Palmblätter: Teil 3 [Reprint 2018 ed.]
 9783111442600, 9783111076294

Table of contents :
Inhalt
1. Zulima
2. Die Bußpredigt des Imams von Bagdad
3. Mahadi
4. Sadi
5. Maan und der Soldat
6. Der schlaflose König und Moradbat
7. Das verlorne Kameel und die drey aufmerksamen Brüder
8. Ibn-Agesar und seine Palmblätter
9. Der Trost der Weisen
10. Dakianos oder die Wirkungen des Reichthums
11. Der Kalif und sein Liebling
12. Der Wahn mächtiger als die Heilkunst
13. Großmuth und Gastfreiheit
14. Der Wechsel des Schicksals
15. Die Bürgschaft des Dichters
16. Der fromme Derwisch
17. Das Glück der Unterthanen und der Fürsten
18. Die zwey Sultane
19. Die Geistesgegenwart
20. Königliche Wünsche
21. Der Mann, der sein Glück machen will
22. Furcht und Tugend
23. Das Gebet und die Arbeit
24. Auch der Geringste kann uns nützen
25. Der beschämte Großvezir
26. Viel hilft nicht immer viel
27. Der Rubin und der Diamant
Frontmatter 2
Inhalt
1. Achmet oder der Schah der Könige
2. Wie wird man weise?
3. Die Folgen der Ehrsucht
4. Der Thronfolger
5. Die beiden Freunde
6. Die Wittwe zu Zehra
7. Der Satrap im Reiche der Schatten
8. Der kluge Mann sucht alles zu seinem Vortheil anzuwenden
9. Der Schah eines egyptischen Königs
10. Die Wollust und der Giftbaum
11. Der Vogel der Selbsterkenntniß
12. Der uneigennützige Großvezir
15. Firnaz und Mirvan
14. Der Sieg der Wahrheit
15. Das Vertrauert auf die Vorsehung
16. Der Magus Schachabeddin, oder die Heilung des Unglaubens
17. Ohne Anstrengung wird man nie zum Ziele gelangen
18. Unternimm nichts, ohne vorher den Ausgang reiflich zu erwägen
19. Der junge Sultan
20. Wer gesund und froh leben will, muß arbeiten
21. Der unzufriedne Derwisch
22. Der Kaufmann und sein Freund
23. Der bestrafte Geiz
24. Der gewissenhafte Kaufmann
25. Auch das Heiligste ist dem Mißbrauch der Bosheit ausgesetzt
26. Die Ohnmacht menschlicher Größe
27. Die drey Neidischen
28. Der Großmogol und sein Hofmeister.
29. Chinnong
30. Salah’s Gesicht

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Palmblätter. Erlesene

morgenländische Erzählungen für die Jugend. Bon

3. . Herder und 3. 3. §iebcskind. Durchgesehen und verbessert von

J\ 3. Arummacher. Mi

t

K u p f e v n.

Dritter Theil.

Berlin, gedruckt und verlegt bey G. Reimer.

18 3 1.

Inhalt.

1. 3ufima * * 2. Die Bußpredigt des Imams -von Bagdad. 3. Mahadi, * * * 4. Sadl. * * 5. Maan und der Soldat. * * 6. Der schlaflose König und Moradbak. 7. Das verlorne Kameel und die drei) aufmerksamen Brü-er. 8. Ibn-Agesar und seine Palmblärter. * 9. Der Trost der Weisen. * 10. Dakianos oder die Wirkungen des Reichthruus. 11 Der Kalif und sein Liebling. 12. Der Wahn stärker als die Heilkunst. 13. Großmuth und Oastfreyheit. # 14. Der Wechsel des Schicksals.. 15. Die Bürgschaft des Dichters. 16. Der fromme Derwisch. f 17. Das Glück der llnterthanen und der Fürsten. 18. Die zwey Sultane. -

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0. 1 -15 * 17 022

#24 »29 s 41 * 44 # 47 50 »70 71 »73 »76 *77 »79 80 » 84

Inhalt. 19. 20. 21. 22. 23. 24. 25. 26. 27.

Die Geistesgegenwart. « Königliche Wünsche. « Der Mann, der sein Glück machen will. Furcht und Tugend. « Das Gebet und die Arbeit. * Auch der Geringste kann uns nützen. Der beschämte Großvezir. * Piel hilft nicht immer viel. Der Rubin und der Diamant.

* « « « •

« « -

« S. 81 «87 88 « 91 * 02 * 94 «96 «97 99

1

.

Z u l i m a.

xOcfyon und holdselig war Zulima, die Tochter Abukazan's. Ihr Wuchs glich der stolzen Königspalme; in ihrem Gesichte glühte die Fülle der Gesundheit und ihr Lächeln war wie die FrühlingSfeier der ncuerstandencn Natur; das genauste Ebenmaaß vereinigte alle Glieder ihres Körpers zum schönsten Ganzen, und Anmuth war jede Bewegung. Von ihrem Anblick ward jeder Jüngling bezaubert, und selbst die Mädchen mußten ihr den Preis der Schönheit zugestehen, so sehr sich auch Eigenliebe und Selbstschätzung, Neid und Scheelsucht dagegen sträubte. Jedoch, so große Bewunderung auch Zulima durch ihre« Reize erregte, so fehlte ihr doch, durch eigene Schuld, wag viel köstlicher ist, denn alle Bewunderung — die Hochachtung der Edlen. Sie war unüberlegt, flüchtig, launig, eigensinnig — der süße Weyhrauchsduf der Schmeicheley berauschte sie so sehr, daß sie keine Beschäftigung kannte, als ihre Kleidung zu ordnen und ihren Schmuck zu wählen. Jetzt flocht sie ihr langes Palmblätter III.

A

2 rabenschwarzes Haar künstlich zusammen und barg es unter dem feinsten durchsichtigen, mit Silber und Gold prächtig durchwirk­ ten Schleyer; ein andermahl ließ sie es nachlässig über Schultern und Rücken herabwallen

und eine aufknoSpende Rose schwankte

an der Vollmondsstirne oder an der Seite — und wer mag alle die fernen, oft unbedeutenden Künste, die selten ihren Zweck ver­ fehlen',

angeben,

woran die weibliche Einbildungskraft uner­

schöpflich ist! Ihres Schleyers wußte sie sich unvermerkt als eines ZaubermittclS

zu

bedienen,

den

neugierigen

Forscher

noch

mehr zu reizen, indem er ihn ihre Zahne wie Elphenbein, ihre Lippen wie Rubin auS Ava, ihre Wangen wie sanftes Morgen­ roth

und

leichten

ihre

Nebel

durchdringendere Adleraugen

wie

durch

einen

wahrnehmen ließ.

Einst nach einem schwülen Lage lag sie in der Abendkühle auf dem Sopha in einem Pavillon im Garten ihres Vaters und überlegte wie sie ihren Reizen eine immer höhere Vollkommen­ heit geben und die Zahl ihrer Anbeter vermehren könnte.

Ihre

lebhafte Einbildungskraft war in voller Beschäftigung, als auf einmal zu ihrem

äußersten Erstaunen aus dem Fußboden ein

dicker Rauch hervorquoll, schneckenförmig emporstieg, und endlich eine dichte Säule bildete/

aus welcher ein kleiner hochbetagter

Greis, mit schneeweißem, bis auf die Füsse herabhängenden Bart hervortrat.

3 „ Lullma," redete der Greis sie an, „merk' auf die Worte guter Lehre und verachte sie nicht, wenn sie auch deinen Neigun­ gen entgegen sind.

Tadel und Verweis ist nur dem Eigendünkel

schmerzhaft, der alle Besserung verschmäht. AbdariS. merkt.

Ich bin der Genius

Mit Entzücken hab' ich deine reifende SchiOhekt be­ Jedoch sey darauf nicht eitel; noch gehe die Hauptsache

dir ab, ohne welche alle äußerlichen Reize, Geist und Leben sind. auf,

dir die Lehren der Weisheit kund zu thun, und dich vor

dem Abgrunde des Verderbens zu eilest.

warnen, dem du entgegen

Laß dir meinen guten Rath zu Herzen gehen, befolge

ihn, und — du wirst glücklich seyn. was

ein Körper ohne

Aus dem Innern der Erde steig' ich her­

frommt es dir,

wenn

Unbedachtsame Zulima,

die Seufzer

deiner Anbeter den

Ruhm deiner Schönheit auf den Zinnen von Apra verkündigen und

das Lob

deiner Reize von

nach Indien ertönt?

den Felsen

des TauruS bis

Du überlegst nicht, gebrechliche Tochter

deS Staubs, wie vielen Zerstörungen du unterworfen bist.

Wie

leicht kann der Aussatz die Blüthe deinxr Schönheit vernichten, und - dich selbst in eine scheußliche Mißgestalt verwandeln!

Wie

leicht kann eine der unzähligen Krankheiten, die immerdar den Menschen bedrohen, die Quelle deines Lebens vergiften! gesetzt, der Engel deö WohlthunS flehte

lind

vor dem Throne des

großen All!^ für dich, und der allmächtige Herrscher deS WeltA 2

4 allS zerstreute die Wolken verderblicher Krankheiten über deinem Haupte; so wird sein Flehen doch nicht das heranschleichende Alter abwenden und dich vor dem Winter der Jahre schützen können. Bults ma, das Feuer deiner liebeathmenden Augen verlischt mit den kommenden Tagen; deine blühenden Wangen werden gelb wie die Flur bey'm Abschiede des Herbstes; der schlanke Bau deines Leibekrümmt sich wie der Bogen des Jägers, und vergebens wlvd dein verdunkeltes Auge nach Bewundrern sich umsehen.

Sie fiie,

hen vor dir, wie vor dem kläglichen Geheule des Krokodils — sie,

die du jetzt bezauberst,

verabscheuen dich,

erschrecken vor

dir,

und du fühlst dich als

das unglücklichste

Geschöpf unter

der Sonne. Nur deinen Körper zu verschönern, der ist wie ein Gewand, das die Motten zerfressen,

vergänglich

wie daö Gra-

auf dem Felde und wie eine Blume, die am Morgen blühet und am Abend verwelket, bist du ängstlich besorgt und vergißt dar, über den ediern Theil, deine unsterbliche Seele. Tochter zur Freude geschaffen,

eh' es zu spät ist;

Wohl, weil du noch fähig bist zu überlegen.

Gehe in dich, überlege dein Werde weiser,

besser, und liebenswürdiger.

Wache sorgsam über dein Betra,

gen; sey strenge gegen

selbst,

Schein

von

Handlung.

Stolz,

dich

Leichtsinn und

und

vermeide

Eigenliebe

selbst

den

in Wort, und

Vergiß es, daß dir die Natur vor deinen Gespielen

vorzüglichere Reize verliehen hat, und du wirst deiner Schön,

5 heit einen höhern Reiz geben, als durch die glänzendsten Perlen von Manar und die blendendsten Diamanten Golconda'S.

Rein-

lichkeit und Einfachheit ist der größte weibliche Schmuck.

Hold­

seligkeit bedarf keines äußern Schmucks — sie ist in ihrer Schmuck­ losigkeit am meisten geschmückt.

Vermeide jede Quelle,

wenn

du dich ihr nicht nähern kannst ohne deine Gestakt in ihrem Spie­ gel zu bewundern;

Eitelkeit ist der Grund dieser Neigung, und

Eitelkeit verdirbt das Herz.

Schätze deine Gespielen nicht deswe­

gen gering, weil die Natur sie nicht mit so vorzüglichen Reizen begünstiget hat, wie dich; leicht können sie gegründetere Vorzüge und Vollkommenheiten besitzen als du, ob sie schon nicht so in die Augen fallen.

Nimm diesen LaSiiman,

„fuhr er fort, indem

er ihr einen Ring überreichte," bewahr' ihn sorgfältig; eö ist der Talisman der Wahrheit;

ein schöner wunderbarer Krystall,

der dir, befragst du ihn, getreu zeigen wird, waö du bist und wie du seyn sollst.

Bemühst du dich solche Sinnesart zu errei­

chen, wie ich dir vorgezeichnet habe, so wirst du dich in ihm in der liebenswürdigsten Gestalt erblicken.

Ueberlässest du dich aber

regellosen Leidenschaften, und ergiebst dich einer verwerflichen Nei­ gung, so erblicken.

wirst du dich darin

entstellt und in häßlicher Gestalt

Denn — denk' an mich Zulima; nur durch aufrich-

tige Reue und Besserung kannst du deine vorige Gestalt wieder erlangen."

G



Der Greis verschwand in der Rauchsäule uud ein lieblicher Wohlgeruch erfüllte den Gartensaal.

Der Schreck über die plötzliche Erscheinung des ernsten Grei­ ses hatte anfangs Zulima der Sprache beraubt; doch erholte sie sich bald, und ihre Mienen drückten die mannigfaltigen Empfin­ dungen ihres Herzens aus, erzeugten.

welche die Reden des Greises in ihr

Mit innigem Wohlgefallen hob sie den Schleyer auf,

da er sagte,

daß

er mit Entzücken ihre Schönheit

bemerke;

Freude glänzte aus ihren Augen und ihr Busen schwoll von Ver­ gnügen.

Aber Zittern überfiel sie und Lodtenblasse überzog ihre

Wangen, als er sie aufmerksam machte, wie sehr sie verhee­ renden Gebrechlichkeiten unterworfen sey; Schrecken und Schau­ der beengten ihr die Brust, da er von Alter und Hinfälligkeit sprach; junt) Grausen durch bebte ihr Inneres, als er sie darauf aufmerksam machte, daß sie sich von allen Bewundrern und An­ betern würde verlassen sehen, sobald ihre Reize verblühten. — Jedoch bald blickte sie freudiger, als er sie versicherte, daß sie, wenn sie seinen Rath befolge, an Schönheit und Vollkommenheit gewinnen würde: ihr zusammengepreßtes Herz erweiterte sich und alle ihre unangenehmen Empfindungen giengen schnell in Entzücken über.

Weniger gefiel ihr, daß er Reinlichkeit, Einfachheit und

ungekünsteltes Wesen, der Kostbarkeit, Pracht und allem Putz

7 vorzog, und daß er alle Eigenliebe und den Dünkel auf ihre vermeinten Vorzüge mit aller Strenge verwarf. Der Genius war verschwunden, und indem sie überlegte, wie sich ihre bisherigen Gesinnungen und Neigungen mit seinem unerbetnen Rathe einigermaßen vereinigen ließen, warf sie einen Blick auf den Lalismann, und ach, vor Schrecken über die Gestatt, in welcher sie sich erblickte, ließ sie ihn fallen; zugleich ergriff sie die Furcht, das Kleinod möge durch den Fall zerbrochen seyn. Besorgt und mit dem keimenden Vorsatze, den Nath' deS Ge­ nius genau zu befolgen, hob sie ihn auf;

sie freute sich unge­

mein, da sie fand daß er unverletzt war und noch mehr, da sie sich jetzt in ihm reizender als je erblickte.

Nun faßte sie ernst­

haft den Vorsatz, die Vorschriften ihres geistigen Lehrers genau zu befolgen, rief dem unsichtbaren Abdaris tausend Gelübde nach, und kehrte mit einer nie gefühlten Ruhe des Herzens in das Wohnhaus zurück. Nach einigen Monaten bewarb sich Hamed,

ein junger rei­

cher, und was in diesem Falle eine Seltenheit ist, ein sehr recht­ schaffner Mann um Zulima. blendete die Xugen.

Die Pracht seines PallasteS ver­

Seine Kleidung war Purpur reich mit Gold

gestickt und die Juwelen in seinem Turban schienen mit den Son­ nenstrahlen zu wetteifern.

Er besaß ein weitläuftiges Gebiet,

welches durch Fleiß und Kunst angebaut;einem großen Garten

8 glich.

Die üppigen Weiden waren mir unzähligen

deckt, und Schaafe ohne Zahl Und bei allem

Reichthum

Heerden be­

befanden sich in seinen Hürden.^

und Ueberfluß war Hamed mäßig.

Seine Gestalt war schön, doch in keinem Vergleich mit der Schön­ heit seiner Seele;

ein köstlicher Schmaragd von unschätzbarem

Werthe in Gold gefaßt. Aulima bezauberte ihn aus den ersten außer sich;

Anblick.

Er war

seine verblendeten Augen stellten sie ihm dar wie die

majestätische Ceder auf Libanon und die Tulpe in Candahor.

Er

nannte sie das Licht seines Lebens und schwur, selbst die Töchter des Paradieses könnten sie nicht an Schönheit übertreffen. Zulima ward berauscht von seinen Lobeserhebungen; sie wandte jeden ersinnlichen Kunstgriff an, durch Hoffnung und Zweifel seine Wün­ sche niederzuschlagen und zu erhöhen, und glaubte dadurch seiner Zärtlichkeit den höchsten Grad

von Vollendung

zu geben.

Allein sehr bald entdeckte Hamed, daß Zulima's Herz eben so unsicher sey wie das stürmische Meer, und daß seine Person eben so wenig Eindruck auf sie mache, chen Eigenschaften.

als seine übrigen treffli­

Er nahm wahr,

ihrem Ohre liebliche Musik war,

daß bloß Schmeichelet)

und daß sie verblendet durch

ihre Schönheit, jede treffliche Eigenschaft und bedeutende Vorzüge gering achtete. einen sehr widrigen Eindruck auf ihn;

alle nicht minder

Diese Entdeckung

machte

Unwillen und ttnzufrie-

9 denheit verminderten seine Zärtlichkeit, je mehr er sich von sei­ nen Wahrnehmungen überzeugte, und eh' eS Zulima ahnete, sah sie sich von ihrem Liebhaber verlassen, den sie unauflöslich gefes­ selt zu haben glaubte. Aulima eilte zu ihrem Talisman, als Hamed sie mit sicht­ barem Unwillen verließ; sie wollte sehen,, in welcher Gestatt sie ihrem Geliebten erschienen sey, um alles aufzubieten, ihren Reis zell den höchsten Grad der Vollkommenheit zu geben, und das Feuer seiner Leidenschaften aufs neue anzufachen, sobald wieder sehen

werde.

er sie

Sie ahnete e6 nicht, daß Hamed sie nie

wieder sehen wollte! —

Aber ach!

wie bebte sie vor Schrecken

zurück, als sich ihrem Blicke, statt der blühenden Rosenwangen, den liebeglänzenden Augen, ein scheuölicheS Ungeheuer darstellte. -Mit grausendem Entsetzen, mit nagender Verzweiflung starrte sie ihre Verhäßlichung ein.

an.

Nach einiger Erholung siel ihr AbdariS

Sie untersuchte ihr bisheriges Betragen gegen Hamed, und

fand, daß sie weder auf seine Verdienste, noch auf ihre Verpflich­ tung gegen ihren Vater,

noch auf die Erfordernisse zu einer

)uten Ehe gesehen, sondern daß sie bloß nach dem Vergnügen, sch geliebt und gepriesen, bewundert, geschmeichelt und angebetet |u sehen, gegeizt, und die Eigenliebe zur 'alleinigen Triebfeder ihres

Denkens

und

Handelns

gemacht

Machte ihr die bittersten Vorwürfe.

habe.

Ihr Gewissen

Sie bereute ihren Leichtsinn,



10



und beschloß künftig Hamed gefälliger zu behandeln, ihm mit Achtung zu begegnen, und so seine Liebe und Hochachtung zu verdienen. Aber ach, zu spät für Hamed — dieser bewarb sich um Zelis, die Tochter Nuradins, ihre Freundin und Gespielin. Zelis war nicht so blendend schön wie Zulima, aber nicht weniger reizend. Zulima blendete wie der Sonnenglanz am Mttagshimmel und Zelis glich dem sanften Scheine beim Aufr und Niedergang. Zulima ward mehr bewundert, Zelis mehr geliebt. Ihr ausdrucksvolles Auge glich einem Magnet, der unwiderstehlief) an sich zieht. Sie war bescheiden, gefällig, freundlich und mit ihren reizenden Vollkommenheiten unbekannt. Diese liebend würdigen Eigenschaften machten tiefen Eindruck auf Hamed und csselten sein Herz. Er war entzückt über ihre schöne Gestalt, aber noch mebr über die Schönheit ihrer Seele; bald bemerkte er zu seiner großen Freude, daß sie ihn eben so aufrichtig liebte und hoch schätzte. Schnell kam die Nachricht von Hameds Bemühungen um Zelis vor Zulima's Ohren, und nie hatte irgend etwas eine so hestige Zerrüttung in ihrer Seele hervorgebracht. Der Gedankt ihren Geliebten verloren zu haben, war ihr schmerzlich, aber ih» im Besitz ihrer Freundin zu wissen, unerträglich. Lange sann sie vergebens auf ein Mittel, ihren Geliebte» wieder an sich zu ziehen; endlich glaubte sie das wirksamste gefunden zu haben und eilte sogleich zur Anwendung. Sie um



11 -

mochte Zadige, ihre Wärterin, die sie von ihrer zartesten Kind­ heit an erzogen hatte, bey ihrer Freundin in Dienste zu gehen. Seite nahm keinen Anstand, und äußerte selbst gegen Zulima, Laß sie sich freue, eine so geschickte und. unverdrossene Aufwartung an Zadige erhalten zu haben. Noch mehr aber freute sich die arglistige Zulima, daß Sie argwohnlose Zelte so leicht in.ihr Netz gieng. Sie erhob ZadigenS gute Eigenschaften, und versicherte, daß sie ihr keine treuere Person empfehlen könne, und ihren Verlust bloß erträglich finden würde, weil ihre Freundin dadurch gewönne. Zadige mißbrauchte bald das Vertrauen der guten Zelte nach dem schändlichen Plane ihrer vorigen Gebieterin. Sie wußte sehr listig ihre Lugenden in ein falsches Licht zu stellen, und Hameds Mißtrauen in einem so hohen Grade rege zu machen, daß seine Anhänglichkeit je mehr und mehr geschwächt wurde; und kaum sahe sie ihn soweit gebracht, so vertraute sie ihm unter dem Sie­ gel der Verschwiegenheit mit allen Betheurungen erkünstelter Auf­ richtigkeit, daß sie bloß durch den Wunsch ihn glücklich zu sehen sich bewogen fände, ihm zu vertrauen.: daß er, von Liebe ver­ blendet, eine Person gewählt habe, die vor allen ihres Geschlechts dieser Wahl am unwürdigsten sey. Indeß war Zulima ein Raub schwankender Zweifel, banger Furcht und peinigender Gewiffensunruhc. Schon früher, als sie

12 den Entschluß faßte, Hamed von ihrer Freundin auf jede mög­ liche Weise abwendig zu machen, fühlte sie geheime Vorwürfe ihres Gewissens. Allein diese waren angenehme Empfindungen gegen die jetzigen, wenn die Unrechtmäßigkeit ihres Verfahrens ihr vor die Augen trat. Sie konnte sich die Schändlichkeit und Verworfenheit einer solchen Handlung nicht ableugnen; und dennoch spornte Rachgierde und Eifersucht ihre Seele immer »o« neuem und verdrängte, alle Leidenschaften in ihr aufregend, jeden andern bessern Gedanken. Ja, um so heftiger erneuerte sich in ihr der Vorsatz, ihre Freundin zu verderben, die ihren glänzenden Aussichten in den Weg getreten war, obwohl sie zugleich) die Schändlichkeit ihrer Handlung verabscheute. Ihr Seele schwankte, wie Meereswellen in tobender Unruhe. Was Wunder, daß sie nicht daran dachte, sich im Talisman der Wahrheit zu beschauen! Abdaris war ganz vergessen. Einst da sie sich eines Abends in solcher qualenvollen Unruhe befand, erschien Zadige und verkündigte ihr mit triumphirender Miene, daß sie Hamed ganz überwältigt und ihn von der tückischen Bosheit, von Verstellung, Falschheit und verheimlichten Lastern ihrer verhaßten Freundin endlich völlig überzeugt habe; und wie schon der Kummer und Gram über den unbeständigen Geliebten beginne, Zelis Reize zu entstellen und an ihrer Gesundheit und ihrem Leben zu nagen. Zulima's Herz quoll

13 über vor Freude — ach, der schändlichsten aller Freuden, der Schadenfreude, die den Menschen -um Ungeheuer macht! Und nun, da die Eitelkeit ihr die Hoffnung zuflüsterte, über ihre ge­ fährliche Nebenbuhlerin den Sieg davon zu tragen, legte sie ihren prächtigsten Schmuck an, um sich in einer Gestalt jetzt selbst zu beschauen, in welcher sie mehr als je Eindruck zu machen ge, dachte. Aber der erträumte Triumph ihrer Selbstgenügsamkeit war von kurzer Dauer; von ungefähr siel ihr. Blick auf den Ta­ lisman und bewußtlos sank sie zu Boden. Ihre vertraute BoSheitsgehülsin eilte erschrocken nach einem Stärkungsmittel. Plötzlich öffnete sich der Fußboden, und Abdaris erschien. Zulima vernahm da- Rauschen seiner Füße und erwachte. Furcht und Schaam bemächtigten sich ihrer, und kaum hatte sie Kraft ihr Gesicht in ihren Schleyer zu verhütten. Arme Zuüma, wozu das? ein leichtes Berühren vom Stabe Abdaris verwandelte den Schleyer in Staub-. „Vergebens," redete sie der GdniuS an, „bemühst du dich, Tochter des Staubes, dich vor einem allsehenden Auge zu ver­ bergen. Du hast ganz den Weg gewählt, dich selbst zum Ab­ scheu zu machen. Ich bin jetzt hier, nicht dich zu belehren, son­ dern dich wegen deiner Missethaten zu strafen. Dein Verbrechen ist so schwarz, daß es nicht hart genug bestraft werden kaun. Ich warnte dich, als du zweifelhaft am Rande des Abgrundes

14 — standest. Warum hast du meinen Rath verachtet? — Ein schor nes Weib ohne Unschuld und Tugend ist ein Gistbaum voll trü­ gerischer Blätter, von dem man vergebens Blüthen und Früchte erwartet. Mit diesen Worten berührte sie AbdarlS mit seinem Stabe und im Nu war sie in eine Schlange verwandelt, die auf hem Boden um seine Füße sich krümmte. Indem trat Zadige keu­ chend herein mit einem kräftigen Stärkungsmittel. „Sieh hier dein mißrathenes Kind," redete sie der Genius an; „Sieben Jahre wird sie als ein verhaßtes Unthier in Ha« meds Garten unsicher und in Verfolgung leben, und Zeuge von seinem Glücke seyn, das er Ln Zelis Armen genießt, deren erhabne Tugend er nur einige Augenblicke verkennen konnte. Lernt sie in der Zeit beym Anblick fremden Glücks Vergnügen empfinden, und sie ihre Verirrung erkennen und verabscheuen; so kann sich viel­ leicht ihre Seele wieder jene fehlerlose Schönheit erwerben, womit die Natur ihren Körper geschmückt hatte, und so darf sie auch zuversichtlich hoffen einst noch glücklich zu werden. Du aber, Diene­ rin des Lasters, fort und begleite sie als eine Giftkröte, bis der Fuß der glücklichen Zelis dich zertrete. Nach dieser Rede versank der Genius wieder in den Boden, der sich über ihm mit einem Donnerähnlichen Getöse verschloß.

15

2.

Die Bußpredigt des Imams von Bagdad. Äm letzten Morgen deS Fastenmonate bestieg einst eia Hochb«« jahrter Imam in der großen Moschee zu Bagdad den Rednerstuhl.

Er setzte sich zitternd vor Alter und kaum sammelte er

seinen Athem.

Schon oft, sprach er mit rührender Stimme,

schon oft hab' ich zu Euch, Ihr Rechtgläubige, an diesem Platz von der Buße gesprochen. Gott ist groß.

Eilet, euch zu bessern, rief ich; denn

(Gott ist groß!

Alla Acbar!

In diesem Aus­

ruf pflegt der Mohammedaner fein ganzes Gefühl von Gottes Majestät auszusprechen.

Wer ihn tief, tief nachdenkend nach­

spricht, hat alles gesagt, waS ihm der Weiseste von Gott vorsa­ gen könnte.) Ich bin grau geworden und habe viele gesehen, die der LodeSengel,

ehe sie meinen Rath befolgt hatten, übereilte.

Mit dem letzten stammlenden Laut, mit erstarrendem hülflolen Blick in der überraschenden Trennung schienen sie sich nur noch Eine» Tag Frist zur bittlichen.

Besserung erflehen zu wollen von dem Uner­

Ihre Augen brachen unerhört! ihr Geist wurde ab­

gefordert mit zagender Angst.

Sie jammerten mich.

Ich sann

16 auf guten SRatf) für Euch. Denn nicht Einen von Euch möchte ich von einem so hoffnungslosen Augenblick übereilt sehen. Wol­ let Ihr ruhiger dem Lodesengel entgegen blicken, soll sein blitzendes Schwert euch nicht schrecken, soll er euch im milden Schimmer des Regenbogens erscheinen, wie er mit freundlicher Hand den Sterblichen zur Ruhe winkt, so höret ein ernstes Wort: Thut Buße, Einen Lag eher als ihn Gott zu Euch sen­ det; so ist er Euer Führer in das offene Paradies! Mehr fordert Gott und sein Prophet nicht. Geht und bedenkt, was der alte Imam euch gesagt hat. Und — Gottes Friede sey mit Euch! ES war des guten Greises letzte Rede. Einen Morgen spä­ ter geleitete ihn sein Engel zu den bessern Vätern. Die Ge­ meinde kannte lange schon seine aufrichtige Gottesfurcht. So oft sie vor den Rednerstuhl traten, schien ihnen der alte Imam noch zuzurufen: Einen Lag eher, als Gott den Lodesengel sendet!! Manche wagten's dann nicht, hinaufzuschauen. Aber andere richteten froher ihren Blick empor, wie wenn sie noch dem Geiste des redlichen Buspredigers sagen wollten: Heute, heute folgen wir dir; mag er uns dann morgen rufen! denn Gott ist gross.

17 3.

Mahadi. Ä))ahadi, der Sohn des Kalifen Almanfor, war eben so frcigebig, al6 sein Vater sparsam gewesen war; er verschwendete mit eben so viel Leichtsinn, was jener durch kluge Einrichtung gesams melt hatte. Er lebte blos seinem Vergnügen, bot alles auf, sei-nett Wünschen und Launen zu genügen, bekümmerte sich wenig um die Regierung seines Staats und daS Wohl seiner Untertha­ nen, und überließ alles seinen Ministern, die seine Sorglosigkeit und sein thörigtes Vertrauen zur Befriedigung ihrer Leidenschaf­ ten und unersättlichen Habsucht mißbrauchten. Eines Tages kam Mahadi auf der Jagd, im Verfolgen einer Gazelle, von seinem Gefolge ab und verirrte sich. Schon war es dunkel; er war hungrig, durstig und müde nach so lan­ gem Herumscbweifen, und schon glaubte er nichts gewisser, als dass er diese Nacht unter freyem Himmel auf kahlem Boden würde zubringen müssen, als er auf einmal in der Ferne ein einzelnes Zelt gewahr wurde. Mahadi strengte alle seine Kräfte an, das Zelt zu erreichen, eh es ganz finster würde. Ein alter Araber, der dieses Zelt bePiilmblärrer 111,

ZZ

18 wohnte, kam sogleich heraus, als er ihn gewahr worden war, hals ihm vom Pferde, begegnete ihm nach Gewohnheit der Ara­ ber mit vieler Gastfreundschastlichkeit, und fragte verwundert, wie er wohl in diese Einöde gerathen sey. Der Kalif gab sich nicht zu erkennen, sondern antwortete auf die Frage: er gehöre zum Gefolge des Kalifen, sey auf der Zagd abgekommen und habe sich verirrt. Wie kannst du aber in dieser Einöde wohnen? fragte er darauf den alten Araber. „Was du jetzt als Einöde siehst," antwortete der alte Ara­ ber, „war es vorher nicht. Die Gegend war von vielen Fami­ lien, Arabern und Lurkomannen, bewohnt, die sich sehr gut von der Handlung und vom Ackerbau nährten und dem Kalifen mit Vergnügen eine mäßige Abgabe entrichteten." „Und warum ist das jetzt nicht mehr so 1" fragte Mahadi neugierig. „Es konnte nicht anders kommen," antwortete der Araber unbefangen; „Almansor war ein guter Fürst; er regierte selbst und gab nicht seine guten Unterthanen habsüchtigen und treulosen Statthaltern Preis, wie der jetzige Kalise Mahadi. In der Folge wird dieser aber auch in seinem Lande noch mehrere solche Einöden haben wie diese, wenn er fort fährt, sich so wenig um die Regierung zu bekümmern, wie bisher."

19 MahadL hörte jetzt zum erstenmale eine Wahrheit, die er gewiß noch nicht erfahren haben würde, wenn er sich dem Ara­ ber zu erkennen gegeben hätte. Die sorglose Offenherzigkeit des Arabers beleidigte ihn nicht; sie erweckte den Entschluß, auf seine Statthalter ein schärferes Auge zu haben, und sich künftig der Regierung sorfältiger anzunehmen. Das Gesetz Mahomeds untersagt den -Wein. Der Araber bedachte sich einige Zeit, ob er seinem Gaste welchen anbieten sollte; er that e6 endlich aus Gutmüthigkeit, da er bemerkte, wie sehr er abgemattet war, und erhielt keine abschlägige Ant­ wort. Mit eiliger Geschäftigkeit brachte er den Krug und freute sich, daß er den Fremdling erquicken könne. Mahadi that einen guten Zug und versicherte daraus seinem gastfreundlichen -Wirthe: es solle ihn nicht gereuen, daß er ihn auf eine so wohlwollende Art bewirthe; er sey einer der ersten Diener des Kalifen und werde gewiß seiner eingedenk seyn. Der Araber freute sich, daß er eintn so vornehmen Gast zu bewirthen habe, empfahl sich seinem Andenken und verdoppelte nun seine Aufmersamkeit. Mahadi trank noch einmal von dem Weine und fühlte sich nicht nur erquickt, sondern auch ganz vergnügt. „Ich muß dir nur sagen," sagte er nach dem dritten Zuge ganz vertraulich zu seinem Wirthe, „ich bin der Liebling des Kalifen und vermag B 2

20 alles bey ihm;

zur Vergeltung deiner Gastfreundschaft soll er

dich mit Wohlthaten überhäufen." Der Ärabcr küßte seinem Gaste ehrerbietig den Saum seines Kleides,

und bat ihn, über alles, was in seinem Vermögen

stände, zu gebieten und den Wein nicht zu schonen, wenn er nach seinem Geschmack sey. Zum letztem ließ sich Mahadi auch nicht weiter nöthigen, und ward endlich überaus heiter und vergnügt.

Am Ende nahm

er den Araber traulich bey der Hand und sagte lächelnd: „Lieber Freund, im Wein ist Wahrheit!

Ich bin es deiner Gastfteund­

schast schuldig, dir die Wahrheit zn gestehen: ich bin der Kalife Mahadi selbst, und wiederhole dir alle meine Versprechungen jetzt als Kalife." Der Araber starrte seinen Gast mit großen Augen an;

an­

statt vor ihm auf die Erde niederzufallen, nahm er stillschwei­ gend den Weinkrug und wollte zur Thüre hinaus. „Was willst du," fragte Mahadi. „Dich verhindern, wehr Wein zu trinken," antwortete der Araber ruhig; „bey'm ersten Zuge warst du ein Diener des Ka­ lifen , bey'm dritten dessen Liebling, und bey'm fünften oder sech­ sten willst du gar der Kalife selbst seyn.

Noch will ich dir glau­

ben ; aber wer du auch seyn magst, so besorg' ich, daß du bey'm achten oder neunten Zuge dich für unsern großen Propheten, und

21 am Ende wohl gar für den Allmächtigen selbst ausgeben möchtest, welches ich dir unmöglich glauben könnte. Lieber will ich das Getränk fortbringen, das dich so redselig macht." Der Araber entfernte sich und kam nicht wieder. Nach lan­ gem vergeblichen Warten hüllte sich Mahadi in den Teppich, den ihm sein gastfreyer Wirth hingelegt hatte und schlief bald tim Am andern Morgen bestieg er sein Pferd und nahm den Araber, der immer nicht wußte, was er eigentlich auS ihm ma­ chen sollte, zum Wegweiser mit. Als sie nach Bagdad kamen, wurden dem ehrlichen Araber sogleich alle Zweifel benommen; er sah aus allem, daß er wirk­ lich den Kalifen bewirthet habe, und dieser erfüllte sein Verspre­ chen in vollem Maaße, überhäufte ihn mit Geschenken und ließ ihm übcrdieß noch eine ansehnliche Summe auszahlen, die er dazu anwenden sollte, die alten Bewohner wieder in die Gegend zu ziehen, und sie wieder in den vorigen Wohlstand zu setzen.

22

4. S

a

d

i.

@c(;cn war Sadi; einstimmig nannte man ihn weit und breit in Persiens Gefilden den schönsten Jüngling. Sein Wuchs edel, sein Gang voll Leben, sein schwarzes Auge feurig, jede seiner Bewegungen voll Ausdruck, sein Gesicht heiter wie der junge Morgen, sein langes Haar floß lockig vom hoben Scheitel über die Schultern herab — sein ganzes Wesen erregte Beifall und Bewunderung. Schön war Sadi; aber Hochmuth, die schlimmste Krankheit der Seele, fesselte sein Herz.

Die allgemeine Bewunderung sei­

ner Schönheit hatte den Stolz angefacht und genährt;

er dünkte

sich über alle erhaben, so wie er an Schönheit des Körpers alle übertraf. Wonnetrunken vom Gefühle seiner Vorzüge — mit schwin­ delnden Entwürfen, wie er die Bewunderung bis zum höchsten Gipfel

steigern

könnte,

Durch

dicht in

einander geschlungene Aeste bemerkte er einen

Fußsteig sich winden.

kam er einst an einen tiefen Wald.

Die Begierde, zu erfahren, wohin der

Steig führen möge, bewog ihn, hinein zu gehn.

Der Unge-

23 mächlichkeit nicht achtend bahnte er sich durch die Acste den Weg; lange wandelte er durch die mühvolle Bahn und — fand ein be­ moostes Grab.

Mit Furcht und Neugier im Herzen näherte sich

Sadi dem Marmor, der es deckte, und las: „Des Todes

sanften Schlummer

Schwesternpaar.

schläft hier ein trautes

Hohen Götterreiz schenkten der Aeltern die

Unsterblichen — der Jüngern Loos war traurige Mißgestalt. Hebe, Wandrer, den Stein auf, und überzeuge dich von der Wahrheit dieser Worte." „Götterreiz!", rief Sadi.

„Schöner vielleicht noch als

Uf)7"

und hastig hob er den Stein auf, sich zu überzeugen. Im halb vermoderten Todtentuch gehüllt, erblickt' er zwey Menschengerippe, gleich nackt die weißen Schädel, gleich arm entzückenden Reizen.

an

Ein Lüftchen, und Staub war das ihm

schreckenvolle Bild 1 Betäubt bebte Sadi zurück, und aus dem Innern der Gruft hallte eine dumpfe Stimme: „Thor, der du im Tode noch suchtest, was flügelschnellem Wechsel unterworfen war. dischen ;

Verwesung. Seele!"

Sieh hier das gleiche Loos alles Ir­

sey es schön, sey es ungestaltet. Werde weise!

Es wartet sein —

unvergänglich ist die Schönheit der

24

5. Maan und der Soldat. v9?aan, Zaidah's Sohn, war als der freygebigste Araber im ganzen Morgenlande bekannt. vorzüglich loben wollte,

Wenn man einen Fürsten ganz

so sagte man, er gleiche Maan an

Großmuth; selbst der größte Schmeichler wagte es nicht zu sagen, Laß er ihn an Großmuth übertreffe. Maan war einer der ersten Veziere Mervans, des letzten Kalifen aus dem Stamme der Ommiaden.

Als Mervan starb,

kam das Reich an die Abbasiden, und wie bei Regierungsveräm Lerungen oft den rechtschaffensten Mann Gefahr und Untergang trifft, blos weil er ein Vertrauter des vorigen Regenten, oder weil ihm eine mehr als gewöhnliche Macht anvertraut war, so ward auch Maan gestürzt.

Er entfloh.

Auf seinen Kopf wurde

ein hoher Preis gesetzt. Eine geraume Zeit hielt sich Maan in Bagdad verborgen: endlich wurde die Entfernung von allem menschlichen Umgänge seinem menschenfreundlichen Herzen unerträglich, und er beschloss, so gefahrvoll es auch für sein Leben war, die Stadt verkleidet zu verlassen und auf dem Lande einen sichern Zufluchtsort zu suchen.

25 Er verstellte sich so viel als möglich und kam glücklich uner­ kannt auf einem Kameele bey allen Thor- und Feldwachen vorbev.

Er verliefi darauf die Heerstraße, ritt auf einen Wald zu

und glaubte, als er diesen erreichte, alle Gefahr vorüber, als plötzlich ein Soldat, dessen Heftigkeit und Miene nichts Gutes andeutete, hinter einem Baume hervortrat, ihm in den Zügel fiel und trotzig fragte: „Bist du nicht Maan, den der Kalife mit so vielem Eifer suchen

läßt,

und

dessen Kopf

dem lleberbringer

eine schöne

Summe Geldes einbringen soll?" Maan läugnete es;

allein der Soldat war seiner Sache

allzu gewiß und erwiederte: „Du wärst nicht Maan, unter welchem ich mehrmals ge­ fochten habe?

Lehre mich nicht die Narbe an deiner Stirne und

das Mahl an deinem Backen kennen.

Durch deine gefärbten

Augenbraunen und alle übrige Verstellung wirst du mich nicht täuschen;

oder komm einmal und lass sehen, ob jene die Probe

mit Wasser aushalten." Maan sah nur allzudeutlich ein, daß er entdeckt sey, und dass

er

durch längeres Läugnen die Sache nur verschlimmern

würde; er sagte also: „Run wohl! überflüssig.

da du mich so genau kennst, so ist Läugnen

Ich bin Maan, und verarge dir es nicht, daß du

26 Leinen Vortheil suchst.

Indessen, La ich nie etwas that, waS

Leinen Haß mir zuziehen konnte, (zieht einen Ring vom Finger) so nimm diesen Ring:

sein Werth wird- ungefähr dem Preiste

gleich kommen, den der Kalif auf meinen Kopf gesetzt hat. machst damit einen Erwerb,

Du

ohne deine Hände mit schuldlosem

Blute zu beflecken." Der Soldat nahm Len Ring, besah ihn und erwiederte nach einer kleinen Pause: „Kein übler Vorschlag! — Fragen an dich;

Indessen ich habe noch einige

sey so gut und beantworte sie mir der Wahr­

heit gemäß. —

Man hält dich allgemein für einen äußerst frey­

gebigen Mann:

hast du wohl jemahls dein ganzes Vermögen

weggeschenkt? " M a a n.

Rein!

Der Soldat. M a a n.

Der Soldat. Maan.

Vielleicht doch ein Dn'ttheil ?

Auch das nicht!

Der Soldat. Maan.

Oder die Hälfte?

Nein!

Wenigstens den vierten Theil.

Ich würde lügen, wenn ich dies bejahen wollte.

Der Soldat.

Den fünften? —

Theil?

Lu

achten?

neunten? zehnten Theil?

sechsten —

siebenten

schüttelst immer noch verneinend den Kops:

den

27 Maan.

Diesen vielleicht.

Der Soldat.

Nun so wisse, gepriesner freygebiger Mann,

daß es Personen giebt, die diese Eigenschaft in noch höherm Grade besitzen. Ich bin bloß ein gemeiner Soldat — habe monatlich zwey Thaler Sold, und gebe dir diesen Ring, der leicht mehr als tausend Thaler am Werth haben mag, zurück — mache dir ein Geschenk damit.

Debatte deinen Ring und deinen Kopf und — lebe wohl!

Der Soldat entfernte sich; Maan rief ihm nach, so laut er konnte, und vergaß seine jetzige Lage und alle Gefahr. Maan.

Halt ein!

Bleib noch auf einige Augenblicke!

Verlaß mich nicht in einer Bestürzung, die jene weit übertrifft, in welche mich deine erste Anrede setzte? Eher will ich tausend­ mahl mich ergreifen, verurtheilen und zum Tode führen lassen, als dein'Schuldner bleiben. Der Soldat.

Mein Schuldner?---------Schein' ich dir

denn so gar verächtlich? M a a n. Verächtlich?

(Steigt vom Kameel und fällt ihm um den Hals) Vielmehr finde ich in dir eine der edelmüthigsten

Seelen — finde eine Größe in dir, die mich schaamroth macht, die mich demüthiget, wie alles, was ich nicht erreichen kann. (Zugleich hatte er ihm den Ring an den Finger gesteckt.) Der Soldat. zurück.)

Wenn du in

(Steht den Ring ab und giebt ihn wieder meinem Betragen wirklich etwas findest,

28 was deinen Beyfall verdient, warum willst du mich zum Stra­ ßenräuber erniedrigen?

Bey dem großen Propheten schwör' ich

eö dir: ich werde dein Geschenk nicht annehmen; denn ich dürste Zeit meines Lebens nicht in den Stand kommen, dir es wieder zu vergelten.

Mach' aber, daß du fortkommst!

e6 sind mehrere

meiner Kameraden in der Nähe. Zum zweytenmale entfernte sich jetzt der Soldat und ver­ schwand so schnell im dicken Gebüsch, daß Maan nicht hoffen konnte, ihn noch einmahl zurück zu bewegen.

Froh und traurig,

voll Ehrfurcht und Schaam zugleich, setzte er seine Flucht fort. Einige Zeit darauf fand Maan Gelegenheit, seinem Verfolger, dem Kalifen Almansor, einen wichtigen Dienst zu leisten, wodurch er sich seine Gnade in einem so hohen Grade erwarb, daß er ihn an seinen Hof berief, und ihn wieder in seine vorigen Ehrenstel­ len einsetzte. Seine erste Unterredung mit dem Monarchen enthielt die Er­ zählung dieser Begebenheit, und sein erstes Geschäft war die Aus­ forschung seines Wohlthäters.

Allein seine Mühe war vergebens

und selbst der öffentliche Aufruf, den der Kalif befahl, blieb ohne Erfolg. Dem

edeln

guten That.

Manne

genügt

an

dem Bewußtseyn

seiner

29

6. Der schlaflose König und Moradbak. «f)udschadschc, einer der berühmtesten persischen Könige,

ward

von einer außerordentlichen Schlaflosigkeit befallen, die sein Blut so sehr erhitzte, daß er grausam und wild wurde, da er doch vor« her, als er noch schlafen konnte wie andre Menschen, sanft und menschlich war. Seit zwanzig Jahren hatte er alle Mittel und Vorschriften der Weisen und der berühmtesten Aerzte des Morgenlandes ver­ geblich angewandt.

Einst, da er gar nicht mehr wußte, wozu

er Zuflucht nehmen sollte, die Schlaflosigkeit zu heben, befahl er seinem Vezir, der gewöhnlich bei ihm wachte, ihm den Thürhü­ ter des Palastes und Au^eher eine- damit verbundenen Staatsgefängniffes. Nahmens Fitead, zu rufen. hüter

Er dachte, ein Thür­

und Gefangenwärter müßte die Begebenheiten und Uns

glücksfälle

einer Menge Menschen erfahren haben,

und

wollte

einen Versuch machen, ob ihn nicht die Wiedererzahlung dersel­ ben einschläfern möchte. „Du sollst mir Geschichten erzählen, da ich nicht schlastn kann ," redete er Fitead an, als er hereintrat.

30 „Gnädigster Monarch," rief Fitead, indem er sich vor ihm zur Erde niederwarf, „ich kann nicht lesen und habe ein schlech­ tes Gedächtniß.

Die Thore des Pallastes zu bestimmter Zeit auf

und zuzuschließen und die mir anvertrauten Gefangenen treulich zu verwahren, dies ist meine einzige Sorge gewesen und übri­ gens habe ich mich um nichts bekümmert." „Das kann wahr seyn, erwiederte Hudschadsche, „aber du bist des Todes, wenn du mir nicht Jemanden verschaffst, dev mir Geschichten

erzählt,

Schlaflosen unterhalten,

die mich einschläfern, oder doch den Geh;

drey Tage hast du Bedenkzeit

und ich halte mein Wort, wenn du meinen Willen nicht erfüllst. „Wie soll ich dies ausführen!" zu sich selbst.

sagte Fitead im Weggehen

Mir bleibt nichts übn'g, als mich fort zu machen

und mein Glück außer meinem Vaterlande zu suchen."

Indessen

durchstrich er doch die ganze Stadt und fragte jeden, der ihm be­ gegnete, ob er ihm nicht Jemanden zuweisen könnte, der ein­ schläfernde Geschichten zu erzählen wüßte.

Allein alle spotteten

über seine Frage, und er kam immer gleich verlegen, traurig und bekümmert wieder nach Hause. Fitead war Wittwer und hatte eine einzige Tochter gegen zwölf Jahr alt; Verstand.

sie hieß Moradbak, war schön und besaß viel

Diese bemerkte bald den Kummer ihres Vaters;

sie

fragte ihn auf eine so rührende Art, daß er ihre Zärtlichkeit

31 befriedigte. Sie beschwor ihn, sich darüber nicht zu bekümmern. Sie hoffe, schon morgen dem Befehle des Königs zu genügen, wozu er ihm drey Lage Zeit gegeben. Voll Verwunderung und Ungeduld erwartete der Vater, wie feine Tochter ihr Verspre­ chen erfüllen werde. So wie die Nacht angebrochen war und MoradbaL in ihre Schlafkammer kam, hob sie die Binsenmatte zwischen ihrem Bette und der Mauer auf, stieg in einen unterirdischen Gang hinab und begab sich an das eiserne Gitter, um den weisen Abumelek in dieser bedenklichen Angelegenheit um Rath zu fragen. Um dieses zu verstehen, müssen wir hier nachholen, daß Hudschadsche ehedem diesen großen M-nn bey Wasser und Brodt und mit dem strengsten Verbote, daß Niemand, wer es auch sey, mit ihm reden sollte, eingekerkert hatte, Seit fünfzehn Jahren schmachtete er bereits in seinem Kerker, und der König hatte ihn und seinen strengen Befehl längst vergessen. Dieser Weise, der eS in so fern nicht war, als er einen tollen König hatte bessern wollen, war an den Hof berufen worden, in der Hoffnung, von ihm ein Mittel gegen die Schlaflosigkeit zu erfahren; allein da er diesem Fürsten vorstellte, daß die Grausamkeit das Blut immirr mehr erhitze und den Schlaf entferne, so wurde sein heil­ samer Rath mit einer Einkerkerung belohnt, die grausamer war, als der Tod selbst.

32 Vor ungefähr drei Jahren spielte Moradbak in ihrer Kam­ mer mit einem Vogel, der seit einigen Lagen sie außerordentlich vergnügte, und fand hinter ihrem Bette eine Binsenmatte und hinter derselben die Mauer so schadhaft, daß ihr lieber Vogel in eine Ritze schlüpfte, aus welcher sie ihn vergebens herauslockte. Der Klageton des armen kleinen Lhierchens jammerte sie;

sie

versuchte einen Stein heraus zu reißen, und mit Leichtigkeit nahm sie dann mehrere weg und gelangte in einen unterirdischen Gang, dessen Eingang sehr schlecht zugemauert war. Sie sing ihren Vogel, und aus Furcht, ausgeschmählt zu werden, weil sie die Mauer eins gerissen, verbarg sie die Oeffnung mit der Binsenmatte so sorgfältig, daß Niemand wahrnehmen konnte, was vorgegangen war. Die Jugend ist neugierig.

So grausend der unterirdische

Gang anfangs der jungen Moradbak vorkam, so gewöhnte sie sie sich doch bald daran, ihn ohne Furcht zu sehen, da er breit und hoch genug war, daß ein Mensch drinnen gehen konnte, und so schaudervoll ihr die Ktagetöne waren, die ihr bisweilen von dem Hintergründe her entgegen schallten, so wurde doch die Neu­ gierde, woher diese kämen, immer lebendiger.

Zwanzigmal war

sie auf dem Wege und zwanzigmal kehrte sie wieder um, bis sie endlich sich hinein wagte.

Sie fand, daß dieser Gang zum Ker­

ker des weisen Abumelek führte, der durch zwey schreckliche eiserne Gitter von ihr getrennt war.

33 „Wer bist du?"

fragte sie der Weife, „und wie gelangst

du zum Kerker eines Elenden, den Niemand bemitleidet?" „Ich bin Fitead^s Tochter," antwortete Moradbak, „und, armer Greis, ich dich thun?

bin erst neun Jahr alt.

Was sann ich für

Mein Vater wird zürnen, wenn er erfährt, daß ich

mit dir gesprochen habe.

Du bist wohl gar der Gefangene, dem

er täglich Brod und Wasser bringt,

und den er mich nie sehen

lassen wollte." Abumelek bejahte dieß, und nun ward Moradbak beherzter und näherte sich dem Gitter.

Von nun an brachte sie ihm alles,

was in ihrem Vermögen stand, und versagte sich manche kleine Erfrischung, um dem Weisen die Harte seiner Gefangenschaft zu erleichtern.

Diese Gutmüthigkeit zu belohnen, nahm er sich vor,

ihr Herz zur Tugend zu erheben und sie in höhern Kenntnissen zu unterrichten;

und um desto eher seinen Zweck zu erreichen,

und ihr den Unterricht der Wahrheit und Weisheit angenehmer zu machen, erzählte er ihr mehrere Geschichten. Wie also Moradbak es ihrem Vater versprach, ihr einen solchen Mann zuzuweisen, wie er ihn suchte, so dachte sie an den weisen Abumelek, und ihr erkenntliches Herz sah dieß zu­ gleich als die schönste Gelegenheit an, ihm die Freyheit zu ver­ schaffen.

Jedoch wollte sie ihn vorher selbst sprechen, um zu

hören, wie sie ihn ihrem Vater vorschlagen könnte, und wie sich Palmblätter III,

@

34 dann ihr Vater gegen den Monarchen benehmen sollte, um kei­ nem von beyden zu schaden. Sie

erzählte

dem

Weisen den Vorfall

und ihre Absicht.

Allein Abumelek erwiederte, da es ungewiß sey, ob sich deö Kö­ nigs Zorn besänftigt habe, so sey dabey zu-viel gewagt, ihn vor­ zuschlagen ;

lieber solle sie sich selbst anbieten, ihm die verlang­

ten Geschichten zu

erzählen.

„Du hast ein gutes Gedächtniß,"

setzte er hinzu, „ich habe dir bereits mehrere Geschichten erzählt, und will dir auch noch mehr erzählen, daß es dir nicht daran mangeln soll.

Sey getrost dabey und denke, daß du alles wagen

mußt, das Leben deines Vaters zu retten." Die Rede des Weisen machte tiefen Eindruck auf das junge Herz Maradvaks; sie ahndete die Fähigkeiten nicht, die sie wirk­ lich befaß; dennoch beschloß sie, sich ihrem Vater des folgenden Tages anzubieten. „Ich schätze mich sehr glücklich, mein Vater," redete sie ihn an, „daß ich dir aus deiner Verlegenheit helfen und dein Leben vor der Grausamkeit Hudschadsche's sicher stellen kann." —

'

„O mein Kind," unterbrach sie Fitead und umarmte sie mit thränenden Augen," wie vielen Dank bin ich dir schuldig! rede, wo sind' ich den vortrefflichen Mann, dem ich mein Leben ver­ danke :

ich will mich zu seinen Füßen niederwerfen und ihm auf

alle mir mögliche Art meine Erkenntlichkeit bezeugen."

35 /rD mein Vater," versetzte Moradbak, „was Pflicht und Ge­ fühl gebietet, verdient keinen Dank.

Ich bin es selbst und meine

Freude ist unaussprechlich, daß ich dir in deiner Verlegenheit meine kindliche Zärtlichkeit beweisen kann." „Du," erwiederte Fitead betroffen und seine

ging

eben so schnell in Bekämmerniß über, „ich danke dir für deinen guten Willen, meine Tochter;

allein, wenn du keine andere

Rettung weißt, so bleibt mir nichts übrig, mein'Leben zu retten, als die Flucht.

Mache dich dazu bereit, wir können vielleicht

auch außer unserm Vaterlande glücklich seyn." „Wenn dir wirklich keine andre Rettung übrig bliebe, mein Vater," antwortete Moradbak zärtlich , „so würde ich dir mit Freuden folgen; stehe für alles.

allein so weit ist eS noch nicht; sey ruhig, ich Da der König nicht schlafen kann, so werde ich

ihm freilich keine räthselhafte Fragen vorlegen, wie es gewöhn­ lich die Indischen Philosophen thun, als -um Beyspiel: „Eine Frau ging in einen Garten und pflückte sich Aepfel. Der Garten hatte vier Thüren und an jeder Thüre befand fich ein Wächter.

Dem erster» Wächter gab sie die Hälfte

von den Aepfeln:

mit dem zwevten theilte sie die andre

Hälfte, mit dem dritten, was sie noch übrig hatte; und als sie mir dem vierten den Ueberrest auch getheilt hatte, behielt

C

2

36 sie noch zehn Aepfel übrig; nun fragt es sich, wie vel Aepfel sie gehabt?" Fitead erstaunte, in seiner Tochter Kenntnisse zu entdecken, die er den ihr nicht vermuthet hätte, und sing an zu berechnen, wie viel Aepfel die Frau wohl gehabt haben müßte; ihm mit der Antwort zuvor.

allein sie kam

„Sie hatte hundert und sechzig

Aepfel abgepflückt," sagte sie und fuhr fort: „fen also unbesorgt, mein Vater; ich werde schon die schicklichen Grenzen meines Un­ ternehmens zu beobachten wissen, und fürchte auch nicht, daß ich es wie jene Frau machen werde, die nicht bei der Vorschrift des weisen Ebu Sina stehen bleiben konnte, der sie glücklich machen wollte.

Soll ich dir die Geschichte erzählen, mein Vater?"

„Ich werde dir mit Vergnügen zuhören, meine Tochter," antwortete Fitead. „Ebu

Sina,"

erzählte Moradbak,

„ein weiser Derwisch

und Liebling des großen Propheten, übernachtete einst bei einer armen Frau, die sich alle mögliche Mühe gab, die Pflichten der Gastfreyheit zu erfüllen.

Ihre Gutmüthigkeit freute ihn, und

ihre dürftigen llmstände erregten in einem solchen Grade sein Mitleiden, daß er beschloß ihr Elend zu erleichtern.

Er brach

einen Stein aus einer Wand in ihrem Hause, sprach einige gebeimnissvolle Worte, setzte den Stein wieder ein, bohrte ein klei-

37 neö Loch in denselben und steckte einen kleine« Hahn hinein.

Er

dankte ihr darauf für die gute Aufnahme und sagte bey'm Ab­ schiede: „„gutes -Weib, wenn du Permetz*) habe» willst, so öffne nur den Hahn, und du wirst soviel erhalten, als du ver­ langst.

Nimm zu deinem Gebrauche so viel du bedarfst und den

übrigen verkaufe.

Die Quelle versiegt nie, wenn du die einzige

Bedingung hältst: daß du den Stein nie heraus nimmst, um zu sehen, was hinter demselben verborgen ist."" „Die Frau versprach dem heiligen Mann, seiner Vorschrift genau nachzuleben und befolgte sie auch eine ziemliche Zeit.

Sie

erholte sich bald, und Wohlstand herrschte überall in ihrer klei­ nen Haushaltung.

Nun aber erwachte auch die Neugierde und

stieg zu einem solchen Grade, daß fc ihr unterlag.

Sie nahm

den Stein aus der Wand heraus, und fand nichts als eine Weintraube. ein;

Sie setzte den Stein mit aller Sorgfalt wieder

allein vergebens öffnete sie nun den Hahn;

die Quelle

ihres Glücks war auf immer versiegt.^ „Glaube nur,

mein Vater,"

fuhr Moradbak fort,

„ich

werde den Stein gewiß nicht heraus nehmen aus zu großer Be­ gierde gutes zu thun; ich will allen Vortheil aus der Unterhal­ tung mit dem Könige zu ziehen suchen, und du wirst eS gewiß

*) 6in kc-licher Wein.

38 nicht bereuen, mich ihm zur Geschichtserzählerin vorgeschlagen zu haben." Fitead ward entzückt über den großen Verstand seiner Toch­ ter, umarmte sie einmal um das andre, und war nun völlig überzeugt, daß er ihrem Verlangen nachgeben könne, und mit ibr Ehre einlegen würde.

Er begab sich also mit dem frühen

Morgen zum Könige, warf sich vor ihm nieder und sagte: „Großer Herrscher, ich erhielt gestern von dir den Befehl, innerhalb drei Lage einen Menschen aufzusuchen, der dir Ge­ schichten erzählen könnte,

und ich bin so glücklich,

dir schon

heute einen solchen vorstelle« zu können, mit dem du zufrieden seyn wirst." „Du hast wohlgethan," erwiederte Hudscbadftbe, „denn dein Kopf haftete darauf.

Aber wer ist es denn, den du mir bringen

willst?" „Meine Tochter!" antwortete Fitead. „Deine Tochter," fragte'der König; „wie alt ist sie?" „Zwölf Jahre!" antwortete jener.

„Dennoch . . ."

„Zwölf Jahre!" unterbrach ihn der zornige Despot, „willst du deinen Scherz mit mir treiben? was soll ein Kind von zwölf Jahren erzählen? Vezir, laß den Verwegnen sogleich für seine Frechheit büßen." Der Vezier stellte dem Könige mit der möglichsten Behüt-

39 samkeit vor, daß es auf eine Probe ankäme, worauf eS immer noch Zeit mit fcer gebührenden Strafe sey, wenn er das höchste Vertrauen gemißbraucht habe. Zum Glück war Hudschadsche dießmal so gestimmt, daß er eine Vorstellung vertragen konnte; er willigte ein und sagte zu Fitead:

„Nun, so bringe diesen Abend deine Tochter her!

Ich

und der Vezier wollen doch hören, was ein Kind für schöne Ge­ schichten erzählen kann.

Aber auch du sollst da bleiben, und

über ihre Geschicklichkeit urtheilen; Bart,

nachdem

es

und ich schwöre bei meinem

ausfüllt, sollst du

belohnt oder

bestraft

werden." Fitead kam zu seiner Tochter, und erzählte ihr, was vorge­ gangen war. hinzu.

„Mein Leben steht in deinen Händen!"

setzte er

Allein Moradbak bewiest ein so festes Vertrauen auf die

-Worte des weisen Abumeleks, daß ihr Vater beruhigt wurde, und Muth faßte. Am Abend führte Fitead seine Tochter ins königliche Ge­ mach.

Hudschadsche erstaunte über ihre Größe,

ihren Wuchs

und ihre Schönheit, und seine Wildheit ward etwas milder. „Nun, Mädchen!

so erzähle mir doch eine Geschichte, die

mich einschläfert oder unterhält," redete er sie an, wir wollen sehen/ ob du das Leben deines Vaters retten kannst." Diese Anrede war gewiß nicht sehr aufmunternd für Morads

40 bak;

allein Abnmelek hatte sie auf den rohen Karakter des

nigö schon vorbereitet.

Auf de« Befehl des Königs setzte sie, sich

aus ein Polster, und erzählte mit einer Zuversicht, die den König und seinen Vrzir in Verwunderung setzte, unaussprechliches Vergnügen gewährte.

und ihrem Vater

Der König gestand, daß

sie ihm wenMens einige Erleichterung verschafft habe und be­ stellte sie auf den folgenden Abend wieder. geraume Zeit so fort:

Dieß dauerte eine

der König fand mit ictxm Abend mehr

Vergnüge« a« der junge« Erzählerin und an ihren Geschichten, sein Blut ward nach und nach ruhiger und seine Gesinnungen milder ; auch stellte sich aTmählig einiger Schlummer wieder ein. EndLch erhielt Movadbak auch Gelegenheit gegen ihren Leh­ rer dankbar zu sey«.

Sie hatte dem Könige eine Geschichte

erzählt, daß ein König eine« Mann zu seinem Vezir erwählt habe, »der durch mancherley Unglück geprüft, einen hohe« Gvad der uneigennützigsten Lugend erreicht hatte.

Hudschadfche billigte

die Wahl, und äußerte den Wunsch, daß er auch so glücklich seyn möchte, eine so gute Wahl zu thun. Moradbak sauf zu seinen Füßen nieder und sagte: „Mäch­ tiger Gebieter, melleicht durfte dir die Wahl nicht zu schwer worden.

Hat deine Sklavin Gnade vor deinen Aug« gefunden-

so würdige sie der Huld, dem unglücklichen Abumclek seine FrcyHcit iu schenke«,

dar nun fünfzehn Jahre in seinem Kerker

41 schmachtet.

Haben meine Erzählungen deine Beruhigung be­

wirkt, wie cs scheint, so wisse: er ist es, der mich jeden Tag unterrichtet, was icb dir erzähle." Der König erinnerte sich des unglücklichen Weisen ^ machte sich Borwürfe, daß er seine Tugend verkannt und mißhandelt habe, und bereute seine Grausamkeit.

Er war aber auch dank­

bar gegen Moradbak für die glückliche Veränderung seiner Ge­ sinnungen. „Deine Schönheit," sagte er zu ihr, „hat Eindruck auf mein Herz gemacht, deine Lugend aber hat es ganz besiegt. Die Persischen Jahrbücher sage«: Hudschadsche habe in der Folge bloß nach den Rathschlägen Abumeleks und der schönen Moradbak regiert.

Er vermählte sich mit ihr, erhob sie aus den

Thron, und schlief wieder wie andere Menschen.

Da6 verlorne Kameel und die drey aufmerksamen Brüder. Äcev Stüter aus der Familie Adnan beschlossen eine Reise zu thun und das Land zu besehen,

unterwegs begegnete ihnen ein

-

Kameeltreiber, der sie fragte: hätten,

das

sich

von

42 ob sie nicht ein Kameel gesehen

ihm gerade auf dieser Straße verlau­

sen habe. „Das Kameel hat nur ein Auge;"

sagte der älteste Bru­

der, während sie mit dem Manne etwas zurückgingen, und der Kameeltreiber bejahte es. „Es fehlt ihm ein Vorderzahn," sagte der zweite Bruder, und auch dieß bejahte der Kameeltreiber. „Ich wollte wohl wetten, es hinkt," setzte der dritte hinzu. Nach allen diesen Angaben war der Kameeltreiber überzeugt, daß

sie sein verlornes Kameel gesehen hätten und bat sie, ihm

zu sagen, wo er es finden könne. „Geh nur mit uns, sagten die Brüder;" kein Kameel. wahr,

allein sie fanden

Nach einiger Zeit sing der eine wieder an: „nicht

es ist mit Getraide beladen?"

der andre sagte:

„eS

trägt auf einer Seite Oel und auf der andern Honig." Der Kameeltreiber bat nun inständiger, da er nichts gewis­ ser glaubte, als daß sie es gesehen haben müßten, ihm wenig­ stens

den Ort anzugeben, wo sie es gesehen hätten, und jetzt

versicherten ihm die Brüder, daß sie kein Kameel gesehen und auch nirgend etwas davon gehört hatten.

Diese Versicherung

konnte der Kameeltreiber nicht mit jenen Angaben vereinigen; er glaubte, sie wollten ihm sein Kameel vorenthalten.

Er zog sie

43 vor Gericht und ließ sie gefangen setzen, ohne auf ihre Bethenrungen zu achten. —

Indessen da der Kadi in ihnen Leute von

Stande erkannte, so sandte er sie zum Könige. Bei der Untersuchung fragte sie der König selbst: wie sie von einem Kameele so viele Kennzeichen hätten angeben können, wenn sie es nicht gesehen hätten

l

Sie antworteten:

„Wir bemerkten am Wege, daß bloß auf der einen Seite die Kräuter und Disteln abgeweidet waren und schloffen daraus, daß es nur ein Auge habe;

und da überall, wo es abgerupft,

ein Restchen von den Pflanzen stehen geblieben war, daß ihm ein Zahn fehlen müsse.

Ferner bemerkten wir an den Fußtapfen,

daß der eine geschleift war, worauf wir auf die Lahmheit schlos­ sen ; und da die vorder» Hustritte, tiefer waren als die hintern, daß es schwer beladen seyn müsse, welches nicht leicht mit etwas anderm seyn konnte, alö mit Getraide. Endlich, daß eS auch Honig und Oel getragen, muthmaßten wir daher, weil sich überall Haufen Ameisen und Fliegenschwärme hingezogen hatten, pfen von beyden herabgefallen seyn mochte.

wo ein Tro­

Der König bewun­

derte den Verstand der drev Brüder, und entließ sie, nachdem er sie gastfreundlich bewirthet hatte.

44

8, Ibn-Agesar und seine Palmblätter. (y

^bn r Agesar lebte am Hofe des Kalifen Junbekr.

Er hatte

sich viele Kenntnisse erworben, besaß einen durchdringenden Geist, und faßte jedesmal augenblicklich den wahren Gesichtspunkt der Sache,

die ihm vorkam. .

eines Staatsmannes.

Eine sehr nothwendige Eigenschaft

Zu einem solchen hatte er sich gebildet!

Aber Zbn - Agesar war zugleich unbiegsam standhaft, sobald er Etwas als

wahr erkannte;

er tadelte ohne Rücksicht den

Fehler,

wo er ihn fand,

verabscheute Schmeichelei und Ver­

stellung,

und behauptete,

daß durch sie die Lugend und der

rechtschaffne Mann entehrt würden. Hofe selten Glück gemacht hat,

Eine Eigenschaft, die am und meistens dem gefährlich

wurde, der sie besaß. Vergebens wartete Ibn-Agesar, anvertrauen würde.

bis man ihm ein Amt

Die Hofleute nannten ihn spottweise den

Weisen, und versäumten keine Gelegenheit, seine strenge Lugend lächerlich zu machen.

Wozu wird der Witz nicht gemißbraucht,

und was ist dem leichtsinnigen Spötter ehrwürdig und heilig?

45 Jbn - Agesar verließ den Hof des Kalifen und beschloß in der Einsamkeit sich und der Weisheit zu leben. Er hatte bereits ein hohes Alter erreicht, als er viel GuteS von Sisur, hörte.

dem Prinzen

und künftigen Nachfolger Junbekrs

Er sandte ihm einige Palmblätter, voll weiser'Lehren

für einen Regenten. Sisar erhielt die Palmblätter, ließ sie sich vorlesen, fanb fie vortreflich, und ließ sie aufheben. Nach Jahren gelangte Sisar zur Regierung, und lernte aus Erfahrung von Tag zu Tage, von Jahr zu Jahre, wie schwer es sey, ein guter Regent zu seyn.

Einst kamen ihm Jbn - Age-

sarS Palmblätter in die Hände,. als er sich in sein Kabinet ein­ geschlossen hatte, erholen.

um sich von dem Gewühl der Geschäfte zu

Er laS sie jetzt selbst,

wunderte sich, wie so vortref-

liche Lehren ehedem so wenig Eindruck auf ihn gemacht,

und

war neugierig, den Verfasser derselben näher kennen zu lernen — „Ich werde an ihm einen weisen Rathgeber finden," sagte er zu sich selbst,

und gab sogleich Befehl,

daß Jbn-Agesar

vor ihn gebracht würde; allein Niemand wußte seinen Aufenthalt. Indessen der Bekehl des Kalifen mußte befolgt werden, und man sandte Boten aus, um ihn aufzusuchen.

Nach langem ver­

geblichen Forschen beschrieb man den Boten eine Einöde, in wel­ cher fie endlich eine kleine Hütte fanden.

Sie traten hinein.

Ein

46 ehrwürdiger Greis lag auf einem Lager von Moos und Laub. Er war todt.

Neben ihm stand ein Krug mit Wasser; kein

Nahrungsmittel war in der ganzen Hütte. Als die Boten mit stiller Ehrfurcht und heiligem Schauer die heitere ruhige Miene des Entschlafenen betrachteten, kam ein kleiner Knabe fast athemlos gelaufen, aus die Knie und sagte: sind einige Datteln.

warf sich vor dem Lager

„Jbn-Agesar steh' auf und iß! hier

Mein armer Vater war sehr krank, darum

hab' ich in dreyen Tagen nicht kommen können.

Hast du ge­

hungert, Jbn-Agesar?" Mit lautem Jammergeschrei lief der Knabe fort, da er be­ merkte, daß Jbn-Agesar todt war. Die Boten kehrten zurück und erzählten dem Kalifen, was sie gefunden und gesehen hatten. „Großer Prophet," rief der Kalife, „starb er aus Mangel, so bin ich Schuld an seinem Tode! — Man errichte eine Säule und schreibe darauf:

Jbn-Agesar der Weise starb verkannt und

ungeachtet; zu spät weint Sisar Thränen um ihn! — Hab' ich ihn im Leben vergessen, Tode ehren.

will ich ihn wenigstens nach seinem

Seln Andenken soll mir Erinnerung seyn, nie wieder

einen Mann zu vergessen, der mich Weisheit kehren will."

47 9. Der Trost der Weisen. (EofrocS hatte einen Sohn,

den er sehr zärtlich liebst.

Eine

ansteckende Krankheit raubte ihm diesen Liebling feines Herzen-, und er überließ sich aller Heftigkeit feines

Schmerzes.

bemühten sich feind Veziere und Günstlinge,

Vergebens

ihn zu trösten;

vergebens unternahmen es die Diener der.Religion, ihn aus­ zurichten. Zu Ctesiphan lebte Behlut, ein Weiser, in dessen Umgänge CosroeS jederzeit Vergnügen gefunden hatte.

Diesen gab man

Nachricht von dem Gemüthszustande deS Fürsten. Behlul kam und fand den Kalifen allein in feinem Zimmer, überwältigt von Kummer

und Verzweiflung.

.Er stellte sich,

als kenne er den Verlust noch nicht, den er erlitten, und fragte den Monarchen nach der Ursache einer so außerordentlichen Trau­ rigkeit. „Die schönste Blume meines Lebens hat der Sturm zer­ knickt," antwortete CosroeS,

„darf ich dir eö sagen, wie zärt­

lich ich meinen Sohn liebte.

Nun bleibt mir nichts übrig als

ihn den Ueberrest meiner Tage zu beweinen."

48 „Dein Schmerz ist gerecht,

Herr," erwiederte der Weise,

„aber er wird es aufhören zu seyn, wenn du ihm nicht Grenzen zu setzen weißt.

Willst du mir einige Fragen erlauben, Be­

herrscher der Gläubigen'!" Der Kalife winkte chm zu reden. „Kannst du verlangen,

Cosroes," fuhr darauf der Weise

fort, „daß dein Sohn allein von einem allgemeinen Gesetze der Natur ausgenommen, und auf Erden unsterblich seyn solle?" „Wie hätte mir diese Forderung einfallen können," wortete der Kalife,

„da ich weiß,

ant­

daß der Engel des Todes

keinen Sohn der Erde verschont? Allein, sank mein Sohn nicht als Jüngling

Grab? Ich traure, daß er nicht die Freuden

der Jugend genossen, daß er nicht zum tugendhaften Manne reifen konnte,

daß er sich nicht in einer glänzenden Nachkom­

menschaft wieder aufleben sah,

und am Ende seiner Laufbahn

die Ruhe genoß, die der Lohn der Lugend ist." — „Setze den Fall, Beherrscher der Gläubigen," fuhr Behlul fort,

„dein Sohn habe alle vier Stufen des menschlichen Alters

durchlaufen — noch mehr:

nimm das Höchste an,

Menschen hier auf Erden zu Theil werden könnte: des Grams,

was dem

keine Wolke

kein Sturm der Trübsal soll seine immer heitern

Lage getrübt haben;

er soll am äußersten Ziele des Greises,

von einem unwandelbaren Glücke begleitet,

in den Schooß der

49 Natur zurückgekehrt seyn: sage, Beherrscher der Gläubigen, ist am Ende in der Stunde des Todes, ein so langes und glück­ liches Leben mehr für ihn, als ein flüchtiger Traum, den das Erwachen verscheucht? Begleiten ihn sein Ansehen, seine Reich­ thümer, seine Freuden in die Nacht des Grabes?" „Nein, Behlul!" — antwortete der Kalife niedergeschlagen. „Nun denn, Cosroes," siel der Weise ihm in die Rede, „wenn du davon überzeugt bist, warum betrübst du dich über den Verlust eines Lebens, das kurz oder lang, glücklich oder unglücklich, doch einmal unabänderlich endigen muß? Erinnere dich des Ausspruchs eines persischen DichterS: Verlängre deine Tage, wenn du es vermagst, bis über die Gränzen der Natur hinaus; koste den letzten Tropfen deS Vergnügens; sey Held und Sieger, und laß die ganze Erde von deinen Thaten wie­ derhallen: der Faden des Lebens hängt doch an dem Stricke des Todes!-----Der Kalife dachte über die Worte des Weisen nach: und je länger er darüber nachdachte, je mehr milderte sich sein tiefer Schmerz.

50

10

.

Dakianos oder die Wirkungen des Reichthums. O

^n Persiens Gefilden lebte einst ein Hirte Dakianos, der von allen, die ihn kannten, das Zeugniß einer unbescholtenen Fröm­ migkeit erhielt. Dabey besaß er von Natur eine Beredtsamkeit, die ihn zu hohen Ehrenstellen fähig gemacht haben würde, hätte ihn das Schicksal in höhern Verhältnißen des Lebens geboren werden lassen. Schon dreißig Jahre batte er sein Geschäft ge­ trieben, als eines Tages, da er eben sein Gebet verrichtete, seine Heerde scheu wurde und sich nach allen Seiten zerstreute. Er eilte herben und suchte sie wieder zusammen zu bringen, als er ein Schaaf mit halbem Leibe in eine Felsenspalte eingezwängt sah, woraus es sich nicht wieder losmachen konnte. Er befreyte es, aber zugleich wurde er durch einen blitzähnlichen Schein aus der Oeffnung überrascht; er untersuchte die Sache näher. Der Schein kam von einer mäßigen goldncn Platte oder Tafel her. Er erweiterte die Felsenkluft und gelangte nUn in eine unterirdi­ sche Höhle, etwa sieben Fuß hoch und vier oder fünf breit. Jetzt betrachtete er die goldne Platte sehr aufmerksam; allein da er

öl nicht lesen konnte, blieben ihm die vier Zeilen, gegraben waren, ein Geheimniß.

als er den Abend nach der Stadt zurückkehrte. eunn Gelehrten

oder Weisen

klärung der Inschrift;

die darauf ein­

Er nahm die Platte zu sich,

nannte,

den

Wenn man ihm bat

er

um Er­

allein allen waren die SchristMge unr

bekannt und nur ein Einziger gab ihm die Auskunft: daßin Egypten ein Greis von drey hundert Jahre»,sich aufhalte,

der

die Schristzüge der ältesten Sprachen lesen könne und alle mög­ liche Wissenschaften in sich vereinige.

Dakianos überlieferte so­

gleich die Heerde ihren Eigenthümern und reifete nach Egypten. Bald erfragte er den weltberühmten Greis, trug ihm sein Anliegen vor und zeigte ihm die gotdne Tafel.

Der Greis em­

pfing ihn liebreich und erstaunte- bey'm Anblick dieses Wunders. Ec las die Schritt mit der größten Leichtigkeit, und nach eini­ gem Nachdenken fragte er den Hirten, wie er zu dieser wunder­ baren Tafel gekommen sey und der Greis

1 Dakian-S erzählte ihm alles genau,

erwiederte darauf:

prophezeiht dem Finder Dinge, nicht

begegnen

dürsten.

Du

„Der Inhalt der Schrift

die wahrscheinlicher Weise dir hast

eine sehr glückliche Phy­

siognomie und die Inschrift redet von- einem Gottlosen, sehr trauriges und schreckliches Ende nehmen soll. muß dich auch der Inhalt angehen,

der ein

Gleichwohl

da das I Schicksal die so

wundervolle Tafel in deine Hände geführt hat. D 2

52 „Wie soll das seyn?"



fragte Dakianos bestürzt, „da ich

seit dreyßig Zähren meinem Gott treu und aufrichtig diene? Wie soll ich von ihm zu unverschuldetem Unglück verworfen werden ? „Dies würde dir nichts „Alles kommt darauf an,

helfen,"

antwortete der Greis.

welchen Gebrauch wir von unsern

Umständen und Verhältnissen machen,

welche in einer unab­

sehbaren verborgnen Kette fortlaufen, von welcher das mensch­ liche Auge nur hie und da einzelne Glieder entdeckt. stark

genug bist,

Wenn du

wirst du auch den Ausspruch der Inschrift

zur Lüge machen können." „lind wie?" fragte Dakianos begierig.' „Wenn du einen weisen Gebrauch von dem unermeßlichen Schatze machst,

den diese goldne Tafel ihrem Besitzer verspricht

und anweiset." „O

wenn

es

ziemlich getröstet,

bloß darauf ankommt,"

ganzen Welt setzen, davon machen.

sagte Dakianos

„so mag sie mich in Besitz der Schätze der und ich will gewiß den besten Gebrauch

Komm mit mir! laß uns den Schatz aufsuchen!

da du die Inschrift allein lesen kannst, so wirst du auch dazu die beste Anweisung anzugeben wissen.

Komm; wir wollen alles

theilen wie Brüder!" Der Greis sah ihn bedeutend an und sagte seufzend: „Ich fürchte,

du wirst dich kaum im Besitz der Schätze sehen,

so

53 werde ich der erste seyn,

der es bereuen wird, dir dazu behülft

lich gewesen zu seyn." „WaS sagst du da?"

antwortete Dakianos mit Unwillen;

„du willst mir zu einem Schatze verhelfen, willst mich glücklich machen,

und ich soll undankbar an dir handeln? -Welch Laster

ist schändlicher als die llndankbarkeit! Ich schwöre bei dem ewi­ gen Gott, ich will dich als meinen Vater ansehen,, alles genau mit dir theilen,

oder vielmehr mich damit begnügen,, was du

mir geben wirst." Der Schwur und alle Versicherungen

waren freilich dem

Greise keine hinlängliche Gewähr; allein die Geldgier, die ein­ zige Leidenschaft,

die oft auch dem hohen Atter eigen bleibt,

überwog alle Bedenklichkeiten, und er reiste mit ihm ab. Als sie an dem Orte ankamen, Tafel gefunden hatte,

wo Dakianos die goldne

ließ der Greis die Erde in einem Bezirk

von zwanzig Fuß aufgraben.

Sie entdeckten bald eine eiserne

Thüre, welche der Greis zu öfnen befahl.

Dakianos war so

begierig, daß er sie mit dem Fuße aufstoßen wollte, unerachtet der Schlüssel ansteckte.

Der Greis führte ihn in den unterirdi­

schen Gang, ohne sich von der dichten Finsterniß abschrecken zu lassen.

Als sie etwas

gegangen

waren,

entdeckten

sie einen

schwachen Schein, der in helleres Licht überging je weiter sie kamen, und endlich befanden sie sich vor einem großen und prächs

54 Ligen Pallaste mit sieben verschlossnen Pforten.

Da an jeder

Pforte der Schlüssel angehängt war, so öfnete Dakianos sogleich die erste Pforte und sie fanden in dieser ganzen Abtheilung den prächtigsten Putz und Schmuck aller Art. Die Begierde stieg die folgende zu öfnen, sie mit Säbeln angefüllt,

und sie fanden

deren Hefte und Scheiden mit den

kostbarsten Steinen besetzt waren.

Die dritte enthielt eine un­

zählige Menge Kürasse, Panzerhemden, Helme von aller mög­ lichen Form,

vergoldet und

mit Edelsteinen besetzt.

In der

vierten war alles mögliche Pferdegeschirr, dessen Kostbarkeit der Pracht der -Waffen völlig angemessen war. Gold und Silberbarren;

Die fünfte enthielt

die sechste gemünztes Gold und Silber,

und in der siebenten konnte man kaum umhergehen,

so groß

war die Menge von Saphiren, Amethysten und Diamanten. Durch den Anblick so unermeßlicher Schätze ward Dakianos so verblendet, daß cs ihm äußerst unangenehm war, einen Zeu­ gen seines Glücks zu haben. Greise,

„Fühlst du wohl," sagte er zum

„von welcher Wichtigkeit Stillschweigen und Geheimniß

bei einer solchen Gelegenheit ist?" „Ohne Zweifel! " antwortete der Greis. „Wenn der König," siel Dakianos ein, nur den mindesten Argwohn von diesem Schatze schöpfen sollte,

so würde er nicht

55 säumen,

ihn sich zuzueignen.

Wenn nun deine Verschwiegen­

heit nicht zuverlässig wäre? „Befürchte nichts,"

erwiederte der Greis, „der Besitz der

Hälfte dieser Reichthümer muß dir sichre Gewähr leisten." „Die Hälfte?" Veränderung,"

unterbrach

ihn

Dakianos

die Hälfte übertrift den Schaß

mit

sichtbarer

des größten

Königs." Da der Greis bemerkte, was in ihm vorging, so erwiederte er:

„wenn dir die Hälfte zu viel scheint, so kannst du mir ja

nur den vierten Theil geben." „Nun gut! " antwortete Dakianos mit der vorigen Unruhe, „aber wie willst du alles vorsichtig genug fortschaffen?

du wirst

Gelegenheit geben, daß man alles entdeckt und wir werden un­ glücklich seyn." Mit steigender Gier untersuchte nun Dakianos die Schätze von neuem und die Kostbarkeit derselben berauschte ihn immer noch mehr. „Du wirst selbst einsehen," mit den Diamanten, trachtet hatte,

sagte er,

als er das Gemach

wo sie sich noch befanden, sorgfältig be­

daß diese Abtheilung die andern an Reichthum

übertrift, und daß ich natürlich dir mein gegründetes Recht darauf nicht abtreten kann."

56 „Ich gebe das zu," erwiederte der Greis, „und mache kei­ nen Anspruch darauf." Sie kamen zum gemünzten Golde, und nachdem es Dakianos wieder eine geraume Zeit betrachtet hatte, sagte er: „Dieser Schaß ist zum Gebrauch der bequemste und allerdings der un­ entbehrlichste. zen,

Er dient sogar zur Erhaltung des übrigen Gan­

entweder eine gehörige Wache anzuwerben oder Mauern

zur Befestigung und Sicherheit anzulegen. als daß du nicht eingestehen solltest,

Du bist zu billig,

wie unumgänglich noth­

wendig es ist, daß ich ihn zu behalten suche." Laß uns weiter gehen!

versetzte der Greis, „die Gold und

Silberbarren aber," fuhr er fort, als sie in's fünfte Gemach kamen, kannst du wohl eher entbehren 7 „Das könnt' ich vielleicht,"

antwortete DakianoS, „aber

ich bin dir zuviel Verbindlichkeit schuldig, geben sollte.

als daß ich sie dir

Ich würde dich nur vieler Gefahr aussetzen; denn

wie wolltest du sie fortschaffen?

und was würde es dir für

Mühe kosten, sie zu Gelde zu machen? " „Dafür laß mich sorgen," versetzte der Greis. „Nein,

das kann ich nicht geschehen lassen,"

ihn DakianoS, „ich habe dich zu lieb, könnte,

lleberdieß wäre dies

unterbrach

als daß ich das zugeben

der Weg,

rw'ch zu verrathen;

57 man würde dich in Verhaft nehmen und dich zwingen, mich und meine Schätze anzugeben.

Laß uns also weiter zusehen."

Sie ofnctcn das vierte Behältniß. sagte Dakianos, „kann

„Daß Pferdegeschirr,"

dir zu gar nichts helfen;

du bist zu

alt, als daß du nun noch den mindesten Gebrauch davon machen könntest."

Die nehmliche Entschuldigung machte er in dem drit­

ten Gemach, in welchem flch die Rüstungen befanden, und als er dieses eben so sorgfältig zugeschlossen hatte, wie die vorigen, gin­ gen sie in das zweyte, in welchem die Säbel aufgethürmt waren. „Diese Waffen," hob der Greis an, „kaffen flch wohl am leichtesten fortbringen.

Ich will fie den Indischen Königen an­

bieten, sie alle einzeln verkaufen, und du wagst nicht das Min­ deste dabey." „Du hast Recht 1" erwiederte Dakianos, „von den Säbeln könnt' ich dir einige geben."

Er langte, als er dies sagte, einige

herunter, untersuchte und schätzte sie, wog ihre Schwere an Gold und betrachtete den Glanz der Diamanten.

Indem er nun eineu

der vorzüglichsten Säbel aus der prachtvollen Scheide zog, und diese ihm entgegen funkelte, stand die ganze Menge der Kostbar­ keiten und hiermit zugleich die Hofnung der Macht und Herrlich­ keit der Erde, die er damit gewinnen konnte, lebendig vor seiner Seele. Zugleich kam ihm der Gedanke, wie er mit Einem Streiche

58 auf den Kopf des Greises sich den alleinigen Besitz sichern könnte, und er wunderte sich, wie er so lange habe zögern können. Er sprang mit den Worten:

„ich kann dich ja mit einem

einzigen abfinden ! " auf ihn zu — £cr Greis sank nieder, umfaßte seine Knie, und flehte: „Schone mein Leben! Was können mir bei meinem hohen Alter alle Scbätze Helsen: ich verlange nichts von Allem!" „Nicht

wahr,"

rief Dakianos,

„alles

gehört

mir

von

Rechtswegen, zufolge der goldnen Tafel'." Der Greis

erinnerte

ihn an seinen Schwur;

„allein ich

spreche dich kren," setzte er hinzu, „und für alles, was du mir dadurch scbuldig bist, verlange ich nichts als mein Leben." „Nein!" sevn!

rief DakianoS,"

dein Leben könnte mein Tod

ich habe dich zu sehr beleidigt, als daß ich einen Augen­

blick ruhig seyn könnte.

Ich allein darf nur um mein Geheim­

niß wi^en!" Mit Liesen Worten spaltete er das Haupt des ehr­ würdigen Greises. ,

Dakianos grub selbst die Erde auf und verscharrte daS un­

glückliche Opfer seiner Habsucht. sein Gewissen;

Er fürchtete Zeugen, nicht aber

sein Herz war bloß mit seinen Schätzen beschäf­

tigt und sein Verstand mit den Mitteln, sie zu erhalten.

Und

welche peinigende Unruhe befiel ihn, als er mitten in den Be­ rechnungen der Unermeßlichkeit seiner Schätze und bei der Befrie-

59 digung seiner unersättlichen Gier, sich genöthigt sah, seinen Ab­ gott zu verlassen,

um Lebensrnittel herbeizuschaffen!

Er machte

sich die bittersten Vorwürfe, daß er nicht sogleich welche mitge­ bracht hatte; den Greis

dieser Umstand diente ihm sogar zum Vorwände,

böser Absichten zu beschuldigen,

weil er ihn nicht

daran erinnert habe, da dies eine Sache sey, die man yorhersehen könne, ohne weise zu seyn. Indessen,

um nicht bey seinen Schätzen Hungers zu sterden,

mußte er sich endlich doch entschließen, sie zu verlassen, da. er in der Wüstcney, die ihn umgab, nicht auf den mindesten Beystand hoffen konnte.

Allein wie viel kostete ihn der Entschluß! Konnte

nicht unterdessen irgend ein Reisender durch die frisch aufgegra­ bene Erde aufmerksam und dadurch die ganze Sache verrathen werden?

Jedoch der Hnnger überwog endlich doch seine Bedenk­

lichkeiten.

Er machte sich mit anbrechender Nacht auf, steckte

einige Hände voll Goldstücke zu sich und begab sich nach der Stadt. Er kaufte ein Pferd, belud cs mit Zwieback und einem Schlauch Wasser und kam noch vor Tages Anbruch zu seinen Schätzen zurück, die er mit großer Freude unversehrt fand. Nun durch

war seine erste Sorge,

alles zu bedecken und bloß

einen engen Gang sich eine Oeffnung zu seinen Schätzen

zu machen.

Die Oeffnung bedeckte er mit seinen Kleidern und

schlief auf diesen die erstern Tage,

bis er sich eine Erdhütte



60

errichtet hatte, um sich vor dem Ungemach der Witterung zu schützen. Als darauf sein Werk so weit gediehen war, daß er sich mit geringerer Furcht entfernen zu können glaubte, so ging er wieder in die Stadt;

brauchte aber die nehmliche Vorsicht, daß er sich

erst des Abends auf den Weg machte.

Er kaufte jetzt einige

Sklaven, durch welche er sich nun alles Herbeyschaffen ließ, was er zur Bequemlichkeit und Sicherheit für nöthig hielt.

Bald

daraus ließ er Arbeitsleute kommen und alles fester bauen, was er angefangen hatte.

Er ließ drei starke Mauern um die Höhle

führen und schlief beständig zwischen der ersten und zweiten.

Er

suchte überall auszustreuen, daß er auswärtigen Handel trieb, und sprach von großem Gewinn, den er in Egnpten gemacht habe.

Dies nahm er auch nachher zum Vorwände, —

Irgend Etwas muß man anzugeben wissen,

denn

wenn man seinen

Reichthum zeigen will, — als er einen prächtigen Pallast errich­ ten ließ, gegen welchen jener berühmte deö alten Indischen Kö­ nigs Malik Zouna, den tausend Säulen zierten, kaum in Ver­ gleichung kam. Alles strömte herbey, ihm seine Achtung zu beweisen und sein Wohlwollen zu gewinnen. Dies schmeichelte seiner Eigenliebe, und in der Täuschung seines Herzens rechnete er sich den Besitz so ungeheurer Reichthümer

als

ein Verdienst an, und betrachtete sie

61 hinsichtlich der Mühe und Mittel, die er darauf verwendet hatte, als sein rechtmäßig erworbenes Eigenthum, dessen er mit gutem Ge­ wissen sich freuen könne.

An den Greis wurde nicht mehr gedacht.

Bald schaffte er nun alle seine Schätze aus dem unterirdi­ schen Pallaste, dessen Daseyn er vor Jedermann geheim hielt. Er schickte nach allen Enden Indiens Karavanen, um seinen Aufwand aus Sklaven, Gebäude, Weiber und Pferde zu

beschäle

nigrn; und auch seinen Handel, so wenig er darauf achtete, da er ihn bloß zum Schein, um allen Argwohn zu entfernen, un­ ternahm , begünstigte das Glück auf alle mögliche Art. Da

sein Herz

endlich von dem Besitz und Genuß seiner

Reichthümer übersättigt war, so erwachte in ihm der Ehrgeiz. Er gab sich alle Mühe, an den Hof des Königs von Persien zu gelangen, verschwendete Reichthümer als Geschenke an die Dezire, und erniedrigte sich bis zum Sklaven vor ihnen, um ihren Schutz zu erhalten. Seine Pracht und Freygebigkeit führte ihn bald vor den König selbst.

Um nun gleich bey seiner ersten Audienz einen

günstigen Eindruck zu machen, und sich die Gunst des Königs zu gewinnen, erschien er mit Geschenken, die der erste seiner Statt­ halter. nicht hätte aufbringen können. tige Kameele vor sich hergehen,

DakianoS ließ neun präch­

welche die Geschenke trugen.

DaS erste war mit neun golddurchwirkten Jägerkleidern beladen,

62 die mit den prächtigsten Edelsteinen besetzt, und deren Gürtel be­ von

sonders

neun Säbel,

unschätzbarem Werth waren.

Das zweyte trug

deren goldne Gefäße von Diamanten funkelten.

Auf dem dritten sahe man neun Rüstungen von gleicber Pracht; das vierte hatte neun Pferdegeschirre, wie sie zu den übrigen Ge­ schenken paßten; das fünfte trug neun Kisten voll Silberstangen; das sechste neun Kisten mit Goldbarren; gemünztem Golde;

das siebente neun mit

das achte eben so viele mit Saphiren und

Amethisten, und das neunte neun Kisten mit Rubinen und Dia­ manten.

Nach den Kameelcn folgten neun junge Mädcben von

außerordentlicher Schönheit in prächtigen Kleidern, auf diese acht junge Sklaven, und endlich Dakianos selbst. Der König und alle Hofleute erstaunten über die außeror­ dentliche Pracht dieser Geschenke.

Indessen machte doch einer von

den Hofleuten — wie sich denn diese gemeiniglich darauf verste­ hen, alles zu durchmustern, und in Kleinigkeiten ihren -Witz und ihre Aufmerksamkeit zu zeigen — die Bemerkung, daß der neunte Sklave fehle.

Allein darauf hatte DakianoS gerechnet; er stellte

sich selbst als den neunten hin. Diese feine Wendung bey so kostbaren Geschenken rübrte den König; wurde

er empfing ihn auf eine sehr ausgezeichnete Art und durch seine natürliche Beredsamkeit so hingerissen,

Dakianos ihm bald unentbehrlich schien.

daß

Er ließ ihn an seiner

63 Seite sitzen, ihm zu Ehren Musik aufführen, und schickte ihm täglich Speisen von seiner Lasel und die ausgesuchtesten Weine. Diese besondre Ehre erwiederte DakianoS mit immer neuen Ge­ schenken, deren Pracht und Menge die Bewunderung immer mehr erhöhten.

Endlich gewann seine Freygebigkeit und Beredtsamkeit

das Herz des Königs so

ehr, daß es diesem nicht mehr mög­

lich war, ohne ihn zu leben.

Er machte ihn zu seinem Vezir

und trieb seine Freundschaft und sein Zurrauen so weit, daß er ihm ungleich mehr Macht ertheilte, als sonst mit dieser Würde verbunden war. DakianoS regierte nun Persien unumschränkt, und hätte sein Glück genießen und seine Eitelkeit für befriedigt halten können; allein kann die Eyrsucht je befriedigt werden? Das Gebürge Kaf kann der Welt Grenzen setzen,

nicht aber den Gedanken und

Wünschen des Ehrsüchtigen. Kurz

darauf kam

ein griechischer Abgesandter an.

König ertheilte ihm die verlangte Audienz.

Der

Der Gesandte küßte

die Stufe des Thrones, und übergab ein Schreiben von seinem Herrn, dem griechischen Kai'er, welches der König von einem Schreiber laut ablesen ließ.

Es lautete also:

„Ich-, Kaiser und Sultan über sieben Himmelsgegenden, grüße dich, König von Persien.

Sobald du meinen königlichen

64 Brief erhältst, wirst fcy mir unfehlbar den Tribut von sieben Jahren übersenden.

Solltest du Anstand nehmen, so wisse,

daß ich ein Heer, das die Erde bedeckt, gegen dich in Bereit­ schaft habe." Dieses Schreiben setzte den König so sehr in Erstaunen, daß er nicht wußte, was er antworten sollte.

Indessen Dakianos

erhob sich von seinem Platze, er beugte sein Haupt bis zur Erde, und sagte: „Großer Beherrscher, bedenke dich nicht, wie du das Schreiben des griechischen Kaisers beantworten mögest. reue seine Verwegenheit und seine Drohungen!

Er be­

Befiehl, daß sich

deine getreuesten Unterthanen um deinen geringsten Sklaven ver­ sammeln und ich ihnen sage, was sie zu thun haben." Dakianos warb im Namen des Königs hundert tausend Mann und aus eignen Mitteln ein Corps von zehn tausend Mann. Die­ sem fügte der König, noch zwey tausend auserlesene Streiter bey, welche er gewöhnlich um seine Person hatte, verordnete diese zu Dakianos Leibwache, und erhob ihn zum Feldherrn über seine Heere. Der neue Feldherr stellte sich an ihre Spitze. trennte sich ungern von seinem Vezire;

Der König

er begleitete ihn drey

Tagereisen, schied mit thränenden Augen unter tausend Segens­ wünschen von ihm, und nannte ihn einmal um das andre seine Stärke, seine Stütze und seinen einzigen Herzensfreund.

65 In allen Städten, durch welche Dakianos zog, las er die streitbarste Mannschaft aus, rüstete sie auf seine Kosten, und gab ihnen Handgeld, so viel sie verlangten.

Das Gerücht von

seiner Pracht und Freygebigkeit verbreitete sich sehr bald, und von allen Seiten floß ihm eine Menge Menschen zu, daß seine Heerhaufen bald dreymahl hundert tausend Mann stark waren. Sobald der griechische Kaiser hörte, daß ein persisches Heer im

Anzuge

sey,

versammelte

er

sein Heer

und

kianos mit sieben hundert tausend Mann entgegen.

ging DaAls sich der

Feind näherte, theilte er sein Heer in zwey Abtheilungen und gab das Zeichen zur Schlacht. mit solcher Herzhaftigkeit an,

Allein Dakianos Truppen griffen und ihr erster Angriff war so

schrecklich, daß das griechische Herr kaum Zeit hatte, sich zu fas­ sen;

es ward fast eben sobald geschlagen als angegriffen.

griechische Kaiser ward gefangen.

Der

Dakianos ließ ihn enthaupten,

bemächtigte sich ohne große Anstrengung der benachbarten Pro­ vinzen , und ließ sich als Oberhaupt ausrufen. Der neue Monarch schrieb sogleich an den König von Persien: „Ich habe den Cäsar geschlagen,*) ich habe mich seiner Provinzen bemächtigt,

ich habe mich auf den Thron von

*) So nannten die Morgenländer die griech ischen Kaiser. Paln:dlä::er

111.

E

66 Asien gesetzt und zum Beherrscher der Welt erklärt.

Sobald

du meinen Brief erhältst, so säume keinen Augenblick, mir den Tribut von sieben Zähren zu ü&erfcnbcn*,

die geringste

Weigerung würde dir das Schicksal des Cäsars bereiten." Daß dieses Schreiben den König von Persien höchlich be­ fremdete, ist wohl nicht zu verwundern.

Indessen

er versam­

melte unverzüglich ein großes Heer, und antwortete DakianoS, eh' er sich an die Spitze desselben stellte, folgendermaßen: „Konnte ein so griechische

Reich

verächtlicher Mensch, wie du, sich das

unterwerfen?

du

verräthst

mich,

deinen

König, aber ich sitze noch auf dem goldnen Throne meiner Vorfahren.

Treue und Dankbarkeit bist du mir schuldig, und

du greifst mich feindselig an.

Ich breche auf, dich und deines

Namens Gedächtniß zu vertilgen." Ueber diese Antwort gerieth DakianoS in wüthenden Zorn. Er

hob

sogleich

zweymal hundert tausend Mann aus seinem

Heere aus, und eilte dem Könige von Persien entgegen. Heere .stießen bald auf einander; von

Beyde

die Schlacht war blutig, da

beyden Seiten mit Muth und Klugheit gefochten wurde.

Allein auch hier begünstigte daö Glück seinen Liebling; der Perser wurde geschlagen und der König gefangen.

das Heer

67 „Lasterhafter Bube," redete dieser den Dakiano5 an, als er vor ihm gebracht wurde, „wie kannst du meinen Anblick ertra­ gen, da du dir des schändlichsten Lasters deS Undanks bewußt bist? — " „Ich undankbar?" erwiederte Dakianos spottend; „habe ich nicht aus meinen Mitteln Mannschaft geworben? habe ich nicht den größten Theil meiner Schätze aufgewandt, und demnach diese Eroberung theuer genug bezahlt?

Noch mehr:

habe ich nicht

gefochten, und dich an deinem Beleidiger gerochen?

Was kannst

du mir vorwerfen? " „Ich habe dich geliebt!" versetzte der König. Das gegründetste Recht verliert gegen die Macht.

Statt

dem Könige aus seinen Vorwurf zu antworten, ertheilte Dakianos den Befehl, ihm den

Siopf

abzuschlagen, und sandte ein

zahlreiches Heer ab, sich aller seiner Staaten zu bemächtigen. Er wählte EohesuS zu seiner Residenz, und da ihm diese Stadt

noch

erdenklichen

nicht schön genug war, Pracht

verschönern.

Sorgfalt auf seinen Pattast,

so ließ er sie mit aller

Vorzüglich

der an

wandte

Festigkeit,

er

alle

Umfang und

Pracht seines gleichen in der ganzen Welt nicht hatte. Veziere besorgten die Angelegenheiten seines Reichs,

Sechszig

und in dem

Audienzsaale befanden sich sechszig Throne für diejenigen, welche sich im Kriege ausgezeichnet hatten.

Er hatte sieben hundert E 2

68 Sterndeuter, die sich täglich versammelten, und ihm von dem Einfluß der Gestirne Bericht erstatteten.

Zehn tausend JchogianS

in prächtigen Gewändern mit goldnen Gürteln und goldnen Dia­ demen waren beständig bereit, seine Befehle zu vernehmen.

Er

ernannte sechszig Pascha's und untergab jedem zwey hundert aus­ erlesene wohlgewachsne Jünglinge, wovon jeder eine Schaar Sol­ daten befehligte, welche die Wache des Pallasts zu besorgen hatten. Noch nie hatte ein König mit so außerordentlicher Pracht regiert. So

hatte Dakianos

die

höchste

Stufe

des

Erdenglücks

erreicht! — Dennoch war sein Ehrgeiz noch nicht gesättigt.

Der

unumschränkteste Monarch zu seyn, war ihm noch eine zu enge Grenze.

Seine Wünsche

stiegen bis zu göttlicher Verehrung,

und kaum war dieser Gedanke vor seine Seele getreten, als er auch auf die Erfüllung drang. Gott verehrt zu werden. ihm solche erwiesen.

Er verlangte angebetet, und als

Es fehlte nicht an feigen Seelen, die

Seine vernichtende Rache traf alle diejeni­

gen, die ihm die göttliche Verehrung verweigerten.

Aber von

nun an quälte Furcht vor Verrätherey den Angebeteten.

Sein

Argwohn ward Grausamkeit, und Menschenblut floß in Strö­ men.

Bald

entzündete sich

das Feuer der Empörung,

das

immer weiter um sich griff, da er es durch neue Grausamkeiten zu dämpfen suchte. Nacht.

Der Fluch des Volks verfolgte ihn Lag und

Jetzt wurde ihm auch fein Pallast zu enge.

Das Bild

69 des gemordeten Greises trat ihm bey Lag, und Nacht vor die Seele;

die Angst trieb ihn hinaus.

In das

Gewand eines

Sklaven verkleidet entfloh er aus seinem Pallast und seiner Re­ sidenzstadt.

Er irrete lange

Jemanden zu hörte.

entdecken,

Wie Millionen

umher, und wagte es nicht, sich

da er überall dem Tyrannen fluchen vor seinem Blick gezittert hatten,

so

erzitterte er jetzt vor dem Anblick des geringsten Sklaven, der seinen Namen nannte. Er

verbarg sich in eine Höle,

Hunger

hinaus

erbetteln.

trieb,

sich

aus welcher ihn nur der

ein Almosen oder Stück Brod zu

Hier hatte er Zeit und Gelegenheit, auf sein voriges

Leben zurückzublicken.

Ost ergriff ihn auch das Bild seines ehe­

maligen einfachen Hirten - Lebens mit einer verzehrenden Sehn­ sucht;

aber zwischen diesem und seinem jetzigen Zustande lag eine

Wüsteney voll Frevel und Schande, vor ihm die Hölle. Nach

etlichen Monaten

ward er entdeckt,

Strick gebunden durch die Gaffen Dakianos!"

geführt.

und an einen

„Sehet den Gott

schrie man ihm von allen Seiten entgegen,

warf

ihn mit Koth und Steinen, und mißhandelte ihn bis er entkräf­ tet zu Boden sank.

Sein Körper ward zerfleischt und den Thie­

ren zum Fraße hingeworfen.

70 11.

Der Kalif und sein Liebling. „3-0 genest bellt Zutrauen in vollem Maaßesagte bet Günstling zum Kattun, indem er sein Haupt zur Erde neigte, „und finde mich dessen aus einmal beraubt:

womit hab' ich das ver­

schuldet *?" „Sey damit zufriedenantwortete der Kalife ernsthaft; „ich habe wahrgenommen, daß ich viele Fehler begangen habe, ohne daß du mich auf einen aufmerksam machtest.

Sahst du cs

nicht besser ein als ich, so war es Unwissenheit, und Verräthercy war es, wenn du gegen deine bessere Einsicht handeltest.

Unwis­

senheit ist verzeihlich: ob es Verrätherey war, will ich nicht un­ tersuchen; unfähig."

genug,

beydes macht dich des bisherigen Zutrauens

12

.

Der Wahn mächtiger als die Heilkunst. Haron al Raschid befand flch zu Rackah und sah im Traume einen Arm über seinem Haupte, der eine Handvoll rother Erde hielt, borte zugleich sehr deutlich die Worte: „Dies ist die Erde zr Harons Grabe." „Wo 1" fragte der Kalif. „Zu ChuS!" antwortete dieselbe Stimme. Haron erschrak so sehr über den Traum, daß er in eine 'lese Schwermuth verfiel. Sein Leibarzt Gabriel, ein Syrer and Christ, der ihn jeden Morgen besuchte, fragte nach der Ursache seiner Schwermuth. Haron erzählte ihm seinen bedenk­ lichen Traum. Der Leibarzt bemühte sich ihn aufzuheitern, und hm die Bedeutung demselben auszureden; er versicherte ihm, daß rie Träume nichts als leere Gestalten wären, welche durch die .Dunste, die aus dem Magen in'6 Gehirn stiegen, erzeugt würfcn; aller Wahrscheinlichkeit nach habe der Zug, den er nach Hhorassan zu thun beschloßen, um die dasigen Rebellen zu züchthen, seiner. Einbildungskraft Anlass zu dieser Vorstellung gegben. Es sey also thöricht, sich darüber zu bekümmern. Um

72 den lebhaften Eindruck, den der Traum auf ihn gemacht habe, .zu vermindern, sey das beste Mittel, sich zu zerstreuen und sich zu erheitern. Der Kalif befolgte den Rath seines Arztes, stellte ein Fest an, welches mehrere Lage dauerte, und ward glücklich von seiner Schwermuth geheilt. Er brach nachher mit seinem Heere auf und war schon tu die Provinz Georgien gekommen, als ihn eine kleine Unpäßlich­ keit befiel, und ihn, da sie anhielt, nöthigte, nach Kborassan zu gehen, um bessere Pflege zu genießen, da die Provinz Georgien noch nicht gänzlich beruhigt war.

Als er in der Stadt Chrs

anlangte, verschlimmerte sich seine Krankheit.

Er ließ Manghe't,

einen berühmten indischen Arzt, zu sich rufen, der ihm ein MittÄ gab, worauf er sich besser befand. Allein jetzt siel ihm sein Traun wieder ein.

„Erinnerst du dich wohl," sagte er zu seinem Leib­

ärzte Gabriel, „an meinen Traum zu Rackah ? dies ist die Stadt wo ich begraben werden soll.

Sende einen meiner Verschnittner

hinaus, und laß mir eine Hand voll hiesiger Erde holen." Der Oberste der Verschnittnen, Meseur, einer der Liebling des Kalifen, übernahm selbst die Vollziehung dieses Auftrags und brachte ihm eine Hand voll Erde.

Als er sie dem Kalifoi

mit seinem halbcntblößten Arm hinreichte, rief dieser bestürz: „Das ist die Erde und derselbe Arm, den ich im Traume sah!"

Gabriel wandte alle seine Beredsamkeit an, ihm die trübsin­ nige Einbildung zu zerstreuen, und reichte ihm Arzeneyen, die das Uebel seiner Krankheit heben sollten. Als Manghe'h dieses hörte und zugleich erfuhr, woraus die Arzeney bestanden habe, so rief er aus, „ Gabriels Unwissenheit bringt den Kalifen ums Leben!" Dies ward dem Fürsten hinterbracht, und da er sich wirklich kränker fühlte, so ergrimmte er, und befahl den Leibarzt auf der Stelle umzubringen. Gabriel siel ihm zu Füßen, und bat ihn die Vollstreckung seines Befehls nur bis Morgen aufzuschieben, da sich die Wirkung der Arzeney äußern würde. Dies geschah. Allein Haron's Schwermuth ging noch in dieser Nacht in eine Art von Wahnsinn über, und am fotzenden Morgen war er todt.

13

.

Großmuth und Gastfreiheit. O

Ibrahim, einer der letzten Abkömmlinge von dem Geschlechte der Ommiadischen Kalifen, erzählte oft folgende Begebenheit seiner

74 Flucht, als die Abbasidcn sein Geschlecht vom Throne stießen und sich der Herrschaft bemächtigten. Ich lebte in Kufa, und ahndete daS Unglück nicht, das un­ ser Haus schon betroffen hatte. Ein ungewöhnliches Geräusch zog mich an's Fenster; ich erblickte die ganze umliegende Gegend mit Soldaten angefüllt, und sogleich erkannt' ich an den schwar­ zen Fahnen die Truppen der Abbasiden. Ich war außer Stande, Gewalt mit Gewalt zu vertreiben. Um mich zu retten, blieb mir nichts übrig, als mich so gut wie möglich zu verbergen. Ich veränderte in aller Eile meine Kleider, und lief, mit allen Zeichen einer großen Bestürzung, in das Haus eines Mannes, von welchem ich wußte, daß er ein Feind meiner Familie war, und bat ihn um eine Freistatt, ohne mich zu erkennen zu geben. Osmin erkannte mich in meiner Verkleidung nicht; er nahm mich sehr wohl auf, führte mich in ein verborgenes Zimmer, behandelte mich auf's beste, und ließ eS mir an keiner Bequem­ lichkeit fehlen. Da er jeden Morgen ausritt und einen Feind aufzusuchen schien, so bewog mich meine Erkenntlichkeit, ihm zu versichern, daß sein Feind auch der meinige sey, und daß ich mit Vergnügen, um mich dankbar gegen ihn zu erweisen, seine Rache auf mich nehmen würde, sobald er mir nur seinen Feind kenntlich machen wolle.

„Der Feind," antwortete Osmin, „dem ich nachstelle, ist Ibrahim, ein Wütrich, der meinen Vater ermordet hat.

Da

seinem Geschlechte alle Rechte zum Throne entrissen sind, so steht meiner Rache nichts im Wege; ich habe keinen heißer» Wunsch, als ihn auszuforschen, und ihm alles Böse, was er an mir ver­ übt hat, doppelt zu vergelten." Dies war mir unerwartet, und um ihn nicht durch meine Bestürzung auf einen Argwohn zu bringen, gab ich mich ihm zu erkennen. „Ich bin Ibrahim, den du suchst," erwiederte ich; „eS thut mir leid, daß ich unter andern Umständen deinen Vater getödtet habe, aber deiner Rache will ich mich nicht entziehen;

deine

großmüthige Aufnahme macht mir die Aufrichtigkeit zur Pflicht." „Bewahre mich Gott," versetzte Osmin, „daß ich deine Auf­ richtigkeit mißbrauche.

Ich weiß, was mir meine Rache befiehlt,

wenn ich dich außer meinem Hause antreffe; aber ich weiß auch, was die Rechte der Gastfreyheit mir gebieten." Er entfernte sich, ließ mich durch seine Leute vor die Stadt bringen, und mir tausend Zechinen und ein flüchtiges Pferd zustel­ len, um mich so schleunig als möglich entfernen zu können. Man urtheile, wie sehr ich bei dieser That von Dankbarkeit, von Be­ wunderung und Scham durchdrungen seyn mußte.

76 14.

Der Wechsel des Schicksals. Ämru, Sultan von Gazna, wurde in einer Schlacht mit Jsmael Samain, Sultan von Karisme, geschlagen und gefangen. Der Sieger ließ ihn in ein Kastell bringen und sorgfältig bewa­ chen. Amru hatte den ganzen Lag nichts gegessen, und war von den ausgestandnen Strapazen äußerst abgemattet. Er bat seine Wache, ihm etwas Speise zu reichen, und man brachte ein Stück Fleisch, das an eben dem Feuer gekocht werden mußte, welches zur Erwärmung deö unglücklichen Gefangnen angezündet wor­ den war. Kaum war aber feine Mahlzeit an'ö Feuer gesetzt, so schlich sich ein Hund herbey, bemächtigte sich des Fleisches, und eilte da­ von. Der hungrige Sultan wollte ihm nach, ihm den Raub wieder abzujagen; er dachte nicht an seine Ketten, die ihn daran hinderten, und sing an herzlich zu lachen. Seine Wächter hatten Mitleiden mit seinem unglücklichen Schicksale, schafften ein andres Stück Fleisch herbey, und äußerten ihre Verwunderung darüber, daß er in seiner traurigen Lage noch lachen könne.

77 „Ich lachte über die irdische Grösse," erwiederte der Fürst. „Diesen Morgen, als ich mein Heer in Schlachtordnung stellte, bemerkte ich bey'm Troß dreihundert Kameele, und mein Oberküchenmeister versicherte mich, daß sie kaum hinreichten, meine Küche fortzuschaffen; und jetzt trug sie ein einziger kleiner Hund in seiner Schnauze fort."

15.

Die Bürgschaft des Dichters. $Dcr Dichter Ncbati, der sich von Lobeserhebungen nährte, bk er an die Großen von Khorasan im Uebermaß verschwendete, wurde eines Tags vor den Kadi gefordert. Dem Dichter war dies unerklärlich; er war zu sehr überzeugt, daß er niemand be­ leidigt haben könnte, da er die Schmeicheleyen selbst bey dem ge­ ringsten Sklaven seiner Gönner nicht sparte; überdies besaß er weder Gut noch Geld, und zum Wunder, war er auch Keinem etwas schuldig. Als er vor den Kadi kam, fand er einen Mann, der ihn wegen einer Forderung von hundert Goldstücken verklagt hatte.

78 „Und worauf gründet sich deine Forderung?" fragte der er­ staunte Dichter, der keinen Pfennig geborgt noch erhalten hatte. „Auf eines deiner schönen Gedichte," erwiederte der Klager; „du hast auf unsern Großvezier, Zbn-Malik, ein Gedicht ge­ macht, in welchem folgende Verse vorkommen: „Zbn-Malik übertrift alle -Menschen an Großmuth. Zeder­ mann kann ihn um eine Wohlthat ansprechen, und ich bin Bürge dafür, daß er sie ihm nicht abschlagt." „Ich brauche sehr nothwendig hundert Goldstücke; auf deine Ver­ sicherung ging ich zum Großvezier und sprach ihn darum an. Nun hat er sie mir zwar verweigert; allein da du Bürge für ihn bist, so bin ich unbesorgt, ich werde sie von dir erhalten und auö mei­ ner Verlegenheit kommen." Nebati bat um Frist, ein Paar Worte mit dem großmüthi­ gen Zbn-Malik zu sprechen und versicherte voll Zuversicht, daß seine Forderung befriedigt werden sollte. Er ging sogleich zum Großvezier. „Ich habe dir eine Ehre erwiesen," redete er ihn an, wel­ cher du dich unmöglich unwürdig erzeigen kannst: ich verlange nicht von dir, daß du mich um meiner selbst willen von meiner Bürgschaft befreyen sollst; aber ich möchte dir um deinetwillen doch rathen, dich so zu beweisen, wie ich dich geschildert habe."

79 Dem Großvezicr gefiel dieser Rath nicht sonderlich; jedoch nach einigem Nachdenken erwiederte er: „Nun wohl! für diesmahl will ich mich zu dieser Forderung bekennen, aber ich bitte dich auch sehr angelegentlich, um mei­ ner Bescheidenheit willen! verschone mich in Zukunst mit der Ehre deiner Bürgschaft."

16

.

Der fromme Derwisch. (Sin Derwisch, ter im Ruf einer großen Heiligkeit lebte, kam in die Bude eines Zuckerbäckers. Dieser beeiferte sich, den heili­ gen Mann auf's beste zu bewirthen, und setzte ihm ein Gefäß mit Honig vor. Kaum war es aufgedeckt, so stürzte ein Schwarm von Fliegen darüber her. Der Zuckerbäcker ergriff den Wedel, um sie zu verjagen. Die Fliegen, die am Rande des Gefäßes geblieben waren, retteten sich mit leichter Mühe; allein die meisten, welche ihre Begierde in die Mitte gelockt hatte, kleb­ ten am Honig und wurden eine Beute des Todes. Der Derwisch beobachtete dies Schauspiel mit aufmerksamen Blicken, und nach einigem Nachdenken sagte er seufzend:

80 „Dies Gefäß ist die Erde; diese Fliegen sind ihre Bewoh­ ner; die am Rande blieben, gleichen den Weisen, welche den Freuden Schränken zu setzen wissen, und sie mäßig zu kosten sich begnügen; die Menge, die in die Mitte des Honigs flog, ist das Bild der Unbesonnenen, die ihren Leidenschaften den Zügel lassen, und ohne Rückhalt den Lüsten nacheilen. Wenn der rasche Flug des Todesengets über die Erde rauscht, werden die Menschen, die nur am Rande des Gefäßes dieser Welt sich aufhielten, mit leichtem Schwung und frcvem Fittig sich los reißen und in das Land der Himmel empor schwingen können, aber die Sklaven der Ausschweifungen werden tiefer in den Psuhl der Laster hinab­ sinken, und ein Raub des Abgrundes werden.

17,

Das Glück der Unterthanen und der Fürsten. Die Hofleute des .Kalifen Sati rühmten ihm so häufig das Glück der Unterthanen unter seiner göttergleichen Regierung, daß er durch eigenen Anblick es mitzugenießen sich entschloß. Der Vorsatz war gefasst, nach und nach verkleidet sein Land zu durch-

81 reisen, und er freute sich schon im voraus auf da.' Vergnügen, seine glücklichen Unterthanen im Genuß der Freude und Zufrie­ denheit zu belauschen, und ihren Dank zu vernehmen. Er machte sich mit einem treuen Diener in seiner Verkleidung auf den Weg. In der nächsten Stadt begegnete ihm ein Haufen Sklaven, sämmtlich an schwere Karren gefesselt. Eine schwache Frau zog seine Aufmerksamkeit auf sich. Mit einem lauten Seufzer: „Ewiger, wirst du bald dieses Elend endigen!" sank sie entkräftet am Karren nieder. Schon schwang der Aufseher die knotige Geißel über dem zitternden Weibe, und brüllte ihr eiue fürchterliche Aufmunterung zu. „Halt ein!" rief Sadi und drückte ihm ein Goldstück in die Hand, „laß mich mit der Unglücklichen reden." Er fragte das Weib, was sie verbrochen habe, daß sie zu solchem Elende verdammt worden sey. „Find ich endlich einen Menschen,^ erwiederte die Abgemat­ tete, „den mein Elend rührt? Meine Geschichte ist sehr kurz. Mein Mann nährte sich redlich; durch Unglück und Betrug ver­ armten wir so, daß wir auch die Kopfsteuer nicht mehr bezahlen konnten, und schon schliefen wir mit vier Kindern auf nackter Erde. Ein einziger Lepplg, auf welchem mein fünftes Kind tödtlich krank darnieder lag, war alles, was wir noch besaßen, und auch diesen riß der gefühllose Gerlchtsdiener meinem kranken Pal,r:l.'lät!er UI,

F

82 Knaben weg, weil wir die Kopfschatzung nicht bezahlt hatten. In der Verzweiflung vergriff fich mein Mann an dem Boten der Gerechtigkeit und warf ihn zu Boden. verwirkt, sagte der Kadi,

Er habe das Leben

nnd verurtheilte meinen Mann zu

ewiger Arbeit." „Und du? " fragte der Kalif. „Ich arbeite jetzt für ihnantwortete das -Weib, „damit er wieder zu Kräften komme. darum in Gefahr,

Er war so krank und schwach, und

unter der Geißel zu sterben.

Konnte der

Kalif wohl nicht einen armseligen Teppich entbehren ?" Der Kalif war so gerührt, daß er sich wegwenden mußte. „Ist dies daö Glück deines Volks? die man so lobpreiset?"

Dies deine weise Regierung,

sagte er zu sich selbst und eilte zum

Statthalter. „Ich bin ein Kaufmann," redete er diesen an, „und finde hier unter den Sklaven einen Verwandten von einem meiner Freunde, (er nannte den Namen des Unglücklichen) welchen ich loszukaufen wünsche." „Es ist ein Aufrührer," erwiederte der Statthalter, „der eigentlich hätte gespießt werden sollen.

Wenn du den Werth der

Arbeit seines Lebens bezahlst, so nimm ihn hin.

Vom Verdienst

der Sclaven hängt ein Theil meiner Besoldung ab, wovon ich

83 wieder an die Günstlinge steuern muß, um mich auf meinem Posten zu erhalten." „Der Kalif aber soll ein Feind der Strenge seyn!"

ver­

setzte Sadi mit einem Unwillen, der dem Statthalter fast aufge­ fallen wäre. „Auch ich bin kein Freund der Strenge," antwortete dieser, „allein

die Nothwendigkeit gebietet sie.

Die Einkünfte diese«

Stadt sind an die Köche des Kalifen angewiesen:

der Oberkü­

chenmeister hat Einfluß, und würde Nachsicht und Mildthätig­ keit

nicht

für gültige Entschuldigung ansehen.

Die Klugheit

gebietet, sich Freunde am Hofe-zu erhaltem" Der Kalif bezahlte die Summe, und ließ dem Unglücklichen ein ansehnliches Geschenk reichen.

„Wie manche blutige Thräne

mag ich schon verzehrt haben!" sagte er zu seinem Vertrauten; „diese da haben Freunde am Hofe, wo haben die Unglücklichen einen Freund? —

Doch Geduld, ich will es seyn, so viel ich

vermag." Er kehrte in seine Residenz zurück, traf sogleich Verfügun­ gen,

das Elend

der

Unglücklichen zu mildern,

Macht der Großen ein, untersuchte, so

schrankte die

weit er sehen konnte,

selbst, und Niemand durste es mehr wagen,

seine Regierung

das Zeitalter der Weisheit und des Glücks zu nennen.

84

18.

D i e zwey Sultane. (Jin Sultan bekam seinen Bruder, der mit ihm um den Besitz des Thrones stritt, gefangen. Er ließ ihn in einem eisernen Käsig zu den Füßen des Thrones stellen, um des Unglücklichen bey jeder Gelegenheit spotten zu können. Am nächsten Lage ging der Sultan auf die Jagd. Von der Hitze abgemattet, legte er sich unter einen schattigen Baum, deckte sich ein rothes Luch über das Gesicht und schlief ein. Ein Raubvogel, durch die Farbe des Luches getäuscht, schießt wie ein Pfeil aus der Luft hernieder, zerfleischt dem Sultan das Gesicht mit seinen Klauen und Schnabel, und hackt ihm die Augen aus. Der Sultan erwacht mit gräßlichem Geschrey; der Raubvo­ gel eilt davon. Von allen Seiten stürzen die Hofleute herbey: man erkennt den Sultan nicht mehr. Zwey Bäche Blut strö­ men aus seinen Augenhöhlen, alle Züge sind entstellt. Sein Zustand war Mitleidens werth; allein wer selbst kein Mitleid gegen andre fühlt, findet auch keines für sich, wenn er dessen bedarf. Seine gefühllose Unbarmherzigkeit gegen seinen Bruder

85 hatte den Haß der Vezire erzeugt;

was hatte man von ihm zu

erwarten, wenn er gegen seinen Bruder so wüthen konnte. Entschluß ward gefaßt und eben so bald ausgeführt:

Der

man setzte

seinen Bruder auf den Thron, und sperrte ihn in den Käfig. Der Bruder schenkte ihm die Freyheit, beklagte sein Schick­ sal mit Thränen, und überhäufte ihn, so lange er lebte, mit Wohlthaten. „O," rief er aus, „der Glückliche überhebe fich nie seines Schicksals.

Es reicht uns oft milde seinen Becher,

berauschen uns.

Lebens liegen, haben wir keine Beständigkeit zu hoffen. lose Sicherheit

und wir

So lange wir in der schwankenden Wiege des

gibt

uns

Sorg­

schnell dem Glückswechsel hin;

die

Sonne lächelt, aber schon droht am Horizonte ein fürchterliches Ungewitter.

19.

Die Geistesgegenwart. Hudschadsche

war Lurch

seine

unerhörten Grausamkeiten der

Schrecken und Abscheu seines Volks, und dennoch ging er in seinem wilden Kummer unbesorgt ohne Gefolge und ohne ein

86 Zeichen seiner Würde aus, und irrte sogar in entfernten Gegenden umher. Einst begegnete er in der Wüste einem Araber, mit wel­ chem er sich in ein Gespräch einließ, und unvermerkt lenkte er auf die Frage ein: „Aber sage mir, Freund, was ist wohl der Kalif für ein Sföann"? man spricht so viel von ihm." „Ein Tiger ist Hudschadsche," antwortete der Araber, „ein Nngeheuer — kein Mensch." „DaS ist viel gesagt," versetzte der Kalif, „und du möch­ test wohl den Beweis schuldig bleiben, wenn er dir abgefordert würde." „Den Beweis," erwiederte der Araber, „findest du in jeder Provinz, in jeder Stadt.

Wenn du willst, wird dir jeder seiner

Unterthanen eine Schandthat von ihm zu erzählen wissen, die er in

seiner Familie verübte.

Eine Million hat geblutet,

und

immer noch ist sein Blutdurst nicht gestillt." „Sahst du jemals den Kalifen?" fragte Hudschadsche. „Nein!" antwortete der Araber, „und aus dem, was ich dir gesagt habe, wirst du leicht schließen können, ob ich ihn zu sehen verlange." „Du siehst ihn gegen deinen Willen," fiel der Kalif ein, „noch mehr, du sprichst mit ihm!"



87



Ohne darüber bestürzt zu werden,

erwiederte der Araber

trotzig: „Und weißt du, wer ich bin ?" „Nein!"

antwortete der Kalif, „aber ich bin beyierrg, es

zu erfahren." „Ich gehöre zum Stamme der Zobairs," antwortete der Araber,

„dessen Abkömmlinge jedes Jahr einen Lag närrisch

sind, und heute ist eben mein Lag." Der Kalif bewunderte die Gegenwart des Geistes bey einem gemeinen Araber, ging davon und vergaß die Geschichte.

20.

Königliche Wünsche. Der Kalif Nasser ließ Gold in eine Cistcrne werfen und sagte seufzend:

„Der Himmel verleihe mir ein so langes Leben, Ms

ich sie angefüllt habe!" Sein Günstling erschrak und wollte sich entfernen. „Was zurück.

begegnet dir?"

fragte der Kalif, und hielt ihn

88 Der Günstling neigte sein Haupt zur Erde und antwortete: Verzeihe Herr!

ich begleitete deinen Großvater auch hieher:

Cisterne war mit Gold angefüllt;

die

er seufzete ben ihrem Anblick,

und indem Thränen über seine Wangen herabflogen, sagte er: „Gott des großen Propheten, laß mich lange genug leben, diese Reichthümer zum Glück meiner llnterthanen anzuwenden." „Kann ich den nehmlichen Wunsch äußern," fragte der Ka­ lif lebhaft, „da ich die Cisterne leer finde?" „Dein Großvater," antwortete der Günstling, „betrachtete sich bloß als den Schatzmeister seiner Unterthanen;

er verwandte

die aufgehäuften Schätze nickt nur zur Verbreitung einer allgemei­ nen Wohlfahrt seines Volks und Verbesserung feines Landes, son­ dern unterstützte auch außerdem die Bedürftigen auf alle Weise. Er glaubte, daß zufriedne, wohlhabende und glückliche Untertha­ nen ungleich mehr die Macht eines Regenten vergrößern, als mit Gold angefüllte Cisternen und alle Reichthümer der Erde." „Und wenn die Feinde die Grenze anfallen," erwiederte der Kalif, womit willst du ein Heer ausrüsten?" — „Deine Unterthanenfiel ihm der Günstling ein, „werden dir größre Schätze öffnen, als du je hättest sammeln können. Sie werden zu den Waffen greifen, Wohlstand

und den Beschützer

um ihren Heerd, ihren

ihres Glücks

zu

vertheidigen.

89 Meinest du nicbt, daß ein solches Heer zuverläßiger sev, als ein Heer von Sklaven und Armseligen, die nichts zu verlieren haben, die nur den Schatzmeister umtauschen?"

21.

Der Mann, der sein Glück machen will. cv

begleitete Turgumin in den Hafen; er nahm Abschied von mir, von seinem Weibe, von seinen Kindern und allen seinen übrigen Freunden. Er hatte den größten Theil seines Vermö­ gens einem Schiffe anvertraut, und war im Begriff, abzusegeln, um es fcunh Handel an fernen Ufern zu vervielfältigen. Sein Weib, seine Kinder, seine Freunde, sein Leben hatten in diesem Augenblick einen geringern Werth in seinen Augen, als die Reichthümer, die er zu erwerben hoffte; Reichthum war der Abgott seiner Seele; der einzige Gegenstand seiner -Wünsche, sein Glück zu machen. Zwey Iabre waren verstoffen, und ich befand mich wieder am Hafen, als ich in der Ferne ein Schiff erblickte, welches durch Sturm so gelitten hatte, daß es sich kaum noch flott halten

90 konnte.

Ich erkannte bald bas Schiff meines Freundes, und

bemerkte, wie jetzt der nehmliche Mann, der vor zwey Zähren so begierig nach Reichthum war, und Weib und Kinder und Freunde verließ, die erworbenen Güter ins Meer werfen ließ, um das Schiff zu erleichtern und sein Leben zu retten. flehte

mit

lauter Stimme

Er

zum Himmel um Barmherzigkeit.

Mein Herz ward von Mitleid durchdrungen, und folgende Be­ trachtung stellte sich mir vor die Seele: „Wann ist der Mensch, fast wider seinen Willen, sesten ? — Wenn sein Leben in Gefahr ist.

am wei­

Alles, was er vor­

her hochachtete, wornach er mit Eifer und Anstrengung strebte, was den Inbegriff aller seiner -Wünsche ausmachte, verschwindet in Nichts!

Wohl ihm, wer dann in dem Besitz eines reinen

Gewissens und in dem Bewußtseyn eines frommen Lebens die höchsten

Güter

erkennt,

deren

unvergänglichen

Sturm, kein Unglück rauben kann."

Werth

kein

91

22. Furcht und Tugend. (Sultan Achmct gab zweymal den Befehl, seinen Bruder Mustapha, von dem er befürchtete, daß er ihm nach dem Throne trachten möchte, zu todten.

Aber beydemal nahm er den Befehl

wieder zurück, weil ihn eine heftige Kolik befiel. der Arm des Allerhöchsten schlüge ihn. sen ihn tugendhaft.

Er glaubte,

Seine Schmeichler prie­

Ein Weiser schrieb in sein Geschichtbuch:

„Furcht hatte ihm das Verbrechen eingegeben, und Furcht gebar auch die Reue.

Furcht ist die Quelle so mancher Lasterthaten; sie

ist auch der Grund so mancher gerechten Handlungen.

Aber das

Laster ist Laster, aus welcher Quelle es fließe; und bist du bloß gerecht aus Furcht, so verewige sich die That bloß dir zur Be­ schämung.

Die Furcht ist ein sehr trüber Born, aus welchem

nie reines Verdienst hervorquillt.

Was du aus Furcht thust, falle

eS ^uch noch so gut in die Augen, erscheint in der schwarzen Farbe der Leidenschaft vor dem Richterthron des Allwissenden."

92

23.

Das Gebet und die Arbeit. rv

,,^ch verlor ein Weib, das ich zärtlich liebte," erzählte einst Zaluk. „Sie starb in der Blüthe ihrer Jahre. Ich tröstete mich in zwev hoffnungsvollen Kindern, die sie mir gab, in welchen ich sie fortliebte. Aber auch diese riß der unerbittliche Todesengel von meiner Seite, noch ehe sich ihr Geist entwickelt hatte, in der zarten Blüthe ihres Lebens." „Nun hatte die Welt keinen Reiz mehr für mich; ich floh in eine Einöde, und beschloß, den Ueberrest meines Lebens in stillem Gebet zuzubringen. Nach dem eifrigsten Abendgebet schlief ich ein auf meiner Matte. Siehe 1 da erhellte ein Silber­ glanz meine Höhle, und ein himmlisches Wesen, in hellblauem Gewände mit Sternen besäet, stand vor mir. „„Ich bin Elim, der Fürst der Seraphim,"" redete mich der Himmlische an, und berührte meine Augen mit dem Palmzweige, den er in seiner Rechten hielt, „,.Zaluk, was siehst du?"" „„Ich sehe ein junges Weib,"" antwortete ich, „„in from­ mer Andacht hingegoffen mit gen Himmel gerichtetem Blick, und von ihren Lippen strömen Gebete zum Throne des Allmächtigen." "

93 „Elim berührte abermals meine Augen mit -er Palme und fragte: „„Zaluk, was siehst du?" „Ich verneigte meine Stirn zur Erde, „„Das Gegenbild vom vorigen:

und antwortete:

ein junges Weib arbeitet mit

reger Emsigkeit an einem Gewände, und stille Freude umleuchtet ihr Angesicht."" „„Welche von bevden betet?"" fragte Elim." „Diese Frage setzte mich in Verlegenheit; ich: „ „der Anblick entscheidet für jene. „„Ein Kleid für eine Waise!"" lächelnd und verschwand.

doch antwortete

Diese arbeitet." " — unterbrach mich Elim

Am frühen Morgen erwachte ich, und

besann mich bald des Lraumgesichts." „Ich sank in den Staub nieder und dankte dem Ewigen, daß er mich seiner Offenbahrung gewürdigt hatte. an kehrte ich in die Welt zurück, Mitmenschen zu erfüllen.

Von Stund

die Pflichten gegen meine

Es steht mit Wahrheit geschrieben:

Gebet ohne Werke ist einer versiegenden Quelle gleich, an deren Rande das Gras verdorrt."

94

24.

Auch der Geringste kann uns nützen. „90?dn Sohnsagte zu einem jungen Sultan seine Mutter, „anstatt das Volk, das sich unterweges herbeydrängt, dich zu sehen, durch deine Zanitscharen unbarmherzig zurück treiben, unb die Unglücklichen, die an der Moschee ihre Hände nach dir aus­ strecken, sortpeitschen zu lasten, begegne ihnen sanft und höre ihre Bitten geduldig an.

Erinnere dich, daß du nicht auf den

Thron erhoben bist, deine Völker zu verachten und zu quälen, sondern sie durch Gerechtigkeit und Weisheit zu regieren, und ihnen zu helfen.

Du weißt nicht, wann und wie die Reihe an

sie kommen kann, daß sie dir Gutes vergelten.

Der Geringste

und Schlechteste kann dir mehr nützen, als du dir jetzt vorstellen magst.

Ein auffallendes Beyspiel bist Lu selbst: du selbst hättest

den Thron und das Leben nicht, ohne einen Blinden!" „Einer deiner Vorfahren lag gichtbrüchig in einem Schlosse nicht weit von der Hauptstadt.

Ein Mächtiger des Reichs hatte

sich empört, und näherte sich mit seinem Heere dem Schlosse. Die Bestürzung war allgemein, da man auf nichts weniger als auf Gewalt vorbereitet war.

Jedermann eilte,

sich vor der

95 Sßutf)

des Aufrührers

ergriffen die Flucht.

zu retten;

die Sclaven des Sultans

Dein Ahnherr befand sich allein, von allen

verlassen und unvermögend, von seinem Lager aufzustehen;

der

Aufrührer umringte mit starken Wachen das Schloß und der Sultan konnte nichts gewisser erwarten, als den Tod, oder was noch schlimmer ist, Verstümmelung und Einkerkerung.

In dieser

Roth näherte sich ihm ein Blinder." „„Herr,"" rief er, „„wir kommen beyde um, wenn wir uns nicht durch wechselseitigen Beystand retten. genug,

Ich bin stark

dich aus meinen Schultern fortzutragen.

Leite meine

Schritte durch dein gesundes Gesicht, und wir retten uns unbe­ merkt durch den unterirdischen Gang, der aus diesem Schlosse nach der Hauptstadt führt." " „Der Blinde lud den Gichtbrüchigen aus;

dieser sagte ihm

jeden Tritt voraus, und glücklich erreichten sie die Hauptstadt, ehe noch der Aufrührer in das Schloß eindrang.

Die Gegen­

wart des Sultans änderte auf einmal die ganze Lage der Sa­ chen ; man raffte in aller Eile ein Heer zusammen, überfiel den Aufrührer, zerstreute sein Heer und bekam ihn gefangen.

Der

Blinde blieb immer an der der Tafel des Sultans auf dem näch­ sten Polster zur Seite des Geretteten, der ihm manchen Bissen selbst reichte."

96

25.

Der beschämte Großvezir. ($ttt junger Dichter, dem es nicht gelingen wollte, Lurch seine Gedichte in Ruf zu kommen,

weil sie von andern nicht für so

schön gehalten wurden, als er sie selbst hielt, suchte sich dadurch zu rachen, daß er satvrische Verse machte,

ln welchen er Jeder­

mann ohne Ansehen der Person angriff.

Seine Verwegenheit

ging so weit, daß er sogar den Kalifen Aziz Billah selbst, und was noch schlimmer war, seinen Großvezir Mahmud in einem Gedichte sehr bitter durchzog. Der Großvezir war außer sich vor Zorn.

Einer seiner ver­

trautesten Freunde warnte ihn: „Wenn der Mund der Lästerung deine Fehler kund macht," sagte er zu ihm, „so bringe ihn da­ durch zum Schweigen, daß du dich besserst;

sucht dich die Vers

laumdung anzuschwärzen, so widerlege sie durch deine Handlun­ gen, und

laß dich das öffentliche Urtheil rächen.

Oder glaubst

du, seitdem dich das Glück zum Großvezir erhoben, daß jeder seine Stirne vor dir in den Staub beugen und Niemand deine Handlungen richten sott? nicht

die Pfeile

Du bist nicht groß genug, daß dich

des Neides

erreichen

sottten.

Dein

goldner

97 Baldachin

kann

über

dir

einstürzen

und

dein

Haupt

zer­

schmettern." Mahmud achtete nicht auf den Rath seines Freundes;

er

wandte sich an den Kalifen und verlangte, daß die Frechheit des Dichters mit dem Lode bestraft werden sollte. Der Kalif sah seinen Großvezir lächelnd an und erwiederte: „Der Dichter hat dich und mich beleidiget.

Ich vergebe ihm;

nimm du selbst deine Rache." Mahmud kehrte beschämt vom Kalifen zurück, eilte zu seinem Freunde,

umarmte

ihn,

und gelobte,

künftig

seinem Rath

genau und früher zu folgen.

26.

Viel hilft nicht immer viel. Äle

ein junger Sultan den Thron bestieg, und zum Voraus

manche Fehler und Gebrechen der Regierung kannte, eilte er mit dem Entschluß, ihnen abzuhelfen, und gab in wenigen Tagen eine Menge Gesetze hinter einander,

in der sichern Meinung,

seine guten Absichten nun schnell genug ausgeführt zu haben. Palmblättcr.IU.

G

98 Cr hatte sich angestrengt und ward krank. Leibarzt rufen, der ein weiser Mann war.

Er ließ seinen

Der Arzt schrieb für

den Sultan eine Menge Arzneymittel auf große Zettel. „Wozu so viel auf einmal?'" fragte der Sultan verwundert. „Herr," antwortete der Arzt mit einem bedeutenden Blick, „um die Schwächlichkeit deines Körpers desto eher zu heben, und deine Gesundheit wieder herzustellen." „Allein wird bey der Menge der Mittel," versetzte der Sul­ tan, „die du mir verordnest, nicht eins ^>as andre in seiner Wir­ kung hindern?" Der Arzt

neigte

sein Haupt

zur Erde

und antwortete:

„Herr, ich glaube fast, deine Erinnerung ist gegründet.

Indes­

sen ich meinte, weil du die Krankheit deines Staats durch eine Menge Gesetze zu gleicher Zeit zu heben gedachtest, so könnte ich die nehmliche -Weise bey deiner Krankheit befolgen." Diese Wendung war dem Sultan unerwartet.

„Du glaubst

also," sagte er nach einigem Nachdenken, „ein Gesetz werde auch das andere in seiner -Wirkung stören." „Ich glaube, Herr," antwortete der Arzt, „daß nicht die Menge der Gesetze, sondern die Ausführung dem Staate heilsam sey.

Das vollkommenste neue Gesetz wirkt oft weniger, als das

mangelhafte alte,

an welches die Gehorchenden gewöhnt sind.

Gewohnheit thut mehr als Gesetz.

-Wenn bessere Gesetze zum

99 Befferwerden deiner Unterthanen wirken solle«, so sorge vorher dafür, dass deine Unterthanen besser werden, um die bessern Grsetze zu befolgen. Je weniger ein Staat Gesetze hat, desto leich­ ter können die Unterthanen sie übersehen, desto eher tonnen sie ihren Inhalt begreifen und befolgen." „Auch ist e6 kein gutes Zeichen, wo alles durch Gesetze erzwungen werden muß. Zu viel Gesetze verfehlen gemeiniglich bey den Erwachsenen die Absicht, und die anwachsende Nachkom­ menschaft lehren sie Vergehen und Verbrechen kennen." „Du haft mir sehr viel gesagt," erwiederte der junge Sul­ tan, „worüber ich dich zu einer andern Zeit befragen werde. Jetzt verordne mir das einfachste Mittel, von dem du glaubst, daß es mich von meinem Uebel befreyen werde. Ein kranker Körper hindert die Seele im Nachdenken."

27.

Der Rubin und der Diamant. Unmuts) und Unzufriedenheit hatte sich meiner Seele bemächttgt. Der Sultan hatte eö mir selbst gesagt, und schien sagar mir

100 damit eine Gnade erweisen zu wollen, indem er es sagte, daß er Abumanzar zum Vezir erhoben habe. Ich warf mich aufS Sopha, und in der Bitterkeit meines Herzens sprach ich Fol­ gendes mit mir selbst: „Es sind bereits fünfzehn Jahre, daß ich ein Diener des Sultans Benana bin; seit fünfzehn Jahren diente ihm keiner mit mehr Eifer, Ergebung und Zuneigung; keiner war unermüdeter in seiner Arbeit; er weiß es; er selbst hat mir die Gerechtigkeit oft widerfahren lassen. Mein uneigen­ nütziges Herz war stolz und unabhängig; es bog sich vor dir Benana, und weihte sich ganz und gar deinem Dienste. Dein Stand stieß eS zurück, aber es fühlte sich durch deine Person an­ gezogen. Hast du nicht hundertmal zu mir gesagt: „„Mein lie­ ber Hali, ich erkenne in dir den treusten meiner Diener!" " Und jetzt übergehst du mich und ertheilst Abumanzar ein wichtigeres Amt als das meinige. Wie viel hat sich dieser Abumanzar zu Schulden kommen lassen, und welches Fehlers kannst du mich beschuldigen? " Ich stützte die Hand unter mein Haupt, Verdruss und Unmuth hatten mich entkräftet; ich schlummerte ein. Ich sah im Traume einen Diamant und einen Rubin, die aus der Hand des Steinschneiders kamen. Der erstere hatte einen Fehler, und der letzte keinen. Jener ward zum Ringe be­ stimmt, und zog an der Hand feines Herrn, seines Fehlers

101 ungeachtet, der nicht sogleich die ihn sahen, auf sich.

in

die Augen siel, die Blicke aller,

Der Rubin ward zum Petschaft einge­

richtet,

und

Herrn.

Der Rubin beklagte sich über den Vorzug, uyd berief

bekam seine

Stelle auf dem Schreibtische seines

sich auf seine Fehlerlosigkeit. Der Besitzer beyder Steine war ein Greis von ernsthaftem majestätischem Ansehen,

dessen Anblick Ehrfurcht einflößte.

wandte sich zu mir und sagte: beschuldigt:

Er

Ich werde einer Ungerechtigkeit

entscheide, ob die Klagen meines Petschafts gerecht

find und ich llnrecht habe. Ohne ihm darauf zu antworten, „Der Diamant hat einen Fehler,

sagte ich zum Rubin:

allein deß ohngeachtet bleibt

seine Bestimmung, in einem Ringe zu glänzen: tu bist ohne Fehler, dein Werth ist dir nicht abzusprechen; allein er ist doch unter dem Werth eines Diamanten, und über deine Bestimmung kannst du dich noch weniger beklagen.

Bey Vergleichung zwever

Dinge untersucht man vorher ihre Schönheiten, ehe man ihre Mängel erforscht. mehr Glanz.

Du bist vollkommner als jener, allein er hat

Dein Herr trägt jenen

nes Glanzes wegen;

an

seinem Finger bloß sei­

dich bestimmte er zum Petschaft, um ihm

nützlich zu seyn." Als ich darauf den Greis ansah, verwandelte sich auf ein­ mal seine Gestalt.

Er verjüngte sich, sein gekrümmter Rücken

ward gerade, seine grauen Haare wurden bräunlich und sielen zu

Locken

um

seine

Schultern,

seinem Angesicht entstrahlte

Schönheit und Würde — Benana stand vor mir. Ich warf mich bebend zu seinen Füßen. Er hob mich liebreich auf

und

sagte

lächelnd

zu mir:

,,Mein guter Hall, der du Andere so wohl richtest, ich durch­ schaue dein Herz bis auf den geheimsten Gedanken: dich selbst noch besser.

du richtest

Du wirst den glänzenden und gefährlichen

Rang Abumanzar's nicht länger beneiden;

du wirst mit deinem

Schicksale zufrieden seyn; du wirst Benana lieben, du wirst der Vertraute aller seiner Geheimnisse und der getreuste seiner Die­ ner seyn,"

Palmvlätter. Erlesene

m0

genländifche Erzählungen für die Jugend. Bon

3. H. Herder und Ä. 3. Liebeskind. Durchgesehen und verbessert von

J. 3. Lrnmmacher. M i t Kupfern.

Vierter Theil. Berlin, gedruckt und verlegt bey ©. Reimer.

18 3 1

.

Inhalt.

1. Achmet oder der Schatz der Könige. 2. Wie wird man weise? * * 3. Die Folgen der Ehrsucht« * » 4. Der Thronfolger. * 5. Die beyden Freunde. • * 6. Die Wittwe zu Zehra. * 7. Der Satrap im Reiche der Schatten. 8. Der kluge Mann sucht alles zu seinem Vortheil anzuwenden. 9. Der Schatz eines egyptischen Königs-. • 10. Die Wollust und der ©ifibaum. & 11. Der Vogel der Selbsterkenntniß. , 12. Der unnigcnnützige Großvezir. s 13. Firnaz und Mirvan. • 14. Der Steg der Wahrheit. 15. Das Vertrauen auf die Vorsehung-. * 16. Der Magus Schachabeddin, oder die Heilung deS Unglaudens. 17. Ohne Anstrengung wird man nie zum Siel gelangen.

«.

1 10

12

14 17 18 24 27 30 40 41 46 52 59 72 74 95

Inhalt. 18. Unternimm nichts, ohne vorher den Ausgang reiflich zu erwägen. 19. Der junge Sultan. * 20. Wer gesund und froh leben wlll^ muß arbeiten. * 21. Der unzufriedene Derwisch. * 22. Der Kaufmann und sein Freund. 23. Der bestrafte Geiz. » . 24. Der gewissenhafte Kaufmann. . < 25. Auch das Heiligste ist dem Mißbrauch der Bosheit ausgesetzt. 26. Die Ohnmacht menschlicher Größe. 27. Die drey Neidischen. 23. Der Großmogol und sein Hofmeister. 29. Chinnong. 3c. Salah'ö Gesicht. -

S. 100 103 107 115 117 120

123 126 134 136 139 144 145

TV

SJ.

1. Achmet oder der Schah der Könige. ©er junge feurige Achmet hatte den Thron seiner Väter be­ stiegen.

Er ging den folgenden Lag auf die Jagd, kam von

seinem Gefolge ab und verfolgte einen Hirsch so lange, bis sein Pferd unter ihm erlag.

Abgemattet, allein, im unwegsamen

Walde, war er zweifelhaft, wohin er seine Schritte wenden sollte. Plötzlich bedeckte den Himmel ein dichtes Gewölk, welches sich allmählig herabftnkte.

Der Sultan glaubte, ein Regenguß

würde auf ihn herabstürzen; allein ein Blitz erhellte die Wolke, und ein ehrwürdiger Greis trat aus derselben hervor. Achmet fiel auf sein Angesicht und betete an. sprach der Greis,

„ Sohn,"

„in deinen Staaten befindet sich ein Schatz

von unschätzbarem Werthe,

und auf dich kömmt es an,

alle

Monarchen der Erde an Macht und Herrlichkeit zu übertreffen." Ein sanfter Donner verhallte in der Luft; Achmet erhob sein Haupt,

um dem Greise zu antworten;

allein Greis und

Wolke waren verschwunden. Palm'.'lätter IV,

A

2 Endlich sammelten sich die Diener des Sultans, welche ihn gesucht hatten;

man fand einen gebahnten Weg,

und kehrte

nach der Residenz zurück. Am felgenden Morgen berief der Sultan den Divan, er­ zählte die Erscheinung und verlangte eine Deutung der Worte des Greifes. Alle Räthe stimmten überein, daß diese Worte sich auf nichts anders, als auf die in der Erde verborgenen edeln Metalle be­ ziehen könnten. Auf Befehl des Sultans wurden sogleich Bergleute aus allen Gegenden herbeigeholt, man durchwühlte die Gebirge, und wirk­ lich entdeckte man viele sehr reichhaltige Goldminen. Voll Freude rief Achmet: Schutzgeist Achmets!

„ehrwürdiger Greis! mächtiger

wie soll ich dir danken für deinen Wink!

Ich habe den Schatz von unschätzbarem Werthe gefunden, durch welchen ich alle Monarchen der Erde an Macht und Herrlichkeit übertreffen werde." Die Erndtezeit

trat ein;

es war alter Gebrauch,

dem

Sultan die Erstlinge der Früchte darzubringen: junge Mädchen brachten kostbare Früchte, Aehren und Trauben von Gold, treff­ lich gearbeitet und zur Bewundrung schön. Während man aber das Gold aus der Tiefe der Erde wühlte und in Schätzen aufhäufte, vernachlässigte man den Feldbau und

3 bald stellte sich Unfruchtbarkeit, die Mutter des Mangels, ein. Man verließ sich aus das allvermögende Goldz allein bald führte der Mangel den Hunger herbei uno in seinem Gefolge schreckliche Knochengerippe,

Krankheiten und Seuchen.

Achmet durchflog seine Staaten; überall erblickte er Gold­ haufen, aber rings umgeben von Verhungerten mit dem Kode kämpfenden Menschengestalten.

Bei diesem Anblick stürzten Thrä­

nen aus seinen Augen; er zerriß seine Kleider, raufte sein Haar und

zerschlug seine Brust.

lahmt ,

Der Schmerz hatte seine Zunge ge­

nur abgebrochene Seufzer drängten sich aus der beklom­

menen Brust. „Ist dieß der mir verheißne Schatz," rief er endlich, nach­ dem sich der Schmerz gemildert hatte, — „der Schatz, durch Welchen ich alle Monarchen der Erde an Macht und Herrlichkeit übertreffen sollte!

Welch ein Widerspruch! in meinen Staaten

ist Ueberfluß an Gold

und Silber,

und dennoch verbreitet der

Hunger alle seine Schrecknisse in ihrer fürchterlichsten Gestalt." — Achmet verschütten,

eilte zurück,

ertheilte Befehl, die Goldgruben-u

ermunterte den Landmann,

der sich durch Fleiß

und Thätigkeit

im

und versprach jedem, Ackerba» auszeichne»

würde, Ehre und Belohnung. Bald gewannen die Felder wieder ein anderes Ansehen; Me Einwohner durch gesunde und kräftige Nahrung gestärkt, lebte»

As

4 wieder auf, und zu der Gesundheit des Körpers gefeite sich die Gesundheit der Seele. — Innige Freude erfüllte Achmets Herz bei diesem Anblick — „Sie sind nicht mehr die Unglücklichen/' sagte er, „welche das Elend in den Augen andrer und in ihren eignen verächtlich gemacht hatte; ich sehe sie wieder zu frohen , thätigen Mensche« erhoben,

werth das Leben zu genießen.

die Frucht der öffentlichen Achtung,

Ein edler Wetteifer,

hat ihre Seelen gestärkt,

an die Stelle be$ Schmutzes der Armuth, ist Reinlichkeit und Ordnung getreten, und frohe Selbstgenügsamkeit hat die schwarze Verzweiflung verdrängt — gewiß habe ich hier vielmehr den von meinem Schutzgeiste angedeuteten Schatz gefunden,

als in den

Eingeweiden der Gebirge. Auf einmal verbreitete sich das Gerücht, einen Schatz, Neue,

welcher allen

ein Weiser besitze

Gütern der Erde vorzuziehen sey.

freudige Hoffnung durchdrang Achmets Herz und glänzte

in seinen Blicken.

Er eilte zu der einsamen Wohnung des Wei­

sen und entdeckte

ihm in gespannter Erwartung den Zweck sei­

ner Reise. „Herr," antwortete dieser,

„mit .einem gefühlvollen Her­

zen habe ich mich lange in der Schule des Unglücks befunden; dieses hat meine Schatz.

Seele gestärkt,

und Erfahrung ist mein

Aber dieser Schatz ist für einen Fürsten kaum erreichbar,-

5 vielleicht indeß, finden.

wenn du mich begleiten willst^

kannst du ihn

Durch Wachsamkeit wird er erlangt 5 fie ist der Schlüs-

fel zu den Pforten des Segens und zu den Schätzer; des Ueberfluffes. Willst du, daß die Sonne des Ruhms ÜM deinem Haupte qufgehe, so laß dir diese belebende Herrscherin des Tages nie Ly ihrem Laufe zuvorkommen;

deine Thätigkeit muß mit ihr

gleichen Schritt halten." Der

Sultan dankte dem Weisen für seinen Rath nnd war

bereit, ihm zu folgen. Kaum hatten fie einige Schritte die Wohnung des Weisen verlassen,

so warf der Sultan die Frage auf: „wie lassen stch

wohl Künste und Wissenschaften am leichtesten vertilgen?" „Nichts ist leichter," antwortete der Weise; „laß fie lächer­ lich und verächtlich machen; nichts erstickt leichter den Geist,

alS

Spott und Verachtung; und erleuchtet erst die Fackel des Genius nicht mehr den Pfad der Künste, so kämpfen die kleinen Talente Wit aller Heftigkeit, Herr,

verachten und reiben einander auf.

wenn dir meine Neugierde

Aber

nicht Verwegenheit scheint,

mozu vie Frage?" „Weil ich glaube," erwiederte der Sultan, „daß Wissen­ schaften und Künste der Regierung in eben dem Grade nach­ theilig find,

als Unwissenheit fie begünstigt.

Je aufgeklärter

6 bas Volk denkt, desto mehr Ungläubige, Ungehorsame und Wi­ dersetzliche giebt es." „Wo dies erfolgterwiederte der Weise, „herrscht keine Aufklärung.

Sie verbreitet und berichtigt die Erkenntniß von

den Pflichten jedes Verhältnisses; ist,

da

kann weder Unglaube,

und wo Einsicht

herrschend

noch Ungehorsam, noch Wider­

setzlichkeit wohnen." „War nicht in den Zeiten der Unwissenheit," versetzte hastig der Sultan,

„das Volk seiner Religion

und

seinem Fürsten

mehr ergeben?" „Herr," erwiederte der Weise, „abergläubischer und sklavi­ scher waren die Völker." — „Wie dem sey l" unterbrach ihn der

Sultan, „sie waren

frömmer und unterthamger." „Herr verzeihe!" entgegnete der Weise, „wenn lch dich auf­ merksam darauf mache, und Aberglauben,

daß du die Begriffe von Frömmigkeit

von Gehorsam

und

Sklaverey verwechselst.

Der Aberglaube macht die Gottheit zum Götzen, und der Götzen­ diener ist um so gefährlicher, weil er ein Schwärmer ist und leicht durch seinen Wahn erhitzt wird.

Der Despot sitzt weniger sicher

Nus seinem Throne, so erhaben er seyn mag, als der Monarch." „Der Sultan einer kriegerischen und unruhigen Nation wollte diese ruhiger und folgsamer machen.

Sem Günstling rieth ihm,

7 eine Menge Musiker und Tänzerinnen kommen zu lassen, Schild und Helm

seiner Leibwachen mit Turban und langen seidnen

Kleidern zu verwechseln,

köstliche und üppige Gastmähler anzu­

richten und unvermerkt Wetteifer im äußern Glanz'zu erregen. Der Günstling hatte wohl gerathen; von nun an wurden Ver­ dienste

mit prächtigen,

Gold-und Silber-gestickten Kleidern

belohnt;

ein glänzendes Nichts ward dem stillen Verdienst vor­

gezogen,

allmählig ging die Nüchternheit in Unmäßig seit über,

schwelgerische Gastmähler und üppige Tänze vernichteten Beschei­ denheit und Keuschheit, den von

und Thätigkeit und Arbeitsamkeit wur­

Weichlichkeit und Trägheit verdrängt.

Der Sultan

wollte nachgiebigere Männer, und bekam schwache Weiber, die seinen Thron wankender machten,

als die unruhigen Männer,

welche jedem Anfalle feindlicher Nachbaren die Stirn boten.

Gin

erleuchtetes Volk wieder zur Unwissenheit zurück leiten wollen, heißt den Werth des Menschen verkennen und ihn zur Thierheit erniedrigen.

ES wird dadurch nie leichter zu leiten, bloß leichter

zu betrügen seyn.

Aber nur eine kurze Zeit kann der Betrug

die Wahrheit hemmen; und dann wird sie desto furchtbarer sich machen." „Erlaube,

mächtiger Beherrscher," fuhr der Weise fort,

„daß ich dieser Erzählung noch eine kleine Fabel hinzufüge.

Ein

Mann besaß einen Wald und starb als der ärmste in der umlie-

-

genden Gegend.

8

-

Sein Sohn und Erbe nahm eine Art, wandt»

einen Theil der Baume dazu an, Hebebäume, Winden, Rollen, Räder zu verfertigen, führte sodann die Eichen, Gebetn, Tan­ nen ab,

erbaute Palläste, Hütten, Schiffe, Kähne, und war

bald der reichste in der ganzen Gegend. —

Herr, deine Unter­

thanen sind die Bäume des WaldeS; unterscheide die Eiche, die Gebet, die Tanne, und bedenke, daß auch die schwächste Weide kein unnützer Baum sey." — „Um das auszuführen," Fabel zu lehren scheint,

und diese zu gewinnen, — geringe Kunst.

verhetzte der Sultan, „was deine

muß ich die Liebe des Volks besitzen, bey'm Propheten, — das ist keine

Es ist wankelmüthig,

veränderlich, eigensinnig,

leicht verführbar und heute diesem, morgen jenem zugethan." „Setze noch hinzu 5 Herr der gläubigen, daß es neidisch ist und diejenigen seiner Mitbürger,

welche sich

aufopfern, fast immer mit Undank belohnt.

ihm am Wüste»

Allein, so verfährt

eö nicht mit seinen Beherrschern; anstatt diese zu beneiden, sucht es vielmehr alles, selbst Kleinigkeiten, mancher Regent,

Unterthan geboren, blieben seyn. haber,

auf, sie zu bewundern;

der sich großen Ruhm erwarb, wär' er als würde er ein sehr unbeachteter Mann ge­

Das Volk gleicht einem von Freude trunknen Lieb­

welcher die geringsten Beweise von Zuneigung hundert-

ä ltig erwiedert

und

einen freundlichen Blick für eine große

Glückseligkett achtet. — Herr der Gläubigen,

du Sauntest 6fc

Kunst, deS Volkes Liebe zu gewinnen, schwer; sie ist leicht. Ein Fürst wird immer die Herzen seines Volks beherrschen und ihrer Liebe und Bewundrung gewiß seyn, wenn er stin eignes Herz nicht von Schmeichlern beherrschen läßt." Unter diesem Gespräche hatten fie den Gipfel eines Stogft erreicht,

von welchem sie ringsum eine weite Aussicht hatten.

Heiterkeit verbreitete sich über Achmets Gesicht bei dem Anblicke. „Was siehst du, Herr der Gläubigen?" fragte der Weise. „Eine fruchtbare Gegend,"

antwortete der Sultan; „sie

gleicht einem Garten Gottes." Auf einmal verblendete ein heller Glanz seine Augen; auf einem goldnen Sessel von Genien getragen, ließ sich jener ehr­ würdige Greis,

welchen er anfangs

gesehen hatte, in einer

Wolke nieder, berührte seine Stirn mit einem Oelzweige und fragte: „Achmet, was siehst du?" „Ein zahlloses Volk," antwortete dieser, „emsig «Nd be­ triebsam in den unzähligen Beschäftigungen des Lebens,

vom

Höchsten bis zum Niedrigsten." „Du siehst dein Volk," erwiederte der Greis; „und unter ihm die seltensten und nützlichsten Talente.

Erforsche sie und

wende sie an, und du wirst die geschicktesten Staatsmänner,

10 die --größten Feldherrn, bilden.

die geistreichsten Gelehrten und Künstler

Dieß der Schatz

Ohr dem

in deinen Staaten!

Gezische des Neides;

Verschließe dein

laß großen Talenten Freiheit,

ihre kühnen Flügel zu entfalten und sich empor zu schwingen. Sie werden deine Herrlichkeit bis an die Grenzen der Erde ver­ breiten; du wirst der Vater deiner Völker und das Muster guter Könige seym" — Mit diesen Worten war der Greis und der Weise verschwun­ den und Achmet befand sich mitten in seinem Pallast von de» Großen seine- Reichs umgeben.

2. Wie wird man weise? Aahika war einer

der berühmtesten Weisen seiner Zeit.

besaß tiefe Menschenkenntniß,

suchte eben so

finstres oder stolzes Aeußere,

als

Er

wenig durch ein

durch falsche Bescheidenheit

sich auszuzeichnen, wußte seine Freunde zu schätzen und hatte eben beswegen wahre Freunde. Einer seiner Schüler sprach zu ihm t

11 „Zeder bewundert deine tiefen Kenntnisse, Lahika; belehre mich, wie ich eS anzufangen habe, daß ich weife «erde?" Eben kam ein Blinder die Straße herausgegangen und Tahika antwortete lächelnd: „Siehst du dort jenen Blinden, wie er mit Hülfe seihet Stabes mitten durchs Gedränge geht? er verlaßt sich auf nichts^ -er habe es denn zuvor angerührt; nimm ihn zum Muster und du hast alles, was ich auf deine Frage antworten kann. — Oder gefällt dir folgende Erzählung besser?" „Abdallah war der gelehrteste und arbeitsamste Mann sei­ ner Zeit. Einer seiner Schüler hörte, daß er seine Wissenschaft dem Wasser des Brunnen zu Mekka zuschrieb, welches er mit der größten Andacht trank. Nichts ist leichter, dachte der Jüng­ ling; er ließ alle Bücher liegen und that nichts anders als Wasser aus der heiligen Quelle trinken. Er wollte gelehrt wer­ den und ward wassersüchtig."

12

3.

Die Folgen der Ehrsucht. DaS CiS,

der glänzende Sohn des Winters, war von

seinen

Kräften und seiner Gestalt so eingenommen, daß es zur Sonne sprach:

„Quell

herab:

durch sie wird meine Schönheit vergrößert; ich werde

des Lichts,

senke

deine Strahlen

auf mich

durchscheinend wie Krystall und glänzend wie ein Diamant seyn!" Sogleich erweitert sich das dunkle Gewölbe des Himmels, die Erde legt ihr weißes Gewand ab,

und die Sonne strömt

ihre feurigen Strahlen auf das Eis herab. Es wird weißer wie die Milchstraße, ftytint

ü*

glänzen und wirst tausend Ströme von Licht weit umher. Das Eis,

vom Freudentaumel ergriffen im Genuß seine-

Glanzes, vergaß sich selbst, und woher es diesen empfing.

Allein

so schnell wie der Blitz ln einer dunkeln Nacht leuchtet und er­ lischt, so schnell verschwand des Eises Glanz, in welchem seine Eitelkeit der Sonne gleich zu seyn wähnte, und mit ihm seine freude. Die heißen Strahlen lösten es allmählig auf; es sank unter

13 seiner eignen Last, borst und zerbrach in unzählbare Stücke, welche von den reißenden Fluthen fortgeführt wurden. Diese Fabel machte der weise Horoun seinem Freunde dem ehrgeizigen Achmet. Er war ein ehrlicher, liebenswürdiger Mann; aber mehr gehört dazu, ein Staatsmann zu seyn. Reich und geehrt genoß er die Gunst des größten Monarchen; aber er strebte darnach, seinen Fuß nahe an den Königsthron zu setzen. Er verschloß sein Ohr den weisen Ermahnungen seines Freun­ des und ließ sich durch das überzuckerte Gift der Schmeicheley hinreißen; thörichte Ehrsucht fesselte sein Herz und wiegte seine Vernunft in tiefen Schlaf. Kaum war er Großvezir, so steckten Neid und Eifersucht ihre Fackeln an, seine Unfähigkeit zu beleuchten; und nur zu bald erschien diese in ihrem vollen Lichte. Die Zügel der Re­ gierung verwickelten sich in seinen Händen, er sah sich nach Bei­ stand um, Berrätherey und Falschheit drängten sich ay ihn, und die Vevläumdung gesellte sich zu ihnen. — Das gedrückte Volk murrte, der Jam'tschar empörte sich, der Sultan wurde für sein Leben besorgt, und Achmet voll Verzweiflung bei dem Ge­ dränge, sah den unglücklichen Strick, der ihn erdrosselte, für eine Wohlthat an.

14

4. Der Thronfolger. Ein alter Monarch ließ wenig Tage vor seinem Lode seine drey Prinzen vor sich kommen. „Ihr habt auf meinen Befehl," Geschichte

der

größten Regenten der

redete er sie an, „die Erde gelesen,

und ich

wünsche zu wissen, welchem jeder den Vorzug giebt." „Ich habe keinen größer» Helden gefunden," sogleich der längste, er sagt,

antwortete

„als den Escander Roumi. — Alles was

alles was er that, hat den Charakter einer Erhaben­

heit, welche hinreißt und die Seele

berauscht; ünd selbst seine

Fehler gewinnen dabei einen Anstrich von Liebenswürdigkeit." „So groß Escander Roumi als Feldherr scheint,"

nahm

der älteste Prinz das Wort, „so hatte er doch eben so viel dem Glücke zu danken.

Dieß findet weniger bei Gingis statt, dessen

Eroberungen auch viel ausgedehnter waren.

Ich bin zweifelhaft,

ob ich seine Politik oder seine Tapferkeit mehr bewundern soll. Er war nicht bloß Eroberer, er war auch ein großer König und kluger Gesetzgeber."

15 „Und du mein Sohn," sagte der alte Sultan, indem er sich an feinen zweiten Sohn wandte, „was ist deine Meinung? „Du befiehlst, mein Vater, und ich gehorche," antwortete tiefer, „ich muß gestehen, daß alle die Beherrscher, welche ihren größten Ruhm darin setzen, eine größere Anzahl Sklaven unter ihrer Bothmäßigkeit zu haben als andere, und die, um dahin zu. gelangen, MtNschendlut in Strömen vergießen, und Tausende aufopfern, meinen Beyfall nicht haben. In meinen Augen er­ scheint Ibrahim ungleich größer. Er besaß alle Eigenschaften eines großen Feldherrn; alle Fürsten Asiens ertheilten ihm den Vorzug. Er dachte nicht daran, seine Staaten zu vergrößern; seine unablässige Sorge war, seine Unterthanen glücklich zu ma­ chen. Seine Schätze standen den Dürftigen und Elenden offen, und wurden nicht durch Glanz und Ueppigkeit an Greße und Reiche verschwendet. Er durchreiste seine weitläuftigen Staaten, auch der Niedrigste fand bey ihm Gehör, und überall hinterließ er Spuren einer wohlthätigen Gottheit. Er beschützte die Künste, munterte das Talent auf, und belohnte jede Auszeichnung durch ausgezeichnete Ehre." „So glücklich er durch feine Unterthanen war, eben so glück­ lich war er durch seine Kinder. Er hatte sechs und dreißig Söhne, welche sich alle in Wissenschaften und Tugenden eben so sehr her­ vorthaten als in den Waffen. Er hatte vierzig Töchter, welche

^

16

er alle an Männer verheiratete, die sich durch Weisheit und Tu­ gend besonders ausgezeichnet hatten. Don seinen Unterthanen angebetet, erreichte er ein hohes Alter und beschloß im Schooß seiner Familie sein thatenvolles und glückliches Leben. Die Ehre auf dem Schlachtfelde zu sterben ward ihm nicht zu Theil; da­ gegen aber die ungleich größre Ehre, von seinem Volke beweint und von allen Regenten und Völkern, denen er bekannt wurde, betrauert zu werden." „Komm an meine Brust, Geliebter meines Herzens," erwie­ derte der alte Sultan, indem er ihn umarmte und ihn mit Thrä­ nen der Zärtlichkeit benetzte, „du verdienst Vater, du verdienst König zu seyn. Ich wollte mir aus meiner Familie einen Nach­ folger nach meinem Herzen wählen, welcher würdig wäre, meine Krone zu tragen: ich hab' ihn gefunden und freue mich. Bald werd' ich von dem Schauplatz abtreten und der Stotttr teit Brd but bezahlen, welchen ich ihr schuldig bin. Herrsche an meiner Stelle, mein Sohn! folge deinem Urbilde, welches du dir erkohren hast, und mein Volk wird glücklich seyn. Ruhig seh' ich nun dem entscheidenden Augenblick entgegen — du wirst, ein Vater des Volks, schon im Leben angebetet werden."

17 5.

Die beiden Freunde. ?ai hörte des Nachts spät an seine Hausthür klopfen. Er stand auf und fragte, wer so spat da sey? Die Antwort war: Araboh. „Mein Freund Araboh!" sagte er zu sich selbst, „was kann bst für ein Anliegen haben, daß er bey so spater Nacht zu mir kommt? " Er rief seinen Sklaven,^ließ -geschwind Licht anzünden und führte den Freund in sein Gemach. „Lieber Araboh," sagte er, „ich bin bestürzt, dich so spat bey mir zu sehen. Ich kann mir nur zwey Falle denken: entweder tu hast eine nicht vorhergesehene Ausgabe, oder du bedarfst mei­ nes Beistandes in einer gefährlichen Angelegenheit; im erstem Falle steht dir mein Vermögen und im andern mein Leben zu Diensten." „Keins von beiden," erwiederte Araboh, indem er seinen Freund umarmte, „ich sehe dich gesund und bin beruhigt. Ein schreckhafter Traum, der dein Leben in Gefahr setzte, weckte mich; Palnrblärtcr IV. B

18 er war so lebhaft, daß ich mich nicht beruhigen konnte; ich zog mich an und kam hieher, um mich mit eignen Augen von der Wahrheit zu überzeugen."

6.

Die Wittwe zu Zehra. Der Kadi zu Zehra, Benbächir, begegnete einer Wittwe, welch« einen Esel vor sich Hertrieb und weinte. „SBatum «einst du, armes Weib? ,Mohl ein arme- Weib," antwortete sie, „dieser Esel, der leere Sack, welcher darauf liegt, und die Kleidung, welche meine Blöße deckt, sind der ganze Uederrest meiner Habe: alles übrige hat mir der Kalif genommen." „Und worin bestand deine übrige Habe?" fragte Benbächir verwundert. „Ich besaß eine kleine Meierei, sie war da- Erb theil der Vorfahren meines verstorbnen Mannes und der meinigen.

Sie

war uns über alles lieb, wir waren hier gebohren und erzogen, unsere Liebe nahm hier ihren Ansang; wir wurden Gatten, ge-

stoffen die Zufriedenheit wahrer Liebe und unermüdeter Arbeitsam­ keit. — Noch auf dem Sterbebette bat mich mein guter Mann, dafür zu sorgen, daß unser kleines Gut, das Erbe unserer Väter, an niemand anders gelange, als an unsern Sohn, welcher viel­ leicht in dem Augenblicke im Heere des Kalifen sein Blut für einen Herrn vergießt, der seiner Mutter alles nimmt." „Und aus welchem Grunde," fragte der Kadi, „nahm dir -er Kalif dein Grundstück?" „Er will sich ein Lustgebäude dahin bauen lassen," antwor­ tete die Wittwe. Guter Gott, dachte der Kadi bei sich selbst, er hat so viele Palläste und Lustgebäude, und auf einen bloßen Einfall, noch eins mehr zu haben ^ vertreibt er ein armes Weib aus ihrem Eigenthume! „Und welchen Ersatz gab er dir?" fragte Benbächir. „Ersatz? keinen!" antwortete die Wittwe; „er ließ mir anfänglich eine kleine Summe anbieten; als ich aber das mir so theure Grund­ stück nicht verkaufen wollte, nahm er es mir mit Gewalt." „Hast du ihm deine ttaurige Lage nicht vorgestellt? " erwies derte der Kadi. „Ich warf mich vor ihm nieder," antwortete die Wittwe, benetzte mit meinen Thränen seine Füße und bat und fiehte — B2

20 ich sagte ihm alles, was mir Schmerz, Kummer und Verzwekp lung eingab." — Sie konnte vor Schluchzen nicht fortfahren. „Und dein Bitten vermochte nichts über ihn?" fragte Benbä'chir theilnehmend. — „Er wies mich mit aller möglichen Harte ab !" antwortete sie weinend. Benbachir hob die Augen gen Himmel.

„Allmächtiger!"

seufzete er, „Vater der Menschen! er vertritt deine Stelle hier auf Erden und kann die von sich weisen, die nichts verlangen, als was Gerechtigkeit und Billigkeit heischt; und du übersiehst mit

Langmuth und Geduld die unbilligsten und ungerechtesten

Handlungen der Sterblichen?" „Weibsagte er darauf entschlossen, „überlaß mir deinen Esel und den Sack auf eine kurze Zeit und folge mir von ferne. Zch gelte etwas bei dem Kalifen — wo ist er jetzt?" „Er befindet sich eben jetzt," antwortete die Wittwe, ,Mf dem Grundstück, welches ich sonst mein nannte. — Aber,.was willst du mit dem Esel?" — „Sey unbesorgt und folge mir!" — versetzte der Kadi. Benbachir nahm den Esel und suchte den Kalifen auf. Der Kalif bewillkommte ihn freundlich. „Ich habe dich so lange nicht gesehen, Benbachir," sagte er zu ihm, „und wie kommt es, daß ich eben jetzt dich sehe?"

21 „Erhabener Beherrscher der Gläubigen," antwortete Seit* bächir, ich habe so eben ein armes Weib gesprochen, welchem — „Ich errathe, was folgen wird," unterbrach ihn der Kalif in einem ernsthaften Tone, „und will nichts weiter hören. Die Halsstarrige mag ihr Betragen büßen! Steht es nicht m mei­ ner Willkühr, über Vermögen und Leben meiner Unterthanen, zir gebieten? — „Deine Macht," erwiederte Benbächir," ist hier auf Erden unbegrenzt. Auch verlangt die arme Wittwe ihr ehemaliges Ei­ genthum nicht wieder zurück; sie bettelt bloß um ein kleines An­ denken, und wenn Du es erlaubst, so fülle ich diesen Sack, nach ihrem Wunsch, mit Erde." „Die kann sie haben," erwiederte der Kalif lächelnd, „und wenn sie zehn Säcke wollte. — Bald, Benbächir, sollst du dir Gegend nicht mehr kennen! hier soll ein prächtiger Pallast errich­ tet werden, dort ein Wasserfall die Aussicht verschönern, und wei­ ter hin ein hoher Thurm sich erheben, von welchem man dir ganze Gegend übersehen kann." „So?" erwiederte Benbächir, welcher unterdessen den Sack mit Hrde angefüllt hatte — „ Ich werde sogleich mein Geschäft vollendet haben, und dann, erhabener Beherrscher der Gläubigen, erlaube mip noch eine Bitte, die eben so unbedeutend ist, als die erste." —

22 „Sie sey dir gestattet!" versetzte der Kalif. „Der Sack ist gefüllt," fuhrBendächir fort, „und nun, erha­ bener Beherrscher der Gläubigen, fleh

ich um deinen Beistand,

ihn auf den Esel zu laden." „Welche befremdende Bitte!" rief der Kalif, „wie kannst du dieß von mir verlangen?

Rufe meiner Sklaven einen und er soll

dir helfen." „Erlaube, Beherrscher der Gläubigen," erwiederte der Kadi, „daß ich dich um diese Gnade bitte — daß rch dich flehend bitte, sie mir nicht abzuschlagen." „Wahnsinniger," rief der Kalif, „die Last ist zu schwer für mich!" „Au schwer?" sagte Benbächir, „dieser Sack voll Erde, eia so kleiner Theil des Grundstücks, auf welchem wir uns befinden, scheint dir zu schwer?

O Herr! und du schauderst nicht bey dem

Gedanken an den Tag, an

welchem du vor deinem und unserm

Richter erscheinen wirst? an welchem nicht bloß dieser Sack voll Erde,

sondern das ganze Grundstück mit allen Pallästen und

Thürmen,

welche du darauf erbauen

willst, mit allen Thränen,

womit die Unglücklichen es dutch deine Schuld benetzt haben, zur weit unerträglicher» Last werden wird! — Du bist hienieden un­ beschränkter Herrscher; ein Wink von dir verkürzt des Menschen Leben und ein einzige- Wort stürzt Tausende in Unglück- aber—

23 es kommt eine Zeit, wo du mit deinen Sklaven m gleichem Rangt stehst!" „Mit

meinen Sklaven in

gleichem Range?" wiederholte

der Kalif. „Ich irre mich," faßte Denbächir wieder das Wort, „dein größerer Vorzug hier wird dir zur großem Qual gereichen.

Du

hast hier einen ungleich größer» Wirkungskreis, folglich auch un­ gleich mehr zu verantworten.

Zeder deiner Unterthanen hat nur

von dem Rechenschaft abzulegen, was er für sich besaß, und D u von allem, was wir insgesamt besitzen.

Lebe wohl — verzeihe

deinem Sklaven die Verwegenheit." — Denbächir wollte sich entfernen.

Der Kalif hielt ihn zurück.

„Dir verzeihen?" sagte er, „bin ich dir nicht Dank schuldig, daß du mich von einer so großen Ungerechtigkeit zurück hältst, die Ich schon halb begangen habe? — Rufe die Wittwe.' Sie nehme ihr väterliches Erbtheil zurück, und um sie für die Thränen zu entschädigen, die meine Härte ihr entpreßt hat, soll ihr Grund­ stück von meinen Gärten, welche angrenzen, um eben so viel ver­ größert werden.

Und Du verlässest nie wieder meinen Hof, da­

mit ich Gelegenheit habe, dich angemessen zu belohnen. Herrscher bedürfen eines

Die

freundschaftlichen.Begleiters, der sich

24 nicht scheut,

alles der Wahrheit

zu

opfern,

der sie auf ihre

Fehltritte aufmerksam macht und davon zurückhält; du sollst der Meinige in Zukunft seyn."

/•

Der Satrap im Reiche der Schatten. Sin Satrap langte im Reiche der Schatten an, und nie gehörte harmonische Töne aus einem etwas entferntem Haine vom Rosen und Myrthen reizten sein Ohr und seine Neugierde.

„Unstreitig," dacht' er, glücktem Schatten und den himmlischen Geistern.

dieß der Aufenthalt der be­

die beseligende Harmonie kommt vonJe weiter ich gehe, desto blumen­

reicher ist das Gras unter meinen Füßen, desto reiner wird dev Himmel und kräftiger duften die Wohlgerüche, welche die Seele mit sanftem Wonnegefühl durchdringen.

Der stille Friede, wel­

cher hier herrscht, geht unvermerkt in mein Herz über;

o wie

glücklich werde ich seyn, wenn mich die Bewohner dieses bezau­ bernden Aufenthalts unter sich aufnehmen{"

25 Als er an den Eingang des Haines kam, trat ihm ein Schat­ ten mit den Worten entgegen: „Dieß ist die Wohnung von Männern, welche fich im Men durch ihre Talente und Weisheit um ihr Vaterland verdient ge­ macht haben: kannst du es wagen hinein zu gehen?" „Ich trage kein Bedenken," erwiederte der Satrap, „oder sollte demjenigen, welcher talentvolle Männer im Leben beschützte und

ihnen seine Zelt widmete,

sie hier wieder zu sehen, nicht

gestattet seyn?" „Er kann sogar sich schmeicheln," antwortete der Schatten, „eine rühmliche Stelle unter ihnen zu erhalten; —- der bloß

aber derjenige

eine Menge kleiner Talente hervorzog und erhob,

weil sie den Staub von seinen Füßen leckten; der bey'm Anblick des wirklichen Verdienstes,

wenn

es mit Unglück rang,

sich

spottendes Mitleid erlauben, und unverschämt genug seyn konnte, ihm erniedrigende

Gunstbezeugungen anzubieten, der mag wohl

hineingehen, um Zeuge des ewigen Seelenfriedens -u seyn, aber seinen Aufenthalt wird er hier nicht finden." Der Schatten verschwand und der Satrap ging getrost in den Hain.

Er schmeichelte sich,

alle seine

Schützlinge wieder zu

finden und sah schon in voraus die Freude, welche sie bei seiner Erscheinung bezeigen würden.

26 Er gelangte an einen freien Platz, wo die glücklichen Be­ wohner dieser bezaubernden Gegend sich zu Gesängen vereinten, deren himmlische Harmonie ihn herbeigezogen hatte. Der Anblick riß ihn zu Bewunderung und Ehrfurcht hin. Hier saßen junge Männer im Kreise, mit deren goldnen Locken der Wind spielte, und deren melodische Stimmen im entfernten Echo verhallten; dort ehrwürdige Greise in jugendlicher Begeisterung, unter deren Fingern goldne Lauten und Harfen ertönten, und überall halten sich Gruppen hingelagert, berauscht vom wonnigen Genusse über­ schwenglicher Himmelsfreude. Der Satrap schlich traurig einher, sah sich nach allen Sei­ ten um, kannte Niemand und wurde von Niemand erkannt. Auf einmal trat ein Schatten herein, welchen man mit vielen Freudendezeugungen empfing und ihm große Ehre erwies. Er schien ebenfalls erst anzulangen, und der Satrap suchte sich ihm zu nähern. „Ich wünsche dir Glück," sagte er leise zu ihm, „btt wirst hier sehr wohl empfangen; ich kam vor dir an, und mich hat noch Niemand bemerkt. „Darüber wunderst du dich!" erwiederte der Schatten. „Etwa ohne Ursache?" fragte der Satrap. „Ohne Ursache," antwortete jener, „du warst auf der Oberwelt nichts als ein großer Herr."

27 „Und du? fragte der Satrap neugierig, wer warst du?" „Ein Mensch!" versetzte der Schatten.

8. Der kluge Mann sucht alles zu seinem Vortheil anzuwenden. §wey Wilde kamen auf eine kleine Insel und wurden einig, sie unter sich durchs Loos zu vertheilen.

Der eine erhielt eine vor­

treffliche Ebne und vorzüglich einen Wald mit Ochsen und Pfer­ den angefüllt,

und

dem

andern ward

eine gebirgige Gegend

mit Felsen und Abgründen und einem Walde zu Theil, in wel­ chem bloß Esel und andre minder nützliche Thiere sich befanden. Als der Besitzer der reichen Gegend darauf seinen Antheil Näher untersuchte, so machte er die Bemerkung, daß die Pferde und^ Ochsen im Walde ungemein muthig und scheu wären, daß jene mit den Hinterfüßen auöschlügen, und

diese mit ihren Hör-

nern stießen. „Was soll ich mit den unbändigen Thieren anfangen," sagte

28 er zu sich selbst, „soll ich mich der Gefahr aussetzen,

wenn ich

den Schatten der kühlenden Waldung genießen will, von jenen geschlagen und von diesen gestoßen zu werden, mein Leben zu verlieren. Wald Verzicht thun,

Und gesetzt auch,

und wohl gar

ich wollte auf den

so unentbehrlich er mir ist, mich vor den

brennenden Sonnenstrahlen zu schützen, so finden sich beide Thier­ arten ja eben so häufig in der Ebne und am Bache ein, wo ich meinen Durst stille; um meiner selbst willen werde ich suchen müssen sie auszurotten. Au eben der Aeit kamen etliche Esel sich aus jener Gegend verlaufen hatten.

bei ihm an, welche

Ihr ernsthaftes, sanftes,

ruhiger Aussehen gefiel ihm über die Maaßen.

Er näherte sich

ihnen, liebkoste sie, faßte sogar Muth, sich auf einen zu setzen. Seine Freude war ohne Grenzen, als er sich von dem Ankömm­ ling sanft fortgetragen fühlte;

er hatte am Ende keinen Aus­

druck mehr zur Lobeserhebung eines so geduldigen guten Thieres und von nun an war die Ausrottung der Pferde und Ochsen beschlossen.

Er verfolgte und bekriegte sie mit der größten Hitze

und erlegte alle,

welche sich nicht über die Grenze seines Nach­

bars flüchteten. Der Nachbar urtheilte von den Vertriebnen Ankömmlingen eben so Vortheilhaft, als jener von den Eseln. „Das sind starke, muthige,

schuellfüßige Thiere," dachte

29 er, „und zuversichtlich könnt' ich mehr Nutze» vnd Hülfe von ihnen erwarten, als von meinen schwachen langsamen." Er näherte

sich ihnen,

und ward von seiner Meinung noch

mehr überzeugt, da sie in muntern Sprüngen davon eilten und ihm das Nachsehen ließen. „Sie sind

wild,"

,,aber nicht grausam;

vielleicht nur darauf an, den,

fuhr

er in

seiner Betrachtung

scheu, aber nicht angreifend.

fort,

Es käme

daß sie meinen Anblick gewohnt wür­

und daß ich Mittel erfände sie zu zähmen." — Von der Ueberzeugung

der Möglichkeit schritt

er

sogleich

zu Versuchen§ das erste Mißlingen schreckte ihn nicht ad, und

er

erreichte glücklich seinen Endzweck. Von der Zeit fand er eine Menge Arbeiten sich erleichtert, seine Felder wurden fruchtbarer;

er schäfte die größten Lasten

mit leichter Mühe von einem Ort zum andern;

er selbst konnte

ungleich schneller als ehedem da oder dorthin gelangen, unter* dessen sein Nacbbar ungleich mehr Mühe anwenden mußte, vieles gar nicht bewerkstelligen konnte,

und auf seinem ernsthaften und

geduldigen Thiere nicht viel schneller fortkam,

als wenn er sich

seiner Füße bediente. „Au spät sah' ich ein," „daß

sagte dieser dann bei sich selbst,

ich nach falschem Schein geurtheilt habe.

Eigenschaften,

30 die uns auf den ersten Anblick gefallen, weis von Mittelmäßigkeit,

sind zum öftern Be­

und manche äußere

Fehler Kenn­

zeichen eines innern unerkannten Werthes. — Der kluge Mann sucht alles zu seinem Vortheil anzuwenden." —

9. Der Schah eines egyptischen Königs. Hassan, der Sohn einer Fikaischenken *) zu Damaskus, war schön wie der Mond und schlank gewachsen wie eine Zeder; er war lebhaft,

feurig,

gefällig, zeigte viel Verstand und hatte

die eigne Gabe, jeden für sich einzunehmen.

Er spielte die Läut»

überaus fertig und sang noch angenehmer.

Sein Gesang und

sein Spiel zog eine Menge Gäste herbei,

und sein Vater wußte

die Geschicklichkeit seines Sohnes so gut zu benutzen, daß er sein Getränk nicht nur vertheuerte, sondern auch verschlechterte, ohn» daß sich die Zahl seiner Gäste verminderte. Einst trat auch der berühmte Bramin Padmanaba, der sich Fikai ein Getränk

Gerste und getrockneten Rosinen.

31 damals

in Damaskus

aufhielt,

frischen Trunk abzukühlen.

hinein,

um

sich durch einen

Er bewunderte Hassans Spiel und

Gesang, aber noch mehr, als er sich mit ihm unterhielt, seine fertigen und feurigen Antworten; täglich ein,

und von der Zeit fand er sich

und jedesmal wenn er

fortging schenkte er ihm

einen Zechin. Hassans Vater bewunderte die Freigebigkeit des Fremden und befahl seinem Sohne,

daß er ihn, wenn er wieder käme,

zum Mittagsmahl auf den folgenden Tag einladen solle, gelegentlich zu erfahren,

wer er sey?

um

Padmanaba nahm die

Einladung an und da Hassans Vater aus manchen Antworten und Aeußerungen schloß,

daß er eben so reich als weise seyn

müsse, so bot er ihm eine Wohnung in seinem Hause an. Padmanaba nahm auch dieses Anerbiet.en mit den Worten an:

„bei guten Freunden wohnen, ist ein Paradies auf dieser

Welt." Hassan gewann täglich mehr die Zuneigung des Braminen, ward von ihm sehr reichlich beschenkt und brachte die meiste Zeit -ei ihm zu. „Mein Sohn,"

sagte dieser einst zu ihm, so zärtlich wie

nur ein Vater mit seinem Sohne sprechen kann, „du hast viel Fähigkeiten von der Natur erhalten und ich finde, den geheimen Wissenschaften

daß du

in

große Fortschritte machen kannst«

32 Dein freier,

lustiger Sinn freilich scheint

ernsthaften und tiefen Denken;

nicht geeignet zum

allein ich hoffe,

festes Wollen

und reifere Jahre werden dich der Geheimnisse würdig machen, welche nur Auserwahltcn zu Theil werden können. dich wie meinen Sohn, machen.

Ich liebe

und habe beschlossen, dich glücklich zu

Daß ich das kann,

will ich dir beweisen, wenn du

mich vor die Stadt begleiten willst,

und bloß auf dich und die

Befolgung meiner Befehle wird es ankommen, ob du es wer­ den kannst. Padmanaba führte den jungen Hassan außer der Stadt nach alten Ruinen, welche der Sage nach die Ueberreste eines Schlos­ se- waren.

Mühsam stiegen sie über Schutt nnd Steine, und

gelangten auf einen kleinen freien Platz,

wo sich ein Brunnen

befand. „Hier in diesem Brunnen, naba,. „sind die Schätze,

mein Sohn,"

sagte Padma­

welche ich dir zeigen will und von

welchen du in Zukunft Gebrauch machen kannst nach deinen Be­ dürfnissen,

wenn du dich so beträgst, daß dir die großen Ge­

heimnisse anvertraut werden können." Hassan sah den Brammen lächelnd an und sagte: „daß der Brunnen Wasser enthält,

sehe ich wohl;

daß er aber Schätze

enthalten kann, muß ich dir auf dein Wort glauben " „Urtheile aus dem, was geschehen wird, wozu du gelangen

33 kannst," erwiederte der Bramme, schrieb etwas in besondern Zeichen auf einen Zettel und warf diesen ins Waffdr. Sogleich verlor sich das Wasser und beide stiegen auf einer Treppe, welche jetzt zum Vorschein kam, bis in den Grund hinab, wo sie an eine starke eiserne Thüre kamen. Padmanaba schrieb wieder einige Zeilen auf ein Papier, steckte dieß in's Schlüsselloch und die Thür öffnete sich. War Hassan über das Vorhergegangene erstaunt, so erschrack er jetzt, da er einen großen Mohren erblickte, welcher einen schwe­ ren Stein aufhob und sie zu zerschmettern drohte. Indessen der Bramine sprach einige Worte und blies den Mohren an, worauf dieser sogleich rücklings hinstürzte. Durch einen langen Gang kamen sie in einen geräumigen Hof, in dessen Mitte ein Grabmahl von Krystall stand, dessen Eingang zwey Drachen verwahrten, welche Feuerflammen aus ihren schrecklichen Rachen ihnen entgegen schossen. — Hassan erschrack und wollte zurück fliehen; allein Padma­ naba sagte wieder bloß einige Worte, und die Ungeheuer zogen sich ruhig in ihre Höhlen zurück, und die Thür des Gewölbes öffnete sich. Sie gelangten in einen zweiten Hof, und welch Erstaunen bemächtigte sich Hassans, da er einen Pallast von Rubinen erblickte, auf welchem ein großer Karfunkel in Kugel­ gestalt einen hellen Glanz verbreitete, und alles um sich her Palmblätrcr IV.

E

34 erleuchtete.

Er folgte seinem Führer fast ohne Bewußtseyn in

das Gebäude,

dessen Thür von einem einzigen Smaragd war.

Am

standen sechs Statuen jede

Eingänge

Diamant, besäet,

aus einem einzigen

der Fußboden war von Porphyr mit kostbaren Perlen

die Bekleidung der Wände war von gediegenem Golde,

in den Ecken des Zimmers befanden sich Rubinen, andere Kostbarkeiten

in

großen silbernen

Kisten,

Gold und und in der

Mitte erhob sich neben einem goldnen mit den köstlichsten Edel­ gesteinen künstlich besetzten Sarkophag, ein Thron von eben dem Metall und eben so kostbar verziert. Auf dem Sarkophag las Hassan die Aufschrift: „Erkaufe die Zeit! mit allen Schätzen der Welt erkaufst du sie nicht;

du verlierst sie,

Alle Schätze, lassen;

die ich

wenn dein Herz nach ihnen geizt.

im Leben sammelte,

mußt' ich

zurück

nur die Schätze deiner Seele, Freund, geleiten dich in

die unerforschliche Zukunft hinüber!" Padmanaba erzählte darauf dem erstaunten Hassan, daß alle diese Schatze von einem egyptischen Könige herrührten, welcher den

Stein der Weisen entdeckt habe.

Er zeigte ihm zugleich

mehrere Haufen einer schwarzen Erde in einem zweyten Zimmer und Gefäße mit einem köstlichen Wasser, vermittelst welcher bei­ den er alle unedle Metalle in Gold verwandelt habe. Hassan

bezeugte seine Verwunderung,

daß

ein König so

35 unermeßliche Schätze unter die Erde verborgen habe, da andre Monarchen alles

anwendeten,

durch große Denkmale ihr An­

denken auf die Nachwelt fortzupflanzen. „Der König" liche Herz; ist,

erwiederte Padmanaba, „kannte das mensch­

er wußte,

wie unersättlich es in seinen Begierden

und daß es sich durch keine Leidenschaft so sehr hinreißen

läßt als durch die Gier nach Reichthum, der nichts zu heilig ist,

um befriedigt zu werden,

lichen Schätze,

und verbarg also seine unermeß­

um die Habsucht nicht zu reizen und Zwietracht

und Blutvergießen zu veranlassen.

Daß sie aber doch auf ge-

gewisse Weise der Nachwelt zum Nutzen gereichen möchten, ent­ deckte er

sie einigen Weisen,

mit dem

Beding, Wohlthaten

der leidenden Menschheit zu erzeigen, und mit ihrem Tode das Geheimniß immer wieder den geprüftesten Weisen zu hinterlassen." „Wache über dein Herz, fort;

„aus allem,

mein Sohn,"

nen, wie rein meine Absicht tst, jetzt nimm, willst zu dir.

fuhr Padmanaba

was ich dir gezeigt habe, kannst du erken­ dich glücklich zu machen.

Für

von welchen Kostbarkeiten du willst und so viel du Ich werde dich mit den heiligen Sprüchen nach

und nach bekannt machen und du kannst in der Folge zu jeder Zeit das Grabmal des Königs von Egypten besuchen und von dem unermeßlichen Schatze zu jeder guten Anwendung Gebrauch machen.

Allein verwahre dein Herz vor Habsucht und sey verC 2



schwiegen.

36



Mißbrauch würde dich deines ganzen Glücks berau­

ben und dir wohl gar das Leben kosten.

Das Geheimniß ist

noch umfassender; erst wenn du Proben deiner Würdigkeit abge­ legt hast, kann ich dich aus dem Grabmal noch weiter führen." Sie kehrten

darauf

hinter ihnen von selbst,

zurück;

alle

Thüren

verschlossen sich

und so wie sie die Treppe Hinanstiegen,

folgte ihnen das Wasser nach, bis der Brunnen

wieder ange­

füllt war. Hassan kam

sehr nachdenkend

in seines Vaters Wohnung

zurück und seine Heiterkeit schien sich mehr in stillen Ernst zu verwandeln. mit den mitgcbrachren Reichthümern, Bramin fast göttlich, da sie hörten, seine Vermittelung

erhalten habe.

Gewerbe sogar auf,

von der Zeit an immer Er beschenkte seine Eltern und diese verehrten den daß ihr Sohn alles durch

Sie

gaben ihr bisheriges

beschlossen ein ruhigeres Leben zu führen

und priesen sich durch ihren Sohn glücklich. Unterdessen setzte Padmanaba seinen Unterricht fort, freute sich über die Gelehrigkeit seines Schülers über alle Maaße, und schrieb seinen Ernst und sein Nachdenken seinem Eiser zu, in den Kenntnissen immer weitere Fortschritte zu machen. „Ich werde dich auf einige Zeit verlassen," sagte einst Pad­ manaba zu Hassan; „gewisse Geschäfte rufen mich nach Indien und ich kann meine Wiederkunft so genau nicht bestimmen.

Setze

37 unterdessen deinen Fleiß in den heiligen Büchern zu lesen fort ; ereignet sich ein Vorfall, daß du der Schatze des Königs von Egypten bedarfst, so gehe getrost in sein Grabmal; indem er ihm vier Papiere überreichte,

hier sind,"

„die Sprüche,

welche

dich sicher hinein führen; auf welche Art? hast du gesehen. weise,

nicht Vorwitz verleiten, habe ,

Sey

bewahre dein Herz vor habsüchtiger Begier und laß dich weiter zu dringen,

als ich dich geführt

du könntest sonst leicht mehr als den Genuß eines vor­

züglichen Glücks verlieren." So wie Padmanaba fort war, sing Hassan allmählig wieder an heiter zu werden und der Gedanke, ungleich weniger liebe, als er vorgebe, sein Herz verborgen hatte, mehr.

„Warum,"

sagte

daß der Bramme ihn

welcher bisher sich tief in

verlebendigte sich immer mehr und er zu sich selbst, „von den unermeß­

lichen Schätzen nur so notdürftigen Gebrauch führen meine

Eltern und ich selbst,

Besuch des Grabmahls,

machen? Zwar

bloß durch meinen ersten

ein sehr gemächliches Leben und aus

Bescheidenheit, die mir die Gegenwart meine« Wohlthäters ein­ flößte,

beobachtete ich die größte Mäßigung;

ungleich mehr zu mir nehmen können.

ich hätte

noch

Aber ich rechnete darauf,

daß seine Freundschaft so weit gehen werde,

daß ich durch ihn

ein glänzendes Leben würde führen können, daß sich mein Haus in einen prächtigen Pallast verwandeln,

daß ich

von tausend

38 Sklaven

umgeben dem Vornehmsten und Reichsten wenigstens

gleichkommen, wenn sie auch nicht übertreffen würde? — Warum ließ er mich nicht in meiner Unwissenheit? Hätte ich meine jetzige Gemächlichkeit bloß seiner Freigebigkeit zu danken, so würde ich zufrieden und ihm dankbar seyn, anstatt daß mir die Schlange der Unzufriedenheit schon länger als ein Jahr an meinem Herzen nagt,

da ich weiß,

daß er nur nehmen darf von Schätzen, die

er nicht gesammelt hat. — er plötzlich auf

Doch was hindert mich" — fuhr

„jetzt alle meine Wünsche zu erfüllen? Steht

mir nicht in seiner Abwesenheit der Weg zum Grabe des Königs offen? — so

Er ist in Indien — und wenn ich mir unterdessen

viel aus der seltnen Gruft heraushole,

Wünsche zu befriedigen,

um jeden meiner

was kann es mich dann bekümmern,

ob sich seine Freundschaft vermindert, wenn ich seine tiefsinnigen Bücher ihm überlasse?" — Hassan warf so lange Fragen auf, bis der Entschluß reifte und seine Begierde alle Furcht und Bedenklichkeit überwog.

Er

schrieb die Talismane ab, und gelangte glücklich durch sie, wie ehedem mit dem Braminen,

zum Sarkophag des

egyptischen

Königs und mit Schätzen beladen wieder zu seinen Eltern zurück. Der erste so wohl gelungene Versuch machte ihm Muth, und um vielleicht einen dritten zu ersparen, zeigte er seinen Eltern

39 seine mitgebrachten Schätze, erzählte ihnen die Hauptumstände und fragte, ob sie ihn begleiten wollten? — Auch bey diesen vertilgte die Dereicherungssucht die Dank­ barkeit. Der blendende Glanz des Goldes und der Edelsteine berauschte ihre Sinne und Vater und Mutter begleiteten den Sohn in die Gruft. Grausen befiel sie bey dem Anblicke deMohren und der feuerspeienden Drachen; aber alle Furcht schwand bey dem Anblick der Schätze; sie fühlten bloß riefe Betrübniß bey der Unmöglichkeit, sich alles zuzueignen. Plötzlich hemmte ihre Geschäftigkeit ein rollender Donner und aus dem Sarkophag ertönte eine dumpfe Stimme: „deß unersättliche Begier mehr verlangt, als ihm beschieden, verlieret auch, was er besaß. Es ist ein gewöhnliches LooS der Menschen, daß sie ihr Glück in der Blüthe vernichten." Ein Donnerschlag erfolgte; Hassan und seine Eltern stürzten ohne Bewußtseyn nieder, und als sie sich wieder erholten, befan­ den sie sich in ihrer Wohnung und alle Schätze aus der Königsgruft waren in zerstäubende Erdklumpen verwandelt. Hassan griff wieder zu seiner Laute und sein Vater schenkte wieder Fikai.

40

10

.

Die Wollust und der Giftbaum. 2fn den wollusrathmeilden Gärten des reichen Harakmi ruhte die Wollust auf einem Bette von Rosen und Jasmin, ohne doß sie eS wußte, nicht weit von einem Giftbaume. Mit Entsetzen schauderte sie zurück, als sie ihn erblickte und liebkosend sagte sie zu Harakmi: „Warum der Baum in deinen paradiesischen Gärten, mein Gebieter? vermocht' ich es, ich würde zum Wohl der Menschen einen Baum, dessen Hauch das Leben verkürzen kann, von der ganzen Erde vertilgen." Harakmi gab seinen Sklaven einen Wink und sie waren im Begriff den Baum zu fallen, als dieser zur Wollust sagte: „Schön verkaufst du deine eigne Frucht unter dem Schein einer Freudengeberin; sie erregt Vertrauen und durch Vertrauen gewinnst du an Ansehen. Mein Gift ist dem Menschen verderb­ lich ; aber er kennt und meidet mich. Du hingegen bestrickst ihn unvermerkt und das Uebel, welches du durch Müßiggang, Weich­ lichkeit und Unkeuschheit unter die Menschen in unendlich verschied-

41 nett Gestalten bringst, wie ungleich größer ist dieß, als was er durch mich erleidet.

Harakmi, willst du gerecht seyn, so vertilge

die scheinheilige Heuchlerin aus deinem Herzen und du befreist dich von deiner grausamsten Feindin." Täglich sterben eine Million Menschen;

kaum drey Tausend

kommen durch Gift um und man entsetzt sich davor — über drey Viertel kommen durch die Wollust um und Niemand fürchtet sie!

li. Der Vogel der Selbsterkenntniß. „Aufrichtigkeit gegen sich selbst, mein Kind," sagte Fatme zu ihrer Tochter, „ist die schwerste Tugend." — „Die schwerste?" unterbrach sie Abaffaz „gegen wen könnte

mau

wohl aufrichtiger seyn, als gegen sich selbst?" „Eben weil man das glaubt," erwiederte Fatme, „ist man

eS

am

wenigsten!

Unsere

Eigenliebe stellt uns immer in einem

bessern Lichte dar, als wir andere handeln sehen, und können wir uns auch einen begangnen Fehler nicht abläugncn, so bemühen

42 wir uns doch, ihn auf alle Weife zu beschönigen, und gehen wohl gar so weit, daß wir ibn aus einer guten Quelle herleiten. Wir beruhigen uns gar zu leicht dabey, wenn wir nur das Oeffentliche vermeiden und schlüpfen über die Erinnerungen des unbestechlichen Richters in uns, unsers Gewissens, leicht hinweg." „Ich lege keinen Tag zurück," versetzte Abaffa,

„ohne mir

am Abend strenge Rechenschaft von meinen Gedanken und Hand­ lungen abzufordern." „Das ist lobenswerth, meine Tochter,"

entgegnete Fatme,

„allein dadurch ist noch nicht deine Aufrichtigkeit gegen dich selbst erwiesen, die Rechenschaft kann sehr partheyisch seyn. det nirgend weniger Sorgsamkeit an, ner selbst.

Man wen­

als in der Erkenntniß sei­

Willst du dich einer Prüfung unterwerfen, so kann ich

dir einen Rath ertheilen?" „Von wem nehme ich lieber guten Rath an," sagte Abaffa zärtlich,

„als von meiner Mutter,

welche mich über alles liebt

und ohne Unterlaß sorgt, mich glücklich zu machen." „Ein Weiser,"

fuhr Fatme fort,

„hat einen wunderbaren

Vogel; er ist zahm und zärtlich und liebkost alle, die ihm wohl­ thun; sein Gefieder ist sein und zart und übertrifft den frisch gefallncn Schnee an Weiße" — „Und sein Gesang?" unterbrach sie Abaffa. „Außer einigen unbedeutenden Lauten," fuhr Fatme fort, „ist

43 er stumm; er schweigt sogar, wenn er seine wenigen Bedürfnisse fühlt, und die Unachtsamkeit seines Besitzers ihn darben läßt. Allein das wunderbarste ist, daß er jedesmal, wenn sein Besitzer die Aufrichtigkeit gegen sich selbst verletzt, eine rothe Feder au seiner Brust bekommt, die um so röther wird, je größer der be­ gangne Fehler ist. — Willst du deine Aufrichtigkeit gegen dich prüfen, so will ich den Vogel von dem Weisen kommen lassen." „Laß ihn kommen, meine Mutter!" rief Abossa zuversichtlich, „ich bin neugierig, einen so wunderbaren Vogel zu sehen!" „Fürchtest du nicht?" entgegnete Fatme zärtlich lächelnd, „daß deine Neugierde an der weißen Brust des DogelS eine rothe Feder hervortreiben möchte?." „Wenn meine Neugierde," antwortete Abassa etwas be­ schämt, „an mir fehlerhaft ist, so werde ich dadurch aufmerksam gemacht, sorgfältiger über mich zu wachen; aber wie heißt dieser sonderbare Vogel?" „Der Vogel der Selbsterkenntniß," antwortete Fatme. „Und am Ende wird wohl die ganze Brust roth? " fragte Abassa wieder. „Die rothen Federn," belehrte sie Fatme, „vermehren sich an jedem Tage mit den Fehlern; sie verlieren aber die Nacht ihre Färbung, und die Brust erscheint am andern Morgen wieder ganz weiß."

44 „Das ist schön!" rief Abassa, „das heißt die Fehler zwar verweisen, aber doch auch gutmüthig vergessen." „Wenn du die Verweise vergißt," versetzte Fatme, „so be­ kommt der Vogel am Morgen auf einmal alle die gestrigen rothen Federn wieder." Abassa bestand, der sanften Warnung ihrer Mutter ungeach­ tet, daraus, daß ihr der Vogel gebracht werde.

Sie fühlte zwar

eine geheime Furcht; indessen sie hatte sich einmal zur Prüfung erboten, und ihre Eitelkeit erlaubte nicht, ihr Wort zurückzu­ nehmen. „Ich werde sorgfältig über mich wachen,"

sagte sie zu sich

selbst; „und gesetzt, die rothen Federn machten mich auf meine Fehler aufmerksam, so werde ich dadurch auf die Bahn gebracht, mich immer genauer kennen zu lernen." Sie nahm den Vogel, so wie er ankam, in Verwahrung, Wartung und Pflege,

und vor Freude außer sich eilte sie zu

ihrer Mutter, so wie die Dämmerung des Abends eintrat und verkündigte ihr, daß der Vogel keine rothe Feder heute bekom­ men habe. „Wie lange hast du ihn bei dir?" fragte Fatme lächelnd. „O schon beynahe zwey Stunden!" rief Abassa, „ich nahm ihn den Augenblick in meine Verwahrung, so wie er ankam." „Erst zwey Stunden?" sagte Fatme sanft; „und wie, mein

45 Kind r wenn in dem Augenblicke das zu große Selbstvertrauen in deine Aufrichtigkeit eine rothe Feder bewirkt hätte? nicht wäre, würde

ich

Wenn eö

die wunderbare Eigenschaft des Vogels

bezweifeln." Etwas schüchtern bat Abaffa ihre Mutter, sie in ihr Ge­ mach zu begleiten,

und noch schüchterner trat sie vor den Vogel

und — Schamröthe,

von einigen großen Thränentropfen beglei­

tet, überzog ihr Gesicht, als sie eine große rosenrothe Feder er­ blickte. — „Schließe von dem einen Falle auf alle andre," sagte Fatme, indem sie ihre Tochter zärtlich an ihren Busen drückte;

„wie du

bey dem einen nicht aufrichtig gegen dich selbst warst, so wirst du eS in mehrern finden. So lange fich aber bey Wahrnehmung eines noch unerkannten Fehlers deine innere Empfindung, so wie jetzt, in deinem Gesichte abdrückt, so lange hast du noch Hoffnung besser zu werden.

Schämst btt dich aber deines

mehr, so wird dich auch kein Wundervogel bessern."

Fehlers nicht

46

12. Der uneigennützige Großvezir. ©iafar, Lag

Großvezier des Kalifen Haroun, wollte den folgenden

sich vermählen und befahl seinem Haushofmeister Masul,

alles darauf vorzubereiten, schärfte ihm besonders ein, eine reich­ liche Mahlzeit für die Armen, welche er seine Freunde nannte, zuzurichten

und jedem, der sich zeige, ein reichliches Almosen zu

reichen. „Dein Knecht," erwiederte Masul lächelnd, „wird alles mit dem besten Willen thun, wenn du ihm nur die Mittel dazu giebst. Eben wollt' ich dir meine Rechnung ablegen, da unsre Kaffe ganz ausgeleert ist." „Die ganze beträchtliche Summe?" erwiederte Giafar. „Du hast freylich wenig davon genossen, mein Gebieter," fuhr Masul fort; — allein lies nur selbst — diese große Summe habe ich auf deinen Befehl deinen Verwandten zahlen müssen — diese

haben deine Freunde aus der Nähe und Ferne erhalten,

und diese kleine hast du für dich verwendet.

Willst du morgen

wirklich dich vermählen, so mußt du deine Braut zwischen Armuth

47 und Tugend setzen, zwey Gaste, welche zuversichtlich noch nie in dem Pallaste eines Großvezirs erschienen sind." „Ich verzeihe dir deine kühne Spötterey," versetzte Giafar, — „und künftig wollen wir zusehen, daß unser Vorrath langer dauert. Auf morgen mußt du jedoch Rath schaffen; morgen kann ich unmöglich sparen. In dem Pallaste sind so viele kost­ bare Sachen, welche ich nicht brauche; verwandle sie in Gold." „Ich vollziehe unbedingt deine Befehle," erwiederte Maful; „allein alles, was in diesem Pallaste ist, hat mir der Kalif über­ geben und ich muß mit meinem Kopse dafür hasten. Dieser Pal­ last, sagte er zu mir, als er mir ihn übergab, gleicht einer Karavanserey, deren Gerätschaften man sich nur so lange bedienen darf, als man darinnen herbergt." „Diese Worte sind golden," antwortete Giafar, „und wenn wir wieder Gold haben, bezahl ich dir hundert Derhem dafür. Für jetzt — kannst du nichts von meinen Gütern erheben? we­ nigstens unterdessen darauf borgen?" „Du hast deine Güter unter deine zahlreiche Verwandtschaft zum Gebrauch vertheilt," antwortete Masul, „ist das pachtweise geschehen, so will ich sogleich Boten absenden; allein zu morgen — ehe die Boten wieder zurückkommen" — „Meine Verwandten sollen nicht beunruhigt werden," siel Giafar ein, „ allein eben so wenig kann meine Hochzeit Aufschub

48 leiden.

Geh

zum Schatzmeister,

guter

Masul,

und laß dir

etwas auf mein künftiges Gehalt auszahlen." „Du weißt vielleicht nicht," antwortete Masul,

„daß der

Kalife schon vor dir einen sehr strengen Befehl ergehn ließ: Nie­ manden etwas vorauszuzahlen, damit sich jeder nach seinem Ein­ kommen richte.

Indessen

Ausnahme machen, wird er eilen,

wird der Schatzmeister bey dir eine

und wenn der Kalife deine Lage erfährt,

deine leere Kaffe zu füllen, daß deine Freunde

nicht mehr so leer ausgehen wie diese Tage." „Das war sehr weise vom Kalifen," versetzte Giafar, „diese Verordnung werden.

zu geben und um meinetwillen soll sie nicht verletzt

Daß meine Freunde leer ausgehen, ist mir hart, in­

dessen müssen sie sich gedulden,

bis ich reicher werde.

Hochzeit

will ich indessen doch halten — der Garten am Pallast ist voller Gemüse und guter reifer Früchte; Bräutigam und Braut lieben sie; richte damit unsre Tafel aus." „So mag ein Derwisch in seiner verborgnen Zelle leben," erwiederte Masul, „aber nicht ein Großvezir, auf welchen ganz Asien die Augen richtet. nehmen,

Lieber will ich etwas auf Borg auf­

wer darf es mir abschlagen,

wenn ich deinen Namen

nenne." „Eben darum soll es nicht geschehen, Giafar.

„Es bleibe bei unsern Früchten;

Masul," erwiederte was der Großvezir

49 ißt,

kann Asien gleich viel

Weise mir

seyn,

nicht aber,

die Dürftigen sanft ab,

sobald ich wieder reicher bin; bleibt bei unsern

Früchten!

was er thut.

versprich ihnen zweyfach,

laß mich milde erscheinen! ES

die Namen der Gaste will ich dir

schriftlich geben." „Am Hofe werde Masul,

ich sie

nicht zu suchen haben,"

„da wir so nüchtern leben wollen. —

sagte

Erlaube nur,

Herr, daß ich dir den reichen Juden Nabal anmelde; seit diesen Morgen wartet er schon in der Halle." „Sage ihm,"

erwiederte Giafar,

„er möchte sich wohl be­

denken, ehe er vor mir erscheint; wenn das, was er mir vorzu­ bringen hat,

nicht Stand halt, so möchte es ihn gereuen."

Nabal hatte eine reiche Karavane eingeführt und die Zölle des Kalifen betrogen.

Nach dem Gesetze hatte Giafar diesen

Morgen die ganze Ladung dem Schatze des Kalifen zugesprochen. Der reiche Israelit Volks herein;

trat mit

erwähnte aber

einigen der Aeltesten seines

von dem Vorfall keine Sylbe,

sondern dankte Giafar im Namen seines Volks, als dessen Ab­ gesandter,

für keine großmüthigen Gesinnungen gegen dasselbe

in prunkvollen Worten, stellte ein Kästchen mit Juwelen auf den Tisch,

fügte hinzu, daß ein mit Gold beladnes Thier vor dem

Thore des Pallasts halte,

und bat,

daß er das Ueberbrachte

als einen Beweis der Dankbarkeit dafür annehmen möge, Palmblätter IV.

D

daß

50 er die Juden schätze und ihren Armen eben so großmüthig Almos sen spende, wie dem Muselmanne. Eine starke Röthe färbte GLafars Wangen und Masul war außer sich vor Freude über den glücklichen Zufall zu so gele­ gener Zeit. „Daß ich den

Armen deines

Volkes

wohl will," sagte

Giafar nach einigem Nachdenken, dessen er bedurft hatte, seinen Unwillen zu unterdrücken, „will ich dir beweisen. That,

Die schlechte

welche du beabsichtest, soll in eine gute übergehen; und

deßwegen bloß untersuche ich strenger.

deine Absicht nicht genauer und

Masul, rufe einen Kadi herein!"

Der Kadi kam. „Freund," schäft für dich, nehmste hält,

sagte

Giafar zu ihm,

„hier habe ich ein Ge­

welches der wahre Muselmann für das ange­ und wofür du mir danken wirft.

Dieser-Jude,

welchen du kennen wirst — wer kennt den reichen Nabal nicht.' — bringt mir dieses Kästchen mit Juwelen, und, wie er sagt, ein Thier mit Gold beladen, bringt er mir,

welches vor der Thüre steht:

wie er sagt,

ich kein Feind seines Volkes sey. Volks mir Menschen,

dieß

im Namen seiner Brüder, weil Nun sind die Menschen seines

die des Schutzes mehr bedürfen, als der

Muselmann, welchen das Schicksal zu ihrem Herrn gemacht hat. Nimm also den Betrag dieses Schatzes und das Gold, womit

51 -aS Thier beladen ist, und theile alles in drei gleiche Theile. Mit dem einen begieb dich in die Synagoge der Juden, laß ihre Vorsteher rufen und diese die Armen ihres Volks versam­ meln, und vertheile ihn im Namen Nabals unter sie. Den zweyten Theil laß unter die Dürftigen unsers Volks in NabalS Namen vertheilen; vielleicht, daß diese Gabe sie milder gegen jene denken lehrt, und den dritten gieb den armen Christen, frei oder Sklave, und zwar in deinem Namen, damit auch du Ge­ winn und Dank einerndtest." Der Kadi entfernte sich, den Befehl zu vollstrecken, der Jude folgte ihm beschämt und traurig nach — und Masul konnte eö kaum vor Ungeduld und Unwillen erwarten, bis sie fort waren. „Wir haben keinen Derhem mehr!" sagte er, „morgen Hochzeit; und du wirfst hier einen Schatz weg, der unS auf einmal in Ueberfluß versetzen konnte. „Sey nicht böse, Masul," erwiederte Giafar vergnügt; „nun wird mir erst die Mahlzeit bei der Hochzeit schmecken; ich speise nun morgen mit Lausenden und der Gedanke ihrer uner­ warteten Freude, die Stillung ihrer Noth, macht mich reicher und glücklicher, als alle Schätze Indiens. Siehe, so reich sind wir durch Zufall plötzlich geworden." „Reich? wie?" fragte Masul. — „Freilich reich," siel Giafar ein; „du weißt nicht, wie D 2

reich, frei und glücklich das Geben macht und wie traurig, ab­ hängig und klein das Nehmen l Darum empfahl der Prophet seinen Schülern dieses Mittel zur Freude so oft und nachdrücklich."

15.

Firnaz und Mirvan. ^Jn dem frühern Zeitalter der Welt, als der Mensch noch keine anderen Gesetze kannte, als die der Natur; als noch kein Lhrvn auf den Trümmern der Freyheit errichtet war und Awingherrschaft und Gewalt noch keinen Nacken unter sich gebeugt hatte; als die Erde ihren Bewohnern eine gesunde und harmlose Nah­ rung aus der Fülle ihrer Fruchtbarkeit reichte und ihnen zugleich Sicherheit und Zufriedenheit gewährte — in jener glücklichen Zeit lebte Mirvan an der Küste des Caspischen Meeres in einem Ueberflusse, der allen seinen Bedürfnissen nichte zu wünschen übrig ließ, und in einer Gegend, die alles enthielt, was das Auge reizen konnte. Er hätte ruhig und zufrieden leben können; jedoch er war nur reich, aber nicht glücklich. Die Weisheit bedarf des Ueberflusses nicht, um den Menschen zu beglücken.

53 Mirvan war mit Sorgfalt erzogen worden;

allein bald ließ er

sich von seiner feurigen Phantasie überwältigen, -ie Seegensfülle,

er verschmähete

die ihn umgab, dehnte seine Wünsche selbst

über die Grenzen der Natur aus, und alles, womit ihn das Glück ausgestattet hatte, war

ekelhafte Einförmigkeit.

Wie

sollte dem Uebel abgeholfen werden, das unheilbar schien? — Als er sich eines Tages durch das Labyrinth seiner Wünsche hindurch gewunden hatte, schlief er vor Ermattung unvermerkt ein.

Firnaz, der König der Genien,

hatte Mitleid mit seiner

unglücklichen Lage, und beschloß einen Versuch zu machen, ihn von seiner Täuschung zu heilen, indem er ihm durch einen sebhasten Traum die Wahrheit vor Augen stellte, die er wachend zu verachten schien. Mirvan glaubte

sich auf dem Gipfel eine-

Berge-z

er

lehnte sich an den Stamm einer schattigen Jeder und übersah mit einem Blick das Besitzthum seiner Vorfahren unter sich im Thale.

Allein anstatt sich über seinen Ucberfluß zu freuen, brach

ex in laute Klagen der Unzufriedenheit aus. durchkreuzenden

Begierden

ergriffen,

Von tausend sich

sprang er auf und ging

unruhig vorwärts , als er plötzlich über einen Lichtschein erschrack, der ihm übernatürlich schien.

Sein Erstaunen vermehrte sich, da

er eine Wolke erblickte, die alle Farben des Regenbogens in sich vereinigte.

Firnaz, der König der Genien erschien in derselben z

54 er trat vor den unzufriedenen Jüngling und redete ihn folgender Gestalt an: „Sohn des Staubes, ich habe deine Unzufriedenheit wahr­ genommen; eröffne mir die Ursache, vielleicht, daß sie sich heben lägt." Durch die milde Anrede aufgemuntert, erwiederte Mirvan: „die traurige Einförmigkeit meines Zustandes ist mir unerträglich; der Morgen ist in nichts vom Abend verschieden, und Heute ist wie Gestern; mein ganzes Leben ist bloß ein durch ermüdende Wiederholung verlängerter Augenblick. Thal und Wald haben in meinen Augen ihre Schönheit verloren. Selbst die Reize der schönen Thirza machen keinen Eindruck auf mich mehr, seitdem sie mich mit ihrer Gegenliebe beglückte." „Wohlwollender Genius/' fuhr er fort, „deine Blicke ver­ rathen Mitleiden mit mir. Verwandle die Gegend, die wir hier vor uns sehen, daß sie jener gleiche, welche die Wesen über den Sternen bewohnen. Erfülle sie im Kleinen mit alle den Schön­ heiten, welche in der ganzen Schöpfung zerstreut sind, daß alle meine Sinne befriedigt werden und meine Seele aller Freuden genieße, wovon die Einbildungskraft sich eine Vorstellung machen kann." Er wünschte dieß und der nachsichtige Genius gewahrte ihm auch in dem Augenbilcke seine verwegene Bitte. Die ganze Ober-

55 fläche der Natur verschönerte sich unendlich mehr, als die kühnste Dichterphantasie sie je geschildert hat. entsprossen unter ihren Füßen.

Veilchen und Amaranthen

Sanfte Westwinde verbreiteten

die Wohlgerüche der entzückenden Landschaft von allen Seiten, und alles, was die Sinne schmeicheln konnte, zeigte sich überall im Ueberfluß.

Mrvan lebte wieder die göttlichen Ge­

bote nie aus der Acbt zu lassen, und um rubig zu leben, es sich zur Hauptregel zu machen; an jedem Tage treulich seine Kräfte



1U8



zum Guten anzuwenden, und dabey

nie am Abend zu

was ihm des andern Tages begegnen könne.

sorgen,

Der Vater starb

in den Armen seines Sohnes. Der junge Dgerberi war noch nicht volle zwanzig Jahr alt; er batte einen guten Vater verloren:

allein jugendlicher Leicht­

sinn machte, daß er bald seinen Verlust verschmerzte und zugleich den ersten Theil des väterlichen Rathes, ohne welchen der letztere nichtig und verderblich ist, vergaß, und nur den letztem leichtfer­ tig befolgte.

Er war unabhängiger Besitzer von mehrern Häu­

sern, von prächtigem Hausgeräthe, und von fünf hundert tausend Zeckinen,

die er in einem Keller in sündig goldnen Vasen fand.

Diese Summe war einem jungen Menschen, der keinen richtigen Begriff von Reichthum hat, mehr als alle Schätze Indiens.

Er

überließ sich ganz seinem Vergnügen und schonte keinen Aufwand; er kaufte eine

Menge

prächtigste bekleiden ließ,

Sklaven und Sklavinnen, die er aufs und feine Tafel war immer gedeckt für

junge Leute von seinem Alter, die sich zu ihm drängten und sei­ ner Eitelkeit schmeichelten, indem sie seinen Aufwand bewunderten, feine Musik trefflich, feinen Wein gött.ich und die Auswahl seiner Speisen unübertrefflich fanden. Das Meer würde ausgeschöpft werden können, wenn es kei­ nen Zufluß hätte. feine ganze Erbschaft.

Ein solcher Aufwand

verschlang

sehr bald

Die Vasen waren ausgeleert und verkauft

109 und ihnen folgten bald seine Häuser in der Stadt und auf dem Lande.

Seine Sklaven und Sklavinnen behielt

er am längsten

bey $ aber auch diese sahe er sich zuletzt genöthigt zu verkaufen, um seine Schulden zu bezahlen, da er zu gut und ehrlich dachte, als daß Jemand durch ihn verlieren sollte. Auf einmal sah er sich von allem Vermögen entblößt und zugleich von allen seinen Freunden verlassen.

Zum Glück hatte

ihn die Natur mit körperlicher Stärke und Gesundheit begabt, auf welche sein vorhergehendes Wohlleben nicht den mindesten Einfluß und

gehabt hatte, weil es nicht sowohl in eigenem Genuß

Ueberfüllung,

sondern

vielmehr

in leichtsinnigem

Geben,

Großthun und Verschwenden bestanden hatte. Da er nun keinen andern Weg vor sich sahe, fich seinen Un­ terhalt zu erwerben, so übernavm er das Geschäft eines Lastträ­ gers und ward bald allen andern vorgezogen, theils weil er ganz außerordentlich schwere Lasten tragen konnte, theils auch weil er sein Geschäft mit vieler Einsicht und unveränderlicher Fröhlichkeit verrieb.

Mit dem guten Rathe seines Vaters, der unvergäng­

licher war, als seine hinterlaßnen Schatze: am Tage zu wirken, und am Acend nicht zu sorgen, was der Morgen bringen würde, verband

er noch eine andere Regel:

Heute zu vergessen, was

gestern vorgefallen; und so lebte er eine geraume Zeit zufriedner und glücklicher, als irgend Jemand in der ganzen Stadt.

Seine

110 Arbeit fiel ihm nicht schwer, er hing nicht mehr von den Ver­ gnügungen ab, deren Sklave er gewesen war; er war nicht mehr von eigennützigen falschen Freunden umgeben, er sah fich nach seinem Stande geehrt, und erwarb sich durch seine Ar­ beit so viel, als er zu seinem Unterhalt bedurfte, ohne daß ihn Sorgen und Kummer für Weib und Kind in seiner Ruhe störten. Als er einst des Abends spät von einem Landhause zurückkam, wohin er ein Gepäck getragen hatte, hörte er am Ufer des Ti­ gers ein klägliches Geschrey aus dem Flusse her: „um Gottes willen rettet mich!" Er erkannte eine weibliche Stimme; das Geschrey drang ihm an vie Seele und ohne der Gefahr des reißenden Stroms zu gedenken, stürzte er sich ins Wasser und es gelang ihm, die Unglückliche, die, von ihren Kräften verlassen, im Begriff war, unterzusinken, zu retten und ans Ufer zu bringen. Als fich daWeib etwas erholt hatte, bat sie ihn, sie in ihr Haus zu beglei­ ten, das sie ihm beschrieb. Dgerberi willigte ein und hörte schon von ferne Kinder weinen und ihre Mutter rufen, und er sah die Freude ihres Entzückens beym Wiedersehen. Lie Frau zündete eiligst Feuer an, ihre durchnäßten Kleidungen zu trocknen. „Genieße das Bewußtseyn deiner edeln That," sagte sie

111 darauf zu Dgerberi, „sieh, diesen Kindern hast du ihre Mutter gerettet!" Ihr Herz ergoß sich daraus in Dankbezeugungen, die er mit aller Bescheidenheit ablehnte; und auf seine Frage, wie sie in die Gefahr gerathen sey, erzählte sie ihm folgendes: „Vor ungefähr einigen Monaten kam eine alte Frau zu mir und sagte: ich habe noch nie die Andacht in der großen Moschee versäumt und heute bin ich durch unerwartete Geschäfte abgehal­ ten worden, mich nach Vorschrift zu waschen. Habe die Güte und gieb mir ein Gesäß mit Wasser, daß ich die Reinigung vor­ nehmen und in die Moschee gehen kann. Ich willfahrte ihr gern und aus der Moschee kam sie wieder zu mir, und erneuerte ihre Danksagungen. Ich nöthigte sie, mit mir zu Mittage zu essen; ich hielt sie für eine fromme Frau und bat sie, für meinen Mann zu beten, der verreiset ist. Sie schlug die Einladung aus: „ich werde Gott bitten, meine Tochter," sagte sie zu mir, „dir die Willfährigkeit zu vergelten, die du mir heute erwiesen hast, in­ dessen einer Frau von meinem Alter geziemt es nicht, auswärts zu essen." „Sie verließ mich unter tausend Segenswünschen und be­ suchte mich seit der Zeit alle Freitage. Vorgestern kam sie auch wie gewöhnlich und sagte: „meine Tochter, du hast mich oft ge­ beten, daß ich einige Zeit bey dir bleiben soll; ist es dir gelegen,

112 so sann cs diesen Abend geschehen: wir wollen mit einander essen und bann die Nackt in Gebet zubringen, daß Gott deinen Mann gesund und glücklich zurück geleite: jedoch mit der Be­ dingung , daß du mich morgen mit dem srühsten in mein Land­ häuschen jenseit des Tigers begleitest, wo die Hochzeit einer mei­ ner Anverwandten gefeyert merden soll. Ich kehre alsdann wie­ der mit dir zurück." „Ich nahm ihren Vorschlag an, wir gingen mit Anbruch des Tag^s, fanden am Ufer des Tigers einen Kahn, der auf uns wartete und uns übersetzte. Ein abgelebter und übelgekleideter Greis empfing uns, als wir ausstiegen, uni führte uns in eine Schäferhütte, in einer wenig bewohnten Gegend, wo wir bereits fünfzehn Frauenzimmer bey einander fanden. Wir wurden sehr wohl empfangen; allein dennoch erregte mir alles, was ich sah, Verdacht, daß ich von der Alten betrogen worden sey. Ich fragte darauf, wo die Hockzeit, von welcher sie mir gesagt, gehalten werden solle; und ihre zwcydentige Antwort überzeugte mich völ­ lig von der schändlichen Absicht der Alten, daß sie mich meinen Kindern und meinem Manne entreißen, und als Sklavin verhan­ deln wolle." „Ick verbarg meine Unruhe so viel möglich, stellte mich so heiter, als es mir nur mein geängstetes Herz erlauben wollte, und nahm an allen Vergnügungen Theil, die meine Gefährtinnen

113 veranstalteten. Beym Untergang der Sonne stellte sich ein Mann mit einigen Sklaven ein, und nun blieb mir kein Zweifel an meinem Unglücke. Man trug ein Abendessen auf und ich mußte neben dem Manne Platz nehmen, der mir sehr freundlich begeg­ nete. Nach Tische machten die Frauenzimmer Musik, sangen und tanzten wechselsweise. Ich flehte zu dem Allmächtigen, mich aus den Händen der Bosheit zu erretten, und schlich mich unvermerkt hinaus. Zum Glück fand ich die Thüre nur angelehnt, und nun lief ich, von Angst und Furcht getrieben, so sehr ich konnte. Ich hörre bald Stimmen hinter mir; man hatte meine Entfernung wahrgenommen und verfolgte mich. Ich erreichte das Ufer des Tigers; ich war entschlossen, alles zu wagen, da mir meine Ver­ folger immer näher kamen; ich flehte zum Allmächtigen um Bey­ stand und stürzte mich in den Fluß. Er sandte dich zu meiner Rettung; fein Name sey ewig gepriesen! " Das gute Weib umarmte ihre Kinder, führte sie zu ihm und sagte: „hier seht den Retter eurer Mutter! verehrt ihn ewig als meinen Vater, wie ich ihn verehren werde." Sie ging darauf hin und holte ihm einen Beutel mit hun­ dert Zechinen und einen prächtigen Teppich, bat ihn, daß er die geringe Gabe von ihrer Erkenntlichkeit annehmen möchte, und beklagte es, daß sie ihm nicht mehr anbieten könnte. Dgerberi verweigerte alles und versicherte sie, daß er sich Palmblättcr IV. H

114 schon dadurch glücklich und belohnt genug fühle, daß ihn Gott zu einer guten Handlung auscrsehen habe. Endlich auf ihr instän­ diges Anhalten, und da er überlegte, daß es einem dankbaren Herzen wehe thut, wenn man sich seinen Aeußerungen ganz ent­ zieht, nahm er den Teppich an, und kehrte mit dem frohen Be­ wußtseyn, welches eine jede gute uneigennützige That begleitet, nach Hause. Dgerberi's Fleiß, Treue und Geschicklichkeit verschasten ihm so viel Arbeit, daß er allein fast eben so viel zu thun hatte, als die übrigen Lastträger zusammen. Jedermann wollte ihn gern haben, und man wartete lieber etwas auf ihn, als daß man einen andern nahm. Dieß bewog die übrigen Lastträger, daß sie zu Dgerberi kamen, und ihm den Vorschlag thaten: wenn er nicht mehr arbeiten wolle, so solle er täglich von ihnen zehn Asper ha­ ben. Dgerberi ging den Vorschlag ein und lebte nun noch ruhi­ ger. Allein bald hatte er Ursache diese Verbindlichkeit zu bereuen. Er war der Arbeit gewohnt, und durch die Arbeit hatte er seine Gesundheit dauerhaft erhalten. Die Muße hingegen schwächte ihn und bald ward er krank und elend. Da die Lastträger sahen, daß er ihrer Arbeit jetzt keinen Eintrag thun könne, nahmen sie ihr Wort zurück und zahlten die versprochenen zehn Asper nicht mehr. Er sah sich nun auf einmal wieder dem äußersten Elende Preis gegeben, ohne daß er sogleich sich zu helfen wußte.

115 Endlich fiel ihm die Frau ein, die er aus dem Tiger geret­ tet hatte. Er schlich zu ihr und fand ihren Mann, der damals von seiner Reise glücklich und mit vielen Reichthümern aus In­ dien zurückgekommen war. Dgerberi gab sieb zu erkennen, klagte ihm seine Krankheit und bat ihn um Beystand, bis er wiederher­ gestellt seyn würde. Mit freudiger Dankbarkeit nahm ihn der Mann auf, wies ihm ein eignes Zimmer an, und verpflegte ihn auf die beste Art, so daß er sich bald wieder erholte. Dgerberi kehrte dann wieder zu seiner Arbeit zurück. Es kostete ihn anfangs Anstrengung und Mühe; aber je länger er anhielt, desto mehr fühlte er seine Kräfte zunehmen. Mit dem Gebrauch seiner Kräfte kehrte auch seine Heiterkeit zurück, und bald war er wieder der gesundeste, fröhlichste und glücklichste Mensch in ganz Bagdad und gab Jedermann die Lehre: wer gesund und froh leben will, muß arbeiten.

21.

Der unzufriedne Derwisch. Haben wir irgend ein dringendes Verlangen, so denken wir bloß darauf, wie wir es befriedigen wollen. Gelangen wir daH2

116 hin, so erwachen neue Begierden. Diesen entgegenarbeiten ist Weisheit und Lugend, und der Weg zum Genuß einer glücklichen Zufriedenheit zu gelangen. Aber sich von ihnen hinreißen lassen, ist das gewöhnliche Schicksal der Kinder des Staubes. Die Begierden sind die Quelle des Lasters — die Ursache des Un­ glücks. Ein armer einäugiger Derwisch, der kn einer einsamen Fel­ senhöhle wohnte, litt ungemein von Frost und Kälte, weil er fast nackend war. Er flehte zu Gott: „Vater der Derwische! Schöpfer der Engel und Menschen 1 Erbalter und Regierer des Weltalls; ich beklage mich nicht, daß ich einäugig bin: es war dein heiliger Wille, welchen ich in De­ muth anbete; aber ich leide unaussprechlich von der Kalte; ich flehe um ein Gewand, meine Blöße zu decken. Du siehst es selbst, ich begehre es nicht aus Eitelkeit: es sey von geringem Werthe, wenn es mich nur vor der Kälte schützet." „Wärme dich an meiner Sonne, mein Sohn," ertönte eine Stimme, wenn deine Grotte dir zu kalt ist." Der Derwisch warf sich auf sein Angesicht zur Erde und er­ wiederte: „Herr, Hs regnet, und ich begehre nicht, daß du deine Sonne um meinetwillen immer scheinen lassen sollst; ach! ich begebre ja nur ein schlechtes Kleid und du, an Gaben so unerschöpf­ lich reich, wolltest mir meine kleine Bitte versagen!

117 „Deine

Bitte

soll dir

gewährt

werden!"

versetzte

die

Stimme. Nach einigen Tagen fand sich ein Greis bei dem Derwisch in der Grotte ein, welcher ihm, Mantel schenkte,

von Mitleiden gerührt, einen

der zwar alt und abgetragen,

aber doch hin­

reichend war, seine Bloße vor der Kälte zu schützen. „Herr, ich danke dir für das Gewand," rief der Derwisch, als sich der Greis entfernt hatte,

„aber ich hoffte doch,

es

würde ein besseres und schöneres seyn."

22. Der Kaufmann nnd sein Freund. (t£ln Kaufmann beschloß, seine Vermögensumstä'nde durch eine Handlungsreise nach Indien Nicht alles wagen,

zu verbessern.

Jedoch wollte er

was er besaß, damit er, wenn sein Unter­

nehmen nicht nach Wunsche ausfiele, oder wenn ihn Unglückssälle träfen,

bei seiner Zurückkunft doch noch etwas vorfände,

wovon er seine nothwendigsten Bedürfnisse befriedigen könnte. Er gab also einem seiner Freunde eine beträchtliche Menge Eisen

118 in Verwahrung, mit der Bitte, es ihm bis zu seiner Zurückkunst aufzuheben, und reiste ab. Nach einer geraumen Zeit kam der Kaufmann zurück und verfügte sich sogleich zu seinem Freunde, um sein Eisen in Em­ pfang zu nehmen; allein dieser, der mittlerweile Geld gebraucht und das Eisen verkauft hatte, antwortete: „lieber Freund, mir ist ein verzweifelter Streich begegnet: ich dachte, wie gut ich dein Eisen in einer Kammer verwahrt hatte, und wie ich von ohngefähr einmal zusehe, entspringt eine Schaar Ratten, die wahrscheinlich alles Eisen aufgefressen haben; denn ich fand dessen keines. Der Kaufmann stellte sich einfältig und erwiederte: „das ist sehr möglich; die Ratten sollen auch Eisen vorzüglich gern fressen." Diese Antwort war dem Freunde sehr erwünscht, und um allen Verdacht von sich zu entfernen, bat er den Kaufmann zum Mittagseffen auf den andern Lag. Dieser nahm die Einladung an und empfahl sich. Als er darauf nach Hause ging, begegnete ihm auf der Straße ein Kind seines angeblichen Freundes, welches er mit nach Hause nahm und einschloß. Am folgenden Tage stellte er sich bey seinem Freunde um die bestimmte Zeit ein und fand ihn sehr beküm-

119 merk. Er fragte was ihm begegnet sey, und sein Freund ant­ wortete : „Verzeihe, Lieber, wenn ich dich nicht mit einem so heitern Gesichte aufnehmen kann, als ich wünsche; ich habe ein's von meinen Kindern verloren; ich habe es mit Trommelschlag auf­ suchen lassen und es ist nirgends zu finden." „Als ich gestern nach Hause ging," antwortete der Kauf­ mann, sah ich eine Horneule, die in der Lust ein Kind forttrug; ob dieß dein Kind gewesen seyn mag, kann ich aber nicht sagen." „Grausamer," rief der Freund, „du kannst des Schmerzes eines bekümmerten Vaters spotten, daß du ihm eine so wider­ sinnige und unvernünftige Antwort giebst? — Eine Horneule, die mit allem zwey bis drey Pfund wiegt, soll ein Kind entfüh­ ren, das gegen fünfzig Pfund schwer ist? Darüber wunderst du dich?" antwortete der Kaufmann, „in einem Lande, wo ein Dutzend Ratten so viel Zentner Eisen fres­ sen, kann auch wohl eine Eule ein Kind von fünfzig Pfunden 'forttragen. Nun merkte der Freund wohl den Zusammenhang, und daß sein Freund wohl so einfaltig mcht sey, als er geglaubt hatte. Er gestand es ihm, daß er ihn um das Eisen hätte betrügen wollen, ersetzte ihm den Werth desselben und erhielt sein Kind wieder. __________ _

120

23.

Der bestrafte Geiz. Isturgchan, Jtarct der Mogolen, bemerkte, daß ein alter Töpfer, der sein Häuschen in der Nähe des Pallastes hatte, täglich sehr inbrünstig zu Gott betete.

Als er einst vor seiner Werkstätte

vorüber ging, blieb er bey ihm stehen und redete ihn an: „Ich habe gesehen, wie du so eifrig dein Geschäft treibest und unabänderlich dein Gebet verrichtest; bitte von mir, was dein Herz begehrt und es soll dir gewährt werden." Ohne sich zu bedenken, antwortete der Töpfer: „so gebeut, Herr, allen deinen Staatsbedienten, daß ein jeder von tönen, der vor meiner Werkstätte vorüber geht, mir einen Topf abkau­ fen und mir bezahlen müsse, was ich dafür fordere.

Ich werde

diese Erlaubniß nicht mißbrauchen, sogar werde ich von jedem, der mir abkauft, verlangen, daß er den Topf aufbewahren und zu deinem Dienst anwende." Nurgehan gewährte ihm sogleich die Bitte und ertheilte sei­ ner Leibwache den Befehl, darauf zu sehen,

daß mir Kauf und

121 Verkauf alles gehörig beobachtet würde, und daß sie außerdem alles thun sollten, was der Töpfer verlangen möchte. Der Töpfer benutzte die erhaltne Gnade sehr mäßig; er war zufrieden, daß er seine Waare absetzte, 'verlangte nicht über den Werth, schätzte sich glücklich, daß er sich durch seine Arbeit näh­ ren konnte und harrte der Zeit, daß er dem Kaiser einen Beweis seiner Erkenntlichkeit geben könnte. Ein Vezir Nurgehans war geizig; allein, aus Furcht, seinem Herrn zu mißfallen, suchte er dieses Laster mit der äußersten Sorgfalt zu verheimlichen. Als er eines Morgens zur Audienz des Kaisers ging, überreichte ihm der Töpfer einen Topf und verlangte eine Zechine. Der Vezir weigerte solches und sagte: „er könne doch nur im Scherz eine so große Summe für eine Waare' fordern, die mit der kleinsten Münze hinlänglich be­ zahlt sey." Indessen der Töpfer bestand darauf, und da der Vezir zu seiner Weigerung noch Drohungen hinzusetzte, so sagte er: „da du diesen Ton annimmst, so sollst du mir nicht bloß tausend Zechinen für meinen Topf bezahlen, sondern du sollst auch nicht an­ ders zur Audienz des Kaisers gelangen, als daß du den Topf dir an den Hals hängst und mich auf den Rücken hinträgst, um mich über deine Weigerung und Drohung zu beklagen." Diese ernsthafte Wendung hatte der Vezir nicht geahndet;

er gab nach, machte Entschuldigungen und Ausflüchte und suchte so demüthigenden Bedingungen auszuweichen.

Allein da die vom

Kaiser bestimmte Stunde zur Audienz da war, und die Leibwache ihn ebenfalls nicht in den Pallast hinein lassen durste, bis er den Willen des Töpfers erfüllt hatte, so sah er sich gezwungen, wenn er nicht alles von'Versäumung der bestimmten Stunde befürchten wollte, nachzugeben, den Topf an den Hals zu hängen und den Töpfer aus die Schultern zu packen. Der Kaiser ward ungemein überrascht,

als

er seinen Vezir

in einer so lächerlichen und seiner Würde widersprechenden Stel­ lung ankommen sahe, und fragte nach der Ursache dieses Aufzugs. Der Töpfer nahm sogleich das Wort,

beschwerte sich nicht nur

über die Weigerung, ihm nach der zugestandnen Gnade den Topf abzukaufen, und über die Drohungen, sondern erzählte auch meh­ rere Beyspiele, wie sich der Vezir durch seinen Geiz schon oft zur Ungerechtigkeit habe verleiten lassen. Nurgehan verurtheilte den Vezir, die tausend Zechinen dem Töpfer sogleich auszuzahlen, ließ die angegebenen Beyspiele seines Geizes genau untersuchen, und da nicht nur diese gegründet wa­ ren, sondern sich noch mehrere ergaben, so entsetzte er ihn seiner Würde, weil er einsah, welche verderbliche Folgen der Geiz eines Ministers für einen Regenten und dessen Volk haben müsse; dem Töpfer aber erwies er auf alle Art Erkenntlichkeit,

daß er ihm

123 über eine so wichtige Angelegenheit Aufklärung gegeben habe, die ohne ihn noch

lange

verschwiegen und

geheim

geblieben

wäre.

24.

Der gewissenhafte Kaufmann. Ein Kaufmann in Bagdad verkaufte aller, was er hatte, und suchte so viel Geld zusammen zu bringen, als möglich; er reiste darauf nach Indien und wollte einen Versuch machen, ob er dort durch Handlungsgeschäfte könne.

seine

Vermögensumstände

verbessern

Er war ein frommer, rechtschaffner Mann, und zu seiner

innigsten Freude nahmen seine Geschäfte einen sehr glücklichen Gang.

Allein einige Tagereisen von Masulipatan, ward er von

Räubern angefallen und so rein ausgeplündert, daß er sich ge­ nöthigt sahe, um Allmosen zu bitten, um die Stadt zu er­ reichen. Bey seiner Ankunft erkundigte er sich nach dem reichsten Kaufmanns in der Stadt, ging zu ihm, erzählte ihm sein Unglück und bat ihn, daß er ihm tausend Zechinen zum Darlehn geben möchte, um sein Glück aufs neue zu versuchen.

Der Masulipa-

124 tanische Kaufmann fragte ihn, was für Sicherheit oder Bürg­ schaft er ihm stellen könne. „Die Räuber," antwortete jener, „haben mir nicht das Mindeste gelassen; indessen hoffe ich, du wirst mit dem Bürgen zufrieden seyn, den ich dir stelle: ich habe Niemanden auf der Welt, als Gott den Allmächtigen." Der Masulipatanische Kaufmann wurde durch diese Ant­ wort gerührt, und zahlte ihm auf einen Handschein, in wel­ chem Gott als Bürge aufgeführt wurde, die verlangten tausend Zechinen. Der Kaufmann von Bagdad reifte unter tausend Segens­ wünschen ab, und sein erborgtes Kapital verzinsete sich durch seinen Eifer, Fleiß und Betriebsamkeit so gut, daß er nach Jah­ resfrist in Ormus sich im Besitz von fünf tausend Zechinen sah. Der Zahlungstermin nahte nun heran, und er wäre herzlich gern abgereißt, seinen großmüthigen Gläubiger zu befriedigen, aber zum Unglück trat jetzt die stürmische Jahreszeit ein, wo sich kein Fahrzeug in die See wagte. Da er nun sein Wort nicht halten konnte, so zog er sich dieses so zu Gemüthe, daß er krank wurde. Endlich hatte er folgenden Einfall: er höhlte eia Stück Holz aus, spundete die tausend Zechinen mit einem Briefe an seinen Gläubiger in Masulipatan hinein, verpichte es sorg­ fältig, drückte die Adresse an den Kaufmann auf die Berpichung

125 und warf es mtt den Worten in's Meer: „mein Gott, ich habe dich meinem Gläubiger zum Bürgen gestellt, laß dieses Holz mit dem Gelde, welches er mir auf deinen heiligen Namen in meiner äußersten Dürftigkeit geliehen hat, glücklich in seine Hände gelangen!" So beruhigte er sich mit dem Gedanken, seiner Seits nach Möglichkeit sein Versprechen erfüllt zu haben und erlangte seine völlige Gesundheit wieder. Wirklich führte auch der Zufall das Holz in die Hände des Kaufmanns zu Masulipatan. Er fuhr nehmlich auf einer Barke am Seeufer spatziren; die besondere Form des schwimmenden Holzstückes zog seine Aufmerksamkeit aus sich; er ließ es von seinen Sklaven auffangen und erstaunte nicht wenig, seinen Namen auf der Verpichung zu finden. Er öffnete den Spund und fand zu seiner noch größern Verwundrung Brief und Geld von seinem Schuldner. Sobald die stürmische Jahreszeit vorüber war, machte sich auch der Kaufmann von Bagdad auf den Weg, da es doch sehr ungewiß war, ob sein abgeschicktes Geldschiff von so eigner Art angekommen und an den rechten Mann gelangt sey, ob er gleich die Erfahrung für sich hatte, daß Baumstämme und andre Hölzer in der stürmischen Jahreszeit an jene Küste getrieben wurden. Sobald ihn sein Freund in Masulipatan erblickte, rief

er ihm entgegen: „Der Name Gottes sey gepriesen, der es so wunderbar fügte! licher Mann,

deine Handschrift ist getilgt; du bist ein ehre

ich freue mich, daß ich dir habe dienen können.

Laß uns die Güte Gottes bewundern und anbeten! Wer Wahr­ heit und Gerechtigkeit liebet, dem hilft er."

25.

Auch das Heiligste ist dem Mißbrauch der Bosheit ausgesetzt. Gabt Mchemed - ibn - Mukatil verwaltete die Gerechtigkeit zu Khoraffan mit eben so vieler Geschicklichkeit als Rechtschaffen­ heit, und seine liebste Beschäftigung war das Studium der Ge­ setze.

In einer schlaflosen Nacht stand er auf, um die Zeit zum

lesen zu benutzen;

er schlug das Buch auf und die erste Zeile,

die ihm in die Augen fiel, war die Stelle aus dem Koran: „Es sagt der Gesandte Gottes:

geh, und verrichte dein Gebet im

lachenden Grün eines Gartens." Diese Stelle machte so tiefen Eindruck auf ihn, daß er ihr

//:

S.J27.

127 zu gehorchen beschloß; er legte das Buch hin, bestieg sein Maul­ thier und trabte seinem Garten zu, der aber eine Stunde von der Stadl entfernt lag. Er war allein; in der Eilfertigkeit dachte er nicht an eine andere Vorschrift des heiligen Buchs: „nie sich ohne Gesellschaft auf den Weg zu machen." Die Nacht war sehr dunkel. Als er so fortritt, ohne auch nur zu ahnen, daß ihm etwas Böses begegnen könne, wurde er plötzlich durch einen fürchterlichen Anruf erschreckt. Der be­ rufenste Räuber dieser Gegend hielt ihn an, befahl ihm abzu­ steigen und seinen Pelz auszuzichn. „Schämst du dich nicht," sagte der zitternde Mehemed, „einen Cadi der Rechtgläubigen zu berauben?" , Jeder treibt sein Handwerk," erwiederte der Räuber, „und das meinige ist, die Rechtgläubigen zu plündern. Urbrigens," fuhr er fort, „wundert es mich, daß du bei der Klugheit und Erfahrung, die dein Stand voraussetzt, nicht so viel Verstand gehabt hast, die Vorschrift des göttlichen Orakels für alle Rei­ sende zu befolgen." „Ich glaubte," antwortete der Cadi, „die Dämmerung sollte anbrechen." „Eine schöne Entschuldigung für einen Cadi," versetzte der Räuber; „du ein Gesetzverständiger und machst dich solcher Irr­ thümer schuldig? Die Kenntniß der Gestirne würde dich belehrt

128 haben, wie viel Uhr es sey.

Eine solche Unwissenheit, ist die

wohl einem Lehrer der Gesetze zu verzeihen?" „Die Stcrndeuterey," botene Wissenschaft,

antwortete der Eadi, „ist eine ver­

und wer sie treibt, stellt sich den Ungläu­

bigen gleich." „Dieß widerspricht einer Stelle im Koran," entgegnete der Räuber;

„ich babe,

spricht Gott,

das Firmament geschaffen

und es mit funkelnden Sternen geschmückt, damit das Auge deMengen sich daran weide.

Und an einem andern Orte:

gab auch die Sterndeutungskunst,

ich

damit sie euch leuchte durch

die Finsternisse des Meers und der Erde.

Wahrlich! ich kann

mich nicht genug wundern, wie du dich bei so großer Unwissen­ heit unterstehen kannst, gläubigen anzumaßen.

dir den

Titel eines Cadi der Recht­

Aber die Zeit ist zu kostbar, als daß wir

sie mit unnützem Geschwätze verschwenden sollten; ich verlange dein Thier und deine Kleider." Der Cadi suchte zu zögern und fragte den Räuber: „da du so viele Kenntnisse besitzest, so wirst du mir auch sagen können, um welche Zeit es ansetzt sey?" „O ja," Stunde,

antwortete jener,

„nichts ist leichter: es ist dir

in welcher der Mond den Raub begünstigt.

Künftig

entferne dich nicht früher von der Stadt als drei Stunden nach Tages Anbruch."

129 Der Eadi lächelte über die Warnung des Räubers und führte die oben angegebne Stelle des Korans als Veranlassung seines Spazierritts an. Diese beantwortete der Räuber mit der andern: „reise nicht allein!" und fuhr fort: „hättest du dich in Begleitung deiner Sklaven auf den Weg gemacht, so würde ich die Kühn­ heit nicht gehabt haben, dich anzufallen; allein so hat dich Gott in meine Hände gegeben, um dich für deine Unvorsichtig­ keit zu bestrafen. Du giebst dem Dollmetscher und Vollzieher seines Willens dein Thier und deine Kleider, und thust damit nicht mehr, als die Pflichten des Zekiat*) erfüllen, die dir bekannt seyn müssen. Ein Gebet ohne den Zekiat, heißt es tm Koran, gleicht einem Baum, der keine Früchte trägt, und der Zekiat ohne Gebet, einem Gewitter ohne Regen. Befolge also das Gebot des Korans." „Befolge du es," erwiederte der Cadi mit bitterm Lächeln, „steht nicht geschrieben: Plage uns nicht! und doch sehe ich, daß die bösen Geister nicht aufhören, die Rechtgläubigen zu plagen!" „Wenn du mich mit einem bösen Geiste vergleichst," ver­ setzte der Räuber lachend, „so bekennst tu dich selbst zum Un-

*) Zekiat ist der Zchndc von allen Gütern, weiten jeder rechtgläubige Mu^elmmt jährlich den Armen zu gehen verpflichtet iü. Palnrblälter IV. I

130 gläubigen; denn sagt nicht der Koran: ich habe die bösen Gei­ ster gesandt zur Plage der Ungläubigen." Was der Cadi nur immer vorbrachte, darauf hatte der Räuber auch eine Antwort bereit, die er mit einer Stelle aus dem Koran unterstützte, wodurch er seine ganze Gelehrsamkeit zum Schweigen brachte. Er wußte die Sprüche, Erläuterungen und Spitzfindigkeiten der größten Ausleger an den Fingern her­ zuzählen. Mehemed verzweifelte, seine ungläubige Hartnäckig­ keit durch Vorstellungen zu besiegen, fügte sich in sein trauriges Schicksal und gab ihm sein Lhier und seine Kleider bis aufs Hemde. Aber auch das Hemde verlangte der Räuber. Er fragte: „ob er zu Hause nicht mehrere habe," und ohne seine Antwort abzuwarten, zog er es ihm aus und führte seine Ge­ wohnheit nach eine Stelle aus dem Koran an: „das Gebet eines nackenden Menschen ist angenehm vor Gott." — „Aber," unterbrach ihn der Cadi, „ich habe das Hemde nöthig, in Ermangelung eines Teppichs, um mein Gebet zu verrichten." „Nicht'ge Aussiucbt," rief der Räuber; „ist das Gebet der Unglücklichen in Wassergefahr, die im Schwimmen um die

*) Tic Türken breiten einen Teppich aus, wenn sic ihr Gebet verrichten; in Ermangc.ung dc^clbcn nehmen sie ein K.crbungösluck.

131 Erhaltung ihres Lebens beten, ohne Verdienst? Sie können weder Teppich noch Hemde ausbreiten darauf zu knien, eben so wenig brauchst auch du das Hemde dazu." Jetzt ward er einen Ring an der Hand des Cadi's gewahr und forderte ihn. „Es ist der Gerichtsring," sagte der Cadi, „womit ich die Akten besiegele, die vor meinem Gerichte ausgefertigt werden." „Du lügst," schrie der Räuber hitzig, „hast du den Ring nicht an deiner rechten Hand? Wäre es der Siegelring, würdest du ihn nicht an der linken tragen?" Nun war der Cadi von allem möglichen entblößt und glaubte endlich des Räubers los zu werden; allein dieser suchte alles hervor, seine Geduld auf's äußerste zu prüfen, und in der Absicht fragte er ihn, ob er Schach spielen könne? Der Cadi bejahte es. „Gut," versetzte darauf der Räuber, „wir wollen eine Parthie spielen; gewinnst du sie, so erhältst du alles wieder, was ich dir abgenommen habe." Die Begierde, seinen Verlust auf eine gute Art wieder zu erhalten, ließ den Cadi vergessen, daß er nackend war; er fing an bci'm schwachen Schein der am Horizont heraufkommen­ den Morgendämmerung mit dem Räuber Schach zu spielen; allein 2 2

132 die Geschick.ichke.'t seines Gegners vereitelte bald seine Hoffnung; in wenigen Augenblicken hatte er verloren. Der Cadi sprang wüthend auf, da er auch hierinnen den Räuber sich überlegen fand, und wünschte ihm alles mögliche Unglück auf den Hals. Allein seine Vorwürfe rührten diesen wenig; er erwiederte spottend: „Gott verzeih dir's, daß du nicht mit besserer Art Mangel zu erdulden weißt!" schwang sich auf's Maulthier und war in einem Nu verschwunden. Nackend und beschämt schlich sich der Cadi nach Hause, und gern batte er sein Abentheuer selbst vor seiner Frau verheimlicht, wenn es möglich gewesen wäre. „Was ist dir begegnet!" fragte sie voll Erstaunen über sei­ nen Aufzug, „wo hast du den Maulesel und deine Kleidung?" — Der Cadi erzählte ihr aus die kläglichste Art, wie ihn der boshafte Räuber behandelt habe, und noch war er nicht mit seiner Erzählung zu Ende, als sich ein gewaltiges Pochen an der Thüre erhob. „Gott bewahre uns vor neuem Unglück!" rief der Cadi im ersten Anfall des Schreckens, und befahl aufzumachen. Das Blut erstarrte ihm in den Adern, als der Räuber mit einer Dreistigkeit hereintrat, als ob er nicht in seinem Hause, sondern in einem der abgelegensten Winkel gewesen wäre.

133 „Ich habe mir ein Haus gekauft," redete er den Cadi an, „es kostet hundert Goldllücke-, und da ich eben jetzt vcn allem baaren Gelde entblößt bin, so verlange ich diese Summe vcn dir. Du bist mein Sklave; dein ganzes Vermögen gehört mir. Ich kann dirs beweisen; bringe mich also nicht durch Wider­ spenstigkeit auf, die doch nichts helfen würde." Die Frau des Cadi's wurde durch diese ungedenkbare Unver­ schämtheit außerordentlich aufgebracht. „Bist du noch nicht gesättigt?" rief sie, „hast du noch nicht genug an dem, was du schcn gestohlen hast?" Sie wollte in ihrem Eifer fortfahren, aber der Cadi flüsterte ihr zu: „Schweig und laß dir ja nicht merken, daß du mein Weib bist! der Elende wäre im Stande, auch Ansprüche auf dich als sein Eigenthum zu machen, das ich ihm entwendet hätte, und wasnoch mehr ist,seine Forderung zu beweisen. Und wenn die geschicktesten Rechtslehrer gegen ihn ausständen, er würde sie alle niederdisputiren und plündern, und es ihnen obendrein beweisen, daß er sie plündern müsse!" Er holte dem Räuber die hundert Goldstücke und war noch froh, daß er ihn so wohlseilen Kaufs los ward.

134

26. Die Ohnmacht menschlicher Größe. Sultan Mohammed die Annäherung seines Todes bemerkte, wollte

er noch einmal in allem Glanze seiner Hoheit vor seinem

Volke erscheinen.

Er saß auf einem goldnen Throne, von wel­

chem er eine weite Ebene übersehen konnte.

Zu seiner

Rechten

saß sein Sohn auf einer Stufe des Throns; seine übrigen Kinder und zwölf hundert Fürsten standen vor ihm, und die vornehmsten Staatsbedienten lagen auf den Knien zu den Füßen des Throns. Alle seine Weiber, sein ganzer Hofstaat und alle seine Kriegsvöl­ ker zogen vor ihm vorüber; alle seine Schatze, sein Gold, seine Diamanten und

andere Kostbarkeiten waren zu

beyden Seiten

wie zwey große Hügel aufgethürmt, deren Glanz im Schein der Sonne die Augen blendete. Mohammed mit dem goldnen Stirnband um das Haupt, und dem Scepter in der Hand, wandte sich an seinen Sohn: „Du kennst meine Macht, meinen Glanz, sagte er zu ihm, „dünken sie dir groß genug?"

meine Große,"

135 „Herr, deine Macht ist ohne Grenzen," antwortete der Prinz, „der Ewige verleihe dir langes Leben!" „Glaubst du," fuhr Mohammed fort, „daß es mehrere Kö­ nige auf Erden giebt, denen ich an Macht und Größe nach­ stehe?" „Es giebt keinen," antwortete der Prinz, „keine menschliche Macht und Größe kommt der deinigen gleich." „Ich bin der Mächtigste und Größte auf Erden in deinen Lugen," sagte Mohammed darauf, „und dennoch — lerne mensch­ liche Macht und Größe in ihrer Ohnmacht kennen! — Bin ich vermögend, mein Leben nur um einen Lugenblickzu verlängern; nicht einmal so viel vermag ich, daß ich den geringsten Schmerz meines Körpers lindern kann. — Wehe dem, dessen Seele sich an die vergänglichen Dinge der Welt hängt! Die einzig wahre Macht und Größe, mein Sohn, ist allein bey Gott. Bald, bald erscheine ich vor seinem Throne, und ich, hier der Mächtigste und Größte in der Welt, werde kleiner vor ihm seyn und mehr zit­ tern, als der elendeste Sklave vor meinem Throne zittert."

136

27.

Die dren Neidischen. Awey Reifende gesellten sich zu einem dritten, hoch in die Jahre war.

welcher schon

Unter andern fragte der Alte feine bey­

den Gefährten nach der Ursache ihrer Reise. „Ich habe bloß mein Vaterland verlassen," antwortete der eine, „weil mir meine Nachbarn unausstehlich waren; sie über alles,

weil ich es unerträglich fand,

ich haßte

sie glücklicher zu

sehen als mich.— „Aus der nämlichen Ursache /'

versetzte der zweyte,

„habe

auch ich schon einen guten Theil der Erde durchzogen." „Sonderbar!"

rief der Alte lächelnd,

eine Reisegesellschaft zusammen,

„wohl nie fand sich

die gleiche Ursache aus ihrem

Vaterlande trieb! So sehr außerdem Neid und Geselligkeit ihrer Natur nach einander entgegen sind,

so kamen

doch diese drey überein, ihren

Weg in Gesellschaft fortzusetzen und waren so ziemlich verträglich unter sich,

bis sie eines Tages der Weg durch ein Thal führte,

137 wo sie einen großen geborstenen Beut< mit Goldstücken erblick­ ten, welchen ein Reisender verloren hatte. „Laßt uns theilen und in unsre Heimath zurückkehren und froh seyn!" riefen alle drey, wie aus einem Munde; allein in dem Augenblicke fühlte auch jeder, daß es ihm unmöglich sey, etwas dem andern zu überlassen. Sie sprachen vom Theilen, machten Bedingungen, gaben Vorschläge, allein wie getheilt und wer theilen sollte, konnten sie nickt einig werden: selbst die herausgefallnen Goldstücke ließ keiner dem andern anrühren, und jeder dachte darauf, wie er sich des Fundes allein bemächtigen könnte. In dieser peinigenden Unruhe brachten sie zwey Tage und zwey Nächte zu, ohne zu essen, noch zu trinken, noch zu schlafen; jeder rechnete darauf, daß die andern beyden ermüden sollten. Am dritten Tage kam der König des Landes auf der Jagd in dieses Thal mit seinem Gefolge. Er näherte sich und fragte, was es mit dem Gdlde, welches sie vor sich liegen hätten, für Bewandniß habe? Da sie sich auf diese Weift überrascht sahen, so hielten sie es für das rathsamste, die Wahrheit zu gestehen. „Wir werden alle drey von einerley Leiden'ckaft gequält;" antworteten sie, „der Neid hat uns aus unserm Vaterlande ge­ trieben , er begleitet uns überall hm, und als die größte Wohl-

133 that würden wir es ansehen, wenn wir von der folternden Lei­ denschaft gebeilt werden könnten." „Um vielleicht ein Heilmittel anwenden zu können," erwie­ derte der König, „müßte jeder den Grad angeben, bis zu wel­ chem sein Neid steigen kann." „Mein Neid geht so weit," antwortete der eine, „daß ich Niemandem, wer es auch sey, auch nur die mindeste Wohlthat erzeigen kann." „O da bist du gegen mich," rief der zweyte; „ein sehr gu­ ter Mensch; mir ist es schon unausstehlich, wenn ich sehe, daß Jemand gegen einen andern nur im geringsten wohlthätig ist." „Bey dir," fiel der dritte ein, „ist die Leidenschaft immer nur noch im Werden. Ich kann nicht nur keine Wohlthat aus­ üben sehen, sondern ich finde es auch unerträglich, wenn man mir eine Wohlthat erweist." Der König ernannte über diese Selbstanklagen und wußte nicht sogleich, was er darauf antworten sollte. Nach einigem Nachdenken aber befahl er einem von seinem Gefolge, das Gold in Verwahrung zu nehmen, und sagte dann: „Um euch von eurer Leidenschaft zu heilen, müssen euch alle Gelegenheiten benommen werden, sie zu nähren. Laßt sehen, ob meine Mittel ganz unwirksam seyn werden. Du, der du Nie­ manden die geringste Wohlthat erweisen kannst, wirst ohne Le-

139 Lensmittel in die Wüste verbannt;

da die Menschen nichts von

dir erwarten können, so bist du unwerth, unter ihnen zu leben. — Und du, der du selbst nicht Wohlthaten erweisen

sehen

kannst, verlebe deine übrigen Lage im finstern Kerker, auf immer des wohlthätigen Tageslichts beraubt, schaft unwürdig macht.

dessen dich deine Leiden­

Aber, welche Strafe für dich, der du eS

sogar unerträglich findest, daß man dir eine Wohlthat erweist? — Ich werde dich in den wohlthätigsten Ort meines Reiches senden, wo dir deine Leidenschaft selbst zur quälendsten Strafe werden soll." Sie fielen vordem Könige nieder und baten um Gnade; allein das gefällte Urtheil ward unverzüglich vollzogen.

28.

Großmogol und sein Hofmeister. Airway war einer von jenen Günstlingen des Glücks, die in allen ihren Unternehmungen ihre gewünschte Absicht erreichen; er schwang sich bis zum Großvezir und zum Hofmeister des Jungen

140 Octar, und leitete das Ruder des Staats bis zur Volljährigkeit seines erhabnen Zöglings. So sehr sich Zirway vom Glück begünstigt sah, so ermüdete er dennoch

den Himmel mit Klagen

wegen seiner Gestalt; er

war bucklicht und lahm, und zwar durch die Schuld seiner Am­ me, welche ihn hatte fallen lassen.

Dieses verdroß ihn über die

Maßen, und so wie er die Regierung überkam, so war dieß der erste Beweis seiner Macht,

daß er die Amme zum Tode verur-

theilte und ein Gesetz gab: daß jede Person, welche ein Kind zu erziehen habe, mit ihrem Leben für die Gesundheit desselben haf­ ten sollte. Als in der Folge Octar die Jahre erreicht hatte, wo er die Regierung selbst übernahm, so versammelte er die Großen des Reichs, bestieg seinen Thron und hielt folgende Rede: „Zirway, du verdienst meinen Dank und alles Lob, wegen des Beyspiels,

welches du an deiner Amme gegeben hast, und

durch dein Gesetz werden künftig diejenigen,

welchen die ersten

Augenblicke des Lebens meiner Unterthanen anvertaut sind, zu­ versichtlich wachsamer seyn; allein was sind die Unvollkommen­ heiten des Körpers gegen die Unvollkommenheiten der Seele? Unstreitig gabst du das Gesetz für diejenigen, welche die Jugend zur Arbeit und Lugend bilden sollen; du wolltest die schrecken, welche, anstatt die Jugend mit den Wassern der Weisheit zu

141 tränken, sie sorglos sich an der Quelle der Sinnlichkeit und Lüfte berauschen lassen; die, welche aus Schwachheit oder Bosheit den Leidenschaften

schmeicheln, sie nähren und den Hang zum Laster

begünstigen und ihm Vorschub geben.

Hattest du diese löbliche

Absicht, so ist es billig, daß ich sie unterstütze, und zum Beweise, daß dieß meine Absicht sey,

will ich den Antritt meiner Regie­

rung durch ein unvergeßliches Beyspiel bezeichnen. Zirwav und die Großen ermangelten nicht, dem jungen Mon­ archen die

größten Lobsprüche wegen seiner Weisheit zu erthei­

len und der erstere, als dessen Erzieher, fühlte seinen Ehrgeiz um so mehr geschmeichelt,

und mit den selbstgenügsamsten Blicken

übersah er die übrigen Großen, sen,

daß er ihnen einen

und wollte sie es fühlen las­

solchen

Regenten

gegeben.

Octar

fuhr fort; „Wollte ich mein Beyspiel an einer Person von niederem Range aufstellen, so würde ich meine Absicht nicht erreichen und meine Völker könnten nur einen geringen Nutzen daraus ziehen; mein Beyspiel soll eindringend

seyn,

es soll den Frechsten in

Schrecken setzen und den spätesten Jahrhunderten noch zur Lehre dienen." — „Iirway, meines Throns. ich dich,

verlaß deine erhabene Stelle; tritt zu den Füßen Ich will dich nicht richten; aber anklagen will

ich, dein Schüler und Zögling, nach der Ausdehnung,

142 welche ich deinem Gesetze gegeben, und welche du m dem Augen­ blicke zugestanden hast. Thron versammelt;

Du siehest deine Richter

um

meinen

sie mögen dich verdammen oder lossprechen,

das bleibt ihrem Gewissen und Einsichten überlassen; ich bin bloß dein Ankläger." „Ich übergehe," fuhr Octar fort, „welcher Mittel du dich bedient hast, um zu deinem Posten zu gelangen — aber ich klage dich an,

daß du dich der schnödesten Mittel bedient hast,

meines Herzens zu bemächtigen dadurch, Menschen zugeselltest,

dich

daß du mir schändliche

und durch deine Reden und dein Beyspiel

suchtest du mich zu allen Ausschweifungen hinzuleiten." — „Ich klage dich an, daß du mir alle Beschäftigung und Ar­ beit verhaßt gemacht;

daß du mich in Weichlichkeit und Ueppig­

keit und in der tiefsten Unwissenheit erzogen hast,

um mich zur

Regierung unfähig zu machen, und selbst in meinem Namen Ty­ rann seyn zu können; noch mehr: daß du suchtest Unfähigkeit des Geistes mit Verdorbenheit des Herzens in mir zu vereinigen, um die ganze Last des Abscheues, welchen deine Thaten erregten, auf mich zu werfen. — Wußtest du nicht, Unglücklicher! daß Unfähig­ keit eines Fürsten nicht minder große Uebel erzeugt, als Bos­ heit? — Völker, dieß sind eure Tyrannen; bemitleidet die Für­ sten,

sie verdienen nicht euern Haß, sie sind bloß unglückliche

Werkzeuge des Stolzes, der Herrschsucht, der Bereicheruugssucht

143 und der Rachgier der Grausamen, welche ihren Geist und ihr Herz verwahrlosten." „Große meines Reichs, unerschütterliche Pfeiler des mogolischen Throns, die ihr so oft Beweise eurer Zuneigung und Treue gegen eure Fürsten und euer Vaterland abgelegt habt, achtet nicht auf Blutsverwandtschaft oder irgend eine andre Verbindung oder Rücksicht; Gerechtigkeit und Vaterland leite euer Urtheil über Airways Verbrechen." Airway ward zur Strafe der Konigsmörder verurtheilt, welche indessen Octar zu einer gelindern Todesstrafe milderte. Dieß Beyspiel verscheuchte Schmeichler und Verrather, und tugend­ hafte und einsichtsvolle Männer ersetzten ihre Stelle. Das Volk im Taumel nannte Ocktar seinen größten Fürsten, und der Besonnene Weise urtheilte, er könne es werden.

144

29.

C h i n n o n g. $rrn vom Getümmel der Städte und dem Glanz des HoseS lebte der weise Chinnong *) unter den fleißigen L-ndbewohnern in stiller Ruhe und genoß alle die Süßigkeiten, welche ein genüg­ sames Herz gewährt.

Ihre einfachen Sitten, ihre ungekünstelte

Fröhlichkeit, ihre unschuldigen Ergotzlichkeiten stimmten sein Her; zu einer sanften Freude, welche nur der Tugendhafte zu genießen fähig ist. Ein Großer des Reichs äußerte seine Verwunderung darüber, daß er sich unter so rohen und

ungebildeten Menschen aufhalten

•' Ebinnong lebte in den ev«lcn Jahrhunderten des Ehine^chcn Reichs. Cr war Ernndcr des Steuerruders l.'ud der n'ctb:gstcn Zlckenverkzeugc, deren Gebrauch er leiste und rer breit etc. Dec wegen bestieg er als gemeiner Bürger de". Tbren. Er erbeb den Ackerbau über die Handlung und er­ nannte die geschickteren und weitsten Bauern zu Mandarins. Bon ihm rührt das Feld der, welches d:e S^inc'iMn n Kai' ec mit eigner Hand be­ arbeiten sollen. Man nannte :bn den b i m m !;f ch c n L a u e r. Als Kai'cr stellte er nnr einfachen Arznennutteln an l-ch stlbst Proben an, und dann tbe:lte er sie seinen Unterthanen mit.

145 könne; — „warum," setzte er hinzu, „kommst du nicht an den Hof? deine Weisheit kann dir eine Wohnung in einem Pallaste verschaffen. Ruhig lächelnd erzählte Ehinnong dem Großen folgende Fabel: „Ein Berg sagte zu einem Manne, welcher im Thale wohnte: wie kannst du dich so erniedrigen und mitten zwischen Morästen wohnen? Ersteige meinen Gipfel und du wirst mit Sternen um­ geben die Wolken zu deinen Füßen hinwallen sehen." „Eine so erhabene Wohnung," antwortete der Mann, „reizt meine Begierde nicht. Es ist wahr, man würde vielleicht glau­ ben, daß mir die unermeßliche Last des Himmels zu tragen an­ vertraut sey. Allein dieser Wahn führt mich nicht in Versuchung. Deine stolze Stirn ist mit immerwährendem Schnee bedeckt, von Felsen und Abgründen umgeben, und Stürme und laute Donner brüllen fürchterlich um sie her. Schau hinab in das Thal, welch ungleich reizenderer Anblick!- blumige Wiesen, wogende Aehrenfelder, grüne Bäume mit goldnen Früchten beladen, schattige Wälder, rieselnde Bäche — und fleißige und frohe Arbeiter!" — „Große, warum werft ihr so verächtliche Blicke auf die Volksklasse, welche die Hauptstütze des Staats ist, und deren Schweiße ihr eure Nahrung und — euren nichtigen Glanz ver­ dankt? Worauf seyd ihr stolz? auf eure Tugenden? wo sind Darmblätter IV. K

146 diese? oder auf den Adel eurer Ahnen? wodurch beweißt ihr euch desselben würdig?" — Die Großen zürnten über Chinnongß freye Aeußerung und die Hofleute mißbilligten sie laut; aber die unterdrückte Unschuld zollte ihm herzlichen Dank; die muthvolle Lugend gab ihm Bey­ fall und die unbestechliche Wahrheit grub seine Worte in Erz und verwahrte sie der Zukunft vor der alles zerstörenden Zeit.

30,

Salah'S Gesicht, In seiner Felsengrotte gefunden. (§ohn des Staubes, welchen die Neugierde hieher leitete, wer du auch seyn magst, lies und sey weise. ler am Libanon, redet zu dir.

Salah, der Einsied­

Im sieben und fünfzigsten Jahre

seiner Einsamkeit schrieb er diese Belehrung für das Menschen­ geschlecht,

um die letzten Stunden seines Lebens nicht unbenutzt

vorübergehen zu lassen. Ich war einst,

was du bist, ein Pilger der Erde und ein

147 Bewundrer des himmlischen Gewölbes. Ich strengte alle meine Kräfte an, ich sammelte Reichthümer, ich liebte und ward wie­ der geliebt; ich bekleidete Ehrenstellen und ward geschmeichelt; ich rvar ehrgeizig und errang Ruhm und Größe; ich war un­ glücklich und begab mich in die Einsamkeit. Hier fand ich endlich, was ich so lange gesucht hatte: Befriedigung der wirklichen Be­ dürfnisse ohne Sorge und Anstrengung, und ohne den Bedarf des menschlichen Beystandes, den man durch Ertragung unzähli­ ger Thorheiten erkaufen muß. Hier fand ich Früchte, Kräuter und Wasser, und beschloß die Erscheinung des Lodesengels zu erwarten. Ich hoffe, der Augenblick meines Hinscheideus werde sanft und ruhig seyn. Ich hatte bereits acht und vierzig Jahr in meiner Abge­ schiedenheit verlebt, unbekannt mit allen Sorgen, welche den Sterblichen beängstigen, und nie fühlt' ich eine Neigung weiter zu gehen, als es mir meine geringen Bedürfnisse nothwendig machten. Ader eines Tages, als ich vor meiner Felsenhöhle stand und den über derselben emporragenden Felsen betrachtete, erwachte in mir die Neigung, hinauf zu klettern. Kaum hatte ich diesen Felsen erstiegen, so wünschte ich auch den nächsten, den folgenden und endlich die Spitze des Berges zu sehen, an dessen Fuße ich so lange ruhig gewohnt hatte. Ich suchte anfänglich diese Neigung zu unterdrücken; nicht K 2

148 weil sie an sich fehlerhaft, sondern weil sie bey mir neu war, und weil ein durch die Erfahrung geläuterter Verstand jeder Ver­ änderung mißtraut, von welcher er nicht des Besten überzeugt ist. Ich besorgte, mein Herz möchte mich hintergehen, meine Neigung möchte eine irdische Leidenschaft zum Grunde haben, und unter meiner Begierde, die Natur in ihrem weit ausge­ breiteten Schmuck und Reichthum vor mir zu sehen, möchte sich eine geheime Lust, in die Welt zurück zu kehren, verbergen. Ich kehrte in meine Höhle zurück und bemühte mich, meine Ge­ danken zu sammeln; allein vergebens! meine Zerstreuung nahm mit jedem Tage zu: ich machte mir Vorwürfe, daß ich mir ein Vergnügen versagte, das ich mir so leicht gewähren konnte, und ward zweifelhaft, ob das, was ich Vorsicht nannte, nicht Träg­ heit oder kleinliche Aengstlichkeit sey, die mich abhielt, die Berg­ spitze zu ersteigen: kurz ich ward nicht ruhig, und beschloß meine Neugierde zu befriedigen. Noch vor Anbruch des Tages stand ich auf und trat meine Reise an; allein bey meinem Alter und belaven mit meinem Mundvorrathe, war ich noch nicht weit gekommen, als der Tag anbrach. Der Weg wurde steiler und steiler, der Sand wich unter meinen Tritten, und ganz ermüdet und abgemattet er­ reicht' ich eine kleine Ebene, die ringsum mit Felsen umgeben war und bloß gegen Morgen eine Aussicht hatte. Ich setzte

149 mich «lieber, um etwas auszuruhen und war fest entschlossen, meinen Weg fortzusetzen, sobald ich mich erholt hätte. Allein das war nicht so leicht; die Ruhe behagte mir zu wohl, daß cs mir schwer fiel, sie zu unterbrechen. Der Schatten einer Zeder, die über mir ihre Aeste ausbreitete, und die Frühlings­ lust, die mir Kühlung und tausend Wohlgerüche von Blumen und Kräutern zuwehte, waren zu einladend. Indem ich abwechselnd Entschuldigungen meines Verweilens und Gründe für meinen Aufbruch aufsuchte, überfiel mich eine unwiderstehliche Müdigkeit; ich legte mein Haupt auf eine kleine Anhöhe und wollte ein wenig schlummern. Auf einmal kam es mir vor, als hörte ich den Flug eines Adlers, und ich erblickte ein überirdisches Wesen vor mir. Ich war noch unentschlossen, wie ich die himmlische Gestalt anreden sollte, als sie mich freund­ lich bey der Hand nahm und mich mit seyerlichem Ernst fragte: „Salah, wo willst du &in?" „Ich will den Gipfel des Berges ersteigen," antwortete ich, „um nach langer Entbehrung einmal wieder die Natur in ihrer Fülle und Ausdehnung zu überschauen." Der Engel lächelte und sprach: ,.Wunderliche Sterbliche! Immer strebet ihr doch über die Gegenwart und euren Ge­ sichtskreis hinaus, und meinet in der Ferne und Höhe zu finden,

150 was euch nahe liegt, aber was ihr von außenher nicht gewin­ nen werdet." „Siehe zuvor," fuhr er fort, „was für eine Aussicht dieser Ort gewährt, und was du nicht versiehst, darüber will ich dich belehren. Ich gehöre zu den wohlthätigen Wesen, welche die Kinder des Staubes bewachen, und sie zuweilen, wenn es ihnen heilsam und sie dessen würdig sind, zu höheren Aussichten erheben, als die Erde mit ihren Höhen zu geben vermag. Blick" auf ohne Furcht, nimm alles in Acht und belehre dich." Diese Rede machte mir Muth; ich hob meine Augen auf und sah einen Berg vor mir, ungleich höher als der Libanon, einen Berg, dessen Spitze das menschliche Auge nicht erreichen konnte, und dessen Fuß sich in einen undurchdringlichen finstern Abgrund verlor. Ich erstaunte bey dem Anblick dieser unermeß­ lichen Höhe und unergründlichen Tiefe. Mein Beschützer aber sagte mit sanfter Stimme zu mir: „Fürchte dich nicht, Salah; du siehest den Berg des Lebens vor dir; betrachte ihn und lerne Weisheit." „Als ich nun den seltsamen Berg mit Aufmerksamkeit be­ trachtete, wurde ich gewahr, daß er aus sehr verschiedenen Ab­ theilungen bestand, die aber alle zusammenhingen, und, so ver­ schieden sie waren, in unmerklichcn Abstufungen in einander übergingen. „Beschaue sie nach einander /' sagte mein Begleiter,

151 „tm möchtest hier vielleicht mehr lernen können, als wenn du von der Bergspitze, wohin du wolltest, Ln das ferne Land und Meet hineinschauest." — Der untere Theil des Berges, über dem dunkeln Abgrunde, war ein allmälig sich erhebendes , ungemein liebliches und stilles Thal, voll blühender Blumen und Stauden. „Es ist das Thal der Kindheit, sagte mein Führer; und nun sah ich auch eine Menge Kinder von den mannichsaltigsten, aber durchaus anmuthigen Gestalten. Die Kleinern erblickte ich in dem Schooß oder auf den Armen ihrer Mütter, welche sie pflegten oder liebkoseten. Es war ein erfreulicher Anblick. „Hier siehest du," sagte mein Führer , als er mich entzückt sah tm Anschauen, „die Menschheit, wie sie aus der Hand des Schöpfers kommt, der sie der zartesten Liebe zur Pflege anver­ traute. Diese Mütter, — wehe ihnen, wenn sie diesen Beruf verkennen! — sind seine Stellvertreterinnen und die Liebe der Mutterbrust, welche das Kindlein pfleget, ist Odem der ewigen Liebe. Aber allmälig muß dieses himmlische Band, dessen nur die reine Unschuld auf kurze Zeit theilhaftig wird, sich lösen. Denn das Kind ist bestimmt , ein Erdenbürger zu werden durch andere und durch eigenen Gebrauch seiner Kräfte." Jetzt erschien mir eine andere Seite des Berges; da er­ blickte ich wiederum Kinder zwischen Blumen und Stauden spielend

152 und hüpfend; einige wanden Kränze, andere spielten mit Lämmern oder bunten Vögelchen, die sich ihnen zutraulich auf die Schul­ tern und lockigen Köpfchen setzten, oder sie umflatterten; andere hielten sich auf dem Grase umschlungen und suchten sich siberzend eins das andere zu schmücken, oder aßen gemeinschaftlich die Früchte, die sie gesammelt hatten. Die Mütter saßen in dem nahen Gebüsch und in den Lauben, und die Freude glänzte in ihren Blicken, vor allen, wenn dann und wann die Kleinen kamen und ihnen Blumen, Früchte oder anderes brachten, und die Mütter umarmten. „O, lieblicher Anblick!" rief ich, „hier erscheinen die Kin­ der wie himmlische Wesen!" „Sie sind es auch," sagte mein Begleiter; es ist die Zeit der Unschuld. Aber es kann nicht also bleiben. Siehest du, wie auch der Berg zu einer höheren Re­ gion allmälig aufsteiget." Ich sah hin, und wiederum, wie es mir schien, dieselben Kinder, aber größer und schon anders in Gestalt und Bewegung. Sie hielten sich nicht mehr, wie zuvor, nahe bei einander, sondern trennten sich, außer wenn sie sich zu gemeinsamen Spie­ len vereinigten, die jetzt aber nicht mehr durch unschuldiges Geben und Nehmen, sondern durch Kampf, Wetteifer und Begierde belebt wurden. So auch trennten sich Knaben und Mädchen.

153 „Hier sehe ich schon," rief ich, „menschlich-irdisches Wesen!" Mein Führer sagte, „das könne nicht anders seyn," und ermahnte mich, ferner zu schauen. Zugleich machte er mich aufmerksam auf die mancherley Spielzeuge und Beschäftigungen der Knaben und Mädchen. Einige Knaben brachten Zweige von den Bäumen und gestalteten sie zu eingebildeten Pferden, worauf sie umhertrabten, oder zu Waffen und anderem Geräthe; an­ dere trugen Steine herbey und bauten daraus kleine Häuser und Thürmchen; andere untersuchten und verglichen die verschie­ denen Gestalten der Blätter und Blumen: andere balgten sich mit großem Geschrey und Anstrengung; wiederum einige saßen still und ruhig an dem Ufer eines Baches und schauten sinnend das Wellengekräusel. So trieben auch die Mädchen sehr ver­ schiedene, wenn auch nicht so mannichfache, Spiele und Be­ schäftigungen. „Wundersam," rief ich, „wie sich allmälig nun d'e Neigun­ gen trennen und sondern; doch ist der Anblick des Mannichfaltigen erfreulich!" — „Du siehest," antwortete mein Führer, „zugleich das Bild und die Keime des künftigen Menschenlebens auf Erden. Da bedarf es der mannichfaltigsten Kräfte und An­ lagen, die im Verbände mit und unter einander das wohlge­ ordnete Ganze, uud durch das Ganze wiederum das Einzelne und den Einzelnen bilden sollen. Auf daß nun ein Jedes sich

154 zu seinem Zweck füge und jede Kraft sich gestatte, tritt die Erziehung hinzu, die Leitung der Eltern und ihrer Stellver­ treter. " „Werde ich auch dieses sehen?" rief ich: „was könnte er­ freulicher seyn!" — „Du sollst," sagte lachend mein Führer; „aber bedenke, daß ich dir kein geschmücktes Traumbild, sondern die wahre Gewalt des Lebens zeige." Nun eröffnete sich eine andere sehr ausgedehnte Seite des Berges, welche mein himmlischer Begleiter das Thal der Er­ ziehung nannte. — „Ich dachte es wohl," erwiederte ich; dar­ aus deuten, wie es scheint, die hohen, kräftigen Bäume, die mit Blüthen und Früchten beladen das schöne Thal schmücken und die Gipfel gen Himmel erheben?"— „Freylich," ant­ wortete mein Führer; „diese erzog der Schöpfer in Einfalt und Stille. Die Menschen sollen '.als Gottähnliche Wesen dem Schöpfer nachahmen und, die Kindheit erziehend, dessen Stelle vertreten." Ich sah nun Väter und Mütter zwischen ihren Kindern; aber wie verschieden waren ihre Bestrebungen, und die Weise ifper Erziehung! Es eröffneten sich nämlich eine Menge von Wegen, die in verschiedenen Richtungen mit dem Tbal zusammenhingen, das den Lebensweg darstellte, den die Kinder durchwandeln mußten,

155 um zu der andern Abstufung des Berges zu gelangen. „Wohl den Kindern," sagte mein Führer, „welche die Eltern auf die­ sen Wegen geleiten. Aber nicht alle thun solches." Nun erblickte ich mancherley, was mich sehr betrübte. Ei­ nige Eltern überließen, indem sie seHst dem Vergnügen nach­ gingen, ihre Kinder der eigenen Willkühr; ich sah diese ohne Aufsicht umherirren und sich zerstreuen. Die Meisten von ihnen wählten den breitesten Weg, der durch seine gefällige Gestalt sie reizte. „Die Armen!" seufzte mein Begleiter; „dieß ist der Weg der Verführung." „Siehest du, wie andere aus der Ferne diesen zuwinken?" — Andere Eltern stellten zwar ihre Kinder unter Aufsicht, aber sie wählten ohne Bedacht die ersten Besten, die sich ihnen darboten; mehrentheils verdorbene Men­ schen, und elende Schmeichler. Ich sah selbst Fürstenkinder, die solches Unglück traf. Wiederum sah ich andere Eltern, welche sich der Kinder sorgfältig anzunehmen stlienen. Sie schmückten sie mit bunten, köstlichen Gewändern, durchflochlen ihre Haare mit Perlen, Edel­ steinen und künstlichen Blumen, und führten sie dann zu einem krystallenen See, um sich an ihrer eigenen Gestalt zu ergötzen. Oder sie reichten ihnen die schmackhaftesten Speisen und Ge­ tränke, führten sie in nahe gelegene Palläste, wo Flöten

156 und Cymbcln ertönten, und Tänze und Schauspiele aufgeführt wurden. — Als ich sah, wie diesen Kindern Eitelkeit, Hochmuth und Vergnügungssucht gleichsam eingeimpft und ihnen selbst dadurch das Leben verderbt wurde, wandte ich mich unwillig hinweg und sagte: „du zeigest mir das Leben, dem ich entflohen bin; womit habe ich dieses verdient?" — „£/' sagte mein Führer, „du hast noch nicht alles gese­ hen!" Er öffnete mir die Augen, und ich blickte in eine Woh­ nung, wo die Eltern in dem heftigsten Streit lebten, und die Kinder standen umher und thaten dasselbe; in eine andere, wo Verschwendung, Ueppigkeit und Unzucht hauscten, und dir Kin­ der sahen alles und ahmten ihm nach. Als ich bey diesem Anblick zu weinen begann, sprach mein Begleiter: „Beruhige dich, und schaue!" Und siehe, ich er­ blickte ein stilles einsames Wäldchen, durch welches ein schmaler Fußsteig führte. Am Eingänge des Weges befand sich eine Fa­ milie mit vielen Kindern, alle einfach und weiß gekleidet, in der Mitte die Eltern. Solcher Gruppen sah ich mehrere. ES schien früher Morgen; denn es war dämmerig auf dem Wege und die Fclsspitzen glanzten, wie beim Anbruch der Morgen­ röthe. Darauf sah ich die Alten mit den Kindern niederknien und beten; daraus umarmten sich Kinder und Eltern.

157 Nun war es Lag geworden und ich konnte den Steig weit überschauen. Ich sah Eltern und Kinder jetzt diesen Weg wan­ deln, der oft von gähen Anhöhen und Abgründen unterbrochen, oder mit Dornen bewachsen war. Die Eltern belehrten die Kinder, wie sie jene muthig ersteigen, und durch diese mit Mühe und Anstrengung sich den Weg bahnen sollten. Als sie die Anhöhe erstiegen und den Schweiß getrocknet hatten, machten die Eltern die Kinder mit den mancherley Ab­ wegen bekannt, die allmälig von dem rechten ableiteten/ dem Wege der Verführung, der Lust, des Stolzes, des Leichtsinns. Ich sah an den Mienen der Kinder, daß sie ihren Führern von Herzen zustimmten, als diese ihnen mit Ernst kund thaten: die­ ser Weg sey der Beschwerliche, aber der einzige Gute! — Jetzt schienen sich die Eltern zu entfernen, aber mit einmal wurden mir zwey Wesen sichtbar, die ich sogleich als überirdische erkannte. Als ich meinen Führer um diese liebliche Gestalten befragte/ antwortete er-, „die eine heißet Unschuld, die andere Glaube. Sie wohnten von Jugend auf bey diesen Eltern und Kindern/ und werden, wenn jene diese nicht mehr begleiten können, sondern sie ihren eigenen geübten Kräften überlassen müssen, sie unsichtbar schirmen und geleiten." „O," rief ich aus, „welch ein ganz anderer Anblick, als jener, der mir Thränen erpreßte. Wie kann ich dir genug

158 danken, für alles, was du mich sehen lässest!" — Mein Füh­ rer antwortete: „Wer das Menschenleben will kennen lernen, der muß sich, wie im Leben selbst, auch hier die bittere und traurige Erfahrung gefallen lassen. Jetzt schaue weiter!" Indem ich hinsah, war der untere Theil des Lebensberges mit einem undurchdringlichen Nebel verhüllt, und über demselben erschien in Hellem Lichte die zweyte Abstufung. — Welch eine Welt eröffnete sich jetzt meinen Blicken! Welch ein buntes Ge­ wimmel von Jünglingen und Jungfrauen! Welch ein fröhli­ ches Leben! Rings umher Lauben, Grotten, Garten - und Landhäuser. „Hier," rief ich, „wird, so es scheinet es, nichts den freudigen Zuschauer betrüben!" — „Salah!" erwiederte mein Begleiter mit ernstem Blick, „du bist so alt geworden, und kannst solche thörigte Hoffnungen hegen!" — Ich schämte mich meines vorschnellen Urtheils, und hatte bald Ursache, mich dessen noch mehr zu schämen. „Siehest du," sprach mein Engel, „hier ist die Stufe zwi­ schen dem kindlichen und männlichen Alter; hier ist die Zeit der Selbstentwickelung, wo allmählig die Blüthe zur Frucht sich ge­ staltet. Welche du zuvor als Kinder sahest, siehest du hier wie­ der. — Siehe, fuhr er fort, wenn du sie aufmerksam betrach­ test, so wirst du in allen ein Streben gewahr werden, irgend-

159 ein Ziel zu erreichen, eine Unruhe, die Vorwärts will und Etwas zu suchen scheint, zugleich aber auch eine unbefangene Fröh­ lichkeit, die der Gegenwart sich freut; wie die Blüthe blühend die Frucht erstrebet. Seliges Alter der Freude und stiller Ah­ nungen! Aber auch gefährliches Alter der Wahl und Selbstbe­ stimmung l Siehest du, wie unzählige Wege und Pfade sich durch dieses Thal krümmen! Schaue!" Ich sah hin und erblickte eine Gestalt von reizender Schön­ heit und auf das köstlichste gekleidet; Edelsteine und Perlen, Gold und Silber umstrahlten sie mit blendendem Glanze; ein stetes Lächeln schwebte auf ihren rosigen Wangen und Lippen, von welchen die lieblichsten Laute herabzuschweben schienen. Denn sie stand von einem großen Kreise Jünglinge und Jungfrauen umgeben; alle schienen ihr freudig zu horchen und die Worte aus ihrem Munde zu nehmen. „Dieses Wesen," sagte mein Führer, „welches du mit allem Glanze irdischer Schönheit und mit den kostbarsten Schäden der Erde so üppig geschmückt siehst, heißet die Lust." Ich erschrack, als ich diesen Namen hörte. „Ach," rief ich, „nun beginne ich, Unheil zu fürchten. Warum muß denn diese hier wandelnd" Mein Begleiter lächelte und sprach: „Vergissest du doch schon

160 wieder, baß Lu den Berg des Lebens und an ihm das Thal der Prüfung siehest." „Tiber, warum muß denn die schnöde Lust so reizend und ftfon von außen erscheinen?" fragte ich, und erhielt zur Antwort: „Um das Innere zu verbergen." Unterdeß wandelte die Lust unmerklich und doch ziemlich schnell immer weiter, und zog den Schwarm der Jünglinge und Jung­ frauen, der sie umgab, mit sich fort, bis sich ein breiter Weg in ein höchst anmuthiges Thal öffnete. Aus der Ferne blinkten ver­ goldete Palläste, und ringsum grünten und blühten Lustwäldchen voll Rosen und Myrten. Aus den dunkeln Hainen, über welche hie und La geheimnißvolle Kuppeln und Dome hervorragten, er­ klangen dann und wann seltsame Töne, und bläuliche Wölkchen, wie Opferdämpfe, stiegen empor; also daß diese geheimen Andeu­ tungen verborgener Seligkeiten noch mehr reizten, als die nähern blühenden Gärten und Palläste an dem Wege. Noch hatten die jungen Wanderer nicht den breiten Weg der Lust betreten, aber sie waren nun an dessen Grenze, bis zum Scheidewege, gekommen. Hier krümmte sich ein enger steiler Pfad in die Höhe, während der andere breite Weg sich allmählich senkte, und mit seinen tausend Reizen zu sich einlud. Hier sah ich ckun den ganzen Schwarm stille stehn, und in der Mitte die reizende Göttergestalt, mit den Fingern deutend,

161 Ustjb wie es mir schien, redend z denn die Jünglinge und Jung­ frauen hatten die Stellung der Horchenden. Als ich meinen Führer befragte, „was sie reden möchte," antwortete er mir folgendes: „Sie deutet auf die entfernten dunkeln Haine und die hervorragenden Hallen und Tempelzinnen, und beschreibt ihnen die Gegend, wohin sie wandeln wollen. Dort, sagt sie, ist der Hain und Tempel des Vergnügens, ihn umfließet der wundersame Strom der Wonne, dessen Wasser er­ quicklicher ist, als Soria's seinstes Rosenöl; dort schimmert der Tempel des Reichthums, alle Schätze beyder Indien sind hier aufgehäuft. Was dort in die Wolken glänzt, ist der Tempel des Ruhms, wo derjenige, der dahin gelangt, vergöttert wird. Jene -laue Rauchwölkchen steigen auf von den Altären der Seligen, die diese Haine, Tempel und Palläste bewohnen, und die liebli­ chen Töne aus der Ferne sind der Wiederhall des Entzückens, das diese Seligen empfinden." Ich entbrannte von Jörn und rief: „Großer Gott, das sind ja lauter Täuschungen und Lügen f" Mein Begleiter antwortete: „Salah, das weißt du aus eig­ ner Erfahrung. Aber redet nicht die Lust immer also, und darf sie denn Wahrheit reden? Das wäre ja ihre eigene Vernich­ tung. So verheißet und zeigt sie trügerisch und täuschend gol­ dene Berge. Palmblättec IV.

L

162 Ich schwieg eine Weile voll Wchmutks,

darauf fragte ich:

„Wie könnet ihr erhabenen Boten des Ewigen solche Verführung gestatten?" „Salah," sprach mein Begleiter mit sanfter Stimme, „jeder Engel hat seinen Beruf. Menschen Brust?

Wohnet nicht auch ein solcher in jedes

die Sterblichen nennen ihn Gewissen!--------

Aber schaue!" Ich sah und siehe, von dem steilen Pfade trat hervor ein anderes Wesen, ohne Schmuck und äußern Glanz;

aber stille

sanfte Würde umfloß jede Geberde.

betrachtete

Sie stand still,

mit wehmüthigem Blick die bethörte Jugend, und, mit der rech­ ten Hand auf den steilen Pfad deutend,

woher sie gekommen

war, sprach sie die einfachen Worte, die mein Begleiter mir nannte: „Folget mir, hier ist der Weg des Lebens!" — Darauf wandte sie sich mit Ernst und Ruhe wieder zu ihrer Bahn. Die Lust warf einen verächtlichen Blick auf sie und beant­ wortete ihre Aufforderung mit stolzem Hohngelä.bter. Die Mehrsten ihres Gefolges stimmten mit ein und folgten nun lautjubelnd ihrer Führerin auf dem breiten blumigen Wege. „Pfui dir', rief ich und zitterte vor Entrüstung meines Gei­ stes.

Mein Begleiter aber sagte:

schaue!

„Sey ruhig, Salah, und

Das Wesen, das du siehest in seiner einfachen Würde,

heißet die himmlische Weisheit.

163 Als ich den Namen der Verschmäheten hörte, traten mir wieder die Hellen Thränen in die Augen; er aber fuhr fort: Siehe, Einige haben der Himmlischen ins Antlitz geschaut und ihr Wesen erkannt." In der That sah ich zu meiner großen Freude eine Zahl Jünglinge und Jungfrauen, während der Zug auf dem lustigen Pfade sortwandelte, stille stehn, nachdenken und der himmlischen Weisheit nachschauen. Mir pochte das Herz vor Besorgniß; denn mitunter sahen sie auch wieder lüstern auf den breiten Weg; vor allen wenn das Jubelgeschrey stärker wurde, oder die fernen reizenden Klänge sich vernehmen ließen. Aber wie froh ward ich, als ich bald die Versuchung überwundenund die Jünglinge und Jungfrauen entschlossen den steilen Pfad erwählen und rüstig hinaufsteigen sah. „Gott sey gelobt 1" rief ich; „aber was wird aus den an­ dern werden, welche der Lust folgen?" Mein Begleiter antwortete und sprach: „Nur ein Blick ist dir gestattet, sterblicher Salah!" — Er berührte meine Augen, und siehe, die fernen Tempel und Palläste verschwanden und die ausschwebende Opferwolke erschien in einer ganz andern Gestalt, nämlich als eine gewaltige bläulich-schwarze Riesenschlange mit rothem Kamm und schwirrender Zunge. — „Es ist die verzweiL2

164 felnbe 3?e::e!" sagte mein Begleiter mit traurendem Ernst; und hiemit verschwand b:ere Gegend aus meinen Augen- — Mit erhöheter Freude verfolgte mein Blick jetzt die Wan­ derer auf dem engen steilen Pfade. Die himmlische Weisheit wandelte in der Ferne vor ihnen her, so daß sie ihr Antlitz nicht sahen, aber sie trugen ihr Bild im Herzen. Der Weg schien äußerst be-'chwerlick, die Fortschritte waren mühevoll und langsam. Zuweilen standen sie st:ll, und schienen aus der Ferne den Jubel der Lustjünger auf dem breiten Wege nicht ohne Begierde zu vernehmen. Wie fürchtete dann mein Herz, es möchten einige umkehren, welches, nach der Aussage meines Führers, nicht selten geschieht. Aber nein! sie blieben ihrer Wahl getreu, arbeiteten sich hinauf, strengten alle ihre Kräfte an, und wo der Pfad durchaus unwegsam schien und Dornen und Disteln oder Felszacken ihn umstarreten, erschien ihnen der Engel ihrer Kindheit, der Glaube, und flößte ihnen Muth in das zagende Herz, also, daß cs nicht verzagte. Jede überwundene Schwierigkeit und überstandene Ge­ fahr stärkte ihr Vertrauen und ihre Kraft, und so erreichten sie die Grenze der dritten Abstufung des Lebensberges. Ich erkannte jetzt mit Freuden, daß diese muthigen Wan­ derer dieselben waren, über deren unter dem Schirm frommer

165 Einfalt und gläubiger Unschuld verlebte Kindheit ich mich so sehr gefteuet hatte. „Die Kindheit," sagte mein Begleiter, „ist der Gottheit nä­ her; so fasset sie leichter im reineren Herzen das Göttliche, wenn es ihr gereicht wird und wurzelt in demselben. Erkennest du hier den Werth frommer Erziehung. Doch, siehe, Salah!" Als ich meine Augen erhob, sah ich den untern Theil des Berges verhüllt und über demselben eröffnete sich eine neue Ge­ gend, in welcher zwar die beyden Vorigen wieder erschienen, die aber dennoch eine ganz andere war; dieselben Wege aber anders gestaltet. Mein Begleiter sagte: „Es ist die dritte und letzte Stufe, wo das Leben der Erde sich vollendet. Wie könnte es dich be­ fremden, daß du manches von dem Vorigen hier wieder siehest! Schaue, Salah!" Ich sah ein zahlloses Gewimmel von Menschen, die sich durch­ einander bewegten, wie die Ameisen, so daß es mir fast lächerlich dünkte. Darum sagte ich: „Kaum hätte ich erwartet, noch ein­ mal in meinem Alter dieses ermüdende Getümmel zu sehen, dem ich glücklicher Weise entronnen bin." Darauf antwortete mein Begleiter: „Warum wolltest du nicht auch das Leben und Treiben deines Geschlechts eben so gern, wie die weite Natur, im Ganzen überschauen? Freylich

166 mag cs dir als ein thörigtes Treiben und Trachten nach nichti­ gen Dingen erscheinen. Bey den Meisten ist es auch nichts an­ ders. Wie viele laufen und rennen bloß um des Leibes und Lebens willen. Aber, bedenke, jedes dieser strebenden Wesen trägt den Keim und Funken eines himmlischen Lebens in seinem Innern." — Mein Begleiter schwieg eine Zeitlang, dann rief er mir zu: „Nun siehe das Einzelne!" Jetzt sah ich wieder das Ganze in einzelne Gruppen, und die Gegend in verschiedene Wege, Thaler und Hügel vertheilt. Die erste ausgezeichnete Gestalt, welche mir in die Augen siel, war die Lust, die auch hier wieder mit ihren zahlreichen Beglei­ tern erschien. Aber jetzt war ihre Herrschaft begründet und ge­ ordnet, und unter mehrere ihr ähnliche Wesen vertheilt. Vor allen erblickte ich eine hohe Gestalt, geschmückt mit goldenem Harnisch und Helm, von welchem rothe Federbüsche herabwinkten. Sie stand auf einem Gerüste von Porphyr und ein Schwerdt blitzte in ihrer Rechten; in der linken Hand trug sie eine Posaune. Als ich bewundernd ausrief: „Welche maje­ stätische Gestalt!" sagte mein Führer: „Es ist die Ehrsucht, oder, welches im Grunde einerley ist, die Herrschsucht; du wirst ihr Gefolge und ihre Thaten sehen."

167 Sie stieg von dem Gerüst hinab; ihr folgte eine große Schaar, und unter diesen Viele, die Diademe auf ihren Häuptern und Scepter in den Händen trugen. Aber dessen ungeachtet wa­ ren sie doch nur die Sklaven der Ehrsucht, die sie leitete, wo­ hin sie wollte. Die eigentlichen Diener der Ehrsucht und ihr Gefolge waren der Hochmuth, die Eitelkeit, der Ahnenstolz, die Habsucht, der Trug, die Lüge und die Blutgier, alles häßliche Gestalten, die aber sogleich erschienen, wenn ihre Königin ihrer Hülfe bedurfte. Als sie nun ausgezogen, sah ich bald auf ihrem Wege Flam­ men aufsteigen, Dörfer und Städte brannten, die Menschen nakkend und jammernd flohen in Wälder und Klüfte, ein weites Feld war mit Leichen und Sterbenden bedeckt — es war ein Schlachtfeld — der Haufe stürmte unaufhaltsam vorwärts, die Ehrsucht blies die Posaune. So gieng es immer weiter ab­ wärts vom Berge und immer schneller auf der verheerenden Bahn bis an den Saum einer schwarzen Wolke. — „Hier ist das Ziel," sagte mein Begleiter, „und jene Wolke deckt den Schlund des Todes!" — Hier nun verschwand die ganze Schaar plötzlich, wie wenn man einen Stein in das Meer wüst. In dem Augenblick aber erscholl aus den Gegenden, durch welche die Ehrsucht gewandelt war, ein furchtbarer Fluch und Wehe­ ruf, der mir durch Mark und Gebeine drang. Ich zitterte und

168 verschloß, mich zu erholen, meine Augen, und verhüllte mein An­ gesicht. Mein Begleiter sagte: „Jetzt wirst du einen andern Götzen, die Wollust, erblicken in ihrer reizenden Gestalt, deren Anbeter und Schlachtopfer noch viel mehrere sind, als die der Ehr- und Herrschsucht. Du wirst sehen, wie sie jene allmälig bestrickt und in ihre Gewalt bringt; wie sie jedes bessere Gefühl allmälig in ihnen ertödtet, und zuletzt die Sklaven ihrer Lüste durch ekel­ haste Sümpfe und Lachen zu der schwarzen Wolke und in den Todesschlund führet. — Du wirst, fuhr mein Führer fort, die Knechte des Geizes sehen, die um eines todten Besitzes willen Gott und Menschen verhöhnen, und deren Herz und Seele sich in das unempsindliche Erz zu verwandeln scheint, wonach sie hohläugig sich sehnen. — Du wirst ferner die elenden Sklaven des hagern schwarzgelben Neides schauen, welche, selbst in ihrem Innern voll Qual und Unruhe, ihre Mitwanderer in Abgründe zu stürzen suchen, oder die Früchte an ihrem Wege giftig begei­ fern. — Jedoch erhebe dich, Salah, und siehe das Bild des Le­ bens !" — So redete mein Begleiter. Ich aber hatte mein Haupt mir noch mehr verhüllt, und rief mit flehender Stimme: „Nein! ich bitte dich, wer du auch seyn magst, schone meiner und laß ab von mir! Ich mag mein Haupt nicht wieder enthüllen, noch meine

169 Augen erheben, um die Pilger der Erde in ihrer entsetzlichen Entartung zu sehen. Ich bitte dich, erlaß mir diesen entsetzlichen Anblick!" „Es sey dir gewahrt," sagte er; „aber zuvor sollst du noch -inen Blick thun in den Schlund des Todes, den das Gewölk verhüllt. Du wurdest gewürdigt, den Anfang zu sehen, so magst du auch einen Theil des Endes schauen; bey den Unsterblichen bleibt nichts unvollendet. Vorher sahst du die Ehrsucht in ihrer majestätischen Gestalt, und in ihrem Goldglanz, und die Wollust in ihren reizenden Geberden. — Nun erblicke sie in ihrer wahren Gestalt!" Ich öffnete meine Augen; die schwarze Wolke erhob sich von dem Schlunde und ich sah jetzt die Ehrsucht in der Gestalt einer grinsenden auf einen eisernen Thron gefesselten Hyäne mit sträu­ benden Mähnen; eine Menge häßlicher Katzengestalten zu den Füßen des Thrones schienen ihr Lobgesänge zu heulen. Nicht fern davon sah ich die Wollust, die in der Mitte ihrer Anbeter so reizend erschienen war, in der Gestalt eines häßlichen, die Zähne fletschenden Affen, und Nattern zu seinen Füßen, die Bil­ der der Schmeichler, sahen hinauf, sich sehnend, des Affen Spei­ chel zu lecken. Der Geiz lag als ein scheuer Drache in düstrer Nacht und bewachte glänzende Kiesel; der Neid sah einer unge­ heuren Krötengestalt ähnlich, die im Finstern umherschlich.

Als ich meinen Abscheu schaudernd zu erkennen gab, mein ernster Begleiter:

„Siehe,

so

sprach

wird den Wanderern auf

dem Lebensberge, die der Lust und dem Laster folgten, am Ende ihrer Laufbahn ihre Sünde und ihr Götze in häßlicher entmensch­ ter Gestalt erscheinen." So sprach er;

ich aber flehete:

„Ach führe mich aus dieser

dumpfigen Hölle, führe mich zurück nach oben!" Er winkte und das schwarze Gewölk rollte über den Schlund zusammen, aber in dem Augenblick sah ich mit Schrecken tausend­ fache rothe Schlangenköpfe durch das Gewölk blitzen,

und dann

alles verschwinden. Und nun stand wieder die Höhe des Berges vor meinen Blicken,

und wie froh ward ich, als ich die andern Wanderer

wiederfand, die, eingedenk ihres Berufs, sich durch das Getüm­ mel der Verirrten hindurch gearbeitet hatten, und nun dem Ziele sich naheten.

Freylich,

immer steiler und mühsamer führte der

Weg über Abgründe und Schluchten;

aber die

Schwierigkeiten

schienen nur ihren Muth und ihre Kraft zu erhöhen, der Glaube war ihnen nahe, wo Gefahren sich zeigten, und die himmlische Weisheit, welcher sie sich immer genähert hatten, wandelte still und ruhig an ihrer Spitze.

So kamen sie immer höher,

eingedenk des gemeinsamen Einen Zieles,

und,

bot einer dem andern

hülfreich die Hand, so daß sie unter der Leitung der himmlischen

Weisheit als die liebevollen Kinder Zuweilen sah ich einen

Schimmer,

Einer Mutter wie Morgenroth,

erschienen. aus der

Wolke leuchten, welche die Spitze des Berges umhüllte, und die Wolke schien sich zu heben, aber bald senkte sie sich wieder, wie ein Schleyer, den Lüftchen bewegen.

Je mehr aber die Wande­

rer derselben sich näherten, um desto mehr schienen ihre Ange­ sichter sich zu erhellen.

Ich sahe schweigend und bewundernd ih­

nen nach, bis sie sich sämtlich in dem Gewölk des Gipfels allge­ mach, wie hinter einem Vorhänge, verloren. Schweigend richtete ich noch eine Zeitlang meinen Blick nach jener Gegend, wie man einem Freunde nachschauet, der von uns geschieden ist; endlich fragte ich meinen Führer, wo diese Guten geblieben seyen? Er antwortete und sprach: „Es ist keinem Sterblichen ver­ gönnt ,

hinter diesen Vorhang zu blicken.

Jedoch, Salah, fuhr

er fort, weil du acht und vierzig Jahre lang nach einem göttli­ chen Leben getrachtet und der Welt entsagt hast, will ich auf einen Augenblick deine Stirn berühren." Er that es, die Wolke erhob sich von dem Gipfel des Ber­ ges, und ich blickte in eine Lichtwelt — ich sahe jene vollendeten Pilger in einer Verklärung, keine Worte haben.--------

— wofür alle Sprachen der Erde

172 Aber es wahrste nur einen Augenblick; da senkte sich das Gewölk wie ein leichter Morgennebel im Glanz der Sonne. Eine unbeschreibliche Sehnsucht erfüllte meine Seele und ich streckte meine beyden Arme aus. « . „Gedenke, Salah, was du gesehen hast, und folge der himm­ lischen Weisheit!" — sagte

mit freundlichem Ernst der himmli­

sche Bote, und verschwand. Ich erwachte und befand mich in derselben Stellung, wie ich mich hingelegt hatte, unter der Zeder auf der Ebene, die ringS mit zackigen Felsspitzen umgeben war;

die Vögel begrüßten mit

lauten Gesängen die ersten Strahlen der aufgehenden Sonne.