ; as zöch ich in sein dinst, sòl er lôutèn.«

567.1 bôgèler.

567.6 un'gliik.

569.2 dás] rás.

1 2 4 vgl. zu 526.3. DWb irren 5 'lästig sein'. 3 vgl. BB 231.4. 'gehorchen'(vgl. Glossar II). s Das Sprichwort ist schon seit dem Mittelalter nicht nur in der kurzen Form 'Not bricht Eisen' häufig (Lexer îsen, Wander Noth Nr. 144, jiddisch PB Nr. 45a und Bernstein Nr. 2534), sondern auch belegt mit reimendem Vorsatz 'wie uns sagen die Weisen' (Wander Noth, unter Nr. 160, frühes 14. Jh.). 6 wohl eher zu DWb meinen 5d (trans.) 'sich um jmdn. kümmern' als 'mahnen' (umgekehrte Schreibung im Reim). 7 mhd. mute 'Maut, Zoll'.

161

dás nöünt tail 570

Des zuk dèrschrakèn alé di' Vôgéler; wen si3 hatèn in géwonet. si' sprâchèn : »wolstu lengèr bleibèn hi5, ich tröü, dás dir der künig lònet.« »nain«, Sprich er, »ich mus i u n i, ich vèrhais öuch wol: in seks, echt mònet wil ich sein widèr hi5 oufs alèr-lengèn; den wil ich al mein tag bei öuch Vór-brengèn.«

571

Si' Sprâchèn: »wi/itu jó' dòhin, sô hält dir den brif géwis dein aigèn 1 ; un wolstu vòlgèn iinsèrèn sin, sò kum dich selbst zum künig zaigèn.« asó ging er ain tag mit in; vür dem söldan was er sich naigèn. di' vôgèler tetèn ouf al iré mûndèn un warèn guts un lôb vun Páris kûndèn.

572

Si' lóbètèn in in alé tail vór édèl, vrum in alé dingèn, un wi' er het gémácht den falkón hail, den nimèz kunt zu krôftèn bringèn. »solch löiit«, Sprâchèn si', »vint mán nit vail 2 «, un andèr réd, di' ich nit mág singèn. den sagtèn si vum brif, den er was bëgerèn, un batèn al, er sólt im dás béwerèn.

573

Páris dem künig wol gévil, un war den vogélér ach glabén. er sprách: »mein sun, wer nun dein wil, dás du' ain sóld Vun mir wolst habèn, ich wolt dir gebén asó vil, as ich dó gib mein vôgél-knabèn. bleib hi' bei in«, wás der sòldan sprechèn, »ich wil dir niimèr mer lósèn gébrechèn.«

571.1 wisltu. 1

'so hast du den Brief praktisch schon in der Hand'.

2

'feil, für Geld (zu haben)'.

162

1

'stracks'.

Paris un Wiene 574

Vii dank Páris dem künig bôt mit grôsèr zucht, mit grósèn erèn un Sprách: »künig, der zuk tut nôt; ich bit öuch drum, seit mirs nit werèn. ich hóf zu gòt, gar bald un' drôt wil ich zu öuch wol widèr-kerèn. in seká mônet bin ich hi5 un in minèr; den wil ich al mein tag sein öür dinèr.«

575

Der sôldan, der maints nun gèwis, er sólt es tun un nit Vòr-velèn. sein schreibèr er bald riifèn lis un was im bald den briv béfelèn. er tet im mén, as er selbst his; er sprách : »gè' hin, mach dem gëselèn ain brif, der in durch mein lánd is vrei'én, asó in un sein gèselèn alè drei'èn.

576

Un dás er hót ach schif un" ròs un" herbèrig in alèn endèn, schreib im den brif in sôlchèr mós, as wer ich in in mein dinst sendèn.« den briv schràib er òn untèrlós un gab in Páris in sein hendén un machèt in dàrzu Vun nôù ouf klaidèn. den war er mit gròs dank Vun danèn schaidèn.

577

Páris, dem war hin-weké góch; di' vôgélèr woltèn sich drum henkèn. ain itlichèr ezwás hérôusèr zòch, un warèn es Pàrisèn schenkèn. er ging dôhin, si' schri'èn im nóch: zu kumèn bald, sólt er gédenkèn. er Sprách: »jó'« un lóf dôhin géstreklich1 un vand den münch; der viilet sein seklich.

dás nöünt tail 578

Wi1 bald hatèn si' al ding bésacht1 ! mit kainèrlai' was mán nit sparèn, un saztèn sich in schif 2 di3 selbig nacht un warèn vrei hin-weké Varèn. óft warèn si' al ser bétracht 3 ?ür bosé wetèr, di' dò warèn. si' vurèn nun dôhin, ich sag nit andèrs, bis dás si' mit lib kamèn gén Alésandèrs.

579

Bald un béhend Staig Páris öus un kam zum richtèr Vun der statèn un gab im dórt sein brif hèrôùs, un vil géschwaz si' samèn hatèn. wi' bald gab mán Páris ain höüs un war in mit al ding bèstatèn un sprách: »wolt ir weitèr fàrèn ódèr reitèn, so mach ich schif ódèr di' ròs bèraitèn.«

580

»Nain«, sprách Páris, »ich wil nischt iz; wen ichs bèdarf, só wil ichs sprechèn. di' fart, dás mer un di' grós hiz, di' habèn mich ganz gar tun schwechèn. mit ru' ich nun ain weil dó siz; das wert mir drum mein ràis nit brechèn.« der gèdòcht: »der is köstlich4 werlich!« un hilt in mit al ding gar hóch un erlich.

581

Asó ain ganzè wuch vür-ging; er hát als dórt, was dó war müglich. nun Sprách er selbst: »dás dösig ding, dás mus mán Vürén recht un klüglich.« ir wüst nun al, ön dás ich sing, dás er was scharf un weis un tüglich. nun was er sich asó gar ser dèr-vregèn5, dás er dóch wust, w>u Dólfin was gèlegèn.

578.8 lib kamén] libikamén. 1

163

581.8 wu\ bu.

mhd. besachen 'einrichten, versorgen'. 2 zu Schiffsreisen von Kairo nach Alexandria vgl. Index geogr. s. v. Bovel. 3 vgl. 76.3. 4 'köstlich' als nichtironische Wertung einer ganzen Person fast nur in jüdischem Munde, dort aber im 16. und 17. Jh. ausgesprochen häufig, 'edel, feinsinnig, hochgebildet'. 5 'sich erkundigen', dt. sich erfragen (DWb s. v., selten), noch nj. derfregn sich.

164

Paris un Wiene 582

Er war ouf ainèm palés hóch; dò inèn war gébôut di' keichèn. Páris ging ain môl hinôùfé dôch un was Vür der prisöün hin-âtreichèn. er sach sein herèn durch ain lôch un was sich nischt stelèn der-gleichèn. mit grósèr zucht un ér was er sich bukèn gègèn zwèn gròsè starké mamèlukèn 1 .

583

Di' mamèlukèn warèn zwèn man, di5 hetèn mit libèn mûgèn wxitèn. dôrt het si' gèsent nun der sòldan, dás si' den künig sòltèn hûtèn. er grüsét si', si' sahèn in an un bótèn im ach dank mit gütén. si' hatèn Vun j'en brif ach wol vór-numèn un maintèn, er wer vun künigs wegèn dàhèr kumèn.

584

Páris ging nun zu in mench mòl un' war asódèr mit in schwenkèn2. óft kam er mit den hendèn vói un war in etlich présent schenkèn. er kunt es mit in asó wol mit wört, mit werk, mit rèd, mit wenkèn, dás er ain engé kunschàft was dèrwerbèn, dás si' nóch seinèr géselscÂàft woltén sterbèn.

585

Di' huid, di' spruzet 3 al tag mèn, asó wol hàt er si' kiinèn sè'e4· der mensch, der hát ain sôlchèn hen 5 , dás ich wol halt nòch meinèr de'e un' nimèz geb mirs andèrs zu vôr-stén -, er hat am hals di' ¿est kamé'e6. er hàt ain huid dèrworbèn in wenig tagèn, dás ich es nit vür liigèn als mag sagèn.

583.3 het] hetèn. 584.5 kunt] kunts. nest. 585.7 wénig] wnig.

584.8 gèselschàft]

géseláft.

585.6 best]

1 2 3 siehe Index geogr. DWb schwänken III 'Schwänke treiben, scherzen'. mhd. sprützen 'sprossen'. 4 'säen'. (Hier ausnahmsweise Ajin statt Aleph im Hiat - zugun5 6 sten der auch optischen Sauberkeit des Reims!) hebr. 'Charme'. aram. 'Kamee, Amulett' ; vgl. Glossar I.

dás nôùnt tail

1

586

Dò es Páris nun ducht sein zeit, dó war er ouf den künig vrógèn. mit sôlchèn wiz asó vun weit, dás er si5 al hàt mit bètrôgèn. di3 warèn im nit vór-helèn ain meit1 ; kain ainig wort si' im Viir-lògèn: wi' un wen un Wárum er dinèn kelbèrt 2 wi'-wol dás er es wust as si' selbèrt.

587

Den sprách er: »libèn géselèn mein, sagt, kan er ünsér spròch vun mórèn?« »nain«, spràchèn si', »er kan nórt latein; wen in welsch land is er gèbòrèn.« Páris den sprách gar las un vein: »vür-stünd ich in, trôû'èn gèschworèn, ich törst 3 mench môl zu im kumèn sòlazèn; wen ich háb lust vun j'enèn land zu schwazèn.«

588

Di' lôùt, di' spràchèn: »was is nóch? es sein wol hi' Tiirkèn un haidèn, di' dò vòr-sténèn der walhèn 4 spròch un wurdèn dir al ding bèschaidèn.« Páris wolt sich nit stelèn gòch un was sich asó leslich5 schaidèn un sprách, as er ging gleich ous der türén: »ich wil ain vür-sprech6 mit mir vürén.«

589

Nun Iis er das echt tag an-stèn, dás er sich jó' nit gòch wolt Stelèn. ain tag kam er mit seim münch zu gèn; den hat er vòr-an tun vòr-stelèn. er kam, as er pflag zu kumèn mën, un bat gar fast seinè géselèn, si' sòltèn ain klain lochlèn dòrt ouf-sperèn; er wolt ain weil schwezèn mit j'en herèn.

165

vgl. 54.4. 2 'mit den Ketten rasselt', wohl zu mhd. këlber 'Halsband' (Lexer s. v. këlbe und këlbërc); vgl. insbes. Kämt. Wb. kelpern 'das (mit eisernen Stacheln versehene) Halsband schütteln'. 3 vgl. zu 25.4. 4 mhd. Walhe 'Romane'. 5 etwa 'unauffällig langsam' (zu mhd. lai). 6 'Dolmetscher', häufig in der aj. Bibelübersetzungssprache.

166

1 4

Paris un Wiene 590

Ain knecht, der lóf gar bald dóhin un tet es bald un was sich nit dénèn 1 . Páris der-kant gar bald Dòlfin, un' sein herz bégan sich vaát zu sénén. abèr der künig kant nit in; wen Ϋ0Γ hat er nòch bart nóch grénèn. nôch minèr kam er ni5 in sein gèdankén, weil er mit tólméz2 kam, mit disèn schwánkén 3 .

591

Er làichét si' wol alé baid, as wol den munchèn as den herèn. nun Sprách der münchén: »es is uns laid, dás mán öuch dò hòt tun vòr-sperèn. maint nit, dás der sei Türk nóch haid; er is ain krist, mag ich öuch schwerèn, un' hòt mich bis vun Bovel mit im génumèn, alain dás er zu öuch hôt wolén kumèn.«

592

Dem künig ducht, er het gleich vrid, dás er nórt rèdèt mit den kristèn, un é der münch Vun danèn schid, klagt er ims als un was hert hischtèn. der münch al wort Pàris béschid wen er wust nischt vun disèn listèn un wP un wen un was er sich wás klagèn, bis gleich Pàris di' trehèr kamèn in di' agèn.

593

Páris sprách: »vròg in nun asó, ób er hòt weib, òb er hót kindèr.« der münch, der tets; Dòlfin sprách: »jó', ich hab ain weib, ich öuch nischt hindèr 4 , un nòch mein tôt is kain erb dó; das tut mir übér al ding windèr5. ich hab ain tòchtèr wol, abèr seits glabèn, dás si' ir lebèn lang kain man wolt habèn.«

2 3 'lief nicht langsam'. 'Dolmetsch'. 'innerhalb dieses hier etwa 'Ihr dürft ruhig fragen'. 5 vgl. zu 294.7.

Verkleidungsspiels'.

dás nöünt tail

1

167

594

Nun hat Páris izund génuk, dás er Vun Wiene hat Vòr-numèn. er Sprich: »nun sag, dás er Vór-druk sein laid wert lecht habèn ain drumèn 1 .« Dôlfin, mit dank un tif gèbuk bat er, màn sôlt ôft widèr-kumèn. asó Vór-his er im un schid Vun danèn un ging un vand di' hiitèr, jené zwén manèn,

595

Un sprách asó: »ich hab vun weit un Veré land vii ding Vòr-standèn. es hôt mir gleich mein mut gèVreit2 zu schwazèn Vun jen vremdèn landèn. ich wil ôft Vôr-brengèn mit im zeit, wen mir zu-weilèns wert sein andén 3 , mich dücht, er sei ain man vrum un erlich; drum bit ich öuch, hält in nit asó schwerlich.«

596

Wi'-wol der sóldan béVól al ding, si5 sóltèn in mit márter stròfén, dòch dem zu lib, dó ich Vun sing, lisèn si' iz ain tûrlèn ôfèn, un mit menchérlai lisén si' in géring; dás machét in ain wénig hòfèn. bis ouf jen tag wàs ni' kán man mèn ermèr; nun war er izund jó1 um ain pelz wermèr 4 .

597

Nun ging Páris zu im mench môlt. di' gèselèn warén es als gèstatèn, wen si' hatèn in im herzèn hólt; dás er nórt kam, si' in schir batèn. ach wust er, wi' ers vügén sôlt, dás si' zu mòl kain zweiVèl hatèn. nümér mèn wer in kumèn in ir sinèn, dás er hát gèdócht zu machèn den èntrinèn.

mhd. drum 'Ende'. 2 mhd. vríen 'frei machen'. 3 vgl. zu 389.7. gegenteiliges 'einen Pelz kälter' (Wander, Pelz Nr. 54).

4

vgl. immerhin

Paris un Wiene

168

598

Wol hat Páris kain andèrn sin un dòcht, di' zeit het tun gèraichèn, un Sprich zum münch: »ich dèrwegèn bin zu helfén dem ous disèr keichèn. du' waist, er is künig Vun Win; sòl ünsér herz nun nit dérwáichén, dás er sòl ligèn dò untèr den hündén? un helfèn mir im nit, só sein mir sündén.«

599

Der münch widèr zu Páris sprách: »wi'-wol ich sich di' grós sacone1, denócht, was du' wilst, dás wil ich ach, wen nórt zu bòk 2 is mein cawone3.« »nain«, sprách Páris, »ich wil di' sach wol vürén recht un wil üns schöne.« un sagèt im, wi' er es wolt an-grôùfèn; der münch, der tanzèt, as er was poúfén 4 .

600

Nun sprách Páris: »mòrgèn zu nacht! ich wil es nit lengèr vòr-nichtèn5. nórt mòrgèn vrü' sò sich un acht, dás mir mit im rédèn un tichtèn, dás er sei ach bérait un wacht; den wil ich wol di' sach ous-richtèn. nun tunèn mir ain schlòf«, si' zu haf sprachén, »dás mir di' andèr nacht bas kûnèn wachèn.«

601

Mich mant gleich iz der dösig schwank dás si' vun schlôfèn tunèn sagèn -, dás mir ûbèr disèn gésank ain schwindèl kumt vür meinè agèn. ich hab es jô' géhâltèn lank; ir künt jò' nit ûbèr mich klagèn. löst mich strekèn ach, as si' iz tûnèn. den wil ich sagèn mèn - wer ich nòrt kûnèn. Das nöünt gèsezt wil ich losèn bleibèn, fun zehètèn tail wil ich nun schreibèn.

1 2 hebr. 'Gefahr'. vgl. 131.2. 3 hebr. 'Hingabe'. 4 Die Redensart vom Tanzen nach jemandes Pfeife' ist aus Äsop 27 bzw. Herodot 1.141, freilich unter Mithilfe von Matth 11.17, gemeineuropäisch geworden (Büchmann 476). Zum Konsonantenstand vgl. ital. ( < dt.) piffero 'Pfeifer'. 5 'für nichts achten' (DWb); 'aufschieben'.

Der gôt, der mich meins laid hôt dèrgezt, der hilf mir ous-zu-machèn dás tail dás lezt. 602

Ô legèn dó ain haufén sküd 1 un dás mir al di' hend drein tetén! kain kind, kain jüdin nòch jüd wurd sich zu nemèn drübér setèn2. iz sein mir al géworén müd vun disèn buch, wil ich wol wetèn: ir müd zu hôrèn zu in disèn rai'èn, un ich bin müd un sat öuch vür-zu-lai'én.

603

Mir is ins hirèn kumèn schón3, sôlt ich nöürt vür schandèn tôrén 4 , dás dôch izund dò ous-zu-lòn5 uns übérig als6 zu vür-storén7. ich tar nun nit; was sòl ich tòn? ir müst mir noch ain weil zu-hôrèn. ich sich mein löiit vòr-sprait in alèn ekèn; mich dücht, ich tu5 sünd, lös ich si' stekèn.

604

Ich sich Dòlfin in grósèr nòt un sich Páris vür sòrgén keichèn 8 un sich di5 künigin schir tòt vür grósèn laid un sich des-gleichèn di' müJ, di' angst, di' Ôdôardô hôt mit j'enèn vrawèn in der keichèn; ich sich si in ain stánd oufs alèr-bôstèn nun wil ich ain un ain sehèn zu trôstén.

1 ital. scudi 'Goldtaler'. Zum mutmaßlichen Verhältnis der Stanze 602 zu Boiardo III-8, Stanzen 1-2, sowie zum Begriff scudi und seiner Relevanz für die Datierung von 2 3 PuW vgl. Einführung 6.3.7. 'sich sättigen, (etwas zu tun) müde werden'. zu 4 5 603.1-605.2 vgl. Einführung 6.3.9.2. vgl. zu 25.4. 'das Buch hier abzuschließen'; 6 vgl. zu 373.7. 'und das übrige alles'. 7 noch nj. farstern 'zerstören, aufheben'. 8 mhd. ktchen 'keuchen'.

170

Paris un Wiene 605

Ich wil in helfèn ain un ain, wolt ir mir hôrén zu Vór-vlisèn1. nöürt das tail sing ich alain; dár-mit wil ich mein buch zu-schliáén. dó ich bégan dàs buch, dò span ich klain 2 ; iz bègint es mich ach zu Vór-drisèn. drum wil ichs kürzén ach un' wil mich eilèn; ich bit öuch drum, hört zu ain klain weilèn!

606

Ich wais noch wol, vi>u ich Vór blib ; di' sach lös ich nit mer dèr-kaltèn. alain ain röt ich öuch Vòr gib, schreibt in oufs herz, seit in béhaltèn: tut idérmán, was im is lib, arum un" reich un jung un altèn. wen mán Spricht: di berg sein sich nûmèr règèn, abèr di' loùt kumèn sich ôft èntgégèn3.

607

Tut nümér, was dem menschèn schat, nóch mit den werk, noch mit den mundèn, wen ir schoun macht un reichtung 4 hát un er mit armut is ûbèr-wundèn 5 . es is kain sach, di1 nit hot ain stat, un kain mensch, der nit höt ain stundèn 6 . lôt öuch an armé un an ain kindlén ligèn 7 ; wen öft dèrstikt ain ris an ainèr vligèn8.

606.1 wu] bu. 1 'eifrig'. 1 DWb klein II lc: 'einen dünnen Faden spinnen' (also 'den Rohstoff nur 3 langsam verarbeiten'). Sprichwort, s. Einführung 6.3.5.5 Anm. 38. 4 'Reichtum' 5 (mehrfach so in der aj. Bibelübersetzungssprache). 'vor Armut daniederliegt'. 6 607.5f. wohl expandiert aus Eccl 3.1 bzw. 8.6. 7 etwa 'am Herzen liegen', vgl. DWb liegen II 11.f. 8 zum Verhältnis von 606.5-607.8 zu Ariost 23.1.1-8 vgl. Einführung 6.3.5.5; zum Sprichwort in 607.8 vgl. ibd. Anm. 39.

dás zehént tail

1

608

Ich sag öuch wol: es is nit recht, dás mán sòl bös mit bös vór-geltèn. Páris tets nit, as ir nun secht; mán vind abèr seins gleichèn seltèn. un er tets ach um ezwás lecht, un wol war es im ezwás geltèn. abèr Dòlfin het nit gèmaint in sume1, dás er Páris zu tail sólt nümér kume 2 .

609

Iz kam er im zu tail vòr-wor, un wi' un wen, hot ir vór-standèn. ich wais, dás ich öuch lis, noch ΫόΓ dás si5 sich ouf dem bet um-wandèn. si5 schlifèn, bis der tag schàin klòr; iz sein si' widèr ouf-gèstandèn. uns erst, dás dó tetèn di3 gutèn géselèn: si5 wàrèn ain gutes schif mit lôùt béstelèn.

610

Dás schif, dás war gedingt mit sin, dás es sölt sein bérait vór-bórgèn. den gingèn si' zu dem Dólfin un bòtèn im ain gutèn mórgèn. der münch hub an un trôstèt in un spràch: »seit vrölich nun un nit mén sôrgèn! mein gèsel, der is dèrwegèn un' gédihèn, er wil öuch heint ous disèn turèn zihèn.«

611

Dólfin, der sprách: »wi' stét es drouf, dás ir mein laid wolt heint dèrweitèrn? wi' wolt ir kumèn dò hèrouf, wolt ir mit sail, wolt ir mit laitérn? drum libé briidèr, merkt wol ouf, dás ir nit druntèr gingt zu scheitèrn! é wolt ich dó vòr-brengèn al mein tegèn, è dás ir het ain laid vun meinén wegèn.«

'ganz und gar nicht' (s. Glossar II).

2

171

'daß er je Paris in die Hände fallen könnte'.

172

Paris un Wien? 612

»Nain«, ¡Sprách der mxinch, »dem màn gebt dank un' seit öuch disèr sach nit wündérn! den mamélukèn wil er tun ain schwank, dás er den turén nit darf plündérn. er wil in gebèn ain schlóf-trank, un é si5 sich werèn dèrmûndèrn 1 , wolèn mir ouf-tun dás schlós Vun disèn turèn un wolèn mit ain schif hin-weké schnurèn.«

613

Di' sèmu'e ging dem künig ein; vür vraid, vür angst wár er gleich schwizèn. er sprách: »ó libé briidèr mein, ^ürt ous di' sach mit sin un wizèn! brengt ir mich in mein land hinein, dás ich ouf meinèm stul kan sizèn, di mü5, di sórg, di várt sòl öuch nit tôù'èrn 2 , ir sòlt es nit gétòn habèn ainèm pôû'èrn.

614

Dir wil ich asó vil gutès tun, asó vil, as dir wert selbst sein ebèn. un dein gésel sòl sein mein sun; mein hab un al mein lánd wil ich im gebèn. nöürt den stul3 wil ich habén dárvun asó lang, as ich noch hab zu lebèn. un di zeit, wen ich wer sterbèn, dó sòl er land un löüt un stul ach erbèn.«

615

Si1 schidèn sich, in gévil der klang, itlichèr was ezwás Vür sich nemèn. der münch suchét veieln un zwang4, des künigs eisén ouf-zu-klemèn. Páris zu sein géselèn drang un was j'en môrgèn mit in schlemèn, un mit ain \Vòrt war er zu in sprechèn: »trôù'èn 5 , mir sòltèn heint mit anàndèr zechèn.«

613.3 ó] as. 1 2 5

mhd. ermundern 'aufwecken, ermuntern' ( + Umlaut, wie noch in nj. mintem). 3 4 'dauern, leid tun'. zu 614.4-5 vgl. Gn 41.40. vgl. zu 177.4 und 483.6. 'traun, wahrlich!' (Interj.).

dás zehènt tail 616

»An üns sòl es nun nit gén ab1«, spràchèn di' gutèn mamélukèn. Páris, der spràch: »bei bók, ich hab ach gutè bislich ein-zu-schlukèn.« er schid vun in mit irèn dèrlab un sprách : »ich kum zu öuch gut trukèn 2 .« asó ging er un" machét stab3 ous vVurzèln ; dás sòlt si' al Vür schlóf machèn purzèln.

617

Un dò es war asòdèr spot, dò ging Páris zu seiné giinèr. di' hatén dórt alé génót 4 ; si' warèn wol vrei'èn vór-tünér 5 . Páris brôcht ach brezèn 6 un bròt un' tôùbén, wachtélén un' hiinér un gutèn starkèn wein in zwèn der kriigèn, dò vünf, seks mensch an aim hetèn génûgèn.

618

Es wurd nun nacht un' war schir drei, dás dò sasèn nòch am tisch di' gutèn schlemèr. un' menklétèn 7 nòrt vür sich vrei hünér, kapöün un' kiz un' lemèr mit ain géjichz 8 , mit ain géschrei, mit ain gèklôpf, mit ain gètemèr. un al ir mainstèwerk un' ir gèhandèl, dás ging lèsòf als ous iibèr der kandèl9.

619

Dò inèn warèn gutè wein, di' warèn wol vór-wor kòpf-brechèr. Páris, der wurf sein pulvèr drein un' brôcht ins 10 zu mit ganzè bechèr. di' wartètèn es als: »schaut nöurt hinein 11 , as vrei'è löüt, as gutè zechèr!« er machét das krôùslèn 12 gèn as ôft hèrumèr, dás in wurd hais ôn vôùer un' ôn sumèr.

173

619.4 gazné. 1 2 3 4 vgl. zu 464.2. 'durstig'. 'Staub, Pulver'. mhd. nähen 'sich nähern, kom6 men'. 5 DWb Verthuer, Verthuner 'Verschwender'. mhd. prêze 'Bretzel'. 7 vgl. 8 9 335.7. wohl zu DWb Gejuchz ( + Umlaut). mhd. kannel, kandel 'Kanne'. 10 'ihnen es'. 11 seil, 'tief ins Glas'. 1 2 mhd. kriuselin 'Krüglein'.

174

Paris un Wiene 620

Ich wais òt1 nit, wi' Pàris tet, di' géselèn wurdèn al wol trunkèn. der war gètfalèn ouf ain bret, der war untèr den tisch gésunkèn. Páris, den ducht, es wer nun spet; si' schlifèn al nóch seinèm dunkèn. drum gingèn si' zum kiinig, as si' wàrèn flegèn, un werèn si' èntwàcht, het nischt an-gèlegèn.

621

Un durch den münch er zu im sprách: »ich hôf, ir sólt nôch heint sein lédig. den hôf ich öuch zu brengèn ach in öür land ón schad, ón schédig. Vun öuch wil ich bégerèn ain sach, dò sòlt ir mir um sein génèdig un sólt mir izundèr ain aid dò schwerèn, dás ir mir mit der zeit werts béwerèn.«

622

Der künig sprách: »dò schwer ich gleich bei meinèr sèi un leib un lebèn: hilfstu mir heint ous disèr keich, só hais un schaf, was dir is ebèn, un bisgèn halb mein künigreich 2 , un wolstus ganz, só wil ichs gebèn.« Páris warèn di' réd nun wol gèvelèn, un lóf widèr zu sein nit-mèn-gèselèn.

623

Di' lagèn dòrtèn in der wesch, der hat gékòzt, der hát sich tun bésaichèn3. er kam ir aim iibèr di' tesch un' nam im di' schliisè/ vun der keichèn un gab si' seinèm münchén resch un sprách: »schlis ouf vein sôubèr-leichèn 4 un seg dem künig ab al seinè eisèn un sich un gè' mit um, la« zum 5 un leisèn!

623.4 schliìsèn. 1 3

623.8 lanzum]

Inazum.

mhd. ehi, ot u. ä., Hervorhebungspartikel 'nun, nur' u. ä. 2 vgl. Esther 5.3, 5.6, 7.2. mhd. beseichen 'mit Urin besudeln'. 4 'säuberlich' (Adv.). s vgl. zu 210.8.

dás zehént tail 624

Ich wil dò stèn mit meinèm schwert un wil dèrweil di' sèmire 1 machèn. du' siehst, si' schlófèn al wol hert; ich hált nit, dás si' werèn éntwachèn. kumt nun, das ainèr ouf-stén wert, dò sòl ersén 2 jò3 nit dèrlachèn. èntwacht j'enèr, dem ich nam di1 schlüsél, dó hak ich im den köpf mit dem driisèl3.«

625

Der münch, der ging un angstét nóch un was wi3 lang um dàs schlós grütéln 4 . der tròpi kunt nit vindèn dàs lòch, asò war ims herz un" di3 hend schiitèln. lèsóf kam er hinein dóch; nóch vòrcht Dòlfin, es werèn bütéln. un dó er den münchén was anplikèn, merkt, ób im sein herz was dèrkwikèn!

626

Er tet im Vei/¿n5 di3 eisèn ab un war in den hinôùsé vürén. Páris in alèn ain herz gab, un vluks hinôùsé zu der tiirèn! di36 warèn lam, di3 warèn tab, di3 warèn ni3 ain hôrlèn riirèn. ich lòs si3 schlófèn dórt ouf j'enèr erdèn, bis dàs si3 zu gòts wil ganz bar-mizve7 werdèn.

627

Ich sag öueh wol, der 8 kainèr schlif ; in war wol alèn gòch zu vlihèn. si3 drangèn hin wol zu dem schif, nórt ouf dàs schif warèn si3 gèdihèn. ain itlichèr den künig bègrif, si3 hatèn in mü3 hèr-nóch zu zihèn. er war èntwònt zu gén un wàr tòrkéln, bis das si in in dàs schif dóch wàrèn fôrkêln 9 .

175

626.1 veilért] vein V, feilèn P. 1 hebr. 'Wache'. 2 'er sein(er)'. 3 mhd. drü}?e¡ 'Kehle'. 4 'herumhantieren' (vgl. 5 6 7 DWb Gruttel). vgl. 615.3. 'jene anderen'. hebr. 'voll verantwortlicher Mann'. 8 Von diesen wiederum'. 9 '(wie) mit der Forke schieben'; derselbe auffällige Reim schon BB 602.7 f.

176

Paris un Wiene 628

Dó Stòs Vun land, dó knipf, dó bind1 ! dò was der segél ouf-gézòhèn, u n g$t, der schikét in ain gutèn wind hérab Vun seinèn himel hòhèn. si' vurén ót dòhin géschwind, si' Vurèn nit, ich halt, si' vlóhèn 2 , gleich as ous ainèr biiksèn vlicht ain kugèl; asó géschwind sach ich ni' varèn hi' zu Mugél 3 .

629

Si' kamèn lèsóf bisgèn Barut 4 , u n guté Speis si' dôrtèn namèn. als ging in recht nòch irèn mut; do lóbétèn gót wol alé samèn. nun weitèr hin di' degèn gut, bis si' in Zipèrn 5 ach kamèn. dòrt warèn si' bésacht mit alé werkèn; wen es was mit seim land èbèn gémerkèn 6 .

630

Dórt nam er gelt menchè gébund 7 u n speis un schif Vu η seinèn landèn. abèr Páris, der war der grund vu η al der vraid, di' er hàt vòr-handèn, un dás er nit sein sprôch vèrstund, dás tet dem künig wé' un andén, un was sich halbèrt òft dàrum bétrübén, dás er sein huid nit mit im kunt iibèn.

631

Si' zóhèn abèr weitèr hin, ain weil zu schif, ain weil zu pferdèn. ich mag nit schreibèn mer vun in, Vun disèr vart, vun den gèverdèn. si' kamèn ôt mit lib gên Win, di' degèn gut, der künig werdèn. sein weib, di' wurds géwar un al gëmainèn; idèrmân lôf, wer nöüert hat zwai bàinèn.

628.2 ouf-gózóhén.

631.4 géberdén.

1 Imperativfolge; vgl. 452.3. 2 'flogen'; vgl. 9.2. 3 wahrscheinlich 'Muggia' südlich von Triest (vgl. Index geogr.). 4 'Beirut' (vgl. Index geogr., auch allgemein zur Rück5 6 fahrt-Route). 'Zypern' (vgl. Index geogr.). 'grenzen an' (zur Sache vgl. Index 7 geogr. s.v. Zipém). mhd. gebunt 'Bündel'; hier 'Beutel'.

dás zehént tail 632

Asó ain géschüs, asó ain géklang mit grôsèn büksén un mit glòkèn! mán hört nôûrt tif-tôf, ging-gang; wers nit het géwist, wer dèrschròkèn. vun klain un' grós war vil gédrang bisgèn di' vrawèn mit iré ròkèn. idérmán was den gutén künig énpfángén, idérmán wolt bisgèn haim mit im sein gangèn.

633

Dèr ganz land hát gar grósé vraid, dás dò war dèr-lôst der künig zartèn. mán wust es als nun al béraid durch Franzèn ganz bis in Lampártén 1 . ach warèsèn2 vró' di' èdèlèn maid, di' in der keich lagèn zu wartèn. sint si5 der vatèr hát hinein tun schédigèn, hat si5 di' mutèr ni1 wolèn ab-lédigèn3.

634

Dò mán nun hát in seinèm hóv mench tag vòr-bròcht mit vraid un schalèn, dó ruft mán bürgér, ritèr, gròv ins küni^s namèn ouf ain salèn.

177

u n Vun der alef bis an di5 thóV 4

dèrzélt der künig Vür si5 alèn, sint jen tag, dó er wàr só hert gèvangèn, un wi' es im was vór un nóch als gangén. 635

633.4 ganz] gazn. 1 3 4

Er Sprách: »ir libé édélé löüt, secht an den dòsigèn man sò bidèr.« un ouf Páris hát er gétoút un sprách: »der brócht mich zu öuch widèr. un wer er nit, ir secht mich höüt nit stèn bei öuch ouf meinèn glidèr. het mir der dósig mán sein hülf nit gebèn, só werèn mein glidèr vöül, mein leib, mein lebèn.

634.4 künigs]

kiinii.

'Lombardei' (oder noch: 'Italien'?); vgl. Index geogr. 2 'waren darüber', vgl. zu 44.4. zum Stilwert dieses und ähnlicher daktylischer Reime vgl. Einführung 4.2.3. hebr. 'von A bis Z'; s. Glossar I.

178

Paris un Wiene 636

Drum dücht es mich ach bilich sein, dás ich sòl solch ding Vòr-geltèn. drum bit ich öuch alèn gémain, un mein gébet sòl das môl geltèn: wen ich wer strekèn mein gébain, dás ich Vür-schaidén wer Vun disèr weltèn, sô sôlt ir disèn man ouf-nemèn gerèn Vür ôùrèn künig un" ôbérStèn herèn.«

637

Di' gròvèn al un der ganz rôt, di' dò stundèn dòrt um im un nebèn, di' Spràchèn al un schri'èn drót: »iinsèr her der künig, der sòl lebèn! un iibèr hundèrt jor 1 , wen ir seit tòt, an öür stat is er üns ebèn.« asó warèn si5 Pàris halsèn un küsén. der münch bèschid ims un" lis ins wüsén.

638

Er hát wol selbst vòr-standèn al ding un was gar vrölich in sein mutèn. dò er nun sach, dàs es im ging, dò sprách er zu seim münch den gutén: »iz is nun zeit, dás ich nòch-dring; drum sei dem künig mit zucht an-mutèn 2 , dás er mir gib sein tòchtèr zu ainèm weibèn, di' er mit zórèn in di' keich was treibèn,

639

Un dás er ir al-ding Vòr-gib, was si' hot tun vür im vòr-velèn.« der münch nun nit lengèr dò blib; vür dem künig kniet er gar schnelèn un sprách: »künig, wer es öuch lib, ain bet wolt ich iz tun vür mein gèselèn.« »sag«, sprách der Dòlfin, »was er het gerèn; is es nòrt müglich, só sòl es im als werèn.«

1 'über hundert Jahr' ist eine »Redewendung, die eingefügt wird, wenn vom Sterben oder Tod die Rede ist«, Weinberg 1994: 273, vgl. ibd. 39 zu ad mëio/mëie (we'essrim) 2 schono/-ne. nj. onmutn 'nahelegen, bitten', vgl. speziell GWb.

dás zehènt tail

1

179

640

Der münch, der sprách nun: »sein béger is, das - wen es öuch nórt is ebèn dás ir ôùr tôchtèr, di3 dò ligt schwer, al schuld un mistót sólt vór-gebèn un mit al zucht un alè er im si' zu ainèm weib sólt gebèn, dáá si5 sei di5 kiinigin un sein weib éléch, weil er vun disèm land sòl sein der melech1.«

641

Der künig was der rèd gar vró3 un warèn im dás herz zu-spaltèn. er wust wol, was dó war im stró'2 un dás sein mecht dò wenig galtèn. er sprách: »ich hab im vòr-haisèn jó 3 ; was ich vórmág, dás wil ich haltèn. ich wil ir wol vór-tragèn 3 alè schuldèn un wil si' widèr nemèn in mein huldèn.

642

Un ach is mein wilèn dármit wolt gót, dás es wer schoun géschehèn! dás si5 nórt wil; ich nöt si3 nit, di' sach háb ich dòch ΫΟΓ tun j'ehèn. wol wil ich machén, dás mán si3 bit; was ich wer tun, dás sólt ir sehèn.« asó war mán nòch irèm pischôf ènpitèn, dás er sólt gèn un sólt si3 iibér-bitèn4.

643

Der künig zu Párisén sprách, er sólt mit dem pischóf ach streichèn. asó ging er un der münch ach; wi3 bald wurd ouf-gèspert di keichèn. Páris der-brant, dò er si3 sach, un wolt sich nischt stelèn dérgleichèn. asó hub ir an der pischóf Vür-zu-prédigén ; er Sprách: »Wiene, höiit wil ich dich lèdigèn.

2 hebr. 'König'. etwa 'was bevorstand, was da drohte'. 4 'erlassen'. vgl. zu 468.8.

3

DWb vertragen II 6

Paris un Wiene

180

1

644

Un du5 sòlst sein gèlibt asó, as du5 ni5 warst, un bas géhaltèn. nòrt disèn mensch, den du' siehst dó, nim zu ain man un lös gòt waltèn, tu5 es Vór-wor un sag bald jò'! ach darfstu dichs kain schand nit haltèn: der dösig is, der do hulf deinèm vatèr ous menchè herté Stain un eng gègatér.

645

Der hót im gèhólfèn ous alé pein un her-gèbròcht vun tòt zum lebèn. drum hót im ach der vatèr dein dás künigreich nòch seim tòt gebèn.« Wiene hört in zu gar vein der réd gar vil un mèn dàrnebèn. den sprách si5: »libé löüt, ich wil nit truzèn; solch ding kan mán nit tun ouf ainèm stuzèn1.

646

Mán blòsts nit in ain vedèr-kil2; mán gibt dóch zil, wem mán wil henkèn! drei tag wil ich ach habèn zil un wil mich ébèn drouf bèdenkèn. ain entwèrt ich öueh den sagèn wil; iz hört nit mén noch wort nòch wenkèn.« asò gingèn si Dólfin di5 entwèrt sagèn un baitètèn, bis dò vòr-gingèn di' drei tagèn.

647

Was war dèr-weil Wiene tun, dás si5 den ach wolt tun vór-schikèn 3 ? si5 tòtét abèr ain grós hun un tet dármit, was si5 hát schikèn4. dò der drit tag was kumèn nun, Páris dèrwàrtèt kôùm si' widèr zu blikèn. asòdèr gingèn si' al drei dar widèr un vrògtèn si, wi' si sich hat bédòcht dèrsidèr.

DWb Stutz2 4b: auf einen stutz 'plötzlich, sogleich'. 2 'man kann das nicht durch Überrumplung erzwingen wollen'; vgl. DWb Federkengel, -kingel (= -kiel): zwei Belege für 'durch einen Federkiel blasen' als Zwangsanwendung einer Augenmedizin; ferner Wander, Blasen Nr. 32: Man kann es nicht blasen 'man muß Zeit dazu haben'. 3 mhd. verschicken 'fortschicken'; vgl. nj. farschikn 'verbannen'. 4 'was sie für nötig hielt' (DWb schicken lc).

dás zehènt tail 648

Un der pischóf hub ach widèr an mit sein gèschwaz, mit sein gèberdèn un rümét ir gar ser den man, wi' er wer édél, vrum un werdèn. Wiene ¡Sprách: »ich ims nit gan nòch kainèm mensch ouf disèr erdèn, dás er mich nemèn sólt zu ainèm weibèn, weil ich solch krankait hón ouf meinèm leibèn.

649

Ich habs nit wolèn sagèn lank; dôch mus ich selbst mein schand ouf-dekèn: ich bin laidèr ganz vôùl un krank; dás möcht ir wol ach selbèrt schmekèn.« Páris, der wust nun vòr den schwank; er gèdôcht: »das sòl mich nit dèrschrekèn!« un' sprách zum miinch : »ság ir in sôlchèr mòsèn, ich wil si3 vun der krankait wegèn nit lòsèn.«

650

Wiene hórts un gleich dèrschrak, dás ir dás dòsig nit war vòrsich gangèn 1 . si5 wolt ous-viirèn den anschlak un sprách: »ir müst nun habèn an-géhangèn ódèr bisám2 ódèr andèr gut géschmak 3 , der öuch dás gèstenk nit löst ènpfàngèn. un seit ir ain édèl man un ain zartèr, dó sólt ir mir jó' nit mén merèn mártér.

651

Ir secht di5 krankait, di' ich hab, di' mir is höüt un hör vór-zerèn, un wi/ ich nun bédürft ain lab, dò seit ir mir das márter merèn! nun wil ichs leidèn bis ins grab; löst mich nórt sten, ich leids als gerèn. ich háb gèlòbt zu gòt asó zu lebèn; dárum kan ich kain andèr entwèrt gebèn.

181

651.3 wu] was. 1 3

'nicht gelungen war' (DWb). 'Geruch'.

2

hier 'Moschus, der Duftstoff der Bisamratte'.

Paris un Wiene

182

652

Un seit ir édèl, as ir seit1, so mutét 2 nit, dás ichs sòl brechèn. dèrbarmèt öuch übér mein laid, dáá mich al zeit is brenèn un stechèn.« der réd gar vil rèdèt di' maid, un der gut miinch wár ir Vür-Sprechén3. Páris Sprách zu dem míinch: »ság ir asódèr, wen si schoun nit het vlaisch noch bàin nòch ódèr,

653

Noch denòchtèr bin ich ir günst 4 un bin ir hôltèr as mein leibèn un háb mein tag vèrsucht vil künst un' vil handéls drouf tun treibèn un háb mir ni' andèrs géwünscht as si' zu habèn zu ain weibèn wi'-wol dás ich möcht schwerèn un jehèn, ich hab si3 al mein tag ni5 mèn gésehèn.«

654

Erst blib Wiene ganz dèrtót; si' dócht, er het irs herz zu-schnitèn, un hub di' agèn ouf un sprách: »her gòt, gib mir géduld un hilf mir nóch deim sitèn.« un zu dem münchén sprách si5 drót: »ich bit öuch drum, seit in ach bitèn: is, das er édél is un ous-dérkórén, dás er mich durch gòt lös un-vór-worèn.

655

Wol wen ich tousènt lebèn het, dò sein si' im untèr-tòn in disèr weltèn. di' tröü, di' er meinèm vatèr tet, di' is sò grós, mán fint si' seltèn. drum is Vür gòt stez mein gébet, das er ims zal un sòl vór-geltèn. abèr mit dem sòl er mich nit mèn wé'e, dás ich sein weib sòl sein, dás is kain de'e.

652.8 noch] nun. 1

654.8 durch]

edurch.

ital. Vorlage: 'und da Ihr edel seid, wie ich glaube, daß Ihr edel seid ...'. 2 mhd. 3 4 muoten 'verlangen'. 'dolmetschen'. 'günstig, wohlgesonnen'; zu DWb gunst (Adj.), mit zusätzlichem Umlaut.

183

dás zehènt tail 656

Es kan Vür-wor iz nit drouf Stén; drum lös er mich nòrt un-Vór-worèn! un sòl ich im ach sagèn mèn, ich hab mich dôhèrein Vòr-schworèn. un wolt ir es nun ganz Vür-stén, só löst es öuch nun nit tun zórèn: ich wil leidèn das bös un noch vil bôsèr, bis dás mir gòt wert schikan mein dèrlôsèr.

657

Ouf ainèn menschèn ich itez bàit, dem hab ichs herz un di3 tröu gebèn. mein leib, der sòl im sein bérait, as lang as dinèn stekt das lebèn. vun im hòf ich zu sein dèr-Vràit, wen es wert gòt ain mólt sein ebèn. un kumtèr nit, háb ich dèrwegèn vór lengèn, in disèr keich mein lebèn zu vòr-brengèn.«

658

Páris ging abèr-ains 1 sein stròs. dò er si' sach asò dèrwegèn, dás wasèr im schir vun agèn vlòs, wi'-wol er hilt sich ouf al wegèn. er sach di' tröu un mártér grós, di' si' al hat Vun seinèn wegèn. nun wolt er sich jens mòl ach nit ènplekèn, wi'-wol si' im im herz was dinèn stekèn,

659

Un" ging widèr zu dem Dólfin un sagèt im al di' géschichtèn, un wi' un was un dás mán nin kain ding mit ir het kiinèn ous-richtèn. der künig nam ims vast zu sin un wust nit, was er im sòlt tichtèn 2 . er sprách: »sòl nun dás dòsig werèn iimèrn 3 ?« un was sich dòhèrouf gar vast bèkûmèrn.

658.7 jenÉ] j'ns. 1

'abermals' (DWb s. ν. eins 2).

2

vgl. zu 426.4.

3

'immer, endlos'.

184

Paris un Wiene 660

Nun war géblibèn Wiene alain. al irò glidér in Vouer branèn, un an irèn Páris, der ráin, hàt mán si' izund tun dèrmanèn, dáá si' hub an ain solch géwain, dás gleich di' trehèrn Vun ir ranèn. un zu den himèl hub si' ouf ir agèn un war abèr in disér mósèn sagèn.

661

Vil süfz un handèls si' vór-trib; den §prách si' mit ain schrài ain grósèn: »ò Páris, Páris, mein herz-lib, wé' mir, dás du' mich asó warst lósèn! wé' mir, dás ich ni' 1 òn dich blib! WM st ich doch, vvu du werst in wás mósèn! mein agèn un mein mund künén nit zaigén, was mich im herzèn drukt un' is váigén2.

662

Mein martèr wer mir al gèring, wen ich dich ain mòl sech un kiint grüsén, wen ich dóch wüst, wi' es dir ging, òdèr dás du' vun mir sólst wüsén, wi' ich dò lig, wi' ich zu-spring, wi' ich vun deinèn wegèn bin biisèn! un bricht mein herz, wen ich bin gèdenkèn dein anplik un dein édèl Wort un wenkèn 3 .

663

Ach her vun al der weltèn grund, sei dein gènòd nun nit vór-storèn4 un mein Páris halt vrisch un gèsund. un sólt ich noch mén haischèn tôrén 5 , sò eil6, her gót, ain mól di' stund, dás ich sòl ezwás vun im hôrèn. dás ich in ain mól sich, lös mich dèrwerbèn; dárnóch wil ich vun herzèn gerèn sterbèn.«

661.6 wüst] w'iusí. 1 4

wu] bu.

pleonastisch zu 'wehe' bzw. 'ohne'. vgl. zu 603.4. 5 'erbitten dürfen'.

2 6

vgl. zu 517.4. 3 'Bewegungen, Gebärden'. zur transitiven Konstruktion vgl. 64.7.

dás zehènt tail 664

Di' klag, di' war gar lang un" schwer, un Isábele war ach klagèn. si' rechètèn, wi' lang es wer, dás si' in jenèr keichèn lagèn. si' klagétén un süfzétén gar ser, »mir hetèn lengst Vòr-kert di' gagèn1, het üns Òdàrdò nit tun as láng dèrnerèn; denóchtèr kan ûnsèr lebèn nit lang werèn.«

665

Der réd warèn gar vil géret dás ich si' al dò schreib, sólt ir nit màinèn. wen si' ain hunt vòr-numèn het, der het mit in wol miisèn wàinèn. dóch trostètèn si' sich widèr stet2, di' libèn löüt, di' vrawèn ràinèn, un hófétèn zu gót mit ganzèn herzèn, er wurd in helfén ous den laid un schmerzèn.

666

Asò stunds an abér echt tag; Páris kunt sich nit mén vór-helèn. Wiene im in herzèn lag; ach war im and um sein géselèn, dás er si' sach mit seinèm ag, un tòrst sich nischt dèrgleichèn stelèn. do sprách er: »es is ous! sòlt mán mich brenèn, só wil ich mich zu Wiene gebèn zu dèrkenèn.«

667

Asó lis ers nit an-stèn mén; vun dem Dôlfin nam er dèrlabén. er sprách: »nòrt das mòl löst mich gén; den pischóf wil ich ach mit habèn. un wil si' es den nit vür-sten, so wil ich den mein unglük glabèn.« der künig sprách: »gét! dás gôt mus sendèn, dás sich dás dòsig mensch ain mòl sei wendèn!«

185

1 'die Beine gen Himmel kehren', speziell 'sterben', eine Lieblingswendung in BB (Vorw. 18, 48.8,187.4, 266.8, 451.6); vgl. auch DWb gagen' lc. 2 DWb stet A 3 'standhaft'.

Paris un Wiene

186

1

668

Asó gingèn si' abèr selb-drit; wi' bald wurd ouf-gèspert der turèn. dôrt sas Wiene in der mit; 5 Ϋ Ϊ Ϊ Γ schrekèn si in anàndèr Vurèn. Páris was vró\ abèr si' nit; im lachts herz, un si1 was murèn. dóch machét er si5 vrôgèn un an-mutèn, ôb si' sich het bèdôcht ain mol zu gutèn.

669

Wiene Sprách: »was wo It ir hòn? ir wert mir nit Vür-kerén nàtoù'èr 1 . nun ret, ich wil öuch rèdèn lòn; abèr ir ret in j'enè moù'èr. was ich Stez sprách, dás wil ich tón, es sei mir süs, es sei mir sôù'èr.« nun merkèt wol Páris an den gèscheftèn, dás sein Wiene hilt stárk an der heftèn 2 .

670

Zum pischóf un zum miinch er Sprách, si' sôltèn dôùsèn seinèr baitèn. er wolt ain weil mit ir tôùtèn 3 ach; wi' bald machétèn si' im weitèn. un dò dás dòsig Isábele sach, dò zòch si' sich jó' ach béseitèn. dás herz, dás war ir jó' ezwás bètôùtèn, dás er nit rèdèn wolt vür jenèn loùtèn.

671

Páris, der hub in welschèn an un Sprách: »ó libé vraw Wiene, ir wolt mich nit Vür ainèn man, mein libscháft wolt ir nit dèrkene. ich kan nun nit mén, as ich kan.« un mit den rèd war er ouf-trene un zóch hèroùs, Vòr-bòrgèn in ain dinglèn, ain èdlès dimètlein4, ain giildèn ringlèn

friihnhd. auch nataur u.ä. 2 mhd. haft, Dat. hefte ; 'daß sie an der Haft (statt der Heirat) festhielt'. 3 'deuten, durch Gebärden verhandeln'. 4 nj. d(me(n)t 'Diamant'.

dás zehént tail

187

672

Un Sprách: »nun nemt dòch das Vun mir; ain Tatèr1 tet mir mit ain schankèn. nun schenk ichs öuch, un tragt es ir, dô-mit mein huid hôt ain gédankén!« Wiene zòch hintèrsich schir; dòch nam si5 es un war im dankèn. si' gédócht: »dás dòsig kumt ous Tatèrn 2 ; wi' wil ich mich nun besèr vun im patern 3 !«

673

As bald as sis hat in der hant, dò war si' gleich drûbèr dérblaichèn. das èdèl vingèrlein 4 si' wol kant, si' hat dáran vil menchè zaichèn. un zu Isábele si' sich want, dás si' sich vôrcht, si' möcht sich laichén. Isábele sprách, do si' irs hát gèwisèn: »das is dás ringlein, dás du gabst Pàrisèn,

674

Un sag5 un törst drouf schwerèn ach: j'enèr is selbst, der dó stét dòrtèn.« »bei dem mich dücht«, Wiene sprách, »er hòt sein wenk un hòt sein wortèn.« Wiene in widèr an-sach, un gégèn in si' sich baid kòrtèn. dò sach si' im ain zaichèn an der stirèn; »er is, bei gòt géwis«, Sprách di' lib dirèn.

675

Nun merkéts als Páris der jung un lechélt un was sich wendèn un Sprách mench wort mit der süs zung. Wiene lis in nit Vólendèn un sprang zu im in ainèn Sprung un Ving in um mit baidèn hendèn un drukt in mit den arum alé bédèn un kunt vür vraid ain wort nit rédèn.

1 Tatar', nj. toter. 2 s. Index geogr. 'Ring'. 5 zu ergänzen: 'ich'.

3

hebr. 'lösen, frei machen'.

4

noch nj. /ingerì

188

Paris un Wiene 676

Pur vraid kunt nischt ous irèn mund, nórt trehérèn ous irèn agèn. dás werét schir ain virtèl stund; ir herz was nòrt klòpfèn un schlagén. Páris sich ach Viir vraid ènzund un wainèt hais un was dóch sagèn: »ich bin Páris, dein man, dem alé tritén 1 dás ungliik hòt géjagt un hót géritén.

677

Dás ungliik is mir bis al-her gèlòfèn nòch in alèn ekèn. nun hòf ich wol zu gôt dem her, das bös, dás sòl als sein hin-wekèn.« er rédèt vil un wainét ser. Isábele war sich ach her-stekèn2 un war übér ain nöüs 3 Páris ènpfàngèn un war in ach gar herzèklich um-vangèn

678

Un sprách: »Páris, ô brudèr zart, was habèn mir gélitèn làidèn, sint in dem dori ouf-ging di5 vart, dás du5 dich warst vun üns dôrt schaidèn!« nun lag Wiene an im hart mit irèn armèn alé baidèn. si' kunt sich nit dèrsetèn 4 nóch kunt büsén 5 das halsèn un dàs drukèn un das kiisèn

679

Un sprách: »ò gòt, das is ain spil6, dás sòlt mán dóch nümér mén lezén7. das is ain vraid ón zal, òn zil, den lust kan mán dòch nit dèrschezèn 8 ! iz hab ich al das, dás ich wil; ouf ain mól tet mich gòt dèrgezèn. nun sei al zeit gèlôbt sein hailigèr namèn 9 , der üns hòt dóch gébròcht widèr zu-samèn.«

676.1 für] bür.

679.1 is] isti.

1 adv. Akk. 'bei jedem Schritt'; noch nj. trit 'Schritt'. 2 vgl. 138.1. 3 'von neuem', 4 nj. iberanajs. mhd. ersetten 'sättigen'. s vgl. zu 270.8. 6 DWb Spiel I 6c und d 7 'Freude'. mhd. letzen 'aufhalten, hemmen'. 8 hier wie meist 'zu schätzen wissen', 9 noch nj. derschazn. vgl. zu 1.6.

dás zehént tail

1

680

Den hub si' an: »ich bin schir tôt!« un si5 wolt ir unglük als her-ràitén 1 . Pàris, der spràch: »schweig iz, durch gót, mir werèn rèdèn vil nóch mit der zeitèn. iz tunèn mir, was dò is nót, dás j'ené dôùsèn nit mèn baitèn. nun wil ich iz ain dinst Vun dir bègerèn.« Wiene spràch: »sag ouf, ich wils tun gerèn.«

681

Er spràch: »ich bin des handèls sat, un alé tag wer ichsèn satèr. nun maint dein et un di' ganz stat, ich sei ain Türk òdèr ain Tatèr. drum wil ich iz, dás mir cifsat 2 al baid hin-génèn zu deim vatèr. abèr sich, réd kain wòrt un sei nit loùspèrn3, bis dás ich dir wer winkèn ódèr rouspèrn.«

682

Asòdèr kamèn si' al drei gar vrôlichèn hérôùs zu lafèn. dò si' her-trátén asó vrei, dò dèrstundèn 4 gleich di' gutèn pfafèn. ainèr gédócht, es wer ain bübérei, der andèr war sich schir vür-glafén5, der münch, der machet hundèrt krôùzlich. Páris spràch: »stelt öuch nit asó schöuzlich 6 !

683

Ich wais nit, was ir seit vür lôùt! ir hàt vil réd nun tun vòr-zetèn7, un ich hab nòrt mit ir gètôùt un háb si' kûnèn ûbèr-betèn 8 . das wert ir al nun sehèn höüt; kumt nòrt mit mir zu irèn etèn!« asó gingèn si' im nóch wol alé samén, bis dàs si' für Dòlfin dem künig kamèn.

189

2 3 mhd. reiten 'zählen, rechnen'. hebr. 'einfach' (Adv.). 'flüstern, raunen' 4 (einziger Beleg im DWb s.v. lauspern aus dem jidd. Maisebuch). vgl. zu 218.1. s DWb verglaffen 'vergaffen'. 6 mhd. schiuzlîch (mit Affrikata!); vgl. DWb scheußlich 2: sich scheußlich stellen etwa 'sich heftig erregen'. 7 vgl. zu 533.8. 8 vgl. zu 468.8.

190

1

Paris un Wiene 684

Dò der kiinig di' tòchtèr sach, dò gingèn im iibèr di' agèn. Pàris zu seinèm miinchèn sprách, er sòlt dem libèn künig sagèn, dàs er si' selbs sólt bitèn ach, dàs si5 in nit mén sólt ous-schlagèn. asó tets der münch bald un béhendèn. Dôlfin was sich gégèn der tóchtèr wendèn

685

Un sprách: »hör zu, ò tòchtèr mein, vór-nim mein réd, libé Wiene! du5 hóst gélitèn grósé pein; du' hósts íór-schuld un mágsts dérkene. nun wil ichs lósén ain wet1 sein un wil dèr-manèn nischt nòch wil nischt nene. abèr hór mir izund zu, ich wils nit dénén: sich den man, der dò Stèt mit den grènèn!

686

Der dòsig gut un èdèl her, der hót mir sôlché tröü tun zaigèn, vil mén, as ich sein vatèr wer un as in het mein weib tun saigèn. er zôch mich ous ainèr keichèn schwer, dò ich des tòt bin géwest aigèn. er bròcht mich widér her un in di weltén; dàrum wil ich di tröü1 mit im vòr-geltèn.

687

Nun haisch ich dir ain génòd an; du3 sólst mir nischt rédén dárwidér: nim in zu ainèn élichèn man! er is wol wert, der mensch só bidèr. sag jó5, ich bit dich was ich kan, un hilft es mich, sò kni1 ich nidèr. wüs, dás er wert noch mein sterbén mein Stul, mein krön, mein künigreich erbèn.«

formal hier noch substantivisch, inhaltlich schon adjektivisch 'quitt' (DWb weit' 2).

dás zehént tail

1

688

Wiene Sprách: »ó libèr et, ich hab an öuch vreilich tun brechén. iz waiá ich, dáá ich unrecht tet; drum wil ich öuch nit mén ^ür-schwechén 1 un' wil als tun, was ir dò ret, un es sòl sein, as ir tet sprechèn, un öuch zu lib wil ich disèn man nemèn, un dás ichs nit tet, bin ich mich schemèn.

689

Drum kni' ich Vür öuch, libé krön, un' bin öuch dò mèhile prai'èn, un al di5 sünd, di' ich hab gétòn, dò sagt mich nun lédig un vrei'èn.« der künig sprách: »tóchtèr mein schön, iz hóstu mich ganz tun dér-vrai'én. Vòr-gib dir gôt un lös dich lang lebén; vun mir sòl dir al schuld sein vòr-gebèn.«

690

Nun hört Páris dás wesèn als, uns herz, dás klòpfét im al wegèn. nun Vil er ouf di' kni' ains vals; sein lebèn hat er sich dèrwegèn. ain strik tet er im um den hals, un gègèn dás herz tet er ain degèn un hub asódèr an zu rédèn in welschèn: »her, wüst, ich wil mich nit mén Velschén.

691

Ir sólt nun wüsén, wer der is, der dò sòl werèn öür aidèn. wi'-wol ich mich al zeit dèrwis, ich wer ain Türk ôdér ain haidén, iz sag ich öuch, ich bin öür dinèr Páris un wil öuchs nóch besér béschaidèn: bin grôv Jàkôms sun, der mit vil schmerzèn al zeit Wiene trug ouf seinèm herzèn.

hier etwa 'Schmach antun'.

191

Paris un Wiene

192

1

692

Un al das, dàs ich hab gètòn, hab ich gétón, si' zu dèr-werbèn. gòt wais, òb ich gélitèn hòn vil bôsè tag un nacht gar herbèn. nun hòf ich iz zu habèn mein lòn, un is es recht, sò wil ich sterbèn. dò bin ich iz bèrait; wolt ir öuch rechèn, dó seit mich hengèn bald ódèr dèr-itechèn.«

693

Dò das künig Dòlfin dèr-hòrt, gleich as ain stók asò dèrstundèr. asó al di löiit, di dó warèn dórt, dèrstundèn al itlichèr bèsundèr. der künig kunt rédèn kain wort vür grós gégaf, vür grósèn wundèr. lèsóf, dò stund er ouf, der künig werdèn, un zòch Pàrisèn ouf selbs vun der erdèn.

694

Un mit den arum er in um-ving un spràch: »bistus, mein sun Pàrisèn? bistu der held asò gèring1, der mir di3 trou1 al hôt bèwisèn? nun sòl dir sein vòr-gebèn al-ding vum erstèn tag bisgèn ouf disèn.« asò spràch der Dólfin mit menché trehèr: »du sòlt mein aidèn sein un ich dein schwehèr.

695

Un is mir ach ser un ser lib, dás du' bist Pàris der édèl knabèn un dás ich wais, dás ich si' gib aim gròv, der dó ach glabt mein glabèn. ich sich, dás gòt dàs dòsig schrib, un gót, der wils asòdèr habèn. dèr-weil dás ers asò hot tun béscherèn, wil ich es ach tun un wils tun gerèn.«

hier 'schnell entschlossen, behende'.

dás zehént tail 696

193

Der künig wolts gar un gering1 richtèn dórt ous ouf jenèm sizèn un schiket hólèn ain giildèn ring2 un Iis bald »masel tôv« 3 drein krizèn. un' òn gévlecht 4 un òn gésing kain rav5, kain vraw hòrt mán nit gizèn òn harpfèn un ón lout un òn baldòsèn machèt er Paris Wiene gleich ènspòsèn6.

1 vgl. zu 694.3, auch 371.4. 2 Der zentrale, rechtlich bindende Vorgang bei der regulären Form der jüdischen Antrauung besteht spätestens seit talmudischer Zeit darin, daß der Bräutigam der Braut ein Wertobjekt übergibt und dazu eine bestimmte Antrauungsformel spricht (vgl. etwa EJ, Art. Marriage, Abschnitt Legal Aspects); spätestens seit dem 8. Jh. (Lehrman 1949: 147) besteht die Übergabe des Objekts im Anstecken eines Ringes, und später wird der Ring als solcher auch in der Formel erwähnt (vgl. z.B. Abrahams 1932: 199 Anm. 2). 3 hebr. 'viel Glück'. Der Ring darf nicht mit Edelsteinen verziert sein, trug aber in Spätmittelalter und älterer Neuzeit oft die Inschrift mazzäl (όν. (EJ, Art. Ceremonial Objects, Sp. 309f.; Abbildungen z.B. ibd. Nr. 16b und Art. Marriage, Tafel 1, Thieberger-Rabin 1967: Tafel 26 Nr. 1 und 7. Allerdings wurden in JL, Art. Hochzeit, Sp. 1636, ferner ζ. B. von Abrahams 1932: 196ff. und Lehrman 1949: 149 die erhaltenen Ringe mit dieser Inschrift eher für Verlobungsringe gehalten, wie die Brautväter sie ihren künftigen Schwiegersöhnen zu schenken pfleg4 ten; doch siehe dazu jetzt Weinberg 1994, Art. taba as.) Zumindest im westaschkenasischen Bereich pflegten andere Frauen der Gemeinde der Braut sorgsam das Haar zu flechten (Bodenschatz 1749 [1756]: 4.122f.). In Worms wurden sie dazu vom herumziehenden Synagogendiener eigens aufgefordert durch den Ruf »die Kalla flechte gen!« und sangen dann während des Flechtens Brautlieder (Holzer 1935: 178; vgl. oben im Text gésing!); ein eigens zur Begleitung des Flechtens gemachtes Lied findet man bei Henele Kirchhan (1727: fol. 14 b -15 b ). Zur Sache s. auch Brantspigél Kap. 34 (mit implizitem Rückverweis über bT Berachot 61a auf G n 2 . 2 2 ; vgl. J. Levy s.v. banjeta). 5 hebr. 'Rabbiner'. Da die jüdische Heirat als Rechtsakt zwischen Bräutigam und Braut (nicht wie die katholische als Austeilung eines Sakraments durch einen dazu ordinierten Dritten) verstanden wird, war bei ihr bis ins Spätmittelalter die Anwesenheit eines Rabbiners nicht obligatorisch; im aschkenasischen Bereich wurde sie es um 1400, doch so, daß auch jetzt der Rabbiner im Prinzip nur den formgerechten Ablauf der Zeremonie sicherstellte (Freiman 1964: 94f., Falk 1966: 37f.; EJ, Art. Rabbinic office, Sp. 1446). Einen Festvortrag hielt er lange Zeit nicht während der Zeremonie, sondern erst später beim Hochzeitsbankett (Abrahams 1932: 214f., Lehrman 1949: 151). Henele Kirchhan (1727: fol. 17b, Strophen 3-6) nennt unter den Hochzeitsunsitten, daß bei solchen Vorträgen manchmal »Frauen und Mädchen ihre Stimmen wie Horner hören lassen und sich nicht abhalten lassen, so daß man mit dem Vortrag aufhören m u ß ; ist der Vortrag vorbei, kommen wieder die frechen Lieder dran, sie juchzen und schallen 6 und singen [...]« (vgl. oben im Text gizèn!). vgl. zu 324.8.

194

697.3 hot] 1

Paris un Wiene 697

Un as bàld er seim tròmbetèr bót, si' sóltèn um un um ous-schrei'e, wi' er sein tóchtèr ous-gebèn1 hòi un wi1 un" wem, ganz di' hawaj'e2. un um di' vraid un betèn-bròt 3 war er haimisch un vremd al prai'e4. der hòv sôlt ôfèn sein ain monet ganzèn, zu esèn, trinkèn, Spilèn un zu tanzèn.

698

In ainér halbèn virtèl Stund, dô was di' stat ganz un gar brumèn 5 . der handèl war in alér mund, wi1 Páris wer mit dem künig kumèn. idèrmàn wust, wi5 di1 sach stund un wi5 er Wiene hat génumén. wi' bald wárds ach géwar vatér un mutèr un ach Òdàrdó, sein gésel sò gutèr.

699

Di' lófèn dar in ainém vlucht 6 , bis dàs si' kamèn zu dem knabèn. si' sahèn in, un es ducht si' nit müglich sein, di' vraid zu habèn. wen wer dò stez dàs bös vèr-sucht7, der kan dás gut hertèklich glabèn. ach wár der klaidèr schuld un jenè grénlich, dás er im köüm ain winziglén 8 wár enlich.

hob.

2 mhd. ûzgëben '(eine Tochter) verheiraten', noch nj. ojsgebn. vgl. zu 113.8. mhd. botenbrôt, betenbrôt, nj. (Landau, Bernstein) beknbrojt 'Botenlohn; die gute 4 5 Nachricht selbst'. vgl. zu 84.6. häufig in der aj. Bibelübersetzungssprache für jegliche Art von Lärmerzeugung (so noch nj.). 6 'Flug' (vgl. zu 9.2). 7 '(vom Schicksal) zu kosten bekommt, durchmacht', DWb versuchen Β 2; noch nj. farsuchn 'schmecken, (eine Speise) probieren'. 8 'winzig' + Diminutivendung. 3

dás zehènt tail 700

Di' alt mutèr, di' kant in wol un wurf im um den hals di' arum; ach drukèt si' in, as mán tun sòl. der vatèr alt, der tròpi der arum, Ôdàrdô kust in hundèrt môl un lis vil trehèrèn gar warum. Vür vraidèn warèn si' Vun im gèÇ/osèn, uns herz, dás war im ganz béschlósèn.

701

Der vatèr wainet, was er mòcht, un den Sprách er: »ó sun Párisén, zu sehèn dein enzlit1 hab ich nit gédócht; nun hot mir gót ach dein weib géwisèn! gèlóbt sei gòt, der dich her-brócht, dás ich dich sich an den tag den disèn! dás môl dò wil ich sterbèn un" is mir ebèn, dàrnòch dás ich dein enzlit sich bei lebèn2.«

702

In disèn palés un in dem hòv wurd ni' gésehèn solch gédrangèn vun biirgèr-lout, ritèr un vun gróv; idérmán wolt Páris ènpfàngèn. das »solem aléchem« 3 un" dás »masel tòv«, dás wolt ni' habèn ain ous-gangèn. dás wesèn un di' vraid, di' mán was treibèn, di' stét mir nit zu sagèn nòch zu schreibèn.

195

700.7 gèvòlsén. 1

DWb antlit (Nebenform antzlit) und antlitz, aj. Bibelübersetzungssprache enzlit, anzlit 'Antlitz'. 2 Die Rede von Paris' Vater ist den Worten Jakobs zu Josef (Gn 46.30) nachgebildet (Baumgarten 1988: 18), vgl. auch Gn 48.11. In der jidd. Bibelübs. Augsburg 1544: Gn 48.11 : zu sehén dein enzlit nit ich het gédócht, un'nun er hot géwisèn mir got auch dein sòmén. Gn 46.30: ich wil iterbén dás mol, dér-nóch ich hab gésehèn dein 3 enzlit, dáí noch du' lebit. hebr. 'Friede sei mit euch'.

196

Paris un Wiene 703

Das buch spricht, wi' Pàris der knab, der ruft Ódárdó, sein gèselèn, un zu ain weib er im gab di' èdèl vrau', di Isàbelèn. un al seins vatèrs gut un hab, un was im gót hat tun zu-stelèn, dás schänk 1 er als den zwai gètrei'èn menschèn, un gót war si in al ir werk ach benschèn 2 .

704

Ich bin des schreibèn asó sat, dás ich schir het dás best vòr-gesèn! ich mus nun schreibèn nóch ain blat vun Wiene cale3 un' ir hessen4. dò si Páris ènspôst nun hat, zu nachts dár-nóch, dás mán hat gesèn, wurd in gëwisèn bald ain ort zu schlôfèn; si3 woltèn längs nit gèn, abèr si' lòfèn5.

705

Her gót, wi' war in das ain vraid, wi' war in di' kamèr ain öser6! kain sómer 7 dürft di' édèl maid, dás masel wolt, dás si' was cóser8. si' lègtèn sich ôt alé baid. un sòl ich öuch sagèn den jòser 9 si traibèn sogár10 vil der gêberdèn im bet do si' lagèn, di' bulèr werdèn.

704.4 cale s. Glossar I. 1

2 auch im Dt. gelegentlich stark flektiert (DWb s.v. schenken). rom. 'segnen'. 4 hebr. 'Braut'. alt-west-westjidd. Aussprache von hebr. |Γ)Π 'Bräutigam'. s 'den Weg dorthin gingen sie nicht, sondern sie liefen ihn'. 6 vgl. zu 515.2. 7 hebr. 'Be8 wacher'. hebr. 'rituell rein'. Zur Sache vgl. Einführung 9.4.4 Anm. 133. 9 hebr. 'Freimütigkeit'; hier 'die Sache ohne Umschweife'. 10 wohl 'so' + 'gar'. 3

dás zehènt tail

197

706

Das tribèn si5 an mench zeit un jor, dás ir libscháft «i' was dèr-kaltèn; ir huid sich niimèr mer vèrlòr. lèsóf, dò starban al di' altèn, un was màn in hat vòr-haisèn vór, dás wurd im izund als géhaltèn: dás land gab mán in ein 1 , un si hatèns inèn, un wol warèn si5 dás dòsig als Vórdinèn.

707

Ich wil öuch nun nit schreibèn mer di' handèl itlichèn mit namèn, wi5 sis land vurtèn mit gròs er un wi' vil kindèr vun in kamèn; es is génuk, dás ich si5 her háb alé baid gébrócht zusamén. nun lös ich ous mein buch, wil nit mén dénèn; ich sag öuch òt, mán wár si' al baid krônèn.

708

Wiene vèr-dinèt nòch ain kròn f u n irèn gròsèn trou'èn wegèn, u n drum gab ir gót irèn lón, dás si mit guts2 vèr-schlis 3 ir tegèn. wer is di vrau5, di es iz wird tön, wer is di maid, di dò wird pflegèn solch huid ódér solch trei 1 zu irèn dinèr? ich sag: di helft, ain vir-tail un nòch minèr.

706.2 ni'} di'.

708.3 ir] in.

708.5 wird]

widér.

708.6 wird]

widér.

1 2 DWb eingeben 3 '(ein Land) übergeben'. 'mit Freudigkeit' (Lexer guot Subst., 3 DWb gut Adj. IX Β 4); zur Form vgl. zu 4.3. 'verbrachte', DWb verschleißen 2 (frühnhd. mit Zeitbegriffen als Objekt oft ohne pejorativen Nebenton!).

198

Paris un Wiene 709

Wer is di vrau\ wer is di maid, wer is di piilzèl1 òdèr dirèn? dàs si nit leidén wird kain laid, dás nem ich mir nit in mein hirèn. sag, welché wird vér-meidèn ain klaid, welché wird welèn ain tanz vèr-lirèn? welchè wird welèn wartèn ódèr vèr-suchèn 2 ain ainzig jor, ain mónet ódèr zwai1 wuchèn?

710

Der dósigèn vint mán wol izt, di ir ain bulèr is béstelèn, un in der Stat er bei' ir sizt, un sieht 3 al tag irèn géselèn. bis dás si im sein herz dèr-hizt, dó is si sich gár liplich ìtelèn un urbizlingèn 4 is si den tròP 5 hin-schlàgèn un libt ain andèrèn dòrt vár sein agèn.

711

Der erst vremd jung, der do kumt dár un is si' nòr ain mól an-lachèn, hòt er mit semèt6 ain tabàr 7 un hipjcA jòp' 8 un hósèn lósèn machèn, wen er schòn wer ain vèr-vluchtèr nár un un-tichtig in alèn sachén, dò is er ir gar lib un is ir ebèn, un steh sich9, as welt si in in himèl hébèn.

710.8 agèn] augén. 1

711.4 hipsch ] hipt.

rom. 'Jungfrau'. 2 wohl 'durchmachen', ähnlich wie 699.5. (Unnötig ist also der Vorschlag von Prylucki 1926-33: 346, vér-sóchén zu lesen und darin ein - schwach belegtes - mhd. versochen 'sich abquälen' zu finden. Überdies konnte Prylucki noch nicht wissen, daß in PuW das Reimwort nicht wóchén, sondern wuchèn lautet, vgl. die Reime in 189 und 452; -u- in diesem Wort ist ja auch für die Umgebung unseres Dichters gut bezeugt, Timm 1987: 7.4.8.). 3 Subjekt 'sie'. 4 vgl. 405.6. s Tropf, vgl. zu 106.8. 6 vgl. zu 469.3. 7 ital. '(eine Art) Mantel'. 8 'Joppe'(vgl. Glossar II). 9 Subjekt 'sie'.

dás zehént tail

199

712

Un wen nun nôch ain dritèr kem mit ainèr hipschèn gildèn ketèn, ich sag eich zu, dás si in nem un wird den vorigèn ach vèr-zetén1. al libschaft wird si weisèn dem, drouf wil ich wol mein kôP2 vèr-wetèn. si' habèn ain stand gleich as di bletèr, di dò sein ouf dem baim mit wind un wetèr.

713

Ich sag nit, dás si bés sein al; màn Spricht, wi' mán vint ach vil vrumèn. di selbigèn nim ich nit in clal3, hab ich si schön nit ous-génumèn. ich vind abèr fun si kain zal; ich wais nit, wu si sein hin-kumèn. drum ság ich: wol dem knab un' dem jungèn, der zu kainèm weib sein lust ni5 hòt bèzwungèn.

714

Un wol dem knab un ach der maid, as lang as si sein nòch zu gebèn! si wisén nit, was do is vraid un wi5 si habèn asó gut lebèn. wi' ôft wert es etlichèn laid, di sich zu vrü', zu jung béklebèn! un welt ich alé wi' un warum schreibèn, sô müst ich es nòch zehèn tag an-treibèn.

715

Ich hat òt stez di de'e im köpf; mán sieht mirs an un" mag mirs glabèn, wi'-wol mán möcht mir sagèn: »Stòpf dein mund òdèr rèd mit den tabèn! es macht nun, dás du bist ain trôpf un waist kainè, di' dich wil habèn!« nun mácht es, wi' ir welt, di dósig prêdig gèlòbt sei gôt, ich bin nòch vrei' un lèdig4.

713.3 di] dò. 1 'fallen lassen', vgl. zu 533.8. 2 'Kopf, vgl. zu 106.8. malfair. 4 vgl. Einführung 10.4.3.3 in fine.

3

hebr. 'Allgemeinheit, Nor-

Paris un Wiene

200

716

Wer ich den ach gébundèn sein, sò wer ich sein zu rechtèn zeitèn wi5 wol ich hòf, es sòl nòch drein ain bilbel1 kumèn dar gár fun weitén. der bilbel un di hòfnung mein is, dás ainèr sòl kumèn zu reitèn ouf ainém grô'èn bôk mit langé òrén 2 un sòl an-blôsén gár ain schôuzlich hórén

717

Un sòl uns brengèn in di stat, di gòt vor langst hot tun dèr-wèlèn, do-mit dás do sòl sein béStat al unsèr leib un unsèr sèlèn. dòrt welèn mir sich rèdèn sat, un gòtès hiilf wolèn mir dèr-zèlèn, un nit fun Páris un Wiene nòch Isábele. dás sei' wor in gòtès namèn - omen, sele3.

716.5 hòfnug. 1 hebr. 'Verwirrung, Tumult', speziell apokalyptische Entwicklung unmittelbar vor (und damit einleitende Phase zu) dem Kommen des Messias (vgl. auch Glossar I). Zum 'Messiaswunsch' (716.3-717.8) vgl. Einführung 9.6.2. 2 zu diesem und den folgenden Versen vgl. Einführung 10.4.3.4! 3 hebr. 'Sela!' (wie in der Bibel).

201

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París un Wiene, Verona 1594, fol. 68" (Stanzen 671-674 und Bild der Schlußszene). Exemplar des Trinity College in Cambridge.

Anhang I : Das Titelblatt*

[Sehr große Quadratschrift:] Das sefer haist [Normalgroße Quadratschrift:] Paris un Wiene [Raschischrift; nur das erste Wort Quadratschrift:] Ous kristèn-spròch wordèn génumèn un in tôutschèn spròch gêmacht wordén, un" is andèrè mólt wordén gèdrûkt, abèr ni' in sôlchèn géstált noch in sôlché letrés, hiipsch un béschaidlich mit al seinê gémôlz ('Gemälde'), as ir wert wol sehèn; in gotès namèn sòl es sein; omen sele. [Bild: vor Portikus Dienerin, Dame, Ritter, die beiden letzteren reich gekleidet und einander zugewandt. Das folgende um 90° nach rechts bzw. links gedreht an den Seiten des Bildes; rechts:] gédrükt hi' in der stát Berèn [dieses Wort in Quadratschrift] durch hánt öuern dinèr Avrohom ben la"a hh"r Mathissje Bass-seve jzv ('Abraham, Sohn meines Vaters, des gelehrten Herrn Mattitja Batseba, sein Fels und Erlöser behüte ihn!') [links:] in jor, das man zèlt fünf tusént un" drei' hundèrt un fir un füfzig in hódes sèVat, parsass bo el Par'o1 ('[Druckbeginn] im Monat Schewat im Wochenabschnitt Ex 10.1 ff. = in der Arbeitswoche 23.-28. Januar 1594'). [Unten auf der Seite ist eine Zeile größtenteils vom Buchbinder abgeschnitten. Ihre rechte Hälfte läßt sich noch ergänzen zu:] in hous fun mésèr Fránzesk dele Doné. [Die Rückseite des Titelblattes enthält nur das seitenfüllende Bild einer reich gekleideten Dame.]

* Vgl. Abbildung S. CLI. 1

bei Par'o fehlt das finale He.

Anhang II : Bilder und Bilderklärungen* [Nach den Schlußversen der Vorrede (die auf Stanze 13 folgen) Bild ohne Erklärung: Liebespaar, daneben abgestellt Laute und Violine, ländlicher Hintergrund. - Danach über dem folgenden Bild:] dás is Dòlfin, tu1 ich maine, mit sein weib màdòne Diane. [Nach der Schlußbemerkung des ersten Teils' (die auf Stanze 44 folgt): Vignette.] [Alle folgenden Bilderklärungen stehen um 90° nach rechts bzw. links gedreht beiderseits des jeweiligen Bildes.] [Nach 52:]

Paris was mit sein harpP kumèn; Wiene un Isábele hatén es für-numén.

[Nach 62:]

Das is Paris mit sein géselén; di warén sich untér Wienès fenstèr stelèn.

[Nach 93 :]

Do was kumèn Pàris zu reitèn mit sein lanz1 ouf der seitén.

[Nach 104 Bild ohne Erklärung: Männerkopf.] [Nach 110:]

Do was Wiene gár hiipsch un' fein sizèn, der-zélt Isábele, wi' ir das herz was dèr-hizèn.

[Nach 141 :]

Do kam widèr zu reiten Páris; sein gròsè sterk er widèr bèwis.

[Nach der Schlußbemerkung des dritten 'Teils' (die auf Stanze 167 folgt) Bild ohne Erklärung: antik-bukolische Szene mit Amor.] [Nach 200:]

Der künig hot mésér Jákóm tun rêwisiterèn ('seinerseits besuchen'); er sagt sein tòchtèr, si sólt zu im gén, ób er wolt epés bégerèn.

[Nach 204:]

Wiene hot fun mésér Jàkòm urlàp' génumèn un war mit Isábele in Páris kamèr do gékumèn.

[Nach 207:]

Do2 hot Wiene3 gésücht in der kamèr mit vleisèn un' hot géfundén Páris klaidèr, d; 4 weisén.

[Nach 239:]

Do hot sich dèr pischòf her tun sezèn un wolt nun horèn Wienès grós schwezèn.

[Nach 246:]

Do was Páris mit den pischòf kumèn zu wisèn fun sein gèstólèn gèret, as er hat für-numén.

[Nach der Schlußbemerkung des vierten 'Teils' (die auf Stanze 248 folgt) Bild ohne Erklärung: Reiter zu Pferd, hinter sich Frau im Frauensitz.] * Zu Titelblatt und Epilogen vergleiche Anhänge I und III. 1

lainz mit Doppeljod (umgekehrte Schreibung).

2

Doi.

3

Wiee.

4

do.

Bilder und Bilderklärungen

205

[Nach 251 :]

Do was der p/schôf 1 un Páris2 gèkumèn, un Wiene hot Páris ouf ain seit génumén.

[Nach 266:]

Páris, dem brent das herz as di' kòlèn, drum war er kumèn zu Wiene in das órt fòr-hòlèn.

[Nach 273:]

Wi' man ain man wolt gebèn Wiene, hot Páris für-numén; drum was er ser trou'èrig zu Wiene gèkumèn.

[Nach 286:]

Do kam Páris un wolt rèdèn mit dem fatèr fun hithen 3 ('Heirat'), as in Wiene hàt gêtôn pfast ('sehr') bitèn.

[Nach 296:]

Do was mésêr Jákóm für den künig Dòlfin kni'èn nidèr; das tet er als zu lib seinèm sun Páris asó bidèr.

[Nach 313:]

Wiene sagt Isábele gánz ir herz: si' wolt kain andèrn habén as Páris ón scherz.

[Nach 321 :]

Do kam Páris mit ain herz gár vér-zagt; er wolt sagèn Wiene, wi' er wolt zihèn ous der Stát.

[Nach 327:]

Do was sich Páris mit4 sein knecht âtelèn, er solt im schif un rós umètum béstelèn.

[Nach 331 :]

Do kam Páris, das solt ir mir glabèn, er wolt mit seinèr Wiene hin tun trabèn.

[Nach 344:]

Do kam der ritèr un was den pfon ('Pfaffen') rufén, er war der-selbig, der do rit Wiene nòch si' zu swchèn5.

[Nach 367 :]

Wi' Páris solt fun Wiene tun schadèn, er hat in sein herz gros ladèn.

[Nach 382:]

Do hot Wiene den pfòn mit-génumèn; er solt sagèn, wi' si' wer géblibèn frumèn.

[Nach 385:]

Dòlfin was sich freintlich mit sein weib stele: si' solt sehèn zu wisèn di' worhát fun Isábele.

[Nach 391 :]

Dòlfin hot mit mésèr ïakôm gròs zorèn; drum lis er in lègèn in ain tòrèn.

[Nach 399:]

Wi' sich Wiene was hailig stelén; do-mit wolt si' pfatèr un mutèr schnelèn ('täuschen').

[Nach 440:]

Dòlfin was sein zórèn an im ser brenèn; mit bôsè wort war er Isábele arfür nemèn.

[Nach 470:]

Der hossen wolt Wiene sehèn; òn den pischóf so wolt si' es nit losèn géschehèn.

[Nach 487:]

Páris wolt zu ïenf nit mén bleibèn; er wolt nun in ain schif ein-steigèn.

[Nach der Schlußbemerkung des achten Teils' (die auf Stanze 512 folgt): Vignette.] 1

pschof.

2

Pdriis.

3

Waw fehlt in der Endsilbe.

4

Ajin statt Mem.

5

sichèn.

206

Anhang II

[Nach 528:]

Do war Dólfin kni'èn für den sòldàn nidèr; ich gláb, im warèn zitèrn al sein glidèr.

[Nach 540:]

Páris was nun awek gèzôhèn gleich as ain ovel 1 (Trauernder'); er war nun kumèn in der schônè Stát Bovel2.

[Nach 555 :]

Zu BoVel was Páris ouf dem plaz 3 um-gángén un" zwèn münch warèn in freintlich éntpfángén.

[Nach 589:]

Páris hot nun ain gròsé kuntscháft gémacht; zu sehèn Dólfin hot ers als dèr-tracht.

[Nach der Schlußbemerkung des neunten Teils' (die auf Stanze 601 folgt): Vignette.] [Nach 623 :]

Do was Páris mit sein blòs schwert stèn, di' màmèlukén um-zu-brengén, wen si1 woltèn nit sch lófèn 4 mén.

[Nach 626:]

Páris un der münch tetèn den arum Dólfin hin-schlepèn; den er kunt nit alain gén, wen er het schön gèhat ain stekén.

[Nach 669:]

Páris sagt zum münch un pischòf, si sóltèn dousèn seinèr baitén; er wolt ach sehèn, ób er epés mit in kunt ous-richtèn mit teitèn ('Gestikulieren').

[Nach 674:]

Do was Wiene un Isábele Páris dèr-kene, un si' war in im arém pfast neme.

[Nach 683 :]

Der pischèf un' der münch alé samèn, Páris un Wiene un Isábele warèn für den künig gangèn.

Trotz unterschiedlicher Bilderklärungen sind die Bilder nach den folgenden Stanzen identisch: 13 (zweites Bild) = 385; 52 = 62; 93 = 141; 110 = 313; 204 - 286; 239 = 399; 246 = 251 - 470; 266 = 273 = 321 = 367; 296 = 528; 327 = 487; 331 = 669 = 674;382 - 440;391 = 589;623 = 626.

1

ochel.

2

Bockel.

3

pia f .

4

slófén.

Anhang III:

Die beiden Epiloge

[Raschischrift wie der Haupttext; noch innerhalb der Seitenumrahmung, aber einspaltig:] Gédrügt in hous fun mésér Fránzesk delè Doné durch hánt öuern dinér al gut freind un man un weib. glabt mirs, ón das ich es schreib, den ich hab es dárum gétòn, das ir solt nit müsig gòn, un" hab es losèn driikèn in disèr mós, nit zu klain un' ach nit zu gròs. wi'-wol es wert etlichèn schwer zu-gén ; abèr si' werèn es wol béAend' für-stén, wen si' werèn drein-kumèn. ir hot mich nun wol für-numén, wu-héruf ich bin nin kumén. do-mit wil ich es béschlisén, di es warén kaufén, nit lósèn für-dris¿« 2 ; den ir wert gèwis mit der wor-hait sagèn, ir hot solches nit gèsehèn al öuer tagèn. durch hànt öuern dinèr, as ich hab an-gèhòbèn zu sagèn. dò-mit welèn mir got betèn, er sol machèn her-tretèn den gèsalbtèn man, der mosiah ben Dovid hébt mit sein namèn an, un sol ins ('uns') firèn in das hailig lànd; do werèn mir den ru1 habén. do-héruf wolén mir al omen sagèn. omen, sel e3, sèlik ('Finis'). [Neue Seite ohne Umrahmung, einspaltig; Quadratschrift, größere Type:] Dò hot sich gleich das buch losèn ous-drukèn, hi' in der stát Berèn, di' dó hot drei' brukèn iibèr der Êtsch, das gèschwind wàsèr, das dó kumt zu lafèn asó gèschwind un tapfèr ('kräftig'), un zwai' schônè stàrkè schlôsèr ouf den berg; wen ainèr untèn stèt, scheint er sein ain gêzwerg. un ain schlòs ach nun ebèn ('neben') den géschwindèn bach; wen ainèr di' schön Stát sieht, sein herz im lach, an ros hodes nisen in jor, das man zèlt fünf tousènt un drei' hundért un fir un füfzig ('[zu Ende gedruckt] am 1. Nissan = 22. März 1594') untèr der frum herschàft Wènédigèr jrh ('erhalten bleibe ihr Glanz'). [Das Folgende um 90° nach rechts bzw. links gedreht beiderseits der Druckermarke; weiterhin Quadratschrift:] durch hánt un in namèn öuern dinèr AVrohom ben laa hehover sb4 Mathissje migese ('aus dem Stamme') Bass-äe^e jz ('sein Fels behüte ihn'). [Unten in Lateinschrift:] IN VERONA, Per Francesco dalle Donne. MDXCIIII.

1

2 3 béend. für-driá. Ajin statt He. 4 Gegenüber der Namensform auf dem Titelblatt (vgl. oben Anhang I) erscheint hier unmittelbar vor dem Vatersnamen noch ein sb, welches in mindestens einem anderen Werk desselben Druckers auch mit Virgeln als s"b erscheint und selbst für Steinschneider unverständlich war (Cat. Bodl. 7862); stillschweigend als 'Sabbatai' gedeutet in EJ, Art. Basevi.

Glossar I : Index der hebr.-aramäischen Komponente afile VyDR 42.5, ΐ'Τ'ΒΧ 170.1 'sogar', alef η^Χ 634.5: ΧΉ Γ 3 η1?« Ί Ι Π p 5 [1Ç] 5in 'von Alef bis Tav', d.h. vom ersten bis zum letzten Buchstaben (des hebr. Alphabets; so schon Sabbat 55a), inhaltlich wie 'von A bis Z'. Amnón piSX 516.6'Amnon'(vgl. 2 Sam 13.1-19). ba'avoness Π1Π»3 199.4, 411.5'um (unserer großen) Sünden willen' (Formel), bar-mizve ÌTISQ "13 626.8 'voll verantwortlicher Mann', bèheme [Π]0Π3 308.6 (ODÍ73) '(Stück) Vieh'. Behèr 1TO3 3.6 [behar] alt-west-westjiddische Aussprache von Ί1Π3 'junger Mann', speziell 'Student' und 'Junggeselle', Beiname Elia Levitas nach dem Titel seiner hebr. Elementargrammatik '(Sefer ha-)Bahur\ ben s. mamser ben hanide. bèsacone s. sacone. bilbel "yisVo 716.4, 5 'Verwirrung', speziell 'apokalyptische Entwicklung unmittelbar vor (und damit einleitende Phase zu) dem Kommen des Messias' (im späteren Jidd. meist einfach 'verleumderische Anklage', im Wj. sogar 'Schikane, Obstruktion'), bòre X U 3 257.1 'Schöpfer'. Bovel *733 540.8, 591.7 in der Bibel 'Babylon', hier 'Kairo' (vgl. Index geographica), cale tf?3 451.2, 704.4 (X 1 ») 'Braut', cale-lidèr TT 1 ? 5.6 'Brautlieder', calje ΓΡ,Ι73 535.8 'Vernichtung(sschlag)' (volkstümliche Aussprache statt des grammatisch korrekten hebr. kelaja, noch nj. kalje 'kaputt'; Stankiewicz 1993: 5 will das Wort allerdings von altpoln. kalii 'verderben' ableiten), cawone Π1113 599.4 'Hingabe'. cifSat ÜPD3 242.3, 439.5, 681.5 'einfach, ohne Umschweife'. ciSuf ηΐΒΓΟ 160.8 'Zauber'.

clal V n 316.8, 713.3 1)'ganz und gar', 2) 'Allgemeinheit, Normalfall'. col JiSro'el *7D 84.6 'ganz Israel', hier 'alle Welt'. còSer "1ΒΠ3 705.4 'rituell rein'. Dame$ek ρψΏΊ 540.1 'Damaskus' (vgl. Index geogr.). de'e H i n 188.7, 221.1 (ΠΙΠ), 224.2 (dgl.), 463.8, 585.4, 655.8, 715.1 'Sinn, Gedanke'. Dovid Τ Π 516.8 'David' (vgl. 1 Sam 18.Iff., 18.27, 20.Iff.; 2 Sam 1.1 ff.), eden s. gan eden. egei 137.8 (•?]») '(das goldene) Kalb' (Ex 32). Elje ΓΓ^Χ 3.6'Elia (Levita)'; vgl. Behér. gan eden pM μ 40.8, 246.6, 471.8 'Paradies'. górel ·?-ηΐ 495.2 'Los', hajess Π[Τ·]Π 348.8 (ίΤΙΠ) 'Leben', bakdome Πΰ"ΐρ>Π nach 13 'Vorrede', hakern flpH 155.7 'forschen', hanide s. mamser ben hanide. banifess ΠΙδ'ΊΠ 537.6 'Schmeicheleien', bascóme ΠΏ30Π 566.5 'Einwilligung, Abmachung'. baSem s. lèma'an haSem. baätbone ΠΙΠΡΠ 200.2'Urin', bawaje ΓΓ-ΙΙΠ 113.8, 157.6 (ιΤΊΊΠ), 430.6, 697.4 'Wesen, Art', hawajess Ι1ΠΓ11Π 348.7 ( m i n ) Plural zum Vorigen, hazrochess Π15"1ΧΠ 376.7 'Nötigungen', heder Π Π 543.7 'Zimmer', hefzess ΓΥΙΧ5Π 27.4 (ΠΊΧΒΠ), 207.3 'Feinheiten' (nj. fast nur noch ironisch), hegmen |Ί01Π 144.5 'Bischof (aus dem Griechischen), hen 1Π 585.3 'Charme', hessen s. bossen. hilich i n i ' j - n 297.7 ( Τ ^ Π ) Name einer Krankheit, hier in einer bedingten Selbstverwünschung. Eine offensichtlich durch den Reim nahegelegte phonetische Schreibung von hiluch, das

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Glossar I

BB 12.6 in einer Verfluchung, BB 205.3 ebenfalls in einer bedingten Selbstverfluchung erscheint. (Zur Abschwächung des Nachtonvokals vgl. z.B. den ganz entsprechenden Reim *ys Üt313 'bitt ich' : -p"·™ 'Schidduch, Heiratsprojekt' in Herz' Esther 1827 [1854]: 5 unten.) Im Hebr. (seit Genesis rabba) ist (trs?») - p V n 'Diarrhoe', welch letzterer Terminus in der mittelalterlichen und frühneuzeitlichen Praxis die Ruhr mit abdecken kann; vgl. die jidd. medizinische Hs. Stuttgart H.B.XI. 18 (geschrieben 1508), fol. 84: BPS"! 'heißt eine Sucht und ist die Ruhr genannt'. Doch ist in der älteren Hs. ähnlichen Inhalts, Stuttgart H.B.XI 17 (geschrieben 1474 in Mestre), der "Τ''?,Π eine durch schnell auftretende Beulen oder Geschwüre charakterisierte Krankheit, vor der man sich allmorgendlich durch die Einnahme von Vorbeugungsmitteln schützen soll - vermutlich die Pest (Rezepte 267, 1095 und 1232). hithen f i r n 274.5, 284.4; flinn): 426.6, 426.8, 429.1, 498.4; (ρ-Π): 480.4, 482.7; Cptsri): 442.3 'Verheiratung', hole ^ΙΠ 227.8 'Krankheit'. Kossen p n 430.7, 471.5; 704.4 (Reim auf [-fi«]) 'Bräutigam', iker "Ipa 306.8 'Hauptsache'. JiSro'el s. col JiSro'el. jöäer 1I5T1 705.6 'Freimütigkeit', hier 'die Sache ohne Umschweife', kadohess ΠΓΓίρ 200.7, 202.8 'Fieber', kamè'e HSTOp 585.6 aram. 'Kamee, Amulett'. Amulette waren gerade bei den Aschkenasen äußerst verbreitet, z.B. Münzen mit Halsband speziell als Wiegen- bzw. Beschneidungsgeschenk; noch nj. kameje, wj. bis ins 20. Jh. oft g(e)mäe u.ä. (Guggenheim-Grünberg 1973: Karte 15, Weinberg 1994 s.v. kame'e). keren p p 222.6 'Grundkapital', hier 'Kern (eines Menschen)', kèróvim Ο ^ η ρ 45.2, 46.4'Verwandte', klalgën II1?1?? 320.7 'verfluchen' zu

hebr. V?p, mindestens noch im holländischen Jiddisch als klaljenen belegt (Beem 1970: Nr. 229). koSe s. nischt-koSe. lèma'an haSem ΏΏΤ1 ρ» 1 ? 418.8 'um Gottes Willen'. lèSóf ηΐΟ1? 242.3, 299.5, 321.3, 335.1, 386.7, 496.4, 511.1, 563.3, 618.8, 625.5, 629.1, 693.7, 706.4 'schließlich', lo'el s. Sevah lo'el. mamser 1TÖD 336.6 (etwa:) 'Bastard' (Schimpfwort), mamser ben hanide ΓΠ1Π ρ "1TÖO 305.8 umgangssprachlich eine starke Beschimpfung, etwa 'Superbastard', vgl. den laufenden Kommentar zu 305.8. mar ID 535.5 'bitter', masel bla 249.6, 304.3, 705.4 1) 'Glück', 2) 'Begabung, besondere Fähigkeit', masel tòy 31Ü *?Τ0 696.4, 510*710 702.5 'viel Glück!', mèhile Π^ΠΟ 168.8, 474.8, 689.2 'Verzeihung', melech "T^D 143.8, 640.8 'König', mëlizim 170.6 'Fürsprecher' (Pl.), 'Anwälte'. m¿$uge yjWD 174.8 'verrückt'. m¿$une s. misse méSune. mide m s 305.7 'Sitte, Charakterzug', misse mèSune ΠΙΊΦΏ ΠΓΡΏ 274.7 'gewaltsamer Tod', misthome KSDOÜ 238.4 aram. 'wahrscheinlich'. Mizrajim OnSD 490.4, 539.2 'Ägypten', mizve s. bar-mizve. MoSiah ΓΓΦΟ nach 13 'Messias'. néSome TOPI 164.6, 238.6 'Seele'. nèSomess ITIDtM 489.2 Pl. zum Vorigen. nischt-ko$e ?TOp ÜBT1 204.3 hier etwa 'unauffällig' (nj. kose 'schwierig', nischkose 'nicht schlecht'), omen p x nach 13, 717.8 'Amen'. ôSer HW» 515.2, 705.2 'Reichtum', ovel Vax 540.7 Trauernder', ovess s. sèchuss ovess. patern pUD 672.8 'lösen, frei machen', ponim O-IB 102.8, 180.6, 345.8 'Gesicht'. purim-Spil V o ® •ΉΙΒ 5.5 'Purimspiele'.

Index der hebr.-aramäischen Komponente rabi O l 3.6 Titel (hebr. 'mein Meister') für Lehrer der jüdischen Tradition; nj. rebe bzw. vor Namen (semantisch abgeschwächt zu 'Herr ...') reb. rahmoness ΠΙΙΩΓΠ 478.8 'Mitleid', rav 5*1 696.6'Rabbiner'; nj. rov. rèfu'e ΠΧ15") 22.6'Heilmittel', rèfu'e âèlème ΠΚ1Β1 205.4'volle Genesung', rèfu'ess Π1Χ1ΒΊ 204.8: DIHIDT ΓΤΙΙίηΐ 'Frauenmedizin, Hausmittel' (Pl.). sacone Π130 200.6, 326.2, 349.6, 599.2 'Gefahr'; 262.7 (Π2203) 'gefahrvoll', schechtèn 390.5 (tÖSHP Imp.) '(rituell) schlachten' ( < hebr. ÜITO). séchuss ovess JTDX D1DT nach 443 'das Verdienst der Vorfahren', seder TJO 379.8, 380.1, 543.8 Ordnung, Sitte'. Sèforim 0 Ή 5 0 4.7, 5.2 'jüdische) Bücher'. sele n*?0 717.8'Selar (wie in der Bibel). Sèlème s. rèfu'e Sèlème. Sèmire ¡TVntZ? 624.2 'Wache'. Sèmu'e ΠΒ1!3Ρ 167.7,204.1,238.1,273.8, 443.7, 461.8, 462.1, 535.1, 613.1 'Rede, Angelegenheit (als Gesprächsthema)'. Sèmu'ess m i n a » 121.7, 204.7, 212.4, 226.8, 498.5 Plural zum Vorigen. Sevah lo'el *?>Ò Π3© 200.6 'Gott sei Dankr.

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Sèvu'e nSTQtt? 22.4'Schwur', simonim •'Ίΰ'Ό 345.7 (Q'IÖO) 'Zeichen' (Pl.). Sine "nr» 323.7, 176.8 (ΠΓ1Ρ), 481.6 C13B) 'Veränderung', insbesondere bewußte, von einem Normalzustand weg (Weinberg 1994 s.v. schinnui), auch prägnant: zum Schlechten hin (Ben Jehuda s. v. in fine). Solem Ol1?® 375.8 'Friede' (hier als Gruß). Solem alèchem Cß^M D1*7tt? 702.5 'Friede sei mit euch!', äomer 1DW 705.3 'Bewacher', tehern p f l ü 520.8 '(einen Toten) rituell reinigen' (zu hebr.-jidd. ta(h)are 'Totenreinigung'). Das Verbum war - nur ohne Umlaut - bis ins 20. Jh. noch erhalten in den südwestdt. Judengemeinden Buchau und Buttenwiesen (Guggenheim-Grünberg 1973: Karte 55 und speziell Begleittext dazu), thëkufe Π0ΐρ»η 425.7 'Jahreszeit', thërufe ΠΟΠΠ 425.8 'Arznei', thohess nnn 200.8 'Hintern', thöv s. alef. tipéln f^D'O 114.8 'fallen' (wj. tippeln, Weinberg 1973: 106 und 30). tov s. masel. zelem D^S 94.6 'Kreuz', zure m i S 345.8 'Form, Gestalt'.

Glossar II: Index der Italianismen (bzw. Romanismen) Bei jiddischen Texten aus Italien reserviert man die Bezeichnung 'Italianismen' zweckmäßigerweise für sprachliche Elemente, die erst in Italien in die Sprache der aschkenasischen Südwanderer eindrangen (oder dort ältere Elemente wenigstens italianisierend überformten). Elemente, die entgegen dem ersten Anschein diese Bedingung nicht erfüllen, erscheinen im folgenden mit * (d. h. sie gehören schon der alten romanischen Komponente des Jiddischen an) bzw. mit ** (d. h. sie sind auch im Mhd. vorhanden). Zur Problematik vgl. auch Einführung 9.2.2. agreStè 19.4 'sauer oder unreif (von Trauben)': ital. agresto (und -te). (Im Dt. nur als Substantiv der agrest belegt; ebenso heutiges jidd. agrest 'Stachelbeere' < poln. agrest dasselbe.) ala kórtèsane 207.5 'in höfischer Art': ital. alla cortigiana, venez, mit [ζ] statt [dz\ (Rohlfs 1966: §218), vgl. venez. cortesan 'Höfling' (Boerio u.a.; auch adjektivisch, Nazari), altvenez. chortesano 'Höfling' (mit [£], Pausch 160). alum' di rôke 176.7 '(Gesteins-)Alaun': ital. allume di rocca. apósèma fat 242.1 'mit Anwendung eines medizinischen Sirups' (d.h. indem Vienne dem Bischof seine Rolle schmackhaft machte): ital. aposema 'medizinischer Sirup' (Carrer), heute meist bòzzima 'Aufguß, Brei', venez. bòsema (Boerio, Nazari), laut Cortelazzo (1970: 46) aus griech. άπόζεμα (1. Jh. nach Chr.); ital. fatto, altvenez. fato 'gemacht' (Pausch 107), hier in absoluter Partizipialkonstruktion. arpikört 55.5 'Cembalo': ital. arpicordo. balánz 427.1 'Gleichgewicht, (in der) Schwebe': ital. bilancia, venez, (auch altvenez.) balanza (Boerio u. a., Pausch 250), speziell star in balanza 'noch in der Schwebe sein' (Boerio u. a.). baldósèn 55.8 (Dat.), 696.7 (wohl PI.) 'ein großes (heute nicht mehr gebräuchliches) Saiteninstrument': ital. baldosa. "benschën 703.8, gèbenscht 107.1 'segnen': schon von sehr frühen jüdischen Einwanderern nach Deutschland mit-

gebracht, laut M. Weinreich (1973: II 119.1 - 1980: 7.23.1) und Wexler (1988: 124) aus jüdisch-ital. benedicere·, also zur alten 'romanischen Komponente' gehörig, nicht 'Italianismus' des ital. Jiddisch; nj. bentschn. bjfake 176.3 'Bleiweiß, weiße Schminke': ital. biacca, venez, biaca (Boerio u.a.). dèlibèrert 44.5 '(hat sich) entschlossen': ital. deliberare. Im ital. Jiddisch hat sich in Italianismen aus der romanischen 1. Konjugation (ital. -are) statt des dt. -ier- ein -")SJ- (aus dem Französischen oder aus dem Nordital. mit Ausschluß des Venez., Rohlfs 1966: § 19) durchgesetzt; vgl. diépérert und kreperèn; weitere Beispiele bei Maitlis (1978: passim). di&pèrert 485.5 'verzweifelt' (Partizip als Adjektiv): ital. disperare, venez, desperar 'verzweifeln' (Boerio u.a.). Zur Endung siehe dèlibèrert. Dólfin 201.1 u.ö. (Dòlpin 104.1 u.ö.) in PuW Eigenname, in der Vorlage und in der Wirklichkeit Titel: die Grafen von Vienne führten im Wappen einen Delphin (altfrz. dalfin, daufin; ital. delfino, alt auch dolfino; venez, dolfîn, Boerio u.a.) und wurden im Zusammenhang damit auch selbst 'Dauphins', ihr Land 'Dauphiné' genannt. (Nachdem das Land 1349 an Frankreich kam, machten die frz. Könige jeweils ihren Thronfolger zum 'Dauphin'.) •ènSpósèn 696.8, énSpóst 324.8, 704.5 'heiraten': gibt in älteren jidd. Bibel-

Index der Italianismen (bzw. Romanismen) Übersetzungen hebr. arai wieder, das rechtlich unserem 'heiraten' entspricht, faktisch aber bis in die talmudische Epoche einschließlich insofern nur unserem 'verloben' entsprach, als die Ehe erst nach einer weiteren Zeremonie, dem 'Heimführen', hebr. nasa, aufgenommen wurde; wird deshalb in anderen Zusammenhängen als in PuW manchmal mit 'verloben' übersetzt, GWb antspojsn ; schon von sehr frühen jüdischen Einwanderern nach Deutschland mitgebracht, vielleicht eher aus jüdisch-frz. esposer als aus jüdisch-ital. sposare (Timm 1987: 47.2.2 mit Belegen; vgl. Wexler 1988: 90), wobei mhd. en(t)- hineingedeutet (oder vorgesetzt) wurde (zum Präfixvokal vgl. Timm 1987: 17.4); also jedenfalls zur alten 'romanischen Komponente' gehörig, nicht 'Italianismus' des ital. Jiddisch; nj. (heute archaisierend) antspoisn. falkón 553.2, 572.3 [gegenüber falk 549.4, falkén 551.2, Sperbèr-valkèn 546.4, Sperbér-falkén 34.2] 'Falke': die Formen auf -on gehören zu ital. falcone, venez, falcon (Boerio), auch altvenez. falchon (mit [£], Pausch 151), die anderen zu mhd. valke. fjór di fawe 176.6 'Bohnenblüten': ital. fior(i) di fave. fris 243.3 'Saum': ital. fregio 'Saum, Fries', altvenez. friso (FEW s. v. phryx, auch zur Semantik) ; dt. Fries (aus dem Ital. vielleicht über das Frz.) erst im 17. Jh. zu belegen. get 376.3 'jüdisches Ghetto (in Venedig)': ital. ghetto. Trotz der Vielzahl der etymologischen Vorschläge geht der Terminus 'Ghetto' - anfangs für das Venezianer und bald auch für andere jüdische Zwangs-Wohnviertel - mit Sicherheit zurück auf das ghetto/getto, die 'Kupferschmelze', die sich in Venedig bis mindestens gegen 1400 an derselben Stelle befand, dann verfiel, aber weiterhin dem Gelände den Namen gab. Aus der Fülle der Literatur seien nur einige

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Titel der letzten 15 Jahre genannt: Fortis-Zolli 1979: 49ff„ speziell 57ff„ Cortelazzo-Zolli s.v. ghetto (meisterhaft), Marcato 1982: 75, Finlay 1982 passim, Zille 1985 passim, Fortis 1987: 18 (und 41 ff.), Calimani 1988: 206, Curiel-Cooperman 1990: 8, 13, 16, 93 und 125. gran mèrzè 226.5 'vielen Dank Γ: ital. gran mercé, altvenez. gramerzé (Pausch 251 u.ö.) und gramerzi (Pausch 243 u. ö.). **grènén 544.4, 590.6, 685.8, grènlich 699.7: Raschi übersetzt hebr. safam 'Lippenbart' Lv 13.45, 2 Sam 19.25, Ez 24.22 mit frz. grenon; in Anlehnung daran hat die jiddische Tradition nahezu ausnahmslos grenén/grénén (Grünbaum 1882: 545, vgl. auch Wolf, Jidd. Wb. s.v. gren), Umlautplural zu mhd. gran, grane (vgl. Lexer s. v., auch DWb s.v. Granne Sp. 1870 oben). Viel weiter ab steht venez, gréna/créna 'Haar' (Durante-Turato). han Svan 384.5 'Sankt Johannes': han Ausweichform für ital. San 'Heiliger' (vor Namen); ital. Giovanni, venez. (Boerio, Mutinelli, Paoletti) Zuàn(e) mit [dz] oder [z]; vgl. um 1600 Svan di Gara, Drucker vieler Hebraica, inpaz 163.5 'Störung, Verlegenheit': ital. impaccio, venez, impazzo (Boerio, Paoletti); vgl. altvenez. impazado 'gestört' (Pausch 185). **jöp' 711.4 'Joppe': ital. giubba, älter auch giuppa, aus arab. gubbah ; aber auch schon mhd. juppe, jop(p)e\ vermutlich also den Vorfahren der ItaloAschkenasen schon in Deutschland bekanntgeworden. **kap 377.3 'Mantel (mit Kapuze)': zwar ital. cappa, aber auch schon mhd. sehr häufig kappe (beide aus spätlat. cappa)·, also wohl Internationalismus. **kapôùn 469.5, 618.4 'Kapaun': da in PuW der Diphthong auf älteres [κ], nicht [ö] zurückgehen muß, liegt nicht ital. cappone, venez, capón (Boerio,

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Glossar II

Paoletti), sondern mhd. kappûn zugrunde (das seinerseits aus dem mittelalterlichen Latein stammt). **kárnir 330.1 'Jagdtasche': zwar ital. carniera, auch -re, venez, (auch altvenez.) camier (Boerio), charnier (mit [£], Pausch 179), aber auch schon mhd. kamier (aus dem Ital.). kreperën 435.2 'platzen, krepieren': ital. crepare. (Dt. krepieren ist erst im 17. Jh. zu belegen.) Zur Endung siehe dèlibërert. krèSpón 226.4 '(Schleier aus) Kreppseide': ital. crespo (älter auch crespone). **kriátéline 85.1 'aus Kristall': zwar ital. cristallino, aber auch schon mhd. kristallin, frühnhd. kristallin (und kristállen), alle aus (griech.-) lat. crystallinus. króStèn (gebèn di') 328.2 'verwunden': da [o], nicht [m] durch den Reim gesichert ist, nicht zu mhd. kruste 'Kruste', sondern zu ital. crosta 'Kruste, Wundkruste, Wunde', speziell venez, dar de le croste '(schwer) schlagen' (Boerio). "lai'èn 9.8, 26.8, 32.7, 406.8, 423.7, lai'èt 12.4, gelait 10.7, 414.1, 428.7 'lesen': aus dem Jüdisch-Altfrz. schon von sehr frühen Einwanderern nach Deutschland mitgebracht (Timm 1987: 47.2.2 mit alten Belegen, ibd. 42.2.1 zu Herkunft und Lautstand); also zur alten 'romanischen Komponente' gehörig, nj. lejenen. Vgl. auch s.v. viir-lai'èn! lanz 35.6 u.ö. 'Lanze': setzt im allgemeinen einfach mhd. lanze (häufig seit etwa 1200, < frz. lance) fort. Nur hat es in di vrei' lanz 132.1 (wie die mask. Wiederaufnahme in 132.2 zeigt) die metonymische Bedeutung 'der Lanzenkämpfer', die für das Dt. bei Lexer gar nicht, im DWb Lanze 2 nur durch einen poetischen Beleg des frühen 19. Jh. vertreten, aber mit Leichtigkeit für das Mittellat., Frz., Ital. und Engl. (z. B. bei Du Cange und FEW lancea, TLF lance 1, 'Etymol. et Hist.' 2, Battaglia lancia 5, MED launce 2, NED lance 4a) und damit als schon mittelalterlich-ge-

meinwesteuropäisch nachzuweisen ist. Dabei ist die Kombination mit 'frei' im Ital. schon im 14. Jh. belegt (Battaglia art. cit. la più franca lancia 'der beste Ritter'), könnte bei uns also Lehnsübersetzung aus dem Ital. sein. (Die allmähliche Eintrübung von 'frei' zur Bedeutung 'söldnerhaft', vgl. NED free lance, ist bei uns nicht spürbar.) Latein 11.1, 556.5, 565.3, 587.3 'romanisch': zur (ital. bzw. jüdisch-ital. geprägten) Semantik vgl. Einführung 3.4. *letrèé 125.7 'Buchstaben' (hier nicht 'Drucklettern' wie auf dem Titelblatt und sonst meist): eher zu jüdisch-frz. letres (R. Levy) als zu ital. lettere. Das ältere Dt. hat littern aus lat. litterae und geht erst im 17. Jh. unter frz. Einfluß zu Lettern über. Zum i-Plural im Altjidd. vgl. Timm 1977: 23 f. (mit Lit.) und 1987: 47.2.2 mit Anm. 14. limóni 176.6 'Zitronen': ital. limone, Plural -ni. mádóne 103.1 'Frau' (in der Anrede): ital. madonna-, so hier auch in der ital. Vorlage; in älterer Zeit nicht auf die Mutter Jesu beschränkt, mamèlukén s. Index geographicus. mandri'e 532.8 'Gefängnis': wohl ital., auch venez. (Boerio, Paoletti) màndria 'Viehherde', 'Viehstall'; letzteres hier übertragen gebraucht. (Die ital. Vorlage sagt hier zwar von Dolfino: fu mandato ['überantwortet'] in Alessandria·, aber zu ital. mandare ist kein *manderia zu belegen; außerdem würde dieses in der Betonung nicht zum Reimwort [ital.] Alessandria stimmen.) Wie in PuW, so ließen auch in der Wirklichkeit die Mameluckensultane von Kairo hohe Staatsgefangene gern in ein bestimmtes Gefängnis von Alexandria bringen (Labib 1965:210). mèèèr 135.2, 185.2, mèsèr 156.2, 171.2, 228.2 'Herr' (in der Anrede): im älteren Ital. messerfe), misser, im älteren Venez. meist mis(s)ier (Boerio, Mutinelli; Pausch 239 u. ö.).

Index der Italianismen (bzw. Romanismen) •»palai 205.8, palié 206.2, 582.1, 702.1 'Palast': nicht aus ital. palazzo, sondern zu mhd. palas (aus frz. palais). piniselèn 202.6 'Kopftücher': ital. pannicello, venez, panesèlo 'kleines Tuch, speziell Kopftuch der Damen' (Boerio u. a.). pélègrin 503.5 'Pilger': ital. pellegrino. Zwar schon althochdt. piligrin, -im, mhd. pilg(e)rim, -in, aber seit mhd. Zeit nie mehr -lig- oder -leg-. In PuW also Italianismus, pèr treá (kumén) 327.5 'über den Weg (laufen)', 'in die Quere (kommen)': venez. dar de tresso 'über den Weg laufen', vegnir per ( !) tresso 'sich zufällig einstellen' (Boerio), wobei tresso Dialektform für traverso ist (Durante-Turato). 'perirën 222.8 'zugrunde gehen': ital. perire. **2perirèn 567.6 'gehorchen, parieren': mhd. parieren seit etwa 1340, Findebuch s. v., aus lat. parere, im Ital. nicht zu belegen. Das andere dt. 'parieren' (Fecht- und Reitterminus, aus frz. parer) ist bisher erst im späteren 17. Jh. zu belegen, kann also nicht gut um 1500 »in Deutschland im Sprichwort üblich« gewesen sein (vgl. dazu PuW 567.5 mit ΒΒ 231.4!). për-zis 420.3 'genau': ital. preciso, venez, statt [/i] früher [M], heute meist [í] (Rohlfs 1966: § 152). Dt. präzis (aus frz. précis) scheint erst dem 17. Jh. anzugehören. *'pòétèn 194.4 'ein Festmahl veranstalten': Verbum zu altjidd. post 'Festmahl'. Letzteres ist auch im nicht ital. beeinflußten Jiddisch gängig (M. Weinreich 1973: IV §114 [p. 71 f.], Timm 1987: 47.2.2); es stammt wegen des / o / wohl nicht aus (jüdisch-)ital. pasto, sondern aus (jüdisch-)frz. past mit velarem(!) [a] (R. Levy s.v.). Jedenfalls gehört es zur alten 'romanischen Komponente' des Jiddischen, ist kein spezifischer 'Italianismus' des ital. Jiddisch. ^óStèn 328.6 'Etappen für Pferdewechsel

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auf einer Fernstraße': ital. posta ; daraus dt. Post, anscheinend erst nach 1500 belegt. Den aschkenasischen Einwanderern in Italien also wohl dort bekanntgeworden. Zur Sache LdM, Art. Post. *prai'èn 84.6, 689.2, prai'e 697.6, prai 474.8, prai' 168.8, gèprait 429.5 1) 'bitten (um)' in Verbindung mit hebr. mèhile, 2)'einladen': zur Herkunft aus dem Jüdisch-Altfrz., zur Lautform und mit Belegen vom frühen bis zum rezenten Westjiddisch Timm 1987: 42.2.1, 47.2.2; zur alten 'romanischen Komponente' gehörig. *(*)prèsent 453.8, 554.3, 584.4 'Geschenk': schon mhd. présent u.a. aus altfrz. present 'Geschenk, Darbietung'. Das Wort ist aber im Jüdisch-Frz. und seit Beginn der Überlieferung im Jidd. auffällig häufig, weil es in den Bibelübersetzungen oft korbän und minhä wiedergibt - ein Umstand, der auch sein Weiterleben bis ins nj. present zweifellos gefördert hat. Es ist also nicht erst durch ital. presente ins Jiddische gekommen. "prisôùn 469.1, 582.4 'Gefängnis': da in PuW der Diphthong auf älteres [«], nicht [ö] zurückgehen muß, liegt nicht ital. prigione, venez, (auch altvenez.) preson (Boerio u.a.; Pausch 139), sondern mhd. prisûn (aus frz. prison) zugrunde. •piilzèl 387.3, piilzèl 709.2, piilzèlS (í-Pl.!) 168.2 'Jungfrau': aus jüdisch-altfrz. pulcele (später pucele) vor etwa 1100 ins Jiddische gekommen (M. Weinreich 1973: II und IV 116.3 = 1980: 7.20.3; zum Weiterleben bis ins rezente Westjiddisch Timm 1987: 47.2.2; zum i-Plural vgl. oben s.v. letré$). Zur alten 'romanischen Komponente' gehörig. règaz 333.2, rëgazèn 382.7, 490.7, 545.2 '(Pferde- oder sonstiger Dienst-) Bursche': ital. ragazzo, venez, (auch altvenez.) regazo (Boerio, Paoletti; Pausch 160, 168). römit 559.3 'Pilger': ital. romito (aus lat.

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Glossar II

eremita) 'Einsiedler'; hier aber 'Pilger' durch Einfluß von ital. romeo 'Rompilger, Pilger'. **ròtèl-wagèn 58.4 'Wagen zur Personenbeförderung': schon mhd. rollenwagen, wobei in PuW statt rollen dessen Nebenform rotein zugrunde liegt (beide aus lat. rotulare, doch ersteres über das Altfrz.); also keine Nachbeeinflussung durch toskanisch-ital. rotella, das (gegenüber venez, rodèla, Boerio u.a.) in PuW die einzige Spur von nicht-venez. Ital. wäre. *(*)semèt 711.3, semit 469.3 'schwerer Seidenstoff (nicht ausschließlich 'Samt'): ital. sciàmito, daneben altitalienisch (auch in Venedig) sàmito, sàmeto (Battisti-Alessio, Monticolo 1896-1914: 2.36-38, 593-595), aus mittelalterlichgriechisch έξάμιτος; doch auch schon mhd. samît, semit. Auch im außeritalienischen Jiddisch hat sich bei diesem Wort [j] von ausnahmslosem (siebenmaligem) samit in der Dukus-HorantHandschrift von 1382/83 bis zu standardjidd. samet gehalten; da zudem in PuW das Ajin ohnehin auf Deutschland deutet, kann das Wort in dieser Form von dort mitgebracht sein. serwirén 185.2, 429.7, serwirén 567.2 'dienen': ital. servire. Im Dt. scheint servieren (aus frz. servir) erst dem 18. Jh. anzugehören. (Daneben existiert im Altjidd. ein serwèn (aus dem [jüdisch-] frz. oder [jüdisch-] ital. Verbalstamm serv-), das in standardjidd. sarwer und denominativem sarwem weiterlebt, vgl. Timm [1987:42.2.1]; ein entsprechendes Verbum [also ohne -ier] ist im Dt. nicht zu belegen.) sètèmér 137.2 'September': ital. settembre. In Italien benutzten die Juden schon seit dem Mittelalter oft die christlichen Monatsbezeichnungen (Dreeßen 1971: 59 f. mit Verweis auf Güdemann). Die Mittelsilbe von ital. settembre hat [e], so daß der Reim rein ist; Jod ist wohl aus der jüdisch-ital. Schreibung

übernommen, wo Ajin nie Vokalzeichen ist. ékajòl 176.7 (etwa) Talk': ital. scagliuola, venez, scagiola (Boerio u.a.) bzw. scajdla (Durante-Turato), altital. auch mit -o statt -a (Tommaseo-Bellini), 'gipsoder talkartiges Mineral'. ákiid 602.1 'Scudi, Goldtaler': ital. scudo, Plural scudi, aber stattdessen hier jiddischer Umlautplural. Zu dieser Münze und ihrer Relevanz für die Datierung von PuW ygl. Einführung 6.3.7 in fine. Sòkèln 178.4 'Schuhe mit hölzernen Sohlen und Absätzen': ital. zoccolo, venez. zocolo (Boerio), altvenezianisch zocholo (Pausch 114, 293; gesprochen [tsçkolo], allmählich [sçkolo], Rohlfs 1966: § 152). Zwar existieren auch schon mhd. zockel (mit [¿y]) und soc, sockel (mit [z]), erklären aber den Anlaut nicht; das hapax legomenon Schöckelchen wiederum (DWb s.v.) ist bloße thüringische Dialektform von Schühlein und als Grundlage der Form in PuW geographisch zu abliegend und wohl auch semantisch zu unscharf. Zu den hohen zoc(h)oli der venezianischen Frauenmode des 15. bis 17. Jhs. ausführlich Monticolo (1896-1914: 2.613). solaz 77.3 'Entspannung, Vergnügen', sòlazèn 267.7, 360.8, 382.8, 545.6, 587.7 'sich entspannen, sich vergnügen': ital. sollazzo bzw. sollazzare, altvenez. solazo (Pausch 107). Zwar existiert schon mhd. solaz ( < lat. solatium), aber V ~ [j] statt dt. [z] deutet wohl zumindest auf Nachbeeinflussung durch das Italienische. Das V ist als to zu deuten wie unter anderem in semit ( ~ semét), serwirén (~ serwirén), soldán (~ soldán), sòlfe, siehe diese. soldán 492.3 u.ö., éóldan 526.8 u.ö. 'Sultan': altital. soldano, venez, -an (Rohlfs 1966: § 146), aus arab. sultan. Zwar hat schon das Mhd. soldán (aus dem Ital.), aber in PuW deutet das [¿], nicht [z], zumindest auf nachträgliche Beeinflussung durch das Italienische. (Heutiges

Index der Italianismen (bzw. Romanismen) ital. sultano, standardjidd. sultan usw. beruhen auf genauerer Neuentlehnung aus dem Arab, seit dem 16. Jh.) Zum geographischen Hintergrund vgl. Bovel im Index geographicus. Sòlfe 33.6 '(Kunst-)Musik': ital. solfa 'Note(n), (Kunst-) Musik', solimán 176.3 'Quecksilbersublimat': ital. sublimato, älter solimato (Battaglia), venez, solimán (Paoletti); zum -η vgl. Einführung 7.4 Anm. 63. **Sp¿zirén 39.6, 57.7, 191.7, 429.8 'spazieren': letztlich zwar ital. spaziare, aber daraus schon mhd. spazieren ; also den Vorfahren der Italo-Aschkenasen schon in Deutschland bekannt geworden, sté kón di'ó 205.3, 226.5 'bleibt mit Gott!' (Abschiedsgruß): ital. state con Dio, altvenez. stè chon Dio (mit (eh) = [A:], Pausch 256), 2. Plural, in PuW als Höflichkeitsform. *(*)sume 243.4 'Summe', in sume 608.7 'ganz und gar': wegen [j] statt [z] nicht aus mhd. summe, wegen des durch Reim gesicherten / « / nicht aus italienisch somma\ vielmehr aus latinisierendem summa der internationalen Kaufmannssprache; so noch standardjidd. sume. tabár 711.3 'eine Art Mantel': ital. tabarro 'Mantel', venez, tabàro (Boerio u. a.). "tèkótèn 305.4, 415.4 'Dukaten': Der venezianische Golddukat (ital. ducato-, altvenez. ebenso, Pausch 129 u.ö.) wurde von 1284 bis 1797 ohne wesentliche Verschlechterung geprägt (vgl. z. B. Grierson [1956:] 79ff.) und war deshalb für die langfristige Hortung größerer Beträge wie auch für Orientfahrten die ideale Währung. Aus demselben Grunde ist der dueâte aber auch schon im Mhd. bestens bekannt. Außerdem zeigen die Lautwandlungen [d] ~ [/], [w] > [s] und [ä\ > [ö] in PuW, daß die Italo-Aschkenasen das Wort schon aus Deutschland mitgebracht hatten; es ist also kein spezifischer 'Italianismus' des ital. Jiddisch.

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"travànt 486.3 hier 'Diener': letztlich zu dt. traben, aber erst aus tschechisch trabant im 15. Jh. ins Deutsche, allmählich auch in andere europäische Sprachen (so wohl erst im 17. Jh. ins Ital.) übernommen; vgl. DWb Trabant, auch zu den Bedeutungen, zum -v- ibd. Sp. 943 oben. trómbetèn 152.4 'Trompeten', trómbetér 697.1 Trompeter': da dt. Trompete (seit dem 14. Jh., aus frz. trompette) und Trompeter in der Regel -mp- oder (durch Kreuzung mit trumme) -m(m)-, aber nur vereinzelt -mb- haben (DWb), ist das Wort in PuW wohl nachträglich durch ital. trombetta, venez, (auch altvenez.) trombèta 'Trompete; Trompeter' (Boerio; Pausch 139) beeinflußt. tulpan 544.2 'Turban': ital. turbante, daneben im 15./16. Jh. (oft auch bei Venezianern) tolpano, tolopan, tulopan(e), tulipán u.ä. (Battisti-Alessio); aus türkisch tulbend, dulbend, dieses aus persisch dulbänd. Im Dt. anscheinend erst 1572 belegt (tulbant, DWb s.v. Turban), also den aschkenasischen Einwanderern in Italien offenbar erst dort bekannt geworden. *vür-lai'én 417.8, viir-zu-lai'èn 602.8 'vorlesen', s. auch lai'én! wersil 176.5 'Brasilholz': ital. brasile oder verzino (mit [dz]), venez, verzin (Boerio) oder verzt (Mutinelli ; beide mit [z]); gibt roten Farbstoff an kochendes Wasser ab; seit dem Mittelalter aus dem Orient eingeführt (Heyd 1885-1886: 2.587-90); Brasilien wurde dann nach dem Vorkommen dieses Holzes benannt (Battaglia s.w.). zertö zert 105.1 'ganz gewiß': ital. certo, altvenez. zerto (Pausch 247 u.ö.), neuvenez. serto (Nazari); expressive Wortwiederholung ist im Ital. ziemlich beliebt. zukarine 176.7 'Zuckerbrei': ital. zuccherino, venez, zucarìn 'Zuckerwerk' (Boerio, Paoletti), früher auch 'ein Zuckerbrei' (Tommaseo-Bellini).

Glossar III : Zur deutschen Komponente Aufgenommen sind 1) alle Wörter, die in der Ausgabe Gegenstand eines Sprach- oder Sachkommentars sind (Stellenangabe kursiv), 2) eine notwendigerweise subjektive Auswahl 'interessanter' Wörter bzw. Gebrauchsweisen, wobei der 'interessante' Gesichtspunkt oft erst aus dem Kontext hervorgeht. Wo die lexikalische Grundform (unflektiertes Nomen, Infinitiv) aus der Textform nicht eindeutig abzuleiten ist, erscheint die Textform. Auf Übersetzung bzw. Wortklassenangabe wird verzichtet, wo eine solche ganz überflüssig bzw. wo eine Wiederholung des Kommentars aus Raumgründen untunlich ist. Geringfügige orthographische Varianz bleibt unberücksichtigt. ab-brengèn 'zugrunde richten' 160.1 abèr 'abermals' 458,8, 647.3 u. ö. abér-ainá 'abermals' 658.1 abèr-wiz-gàrtën 118.6 ab-gèn (an) 'abhängen (von)' 464.2, 616.1 ab-kumén 'herunterkommen' 515.2, 'Genugtuung leisten' 517.1 ab-lédigèn 'fallen lassen' 470.3, 'erlösen' 633.8 ab-leschën 'löschen' 448.8 ab-lósèn 'herablassen' 332.2 ab-reisën 13.7, 546.8 ab-zapéln 141.8 af 'Affe' 94.5 ag 'Auge' 666.5, agén Pl. 74.8 u. ö. aidèn, aidém, aidum 'Eidam' 429.4,449.8, 450.5 u.ö. aigën 301.6, 571.2 u.ö.; 'voll ergeben' 146.2 akèn 'Nacken' 186.2 aksél 'Achsel' 513.5, ôksèln Pl. 472.7 al-ding 'alles' 421.7, 433.4, 639.1, 694.5 als 'alles' 7.2, 65.8 u. ö. am 'Amme' 24.7, 27.4, 60.1 u.ö. an 'eine' 536.1 an-bègerën Vb. 290.2 an-blòsén 'anblasen' 716.8 and 'schmerzlich, weh' 3.1, 67.1 u.ö. andén 'sich sehnen nach' 389.7, 460.7 an-gèbiirèn Vb. 27.2, 40.2, 206.6, 466.7 angèl Türangel' 231.7 angéniigën 'zur Genüge' 142.4 an-gëscbmit 'angeschmiedet' 174.3, 559.5 an-groúfén 'anpacken' 599.7 angStën 'sich ängstigen' 625.1

an-haischën 'verlangen' 526.3, 567.4 u.ö. an-hèbén 'anfangen' 1.4, 12.1, 14.2 u.ö. an-lachèn 173.3, 711.2 an-ligën 'vorliegen, anstehen', an-gélegén 620.8

an-mutën 'bitten' 638.6, 668.7 an-scheinén 'sichtbar werden' 537.3 anschlak 'Plan' 230.1, 650.3 an-Springén 61.6 an-trefën 'betreffen' 45.8, 444.3, 500.3 an-zanén 'angrinsen' 178.6 an-zemén 'geziemen', an-zamén Prät. 30.6 arzën 'Ärzte' 451.5 augén-plik 285.7 bàin 387.1 u.ö. bainér 'Banner' 125.4, 136.3 u.ö. baitén 'warten' 60.5, 192.7 u.ö. bas 'besser' 63.5 u.ö., 'weiter' 204.5 bechèln 'sich wärmen' 335.8 bèdiirfniS 265.7, 566.8 bègliikèn 'gelingen' 249.2, 338.6 bégrôùfën 'ergreifen' 60.6, bégrif Prät. 627.5 bëhertén 'versichern' 360.7 beichtën 240.8, 245.5 beisén 223.8, 514.2 bëjôzën 'ja sagen' 458.1 béklebén 'verbinden' 714.6 békrekèn Vb. 167.6 bèlaitung 'Begleitung' 135.4 bèniigén 'genügen' nach 44, 124.8, 'Genüge tun' 363.8 bèrèdër 'Verleumder' 379.7 bërôtén 'beraten' 45.4

Zur deutschen Komponente bëriichtëtën Prät. 272.4 bèriimën refi, 'prahlen' 174.7 bèsachën 'festsetzen, besorgen' 263.5, 578.1, 629.7 bêsaichën Vb. 623.2 bèschafèn 'erschaffen', bèschaf Prät. 1.7 bèschaidèn 'auslegen, erklären' 400.8, 691.6 u.ö. béschaidlich 'deutlich, genau' 82.8, 168.6, 421.7 béschàisèn Vb. 331.6 bëschlisën 'einschließen' 391.7, 432.4 bëschrôtën 'beschneiden' 550.6 bèStelèn 'verabreden' 385.7 bèStèn 'bestehen, standhalten' 67.5, bestund Prät. 97.4 u.ö., bèStàndèn Part. 457.3 u.ö. betèn-brót 'Nachricht' 697.5 bètracht 'bedacht' 76.3, 91.1 u.ö. bètriibnis 272.2 bèwerèn 'wahr machen, bestätigen' 277.7, 569.6 u.ö. bidèr 'wacker' 20.4, 48.2, 139.7 u.ö. bisám 'Moschus' 650.5 biáén 'Bissen' 122.8 bisgèn 'bis' 495.8 u. ö. biSlich Dim. Pl. 616.4 bitèr Adj. 89.4 u.ö. blô' 'blau (geschlagen)' 92.4, 97.5 blôâén: ain b. lègën 'schimpflich scheitern' 566.2 blôù'én: b. in di' órèn 444.7 bôdèm Pl. 206.3 bók Tabuwort für 'Gott' 131.2, 160.7, 320.5, 599.4, 616.3 bón 'Bohne' 166.3 boétén Superi, zu 'böse' 108.8, 271.7 bôù'èn 'bauen' 44.2, 52.1, 171.8, 277.4 brang¿n 'prangen' 396.2 brechén an 'im Stich lassen, verraten' 68.3, 317.4 u.ö. brechèr: meinès herz b. 86.8 brei'èn 'weitläufig reden' 13.2 brezën 'Bretzeln' 617.5 brich-herz 297.2 brivlein 199.3, 496.5 bró'èn '(Augen-) Brauen' 177.3 bröüt 'Bräutigam' 456.1, 473.3

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bröutig 'Bräutigam' 459.1 brü' 'Brühe' 179.3 brtidèrschaft 37.7, 555.2 brumën 'lärmen' 698.2 bübérei 6.4, 167.3, 181.5 u.ö. biichlèn Dim. 2.7, 428.5 biiksèn 'Gewehre' 502.3, 628.7, 632.2 biikièn-schisën 23.8 bul 'Liebste' 257.3 bulér Pl. 'die Liebenden' 9.8, Π2Α u.ö. bulschaft 'Liebe' 59.2 biirgér-loút 702.3 bus 'Buße' 78.5 biisén 'bessern' 155.3, 'befriedigen' 270.8, 678.7 biitel 'Amtsdiener' 625.6 darf 453.3, 612.4, darßt(u) 68.4, 212.4 u.ö., dürft 27.7 u.ö., dirft 27.6 zu 'brauchen'; 523.8 zu 'dürfen' degën 'Held' 47.1, 72.3, 89.1 u.ö. degén 'Degen' (Waffe) 67.6, 690.6 dènén 'dehnen' 269.4, 590.2 u.ö. denf 'Dämpfe' 402.1 dérbármig 'barmherzig' 17.1 der-bet Imp. 'erbitte' 119.3 dërblicht Part, 'bleich geworden' 277.1 dërgezën 'vergessen machen' 186.7, 357.7 u.ö., 'etwas Gutes tun' 536.2 dër-hizén 'heiß werden' 41.8, 'heiß machen' 710.5 dër-kaltën 'kalt werden' 151.6, 606.2, 706.2 dër-keltën 'kalt machen' 107.6, 307.5 dër-kwirën 'erblicken' 372.5 dèrlab(èn) 'Erlaubnis' 255.2, 616.5, 667.2 dërlachën 'lachen, sich freuen' 624.6 dër-làidën 'leid, verhaßt sein' 474.6 dërlôsër 269.8, 656.8 dërlôucht 'illuster' 88.8 dërmai'ën 'ergötzen' 26.7, 84.2 u.ö. dërmainën 'ermahnen' 264.7 dëimiindërn 'ermuntern' 612.6 dërnôù'ën 1)'erneuern' 340.7, 2) dèrnei'èt Part. 278.8 dër-rôtèn 'rot werden' 343.6 dërschezën 'zu schätzen wissen' 679.4, 'aufwiegen' 270.6 dër-schnapën 75.8, 366.8

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Glossar III

d¿r-schreib¿n 'genügend beschreiben' 366.2 dèr-seàèn Part, 'steif gesessen' 373.4 dèrsetèn 'sättigen' 678.7 dèr-sidèr 'seitdem' 454.4, 647.8 dèrsint 'seitdem' 549.8 dèrSpraitén 'ausbreiten' 128.4 dèrSpiirén 342.7 dér-Stelén refi, 'sich (ver)stellen' 212.7 dèrâtund(èn) Prät. zu 'erstarren' 218.1, 259.4 u.ö., zu 'verstehen' 418.3 dértabèn 'taub m a c h e n ' 103.7 dèrtòtèn 'sterben' 236.4, 400.4, 438.6, 654.1 dér-trachtèn 'ersinnen' 7.2, 236.5, 527.2 dèr-trenkén 440.7 dèr-trinkén 339.6, 384.8 dér-vregèn refi, 'sich erkundigen' 581.7 dèr-vrógèn refi, 'sich erkundigen' 393.7 dèr-wàikèn 'erweichen' 259.7 dér-warmèn 'warm werden' 105.7 dèr-wegén meist refi, 'sich entschließen; etwas aufs Spiel setzen' 67.4, 111.6, 369.6, 419.6, 459.4, 534.6 u.ö. dèrwegén 'entschlossen' 96.7, 214.4, 598.3 dèrweitèrn 611.2 dèr-wèlèn 2.4, 717.2 dèrwerbèn 3.8, 282.7 u.ö. dér-wortèn dàs 'damit' 140.8, 460.6, 463.8 diamánt 134.3, 365.3 dimétlein 'Diamant' 671.8 dinën 'drinnen' 181.8, 524.2 u.ö. dinglich Dim. Pl. 511.7 dirèn 'Mädchen' 168.1, 307.4 u.ö. disèn ( = 'vorliegenden B r i e f ) 496.7 dóbèn 'da oben' 266.8 döde '?' 501.7 dórèn 'Dorn' 182.6 dôrflën Dim. 335.2 dösig: der/di/dás d. 'dieser, -e, -es' 15.3, 17.7, 32.1 U.Ö., dösich 509.5 dôùmën ' D a u m e n ' 540.4 drein-Stósén Vb. 21.8 dreksèln Vb. 355.8 dritèn: iibèr den d. 'jeden dritten (Tag)' 200.5 dröt 'schnell' 98.5, 182.3 u.ö. drum 'Ende' 348.5, 594.4

drumèln 'laut r u m o r e n ' 401.8, 438.8 driiinérn T r ü m m e r ' 49.4, 444.4 driisél 'Kehle' 624.8 düchtén hier 'gefallen' 69.8, 433.7, ducht/dücht 'dünkt' 13.5, 40.8 u.ö. dundër 'Donner' 259.2 dunkin 'Meinung' 339.2, 384.7, 620.6 diirèn 'verdorren' 222.6 ebèn 'recht, angemessen' 1.6, 24.4, 127.6, 221.6 u.ö. èbig 'ewig' 444.2, 492.4 èdèlkait 32.5, 79.8, 101.7 édél-loüt 137.5 eilèn 'zur Eile antreiben' 64.7, 104.7 u.ö. ein-gebën 'übergeben' 706.7 ein-kumén 'einig werden' 399.2 ein-reiéèn refi. 122.7 ein-schlag¿n 259.2 ein-schlukën 616.4 ein-wurzëln 320.4 eisën-ket 472.1 èlich 'rechtmäßig' 15.1, 143.7, 416.5 u.ö. eltër 'Alter' 117.6 ënpitën 'entbieten' 159.4, 480.6 u.ö. ënpôrt Prät. 'hob empor' 332.5 ënschlefën 'einschläfern' 257.8 èn(t)plekën'enthüllen' 65.8, 110.5, 179.4, 405.8 u.ö. ëntrinën 'entweichen machen' 281.8, 509.4, 'gebären' 23.2 ëntruchén 'sich entschlagen' 189.6 ëntwachën 'erwachen' 620.8, 624.4, 7 entwërn 'antworten' 153.5, 390.1 u.ö., enfërn 64.3 entwèrt 'Antwort' 64.8, 189.1 u.ö. enzlit 'Antlitz' 701.3, 8 er 'ihrer' 139.6, 184.5 erb 'der Erbe' 15.8, 593.5 erbën 'beerben' 409.6 erbër 'ehrbar' 78.3, 184.6 erbët 'Arbeit' 26.5 ergér 'schlechter, schlimmer' 45.5 u.ö. ergern 'schlimmer werden' 454.4 ersën ( = 'er sein') 624.6 èrwidèr 'dagegen' 188.3 es 'ihr' 2. PI. 176.8 esch 'Asche' 173.7, 350.3 èsèls-treibèr 304.6

Zur deutschen Komponente e$ik 176.5, 356.5 eSt 'Nest' ¡45.3 et 'Vater' 119.5, 161.5, 186.1 u.ö. f s. auch v/v falk s. Glossar II faátén Vb. 16.3, gèvaSt Part. 375.3, 470.1 feil s. pfeil fei s. vel firél-fai· 'Albernheit' 288.3 flómèn 'Pflaumen' 19.4 fórkèln 'mit der Forke schieben' 627.8 fraidlich 'freudvoll' 14.6 furëm 'Form' 101.6 fiir-schemèn s. vòr-schemèn fiir-Stal refi., Prät. 'stahl sich (hinein)' 280.5 gagèln 'strampeln' 207.6 gagèn: vòr-kerèn di g. 'sterben' 664.6 galgèn 320.8 gar: umé g. 'ums Ganze' 74.5, 460.5 u.ö. gaS 'Gasse' 163.2, 379.6 gèacht 'geschätzt' 19.3, 397.3 gèberd(èn) 272.2, 648.2, g. treibén 108.5, 369.5, 705.7 gèbet 'Bitte' 119.1, 160.4 u.ö. gebloú Subst. zu 'bleuen' 446.3 gèbôù 'das Bauen' 518.5 gèbrechèn 'fehlen' 83.4, 120.6, 148.6 u.ö. gèbrei 'Gebräu' 437.4 gèbròtèn s. gèsòtèn gèbrum 203.1 gèbuk 'Gebiicke' 594.5 gèbund hier 'Beutel' 630.1 gèdihèn 'gerichtet (auf)' 9.4, 351.2 u.ö. gèdrait 'gedroht' 348.8 gèdrangèn 'Bedrängnis' 375.7, 483.4 gègaf 693.6 gègatèr 'Gitter' 263.7, 644.8 gèglivèrt 'geronnen' 355.3 gègrab 518.6 gèheg '(Jagd-) Gehege' 34.5 geig 55.3 gèjeg 'Jagd' 34.3 géjeát Part. 56.5 gèjichz 'Gejuchze' 618.5 gékerbt 'mit einem Makel behaftet' 306.1 géklang 632.1 géklôpf 364.4, 618.6

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gèkrig 122.6 gèkitè 202.5 gèkutèr 'Gelächter' 432.8 gèlegèr 'Lager' 336.2 gelèn 'schreien' 180.7 gélingèn 283.4, 362.3, 499.6 gèmerkën 'grenzen an' 629.8 gènehèn 'sich nähern' 76.4, 527.7, gènót Part. 617.3 gènèn 'gehen' 246.4, 402.1 gênisèn 'genesen' 451.8 génód, génót 'Gnade' 16.8, 17.8, 353.1, 468.1 u.ö. gérechtig subst. Adj. 127.8 gèretlich Dim. 'Gerät, Zeug' 235.8 gèring(èn) 'leicht' 283.2, 371.4 u.ö., 'behende' 694.3 gèringén 'leicht machen' 58.7 gèrinklich 'leicht' 511.8 gèrôdèl, gérôdèl 'Gemurmel' 115.7, 163.3 gèrótèn 'ergehen' 410.2 gèrut 'ruhig' 120.5, 257.6 gèschaid Subst. 'das Scheiden' 367.5 geschlecht 306.2 gèschleg 'Spiel eines Zupfinstrumentes' 53.7, 54.1, 81.7, 98.2 geschlös 'Schloß' 40.4 gèschliidèr etwa 'Drum und Dran' 178.5 géschmak 'Geruch' 650.5 gèschiiôùzt s. schnôùzèn gèschrift 'Schreibart' 7.4, 'Geschriebenes' 405.8, 482.3 u.ö. gèschiis 'Geschieße' 632.1 gèschwaz 163.3, 187.5 u.ö. gèsegèn '(zum Abschied) segnen' 248.6, 566.7 gèsez 'Abschnitt' 302.7 gesind 'Hausgenossenschaft' 537.2 gesing 696.5 gèsòtèn un' gèbròtèn 31.4 géSpai' 'Speichel' 13.6 gèStàlt 17.6, 350.3 u.ö. géStenk 650.6 gèStreich 'Gestreichel' 513.5 gèStreklich 'stracks' 577.7 gèStrengèn Subst. 470.2 gètedèr 'Geplapper' 513.7 gètemèr 'Getöse' 137.4, 618.6

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Glossar III

gèvelèn 'gefallen' 38.5, 622.7 gevlecht 'das Flechten der Haare der Braut' 696.5 gévrischt s. vrischèn géwàin 164.1, 437.3, 660.5 géwènèn 'sich angewöhnen' 544.2 gèwinèn hier 'gebären' 23.4 gèwiSèn 'verbürgen' 561.4 géwonèt 'Gewohnheit' 190.4 gèzank 71.3 gezën 'ergötzen' 270.4 gèzenk 122.7, 124.3, 128.1 gézoúg' '(Rüst)zeug' 55.2, 63.3, 243.6 gézôùg 2 'Zeuge' 383.2 gim 'Feingold' 177.1, 308.5, 434.4 giz 'Muckser' 305.3 gizèn 'schwätzen' 130.4, 368.8, 696.6 glabéii 'Glauben' 298.8, 401.2 u.ö., 'Religion' 555.6, 695.4 gleich hier 'gleichsam' 199.5 gleichèn Vb. 43.2, 276.4 u.ö. gleichnis 253.1 glimèn Vb. 300.6 gòch 'ungestüm' 220.3, 588.5 u.ö., mir is g. 'ich bin begierig (zu tun)' 172.3, 389.5, 577.1 gögeln 'ausgelassen sein' 545.7 grab: der eltérn g. 504.3 greifèn s. groúfén greisèn 'vergraulen' 377.4 grènèn, grènlich s. Glossar II gril 'Schrei' 127.5 grilèn 'schreien' 449.7 grim-zórèn 391.2, 441.2, 529.2 gröiifen 'greifen' 60.2, grif Prät. 'begriff 338.5 gröAs 'Grausen' 299.3, 347.1, 369.7 grimsèln 'schaudern' 140.6 griibèln 'graben' 511.4 grund-vest 'Fundament' 510.3 grund-vesten 'begründen' 187.6 griinèn 'grunzen' 180.7 griin-gel 356.1 griitèln 'herumhantieren' 625.2 gruz Subst. 299.5 gülde(n) 'golden' 125.7, 243.3, 396.3 u.ö. gfildèn Pl. 'Gulden' 45.8, 85.7, 526.4 giinén 'gönnen' 170.4, gan '(ich) gönne'

477.5, 648.5 günér 'Gönner' 617.2 gfinát 'wohlgesonnen' 653.1 gutig Adj. 235.2 gutá: das g. 4.3, 708.4 u.ö. hab¿n: hebát 290.8, 352.8, heát(u) 167.2, 500.4 U.Ö., hetsén 44.4 haf: zu h. 'alle zusammen' 174.7, 354.7, 493.7 u.ö. haibt-man 355.1, 495.4, 499.3 haibt-Stát 14.7, 488.8 haid(èn) 494.4, 588.2 u.ö. haidisch 493.1 hailiklich 1.6, 399.6 heimisch 'einheimisch' 78.7 u. ö., oufs h. 460.1 haim-such 'Besuch' 229.7 haim-suchën 'besuchen' 563.8 haisch 'Aufforderung' 284.1 haischèn '(er)bitten' 48.5, 663.4 hai§¿n 'begehren' 287.8 halsèn 'umhalsen' 368.2, 637.7, 678.8 haltèn 'glauben' 8.4, 12.8 u.ö. han 'Hahn' 313.8, 472.4 hant-loút '?' 137.6 harén Vb. 62.7, 66.4, 75.2 u.ö. harpf 'Harfe' 52.3, 55.5, 696.7 hebst s. habèn heftèn 'verbinden' 272.8 heftèn Dat. von 'Haft' 669.8 heint 'heute nacht' 60.8, 61.8 u.ö. hekèn Dat. Sg. 167.2 hei 'hell wach' 551.1 heiin Gen./Dat. 'Hölle' 180.8, 249.8 helén-knabèn 401.4 helèn-vôùer 155.8 helér 'Heller' 505.6 helfén 66.3 u.ö., hilf '(er) helfe' 2.5, vor 374 u. ö„ helf 'hilf!' 565.6, hulf '(er) half 2.5 u.ö. hemèrlèn: maiétér h. 'der Tod' 131.8 hene 'Henne' 472.4 herb 'schwer, schwierig' 76.7, 88.2 u.ö. hèrôùàèr-schmizèn 'herausstoßen' 296.8 hèrôù§-plapèrn 168.6 her-ráitén 'aufzählen' 680.2 her-Stekèn refi, 'sich hinzugesellen' 677.6 hertikait 9.5, 464.8

Zur deutschen Komponente herzig 'Herzog' 29.1, 89.2, 436.2 u.ö. herzègèn-sun 'Herzogssohn' 279.8, 426.7 herzèg-, herzëklich 'herzlich (zugeneigt)' 148.2, 368.4 u.ö. herzèn-laidën 121.4 herzig 'mit Herz, mitfühlend' 293.7 hesch 'Seufzer' 350.5 he£t(u), hetsèn s. habèn hezèn Vb. 83.7, 357.8, 536.6 hl'èg 'hiesig' 115.5 hilèn 'tönen' 2.6, 258.5 himel-trón 142.5, 464.3 hindern Vb. 434.2, 593.4 hin-drabén 336.4 hinén 'hier' 116.7 hin-gènën 'hingehen' 681.6 hin-purzèln 320.6 hin-âtreichèn 14.5, 276.6 u.ö. hintèr-hàlt 'Hinterhältigkeit' 268.3 hintèr-liét 181.5 hintérSt 'letzt' 368.1 hin-vlàkèrn 155.8 hin-vlihén 563.6 hin-vlindérn 434.4 hirsch 166.8 hischt 'Seufzer' 49.3, 278.5, 557.2 hischtèn 'seufzen' 10.2, 592.4 hóchzeit 325.4, 452.7 hófàrt 'Hochmut' 181.5 hòfértèn 'hochmütig werden lassen' 249.1 höfung 159.6, 270.8 holt (habèn) 'lieb (haben)' 36.1, 40.1 u.ö., hôltèr 'holder' 24.6, 80.2, 653.2 hönig-wort 271.1 hönig-zung 466.5 hör: um ain h. Verstärkung der Negation 118.3, 'haargenau' 455.5 horlén 'Härchen' 626.6 hótèn 'gedeihen' 307.8, 410.4 hôùlën 'heulen' 356.8, 521.2 hóvirèn 39.2, 168.5 hövisch 240.6 hòzén 'eilen' 94.7 huid 45.7, 88.5 u.ö. hun 19.2, 479.3 u.ö. hünlich Dim. Pl. 4.6, 376.8 hüllt 'Hunde' 34.7, hündén 117.1 ; u.ö. hüntisch 'niedrig' 221.8

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hüpschlich 491.6 hur 438.3, 456.4 i 'je' 25.5, 90.1 u.ö., i un i 239.5 u.ö. im 'sich' 505.1, 3 u.ö. in 'ihnen' 16.7, 175.1, 265.4 u.ö. inèn 'inne' 50.3, 65.6 u.ö. ir 'sich' 510.7 irèn 'lästig sein' 567.4 is 'ist' 1.6 u.ö. izèn 'jetzt' 244.4, izun(ën) 13.5, nach 512, izund(èr) 46.8, 447.8 u.ö. jeh¿n 'sagen' 139.2, 154.4 u.ö. jemërlich 118.8, 152.7 u.ö. jenër euphem. 'Todesengel' 510.8 je£-halb 'zur anderen Seite hin' 338.2 jôp' s. Glossar II jor: ûbèr hundërt j. 637.5 juchzën Vb. 449.7 jüd 'Jude' 181.3, 602.3, jüdin 602.3, judèn 137.8 jukèn Vb. 141.7, 177.6, 376.7 kaf-loút 'Kaufleute' 137.5 kafmán-schazén Dat. 'Handelsware' 490.8 kainërlai hier 'irgendein' 417.5 kamër-weib 382.6 kandèl 'Kanne' 618.8 kap s. Glossar II kapôùn s. Glossar II kárnir s. Glossar II kègél: kind un' k. 137.7 keich 'Gefängnis' 391.3, 7, 510.4 u.ö. keichén 'keuchen' 604.2 kel 'Kehle' 248.8, 256.4, 346.8 kelbèrn 'mit den Ketten rasseln' 586.7 kemèrlein, -lén Dim. 131.7, 158.7, 208.5 u.ö„ kemèrlich Pl. 461.7 kerén (zu) 'richten (auf), wenden (an)' 39.3, 414.2 u.ö„ kórt(èn) Prät. 340.2, 441.1, 674.6 keSt 'Kastanie' 56.3 kind¿n 'gebären' 15.6 kipèln 'schelten' 114.7 kirschén Pl. 166.7 kiz 618.4 klafén 'schwatzen' 115.7, 465.8, 547.6 klain hier 'dünn' 605.5 klebèn Vb. 254.2, 288.4, 314.6

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Glossar III

klekèn 'genügen' 44.8, 428.6 kletén Dat. Sg. 197.6 klingiln Vb. 63.7 klingin 'musizieren', klungin Prät. 63.4, 5 klug 31.6, 185.3 kliigèn 'klug handeln' 281.2 klüglich 'klug' 1.7, 161.2, 581.4 klukèn Akk. Sg. 'Glucke' 4.6, 376.8 köf (= 'Kopf) 106.8, 712.6 kópf-brechèr 619.2 köstlich 'edel' 123.1, 580.7 kòzèn Vb. 623.2 krank(h)ait, krankèt 114.5, 203.4, 228.5, 381.6 u.ö. krechèln 'knabbern' 335.7 kremèr 137.6 krenzèlein 86.1 krig-löut 170.7 kriát(in) 10.6, 181.3, 492.4 u.ö. kristèline s. Glossar II krizèn 'ritzen' 696.4 krön Kosewort 120.3, 282.5 u.ö. kröpf 251.3, 393.5 krosèn 'zermalmen' 458.4 krótèn Akk. Sg. 'Kröte' 438.2 krôùséln 'rhetorisch aufputzen' 140.2 krôùslèn 'Krüglein' 619.7 krôùtlèn Dim. 551.6 kröüzlich Dim. Pl. 682.7 krunp' 'krumm' 12.2 ku': röte k. 211.8 kumèn: zu tail k. hier 'in die Hände fallen' 608.8 kiinig 'kenntnisreich' 220.7 kUnigèn 'herrschen' 492.7 kiinigreich 301.8, 622.5 u.ö. kiinig-Stab 504.5 kunschäft 'Bekanntschaft' 36.2, 41.1 u.ö. kutern 'lachen' 119.4 kwir 'Blinzeln' 42.3, 175.5 lafèn 'laufen' 43.3, 547.2, lóf(èn) Prät. 62.5, 553.1, 704.8, gèlôfèn Part. 341.8 lafèr hier 'schneller Bote' 128.6 lag 'Lauge' 302.1, 388.3 laichèn 'betrügen' 7.7, 43.6, 362.8 u.ö. laikènèn 'leugnen' 233.3, 259.8, 443.2 lanz s. Glossar II

lanzèn-Stechén Subst. 194.6 lanzum 'langsam' 210.8, 623.8 lap(èn) 'Narr' 75.7, 304.7, 377.1 las 'lässig' 339.1, 587.5, laàèr, lesèr Komp. 523.8, 552.2 lib 'Löwe' 1.2, 94.5, 96.4 lebèdig 74.7, 144.3 lecht 'vielleicht' 32.2, 86.8 u.ö., leicht 9.5 lidig 'frei' 67.8, 260.4, 715.8 u.ö. lidigin 'befreien' 398.2, 643.8 leicht '(man) leiht' 543.5 lei'èrèr 'Leierspieler' 55.4 lei'ërn 'die Leier spielen' 132.6 leimin: di' red 1. 2.8 leis 'Läuse' 21.6 lekin refi, 'sich schniegeln' 179.2 lernin hier 'lehren' 26.1, 8, 27.1 u.ö. lernir 304.4 leschin 'löschen' 173.8, 422.6 lesin '(vor)lesen' 156.2, 'erkennen' 366.5 leslich 'unauffällig langsam' 588.6 leStir PI. 'Laster' 516.2 leStirn: an der ir 1. 'die Ehre verletzen' 383.7 lezin 'aufhalten' 679.2 libscháft 'Liebe' 50.1, 59.6, 81.8 u.ö. ligin an 295.5, 607.7 lilgin 'Lilien' 182.7 lind-wurim 101.2 löchlin Dim. 519.2, 589.7 löftin '?' Dat. PI. 549.7 lón, lósèn 'lassen' 4.2, 237.1 u.ö., lot 'läßt/laßt' 17.5, 468.3 u.ö. lótir-dib 301.1 löügin 'leugnen' 184.8, 258.7, 445.8 lôùspèrn 'flüstern' 681.7 löiit hier 'deutlich' 552.5 löiit 'Laute' 52.3, 55.5 u. ö. löüt-seligin 'in Gunst bringen' 554.8 ludir 'Lockspeise' 172.6 lugin 'Acht geben' 185.5 machitir ( = 'machte ihrer') 97.5 macht(in) Dat. Sg. hier 'Können' 7.4, 97.2, iibir macht 'mit Anstrengung' 397.5 mài 'Mai' 87.5 maid 'Mädchen' 23.3 u. ö. maidlin Dim. 25.1, maidlich PI. 14.2,

Zur deutschen Komponente 167.4, 168.2 u.ö. màinën 'mahnen' 568.4 mainétèwerk 618.7 mainung 'Sinn' 407.3, 410.5 man '(ich) meine' 3.6 mártir 353.3, 531.8 u.ö. meit 'kleine Münze' 54.4, 586.5 meldën Vb. 342.4, meltèn 148.7 men 'mehr' 10.3, 49.2 u.ö. mene 'antreiben'? 530.4 menkèlérei' 'Eßwaren' 335.7 menklëtén Prät. 'aßen' 618.3 mer Pl. 'Mären' 14.2, 491.3 mesèr-âtich 273.2 michsèn (= 'mich + sein') 91.7 mild 101.1, 175.2 minér 'minder' 71.7, 276.7 u.ö. miát 49.5, 144.1 u.ö. miStöt 'Missetat' 297.4, 640.4 môchzèn 'meckern' 180.7 módél 'Form' 26.4 mògèn Pl. 'Verwandte' 128.8, 170.7, 191.1 mòlèn 'malen' 234.6, 245.8 mólkén Dat. Sg. 'Molke' 355.4 móm 'Mama' 187.3 u.ö., môme 164.2, 238.2, mòmó 186.1 mòrèn: Spróch vun m. 'arabisch' 489.4, 544.7, 587.2 môsën 'mäßigen' 477.4 moúl 'Mund' 356.7 moúl 'Maulesel' 240.2 moútén Dat. Pl. 'Maut' 569.7 miidèr 'Mieder' 178.3 mumèln 'leise rumoren' 401.7 miinch 'Mönch' 555.5, 7, 559.1 u.ö. miindën 'sich bereden' 245.2, 565.2 miinkèln etwa 'aufheitern' 381.7 murèn 'murren' 668.6 miischén 'mischen' 165.6, 238.1 mut 11.3, 57.1 u.ö. muten 'verlangen' 652.2 namén: sein (hailigèr) η. 'Gott' 1.6, 8, 679.7 nar(én) 'Narr(en)' 75.6, 94.5 u.ö. narèn-gartèn 227.2 nátoú'ér 'Natur' 669.2 [nebuch (wohl slavisch!) 'leider'; 'der/die Arme' 306.4, 372.8, 483.1, 534.6]

225

negbór 'Bohrer' 483.6 nezèn 'naß werden' 407.6 nidërn 'niederwerfen' 48.4, 'hinabsteigen' 117.8 nimán 'niemand' 77.8, nimánt 4.4, nimánz 42.5, nimët 140.8, nimëz 86.4, 97.6, 112.8 u. ö. nin 'nie' 78.3, 104.3 u.ö. nischt 'nichts' 1.7, 27.3, 403.1 u.ö. nit-mèn-gèselén Pl. 622.8 nòch-glózèn Vb. 94.8 nótèn Pl. 33.6 nôtén 'nötigen' 447.7, 642.3, génôt Part. 293.3, 444.8 nôu'èrt 'nur' 8.3, 34.3 u.ö. nous: iibèr ain n. 'von neuem' 677.7 niiz 'nützlich' 113.2, 411.4 niiz 'Nutzen' 47.8, 70.3, 500.4 òbènt, ôbèt 'Abend' 38.7, 97.8 obérât 499.3, 549.3, 636.8 ôch 'ach, weh' 458.5 òfèn-werlich 'öffentlich' 279.6 ôksëln s. aksèl òksèn-wegèn Pl. 459.5 óps 'Obst' 19.6 órèn Pl. 21.7, 716.7 u.ö. órgèl 52.3, 55.3, 152.4 òt 'nun, nur' 620.1, 628.5 u.ö. òtum, ótèm 'Atem' 484.3, 533.4 ouf-dekèn Vb. 555.8, 649.2 oufèn 'hinauf 296.3 ouf-klemën Vb. 615.4 ouf-muzèn 'herausputzen' 179.2 ouf-äpane Vb. 207.1 ouf-Spile Vb. 51.7 ouf-trene 'auftrennen' Vb. 671.6 ous-badèn Vb. 113.4, 558.6 ous-bitén 'nachforschen lassen', ous-böt Prät. 392.5 ous-dèr-kòrèn 321.2, 391.4, 654.7 ous-dèr-lesèn 72.3, 156.4, 414.7 ou&èn sein 'beabsichtigen' 7.7 ous-gebèn 'verheiraten' 697.3 ouá-gisén: dá& bad ouá-g. 391.8 ous-grttndën 'ergründen' 34.6, 394.4 ous-kloubën 'aussuchen' 19.6 ous-lesèn 'auswählen' 36.7 ôùs-ligén: was ligt dir öiis? 116.2

226

G l o s s a r III

ous-lón, -ló£èn 'enden, zum Schluß kommen' 373.7, 603.3, 'herauslassen' 310.1, 318.1, 398.7 ous-machin 'vollenden' 2.3, vor 602 ous-ne'ën 'ausnähen' 26.2 ous-reit¿n 39.6, 'voll durchreiten' 408.6 ous-rinën 'herausrinnen' 171.6 ous-rôùmén 'auspacken' 55.2 ous-rukin 'weglaufen' 541.6 ous-schneidin 251.4 ous-schreibin 'plagiieren' 6.6 ous-schrei'èn 'ausrufen' 126.2, 697.2, ous-gischri'in 'zu Ende geschrien' 103.8 ous-Spiirin 27.4 ous-tragin 'einbringen' 271.6 ous-werfèn 'aussprechen', wurf ... ous Prät. 504.1 ous-zihin 'herausziehen' 109.3, 218.8, 351.6, 'voll durchqueren' 408.5 palas s. Glossar II parádisén Dat. 266.8 pelz 596.8 perirèn s. Glossar II perlich 'Perlen' 4.8 u. ö. p i s ô ù m i n 'Posaunen' 55.6 pfaf 115.8, 340.2, 344.7 u.ö. pfeil 219.2, feil 110.4, vun bógén pf. 128.3, 343.8 pfelér 'eine Art Seide' 505.2 pferd 34.7, 89.3 u.ö. pflegin 56.7, 134.6, 171.6 u.ö., pfligèn 3. Pl. 22.8, 374.2, 424.8 pföüf Pl. 'Pfeifen' 55.6, 152.4 pfôùfèn 'pfeifen' 60.4, pijúfin 599.8 pischóf 78.1, 79.4 u.ö. pladérn 'prasseln' 71.8 plódérn 'plaudern' 439.8 pión 'Kampfplatz' 72.7, 142.1 pópSt 'Papst' 493.7, 535.2, 557.6 pôu'ér(n) 'Bauer(n)' 219.8, 378.1 u.ö. pôùfin s. pfôùfèn pöük Pl. 'Pauken' 55.6 prasèr 337.7 prèdig 'Predigt' 715.7 prèdigèn Vb. 398.6 présent s. Glossar II prisôùn s. Glossar II prôpèln 'murmeln' 313.6

prò? 'Prüfung' 41.3 purén 'toben' 456.2 purzéln Vb. 616.8 rabin 'rauben' 303.4 rachin 'Rachen' 437.6 rachin 'rauchen' 322.5 rai'in 'Schar' 39.7, 602.7 raigin 'lenken' 205.7 ráis 415.3 u.ö., di' ràis 'auf der Reise' 409.2, 540.5 razin 'kratzen' 140.4 ridig 'beredt' 374.2 regin 'Regen' 199.8 u.ö. reichtung 'Reichtum' 607.3 reim 'Reim' 11.2 reimin 1 'reimen' 2.7, 5.7, 11.4, 12.1 reimin 2 'raunen' 21.7 reitin 39.5 u.ö., Prät. räit(in) 138.8, 147.2 U.Ö., rat 382.7 rikin PI. 'Kämpfer' 60.7 remin 'anvisieren' 285.4 rinin: ranin Prät. 'rannten' 34.7, 'rannen' 660.6 ring 696.3 ringlein, -lin 365.1, 671.8, 673.8 ririn 'rühren' 1.3 ritin 'Fieber' 200.1 róch 'roh' 389.1 rödiln 'murmeln' 26.6 rölin 'herumlaufen' 201.8 rós 'Pferd' 117.2,210.4 u.ö. rötil-wagin s. Glossar II röüch 'rauh' 182.6 röü'irn 'reuen' 253.8 roúmin 'wegziehen' 540.6 röASpirn Vb. 681.8 rubin 'Rüben' 21.4 rubine Pl. 85.3 runzil-valtén Pl. 78.2, 180.6 rutin Akk. 'Rute' 293.4 sair 'Seife' 106.8 saigin 'säugen' 686.4 sáitin 'Saiten' 51.7, 54.2 u.ö. saitin-Spil 33.1 saz 'Stillstand, Ende' 77.1 schad 'Unkosten' 518.7 schafin 'gebieten' 278.4, 465.7, 554.4 u. ö. scheiden 68.8 u.ö., refi. 'Abschied neh-

Zur deutschen Komponente men' 361.2, 568.7 u.ö. schandén Dat. hier 'Scham' 436.8, 460.8 schänk 'Geschenk' 136.5, 672.2 schanz 'Glücksfall, Wendung der Dinge' 146.3, 462.5 schèdig 'Unglück' 260.6, 621.4 schédigën Vb. 398.4, 633.7 scheinin 'aufleuchten, sichtbar werden' 64.3, 460.6, scháin Prät. 337.3, 609.5 scheinlich 'strahlend' 469.4 scheisèn Vb. 131.4, 200.7, 223.1 scheitër: zu scheitër(n) gèn 'zugrunde gehen' 309.4, 611.6 schelkait 'Bosheit' 172.4 schendén 'in Schande bringen' 316.2, 354.6, 'tadeln' 560.2 schenk 'Geschenk' 553.5, 7 schenkèn 129.7, 255.8 u.ö.; schänk Prät. 703.7 schif 328.7, 578.3 u.ö. schif-man 488.2 schikèn 155.4 u.ö., 'tun, fügen' 230.2, 647.4 schimpfèn 'scherzen' 349.4, schinpfén 320.8 schindén Vb. 315.6, 448.6 schlecht 'schlicht' 233.3 u.ö., 'geradewegs' 94.7, 'schlecht' 66.1 u.ö., Komp. s. ergèr schlegèr 'Spieler eines Zupfinstruments' 51.8, 53.6 u.ö. schlemën Vb. 615.6 schlem¿r 618.2 schlemér-pfaf 335.4 schlóf-trank 612.5 schmaichèl 'Schmeichelei' 514.8 schmekëdig 'wohlriechend' 182.5 schmekën '(durch die Sinne) wahrnehmen' 430.5, spez. 'riechen' 477.8, 478.5, 649.4, 'Geschmack finden an' 11.2 schmirën: di kel sch. 248.8 schmitén 'schmieden' 2.8, 532.4, gèschmit 152.5 schnelén: hinôùé sch. 'schnell hinausdrängen' 212.8 schnizën Vb. 305.1 schnôùzën 'anschnauzen' 310.5 schnurén 'Schwiegertochter' 436.2

227

schnurèn: hin-wekè sch. 'sich davon machen' 612.8 schônën Vb. 183.4, 190.6 u.ö. schoúzlich 716.8, sich sch. Stelèn 'sich heftig erregen' 682.8 schreibër '(jüdischer) Berufsschreiber', auch 'Autor' 304.4, 466.8, 575.3 schuch 'Schuh' 21.5 schwàigën 'zum Schweigen bringen' 98.2 schwank 'flexibel' 242.2 schwank 'Streich' 71.1, 590.8, 601.1 u.ö. schwänz 'Schleppe eines Kleides' 396.5 schwazën Vb. 267.8, 545.4 u.ö. schwebet 'Schwefel' 177.2, 303.7 schwechën 117.1 u.ö., refi, 'sich quälen' 120.4 schwehër 'Schwiegervater' 3.2, 426.5 u. ö. schwemën 'durchschwimmen' 369.8 schwenkën 'scherzen' 584.2 schwerzën 'verdunkeln' 515.8 schwezën Vb. 237.8, 270.2 u.ö. schwöger 'Schwager' 516.8 sè'e 'säen' 585.2 seicht 'unbedeutend' 160.1, 245.1 seidè 'seiden' 125.4, 136.3 u.ö. seinër ( = 'sind ihrer') 107.4 seklich Dim. Pl. 577.8 sël 'Seele' 109.3, 362.2 u.ö. selb-andër 345.6 selb-drit 345.6, 668.1 seltën hier 'seltsam' 192.2 sene 'sind' 49.8 senf 402.3 setën 'sättigen' 602.4 sidèr 'später' 31.8, 263.6 sifzën s. siifzën sigèln 'signieren' 6.8 sint 'seit' 4.5, 121.7 u.ö. sômër got 'so mir Gott (helfe)' 290.7 sotèn 'solch' 29.8, 33.2 u.ö., sòtèn 119.7 sötig 'solch' 436.2 söu' 'Säue' 4.8 sôubër-leichën Adv. 623.6 soúern 'sauer sein' 312.6 Spaichét 'Speichel' 176.4 Spàzirën s. Glossar II Sperbër 76.8, 117.1 Sperbër-falkën Pl. 34.2, 546.4

228

Glossar III

Spil 54.3 U.Ö., ' F r e u d e ' 679.1 Spizin: sich Sp. ouf 130.2 Sprich-wort 83.5, 567.5 Spruch 'Gedicht' 5.6 Spruzèn 'sprossen' 585.1 Stab 'Staub' 616.7 Stech 'Turnier' 84.8, 90.6 Stechèn 'Turnier' 35.2, 77.1 u.ö. Stecher 'Turnierkämpfer' 86.7, 138.5 Stekèn 11.6, 12.6 u.ö., dárbei' St. 'dabei sein' 138.1 Sterkén hier 'stärker w e r d e n ' 197.7 Stet 'standhaft' 665.5 Stich 'Turnier' 99.8, 135.8 u . ö . Stiftèn 'ins Werk setzen' 482.5, 507.5 Stilèn Vb. 128.1, 322.6 u.ö. Stinkédig 182.7 Stinkén Vb. 180.7, 375.2 Stôùer, Stöür 'Hilfe' 238.6, 265.2 Streichin 'gehen' 70.8, 147.4, 643.2 Strekèn Vb. 213.4, 239.7 u.ö. Stróch 'Stroh' 109.1, Stró' 641.3 u.ö. Strôf 'ermahnende Zurechtweisung' 160.3, 239.4 Strófèn 596.2, 'tadeln' 184.4 Studirèn 32.7 Stüklich Dim. Pl. 481.7 S tul ' T h r o n ' 301.5, 614.5 u.ö. Stund Prät. hier 'lautete' 410.2, 496.7 Stund 'Zeitpunkt' 13.3, 251.7 u.ö., 'günstige Stunde' 607.6, vun Stundèn 'sofort' 479.6 Stunpf 'gedrungener M e n s c h ' 304.7 Stupfèn 'stoßen' 366.6 Stuzén: ouf ainèm St. 'plötzlich' 645.8 siidèln 'beschmutzen' 140.7 siifz 'Seufzer' 187.8, 227.3 u.ö. siifzèn 'seufzen' 286.7, 664.5, sifzën 10.2 siindèn 'sündigen' 238.4, 245.4, 598.8 suntag 386.1 siist 'sonst' 39.6, 42.2 u.ö. tab 'taub' 160.3, 201.7 u.ö.

357.2 tet 'Vater' 287.3 tichtën '(er)sinnen' 426.4, 503.8 u.ö. tiflich 'tief 509.7 tifniS 'Tiefe' 339.4 tölmez 'Dolmetsch' 590.8 töne s. tunèn tôrèn ' d ü r f e n , wagen' 291.8, 603.2, 663.4, tar 245.6, 320.5 u.ö., torst 25.4 u.ö., törst 587.7, 674.1, terstu 301.2 torkeln Vb. 627.7 töüblich D i m . Pl. 25.6 tôù'èrn 'dauern, leid t u n ' 118.7, 219.7, 613.7 töusch ('deutsch') hier 'jiddisch' 5.3 tôùtën 'deuten' 670.3, 683.3 toüvél 61.7, 83.7, 180.8 u.ö. tracht 'Schwangerschaft' 19.1 trachtën ' d e n k e n , n a c h d e n k e n ' 97.6, 106.3 u.ö. tram 'Traum' 400.3, 8, trem 'Träume' 401.1, 402.4 trapéln Vb. 141.7 travánt s. Glossar II trehér 'Träne' 3.4, 147.3 u.ö. trit 'Schritt' 676.7 tropf 'bedauernswerter M e n s c h ' 45.4, 251.1 U.Ö., tróP 710.7 trôstèr 16.6 trôii'èn 'Vertrauen' 277.2, 464.7 trôA'én 'traun, wahrlich' 44.4, 615.8 trukèn hier 'durstig' 616.6 truzèn Vb. 645.7 tUglich 'tüchtig' 161.4, 299.7, 581.6 tunèn 'tun' 45.2, 274.8 u.ö., tiinèn 170.6, 601.7, töne 200.4 turén T u r m ' 436.6 u.ö., tiirën ' T ü r m e '

tach 'Dach' 386.3 tadérn 'schwatzen' 71.7, 248.5 tagén 'taugen' 402.4, tag 'taugt' 126.3 u.ö. tag-ráis 431.3

tartsch '(eine Art) Schild' 85.5 tastèn hier ' a u s h o r c h e n ' 311.5 teg 'Tage' 34.1, 59.4 u.ö. tèkótèn ' D u k a t e n ' s. Glossar II tesch 'Tasche' 327.3, 422.2, 623.3 teSt 'tätest' 500.2, teitu 'tatest d u ' 287.4,

66.4,

tailèn 11.8 u.ö., 'zerstücken' 110.2, 198.7

40.4 u.ö. tiirlèn Dim. 215.4, 5, 231.7, 596.4 turnirèn Vb. 39.4, 191.8 iibèr hier 'jeweils an, j e d e n ' 200.5 iib¿r-bit¿n ' d u r c h Bitten bewegen'

468.8,

Zur deutschen Komponente 642.8, übér-betén 683.4 iibèr-furén 'überreden' 436.4 iibér-hóbén sein 'nicht nötig haben' 447.6 iib(è)rig 'überflüssig, übermäßig' 13.7, 192.2 u. ö. übér-klaid 208.7, 210.3 iibèr-wundèn Part. 607.4 ubèrzlingèn, urbizlingèn 'urplötzlich' 405.6, 710.7 iimëdàr, -tár 'immerdar' 70.8, 461.1 u.ö. iimèrn 'immer' 49.6, 444.2, 659.7 um-kraisèn 'umkreisen' 14.8 um-ringéln 63.8 um-schiirèn 'wühlen' 222.2 um-schwebèn 'herumschweifen' 327.6, 418.6 um-vang 'das Umfangen' 202.5 um-viirèn 'hintergehen, anführen' 461.6 iindèn 'Wogen' 394.2 un-gèert 'ehrlos' 301.1 un-gèlacht 'ohne zu lachen' 331.5 un-gèwart 'ungehindert' oder 'unverzüglich' 315.1 uns ( = 'und das') 182.8, 262.7 u.ö. un-tTÖulich 374.6 un-vèrdrósèn 332.4 un-vór-worèn 32.4, 321.4 u.ö. un-zeitig 'unreif 19.6 iinzën Dat. Sg. 'Unze' 534.2 un-zucht 'Ungezogenheit' 288.2 urbizlingën s. ubèrzlingèn urlab, -lap '(etikettegerechter) Abschied' 205.2, 321.8 u.ö., mit u. 'mit Verlaub' 223.1 urzèl 'Ausrede' 450.7 urzeln 'hinterhältig handeln' 320.2 vadén Konkretisierung der Negation 558.4 váigén 'demütigen' 517.4, 661.8 vail 'feil' 572.5 valschèrei 181.6 valschkait 173.1 vaát 'sehr' 36.4, 73.8 u. ö. vaátén s. faStèn vedér-kil 646.1 vedèr-pusch 396.7 vei'érn Vb. 132.4 veilèn 'feilen' 626.1

229

veintleich hier 'gewaltig, sehr' 548.2 vel, fei 'Fehler' 48.7, 271.7, 388.4 velèn '(an jmdm.) fehlen' 38.3 velschèn refi, 'sich verstellen' 690.8 vèr- s. auch vór- u n d vürvèr-bundèn s. vór-bindèn vèr-schleisèn 'verbringen', vèr-schlis Prät. 708.4 vèrschiitèn 'zuschütten' (bildlich) 165.5 vèrStè'-mich-hor 'Haar der Angebeteten' 459.5 vèr-, viir-Stópfèn '(Herz) verschließen' 368.7, '(Sprache) verschlagen' 484.4 vèr-suchèn hier 'durchmachen' 357.4, 699.5, 709.7 vèr-tilgèn 182.8 vér-wetèn 712.6 vèr-zetèn s. vór-zetèn vest 'Festung' 25.4, 284.8, 441.8 vidlèr 55.4 vingèrlein 'Ring' 673.3 vir: zu virèn 'gegen vier Uhr' 319.6 vláisén 'sich befleißen' 331.2 vlemën 'flammen' 321.7 vlihèn 'fliegen' 9.2, vlicht 'fliegt' 628.7, vlòcb/vlóhèn Prät. 95.5, 343.8, 423.3, 628.6

vlikén 386.6, 'stückweise bessern' 522.4 vlucht hier 'Flug' 699.1 vögeler 546.1, 547.4, 8 u.ö. vôgèl-knabèn 573.6 vögeln 'Vögel fangen' 77.4, 545.8, 548.5 von 'Fahne' 142.3 vór-ahèn 'zuerst' 247.7, 404.1 u.ö. vôr-bindèn: ouf seinèn leib ν. 'ein Enthaltungsgelübde auf sich nehmen' 22.5, vor-, vèr-bundèn 'verpflichtet' 378.8, 497.6 vór-blasèn 'verschnaufen', vör-blis 545.3 vôr-blichèn part. Adj. 367.4 vór-dai'e 'verdauen' 157.2 vór-entwèr(t)èn 'verteidigen' 379.5, 386.5, 465.3, 467.6 vór-gebèn hier 'schenken' 298.8 vor-gèbrei' 'langatmige Vorrede' 288.1 vör-gecht Imp. Pl. zu 'übereilen' 224.1 vór-genknií 'langsamer Untergang' 525.2 vór-, vér-helèn 'verbergen' 92.6, 256.6, 7,

230

Glossar III

586.5 u. ö., vór-, vèr-hólèn part. Adj. 'unkenntlich gemacht' 100.2, 501.1 u.ö. vór-helung 'Verstellung' 44.3 vór-kerén di' gagèn s. gagèn vôr-lôfèn Part, 'auf Abwege geraten' 524.8 vór-meidèn 'aufgeben' 289.6 u.ö., vórmitèn 'abgewendet' 159.2, 482.8 vór-mó£èn Part, zu 'vermessen' 157.7 vôr-miigni£ 'Fähigkeit' 159.7 vór-mumeln 'verhüllen' 438.7 vór-nichtèn 'für nichts achten' 600.2 vôr-retèr 529.7 vôr-retèr-man 526.5 vór-, fiir-schemèn 'beschämen, zuschanden machen' 285.2, 467.7 vór-schikèn 'fortschicken' 647.2 vór-schlófèn Prät. '(sie) versteckten (sich)' 62.6 vór-schmach(t)¿n 'verschmachten' 525.2, viir-schmacht 76.5 vor-, vür-schmeit etwa 'schamlos' 438.3, 456.4 vór-schmóch 1. Sg. 436.1, vör-schmöcht 2. Pl. 529.3, vór-schmecht Part. 224.3 zu 'verschmähen' vor-, vür-schneidén: viir-schnitèn 'vernichtet' 159.6, vór-schnitèn 'abgeschnitten' 293.8 vor-, viir-schwechèn 'schwach machen, Schmach antun' 306.4, 443.4, 562.4, 688.4 vór-sichèrn 'sicher machen' 297.6 vór-Spetèn 'verspäten' 417.6 vór-Stènèn 'verstehen' 588.3 vor-, vûr-$tôrèn 'zerstören, aufheben' 603.4, 663.2 vór-Stósèn 'verstecken' 225.7 vor-suchnis 'Bewährungsprobe' 41.3 vór-tragèn 'nachsichtig hingehen lassen' 297.4, 'erlassen' 641.7 vór-ttìnèr 'Verschwender' 617.4 vór-vinstèrén 515.8 vór-vlisèn 'eifrig (bedacht)' 66.8, 605.2 vôr-vlôzèn 'überfluten' 338.4 vòr-wagèln 'sich verlieren' 207.4, 334.7 vòr-weksèln 'verändern' 355.7 vór-, vèr-zetèn 'fallen lassen' 533.8, 683.2,

712.4 vöüern Vb. 'feurig sein' 312.4 vrai'èn 'erfreuen' 257.1; refi. 423.8, 430.2 vralich Dim. Pl. 'Fräulein' 241.8 vraw¿n-bild 'Frau' 101.5, 345.5 vrawèn-herz 105.3 vrawén-huld 172.3 vrawén-libschàft 196.2 vrawèn-wort 277.4 vrech 'kühn, tapfer' 31.7 vregèn 'fragen' 47.3, 394.3, 476.4, s. auch vrógèn vrei' 'hochgemut' 35.1, IIA, 93.5 u.ö. vrei'èn 'frei machen' 569.7, 575.7, gèvTeit 595.3 vremd hier 'sonderbar' 491.7 vrid-lebën 'friedliches Leben' 14.6 vrischèn 'erquicken, wiederbeleben' 165.3, gèvrischt 58.1 vrischlich 'munter' 109.7, 216.5, 486.4 vrógèn 'fragen' 21.3, 91.2 u.ö., s. auch vregèn vrum hier 'ehrlich' 203.5 vrümkait 305.6 vrutig 'munter' 235.4 vund 'üble Nachrede' 374.3 viir-gèhôùs 'Vorgehäuse' 299.1 viir-glafèn 'vergaffen' 682.6 vttr-prèdigèn 643.7 viir-sagën 'zu Ende sagen' 212.4 viir-schmacht s. vór-schmach(t)èn vür-schmeit s. vör-schmeit viir-schnitèn s. vór-schneidèn viir-schwechèn s. vór-schwechèn viir-Sprech 'Dolmetscher' 588.8 viir-Sprechén 'dolmetschen' 652.6 vür-ítópfén s. vèr-Stòpfèn viir-âtôrèn s. vôr-stôrèn wachtèlèn 'Wachteln' 617.6 wadèn 'waten' 338.8, 370.6 waidlich 'stattlich, frisch, keck' 14.4, 89.4, 168.4 wald 445.6, weld PI. 34.5, 342.6 walhën 'Romanen' 588.3 warèsèn ( = 'waren + sein') 633.5 warnèn: warèn '(ich) warne' 181.2 wa§, waét s. wisèn wè' s. wind

Zur deutschen Komponente wé'e Pl. 'Geburtswehen' 20.7 wé'e Vb. 'weh tun' 188.8, 655.7 weier 'Weiher, Teich' 58.3 weld s. wald welèr 'Wallfahrer' 505.4 welsch 'romanisch' 428.1, 7, 587.4 u.ö. wendèl-miitig 318.6 wénën 'wähnen, glauben' 180.3, 269.6, 544.6 wenk(ën) Pl. 'Bewegungen, Gebärden' 103.2, 271.1, 646.6 u.ö. werbën '(den Kampfplatz) erobern', wurbèn Prät. 72.7 wersën ( = 'wäre + sein') 47.6, 129.3 weschën 'waschen' 260.7 wet 'quitt' 685.5 wétag 'Schmerz' 213.3, 541.7 widèr-kerén hier 'zurückgeben' 246.1, 398.8 widérn refi, 'sich weigern' 48.6 wi'-fèl 'wieviel' 21.1 wilën: mit w. 'gutwillig' 453.6 wiligën 'jmds. Wunsche folgen' 425.3, 435.6 wind 'weh', wè' un' w. 22.1, 83.1, 556.6, windèr Komp. 294.7, 593.6 winklën Dim. zu 'Wink' 29.6 winziglén 'Winzigkeit' 699.8 wirsér 'schlimmer' 185.7 wirtá-hous 373.2 wiéèn, wüáén 'wissen' 11.5, 53.5 u.ö., was 'weiß' 282.1, 285.1, wait 'wußte' 29.8, 113.4, 6 witèrn 'auslüften' 208.8 wi'-wol dᣠ59.1 u.ö.; 'jedoch' 481.1 wiz 'Verstand' 281.4, 290.8 u.ö. wóf 'Wappen' 92.3, 94.4 u.ö., wófèn Pl. 'Waffen' 62.2, 231.4 u.ö. wógèn 91.4 u.ö., wöget 'wagte' 518.7 wol-gèrótèn 'Wohlgeratenheit' 305.6 wôrfèn 'werfen' 182.3, 456.6 wortlën Dim. 547.2 wor-zaichèn 214.7, 347.4, 371.8, 528.7 wiidëln 'sieden, brodeln' 140.8 wund 'Wonne' 228.7, 424.1 wundër-zaichën 102.2

231

wundérn Vb. 12.3, 612.2 wur 'würde' 185.7 wiirèn ( = 'wären') 61.7 wüschen 'wischen' 165.4 zam 'Zaum' 339.1 zart 'lieb, teuer' 48.1, 190.1 u.ö. zechèr 619.6 zeich, zeicht 1. Sg. 51.1, 3. Sg. 245.3 zu 'zeihen' zeltér 'Zelter' 117.2 zer- s. zu- und zurzerèn 'Beköstigung' 431.7 zihèn 9.6 u.ö., zôch/zôhën Prät. 3.3 u.ö., 37.6 u.ö., zôch/zôchét/zôhën Konj. 190.8, 324.2, 569.8; vun ledèr ζ. 71.6 zil 'festgesetzter Zeitpunkt/Ort, Frist, Ende' 87.6, 470.8 u.ö. zilèn 'an einen Ort bestellen' 322.2 zôtèn Pl. 'Zotten' 316.7 ziibèr Pl. 'Zuber' 334.6 zu-brechén 'zerbrechen' 35.6, 83.2, 453.4 zu-gètrôù'én 'zutrauen' 336.7 zu-hakén 'zerhacken' 122.8 zu(r)-keinén 'spalten, bersten' 460.4, 537.1 zukën 'wegnehmen' 4.4 zu-kwetschën 'zerquetschen' 138.3 zur-zank¿n 'zerzanken' 122.1 zurzôAsëln 'zerzausen' 140.4 zu-schlagèn 'anschlagen, wirken' 157.5 zu-schnitèn Part, 'zerschnitten' 268.8, 654.2 zu-Spaltèn 'zerspalten' 641.2 zu(r)-$pringén 'zerspringen' 119.8, 521.4, 536.8, 662.5 zu-Stelën 'zukommen lassen' 46.4, 487.8, 703.6 zu-trechtën '(ein Übel) beilegen' 306.6 zu-valën 'zufallen, zuteil werden' 249.6 zu-weilëné 42.1, 46.1, 547.1 u.ö. zwagën 'waschen' 106.8, 302.1, zwug Prät. 388.3 zwang 'Zange' 483.6, 615.3 zwenglich Dim. Pl. 177.4 zwivél 'Zwiebel' 21.3

Glossar IV:

Index Geographicus

Namen, deren Lautform nicht aus dem Italienischen herzuleiten ist, sind mit * (bibelhebr.) bzw. ** (dt.) bezeichnet. Alèsandri'e 532.7, 563.4, hingegen Alèsandérs 559.7, AlèsandèrS 578.8 'Alexandria': ersteres zu ital. Alessandria; auch letzteres mit ital. [Í] statt aber mit jenem essentiell unitalienischen [-s], das sich gelegentlich an jidd. und dt. Namen von Orten des Mittelmeergebietes findet (vgl. z. B. Hamavdil Ms. Cambridge 32.3 Mainstérs 'Mestre bei Venedig', dt. Mesters, Napelz 'Mestre, Neapel' bei Pausch 162; siehe auch unten zu Mugèl!). Andrinópól 488.7 'Adrianopel': aus griechisch-lat. Hadrianopolis ; in den europäischen Sprachen des Mittelalters und des 16. Jh. meist Andrinofpoli oder ähnlich), so noch in Mercatore Atlas (Duisburg 1595) Andrinopoli; heute ital. Adrianòpoli, türkisch Edirne. Barut 629.1 'Beirut': altital. Barut(t)o, Barut(t)i, so auch in den ital. Paris-eF/'ena-Drucken. Bezüglich des Fluchtwegs Alexandria-Beirut-Zypern-Europa ist daran zu erinnern, daß bis in die frühe Neuzeit alle Schiffahrt, soweit irgend möglich, Küstenschiffahrt war und daß Zypern in christlicher Hand war; siehe Zipèrn! **Berén 380.6 'Verona': alter jidd. und dt. Name für ital. Verona, vgl. z.B. einerseits Titelseite und Druckernachwort des hier edierten Drucks, andererseits die Gestalt des Dietrich von 'Bern'. •Bovel 540.8, 591.7 der Sache nach hier 'Kairo'; eigentlich der bibelhebr. Name von Babylon. Die ital. Vorlage hat in Babylonia al Chairo, wie überhaupt in spätmittelalterlichen europäischen Quellen Babylonia meist die Stadt Kairo bezeichnet. Dort saß der (Mamelukken-)Sultan von Ägypten und Syrien, bis sein Reich 1516/17 von dem (Os-

manen-)Sultan von Konstantinopel erobert wurde. An letzteres Ereignis erinnert der jidd. Dichter deutlichkeitshalber in 492.8; unsere Erzählung ist also nach 1516/17 geschrieben, soll aber (lange) vor diesem Datum spielen. Zum Sultan von Kairo gelangt Dolfin auf ziemlich direktem Weg über Zypern (505.8), Paris aber als ruheloser Liebender erst nach einer riesigen Rundfahrt über die Türkei (489.1) und Indien (539.5) sowie - schon auf dem Rückweg (540.1) - über Damaskus. Der anschliessende Weg von Kairo nach Alexandria wurde wie von Paris (576.3-8) so auch von vielen anderen Reisenden zu Wasser zurückgelegt (Labib 1965: 151-157). **Biirgèn-landèn (Dat.) 426.7: dem Sinne nach 'Burgund' in Frankreich, der Form nach 'Burgenland' in Österreich. Die ital. Vorlage hat Bergogna oder Borgogna 'Burgund'. Zum Problem vgl. Maisèn und Win. *Damesek 540.1 'Damaskus': schon bibelhebräisch. Zu Paris' Reiseroute vgl. Bovel! Engèl-land s. Ingilterén Fèrer 380.5 'Ferrara': ital. Ferrara, in der (emilianisch-romagnolischen) Umgebung der Stadt aber [e] statt [α] (Rohlfs 1966: § 19). Auch Hamavdil hat Oxf. 16.1 Fèrer = Cambr. 38.1 Farer. Franz 146.1 u.ö., Fránze (Dat.) 103.3, Franzèn (Dat.) 217.4 u.ö. 'Frankreich': ital. Francia, altvenez. Franza (Pausch 159); zwar erscheint auch im Mhd. um 1200 vereinzelt Franze (aus frz. France), wird dort aber bald von Franknche verdrängt. In PuW also wohl Italianismus. [Hingegen stimmt Franzén '(die) Franzosen' 122.5 u.ö. zu dem mhd.-nhd. häufigen Franze 'Franzose'.]

Index Geographicus Indi'e 539.5 'Indien': ital. India. In der ital. Vorlage kommt Paris auf dem Weg nach India nur bis Basra und Hormuz am Persischen Golf, kehrt dann in Richtung Damaskus um. In PuW hingegen gelangt er wirklich bis zu dem südwestindischen Hafen Kalikut 539.5, der im 16. Jh. in Europa hochberühmt war als Endpunkt jener Entdeckungsfahrt des Portugiesen Vasco de Gama um Afrika herum (1497-99), die den Levantehandel Venedigs sofort in eine Krise gestürzt hatte; vgl. Heyd 1885-6: 2.508-545, Labib 1965: 441ff., 446f. Ingilterèn (Dat.) 427.2 'England': ital. Inghilterra, altvenez. Ingelterra (mit [g], Pausch 159). [Doch auch Engèl-land 134.1, zu mhd. Engellant.] Itáli'e 535.7 'Italien': ital. Italia. Im Dt. ist dieser Name im 15. und 16. Jh. noch wenig volkstümlich: das venez.dt. Gesprächsbuch übersetzt Ytalia = welische lant (Pausch 162), und selbst Luther gibt in der Apostelgeschichte 27.1 griech. 'Ιταλία mit Welschland wieder. In PuW also Italianismus. Vgl. Lampártén! **ïenf 371.8 u.ö. 'Genua' (nicht ' G e n f ) : ital. Genova ; dt. (spätestens gegen 1400) Jenw und ähnlich (Pausch 66 Fußnote 193). Kalikut 539.5 'Kalikut' (Hafen in Südwestindien, nicht 'Kalkutta'): s. Indi'e! Kóétántinópól 488.8 'Konstantinopel': ital. Costantinopoli. Krémóne 436.6 'Cremona': Cremona hat in der Tat den höchsten Glockenturm Italiens (121 m), abgesehen von der Kuppel des Petersdoms (132,5 m), die aber erst 1547 begonnen, 1590 vollendet wurde. ""•Lampártén 633.4 'Lombardei' (oder noch: 'Italien'?): zu mhd. Lamparten 'Italien, Lombardei', nicht zu ital. Lombardia. Wie weit an dieser Stelle (und BB 3.1 u.ö.) die Einengung von 'Italien' auf 'Lombardei' vorangeschritten ist, ist nicht zu erkennen. - Vgl. Itáli'e !

233

Lavilóne 488.6 'Valona': aus altgriech. Αυλώνα (Akk.) über mittelalterlichgriech. [avlóna] (Akk.); der [/]-Vorschlag zuerst belegt bei Idrisi: labluna (von romanischem Informanten; Miller 1926: Blatt IV); heute albanisch Vlorë, ital. Valona. Einer der beiden Haupthäfen Albaniens; kürzeste Überfahrt von Italien. In Valona beginnt der eine der beiden Zweige der römischen (und später zu allen Zeiten wichtigen) Via Egnatia über Adrianopel nach Konstantinopel, die auch Paris benutzt. **Maisèn 279.8 '(das Herzogtum) Meissen': es umfaßte unter anderem Leipzig und Dresden ; die ital. Vorlage hat stattdessen Analdo 'Hainaut' (im heutigen Belgien). Zum Problem vgl. Biirgënlandèn und Win; vgl. ferner Einführung 10.4.2 Anm. 152. mamèlukèn 582.8 u.ö. 'Mamelucken': ital. Mamelucco (aus arab. mamluk 'Sklave') 'Angehöriger jener türkischen Soldatengruppen, die in Ägypten im 13. Jh. die Herrschaft an sich rissen und bis 1517 ein eigenes Sultanat behaupten konnten'. Dt. Mameluck (aus dem Ital.) ist erst gegen 1500 belegt; die ItaloAschkenasen haben das Wort also wohl erst in Italien kennengelernt. Mántu'e 380.5 'Mantua': ital. Màntova, altvenez. Màntua, Màntoa (Pausch 162, 270). "Mizrajim 490.4, 539.2: 'Ägypten', schon bibelhebräisch. Mugèl 628.8 unsicher; wenn Ortsname, dann 'Muggia' : diese Hafenstadt 11 km südlich von Triest, im Mittelalter Mugla (ebenso im örtlichen Dialekt bis zur Gegenwart, Rosamani), dt. Mugels z. B. im Atlas des Gerardus Mercator (Duisburg 1595), war von spätestens 1420 bis 1797 Venedigs nördlichste Besitzung an der Ostseite der Adria; fast auf derselben Breite wie Venedig selbst gelegen, war sie wegen der in ganz Europa vorherrschenden Westwinde in der Regel leicht und schnell zu erreichen. Asch-

234

Glossar IV

kenasen sind in Muggia seit dem 15. Jh. belegt (Milano 1963: 133); Muggia und Muia sind heute jüdisch-ital. Familiennamen (Schaerf 1925: 24, 64). Hingegen scheidet der obertoskanische Landstrich Mugello wohl aus, weil er nicht zu Schiff erreichbar ist und zudem aus geographischen Gründen den Aschkenasen wenig bedeutet haben kann. Ôlànd 314.8 'Holland': ital. Olanda. Pade 380.6 'Padua': ital. Pàdova, altvenez. Pàdua, Pàdoa (Pausch 162, 270). Vgl. übrigens Pada schon bei R. Israel Isserlein (Leket joscher, Freimann 1903/4: 2.95.23). Paris 258.3, Pàris 125.3, Pârisèn (Dat./ Akk.) 147.8, 496.8 '(die Stadt) Paris': das Sajin deutet eher auf altvenez. Parise (mit [z]) als auf dt. Paris (mit [j]; beide aus altfrz. Paris mit [j], das allmählich verstummt). Dieselbe Graphie benutzt der Dichter auch für den Namen des Helden. **Pròbènt 38.8, 190.3 'Brabant' (nicht 'Provence'): die italienische Vorlage hat in Franza in Barbant(e); vgl. BB 231.7 Bròbant 'Brabant'; niederländisch Brábant < *brâch-bant, also mit altlangem -ä- (> jidd. [ö]). Der PuW-Druck hat Provént, wohl durch Verwechslung mit 'Provence' (vgl. DWb 'Brabant': Probant bei Kaysersberg). •"Tatèr 672.2, 681.4 'Tartar', Tatèrn (Dat.) 672.7 'Tartarei': schon mhd. Tater, volkstümlicher Name der Mongolen und ihrer türkischen Nachfolgestämme im heutigen Südrußland, im ostjidd. Bewußtsein lebendig geblieben (nj. toter, toterisch); im Dt. und Ital. seit dem 13. Jh. allmählich tat- > tartdurch Einfluß von tártarus 'Hölle'; in PuW also nicht ital. beeinflußt. * "Türkei 489.1 'Türkei': zu dt. Türkei, nicht ital. Turchìa-, Türk 544.6, 591.5, 681.4, 691.4, Tiirkén 588.2: zu dt. Türke(n), nicht ital. Turco.

•»Vènèdig 374.4, 377.4, 7 'Venedig': ital. Venezia, venez. Venesia (heute mit [i], altvenez. mit [z], Pausch 162); mhd.nhd. Venedig. "Vlandèrii 37.6, 427.8, Vlindërn 314.8, 'Flandern': zu dt. Flandern, nicht zu ital. Fiandra (so in der Vorlage). »•Weidèn 380.6 'Udine': alter jidd. und dt. Name von Udine, vgl. z. B. Hamavdil Ms. Cambridge 36.1 Weidén sowie die Gleichung Vdine = Weiden im venez.dt. Gesprächsbuch (Pausch 162). Der Name ist durch Vermittlung von slowenisch Videm ( < * Vüdinü) aus romanisch (und speziell ital.) Udine entstanden. " W i n 14.7, 78.1 u.ö. 'Vienne, Hauptstadt des Dauphiné in Südfrankreich': ital. Vienna (altnordital. Viena) bezeichnet 1) Vienne, 2) Wien. Der jidd. Dichter meint wohl (wie seine Vorlage) Vienne (man spricht dort romanisch, s. Glossar II s. v. latein; Oberherr ist der König von Franz, s. dieses); er wählt aber den deutschkomponentigen Namen Win (zum Problem vgl. Biirgen-landën und Maisèn!). Für die Heldin hingegen (die in der Vorlage auf den Namen der Stadt getauft wird, »weil ihr künftiger Ehemann mit ihr auch die Stadt besitzen werde«) behält der Dichter das Viena der Vorlage als Wiene bei, offensichtlich, weil Win lautlich keinen Frauennamen suggerieren würde. **Zipèrn 505.8, 629.6 'Zypern': zu dt. Zypern, nicht zu ital. Cipro. - Der Satz, Zypern sei dem Heimatland des Dolfin benachbart (629.8), ist aus der ital. Vorlage übernommen; er kann nur bedeuten, Zypern gehöre »zum selben politischen Lager«: denn die Insel stand von 1191 bis 1489 unter französischen Königen aus dem Hause Lusignan (und gehörte anschließend bis 1571 zu Venedig).

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