Op-handbuch: grundlagen, instrumentarium, op ablauf
 9783662492802, 9783662492819, 2752762852, 3662492806

Table of contents :
Geleitwort......Page 5
Vorwort zur 6. Auflage......Page 6
Die Herausgeber......Page 8
Inhaltsverzeichnis......Page 9
Mitarbeiterverzeichnis......Page 14
1 Grundlagen......Page 16
Aufgaben einer Pflegekraft im Operationsdienst......Page 17
Operationslagerung en......Page 19
Aspekte zur pflegerischen Dokumentation......Page 24
Risikomanagement im OP......Page 28
Chirurgisches Nahtmaterial......Page 30
Werkstoffe des chirurgischen Instrumentariums......Page 36
Drainagen......Page 37
Wunden und ihre Versorgung......Page 42
Literatur......Page 50
2 Allgemeinchirurgie und Viszeralchirurgie......Page 51
Zugangswege und Instrumentarium......Page 53
Schilddrüse......Page 60
Hernien......Page 66
Speiseröhre......Page 74
Magen......Page 81
Milz......Page 94
Gallenblase und Gallenwege......Page 96
Leber......Page 101
Bauchspeicheldrüse......Page 110
Dünndarm......Page 117
Blinddarm......Page 118
Dickdarm......Page 121
Proktologie......Page 143
Peritonitis......Page 149
Minimal-invasive Chirurgie......Page 151
Bariatrische Chirurgie (Adipositaschirurgie)......Page 181
Literatur......Page 187
3 Orthopädische und Unfall-chirurgie, Handchirurgie......Page 189
Anatomie und Physiologievon Knochen......Page 190
Pathophysiologie von Knochen und Gelenken......Page 191
Behandlung von Frakturen......Page 192
Pflegerische Tätigkeiten in der Traumatologie......Page 195
Instrumente, Implantate und ihre Anwendung......Page 197
Operationsbeispiele einzelner Skelettabschnitte......Page 224
Handchirurgie......Page 266
Literatur......Page 287
4 Gefäßchirurgie......Page 288
Grundlagen......Page 289
Lagerungen und Abdeckungen......Page 298
Erkrankungen des arteriellen Systems......Page 301
Intraluminale Dilatation......Page 306
Weitere Operationsbeispiele......Page 313
Erkrankungen des venösen Systems......Page 328
Literatur......Page 331
5 Shuntund Portsysteme......Page 333
Katheter und Shunts für die Hämodialyse......Page 334
Portsysteme......Page 335
Peritoneovenöse Shunts......Page 338
Literatur......Page 339
6 Thoraxchirurgie......Page 340
Thoraxinstrumentarium......Page 341
Typische Zugangswege und Lagerungs techniken in der Thoraxchirurgie......Page 343
Thoraxdrainagen......Page 345
Präoperative Diagnostik......Page 346
Eingriffe an der Lunge......Page 347
Eingriffe an der Trachea......Page 352
Eingriffe an der Pleura......Page 353
Eingriffe am Mediastinum......Page 355
Knöcherne Thoraxwand......Page 357
Literatur......Page 359
7 Kardiochirurgie......Page 360
Herz-Lungen-Masc hine......Page 361
Chirurgische Zugänge......Page 362
Koronarchirurgie......Page 365
Linksventrikuläre Aneurysmektomie......Page 370
Aortenklappenchirurgie......Page 371
Mitralklappenchirurgie......Page 379
Trikuspidalklappenchirurgie......Page 383
Aortenaneurysmachirurgie......Page 384
Chirurgie kongenitaler Herzfehler......Page 388
Erkrankungen des Herzbeutels......Page 394
Herztumoren......Page 395
Pulmonale Thrombektomie......Page 396
Behandlung von Herzrhythmusstörung en......Page 397
Kreislaufunterstützungssysteme......Page 399
Herztransplantation......Page 402
Literatur......Page 404
8 Gynäkologie......Page 405
Anatomische Grundlagen......Page 406
Zu gänge in der Gynäkologie......Page 409
Gynäkologisches Instrumentarium......Page 412
Medikamente......Page 413
Operative Eingriffe......Page 416
Laparoskopie/Pelviskopie......Page 436
Mammachirurgie......Page 448
Literatur......Page 453
9 Urologie......Page 454
Anatomische Grundlagen......Page 455
Spezielles urologisches Instrumentarium......Page 459
Transurethrale und perkutane Eingriffe......Page 462
Äußeres Genitale......Page 476
Prostata......Page 488
Blase......Page 501
Harnleiter......Page 504
Harninkontinenz der Frau......Page 512
Blasen-Scheiden-Fisteln......Page 514
Harninkontinenz des Mannes......Page 515
Harnröhrenplastik......Page 518
Eingriffe an der Niere und am Nierenbecken......Page 521
Nierentransplantation (NTX)......Page 530
Literatur......Page 532
10 Neurochirurgie......Page 534
Anatomische und physiologische Grundlagen......Page 535
Neurochirurgisches Basiswissen im Operationssaal......Page 544
Diagnostik in der Neurochirurgie......Page 553
Intrakranielle Tumoren......Page 555
Intrakranielle Gefäßmissbildungen......Page 562
Entzündliche Erkrankungen......Page 566
Schädel-Hirn-Traumata......Page 567
Erkrankungen und Verletzungen des Rückenmarks, seiner Hüllen und der Wirbelsäule......Page 574
Schädigung peripherer Nerven......Page 582
Literatur......Page 584
11 Mund-Kiefer-Gesichts-Chirurgie ......Page 585
Überblick über das Fachgebiet Mund-, Kieferund Gesichtschirurgie......Page 586
Frakturen und ihre Versorgung......Page 589
Tumorund rekonstruktive Chirurgie......Page 592
Weichteilchirurgie des Gesichtes......Page 593
Mikrochirurgie......Page 594
Chirurgische Kieferorthopädie......Page 595
Lippen-Kiefer-Gaumen-Spalten......Page 597
Literatur......Page 600
12 Hals-Nasen-Ohren-Chirurgie......Page 601
Grundlagen der Anatomie......Page 602
Diagnostisches Instrumentarium......Page 603
Operationsinstrumentarium......Page 604
Aufgaben der Operationspflegekraft......Page 607
Hals-Nasen-Ohren-Operationen......Page 610
Literatur......Page 621
13 Kinderchirurgie......Page 622
Arbeitsbedingungenin der Kinderchirurgie......Page 623
Thorax......Page 627
Abdomen......Page 636
Bauchwand......Page 664
Urogenitaltrakt......Page 674
Zentralnervensystem......Page 694
Tumoren......Page 703
Literatur......Page 709
14 Augenheilkunde (Ophthalmologie)......Page 711
Anatomie......Page 712
Besonderheiten bei Operationen am Auge......Page 713
Instrumentation......Page 714
Häufige Eingriffe in der Augenheilkunde......Page 715
Literatur......Page 724
15 Verbrennungen......Page 725
Erstversorgung Brandverletzter......Page 726
Hautersatz......Page 727
Operative Versorgung Schwerstbrandverletzter......Page 729
Elektrotrauma......Page 731
Literatur......Page 732
16 Plastische Chirurgie – Ästhetische Chirurgie......Page 733
Brustvergrößerung (Mammaaugmentation )......Page 734
Bruststraffung (Mastopexie)......Page 736
Oberlidplastik......Page 740
Facelifting (Rhytidektomie)......Page 743
Fettabsaugung (Liposuktion)......Page 744
Bauchdeckenstraffung (Abdominoplastik )......Page 745
Weichteildeckung nach Trauma......Page 746
Literatur......Page 753
17 Organexplantation – Multiorganentnahme......Page 754
Ablauf......Page 755
Multiorganentnahme......Page 756
Literatur......Page 758
Serviceteil......Page 759
Allgemeine anatomische Richtungs- und Lagebezeichnungendes Körpers......Page 760
Herstellerverzeichnis......Page 761
Glossar und Abkürzungsverzeichnis......Page 764
Stichwortverzeichnis......Page 777

Citation preview

OP-Handbuch

Margret Liehn Brigitte Lengersdorf Lutz Steinmüller Rüdiger Döhler (Hrsg.)

OP-Handbuch Grundlagen, Instrumentarium, OP-Ablauf 6., aktualisierte und erweiterte Auflage Mit 1170 Abbildungen

123

Herausgeber Margret Liehn Rellingen Brigitte Lengersdorf Hamburg Lutz Steinmüller Wedel Rüdiger Döhler Plau am See

ISBN 978-3-662-49280-2 978-3-662-49281-9 (eBook) DOI 10.1007/978-3-662-49281-9 Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar. Springer © Springer-Verlag Berlin Heidelberg 1995, 1999, 2003, 2007, 2011, 2016 Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung, die nicht ausdrücklich vom Urheberrechtsgesetz zugelassen ist, bedarf der vorherigen Zustimmung des Verlags. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Bearbeitungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Die Wiedergabe von Gebrauchsnamen, Handelsnamen, Warenbezeichnungen usw. in diesem Werk berechtigt auch ohne besondere Kennzeichnung nicht zu der Annahme, dass solche Namen im Sinne der Warenzeichen- und Markenschutz-Gesetzgebung als frei zu betrachten wären und daher von jedermann benutzt werden dürften. Der Verlag, die Autoren und die Herausgeber gehen davon aus, dass die Angaben und Informationen in diesem Werk zum Zeitpunkt der Veröffentlichung vollständig und korrekt sind. Weder der Verlag, noch die Autoren oder die Herausgeber übernehmen, ausdrücklich oder implizit, Gewähr für den Inhalt des Werkes, etwaige Fehler oder Äußerungen. Zeichnungen: Adrian Cornford, Reinheim; Christiane und Dr. Michael von Solodkoff, Neckargemünd; Albert R. Gattung u. Regine Gattung-Petith, Edingen-Neckarhausen; Peter Lübcke, Wachenheim; Emil Wolfgang Hanns, Gundelfingen Umschlaggestaltung: deblik Berlin Fotonachweis Umschlag: © Tobilander/Fotolia Gedruckt auf säurefreiem und chlorfrei gebleichtem Papier Springer ist Teil von Springer Nature Die eingetragene Gesellschaft ist Springer-Verlag GmbH Berlin Heidelberg

V

Geleitwort Vor exakt 20  Jahren erschien die 1.  Auflage des OP-Handbuches mit den Untertiteln »Grundlagen, Instrumentarium und OP-Ablauf«. Damals wurde eine Lücke unter den Nachschlagewerken geschlossen, in hocherfreulicher Weise hat sich das Buch zum Standardwerk entwickelt.

Aktuell von größtem Interesse der Öffentlichkeit und der öffentlichen Meinung sind die Themen Hygiene, Dokumentation und damit Nachvollziehbarkeit des Handelns, Informationstechnologie und Qualitätssicherung. Dabei wird zu allen Brennpunktthemen Stellung genommen.

Den Herausgebern, Autoren, aber auch dem Springer-Verlag ist es zu verdanken, dass man jeweils nach dem Erscheinen einer Neuauflage mit den Arbeiten an der nächsten begonnen hat. Damit können die Leserinnen und Leser sicher sein, den aktuellen Stand des Wissens im OP-Handbuch vorzufinden.

Befragt man Krankenhausmanager nach den sensibelsten Bereichen von Akutkrankenhäusern, so antworten sie unter den Gesichtspunkten Wirtschaftlichkeit, Haftpflicht, Personalressourcen und IT, es handele sich eindeutig um den Operationsbetrieb. Dies macht deutlich, welch besondere Bedeutung den Abläufen im invasiv-medizinischen Bereich zukommt, was die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter als Herausforderung mit körperlicher und emotionaler Anspannung empfinden, was aber auch zu Stolz und großer Zufriedenheit führt.

In den 20  Jahren hat sich auch berufspolitisch Erhebliches verändert: So sind an die Seite der Gesundheits- und Krankenpflege der Operationstechnische Assistent OTA, der Chirurgisch-Technische Assistent CTA und der Physician Assistent (PA) getreten. Der Berufsweg der nichtärztlichen Gesundheitsberufe führte traditionell über die Fachschule, neuerdings auch über private und öffentliche Hochschulen; Modellprojekte konnten erfolgreich abgeschlossen werden. Für den Einsatz im Operationsbereich bleibt es allerdings dabei, dass Lagerungstechniken, Zugangswege, Instrumentarien, Instrumente und Operationsverläufe bekannt sein müssen. Examinierte Krankenpflegekräfte, Bachelor, Master, Studierende der Gesundheitsberufe einschließlich Medizin benötigen die Kenntnisse und können sie mit Hilfe des OP-Handbuches jederzeit nachlesen. Mit Rücksicht auf diese breite professionelle Leserschaft und angesichts des rasanten medizinischtechnischen Fortschrittes wurde die 6. Auflage des OP-Handbuches komplett überarbeitet. Hinzugekommen ist im Rahmen der Viszeralchirurgie ein Unterkapitel mit bariatrischer Chirurgie, die Gynäkologie wurde um eine Reihe minimalinvasiver Eingriffe ergänzt, das Mund-, Kiefer-, Gesichtschirurgie-Kapitel nahezu neu erstellt, komplett neu ist das Kapitel Ästhetische/Plastische Chirurgie.

Die 6.  Auflage des OP-Handbuches ist außerordentlich gelungen, die Texte mit farblich unterlegten Zusammenfassungen sind sehr gut lesbar, die Skizzen und Abbildungen von bestechender Qualität. So kann ich den Herausgebern, den Autoren, den verantwortlichen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern des Verlages nur gratulieren, den Leserinnen und Lesern wünsche ich Erkenntnisgewinn und bestmögliche Therapieerfolge auf der Basis des gebündelten Wissens. Prof. Dr. med. Axel Ekkernkamp

Berlin/Greifswald, im Dezember 2015

VII

Vorwort zur 6. Auflage Zu unserer Freude erscheint nun die 6.  Auflage des OP-Handbuches. Das Konzept des Buches hat sich bewährt und ist unverändert. Wieder denken wir, mit der Entwicklung der Chirurgie Schritt gehalten zu haben, um das Pflegepersonal im OP fachlich zu unterstützen. Immer wichtiger wird bei den extrem knappen Zeitressourcen die selbstständige Fortbildung. Sie soll durch dieses Buch erleichtert werden. Patientenbetreuung, Lagerungen, Instrumentenkunde, OP-Vorbereitungen sowie sterile und unsterile Assistenz erfordern hohe Kompetenz und ständiges Lernen. Hier bekommt der Begriff des »lifelong learning« ein Gesicht. Das Herausgeberteam wurde um Brigitte Lengersdorf erweitert. Neue Autoren bereichern das Buch und setzen – wie die »alten« – neue Akzente. 4 Das Kapitel 1 wurde überarbeitet, dabei haben wir dieses Mal bewusst auf die Beschreibung und das Handling des Grundinstrumentariums verzichtet, denn es gibt das Buch »1 × 1 des chirurgischen Instrumentariums«, das diese Inhalte vertieft vermittelt. 4 Frau Anbergen-Langer, als Marketing-Koordinatorin der Firma Ethicon Medical, Expertin für Nahtmaterial, hat dankenswerterweise wieder die Richtigkeit des bearbeiteten Abschnittes überprüft. 4 Das Kapitel 2 wurde umfassend bearbeitet und durch Herrn Dr. Ralf Weise und Frau Marianne Preuth um die bariatrische Chirurgie erweitert. 4 Kapitel 3, 4 und 5 wurden aktualisiert. Für die Handchirurgie konnten wir Herrn Dr. Jan Cruse als Autor gewinnen, für das Kapitel der Gefäßchirurgie hat Frau Olga Aßmann als erfahrene OP-Pflegekraft die Aktualisierung übernommen. 4 Kapitel 6 wurde umfassend verändert, und Herr Dr. Sören von Weihe hat Frau Rosa Böttger dabei fachlich sehr unterstützt.

4 Kapitel 7 zeigt, wie viel sich im Rahmen der Kardiochirurgie vor allem bei den Zugängen und Implantaten verändert. 4 Die Kapitel 8, 9 und 10 wurden von den Autoren umfassend überarbeitet und erweitert, wobei das Team für die Urologie von Frau Annegret Nietz für die endoskopischen Eingriffe unterstützt wurde. 4 Kapitel 11 wurde von Frau Brigitte Lengersdorf und Frau Dr. Ina Giersdorf nahezu neu geschrieben. 4 Kapitel 12 wurde von Frau Lengersdorf und Herrn Dr. Carsten Juhran aktualisiert und um die Panendoskopie erweitert. 4 Kapitel 13 wurde umfassend aktualisiert. 4 Kapitel 14 wurde völlig neu von Herrn Dr. Detlef Rose und Frau Lengersdorf geschrieben. 4 Kapitel 15 wurde von Herrn Christoph Mädler aktualisiert. 4 Das Kapitel 16 behandelt ein ganz neu aufgenommenes Thema, nämlich die plastische Chirurgie, die anschaulich und ausführlich von Frau Birgit von Essen und Herrn Dr. Marian Mackowski dargestellt wird. 4 Das ehemalige Kapitel 16 (Organexplantation) ist nun das Kapitel 17 und bildet den Abschluss. Ohne die Unterstützung vieler ungenannter Kollegen und Firmenmitarbeiter, die uns Abbildungen zur Verfügung stellen, wäre das Buch unvollständig geworden. Unser Dank gilt allen, die uns hilfreich zur Seite standen, und vor allem den Mitarbeiterinnen des Springer-Verlages, namentlich sei hier stellvertretend für alle Frau Dr. Ulrike Niesel genannt, die die Planung und Durchführung gewohnt kompetent begleitete. Es war uns eine große Freude, dass Frau Michaela Mallwitz auch diese Auflage wieder als Lektorin redaktionell überarbeitete und alle Schwachstellen bei Texten und Abbildungen aufzeigte und uns bei der Bearbeitung unterstützte. Dafür danken wir ihr herzlich.

VIII

Vorwort zur 6. Auflage

Ohne unsere zahlreichen und kritischen Leser gäbe es dieses Buch nicht. Es würde uns freuen, wenn wir auch zu dieser Auflage Wünsche und Kritiken übermittelt bekämen. Kurz nach dem Erscheinen dieses Buches wird auch das neue Prüfungsfragenbuch auf dem Markt sein. Es ist an die Aktualisierung des OP-Handbuches angeglichen. Die Herausgeber: Margret Liehn

Fachkrankenpflegekraft im Operationsdienst Dozentin für Operationspflege und OP-Lehre Brigitte Lengersdorf

Fachkrankenpflegekraft im Operationsdienst OTA-Lehrgangsleitung Dr. Lutz Steinmüller MBA

Facharzt für Allgemein-, Unfallund Viszeralchirurgie. Prof. Dr. Rüdiger Döhler, FRCSEd

Facharzt für Orthopädie, Facharzt für Chirurgie Juli 2016

IX

Die Herausgeber Margret Liehn

Dr. Lutz Steinmüller MBA

Fachkrankenpflegekraft im Operationsdienst in einer Zentralen Operationseinheit Freiberufliche Dozentin für OP-Pflege und Operationslehre Hamburg

Allgemein-, Unfall- und Viszeralchirurg 1996–2013 Chefarzt Schönklinik Hamburg-Eilbek Seit 2014 Hanse Chirurgie und Hanse Hernienzentrum Hamburg

Brigitte Lengersdorf

Prof. Dr. Rüdiger Döhler, FRCSEd

Fachkrankenpflegekraft im Operationsdienst Kursleitung OTA-Ausbildung, Schule an der Bürgerweide, Hamburg

Orthopäde und Chirurg i. R. Plau am See

Inhaltsverzeichnis 1

Grundlagen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . M. Liehn, L. Steinmüller, I. Welk

1.1 1.2 1.3 1.4 1.5 1.6 1.7 1.8 1.9 1.10

Aufgaben einer Pflegekraft im Operationsdienst Operationslagerungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . Aspekte zur pflegerischen Dokumentation . . . . Risikomanagement im OP . . . . . . . . . . . . . . . . Chirurgisches Nahtmaterial . . . . . . . . . . . . . . . Werkstoffe des chirurgischen Instrumentariums . Grundinstrumente und ihre Handhabung . . . . . Drainagen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Operationsindikationen . . . . . . . . . . . . . . . . . Wunden und ihre Versorgung . . . . . . . . . . . . . Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

. . . . . . . . . . .

2 4 9 13 15 21 22 22 27 27 35

2

Allgemeinchirurgie und Viszeralchirurgie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . M. Liehn, L. Steinmüller, S. Bröker, U. Engel, H. Schimmelpenning, R. Weise, M. Preuth

37

2.1 2.2 2.3 2.4 2.5 2.6 2.7 2.8 2.9 2.10 2.11 2.12 2.13 2.14 2.15 2.16

Zugangswege und Instrumentarium . . . . Schilddrüse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Hernien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Speiseröhre . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Magen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Milz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Gallenblase und Gallenwege . . . . . . . . . Leber . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Bauchspeicheldrüse . . . . . . . . . . . . . . . Dünndarm . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Blinddarm . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Dickdarm . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Proktologie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Peritonitis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Minimal-invasive Chirurgie . . . . . . . . . . Bariatrische Chirurgie (Adipositaschirurgie) Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

. . . . . . . . . . . . . . . . .

39 46 52 60 67 80 82 87 96 103 104 107 129 135 137 167 173

3

Orthopädische und Unfallchirurgie, Handchirurgie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . C. Jürgens, R. Döhler, A. Gudat, M. Liehn, K. Seide, J. Madert, A. Simon, S. Mein, G. Walura, J. Cruse, R. Thönnessen

175

3.1 3.2 3.3 3.4 3.5 3.6 3.7

Anatomie und Physiologie von Knochen . . . . . . Pathophysiologie von Knochen und Gelenken . . Behandlung von Frakturen . . . . . . . . . . . . . . . Pflegerische Tätigkeiten in der Traumatologie . . Instrumente, Implantate und ihre Anwendung . Operationsbeispiele einzelner Skelettabschnitte Handchirurgie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

176 177 178 181 183 210 252 273

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1

XI Inhaltsverzeichnis

4

Gefäßchirurgie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . O. Aßmann, M. Liedke, A. Kormann

275

4.1 4.2 4.3 4.4 4.5 4.6 4.7

Grundlagen . . . . . . . . . . . . . . . . . . Zugänge . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Lagerungen und Abdeckungen . . . . . Erkrankungen des arteriellen Systems Intraluminale Dilatation . . . . . . . . . . Weitere Operationsbeispiele . . . . . . . Erkrankungen des venösen Systems . . Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

. . . . . . . .

276 285 285 288 293 300 315 318

5

Shunt- und Portsysteme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . L. Steinmüller, M. Liedke, M. Liehn

321

5.1 5.2 5.3

Katheter und Shunts für die Hämodialyse Portsysteme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Peritoneovenöse Shunts . . . . . . . . . . . Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

. . . .

322 323 326 327

6

Thoraxchirurgie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

329

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R. Böttger, S. von Weihe, M. Liehn, M. Nakashima

6.1 6.2 6.3 6.4 6.5 6.6 6.7 6.8 6.9 6.10

Anatomische Grundlagen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Thoraxinstrumentarium . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Typische Zugangswege und Lagerungstechniken in der Thoraxchirurgie Thoraxdrainagen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Präoperative Diagnostik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Eingriffe an der Lunge . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Eingriffe an der Trachea . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Eingriffe an der Pleura . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Eingriffe am Mediastinum . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Knöcherne Thoraxwand . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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330 330 332 334 335 336 341 342 344 346 348

7

Kardiochirurgie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . F.-C. Rieß, U. Kammin, M. Liehn, A. Urbahns

349

7.1 7.2 7.3 7.4 7.5 7.6 7.7 7.8 7.9 7.10 7.11 7.12 7.13 7.14 7.15 7.16 7.17

Geschichte der Kardiochirurgie . . . . . . . Kardiochirurgische Operationsverfahren . Herz-Lungen-Maschine . . . . . . . . . . . . Chirurgische Zugänge . . . . . . . . . . . . . Koronarchirurgie . . . . . . . . . . . . . . . . . Linksventrikuläre Aneurysmektomie . . . Aortenklappenchirurgie . . . . . . . . . . . . Mitralklappenchirurgie . . . . . . . . . . . . Trikuspidalklappenchirurgie . . . . . . . . . Aortenaneurysmachirurgie . . . . . . . . . . Chirurgie kongenitaler Herzfehler . . . . . Erkrankungen des Herzbeutels . . . . . . . Herztumoren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Pulmonale Thrombektomie . . . . . . . . . . Behandlung von Herzrhythmusstörungen Kreislaufunterstützungssysteme . . . . . . Herztransplantation . . . . . . . . . . . . . . Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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350 350 350

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351 354 359 360 368 372 373 377 383 384 385 386 388 391 393

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XII

Inhaltsverzeichnis

8

Gynäkologie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . U. Havemann, M. Bazargan

395

8.1 8.2 8.3 8.4 8.5 8.6 8.7 8.8

Anatomische Grundlagen . . . . . . . Zugänge in der Gynäkologie . . . . . Lagerungen und Abdeckung . . . . . Gynäkologisches Instrumentarium . Medikamente . . . . . . . . . . . . . . . Operative Eingriffe . . . . . . . . . . . Laparoskopie/Pelviskopie . . . . . . Mammachirurgie . . . . . . . . . . . . Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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396 399 400 402 403 406 426 438 443

9

Urologie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . B. Lengersdorf, C. Matthies, A. Nietz, D. Oppermann, A. Haese, S. Bröker, A. Baumgarten

445

9.1 9.2 9.3 9.4 9.5 9.6 9.7 9.8 9.9 9.10 9.11 9.12 9.13

Anatomische Grundlagen . . . . . . . . . . . . Spezielles urologisches Instrumentarium . . Transurethrale und perkutane Eingriffe . . . Äußeres Genitale . . . . . . . . . . . . . . . . . . Prostata . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Blase . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Harnleiter . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Harninkontinenz der Frau . . . . . . . . . . . . Blasen-Scheiden-Fisteln . . . . . . . . . . . . . . Harninkontinenz des Mannes . . . . . . . . . . Harnröhrenplastik . . . . . . . . . . . . . . . . . Eingriffe an der Niere und am Nierenbecken Nierentransplantation (NTX) . . . . . . . . . . . Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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446 450 453 467 479 492 495 503 505 506 509 512 521 523

10

Neurochirurgie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

525

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M. Liehn, M. Brunken, M. Weißflog, A. Gudat

10.1 10.2 10.3 10.4 10.5 10.6 10.7 10.8 10.9

Anatomische und physiologische Grundlagen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Neurochirurgisches Basiswissen im Operationssaal . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Diagnostik in der Neurochirurgie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Intrakranielle Tumoren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Intrakranielle Gefäßmissbildungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Entzündliche Erkrankungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Schädel-Hirn-Traumata . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Erkrankungen und Verletzungen des Rückenmarks, seiner Hüllen und der Wirbelsäule Schädigung peripherer Nerven . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

11

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526 535 544 546 553 557

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558 565 573 575

Mund-Kiefer-Gesichts-Chirurgie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

577

B. Lengersdorf, I. Giersdorf, M. Liehn, G. Nehse

11.1 11.2 11.3 11.4 11.5 11.6 11.7

Überblick über das Fachgebiet Mund-, Kiefer- und Gesichtschirurgie Frakturen und ihre Versorgung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Tumor- und rekonstruktive Chirurgie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Weichteilchirurgie des Gesichtes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Mikrochirurgie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Chirurgische Kieferorthopädie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Lippen-Kiefer-Gaumen-Spalten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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578 581 584 585 586 587 589 592

XIII Inhaltsverzeichnis

12

Hals-Nasen-Ohren-Chirurgie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

593

B. Lengersdorf, C. Juhran, M. Liehn, T. Grundmann

12.1 12.2 12.3 12.4 12.5

Grundlagen der Anatomie . . . . . . . Diagnostisches Instrumentarium . . . Operationsinstrumentarium . . . . . . Aufgaben der Operationspflegekraft Hals-Nasen-Ohren-Operationen . . . Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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594 595 596 599 602 613

13

Kinderchirurgie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

615

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P. Reifferscheid, M. Liehn

13.1 13.2 13.3 13.4 13.5 13.6 13.7

Arbeitsbedingungen in der Kinderchirurgie Thorax . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Abdomen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Bauchwand . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Urogenitaltrakt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Zentralnervensystem . . . . . . . . . . . . . . . Tumoren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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616 620 629 657 667 687 696 702

14

Augenheilkunde (Ophthalmologie) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

705

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B. Lengersdorf, D. Rose

14.1 14.2 14.3 14.4 14.5

Anatomie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Besonderheiten bei Operationen am Auge Spezielle Instrumente der Augenchirurgie . Instrumentation . . . . . . . . . . . . . . . . . . Häufige Eingriffe in der Augenheilkunde . . Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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706 707 708 708 709 718

15

Verbrennungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

719

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C. Mädler, C. Westphal, M. Liehn

15.1 15.2 15.3 15.4 15.5 15.6 15.7

Verbrennungen und Versorgungsbedarf . . . . . Erstversorgung Brandverletzter . . . . . . . . . . . Infektionsrisiko . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Hautersatz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Operative Versorgung Schwerstbrandverletzter Elektrotrauma . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Postakutphase . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

16

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720 720 721 721 723 725

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726 726

Plastische Chirurgie – Ästhetische Chirurgie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

727

B. von Essen, M.S. Mackowski

16.1 16.2 16.3 16.4 16.5 16.6 16.7 16.8

Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Brustvergrößerung (Mammaaugmentation) Bruststraffung (Mastopexie) . . . . . . . . . . . Blepharoplastik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Facelifting (Rhytidektomie) . . . . . . . . . . . . Fettabsaugung (Liposuktion) . . . . . . . . . . Bauchdeckenstraffung (Abdominoplastik) . . Weichteildeckung nach Trauma . . . . . . . . . Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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728 728 730 734 737 738 739 740 747

XIV

17

Inhaltsverzeichnis

Organexplantation – Multiorganentnahme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

749

M. Liehn

17.1 17.2 17.3 17.4

Einleitung . . . . . . . . Ablauf . . . . . . . . . . . Multiorganentnahme . Hornhautspende . . . . Literatur . . . . . . . . .

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750 750 751 753 753

Serviceteil . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

755

Allgemeine anatomische Richtungs- und Lagebezeichnungen des Körpers . . Herstellerverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Glossar und Abkürzungsverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Stichwortverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

756 757 760 775

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XV

Mitarbeiterverzeichnis Olga Aßmann

Ursula Kammin

Hamburg

Hamburg

Anke Baumgarten

Annette Kormann

Hamburg

Hamburg

Dr. Mahtab Bazargan

Brigitte Lengersdorf

Hamburg

Hamburg

Rosa Böttger

Dr. Marc Olaf Liedke

Großhansdorf

Heide

Sabine Bröker

Margret Liehn

Hamburg

Rellingen

Dr. Martin Brunken

Oberfeldarzt Dr. Cord Matthies

Hamburg

Hamburg

Dr. Jan Cruse

Marian Stefan Mackowski

Hamburg

Hamburg

Prof. Dr. Rüdiger Döhler, FRCSEd

Dr. Jürgen Madert

Plau am See

Hamburg

Dr. Ursula Engel

Christoph Mädler

Hamburg

Hamburg

Dr. Ina Giersdorf

Silke Mein

Hamburg

Hamburg

Prof. Dr. Thomas Grundmann

Dr. Masaki Nakashima

Hamburg

Hamburg

Anett Gudat

Priv.-Doz. Dr. Dr. Günter Nehse

Hamburg

Hamburg

PD Dr. Alexander Haese

Annegret Nietz

Hamburg

Hamburg

Ulrike Havemann

Denise Oppermann

Hamburg

Hamburg

Prof. Dr. Christian Jürgens

Marianne Preuth

Hamburg

Friesoythe

Dr. Carsten Juhran

Dr. Peter Reifferscheid

Hamburg

Hamburg

XVI

Mitarbeiterverzeichnis

Prof. Dr. Friedrich-Christian Rieß Hamburg

Dr. Detlef Rose Hamburg

Prof. Dr. Dr. Hendrik Schimmelpenning Neustadt in Holstein

Prof. Dr. Klaus Seide Hamburg

Dr. Angela Simon Malchin

Dr. Lutz Steinmüller, MBA Wedel

Dr. Rainer Thönessen Hamburg

Anja Urbahns Hamburg

Birgit von Essen Hamburg

Dr. Sönke von Weihe Großhansdorf

Gabriele Walura Hamburg

Dr. med. Ralf Weise Friesoythe

Dr. Martin Weißflog Hamburg

Ina Welk Kiel

Christel Westphal Hamburg

1

Grundlagen M. Liehn, L. Steinmüller, I. Welk

1.1

Aufgaben einer Pflegekraft im Operationsdienst

–2

M. Liehn

1.2

Operationslagerungen

–4

M. Liehn

1.3

Aspekte zur pflegerischen Dokumentation

–9

I. Welk

1.4

Risikomanagement im OP

– 13

I. Welk

1.5

Chirurgisches Nahtmaterial

– 15

M. Liehn

1.6

Werkstoffe des chirurgischen Instrumentariums M. Liehn

1.7

Grundinstrumente und ihre Handhabung

– 22

M. Liehn

1.8

Drainagen

– 22

M. Liehn

1.9

Operationsindikationen

– 27

L. Steinmüller

1.10 Wunden und ihre Versorgung

– 27

L. Steinmüller, M. Liehn

Literatur

– 35

M. Liehn et al. (Hrsg.), OP-Handbuch, DOI 10.1007/978-3-662-49281-9_1, © Springer-Verlag Berlin Heidelberg 2016

– 21

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2

Kapitel 1 · Grundlagen

1.1

Aufgaben einer Pflegekraft im Operationsdienst

M. Liehn

Trotz steigender Anforderungen existiert kein festgelegtes Berufsbild einer Fachkrankenpflegekraft im Operationsdienst. In der folgenden 7 Übersicht werden die wichtigsten allgemeinen Anforderungen und operationspezifischen Aufgaben zusammengefasst. Allgemeines Kenntnis- und Leistungsspektrum 5 Aktuelle Kenntnisse der Hygienerichtlinien des RKI 5 Aktuelle Kenntnisse der Arbeitssicherheitsvorschriften 5 Sicherer Umgang mit der Pflegedokumentation 5 Kenntnisse der Qualitätssicherungsmaßnahmen in der OP-Abteilung 5 Team- und Konfliktfähigkeit 5 Gutes Kommunikationsvermögen 5 Organisationsfähigkeit 5 Didaktische Kenntnisse zur Vermittlung fachpraktischer und theoretischer Fertigkeiten 5 Fähigkeit zur psychischen Betreuung von Patienten 5 Kenntnisse über pflegerische Maßnahmen, z. B. Katheterismus 5 Kenntnisse bezüglich des Strahlenschutzes 5 Kenntnisse der Unfallverhütungsvorschriften 5 Kenntnisse über die korrekte Vorbereitung des Patienten, z. B. für die Anwendung hochfrequenter Elektrochirurgiegeräte 5 Kenntnisse des Medizinproduktegesetzes (MPG) 5 und Verschiedenes mehr

5 Annahme, Beschriftung und Versendung von Präparaten für die Bakteriologie, Pathologie und Histologie 5 Dokumentation und Kontrolle der Raumluft Technischen Anlagen (RLTA) 5 und Verschiedenes mehr

Schon mit dem Betreten einer Operationsabteilung kommen besondere Anforderungen auf das OP-Personal zu. Korrektes Einschleusen setzt Wissen über die Hygiene voraus, denn das richtige Tragen von Kleidung, Mütze und Mundtuch resultiert aus der Einsicht in die Notwendigkeit. Alle neuen Mitarbeiter, Schüler und Gäste müssen dahingehend eingewiesen werden. Im Saal selbst gehören ruhige Bewegungen zum »normalen« Arbeitsablauf; Hektik darf nur im äußersten Notfall aufkommen. jSonstige Aufgaben

Das OP-Personal lernt neue Kollegen, operationstechnische Assistenten (OTA) oder Schüler an. Das Wissen über die organisatorischen Notwendigkeiten in einem OP-Betrieb ist hierfür die Voraussetzung. Die Erstellung und regelmäßige Überprüfung von Standards sind im Rahmen der Qualitätssicherung unerlässlicher Bestandteil der Arbeit des OP-Personals. Die Einhaltung der Hygienerichtlinien und der Unfallverhütungsvorschriften ist obligat. Für einen reibungslosen Tagesablauf muss die Bevorratung ausreichend sein. Dazu muss die Bestellung von Bedarfsartikeln und Implantaten geregelt sein. Je nach Spezialisierung und Abteilung kommen zusätzliche spezifische Anforderungen hinzu. jOP-Vorbereitung

Operationsspezifische Aufgaben 5 Vorbereitung des OP-Saales mit allen medizinischen Geräten, Instrumentarien und Verbrauchsmaterialien 5 Operationsspezifische Vorbereitung der OP-Tische 5 Einschleusung der Patienten 5 Durchführung und Überwachung der operationsspezifischen Lagerung des Patienten 5 Anlegen einer Blutsperre/Blutleere 5 Situationsgerechtes, schnelles Instrumentieren 5 Saalassistenz (»Springertätigkeit«) 5 Durchführung der Dokumentation 5 Vorbereitung und das Anlegen von Gipsen und Verbänden

Das OP-Pflegepersonal bereitet anhand bestehender Standards den benötigten Operationstisch mit Lagerungshilfsmitteln vor. Der Patient wird eingeschleust, nach Standard und/oder Checkliste und entsprechend der geplanten Operation gelagert. Die instrumentierende Kraft und die »Saalassistenz« sollen kooperativ die Operation vorbereiten. Das setzt ein gut geplantes OP-Programm voraus, in dem auch die individuellen Probleme des Patienten berücksichtigt werden. Alle medizintechnischen Geräte werden vor der Operation gemäß dem Medizinproduktegesetz (MPG) geprüft. Instrumente, Wäsche, Kittel, Textilien und Nahtmaterialien werden gemeinsam zusammengestellt. Die/der Instrumentierende deckt die Tische steril ab und bereitet die Instrumente für die geplante Operation übersichtlich und standardisiert vor.

3 1.1 · Aufgaben einer Pflegekraft im Operationsdienst

! Die Anordnung der Instrumente auf dem Tisch sollte in einer Operationsabteilung einheitlich sein. Im OP-Protokoll wird die Anzahl der Instrumente, Materialien und Textilien prä-, intra- und postoperativ dokumentiert.

jOperation

Kenntnisse der Anatomie des menschlichen Körpers und das Wissen um den Ablauf der geplanten Operationen sind für ein situationsgerechtes Instrumentieren, insbesondere in kritischen Phasen der Operation, unerlässlich. Das Anreichen der Instrumente während der Operation in der richtigen Reihenfolge sollte ohne direkte Aufforderungen möglich sein. Nach der Operation werden alle Instrumente, Nadeln und Textilien noch einmal gezählt und das korrekte Ergebnis im OP-Protokoll festgehalten. jSaalassistenz

Die Saalassistenz hilft bei der operationsspezifischen Lagerung des Patienten nach der Narkoseeinleitung. Dies erfordert neben körperlicher Kraft und technischem Verständnis auch das Wissen über die Vermeidung von Lagerungsschäden. Dekubitalgeschwüre werden durch die Lagerung des Patienten auf Gelmatten oder Vakuummatratzen verhindert (7 Abschn. 1.2). Eine Thromboseprophylaxe erfolgt durch korrektes Lagern der Beine und ggf. durch das Tragen von angepassten Antithrombosestrümpfen, die keine Falten schlagen dürfen, oder durch die Anwendung mechanischer Hilfsmittel. Eine Wärmematte, entsprechend gewärmte Decken oder Isolierfolie vermindern den Wärmeverlust des Patienten (7 Abschn. 1.2.1). Die Saalassistenz reicht das benötigte Sterilgut an und steht hierzu immer mit dem Gesicht zum sterilen Bereich. Die Bedarfsartikel werden nie über den sterilen Tischen geöffnet, aber immer so, dass die Instrumentierende problemlos das Material abnehmen kann. Nach dem sterilen Abdecken des Patienten durch das operierende Team schließt der Springer die benötigten medizintechnischen Geräte an, u. a. den Sauger und bei Bedarf das Hochfrequenz (HF)-Gerät (7 Abschn. 1.2.3). Die Abwurfbehältnisse werden bereitgestellt. Die Saalassistenz verfolgt den Ablauf der Operation, um bei Bedarf unaufgefordert neue Materialien anzureichen. Sie versorgt anfallende Präparate, kümmert sich um die korrekte Dokumentation, zählt am Ende einer Operation die abgeworfenen Textilien und bestellt den nächsten Patienten. Nach erfolgter Hautnaht werden die neutrale Elektrode sowie Gurte und Lagerungshilfen vom Patienten entfernt

und zur Reinigung und Desinfektion bereitgelegt. Die Drainagen und der Verband werden vor der Verlegung des Patienten in die Aufwacheinheit kontrolliert. Die Abfälle und der Saugerinhalt bzw. -beutel werden gemäß den Hygienerichtlinien entsorgt. Geräte und Instrumente, die für die Operation notwendig waren, werden aus dem Saal entfernt, damit das Reinigungspersonal den OP-Raum, die Möbel und die OP-Lampe reinigen kann. jAufgaben einer operationstechnischen Assistentin

Die Aufgaben einer OTA unterscheiden sich nicht von denen der OP-Pflegekraft. Die OTA bekommt in einer von der DKG (Deutsche Krankenhausgesellschaft) geregelten 3-jährigen Ausbildung das Wissen und die Fertigkeiten vermittelt, die im laufenden OP-Betrieb benötigt werden. Hinzu kommen die Instrumentenaufbereitung, die Tätigkeit in der chirurgischen Ambulanz sowie einführende Kenntnisse für die Endoskopie und Anästhesie. Nach Ablauf der 3-jährigen Ausbildung kann die/der OTA die oben geschilderten Aufgaben übernehmen und so in das OP-Team integriert werden. jVorbereitung von Operations- und Biopsiematerial für die nachfolgende histologische Untersuchung

Biopsie- und anderes Gewebematerial werden in der Regel histologisch von einem Pathologen untersucht. Die feingewebliche Untersuchung trägt maßgeblich zur Diagnostik, insbesondere bei der Abklärung einer möglichen Krebserkrankung, bei. Für die Behandlung des Gewebes und/oder des Biopsiematerials gibt es prinzipiell 2 Möglichkeiten: 4 Schnellschnitt, 4 übliche Verarbeitung nach Fixierung. Schnellschnitt Bei der Schnellschnittdiagnostik wird Frischmaterial unmittelbar nach der Entnahme in der Pathologie untersucht. Während des Transports darf das Material nicht austrocknen und wird deshalb mit einem Tupfer mit physiologischer Kochsalzlösung oder RingerLösung abgedeckt. Das native Gewebe wird in der Abteilung für Pathologie eingefroren und anschließend am Gefrierschnitt untersucht. Die Diagnose kann nach etwa 5–10 min am Mikroskop erstellt werden. Da das Material beim Schnellschnitt frisch in die Abteilung für Pathologie gelangt, sind alle anderen methodischen Aufbereitungen noch möglich und können vom Pathologen in die Wege geleitet werden (z. B. mikrobiologische, biochemische Untersuchungen, molekularbiologische und genetische Analysen). Zu beachten sind die korrekte Beschriftung des Begleitscheins und die Angabe einer Telefon- oder Fax-Nummer, damit das Untersuchungsergebnis dem Chirurgen mitgeteilt werden kann.

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Kapitel 1 · Grundlagen

Fixierung Für die übliche Gewebeaufbereitung ohne Schnellschnitt wird das Gewebe in der Regel fixiert, d. h. konserviert. Die Fixierung hat folgende Aufgaben: 4 Sie härtet das Gewebe und macht es damit für die nachfolgende histologische Untersuchung geeignet. 4 Sie macht das Gewebe haltbar. 4 Sie tötet Keime (Bakterien, Viren) ab und verhindert so fast alle relevanten Infektionen.

Für die Fixierung gibt es zahlreiche unterschiedliche Mittel. In der Praxis wird überwiegend 4- oder 6%iges Formalin verwendet, das durch Verdünnen der ca. 40%igen wässrigen Formaldehydstammlösung mit der entsprechenden Menge Leitungswasser hergestellt werden kann. Besser als Leitungswasser eignet sich phosphatgepufferte physiologische Kochsalzlösung. Die entsprechenden Rezepte und die Herstellung erfolgen in der Apotheke oder in der Abteilung für Pathologie. Obwohl Formalin sehr lange haltbar ist, muss es in regelmäßigen Abständen neu angesetzt werden, damit keine Abbauprodukte wie Ameisensäure das Gewebe verändern. Gepuffertes Formalin ist insbesondere bei Tumorgewebe angezeigt, wenn eine ungewöhnliche Differenzierung zu erwarten ist. Für besondere Untersuchungen (z. B. am Elektronenmikroskop) wird gepuffertes Formalin verwendet. Im Einzelfall sollte jedoch vor dem Eingriff kurz Rücksprache mit dem Pathologen bzw. dem Histologielabor gehalten werden, der das Material nachbearbeitet. Praktische Hinweise Die Telefonnummer der Abteilung

für Pathologie muss für entsprechende Rückfragen hinterlegt sein. Formalin gilt als krebserzeugend, demzufolge werden bei der Versorgung der anfallenden Präparate Handschuhe getragen. Das Präparat muss vollständig von Formalin bedeckt sein. Der Präparatebehälter muss ausreichend groß sein, das Gewebe darf nicht gequetscht werden. Die korrekte Beschriftung der Behälter und des entsprechenden Begleitscheins ist essenziell.

1.2

Operationslagerungen

M. Liehn 1.2.1

Allgemeine Hinweise

Der regelhafte Ablauf einer Operation hängt nicht unerheblich von der richtigen Lagerung des Patienten ab, die in den meisten Abteilungen vom OP-Personal durchgeführt wird. Sie erfolgt nach Absprache mit dem Anästhesisten

und dem Chirurgen, die sich die Verantwortung über die Kontrolle in den verschiedenen Phasen der Operation teilen (7 unten: Abschn. »Juristische Verantwortung«). Nach der Narkoseeinleitung, die in Rückenlage auf dem geraden Tisch durchgeführt wird, beginnt die eigentliche Operationslagerung. Intraoperative Korrekturen oder Umlagerungen bergen Risiken der Verschiebung von Polstermaterial und beschleunigen damit die Entstehung von Druckgeschwüren. Fast jede Operation erfordert eine spezifische Lagerung, die für diesen Eingriff gesondert angesprochen wird, aber gleichzeitig unterliegt jede Operationslagerung den folgenden festen Kriterien. Der OP-Tisch ist immer mit einer Gelmatte abgedeckt, um den Druck auf das Gewebe zu minimieren. Alternativ stehen z. B. Vakuummatratzen zur Verfügung. Armschienen und Beinausleger sind im Regelfall mit einer Gelmatte  bedeckt. Für besonders gefährdete Patienten, wie alte, kachektische oder gefäßkranke Personen, empfiehlt sich bei längeren Eingriffen eine Vakuumauflage, die sich an die Konturen des Körpers anpasst. Die Mitarbeiter müssen in die Anwendung der OPTischauflagen eingewiesen sein. ! Immer gilt, den Patienten vor Schäden jeder Art zu schützen. Ein Wärmeverlust während der Operation kann zu einer erheblichen Gefahr für den Patienten werden.

Während der Narkose muss mit Wärmeverlust gerechnet werden. Großflächige OP-Zugänge, kalte Spüllösungen, Infusionen und zu geringe Raumtemperatur müssen vom Patienten kompensiert werden. Die Abdeckung des Körpers mit vorgewärmten Tüchern, das Liegen auf einer Wärmematte und angewärmte Spüllösungen müssen zum Standard gehören. Die Anwendung von energetisch betriebenen Wärmedecken (Warm Touch) ist unabdingbar. Sie können über 3 Temperaturstufen eine konvektive Erwärmung erreichen (Fa. Covidien). Auskühlung des Patienten wirkt sich auf die Narkoseführung aus. Die Aufwachphase wird verlängert, die Gefahr einer Dekubitusentstehung steigt. Die Wundheilung kann verzögert einsetzen.

Juristische Verantwortung Nicht selten taucht die Frage auf, wer bei Lagerungsschäden verantwortlich ist. Nach einer Absprache der Berufsverbände der Chirurgen (BDC) und der Anästhesisten (BDA) wurde die Verantwortlichkeit zwischen Chirurgie und Anästhesie in die im Folgenden aufgeführten 4 Phasen gegliedert.

5 1.2 · Operationslagerungen

Dekubitusprophylaxe Verantwortlichkeit für die Lagerung Präoperative Phase: Der Anästhesist ist so lange für die Lagerung verantwortlich, bis der Patient in Narkose für die Operation gelagert wird. Lagerung zur Operation: Der Operateur entscheidet über die Art der Lagerung unter Berücksichtigung eventueller Einwände seitens des Anästhesisten. Der Chirurg ist verpflichtet, die Lagerung vor der Abdeckung zu kontrollieren und er ist gehalten, dieses zu dokumentieren. Intraoperative Lageveränderungen: Nach intraoperativen Lagerungsänderungen ist zu kontrollieren, ob die Abpolsterung der gefährdeten Körperteile gewährleistet und der Sitz der neutralen Elektrode noch korrekt ist. Postoperative Phase: Die Aufgabe des Anästhesisten erstreckt sich auf die Beobachtung der Lagerung während der Ausleitung und der Umlagerung ins Krankenbett. Sie endet erst mit der Übergabe des Patienten an die Station bzw. den Aufwachraum.

Schädigungsarten ! Zur professionellen Pflege gehört unbedingt die standardisierte Vorbereitung und Durchführung einer OP-Lagerung. Aber die Kompetenz des Pflegenden zeichnet sich dadurch aus, dass er/sie bei Bedarf vom Standard abweicht, um optimale Bedingungen für den Patienten zu erzielen.

Der Patient ist durch Narkose, Relaxation und drohenden Wärmeverlust prädestiniert für Läsionen, Druckschäden und Lähmungserscheinungen. Folgendes ist zu beachten: 4 Starker Druck und massive Dehnung aller Nerven und Gefäße sind zu vermeiden; zu starke Flexion oder Beugung führen zu Schädigungen. 4 Übertriebene Rotation oder Abduktion z. B. des Armes führt zu Dehnungen des Plexus brachialis. 4 Befestigungen müssen locker und gut gepolstert sein. 4 Zu harte oder falsch platzierte Rollen führen zu Kompressionen. 4 Alle Gelenke werden leicht abgewinkelt gelagert. 4 Niemand darf sich auf einem Patienten abstützen. 4 Bei intraoperativen Lagerungsveränderungen muss ein Verrutschen des Patienten auf dem OP-Tisch vermieden werden.

Untersuchungen haben gezeigt, dass vielfach schon im OP-Saal die Grundlage für Dekubitalgeschwüre gelegt wird. Selbst bei sehr gewissenhafter Betrachtung der Haut des Patienten nach einem Eingriff sind tiefe Hautschädigungen nicht erkennbar. Erst einige Tage postoperativ rötet sich die Haut. Die Ursache wird dann nicht mehr der OP-Lagerung zugeordnet. Durch eine optimale Polsterung, Wärmeisolierung und Pflege der Haut lässt sich der Dekubitus vermeiden. Besonders bei onkologischen oder gefäßkranken Patienten ist die Entstehung von Dekubitalgeschwüren zu erwarten, wenn keine prophylaktischen Maßnahmen ergriffen werden.

Lagerungsmittel Während der verschiedenen Operationen erleichtern Lagerungshilfen den Eingriff. In der Kopftieflage fallen die Darmschlingen z. B. nach kranial und ermöglichen einen besseren Zugriff ins kleine Becken oder in den Unterbauch. Die Fußtieflage verbessert den Zugang zum Oberbauch. Polster oder OP-Tischelemente erhöhen den Thorax, sodass der Zugang durch den gedehnten Zwischenrippenraum erleichtert ist. Gelmatten müssen gemäß Herstelleranweisung angewendet werden. In der Regel liegen sie direkt auf der Haut des Patienten, denn nur so ist eine erwünschte Druckverteilung zu erzielen.

Lagerungsdokumentation Die Dokumentation von standardisierten Lagerungen ist einfach, da nicht mehr alle Lagerungshilfsmittel aufgezählt werden müssen. Immer müssen dokumentiert werden: 4 Abweichungen vom Standard und ihre Begründung, 4 Namen des Durchführenden und des kontrollierenden Chirurgen, 4 Platzierung der Dispersionselektrode, 4 Lagerungsveränderungen.

Lagerung der Arme Der für die Narkose wichtige »Infusionsarm« wird in seiner gesamten Länge auf einer am Tisch fixierten Schiene ausgelagert. Die Schienenpolster müssen korrekt anliegen, um Schäden am N. radialis oder N. ulnaris zu vermeiden. Hierzu wird der Arm in Supinationsstellung (Handfläche einsehbar) leicht angewinkelt fixiert. Der andere Arm kann mit 2 gepolsterten Manschetten am Narkosebügel hochgehängt werden. Die Schulter muss dabei auf dem OP-Tisch aufliegen. ! Kein Hautareal des Patienten darf mit dem Metall des OP-Tisches in Berührung kommen, wenn während des Eingriffs mit dem HF-Gerät gearbeitet wird.

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Kapitel 1 · Grundlagen

Soll der andere Arm seitlich an den Körper angelegt werden, muss er in einem Polsterkissen liegen und die Hand muss gepolstert fixiert sein. Ein Kontakt von Haut zu Haut muss vermieden werden, um Verbrennungen bei Anwendung der HF-Chirurgie zu verhindern. Während der Operation darf sich niemand gegen die Arme des Patienten lehnen, damit die Armlagerung sich nicht verändert.

Lagerung der Beine Die Beine werden parallel gelagert. Eine Druckeinwirkung auf Nerven und Gefäße, z. B. intraoperativ durch den Instrumententisch, muss verhindert werden. Der Auflagedruck verteilt sich besser, wenn die Beinplatten des OPTisches im Kniebereich etwas abgeknickt werden. In Höhe der Oberschenkel, etwas oberhalb der Patellae, wird ein breiter Gurt angelegt, der nicht zu stramm angezogen sein darf. ! Eine Hand sollte flach zwischen Gurt und Beine passen!

. Abb. 1.1 Patientenlagerung auf einer Vakuummatratze für Oberbauchoperationen in Anti-Trendelenburg-Position. (Aus Krettek u. Aschemann 2005)

Beide Fersen werden separat abgepolstert.

Lagerung des Kopfes Der Kopf wird auf einem Kopfkissen oder Gelring gelagert, wenn er nicht in einer Kopfkalotte liegt. ! Der Ring muss so liegen, dass im Schläfenbereich oder an der Kalotte keine Druckstellen entstehen können.

Lagerungen in der minimal-invasiven Chirurgie Im Rahmen der minimal-invasiven Chirurgie (MIC) sind besondere Aspekte zu bedenken. Vielfach werden intraoperativ Lageveränderungen vorgenommen, um die Schwerkraft ausnutzen zu können. Hierdurch kann z. B. der Dünndarm in den Ober- oder Unterbauch verlagert werden. Grundsätzlich sollte das OP-Gebiet leicht erhöht liegen. So werden Unterbauchoperationen in der sog. Trendelenburg-Lagerung durchgeführt; hier wird der Kopf des Patienten tiefer gelagert als die Füße und der OP-Tisch wird zwischen 20 und 40° gekippt. Oberbauchoperationen werden in der Anti-Trendelenburg-Lagerung durchgeführt, bei der der Kopf höher liegt als die Füße. Der OP-Tisch wird häufig seitwärts gekippt. Auch bei extremen Lageveränderungen dürfen die Polsterungen nicht verrutschen. Des Weiteren müssen z. B. Schulter-, Fuß- und Seitenstützen angebracht werden, die eine Positionsveränderung des gesamten Körpers des Patienten verhindern. Laparoskopische Oberbauchoperationen erfolgen in der Regel in Rückenlage des Patienten.

Manche Chirurgen bevorzugen die Lagerung des Patienten auf einem geraden Tisch, der in eine unterschiedlich extreme Anti-Trendelenburg-Position (. Abb. 1.1) gebracht wird. Bei Lagerung auf einem Steinschnitttisch ist unbedingt auf perfekte Polsterung und Fixierung der Beine sowie der Schultern zu achten. Durch richtige Beinlagerung in den Goepel-Stützen können Peronäusläsionen vermieden werden. ! Die korrekte Lage des ausgelagerten Armes muss nach jeder intraoperativen Lageveränderung kontrolliert und ggf. korrigiert werden, um Armplexusläsionen zu verhindern.

Bei laparoskopischen Eingriffen im Unterbauch liegt der Patient zunächst in horizontaler Rückenlage und wird erst nach Anlage des Pneumoperitoneums in die Trendelenburg-Position (. Abb. 1.2) gebracht, um das Dünndarmpaket in den Oberbauch gleiten zu lassen. Bei diesen Extremlagerungen ist die Abstützung an den Schultern (Trendelenburg) oder an den Füßen (AntiTrendelenburg) unerlässlich. Eine Vakuummatte verhindert ebenfalls unkontrolliertes Verrutschen des Patienten. Eine Lagerung auf dem Steinschnitttisch ist zwingend erforderlich, wenn eine transanale Stapleranastomose geplant ist.

7 1.2 · Operationslagerungen

. Abb. 1.2 Patientenlagerung auf einer Vakuummatratze für Unterbauchoperationen in Rückenlage mit Trendelenburg-Position. (Aus Krettek u. Aschemann 2005)

beschädigt ist. Es ist luftundurchlässig, aber eine ungehinderte Thermoregulation ist möglich. Gore-Tex-Textilien werden häufig über Leasingfirmen geliefert und aufbereitet. Vliesmaterialien aus Holzpulpe sind als Einwegabdeckungen im Handel. Sie sind wasserdicht, atmungsaktiv, weich und reißfest, haben eine geschlossene Materialstruktur und sind deshalb praktisch fusselfrei in der Anwendung. Sie können einzeln oder in operationsspezifischen Sets geliefert werden. Die Entsorgung erfolgt über den Krankenhausmüll in die Verbrennungsanlage. In der Regel enthält das operationspezifische Abdeckset ebenfalls das benötigte Einwegmaterial. Das vermindert das Müllaufkommen und erleichtert die Operationsvorbereitung.

Präoperative Rasur Hygienische Anforderungen 1.2.2

Abdeckungskonzepte

Die Abdeckungssystematik des OP-Gebietes ändert sich meist von Abteilung zu Abteilung. Die Art der Abdeckung hängt u. a. von den Materialien ab. Grundsätze 5 Das Abdeckungsmaterial muss Keimbarriere und Flüssigkeitsbarriere sein, z. B. um Verbrennungen zu vermeiden. 5 Um Störungen durch elektrische Felder in operativen und diagnostischen Geräten auszuschließen, muss die Abdeckung antistatisch sein; außerdem ist eine ungehinderte Thermoregulation von Bedeutung, um die Körpertemperatur des Patienten konstant zu halten. 5 Die flexible Fixation mit Klebestreifen erleichtert die Abdeckung. 5 Abdeckungen werden zumeist in Sets geliefert, standardisiert und operationsspezifisch, mit funktionell gefalteten Tüchern, die in der Reihenfolge ihrer Anwendung gepackt sind. 5 Eine effiziente Versorgung ebenso wie die Entsorgung muss gewährleistet sein. 5 Wirtschaftlichkeit und Umweltverträglichkeit sind wichtige Faktoren, die beim Einkauf berücksichtigt werden.

Materialien Gore-Tex-OP-Textilien sind aus mikroporösem Material. Die Partikelabgabe während des Gebrauchs ist sehr gering. Das feinporige Material stellt eine optimale Keimbarriere dar. Es ist saugfähig und absolut wasserfest, solange es un-

Die präoperative Rasur wird aus hygienischer Sicht unterschiedlich bewertet. Teilweise wird eine Rasur empfohlen, teilweise genügt die Kürzung der Haare. Zu bedenken ist dabei, dass eine Rasur auch mit Nachteilen verbunden sein kann. Durch entstehende Mikroverletzungen der Haut können postoperative Wundinfektionen begünstigt werden. Der Patient sollte nicht früher als 2 h vor dem chirurgischen Eingriff rasiert werden, um die mit evtl. entstandenen Läsionen einhergehende Infektionsgefahr zu verringern. Von der Rasur unmittelbar im OP-Saal ist abzuraten, da die Unterlage des OP-Tisches nicht absolut vor Durchfeuchtung und Verschmutzung geschützt werden kann. Wenn in Ausnahmefällen doch im OP-Saal rasiert wird, muss die Unterlage des Patienten vor Durchfeuchtung geschützt werden, und die entfernten Haare dürfen nicht ins OP-Feld gelangen.

Rechtliche Anforderungen Ausgenommen von der Rasur ist immer der Gesichtsbereich. Die unerlaubte Entfernung der Augenbrauen kann als Körperverletzung interpretiert werden. Eine Bartrasur muss mit dem Patienten besprochen sein.

Nassrasur Dem Patienten wird eine Einwegunterlage unter das zu rasierende Körperteil gelegt; die Haut wird gründlich mit flüssiger Seife oder Rasierschaum angefeuchtet. Die Größe des behandelten Feldes hängt von der Schnittführung ab, als Anhaltspunkt gilt »Schnittlänge +10–20 cm Umfeld«, weil Schnitterweiterungen und Drainageaustrittstellen bedacht werden müssen. Rasur-Standards für die einzelnen Operationen definieren auch für Mitarbeiter auf peripheren Stationen, wie lang üblicherweise ein chirurgischer Zugang ist. Die Rasur

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Kapitel 1 · Grundlagen

reicht dann aus und muss nicht im OP-Saal erweitert werden. Damit können Missverständnisse und Kommunikationsprobleme vermindert werden.

Trockenrasur Nur im Notfall sollte die Haut ohne Rasierschaum oder -seife rasiert werden. Besonders die Trockenrasur mit einem Einmalrasierer birgt die Gefahr der Hautläsionen und anschließenden Infektion.

Clipping Elektrisches Clipping, nass oder trocken, kürzt die Haare und schont die Hautoberfläche. Dadurch kommt es kaum zu Hautläsionen, und die postoperative Infektionsgefahr wird minimiert.

Chemische Depilation Statt einer Nassrasur können auch chemische, keratinlösende Substanzen verwendet werden, die eine Enthaarung an der Hautoberfläche bewirken. Da sie keinerlei Hautläsionen hervorrufen, können sie mehrere Stunden vor dem Eingriff angewendet werden. Zur Vermeidung allergischer Reaktionen wird die Substanz vor der Anwendung z. B. in der Ellenbeuge des Patienten getestet. Im Intimbereich ist von chemischen Mitteln abzuraten, da der Kontakt mit Schleimhäuten Reizungen verursacht.

1.2.3

Hochfrequenzchirurgie

Prinzip Nach dem Joule-Gesetz (benannt nach dem Physiker James Prescot Joule) entsteht Wärme, wenn elektrischer Strom durch einen leitfähigen Körper fließt. Hierbei gilt: Je höher die Stromdichte ist, desto mehr Wärme entsteht. Diese Tatsache wird in der Chirurgie genutzt, indem an den Körperstellen eine hohe Stromdichte erzeugt wird, an denen geschnitten oder koaguliert werden soll. Dazu werden hochfrequente Wechselströme durch den Körper des Patienten geleitet, der über die »Neutralelektrode« mit dem HF-Gerät verbunden ist. Den Gegenpol stellt der Handgriff mit der sterilen OP-Elektrode dar, die ebenfalls mit dem Gerät verbunden ist.

Anwendung Jedes Gerät hat eine Standardeinstellung, die vom Hersteller angegeben wird und dem OP-Personal bekannt sein muss. Bei Bedienung der Handelektrode schließt sich der Stromkreis; je nach Geräteeinstellung wird das Gewebe durch regelbare Hitzeeinwirkung koaguliert. Die Handelektrode wird unter Aufsatz der Messeroder der Stichelelektrode entweder zum Schneiden oder zum Koagulieren benutzt; mit der Knopfelektrode wird der

Strom an die Pinzette geleitet, mit der ein blutendes Gefäß gefasst wurde (monopolare Anwendung). Wir unterscheiden die Koagulation von der schneidenden Funktion. 4 Koagulation: Hier wird durch den Strom das Gewebe langsam erhitzt, sodass die extra- und die intrazelluläre Flüssigkeit verdampft. Dadurch schrumpft das Gewebe zusammen, eröffnete Blutgefäße werden so verschlossen. 4 Schneiden: Hier erhitzt der Strom das Gewebe sehr schnell, sodass die Zellwand durch den entstehenden Druck explodiert. So kann mit den entsprechenden Elektroden Körpergewebe mit gleichzeitiger Blutstillung durchtrennt werden. Die bipolare Anwendung erfordert keine Dispersionselektrode. Die entsprechenden Pinzetten und Scheren leiten den Strom von einem Arbeitsteil (Pol) zum zweiten Arbeitsteil (Pol).

Gefahren und Prophylaxen Hat der Patient während des monopolaren Koagulierens Kontakt zu Metallteilen des Tisches, kann an diesen Stellen hochfrequenter Strom abfließen und Verbrennungen verursachen. Metallteile befinden sich an den seitlichen Gleitschienen des OP-Tisches und an Zubehörteilen wie Narkosebügel oder Armtisch. Zu den EKG-Elektroden muss ein Sicherheitsabstand von 150–200 mm eingehalten werden; HF-Geräte müssen gemäß MPG regelmäßig gewartet werden. Die falsche Bedienung oder die Nichtbeachtung der folgenden Vorsichtsmaßnahmen kann schwerwiegende Zwischenfälle verursachen.

Regeln zur Anwendung des HF-Gerätes 5 Die »Neutralelektrode« (Dispersionselektrode) sollte so nah wie möglich am OP-Feld platziert werden, damit der Strom schnellstmöglich wieder darüber abfließen kann. Sie sollte immer an der zu operierenden Seite angebracht werden, damit der Strom nicht quer zur Körperachse fließen muss. Dies gilt besonders im thorakalen Bereich. 5 Die »Neutralelektrode« muss ganzflächig am Körper des Patienten anliegen. Behaarte oder narbige Körperteile sind daher ungeeignet. Der Stromfluss ist gestört, wenn das Kabel gebrochen ist, oder die Steckkontakte defekt sind. 5 Die »Neutralelektrode« muss groß genug sein und der Intensität des Stroms entsprechen. 5 Bei Patienten mit Pacern oder Herzschrittmacherelektroden kann die Anwendung von monopola-

9 1.3 · Aspekte zur pflegerischen Dokumentation

rem Strom zu Störungen der Pacerfunktion und zu Kammerflimmern führen. Deshalb muss bei solchen Patienten mit bipolarem Strom gearbeitet werden. Herzschrittmacher der neueren Generation sind von monopolarem Strom nicht mehr zu stören, dazu ist es nötig, den Herzschrittmacher-Pass des Patienten zu beachten und zu dokumentieren. 5 Das instrumentierende Personal muss darauf achten, dass die sterilen Elektroden sauber sind. Verbrannte Gewebereste müssen ständig entfernt und Einmalelektroden bei Bedarf erneuert werden. Sollte die Koagulationsleistung des HF-Gerätes intraoperativ nachlassen, sind zunächst alle technischen Gegebenheiten zu prüfen, bevor die Stromstärke am Gerät erhöht wird.

Neben Ultraschallapplikatoren (7 Abschn. 2.15) stehen weitere Methoden zur Blutstillung zur Verfügung. Zum Beispiel kann mit dem Argonbeamer (monopolares »Sprayen« mit Argon als Trägergas) kontaktfrei koaguliert werden oder mit dem LigaSure (Fa. Covidien), EndoSeal (Fa. Ethicon) oder thunder beat (Fa. Olympus) Gefäße verschweißt werden.

1.3

Aspekte zur pflegerischen Dokumentation

I. Welk 1.3.1

Grundlagen der Dokumentation

Seit 1978 besteht aufgrund der Rechtslage für den Arzt eine Dokumentationspflicht seiner Tätigkeiten. Durch Dokumentation soll Transparenz erreicht werden, die es nachbehandelnden Personen (z. B. Ärzte, Gutachter) ermöglichen soll die Behandlung nachvollziehen und beurteilen zu können. Eine gute Dokumentation soll alle relevanten Aspekte der Behandlung und getroffenen Maßnahmen enthalten. Für den Pflegebereich ist mit dem Krankenpflegegesetz von 1985 eine Regelung beschrieben. Hier wird u. a. als Ausbildungsziel von der »sach- und fachkundigen, umfassenden und geplanten Pflege des Patienten« (Kurtenbach et al. 1994) gesprochen, die nur mittels einer lückenlosen Dokumentation aller Pflegehandlungen gesichert werden kann. Verschiedene Gesetze und Vorgaben (Krankenpflegegesetz, Krankenhausfinanzierungsgesetz, Sozialgesetzbuch SGB Buch V etc.) machen die Dokumentation heute zwingend notwendig. Auch medikolegale Anforderungen erfordern zunehmend den Dokumentationsnach-

weis, wobei nicht dokumentierte Inhalte als »nicht geleistet« interpretiert werden. Im Spannungsfeld zwischen Medizin, Pflege und Ökonomie wird verstärkt Dokumentationsbedarf gefordert (z. B. Dokumentation DRG-relevanter Maßnahmen etc.). Definition Dokumentation bedeutet eine beweiskräftige, wahrheitsgemäße Aufzeichnung aller am Patienten durchgeführten Maßnahmen. Auch im Nachhinein muss die Dokumentation unter juristischen Argumentationspunkten einer Überprüfung und lückenlosen Nachvollziehbarkeit standhalten. Dokumentation ist – auch unter dem Aspekt der Qualitätssicherung – ein unverzichtbarer Bestandteil der pflegerischen und medizinischen Patientenversorgung im Krankenhaus.

Für den Patienten bedeutet dies mehr Sicherheit durch einen nahtlosen Informationsaustausch zwischen den ihn versorgenden Personen und Organisationseinheiten. Außerdem wird deren gegenseitige Kontrolle, sowie die Überprüfbarkeit und Nachvollziehbarkeit der am Patienten vorgenommenen Handlungen im Nachhinein gewährleistet. In der Praxis stellen sich die Auswirkungen und Vorteile der Dokumentationspflicht sehr vielschichtig dar, z. B. durch Vorgaben der Qualitätssicherung. Zusammengefasst sind folgende Schwerpunkte zu nennen: 4 Qualitätsleistung und Qualitätskontrolle, 4 gesicherte Informationsübermittlung, 4 Zeitersparnis (Vermeidung von Mehrfachmaßnahmen), 4 Nachweis erbrachter Leistung, 4 Prozesstransparenz, 4 Sicherung der Patientenrechte als Bestandteil des Krankenhausvertrages, 4 Abrechnungsgrundlage, 4 Beweissicherung für Krankenhausträger, Personal und Patienten. Der zuletzt genannte Punkt muss jedem Dokumentierenden bewusst sein, denn nur ein exaktes und übersichtliches Vorgehen kann im Falle eines Rechtsstreits (manchmal auch Jahre später) verhindern, dass es zu einer Umkehr der Beweislast kommt. Das bedeutet, dass im Falle einer mangelhaften Dokumentation das Krankenhaus die Beweislast für ein Nichtverschulden seinerseits an einem aufgetretenen Schaden zu tragen hat. Es gibt bis heute keine allgemeinverbindliche Richtlinie, in welcher Weise und mit welchen Inhalten eine Dokumentation angefertigt werden muss, um allen Ansprüchen Rechnung zu tragen. Durch gesetzliche Vorgaben zur

1

10

1

Kapitel 1 · Grundlagen

Teilnahme an externen Qualitätssicherungsmaßnahmen ist eine Datenerfassung notwendig, die in Papierform schwer zu erbringen ist, aber Auswertungen zur Qualitätsüberprüfung zulassen muss. Mit dem Gesetz zur Einführung des Diagnose-orientierten Fallpauschalengesetzes für Krankenhäuser (FPG 2001) stiegen die Anforderungen an den Dokumentationsumfang. In einer Funktionsabteilung mit ihrer Vielzahl von individuellen Behandlungsabläufen ist es schwierig die Dokumentationsinhalte und Bedarfe zu standardisieren und/oder zu synchronisieren. Aus diesem Grund sind hier zunehmend flexible und an die jeweilige Infrastruktur des Krankenhauses adaptierte elektronische Dokumentationssysteme gefragt. In den Programmen finden sich in der Regel Dokumentationshilfen in Form von standardisierten Datensätzen für definierte OP-Gruppen und Eingabemasken für Operations- und Diagnoseverschlüsselung (OPS 301, ICD-9, ICD 10). Diese werden auf Basis der internationalen Standards (WHO) regelmäßig vom Deutschen Institut für medizinische Dokumentation und Information (DIMDI) aktualisiert.

1.3.2

1.3.3

Datenschutz

Spezielle Anforderungen an ein EDV-gestütztes Dokumentations- und Erfassungssystem werden auch durch das Datenschutzgesetz vorgegeben, da es sich überwiegend um personenbezogene Daten handelt. Diese Anforderungen müssen ebenfalls durch den Software Hersteller berücksichtigt werden. So gilt z. B. die Wahrung der Vertraulichkeit von Daten. Eng verknüpft sind damit die Regelung von Zugriffsberechtigungen, Freigabeverfahren und die Archivierung (Art, Dauer). Diese Vorgaben müssen mit den betrieblichen Abläufen gesetzeskonform harmonisiert werden. Weitere Regelungen ergeben sich aus dem Bundesdatenschutzgesetz (BDSG regelt den Umgang mit personengebundenen Daten), der Datenschutzverordnung (die DSV formuliert notwendige Sicherheitsanforderungen bei der automatisierten Datenverarbeitung), sowie aus dem Landesdatenschutzgesetz, das aktuelle Schnittstellen zwischen Datenschutzkonzepten und dem Fortschritt der Informationstechnologie aufzeigt. Die Zunahme der Dokumentationsanforderungen verdeutlicht die Komplexität der Datenschutzaspekte und die Notwendigkeit einer Informationstransparenz im Rahmen einer Prozessoptimierung im täglichen Umgang mit hochsensiblen Daten.

Grundlagen zur Implementierung einer EDV-gestützten OP-Dokumentation 1.3.4

Der Weg bis zur Einführung einer Software für den OPBereich ist nicht einfach, da unterschiedliche Zielgruppen an der Entscheidungsfindung beteiligt sind. Zu befürworten ist ein System, das unterstützend die Anwendung für Patientenadministration, Dokumentation, Planung, Materiallogistik für OP und Anästhesie integriert und als Arbeits- und Informationsinstrument für das OP-Management und alle anderen Mitarbeiter im OP genutzt wird. Der Anwender »bewertet« den Umgang mit dem EDVTool nach folgenden Kernpunkten: 4 Akzeptanz der Mitarbeiter (z. B. Anwenderfreundlichkeit, Zeitaufwand, selbsterklärende Maskenführung), 4 Parametrierung (Konfiguration der Programmmodule), 4 Abstimmung von Prozessen und Anwendung, 4 Anwenderschulungen, 4 IT-Begleitung vor Ort, 4 Kooperation und Kommunikation mit den Herstellern, 4 Transparenz der Projektkomplexität (auch im Hinblick auf zunehmende Arbeitsverdichtung), 4 Schnittstellenintegration, 4 Wünsche und Fehlerkultur.

Was kann elektronische Dokumentation?

Schon vor Einführung elektronischer Medien zur Dokumentation im Krankenhaus wurden in Papierform die wichtigsten Leistungsnachweise, bezogen auf die Maßnahmen am Patienten dokumentiert (z. B. OP-Bücher). Ziel der elektronischen Dokumentationsform ist die Loslösung von Papier sowie im Rahmen wachsender Vernetzungen Insellösungen für einzelne Bereiche zu vermeiden. Dabei sollen individuelle Anforderungen der Berufsgruppen und Bereiche im Krankenhaus Berücksichtigung finden. Der Anbietertrend entwickelt sich verstärkt in Richtung Gesamtpaketlösungen, die den Patienten von der Aufnahme bis zur Entlassung begleiten. Diese, in sog. Modulen aufgebaute EDV-Lösungen gibt es für alle Krankenhausbereiche. Planung, Dokumentation und Auswertung stehen allen berechtigten Mitarbeitern zeitaktuell zur Verfügung. Interessant ist dabei auch die Verknüpfung zwischen Tagesgeschäft und administrativen Anforderungen der Krankenhausverwaltung. So kann z. B. nur bei vorhandener Fallnummer für jeden Behandlungsfall eine OP-Dokumentation angelegt werden (die Fallnummer erhält der Patient bei Aufnahme). Nutzerspezifische Zugangsberechtigungen ermöglichen den Zugang zur Dokumentation durch die Berufs-

11 1.3 · Aspekte zur pflegerischen Dokumentation

gruppen, die an der Operation beteiligt sind. Voraussetzung dafür ist die Definition und personengebundene Zuordnung der Zugriffsberechtigungen (wer dokumentiert wann und was). Unterstützend für die Dokumentation sind definierte Prozesse, die auch in einem Qualitätsmanagement-Handbuch hinterlegt sind. Ist das Zeitfenster für die Dokumentation aufgrund vieler kurzer Eingriffe sehr klein, können Standardfelder hinterlegt werden, die den Zeitaufwand für die Dokumentation reduzieren. Die sog. ärztliche Dokumentation (z. B. Verschlüsselung von Diagnosen und Prozeduren bezogen auf eine bestimmte Operation) kann grundsätzlich durch Pflegepersonal ausgeführt werden. Diese Absprache ist in Anbetracht der organisatorischen Abläufe im OP-Bereich Zeit sparend, da bereits während der Operation die Eingaben durchgeführt werden können. Der verantwortliche Arzt gibt die Eingaben nach Beendigung der Operation frei. Die Freigabe der gesamten Dokumentation kann nur erfolgen, wenn alle Pflichtfelder vollständig ausgefüllt sind. Die einzelnen Schritte der Eingabe sind für den Anwender möglichst in selbsterklärenden Masken im Programm hinterlegt (Bestandteil des durch den Anwender definierten Anforderungsprofils für die Software!) und führen durch die Reihenfolge der Dateneingabefelder. Abschließend kann ein Papierausdruck für die Patientenakte direkt mitgegeben werden. Eine Unterschrift bestätigt, dass die Papierversion mit der elektronischen Dateneingabe übereinstimmt. Da auf dem Markt bereits eine Vielzahl von Systemen angeboten wird, sollen hier nur das allgemeine Leistungsspektrum und die Anforderungen an solche Produkte aufgeführt werden: 4 Qualitätssicherung nach § 137 SGB V, 4 Unterstützung des Operationsschlüssels nach § 301 SGB V und Diagnoseschlüssel ICD-9 und ICD-10, 4 Integration standardisierter Datensätze (z. B. ambulantes Operieren nach § 115b SGB V), 4 Schnittstellen- und Systemkompatibilitäten (z. B. SAP, SQL etc.), 4 normierte Exportfunktionen für diverse Auswertungsprogramme (z. B. Excel, Access), 4 Vernetzung mit z. B. Anästhesiedokumentationssystemen. Man unterscheidet in der OP-Dokumentation zwischen geplanten und nicht geplanten Eingriffen. Die geplanten Eingriffe finden sich im OP-Planungsmodul (OP-Programm) wieder und können im jeweiligen Saal direkt aufgerufen werden. Für Notfälle muss vorab eine Fallnummer vorhanden sein und eine OP angelegt werden.

1.3.5

Dokumentationszeitpunkt

Die Dokumentation muss zeitnah erfolgen. Bei Notfällen ist es aus zeitlichen Gründen erforderlich, die Dokumentation nachträglich durchzuführen und den Umstand der zeitlichen Verzögerung zu benennen. Die meisten EDVSysteme bieten durch sog. Plausibilitätsprüfungen eine Dokumentation in chronologischer Abfolge. So kann z. B. die Hautnaht nicht vor dem Erstschnittzeitpunkt eingegeben werden und ein Dokumentationsabschluss ist nicht möglich. Eine Änderung im System nach Freigabe ist nur mit ausgewählten Nutzerrechten möglich. Sinnvoll ist eine Einführung sog. elektronischer Archive, um die Dokumentationsflut zu konzentrieren. Hierbei kommt zunehmend eine elektronische Signatur als Unterschrift zum Einsatz.

1.3.6

Das neue Patientenrechtegesetz

Im Patientenrechtegesetz (2013) hat der Gesetzgeber die Rechte der Patienten zusammengefasst und die Pflichten der Behandelnden im Rahmen der Bahandlungsdokumentation verschärft (z. B. § 630 f. Absatz 1); Auszug: 4 »… die Dokumentation hat in unmittelbarem zeitlichem Zusammenhang mit der Behandlung in Papierform oder elektronisch zu erfolgen.« 4 »… Berichtigungen und Änderungen müssen in der Dokumentation erkennbar sein.«

1.3.7

Ablaufbeispiel für eine EDV-gestützte Dokumentation

Alle Eingabeschritte sind vorkonfiguriert und führen den Anwender durch die Dokumentation. Die erforderlichen Angaben (z. B. Personal, Material, OP-Siebe), mögliche Diagnosen und Diagnoseschlüssel sind vorgegeben und werden angeklickt. Kontrollmöglichkeiten, z. B. Zählkontrolle verwendeter Textilien, müssen gewährleistet sein. Der Dokumentationsablauf erfolgt in Einzelschritten: 4 Anmeldung im System über Benutzername und Passwort, 4 überprüfen der Patientenstammdaten, 4 Wahl der Dokumentationsvorlage (z. B. OP-Bericht), 4 Auswahl der Maske zur Eingabe (z. B. Operateur, Anästhesie, Pflegepersonal etc.), 4 Eingabe der Personal- und Zeitdaten (z. B. wer, wann, was, wie lange), 4 allgemeine Angaben (z. B. Lagerung, Positionierung der HF-Elektrode, Blutleere etc.),

1

12

1

Kapitel 1 · Grundlagen

4 Instrumentensiebe (z. B. zur Berechnung der Folgekosten durch Wiederaufbereitung, Dokumentation von Ersatz- und Neubeschaffungsbedarf, Fehlerdokumentation), 4 zusätzlich erforderlicher apparativer Aufwand (z. B. Röntgen, Sonographie, intraoperative Radiotherapie, Laser etc.), 4 Histologie/Pathologie (z. B. Schnellschnitt, Präparate), 4 Drainagen (incl. verwendetem System), 4 Verbände/Gipsanlage, 4 Zählkontrolle der Textilien (Kompressen, Bauchtücher, Tupfer etc.), Instrumente und z. B. Nadeln vor und nach der OP, 4 Implantate, Materialverbrauch (Chargendokumentation, Anzahl), 4 Operation nach Operations- und Prozedurenschlüssel (OPS) 301 durch Operateur (. Tab. 1.1), 4 Diagnosen nach Diagnoseschlüssel ICD-9/-10 durch Operateur.

. Tab. 1.2 Infektiöse Darmkrankheiten (A11–A09) A00

Cholera

A01

Typhus abdominalis und Paratyphus

A01.0

Typhus abdominalis Infektion durch Salmonella typhi Typhoides Fieber

A01.1

Paratyphus A

A01.2

Paratyphus B

A01.3

Paratyphus C

A01.4

Paratyphus, nicht näher bezeichnet Infektion durch Salmonella paratyphi o.n.A.

(Quelle: Deutsches Institut f. medizinische Dokumentation und Information – DIMDI)

Beispiel eines Diagnoseschlüssels nach ICD Beispiel Operationsschlüssel Siehe . Tab. 1.1.

. Tab. 1.1 Beispiel Operationsschlüssel 5–10

Operationen an den Augenmuskeln Hinweis: Die Angabe des Augenmuskels ist für die Kodes 5–100 bis 5–109 nach folgender Liste zu kodieren

Internationale Klassifikation der Krankheiten (Verschlüsselung der Diagnosen; . Tab. 1.2) . Nur eine lückenlose und nachvollziehbare Dokumentation kann im Regressfall verhindern, dass es zu einer Umkehr der Beweislast kommt, d. h. der Krankenhausträger muss im Schadensfall die Beweispflicht für ein Nichtverschulden übernehmen.

1.3.8 0

M. rectus internus

1

M. rectus externus

5

M. rectus superior

x

Sonstige

y

N. n. bez (nicht näher bezeichnet)

5–100

Operationen an den Augenmuskeln: Tenotomie und verwandte Eingriffe an geraden Augenmuskeln Hinweis: Die Angabe des Augenmuskels ist in der 6. Stelle nach der Liste vor Kode 5–100 zu kodieren

5–100.0

Operationen an den Augenmuskeln: Tenotomie und verwandte Eingriffe an geraden Augenmuskeln: Tenotomie: M. rectus externus

5–100.00

Operationen an den Augenmuskeln: Tenotomie und verwandte Eingriffe an geraden Augenmuskeln: Tenotomie: M. rectus internus

(Quelle: Deutsches Institut f. medizinische Dokumentation und Information – DIMDI)

Umsetzungsschwierigkeiten

Die Dokumentationsaufgabe findet sich im Arbeitsalltag oftmals begleitet von Zeitdruck durch Arbeitsverdichtung für alle Berufsgruppen. Ängste und unterschiedliche Erfahrungen im Umgang mit dem PC, sowie nicht ausreichende PC-Arbeitsplätze und zeitliche Kollisionen des Eingabezeitpunktes resultieren in Unzufriedenheit »mit dem System«. Vermieden werden sollte auch eine Doppeldokumentation. Daher sollte vor Implementierung einer EDV-Systemlösung hausintern eine Zuordnung der Eingabeinhalte und die Freigabefunktion abgestimmt werden. Bereits im Vorfeld ist es zielführend mit den Beteiligten ein sog. Pflichtenheft zu erstellen, um die Software am Bedarf der Anwender auszurichten. Praktikabilität (Handling), Anwenderfreundlichkeit (z. B. selbsterklärende Menüführung), sowie technisches Know-how (z. B. Plausibilitätsprüfung, Vernetzung administrativer Funktionen, Schnittstellenintegration) werden gemeinsam erarbeitet. Schulungsbedarfe müssen ermittelt und die Implementierung vor Ort durch IT- Personal begleitet werden. Unterstützend für die Dokumentation von Verbrauchsmaterialien sind standardisierte und klar strukturierte

13 1.4 · Risikomanagement im OP

Materiallisten, verbunden mit sog. OP-Standards. Die Verbrauchsdokumentation wird zunehmend wichtiger, da der Materialverbrauch über 50% der Gesamtsachkosten, bezogen auf den Fall, betragen kann, die Kostenstruktur durch eine Datenerfassung transparent wird und mögliche Kostentreiber detektiert werden können. Eine mögliche Strategie kann auch das Modell einer leistungsbezogenen Materiallogistik mit just-in-time-Belieferung bei Bedarf sein, die eine Kapitalbindung durch Lagerung und Vorhaltung minimiert. Eine modulare Versorgung ist den weit verbreiteten Sammelbestellungen vorzuziehen.

1.4

. Tab. 1.3 Fehler – Beispiel aus dem OP Fehler

Operation an der falschen Extremität

Ursache

Notfalleingriff Verständigungsschwierigkeiten Patient unter Prämedikation kurzfristiger Operateur- (Personal-)wechsel Namensähnlichkeiten Fehlende Identifikation der zu operierenden Seite Zeitdruck

Abgeleitete Maßnahmen

Patientenidentifikationssystem des Krankenhauses verändern (z. B. Armband gemäß Empfehlungen des Patientenbündnisses Sicherheit) Verwendung einer Sicherheitscheckliste (gemäß. WHO-Empfehlung) Kennzeichnung der zu operierenden Seite vor dem Transport in den OP durch den Operateur mit einem wasserfestem Marker und Unterschrift festgelegte farbige Markierungen Mehrfachkontrollen

Risikomanagement im OP

I. Welk

Die Themen Risikomanagement und Patientensicherheit haben einen zunehmend hohen Stellenwert, da Öffentlichkeit, Patienten und zuweisende Ärzte im Krankenhaus eine fehler- und komplikationsfreie Behandlung erwarten. Die Bedeutung zeigt sich durch: 4 zunehmende Medienpräsenz zum Thema »Kunstund Behandlungsfehler«, 4 wachsendes Anspruchsverhalten von Patienten und deren Angehörigen, 4 medizinische Innovation und technischen Fortschritt, 4 strenge Auflagen der Haftpflichtversicherer, 4 juristische Konsequenzen bei medikolegaler Fragestellung. ! 5 Leistung ൹ 5 Qualität ൹ 5 Haftungspotenzial ൻ

OP und Anästhesie zählen aufgrund ihrer Komplexität zu den Hochrisikobereichen im Krankenhaus, da hier Fehler schwerwiegende Auswirkungen auf den Patienten haben können. Im Fokus stehen hier v. a. neue Operations- und Behandlungsverfahren sowie die Personalqualifikation. Die häufigsten Fragestellungen und Schadensmeldungen finden sich in den Bereichen: 4 Organisation, 4 Aufklärung, 4 Behandlung, 4 Arzneimittel, 4 Personal, 4 Medizintechnik (durch die rasante Entwicklung). In der Krankenhausorganisation können z. B. Informationsdefizite, Kommunikationsmängel, eingeschränkte Ausführung wichtiger Handlungen mit fehlender Qualifikation sowie knappe Personalressourcen zu Problemen führen.

Bei angewendeten Materialien kann es zu Unverträglichkeiten, Infektionen, Allergien und Verwechslungen kommen. Das Personal kann Wissensdefizite durch unzureichende Qualifikation aufweisen, Fehleinschätzungen vornehmen, Erkrankungen und/oder Verletzungen übersehen oder als Infektionsüberträger fungieren. Ein Beispiel für Fehler im OP zeigt . Tab. 1.3.

1.4.1

Warum Risikomanagement?

Patientensicherheit und Risikominimierung sind führende Unternehmensziele, um Patienten während eines Krankenhausaufenthaltes und im Rahmen notwendiger Behandlungs- und Therapiemaßnahmen nicht zusätzlich zu schädigen. Ziel eines erfolgreichen Risikomanagements ist die Entwicklung einer professionellen Fehlermeldekultur mit Implementierung klinikinterner Fehlervermeidungsstrategien. Im Vordergrund steht dabei die Veränderung im Bewusstsein der Mitarbeiter, dass es nicht um die Frage »wer hat Schuld?«, sondern um die Fragen »wie konnte es passieren?« und »wie ist es in Zukunft zu vermeiden?« geht.

1

1

14

Kapitel 1 · Grundlagen

1.4.2

Instrumente zur Erfassung von Ereignissen und Beinahe-Fehlern – das Critical Incident Reporting System (CIRS) Risikobewertung

Risikomanagement als Prozess Das Risikomanagement gliedert sich in verschiedene Prozessschritte, die sich in einem definierten Ablaufzyklus abbilden. Um ein effektives Risikomanagement zu etablieren und Risiken zu minimieren, müssen diese zunächst erkannt (Risikoidentifizierung), kommuniziert und nach ihrer Bedeutung (Risikobewertung) analysiert werden. Abgeleitet werden Fehlervermeidungsstrategien (Risikobewältigung) und eine regelmäßige Überprüfung der abgeleiteten Maßnahmen (Risikocontrolling). Da im Regelfall Fehler und Konsequenzen erst rückblickend nach dem Auftreten betrachtet werden, ist ein strukturiertes Meldesystem im Sinne eines Critical Incident Reporting System (CIRS) zielführend. Hierbei werden nicht nur bereits geschehene Zwischenfälle, sondern bereits sog. BeinaheEreignisse, die zu einem Fehler hätten führen können, aufgenommen (. Abb. 1.3).

Risikomanagement ist integraler Bestandteil des Qualitätsmanagements Primär geht es nicht um personengebundene oder abteilungsbezogene Schuldzuweisungen, sondern um die Ausbildung einer (Unternehmens-) Fehlermeldekultur, dem Lernen aus Fehlern und der Ableitung zukünftiger Fehlervermeidungsstrategien. Um die Ergebnisse transparent zu kommunizieren, bietet das CIRS eine anonymisierte Meldemöglichkeit zu folgenden Fragestellungen: 4 Wann geschah das Ereignis? 4 Was ist passiert? 4 Welcher Fehler liegt vor? 4 Wo ist es passiert? 4 Warum gab es diesen Fehler? 4 Was wurde unternommen? 4 Welche Auswirkungen hatte das Ereignis? 4 Was könnte diesen Fehler zukünftig verhindern? Die Meldung erfolgt über einen Erhebungsbogen, z. B. über das klinikinterne Intranet und/oder in Papierform. Gleichzeitig mit der Meldung können eigene Lösungsansätze/Verbesserungen vorgeschlagen werden. Über eine zentrale Annahmestelle wird die Meldung an das Team des Risikomanagements (RM-Team) weitergeleitet. Dieses RM-Team ist interdisziplinär berufsgruppenübergreifend besetzt, analysiert das gemeldete Ereignis sorgfältig und leitet Verbesserungsmaßnahmen ab. Der Rückmeldebericht wird ebenfalls ins Intranet gestellt, um die Mitarbeiter über die Fehlermeldung, die Auswirkung und die abgeleiteten Maßnahmen zu informieren. Dieses Feedback ist

Risikoidentifikation

Risikocontrolling Risikobewältigung

. Abb. 1.3 Eckpunkte des Risikomanagements

wichtig, um den Mitarbeitern Aktivitäten und Motivationsanreize zu signalisieren, das CIRS interaktiv zu nutzen (»es tut sich was«, »es bringt was«).

Umsetzungsschwierigkeiten Mit welcher Intensität Inhalte gemeldet werden, hängt von der Akzeptanz des CIRS innerhalb der Klinik und der Aufklärung der Mitarbeiter ab. Es muss deutlich werden, dass Meldungen keine persönlichen Konsequenzen oder arbeitsrechtliche Sanktionen nach sich ziehen. Schulungen und Aufklärung reduzieren Ängste und erhöhen die Anwenderakzeptanz. Ursachen einer Fehlerentstehung sind in der Regel multifaktoriell, z. B.: 4 erhöhte Arbeitsbelastung, 4 Qualifikationsmängel, 4 Kommunikationsdefizite, 4 patientenbezogene Risikofaktoren, 4 restriktive Rahmenbedingungen. Das Auftreten von Fehlern wird oftmals mit personengebundenem Versagen assoziiert. Durch Angst vor Konsequenzen bleiben Fehler unbemerkt oder werden subjektiv als unvermeidbar passiv »hingenommen«.

Umgang mit identifizierten Risiken In den Bewältigungsstrategien sind die folgenden Elemente zu finden: 4 Risikovermeidung (z. B wird ein Patient bei nicht ausreichender Intensivbehandlungskapazität in ein anderes Krankenhaus verlegt). 4 Risikoreduzierung (z. B. Einhaltung von Arbeitszeitgesetz, Arbeitssicherheitsbestimmungen).

15 1.5 · Chirurgisches Nahtmaterial

4 Risikoakzeptanz (z. B. ist ein 100% Ausschluss von Sturzereignissen im Krankenhaus nicht möglich). 4 Risikotransfer (z. B. Erhöhung des Versicherungsschutzes bei finanziellem Regress im Schadensfall). ! Auch nach klarer Identifikation anzunehmender und tatsächlicher Risiken ist es ausgeschlossen, alle Risiken dauerhaft und vollständig auszuschließen.

Feedbackinstrument Transparenz über den Umsetzungsgrad abgeleiteter Maßnahmen. ! Schuldkultur ൺ Fehlerkultur ൺ Sicherheitskultur.

Ein Risikomanagement ist Bestandteil der Unternehmenskultur und des klinikinternen Qualitätsmanagements. Risikomanagement erfordert die Bereitschaft aller Beteiligten, sich mit dem Thema aktiv auseinanderzusetzen, aber: Ein CIRS allein ist noch kein Risikomanagement!

Risikomanagement im OP-Bereich Nach Analyse der Fehlermeldungen sind alle Beteiligten  gefordert, zukünftige Vermeidungsstrategien zu entwickeln und Instrumente zur Risikominimierung zu erarbeiten. Zu diesen Instrumenten zählt z. B. der Einsatz von Checklisten für eine lückenlose Informationsweitergabe in der operativen Versorgungskette. Für die Nachvollziehbarkeit von Prozessabläufen kommen Standards, Handlungs- und Verfahrensanweisungen zur Anwendung. Ergänzend dazu finden sich Behandlungspfade und SOPs als Instrumente mit Verbindlichkeit und Transparenz. Patientenidentifikationshilfen (z. B. Patientenarmband, Kennzeichnung der OP-Seite am wachen Patienten) vermindern das Verwechslungsrisiko. Die Reproduzierbarkeit der Teilprozesse (z. B. Aufbereitungszyklus von Instrumenten im Sterilisationsprozess bis zur nächsten Anwendung am Patienten), die detaillierte Materialerfassung (z. B. Chargendokumentation, Implantate-Pass), das Vier-Augen-Prinzip (z. B. Zählkontrolle der OP-Textilien) sowie Schulungs- und Qualifikationsnachweise und das Führen von Gerätepässen zählen zu den Bausteinen in der praktischen Arbeit zur Erhöhung der Patienten- und Mitarbeitersicherheit. Speziell für den OP- und Anästhesiebereich gilt es, auch Verzögerungen und Notfälle einzuplanen, um ein realistisches Zeitmanagement durch Optimierung der Abläufe durch ein zentrales OP-Management zu sichern. Interdisziplinäre und berufsgruppenübergreifende Kommunikation und Kooperation sowie Harmonisierung der sog. Schnittstellen tragen zu einer Risikominimierung bei.

1.5

Chirurgisches Nahtmaterial

M. Liehn

Unerlässlich für eine gute Operationsassistenz sind Kenntnisse über die Beschaffenheit des chirurgischen Nahtmaterials. Welche Nähte für die geplante Operation benötigt werden, ist im Standard hinterlegt, aber der Instrumentant kennt die Beschaffenheit des Materials, die benötigte Stärke des Fadens sowie die Größe und Form der Nadel, um in unvorhergesehenen Situationen korrekt das passende Nahtmaterial anreichen zu können.

1.5.1

Vorschriften

In dem europäischen Arzneibuch sind Definitionen und Normierungen erstellt, die für alle Hersteller verbindlich sind. USP Diese Einteilung der United States Pharmacopeia wurde willkürlich gewählt. Es besteht kein Zusammenhang zwischen Nummerierung und Fadendurchmesser. Der erste hergestellte Faden erhielt die Stärkenbezeichnung 1, dickeres Material wurde aufsteigend mit 2, 3 usw. bezeichnet. Dünneres Material bekam die Bezeichnung 2–0, 3–0 usw. Je größer die Zahl vor der Null, desto feiner ist das Nahtmaterial. Metric Der Sortierung der Europäischen Pharmakopöe

1.4.3

Zusammenfassung

Risikomanagement im Krankenhaus dient der Erhöhung der Patientensicherheit. Voraussetzung dafür ist die Schaffung einer konstruktiven Fehlermeldekultur mit der systemischen Fragestellung »wie kam es dazu?« und nicht »wer hat Schuld?«. Die Implementierung eines Critical Incident Reporting Systems (CIRS) ermöglicht eine nachvollziehbare Schwachstellen- und Fehleranalyse und bietet als

liegt das Dezimalsystem zugrunde. Die Stärkenbezeichnung gibt den Fadendurchmesser in 1/10 mm an und lässt somit Rückschlüsse auf den Durchmesser zu. Auf den Nahtmaterialverpackungen sind beide Stärkenbezeichnungen angegeben (. Tab. 1.4), aber im täglichen Gebrauch hat sich die USP-Bezeichnung durchgesetzt.

Fadenreißkraft Es gibt Richtwerte, wann ein Faden reißen darf, dieser Wert wird in Newton [N] angegeben. Für den Anwender

1

16

1

Kapitel 1 · Grundlagen

. Tab. 1.4 Europäische Pharmakopöe (Fa. Ethicon) metric

USP

Durchmesserspanne in mm

0,01

12–0

0,001–0,009

0,1

11–0

0,010–0,019

0,2

10–0

0,020–0,029

0,3

9–0

0,030–0.039

0,4

8–0

0,040–0,049

0,5

7–0

0,050–0,069

0,7

6–0

0,070–0,099

1

5–0

0,100–0,149

1,5

4–0

0,150–0,199

2

3–0

0,200–0,249

2,5

2–0

0,250–0,299

3

2–0

0,300–0,349

3,5

0

0,350–0,399

4

1

0,400–0,499

5

2

0,500–0,599

6

3

0,600–0,699

7

5

0,700–0,799

8

6

0,800–0,899

9

7

0,900–0,999

Verpackung Es sind Einzelfäden einer maximalen Länge von 3,5 m zugelassen. 4 Einzelverpackungen mit angegebenen Fadenlängen enthalten einen oder mehrere Fäden oder NadelFaden-Kombinationen. 4 Das Nahtmaterial ist in einer Polyethylen- oder Aluminiumfolie eingeschweißt. Bei resorbierbarem Material verhindert die Aluminiumbeschichtung ein Auflösen des Fadens. 4 Die sog. »Peelpackung« erleichtert das Anreichen des Materials. 4 Einzelverpackungen sind in Transport- und Lagerbehältern untergebracht, die in Nahttribünen sortiert im OP bereitgestellt werden. Um bei der Vielzahl der Nahtmaterialien ein schnelles Erkennen zu gewährleisten, sind die Verpackungen farblich markiert und mit Kennzeichen versehen (. Abb. 1.4), was den schnellen Zugriff und die Unterscheidung zwischen resorbierbarem und nicht resorbierbarem Material erleichtert. Alle angegebenen Werte sind auch auf der einzelnen Nahtmaterialfolie wiederzufinden.

Nadeltyp

Seitlich aufgedruckt: CE-Zeichen und Barcode

ist die lineare Reißfestigkeit des Fadens nicht so wichtig wie die Reißkraft während des Knotens bzw. im Knoten, da die hier auftretenden Scherkräfte die Sicherheit der Naht nicht gefährden dürfen.

Fadenstärke

Sterilisationsart

Anzahl der Fäden und Länge des Nahtmaterials in einer Folie . Abb. 1.4 Verpackungskennzeichen. (© Fa. Ethicon)

Nicht resterilisieren, Einmalprodukt!

Bestellnummer

Gebrauchsinformationen beachten

Besonderheiten

Chargennummer

Haltbarkeitsdatum

17 1.5 · Chirurgisches Nahtmaterial

Das Nadelsymbol ist in Originalgröße abgebildet, der Schliff der Nadel ist an dem Symbol erkennbar (. Abb. 1.4).

Sterilisation 4 Strahlenbeständiges Nahtmaterial wird mit energiereichen Gammastrahlen sterilisiert. 4 Anderes wird mit Ethylenoxid begast und ist dementsprechend gekennzeichnet (. Abb. 1.4). 4 Der Nahtmaterialhersteller garantiert für die Sterilität der Originalverpackung. Entnommenes und nicht benötigtes Nahtmaterial darf nicht resterilisiert werden, da die Materialeigenschaften durch einen 2. Sterilisationsprozess verändert werden können.

1.5.2

Fäden

Bei der Vielzahl der im Handel erhältlichen Produkte können die hier vorgestellten Fäden nicht als repräsentativ gelten.

. Tab. 1.5 Herkunft des Nahtmaterials Grundstoff

Beispiel

Tierische Grundstoffe

Kokon der Raupen

Seide

Pflanzliche Grundstoffe

Flachs

Zwirn

Synthetische Grundstoffe

Polyamid Polyester Polyglactin Polyglykolsäure Polypropylen etc.

Vicryl, PDS, (Fa. Ethicon) Safil, Dagrofil etc. (Fa. BBD) Prolene, Ethibond Excel

Mineralische Grundstoffe

Edelstahl Titan etc.

Drahtnähte

Monofil

Anforderungen an chirurgisches Nahtmaterial 5 5 5 5 5

Sterilität Gewebeverträglichkeit Glatte Oberflächenbeschaffenheit Gutes Knüpfverhalten Ausreichende Festigkeit während der Wundheilung 5 Bei Bedarf Vorbeugung gegen postoperative Infektionen durch antibakteriell (mit Triclosan) beschichtetes Nahtmaterial (Vicryl Plus, Monocryl Plus, PDS Plus, Fa. Ethicon)

1.5 Polyfil

Unterschieden wird das Nahtmaterial auch nach Herkunft (. Tab. 1.5), Verarbeitung und Resorbierbarkeit.

Verarbeitung Zwirnen Mehrere einzelne Fäden werden gedreht und ggf.

zur besseren Gleitfähigkeit im Gewebe beschichtet (z. B. Vicryl, Ethibond, Fa. Ethicon). Flechten Mehrere einzelne Fäden werden gedreht, um welche anschließend eine Hülle aus dem gleichen Material geflochten wird (Vicryl, Safil, Dagrofil, Mersilene etc.).

1.6 . Abb. 1.5 Aufsicht auf einen monofilen Faden. (© Fa. Ethicon)

Monofiles Material Besteht aus einem Fadenfilament (. Abb. 1.5; PDS, Monocryl, Mirafil etc). Pseudomonofiles/polyfiles Material Bestehend aus mehreren Fadenfilamenten (. Abb. 1.6). Die »Fadenseele« ist

gedreht/gezwirnt und mit einem Mantel überzogen, der dem Faden einen monofilen Charakter verleiht.

. Abb. 1.6 Aufsicht auf einen polyfilen Faden. (© Fa. Ethicon)

1

18

1

Kapitel 1 · Grundlagen

Resorbierbarkeit Definition Nach einer definierten Zeit werden alle synthetischen Fäden durch Hydrolyse abgebaut. Dabei wird das Material durch Gewebeflüssigkeit aufgespalten und gleichmäßig vom Körper abgebaut.

Die Resorptionszeit darf nicht mit dem »Reißkraftabfall« gleichgesetzt werden, der angibt, wie lange der Knoten seine Funktion erfüllt. Der Faden des resorbierbaren Nahtmaterials ist noch zu sehen, wenn er seine Reißkraft schon verloren hat.

Polyamidfäden (Ethilon, Fa. Ethicon, Premilene, Fa. BBD)

Sie werden aus synthetischen Polyamiden (fadenbildende Polymere) hergestellt. Polyamidfäden werden geflochten, gezwirnt und monofil/pseudomonofil angeboten. Sie eignen sich aufgrund eines allmählichen Zersetzungsprozesses im Wesentlichen für Hautnähte, zeichnen sich aber durch Geschmeidigkeit, Reißfestigkeit, Knotensitz sowie geringe Gewebereaktionen und eine wasserabweisende Eigenschaft aus. Polyesterfäden (Mersilene, Ethibond Excel, Fa. Ethicon, Dagrofil, Fa. BBD) Sie werden monofil, geflochten mit und

ohne Ummantelung hergestellt und verfügen über sehr gute Gewebeverträglichkeit, Geschmeidigkeit, hohe Reißkraft und wasserabweisende Wirkung.

Synthetisches resorbierbares Nahtmaterial Monofiles, geflochtenes und pseudomonofiles Nahtmaterial wird unabhängig von Gewebefaktoren abgebaut (7 oben). Dabei entstehen kaum Gewebereaktionen und Fadengranulome. Beispiele sind im Folgenden dargestellt. Vicryl (Polyglactin 910, Fa. Ethicon) Ein synthetischer polyfiler Faden, der nach 21 Tagen noch ca. 50% seiner Ausgangsreißkraft besitzt. Nach ca 60–70 Tagen vollständig resorbiert. Durch Oberflächenbeschichtung gleitet er im Gewebe und lässt sich problemlos knoten. In sehr dünnen Stärken wird er monofil angeboten. Vicryl rapide (Polyglactin 910, Fa. Ethicon) Ein synthe-

tischer Faden mit einer polyfilen Struktur und einer beschichteten Oberfläche, der sich durch kurze Resorptionszeit (nach 5 Tagen Verlust von 50% der Reißkraft, nach ca. 40 Tagen resorbiert) auszeichnet. Monocryl (Poliglecapron 25, Fa. Ethicon) Ein monofiler

resorbierbarer Faden, nach 7 Tagen noch 60% der Reißkraft, nach ca. 120 Tagen vollständig abgebaut. Ungefärbte  Monocryl-Fäden haben nach 7 Tagen noch 50% Reißkraft. Vicryl Plus, Monocryl Plus, PDS Plus Diese Fäden in der oben genannten Struktur wurden mit Triclosan beschichtet und bilden so eine bakterizide Zone um den Faden herum, um Infektionen, z. B. mit MRSA oder MRSE, wie auch mit E. coli und K. pneumoniae zu verhindern.

Polypropylenfäden (Prolene, Fa. Ethicon) Sie nehmen kein Wasser auf und verändern ihre Eigenschaften im Gewebe nicht. Die Knoteneigenschaften und die Reißfestigkeit sind gut. Eingesetzt werden sie insbesondere in der Gefäß- und Kardiochirurgie und für Hautnähte. Seide und Zwirn als natürliches Material kommen, bedingt durch ungünstige Gewebereaktionen, nur noch sehr selten zum Einsatz.

1.5.3

Nadelkunde

Aus den Aufgaben der chirurgischen Nadeln ergeben sich die Anforderungen an ihre Beschaffenheit (7 Übersicht). Anforderungen an die Beschaffenheit von chirurgischen Nadeln 5 Aus korrosionsbeständigem Stahl bestehend 5 Bruchfestigkeit und Biegeelastizität 5 Feine polierte Oberfläche, die manchmal silikonisiert ist, damit das Gleitverhalten verbessert wird 5 Unterschiedliche Nadelspitzen für den Einstich mit optimaler Gewebepenetration 5 Nadelkörper für den Durchzug 5 Der Nadelschaft bedingt die geringe Traumatisierung 5 Fester Halt im Nadelhalter, ggf. durch Längsrillen im Nadelkörper

Nicht resorbierbares Nahtmaterial Die Fäden behalten einen Großteil ihrer Reißfestigkeit, werden aber über einen längeren Zeitraum auch partiell abgebaut. Sie verbleiben dauerhaft im Gewebe oder werden entfernt. Sie werden dort angewendet, wo über einen langen Zeitraum eine konstante Fadenfestigkeit gewünscht ist, z. B. bei Gefäßnähten.

Öhrnadeln Fädelöhrnadeln Diese Art der Nadel ist wohl die älteste. Sie ähnelt herkömmlichen Nähnadeln und kommt nur noch sehr selten zum Einsatz (. Abb. 1.7).

1

19 1.5 · Chirurgisches Nahtmaterial

5/8 K reis

Nadelspitze

1/2 Kreis

3/8 K reis

Sehne

1/4 Kreis

Armierzone

Nadelradius 1.7

Nadeldurchmesser

1.8

B og e n l ä n g e Nadelkörper

. Abb. 1.7 Fädelöhr . Abb. 1.8 Federöhr

. Abb. 1.9 Aufbau einer Nadel. (© Fa. Ethicon)

kNachteile

Spezielle Nadelformen

4 Traumatisierung des Gewebes durch den doppelt liegenden Faden im Öhr und den kräftigen Nadelkörper. 4 Mühsames Einfädeln. 4 Unsichere Befestigung des Fadens.

Die asymptotische Nadel (. Abb. 1.10b) ist speziell für enge Verhältnisse in der Gefäßchirurgie entwickelt worden, findet aber auch im Gastrointestinaltrakt und der Dentalchirurgie Anwendung. Die Schlitten- und SkiNadel (. Abb. 1.10d) ist für die laparoskopischen Eingriffe konzipiert. J-Nadeln (. Abb. 1.10c) werden für den Faszienverschluss nach Trokarinzisionen benötigt. Gerade Nadeln (. Abb. 1.10e) werden im arthroskopischen Bereich wie auch im laparoskopischen Bereich z. B. als »Tabakbeutelnaht« in Kombination mit einer Tabakbeutelklemme (7 Kap. 2) benötigt.

Federöhrnadeln Diese Nadel wird auch als Patent- oder Schnappöhrnadel bezeichnet (. Abb. 1.8). Neben der Traumatisierung des Gewebes hat diese Nadel den Nachteil, dass der Faden am Schnappöhr beschädigt wird. Auch diese Nadel wurde zu Gunsten der atraumatischen NadelFaden-Kombinationen in den meisten Abteilungen aus dem Sortiment genommen.

Atraumatische öhrlose Nadel

Nadelspitze

Die atraumatische Nadel besitzt im Schaft eine axiale mechanische oder, bei feinen Nadeln, gelaserte Bohrung, in die der Faden eingebracht wird. Die Vorteile sind gravierend: 4 Geringe Gewebetraumatisierung durch den stufenlosen Nadel-Faden-Übergang. 4 Schlankere Nadelform durch fehlendes Öhr. 4 Als Einmalartikel immer optimaler Zustand. 4 Kombination mit einfacher oder doppelter Armierung (eine Nadel oder an beiden Enden des Fadens eine Nadel für zirkuläre Nähte).

Die Nadelspitzen im Überblick zeigt . Abb. 1.11.

b a

Sonderform Die »Abziehnadel«, bei der die Armierungs-

festigkeit der Nadel am Faden so gewählt wurde, dass durch leichten Zug sich die Nadel vom Faden trennt (Control Release = CR, Fa. Ethicon), ohne die Hartmetalleinlage des Nadelhalters zu beschädigen.

Biegeformen und Nadelformen Die Biegeform muss der geplanten Naht entsprechen. Je enger die Gewebeverhältnisse sind, desto gebogener muss die Nadelform sein (. Abb. 1.9).

c d e . Abb. 1.10a–e a Halbkreisnadel, b asymptotische Nadel, c J- oder Angelhakenform, d Ski- oder Kufenform; e gerade Nadel

20

Kapitel 1 · Grundlagen

1

Chirurgische Nadeln Rundkörpernadeln Rundkörpernadel

Stumpfe Rundkörpernadel

Beispielsweise: SH, RB, MH, CT, BV

Beispielsweise: BP1, BP2, BP3, BBS

Flache Rundkörpernadel

Ethiguard Nadel

Beispielsweise: SH-plus, RB-plus, JB

Beispielsweise: BT2, BT3, BT4

Schneidende Nadeln Schneidende Rundkörpernadel Beispielsweise: V5, V6, V7, V34

Schneidende Rundkörpernadel mit Kurzschliff Beispielsweise: CC

Nadel innen schneidend Beispielsweise: CCS, LSS

Nadel innen schneidend mit Präzisionsspitze* Beispielsweise: PC1, PC2

Nadel außen schneidend Beispielsweise: FS1, FS2, FS3

Nadel schneidend mit Mikrospitze Beispielsweise: G3, G6, G7

Nadel außen schneidend mit Präzisionsspitze* Beispielsweise: PS1, PS2, P3

weiches Gewebe

für festes Gewebe

für weiches Gewebe und schichtgerechtes Nähen

für festes Gewebe in kosmetisch relevanten Regionen

für weiches Gewebe, um Gefäß-/ Sehnenverletzungen zu vermeiden

für festes Gewebe und feinste Nähte

Nadel mit Sicherheitsspitze zum Schutz des Personals bei infizierten Patienten

für Cornea und Sklera

für kalzifizierte Gefäße

für Cornea und Sklera

für sklerotische Gefäße

Spatula Nadel schneidend mit Mikrospitze Beispielsweise: S14, CS, GS

Spatula Nadel Ultima Beispielsweise: UCS35, UCSA48

*Auch als MULTIPASS® erhältlich

. Abb. 1.11 Chirurgische Nadeln. (© Fa. Ethicon)

Nadelkode Die Nadeln werden nach einem Buchstaben-Zahlen-Code und einem Symbol-Code unterschieden. Dieser Code wurde teilweise willkürlich gewählt und ist nicht immer nachzuvollziehen. Der Code der Firma Ethicon lässt sich vielfach aus dem Amerikanischen ableiten, z. B.: 4 RB = »round body«, 4 BV = »blood vessel«. Bei anderen Anbietern gibt es eine sprechende Bezeichnung, z. B.: 4 HR 26 = Halbkreis Rundkörper 26 mm Bogenlänge.

1.5.4

Laparoskopisches Nahtmaterial

Da in der laparoskopischen Chirurgie andere OP-Bedingungen bestehen, muss das Nahtmaterial entsprechend angepasst werden. 4 Das Knoten eines Fadens kann extra- oder intrakorporal erfolgen. 4 Vorgefertigte Ligaturschlingen werden mit Hilfe eines Röhrchens eingebracht, dies schiebt den Knoten auf das zu ligierende Gewebe. 4 Um die armierte Naht ohne Probleme durch den Trokar zu führen, werden spezielle gerade oder Skinadeln benötigt (. Abb. 1.11d).

4 Um den Knoten extrakorporal vorzubereiten, ist eine besondere Knotentechnik erforderlich. Der Knoten wird hier mit einem Knotenschieber in Position gebracht. Erleichterung schafft ein von der Industrie bereits vorbereiteter Knoten. Die Fäden haben eine Länge von etwa 1 m (Endoloop = laparoskopische Ligaturschlinge . Abb. 1.12a; Ethi-Endo-Naht = laparoskopische extrakorporale Knotung und Endo Suture System . Abb. 1.12b, Ethicon). 4 Um das Knoten intrakorporal vorzunehmen, stehen wesentlich kürzere Nähte (etwa 20 cm) zur Verfügung, um das Knoten mit zwei Instrumenten zu erleichtern. Zumeist werden diese Nähte vor dem Einbringen durch den Trokar noch um ca. 5 cm gekürzt. 4 Um die Problematik des intrakorporalen Knotens zu erleichtern, wurden spezielle Faden-Clip-Nähte und Fadenfixierclips entwickelt, bei denen ein PDS-Clip den Knoten ersetzt: 5 Ethi-Endo-Clip-Naht = fortlaufende, intrakorporale PDS-Naht mit einem vorgelegten PDS-Clip, der den Knoten ersetzt, 5 Lapra Ty Faden = Fixierclips für fortlaufende, intrakorporale Vicryl-Nähte der Stärke USP 2–0 bis 4–0 empfohlen; Fa. Ethicon. 4 Zum intrakorporalen Knoten werden immer zwei Instrumente benötigt. Für z. B. die Manschetten-

21 1.6 · Werkstoffe des chirurgischen Instrumentariums

a

. Abb. 1.13 Endo Stitch. (© Fa. Covidien)

1.6

Werkstoffe des chirurgischen Instrumentariums

M. Liehn

b . Abb. 1.12a, b a Ligaturschlinge-Endoloop, b extrakorporale Knotung-Ethi-Endo-Naht. (© Fa. Ethicon)

anlage bei der Fundoplikatio gibt es vorgefertigte Nadel-Faden-Kombinationen, die im Einwegapplikator geliefert werden und kein weiteres Instrument zur Knotenanlage benötigen (Endo Stitch, Fa. Covidien, . Abb. 1.13).

Es gibt hoch entwickelte, nichtrostende Stahlsorten, Edelmetalle und Metalllegierungen zur Herstellung des chirurgischen Instrumentariums, die den besonderen Anforderungen in der Medizin entsprechen. Sie müssen großen mechanischen Ansprüchen genügen, werden ständig thermischen, chemischen und physikalischen Angriffen unterworfen und müssen trotzdem ihre Fähigkeiten (z. B. Fassen oder Schneiden) behalten. Außer Edelstahl kommt bei manchen Spezialinstrumenten Titan, Kunststoff, Kupfer, Messing, Neusilber, Silber oder Zinn zur Anwendung. Der eingesetzte Werkstoff richtet sich nach dem Verwendungszweck. Für allgemeine Instrumente gelten andere Anforderungen als für Implantate und Implantatinstrumentarien.

1

22

1

Kapitel 1 · Grundlagen

Die meisten allgemeinchirurgischen Instrumente sind aus einer Chrom-Nickel-Molybdän-Verbindung hergestellt. Titan findet als Werkstoff immer häufiger Verwendung. Er ist sehr gewebeverträglich und ruft im Gegensatz zu Nickel keine Allergien hervor. Nachteilig ist der hohe Preis. Die Oberfläche der einzelnen Instrumente wird zusätzlich behandelt. Sie muss eben sein und darf Schmutz, Blut oder Eiweißresten keine Haftungsfläche bieten. Die mattierte Oberfläche verhindert störende Lichtreflexionen. Instrumente, die mit einem goldfarbenen Griff gekennzeichnet sind, haben im Arbeitsteil eine Hartmetalleinlage und damit eine längere Lebensdauer.

1.7

Grundinstrumente und ihre Handhabung

Die Stärke von Drainagen wird in Charr., nach dem französischen Instrumentenbauer Charrière, angegeben. Die Zahl ist ein Maß für den Querschnitt eines Katheters. Bei kreisrundem Querschnitt entspricht 1 Charr. 0,33 mm Durchmesser (Beispiel: 18 Charr. ‡ ≥6 mm).

1.8.1

Ziele einer Drainageeinlage

4 Ableitung von Blut, Sekret, Zellresten, Luft, Eiter; 4 Offenhalten einer Wunde, um die Granulation vom Wundgrund aus zu sichern (nach Abszessspaltung); 4 als Spül- und Saugdrainagen zur Therapie von Knocheninfekten; 4 zur Prophylaxe, um rechtzeitig Insuffizienzen zu erkennen.

M. Liehn ! Die Auswahl, die Prüfung des Zustandes und der Gebrauchsfähigkeit sowie die Pflege des Instrumentariums gehören zu den Aufgaben des OP-Personals in Kooperation mit den Kollegen in der ZSVA und den Chirurgen.

Operationsinstrumente bestehen aus einem Arbeitsteil und einem Griff. Die verschiedenen Instrumente werden in unterschiedlichen Längen und Formen sowie mit verschiedenen Zahnungen angeboten. Jede operative Disziplin hält neben ihrem Grundinstrumentarium ihre fachspezifischen Instrumente vor. Die Vorbereitung des Instrumentariums auf dem Instrumentiertisch erfolgt standardisiert, der Aufbau ist für jeden Mitarbeiter verbindlich. Alle Instrumente sollten so angereicht werden, dass sie vom Operateur sofort benutzt werden können. Perfektes Instrumentieren erfolgt schnell, sicher, in der richtigen Reihenfolge und mit dem Instrumentengriff zum Operateur gewandt. Für weitere Informationen und detaillierte Beschreibungen der Instrumente und des Handlings empfehlen wir das Buch »1×1 der chirurgischen Instrumente«, erschienen im Springer-Verlag (Liehn u. Schlautmann 2013).

1.8

1.8.2

Materialien und ihre Eigenschaften

Der Einsatz der unterschiedlichen Drainagematerialien richtet sich nach dem speziellen Verwendungszweck. Alle Materialien haben eine gute Gewebeverträglichkeit.

Polyvinylchlorid Polyvinylchlorid (PVC) wird fast nur für Redon-Drainagen verwendet. Bei PVC besteht immer das Risiko, dass toxische Weichmacher austreten. Außerdem kann es durch Eiweißablagerungen im Lumen zu Abflussstörungen kommen. Polyvinylchlorid besticht durch seine Festigkeit, sodass die unter Sog stehende Redon-Drainage nicht kollabieren kann.

Silikon Silikon ist ein siliziumhaltiger Kunststoff von großer Wärme- und Wasserbeständigkeit. Es eignet sich als Langzeitdrainage, denn im Vergleich mit anderen Materialien weist es die beste Gewebeverträglichkeit auf. Es werden keine Weichmacher und organische Zusatzstoffe hinzugefügt; daher finden keine Veränderungen im Körper statt. Silikon ist äußerst flexibel und löst keine Inkrustationen  aus. Da Silikon die Granulation nicht fördert, kann es nicht als Gallengangdrainage (Kurzzeitdrainage) verwendet werden.

Drainagen Naturgummi und Latex

M. Liehn

In allen chirurgischen Disziplinen werden Drainagen gelegt. Die Indikation wird kritisch gestellt, um Drainagekomplikationen gering zu halten und das »Fast-track-Konzept« nicht zu gefährden. Eine Drainage wird in der Regel nach 24–48 h entfernt.

Diese Stoffe eignen sich nur für Kurzzeitdrainagen. Beim Naturgummi kommt es zu starken lokalen Gewebereaktionen. Seine Oberflächenbeschaffenheit begünstigt ein Ansiedeln von Bakterien. Bei längerem Verbleib im Körper treten Zersetzungsprozesse auf. Latex, der Milchsaft einiger tropischer Pflanzen, aus dem Kautschuk hergestellt wird, führt zu weniger heftigen

23 1.8 · Drainagen

Gewebereaktionen als Gummi. Bei längerem Verbleib im Körper jedoch verlieren sich seine positiven Eigenschaften (Elastizität und Härte). Latex wird wegen vermehrt auftretenden Allergien nur noch sehr selten angewendet.

Silikonisierter Latex Durch die Benetzung mit Silikon wird ein Latexdrain reaktionsträge und eignet sich als Langzeitdrainage.

1.8.3

Drainagesysteme

Funktionsprinzipien Schwerkraftdrainage Das Sekret wird am tiefsten Punkt

der Wundhöhle abgeleitet. Heberdrainage Es muss ein Gefälle zwischen Ableitung

und Auffanggefäß bestehen. Kapillardrainage Nutzen der Kapillarkraft von z. B. Ver-

bandmaterial. Sogdrainagen Unkonrollierter Sog lässt Sekret in Unterdruckflaschen ablaufen. Gebräuchliche Drainagemodelle zeigt . Abb. 1.14.

. Abb. 1.14 Gebräuchliche Drainagemodelle in Aufsicht und Querschnitt. 1 = T-Drainage, 2 = Easy-flow-Drainage, 3 = Jackson-PrattDrainage, 4 = Robinson-Drainage, 5 = Blake-Drainage, 6 = Salem-Drainage. (Aus Hagel 2006)

Passive Schwerkraft-, Überlaufdrainagen

T-Drainagen mit Sekretauffangbeutel

Diese Drainageform ist die häufigste. Sie existiert in allen Ableitungssystemen. Allen gemeinsam ist: 4 Die Drainagespitze liegt am tiefsten Punkt der Höhle. 4 Die Ausleitung der Drainage liegt tiefer als der Wundhöhlengrund. 4 Kurze Ausleitung. 4 Ausleitung durch eine separate Inzision in einem Abstand von mindestens 5 cm zum Hautschnitt.

Indikation Mit Ausnahme eines durchgängigen Ductus

Kurzrohrdrainagen und Laschen als offene Systeme Diese Ableitung wird nur selten angewendet. Sie wird kurz über der Haut abgeschnitten und mit einer Naht befestigt. Das Sekret fließt direkt in den Verband, der mehrmals täglich gewechselt werden muss. Die Lasche soll die Wundhöhle offen halten, um die Granulation vom Wundgrund aus zu sichern. Beispiel: nach Abszesseröffnung.

Langrohrdrainagen als halboffenes System mit Sekretauffangbeutel In der Regel besitzen die industriell hergestellten Rohrdrainagen abgerundete Spitzen, einige versetzte Perforationen und eine Röntgenmarkierung. Für spezielle Einsatzgebiete sind anstelle von Runddrainagen auch flache Drains erhältlich.

choledochus und dem Fehlen jeglicher Entzündungserscheinungen wird nach einer Choledochusrevision eine Weichgummi-T-Drainage als Kurzzeitableitung eingesetzt. Diese soll die Galle vorübergehend ableiten, um die Naht zu schonen, und den Ductus bei postoperativer Schwellung offen halten. Nach Tumoroperationen kommt eine Langzeitableitung aus Silikon in Frage. Über das Drain sind Röntgenkontrollen zum Ausschluss von Steinen oder Strikturen etc. möglich. Vorbereiten der Drainage Der Querschenkel wird halbiert,

an den Übergangsstellen zum Langrohr werden 2 Ecken ausgeschnitten, die das spätere Entfernen der Drainage erleichtern sollen. Besonderheiten Auf einen wasserdichten Verschluss des Ductus choledochus ist zu achten. Daher wird häufig zusätzlich ein »Sicherheitsdrain« gelegt, um Insuffizienzen rechtzeitig erkennen zu können. Bevor die Drainage entfernt wird, wird sie zeitweise abgeklemmt. Nach dem Entfernen verklebt der Choledochusdefekt spontan. Die durch das Latex/Gummi ausgelöste Fibrinreaktion ist gewünscht und Voraussetzung dafür, dass beim Ziehen der Drainage keine gallige Peritonitis auftritt.

1

24

Kapitel 1 · Grundlagen

1

. Abb. 1.16 Robinson-Drainage: rechts die Drainage (das perforierte Ende wird in den Situs platziert), links: Auffangbeutel. (Aus Siewert 2010)

Die relativ starre PVC- oder Silikon-Drainage wird über einen Verlängerungsschlauch in der einfachsten Form mit einem Einkammersystem verbunden, in dem ein von außen belüftetes Steigrohr 2 cm tief in Wasser taucht. Dieses dient als Wasserschloss bzw. Einwegventil und verhindert den Rückstrom von Luft in den Pleuraspalt. Außerdem ist es wichtig, dass das Steigrohr des Wasserschlosses zum Raum hin nie abgeklemmt und das System unterhalb des Bettniveaus befestigt wird (7 Kap. 6). . Abb. 1.15 Bülau-Drainage: In dem Standzylinder (rechts) wird ein Unterdruck erzeugt, der durch Verschieben der mit der freien Atmosphäre kommunizierenden zentralen Röhre (rot) eingestellt werden kann. Zwischen Wasserschloss und Patient ist ein Sekretauffangbehälter zwischengeschaltet. (Aus Siewert 2010)

Thorax-/Bülau-Drainage und Wasserschloss ohne aktiven Sog Dieses System wird z. B. zur Prophylaxe nach Mediastinum- und Thoraxoperationen eingesetzt (. Abb. 1.15). Eine Thoraxdrainage soll Luft, Sekret, Blut oder Eiter aus dem Pleuraspalt ableiten, damit die Lunge sich vollständig entfalten kann. Dabei wird nach einer Stichinzision beispielsweise eine Kornzange in den Thoraxraum vorgeschoben. Die vorbereitete Drainage wird zur Sekretableitung am tiefsten  Punkt der Höhle eingelegt und nach außen geleitet. Soll Luft abgeleitet werden, muss das Drain am höchsten Punkt der Höhle platziert werden. Eine sichere Fixierung mit einer kräftigen Naht ist notwendig. Thoraxdrainagesysteme werden zumeist als Schwerkraftsysteme hergestellt.

Spüldrainage Die Spüldrainage mit Sekretauffangbeutel kann einfach hergestellt werden, indem ein Drainageschlauch punktiert und ein Venenkatheter vorgeschoben wird, dessen Spitze kurz vor dem Drainageende zu liegen kommt. An der Punktionsstelle wird der Venenkatheter durch eine Naht fixiert. An die Drainage wird ein Auffangbehältnis und an den Venenkatheter ein Infusionssystem angeschlossen.

Langrohrdrainage als geschlossenes System Das Drainagesystem ist steril in einer Peelpackung verpackt. Sie besteht aus einer 100–130 cm langen Silikondrainage, deren Spitze abgerundet ist. Am Ende befinden sich 4 versetzte trichterförmige Perforationen. Das Drain ist mit einem Röntgenkontraststreifen versehen. Die Drainagen sind in unterschiedlichsten Durchmessern erhältlich. Der Auffangbeutel ist fest mit dem Langrohr verbunden. Durch ein Einwegventil wird der Sekretreflux verhindert. Der Ablauf erfolgt ohne Sog. Der Beutel hat ein Fassungsvermögen von bis zu 600 ml und kann über einen Ablaufstutzen entleert werden. Ein spezielles Einführungsinstrument wird angeboten (Robinson-Drainage; . Abb. 1.16).

25 1.8 · Drainagen

Penrose und Easy-flow-Drainagen

Jackson-Pratt-Drainage als geschlossenes System

Sie stellen eine Alternative zur Schwerkraftdrainage dar. Durch Kapillarwirkung steigt das Sekret von der Wunde in den Verband oder fließt in einen sterilen Beutel, der direkt auf die Haut geklebt wird. Nachteilig ist die offene Ableitung; vorteilhaft ist das weiche flexible Material. Sie werden als Abszessdrainage oder Ableitung im Bereich empfindlicher Strukturen, wie beispielsweise an Bauchorganen oder Gefäßen, angewendet.

4 Die Jackson-Pratt-Drainage besteht aus einer weichen, flexiblen Silikonflachdrainage mit einem langen perforierten Ende. Durch Stege im Drainagelumen wird ein Kollabieren verhindert. Ein Röntgenkontraststreifen ist vorhanden. Der 100-ml-Unterdruckbehälter besitzt ein Einwegventil und ist über Handdruck komprimierbar (unkontrollierte Saugung). Dabei entsteht ein Unterdruck von etwa 0,1 · 105 Pa (0,1 bar).1 Die Luft kann über eine zweite (verschließbare) Öffnung entweichen und Sekret abgelassen werden. 4 Anwendung: an empfindlichen Strukturen, z. B. in der Neurochirurgie bei subduralem Hämatom.

Penrose Diese Drainage besteht aus einem weichen Silikonschlauch, der einen Mullgazedocht umgibt. Durch die Dochtwirkung (kapillare Saugkraft) wird das Sekret aus der Wunde gesogen.

Easy-flow-Drainage Als Material wird Silikon verwendet. Diese Drainagen sind besonders weich und flexibel. Die Kapillarwirkung kommt durch im Innenlumen längs verlaufende Stege zustande. Es werden geschlossene Easy-flow-Drainagen angeboten, bei denen die Kapillardrainage fest mit einem Silikonschlauch verbunden und dieser wiederum an den Sekretbeutel angeschlossen ist.

Aktive Saugdrainagen Redon-Drainage als halboffenes System 4 Die Drainage besteht aus einem am Ende perforierten PVC-Schlauch, der mit einer Vakuumflasche verbunden wird. Die Saugung erfolgt unkontrolliert [Unterdruck bis ca. 0,8 · 105 Pa1 (0,8 bar)]. 4 Die Redon-Drainage wird v. a. in das Subkutanund Subfaszialgewebe, an Osteosynthesen und Endoprothesen gelegt. 4 Das Drain hat einen Röntgenkontraststreifen. 4 Durch den Sog werden die Wundflächen aneinander gedrückt und Hohlräume geschlossen. Aufgrund seiner Härte kann der Schlauch dabei nicht kollabieren. 4 Ausleitung mit einem Spieß; Fixierung mit Naht oder Pflaster; Anschluss des Vakuumbehälters, der nach Bedarf gewechselt wird. 4 Nach etwa 1–3 Tagen sollte die Drainage entfernt werden. ! Intraperitoneale Drainagen sollten nie unter Sog stehen, weil sonst anliegendes Gewebe geschädigt werden kann!

Spül-Saug-Drainage Anwendung bei Osteomyelitis der Extremitäten oder in der Pankreaschirurgie. Spülung mit Elektrolytlösung. Industriell hergestellte Saug-Spül-Drainagen sind meist aus Silikon und dreilumig. Das mittlere Lumen ist mehrmals perforiert, auf die äußeren können Luer-Lock-Ansätze gesteckt werden.

Thorax-/Bülau-Drainage und Wasserschloss mit Sog Anlage einer Thoraxsaugdrainage: 4 Infiltration des Lokalanästhetikums an entsprechender Punktionsstelle nach Röntgenthoraxbild. 4 Inzision der Haut über der 3. oder 6. Rippe. 4 Stumpfe Erweiterung, Eröffnung der Pleura; evtl. Vorschieben einer Kornzange und Öffnen der Branchen. 4 Platzieren der Thoraxdrainage und Fixation der Drainage mit einer Naht. 4 Wie bei der Thoraxdrainage ohne aktiven Sog wird die Drainage mit einem Ein- oder Mehrkammersystem mit dem Wasserschloss verbunden. An das kurze Rohr des Wasserschlosses wird das Wassermanometer angeschlossen, das eine Feinsogregulierung ermöglicht. Dieser Sog, der üblicherweise bei 15–20 cm Wassersäule liegt, wird erzielt, indem das Rohr entsprechend tief in das Wasser eindringt. Das Wassermanometer wird an die Absaugvorrichtung (Wandanschluss) angeschlossen. 4 Anwendung z. B. beim Pneumothorax. Durch den negativen Druck im Drainagesystem wird der Unterdruck im Interpleuralspalt wiederhergestellt und die Lunge entfaltet sich. 4 Bei den Dreikammersystemen dient die 1. Kammer als Sammelgefäß, die 2. Kammer als Wasserschloss, das auf ein Niveau von 2 cm gefüllt wird, die 3. Kammer der Feinsogregulierung. 1 Umrechnungsfaktor: 100.000; 1 bar = 105 Pa.

1

26

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Kapitel 1 · Grundlagen

Alle Handhabungen an der Thoraxsaugdrainage haben immer unter aseptischen Bedingungen zu erfolgen. Zu jedem Zeitpunkt hat das System luftdicht zu sein. Zum Wechseln von Flaschen muss das System abgeklemmt werden (7 Kap. 6).

Vakuumtherapie Eine weitere Möglichkeit, Wundsekret kontrolliert zu entfernen und den Wundverschluss zu beschleunigen, besteht in der Anlage eines Vakuumverbandes, der in der Wunde einen gleichmäßigen Unterdruck erzeugt zum kontinuierlichen oder intermittierenden Absaugen von Wundsekret, der Förderung der Durchblutung und Bildung von Granulationsgewebe.

4 Das Schlauchsystem besteht aus einem Schlauch mit Konnektor und Pad zum Aufkleben. Das Reservoir dient dem Auffangen des Wundsekrets. 4 Die benötigte Pumpe kann vom Hersteller gemietet werden. 4 Instrumente: 5 kleines Grundinstrumentarium, 5 scharfer Löffel Vakuumverband

5 Ausschneiden der Wundränder. 5 Nekrotisches oder schlecht durchblutetes Gewebe im Wundbereich wird entfernt.

5 Die Wundfläche wird mit einem Skalpell und/oder

Indikation

4 Vorwiegend bei akuten oder chronischen Weichteildefekten, z. B. in der Traumatologie, Gefäßchirurgie, Allgemein- und Viszeralchirurgie.

5

Kontraindikation

4 4 4 4

Allergien gegen das verwendete Material. Patienten mit sehr dünner, empfindlicher Haut. Wunden durch maligne Tumoren. Unbehandelte Osteomyelitis.

Prinzip

4 Durch Einlegen eines Schwammes, luftdichtes Verschließen mittels Folie und Anbringen eines SchlauchPumpen-Systems wird ein Unterdruck erzeugt, der sich gleichmäßig auf die ganze Wunde verteilt. Instrumentarium Schwamm, Folie, Schlauchsystem,

Reservoir, Pumpe, evtl. Hydrogelstreifen, evtl. reizfreier Hautschutz. 4 Den Schwamm gibt es in verschiedenen Größen und unterschiedlichen Materialien. Er besteht entweder aus 5 Polyurethan (PU): schwarz, grob, großporig, trocken, für stark sezernierende, infektiöse Wunden oder aus 5 Polyvinylalkoholschaum (PVA): weiß, kleinporig, hydrophil für nicht verunreinigte Wunden, schützt empfindliches Gewebe und fördert das Anwachsen von Hauttransplantaten. ! Der Schwamm darf keinen direkten Kontakt mit Organen oder Gefäßen haben.

4 Die Folie besteht aus aus Polyurethan, ist selbstklebend, transparent, luftdicht, bakterien- und dampfdurchlässig 4 Die Hydrogel-Streifen sind doppelseitig klebend, haften auf der Haut und ermöglichen ein besseres Abdichten der aufgeklebten Folie.

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5

5

scharfen Löffel angefrischt, danach wird die Wunde gründlich gespült, entweder mit Ringer-Lösung und/oder einem Wund- und Schleimhautantiseptikum. Der Schwamm wird in der Form und Größe der Wunde zugeschnitten und auf die Wundfläche aufgelegt; ggf. werden Hydrogel-Streifen um die Wunde geklebt. Die transparente Folie wird über den Schwamm und auf die gesunde Haut geklebt. Dabei ist darauf zu achten, dass der Bereich luftdicht abgeschlossen ist, da sonst kein Vakuum erzeugt werden kann. An der Stelle, an der das Schlauch-Pad aufgeklebt werden soll, wird ein kleines Loch in die Folie geschnitten, das Pad über das Loch geklebt und das Reservoir in die Pumpe eingesetzt und mit dem Schlauch verbunden. Nachdem die gewünschte Saugleistung eingestellt wurde, kann die Pumpe gestartet werden.

Der Schwammwechsel erfolgt nach ca. 2 (PU-Schwamm) bis 5 (PVA-Schaum) Tagen.

Drainagekomplikationen 4 Gewebereaktionen aufgrund des Drainagematerials, -systems, 4 schlechte Förderung durch Drainageverlegung, 4 Verwachsungen, 4 Organverletzung durch die Drainagespitze, 4 Sekretreflux bei unsachgemäßer Handhabung, 4 versehentliches Festnähen der Drainage bei tiefen Nähten, 4 Infektionen.

27 1.10 · Wunden und ihre Versorgung

Operationsindikationen

1.9

L. Steinmüller

1.10

Wunden und ihre Versorgung

L. Steinmüller, M. Liehn

Definition

Definition

Die OP-Indikation ist definiert als der Grund zur Verordnung eines bestimmten diagnostischen oder therapeutischen Verfahrens in einem definierten Krankheitsfall, der seine Anwendung hinreichend rechtfertigt. Grundsätzlich besteht Aufklärungspflicht gegenüber dem Patienten.

Als Wunde bezeichnet man die Durchtrennung oder Zerstörung der Haut oder Schleimhaut, der tiefen Gewebe oder der inneren Organe.

1.10.1

1.9.1

Absolute OP-Indikation

4 Notfallmäßig, d. h. sofort! 5 Beispiele: Blutung als Traumafolge (Milzruptur), rupturiertes Aortenaneurysma usw. 4 Lebensrettend akut, d. h. innerhalb weniger Stunden. 5 Beispiele: Appendizitis, mechanischer Ileus, Peritonitis usw. 4 Subakut, d. h. innerhalb weniger Tage. 5 Beispiele: blande akute Cholezystitis, Magenausgangsstenose.

1.9.2

Relative OP-Indikationen

4 Diagnostische Operationen. 5 Beispiele: Arthroskopie, Laparoskopie usw. 4 Sozial indizierte Operationen. 5 Beispiele: Schwangerschaftsabbruch (?). 4 Kombinierte Indikationsbereiche. 5 Beispiele: Extremitätenreplantation, Anus-praeterRückverlagerung. 4 Präventive Operationen, bevor eine Symptomatik oder eine Verschlimmerung eines bislang asymptomatischen Zustandes auftritt. 5 Beispiele: Präarthrosen in der Orthopädie, Gefäßstenosen/Aneurysmen in der Gefäßchirurgie, Polyposis/Colitis ulcerosa in der Allgemeinchirurgie. 4 Kosmetische Operationen. 5 Beispiele: Narbenkorrektur, Facelifts usw.

Wundarten

Allgemeine Kennzeichen und Folgen von Wunden sind: 4 Defektbildung von Gewebe, ggf. mit Oberflächenverletzung, 4 Austritt von Blut und Serum bis hin zum Schock, 4 Verlust der Schutzfunktion. Die Übersichten in . Tab. 1.6 und . Tab. 1.7 unterscheiden nach den Hautverhältnissen und nach der Entstehung der Wunden.

1.10.2

Wundheilung

Definition Wundheilung ist die dauerhafte Wiedervereinigung traumatisch oder operativ durchtrennter Gewebe.

Die Wundheilung findet in mehreren Phasen statt, analog zum Ablauf eines Entzündungsprozesses. Der Gewebedefekt wird durch die Vernarbung des Stützgewebes in Verbindung mit einer Epithelregeneration repariert. Zerstörtes Gewebes wird so stufenweise abgedichtet und durch neues ersetzt. Bindegewebe und Knochen werden durch gleichartige Gewebe, alle anderen durch Bindegewebe ersetzt. Wichtige Erfolgsfaktoren sind die intakte Durchblutung der Wunde und ein guter Ernährungszustand des Patienten.

Phasen der Wundheilung Exsudative Phase (Reinigungsphase) 1.–4. Tag Ausfüllen der Gewebelücke durch Blut, Lymphe

Jede Überlegung zur OP-Indikation muss immer die möglichen Kontraindikationen miteinbeziehen!

und Fibrin. Infektionsschutz durch Wundverschluss, begleitet von Hyperämie und Phagozytendiapedese. Ödemrückbildung, Mitosen des Randepithels. Übergang der Katabolie zur Anabolie.

1

28

1

Kapitel 1 · Grundlagen

. Tab. 1.6 Unterscheidung von Wunden nach den Hautverhältnissen Offene Wunden

Geschlossene Wunden

Besondere Wunden

Oberflächlich

Schädel

Ablederung – Décollement

Perforierend

Thorax

Abtrennung

Kompliziert

Skelettsystem

Quetschung, offen oder geschlossen

Abdomen – »stumpfes Bauchtrauma«

. Tab. 1.7 Unterscheidung von Wunden nach der Entstehung Wunde

Entstehung

Schürfwunden

Oberflächlich »gering blutend«, schmerzhaft

Platzwunden

Durch stumpfe Gewalt, unregelmäßige Wundränder, schlechte Durchblutung, Infektionsgefahr

Risswunden

Unregelmäßige Wundränder, oft oberflächlich, zerklüftete Wundhöhle, Infektionsgefahr

Quetschungen

Unregelmäßige Wundränder, Schädigung auch benachbarter Gewebe

Schnittwunden

Glatte Wundränder, klaffend, evtl. stark blutend, meist problemlose Heilung

Bisswunden

Durch Tier oder Mensch; besonders infektionsgefährdet, schlechte Heilungstendenz

Schusswunden

Ausgedehnte Gewebezerstörung in der Tiefe, hohe Infektionsgefahr, schlechte Heilung

Ablederung

Abriss der Haut von der Faszie mit Ausbildung von Hämatomhöhlen

Skalpierung

Abriss der Kopfschwarte

Verbrennung

Schädigung durch chemische/thermische Einwirkung auch im Rahmen einer Bestrahlung/Nuklearexplosion

Das Granulationsgewebe wird durch Vernetzung und Aggregation der Kollagenmoleküle unter Gewebeschrumpfung (bis zu 30%) in Narbengewebe umgewandelt. Durch die Gefäßminderung wird das Bindegewebe weiß und straff. Einwachsen sensibler Nervenfasern, Epithelisierung vom Rand her. Es fehlen Haare, Schweißdrüsen und Pigmente.

Arten der Wundheilung Neben den zeitlichen Phasen kann die Wundheilung nach der Heilungsart unterschieden werden.

Primärheilung Im Idealfall wird sie durch chirurgische Nähte erreicht. Es wird ein Wundverschluss mit minimaler Narbenbildung bei glatten Wundrändern erzielt. Dauer: 10–14 Tage.

Sekundärheilung Darunter versteht man einen zeitlich verzögerten, schrittweisen Verschluss einer meist infizierten Wunde oder Defektwunde. Nach der Granulationsgewebebildung im Wundgrund erfolgt die Epithelisierung vom Wundrand her bei gleichzeitiger Wundkontraktion. Dauer: Wochen bis Monate.

Störungen der postoperativen Wundheilung Darunter versteht man alle Komplikationen, die ein Wiedereröffnen einer operativ verschlossenen Wunde verursachen oder notwendig machen. 4 Aseptische Erscheinungsformen: Serom, Hämatom, Wundrandnekrose, Nahtdehiszenz. 4 Septische Erscheinungsformen: infiziertes Serom oder Hämatom, Phlegmone, Abszess, Wunddehiszenz.

1.10.3

Chirurgische Wundversorgung

kIndikation

Zum Beispiel Risswunden, Schnittwunden, Platzwunden. kPrinzip

Proliferationsphase (Granulationsphase) 4.–7. Tag Sie wird auch als reparative Phase bezeichnet.

Durch Kapillar- und Fibroblasteneinsprossung in das Wundbett entsteht das Granulationsgewebe. Kollagenfasern werden gebildet und der Defekt somit weitgehend vor dem Eindringen von Erregern geschützt.

Innerhalb der ersten 6–8 h bei Bedarf keilförmige Exzision der Wundränder, evtl. eine Anfrischung, spannungsfreie Nähte zum Hautverschluss. Bei komplizierten Wunden »Wundtoilette« ausführen, Kontraindikationen für den primären Wundverschluss beachten: Bisswunden, veraltete und infizierte Wunden. kLagerung

Regenerationsphase (Differenzierungsphase) 7.–21. Tag bis 14 Monate Diese Phase wird auch Narben-

bildungsphase genannt.

Je nach Lokalisation der Wunde soll eine bequeme Lagerung für den Patienten gefunden werden, da in der Regel in Lokalanästhesie operiert wird. Bei großen und tiefen

29 1.10 · Wunden und ihre Versorgung

Wunden kann eine Versorgung in Narkose notwendig werden.

. Tab. 1.8 Bakterielle Erreger chirurgischer Infektionen

kInstrumentarium

Aerobe Keime (Vermehrung in sauerstoffreichem Milieu)

4 4 4 4 4 4 4 4 4 4

Lokalanästhetikum, 5-ml-Spritze, kleine Kanüle, Lösung zur Reinigung der Wunde, Skalpell, Präparierschere, chirurgische feine und etwas größere Pinzetten, Nadelhalter und Nahtmaterial und/oder Hautkleber, Tupfer, Verbandmaterial, Bei Bedarf Tetanusimmunisierung vorbereiten.

Kokken

Hämolysierende Streptokokken (insbes. Gruppe A) Staphylococcus aureus Enterokokken

Gramnegative Stäbchen

Enterobacteriaceae Escherichia coli Klebsiella pneumoniae Enterobacter Proteus-Spezies

Wundverschluss

u. a. m.

5 Applikation des Lokalanästhetikums, Inspektion

Pseudomonas aeruginosa

der Wunde. Wenn eine Risswunde vorliegt, keilförmige Exzision der Wundränder, sonst nur eine »Anfrischung« der Ränder. Bei tiefen Wunden wird die Subkutis mit wenigen Nähten adaptierend verschlossen; die Hautnaht erfolgt spannungsfrei mit Einzelknopfnähten. Im Idealfall ist eine alleinige Versorgung mit Pflasterzügen, Flüssigpflaster oder Hautkleber möglich. Bei der Versorgung von größeren Extremitätenwunden wird eine pneumatische Blutsperre angelegt. 5 Der Verband dient dem Schutz der Wunde zur Sekretaufnahme und ggf. zur Ruhigstellung, wenn nötig als Schienen- oder Gipsverband. 5 Nach Bedarf Verabreichung der Tetanusimmunisierungsspritze(n) (7 unten: Abschn. «Tetanus«).

1.10.4

Chirurgische Infektionen

Definition Entzündungsformen, die durch Eintritt von Erregern eine chirurgische (operative) Behandlung nach sich ziehen.

Erreger chirurgischer Infektionen . Tab. 1.8 gibt einen Überblick über die verschiedenen

Anaerobe Keime (Vermehrung nur bei Abwesenheit von Sauerstoff ) Grampositive stäbchenförmige Bakterien

Gramnegative stäbchenförmige Bakterien

Sporenbildende Bakterien Clostridium perfringens und verwandte Arten Bacteroides fragilis und andere Bacteroidesarten

Lymphogen In Form einer Lymphangitis breitet sich die

Entzündung entlang der Lymphgefäße bis hin zum nächsten Lymphknoten aus. Hämatogen Durch Keimeintritt in die Blutbahn kommt es

zur Sepsis. Unterschieden werden die einfache Septikämie, bei der durch Einschwemmung von Bakterien in die Blutbahn (Bakteriämie) oder von Bakterientoxinen (Toxinämie) eine allgemeine Infektion des Organismus ausgelöst wird. Bei der komplizierten streuenden Form, der Septikopyämie, treten in entfernten Körperregionen metastatische Eiterherde auf. Verlaufsformen eitriger Entzündungen werden wie folgt unterschieden: 4 akut: Appendizitis, Mastitis, Cholangitis, Empyem usw. 4 chronisch: chronische Abszesse, chronische Osteomyelitiden, Aktinomykosen.

Nosokomiale Infektionen (NSI)

Keimarten und die entsprechenden Erreger.

Definition

Ausbreitungswege

Infektionen, die in zeitlichem Zusammenhang mit dem Krankenhausaufenthalt entstehen. Die amtliche Definition ist im Infektionsschutzgesetz (IfSg §2) festgelegt.

Lokal Die Bakterienausbreitung erfolgt direkt auf dem

Wege der örtlichen Gewebestrukturen.

1

30

1

Kapitel 1 · Grundlagen

Entstehungsmechanismen

Klinik Häufig septische Allgemeinreaktion, die unter allei-

4 4 4 4

niger Antibiotikagabe nicht abklingt.

Bei geschwächter körpereigener Infektabwehr; nach komplizierten, langwierigen Operationen; durch invasive, apparative Maßnahmen; durch therapeutische Maßnahmen, die die Infektionsabwehr herabsetzen.

Vorkommen Zum Beispiel in Gelenken, in der Gallenblase

oder der Pleura.

Maßnahme zur Vermeidung von Infektionen

Keime Staphylokokken, Streptokokken, faulige, übel riechende Erreger.

4 Hygienische Händedesinfektion, 4 Einmalhandschuhe, Schutzkleidung, 4 aseptische Arbeitstechniken.

Granulom

Lokale Formen Abszess

Definition Eine geschwulstartige knötchenförmige Neubildung aus Granulationsgewebe als Gewebereaktion auf allergisch-infektiöse Prozesse.

Definition Eine örtlich umschriebene, durch eine Abszessmembran abgekapselte eitrige Entzündung mit Zerstörung des örtlichen Gewebes.

Klinik Schmerz (Dolor), Rötung (Rubor), Überwärmung

(Calor), Schwellung (Tumor) stellen die klassischen Entzündungszeichen dar. Der flüssige Abszessinhalt ist durch seine Fluktuation feststellbar.

Vorkommen Als sog. infektiöses Granulom bei rheuma-

tischem Fieber, Tuberkulose, Lepra, Aktinomykose, Syphilis, bei tiefen Mykosen und Wurminfektionen. Auch bei Fremdkörpern (z. B. Talkum, Asbest, chirurgisches Nahtmaterial) und nichtinfektiös als Begleitsymptom von Systemerkrankungen (z. B. M. Crohn, Vaskulitiden).

Lymphangitis, Lymphadenitis, Phlebitis Vorkommen Haut, z. B. gluteal, perianal und in Organen.

Definition Keime Überwiegend Staphylokokken, selten E. coli oder

Mischflora.

Es handelt sich um meist von einem primären Infektionsherd fortgeleitete Entzündungsformen.

Phlegmone Definition

Klinik »Roter Strich«, häufig mit Fieber und Lymphkno-

Eine diffuse eitrige Entzündung ohne Kapselbildung.

tenschwellung einhergehend, im Volksmund als »Blutvergiftung« bezeichnet.

Klinik In der Regel schwere allgemeine Entzündungszeichen. Flächenhaftes Fortschreiten mit Schmerzen.

Keime Staphylokokken, Streptokokken.

Furunkel, Follikulitis, Karbunkel Vorkommen Kutis, Subkutis, Darmwand, Mediastinum,

Retroperitoneum, kleines Becken, Perineum, Mundboden. Eine Sonderform stellt das Panaritium dar (7 unten: Abschn. »Panaritium«). Keime Oft Streptokokken, seltener Staphylokokken, Proteusspezies.

Definition Umschriebene, nichtabgekapselte, auf einen Haar follikel beschränkte eitrige Infektion, die durch Ausbreitung auf die Talgdrüsen und auf das benachbarte Bindegewebe zum Furunkel wird. Mehrere konfluierende Furunkel bezeichnet man als Karbunkel.

Empyem Definition

Vorkommen Nacken, Unterarm, Gesicht, äußerer Gehör-

Eine Eiteransammlung in einer präformierten Körperhöhle durch direkte oder fortgeleitete Infektion.

gang, Naseneingang. Keime Staphylococcus aureus.

31 1.10 · Wunden und ihre Versorgung

Erysipel Definition Wund- oder Gesichtsrose; eine intrakutane, flächenhafte, sich lymphangisch, d. h. in den Lymphspalten, ausbreitende Infektion.

Vorkommen Häufig sind Finger, Hände und angrenzende

Gelenke, hauptsächlich bei Arbeitern in Fleisch-, Geflügelund Fischbetrieben, befallen. Die Infektionspforten sind meist Bagatellwunden. Keim Erysipelothrix rhusiopathiae.

Panaritium Klinik Flammende Rötung des infizierten Bereichs. Allge-

meine Infektionszeichen mit Fieber, Abgeschlagenheit, Schüttelfrost. Als Komplikation kann neben einer Sepsis eine Mitbeteiligung der Hirnhäute, des Herzmuskels und der Niere auftreten. Vorkommen Eintrittspforten sind meist schlecht heilende

Wunden, banale Verletzungen, Mundwinkelrhagaden. Keime β-hämolysierende Streptokokken der Gruppe A.

Definition Es handelt sich um eine eitrige Infektion des Fingers oder der Zehe.

Die Besonderheiten der möglichen Infektionsausbreitung sind durch die Fingeranatomie vorgegeben: Die palmarseitig senkrecht verlaufenden Bindegewebesepten begünstigen die Tiefenausbreitung der Entzündung.

Gangrän Klinik Ausgangsort sind häufig Bagatellverletzungen.

Definition Form einer Nekrose, bei der eine Gewebeverflüssigung durch Einwirkung anaerober Fäulnisbakterien eintritt. Wir unterscheiden die trockene und die feuchte Gangrän.

Nach erfolgter Kontamination entwickelt sich sowohl eine abszedierende als auch eine phlegmonöse Entzündung mit Hyperämie, entzündlichem Ödem und stechendem oder pulsierendem Schmerz. Formen Die Formen des Panaritiums sind in . Tab. 1.9 dargestellt.

Klinik Graugrüne bis schwarze Färbung, evtl. mit Gasbil-

dung. Charakteristisch ist der faulig-süße Geruch. Vorkommen Superinfektion durchblutungsgestörter Gewebe oder trockener Nekrosen.

Pseudomonasinfektion Definition Es handelt sich um eine relativ häufige postoperative Wundinfektion mit typischer Blau-grün-Verfärbung des Verbandes begleitet von süßlichem Fötor. Pseudomonas ist ein gefürchteter Hospitalismuskeim! Therapeutisch ist ein aggressives, ggf. wiederholtes Débridement erforderlich.

Keim Pyozeaneus = Pseudomonas aeruginosa. Antibiotikatherapie mit Cephalosporinen 7 unten.

Erysipeloid (Schweinerotlauf) Definition Deutlich abgegrenzte juckende bläulich-rote Schwellung.

Keime Staphylokokken, Streptokokken.

. Tab. 1.9 Formen des Panaritiums Panaritium

Lokalisation

Panaritium subcutaneum

Häufig an der Fingerkuppe

Panaritium subunguale

Nagelwallentzündung

Panaritium parunguale (Paronychie)

Nagelbettentzündung

Panaritium ossale

Knöcherner Befall

Panaritium articulare

Befall des Fingergelenks

Panaritium tendinosum

Befall der Sehne und der Sehnenscheide

Hohlhandphlegmone

Auftreten bei proximaler Ausbreitung entlang der Sehnen/ Sehnenscheiden

1

32

1

Kapitel 1 · Grundlagen

Aktinomykose (Strahlenpilzerkrankung) Definition Sie verläuft als chronisch-eitrige Entzündung. Der Eiter ist gekennzeichnet durch drusenartige Körnchen, die wie kleine gelbe Schwefelkörnchen aussehen.

Vorkommen Zu 95% in der zervikofazialen Region; daneben gibt es seltenere Infektionsorte wie die Lunge, den Darm und das innere Genitale. Klinik Fistelbildungen, Darmstenosen. Keime Actinomyces israelii. Histologie Neutrophile Granulozyten und verfettete Makrophagen, zentral Actinomycesdrusen, gekennzeichnet durch den hellen »Strahlenkranz«.

Bursitis Definition Akut oder chronisch verlaufende Entzündung eines Schleimbeutels.

Klinik Prominente Schwellung mit Hautrötung und ggf.

auch Fluktuation.

5 Falls Ersteres möglich ist, sollte immer Material (Abstrich/Punktat/Gewebe) für eine bakteriologische Untersuchung gewonnen werden. Nur damit ist eine ggf. erforderliche Antibiotikatherapie gezielt möglich. 5 Immer erfolgt eine Ruhigstellung, falls nötig mit Gips- oder Schienenverband; die Hochlagerung bei Extremitäteninfektionen ist obligat, ebenso eine Kühlung der betroffenen Region mit Ausnahme bei Durchblutungsstörungen. 5 Falls die ersten beiden Punkte nicht durchführbar sind, erfolgt neben den geschilderten allgemeinen Maßnahmen die breit abdeckende, den wahrscheinlichen Erreger einschließende Antibiotikatherapie. 5 Vakuumtherapie 7 Abschn. 1.8.3.

Systemische Formen Tetanus Tetanus ist eine meldepflichtige Weichteilinfektion, die zur generalisierten Toxinausschüttung in die Blutbahn und Parese der quergestreiften Muskulatur, zum sog. Wundstarrkrampf, führt. Keime Erreger ist das Clostridium tetani, ein sporenbildender, streng anaerober, grampositiver Keim mit spezieller Verbreitung in gedüngter Erde und Fäzes. Die Sporen sind hitzeresistent und überleben in Trockenheit bei Temperaturen von 60–150°C.

Vorkommen Bevorzugt im Bereich der Ellenbogen, weite-

re Lokalisationen im Schulterbereich (Bursa subdeltoidea), im Kniescheibenbereich (Bursa praepatellaris) durch Überlastung. Keime Meist Staphylokokken, selten Streptokokken und

Pathogenese Während der Inkubationszeit von 1–3 Wochen wandelt sich der Erreger unter Sauerstoffmangel von der Sporen- in die Vegetativform. Die Clostridien bilden ein Neurotoxin, das Tetanospasmin. Die Folge sind tonisch-klonische Krampfanfälle.

als Begleiterkrankung bei generalisierter Gonokokkeninfektion und bei tuberkulöser Arthritis bzw. Lymphadenitis.

Klinik Nach der Inkubationszeit treten Kopf- und Muskel-

! Bei allen oben aufgeführten Infektionen handelt es sich um lokale Infektionen, d. h. die Eintrittspforte in den Körper und der Ort der Reaktion auf den Erreger sind identisch. Lokalinfektionen hinterlassen keine Immunität. Die Infektionsausbreitung und Begleitreaktionen des Gesamtorganismus sind jedoch möglich.

Chirurgische Handlungsprinzipien bei lokalen Infektionen 5 Versuch der lokalen Herdsanierung durch Eröffnung bzw. Ausscheidung lokaler Eiteransammlungen, Entfernung von Fremdkörpern.

schmerzen, Schweißausbrüche, Abdominal- und Rückenschmerzen auf (Prodromalstadium). Erstsymptome sind dann häufig Steifheit im Kiefergelenk, Schluckstörungen und Hyperreflexie. Im weiteren Verlauf kommt es schließlich zur Lähmung der Zwerchfellmuskulatur. Hypoxisch bedingtes Herzversagen führt als Folge der krampfbedingten Insuffizienz der Atemmuskulatur zum Tod. Prognose Je kürzer die Inkubationszeit (weniger als 10 Tage) und je kürzer die Anlaufzeit (Intervall zwischen ersten klinischen Symptomen und ersten Krampfanfällen, weniger als 3 Tage), desto schlechter die Prognose. Therapieregime Eine kausale Therapie nach Ausbruch der Erkrankung gibt es nicht.

33 1.10 · Wunden und ihre Versorgung

4 Wundexzision zur Erregereliminierung, 4 Immunbehandlung mit Tetanus-Immunglobulin (HTIG, bis 10.000 IE i.m.), 4 Krampfprophylaxe, Kupierung, ggf. Relaxation unter Intubation und Beatmung, 4 intensivtherapeutische Maßnahmen. Tetanusprophylaxe

4 Vorbeugende Impfung mit Tetanustoxoid, s. unten, 4 frühe chirurgische Wundversorgung, 4 Immunisierung: 5 Passiv: Gabe von 250 IE Tetanusimmunglobulin im Verletzungsfall, wenn kein ausreichender Impfschutz besteht. Es resultiert ein 1–4 Wochen anhaltender Schutz. 5 Aktiv: Gabe von 0,5 ml Tetanustoxoid. Das Immunsystem antwortet hierauf mit der Bildung eigener Immunglobuline (daher: aktiv). Um diese Immunantwort zur Erlangung einer langjährigen Schutzwirkung zu verstärken, erfolgen eine 2. Impfung nach 2–6 Wochen und eine 3. Impfung nach 6–12 Monaten. 5 Im Verletzungsfall erfolgt die erste Impfung als Simultanimpfung von aktiver und passiver Impfung. Die Schutzwirkung der kompletten aktiven Impfung beträgt (5–)10 Jahre. Eine einmalige Auffrischung nach jeweils 10 Jahren ist sinnvoll. Das Impfprogramm für Klein- und Schulkinder enthält heute die aktive Immunisierung gegen Tetanus. Daher ist die Bevölkerung fast lückenlos geschützt. Eine anhaltend gute Impfdisziplin ist auch in den Unfallambulanzen wichtig. Mit einem Schnelltest ist der aktuelle Tetanusimmunstatus ermittelbar!

Gasbrand Definition Zunächst lokale Weichteilinfektion exotoxinbildender Erreger mit gasbildender, foudroyant verlaufender Gewebenekrose und konsekutiver Toxinämie.

Keime Grampositive, obligat anaerobe, sporenbildende Clostridien: 4 in über 80% Clostridium perfringens, 4 selten C. novyi, C. histolyticum oder C. septicum.

Die Sporen der Bakterien sind Saprophyten (Fäulnisbakterien) des menschlichen und des tierischen Darmes. Gehäuftes Vorkommen in gedüngtem Boden.

Pathogenese Folgende Faktoren begünstigen eine Gasbrandinfektion: 4 ausgedehnte Weichteilkontusion mit Verschmutzung, 4 arterielle Minderdurchblutung, 4 Mischinfektionen mit anaeroben und aeroben Erregern, 4 freigesetzte Kalziumsalze (Trümmerfrakturen! Sie begünstigen die Wirkung der teilweise kalziumabhängigen Toxine). Ablauf der Intoxikation Die Erreger bilden neben Exo-

toxinen Enzyme, die zu einer auflösenden Zerstörung der Zellen führen. Die typische Gasbildung resultiert aus der Kohlenhydratvergärung und der Eiweißzersetzung. Klinik Nach 1–4 Tagen Inkubationszeit kommt es unter heftigen Wundschmerzen zur ödematösen Wundschwellung und violett-schwarzer Wundfarbe. Das fleischwasserfarbene Wundsekret und das Knistern des infizierten Gewebes bei Palpation sind charakteristisch. Die Clostridienmyositis und Myonekrose stellen die schwersten Verlaufsformen der Infektion mit rascher zentripetaler Infektionsausbreitung auf die gesunde Muskulatur dar. Dagegen verläuft die Clostridienzellulitis günstiger, da sie auf den unmittelbaren Wundbereich beschränkt bleibt, ohne auf die gesunde Muskulatur überzugreifen. Außerdem fehlen die Allgemeinsymptome (Unruhe, Schwächegefühl, delirante Verwirrung, Tachykardie und leichtes Fieber). Im Spätstadium führen akutes Nierenversagen, toxinbedingte Hypotonie und Herz-Kreislauf-Versagen zum tödlichen Ausgang. Therapie Die operative Therapie ist primär dringlich nach klinischer Verdachtsdiagnose. Maßnahmen sind: 4 Die Längsspaltung durch Haut, Faszie und Muskel. 4 Die Exzision von Nekrosen, je nach Verlauf ggf. frühzeitige Amputation im Gesunden, Spülung, Drainage, Offenlassen der Wunden. 4 Als adjuvante Maßnahmen sind Antitoxingaben und evtl. die hyperbare Sauerstoffbehandlung in einer Druckluftkammer anzusehen, 4 Antibiotika wie Penicillin und Metronidazol sowie Intensivtherapie. Prognose Die Mortalität beträgt 30–50%. ! Nicht jede gasbildende Phlegmone ist ein Gasbrand! Als Differenzialdiagnose kommen in Frage: Streptokokkenmyositis und infizierte Gangrän.

Weitere chirurgische Infektionen sind: Tuberkulose, Tollwut und parasitäre Infektionen wie Echinokokkose (7 Abschn. 2.8.2), chirurgische Komplikationen der Amöbiasis

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34

1

Kapitel 1 · Grundlagen

(7 Abschn. 2.8) und der Askaridiasis. Diese Krankheitsbilder werden hier nicht näher betrachtet.

Methicillin-/Oxacillin-resistenter Staphylococcus aureus Definition Multiresistente Staphylococcus-aureus-Stämme, die in unseren Krankenhäusern immer häufiger vorkommen.

Sie sind weltweit verbreitet und gelten als Verursacher nosokomialer Infektionen. Durch die Multiresistenz werden die Therapiemöglichkeiten erheblich eingeschränkt. Der vorrangige Übertragungsweg ist der Weg über die Hände des Personals. Es kann jedoch auch eine endogene Infektion stattfinden, bei der der Patient durch eigene Besiedelung mit Staphylococcus aureus zum Herd seiner MRSA-Erkrankung wird. Der MRSA-Stamm gilt als besonders umweltresistent. Er ist widerstandsfähig gegenüber Trockenheit und Wärme und haftet stark an Instrumenten und Pflegeutensilien. Aus den eigentlich nur bedingt pathogenen Staphylokokken haben sich durch Mutation Stämme entwickelt, die durch die Bildung eines Penicillin-bindenden Proteins gegen Methicillin (heute bekannt unter dem Namen Oxacillin) resistent sind. Davon sind besonders Stämme betroffen, die in erster Linie in Krankenhäusern und Pflegeeinrichtungen vorkommen. jUrsachen für die zunehmende Verbreitung

4 Die Antibiotikagabe ist teilweise zu häufig, zu kurz oder zu unspezifisch. 4 Hygienepläne werden nicht konsequent eingehalten. 4 Intensivmedizinische, invasive Maßnahmen, die das Risiko einer Infektion erhöhen, nehmen zu. Zudem haben Patienten in schlechtem Allgemeinzustand und/oder immunsupprimierte Patienten dem MRSA geringe Widerstände entgegenzusetzen. 4 Als prädisponierende Faktoren gelten außerdem der Diabetes und die dialysepflichtige Niereninsuffizienz.

Richtlinien zur Prävention und Behandlung Die Empfehlungen zur Vorbeugung der nosokomialen Infektionen erstellt die »Kommission für Krankenhaushygiene und Infektionsprävention (KRINKO). Diese Kommission des Robert-Koch-Instituts hat Richtlinien

zur MRSA-Infektion, zur Prävention und zur Behandlung herausgegeben: 5 Der MRSA-Stamm muss frühzeitig erkannt und spezifiziert werden. 5 Der betroffene Patient muss isoliert werden und kann nur mit anderen MRSA-infizierten Patienten zusammengelegt werden. Kontaktpersonen müssen jedoch nicht isoliert werden. 5 Die Zahl der behandelnden Personen muss auf ein Minimum reduziert und das Personal muss umfassend geschult werden. 5 Die konsequente Einhaltung aller hygienischen Richtlinien, insbesondere die hygienische Händedesinfektion und das Tragen von Schutzkleidung, sind obligat. 5 Die Sanierung nasaler MRSA-Besiedelung muss vorrangig sein, da die Minimierung der Keime in der Nase zumeist auch eine Minimierung der Keime an anderer Stelle nach sich zieht. 5 Einzelne MRSA-Erkrankungen müssen nicht dem zuständigen Gesundheitsamt gemeldet werden. Bei epidemischem Auftreten schreibt das Bundesseuchengesetz eine sofortige Meldung an das Gesundheitsamt vor. 5 Gezieltes Eingangsscreening für Risikopatienten bei Krankenhausaufnahme mittels Schnelltest.

Der Nachweis des MRSA ist in jedem bakteriologischen Labor und inzwischen auch mit einem Schnelltest leicht möglich. Bis zum Ergebnis der Tests ist eine vorsorgliche Isolation des Patienten sinnvoll. Nach der Diagnose ist ein konsequentes Hygienemanagement entscheidend. jPlanung einer Operation eines MRE (multiresistenter Erreger) -Patienten

4 Die Operation an das Ende des geplanten Programmes setzen; Ausnahmen bilden MRE-Patienten, bei denen ein primär aseptischer Eingriff geplant ist, diese sollten zu Beginn des Tagesprogammmes operiert werden, jedoch ist danach eine Grundreinigung des Saales vorzunehmen. 4 Der Patient muss allein in der OP-Schleuse sein; Wartezeit muss vermieden werden. 4 Die Schleuse muss danach zuverlässig mit einer Scheuer-Wisch-Desinfektion für die anderen Patienten vorbereitet werden. 4 Wenn möglich, sollte die Operation in einem ausgegliederten OP-Saal vorgenommen werden, zumindest aber in dem Saal, der der Schleuse am nächsten liegt.

35 Literatur

4 Alle Gegenstände, die nicht benötigt werden, sind aus dem Saal zu entfernen. 4 Während der Operation ist der Saal zu isolieren. 4 Um die Mitarbeiter vor Infektionserregern zu schützen, sind für alle im Operationssaal Anwesenden Schutzkleidung und Schutzbrillen obligat. 4 Materialien, die der Aufbereitung zugeführt werden müssen, sind in einem geschlossenen Behälter in die zentrale Sterilgutversorgungsabteilung (ZSVA) zu transportieren; hier reicht die zur Desinfektion übliche Einwirkzeit aus. 4 Wäsche flüssigkeitsdicht verpacken und verschlossen der Wäschedesinfektion zuführen. 4 Abfälle ebenfalls flüssigkeitsdicht verpacken und entsorgen. 4 Der Patient wird nicht über den Aufwachraum geleitet, sondern isoliert in einem Zimmer überwacht.

MRSE (Methicillin-resistenter Staphylococcus epidermis)-Infektion Dieser Keim ist ein patienteneigener Keim, der sich vermehrt an Fremdkörpern und Implantaten festsetzt. Eine Infektion mit diesem Erreger weist alle Zeichen einer Sepsis auf. Die Antibiotikatherapie zeigt sich häufig als wirkungslos, da die anhaftenden Keime nicht erreicht werden. In der Regel ist die Entfernung des Fremdkörpers (z. B. Dauerkatheter, zentraler Zugang) indiziert.

VRE (Vancomycin-resistente Enterokokken) Gefürchteter nosokomialer Problemkeim, der abwehrgeschwächte Patienten bedroht. Häufig wirken nur noch sog. Reserveantibiotika. Die Übertragung erfolgt in erster Linie über die Hände, aber auch über kontaminierte Flächen und Gegenstände. Die Unterbringung erfolgt im Einzelzimmer mit eigener Toilette/Nasszelle. Es gibt keine bewährten Dekontaminationsmaßnahmen für betroffene Patienten.

3MRGN/4MRGN (multiresistente gramnegative Stäbchen mit Resistenz gegen 3 bzw. 4 der 4 Antibiotikagruppen) Dazu gehören Enterobakterien, Pseudomonas aeruginosa und acinetobacter baumannii. Die Antibiotikagruppen, gegen die diese Keime resistent sein können, sind Acylureidopenicilline (z. B. Piperacillin), 3.-/4.-GenerationsCephalosporine (z. B. Cefotaxim und/oder Ceftazidim), Carbapeneme (z. B. Imipenem und/oder Meropenem) und Fluorchinolone (z. B. Ciprofloxazin). Basishygiene und Kontaktisolierung sind die wichtigsten Maßnahmen.

Die erforderlichen Einzelmaßnahmen sollten in einem Hygieneplan schriftlich festgelegt sein (Kommission für Krankenhaushygiene und Infektionsprävention – KRINKO 2012).

Literatur Busse T (2005) OP-Management. Decker & Müller, Heidelberg Glauch H, Haaf E (1989) Chirurgische Instrumente Operationslagerungen Operationsabläufe, 3. Aufl. Thieme, Stuttgart New York Grube C, Schaper N, Graf BM (2002) Man at Risk – Aktuelle Strategien zum Risikomanagement in der Anästhesie. Anaesthesist 51: 239–247 Hagel C (2006) Zugangswege zur Bauchhöhle und Möglichkeiten der Drainage. Chirurg 77, 4: 388 Krettek CH, Aschemann D (2005) Lagerungstechniken im OP-Bereich. Springer, Berlin Heidelberg New York Kommission für Krankenhaushygiene und Infektionsprävention – KRINKO (2012) Hygienemaßnahmen bei Infektionen oder Besiedlung mit multiresistenten gramnegativen Stäbchen. Empfehlung der Kommission für Krankenhaushygiene und Infektionsprävention (KRINKO) beim Robert Koch-Institut (RKI). Bundesgesundheitsblatt 55: 1311–1354 [ DOI 10.1007/s00103-012-1549-5] Kurtenbach H, Golombek G, Siebers H (1994) Krankenpflegegesetz, 4. Aufl. Kohlhammer, Stuttgart Liehn M, Grüning S, Köhnsen N (2006) OP und Anästhesie. Praxishandbuch für Funktionsdienste. Springer, Berlin Heidelberg New York Liehn M, Schlautmann H (2013) 1×1 der chirurgischen Instrumente: Benennen. Erkennen. Instrumentieren, 2. Aufl. Springer, Berlin Heidelberg New York Mehrhoff F (1988) Dokumentation von Patientendaten im Krankenhaus. Krankenhausumschau 12: 892–896 Mildenberger D, Ulsenheimer K (2003) Incident Reporting für ein produktives Riskmanagement. Krankenhaus 7: 539–543 Möllemann A, Hübler M (2006) Risikomanagement. In: Welk I, Bauer M (Hrsg) OP-Management effektiv und effizient. Springer, Berlin Heidelberg New York Paula H (2007) Patientensicherheit und Risikomanagement. Springer, Berlin Heidelberg New York Reuther F (2009) Vermeidung von Eingriffsverwechslungen. Unfallchirurg 112: 675–678 Robert Koch-Institut – RKI (2014) Empfehlungen zur Prävention und Kontrolle von Methicillinresistenten Staphylococcus aureusStämmen (MRSA) in medizinischen und pflegerischen Einrichtungen (Bundesgesundheitsblatt 6/2014) Bundesgesundheitsblatt 57:696–732 [DOI 10.1007/s00103-014-1980-x] Schindler H (1989) Arbeitsgebiet Operationssaal. Enke, Stuttgart Siewert JR (Hrsg) (2010) Chirurgie, 8. Aufl. Springer, Berlin Heidelberg New York

1

37

Allgemeinchirurgie und Viszeralchirurgie M. Liehn, L. Steinmüller, S. Bröker, U. Engel, H. Schimmelpenning, R. Weise, M. Preuth

2.1

Zugangswege und Instrumentarium

– 39

M. Liehn, L. Steinmüller

2.2

Schilddrüse

– 46

M. Liehn, U. Engel

2.3

Hernien

– 52

M. Liehn, L. Steinmüller

2.4

Speiseröhre

– 60

M. Liehn, L. Steinmüller

2.5

Magen

– 67

M. Liehn, L. Steinmüller

2.6

Milz

– 80

M. Liehn, L. Steinmüller

2.7

Gallenblase und Gallenwege

– 82

M. Liehn, L. Steinmüller

2.8

Leber

– 87

M. Liehn, L. Steinmüller, S. Bröker

2.9

Bauchspeicheldrüse

– 96

M. Liehn, L. Steinmüller

2.10 Dünndarm

– 103

M. Liehn, L. Steinmüller

2.11 Blinddarm

– 104

M. Liehn, L. Steinmüller

M. Liehn et al. (Hrsg.), OP-Handbuch, DOI 10.1007/978-3-662-49281-9_2, © Springer-Verlag Berlin Heidelberg 2016

2

2.12 Dickdarm

– 107

M. Liehn, L. Steinmüller

2.13 Proktologie

– 129

H. Schimmelpenning, M. Liehn

2.14 Peritonitis

– 135

M. Liehn, L. Steinmüller

2.15 Minimal-invasive Chirurgie

– 137

M. Liehn, L. Steinmüller

2.16 Bariatrische Chirurgie (Adipositaschirurgie) R. Weise, M. Preuth

Literatur

– 173

– 167

39 2.1 · Zugangswege und Instrumentariuma

2.1

Zugangswege und Instrumentarium

M. Liehn, L. Steinmüller 2.1.1

Zugangswege

Die Schnittführung (. Abb. 2.1) hängt von der geplanten  Operation ab. Das OP-Gebiet muss gut einsehbar sein. Anatomische Strukturen, Wundheilung und auch kosmetische Gesichtspunkte sollten berücksichtigt werden. Grundsätzlich ist zu bedenken, dass große Schnitte zwar die Übersicht erhöhen und der Radikalität nutzen können, jedoch die Hospitalisierungsdauer der Patienten erhöhen.

Kocher-Kragenschnitt kBeispiel

Schilddrüsenoperation, Epithelkörperchenentfernung, Zugang zum vorderen Mediastinum. Die Spaltlinien der Haut verlaufen am Hals quer. Im Hinblick auf kosmetische Aspekte sollten Schnitte möglichst parallel zu den Spaltlinien ebenso verlaufen. Bei rekliniertem Kopf erfolgt eine bogenförmige, fast horizontale Schnittführung 2 cm über dem Jugulum zwischen den beiden Mm. sternocleidomastoidei. Die Schnittlänge richtet sich nach der Größe der Struma.

oberer Bogenschnitt (Kocher-Kragenschnitt) mediane Sternotomie oberer Bogenschnitt/ Rippenbogenrandschnitt obere mediane Laparotomie obere bogenförmige Laparotomie obere quere Laparotomie untere mediane Laparotomie unterer medianer Wechselschnitt/ Pfannenstielschnitt

Pararektalschnitt

Medianschnitt/ Transrektalschnitt

unterer lateraler Wechselschnitt . Abb. 2.1 Mögliche Schnittführungen in der Viszeralchirurgie

Haut, Subkutis und Platysma werden mit einem Skalpell oder mit Hilfe von Hochfrequenzströmen (Diathermie) bis auf die Halsfaszie durchtrennt. Um Störungen der Hautdurchblutung zu vermeiden, sollte das Platysma nicht von der Haut abpräpariert werden. Teils stumpf mit Präpariertupfer, teils scharf mit der Schere wird der Haut-Platysma-Lappen von kranial bis in Höhe des oberen Schildknorpels nach kaudal bis zum Manubrium sterni von der Halsfaszie abgelöst. Die Längs- oder Querspaltung der Halsfaszie erfolgt mit einer Präparierschere. Zur besseren Übersicht und geringeren Gefährdung der Epithelkörperchen kann die gerade Halsmuskulatur in 2 Schichten durchtrennt werden. Die vorderen Jugularvenen unterschiedlich starken Kalibers werden ggf. ligiert. Die spannungsfreie Hautnaht ist zumeist gut möglich. Mit der Intrakutannaht werden günstige kosmetische Ergebnisse erzielt.

Rippenbogenrandschnitt nach Kocher oder Courvoisier kBeispiele

4 Rechts: klassische Cholezystektomie, Leberresektion. 4 Links: Splenektomie, subphrenischer Abszess. Dieser Schnitt ist kosmetisch günstig. Narbenhernien treten kaum auf. Er bietet aber einen schlechten Zugang zur kaudalen Abdominalhöhle, falls eine Verlängerung erforderlich wird. Der Schnitt verläuft vom Xiphoid bis zur vorderen Axillarlinie, ca. 1–2 cm unterhalb des Rippenbogens, mit ungefähr 8–10 cm Länge. In der medialen Wundhälfte werden die vordere Rektusscheide und in der lateralen Wundhälfte der M. obliquus externus abdominis mit der Diathermie durchtrennt. Der M. rectus wird quer durchtrennt. An seiner Hinterwand verlaufen 2 Äste der A. epigastrica, die ligiert oder koaguliert werden müssen. Die einsprießenden Äste des 8. Interkostalnervs werden durchtrennt, lateral wird der M. obliquus internus abdominis in Faserrichtung stumpf auseinander gedrängt. Medial soll der Schnitt nur bis zum Ligamentum falciforme hepatis reichen. Lateral wird mit dem Peritoneum gleichzeitig der M. transversus abdominis durchtrennt. Beim Wundverschluss kann das hintere Blatt der Rektusscheide zusammen mit dem Peritoneum gefasst werden.

Oberbauchquerschnitt kBeispiele

Pankreasoperationen, Magenoperationen, Lebereingriffe. Diese Schnittführung bietet eine gute Übersicht; die Wundheilung ist zumeist ungefährdet. Der Hautschnitt

2

40

2

Kapitel 2 · Allgemeinchirurgie und Viszeralchirurgie

verläuft quer oder leicht bogenförmig. Die Länge richtet sich nach der erforderlichen Übersicht im OP-Feld. Die Haut wird mit dem Skalpell eröffnet; für die Subkutis und die nachfolgenden Schichten wird häufig die Diathermie verwendet. Durchtrennung der Faszie des M. rectus abdominis, des M. obliquus externus abdominis und des M. transversus. Bei der Durchtrennung der Muskulatur mit der Diathermie sollte sie zum Schutz des darunter liegenden Peritoneums vorher mit einer Kunststoffrinne unterfahren werden. Das Peritoneum wird mit 2 chirurgischen Pinzetten angehoben und mit dem Skalpell oder der Schere inzidiert; ggf. können die Inzisionsränder mit je einer Peritonealklemme nach Mikulicz angeklemmt werden, bevor der Schnitt mit einer Präparierschere oder der Diathermie zu beiden Seiten verlängert wird. In der Mittellinie kreuzt das Lig. teres hepatis. Es wird mit Overholt-Klemmen und Ligaturen durchtrennt.

Mediane Längslaparotomie

4 Umsetzen der stumpfen Haken, stumpfes Ablösen des M. obliquus externus vom M. obliquus internus und Spalten des M. obliquus internus in Faserrichtung mit einer Präparierschere. 4 Transversusfaszie und Peritoneum werden mit Pinzetten angehoben und inzidiert. Die nachfolgenden Schnittführungen werden der Vollständigkeit halber hier aufgeführt:

Paramedianschnitt Diese Schnittführung wird sowohl im Ober- als auch im Unterbauch, 2–3 cm rechts oder links der Medianlinie, ausgeführt. Nach der Subkutisdurchtrennung wird die vordere Rektusscheide eröffnet. Die epigastrischen Gefäße müssen bei langen Inzisionen durchtrennt werden. Stumpfes Ablösen des M. rectus abdominis, Eröffnen der hinteren Rektusscheide gemeinsam mit dem Peritoneum.

kBeispiel

Fast alle intraabdominellen Operationen im Ober- und Unterbauch, insbesondere Notfalloperationen. Hierbei ist eine problemlose Verlängerung von der Symphyse bis zum Xiphoid möglich. Die Schnittführung erhöht wahrscheinlich das Risiko eines Platzbauches oder einer Narbenhernie v. a. im Oberbauchbereich. Höhe und Länge des Schnittes richten sich nach dem geplanten Eingriff. Die Hautinzision erfolgt streng in der Mittellinie, der Nabel wird linksseitig umschnitten. Oberhalb des Nabels wird im Verlauf des Linea alba inzidiert; deshalb wird die Muskulatur bei exakter Schnittführung nicht freigelegt. Beim unteren Medianschnitt liegt die peritoneale Umschlagfalte ventral der Harnblase. Hier werden nacheinander die Fascia transversalis und das Peritoneum durchtrennt. Die Peritoneumspaltung erfolgt 4 im Unterbauch in der Mittellinie, 4 im Oberbauch bei Magen- und Milzoperationen links, 4 bei Leber- und Gallenoperationen rechts des Lig. teres hepatis.

Wechselschnitt nach McBurney kBeispiel

Appendektomie. Der Schnitt ist schlecht erweiterbar, führt aber selten zu Narbenbrüchen. 4 Hautschnittbeginn ca. 2 cm medial der Spina iliaca superior in fast horizontaler Richtung. Subkutisdurchtrennung. 4 Inzision der Aponeurose des M. obliquus externus im Faserverlauf.

Transrektalschnitt Der Hautschnitt verläuft ähnlich wie beim Paramedianschnitt. Die Subkutis wird durchtrennt, die Rektusscheide in der Mitte längs inzidiert, der M. rectus abdominis in Faserrichtung durchtrennt und beiseite gedrängt. Hinteres Rektusscheidenblatt und Peritoneum werden längs eröffnet.

Pararektalschnitt/Kulissenschnitt nach Lennander kBeispiel

Appendektomie. Dieser Schnitt kann beliebig verlängert werden. Der Hautschnitt verläuft parallel zum äußeren Rektusrand. Die Rektusscheide wird längs gespalten, der M. rectus abdominis stumpf ausgelöst und mit Roux-Haken nach medial gezogen. Hintere Rektusscheide und Peritoneum werden angehoben und inzidiert.

Mediane Sternotomie und Pfannenstielschnitt Siehe 7 Abschn. 6.3.3; Pfannenstiel-Schnitt siehe 7 Kap. 8 Gynäkologie.

Zugangswege für die Minimal-invasive Chirurgie Siehe 7 Abschn. 2.15 (»Minimal-invasive Chirurgie«).

41 2.1 · Zugangswege und Instrumentariuma

2.1.2

Instrumentarium für die Laparotomie

Für abdominalchirurgische Eingriffe werden zusätzlich zum Grundinstrumentarium größere und längere Haken, Scheren, Pinzetten und Klemmen, oft Organfasszangen und weitere Instrumente benötigt. Einige werden beispielhaft vorgestellt, für weitere Informationen empfehlen  wir das Buch »1×1 der chirurgischen Instrumente: Benennen. Erkennen. Instrumentieren« (Liehn u. Schlautmann 2013).

Haken und Pinzetten ! Nach der Eröffnung des Peritoneums gilt die Regel, dass alle scharfen Instrumente vom Operateur abgegeben werden.

Jetzt werden anatomische und atraumatische Dissektionspinzetten und Klemmen benutzt. Als lange Haken kommen zum Einsatz: 4 Bauchdeckenhaken, 4 Leberhaken, die zum Schutz des Gewebes feucht angereicht oder mit einem feuchten Bauchtuch unterlegt werden.

Klemmen Weiche Darmklemmen Für sie gilt ebenfalls, dass sie nur feucht mit dem Darm in Berührung kommen sollten (. Abb. 2.2, . Abb. 2.3).

Rektum- und Sigmaklemmen haben eine 90°-Krümmung und eine atraumatische Riefelung.

Harte Darmklemmen Sie dürfen nur für die wegfallenden Anteile des Darmes benutzt werden, weil sie eine anatomische quer gestreifte Riefelung haben und den Darm dicht verschließen und dabei traumatisieren.

Magenklemmen Sie sind länger als die vorgenannten Instrumente, weil der Magen in seiner gesamten Breite abgeklemmt wird, und atraumatisch, um die Anastomose nicht zu gefährden. Sie werden durch den Einsatz der Klammernahttechnik nur noch selten angewendet.

Organfasszangen Organfasszangen sind häufig gefenstert; einige sind an den Maulenden gezahnt, um derbes Gewebe besser halten  zu können. Es gibt dreieckig gefensterte Klemmen in verschiedensten Größen, z. B. die Gewebe- oder die Lungenfasszange nach Duval oder Collin (. Abb. 2.4, . Abb. 2.5). In der Darmchirurgie werden die Lumina häufig mit der Allis-Klemme (. Abb. 2.6) aufgespannt. Eine weitere Organfasszange mit den verschiedensten Einsatzgebieten ist die Gewebefasszange nach Museux (. Abb. 2.7).

2.2

2.3

. Abb. 2.2 Atraumatische, weiche Darmklemme nach Kocher. (© Fa. Aesculap AG) . Abb. 2.3 Weiche Darmklemme nach Doyen; sie kann den Darm federnd abklemmen, ohne ihn zu traumatisieren. (© Fa. Aesculap AG)

2

42

Kapitel 2 · Allgemeinchirurgie und Viszeralchirurgie

2

2.4

2.5

2.6

2.7

. Abb. 2.4 Gallenblasenfasszange nach Glassmann. (© Fa. Aesculap AG) . Abb. 2.5 Organfasszange nach Collin. (© Fa. Aesculap AG) . Abb. 2.6 Die Allis-Klemme hat 4–6 kleine Zähnchen, die in einander greifen. (© Fa. Aesculap AG) . Abb. 2.7 Gewebefasszange nach Museux. (© Fa. Aesculap AG)

Rahmen und Bauchdeckenhalter Zum Offenhalten der Laparotomiewunde gibt es spezielle Hakensysteme, die in einen vorgeformten Rahmen eingehängt werden. Sie haben unterschiedliche Formen und Valven, wie z. B.: 4 Bauchdeckenrahmen nach Kirschner 4 Bauchdeckenhaken nach Rochard, 4 Goligher-Rahmen (. Abb. 2.8), 4 diverse selbsthaltende Systeme im Baukastenprinzip.

Der Rahmen nach Rochard hat seinen festen Platz in der Magenchirurgie. Er setzt sich zusammen aus dem Befestigungsgestell, mit dem er an den Seiten des OP-Tisches befestigt wird, der Fixiervorrichtung für den Haken (. Abb. 2.9a) und den Valven unterschiedlicher Größe (. Abb. 2.9b). Die passende Valve wird so angelegt, dass die Sicht auf den OP-Situs bis zum Rippenbogenrand durch ständigen Zug gewährleistet ist. Das Blatt wird in die Fixiervorrich-

43 2.1 · Zugangswege und Instrumentariuma

185 mm, 7¼’’

190 mm

a

205 mm,

8”

2.8

b

2.9

. Abb. 2.8 Goligher-Rahmen. (© Fa. Aesculap AG) . Abb. 2.9a, b Bauchdeckenrahmen nach Rochard. a Fixiervorrichtung und b einhakbare Valve. (© Fa. Aesculap AG)

tung eingehängt, die wiederum am Befestigungsbügel eingehakt ist. Das Gestell ist zerlegbar und autoklavierbar.

Klammernahtinstrumente (Stapler) Maschinelle Klammernahtinstrumente gehen in ihrer Entwicklung auf Hütl und von Petz (1924) zurück. Der Nähapparat nach von Petz setzt eine doppelte Klammerreihe. Die Klammern sind aus Silber und müssen nach jedem Gebrauch einzeln wieder aufgefüllt werden. Dieses Klammerinstrument kommt in der Magenchirurgie nur noch sehr selten zur Anwendung. Friedrich entwickelte den ersten Nähapparat mit auswechselbaren Magazinen, die ebenfalls postoperativ mit Silberklammern wieder aufgefüllt werden mussten.

Seit ihrer Einführung haben die Klammernahtinstrumente einen festen Platz in der Chirurgie eingenommen. Sie bieten einen weiten Anwendungsbereich in der Allgemein-, Thorax- und Gefäßchirurgie, sowie in der MIC. Die Klammern werden durch das Nahtinstrument zu einem B geformt. Sie liegen bei Ausführung einer End-zuEnd-Anastomose quer zur Darmlängsachse und damit parallel zu den intramuralen Darmgefäßen. Die Form der Klammern bewirkt eine effiziente Blutstillung, ohne dass Minderdurchblutungen resultieren sollen. Unterschiedliche Darmlumina können durch Bougierung vor der Anastomosierung angeglichen werden. Die Anastomosenregionen müssen im Bereich der Klammernahtreihe von Fettgewebe befreit sein. Eine Stapleranastomose wird mit Tabakbeutelnähten vorbereitet. Das Legen

2

44

Kapitel 2 · Allgemeinchirurgie und Viszeralchirurgie

Freigabeknopf

Führungsstabarretierung

2

Führungsstab Magazinblock Einspannlager Gegenlager

Magazin mit Klammerschutz

Instrumentengriff Verschlusshebel Auslösehebel . Abb. 2.10 Linear Stapler TL. (© Fa. Ethicon)

Drehgriff

Skalenfeld

Orange Farbmarkierung

Sicherung Klammermagazin Zentralstab Tabakbeutelnahtkerbe Bedienungshebel

Abnehmbarer Instrumentenkopf

. Abb. 2.11 Zirkuläres Klammernahtinstrument CDH. (© Fa. Ethicon)

einer Tabakbeutelnaht wird durch spezielle Klemmen und Nadel-Faden-Kombinationen vereinfacht. Stapler sind von verschiedenen Herstellern erhältlich, in der Regel als als Einweginstrumente mit nachladbaren Magazinen. Diese sind farblich kodiert für unterschiedliche Klammergrößen. Es gibt sie mit Titanklammern wie auch mit resorbierbaren Klammern. Die bis jetzt entwickelten Instrumente lassen sich in die folgenden 4 Gruppen unterteilen.

Lineare Klammernahtinstrumente Dies sind reine Verschlussinstrumente, deren Klammern in einer geraden Linie gesetzt werden (. Abb. 2.10). Diese Instrumente setzen eine doppelte Klammerreihe mit gegeneinander versetzten Klammern aus Titan oder resorbierbarem Material. Die Magazine unterscheiden sich zur Kennzeichnung der unterschiedlichen Klammerlängen in der Farbkodierung; die Länge der Magazine ist aus der Gerätebezeichnung ersichtlich.

Zirkuläre Anastomosierungsinstrumente Diese sog. intraluminalen Stapler dienen der End-zu-EndAnastomosierung von 2 Hohlorganen und setzen zirkulär invertierende zweireihige Klammernähte. Es gibt Modelle (. Abb. 2.11) mit geradem oder mit gebogenem Schaft; der Kopf ist abnehmbar. Das Nahtinstrument wird mit der Andruckplatte von einer gesonderten Inzision aus in den einen Anastomosenschenkel eingeführt und mit einer vorher gelegten Tabakbeutelnaht fixiert. Der andere Anastomosenschenkel, in dem der Kopf des intraluminalen Staplers ebenfalls mit einer Tabakbeutelnaht fixiert ist, wird durch Zusammendrehen des Schraub- oder Steckmechanismus mit der Andruckplatte dem Instrument genähert. Danach wird der Klammermechanismus ausgelöst und die zirkuläre, invertierende Klammernahtreihe entsteht. Die zirkulären Stapler haben ein integriertes Messer, das gleichzeitig die innen liegenden Anastomosenringe exzidiert. Die Ringe bleiben auf dem herausnehmbaren

45 2.1 · Zugangswege und Instrumentariuma

Bedienungsschieber

Fingermulden

Führungszapfen

Bedienungshebel

Magazinlager

Magazingriff

Gegenlager

Gegenlagergriff

Grifffläche am Magazin

Stabilisierungsstift

Magazin mit Klammerschutz

. Abb. 2.12 Linearer Cutter PLC. (© Fa. Ethicon)

Freigabeknopf

Klammerschutz

Führungsstab Führungsstabknopf

Magazin

Verschlusshebel Instrumentengriff

Auslösehebel

Gegenlager Gebogener Instrumentenkopf

. Abb. 2.13 Contour-Stapler. (© Fa. Ethicon)

Dorn. Es ist zwingend erforderlich, sie auf ihre Vollständigkeit zu überprüfen, da sie die Dichtigkeit der Anastomose dokumentieren.

das Gewebe wird dazwischen durchtrennt. Bei einigen Endostaplern werden 6-fache Nahtreihen gesetzt, zwischen denen das integrierte Messer das Gewebe durchtrennt.

Lineare Anastomosierungsinstrumente Sie dienen der Herstellung von Seit-zu-Seit-Anastomosen zwischen 2 Hohlorganen bei gleichzeitiger Durchschneidung zwischen den gesetzten Klammerreihen. kBeispiel

Siehe . Abb. 2.12. Beide Branchen des Instruments werden jeweils in die Lumina der zu anastomosierenden Darmenden geschoben. Sie werden ausgerichtet, zusammengesteckt und verschlossen. Nach dem Auslösen werden die beiden  Staplerteile wieder getrennt. Die beiden doppelten Klammerreihen sind gegeneinander versetzt gelegt, und

Contour-Stapler Ein gebogenes Klammer- und Schneideinstrument, setzt 4 Reihen Titanklammern und ermöglicht eine Anastomose bzw. eine Darmdurchtrennung ohne Kontamination auch tief im kleinen Becken (. Abb. 2.13). Zusatzinstrumente, die die Anwendung der Anastomosierungsinstrumente erleichtern, sind: 4 Messstäbe oder auch Bougies genannt zur Aufdehnung und/oder gleichzeitigen Bestimmung des Lumendurchmessers: Sie werden vor Gebrauch angefeuchtet und behutsam in das Darmlumen eingeführt.

2

46

Kapitel 2 · Allgemeinchirurgie und Viszeralchirurgie

Die meisten Staplermodelle gibt es auch als Ausführung für die minimal-invasive Chirurgie, teilweise auch als abwinkelbare Instrumente.

2 2.2

Schilddrüse

M. Liehn, U. Engel 2.2.1 2.14

Anatomie

Die Schilddrüse ist ein schmetterlingsförmiges, ca. 20–30 g schweres Organ am Hals, bestehend aus rechtem und linkem Lappen, verbunden durch eine vor der Trachea liegende Gewebebrücke, dem Isthmus. Von diesem kann als entwicklungsgeschichtliches Rudiment ein nach kranial gerichteter Gewebezapfen, der Lobus pyramidalis, ausgehen (. Abb. 2.16).

Gefäßversorgung 2.15 . Abb. 2.14 Tabakbeutelklemme. (© Fa. Ethicon) . Abb. 2.15 Instrumentenkopffasszange. (© Fa. Ethicon)

4 Tabakbeutelklemme (. Abb. 2.14): Die Klemme wird mit ihren quer gestellten Branchen angelegt und bis zum Anschlag zusammengedrückt. Dann wird durch die beiden vorgegebenen längs verlaufenden Nadelrinnen eine doppelt armierte Tabakbeutelnaht gelegt. Nun kann die Klemme langsam gelöst und die Naht ggf. angezogen und verknüpft werden. 4 Instrumentenkopffasszange (. Abb. 2.15) zur korrekten Applikation des Kopfes des zirkulären Staplers.

Einzelklammergeräte Sie werden zum Klammern von Haut und Faszie oder als Skelettierungshilfe benötigt. kBeispiele

4 Einzelclipstapler mit intergriertem Messer, die gleichzeitig ligieren und schneiden. Bei umfangreichen Skelettierungen spart der Einsatz dieses Instruments Zeit, denn es setzt bei jedem Auslösen 2 Klammern, zwischen denen es gleichzeitig das Gewebe durchtrennt. Eine Sicherheitsvorrichtung verhindert, dass weiterhin Gewebe durchtrennt wird, wenn im Magazin keine Klammern mehr vorhanden sind. 4 Hautstapler. Die Hautränder werden mit 2 chirurgischen Pinzetten evertiert, und jedes Auslösen des Instruments setzt eine Klammer.

Jeder Schilddrüsenlappen wird durch zwei kräftige Arterien versorgt: 4 die obere Polarterie, die A. thyreoidea superior, entspringt als 1. Ast aus der A. carotis externa, 4 das untere Polgefäß, die A. thyreoidea inferior, entspringt aus dem Truncus thyreocervicalis. Letztere kreuzt in sehr variabler Weise den N. recurrens (den Stimmbandnerv) vor seinem Eintritt in den Kehlkopf. Der venöse Abfluss vom oberen Pol erfolgt entsprechend den Ästen der gleichnamigen Arterien meist direkt in die V. jugularis interna, die Venen vom kaudalen Pol münden in den Bulbus venae jugularis inferior oder in den Truncus brachiocephalicus. Seitliche, oft sehr kurze Venen in die V. jugularis interna, sog. Kocher-Venen, können bei Verletzung zu sehr starken Blutungen führen.

Feingeweblicher Aufbau und Funktion Die Schilddrüsenzellen, Thyreozyten, bilden zahlreiche Follikel, die aus dem zirkulierenden Blut Jod aufnehmen, speichern und daraus das inaktive Thyroxin bilden, das vom Körper in das stoffwechselaktive Trijodthyronin umgebildet wird. Bei einer Schilddrüsenüberfunktion verhindern verschiedene Medikamente sog. Thyreostatika diesen Mechanismus. Übergeordnete Organe für diesen Regelkreis sind das Zwischenhirn und die Hypophyse, die das schilddrüsenstimulierende Hormon, das TSH, bei Bedarf ausschüttet.

Epithelkörperchen (Glandulae parathyreoideae) Meist 4, seltener 3 oder 5 etwa linsengroße Drüsen dorsal in der Nähe der Schilddrüse produzieren das Parathormon, das den Kalziumstoffwechsel steuert. In seltenen

47 2.2 · Schilddrüse

. Abb. 2.16 Anatomie der Schilddrüse unter chirurgischen Aspekten. (Aus Siewert u. Brauer 2010)

Fällen gibt es erhebliche Lagevariationen dieser Drüsen zwischen Unterkiefer und Zwerchfell, was bei der Operation eines sog. Hyperparathyreoidismus, einer Vergrößerung einer oder mehrerer Nebenschilddrüsen, erhebliche Schwierigkeiten beim Auffinden der pathologischen Drüse(n) bereiten kann.

2.2.2

Erkrankungen der Schilddrüse

Struma Definition Als Struma oder Kropf werden Knotenbildungen sowie jede Vergrößerung von Teilen des Organs oder der gesamten Schilddrüse bezeichnet.

Ursache Exogener Nahrungsjodmangel, sog. strumigene Substanzen und angeborener Fermentmangel können zunächst zu einer Vergrößerung der einzelnen Schilddrüsenzelle und im Verlauf dann auch zu einer Zunahme der Zahl an Schilddrüsenzellen führen, d. h. zu einer Struma. Da sich nicht alle Zellen in gleicher Weise vergrößern, kommt es mit der Zeit zu knotigen Veränderungen.

Unterscheidung nach der Funktion: 4 euthyreote Struma: normale Schilddrüsenhormonproduktion, 4 hyperthyreote Struma: gesteigerte Hormonproduktion, 4 hypothyreote Struma: verminderte Hormonproduktion. Die Knotenbildung entsteht durch umschriebene Gewebedegeneration, die sich in vermehrter Bindegewebebildung, Zysten, Einblutungen oder Verkalkungen manifestieren kann. Sogenannte Adenome können mit vermehrter, normaler oder verminderter Hormonbildung einhergehen. Knoten mit vermehrter Hormonbildung werden autonome Adenome genannt, sie unterliegen nicht mehr dem hypothalamo-hypophysär-thyreoidalen Regelkreis und geben ungesteuert Hormon an die Blutbahn ab, was schwere Krankheitsbilder im Sinne einer Schilddrüsenüberfunktion sowie Herzrhythmusstörungen auslösen kann.

Diagnostik jAnamnese

4 4 4 4

Zufallsbefund oder Beschwerdesymptomatik. Herkunft aus einem Endemiegebiet? Dauer der Schilddrüsenveränderung. Familiäre Belastung.

Formen

jInspektion und Palpation

Unterscheidung nach der Gewebebeschaffenheit: 4 Struma diffusa, 4 Struma uninodosa, 4 Struma multinodosa.

Größe, Lage, Konsistenz, Knotenbildung, Verschieblichkeit  der Schilddrüse beim Schlucken, Abtauchen nach retrosternal, Druckdolenz, Lymphknotenvergrößerung am Hals?

2

48

2

Kapitel 2 · Allgemeinchirurgie und Viszeralchirurgie

jUltraschall

Formen

Hauptdiagnostikum bei morphologischen Veränderungen ist der Ultraschall zur Differenzierung der Strukturen (Volumenbestimmung, gleichmäßige Vergrößerung, Zysten, Knoten und deren Randbeschaffenheit, da dieser wichtig für eine mögliche Malignität ist).

Autoimmunprozess Hierzu gehört u. a. der M. Basedow,

jLaboruntersuchungen

dabei blockieren Autoantikörper den TSH-Rezeptor, und es kommt zu einer unkontrollierten Stimulation der Schilddrüsenzelle durch die Hypophyse und damit zur Überfunktion. Ein sehr häufig anzutreffendes Symptom ist der Exophthalmus, bedingt durch eine Ödembildung und im Verlauf auftretende Fibrosierung des retrobulbären Gewebes in der Orbita, weshalb dieser Prozess endokrine Orbitopathie genannt wird.

Basisuntersuchung ist die TSH-Bestimmung (TSH: thyreoideastimulierendes Hormon). Erhöhte Werte bedeuten eine Schilddrüsenunterfunktion, die chirurgisch nur in Zusammenhang mit Knotenbildungen eine Rolle spielt. Erniedrigte Werte zeigen eine Schilddrüsenüberfunktion an und können bei diffuser Vergrößerung und bei autonomen Adenomen vorkommen. Zur weiteren Differenzierung erfolgt die Bestimmung der Schilddrüsenhormone Tetrajodthyronin (Thyroxin, T4) und Trijodthyronin (T3).

Funktionelle Autonomie Hier liegt eine diffus verteilte (disseminierte) oder knotige (uni- oder multifokale) Autonomie vor. Im Rahmen einer Entzündung kann durch Zelluntergang vorübergehend eine hyperthyreote Stoffwechsellage auftreten.

jSzintigraphie

Hyperthyreosis factitia

Diese nuklearmedizinische Untersuchung erfolgt in der Regel nur noch bei laborchemisch nachgewiesener Überfunktion zum Ausschluss bzw. Beweis von autonomen Knoten, die sich im Szintigramm kräftig rot-gelb gefärbt darstellen (sog. heiße Knoten), im Gegensatz zu solchen Knoten, die im Szintigramm kein entsprechendes Korrelat bieten (kalte Knoten). Vor dieser Untersuchung muss eine Schwangerschaft ausgeschlossen sein.

Überdosierung von Schilddrüsenhormon.

jPunktionszytologie

Bei sonographisch echoarmen Knoten, ggf. mit unscharfem Rand, sollte eine Punktionszytologie unter sonographischer Kontrolle durchgeführt werden. Allerdings ist die Befundung aufgrund spezifischer Probleme bei der Schilddrüse (unterschiedliche Zellarten, Kapsel der Knoten) im Gegensatz zu Punktionszytologien anderer Organe sehr schwierig. Bei Karzinomverdacht ist die Operation indiziert.

Hyperthyreose Definition Die Hyperthyreose ist durch eine starke Erhöhung der Schilddrüsenhormone im Blut und ein erniedrigtes TSH gekennzeichnet. Symptome: motorische Unruhe, verstärkte psychische Erregung, ängstliche Verstimmung, Affektlabilität, feinschlägiger Tremor der Hände, Heißhunger, Durchfall, Gewichtabnahme. Hervorstehende Augen, endokrine Orbitopathie, gehören zum Krankheitsbild des M. Basedow (s. unten).

Vor einer Operation muss eine hyperthyreote Stoffwechsellage erkannt und medikamentös behandelt werden (z. B. mit Thyreostatika).

Struma basedowificata So nennt man das Auftreten einer Schilddrüsenüberfunktion nach Jodkontamination, z. B. durch Röntgenkontrastmittel.

Thyreotoxische Krise Ein akut lebensbedrohliches Krankheitsbild. Die Symptome sind schwerste psychomotorische Unruhe, Schlaflosigkeit, allgemeine Hinfälligkeit, rascher Temperaturanstieg bis zu hyperpyretischen Werten, Pulsjagen, verwaschene Sprache, Bewusstlosigkeit und Kreislaufkollaps. Unbehandelt führt diese Erkrankung zum Tod.

Diagnostik Laborwerte, Ultraschall.

Konservative Therapie Medikamentös mit Thyreostatika und ggf. zusätzlicher Gabe von β-Blockern hinsichtlich der kardialen Symptomatik. Radiojodtherapie bei kleineren Strumen (bis maximal 50 ml). Bei der akuten hyperthyreoten Krise ist notfallmäßig die Thyreoidektomie indiziert.

Malignome der Schilddrüse Die Karzinome der Schilddrüse sind sehr selten, ca. 1% aller malignen Tumoren sind Schilddrüsenkarzinome. Man unterscheidet die differenzierten (papilläre und follikuläre) mit relativ guter Prognose von den medullären mit schlechterer und den anaplastischen Karzinomen mit in der Regel infauster Prognose. Papilläre Tumoren können schon im Kindesalter beobachtet werden, im höheren Lebensalter überwiegen die ungünstigeren Formen. Medul-

49 2.2 · Schilddrüse

läre Karzinome können im Rahmen von MEN-Syndromen (multiple endokrine Neoplasie) auch familiär auftreten.

Klinik der Schilddrüsenkarzinome 4 Rasches Wachstum eines Knotens, oft in schon lange bestehender Struma, 4 solitärer Knoten, 4 derber Tastbefund, 4 keine Schluckverschieblichkeit, 4 Hautinfiltration (sog. Orangenhaut).

4 4

Frauen haben sehr viel häufiger Schilddrüsenerkrankungen, der relative Anteil der Karzinome ist bei Männern größer.

4

Diagnostik bei Verdacht auf Schilddrüsenkarzinom

4

Anamnese, körperliche Untersuchung, Ultraschall, Röntgen des Thorax, Punktionszytologie, Schilddrüsenhormonbestimmung, Bestimmung der Tumormarker CEA und Calcitonin. Bei Verdacht auf ausgebrochenen Tumor ggf. Röntgenzielaufnahme der Trachea, Ösophagusbreischluck mit Bariumsulfat, CT ohne Kontrastmittel. Eine Jodgabe muss präoperativ unbedingt verhindert werden, da sonst postoperativ über mehrere Wochen keine Radiojodbehandlung erfolgen kann.

2.2.3

Operationen an der Schilddrüse

Präoperative Maßnahmen 4 Gabe von Thyreostatika bei Hyperthyreose bis zum Erreichen einer Euthyreose. Bei der Basedow-Struma wurde früher das sog. »Plummern« durchgeführt. Durch sehr hohe intravenöse Gabe von Jod kam es zu einer akuten Blockade der Schilddrüsenhormonproduktion, was die Durchblutung der Schilddrüse reduzierte, die Gewebekonsistenz verbesserte und somit die Operation erleichterte. Heute ist diese Maßnahme in der Regel nicht mehr erforderlich, da die Patienten meist bereits längere Zeit mit Thyreostatika vorbehandelt und somit euthyreot sind. 4 HNO-ärztliche Untersuchung zur Prüfung der Stimmbandfunktion. 4 Kalziumbestimmung im Serum (zur Prüfung der Nebenschilddrüsenfunktion).

4

4

digen 2. Operation reizlose narbenfreie Bedingungen vorliegen. Bei diffuser Struma beim M. Basedow dürfen die Reste beiderseits nicht größer als 2×1×1 cm sein (Rezidivhyperthyreosegefahr). Auch eine Dunhill-Operation ist möglich: Eine Seite der Schilddrüse wird total entfernt, auf der anderen Seite wird ein kleiner Schilddrüsenrest belassen. Bei dieser Methode ist die Gefahr einer Funktionsstörung der Epithelkörperchen kleiner, als wenn beide Seiten ausgedehnt reseziert würden. Solitäre Knoten müssen immer mit umgebendem Gewebe reseziert werden (der Kapselbereich der Knoten ist wichtig für die histologische Untersuchung), eine Enukleation eines Knotens ist nicht korrekt. Der Isthmus muss bei einseitiger Operation immer mit entfernt werden. Karzinome werden grundsätzlich mit einer Thyreoidektomie und je nach Tumorgröße unterschiedlicher Lympknotendissektion behandelt. Ausnahmen sind nur bei kleinen differenzierten Karzinomen ≤1 cm Größe erlaubt. Eine solche Entscheidung muss jeweils individuell erfolgen. Bei jeder Schilddrüsenoperation müssen die Epithelkörperchen und der Stimmbandnerv, der N. recurrens, dargestellt und geschont werden.

kLagerung

4 Gerade Lagerung auf geradem Tisch, allenfalls sehr dünnes Kissen unter den Rücken in Höhe der Schulterblätter. Eine zu starke Reklination sollte auf jeden Fall vermieden werden, da sonst postoperativ hartnäckige Verspannungen im Nacken die Folge sein können. Die Knie können durch eine Rolle unterstützt werden, um eine Überstreckung zu vermeiden. 4 Eine optimale Lagerung kann auch mit einer Vakuummatte erreicht werden. 4 Der Schnitt sollte präoperativ im Sitzen angezeichnet werden. 4 Manche Operateure bevorzugen eine halbsitzende Position mit leicht rekliniertem Kopf. 4 Beide Arme können angelagert werden. Es besteht auch die Möglichkeit, den linken Arm auszulagern. 4 Am Ende der Operation wird der Kopf leicht angehoben, um den Wundverschluss zu erleichtern.

OP-Ziele 4 Alle Knoten müssen entfernt werden, ggf. ist auch bei benigner Veränderung eine vollständige Entfernung beider Schilddrüsenlappen erforderlich (Thyreoidektomie). Nach Operation einer Seite belassen manche Operateure kleine sonographisch unauffällige Knoten im anderen Lappen, damit bei einer evtl. notwen-

kInstrumentarium

Grundinstrumentarium mit zarten Péan- und KocherKlemmen, Overholt (klein), feinen Pinzetten, Dissektor, feine Präparierschere, Allis- oder Lockwood-Klemmen, Museux, ggf. Kocher-Rinne und Deschamps, Ultraschalldissektion, bipolare Schere oder oder andere innovative

2

50

Kapitel 2 · Allgemeinchirurgie und Viszeralchirurgie

2

a

b

lisiert werden, damit sie nicht versehentlich geschädigt werden. Diese sog. Visualisierung wird heute bei der Schilddrüsenoperation grundsätzlich gefordert. Als zusätzliche Hilfe und Sicherung bei der Präparation kann das sog. Neuromonitoring dienen. Es gibt verschiedene Geräte dafür im Handel. Bei allen Modellen wird der Nerv elektrisch stimuliert, die evozierte Muskelaktion kann durch Aufzeichnung des Muskelaktionspotenzials beobachtet und/oder durch ein akustisches Signal verdeutlicht werden (. Abb. 2.17). Entweder werden Elektroden in den Kehlkopf eingestochen, oder ein spezieller, mit Elektroden versehener Endotrachealtubus wird so in die Trachea eingeführt, dass die Elektroden genau in Höhe der Stimmbänder im Kehlkopf zu liegen kommen. Bei Nervenreiz kommt es dann durch die Nervenleitung zu Muskelaktivität, die wiederum die Stimmbänder bewegt und über die Elektroden die Aufzeichnung ermöglicht. Um eine noch größere Sicherheit für den Stimmbandnerv zu erreichen, kann das Neuromonitoring auch kontinuierlich über den N. vagus während der gesamten Operation beibehalten werden.

OP-Verlauf: Schilddrüsenresektion

5 Hautdesinfektion, sterile Patientenabdeckung,

c

. Abb. 2.17a–c Neuromonitoring. a Monitor, b Tubus für das Neuromonitoring, c Darstellung des N. vagus

Präparationsinstrumente (7 Abschn. 2.5.5), auch der Einsatz eines Einzelclipstaplers kann erwünscht sein. Bei kleinen Strumen Instrumentarium für minimalinvasives Vorgehen (s. unten).

Neuromonitoring Strukturen, die geschont werden müssen, sollten bei einer Operation immer dargestellt werden. Dies gilt nicht nur für z. B. den Ureter bei der Sigmaresektion, auch der Stimmbandnerv und die Nebenschilddrüsen müssen genau loka-

Team-Time-out. 5 Kocher-Kragenschnitt, die Länge richtet sich nach der Größe der Schilddrüse. Seitliche Begrenzung ist beidseits der M. sternocleidomastoideus. 5 Ligatur der Vv. jugulares anteriores, kleinere Äste können mit dem Elektrokauter verschorft werden. 5 Spalten der vorderen geraden Halsmuskulatur in Längsrichtung, bei großen Strumen auch quere Durchtrennung. 5 Abtasten beider Schilddrüsenlappen, auch der dorsalen Anteile, damit keine Knoten übersehen werden. 5 Anklemmen der Schilddrüse (z. B. mit KocherKlemmen o. Ä.). 5 Freipräparieren des oberen Pols (manche Operateure beginnen am kaudalen Pol) und Durchtrennen der Polgefäße nach Ligatur bzw. anderer Blutstillung. 5 Freipräparieren des anderen Pols mit Durchtrennung der jeweiligen Polgefäße. 5 Seitliches Vorgehen und ggf. Durchtrennen der Kocher-Venen. 5 Darstellung der A. thyreoidea inferior, des N. recurrens. Neuromonitoring zur sicheren Differenzierung (. Abb. 2.17), Darstellung der Nebenschilddrüsen. Fakultativ Ligatur der A. thyreoidea inferior.

51 2.2 · Schilddrüse

5 Lösen des Isthmus von der Trachea, Durchtrennen desselben.

5 Resektion der Schilddrüsenlappen. Blutungen 5 5

5 5 5

werden mit Elektrokauter, Péan-Klemmen und Ligaturen, Ultracision oder LigaSure versorgt. Bei größeren Schilddrüsenresten Kapselnähte, bei kleinen Resten meist nicht erforderlich. Nach Kontrolle auf Bluttrockenheit (auch unter Überdruckbeatmung) abschließendes Neuromonitoring über den N. vagus auf jeder operierten Seite. Aus forensischen Gründen gehört ein Ausdruck in die Akte. Sollte nach der Operation der ersten Seite kein korrektes Signal erzielt werden können, ist es sicherer, die zweite Seite nicht zu operieren, um nicht eine doppelseitige Recurrensparese zu provozieren. Auf Redon-Drainagen wird heute meist verzichtet. Schichtweiser Verschluss der Halswunde durch Naht der Muskulatur. Hautverschluss intrakutan, ggf. mit resorbierbarem Faden oder mit Klammern (Entfernung am 2. postoperativen Tag), Verband.

Thyreoidektomie Die komplette Schilddrüsenentfernung ist die Standardtherapie bei Malignomen. Beide Lappen müssen total reseziert werden. Das ist nur möglich, wenn der N. recurrens vollständig bis zur Einmündung in den Kehlkopf dargestellt wird. Das Neuromonitoring wird in dieser Phase mehrfach wiederholt bzw. kontinuierlich durchgeführt (s. oben). Ebenso ist die subtile Darstellung der Epithelkörperchen notwendig. Sollten sie aufgrund einer ungünstigen Lage nicht in situ erhalten werden können, müssen sie in multiplen kleinsten Einzelteilen in den gleichseitigen M. sternocleidomastoideus replantiert werden. Um eine Minderdurchblutung der Epithelkörperchen zu vermeiden, wird die A. thyreoidea inferior in der Regel nicht am Stamm schilddrüsenfern unterbunden, sondern schilddrüsennah im Bereich ihrer einzelnen Äste.

Retrosternale Struma Viele Strumen tauchen retrosternal ein. Sie sind leicht über den zervikalen Schnitt zu entfernen, indem das umgebende Gewebe nach dorsokaudal abgeschoben wird. Nur in Ausnahmefällen ist eine Sternotomie erforderlich.

Struma endothoracica vera Hierbei handelt es sich um versprengtes Schilddrüsengewebe im vorderen Mediastinum, das keine Verbindung zur zervikalen Schilddrüse hat. Vor einer Operation muss die Blutversorgung geklärt werden, denn diese Schilddrü-

senanteile werden entweder durch Äste der A. mammaria interna oder durch Gefäße direkt aus der Aorta versorgt. Eine Entfernung vom Halsschnitt aus ist deshalb nicht möglich, operativer Zugang ist die Sternotomie (7 Kap. 6 »Thoraxchirurgie«).

Retroviszerale Struma Schilddrüsengewebe, das sich zwischen Trachea und Ösophagus/Wirbelsäule geschoben hat und die Trachea seitlich oder von dorsal komprimiert. Solche Schilddrüsenanteile machen sehr typische Beschwerden (z. B. Husten in Rückenlage, Stridor, Schluckbeschwerden).

Postoperative Maßnahmen Standard nach jeder Schilddrüsenoperation ist die Kontrolle der N.-recurrens-Funktion durch HNO-ärztliche Untersuchung. Eine einseitige Funktionsstörung macht sich durch Heiserkeit bemerkbar, der Patient kann keinen kräftigen Hustenstoß aufbauen, weil er die Stimmritze nicht komplett verschließen kann. Bei beidseitiger Störung kann die Stimmritze nicht weit genug geöffnet werden, es kommt zu Atemnot, eine akute Tracheotomie kann erforderlich werden. Zur Prüfung der Epithelkörperchenfunktion erfolgt an mindestens 2 Tagen postoperativ die Bestimmung des Serumkalziums. Eine Erniedrigung führt zu Tetanien, eine Substitution mit Kalzium oder Vitamin D3 ist indiziert. Eine Substitution mit Schilddrüsenhormon ist bei ausgedehnten Resektionen lebenslang notwendig, bei größeren Schilddrüsenresten genügt die Gabe von Jod. Bei Malignomen wird nach Thyreoidektomie eine Radiojodbehandlung zu Elimination evtl. verbliebener minimaler Schilddrüsengewebereste durchgeführt.

Minimal-invasive Zugänge zur Schilddrüse Wie oben erwähnt, können kleinere Strumen über eine minimal-invasive Technik therapiert werden. Dazu gibt es unterschiedliche Möglichkeiten, die nur kurz erwähnt werden, da nur ca. 10 bis maximal15% der Schilddrüsenoperationen aufgrund der Größenverhältnisse minimalinvasiv durchgeführt werden können und diese Operationen noch nicht zum allgemeinen Standard gehören. Für eine endoskopische Therapie eignen sich kalte Knoten ab 1 cm bis ca. 3 cm Größe und ggf. Zysten. Auch der Wunsch der Patienten nach einer Operation ohne sichtbare Narben ist u. a. ausschlaggebend für eine MIC-OP. Die Vorbereitung des Patienten sowie auch die Lagerung entsprechen der oben beschriebenen. Instrumentell werden bei der minimal-invasiven Technik ein MIC-Turm, endoskopische Grundinstrumente sowie eine 30°-Optik benötigt (7 Abschn. 2.15).

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52

Kapitel 2 · Allgemeinchirurgie und Viszeralchirurgie

MIVAT – minimal-invasive videoassistierte Thyreoidektomie

2

Über einen 2–3 cm langen Schnitt wird unter Einsatz einer HD-Videokamera die Operation an der Schilddrüse mit den gleichen Sicherheitsstandards wie beim offenen Vorgehen durchgeführt. Diese Operation wird ohne CO2-Insufflation durchgeführt.

OMIT – offen minimal-invasive Thyreoidektomie Über eine 2–3 cm lange minimale Inzision an der Halsvorderseite wird unter direkter Sicht (Lupenbrille, evtl. Stirnlampe) ohne Einsatz einer CO2-Insufflation und ohne Optik operiert.

ABBA – »axillo bilateral breast approach« Ohne zervikalen Zugang werden 4 Trokare (5 mm) entweder über retroaureoläre, axilläre oder perimammilläre Zugänge eingebracht. Über CO2-Insufflation wird der Raum zwischen den Halsfaszien dargestellt. Über endoskopische Grundinstrumente und Bergebeutel (7 Abschn. 2.15.4) wird der Schilddrüsenlappen entfernt. Bei allen Vorgehensweisen gelten die gleichen Regeln und Operationstechniken, die bisher erwähnt wurden.

Hernien

2.3

Innere Hernien Brüche innerhalb des Bauchraumes ohne äußerlich sichtbare Zeichen. kBeispiele

4 Zwerchfellhernien (Hiatushernie), 4 Ileozäkalhernien. Von einer Gleithernie spricht man, wenn Organe oder Organteile, z. B. Harnblase, Zäkum, Sigma mit ihrem Peritonealüberzug teilweise den Bruchsack bilden. Von einer symptomatischen Hernie spricht man, wenn sie Schmerzen und Beschwerden verursacht. Auch eine Hernie durch intraabdominelle Drucksteigerung, z. B. durch Tumorwachstum oder Aszites als Symptom einer Erkrankung, bezeichnet man als symptomatische Hernie.

Ätiologie Hernien treten durch erhöhten abdominellen Druck auf. Es gibt angeborene Formen mit schon vorhandenen offenen Bruchpforten. Die erworbenen Formen sind auf einen Verlust der Bauchwandfestigkeit zurückzuführen. Sie treten meist entlang der Strukturen auf, die durch die Bauchwand ziehen, z. B. entlang großer Blutgefäße (Schenkelhernie) oder entlang des Samenstranges (Leistenhernie). Als Grundlage ist entweder eine angeborene oder eine erworbene Schwächung des Bindegewebes vorhanden.

M. Liehn, L. Steinmüller

Inkarzeration Definition

Brüche der Bauchwand, die von außen sichtbar sind.

Eine Inkarzeration (Einklemmung) einer Hernie besteht dann, wenn der Bruchinhalt nicht mehr spontan durch die Bruchpforte zurückgelangen kann. Mit der akuten Einklemmung droht ganz allgemein die Ernährungsstörung des Bruchinhalts. Eine vitale Bedrohung tritt dann ein, wenn der Bruchinhalt aus Darmschlingen oder Darmwandabschnitten besteht. Das Risiko liegt zwischen 1% und 3% pro Jahr und Patient. Die unmittelbaren Folgen können zunächst eine Koteinklemmung, später ein kompletter Ileus sein. Aus der mechanischen bzw. durchblutungsbedingten Ernährungsstörung der Darmwand resultiert die Perforation mit Peritonitis. Lokal macht sich die akute Inkarzeration mit Schmerzen, Schwellung und Rötung bemerkbar. Durch den peritonealen Reiz kann Übelkeit auftreten, durch den Ileus Erbrechen.

kBeispiele

Reposition

4 4 4 4

Der Zeitpunkt der Inkarzeration kann häufig vom Patienten genau angegeben werden. Dies ist wichtig, da die Reposition eines akuten eingeklemmten Bruches nur innerhalb der ersten 4 h versucht werden sollte. Nur die kom-

Eine Hernie entsteht durch ein Hervortreten von Eingeweideanteilen (Bruchinhalt) in eine Vorbuchtung des parietalen Peritoneums (Bruchsack) durch eine Bauchwandlücke (Bruchpforte). Die Entstehung basiert auf einer Bindegewebeerkrankung durch Störung des Kollagenstoffwechsels.

2.3.1

Allgemeines

Formen Unterschieden werden äußere und innere Hernien.

Äußere Hernien

Leistenhernie (Hernia inguinalis), Nabelhernie (Hernia umbilicalis), Narbenhernie, Schenkelhernie (Hernia femoralis), epigastrische Hernie (Hernia epigastrica).

53 2.3 · Hernien

plette, also gut gelungene Repositon führt zur raschen Beschwerdefreiheit. Dagegen ist eine Reposition en bloc gefährlich, da bei ihr der Bruch zwar äußerlich verschwunden ist, die wirksame Bruchpforte aber nur gewaltsam in die Tiefe verlagert wurde ohne eine echte Reposition des Bruchinhalts erzielt zu haben (sog. Pseudoreposition).

4 Das Dach besteht aus dem Unterrand der Muskelschicht des M. obliquus internus und transversus abdominis. Diese Muskelschicht wird oberhalb des Leistenkanals vorn von der Externusaponeurose und dorsal von der Transversalisfaszie begrenzt.

Indirekte und direkte Hernien

Indikationen zur Operation Jede palpatorisch oder zusätzlich sonographisch diagnostizierte Hernie kann als Wahleingriff zu einem beliebigen Zeitpunkt operiert werden. ! Eine Notfallindikation zur Operation besteht immer dann, wenn die Reposition eines akut inkarzerierten Bruches nicht möglich ist oder wenn das Zeitintervall nach akut eingetretener Inkarzeration 4 h überschreitet.

Eine indirekte Hernie wird auch als schräger, äußerer oder lateraler Bruch, eine direkte Hernie als senkrechter, innerer oder medialer Bruch bezeichnet. Diese beiden Formen unterscheiden sich durch die Eintrittsstellen in den Leistenkanal. Indirekte Hernien treten am inneren Leistenring und damit lateral der epigastrischen Gefäße in den Leistenkanal ein. Direkte Hernien sparen den seitlichen Umweg zum inneren Leistenring aus und treten »direkt« auf halber Strecke und damit medial der epigastrischen Gefäße in den Leistenkanal ein.

Anatomie des Leistenkanals Die Kenntnis der Anatomie des Leistenkanals ist die Voraussetzung für die operative Versorgung. Der sog. Leistenkanal, der vom inneren Leistenring lateral intraabdominal nach medial zum äußeren Leistenring verläuft, umgibt beim Mann den Samenstrang und bei der Frau das sehr viel dünnere Lig. teres uteri. ! Der Samenstrang enthält die Gefäßversorgung des Hodens, die A. spermatica und die ableitenden Venen im Plexus pampiniformis sowie den Samenleiter (Ductus deferens). Der Samenstrang wird von einer Muskelschicht (M. cremaster) umhüllt.

Der Leistenkanal ist etwa 4–6 cm lang.

Innerer Leistenring Er stellt als innerer Eingang einen Schwachpunkt der Bauchdecke dar. Als Lücke der muskulären Bauchdeckenverspannung kann hier der intraperitoneale Druck zur Bruchentwicklung führen. Direkt medial des inneren Leistenrings verlaufen in Körperrichtung die epigastrischen Gefäße.

Äußerer Leistenring Diese äußere »Öffnung« wird durch eine Sehnenlücke des M. obliquus externus abdominis gebildet.

Wände des Leistenkanals 4 Die Hinterwand wird von der Fascia transversalis gebildet. 4 Das Leistenband bildet den Boden, indem es vom vorderen oberen Darmbeinstachel zur Symphyse zieht. 4 Die Vorderwand wird von der Externusaponeurose gebildet.

2.3.2

Leistenhernie

Die Operation einer Leistenhernie lässt sich in 2 Abschnitte untergliedern: 4 Herniotomie, 4 Verschluss der Bruchpforte. j1. OP-Schritt

Bei der »Herniotomie« wird der Bruchsack freigelegt und operativ versorgt. Dieser Schritt ist allen konventionellen OP-Techniken gemeinsam. j2. OP-Schritt

Beim Verschluss der Bruchpforte wird die Bauchwand verstärkt; hierbei gibt es 2 Möglichkeiten: 4 Verstärkung der Vorderwand (Operation nach Halstedt-Ferguson), die aber nur bei Kindern durchgeführt wird. 4 Verstärkung der Hinterwand des Leistenkanals bei erwachsenen Patienten mit den folgenden Techniken zum Verschluss der Bruchpforte: 5 nach Bassini (Kirschner), 5 nach Shouldice, 5 nach McVay oder 5 nach Lichtenstein (mit Netzimplantation). Die Operationsverfahren bei der Leistenhernie zeigt . Tab. 2.1 im Überblick (Reinpold 2008).

2

54

Kapitel 2 · Allgemeinchirurgie und Viszeralchirurgie

. Tab. 2.1 Operationsverfahren bei der Leistenhernie. (Nach Reinpold 2008)

2

Prinzip

Verfahren

Offene Nahtverfahren

– Shouldice – Bassini – Zimmermann – Mc Vay

Offene OnlayNetzverfahren

– Lichtenstein – Trabucco – Prolene Hernia System

Offene präperitoneale Netzverfahren

– Plug – Stoppa, Wantz – Prolene Hernia System – Ugahary – Kugel

Endoskopische Verfahren

– Transabdominale präperitonale Netzplastik (TAPP) – total extraperitoneale Netzplastik (TEP)

Kugel-Patch, Plug and Patch, Hertra Mesh ( Trabucco) können hier als alternative Methoden empfohlen werden, obwohl lediglich Kurzzeitergebnisse vorliegen. 5 11. Die beiden endoskopischen Verfahren TEP und TAPP sind bezüglich der Komplikationsraten und der Ergebnisse als gleichwertig einzustufen. Zu berücksichtigen sind bei jedem Patienten zusätzlich individuell Begleiterkrankungen, Belastbarkeit, Voroperationen im Bauchraum und Bindegewebezustand für die korrekte Auswahl der Methode. (Abdruck aus Stechemesser 2010; Zeitschrift »Ambulante Chirurgie«, Februar 2010, mit freundlicher Genehmigung.)

Herniotomie und Bruchpfortenverschluss bei Männern kIndikation

Hernia inguinalis. Leitlinie der Europäischen Herniengesellschaft (Empfehlungen) Die Leitlinie der Europäischen Herniengesellschaft umfasst folgende Empfehlungen: 5 1. Jede symptomatische Hernie (= Hernien, die Beschwerden machen) sollte operiert werden. 5 2. Jeder männliche Erwachsene über 18 Jahre sollte mit einem Netz versorgt werden. 5 3. Als Standard-Nahtverfahren ist die Methode nach Shouldice das beste Verfahren. 5 4. Offen konventionell voroperierte Rezidive sollten endoskopisch nachoperiert werden. 5 5. Die Lichtenstein-Methode und die endoskopischen Techniken sind die am besten untersuchten Operationen für die Versorgung einer einseitigen primären Hernie. Der Operateur muss die Techniken jedoch gut beherrschen. 5 6. Steht der Schmerz im Vordergrund, ist ein endoskopisches Verfahren zu bevorzugen. 5 7. Es sollte ein leicht gewichtiges, großporiges Netz verwendet werden. 5 8. Steht die schnelle Rekonvaleszenz im Vordergrund, sollte ebenfalls eine endoskopische Technik angewendet werden. 5 9. Aus sozioökonomischer Sicht ist ein endoskopisches Verfahren besonders für aktiv berufstätige Patienten, insbesondere bei der doppelseitigen Hernie zu empfehlen. 5 10. Andere offene Netz-Techniken als die Lichtenstein-Methode wie Prolene Hernia System (PHS),

kPrinzip

Reposition des Bruchsackinhalts, Abtragung des Bruchsacks, Vorbereitung der anatomiegerechten Verstärkung der Bauchwand (je nach angewandter Technik). kLagerung

4 Rückenlage, 4 Neutrale Elektrode am gleichseitigen Oberschenkel. kInstrumentarium

4 Grundinstrumentarium, 4 Gummizügel, 4 resorbierbares Nahtmaterial.

OP-Verlauf: Herniotomie

5 Hautdesinfektion, sterile Patientenabdeckung, Team-Time-out. 5 Der Hautschnitt verläuft parallel und etwa 2 cm über dem Leistenband. 5 Durchtrennung des Subkutangewebes und Einsetzen der scharfen Haken. Dadurch stellen sich die Vasa epigastricae superficiales dar, die unterbunden werden. Darstellung der Externusaponeurose inklusive des äußeren Leistenringes. Die Aponeurose wird, beginnend am äußeren Leistenring, mit der Präparierschere gespalten. 5 Die Verklebungen zwischen dem M. cremaster und dem Leistenband sowie zwischen der Hinterwand

55 2.3 · Hernien

5

5

5 5

des Leistenkanals und dem M. obliquus internus abdominis können mit einem feuchten Stieltupfer oder Präparierstiel gelöst werden. Nach der Eröffung des Leistenkanals liegt das Samenstranggebilde frei, umgeben vom M. cremaster, der gespalten wird. Daraufhin kann der Samenstrang mit einem Gummizügel angeschlungen werden. Der Bruchsack wird dargestellt, er wird entweder mit 4 kleinen Klemmchen oder mit einem kleinen Duval angeklemmt und vom Samenstrang bis zur Bruchpforte mit einer Metzenbaum-Schere freipräpariert. Damit ist die Sicht frei auf den inneren Leistenring und die epigastrischen Gefäße, die entweder medial oder lateral der Bruchpforte liegen. Der Bruchsack wird – insbesondere nach einer Einklemmung – an der Spitze eröffnet, der Inhalt inspiziert. Wenn möglich, wird der Bruchsackinhalt stumpf (unter Zuhilfenahme eines feuchten Stieltupfers) in die Bauchhöhle reponiert. Der Bruchsack wird mit einer Tabakbeutelnaht verschlossen (. Abb. 2.18) und abgetragen.

Der Verschluss der Bruchpforte beinhaltet als wichtigsten Arbeitsschritt die Verstärkung der Hinterwand des Leistenkanals. Dafür gibt es u. a. die im Folgenden beschriebenen Methoden.

OP-Verlauf: Bruchpfortenverschluss nach Bassini

5 Diese Reparationsform kommt nur noch sehr selten zur Anwendung.

5 Voraussetzung hierfür ist die vollständige Spaltung der Fascia transversalis.

5 Die Nähte vereinigen durchgreifend den M. obliquus internus, die Fascia transversalis und den M. transversus abdominis mit dem Leistenband. Zur Sicherung kann die erste Naht durch das Schambeinperiost gelegt werden. Wegen möglicher postoperativer Schmerzzustände und der erhöhten Rezidivrate kann diese Maßnahme nicht generell empfohlen werden.

OP-Verlauf: Bruchpfortenverschluss nach Shouldice

5 Dieses Verfahren stellt durch die Doppelung der

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5

5

5

5

. Abb. 2.18 Anlegen einer Tabakbeutelnaht an der Bruchsackbasis

ausgedünnten Fascia transversalis eine anatomiegerechte Rekonstruktion der Hinterwand des Leistenkanals dar und ist der Goldstandard der netzfreien Operationsmethoden. Hat diese Faszie einen Defekt oder eine fühlbare Schwäche, ist eine Doppelung indiziert. Dazu wird sie vom inneren Leistenring an mit einer Schere gespalten. Dabei muss besonders auf die darunter liegenden Gefäße geachtet werden. Der obere Anteil der Faszie wird von der Bruchpforte aus mit Kocher-Klemmen gefasst, dann wird die Faszie teils stumpf (mit Präpariertupfer oder Finger) teils scharf mit der Schere vom präperitonealen Fett abpräpariert. Nun wird auch der untere Faszienteil angeklemmt. Die untere Hälfte der Fascia transversalis wird unter die obere genäht (gedoppelt; . Abb. 2.19). Über die erste Nahtreihe wird zur Doppelung die zweite fortlaufend gelegt. An der Oberkante kann der M. cremaster in die Naht einbezogen werden. Danach werden der M. transversus abdominis und der M. obliquus internus als zweite Schicht an das Leistenband geheftet. Mit einer fortlaufenden Naht wird die Externusaponeurose verschlossen. Schichtweiser Wundverschluss, Verband.

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56

Kapitel 2 · Allgemeinchirurgie und Viszeralchirurgie

2

. Abb. 2.19 Shouldice-Technik, anteriorer Zugang. (Aus Siewert et al. 2010)

OP-Verlauf: Bruchpfortenverschluss nach Lichtenstein

5 In den letzten Jahren wird zunehmend ein spannungsfreier Bruchpfortenverschluss durch Implantation eines nicht resorbierbaren oder teilresorbierbaren Kunststoffnetzes propagiert. 5 Zunächst werden Bruchsack und Bruchpforte dargestellt. 5 Die Präparation verzichtet jedoch auf die Durchtrennung der Transversalisfazie und im Regelfall auf die Bruchsackabtragung. Zwischen Leistenband und M. obliquus internus wird ein keilförmig zugeschnittenes Polypropylennetz (z. B. Optilene, Ultrapro, Dynamesh – Lichtenstein, Parietene) oder ein Titan-Kunststoffnetz (T-MESH) mit nicht resorbierbarer Naht oder Titan-Clips spannungsfrei fixiert. Seitlich wird ein Schlitz zur Aufnahme des Samenstranges angelegt. Die beiden schmalen Schenkel des Netzes werden lateral überkreuzt, sodass sie einen inneren Leistenring bilden. Darüber werden die Externusaponeurose und die übrigen Wandschichten wieder verschlossen (. Abb. 2.20).

Diese Operation kann in Lokalanästhesie vorgenommen werden. Wegen der geringeren Rezidivrate sollte eine Netzimplantation schon bei jungen Patienten erfolgen. In der Nachbehandlung ist keine längere Schonung nötig.

. Abb. 2.20 Lichtenstein-Technik, anteriorer Zugang. (Aus Siewert et al. 2010)

Die endoskopische Versorgung einer Leistenhernie nimmt ständig an Bedeutung zu (für die Varianten dieser Therapie 7 Abschn. 2.15 MIC).

Leistenbruch bei Frauen Es handelt sich fast immer um eine indirekte Hernie. Der Bruchsack liegt oberhalb des Leistenbandes. Der Bruchsackverschluss und die Verstärkung der Hinterwand entsprechen dem Vorgehen beim Mann. Das Lig. rotundum (Lig. teres uteri) wird im Leistenkanal fixiert und in die Bassini-Nähte einbezogen oder bei der Fasziendoppelung im lateralen Anteil eingenäht. Eine oft gleichzeitig vorhandene Hydrozele wird reseziert.

Inkarzerierte Hernie bei Frauen und Männern Bei einem eingeklemmten Darm ist meist eine Herniolaparotomie angezeigt. Die Lücke in der Externusaponeurose wird erweitert, der M. obliquus internus eingekerbt, unter starkem Zug weggehalten und das Peritoneum eröffnet. Der Bruchsackinhalt kann dann beurteilt und reponiert werden. Das Netz und die Darmanteile, die sich nicht erholen, müssen nach der Versorgung der Bruchpforte über eine gesonderte Laparotomie reseziert werden. Manchmal ist jedoch die Versorgung über die Bruchpforte möglich. Eine Netzimplantation ist in dieser Situation problematisch und im Einzelfall abzuwägen.

2.3.3

Schenkelhernie (Hernia femoralis)

Femoralhernien, die insgesamt 5–7% aller Hernien ausmachen, betreffen sehr viel häufiger Frauen (ca. 95% der

57 2.3 · Hernien

Hernien!) als Männer. Inkarzerationen treten häufig auf. Femoralhernien sind immer erworben. Sie finden sich unterhalb des Leistenbandes am häufigsten medial der A. femoralis und V. femoralis. Zumeist haben sie eine sehr kleine Bruchpforte. kIndikation

Jede Femoralhernie (Schenkelhernie). kPrinzip

Freilegung entweder wie bei der Leistenhernie von inguinal oder von krural, Reposition des Bruchsackinhalts, Abtragung des Bruchsackes, Verschluss der Lücke. Auch eine Netzimplantation in der Technik nach Lichtenstein (s. oben) ist möglich. kLagerung

4 Rückenlage, 4 Dispersionselektrode am gleichseitigen Oberschenkel. kInstrumentarium

4 Grundinstrumentarium, 4 evtl. Gummizügel für das Lig. rotundum.

OP-Verlauf: Herniotomie einer Schenkelhernie Inguinaler Zugang (Lotheissen/McVay) 5 Hautschnitt wie bei der Inguinalhernie, Spalten der Externusaponeurose. 5 Darstellen des Bruchsacks unter Berücksichtigung der Nähe der lateral gelegenen V. iliaca externa. 5 Fassen des Bruchsackes mit Mosquito-Klemmen oder kleinen Fasszangen und Eröffnung mit der Metzenbaum-Schere. Der Bruchsackinhalt wird reponiert, sofern er keine Durchblutungsstörungen aufweist. Dann erfolgen eine Tabakbeutelnaht oder eine Durchstechungsligatur des Bruchsackes und die Abtragung. 5 Die Leistenkanalhinterwand wird durch eine Fasziendoppelung nach McVay/Lotheissen unter Aussparung des Lig. rotundum verschlossen (. Abb. 2.21). 5 Über dem Ligament wird die Externusaponeurose verschlossen. Kruraler Zugang (Fabricius) 5 Ideal bei kleinen nicht inkarzerierten Hernien. 5 Über eine längsverlaufende oder schräge Inzision im Bereich der Leistenbeuge wird das Leistenband von seiner Unterseite her dargestellt und der

. Abb. 2.21 Hernia femoralis; Reparation nach Lotheissen. (Aus Wondzinski u. Hotz 2006)

Bruchsack mit einem feuchten Stieltupfer von den Femoralgefäßen abgeschoben und eröffnet oder scharf mit der Schere abgelöst. 5 Zur Reposition des Bruchsackinhalts muss meist medial die Bruchpforte erweitert werden. Dazu wird die V. femoralis lateral auf einen KocherHaken aufgeladen. 5 Der Bruchsack wird an seiner Basis über einer Tabakbeutelnaht abgetragen. 5 3–4 Einzelnähte (nicht resorbierbar), die die Unterkante des Leistenbandes mit der Oberschenkelfaszie (Fascia pectinea) und evtl. dem Cooper-Ligament vereinigen, verschließen die Bruchpforte. Wenn möglich sollte die Fascia transversalis mitgefasst werden.

2.3.4

Nabelhernie (Hernia umbilicalis)

Die Nabelhernie ist beim Erwachsenen die zweithäufigste Hernienform. Als Bruchpforte dient der Nabelring, der sich so ausweitet, dass Bauchhöhleninhalt austreten kann. kIndikation

4 Nabelbrüche neigen zu Komplikationen und sollten deshalb frühzeitig operiert werden. 4 Operation ansonsten bei Beschwerden, erheblicher Größenzunahme oder Einklemmung, bei Bedarf auch aus kosmetischen Gründen.

2

58

Kapitel 2 · Allgemeinchirurgie und Viszeralchirurgie

kPrinzip

2

Reposition des Inhalts, Abtragung des Bruchsacks, Bruchpfortenverschluss durch Fasziendoppelung nach (Dick) Mayo, bei kleinen Bruchpforten durch direkte Naht. kLagerung

4 Rückenlage, leicht überstreckt, 4 Dispersionselektrode an einem Oberschenkel.

Fascia lata oder mit nicht resorbierbarem Netz (PVP-Patch, Proceedventral Patch, Fa. Ethicon, Ventralex Hernia Patch, Fa. Bard) gedeckt werden. 5 Der Nabel wird refixiert, bei minderdurchbluteter Nabelhaut jedoch reseziert (Omphalektomie). 5 Bei Bedarf Einlegen einer Redon-Drainage, Subkutannähte, Hautnaht, Verband.

kInstrumentarium

Grundinstrumentarium. 2.3.5 OP-Verlauf: Nabelhernienreparation

5 Hautdesinfektion, sterile Patientenabdeckung, Team-Time-out.

5 Halbkreisförmige Umschneidung des Nabels,

5 5

5 5

5 5

5

5

je nach der Größe des Bruchs. Günstig ist auch eine quere Inzision unterhalb oder oberhalb des Nabels als Zugang. Durchtrennung des Subkutangewebes bis zur Darstellung der Rektusscheide. Der Bruchsack wird an der Basis inzidiert und der Inhalt schonend, soweit möglich, reponiert. Dazu muss fast immer der Schnürring eingeschnitten werden. Ein Finger des Operateurs schützt dabei die darunter liegenden Darmschlingen. Der Bruchsack wird zunächst stumpf umfahren, bevor er von der Nabelhaut abgelöst wird. Adhärente Anteile des großen Netzes werden mit Overholt und Schere freipräpariert und ligiert, bis die Darmschlingen frei sind. Der Bruchsack wird abgetragen und das Peritoneum mit einer Durchstechungsligatur verschlossen. Für den Verschluss bei kleiner Bruchlücke reicht ein einfacher Nahtverschluss mit nicht bzw. langsam resorbierbarem Nahtmaterial aus. Bei größerer Bruchpforte kann eine Fasziendoppelung nach Mayo durchgeführt werden. Dazu werden die Faszienränder mit Klemmen gefasst und flächig von der Subkutis freipräpariert. Die Fasziendoppelung wird erreicht, indem zwischen dem unteren Rand des Bruchringes und dem Rand der Rektusscheide U-Nähte so gelegt werden, dass etwa 1,5 cm Faszienrand übersteht. Dieser wird nach dem Knüpfen der Fäden durch eine Z-Naht mit der Rektusscheide vereint (Doppelung). Ist die Bruchlücke zu groß oder die Faszie zu schwach, sollte der Defekt mit einem Streifen

Epigastrische Hernie

Dieser Hernientyp entwickelt sich oberhalb des Nabels im Verlauf der Linea alba. Eine präformierte Faszienlücke in der Linea alba enthält zuerst nur präperitoneales Fettgewebe, später auch Peritoneum, Netz oder seltener Magen- sowie Darmanteile (. Abb. 2.22). Mehrere Bruchlücken können vorkommen. Häufig handelt es sich nicht um der Definition entsprechende komplette Hernien, sondern nur um präperitoneale Lipome, die bei Einklemmung in eine Faszienlücke erhebliche Beschwerden verursachen können. kIndikation

Beschwerden und Herniennachweis. ! Ein Ulkusleiden sollte als Beschwerdeursache ausgeschlossen werden.

a

b

. Abb. 2.22a, b Epigastrische Hernie. a Austritt von präperitonealem Fettgewebe durch die Linea alba, b Austritt des Bruchsackes durch die Linea alba. (Aus Siewert 2001)

2

59 2.3 · Hernien

kPrinzip

Die Freilegung des Bruchsacks, Reposition, ggf Resektion des Inhalts. Für den Bruchpfortenverschluss gilt das gleiche Vorgehen wie bei der Nabelhernie (7 Abschn. 2.3.4). kLagerung

4 Rückenlage, 4 neutrale Elektrode an einem Oberschenkel. kInstrumentarium

4 Grund- und Laparotomieinstrumentarium, 4 ggf. Allis-Klemmen. OP-Verlauf: Epigastrische Hernie

5 Als OP-Zugang sollte beim solitären Bruch der

. Abb. 2.23 Narbenhernie, intraoperativer Situs. (Aus Siewert u. Stein 2012)

queren Schnittführung der Vorzug gegeben werden. Bei größeren und bei multiplen Brüchen ist der Längsschnitt geeigneter. Präperitoneale Lipome werden insbesondere bei Einklemmung subfaszial abgetragen. 5 Bruchpfortenverschluss (7 Abschn. 2.3.4).

Eine laparoskopische Versorgung in IPOM-Technik (7 Abschn. 2.3.6) ist möglich.

4

1 2

a 4

2.3.6

3

Narbenhernien

Nach Bauchoperationen treten zwischen 10 und 20% Narbenhernien auf. Sie werden durch die Schnittführung, durch Infektionen und ungeeignete Nahttechniken bei der Erstoperation verursacht. Vorbelastet sind Patienten mit Adipositas oder Stoffwechselerkrankungen. Der sichere Faszienverschluss zur Rezidivverhütung ist das Hauptproblem der Narbenbruchversorgung. Durch die Verwendung von Kunststoffnetzen wird die Rezidivrate von durchschnittlich 39% auf etwa 8% gesenkt. kIndikation

Die Narbenhernie stellt meist eine elektive OP-Indikation dar. Beschwerden, Größenzunahme oder Einklemmung, sowie kosmetische Gründe bestimmen die Dringlichkeit. kPrinzip

Präparation des Bruches, evtl. Adhäsiolyse, Reparation der Bruchpforte durch spannungsfreien Verschluss der Faszien- und Muskelschichten bei Bedarf mittels Netzeinlage (. Abb. 2.23, . Abb. 2.24). kLagerung

4 Rückenlage, leicht überstreckt, 4 neutrale Elektrode an einem Oberschenkel.

1 2 3

b

. Abb. 2.24a, b Netzlage. a Sublay-, b Onlay-Technik (1 = vorderes Blatt der Rektusscheide, 2 = hinteres Blatt der Rektusscheide, 3 = Peritoneum, 4 = Netz). (Aus Siewert u. Stein 2012)

kInstrumentarium

Grund- und Laparotomieinstrumentarium. OP-Verlauf: Narbenhernie

5 Hautdesinfektion, sterile Patientenabdeckung, Team-Time-out. 1. OP-Schritt: 5 Exzision der Narbe; der Bruchsack und intakte nahtfähige Faszienränder müssen exakt dargestellt werden. Die Eröffnung des Bruchsackes mit dem Lösen der Bruchsackadhäsionen erleichtert das Vorgehen. Durch Austastung von innen können

60

Kapitel 2 · Allgemeinchirurgie und Viszeralchirurgie

2.4

2

die Bauchdeckensubstanz und die Bruchpfortenränder beurteilt sowie zusätzliche Faszienlücken erkannt werden. 5 Um die zur Rekonstruktion verwendbaren Faszienränder darzustellen, wird die gesunde Faszienvorderseite über einige Zentimeter im gesamten Bruchbereich zirkulär vom subkutanen Fettgewebe abgetrennt. 5 Insuffiziente Faszienanteile werden reseziert. 2. OP-Schritt: Nun erfolgt die spannungsfreie Reparation der Bruchpforte. Hierzu stehen mehrere Verfahren zur Verfügung: 5 Kleinere Narbenhernien: direkte einreihige Stoßauf-Stoß-Naht mit durchgreifenden Einzelknopfnähten. 5 Selten bei noch erkennbarer intakter Schichtung der Bauchdecke: mehrreihiger, schichtgerechter Wundverschluss (hohes Rezidivrisiko). 5 Implantation von Fremdmaterial, falls die Adaptation der Faszienränder nicht gelingt: (nicht resorbierbare Kunststoffnetze wie Gore-Tex, Mersilene, Prolene, Atrium, Surgipro mesh, Dynamesh, Ti-mesh), Vollhaut- oder Koriumlappen nach Rehn. Bei Infektsituationen können selten biologische Implantate zum Einsatz kommen (Permacoll, Tutomesh, Surgisis Biodesign). 5 Wichtig: Das implantierte Material muss breitflächig (mindestens 5 cm überlappend) an den intakten Bruchrändern fixiert werden, um ein belastungsstabiles Einwachsen der Prothese zu ermöglichen. 5 Ein Kontakt der Netzprothese zum Darm muss vermieden werden. Als Goldstandard gilt die offene Platzierung des Netzes auf dem hinteren Faszienblatt in Sublay-Position nach Stoppa und Rives. Auch die Platzierung auf dem verschlossenen vorderen Faszienblatt (onlay) ist verbreitet (höheres Rezidiv- und Infektrisiko). 5 Als Innovation gilt die laparoskopische Versorgung in IPOM-Technik (IPOM = intraperitoneale OnlayMesh-Plastik) mit neuen Netzmateralien, die Kontakt zum Darm haben dürfen (z. B. Physiomesh, Dynamesh IPOM). Dabei wird häufig auf den Bruchpfortenverschluss verzichtet und der Defekt breitflächig mit dem Netz überbrückt.

! Die Implantation von Fremdmaterial erfordert höchste Asepsis, sie birgt ansonsten die Gefahr einer Wundheilungsstörung mit Netzinfektion, die schwierig zu behandeln ist.

Speiseröhre

M. Liehn, L. Steinmüller 2.4.1

Anatomie

Die Speiseröhre (Ösophagus) ist ein ca. 28 cm langes Muskelhohlorgan. Sie verbindet den Schlund (Pharynx) mit dem Magen. Vom zervikalen Anteil (zwischen Halswirbelsäule und Trachea gelegen) tritt der Ösophagus in den Thorax ein. Hier verläuft er S-förmig im hinteren Mediastinum hinter der Trachea und dem Herzen. Mit Ausnahme des Kardiabereichs unterhalb des Zwerchfells (erst hier gibt es einen Serosaüberzug) ist die Speiseröhre relativ beweglich. Im Übergang des Ösophagus zum Magen befindet sich der sog. His-Winkel, der zur Refluxverhinderung wichtig ist (. Abb. 2.25). Entsprechend der Organdrehung während der Embryonalentwicklung verläuft der linke Ast des N. vagus distal auf der Vorderseite, der rechte Ast distal auf der Hinterseite des Ösophagus. Die Speiseröhre erhält ihre Blutversorgung im zervikalen Abschnitt aus den Aa. thyreoideae inferiores, im thorakalen Abschnitt direkt aus dem Aortenbogen bzw. aus den der thorakalen Aorta entspringenden Ästen. Im unteren Drittel erfolgt die arterielle Versorgung aus der A. phrenica und der A. gastrica sinistra. Die Gesamtblutversorgung ist entsprechend des relativ geringen Sauerstoffbedarfs spärlich. Die Versorgung mit Lymphbahnen ist dagegen reichlich. Der D. thoracicus verläuft als große Lymphabflussbahn parallel zur Speiseröhre. kIndikationen

Chirurgische Eingriffe am Ösophagus sollen die Nahrungspassage gewährleisten bzw. wiederherstellen. Behandelt werden Funktionsstörungen und organische Verände-

Hiatus oesophageus Zwerchfell Peritoneum Zeltartige Zwerchfellfaszie Cardia Pars abdominalis oesophagei His-Winkel . Abb. 2.25 Ösophagus mit Übergang in den Magen

61 2.4 · Speiseröhre

rungen, deren Krankheitswert, Diagnostik und chirurgische Therapie nachfolgend besprochen wird.

2.4.2

Achalasie-Ösophagospasmus

Es handelt sich um eine Innervationsstörung der Ösophagusmuskulatur mit funktioneller Stenose. Ein Karzinom muss durch Endoskopie und Biopsie ausgeschlossen werden. kIndikation

4 Segmentaler Muskelspasmus und typische Stenosesymptomatik: 5 Dysphagie (Schluckstörung), 5 Regurgitation (Hochwürgen unverdauter Speisen), 5 Schmerz und Gewichtsabnahme. 4 Erfolglose, ggf. mehrfache Aufdehnungsbehandlung.

4–6 cm

a

kPrinzip

Anteriore Myotomie nach Gottstein/Heller mit Durchtrennung der Ösophagusmuskulatur im Stenosebereich (. Abb. 2.26).

1–2 cm

kLagerung

4 Rückenlage, leicht überstreckt, ggf. mit rekliniertem Kopf, 4 neutrale Elektrode an einem Oberarm. kInstrumentarium

4 Grund- und Laparotomieinstrumentarium, 4 Gummizügel. OP-Verlauf: Achalasie-Ösophagospasmus

5 Von einer Laparotomie aus wird der Hiatus oesophageus, die Durchtrittstelle des Ösophagus durch das Zwerchfell, erweitert. 5 Mit dem Anschlingen der Speiseröhre wird sie nach kranial mobilisiert. 5 Die Myotomie beginnt über der Stenose und reicht bis mindestens 2 cm nach kaudal über die Kardia. 5 Damit wird eine dauernde Erweiterung des Segments erreicht und die Nahrungspassage wieder hergestellt. Die Kombination mit einer Antirefluxplastik (7 Abschn. 2.4.4) ist möglich.

Diese Operation kann minimal-invasiv durchgeführt werden.

b . Abb. 2.26a, b Myotomie des distalen Ösophagus bei Achalasie (a). Deckung der Myotomie durch Fundoplastik (b). (Aus Siewert u. Stein 2012)

2.4.3

Zervikales Ösophagusdivertikel (Zenker)

Die Schleimhautaussackung durch die Muskelschichten des zervikalen Ösophagus hindurch nach links wird ebenfalls mit einer Funktionsstörung des oberen Speiseröhrensphinkters in Zusammenhang gebracht. Das Zenker-Divertikel gilt als typisches Pulsionsdivertikel, als Folge eines erhöhten intraluminalen Druckes in einer muskelschwachen Zone (. Abb. 2.27). Die Symptomatik besteht im fortgeschrittenen Stadium in einem Druckgefühl des meist mit Speiseanteilen gefüllten Sackes, der auch das Lumen der Speiseröhre beengen kann. Neben der Schluckstörung bestehen weitere Risiken im Aspirieren von Speiseresten, in Divertikelentzündungen mit Perforation, Blutungen, Mediastinitis und langfristig in der möglichen malignen Entartung.

2

62

Kapitel 2 · Allgemeinchirurgie und Viszeralchirurgie

2

5

Killian-Dreieck

5 Laimer-Dreieck

ZenkerDivertikel a

b

. Abb. 2.27a, b Zenker-Divertikel: a Anatomie, b typische Lokalisation. (Aus Siewert u. Stein 2012)

5

Die Kontrastmittelröntgenuntersuchung des Schluckaktes führt zur Diagnose.

5

kIndikation

5

Obstruktion, Schluckbeschwerden, Hustenreiz beim Schlucken, Divertikulitis, Blutungen, Mediastinitis.

am vorderen Rand mobilisiert und mit Roux-Haken beiseitegehalten. Die mittlere Halsfaszie wird durchtrennt. Mit Einsetzen von schmalen Haken, z. B. nach Langenbeck, wird das Divertikel dargestellt. Die A. carotis, die V. jugularis und der N. vagus werden dabei nach lateral und die Trachea und der Schilddrüsenlappen nach medial weggehalten. Das Divertikel wird mit einer Organfasszange nach Allis oder Duval gefasst und bis zur Basis teils durch scharfe, teils durch stumpfe Präparation freigelegt. Der N. recurrens sollte möglichst identifiziert und mit einem dünnen Gummizügel angeschlungen oder auf ein Nervhäkchen gelegt werden. Durch das Einführen einer dicken Magensonde am Divertikel vorbei wird der Ösophagus geschient und einer postoperativen Stenose gleichzeitig vorgebeugt. Stumpfes Hervorluxieren des Divertikels, ggf. Myotomie des M. cricopharyngeus in der Mitte der Hinterwand. Die Myotomie erfasst die Pars transversalis des M. cricopharyngeus und die obere Ösophagusmuskulatur über ca. 4 cm Länge.

kPrinzip

Abtragung des Divertikelsackes und ggf. die Längsdurchtrennung des Muskelschlauches unterhalb des Divertikelhalses (Krikomyotomie) über einige Zentimeter. kLagerung

4 Rückenlage, Oberkörper leicht aufgerichtet, Kopf rekliniert und nach rechts gedreht, 4 neutrale Elektrode am linken Oberarm. kInstrumentarium

4 4 4 4

Grundinstrumentarium, Allis- oder Duval-Klemme, dünner Zügel oder Nervhäkchen, bei Bedarf linearer Stapler oder linearer Stapler mit integriertem Cutter (7 Abschn. 2.1.2).

OP-Verlauf: Resektion des Zenker-Divertikels

OP-Verlauf: Abtragen des Divertikels

5 Mit einem linearen Stapler (. Abb. 2.28). Es ist darauf zu achten, dass kein Anteil der Ösophaguswand mit in die Klammerreihe gelangt. Eine zusätzliche Übernähung der Klammernahtreihe kann entfallen. Nach der Abtragung sollte mit warmer Kochsalzlösung gespült werden. 5 Geschlossene Resektion zwischen 2 weichen Klemmen. 5 Offene Resektion mit Schere und Pinzette, nachdem an der Basis eine Tabakbeutelnaht gelegt wurde. Nach der Resektion wird der kurze Stumpf versenkt und mit einer zusätzlichen Naht verschlossen. 5 Einlegen einer dünnen Drainage, Adaptation der Halsmuskeln und des Platysma, Subkutan-, Hautnaht, Verband.

5 Hautdesinfektion, sterile Patientenabdeckung, Team-Time-out. 5 Schräger Hautschnitt am Innenrand des linken M. sternocleidomastoideus. Das Platysma und die Halsfaszie werden zusammen mit dem Skalpell durchtrennt. Der M. sternocleidomastoideus wird

Diese Operation kann als endoskopische »Schwellendurchtrennung« heute meist von HNO-Ärzten durchgeführt werden.

63 2.4 · Speiseröhre

a

b

c

. Abb. 2.28a–c Abtragung eines Zenker-Divertikels mit einem linearen Verschlussstapler. (Aus Siewert u. Stein 2012)

2.4.4

Hiatushernie

Definition Hiatus bedeutet Spalt. Bei der Hiatushernie liegt ein Bruch des Zwerchfells am Hiatus oesophageus vor; die Hiatushernie führt zur Refluxkrankheit (GERD = »gastro-esophageal reflux disease«).

Ätiologie Das Hauptkennzeichen der Refluxkrankheit ist ein gestörter Verschlussmechanismus des unteren Ösophagussphinkters. Fast immer liegt gleichzeitig eine axiale Hiatushernie vor (s. unten). Die erosive Form der Refluxösophagitis (ERD = »erosive reflux disease«) ist gekennzeichnet durch peptische Epitheldefekte und ihre Folgen, verursacht durch die zurücklaufenden aggressiven Verdauungssäfte des Magens. Je nach Schwere wird die Refluxösophagitis in die folgenden 4 Stadien eingeteilt. Die Verlaufsform ohne Erosionen bezeichnet man als NERD (»non-erosive reflux disease«). Die Stadien der Refluxösophagitis (Los-AngelesKlassifikation) zeigt . Tab. 2.2. Das Leitsymptom der Refluxkrankheit ist Sodbrennen mit ggf. Speisenrückfluss (verstärkt in Rückenlage). Komplikationen erosiver Verlaufsformen sind die narbige Schrumpfung sowohl im Durchmesser als auch in der Längsausdehnung. Daraus folgen die narbige Stenosierung und der sog. Endobrachyösophagus mit Verschiebung der Ösophagus-Magenschleimhaut-Grenze in den Ösophagus hinein. Frühkomplikationen sind Blutung und Perforation. Der sog. Barrett-Ösophagus ist eine Komplikation der Refluxkrankheit, dabei führt die Umwandlung von Platten-

epithel in Zylinderepithel zur inneren Verkürzung der Speiseröhre. Die Barrett-Schleimhaut hat Ähnlichkeit mit der Darmschleimhaut (sog. intestinale Metaplasie). Die Ulkusbildung in der veränderten Schleimhaut wird als Barrett-Syndrom bezeichnet.

Formen Die häufigste Form der Hiatushernie ist die axiale Hiatushernie. Es handelt sich um einen Gleitbruch (7 Abschn. 2.3), der mit einer intrathorakalen Verlagerung der Kardia einhergeht. Ein Krankheitswert ergibt sich erst aus der Kombination mit einer Sphinkterinsuffizienz. Als weitere Form der Hiatushernie ist die paraösophageale Hernie anzusehen. Bei dieser Hernienform ist die Lage der Kardia konstant, der Sphinkter ist in der Regel nicht beeinflusst. Es wölben sich jedoch Magenanteile neben der Speiseröhre am Zwerchfellschenkel vorbei ins Mediastinum vor. Im Extremfall kann ein totaler Magenvolvulus (»upside-down stomach«) mit kompletter Magenverlagerung in den Thorax auftreten (. Abb. 2.29). . Tab. 2.2 Stadieneinteilung der Refluxösophagitis. (Nach Deutsche Gesellschaft für Gastroenterologie, Verdauungsund Stoffwechselkrankheiten – DGVS 2014) Stadium

Kennzeichen

Grad A

Mukosaläsion 5 mm

Grad C

Konfluierende Mukosaläsionen bis zu 75% der Gesamtzirkumferenz

Grad D

Mukosaläsion mit mindestens 75% der Gesamtzirkumferenz der Speiseröhre

2

64

Kapitel 2 · Allgemeinchirurgie und Viszeralchirurgie

2

a

b

c . Abb. 2.29a–c Klassifikation der Hiatushernien: a axiale, b paraösophageale, c gemischte Hiatushernie. (Aus Siewert u. Stein 2012)

Symptome Die Symptomatik ergibt sich aus der Einklemmungsgefahr der Magenwand mit Blutungs- und Perforationsgefahr.

Wandschichten, sodass intraoperativ die Grenzen häufig sehr schlecht erkennbar sind. Unterschieden werden das Adeno- und das weltweit häufigere Plattenepithelkarzinom. Neben geographischen Unterschieden spielen Kanzerogene wie Tabak, Teerprodukte und Alkohol für die Entstehung eine wesentliche Rolle. Der Schwerpunkt der Therapie liegt in der operativen Behandlung. Folgende präoperative Untersuchungen klären die Diagnose und Operabilität ab: 4 Endoskopie mit Biopsie. 4 Endosonographie, ggf. kombiniert mit einer Feinnadelaspiration, da hier die Infiltrationstiefe der Ösophaguswandschichten und die benachbarten Lymphknoten beurteilt werden können. 4 CT-Untersuchung und MRT des Thorax, des Oberbauchs und ggf. der Halsregion zur Abklärung der lymphogenen Metastasierungswege. 4 Bronchoskopie zum Ausschluss einer Tracheainfiltration und zur Stimmbandbeurteilung. 4 Die Breischluckröntgenuntersuchung des Ösophagus spielt nur noch eine untergeordnete Rolle. 4 Die PET-CT kann in Einzelfällen ergänzende Aussagen zur Metastasierung liefern. Die operative Behandlung findet heute nur noch in »Zentren« statt (Voraussetzung: 10 Eingriffe/Jahr/Klinik).

Transmediastinale Ösophagusexstirpation Diagnostik Die exakte Anamnese hat zu klären, ob die Beschwerden auf einen Reflux vom Magen in die Speiseröhre zurückzuführen sind. Die Diagnose wird in erster Linie endoskopisch gestellt. Insbesondere bei der axialen Hiatushernie kann die Endoskopie klären, welches Stadium der Refluxösophagitis vorliegt. Die Gewebeprobenentnahme zur Histologie ist zur Klärung der malignen Entartungstendenz im BarrettÖsophagus wichtig. Hier liefert die Endoskopie wertvolle Zusatzinformationen. Die pH-Metrie zum Beleg eines pathologischen Refluxes und Manometrie des Ösophagus zum Ausschluss einer Mobilitätsstörung sind beurteilende Untersuchungen vor der OP-Planung. Die operative Versorgung in Form einer Fundoplicatio erfolgt in der Regel minimal-invasiv über einen laparoskopischen Zugang (7 Abschn. 2.15.8).

2.4.5

Ösophaguskarzinom

Das Karzinom ist die häufigste Erkrankung des Ösophagus und kommt öfter bei Männern als bei Frauen vor. Dieser Tumor wächst bevorzugt submukös, also zwischen den

Die transmediastinale Ösophagusexstirpation erfolgt über einen abdominalen und ggf. kollaren Zugang. Der abdominothorakale Zugang sollte gewählt werden, wenn eine stumpfe Dissektion nicht möglich ist, die Anastomose intrathorakal angelegt werden soll und eine radikale Lymphadenektomie geplant ist (. Abb. 2.30). kIndikation

Karzinome im mittleren und unteren Abschnitt und Magenkarzinome im Kardiabereich, die auf den Ösophagus übergreifen. kPrinzip

Subtotale Entfernung des Ösophagus inklusive der Kardia und Wiederherstellung der Passage durch Ösophagogastrostomie. Eine Ösophago-Ösophagostomie ist in der Regel nicht möglich, da die Anastomose aufgrund der schlechten Durchblutung der Speiseröhre nicht heilen würde. kLagerung

4 Rückenlage, leicht überstreckt, den Kopf nach rechts gedreht und evtl. ein Polster unter die rechte Schulter gelegt, 4 Dispersionselektrode am rechten Oberarm.

65 2.4 · Speiseröhre

5 Mit Overholt, Schere und Ligaturen wird der Über-

5 5

5

. Abb. 2.30 Transmediastinale Ösophagektomie. (Aus Siewert u. Stein 2012)

kInstrumentarium

4 4 4 4 4 4

Grund- und Laparotomieinstrumentarium, Rahmen, Rochard-Haken, Gummizügel, Duval-Klemmen, bei Bedarf lineare Stapler mit oder ohne Cutter, lange schmale Spatel für die mediastinale Exploration bzw. Dissektion.

OP-Verlauf: Ösophagusexstirpation

5 Hautdesinfektion, sterile Patientenabdeckung, Team-Time-out. 1. OP-Schritt: 5 Bogenförmige quer verlaufende Oberbauchlaparotomie oder lange mediane Oberbauchlaparotomie mit linksseitiger Umschneidung des Nabels. 5 Nach der Exploration des Abdomens wird der Hiatus oesophageus freigelegt. 5 Die Operation sollte nur ausgeführt werden, wenn der Ösophagus freigelegt werden kann und keine Fernmetastasen vorliegen. Nach der Entscheidung zur Operation wird der Rochard-Haken eingesetzt, der eine gute Einsicht in den Bauchraum bis unter das Zwerchfell ermöglicht.

5

5 5

gang vom Ösophagus zur Kardia freipräpariert und die Speiseröhre mit einem Gummizügel angeschlungen. Nach kranial wird zunächst so weit wie möglich unter Sicht präpariert. Dazu wird das Zwerchfell ventral inzidiert, ggf. werden die Zwerchfellschenkel durchtrennt. Die distale Resektionsgrenze berücksichtigt die Prinzipien der Tumorradikalität. In der Regel wird die Resektion von der Funduskuppe bis in die Mitte der kleinen Kurvatur des Magens mit mehreren Magazinen eines linearen Staplers unter Ausbildung eines Magenschlauchs durchgeführt (. Abb. 2.31). Die Kardia verbleibt dabei am Ösophagusresektat. Beim Kardiakarzinom werden zusätzlich große Anteile des Fundus, ggf. zusammen mit der Milz, reseziert. Das Kardiakarzinom kann auch durch eine Gastrektomie therapiert werden (7 Abschn. 2.5.6). Die Ernährung des Magenschlauchs wird durch die A. gastrica dextra und A. gastroomentalis dextra, die bei der Präparation an der kleinen und großen Kurvatur geschont wurden, gewährleistet. Die Mobilität des Magenschlauchs nach kranial wird durch die Duodenalmobilisation nach Kocher (7 Abschn. 2.5.7) erzielt. Die Klammernahtreihe am Restmagen kann fortlaufend mit einer dünnen resorbierbaren Naht eingestülpt werden.

2. OP-Schritt (kollarer Zugang): 5 Hautschnitt am Hals an der Innenseite des linken M. sternocleidomastoideus, Durchtrennung von Platysma und Halsfaszie. 5 Die Schilddrüse wird mit Langenbeck-Haken zur Mitte gezogen, der zervikale Ösophagus von der Trachea abpräpariert und angeschlungen. Dabei muss auf den N. recurrens geachtet werden. 5 Stumpfes Auslösen der Speiseröhre aus dem Mediastinum, sowohl vom zervikalen als auch vom abdominalen Zugang her. 5 Der mobilisierte Ösophagus wird aus der Halswunde gezogen, danach der Restmagenschlauch nach oben geführt. Der kraniale Ösophagusanteil wird mit einer weichen Klemme gefasst und das Resektat abgesetzt. 5 Alternativ werden Ringstripper oder Knopfsonden eingesetzt. Sie werden nach der Durchtrennung des Ösophagus im Halsbereich in die Speiseröhre geschoben, um diese damit nach abdominal zu ziehen und so zu entfernen.

2

66

Kapitel 2 · Allgemeinchirurgie und Viszeralchirurgie

fortlaufende Naht ist möglich. Bei manuellen Anastomosennahttechniken sollten aus theoretischen Überlegungen doppelte Nahtreihen vermieden werden, da sie zur Durchblutungsminderung an der Anastomose führen können.

2

OP-Verlauf: Stapleranastomose

5 Über eine kleine Inzision im distalen Anteil des a

b . Abb. 2.31a, b Speiseröhrenersatz durch Interposition eines Magenschlauchs. (Aus Siewert u. Stein 2012)

Magenschlauchs wird ein zirkulärer Anastomosenstapler geführt, am Ende des Magenschlauchs wird mit der Spitze des Zentraldorns perforiert, zuvor wird die Gegendruckplatte in den zervikalen Ösophagusstumpf mit einer Tabakbeutelnaht eingeknotet. 5 Das Klammernahtinstrument wird mit der Gegendruckplatte verbunden und nach dem Zusammendrehen wird der Klammermechanismus ausgelöst. Damit entsteht eine zirkuläre Anastomose. Die beiden innen liegenden Anastomosenringe müssen auf ihre Vollständigkeit überprüft und danach zur histologischen Untersuchung eingesendet werden. Die kleine Inzision im Magenschlauch kann mit einem linearen Stapler wieder verschlossen werden. 5 Zählen aller Textilien und Instrumente, Dokumentation ihrer Vollzähligkeit. Bei Bedarf wird im Halsbereich eine Redon-Drainage gelegt, schichtweiser Wundverschluss, Verband.

jAlternativen

Die hohe intrathorakale Anastomose wird vielfach bevorzugt, da bei kollaren Anastomosen oft Stenosen mit Durchblutungsstörungen im Anastomosenbereich auftreten können. Für die nun folgende Ösophagogastrostomie gibt es 2 Möglichkeiten.

OP-Verlauf: Handnahtanastomose

5 Die Muskulatur des Ösophagus wird mit der Serosa des Magenfundus anastomosiert. Nach der Lumeneröffnung des Magenschlauches folgt eine allschichtige Hinterwandnaht als zweite Nahtreihe. 5 Je nach Nahttechnik können bei zweireihiger Naht die Knoten der ersten Vorderwandnaht lumenseitig ausgeführt werden. Darüber Anlage einer fortlaufenden zweiten Nahtreihe. Auch eine einreihige

4 Maschinelle intrathorakale Anastomose, anwendbar beim mittleren und distalen Ösophaguskarzinom. Dabei wird nach Anlage einer Tabakbeutelnaht die Gegendruckplatte eines zirkulären Staplers von abdominal in den vorbereiteten Ösophagusstumpf eingeführt. 4 Zweihöhleneingriff mit rechtsseitiger Thorakotomie, nach Umlagerung mit Hand- oder Stapleranastomose. 4 Koloninterponat (. Abb. 2.32). Auch beim Ösophaguskarzinom werden in spezialsierten Zentren die Eingriffe minimal-invasiv vorgenommen.

Inoperables Ösophaguskarzinom Wenn prä- oder intraperativ festgestellt wird, dass ein Ösophaguskarzinom nicht mehr resezierbar ist, erfolgt die innere Schienung im Tumorbereich. Hierbei wird durch Tubuseinlage zumindest eine freie Passage für Flüssigkeiten und pürierte Speisen erreicht. Dazu werden Tubus-

67 2.5 · Magen

a

. Abb. 2.33 Technik der Metallstentimplantation: Distale Freisetzung über den Applikator. (Aus Riemann u. Mössner 2004)

oder aus der Stenose rutschen kann. Außerdem kann es zur Arrosion kommen. Die Buess-Endoprothese ist z. B. daher so konstruiert, dass sie ohne großen Aufwand gewechselt werden kann. Sie hat am proximalen Ende eine Schlaufe, die das Fassen und Entfernen erleichtert. b . Abb. 2.32a, b Speiseröhrenersatz durch Kolon (linke Kolonflexur mit Colon transversum, ggf. mit rechter Kolonflexur, gestielt an der A. colica sinistra). (Aus Siewert u. Stein 2012)

2.5

M. Liehn, L. Steinmüller 2.5.1

typen nach Häring, Celestine oder Buess sowie selbstexpandierende Stents aus Metallgeflecht verwendet. Je nach Behandlungskonzept geht eine Bestrahlung des Tumors voraus, die das Gewebe festigt und damit bei der Dehnung durch den Tubus die Gefahr einer Schleimhautzerreißung verringert. Die Platzierung des Tubus bzw. der Stents wird zumeist endoskopisch vorgenommen (. Abb. 2.33); eine operative Tubuseinlage über eine Gastrotomie erfolgt heute nur noch selten. Nachteil der Endoprothese ist, dass sie verstopfen

Magen

Anatomie

Der Magen ist ein muskuläres Hohlorgan, das in 3 Abschnitte unterteilt werden kann: 4 Fundus, 4 Korpus, 4 Antrum. Der Mageneingang wird als Kardia, der Magenausgang als Pylorus bezeichnet, kranial liegt die kleine Kurvatur, kaudal die große Kurvatur.

2

68

2

Kapitel 2 · Allgemeinchirurgie und Viszeralchirurgie

Folgende 4 Wandschichten werden von innen nach außen unterschieden: Mukosa → Submukosa → Muskularis → Serosa. Die verschiedenen Zelltypen der Mukosa produzieren folgende Substanzen: 4 Salzsäure in den Parietal- oder Belegzellen der Korpus- und Fundusdrüsen, 4 Gastrin in der Antrumschleimhaut, 4 Schleim in den Nebenzellen, v. a. in der Pylorusregion, 4 Pepsinogen in den Hauptzellen. Die täglich produzierte Magensaftmenge beträgt 3.000 ml. Dabei werden in den 9 Nachtstunden 60% der täglichen Salzsäuremenge sezerniert. Die Säureproduktion unterliegt den folgenden Einflüssen: Vagusreiz → Magenwanddehnung → Gastrinausschüttung → Fettresorption im Duodenum. Der Magen ist im Bereich der Kardia am Zwerchfell fixiert, mit der Leber durch das Lig. hepatogastricum, mit der Milz durch das Lig. gastrosplenicum und zum Querkolon über das Lig. gastrocolicum verbunden. Das Omentum minus (kleines Netz oder auch Lig. hepatogastricum) nimmt von der kleinen Kurvatur seinen Ausgang, das Omentum majus (großes Netz) von der großen Kurvatur.

Von der A. hepatica communis entspringt die zartere A. gastrica dextra, die durch Arkaden an der kleinen Kurvatur mit der A. gastrica sinistra verbunden ist. Auch die große Kurvatur wird ähnlich von Gefäßen umfasst. Links verläuft die A. gastroomentalis sinistra (sie entspringt aus der A. splenica), rechts die A. gastroomentalis dextra (aus der A. gastroduodenalis). Die Aa. gastricae breves, die aus der A. gastroomentalis sinistra bzw. aus der A. splenica entspringen, versorgen den Fundus und einen Teil des Korpus (. Abb. 2.34). ! Die Blutversorgung der kleinen Kurvatur erfolgt aus den Aa. gastricae sinistra et dextra, die Blutversorgung der großen Kurvatur aus den Aa. gastroomentales sinistra et dextra.

Die venöse Drainage erfolgt über die Vv. gastricae sinistra et dextra und die Vv. gastroomentales sinistra et dextra in die V. portae. Der um die Kardia gelegene Venenplexus stellt eine Verbindung zwischen dem System der Pfortader und dem der V. cava her. Die Lymphbahnen sammeln die Lymphe unter der Serosa, hauptsächlich im Bereich der kleinen Kurvatur.

2.5.2

Allgemeines zur Magenchirurgie

Gefäßversorgung Bis auf das Fundusgebiet ist der Magen reichlich durchblutet. Sein Hauptarterienstamm ist der Truncus coeliacus. Von diesem zweigt die kräftige A. gastrica sinistra ab, um in der Nähe der Kardia die kleine Kurvatur zu erreichen.

Tr. coeliacus

Indikationen Es bestehen folgende Behandlungsindikationen: 4 Ausschließlich konservativ: entzündliche Veränderungen, dyspeptisch-ulzeröse Störungen.

A. oesophagea

A. hepatica communis A. phrenica inferior A. gastrica dextra

A. gastrica sinistra

A. splenica

A. gastroduodenalis

A. mesenterica superior A. gastroomentalis sinistra A. pancreaticoduodenalis superior A. gastroomentalis dextra

A. pancreaticoduodenalis inferior . Abb. 2.34 Arterielle Gefäßversorgung des Magens

A. mesenterica superior

69 2.5 · Magen

4 Vorwiegend konservativ: Ulkusleiden, unkomplizierte Ulkusblutung. 4 Chirurgische Therapie: komplizierte Ulkusblutung, Ulkusperforation, Magenausgangstenose als Spätkomplikation, Magenkarzinom. Etwa 10% unserer Bevölkerung entwickeln im Laufe ihres Lebens gastroduodenale Ulzerationen. Die Ulkuskrankheit verläuft chronisch, schubweise rezidivierend. Bei ansteigender Ulkushäufigkeit sinkt die OP-Frequenz dank medikamentöser Behandlungsmöglichkeiten.

Operation Als Zugangsweg in der Magenchirurgie eignet sich die quere Oberbauchlaparotomie, aber auch die mediane Oberbauchlaparotomie findet häufig Anwendung. Klammernahttechniken und manuelle Nahtverfahren werden bei Resektionen und Anastomosierungen angewendet. In der Ulkuschirurgie werden nichtresezierende und resezierende OP-Verfahren unterschieden. In der Notfallsituation richtet sich die Auswahl des OP-Verfahrens nach hausinternen Schemata und nach der Erfahrung des Operateurs.

Pathophysiologie der Ulkuskrankheit Die aggressiven Lumenfaktoren überwiegen gegenüber den defensiven Phänomenen.

jZiele der Notfallendoskopie

4 Lokalisation der Blutungsquelle, 4 endoskopische Blutstillung durch Unterspritzung. jZiele der Kontrollendoskopie

4 Verlaufsbeurteilung der Ulkusabheilung, 4 Aussage über die Gefahr einer Rezidivblutung, 4 ggf. durch Probeexzision Klärung der Ulkusdignität. Kriterien zur OP-Indikation 5 Die endoskopische Blutstillung gelingt nicht. 5 Nach schwieriger endoskopischer Blutstillung ist von der Ulkusgröße her oder bei einem großen Gefäßstumpf kurzfristig eine neue Blutung zu erwarten. 5 Die Kreislaufstabilisierung erfordert in den nächsten 24 h mehr als 4 Blutkonserven (grobe Faustregel). 5 Zusätzlich besteht eine langjährige Ulkusanamnese mit mehreren medikamentösen Behandlungsphasen.

Die Operation im Blutungsstadium weist eine erhöhte perioperative Letalität auf. Daher sollte möglichst nach endoskopischer Blutstillung und nach einer kurzen Stabilisierungsphase die sog. früh-elektive Operation unter dann optimalen Bedingungen durchgeführt werden.

Ulkusperforation Aggressive Lumenfaktoren 4 Säure, Pepsin, 4 endogen zytotoxische Substanzen, 4 Gallensäuren, Lezithin etc.

Defensive Phänomene 4 Durchblutung, 4 intakte Schleimhautbarriere (adäquater Schleim, regelrechte Epithelregeneration) und ausreichende Bikarbonatsekretion. Zwar gilt »ohne sauren Magensaft kein peptisches Geschwür«, jedoch bestehen weitere Faktoren, die zur Ulkusentstehung beitragen können. 4 Die wichtigste Ursache ist die Keimbesiedelung mit Helicobacter pylori. Die sog. Eradikationsbehandlung dieses Keimes führt zu einer deutlichen Senkung von Ulkusrezidiven.

Komplikationen des gastroduodenalen Ulkus Blutung Mit einer Häufigkeit von 20% stellt die Blutung die häufigste Komplikation dar. Die Endoskopie klärt, ob weiter konservativ behandelt werden kann.

Die Häufigkeit beträgt 10%. Wie auch die Blutung kann die Perforation die erste klinische Manifestation des Ulkusleidens darstellen. Die freie Perforation tritt klinisch als »akutes Abdomen« mit den Zeichen der Peritonitis in Erscheinung. Bei der Untersuchung findet man ein »bretthartes Abdomen«. Die Diagnose wird durch die Röntgenuntersuchung des Abdomens und des Thorax am stehenden Patienten gesichert; hierbei wird freie Luft unter dem Zwerchfell nachgewiesen. Beweisend ist freie Luft rechtsseitig zwischen Zwerchfell und Leber. Ist eine Aufnahme des stehenden Patienten nicht möglich, wird die Abdomenaufnahme in Linksseitenlage durchgeführt. (Freie Luft findet sich dann zwischen Bauchdecke und Leber.) Nach der Diagnosestellung besteht eine absolute OP-Indikation.

Magenausgangstenose Die Häufigkeit beträgt 7–11%. Die narbige Magenausgangstenose ist als Spätkomplikation chronisch-rezidivierender Ulzera anzusehen. Die bindegewebig-narbige Schrumpfung der Entzündungsreaktion um das Ulkus herum führt am Duodenalrohr zur Lumeneinengung. Klinisch anamnestisch besteht neben der langen Ulkuserkrankung eine Gewichtsabnahme mit zunehmendem Erbrechen angedauter Nahrung. Die Endoskopie, ggf. er-

2

70

2

Kapitel 2 · Allgemeinchirurgie und Viszeralchirurgie

gänzt durch die Endosonographie, mit Gewebeentnahme zur histologischen Untersuchung klärt die Dignität der Stenose. Therapeutisch kann die endoskopische pneumatische Dilatation erfolgreich sein. Bei Versagen der endoskopischen Therapie besteht die absolute OP-Indikation, jedoch mit aufgeschobener Dringlichkeit.

Konservative Ulkustherapie Die medikamentöse Therapie macht wiederholte endoskopische Kontrollen erforderlich. Neben säureblockierenden Medikamenten werden mit gutem Erfolg Antibiotika im Rahmen einer zeitlich befristeten Eradikationsbehandlung eingesetzt.

Operative therapeutische Verfahren Nichtresezierende Verfahren Diese Verfahren wurden besonders in den 60er Jahren angewendet, bevor die medikamentöse Therapie des Ulkusleidens möglich wurde. Die Bedeutung der Vagotomie für die Ulkuschirurgie ist abnehmend, deshalb hier nur kurz erwähnt. ! Bei allen Vagotomieverfahren gilt, dass eine Pyloroplastik erforderlich wird, wenn das Antrum denerviert wird oder wenn der Magenausgang durch Vernarbungen funktionell stenosiert ist.

2.5.3

Selektive proximale Vagotomie

Vollständige Denervierung des proximalen Magens, also der Fundus- und Korpusanteile. So kann die antrale Innervation erhalten bleiben (. Abb. 2.35). Die SPV sollte nach ihren Befürwortern mit einer sog. Drainageoperation (Pyloroplastik) kombiniert werden, die aber nicht erforderlich ist, wenn der Pylorus intakt und gut durchlässig ist. Der Vorteil liegt in der Erhaltung der normalen Verdauungsfunktionen, des Magenreservoirs und der Duodenalpassage. Von Nachteil ist, dass das Ulkus belassen wird.

Denervierungsbereich . Abb. 2.35 Selektiv proximale Vagotomie. (Aus Siewert u. Stein 2012)

2.5.4

Pyloroplastik

Das Prinzip der Pyloroplastik beruht darauf, dass mit einer Stauchung des Duodenalrohres zwar eine Verkürzung der Rohrlänge, aber gleichzeitig eine Lumenerweiterung am Rohrquerschnitt erzielt werden kann.

Pyloroplastik nach Heinecke-Miculicz Diese Technik hatte in der nichtresezierenden Ulkuschirurgie ihren festen Platz. kIndikation

4 Als Folgeeingriff nach einer Vagotomie, um die Öffnungslähmung des Pylorus zu beseitigen. 4 Bei einer Pylorusstenose durch Narbenbulbus. 4 Bei einem Pylorospasmus. kPrinzip

Längsinzision des Pylorus und Quervernähung. Trunkuläre Vagotomie Durchtrennung der Vagushauptstämme am distalen Ösophagus, damit Ausschaltung auch der extragastralen Äste der Leber, zum Kolon und zum Pankreas. Selektiv gastrische Vagotomie Die extragastralen Äste werden isoliert präpariert und geschont. Alle zum Magen ziehenden Äste werden durchtrennt. Diese Operationen sind laparoskopisch durchführbar, verlieren aber weiter an Bedeutung.

kLagerung

Rückenlage, leicht überstreckt, Dispersionselektrode an einem Oberschenkel. kInstrumentarium

Grund- und Laparotomieinstrumentarium, 4 Allis-Klemmen, 4 bei Bedarf Rochard-Haken, 4 evtl. linearer Verschlussstapler.

71 2.5 · Magen

Malignom OP-Verlauf: Pyloroplastik

5 Hautdesinfektion, sterile Patientenabdeckung, Team-Time-out.

Bei inoperablen Tumoren, die zu einer Magenausgangstenose führen, kann palliativ ein selbstexpandierender Stent endoskopisch platziert werden.

5 Obere quer verlaufende oder mediane Laparoto-

5

5 5 5

mie, Exploration, Leberhaken und/oder Rahmen einsetzen. Um den Pylorus übersichtlich darzustellen, sollte das Duodenum nach Kocher aus dem Retroperitoneum ausgelöst werden (KocherManöver, 7 Abschn. 2.5.7). Legen von Haltefäden beidseits des Pylorus. Längsinzision des Pylorus streng in der Vorderwandmitte auf ca. 8–10 cm. Hierbei verläuft ein Teil des Schnittes ins Antrum, der andere Teil zum Duodenum. Die Mukosa wird mit dem Elektrokauter durchtrennt. Der in die Schnittlinie fallende hypertrophische Teil des Pylorus oder das Vorderwandulkus wird reseziert. Mit den in der Pyloruslinie angelegten Haltenähten wird die Wunde so auseinander gezogen, dass sie eine zur Magenlängsachse quer liegende Wunde formt. Diese Wunde wird in der Originalschrift nach Heinecke zweireihig, durch eine innere Mukosanaht und eine äußere Serosanaht, vernäht. Schichtweiser Wundverschluss, Verband.

2.5.5

Magenresektion

Die Resektionsverfahren basieren auf den von Theodor Billroth entwickelten OP-Methoden. Es werden in der Ulkuschirurgie unterschiedliche Resektionsausmaße unterschieden: 4 Wird nur das Antrum reseziert, sollte eine Kombination mit der SPV erfolgen. 4 Bei der »klassischen« Zweidrittelresektion des Magens sollen neben der Antrumentfernung auch die säurebildenden Zellen durch Verkleinerung des Magenkorpus reduziert werden. Dieses resezierende Vorgehen wird dann erforderlich, wenn eine einfache Übernähung bzw. Umstechung bei Ulkusperforation/-blutung nicht möglich ist. Außerdem wird es bei der Magenausgangstenose, häufig bei der endoskopisch/konservativ nicht beherrschbaren Ulkusblutung und in den Fällen einer Ulkusperforation angewendet, bei denen wegen Ulkusgröße oder entzündlicher Begleitreaktion eine Übernähung nicht möglich ist. kIndikation

Alternative nach Weinberg

5 Nach Weinberg wird einreihig genäht, mit einer nach innen versenkten seromuskulären Knopfnahtreihe. 5 Die Anastomose kann ebenfalls maschinell durchgeführt werden.

4 4 4 4 4

Ulcus ventriculi, selten Ulcus duodeni, jedoch bei komplizierter Blutung, bei komplizierter Ulkusperforation, bei Magenausgangstenose.

kPrinzip

Pyloroplastik nach Finney Die Pyloroplastik nach Finney schafft eine breitere Verbindung zwischen Magen und Duodenum als die Methode nach Heinecke-Miculicz. U-förmige Schnittführung an Duodenum, Pylorus und Magen, zumeist verbunden mit einer Exzision des narbigen Ulkus. Diese beiden Abschnitte werden durch eine Seit-zu-Seit-Anastomose wieder verschlossen.

Resezierende Verfahren Magenanteile werden entfernt und die Nahrungspassage wird wiederhergestellt. Dies ist mit verschiedenen Anastomosenformen möglich.

Klassische Methode: Zweidrittelresektion des Magens, einschließlich des Pylorus mit anschließender Wiederherstellung der Nahrungspassage. kLagerung

4 Rückenlage, leicht überstreckt, 4 neutrale Elektrode an einem Oberschenkel. kInstrumentarium

4 4 4 4 4 4

Grund- und Laparotomieinstrumentarium, weiche Darmklemmen, 90° abgewinkelte Klemmen, Rahmen, Rochard-Haken, im Ausnahmefall Magenklemmen (z. B. Moynihan, Billroth), 4 langes, lineares Klammernahtinstrument, Einzelclipstapler,

2

72

Kapitel 2 · Allgemeinchirurgie und Viszeralchirurgie

2

5

5 5 . Abb. 2.36 LigaSure-Gerät mit möglichen Instrumenten. (© Fa. Covidien)

4 LigaSure, ein Instrument, das durch den thermischen Effekt Gefäße versiegelt, indem das Kollagen der Gefäßwände verschmolzen wird (. Abb. 2.36). (Alternativinstrumente: EnSeal, Fa. Ethicon; Instrumente, die Ultraschall und bipolare Technik miteinander verbinden: Thunderbeat, Fa. Olympus). 4 Alternativ Ultraschalldissektionsinstrumente oder bipolare Schere.

5

5

OP-Verlauf: Magenresektion

5 Hautdesinfektion, sterile Patientenabdeckung, 5

5

5

5

Team-Time-out. Quer verlaufende oder mediane Oberbauchlaparotomie mit ggf. linksseitiger Umschneidung des Nabels. Nach der Revision des Abdomens mit ausgedehnter Exploration werden Leberhaken, der passende Rochard-Haken und bei Bedarf ein Rahmen eingesetzt. Die Magenteilresektion beginnt mit der magennahen Skelettierung der großen Kurvatur unter Erhalt der gastroomentalen Gefäße. Der OP-Assistent übt unter Anspannung des Lig. gastrocolicum Zug am Colon transversum aus. Mit seiner Durchtrennung ist die Bursa omentalis eröffnet; die Skelettierung wird nach proximal bis zu den kurzen Magenarterien fortgesetzt, entweder mit Rinne und Deschamps, mit OverholtKlemmen und Ligaturen oder mit einem Einzelclipstapler. Verklebungen der Magenhinterwand mit dem Pankreas werden stumpf oder scharf gelöst. Am Pylorus wird direkt an der Magenwand präpariert,

5

um die A. gastroomentalis dextra zur Durchblutung des großen Netzes erhalten zu können. Äste der A. gastroomentalis dextra werden ligiert. Zur Skelettierung der kleinen Kurvatur wird in das kleine Netz eingegangen. Zum Duodenum hin wird die A. gastrica dextra, zur Kardia hin die A. gastrica sinistra unter einer doppelten Ligatur abgesetzt. Circa 5 cm unterhalb der Kardia wird die Skelettierung vorläufig beendet und somit die Resektionslinie festgelegt. Nach dem Absaugen und dem Zurückziehen der Magensonde kann der Magen kranial abgesetzt werden. Er wird in der Regel mit dem linearen Verschlussstapler geklammert. Ebenso kann zwischen 2 Klemmen durchtrennt werden; dabei muss am verbleibenden Magenteil eine weiche Klemme zum Einsatz kommen. Der Restmagen wird mit einer fortlaufenden Naht bis zur Anastomosenlinie verschlossen. Nach dem Einsatz eines Staplers wird der Magen abgesetzt, die doppelte Klammernahtreihe kann serosiert werden. Die Skelettierung wird über den Pylorus hinaus vervollständigt. Zur übersichtlichen Präparation kann der distale Magenanteil heruntergeschlagen werden. Die Absetzung des Duodenums erfolgt offen oder zwischen 2 Klemmen (z. B. 90° abgewinkelte oder weiche Darmklemmen). Sie kann auch mit einem linearen Stapler erfolgen. Bei Präparation bis dicht an das Lig. hepatoduodenale heran sollte offen abgesetzt werden, da dann palpatorisch der Abstand der Papille zum Resektionsrand ausgemacht werden kann.

Anastomose nach Billroth I Diese Anastomosenform stellt die Duodenalpassage wieder her (. Abb. 2.37). Die Anastomosennähte können grundsätzlich ein- oder zweireihig fortlaufend oder in Einzelknopftechnik ausgeführt werden.

OP-Verlauf: Billroth I 5 Nach der Resektion wird der Restmagen an den Duodenalstumpf angenähert. Dieses sollte spannungsfrei möglich sein, in der Regel muss zuerst das Duodenum nach Kocher mobilisiert werden (7 Abschn. 2.5.7). Ein 6–7 cm langer Streckengewinn ist durch das Kocher-Manöver möglich. Komplett ausgeführt lässt sich anschließend der

73 2.5 · Magen

5 cm

2 cm

a

b

c . Abb. 2.37a–c Magenresektion nach Billroth I. a Schematische Darstellung des Resektionsausmaßes. b Situs nach Antrektomie vor Anastomosierung. c Abschließende Situation nach Gastroduodenostomie. (Aus Siewert u. Brauer 2010)

Pankreaskopf dorsal umfassen, und der Einblick auf die V. cava ist möglich. 5 Bei Staplerverschluss des Magenstumpfes und des Duodenums müssen die Klammernahtreihen am Duodenalstumpf und an der großen Kurvatur des Restmagens auf Anastomosenweite entfernt werden. 5 Der Magenrest und das Duodenum werden mit je einer weichen Klemme gefasst oder mit Haltefäden einander genähert, damit zunächst die seromuskuläre Hinterwandnaht ausgeführt werden kann. 5 Die beiden Eckfäden bleiben lang und dienen als Haltenähte. Die Vorderwandnaht wird wieder fortlaufend oder in Einzelknopftechnik ausgeführt. Am Schwachpunkt der Billroth-I-Anastomosen-

technik, der sog. »Jammerecke», treffen die Anastomosennähte mit der Nahtreihe des Magenstumpfverschlusses zusammen. Zur Sicherung wird eine zusätzliche U-Naht gelegt. 5 Nach der Staplerresektion wird häufig erst die Hinterwandnaht seromuskulär genäht, dann werden die Klammern exzidiert. Anschließend wird eine zweite lumenseitige Nahtreihe ausgeführt und die Anastomose mit der Vorderwandnaht beendet. 5 Vor dem Verschluss der OP-Wunde kann eine Zieldrainage gelegt werden, v. a. nach intensiver Präparation in der Pankreaskopfregion. 5 Blutstillung, Kontrolle der Textilien und der Instrumente, Dokumentation der Vollzähligkeit, schichtweiser Wundverschluss, Verband.

2

74

Kapitel 2 · Allgemeinchirurgie und Viszeralchirurgie

kLagerung

Magenresektion und Anastomose nach Billroth II

2

Siehe Magenresektion.

Bei dieser Anastomosenform wird die Duodenalpassage ausgeschaltet, der Duodenalstumpf muss also verschlossen werden. Zahlreiche Modifikationen sind bekannt. Die zur Anastomose benötigte Jejunumschlinge kann sowohl anteals auch retrokolisch hochgezogen werden; dies hängt u. a. von der Mobilität der Jejunumschlinge und der Beschaffenheit des Mesocolon transversum und des großen Netzes ab. Die Gastroenterostomie nach Y-Roux ist heute ebenfalls weit verbreitet (s. unten). Obwohl die maschinellen Techniken sich immer mehr durchsetzen, wird im Folgenden auch die Handnaht angesprochen.

kInstrumentarium

Siehe Magenresektion und zusätzlich ein linearer Anastomosenstapler.

OP-Verlauf: Billroth II

5 Der OP-Zugang, die Skelettierung und die Magen-

kIndikation

4 Verwachsungen des Duodenums, die erhebliche technische Schwierigkeiten bei der Mobilisation verursachen (z. B. Perforation mit Peritonitis), sodass eine spannungsfreie Billroth-I-Anastomose nicht möglich ist; 4 subtotale Resektion in der Karzinomchirurgie.

5

kPrinzip

Zweidrittelresektion des Magens mit Duodenalblindverschluss und anschließender Gastrojejunostomie mit Braun-Fußpunktanastomose (. Abb. 2.38). Dabei kann die Jejunalschlinge sowohl antekolisch als auch retrokolisch (wie beschrieben) hochgezogen werden. 5

5

b

a . Abb. 2.38a, b Magenresektion nach Billroth II. a Schematische Darstellung des Resektionsausmaßes und der Schlingenführung. b Abschließende Situation nach antekolischer Gastrojejunostomie mit Braun-Fußpunktanastomose. (Aus Siewert u. Stein 2012)

5

teilresektion erfolgen in der gleichen Weise wie bei der Billroth-I-Resektion beschrieben. Nach der Skelettierung über das Duodenum hinaus werden 2 Haltefäden an den Übergang zwischen Magen und Duodenum gelegt und angeklemmt. Danach kann das Duodenum mit einer 90° gewinkelten Klemme abgeklemmt und das Resektat abgesetzt werden. Der Blindverschluss des Duodenalstumpfes erfolgt meist durch eine doppelte Tabakbeutelnaht. Bei der Anwendung von Staplern kann das Duodenum mit einem linearen Anastomosenstapler geklammert und durchtrennt werden. Danach sollte der Stumpf zusätzlich übernäht werden, um einer Nahtinsuffizienz sicher vorzubeugen. Die Duodenalstumpfinsuffizienz ist mit einer Letalität von 50% belastet. Je nach Ulkus- oder Narbenlokalisation kann der Duodenalstumpfverschluss technisch schwierig sein. Die Magen-Darm-Passage wird mit einer 60–80 cm langen Jejunumschlinge, ca. 40 cm hinter dem Treitz-Band, hergestellt. Am angehobenen und im Gegenlicht ausgespannten Mesocolon transversum wird ein gefäßfreier Abschnitt gesucht und mit Overholt-Dissektion und Ligaturen oder maschinell eine 6–8 cm lange Öffnung gebildet, durch die die Jejunumschlinge spannungsfrei bis an den Magen ante- oder retrokolisch hochgezogen werden kann (antekolisch; . Abb. 2.38). Der Nahtverschluss des Mesokolonschlitzes ist obligat, variabel ist der Zeitpunkt. Manche Chirurgen ziehen es vor, diesen Schritt erst am Ende der Operation zu machen. Am Scheitelpunkt der Jejunumschlinge wird eine Seit-zu-Seit-Anastomose mit dem Magenrest hergestellt, die eine Lumenweite von ca. 6 cm aufweist. Dazu wird das Jejunum an die Magenhinterwand gelegt und oral der Klammerreihe am Magenrest mit Ecknähten fixiert, die als Haltefäden dienen. Der Magen und die Jejunumschlinge werden mit dem Elektrokauter eröffnet, das Lumen abgesaugt oder trockengetupft.

75 2.5 · Magen

5 Nach der Naht der Anastomosenhinterwand werden die Mukosa- und die Serosavorderwand vernäht. 5 Alternativ sind ein- oder zweireihige sowie Einzelknopf- oder fortlaufende Nahttechniken üblich. 5 Eine Braun-Fußpunktanastomose unterhalb des Mesokolonschlitzes soll einen jejunogastrischen Reflux verhindern. Zu- und abführender Jejunumschenkel werden über ca. 4–8 cm Länge eröffnet und Seit-zu-Seit anastomosiert. Diese Naht wird ein- oder zweireihig ausgeführt. 5 Nach der Zählkontrolle der Textilien und der Instrumente sowie der Dokumentation der Vollständigkeit beenden der schichtweise Wundverschluss und der Verband die Operation.

OP-Verlauf: Stapleranastomose

5 Stapleranastomose mit linearem Stapler oder linearem Anastomosenklammernahtinstrument zur Erstellung einer Seit-zu-Seit-Anastomose: beide aneinander gelegten Jejunumschenkel werden mit je einer kleinen Stichinzision versehen, nachdem die Anastomosenlänge mit 2 Haltefäden markiert wurde. 5 Zur Herstellung der Braun-Anastomose werden beide Branchen des linearen Anastomosenstaplers in die Öffnungen eingeführt, miteinander verbunden und das Instrument ausgelöst. 5 Nach Kontrolle der Anastomosenlinien auf Bluttrockenheit können die Inzisionsöffnungen schnell mit einem linearen Klammernahtinstrument verschlossen werden.

Billroth II und Gastroenterostomie nach Y-Roux Diese Anastomosenform wird zumeist gewählt, wenn eine spannungsfreie Anastomose nach Billroth I technisch nicht möglich ist. Der gallige Reflux wird sicherer verhindert als bei der klassischen Billroth-II-Magenresektion. Daher wird die Y-Roux-Technik oft bevorzugt. Wie beim klassischen Billroth II wird der Magen abgesetzt und das Duodenum blind verschlossen. Die gastrointestinale Passage wird wiederhergestellt, indem eine ausreichend mobile, obere Jejunumschlinge aufgesucht und etwa am Scheitelpunkt durchtrennt wird. Der abführende aborale Teil dieser Schlinge wird an den Magenstumpf hochgezogen und dort End-zu-Seit-anastomosiert. Etwa 40 cm unterhalb der Gastrojejunostomie wird der zuführende orale Jejunumschenkel End-zu-Seit mit dem

a b . Abb. 2.39a, b Distale Magenresektion mit Roux-Y-Anastomose. a Nach Aufsuchen der 1. Jejunalschlinge wird diese durchtrennt und das nach oral führende Ende der Schlinge blind verschlossen. Zunächst wird eine End-zu-Seit-Anastomose (Gastrojejunostomie) zum Magen ausgeführt (abführende Schlinge). b Distale Magenresektion und Rekonstruktion mit Gastrojejunostomie End-zu-Seit in Roux-YKonfiguration. Die zuführende Schlinge vom Duodenalstumpf ist ca. 40 cm distal der Gastrojejunostomie End-zu-Seit eingepflanzt. (Aus Siewert u. Stein 2012)

abführenden aboralen Jejunumschenkel verbunden. Dies kann entweder mit Handnaht (Jejuno-Jejunostomie nach Y-Roux; . Abb. 2.39) oder in Staplertechnik erfolgen (s. oben). Bei der alleinigen Gastroenterostomie (GE) nach Y-Roux (Indikation: nicht resezierbare Magenausgangstenose) wird ohne vorherige Magenteilresektion die dargestellte Jejunumableitung angelegt. Auch in der Magenchirurgie sind viele Eingriffe laparoskopisch durchführbar (7 Abschn. 2.15.8).

2.5.6

Operation des Magenkarzinoms

Für die Entstehung des Magenkarzinoms werden ursächlich im Rahmen der Nahrungsaufnahme entstehende Karzinogene verantwortlich gemacht. Die Häufigkeit des Magenkarzinoms nimmt insgesamt ab. Bei einem Überwiegen der Männer in der Geschlechterverteilung liegt der Häufigkeitsgipfel bei Männern im 6., bei Frauen im 5. Lebensjahrzehnt. Nur etwa ein Drittel der Patienten mit Magenkarzinom, die in chirurgische Behandlung kommen, können nach intraoperativem und histologischem Befund kurativ radikal operiert werden. Hauptgrund sind nur unspezifische Symptome, die den Patienten oft zu spät zum Arzt führen.

2

76

Kapitel 2 · Allgemeinchirurgie und Viszeralchirurgie

Symptome

2

Folgende »Leitsymptome« können jedoch erste Hinweise liefern: 4 diffuse Oberbauchschmerzen mit gelegentlich dumpfen Dauerschmerzen, 4 fehlende Regelhaftigkeit der Schmerzen, Druckund Völlegefühl, 4 Leistungsknick, Abgeschlagenheit (Anämie), 4 Teerstühle, 4 Dysphagie bei kardianaher Lokalisation, 4 Magenentleerungsstörung bei präpylorischer Lokalisation.

a

Diagnose Die Diagnose muss durch Gastroskopie mit u. U. mehrfacher Biopsieentnahme gesichert werden. Bei einer submukösen zirrhösen Ausbreitung kann die Biopsie mehrfach negativ sein. Röntgenologisch lässt sich bei der Kontrastmitteluntersuchung eine Wandstarre darstellen. Die Abdomensonographie dient dem Ausschluss bzw. Nachweis von (Leber)metastasen. Mit der CT-Untersuchung lassen sich Metastasen und Tumorinfiltration als mögliche Kriterien der Inoperabilität darstellen. Die Endosonographie bietet als neue Technik zusätzliche Beurteilungsmöglichkeiten.

Lokalisation Das Magenkarzinom entsteht bevorzugt im Antrum, in der kleinen Kurvatur oder im Fundus-Kardia-Bereich. In 10% der Fälle wächst das Karzinom multizentrisch.

Operative Therapie ! Als Grundsatz gilt, dass jedes Magenkarzinom, das mit kurativem Ansatz operiert werden soll, radikal operiert wird.

Das bedeutet, dass die Gastrektomie mit Entfernung des großen und des kleinen Netzes durchgeführt wird. Ob die ausgedehnte Lymphadenektomie eine Prognoseverbesserung bezüglich Rezidivfreiheit und Überlebenszeit mit sich bringt, ist noch nicht nachgewiesen. Die Milzentfernung ist nur dann indiziert, wenn durch die Karzinomlokalisation im oberen Magenkorpus/-fundus ein Lymphknotenbefall am Milzhilus wahrscheinlich wird. Bei Nachweis eines lokal fortgeschrittenen Tumors ist eine Prognoseverbesserung durch eine präoperative neoadjuvante Chemotherapie möglich. An die Magenentfernung schließt sich die Herstellung einer Anastomose zwischen Ösophagus und Jejunum an (. Abb. 2.40 und . Abb. 2.41).

b

c . Abb. 2.40a–c Standardrekonstruktion nach a subtotaler Magenresektion (Billroth II), b totaler abdominaler Gastrektomie (Ösophagojejunoplicatio mit Pouch), c transmediastinal erweiterter totaler Gastrektomie (Ösophagojejunostomie nach Roux-Y). (Aus Siewert u. Stein 2012)

77 2.5 · Magen

4 ein zirkuläres Anastomosenklammernahtinstrument, 4 LigaSure (. Abb. 2.36) oder andere Energieinstrumente, 4 alternativ: Ultraschalldissektionsinstrumente.

OP-Verlauf: Gastrektomie

5 Hautdesinfektion, sterile Patientenabdeckung, Team-Time-out.

5 Quer verlaufende, bogenförmige Oberbauchlaparotomie oder obere mediane Laparotomie.

5 Über eine ausgedehnte Exploration des Abdomens a

b

5 c . Abb. 2.41a–c Magenersatz mittels Ösophagojejunostomie. (Aus Hansis 2000)

Gastrektomie kIndikation

4 Kardia- und Funduskarzinom, 4 andere Magenmalignome, 4 jedes Magenkarzinom, das in kurativer Hinsicht radikal operiert werden soll. 4 Auch mit palliativer Zielsetzung kann eine Gastrektomie durchgeführt werden. kPrinzip

5

5

5 5

Resektion des gesamten Magens, häufig en bloc mit Milz, großem und kleinem Netz mit Lymphknotendissektion, Vorbereitung einer ösophagointestinalen Anastomose. kLagerung

5

4 Rückenlage, leicht überstreckt, 4 Dispersionselektrode an einem Oberschenkel. kInstrumentarium

5

Grund- und Laparotomieinstrumentarium, 4 bipolare Schere, 4 weiche und harte Darmklemmen, 4 ggf. 90° abgewinkelte Klemmen, 4 Duval-Klemmen, Allis-Klemmen, 4 Rahmen, 4 Rochard-Haken, 4 Gummizügel, 4 lineare Stapler und/oder lineare Anastomosenstapler,

5

werden die Tumorausdehnung und damit die Operabilität geprüft. Die Austastung dient gleichzeitig der Suche nach verdächtigen Lymphknoten, die, soweit erreichbar, entfernt und zur histologischen Schnellschnittuntersuchung gegeben werden. Bei einem metastasierenden Karzinom muss entschieden werden, ob eine palliative Gastrektomie mit vertretbarem Risiko durchgeführt werden kann. Nach der Entscheidung zur Gastrektomie wird das große Netz mit Schere, Overholt und Ligaturen oder mit dem Elektrokauter, alternativ maschinell mit Einzelclipstapler oder bipolarer Schere, LigaSure oder Ultraschalldissektion, vom Colon transversum abpräpariert. Danach kann der Magen hochgeschlagen und evtl. vorhandene Verwachsungen können an der Hinterwand gelöst werden. Das Duodenum wird ggf. nach Kocher (7 Abschn. 2.5.7) mobilisiert. Eröffnung der Bursa omentalis an der kleinen Kurvatur, die Skelettierung erfolgt duodenalwärts, die A. gastrica dextra wird ligiert und abgesetzt. Am Magenausgang wird an der großen Kurvatur die A. gastroomentalis dextra ligiert und abgesetzt. Nach der zirkulären Präparation des Pylorus inklusive 2–3 cm des Duodenums kann Letzteres abgesetzt werden, entweder zwischen 2 Klemmen oder mit einem linearen Klammernahtinstrument. Das Absetzen mit einem Stapler zum Duodenalstumpfverschluss wird bevorzugt bei vorgesehener Rekonstruktion nach Y-Roux angewandt. Die Klammernahtreihe am Duodenum sollte übernäht werden. Die Präparation und Mobilisation des Fundus führt zum Lig. gastrosplenicum, das bei vorgesehener Milzerhaltung zwischen 2 Klemmen durchtrennt und ligiert, ggf. umstochen wird, oder mit dem LigaSure-Gerät versorgt wird (. Abb. 2.36). Der Magen wird nach kranial über den distalen Ösophagus hinaus freipräpariert, die A. und V. gastrica sinistra möglichst nahe am Truncus coeliacus abgesetzt.

2

78

Kapitel 2 · Allgemeinchirurgie und Viszeralchirurgie

5 Nach Anzügeln des Ösophagus und Unterfahren

2

mit einem Overholt wird der Magen über die liegende Magensonde noch einmal abgesaugt und die Sonde zurückgezogen. Bei vorgesehener Stapleranastomose wird am terminalen Ösophagus eine Tabakbeutelklemme angelegt und die dazugehörende Naht gelegt (. Abb. 2.40). Bei Handanastomosierung wird das Präparat zwischen Klemmen abgesetzt. 5 Die Speiseröhre wird mobiler, wenn der vordere und der hintere Vagusast koaguliert und durchtrennt werden. 5 Nach der Resektion ist die Dissektion der regionären Lymphknoten, insbesondere am Truncus coeliacus, im Hiatus beidseits des Ösophagus, am Pankreasoberrand und im Lig. hepatoduodenale leichter zu handhaben als vor der Resektion. 5 Die Rekonstruktion der Speisepassage ist auf vielen Wegen zu erreichen. Als häufigste und einfachste Rekonstruktion wird die Ersatzmagenbildung nach Y-Roux dargestellt.

Ersatzmagenbildung durch Ösophagojejunostomie (nach Y-Roux)

5 Durch die Konnektierung der Andruckplatte

5

5

5

5

mit dem Zentraldorn des Klammernahtgerätes und die Auslösung des Klammermechanismus nach dem Zusammendrehen wird die End-zu-SeitAnastomose hergestellt. Nach Entfernung des Nahtinstruments kann der offene Jejunumschenkel mit einem linearen Stapler verschlossen werden. Die Dichtigkeit der Anastomose wird folgendermaßen geprüft: – Die Geweberinge im Stapler werden auf ihre Vollständigkeit kontrolliert. – Eine gefärbte Lösung (z. B. PVP) wird vom Anästhesisten in die bereits liegende Magensonde gegeben. Anastomosen können ggf. mit einer Jejunoplicatio gedeckt werden, d. h. der überstehende Jejunumteil wird wie eine Manschette um die Anastomose gelegt und mit wenigen Nähten fixiert. Die End-zu-Seit-Anastomose der zuführenden Jejunumschlinge an die abführende Schlinge unterhalb der Mesokolonlücke wird in der Y-RouxTechnik vorgenommen. Sowohl Handnaht als auch Staplertechnik als Seit-zu-Seit-Anastomose sind möglich. Die Staplertechnik wird im Folgenden beschrieben.

Diese OP-Methode wird auch als »Krückstockanastomose» bezeichnet (. Abb. 2.41). Staplertechnik OP-Verlauf: Ersatzmagenbildung 5 Die Rekonstruktion beginnt mit dem Aufsuchen einer geeigneten mobilen Jejunumschlinge ca. 40 cm hinter dem Treitz-Band. Diese Schlinge wird so skelettiert, dass sie spannungsfrei, zumeist retrokolisch, an den Ösophagus geführt werden kann. Zwischen 2 Klemmen oder mit einem linearen Cutter wird die Schlinge durchtrennt. 5 Die Anastomosierung mit dem Ösophagus sollte End-zu-Seit mit Einzelknopfnähten oder besser mit einem zirkulären Klammernahtinstrument erfolgen. 5 In den Ösophagus wird nach Abnehmen der Tabakbeutelklemme die Andruckplatte des zirkulären Staplers in die Speiseröhre eingeführt. 5 Eine spezielle Fasszange (. Abb. 2.15) erleichtert das Einführmanöver. Die Tabakbeutelnaht wird angezogen und am Dorn geknüpft. 5 Der Stapler wird in das offene Darmende eingeführt; seitlich gegenüber dem Mesenterialansatz wird mit der Trokarspitze des Zentraldornes punktuell die Jejunalwand perforiert.

5 Eine Branche des linearen Anastomosenstaplers wird über eine Zusatzinzision in den abführenden Jejunumschenkel eingeführt, die 2. Branche kommt in dem offenen Teil des zuführenden Jejunumschenkels zu liegen. Beide Teile werden aneinander gelegt, konnektiert, und der Klammervorgang wird ausgelöst. 5 Nach der Fertigstellung wird die nun gemeinsame Inzisionsöffnung mit einem linearen Stapler verschlossen. 5 Bei retrokolischem Jejunumhochzug wird die Mesokolonlücke verschlossen, ggf. werden Drainagen in die Milzloge und subhepatisch gelegt. Nach der Zählkontrolle der Textilien und des Instrumentariums sowie der Dokumentation der Vollzähligkeit erfolgen der schichtweise Wundverschluss und Verband.

Alternativen Bei Vorliegen eines Kardiakarzinoms eignet sich die Gastrektomie in der Regel bezüglich der Lebensqualität

79 2.5 · Magen

besser als die Kardiafundusresektion. Bei letzterem Verfahren bleibt zwar Restmagen erhalten, aber häufig leiden die Patienten postoperativ an den Folgen des Magensaftrefluxes in den Ösophagus, zumal die Pylorusfunktion im Sinne einer Engstellung (bei trunkulärer Vagotomie) gestört sein kann.

Allgemeinzustand des Patienten. Neben der Gastrektomie kommen Magenteilresektionen, die Anlage einer GE und in seltenen Fällen eine chirurgische oder endoskopische Tubuseinlage in Frage. ! Das sog. Magenstumpfkarzinom in einem Restmagen wird ebenfalls durch Gastrektomie behandelt.

Reservoirbildung Neben der technisch einfachen »Krückstockanastomose« werden eine Reihe weiterer Rekonstruktionsverfahren nach Gastrektomie, z. T. mit Reservoirbildung (z. B. nach Longmire), angegeben. Bezüglich weiterer Einzelheiten wird auf OP-Lehren verwiesen. 4 Subtotale Magenresektion (Dreiviertel- bzw. Vierfünftelresektion): Dieses OP-Verfahren ist bei kurativem Ansatz nur selten indiziert (z. B. kleines Antrumkarzinom vom intestinalen Typ ohne Lymphknotenbefall, Berücksichtigung der allgemeinen OP-Risiken). 4 Palliative Operationen: Das operative Vorgehen richtet sich nach der lokalen Operabilität, nach tumorbedingten Komplikationen (Blutung, Stenosierung, Perforation) und nach dem

a

2.5.7

Kocher-Manöver

kIndikation

Duodenalmobilisierung von rechts bei Magenteilresektionen, Gastrektomien, Pyloroplastiken und Pankreasoperationen. kPrinzip

Das rechtsseitig retroperitoneal fixierte Duodenum lässt sich mit dem Pankreaskopf nach lateraler Durchtrennung der Umschlagfalte zum parietalen Peritoneum stumpf von dorsal aus dem Retroperitonealraum herauslösen. Dadurch wird das Duodenum beweglicher; ein Streckengewinn von 6–7 cm wird erreicht.

b

. Abb. 2.42a, b OP-Schritte des Kocher-Manövers zur Duodenalmobilisierung. a Die Leber wird nach oben, das Colon transversum nach unten gehalten. b Die gefäßfreie Gewebeschicht wird durchtrennt, bis die V. cava sichtbar wird und der Pankreaskopf unterfahren werden kann

2

80

Kapitel 2 · Allgemeinchirurgie und Viszeralchirurgie

OP-Verlauf: Duodenalmobilisation nach Kocher

5 Die Leber wird nach oben, das Colon transversum

2

nach unten gehalten (. Abb. 2.42a). Das Peritoneum wird lateral bogenförmig im Verlauf des Duodenums inzidiert. Mit dem Finger lässt sich dann eine dünne gefäßfreie Gewebeschicht aufladen, die das Duodenum mit dem Retroperitoneum verbindet. 5 Teils scharf mit der Schere, teils stumpf wird diese Schicht durchtrennt, bis die V. cava sichtbar wird und der Pankreaskopf unterfahren werden kann (. Abb. 2.42b).

2.6

Milz

M. Liehn, L. Steinmüller

Die Milz (Lien, Splen) liegt im linken Oberbauch vollständig intraperitoneal, ist relativ klein und wiegt ca. 150 g. Vom Hilus ausgehend zieht eine Bauchfellduplikatur, das Lig. gastrosplenicum, zum Magen. Es enthält die Vasa gastrica brevia der großen Kurvatur des Magens. Das Lig. phrenicosplenicum hält die Milz in ihrer Lage durch Fixation an der dorsalen Bauchwand. Das Lig. pancreaticosplenicum führt die A. und V. splenica aus dem Retroperitonealraum vom Pankreasschwanz zum Milzhilus. Die Milz ist von einer Kapsel und Serosa (Peritoneum) umhüllt. Alle Gefäße treten aus dem Hilus aus. Die Milzoberfläche ist gefäßfrei.

Milzarterienembolisation vermindert werden. Eine perioperative Antibiotikaprophylaxe wird empfohlen. 4 Notfallmäßig: 5 Bei stumpfem Bauchtrauma mit Milzzerreißung. 5 Die Notfallindikation zur Splenektomie liegt dann vor, wenn ein milzerhaltendes Vorgehen technisch nicht möglich ist oder ein zeitlicher Verzug hinsichtlich lebensbedrohlicher Begleitverletzungen nicht toleriert werden kann. 4 Diagnostisch: 5 Zum Beispiel bei M. Hodgkin, bei der radikalen Gastrektomie wegen Magenkarzinom, bei ausgedehnten Metastasen im Milzhilus. kPrinzip

Frühzeitige Ligatur und Durchtrennung der Milzgefäßversorgung und Totalexstirpation des Organs. kLagerung

4 Bei vorhandenen Begleitverletzungen: Rückenlage. 4 Bei gezielter Splenektomie: Rückenlage, leicht aufgeklappt (Gallenlagerung), neutrale Elektrode am linken Oberschenkel. kInstrumentarium

4 4 4 4

Grund- und Laparotomieinstrumentarium, lange Overholt-Klemmen, lange Schere, Einzelclipstapler, evtl. bipolare Schere.

OP-Verlauf: Splenektomie 2.6.1

Splenektomie

5 Hautdesinfektion, sterile Patientenabdeckung, Team-Time-out.

kIndikation

5 Bei stumpfen Bauchverletzungen wird eine quer

Die Indikation zur Splenektomie wird heute sehr differenziert gestellt. Wann immer möglich wird organerhaltend therapiert, weil Erkenntnisse über die Funktion und die Folgen des Verlustes der Milz ihre physiologische Bedeutung belegen. Als folgenschwere Komplikation des Milzverlustes gilt das sog. OPSI-Syndrom (»overwhelming postsplenectomy infection syndrome«) = Postsplenektomiesyndrom; Gesamtinzidenz von 4–8%, Letalität von ca. 50%). 4 Elektiv: 5 Bei hämatologisch-onkologischen Erkrankungen. 5 In einem Abstand von 3–4 Wochen vor der Operation sollte eine Impfung mit polyvalenten Pneumokokkenvakzinen vorausgehen. 5 Bei sog. Riesenmilzen kann der intraoperative Blutverlust durch vorherige angiographische

verlaufende oder eine mediane Oberbauchlaparotomie gewählt, um auch Leber, Magen und Darm revidieren zu können. 5 Zur alleinigen Splenektomie: linksseitiger Rippenbogenrandschnitt. 5 Der operative Zugang muss in jedem Fall eine gute Übersicht gewährleisten. 5 Nach der Eröffnung des Bauchraumes wird die Milz freigelegt und, wenn möglich, mit der Hand umfasst, um an der ventralen oder dorsalen Seite des Hilus mit der Skelettierung beginnen zu können. Bei der Präparation muss die enge räumliche Beziehung zu Magen, Pankreas, Kolon und Nebenniere berücksichtigt werden (Verletzungsgefahr).

81 2.6 · Milz

5 Die Inzision des Lig. splenorenale mit einer Schere und das stumpfe digitale Auslösen der Milz zusammen mit dem Pankreasschwanz setzt die Präparation fort. 5 Die Milz wird vor die Bauchdecke luxiert und die Milzloge zur Lagefixierung mit feuchten warmen Tüchern abgestopft. Das Lig. gastrosplenicum wird nahe des Milzhilus zwischen mehreren Ligaturen durchtrennt. Dann werden von ventral und/ oder dorsal die Äste der A. und V. splenica unter Schonung des Pankreasschwanzes präpariert, hilusnah mit Hilfe der Overholt-Klemmen abgeklemmt, doppelt ligiert und durchtrennt. Das Präparat entfällt. 5 Eine sorgfältige Blutstillung u. a. mit warmen Tüchern ist erforderlich. 5 Das Legen einer Drainage in die Milzloge wird unterschiedlich diskutiert. Bei Verletzungen des Pankreasschwanzes bzw. dessen Gefäßversorgung ist die Einlage einer Spüldrainage anzuraten. 5 Nach der Zählkontrolle der Textilien und Instrumente sowie der Dokumentation der Vollzähligkeit schichtweiser Wundverschluss und Verband.

Die Entwicklung laparoskopischer OP-Techniken schließt die Splenektomie ein (7 Abschn. 2.15.8).

2.6.2

Milzerhaltende Operationstechniken

Der Milzerhalt ist nur sinnvoll, wenn 30–50% Parenchymrest erhalten werden können. Gelingt die milzerhaltende Operation nicht, muss splenektomiert werden. Generell muss die Milz vor der organerhaltenden Versorgung komplett schonend mobilisiert werden. Bei isolierten kleineren Milzverletzungen kann bei guter Übersicht ggf. auf die komplette Mobilisation verzichtet werden.

OP-Techniken Naht und Netzplombe Die direkte Parenchymnaht an der Milz wurde in vielen technischen Varianten beschrieben. Bei Kapsel- und Parenchymdefekten kann die Naht durch eine Netzplombe ergänzt werden, die wie eine Tamponade oder ein Nahtwiderlager funktioniert. Die Anwendung beschränkt sich in der Regel auf das Vorliegen einer nahtfesten Parenchym- und Kapselkonsistenz. Diese Voraussetzungen werden ideal von der kindlichen Milz erfüllt.

Lokale Hämostyptika Die Anwendung setzt in der Regel die vorübergehende Bluttrockenheit oder höchstens eine Restsickerblutung der Parenchymfläche voraus. Der Einsatz ist daher häufig nur in Kombination mit anderen Blutstillungsverfahren sinnvoll. Beispiele hierfür werden im Folgenden genannt. jFibrinkleber

Hämostyptikum, das in Form von 2 Komponenten auf die verletzte Parenchymfläche oder Kapselläsion aufgebracht wird. Die eine Komponente besteht aus dem hochkonzentrierten Humanfibrinogen, die andere aus seinen Aktivatoren. Vor der Anwendung müssen die beiden Komponenten aufgetaut und ggf. in Spritzen aufgezogen werden. Mit Sprühaufsätzen wird eine flächenhafte, aber sparsame Verteilung erreicht. Als Tachosil ist der Fibrinkleber als beschichtetes Kollagenvlies (s. unten) verfügbar. jKollagenvlies

Hämostyptikum, das aus resorbierbaren Kollagenfibrillen besteht. Die blutstillende Wirkung setzt bei Blutkontakt durch die Förderung der Thrombozytenaggregation ein, evtl. in Kombination mit Fibrinkleber. jTabotamp

Dieses hämostyptisch wirkende Material besteht aus oxidierter, regenerierter Zellulose und führt zu einer raschen Bindung der Proteinbestandteile des Blutes (evtl. in Kombination mit Fibrinkleber).

kIndikation

4 Häufig bei akzidentellen Milzverletzungen im Rahmen elektiver Oberbaucheingriffe. Der Einsatz milzerhaltender OP-Techniken bei polytraumatisierten Patienten und beim stumpfen Bauchtrauma orientiert sich u. a. am Schweregrad der Milzverletzung und an der Schwere der übrigen Verletzungen. 4 Erhaltende OP-Verfahren werden v. a. bei verletzten Kindern sowie bei seltenen isolierten benignen Milzerkrankungen (Beispiel: Milzzyste) eingesetzt.

Saphir-Infrarot-Koagulator Einsatz bei noch anhaltender Blutung von Milzparenchymflächen und Kapselläsionen. Deshalb wird diese Technik in der Regel vor der Anwendung lokaler Hämostyptika zum Einsatz gebracht. Die Wärmewirkung resultiert aus der Infrarotstrahlung einer Wolframhalogenlampe. Es gibt verschieden geformte Saphirköpfe, die je nach der Größe der Wundfläche ausgewählt werden. Durch diese Methode kann dosierter Druck auf das Gewebe

2

82

2

Kapitel 2 · Allgemeinchirurgie und Viszeralchirurgie

Gallenblase und Gallenwege

ausgeübt werden, ohne dass die thermische Nekrose am Saphirkopf haftet. Anschließend bei Bedarf Einsatz der oben genannten Hämostyptika. Die Laserkoagulation und der Einsatz des ArgonBeamers werden hier nur der Vollständigkeit halber erwähnt. Bei hohem technischem Aufwand bieten diese Techniken keine Vorteile gegenüber der Infrarotkoagulation.

2.7

Segment- bzw. Teilresektion

Die birnenförmige Gallenblase mündet seitlich über den Ductus cysticus als Blindsack in die ableitenden Gallenwege ein. Als Anteile werden Fundus, Korpus und Infundibulum unterschieden. Die Gallenblase ist bindegewebig mit der Leber verwachsen und außen mit Peritoneum überzogen. Sie speichert die Gallenflüssigkeit und dickt sie ein. Aus der Leber kommen der Ductus hepaticus dexter und der Ductus hepaticus sinister. Sie vereinigen sich kurz nach ihrem Austritt zum Ductus hepaticus communis. In ihn mündet der Ductus cysticus ein. Unterhalb seiner Einmündung bezeichnet man den Hauptgallengang als Ductus choledochus. Variationen der Länge und der Lage dieser Strukturen können Gallenoperationen schwierig gestalten. Der Ductus choledochus verläuft im distalen Teil hinter dem Duodenum durch den Pankreaskopf. An der gemeinsamen Einmündung von Pankreas- und Gallengang ins Duodenum liegt die Papilla Vateri. Die Gallenblase wird arteriell über die A. cystica (ein Ast der A. hepatica dextra) versorgt. Die enge Nachbarschaft der Gallenwege erklärt, dass zum einen Gallengangsteine auf den Pankreasgang und zum anderen Pankreaskopfprozesse auf den Gallengang einwirken können. Durch anatomische Varianten können diese Wechselwirkungen unterschiedlich ausgeprägt sein.

M. Liehn, L. Steinmüller 2.7.1

Anatomie, Diagnostik, Operation/Indikation

Anatomie Häufig ist die partielle Milzresektion einfacher zu handhaben als eine aufwendige Blutstillung. 4 Segmentresektionen der Milz sind als anatomiegerechte OP-Verfahren anzusehen, die sich an der segmentartigen Gefäßarchitektur der Milzdurchblutung orientieren. Die sorgfältige Präparation und Ligatur der segmentversorgenden Hilusgefäße geht der eigentlichen Resektion und der anschließenden Versorgung der Resektionsflächen voraus. Bei besonderen Abgangsvarianten des oberen Polgefäßes ist der Erhalt eines ausreichend großen oberen Milzpoles auch nach hilusnaher Unterbrechung der Milzarterie möglich. 4 Teilresektionen der Milz ohne aufwendige Präparation am Milzhilus sind durch den Einsatz von Klammernahtgeräten möglich geworden. Bewährt hat sich der Staplereinsatz v. a. bei der Polresektion. 4 Um erneute Kapseleinrisse beim Schließen des Klammernahtmagazins zu vermeiden, muss das Parenchym an der geplanten Resektionslinie die Möglichkeit erhalten, in das Resektat zu entweichen. Hierzu können Entlastungsinzisionen der Milzkapsel am Resektat hilfreich sein.

Dosierte Organkompression mit Vicrylnetz Als Hilfsmittel zur Blutstillung durch dosierte Organkompression von außen eignet sich eine speziell vorgefertigte Netztasche aus z. B. Vicryl (Fa. Ethicon). Zirkulär angeordnete Zugfäden in verschiedenen Radien erlauben die Ausübung einer situationsgerechten, individuellen Kompression. Auseinander klaffende Parenchymflächen, z. B. bei tief greifenden Milzverletzungen können auf diese Weise angenähert und durch zusätzliches Einbringen von hämostyptischem Material unter Kompression gesetzt werden. Zu beachten ist, dass die angezogenen Zugfäden den Milzhilus nicht strangulieren dürfen.

Galle Die Leber sezerniert mit der Galleflüssigkeit u. a. Gallensäuren, Gallenfarbstoffe und Cholesterin in das Duodenum. Über den rechten und den linken Hepatikusast wird die Galle im Ductus hepaticus communis gesammelt. Die Galleflüssigkeit ist ein guter Emulgator für Nahrungsfette und fettlösliche Vitamine. Diese Eigenschaft ermöglicht die intestinale Resorption.

Klinik des Gallensteinleidens Typisches klinisches Merkmal ist ein in der Regel kolikartiger Schmerz mit Ausstrahlung in die rechte Schulterregion. Die Koliken können rezidivierend auftreten und im Einzelfall über Stunden anhalten. Auslöser können  der Genuss von Gebratenem, Fett und Ei sein. Bei entzündlichem Krankheitsverlauf treten neben Fieber Dauerschmerzen, ggf. mit lokalen peritonitischen Zeichen, auf.

83 2.7 · Gallenblase und Gallenwege

Einen Hinweis auf ein kompliziertes Gallensteinleiden kann der Ikterus geben. Der Gallengangverschluss weist neben der typischen Gelbfärbung der Haut (mit Juckreiz) und der Skleren eine Stuhlentfärbung und eine Dunkelfärbung des Urins (»bierbraun«) auf. Gallengangsteine können eine Pankreatitis auslösen. Der Ikterus ohne begleitende Koliken (»schmerzloser Ikterus«) weist auf ein mögliches Pankreaskopfkarzinom hin (7 Abschn. 2.9). Im Gegensatz zum schmerzhaften entzündlichen Gallenblasenhydrops (Murphy-Zeichen) wäre dann ein schmerzloser Hydrops (Courvoisier-Zeichen) tastbar.

4 Dringliche Indikation: 5 Akute Cholezystitis und Gallenblasenhydrops (Operation binnen 24–72 h). 4 Elektive Indikation: 5 Cholelithiasis mit Symptomen (Koliken), 5 Gallenblasenpolypen, 5 Sanierung einer Gallenblasensalmonellose bei Dauerausscheidern. Asymptomatische Gallensteinträger sollten nicht routinemäßig operiert werden. Beim Gallensteinleiden zeigt die frühe Cholezystektomie jedoch bessere Ergebnisse als die Operation erst bei Auftreten von Komplikationen.

Diagnostik Nach Erhebung der Anamnese und des klinischen Befundes führen folgende Schritte zur Diagnose: 4 Differenzierte Laboruntersuchungen, Sonographie, Röntgenuntersuchung, evtl. kombiniert mit endoskopischer Kontrastmittelgabe (ERCP/endoskopisch retrograde Cholangiopankreatikographie) oder, falls verfügbar, MRCP erlauben die Eingrenzung der Diagnose. 4 Bei Verdacht auf eine Gallengangstenose ist zunächst die nichtinvasive MRCP indiziert, die ERCP ist bei entsprechender Befundlage zur Diagnosesicherung und evtl. zur endoskopischen Steinbergung geeignet. Die zunehmende Verfügbarkeit dieser Methoden führt in vielen Häusern dazu, dass auf die intraoperative Röntgendarstellung des Gallengangs und auf die Revision des Gallengangs verzichtet werden kann (sog. therapeutisches Splitting).

2.7.2

Cholezystektomie

Nur noch in Ausnahmefällen wird die Gallenblase über einen Rippenbogenrandschnitt entfernt. Als Standardoperation gilt die laparoskopische Cholezystektomie (7 Abschn. 2.15.8). kIndikation

4 4 4 4 4

Symptomatische Cholezystolithiasis, akute Cholezystitis, Gallenblasenhydrops, Gallenblasenempyem, Gallenblasenperforation.

kPrinzip

Entfernung der Gallenblase.

Operation

kLagerung

Da die Gallenblase in der Regel der Entstehungsort für Steine ist, wird sie bei einer Steinerkrankung entfernt, um Rezidive zu vermeiden. Dazu stehen verschiedene Verfahren zur Auswahl: 4 Die laparoskopische Cholezystektomie (CHE; 7 Abschn. 2.15.8) ist das Standardverfahren bei elektiven Eingriffen. 4 Die klassische Cholezystektomie über den Rippenbogenrandschnitt, wenn eine laparoskopische CHE nicht möglich ist.

4 Rückenlage: Der Patient wird so unterstützt gelagert, dass sich das OP-Feld anhebt. Dabei sollte darauf geachtet werden, dass die dadurch entstehende Kopftieflage aufgehoben wird. Bei geplanter Cholangiographie wird ein strahlendurchlässiger OP-Tisch gewählt und ein Gonadenschutz angelegt. 4 Neutrale Elektrode an einem Oberschenkel, ggf. Bereitstellung des Bildwandlers.

jOP-Indikation bei Cholelithiasis

4 Absolute Indikation zur Sofort- oder Notoperation: 5 Steinerkrankung mit Fieber, Leukozytose und Peritonitis (Gallenblasenempyem, -gangrän, -perforation), 5 Gallensteinileus: in den Darm abgegangene Gallensteine verursachen einen Ileus (in der Regel nur Ileusbeseitigung ohne Sanierung der Gallenblase und Gallenwege).

kInstrumentarium

4 4 4 4

Grund- und Laparotomieinstrumentarium, Gallenblasenfasszange, ggf. Steinfasszangen, bipolare Schere, bei intraoperativem Röntgen: 5 Knopfkanüle, 5 50-ml-Spritze, 5 Kontrastmittel.

2

84

Kapitel 2 · Allgemeinchirurgie und Viszeralchirurgie

Retrograde Cholezystektomie OP-Verlauf: Cholezystektomie

5 Hautdesinfektion, sterile Patientenabdeckung,

2

Team-Time-out.

5 Rippenbogenrandschnitt nach Kocher oder

5

5

5

5

5

5

5

Courvoisier. Diese Schnittführung bietet eine gute Übersicht, ermöglicht die Exploration der Bauchhöhle und ist erweiterbar. Allerdings wird die Rektusmuskulatur rechtsseitig durchtrennt. Dies scheint für den postoperativen Wundschmerz und für die Einschränkung der Atemmechanik von Bedeutung zu sein. Seltener wird eine obere mediane Laparotomie als Zugang gewählt. Nach der Eröffnung des Peritoneums erfolgt die Exploration der Bauchhöhle. Kurze Leberhaken nach Mikulicz machen das OP-Gebiet zugänglich. Hinter die Gallenblase wird mit Richtung auf das Foramen Winslowii ein feuchter Streifen eingebracht, der evtl. austretende Gallenflüssigkeit aufsaugt, bevor sie in die freie Bauchhöhle gelangen kann. Mit einem flachen Spatel wird das Lig. hepatoduodenale nach links gezogen und so die Sicht auf die Gallenblase freigegeben. Sie wird mit einer Fasszange am Fundus angeklemmt, damit der Zug die Präparation erleichtert. Bei Bedarf muss Gallenflüssigkeit abpunktiert werden, um das Anklemmen ohne Perforationsgefahr zu ermöglichen. Das Lig. hepatoduodenale kann durch Zug am Duodenum angespannt werden. Hierdurch wird die Präparation des Ductus cysticus erleichtert. Das viszerale Peritoneum wird am Infundibulum mit einer Schere inzidiert, Verwachsungen der Gallenblase mit der Leberunterfläche werden mit Schere und Präpariertupfer gelöst. Die (bipolare) Schere muss dabei so angereicht werden, dass ihre Krümmung der Gallenblasenwand folgt. Die Präparation der Gallenblase kann auf retrogradem oder antegradem Weg erfolgen (s. unten). Der »Springer« erhält das Präparat und eine Schere mit Pinzette, schneidet damit die Gallenblase auf und entnimmt aus ihrem Inhalt einen Abstrich für die bakteriologische Untersuchung. Dieser Arbeitsschritt erfolgt aus hygienischen Gründen nicht im OP-Saal. Häufig werden die Gallensteine gesammelt und gereinigt dem Patienten mitgegeben. Das Gallenblasenbett kann im Einzelfall zur Komplettierung der Blutstillung mit einer fortlaufenden Naht verschlossen werden. Eine Drainage wird in Abhängigkeit vom OP-Situs eingelegt. Nach der Zählkontrolle der Textilien und Instrumente und der Dokumentation ihrer Vollzähligkeit schichtweiser Wundverschluss und Verband.

4 Am Infundibulum Inzidieren der Serosa. 4 Gallenblasennahes Identifizieren und Absetzen der A. cystica zwischen Ligaturen oder Clips. 4 Stumpfe zirkuläre gallenblasennahe Präparation des Ductus cysticus, die Darstellung der Einmündung in den Ductus choledochus ist nicht obligat. 4 Bei Indikation zur intraoperativen Cholangiographie Ligatur des Ductus cysticus gallenblasenwärts, Anschlingen nach distal. 4 Inzision des Ductus cysticus, Einführen der Angiographiekanüle, Einknüpfen, Dichtigkeitsprobe und Röntgen. Das Kontrastmittelsystem muss absolut luftleer angereicht werden (Luftblasen erscheinen im Röntgenbild wie Steine), kontrastgebende Textilien und Haken werden entfernt. 4 Durchtrennung des Ductus cysticus und retrogrades, subseröses Auslösen der Gallenblase aus dem Leberbett mit einer Metzenbaumschere unter fortwährender Blutstillung durch punktförmige Elektrokoagulation.

Antegrade Cholezystektomie Der antegrade Präparationsweg wird in allen Situationen angewendet, in denen die Hilusgebilde nicht mit völliger Sicherheit identifiziert werden können (bei Entzündung oder anatomischer Variante). Die Präparation beginnt am Fundus und führt entlang der Gallenblasenwand sicher zur A. cystica und zum Ductus cysticus.

Besondere Situationen 5 Gallenblasenhydrops/Cholezystitis/Empyem: – In dieser Situation empfiehlt sich die Punktion des Gallenblaseninhalts ggf. mit Nahtverschluss der Punktionsstelle. Das Punktat wird bakteriologisch untersucht. 5 Blutung: – Kann die Blutungsursache nicht übersichtlich und sicher versorgt werden, ist eine großzügige Laparotomie erforderlich. Mit einer Tourniquetanlage am Lig. hepatoduodenale (gefahrlos bis zu 30 min) kann die Blutung vorübergehend gedrosselt werden. – Die manuelle Kompression wird als Baron- oder Pringle-Handgriff bezeichnet. – Die Ligatur der A. hepatica propria geht mit einer hohen Letalität einher und muss daher vermieden werden. – Zu beachten sind immer die zahlreichen Varianten im Verlauf und in den Aufzweigungen der A. hepatica.

85 2.7 · Gallenblase und Gallenwege

5 Choledocholithiasis/T-Drain-Einlage: – In Situationen, in denen die Gallengangsanierung durch ERC nicht möglich ist, muss diese chirurgisch erfolgen. Dazu kann eine Laparotomie (Rippenbogenrandschnitt) erforderlich sein, aber auch laparoskopisch sind eine Choledochusrevision und eine T-Drain-Einlage möglich.

2.7.3

Zusatzinstrumentarium für die Gallenwegchirurgie

jGallengangsonden

Sie werden benutzt, um bei einer Revision des Ductus choledochus nach Steinen zu tasten. Die Sonden werden gerade und gebogen angeboten, die Spitze ist zumeist olivenförmig (. Abb. 2.43). jGallengangdilatatoren

Diese Instrumente (. Abb. 2.44, . Abb. 2.45) weiten den Ductus choledochus, um ggf. bis zur Papilla Vateri gelangen zu können und diese zu spalten. Deshalb werden sie auch als »Papillotom« bezeichnet. Der Instrumentenschaft ist biegbar und kann so der individuellen Anatomie angepasst werden. jGallensteinlöffel

Hiermit werden vorhandene Steine aus dem Gallenwegsystem entfernt (. Abb. 2.46). jSchere nach Potts de Martell

In den Branchen ist diese Schere um ca. 70° abgewinkelt. Deshalb nennt man sie auch »Knieschere«. Mit ihr lassen sich englumige Strukturen (z. B. Ductus choledochus) nach einer Stichinzision längs verlängern (. Abb. 2.47). jGallensteinzange

Sie wird feucht in den Ductus choledochus eingeführt und fasst dort die Steine (. Abb. 2.48).

2.7.4

Choledochusrevision mit T-Drain-Einlage

kIndikation

4 Choledochussteine, die während einer ERC (endoskopisch retrograde Cholangiographie) nicht zu entfernen waren, oder durch eine ERC nicht erreicht werden können (Zustand nach Gastrektomie). Der Eingriff wird im Anschluss an die Cholezystektomie durchgeführt.

4 Seltener Steine, die bei einer Operation der Gallenblase übersehen wurden, da die ERC auch postoperativ eingesetzt werden kann. kPrinzip

Eröffnung des Ductus choledochus zum Entfernen der Steine mit speziellen Instrumenten. Gegebenenfalls kann die Papilla Vateri nach der Steinbergung mit Bougies vorsichtig geweitet werden. Verschluss der Choledochotomie unter Einnähen eines T-Drains. kLagerung

Siehe Cholezystektomie. kInstrumentarium

4 Siehe Cholezystektomie. 4 Zusätzlich: 5 Steinfasszangen, 5 Gallensteinlöffel, 5 Gallengangsonden, 5 Fogarty-Katheter, 5 Schere nach Potts de Martell, 5 T-Drain (7 Abschn. 1.7). OP-Verlauf: Revision des Ductus choledochus 5 Im Anschluss an die Cholezystektomie wird der Ductus choledochus nach der Spaltung des Lig. hepatoduodenale an der Vorderseite freigelegt. Das Duodenum wird dabei stumpf mit einem Präpariertupfer abgeschoben. 5 Distal der Einmündung des Ductus cysticus werden 2 Haltefäden gelegt und angeklemmt. Mit einem 11er-Skalpell wird der Choledochus längs eröffnet und die Inzision mit einer Knieschere erweitert. Zur Steinbergung können u. a. die folgenden beiden Instrumente zur Anwendung kommen: – Fogarty-Katheter: Er wird feucht ohne Blockung vorgeschoben, hinter den Steinen geblockt, dann zurückgezogen und schiebt so die Steine zur Choledochotomie. Häufig muss mit Gallenlöffeln oder einer Steinfasszange nachgeholfen werden. – Cholangioskop: Eine weitere Möglichkeit der Steinentfernung bietet das Cholangioskop, das in die Choledochotomie vorgeschoben wird, um unter Sicht mit einer Fasszange Steine zu bergen. 5 Der Ductus hepaticus sollte in gleicher Weise revidiert werden. 5 Abschließend gibt es die Möglichkeit, die Papille zu bougieren, oder – wenn sie nicht passiert werden kann – eine Papillotomie vorzunehmen.

2

86

Kapitel 2 · Allgemeinchirurgie und Viszeralchirurgie

2.43

2

Griff abschraubbar

Choledochus

Duodenum

Duct. pancreat

2.44

2.45

2.46

2.47

2.48

. Abb. 2.43 Gallengangsonde nach Mayo. (© Fa. Aesculap AG) . Abb. 2.44 Gallengangdilatator nach Stücker. Nach der Passage des Dilatators durch die Papille wird der Griff abgeschraubt und ein Konus aufgesetzt. Ein erneutes Aufsuchen der Papille wird dadurch vermieden. (© Fa. Aesculap AG) . Abb. 2.45 Gallengangdilatator nach Bakes mit verschiedenen Oliven. (© Fa. Aesculap AG) . Abb. 2.46 Gallensteinlöffel nach Luer-Körte. (© Fa. Aesculap AG) . Abb. 2.47 Knieschere nach Potts de Martell. (© Fa. Aesculap AG) . Abb. 2.48 Gallensteinfasszange nach Blake. (© Fa. Aesculap AG)

2

87 2.8 · Leber

5 Sollte die Steinfreiheit der Gallenwege nicht 5

5

5

5

2.8

eindeutig feststellbar sein, muss noch einmal geröntgt werden. Nun wird ein T-Drain aus Latex oder (rotem) Gummi eingelegt, das vorher zu einem Halbrohr zugeschnitten wurde. Seine Schenkel müssen so gekürzt werden, dass sie weder einseitig in einem Ast des Ductus hepaticus noch in der Papille platziert werden. Das T-Drain wird durch Naht der Choledochotomie mit feinem resorbierbarem Nahtmaterial (4–0) lagefixiert. Über eine gesonderte Hautinzision wird es in der rechten Flanke ausgeleitet. Entscheidend ist, dass sich eine fibrinöse Reaktion um das Drain vom Choledochus bis zur Bauchdecke innerhalb weniger Tage abspielt, die abschließend das gefahrlose Herausziehen des Drains ermöglicht (ohne gallige Peritonitis durch austretende Galle, daher keine Silikondrainage verwenden). Zusätzliche Einlage einer subhepatischen Drainage. Kontrolle der Textilien und Instrumente, Dokumentation ihrer Vollzähligkeit, schichtweiser Wundverschluss und Verband.

Leber

M. Liehn, L. Steinmüller 2.8.1

Anatomie, Diagnostik, Operationsindikationen

Anatomie Die unter der rechten Zwerchfellhälfte liegende Leber (Hepar) wird vorn vom Rippenbogen bedeckt; 5 Bänder fixieren sie in ihrer Lage unter dem Zwerchfell: 1. Lig. teres hepatis (zum Nabel); 2.+3. Ligg. triangulares sinistrum et dextrum; 4. Lig. falciforme hepatis; 5. Lig. coronarium hepatis. Die Leber ist zwischen 2 venöse Kreisläufe geschaltet: Der venöse Abfluss des Magen-Darm-Traktes, der Bauchspeicheldrüse und der Milz bildet über die Pfortader die Besonderheit einer venösen Blutversorgung. Der venöse Blutabstrom erfolgt über die Vv. hepaticae zur V. cava. Die arterielle Blutversorgung, die nur 20% der gesamten Blutzufuhr darstellt, erfolgt über die Leberarterien. Die portalen Gefäße werden an ihrer ersten Verzweigung als Pfortadertriade bezeichnet. Im intrahepatischen Verlauf werden sie von einer bindegewebigen Scheide umhüllt. Das Blut verlässt die Leber über die Lebervenen, die unterhalb des Zwerchfells in die V. cava

VIII VII

II I

IVa III IVb

V VI

Lig. falciforme Sulcus interlobaris

Rechte Leberhälfte

Linke Leberhälfte

. Abb. 2.49 Segmentale Gliederung der Leber nach Couinaud. Lebervenensystem hell, Portalvenensystem dunkel. (Aus Siewert u. Stein 2012)

inferior münden und nicht bindegewebig eingescheidet sind. Äußerlich sichtbare Segmente der Leber teilen sich in ihrem Inneren weiter auf; für den chirurgischen Eingriff ist die Kenntnis über die innere Segmentarchitektur bedeutsam (. Abb. 2.49). Äußerlich werden ein rechter und ein kleinerer linker Leberlappen unterschieden, die im Bereich der Fissura principalis durch das Lig. teres hepatis und das Lig. falciforme getrennt werden. Auf der Unterseite liegen der Leberhilus (Lig. hepatoduodenale, 7 Abschn. 2.7.2) und rechts die Gallenblase. Beide Strukturen begrenzen den Lobus caudatus. Innerlich werden bezüglich der Gefäß- und Gallengangverzweigungen 8 Segmente unterschieden. Bei dieser funktionellen anatomischen Betrachtungsweise werden ebenfalls ein rechter und ein linker Leberlappen unterschieden; hierbei kann die Grenze äußerlich auf die Linie zwischen V. cava und Gallenblase projiziert werden. Dies entspricht einer deutlichen Rechtsverschiebung der Lappengrenze gegenüber der vermeintlichen äußeren Lappenbegrenzung.

Diagnostik Herdartige Leberprozesse werden heute meist durch die Sonographie entdeckt; ggf. steht zur Diagnostik auch die kontrastmittelverstärkte Sonographie zur Verfügung. Die Computertomographie (CT) und das MRT erlauben in der Technik der Kontrastmittelverstärkung (AngioBolus-CT) u. a. eine Differenzierung von Metastasen und Hämangiomen. Durch die Angiographie werden Aussagen über die arterielle und venöse Blutversorgung der Leber möglich. Auch die Szintigraphie kann weitere Frage-

88

2

Kapitel 2 · Allgemeinchirurgie und Viszeralchirurgie

stellungen abklären. Sowohl sonographie- als auch CT-gesteuert sind gezielte Punktionen möglich: 4 Bei Abszessen ist durch eine Kathetereinlage gleichzeitig die Therapie möglich. 4 Zytologisches und bakteriologisches Untersuchungsmaterial kann entnommen werden. Lediglich Zysten, bei denen als Ursache eine Echinokokkose nicht ausgeschlossen werden kann, dürfen nicht punktiert werden. Blutuntersuchungen erfassen zunächst global die Leberfunktion. Spezielle serologische Untersuchungen können eine Amöbeninfektion als Abszessursache und die Echinokokkose als Zystenursache nachweisen. Negative Befunde gelten jedoch nicht als sicherer Ausschluss dieser Erkrankungen. Als wichtiger Tumormarker des Leberzellkarzinoms muss das Alphafetoprotein (AFP) genannt werden.

OP-Indikationen Leberresektionen zählen heute zu den sicheren und standardisierten chirurgischen Eingriffen. Lebertransplantationen dagegen werden nur in spezialisierten Zentren durchgeführt. Wenn weniger als 50% des Leberparenchyms reseziert werden, ist eine klinisch bedeutsame Leberinsuffizienz weitgehend auszuschließen; eine gesunde Leber vermag sogar eine bis zu 80%ige Resektion zu kompensieren. Das Indikationsspektrum zur Leberresektion umfasst gutartige und bösartige Läsionen und Traumafolgen.

Gutartige Läsionen 4 Hämangiome sind blutschwammähnliche Gefäßtumoren, die bei Wachstum und Beschwerden eine OP-Indikation darstellen. 4 Die fokal noduläre Hyperplasie (FNH) kommt relativ selten vor, insbesondere wird bei Frauen ein Bezug zur hormonellen Empfängnisverhütung gesehen. Nur bei Beschwerden und dem Verdacht auf das gleichzeitige Vorliegen eines Leberzellkarzinoms ist die Resektion der dann meist sehr großen FNH-Knoten indiziert. 4 Leberzelladenome oder Befunde, die nicht anders eingeordnet werden können, sollten wegen der unsicheren Abgrenzung zum Karzinom und wegen der Blutungs- und Entartungsgefahr generell entfernt werden. 4 Große Leberzysten können durch Verdrängungserscheinungen zu Oberbauchbeschwerden führen. Besonders große Zysten (mehr als 600 ml) können zunächst durch mehrfache Punktionen entleert werden. Als nächste Stufe eignet sich die Injektion eines Verödungsmittels zur dauerhaften Verklebung

Äußere Keimschicht („Perizyste“)

Innere Keimschicht („Endozyste“)

Scolices . Abb. 2.50 Aufbau einer Echinokokkuszyste. (Aus Siewert 2006)

der Zystenwand. Die operative Zystenentdeckelung und -drainage ist sowohl durch einen konventionellen Bauchschnitt, als auch durch laparoskopisches Vorgehen möglich. 4 Abszesse werden in erster Linie sonographie- oder CT-gesteuert punktiert und drainiert. Nur bei Versagen oder Nichtdurchführbarkeit dieses schonenden Verfahrens ist die offene chirurgische Drainage angezeigt. Amöbenabszesse kleineren Ausmaßes sprechen häufig auf die Gabe von Metronidazol an. Dann ist weder die Punktion noch die Operation erforderlich. 4 Echinokokkose: Man unterscheidet den Echinococcus cysticus [Finne (Larvenstadium) des Echinococcus granulosus (Hundebandwurm)] (. Abb. 2.50), der meist eine große Zyste ausbildet, und den Echinococcus alveolaris [Finne (Larvenstadium) des Echinococcus multilocularis (Fuchsbandwurm)], der in vielen kleinen zusammenhängenden Zysten wächst. Die Eihülle löst sich im Magen auf und über den Darm sowie den Pfortaderkreislauf gelangen die Larven in die Leber. Dort kommt es zur Entwicklung der Hydatidenzyste. Obwohl eine verbesserte medikamentöse Behandlungsform mit Mebendazol vorliegt, ist im Einzelfall die chirurgische Entfernung angezeigt. Während der Echinococcus alveolaris dann ein möglichst radikales operatives Vorgehen erfordert, sollte beim Echinococcus cysticus lediglich die Entdachung und die Entfernung der eigentlichen Zyste (Zystektomie) – nicht die Resektion der gesamten z. T. aus umgebendem Gewebe bestehenden Zystenwand (Perizystektomie) erfolgen.

89 2.8 · Leber

Bösartige Läsionen

kInstrumentarium

4 Das Leberzellkarzinom (hepatozelluläres Karzinom) kommt sowohl auf dem Boden einer Leberzirrhose als auch ohne diese Vorerkrankung vor. 4 Das Gallengangkarzinom (cholangiozelluläres Karzinom) ist prognostisch besonders ungünstig. 4 Das Hepatoblastom kommt häufiger beim Kind und bei Jugendlichen vor.

4 4 4 4 4

Da keine andere effektive Behandlungsmaßnahme für diese vorgenannten Malignome existiert, sollte die Resektion bei entsprechender Möglichkeit versucht werden. Ausgedehnte Resektionen können bei einer Leberzirrhose nicht durchgeführt werden. Nur im Ausnahmefall kann eine Lebertransplantation erwogen werden. 4 Lebermetastasen, besonders bei kolorektalen Primärtumoren und Begrenzung auf einen Leberlappen, stellen eine Indikation zur Resektion dar. Die Grenzziehung, ab welcher Metastasenanzahl und bei welcher Lokalisation keine Resektion mehr möglich bzw. sinnvoll ist, muss im Einzelfall entschieden werden. Sinnvoll ist die Entfernung von solitären Metastasen unter 4–5 cm Größe in gut erreichbarer peripherer Lokalisation. Weite Keilexzisionen werden als ebenso effektiv angesehen wie anatomische Lappen- oder Segmentresektionen (s. unten). In wenigen Fällen ist bei beidseitiger Metastasenlokalisation die Kombination von Hemihepatektomie und Keilresektion bzw. von Resektionen verschiedener Segmente sinnvoll. In einzelnen Zentren sind interventionelle Verfahren wie die Radiofrequenzablation, Mikrowellenablation, laserinduzierte Thermotherapie und Kryotherapie als Alternative zur Operation bei erhöhtem Risiko oder in einer Palliativsituation verfügbar.

2.8.2

Entfernung einer Echinokokkuszyste

kIndikation

Grund- und Laparotomieinstrumentarium, Rahmen, z. B. nach Kirschner, Punktionskanüle mit 20-ml-Spritze, 20%ige NaCl-Lösung oder 50%ige Glukoselösung, seltener Silbernitratlösung. OP-Verlauf: Echinokokkuszystektomie

5 Hautdesinfektion, sterile Patientenabdeckung, Team-Time-out.

5 An der Stelle, an der die Zyste die Leberoberfläche

5

5

5 5

2.8.3

überragt, wird quer laparotomiert. Die Exploration des Bauchraums muss unbedingt ohne Zerstörung der Zyste erfolgen. Rund um das befallene Leberareal werden Bauchtücher drapiert. Diese werden zuvor mit einer hypertonen parasitentötenden Lösung (z. B. 20%ige NaCl-Lösung) getränkt. Dann wird die Zyste punktiert, ihr Inhalt abgesaugt und dafür die hypertone NaCl-Lösung in den Zystensack instilliert. Nach einer Einwirkzeit von mindestens 5 min hat sich die Hydatide von der sie umgebenden Wand, der Perizyste, abgelöst. Das Punktionsloch wird erweitert und die Zyste komplett entfernt; die Perizyste bleibt meist bestehen. Die Leberkapsel wird mit einem Hämostyptikum und ggf. mit Fibrinkleber versorgt. Nach der Dokumentation der Vollzähligkeit der Textilien und der Instrumente schichtweiser Wundverschluss und Verband.

Leberrevision wegen Trauma

Die Leberverletzung ist nach der Milzruptur die zweithäufigste Abdominalverletzung bei polytraumatisierten Patienten. Sie kann durch massive Blutung zum letalen Ausgang führen. Die Versorgung richtet sich nach der Ausdehnung der Verletzung.

Monolokuläre Zyste (Echinococcus cysticus). kIndikation kPrinzip

Die totale Entfernung der Zyste, Belassen der Zystenwand.

Stumpfes oder stich-/schussverletzungsbedingtes Oberbauch- oder Brustkorbtrauma mit Blutungsschock. kPrinzip

kLagerung

4 Rückenlage des Patienten mit leichter Anhebung der rechten Seite durch Aufklappen des Tisches oder durch ein Polster. 4 Die neutrale Elektrode wird an einem Oberschenkel angeklebt.

Wegen der sehr guten Gefäßversorgung der Leber erfordert jede verletzungs- oder operationsbedingte Wunde eine gründliche und sorgfältige Blutstillung und Versorgung von Galleleckagen, ggf. eine Resektion des betroffenen Lappens.

2

90

Kapitel 2 · Allgemeinchirurgie und Viszeralchirurgie

kLagerung

4 Rückenlage, leicht überstreckt, 4 neutrale Elektrode an einem Oberschenkel.

2

kInstrumentarium

4 Grund- und Laparotomieinstrumentarium, 4 evtl. Rochard-Haken und/oder Rahmen, 4 bei Bedarf: 5 Fibrinkleber und resorbierbares Hämostyptikum vorbereiten oder 5 Infrarotkoagulator, 4 heiße Kochsalzlösung zur passageren Lebertamponade, 4 Satinsky-Klemme zum Abklemmen des Lig. hepatoduodenale.

OP-Verlauf: Leberrevision

5

5 Hautdesinfektion, sterile Patientenabdeckung, Team-Time-out.

5 Obere bogenförmige, quere oder mediane Lapa-

5

5 5

5 5

5

rotomie, die nach thorakal, subkostal und nach rechts jederzeit erweiterbar ist, und Exploration des Abdomens, um Begleitverletzungen oder -erkrankungen auszuschließen. Beim Einsetzen des Rahmens sollte jede Manipulation an der Leber vermieden werden, bis seitens der Anästhesie mehrere venöse Zugänge gelegt worden sind und das Autotransfusionsgerät bereitgestellt ist. Das Blut, das sich in der Bauchhöhle gesammelt hat, sollte dem Patienten via »cell saver« zurückgegeben werden. Grundsätzlich sollte nicht mehr durchblutetes oder zerfetztes Gewebe entfernt werden, offene Gallengänge werden umstochen. Abzulehnen sind tief durchgreifende Parenchymdurchstechungsnähte oder eine Leberarterienligatur. Eine verletzte Gallenblase muss entfernt, ein verletzter Ductus hepaticus oder Ductus choledochus über einem T-Drain genäht werden. Oberflächliche Einrisse können leicht durch eine Naht versorgt werden, zusätzlich können der Infrarotkoagulator, Vicrylnetz, Kollagenvlies und Fibrinkleber zum Einsatz kommen. Unter manuellem Abdrücken oder Abklemmen des Lig. hepatoduodenale (z. B. mit SatinskyKlemme oder einer Tourniquetligatur) können größere Defekte zunächst untersucht und ggf. im Bereich der Hauptblutungsstelle direkt durch Naht (monofiler Faden) versorgt werden. Häufig kann auch eine Blutstillung durch ein sog. Packing er-

5

5 5

zielt werden. Hierbei werden feuchte Bauchtücher von außen auf die Leber – nicht in die Rupturstelle – aufgebracht. Für eine wirkungsvolle Tamponade muss die rechte Leberseite über ihre ganze Konvexität tamponiert werden. Als Voraussetzung ist die Mobilisierung der Leber von der lateralen/ dorsalen Bauchwand durch Inzision der peritonealen Umschlagfalte erforderlich. Die Tamponade darf im Bereich des Zwerchfells nicht den venösen Blutabstrom in die V. cava behindern. Hält die Tamponade nach Lockern der Hiluskompression der Blutung stand, kann sie für 1–2 Tage unter passagerem Bauchdeckenverschluss belassen werden. Bei Belassen der Textilien im Abdominalraum ist eine korrekte Dokumentation der im Patienten befindlichen Bauchtücher unerlässlich. Gelingt durch das Packing die Blutstillung nicht, kann eine notfallmäßige Teilresektion zum Ziel führen, ggf. mit erneuter Anlage einer Tamponade. Bei zentralen Rupturen, ggf. mit Beteiligung der V. cava, der V. portae oder der A. hepatica propria, kann neben der Abklemmung des Leberhilus die Anschlingung der V. cava unter- und oberhalb der Leber die notwendige passagere Blutstillung zur gezielten Versorgung der Blutungsquelle herbeiführen. Diese Maßnahme ist häufig nur schwer durchführbar. Eine Schnitterweiterung zur Thorakolaparotomie muss hier häufig vorgenommen werden. Die Drainage der Bauchhöhle mit 1–2 weichen Drains ist unbedingt erforderlich. Nach einer Zählkontrolle der Textilien sowie des Instrumentariums und der Dokumentation deren Vollständigkeit schichtweiser Wundverschluss und Verband.

OP-Technik Leberresektionen Unterschieden werden: 4 Nichtanatomische Keil-, Segment- oder atypische Resektion, die sich nicht an anatomischen Grenzlinien orientiert, sondern an der Lokalisation einer Läsion (mit einem ausreichend großen Parenchymsaum bei Malignität); sie nutzt die reiche Gefäßversorgung der Leber. 4 Dagegen berücksichtigen anatomiegerechte Segmentresektionen, angefangen von der Entfernung einzelner Segmente bis hin zur erweiterten Hemihepatektomie (. Abb. 2.51), die bei der Durchführung häufig schwer aufzufindenden anatomischen Segmentgrenzen. Hilfreich ist hierbei die intraoperative Sonographie.

91 2.8 · Leber

jAllgemeine technische Aspekte

VIII VII

II I

IVa III IVb

V VI

. Abb. 2.51 Typische Techniken der Leberresektion. Segmentresektion (II). Hemihepatektomie rechts (V+VI+VII+VIII). Erweiterte Hemihepatektomie rechts (IVa+b+V+VI+VII+VIII). (Aus Siewert u. Stein 2012)

Leberresektionen gehen mit Blutverlusten einher. Zur Einschränkung dient v. a. das Pringle-Manöver (. Abb. 2.52), d. h. die Abklemmung des gesamten Leberhilus mittels Tourniquet oder Satinsky-Klemme, die bis 30 min folgenlos und von vielen Patienten bis zu 45–60 min ohne schwere Folgen für die Leberfunktion toleriert wird. Bei zentral sitzenden Prozessen kann als weitere Sicherheit eine totale vaskuläre Isolation durch Anschlingen der V. cava infraund suprahepatisch zumindest vorbereitet werden. Hierbei besteht allerdings das Risiko der Verletzung der V. cava oder einmündender Leber- und Zwerchfellvenen. Bei einer anatomischen Rechts- bzw. Linkshepatektomie werden nach völliger Mobilisierung des Leberlappens zunächst am Hilus die entsprechenden Gefäße durchtrennt. Ein besonders blutsparendes Vorgehen ist möglich, wenn vor der eigentlichen Resektion auch die Lebervenen

a

b

c

d

. Abb. 2.52a–d Pringle-Manöver (a),»Hemi-Pringle« (b), totale vaskuläre Okklusion (TVO; c), TVO unter Erhalt des kavalen Blutflusses (d). (Aus Lang 2007)

2

92

2

Kapitel 2 · Allgemeinchirurgie und Viszeralchirurgie

der betreffenden Seite ligiert und durchtrennt werden. Dabei droht allerdings die Verletzung der jeweiligen Hauptvene. Alternativ wird auch das Aufsuchen der Gefäßstrukturen nach Durchtrennung des Leberparenchyms empfohlen. Bei den atypischen Resektionen unterbleiben die Hiluspräparation und die zentralen Gefäßunterbindungen, die Blutstillung erfolgt direkt an der Resektionsfläche.

2.8.4

OP-Verlauf: Hemihepatektomie rechts

5 Hautdesinfektion, sterile Patientenabdeckung, Team-Time-out.

5 Weiträumige Eröffnung der Bauchhöhle durch

Hemihepatektomie 5

Als Beispiel wird die rechtsseitige Hemihepatektomie beschrieben; die Resektionslinie liegt zwischen dem Bett der Gallenblase und links der V. cava (sog. GallenblasenKava-Linie). kIndikation

4 Leberzellkarzinom, 4 große benigne Tumoren, wie z. B. Adenome (extrem selten), 4 Lebermetastasen, 4 Echinokokkuszysten (E. alveolaris), 4 ausgedehnte Leberverletzungen, die sich über eine Blutstillung nicht beherrschen lassen.

5

kPrinzip

5

Die Resektion des rechten Leberteils entlang der durch Gefäßversorgung und Gallengänge vorgegebenen Strukturen.

5

5

kLagerung

4 Rückenlage, leicht überstreckt, 4 die Dispersionselektrode klebt am rechten Oberschenkel. kInstrumentarium

4 4 4 4 4 4 4 4 4 4 4 4

Grund- und Laparotomieinstrumentarium, Rochard-Haken, Kirschner-Rahmen oder anderes Selbsthaltesystem, Einzelclipstapler, lineares Klammernahtinstrument Tourniquetschlingen, Vesselloops (Gefäßschlingen), lange Instrumente, atraumatische Gefäßklemmen (z. B. Satinsky, De Bakey), Ultraschalldissektion/Ultraschallaspirator CUSA, Wasserstrahl-Dissektor (Water-Jet), fakultativ: Energiegeräte (LigaSure, Ultracision etc.), Infrarotkoagulationsgerät mit variablen Ansätzen, alternativ: Argon-Beamer.

5

5 5

die bogenförmige quer verlaufende Oberbauchlaparotomie, die bei Bedarf winkelförmig nach intrathorakal erweitert werden kann. Für eine geplante Segmentresektion reicht manchmal der rechtsseitige Rippenbogenrandschnitt. Schrittweise werden die Strukturen innerhalb des Lig. hepatoduodenale (Ductus choledochus, V. portae, A. hepatica propria) mit der Präparierschere (z. B. nach Metzenbaum) und OverholtKlemmen dargestellt. Zuerst wird die A. hepatica communis aufgesucht, mit einem Overholt unterfahren und mit einem Vesselloop angeschlungen; bei der weiteren Präparation stellen sich der Gallengang, die V. portae und die Leberarterie (A. hepatica propria) dar. Das Duodenum wird ggf. nach Kocher mobilisiert. Das temporäre Anschlingen des Lig. hepatoduodenale mit einer Tourniquetligatur ist vielfach obligat, da so jederzeit eine Blutstillung über die Drosselung möglich ist. Die Entfernung der Gallenblase sollte regelhaft erfolgen. Rechter und linker Gallengang werden angeschlungen. Der Ductus hepaticus communis muss bei schwierigen anatomischen oder präparatorischen Verhältnissen geschient werden, um eine verletzungsbedingte postoperative Gallefistel zu vermeiden. Der rechte Gallengang wird zentral ligiert und durchtrennt, die A. hepatica dextra so weit freigelegt, dass sie an ihrem Abgang unterbunden werden kann. Dadurch wird der Blick auf den darunter liegenden Pfortaderstamm möglich. Dieser wird bis zum Hilus dargestellt, wo er sich aufzweigt. Nach vorsichtiger Präparation mit Overholt und Metzenbaum-Schere wird der rechte Abgang zwischen Ligaturen durchtrennt. Der zurückbleibende Stumpf wird zusätzlich mit einer Durchstechungsligatur gesichert. Zur Darstellung des oberen Leberhilus muss die rechte Lebervene unterbunden werden. Die Mobilisation des rechten Leberlappens erfolgt durch die Inzision der peritonealen Umschlagfalte an der Rückfläche der Leber. Die V. cava inferior wird dargestellt; alle ihre kleinen Abgänge, die in das Resektat gehen, werden sorgfältig unterbunden.

93 2.8 · Leber

5 An der Leberoberfläche macht sich die Minderdurchblutung des gefäßisolierten Abschnitts nun durch bläuliche Verfärbung bemerkbar. Entlang dieser Linie wird die Glisson-Kapsel zunächst inzidiert; das Lebergewebe wird mit dem Finger zerteilt (Finger-fracture-Technik), Gefäße und Gallengänge werden mit Clips versorgt oder mit Klemmen gefasst und durch Ligaturen versorgt. Alternativ wird auch die Durchtrennung des Lebergewebes durch stumpfe Scherendissektion, mit Ultraschalldissektoren, mit Ultraschallaspiratoren (CUSA) oder Water-Jet-Dissektion empfohlen. Auch der Einsatz von Staplern ist möglich. 5 Zusätzlich kann die Resektionsfläche mit Fibrinkleber und/oder Kollagenvlies abgesichert werden. Auch eine Infrarotkoagulation ist möglich. 5 Insbesondere bei atypischen Resektionen kann eine fortlaufende Parenchymnaht durchgeführt werden. 5 Nach dem Einlegen von 2 weichen Drainagen erfolgen die obligate Zählkontrolle der Textilien und der Instrumente sowie deren Ergebnisdokumentation, der schichtweise Wundverschluss und der Verband.

der anatomischen Position (kann als Leichenspende oder Lebendspende erfolgen). 4 »Living related« LTX (LRLTX): Die Lebersegmentspende erfolgt durch einen Angehörigen. kPrinzip

Entfernung der patienteneigenen Leber, ohne Erhalt der retrohepatischen V. cava, anschließend orthotope Lebertransplantation (OLTX) eines Vollorgans mit folgenden Anastomosen: 4 End-zu-End-Anastomose der V. cava inferior suprahepatisch und infrahepatisch, 4 End-zu-End-Anastomose der Pfortader, der A. hepatica sowie des Gallengangs. kLagerung

4 Rückenlagerung, ggf. den rechten Arm anlagern. 4 Halterung für das Rahmensystem am OP-Tisch anbringen. 4 Neutrale Elektrode an einem Oberschenkel. ! Beachtung der Hygienerichtlinien bei infektiösen Patienten.

kInstrumentarium

4 Cholestatische Lebererkrankungen (z. B. primäre/ sekundäre biliäre Zirrhose), 4 postnekrotische Lebererkrankungen (z. B. Hepatitis A, B, NANB, alkoholtoxische Zirrhose), 4 akutes Leberversagen (z. B. Hepatitis A, B, NANB, Buddy-Chiari-Syndrom), 4 Stoffwechselerkrankungen (z. B. M. Wilson, Hämochromatose), 4 in Einzelfällen Lebertumoren (z. B. hepatozelluläres oder zentrales Gallengangkarzinom).

4 Grund- und Laparotomieinstrumentarium, 4 Rahmensystem, z. B. Rochard-Haken, 4 Gefäßinstrumente: Satinsky-, Nierenarterienklemme, gebogene Cavaklemmen nach rechts und links, Mammariapinzetten, feine gummibezogene Klemmchen, Sonden und Knopfkanülen, 10-ml-Spritze, 4 große Metallschüssel für Kochsalzlösung, 4 feiner Saugeransatz, 4 Easy-flow-Drainagen, 4 Flüssigkeiten: warmes, kaltes und gefrorenes NaCl 0,9%, Heparinlösung, 4 Hämostyptika, 4 Vorbereitung eines Beistelltisches zur Präparation des Spenderorgans, Schüssel für Eis, Eishammer, Eis, kaltes NaCl, evtl. kalte Konservierungslösung, textile Umlegungen, sterile Plastiktüten (in der Regel 3 Stück zur Wiederverpackung), grobe Schere und Klemmen zum Auspacken des Organs, feines Gefäßinstrumentarium, 10-ml-Spritze, Knopfkanülen und Sonden.

kMöglichkeiten der Transplantation

»Back-table-Präparation«

4 Orthotope Lebertransplantation (OLTX): Implantation einer Spenderleber (Leichenspende) an der anatomischen Position. 4 Split- oder Segmenttransplantation (SLTX): Implantation eines Leberteiles oder Segmentes an

Siehe Nierentransplantation (7 Kap. 9). Nach dem Auspacken wird das Spenderorgan makroskopisch beurteilt, gewogen und das Gewicht dokumentiert. Erscheint das Spenderorgan transplantierbar, beginnt die Narkoseeinleitung des Empfängers.

Die linksseitige Hemihepatektomie ist wegen geringer Parenchymmasse und besserer Übersicht insgesamt einfacher durchführbar.

2.8.5

Lebertransplantation (LTX)

S. Bröker kIndikationen

2

94

Kapitel 2 · Allgemeinchirurgie und Viszeralchirurgie

Naht der suprahepatischen V. cava

2 Aorta

Naht der infrahepatischen V. cava arterielle Anastomose Pfortaderanastomose

Gallengangsanastomose

. Abb. 2.53 Lebertransplantation in der Standardtechnik. Die V. cava ist supra- und infrahepatisch jeweils End-zu-End anastomosiert. (Aus Nagel u. Löhlein 2006)

An der Spenderleber werden die Leberarterien präpariert und die Pfortader dargestellt. Ist die Gallenblase noch vorhanden, wird sie jetzt entfernt. Von den Lebervenen und der V. cava wird anhängendes Binde- und Muskelgewebe entfernt. Die V. cava inferior wird dargestellt und das Lig. cavale durchtrennt. Offene Gefäßabgänge, die sich beim Sondieren mit der Knopfkanüle zeigen, werden verschlossen. Abschließend Spülen des Gallengangs mit Kochsalzlösung. Das vorbereitete Spenderorgan wird wieder in 3 sterilen Beuteln verpackt und bis zur Implantation auf Eis gelagert.

5

5 5

OP-Verlauf Hautdesinfektion des gesamten Abdomens bis über die Mamillen mit einer gefärbten alkoholischen Lösung, sterile Abdeckung des Operationsgebietes, Team-Time-out. Die Operation wird in 3 Phasen unterteilt (. Abb. 2.53): 4 präanhepatische Phase, 4 anhepatische Phase und Reperfusion, 4 postanhepatische Phase.

OP-Verlauf: Lebertransplantation Präanhepatische Phase 5 Obere bogenförmige Laparotomie (transversale Oberbauchinzision) mit Erweiterung zum Xiphoid. Durchtrennen der Bauchwandschichten (Subkutis, Faszie des M. rectus abdominis, M. obliquus externus, M. transversus und Peritoneum). Hier können kollaterale Venen zu erheblichen Blutungen führen. Sie müssen umstochen oder koaguliert werden. Das Lig. teres hepatis (Lig. umbilicale) sowie das

5 5

5 5

5

Lig. falciforme werden mit einem 2–0-Faden ligiert und durchtrennt. Die Exploration des Abdomens wird zum Ausschluss von vorher nicht bekannten Erkrankungen (z. B. Tumoren) durchgeführt und klärt die Operabilität. Eventuell vorhandener Aszites wird abgesaugt, ggf. eine Bakteriologie entnommen. Laterales Anheften der beiden entstandenen Bauchlappen. Umlegen des Abdomens mit Bauchtüchern zur Schonung des Gewebes und Einsetzen eines Retraktors. Anklemmen der Gallenblase mit einer Gallenblasenfasszange. Jetzt beginnt die Dissektion des Lig. gastroduodenale. Hierbei werden erst der D. cysticus und die A. cystica aufgesucht, ligiert und durchtrennt. Nach der Ligatur des D. choledochus und der linken und rechten A. hepatica und werden die 3 Strukturen durchtrennt. Das Gewebe um die V. portae wird gelöst. Die A.-hepatica-Äste werden nach zentral präpariert, sodass die A. hepatica propria und die A. gastroduodenalis freigelegt werden. Hierdurch ist die Leberarterie für die spätere Anastomose vorbereitet. Jetzt beginnt die Mobilisation des linken Leberlappens. Ein Bauchtuch wird unter den linken Leberlappen, d. h. zwischen den linken Leberlappen und die vordere Magenwand geschoben, um diese zu schützen.

95 2.8 · Leber

5 Das Lig. triangulare sinister (Lig. coronarium links) wird durchtrennt, sodass der linke Leberlappen mobil wird. Jetzt wird auch das Lig. gastrohepaticum ligiert und durchtrennt. In diesem Ligament kann evtl. noch eine adhärente A. hepatica liegen. 5 Zur Mobilisierung der rechten Leber wird das Lig. triangulare dexter (Lig. coronarium rechts) monopolar durchtrennt. Dabei stellen sich die rechte Nebenniere und die rechte Nebennierenvene dar. 5 Schließlich ist von der rechten Seite aus die V. cava hinter der Leber zu erkennen. Sie wird unterhalb der Leber mit einem Overholt umfahren und soweit freipräpariert, dass sie auch oberhalb der Leber umfahren werden kann. 5 Die V. portae wird lebernah mit einer Nierenarterienklemme abgeklemmt und durchtrennt. 5 Die untere V. cava wird mit einer gebogenen Gefäßklemme, die obere V. cava mit einer (nach rechts) gebogenen Cavaklemme am Zwerchfell abgeklemmt. Die Gefäße werden mit der Schere durchtrennt, nun kann die Leber inkl. der V. cava entfernt werden. 5 Die präanhepatische Phase ist beendet. Anhepatische Phase 5 Jetzt beginnt die kritische Phase der Transplantation. Die warme Ischämiezeit (die neue Leber ist nicht durchblutet und wird warm) sollte die Zeit von 60–70 min nicht überschreiten. 5 Eine sorgfältige Blutstillung mit Umstechungen unterschiedlicher Stärke gilt als Voraussetzung für den weiteren Ablauf. 5 Mit der Schere nach Potts werden die Gefäßenden für die Anastomosen vorbereitet. 5 Während der gesamten anhepatischen Phase ist darauf zu achten, dass nur Eiswasser (feuchte Tücher) verwendet wird. 5 Beginn und Ende der Anastomosenherstellung werden dokumentiert. 5 Die zu implantierende Leber wird auf dem Instrumentiertisch noch einmal inspiziert. 5 Die erste Anastomose – die der oberen V. cava – wird mit 4–0 monofilem, nicht resorbierbarem doppelt armiertem Nahtmaterial und fortlaufender Naht hergestellt. 5 Die Leber wird angehoben und die untere V.-cava-Anastomose ebenfalls fortlaufend genäht. Kurz vor Beendigung der Anastomose werden die Nähte mit gummibezogenen Klemmchen angeklemmt.

5 Zur Erstellung der Pfortaderanastomose wird die Länge des Gefäßes der Pfortader angepasst, zurechtgeschnitten und die Anastomose mit doppelt armiertem monofilem nicht resorbierbarem 5–0 Nahtmaterial fortlaufend genäht. 5 Die Arterie des Spenderorgans wird mit einer Bulldogklemme verschlossen. 5 Zum Flushen der Leber wird die Nierenarterienklemme entfernt, wodurch das Blut des Patienten durch die V. portae in die Leber und aus der unteren – noch offenen – V.-cava-Anastomose aus der Leber wieder herausfließen kann. So werden Stoffe, die in der Konservierungsflüssigkeit enthalten waren, aus der Leber entfernt. 5 Nach erneutem Abklemmen der V. portae wird die Anastomose der unteren V. cava beendet. Reperfusion 5 Der Beginn der Reperfusion sollte mit dem Anästhesisten abgestimmt und dokumentiert werden, um die Kreislaufstabilität des Patienten nicht zu gefährden. 5 Die obere V.-cava-Klemme wird entfernt. Bei Bedarf müssen blutende Gefäße umstochen werden. Anschließend wird die untere V.-cava-Klemme abgenommen. 5 Die Pfortaderklemme wird langsam geöffnet und das Gallenblasenbett mit der monopolaren Kugelelektrode koaguliert. Die Leber füllt sich progressiv wieder mit Blut, deshalb muss die Kreislaufsituation des Patienten kritisch beobachtet werden. 5 Ab diesem Zeitpunkt nur noch warmes NaCl verwenden! 5 Die zuvor ligierte Arterie wird mit einer Nierenarterienklemme abgeklemmt und mit der Gefäßschere eröffnet. Üblicherweise wird die Anastomose mit 6–0 doppelt armiertem, nicht resorbierbarem monofilem Nahtmaterial fortlaufend oder mit Einzelknopfnähten hergestellt. Dafür nutzt der Chirurg eine Lupenbrille. 5 Die abgeklemmte A. hepatica wird freigegeben, für ggf. undichte Anastomosen liegt eine Naht bereit. 5 Bevor die nächste Phase der Operation beginnt, erfolgt eine sorgfältige Blutstillung. Postanhepatische Phase 5 Die Gallenganganastomose wird üblicherweise durch eine End-zu-End-Anastomose mit 5–0 monofilem resorbierbarem Nahtmaterial doppelt armiert fortlaufend oder mit Einzellknopfnähten genäht.

2

96

Kapitel 2 · Allgemeinchirurgie und Viszeralchirurgie

5 In Ausnahmefällen, z. B. bei Erkrankungen des Gallengangs, wird eine Hepatikojejunostomie durchgeführt. 5 Nach einer letzten Blutstillung und dem Spülen des Abdomens werden durch Stichinzisionen rechts und links Penrose-Drainagen eingebracht (je ein langes hinter den rechten und linken Leberlappen und je ein kurzes von rechts und links an den Leberhilus führend). 5 Entfernung des Retraktors und der Umlegungen. 5 Zählkontrolle der Textilien sowie der Instrumente mit anschließender Dokumentation des Zählstandes. 5 Aufheben der Lagerung. 5 Schichtweiser Wundverschluss. 5 Verband der Hautnaht und der Drainagen.

2

2.9

Bauchspeicheldrüse

A. gastroduodenalis Aa. pancreaticoduodenalis sup. ant. und post.

A. lienalis

A. hepatica comm. Truncus coeliacus

A. pancreatica transv. A. pancreatica dors. Aa. pancreaticoduodenalis inf. ant. und post.

A. mesenterica sup.

. Abb. 2.54 Arterielle Versorgung des Pankreas. (Aus Siewert u. Brauer 2010)

M. Liehn, L. Steinmüller 2.9.1

Anatomie und Physiologie

lich reiches Gefäßnetz enthält. Die bindegewebige Kapsel der Bauchspeicheldrüse ist hauchdünn.

Anatomie

Physiologie

Die 60–85 g schwere, retroperitoneal gelegene Bauchspeicheldrüse (Pankreas) wird in die Abschnitte Kopf, Körper und Schwanz unterteilt. Der Pankreaskopf wird rechts vom Duodenum umschlossen. Beide Organbereiche haben eine gemeinsame Blutversorgung. Das exokrine und endokrine Organ ist von zahlreichen Ausführungsgängen durchzogen. Im Duodenum mündet der Hauptausführungsgang des Pankreas, der Ductus Wirsungianus, gemeinsam mit dem Ductus choledochus in die Papilla Vateri; in der sog. Minorpapille mündet in der Regel ein weiterer Ausführungsgang. Die Vorderfläche des Pankreas grenzt an die Magenhinterwand und ist von dieser lediglich durch die Bursa omentalis getrennt. Der Pankreasschwanz steht in enger Beziehung zum Milzhilus; A. und V. splenica verlaufen an der Oberkante des Pankreas. Dabei geben sie aber viele kleine Äste an die Bauchspeicheldrüse ab (. Abb. 2.54). Das retroperitoneal gelegene Organ liegt ventral der Wirbelsäule der Aorta auf. Die arterielle Blutversorgung erfolgt aus Ästen der A. gastroduodenalis (A. pancreaticoduodenalis superior), aus Ästen der A. mesenterica superior (A. pancreaticoduodenalis inferior) und aus der Milzarterie. Das Pankreas bietet durch seinen anatomischen Aufbau ungünstige Verhältnisse für einen chirurgischen Eingriff, weil es wenig Bindegewebe, jedoch ein außergewöhn-

Das Pankreas ist auf 2 verschiedenen Wegen an der Verdauung und der Stoffwechselregulierung beteiligt: 4 Es hat eine exkretorische Funktion und gibt zur Nahrungsverdauung die folgenden Enzyme aus den Azini über die Ausführungsgänge in das Duodenum ab: 5 Trypsin → Eiweißspaltung, 5 Lipase → Fettspaltung, 5 Amylase und Maltase → Kohlenhydratspaltung. 4 Die inkretorische Funktion beinhaltet die Regulierung des Kohlenhydratstoffwechsels durch Hormonabgabe in die Blutbahn: 5 Langerhans-Inselzellen → Insulinabgabe → Glukagonsekretion.

2.9.2

Krankheiten der Bauchspeicheldrüse

Akute Pankreatitis Die akute Pankreatitis ist zunächst ein internistisches Krankheitsbild, verursacht durch Gallengangsteine, Alkoholismus und seltene andere Ursachen. Die intrapankreatische Aktivierung der oben genannten Verdauungsenzyme und die Verminderung der Zellmembranstabilität führen zu einer »Selbstverdauung« des Organs, die auch über die Organgrenzen hinaus fortschreiten kann.

97 2.9 · Bauchspeicheldrüse

jSymptome

Die Erkrankung beginnt mit Oberbauchschmerzen, die charakteristischerweise gürtelförmig v. a. links in den Rücken ausstrahlen. Häufig treten Übelkeit und Erbrechen mit einem Subileusbild als Ausdruck der begleitenden Paralyse des Darmes auf. Neben Meteorismus tritt Fieber auf. Als Zeichen des peritonealen Reizes kann zusätzlich zu den heftigen Schmerzen eine Abwehrspannung im Oberbauch bestehen. jVerlauf

Von den akuten Pankreatitiden heilen 80% über die ödematöse Verlaufsform aus, 20% können in die nekrotisierende Verlaufsform übergehen. Bei den nekrotisierenden Verlaufsformen gehen 50% mit einem septischen Krankheitsbild einher.

a

jKomplikationen und Folgen Lokal Peripankreatische Nekrosen mit Ausbreitung im

Retroperitoneum. Ausbildung von Pseudozysten, die perforieren können. Außerdem besteht die Möglichkeit der Superinfektion und der Arrosionsblutung. Weitere Folgen können Abszess- und Fistelbildung sein. Organsystemisch Kreislaufschock und pulmonale Insuffizienz. Niereninsuffizienz, Ileus, Gerinnungsstörungen, gastrointestinale Blutungen.

jTherapie Konservativ Primär werden alle akuten Pankreatitiden

konservativ, bei schweren Verläufen auch sehr aggressiv, therapiert. Grundsätzlich wird nur initial orale Nahrungsund Flüssigkeitskarenz eingehalten, bei Bedarf mit Entlastung des paralytischen Magen-Darm-Traktes mit einer Magensonde. Eine angepasste Schmerztherapie ist sinnvoll. Bei schwerem Verlauf werden evtl. Antibiotika angesetzt, bei Ateminsuffizienz frühzeitig Intubation und Beatmung, bei Flüssigkeitseinlagerung und Nierenversagen auch Hämofiltration. Operativ Nur bei kompliziertem Verlauf nach Ausschöpfung der konservativen Therapie möglichst erst Wochen nach Krankheitsbeginn, da die frühe operative Therapie mit hoher Letalität belastet ist. Nekrosektomie bei infizierten Nekrosen, Operation bei Perforation benachbarter Hohlorgane im Rahmen einer nekrotisierenden Pankreatitis, bei Kolonstenosierung. OP-Konzept Die Nekrosektomie erfolgt einzeitig operativ, sofern endoskopische interventionelle Verfahren nicht zur Verfügung stehen. Frühzeitig werden Spüldrainagen zur Ableitung des aggressiven Pankreassekrets in die Pankreasloge eingelegt.

b . Abb. 2.55a, b Laterolaterale Pankreatikojejunostomie (a). Fertiggestellte laterolaterale Pankreatikojejunostomie mit Y-Anastomose nach Roux (b). (Nach Reding 1988)

Bevorzugt wird die spätsekundäre Operation (nach Wochen bzw. Monaten) mit Sanierung der Spätfolgen: Drainageoperation von Pankreaspseudozysten durch Pseudozystojejunostomie nach Y-Roux (7 Abschn. 2.5.5). Ein nach Pankreaskopfpankreatitis permanent aufgestauter Pankreasgang kann durch eine nach Y-Roux ausgeschaltete Jejunumschlinge ebenfalls abgeleitet werden (sog. Operation nach Puestow; . Abb. 2.55).

Chronische Pankreatitis/Pankreaskopfkarzinom Hinweise für ein Pankreaskopfkarzinom (60% der Pankreaskarzinome) ergeben sich bei schmerzlosem Ikterus mit schmerzlosem Gallenblasenhydrops (CourvoisierZeichen). Außerdem tritt meist eine Gewichtsabnahme auf. Die chronische Pankreatitis verläuft meist über Jahre in Schüben, oft mit heftigen Schmerzattacken. Mit dem

2

98

Kapitel 2 · Allgemeinchirurgie und Viszeralchirurgie

»Ausbrennen« des Organs wird es funktionslos. Es kommt zu Fettstühlen und insulinpflichtigem Diabetes mellitus.

2

jDiagnostik

In 90–95% der Fälle lässt sich präoperativ die Diagnose eines Pankreaskopfkarzinoms und die lokale Operabilität folgendermaßen sichern: 4 Laborwerte und Tumormarker (CA 19–9), 4 Sonographie/Computertomographie, Endosonographie, 4 perkutan oder endosonographisch Feinnadelpunktionszytologie oder Endosonographie, 4 ERCP, MRCP, 4 Angiographie, Splenoportogramm, MDP (Darstellung der Magen-Darm-Passage durch Schlucken von Kontrastbrei, Duodenalstenose?), evtl. PTC (perkutane, transhepatische Cholangiographie). Nur bei 5–10% der Patienten stellt sich das Problem der Differenzialdiagnose zur chronischen Pankreatitis intraoperativ. Die Karzinome des Pankreaskorpus (10%) und des Pankreasschwanzes (10%) sind seltener, ihre Klinik ist häufig erst in fortgeschrittenem Stadium erkennbar, da die Stenosierung der Gallenwege fehlt. 20% der Pankreaskarzinome betreffen diffus das gesamte Organ.

a

b

jOP-Indikation

Ein kurativer Therapieansatz für das Pankreaskopf- und das Papillenkarzinom ergibt sich nur bei frühen Erkrankungsstadien mit der partiellen Duodenopankreatektomie nach Whipple. Andererseits stellen resezierbare Infiltrationen von Nachbarorganen oder Blutgefäßen heute keine Kontraindikation zur Operation mehr dar. Verschiedene Modifikationen der Rekonstruktionen werden beschrieben. Operationstechnische und tumorradikale Gründe sprechen beim Pankreaskopfkarzinom zwar für die totale  Duodenopankreatektomie (DPE). Nach totaler DPE tritt zwangsläufig ein insulinpflichtiger Diabetes mellitus auf! Die Langzeitergebnisse sind jedoch nicht günstiger, zumal die Lebensqualität bei der pyloruserhaltenden partiellen Duodenopankreatektomie (PPPD) besser ist. Eine Operation nach Whipple mit Resektion des distalen Magens wird vorgenommen, wenn der Tumor auch im Bulbus duodeni zu finden ist. Das Pankreasschwanzkarzinom wird, falls die Operabilität lokal gegeben ist, durch die Linksresektion des Organs therapiert. Bei einer chronischen Kopfpankreatitis wird der Pankreaskopf reseziert. An das verbleibende Bauchspeicheldrüsengewebe wird eine Jejunumschlinge als Korpusdrainage anastomosiert (. Abb. 2.56).

c . Abb. 2.56a–c Duodenumerhaltende Resektion des Pankreaskopfes nach Beger et al. a Der Pankreaskopf ist durchtrennt. b Ein Teil des Pankreaskopfes zwischen der duodenalen Seite der Portalvene und des intrapankreatischen Ductus choledochus ist reseziert. c Rekonstruktion mit einer End-zu-End-Pankreatikojejunostomie mit dem Pankreaskorpus und einer Seit-zu-Seit-Pankreatikojejunostomie zur Resektionshöhle des Pankreaskopfes

99 2.9 · Bauchspeicheldrüse

2.9.3

Duodenumerhaltende Pankreaskopfresektion (DEPKR)

Operationsindikationen bei der chronischen Pankreatitis sind medikamentös schwer beherrschbare Oberbauchschmerzen, Stenosen des Gallen- und Pankreasganges, des Duodenums und der Pfortader. Ziel der Operation ist neben der Beseitigung der oben genannten Komplikationen auch die andauernde Schmerzfreiheit oder Schmerzminderung« (Keim et al. 2009). Bei der chronischen Pankreatitis werden heute die entzündlichen Pankreaskopftumoren zunehmend duode-

numerhaltend operiert. 2 Operationsverfahren haben sich durchgesetzt: 4 die duodenumerhaltende Pankreaskopfresektion nach Beger (. Abb. 2.57) und 4 die lokale Pankreaskopfresektion mit longitudinaler Pankreatikojejunostomie nach Frey (. Abb. 2.58).

OP nach Beger kPrinzip

Das Pankreas wird auf Höhe der Mesenterialvene vollständig durchtrennt und der Pankreaskopf im Anschluss »ausgehöhlt« (. Abb. 2.57).

a

b

. Abb. 2.57a, b Duodenumerhaltende Pankreaskopfresektion (DEPKR) nach Beger. a Situs nach Resektion mit Ausschaltung des Pankreaskopfes und Durchtrennung des Pankreas über der Pfortader. b Situs nach Rekonstruktion: zwei Anastomosen der Jejunalschlinge auf Pankreaskorpus und -kopf. (Aus Strobel et al. 2009)

a

b

. Abb. 2.58a, b Duodenumerhaltende Pankreaskopfresektion (DEPKR) nach Frey. a Situs nach Resektion mit umschriebener Resektion im Pankreaskopf und longitudinaler Eröffnung des Pankreasgangs nach links. b Situs nach Rekonstruktion mit Drainage in eine Jejunalschlinge. (Aus Strobel et al. 2009)

2

100

Kapitel 2 · Allgemeinchirurgie und Viszeralchirurgie

OP nach Frey kPrinzip

2

Es wird bei der partiellen Pankreaskopfresektion belassen ohne Durchtrennung des Parenchyms, aber mit Erweiterung um eine longitudinale Spaltung des Pankreasganges (. Abb. 2.58). Es gibt Modifikationen (z. B. nach Büchler), bei der ebenfalls auf die – bei chronisch entzündlich verändertem Pankreasparenchym – nicht unkomplizierte Organdurchtrennung auf der V. mesenterica superior, aber auch auf die Längsspaltung des D. Wirsungianus verzichtet wird. Der Pankreaskopf wird unter Erhalt der dorsalen Pankreaskapsel partiell reseziert, wobei der D. choledochus türflügelartig eröffnet und so abgeleitet werden kann. Bei allen duodenumerhaltenden Operationsverfahren wird der eröffnete Pankreasrest mit einer antimesenterial eröffneten, nach Y-Roux ausgeschalteten Jejunumschlinge gedeckt.

2.9.4

4 Vesselloops, 4 bei Bedarf Einzelclipstapler und linearer Verschlussstapler.

OP-Verlauf: Linksseitige Pankreasresektion

5 Hautdesinfektion, sterile Patientenabdeckung, Team-Time-out.

5 Quer verlaufende bogenförmige Oberbauchlapa-

5

5

Distale Pankreasresektion (linksseitige Pankreasresektion)

Die linksseitige subtotale Pankreasresektion entfernt 60– 80% des gesamten Drüsenparenchyms.

5

kIndikation

4 Multiple Pseudozysten im Pankreasschwanz, 4 das seltene Insulinom, falls keine lokale Exzision möglich ist, 4 selten Pankreasschwanzkarzinome, 4 vom Schwanz ausgehende Pankreasfistel, 4 diffus sklerosierende Pankreatitis. kPrinzip

Resektion des Pankreasschwanzes mit einem Teil des Pankreaskörpers mit Unterbindung der A. splenica und deshalb zumeist kombiniert mit einer Splenektomie. Bei benignen Befunden kann milzerhaltend vorgegangen werden. Diese Operation kann laparoskopisch durchgeführt werden.

5

5

5 5 5

kLagerung

4 Rückenlage, leicht überstreckt, 4 neutrale Elektrode an einem Oberschenkel.

5

kInstrumentarium

4 4 4 4 4

Grund- und Laparotomieinstrumentarium, evtl. Rochard-Haken, Rahmen, überlange Präparationsinstrumente, Zügel,

5

rotomie oder große mediane Laparotomie. Exploration des Bauchraums und Einsetzen des Rahmens. Mit der Durchtrennung des Lig. gastrocolicum zwischen Overholt-Klemmen und der Lösung der Magenhinterwand vom Pankreas beginnt die Skelettierung. Die Milz wird, wenn sie nicht bei besonders günstigen anatomischen Verhältnissen belassen werden kann, in bekannter Weise mobilisiert (7 Abschn. 2.6.2). Die A. splenica wird in Höhe der Resektionslinie bzw. an ihrem Abgang aus dem Truncus coeliacus präpariert, doppelt ligiert und durchtrennt. Die Milzvene wird kurz vor der V. mesenterica superior abgesetzt. Das Peritoneum wird an der Unterkante des Pankreasschwanzes inzidiert, die Milz luxiert und nach rechts gezogen. Das stumpfe Abpräparieren des Pankreasschwanzes inklusive der V. splenica vom Retroperitoneum muss schrittweise, schichtgerecht und äußerst behutsam erfolgen, um u. a. eine Begleitverletzung der Nebenniere zu vermeiden. Wenn die V. portae erreicht ist, müssen vor allen weiteren OP-Schritten die kleinen Zuflüsse sorgfältig ligiert werden. Die A. hepatica communis wird sicher identifiziert, der Pankreasober- und -unterrand vorsichtig von der V. portae bzw. V. mesenterica superior abgelöst, die V. gastrica dextra wird ligiert. Das Absetzen hinter einer doppelten Klammernahtreihe ist die einfachste Art der Resektion. Der Verschluss der Resektionsfläche erfolgt durch resorbierbare Einzelknopfnähte. Wurde präoperativ keine ERCP durchgeführt, wird der Ductus Wirsungianus sondiert, um sicherzustellen, dass im Kopfabschnitt keine Stenose vorliegt. Ein Drain, am besten als Spüldrainage vorbereitet, wird nahe der Resektionsfläche platziert und separat ausgeleitet. Nach der Zählkontrolle der Textilien und des Instrumentariums sowie der Dokumentation ihrer Vollzähligkeit schichtweiser Wundverschluss und Verband.

101 2.9 · Bauchspeicheldrüse

a

b

c

. Abb. 2.59a–c Schema Resektionsausmaß a bei klassischer partieller Pankreatikoduodenektomie (Operation nach Kausch-Whipple), b bei pyloruserhaltender partieller Pankreatico-Duodenektomie (Operation nach Traverso-Longmire, c bei Pankreaslinksresektion (distale Pankreatektomie) mit Splenektomie. (Aus Siewert u. Stein 2012)

2.9.5

Partielle Duodenopankreatektomie nach Whipple (rechtsseitige Pankreasresektion)

kIndikation

4 Pankreaskopfkarzinom, 4 Karzinom der Papilla Vateri, 4 evtl. chronische Kopfpankreatitis (hier wird zunehmend die duodenumerhaltende Pankreaskopfresektion angewendet), 4 distales Gallengangkarzinom. kPrinzip

En bloc werden der Pankreaskopf mit dem Duodenum und dem distalen Anteil des Magens reseziert. Heute ist jedoch zunehmend die pyloruserhaltende Operation ohne Magenteilresektion (Traverso-Longmire) üblich. Neben der Resektion des distalen Ductus choledochus wird auch die Cholezystektomie durchgeführt. Die Rekonstruktion beinhaltet die Wiederherstellung der Magen-DarmPassage, die Ableitung der Galle über eine biliodigestive Anastomose und die Anastomosierung des Pankreaskorpus ebenfalls mit einer Jejunumschlinge (. Abb. 2.59) oder alternativ durch Implantation in die Magenhinterwand. kLagerung

4 Überstreckte Rückenlage, 4 neutrale Elektrode an einem Oberschenkel. kInstrumentarium

4 4 4 4 4

Grund- und Laparotomieinstrumentarium, Allis-Klemmen, lange Präparationsinstrumente, Rochard-Haken, Kirschner-Rahmen,

4 4 4 4

Gummizügel, Vesselloops, Einzelclipstapler, lineares Verschluss- und/oder AnastomosenKlammernahtinstrument.

Indikationen zum Palliativeingriff Eine biliodigestive Anastomose wird bei Stenosierung des Ductus choledochus angelegt. Bei einer begrenzten Lebenserwartung ist meist nur die endoskopische Einlage einer Gallengangprothese sinnvoll. Eine Gastroenteroanastomose muss bei Infiltration bzw. Stenosierung des Duodenums als Umgehungsanastomose zur Aufrechterhaltung der Nahrungspassage angelegt werden. Häufig ist es sinnvoll, beide Eingriffe miteinander zu kombinieren. Dies gilt auch, wenn noch keine Duodenalstenose aufgetreten ist, um dem Patienten bei fortgeschrittener Erkrankung weitere Operationen zu ersparen (7 Abschn. 2.5). Für beide Anastomosen eignet sich wieder die Y-RouxTechnik.

OP-Verlauf: Partielle Duodenopankreatektomie nach Whipple

5 Hautdesinfektion, sterile Patientenabdeckung, Team-Time-out. 5 Meist quer verlaufende bogenförmige Oberbauchlaparotomie. Ausgedehnte Exploration um ggf. die OP-Indikation zu revidieren. Nach dem Einsetzen des Rochard-Hakens und eines Rahmens wird das Lig. gastrocolicum aufgesucht und zwischen Overholt-Klemmen durchtrennt und ligiert.

2

102

Kapitel 2 · Allgemeinchirurgie und Viszeralchirurgie

5 Die Duodenalmobilisation nach Kocher ist zwin-

2 5

5

5

5

5

5 5 5

gend erforderlich, um die Beweglichkeit des Pankreaskopfes zu prüfen, die einen Aspekt der Operabilität darstellt. Das Lig. hepatogastricum wird ebenfalls zwischen Klemmen durchtrennt, dabei wird die A. gastrica dextra ligiert. Duodenum und Pankreas müssen sich problemlos von den Mesenterialgefäßen ablösen lassen. Die Identifikation der A. hepatica und der Pfortader ist obligat. Der vom Duodenum umgebene Pankreaskopf wird mit Overholt-Klemmen und Präparierschere freigelegt, bis dorsal die V. cava sichtbar ist. Danach wird das Pankreas schonend an seiner Unterkante skelettiert, mit einem langen Overholt links neben der V. mesenterica superior unterfahren und mit einem Gummizügel angeschlungen. Die Unterbindung der A. gastroduodenalis und die Durchtrennung des Ductus choledochus setzen die Präparation fort. Das untere Drittel des Magens wird, wie bei der Billroth-I- oder Billroth-II-Operation, skelettiert und zwischen Klemmen oder mit einem linearen Stapler abgesetzt. Alternativ wird postpylorisch abgesetzt. Das Duodenum wird bis zur Flexura duodenojejunalis skelettiert und mit dem linearen Cutter oder auch zwischen Klemmen durchtrennt, die Gallenblase wird entfernt (7 Abschn. 2.7.2). An der Resektionslinie wird das Pankreas offen mit dem Diathermiemesser abgesetzt. Alternativ wird das Pankreas vorher mit einem großen Overholt unterfahren, um 2 zirkuläre Ligaturen zu legen und zu knoten. Das Gesamtpräparat entfällt.

Es gibt verschiedene Möglichkeiten der Rekonstruktion. Die häufigste ist wohl die Reparation in der Y-Roux-Technik. 5 Das offene Ende der an der Flexura duodenojejunalis abgesetzten Jejunumschlinge, ante- oder retrokolisch hochgezogen, wird End-zu-End oder End-zu-Seit mit dem Pankreasrest anastomosiert. Die zweireihige Naht erfolgt invertierend (sog. Teleskopanastomose). 5 In die gleiche Schlinge in Reihe oder in eine zweite Y-Roux-Schlinge wird der Ductus choledochus End-zu-Seit als biliodigestive Anastomose eingepflanzt. 5 Etwa 40 cm unterhalb der biliodigestiven Anastomose wird das Jejunum durchtrennt und an den

aboralen Teil wird der Magenrest End-zu-End oder zu-Seit anastomosiert. Alternativ erfolgt mindestens 20 cm aboral der biliodigestiven Anastomose die Anlage der End-zu-End-Pylorojejunostomie. Eine weitere wichtige Modifikation besteht in der Implantation des Pankreasrestes in die Magenhinterwand als Pankreatogastrostomie. Diese Technik wird als weniger komplikationsträchtig eingeschätzt als die pankreatojejunale Anastomose. 5 Die biliodigestive Anastomose wird in diesem Falle wieder in der Y-Roux-Technik End-zu-Seit angelegt. Eine weitere Anastomosierungsvariante bietet die Billroth-II-Technik mit Anlage einer Braun-Fußpunktanastomose. 5 1–2 weiche Drainagen werden gelegt. 5 Nach der Zählkontrolle der Textilien und Instrumente sowie der Dokumentation der Vollzähligkeit schichtweiser Wundverschluss und Verband. Pyloruserhaltend: BII-Technik ohne Fußpunktanastomose, End-zu-Seit-Pylorojejunostomie.

Laparoskopisch kann auch eine biliodigestive Anastomose über eine Cholezystojejunostomie hergestellt werden. Leider ist beim Pankreaskopfkarzinom häufig nur noch ein Palliativeingriff möglich, da es meist zu spät diagnostiziert wird. Als Entscheidungskriterien gelten: 4 Nachweis der Lymphknoten-/Fernmetastasierung (Schnellschnitt, CT, MRT), 4 lokale Infiltration des Tumors in die A. mesenterica superior oder in die Pfortader bzw. in die Nachbarorgane. Allerdings sind auch in diesen Situationen vereinzelt kurative Resektionen mit aufwendiger Gefäßrekonstruktion durchführbar. Fernmetastasen und Peritonealkarzinose verhindern häufig selbst einen Palliativeingriff.

103 2.10 · Dünndarm

2.10

Dünndarm

M. Liehn, L. Steinmüller 2.10.1

Anatomie und Physiologie

Anatomie des Duodenums, des Jejunums und des Ileums Als Dünndarm bezeichnet man den Darmteil vom Pylorus bis zur Ileozäkalklappe. Er ist etwa 4–6 m lang. Hinter dem Pylorus beginnt das obere Duodenum, die sog. Pars superior, daran schließen sich die Pars descendens und die Pars horizontalis an. Die abschließende Pars ascendens mündet am Treitz-Band in das Jejunum. Der Anfangsteil des Duodenums ist auf 2–3 cm Länge, ebenso wie das Jejunum, fast zirkulär mit Serosa bedeckt. Der größere Teil des Duodenums liegt retroperitoneal. Das Duodenum umfasst hufeisenförmig den Pankreaskopf. Beide Organe haben eine gemeinsame Blutversorgung. Das Jejunum und das Ileum hängen in ganzer Länge frei am Mesenterium. Das Jejunum im linken oberen und das Ileum im rechten unteren Teil der Bauchhöhle werden vom Omentum majus wie von einer Schürze bedeckt. Das Ileum endet an der Bauhin-Klappe (= Ileozäkalklappe). Die Gefäßversorgung des Dünndarmes erfolgt aus Ästen der A. mesenterica superior. Das Kolon umringt das Dünndarmkonvolut wie ein Rahmen. Chirurgisch bedeutsam ist ein evtl. vorhandenes Meckel-Divertikel, ca. 70 cm vor der Ileozäkalklappe. Es hat über ein Mesenteriolum eine eigene Gefäßversorgung.

Adenom wird entfernt und die quer verlaufende Öffnung ein- oder zweireihig wieder verschlossen. Auf diese Art engt man das Darmlumen, wenn überhaupt, nur geringfügig ein. Durch Längsinzision von stenosierten Darmabschnitten und querem Nahtverschluss kann eine Erweiterung des Darmlumens erzielt werden (s. Pyloroplastik 7 Abschn. 2.5.4, Strikturoplastik bei M. Crohn).

2.10.2

Dünndarmresektion

Man kann entweder einzelne Dünndarmsegmente oder längere Abschnitte resezieren. Wichtig ist hier der Kontaminationsschutz. kIndikation

4 4 4 4 4 4 4

Inkarzerierte Hernie mit nekrotischem Darmabschnitt, Mesenterialinfarkt, Karzinome, Sarkome, M. Crohn, Meckel-Divertikulitis oder traumatische Dünndarmverletzungen.

kPrinzip

Das betroffene Dünndarmsegment wird zumeist mit Mesenterium reseziert und End-zu-End oder Seit-zu-Seit anastomosiert (. Abb. 2.60). kLagerung

4 Rückenlage, 4 Dispersionselektrode an einem Oberschenkel. kInstrumentarium

Physiologie Aufgaben des Dünndarmes sind die Resorption von verschiedenen Nahrungsbestandteilen sowie die Sekretion von Amylasen und Proteinasen. Außerdem werden Gallensalze rückresorbiert.

Enterotomie

4 4 4 4 4 4 4

Grund- und Laparotomieinstrumentarium, Rahmen, Duval- und Allis-Klemmen, weiche Darmklemmen, 90° abgewinkelte Klemmen, bei Bedarf Rinne und Deschamps, Einzelclipstapler und linearer Anastomosenstapler.

Definition Als Enterotomie bezeichnet man die zeitweilige Eröffnung des Dünndarmlumens. Nachdem die erforderliche Manipulation im Lumen beendet ist, muss die Darmwandwunde wieder verschlossen werden.

Man spricht von einer Duodenotomie, einer Jejunotomie oder einer Ileotomie. Der Darm wird mit dem Skalpell zwischen 2 Haltefäden quer eröffnet, der Fremdkörper, ein Polyp oder ein

OP-Verlauf: Dünndarmresektion

5 Hautdesinfektion, sterile Patientenabdeckung, Team-Time-out.

5 Der Zugang erfolgt zumeist über eine mediane Unterbauchlaparotomie; zuerst wird die Bauchhöhle exploriert. 5 Nach dem Einsetzen des Rahmens oder großer Bauchdeckenhaken (z. B. nach Fritsch) ist das große Netz zu sehen, das hochgeschlagen wird.

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Kapitel 2 · Allgemeinchirurgie und Viszeralchirurgie

Tumor

Resektionslinie

5 An die verbleibenden Darmenden wird jeweils

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5

5

a

Resektionslinie Striktur

5 5 5

5 b . Abb. 2.60a, b Dünndarmresektion. a Onkologische Dünndarmresektion mit weitem Sicherheitsabstand und Lymphadenektomie durch keilförmige Skelettierung des Mesenteriums. b Knappe Resektion einer benignen Stenose ohne Lymphadenektomie

5

Die betroffene Schlinge wird aufgesucht und der zu diesem Dünndarmsegment gehörende Mesenterialbezirk V-förmig skelettiert. Dazu wird das Peritoneum beiderseits eingeschnitten, das Fettgewebe mit Präpariertupfern abgeschoben. Mit Hilfe von Overholt-Klemmen werden zwischen Ligaturen seitlich die Gefäßarkaden unterbrochen und ggf. das Zentralgefäß durchtrennt. Alternativ kommt ein Einzelclipstapler zum Einsatz oder das LigaSure bzw. alternative Energiegeräte. 5 Die Arterien lassen sich im OP-Gegenlicht sichtbar machen (Diaphanoskopie). 5 Der Darm wird an den Resektionslinien zirkulär vom Fett befreit und nach beiden Seiten ausgestrichen. Dann werden die Darmklemmen (weich und hart) angesetzt.

5

2.11

eine weiche Darmklemme gesetzt und an die Resektatenden je eine harte Klemme, um nach der Durchtrennung mit dem Skalpell jede Verunreinigung der Bauchhöhle zu vermeiden. Aus diesem Grund empfiehlt sich hier die Anwendung eines linearen Anastomosenstaplers. Das Darmlumen kann nach der Durchtrennung mit einem z. B. in Betaisodona-Lösung getränkten Stieltupfer gesäubert werden. Zur Rekonstruktion der Darmpassage durch eine End-zu-End-Anastomose werden die beiden Darmenden über die verbliebenen weichen Klemmen zusammengeführt und die Einzelnähte für die Serosahinterwand gelegt und ungeknotet angeklemmt. Die Klemmen können geordnet auf eine Pinzette gefädelt werden. Die weichen Darmklemmen werden parallel nebeneinander gelegt, die gelegten Nähte verknotet. Die Naht der Mukosahinterwand und -vorderwand erfolgt häufig fortlaufend, die Serosavorderwand wird invertierend genäht. Üblich ist auch die einoder zweireihige fortlaufende Nahttechnik der Vorder- und Hinterwand der Seromuskularis. Der Verschluss des Mesenterialschlitzes und das Anordnen des Darmpakets im Sinne von Noble beenden den eigentlichen Eingriff. (Hierbei wird der gesamte Dünndarm quer zur Mesenterialwurzel mäanderförmig angeordnet. So werden Verschlingungen und Abknickungen vermieden.) Nach der Zählkontrolle der Textilien und Instrumente sowie der Dokumentation ihrer Vollzähligkeit kann die Bauchhöhle schichtweise verschlossen werden. Verband.

Blinddarm

M. Liehn, L. Steinmüller 2.11.1

Appendizitis

Die vordere freie Tänie des Zäkums dient als Leitbahn zur Appendix, die ein Anhängsel des Dickdarmes und durchschnittlich 7,5–10 cm lang ist. Der Wurmfortsatz hat ein Mesenteriolum, in dem die A. appendicularis verläuft. Am Ansatz dieses Mesenteriolums ist die Appendix vom Peritoneum überzogen.

105 2.11 · Blinddarm

Probleme bei Diagnose und Therapie 4 Untersuchungsverfahren zum sicheren Beweis oder Ausschluss sind Anamnese, Labor, Klinik, Sonographie und ggf. CT. 4 Eine akute Appendizitis muss bei jedem Patienten mit abdominellen Beschwerden erwogen werden, der bereits geringe Symptome eines peritonealen Reizes zeigt. 4 Die einzige Möglichkeit die Sterblichkeit von 0,7 : 100.000 Einwohner weiter zu senken und die Schwere der Erkrankung zu mindern besteht in der Appendektomie vor Eintritt der Gangrän oder der Perforation.

Einteilung der Appendizitisformen Akute Appendizitis Erkennbar an der ödematösen Auftreibung, der entzündlichen Rötung und dem fibrinösen Exsudat in der Umgebung.

Akut-phlegmonöse Appendizitis Sammelbegriff für alle destruktiven Formen einschließlich der perforierten, gangränösen und eitrigen Appendizitis und Periappendizitis. Bei der Perforation werden folgende Arten unterschieden: 4 freie Perforation, die zur Peritonitis führt; 4 gedeckte Perforation, die zum perityphlitischen Abszess führt, einer lokal begrenzten Eiteransammlung. Die gedeckte Perforation geht zumeist aus dem perityphlitischen Infiltrat hervor. Dieses ist als lokale Tumorbildung tastbar. Hierbei tritt eine starke entzündliche Begleitreaktion ohne Eiter auf.

Chronische Appendizitis Bei der chronischen Appendizitis handelt es sich in der Regel um einen Folgezustand nach akuter Appendizitis mit Übergang in eine Vernarbung. Die hier zeitweise auftretenden Schmerzen verschwinden mit der Appendektomie.

Pathophysiologie der Appendizitis Es wird angenommen, dass die Appendizitis die Folge einer Lumenverlegung der Appendix unterschiedlicher Ursache ist. Aus der fokalen Appendizitis wird die Durchblutung durch erhöhten Binnendruck und Wandödem bei »Fesselung« von außen (durch die Serosa) gedrosselt. Damit nimmt die Wandschädigung zu. Auf dem günstigen Keimnährboden entstehen nach der eitrigen Einschmelzung die Gangrän und schließlich die Perforation.

Wege zur klinischen Diagnose Anamnese Die »klassische« Schmerzabfolge beginnt meist diffus im Epigastrium oder in der Nabelregion. Dieser schlecht lokalisierbare »Organschmerz« wird auch als viszeraler Schmerz bezeichnet. Begleitet wird dieses Symptom von Inappetenz und Übelkeit. Danach stellt sich meist Erbrechen ein. Nach Stunden bis Tagen ziehen die Schmerzen punktförmig lokalisiert in den rechten Unterbauch. Diese Form des parietalen (somatischen) Schmerzes zeigt das Übergreifen des Prozesses auf das parietale Peritoneum an (Quadrantenperitonitis). Diese klassische Schmerzabfolge tritt allerdings nur in 55% der akuten Appendizitiden ein; andererseits kommt sie auch bei bis zu 25% der Fälle im Rahmen anderer Erkrankungen vor.

Körperliche Untersuchungsbefunde Prüfung des Spontan-, Druck- und Erschütterungsschmerzes. Typisch sind: 4 Lokalisation des Spontanschmerzes punktförmig im rechten Unterbauch, 4 Druckschmerz am sog. McBurney-Punkt bei der Tastuntersuchung, 4 Auslösung eines Erschütterungsschmerzes durch Beklopfen der Bauchdecke bzw. 4 Prüfung des Loslass- und kontralateralen Loslassschmerzes, 4 Douglas-Schmerz als Zeichen der entzündlichen Reizung des Peritoneums bei der rektalen Untersuchung.

Labor- und Messbefunde Zur weiteren Diagnostik werden die Temperaturmessung, die Leukozytenzählung, CRP-Wert und die Sonographie eingesetzt. Kein Verfahren ist in der Lage, das Vorliegen einer Appendizitis zu beweisen. Besonderheiten einzelner Patientengruppen Kinder Bei Kleinkindern verläuft die Entzündung des Wurmfortsatzes foudroyant. Die Differenzialdiagnose einer Appendizitis ist umso schwieriger, je jünger die Patienten sind. Junge Frauen Die »negative Laparotomierate« (Anzahl der Patienten, bei denen während der Operation keine Appendizitis vorgefunden wird) ist doppelt so hoch wie bei den übrigen Patienten. Aus diesem Grund sollte präoperativ eine gynäkologische Untersuchung, auch mit Ultraschall, durchgeführt werden.

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Kapitel 2 · Allgemeinchirurgie und Viszeralchirurgie

2.11.2

2

Schwangerschaft Auf 2.000 Schwangerschaften entfällt eine akute Appendizitis, und zwar am häufigsten in den ersten 6 Monaten. Die Symptome unterscheiden sich kaum gegenüber Nichtschwangeren. Lediglich im letzten Drittel erschweren die Lageänderung und die Nachbarschaft des sich kontrahierenden Uterus die Diagnose. In allen Schwangerschaftsstadien sollte frühzeitig appendektomiert werden. Hohes Alter Die Rate der perforierten Wurmfortsätze liegt mit über 30% doppelt so hoch wie bei den übrigen Patienten. Als Grund ist die geringer ausgeprägte Klinik und die größere Indolenz anzusehen. Bei einer häufig größeren Zahl von Begleiterkrankungen resultiert eine erhöhte Mortalität.

Besonderheiten aufgrund der zeitlichen OP-Indikation Mit der klinischen Diagnose »akute Appendizitis« ergibt sich die zeitlich dringende OP-Indikation: 5 OP-Vorbereitung und Planung sollten maximal 2 h in Anspruch nehmen. 5 Auf die Forderung der Nüchternheit vor der Narkoseeinleitung muss verzichtet werden. 5 Bei Zeichen der diffusen Peritonitis sollte die Vorbereitungszeit aktiv genutzt werden. 5 Bei unklarer Symptomatik dient eine längere Vorlaufzeit der Beobachtung und der Erhebung von Kontrollbefunden. Mit dem Zeitpunkt der Diagnosestellung gelten die oben genannten Forderungen. 5 Zur Klärung und Vermeidung von zeitlichem Verzug bietet sich die laparoskopische Diagnostik und ggf. Therapie an (7 Abschn. 2.15). Sonderfälle: Beim perityphlitischen Infiltrat bzw. Abszess wird häufig eine Indikation für ein zunächst konservatives Vorgehen mit initialer Antibiotikatherapie und der Intervallappendektomie nach 2–3 Monaten gesehen. Obwohl dieses Vorgehen vielerorts praktiziert und in der Literatur angegeben wird, kann die Sofortoperation unter Antibiotikaprophylaxe mit Fortführung als Therapie den Krankheitsverlauf abkürzen. Besonderer Wert in der Diagnostik kommt hier der präoperativen Sonographie sowie der CT-Diagnostik zu. Nach Studienlage ist nach interventioneller Abszessdrainage und Ausheilung der Infektion eine IntervallAppendektomie nicht mehr erforderlich.

Appendektomie bei mobilem Zäkum

kIndikation

Akute Appendizitis. kPrinzip

Hervorluxieren des Zäkumpols, Absetzen der Appendixbasis, ggf. Versenken des Appendixstumpfes, Revision des Ileums wegen eines Meckel-Divertikels. kLagerung

4 Rückenlage, 4 Dispersionselektrode am rechten Oberschenkel. kInstrumentarium

4 Grundinstrumente, 4 evtl. längere Haken (z. B. Leberhaken nach Mikulicz), 4 Appendixquetsche, ersetzbar durch eine OverholtKlemme.

OP-Verlauf: Appendektomie

5 Hautdesinfektion, sterile Patientenabdeckung, Team-Time-out.

5 Der häufigste Zugang führt über den Wechselschnitt im rechten Unterbauch. Obwohl kosmetisch ungünstig und nur schlecht erweiterbar, kommt bei unklarer Anamnese oder Prognose vielfach der Pararektalschnitt zur Anwendung. 5 Dagegen lässt sich der Querschnitt beliebig verlängern und ist so bei perityphlitischen Befunden vorteilhaft. Nach der Eröffnung des Peritoneums und dem Einsetzen der stumpfen Haken (nach Roux, Kocher oder Mikulicz) wird der Dünndarm abgedrängt, mit Haken beiseite gehalten und so die Sicht auf das Zäkum ermöglicht. Wenn möglich sollte auf das Verlegen des Zäkums vor die Bauchdecke verzichtet werden, weil hierdurch Wandschäden entstehen können. Solche Läsionen sind wahrscheinlich die Ursache von postoperativen Adhäsionen oder Darmverschlüssen. 5 Mit einer Klemme (nach Péan oder Kocher) wird das Mesenteriolum an der Appendixspitze gefasst. Der Wurmfortsatz selbst sollte so wenig wie möglich berührt werden. Die meist im Gegenlicht sichtbare A. appendicularis wird mit einem Overholt unterfahren und doppelt ligiert. Anschließend wird das Mesenteriolum mit Overholt und Schere oder mit Rinne und Deschamps bis zur Zäkumbasis skelettiert (. Abb. 2.61).

107 2.12 · Dickdarm

Schwieriger gestaltet sich die Appendektomie bei retrozäkal gelegenem Wurmfortsatz. Häufig muss auf die eben beschriebene antegrade Appendektomie verzichtet werden. Es wird zuerst der Zäkumpol mobilisiert, um dann die Appendix an der Basis zu unterfahren und zu ligieren. Danach wird durch dosierten Zug an sog. »Kletterligaturen«, die abschnittweise wie die Basisligatur angelegt wurden, die Appendix bis zur Spitze mobilisiert und freipräpariert. Nachfolgend wird die Appendix wie oben beschrieben skelettiert und abgesetzt.

Komplikationen Die Komplikationen sind: 4 Wundinfektion, 4 Abszessbildung (intrapelvin/subphrenisch/ interenterisch), 4 Kotfistel und 4 bei 1% aller Operierten Entwicklung eines operationsbedürftigen Ileus. . Abb. 2.61 Das Mesenteriolum wurde durchtrennt, die Appendix skelettiert. Die Basis wird ligiert, die Appendix abgetragen und der Stumpf durch eine Tabakbeutelnaht eingestülpt. (Aus Siewert u. Brauer 2010)

5 An der Basis wird die Quetsche angesetzt und vorher mehrfach zusammengedrückt. Im gequetschten Bereich wird eine kräftige Ligatur gelegt. Mit einem Skalpell wird der Wurmfortsatz zwischen Appendixklemme und Ligatur durchtrennt. Nach einer Stumpfdesinfektion (z. B. mit einer PVP-Lösung) ist die Appendektomie beendet. 5 Vielerorts ist immer noch die Stumpfversenkung am Zäkum durch eine Tabakbeutelnaht aus dünnerem Nahtmaterial üblich. 5 Der Stumpf wird dann mit einer Pinzette im Zäkum versenkt. Die Tabakbeutelnaht wird zugezogen und kann mit einer Z-Naht gesichert werden. 5 Alle Instrumente, die mit dem geöffneten Zäkum Kontakt hatten (Messer, Pinzette, Tupfer) werden abgeworfen. 5 Am Dünndarm sollte über eine Distanz von ca. 1 m nach einem Meckel-Divertikel gefahndet werden. Nur bei fortgeschrittenen Entzündungsprozessen wird darauf verzichtet. Der Douglas-Raum wird mit Stieltupfern sorgfältig ausgetupft. Lag eine Perforation vor, wird das Abdomen mit warmer Kochsalzlösung gespült und vorhandene Fibrinbeläge werden komplett entfernt. Nur selten ist eine Drainageeinlage gerechtfertigt. 5 Schichtweiser Wundverschluss nach erfolgter Zählkontrolle und Dokumentation, Verband.

Das Komplikationsrisiko ist bei einer gangränösen oder perforierten Appendizitis erhöht. Durch den Einsatz von Antibiotika als perioperative Prophylaxe lässt sich die Wundinfektionsrate senken. Perforationsgefahr besteht bei weniger als 20% in den ersten 24 h, bei mehr als 70% nach 48 h. Das laparoskopische Vorgehen gilt als das Verfahren der Wahl (7 Abschn. 2.15). 2.12

Dickdarm

M. Liehn, L. Steinmüller 2.12.1

Anatomie und Physiologie

Anatomie Kolon Als Dickdarm (Kolon) bezeichnet man den etwa 1,5 m langen Darmanteil von der Ileozäkalklappe bis zum Anus. Das Kolon wird noch einmal von rechts unten ausgehend in die folgenden Abschnitte unterteilt: 4 Appendix: Sie entspricht einem rudimentären Zäkumabschnitt. 4 Zäkum: Es reicht bis zur Ileozäkalklappe (BauhinKlappe). Dies ist der weiteste Dickdarmabschnitt, allseitig von Serosa umgeben und somit intraperitoneal frei beweglich. 4 Colon ascendens. 4 Flexura coli dextra: An der Unterseite der Leber; das Kolon liegt retroperitoneal, im Gegensatz zu den beiden vorherigen Abschnitten. 4 Colon transversum: Es liegt intraperitoneal und ist an der dorsalen Bauchwand mittels eines Mesokolons

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Kapitel 2 · Allgemeinchirurgie und Viszeralchirurgie

fixiert, das Ober- und Mittelbauch abgrenzt. Das Colon transversum geht über in die

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4 Flexura coli sinistra. 4 Colon descendens, das retroperitoneal liegt. 4 Sigma: Es liegt im linken Unterbauch intraperitoneal und hat dementsprechend ein Mesosigma. 4 Rektum: Es liegt retroperitoneal und ist der unterste Abschnitt des Dickdarmes. Das Colon transversum ist mit dem Netz locker verwachsen. Auch das Zäkum liegt intraperitoneal und ist bis zu einem gewissen Grad mobil. Die anderen Dickdarmstrecken sind breit an der hinteren Bauchwand fixiert. Der Dickdarm unterscheidet sich vom Dünndarm durch 4 auffallende Merkmale: 4 Tänien: 3 Längsstreifen aus zusammengebündelten Fasern der Längsmuskulatur. 4 Haustren (Schöpfgefäße): Ausbuchtungen zwischen den Tänien, die durch Einschnürungen gegeneinander abgesetzt sind. 4 Appendices epiploicae: kleine, von Serosa überzogene Fettläppchen längs der Tänien. 4 Plicae semilunares coli: halbmondförmige Kontraktionsfalten, die das Innenrelief des Dickdarmes bilden. Sie entsprechen Kontraktionszuständen der Ringmuskulatur und wandern mit der Peristaltik (sog. Fließen der Haustren). Der Dickdarm umgibt den Dünndarm wie ein Rahmen.

Rektum Das Rektum beginnt dort, wo das Darmrohr sein Meso verliert (Mesocolon sigmoideum). Es hat eine Länge von ca. 15–20 cm. Zwei Krümmungen finden sich in der Sagittalebene: 4 Flexura sacralis: durch die Kreuzbeinkrümmung bedingt, 4 Flexura perinealis: konvex nach vorn zur Umgehung des Steißbeins. Das Rektum zeigt meist 3 halbmondförmige Querfalten. Oberhalb dieser Querfalten liegt die Rektumampulle, ein besonders erweiterungsfähiger Darmabschnitt, in dem sich der Darminhalt vor der Defäkation ansammeln kann. Die Ampulle verjüngt sich analwärts trichterförmig und geht in den Analkanal über.

Arterielle Gefäßversorgung 4 A. mesenterica superior: Sie entspringt unterhalb des Truncus coeliacus vor dem 1. LWK und hinter dem Pankreas aus der Aorta und gibt folgende Äste ab: 5 A. ileocolica, 5 A. colica dextra, 5 A. colica media.

Die A. mesenterica superior versorgt den Darmkanal von der unteren Duodenalhälfte bis zur linken Kolonflexur (Cannon-Böhm-Punkt). 4 A. mesenterica inferior: Sie entspringt gegenüber dem 3. LWK aus der Aorta und gibt folgende Äste ab: 5 A. colica sinistra, 5 Aa. sigmoideae, 5 A. rectalis superior. Die A. mesenterica inferior versorgt das Colon descendens, das Sigmoid und den größten Teil des Rektums. 4 A. iliaca interna mit folgenden Ästen: 5 Aa. rectalis mediae 5 Aa. rectalis inferiores.

Venöse Gefäßversorgung 4 V. mesenterica superior: Sie entspricht dem Ausbreitungsgebiet der Arterie. Sie bildet hinter dem Pankreas mit der V. splenica die Pfortader. 4 V. mesenterica inferior: Sie entspricht dem Ausbreitungsgebiet der Arterie und mündet hinter dem Pankreas in die V. splenica (. Abb. 2.62).

Lymphgefäße In der Darmwand liegt ein submuköses, intermuskuläres und subseröses Netzwerk. Alle Netzwerke hängen miteinander zusammen und leiten die Lymphe von der Darmwand ab. Die Lymphknoten nehmen die Lymphe des Darmes auf. Sie liegen in 3 Gruppen: 4 am Darmrand, 4 in der Mitte des Mesenteriums, 4 an der Mesenterialwurzel. Die Lymphknoten münden schließlich in Lymphknoten vor der Aorta und der V. cava inferior. Die gesamte Lymphe des Darmes sammelt sich im Truncus intestinalis.

Physiologie Die Hauptaufgaben des Kolons sind Aufnahme, Eindickung und Weitergabe unverdauter Nahrungsreste. Wie alle übrigen Darmabschnitte besitzt auch der Dickdarm eine Vagusversorgung (fördert Peristaltik) und eine Sympathikusversorgung (hemmt Peristaltik). Kontraktionen und Bewegungen sind stark von den Funktionen des übrigen Magen-Darm-Kanals abhängig (= gastrokolischer Reflex). Der Dickdarm scheidet keine Enzyme aus. Die sog. Lieberkühn-Drüsen liefern ein seromuköses Sekret, das als Gleit- und Schmiermittel dient. Bei pflanzlicher Nahrung kann die Verdauung durch Dünndarmenzyme fortgesetzt werden. Ein Teil der Spalt-

109 2.12 · Dickdarm

A. lienalis A. hepatica communis Pankreas A. colica transversa V. cava caudalis Arkade von Riolan V. portae Flexura coli sinistra Radix mesocoli

A. colica media

Plicae et recessus duodenales superiores et inferiores

A. mesenterica superior, Pancreas

V. mesenterica inferior

A. colica dextra, Duodenum

V. colica sinistra

A. ileocolica

A. mesenterica inferior A. colica sinistra Arkade von Drummond

A. iliaca interna

Aa. sigmoideae Mesosigmoideum

A. rectalis superior A. rectalis media A. rectalis inferior Ampulla recti

. Abb. 2.62 Arterielle und venöse Blutversorgung des Dickdarmes. (Aus Siewert 2006)

produkte wird resorbiert, der andere wird durch Gärung und Fäulnis zerstört. Der Dickdarm besitzt eine physiologische Flora von Bakterien, die Eiweiße und Kohlenhydrate zu energiearmen Abbauprodukten spalten. Die Eiweißabbauprodukte werden teils aus dem Darm ausgeschieden, teils vom Dickdarm resorbiert, in der Leber entgiftet und als gepaarte Schwefelsäuren im Harn ausgeschieden. Der Darminhalt ist nach 3- bis 4-stündigem Aufenthalt im Dünndarm noch relativ dünnflüssig. Er wird im Dickdarm durch Wasserresorption auf ca. ein Viertel seines Volumens eingedickt. Ist das Dickdarmepithel, z. B. durch Cholerabazillen, geschädigt, entstehen dünnflüssige Stühle, die zu großem, lebensgefährlichem Wasserverlust führen. Der Dickdarm ist auch Ausscheidungsorgan für Quecksilber, Wismut, Eisen, Kalzium, Magnesium und Phosphate. Aus dem Ileum gelangen täglich ca. 1,5 l Stuhl in das Zäkum, davon werden ca. 1.000–1.200 ml Wasser rückresorbiert. Die Rückresorption von Natrium erfolgt aktiv im Austausch mit Kalium. Die Bakterien benötigen die von

ihnen abgebauten Kohlenhydratreste im Wesentlichen zur Bestreitung ihres eigenen Stoffwechsels. Eine größere Rolle spielt die Resorption von Wirkstoffen durch das Kolon. Es handelt sich dabei um Vitamine, die durch die Darmflora gebildet werden: Biotin, Folsäure, Nikotinsäure und Vitamin K. Die Passagezeit des Dickdarminhalts beträgt zwischen 10 und 90 h.

2.12.2

Diagnostik, Einteilung und Therapie kolorektaler Karzinome (KRK)

Das kolorektale Karzinom gilt bei beiden Geschlechtern als zweithäufigstes Malignom (70.000 Neuerkrankungen pro Jahr). Der Haupterkrankungsgipfel findet sich im 6.–7. Lebensjahrzehnt (Durchschnittsalter 65 Jahre), aber auch ein Auftreten bereits im 2. und 3. Jahrzehnt ist möglich. Die Ursachen sind multifaktoriell. Umweltfaktoren (chronische Karzinogenexposition) und insbesondere die Zusammensetzung der Nahrung spielen eine wesentliche

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Kapitel 2 · Allgemeinchirurgie und Viszeralchirurgie

Rolle. Ballaststoffreiche Ernährung reduziert das Kolonkarzinomrisiko. Ein familiär gehäuftes Auftreten ist ebenfalls bekannt (25% aller KRK). Operationen beim Dickdarmkrebs werden im Wesentlichen durch die anatomischen Gegebenheiten der Gefäße, der Lymphknoten und Faszien bestimmt. Der Schwierigkeitsgrad der Eingriffe ist bedingt durch das fortgeschrittene Lebensalter der Patienten, durch das oft ausgedehnte Tumorwachstum sowie das keimbesiedelte OP-Milieu. Auch die Tatsache, dass die Dickdarmwand gegenüber dem Dünndarm weniger mechanisch belastbare Kollagenfasern enthält, ist von Bedeutung.

Klassifikation und Stadieneinteilung Sowohl für prognostische Aussagen als auch für den Vergleich verschiedener Therapiemethoden in den entsprechenden Stadien (I–IV) hat man sich international auf ein einheitliches Dokumentationssystem geeinigt (UICC = Union of International Cancer Control). Die sog. TNMKlassifikation (Tumor-Nodulus-Metastase) wird zugrunde gelegt: 4 T: Tiefeninfiltration des Primärtumors (z. B. T 4=organüberschreitende Tumorinvasion in Nachbarorgane). 4 N: Lokalisation und Zahl der befallenen Lymphknoten 4 M: Lokalisation der nachgewiesenen Fernmetastasen Vier verschiedene makroskopische Kolonkarzinomtypen lassen sich unterscheiden: 4 Blumenkohlartiges oder polypoides Karzinom: Es wächst v. a. in das Darmlumen hinein (= exophytisch). 4 Ulzeriertes Karzinom: Im Zentrum liegt ein Ulkus vor, der Tumor wächst an seinem Randwall weiter. 4 Ringförmig stenosierendes Karzinom. 4 Diffus infiltrierendes Karzinom. Von den Kolonkarzinomen gehören 80% zu den Adenokarzinomen. Die 5-jährige Heilungsquote bei kurativ resezierten Patienten liegt bei 70%. Rund die Hälfte aller Patienten haben zum OP-Zeitpunkt bereits befallene Lymphknoten (Stadium III und IV). Beschwerden treten in Abhängigkeit von der Lokalisation erst bei fortgeschrittenem Tumorwachstum auf durch Änderung der Stuhlgewohnheiten (Verstopfung im Wechsel mit Diarrhöen), Blut- und Schleimabgang im Stuhl und die sog. Spätsymptome wie Gewichtsverlust, Blutarmut und ein mechanischer Ileus. Die Diagnostik erfolgt wie nachfolgend beschrieben.

Diagnostik Die Anamnese erfragt Schmerzen, Begleitsymptome, z. B. Fieber oder Erbrechen, Änderung der Stuhlgewohnheiten,

Blut und Schleimabgang, Gewichtsverlust, Blutarmut oder aufgetretene Schwäche. Zum klinischen Untersuchungsbefund gehören die Beurteilung des Abdomens (Peritonitis, Ileus etc.), die rektale digitale Untersuchung sowie die Beurteilung der Gesamtsituation des Patienten. Zur endoskopischen Diagnostik gehören die Proktoskopie, die Rektoskopie sowie die komplette Koloskopie, die von den gesetzlichen Krankenkassen ab dem 55. Lebensjahr als Vorsorgemaßnahme getragen wird (bei familiärem KRK auch früher). Probeentnahmen können bei all diesen Untersuchungen entnommen werden und müssen histologisch beurteilt werden. Die röntgenologische Abdomenübersicht findet nur in der akuten Darmverschlusssituation statt. Die Röntgenaufnahme des Thorax dient zum Ausschluss von Metastasen. Für die Abklärung des Kolonkarzinoms ist eine CT-Untersuchung des Abdomens erforderlich. Für das Rektumkarzinom ist eine CT vom Becken, Abdomen und Thorax zur Fernmetastasensuche erforderlich. Die anorektale Endosonographie oder ein hochauflösendes Becken-MRT werden zum lokalen Staging durchgeführt. Im Labor werden Tumormarker (CEA) und für die OP-Planung notwendige Parameter untersucht.

OP-Vorbereitung Voraussetzung für Operationen am Dickdarm ist eine optimale Vorbereitung des Patienten. Um bei dem Eingriff  eine möglichst bakterienarme Schleimhaut vorzufinden, wird der Darm präoperativ orthograd und evtl. retrograd gespült. Hierzu wird am Vortag der Operation eine sog. orale Lavage mit 3–4 l Kleanprep o. Ä. zur hydromechanischen Darmreinigung vorgenommen. Eine Kontraindikation dafür stellt der Ileus dar. Im Rahmen der »Fast-track-Therapie» wird heute auf die Darmvorbereitung verzichtet. Die perioperative Antibiotikaprophylaxe (bei Narkoseeinleitung mit einem Cephalosporin und Metronidazol) trägt zu einer drastischen Senkung der postoperativen Infektionen bei. Allgemeine Vorbereitungsmaßnahmen sind evtl. ein zentraler Venenkatheter, ein Blasenverweilkatheter, evtl. eine arterielle Blutdruckmessung. Zur postoperativen Schmerztherapie wird häufig ein Periduralkatheter gelegt.

Allgemeine Therapieprinzipien Die chirurgische Behandlung der KRK hat sich durch die Einführung der Klammernahttechnik deutlich gewandelt. Kontinenzerhaltende Eingriffe mit Anastomosierung im kleinen Becken verdrängten zunehmend die abdominosakrale Rektumamputation. Für sehr günstige Tumorstadien des Rektumkarzinoms kommen bei geeigneten Fällen kurativ transanale Resek-

111 2.12 · Dickdarm

tionen zur Anwendung. Fortgeschrittene Stadien erhalten je nach Beschluss der Tumorkonferenz präoperativ eine Vorbehandlung durch Bestrahlung ohne oder mit kombinierter Chemotherapie (neoadjuvante Therapie) Bei Handanastomosen wird synthetisches, resorbierbares Nahtmaterial vom Typ Polyglykolsäure der Stärke 3–0 empfohlen. Dickdarm- und Rektumresektionen können auch minimal-invasiv videoassistiert durchgeführt werden.

A. colica media A. jejunalis

Grundsätze zur Verhütung einer Tumorzellaussaat 4 präliminäre Ligatur der versorgenden Haupt(Blut- und Lymph-) gefäße, 4 Blockade des Darmlumens an den Resektionsgrenzen: »no touch isolation», 4 Einhüllung des tumortragenden Darmanteils bei Befall der Serosa. Allgemeine OP-Schritte bei Kolonresektionen 5 Festlegung der Resektionsgrenzen je nach Tumorlokalisation, Lymphknotenbefall und Metastasenbildung (TNM-Klassifikation, 7 s. oben). 5 Mobilisierung der Darmenden zur Schaffung spannungsfreier Nahtverbindungen (keine Spannung auf der Anastomose). 5 Skelettierung unter Beachtung der Gefäßversorgung der Darmenden (bis 1/2 cm). 5 End-zu-End-Anastomose, biologisch am günstigsten, abschließender Akt eines geplanten operativen Vorgehens. 5 Verschluss des Mesenterialschlitzes. 5 Keine Drainage bei unkomplizierten Operationen. 5 Sphinkterdehnung als Abschluss der Kolonanastomosenoperation.

2.12.3

Hemikolektomie rechts

kIndikation

Tumoren der rechten Kolonhälfte, z. B. im Zäkum, im Colon ascendens oder hinter der rechten Flexur, bei Enteritis regionalis und Mesenterialinfarkt in der Colon-ascendens-Region.

. Abb. 2.63 Ausmaß der Resektion bei Hemikolektomie rechts. (Aus Siewert u. Stein 2012)

kLagerung

4 Rückenlage, den Tisch leicht nach links gekippt, 4 die neutrale Elektrode wird an einem Oberschenkel befestigt. kInstrumentarium

4 Grund- und Laparotomieinstrumentarium, 4 evtl. bipolare Schere, 4 Kirschner-Rahmen oder ein anderes Selbsthaltesystem, 4 weiche und harte Darmklemmen, 4 Gummizügel, 4 bei Bedarf Einzelclipstapler, 4 linearer Verschlussstapler und/oder linearer Anastomosenstapler 4 für die End- zu- End- Anastomose ggf. ein zirkuläres Klammernahtinstrument.

OP-Verlauf: Hemikolektomie rechts

5 Hautdesinfektion, sterile Patientenabdeckung, Team-Time-out.

kPrinzip

Resektion des gesamten Colon ascendens, inklusive der rechten Flexur, Zäkum mit Appendix, der Ileozäkalklappe bis zum Colon transversum (. Abb. 2.63). Die Darmkontinuität wird durch eine Ileotransversostomie wiederhergestellt.

5 Rechtsseitiger Mittelbauchquerschnitt oberhalb des Nabels.

5 Die Exploration des Abdomens klärt bei einem Karzinom ab, ob Metastasen vorhanden oder sonstige Begleiterkrankungen erkennbar sind.

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Kapitel 2 · Allgemeinchirurgie und Viszeralchirurgie

5 Der Dünndarm wird nach links verlagert, mit

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feuchten Bauchtüchern abgedeckt und mit Leberhaken weggehalten. Mit dem Einsetzen des Rahmens wird ein übersichtliches OP-Feld geschaffen. Zuerst werden die Resektionslinien durch Haltefäden, die angeklemmt werden, festgelegt. Zäkum und Colon ascendens werden nach links gehalten und die peritoneale Umschlagfalte wird seitlich des Dickdarmes von der rechten Flexur bis zur Resektionsgrenze am Zäkum mit einer Schere inzidiert. Nach kranial spannen sich das Lig. hepatocolicum und das Lig. duodenocolicum an, die zwischen Klemmen durchtrennt werden. Das Lig. gastrocolicum wird zwischen Klemmen magennah abgesetzt. Hier kann auch die bipolare Schere eingesetzt werden. Das rechte Kolon kann stumpf schichtgerecht vom Retroperitoneum gelöst werden. Dann werden die A. ileocolica und die A. colica dextra identifiziert und abgangsnah zwischen 2 Ligaturen durchtrennt. Bei einer Karzinomerkrankung muss evtl. auch die A. colica media ligiert werden. Die entsprechenden Venen werden gleichfalls ligiert und durchtrennt, die anhängenden Lymphknoten mit entfernt. Die Durchtrennung des Mesokolons beginnt an der terminalen Ileumschlinge etwa 10 cm vor der Ileozäkalklappe mit der Overholt-Präparation. Zwischen Unterbindungen werden das Mesenterium der terminalen lleumschlinge sowie das Mesokolon des Zäkums, des Colon ascendens, der rechten Flexur und des Anfangsteils des Colon transversum durchtrennt. Bei einem Tumor der rechten Flexur muss die Operation erweitert werden. Dann wird die A. colica media ligiert und ca. zwei Drittel des Colon transversum werden reseziert. Nach der Befreiung des zu resezierenden Darmanteils von seiner Netzschürze wird die übrige Bauchhöhle mit feuchten Tüchern abgedeckt, damit ein Kontaminationsschutz bei unvorhergesehenem Austritt von Darminhalt besteht. Ileum und Kolon können zwischen Darmklemmen durchtrennt werden, alternativ erfolgt die Durchtrennung ohne jegliche Abklemmung. Dazu wird an den verbleibenden Teil jeweils eine weiche Darmklemme und an das Präparat je eine harte Klemme angesetzt. Zwischen der weichen und der harten Klemme wird der Darm mit dem Skalpell

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5 5

2.12.4

durchtrennt, und das Resektat entfällt. Das Lumen wird mit Stieltupfern, ggf. in Desinfektionslösung getränkt, gereinigt. Um die Kontinuität des Verdauungstraktes wiederherzustellen, erfolgt in der Regel eine End-zu-EndAnastomosierung zwischen Ileum und Colon transversum. Dazu werden die mit den weichen Klemmen verschlossenen Darmenden einander angenähert und bei einreihiger Einzelknopfnaht zuerst die Hinterwandnähte, dann die Vorderwandnähte gelegt. Auch fortlaufende Nahttechniken haben sich bewährt. Der Lumenunterschied der Darmenden kann durch vorheriges Legen von Ecknähten und größeren Nahtabstand auf der Dickdarmseite ausgeglichen werden; das Ileumende kann aber auch angeschrägt werden. Die Mesenteriallücke wird verschlossen, d. h. das verbliebene Mesokolon und das Dünndarmmesenterium werden mit einigen Nähten vereinigt. Das eröffnete Retroperitoneum kann offen bleiben. Eine Drainageeinlage ist in der Regel nicht erforderlich. Nach der Zählkontrolle der Textilien und der Instrumente sowie der Dokumentation ihrer Vollzähligkeit schichtweiser Wundverschluss und Verband.

Hemikolektomie rechts mit Klammernahttechnik

kZusätzlich benötigtes Instrumentarium

4 4 4 4 4 4 4 4 4

Einzelclipstapler, linearer Verschlussstapler (. Abb. 2.10), zirkulärer Anastomosenstapler (. Abb. 2.11), linearer Cutter (. Abb. 2.12), Tabakbeutelklemmen (. Abb. 2.14), Allis-Klemmen (. Abb. 2.6), Bougies, Instrumentenkopffasszange (. Abb. 2.15), bei Bedarf ein Contour-Stapler für tiefe Absetzung (. Abb. 2.13).

113 2.12 · Dickdarm

OP-Verlauf: Hemikolektomie rechts mit Staplertechnik (End-Zu-End) 5 Bis zur Resektion gleichen die OP-Schritte der bereits dargestellten Hemikolektomie rechts (s. oben). Die Resektion erfolgt abweichend zwischen 2 harten Darmklemmen an den Resektatenden und 2 Tabakbeutelklemmen am oralen lleumende und am Transversumstumpf. 5 Durch die Tabakbeutelklemmen werden spezielle zirkuläre Nähte gelegt. Mit einer kleinen anatomischen Klemme werden die Enden der monofilen Fäden angeklemmt. 5 Zur Abschätzung der Magazingröße für das Endzu-End-Anastomosengerät wird nach Abnahme der Tabakbeutelklemmen der Lumendurchmesser mit den Messstäben festgestellt und bei Bedarf bougiert. Bewährt hat sich ebenfalls die vorsichtige Bougierung mit einer Kornzange. 5 Zwischen Haltefäden wird am Colon transversum eine quere Kolotomie angelegt. Der Abstand von der Tabakbeutelnaht sollte mindestens 8 cm betragen. Der zirkuläre Stapler wird durch die Kolotomie eingeführt und die erste Tabakbeutelnaht geknüpft. 5 Das Ileum wird mit 3–4 Allis-Klemmen offen gehalten, um die Andruckplatte des zirkulären Staplers einzuführen; diese wird dann mit der gelegten Tabakbeutelnaht fixiert. Die beiden Anteile des Klammernahtinstruments werden konnektiert und der Klammervorgang ausgelöst. 5 Nach dem Öffnen mit 3 halben Umdrehungen wird der Stapler nun vorsichtig unter rotierenden Bewegungen aus dem Darm entfernt. Die zirkuläre Anastomose ist komplett, wenn am Zentraldorn des Staplers 2 vollständige Darmwandringe vorhanden sind. 5 Die Kolotomie am Querkolon wird nach Kontrolle der Anastomose auf Bluttrockenheit mit AllisKlemmen gefasst und mit einem linearen Stapler verschlossen. 5 Maschinell ohne zirkulären Stapler ist eine funktionelle End-zu-End-Anastomose in Seit-zu-SeitTechnik mit 2 Magazinen eines linearen Anastomosenstaplers möglich. Die beiden Teile des Staplers werden nach Einbringen jeweils in das Kolon- bzw. das Ileumlumen einander genähert, und nach der Konnektierung bis zur vorgegebenen Markierung wird der Klammervorgang ausgelöst. Die resultierende gemeinsame Enterotomie wird mit einem zweiten Magazin quer verschlossen. 5 Der Verschluss der Mesokolonlücke erfolgt in der zuvor dargestellten Weise, ebenso der schichtweise Wundverschluss und der Verband.

Alternativ ist eine End-zu-End-Anastomosierung (7 Abschn. 2.12.8) »durch die Klammernahtreihe« am Colon transversum möglich. Bei der End-zu-Seit-Ileotransversostomie wird mit dem Führungsdorn des zirkulären Staplers vom Kolonlumen aus antimesenterial perforiert und das Instrument anschließend mit der Andruckplatte im Ileum konnektiert. Nach Entfernung des Nahtgerätes wird das offene Kolonlumen mit einem linearen Stapler verschlossen.

2.12.5

Transversumresektion

kIndikation

4 Kolonkarzinom, begrenzt auf das Transversum, 4 Enteritis regionalis im Transversumbereich. kPrinzip

Resektion des Colon transversum zumeist mit dem bedeckenden Netz und Passagenrekonstruktion durch Endzu-End-Kolo-Kolostomie (. Abb. 2.64).

a

b . Abb. 2.64a, b Resektion des Colon transversum. (Aus Siewert 2001)

2

114

Kapitel 2 · Allgemeinchirurgie und Viszeralchirurgie

kLagerung

4 Rückenlage, leicht überstreckt, 4 neutrale Elektrode an einem Oberschenkel.

2

kInstrumentarium

Siehe Hemikolektomie rechts.

2.12.6

Transversumresektion mit Stapleranwendung

kZusätzliches Instrumentarium

4 Linearer Stapler und intraluminaler, zirkulärer Anastomosenstapler, 4 Tabakbeutelklemmen, 4 Allis-Klemmen.

OP-Verlauf: Transversumresektion

5 Hautdesinfektion, sterile Patientenabdeckung, 5

5

5

5

5

5

5 5 5 5 5

Team-Time-out. Über eine quer verlaufende Oberbauchlaparotomie erfolgen die Exploration des Abdomens und die Suche nach Metastasen bzw. Sekundärtumoren. Nach dem Einsetzen des Rahmens können die Resektionsgrenzen festgelegt werden, die möglichst lateral der rechten und der linken Flexur liegen sollten. Dazu müssen beide Flexuren mobilisiert werden. Es werden dafür u. a. rechts das Lig. hepatocolicum und links das Lig. phrenicocolicum durchtrennt. Das Lig. gastrocolicum wird zwischen Ligaturen so durchtrennt, dass die A. und V. gastroomentalis unverletzt bleiben. Bei ausgedehnten Befunden kann jedoch die Mitnahme erforderlich werden. Das große Netz wird von der großen Kurvatur des Magens abpräpariert, der Abgang der A. colica media dargestellt und doppelt unterbunden, ebenfalls die entsprechenden Venen und Lymphgefäße. Um eine Kotkontamination der Bauchhöhle während der Resektion zu vermeiden, wird der zu resezierende Teil des Kolons mit feuchten Bauchtüchern umlegt. Der verbleibende Darmteil wird mit weichen Darmklemmen abgeklemmt, das Resektat wird mit scharfen Klemmen verschlossen. Zwischen diesen Klemmen wird der Darm mit einem Skalpell durchtrennt und das Resektat entfällt. Das Lumen wird mit einem trockenen Tupfer oder mit Desinfektionsmittel (z. B. Betaisodona) gereinigt. Die Anastomose muss spannungsfrei möglich sein, ggf. müssen das Colon ascendens und das Colon descendens weiter mobilisiert werden. Die Naht erfolgt in gleicher Weise wie bei der Hemikolektomie rechts. Nach der Wiederherstellung der Passage wird die Mesokolonlücke verschlossen. Die Einlage eines Drains ist nicht obligat. Nach der Zählkontrolle und der Dokumentation der Vollzähligkeit der Textilien und der Instrumente wird die Wunde schichtweise verschlossen und mit einem Pflasterverband versorgt.

OP-Verlauf: End-zu-End-Anastomose

5 Nach dem Festlegen der Resektionsgrenzen werden an das Resektat scharfe Klemmen gelegt, an die beiden verbleibenden Enden je eine Tabakbeutelklemme, durch die die Tabakbeutelnähte gelegt werden. 5 Nach der Durchtrennung des Darmes mit dem Skalpell wird über eine gesonderte quer verlaufende Kolotomie ein zirkulärer Stapler eingeführt und mit der gelegten Tabakbeutelnaht fixiert. Die Gegendruckplatte wird in das andere offene Darmlumen eingeführt und ebenfalls mit der Naht verknotet. 5 Nach dem Auslösen des Instruments ist die zirkuläre Anastomose geklammert, der Stapler wird unter rotierenden Bewegungen aus dem Darm entfernt und die Schleimhautringe werden auf Vollständigkeit kontrolliert. 5 Die Kolotomie kann nach erfolgter Blutstillung mit einem linearen Verschlussstapler quer geklammert werden.

2.12.7

Hemikolektomie links

kIndikation

Karzinomlokalisation von der linken Flexur bis zum Colon descendens. kPrinzip

Resektion unterhalb oder inkl. der linken Flexur und des Colon descendens (. Abb. 2.65). Die Kontinuität des Darmes wird durch eine End-zu-End-Transversorektostomie bzw. -sigmoidostomie wiederhergestellt. kLagerung

4 Rückenlage, leicht überstreckt, 4 neutrale Elektrode am linken Oberschenkel. kInstrumentarium

Siehe 7 Abschn. 2.12.3.

115 2.12 · Dickdarm

kPrinzip A. mesenterica inferior A. mesenterica superior

Resektion der Sigmaschleife. Mit Rekonstruktion durch End-zu-End-Anastomose zwischen Rektum und Colon descendens. kLagerung

4 Steinschnittlage mit abgesenkten Beinen, 4 neutrale Elektrode am linken Oberschenkel. kInstrumentarium

4 4 4 4 4 4

Grund- und Laparotomieinstrumentarium, Rahmen, Allis- und Duval-Klemmen, Gummizügel, Darmklemmen, evtl. Klammernahtinstrumente und Tabakbeutelklemmen, 4 evtl. bipolare Schere.

. Abb. 2.65 Hemikolektomie links. (Aus Siewert u. Stein 2012)

OP-Verlauf: Hemikolektomie links

5 Hautdesinfektion, sterile Patientenabdeckung,

Bei einer Stapleranastomose von anal ist ein separater Instrumentiertisch nötig mit: 4 Darmrohr, 4 Blasenspritze, 4 scharfer Klemme, 4 zirkulärem Klammernahtinstrument, 4 evtl. Bougies, 4 Stieltupfern, 4 gefärbter Spüllösung.

Team-Time-out.

5 Quere Oberbauchlaparotomie. 5 Mobilisierung des Colon descendens und des 5 5

5 5

Sigmas. Mobilisation der linken Kolonflexur und des linksseitigen Querkolons. Zentrale Ligatur der A. und V. mesenterica inferior. Je nach Tumorlokalisation ggf. nur Ligatur der A. colica sinistra und Aa. sigmoideae mit Erhalt der A. rectalis superior. Skelettierung und Durchtrennung des tumortragenden Abschnitts. Transversorektostomie durch Handnaht oder in Staplertechnik.

OP-Verlauf: Sigmaresektion

5 Hautdesinfektion, sterile Patientenabdeckung, Team-Time-out.

5 Über eine mediane oder quer verlaufende Unter-

5 5 5

2.12.8

Sigmaresektion

Diese Operation kann sehr gut über eine videoassistierte Präparation durchgeführt werden (7 Abschn. 2.15). kIndikation

Sigmakarzinom.

5

bauchlaparotomie erfolgt die Exploration des Abdomens. Nach dem Einsetzen des Rahmens wird das Dünndarmpaket in feuchte Tücher oder in einen Intestinalbeutel gelegt und nach oben abgedrängt. Die Resektionslinien werden festgelegt. Das Sigma wird angespannt und die peritoneale Umschlagfalte an der seitlichen Bauchwand mit der Schere inzidiert. Bei unübersichtlichen anatomischen Verhältnissen kann der linke Ureter aufgesucht und ggf. mit einem dünnen Gummizügel angeschlungen werden. Das Sigma lässt sich stumpf von der Gerota-Faszie nach medial abschieben. Die A. mesenterica inferior wird unterhalb des Abganges der A. colica sinistra zentral ligiert und durchtrennt.

2

116

Kapitel 2 · Allgemeinchirurgie und Viszeralchirurgie

Erweiterte Resektionen 5 Das Colon descendens muss nach kranial so weit

2 5 5

5 5

5

mobilisiert werden, dass nach der Resektion die Darmenden spannungsfrei anastomosiert werden können. Die Skelettierung des Mesosigmas erfolgt mit Overholt-Klemmen und Ligaturen oder mit einem Einzelclipstapler. Beidseits werden weiche Darmklemmen angesetzt und das Resektat wird zwischen scharfen Klemmen verschlossen. Dazwischen wird der Darmabschnitt mit dem Skalpell abgesetzt. Die Darmlumina werden mit trockenem oder in Desinfektionslösung getränktem Tupfer gereinigt. Dann werden die beiden Stümpfe des Colon descendens und des Rektums aneinander gelegt und durch Handnaht End-zu-End miteinander anastomosiert (7 Abschn. 2.12.3). Auf die Anlage eines passageren Anus praeternaturalis kann in der Regel verzichtet werden. Nach der Zählkontrolle der Textilien und der Instrumente sowie der Dokumentation der Vollzähligkeit schichtweiser Wundverschluss und Verband.

OP-Verlauf: Klammernahtanastomose

Indiziert bei Tumorlokalisationen im Grenzbereich der Lymphabflussgebiete, bei großen Tumoren oder bei Mehrfachtumoren. kBeispiel

Tumorwachstum über die linke Flexur mit Infiltration der Milz und Lymphknotenmetastasierung. Es besteht die Indikation für eine subtotale Kolektomie mit Lymphknotendissektion und Splenektomie; Anastomosierung als Ileorektostomie.

Kontinenzunterbrechende Koloneingriffe Kontinenzunterbrechende Operationen haben bei der Behandlung des Dickdarmkarzinoms in den letzten Jahren an Bedeutung verloren. Indikationen stellen lediglich noch dar: 4 ausgedehnte, nichtoperable Tumoren, 4 eine Peritonealkarzinose, 4 eine Tumorinfiltration in den Schließmuskel oder 4 schwerste Komplikationen mit Peritonitis, z. B. nach Tumorperforation oder nach nichtkorrigierbaren Anastomosenkomplikationen.

2.12.9

Anus-praeternaturalis-Kolostomie

5 Das Sigma wird distal mit einem linearen Stapler 5

5

5

5

5

oder mit einem linearen Anastomosenstapler verschlossen und durchtrennt. Am Colon-descendens-Stumpf wird eine Tabakbeutelklemme mit der dazugehörenden Naht angelegt, die Gegendruckplatte des zirkulären Klammernahtinstruments wird eingeführt und festgeknotet. Von anal wird zunächst mit Darmrohr und gefärbter Spüllösung die Klammernaht am Rektumstumpf auf Dichtigkeit geprüft. Nach einer Sphinkterdehnung wird der Stapler eingeführt. Hierzu kann er vorher mit einem Gel gleitfähiger gemacht werden. Der Dorn wird aus dem Klammernahtinstrument herausgedreht und durchstößt den Rektumstumpf mittig dicht an der Klammerreihe. Nach der Adaptation des Magazins zur Gegendruckplatte entsteht mit der Auslösung des Klammervorgangs die zirkuläre Anastomose. Nach Öffnen je nach Gerätetyp mit 2–4 (halben) Umdrehungen (abhängig vom Hersteller) wird das Gerät vorsichtig entfernt. Die ausgestanzten Anastomosenringe werden auf Vollständigkeit überprüft. Zusätzlich wird von anal ein Darmrohr eingeführt und darüber gefärbte Spüllösung in den Darm instilliert. Die Dichtigkeit gilt als gegeben, wenn keine Flüssigkeit über die Anastomose austritt.

Definition Anus praeternaturalis (AP) nennt man eine künstlich angelegte Darmöffnung, durch die der gesamte Darminhalt an die Bauchober fläche entleert wird.

Die Fistel wird immer nach dem Darmanteil benannt, der zur Bauchdecke ausgeleitet wird (. Abb. 2.66). Eine solche Darmausleitung kann doppelläufig oder im Falle der Exstirpation des Rektums und des distalen Kolonanteils als endständiger AP angelegt werden. Bei Colitis ulcerosa und familiärer Polyposis wird die totale Proktokolektomie damit beendet, dass das Ende des verbleibenden Ileums in die Haut eingenäht wird. Diese Ableitung wird Ileostoma oder Enterostoma genannt. Im Unterschied zum Colostoma wird hier die Ausleitung prominent angelegt, indem der Ileumstumpf »umgestülpt« wird (. Abb. 2.67).

Doppelläufiger Anus praeternaturalis Der doppelläufige AP wird als vorübergehender Darmausgang geplant, entweder bei einer Ileusoperation oder nach einer Darmresektion zur Schonung der Anastomose. Alternativ kann hier auch ein doppelläufiges Ileostoma angelegt werden.

117 2.12 · Dickdarm

Ein dauerhafter AP kann auch im Bereich des Sigmas angelegt werden.

Doppelläufiger Anus praeternaturalis nach Maydl b

kIndikation

Als Notfalleingriff bei einem stenosierenden Karzinom mit Ileuserscheinungen oder zur Schonung einer frischen Darmanastomose. c

kPrinzip

Durch eine Inzision neben der Laparotomiewunde wird eine mobilisierte Dickdarmschlinge hervorgezogen, über einen »Reiter« gelegt, fixiert und erst eröffnet, wenn die Laparotomiewunde verschlossen ist.

a

kLagerung

4 Rückenlage, 4 neutrale Elektrode an einem Oberschenkel. kInstrumentarium . Abb. 2.66 Optimale AP-Positionen. a Ileostoma, b Transversostoma, c Sigmaafter. (Nach Schumpelick et al., zit. nach Heberer et al. 1993)

4 4 4 4

Grund- und Laparotomieinstrumentarium, Gummizügel, gebogene Kornzange, Reiter (aus Glas, Metall, Kunststoff oder Gummi).

Reiter

OP-Verlauf: AP-Anlage

5 Hautdesinfektion, sterile Patientenabdeckung, b zuführende Schlinge

a

ca. 3 cm

c

d

. Abb. 2.67a–d Endständiges (a) und doppelläufiges (b) Ileostoma. c, d Bildung eines prominenten und endständigen Ileostomas. (Nach Siewert u. Brauer 2010)

Bei einer primär nichtsanierbaren Ileusursache im Bereich des Sigmas sollte der AP, wenn möglich, an der rechten Flexur angelegt werden, um bei der später vorgesehenen Resektion für eine spannungsfreie Anastomose die linke Flexur mobilisieren zu können.

Team-Time-out. 5 Zur Anlage des AP wird meist eine mediane Laparotomie vorgenommen. Der Anus praeternaturalis wird durch eine zweite sparsame, zirkuläre, höchstens 2–3 cm große Inzision, z. B. im rechten Oberbauch, ausgeleitet. Eine Ausleitung über eine einzige Laparotomiewunde ist komplikationsbehaftet. 5 Um den Kolonabschnitt ohne Spannung vor die Bauchdecke lagern zu können, wird der Mesokolonansatz in einem gefäßfreien Areal mit einem Overholt gespalten, um den Darm mit einer gebogenen Kornzange durch einen Gummizügel anzuschlingen. 5 Anschließend wird der Darmabschnitt mit 2–3 seromuskulären Spornungsnähten zwischen zuund abführendem Schenkel im Bereich der Tänie zur »Doppelflinte« ausgebildet. 5 Dann kann die Schlinge mit dem Zügel durch die gesonderte Inzision der Bauchdecke vorverlagert werden. Der Zügel liegt auf der Faszie und dient später als Reiter. Es gibt auch spezielle Glas-, Kunststoff- oder Metallstäbchen als Reiter.

2

118

Kapitel 2 · Allgemeinchirurgie und Viszeralchirurgie

5 Es kann eine sog. Reiternaht ausgeführt werden;

2

5 5 5 5 5

sie fasst die Rektusscheide in Form einer U-Naht zwischen der vorverlagerten Darmschlinge (. Abb. 2.68), sodass der Darm auch nach dem Abschluss der Operation nicht wieder in die Bauchhöhle zurückgleiten kann. Gleichzeitig wird der zuführende von dem abführenden Schenkel getrennt. Der AP kann mit Einzelknopfnähten der Serosa am Peritoneum fixiert werden. Die Laparotomiewunde wird verschlossen. Der Reiter kann mit einer Naht an der Haut fixiert werden. Bei den industriell gefertigten Reitern mit Steckverbindung ist diese Naht überflüssig. Die Eröffnung des Kunstafters erfolgt nach Verschluss und Abdeckung der Laparotomiewunde. Häufig wird der gespornte AP lediglich mit Hilfe des epifaszial gelegenen Gummizügels und mit mukokutanen Nähten fixiert; alle weiteren Nähte erscheinen verzichtbar.

. Abb. 2.68 »Reiternaht«: U-Naht der Rektusscheide

5 Bei Bedarf wird eine Drainage in die Nähe des ehemaligen künstlichen Anus gelegt. Sollte die Darmschlinge im Verschlussbereich stenosiert sein, ist es sinnvoll, ein kurzes Stück zu resezieren und eine End-zu-End-Anastomose zu erstellen. 5 Schichtweiser Wundverschluss, Verband.

Häufig ist die laparoskopische AP-Anlage möglich (7 Abschn. 2.15).

Zurückverlagerung Ist der AP nicht mehr erforderlich, kann er zurückverlagert werden. Voraussetzung ist, dass die Darmpassage bis zur Analöffnung frei ist. Eine Ileostomarückverlagerung ist komplikationsärmer als die Rückverlagerung eines Kolon-AP.

OP-Verlauf: AP-Rückverlagerung

5 Hautdesinfektion, sterile Patientenabdeckung, Team-Time-out.

5 Die Haut wird um den AP spindelförmig (wetzsteinförmig) umschnitten.

5 Mit mehreren Einzelknopfnähten werden die beiden Seiten der Hautumschneidung miteinander vereinigt. Dadurch wird eine Verunreinigung durch den austretenden Darminhalt vermieden. 5 Die Verwachsungen zwischen den beiden Darmschenkeln und den Bauchwandschichten werden teils stumpf, teils scharf gelöst. 5 Zwei weiche Darmklemmen werden an die zu- und abführende Schlinge gesetzt, die Haut und das Narbengewebe aus der Umgebung des AP werden bis zum Serosarand abgetragen. 5 Der Darmverschluss erfolgt quer mit Einzelknopfnähten, die Knoten liegen im Lumen. Eine zweite, seromuskuläre Nahtreihe beendet den Verschluss.

Endständiger Anus praeternaturalis (terminaler AP) Wird eine Rektumamputation vorgenommen oder kann eine Anastomose zwischen dem proximalen und dem distalen Darmabschnitt nach einer Resektion nicht hergestellt werden, muss das Sigma den endständigen AP bilden und nach außen abgeleitet werden (. Abb. 2.67). Der verschlossene Darm wird durch eine Inzision der Bauchdecke seitlich der Laparotomie ausgeleitet. Bei einer geplanten Operation sollte diese Stelle vorher am stehenden Patienten eingezeichnet werden, um eine optimale postoperative Stomapflege zu gewährleisten. Auch diese Stomaform kann laparoskopisch angelegt werden. Die Haut wird im Ausleitungsgebiet rundlich so großflächig exzidiert, dass eine Stenose des AP unwahrscheinlich ist. Mit einer stumpfen Klemme, z. B. einer Kornzange, wird nach der Faszieninzision eine Bauchdeckenlücke geschaffen. Die durchgezogene Darmschlinge wird durch mehrere Einzelknopfnähte am parietalen Peritoneum fixiert. Die Lücke zwischen Mesosigma und Peritoneum sollte geschlossen werden, um eine innere Hernie zu verhindern. Verschluss der Laparotomiewunde in üblicher Art und Weise. Eröffnen des Darmes und Vernähen der Sigmaschleimhaut mit der Haut durch Einzelknopfnähte. Dabei wird die Darmwand geringfügig ausgestülpt. Versorgung mit einem Kolostomabeutel.

119 2.12 · Dickdarm

Operation nach Hartmann kPrinzip

Resektion des tumortragenden Abschnitts, Blindverschluss des Rektumstumpfs, endständige Ausleitung des Sigmas als Stoma im linken Unterbauch (Hartmann I). Es besteht die Möglichkeit einer Reanastomose zur Wiederherstellung der Darmpassage (Hartmann II).

Palliative Umgehungsanastomosen Im Allgemeinen sollte jeder resektionsfähige Tumor mit palliativer Zielsetzung entfernt werden, um zumindest für eine gewisse Zeit eine bessere Lebensqualität zu erreichen. Bei nichtresektablen Tumoren, z. B. im Zäkum oder Colon ascendens oder bei Dünndarmmetastasen, sind Umgehungsanastomosen indiziert. Dabei wird die Darmpassage durch eine Seit-zu-SeitAnastomosierung des Ileums vor der Stenose mit dem Dickdarmabschnitt hinter der Stenose (z. B. Quercolon) am Tumor vorbeigeleitet.

2.12.10

Rektumresektion/-amputation

Karzinomlokalisation Am Rektum werden ein oberes, ein mittleres und ein unteres Drittel unterschieden. Etwa 42% der kolorektalen Karzinome (KRK) sind im Rektum lokalisiert. Arteriell wird das Rektum im oberen Drittel über die A. rectalis superior (entspringt aus der A. mesenterica inferior), im mittleren und unteren Drittel über die paarigen Aa. rectales mediae und Aa. rectales inferiores (entspringen aus der A. iliaca interna) versorgt (. Abb. 2.62). Der venöse Abfluss erfolgt über die V. rectalis superior in die V. portae und über die V. rectalis media und inferior zur V. cava inferior. Tumoren der oberen zwei Drittel des Rektums können meist kontinenzerhaltend operiert werden. Ein Sicherheitsabstand von mindestens 1–2 cm unterhalb des unteren Tumorrandes wird als ausreichend angesehen. Mit der Einführung der Klammernahttechnik bei der Chirurgie des Rektumkarzinoms verdrängten sphinktererhaltende Rektumresektionen mit Anastomosierung im kleinen Becken zunehmend die abdominosakrale Rektumamputation. Mit dieser Technik sind Anastomosen bis ca. 2 cm oberhalb der Anokutanlinie möglich. Koloanale Anastomosen werden dagegen eher transanal per Handnaht angelegt. Bei den extrem tiefen Anastomosen wird meist zum Anastomosenschutz ein protektives Ileostoma (s. oben) angelegt. Außerdem werden Anastomosenformen mit Reservoirbildung (z. B. J-Pouch, s. auch 7 Abschn. 2.12.14) empfohlen, um die postoperative Kontinenzleistung zu verbessern.

Eine Steigerung kontinenzerhaltender Operationen ist durch die Vorschaltung einer Radiochemotherapie bei lokal fortgeschrittenen tiefen Rektumtumoren möglich geworden (neoadjuvante Radiochemotherapie). Eine Weiterentwicklung auf diesem Gebiet sind die laparoskopischen Operationstechniken (7 Abschn. 2.15).

Kontinenzerhaltende anteriore Rektumsigmoidresektion kIndikation

Tumorbefall im Übergang vom Rektum zum Sigma. kPrinzip

Resektion des tumorbefallenen Gebietes (. Abb. 2.69) und End-zu-End-Sigmoidorektostomie, selten per Handanastomose, zumeist unter Zuhilfenahme eines zirkulären Staplers, der von anal eingebracht wird. In der Regel ist die Mobilisation der linken Kolonflexur erforderlich. kLagerung

4 Perineallage, d. h. abgewandelte Steinschnittlage, bei Bedarf Trendelenburg-Lagerung (. Abb. 2.70 und . Abb. 2.71), 4 neutrale Elektrode an einem Oberschenkel.

. Abb. 2.69 Tiefe vordere Rektumresektion (Anastomose auf Höhe des M. puborectalis oder der Linea dentata. (Aus Siewert u. Stein 2012)

2

120

Kapitel 2 · Allgemeinchirurgie und Viszeralchirurgie

und ein Zusatztisch mit 4 dem zirkulären Klammernahtinstrument, 4 Darmrohr, 4 Gleitgel, 4 gefärbter Spüllösung, 4 Stieltupfer.

2

OP-Verlauf: Rektumresektion

5 Hautdesinfektion, sterile Patientenabdeckung, 2.70

Team-Time-out.

5 Der Operateur steht meist an der linken Seite des Patienten.

5 Der Zugang über die untere mediane Laparoto-

5 5

5

5

5 2.71

5

. Abb. 2.70 Lagerung mit abgesenkten Beinhaltern und Lagerung auf Vakuummatte. (Aus Krettek u. Aschemann 2005) . Abb. 2.71 Steinschnittlage in Trendelenburg mit Vakuummatte und Beinhaltern in Einhandbedienung; gute Dekubitus- und Plexusprophylaxe. (Aus Krettek u. Aschemann 2005)

kInstrumentarium

4 Grund- und Laparotomieinstrumentarium, 4 extra lange Präparationsinstrumente für das kleine Becken, 4 Golligher- oder Kirschner-Rahmen, 4 Gummizügel, 4 abgewinkelte Darmklemmen z. B. nach Götze, 4 weiche Darmklemmen. Bei Stapleranwendung: 4 Tabakbeutelklemmen, 4 Allis-Klemmen,

5 5

5

mie ermöglicht eine ausgedehnte Exploration mit Inspektion der Leber, der Milz und des kleinen Beckens. Die Resektionslinien werden festgelegt und ggf. mit Haltefäden markiert. Das Sigma wird von der seitlichen Bauchwand gelöst, der linke Ureter dargestellt und bei Bedarf angeschlungen. Alternativ wird präoperativ transurethral geschient. Das Mesenterium wird entlang der Resektionslinien mit Overholt und Ligaturen durchtrennt, die A. und V. mesenterica inferior an ihren Abgängen ligiert. Die Mobilisation des Colon descendens wird durch bipolare Scherendissektion oder mit OverholtPräparation der Bänder, die die linke Flexur halten, erreicht. Das Beckenbodenperitoneum um den Darm herum wird mit der Schere inzidiert. Die Auslösung des Rektums im Becken erfolgt im Spaltraum der Grenzlamelle, ventral begrenzt durch die Samenbläschen bzw. die Vaginalhinterwand, dorsal begrenzt durch die Kreuzbeinhöhle. Auf diese Weise entfällt mit dem Resektat der gesamte mesorektale Fettkörper, der mögliche Lymphknotenmetastasen enthält (proximale/totale Mesorektumexzision). Bei der Präparation ist die Schonung der autonomen Nervenversorgung zu beachten. Seitlich werden die Paraproktien mit den Gefäßen unter Schonung der Harnleiter durchtrennt. Das Rektum wird mit einer weichen Darmklemme im verbleibenden Teil und mit einer abgewinkelten Klemme, z. B. nach Satinsky, im abfallenden Teil gequetscht und dazwischen mit dem Skalpell durchtrennt. Der gleiche Vorgang wird am Sigma wiederholt.

121 2.12 · Dickdarm

5 Bei der Anwendung von Klammernahtinstrumenten werden am Rektumstumpf ein lineares Klammernahtinstrument und am Sigmastumpf eine Tabakbeutelklemme angesetzt. 5 Die Anastomose erfolgt entweder von Hand oder maschinell.

OP-Verlauf: Tiefe Rektosigmoidostomie von Hand

5 Um ein Abrutschen des Rektumstumpfes zu verhindern, sollten mehrere Haltefäden oder AllisKlemmen angelegt werden. 5 Die beiden Darmstümpfe werden spannungsfrei einander genähert. Die Anastomose beginnt mit vorgelegten seromuskulären Hinterwandnähten; hierbei werden am Sigma die Serosa, am Rektum bei fehlender Serosa die Muskelwand gefasst. 5 Danach werden die gelegten Hinterwandnähte geknüpft. Die Vorderwand wird allschichtig genäht; die Knoten ins Lumen versenkt.

OP-Verlauf: Tiefe Kolorektalanastomose mit einem zirkulären Anastomosenstapler

Zusätzlich wird die Anastomosendichte durch Auffüllen mit einer gefärbten Spülflüssigkeit über ein Darmrohr geprüft. Eventuell vorhandene Anastomosendefekte müssen sorgfältig übernäht werden. Im Zweifelsfall muss die Anastomose reseziert und neu angelegt werden. 5 Als letzter Schritt der Operation kann eine Extraperitonealisierung der Anastomose erfolgen. Das in umgekehrter U-Form eröffnete Peritoneum des Beckenbodens kann so rekonstruiert werden, dass die Wundränder vorn zusammengenäht und hinten zirkulär an das Sigma angeheftet werden. So wird die Anastomose nach außerhalb des Peritoneums verlagert. Wenn das gut mobilisierte Colon descendens locker in das kleine Becken fällt, wird der gleiche Effekt erzielt. 5 Eine Drainage kann neben dem Darm durch das Peritoneum des Beckenbodens geführt werden. Bei unkompliziert verlaufener Operation ist dies nicht erforderlich. 5 Nach der obligaten Zählkontrolle sowie der Dokumentation der Vollzähligkeit der Textilien und Instrumente beginnt der schichtweise Wundverschluss. Die Operation endet mit der Versorgung der Drainage und dem Verband.

5 Nach Freipräparation des Rektums wird unterhalb des Tumors mit einem linearen Stapler abgesetzt. Bei tiefster Absetzung erleichtert der ContourStapler (. Abb. 2.72) die kontaminationslose freie Absetzung mit beidseitigem Verschluss der Lumina. Nach Sphinkterdehnung und Überprüfung der Dichtigkeit der Klammernahtreihe am Rektumstumpf wird der zirkuläre Stapler vor dem Einführen mit einem Gleitgel benetzt und über den Analkanal eingeführt. Der Rektumstumpf wird mit dem Dorn des Klammernahtinstruments in der Mitte perforiert. 5 Die zirkuläre Anastomose wird mit einem möglichst großen Magazin geklammert, nachdem die Gegendruckplatte in den oralen Kolonschenkel eingeknüpft und in das Nahtmagazin eingerastet ist. 5 Bei exakter Ausführung kommen dadurch 2 zirkuläre, konzentrische Klammerreihen zustande, während ein zirkuläres Messer geringeren Durchmessers das von den Klammern zusammengedrückte invertierte Gewebe im Kolon und Rektum durchschneidet. 5 Nach behutsamer Entfernung des Staplers werden die Darmwandringe auf Vollständigkeit überprüft.

Im Falle einer sehr dicht an den Schließmuskel reichenden  Anastomose sollte ein protektives Stoma angelegt werden.

Abdominoperineale Rektumamputation kIndikation

Sehr nah am Anus gelegenes Rektumkarzinom ohne die Möglichkeit den Sphinkterapparat erhalten zu können. kPrinzip

Totale Entfernung des distalen Sigmas, des Rektums und des Anus mit systematischer Entfernung des Lymphabflussgebietes en bloc. Endständige Ausleitung des Restsigmas als AP. Die Operation kann nahezu gleichzeitig von abdominal und sakral mit 2 OP-Teams durchgeführt werden. Die abdominale Präparation kann laparoskopisch durchgeführt werden. kLagerung

4 Steinschnittlagerung, 4 Trendelenburg-Lagerung, Dispersionselektrode an einem Oberschenkel.

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122

Kapitel 2 · Allgemeinchirurgie und Viszeralchirurgie

2

a

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c

. Abb. 2.72a–c Techniken der koloanalen Anastomosierung: a transanale Handnaht, b intersphinktäre Stapleranastomose, c Double-staplingAnastomose. (Aus Siewert et al. 2010)

kInstrumentarium

Abdominal: 4 Grund- und Laparotomieinstrumente, 4 lange Präparationsinstrumente, 4 lange Haken, 4 Kirschner– oder anderes Rahmensystem, 4 Götze-Klemmen, 4 Duval-Klemmen, 4 weiche Darmklemmen, 4 Gummizügel, 4 bei Bedarf linearer Verschlussstapler und Einzelclipstapler, 4 bei Bedarf bipolare Schere, 4 bei Bedarf laparoskopisches Equipment (7 Abschn. 2.15).

OP-Verlauf: Abdominoperineale Rektumamputation

Sakral: 4 Grundinstrumentarium mit Diathermie, 4 Allis-Klemmen.

ten, der erste Assistent ihm gegenüber, der zweite zwischen den Beinen des Patienten. Die instrumentierende Pflegekraft steht am günstigsten links neben dem Operateur, den Instrumentiertisch über ein Bein des Patienten geschoben. 5 Als Zugang kommt die untere mediane Laparotomie, von der Symphyse bis zum Nabel, zur Anwendung. Bei Bedarf lässt sich der Schnitt verlängern. 5 Der erkrankte Mastdarmabschnitt und die benachbarten Organe werden nach harten, tumorinfiltrierten Lymphknoten abgetastet.

! Wenn mit 2 Teams gearbeitet wird, müssen die Instrumente und Textilien für den sakralen Eingriff streng separat gehalten und getrennt von denen des abdominalen Eingriffs gezählt werden.

5 Zur Vorbereitung der Operation wird ein Dauerkatheter gelegt, bei weiblichen Patientinnen kann die Scheide austamponiert werden, um so eine Präparationshilfe zu bieten. 5 Die Analöffnung wird mit einer dicken Naht verschlossen. 5 Die Position des vorgesehenen AP wurde am stehenden Patienten präoperativ eingezeichnet. Abdominale Phase

5 Hautdesinfektion, sterile Patientenabdeckung, Team-Time-out.

5 Der Operateur steht auf der linken Seite des Patien-

123 2.12 · Dickdarm

5 Die Präparation des Rektums und des Sigmas ähnelt

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der für die anteriore Rektumresektion. Zuerst wird mit der Schere das Sigma aus der Adhäsion zum linken Retroperitoneum gelöst und nach rechts gezogen. Das proximale Sigma wird mit einem linearen Verschlussstapler geklammert und vom Resektat abgesetzt. Der gleiche Arbeitsschritt kann z. B. mit einem linearen Anastomosenstapler durchgeführt werden. Es sollte keine zu lange Sigmaschlinge belassen werden, damit später kein Siphon entsteht oder ein Prolaps des Sigmakunstafters auftritt. Rektum- und Sigmastumpf werden desinfiziert und können mit einem Gummihandschuh bedeckt werden, um eine Kontamination der Bauchhöhle zu vermeiden. Retroperitoneal wird der linke Ureter dargestellt und ggf. mit einem dünnen Gummizügel angeschlungen. Nach Inzision des Beckenbodenperitoneums erfolgt die Mobilisierung des Rektums durch dorsales stumpfes Eingehen in die Sakralhöhle in Höhe des Promontoriums. Die A. rectalis superior sollte ligiert werden, ggf. wird die A. mesenterica inferior dargestellt und doppelt ligiert. Nach der Freipräparation der Rektumvorderseite werden seitlich die Paraproktien stumpf aufgeladen und zwischen Overholt-Klemmen und Ligaturen durchtrennt. Standardmäßig wird die totale Mesorektumexzision durchgeführt. Das zirkuläre Auslösen des Rektums wird soweit wie möglich bis zur Levatormuskulatur von abdominal durchgeführt.

Perineale Phase 5 Wenn nur ein Team zur Verfügung steht, beginnt diese Phase nach ausgiebiger Mobilisation des Rektums von abdominal. Andernfalls beginnt das zweite Team mit der perinealen Phase, wenn das erste Team mit der abdominalen Rektumauslösung beginnt. 5 Der After wird spindelförmig mit dem Skalpell oder dem Diathermiemesser umschnitten und mit Schere und Pinzette zirkulär freipräpariert. 5 Es folgt die zylinderförmige Auslösung des Rektums mitsamt der Schließmuskulatur aus dem ischiorektalen Fettgewebe. 5 Anschließend werden das Lig. anococcygeum dorsal und die Levatorenmuskulatur seitlich durchtrennt. 5 Nach Hervorluxieren des blind verschlossenen Rektumstumpfes aus der Sakralwunde heraus können

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die verbliebenen Gewebebrücken zur Prostata bzw. Scheidenrückfläche durchtrennt werden. Sakral wird die Blutstillung vervollständigt und die Sakralwunde primär mit einer fortlaufenden Hautnaht verschlossen. Alternativ gibt es die Möglichkeit sie zugranulieren zu lassen. Hierzu wird ein Folienbeutel mit Streifentamponaden eingelegt. Nach einem Handschuh- und Instrumentenwechsel kann die abdominale Versorgung fortgesetzt werden. Stand ein zweites Team zur Verfügung, kann der Operateur des abdominalen Teams bei Bedarf während des Sakralwundenverschlusses eine Netzplombe herstellen. Dazu wird das Omentum majus vom Querkolon abgelöst und soweit freipräpariert, dass es gestielt nur noch an den linken gastroomentalen Gefäßen hängt. So wird es dann in die Sakralhöhle gezogen, die es wie eine Plombe ausfüllt. In günstig gelagerten Fällen kann der nachfolgend beschriebene OP-Ablauf bereits komplett mit dem ersten Teil kombiniert werden. Nach der Zählkontrolle der Textilien und Instrumente sowie der Dokumentation der Vollzähligkeit wird das Beckenbodenperitoneum durch Naht oder Einnähen eines resorbierbaren Netzes (z. B. Vicryl) verschlossen. Dies verhindert das Hineinrutschen von Dünndarmschlingen in die Sakralhöhle und gilt als Schutz bei evtl. erforderlicher Bestrahlung. Das Dünndarmpaket wird im Sinne von Noble angeordnet. Die beiden lateralen Peritonealränder von der Harnblase bis zur Wurzel des verbliebenen Mesosigmaanteils können fortlaufend vernäht werden. An der angezeichneten Ausleitungsstelle des AP wird eine Bauchdeckenlücke geschaffen, durch die der geklammerte Sigmaschenkel gezogen wird. Eine seitliche Schnürnaht zwischen Sigma und parietalem Peritoneum der Bauchwand verhindert ein Durchrutschen der Dünndarmschlingen. Gegebenenfalls wird in den Douglas-Raum eine dicke Drainage gelegt. Die Laparotomiewunde wird verschlossen, wenn die Textilien und Instrumente gezählt wurden und ihre Vollzähligkeit dokumentiert wurde. Nach dem Laparotomieverschluss wird die Hautnaht abgedeckt und der blindverschlossene Sigmaschenkel zirkulär wenige Millimeter über dem Hautniveau abgetrennt. Die Darmwand wird leicht ausgestülpt, an der Haut fixiert und mit einem Kolostomabeutel versorgt.

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Kapitel 2 · Allgemeinchirurgie und Viszeralchirurgie

jVor- und Nachbehandlung

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2.12.12

Bei wandüberschreitend gewachsenen Rektumkarzinomen oder bei Vorliegen von Lymphknotenmetastasen wird eine kombinierte Radiochemotherapie präoperativ neoadjuvant empfohlen. Eine weitere ambulante Nachsorge ist erforderlich, indem die Chemotherapie, je nach Tumorstadium, postoperativ fortgesetzt wird.

Definition Das Divertikel ist die häufigste erworbene Fehlbildung des Dickdarms. Es handelt sich dabei um Ausstülpungen der Darmschleimhaut durch Lücken in der Muskelschicht. Da die Wandung nicht aus allen Schichten des Dickdarmes besteht, bezeichnet man sie auch als Pseudodivertikel.

jKomplikationen

Komplikationen beim Kolon-Rektum-Karzinom sind: 4 Anastomoseninsuffizienz: Die Rate der Nahtinsuffizienzen mit notwendiger Relaparotomie ist im Allgemeinen gering. 4 Die Insuffizienzen treten häufiger bei sehr tiefen Anastomosen auf. Daher wird hier die protektive Stomaanlage empfohlen. 4 Wundinfektion: Die Wundinfektionsrate konnte von 50–60% auf ca. 10% unter Durchführung einer perioperativen Antibiotikaprophylaxe und der Darmlavage gesenkt werden. 4 Letalität: Die Letalität ist abhängig von den Begleiterkrankungen und der Tumorausdehnung.

2.12.11

Vorgehen bei Analkarzinom

Das Analkarzinom ist selten und macht nur etwa 1–2% der kolorektalen Karzinome aus. Zu unterscheiden sind: 4 das Analrandkarzinom, 4 das Analkanalkarzinom. Das Analkarzinom erscheint als flacher, derber, oft zentral ulzerierter Tumor. Meist liegt histologisch ein Plattenepithelkarzinom vor (90%). In Übereinstimmung mit der regionalen Lymphdrainage finden sich 3 Metastasierungswege: 4 in die Mesenteriallymphknoten (proximal gelegene Analkarzinome), 4 in die Beckenlymphknoten (proximal gelegene Analkarzinome), 4 in die oberflächlichen inguinalen Lymphknoten (Tumoren distal der Linea dentata). Das Behandlungskonzept hat sich zugunsten einer Kontinenzerhaltung verändert. Nach Probeentnahme und histologischer Sicherung erfolgt zunächst eine kombinierte Radiochemotherapie. Nach einem Intervall von 6–8 Wochen wird eine Nachexzision im Bereich des Tumorbettes vorgenommen. In vier Fünftel der Fälle ist der Tumor komplett eliminiert. Bei nur einem Fünftel der Patienten ist dann noch Resttumor nachweisbar. Bei großem Resttumor oder einer Sphinkterinfiltration ist erst dann eine Rektumexstirpation (s. oben) erforderlich.

Divertikel und ihre Behandlung

Divertikulose Divertikulose bedeutet lediglich das Vorhandensein von Divertikeln. Die Häufigkeit nimmt mit dem Alter zu; 40% der über 60-jährigen und 50% der über 70-jährigen Menschen weisen eine Divertikulose auf. Nur jeder 10. davon bedarf jedoch einer Therapie.

Divertikulitis Diesem Krankheitsbild liegen entzündliche Veränderungen der Divertikel zugrunde. Die Entzündung ist zunächst in unmittelbarer Nähe der Divertikel lokalisiert (Peridivertikulitis); bei einem Fortschreiten auf angrenzende Organe liegt eine Perikolitis vor. Hier können sich Abszesse bilden. Es kann zu freien Perforationen mit Peritonitis kommen und ebenso können sich narbige Folgezustände mit Stenose und Fistelbildung entwickeln. Auch Divertikelblutungen können auftreten. jPathogenese der Divertikulitis

In den Divertikeln, die sich im Bereich der Gefäß-MuskelLücken der Dickdarmwand ausbilden, entwickeln sich sog. Kotsteine. Durch Drucknekrosen der Schleimhaut beginnt der Entzündungsprozess; aus Mikroperforationen entwickeln sich peridivertikulitische Entzündungsinfiltrate. jKomplikationen

4 4 4 4 4

Gedeckte Perforation, Abszess, freie Perforation mit Peritonitis, Stenose bei chronischer Divertikulitis, Blutung, Blasenfistel mit Abgang von Darmgas und Stuhlpartikeln im Urin und andere Fisteln.

jLokalisation

In 90% der Erkrankungen ist das Sigma beteiligt; hierbei ist es in 50% isoliert befallen. jAnamnese

Patienten mit einer Divertikulitis kommen erst bei Schmerzen oder Entzündungszeichen in die chirurgische Behandlung. Wichtig ist dann die Frage, ob schon früher ähnliche

125 2.12 · Dickdarm

Beschwerden bestanden haben. Die Sigmadivertikulitis zeigt das Bild einer sog. »Linksappendizitis«: 4 Übelkeit und Erbrechen. 4 Umschriebene Druckschmerzhaftigkeit und lokale Abwehrspannung im linken Unterbauch. 4 Sigma als walzenförmige Geschwulst tastbar. 4 Rektale Untersuchung schmerzhaft. 4 Fieber, Leukozytose. jDiagnostik

4 Sonographie, 4 bei entsprechender Klinik primär Computertomographie mit Einlauf von wässrigem Kontrastmittel, 4 Koloskopie im entzündungsfreien Intervall, 4 evtl. Zystoskopie, Fisteldarstellung.

Divertikelblutung ! Diese Blutungen sind oft massiv und zum Schock führend, v. a. bei älteren Patienten mit Bluthochdruck. Die Blutungsquelle ist selten durch eine selektive Angiographie darstellbar und dann in der Regel im Colon ascendens und in der linken Flexur zu finden.

jTherapie Konservative Behandlung Die konservative Behandlung

ist bei Schüben einer einfachen Divertikulitis sowie bei einer passageren Divertikelblutung angezeigt. OP-Indikationen

4 Elektive Frühresektion: 5 bei Beginn im jugendlichen Alter, 5 bei einem schweren Erstanfall, 5 bei häufigen heftigen Attacken mit peritonitischen Zeichen, 5 bei einem großen Divertikelkonglomerattumor, 5 bei gehäuften Fieberschüben, 5 bei rezidivierenden Blutungen. 4 Absolute OP-Indikation: 5 Perforation mit und ohne Peritonitis, 5 Ileus, 5 massive Blutung. 4 Operationen mit aufgeschobener Dringlichkeit: 5 lokale Abszedierung, 5 inkompletter Ileus, 5 Fistelung, 5 rezidivierende Blutung. Operative Therapie Das wichtigste Prinzip ist die Beseiti-

gung des septischen Herdes. Eine Resektion des sichtbar und tastbar veränderten Sigmaabschnitts sollte über mindestens 20 cm erfolgen und die obere Resektionsgrenze

ca. 10 cm oberhalb des Entzündungsherdes liegen. Die untere Grenze sollte immer die sog. »Hochdruckzone« mit erfassen. Sie wird für die Divertikelentstehung und für mögliche Rezidive verantwortlich gemacht. Sie entspricht dem oberen Rektum in Höhe des Peritoneums. Das Vorhandensein von weiter proximal gelegenen Divertikeln bei sonst unauffälliger Kolonbeschaffenheit ist bedeutungslos. Die primäre Kontinenzresektion mit einer Deszendorektostomie ist das Verfahren der Wahl. Auch bei der perforierten Kolondivertikulitis kann eine primäre Anastomose angelegt, die nachfolgend durch eine programmierte Relaparotomie kontrolliert werden kann (7 Abschn. 2.14). Der endgültige Bauchdeckenverschluss erfolgt dann bei unauffälliger lokaler Anastomosensituation und beherrschter Peritonitis. Den Patienten bleibt damit die Anlage eines AP erspart; ein Sekundäreingriff ist nicht mehr erforderlich. Alternativ kann eine Resektion des Sigmas mit Blindverschluss des Rektumstumpfes und Anlage eines endständigen Sigma-AP erfolgen (Operation nach Hartmann, 7 Abschn. 2.12.9). Gründe hierfür können ein kritischer Allgemeinzustand des Patienten, die technische Undurchführbarkeit einer Anastomose oder Anastomosenkomplikationen sein. Eine alleinige AP-Anlage ist selten indiziert. Bei allen kontinenzerhaltenden Notfalloperationen ist die intraoperative Darmspülung erforderlich. Lässt sich das akute Entzündungsstadium konservativ beherrschen, so wird die Sigmaresektion zunehmend laparoskopisch ausgeführt (7 Abschn. 2.15). Primär laparoskopisch kann zunächst das Ausmaß einer Peritonitis bei Perforation beurteilt und ggf. durch Spülung und Drainage behandelt werden, um dann mit aufgeschobener Dringlichkeit die laparoskopische Resektion durchzuführen.

2.12.13

Morbus Crohn

Diese Krankheit wurde nach ihrem Erstbeschreiber benannt. Definition Die Enteritis regionalis Crohn ist eine chronische, vernarbende Entzündung aller Darmwandschichten.

Die Entzündung kann ein oder auch mehrere Darmsegmente mit dazwischen liegenden gesunden Abschnitten des gesamten Magen-Darm-Traktes betreffen. Es können v. a. der untere Dünndarm, aber auch der Dickdarm, Mastdarm und Darmausgang abschnittweise

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Kapitel 2 · Allgemeinchirurgie und Viszeralchirurgie

entzündlich verändert sein, seltener sind Duodenum, Magen, Ösophagus oder Mund befallen. Die befallenen Darmanteile neigen durch Vernarbungen und Verdickungen der Darmwand zu Stenose, Abszess- oder Fistelbildung. Mikromorphologisch betrifft die Entzündung alle Anteile der Wand und ist durch eine Granulombildung gekennzeichnet. Ursache und Krankheitsentstehung sind unbekannt. Bevorzugt sind junge Erwachsene beiderlei Geschlechts betroffen. Eine familiäre Häufung wird beschrieben, autoimmunologische Prozesse werden ursächlich vermutet.

Symptome 4 4 4 4 4

Immer wieder auftretende Bauchschmerzen, Durchfälle, Fieber, Gewichtsverlust, verminderter Appetit u. V. m.

Der Verlauf der Erkrankung ist chronisch mit unvorhersehbaren spontanen Verschlimmerungen und Remissionen. Auch nach operativer Entfernung befallener Darmteile sind Rückfälle häufig (40%).

Diagnostik Die Diagnostik erfordert einen erfahrenen Gastroenterologen, der das Spektrum der endoskopischen, sonographischen und radiologischen Untersuchungen des MagenDarm-Traktes beherrscht.

4 Perforation, 4 toxisches Megakolon, 4 Karzinom u. v. a.

Therapie Der Morbus Crohn ist z. Zt. weder mit einer medikamentösen noch mit einer chirurgischen Therapie heilbar. Im Vordergrund steht nach der Sicherung der Diagnose und nach Kenntnis über die Ausdehnung und Aktivität der Erkrankung die konservative medikamentöse Behandlung. Eine OP-Indikation ist dann gegeben, wenn Komplikationen zu einem chirurgischen Vorgehen zwingen. Die Therapieoptionen bei Morbus-Crohn-Stenosen zeigt . Tab. 2.3. jOperative Therapie

4 Angestrebt wird immer die Resektion des befallenen Darmabschnitts (keine palliative Bypassoperation). Die Resektion soll sparsam erfolgen. 4 Der Nachweis histologischer Veränderungen im Resektionsrand hat keinen Einfluss auf die Komplikations- und Rezidivrate. 4 Die Rezidivrate nach chirurgisch kurativer Operation beträgt 40%. 4 Eine End-zu-End-Anastomose wird zur Vermeidung eines Blindsackes empfohlen. 4 Die Antibiotikaprophylaxe erfolgt wie bei allen anderen Darmeingriffen. jOperative Eingriffe

Komplikationen

4 Sparsame Ileozäkalresektion (7 Abschn. 2.12.3). Der Unterschied besteht darin, dass nach der Teilresektion des betroffenen Dünn- und Dickdarmes die Anastomosierung als Ileoaszendostomie erfolgt. 4 Strikturoplastik: Hier handelt es sich um einen minimalen Eingriff bei kurzstreckigen Stenosen des Dünndarmes. Der stenosierende Narbenring wird längs gespalten und quer mit Einzelknopfnähten vernäht.

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Operative Techniken bei Morbus Crohn des Kolons: bevorzugt Segmentresektionen, ausgedehnte Resektionen wie Ileosigmoidostomie/Ileorektostomie; Proktokolektomie mit Ileostomaanlage sollten die Ausnahme sein.

Karzinomrisiko Das Karzinomrisiko ist bei kolorektalem Befall um das 2- bis 3-Fache erhöht, bei Befall des Dünndarms um mehr als das 30-Fache. Meist geht ein Verlauf von über 10 Jahren voraus.

Fistelbildung, Analfissuren, Abszesse, Blutungen, Strikturen bzw. Stenose, Ileus,

. Tab. 2.3 Therapieoptionen bei Morbus-Crohn-Stenosen. (Aus Esters et al. 2013, mit freundlicher Genehmigung) Medikamentöse Therapie

Endoskopische Ballondilatation

Operation

Akuter Schub mit überwiegend entzündlicher Stenose

– Stenose endoskopisch erreichbar, ohne relevante entzündliche Komponente, maximal 5 cm Länge

– Stenose narbig, >5 cm, endoskopisch nicht erreichbar – Stenose therapierefraktär, entzündlich – Stenose mit begleitendem Abszess/Fistel – Stenose unklarer bzw. maligner Dignität

127 2.12 · Dickdarm

2.12.14

Colitis ulcerosa

Definition Colitis ulcerosa ist eine Entzündungserkrankung mit einhergehender Geschwürbildung des Dickdarmes.

Die Erkrankung beschränkt sich primär auf die Schleimhaut des Rektums, erfasst nur in seltenen Fällen, die fulminant verlaufen, tiefere Darmschichten. Die befallene Schleimhaut ist diffus gerötet und zeigt oberflächliche Geschwüre. Typisch ist die von distal nach proximal gerichtete Ausdehnung der Erkrankung; hierbei ist das Rektum immer befallen. Im Gegensatz zum Morbus Crohn bleibt die Colitis ulcerosa immer auf den Dickdarm beschränkt. Die Abgrenzung der beiden Erkrankungen ist häufig sehr schwierig. Der Haupterkrankungsgipfel liegt zwischen dem 16. und 25. Lebensjahr, die Krankheit kann jedoch zu jedem Zeitpunkt auftreten. Ursache und Entstehung sind bisher nicht eindeutig bekannt. Es werden auch hier ursächlich autoimmunologische Prozesse vermutet. Psychosomatische Faktoren gehören ebenfalls zum Krankheitsbild. Die Colitis ulcerosa verläuft meist schubweise. Phasen geringer oder fehlender Beschwerden wechseln sich mit Zeiten erhöhter Entzündungsaktivität ab.

schwerer funktioneller und morphologischer Darmwandschädigung. 4 Innerhalb weniger Stunden kommt es zu schwersten toxischen Erscheinungen mit septischen Temperaturen, Schüttelfrost, Tachykardie, Schläfrigkeit und Verwirrtheitszuständen sowie zum Kreislaufschock. 4 Massive Blutung. 4 Perianale Abszesse.

Therapie In der Regel ist eine konservative medikamentöse Therapie erforderlich. Erst bei einer Verschlimmerung der Krankheit, beim Auftreten von Komplikationen oder Ausbleiben von Remissionen ist eine chirurgische Therapie in ca. 25– 30% der Fälle erforderlich. Bei langfristiger Erkrankung ist die Operation als restaurative Proktokolektomie (s. unten) im Sinne einer Karzinomprophylaxe indiziert. jOperative Technik

Ziel der operativen Therapie ist die Entfernung des erkrankten Dickdarmes, um damit das Befinden des Patienten zu verbessern und krankheitsspezifische oder therapiebedingte Komplikationen zu vermeiden. Auch bei der Colitis ulcerosa hat sich die kontinenzerhaltende Operation durchgesetzt. Etwa zwei Drittel der Patienten können kontinenzerhaltend operiert werden.

Symptome

jOP-Verfahren

Im Vordergrund der Beschwerden stehen mehr als 4 Wochen andauernde blutige und schleimig-eitrige Durchfälle, deren Ausmaß vom Grad des Dickdarmbefalles abhängt. Ist das gesamte Kolon betroffen, kann es zu schweren, sehr häufigen Diarrhöen kommen, die mit erheblichem Blutverlust, Fieber, Gewichtsabnahme und Blutarmut einhergehen.

4 Proktokolektomie mit endständiger Ileostomie. 4 Indiziert ist dieses OP-Verfahren bei schweren entzündlichen Veränderungen auch im distalen Rektum, also dem potentiellen Anastomosenbereich. 4 Proktokolektomie mit ileorektaler Anastomose, also kontinenzerhaltend: 4 Hierbei verbleiben ca. 5 cm des distalen Rektums. Regelmäßige Kontrollen und Rektumbiopsien sind erforderlich. Dieses Verfahren ist nur bei Patienten mit geringen Entzündungszeichen im distalen Rektum angezeigt. 4 Nach der Resektion des Kolons erfolgt eine terminale Anastomose zwischen Ileum und Rektum (Technik 7 Abschn. 2.12.10). 4 Restaurative Proktokolektomie mit ileoanalem Pouch, also kontinenzerhaltend. Dieser Eingriff sollte nicht im Notfall erfolgen. Dieser Eingriff gilt heute als Standardoperation (S3-Leitlinie). Bei erhöhtem präoperativem Risiko kann der Eingriff in 2 oder 3 Schritten (zweizeitig bzw. dreizeitig) durchgeführt werden. Dabei bleiben für die Verbesserung der Kontinenz die letzten 2 cm oral der Linea dentata (anale Transitionalzone) erhalten. 4 Die laparoskopische Durchführung dieser Eingriffe ist möglich.

Diagnostik Siehe 7 Abschn. 2.12.13.

Karzinomrisiko Das Karzinomrisiko bei Patienten mit einer Colitis ulcerosa ist heutzutage nur leicht erhöht gegenüber der Normalbevölkerung. Bei ausgedehntem Kolonbefall zeigt sich nach 30-jährigem Krankheitsverlauf eine Karzinomhäufigkeit von 8–18%. Dieses Risiko kann durch eine konsequente wiederholte endoskopische Diagnostik mit Entnahme von Stufenbiopsien der Schleimhaut begrenzt werden.

Komplikationen 4 Perforation in ca. 2% der Fälle. 4 Toxisches Megakolon = Kolondilatation in ca. 10% der Fälle; gefährliche Komplikation mit totaler oder segmentaler Weitstellung des Kolons aufgrund

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Kapitel 2 · Allgemeinchirurgie und Viszeralchirurgie

2.12.15

Dickdarmileus

OP-Schritte

5 Subtotale Kolektomie. 5 Skelettierung des Dünndarmes. 5 Konstruktion des J-Reservoirs (. Abb. 2.73).

2

Definition Der Ileus (Darmverschluss) ist eine Störung der Darmpassage, die durch eine Verengung oder Verlegung der Darmlichtung (mechanischer Ileus) oder durch eine Lähmung des Darmes (paralytischer Ileus) verursacht wird.

Pathophysiologie des Ileus Darmparalyse und schwerste allgemeine Krankheitssymptome führen bei Überforderung der körpereigenen Regulations- und Abwehrmechanismen zur Ileuskrankheit.

Ursachen 4 Karzinom des Dickdarmes (häufigste Ursache), 4 Divertikulitis, 4 Volvulus (7 Abschn. 2.12.16).

Besonderheiten Der Dickdarmileus tritt meist bei älteren Menschen auf. Er entwickelt sich im Gegensatz zum Dünndarmileus langsamer. Das Behandlungsziel besteht in der Beseitigung des mechanischen Hindernisses und der Behandlung des auslösenden Grundleidens, meist durch eine Tumorresektion. a

Anamnese Siehe Kolonkarzinom (7 Abschn. 2.12.2).

Lokalisationsdiagnostik 4 Röntgen-Abdomenübersicht, 4 retrograde Kolondarstellung mit wasserlöslichem Kontrastmittel, ggf. mit CT, 4 Endoskopie.

Therapie jBesonderheiten der operativen Therapie b . Abb. 2.73a, b Kolon-J-Reservoir. (Aus Siewert u. Stein 2012)

Patienten mit einem Dickdarmileus weisen eine hohe Krankenhausletalität auf. Ursachen sind v. a. das Alter, die Ileuserkrankung und die notfallmäßige Operation. Eine präoperative Darmvorbereitung mittels Lavage ist nicht möglich. jOP-Technik

Grundsätzlich werden auch hier einzeitige, kontinenzerhaltende Eingriffe mit primärer Anastomosierung angestrebt. Eine intraoperative Darmspülung ist erforderlich. Bei unsicheren Lokalverhältnissen an der Darmwand ist evtl. eine Übernahme des Patienten in das Konzept der Etappenlavage (7 Abschn. 2.14) erforderlich.

129 2.13 · Proktologie

Nur bei erheblichen Risikofaktoren oder bei inkurablem, ausgedehntem Tumorleiden ist die palliative APAnlage oder die Diskontinuitätsresektion nach Hartmann (7 Abschn. 2.12.9) indiziert.

2.12.16

Volvulus des Dickdarmes

Definition Eine Torquierung (Drehung/Krümmung) des Dickdarmes um die Mesenterialachse mit Verlegung des Darmlumens und evtl. Durchblutungsstörung durch Strangulation bis hin zur Gangrän.

Am häufigsten ist das Sigma, seltener sind Zäkum und Transversum betroffen. Voraussetzung ist eine sehr lange Schlinge mit einem Mesenterium, das an der Basis schmal ist.

Symptome 4 4 4 4

Akutes, einmaliges Ereignis, kolikartige Schmerzen und Stuhlverhalt, typisch ist ein ballonartig aufgetriebenes Abdomen, später Entwicklung einer Ileussymptomatik.

Therapie Die konservative Therapie (endoskopische Absaugung) weist sehr hohe Rezidivraten auf. Deshalb ist eine Sigmaresektion bzw. Hemikolektomie rechts bei einem Volvulus des Zäkums oder des Transversums indiziert.

2.13

Proktologie

H. Schimmelpenning, M. Liehn 2.13.1

Anatomie des Anorektums

Rektum und Analkanal Rektum, Analkanal und das abschließende Sphinktersystem bilden eine physiologische Einheit, die in ihrem feinen Zusammenwirken großen Einfluss auf unsere Lebensqualität hat (Kontinenzleistung). Anatomisch handelt es sich dabei um eine komplexe Region unseres Körpers. Das Rektum hat eine variable Länge von 12–15 cm, liegt dem Os sacrum und dem Os coccygis an und endet 2–3 cm anterior-inferior von der Spitze des Os coccygis. An dieser Stelle anguliert es 110–130° nach dorsal, tritt im Hiatus levatorius durch das Diaphragma pelvis hindurch und geht in den Analkanal über.

Das Schleimhautrelief des Rektums weist meistens drei quere Falten, die sog. Plicae transversae, auf. Die mittlere davon ist am konstantesten, liegt bei 9–11 cm und wird Kohlrausch-Falte genannt. Die Linea dentata markiert die Grenzzone zwischen der nichtsensiblen Rektumschleimhaut und dem aboral davon beginnenden, hochsensiblen Plattenepithel der Analhaut. Operationen oberhalb der Linea dentata verursachen daher kaum Schmerzen, Operationen unterhalb davon können hingegen starke Schmerzen zur Folge haben. Knapp oberhalb der Linea dentata liegen die längsgestellten Columnae anales, die unten durch quergestellte Valvulae anales verbunden sind. Sie entstehen durch ein darunter liegendes arteriovenöses Gefäßgeflecht, das sog. Corpus cavernosum recti (. Abb. 2.74). Dieses wird aus Ästen der A. rectalis superior gespeist und hat Bedeutung für die Feinkontinenz. Zwischen den Valvulae anales (auch Valvulae Morgagnii), die in Analpapillen enden, liegen halbmondförmige Einsenkungen, die Analsinus oder Analkrypten genannt werden. Hier endet eine variable Anzahl von rudimentären Duftdrüsen (Proktodealdrüsen), die meisten von ihnen dorsal. Die Ausführungsgänge dieser Drüsen verlaufen nach außen und unten, zwei Drittel erreichen den inneren Schließmuskel, und die Hälfte endet zwischen dem inneren und äußeren Schließmuskel. Bei Obstruktionen der Ausführungsgänge, meistens durch Fäzes, können Abszesse und Fisteln entstehen. Bis etwa 10 mm oberhalb der Linea dentata befindet sich ferner eine Übergangszone (Transitionalzone), in der das Drüsenepithel der Rektumschleimhaut in das zunächst  mehrschichtige, unverhornte Plattenepithel übergeht. Dieser Abschnitt des Analkanals ist sehr fein sensibel innerviert und ermöglicht so die genaue Unterscheidung zwischen den Stuhlbeschaffenheiten gasförmig, flüssig und fest. Damit kommt ihm eine erhebliche Bedeutung bei der Kontinenzleistung zu. Erst noch weiter aboral geht dieser Abschnitt schließlich in die behaarte Haut der Körperoberfläche über (Linea anocutanea). Die Muskulatur des Sphinkterapparates besteht zum einen aus einem glattmuskulären inneren Muskel (M. sphincter ani internus). Dieser ist dauernd kontrahiert. Er ist die Fortsetzung der Ringmuskelschicht der Tunica muscularis der Rektumwand und reicht bis auf Höhe der Linea anocutanea. Der quergestreifte M. sphincter ani externus umhüllt den inneren Sphinkter und ist bei Frauen ventral kürzer als bei Männern. Er wird in einen subkutanen, einen oberflächlichen und in einen tiefen Abschnitt unterteilt. Die Linea dentata ist die Trennlinie zwischen dem entwicklungsgeschichtlichen Endoderm und dem Ektoderm. Oberhalb dieser Linie ist der Darm sympathisch und parasympathisch innerviert (Plexus hypogastricus inferior),

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Kapitel 2 · Allgemeinchirurgie und Viszeralchirurgie

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a

b

. Abb. 2.74a, b Corpus cavernosum recti. Der Schwellkörper wird durch intermuskulär an ihn herantretende Äste der A. rectalis superior aufgepumpt. Die natürliche Spontanaktivität des M. sphincter ani internus hält die transsphinkterischen Blutabflüsse des Schwellkörpers geschlossen. Damit trägt der erigierte Mastdarmschwellkörper zum Abschluss bei. Sagittalschnitt durch das anorektale Kontinenzorgan eines Mannes. 1 Rektumlängsmuskulatur, 2 Rektumringmuskulatur, 3 M. levator ani, 4 M. Sphincter ani internus, 5 M. canalis ani, 6.1 M. puborectalis, 6.2 M. sphincter ani externus profundus, 6.3 M. sphincter ani externus superficialis, 6.4 M. sphincter ani externus subcutaneus, 7 zu- und abführende Gefäße des Schwellkörpers (intermuskulärer Verlauf ), 8 intermuskulär verlaufende Vv. rectales mediae, 9 Schwammwerk des Corpus cavernosum recti, 10 transsphinktäre Hauptabflussgefäße des Schwellkörpers, 11 intersphinktäre Gefäßnetze, 12 Abfluss zur V. rectalis inferior, vermutlich auch für das ausgeschöpfte, venöse Blut des nutritiven Kreislaufs des Schwellkörpers, 13 Fasern des M. corrugator ani, sich in der perianalen Haut verankernd, 14 Columnae rectales, 15 Analkrypte: unterhalb dieser Zone ist die Analkanalhaut mit der Unterlage verwachsen, 16 Proktodealdrüse, 17 »auf Vorrat« gefaltete Mastdarmschleimhaut, 18 trockene Analkanalhaut und perianale Haut. (Aus Stelzner 2006)

die arterielle Versorgung erfolgt im Wesentlichen über die A. rectalis superior, einem Endast der A. mesenterica inferior. Entsprechend dem arteriellen Versorgungsgebiet erfolgt auch der venöse Rückstrom hauptsächlich zur V. mesenterica inferior. Die Lymphe gelangt über Nll. rectales superiores zu den Nll. mesenterici inferiores. Lymphe des Analkanales wird über Nll. inguinales superficiales drainiert. Der Beckenboden ist eine komplexe trichterförmige Struktureinheit aus Faszien und Muskeln, der verschiedene Aufgaben zukommen. Beim Geburtsvorgang, der Defäkation und der Miktion muss sie sich öffnen, ansonsten jedoch aktiv verschließen. Ferner hat der Beckenboden stützende Funktionen für den Sphinkterapparat, die Becken- sowie die übrigen Abdominalorgane. Das Diaphragma pelvis besteht hauptsächlich aus dem M. levator ani, der sich aus den drei Anteilen M. pubococcygeus, M. ileococcygeus und M. puborectalis zusammensetzt. Weiter dorsal liegt der M. coccygeus. Der ventral am knöchernen Becken ansetzende M. puborectalis umschlingt dorsal auf Höhe der Flexura anorectalis den End-

darm und geht hier in den tiefen Anteil des M. sphincter ani externus über.

2.13.2

Proktologische Untersuchung

Anamnese Die proktologische Untersuchung beinhaltet wie jede andere Untersuchung zunächst eine gründliche Anamnese. Neben allgemeinen Fragen zur Gesundheit und anderen Erkrankungen, die einen Einfluss auf das Kontinenzorgan haben können, gehören dazu eine Reihe von spezifischen Fragen: Schmerz? Blutung? Nässen? Ausfluss? Juckreiz (Pruritus ani)? Schwellung? Prolaps? Defäkationsprobleme (Obstipation, Häufigkeit, Intervall, digitales »Nachhelfen«, unvollständige Entleerung)? Entbindungen? Gynäkologische Operationen? Miktionsverhalten?

Klinische Untersuchung Die Untersuchung erfolgt in Linksseiten- oder Steinschnittlage (SSL). Letztere ermöglicht eine gleichzeitige

131 2.13 · Proktologie

vaginale Untersuchung, die für viele Fragestellungen erforderlich ist. Die Lokalisationsangabe eines Befundes orientiert sich am Zifferblatt einer Uhr (12 Uhr vorn, 3 Uhr rechts, 6 Uhr hinten, 9 Uhr links in SSL). Ferner erfolgt die Benennung weiterer anatomischer Landmarken (Bezug zur Linea dentata, zur Linea anocutanea).

Inspektion Bei der Inspektion erfolgt eine Beurteilung der Haut (verschmutzt, feucht, trocken, gerötet etc.), Behaarungstyp, Narben, hervorspringende perianale Veränderungen wie äußere Hämorrhoiden, Marisken (Analfalten), Fistelöffnungen o. Ä. Ferner kann eine dynamische Beurteilung erfolgen nach Aufforderung zum Pressen wie Absenken des Beckenbodens, Hervortreten von Hämorrhoidalgewebe, Anal- oder Rektumprolaps, Zystozele, Kolpozele, Rektozele.

2.13.3

Hämorrhoiden

Ätiologie Oberhalb der Linea dentata befindet sich unter der Schleimhaut ein arteriovenöses Gefäßgeflecht, der Plexus haemorrhoidalis oder Corpus cavernosum recti genannt wird. Prädilektionsstellen der aus den Aa. haemorrhoidales superior, media und inferior gespeisten Geflechte liegen bei 7, 3 und 11 Uhr SSL. Diese Hämorrhoidalkissen füllen sich während der Kontinenzphase, weil der venöse Rückstrom durch den kontrahierten M. sphincter ani internus vermindert wird. Damit haben sie eine wichtige Funktion für die Feinkontinenz. Erst während der Defäkation und der Relaxation des Muskels kann das Blut ungehindert abfließen. Die Gefäßpolster werden durch longitudinal angeordnete Muskel- und Bindegewebefasern fixiert. Mit zunehmendem Alter werden diese Strukturen schlaffer, die Gefäßkissen können dann prolabieren.

Palpation Die Palpation gibt Aufschluss über die Länge des Analkanals, den Sphinkterruhe- und Kneifdruck, das Hämorrhoidalgewebe, Veränderungen des Anoderms (Fissuren, Tumoren), Indurationen inner- und außerhalb der Sphinktermuskulatur (Fisteln, Abszesse), Veränderungen der Rektumschleimhaut sowie eine ventrale Rektozele und die Funktionstüchtigkeit der Puborektalisschlinge.

Proktoskopie Mit dem Proktoskop werden die untersten Abschnitte des Rektums sowie der Analkanal untersucht. Sie kann durch eine Spekulumuntersuchung ergänzt werden, bei der durch den seitlichen Schlitz das Anoderm noch besser zur Darstellung gelangt. Die Proktoskopie kann auch für therapeutische Zwecke eingesetzt werden, wie z. B. die Gummibandligatur oder Sklerosierung von vergrößerten Hämorrhoiden.

Rektoskopie Die starre Rektoskopie erlaubt die Untersuchung des Rektums, wobei die erreichbare Höhe nach anatomischen Gegebenheiten variabel ist. Die Schleimhaut kann beurteilt werden, und es können Gewebeproben entnommen werden.

Endosonographie Die sonographische Untersuchung des Anorektums wird eingesetzt zur Beurteilung von Tumoren des Enddarms (Infiltrationstiefe, Lymphknoten) sowie für die Diagnostik von perianalen Fisteln (Lage, Verlauf) und auch für die Exploration des Sphinkterapparates (Länge, Dicke, Muskellücken).

Klinik Bei einer Hyperplasie der Polster handelt es sich um Hämorrhoiden, erst bei Beschwerden liegen symptomatische Hämorrhoiden bzw. ein Hämorrhoidalleiden vor. Symptomatische Hämorrhoiden verursachen unterschiedliche Beschwerden, die auch bei anderen proktologischen Erkrankungen vorkommen können. Das Beschwerdebild korreliert dabei nicht mit dem Ausmaß des Befundes. Als häufigstes Symptom werden Blutungen angegeben, gefolgt von Schmerzen, Pruritus ani und Prolaps. Hämorrhoiden werden dem Befund nach in 4 Grade eingeteilt: 4 Hämorrhoiden Grad I sind nur mit dem Proktoskop zu erkennen. 4 Hämorrhoiden Grad II prolabieren bei der Defäkation durch den Analkanal und reponieren sich selbst. Es kann sich dabei um einzelne, segmentale Anteile handeln oder um einen zirkulären Befund. Wird Anoderm außerhalb des Analkanals sichtbar, handelt es sich um einen Analprolaps, der durch eine radiäre Faltenbildung gekennzeichnet ist. 4 Hämorrhoiden Grad III sehen morphologisch aus wie Hämorrhoiden Grad II, müssen aber manuell reponiert werden. 4 Hämorrhoiden Grad IV sind nicht zu reponieren (IVa in Narkose, IVb in keiner Weise).

Therapie Das Ziel einer Behandlung von symptomatischen Hämorrhoiden ist nicht ihre komplette Entfernung, sondern eine Beseitigung der Beschwerden. Anderenfalls kann die Kontinenz gestört sein. Konservative Therapiemaßnahmen beinhalten kausale und prophylaktische Gesichtspunkte. Dazu gehört eine physiologische Stuhl-

2

132

2

Kapitel 2 · Allgemeinchirurgie und Viszeralchirurgie

gangregulierung. Der Stuhl sollte geformt ohne Pressen abgesetzt werden können. Gegebenenfalls ist mit einer Progredienz des Befundes und der Symptome zu rechnen. Effektive Behandlungsmethoden von Hämorrhoiden sind Sklerosierung, Infrarotbehandlung, Gummibandligaturen, selektive Hämorrhoidalarterienligaturen sowie Operationen. Die Operationen werden in folgende Verfahren unterteilt:

Segmentale Verfahren 4 Offene Hämorrhoidektomie nach Milligan-Morgan (s. unten), 4 geschlossenen Hämorrhoidektomie nach Ferguson (s. unten), 4 submuköse Hämorrhoidektomie nach Parks.

Zirkuläre Verfahren 4 Rekonstruktive Hämorrhoidektomie nach FanslerArnold, 4 supraanodermale Hämorrhoidektomie nach Whitehead, 4 supraanodermale Hämorrhoidopexie mit einem Zirkulärstapler.

a

kIndikation

Hämorrhoiden Grad III sind in aller Regel nicht konservativ zu behandeln und sollten demnach operiert werden. Bei segmentalen Befunden gelangen Verfahren nach MilliganMorgan oder Ferguson zur Anwendung. Für zirkuläre Hämorrhoiden gilt heute die Staplerhämorrhoidopexie als Methode der Wahl. kLagerung

4 Steinschnittlagerung mit leicht angehobenen Beinen, das Gesäß etwas vor der Kante des OP-Tisches lagern, dabei auf geeignete Dekubitusprophylaxe achten. 4 Neutralelektrode an einem Oberschenkel platzieren. kInstrumentarium

4 Nur wenige Grundinstrumente (Präparier- und Fadenschere, Pinzetten, Klemmen, Nadelhalter, HF-Elektroden, ggf. bipolare Pinzette), 4 Analspreizer nach Parks, 4 ggf. Rektoskop.

Offene Hämorrhoidektomie nach Milligan-Morgan Das Prinzip besteht in einer Entfernung der vergrößerten Hämorrhoidalpolster und der Ligatur der zugehörigen

b

c

d

e

. Abb. 2.75a–e Milligan-Morgan-Operation. a Fassen der Perianalhaut mit Allis-Klemmen, b unter leichtem Zug Inzision der Perianalhaut und des Anoderms, c Dissektion, beginnend an der Perianalhaut, d Ligatur des mobilisierten Hämorrhoidalpolsters, e Endbefund. (Aus Lange et al. 2006)

133 2.13 · Proktologie

arteriovenösen Gefäße oberhalb der Linea dentata. Dazu werden die vergrößerten Hämorrhoiden angeklemmt, jeweils genügend große kutane Drainagedreiecke präpariert und die Gefäßkonvolute vom M. sphincter ani internus abgelöst, ohne diesen dabei zu verletzen. Oberhalb der Linea dentata wird das Gewebe über einer Klemme abgesetzt (. Abb. 2.75). Wichtig ist bei dieser Methode, genügend große Anodermbrücken zwischen den Resektionsflächen zu belassen!

Offene Hämorrhoidektomie nach Ferguson

a

Die Resektion ist analog zu der Technik nach MilliganMorgan. Es erfolgt dann jedoch eine Adaptation des Anoderms durch fortlaufende Nähte bis zum Außenrand des Analkanals (. Abb. 2.76). Die Vorteile sollen in einer Reduktion der postoperativen Schmerzen sowie einer schnelleren Heilung bestehen.

Staplerhämorrhoidopexie nach Longo

b

Mittels eines speziellen Analdilatators werden zunächst die Hämorrhoiden reponiert. Unter Verwendung eines Nahtanoskops wird 3–4 cm oral der Linea dentata eine zirkuläre, submuköse Tabakbeutelnaht vorgelegt. Unter Schonung des Sphinkterapparates wird ein Zirkulärstapler eingeführt, die Naht um den Staplerdorn geknüpft, das Instrument geschlossen und ausgelöst (. Abb. 2.77). Es resultiert eine manschettenförmige Resektion der Mukosa und Submukosa im aboralen Rektum mit Durchtrennung der Hämorrhoidalplexus oberhalb der Linea dentata sowie eine Refixation des verbliebenen Hämorrhoidalgewebes in einer physiologischen supraund intraanalen Position. Dadurch kommt es in kurzer Zeit zu einer deutlichen Reduktion des verbliebenen

c

. Abb. 2.76a–c Zunächst Hämorrhoidektomie in MilliganMorgan-Technik (a), dann b Adaptation der Analmukosa mit fortlaufender Nahttechnik. c Endzustand nach Ferguson-Technik. (Aus Lange et al. 2006)

. Abb. 2.77 Zirkuläre submuköse Tabakbeutelnaht bei der Staplerhämorrhoidopexie nach Longo. (Aus Lange et al. 2006)

2

134

2

Kapitel 2 · Allgemeinchirurgie und Viszeralchirurgie

Gewebes. Das schmerzempfindliche Anoderm wird nicht tangiert, es sei denn, die Staplerhämorrhoidopexie wird mit anderen resezierenden Verfahren kombiniert. Das Verfahren bietet daher einen hohen Patientenkomfort, zeigt allerdings häufiger Rezidive als die offenen Verfahren.

2.13.4

Analfissur

Ätiologie und Klinik Es wird zwischen primären und sekundären Analfissuren unterschieden. Klinisch präsentiert sich die akute Fissur als ein längsverlaufender Defekt des sensiblen Anoderms von der Linea dentata bis zur Linea anocutanea. Diese geht über in eine chronische Fissur, bei der es zu einer Sklerosierung der inneren Schichten des M. sphincter ani internus kommt. Die chronische Fissur ist nach außen häufig durch eine Mariske und nach innen durch eine hypertrophe Analpapille begrenzt. Etwa 90% der primären Analfissuren finden sich im Bereich der hinteren Kommissur bei 6 Uhr SSL, nur 10– 15% bei 12 Uhr SSL. Andere Lokalisationen deuten auf eine sekundäre Analfissur hin, die z. B. beim M. Crohn, nach Voroperationen oder Analstenosen auftritt. Leitsymptom sind akut mit der Defäkation einsetzende Schmerzen, die über Stunden anhalten können. Die Ursachen sind nicht gänzlich geklärt, anale Traumata durch harten Kot oder eine Überdehnung des Anoderms bei einer Obstipation gelten aber als wahrscheinlichste Ursachen. Belegt ist eine verminderte Durchblutung des Anoderms im Bereich der hinteren Kommissur durch eine Substanzverminderung der Äste der A. haemorrhoidalis inferior sowie durch einen erhöhten Spinkterdruck. Ein sich wiederholender Spasmus des M. sphincter ani internus wird häufig beobachtet. Gelegentlich kommt es bei chronischen Analfissuren zu inkompletten Fisteln, die im M. sphincter ani internus oder im intersphinktären Spaltraum enden.

Erst bei Versagen der konservativen Therapie kommen operative Verfahren zum Einsatz. Bei der lateralen Sphinkterotomie werden die aboralen Anteile des M. sphincter ani internus inzidiert, um den Muskeltonus zu senken. Bei der Operation nach Eisenhammer erfolgt die Sphinkterotomie im Fissurgrund. Häufigere Verwendung findet heute die Operation nach Gabriel, bei der chronische Veränderungen wie eine Vorpostenfalte, hypertrophe Analpapillen, eine Tasche oder ggf. eine inkomplette Fistel beseitigt werden. (Die manuelle anale Dilatation ist heute wegen der unkontrollierten Sphinkterschädigung mit konsekutiver Inkontinenz obsolet). kIndikation

Nach konservativer Therapie mit Nitroglyzerin 0,4% oder Kalziumantagonisten 2% als Salbe, häufig in Kombination mit Lidocain für 4–6 Wochen, ist in 50% mit einer Abheilung zu rechnen. Bei Therapieversagen kommt Botulinumtoxin zum Einsatz. Erst bei ausbleibendem Therapieerfolg besteht eine Operationsindikation. kLagerung und Instrumentarium 7 Abschn. 2.13.3.

Laterale subkutane Sphinkterotomie geschlossen (nach Noteras) Mit einer schmalen, langen Klinge wird bei 3 Uhr SSL bis zur gewünschten Höhe eingegangen und gegen den palpierenden Finger der M. sphincter ani internus inzidiert. Das Anoderm darf auf keinen Fall verletzt werden, weil es sonst zu Fisteln kommt.

Laterale subkutane Sphinkterotomie offen (nach Parks) Nach kurzer Hautinzision zirkulär bei 3 Uhr SSL wird der M. sphincter ani internus identifiziert, intersphinktär  freigelegt und bis zur gewünschten Höhe durchtrennt.  Die Inzision kann mit einer Naht verschlossen werden.

Therapie Neben einer kausalen Therapie durch eine physiologische Stuhlregulierung ist oberstes Therapieprinzip, den Circulus vitiosus der Analfissur zur durchbrechen: Minderung der Schmerzen, Verringerung des Sphinkterdrucks/-spasmus, Verbesserung der Durchblutung. Bereits warme Sitzbäder tragen dazu bei. Zur Verringerung des Sphinkterdruckes finden derzeit drei Substanzen Verwendung, nämlich Kalziumantagonisten, topische Nitrate (Nitroglyzerin) sowie Botulinumtoxin (7 Kap. 8). Die lange Zeit empfohlene Verwendung von Analdilatatoren ist wegen der Schmerzhaftigkeit in den Hintergrund getreten.

2.13.5

Fisteln und Abszesse

Ätiologie Etwa 90% aller perianalen Fisteln gehen von den analen Krypten auf Höhe der Linea dentata aus. Durch Stuhlreste kommt es zu einer kryptoglandulären Infektion der meist dorsal gelegenen Proktodealdrüsen. Der resultierende Abszess breitet sich zunächst intersphinktär weiter aus und drainiert sich entlang des geringsten Widerstandes intersphinktär oder durch die externe Sphinktermuskulatur nach perianal.

135 2.14 · Peritonitis

4 2

3 1

. Abb. 2.78 Schematische Darstellung der verschiedenen Analfisteltypen: 1 intersphinktäre, 2 transsphinktäre, 3 suprasphinktäre, 4 extrasphinktäre Fistel. (Aus Stein 2003)

Die innere Fistelöffnung liegt daher meist bei 6 Uhr SSL auf Höhe der Linea dentata. Sie wird auch primäre Fistelöffnung genannt, die äußere Öffnung dementsprechend sekundäre Fistelöffnung. Die häufigsten Fisteln verlaufen intersphinktär mit einer sekundären Öffnung am anokutanen Übergang. Bei transsphinktären Fisteln wird die äußere Sphinktermuskulatur häufig auf Höhe der Linea dentata durchbrochen, je nach Lokalisation entsteht eine »hohe« bzw. eine »tiefe« transsphinktäre Fistel (. Abb. 2.78). Bei diffuser Ausbreitung können komplexe Fistelsysteme bis hin zu Hufeisenfisteln entstehen.

Klinik Männer haben 3-mal so häufig Fisteln wie Frauen. Abszesse verursachen immer perianale Schmerzen, oft verbunden mit Fieber und äußeren Entzündungszeichen (Rötung, Überwärmung, Schwellung, Perforation). Das Krankheitsbild reicht bis hin zur Sepsis. Die Diagnostik ist in der Regel einfach und erfolgt meist in einer sofortigen  Untersuchung in Narkose. Nur bei einem Drittel der Fälle ist im akuten Abszedierungsstadium bereits eine innere Fistelöffnung vorhanden. Daher ist nach ca. 6 Wochen eine proktologische Untersuchung erforderlich. In manchen Fällen kann eine Endosonographie (ggf. unter Kontrastierung mit Wasserstoffperoxid) hilfreich sein. Auch eine MRT-Untersuchung ist in einzelnen Fällen indiziert.

Therapie Grundsätzliche Ziele der Therapie der perianalen Abszedierung sind, den Abszess zu eröffnen, den Sekretabfluss sicherzustellen und die Schmerzen zu beseitigen. Nur bei umschriebenen aboral gelegenen Fisteln gelingt beim Ersteingriff die definitive Sanierung. Alle anderen Befunde, bei denen eine weitergehende Manipulation zu einer Beeinträchtigung der Kontinenzleistung führen könnte,

werden beim Ersteingriff oder später, bei Nachweis einer Fistel, häufig zunächst mit einer Fadendrainage versorgt (Seton-Technik). Die Umgebungsreaktion kann abklingen, um die Fadendrainage (meist ein »vessel loop«) bildet sich eine bindegewebige Narbe/Fistel. Fisteln können in einem späteren Stadium in bestimmten Fällen mit Fibrinkleber oder einem konisch geformten Implantat aus gereinigter Schweinemukosa (»anal fistula plug«) verschlossen werden. Diese Methode ist kostenträchtig und setzt sich nur schwer durch. Die Fistulotomie (Lay-open-Technik) ist aboral gelegenen Fisteln vorbehalten. Die Rezidivraten liegen unter 10%. Kontinenzstörungen sind allenfalls gering und passager. Höher gelegene Fisteln werden mit zwei unterschiedlichen Techniken therapiert: 4 Entweder werden sie mikrochirurgisch exzidiert, die innere Fistelöffnung wird vernäht und mit einem lokalen Verschiebelappen gedeckt. Eine unmittelbare Nahtundichtigkeit tritt in bis zu 10% der Fälle auf, die Rezidivraten werden zwischen 5 und 30% angegeben. Diskrete Kontinenzstörungen sind in bis zu 40% zu erwarten, höhergradige jedoch nur in Einzelfällen. 4 Alternativ wird die Schließmuskulatur über der Fistel durchtrennt, das Fistelgewebe komplett entfernt und die Muskulatur primär rekonstruiert. Sonderformen sind rekto- bzw. anovaginale Fisteln. Wegen ihrer besonderen anatomischen Lage sind hier meist plastische Verfahren erforderlich. Die Rezidivraten sind deutlich höher. Sekundäre Fisteln bei chronisch entzündlichen Darmerkrankungen (M. Crohn, Colitis ulcerosa) sind häufig komplexe perianale Fistelsysteme, die eine hohe Rezidivquote haben.

2.14

Peritonitis

M. Liehn, L. Steinmüller 2.14.1

Einteilung und Therapie

Definition Eine Entzündung der Bauchhöhle, die sich unbehandelt rasch zu einer lebensbedrohlichen Systemerkrankung entwickeln kann.

Diese besondere Gefahr ist durch die relativ große Oberfläche des Peritoneums und durch die Funktionsverknüpfungen zum Lymphsystem sowie u. a. zur Leber und zur Lunge bedingt.

2

136

Kapitel 2 · Allgemeinchirurgie und Viszeralchirurgie

Formen Primäre Peritonitis (eher seltene Form)

2

4 Abakteriell (ohne Keimnachweis), z. B. bei der Peritonealkarzinose, 4 bakteriell (mit Keimeintritt über die Blutbahn oder Lymphgefäße), sog. spontane Peritonitis bei Leberzirrhose, durch Keimaszension bei der Pelveoperitonitis bei der Frau.

Sekundäre Peritonitis (ca. 80% aller Peritonitisfälle) 4 Meist nach entzündlicher Hohlorganperforation: 5 Appendizitis, 5 Cholezystitis, 5 Morbus Crohn, 5 Colitis ulcerosa, 5 Divertikulitis, 5 Darminfarkt, 5 Dünndarm- und Ulkusperforation. 4 Postoperative Peritonitis: 5 Als Folge einer Nahtinsuffizienz einer Anastomose oder durch intraoperative bzw. postoperative Kontamination mit pathogenen Keimen. 4 Posttraumatische Peritonitis: 5 Folgen eines stumpfen oder perforierenden Bauchtraumas, 5 Peritonitis nach endoskopischer Perforation.

Therapie Die Therapie der Peritonitis basiert auf folgenden Maßnahmen: 4 chirurgische Herdsanierung der Infektionsquelle, 4 intensivmedizinische Maßnahmen mit dem Versuch der Rekompensation der im Rahmen der Sepsisfolge insuffizienten Organsysteme, 4 unterstützende gezielte antibiotische Therapie. Ohne die Intensivmedizin mit den Möglichkeiten zur Behandlung des Multiorganversagens (u. a. der Langzeitbeatmung und der Hämofiltration) sind die aggressiven Verfahren der chirurgischen Herdsanierung nicht denkbar. Die Prognose der diffusen Peritonitis ergibt sich aus 3 wesentlichen Faktoren: 4 Lokalisation und Beschaffenheit der Infektionsquelle, 4 Infektionsdauer, 4 Qualität der chirurgischen Arbeit. Ein großer Anteil von Peritonitiden (ca. 85%) kann erfolgreich mit der konsequenten Durchführung der bereits 1926 von Martin Kirschner geprägten und als Standardtherapie bezeichneten Methode behandelt werden: 4 suffiziente chirurgische Herdsanierung, 4 intraoperative Lavage mit Nekrosektomie, 4 definitiver Bauchdeckenverschluss mit Einlegen einer lokalen Drainage.

Der Nutzen einer lokalen Drainage muss allerdings bezweifelt werden, zumal Drainagen durch Fibrin schnell verstopfen und durch Arrosion entstehende Darmfisteln als schwerwiegende Komplikation anzusehen sind. Aus klinischer Erfahrung reicht die genannte Standardtherapie für etwa 15% der schweren Peritonitisfälle nicht aus. Insbesondere postoperative Peritonitisfälle und hiervon nochmals schwerer betroffen die Nahtinsuffizienzen weisen eine hohe Letalität (um 50%) auf. Auf die Etappenlavagetherapie und die programmierte Relaparotomie soll hier kurz eingegangen werden. Dabei muss angemerkt werden, dass »Relaparotomie« begrifflich nicht korrekt ist, da die Bauchhöhle nicht durch einen erneuten Schnitt wieder eröffnet wird.

2.14.2

Etappenlavage – Programmierte Relaparotomie

jAllgemeines

Das Verfahren der Etappenlavage wird seit seiner Einführung 1980 (W. Teichmann) erfolgreich eingesetzt. Die Letalität der schweren Peritonitisfälle konnte gesenkt werden. Die Herdsanierung als wichtigste chirurgische Maßnahme dieses Konzepts wird dabei schrittweise (in Etappen durchgeführte Reoperationen) gelöst. Wie bei der offenen Wundbehandlung kann die Abdominalhöhle anfangs mit in physiologischer NaCl- bzw. Ringer-Lösung getränkten Baumwollstreifen ausgelegt werden, wenn die Beläge sich nicht ablösen lassen. Parallel zur unverzichtbaren intensivmedizinischen Stabilisierung des Gesamtorganismus kann die definitive chirurgische Herdsanierung häufig erst unter den nun besseren Bedingungen ausgeführt werden. Die Zielsetzung der vielerorts etablierten »programmierten Relaparotomie« ist identisch, allerdings wird dabei im engeren Sinne die vernähte Bauchdecke jeweils erneut eröffnet und wieder durch Naht verschlossen. Für das halboffene Verfahren der Etappenlavagetherapie erfolgt ein temporärer Wundverschluss durch Einnähen eines Netzes (resorbierbar oder nicht resorbierbar), sodass nur am Anfang eine Laparotomie stattfindet. Das Verschlussmaterial wird nach individuellem Zurechtschneiden fortlaufend an Peritoneum und Faszie fixiert. Der zunächst individuell breite Zuschnitt hilft, den anfangs hohen intraabdominellen Druck zu reduzieren. Die Breite des Verbandes wird im Verlauf durch Abnähte oder Wechsel gegen ein schmaler zugeschnittenes Netz dem abklingenden Darmödem angepasst. Beim ersten Re-Eingriff wird das Netz median inzidiert und kann beim erneuten Verschluss durch eine Naht angepasst eingeengt werden Beim Wechsel erfolgt eine Wundrandtoilette, sodass die Bauchdecke sich erholen

137 2.15 · Minimal-invasive Chirurgie

kann. Außerdem lässt sich so die auseinander gewichene Bauchdecke schrittweise redressieren. Das Reoperationsintervall liegt zunächst regelhaft bei 24 h und verlängert sich bei Befundverbesserung und -stabilisierung auf 2 Tage. Neu im Behandlungsverlauf einer intraabdominellen Infektion auftretende Komplikationen werden rechtzeitig erkannt und behandelt. Das Dünndarmkonvolut wird jedes Mal komplett gelöst und mit einer Polyethylenfolie abgedeckt, um einsetzende Verklebungen zwischen Bauchdecke und Darmschlingen zu verhindern. Außerdem verhindert die Folie den Verlust von Exsudat. Regelhaft wird der Dünndarm im Sinne von Noble, d. h. schleifenförmig angeordnet; dies stellt eine sichere Prophylaxe des mechanischen Ileus dar. Der Verschluss der Bauchhöhle erfolgt bei infektfreier Abdominalhöhle und kann in Extremfällen länger als 3 Monate dauern. Faszie und Peritoneum werden abschließend entweder fortlaufend mit resorbierbarer Schlingennaht oder mit durchgreifenden resorbierbaren Einzelknopfnähten adaptiert. In Ausnahmefällen, häufiger nach Längslaparotomien, gelingt der primäre Bauchdeckenverschluss nicht. Auch bei der programmierten Relaparotomie wird die Retrahierung der Bauchdecken und das Verkleben des Darmes mit der Bauchdecke in Kauf genommen. Nach Abwarten der Granulationsbildung auf dem Dünndarmkonvolut – häufig unter Einsatz von Vakuumverbandsystemen – wird die Subkutis zum Hautverschluss mobilisiert oder eine Meshgraft-Deckung durchgeführt. In diesen Fällen müssen später eine Revision und, falls möglich, die Rekonstruktion der Bauchdecken erfolgen. Die Etappenlavage erscheint gegenüber den alternativen Verfahren den Vorteil einer optimalen postoperativen intraabdominellen Sepsiskontrolle und eine recht hohe Rate an definitiven Bauchdeckenverschlüsssen (ca. 80%) zu bieten. Diese Methode erfordert allerdings einen vergleichsweise hohen Ressourceneinsatz, da die Re-Eingriffe immer in der OP-Einheit und möglichst von dem erfahrensten und immer dem gleichen Operateur/OP-Team im laufenden OP-Programm durchgeführt werden sollten. Diese Anforderungen sprengen vielerorts die ökonomischen Rahmenbedingungen, sodass für die erfolgreiche Versorgung dieser Schwerstkranken entsprechend eingerichtete Zentren zu fordern sind.

kLagerung

4 Rückenlage, 4 neutrale Elektrode an einen Oberschenkel. kInstrumentarium

4 4 4 4

Grund- und Laparotomieinstrumentarium, Bauchtücher, große und kleine Kochsalzschüssel, warme Ringer-Lösung, um keine Elektrolytverschiebung zu forcieren, 4 Netzmaterial, 4 eine fortlaufende, atraumatische Naht. ! Wichtig ist ein Dokumentationssystem, in dem für jeden Patienten genau eingetragen werden muss, wie viele Bauchtücher oder Streifen im Bauchraum belassen werden, die bei der nächsten Lavage entfernt werden müssen.

OP-Verlauf: Etappenlavage

5 Hautdesinfektion, sterile Patientenabdeckung, Team-Time-out.

5 Relaparotomie bzw. quer verlaufende Laparotomie, Exploration, Herdsanierung und Nekrosenabtragung. Danach wird der Bauchraum mit Bauchdeckenhaken nach Fritsch offen gehalten und mit warmer Ringer-Lösung gespült. 5 Das Peritoneum wird mit Mikulicz-Klemmen gefasst und das Netz fortlaufend so eingenäht, dass gleichzeitig das hintere Faszienblatt mitgefasst wird. Aus den Wundwinkeln kann das Exsudat ungehindert in den Verband abfließen. 5 Eine Polyethylenfolie bedeckt den nach Noble angeordneten Dünndarm. 5 Während der einzelnen Lavagen müssen vorhandene Fibrinbeläge vorsichtig mit einer breiten anatomischen Pinzette oder feuchten Kompressen entfernt werden.

Nach wenigen Behandlungstagen ist es meist möglich, die Naht nachzuziehen, um die Redressierung der Bauchdecke zu unterstützen.

2.15

Minimal-invasive Chirurgie

kIndikation

Diffuse Peritonitis (s. oben).

M. Liehn, L. Steinmüller

kPrinzip

2.15.1

Nach Herdsanierung wird intraoperativ lavagiert, und ggf. vorhandene Nekrosen werden abgetragen; temporär wird ein Adaptationsverschluss/zugeschnittenes Netz am parietalen Peritoneum und der Faszie fixiert.

Die erste Laparoskopie am Menschen wurde bereits 1910 vorgenommen. In der Gynäkologie gehörte die diagnostische Laparoskopie schon bald zum Standard.

Entwicklung

2

138

2

Kapitel 2 · Allgemeinchirurgie und Viszeralchirurgie

Auch in die Chirurgie hat diese Technik massiv Einzug halten können. Die Bezeichnung als minimal-invasive Chirurgie (MIC) hat sich durchgesetzt, weitere Abkürzungen wie SILS, LESS und NOTES sind hinzugekommen. Diese Art der Operation stellt an die Chirurgen und auch an das OP-Pflegepersonal andere Anforderungen als die »offene« Chirurgie. Die hier benötigten Instrumente sind für die Anwendung durch Trokarkanäle entwickelt, sie werden anders angereicht. Das technisch aufwendige Zubehör ist einfach zu handhaben, bedarf aber einer guten Einweisung gemäß MPG. Wichtige Zubehörteile für das Personal sind die Videokamera und der Monitor, denn das gesamte Team verfolgt den OP-Ablauf auf dem Monitor. Somit ist der/ die Instrumentierende in der Lage, situationsgerecht zu arbeiten. Die Vorteile liegen für den Patienten in der erheblichen Reduktion der postoperativen Schmerzen, durch die kleinen Einschnitte resultieren eine wesentlich kürzere Heilungsphase, selten auftretende Wundheilungsstörungen und damit eine verminderte Liegezeit.

2.15.2

Zugangswege für minimal-invasive Eingriffe

Für laparoskopische Eingriffe muss ein Hohlraum durch die Insufflation von CO2 geschaffen werden. Dafür haben sich 3 Zugangswege etabliert.

CO2-Insufflation Zugang über eine Veress-Kanüle Nach einer Stichinzision in der Regel unterhalb des Bauchnabels wird die scharfe Veress-Kanüle (7 Abschn. 2.15.4) in die angehobene Bauchdecke gestochen. Sowie die freie Bauchhöhle erreicht ist, schnappt der scharfe Teil der Nadel zurück. Alternativ kann die Zugangsposition oberhalb des Bauchnabels oder – bei adipösen Patienten – am linken Rippenbogen liegen. Da die Einbringung blind erfolgt, kann es unter schwierigen Operationsbedingungen wie z. B. Verwachsungen zur Verletzung von Bauchorganen kommen. Bevor das Insufflationsgas eingebracht wird, muss getestet werden, ob die Kanülenspitze frei im Bauchraum liegt. 4 Bei korrekter Platzierung lässt sie sich in alle Richtungen bewegen. 4 Eine mit NaCl gefüllte Spritze wird aufgesetzt, und 2–3 ml werden injiziert. Ist das ohne Druck möglich, liegt die Kanüle frei. 4 Alternativ kann die Spritze ohne Kolben aufgesetzt werden, dann läuft die Flüssigkeit ohne Widerstand in die freie Bauchhöhle.

Erst nach der Durchführung des Sicherheitstests wird CO2 insuffliert. Dabei darf der primäre intraabdominelle Druck nicht über 16 mmHg liegen. Nachdem der Intraperitonealraum maximal aufgefüllt ist, wird die Veress-Kanüle entfernt und der Optiktrokar – ebenfalls nach einer Stichinzision – eingebracht. Alle weiteren nötigen Trokare werden dann unter Sicht platziert.

Zugang über eine Minilaparotomie (offener Zugang = Hasson-Technik) In der Regel unterhalb des Nabels – alternativ oberhalb – wird ein kleiner (1–2 cm) Schnitt gesetzt. Nach Durchtrennung der Subkutis wird das vordere Blatt der Rektusscheide dargestellt und inzidiert. Der M. rectus abdominis ist zu sehen und wird beiseite gedrängt. Das hintere Blatt der Rektusscheide und das Peritoneum werden mit 2 chirurgischen Pinzetten oder Kocher-Klemmen angehoben und nach einer Stichinzision mit einer Präparierschere eröffnet. Nun kann der Optiktrokar stumpf eingebracht werden, ggf. unter Führung eines Taststabes. Die Gaszufuhr erfolgt über den Trokar. Der Schnitt wird eingeengt, entweder über Fasziennähte oder einen speziellen Trokar, um Gasverluste zu reduzieren. Manche Chirurgen bevorzugen hier auch nur die Einbringung von 1 oder 2 scharfen Backhaus-Klemmen. Alle weiteren Trokare werden unter Sicht eingebracht.

Zugang über einen Sichttrokar Hier sind z. B. Xcel-Trokar (Ethicon Endosurgery), Visiport (Fa. Applied Medical) zu nennen. An der geplanten Trokarposition wird eine kurze Hautinzision ausgeführt und die Subkutis bis zur Faszie stumpf gespreizt. In den Sichttrokar wird die Optik – idealerweise eine 0°-Optik – eingebracht. Unter Kamerasicht kann nun die spatelförmige Kunststoffspitze des Trokars unter leicht drehenden Bewegungen kontrolliert bis in die Abdominalhöhle vorgeschoben werden. Ein geringer Gasflow von 8 mm Hg CO2 kann bei dem Manöver hilfreich sein. Erst nach sicherem Erreichen der Peritonealhöhle Entfernen des Spateltrokars und definitives Einbringen der Optik in die Trokarhülse. Alle weiteren Trokare werden unter Sicht eingebracht.

Zugang über einen einzigen Port (Single Port) Der Zugang erfolgt über eine einzelnen Trokar (»single port»), der Zugang für Optik und Arbeitsinstrumente bietet: 4 SILS: »single incision laparoskopic surgery« (. Abb. 2.79). 4 LESS: »laparo-endoscopic single-site surgery« (. Abb. 2.80). 4 GelPOINT (Fa. Applied Medical; . Abb. 2.81).

139 2.15 · Minimal-invasive Chirurgie

. Abb. 2.79 Single-Access-Trokar (Beispiel: Triport von Fa. Olympus). (Aus Carus 2014)

. Abb. 2.80 SILS-Port (Beispiel: Covidien). (Aus Carus 2014)

Dieser Trokar wird transumbilikal positioniert. Er verfügt  über 3–4 Zugänge, über die das Gas insuffliert, die Optik und die Arbeitsinstrumente eingebracht werden können. Über diesen Port können alle 4 Quadranten erreicht werden. Nach der Insufflation werden die Optik, dann unter Sicht die Arbeitsinstrumente in die Bauchhöhle eingebracht. Es können Standard-MIC-Instrumente verwendet werden, aber auch speziell geformte. Eine Winkeloptik ist erforderlich. Die Freiheit der Instrumentenbewegung ist eingeschränkt. Wenn 2 oder 3 Arbeitsinstrumente nicht ausreichen, kann ein weiteres Instrument über eine Zusatzinzision

ohne Trokar in die Bauchhöhle eingebracht werden, oder es werden intraperitoneale Haltenähte gelegt. Cholezystektomie und Appendektomie wie auch Sigmoidektomie und Fundoplicatio sind über einen »single port« durchführbar.

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NOTES NOTES: »natural orifice translumenal endoscopic surgery«. Bei NOTES wird mit flexiblen oder starren Endoskopen der Zugang zum erkrankten Organ über eine natürliche Körperöffnung gewählt. Um zum Erfolgsorgan zu gelangen, werden Hilfsschnitte gesetzt, die nach Ope-

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. Abb. 2.81a, b GelPOINT. (© Fa. Applied Medical Resources 2013; all rights reserved)

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140

2

Kapitel 2 · Allgemeinchirurgie und Viszeralchirurgie

rationsende mit einer Naht oder einem linearen Stapler verschlossen werden. Die transvaginale Cholezystektomie wird bereits durchgeführt, die transgastrale Kolonchirurgie z. B. befindet sich in der Erprobungsphase.

2.15.3

Technische Grundausstattung

Wichtig für die Bereitstellung der technischen Zusatzgeräte ist ein fahrbarer Regalturm (. Abb. 2.82), auf dem alles zusammen übersichtlich aufgebaut ist und der bei Bedarf transportiert werden kann. Dieser sog. »Geräteturm« kann komplett mit allen benötigten Zubehörteilen in den OP-Saal gefahren werden. Alle technischen Geräte müssen untereinander vernetzt sein, alle unterliegen dem MPG. Eine Weiterentwicklung der Industrie ist ein sog. MIC-OP-Saal, in dem alle benötigten Geräte vorgehalten werden. Alle Versorgungseinheiten sind an der Decke fixiert, sodass keine Kabel oder Schläuche am Fußboden verlegt werden müssen.

CO2-Insufflator Das elektronisch gesteuerte Gerät bringt Kohlendioxid (CO2) in die Abdominalhöhle zum Anlegen und Aufrechterhalten des Pneumoperitoneums ein. CO2 ist ein farbloses, reizarmes Gas, das besonders leicht über die Lunge abgegeben wird. Vor Beginn einer laparoskopischen Operation muss immer der Inhalt der Gasflasche kontrolliert werden, sofern keine zentrale Gasversorgung zur Verfügung steht. Ein Wechseln der Flasche ist intraoperativ zu vermeiden. Es ist sinnvoll, das CO2 anzuwärmen, um bei länger dauernden Operationen eine Auskühlung des Patienten zu vermeiden. Dazu wird ein CO2-Wärmegerät zwischen Insufflator und Insufflationsschlauch geschaltet bzw. ein CO2-Insufflator gewählt, in den die Gaserwärmung integriert ist. Es werden ca. 3–5 l/min CO2 insuffliert, bis ein intraabdominaler Druck von 12–15 mm Hg erreicht ist. Kohlendioxid wird als medizinisches Gas mit 96%-iger Reinheit angeliefert. Es soll in eine Körperhöhle gelangen und muss deshalb dieselben Sterilitätsanforderungen wie das Instrumentarium erfüllen. Das Insufflationsschlauchsystem unterliegt den strengen Auflagen der zentralen Sterilgutversorgungsabteilung (ZSVA). Über das Insufflationsgerät können Partikel in das Schlauchsystem gelangen, wie auch ein Rückfluss aus dem Patienten in das Gerät nicht ausgeschlossen werden kann. Hier kann ein Insufflationsgasfilter durch Filtration luftgebundener  Bakterien und Viren zwischen Gerät und Patient Abhilfe schaffen. Dieser Filter ist nach jedem Eingriff zu wechseln.

. Abb. 2.82 Mobile Arbeitsstation WMSC; alle erforderlichen technischen Geräte sind hier verfügbar. (© Fa. Olympus)

Kamera Die Chipkamera, die mit der Optik verbunden wird, ist über ein langes Kabel an die Stromquelle angeschlossen. Die Operation kann zur Dokumentation von einem digitalen Aufzeichnungsgerät aufgezeichnet werden. Die Kamera wird intraoperativ mit einem sterilen Überzug versehen. Die Weiterentwicklung hat zu ersten brauchbaren 3-D-Kameras geführt. Diese Technik ist wünschenswert, da die Operationsschritte in 2-D-Darstellung Orientierungsprobleme bieten. Auch die hochauflösende Bildverarbeitung (HD) führt zu einer präziseren Bildwiedergabe. Neuere Entwicklungen verzichten auf eine Optik, da an der Chipkamera ein Autofokussystem angebracht ist. Kamera und Lichtkabel werden als Verbund autoklavierbar eingesetzt (. Abb. 2.83).

Kaltlichtquelle Sie sollte eine hohe Leistung aufweisen, da beim Operieren mit Hilfe des Monitorbildes eine entsprechende Helligkeit benötigt wird. Das Kaltlichtkabel muss ausreichend lang sein, um vom sterilen OP-Gebiet an die Lichtquelle angeschlossen werden zu können. Es ist autoklavierbar. Der schonende Umgang vermeidet Glasfaserbrüche und damit Helligkeitsverluste.

141 2.15 · Minimal-invasive Chirurgie

. Abb. 2.83 Chipkamera und Kaltlichtkabel sind miteinander verbunden und autoklavierbar. (© Fa. Olympus)

a

Saug-Spül-Pumpe Das Gerät dient zur Lavage des Abdomens. Bei Blutungen und am Ende einer laparoskopischen Operation wird der Bauchraum gespült und anschließend die Flüssigkeit wieder abgesaugt. Häufig kommt hier statt dessen ein Infusionsbeutel mit Druckschlauch zur Anwendung.

b . Abb. 2.84a, b EnSeal-Gerät. (© Fa. Johnson & Johnson)

Hochfrequenzgerät Ein Hochfrequenzgerät (HF-Gerät) muss entweder auf dem Geräteturm bereitgestellt werden, oder ein separat stehendes Gerät kommt zum Einsatz. Das bedeutet, dass alle Regeln der HF-Chirurgie bei der monopolaren Koagulation eingehalten werden müssen (7 Kap. 1). Bipolare Instrumente können ebenfalls angeschlossen werden. Bei der Anwendung der HF-Chirurgie entsteht Rauch, der erstens eine Sichtbehinderung darstellt, zweitens aber beim Ablassen über die Trokare das OP-Team gefährdet. Dieser Rauch enthält potentiell schädliche Substanzen, ggf. sogar lebensfähige Zellen. Um eine Gefährdung der Mitarbeiter zu minimieren, kann auf den Trokar ein Filtersystem aufgesetzt werden, das Reizstoffe und Karzinogene herausfiltert, Geruchsbelästigungen verringert und Partikel zurückhält. Inzwischen werden Ionisationsfilter angeboten, die zur Reduktion der Rauchbildung dienen.

Innovative Präparationstechnik Entweder durch Ultraschall oder durch bipolare Techniken sind Präparations- und Blutstillungsmöglichkeiten weiterentwickelt worden. Mit dem Ultraschallskalpell kann der Chirurg schneiden und koagulieren, ohne dass der Patient in einen Stromkreis einbezogen wird. Es fließt im Patienten kein elektrischer Strom, sondern die Koagulation erfolgt mechanisch durch die Schwingungen der Titanklinge. Auch über bipolare Technik, wie z. B. mit dem LigaSure-Gerät (. Abb. 2.36) lassen sich über bipolare Technik Gefäßlumina versiegeln oder mechanisch schneiden und koagulieren. Die seitliche thermische Gewebe-

schädigung ist verringert. Das EnSeal-Gerät und weitere neue Produkte arbeiten ebenfalls mit bipolarer Koagulations- und Schneidetechnik bei minimaler thermischer Abstrahlung (. Abb. 2.84). Auf dem MIC-Turm stehen außerdem Video- oder Festplattenrekorder, die die Operation dokumentieren. Es ist darauf zu achten, dass die Daten des Patienten vor OP-Beginn korrekt eingelesen werden.

2.15.4

Instrumentelle Grundausstattung

Beispielhaft werden hier einige Instrumente vorgestellt. Die Entwicklung der Instrumentarien geht gerade in diesem Bereich so schnell voran, dass kein Anspruch auf Aktualität erhoben werden kann. Ob Einweg- oder Mehrweginstrumente zur Anwendung kommen, ist nicht nur eine Entscheidung der Operateure, sondern sie ist auch im Budget einer Klinik einzubringen. Einwegmaterialien sind immer steril, funktionsfähig und technisch auf dem neuesten Stand. Mehrweginstrumente sind dem Personal bekannt, aber aufwendig und kritisch in der Aufbereitung.

Veress-Nadel Dieses Instrument zum Anlegen eines Pneumoperitoneums (. Abb. 2.85) gibt es in verschiedenen Durchmessern, unterschiedlichen Längen, als resterilisierbares Instrument und als Einweginstrument. Bei Mehrwegutensilien muss vom instrumentierenden Personal grundsätzlich die

2

142

Kapitel 2 · Allgemeinchirurgie und Viszeralchirurgie

2 . Abb. 2.85 Veress-Nadel. (Aus Carus 2014)

Funktionsfähigkeit des Schnappmechanismus für den Nadelschutz und die Durchgängigkeit überprüft werden. Die Handhabung in Form einer Blindpunktion der Bauchhöhle, meist durch eine Hautinzision unterhalb des Nabels, birgt die Gefahr der Organ-/Darmperforation. Daher werden bei der Punktion die Bauchdecken angehoben. Mit dem Eindringen in die Bauchhöhle wird der Schnappmechanismus des Nadelschutzes hörbar ausgelöst. Vor der Gasinsufflation werden mit einer 10-mlSpritze diverse Sicherheitstests durchgeführt: Lässt sich 0,9%ige NaCl-Lösung leicht einbringen und kein Blut, sondern Luft aspirieren, kann davon ausgegangen werden, dass die Nadelspitze regelrecht und frei im Bauchraum liegt. Die Gasinsufflation kann nun beginnen, ein abrupter Druckanstieg am CO2-Insufflator weist auf eine Fehllage der Veress-Kanüle hin und zwingt zur Korrektur. Viele Operateure verzichten auf die Veress-Kanüle und bevorzugen nicht nur bei voroperierten Patienten das offene Vorgehen. Dabei wird nach der Hautinzision die Faszie freigelegt, angeklemmt und inzidiert. Mit einem stumpfen Instrument wird der freie Weg unter Sicht in die Bauchhöhle geprüft und die Trokarhülse über den Führungsstab vorgeschoben. Auch sog. Sichttrokare ermöglichen durch Eingehen mit der Optik im Trokar ein relativ sicheres Eingehen in die Peritoenalhöhle unter Sichtkontrolle (7 Abschn. 2.15.2).

Trokare Trokare bestehen aus der Trokarhülse und dem Innenleben, der Trokarspitze. Trokare gibt es in verschiedenen Durch-

. Abb. 2.86 10-mm-Optiktrokar (Beispiel: Karl Storz). (Aus Carus 2014)

messern (13, 12, 11, 10 und 5 mm) und verschiedenen Längen (. Abb. 2.86). Wichtig bei allen Trokaren ist, dass die Hähne sich leicht öffnen und schließen lassen und dass die Trokare sich ohne Kraftaufwand aus ihren Hülsen ziehen lassen. Unterschiedliche Außenprofile verhindern, dass diese Trokarhülsen während der Operation dislozieren. Die Einwegmodelle der verschiedenen Anbieter haben den Vorteil, dass die Trokarspitze nach dem Erreichen der Abdominalhöhle zurückschnappt, sobald es keinen Widerstand mehr zu überwinden gilt. Die Trokarspitzen können rundgeschliffen oder mehrkantig ausgeformt sein. Eine absolute Sicherheit gegen Verletzungsgefahren bieten diese Trokare jedoch auch nicht.

Single Port 4 LESS (s. oben und . Abb. 2.79; Fa. Olympus), 4 SILS (s. oben und . Abb. 2.80; Fa. Covidien), 4 GelPoint (. Abb. 2.81; Fa. Applied Medical). Um das Zugangstrauma weiter zu reduzieren, wurde ein Trokar entwickelt, der transumbilikal positioniert wird und drei 5-mm-Ports beinhaltet, durch die die Optik sowie zwei Arbeitsinstrumente in die Bauchhöhle eingebracht werden. Es können Standard-MIC-Instrumente verwendet werden, aber auch speziell geformte. Eine Winkeloptik ist erforderlich. Die Freiheit der Instrumentenbewegung ist eingeschränkt. Wenn zwei Arbeitsinstrumente nicht ausreichen, kann ein drittes Instrument über eine Zusatzinzision ohne

143 2.15 · Minimal-invasive Chirurgie

Trokar in die Bauchhöhle eingebracht werden, oder es werden intraperitoneale Haltenähte gelegt. Cholezystektomie und Appendektomie wie auch Sigmoidektomie und Fundoplicatio sind über einen Single Port durchführbar.

Optiken Zumeist kommt eine 30°- oder 45°-Optik zum Einsatz, die über einen passenden Trokar eingeführt wird, hier werden neben 10-mm-Optiken auch 5-mm-Optiken verwendet. Daran werden das Lichtleitkabel und die Kamera angeschlossen, entweder mit einem industriell gefertigten Überzug steril bezogen und an der Patientenabdeckung mit einem Klebestreifen fixiert, oder sie kommen autoklaviert aus der ZSVA (z. B. die autoklavierbaren Videoendoskope wie EndoEye von der Fa. Olympus). Optiken werden körperwarm angereicht und/oder mit einem Antibeschlagmittel betupft. ! Bei schlechter Lichtleistung muss neben der Möglichkeit eines defekten Lichtleitkabels an eine Alterung der Optik gedacht werden (Wartung/Ersatz).

Clipapplikatoren Die Clipzangen (. Abb. 2.87) werden zumeist über eine 10-mm-Trokarhülse eingebracht, nachdem sie mit dem gewünschten Clip gefüllt wurden. (Diese Clips stehen aus Titan oder aus resorbierbarem Material, z. B. PDS, zur Verfügung.) Dazu wird die Zange in geöffnetem Zustand mit den Branchen auf das Clipmagazin gedrückt. Werden beim Anreichen der Applikatoren versehentlich die Handgriffe zusammengedrückt, fällt der vorbereitete Clip heraus. ! Beachten Sie, dass die Clips in die korrekte Zange gefüllt werden! Jede Clipgröße hat ihren »eigenen« Applikator. Ein PDS-Clip passt nicht in die Zange für Titanclips!

Manche Clipzangen haben vorn am Arbeitsteil ein ausfahrbares Häkchen zur Erleichterung der Präparation. Die Clipapplikatoren werden von vielen Anbietern als Einweginstrument geliefert. Hier sind die Clips in unterschiedlicher Anzahl im Applikator enthalten. Gebräuchlich sind

wiederverwendbare Clipzangen, die mit einem Einmalclip bestückt werden (z. B. Lapro-Clip).

Reduzierhülsen und -kappen Diese Hülsen reduzieren den Durchmesser der schon eingebrachten Trokarhülsen auf den kleineren Durchmesser der Arbeitsinstrumente. Während der Arbeitsvorgänge kann also kein Gas entweichen, wenn z. B. die 5-mm-Schere über eine 10-mm-Hülse eingeführt wird. Anderen Trokaren werden dazu nur noch Reduzierkappen aufgesetzt. Diese passen für mehrere unterschiedliche Instrumentenschaftdurchmesser. Einwegtrokare reduzieren durch ein Ventilsystem ohne Extrakappen. Kombinationen aus Mehrwegtrokarhülse und Einwegkappen sind möglich. Dadurch ist die Handhabung von Instrumenten mit unterschiedlicher Schaftstärke vereinfacht.

Scheren Sie werden entsprechend den Trokaren mit 10 oder 5 mm Durchmesser angeboten. Die meisten Modelle, vornehmlich Einweginstrumente, haben einen beweglichen Drehkopf, sodass der Operateur in der Lage ist, die Schere nur in den Branchen zu drehen, ohne den Instrumentenhandgriff umzusetzen (. Abb. 2.88). Jede Schere muss vor dem Anreichen 2- bis 3-mal geöffnet und geschlossen werden, um eine Hemmung auszuschließen. Ein isolierter Schaft ermöglicht die Schere an das monopolare HF-Gerät anzuschließen, um vor dem Schneiden zu koagulieren. Eine bipolare Schere steht ebenfalls zur Verfügung.

Gewebezange Diese Zange (. Abb. 2.89) hat ein relativ großes, grobes Maul und wird häufig als Zange für Präpariertupfer genutzt. Der Tupfer muss fest eingespannt sein. Die Arretierung darf aber nicht bis auf das letzte Raster geschlossen werden, damit die Zange nicht durch Überspannung aufspringt. Es ist darauf zu achten, dass jeder Tupfer der/dem Instrumentierenden zurückgegeben wird; oder es sind Einwegpräpariertupfer, die fest mit einem Stab verbunden sind, zu benutzen.

Taststab Der Taststab ist ein stumpfer, runder Metallstab, mit dem sondiert, ausgetastet, ausgemessen oder auch Organe weggehalten werden können.

. Abb. 2.87 Resterilisierbarer Clipapplikator. (© Fa. Olympus)

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144

Kapitel 2 · Allgemeinchirurgie und Viszeralchirurgie

2 a

b . Abb. 2.88a, b Laparoskopische Schere: a Maulteil, b offener Griff der laparoskopischen Schere (Beispiel: Karl Storz). (Nach Carus 2014)

Hakenelektrode Die Hakenelektrode ist ein langer, vorn entweder um 90° abgewinkelter oder abgerundeter Stab, auf den Gewebestrukturen aufgeladen werden können. Der Stab hat einen monopolaren HF-Anschluss (. Abb. 2.90). Das Gewebe wird koaguliert und ggf. mit einer Schere durchtrennt. Vielfach haben diese Hakenelektroden einen Spülkanal, damit während des Koagulierens gespült und der entstehende Rauch abgesaugt werden kann.

Löffelzange 2.89

Die Branchen dieser Zange sind wie Löffel geformt. Sie kommt beim Bergen von Steinen oder Biopsien zur Anwendung.

Fasszange Gewebefasszangen gibt es in vielen Größen und Stärken. Sie sind arrettierbar und haben ein geriefeltes Maul, das innen oft eine löffelartige Riefelaussparung hat, um das Gewebe nicht zu traumatisieren. Sie eignen sich z. B. zum Fassen der Gallenblase (. Abb. 2.91). Andere Maulformen mit Lochaussparung eignen sich zum Fassen von Darm oder anderen empfindlichen Strukturen. Die Anwendung entspricht der in der »offenen Chirurgie« üblichen Babcock-Zange, z. B. zum Fassen des Magens bei der Fundoplicatio.

2.90

. Abb. 2.89 Gewebegreifzange für z. B. Magen oder Gallenblase. (© Fa. Olympus) . Abb. 2.90 Hakenelektrode mit HF-Ansatz. (© Fa. Olympus) 2.91

. Abb. 2.91 Greifzange nach Manhes zum Greifen und Präparieren von empfindlichem Gewebe. (© Fa. Olympus)

145 2.15 · Minimal-invasive Chirurgie

Overholt-Klemme (Dissektionszange) Dissektionszangen sind kleine Fasszangen mit konisch zulaufenden Branchen mit Querriefelung. Sie eignen sich zur Präparation von Gewebe-/Organstrukturen (. Abb. 2.92).

Nadelhalter Das Nähen während einer laparoskopischen Operation erfordert sicher das größte Umdenken. Die Nadelhalter gibt es in verschiedenen Ausführungen; v. a. der Arbeitsgriff unterscheidet sich von anderen Instrumenten (. Abb. 2.93). Zum Knoten ist immer ein zweites Instrument notwendig, wenn kein vorgeknoteter Faden benutzt wird. Es kann intrakorporal oder extrakorporal geknotet werden.

Bergesack Ein Kunststoffbeutel, über eine Einführhilfe eingebracht, wird intraabdominal ausgerollt, um z. B. die Gallenblase oder die Appendix aufzunehmen, damit sie kontaminationsfrei vor die Bauchdecke gezogen werden kann. Außerdem kann in dem Sack eine Steinzertrümmerung vorgenommen werden. Damit ist eine problemlose Bergung der Konkremente möglich.

Bergetrokar Große Trokare, die die Inzision bis auf 33 mm dilatieren können, um Resektate kontaminationsfrei zu entfernen (z. B. bei Sigmaresektionen).

Saug-Spül-Kanüle Sofern nicht über die vorhandenen Spülkanäle der einzelnen Instrumente gesaugt wird, kann eine Saug-SpülKanüle an die Saug-Spül-Pumpe angeschlossen werden. Über einen Schlauch wird die Spülflüssigkeit ins Abdomen geleitet, über einen anderen Schlauch wird abgesaugt. Es finden 5- und 10-mm-Saugrohre Verwendung.

Endostapler Die Anwendung des Endostaplers entspricht der in 7 Abschn. 2.1.2 beschriebenen Vorgehensweise. Für die Anwendung ist es essenziell zu wissen, welcher Trokardurchmesser benötigt wird. Endostapler gibt es nur als Einweginstrumente. Neben geladenen Geräten werden zunehmend gesondert Stapler und Nachlademagazine angeboten. Neben verschiedenen Klammerstärken für unterschiedliche Gewebedicke und verschiedenen Magazinlängen sind neben den herkömmlichen geraden Staplern abwinkelbare Mechaniken erhältlich (. Abb. 2.94).

2.15.5

Handhabung des Instrumentariums

Die Instrumente müssen während der Operation ständig sauber gehalten werden, damit Blut- und Gewebereste nicht die Handhabung erschweren. Hohlschäfte werden mit Aqua dest. durchgespült, um ein Verkleben der Gewebereste zu verhindern, da sie die Aufbereitung erschweren. Der Operateur schaut kontinuierlich auf den Monitor, sodass das OP-Personal beim Einführen der langen Schäfte in die Trokarhülsen behilflich sein muss.

Instrumentenaufbereitung Nach Beendigung der Operation wird das Einmalmaterial entsprechend entsorgt und das wiederverwendbare Instrumentarium der Aufbereitung zugeführt. Damit keine Blut- und Eiweißreste antrocknen können, muss es unmittelbar nach Gebrauch durchgespült werden. Die Instrumente werden zerlegt; alle Hähne müssen offen sein. Stark verschmutzte Hohlräume können, soweit zugänglich, mit einer kleinen Bürste gereinigt werden. Die Reinigungs- und Desinfektionsgeräte (RDG) müssen mit einem Einsatz versehen sein, auf den die Hohlschaftinstrumente aufgesteckt werden können, um eine Spülung, Desinfektion und Reinigung zu gewährleisten. Vor der Sterilisation müssen die Instrumente mit vollentmineralisiertem Wasser gespült werden. Sie dürfen nur trocken autoklaviert werden. Das Metallinstrumentarium und die Lichtleitkabel können dampfsterilisiert werden. ! Bitte berücksichtigen Sie die Auskühlzeit der Optiken! (Niemals mit kaltem Wasser abschrecken.)

Ältere Optiken müssen gassterilisiert werden oder der umweltfreundlichen Plasmasterilisation zugeführt werden. Die Aufbereitung unterliegt den definierten Kriterien des Robert-Koch-Institutes (RKI) und muss den Herstellerangaben Folge leisten

2.15.6

Patientenlagerung in der MIC

Gerade in der minimal-invasiven Chirurgie kommt der Patientenlagerung eine große Bedeutung zu, da die Schwerkraft zur Verlagerung des Darmkonvolutes oder der Organe ausgenutzt wird. Durch intraoperative Lageveränderungen müssen die Lagerungshilfsmittel so platziert werden, dass sie ihre Position behalten. Extreme Kopftieflagerungen erfordern die Anlage von Schulterstützen, Fußtieflagerung erfordern Fußstützen. Alternativ erleichtert die Anwendung von Vakuummatten diese spezifischen Lagerungen.

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Kapitel 2 · Allgemeinchirurgie und Viszeralchirurgie

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b

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. Abb. 2.92a, b Laparoskopischer Dissektor: a Maulteil, b offener Griff des laparoskopischen Dissektors (Beispiel: Karl Storz). (Aus Carus 2014) . Abb. 2.93a, b Laparoskopischer Nadelhalter: a Maulteil, b Griffstück (Beispiel: Karl Storz). (Aus Carus 2014) . Abb. 2.94a, b Klammernahtmagazin (a); Handgriff mit Auslösemechanismus (b). (Beispiel: Fa. Ethicon Endo-Surgery). (Aus Carus 2014)

147 2.15 · Minimal-invasive Chirurgie

Der Operateur und sein Kameraassistent benötigen im Hinblick auf die extremen Lagerungspositionen viel Bewegungsspielraum. Dazu ist die Anlagerung eines oder beider Arme mit entsprechender Abpolsterung und Absicherung der venösen Zugänge notwendig. 4 Trendelenburg-Lagerung: Die Kopftieflage erleichtert die Operationen im Unterbauch. 4 Anti-Trendelenburg-Lagerung: Die Fußtieflage erleichtert Operationen im Oberbauch. ! Pneumoperitoneum und Anti-Trendelenburg-Lagerung erhöhen die Thrombosegefahr!

4 Linksseitenkippung: Das rechte Abdomen wird übersichtlich. 4 Rechtsseitenkippung: Das linke Abdomen ist gut erreichbar.

2.15.7

Trokarpositionierung

Alle im Folgenden angegebenen Positionen für Trokare sind variabel. Zu bedenken ist eine maximale Entfernung des Optiktrokars vom Erfolgsorgan von 10–15 cm. Alle weiteren Trokare sollten halbkreisförmig mit ca. 10 cm Abstand von der Optik platziert werden, um intraoperativ ein Überkreuzen der Instrumentenschäfte zu vermeiden.

2.15.8

Operationen

Laparoskopische Cholezystektomie Nicht nur aus Gründen des Komforts für den Patienten (günstige Kosmetik, weniger Schmerzen), sondern auch aus betriebs- und volkswirtschaftlicher Sicht, nämlich einerseits der Abrechnung im DRG-System, andererseits Verkürzung des Krankenhausaufenthalts und der Krankheitsdauer, ist die endoskopische Cholezystektomie zu einem Standardeingriff geworden. Die intraoperative Cholangiographie ist auch bei dieser Methode durchführbar. kIndikation

4 Symptomatische Cholezystolithiasis, 4 Gallenblasenhydrops, 4 chronische und akute Cholezystitis. jKontraindikationen

4 4 4 4

Gallige Peritonitis nach Gallenblasenperforation, Gallenblasenphlegmone, Gerinnungsstörungen, akute Pankreatitis.

Stellt sich während der Inspektion und Präparation heraus, dass sich der Ductus cysticus und die A. cystica nicht übersichtlich gegen den Ductus choledochus abgrenzen lassen, muss auf die konventionelle Methode der Cholezystektomie zurückgegriffen werden. kPrinzip

In dem mit CO2 aufgefüllten Intraperitonealraum wird die Gallenblase retrograd durch manchmal auch nur 3 Trokare (. Abb. 2.95) mit Schere, Clips und HF-Koagulator bzw. Ultraschallskalpell entfernt, nachdem die A. cystica und der Ductus cysticus zwischen Clips durchtrennt wurden. kLagerung

4 Steinschnittlage mit abgesenkten Beinen, neutrale Elektrode an einem Oberschenkel (europäische Lagerung). 4 Alternativ: Rückenlage mit gespreizten Beinen (amerikanische Lagerung). kInstrumentarium

Laparoskopische Grundausstattung: 4 »Geräteturm« mit CO2-Insufflator inklusive Gasflasche, Saug-Spül-Pumpe, Optikwärmer, alternativ steriles Antibeschlagmittel. 4 Kaltlichtquelle, digitale Bilddokumentation, Kamera, Monitor, HF-Gerät, evtl. Ultraschallskalpell. 4 Veress-Nadeln und 10-ml-Spritze, Trokare mit Trokarhülsen, Optik 0°, 30° oder 45°, Taststab, Clipapplikator mit Clips (Titan- oder resorbierbare Clips), Hakenschere, Haken- und/oder Messerelektroden für den HF-Anschluss, Reduzierhülsen bzw. -kappen, Fasszangen, Dissektionszangen, Löffelzange, Präpariertupfer. 4 Bei Bedarf steriler Bezug für die Kamera. 4 Skalpell, Präparierschere z. B. nach Metzenbaum, 2 chirurgische Pinzetten und 1 Nadelhalter. Vor der Operation wird der Magen über eine Magensonde entleert, selten ist ein Blasenverweilkatheter indiziert.

OP-Verlauf: Laparoskopische Cholezystektomie

5 Das OP-Gebiet wird desinfiziert und der Patient abgedeckt; ein Team-Time-out-Check sichert die Identität des Patienten. 5 Der Operateur und ein fakultativer zweiter Assistent stehen rechts bzw. links des Patienten, der erste Assistent zwischen den Beinen des Patienten. Alternativ kann der Operateur zwischen den Beinen stehen, der erste Assistent links, der fakultative zweite rechts. Die/der Instrumentierende fährt den Tisch über das linke Bein des Patienten.

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148

Kapitel 2 · Allgemeinchirurgie und Viszeralchirurgie

5 Um einen Raum für die endoskopische Unter-

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. Abb. 2.95a–c Laparoskopische Cholezystektomie. a Präparation des Calot-Dreiecks. 1 Ductus cysticus frei präpariert, 2 A. cystica, 3 Lig. hepatoduodenale, 4 Fasszange mit Zug am Infundibulum. b Durchtrennen des Ductus cysticus und A. cystica zwischen den Clips. c Herauslösen der Gallenblase vom Leberbett. 1 Hakenelektrode, 2 Fasszange an der Gallenblase, 3 Autoretraktionshaken für die Leber

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5

suchung zu schaffen, muss zunächst CO2 in den Intraperitonealraum insuffliert werden. Dazu wird eine Veress-Nadel in Kopftieflage am Nabel in den Bauchraum unter Hochziehen der Bauchdecken eingeführt, ohne dass dabei Darmschlingen verletzt werden dürfen. Durch diese Kanüle werden mit dem Gasinsufflator ca. 3–6 l/min CO2 in das Abdomen gefüllt. Alternativ wird offen die 10-mm-Trokarhülse durch eine Miniinzision von Faszie und Peritoneum über einen Wechselstab vorgeschoben. Über diese Hülse erfolgt die Gasinsufflation. Währenddessen ist Zeit für den Instrumentanten und den »Springer«, alle benötigten Kabel anzuschließen und bei Bedarf das Kamerakabel mit einem sterilen Bezug zu versehen. Bei einigen Kameras muss der sog. Weißabgleich erfolgen. Dabei wird vor die Optik ein weißer Tupfer gehalten, der dann auf dem Monitor weiß erscheinen muss. Mit einer Korrekturtaste wird die korrekte Farbeinstellung vorgenommen. Nach der Insufflation wird die Veress-Nadel entfernt. Durch einen kleinen Hautschnitt am Nabel wird unter Perforation der Faszie ein 10- oder 12-mm-Trokar mit Hülse eingeführt. Danach wird der Trokar entfernt und durch eine 30°- oder 45°-Optik ersetzt und der Gasanschluss auf die Trokarhülse gesetzt. Die Optik muss entweder vorgewärmt oder aber mit einem »Antibeschlagmittel« betupft werden, um klare Sicht auf das OP-Gebiet zu haben und zu behalten. Dann wird die Inspektion des Abdomens vorgenommen. Folgende Trokare werden zusätzlich eingeführt: – ein 5er-Trokar im rechten Unterbauch, ein weiterer 5er-Trokar in der Medioklavikularlinie subkostal rechts und – paramedian links im Epigastrium ein weiterer 10-mm- oder 12-mm-Trokar (diese Angaben sind abteilungsspezifisch). Zuerst werden evtl. vorhandene Adhäsionen zur Bauchdecke durchtrennt. Ein Rundumblick durch die Bauchhöhle wird vorgenommen, dann die Gallenblase freipräpariert. Durch die eine Hülse wird der Taststab geführt, der die Leber aus dem Sichtfeld halten soll. Durch die andere Hülse wird eine Fasszange an die Gallenblase geschoben, um diese am Infundibulum zu fassen und zu spannen. Häufig wird die Gallenblase auch am Fundus angeklemmt.

149 2.15 · Minimal-invasive Chirurgie

5 Durch eine dritte Hülse wird eine HF-Hakenelektrode platziert. Mit deren Hilfe werden der Ductus cysticus und die A. cystica freipräpariert. Diese Elektrode wird häufig im Wechsel mit einer Hakenschere, einem Dissektor oder einem Präpariertupfer benutzt. 5 Nach der Präparation wird die Elektrode oder die Schere durch den Clipapplikator ersetzt. Der Ductus cysticus und die A. cystica werden zentral doppelt und peripher einfach verschlossen. Nach Entfernung des Applikators werden diese beiden Gebilde mit der Schere abgesetzt. 5 Bei Verdacht auf eine Läsion des Ductus choledochus oder bei unklarem anatomischem Situs kann intraoperativ eine Cholangiographie durchgeführt werden. 5 Die Gallenblase wird angespannt, und mit der HF-Hakenelektrode oder der Ultraschallklinge retrograd vollständig aus dem Leberbett gelöst. 5 Nach dem Umsetzen der laparoskopischen Optik in den zweiten großen Trokar im Oberbauch wird die Gallenblase meist in einen Bergebeutel verbracht oder unter Sicht mit dem Infundibulum und durch Zurückziehen des Trokars in den Nabeltrokar vor die Bauchdecke gezogen. Nach Eröffnung und Absaugen kann sie mitsamt kleiner Steine entfernt werden. 5 Bei Bedarf müssen Steine in dem Bergebeutel zertrümmert werden. Ist die Gallenblase zu groß für die Extraktion am Nabel-Trokar-Einschnitt, kann entweder die Inzision im Faszienniveau erweitert oder über einen Bergetrokar dilatiert werden. 5 Während laparoskopischer chirurgischer Eingriffe wird bei Bedarf der Intraperitonealraum gespült, um z. B. Blut, Koagulationsrückstände, Gallenflüssigkeit oder andere Sekrete zu entfernen. Dies beugt Infektionen und evtl. späteren Verwachsungen vor. 5 Für die Spülung wird ein Zufluss- und ein Abflussschlauch an die Saug-Spül-Pumpe angeschlossen, sodass man über einen Ansatz spülen und danach über denselben Ansatz absaugen kann. 5 Nach der Entfernung der Gallenblase muss eine gründliche Inspektion des Gallenblasenbettes und des subhepatischen Bereiches vorgenommen werden. 5 Die Blutstillung erfolgt mit der HF-Elektrode, bzw. mit der Ultraschallklinge, bei Bedarf kann KollagenvIies oder auch Fibrinkleber eingebracht werden. Evtl. wird subhepatisch unter Sicht eine Drainage platziert.

5 Alle Trokarhülsen werden mit den Instrumenten unter laparoskopischer Kontrolle entfernt, das CO2 abgelassen und die Inzision mit Naht oder Pflasterverband verschlossen. 5 Alle Geräte werden ausgeschaltet, die zu- und abführenden Schläuche und Kabel diskonnektiert.

Laparoskopische Appendektomie kIndikation

4 Phlegmonöse Form der Appendizitis, 4 z. T. auch die gangränöse Appendizitis. kKontraindikation

4 Adhäsionsbauch, 4 Abszess, 4 diffuse Peritonitis. Findet sich intraoperativ ein laparoskopisch nicht abtragbares Meckel-Divertikel, ist ggf. auf die konventionelle Methode umzusteigen. kPrinzip

Laparoskopische Entfernung der Appendix mittels Abtragung über ein Klammernahtgerät, zwischen Clips oder über eine Schlingennaht mit oder ohne Versenkung des Stumpfes. kLagerung

4 Steinschnittlage, neutrale Elektrode am rechten Oberschenkel. 4 Alternativ Rückenlage mit gespreizten Beinen. 4 Intraoperativ Kopftieflage und Kippung des Tisches nach links. Die präoperative Anlage eines transurethralen Blasenkatheters kann die Präparation erleichtern. kInstrumentarium

Technisches und instrumentelles Grundinstrumentarium wie bei der Cholezystektomie beschrieben. Ein Bergesack sollte hier immer verwendet werden, ebenso laparoskopische Nadelhalter bzw. vorgefertigte Schlingen (z. B. RöderSchlingen), ein Clipapplikator oder ein linearer Anastomosenstapler mit integriertem Cutter für die endoskopische Anwendung.

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150

Kapitel 2 · Allgemeinchirurgie und Viszeralchirurgie

OP-Verlauf: Laparoskopische Appendektomie

5 Hautdesinfektion, sterile Patientenabdeckung,

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Team-Time-out.

5 Die Anlage des Pneumoperitoneums erfolgt wie bei der Cholezystektomie beschrieben.

5 Die Platzierung der verschiedenen Trokare wird

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5 5

der Lokalisation des geplanten Eingriffs angepasst (Nabel, rechter und linker Unterbauch) bzw. linker Mittelbauch. Zumeist 3 Trokare, 10 mm für die Optik, 12 mm für das Klammernahtgerät, 5 mm für die Arbeitsinstrumente (. Abb. 2.96). Zur Diagnosesicherung erfolgt zunächst eine diagnostische Laparoskopie. Bei Vorliegen einer Peritonitis wird ggf. Flüssigkeit abgesaugt und zur mikrobiologischen Untersuchung gegeben. Dünndarm und Zäkum werden mit dem Taststab beiseite gehalten. Das Mesenteriolum wird mit einer Zange gefasst und gespannt (. Abb. 2.97) und mit der HF-Hakenelektrode oder der Ultraschallklinge und der Hakenschere präpariert, die A. appendicularis doppelt geclipt oder bipolar koaguliert. Skelettierung entlang der Appendix zur Basis. Die Appendix wird an der Basis mit 2 vorgefertigten Schlingen, die über eine Trokarhülse eingebracht werden, doppelt unterbunden und mit einer Messerelektrode abgetragen, der Stumpf wird desinfiziert, alternativ kann mit einem resorbierbaren Clip an der Basis abgesetzt werden. Alternativ kann die Appendix mit Mesenteriolum mit einem Endocutter in einem Arbeitsgang abgesetzt werden (. Abb. 2.98). Zum Einsatz dieser Stapler muss ein 12-mm-Trokar eingebracht werden. Das Herausziehen des Präparats erfolgt über einen Bergesack oder in einem Trokar, da es hier auf keinen Fall zu einer Berührung der entzündeten Appendix mit den Schichten der Bauchwand kommen darf. Eine Stumpfversenkung, wie sie aus der konventionellen Chirurgie bekannt ist, erfolgt hier selten! Bei Bedarf wird der Intraabdominalraum gespült, ggf. eine Drainage platziert. Danach wird das CO2 abgelassen, die Trokare werden entfernt und die Einstichstellen verschlossen.

. Abb. 2.96 Trokarpositionen bei der Appendektomie. T1 = 5 mm für Taststab, Fasszange, Dissektionszange, Schere. T2 = 12-mm-Trokar für Fasszange, linearen Anastomosenstapler. O = Optiktrokar. (Aus Carus 2014)

. Abb. 2.97 Fassen und Anspannen des Mesenteriolums. (Aus Carus 2014)

Laparoskopische Hernioplastik Neben der konventionellen offenen Methode haben sich laparoskopische Techniken zur Leistenhernienversorgung etabliert. Für die endoskopischen Techniken gelten die Versorgungskriterien ähnlich wie für die »offenen« Verfahren: 4 Der Bruchsack wird präpariert und abgetragen oder reponiert. 4 Die Hinterwand des Leistenkanals wird verstärkt. Anders als bei der konventionellen Methode erfolgt die Hinterwandverstärkung im Bereich der Fascia transversalis immer durch Implantation eines teilresorbierbaren Kunststoffnetzes, das bei instabiler Lage mit Clips, alterna-

151 2.15 · Minimal-invasive Chirurgie

a

b

. Abb. 2.98a, b Anspannen der skelettierten Appendix (a), Platzieren des Linearstaplers (b). (Aus Carus 2014)

tiv mit Fibrinkleber fixiert wird. Als Mindestmaß werden Netzgrößen von 13 × 8 cm empfohlen, häufig werden 15 × 10 cm und größer gefordert, um Hernienrezidive sicher zu verhindern. Grundsätzlich werden zwei Zugangswege unterschieden: 4 TAPP (= transabdominelle präperitoneale Plastik): Bei diesem Zugangsweg wird das Kunststoffnetz auf laparoskopischem Wege, also durch die freie Bauchhöhle, nach Durchtrennung und Präparation des Peritonealüberzugs und des Bruchsackes von innen vor die Bruchpforte platziert. 4 TEP (= totale extraperitoneale Plastik): Bei diesem Zugangsweg wird die Bauchhöhle nicht eröffnet, sondern es wird am Nabel beginnend ein präperitonealer Weg zwischen M. rectus abdominis und hinterem Blatt der Rektusscheide bis zur Leistenregion so weit stumpf aufgedehnt, bis der präperitoneale Raum vor der Bruchpforte die Ausbreitung des Kunststoffnetzes erlaubt.

versalis und der Samenstranggebilde. Verschluss der Bruchpforte und Hinterwandverstärkung mit einem industriell gefertigten, nicht- oder teilresorbierbaren Netz. Das Netz muss alle Bruchpforten weit überlappend abdecken. kLagerung und Vorbereitung

Trendelenburg-Lagerung in 20–30°-Position, Sichern des Patienten mit Schulterstützen (. Abb. 2.99), ggf. mit Abspreizung der Beine, neutrale Elektrode bei einseitiger Versorgung am Oberschenkel der OP-Seite. Unmittelbar präoperativ sollte die Entleerung der Harnblase erfolgen. kInstrumentarium

Technische laparoskopische und instrumentelle Grundausstattung mit einer 0°- oder 30°-Optik. Neben dem 10-mmOptiktrokar wird bei einseitiger Versorgung für die zu operierende Seite ein 5-mm-, 10- oder 12-mm-Trokar bevorzugt, für die andere Seite reicht regelhaft ein 5-mmTrokar. Bei beidseitiger Versorgung können ggf. zwei 12-mm-Trokare eingesetzt werden. Eine Minimalisierung

kIndikation

Eine Empfehlung kann aufgrund der Leitlinien der EHS (European Hernia Society, s. Übersicht »Leitlinie Europäische Herniengesellschaft« in 7 Abschn. 2.3.2) gegeben werden. Als vorteilhaft wird die elektive Indikation zur Versorgung von Rezidivhernien und beidseitigen Hernien im Erwachsenenalter angegeben. Jedoch bekommt die primäre Versorgung einer Leistenhernie in endoskopischer Technik einen immer größeren Stellenwert. Sowohl die völlige Ablehnung als auch die Forderung zur Ausweitung der Indikation auf alle Hernienversorgungen werden in der Literatur beschrieben. kPrinzip

Transperitoneale oder präperitoneale endoskopische Freilegung des Bruchsackes, der Bruchpforte, der Fascia trans-

. Abb. 2.99 Rückenlage mit gespreizten Beinen und maximal 90° abduzierten Armen in Supinationsstellung. (Aus Krettek u. Aschemann 2005)

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2

Kapitel 2 · Allgemeinchirurgie und Viszeralchirurgie

der Trokarzugänge ist durch verfügbare 3,5-mm- und 2-mm-Trokare mit entsprechender 3,3-mm-Optik und Instrumentenausstattung möglich. Das Ultraschallschneidegerät erleichtert die sichere Präparation der Strukturen. Zur Netzfixation wird ein Clipapplikator benötigt, vorzugsweise ein automatisch nachladendes Gerät, das die benötigte Anzahl an Clips (bis 20) enthält. Spezielle Hernienstapler (Ethicon Endo Surgery, Covidien, Origin) geben die Clips wie Tackerklammern bzw. als spiralförmige Klammern ab. Bevorzugt werden heute resorbierbare Tacks. Alternativ wird die Fixation mit Fibrinkleber diskutiert. Bei idealer und stabiler Netzlage kann auf eine Netzfixation verzichtet werden, zumal die Clipfixation für postoperative Schmerzen verantwortlich gemacht wird. Zur Gewährleistung der Asepsis wird empfohlen, vor Annahme, Zurechtschneiden und Implantation des Netzes die Handschuhe zu wechseln.

OP-Verlauf: Endoskopische Herniotomie (TAPP)

5 Der männliche Patient wird in bekannter Weise

5 5

5

5

desinfiziert und inklusive des Hodenbereiches abgedeckt. Operateur und Assistenz stehen entweder beidseits des Patienten oder operieren vom Kopfende aus. Team-Time-out. Nach Anlage des Pneumoperitoneums in standardisierter Technik Einbringen der 30°- oder 45°-Optik in den 10-mm-Nabeltrokar. Die Nabelinzision kann sowohl unterhalb, als auch oberhalb des Nabels angelegt werden. Nach der Inspektion und Exploration Herstellen der Kopftieflage und Einstellen der Bruchpforte. Einbringen von 2 weiteren Arbeitstrokaren: bei einseitiger Versorgung 5-, 10- bzw. 12-mm-Trokar auf der Hernienseite lateral des M. rectus abdominis. Auf der anderen Seite reicht ein 5-mm-Trokar bei beidseitiger Versorgung (. Abb. 2.100). Nach Einschneiden des Peritoneums ventral der Bruchpfortenkante zwischen Plica umbilicalis medialis bis lateral in die Nähe des Beckenkamms erfolgt die sorgfältige Präparation der anatomisch wichtigen Strukturen: Bruchpforte und Bruchsack, Schambein, Cooper-Band, Tractus ileopubicus, epigastrische Gefäße, Samenleiter und Samenstranggefäße, Identifizieren der Beckengefäße. Die Präparation erfolgt vorzugsweise stumpf, aber auch mit Schere, Hakenelektrode oder Ultraschallklinge und Dissektor. Der Peritonealüberzug wird weit nach dorsal und schmal nach ventral abgelöst, der Bruchsack dabei reponiert.

. Abb. 2.100 Trokarpositionen bei der endoskopischen Hernienoperation auf der rechten Seite. (Aus Carus 2014)

5 Das Kunststoffnetz wird zusammengerollt über den 12-mm-Trokar oder den Optiktrokar eingebracht. Es wird über der Bruchpforte, über den Samenstranggebilden und über der Fascia transversalis ausgebreitet und ggf. sparsam v. a. medial und ventral mit Clips am Cooper-Ligament fixiert. 5 Lateral dorsal im OP-Gebiet sollen keine Clips wegen drohender Nervenirritationen platziert werden. 5 Das Peritoneum muss über dem Kunststoffnetz durch endoskopische Naht oder mit Clips verschlossen werden, um gefährliche Darmadhäsionen zu vermeiden. 5 Nach Entfernung der Trokare unter laparoskopischer Sicht werden an den 10- bzw. 12-mm-Inzisionen Fasziennähte durchgeführ t. Hautnaht und Pflasterverband beenden den Eingriff.

OP-Verlauf: Endoskopische Herniotomie (TEP) 5 Nach gleichartiger Vorbereitung und Abdeckung des Patienten wird als wesentlicher OP-Schritt ein künstlicher präperitonealer Raum geschaffen. Hierzu wird auf der OP-Seite neben dem Nabel eine Inzision von ca. 15 mm Länge unter Sicht bis auf das vordere Blatt der Rektusscheide geführt, die Rektusmuskulatur mit Langenbeck-Haken zur Seite gehalten und auf dem hinteren Blatt der Rek-

153 2.15 · Minimal-invasive Chirurgie

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5

tusscheide stumpf mit einem Babystieltupfer in Richtung Symphyse eingegangen. Anschließend wird in die gleiche Richtung ein spezieller BallonDissektions-Trokar eingeführt und bis zum Kontakt mit dem Tuberculum pubicum unter palpatorischer und visueller Kontrolle von außen vorgeschoben. Je nach Trokarmodell wird die Ballonhülse entfernt und der Ballon durch Auffüllen mit CO2 oder physiologischer Kochsalzlösung entfaltet. Dieses führt zu einer stumpfen Gewebespaltung mit Abhebung des Peritoneums. Langsamer und schwieriger ist die stumpfe Präparation des präperitonealen Raumes mit Hilfe konventioneller wie endoskopischer Instrumente und der Optik selbst. In den geschaffenen Raum wird in der Mitte zwischen Nabel und Symphyse ein 5-mm-Trokar in die Medianlinie eingestochen. Von hier aus wird die laterale Dissektion des Raumes ergänzt. Von lateral wird unter endoskopischer Sicht meist ein 5-, 10oder 12-mm-Arbeitstrokar eingeführt. Alle Präparationsschritte müssen eine Verletzung des Peritoneums vermeiden, um einen Gasverlust von präperitoneal nach intraperitoneal zu verhindern. Die eigentliche Vorbereitung der Netzimplantation erfordert die gleichen präparatorischen OP-Schritte, wie sie zur TAPP erforderlich sind. Lediglich der peritoneale Bruchsack wird in Richtung Bauchraum abgedrängt. Das aufgerollt eingebrachte Netz wird mittels Fasszange und Dissektor ausgebreitet (. Abb. 2.101). Wird das Netz nicht mit Clips fixiert, muss das Gas so abgelassen werden, dass die korrekte Netzposition bis zum Kontakt mit dem Peritoneum verfolgt werden kann. Die Versorgung einer bilateralen Hernie ist in der Regel ohne zusätzliche Trokare möglich. Der Präperitonealraum kann über die Mittellinie leicht zur Gegenseite erweitert werden. Entweder wird eine entsprechend breite Netzprothese mit individuellen Maßen im beidseitigen Extraperitonealraum ausgebreitet oder ein zweites Kunststoffnetz auf der Gegenseite platziert. Bei der Trokarentfernung und der Versorgung der Trokarinzisionen gelten die Regeln der TAPP-Technik.

Laparoskopische Adhäsiolyse kIndikation

4 Unklare Bauchschmerzen, v. a. bei krampfartigen Beschwerden in Verbindung mit Erbrechen nach vorangegangenen Bauchoperationen oder Peritonitiden, 4 Strangbildungen oder Verklebungen von Darm und Bauchwand.

a

b

c . Abb. 2.101a–c a Einbringen des zusammengerollten Netzes über den Optiktrokar. b Zusammengerolltes Netzimplantat im extraperitonealen Raum. c Ausrollen des Netzimplantates mit Dissektor und Wellenzange. (Aus Carus 2014)

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154

Kapitel 2 · Allgemeinchirurgie und Viszeralchirurgie

kPrinzip

2

Über einen laparoskopischen Zugang werden die Verwachsungen im Abdominalraum mittels Schere durchtrennt. Thermische Verfahren wie HF-Chirurgie oder Ultraschall sollten an Darmstrukturen vermieden werden. kLagerung

4 Rückenlage, 4 Positionierung der neutralen Elektrode nach Vorschrift. kInstrumentarium

4 Laparoskopische Grundausstattung, 4 zwei 5-mm-Trokare bzw. ein 10-mm- und ein 5-mm-Trokar, 4 Bipolare Schere. OP-Verlauf: Adhäsiolyse

5 Nach der Operationslagerung wird die Bauchregion des Patienten desinfiziert und abgedeckt, nach dem Team-Time-out beginnt der eigentliche Eingriff. 5 Die Anlage des Pneumoperitoneums erfolgt zur Vermeidung von Darmperforationen bevorzugt in der offenen Technik nach Hasson (s. oben): Nach Anlage einer Miniinzision am Nabel wird je nach Optikdurchmesser über eine Faszieninzision mit Tast- oder Wechselstab ein 5- bzw. 10-mm-Trokar stumpf eingebracht und die CO2-Insufflation durchgeführt. 5 Ein zweiter 5-mm-Trokar dient als Arbeitsport. Hierdurch können mit der Schere die Verwachsungen durchtrennt und die Verklebungen gelöst werden. In einigen Situationen muss ein zusätzlicher Port eingebracht werden, um beidhändig zu arbeiten (Beispiel: Aufladen eines Verwachsungsstranges vor der scharfen Durchtrennung). 5 Eine ausgiebige Spülung des Intraabdominalraums minimiert die Gefahr von Rezidiven.

Durch den Einsatz der laparoskopischen Technik können großflächige Schnitte, die wiederum Verwachsungen nach sich ziehen, vermieden werden.

Laparoskopische Splenektomie Die laparoskopische Entfernung der Milz unterliegt den gleichen Kriterien, wie schon 7 Abschn. 2.6.2 beschrieben. Das Gleiche gilt für die erforderliche Impfung bezüglich des OPSI-Syndroms (7 Abschn. 2.6.2). Durch das laparoskopische Vorgehen ist die postoperative Schmerzbelastung des Patienten geringer, zumeist ist ein größerer Blutverlust vermeidbar. Eine präoperative angiographische

Milzarterienembolisation kann in geeigneten Fällen auch hierzu beitragen. kIndikation

4 4 4 4

Milzruptur bei stumpfem Bauchtrauma, Zustand nach Milzinfarkt, Kugelzellanämie, sog. Hypersplenismus.

kPrinzip

Entfernung der kompletten Milz über 4–5 Trokare, Entfernung des Organs über einen ca. 4 cm langen Schnitt, Einlegen einer Drainage. kLagerung

4 Rückenlage, alternativ Rechtsseitenlage, 4 neutrale Elektrode nach Vorschrift. kInstrumentarium

4 Laparoskopische Grundausstattung, 4 lineares, endoskopisches Klammernahtinstrument für die Milzvene bzw. für den Hilus, 4 Titan- oder resorbierbare Clips für die Milzarterie, 4 Bergebeutel zum Entfernen des Organs, 4 für möglichen Umstieg konventionelles Laparotomiesieb bereithalten, 4 bei Bedarf ein Energiegerät wie z. B. das LigaSure-, Ultraschalldissektionsgerät oder EnSeal (7 Abschn. 2.15.3).

OP-Verlauf: Splenektomie

5 Nach der Operationslagerung, der Hautdesinfektion, der korrekten Abdeckung und dem TeamTime-out wird zuerst über eine Veress-Nadel oder durch Einbringen des ersten Trokars über einen offenen Zugang per Miniinzision das Pneumoperitoneum mittels CO2-Insufflation angelegt. 5 Die Trokarpositionierung ist abhängig von der gewählten Lagerung, in der Regel folgen die Inzisionen dem Rippenbogen. 5 Es werden 4–5 Trokare benötigt. 5 Nach einer Inspektion der Abdominalhöhle und speziell des Verletzungsausmaßes und Blutverlustes bei einer Ruptur erfolgt nach Entscheidung für die komplette Splenektomie das Herauslösen der Milz mittels der Ultraschalldissektion oder mit dem LigaSure-Gerät von kaudal und dorsal her auf den Hilus zu. Einzelne Gefäße und die Vasa gastricae breves im Lig. gastrosplenicum werden bei Bedarf mit Titan- oder resorbierbaren Clips versorgt.

155 2.15 · Minimal-invasive Chirurgie

kIndikation

5 Der Hilus wird stumpf mit einem Präparationsinstrument unterfahren und zumeist mit einem Klammernahtgerät mit einem (weißen) Gefäßmagazin abgesetzt. Dabei ist unbedingt auf die Schonung des unterschiedlich weit heranreichenden Pankreasschwanzes zu achten. 5 Danach wird die Milz in einen Bergebeutel gelegt und bei Bedarf darin zerkleinert (Morcellement). Eine Trokarinzision wird erweitert und das Organ im Bergebeutel vor die Bauchwand gezogen. Alternativ kann das Präparat über eine Minilaparotomie im Unterbauch entfernt werden. 5 Danach muss eine Kontrolle auf absolute Bluttrockenheit erfolgen, vielfach erfolgt die Einlage einer Penrose-Drainage. 5 Faszienverschluss und Hautnaht beenden den Eingriff.

4 Hormonell aktive Nebennierentumoren, unabhängig von ihrer Größe, 4 Nebennierenzysten, wenn sie Symptome verursachen, 4 Nebennierenkarzinom, 4 Phäochromozytom (Katecholaminproduktion), 4 Morbus Cushing (Glukokortikoidproduktion), 4 hormonell inaktive Tumoren bei einer Größe von mehr als 4 cm. kPrinzip

4 Über einen laparoskopischen Zugang mit 3–4 Trokaren wird die Nebenniere transperitoneal nach dem Darstellen, Klippen und Durchtrennen der Venen und Arterien mit einem Bergebeutel entfernt. 4 Bei dem retroperitonealen Zugang wird eine künstliche Höhle über einen Ballontrokar gebildet, 3–4 Trokare ermöglichen die Freilegung, das Absetzen und die Bergung des Organs. kLagerung

Laparoskopische Adrenalektomie Die Nebennieren liegen retroperitoneal auf den oberen Polen der Nieren. Sie regulieren den Hormonhaushalt hinsichtlich verschiedener Hormonsysteme. Über die Bildung und Ausschüttung von Adrenalin und Noradrenalin (Katecholamine) im Nebennierenmark werden kreislaufwirksame Substanzen produziert. Die Nebennierenrinde ist mit den Gluko- und Mineralokortikoiden u. a. für die Steuerung des Zucker- bzw. des Mineralhaushalts verantwortlich. Muss eine Nebenniere aufgrund einer Tumorbildung mit oder ohne hormonelle Fehlsteuerung entfernt werden,  übernimmt in der Regel die andere Nebenniere die Gesamtfunktion, müssen beide entfernt werden wird lebenslänglich medikamentös Hormonsubstitution notwendig. Die Entfernung der Nebenniere kann transperitoneal wie auch retroperitoneal endoskopisch durchgeführt werden. Der transperitoneale laparoskopische Zugang birgt den Vorteil, dass sich der Operationssitus übersichtlicher darstellen lässt, aber die Präparation durch die rückwärtigen Schichten der Bauchwand entlang der benachbarten Organe notwendig ist. Bei beidseitiger Entfernung der Nebenniere ist der transperitoneale Zugang wegen des einen großräumigen Zugangs zu zwei Operationsgebieten vorzuziehen. Der retroperitoneale Zugang bietet geringere Komplikationsmöglichkeiten, da durch einen nur lokalen Präparationsaufwand weniger Gewebe traumatisiert werden kann. Die räumliche Enge lässt jedoch selten die Entfernung größerer Tumoren über diesen Zugang zu.

4 Transperitonealer Zugang: Seitenlage entsprechend der zu entfernenden Nebenniere, bei Anwendung von HF-Chirurgie Anbringen der neutralen Elektrode am Oberschenkel der zu operierenden Seite. 4 Retroperitonealer Zugang: Seitenlage s. oben oder Bauchlage, Anbringen der neutralen Elektrode nach Vorschrift. kPatientenvorbereitung

4 Je nach Diagnose werden ein CT und/oder eine Sonographie des Abdomens durchgeführt. 4 Die Hormonbestimmung ist Voraussetzung zur Identifikation des Tumors und der Indikationsstellung. Beim Phäochromozytom muss zum Schutz vor einer hypertensiven Krise durch eine überschießende Katecholaminwirkung mit einer medikamentösen Blockade vorbehandelt werden. 4 Die Hormonsubstitution mit Kortison und ggf. Mineralokortikoiden intra- und postoperativ richtet sich nach der Erkrankung und der Frage, ob die Nebenniere einseitig oder beidseitig entfernt wird. kInstrumentarium

4 Laparoskopische Grundausstattung, 0°- oder 30°-Optik, 4 ggf. Ballontrokar, 4 Titan-, und/oder resorbierbare Clips, 4 Bergebeutel, 4 bei Bedarf Ultraschalldissektionsklinge, 4 aufgrund der möglichen Blutungsgefahr sollte ein konventionelles Laparotomie- und Gefäßsieb bereitgehalten werden.

2

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Kapitel 2 · Allgemeinchirurgie und Viszeralchirurgie

5 Das Auslösen und Bergen der Nebenniere erfolgt

OP-Verlauf: Transperitoneale Adrenalektomie

5 Nach der Operationslagerung in Seitenlage wird

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5

5 5 5 5

die gesamte Flankenregion desinfiziert und abgedeckt. Nach dem Team-Time-out beginnt die Anlage eines Pneumoperitoneums mit CO2 über eine Veress-Nadel am Rippenbogen, Einführen von 3–4 Trokaren dem Rippenbogen folgend, 5 mm, 10 mm, 5 mm. Über die Optik erfolgt eine Inspektion der Abdominalhöhle, dabei sind die Nebennieren erst nach ihrer retroperitonealen Darstellung und Mobilisation beurteilbar. Auf der rechten Seite muss neben der rechten Kolonflexur der rechte Leberlappen mit der Durchtrennung des Lig. triangulare mobilisiert werden, die Vena cava inferior wird dadurch sichtbar, in die die kleinen Nebennierenvenen einmünden. Die zuführenden Arterien wie auch die Nebennierenvenen werden mit Titanclips versorgt, sodass anschließend die Nebenniere aus dem Retroperitonealraum gelöst werden kann. Auf der linken Seite müssen die linke Kolonflexur, die Milz und die Pankreasunterkante so weit gelöst werden, dass die Nebenniere erkennbar wird. Die Nebenniere wird über einen Bergebeutel entfernt, bei Bedarf wird eine Trokarinzision dazu erweitert. Nach der Blutstillung erfolgt der Wundverschluss, im Einzelfall ist die Einlage einer weichen Drainage indiziert. Der transperitoneale Zugang sollte in der Regel bei beidseitiger Adrenalektomie gewählt werden, ebenso bei malignen Tumoren, um die Radikalität gewährleisten zu können.

analog des beschriebenen Verfahrens bei der transperitonealen Adrenalektomie.

2.15.9

Laparoskopische Magenchirurgie

Viele bisher konventionell operierte Eingriffe am Magen können laparoskopisch durchgeführt werden. Es gelten alle in 7 Abschn. 2.5 (Magenchirurgie) dargestellten Prinzipien.

Vagotomie Wie schon beschrieben (7 Abschn. 2.5.3), gibt es nur noch wenige Indikationen für eine Vagotomie. Wird diese laparoskopisch durchgeführt, gelten die Prinzipien der »offenen« Vagotomie. Die Lagerung des Patienten variiert, denn um die Schwerkraft nutzen zu können und die Oberbauchorgane zu erreichen, wird eine Fußtieflage des Patienten nötig. Die Reklinierung des Oberkörpers maximiert die Erreichbarkeit des Magens. Die Instrumentenvorbereitung entspricht der in der Fundoplicatio (s. unten) beschriebenen. Auch hier ist es nötig, Nahtinstrumente und Einzelclips bereitzulegen. Es werden in der Regel 4–5 Trokare benötigt, die Positionierung entspricht derjenigen der Fundoplicatio.

Pyloroplastik kIndikation

4 Stenose, 4 Vernarbungen des Magenausgangs, 4 Zustand nach Vagotomie. kPrinzip

OP-Verlauf: Retroperitoneale Adrenalektomie

5 Nach der Operationslagerung in Seitenlage oder Bauchlage wird das zu operierende Areal desinfiziert und der Patient steril abgedeckt. 5 Bei Seitenlage werden die 3–4 Trokare um den Rippenbogen platziert, bei Bauchlage über einen dorsalen Zugang unter der 12. Rippe. Da hier keine vorgeformte Körperhöhle vorhanden ist, muss vorher mittels eines raumbildenden Ballontrokars eine Übersicht geschaffen werden. 5 Dazu wird der am Trokar befindliche Ballon mechanisch entfaltet, nach dem Ablassen durch einen Blockungstrokar ersetzt, jetzt kann ein Pneumoretroperitoneum über einen Trokar und unter Sicht angelegt werden.

Inzision der Pylorusvorderwand in Längsrichtung über ca. 5 cm. Zur Erweiterung des Pylorus wird diese Inzision quer vernäht. kLagerung

4 Rückenlage, Oberkörper leicht rekliniert (Aufklappung), 4 intraoperative Fußtieflage, 4 Anbringen der neutralen Elektrode an einem Oberschenkel. kInstrumentarium

4 4 4 4 4

Laparoskopische Grundausstattung inkl. 30°-Optik, Ultraschalldissektionsgerät und/oder bipolare Schere, Babcock-Fasszangen, laparoskopische Nahtinstrumente, laparoskopische Fadenschere nach Metzenbaum oder Hakenschere.

157 2.15 · Minimal-invasive Chirurgie

kInstrumentarium OP-Verlauf: Pyloroplastik

5 Desinfektion und Abdeckung des Operationsgebietes, Team-Time-out.

5 Insufflation von CO2 zur Anlage des Pneumo5

5 5 5 5

5

5 5

peritoneums mit der Veress-Kanüle oder in der offenen Variante unter Sicht. Subumbilikales Einbringen des Optiktrokars. Links und rechts davon jeweils 1 Trokar (5 und 10 mm) für Fasszange und Nahtinstrumente. Ein Arbeitstrokar wird im Epigastrium positioniert, um mit dem Taststab den linken Leberhaken wegzuhalten. Manche Chirurgen bevorzugen statt des Tasthakens einen Leberretraktor, dieser benötigt einen 10-mm-Trokar. Die Darstellung des Pylorus ist in der Regel im entzündungsfreien Bauch ohne Präparation möglich. Anspannen des Pylorus mit der Babcock-Zange. Die Längsinzision der Pylorusvorderwand erfolgt mit der bipolaren oder der Ultraschallschere Schicht für Schicht. Magensekret wird aus dem eröffneten Magen abgesaugt. Bevor die Quervernähung begonnen werden kann, erfolgt eine sorgfältige Blutstillung. Die fortlaufende Allschichtnaht mit zwei resorbierbaren 3–0-Fäden erweitert den Magenausgang. Möglicherweise kann die Dichtigkeit der Naht geprüft werden, indem der Anästhesist gefärbte Spüllösung in die liegende Magensonde instilliert. Eine Drainage ist selten erforderlich. Entfernen der Trokare unter Sicht und schichtweiser Wundverschluss mit Verband.

4 Laparoskopische Grundausstattung mit 0°- oder 30°-Optik, bipolarer Schere und/oder Ultraschalldissektionsinstrumentarium, 4 linearer Endostapler, 4 3 Trokare 5 mm, 1 Trokar 10 mm für die Optik, 1 Trokar 12 mm für die Stapler, ggf. Ersatz eines 5-mm-Trokars durch einen 10-mm-Trokar, wenn ein Leberretraktor eingesetzt werden soll.

OP-Verlauf: Magenresektion

5 Desinfektion und Abdeckung des Operationsgebietes, Team-Time-out.

5 Die Anlage des Pneumoperitoneums erfolgt

5 5 5 5 5 5 5

Laparoskopische Magenresektion Die Magenresektion unter laparoskopischen Bedingungen erfolgt als videoassistierte Operation. Der präparatorische Anteil erfolgt unter laparoskopischer Sicht, die Entfernung des Resektates über eine Minilaparotomie und die Anastomosen zur Wiederherstellung der Nahrungspassage vor der Bauchdecke oder wieder unter laparoskopischer Sicht. Indikation und Operationsprinzip sind identisch mit denen in 7 Abschn. 2.5.5 besprochenen.

5

5

kLagerung

4 Rückenlage mit gespreizten Beinen oder Steinschnittlagerung. 4 Intraoperativ erfolgt eine Fußtieflage des Patienten mit rekliniertem Oberkörper.

5

bevorzugt in der offenen Technik. Nach einer Miniinzision unterhalb des Nabels wird der Optiktrokar unter Sicht in den Intraperitonealraum eingebracht und das Pneumoperitoneum aufgebaut. Einbringen von 2 weiteren Trokaren rechts und links des Optiktrokars sowie 2 Trokaren rechts und links ins Epigastrium. Anheben des linken Leberlappens mit dem Taststab, alternativ mit dem Leberretraktor. Durchtrennung des Lig. gastrocolicum mittels Ultraschallschere oder bipolarer Schere. Identifikation der rechten A. gastroomentalis und Absetzen zwischen 2 oder 3 Clips. An der kleinen Kurvatur wird das kleine Netz mit der bipolaren Schere dissektiert bis zum Lig. hepatoduodenale. Identifikation der A. gastrica dextra und Absetzen zwischen 2 und 3 Clips. Alternativ kann dieses Gefäß koaguliert werden, sofern es kleinkalibrig ist. Mit der Babcock-Zange Fassen des Magens an der großen Kurvatur und Anspannen, damit die Adhäsionen zwischen Magenhinterwand und Pankreas gelöst werden können. Der Magen wird mit einem linearen Endostapler durchtrennt. Dazu sind 1–2 lange Magazine nötig. Danach wird mit einer weiteren Babcock-Zange der Magen so gefasst, dass zum Pylorus hin eine Präparation vorgenommen werden kann. Der Pylorus wird ebenfalls mit einem linearen Stapler abgesetzt. Der Trokar im linken Epigastrium wird nach Abstellen des Gases entfernt und die Inzision verlängert, um das Resektat zu entfernen. Alternativ kann das Resektat über eine suprasymphysäre Minilaparotomie entfernt werden. Die geplante Rekonstruktion nach Billroth I, II oder mit der Modifikation nach Y-Roux (7 Abschn. 2.5.5)

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Kapitel 2 · Allgemeinchirurgie und Viszeralchirurgie

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erfolgt vor der Bauchdecke unter Sicht, die Anastomosen werden in konventioneller Handnahttechnik oder mittels Stapler angelegt. Die laparoskopische Anastomosenanlage ist ebenfalls möglich. Dazu wird die Minilaparotomie schichtweise verschlossen, um wieder ein Pneumoperitoneum herstellen zu können. Die Jejunumschlinge wird aufgesucht und ante- oder retrokolisch an den Magenrest gezogen. Mit einer Naht wird die Schlinge an der Magenvorderwand fixiert, erst dann wird sie eröffnet. Der Darminhalt sollte sofort abgesaugt werden können. Nach der Eröffnung des geklammerten Magenrestes wird der Stapler durch den 12-mm-Trokar eingebracht. Eine Branche des Instrumentes wird im Jejunum platziert, die andere im Magenrest. Nach Auslösen des Klammervorgangs kann durch die verbliebene Öffnung an der Klammernaht die Anastomose kontrolliert werden. Danach wird diese Öffnung mit einer fortlaufenden Naht verschlossen. Die Braun-Fußpunktanastomose oder die Y-RouxFußpunktanastomose erfolgt ebenfalls mittels eines linearen Anastomosenstaplers. Der Bauchdeckenverschluss wird durchgeführt nach Kontrolle der Anastomose auf Dichtigkeit und auf Bluttrockenheit nach der Zählkontrolle der Instrumente und Textilien und der Dokumentation der Vollzähligkeit. Die Einlage einer Drainage ist fakultativ möglich.

Laparoskopische Fundoplicatio nach Nissen/ Rosetti (modifiziert nach de Meester) Das Krankheitsbild der Hiatushernie mit Refluxösophagitis und die OP-Indikation entsprechen dem von 7 Abschn. 2.4.4. Wie für die konventionelle Operation gilt auch hier, dass das chirurgische Vorgehen erst indiziert ist, wenn bei gesicherter funktioneller (ph-Metrie, Manometrie) und/ oder endoskopischer Diagnose die medikamentöse Therapie langfristig (etwa 6 Monate) versagt (Entsprechend der Leitlinien der DGSV – Statement 81 – s. Übersicht).

DGVS-Leitlinie, Statement 81 Folgende Kriterien sollen vor einer Antirefluxoperation beim Erwachsenen evaluiert werden: 5 1. Präsenz einer Hiatushernie (Endoskopie, Radiographie) 5 2. Typische Symptome (Anamnese)

5 3. Jahrelange Refluxanamnese (Anamnese) 5 4. Inkompetente Antirefluxbarriere (Manometrie, High-Resolution-Manometrie) 5 5. Pathologische Säureexposition mit Symptomkorrelation (pH-Metrie, Impedanz-pH-Metrie, SAP = »symptom association probability«) 5 6. Positiver PPI-Response 5 7. Notwendige PPI-Dosissteigerung 5 8. Reduzierte Lebensqualität

Medikamentös kann zwar die Säureausschüttung des Magens wirksam verhindert werden, jedoch nicht der gallige Reflux aus dem Duodenum. Besonders geeignet für eine Antirefluxoperation sind Patienten, bei denen der saure Reflux medikamentös unterdrückt werden kann, jedoch ein erheblicher Volumenreflux verbleibt. kPrinzip

Reposition der Hernie, Beseitigung des Refluxes durch Bildung einer Manschette aus der Funduswand, die um den distalen Ösophagus gelegt und fixiert wird, relative Einengung des Hiatus. kLagerung

4 Rückenlagerung, ein Arm ausgelagert, Anti-Trendelenburg-Position, Beine gespreizt. 4 Die Dispersionselektrode wird an einem Oberschenkel angebracht. kVorbereitung

Ein kräftiger Magenschlauch wird eingelegt, evtl. Blasenkathetereinlage. Der Monitor steht rechts am Kopfende. kInstrumentarium

Außer der Laparoskopieeinheit und dem laparoskopischen Grundinstrumentarium werden neben dem Optiktrokar meist vier weitere Arbeitstrokare benötigt (meist drei 10-mm-Trokare, ggf. ein 13-mm- und ein 5-mmTrokar, alternativ ein 10-mm-, drei 5-mm-Trokare), außerdem 2 große atraumatische Haltezangen für den Magen (Babcock-Zangen), ein Leberretraktor, monopolare Hakenelektrode, Schere und mehrere Multiclipzangen. Alternativ kann die Anwendung des Ultraschallschneidegerätes mit einer Einmalkoagulationsschere empfohlen werden oder das LigaSure (7 Abschn. 2.5.5). Für die Naht der Manschette gibt es Einweginstrumente, die das intrakorporale Knoten erleichtern, z. B. das Endo Stitch der Fa. Covidien (. Abb. 1.13).

159 2.15 · Minimal-invasive Chirurgie

OP-Verlauf: Laparoskopische Fundoplicatio nach Nissen/de Mester

5 Der Operateur steht zwischen den Beinen des

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Patienten, der erste Assistent steht rechts, der zweite Assistent links neben dem Patienten, die instrumentierende Pflegekraft neben dem Operateur oder gegenüber. Nach der üblichen OP-Felddesinfektion, Abdeckung und dem Team-Time-out erfolgt zunächst die Anlage des Pneumoperitoneums entweder in offener Technik oder mit Hilfe einer Veress-Kanüle unter Berücksichtigung der Sicherheitstests. Der Optiktrokar wird ca. 3 cm oberhalb des Nabels in der Mittellinie eingebracht. Am linken Oberbauch werden 2 weitere 10-mm-Trokare eingebracht, ein weiterer 5-mm-Trokar im rechten Oberbauch, sodass alle Trokare auf einer Kreislinie liegen. Ein 5-mm-Trokar wird median im Epigastrium eingebracht. Nach der Exploration der Bauchhöhle wird die Kardia-Fundus-Region eingestellt. Dazu wird mit dem Leberretraktor der linke Leberlappen weggehalten. Mit Schere oder Ultraschallmesser wird im Bereich des kleinen Netzes unter Schonung dort vorkommender kleinerer Leberarterienäste das Peritoneum parallel zur rechten Ösophaguskante inzidiert. Die Inzision wird ventral um den Hiatus nach links fortgeführt. Zunächst wird von rechts der rechte Zwerchfellschenkel, danach der linke Zwerchfellschenkel dargestellt, dabei wird der Ösophagus dorsal stumpf unterfahren. Die Speiseröhre kann nun zirkulär stumpf ca. 5 cm hoch in das Mediastinum mobilisiert, die Hiatushernie reponiert werden, dabei werden die Vagusäste geschont. Die große Magenkurvatur wird vom Übergang des Korpus zum Fundus beginnend skelettiert, dabei werden die Aa. gastricae breves und das Lig. gastrosplenicum entweder mit der Ultraschallkoagulationsschere, dem LigaSure, oder mit Clips durchtrennt. Die Präparation berücksichtigt die enge Nachbarschaft zum Milzhilus bzw. zum oberen Milzpol und endet am linken Zwerchfellschenkel mit der kompletten Mobilität des Magenfundus. Vor der Fundoplicatio erfolgt nun von rechts die hintere Hiatoplastik mit 2–3 nicht resorbierbaren endoskopisch oder extrakorporal geknüpften Einzelknopfnähten unter Fassen der Muskulatur des rechten und linken Zwerchfellschenkels, alternativ unter Anwendung des Endo Stitch (. Abb. 1.13).

5 Dabei wird der Ösophagus nach ventral hochgehalten. 5 Zur Fundoplicatioanlage wird der distale Ösophagus mit einer Babcock-Zange unterfahren, die Funduskante im mittleren Anteil gefasst und dorsal als Manschette durchgezogen. Diese liegt dann locker, wenn nach Loslassen der Zange der Fundusanteil liegen bleibt. Die Vereinigung mit der Fundusvorderwand (360°-Manschette) erfolgt spannungsfrei mit 2–3 Einzelknopfnähten aus nicht resorbierbarem Nahtmaterial. Die Knotenausführung erfolgt entweder endoskopisch oder in extrakorporaler Technik oder mittels Endo-Stitch. Die distale Naht fasst tangential die Ösophagusvorderwandmuskulatur, um eine Manschettendislokation zu verhindern. Während der Naht liegt eine dicklumige Magensonde (40 Charr.). Die Manschettenweite wird durch Unterfahren mit einem Präpariertupfer, einem Taststab oder auch dem vorsichtigen Spreizen der Babcock-Zange auf lockeren Sitz überprüft (. Abb. 2.102). 5 Nach Kontrolle auf Bluttrockenheit bei Bedarf Einlage einer Drainage, Entfernen der Trokare unter laparoskopischer Sicht. Versorgen der Faszienlücken mit Nähten. Hautnähte und Pflasterverbände beenden die Operation. 5 Alternativ kann eine 270°-Manschette (nach Toupet) angelegt werden. 5 Gemäß der Leitlinie der DGSV – Statement 85 (s. unten) – sollte die laparoskopische Operation dem konventionellen Vorgehen vorgezogen werden. Die Vergleichbarkeit der Methode nach Nissen gegenüber der nach Toupet ist gegeben. 5 Eine neuere laparoskopische Technik umlegt den unteren Ösophagussphinkter mit einem Ring aus magnetischen Titanperlen (LINX); das Verfahren wird derzeit evaluiert.

jDGVS-Leitlinie – Statement 85

Nach korrekter Indikation zur Antirefluxoperation soll die laparoskopische Fundoplicatio der offenen Variante vorgezogen werden. Die Ergebnisse der randomisierten Studien zeigen für die laparoskopische Nissen-Fundoplicatio und für die partielle posteriore Toupet-Hemifundoplikatio einen vergleichbaren Antirefluxerfolg bis 5 Jahre.

Laparoskopische Anus-praeterbzw. Ileostomaanlage Die Anlage eines Kolostomas oder Ileostomas kann zum Schutz und zur passageren Ausschaltung z. B. einer im nachgeschalteten Darmbereich angelegten Anastomose

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Kapitel 2 · Allgemeinchirurgie und Viszeralchirurgie

kutis als Reiter ausgeleitet und nahtfixiert. Bei endständiger Stomaanlage laparoskopisches Durchtrennen des Darms mit einem linearen Klammernahtgerät (12-mm-Trokar), spannungsfreies Ausleiten des oralen Darmschenkels an der Stomaposition und nach Absetzen der Klammernahtreihe Einnähen des Stomas.

2

kLagerung

4 Rückenlage auf einem geraden Tisch, alternativ Steinschnittlage, 4 neutrale Elektrode an einem Oberschenkel. kInstrumentarium . Abb. 2.102 Manschettenprüfung mit dem Taststab. (Aus Carus 2014)

erforderlich sein. In der Palliativsituation bei inoperablem Darmtumor kann die vorgeschaltete Stomaanlage eine Ileussituation verhindern. Bei kompletter Ileussituation ist das laparoskopische Vorgehen aufgrund überblähter Darmschlingen nicht mehr gefahrlos möglich. Prinzipiell sind endständige Anlagen mit blind verschlossenem abführendem Darmschenkel und doppelläufige Stomata zu unterscheiden (7 Abschn. 2.12.9). Die Vorbereitung des Patienten zur Stomaanlage ist davon abhängig, ob der Eingriff im Rahmen einer laparoskopischen Kolon- oder Rektumresektion oder als gesonderter Eingriff erfolgt. Prinzipiell sollte die beste Stomaposition vor einem geplanten Eingriff angezeichnet werden.

4 Laparoskopische Grundausstattung, 4 Hernienzügel oder dicklumige Redondrainage zum Anzügeln des Darms, 4 linearer Endostapler bei endständiger Stomaanlage, 4 konventionelles Laparotomiesieb für den offenen Teil der OP oder im Notfall für einen erforderlichen Umstieg auf die offene Operation.

OP-Verlauf: Laparoskopisch assistierte Anlage eines doppelläufigen Sigma-Anus praeter

5 Auf dem geraden Tisch gelagert wird der Unter-

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kIndikation

4 Passagere Anlage 5 Zum Schutz einer nachgeschalteten Darmanastomose nach kurativer Resektion, 5 zur Ausschaltung von Darmfisteln zur Vagina, 5 zur Darmruhigstellung bei Colitis ulcerosa. 4 Permanent 5 doppelläufig bei drohendem Darmverschluss durch inoperablen Tumor als Palliativeingriff, 5 endständig bei Rektumexstirpation.

5 5

kPrinzip

Mit Hilfe von 3 Trokaren, einer davon an der zukünftigen Stomaposition, wird laparoskopisch nach Exploration der Abdominalhöhle der für die Stomabildung geeignete Darmabschnitt dargestellt. Das Mesenterium wird darmrohrnah unterfahren, der Darm angezügelt und an der Stomaposition mit dem Zügel nach Aufweitung der Trokarinzision spannungsfrei vor die Bauchdecke verbracht. Die Darmwand wird inzidiert und als Stoma eingenäht. Der Zügel wird beidseits mit ca. 5cm Abstand durch die Sub-

5

und Oberbauch des Patienten desinfiziert und das Operationsareal abgedeckt. Das Team-Time-out bestätigt die Identität des Patienten, die Indikation und die zu operierende Seite. Über eine kurze Inzision wird in offener Technik, alternativ über eine Veress-Nadel, das Pneumoperitoneum angelegt. Nacheinander werden die Trokare (3 ×10 mm, je nach Optik auch 2 × 5 mm und 1×10 mm) ca. 10 cm entfernt vom Sigmabereich eingebracht. Nach der Inspektion des Operationssitus wird der dritte Trokar an der geplanten Stomaposition eingebracht. Bei Adhäsionen erfolgt das Auslösen des Darmes unter Mobilisation des oralwärts gelegenen Colondescendens-Abschnittes aus den benachbarten anatomischen Schichten. Mit entsprechender Kippung des OP-Tisches wird während der Präparation der Dünndarm und das Omentum majus passiv aus dem Blickfeld des OP-Gebietes verlagert. Am Scheitelpunkt der Sigmaschleife wird nach darmnaher Peritonealinzision des Mesenteriums der Darm mit einem stumpfen Instrument unterfahren (z. B. Taststab), Ausleiten des Instruments aus der Trokarinzision an der Stomaposition, und Aufstecken bzw Fixieren des Zügels/Redondrains. Nun wird das Instrument mit Zügel zurückgezogen

161 2.15 · Minimal-invasive Chirurgie

(Fixieren des freien Endes vor der Bauchdecke) durch das Mesokolonfenster und erneut an der Stomaposition ausgeleitet, parallel zum freien Zügelende. Nach Ablassen des Pneumoperitoneums wird die Bauchwandinzision an der Stomaposition zur Darmvorverlagerung geweitet. Im Abstand von ca. 5 cm subkutanes Durchführen und Ausleiten der Zügelenden als Reiter, der mit einer Naht fixiert wird. 5 Nach Trokarentfernung Wundverschluss und Verband an den übrigen Inzisionen, Eröffnung des Stomas und zirkuläres Einnähen in die Haut. Nach Austasten des Stomas in beide Schenkel Aufkleben der Stomaplatte.

– Trendelenburg-Position, um im Ileozäkalbereich präparieren zu können.

– Linkskippung, um den Dünndarm zu verlagern,

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5 Der orale Kostaufbau ist sofort möglich. 5 2.15.10

Laparoskopisch assistierte Kolonchirurgie

Kolonresektionen werden immer häufiger mit laparoskopischer Technik operiert. Dabei werden nicht mehr nur benigne Erkrankungen wie die Divertikulitis, Colitis ulcerosa oder M. Crohn als Indikation genannt, sondern auch karzinomatöse Erkrankungen bis zum Tumorstadium 3. Über die laparoskopische Optik sind die anatomischen Strukturen sehr gut zu erkennen, sodass die Gefäßversorgung bei malignen Erkrankungen zuerst unterbunden werden kann, um eine Streuung der Tumorzellen zu verhindern. Da das Präparat im Verhältnis zur Trokarinzision relativ groß ist, muss ein Zusatzschnitt erfolgen, durch den der Darm entfernt oder vor der offenen Absetzung ausgleitet wird. Die Minilaparotomie erfolgt über einen kleinen Pfannenstiel-Schnitt oder im Bereich einer erweiterten Trokarinzision. Dieses Vorgehen führt zu akzeptablen kosmetischen Ergebnissen. Dieser Aspekt ist insbesondere für jüngere Patienten mit benignen Erkrankungen relevant.

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5 OP-Verlauf: Laparoskopische Hemikolektomie rechts

5 Der Patient liegt in Rückenlage mit gespreizten Beinen oder auf dem Steinschnitttisch.

5 Hautdesinfektion, sterile Patientenabdeckung, Team-Time-out.

5 Intraoperativ wird die Lagerung zur Nutzung der Schwerkraft mehrfach verändert.

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sodass der Zugang zu den Gefäßen erleichtert wird. – Um an die rechte Kolonflexur zu gelangen, wird die Anti-Trendelenburg-Position gewählt. Das Pneumoperitoneum wird bei Koloneingriffen bevorzugt in offener Technik angelegt. Nach der Entscheidung der Operabilität werden die weiteren Trokare eingebracht. Über 4 Trokare (10 mm, 12 mm, 2 × 5 mm) wird nach der Exploration das Operationsgebiet übersichtlich dargestellt. Der Optiktrokar wird entweder links vom Nabel oder subumbilikal platziert: Gelegentlich muss zur Anpassung an den Situs der Optiktrokar umpositioniert werden. Die Platzierung und die Durchmesser der Trokare richten sich nach dem geplanten Eingriff, den vorhandenen Instrumenten, der geplanten Position der Miniinzision für die Bergung des Resektates und nach den Vorlieben des Operateurs. Das Verfahren, die Präparation sowie das Ausmaß der Resektion sind identisch mit denen in der konventionellen Kolonchirurgie (7 Abschn. 2.12) besprochenen. Zu beachten ist auch bei einem laparoskopischen Eingriff, dass ein maligner Tumor nicht mit dem Taststab oder der Fasszange manipuliert wird, um eine Zellstreuung zu vermeiden (No-touch-isolation-Technik). Das Ileum wird nach der Präparation und der Absetzung der V. und A. ileocolica ca. 5 cm vor der Ileozäkalklappe mit einem linearen Klammernahtinstrument abgesetzt. Das Mesokolon wird präpariert und die V. und A. colica dextra dargestellt. Beide Gefäße werden geclippt und durchtrennt. Großkalibrige Gefäße können mit einem Linearcutter und einem weißen Magazin sicher abgesetzt werden. An der Resektionsstelle (Colon ascendens/rechte Flexur/Colon transversum) wird das Mesokolon so weit inzidiert, dass das Kolon mit einem linearen Stapler unterfahren werden kann. Absetzen des Darms und Mobilisation des rechten Kolons inkl. rechter Flexur für die Herstellung einer spannungsfreien Anastomose. Nach dem Abstellen der Gasinsufflation wird rechts pararektal die Trokarinzision verlängert. Um das Präparat kontaminationsfrei vor die Bauch-

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Kapitel 2 · Allgemeinchirurgie und Viszeralchirurgie

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decke ziehen zu können, wird eine Wundrandfolie oder Ringfolie eingesetzt. Die geklammerten Darmschenkel von Ileum und Colon transversum (oder das Colon ascendens) werden vor die Bauchdecke luxiert und die Anastomose vorbereitet. Die Ileotransversostomie erfolgt in der Regel per Handnaht als End-zu-Seit-Anastomose oder als End-zu-End-Anastomose mit angeschrägtem Ileum mit 2 resorbierbaren, monofilen 4–0-Nähten, fortlaufend, allschichtig. Die Seit-zu-Seit-Anastomose setzt sich immer mehr durch, da die Anastomosenheilung besser scheint, wie auch die Stenosevermeidung dadurch zumeist gelingt. Alternativ wird die Seit-zu-Seit-Anastomose in Staplertechnik erstellt. Nach abgeschlossener Anastomose wird der Mesokolonschlitz verschlossen und der Darm wieder in die Bauchhöhle verlagert. Die Minilaparotomie wird schichtweise verschlossen. Danach wird das Pneumoperitoneum wieder aufgebaut, und so kann laparoskopisch die Anastomose auf Spannungsfreiheit kontrolliert werden. Blutstillung und eine Peritoneallavage beenden den Eingriff. Selten ist eine Drainage zur Anastomosenkontrolle indiziert. Das Gas wird abgelassen, die Trokare entfernt, die größeren Inzisionen mit durchgreifenden Fasziennähten verschlossen. Die Hautnaht kann wahlweise durch Pflaster oder Hautkleber ersetzt werden.

Laparoskopische Transversumresektion 4 Die Patientenvorbereitung und die Instrumentenbereitstellung entsprechen derjenigen bei der laparoskopischen Hemikolektomie (s. oben). Hier werden zusätzlich ggf. Darmklemmen für die Absetzung des Resektates vor der Bauchdecke benötigt. 4 Die intraoperativen Lageveränderungen in AntiTrendelenburg-Lagerung und Links- wie auch Rechtskippung sind bei der Lagerung des Patienten in Steinschnittlage oder auf einem geraden Tisch zu bedenken. 4 Die Indikationen wie auch das Operationsprinzip entsprechen denen der konventionellen Kolonchirurgie (7 Abschn. 2.12). 4 Bei karzinomatöser Indikationsstellung wird auch hier die No-touch-isolation-Technik angewendet, d. h. dass das tumortragende Segment ohne ausgiebige Manipulation isoliert wird.

OP-Verlauf: Laparoskopische Transversumresektion

5 Hautdesinfektion, sterile Patientenabdeckung, Team-Time-out. 5 Die 4 Trokare (10 mm, 12 mm, 2 × 5 mm) werden um den Nabel herum platziert, jeweils mit genügend Abstand zueinander, um ein störungsfreies Arbeiten zu gewährleisten. 5 Zu Beginn der Präparation sollten deshalb die Gefäßversorgung durch A. und V. colica media sowie die lymphführenden Gefäße dargestellt und geclippt werden. 5 Die Mobilisation der rechten und der linken Flexur sowie des aufsteigenden und absteigenden Astes des Kolons ist notwendig, um eine spannungsfreie Anastomose zu erreichen. Die Durchtrennung des Lig. gastrocolicum erfolgt magenwandnah. 5 Das Absetzen des Resektates kann vor der Bauchdecke vorgenommen werden, nachdem eine Minilaparotomie mit Einsetzen einer Ringfolie vorgenommen wurde. Die Absetzung erfolgt entweder zwischen weichen und harten Darmklemmen oder mittels zwei linearer Stapler(-magazine). 5 Manche Chirurgen bevorzugen die Absetzung mittels eines linearen Endostaplers unter laparoskopischen Bedingungen. 5 Die Anastomosennaht (Aszendo-Deszendostomie) wird unter Sicht mit 2 fortlaufenden Allschichtnähten vor der Bauchdecke vorgenommen. Auch hier ist alternativ die Stapleranastomose in Seit-zuSeit-Technik möglich. 5 Nach schichtweisem Verschluss der Minilaparotomie wird wieder das Pneumoperitoneum angelegt, um die Anastomosenkontrolle, Blutstillung und Peritoneallavage unter laparoskopischen Bedingungen durchzuführen. 5 Der Verschluss des Mesenterialschlitzes kann vor der Bauchdecke erfolgen, alternativ ebenfalls unter laparoskopischer Sicht.

Im Rahmen der laparoskopischen Operationstechnik reduzieren sich die postoperativen Schmerzen. Durch den fehlenden Hakenzug verringern sich das Operationstrauma und der Analgetikaverbrauch geringfügig. Die Magen-Darm-Tätigkeit normalisiert sich schneller als bei vergleichbaren konventionell durchgeführten Operationen, da Serosaschäden durch tamponierende Bauchtücher fehlen. Die Vergrößerung des Operationsbereiches im Monitor führt zu einer präzisen Gewebedissektion. HD-Auflösung und 3D-Technik führen zu einer verbesserten Sicht.

163 2.15 · Minimal-invasive Chirurgie

Die Vorbereitung der Patienten ist identisch mit der in 7 Abschn. 2.12 beschriebenen, die Radikalität der Opera-

tion bei kurativen Tumorresektionen ist in gleicher Weise wie beim konventionellen offenen Zugang zu erzielen.

2.15.11

Laparoskopisch assistierte Sigmaresektion

4 konventionelles Laparotomiesieb für den offenen Teil der OP oder im Notfall für einen erforderlichen Umstieg auf die offene Operation.

OP-Verlauf: Laparoskopisch assistierte Sigmaresektion

5 Nach der Steinschnittlagerung mit herunterge-

kIndikation

4 Endoskopisch nicht abtragbare Polypen und Adenome, 4 Frühkarzinome und kleinere Kolonkarzinome, 4 Kolondivertikulitis (nach Abklingen des entzündlichen Schubes), 4 M. Crohn, 4 Colitis ulcerosa. kPrinzip

Unter Anlegung eines Pneumoperitoneums wird mit Hilfe von 3–5 Trokaren (alternativ über den Single Port; 7 Abschn. 2.15.4) der befallene Anteil des Dickdarmes von seiner Gefäßversorgung getrennt, der Darmanteil mittels Klammernahtinstrumenten abgesetzt und über eine Zusatzinzision vor die Bauchdecke verlagert. Die Wiederherstellung der Kontinenz erfolgt zumeist mittels eines zirkulären Endostaplers. Bei einigen Karzinompatienten ist die Anlage eines Anus praeternaturalis zur Schonung der Anastomose vorübergehend nötig, entweder als doppelläufiges Kolostoma oder Ileostoma. Auch dieser Operationsschritt ist laparoskopisch durchführbar (7 Abschn. 2.15.9).

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kLagerung

4 Steinschnittlagerung mit zeitweise intraoperativer extremer Kopftieflagerung. 4 Die Verwendung von Schulterstützen oder Vakuummatte ist unerlässlich. 4 Bei Bedarf werden die Beine des Patienten zur Herstellung der Anastomose hochgefahren, damit das Klammernahtinstrument von anal eingeführt werden kann. 4 Neutrale Elektrode an einem Oberschenkel. kInstrumentarium

4 Laparoskopische Grundausstattung inkl. 0°- oder 30°-Optik, Nahtinstrumente, 3–5 Trokare, 4 Energiegeräte wie z. B. Ultraschalldissektionsschere, LigaSure oder EnSeal, 4 lineare Endostapler zum Absetzen des befallenen Kolonanteils, 4 zur Bergung des resezierten Darmteils schützt eine Ringfolie die Bauchdecke vor Kontamination, 4 ein zirkulärer Stapler, entweder als Endostapler bei hohen Anastomosen, oder ein zirkulärer Stapler, der anal eingeführt wird,

5

fahrenen Beinen wird der Unter- und Oberbauch des Patienten desinfiziert, das Operationsareal abgedeckt und der Team-Time-out-Check durchgeführt. In offener Technik oder alternativ über eine VeressKanüle wird das Pneumoperitoneum angelegt. Danach werden 3–5 Trokare halbkreisförmig ca. 10 cm entfernt vom zu operierenden Kolonabschnitt eingebracht. Es findet primär eine Inspektion des Operationssitus statt, bei maligner Erkrankung insbesondere eine Inspektion der Lymphabflussbahnen, des gesamten Peritoneums und der Leber. Zuerst werden die zentralen Arterien und Venen dargestellt, mit Titan- oder resorbierbaren Clips, mit einem laparoskopischen Klammernahtgerät, dem EnSeal oder dem LigaSure-Instrument versorgt und mit der Schere durchtrennt. Jetzt erfolgt das Auslösen des Darmes unter Mobilisation der linken Kolonflexur mittels Ultraschalldissektion, EnSeal, LigaSure-Gerät oder Schere aus den benachbarten anatomischen Schichten. Dabei ist die Schonung des linken Ureters notwendig. Nach Mobilisation, ggf. unter Mitnahme der Lymphabflussbahnen, wird der Darm mit einem linearen Anastomosenstapler (je nach Hersteller wird hier ein 12-mm- oder 13-mm-Trokar benötigt!) distal am rektosigmoidalen Übergang abgesetzt. Mit entsprechender Kippung des OP-Tisches wird während der Präparation der Dünndarm und das Omentum majus passiv aus dem Blickfeld des OP-Gebietes verlagert. Über einen kurzen Pfannenstiel-Schnitt oder eine Minilaparotomie am linken oder rechten Unterbauchtrokar wird nach Einbringen einer Ringfolie zum Kontaminationsschutz das Präparat ausgeleitet (. Abb. 2.103) und nach Aufsetzen einer Tabakbeutelklemme abgesetzt. In den Stumpf des Colon descendens wird die Andruckplatte des zirkulären Staplers eingeführt und mit der vorgelegten Tabakbeutelnaht fixiert (. Abb. 2.104). Nach Reposition des so vorbereiteten Darmstumpfes in die Abdominalhöhle wird die Minilaparotomie verschlossen und das Pneumoperitoneum erneut angelegt.

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Kapitel 2 · Allgemeinchirurgie und Viszeralchirurgie

5 Der 1. Assistent sitzt nun zwischen den hochgefahrenen Beinen des Patienten und führt eine Dichtigkeitskontrolle des Rektumstumpfes mit gefärbter Spüllösung über ein Darmrohr durch. 5 Ein mit Gleitmittel versehenes zirkuläres Klammernahtinstrument wird anschließend anal eingeführt. Unter (laparoskopischer) Sicht werden die Anteile des Staplers konnektiert und bei korrektem Sitz der Anastomose wird der Klammervorgang ausgelöst. 5 Unter rotierenden Bewegungen entfernt der Assistent den Stapler. Die Anastomose wird durch erneute Instillation einer gefärbten Spüllösung geprüft. Einige Operateure bevorzugen die Anlage zusätzlicher Sicherungsnähte an der Klammernaht. 5 Die Einlage einer Drainage ist abhängig vom Operationssitus. 5 Nach Kontrolle auf Bluttrockenheit, Zählkontrolle der Instrumente und Textilien sowie deren Dokumentation erfolgen der schichtweise Wundverschluss und Anlage des Verbandes.

2

Die Patienten verbleiben bei komplikationslosem Verlauf 4–6 Tage in der Klinik. Eine angepasste Schmerztherapie, die frühe Mobilisation und ein zügiger oraler Kostaufbau im Sinne einer »Fast-track«-Behandlung ermöglichen dieses Vorgehen.

2.15.12

Laparoskopisch assistierte Rektumchirurgie

Hier gilt bisher, nur kurativ zu operierende Indikationen als Grundlage eines laparoskopischen Eingriffes zu akzeptieren. Insbesondere die Diskontinuitätsoperation nach

a

. Abb. 2.103 Hervorluxieren des Rektosigmoids. (Aus Carus 2014)

Hartmann (7 Abschn. 2.12.9) kann laparoskopisch durchgeführt werden. Die laparoskopische Präparation hat ebenfalls bei Rektumeingriffen die Vorteile der sehr guten Übersicht zur Präparation und des viel geringeren Operationstraumas durch die kleineren Zugänge. Dies führt zu geringeren postoperativen Schmerzen, und die Mobilisation des Patienten wird beschleunigt.

Operation nach Hartmann kIndikation

4 Rektosigmoidale Divertikulitis, 4 Rektumperforation durch entzündliche Prozesse, 4 Tumor, wenn nach der Tumorentfernung die Anastomose nicht möglich oder zu riskant erscheint. kPrinzip

Entfernung des betroffenen Darmanteils unter laparoskopischen Bedingungen, keine Wiederherstellung der Darm-

b

. Abb. 2.104a, b a Vorlegen der Tabakbeutelnaht. b Fixierung der Andruckplatte des Zirkulärstaplers. (Aus Carus 2014)

165 2.15 · Minimal-invasive Chirurgie

passage, sondern optional vorübergehende Anlage (für ca. 3 Monate) eines endständigen Anus praeter. kInstrumentarium

4 Laparoskopische Grundausstattung mit 0°-Optik oder alternativ 30°-Optik, 4 3–5 Trokare (2 × 5 mm, 1 × 10 mm für die Optik, 1× 12 mm für den Stapler), 4 bipolare Schere und/oder Ultraschalldissektionsinstrumente, Clipapplikator mit Titanclips, Ringfolie, linearer Endostapler, 4 Grund- und Laparotomieinstrumente mit Darmklemmen, Instrumente zum Einnähen des Anus praeter.

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5 OP-Verlauf: Operation nach Hartmann

5 Nach Desinfektion, Abdecken des Patienten und

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dem Team-Time-out wird unterhalb des Nabels, alternativ epigastrisch, der Optiktrokar unter Sicht eingebracht und nach CO2-Insufflation über eine ausgedehnte Exploration die Operabilität geprüft. Im rechten Unterbauch wird der 12-mm-Trokar eingebracht, über den Verwachsungen gelöst werden und später der Stapler eingeführt wird. 1 bis 2 weitere 5-mm-Trokare werden rechts und links des Optiktrokars platziert. Sollte eine Peritonitis vorliegen, wird vorhandenes Exsudat aspiriert und zur bakteriologischen Untersuchung gegeben. Fibrinbeläge werden stumpf unter kontinuierlicher Spülung entfernt. Gegebenenfalls erfolgt eine Adhäsiolyse mit Schere und Taststab. Fassen des Mesosigmas mit einer 5-mm-Fasszange, um das Rektosigmoid zu skelettieren. Identifikation der A. mesenterica inferior durch Eröffnung des Retroperitoneums mit der bipolaren Schere. Absetzen der Arterie mittels 2 Titanclips oder resorbierbaren Clips, Durchtrennung mit der Schere. Alternativ ist der Einsatz eines Gefäßstaplers möglich. Gleiches Vorgehen an der begleitenden V. mesenterica inferior. Der linke Ureter kann perioperativ geschient werden; das erleichtert dessen Identifikation und gewährleistet eine sichere Schonung. Der entzündete Darmanteil wird distal bis zum entzündungsfreien Anteil präpariert. Hier wird die Resektionslinie festgesetzt. Um einen Stapler am Darm ansetzen zu können, gilt, wie schon in der offenen Chirurgie besprochen, dass der Darmabschnitt fettfrei präpariert sein muss. Über den 12-mm-Trokar wird der Stapler eingebracht und das Rektum mit einem langen Magazin

5

5 5

5 5

abgesetzt. Zu bedenken ist hier, dass ein möglichst ausreichend langer Rektumstumpf belassen wird (ca. 10–12 cm ab ano), um die zu einem späteren Zeitpunkt geplante Wiederherstellung der Darmkontinuität problemlos durchführen zu können. Nach Durchtrennung des Rektums wird das Sigma sowie der absteigende Kolonast bis zur linken Flexur freipräpariert, um das Colon descendens spannungsfrei zur angezeichneten Anus-praeterStelle ziehen zu können. Manche Operateure beginnen den Eingriff mit der Präparation der linken Flexur. Nach dem Abstellen der Gasinsufflation wird die Trokarinzision links des Nabels pararektal erweitert, manche Chirurgen bevorzugen die Minilaparotomie suprasymphysär. Mit einer Fasszange wird der geklammerte Rektumschenkel unter Sicht zur Minilaparotomie geführt, hier mit einer Kornzange entgegengenommen und vor die Bauchdecke gezogen. Das Kolon wird proximal im entzündungsfreien Bereich mit einer weichen Darmklemme verschlossen und scharf durchtrennt. Dabei ist darauf zu achten, dass die Bauchdecke nicht mit Darminhalt kontaminiert werden kann. Dazu kann eine Wundrandfolie oder Ringfolie eingesetzt werden. Alternativ kann der Darm mit einem linearen Stapler verschlossen und durchtrennt werden. Dann muss die Klammerreihe am AP vor dem Einnähen reseziert werden. Das Colon descendens wird als Stoma mit 3–0 resorbierbarem Nahtmaterial allschichtig in die Haut eingenäht. Danach wird das Pneumoperitoneum wieder hergestellt, um eine Inspektion der Bauchhöhle vorzunehmen, eine ausgedehnte Spülung durchzuführen und bei Bedarf eine Drainage am Rektumstumpf zu platzieren. Nach sorgfältiger Blutstillung werden das Gas abgelassen, die Trokare entfernt und die Inzisionen vernäht. Der AP wird mit einem Stomabeutel versorgt.

Anteriore Rektumresektion Auch die tiefe Rektumresektion bis zum Niveau der Sphinkterregion kann in laparoskopischer Technik durchgeführt werden. Es gelten alle in 7 Abschn. 2.12 besprochenen Kriterien. Hier besteht ebenfalls der Vorteil in der übersichtlichen Präparation des gesamten Mesorektums bis zum Beckenboden unter Schonung der Nervenbahnen, die für die Sexual- und Sphinkterfunktion entscheidend sind.

2

166

Kapitel 2 · Allgemeinchirurgie und Viszeralchirurgie

Das Ablassen des Gases und die Entfernung der Trokare mit Naht der Inzisionen beenden den Eingriff.

Rektumamputation

2

Auch die Rektumamputation kann den abdominellen Eingriff betreffend in oben beschriebener Technik mit einer laparoskopischen Präparation durchgeführt werden, um das Operationstrauma für den Patienten so gering wie möglich zu halten und die Sicht auf die Gewebestrukturen für den Operateur zu optimieren.

2.15.13 . Abb. 2.105 Hervorluxieren des Rektosigmoids. (Aus Carus 2014)

Die Operationsvorbereitung des Patienten wie auch des Instrumentariums ist identisch mit der für Kolonoperationen besprochenen (s. oben). Die gesamte Präparation des Rektums bis zur linken Flexur kann so minimal-invasiv und unter sehr guter Sicht vorgenommen werden. Die Bergung des Resektates erfolgt über eine Minilaparotomie am rechten Unterbauch unter Einbeziehung des 12-mm-Trokars. Damit können bei geplanter Anastomosierung die ausreichende Länge und Mobilität des linken Hemikolons geprüft und sichergestellt werden. Es ermöglicht gleichzeitig das Einbringen der Andruckplatte des zirkulären Staplers mit einer Tabakbeutelnaht vor der Bauchdecke (. Abb. 2.105). Die Resektionshöhe bei Sigmadivertikulitis richtet sich nach dem Sitz der sog. Hochdruckzone – das ist der divertikelfreie Darmabschnitt am oberen Rektum in Höhe etwa der peritonealen Umschlagfalte. Beim Tumorleiden richtet sich die distale Resektionsebene nach dem einzuhaltenden distalen Sicherheitsabstand unter Mitentfernung des kompletten Mesorektums (TME = totale Mesorektumexzision). Die Wiederherstellung der Darmkontinuität erfolgt über einen anal einzuführenden Zirkulärstapler. Auch hier ist die Kontrolle der Dichtigkeit der Anastomose mittels Luft oder einer gefärbten Spüllösung obligat. Nach Wiederanlage des Pneumoperitoneums wird die Andruckplatte mit dem Zirkulärstapler konnektiert und der Klammervorgang ausgelöst. Eine Dichtigkeitsprüfung der Anastomose ist obligat. Die vollständigen beiden Schleimhautringe aus dem entfernten Klammernahtinstrument werden zur histologischen Untersuchung gegeben. Bei Karzinomerkrankungen bzw. bei sehr tiefen Anastomosen erfolgt nun bei Bedarf die Anlage eines passageren protektiven Anus praeter oder doppelläufigen Ileostomas. Die Einlage einer Drainage ist abhängig vom Operationssitus.

Ausblick

Zurzeit befinden sich weitere laparoskopische OP-Verfahren auf dem Prüfstand der wissenschaftlichen Beurteilung. Die Laparoskopie hat Einzug gehalten beim akuten Abdomen und beim Bauchtrauma. Häufig kann die Laparoskopie bei diesen Indikationen therapeutisch eingesetzt werden. Zumindest bietet sie eine Hilfestellung für die Optimierung der Schnittführung der anschließenden Laparotomie. Bei umschriebenen Peritonealadhäsionen oder beim Briden-Ileus ist häufig ein ausschließlich laparoskopisches Vorgehen möglich. Die Einführung der MIC bei Kolonoperationen ist Realität. Resektionen am linksseitigen Pankreas wie auch Operationen an benignen Leberprozessen sind laparoskopisch möglich. Vor der Einführung als breit anzuwendendes Standardverfahren müssen weitere sorgfältige Studien durchgeführt werden. Die Entwicklung des laparoskopischen Instrumentariums ist rasant. Die Verfechter von Einweg- und Mehrwegmaterialien, Industrie und Ärzteschaft, Krankenhäuser und Krankenkassen stehen sich im Disput mit verschiedenen Erwartungen gegenüber. Die Zahl erfahrener laparoskopischer OP-Teams hat deutlich zugenommen. Eine chirurgische Arbeitsgemeinschaft minimal-invasive Chirurgie (CAMIC) wurde gegründet und verfolgt das Ziel, die Erfassung der Methoden, die Ausbildung junger Chirurgen und die Zertifizierung von Operateuren und Krankenhausabteilungen als Qualitätsstandard zu betreiben. Der gegenwärtige Stand laparoskopischen Operierens kann hier insgesamt nur ausschnittweise erfasst und dargestellt werden.

167 2.16 · Bariatrische Chirurgie (Adipositaschirurgie)

2.16

Bariatrische Chirurgie (Adipositaschirurgie)

R. Weise, M. Preuth Adipositas Unter Adipositas (lateinisch: adeps = Fett) versteht man eine von der WHO anerkannte multifaktorielle Erkrankung, bei der ein über das Normalmaß erhöhtes Körpergewicht zu einer chronischen Überlastung des Körpers führt. Die Adipositas wird bislang mit Hilfe des Body-Mass-Indexes (BMI) klassifiziert. Der BMI stellt eine Relation zwischen dem Körpergewicht [KG] in Kilogramm [kg] und der Körperlänge [KL] in Meter [m] her (BMI = KG/KL × KL).

Die Einteilung der Adipositas anhand des Body-MassIndex (BMI) zeigt . Tab. 2.4.

2.16.1

Pathologie, Begleiterkrankungen, Nachsorge

Etwa 55% der deutschen Bevölkerung sind 2015 übergewichtig, 3-4% davon mit einer Adipositas III. Grades mit steigender Tendenz! Es besteht eine hohe Assoziation zwischen Adipositas und einer Reihe metabolischer, kardiologischer, psychopathologischer und orthopädischer Erkrankungen. Durch diese Komorbiditäten kommt es zu einer erheblichen Einschränkung der Lebensqualität und einer signifikanten Reduktion der Lebenserwartung.

günstig zu beeinflussen. Insbesondere die erworbene Zuckerkrankheit – Diabetes mellitus Typ 2 (T2DM) –, die eine hohe Korrelation zur extremen Adipositas aufweist, lässt sich positiv bis zur Vollremission durch die sog. Adipositaseingriffe beeinflussen. Man spricht daher auch zunehmend von metabolischer Chirurgie. Da es sich bei der Adipositas um eine chronische Erkrankung handelt, kommen nur lebenslange Behandlungsverfahren zum Einsatz. Neben der lebenslangen Substitution von Vitaminen und Spurenelementen ist eine regelmäßige Nachsorge wichtig, um einer Mangelernährung vorzubeugen. kOP-Indikation

Nach der derzeit gültigen interdisziplinären S3-Leitlinie zur Prävention und Therapie der Adipositas sollte eine chirurgische Therapie zur Anwendung kommen, 4 wenn alle nichtoperativen Behandlungsmöglichkeiten nicht zum Therapieziel geführt haben und eine der folgenden Konstellationen vorliegt (Deutsche Adipositas Gesellschaft – DAG, Deutsche Diabetes Gesellschaft – DGG 2014): 5 Adipositas Grad III (BMI ≥40 kg/m2) oder 5 Adipositas Grad II (BMI ≥35 und 30 und 50 kg/m2. 4 Persönliche psychosoziale Umstände, die keinen Erfolg einer Lebensstiländerung in Aussicht stellen. kInstrumentarium

Instrumentarium und Zusatzinstrumentarium sind in 2.16.2

. Abb. 2.106 dargestellt.

Therapie

Die Behandlungen der Adipositas sind häufig sehr komplex und multidisziplinär. Es gilt v. a., die Begleiterkrankungen

. Tab. 2.4 Einteilung der Adipositas mit dem Body-MassIndex (BMI) BMI

Klassifikation

BMI 50 Jahre, 4 Übergewicht, 4 Mastopathie III. Grades.

III II I

a M. serratus anterior M. intercostalis

I

Symptome

II

M. pectoralis minor

III

M. pectoralis major

Glandula mammaria b

Sternum

. Abb. 8.44a, b Anatomische Begrenzung der drei axillären Lymphknotenstationen. (a: aus Diedrich et al. 2007)

Medial zieht das Lymphabflussgebiet durch die Interkostalräume hindurch zu parasternalen, interkostalen und interpektoralen Lymphknoten. Anatomische Strukturen in der Axilla sind die V. und A. axillaris, das thorakodorsale Gefäß-Nerven-Bündel mit dem N. thoracodorsalis (motorische Innervation des M. latissimus dorsi) sowie der N. thoracicus longus, der auf dem M. serratus anterior nach kaudal zieht und diesen motorisch innerviert. Präparation und Durchtrennung der von der V. axillaris abgehenden Äste. Dorsal davon wird das thorakodorsale Gefäß-Nerven-Bündel aufgesucht, angeschlungen und geschont.

Jeder Knoten in der Brust ist abklärungsbedürftig. Häufigster Tumor der Mamma ist das gutartige Fibroadenom. Bestimmte Symptome können Hinweise auf das Vorliegen eines bösartigen Mammatumors geben: 4 Einziehung der Haut, einseitige Mamilleneinziehung, 4 Verdickung der Haut: Apfelsinenhaut (»peau d’orange«), 4 Mamillensekretion, v. a. blutige, 4 Hautulkus oder Rötung der Haut, 4 neu aufgetretene Größen- und Formungleichheit der Mammae, 4 Unverschieblichkeit eines Knotens unter der Haut oder auf der Faszie.

8.8.2

Diagnostische Möglichkeiten

Wichtigste Grundlage aller Mammadiagnostik ist die regelmäßige durch die Frau selbst durchgeführte Tastuntersuchung. Zusätzlich können die folgenden Untersuchungen, entweder als Basisdiagnostik oder als Abklärungsmöglichkeit eines schon erhobenen Befundes, durchgeführt werden.

Aufteilung des Brustdrüsenkörpers

Mammographie

Der Brustdrüsenkörper kann zur genaueren Beschreibung eines tumorösen Geschehens in 4 Quadranten und die Brustwarze eingeteilt werden. Mammakarzinome treten

Röntgenuntersuchung der Brustdrüse. Empfohlen wird eine Basismammographie zwischen dem 30. und 35. Lebensjahr und auf jeden Fall zur Abklärung eines Tastbe-

8

440

Kapitel 8 · Gynäkologie

fundes. Bestimmte Kriterien sind hier malignitätsverdächtig (z. B. Mikrokalk, sternförmige Verdichtungen). Mammographisch verdächtige Bezirke, die sonst nicht sichtbar sind, können präoperativ mammographisch drahtnadelmarkiert werden, sodass eine operative Auffindung möglich wird. (Das entnommene Präparat kann dann nochmals geröntgt werden, um zu zeigen, dass die verdächtigen Bezirke wirklich enthalten sind).

Sonographie

8

Ergänzung der Mammographie mit Unterscheidungsmöglichkeit zwischen soliden und zystischen Prozessen. Auch hier sind einige Phänomene malignitätsverdächtig (unscharfe Tumorbegrenzung, durchblutete Binnenstrukturen etc.). Nicht palpable Tumoren, die aber sonographisch sichtbar sind, können, zur besseren Auffindung, direkt präoperativ unter sonographischer Kontrolle mit einem Draht markiert werden.

lich kann auf die gleiche Weise auch eine Farbmarkierung des Lymphknotens mit Patentblau erfolgen. Der so markierte Wächterlymphknoten kann dann mit nur kleinem Hautschnitt entfernt werden. ! Bei Einsatz von radioaktivem Technetium müssen alle Histologiegefäße zusätzlich mit einem Aufkleber der Nuklearmedizin gekennzeichnet werden.

Es erfolgt eine Schnellschnittuntersuchung. Ist der Lymphknoten frei von Tumorzellen, kann auf eine axilläre Lymphadenektomie verzichtet werden. Ist er befallen oder das Mammakarzinom zu groß, muss die axilläre Lymphknotenentfernung erfolgen. jBesonderheiten

4 In seltenen Fällen gibt es mehr als einen Wächterlymphknoten. 4 Manchmal kann kein Wächterlymphknoten markiert werden.

Galaktographie Bei pathologischer Sekretion aus der Mamille wird radiologisch eine Milchgangdarstellung mit Kontrastmittel vorgenommen. Das Kontrastmittel wird in den Milchgang injiziert.

Zytologie Ein Zellabstrich von Mamillensekret kann den Nachweis von bösartigen Zellen erbringen. Sekret kann auch durch Feinnadelpunktion gewonnen werden.

Stanzbiopsie Hierbei wird unter sonographischer Kontrolle nach einer kleinen Hautinzision ein Tumor gezielt durch eine Hochgeschwindigkeitsnadel biopsiert. Die Stanzbiopsie dient der diagnostischen Abklärung, um einerseits eine bessere OP-Planung mit der Patientin zu erzielen, andererseits der Patientin während der Operation verlängerte Narkosen durch das Warten auf das Schnellschnittergebnis zu ersparen.

Markierung des Wächterlymphknotens (»sentinel node«) Der Wächterlymphknoten ist der erste Lymphknoten im Lymphabfluss eines Mammakarzinoms mit der höchsten Wahrscheinlichkeit für einen metastatischen Befall. Bei kleinem Mammakarzinom kann die selektive Entfernung des Wächterlymphknotens ausreichend sein. Hierzu muss der Lymphknoten vor der Operation radioaktiv markiert werden. Dazu wird eine radioaktive Substanz (99Technetium, Tc 99) unter die Haut der betroffenen Brust (z. B. unter die Brustwarze) injiziert. Diese reichert sich im Wächterlymphknoten an, sodass dieser bei der Operation mittels Gammakamera identifiziert werden kann. Zusätz-

Am Ende der Operation muss ein Messprotokoll der Radioaktivität ausgefüllt werden: ! Wenn die Patientin (die eigentlich radioaktive Quelle) den Saal verlassen hat, werden mit einem Geigerzähler folgende Positionen auf Strahlung kontrolliert: 5 der Fußboden der Einleitung, des OP-Saales und der Ausleitung, 5 Wäsche- und Müllsäcke, 5 das OP-Instrumentarium.

Sollte sich die noch vorhandene Strahlung nicht im Normbereich befinden, muss die Nuklearmedizin informiert werden, und es erfolgt eine gesonderte Entsorgung aller Materialien.

8.8.3

Operationen

Durch die Vielzahl der möglichen Mammaoperationen, insbesondere aus dem plastischen Bereich, kann an dieser Stelle nur auf einige wenige, häufig angewendete OP-Formen näher eingegangen werden. Ziel der Tumoroperationen ist es, den betreffenden Bezirk komplett zu entfernen, d. h. bei bösartigen Befunden unter Einhaltung eines Sicherheitsabstandes im gesunden Gewebe. Zu unterscheiden sind: 4 brusterhaltende Mammaoperationen (Tumorektomie, Quadrantektomie) und 4 ablative Mammaoperationen (subkutane Mastektomie, modifizierte radikale Mastektomie). Ablative Mammaoperationen sind z. B. indiziert bei mehreren Karzinomherden der Brust, bei zu großem Kar-

441 8.8 · Mammachirurgie

zinomherd, bei ausgedehnter Tumorausbreitung über die Lymphbahnen. Bei bösartigen Befunden erfolgt zusätzlich die Entfernung axillärer Lymphknoten (Axilladissektion) oder bei kleinem Tumor die Entfernung des Wächterlymphknotens (s. oben). kInstrumentarium

4 4 4 4 4 4

Grundinstrumentarium, gefensterte Organfasszangen, Hautstift, monopolare Elektrokoagulationselektrode, evtl. bipolare Pinzette, Drainagen.

kLagerung

Rückenlagerung der Patientin auf dem OP-Tisch (7 Abschn. 8.3.1 und 7 Abschn. 1.2).

kSchnittführungen

Der Zugangsweg richtet sich nach Größe, Lokalisation und Dignität (Gut- oder Bösartigkeit) des zu operierenden Tumors (. Abb. 8.45). 4 Periareolärer Bogenschnitt: Hierbei wird die Hautinzision bogenförmig am Übergang Warzenhof/Haut geführt. Er ist für gutartige mamillennahe Tumoren geeignet. Bei bösartigen Tumoren kann sich das Problem ergeben, dass evtl. durchzuführende Nachresektionen und das Einhalten des Sicherheitsabstandes technisch schwierig werden. 4 Zirkuläre Schnittführung: Hierbei wird oberhalb des Tumors ein bogenförmiger Hautschnitt angelegt, bei bösartigen hautnahen Tumoren unter Mitnahme einer Hautspindel. Kosmetisch ist dieser Zugang in den oberen Quadranten zu empfehlen. 4 Radiäre Schnittführung: Rechtwinklig zum Mamillenrand angelegter Hautschnitt. Kosmetisch ist diese Schnittführung in den unteren Quadranten der Brust günstig. 4 Submammärer Bogenschnitt: Kosmetisch günstiger Zugang über die Submammärfalte zu Tumoren in den unteren Quadranten der Brust. 4 Querovalärer Hautschnitt: Hierbei wird ein querer bis leicht schräger spindelförmiger Hautschnitt vom Sternum bis zur vorderen Achsellinie, unter Einschluss der Mamille, angelegt. Dies ist der typische Zugang bei Mastektomie.

. Abb. 8.45 Empfohlene Schnittführung zur kompletten Entfernung des befallenen Gewebeareals entlang der Langer-Linien. (Aus Diedrich et al. 2007)

OP-Verlauf: Tumorektomie (Lumpektomie, »wide excision«)

5 Nach der Desinfektion, der sterilen Abdeckung

5

5 5

5 5

5

und dem Team-Time-out erfolgt die Hautinzision mit dem Skalpell je nach Lokalisation, Größe und Dignität des Tumors. Mobilisation des Drüsenkörpers mit der Präparationsschere dicht unter der Haut, ohne diese selbst zu verletzen (postoperative Durchblutungsstörungen möglich). Präparation in alle Richtungen. Unter Tastkontrolle wird der Tumor mit einem Sicherheitsabstand segmentförmig mit dem Skalpell oder der Schere entfernt. Auf ein »Anklemmen« des Tumors sollte verzichtet werden. Bei tiefem Tumorsitz wird die Fascia pectoralis dieses Bereichs mit entfernt. Fadenmarkierung des Präparates (3 Markierungen) zur Orientierung für den Pathologen. Die Schnellschnittuntersuchung soll die Entfernung des Tumorrandes zum Gesunden sicherstellen. Je nach Aussage des Pathologen ist evtl. eine Nachresektion erforderlich. Ausgiebige Blutstillung.

8

442

Kapitel 8 · Gynäkologie

5 Einlegen einer Wunddrainage. 5 Zählen und Dokumentation von Instrumenten und 5 5 5 5

Textilien. Rekonstruktion des Restdrüsenkörpers durch Einzelknopfnähte der Stärke 3–0, mit Orientierung an der gesunden Brust. Verschluss von Subkutis und der Haut durch eine Intrakutannaht. Bei einem bösartigen Befund folgt nun die Axilladissektion über einen gesonderten axillären Zugang nach Handschuhwechsel. Ein sicher gutartiger Tumor kann auch ohne Einhaltung eines Sicherheitsabstandes tumornah ausgeschält werden.

OP-Verlauf: Axilläre Lymphadenektomie

5 Zugang entweder direkt über die Mastektomie-

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5 5

8

5 OP-Verlauf: Totale Mastektomie

5 Nach dem Team-Time-out erfolgt die spindelför5

5

5 5 5 5 5 5 5

mige Umschneidung der Haut unter Einschluss der Mamille mit dem Skalpell. Präparation der Haut und des direkt anliegenden Subkutangewebes mit der Präparierschere oder dem Skalpell nach medial bis zum Sternum, nach kranial bis fast zur Klavikula und nach kaudal bis zum Ansatz des M. rectus abdominis. Es muss so viel Subkutangewebe erhalten bleiben, dass eine Versorgung der Haut gewährleistet ist. Entfernung des Drüsenkörpers unter Mitnahme der Pektoralisfaszie mit dem Skalpell. Dies geschieht parallel zur Muskelfaserverlaufsrichtung von medial/kranial nach lateral/kaudal; hier wird das Gewebe abgesetzt. Die versorgenden Gefäße werden entweder unterbunden oder koaguliert. Von diesem Zugang ausgehend beginnt die Axilladissektion (s. unten). Einlegen von Wunddrainagen (z. B. Redon-Drainagen 10 Charr.) in das Mastektomiegebiet und die Axilla. Kontrolle auf Bluttrockenheit. Zählen von Instrumenten und Textilien und Dokumentation des Zählstandes. Subkutannaht und fortlaufende Intrakutannaht. Verband mit Wundpflastern und einem Wickelverband mit einer großen Mammabinde und evtl. Schaumstoff.

5

5

5

5 5 5

wunde oder über einen separaten bogenförmigen Hautschnitt ca. 2 cm dorsal des M. pectoralis major über ca. 6 cm Länge mit dem Skalpell (bei Tumorektomie muss zuvor das Mammawundgebiet mit einem Tuch abgedeckt werden, die Handschuhe müssen gewechselt werden). Eröffnung des subkutanen Fettgewebes und Darstellung des Randes des M. pectoralis major. Dieser wird vom Assistenten mit dem Haken nach medial gezogen. Aufsuchen der V. axillaris durch vorsichtiges Spreizen mit der Präparationsschere. Lymph- und Blutgefäße werden monopolar koaguliert oder mit Titanclips verschlossen. En-bloc-Resektion des axillären Lymphfettgewebes lateral an der V. axillaris beginnend und auf der Faszie des M. latissimus dorsi nach dorsokaudal präparierend. Möglich ist auch das Entfernen der Lymphknoten des Levels I (. Abb. 8.44) mittels gefensterter Organfasszangen, z. B. Ovarfasszange; dabei werden die thorakodorsalen Gefäß-Nerven-Bündel und der N. thoracicus longus dargestellt. Wenn möglich, sollten auch die Nn. intercostobrachiales erhalten werden, die quer durch die Axilla verlaufen und die Innenhaut des Oberarms sensibel versorgen. Nach Anheben des M. pectoralis minor können nun auch die Lymphknoten des Level II präpariert und mit dem Gesamtpräparat entfernt werden. Nicht unbedingt notwendig ist die Entfernung der Lymphknoten des Levels III, die durch kräftiges Anheben des M. pectoralis minor erreicht werden können. Blutstillung und Einlage einer Wunddrainage. Zählen und Dokumentation von Instrumenten und Textilien. Wundverschluss, Verband.

443 Literatur

Literatur Altgassen C, Cordes T, Hertel H, Diedrichs K,Kavallaris A (2009) Trachelektomie, Indikation und Operationsmethoden. Gynäkologe 42: 925–931 [DOI 10.1007/s00129-009-2406-y] Briese V, Ulfig N, Mylonas I (2002) Die vaginale Hysterektomie. Gynäkologe 2: 116–124 Dian D, Rack B, Schindlbeck C, Janni W, Friese K (2008) Endoskopische Hysterektomie. LAVH, LASH, TLH und NOTE-AVH. Gynäkologe 5: 242–348 Diedrich K, Holzgreve W, Jonat W, Schultze-Mosgau A, Schneider KTM, Weiss JM (Hrsg) (2007) Gynäkologie und Geburtshilfe, 2. Aufl. Springer, Berlin Heidelberg New York Gätje R, Kaufmann M (2006) Laparoskopische Operationen in der Gynäkologie. In: Kaufmann M, Costa SD, Scharl A (Hrsg) Die Gynäkologie, 2. Aufl., Kap. 38. Springer, Berlin Heidelberg New York, S 595–598 Gätje R, Kaufmann M (2013) Laparoskopische Operationen in der Gynäkologie. In: Kaufmann M, Costa SD, Scharl A (Hrsg) Die Gynäkologie, 3. Aufl., Kap. 42. Springer, Berlin Heidelberg New York, S 782–787, S 1213 Hofmann R, Wagner U (2015) Inkontinenz- und Deszensuschirurgie der Frau, 2. Aufl. Springer, Berlin Heidelberg New York, S 157–158 Hofmann R, Wagner U (2009) Inkontinenz- und Deszensuschirurgie der Frau. Springer, Berlin Heidelberg New York Kaufmann M, Costa SD, Scharl A (Hrsg) (2006) Die Gynäkologie, 2. Aufl. Springer, Berlin Heidelberg New York Krettek CH, Aschemann D (2005) Lagerungstechniken im OP-Bereich. Springer, Berlin Heidelberg New York Liehn M, Schlautmann H (2013) 1×1 der chirurgischen Instrumente: Benennen. Erkennen. Instrumentieren, 2. Aufl. Springer, Berlin Heidelberg New York Petri E (Hrsg) (2001) Gynäkologische Urologie. Aspekte der interdisziplinären Diagnostik und Therapie, 3. Aufl. Thieme, Stuttgart New York Scharl A, Göhring U-J (2006) Lageveränderungen. In: Kaufmann M, Costa SD, Scharl A (Hrsg) Die Gynäkologie, 2. Aufl., Kap. 14. Springer, Berlin Heidelberg New York, S 209–225 Thill M, Kavallaris A, Kelling K, Diedrich K, Altgassen C (2010) Laparoskopische suprazervikale Hysterektomie. Gynäkologe 2: 124–131

8

445

Urologie B. Lengersdorf, C. Matthies, A. Nietz, D. Oppermann, A. Haese, S. Bröker, A. Baumgarten

9.1

Anatomische Grundlagen

– 446

B. Lengersdorf, C. Matthies

9.2

Spezielles urologisches Instrumentarium

9.3

Transurethrale und perkutane Eingriffe

9.4

Äußeres Genitale

9.5

Prostata

– 450 – 453

– 467

– 479

D. Oppermann, A. Haese

9.6

Blase

– 492

B. Lengersdorf, C. Matthies

9.7

Harnleiter

– 495

9.8

Harninkontinenz der Frau

9.9

Blasen-Scheiden-Fisteln

– 503 – 505

9.10 Harninkontinenz des Mannes 9.11 Harnröhrenplastik

– 506

– 509

9.12 Eingriffe an der Niere und am Nierenbecken B. Lengersdorf, A. Nietz, C. Matthies, A. Baumgarten

9.13 Nierentransplantation (NTX)

– 521

S. Bröker

Literatur

– 523

M. Liehn et al. (Hrsg.), OP-Handbuch, DOI 10.1007/978-3-662-49281-9_9, © Springer-Verlag Berlin Heidelberg 2016

– 512

9

446

Kapitel 9 · Urologie

Das Fach der Urologie beschäftigt sich mit den harnableitenden Organen sowie den männlichen Geschlechtsorganen.

9.1

Anatomische Grundlagen

Niere (Ren) Die Nieren liegen retroperitoneal, seitlich der Wirbelsäule: 4 der obere Nierenpol in Höhe des 11. und 12. Brustwirbelkörpers, 4 der untere Nierenpol in Höhe des 2. und 3. Lendenwirbelkörpers.

B. Lengersdorf, C. Matthies . Abb. 9.1 und . Abb. 9.2 zeigen Übersichtsbilder des

männlichen und weiblichen Urogenitalapparates einschließlich ihrer embryonalen Entwicklung.

9.1.1

Harnapparat

Die Nieren sind die Organe der Harnbereitung. Nierenbecken, Nierenkelchsystem, Harnleiter, Blase und Harnröhre dienen dem Transport und der Speicherung des Urins.

In der Regel werden die Nieren von der 12. Rippe überkreuzt. Die rechte Niere liegt unterhalb der Leber und somit weiter kaudal als die linke Niere, die unterhalb der Milz liegt. Die Niere hat die Form einer Bohne, es gibt eine Vorderseite (Facies anterior) und eine Hinterseite (Facies posterior), die flacher ausgebildet ist. Die Nebenniere sitzt dem oberen Pol auf. Die mediale Einstülpung der Niere heißt Hilus renalis (. Abb. 9.3). jNierenhilus (Hilus renalis)

Im Nierenstiel befinden sich die zu- und ableitenden Blutgefäße der Niere sowie das Nierenbeckenkelchsystem.

9 Ren Ren Epididymidis

Ureter

Infundibulum ductus paramesonephrici (Müller)

Ureter

Epoophoron Testis

Paradidymidis

Paroophoron Gubernaculum testis

Ductus mesonephricus (Wolff)

Ductus paramesonephrici (Müller) Ureter sinister

Ductus mesonephricus (Wolff) Paroophoron Epoophoron Tuba uterina

Ductus ejaculatorius Utriculus prostaticus Ductus deferens Paradidymidis Caput epididymidis

Vesica urinaria Urachus

Vesica urinaria Corpus cavernosum penis Corpus spongiosum penis Glans penis Urethra Testis

. Abb. 9.1 Entwicklung des männlichen Urogenitalapparates (gerastert: zugrunde gehende Teile; gestrichelt: Lage vor dem Herunterwandern der Keimdrüsen)

Ductus paramesonephricus (Müller) Gubernaculum ovarii (Lig. ovarii proprium) Tuba uterina

Urachus Vesicula seminalis

Ovar

Ovar Infundibulum tubae uterinae Lig. teres uteri Glans clitoris Crus clitoris

Urethra Vagina Ostium urethrea externum Bulbus vestibuli Ostium vaginae

. Abb. 9.2 Entwicklung des weiblichen Urogenitalapparates (gerastert: zugrunde gehende Teile; gestrichelt: Lage vor dem Deszensus)

9

447 9.1 · Anatomische Grundlagen

Lobulus Margo lateralis

Extremitas superior (oberer Pol)

A. renalis

Extremitas inferior (unterer Pol)

Capsula renalis

Rinde A. arcuata A. interlobaris

Sinus renalis

Hilum renale Facies anterior

A. interlobularis

V. renalis

Ast der A. renalis

Ureter

Pelvis renalis

Margo medialis

Papilla renalis

. Abb. 9.3 Ventralansicht der rechten Niere. Das Nierenbecken befindet sich hinter dem Gefäßstiel und ist somit operativ gut zugänglich

Columna renalis

Ureter Lobus

Markstrahlen

Innenzone Außenzone

4 Die Nierenarterie (A. renalis) entspringt der Bauchaorta und teilt sich im Hilusbereich in 2 Äste auf. Häufig gibt es abweichende Äste (aberrierende Gefäße), die in den oberen oder unteren Nierenpol einmünden. 4 Die Nierenvene (V. renalis); beide Vv. renales münden in die V. cava. Da die linke Nierenvene den Weg über die Aortenvorderwand zur V. cava nimmt, ist sie etwas länger als die rechte Nierenvene. 4 Das Nierenbeckenkelchsystem, mit meist 7 Kelchpaaren. 4 Der Harnleiter (Ureter) tritt hinter den Gefäßen aus und liegt meist außerhalb des Hilus. Er bildet die Verlängerung des Nierenbeckens. jAufbau der Niere

Von außen nach innen (. Abb. 9.4): 4 Gerota-Faszie, sie umgibt die Niere selbst und die Nierenfettkapsel. 4 Fettkapsel (Capsula adiposa). 4 Faserkapsel (Capsula fibrosa) des Nierenparenchyms. 4 Nierenparenchym, gebildet aus Rinde (Cortex renis) und Mark (Medulla renis). Das Mark besteht zumeist aus 14 Pyramiden, die allseitig von Rinde umgeben sind, sodass das Parenchym bis an die Nierenkelche heranreicht. Die Pyramidenspitzen ragen in die Kelche hinein und enden dort als Papille. In dieser sind die Sammelrohre enthalten, die wiederum mit ihrer Spitze in das Kelchsystem und danach in das Nierenbecken münden. 4 Nierenbecken (Pelvis). Als Beginn der harnableitenden Wege münden hier die Nierenkelche, das Nierenbecken verjüngt sich zunehmend und geht in den Harnleiter über.

Mark . Abb. 9.4 Längsschnitt durch die Niere. (Nach Schiebler u. Korf 2007)

4 Harnleiter (Ureter). Der Harnleiter ist ein röhrenförmiges, ca. 30 cm langes Hohlorgan. Seine Wand besteht aus einer äußeren und einer inneren Längsmuskelschicht sowie einer ringförmigen Mittelschicht. Er ist mit Schleimhaut ausgekleidet. Glatte Muskulatur und Eigeninnervation machen den Urintransport möglich. Mit peristaltischen Bewegungen wird der Urin in die Blase transportiert. Drei physiologische Engstellen bilden Prädilektionsstellen für Konkrementobstruktionen (Steineinklemmungen): 4 Ureterabgang aus dem Nierenbecken, 4 bei der Überkreuzung der Iliakalgefäße, 4 Einmündung in die Harnblase. Hinter der Blase wird der Harnleiter beim Mann vom Samenleiter (Ductus deferens), bei der Frau von der A. uterina gekreuzt. Die Ureteren ziehen von hinten in die Blase ein. Sie verlaufen dort noch etwa 4 cm schräg in der Blasenwand, bevor sie spitzwinklig im Blasenboden münden. Die Einmündungsstellen, die Ostien, sind 2 Eckpunkte des Trigonum vesicae.

Harnblase (Vesica urinaria) Die Harnblase sammelt den Urin zwischen den willkürlichen Harnentleerungen. Sie liegt subperitoneal im kleinen Becken hinter der Symphyse. Nur gefüllt ragt sie über die Symphysenoberkante hinaus und schiebt so das Peri-

448

Kapitel 9 · Urologie

Mukosafalten Peritoneum

Ductus deferens

Vesicula seminalis Ureter

Ostium ureteris Trigonum vesicae Uvula vesicae Colliculus seminalis Mündungen der Gll. prostaticae Fascia vesicalis

Trigonum vesicae Uvula vesicae Mündung des Ductus ejaculatorius

9

Mündungen der Prostatadrüsen

Ureter

M. detrusor vesicae Ureterosium

Prostata Mündung des Utriculus prostaticus Fascia prostatica

Colliculus seminalis . Abb. 9.5 Männliche Harnblase in der Frontalebene aufgeschnitten. Schraffiert: Hinter der Harnblase liegende Samenleiter und Samenblasen. Die Pfeile im Bereich des Trigonum vesicae zeigen den Verlauf der Öffnungs- (links) und Verschlussmuskeln (rechts) für die Harnleiter an. (Nach Schiebler u. Korf 2007)

toneum nach oben (. Abb. 9.5). Ein suprapubischer Blasenkatheter sollte aus diesem Grund nur bei gefüllter Blase (200–300 ml) gelegt werden. jAufbau der Harnblase

4 Die Blase besteht aus einer Muskelschicht (Tunica muscularis), die mit Schleimhaut (Urothel) ausgekleidet ist. 4 Das Blasendach hat einen Scheitel (Vertex), von dessen Mitte eine mediane Bauchfellfalte, die das Lig. umbilicale enthält, zum Nabel zieht. Dies ist der Überrest des embryonalen Urachus. 4 Rechte und linke Seitenwand. 4 Blasenhinterwand. 4 Blasengrund (Blasenboden mit dem Trigonum vesicae und den beiden Ostien). jTrigonum vesicae

Ein in Form eines Dreiecks am Blasenboden liegendes Feld, das im Gegensatz zur übrigen Schleimhaut keine Falten hat und sich nicht verschieben lässt. An dessen Eckpunkten münden die beiden Harnleiter sowie nach kaudal die Harnröhre (Ostium urethrae internum). Der Blasenhals bezeichnet den Übergang von der Blase in die Harnröhre.

Diaphragma urogenitale Gl. bulbourethralis (mit Ausführungsgang) Crus penis Bulbus penis Corpus spongiosum penis Mündungen der Gll. urethrales Corpus cavernosum penis Glans penis

Ostium urethrae int. Pars prostatica Prostata Pars membranacea Ampulla urethrae

Pars spongiosa

Fossa navicularis urethrae Ostium urethrae ext.

. Abb. 9.6 Schnitt durch die männliche Harnblase und den Penis. (Nach Schiebler u. Korf 2007)

Harnröhre (Urethra) jWeibliche Urethra

4 Länge ca. 3–4 cm. 4 Verläuft vor der Vagina und mündet im Scheidenvorhof. 4 Wird verschlossen durch Fasern des äußeren Schließmuskels (M. sphincter urethrae externum) sowie durch Venengeflechte, die die Schleimhaut gegeneinander drücken. jMännliche Urethra

Sie ist ca. 20 cm lang und zieht von der Blase (Ostium urethrae internum) bis zur Glans penis (Ostium urethrae externum; . Abb. 9.6). Die Harnröhre besteht aus 5 Abschnitten: 4 Ostium urethrae internum; mit dem M. sphincter urethrae internum. 4 Pars prostatica; der Abschnitt zwischen Ostium urethrae internum und M. sphincter externus ist etwa 3–4 cm lang. Am Ende der Pars prostatica befindet sich an der Urethrahinterwand der Colliculus seminalis (Samenhügel), an dessen Seiten die Prostataausführungsgänge und die Samenleiter münden. Hier treffen Harn- und Samenwege zusammen, sodass die Urethra auch als Harnsamenröhre bezeichnet werden kann.

449 9.1 · Anatomische Grundlagen

4 Pars membranacea; dieser Abschnitt wird vom M. sphincter urethrae externum umschlossen und ist etwa 1 cm lang. In diesem Bereich tritt die Urethra durch das Diaphragma urogenitale, welches zusammen mit dem M. levator ani den muskulären Verschluss des Beckenbodens bildet. 4 Pars spongiosa; verläuft im Corpus spongiosum (Harnröhrenschwellkörper des Penis) und ist ca. 20 cm lang. 4 Ostium urethrae externum.

9.1.2

Hodenläppchen (Lobulus testis)

Nebenhodenkopf (Caput epididymidis) ableitendes Kanälchen (Ductulus efferens)

Samenleiter (Ductus/ Vas deferens)

Männlicher Urogenitaltrakt

Scheidewand zwischen Hodenläppchen (Septulum testis)

Hoden (Testis) Aufgabe: Produktion von Spermien und dem männlichen Hormon Testosteron. Die Hoden liegen außerhalb der Bauchhöhle im Hodensack (Skrotum), da die Innentemperatur des Körpers für die Produktion funktionstüchtiger Samenzellen zu hoch wäre.

Nebenhodengang (Ductus epididymidis)

derbe Bindegewebekapsel (Tunica albuginea)

. Abb. 9.7 Hoden mit Nebenhoden. Die Ductuli efferentes leiten die Spermien aus dem Hoden in den Nebenhoden

jAufbau des Hodens

4 Tunica albuginea: Bindegewebige Kapsel des Hodenparenchyms (. Abb. 9.7). 4 Hodenparenchym: Besteht aus den Hodenläppchen (Lobulus testis), den Hodenkanälchen sowie den Leydig-Zwischenzellen, die zwischen den Kanälchen liegen und das Testosteron bilden. Im Hodenhilus sammeln sich die Hodenkanälchen zu einem Kanälchensystem (Rete testis). Dort beginnen die ableitenden Samenwege (Ductuli efferentes; . Abb. 9.7).

Nebenhoden (Epididymis) Der Nebenhoden liegt dem Hoden auf und ist teilweise mit der Hodenhinterwand verwachsen. Er besteht aus dem breiteren Nebenhodenkopf (Caput epididymidis), dem Nebenhodenkörper und dem schlanken Nebenhodenschwanz, der über den Nebenhodengang (Ductus epididymidis) zum Samenleiter (Ductus deferens) wird. Gefäße und die Hodenausführungsgänge münden in den Nebenhoden und gelangen über den Nebenhodengang (Ductus epididymidis) in den Samenleiter. Der Nebenhoden dient als Speicher- und Reifungsorgan.

wo er den Ureter überkreuzt. Dorsal der Prostata erweitert er sich zur Ampulla ductus deferentis, hinter der der Ausführungsgang der Samenbläschen mündet. Gemeinsam treten sie als Ductus ejaculatoris durch die Prostata, wo sie auf dem Colliculus seminalis münden. Der Ductus ejaculatoris wird während der Ejakulation stark komprimiert, um das Ejakulat zu beschleunigen.

Hodensack (Scrotum) Das Skrotum umgibt die Hoden und die unteren Anteile des Samenstrangs. Die beiden Hoden sind durch eine feine bindegewebige Zwischenwand voneinander getrennt.

Akzessorische Geschlechtsdrüsen Aufgabe: Produktion eines alkalischen, fruktosehaltigen Sekrets, das die Beweglichkeit der Spermien positiv beeinflusst. jSamenblase (Vesicula seminalis)

Sie liegt hinter der Blase am Blasengrund, seitlich der Ampulla ductus deferentis. Der Ausführungsgang mündet distal der Ampulle in den Ductus deferens.

Samenleiter (Ductus deferens) Aufgabe: Aktiver Transport der Samenzellen. Der Samenleiter verläuft hinter dem Nebenhoden aufwärts in den Samenstrang und zieht weiter in den Leistenkanal. Der Samenstrang wird gebildet aus Nerven, der A. testicularis, dem Plexus pampiniformis (Venengeflecht), Lymphgefäßen und dem Ductus deferens. Die Umhüllung des Samenstrangs bilden der M. cremaster und Bindegewebe. Vom inneren Leistenring aus zieht der Samenleiter an der Blasenhinterwand zum Blasengrund,

jProstata (Vorsteherdrüse)

Ein kastaniengroßes, prall-elastisches, von Muskelfasern durchzogenes Drüsenorgan, das in jeweils einen rechten und linken Lappen unterteilt ist. Die Prostata umgibt die Urethra unterhalb des Ostium urethrae internum bis hin zum Colliculus seminalis (Pars prostatica der Harnröhre). Ihre Basis liegt am Blasengrund, die Spitze (Apex) zeigt zum Diaphragma urogenitale. Hinten liegt sie dem Rektum an, getrennt durch die Denonvillier-Faszie.

9

450

Kapitel 9 · Urologie

Der Apex prostatae ist der kaudale Anteil der Prostata, nahe dem Beckenboden gelegen. Die Prostata wird in 3 Zonen unterteilt: 4 Periphere Zone: Sie liegt zum Rektum und zum Apex prostatae hin. Bei jüngeren Männern umfassen ca. 75% der Prostata diesen Bereich. 4 Zentrale Zone: Unter dem Trigonum der Blase. 4 Transitionalzone: Der Innenbereich der Prostata, er umgreift die Urethra.

9

Corona glandis Glans penis Sulcus urethralis Corpus cavernosum penis Os pubis (Ramus superior)

Die Ausführungsgänge der Prostata (Ductus prostatici) münden seitlich des Colliculus seminalis. Das Prostatasekret ist dünnflüssig, alkalisch und wird während der Ejakulation den Spermien beigemischt. Es wirkt bewegungsauslösend und schützt durch das alkalische Sekret die Samenzellen vor dem sauren Scheidenmilieu. Die gutartige Prostatahyperplasie (BPH) entsteht häufig in der Transitionalzone. Das Prostatakarzinom hingegen entsteht typischerweise in der peripheren Zone und ist daher möglicherweise mit dem Finger bei der rektalen Untersuchung zu tasten! jCowper-Drüsen (Glandulae bulbourethrale)

Sie sind paarig im Diaphragma urogenitale angelegt. Ihre Ausführungsgänge münden in den Anfangsbereich des Harnröhrenschwellkörpers (Bulbus penis). Vor der Ejakulation sondern sie ein Sekret ab, das den pH-Wert der Harnreste neutralisiert und die Eichel befeuchtet. Sie sind von geringer klinischer Bedeutung.

Corpus cavernosum urethrae Corpus spongiosum penis Corpus cavernosum penis

Os pubis (Ramus inferior) Ramus ossis ischii

Tuber ossis ischii M. transversus perinei profundus (Diaphragma urogenitale) . Abb. 9.8 Schwellkörper des Penis

5 Das proximale Ende wird als Bulbus penis (Zwiebel) bezeichnet. 5 Das distale Ende liegt in der Glans penis (Eichel). 5 Nimmt kaum an der Versteifung des Penis teil. 5 Gewährleistet die Durchgängigkeit der Harn-/ Samenröhre. 5 Vom Penisschwellkörper getrennte Blutversorgung (ist bei der Behandlung einer krankhaften Dauerversteifung (Priapismus) nützlich).

Penis Aufgaben: Harnentleerung und Spermaübertragung. jAufbau des Penis

Hauptbestandteile sind die beiden Penisschwellkörper (Corpus cavernosum) sowie der Harnröhrenschwellkörper (Corpus spongiosum). Sie werden von der Fascia penis und der Haut umschlossen (. Abb. 9.8). 4 Penisschwellkörper (Corpora cavernosa penis): 5 Paarig angelegt, entspringen sie an den Schambeinästen. 5 Hier vereinigen sie sich an der Peniswurzel und umschließen seitlich und an der Oberseite den Harnröhrenschwellkörper bis zur Glans penis. 5 Sie sind von einer derben, kaum dehnbaren Tunica albuginea umgeben und bewirken die Versteifung des Penis. 4 Harnröhrenschwellkörper (Corpus spongiosum): 5 Unpaarig, komprimierbar durch eine zarte dehnbare Tunica albuginea. 5 Verläuft in der unteren Längsfurche der Penisschwellkörper und umschließt die Harnröhre.

Frenulum praeputii

Die Haut liegt der Fascia penis locker auf und bildet im vorderen Abschnitt eine Hautduplikatur, die als Vorhaut (Präputium) bezeichnet wird, die die Eichel wie eine Hülle bedeckt. Die Glans penis hat an der Unterseite eine Furche mit einem Bändchen, dem Frenulum, das sie mit der Vorhaut verbindet.

9.2

Spezielles urologisches Instrumentarium

9.2.1

Spezielle Instrumente für offene Operationen

4 Codman-Rahmen (Bookwalter) (7 Abb. 4.20, 7 Abb. 4.21), 4 Finochietto-Rippensperrer, 4 Balfour-Sperrer,

451 9.2 · Spezielles urologisches Instrumentarium

9.9

9.10

9.11

. Abb. 9.9 Nierenklemme nach Guyon. (© Fa. Aesculap AG) . Abb. 9.10 Wundhaken nach Kirsch (Blasenhaken). (© Fa. Aesculap AG) . Abb. 9.11 Kaderspatel (Beispiel: Fa. Aesculap). (© Archiv Bundeswehrkrankenhaus Hamburg) 9.12

4 4 4 4 4 4 4

Nierenstielklemme nach Guyon (. Abb. 9.9), Blasenhaken (. Abb. 9.10), Kaderspatel (. Abb. 9.11), Nierensteinfasszange (. Abb. 9.12), lange Lidhaken, Allis-Klemmen (7 Kap. 2), Lungenspatel nach Allis.

. Abb. 9.12 Nierensteinzange nach Randall. (© Fa. Aesculap AG)

9.2.2

Katheter und Schienen

Katheter und Schienen werden aus unterschiedlichen Materialien gefertigt: 4 Latex: Ist elastisch und gleichzeitig hart, ruft häufig Gewebereaktionen und vermehrt Allergien hervor. 4 PVC (Polyvinylchlorid): Hartes Material, eignet sich als Stent, es lagern sich allerdings rasch Fibrinbeläge an. 4 Silikon: Gewebefreundlich, große Wärme- und Wasserbeständigkeit, eignet sich v. a. bei längerer Verweildauer im Körper.

9

452

Kapitel 9 · Urologie

a b . Abb. 9.14 Katheterspitze nach Couvelaire, Flötenspitz. (© Fa. Rüsch) c

d e

f . Abb. 9.13a–f Katheterspitzen: a Tiemann-Katheter, b NélatonKatheter, c Dufour-Katheter, d Stirnlochkatheter, e Neoblasenkatheter, f längsgerillter Harnröhrenkatheter. (© Archiv Bundeswehrkrankenhaus Hamburg)

9

Die Katheter unterscheiden sich in Form und Beschaffenheit der Katheterspitzen (. Abb. 9.13). Die gängigsten finden hier Erwähnung: 4 Nélaton: Runde geschlossene Spitze, keine Krümmung, 2 oder 4 gegenüberliegende Augen, Anwendung bei Frauen und Männern, meist als transurethraler Katheter. 4 Tiemann: Konisch zulaufende geschlossene Spitze, leicht gebogen, meist nur ein Auge, häufig zur Einmalkatheterisierung ohne Blockung, wird in aller Regel bei Männern angewendet. 4 Couvelaire: Vorn offene Flötenspitze, seitliche große Augen, häufig zum Ausspülen von Koageln (. Abb. 9.14). 4 Dufour: Ähnlich geformt wie ein Tiemann-Katheter, jedoch vorn offene Flötenspitze und zwei seitliche Augen. 4 Neo-Blasenkatheter: Stirnlochkatheter, die Strecke vor dem Ballon ist länger und hat große Augen damit der Schleim besser ablaufen kann. 4 Stirnlochkatheter: Mit zwei oder mehreren versetzten Augen, und vorn offen z. B. als suprapubische Ableitung. 4 Längsgerillter Blasenkatheter mit Nélaton-Spitze: nach Harnröhrenplastiken, verhindert durch verbesserten Sekretabfluss ein Verkleben mit der Schleimhaut. Zudem werden Blasenkatheter unterschieden in: 4 Einfache Katheter ohne Blockung zur Einmalkatheterisierung. 4 Doppelläufige Katheter mit Blockung als Verweilkatheter.

. Abb. 9.15 Suprapubischer Katheter (Beispiel: Fa. Braun). (© Archiv Bundeswehrkrankenhaus Hamburg)

4 Suprapubische Katheter mit und ohne Blockung (. Abb. 9.15). 4 Dreiläufige Katheter als Tamponadekatheter, auch bezeichnet als Dauerspül-/Hämaturiekatheter. Dieser Katheter findet Anwendung nach transurethralen Operationen oder bei Blutungen in der Blase. Er besitzt einen Kanal zur Harnableitung, einen separaten Spülzugang und den dritten Lauf zum Blocken mit größerem Blockungsvolumen als ein herkömmlicher Verweilkatheter. Außerdem ist die Wand des Katheters verstärkt, damit sie beim Aspirieren von Koageln mit einer Blasenspritze nicht kollabiert. Tamponadekatheter können bei der transurethralen Einlage mit einem Führungsstab leichter eingeführt werden. ! Die Stärke von Kathetern und Schienen wird in Charrière (Charr.) angegeben, wobei 1 Charr. = 1/3 mm Außendurchmesser entspricht.

Als ideales Füllmedium zum Blocken des Ballons ist Glycerollösung geeignet. Hierbei handelt es sich um mit Glycerin versetztes steriles Wasser; diese Lösung hat größere Moleküle als reines Wasser und erschwert so die Diffusion der Blockflüssigkeit aus dem Katheter. Bei den häufig angewendeten Silikonkathetern geschieht das schneller als bei Latexkathetern und ist dann problematisch, wenn Katheter einen kleinen Blockballon haben (z. B. Nephrostomiekatheter oder Okklusionskatheter, die im Harnleiter zu liegen kommen). Ureterkatheter (UK; . Abb. 9.16) und Schienen (J-, Doppel-J- bzw. Pigtail-Katheter = Schweineschwänzchen;) bestehen meist aus Silikon. Häufig sind sie mit einer hydrophilen Beschichtung versehen, die das Einführen erleich-

453 9.3 · Transurethrale und perkutane Eingriffe

. Abb. 9.16 Ureterkatheter. (© Archiv Bundeswehrkrankenhaus Hamburg)

tert, v. a. bei Harnleiterengen durch Tumoren, Stenosen, Steine oder anatomische Gegebenheiten. UK und Schienen besitzen einen Mandrin zur Streckung, ein oder mehrere Augen über eine gewisse Strecke, eine Zentimetergraduierung und eine Röntgenmarkierung. Die Spitze eines UK kann geschlossen oder offen, gerade oder leicht gebogen sein. Doppel-J-Schienen werden mit oder ohne Faden (der dann z. B. an einem liegenden transurethralen Katheter befestigt werden kann) oder mit einem Antirefluxkörbchen geliefert. Außerdem kommen Stents, die im Bereich des Harnleiters verdickt sind, und Okklusionskatheter, die im Harnleiter geblockt werden können, zur Anwendung. Sie alle dienen als »innere Schiene«, d. h. sie gewährleisten den Abfluss von Urin aus der Niere in die Blase. Mono-J-Schienen dienen häufig der perkutanen Harnableitung, z. B. beim Ileumkonduit. Nephrostomiekatheter, auch Nierenfistel genannt (»Nifi«), liegen mit ihrem Pigtail im Nierenbecken und werden perkutan ausgeleitet (7 Abschn. 9.3.8). Nierenfisteln werden mit Blockung geliefert. Sie sollten grundsätzlich zur Sicherung an der Haut festgenäht werden. Zur Entfernung von Steinen und Fremdkörpern stehen verschiedene Fasszangen (. Abb. 9.12) und Körbchen zur Verfügung. Es gibt diese in starrer und flexibler Ausfertigung sowie in verschiedenen Größen. Als Einführhilfe für die unterschiedlichen Schienen gibt es Führungsdrähte, zumeist hydrophil beschichtet, z. B. Terumo-Draht, Lunderquist-Draht (7 Kap. 4).

9.3

Transurethrale und perkutane Eingriffe

Die endoskopische Urologie erfordert ein umfassendes Wissen über die verschiedenen Katheter, Schienen und Stents. Das OP-Pflegepersonal muss die Zerlegung wie

. Abb. 9.17 Einläufiges Resektoskop mit Trokar (von oben nach unten: Halbschaft, Trokar, Sauger, Resektionsschlitten, einläufiges Resektoskop). (© Archiv Bundeswehrkrankenhaus Hamburg)

. Abb. 9.18 Doppelläufiges Resektoskop mit Resektionsschlitten. (© Archiv Bundeswehrkrankenhaus Hamburg)

auch die Zusammensetzung der Instrumente schnell und korrekt durchführen können, wenn die Instrumente in zerlegtem Zustand sterilisiert werden. Es ist wünschenswert, diese Eingriffe mit speziellen OP-Tischen, an denen ein Ablaufsieb angebracht werden kann, in einem OP-Saal mit Bodenablauf durchführen zu können. Außerdem muss eine Vorrichtung zum Hochziehen der Kanister vorhanden sein, die ca. 60 cm über Patientenniveau angebracht werden sollen. Diese Eingriffe werden häufig in Spinalanästhesie durchgeführt, deshalb ist hinsichtlich der Lagerung in Steinschnittlage u. a. die Intimsphäre der Patienten zu beachten.

9.3.1

Instrumente

Blasenspritze, Zystoskop, Resektoskop einläufig (mit Trokar) und doppelläufig (. Abb. 9.17, . Abb. 9.18), unterschiedliche Resektionsschlingen (. Abb. 9.19), Urethro-

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454

Kapitel 9 · Urologie

a

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j . Abb. 9.19a–j Modernes Resektionsinstrument (a) mit verschiedenen Schlingenformen: b Resektionsschlinge, c Hakensonde, d Rollensonde, e Kerbsonde, f breite Schlinge, g breite Schlinge für TUR-P, h »Mähschlinge« für TUR-B an der Blasenhinterwand, i Resektoskop mit Biopsiezange, j Maul der Biopsiezange. (Aus Hofmann 2009)

tom nach Sachse (unter Sicht) (. Abb. 9.20), Ureterorenoskop (7 Abschn. 9.3.4), Otis-Urethrotom (ohne Sicht) (.  Abb. 9.21) , Steinpunch (. Abb. 9.22), Nephroskop (7 Abschn. 9.3.9), Steinfasszange (. Abb. 9.12), Körbchen, PE-Zangen, Terumo- und Lunderquist-Draht.

9.3.2

Transurethrale Resektion der Prostata (TUR-P)

Die TUR = transurethrale Resektion ist das älteste minimal-invasive chirurgische Verfahren und gilt als Stan-

dardtherapie bei Vorliegen einer BPH (benigne Prostatahyperplasie) mit Adenomen, die nicht größer als 80 g sind. Auch vorhandene Blasensteine können auf diesem Weg mittels eines Steinpunches entfernt werden. Die Ausschälung bzw. Abhobelung erfolgt mittels eines Resektoskops, das über einen Kanal für die Optik sowie über einen Arbeitskanal verfügt. Als Spülflüssigkeit wird wegen der Anwendung der HF-Chirurgie eine hypotone salzfreie Zuckerlösung, z. B. Purisole, verwendet. Die neueren bipolaren Resektoskope funktionieren mit physiologischer NaCl-Lösung. Damit können Komplikationen wie das TUR-Syndrom (s. unten) vermieden werden.

455 9.3 · Transurethrale und perkutane Eingriffe

9.20

9.21

9.22 . Abb. 9.20 Urethrotom nach Sachse zur Harnröhrenschlitzung unter Sicht. (© Fa. Storz) . Abb. 9.21 Otis-Urethrotom zur »blinden« Harnröhrenschlitzung. (© Fa. Storz) . Abb. 9.22 Steinpunch zur Sichtlithotrypsie von Blasensteinen. (© Fa. Storz)

Bei der Hochdruckresektion wird mit dem doppelläufigen Resektoskop gearbeitet, wo sich wiederkehrend bei zunehmender Blasenfüllung der Druck (und damit die Gefahr der Einschwemmung) erhöht. Alternativ kann mit dem einläufigen Resektoskop und einem suprapubisch in der Blase platzierten Trokar zur Absaugung eine »Niederdruckresektion« durchgeführt werden. Dieses Verfahren darf nicht bei vorhandenen Blasentumoren gewählt werden, um eine Tumorzellverschleppung zu vermeiden.

4 rezidivierender Harnverhalt bei BPH. 4 Überlaufinkontinenz. kPrinzip

Entfernen von Prostatagewebe mit Hilfe eines in die Harnröhre eingeführten Resektionsinstruments mit einer hochfrequenten Strom führenden Schlinge unter Sichtkontrolle. kInstrumentarium

jDiagnostik

4 Übliche Labordiagnostik. 4 Bestimmung des PSA (prostataspezifisches Antigen zur Differenzialdiagnose des Prostatakarzinoms). 4 Uroflowmetrie. 4 Sonographie. 4 TRUS (transrektaler Ultraschall). kIndikationen

4 Kleine bis mittelgroße Adenome. 4 Blasensteine.

4 4 4 4 4 4 4

Gleitmittel. Stichskalpell. Lange Kanüle. Zu- und Ableitungssystem. Kaltlichtkabel. Optiken (0°, 12° und 70°). Einläufiges Dauerspülresektoskop (inkl. Stromkabel, verschiedene Resektionsschlingen, Kugelelektroden zum Koagulieren, Hakensonde). 4 Pinzette, Schere. 4 Trokar.

9

456

Kapitel 9 · Urologie

OP-Verlauf: TUR-Prostata (TUR-P)

5 Desinfektion des OP-Gebiets mit einem Schleimhautdesinfektionsmittel.

5 Beginn oberhalb des Bauchnabels bis zur halben Oberschenkelhöhe einschließlich der Anusregion.

5 Anbringen des Ablaufsiebs am OP-Tisch mit einem Ablaufkanal in den Boden.

5 Sterile Abdeckung des OP-Gebiets. 5 Anschluss des Kaltlichtkabels, der Zu- und Ablauf-

5 5 5 . Abb. 9.23 Steinschnittlage mit Vakuummatte und Beinhaltern mit Einhandbedienung. (Aus Krettek u. Aschemann 2005)

9

4 steriler Kamerabezug. 4 Blasenspritze zum Ausspülen der Resektionsspäne (mit Konnektor für das Resektoskop). 4 Große Metallschüssel für warme physiologische NaCl-Lösung. 4 Spül-Kompressions-Katheter (3-Wege-Dauerkatheter) 22 Charr. 4 Bei Bedarf Ablaufsystem mit einem Pumpball, um postoperativ manuell Koagel zu entfernen. 4 Spülsystem. 4 Katheterverschlussstopfen. 4 Stirnlochkatheter 14 Charr. (zur suprapubischen Einlage). 4 20-ml-Spritzen zum Blocken der Katheter. 4 Glycerollösung. 4 Sieb zum Auffangen der »Prostataspäne«. 4 Diverse 10-l-Kanister mit vorgewärmter Spüllösung. 4 MIC-Turm mit Monitor, Lichtquelle, HF-Gerät, Endoskopkamera und evtl. Drucker für intraoperative Fotodokumentation (7 Kap. 2). (Theoretisch ist auch die Direktsichtresektion ohne Videoübertragung möglich.)

5 5 5 5

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kLagerung

4 Steinschnittlage (. Abb. 9.23). 4 Anlegen der Neutralelektrode am (rasierten) Oberschenkel des Patienten.

5

5

systeme, Beziehen der Endoskopkamera mit einem sterilen Klarsichtbezug und Anschluss an die Optik. Entlüften des Spülsystems. Team-Time-out. Instillieren eines Gleitmittels in die Urethra und Einführen des Resektoskops mit der Optik (0°/12°) unter Sicht bis in die Blase. Dabei werden die Harnröhre, die prostatische Harnröhre mit der einengenden Prostata und der Blasenauslass inspiziert. Wechsel auf die »Übersichtsoptik« (70°) und Inspektion der Blase, der Ostien (entleert sich klarer Urin?), der Seitenwände sowie des Blasendachs. Zeigt sich ein Blasentumor, wird dieser transurethral entfernt (7 Abschn. 9.3.3, TUR-B) und zur histologischen Untersuchung eingeschickt. Die Resektion der Prostata darf dann nicht mit dem Trokar ausgeführt werden, sondern mit dem doppelläufigen Resektoskop (. Abb. 9.24). Evtl. vorhandene Blasensteine, die durch eine Blasenentleerungsstörung wie z. B. die BPH entstehen, werden zunächst mit dem Steinpunch, alternativ mit Laser (7 Abschn. 9.3.4) zerkleinert und danach ausgespült. Nach Auffüllung der Blase wird von außen unter Sicht eine lange Kanüle in die Blase gestochen. Entleert sich über die Kanüle Flüssigkeit, wird an der Einstichstelle eine Stichinzision mit dem Skalpell durchgeführt, der Trokar in die Blase eingebracht und daran die Absaugung befestigt. Die Blase wird entleert, dann wird von der Übersichts- auf die Geradeausoptik gewechselt und der Transporteur mit der Resektionsschlinge über das liegende Resektoskop in die Blase eingeführt. Jetzt erst wird das Stromkabel des HF-Gerätes mit dem Resektoskop verbunden. Die Einstellungen des HF-Gerätes sollten programmiert und standardisiert sein. Der exakte Resektionsbeginn wird notiert, um im weiteren Verlauf die Gefahr eines TUR-Syndroms besser einschätzen zu können.

457 9.3 · Transurethrale und perkutane Eingriffe

5 Die Resektion wird unter Sicht durchgeführt, be-

5 5 5

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5 5

5

ginnend am Mittellappen, nach Blutstillung mittels Schlinge oder Kugelelektrode, weitere Resektion parakollikulär. Anschließend Resektion des einen, danach des anderen Seitenlappens; die Reihenfolge hängt von der Technik des Operateurs ab. Eine zwischenzeitliche Blutstillung ist je nach Blutungsintensität indiziert. Während der gesamten Resektion ist darauf zu achten, dass die Prostatakapsel und die umliegende Muskulatur nicht verletzt werden. Abschließend erfolgt die Resektion apikal unter Schonung des M. sphincter externus. Blutstillung mit der Kugelelektrode. Ausspülen sämtlicher Resektionsspäne mit der Blasenspritze. Die Späne werden in einem Sieb gesammelt, gewogen und zur histologischen Untersuchung gegeben. Das Gewicht gibt dem Operateur Hinweise auf die Größe der produzierten Prostataloge, falls der Katheter dort geblockt werden soll. Über den liegenden Halbschaft des Trokars Einlage des Stirnlochkatheters und Blockung mit entsprechender Menge Glycerollösung. Anschluss des Spülsystems. Die Spülung erfolgt zunächst im Schuss, um der Bildung von Blutkoageln optimal vorzubeugen. Danach Instillieren eines Gleitmittels in die Urethra und Einlage des 3-Wege-Dauerspülkatheters in die Blase, zur weiteren Blutstillung wird dieser in der Prostataloge oder in der Blase mit Zug zum Blasenhals hin mit bis zu 60 ml geblockt. Anschluss des Ablaufsystems mit Pumpball und Verschluss des zweiten Zugangs des Katheters mit einem Stopfen. Versorgen der suprapubischen Kathetereintrittstelle mit einem Kompressen-Salben-Verband. Entfernen der Patientenabdeckung und des Ablaufsiebs. Anbringen der Beinteile des OP-Tisches und vorsichtiges Entlagern des Patienten aus der Steinschnittlagerung in die Rückenlage mit geraden Beinen.

TUR-Syndrom Infolge Einschwemmung der hypotonen Spülflüssigkeit durch die eröffneten Gefäße in den Blutkreislauf kann es zu einer Hyperhydratation mit Herz-Kreislauf-Belastung bis hin zu einer Rechtsherzinsuffizienz kommen. Deshalb ist es wichtig, die Resektionszeit möglichst kurz zu halten.

. Abb. 9.24 Schematische Darstellung der transurethralen Prostataresektion. (Aus Hautmann u. Huland 2001/2006)

Das TUR-Syndrom tritt v. a. bei Patienten mit Spinalanästhesie und während der Aufwachphase bei Patienten mit Vollnarkose auf. Symptome des TUR-Syndroms sind Übelkeit, Verwirrtheit, Unruhe und Erbrechen bis hin zum Schock, akutem Nierenversagen und Hirn- und Lungenödem.

9.3.3

Transurethrale Resektion der Blase (TUR-B)

Der transurethralen Resektion von Blasentumoren liegt sowohl eine diagnostische als auch häufig eine therapeutische Indikation zugrunde. Verdächtige Schleimhautbefunde und oberflächliche Tumoren werden zur Bestimmung der Infiltrationstiefe und des Differenzierungsgrades abgetragen. Weitere Therapieschritte werden in Abhängigkeit der Ergebnisse der histologischen Untersuchung geplant. Patienten mit kleinen nichtinvasiven, also nicht in die Muskulatur eingewachsenen Harnblasentumoren sind nach einer TUR-B ausreichend therapiert und werden regelmäßig mittels Zystoskopie kontrolliert. jDiagnostik

4 Übliche Laborparameter, 4 Zystoskopie, 4 Sonographie der Blase. kIndikationen

4 Resektion oberflächlicher Tumoren und/oder verdächtiger Blasenschleimhaut, 4 Bestimmung von Infiltrationstiefe und Differenzierungsgrad. kPrinzip

Abtragen von Tumorgewebe mittels eines Resektoskops und einer stromführenden Schlinge.

9

458

Kapitel 9 · Urologie

kInstrumentarium

Siehe TUR-P (7 Abschn. 9.3.2). Abweichend: 4 doppelläufiges Resektoskop, ggf. etwas kleinerer Spül-Kompressionskatheter mit 20 Charr. 4 Kein Trokar! kLagerung

Siehe TUR-P (7 Abschn. 9.3.2). OP-Verlauf: TUR Blase (TUR-B)

5 Urethrozystoskopie mit dem Resektoskop wie

5

9

5 5

5

5

9.3.4

bei der TUR-P (7 Abschn. 9.3.2; hier besonders auf Urinaustritt aus den Ostien achten, da simultan auch Tumoren der oberen Harnwege vorhanden sein können). Abtragen der Tumoren und Biopsien aus der darunterliegenden Muskulatur der Blase. Die Resektate werden sofort mit der Blasenspritze ausgespült und unter genauer Lokalisationsangabe zur histologischen Untersuchung gegeben. Bei der Resektion sind die Ostien möglichst zu schonen, um eine Striktur mit Harnstauung oder einen Reflux in die Nieren zu vermeiden. Endgültige Blutstillung mit der Hochfrequenzkugelelektrode oder der Schlinge (hier muss der Ablauf wasserklar sein, weil im Gegensatz zur TUR-P mit der Blockung kaum eine effektive Blutstillung erreicht werden kann). Entfernen des Resektoskops, Instillieren eines Gleitmittels und Einbringen des 3-Wege-Spül-Kompressionskatheters 20 Charr. in die Blase, Blockung mit 20 ml Glycerollösung. Anschluss an das Spülsystem und Konnektion mit dem Ablaufbeutel.

Ureterorenoskopie (URS)

Die Ureterorenoskopie ist eine diagnostische wie auch eine therapeutische Maßnahme. Sie wird z. B. angewendet zur Sicherung einer Tumorverdachtsdiagnose oder zur Entfernung von Harnleitersteinen. Neben den sog. semirigiden (nur gering biegbaren) Geräten, die relativ weite Arbeitskanäle für Zangen, Drähte, Körbchen oder Lasersonden besitzen, können v. a. zum Einsehen der unteren und mittleren Kelchgruppe  flexible Ureterorenoskope eingesetzt werden. Sie sind ähnlich den bekannten Endoskopen aus der Gastroenterologie gut steuerbar und biegsam. Bei der endoskopischen Steintherapie gibt es unterschiedliche Verfahren:

4 Elektrohydraulisch (EHL), das entspricht dem Prinzip der ESWL (Erzeugung akustischer Stoßwellen und fokussierte Abgabe über eine Wasservorlaufstrecke in den Körper des Patienten). Dieses Verfahren ist effektiv auch bei großen Blasensteinen, birgt aber die Gefahr einer Harnleiter- bzw. Blasenwandperforation. Die Sonden sind dünn und flexibel und daher auch für die flexible URS geeignet. 4 Unterschiedliche Laser. Ihr Einsatz ist sehr effizient, sie haben ein geringeres Risiko einer Harnleiterverletzung gegenüber der EHL. Die Sonden gibt es in mehreren Durchmessern, sie sind auch für die flexible URS einsetzbar. 4 Bei der Entfernung kleinerer Steine oder Restfragmente kommen Greifzangen oder Körbchen mit verschiedenen Drahtkonfigurationen zum Einsatz. Die URS gilt als effiziente Behandlung bei Harnleiter- und Nierensteinen, über 90% der Patienten bedürfen nur eines Eingriffs. Komplikationen sind selten, leichte Schleimhautblutungen sind dabei die häufigsten. Selten kommt es zu bakteriellen Infektionen des Harntraktes oder zu Ureterperforationen. Diese werden durch temporäre Einlage eines DJ-Katheters behandelt und heilen zumeist folgenlos aus, narbige Strikturen sind selten zu erwarten. kPrinzip

Die URS wird als primäres Verfahren oder sekundär einige Tage/Wochen nach zuvor eingelegter HL-Schiene durchgeführt. Bei letzterem Vorgehen ist das Einführen des Endoskops in das Ostium und die Sicht im Harnleiter in aller Regel besser, da der Harnleiter durch die Schiene reflektorisch aufgeweitet ist. Nach Einlage eines Sicherheits- und ggf. eines Führungsdrahts in den Harnleiter wird das URS unter Sichtund Durchleuchtungskontrolle in den Harnleiter eingeführt. Der Draht kann über ein Zystoskop oder mit dem URS-Gerät eingeführt werden. Die modernen Ureterorenoskope mit geringem Durchmesser lassen sich in der Regel ohne Dilatation des Ostiums einführen (. Abb. 9.25). Aufsuchen des Steins/des Tumors, Entfernen mit einem Dormia-Körbchen (. Abb. 9.26), einer Zange (. Abb. 9.27) oder bei Steinen nach Zertrümmerung mit dem Laser (. Abb. 9.28). Bei der flexiblen URS wird eine Ureterschleuse verwendet. Diese verbleibt während der Operation im Harnleiter und ermöglicht dadurch wiederholte Endoskoppassagen ohne Traumatisierung von Ostium und Harnleiter. Die postoperative Einlage eines DJ-Katheters ist nach unkomplizierten Eingriffen nicht erforderlich, bei längeren OP-Zeiten, ödematösem Steinbett oder bei Harnleiterperforationen kann die Einlage notwendig werden.

459 9.3 · Transurethrale und perkutane Eingriffe

b

a

9.26

c

9.27

b

. Abb. 9.25 Flexibles Ureterorenoskop; hier: das 9-Charr.-Ureterorenoskop Wolf 7331 sowie das Handstück des Wolf 7330 (Fa. Wolf )

jDiagnostik

4 Übliche Laborparameter, 4 Urinkultur (Ausschluss eines Harnwegsinfekts), 4 Infusionsurogramm.

a

kIndikationen

4 Harnleitersteine, 4 Abklärung einer Makrohämaturie aus dem oberen Harntrakt, 4 Füllungsdefekte des oberen Harntrakts in der Bildgebung. kPrinzip

Gewinnen von Spülzytologie oder Histologie aus dem Harnleiter, Entfernen von Steinen über ein semirigides oder flexibles Ureterorenoskop. kLagerung

Steinschnittlage, bei Bedarf Absenken des kontralateralen Beins. Beachtung der Strahlenschutzrichtlinien (7 Abschn. 3.4.2). kInstrumentarium

4 4 4 4 4 4 4 4

Ureterorenoskop (URS; . Abb. 9.25), Lichtkabel, Zulaufsystem und Absaugschlauch, steriler Kamerabezug, NaCl-Spüllösung, evtl. Zystoskop mit Optik (0°, 12° oder 70°), Sterilbezug für C-Bogen, 1–2 Terumo-Drähte.

a

b

c 9.28

. Abb. 9.26a–c Abtragung eines gestielten papillären Tumors im oberen Harntrakt mittels Körbchen. Der Tumorgrund muss nach dieser Maßnahme vorzugsweise mit einem Laser nachbehandelt werden. (Aus Hofmann 2009) . Abb. 9.27a, b Zangenbiopsie eines Uretertumors mit einem flexiblen Ureterorenoskop. (Aus Hofmann 2009) . Abb. 9.28a–c Schema der Abtragung eines gestielten papillären Tumors im oberen Harntrakt mittels Laser. (Aus Hofmann 2009)

Bei Bedarf: 4 Ureterenkatheter, 4 Kontrastmittel, 4 Laser und Lasersonde, 4 Dormia-Körbchen, 4 Steinfasszange, 4 DJ-Schiene,

9

460

Kapitel 9 · Urologie

4 Fasszange, 4 Nélaton-Blasenkatheter, Ablaufbeutel und Blockmittel, 4 diverse Spritzen für Spülzytologie und Alkohol 70%ig. Technisches Equipment: 4 MIC-Turm mit Lichtquelle, Monitor, Kamera, Drucker, 4 C-Bogen. OP-Verlauf: Ureterorenoskopie (URS )

5 Lagerung, Desinfektion und Abdeckung zunächst

5

5

wie bei der TUR.

5 Anschluss aller benötigten Geräte an Lichtquelle,

9

Kamera, Zulauf und Absaugung. Steriles Beziehen des C-Bogens, dieser wird über den Patienten gefahren, um den Verlauf der Harnleiter bis zum Nierenbecken darzustellen. 5 Nun gibt es die Möglichkeit, sofort mit dem URS oder zunächst mit dem Zystoskop in die Blase einzugehen.

5 5 5

Endoskopes um 180° kann den Zugang in das Ostium erleichtern. Vorschieben unter Sicht und evtl. unter Röntgenkontrolle bis in das Nierenbecken. Dabei sollte das Lumen des Harnleiters durch entsprechendes Kippen des URS immer möglichst zentral eingestellt sein. Bei Bedarf kann die Spülung abgestellt werden und über diesen Kanal mit Kontrastmittel ein Pyelogramm durchgeführt werden, um die physiologischen Engstellen und/oder Steine darzustellen. Vorliegende Steine können unter Sicht, über den Arbeitskanal des URS mit Fasszange oder DormiaKörbchen entfernt werden. Die Steine werden entweder mit dem URS zusammen durch die Urethra entfernt oder in der Blase abgelegt, von dort werden sie abschließend ausgespült oder mit dem Urin ausgeschieden. Bei sehr großen Steinen empfiehlt es sich, diese mit dem Laser zu zertrümmern und zu entfernen. Abschließend nochmaliges Vorschieben des URS bis in das Nierenbecken und Inspektion des Harnleiters auf Läsionen, ggf. Einlage eines DJ-Katheters. Einbringen eines Dauerkatheters.

OP-Verlauf: Vorgehen mit Zystoskop

5 Team-Time-out, Instillieren eines Gleitmittels, Ein-

5

5

5 5 5 5 5

führen des Zystoskops zunächst mit der 0°-Optik, in der Blase Wechsel auf die Übersichtsoptik (70°) und Inspektion der Blase und der Ostien. Über den Arbeitskanal des Zystoskops wird ein UK in das Ostium eingeführt, der Mandrin des UK wird dann ca. 1 cm zurückgezogen, um eine Perforation des Harnleiters zu vermeiden. Liegt der UK sicher im Harnleiter, wird der Mandrin komplett entfernt und ggf. ein retrogrades Pyelogramm durchgeführt. Über den noch im Zystoskop liegenden UK wird ein Terumo-Draht unter Röntgenkontrolle bis in das Nierenbecken vorgeschoben. UK und Zystoskop können nun entfernt werden, der Terumo-Draht bleibt als Sicherung im Harnleiter liegen. Alle verwendeten Drähte und Schienen müssen angefeuchtet werden, damit sie leicht gleiten! Drähte und Fassinstrumente sind sehr lang, deshalb ist Vorsicht geboten hinsichtlich der Kontamination mit unsterilen Gebieten! Der Draht wird in einer aus Abdeckmaterial gebildeten Falte am Bein des Patienten befestigt, es darf kein Klebstoff an den Draht gelangen! Nun wird auf das URS gewechselt, das am Draht vorbei (alternativ über den Draht) unter Sicht in den Harnleiter vorgeschoben wird. Ein Drehen des

OP-Verlauf: Vorgehen mit dem Ureterorenoskop

5 Instillieren eines Gleitmittels und Einführen des URS in die Blase unter Sicht. Eingehen in das Ostium wie oben beschrieben. 5 Nach Passage des intramuralen Anteils des Harnleiters Vorschieben eines Terumo-Drahtes durch den Arbeitskanal unter Röntgenkontrolle bis in das Nierenbecken. Liegt der Draht richtig, wird das URS entfernt, und der Draht bleibt als Sicherung liegen. 5 Weiteres Vorgehen wie oben beschrieben.

OP-Verlauf: Vorgehen bei liegender DJ-Schiene

5 Instillieren eines Gleitmittels und Einführen des URS in die Blase unter Sicht. Über den Arbeitskanal wird eine geeignete Fasszange bis zur DJ-Schiene geführt. Diese wird am Ende gefasst, die Schiene wird nun vor den Meatus luxiert und dort festgehalten, das URS wird zur Seite gelegt. 5 Durch das Ende des DJ-Katheters wird dann der Terumo-Draht unter Röntgenkontrolle bis in das Nierenbecken vorgeschoben (hier muss anfangs noch das proximale Ende des DJ im Harnleiter liegen).

461 9.3 · Transurethrale und perkutane Eingriffe

5 Die Schiene wird über den liegenden Draht entfernt und der Draht selbst, wie oben beschrieben, unter sterilen Bedingungen an der OP-Abdeckung befestigt. 5 Weiteres Vorgehen wie oben. 5 Sollte bei der Manipulation der DJ-Katheter aus dem Harnleiter gezogen werden, ist das direkte Verfahren anzuwenden.

9.3.5

Anlage einer suprapubischen Harnableitung

Die Anlage einer suprapubischen Harnableitung hat gegenüber der transurethralen Ableitung den Vorteil, dass eine Keimbesiedelung der Harnblase vermindert wird. Außerdem werden Verletzungen der Urethra mit ihren Folgen, wie z. B. Strikturen, vermieden. jDiagnostik

Übliche Laborparameter. kIndikationen

4 Harnentleerungsstörungen mit hohen Restharnmengen, 4 hochgradige Harninkontinenz, 4 im Rahmen von operativen/intensivmedizinischen Maßnahmen. kKontraindikation

Harnblasenkarzinom, da eine rasche Tumorinfiltration und Exulzeration entlang der Katheteraustrittstelle möglich ist. kPrinzip

Dauerhafte Harnableitung. Ableitung des Urins über einen Katheter, der durch die Bauchdecke in die Blase eingelegt wird. kInstrumentarium

4 4 4 4 4 4

Nélaton-Blasenkatheter 16 Charr., 10-ml-Spritze zum Blocken, Gleitmittel, Blasenspritze, Schüssel mit steriler NaCl-Lösung, suprapubisches Katheterset (. Abb. 9.15) mit (12 und 14 Charr.) oder ohne (10 Charr.) Ballon, 4 Glycerollösung zum Blocken, 4 ggf. ein geflochtener atraumatischer Faden der Stärke 0 zur Fixation an der Haut, 4 lange Kanüle,

4 Stichskalpell, 4 Kompressen, 4 ggf. Sonographiegerät zur Verbesserung der Orientierung, dann steriler Schallkopfbezug. kLagerung

Rückenlage mit abgespreizten Beinen oder Steinschnittlage. OP-Verlauf: Suprapubische Harnableitung 5 Hautdesinfektion einschließlich des Genitalbereichs, steriles Abdecken des OP-Gebiets. Instillieren des Gleitmittels in die Urethra und Einlegen des Nélaton-Blasenkatheters, der mit 10 ml NaCl geblockt wird. Auffüllen der Blase mittels Blasenspritze und 200 ml steriler NaCl-Lösung. 5 Handschuhwechsel. Team-Time-out. 5 Punktion der Blase mit einer langen Kanüle in der Medianlinie ca. 2 Querfinger oberhalb des Schambeins (alternativ Nutzung der Ultraschallortung), abtropfender Urin aus der Kanüle zeigt die richtige Position der Nadelspitze. 5 Stichinzision an der Punktionsstelle und Entfernen der Kanüle. 5 Punktion der Blase mit dem Trokar. 5 Der Katheter wird über den Trokar, der in Längsrichtung zwei gegenüberliegende Sollbruchstellen hat, bis zur Markierung in die Blase eingebracht. 5 Die Hohlnadel wird gebrochen und entfernt, der Katheter geblockt oder mit einem nicht resorbierbaren geflochtenen Faden an der Bauchdecke angenäht. 5 Der Katheter wird mit dem Ablaufsystem verbunden und die Einstichstelle mit einem SalbenKompressen-Verband versorgt. 5 Der transurethrale Katheter wird entblockt und aus der Blase entfernt.

9.3.6

Einlage einer Doppel-J-Schiene

Die Indikationsbreite zur Einlage einer Harnleiterschiene ist groß und beinhaltet diagnostische sowie therapeutische Indikationen. Eine retrograde Darstellung der ableitenden Harnwege mittels Kontrastmittel unter Bildwandlerkontrolle ist üblich, ggf. wird auf das Röntgen verzichtet, z. B. bei schwangeren Frauen mit Harnstauung oder bei infizierten Harnstauungsnieren. Anhand der Körpergröße des Patienten und ggf. eines Röntgenbildes wird die Schienenlänge ermittelt. Sie beträgt in der Regel beim Erwachsenen 24–30 cm, der Durchmes-

9

462

Kapitel 9 · Urologie

ser beträgt zwischen 4 und 10 Charr. Zumeist werden beidseits zentral offene Doppel-J-Schienen (DJ) verwendet. Der Patient ist durch den DJ nicht in seiner Mobilität eingeschränkt. Der Eingriff kann sowohl in Lokalanästhesie als auch in Vollnarkose durchgeführt werden.

4 4 4 4

Absaugschlauch, evtl. Nélaton-Blasenkatheter mit Ablaufbeutel, Beutel mit steriler NaCl-Lösung, Bereitstellung des Bildwandlers.

kLagerung jDiagnostik

4 Übliche Laborparameter (Nierenwerte, Entzündungsparameter), 4 Röntgenbild, 4 Anamnese (kolikartige Schmerzen?), 4 Sonographie der Harnblase.

Steinschnittlage unter Beachtung der Strahlenschutzrichtlinien.

OP-Verlauf: Einlage einer Doppel-J-Schiene

5 Hautdesinfektion einschließlich des Genital-

kIndikationen

Harnstauung der ableitenden Harnwege, z. B.: 4 Obstruktionen im Rahmen von Konkrementen im Harnleiter, 4 Tumoren im kleinen Becken, die den Harnleiter komprimieren.

9

5 5

kPrinzip

Harnableitung zwischen Niere und Blase über eine Schiene mit einem Lumen. kInstrumentarium

4 4 4 4 4 4 4 4 4 4 4

Zystoskop, Optiken, Kaltlichtkabel, Ureterenkatheter (UK) (. Abb. 9.29), Gleitmittel (evtl. mit Lokalanästhetikum, bei Eingriff in Lokalanästhesie), Kontrastmittel, DJ-Schiene, steriler Bezug für die Kamera, steriler Bezug für den C-Bogen, MIC-Turm mit Monitor, Lichtquelle, Kameraeinheit, Spülsystem mit Anschluss für das Zystoskop und Adapter für Spüllösung,

5 5

5 5 5

a

Ureterkatheter mit Nelaton-Spitze

5 5

b

Ureterkatheter mit Tiemann-Spitze

5

Doppel-J-Katheter zur Harnleiterschienung c . Abb. 9.29a–c Ureterenkatheter. (Aus Hautmann u. Huland 2006)

5

bereichs und steriles Abdecken des OP-Gebiets. Nach dem Team-Time-out wird der steril bezogene C-Bogen über den Patienten gefahren. Die Kamera, Lichtkabel sowie der Zu- und Ablauf werden am Zystoskopschaft konnektiert. Nach dem Instillieren des Gleitmittels wird das Zystoskop über die Urethra mit der 0°-Optik eingeführt. In der Blase erfolgt der Wechsel auf die 70°-Optik zur Zystoskopie. Nach der Identifikation des entsprechenden Harnleiterostiums wird über den Arbeitskanal des Zystoskops unter Sicht ein zentral offener Ureterkatheter mit Führungsdraht ca. 1 cm in das Ostium eingeführt. Der UK wird nun ein Stück weiter in den Harnleiter vorgeschoben und der Mandrin vorsichtig entfernt. Jetzt kann über den liegenden Ureterkatheter Kontrastmittel eingebracht werden, um mit Hilfe des Bildwandlers den Harnleiter bis in das Nierenbecken darzustellen. Über den UK wird nun der Terumo-Draht mit der flexiblen Spitze bis in das Nierenbecken vorgeschoben und der UK entfernt. Über den Draht wird eine ausgewählte DJ-Schiene in Seldinger-Technik (7 Kap. 4) unter RöntgenKontrolle bis in das Nierenbecken hochgeschoben. Liegt die Schiene im Nierenbecken, wird der Draht zurückgezogen, bis sich das kraniale Ende des DJ im Nierenbecken zum ersten »J« einrollt. Dies kann manchmal auch durch Drehen der Schiene, evtl. mit einem Pusher (Vorschieber) erreicht werden. Wenn der DJ korrekt im Nierenbecken liegt, wird der Terumo-Draht entfernt. Unter zystoskopischer und radiologischer Kontrolle wird nun das kaudale Ende mit dem Pusher in der Harnblase abgeworfen (hier liegt das zweite J, daher der Name Doppel-J). Durch langsames Entfernen des Zystoskops vom Ostium unter gleichzeitigem Vorschieben des

463 9.3 · Transurethrale und perkutane Eingriffe

Pushers kann diese Manipulation erleichtert werden. 5 Entfernen des Zystoskops aus der Urethra. 5 Bei Bedarf (bei infizierten Harnstauungsnieren muss eine drucklose Ableitung erfolgen!) kann ein Nélaton-Blasenkatheter für 1–2 Tage eingelegt werden.

9.3.7

Urethrotomie nach Otis/Sachse

Strikturen entstehen u. a. infolge transurethraler Eingriffe wie Katheterismus, Zystoskopien und Resektionen. Auch traumatische Ursachen nach Beckenfrakturen sind bekannt. (Bis zur Einführung der Antibiotikatherapie der Gonorrhö waren über 70% der Strikturen postentzündlicher Natur). Grundsätzlich gilt, dass nur urodynamisch wirksame Strikturen der Behandlung bedürfen. Da eine stumpfe Bougierung zu weiteren Verletzungen der Harnröhre führen kann, wird die Striktur mit einem kontrollierten Längsschnitt, in der Regel bei 12 Uhr SSL, erweitert (. Abb. 9.30). Diese längliche Inzision epithelialisiert rasch in einer nur gering stenosierenden Narbe. jDiagnostik

4 4 4 4 4 4

Anamnese, Harnstrahlmessung, retrogrades Urethrozystogramm (RUG oder UCG), Sonographie des Abdomen, Miktionszystourethrogramm (MCU), Urethroskopie mit der 0°-Optik.

a

b

. Abb. 9.30a, b Stumpfe Dehnung vs. Urethrotomia interna. Durch die Bougierung kommt es fast immer zu multiplen Einrissen (a). Durch die Urethrotomia interna entsteht ein scharfer, glattrandiger Schnitt (b). (Aus Hofmann 2009)

OP-Verlauf: Otis-Urethrotomie (Urethrotomia interna)

5 Hautdesinfektion einschließlich der Genitalregion und steriles Abdecken des OP-Gebiets.

5 Team-Time-out. 5 Instillieren des Gleitmittels in die Urethra. 5 Das Urethrotom wird in geschlossenem Zustand vorsichtig über die Striktur geführt. 5 Liegt die Spitze mit dem Messer proximal der Striktur, wird das Otis-Urethrotom bis auf die gewünschte Weite geöffnet (maximal 30 Charr.). 5 Durch Zug am Instrument wird die Harnröhre gestreckt und das Messer an der Striktur platziert. Die Schnittführung erfolgt durch Ziehen des Messers nach distal bei 12 Uhr. 5 Ggf. ist eine Wiederholung des Vorgangs erforderlich.

kIndikationen

Kurzstreckige Striktur der vorderen Harnröhre (Sachse) bzw. des Meatus oder der distalen Harnröhre (Otis). kPrinzip

Erweiterung des Harnröhrenlumens durch einen kontrollierten Längsschnitt, in der Regel bei 12 Uhr SSL – ohne Sicht beim Verfahren nach Otis, unter Sicht beim Verfahren nach Sachse (. Abb. 9.31). kInstrumentarium

4 4 4 4 4 4

Urethrotom nach Otis (. Abb. 9.20), Gleitmittel, evtl. Bougies, längsgerillter Harnblasenkatheter, Spritze und Blockungsmittel, Ablaufbeutel.

kInstrumentarium

4 Urethrotom nach Sachse (. Abb. 9.20; zum Urethrotom nach Sachse gehört eine Optik, ein messerführender Instrumentenkanal sowie ein weiterer Kanal zum Einbringen verschiedener Arbeitssonden, z. B. Laser), 4 Messer mit und ohne Arbeitskanal, 4 Kaltlichtkabel, 4 0°-Optik, 4 steriler Kamerabezug, 4 Gleitmittel, 4 Zu- und Ablaufsystem mit Ablaufbeutel, 4 Beutel mit steriler Spüllösung, 4 MIC-Turm mit Lichtquelle, Monitor, Kameraeinheit, 4 längsgerillter Harnblasenkatheter, 4 evtl. Laser und sterile Lasersonde.

kLagerung

kLagerung

Steinschnittlage.

Steinschnittlage.

9

464

Kapitel 9 · Urologie

. Abb. 9.31 Schlitzung der Harnröhrenstriktur im bulbären Bereich durch Urethrotomie. (Aus Hofmann 2009)

9.3.8

Perkutane Nephrostomie

OP-Verlauf: Sachse-Urethrotomie

9

5 Hautdesinfektion einschließlich der Genitalregion 5 5 5

5

5

5 5

5

5 5

und steriles Abdecken des OP-Gebiets. Team-Time-out. Anschließen des Urethrotoms an Lichtquelle, Kamera, Zu- und Ablauf. Instillieren des Gleitmittels in die Urethra und Einführen des Sachse-Urethrotoms mit eingezogenem Messer unter Sicht bis an die Striktur heran und Darstellen der Stenose. Ist dies problemlos möglich, wird die Stenose überwunden und die proximale Harnröhre sowie die Blase gespiegelt. Danach erfolgt die Urethrotomie. Dabei wird das Messer proximal der Stenose angesetzt und nach distal der Schnitt bei 12 Uhr in Längsrichtung durchgeführt. Grundsätzlich kann der Schnitt antegrad oder retrograd erfolgen. Lässt sich die Stenose nicht überwinden, kann über den Arbeitskanal eine Lasersonde eingeführt werden. Damit kann die Stenose so erweitert werden, dass ein Überwinden mit dem Urethrotom möglich ist. Zur Sicherstellung, dass die Schlitzung nicht in falschen Schichten durchgeführt wird, kann als Leitstruktur ein UK über den Arbeitskanal durch das Restlumen der Harnröhre bis in die Blase vorgeschoben werden. Dann Vorgehen wie oben beschrieben. Nach Entfernen aller Geräte und Instrumente wird ein längsgerillter Harnblasenkatheter eingelegt und die Steinschnittlage des Patienten aufgehoben.

Die perkutane Nephrostomie ist die röntgenologische bzw. sonographisch geführte Einlage einer perkutanen Fistel in das Nierenbecken. Dies ist die Alternative zur retrograden Entlastung einer Harnstauung mittels DJ-Katheter. kIndikationen

4 4 4 4 4

Obstruierender Harnleiterstein, Harnleitertumoren, iatrogene Harnleiterstrikturen, Kompression des Harnleiters durch Tumoren, Ableitung infizierter Harnstauungsnieren.

kPrinzip

Harnableitung mittels eines Fistelkatheters aus dem Nierenbecken über die Haut nach außen. Im weiteren Verlauf kann dann über die liegende Fistel die Diagnostik weitergeführt werden (antegrades Pyelogramm, Nierendruckmessung). kInstrumentarium

4 4 4 4 4 4 4 4 4 4 4

Ultraschallgerät mit Punktionshilfe für den Schallkopf, steriler Bezug für den Schallkopf, steriler Bezug für den C-Bogen, 2- oder 3-teilige Punktionsnadel, Grundinstrumentarium, Stichskalpell, Kontrastmittel mit Spritze, Metall- oder Teflon-Bougies (7–30 Charr.), Lunderquist-Draht, evtl. Gleitmittel und Blockungsflüssigkeit, Nierenfisteln in verschiedenen Größen, mit und ohne Ballon (Silikonkatheter mit Pigtail-Spitze mit und ohne Blockung, mit unterschiedlich positionierten »Augen«),

465 9.3 · Transurethrale und perkutane Eingriffe

4 Ablaufbeutel, 4 Naht zum Fixieren der Fistel (Stärke 0, geflochten, nicht resorbierbar), 4 Bereitstellung des Bildwandlers. kLagerung

Bauchlage, evtl. auf Röntgenstrahlen durchlässigem Tisch, evtl. muss der Bauch des Patienten unterpolstert werden (»Katzenbuckel«). Beachtung der Strahlenschutzbestimmungen. kZugang

5 Ist dies nicht der Fall, kann der Draht wieder vorge5 5 5 5

schoben und die Position durch Drehen der Fistel verändert werden. Sobald die Fistel optimal liegt, wird der Draht entfernt und die Fistel an der Haut doppelt fixiert. Eine blockbare Fistel wird mit der entsprechenden Menge Glycerollösung geblockt. Konnektieren des Ablaufbeutels, KompressenSalben-Verband mit Fixierpflaster. Entfernen aller Materialien.

Infrakostal in der hinteren Axillarlinie.

OP-Verlauf: Perkutane Nephrostomie

5 Hautdesinfektion und steriles Abdecken des OP-Gebiets.

5 Team-Time-out. 5 Positionierung, Anschluss und steriles Beziehen des Bildwandlers und des Ultraschallgerätes.

5 Punktion des Nierenbeckens mit der Punktions5 5 5

5

5

5 5 5

nadel unter sonographischer Kontrolle, wenn möglich durch die mittlere oder untere Kelchgruppe. Liegt die Punktionsnadel im Nierenbecken, wird der Mandrin entfernt. Ablaufender Urin aus der Nadel bestätigt nach Mandrinentfernung bereits die richtige Lage. Kontrastmittel wird über die Hohlnadel unter Röntgenkontrolle in das Nierenbecken eingebracht. Das Nierenbecken und der Harnleiter stellen sich dar. Ein Lunderquist-Draht mit gekrümmter weicher Spitze wird über die liegende Hohlnadel in das Nierenbecken eingebracht, die Nadel wird entfernt. Über den nun liegenden Draht wird mit immer kräftiger werdenden Bougies der Punktionskanal erweitert (evtl. ist vorher eine kleine Stichinzision in der Haut erforderlich, um das Vorschieben zu erleichtern), bis der gewünschte Durchmesser erreicht ist. Die Bougierung sollte immer etwas weiter als die gewünschte Fistel sein. Bei Nierenfisteln mit kräftigem Führungsmandrin kann eine Bougierung entfallen. Nun wird der ausgewählte Fistelkatheter über den noch liegenden Lunderquist-Draht mit Gleitmittel in das Nierenbecken eingebracht. Unter Röntgenkontrolle wird der Draht vorsichtig zurückgezogen und kontrolliert, ob sich die Fistel an der gewünschten Stelle aufrollt.

Bei gestautem Nierenbecken ist die Punktion unproblematisch. Sollte die Punktion bei nicht gestautem Nierenbecken nicht gelingen, kann retrograd über einen Ureterkatheter das Kelchsystem mit Kontrastmittel gefüllt werden, damit es sich radiologisch besser darstellt und evtl. aufgeweitet wird. Zusätzlich kann das Kontrastmittel mit Methylenblau versetzt werden. Bei der Punktion entleert sich dann gefärbter Urin, der so die richtige Position der Punktionsnadel anzeigt.

9.3.9

Nephroskopie = PNL (perkutane Nephrolithoplaxie)

Die erste erfolgreiche perkutane Steinentfernung wurde schon 1941 beschrieben, jedoch erst 1976 hielt die PNL ihren Einzug in die Klinik. Die PNL gilt als Option zur Steinentfernung aus dem Nierenbeckenkelchsystem (neben ESWL und URS). Die offene Steinentfernung wurde so nahezu vollständig abgelöst. jDiagnostik

4 Übliche Laborparameter (Gerinnung, Nierenwerte, Entzündungsparameter), 4 Ausscheidungsurogramm (AUG), 4 Sonographie, 4 Röntgenleeraufnahme, 4 evtl. Nierenszintigraphie, 4 evtl. retrograde Ureteropyelographie. kPrinzip

Entfernung bzw. Zertrümmerung von Steinen des Nierenbeckens über ein Nephroskop. kIndikationen

4 Fehlgeschlagene ESWL/URS, 4 große Steine der unteren Kelchgruppe (>2 cm), 4 besondere Steinzusammensetzung (z. B. Zystinsteine),

9

466

Kapitel 9 · Urologie

. Abb. 9.32 Nephroskop. (Aus Hofmann 2009) a

b

9 . Abb. 9.33 Faszienmesser nach Korth. (© Archiv Bundeswehrkrankenhaus Hamburg)

. Abb. 9.34a, b Teleskop-Bougie-Set nach Alken (a). KunststoffBougies mit Amplatz-Schaft (b). (Aus Hofmann 2009)

kInstrumentarium

4 MIC-Turm mit Lichtquelle, Kameraeinheit, Monitor, 4 evtl. Laser, Lasersonde, 4 Bereitstellung des Bildwandlers und des Ultraschallgerätes.

4 4 4 4 4 4 4 4 4 4 4 4 4 4 4 4 4 4 4 4 4 4 4

Zystoskop, Optiken 0°, 70°, Kaltlichtkabel, Zu- und Ablaufsystem, Beutel mit steriler NaCl-Lösung, sterile Bezüge für Kamera, Bildwandler und das Ultraschallgerät, kleines Grundinstrumentarium, Nephroskop mit integrierter Optik 0° (. Abb. 9.32), Faszienmesser (Korth-Messer; . Abb. 9.33), Stichskalpell, Bougie-Set groß (nach Alken aus Metall oder Kunststoff mit Amplatz-Schaft, bis 30 Charr.; . Abb. 9.34), Punktionshilfe für das Sonographiegerät, 2- oder 3-teilige Punktionskanüle, Ureter- oder Okklusionskatheter, Fasszange für das Nephroskop zur Steinentfernung, Kontrastmittel mit Spritze, Gleitmittel, Nélaton-Blasenkatheter, Verschlussstopfen, Spritze und Glycerollösung, Zulaufsystem für Kontrastmittel, Nephrostomiekatheter, Lunderquist-Draht, evtl. Methylenblau,

kLagerung

Sollte zunächst transurethral eingegangen werden (Schieneneinlage o. Ä.), zunächst Steinschnittlagerung. Die eigentliche PNL erfolgt in Bauchlage mit aufgewölbter Wirbelsäule.

OP-Verlauf: Perkutane Nephrolithoplaxie (PNL) 5 Team-Time-out.

5 In Steinschnittlage: Primär wird die aktuelle Steinlage über eine Röntgenaufnahme ermittelt.

5 Das Zystoskop wird an Zu- und Ablaufsystem sowie an die Lichtquelle angeschlossen, die Kamera steril bezogen. 5 Nachdem das Gleitmittel in die Urethra instilliert wurde, kann das Zystoskop mit der 0°-Optik in die Blase eingeführt werden. 5 Aufsuchen des entsprechenden Ostiums und Einlage eines Ureter- oder Okklusionskatheters in den Harnleiter bis in das Nierenbecken, um ein Einspülen von Steinfragmenten in den Harnleiter zu verhindern. Der Ureterkatheter wird transurethral ausgeleitet.

467 9.4 · Äußeres Genitale

5 Nach Entfernen aller gebrauchten Instrumente

5 5 5 5

5

5

5 5

5 5

5

wird ein Nélaton-Blasenkatheter eingelegt und geblockt. Am Katheter wird der UK/Okklusionskatheter mit einem Faden fixiert, damit er bei der Umlagerung des Patienten nicht versehentlich entfernt wird. Der Katheter wird zum Umlagern abgestöpselt. Nun wird die Abdeckung entfernt und der Patient in Bauchlage umgelagert, der Katheter an eine Infusion mit Kontrastmittel angeschlossen. Hautdesinfektion und steriles Abdecken des OP-Gebiets. Weiteres Vorgehen zunächst wie bei der Anlage einer Nierenfistel (7 Abschn. 9.3.8). Die Punktion direkt auf eine Kelchgruppe und/ oder den Stein wird röntgenologisch erleichtert durch das retrograd aufgefüllte Nierenbeckenkelchsystem über den im Harnleiter liegenden UK/ Okklusionskatheter. Da die herkömmlichen Nephroskope einen Durchmesser von 20–26 Charr. haben, muss die Bougierung bis zur erforderlichen Weite durchgeführt werden. Neuere Geräte (»Mini-PNL«) haben einen Durchmesser von ca.15 Charr. und den Vorteil, dass nur einmal bougiert werden muss, die sog. OneStep-Bougierung. Über den liegenden Lunderquist-Draht wird das Faszienmesser bis kurz vor das Nierenparenchym zur Erweiterung des bougierten Kanals vorgeschoben. Das Korth-Messer ist sehr scharf ൺ Vorsicht beim Anreichen! Ein Amplatz-Schaft wird in der Größe, die dem Außendurchmesser des Nephroskops entspricht, belassen. Die Bougies und der Lunderquist-Draht werden entfernt. Das Nephroskop wird an Zuund Ablauf, Lichtquelle und Kamera angeschlossen und unter Zuhilfenahme von Gleitmittel durch den Schaft in das Nierenhohlsystem eingeführt. Das Nierenbeckenkelchsystem wird orientierend inspiziert und der Stein aufgesucht. Dieser kann mit einer Fasszange entfernt werden. Ist der Stein zu groß, kann er mit einer über den Arbeitskanal eingeführten Lasersonde zerkleinert werden, kleinere Fragmente werden abgesaugt oder ausgespült. Nach der Steinentfernung wird über den Arbeitskanal des Nephroskops wieder der LunderquistDraht vorgeschoben, und das Nephroskop sowie der Amplatz-Schaft werden entfernt. Dabei ist darauf zu achten, den Draht nicht herauszuziehen.

5 Bei der Mini-PNL ist eine PCN nicht unbedingt 5

5 5 5 5 5

notwendig, üblich ist eine Versiegelung des Zugangs mit einem Hämostyptikum (z. B. FloSeal). Ein Nephrostomiekatheter in der Größe des Außendurchmessers des Nephroskops wird zur Kompression des Nierenparenchyms und zur Harnableitung eingelegt und mit Kontrastmittel geblockt. Die richtige Lage wird röntgenologisch kontrolliert, der Draht entfernt. Die PCN kann (zur Sicherheit) zusätzlich doppelt an der Haut fixiert werden. Kompressionsverband. Entfernen aller Geräte und Instrumente. Umlagern des Patienten. Ob Blasenkatheter und UK entfernt werden können, liegt an der weiteren Therapie.

9.4

Äußeres Genitale

9.4.1

Phimose

Definition Angeborene oder erworbene Verengung der Vorhaut, die nicht (absolute Phimose) oder nur schwer (relative Phimose) über die Glans zurückgezogen werden kann.

kIndikationen

4 Miktionsstörungen aufgrund der Vorhautverengung, 4 rezidivierende Balanitiden (eitrige Entzündungen unter der Vorhaut), 4 Paraphimose (7 Abschn. 9.4.2). kPrinzip

Zirkumzision, als die klassische zirkuläre Resektion der Vorhaut, oder verschiedene andere OP-Techniken unter Belassen eines Teils der Vorhaut. kLagerung

Rückenlage, Blutstillung erfolgt in der Regel über die bipolare Koagulation. kInstrumentarium

4 Feines Grundinstrumentarium, 4 gerade Schere, 4 feines, resorbierbares, geflochtenes Nahtmaterial.

Zirkumzision Bei Kindern wird dieser Eingriff in der Regel unter Vollnarkose vorgenommen, seltener in Lokalanästhesie (7 Kap. 13).

9

468

Kapitel 9 · Urologie

Entwicklung eines Ödems

OP-Verlauf: Zirkumzision

5 Nach Desinfektion und steriler Abdeckung erfolgt das Team-Time-out.

5 Fassen und Anspannen des Präputiums oberhalb der Enge mit zwei Mosquitoklemmchen.

5 Das äußere Vorhautblatt wird mit dem Skalpell zir5

5

5

9

5 5

9.4.2

kulär umschnitten und mit Hilfe einer Kompresse oder eines Präpariertupfers zurückgestreift. Das äußere Blatt wird dann dorsal mit der geraden Schere längs gespalten, mit Mosquitoklemmchen aufgespannt und zirkulär reseziert. Dabei ist das Frenulum möglichst zu schonen. Das innere Blatt wird bis auf 3–5 mm unterhalb des Sulcus coronarius reseziert. Nach sorgfältiger Blutstillung werden die beiden Vorhautblätter durch Einzelknopfnähte oder semizirkuläre, fortlaufende Nähte miteinander verbunden. Kompressenverband mit desinfizierender Salbe. Zur besseren Kompensation von postoperativen Schmerzen sollte auch nach einer Vollnarkose eine Peniswurzelblockade mit einem Lokalanästhetikum ohne Adrenalin angelegt werden.

. Abb. 9.35 Paraphimose

Reposition

Paraphimose

Definition Anschwellen der retrahierten Vorhaut hinter der Glans.

. Abb. 9.36 Manuelle Reposition einer Paraphimose

Es kommt zu einem Venenstau mit ödematöser Schwellung des Präputiums und der Glans (»spanischer Kragen«; . Abb. 9.35), was eine Reposition zunehmend erschwert. Dieses Krankheitsbild ist extrem schmerzhaft und kann bei längerer Dauer zu Nekrosebildung führen und/oder eitrig infizieren. Diese Diagnose gilt als Notfallindikation. jTherapie

Konservativ durch Kühlung mit Eiswasser oder vorsichtige  manuelle Kompression der Schwellung. Gelingt die manuelle Reposition (. Abb. 9.36), muss in Folge die Abschwellung abgewartet werden und evtl. später eine Zirkumzision durchgeführt werden. Bei Nichtgelingen der Reposition muss der Schnürring längs dorsal inzidiert werden (. Abb. 9.37).

. Abb. 9.37 Inzision des Schnürrings bei Paraphimose

469 9.4 · Äußeres Genitale

9.4.3

Penisteilamputation

9.4.4

Penisamputation

kIndikationen

kIndikationen

4 Peniskarzinom, 4 distales Urethrakarzinom.

Peniskarzinom und Urethrakarzinom.

kPrinzip

Entfernung des kompletten Penis inkl. der Urethra.

kPrinzip

Teilweises Absetzen des Penis sowie der Urethra. kLagerung kLagerung

Rückenlage. Wird mit monopolarem Strom gearbeitet, wird die Dispersionselektrode an einem Oberschenkel platziert.

Steinschnittlage. Wird mit monopolarem Strom gearbeitet, wird die Dispersionselektrode an einem Oberschenkel platziert. kInstrumentarium

kInstrumentarium

4 4 4 4

Grundinstrumentarium, Gummizügel, Dauerkatheter, Nahtmaterial (resorbierbar, geflochten, verschiedene Stärken: 3–0, 4–0), 4 evtl. Kondom.

4 Grundinstrumentarium, 4 Dauerkatheter, 4 Nahtmaterial (resorbierbar, geflochten, unterschiedliche Stärken), 4 evtl. Easy- flow Drainage, 4 evtl. Kondom, 4 bei Bedarf suprapubischer Katheter.

OP-Verlauf: Penisteilamputation

OP-Verlauf: Penisamputation

5 Hautdesinfektion und sterile Abdeckung des

5 Hautdesinfektion und sterile Abdeckung des

5 5

5 5 5

5

5 5

5 5

OP-Gebiets. Team-Time-out. Der tumortragende Penisanteil wird evtl. mit Hilfe eines Kondoms oder einer Kompresse mit TapeVerband abgeklebt, um eine Tumorzellstreuung durch Manipulation zu vermeiden. Herstellen einer Blutleere durch das Legen eines Gummizügels um die Peniswurzel. Zirkuläres Umschneiden der Penishaut ca. 2 cm proximal des Tumors. Durchtrennen der Schwellkörper. Die Urethra wird ebenfalls durchtrennt und dorsal inzidiert, die verbleibende Harnröhre sollte den Schwellkörper um ca. 1 cm überragen. Die Blutgefäße werden ligiert, der Schwellkörper umstochen und das entfernte Präparat üblicherweise zur Schnellschnittdiagnostik gegeben. Nach Aufhebung der Blutleere erfolgt eine sorgfältige Blutstillung. Nach der Zählkontrolle und deren Dokumentation wird die Haut des Penisschaftes distal über den Schwellkörpern vernäht und die längsinzidierte Harnröhre mit der Haut adaptiert. Einlage eines Dauerkatheters. Verband.

Durch die Operation ist der Penis verkürzt, Geschlechtsverkehr ist in aller Regel nicht mehr möglich.

OP-Gebiets.

5 Team-Time-out. 5 Der tumortragende Penisanteil wird evtl. mittels

5

5

5 5 5 5 5

5

eines Kondoms oder eines Kompressen-Tape-Verbandes abgeklebt, um eine Tumorzellstreuung durch Manipulation zu vermeiden. Zirkuläre Penisschaftinzision, Freipräparieren des Schaftes und Absetzen des Lig. suspensorium. Die Schwellkörper werden proximal voneinander getrennt, die beiden Schwellkörperschenkel werden im bulbären Harnröhrenbereich an ihren Crura mit kräftigen resorbierbaren Nähten abgesetzt. Das Präparat wird zur histologischen Schnellschnittuntersuchung gegeben. Sorgfältige Blutstillung. Mobilisation der Urethra. Perineal wird mit einem Stichskalpell eine Hautinzision gesetzt. Mit einer Overholt-Klemme wird die Haut von dieser Inzision bis zur bulbären Absetzungsstelle getunnelt und die Urethra nach perineal durchgezogen. Spatulieren der Harnröhre (Einschneiden in Längsrichtung zur Vergrößerung des Lumens) und Bildung eines perinealen Urostomas (»Boutonniere«). Evtl. Einlage einer Easy-flow-Drainage.

9

470

Kapitel 9 · Urologie

5 Zählen aller Textilien und Instrumente, Dokumentation des Zählstandes. 5 Einlage eines Dauerkatheters oder eines suprapubischen Katheters. 5 Schichtweiser Wundverschluss. 5 Verband.

OP-Verlauf: Korrektur der Penisdeviation

5 Zunächst wird ein suprapubischer Katheter gelegt,

5

5 Nach der Operation ist kein Geschlechtsverkehr mehr möglich, die Miktion kann nur noch im Sitzen erfolgen. Durch Narbenbildung kann es zur Einengung des Neomeatus urethrae kommen.

9.4.5

5 5 5

Penisdeviation

Definition Angeborene Krümmung des Penis außerhalb der physiologischen Norm (im Gegensatz zur erworbenen Verkrümmung, der Induratio penis plastica oder M. Peyronie).

9

5

5

Operation nach Nesbit kIndikationen

4 Schmerzen beim Geschlechtsverkehr, 4 Wunsch des Patienten.

5

kPrinzip

5

Ellipsenförmige Exzision der Tunica albuginea der Corpora cavernosa. kLagerung

5

Rückenlage. In der Regel erfolgt die Blutstillung mittels bipolarer Koagulation, bei monopolarer Koagulation Platzierung der neutralen Elektrode an einem Oberschenkel.

5

kInstrumentarium

5

4 4 4 4 4 4 4 4

Grundinstrumentarium, Allis-Klemmen, Gummizügel, Butterfly-Kanüle, Maßband, Perfusorspritze, heparinisierte physiologische Kochsalzlösung, Nahtmaterial (monofil, geflochten, resorbierbar und nicht resorbierbar, unterschiedliche Stärken), 4 suprapubischer Katheter. ! Fotodokumentation prä- und postoperativ!

5

5

5 5

da postoperativ ein komprimierender Penisverband gewickelt wird, der eine Miktion unmöglich macht. Hautdesinfektion und steriles Abdecken des OP-Gebiets. Team-Time-out. Schnittführung zunächst wie bei der Zirkumzision (7 Abschn. 9.4.1). Lösen der Hautweichteile zirkulär bis zur Peniswurzel. Sorgfältige Blutstillung mit bipolarer Koagulation. Herstellen einer artifiziellen Erektion mittels heparinisierter Kochsalzlösung, die über die ButterflyKanüle direkt in die Schwellkörper injiziert wird. Die Nadel muss optimal fixiert werden, da eine mehrfache Punktion zu unnötigen Blutungen aus der Tunica führen kann. Ventrale und dorsale Messung der Penislänge und Dokumentation der Maße. Die Resektionsgröße der Ellipsen richtet sich nach dem Grad der Abweichung. Fassen der Tunica albuginea mit einer Allis-Klemme auf der »konvexen« Seite (gegenüber) der Verkrümmung; dadurch kann die Begradigung gut abgeschätzt werden. Exzision der Tunica albuginea beidseits um die Allis-Klemme herum, der Schwellkörper ist damit eröffnet. Die Exzisionsstellen werden invertierend mit Einzelknopfnähten vernäht, dadurch kommt es zur Begradigung, aber auch zur Verkürzung des Penis. Um eine glatte Oberfläche zu erhalten, können die Einzelknopfnähte fortlaufend übernäht werden. Die Begradigung und der Verschluss der Leckage werden durch eine artifizielle Erektion überprüft und fotodokumentiert. Entfernen der Butterfly-Kanüle und des Gummizügels und nochmalige Blutstillung. Zählkontrolle der Textilien und der Instrumente sowie die Dokumentation der Vollzähligkeit. Schichtweiser Wundverschluss mit abschließend typischer »Zirkumzisionsnaht« (die Zirkumzision verhindert möglicherweise auftretende Lymphabflussprobleme). Fotodokumentation des OP-Ergebnisses. Anlage eines zirkulären Verbands, der an der Glans und der Peniswurzel angenäht wird.

471 9.4 · Äußeres Genitale

9.4.6

Vasektomie

kIndikationen

4 Sterilisation bei abgeschlossener Familienplanung, 4 Verhinderung einer Nebenhodenentzündung. Die Vasektomie wird im Regelfall in Lokalanästhesie durchgeführt. Weiterführende diagnostische Maßnahmen sind nicht nötig, lediglich eine klinische Untersuchung mit Nachweis der Samenleiter wird vorgenommen. Zur Sicherung der Histologie, z. B. bei evtl. Schadenersatzansprüchen bei einem »Misserfolg« der Operation, sollten die Samenleiterresektate nach Seitenlokalisation getrennt zur pathohistologischen Untersuchung gegeben werden.

5 Das Präparat wird zur pathohistologischen Untersuchung gegeben.

5 Bei einer Vasoteilresektion zur Verhinderung

5 5 5 5

einer Nebenhodenentzündung reicht die einfache Ligatur der Samenleiterenden, bei einer Sterilisation werden die Enden evtl. koaguliert, ligiert, umgeschlagen und erneut unterbunden. Zur Sicherheit kann Bindegewebe zwischen die beiden Enden eingenäht werden. Blutstillung, Zählkontrolle, Dokumentation. Naht der Subkutis, Hautnaht. Analoges Vorgehen auf der Gegenseite. Versorgen der Nähte mit Wundpflastern.

kPrinzip

Durchtrennung und Teilentfernung der Ductus deferentes. 9.4.7

Vaso-Vasostomie

kLagerung

Rückenlage oder Steinschnittlagerung. Bei benötigter Blutstillung wird die bipolare Koagulation zum Einsatz kommen. kInstrumentarium

4 Feines Grundinstrumentarium, 4 Lokalanästhetikum.

kIndikationen

4 Erneuter Kinderwunsch nach erfolgter Sterilisation. Die Vaso-Vasostomie wird in Vollnarkose in mikrochirurgischer Vorgehensweise unter dem Operationsmikroskop durchgeführt. Die Erfolgsrate ist hoch, nach 3–12 Monaten sind bei 80–90% der Männer wieder Spermien nachweisbar. In den ersten 5 Jahren nach Sterilisation sind die Erfolgsaussichten sehr gut, nach 10 Jahren noch gut.

OP-Verlauf: Vasektomie

5 Hautdesinfektion und sterile Abdeckung des 5 5 5 5 5 5 5 5

5

OP-Gebiets. Team-Time-out. Zugang hochskrotal, unmittelbar in der Nähe der Peniswurzel direkt über dem Samenleiter. Ertasten und Fixieren des Samenleiters mit zwei Fingern. Die Lokalanästhesie wird entlang des Ductus deferens appliziert, zusätzlich an der geplanten Inzisionsstelle. Fixieren des Ductus, z. B. mit Hilfe einer scharfen Backhaus-Klemme. Hautinzision längs über dem Ductus deferens. Fassen des Samenleiters und seiner Hülle mit einer chirurgischen Pinzette. Längsinzision über dem Samenleiter mit dem Skalpell. Nachfassen mit der Pinzette und Unterfahren des Stranges mit einem feinen Overholt- oder mit einem gebogenen anatomischen Klemmchen. Nach Freipräparieren des Samenleiters werden im Abstand von ca. 2–3 cm zwei Klemmchen gesetzt und der Ductus deferens dazwischen reseziert.

kPrinzip

Reanastomosieren der zuvor bei der Vasektomie (7 Abschn. 9.4.6) ligierten Samenleiter.

kLagerung

Rückenlage. In der Regel erfolgt die Blutstillung mittels bipolarer Koagulation, bei monopolarer Koagulation Platzierung der neutralen Elektrode an einem Oberschenkel. kInstrumentarium

4 Feines Grundinstrumentarium, 4 Operationsmikroskop, steriler Bezug für das Mikroskop, 4 Approximator (. Abb. 9.38), 4 mikrochirurgische Instrumente (Nadelhalter, Pinzetten – es gelten alle Regeln des Instrumentierens unter dem Mikroskop; 7 Kap. 10), 4 Spritzen, Venenverweilkanüle, 4 Nahtmaterial (geflochten, monofil, resorbierbar und nicht resorbierbar in verschiedenen Stärken).

9

472

Kapitel 9 · Urologie

Sollten im hodenseitigen Samenleiterstumpf keine Spermien nachgewiesen werden können, besteht die Möglichkeit einer direkten Adaptierung des proximalen Stumpfes mit dem Nebenhoden.

9.4.8

Hydrozele, Spermatozele

Definition

. Abb. 9.38 Spannnungsfreie Adaptation der beiden Enden der Samenleiter zur Reanastomose mittels eines Approximators. (Aus Nieschlag et al. 2009)

Eine Hydrozele (Wasserbruch) ist eine Füssigkeitsansammlung im Periorchium. Sie kann angeboren oder erworben sein. Beim Herabsteigen des Hodens in der Fetalzeit folgt der Hoden einer Ausstülpung des parietalen Peritoneums, dem Processus vaginalis peritonei. Diese physiologische Leistenhernie schließt sich zum Ende der Fetalzeit. Bei Ausbleiben dieser »Verklebung« können Hydrozelen (»offener Processus«) unterschiedlicher Ausprägung entstehen.

9 OP-Verlauf: Vaso-Vasostomie

5 Hautdesinfektion und sterile Abdeckung. 5 Steriles Abdecken des OP-Mikroskops und der 5 5 5

5

5

5 5

5 5 5 5

bereitgestellten Stühle für die Operateure. Team-Time-out. Kleiner Hautschnitt auf dem Skrotum und Hervorluxieren des Hodens aus dem Skrotum. Nach Freipräparieren des Samenleiters wird die Narbe der Vasektomie ausgeschnitten, sodass das Lumen der beiden Enden des Ductus sichtbar wird. Durch Massieren des Nebenhodens wird aus dem distalen Anteil Sekret exprimiert und mit Hilfe einer Spritze (mit ca. 0,2 ml steriler NaCl-Lösung) aspiriert. Anschließend Mikroskopie zum Nachweis von Spermien. Dies dient dem Nachweis der Durchlässigkeit des distalen Samenleiters. Indirekt kann eine orientierende Aussage zur Erfolgsaussicht getroffen werden. Das Lumen des proximalen Samenleiters kann mit einem monofilen Faden sondiert und auf Durchgängigkeit überprüft werden. Nach positivem Spermiennachweis wird der Samenleiter unter dem Mikroskop in zweischichtiger Nahttechnik mit einem nicht resorbierbaren, monofilen Faden (6–0 bis 10–0 doppelt armiert) reanastomosiert. Zählkontrolle, Dokumentation des Zählstandes. Sorgfältige Blutstillung, subkutane Naht, Hautnaht. Analoges Vorgehen auf der Gegenseite. Versorgen der Nähte mit Wundpflaster.

Erworbene Hydrozelen sind meist reaktiver Genese, z. B. nach Entzündungen, Tumoren und Traumata. Definition Spermatozelen sind zystische Erweiterungen, die von den Samenwegen ausgehen (zumeist am Nebenhodenkopf ) und mit ihnen in Verbindung stehen. Sie gehen häufig ohne Schmerzen einher und werden nur durch Zufall entdeckt.

Operatives Vorgehen nur bei Beschwerden oder schwieriger Abgrenzung zu Tumoren, da es bei ca. der Hälfte der operierten Patienten zu einer Verschlechterung der Ejakulatqualität kommt, was mit einem eventuellen Kinderwunsch kollidiert. Die Patienten sollten dann auf eine mögliche Spermienasservierung hingewiesen werden. jDiagnostik

4 Klinische Untersuchung (Inspektion, Palpation), 4 Sonographie. kIndikationen

4 Angeborene Hydrozelen wegen der Gefahr der Darmeinklemmung, 4 sehr große Befunde, die Beschwerden bereiten. kPrinzip

Freilegen des Hodens, Eröffnung und Resektion der Hydrozelenwand zur Verhinderung einer erneuten Flüssigkeitsansammlung. Die Hodenfreilegung kann je nach Indikation mittels skrotalem oder inguinalem Zugang erfolgen.

473 9.4 · Äußeres Genitale

Bei der Operation werden die Hodenhüllen eröffnet und nur umgeschlagen und wieder vernäht (OP nach Winkelmann), abgetragen (OP nach van Bergmann) oder über den skrotalen Zugang mit der Tunica albuginea des Hodens verbunden (OP nach Salomon/Lord). kInstrumentarium

4 Grundinstrumente, 4 Zügel zum Anschlingen des Samenstrangs, 4 bei Bedarf tiefe Haken.

OP nach Winkelmann

5 Das Vorgehen ist identisch bis zur Eröffnung der Hydrozelenwand, diese wird belassen, umgeschlagen und hinter den Nebenhoden gelegt, sodass die Innenfläche der Hydrozelenwand nach außen zu liegen kommt. 5 Adaptation der Wandränder hinter dem Hoden durch eine fortlaufende Naht. 5 Weiteres Vorgehen wie oben.

kLagerung

Rückenlage. In der Regel erfolgt die Blutstillung mittels bipolarer Koagulation, bei monopolarer Koagulation Platzierung der neutralen Elektrode an einem Oberschenkel. OP-Verlauf: Vorgehen zur Behebung einer Hydrozele, Spermatozele

5 Hautdesinfektion und steriles Abdecken des 5 5 5 5 5 5 5 5 5

OP-Gebiets. Team-Time-out. Hautschnitt inguinal. Aufsuchen und Anschlingen des Samenstrangs. Vorsichtiges Hervorluxieren des Hodens mit der Hydrozele aus dem Skrotalfach. Durchtrennung des Gubernaculum testis. Feuchte Umlegung für den Hoden bereithalten. Evtl. Punktion der Hydrozele. Eröffnen der Hydrozelenwand, Exploration und Inspektion des Hodens. Anklemmen der Hydrozelenwand mit Klemmchen.

OP-Verlauf: OP nach Salomon/Lord

5 Hautdesinfektion und steriles Abdecken des OP-Gebiets.

5 Team-Time-out. 5 Über einen kleinen skrotalen Zugang wird die Hydrozelenwand auf ca. 5–7 cm in Höhe des Hodens eröffnet. 5 Fixieren der eröffneten Hydrozelenwand am sichtbaren Rand der Tunica albuginea des Hodens. 5 Sorgfältige Blutstillung. 5 Zählkontrolle der Textilien und Instrumente sowie Dokumentation der Vollzähligkeit. 5 Schichtweiser Wundverschluss. 5 Wundpflaster bzw. Kompressenverband mit Netzhose.

9.4.9

Varikozele

Definition OP-Verlauf: OP nach van Bergmann 5 Resektion der Hydrozelenwand bis auf einen Saum von ca. 0,5–1 cm. 5 Sorgfältige Blutstillung. 5 Umsäumen der Resektionsränder mit einer fortlaufenden Naht. 5 Evtl. Einlegen einer Drainage, da gerade bei chronischen Hydrozelen eine erhebliche postoperative Sekretion der verbliebenen Hodenhüllen zu erwarten ist. 5 Der Hoden wird wieder in das Skrotalfach zurückgelegt. 5 Erneute Kontrolle auf Bluttrockenheit. 5 Zählkontrolle aller OP-Textilien und Instrumente sowie Dokumentation des Zählstandes. 5 Schichtweiser Wundverschluss. 5 Wundpflaster.

Eine Krampfaderbildung im Bereich des aus den Hodenvenen gebildeten Plexus pampiniformis, einem Venengeflecht im Samenstrang.

Sie tritt häufig bei jungen Männern auf und wird unterschieden in: 4 Symptomatische Varikozele, hier liegt eine Abflussbehinderung im retroperitonealen Abstromgebiet der V. spermatica, z. B. durch einen Tumor, vor. 4 Idiopatische Varikozele, die durch einen venösen Reflux der V. spermatica in den Plexus pampiniformis entsteht. Sie ist in bis zu 90% aller Fälle linksseitig zu finden, es wird angenommen, dass dies an der ungünstigen Einstrombahn der linken V. testicularis in die linke V. renalis liegt. Auf der rechten Seite mündet die Hodenvene auf direktem Weg in die V. cava inferior.

9

474

Kapitel 9 · Urologie

kIndikationen

4 Durch den Rückstau des Blutes kommt es zu einer Überwärmung des Hodens, was zu einer Verminderung der Samenqualität führen kann. 4 Schmerzen. 4 Hodenhypotrophie.

OP-Verlauf: Hohe Ligatur nach Bernardi

jTherapie

5 Abdrängen des M. rectus abdominis nach medial. 5 Das Peritoneum wird nicht eröffnet, sondern mit tiefen Haken nach medial gezogen. 5 Freilegen der Vv. spermaticae, die am Peritonealsack haften (meistens verlaufen dort mehrere Venen). 5 Lymphgefäße sowie die Arterie sollen nach Möglichkeit erhalten bleiben, sonst kann sich eine Hydrozele entwickeln 5 Die Venen werden möglichst hoch mit einem Overholt-Klemmchen angeklemmt, durchtrennt und doppelt ligiert. 5 Sorgfältige Blutstillung. 5 Zählkontrolle der Textilien und Instrumente sowie Dokumentation des Zählstandes. 5 Evtl. Einlage einer Drainage. 5 Schichtweiser Wundverschluss und Wundpflaster.

5 Hautdesinfektion und steriles Abdecken des OP-Gebiets.

5 Team-Time-out. 5 Hautschnitt. 5 Längsdurchtrennung der vorderen Rektusscheide.

Es gibt unterschiedliche Therapieverfahren: 4 retrograde Sklerosierung (angiographisch), 4 skrotale antegrade Sklerosierung (nach Tauber), 4 hohe retroperitoneale Ligatur (nach Bernardi), 4 inguinale Ligatur (nach Ivanissevich), 4 laparoskopische Venenresektion, 4 mikrochirurgische Venenresektion.

9

Beschrieben werden hier die hohe Ligatur nach Bernardi sowie die antegrade Sklerosierung nach Tauber, die meist ambulant durchgeführt wird. Auch auf die laparoskopische Therapie wird eingegangen. jDiagnostik

4 4 4 4 4

Untersuchung des Patienten im Liegen und im Stehen, Sonographie des Hodens und des Samenstrangs, sonographische Darstellung des Retroperitonealraums, Spermiogramm, Dopplersonographie zur Darstellung des venösen Refluxes.

Antegrade Sklerosierung nach Tauber Die Operation wird üblicherweise in Lokalanästhesie durchgeführt.

Hohe Ligatur nach Bernardi

kPrinzip

kPrinzip

Das Sklerosierungsmittel führt zu einer Entzündungsreaktion des Gefäßendothels und damit zum Verschluss der Vene.

Unterbindung/Okklusion der V. testicularis. kInstrumentarium

4 Grundinstrumentarium, 4 bei Bedarf längere Instrumente sowie tiefere Haken, 4 Nahtmaterial (geflochten, monofil, resorbierbar und nicht resorbierbar). kLagerung

4 Rückenlage, evtl. Anti-Trendelenburg-Lagerung (auf korrekte Fixation des Patienten achten!). 4 Anheben der zu operierenden Seite durch Unterlegen eines Polsters. kZugang

kInstrumentarium

4 4 4 4 4 4

Feines Grundinstrumentarium, feine Knopfkanülen, Kontrastmittel, diverse Spritzen, Gummizügel, Äthoxysklerol, physiologische Kochsalzlösung, Lokalanästhetikum.

kLagerung

4 Rückenlage auf einem Durchleuchtungstisch, 4 Bereitstellung des Bildwandlers unter Beachtung des Strahlenschutzes.

Pararektal oder Wechselschnitt suprainguinal. kZugang

Hohe skrotale Inzision.

475 9.4 · Äußeres Genitale

OP-Verlauf: Antegrade Sklerosierung nach Tauber

5 Hautdesinfektion und steriles Abdecken des OP-Gebiets.

5 Team-Time-out. 5 Lokalanästhesie. 5 Skrotale Inzision von ca. 3 cm Länge auf dem Samenstrang. 5 Freilegen des Samenstrangs und Anschlingen mit dem Gummizügel. 5 Eröffnen der Tunica vaginalis und Präparieren des meist nach dorsal gelegenen Venengeflechtes. 5 Die Venen füllen sich, wenn der Patient presst. 5 Eine geeignete Vene wird mit einem feinen Overholt-Klemmchen unterminiert und distal ligiert. 5 Nach proximal wird eine Ligatur vorgelegt, aber nicht zugezogen. 5 Zwischen den Fäden wird das Gefäß inzidiert und eine Knopfkanüle unter Einspritzung physiologischer Kochsalzlösung eingeführt (. Abb. 9.39). 5 Unter Durchleuchtung wird nun Kontrastmittel injiziert, um den Verlauf der Testikularvene darzustellen. 5 Bei typischem Verlauf wird nun unter Bauchpresse das Äthoxysklerol in Air-bloc-Technik injiziert (Luft – Verödungsmittel – Luft). 5 Entfernen der Knopfkanüle und Ligatur nach proximal. 5 Durch Valsalva-Manöver (Pressen) des Patienten kann die Ligatur einfach kontrolliert werden. 5 Sorgfältige Blutstillung. 5 Zählkontrolle und Dokumentation des Zählstandes. 5 Schichtweiser Wundverschluss. 5 Wundpflaster. 5 Anlegen eines Suspensoriums.

Laparoskopischer Varikozelenverschluss Als Alternative zur Sklerosierung und der offenen Ligatur der Vv. spermaticae internae kann die betroffene Vene auch endoskopisch verschlossen und durchtrennt werden. kLagerung

a

b

. Abb. 9.39a, b OP-Technik nach Tauber: 11-jähriger Junge mit Varikozele. a Nach Skrotalschnitt links Anzügeln des Samenstrangs (roter Gummizügel), Isolierung einer varikös dilatierten Vene des Plexus pampiniformis. Die Vene ist zwischen den Overholt-Branchen gut erkennbar; distale Venenligatur vorgelegt. b Nach distaler Venenligatur Vorlage einer proximalen Venenligatur (noch nicht geknoteter Faden). Punktion der dilatierten Vene mittels Braunüle. (Aus Steffens et al. 2008)

5 Einbringen von 3 Trokaren: – ein 10-mm-Trokar, umbilikal, für die Optik, – ein 10-mm- oder 12-mm-Trokar sowie – je ein 5-mm-Trokar,

5

Rückenlage. 5 5 OP-Verlauf: Laparoskopischer Varikozelenverschluss

5 Nach der Hautdesinfektion und der sterilen Ab-

5 5

deckung erfolgt der Team-Time-out-Check.

5 Anlegen eines Pneumoperitoneums über eine Veress-Nadel.

5

im rechten und linken Unterbauch für Instrumente, die Clipzange und den Sauger. Eröffnung des Peritoneums (1–2 cm) proximal des Leistenringes über der betroffenen V. spermatica. Mobilisierung der Vene. Verschluss der Vene mittels Titanclips und anschließende Durchtrennung. Blutstillung. Ablassen des Gases und Entfernen der Trokare unter Sicht. Wundverschluss und Anlage eines sterilen Verbandes.

9

9

476

Kapitel 9 · Urologie

9.4.10

Orchiektomie, Ablatio testis

Die Entfernung eines Hodens (Semikastration) ist obligat bei Hodentumoren. Die beidseitige Hodenentfernung (Kastration) zum Entzug der Androgene beim fortgeschrittenen Prostatakarzinom wird nur noch sehr selten vorgenommen, da inzwischen eine medikamentöse Therapie möglich ist. Hodentumoren gehen zu über 90% von den Keimzellen aus und werden in Seminome und Nichtseminome eingeteilt. Beim größten Teil der restlichen 10%, die sich aus Binde- und Stützgewebe bilden, handelt es sich um Tumoren der Leydig-Zellen, die sonst für die Androgenproduktion zuständig sind. Betroffen sind meist Männer im Alter zwischen 20 und 40 Jahren. Als Risikogruppen gelten Patienten mit kleinem bzw. primär nicht deszendiertem Hoden sowie Patienten mit positiver Familienanamnese. Als Erstsymptom wird meist eine schmerzlose Vergrößerung einhergehend mit einem Schweregefühl beschrieben, tastbare Induration im Hoden oder an der Oberfläche, aber auch selten eine Gynäkomastie. Extratestikuläre Symptomatik, wie z. B. Rückenschmerzen, tritt bei Metastasenbildung auf. Tumormarker im Blut können erhöht sein. Die Heilungschance bei lokal begrenzten Tumoren liegt bei über 90%, wobei Seminome durch ihre geringere Metastasierungsneigung eine höhere Heilungstendenz haben als Nichtseminome. Das Wachstum der Hodentumoren wird zunächst durch die Bindegewebehülle des Hodens (Tunica albuginea) begrenzt. Die Metastasierung erfolgt entlang der Hodenlymphgefäße zu den retroperitonealen Lymphknoten. Eine kontralaterale Biopsie wird empfohlen, um die sog. TIN-Zellen (testikuläre intraepitheliale Neoplasie), die später obligat zu einem kontralateralen Tumor führen würden, frühzeitig entdecken zu können. Evtl. wird intraoperativ eine Schnellschnittuntersuchung des gewonnenen Gewebes vorgenommen.

Blutgefäße kontrolliert werden. Der Samenstrang sollte in Höhe des inneren Leistenringes abgesetzt werden. Die skrotale Verletzung und somit eine ungewollte Tumorzellverschleppung wird vermieden. Die Enukleationsresektion wird z. B. bei testikulären Keimzelltumoren in einem Einzelhoden oder bei suspekten Befunden in beiden Hoden durchgeführt. Diese Operationsmethode erfordert eine Hodenfreilegung über einen inguinalen Zugang, wobei der Tumor unter sonographischer Kontrolle aus dem Hoden entfernt wird. Die Entscheidung über das weitere Vorgehen ist abhängig vom Ergebnis der Schnellschnittuntersuchung. kIndikationen

Siehe oben. jDiagnostik

4 4 4 4

Klinische Untersuchung, Sonographie beider Hoden, Spermiogramm, spezielle Labordiagnostik (Routinelaborwerte, Hodentumormarker, Testosteron).

kPrinzipien

4 Organerhaltende Entfernung des Tumors. 4 Entfernung von Hoden, Nebenhoden einschließlich Samenstrang (bei der radikalen Ablatio testis). kLagerung

Rückenlage. In der Regel erfolgt die Blutstillung mittels bipolarer Koagulation, bei monopolarer Koagulation Platzierung der neutralen Elektrode an einem Oberschenkel. kInstrumentarium

4 Grundinstrumente, 4 feines Instrumentarium (Scheren, Pinzetten), 4 Gummizügel (bei inguinalem Zugang).

kZugangswege

Skrotaler oder, bei Tumorverdacht, inguinaler Zugang. Beschrieben wird die einfache Orchiektomie über einen skrotalen Zugang bei irreversiblen, benignen Erkrankungen des Hodens (z. B. alte Torsion mit Untergang des Hodengewebes) sowie die subkapsuläre Orchiektomie nach Riba, ebenfalls über den skrotalen Zugangsweg. Sie gilt als Alternative zur medikamentösen Therapie bei fortgeschrittenem Prostatakarzinom. Durch Belassen des Nebenhodens, des Samenstrangs sowie der Tunica albuginea bleibt kein »leeres Skrotum« zurück. Die radikale inguinale Ablatio testis wird angewandt bei allen malignen Hodentumoren. Durch den inguinalen Zugang können frühzeitig die testikulären Lymph- und

OP-Verlauf: Einfache Orchiektomie

5 Hautdesinfektion und steriles Abdecken des OP-Gebiets.

5 Team-Time-out. 5 Skrotale Inzision. 5 Freipräparieren und Durchtrennen aller Hüllen des Samenstrangs bis auf die Tunica vaginalis.

5 Nach Durchtrennen der Tunica vaginalis können Hoden und Samenstrang hervorluxiert werden. 5 Das Vas deferens wird von den umliegenden Strukturen separiert, zwischen 2 Klemmchen durchtrennt und ligiert.

477 9.4 · Äußeres Genitale

5 Nun wird der testikuläre Gefäßstiel zwischen 5 5 5 5 5 5 5

2 Overholt-Klemmen durchtrennt und ebenfalls ligiert oder umstochen. Der Hoden kann nun entfernt werden. Vorbereiten des Präparates zur histologischen Untersuchung. Blutstillung, Wundinspektion. Zählkontrolle aller OP-Textilien und Instrumente, Dokumentation des Zählstandes. Evtl. Einlage einer Drainage (Easy-flow-Drainage). Schichtweiser Wundverschluss. Wundpflaster.

5 Okklusion des Zügels zur Vermeidung einer 5 5 5 5

5 5

OP-Verlauf: Subkapsuläre Orchiektomie nach Riba

5 Hautdesinfektion und steriles Abdecken des OP-Gebiets.

5 Team-Time-out. 5 Mediane, skrotale Inzision im Bereich der Raphe 5

5 5 5 5 5 5 5 5

und Eingehen in das Skrotalfach. Aufsuchen der Tunica albuginea, Längsinzision und Anklemmen der Ränder der Tunica mit 2 chirurgischen Klemmchen. Stumpfes Abschieben des Hodenparenchyms von der Innenseite der Tunica albuginea. Abtragen des am Rete testis noch fixierten Parenchyms mit monopolarer oder bipolarer Elektrokoagulation. Zählkontrolle und Dokumentation des Zählstandes. Blutstillung, Wundinspektion. Verschluss der Tunica albuginea und der anderen subkutanen Hautschichten. Wundpflaster. Vorbereiten und Einschicken des Präparates zur histologischen Untersuchung. Analoges Vorgehen auf der anderen Seite.

OP-Verlauf: Radikale, inguinale Ablatio testis

5 Hautdesinfektion und steriles Abdecken des OP-Gebiets.

5 Team-Time-out. 5 Hautinzision 2 cm oberhalb und parallel zum Leistenband (analog einer Leistenhernie). 5 Durchtrennen der Subkutis bis auf die Externusfaszie. 5 Inzision der Faszie im Faserverlauf. 5 Identifikation und Anschlingen des Samenstranges mit Hilfe eines Zügels.

5 5 5 5 5 5 5

Tumorzellverschleppung und zur Verminderung der Durchblutung. Mobilisation des Hodens aus dem Skrotum und Ligatur/Koagulation des Gubernaculum testis. Feuchte Umlegung. Eröffnen der Tunica albuginea. Aufschneiden und Inspektion des Hodens und des Tumors, bei Bedarf Entnahme von Gewebe für die Schnellschnittuntersuchung, sonst Fortführen der Ablatio testis. Weitere Eröffnung des Leistenkanals unter Abschieben des Peritoneums. Stumpfe zirkuläre Präparation des Samenstranges bis zum inneren Leistenring und der peritonealen Umschlagfalte. Samenleiter und Gefäße werden nach kranial bis zu ihrer Aufteilung verfolgt. Getrennte Ligatur und/oder Durchstechung von Arterie, Vene und Samenleiter. Blutstillung, evtl. Einlage einer Drainage. Austupfen des Skrotalfachs, auf Patientenwunsch Einlage einer Hodenprothese. Zählkontrolle aller OP-Textilien und Instrumente und Dokumentation des Zählstandes. Schichtweiser Wundverschluss. Wundpflaster.

OP-Verlauf: Kontralaterale Hodenbiopsie Dieser Eingriff wird üblicherweise als sog. Doppelbiopsie durchgeführt, um die Detektionsrate der TIN zu erhöhen. 5 Handschuh- und Instrumentenwechsel. 5 Den Hoden mit gespannter Haut im Skrotalfach fixieren. 5 Kleine Inzision durch alle Hodenhüllen bis zur Tunica albuginea. 5 Die Tunica albuginea wird am Oberpol ca. 5 mm inzidiert, das hervorquellende Hodengewebe abgetragen und zur histologischen Untersuchung gegeben. 5 Naht der Tunica albuginea. 5 Anschließend gleiches Vorgehen am Unterpol. 5 Blutstillung. 5 Schichtweiser Wundverschluss. 5 Wundpflaster.

9

478

Kapitel 9 · Urologie

9.4.11

Radikale Lymphadenektomie (RLA)

Hodentumoren metastasieren als erstes in die Lymphknoten retroperitoneal beidseits und unterhalb des Nierenhilus. Die Behandlung der Hodentumoren wird risikoadaptiert durchgeführt, d. h. je nach Ausbreitung des Tumors und des histologischen Typs erfolgt ein differenzierter Einsatz von Chemotherapie und/oder RLA. Zur Reduktion der Häufigkeit der retrograden Ejakulation ist heute die nervenerhaltende modifizierte RLA (d. h. die Ausräumung der Lymphknoten nur der ipsilateralen Seite unter Einhaltung festgelegter Dissektionsgrenzen) das Operationsverfahren der Wahl. Die sympathischen Nervenfasern werden dabei identifiziert und geschont. Bei positivem intraoperativem Schnellschnittergebnis wird die RLA auf die kontralaterale Seite erweitert. jDissektionsgrenzen

9

Die Dissektionsgrenzen bei linksseitigem Hodentumor: 4 linke Grenze: Ureter, 4 nach kranial die Nierengefäße, 4 rechte Grenze – präaortal bis zum Abgang der A. mesenterica inferior, darunter bis zur Bifurkation (kaudale Grenze) nur links lateral der Aorta. 4 Interaortokavale Lymphknoten müssen nicht entfernt werden. Die Dissektionsgrenzen bei rechtsseitigem Hodentumor: 4 rechte Grenze: Ureter, 4 nach kranial die Nierengefäße, 4 linke Grenze: präaortal bis zum Abgang der A. mesenterica inferior, 4 interaortokaval bis zu den Vasa iliacae.

a

Alle interaortokavalen Lymphknoten müssen entfernt werden. Die Ausräumungsfelder zeigt . Abb. 9.40. kIndikationen

4 Minderung des Risikos der Metastasenbildung, 4 Entfernung bereits bestehender Metastasen, 4 Resttumorbergung nach Chemotherapie. jDiagnostik

4 Spezielle Labordiagnostik, 4 CT Thorax, 4 CT Abdomen/Becken. kPrinzip

Entfernung der retroperitonealen Lymphknoten unter Einhaltung der vorgegebenen Dissektionsgrenzen. kLagerung

4 Rückenlage. 4 Evtl. wird der OP-Tisch etwas aufgeklappt, damit der Patient überstreckt liegt. kInstrumentarium

4 4 4 4

Grundinstrumentarium, langes Grundinstrumentarium, Gefäßklemmen, spezielles Rahmenrückhaltesystem, z. B. BookwalterRahmen (Fa. Ethicon, Abt. Codman; 7 Abb. 4.20, 7 Abb. 4.21), 4 evtl. Clipzangen, 4 Zügel, 4 evtl. Hämostyptika.

b

. Abb. 9.40a, b Ausräumungsfelder bei der einseitigen retroperitonealen Lymphadenektomie (RLA) im Stadium I des nichtseminomatösen Hodentumors. (Aus Hautmann u. Huland 2001/2006)

479 9.5 · Prostata

! Bei bereits bestehenden, z. T. sehr großen Metastasen, die auch mit den Gefäßen verwachsen sein können, kann es zu sehr starken Blutungen kommen.

OP-Verlauf: Radikale Lymphadenektomie (RLA)

5 Hautdesinfektion und steriles Abdecken des OP-Gebiets.

5 Team-Time-out. 5 Längs verlaufende mediane Oberbauchlaparotomie mit Linksumschneidung des Nabels vom Xiphoid bis 5 cm unterhalb des Nabels (7 Abschn. 2.1, Zugangswege). 5 Durchtrennen des subkutanen Gewebes bis auf die Rektusscheide. 5 Einschneiden des hinteren Blattes und Eröffnen des Peritoneums. 5 Einsetzen des Rahmenhaltesystems. Dabei werden die Darmschlingen mit feuchten Bauchtüchern geschützt und zur Seite abgestopft (eine Auslagerung des Darms macht postoperativ mehr Ileusprobleme). 5 Ständige Kontrolle des Darms auf Ischämiezeichen! 5 Eröffnen des Retroperitoneums. 5 Identifikation und Präparieren der jeweiligen Dissektionsgrenzen mittels Overholt- oder Scherenpräparation. 5 Ausräumen der entsprechenden Lymphknoten, die zur Schnellschnittuntersuchung gegeben werden, um das Dissektionsfeld letztlich festzulegen. 5 Nach Beendigung der Lymphknotendissektion ist die Sicht auf die präparierten großen Gefäße – V. cava und Aorta abdominalis- (ggf. einschließlich der Gefäßkreuzung) frei. 5 Blutstillung, evtl. Einlage eines Hämostyptikums in das Dissektionsgebiet. 5 Einlage einer oder mehrerer Robinson-Drainagen, die zur Flanke ausgeleitet werden. 5 Zählkontrolle aller OP-Textilien, Instrumente und Materialien und Dokumentation des Zählstandes. 5 Naht des Retroperitoneums. 5 Schichtweiser Wundverschluss. 5 Wundpflaster.

9.5

Prostata

Bei steigendem Lebensalter, ab ca. 45 Jahren, kommt es durch die Verschiebung im androgenen Hormonhaushalt zu einer Wucherung der periurethralen Drüsen, einhergehend mit einer gutartigen Vergrößerung der epithelialen und fibromatösen Anteile der Transitionalzone der Pros-

a

b . Abb. 9.41a, b Zonale Anatomie der Prostata nach McNeal (a sagittale, b transversale Darstellung). (Aus Hofmann 2009)

tata: zur BPH (benigne Prostatahyperplasie oder Prostataadenom) (. Abb. 9.41). Die Einengung der prostatischen Harnröhre und des Blasenauslasses führt zu einer erschwerten Blasenentleerung mit irritativen und/oder obstruktiven Miktionsbeschwerden, dem BPS (benignes Prostatasyndrom). Streng genommen beschreibt die BPH nur das histologische Bild dieser Prostatavergrößerung. Das Standard-OPVerfahren, die TUR-P (transurethrale Resektion der Prostata) ist in 7 Abschn. 9.3.2 beschrieben. Die durch das BPS bedingten Folgen können lange asymptomatisch verlaufen, aber schwere Schäden am Harntrakt verursachen wie: 4 Hämaturie, 4 HWI (Harnwegsinfekte), 4 Blasensteine, 4 Blasenatonie, 4 Harnrückstauung mit Hydronephrose, 4 Niereninsuffizienz.

9

480

Kapitel 9 · Urologie

Das Ausmaß der Beschwerden steht nicht immer im Zusammenhang mit der Prostatagröße und dem Grad der Obstruktion. Es wird zwischen obstruktiven und irritativen Symptomen unterschieden. Als obstruktive Beschwerden seien genannt: 4 Harnstrahlabschwächung, 4 Startverzögerung der Miktion, 4 Nachträufeln, 4 Restharngefühl, 4 Harnverhalt, 4 Überlaufinkontinenz, 4 Flankenschmerzen bei Hydronephrose. Als irritative Symptome gelten: 4 ständiger Harndrang, 4 Pollakisurie, 4 Nykturie, 4 schmerzhafte Miktion, 4 Dranginkontinenz.

9

Weitere Faktoren, die das gutartige Wachstum der Prostata beeinflussen, sind neben der Verschiebung des AndrogenÖstrogen-Haushaltes Übergewicht, Diabetes mellitus, Leberzirrhose, Hypertonie und die genetische Prädisposition. Bei Adenomen mit Volumina von mehr als 80 ml gelten die retropubische extravesikale (nach Millin) sowie die suprapubische transvesikale Prostatektomie (nach Freyer; s. unten) als Therapien der Wahl. Beide OP-Verfahren haben als Gemeinsamkeit das manuelle Ausschälen der Adenome aus ihrer chirurgischen Kapsel sowie die zwangsläufige Entfernung der prostatischen Harnröhre im Hyperplasiebereich. Die Schleimhaut bildet sich dort neu. Zur Vermeidung aufsteigender Infektionen kann eine beidseitige Vasoteilresektion durchgeführt werden. Alternative Therapien wie z. B. Laserablationen, TUMT (transurethrale Mikrowellenthermie), TUNA (transurethrale Nadelablation) müssen hinsichtlich ihrer Ergebnisse mit der TUR-P oder den offenen Adenomektomien verglichen werden. Sie gelten teilweise als schonendere Verfahren und sind daher eher bei multimorbiden Patienten in Erwägung zu ziehen. Die Auswahl des geeigneten Operationsverfahrens hängt von der Prostatagröße und dem Allgemeinzustand des Patienten ab.

9.5.1

Prostatektomie nach Millin

kIndikation

Adenome >60–80 g. jDiagnostik

4 4 4 4

Übliche Labordiagnostik, Urinstatus, Sedimentkultur, digitale rektale Untersuchung, Sonographie.

kLagerung

Rückenlage, evtl. etwas überstreckt in der Lendenwirbelsäule. Neutralelektrode am Oberschenkel. kInstrumentarium

4 4 4 4 4 4 4 4 4 4 4 4 4 4

Grundinstrumentarium, evtl. längeres Instrumentarium, Balfour-Sperrer, evtl. Lungenspatel nach Allis, evtl. Kaderspatel, langes Diathermiemesser oder Stichel, Blasenspritze, evtl. suprapubische Harnableitung, Nélaton-Katheter (intraoperativ), Dauerspül-/ Kompressionskatheter (postoperativ), Ablaufbeutel, evtl. Überleitungssystem zur postoperativen Spülung, Blockungsflüssigkeit, Robinson-Drainage, Nahtmaterial (monofil, geflochten, resorbierbar und nicht resorbierbar, verschiedene Größen und Stärken), bei Bedarf Clipzange.

kAbdeckung

Gemäß Abteilungsstandard, das Genital muss jederzeit durch einen »Lendenschurz« erreichbar sein.

OP-Verlauf: Retropubische extravesikale Prostatektomie nach Millin

5 Hautdesinfektion einschließlich des Genitalbereichs und sterile Abdeckung des OP-Gebiets.

5 Team-Time-out. 5 Legen des Nélaton-Katheters unter sterilen Kautelen.

5 Handschuhwechsel, dann den »Lendenschurz« ankleben zur ständigen Erreichbarkeit des Penis.

5 Pfannenstiel-Schnitt oder medianer extraperitonealer Unterbauchschnitt.

481 9.5 · Prostata

5 Nach dem Hautschnitt Eröffnen des extraperitonea5 5

5 5 5 5 5 5 5 5

5 5 5 5

5 5 5 5

5

len Raumes zwischen Harnblase und Bauchwand sowie des Spatium retropubicum (Cavum Retzii). Einsetzen des Balfour-Sperrers, der auch die Blase mit zurückhält. Es wird die Vorderseite der Prostatakapsel dargestellt (ähnlich wie bei der radikalen retropubischen Prostatektomie). Die in ihr verlaufenden Gefäße werden in 2 querverlaufenden Reihen 1–2 cm unterhalb des Blasenauslasses mit monofilen Fäden der Stärke 1 umstochen. Mit dem langen Diathermiemesser/Stichel wird die Prostatakapsel zwischen den vorgelegten Nahtreihen eröffnet (. Abb. 9.42). Das Drüsengewebe wird nun teils stumpf, teils scharf mit Overholt-Klemme, der stark gebogenen Schere und dem Finger aus der Kapsel gelöst. Vorsicht: Bei Durchstoßen der Prostatakapsel kommt es zur Verletzung des Rektums! Absetzen der Schleimhaut am Blasenausgang/ Prostatakapsel und Durchtrennen der Harnröhre oberhalb des Schließmuskels. Entfernen des Drüsengewebes. Während der Enukleation kommt es meist zu einer starken Blutung, die aber häufig nachlässt, sobald das Adenom entfernt ist! Das Präparat wird makroskopisch auf Vollständigkeit geprüft, danach wird es gewogen und zur histologischen Untersuchung gegeben. »Retrigonisationsnaht«: Durch Hereinziehen der Urothelkante in die Prostataloge und Vernähen mit monofilen resorbierbaren Fäden (4–0) kommt es zur ersten Blutstillung. Weitere Blutstillung mittels Koagulation und Umstechung der Gefäße am Blasenhals mit Raffen der Prostatakapsel, Blutstillung in der Prostataloge. Legen des Dauerspülkatheters in die Loge oder in die Blase. Bei Bedarf Einlage einer suprapubischen Harnableitung. Verschluss der Prostatakapsel zunächst mit Ecknähten, dann fortlaufende Naht/Einzelknopfnähte mit resorbierbaren monofilen Fäden der Stärke 0. Einlage einer Robinson-Drainage. Kontrolle aller Instrumente und Textilien auf ihre Vollzähligkeit, Dokumentation des Zählstandes. Schichtweiser Wundverschluss, Wundpflaster. Der Dauerspülkatheter kann mit bis zu 60 ml Glycerollösung geblockt werden. Evtl. Anschluss an die NaCl-Spüllösung und das Ablaufsystem.

. Abb. 9.42 Prostatektomie nach Millin. (Aus Höfner et al. 2000)

. Abb. 9.43 Prostatektomie nach Freyer, postoperativer Situs. (Aus Höfner et al. 2000)

9.5.2

Prostatektomie nach Freyer

kIndikationen

4 Adenome >60–80 g, 4 gleichzeitiges Vorhandensein von Blasensteinen. jDiagnose

Siehe OP nach Millin (7 Abschn. 9.5.1). kPrinzip

Der Zugang erfolgt ebenfalls über einen PfannenstielSchnitt, hierbei wird jedoch die Blase eröffnet; die Prostataadenome werden über die eröffnete Blase entfernt. Diese Methode hat den Vorteil, dass z. B. vorhandene Blasensteine gleichzeitig mit entfernt werden können und die Prostatakapsel bestehen bleibt (. Abb. 9.43).

9

9

482

Kapitel 9 · Urologie

9.5.3

Radikale Prostatektomie

Das Prostatakarzinom ist der häufigste maligne Tumor des Mannes. Es tritt vorwiegend bei Männern über 50 Jahren auf. Im Gegensatz zur BPH entwickelt sich das Prostatakarzinom meist in der peripheren Zone der Drüse. Durch seine Lage ist es durch eine rektale Untersuchung früh zu ertasten. Da der Tumor somit harnröhrenfern liegt, treten Symptome (z. B. Miktionsbeschwerden) erst spät auf. Bei fortgeschrittenen Tumoren mit Metastasenbildung im Becken- und/oder Lendenwirbelbereich, bei Tumorwachstum in die Blase und/oder die Ostien sowie in die retroperitonealen Lymphknoten kann es zur Hämaturie, Impotenz, Harnstauung und zu unspezifischen Symptomen wie Rückenschmerzen kommen. Männer ohne familiäre Genese sollten ab dem 45. Lebensjahr, sonst ab dem 40. Lebensjahr die regelmäßige Früherkennung, die eine DRU (digitale rektale Untersuchung) beinhaltet, in Anspruch nehmen. Zudem kann der PSA-Wert im Blut bestimmt werden, wobei bei Erhöhung (ab 2,5–4 ng/ml) eine weitere Abklärung indiziert sein kann. Präoperativ erfolgt eine transrektal-sonographische Stanzbiopsie. Das lokal begrenzte Prostatakarzinom wird kurativ operativ mit der radikalen Prostatektomie, das metastasierende Karzinom palliativ mit einer Antiandrogentherapie und/oder der Orchiektomie nach Riba (7 Abschn. 9.4.10) behandelt. Außerdem gibt es noch verschiedene medikamentöse und radiologische Therapieformen. ! Die nervschonende (zur Erhaltung der Erektionsfähigkeit) radikale Prostatektomie stellt eine Behandlung mit optimalen onkologischen und funktionellen Resultaten bezüglich der Kontinenz und Potenz dar und ist somit für das organbegrenzte Karzinom der therapeutische Standard.

Erwähnt sei noch die perineale Prostatektomie, die den Nachteil hat, dass zur Lymphadenektomie ein zweiter Zugang gewählt werden muss. Sie wird seltener durchgeführt. Die laparoskopische Variante (7 Abschn. 9.5.4) hat zum Nachteil, dass sie eine deutlich verlängerte Lernkurve des OP-Teams erfordert und so die OP-Zeit verlängert. Vor der Resektion der Prostata kann in gleichzeitiger Operation die pelvine Lymphadenektomie zum Ausschluss einer Metastasierung durchgeführt werden (je nach Risikokonstellation kann darauf verzichtet werden). Die Lymphknoten im Bereich der Fossa obturatoria und entlang der Aa. Iliaca externa und interna werden entfernt und nach Seitenlokalisation getrennt zur histologischen intraoperativen Schnellschnittuntersuchung gegeben. Bei positivem Befund kann eine beidseitige Orchiektomie nach Riba (7 Abschn. 9.4.10) erfolgen, ansonsten wird mit der Entfernung der Prostata fortgefahren.

Die Resektionsgrenzen sind nach kranial der Blasenhals, nach kaudal der Beckenboden. Vorsicht bei der Präparation zur Vermeidung einer Rektumperforation! kIndikationen

4 Auf das Organ begrenztes Prostatakarzinom, 4 Lebenserwartung des Patienten >10 Jahre. jDiagnostik

4 Standardmäßiges Labor einschließlich Gerinnungsstatus, PSA, 4 Blutgruppe, Bereitstellung von Konserven, evtl. mit vorheriger Eigenblutspende, 4 histologischer Befund der durchgeführten Stanzbiopsie, 4 ggf. CT Abdomen/Becken und/oder Knochenszintigraphie. kPrinzip

4 Entfernung der Prostata mit den Samenblasen und der Ductus deferentes. 4 Entfernung der pelvinen Lymphknoten. 4 Anastomosierung des Blasenhalses mit dem Harnröhrenstumpf. 4 Erhalten der Nn. splanchnici pelvici (Nn. erigentes) und Vasa erigentes. 4 Der Operateur trägt ggf. eine Lupenbrille. kInstrumentarium

4 Grundinstrumentarium, 4 bipolare Schere, 4 langes Instrumentarium einschließlich langer Lidhaken, 4 Bookwalter-Rahmen, 4 langes Diathermiemesser und/oder Stichel, 4 evtl. Clipzange, 4 Nélaton-Katheter zur intraoperativen Harnableitung und zur späteren Manipulation am Apex prostatae, 4 Blasenspritze, Gleitmittel, 20-ml-Spritze, 4 sterile NaCl- oder Ringer-Lösung zum Auffüllen der Blase, 4 Dauerspül-Kompressionskatheter zur postoperativen Harnableitung, 4 Glycerollösung zum Blocken des Katheters, 4 Robinson-Drainage, 4 evtl. Ureterschienen zur Identifizierung, Kennzeichnung und Schienung der Ostien, 4 evtl. Darmrohr zur Schienung des Rektums, 4 Nahtmaterial (resorbierbar und nicht resorbierbar, monofil und geflochten in verschiedenen Stärken und Nadelgrößen; Anastomosennähte sind resorbierbar und doppelt armiert), 4 evtl. Hämostyptika.

483 9.5 · Prostata

kLagerung

Rückenlage, evtl. etwas überstreckt in der Lendenwirbelsäule. Anlegen der Neutralelektrode am rechten Oberschenkel. ! Evtl. wird präoperativ ein Darmrohr zur Schienung des Rektums eingelegt, intraoperativ kann dann mittels Luftinsufflation eine Leckage ausgeschlossen bzw. dargestellt werden.

kAbdeckung

Gemäß Abteilungsstandard. Der Penis muss intraoperativ jederzeit erreichbar sein, deshalb Anlage eines »Lendenschurzes«.

Radikale Prostatektomie

5 Hautdesinfektion und steriles Abdecken des 5 5 5 5 5

5

5 5

5

5 5 5

5

OP-Gebiets einschließlich des Genitalbereichs. Team-Time-out. Legen des Nélaton-Katheters. Handschuhwechsel. Anlegen des »Lendenschurzes«. Mediane Unterbauchlaparotomie von der Symphyse bis ca. 2 cm unterhalb des Nabels. Hautinzision mit dem Skalpell, Durchtrennen der Rektusmuskulatur in der Mittellinie. Abpräparieren des Peritoneums und der Muskelfaszie von der hinteren Bauchwand, mit sorgfältiger Präparation unter der Transversalisfaszie, um die Vasa epigastrica inferiores nicht zu verletzen. Einsetzen des Rahmens. Eröffnen des Spatium retropubicum zum Foramen obturatorium der Beckenbodenfaszie und den Beingefäßen. Aufsuchen der obturatorischen/iliakalen Lymphknoten bis zur Kreuzung der Aa. und Vv. Iliaca interna und externa. Freipräparieren, ligieren oder clippen und Entfernen der Lymphknoten mittels Overholt- oder bipolarer Scherenpräparation (. Abb. 9.44). Die Lymphknoten werden korrekt beschriftet nach Seitenlokalisation getrennt zur Schnellschnittuntersuchung gegeben. Freipräparieren der Prostatavorderseite, hier kann anhaftendes Fett unter Koagulation abgezogen werden. Spalten der endopelvinen Faszie, die auch die Prostatavorderwand umgibt und seitlich bis auf den M. levator ani geht.

5 Beidseitige Durchtrennung des Lig. puboprostaticum (Ligament zwischen der Symphyse und der Prostata). 5 Seitliches Darstellen des Gefäß-Nerven-Bündels (NVB). Das Bündel kann ggf. geschont werden, sodass eine Erhaltung des Nervs gelingt (Randbiopsien unter Schnellschnittbedingungen). Dazu Inzision der Prostatakapsel bei 10 bzw 12 Uhr (SSL) und sukzessive Abtrennung des NVB von der Prostata. Hier wird sparsam koaguliert und eher geclippt, um thermische Nervenschädigungen zu vermeiden. 5 Unter den Bändern verläuft in der Medianlinie der Plexus prostaticus, ein Venengeflecht, das auf der Prostata über die Blase ins Becken zieht. Der Plexus wird mit einem Overholt unterfahren und danach umstochen. 5 Präparieren des Apex prostatae beidseits, nahe des Diaphragma urogenitale (Spitze der Seitenlappen der Prostata). 5 Die Urethra mit dem liegenden Katheter ist nun tastbar und wird dargestellt. Unmittelbar hinter dem Apex prostatae wird die Urethra inzidiert. 5 Vorlegen der beiden ventralen Anastomosennähte von innen nach außen unter Fassen des Harnröhrenendothels. Die benutzte Nadel des doppelt armierten Fadens kann entfernt werden. 5 Der transurethrale Katheter wird durchtrennt, dessen proximales Ende wird in die Wunde eingezogen und das distale Ende mit einer kräftigen Klemme (nach Kocher oder Mikulicz) am Rahmensystem befestigt. 5 Ab diesem Zeitpunkt der Operation fließt Urin mit in die Wunde! Die entsprechende Information wird an die Anästhesie gegeben und eine Zwischenbilanz des bisherigen Blutverlustes vorgenommen. 5 Vom Harnröhrenstumpf kann eine Probe entnommen und ebenfalls zur Schnellschnittuntersuchung gegeben werden. 5 Vorlegen von zwei oder mehreren dorsalen Anastomosennähten. 5 Der Apex prostatae wird nun durch Zug am durchgeschnittenen Katheter hochgezogen und der M. rectourethralis durchtrennt. 5 Freipräparieren der Prostatahinterwand mit Durchtrennung der Denonvillier-Faszie, die die Prostata von hinten umgibt und sie zum Rektum abgrenzt. 5 Auslösen der Samenblasen, dann schrittweises Unterbinden der Gefäßpfeiler der Prostata rechts und links (ggf. unter Schonung des Gefäß-NervenBündels jeweils lateral).

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Kapitel 9 · Urologie

5 Präparation des Blasenhalses, der direkt unter-

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halb des Trigonums durchtrennt wird. Die Samenblasen, deren Arterien, und die Ductus deferentes werden freipräpariert, ligiert und durchtrennt (. Abb. 9.44a). Das Gesamtpräparat wird entfernt und vom Operateur auf Vollständigkeit untersucht. Bevor es zur histologischen Untersuchung gegeben wird, wird es gewogen und mit Tinte markiert. Evtl. Entnahme von Proben aus dem Blasenhals, falls eine Tumorinfiltration vermutet wird. Bei Bedarf Einengung des Blasenhalses auf Kleinfingergröße mit resorbierbarem monofilem Nahtmaterial. Die Blasenschleimhaut wird mit feinen resorbierbaren Fäden evertiert, um eine stabile Anastomose zu erzielen. Der Dauerspülkatheter wird eingelegt, mit einer Pinzette durch den Blasenhals in die Blase eingeführt und mit 5–10 ml Glycerollösung vorgeblockt. Komplettierung der Anastomosennähte durch Einstechen der 2. Nadel an korrespondierender Position am neuen Blasenauslass. Anschließend kann auch die 2. Nadel entfernt werden. Falls der Patient überstreckt gelagert wurde, wird die Überstreckung vor dem Knüpfen der Anastomose aufgehoben. Die vorgelegten Anastomosennähte werden angezogen und stellen so die Verbindung zwischen Urethra und Blase her (. Abb. 9.44b). Es muss eine spannungsfreie Anastomose entstehen. Evtl. wird zusätzlich eine suprapubische Harnableitung gelegt. Blutstillung, Einlage einer oder alternativ zweier Robinson-Drainage(n), evtl. Einlage eines Hämostyptikums. Zur orientierenden Überprüfung der Anastomosendichtigkeit kann die Blase über den liegenden Katheter mit einer Blasenspritze gefüllt werden (sterile NaCl- oder Ringer-Lösung). Eine weitere adaptierende Naht ist möglich. Endgültige Blockung des Katheters in der Blase mit bis zu 40 ml Glycerollösung. Zählkontrolle aller Textilien und Instrumente, Dokumentation des Zählstandes. Schichtweiser Wundverschluss. Wundpflaster.

a Prostatakarzinom

b radikale Prostatektomie

. Abb. 9.44a, b Radikale Prostatektomie. a Entfernen der pelvinen Lymphknoten, der Prostata mit den Samenblasen und Absetzen der Ductus deferentes. b Anastomosierung des Blasenhalses mit dem Harnröhrenstumpf

9.5.4

Laparoskopische radikale Prostatektomie

Die laparoskopische radikale Prostatektomie kann bei einem nicht metastasierenden Prostatakarzinom als Alternative zur offenen Operation mit oder ohne Nerverhalt durchgeführt werden. Das extraperitoneale Operationsverfahren hat sich durchgesetzt, da die Verletzungsgefahr intraperitonealer Organe geringer ist und die Rekonvaleszenz des Patienten in der Regel schneller verläuft (u. a. kann der Blasenverweilkatheter früher entfernt werden). Ein transperitoneales Verfahren ist jedoch auch möglich. kIndikationen

4 7 Abschn. 9.5.1 und 7 Abschn. 9.5.2, 4 nicht metastasierendes Prostatakarzinom. kLagerung

4 Rückenlagerung mit korrekter Fixation, um eine Trendelenburg-Lagerung durchführen zu können. Bestenfalls kommt eine Vakuummatratze zum Einsatz, die bei der erforderlichen extremen intraoperativen Kopftieflage ein Abrutschen verhindert. Beide Arme werden angelagert. 4 Manche Operateure bevorzugen eine Lagerung mit gespreizten Beinen. kInstrumentarium

4 4 4 4

Grundinstrumente für eine Minilaparotomie, laparoskopisches Equipment (s. MIC; 7 Abschn. 2.15), 0°-Optik, 4–5 Trokare (1×10 mm für die Optik, 5 und 12 mm für die Instrumente und einen Linearstapler (alternativ ebenfalls 10 mm), 4 Distensionsballon,

485 9.5 · Prostata

Linea arcuata (Douglas)

a

Präperitonealraum

Infraumbilikale Hautinzision

Peritoneum

Vordere Rektusscheide Musculus rectus abdominis

Hintere Rektusscheide Fascia transversalis

Linea arcuata (Douglas)

b

Blase Symphyse

Peritoneum

. Abb. 9.45a, b Präparation des Präperitonealraumes: a Dissektion entlang der eingezeichneten Linie (Pfeile) bis auf die hintere Rektusscheide, anschließend stumpfe Präparation des Präperitonealraums mittels Finger. b Präparation des Präperitonealraums mittels Ballontrokar. (Aus Stolzenberg et al. 2004)

4 1–2 atraumatische Fasszangen, 4 1–2 Dissektoren, 4 bipolare oder Ultraschalldissektionsinstrumente und/oder Clipstapler, 4 1–2 laparoskopische Nadelhalter, 4 Dauerkatheter mit Blockung für die Harnblase, ggf. ein DK für das Rektum als Schienung, 4 Präpariertupfer, 4 Bergebeutel, 4 Nahtmaterial (geflochten, resorbierbar, atraumatisch 3–0).

Besondere Vorbereitung: 4 Der MIC-Turm wird am Fußende des Patienten platziert. kPrinzip

Stumpfe Dissektion des Präperitonealraumes (. Abb. 9.45). Der Verlauf der OP entspricht der offenen radikalen retropubischen Prostatektomie. Durch die ca. 10- bis 15-fache Vergrößerung kann das Gefäß-Nerven-Bündel zumeist gut identifiziert und so erhalten werden.

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486

Kapitel 9 · Urologie

OP-Verlauf: Laparoskopische radikale Prostatektomie

5 Desinfektion, sterile Abdeckung, Team-Time-out, 5 Einbringen eines transurethralen Dauerkatheters 5 5 5

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5 5

mit Blockung. Ankleben eines kleinen Abdecktuches als »Lendenschurz«, so ist der Penis auch intraoperativ erreichbar. Paraumbilikale (alternativ infraumbilikale) Minilaparotomie, Einbringen des 10-mm-Optiktrokars. Einführen eines Distensionsballons, der in den präperitonealen Raum des Unterbauches vorgeschoben wird. Durch das Aufpumpen des Ballons mit Luft werden die Gewebeschichten stumpf auseinandergedrängt und der präperitoneale Raum so erweitert, dass eine gute Übersicht erreicht wird und das Arbeiten mit den laparoskopischen Instrumenten gewährleistet ist. Entfernen des Distensionsballons und Einführen eines 10-mm-Trokars für die Optik. Anschluss des Gasschlauches an die Optik und Insufflation des CO2 zur Anlage des Pneumoperitoneums. Inspektion des präperitonealen Raumes. Einbringen von 4 weiteren Trokaren zu beiden Seiten des Unterbauches: – rechts und links 2 cm lateral der Mittellinie Einbringen von jeweils einem 5-mm-Arbeitstrokar, – rechts und links, ca. 2–3 cm von der Spina iliaca entfernt, Einbringen von jeweils einem 5-mmund einem 12-mm-Trokar (alternativ 10 mm). Die Präparation erfolgt hauptsächlich mit einem Dissektor, einer Schere, der bipolaren Fasszange und einem Instrument zur innovativen Präparation. Aufsuchen, Freipräparieren und Entfernen der pelvinen Lymphknoten beidseits, um sie histologisch, ggf. als Schnellschnitt, untersuchen zu lassen. Durch die Eröffnung des lateralen Peritoneums und Ablösen der Blase von der Bauchwand wird die Vorderseite der Prostata erreicht. Die Prostatapfeiler (puboprostatische Bänder) werden auf beiden Seiten aufgesucht und nach Inzision der endopelvinen Faszie durchtrennt. Darstellung der lateralen Gefäß-Nerven-Bündel beidseits, wobei die Nerven ggf. erhalten werden können, indem sie nach Inzision der Prostatakapsel vorsichtig von der Prostata abgelöst werden. Aufsuchen der Samenleiter und beidseitige Durchtrennung unterhalb der Beckengefäßachse. Weiterverfolgung der Samenleiter bis zu den Samenblasen.

5 Durch Zug an den Samenleitern wird die Denon5 5 5 5 5 5 5 5 5

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villier-Faszie, die die Prostata zum Rektum hin abgrenzt, aufgespannt und durchtrennt. Bei der anschließenden Ablösung der Prostatahinterwand ist eine Verletzung des Rektums unbedingt zu vermeiden. Umstechung des Plexus Santorini und anschließende Durchtrennung. Der Apex der Prostata wird stumpf präpariert. Ablösung der Beckenbodenmuskulatur von der Prostata. Durch Zug am Blasenkatheter ist die Grenze zwischen Prostata und Harnblase gut erkennbar. Eröffnung der Blase und Darstellung des Blasenhalses. Die Urethra kann nun unterhalb des Trigonums inzidiert und durchtrennt werden. Entblockung und Entfernung des Dauerkatheters. Das vom Blasenhals bis zum Beckenboden vollständig ausgelöste Präparat, bestehend aus Prostata, Samenblasen und Samenleiter, wird mittels eines Bergebeutels geborgen (alternativ am Ende der Operation). Einführung eines Metallbougies durch die Urethra, zur besseren Führung des Harnröhrenstumpfes bei der Reanastomosierung mit der Blase. Die Naht erfolgt mit resorbierbaren Fäden wahlweise in Einzelknopfnahttechnik oder fortlaufend, ggf. muss der Blasenhals hierbei etwas eingeengt werden. Der Blasendauerkatheter wird wieder eingeführt und darüber die Anastomose mit Ringerlösung auf Dichtigkeit überprüft. Anschließend kann der Katheter geblockt und an einen Urinauffangbeutel angeschlossen werden. Blutstillung. Legen einer Silikondrainage. Zählkontrolle, Dokumentation des Zählstandes. Ablassen des Gases und Entfernen der Trokare unter Sicht. Schichtweiser Wundverschluss und Anlage eines sterilen Verbandes.

487 9.5 · Prostata

jMögliche Komplikationen

4 Starke Blutungen: Einsatz von bipolarem Strom, einem Hämostyptikum oder Konvertieren zur offenen Vorgehensweise. 4 Perforation des Rektums: Konvertieren zur offenen Vorgehensweise.

9.5.5

Radikale Prostatektomie mit dem roboterassistierten Da Vinci-System

D. Oppermann, A. Haese

Das Da Vinci-System dient der Steuerung endoskopischer Instrumente bei thorakoskopischen und laparoskopischen Eingriffen. Es muss durch ausgebildetes Fachpersonal in einem Operationssaal bedient werden. Für das Equipment wird ein ausreichend großer OPSaal benötigt, in dem das System fest installiert wird. Bei der Positionierung des Da Vinci-Systems und der Zubehörteile im Operationssaal muss auf maximale Sicherheit und Effizienz geachtet werden. Andere Funktionen und Geräte im Saal dürfen nicht behindert sein. Das Equipment besteht aus 3 Hauptkomponenten: 4 Konsole für den Chirurgen mit 2 Master-Steuerungselementen und einem integrierten Stereobildbetrachter mit 3-D-Anzeige (. Abb. 9.46). Der Chirurg braucht bei der Positionierung dieser Konsole im Sitzen einen freien Blick auf das Operationsfeld und gleichzeitig eine ungehinderte Kommunikation mit dem Assistenten. 4 Patientenwagen mit Kameraarm und 3 Instrumentenarmen. Da verschiedene Kabel an der Konsole angebracht werden müssen, empfiehlt es sich, den Patientenwagen so zu positionieren, dass die Kabel nicht ständig in die Buchsen ein- und ausgesteckt werden müssen. 4 Videosystemwagen mit Kamera und bildverarbeitenden Geräten sowie CO2-Insufflator, Hochfrequenzgerät und einer Lichtquelle. Der Videosystemwagen wird so positioniert, dass er problemlos vom Assistenten und dem Instrumentanten gesehen werden kann. 4 Optional: Ein Zusatzmonitor für den Instrumentanten.

Bedienung des Da Vinci Systems Das Da Vinci-System darf nur von den Fachkräften der Firma »Intuitive Surgical« eingewiesen werden. Da das System sehr kostspielig ist und eine anspruchsvolle Technik enthält, muss es überlegt und vorsichtig bedient werden. Das aufwendige Zubehör ist einfach zu handhaben, bedarf aber einer sehr guten Einweisung.

. Abb. 9.46 Das Da Vinci-System. (© Fa. Intuitive Surgical)

Das Pflegepersonal bedient die Chirurgenkonsole nur beim Ein- und Ausschalten des Systems und Kalibrieren der Optik. Das Gerät testet sich selbst, während des Testvorgangs dürfen die Arme des Patientenwagens nicht bedient werden. Die Instrumentenarme und der Kameraarm am Patientenwagen werden vom Pflegepersonal auf Funktion überprüft und steril bezogen. Auch die Positionierung des Patientenwagens am Patienten muss geübt werden, da die Lenkung des Wagens schwierig ist. Sämtliche Geräte auf dem Videosystemwagen müssen gemäß MPG überprüft werden. kIndikationen

Histologisch gesichertes Prostatakarzinom. kKontraindikationen

Patienten mit Lungenerkrankungen und/oder Herzerkrankungen, die einen erhöhten Beatmungsdruck nicht tolerieren. Je nach Erfahrung des Operateurs mit dem Da VinciSystem können vermehrte Adhäsionen besonders nach intraabdominellen Voroperationen im Unterbauch eine Kontraindikation sein. Dies gilt auch bei Patienten mit vorangegangener Strahlentherapie oder bei einer sehr großen Prostata.

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488

Kapitel 9 · Urologie

kVorbereitung des Patienten

Rasur des Patienten etwa 2 cm oberhalb des Bauchnabels bis zum Skrotum. Für die Operationslagerung auf einem geraden Tisch werden alle benötigten Lagerungshilfsmittel bereitgelegt, um ein sicheres Lagern nach der Narkoseeinleitung zu ermöglichen. kPrinzip

Radikale minimal-invasive, transperitoneale roboterassistierte Prostatektomie. Die Prostata wird retropubisch deszendierend durch in der Regel 6 Trokare operiert. Wenn das Tumorwachstum es zulässt, werden die Gefäß-NervenStränge geschont.

. Abb. 9.47 Kopf-Schulter-Kissen zur Lagerung (extreme Kopftieflage) bei der roboterassistierten Prostatektomie

kLagerung

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4 Der OP-Tisch wird mit einer Tempurmatratze abgepolstert. Eine Wärmematte ist obligat. 4 Die Narkoseeinleitung wird in Rückenlage auf einem geraden Tisch durchgeführt. 4 Der Patient wird fußwärts gezogen, da später die Beine leicht abgesenkt werden. 4 Die Fersen werden mit Fersenpolstern geschützt. 4 Die Kniegelenke werden mit einer Knierolle gestützt. 4 Die Arme des Patienten werden seitlich auf Armauslegern angelegt und entsprechend gepolstert und fixiert. 4 Der Patient wird mit 2 Gurten gesichert. 4 Ein spezielles Kopf-Schulterkissen wird unter den Kopf geschoben (. Abb. 9.47). 4 Anbringen von 2 Schulterstützen. 4 Verbringen des Patienten in eine 25–30° Trendelenburg-Lagerung.

a

Eine Neutralelektrode wird am Oberschenkel angebracht. kInstrumentarium

Das Instrumentarium unterscheidet sich hinsichtlich der Grundinstrumente nicht wesentlich von einer laparoskopischen Operation (7 Abschn. 2.15). Bei den MIC-Instrumenten muss das allgemeine MIC-Instrumentarium von den Da Vinci-spezifischen Instrumenten unterschieden werden. Da Vinci-spezifisches Instrumentarium Endoskopkamera mit 2 Optiken, 0° oder 30°, Lichtleitkabel, spezielle Da Vinci-Trokare, Roboterinstrumente sowie die Sterilabdeckung inkl. Adapter für die Roboterarme (. Abb. 9.48). Hierbei ist zu bedenken, dass die Roboterinstrumente einen Chip integriert haben, der die Häufigkeit der Einsätze des jeweiligen Instruments speichert. Nach einer festgelegten Einsatzmenge ist das Instrument funktionsunfähig.

b

. Abb. 9.48a, b Steril bezogene Roboterarme (a) und Instrumente (b) für die Roboterarme des Da Vinci-Systems

! Die sog. »restlichen Leben« dieser Instrumente werden nach der Operation am Monitor angegeben und müssen dokumentiert werden, um zu verhindern, dass Instrumente mit 0 »Leben« resterilisiert werden. Die Dokumentation gibt gleichzeitig einen Überblick über den Bestand, und die vergleichsweise teuren Instrumente können so rechtzeitig neu bereitgestellt werden.

489 9.5 · Prostata

Die Roboterinstrumente haben eine 720° Beweglichkeit, die Branchen können in alle Richtungen bewegt werden, sie sind entsprechend einer Hand intuitiv vom Operateur steuerbar. Laparoskopisches Instrumentarium

4 4 4 4 4 4 4 4 4 4 4 4

Veress-Nadel, 2 Einmaltrokare (12 mm), 1×5-mm-Trokar, 2 MIC-Nadelhalter, MIC-Dissektor, MIC-Fasszange (bei Lymphknotenausräumung), Endo-Schere, Clipzange 10 mm für resorbierbare Clips, Clipzange 5 mm für Titanclips, Saug-Spül-System, mono- und bipolares Kabel, Bergebeutel.

Nahtmaterialien

4 3–0 resorbierbar, monofil, doppelt armiert für die Anastomosennaht (gekürzt auf je 17 cm Länge), bei Bedarf werden Fäden benutzt, die einen Widerhaken am Ende des Fadens haben, der beim Durchstechen den Faden verankert. 4 2–0 resorbierbarer geflochtener Faden für die Plexusnaht, 4 Nahtmaterial zum Verschluss der Wunde (s. oben).

OP-Verlauf: Radikale roboterassistierte Prostatektomie

5 Vorbereitung des Equipments:

Roboterinstrumente:

4 4 4 4 4 4 4 4

0°-Optik der Fa. Intuitive, ggf. 30°-Optik, Lichtleitkabel, 3 Da Vinci-Trokare (8 mm), 3 Reduzierkappen für die Da Vinci-Trokare, Endo-Wrist Large Needle Driver (Nadelhalter), Endo-Wrist bipolarer Maryland-Dissektor, Endo-Wrist monopolarer Maryland-Dissektor, Endo-Wrist monopolare Curved Scissor (monopolare Schere), 4 Endo-Wrist Prograsp (Fasszange) (fakultativ), 4 Kameraarmadapter (Einwegprodukt, befindet sich direkt am Kameraarm), 4 Zentrierhülse zum Kalibrieren der Optik. Zusatzmaterialien

4 Sterile Bezüge für den Kameraarm und die Instrumentenarme inkl. Adapter, 4 Kamerabezug, 4 Saugerschlauch, 4 Stichskalpell, 4 Gleitgel, 4 Urinkatheter Silikon 18 Charr., 4 Urinkatheter Latex 18 Charr. zur Schienung der Anastomose, 4 Aqua dest. zur Blockung des Urinkatheters, 4 Urinbeutelsystem, 4 NaCl 0,9% zum Anspülen des Katheters, 4 Blasenspritze, 4 ggf. Robinson-Drainage 15 Charr., 4 Magazine für Titan- und resorbierbare Clips, 4 Plastiküberzug für die monopolare Roboterschere.

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– Nach Einschalten des Systems an der Konsole und Überprüfung der Funktionalität der Instrumentenarme werden die Instrumentenarme und der Kameraarm steril bezogen. – Danach werden die Arme eingeklappt und mit einem sterilen Tuch abgedeckt, um zu vermeiden, dass sie während der Vorbereitung – des Patienten im Saal unsteril werden. – Anschließend beginnt die Vorbereitung der Instrumente und des Zubehörs. Das OP-Gebiet wird desinfiziert und der Patient abgedeckt, ein Blasenkatheter gelegt. Team-Time-out. Der Assistent steht rechts, der Instrumentant links des Patienten. Es werden alle benötigten Kabel angeschlossen und das Kamerakabel steril bezogen.

Anlage des Pneumoperitoneums, Trokarplatzierung, Stativpositionierung 5 Während der Operateur die Veress-Nadel in den Bauchraum einführt und die CO2-Insufflation beginnt, kalibriert der Instrumentant gemeinsam mit dem Springer die Optik und führt den Weißabgleich durch. 5 Nachdem die Insufflation beendet ist, wird die Veress-Nadel entfernt und der erste 12-mm-Trokar mit Hülse einen Fingerbreit oberhalb des Nabels eingeführt. 5 Der Obturator wird entfernt und die 0° Optik eingesetzt. 5 Der Gasanschluss wird an der Trokarhülse befestigt. 5 Nach der Inspektion des Bauchraums werden die weiteren 5 Tokare eingeführt; ggf. müssen Verwachsungen im Bauchraum gelöst werden. 5 Die Platzierung der Trokare ist abhängig vom Operateur und kann variieren.

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Kapitel 9 · Urologie

5 Rechts zwischen Kameratrokar und Spina iliaca

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anterior superior (SIAS) werden drei Trokare platziert, der 12-mm-Trokar wird am dichtesten an der SIAS positioniert und dient als Hilfstrokar für den Assistenten. Nabelwärts werden nun der 8-mm-Da Vinci-Trokar und abschließend der 5-mm-Trokar, der ebenfalls als Hilfstrokar für den Assistenten eingesetzt wird, platziert. Auf der linken Seite werden die beiden letzten 2 Da Vinci-Trokare symmetrisch zwischen Kameratrokar und der SIAS eingebracht. Der Operateur weist den Springer ein, den Patientenwagen exakt seitlich, schräg über die Beine des Patienten zu positionieren und zu fixieren. Die Optik wird am Kameraarm befestigt, die Roboterarme an die Da Vinci-Trokare angedockt. Die drei Roboterinstrumente (bipolarer Dissektor, Nadelhalter, monopolare Schere, alternativ Fasszange) werden durch die Da Vinci-Trokare eingeführt, an den Instrumentenarmen befestigt und unter Sicht in den Bauchraum eingeführt (. Abb. 9.49). Durch den 5-mm-Trokar wird eine Saug-Spül-Kanüle geführt, die der Assistent bedient, der andere 12-mm-Trokar wird ebenfalls von dem Assistenten bedient und hauptsächlich für die Titanclipzange und die PDS-Clipzange benutzt.

Aufsuchen des Cavum Retzii, Freilegen des präperitonealen Raumes, Plexusnähte 5 Aufsuchen des Cavum Retzii. Hierzu wird das Peritoneum jeweils lateral der Plicae umbilicales inzidiert. 5 Nun lässt sich die Blase von der vorderen Bauchwand lösen, und der Blick auf die anteriore Prostata wird frei. 5 Aufsuchen der puboprostatischen Bänder, ggf. Entfernung präprostatischen Fettgewebes. 5 Aufsuchen und Eröffnung der endopelvinen Faszie, Präparation der beiden puboprostatischen Bänder, die durchtrennt werden. 5 Dadurch wird die Prostata am Apex mobilisiert. 5 Je nach Operateur kann der Plexus Santorini freipräpariert und mit einem resorbierbaren geflochtenen Faden umstochen werden. Die Nähte werden so gelegt, dass die Harnröhre dabei nicht verletzt wird. 5 Zur Vermeidung einer Blutung wird eine BackflowNaht an die Ausläufer des Plexus Santorini an der Prostataseite gelegt, um Blutungen aus den Venen der Prostata zu verhindern.

5 Der oben beschriebene Ablauf kann je nach Operateur variieren.

5 Erfahrene Da Vinci-Operateure beginnen sofort mit der deszendierenden Freipräparation der Prostata. Die Prostata wird vom Blasenhals freipräpariert. Freipräparation der Prostata 5 Eröffnung der Blase durch Lösen der Schicht zwischen Blase und Prostata bis zur Urethra. 5 Der Instrumentant manipuliert den geblockten Blasenkatheter, um dem Operateur die Abgrenzung vom Blasenhals zur Prostata darzustellen. 5 Kleinere Blutungen werden geclippt oder mit dem bipolaren Dissektor koaguliert. 5 Nachdem die Urethra anterior eröffnet wurde, wird der entblockte DK so weit in die Prostata gezogen, dass die Spitze sichtbar wird. Die DK-Spitze wird vom Operateur mit dem dritten Roboterarm bauchdeckenwärts gezogen, um die Prostata anzuheben. 5 Danach beginnt die dorsale Präparation der Prostata. Samenblasen/Ductus deferentes 5 Die Samenbläschen werden nacheinander mit dem bipolaren Maryland-Dissektor und der monopolaren Schere freipräpariert. Dabei werden die Gefäße, die Ductus deferentes und das umgebende Gewebe mittels resorbierbarer Clips ligiert und durchtrennt. 5 Den Clipapplikator bedient der Assistent, während der Operateur das zu klippende Gewebe unter leichter Spannung hält. Blasenpfeiler, Nerverhaltung 5 Es erfolgt die Mobilisation der Prostata vom Rektum, dabei wird bei der nervschonenden Operation die Denonvillier-Faszie auf dem Enddarm nach Möglichkeit belassen. 5 Je nach Befund der vorherigen Prostatabiopsien werden die Gefäß-Nerven-Stränge, die der Prostata direkt anliegen und zur Potenz notwendig sind, vorsichtig von der Prostatakapsel abgeschoben. Hilfestellung zur Präparation dieser Gewebeschichten leistet die 10-fache Vergrößerung des Da VinciSystems. 5 Kleine Blutungen am Gefäß-Nerven-Strang werden mit Titanclips (5 mm) versorgt. Hier sollte nach Möglichkeit kein Strom an das Gewebe kommen, um die Nerven nicht zu verletzen.

491 9.5 · Prostata

5 Blutungen am verbleibenden Gewebe der Prostata können mit bipolarem Strom gestoppt werden. 5 Diese »nervschonende« Methode kann je nach Tumorbefall beidseitig, einseitig u. U. auch gar nicht erfolgen.

5 Der Latexkatheter wird durch einen Silikonkatheter

5 5

Apexpräparation, Absetzen der Prostata, Schnellschnittdiagnostik 5 Nach der Präparation des Nervenbündels, die bis zum Apex an beiden Seiten erfolgt, wird die Harnröhre vorsichtig unter Schonung des Schließmuskels freipräpariert. Hier kann eine Erhöhung des intraabdominalen Druckes um 5 mm Hg hilfreich sein. Die Harnröhre wird durchtrennt, der Blasenkatheter bis zum Schließmuskel vorsichtig zurückgezogen. 5 Die nun mobile Prostata wird in einen Bergebeutel gelegt. 5 Erfolgt kein Schnellschnitt, wird die Prostata im Bergebeutel verwahrt, während die Anastomose von der Blase zum Schließmuskel genäht wird. 5 Soll ein Schnellschnitt erfolgen, wird die Prostata unter Sicht durch Zurückziehen des 12-er Trokars im Bauchnabelbereich unter Vergrößerung des Schnitts geborgen. 5 Der Operateur entnimmt dem Präparat einen Gewebeschnitt, während der Assistent den vergrößerten Schnitt schichtweise so verschließt, dass der 12-er Trokar wieder eingebracht werden kann, aber kein CO2 aus dem Bauchinnenraum entweichen kann. 5 Nach der Blutstillung duch feine Umstechungen erfolgt nun je nach Befund die Lymphadenektomie mittels Fasszange, bipolarem Maryland-Dissektor und Titanclips auf beiden Seiten. 5 Das Ergebnis des Schnellschnitts gibt vor, ob die Gefäß-Nerven-Stränge erhalten werden können: Die Kontaktstellen der Prostata zu den Nervensträngen werden mikroskopisch untersucht, um sicherzustellen, ob die Nervenstränge belassen werden können oder bei Tumorkontakt entfernt werden müssen. 5 Bei befallenen Randzonen müssen die GefäßNerven-Stränge entfernt werden.

5 5

ersetzt, der bis zum Schließmuskel vorgeschoben wird. Die Nähte für die Anastomose sind vorher auf 17 cm gekürzt und am Ende geknotet worden. Die Anastomose wird dorsal beginnend an der Harnröhre fortlaufend zum Blasenhals genäht (van Velthoven-Technik). Kurz vor Fertigstellung wird der Blasenkatheter bis zur Blase geschoben und geblockt. Nach Fertigstellung erfolgt die zweite Verknotung durch den Operateur.

Abschluss 5 Mittels einer Blasenspritze und NaCl-Lösung wird die Dichtigkeit der Anastomose über den Katheter überprüft. 5 Einlegen der Drainage. 5 Zählkontrolle, Dokumentation des Zählstandes. 5 Nach gründlicher Inspektion des Bauchraums auf Blutungen werden die Instrumente und Trokare unter Sicht entfernt, das CO2 abgelassen und der Da Vinci-Patientenwagen zurückgeschoben. 5 Die restlichen »Leben« der Roboterinstrumente werden vor Ausschalten des Monitors dokumentiert. 5 Wurde ohne Schnellschnitt operiert, erfolgt die Bergung der Prostata über den Bauchnabel. 5 Der schichtweise Verschluss der Inzisionen und Anlegen der Pflasterverbände beenden den Eingriff. 5 Der Patient wird wieder in die Rückenlage gebracht.

Anastomose 5 Nun erfolgt die Anastomose der Harnröhre mit der Harnblase. Soweit nötig, wird vorher das Lumen des Blasenhalses verengt. Außerdem kann ein sog. Roccostick gelegt werden, um die Blase und die Harnröhre anzunähern. . Abb. 9.49 Da Vinci-System in situ

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492

Kapitel 9 · Urologie

! Cave Um ernsthafte Verletzungen zu vermeiden, darf der OP-Tisch auf keinen Fall bewegt werden, nachdem das Da Vinci-System in Position gebracht, die Trokare im Patienten platziert und die Manipulationsarme an den Kanülen befestigt wurden!

jKomplikationen

4 Organ- bzw. Darmverletzungen beim Einbringen der Veress-Nadel oder der Trokare, 4 Verletzung benachbarter Organe, 4 Blutungen, 4 Insuffizienz der Anastomose zwischen Blasenhals und Harnröhrensphinkter. ! Konvertierung bei nicht beherrschbaren Komplikationen oder mangelhafter Sicht.

jNachsorge

9

Durch eine angepasste Schmerztherapie und eine frühe Mobilisation bleiben die Patienten bei komplikationslosem  Verlauf 3–4 Tage in der Klinik. Der Blasenkatheter wird bei komplikationslosem Verlauf nach etwa 4–7 Tagen gezogen.

9.6.1

Sectio alta (z. B. bei Blasensteinen)

Rezidivierende Harnwegsinfekte und Blasenentleerungsstörungen (z. B. bei der BPH) führen ggf. zur Entstehung von Blasensteinen. Mädchen und Frauen erkranken weniger häufig an Harnblasensteinen, weil sie durch ihre kurze Harnröhre das Urinsediment besser ausscheiden können. Die Zusammensetzung der Harnblasensteine ist unterschiedlich und hat keinen Einfluss auf die Therapie. Harnblasensteine sind i. Allg. therapiebedürftig. Die meisten Steine können endoskopisch, bei der BPH meist in Kombination mit einer TUR-P, entfernt werden. Die Auswahl des Operationsverfahrens richtet sich nach Anatomie, Größe und Anzahl der Steine sowie der Prostatagröße, falls diese zeitgleich entfernt werden soll. jDiagnostik

4 4 4 4 4 4

Übliche Laborparameter, Sonographie, Abdomenleeraufnahme, Zystogramm, CT (ohne Kontrastmittel), Zystoskopie (Prostatagröße? Harnröhrenstriktur? Divertikel?).

kIndikationen 9.6

Blase

B. Lengersdorf, C. Matthies

Die Blase liegt unter der Peritonealhöhle und hinter der Symphyse. Am Oberrand wird sie begrenzt vom Spatium Retzii, der Verschiebeschicht für die Harnblasenfüllung. Die Harnblase wird beim Mann nach kaudal von der Prostata begrenzt, nach dorsal durch das Rektum. Bei der Frau liegt der Blasenhals der Scheide an, hinter der Blase liegt der Uterus. Die Harnblase ist von innen mit einer dehnbaren Schleimhaut, dem Urothel, ausgekleidet. Fehlbildungen der Blase sind u. a. Divertikel, sehr selten entsteht der Harnblasenekstrophie-Epispadie-Komplex, der auch mit Fehlbildungen des äußeren Genitale einhergeht. Entleerungsstörungen können zu Blasensteinen führen. Harninkontinenz zählt zu den Funktionsstörungen der Blase (7 Abschn. 9.8). Das Harnblasenkarzinom ist der zweithäufigste Tumor in der Urologie und hat seinen Ursprung in 90% der Fälle im Urothel. Malignome anderer Genese sind selten. Selbst kleinste Tumoren können eine Makrohämaturie hervorrufen, daher ist Blut im Urin, das nicht eindeutig von einer Entzündung herrührt, immer karzinomverdächtig und somit abklärungsbedürftig. Auf die seltenen Erkrankungen und ihre Therapie wird hier nicht näher eingegangen.

4 4 4 4

Vorliegen von Harnblasensteinen, BPH, Entfernen von Fremdkörpern, endoskopisch nicht beherrschbare Blasentamponaden und Blutungen.

kPrinzip

Eröffnen der Blase und Entfernen der Harnblasensteine. kInstrumentarium

4 4 4 4 4 4 4 4 4

Grundinstrumentarium, evtl. lange Instrumente, Balfour-Sperrer, Zügel, Nélaton-Blasenkatheter zur intraoperativen Harnableitung sowie ein Ablaufbeutel, Blasenspritze, sterile NaCl- oder Ringer-Lösung, Robinson-Drainage, Nahtmaterial nach Abteilungsstandard (monofil, resorbierbar der Stärke 0 oder 1 zum Verschluss der Blase), evtl. suprapubischer Blasenkatheter.

kLagerung

Rückenlage, evtl. leichte Überstreckung in der Lendenwirbelsäule. Neutralelektrode am Oberschenkel.

493 9.6 · Blase

kZugang

Pfannenstiel-Schnitt oder Unterbauchschnitt in der Mittellinie. OP-Verlauf: Sectio alta

5 Hautdesinfektion einschließlich des Genital5 5 5 5

5

5 5 5

5

5

5 5 5 5 5 5 5 5

9.6.2

bereichs und steriles Abdecken des Operationsgebietes. Team-Time-out. Legen des Nélaton-Blasenkatheters. Handschuhwechsel und Anlegen des »Lendenschurzes«. Hautinzision, Eröffnen des extraperitonealen Raums zwischen Harnblase und Bauchwand sowie des Spatium Retzii. Auffüllen der Blase auf ca. 300 ml mit der Blasenspritze und NaCl- oder Ringer-Lösung. Stumpfe Mobilisierung der Harnblase. Einsetzen des Balfour-Sperrers, ggf. Schonung der Bauchwand mit feuchten Tüchern. Vertikale Eröffnung der Blase bis ca. 1 cm an den Blasenhals heran. Ab diesem Zeitpunkt fließt Urin/Spülflüssigkeit mit in das OP-Gebiet, deshalb zeitnah ein Hinweis an die Anästhesie wegen Bilanzierung und Blutverlust! Am Blasenhals wird eine Durchstichligatur (monofil, resorbierbar der Stärke 0 oder 1) zur Sicherung gegen ein weiteres Einreißen der Blase gesetzt. Die vorhandenen Steine oder Fremdkörper werden mit einer Pinzette oder einer Péan-Klemme entfernt. Nach Kontrolle auf Steinfreiheit wird die Blase zweischichtig mit kräftigem monofilem, resorbierbarem Nahtmaterial verschlossen. Evtl. Einlage einer suprapubischen Harnableitung. Einlage einer Robinson-Drainage. Zählkontrolle aller Textilien und Instrumente und Dokumentation des Zählstandes. Schichtweiser Wundverschluss und Verband. Der Blasenkatheter wird belassen. Evtl. Anlage einer Blasendauerspülung.

Radikale Zystektomie

Die komplette Entfernung der Blase, evtl. auch der Harnröhre, wird bei muskelinfiltrierendem Blasenkarzinom, das i. Allg. durch eine transurethrale Biopsie nachgewiesen wurde, durchgeführt. Dazu gehört beim Mann die Prostatektomie und bei der Frau die vordere Exenteration.

Nach der Zystektomie muss eine neue Harnableitung geschaffen werden. Die Auswahl der neuen Harnableitung richtet sich nach der Ausbreitung des Tumors, der Lebenserwartung des Patienten und dessen Wunsch. Prinzipiell wird eine neue Harnableitung unterteilt in: 4 orthotope (an Stelle der Harnblase), 4 heterotope (an einer anderen Stelle), 4 kontinente, 4 inkontinente (»nasse« Ableitung, der Harn wird in einem Ablaufbeutel aufgefangen) Harnableitungen. jDiagnostik

4 Übliche Laborparameter, 4 histopathologische Sicherung durch Biopsie (TUR-Blase; 7 Abschn. 9.3.3), 4 CT Thorax und Abdomen zum Ausschluss von Fernmetastasen, 4 Knochenszintigraphie zum Ausschluss von ossären Metastasen, 4 präoperative Stomaberatung und Markierung der geplanten Harnableitungsstelle. Präoperative Darmreinigung, perioperative Antibiotikabehandlung. kIndikationen

4 Muskelinfiltrierendes Blasenkarzinom, als Palliativmaßnahme bei fortgeschrittenem Blasenkarzinom mit nicht mehr beherrschbaren Blutungen, 4 fehlende Harnblasenkapazität mit Pollakisurie, 4 ggf. andere Ursachen mit erheblicher Funktionsstörung der Blase (z. B. Schrumpfblase nach Radiatio). kKontraindikation

Nicht behandelte Gerinnungsstörung. kPrinzip 4 Beim Mann:

Entfernen der Blase, der Prostata, der distalen Ureter, der Samenblasen, bei Tumorbefall evtl. der Harnröhre sowie eine Ausräumung der pelvinen Lymphknoten; Anlage einer neuen Harnableitung. 4 Bei der Frau: Entfernen der Blase, des Uterus samt vorderem Vaginaldach, der distalen Ureteren, evtl. der Tuben, evtl. der Urethra sowie eine Ausräumung der regionären Lymphknoten; Anlage einer neuen Harnableitung. kLagerung

4 Rückenlage, 4 evtl. modifizierte Steinschnittlagerung mit abgesenkten Beinen.

9

494

Kapitel 9 · Urologie

kInstrumentarium

9

4 Grundinstrumentarium, 4 lange Instrumente, 4 Laparotomieinstrumentarium mit Organfasszangen (nach Allis, Duval, Museaux), 4 weiche Darmklemmen (7 Kap. 2), 4 Rahmensperrer, 4 Zentimetermaß, 4 Zügel, 4 Schere nach Potts, 4 Klammernahtinstrumente für die neue Harnableitung (»linear cutter«), 4 evtl. Clipzange, 4 Ureterschienen (Mono-J), 4 Nélaton-Blasenkatheter, 4 bipolare Schere, 4 evtl. Urostomaset (je nach geplanter Harnableitung), 4 bei Bedarf Hämostyptika, 4 Nahtmaterial nach Abteilungsstandard (monofil, geflochten, resorbierbar, nicht resorbierbar, u. a. der Stärke 4–0, 5–0).

5

5 5

5

kZugang

Unterbauchschnitt mit Linksumschneidung des Nabels.

OP-Verlauf: Radikale Zystektomie bei männlichen Patienten

5 5 5 5 5 5 5 5 5 5

5 5

Hautdesinfektion, einschließlich der Genitalregion. Sterile Abdeckung des OP-Gebiets. Team-Time-out. Legen des Nélaton-Blasenkatheters. Handschuhwechsel, Anlegen des »Lendenschurzes« oder Eintuchabdeckung mit integrierten Beinlingen bei der Steinschnittlage. Hautinzision, Spalten der Rektusscheide in Längsrichtung, Auseinanderdrängen der Rektusbäuche. Durchtrennen der hinteren Rektusscheide ohne Eröffnung des Peritoneums. Nach distal Eröffnen des Spatium Retzii. Einsetzen des Rahmensperrers. Beidseitige Lymphknotenentnahme im Bereich der Aa. iliacae und der Fossa obturatoria mittels Overholt- und Scherenpräparation, bipolarer Schere und/oder Clipzange. Ggf. erweiterte Lymphadenektomie nach retroperitoneal. Aufsuchen und Anschlingen der Ureteren, die möglichst weit nach distal in Richtung Blase freipräpariert werden. Nach dem Legen von Haltefäden werden die Harnleiter blasennah durchtrennt und die Absetzungsränder nach Seitenloka-

5 5

5 5 5 5 5 5

lisation getrennt zur Schnellschnittuntersuchung gegeben. Bei positivem Befund müssen die Ränder nachreseziert werden. Einlegen von Mono-J-Schienen in beide Ureteren, wobei eine Schiene schräg abgeschnitten wird zur späteren Unterscheidung zwischen rechtem und linkem Ureter. Die Schienen werden mit Haltefäden (resorbierbar, geflochten, 4–0) an den Harnleitern befestigt. Evtl. werden die Schienen mit steriler NaCl- oder Ringer-Lösung angespült, um sicher zu gehen, dass sie korrekt im Nierenbecken positioniert sind. Seitliches Ausleiten der Schienen in einem Urinauffangbeutel (z. B. steriler Handschuh oder Plastikbeutel), die Arbeitsschritte an den Harnleitern können auch abschließend nach Präparation der Blase erfolgen Dann aszendierendes Vorgehen (wie bei der radikalen Prostatektomie) oder alternativ zunächst deszendierend: – Mobilisation der Blase nach hinten und Anheben mit einer Organfasszange, Absetzen der oberen Blasenpfeiler mit der A. vesicalis superior. – Schrittweises Absetzen der seitlichen Blasenpfeiler bis in Höhe der Samenblasen. – Schrittweises Durchtrennen und Ligieren der tiefen Blasenpfeiler mit der A. vesicalis inferior. Weiteres Vorgehen wie bei der radikalen Prostatektomie (7 Abschn. 9.5.3). Der Harnröhrenabsetzungsrand wird zur Schnellschnittuntersuchung gegeben: Bei Tumornachweis kommt eine orthotope Harnableitung nicht in Frage, eine Urethrektomie sollte erfolgen (7 Abschn. 9.7.4). Durchtrennen und Ligieren der puboprostatischen Bänder, lösen der Prostata vom Rektum. Entfernung des Gesamtpräparates. Blutstillung und Herstellen der neuen Harnableitung. Danach Einlage einer oder zweier Robinson-Drainagen und evtl. Einlage eines Hämostyptikums. Nach der Zählkontrolle und der Dokumentation des Zählstandes beginnt der schichtweise Wundverschluss. Wundpflaster, Anschluss der Drainageablaufbeutel.

495 9.7 · Harnleiter

OP-Verlauf: Radikale Zystektomie bei weiblichen Patienten

5 Einlage einer mit Schleimhautdesinfektionsmittel getränkten Scheidentamponade.

5 Team-Time-out. 5 Legen des Nélaton-Blasenkatheters. 5 Vorgehen bis einschließlich pelviner Lymph-

5

5 5 5

5

5 5

5

5 5 5 5

9.7

adenektomie und Präparation der Harnleiter wie beim männlichen Patienten. Absetzen der oberen Blasenpfeiler mit der A. vesikalis superior. Schrittweises Absetzen der seitlichen Blasenpfeiler. Darstellen des Douglas-Raumes und Mobilisieren des Uterus durch schrittweise Durchtrennung der Ligg. sacrouterina und Ligg. pubovesicales. Dabei zunächst Inzision der dorsalen Scheidenwand unterhalb der Cervix uteri (hier hilft die gut palpable Scheidentamponade als Orientierung, um das Rektum nicht zu verletzen). Beidseitige lateroventrale Inzision der Scheide mit Entfernung eines ca. 2 cm weiten Segments der vorderen Scheidenwand. Inzision der endopelvinen Faszie. Mobilisierung der Urethra ca. 0,5 cm distal des Blasenhalses. Absetzen des Gesamtpräparates und Schnellschnittuntersuchung des Harnröhrenstumpfes zur weiteren Planung der neuen Harnableitung (7 Abschn. 9.7.8); Entfernen der Scheidentamponade. Vaginalrekonstruktion durch Mobilisation der Vaginalhinterwand und Klappen derselben nach vorn. Nach Anlage der neuen Harnableitung Einlage einer oder zweier Robinson-Drainagen und evtl. eines Hämostyptikums. Nach der Zählkontrolle und der Dokumentation des Zählstandes beginnt der schichtweise Wundverschluss. Wundpflaster, Anschluss aller Drainageablaufbeutel, Einlage einer neuen Scheidentamponade zur blutstillenden Kompression des Neovaginalgewölbes.

Harnleiter

Die Harnleiter beginnen am Nierenbecken, sie bilden dort eine Art Trichter, in dem der von der Niere gefilterte Urin gesammelt wird. Sie verlaufen hinter dem Bauchfell (retroperitoneal) über die beiden Aa. iliacae communis, bevor sie in die Blase münden. Nach dem Eintritt in die Blase

verlaufen die Harnleiter ein kurzes Stück innerhalb der Blasenwand (intramural); dadurch wird bei Füllung der Blase ein Rückfluss (Reflux) in die Nieren durch einen natürlichen Ventilmechanismus weitestgehend verhindert. Durch den intramuralen Verlauf entstehen zwei konvergierende Falten, die das Trigonum vesicae (Harnblasendreieck) begrenzen. Die folgenden 3 Stellen bilden die physiologischen Ureterengen: 4 Abgang aus dem Nierenbecken, 4 Überkreuzung der großen Gefäße, 4 Eintritt in die Blase. Fehlbildungen am Harnleiter treten relativ häufig auf. Durch Störungen im Harntransport kann es als Folge zu rezidivierenden Harnwegsinfekten, Harnleitersteinen und zur Niereninsuffizienz kommen. Verletzungen des Harnleiters sind selten. Iatrogene Harnleiterverletzungen und Steine können zu Strikturen führen. Das Urothelkarzinom des Harnleiters hat ähnliche Entstehungsfaktoren wie das Harnblasenkarzinom (z. B. Rauchen, chemische Faktoren wie Giftstoffe am Arbeitsplatz sowie genetische Disposition). Grundsätzlich sind in der Erwachsenenchirurgie Operationen am Harnleiter relativ selten geworden, da die meisten Fehlbildungen/Erkrankungen frühzeitig entdeckt und dann auch im Kindesalter operiert werden. Auch der Fortschritt in der minimal-invasiven Chirurgie führt dazu, dass Verletzungen und Verwachsungen weniger häufig vorkommen.

9.7.1

Antirefluxplastik

Die regelgerecht angelegten Harnleiter verlaufen nach ihrem Eintritt in die Blase ca. 2–3 cm schräg durch die Blasenwand. Der Urin kann ungehindert in die Blase fließen. Durch die zunehmende Blasenfüllung erhöht sich der Innendruck, und der Harnleiter wird in der Blasenmuskulatur zusammengedrückt. Ein Zurückströmen von Urin in den Harnleiter und die Nieren (Reflux) unterbleibt. Wenn der Verlauf intramural nicht oder zu kurz angelegt wurde, also ein inkompetenter vesikoureteraler Übergang besteht, führt dieser zu Reflux von Urin bis zurück in die Niere. Es können rezidivierende Harnwegsinfekte und eine chronische Pyelonephritis bis zum Verlust der Nierenfunktion entstehen. Der vesikorenale Reflux wird nach Parkulainen in eine Skala von 1–5 eingeteilt (. Tab. 9.1). kIndikationen

4 Erreichen von Grad 3–4 der Parkulainen-Skala (. Tab. 9.1). 4 Resektion des distalen Harnleiters mit anschließender Reimplantation.

9

496

Kapitel 9 · Urologie

. Tab. 9.1 Einteilung des vesikorenalen Reflux nach Parkulainen Grad

Kennzeichen

1

Reflux nur in den Harnleiter

2

Reflux erreicht das Nierenbecken

3

Reflux in das Nierenbecken, Erweiterung des Hohlraumsystems

4

Massive Erweiterung des Hohlraumsystems

5

Starke Erweiterung, die meisten Kelche sind nicht mehr erkennbar

5 Der geschiente und spatulierte Harnleiter wird

5 5 5

5

durch den Tunnel gezogen und an seiner neuen Mündungsstelle mit der Blasenmuskulatur anastomosiert. Blasenschleimhaut und Ureter werden miteinander verbunden (resorbierbar, geflochten 4–0; . Abb. 9.52e). Der Mono-J-Katheter wird evtl. belassen. Zweischichtiger Blasenverschluss (monofil, resorbierbar, Stärke 0). Weiteres Vorgehen wie bei der Boari-Plastik (s. unten), der Blasenkatheter muss nicht zwingend belassen werden.

kPrinzip

Tunnelbildung zwischen Blasenschleimhaut und Blasenmuskulatur zur Bildung eines neuen Ventils. Es stehen verschiedene Verfahren zur Verfügung:

9 OP-Verlauf: Antirefluxplastik Extravesikales Vorgehen nach Lich-Grégoir

5 Bei aufgefüllter Blase wird der/die Harnleiter an der Blasenaußenwand aufgesucht und bis zum Eintritt in die Blase freipräpariert. 5 Nach Anlegen von Haltefäden wird die Blasenmuskulatur nach kranial über eine Länge von 4–5 cm bis auf die Mukosa durchtrennt, ohne die Blasenschleimhaut zu eröffnen (. Abb. 9.50a, b). 5 In diesen so geschaffenen »Graben« wird der Ureter, ausgehend von seinem Originalostium, hineinverlagert und submukös eingenäht (4–0 geflochten, resorbierbar; . Abb. 9.50c). Da die Muskulatur über dem Ureter wieder verschlossen wird, wird der Ventileffekt durch diesen intramuralen Verlauf wiederhergestellt. Operation nach Politano-Leadbetter 5 . Abb. 9.51. Intravesikales Vorgehen nach Cohen 5 Nach Eröffnen der Blase wird das Ostium aufgesucht und eine Ureterschiene (Mono-J) eingelegt, die am Harnleiter mit Haltenähten befestigt wird (4–0 resorbierbar, geflochten; . Abb. 9.52a). 5 Das Ostium wird umschnitten und der Harnleiter unter leichtem Zug an der Schiene aus der Blasenwand gelöst, bis er in die Blase gezogen werden kann. 5 Die Tunnelierung der Mukosa erfolgt ausgehend vom alten Ostium in Richtung Gegenseite.

9.7.2

Ersatzplastik am distalen Harnleiter (Boari-Plastik)

Bei angeborenem vesikouretralem Reflux mit rezidivierenden Infekten oder auch nach Verletzungen der Ostien oder des distalen Harnleiters, z. B. nach TUR-Prostata, TURBlase, Ureterorenoskopie (URS) sowie bei Tumorinfiltration des distalen Harnleiters, wenn auf eine Nephroureterektomie verzichtet wird, kann eine Rekonstruktion des distalen Harnleiters erfolgen. Aus der Blasenwand wird ein Lappen gebildet, der durch submuköse Tunnelung des Harnleiters die Strecke des fehlenden Teils des Ureters überbrückt. Voraussetzung zur Durchführung der Operation sind ein ausreichendes Fassungsvermögen der Blase sowie eine intakte Blasenwand. jDiagnostik

4 4 4 4 4

Übliche Laborparameter, Urinsediment, Sonographie von Blase und Niere, Miktionszysturethrographie (MCU), ggf. Isotopennephrogramm (ING) bei Zweifel über die Funktion der betroffenen Niere.

kIndikationen

4 Ausgedehnte Verletzung oder Striktur des distalen Harnleiters, 4 wenn eine spannungsfreie Reimplantation des Harnleiters in die Blase ohne Lappenbildung nicht möglich ist. kPrinzip

Lappenbildung aus der Blasenwand. Neueinpflanzung des Restureters durch Tunnelbildung zwischen Blasenschleimhaut und Blasenmuskulatur zur Bildung eines neuen Antirefluxventils.

497 9.7 · Harnleiter

a

b

c

. Abb. 9.50a–c Extravesikale Antirefluxplastik nach Lich-Grégoir. (Aus Kelalis et al., zit. in Hautmann u. Huland 2001/2006)

a

b

c

d

e

f

. Abb. 9.51a–f Transvesikale Antirefluxplastik nach Politano-Leadbetter. (Aus Hautmann u. Huland 2001/2006)

a

b

c

d

. Abb. 9.52a–e Transvesikale Antirefluxplastik nach Cohen. (Aus Glassberg et.al., zit. in Hautmann u. Huland 2001/2006)

e

9

498

Kapitel 9 · Urologie

kLagerung

4 Rückenlage, 4 evtl. auch Steinschnittlagerung.

5 Die Base wird aufgefüllt und die Blasenwand

kInstrumentarium

4 4 4 4 4 4 4 4 4 4

Grundinstrumentarium, feine Klemmen und Scheren, bei Bedarf lange Instrumente, ggf. Balfour- oder Rahmensperrer, Gummizügel, Nélaton-Blasenkatheter, Blasenspritze, Ureterschiene (Mono-J), Robinson-Drainage, Nahtmaterial nach Abteilungsstandard, u. a. feines resorbierbares geflochtenes Nahtmaterial (z. B. 4–0).

kAbdeckung

9

Nach Abteilungsstandard mit »Lendenschurz«, um jederzeit den Genitalbereich erreichen zu können, bei Steinschnittlage Eintuchabdeckung mit integrierten Beinlingen.

OP-Verlauf: Boari-Plastik

5

5

5

5 5

5 Hautdesinfektion einschließlich des Genitalbereichs und sterile Abdeckung des OP-Gebiets.

5 Team-Time-out. 5 Legen des Blasenkatheters. 5 Handschuhwechsel und Anlegen des »Lenden5 5 5 5

5 5 5 5 5

schurzes«. Pfannenstiel-Schnitt mit extra- oder transperitonealem Zugang bei Verwachsungen. Hautinzision mit dem Skalpell, Quereröffnung der Rektusscheidenfaszie. Auseinanderdrängen und stumpfes Unterfahren der Rektusbäuche. Eröffnen des extraperitonealen Raumes (Spatium retropubicum) und Abschieben des Peritonealsacks von der Blasenvorderwand möglichst weit nach kranial. Schaffen eines möglichst großen Eingangs in den paravesikalen Raum der zu operierenden Seite. Aufsuchen und Anschlingen des Harnleiters oberhalb der Kreuzung der Iliakalgefäße. Präparation nach distal bis zum veränderten Ureteranteil. Anlegen einer Haltenaht, Durchtrennen des Harnleiters und Resektion des veränderten Anteils. Einlegen einer Ureterschiene, die proximal bis in die Niere hochgeschoben und mit einem feinen resorbierbaren Faden fixiert wird.

5 5

5 5 5 5 5

9.7.3

soweit mobilisiert, dass ein ausreichend großer Lappen gewonnen werden kann. Dessen Basis sollte in Richtung des ursprünglichen Ostiums liegen (Blasenhinterwand), um eine gute Durchblutung zu gewährleisten. Anlegen von Markierungsnähten und Zuschneiden des Lappens, der etwas länger als der zu überbrückende Defekt sein sollte und mindestens 2 cm breit sein muss. Am Ende des Lappens wird mit einem feinen Overholt mittig ein submuköser Tunnel von ca. 4 cm Länge gebildet, vorher ggf. Unterspritzung der Schleimhaut mit NaCl im Sinne einer Hydrodissektion der Schichten. Der mit einem Faden markierte Ureter wird durch den Tunnel gezogen und mit feinen resorbierbaren Fäden mit der Blasenschleimhaut vernäht (Antirefluxplastik nach Politano-Leadbetter; . Abb. 9.51). Mukosa-Mukosa-Naht, Ureteradventitia und Blasenmuskulatur werden zur Sicherheit miteinander vernäht. Verschluss des Boari-Lappens über dem Ureter und der liegenden Schiene, ohne den Harnleiter einzuengen (. Abb. 9.53). Falls nötig, wird die Schiene belassen und separat transvesikal-transkutan ausgeleitet. Verschluss der Restblase mit groben resorbierbaren Fäden der Stärke 0 oder 1. Einlage einer Robinson-Drainage. Zählkontrolle und Dokumentation aller Textilien und Instrumente und Dokumentation des Zählstandes. Schichtweiser Wundverschluss. Evtl. wird der Blasenkatheter belassen. Wundpflaster.

Ureterfreilegung

Die Freilegung der Harnleiter kommt meist nur noch bei Harnleitertumoren, Stenosen und Verletzungen – zumeist nach urologisch-endoskopischen, gynäkologischen oder chirurgischen Eingriffen – in Frage. Harnleitersteine werden in aller Regel mittels endoskopischer Maßnahmen, wie der Ureterorenoskopie (7 Abschn. 9.3.4) oder der extrakorporalen Stoßwellenlithoplaxie (ESWL) entfernt. Zugang und Lagerung richten sich nach dem Sitz der Harnleiterveränderung. Bei Erkrankungen im oberen Drittel des Harnleiters wird ein extraperitonealer Zugang in Seitenlage, bei Erkrankungen im mittleren und unteren

499 9.7 · Harnleiter

kInstrumentarium

4 4 4 4 4 4 4 4 4

Grundinstrumentarium, evtl. langes Instrumentarium, bei Bedarf Balfour- oder Finocchietto-Sperrer, feines Skalpell, Schere nach Potts de Martell, Ureterschiene (Doppel-J), Zügel, Robinson-Drainage, evtl. Nélaton-Blasenkatheter, der postoperativ eingelegt wird, 4 Nahtmaterial nach Abteilungsstandard (u. a. feine resorbierbare, geflochtene Fäden der Stärke 4–0 sowie monofile Fäden der Stärke 5–0), 4 bei Bedarf spezielles Steininstrumentarium, z. B. Steinfasszangen, biegbare Steinlöffel, Knopfsonde, Dissektor, 4 Spritze und Knopfkanüle, sterile NaCl- oder RingerLösung. kLagerung

Je nach Zugang Seitenlagerung oder Rückenlage. Falls der Bildwandler benötigt wird, ist der Strahlenschutz für den Patienten und das Personal zu beachten. Anlegen der Neutralelektrode am Oberschenkel. . Abb. 9.53 Nahezu 2/3 des Harnleiters können mit Hilfe eines gestielten Boari-Blasenlappens und zusätzlicher Hörner-Blasenplastik (sog. Psoas-Hitch-Technik) ersetzt werden. Hierbei wird der aus der Harnblase gebildete sog. Boari-Lappen zu einem Rohr geformt und der Harnleiter im Sinne einer Ureterozystoneostomie und Fixation des Blasenhornes am M. psoas implantiert. (Aus Hautmann u. Huland 2006)

Drittel wird ein extraperitonealer Zugang in Rückenlage mittels Pararektal- oder Parainguinalschnitt gewählt. Sollten in Ausnahmefällen Steine entfernt werden müssen, wird präoperativ röntgenologisch der genaue Sitz des Steins bestimmt. jDiagnostik

4 Übliche Laborparameter, 4 retrogrades Pyelogramm. kIndikationen

4 4 4 4

Kurzstreckige Harnleiterstrikturen, Verletzungen des Harnleiters, Harnleitersteine, Harnleitertumoren.

kPrinzip

Resektion der Stenose, des Tumors oder Entfernung der Steine mit anschließender End-zu-End-Anastomose des Ureters.

kZugang

Flankenschnitt, Pararektal- oder Parainguinalschnitt. OP-Verlauf: Ureterfreilegung

5 Hautdesinfektion und sterile Abdeckung des OP-Gebiets. Team-Time-out. Hautinzision. Stumpfes Ablösen des Peritoneums. Einsetzen eines entsprechenden Wundsperrers, ggf. vorherige Umlegung mit feuchten Tüchern. 5 Darstellen und Anschlingen des Ureters. 5 Präparation und Aufsuchen des Befundes unter Schonung der begleitenden Harnleitergefäße, sonst kann es zu einer Nekrose kommen. 5 Anlegen von Haltefäden (4–0 resorbierbar, geflochten) distal und proximal der Veränderung.

5 5 5 5

9

500

Kapitel 9 · Urologie

OP-Verlauf: Steinentfernung

5 Längsinzision des Ureters. 5 Mit Hilfe des Steininstrumentariums wird der Stein entfernt und danach der Ureter nach distal und proximal mit Spritze und Knopfkanüle durchgespült (NaCl- oder Ringer-Lösung). 5 Einlage einer Ureterschiene und Dauerableitung für 7–10 Tage. 5 Verschluss der Ureterotomie mit feinem resorbierbarem Nahtmaterial 5–0 mit Einzelknopfnähten.

OP-Verlauf: Tumorresektion

5 In aller Regel werden Karzinome des Harnleiters

9

5 5 5

5 5 5 5

per URS gesichert. Dann sollten Niere und betroffener Harnleiter entfernt werden. Bei schlechter Funktion der kontralateralen Niere muss ggf. der Organerhalt angestrebt werden. Resektion des betroffenen Harnleiterabschnittes. Das Resektat wird zur Schnellschnittuntersuchung (»Ränder frei?«) gegeben. Herstellung einer End-zu-End-Anastomose: Dazu müssen beide Ureterenden frei von narbigen Veränderungen sein und locker adaptiert werden können. Spatulieren des distalen und proximalen Endes des Ureters mit der Schere nach Potts; die Spatulierung nach kranial und kaudal erfolgt um 180° versetzt. Einlage eines Doppel-J-Katheters. Legen von Ecknähten mit feinem monofilem Nahtmaterial 5–0. Verschluss von Vorder- und Hinterwand mit Einzelknopf- oder fortlaufender Nahttechnik.

. Abb. 9.54 Ureterokutaneostomie

geringem Zeitaufwand durchgeführt werden. Ein wesentlicher Nachteil ist die erhöhte Stenoserate im HautSchleimhaut-Bereich. OP-Verlauf: Ureterokutaneostomie (»feuchte« Harnableitung)

5 Die geschienten Harnleiter werden mobilisiert und nach kranial präpariert.

5 Sie werden zur Bauchwand geführt und dort ausgeleitet.

5 Alternativ kann ein Ureter mit End-zu-Seit-Technik OP-Verlauf: Striktur oder Harnleiterabriss

5 Ureteroureterostomie wie oben beschrieben. 5 Zählkontrolle aller Textilien und Instrumente, Dokumentation des Zählstandes.

5 Einlage einer Robinson-Drainage. 5 Schichtweiser Wundverschluss, Wundpflaster. 5 Evtl. Einlage eines Blasenkatheters.

9.7.4

Ureterokutaneostomie

Bei der Ureterokutaneostomie wird/werden der/die Harnleiter direkt in die Haut implantiert. Dieses Verfahren gilt als Palliativeingriff. Er ist technisch einfach und kann mit

in den zweiten implantiert werden; dieser wird dann unilateral ausgeleitet. 5 Das Harnleiterende wird auf einer Strecke von 2–3 cm mit der Schere nach Potts gespalten und samt Schiene zur seitlichen Bauchwand ausgeleitet (. Abb. 9.54). Im Hautstoma wird ein dreieckiger Zipfel Haut ausgeschnitten und in die Ureterinzision eingenäht (5–0 monofil resorbierbar), dadurch soll die Stenosetendenz verringert werden. 5 Der ablaufende Urin wird in einem selbstklebenden Beutel aufgefangen.

501 9.7 · Harnleiter

9.7.5

Ileumkonduit 5 Danach wird das Darmende evertierend mit der

Ileum- oder auch Kolonkonduits gelten seit mehr als 50 Jahren sowohl beim Urothelkarzinom als auch bei anderen Malignomen im kleinen Becken als Standardtherapie der supravesikalen Harnableitung. Beim Ileumkonduit werden die Harnleiter mit einer kurzen Ileumschlinge anastomosiert, und diese wird dann am rechten Unterbauch aus der Haut ausgeleitet. kPrinzip

Eine etwa 15–20 cm lange Ileumschlinge wird ca. 20 cm vor der Ileozäkalklappe ausgeschaltet. Der verbleibende Dünndarm wird reanastomosiert (mit Naht bzw. in Staplertechnik; 7 Kap. 2). Der linke Harnleiter wird unter dem Sigma in Höhe der Gefäßbifurkation auf die rechte Seite geführt. Die Implantation der Ureteren erfolgt entweder nach Bricker oder nach Wallace.

Subdermis vernäht, sodass ein prominentes Stoma entsteht (7 Abschn. 2.12.9, Anus praeter). 5 Versorgung mit Urostomaklebebeutel.

9.7.6

Kolonkonduit

Die Versorgung mit einem Kolonkonduit ist alternativ zum Ileumkonduit bei Bestrahlungen im kleinen Becken, bei fehlendem distalem oder mittlerem Harnleiter, bei zu kurzem Dünndarm oder beim M. Crohn des Ileums gegeben. Der ausgeschaltete Darmanteil ist das Colon transversum, alternativ kann auch das Colon sigmoideum gewählt werden (. Abb. 9.55). Die Gefäßversorgung erfolgt beim Colon transversum über die A. colica media, beim Sigmoideum über die A. mesenterica inferior.

OP-Verlauf: Ileumkonduit nach Bricker

5 Verschluss des oralen Endes des ausgeschalteten

OP-Verlauf: Transversumkonduit

Darmsegmentes, das aborale Ende wird zur Haut ausgeleitet. 5 Die Harnleiter werden einzeln seitlich in die Darmwand anastomosiert (4–0 resorbierbar, geflochten).

5 Ein ca. 20 cm langes Darmsegment (z. B. Colon transversum) wird aufgesucht, mobilisiert und aus der Darmpassage ausgeschaltet. 5 Ein Harnleiter wird retromesenterial auf die Gegenseite geführt. 5 Der Darm wird an einer freien Tänie ca. 4 cm längs eröffnet. 5 Die Harnleiter werden in Antirefluxtechnik (7 Abschn. 9.7.2) implantiert. Im Gegensatz zur Implantation in den Dünndarm besteht hier die relevante Gefahr von aszendierenden Infektionen in die Nieren. 5 Danach quere Vernähung der Darmöffnung. 5 Die Technik der Anlage des Stomas entspricht der beim Ileumkonduit beschriebenen (7 Abschn. 9.7.5).

OP-Verlauf: Ileumkonduit nach Wallace 5 Die Harnleiterenden werden an den Enden mit der Schere nach Potts spatuliert und auf ca. 1,5 cm gleich- oder gegenläufig miteinander Seit-zu-Seit (5–0 monofil resorbierbar) verbunden, dadurch entsteht eine »Ureterplatte«. 5 Diese wird dann in das orale, ausgeschaltete Ileumsegment anastomosiert und hat aufgrund der größeren Fläche ein geringeres Risiko einer Stenose der ureteroilealen Anastomose. 5 Die ideale Lokalisation für das Stoma führt durch den M. rectus abdominis und ist vor der Operation an der Hautaustrittstelle markiert worden. 5 Die Haut wird kreisförmig mit einem Durchmesser von ca. 1,5 cm gespalten, der Muskel im Faserverlauf stumpf zur Seite gedrängt und das Peritoneum inzidiert. 5 Das aborale Ende des Konduits wird mit einer weichen Darmklemme oder einer Allis-Klemme durch den Muskel bis ca. 5 cm über das Hautniveau gezogen. 5 Das Konduit wird ggf. an der Faszie fixiert (3–0 resorbierbar, geflochten).

9.7.7

Mainz-Pouch I und II

Hier handelt es sich um eine kontinente Harnableitung. Die Harnleiter werden in entweder einen ausgeschalteten Darmanteil (Ileum und Zäkum) oder in einen detubularisierten Sigmaanteil, der aus der direkten Stuhlpassage herausgenommen wird und sich damit in einem »Niederdruckbereich« befindet, implantiert. Die Patienten müssen sich dann intermittierend katheterisieren (Mainz-Pouch I, z. B. über den Nabel), oder der Urin wird über den Anus entleert. Nachteile sind rezidivierende fieberhafte Harnwegsinfekte und die Gefahr eines sekundären Adenokarzinoms im Bereich der ureterointestinalen Anastomose.

9

502

Kapitel 9 · Urologie

a

d

9 b

c . Abb. 9.55a–d Kolonkonduit. a Isolierung eines Sigmasegments. b, c Wiederherstellung der Darmkontinuität, retroperitoneales laterokolisches Durchziehen beider Harnleiter. Antirefluxive Implantation der Harnleiter. d Retroperitonisiertes Kolonkonduit. (Nach Sigel u. Ringert 2001)

9.7.8

Anlage einer Neoblase OP-Verlauf: Neoblasenanlage

Die orthotope Blasenersatzplastik bei Patienten beiderlei Geschlechts ist möglich, wenn der Tumor die Harnröhre und den M. sphincter externus nicht infiltriert hat. Die Neoblase wird in aller Regel als Ileumneoblase angelegt. Durch die antimesenteriale Längsinzision des Darms, mit W- oder S-förmiger Vernähung zu einer Platte, entsteht ein der ursprünglichen Harnblase ähnliches »Niederdruckreservoir«. Mit Hilfe der Bauchpresse kann dieses dann entleert werden.

5 Ein ca. 60 cm langes Dünndarmsegment wird in ungefähr 15 cm Abstand vor der Ileozäkalklappe ausgeschaltet. Der Darmanteil muss eine ausreichende eigene Gefäßversorgung besitzen! 5 Die Darmkontinuität wird durch End-zu-EndAnastomose mittels Handnaht oder in Seit-zu-SeitStaplertechnik wiederhergestellt. 5 Detubularisierung durch antimesenteriale Längsinzision der ausgeschalteten Darmschlinge, wobei an beiden Enden (bei seitengetrennter Ureterimplantation) oder nur am aboralen Ende (bei Verwendung der Wallace-Platte) ca. 5 cm nicht eröffnet werden. 5 Blutstillung und Säuberung des Darmsegments.

503 9.8 · Harninkontinenz der Frau

5 S- oder W-förmige Anordnung des Darmabschnit-

5 5

5

5

5

9.8

tes und Nähte der benachbarten Ränder, sodass eine Platte entsteht. Die Harnleiter werden seitengetrennt jeweils in das nicht detubularisierte Ende der Neoblase eingenäht. Dabei können die Ureteren mit einer Antirefluxtechnik in die Dünndarmplatte implantiert werden. Bei antirefluxiver Technik kann es vermehrt zu Stenosen kommen, dafür ist ein besserer Schutz vor aszendierenden Infekten gegeben. Die seitengetrennte Implantation der Harnleiter erspart die Verlagerung eines Harnleiters unter dem Darm hindurch auf die kontralaterale Seite. Die Anlage einer Wallace-Platte (7 Abschn. 9.7.5, Ileumkonduit) zum Einnähen der Ureteren ist ebenfalls möglich. Die unteren Enden der Dünndarmplatte werden nach oben eingeschlagen. Die Vorderwand der Neoblase wird dabei T-förmig verschlossen (3–0 resorbierbar, geflochten, gerade Nadel). Durch die zuvor mit Anastomosennähten vorbereitete Urethra (doppelt armierte Fäden 4–0, nicht resorbierbar, monofil) wird ein 22-Charr.-Neoblasenkatheter geführt. Am untersten Punkt der Neoblase wird mit einem langen Diathermiestichel eine Öffnung für den Katheter geschaffen und dieser dort mit 30 ml geblockt. Die Urethra wird an der Kathetereintrittstelle mit der Neoblase vernäht (ähnlich der Anastomose der Harnröhre mit dem Blasenhals bei der radikalen Prostatektomie).

Harninkontinenz der Frau Definition Harninkontinenz wird definiert als Zustand mit jeglichem unwillkürlichem Urinverlust, der ein soziales oder hygienisches Problem darstellt (Zitat aus Schmelz et al. 2006; Definition der International Continence Society; ICS).

Es wird unterschieden zwischen: 4 Belastungsinkontinenz (früher: Stressinkontinenz): Unwillkürlicher Harnverlust bei körperlicher Belastung, Niesen, Husten. 4 Dranginkontinenz: Unwillkürlicher Harnverlust in Kombination mit plötzlich vorausgegangenem Drangempfinden.

4 Mischinkontinenz: Unwillkürlicher Harnverlust assoziiert mit Harndrang wie auch mit körperlicher Belastung, Niesen, Husten. 4 Nächtliche Enuresis: Jeglicher unwillkürlicher Harnverlust während des Schlafes. 4 Übrige Inkontinenzformen: Situationsabhängige Inkontinenzepisoden, z. B. bei Geschlechtsverkehr. 4 Als Sonderform gilt die neurogene Inkontinenz, die auf einer neurologischen Grunderkrankung beruht. Als Ursache für die Belastungsinkontinenz gelten z. B. Alterungsvorgänge, Adipositas und eine Beckenbodensenkung, z. B. nach vaginalen Geburten. Die Therapie ist abhängig von Form und Ausprägung der Inkontinenz. Die operative Maßnahme sollte erst bei Versagen der konservativen Therapie, z. B. Beckenbodentraining, in Betracht gezogen werden. Es gibt vielfältige Verfahren, von denen sich die unten aufgeführten Techniken durchgesetzt haben. Harninkontinenzformen der Frau werden sowohl von Urologen als auch von Gynäkologen therapiert (7 Kap. 8).

9.8.1

»Tensionfree Vaginal Tape« (TVT, TVT-O)

Einbringen eines »tension free vaginal tape« (TVT = spannungsfreies Band; 7 Abschn. 8.6.10), welches auch transobturatorisch positioniert werden kann (TVT-O). Das TVT ist ein synthetisches Band, das von vaginal mit einer Spezialnadel um die Urethra retrosymphysär nach ventral eingebracht wird. Es wird nicht fixiert (daher: »tensionfree«), sondern verankert sich durch Gewebeeinsprossung. Dadurch unterstützt es bei zunehmender Blasenfüllung die Harnblase bzw. die Urethra wie eine »Hängematte« und verbessert somit den Kontinenzmechanismus. Eine mögliche Komplikation bei Implantation des TVT ist die Blasenverletzung. Die Erfolgsrate liegt bei ca. 80%. Beim TVT-O erfolgt die Einlage des Bandes transobturatorisch. Es besteht dadurch eine geringere Gefahr der Blasenverletzung. kIndikationen

Belastungsinkontinenz nach Versagen der konservativen Therapie. kLagerung

Steinschnittlagerung. Neutralelektrode am Oberschenkel.

9

504

Kapitel 9 · Urologie

kInstrumentarium

4 4 4 4 4 4 4 4 4 4 4 4 4

Grundinstrumentarium mit Kocher Klemmen, Stichskalpell, 15-er Skalpell, Allis-Klemmen, Scheidenspekula mit Gewicht (7 Kap. 8), Band-Set, Nélaton-Blasenkatheter, Spritze zum Blocken, Ablaufbeutel, Gleitmittel, östrogenhaltige Salbe, Streifentamponade, Lokalanästhetikum mit Adrenalin, lange Kanüle zum Einspritzen des Lokalanästhetikums, Nahtmaterial (resorbierbar, monofil, 3–0), in Bereitschaft: Zystoskop.

kZugang

9

4 Vaginale Inzision. 4 Kleine Inzisionen suprapubisch am Tuberculum pubicum rechts und links.

OP-Verlauf: TVT-Anlage

5 Desinfektion von Unterbauch, oberem Ober5 5 5 5 5 5

5

5 5 5

5

schenkel, Scheide und Damm mit einem gefärbten Schleimhautantiseptikum. Ein »Abwaschtupfer« wird bis OP-Beginn in der Scheide belassen. Abdecken des OP-Gebiets. Team-Time-out. Einlegen des Blasenkatheters. Entfernen des Tupfers aus der Vagina. Bei Operation in Lokalanästhesie Injektion des Anästhetikums in die suprapubischen Austrittstellen der TVT-Nadeln, retrosymphysär und von vaginal paraurethral. Hydrodissektion der Vaginalvorderwand und der darunter liegenden Schichten. Dies erleichtert im Weiteren die paraurethrale Präparation und verringert das Risiko einer Urethraverletzung. Einstellen der vorderen Scheidenwand mit Hilfe des Spekulums mit Gewicht. Fassen der Vaginalhaut neben der Urethra mit z. B. Allis-Klemmen. Sie wird am Übergang vom proximalen zum mittleren Harnröhrendrittel mit dem 15-er Skalpell auf etwa 4 cm eröffnet. Unter Schonung der Urethra wird der Beckenboden paraurethral in Richtung Hinterkante des Schambeins mit der Schere rechts und links getunnelt.

5 Stichinzisionen suprapubisch, jeweils ca. 2–3 cm lateral der Medianlinie; eine lange Kanüle wird zur Orientierung für die spätere Stichrichtung der Führungsnadel unter Knochenkontakt an der Hinterkante des Schambeins von außen Richtung vaginal geführt. 5 Dann erfolgt die Bandeinlage: – Eine Führungsnadel wird von außen nach vaginal durchgestoßen und das Band an der Spitze dieser Führungsnadel befestigt. – Die zweite Führungsnadel wird auf der anderen Seite eingeführt, das Band wird um die Harnröhre gelegt und dann an der zweiten Nadel befestigt. (Die Führungsnadeln sind für rechts und links gekennzeichnet.) – Die Nadeln werden zurückgezogen und das Band damit nach kranial in die retrosymphysäre Region hochgezogen. – Das Band wird um die mittlere Harnröhre platziert. – Ggf. Zystoskopie zum Ausschluss einer Blasenverletzung (zu diesem Zeitpunkt kann die Lage des Bandes noch korrigiert werden). – Mit zwei Kocher-Klemmen wird die Schutzhülle des Prolenebandes außerhalb der suprapubischen Stichinzisionen gefasst, und die Führungsnadeln werden entfernt. – Feinanspannung (spannungsfrei) des Bandes (mit ca. 1 ml Luft) um die Urethra. 5 Hat die Patientin keine Vollnarkose, wird sie gebeten zu husten. Das Band wird solange fester um die Harnröhre gelegt, bis kein Urin mehr fließt. 5 Von außen wird die Schutzhülle des Bandes mit den beiden Kocher-Klemmen entfernt. 5 Das Band wird an beiden Inzisionsstellen unterhalb des Hautniveaus abgeschnitten, die Einstichstellen werden mit kleinen Wundpflastern versorgt. 5 Nach der Zählkontrolle und der Dokumentation des Zählstandes wird der Vaginalschnitt mit resorbierbaren monofilen Fäden genäht (3–0). 5 Einlage einer mit einer östrogenhaltigen Salbe getränkten Streifentamponade, diese wird mit ihrem Halteband am Blasenkatheter befestigt und dort belassen. 5 Tamponade und Katheter können am 1. postoperativen Tag entfernt werden.

9

505 9.9 · Blasen-Scheiden-Fisteln

9.8.2

Inkontinenzoperation nach Burch 42% vesikovaginal

Die Kolposuspensionsoperation nach Burch ist mit über 70% Langzeiterfolg das Standardverfahren in der operativen Inkontinenztherapie und in 7 Abschn. 8.6.10 beschrieben. Die vaginalen Operationen wie z. B. TVT (7 Abschn. 9.8.1 und 7 Abschn. 8.6.10), haben eine postoperative Erfolgsquote von 80% und sind deutlich weniger invasiv als die OP nach Burch, die mit einer Eröffnung des paravesikalen Raumes einhergeht. Das paravaginale Gewebe wird mittels Matratzennähten an das Lig. ileopectineum (Cooper-Band) genäht.

9.9

Blasen-Scheiden-Fisteln

Blasen-Scheiden-Fisteln entstehen z. B. nach Hysterektomie, nach Bestrahlungen im kleinen Becken, nach geburtshilflichen Operationen, durch Traumata und Tumoren. Zusätzlich besteht häufig eine Harninkontinenz. Die Lokalisationen zeigt . Abb. 9.56. Kleinere Fisteln werden von vaginal rekonstruiert, größere (>2 cm) über eine Unterbauchlaparotomie. jDiagnostik

Die Diagnose wird gesichert durch eine Zystoskopie mit Biopsie, Miktionszysturethrographie (MCU), CT Abdomen bei Tumorverdacht und durch einen »Blaunachweis« (Indigocarmininjektion in die Blase → ein vaginal eingelegter Tupfer färbt sich blau).

34% ureterovaginal 10% vaginorektal 11% urethrovaginal . Abb. 9.56 Fisteln des unteren Harntraktes und deren Häufigkeit. (Aus Hautmann u. Huland 2001/2006)

OP-Verlauf: Peritoneallappenplastik

5 Desinfektion und sterile Abdeckung des OP-Gebiets.

5 Team-Time-out. 5 Nach Eröffnen der Bauchdecke wird das Peritoneum vom Blasendach in Richtung Fistel abpräpariert.

5 Mediane Inzision der Blase und seitliche Inzision des Peritoneums.

5 Blasen- und Scheidenwand werden bis unter die 5

kPrinzip

Exzision der Fistelränder, Verschluss der Blase und evtl. Decken des Defekts mittels eines Lappens aus dem Peritoneum. Bei der Peritoneallappenplastik wird die Fistel ausgeschnitten, die Scheide wird verschlossen und der verschlossene Defekt mit einem Peritoneallappen gedeckt. Bei kleineren Fisteln wird von vaginal, bei größeren von abdominal vorgegangen. kInstrumentarium

4 4 4 4 4 4

Grundinstrumentarium, Scheidenspekula, suprapubischer Katheter, Robinson-Drainage, Nahtmaterial (resorbierbar, monofil und geflochten), Nélaton-Blasenkatheter.

kLagerung

Steinschnittlagerung mit abgesenkten Beinen. kZugang

Suprasymphysärer Faszienquerschnitt nach Pfannenstiel.

5

5 5 5 5 5 5 5 5

proximale Urethra voneinander getrennt und die Fistelränder ausgeschnitten. Die Scheide wird mit resorbierbaren Nähten einschichtig verschlossen, dabei müssen die Knoten in der Scheide liegen! Ein ca. 5 cm breiter Peritoneallappen wird seitlich der Blase gestielt in Richtung Beckenboden präpariert und auf der Scheide festgenäht (. Abb. 9.57). Dabei muss die Scheidennaht gut abgedeckt sein. Die Blase wird zweischichtig verschlossen. Einlage einer suprapubischen Harnableitung. Blutstillung und Verschluss des Peritoneums. Einlage einer Robinson-Drainage in das Cavum Retzii. Kontrolle aller Instrumente und Textilien und Dokumentation des Zählstandes. Schichtweiser Wundverschluss. Wundpflaster.

506

Kapitel 9 · Urologie

OP-Verlauf: Latzkow-Technik

5 Desinfektion des OP-Gebiets, sterile Abdeckung und Team-Time-out.

5 Einstellen der Fistel mit dem Scheidenspekulum. 5 Zirkuläre Umschneidung des Fistelgangs und

5

a

5 5 5

Mobilisation der vorderen Vaginalwand. Scheidenund Blasenwand werden dadurch voneinander getrennt. Die Blasenwand wird dann mit einer Rückstichnaht unter Belassen des Fistelgangs mit einem resorbierbaren Faden verschlossen. Diese Nahttechnik ist erforderlich, damit die Nähte von Scheide und Blase nicht aufeinander zu liegen kommen. Verschluss der Scheide mit innen liegenden Knoten. Entfernen aller verwendeten Instrumente und Textilien sowie Zählkontrolle mit Dokumentation des Zählstandes. Einlage eines Nélaton-Blasenkatheters.

9 9.10

b . Abb. 9.57a, b Blasen-Scheiden-Fistel. a Schnittführung zur Bildung des Peritoneallappens. b Einnähen des Peritoneallappens auf die verschlossene Scheide. (Adaptiert nach Petri 2001)

9.9.1

Technik nach Latzkow

Die Operation wird bei kleineren Fisteln, die von vaginal aus erreichbar sind, durchgeführt. kInstrumentarium

Siehe oben, zusätzlich feinere längere Scheren und Pinzetten. kLagerung

Harninkontinenz des Mannes

Die Ursache für die Harninkontinenz des Mannes ist häufig eine postoperative Komplikation nach Eingriffen an der Prostata. Bei der radikalen retropubischen Prostatektomie (RRP) kann es z. B. zu einer direkten Schädigung des M. sphincter externus nach tiefer Umstechung des Plexus Santorini bei Blutungen während der Operation kommen. Auch die TUR-P und Adenektomie können zu einer Sphinkterschwächung führen. Bei der Anamneseerhebung werden Leidensdruck des Patienten, Voroperationen, Medikamente, urologische oder auch neurologische Erkrankungen sowie das Ausmaß der Harninkontinenz erfragt. Dabei wird der Harnverlust nach Stamey in 3 Stadien unterteilt (. Tab. 9.2). Als operative Verfahren sind z. B. die Anlage eines artifiziellen Sphinkters oder die Anlage eines suburethralen Bandes (AdVance) zu nennen. Für den Therapieerfolg bei der Bandanlage ist eine restliche Sphinkteraktivität die Voraussetzung. Langzeitergebnisse existieren lediglich für den artifiziellen Sphinkter, andere Verfahren müssen sich erst bewähren.

Steinschnittlagerung mit hochgestellten Beinen, Oberkörper leicht abgesenkt. . Tab. 9.2 Einteilung des Harnverlustes nach Stamey

kZugang

Von vaginal.

Schweregrad

Kennzeichen

1

Harnverlust bei Niesen, Husten und Lachen

2

Harnverlust beim Gehen und Aufstehen

3

Harnverlust im Liegen

507 9.10 · Harninkontinenz des Mannes

9.10.1

Artifizielle Sphinkteranlage

kLagerung

Modifizierte Steinschnittlagerung mit abgesenkten Beinen. Es ist keine Sphinkteraktivität mehr vorhanden. Diese wird dann nach der Operation mechanisch durch einen um die Harnröhre herum liegenden Cuff imitiert. Hinsichtlich der Kontinenz sind gute Ergebnisse zu erwarten, nachteilig ist hier allerdings die relativ häufige Revisionsrate in den ersten 5 Jahren nach Operation (mechanische Defekte, Infektionen des Systems, HR-Arrosionen). Zusätzlich erfordert dieses System manuelles Geschick des Patienten sowie Verständnis für die Bedienung des Systems. jDiagnostik

4 4 4 4 4

Übliche Laborparameter, Urinkultur, Sediment, Sonographie mit Restharnbestimmung, Urodynamik, Zystoskopie.

kIndikationen

4 Fehlende Sphinkteraktivität, 4 Versagen anderer Therapieoptionen. kPrinzip

kInstrumentarium

Vorbereitung auf 2 separaten Instrumentiertischen. 4 1. Instrumentiertisch: 5 Grundinstrumentarium, 5 evtl. längere Instrumente, 5 bei Bedarf größere Wundspreizer, 5 Scott-Rahmen (. Abb. 9.58). 4 2. Instrumentiertisch: 5 AMS 800-Einmalset mit seinen drei Komponenten (druckregulierender Ballon, Harnröhren-Cuff, Kontrollpumpe) und Messstreifen (. Abb. 9.59), 5 antibiotische Lösung zum Einlegen des Systems (z. B. Gentamycin), 5 mindestens 8 stumpfe Klemmchen, die mit Zügeln, die im System enthalten sind, bezogen werden. 5 Kontrastmittel zum Füllen des Ballons, 5 Nahtmaterial, 5 Nélaton-Blasenkatheter. kZugang

Perineal- und Unterbauchwechselschnitt.

Obstruktion der Harnröhre im Bereich der membranösen/ bulbären Harnröhre.

a . Abb. 9.58a, b Scott-Rahmen (a Modell, b in situ). (© Fa. AMS – American Medical Systems)

b

9

508

Kapitel 9 · Urologie

OP-Verlauf: Artifizielle Sphinkteranlage (Operation am Beispiel Komplettset AMS 800 , Fa. American Medical Systems)

5 Zunächst ist der Patient in Steinschnittlage gelagert. 5 Hautdesinfektion unter Beachtung der angegebenen Kriterien und steriles Abdecken des OP-Gebiets.

5 Team-Time-out.

a

9

b

. Abb. 9.59a, b Artifizieller Sphinkter (a Modell, b in situ). (© Fa. AMS – American Medical Systems)

kVorbereitung des Patienten Patientenvorbereitung Rasur Die Rasur der Patienten erfolgt zeitnah in der Einleitung oder erst im OP-Saal selbst, keinesfalls auf der peripheren Station. Dieses Vorgehen dient dazu, Infektionen vorzubeugen. Desinfektion des OP-Gebietes Zunächst wird eine Desinfektion des OP-Gebiets mit einem Schleimhautdesinfektionsmittel und sterilen Tüchern über 15 min durchgeführt. Erst danach erfolgt die übliche Desinfektion mit dem gebräuchlichen alkoholischen Desinfektionsmittel unter Einhaltung der Einwirkzeit.

5 Es wird eine senkrechte mediane perineale Inzision durchgeführt, die Harnröhre wird ohne Eröffnung des M. bulbospongiosus freigelegt. Das Centrum tendineum wird von der Harnröhre stumpf getrennt, bis der membranöse Anteil komplett umfahren werden kann, hier wird die Cufflänge mit dem mitgelieferten Messstreifen ermittelt. 5 Das Silikonmaterial des AMS 800 wird auf dem 2. Instrumentiertisch entlüftet, mit Kontrastmittel gefüllt und mit den bezogenen Klemmchen verschlossen. 5 Das komplette Material wird in steriler Antibiotikalösung bis zur Implantation aufbewahrt. 5 Der Cuff wird um die membranöse Harnröhre gelegt und verschlossen. Das Centrum tendineum wird über dem Cuff rekonstruiert, sodass dieser in einem sicheren und stabilen Lager oberhalb des Centrums liegt. 5 Die Wunde wird zunächst offen gelassen und mit einem in Schleimhautdesinfektionsmittel getränktem Bauchtuch abgedeckt. 5 Absenken der Beine. 5 Im rechten Unterbauch wird ein Wechselschnitt durchgeführt. Hier wird der druckregulierende Ballon intraperitoneal versenkt und mit der vorher abgemessenen Menge Kontrastmittel (nach Herstellerangaben) befüllt. 5 Das Peritoneum wird verschlossen, danach wird die Kontrollpumpe ins rechte Skrotalfach verbracht und dort zunächst mit einer Klemme von außen fixiert. Der zuführende Schlauch vom Cuff wird über einen mit dem Overholt präparierten Tunnel nach inguinal durchgezogen. 5 Nun werden die Verbindungsschläuche entsprechend gekürzt, gespült, konnektiert und dann im subkutanen Fettgewebe versenkt. Es ensteht also eine Verbindung vom Reservoir zur Pumpe und eine Verbindung vom Cuff zur Pumpe. 5 Blutstillung, Zählkontrolle aller Instrumente und Textilien, Dokumentation des Zählstandes. 5 Schichtweiser Wundverschluss auch der perinealen Wunde und Anlegen der Wundpflaster. 5 Der Cuff wird mit der Pumpe im Skrotalfach entleert und somit deaktiviert.

509 9.11 · Harnröhrenplastik

5 Der Cuff muss bei jeglicher transurethraler Manipulation deaktiviert sein!

5 Dann erst wird ein Nélaton-Blasenkatheter transurethral eingelegt.

9.10.2

AdVance-Band-Einlage (Fa. AMS)

Dieses funktionelle, retrourethrale, nicht knochenverankerte Band wird z. B. bei Patienten mit Belastungsinkontinenz nach radikaler Prostatektomie eingelegt. Dieses Schlingensystem für Männer ist bei leichter bis mittelgradiger Harninkontinenz indiziert, allerdings gibt es noch keine Langzeitergebnisse. jDiagnostik

4 4 4 4

Übliche Laborparameter. Urodynamik. Zystoskopie. Patientenanamnese.

kIndikationen

Leichte bis mittelgradige Harrninkontinenz verschiedener Genese. kLagerung

Steinschnittlage mit hochgestellten Beinen. kPrinzip

Anheben der Urethra mittels einer Schlinge aus nicht resorbierbarem Band über einen perinealen Zugang sowie über eine kleine Stichinzision transobturatorisch. kInstrumentarium

4 4 4 4 4 4

Grundinstrumentarium, Scott-Rahmen (Fa. AMS; . Abb. 9.58), AdVance-Band-Set (Fa. AMS; . Abb. 9.60), Nahtmaterial (3–0, 4–0, monofil, resorbierbar), Nélaton-Blasenkatheter, Ablaufbeutel.

9.11

. Abb. 9.60 AdVance-Band. (© Fa. AMS – American Medical Systems)

spielsweise nach Verkehrsunfällen, Infektionen der Urethra oder auch Tumoren der Harnröhre und des umliegenden Gewebes. Nach der einfachen Urethrotomie (als bisher übliches Primärverfahren) kommt eine plastische Rekonstruktion bei Rezidiven oder bei bereits primär längeren oder komplexeren Strikturen in Frage. Die Wahl des Operationsverfahrens ist abhängig von der Lokalisation der Striktur. Sie können lokalisiert sein: 4 in der prostatischen Harnröhre: zwischen Harnblase und Schließmuskel, 4 in der membranösen Harnröhre: im Niveau des Schließmuskels, 4 in der bulbären Harnröhre: zwischen Schließmuskel und Beginn des mobilen Penis, 4 in der penilen Harnröhre: im mobilen Teil des Penis, 4 in der Eichel selbst. Hauptsymptom ist ein abgeschwächter Harnstrahl. Durch den erhöhten Druck bei der Miktion kann eine Restharnbildung die Folge sein, was zu rezidivierenden Blasenentzündungen führen kann. Ein weiteres häufiges Symptom ist eine Mikrohämaturie. Bei länger bestehender Harnröhrenenge kann es aufgrund des erhöhten Auslasswiderstands zu einer Verdickung der Blasenmuskulatur und somit zu einer Einschränkung der Elastizität der Blase kommen. Das führt zu einer weiteren Verschlechterung der Entleerungsfunktion. Im Extremfall kann ein Reflux von Urin in Harnleiter und Niere und damit deren Schädigung resultieren.

Harnröhrenplastik jDiagnostik

Eine Harnröhrenplastik kann bei Strikturen der Harnröhre  unterschiedlicher Genese durchgeführt werden. Es wird unterschieden zwischen seltenen angeborenen und häufigeren erworbenen Strikturen. Als Ursachen für erworbene Strikturen gelten z. B. Mikrotraumata bei der Einlage von Blasenkathetern, direkte Verletzungen bei-

4 Anamnese (genaue Befragung des Patienten nach Dauer und eventuellen Infektionen oder auch Unfällen). 4 Urinuntersuchung, Harnstrahlmessung. 4 Sonographie zur Bestimmung der Restharnmenge und Zustand der Harnblase.

9

510

Kapitel 9 · Urologie

4 Röntgenuntersuchung mit Kontrastmittel zur genauen Lokalisation der Striktur. Bei der retrograden Urethrographie wird KM in die gestreckte Harnröhre gespritzt und gleichzeitig durchleuchtet. So können Ort und Länge der Striktur ermittelt werden. Das Miktionszysturethrogramm (MCU) zeigt Veränderungen bei der Miktion durch zuvor in die Blase eingebrachtes KM. jTherapie

9

Führt eine endoskopische Maßnahme wie die Urethrotomie nach Sachse oder Otis (7 Abschn. 9.3.7) nicht zum Erfolg, muss eine Harnröhrenplastik durchgeführt werden. Zu Beginn der plastischen Verfahren wird ein Draht über die Striktur in die Blase vorgelegt, um trotz der erheblich veränderten Anatomie im Bereich der Striktur die Harnröhre sicher identifizieren zu können. Dies kann ggf. mit dem Zystoskop erfolgen. Die exakte Lokalisation des proximalen Endes der Striktur wird mittels einer Sonde dargestellt. Dabei muss beachtet werden, dass die Striktur nicht mechanisch aufgesprengt wird. Am Ende des Eingriffs wird ein längsgerillter Blasenkatheter in die Harnröhre eingelegt. Er dient der Schienung und dem Offenhalten der Urethra, außerdem verhindern die Längsrillen des Katheters ein Verkleben der Schleimhaut. Eine postoperative Dauerableitung über einen suprapubischen Katheter für 10–14 Tage lässt die Rekonstruktion abheilen.

4 4 4 4

Stichskalpell, Gummizügel, bipolare Koagulation, Nahtmaterial (3–0, 4–0, 5–0, monofil resorbierbar, 4–0 resorbierbar geflochten), 4 Nélaton-Blasenkatheter, längsgerillter NélatonBlasenkatheter, 4 Gleitmittel, 4 Ablaufbeutel. kZugang

Längsinzision auf der Unterseite des Penis.

OP-Verlauf: Harnröhrenplastik mit End-zu-End-Anastomose

5 Hautdesinfektion und sterile Abdeckung 5 5 5

5 9.11.1

Harnröhrenplastik mit End-zu-End-Anastomose

5

jDiagnostik

4 4 4 4 4

Übliche Laborparameter, Urinuntersuchung, Sonographie, retrograde Urethrographie, MCU.

kIndikationen

5

5

Kurze Strikturen der Harnröhre. kPrinzip

Resektion der Striktur und Reanastomose der Harnröhre. kLagerung

5

Rückenlage, evtl. Steinschnittlage. kInstrumentarium

4 Grundinstrumente, 4 feine Scheren und Pinzetten (chirurgisch und atraumatisch), 4 Schere nach Potts,

5 5

des OP-Gebiets. Team-Time-out. Einbringen eines Terumo-Drahts in die Harnröhre. Längsinzision an der Unterseite des Penis etwas versetzt von der Mittellinie bis über die zu erwartende Striktur. Die Harnröhre wird dargestellt und mit einem Zügel angeschlungen. Proximal und distal der Striktur werden Haltenähte an dem gesunden Anteil der Harnröhre angelegt und angeklemmt (3–0 oder 4–0 monofil resorbierbar). Eine Sonde wird bis zur Striktur transurethral vorgeschoben. Die Harnröhre wird unmittelbar distal der Sonde mit dem Stichskalpell inzidiert, die Striktur in ihrem Verlauf mit der Schere/dem Messer eröffnet und die eingeführte Sonde wieder entfernt. Der verengte Anteil wird reseziert und das proximale sowie das distale Lumen inspiziert, um sicher zu sein, dass alle fibrotischen Anteile entfernt wurden. Die gesunden Harnröhrenenden werden entgegengesetzt, einmal dorsal, einmal ventral mit der Schere nach Potts spatuliert. Nun wird die Harnröhre dorsal beginnend einschichtig wieder verschlossen (mit Nahtmaterial der Stärke 4–0 oder 5–0 monofil resorbierbar). Nach Beendigung einer seitlichen Naht wird der längsgerillte Nélaton-Blasenkatheter eingeführt, mit einer atraumatischen Pinzette bis in die Blase geführt und dort geblockt. Nun kann die andere Seite der Anastomose auf die gleiche Weise genäht werden. Um die Anastomose wird zum Schutz gesundes subkutanes Gewebe gelegt.

511 9.11 · Harnröhrenplastik

5 Nach der Zählkontrolle und der Dokumentation des Zählstandes beginnt der schichtweise Wundverschluss. Wundpflaster. Anschluss des Urinablaufbeutels.

9.11.2

Harnröhrenplastik mit Ersatz aus der Mundschleimhaut

Bei Rezidiven oder bei langstreckigen Strikturen (>2 cm Länge) kann die Harnröhre durch Einnähen eines Stückes aus der Mundschleimhaut erweitert oder auch ersetzt werden. Man unterscheidet hier ventrales oder dorsales Onlay/Inlay. kIndikationen

4 Langstreckige Strikturen >2 cm. 4 Rezidiv-OP. kPrinzip

Erweiterung der Urethra oder Ersatz eines Teils der Harnröhre mittels Mundschleimhaut. kInstrumentarium 7 Abschn. 9.11.1.

4 Suprapubischer Katheter, 4 lange Kanüle, 4 zusätzlich ein feststellbares Nasenspekulum nach Cottle, 4 bei Bedarf einen 2. Instrumentiertisch für: 5 Markierungsstift und Zentimetermaß, 5 Lokalanästhetikum mit Adrenalinzusatz, 5 zusätzliches Grundinstrumentarium, 5 evtl. Scott-Rahmen (bei perinealem Vorgehen), 5 Harnröhren-Bougies (Benecke-Sonden), 5 evtl. Zystoskop, 5 evtl. Terumo-Draht, 5 Nahtmaterial (3–0 monofil, resorbierbar), 5 Schleimhautdesinfektionsmittel.

kLagerung 7 Abschn. 9.11.1.

kZugang

Je nach Lokalisation der Striktur auf der Unterseite des Penis oder perineal bei bulbären Strikturen.

OP-Verlauf: Harnröhrenplastik mit Ersatz aus der Mundschleimhaut 5 Team-Time-out. 5 Evtl. nasale Intubation. 5 Liegt die Striktur im bulbären Teil der Harnröhre, wird die Urethra über eine perineale Inzision freigelegt. 5 Direkt distal des Bougie-Endes wird die Urethra mit einem Stichskalpell inzidiert und mit der Schere nach Potts eröffnet. 5 Wurde primär ein Terumo-Draht eingelegt (s. oben), wird dieser sichtbar, wenn die Striktur eröffnet ist. 5 Mit einem Nasenspekulum kann die Urethra vorsichtig inspiziert werden, die Striktur wird über die gesamte Länge inzidiert. 5 Die Länge der zu gewinnenden Mundschleimhaut wird mit dem Maßband ausgemessen (Länge der Striktur ×1,3, da das Graft später noch etwas schrumpft). 5 Die Wunde wird für die Zeit der Schleimhautgewinnung mit einem in Schleimhautdesinfektionsmittel getränkten Bauchtuch abgedeckt. 5 Der Mund wird mit einem Schleimhautdesinfektionsmittel desinfiziert, die Mundschleimhaut mit einem mit Adrenalinzusatz versehenen Lokalanästhetikum (als Vasokonstringens) unterspritzt. 5 Hinweis an die Anästhesie, dass ein Lokalanästhetikum mit Adrenalinzusatz gespritzt wird! 5 Anlegen von Haltefäden über die Länge der zu entnehmenden Schleimhaut. 5 Mit der Schere wird die Schleimhaut abpräpariert und entnommen, auf die Schonung der Speicheldrüsengänge ist zu achten! 5 Die gewonnene Schleimhaut wird in Schleimhautdesinfektionsmittel eingelegt und die Wunde im Mund mit monofilem resorbierbarem Nahtmaterial verschlossen (3–0). 5 Die Mundschleimhaut wird über dem Finger des Operateurs von anhaftendem Fett befreit. Sie verbleibt in einem mit Schleimhautdesinfektionsmittel gefüllten Behälter auf dem Tisch für den urethralen Eingriff. 5 Kittel- und Handschuhwechsel. 5 Die Harnröhre wird mit dem Nasenspekulum eingesehen und die Mundschleimhaut mit 4–0 monofilen resorbierbaren Fäden – am proximalen ventralen Ende der Striktur beginnend – mit durchgreifenden Nähten eingenäht. 5 Dabei erleichtert das Nasenspekulum den Zugang zur Urethra.

9

512

Kapitel 9 · Urologie

5 Nach Fertigstellung einer seitlichen Naht wird der evtl. noch liegende Draht entfernt und über die Harnröhre ein längsgerillter Nélaton-Blasenkatheter eingelegt. 5 Nun wird die zweite Seite der Anastomose genäht. 5 Die Anastomose wird zum Schutz mit gesundem Gewebe aus der direkten Umgebung ummantelt (Corpus spongiosum und M. bulbospongiosum). 5 Nach der Zählkontrolle und der Dokumentation des Zählstandes beginnt der schichtweise Wundverschluss, Wundpflaster.

9.11.3

9

Harnröhrenplastik mit Meshgraft

Dies ist ein zweizeitiges Verfahren, das als Rezidivplastik oder bei extrem langen Strikturen angewendet wird. Hierbei wird z. B. Haut aus dem Oberschenkel entnommen, gemesht und als Ersatz für die Urethra eingenäht. Bei einem zweiten Eingriff ca. 3 Monate später wird dann aus der »Gewebeplatte« die Harnröhre retubularisiert. Diese Operation wird nur noch selten durchgeführt, da inzwischen auch lange Strikturen mit Mundschleimhaut versorgt werden können und ein einzeitiger Eingriff deutlich komfortabler für die Patienten ist.

9.12

. Abb. 9.61 Überstreckte Seitenlagerung. Bei der Flankenlagerung liegt das Becken auf dem höchsten Punkt der Operationslagerungsfläche. (Aus Krettek u. Aschemann 2005)

Eingriffe an der Niere und am Nierenbecken

B. Lengersdorf, A. Nietz, C. Matthies, A. Baumgarten

Neben der Tumorchirurgie bei Nierenzellkarzinomen oder Urothelkarzinomen des Nierenbeckens kommt als relativ häufiger Eingriff die Rekonstruktion bei der Nierenbeckenabgangsstenose vor. Diese Operationen sind alle auch grundsätzlich laparoskopisch möglich.

4 Ausscheidungsurogramm, 4 Ggf. Isotopennephrogramm (ING). kPrinzip

Entfernung des zu engen Harnleitersegmentes, Verkleinerung des zu großen Nierenbeckens, Versorgung bzw. Verlagerung abweichender (aberrierender) Gefäße, Absetzen des Ureters, Anastomose zwischen Pyelon und Ureter mit/ ohne Nephrostomiekatheter, Splint oder Doppel-J-Schiene. kInstrumentarium

4 4 4 4 4 4 4 4 4

Grundinstrumente, Balfour-Sperrer, tiefe Haken, Allis-Klemmen, Schere nach Potts de Martell, Gummizügel, Uretersplinte (z. B. Doppel-J-, Nephrostomiekatheter), Robinson-Drainage, Nahtmaterial: monofil, resorbierbarer Faden Stärke 5–0 für die Anastomose, 4 monofiler, resorbierbarer Haltefaden der Stärke 3–0, 4 Ligaturen, monofil, resorbierbar, Stärke 0. kLagerung

9.12.1

Nierenbeckenplastik nach Anderson-Hynes

Seitenlage leicht überstreckt (Flankenlagerung) (. Abb. 9.61).

kIndikationen

kZugang

Angeborene oder erworbene Ureterabgangsstenose mit entsprechender Abflussbehinderung, Infektion, Steinbildung, Blutung.

Interkostal- (. Abb. 9.62) bzw. Flankenschnitt (. Abb. 9.63).

jDiagnostik

4 Übliche Laborparameter, 4 Sonographie,

513 9.12 · Eingriffe an der Niere und am Nierenbecken

Interkostalschnitt

. Abb. 9.62 Interkostalschnitt

OP-Verlauf: Nierenbeckenplastik nach Anderson-Hynes

Flankenschnitt

. Abb. 9.63 Flanken-/lumbaler Schrägschnitt

5 Ein Harnleitersplint (oder DJ-Katheter) wird zur

5 Hautdesinfektion und sterile Abdeckung des Patienten.

5 Team-Time-out. 5 Hautschnitt, danach Durchtrennen der Zwischen-

5 5 5

5

5 5

5

rippenmuskulatur mit dem Diathermiemesser. Durchtrennung der Ligg. costovertebrale, danach lassen sich die Rippen gut spreizen. Laterale Eröffnung der Gerota-Faszie und der Nierenfettkapsel. Aufsuchen und Anschlingen des Harnleiters. Freipräparation des Nierenbeckens bis zum Parenchym. Aberrierende Gefäße am Übergang vom Nierenbecken zum Harnleiter werden zunächst angeschlungen. Eventuelle Adhäsionen werden unter Schonung der Gefäße an der Nierenbeckenwand gelöst. Ist das Nierenbecken freipräpariert, erfolgt die Exploration nach pathologischen Veränderungen (z. B. Steinen). Mit Haltefäden wird der Resektionsbereich markiert. Bogenförmige Teilresektion des Nierenbeckens. Dabei sollte die Fettkapsel sorgfältig geschont werden. Absetzen des Harnleiters unterhalb der Stenose und Längsinzision (ca. 2–3 cm) des Nierenbeckens bzw. des Harnleiters, um eine größere Strecke für die Anastomose zu erreichen (und damit eine erneute Enge zu vermeiden) (. Abb. 9.64). Dazu wird die Vorderwand des Nierenbeckens durch resorbierbare Einzelknopfnähte mit dem längsinzidierten und spatulierten restlichen Harnleiter zunächst auf einer Seite vernäht.

5

5

5 5 5 5

9.12.2

Schienung in den Harnleiter vorgeschoben und perkutan ausgeleitet und fixiert. Dies gewährleistet den problemlosen Urinabfluss. Dann Restverschluss der Anastomose auf der zweiten Seite und Verschluss des restlichen Nierenbeckens mit resorbierbaren, monofilen Fäden (Einzelknopf oder fortlaufend). Nach Kontrolle der Dichtigkeit der Anastomose (Wasserprobe) und der Durchgängigkeitsprüfung (fördert die Schiene Urin?) erfolgt die Einbettung der Anastomose in die Fettkapsel, um späteren Adhäsionen vorzubeugen. Bei Bedarf Einlegen einer Wunddrainage. Zählkontrolle der OP-Textilien und des Instrumentariums mit Dokumentation des Zählstandes. Zum anschließenden Wundverschluss wird die überstreckte Lagerung aufgehoben. Schichtweiser Wundverschluss, Fixieren der Drainage.

Lappenplastik nach Culp-de-WeerdScardino

kPrinzip

Diese Plastik wird zur Überbrückung einer längeren Harnleiterenge durchgeführt. Die Stenose wird längs gespalten, aus dem zu großen Nierenbecken wird ein Lappen gebildet und in die vorherige Stenose des Harnleiters eingenäht (. Abb. 9.65).

9

514

Kapitel 9 · Urologie

kPrinzip

Entfernen des Nierentumors mit angrenzender Pseudokapsel und/oder mit einem Anteil der Nierenfettkapsel. kInstrumentarium

b a . Abb. 9.64a, b Nierenbeckenplastik. a Resektion, b Anastomose. (Adaptiert nach Alken u. Sökeland 1982)

9 a

a'

4 Grundinstrumente, 4 Nierenzusatzinstrumente wie z. B.: 5 tiefe Haken, 5 Wundsperrer nach Balfour, 5 Lidhaken, 5 evtl. Hirnspatel bzw. Myrthenblattspatel, 5 bei Bedarf Knopfsonde, 4 Gummizügel, 4 Tourniquet, 4 bei Bedarf resorbierbare Hämostyptika, 4 bei Bedarf steriles Eis (tiefgefrorene Ringer-Lösung zur Temperatursenkung des Organs), 4 ggf. Ultraschallgerät zur Diagnostik tiefliegender Tumoren, 4 Robinson-Drainage, 4 resorbierbares monofiles und geflochtenes Nahtmaterial der Stärke 5–0 und 0, 4 bei Bedarf Fibrinkleber. kZugang

Interkostalschnitt oder Flankenschnitt (. Abb. 9.62, . Abb. 9.63). kLagerung

Seitenlage und leicht überstreckt (. Abb. 9.61). . Abb. 9.65 Lappenplastik zur Überbrückung einer längeren Enge nach Culp-de-Weerd-Scardino. Der Lappen, dem rechtwinkligen Nierenbecken angepasst, wird heruntergezogen und in den spatulierten Ureter positioniert

Nierenpolresektion/Tumorenukleation

5 Hautdesinfektion und steriles Abdecken des OP-Gebiets.

5 Team-Time-out. 5 Nach Hautschnitt und Durchtrennung der 9.12.3

Nierenpol- oder Teilresektion

kIndikationen

4 4 4 4 4 4

Kleiner maligner Tumor (4–5 cm), gutartiger Nierentumor, funktionsloser Anteil einer Doppelniere, maligner Nierentumor bei Einzelniere, Nierentrauma, abgekapselte tuberkulöse Prozesse.

jDiagnostik

4 4 4 4 4

Übliche Laborparameter, Sonographie, CT, Röntgenaufnahme Thorax, Ausscheidungsurographie, Nierenszintigraphie.

Zwischenrippenmuskulatur Darstellen der GerotaFaszie. Diese wird eröffnet, die Niere zunächst am Psoas mobilisiert, anschließend erfolgt die Präparation des Unterpols mit Anschlingen des Harnleiters, dann die Präparation und Mobilisation der restlichen Niere und zuletzt des Nierenstiels. 5 Evtl. aberrierende Gefäße werden ligiert und durchtrennt. 5 Unter Schonung des Fettgewebes wird so die Niere mit dem Tumor dargestellt. 5 Anzügeln der nierenversorgenden Gefäße durch Tourniquets. (Die Blutversorgung kann, ohne Nierenschäden hervorzurufen, bis zu 20 min unterbrochen werden. Wird diese Zeit überschritten, kann eine Kühlung der Niere, z. B. durch Umlegung

515 9.12 · Eingriffe an der Niere und am Nierenbecken

5

5

5 5 5 5 5 5 5 5

mit Eiswassertüchern, Schädigungen des Nierengewebes reduzieren). Scharfe Eröffnung der Fettkapsel ca. 1 cm neben dem Tumor, der dann mit einem Hirnspatel und/oder einer Knopfsonde atraumatisch und vollständig aus der Pseudokapsel herausgelöst wird (Enukleation). Das Präparat wird ggf. zur Schnellschnittuntersuchung gegeben. Zeigt das Untersuchungsergebnis des Pathologen, dass die Schnittränder nicht tumorfrei sind, muss eine Nachresektion bzw. Nephrektomie erfolgen. Umstechung einzelner größerer Blutgefäße und Verschluss des möglicherweise eröffneten Hohlsystems. Blutstillung im Weiteren mit Hämostyptika. Öffnen der Tourniquets und erneute Kontrolle der Blutstillung. Ggf. Deckung der Wundfläche mit der mobilisierten Fettkapsel. Blutstillung, Einlegen einer Drainage. Zählkontrolle der OP-Textilien und Instrumente und Dokumentation des Zählstandes. Aufheben der überstreckten Lagerung, schichtweiser Wundverschluss. Anschluss der Drainageablaufbeutel, Wundpflaster.

a

b

9.12.4

Nephrektomie

. Abb. 9.66a, b Nephrektomietechnik. a Stumpfe Freipräparation der Nierenstielgefäße. b Ligatur der Gefäße nach Anklemmen durch Stielklemmen

Definition Es wird zwischen einfacher und radikaler Nephrektomie unterschieden. Bei der einfachen Nephrektomie wird lediglich die Niere unter Belassung der Fettkapsel und der Nebenniere entfernt. Bei der radikalen Nephrektomie wird die Niere einschließlich Fettkapsel, evtl. der Nebenniere und der regionären, paraaortalen bzw. parakavalen Lymphknoten entfernt.

Einfache Nephrektomie kIndikationen

4 Funktionslose Niere bei entzündlichen Prozessen, 4 Fehlbildungen mit Funktionseinschränkung oder -ausfall, z. B. dysplastische Niere, 4 schwere traumatische Nierenruptur, 4 Schrumpfniere mit Komplikation wie Hypertonus. jDiagnostik

Bei einem Nierenbeckenkarzinom (Urothelkarzinom) werden die Niere und der Ureter mitsamt einer Blasenmanschette und die zugehörigen Lymphknoten entfernt = Nephroureterektomie: Dabei wird zunächst in Seitenlage die Niere entfernt, der Ureter soweit wie möglich nach distal präpariert, danach erfolgt die Umlagerung des Patienten in Rückenlage und die Entfernung des distalen Harnleiters samt Blasenmanschette über einen Pararektalschnitt (7 Abschn. 9.12.5).

4 4 4 4 4

Übliche Laborparameter, Sonographie der Niere, CT Abdomen, Ausscheidungsurographie, Nierenszintigraphie (das beste Verfahren, um auch die Funktion der anderen Niere abschätzen zu können).

kPrinzip

Entfernung der Niere unter Belassung der Nebenniere und der Fettkapsel (. Abb. 9.66).

9

516

Kapitel 9 · Urologie

kInstrumentarium

4 4 4 4 4 4 4 4 4 4

Grundinstrumentarium, Gefäßinstrumente in Bereitschaft, Nierenstielklemmen, bei Bedarf langes Instrumentarium, Gummizügel, evtl. Clipzange, evtl. bipolare Schere, Robinson-Drainage, kräftige Ligaturen für den Nierenstiel, evtl. Gefäßnaht, bei Bedarf resorbierbares Hämostyptikum.

kInstrumentarium

4 Wie bei der einfachen Nephrektomie (s. oben), das Gefäßsieb ist obligat. 4 Bei Bedarf Einzelclipstapler, 4 zusätzlich Rahmensperrer z. B. Bookwalter.

kLagerung

kLagerung

Seitenlage, evtl. überstreckt (. Abb. 9.61).

Rückenlage.

kZugang

kZugang

Interkostal- (. Abb. 9.62) oder Flankenschnitt (. Abb. 9.63).

Transperitonealer Zugang (Medianschnitt, Transrektalschnitt), vom Xiphoid bis unterhalb des Nabels oder Rippenbogenrandschnitt, Interkostal- oder Flankenschnitt. Bei sehr großen Tumoren oder bei Verdacht auf einen Tumorthrombus in der V. cava wird der transperitoneale Zugang bevorzugt, da hier die Kontrolle des Gefäßstiels besser ist. Grundsätzlich ist die radikale Nephrektomie auch über den Flankenschnitt möglich.

OP-Verlauf: Einfache Nephrektomie

9

Entfernen der regionären, paraaortalen und parakavalen Lymphknoten (die Lymphadenektomie wird häufig nicht durchgeführt). Die Gefäße werden ggf. vor der Eröffnung der Nierenloge unterbunden, um eine Aussaat von Tumorzellen zu verhindern.

5 Operative Eröffnung (s. oben). 5 Der obere Nierenpol wird freigelegt, ohne die Nebenniere zu verletzen. 5 Vorsichtige Präparation von A. und V. renalis mit einer Overholt-Klemme. 5 Arterie und Vene werden (wenn möglich einzeln) mit je einer Nierenstielklemme abgeklemmt. Zur Aorta hin werden die Gefäße mit kräftigen Ligaturen doppelt ligiert, zur Niere reicht eine einfache Ligatur (. Abb. 9.66). 5 Die Niere ist jetzt nur noch am Ureter fixiert, der möglichst weit distal ligiert und durchtrennt wird. 5 Nach makroskopischer Inspektion des Präparates durch den Operateur wird dieses zur histologischen Untersuchung gegeben. 5 Nach der Blutstillung erfolgen die Zählkontrolle aller verwendeten OP-Textilien und Instrumente sowie die Dokumentation des Zählstandes. 5 Einlage einer Robinson-Drainage, Aufheben der Überstreckung und schichtweiser Wundverschluss. 5 Wundpflaster und Anschluss der Drainageablaufbeutel.

OP-Verlauf: Radikale Nephrektomie

5 Hautdesinfektion und Abdeckung des OP-Gebiets.

5 Team-Time-out. 5 Nach Hautschnitt und Durchtrennung bzw.

5

5 5 5

Radikale Nephrektomie kIndikationen

5

Maligner Nierentumor. kPrinzip

Entfernen der Niere, der Fettkapsel, bei Tumoren am oberen Pol auch der Nebenniere.

5

Zur-Seite-Drängen der Muskelschichten wird das Rahmenhaltesystem angebaut und die entsprechenden Haken eingesetzt. Nach Präparation der entsprechenden Kolonflexur werden transperitoneal die Nierenvene und -arterie aufgesucht. Die Gefäße werden in gleicher Weise wie oben beschrieben präpariert, durchtrennt und ligiert. Die Niere wird möglichst stumpf mit der Fettkapsel aus ihrem Bett gelöst. Aberrierende Gefäße werden unterfahren, ligiert oder geclippt und durchtrennt. Der Ureter wird aufgesucht, möglichst weit nach distal freipräpariert, ligiert und durchtrennt. Die Niere wird mit ihrer Fettkapsel möglichst en bloc entfernt. Es folgt ggf. die regionäre Lymphknotenausräumung. Sollte die Nebenniere mit entfernt werden, werden die sehr feinen Gefäßverzweigungen geclippt und durchtrennt.

517 9.12 · Eingriffe an der Niere und am Nierenbecken

kBenötigte Geräte

5 Nach der Kontrolle und Dokumentation der OP-Tex-

5

tilien und Instrumente und der Dokumentation des Zählstandes wird eine Robinson-Drainage eingelegt. Schichtweiser Wundverschluss und Wundpflaster. Bei Entfernung der linken Tumorniere wird die V. testicularis bzw. die V. ovarica häufig ebenfalls ligiert, da diese in die V. renalis münden. Bei einer rechten Tumorniere können Tumoranteile in die V. cava eingewachsen sein. Dies erfordert ein tangentiales Abklemmen der V. cava mit einer Gefäßklemme (z. B. nach Satinsky). Je nach Ausdehnung des Tumoranteils in der V. cava muss diese ventral freigelegt werden. Zur Unterbrechung des Blutzustroms werden alle zuführenden Gefäße einschließlich der V. cava oberhalb des Tumors mit einem Tourniquet versorgt. Nach Verschluss der Tourniquets wird die V. cava zwischen zwei Haltefäden längs eröffnet und der Tumor entfernt. Über der Längseröffnung wird eine Gefäßklemme gesetzt und der Blutstrom der Gegenniere freigegeben. Fortlaufende Gefäßnaht der Vene. Gefäßklemme und Tourniquets werden gelockert und die Naht auf Dichtigkeit überprüft, danach Entfernen der Klemme und der Tourniquets. Weiteres Vorgehen wie oben.

9.12.5

Laparoskopische Nierenoperationen

5 5

5

5

5

kIndikationen

Die Indikationen entsprechen den bei den offenen Operationen besprochenen. ! Die Möglichkeit des schnellen Konvertierens muss im Fall einer endoskopisch nicht beherrschbaren Blutung jederzeit gegeben sein.

4 Endoskopieturm (7 Abschn. 2.15), 4 HF-Gerät, bipolar und monopolar, jeweils mit Fußschalter (7 Abschn. 2.15), 4 Sauger (evtl. zusätzlich mit Spülvorrichtung), 4 bei Bedarf Generator zur innovativen Präparation (z. B. Ultracision, Sonosurg, Thunderbeat). Aufstellung des Endoskopieturms: Wird im Bereich der Niere in Rückenlage operiert, steht der Endoskopieturm auf der zu operierenden Seite, bei Seitenlage ventral des Patienten. kInstrumentarium

4 Grundinstrumentarium für eine Minilaparotomie und den abschließenden Wundverschluss. 4 Laparoskopisches Instrumentarium: 5 4–5 Trokare: 10 mm für die Optik, 5 mm und 12 mm für Instrumente und einen Linearstapler – die Anzahl und der Durchmesser der Trokare für die Instrumente können je nach Operateur variieren, 5 1–2 atraumatische Fasszangen (z. B. JohannKlemme), 5 1–2 Dissektoren, 5 1 Schere, mit Anschluss für den monopolaren Strom, 5 1 bipolare Fasszange, 5 1 Saugerhandgriff mit Ansatz, 5 1 Clipapplikator mit den dazugehörigen Clips, 5 1 Bulldogsetzer und 1 Bulldogklemme (bei der partiellen Nephrektomie, zum Abklemmen der Nierenarterie), 5 1–2 endoskopische Nadelhalter (bei der partiellen Nephrektomie und der Nierenbeckenplastik), 5 0°-Optik und Kaltlichtkabel, alternativ: 0° Endoeye. jZugang für die Gasinsufflation

kKontraindikationen

Kontraindikationen für die laparoskopische, bzw. retroperitoneoskopische Verfahrensweise: 4 starke Verwachsungen durch vorausgegangene Operationen, 4 sehr große Tumoren mit und ohne Gefäßbeteiligung, 4 Lymphknotenmetastasen, 4 im Fall der partiellen Nephrektomie: schwer erreichbare Nierentumoren. Bei Patienten mit schwerer obstruktiver/restriktiver Lungenfunktionsstörung wird auf diese Operationsmethode verzichtet, da es durch den erhöhten Beatmungsdruck zu Problemen bei der O2-Sättigung kommen kann.

Transperitonealer Zugang Über eine Minilaparotomie und mittels eines eingebrachten Trokars; alternativ: Verwendung einer Veress-Nadel. Retroperitonealer Zugang Über einen Trokar. In diesem Fall wird der retroperitoneale Raum nach der Inzision der Haut und der Faszie zunächst stumpf gedehnt, dann wird zum Auseinanderdrängen der Gewebeschichten ein Distensionsballon eingeführt und dieser mit ca. 1000 ml Luft aufgepumpt. Nachdem so ausreichend Platz geschaffen wurde, kann der Trokar eingeführt und darüber das CO2 insuffliert werden. Mit einem Druck von 16 mm Hg wird ein Pneumoperitoneum oder ein Pneumoretroperitoneum hergestellt.

9

518

Kapitel 9 · Urologie

Mögliche Komplikationen: 4 Starke Blutungen: Dann muss mit bipolarem Strom, einem Hämostyptikum oder dem Konvertieren zur offenen Vorgehensweise reagiert werden. 4 Unbeabsichtigtes Eröffnen des Peritoneums: Das Peritoneum kann unverschlossen bleiben und bedarf keiner Naht. 4 Verletzung umliegender Organe (wie Nebenniere, Milz, Leber, linke und rechte Kolonflexur, V. cava inferior) können entweder durch eine Naht behoben werden oder durch Konvertierung auf ein offenes Vorgehen.

5 Freilegung des Nierenhilus und Isolierung der Nierenstielgefäße.

5 Separates Verschließen der Nierenarterie und

5

5 Vorteile des retroperitonealen Zugangs: 4 direkt vor Ort, 4 die aufwendige Abpräparation vom Darm entfällt.

9

! Alle endoskopischen Operationen an der Niere können sowohl transperitoneal (laparoskopisch) als auch retroperitoneal (retroperitoneoskopisch) durchgeführt werden.

Bei allen Eingriffen an der rechten Niere ist die Nähe zur Leber, der V. cava inferior und der rechten Kolonflexur zu beachten, bei Eingriffen an der linken Niere die Nähe zur Milz, zum Pankreas, der Aorta und der linken Kolonflexur.

5 5 5 5 5

kLagerung

Entsprechend der jeweiligen Vorgehensweise: 4 transperitonealer Zugang: Rückenlage, 4 retroperitonealer Zugang: überstreckte Seitenlage. 5 OP-Verlauf: Retroperitoneoskopische Nephrektomie

5 Nach der Lagerung, der Hautdesinfektion, der

5 5 5

5 5 5 5

sterilen Abdeckung sowie dem Team-Time-out beginnt die Herstellung des Pneumoretroperitoneums wie oben beschrieben. Platzierung des 10-mm-Trokars für die Optik. Inspektion des retroperitonealen Raumes. Einbringen weiterer Trokare unter Sicht, zwischen der untersten Rippe (subkostal) und der Spina iliaca: – ein 12-mm-Trokar für Instrumente und den endoskopischen Linearstapler, – zwei 5-mm-Trokare für Instrumente. Die gesamte Präparation erfolgt mit bipolarem Strom und einer Schere. Eröffnung der Gerota-Faszie sowie der Fettkapsel. Mobilisierung des Nierenunterpols. Aufsuchen und Darstellung des Ureters, der bei dem weiteren Vorgehen als Leitstruktur dient, Präparation des Ureters bis zum Nierenbecken.

5 5 5

des Harnleiters mittels Titanclips, jeweils 2–3 Clips am im Körper verbleibenden und ein Clip am nierennahen Ende, mit anschließender Durchtrennung. Das Verschließen und die Durchtrennung der Nierenvene erfolgen mit einem endoskopischen Linearstapler, dem Endo-Gia, in einem Arbeitsschritt. Verschluss und Durchtrennung der V. testicularis/ ovarica nur bei Bedarf, sie werden nach Möglichkeit erhalten. Präparation nach kranial, bei der rechten Niere entlang der V. cava inferior, bei der linken Niere entlang der Aorta. Freilegung des Nierenoberpols. Durchtrennung der Schicht zwischen Oberpol und Nebenniere. Nach der kompletten Lösung der Niere von den umliegenden Strukturen erfolgt zunächst die Blutstillung. Das Bergen der Niere erfolgt mittels eines 15-mmBergebeutels über die erweiterte Einstichstelle des 12-mm-Trokars, indem der Beutel mit der Niere in Drehbewegungen herausgezogen wird. (Eine weitere Möglichkeit ist das vorherige Zerteilen des Organs innerhalb des Endobags, um das Bergen sehr großer Präparate zu erleichtern.) Überprüfung der Trockenheit des OP-Gebietes, bei Bedarf weitere Blutstillung. Legen einer Silikondrainage (z. B. RobinsonDrainage). Ablassen des Gases und Entfernung der Trokare unter Sicht. Schichtweiser Wundverschluss und Anlegen eines sterilen Wundverbandes.

Laparoskopisch transperitoneale Nephrektomie kPrinzip

Entfernen der Niere/Teile der Niere/Rekonstruktion des Nierenbeckenabgangs mittels minimal-invasiver Operationstechnik. Die Instrumente und die Kamera werden über Trokare in die Bauchhöhle eingeführt. Die CO2-Insufflation dient der besseren Übersicht während der Operation. Die Niere wird mit Hilfe eines Bergebeutels aus dem Körper entfernt. Es gelten alle Vor- und Nachteile der MIC (7 Abschn. 2.15).

519 9.12 · Eingriffe an der Niere und am Nierenbecken

kLagerung

Modifizierte Seitenlagerung, evtl. Kopftieflage. Der Patient wird zu Beginn der Operation an der zu operierenden Seite angehoben gelagert, nach der Anlage des Pneumoperitoneums wird die Seitenlagerung verstärkt.

5 Mobilisation des gesamten Unterpols. 5 Nach erfolgter Präparation des Gefäßstiels und

kZugang

Transperitonealer Zugang über eine ca. 2 cm lange Stichinzision in Nabelhöhe, unmittelbar pararektal. Weitere ca. 4 Zugänge für Trokare in halbkreisförmiger Anordnung. OP-Verlauf: Laparoskopisch transperitoneale Nephrektomie

5 5

5 Hautdesinfektion und Abdeckung des OP-Gebiets.

5 Team-Time-out. 5 Anheben der Bauchdecke, z. B. mit zwei scharfen Backhaus-Klemmen, Stichinzision paraumbilikal ca. 3 cm lateral des Nabels. 5 Punktion des Intraperitonealraums mit der VeressNadel, Aspirationstest und Anschluss der CO2-Zuleitung. 5 Alternativ Minilaparotomie und Einbringen eines Trokars unter Sicht. 5 Nach Erreichen des gewünschten Druckes (ca. 15 mmHg) wird die Veress-Nadel gegen einen 12-mm-Trokar ausgetauscht und die Optik eingeführt. 5 Nach Inspektion der Bauchhöhle erfolgt die Anlage der nächsten 2 bzw. 3 Trokare unter Sicht. 5 Die ideale Position der Trokare: – periumbilikal am lateralen Rand des M. rectus abdominis, – subkostal in der Medioklavikularlinie, – oberhalb der Crista iliaca in der Mamillarlinie, – subkostal in der vorderen Axillarlinie. 5 Die Präparationslinie richtet sich nach der Seitenlokalisation.

OP-Verlauf: Laparoskopische Nephrektomie

5 Laterokolische Inzision des Peritoneums und Mobilisation des Kolons von der Flexur bis zum Zäkum bzw. zum Sigma. Der Dickdarm wird dabei nach medial verlagert und somit die Nierenloge freigelegt. 5 Aufsuchen des Harnleiters. 5 Präparation bis zum Nierenbecken mit Schere und Overholt-Klemme und Mobilisation nach distal.

5 5 5

der Nierenvene/-arterie werden diese geclippt und durchtrennt, alternativ wird die Nierenvene mit einem linearen Endostapler abgesetzt. Nun beginnt die Präparation des Oberpols. Hier muss besonders auf Nebenniere sowie Milz/Leber geachtet werden. Der Harnleiter wird mit Clips abgesetzt. Die Niere wird vom Psoas abgelöst und ist dann komplett mobilisiert. Mit Hilfe des Bergebeutels unter Erweiterung eines Zugangs wird das Präparat entfernt, Peritoneum und Faszie der erweiterten Trokarinzision werden verschlossen. Abschließende Inspektion des Nierengefäßstiels und der Nierenloge auf Bluttrockenheit. Einlage einer Drainage, Zählkontrolle und deren Dokumentation, Ablassen des Gases und Entfernen der Trokare unter Sicht. Hautnaht und Wundpflaster. Anschluss des Drainageablaufbeutels.

Nephroureterektomie Eine mögliche Erweiterung ist die Nephroureterektomie (Entfernung der Niere und des Ureters). Hierbei gibt es zwei verschiedene Vorgehensweisen:

OP-Verlauf: Nephroureterektomie Die, wie oben beschrieben, abgesetzte Niere verbleibt zunächst im retroperitonealen Raum, die Wunde wird verschlossen und der Eingriff offen fortgesetzt. 5 Dazu wird der Patient in die Rückenlage umgelagert, die Haut desinfiziert und das Operationsgebiet steril abgedeckt. 5 Der Zugang erfolgt über einen unteren lateralen Wechselschnitt. 5 Der Ureter wird freipräpariert und blasennah abgesetzt. 5 Bergung der Niere mit dem Ureter über den offenen Zugang. 5 Verschluss der Blase durch eine Naht. 5 Blutstillung. 5 Legen einer zweiten Silikondrainage. 5 Nach der Zählkontrolle und deren Dokumentation beginnt der schichtweise Wundverschluss; ein steriler Wundverband wird angelegt.

9

520

Kapitel 9 · Urologie

Der Eingriff wird endoskopisch fortgesetzt.

5 Der Harnleiter wird ebenfalls endoskopisch freipräpariert und von der Niere abgetrennt.

5 Transurethrales Einbringen eines Ureterkatheters, an dem das proximale Ende des Harnleiters fixiert wird. 5 Anschließend wird der Ureter in die Blase gestülpt, abgetrennt und durch die Urethra geborgen. 5 Verschluss der Blase durch eine Naht. 5 Bergung der Niere mittels eines Bergebeutels durch die Einstichstelle des Trokars.

Partielle Nephrektomie Bei gutartigen und kleineren malignen Tumoren kann eine partielle Nephrektomie vorgenommen werden, vorausgesetzt, der Tumor sitzt in einer gut erreichbaren Lage.

9 OP-Verlauf: Partielle Nephrektomie in laparoskopischer Technik

5 5 5 5 5 5 5

Nierenzystenentfernung OP-Verlauf: Nierenzystenentfernung

5 Anlage des Pneumoretroperitoneums, Platzie-

5 Anlage des Pneumoretroperitoneums, Platzierung

5 5 5

5

5

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5

der Trokare und Inspektion des retroperitonealen Raumes in gleicher Weise wie bei der Nephrektomie (s. oben). Eröffnen der Gerota-Faszie und der Fettkapsel. Identifizierung des Ureters und der Nierenstielgefäße. Zur genauen Lokalisation des Tumors ist evtl. eine intraoperative Sonographie erforderlich, die mittels einer steril bezogenen endoskopischen Ultraschallsonde durchgeführt wird. Abklemmen der Nierenarterie mit einer Bulldogklemme, zur Unterbindung der Blutzufuhr während der Ausschälung des Tumors und der Naht des Nierenparenchyms. (Zum Schutz des Nierenparenchyms, während der Ischämie, bekommt der Patient als Vorbereitung vom Anästhesisten intravenös Osmofundin infundiert. Trotzdem sollte die Abklemmzeit 20 min nicht überschreiten). Ausschälen des Tumors mit der an den monopolaren Strom angeschlossenen Schere aus dem umliegenden Nierenparenchym. Der vollständig ausgelöste Tumor wird zunächst im retroperitonealen Raum belassen, um die Ischämiezeit durch den Bergevorgang nicht unnötig zu verlängern. Zusammenziehen und Vernähung des Nierenparenchyms an der Resektionsstelle mit resorbier-

barem Nahtmaterial (z. B. V-Loc, Fa. Covidien, monofile Fäden mit Widerhaken). Zur Blutstillung kann zusätzlich ein Hämostyptikum (z. B. Tabotamp, Resocell) mit eingeknotet werden. Entfernen der Bulldogklemme von der Arterie. Ggf. werden weitere blutstillende Maßnahmen nötig (z. B. Einbringen von Floseal). Bergen des ausgelösten Tumors mit Hilfe eines Bergebeutels; dies ist in der Regel ohne große Schnitterweiterung möglich. Einlegen einer Silikondrainage. Ablassen des Gases und Entfernung der Trokare unter Sicht. Schichtweiser Wundverschluss und Anlegen eines sterilen Wundverbandes.

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rung der Trokare, Inspektion des retroperitonealen Raumes und Identifizierung des Ureters und der Nierenstielgefäße in gleicher Weise wie bei der Nephrektomie (s. oben). Eröffnen der Gerota-Faszie und der Fettkapsel über der Zyste. Ausschälen und Entfernung der Zystenwand. Blutstillung. Einlegen einer Silikondrainage. Ablassen des Gases und Entfernung der Trokare unter Sicht. Wundverschluss und Anlegen eines sterilen Wundverbandes.

Nierenbeckenplastik kPrinzip

OP nach Anderson-Hynes: Exzision der Harnleiterenge und End-zu-Seit-Anastomosierung des Ureters mit dem gerafften Nierenbecken, als retroperitoneoskopischer Eingriff in überstreckter Seitenlage.

OP-Verlauf: Nierenbeckenplastik nach Anderson-Hynes

5 Anlage des Pneumoretroperitoneums, Platzierung der Trokare und Inspektion des retroperitonealen Raumes in gleicher Weise wie bei der Nephrektomie (s. oben).

521 9.13 · Nierentransplantation (NTX)

9.13

Nierentransplantation (NTX)

5 Vorsichtige Eröffnung der Gerota-Faszie und der Fettkapsel.

S. Bröker

5 Identifizierung des Ureters und der Nierenstielgefäße.

5 Freipräparieren des Nierenbeckens bis zum Nierenparenchym.

5 Aufsuchen der Abgangsstenose. 5 Bogenförmige Eröffnung des Nierenbeckens und anschließende Teilresektion.

5 Absetzen des Ureters unterhalb der Stenose (. Abb. 9.64).

5 Das so gewonnene Präparat wird postoperativ zur histologischen Untersuchung gegeben.

5 (Ist die Abgangsstenose lediglich durch den Ureter

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kreuzende Gefäße bedingt, genügt häufig eine Verlagerung des Ureters ohne Teilresektion des Nierenbeckens.) Hat der Patient bereits vor der Operation (in den meisten Fällen üblich) eine Ureterschiene gelegt bekommen, muss beim Durchtrennen des Ureters darauf geachtet werden, diese nicht mit durchzuschneiden. Ist noch keine Ureterschiene vorhanden, muss vor der Anastomosierung des Harnleiters mit dem Nierenbecken eine Doppel-J-Schiene (. Abb. 9.29) gelegt werden, wobei das eine Ende im Nierenbecken und das andere in der Blase zu liegen kommt. Mobilisierung des Ureters, um eine spannungsfreie Anastomose zu gewährleisten. Zur Verlängerung der Anastomosenstrecke und somit Vermeidung einer erneuten Enge wird der Ureter an dem abgetrennten Ende längs eingeschnitten (Spatulierung). Anastomosierung des Harnleiters mit dem Nierenbecken an einer dafür geeigneten Stelle mit resorbierbarem Nahtmaterial (z. B. 4–0 Vicryl Rb1, Fa. Ethicon). Vor Fertigstellung der Anastomose wird das entsprechende Ende der Ureterschiene zur endgültigen Positionierung in das Nierenbecken vorgeschoben, der Ureter kann nun vollständig mit dem Nierenbecken verbunden werden. Blutstillung. Legen einer Silikondrainage. Ablassen des Gases und Entfernung der Trokare unter Sicht. Wundverschluss und Anlegen eines sterilen Verbandes.

Die Transplantation einer Niere kann durch eine Leichenspende oder durch Lebendspende realisiert werden. Bei Spender und Empfänger sollte die HLA-Kompatibilität bestmöglich übereinstimmen, und das serologische »crossmatch« muss negativ sein. Die Wartezeit für ein Organ beträgt derzeit ca. 6–8 Jahre. Eine Nierentransplantation kostet 50.000–65.000 Euro. Trotzdem verursacht sie bereits nach 2 Jahren weniger Kosten für das Gesundheitswesen als eine über Jahre dauernde Dialysebehandlung. Abhängig davon, welches Dialyseverfahren angewendet wird, kostet eine Dialysebehandlung pro Jahr zwischen 25.000 und 50.000 Euro (Deutsche Gesellschaft für Nephrologie 2014). kIndikationen

Alle Formen der irreversiblen terminalen (dialysepflichtigen) Niereninsuffizienz. Die Ursachen hierfür finden sich beim Erwachsenen meist in einer Glomerulo- bzw. Pyelonephritis, der diabetischen Nephropathie sowie anderen Erkrankungen, die zur Nierenschädigung führen (z. B. Analgetikanephropathie, Zystennieren). Da die Dialysebehandlung die Nierenfunktion nur partiell ersetzt, vom Patienten sehr viel Disziplin fordert und seine Lebensqualität einschränkt, ist es wünschenswert, möglichst rasch eine Nierentransplantation durchzuführen. kKontraindikationen

Akute oder chronische Infektionserkrankungen, malignes Tumorleiden sowie kardiale, respiratorische oder vaskuläre Begleiterkrankungen. kPrinzip

Heterotope Transplantation einer Spenderniere in die rechte bzw. linke Fossa iliaca mit folgenden Anastomosen: 4 End-zu-Seit: Transplantatvene – V. iliaca externa. 4 End-zu-Seit: Transplantatarterie – A. iliaca externa. 4 End-zu-Seit: spenderseitiger Ureter und empfängerseitige Blase. Die eigene Niere des Empfängers verbleibt zumeist im Situs. Eine rechte Spenderniere wird in der Regel in die linke Fossa iliaca transplantiert, aber auch eine gleichseitige Transplantation wird praktiziert. kLagerung

4 Rückenlagerung, ggf. Anlagern des rechten Armes unter Beachtung der Lagerungskriterien (7 Abschn. 1.2). Der Arm, an dem der arteriovenöse Shunt (7 Kap. 5) angelegt wurde, ist mit Watte zu polstern.

9

522

Kapitel 9 · Urologie

4 Die Halterung des Bookwalter-Rahmens wird rechts bzw. links am OP-Tisch befestigt. 4 Die Blase wird über den liegenden Dauerkatheter gefüllt. 4 Platzierung der neutralen Elektrode an einem Oberschenkel. ! Beachtung der Hygienerichtlinien bei infektiösen Patienten.

wird abpräpariert und die Gefäße mittels Knopfkanüle und NaCl-Lösung auf ihre Dichtigkeit geprüft, ggf. muss ein Gefäß mit nicht resorbierbarem Nahtmaterial umstochen werden. 5 Anschließend wird das Organ wieder 3-fach steril verpackt oder verbleibt direkt auf dem Instrumentiertisch im OP-Saal in kalter Konservierungslösung.

kInstrumentarium

9

4 Grundinstrumentarium, 4 Laparotomieinstrumentarium, 4 Rahmensystem z. B. nach Bookwalter (7 Abb. 4.20, 7 Abb. 4.21), 4 Gefäßinstrumentarium mit Knopfkanülen, Sonden, Schere nach Potts, Löffel- und Satinsky-Klemme, 4 große Metallschüssel für physiologische Kochsalzlösung, 4 Blasenfüllsystem, 4 feines bzw. Stichskalpell, 4 Zügel bzw. Vesselloop, 4 Aortenpunch (Aortenstanzen unterschiedlicher Größen), 4 warmes und kaltes NaCl 0,9%, 4 Heparinlösung, 4 ggf. Doppel-J- Katheter, 4 Robinson-Drainage. Vorbereitung eines Beistelltisches zur Präparation des Spenderorgans, Schüssel für Eis, Eishammer, Eis, kaltes NaCl, evtl. kalte Konservierungslösung, textile Umlegungen, sterile Plastiktüten (in der Regel 3 Stück zur Wiederverpackung), grobe Schere und Klemmen zum Auspacken des Organs, feines Gefäßinstrumentarium, 10-ml-Spritze, Knopfkanülen und Sonden.

Back-table-Präparation des Spenderorgans

5 Vor Beginn der eigentlichen Transplantation wird das Spenderorgan auf einem separaten Tisch vorbereitet. 5 Das Organ wird unter sterilen Bedingungen mittels Kocher-Klemme und Schere (nach Mayo oder Cooper) aus der 3-Beutel-Verpackung (7 Kap. 17; Explantation) entnommen und in eine Schüssel mit sterilem, zerkleinertem Eis, kalter NaCl-Lösung sowie Bauchtüchern gelegt. Das Organ darf keinen Kontakt mit Eis haben, sonst entsteht Gefrierbrand! 5 Die Spenderniere wird eingehend auf ihre Verwendungsfähigkeit untersucht. Das perirenale Fett

OP-Verlauf: Nierentransplantation

5 Hautdesinfektion des Abdomens von Mamille bis Symphyse, Abdeckung des OP-Gebiets.

5 Team-Time-out. 5 Rechts oder links bogenförmige Hautinzision, die ca. 5 cm oberhalb der Symphyse beginnt und bis oberhalb der Spina iliaca anterior superior verläuft. 5 Durchtrennung des subkutanen Fettgewebes, der Faszie und des M. obliquus externus mit dem Diathermiemesser. 5 Vorsichtiges Eingehen in den Retroperitonealraum, der stumpf nach medial verdrängt wird. Bei Männern erfolgt die Präparation unter Schonung des Ductus deferens. 5 Umlegung mit Bauchtüchern und Anbringen des Rahmensystems. 5 Exposition des Retroperitoneums. 5 Präparation der A. iliaca externa (. Abb. 9.67) unter Schonung der lymphatischen Gefäße. Anzügeln der Arterie mit einem Vesselloop. 5 Präparation der V. iliaca bis zum Abgang der V. iliaca interna und Anzügeln des Gefäßes. 5 Das Spenderorgan wird nun probeweise eingebracht. 5 Um einen übersichtlichen Situs zu erhalten sowie eine spannungsfreie Anastomosennaht zu gewährleisten, kann das Organ in einer mit kaltem NaCl getränkten Kompresse, in die mittig ein kleines Loch für die Gefäße geschnitten wurde, am Transplantationsort gelagert und fixiert werden. 5 Von diesem Zeitpunkt an bis zur Reperfusion wird nur kaltes NaCl verwendet. 5 Der Beginn der Anastomosennaht und deren Ende werden dokumentiert. 5 Ausklemmen der A. iliaca externa mit z. B. einer Löffel- oder Satinsky-Klemme, Eröffnen des Gefäßes mit einem Stichskalpell und Aufstanzen der Inzision mit einem Aortenpunch zur Herstellung eines größenidentischen Lumens. 5 Spülen mit heparinisierter NaCl-Lösung.

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523 Literatur

5 Kontrolle der Intima auf sklerotische Verände5

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rungen. Nach dem Legen der Ecknähte erfolgt eine Endzu-Seit Anastomose in fortlaufender Nahttechnik mit nicht resorbierbarem Nahtmaterial (z. B. monofil 7–0 doppelt armiert). Nach Beendigung der Anastomose wird die Nierenarterie mit z. B. einer Bulldogklemme abgeklemmt und die Anastomose freigegeben. Kontrolle auf Bluttrockenheit. Analog der arteriellen Vorgehensweise erfolgt nun das Ausklemmen der V. iliaca externa (. Abb. 9.67), dann Eröffnen des Gefäßes und Verlängerung der Inzision mit einer gewinkelten Schere nach Potts. Legen der Ecknähte und Herstellung einer Endzu-Seit-Anastomose in fortlaufender Technik mit nicht resorbierbarem Nahtmaterial (z. B. monofil 6–0 doppelt armiert). Die anschließende Reperfusion erfolgt durch Freigabe der Vene und anschließende Freigabe der Nierenarterie in Abstimmung mit dem Anästhesisten, um die Kreislaufsituation nicht zu gefährden. Dokumentation der Reperfusionszeit. Ab diesem Zeitpunkt wird wieder körperwarmes Kochsalz verwendet. Kontrolle auf Bluttrockenheit und Beginn der retrograden Blasenfüllung. Es werden verschiedene Methoden der Ureteranastomose beschrieben, in der Regel wird eine Ureteroneozystostomie nach Grégoir durchgeführt: Präparation, Kürzen sowie Schlitzen des Transplantatureters am distalen Ende. Nach der Durchtrennung der Harnblasenmuskulatur wird die Blase am geplanten Anastomoseneingang eröffnet und die Spülflüssigkeit abgesaugt. Legen und Anklemmen der Ecknähte und Herstellen einer spannungsfreien End-zu-Seit-Anastomose in fortlaufender Nahttechnik zwischen Ureter und Harnblase mit einem monofilen resorbierbaren Faden der Stärke 5–0. Ggf. Schienung durch einen Doppel-J-Katheter. Readaptation der Blasenmuskulatur über der Anastomose als Antirefluxplastik. Bei Bedarf wiederholtes Auffüllen der Blase zur Dichtigkeitsprüfung, Spülen des OP-Gebiets sowie Kontrolle auf Bluttrockenheit. Evtl. Einbringen einer Drainage, z. B. Robinson. Zählen von Textilien und Instrumenten sowie Dokumentation des Zählstandes. Schichtweiser Wundverschluss und Verband.

A. renalis V. renalis

Ureter A. iliaca ext. V. iliaca ext. Ureteroneozystostomie (mit Antirefluxplastik) Blase . Abb. 9.67 Operativer Situs der Nierentransplantation in die Fossa iliaca. (Aus Siewert u. Stein 2012)

Literatur Deutsche Gesellschaft für Nephrologie (2014) Das Nierenportal [http://www.dgfn.eu/patienten/behandlungsmoeglichkeitenbei-nierenversagen/nierentransplantation.html] Hampel C, Hohenfellner M, Melchior S, Thüroff JW (2001) Harninkontinenz: Schlingenplastiken in der Therapie der weiblichen Harninkontinenz (Sling procedures in the therapy of female stress incontinence). Urologe A 40: 274–280 Hautmann RE, Huland H (2001/2006) Urologie, 2./3. Aufl. Springer, Berlin Heidelberg New York Hautmann R, Huland H (2006) Endourologische Diagnostik und Therapie. Springer, Berlin Heidelberg New York Hofmann R (2009) Endoskopische Urologie. Atlas und Lehrbuch, 2. Aufl. Springer, Berlin Heidelberg New York Hofmann R (Hrsg) (2009) Endoskopische Urologie. Atlas und Lehrbuch, 2. Aufl. Springer, Berlin Heidelberg New York Höfner K, Stief CG, Jonas U (2000) Benigne Prostatahyperplasie. Springer, Berlin Heidelberg New York Hofstetter AG, Eisenberger F (2001) Urologie für die Praxis. Bergmann, München Hohenfellner R, Wammack R (eds) (1992) SIU. Continent urinary diversion. Churchill, Livingstone, Edingburgh Krettek CH, Aschemann D (2005) Lagerungstechniken im OP-Bereich. Springer, Berlin Heidelberg New York Nieschlag E, Behre HM, Nieschlag S (Hrsg) (2009) Andrologie. Grundlagen und Klinik der reproduktiven Gesundheit des Mannes, 3. Aufl. Springer, Berlin Heidelberg New York Petri E (Hrsg) (2001) Gynäkologische Urologie. Aspekte der interdisziplinären Diagnostik und Therapie, 3. Aufl. Thieme, Stuttgart New York Schiebler TH, Korf H-W(Hrsg) (2007) Anatomie, Zytologie, Histologie, Entwicklungsgeschichte, makroskopische und mikroskopische Anatomie des Menschen. Unter Berücksichtigung des Gegenstandskatalogs, 10. Aufl. Steinkopff, Darmstadt

524

Kapitel 9 · Urologie

Schmelz UH, Sparwasser C, Weidner W (2006) Facharztwissen Urologie: Differenzierte Diagnostik und Therapie. Springer, Berlin Heidelberg New York Siewert JR, Stein HJ (Hrsg) (2012) Chirurgie, 9. Aufl. (mit integriertem Fallquiz, begründet von Martin Allgöwer). Springer, Berlin Heidelberg New York Sigel A, Ringert R-H (Hrsg) (2001) Kinderurologie, 2. Aufl Springer, Berlin Heidelberg New York Steffens J, Siemer S, Treiyer A (Hrsg) (2008) Häufige urologische Erkrankungen im Kindesalter, Kap. 13. Steinkopff, Darmstadt Stolzenburg J-U, Truss MC, Do M et al. (2004) Die endoskopische extraperitoneale radikale Prostatektomie (EERPE). Urologe A 43, 6: 698–707

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525

Neurochirurgie M. Liehn, M. Brunken, M. Weißflog, A. Gudat

10.1 Anatomische und physiologische Grundlagen

– 526

M. Liehn, M. Brunken, M. Weißflog

10.2 Neurochirurgisches Basiswissen im Operationssaal 10.3 Diagnostik in der Neurochirurgie 10.4 Intrakranielle Tumoren

– 544

– 546

10.5 Intrakranielle Gefäßmissbildungen 10.6 Entzündliche Erkrankungen 10.7 Schädel-Hirn-Traumata

– 553

– 557

– 558

10.8 Erkrankungen und Verletzungen des Rückenmarks, seiner Hüllen und der Wirbelsäule – 565 M. Liehn, M. Brunken, M. Weißflog, A. Gudat

10.9 Schädigung peripherer Nerven Literatur

– 573

– 575

M. Liehn et al. (Hrsg.), OP-Handbuch, DOI 10.1007/978-3-662-49281-9_10, © Springer-Verlag Berlin Heidelberg 2016

– 535

10

526

Kapitel 10 · Neurochirurgie

10.1

Anatomische und physiologische Grundlagen

M. Liehn, M. Brunken, M. Weißflog

10

Unter topographischem Aspekt werden 2 Bereiche des Nervensystems unterschieden: 4 Zentrales Nervensystem (ZNS): Zu diesem Teil gehören das Gehirn und das Rückenmark. Beide Organe verarbeiten Reize und Sinneseindrücke aus der Umwelt oder steuern Reaktionen und komplexe Verhaltensabläufe. Das zentrale Nervensystem besteht aus vernetzten Nervenfasern, die die Gehirnzellen untereinander sowie mit den Sinnesorganen und dem Muskelsystem verbinden. Komplexe Verhaltensweisen (Wut, Flucht) sind oft auf komplizierte Verknüpfungsmuster der Nervenzellen zurückzuführen. 4 Peripheres Nervensystem (PNS): Es verbindet mit seinen Hirn- und Spinalnerven sowie seinen Ganglien (Schaltstellen) die Peripherie des Körpers mit den zentralen Nervenbereichen. Das PNS teilt sich noch einmal weiter auf in das willkürliche oder motorische Nervensystem (von hier aus werden alle willentlichen Muskelbewegungen gesteuert) und das unwillkürliche, auch vegetative Nervensystem. Dieser Teil überwacht und lenkt die Funktion der inneren Organe mit Hilfe von 2 unterschiedlichen Systemen: Während der Sympathikus anregend und mobilisierend wirkt, bremst und beruhigt der Parasympathikus. Das Nervensystem entwickelt sich aus dem embryonalen äußeren Keimblatt, dem Ektoderm. Durch bestimmte Einrollungs- und Ausstülpungsvorgänge entsteht aus den Neuralwülsten das Neuralrohr. Am Vorderende des Neuralrohrs entsteht das Gehirn über zunächst 3 blasenförmige Erweiterungen (Vorder-, Mittel- und Nachhirn). Aus dem Vorderhirn werden das spätere Großhirn und das Zwischenhirn. Aus dem Nachhirn werden Kleinhirn und Medulla oblongata (verlängertes Mark). Die Hohlräume der embryonalen Hirnblasen bleiben erhalten und bilden später die 4 inneren Höhlen (Ventrikel) des Gehirns.

10.1.1

Großhirn

Bei einem Anschnitt des Gehirns erkennt man 2 Bereiche. 4 Weiße Substanz des Gehirns (Marklager): Hier verlaufen Nervenfasern. Die weiße Farbe ergibt sich aus den Markscheiden.

4 Graue Substanz des Gehirns: Bereiche, in denen größere Mengen von nah beieinander liegenden Nervenzellkörpern zu finden sind. Hierzu gehören die Großhirnrinde und die im Inneren des Gehirns liegenden Kerngebiete (Nuclei oder Ganglien) – die Basalganglien. Die Basalganglien gehören zum Hirnstamm und lassen sich in die folgenden Anteile unterscheiden: 4 Streifenhügel oder Corpus striatum: Er besteht aus dem Nucleus caudatus (Schweifkern) und Putamen (Schalenkern). Eine erblich bedingte Erkrankung des Streifenkerns ist der Veitstanz (Chorea Huntington), bei der es zum Verlust der motorischen Kontrolle, zu Demenz und zu Wesensveränderungen kommt. Der Streifenkern beeinflusst also die unwillkürlichen Bewegungen (Hemmungsorgan). 4 Pallidum (pallidus = blass): Das Pallidum gibt Anregungen u. a. zu primitiven Bewegungen. Beispiel: die »Massenbewegungen« des Säuglings. Die Markscheiden des Pallidum sind beim Säugling bereits entwickelt. Dies führt zu weit ausgedehnten Bewegungen und Reflexen. Der noch nicht reife Nucleus caudatus kann seine hemmende Kontrollwirkung noch nicht ausüben. Ebenfalls dem Hirnstamm zugerechnet werden Zwischenhirn, Mittelhirn, Kleinhirn und Medulla oblongata. Zu Beginn der embryonalen Entwicklung ist die Oberfläche des Gehirns zunächst glatt. Erst während der Entwicklung bilden sich Windungen (Gyri) des Großhirns aus, zwischen denen dann die Furchen (Sulci) liegen. Wesentliche Furchen sind: 4 Zentralfurche (Sulcus centralis), 4 Sylvi-Furche (Sulcus lateralis, Fissura Sylvii), StirnSchläfenhirn-Furche. Durch diese Furchen lassen sich 4 Lappen abgrenzen: 4 Stirnlappen (Lobus frontalis), 4 Scheitellappen (Lobus parietalis), 4 Schläfenlappen (Lobus temporalis), 4 Hinterhauptlappen (Lobus occipitalis).

Großhirnrinde Die Rinde oder der Kortex bildet den äußeren Rand des Großhirns. Die Großhirnrinde ist im Bereich der Zentralregion etwa bis zu 5 mm dick. Die Hirnrinde enthält schätzungsweise 14 Mrd. Zellen. Das Gesamtgewicht der Zellen beträgt 21,5 g. Das bedeutet, dass eine Nervenzelle ca. 1/25.000.000 mg schwer ist. Die Rinde enthält 6 Schichten, die aus unterschiedlichen Nervenzellen aufgebaut sind. Die meisten Nervenzellen haben mehrere kurze Fortsätze (Dendriten). Außerdem besitzen sie einen besonderen, manchmal bis zu 1 m

527 10.1 · Anatomische und physiologische Grundlagen

langen Hauptfortsatz mit einem Achsenzylinder (Neurit), der von einer Markscheide als äußere weißlich-gelbe Hülle umgeben sein kann. Das aus dem Nervenzellkörper, seinen Verästelungen und dem Neuriten bestehende Gebilde nennt man Neuron. Neben diesen Neuronen enthält die Rinde des Großhirns auch Zellen mit nichtnervöser Funktion: die Neuroglia, die mit unterschiedlichen Zelltypen das Stütz- und Hüllgewebe des Nervensystems darstellt und für den Stoffwechsel der Nervenzellen wichtig ist.

Nervenleitungen und Informationsübermittlung Nervenfasern leiten die Erregung grundsätzlich nur in eine Richtung, entweder vom Gehirn zur Peripherie (efferente Leitung) oder von der Peripherie zum Gehirn (afferente Leitung).

4 Nucleus ruber (roter Kern): Er erhält v. a. Erregungen aus dem Kleinhirn. 4 Nucleus niger (schwarzer Kern) oder Substantia nigra:

Bei Erkrankungen dieses Kerngebietes nach einer Enzephalitis oder durch Atrophie im Alter kommt es zur Parkinson-Erkrankung.

Kleinhirn Das Kleinhirn koordiniert das Zusammenspiel von Muskelgruppen. Dem Kleinhirn gehen aus sehr weiten Bereichen des Nervensystems Erregungen zu. Besonders wichtig sind die engen Beziehungen zum statischen Organ. Es ist für die Koordination der Bewegungsabläufe und das Gleichgewicht zuständig.

10.1.4 10.1.2

Zum Zwischenhirn gehören der Thalamus (Thalamus opticus = Sehhügel) und der Hypothalamus. Der Hypothalamus ist dem vegetativen Nervensystem übergeordnet. Er bildet die zentrale Regulation vegetativer Prozesse wie Temperaturempfinden, Physiologie der Erregung und des endokrinologischen Geschehens. Ferner wird hier die Ausschüttung von Hormonen, besonders der Hypophyse und der Nebennieren, koordiniert. Alle Vorgänge des Hypothalamus stehen in engster Beziehung zum Thalamus und zum Großhirn. Der Thalamus gilt als wichtige Sammel- und Umschaltstelle für Erregungen aus den Sinnesorganen und dem Körper. Bei unangenehmen Empfindungen (Schreck, Ekel) wird die Erregung des Thalamus auch auf den Sympathikus umgeleitet, sodass Übelkeit und sogar Erbrechen die Folge sein können. Erkrankungen und Verletzungen des Thalamus stören die Sensibilität (Spontanschmerzen, Rasierschmerzen). Das gesamte Zwischenhirn ist der Ursprungsort aller Affekte wie Wut, Ärger, Freude, Wohlbehagen. Zwischen Thalamus und Hirnrinde bestehen zahlreiche axonale Verbindungen, sodass beide Hirnregionen in ständiger Verbindung miteinander stehen und sich wechselseitig stimulieren oder hemmen. Ferner bestehen engste Beziehungen vom Zwischenhirn zu den Basalganglien.

10.1.3

Hirnnerven

Zwischenhirn

Mittel- und Kleinhirn

Mittelhirn Neben dem Aquaeductus cerebri Sylvii, der Verbindung zwischen dem 3. und 4. Hirnventrikel, enthält das Mittelhirn u. a. 2 für die Motorik sehr wichtige Kerne:

Als Hirnnerven werden die direkt vom Gehirn abgehenden 12 bzw. 13 Nerven bezeichnet, die mit Ausnahme des X. Hirnnervs (N. vagus) zu den Organen des Kopfes und der Kehle führen (. Tab. 10.1). Hirnnerv I und II, der Sehnerv und der Riechnerv, sind Ausstülpungen des Zwischenhirns und somit Gehirnanteile, während die übrigen Hirnnerven wie die Spinalnerven aus den frühen Anlagen des Zentralnervensystems herauswachsen.

10.1.5

Rückenmark

Das Rückenmark (Medulla spinalis) liegt im Wirbelkanal der Wirbelsäule. Es ist ein langer Strang aus Nervensubstanz. In regelmäßigen Abständen treten zahlreiche, jeweils eine vordere und eine hintere Nervenwurzeln aus (. Abb. 10.1). Am Rande des Wirbelkanals vereinigen sich beide Wurzeln zu einem der insgesamt 31 Spinalnerven, die zu den Muskeln und zur Haut weiterziehen. Das Rückenmark geht ohne festen Übergang aus der Medulla oblongata hervor und endet mit dem Conus medullaris in Höhe des 1. oder 2. Lendenwirbels. Es werden 8 Halssegmente (Zervikalsegmente), 12 Brustsegmente (Thorakalsegmente), 5 Lendensegmente (Lumbalsegmente), 5 Kreuzbeinsegmente (Sakralsegmente) und 1 Steißsegment (Kokzygealsegment) unterschieden. Das Rückenmark ist ca. 40–50 cm lang. Da die Wirbelsäule schneller wächst als das Rückenmark, ist dieses schließlich kürzer als die Wirbelsäule und endet im thorakolumbalen Übergang. Daher ziehen die spinalen Nervenfasern, insbesondere die der Lumbal- und Sakralsegmente, aus den unteren Bereichen des Rückenmarks im Wirbelkanal noch weiter nach unten, bevor sie das für sie bestimmte Foramen intervertebrale erreichen.

10

528

Kapitel 10 · Neurochirurgie

. Tab. 10.1 Hirnnerven Nerv

10

Ursprung

Austrittsstelle

Erfolgsorgan

Funktion

I.

N. olfactorius (fila olfactoria)

Zwischenhirn

Stirnbasis/Zwischenhirn

Nasenschleimhaut

Geruchsempfindung

II.

N. opticus (fasciculus opticus)

Zwischenhirn

Zwischenhirn

Netzhaut des Auges

Sehen

III.

N. oculomotorius

Mittelhirn

Mittelhirn vor der Brücke

Augenmuskel

Bewegung des Augapfels, Pupillenspiel

IV.

N. trochlearis

Mittelhirn

Mittelhirn vor der Brücke

Augenmuskel (M. obliquus superior)

Rotation des Augapfels nach außen und unten

V.

N. trigeminus

Rautenhirn

Brücke (Seitenrand)

Gesicht, Kaumuskulatur

Sensible Versorgung der Gesichtshaut

VI.

N. abducens

Rautenhirn

Brücke (Seitenrand)

M. rectus lateralis

Rotation des Augapfels nach außen

VII.

N. facialis

Rautenhirn

Medulla oblongata (Kleinhirnbrückenwinkel)

Gesichtsmuskulatur

Mimik

VIII.

N. vestibulocochlearis

Rautenhirn

Medulla oblongata (Kleinhirnbrückenwinkel)

Schnecke des Innenohres, Bogengänge des Innenohres

Hören, Wahrnehmung der Stellung des Körpers im Raum

IX.

N. glossopharyngeus

Rautenhirn

Medulla oblongata (seitlich)

Mund und Zunge

Geschmack, Gaumenbewegung (Schlucken)

X.

N. vagus

Rautenhirn

Medulla oblongata (seitlich)

Ohrmuschelrückseite, Gehörgang, Schlund, Zungengrund, Herz, Lunge, Magen, Darm

Sensible Versorgung, motorische Versorgung, parasympathische Versorgung

XI.

N. accessorius

Rautenhirn

Medulla oblongata (seitlich)

M. sternocleidomastoideus, M. trapeziaus

Kopfnicken, Hebung der Schultern

XII.

N. hypoglossus

Rautenhirn

Medulla oblongata (oberes Halsmark)

Zungenmuskulatur

Zungenbewegung

XIII.

N. intermedius

Rautenhirn

Medulla oblongata

Zunge, Tränendrüse, Speicheldrüse

Geschmack, Drüsensekretion

Wurzelfäden (Fila radicularia)

Zentralkanal

Spinalganglion hintere Wurzel (Radix dorsalis)

Hinterhorn Vorderhorn Seitenstrang Vorderstrang

Spinalnerv

vordere Wurzel (Radix ventralis)

Fissura mediana

Fila radicularia . Abb. 10.1 Rückenmark mit 2 eingezeichneten Spinalnervenpaaren

Die Spinalnervenwurzeln unterhalb des Conus medullaris sind zu einem dicken Faserbündel vereinigt, das wie ein Pferdeschwanz aussieht und deshalb als Cauda equina bezeichnet wird. Auf Querschnitten durch das Rückenmark erkennt man die graue Substanz innen (nicht wie beim Gehirn außen). Dieser graue Teil des Rückenmarks erscheint ungefähr in der Form eines Schmetterlings. Die den Rand des Rückenmarks berührenden Flügel der grauen Substanz nennt man Hinter- bzw. Vorderhörner. Die Spinalnerven verlassen das Rückenmark mit einer vorderen und einer hinteren Wurzel. Die vordere Wurzel bildet das motorische Neuron: Nach Durchschneidung ergibt sich eine Lähmung der von diesem Nerv versorgten Muskelgruppen. Die hintere Wurzel ist das sensible Neuron: Nach Durchschneidung ist ein bestimmter Teil des Körpers gefühllos. Das Spinalganglion (sympathische und parasympathische Nervenzellen) der hinteren Wurzel liegt im Foramen intervertebrale.

529 10.1 · Anatomische und physiologische Grundlagen

Leitungsapparat des Rückenmarks

Diffuse Persönlichkeitsstörungen

Der Leitungsapparat des Rückenmarks liegt in der weißen Substanz. Vollständige Durchtrennung des Rückenmarks, wie z. B. bei einem traumatischen Querschnittsyndrom, bedeutet den totalen Ausfall der gesamten Willkürmotorik und Sensibilität. Der Körper ist unterhalb der Läsion absolut gefühllos und völlig gelähmt. In den Rückenmarksegmenten unterhalb einer kompletten Querschnittlähmung bleiben Reflexe auf Rückenmarkniveau erhalten. Das erklärt, dass sich nach einer Querschnittlähmung eine spastische Lähmung entwickeln kann oder über die Stimulierung eines erhaltenen Reflexbogens die Blase kontrolliert entleert werden kann (Reflexblase). Die Leitungsfasern gleicher Funktion liegen in Strängen zusammen, die bei allen Menschen gleich lokalisiert sind.

Der Ausfall eines recht umfangreichen Gebietes des Stirnlappens und von Teilen des Schläfenlappens scheint nach der Erholung vom ersten Verletzungsschock keine Folgen zu haben. Eine genauere psychologische Untersuchung von Menschen mit solchen Ausfällen hat aber eine durchweg deutliche Veränderung der Persönlichkeit gezeigt. Meist ist der Antrieb geschwächt, die Person hat wenig Initiative. Nach einer Schädigung des Stirnhirns macht der Patient den Eindruck einer nicht mehr sicheren Persönlichkeit. Man spricht hier auch von einem Stirnhirnsyndrom.

jAfferente Systeme

Die afferenten Systeme leiten zum Hirn hin. Temperatur und Schmerzempfindung, Tast- und Berührungsempfindung, ob grob oder fein, werden in unterschiedlichen Bahnen dem Hirn zugeleitet. jEfferente Systeme

Die efferenten Systeme leiten vom Hirn zur Peripherie in den Pyramidenbahnen. Diese entspringen in der vorderen Zentralwindung des Großhirns und laufen in der Capsula interna (zwischen den Basalganglien und dem Zwischenhirn) abwärts. Im verlängerten Mark kreuzt die Hauptmasse der Pyramidenbahnen auf die Gegenseite. Nach einer Verletzung der Pyramidenbahn ist unterhalb der geschädigten Stelle keine willkürliche Bewegung mehr möglich. Betrifft der Ausfall eine Rückenmarkhälfte, so kann der Patient z. B. das Bein der gleichen Seite nicht mehr willkürlich bewegen. Ist die Pyramidenbahn intrazerebral unterbrochen, z. B. bei einem apoplektischen Insult (Blutung im Bereich der Capsula interna), so sind willkürliche Bewegungen auf der Gegenseite nicht mehr möglich. Die efferenten Systeme leiten auch das extrapyramidal motorische System. Dieses steuert die unwillkürlichen Bewegungsimpulse. Im Zusammenspiel mit dem Zwischenhirn haben diese Bahnen direkte Beziehungen zu den Basalganglien, dem Striatum. In den extrapyramidalen Bahnen werden automatische »Bewegungsimpulse« geleitet, wie z. B. bei geübtem Schreiben. Der Bewegungsentwurf dazu ist in den Basalganglien gespeichert. Das bedeutet eine Entlastung des pyramidalen Systems.

10.1.6

Zentren der Großhirnrinde

Nachfolgend werden einige Konsequenzen beschrieben, die durch eine Störung bzw. den Ausfall von Zentren der Großhirnrinde verursacht sind.

Lähmungen Verletzungen der vorderen Zentralwindung des Gehirns ergeben Lähmungen ganz bestimmter Muskelgruppen der kontralateralen Seite. Die gleiche Wirkung haben auch Schlaganfälle oder Tumoren in dieser Region. In der vorderen Zentralregion beginnen die Pyramidenbahnen, die durch die Capsula interna in das verlängerte Mark absteigen und dort auf die Gegenseite kreuzen. Im Rückenmark wirken sie dann auf das System der Motoneurone (motorische Vorderhornzellen und ihre Neuriten; 7 Abschn. 10.1.1), indem Muskeln jeweils von einer bestimmten Stelle in der vorderen Zentralwindung ihre Anweisung erhalten. In der Rinde der vorderen Zentralwindung liegen demnach motorische Zentren. Die Folgen ihrer Ausschaltung sind berechenbar. Gewissermaßen projiziert sich die Oberfläche des ganzen Körpers auf die Oberfläche der vorderen Zentralwindung. Die Größe dieser Projektionsflächen auf der vorderen Zentralwindung ist von der Feinheit der von den Muskeln zu leistenden Arbeit abhängig. Die Flächen für die motorischen Fasern, die zur Hand, zum Mund und besonders zu den Lippen führen, sind verhältnismäßig groß. Projiziert man den Körper proportionsgerecht auf die vordere Zentralwindung, so entsteht ein »Homunkulus» (. Abb. 10.2) mit einem sehr großen Kopf, einer geradezu riesigen Hand und einem zierlichen Bein. Die Zentren erfüllen ihre komplexen Aufgaben stets in Zusammenwirkung mit dem ganzen Gehirn. Immer unterliegen sie Einflüssen aus den vorderen Bereichen des Stirnlappens und auch aus den Erregungen, die vom Zwischenhirn ausgehen. Ferner ist für den Bewegungsablauf, v. a. für geübte Bewegungen, das extrapyramidale System notwendig. Es steuert die bekannten und geläufigen Bewegungen. ! Das pyramidale System steuert willkürliche, das extrapyramidale System dagegen unwillkürliche Bewegungen.

Das extrapyramidale System liefert den Bewegungsentwurf, das in der vorderen Zentralwindung beginnende

10

530

Kapitel 10 · Neurochirurgie

a

10

b

. Abb. 10.2a, b Zuordnung der verschiedenen Körperregionen zu den motorischen und den sensiblen Hirnrindengebieten. a Projektion der somatosensorischen Körpergebiete auf den Gyrus postcentralis. b Projektion des motorischen Homunkulus auf den Gyrus praecentralis. (Aus Schiebler u. Schmid 2003)

pyramidale System verfeinert ihn und passt ihn den vorhandenen Gegebenheiten an.

Störungen des optischen und des akustischen Wahrnehmens

Sensibilitätsstörungen

Im Bereich des Hinterhauptlappens des Großhirns in der Nähe der Fissura calcarina findet sich ein leicht streifig erscheinendes Areal, die Area striata. Dieses Areal bildet das primäre Sehzentrum. Es empfängt seine Erregungen von der Netzhaut des Auges über den Sehnerv und die Sehnervenstrahlung. Werden diese Areale in beiden Hinterhauptlappen z. B. durch ein Trauma, zerstört, ist der Patient blind. Ein Tumor im rechten Hinterhauptlappen bewirkt dagegen eine halbseitige Blindheit beider Augen (Ausfall linkes Auge: laterales Gesichtsfeld, rechtes Auge: mediales Gesichtsfeld) – die homonyme Hemianopsie nach links. In der Nähe der Area striata gibt es ein schwer abgrenzbares Gebiet, das sekundäre Sehzentrum. Nach dessen doppelseitigem Ausfall kann der Mensch einen Gegenstand noch richtig wahrnehmen und benutzen, er kann ihm aber nicht seinen Namen geben. Der Patient leidet an Seelenblindheit.

jOptische Wahrnehmung

Nach Verletzungen bestimmter Bereiche der Großhirnrinde ist ein entsprechendes Gebiet der Haut gefühllos oder unempfindlich. Diese sensorischen Rindengebiete an der hinteren Zentralwindung liegen neben den entsprechenden motorischen Zentren der vorderen Zentralwindung, d. h. ein sensorisches Fußzentrum befindet sich neben dem motorischen usw. Beide Zentren greifen ineinander über. Die sensiblen Fasern gelangen aus allen Abschnitten des Körpers auf die hintere Zentralwindung, sodass man auch hier von einer Projektion der Körperoberfläche auf die Hirnrinde spricht. Auch diese ist keineswegs proportionsgerecht. Der Umfang des Projektionsgebietes auf der sensorischen Rinde hängt nicht von der Größe der Körperoberfläche ab, sondern von ihrer Bedeutung. Daumen, Lippen und Gesicht haben ein verhältnismäßig  großes, Rumpf und Hals ein sehr kleines Areal (. Abb. 10.2).

jAkustische Wahrnehmung

Weiter unterscheidet man im Schläfenlappen 2 akustische Zentren für das Hören: 4 das primäre Zentrum dient der akustischen Wahrnehmung,

531 10.1 · Anatomische und physiologische Grundlagen

4 das sekundäre Zentrum dient dem Erkennen des Gehörten. Diese Zentren kann man in der Rinde nicht voneinander trennen, sie sind ineinander verzahnt. Alles spricht dafür, dass der Umfang eines solchen Zentrums morphologisch nicht festliegt, sondern je nach Beanspruchung größer oder kleiner ist.

Sprachstörungen jSensorische Aphasie

Ausfälle im Bereich des Hörzentrums können zu schweren Störungen des Sprachverständnisses führen. Der Rindenbereich, auf dessen Schädigung sie zurückzuführen sind, lässt sich vom eigentlichen Hörzentrum nicht genau abgrenzen; er liegt im Schläfenbereich des Großhirns. Der betreffende Bereich heißt auch Wernicke-Zentrum. jMotorische Aphasie

Das Sprachverständnis ist nur wenig beeinträchtigt, aber der Patient kann Silben nicht zusammensetzen, keine Sätze bilden und Worte nicht finden. Verantwortlich sind Ausfälle am unteren Rand des Stirnlappens, der Broca-Windung. Die Sprachzentren befinden sich in der Regel bei Rechtshändern auf der linken Seite, bei Linkshändern manchmal auf der rechten Seite des Gehirns → Dominanz der linken Hemisphäre.

10.1.7

Liquorräume

Die Hohlräume der embryonalen Hirnblasen bleiben erhalten und bilden später die 4 inneren Höhlen (Ventrikel) des Gehirns. 1. und 2. Ventrikel liegen in der rechten und linken Hemisphäre des Großhirns, beide Ventrikel werden auch Seitenventrikel genannt und sind über die Foramina Monroi untereinander und mit dem 3. Ventrikel im Zwischenhirn verbunden. Der 3. Ventrikel ist mit dem 4. Ventrikel im Rautenhirn über den Aquaeductus cerebri Sylvii im Mittelhirn verbunden. Der 4. Ventrikel setzt sich fort in den Zentralkanal des Rückenmarks. Gleichzeitig bestehen vom 4. Ventrikel Verbindungen zu den äußeren Liquorräumen (Foramina Luschkae und Foramen Magendii). In den Ventrikeln befindet sich der Liquor cerebrospinalis. Er wird von Gefäßgeflechten (Plexus chorioidei) in den Hirnkammern gebildet und gelangt über die genannten Foramina schließlich an die Außenflächen des Gehirns und des Rückenmarks. Er wird in den PacchioniGranulationen der Arachnoidea und im Bereich der Wurzelscheide der Spinalnerven in das Blutgefäßsystem rückresorbiert. Ist diese Liquorzirkulation an einem dieser vorgenannten Orte behindert, entwickelt sich ein Hydrozephalus.

jFunktionen des Liquors

4 Aufrechterhaltung eines konstanten Hirninnendrucks, 4 Aufrechterhaltung eines konstanten Hirnvolumens, 4 Schutzfunktion nach Art eines Wasserkissens, 4 Ernährung der Zellen des Gehirns.

10.1.8

Hüllen des Gehirns und des Rückenmarks

Von außen nach innen sind zu erkennen: 4 Die äußere Haut ist fest verbunden mit der 4 Galea aponeurotica (Kopfschwarte) und der mimischen Muskulatur, mit der zusammen sie sich bewegt und sich dann gegen das darunter liegende Periost verschiebt. So kommt es, dass sich Hämatome innerhalb der Kopfschwarte kaum, im Raum zwischen Galea und Perikranium (Periost) dagegen schnell ausbreiten. Die Kopfschwarte ist außerordentlich gut durchblutet. Eine Besonderheit stellen die zahlreichen Anastomosen zwischen äußeren und inneren Schädelvenen dar. Die Venen der Kopfschwarte besitzen eine Verbindung in das Schädelinnere. Dies ist ein Weg, auf dem Infektionen gelegentlich eindringen können. 4 Lockeres Bindegewebe grenzt die Kopfschwarte ab gegen 4 das Periost (Perikranium). 4 Schädeldachknochen. Dieser besteht aus 3 Schichten: 5 Lamina externa, 5 Diploe (enthält Knochenmark und ist gut durchblutet), 5 Lamina interna. Gehirn und Rückenmark liegen im knöchernen Schädel bzw. im Wirbelkanal gut geschützt gegen Verletzungen. Der Schädel ist das Knochengerüst des Kopfes (. Abb. 10.3 und . Abb. 10.4). Man unterscheidet: 4 Neurokranium (Hirnschädel), 4 Viszerokranium, Splanchnokranium (Gesichtsschädel). Der Schädel setzt sich wie ein Mosaik aus 29 Teilen (Schädelbeinen) zusammen: 4 Schädeldach, Schädelkalotte: Stirnbein, die beiden Scheitelbeine, die 2 Schuppen der Schläfenbeine und der größte Teil des Hinterhauptbeins. 4 Schädelbasis: die zum Stirnbein gehörenden Dächer der Augenhöhle, das Keilbein, die beiden Felsenbeine, die Teile der Schläfenbeine sind, und ein Teil des Hinterhauptbeins.

10

532

Kapitel 10 · Neurochirurgie

Sutura coronalis (Kronennaht) Os parietale (Scheitelbein) Os frontale (Stirnbein)

Linea temporalis superior Sutura squamosa Sutura sphenoparietalis

Sutura sphenofrontalis Os sphenoidale (Keilbein)

Os temporale (Schläfenbein)

Os nasale (Nasenbein) Os lacrimale

Sutura lambdoidea Os occipitale

Os zygomaticum (Jochbein)

Processus mastoideus

Maxilla (Oberkiefer)

Mandibula (Unterkiefer) Porus acusticus externus (äußere Öffnung des Ohrganges)

10

Foramen mentale

. Abb. 10.3 Schädel in der Seitenansicht. (Aus Schiebler u. Schmidt 2003)

Os frontale

Sutura coronalis (Kranznaht) Os parietale

Os sphenoidale

Incisura supraorbitalis (Austrittsort des Endastes vom N. ophthalmicus)

Os nasale Os temporale

Orbita (Augenhöhle)

Concha nasalis media Foramen infraorbitale (Austrittsort des Endastes vom N. maxillaris)

Os zygomaticum Concha nasalis inferior (untere Nasenmuschel) Maxilla

Foramen mentale (Austrittsort des Endastes vom N. mandibularis)

. Abb. 10.4 Schädel in der Frontalansicht. (Aus Schiebler u. Schmidt 2003)

Corpus manibulae

533 10.1 · Anatomische und physiologische Grundlagen

Die Schädelbasis stellt die untere Rahmenkonstruktion des Knochengerüstes »Kranium« dar. Von Bedeutung sind: 4 Hypophysenregion (Sella turcica). 4 Kleinhirnbrückenwinkel. 4 Vordere Schädelgrube; sie enthält Zugänge zur Nasenhöhle und zur Orbita. 4 Mittlere Schädelgrube; sie enthält Zugänge zum Gesichtsschädel und zur Orbita. 4 Hintere Schädelgrube; sie enthält Zugänge zum Innenohr, zur Halsregion und zum Wirbelkanal. 4 Der Verbindungsknochen zum Gesichtsschädel ist das Siebbein, durch dessen löchrigen Grund die Fasern der Riechnerven ziehen. Die Schädelknochen sind untereinander fest durch Schädelnähte verbunden; von diesen Nähten geht das Schädelwachstum aus (desmoplastisches Wachstum). Die 3 wichtigsten Schädelnähte sind: 5 Kranznaht (Sutura coronalis), 5 Pfeilnaht (Sutura sagittalis), 5 Lambdanaht (Sutura lambdoidea). 4 Meningen (Hirn-, Rückenmarkhäute); sie liegen zwischen Knochen und Hirn bzw. Rückenmark. 5 An der Innenseite des Schädels fehlt ein eigenes Periost. Dort übernimmt die Dura mater (Pachymeninx, harte Hirnhaut) die Funktion. Sie liegt auch dem Wirbelkanal innen als feste Haut an. Sie lässt sich meist leicht vom Knochen lösen und haftet nur an den Schädelnähten fester. 5 Zwischen den beiden Großhirnhemisphären bildet die Dura mater eine Duplikatur, die Falx cerebri (Großhirnsichel), an deren Oberkante der Sinus sagittalis superior (oberer Längsblutleiter) verläuft. Eine ähnliche Duplikatur spannt sich oberhalb der hinteren Schädelgrube aus und trennt das Kleinhirn von den hinteren Anteilen des Großhirns: das Tentorium cerebelli (Kleinhirnzeltdach), in dessen Mitte sich ein Schlitz (Tentoriumschlitz) zum Durchtritt des Hirnstamms befindet. Diese Duraduplikaturen bieten der an sich weichen Konsistenz des Gehirns zusätzlichen Halt. 5 Die Sinus durae matris (die in die Dura eingefügten venösen Blutleiter) haben nicht den Wandaufbau der »echten« Venen, sondern sind lediglich mit Endothel ausgekleidete Hohlräume. Bei Verletzungen klaffen sie, bluten daher nicht nur kräftig, sondern stellen auch eine Luftemboliegefahr dar. 5 Arachnoidea (Spinnengewebehaut): Sie bildet mit ihrem spinnengewebeartigen Aufbau eine lockere Verbindung zwischen harter und weicher Hirnhaut. Sie kleidet nicht, wie die weiche Hirnhaut, alle Winkel aus, sondern überdacht sie vielmehr;

die entsprechenden Räume heißen Zisternen. Die größte dieser Zisternen ist die Cisterna cerebellomedullaris im Winkel zwischen Kleinhirn und Medulla oblongata. Alle Zisternen sind ebenso wie der gesamte Raum zwischen Spinnengewebeund weicher Hirnhaut (Subarachnoidalraum) mit Liquor gefüllt (äußerer Liquorraum). 5 Pia mater (Leptomeninx, weiche Hirnhaut): Sie liegt direkt dem Gehirn bzw. dem Rückenmark an; in ihr verlaufen feine Venen und Arterien zur Versorgung von Hirn- und Rückenmark.

10.1.9

Blutversorgung des Gehirns

Die arterielle Versorgung des Gehirns geschieht über die beiden Aa. carotides internae und die beiden Aa. vertebrales. Letztere vereinigen sich nach ihrem Eintritt durch das Hinterhauptloch in den Schädel zur A. basilaris. Beide Aa. carotides internae sind mit der A. basilaris über Rr. communicantes miteinander verbunden. Auf diese Weise entsteht an der Hirnbasis ein zusammenhängendes System aller zum Gehirn führenden Arterien, das als Circulus arteriosus Willisi bezeichnet wird. Damit wird bei Ausfall einer der zuführenden Arterien in den meisten Fällen die volle Blutversorgung des Gehirns sichergestellt. Vom Circulus arteriosus Willisi entspringen die eigentlichen, das Hirn vorsorgenden Arterien (A. cerebri anterior, A. cerebri media und A. cerebri posterior). Die aus dem Hirn das Blut abführenden Venen münden in die Sinus der Dura mater. Aus ihnen gelangt das Blut schließlich zu der großen V. jugularis. Aus ihr strömt das Blut in die V. cava und von dort ins Herz.

10.1.10

Wirbelsäule

Die Wirbelsäule (Columna vertebralis; . Abb. 10.5) besteht aus: 4 7 Halswirbeln, 4 12 Brustwirbeln, 4 5 Lendenwirbeln, 4 Kreuzbein und 4 Steißbein. Alle Wirbel, mit Ausnahme des 1. Halswirbels (Atlas), haben einen ähnlichen Aufbau (. Abb. 10.6). Sie bestehen aus dem Wirbelkörper, dem Wirbelbogen, dem Dorn- und dem Querfortsatz. An den Bögen der Brustwirbel befinden sich außerdem Gelenkflächen für die Rippen. Die Verbindung der Wirbel untereinander wird durch die Wirbelgelenke am Wirbelbogen, die Bandscheiben und verschiedene Bänder erreicht. Die Bandscheiben

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534

Kapitel 10 · Neurochirurgie

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c

. Abb. 10.5a–c Wirbelsäule von vorn (a), hinten (b) und seitlich von links (c). Beachten Sie die Größe der Wirbelkörper sowie die Stellung der Dornfortsätze in den unterschiedlichen Wirbelsäulenabschnitten. In der Seitenansicht (c) sind die physiologischen Wirbelsäulenschwingungen zu erkennen. (Aus Appell u. Steng-Voss 2008)

(Disci intervertebrales) sind an den Endflächen zweier benachbarter Wirbelkörper befestigt und spiegeln deshalb  die Form dieser Flächen wider. Sie sind aus Faserknorpel aufgebaut, der in der Mitte zum Nucleus pulposus aufgequollen ist. Der Nucleus pulposus wirkt wie ein Wasserkissen. Damit diese weiche Masse nicht durch die Last der Wirbelsäule zwischen den Wirbelkörpern herausgequetscht wird, ist er von dem Faserring (Anulus fibrosus) außen umgeben, der aus straffen, kollagenen Faserzügen besteht. Der Bandapparat besteht aus folgenden Bändern: 4 Vorderes Längsband (Lig. longitudinale anterius); es liegt an der Vorderseite aller Wirbelkörper. 4 Hinteres Längsband (Lig. longitudinale posterius); es liegt an der Hinterseite der Wirbelkörper, d. h. an der Vorderwand des Wirbelkanals. 4 Zwischendornfortsatzbänder (Ligg. interspinalia).

4 Dornspitzenband (Lig. supraspinale); es liegt über allen Dornfortsätzen. 4 Zwischenbogenbänder (Ligg. interarcuata) bzw. gelbe Bänder (Ligg. flava). Die Form der menschlichen Wirbelsäule entspricht einem lang gezogenen Doppel-S: Die Halswirbelsäule (HWS) ist nach vorn durchgebogen (Halslordose), die Brustwirbelsäule (BWS) nach hinten (Brustkyphose) und die Lendenwirbelsäule (LWS) wieder nach vorn (Lendenlordose). Dabei sind es die Bänder, die der Wirbelsäule ihren Halt geben. Längsmuskulatur und Bauchmuskulatur wirken zusätzlich als elastisches Korsett. Zwischen dem 1. und 2. Halswirbel (Atlas und Axis) besteht eine gelenkige Verbindung, um die Drehung des Kopfes zu ermöglichen: Der Atlas dreht sich um den Zahn (Dens) des 2. Halswirbels.

535 10.2 · Neurochirurgisches Basiswissen im Operationssaal

. Abb. 10.6a–f Vergleichende Darstellung eines Hals-, (a, b), Brust- (c, d) und Lendenwirbels (e, f) von oben und seitlich. Die Gelenkflächen der kleinen Wirbelgelenke sind blau markiert, diejenigen zur Aufnahme der Rippen am Brustwirbel hellgrau. Beachten Sie die unterschiedliche Ausprägung der Fortsätze und die Stellung der Gelenkflächen. (Aus Appell u. Steng-Voss 2008)

Durch die Aneinanderreihung der Wirbel mit ihren Wirbellöchern entsteht der Wirbel- oder Spinalkanal, in dem das Rückenmark liegt, das von den gleichen Häuten umgeben ist wie das Gehirn (7 Abschn. 10.1.8).

10.1.11

dass das sympathische System im Wesentlichen der Leistungserhöhung dient, während das parasympathische System im Wesentlichen Erholungseffekte bedingt.

10.2

Neurochirurgisches Basiswissen im Operationssaal

10.2.1

Arbeitsbedingungen im neurochirurgischen Operationssaal

Vegetatives Nervensystem

Das vegetative (idiotrope) Nervensystem führt eine Reihe von Nervenbahnen, die gesondert zu den glatten Muskeln (z. B. des Darms oder der Harnblase), zu den Drüsen und zum Herzen verlaufen. Es besteht aus dem Parasympathikus und dem Sympathikus. 4 Die sympathischen Bahnen beginnen in der grauen Substanz des Rückenmarks und ziehen durch die vorderen Wurzeln in die weißen Verästelungen (Rr. communicantes albi) zum Grenzstrang des Sympathikus. Er ist eine perlschnurartige Kette an beiden Seiten der Wirbelsäule. 4 Zu den parasympathischen Nerven gehört im Wesentlichen der N. vagus. Er entspringt aus einem besonderen Kern des Hirnstamms und erscheint als X. Hirnnerv aus der Medulla oblongata. Er sendet Äste zu allen inneren Organen bis hinab zum Dünndarm. Enddarm und Urogenitalsystem werden durch parasympathische Fasern aus dem Sakralmark versorgt. In ihrer Wirkung auf die inneren Organe sind Sympathikus und Parasympathikus Antagonisten. Aus den unterschiedlichen Funktionen (. Tab. 10.2) lässt sich ableiten,

Wichtiges Arbeitshilfsmittel des Neurochirurgen ist das Operationsmikroskop. Der Umgang mit allen benötigten hochsensiblen technischen Geräten muss erlernt werden, denn es ist v. a. den hochauflösenden Mikroskopen, dem empfindlichen Mikroinstrumentarium, dem Laserschnittgerät, der intraoperativen Sonographie, dem Ultraschallzertrümmerer, den High-speed-Bohrmaschinen, dem intraoperativen Monitoring, der Neuronavigation und überhaupt der elektronischen Datenverarbeitung zu verdanken, dass am Gehirn und am Rückenmark routinemäßig auf hohem Niveau operiert werden kann. Die Einweisung in diese Geräte gemäß dem Medizinproduktegesetz ist obligat. Der Aufbau, der Anschluss, die Funktion, der Abbau und die Pflege sowie die Wartung müssen vertraut sein. Die Instrumentation unter dem Mikroskop (7 Abschn. 10.2.5) unterliegt besonderen Kriterien.

10

536

Kapitel 10 · Neurochirurgie

. Tab. 10.2 Funktionen des Sympathikus und des Parasympathikus Erfolgsorgan

Sympathikus

Parasympathikus

Herz

Beschleunigung des Herzschlags

Verlangsamung des Herzschlags

Herzkranzgefäße

Erweiterung

Verengung

Gefäße

Verengung

Erweiterung

Bronchien

Erweiterung

Verengung

Ösophagus

Erschlaffung

Krampf

Magen, Darm

Hemmung der Peristaltik und der Drüsentätigkeit

Anregung der Peristaltik und der Drüsentätigkeit

Blase

Harnverhaltung

Harnentleerung

Genitalien

Gefäßverengung

Gefäßerweiterung

Pupillen

Erweiterung

Verengung

Lidspalte

Erweiterung

Verengung

Speicheldrüsen

Spärlicher, zähflüssiger Speichel

Reichlicher, dünnflüssiger Speichel

Schweißdrüsen

Spärlicher, klebriger Schweiß

Reichlicher, dünner Schweiß

10 10.2.2

Lagerung und Abdeckung

Lang dauernde Operationen erfordern eine optimale Lagerung des Patienten (7 Abschn. 1.2). Ein Wärmeverlust des Patienten muss mit geeigneten Methoden verhindert werden. Meistens werden der Kopf und die Halswirbelsäule des Patienten mit einem 3-Punkt-Kopfspanner nach Mayfield starr fixiert, um ein Verwackeln des OP-Feldes weitgehend zu verhindern. Dabei muss der Patient so liegen, dass das OP-Team möglichst freien Zugang zum OP-Situs und die Anästhesisten freien Zugang zu den Beatmungs-, Messund Überwachungsgeräten haben. Liegt der Patient bei Kopfoperationen auf dem Rücken, ragt das Tubussystem oftmals, nur durch die Abdeckung getrennt, nahe dem Instrumententisch aus dem Mund des Patienten. Es ist deshalb beim Platzieren des Instrumententisches unbedingt darauf zu achten, dass die Arbeitsplatte so weit hochgefahren wird, dass Tubusverbindung, Infusionsschläuche, die Dopplersonde u. a. unter der Abdeckung nicht verschoben werden können. Die Abdeckung erfolgt standardisiert abteilungsspezifisch. Der Patient muss gut wärmeisoliert gelagert und abgedeckt sein. Vorteilhaft ist ein Abdecksystem mit integriertem Auffangbehältnis für Spülflüssigkeiten. Nach der sterilen Abdeckung des Patienten wird immer der Team-Time-out-Check durchgeführt, bevor die Operation beginnt.

10.2.3

Instrumente und Geräte der Neurochirurgie

Zum Schutz des Patienten, der eigenen Sicherheit und zur Erleichterung des Umgangs mit den sensiblen Geräten gibt es Sicherheitsrichtlinien der Hersteller und des Gesetzgebers (MPG), die eingehalten werden müssen. Beim Instrumentarium unterscheiden wir: 4 Kraniotomieinstrumentarium für Eingriffe am Schädel und am Gehirn. Dazu kommen dann bei Bedarf je nach Operation die speziellen Instrumente wie z. B. das Mikroinstrumentarium. 4 Laminektomieinstrumentarium für alle Operationen an der Wirbelsäule, am Rückenmark und an den Spinalnerven.

Kraniotomieinstrumente jSchädeleröffnung

4 Grundinstrumentarium: Skalpell, Pinzetten, Scheren, Nadelhalter, scharfe Haken 4 Raspatorien, schmal und breit, z. B. nach Willinger. 4 Elevatorium, z. B. nach Langenbeck (. Abb. 10.7). 4 Dissektor, einseitig stumpf, einseitig scharf, z. B. nach Freer (. Abb. 10.8) zum Abhebeln des Knochendeckels. 4 Anatomische Dandy-Klemmen (. Abb. 10.9) zur Blutstillung an der Galea der Kopfhaut. 4 Eventuell Raney-Clips mit Applikationszange (. Abb. 10.10) oder Kölner Klammern. Die Clips werden an den Kopfhautlappen zur Kompression und

537 10.2 · Neurochirurgisches Basiswissen im Operationssaal

4

4

4

4 4

damit zur Blutstillung gesetzt. Alternativ gibt es viele Klammern mit gleichem Wirkungsmechanismus. High-speed-Bohrmaschine mit einem Trepan (. Abb. 10.11), der runde Löcher in die Kalotte bohrt und stoppt, sobald er keinen Widerstand mehr hat, also wenn er an der Dura angelangt ist. Das Kraniotom verbindet die mit dem Trepan gesetzten Bohrlöcher. Dazu wird ein Sägeblatt in die Bohrmaschine eingespannt und ein Duraschutz darüber geschraubt. Dessen Schuh gleitet auf der Dura, sodass diese geschützt wird (. Abb. 10.12). Diese Hochgeschwindigkeitsbohrsysteme mit 80.000–100.000 Umdrehungen/min werden ebenfalls zum druckfreien Fräsen von Knochenvorsprüngen oder zum Aufbohren von Nervenkanälen verwandt (. Abb. 10.13). Mit den Stanzen kann das Bohrloch erweitert werden. Diese Stanzen gibt es nach oben oder nach unten schneidend sowie in der schmalen und der breiten Version. Die Spitze zeigt entweder 90° oder 130° (. Abb. 10.14 und . Abb. 10.15). Mit dem Nervenhäkchen (Durahäkchen) werden die Bohrlochränder umfahren, um adhärente Dura zu lösen. Muss ein Bohrloch erweitert werden, aber die Stanzen sind zu klein, eignet sich eine feine Hohlmeißelzange nach Luer.

10.7

10.8

Zur Gehirnoperation kommen dann verschiedene Instrumente hinzu: 4 Anatomische Bajonettpinzetten, z. B. nach Gruenwald (. Abb. 10.16). Bajonettförmige Instrumente ermöglichen das Fassen von Gewebe in den kleinen Zugängen, ohne dass die Hand des Operateurs im Mikroskopausschnitt sichtbar wird. 4 Duramesser, z. B. ein kleines rundes (15er), um eine kleine Inzision in die Dura zu legen, die dann mittels einer Duraschere erweitert wird. Diese Schere hat eine abgeflachte Branche, die das Gehirn beim Schneiden der Dura vor Verletzungen schützt (z. B. nach Schmieden-Taylor oder nach Frazier; . Abb. 10.17). 4 Feine chirurgische Durapinzetten (z. B. nach Adson). 4 Feine Saugeransätze. 4 Hirnspatel, z. T. selbsthaltend: Diese Spatel werden so gebogen, dass sie sich dem Hirngewebe optimal anlegen. Das Gehirn wird dabei durch einen Streifen feuchter Hirnwatte geschützt. Sollte ein Spatel für kurze Zeit ohne Hirnwatte eingesetzt werden, muss er feucht angereicht werden. Zum Offenhalten des OP-Feldes wird ein Halteapparat mit flexiblen Armen an dem Operationstisch fixiert; in diese Arme werden dann die benötigten Spatel eingesetzt. 4 Bei Bedarf: Aneurysmaclips mit Applikationszangen (7 Abschn. 10.5.1).

10.9

10.10

. Abb. 10.7 Elevatorium. (© Fa. Aesculap AG)

. Abb. 10.9 Dandy-Klemmen. (© Fa. Aesculap AG)

. Abb. 10.8 Dissektor. (© Fa. Aesculap AG)

. Abb. 10.10 Raney-Clips. (© Fa. Ethicon, Abt. Codman)

10

538

Kapitel 10 · Neurochirurgie

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10.14

10.15

. Abb. 10.11 Trepan. (© Fa. Ethicon, Abt. Codman) . Abb. 10.12 Kraniotom und Schutzschuh. (© Fa. Ethicon, Abt. Codman) . Abb. 10.13a, b High-speed-Bohrsystem. a Trepane, b Bohrer (© Fa. Zeppelin Ltd.) . Abb. 10.14 Stanze nach Kerrison. (© Fa. Aesculap AG) . Abb. 10.15 Stanze nach Hajek-Kofler. (© Fa. Aesculap AG) 10.16

10.17

. Abb. 10.16 Bajonettpinzette. (© Fa. Aesculap AG) . Abb. 10.17 Duraschere. (© Fa. Aesculap AG)

539 10.2 · Neurochirurgisches Basiswissen im Operationssaal

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. Abb. 10.18a–d Craniofix-System mit Verschlussplättchen (Beispiel: Fa. Aesculap AG). Instrumentarium (a), Implantat (b), Craniofix-System in situ (c) und implantiert (d)

jSchädelverschluss

4 Durapinzetten, Nadelhalter, Schere. 4 Zur schnellen und passgenaueren Fixierung des Knochendeckels werden in verschiedenen Formen angebotene Verschlussplättchensysteme verwendet (. Abb. 10.18). 4 Nur noch selten wird der Knochendeckel mit nicht resorbierbaren Fäden über 2-mm-Bohrlöcher an der Kalotte festgeknotet. 4 Zu jeder Kopfoperation gehören ein standardisierter Zusatz (s. unten), eine Spülspritze mit Knopfkanüle, das Mikroinstrumentarium und andere Spezialinstrumente.

Laminektomieinstrumente 4 Skalpell, groß für die Haut und etwas kleiner für die Dura, Pinzetten (chirurgisch grob, chirurgisch fein und bajonettförmig anatomisch). 4 Scheren, scharfe Haken, Nadelhalter. 4 Laminektomiespreizer nach Williams (. Abb. 10.19), der durch seine spezielle Biegung nicht die Übersicht bei dem dorsalen Zugang behindert. Zum Teil werden

4 4 4

4 4

diese Wundspreizer mit gelenkigen Verbindungen zu den Branchen angeboten. 5 Für eine Laminektomie wird ein Sperrer mit 2 gleich langen Branchen bevorzugt, 5 für eine Hemilaminektomie wird ein Wundspreizer mit einer langen und einer kurzen Branche gewählt. Laminektomiestanze nach Hajek-Kofler (nach oben offen) oder nach Smith-Kerrison (nach unten offen; s. oben: Kraniotomieinstrumente). Mit geraden oder abgewinkelten Rongeuren (Tumorexstirpationszangen) wird das zerschlissene Bandscheibengewebe entfernt (. Abb. 10.20). Der Nervenwurzelhaken (z. B. nach Love oder nach Krayenbühl) hält die Nervenwurzel aus dem OP-Gebiet (. Abb. 10.21). Auch hier ist es wichtig, dass der Haken feucht angereicht wird. Das Nerv- oder Durahäkchen löst nach der Inzision mit einem kleinen Messer die Dura vom Rückenmark. Bei Operationen an der Wirbelsäule und am Rückenmark gelten dieselben Regeln wie für die Gehirnoperation; der Standardzusatz (s. unten) bleibt derselbe.

10

540

Kapitel 10 · Neurochirurgie

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10.19

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. Abb. 10.19 Laminektomiesperrer nach Williams

. Abb. 10.23 Arachnoideaschere. (© Fa. Aesculap AG)

. Abb. 10.20a, b Rongeure. a Nach Love-Gruenwald, b nach WeilBlakesley. (© Fa. Aesculap AG)

. Abb. 10.24 Mikroschere nach Malis. (© Fa. Aesculap AG)

. Abb. 10.21 Nervenwurzelhaken. (© Fa. Aesculap AG) . Abb. 10.22 Nervenhäkchen. (© Fa. Aesculap AG)

. Abb. 10.25 Mikronadelhalter nach Spetzler. (© Fa. Aesculap AG) . Abb. 10.26 Mikrodissektor. (© Fa. Aesculap AG)

541 10.2 · Neurochirurgisches Basiswissen im Operationssaal

Mikroinstrumentarium Operationen unter dem Mikroskop erfordern neben dem Standardinstrumentarium ein geeignetes Mikroinstrumentarium. 4 Nervenhäkchen mit und ohne Knopf (. Abb. 10.22). 4 Arachnoideascheren (. Abb. 10.23). 4 Mikroscheren, gerade oder bajonettförmig (. Abb. 10.24). 4 Mikropinzetten, ebenfalls gerade oder bajonettförmig. 4 Mikronadelhalter, bajonettförmig (. Abb. 10.25). 4 Mikrodissektor, zur Unterstützung bei der Präparation (. Abb. 10.26). Die übliche bipolare Koagulationspinzette wird für Mikroskopoperationen gegen eine Mikropinzette ausgetauscht. Instrumentation 7 Abschn. 10.2.5.

Neurochirurgische Spezialitäten 4 Resorbierbares Hämostyptikum (Kollagenvlies, Tabotamp) tamponiert die blutende Stelle. 4 Für intrazerebrale Blutungen kann das Hämostyptikum zudem in Fibrinkleber getränkt werden. 4 Hirnwatte wird als Tupfer oder Streifen in verschiedenen Größen und Längen angeboten. Sie besteht aus gepresster, fusselfreier Watte. Jeder Tupfer und jeder Streifen ist mit einem Faden armiert. Tupfer müssen häufig für den Gebrauch noch zurechtgeschnitten werden. Sie werden immer feucht angereicht, denn sie dienen dem Schutz des Gehirns oder der Lagefixation eines Tabotamp-Streifens. Streifen und Tupfer werden mit einer Pinzette angereicht. Sie werden unter das Mikroskop gehalten, damit der Operateur sie abnehmen kann. Dabei ist die Hand des Instrumenteurs im Mikroskopausschnitt nicht sichtbar. Selbstverständlich werden sie prä- und postoperativ gezählt und dokumentiert. 4 Sollte die eröffnete Dura nicht wieder zuzunähen sein, muss die Defektdeckung durch einen »Patch« erfolgen. Dazu wird ein resorbierbarer Durapatch verwendet. Er wird in verschiedenen Größen angeboten, zurechtgeschnitten, angefeuchtet und eingepasst. Das synthetische Implantat aus Polydioxanon wird innerhalb eines Vierteljahres durch eine körpereigene Bindegewebeschicht ersetzt. Dieser Durapatch hat eine poröse Grundstruktur, um die Einsprossung von Gefäßen und Gewebe zu ermöglichen. Er gilt jedoch als liquordicht. 4 Eine Alternative stellt ein gewebefreundliches alloplastisches Material, z. B. Gore-Tex Dura dar. Sie wird mit Spezialfäden eingenäht und ggf. mit Fibrinkleber wasserdicht verschlossen. 4 Knochenwachs ist ein industriell gefertigtes Wachs, das zur Blutstillung auf blutenden spongiösen Knochen mit dem Finger oder dem Dissektor aufgetragen wird.

Der bipolare Koagulator löst eine fein umschriebene Verschorfung aus. Sie ist auf das Gewebe zwischen den Pinzettenbranchen beschränkt, weil die Restfläche der Pinzette isoliert ist. Bipolare Pinzetten wirken zweipolig, sodass eine Neutralelektrode am Patienten zur Stromableitung nicht benötigt wird. Zur Sicherung der einwandfreien Koagulation müssen die Pinzettenspitzen immer sauber gehalten werden. Wegen der feinen Strukturen am Gehirn und an den Nerven würde jede breitflächige monopolare Koagulation gesunde Gehirnareale zerstören. Die benötigten Pinzetten werden bajonettförmig, gerade, gebogen und in der Spitze abgewinkelt angeboten.

Geräte der Neurochirurgie jHigh-speed-Bohrsysteme

Bohrer für die Öffnung der Kalotte und zum Fräsen an Wirbeln, Wirbelbögen und Wirbelgelenken werden von Pressluftturbinen oder von Elektromotoren angetrieben. Bohrer und Fräsen müssen scharf sein, damit durch kontrollierbaren Kraftaufwand Dura, Sinus und Hirngewebe unverletzt bleiben. Während des Bohrens und Fräsens muss mit kalter Spülung der Knochen gekühlt werden. Die Hochgeschwindigkeitsbohrsysteme bohren mit 80.000– 100.000 Umdrehungen/min und ermöglichen dadurch druckfreies, exaktes Fräsen. jLasersysteme

Sie sind Standard in jedem neurochirurgischen OP-Saal. In der Regel werden der CO2-Laser und der Nd:YAG-Laser eingesetzt. Beide Systeme erfordern besondere Erfahrung  beim Aufbau und bei der Bedienung. Sicherheitsregeln sind deshalb festgelegt und müssen unbedingt beachtet werden. (Jede OP-Abteilung hat einen Laserbeauftragten!). Alle im Saal Anwesenden müssen eine Laserschutzbrille tragen, da die Streustrahlung des Lasers die Netzhaut der Augen verletzen kann. Der Zugang zum OP-Saal muss mit einem Laser-Hinweisschild gekennzeichnet sein. jIntraoperative Ultraschalldiagnostik (Sonographie)

Bei der Ultraschalldiagnostik werden die unterschiedlichen Reflexionen von ausgesandten Schallwellen durch verschiedene Körpergewebe genutzt, um ein Bild des Körperinneren zu erzeugen. Da der Schädelknochen relativ schalldicht ist, spielt diese Technik in der präoperativen neurochirurgischen Diagnostik keine Rolle. Eine Ausnahme bilden Säuglinge, bei denen die offenen Schädelnähte und die Fontanelle ausgezeichnete Schallbedingungen bieten. Intraoperativ lässt sich der Ultraschall nach Kraniotomie mit geeigneten Sondenköpfen gut zum Auffinden von anatomischen Landmarken (Falx, Ventrikel, Plexus chorioideus), pathologischen Prozessen und zur Resektionskontrolle von Tumoren einsetzen.

10

542

Kapitel 10 · Neurochirurgie

jDopplersonographie

Die Frequenzverschiebung sich schnell bewegender Objekte (Doppler-Effekt) ist die physikalische Grundlage dieser Untersuchung. Angewandt auf die fließenden korpuskulären Bestandteile des Blutes (Blutkörperchen) lassen sich die Flussgeschwindigkeiten und annähernd die Weite der untersuchten Gefäße beurteilen. In der Neurochirurgie wird das Verfahren zur Untersuchung von Gefäßspasmen als Komplikation von Subarachnoidalblutungen und zur intraoperativen Kontrolle der Durchgängigkeit zu- und abführender Gefäße nach Aneurysmaclipping und bei Angiomoperationen benutzt. jUltraschallzertrümmerer

Mit einem starken Ultraschallsender können Tumoren, Schicht für Schicht, in kleine Gewebefetzen zertrümmert werden. Durch ein Saug-Spül-System wird abgelöstes Tumorgewebe entfernt. Weil Gefäße und gesundes Hirngewebe elastischer und weicher sind als tumoröse Bestandteile, schädigt sie der Ultraschall nicht. jEndoskope

10

Auch in der Neurochirurgie werden zunehmend starre und flexible Optiken eingesetzt, um z. B. einen Hydrozephalus oder einen Ventrikeltumor zu operieren, eine Zyste und die Hypophysenloge zu inspizieren oder um eine Gewebeprobe aus dem Ventrikel zu entnehmen. jStereotaktisches Instrumentarium

Mit stereotaktischen Systemen können präoperativ computergestützte Zielpunktberechnungen durchgeführt werden. Sie dienen zur Punktion tief im Hirn gelegener pathologischer Veränderungen. Hierdurch wird oftmals die konventionelle, größere Öffnung des Schädels vermieden. Die Rundbügel des stereotaktischen Instrumentariums, die Führungssonden und Halterungen (. Abb. 10.27) dürfen auf gar keinen Fall verbogen, fallen gelassen oder geworfen werden. Obwohl das Bügelsystem solide und schwer aussieht, ist es nicht unbedingt ein besonders stabiles Instrumentarium. Bereits wenige Zehntel Millimeter Formveränderung würden die Sondeninstrumente von dem vorher im CT vermessenen Zielpunkt ablenken. jIntraoperatives Monitoring

Für das Erkennen wichtiger Hirnzentren (Hirnmantel, Pyramidenbahn, Hirnstamm) sowie zur Identifizierung von Hirnnerven wird ein neurophysiologisches Monitoring verwendet. Die neurophysiologischen Untersuchungen beinhalten die direkte Stimulation z. B. der Gesichtsnerven oder der motorischen Hirnrinde, aber auch die Anwendung evozierter Potenziale, z. B. somatosensorisch evozierte Potenziale (SSEP), akustisch evozierte Potenziale (AEP). Im Monitor gelingt auf diese Weise eine Aussage

. Abb. 10.27 Stereotaktisches Gerät nach Leksel. (Aus Siewert u. Brauer 2010)

über den Funktionszustand wichtiger Strukturen, die unbedingt bei einer Operation erhalten werden müssen. jNeuronavigation

Mit Hilfe der Neuronavigation gelingt der Transfer von Bilddaten aus der kranialen Computertomographie (CCT) und der Magnetresonanztomographie (MRT) in die reale Anatomie des OP-Situs. Über Laserstrahlen werden markante Schädelstellen markiert; sie werden lasertechnisch vermessen, und das System errechnet aus den Landmarken die Position des Tumors. Ist der Kopf des Patienten zur Operation fixiert, werden die Marker identifiziert. Das Kamerasystem der Neuronavigation erfasst die Positionen der Marker, und ein Systemrechner stellt die Beziehung zwischen den CCT-/MRT-Bildern und der tatsächlichen Anatomie des Patienten her. Diese Kontrolle wird intra- und postoperativ mehrfach wiederholt. Veränderungen, die intraoperativ auftreten, können nicht real abgebildet werden. Vorteile der Neuronavigation 5 Der ideale Bereich für die Kraniotomie lässt sich vorab bestimmen. 5 Es lässt sich prüfen, welche Hirnareale auf dem gewählten Zugangsweg berührt werden. 5 Intraoperativ ist stets eine sichere Instrumentenführung anhand der morphologischen Darstellung auf dem Monitor möglich.

So ist es möglich, während einer Operation den Befund zu lokalisieren, zu erreichen und gesundes Gewebe zu schonen. Zusätzlich sind navigierte Punktionen von pa-

543 10.2 · Neurochirurgisches Basiswissen im Operationssaal

thologischen Veränderungen im Hirn möglich. Das Haltesystem und die Biopsiesonde sind mit Markern ausgestattet und können so vom Kamerasystem erfasst werden. Mit dem gesamten Navigationsinstrumentarium muss sorgsam umgegangen werden, da hier geringe Formveränderungen zu Fehlern in der Darstellung der Anatomie führen. jOperationsmikroskop

Die mikroskopisch feine, normale Anatomie und die oft enge Nachbarschaft pathologischer Prozesse zu lebenswichtigen Zentren erfordern eine räumliche Vergrößerung und die beste Ausleuchtung, die nur durch das Mikroskop erreicht werden kann. Entweder ist das Mikroskop oberhalb des OP-Feldes an der Decke fixiert oder an einem fahrbaren Stativ angebracht. Der Operateur sitzt auf einem mit dem Mikroskop verbundenen Stuhl, damit er seine Arme während der Operation ruhig ablegen kann. Alle Funktionen des Mikroskops werden über Fuß- bzw. Handschaltungen gesteuert. Stuhlposition, Lichtintensität, Brennpunkt, Lichtkegel u. a. werden intraoperativ auf diese Weise eingestellt. Die Okulare für den Operateur und die Assistenz werden vorher auf die individuellen Sichtigkeiten eingestellt. Alle anderen Mitarbeiter verfolgen die Operation auf einem Monitor. Das Mikroskop wird während der Operation mit einem sterilen Klarsichtbezug abgedeckt.

10.2.4

Arbeiten mit dem Mikroskop

Nach der Fixierung des Patientenkopfes durch MayfieldSpanner wird die Schädelkalotte über dem pathologischen Prozess eröffnet. Dies geschieht noch ohne Mikroskop. Nach der Duraeröffnung wird das steril bezogene Mikroskop über dem OP-Feld positioniert. Die perforierten Ausschnitte der Schutzfolien von den Okularen werden entfernt.

10.2.5

Instrumentieren unter dem Mikroskop

Mikroinstrumente werden in ihren Containern auf genoppten Gummimatten gelagert, damit sie keinesfalls mit ihren empfindlichen Spitzen aneinander stoßen können und die Spitzen so zerstört würden. Auf dem Instrumentiertisch sollen sie ebenfalls auf einer Gummimatte ohne Kontakt zu anderen Instrumenten gelagert werden (. Abb. 10.28). Mikroinstrumente werden in der Regel ohne Verschlussraster benutzt. Trotzdem werden sie geschlossen angereicht und vom Operateur so in den Situs eingeführt,

. Abb. 10.28 Mikroinstrumente auf dem Instrumentiertisch, gelagert auf einer Gummimatte

um periphere Verletzungen der empfindlichen Gehirnmasse zu vermeiden. Unter dem Mikroskop mit seiner Vergrößerung wirkt alles Fremdmaterial extrem störend, deshalb sind die Instrumente blutfrei zu halten. Dazu werden feuchte fusselfreie Textilien benötigt. Alle Instrumente sind dem Operateur am Mikroskop deshalb sanft, aber sicher in die Hand außerhalb des Sichtfeldes anzureichen. Manche Operateure bitten gelegentlich darum, dass ihre Hand mit dem Instrument in Richtung des Gesichtsfeldes geführt wird. Unter dem Mikroskop ändern sich die Anforderungen an alle an der Operation Beteiligten: Während der Operation liegt das Arbeitsfeld nur innerhalb des ausgeleuchteten Gesichtsfeldes. Nur diesen Bereich übersieht der Operateur. In der um ein Vielfaches vergrößerten Sicht auf das kleine OP-Gebiet stört fortan alles, was der Operateur nicht selbst in das Sichtfeld einführt. Die Vergrößerung des realen Bildes bewirkt, dass Bewegungen schneller, unkontrollierter und – außerhalb des Brennpunktes – v. a. unscharf erscheinen. Da die Handgelenke des Operateurs beim mikroskopischen Operieren aufgestützt sind (Ober- und Unterarme ruhen auf der Armlehne des Mikroskopstuhls), kann nur in einem kleinen, oftmals spitzen Winkel angereicht werden. Ein Nachgreifen ist zwischen Mikroskop, Neuronavigation, selbsthaltenden Hirnspateln und Sauger nur schwer möglich; darüber hinaus muss der Operateur das »Zufassen« beim Instrumentenwechsel ohne Sicht außerhalb des Sichtfeldes ertasten. Wird nicht sicher angereicht, muss der Operateur aufschauen; dies strengt sein Auge durch den Wechsel der Vergrößerung und des Lichts stark an, und die Neuadaptation kostet Zeit. Die ohnehin nur mit wenig Kraft gehaltenen Pinzetten, Zangen, Dissektoren u. a., die sich schon in der anderen Hand des Operateurs befinden, dürfen keinesfalls beim Anreichen berührt werden. Im trichterartigen Situs kann jedes von außen vermeintlich nur leichte Anstoßen zu folgenschweren Gewebe- und Gefäßverletzungen führen. ! Stoßen Sie deshalb nicht gegen Sauger und in den Situs eingeführte Instrumente!

10

544

Kapitel 10 · Neurochirurgie

Vielfach muss während einer Operation mit der linken Hand instrumentiert werden, um ein Anstoßen an eingeführte Instrumente sicher auszuschließen. Ein Stoßen von außen gegen das Standmikroskop erscheint im Situs wie ein »Erdbeben«. Alle im Saal Anwesenden müssen darauf hingewiesen werden.

4 Intraoperativ: zum Nachweis tief gelegener Tumoren, Zysten, Abszesse etc. (7 Abschn. 10.4.5).

10.3.2

Dopplersonographie

Ultraschallverfahren zur Darstellung der Strömungsverhältnisse in den Gefäßen. Nachweis eines Gefäßspasmus. 10.2.6

Ende der neurochirurgischen Operation 10.3.3

4 Linsen und Okulare des Mikroskops sind nach Spritzflecken, Schlieren und Schmutz zu untersuchen und ggf. mit einem feuchten Leinentuch zu säubern. Alle Standardeinstellungen des Mikroskops werden wieder hergestellt, bevor alle Öffnungen staubgeschützt zugedeckt werden. Schrauben, Schalter und Handräder dürfen nicht überdreht werden.

10

Bei vielen Operationen wird immer wieder durchleuchtet  (z. B. bei Operationen an der Wirbelsäule, bei transnasalen/transsphenoidalen Hypophysenoperationen u. a.). Da es schwere körperliche Arbeit bedeutet, zum Schutz vor Strahlen mit einer Bleischürze mehrere Stunden instrumentieren zu müssen, sollten diese Operationen vorzugsweise an den Tagesanfang gelegt werden.

10.3

Diagnostik in der Neurochirurgie

Grundlage jeder neurochirurgischen Behandlung sind die Erhebung der Krankengeschichte des Patienten und die neurologische Untersuchung. Voraussetzung ist eine genaue Kenntnis der Anatomie und Funktion des zentralen und peripheren Nervensystems. Zur gezielten Behandlung sind spezielle Untersuchungstechniken notwendig: 4 Röntgennativdiagnostik, 4 Ultraschalldiagnostik, 4 Dopplersonographie, 4 neuroradiologische Spezialuntersuchungen, 4 neurophysiologische Untersuchungen, 4 Liquordiagnostik.

10.3.1

Ultraschalldiagnostik

Ultraschallechoimpulse werden in elektrische Impulse verwandelt und entsprechend auf einem Bildschirm dargestellt. 4 In der Neurochirurgie: Diagnostik im Säuglingsstadium durch die offene Fontanelle, zum Auffinden von Tumoren, Fehlbildungen, Hydrozephalus, Blutansammlung.

Neuroradiologische Spezialuntersuchungen

Axiale Computertomographie Die axiale CT ist ein computergesteuertes Röntgenverfahren, das die Strahlenabsorption des Gewebes misst, wenn es in verschiedenen Richtungen durchstrahlt wird. Aufgrund der unterschiedlichen Strahlenabsorption der intrakraniellen Strukturen entstehen Bilder mit großer Detailgenauigkeit. Das Verfahren dient dem Nachweis von Hirntumoren, traumatischen Veränderungen, Frakturen, Hämatom, Hirnödem, Apoplex, Infarkt etc.

Myelographie Darstellung des spinalen Subarachnoidalraums durch Einbringen eines Kontrastmittels (lumbal zum Nachweis von Tumoren, Bandscheibenvorfällen, Fehlbildungen). Oft in Kombination mit der Computertomographie (Myelo-CT). Diese Untersuchung hat heute viel an Bedeutung verloren, wird aber bei Patienten mit einem Herzschrittmacher oder als Funktionsmyelographie in Kombination mit CT angewendet.

10.3.4

Angiographie

Über eine Beinarterie (A. femoralis) wird ein Katheter in der Aorta bis zum Abgang der Hirngefäße vorgeschoben und von hier aus ein Kontrastmittel in Richtung Gehirn gespritzt, sodass im Röntgenbild die Gefäße sichtbar werden. 4 Karotisangiographie, 4 Vertebralisangiographie, 4 Spinale Angiographie. Mit Hilfe der Angiographie lassen sich durch die Verlagerung von Arterien und Venen ausgelöste raumbeengende Prozesse nachweisen und lokalisieren. Es ergeben sich artdiagnostische Hinweise (pathologische Gefäßneubildungen, Tumorkreislauf). Der Angiographie allein bleibt auch die Darstellung von pathologischen Gefäßveränderungen (arteriosklerotische Wandveränderungen, Stenosen, Verschlüsse) und von Gefäßmissbildungen (Angiome, Aneurysmen) vorbehalten.

545 10.3 · Diagnostik in der Neurochirurgie

10.3.5

Interventionelle Radiologie

Gefäßmissbildungen und Aneurysmen können interventionell versorgt werden (7 Abschn. 10.5).

10.3.6

Kernspintomographie

Die Kernspintomographie (»nuclear magnetic resonance«, NMR), auch »Magnetresonanztomographie» (MRT) genannt, ist ein computergestütztes bildgebendes tomographisches Verfahren, das keine Röntgenstrahlen benutzt, sondern auf dem Prinzip der »Kernspinresonanz« beruht. Durch ein von außen angelegtes Magnetfeld richten sich die Wassermoleküle aus. Bei der Rückkehr in den ursprünglichen Zustand senden sie gewebespezifische elektromagnetische Wellen aus, die gemessen und in unterschiedliche Grautöne in der Bildgebung übersetzt werden können.

Die Stimuli sind unterschiedlich: sensibel (SEP), visuell (VEP), akustisch (AEP). Nach transkranieller Magnetstimulation des zentralmotorischen Systems in der Peripherie können auch Potenziale vom Muskel abgeleitet (MEP) werden. Auf diese Weise lassen sich Aussagen über den Funktionszustand bestimmter Zentren oder Leitungsbahnen treffen. Bei einer Rückenmarkschädigung z. B. gelingt mit Hilfe dieser Reizpotenziale eine Höhenlokalisation.

10.3.8

Liquordiagnostik

Verschiedene pathologische Prozesse des Gehirns und des Rückenmarks führen zu Veränderungen des Liquors. Deshalb ist die Liquoruntersuchung für den Neurochirurgen immer von Bedeutung.

Lumbalpunktion Definition

10.3.7

Neurophysiologische Untersuchungen

Elektroenzephalographie Elektrische Vorgänge innerhalb des Gehirns machen sich bis in die Kopfhaut hinein bemerkbar und können hier abgeleitet werden. Auf diese Weise lassen sich Auskünfte über die zerebralen Funktionen erhalten und Rückschlüsse auf Störungen ziehen. Die Elektroenzephalographie (EEG) ist eine technische Hilfsuntersuchung, die nur im Zusammenhang mit einer klinischen Symptomatik Aussagekraft hat.

Elektromyographie Bei der Elektromyographie (EMG) wird die elektrische Aktivität der Muskeln in Ruhe und unter Kontraktion gemessen und ähnlich wie beim EEG als Welle aufgezeichnet. So lassen sich Anhaltspunkte über den Grad von Lähmungen gewinnen. Es können z. B. Rückbildungstendenzen bei bestehenden Lähmungen oder deren Fortschreiten erkannt werden.

Elektroneurographie Mit der Elektroneurographie (ENS) wird die Nervenleitgeschwindigkeit gemessen; so lassen sich Nervenschädigungen lokalisieren.

Evozierte Potenziale Evozierte Potenziale (EP, Reizpotenziale) sind die elektrophysiologische Antwort des Gehirns auf die Reizung von Sinnesorganen und von Leitungsbahnen, die sich hinsichtlich der Seitendifferenzen und der Ausprägung der Potenziale beurteilen lassen.

Punktion des lumbalen Subarachnoidalraums zwischen den Dornfortsätzen des 3. und 4. LWK, also immer unterhalb des Rückenmarks, das in Höhe des 1. und 2. LWK endet.

Die Untersuchung wird am sitzenden oder liegenden Patienten unter sterilen Bedingungen durchgeführt. Zur eigentlichen Liquordiagnostik gehören: 4 Liquordruckmessung: Werte über 20 cm Wassersäule sind pathologisch. 4 Liquoreiweiß: Normal sind 20–40%. Eine Erhöhung des Liquoreiweißes findet man bei allen raumbeengenden Prozessen (Sperrliquor, Stoppliquor!), eine charakteristische Erhöhung des Liquoreiweißes bei intrakraniellen Neurinomen. Eine schnelle orientierende Untersuchung sollte bei jeder Liquorabnahme mit der PandyReaktion durchgeführt werden, die den Gehalt an Eiweiß im Liquor misst. 4 Zellzahlbestimmung: Normal sind 3/3–12/3 Zellen/μl. Die Zählkammer, in der der Liquor gezählt wird, ist so eingerichtet, dass die Zählung einem Zellgehalt pro 3 mm3 entspricht. Die gezählte Zellzahl wird deshalb durch 3 geteilt, um die Zellmenge pro mm3 festzulegen. 4 Liquorablasstest: 30–40 ml werden abgelassen. Tritt daraufhin eine Besserung ein, bedeutet das ein Vorliegen eines Normaldruckhydrozephalus.

10

546

Kapitel 10 · Neurochirurgie

10.4

Intrakranielle Tumoren

10.4.1

Allgemeines

. Tab. 10.3 Symptome und Schädigungsorte von Hirntumoren Symptom

Definition

Psychische Veränderungen

Unter Hirntumoren versteht man alle Neubildungen mit dauerndem Wachstum innerhalb der Schädelkapsel.

Antriebsstörungen

Stirnhirn, Stammganglien

Euphorie

Stirnhirnbasis, Schläfenhirn, Brücke

Depressionen, Angst

Schläfenhirn

Verstimmung, Reizbarkeit

Schläfenhirn

Man unterscheidet 4 Geschwülste der Hirnsubstanz (neuroepitheliale Tumoren), 4 Geschwülste, die von den Hirnhäuten, den Gefäßen und den Schädelknochen ausgehen (mesodermale Tumoren), 4 Tumoren der Hypophysenregion (ektodermale Tumoren).

10

Schädigungsort

Zu den Hirntumoren im weitesten Sinne zählen auch die Gefäßmissbildungen und die Gefäßgeschwülste, die intrakraniellen Metastasen sowie die Granulationsgeschwülste bei Lues (Gummen) und bei Tuberkulose (Tuberkulome). Ferner gehören hierzu auch die durch Parasiten (Zystizerken und Echinokokken) ausgelösten Zysten. Von 10.000–20.000 Menschen erkrankt einer an einem Hirntumor. Die Entstehung solcher Tumoren ist letztlich unbekannt. Auffallend ist jedoch, dass bestimmte Hirntumoren immer wieder an gleicher Stelle auftreten.

Neurologische Ausfälle Riechstörungen

Stirnbasis

Motorische Aphasie (Unfähigkeit zu sprechen)

Stirnhirn

Sensorische Aphasie (Unfähigkeit zu verstehen)

Schläfenhirn, Scheitelhirn

Sprachstörungen

Bei Rechtshändern linkshirnig Bei Linkshändern manchmal rechtshirnig

Halbseitenlähmung

Scheitelhirn, Stirnhirn

Gangstörung

Kleinhirn

Orientierungsstörung

Scheitelhirn, Okzipitalhirn

Gesichtsfelddefekte

Okzipitalhirn, Sehnervenkreuzung

Hirnnervenlähmung

Hirnstamm, Hirnbasis

Ataxie, Nystagmus

Kleinhirn

Epileptische Anfälle Häufiger generalisiert als fokal

10.4.2

Allgemeine Symptome

4 Stetige Progredienz der Erscheinungen. 4 Vielfach Kopfschmerz. 4 Manchmal Hirndruckzeichen: Dazu gehören diffuse und andauernde Kopfschmerzen, die morgendlich ausgeprägter sind, Erbrechen, Benommenheit und Apathie. 4 Nimmt der Hirndruck zu, können wichtige basale Zentren in dem Tentoriumschlitz bzw. in dem Hinterhauptloch eingeklemmt werden. 4 Eine Einklemmung zeigt sich durch Streckspasmen, Atemstörungen, Pupillenstörungen. 4 Am Augenhintergrund findet sich eine Stauungspapille. 4 Neuropsychiatrische Symptome. ! Hirndruckzeichen sind so lange auf einen intrakraniellen, raumfordernden Prozess verdächtig, bis ein solcher sicher ausgeschlossen ist.

In etwa 1/4 der Fälle erstes Symptom Lokale Symptome (Herdsymptom)

10.4.3

Die Zuordnung bestimmter Herdsymptome zu einzelnen Hirnregionen ist z. T. recht typisch

Spezielle neurologische Klinik

Symptome und Schädigungsorte sind in . Tab. 10.3 aufgelistet.

Besonderheiten der Hirntumoren gegenüber anderen Tumoren 4 Alle Geschwülste innerhalb der knöchernen Schädelkapsel, auch die langsam wachsenden, gutartigen, sind in ihrer Wirkung bösartig, da sie durch zunehmenden Hirndruck und fehlende Ausweichmöglichkeit des Gehirns zum Tod führen, wenn nicht chirurgisch eingegriffen wird.

547 10.4 · Intrakranielle Tumoren

4 Sie bewirken gewöhnlich keine Kachexie. 4 Sie metastasieren nicht. 4 Sie bevorzugen nicht das höhere Lebensalter, sondern kommen auch schon in der Kindheit vor.

10.4.4

Einteilung

Nachfolgend werden einige häufigere bzw. charakteristische Tumorformen beschrieben entsprechend ihrer Zugehörigkeit zum Entstehungsort.

jOligodendrogliome

Sie häufen sich zwischen dem 35. und 45. Lebensjahr. Sie können sich verdrängend oder infiltrierend im Großhirn oder in den Stammganglien entwickeln, im Jugendalter auch im Thalamus. Neben den sich im Verlauf von Monaten entwickelnden lokalen Tumorsymptomen kommen epileptische Anfälle (Jackson-Anfälle) besonders häufig vor. Auch nach radikaler Operation können Rezidive auftreten, manche jedoch erst nach mehreren Jahren. Reoperationen sind möglich, meistens dann kombiniert mit Radiochemotherapie.

Neuroepitheliale Tumoren (Gliome)

jHirnstammgliome

jGlioblastoma multiforme

Sie sind histologisch unterschiedlich einzuordnen, bieten aber klinisch ein charakteristisches Bild. Es handelt sich stets um progrediente Symptome der Brücke (Pons) und des verlängerten Rückenmarks (Medulla oblongata). Im Verlauf weniger Wochen bis Monate treten Hirnnervenlähmungen, Schluckstörungen, Augenmotilitätsstörungen Sensibilitätstörungen und Pyramidenbahnzeichen auf. Häufig führen diese Tumoren zu einem Verschluss des Abflusses des Hirnwassers (Hydrocephalus occlusus). Der Abfluss des gestauten Hirnwassers durch eine operativ verlegte Drainage (ventrikuloperitonealer Shunt) oder eine Ventrikulostomie (7 Abschn. 13.6.1) muss gewährleistet werden. Da bei der Operation der Tumoren im Hirnstamm mit schwerwiegenden neurologischen Ausfällen zu rechnen ist, kann oft nur palliativ behandelt werden.

Der häufigste Hirntumor ist das sehr bösartige Glioblastoma multiforme. Es kommt gehäuft zwischen dem 40. und 60. Lebensjahr vor, wächst infiltrierend und findet sich u. a. in den Großhirnhemisphären, gelegentlich durch den Balken hindurch wachsend, auf beiden Seiten, sowie in den Stammganglien. Die Anamnese ist kurz (Wochen bis einige Monate). Neben den allgemeinen Tumorsymptomen treten bald Paresen, Sprachstörungen und andere lokale Ausfälle auf. Die Überlebenszeit beträgt auch nach Operation und Radiochemotherapie im Mittel 1–2 Jahre. jAstrozytom

Großhirnastrozytome treten gehäuft zwischen dem 30. und 40. Lebensjahr auf. Sie wachsen meist langsam, seltener sind sie einigermaßen abgrenzbar, meist jedoch wachsen sie infiltrierend im Marklager von Stirn- und Schläfenlappen. Bei ausgereiften Formen kommt es zu langsam zunehmenden klinischen Symptomen (z. B. allmählich progredienter Hemiparese). Frühstadien können in der neuroradiologischen Befundung gelegentlich nicht sicher zugeordnet werden. Bei umschriebenen Astrozytomformen, die sich gut operieren lassen, kommen Rezidive gelegentlich erst nach Jahren vor. In einigen Fällen gibt es Dauerheilungen nach Operationen. jSpongioblastome des Kleinhirns

»Kleinhirnastrozytome« sind wesentlich gutartiger als die Großhirnastrozytome. Sie kommen gehäuft zwischen dem 5. und dem 15. Lebensjahr vor. Es sind gut abgrenzbare, oft zystische Tumoren, die v. a. in den Kleinhirnhemisphären, aber auch im Wurm und in der Brücke sitzen. Sie verursachen langsam progrediente Kleinhirnsymptome mit Ataxie, Gleichgewichtsstörungen, Nystagmus und später Hirndruckzeichen durch einen Verschlusshydrozephalus. Sofern sie radikal entfernt werden können (im Bereich der Brücke ist das nicht immer möglich), kann eine Dauerheilung erzielt werden.

Paragliome Paragliome sind Tumoren, die von der sog. Paraglia ausgehen. Dementsprechend unterscheidet man 4 Ependymome aus dem Ependym (Auskleidung der Hirnkammern), 4 Plexuspapillome aus dem Plexus choreoideus (Blutadergeflecht in den Ventrikeln) und die 4 Neurinome aus den Schwann-Zellen (Hüllscheiden der Nerven). Als Beispiel wird im Folgenden das Akustikusneurinom beschrieben. Dies ist ein Tumor, der von den Hüllscheiden des VIII. Gehirnnervs (N. vestibulocochlearis) ausgeht. Die Akustikusneurinome manifestieren sich meist zwischen dem 30. und 50. Lebensjahr und erzeugen das charakteristische klinische Bild des Kleinhirnbrückenwinkeltumors. Gelegentlich sind sie die Teilerscheinungen einer Neurofibromatosis Recklinghausen und liegen dann häufig beidseitig vor. Symptome Zu Beginn finden sich meist Gehörstörungen,

zunehmende Taubheit sowie Gleichgewichtsstörungen. Später kommen Trigeminusausfälle mit Sensibilitätsstörungen im Gesicht und eine periphere Fazialisparese

10

548

Kapitel 10 · Neurochirurgie

hinzu. Schließlich können Kleinhirnsymptome, Druckerscheinungen auf dem Hirnstamm und Hirndruckzeichen (s. oben) auftreten. Im Liquor findet sich immer eine Eiweißerhöhung (Pandy positiv, 7 Abschn. 10.3). Therapie Ist eine radikale Entfernung möglich, ist mit Dauerheilung zu rechnen, nicht selten auf Kosten einer Fazialis- oder Trigeminusparese.

Ektodermale Tumoren (Tumoren der Hypophysenregion)

Mesodermale Tumoren

jHypophysenadenome

Mesodermale Tumoren gehen von den Meningen, den Gefäßen und den Schädelknochen aus. Einige werden nachfolgend beschrieben.

Sie kommen v. a. zwischen dem 30. und 50. Lebensjahr vor. Klinisch finden sich bei Hypophysenadenomen endokrine Störungen (beim seltenen eosinophilen Adenom die Akromegalie, beim chromophoben Adenom Zeichen einer Hypophyseninsuffizienz mit dünner runzliger Haut und sekundärem Ausfall zugeordneter Drüsen, v. a. der Schilddrüse und der Gonaden). Außerdem findet man Gesichtsfeldausfälle (in der Regel eine bitemporale Hemianopsie), Verminderung der Sehstärke und im Röntgenbild eine ballonartig aufgetriebene Sella. Die allermeisten Hypophysenadenome lassen sich über einen transnasal-sphenoidalen Zugang operieren. Die Radikalität wird dabei v. a. durch die mögliche Infiltration des seitlich begrenzenden Sinus cavernosus bestimmt (7 Abschn. 10.4.5).

jMeningeome

Sie kommen meist zwischen dem 40. und 50. Lebensjahr vor. Diese häufigsten mesodermalen, intrakraniellen Geschwülste wachsen langsam über Jahre, verdrängend, verursachen nicht selten epileptische Anfälle und haben einige bevorzugte Lokalisationen (. Tab. 10.4). Am häufigsten sind Meningeome an der Dura der Konvexität, am Tentorium und an der Falx zu finden.

10

fernung und Bestrahlung des gesamten Zentralnervensystems oder Zytostatikatherapie, auf die der Tumor gut anspricht, stellen sich nach Monaten bis Jahren in 40–60% der Fälle Rezidive ein. Ein Teil der Medulloblastome wird heute bei den primitiv neuroektodermalen Tumoren (PNET) eingeordnet.

jMedulloblastome

Medulloblastome sind maligne Geschwülste des Kindesoder Jugendalters. Sie machen etwa 20% der Hirntumoren bei Jugendlichen aus. Sie liegen im unteren Kleinhirnwurm, kommen aber auch in den Kleinhirnhemisphären und in der Brücke vor. Sie wachsen infiltrierend und setzen Abtropfmetastasen auf dem Liquorweg in den Spinalkanal. Dies erzeugt dann Rückenmark- und Kaudasymptome. Sie verursachen ähnliche Symptome wie die Spongioblastome des Kleinhirns. Selbst nach makroskopisch radikaler Ent-

. Tab. 10.4 Lokalisationen und Symptome des Meningeoms

jKraniopharyngeome

Sie kommen am häufigsten im Kindes- und Jugendalter vor mit einem Maximum im 2. Lebensjahrzehnt. Der Tumor drängt stärker als das Hypophysenadenom in das Zwischenhirn und in den 3. Ventrikel vor und verursacht entsprechende klinische Symptome (Hydrozephalus, Triebund Antriebsstörungen, Diabetes insipidus). Nicht selten verkalken die Kraniopharyngeome. Obwohl sie eigentlich gutartig sind, lassen sie sich oft aus Lokalisationsgründen nicht radikal entfernen.

Symptome

Missbildungstumoren

N. olfactorius (Frontobasis)

Anosmie Kopfschmerz Stirnhirnsyndrom Epileptische Anfälle

Kleiner Keilbeinflügel

Hyperostosebildung Diskrete Halbseitensymptome Einseitige Optikusschädigung

Zu ihnen gehören die Epidermoide und die Dermoide. Sie zeigen einen Altersgipfel zwischen dem 25. und dem 40. Lebensjahr. Ursache sind während der Embryonalzeit ausgesprengte Keime von z. B. Haut-, Zahn- oder Haaranlagen.

Lokalisation

Tuberculum sellae

Chiasmaläsion

Sinus sagittalis und Falx

Nicht selten rein motorische Lähmung der unteren Extremitäten (Mantelkantensyndrom)

Intraventrikuläre Meningeome

Verlegung des Foramen Monroi (heftige Kopfschmerzattacken und Erbrechen)

Metastasen Sie treten solitär oder multipel auf und entwickeln Walnuss- bis Hühnereigröße. Als Ausgangspunkt finden sich nach ihrer Häufigkeit Bronchialkarzinome, Mammakarzinome, Hypernephrome, Karzinome des Magen-DarmTraktes, Sarkome und Melanosarkome, Schilddrüsen- sowie Uteruskarzinome. Ist der Primärturmor bekannt, liegt bei entsprechender Symptomatologie die Verdachtsdiagnose einer Metastase nahe. Häufig führt erst die Histo-

549 10.4 · Intrakranielle Tumoren

logie einer exstirpierten Metastase auf die Spur der bis dahin unbekannten Primärgeschwulst. Ein operatives Vorgehen ist bei entsprechendem Allgemeinzustand immer gerechtfertigt, insbesondere wenn sich kein Hinweis für multiple Absiedlungen ergibt.  Die Prognose ist in erster Linie vom Primärtumor abhängig. Es werden noch eine ganze Reihe weiterer Hirntumoren unterschieden, die aber aufgrund ihrer relativen Seltenheit hier nicht erwähnt werden.

10.4.5

Therapie der Hirntumoren

Jeder Hirntumor, der nicht beseitigt werden kann, ist – ob gut- oder ob bösartig – auf Dauer tödlich. Hierbei handelt es sich um ein Raumproblem. Die Entfernung ist fast ausschließlich über eine Operation möglich. Alle diagnostischen Maßnahmen zielen auf die Frage ab, ob der Tumor operabel ist. Mit gutem Erfolg operabel sind in der Regel: 4 Tumoren an der Oberfläche des Gehirns, 4 Tumoren im Bereich der Pole (Stirnpol, Schläfenpol, Hinterhauptpol), 4 Tumoren im Bereich der Kleinhirnhemisphäre und im Dach des 4. Ventrikels. Schwieriger ist die Entscheidung zur Operation bei Tumoren in der Tiefe des Gehirns. Handelt es sich, soweit dies von den diagnostischen Methoden abgeleitet werden kann, um gutartige Tumoren, d. h. heilbare, langsam wachsende, vom Hirngewebe abgegrenzte Tumoren, wird auch bei ungünstiger Lage zur Operation geraten. Meist müssen anschließend neurologische Ausfälle in Kauf genommen werden. Nicht zuletzt ist aber für die Entscheidung zur Operation der Zustand des Patienten wesentlich. Ist es bereits zu kompletten Ausfällen gekommen (Blindheit, vollständige Lähmung, Bewusstlosigkeit), bilden sich diese Störungen durch die Operation nicht regelmäßig zurück. Alle Tumoren, die nicht vollständig operiert werden können, rezidivieren. Das ist der Fall bei den meisten Gliomen, die diffus das Hirngewebe infiltrieren. In solchen Fällen muss es das Ziel einer Operation sein, den Tumor möglichst vollständig zu entfernen, um so zumindest ein langes beschwerdefreies Intervall zu erreichen. Schwere neurologische Ausfälle sollten nicht riskiert werden. Rezidivoperationen bei Gliomerkrankungen sind erfolgreich und nicht ganz selten.

Transnasale Hypophysenadenomektomie kIndikation

Hypophysenadenom (7 Abschn. 10.4.4).

kPrinzip

Vollständige Entfernung des Tumors über den transnasalen Zugang durch die Keilbeinhöhle unter Bildwandlerkontrolle. kLagerung

4 Der Patient befindet sich in Rückenlage, der Kopf wird nach rechts zum Operateur gedreht, rekliniert und auf einem festen Kopfring fixiert. Oder: 4 Der Patient befindet sich in halbsitzender Position, der Kopf wird ganz leicht nach rechts zum Operateur gedreht und mit der Dreipunkthalterung nach Mayfield fixiert. 4 Der C-Bogen wird zur seitlichen Durchleuchtung der Schädelbasis bereitgestellt, das OP-Mikroskop wird vorbereitet und steril bezogen. 4 Alle Richtlinien des Strahlenschutzes sind einzuhalten. kInstrumentarium

4 Grundinstrumentarium zur Kraniotomie (7 Abschn. 10.2.3), 4 Standardzusatz, Mikroskop und -bezug, 4 feine Saugeransätze, 4 feine Raspatorien, 4 evtl. High-speed-Bohrmaschine mit kleinen Fräsen oder Rosenbohreransätzen, 4 schmale, gerade Lambotte-Meißel mit dem dazu gehörenden Metallhammer, 4 Langenbeck-Haken. Hypophysenspezialinstrumente (das sind verschiedene Mikroinstrumente, die durch ihre Bajonettform die transnasale Vorgehensweise ermöglichen): 4 verschieden lange Nasenspekula (z. B. nach Killian), 4 Hohlmeißelzange mit doppelter Übersetzung nach Jansen-Middleton, 4 Hypophysenfasszangen (z. B. nach Weil-Blakesly), 4 Mikromesser mit bajonettförmigem Griff, Mikroschere, 4 Bajonettdissektoren (. Abb. 10.29), 4 Hypophysengabel (. Abb. 10.30) zur Fixation des Tumors während der Präparation, 4 Enukleatoren (. Abb. 10.31) zum Auslösen des Adenoms aus der Sella turcica, 4 Ringküretten (. Abb. 10.32) zum abschließenden Säubern des ehemaligen Adenomlagers, 4 Löffel, 4 Sichelmesser, 4 Spiegel, 4 ggf. Endoskop.

10

550

Kapitel 10 · Neurochirurgie

10.29

10.30

10.31

10 10.32 . Abb. 10.29 Bajonettdissektor. (© Fa. Ethicon, Abt. Codman)

. Abb. 10.31 Enukleatoren. (© Fa. Ethicon, Abt. Codman)

. Abb. 10.30 Hypophysengabel. (© Fa. Ethicon, Abt. Codman)

. Abb. 10.32 Ringküretten. (© Fa. Ethicon, Abt. Codman)

OP-Verlauf: Transnasale Hypophysektomie

5 Nach dem Team-Time-out wird die Inzision der Schleimhaut an der Septumvorderkante und am Boden des Naseneingangs mit einem kleinen (15er) Skalpell vorgenommen. Danach wird die Schleimhaut subperichondral vom Septum mit einem Raspatorium abgelöst. 5 Vorhandene Knorpelwülste werden ggf. mit der Hohlmeißelzange nach Jansen-Middleton entfernt. Zwischen Nasenseptum und Schleimhaut wird mit Schere und Dissektor präpariert, dann wird das selbsthaltende Nasenspekulum (z. B. nach Killian) eingesetzt (. Abb. 10.33). 5 Der Keilbeinboden wird unter Röntgenkontrolle mit dem Raspatorium und dem Dissektor dargestellt und die Keilbeinhöhle mit dem Luer eröffnet. Entfernung der Schleimhaut. 5 Der Sellaboden wird dargestellt und ggf. mit einer Hohlmeißelzange oder mit dem Bohrer eröffnet.

5 Nun ist die Sicht auf den Tumor frei. Er wird mit Sauger, Kürette, Löffel, Fasszange und Enukleatoren entfernt: Zuerst wird der Tumor am Sellaboden, später zur Seite in Richtung Sinus cavernosus und zuletzt nach kranial zum Diaphragma sellae entfernt. Die einzelnen Anteile werden zur histologischen Untersuchung gesandt. 5 Die Blutstillung erfolgt mit Bipolator und/oder Hämostyptika. Danach wird endoskopisch, alternativ mit Hilfe eines Spiegels kontrolliert, ob der Tumor vollständig entfernt werden konnte. 5 Nach dem Zählen der Hirnwattetupfer und -streifen und der Dokumentation der Vollzähligkeit kann die Lücke im Sellaboden mit einem perpendikulären Knochenstückchen (aus dem oberen Teil der Nasenscheidewand) und Hämostyptikum abgedeckt werden. 5 Das Spekulum wird entfernt, die Schleimhautwunde bei Bedarf vernäht. Die Tamponade der Nasengänge beendet diesen Eingriff.

551 10.4 · Intrakranielle Tumoren

kInstrumentarium

4 4 4 4 4 4 4

Kraniotomieinstrumentarium, Standardzusatz, Mikroinstrumente, Mikroskop mit Klarsichtbezug, bei Bedarf ein Ultraschallzertrümmerer oder ein Laser, intraoperative Ultraschalldiagnostik, intraoperatives Monitoring.

OP-Verlauf: Gliomexstirpation

5 Team-Time-out. 5 Der gerade oder selten lappenförmige Haut-Galea. Abb. 10.33 Transnasale Hypophysektomie. (Aus Siewert 2001)

Eine intraoperative Liquorfistel wird mit einem Fettpatch oder Tachosil (7 Abschn. 10.2.3) gedeckt, ggf. wird eine passagere lumbale Liquordrainage angelegt. Eine weitere Möglichkeit der Entfernung eines Hypophysenadenoms bietet die Operation über den subfrontalen Zugang. Er wird bei großen supra- und parasellär gewachsenen Tumoren gewählt. Der Patient liegt in Rückenlage mit leicht seitwärts gedrehtem Kopf. Die osteoplastische Trepanation erfolgt im Stirn-Schläfen-Bereich als typische Tumorentfernung unter Zuhilfenahme des OP-Mikroskops.

5

5 5

Tumorresektion kIndikation

Operabler Hirntumor, z. B. Gliom, z. B. links temporal.

5

kPrinzip

Osteoplastische Trepanation (7 Abschn. 10.7.5), vollständige Entfernung des hirneigenen Tumors. kLagerung

5 5

4 Rückenlage oder Seitenlage. 4 Fixation des Kopfes in der Mayfield-Dreipunkthalterung. 4 Der Patient liegt auf einer Wärmematte, um den Wärmeverlust so gering wie möglich zu halten. kEinsatz der Neuronavigation

4 Die Planung ist zuvor im CT oder im MRT erfolgt. 4 Nach der Operationslagerung und der MayfieldFixierung wird der Referenzstern fixiert und darf nicht mehr verrückt werden. 4 Durch den Operateur erfolgt dann die Referenzierung des Systems, und die Neuronavigation ist einsatzbereit.

5

5

5

Schnitt richtet sich in seiner Größe nach der Ausdehnung des Tumors und nach den Vorgaben der Neuronavigation. Die Versorgung des Lappenrandes erfolgt entweder mit Raney-Clips oder Kölner Klammern, für die Blutstillung am Skalprand werden DandyKlemmen benutzt. Inzision des Periosts mit dem Skalpell, im Bereich der Sägelinie wird es mit dem Raspatorium abgeschoben. Ein oder mehrere Bohrlöcher werden mit dem Trepan gesetzt und mit Häkchen und Stanzen gesäubert. Die Bohrlöcher werden untereinander mit dem Kraniotom verbunden, sodass der Knochendeckel unter Zuhilfenahme von Elevatorium und Dissektor entfernt werden kann. Das OP-Feld wird mit sauberen Kompressen oder mit Hirnwattestreifen umlegt. Alle Knochenspäne werden mit körperwarmen Spülungen entfernt. Die Dura wird mit einem kleinen Skalpell inzidiert und der Schnitt mit der Duraschere erweitert. Die Inzision der Hirnoberfläche wird mit der bipolaren Koagulationspinzette und der Mikroschere vorgenommen. Die Präparation im Gehirn erfolgt mit Dissektor, Mikroschere, Bipolator, Tumorfasszangen und feinen Saugern unter dem Mikroskop. Das Gehirn wird dabei über eine Spülung ständig feucht gehalten. Das freigelegte gesunde Gehirngewebe wird mit feuchten Hirnwattestreifen abgedeckt, das OP-Gebiet mit selbsthaltenden Hirnspateln offen gehalten. Intraoperativ kann der Tumor mittels Ultraschalldiagnostik in seiner Ausdehnung dargestellt werden. Die Ultraschalluntersuchungen dienen dann der Resektionskontrolle. Ein Ultraschallzertrümmerer erleichtert manchmal die Abtragung tumorösen Gewebes (7 Abschn. 10.2.3).

10

552

Kapitel 10 · Neurochirurgie

5 Nach der Entfernung der Geschwulst erfolgt die 5

5 5 5

10

Blutstillung mit Bipolator, Hämostyptika und/oder Clips. Nach dem Zählen der Hirnwattetupfer und -streifen und der Dokumentation der Vollzähligkeit sollte der Duraverschluss, wenn möglich, ohne Duraersatz mit fortlaufender Naht vorgenommen werden. Ist dies nicht möglich, kommen patienteneigenes Periost oder synthetischer Duraersatz zum Einsatz. Der Knochendeckel wird mittels eines Metallplattensystems am Knochenrand mit der Kalotte fixiert (. Abb. 10.18). Einlegen einer Redon-Drainage subgaleal je nach Wundgröße. Die Muskel-Periost-Naht und die Haut-GaleaNaht beenden die Operation. Abschließend wird ein zirkulärer Kopfverband angelegt.

a

Weitere therapeutische Möglichkeiten jBestrahlung

Mit Hilfe der Bestrahlung lässt sich bei manchen intrakraniellen Tumorerkrankungen eine Verlängerung des beschwerdefreien Intervalls, nicht jedoch eine Heilung erreichen. Hirntumoren sprechen unterschiedlich auf die Bestrahlung an; Bestrahlung sollte bei Glioblastomen, bei Astrozytomen und Oligodendrogliomen höherer Malignität, bei Medulloblastomen sowie bei Hirnmetastasen versucht werden. Moderne radiochirurgische Verfahren wie die interstitielle Radiotherapie, das Gamma- und CyberKnife und der LINAC (»linear accelerator«) bieten eine Ausweitung der Therapiemöglichkeiten. Für die Indikationsstellung zur Bestrahlung ist die Kenntnis der Tumorhistologie notwendig. Die Entscheidung zur Bestrahlung und Zytostatikatherapie wird in der Regel in fachübergreifenden Tumorkonferenzen getroffen. Der Einsatz gezielter Bestrahlung und Chemotherapie führt zu längeren Überlebenszeiten. jZytostatika

Zytostatische Medikamente in der Neurochirurgie sind nur eine Möglichkeit der Behandlung. Durchgesetzt hat sich die zytostatische Behandlung bislang bei den Neuroblastomen (Tumoren des Sympathikus, die im Wesentlichen im Kindes- und Jugendalter vorkommen) und bei den Medulloblastomen. Standard ist die Radiochemotherapie bei der Nachbehandlung des Glioblastoms. Nach der Resektion eines Glioblastoms wird gelegentlich in die Resektionshöhle ein Zytostatikum eingelegt.

b . Abb. 10.34a, b Einblick in einen Ventrikel (a) mit Ballonkatheter (b). (Abb. freundlicherweise überlassen von Prof. Dr. Kehler, Neurochirurgie Asklepios Klinik Altona, Hamburg)

jPalliativoperationen

Auch kleine Tumoren können durch ihre Lage die Liquorabflusswege (Foramen Monroi, 3. Ventrikel, Aquaeductus Sylvii) behindern. Dann bleibt lediglich die Möglichkeit einer Palliativoperation. Das Prinzip dieser Operation liegt in der Ableitung des Liquor cerebrospinalis aus einem der beiden Seitenventrikel in den Peritonealraum (ventrikuloperitonealer Shunt, 7 Abschn. 13.6.1). Die vielen, hierzu im Handel erhältlichen Systeme haben alle ein Ventil im Schlauchsystem, das das Zurückfließen des Blutes in den Ventrikel verhindert. In dem Ventrikel muss ein bestimmter Druck aufgebaut werden, bevor sich das Ventil öffnet, um den Liquor abzuleiten. Dieser Öffnungsdruck kann prä- oder intraoperativ gemessen und entsprechend das Ventil ausgesucht werden. Eine Alternative ohne Einbringen von Fremdmaterial bietet die Ventrikulostomie: Mit einem starren Endoskop gelangt man über einen Seitenventrikel zum Boden des 3. Ventrikels. Dieser wird über einen Ballonkatheter perforiert (. Abb. 10.34). Über das Perforationsloch kann der Liquor dann abfließen.

553 10.5 · Intrakranielle Gefäßmissbildungen

Lokalisation Recessus infundibuli Corpora mamillaria

III 1 2 3

III. VentrikeI Aquäduktstenose Cisterna interpeduncularis Foramen Monroi

a

Symptome

3 III 1 2

b

Intrakranielle Aneurysmen liegen am häufigsten an der Hirnbasis, am Circulus arteriosus Willisi, meist im vorderen Abschnitt (76%), seltener im hinteren Abschnitt (24%).

. Abb. 10.35a, b Ventrikulostomie. a Ort der Ventrikulostomie am Boden des 3. Ventrikels; b Lage und Richtung des Endoskops

Zu bevorzugen ist heute bei allen Formen des Verschlusshydrozephalus diese endoskopische Ventrikulostomie (. Abb. 10.35), bei der durch ein in den 3. Ventrikel eingebrachtes Endoskop der Boden des Ventrikels perforiert wird und dem aufgestauten Liquor der Weg an die Außenflächen des Gehirns freigegeben wird. Dieses Verfahren vermeidet die häufigen Shuntkomplikationen.

10.5

Intrakranielle Gefäßmissbildungen

10.5.1

Aneurysmen

Definition Aneurysmen im Gefäßsystem des Gehirns sind angeborene Gefäßaussackungen. Sie sind besonders häufig an den Teilungsstellen der Gefäße lokalisiert, an denen oft Gefäßwanddefekte im Zusammenhang mit der Gefäßentwicklung nachzuweisen sind oder sie sitzen an den ursprünglichen Abgangsstellen embryonaler, später obliterierter Arterien.

Aneurysmen treten solitär und multipel im intrakraniellen Raum auf; sie können mit anderen Gefäßmissbildungen kombiniert sein (Angiome). Die Aneurysmen zeigen sich in sehr unterschiedlicher Größe, meist sind sie etwa kirschkerngroß. In ihrer Form sind sie sack- oder beerenförmig, gestielt (meist an den Gefäßaufteilungen) oder spindelförmig (Gefäßerweiterungen über eine größere Strecke). Gelegentlich sitzen sie auch breitbasig der Gefäßwand auf.

Die Anlage zur Ausbildung zerebraler Aneurysmen ist in der Regel angeboren, sie vergrößern sich in Abhängigkeit von der Hämodynamik im Lauf des Lebens. Klinisch können sie überhaupt oder zumindest lange Zeit stumm bleiben. Diagnostiziert werden sie erst, wenn sie Symptome bewirken. 4 Nachbarschaftsreaktion (Aneurysmen vom paralytischen Typ): Es kommt zu Lähmungserscheinungen an den Hirnnerven; insbesondere die Augenmuskeln sind betroffen. Die plötzlich spontan auftretenden Lähmungen des III. Hirnnervs sind praktisch immer auf ein Aneurysma im supraklinoidalen (oberhalb des Klinoidfortsatzes gelegen) Karotisabschnitt zurückzuführen. 4 Blutung: Bei der Ruptur eines Aneurysmas kommt es plötzlich (apoplektiform) entweder zu einer Subarachnoidalblutung (SAB), zu einer intrazerebralen oder zu einer kombinierten subarachnoidalen und intrazerebralen Blutung. Die Subarachnoidalblutung beginnt in der Regel mit blitzartig einsetzenden unerträglichen Kopfschmerzen. Nackensteifigkeit, Übelkeit und Erbrechen können bald folgen. In der Hälfte der Fälle kommt es sehr rasch zu einer Bewusstseinseintrübung mit Schläfrigkeit, Verwirrtheit und Unruhe. Die Kranken stürzen, z. B. nach ungewohnten Anstrengungen, plötzlich zu Boden und sind sofort tief bewusstlos. Zeichen einer Enthirnungsstarre mit Streckkrämpfen deuten auf einen Durchbruch der Blutung ins Ventrikelsystem hin und sind damit prognostisch sehr ungünstig zu bewerten. 5 Die Diagnose liefern Angio- und 3-D-CT. 5 Die Lumbalpunktion mit dem Nachweis blutigen Liquors bestätigt im Zweifelsfall die Diagnose. Nach einer abgelaufenen Subarachnoidalblutung kommt es zu einer bindegewebigen Verschwartung der Arachnoidea. Diese Verschwartung kann einer möglichen Rezidivblutung ein unüberwindliches Hindernis bieten. So kann es leichter zu einer Wühlblutung in das Hirn kommen, häufiger mit Einbruch in das Ventrikelsystem. 4 Im Zusammenhang mit der Aneurysmablutung kommt es meist zu Kontraktionen der Gefäßwandungen (Gefäßspasmen), die wiederum eine Mangeldurchblutung der abhängigen Hirngebiete bewirken und zum Hirninfarkt führen können. Spasmen treten sehr häufig zwischen dem 3. und 18. Tag nach der Blutung auf.

10

554

Kapitel 10 · Neurochirurgie

Diagnostik Der Nachweis der exakten Lokalisation eines Aneurysmas ist nur durch die Angiographie möglich. Standard ist die »Rundumangiographie«, d. h. die Darstellung sämtlicher zum Hirn führenden Arterien, um die relativ häufigen, multiplen Aneurysmen auszuschließen. Die Angiographie sollte so bald wie möglich nach der SAB durchgeführt werden, um die grundsätzliche Entscheidung zur Operation zu treffen. Durch die Subarachnoidalblutung kommt es häufig zur Hydrozephalusbildung, die dementsprechend eine externe Ventrikeldrainagenoperation nach sich zieht.

Therapie

10

Die Therapie einer Subarachnoidalblutung beginnt auf der Intensivstation. Zunächst werden die gestörten vitalen Funktionen (Atmung, Kreislauf, Temperaturregelung, Stoffwechselvorgänge) normalisiert. Insbesondere die Senkung des meist erhöhten Blutdruckes ist notwendig. Zur Behandlung und Prophylaxe von Gefäßspasmen wird Nimodipin gegeben, das den Blutdruck senkt und die Gefäße weit stellt. Behandlungsziel ist der sofortige und zuverlässige Ausschluss aus dem arteriellen Kreislauf. Anzustreben ist die umgehende Behandlung, weil die Patienten hochgradig durch eine Reblutung gefährdet sind, die meist tödlich verläuft, mindestens jedoch mit einer Zunahme neurologischer Ausfälle verbunden ist. In einer zunehmenden Zahl von Fällen erscheint es sinnvoller, das Aneurysma auf endovaskulärem Weg zu verschließen (»coiling«), als es operativ mit einem Clip zu verschließen. Dieses Behandlungsverfahren wird in der Neuroradiologie durchgeführt. Mit Hilfe von Mikrokathetern, die über die A. femoralis eingebracht werden, kann das Aneurysma sondiert und mit feinsten Platinspiralen (»coils«) verschlossen werden. Beide Behandlungsverfahren (Clipping wie Coiling) bergen Risiken. Im Einzelfall entscheiden Neuroradiologe und Neurochirurg gemeinsam über das anzuwendende Verfahren.

a

b

. Abb. 10.36a, b Operative Aneurysmaausschaltung durch einen Gefäßclip.

kInstrumentarium

4 4 4 4 4

Kraniotomieinstrumentarium, Standardzusatz, Mikroinstrumente und Mikroskop, evtl. Fibrinkleber für ein Muskelstück, Aneurysmaclips, z. B. nach Sugita, Yasargil, Pernetzky u. a. stehen in vielen Variationen zur Verfügung (. Abb. 10.37), 4 Dazu gibt es unterschiedlich gebogene Applikationszangen für diese Clips. 4 Intraoperativ wird mit einer Mikrosonde eine Dopplersonographie durchgeführt, um die Strömungsverhältnisse nach dem Clipping beurteilen zu können.

jAneurysmaclipping kIndikation

Beispielsweise Karotisaneurysma rechts. kPrinzip

Osteoplastische Kraniotomie, Aufsuchen des Aneurysmas, Clipping des Aneurysmasacks unter Erhaltung der Blutzirkulation in der betroffenen Hirnarterie (. Abb. 10.36). kLagerung

4 Rückenlagerung mit Kopffixation in der Dreipunkthalterung nach Mayfield. 4 Der Patient liegt auf einer Wärmematte und wird mit einer Wärmedecke zugedeckt.

. Abb. 10.37 Geöffnete Aneurysmaclips im Applikator

555 10.5 · Intrakranielle Gefäßmissbildungen

Benötigt wird ein Mikroskop mit Schwarzlicht-Einheit und Videokette zur intraoperativen Fluoreszenzangiographie mit Indocyaningrün (ICG). Es werden immer 2 Saugsysteme angeschlossen, denn im Fall einer Aneurysmaruptur blutet es sehr stark.

OP-Verlauf: Clipping eines Aneurysmas

5 Nach dem Zählen der Hirnwatte und der Dokumentation der Vollzähligkeit erfolgen der Verschluss der Dura und das Einsetzen des Knochendeckels in üblicher Weise. 5 Eine subgaleale Redon-Drainage, der schichtweise Wundverschluss und der Kopfverband beenden diese Operation.

5 Nach dem Team-Time-out wird ein kleiner Haut-

5

5 5

5

5

5

5

Galea-Schnitt an der rechten Schläfe gesetzt als Beginn einer osteoplastischen Trepanation (7 Abschn. 10.4.5). Präparation auf der Kalotte in üblicher Weise mit anschließendem Aussägen eines kleinen Knochendeckels. Bogenförmige Eröffnung der Dura mit Messerchen und Duraschere. Einstellen des OP-Mikroskops. Durch das Anheben des Stirnhirns mit einem Hirnspatel und der Hirnwatte lässt sich die A. carotis interna mit Dissektor und Häkchen darstellen. Der Aneurysmahals wird aufgesucht und mit Häkchen, Dissektor und Bipolator präpariert, bis er völlig frei vom umliegenden Gewebe ist. Das Aneurysma wird mit einem Clip ausgeschaltet, ggf. wird das Clipping unter passagerem Verschluss des zuführenden Gefäßes durchgeführt (Vermeidung einer intraoperativen Aneurysmablutung). Hirninfarkte lassen sich bei passagerem Clipping zuführender Gefäße nur vermeiden, wenn diese Phase zeitlich limitiert wird (10–15 min) und die Ischämietoleranz durch tiefe Narkose und vorherige Beatmung mit 100% Sauerstoff erhöht wurde. Komplexe anatomische Verhältnisse am Aneurysmahals können die Kombination mehrerer unterschiedlicher Clips notwendig machen. Manchmal gelingt ein optimales Clipping nicht, oder das Aneurysma rupturiert während oder vor dem Setzen des ausgesuchten Clips (s. unten). Dann gestaltet sich die Präparation des Aneurysmahalses schwieriger. Häufig gibt es auch nach der Clipapplikation noch kleine Blutungen. Dann wird ein kleines Stück Muskel aus dem Haut-Galea-Lappen präpariert und mit Fibrinkleber auf die blutende Perforation geklebt. Nach dem Setzen des Clips wird die Durchgängigkeit zu- und abführender Gefäße mittels intraoperativer Dopplersonographie oder durch eine intraoperative Fluoreszenzangiographie mit Indocyaningrün kontrolliert. Abschließend wird der Aneurysmasack mit einer feinen Kanüle zur Erfolgskontrolle punktiert und das OP-Gebiet gespült.

Geplatztes Aneurysma Wenn ein Aneurysma rupturiert, kann das OP-Feld sehr schnell mit Blut gefüllt werden. Dann kommt sofort der 2. Sauger zum Einsatz, der während der gesamten Operation funktionsfähig bereit liegt. Jetzt wird ein Höchstmaß an Ruhe und Sicherheit in der Handhabung der Clipzangen und des Mikroinstrumentariums erwartet. Gegebenenfalls wird ein passagerer Clip benötigt, um die Blutung zu stillen. Das Austauschen in einen endgültig verbleibenden Clip bedeutet noch einmal für kurze Zeit eine starke Blutung. Bei Bedarf wird die Rupturstelle mit Gewebekleber und Hämostyptika zusätzlich verschlossen. Zusätzliche Unruhe entsteht im OP-Saal möglicherweise auch durch ein Abfallen der Kreislauffunktionen und die dann notwendigen Stabilisierungmaßnahmen.

Komplikationen Die Mortalität der ersten Subarachnoidalblutung liegt bei etwa 25%. In mehr als der Hälfte der Fälle kommt es zu Rezidivblutungen. Die Mortalität bei der ersten Rezidivblutung ist mit etwa 50% anzusetzen, das Todesrisiko bei weiteren Blutungen noch höher. Mit jeder erneuten Blutung sinkt die Überlebenschance erheblich. Dabei sind die einzelnen Lokalisationen der Aneurysmen ebenso unberücksichtigt wie die Ausgangslage bzw. der Zeitpunkt des operativen Eingriffs. (Ein kleines gestieltes Karotisaneurysma ist z. B. risikoloser zu operieren als ein breitbasig aufsitzendes oder ein Aneurysma an der A. basilaris.) Je besser der Allgemeinzustand des Patienten ist und je geringer die vegetativen Dysregulationen (Temperatur, Kreislauf, Atmung) sind, desto besser ist der postoperative Zustand des Patienten. Zu langes Warten bringt in erhöhtem Maße die Gefahr einer Rezidivblutung mit sich.

10.5.2

Angiome

Definition Zerebrale Angiome sind angeborene Fehlbildungen, deren Aufbau und Differenzierung zum Zeitpunkt der Geburt abgeschlossen ist.

10

556

Kapitel 10 · Neurochirurgie

Zwar wird im Verlauf des Lebens eine gewisse Größenzunahme beobachtet, es handelt sich dabei aber nicht um ein autonomes, sondern vielmehr um ein funktionell physiologisches Wachstum (allgemeines Körperwachstum, Aufsaugung und Aufstauung des zirkulierenden Blutes infolge der veränderten Kreislaufsituation). Man findet bei den Angiomen eine Vielzahl erheblich erweiterter (ektatischer) pathologisch veränderter Gefäße innerhalb des normalen Gewebes: 4 Handelt es sich dabei vorwiegend um venöse Gefäße, so spricht man von venösen Angiomen, die aber selten vorkommen. 4 Meist handelt es sich bei den intrazerebralen Angiomen um arteriovenöse Angiome, bei denen unter Umgehung der Kapillaren ein Kurzschluss zwischen arteriellem und venösem Anteil der Blutversorgung besteht, sodass Venen z. T. mit arteriellem Blut gefüllt sind.

10.5.3

Trigeminusneuralgie

Symptome Die Trigeminusneuralgie ist gekennzeichnet durch einen typischen, attackenartigen, pulsierenden einseitigen Schmerz im Versorgungsgebiet des N. trigeminus (V. Hirnnerv). Häufig können durch sensible Reize (Berühren der Wange, Kauen, Sprechen) Attacken ausgelöst werden. Ist der 1. Trigeminusast betroffen, werden Schmerzen in Stirn und Auge beschrieben. Die Konjunktiva kann gerötet sein, und das Auge tränt. Der 2. Trigeminusast versorgt den Oberkiefer bis zum Nasenflügel, der 3. Trigeminusast den Unterkiefer. Meist sind der 2. und 3. Ast kombiniert betroffen. Ursachen sind ein Gefäß-NervenKontakt im Bereich des oberen Kleinhirnbrückenwinkels, Tumoren im Bereich der Schädelbasis oder eine multiple Sklerose.

Diagnostik Lokalisation

10

Die meisten arteriovenösen Angiome liegen oberflächlich im Bereich der Meningen und reichen in die Gehirnsubstanz hinein. Weitaus am häufigsten ist der Sitz oberhalb des Tentoriums im Versorgungsgebiet der A. cerebri media.

Symptome Klinische Symptome können u. U. ganz fehlen. In typischen Fällen finden sich mehr oder weniger ausgeprägt und verschieden kombiniert Zeichen, die meist erstmals zwischen dem 10. und dem 30. Lebensjahr auftreten. 4 Subarachnoidale oder intrazerebrale Blutungen, evtl. rezidivierend. 4 Epileptische Anfälle. 4 Kopfschmerz, häufig migräneartig. 4 Neurologische Symptome: infolge einer intrakraniellen Blutung oder aufgrund der Mangeldurchblutung des umliegenden Gewebes.

Auszuschließen sind zunächst entzündliche Prozesse an Nasennebenhöhlen, Ober- und Unterkiefer und an den Zähnen. Die Funktion der Kiefergelenke muss kieferorthopädisch überprüft werden. Immer ist eine kraniale Kernspintomographie erforderlich, um Tumoren nachzuweisen oder die Verdachtsdiagnose der multiplen Sklerose (MS) zu erhärten. Zum Nachweis von Gefäß-Nerven-Kontakten ist eine kraniale Kernspintomographie mit Dünnschichten im Bereich der Brücke (Pons) in T2-Gewichtung unerlässlich.

Therapie Ist die medikamentöse Behandlung nicht erfolgreich, kommen verschiedene Operationen in Betracht. jOperation nach Jannetta kIndikation

Die Diagnose eines zerebralen Angioms lässt sich nur sicher durch die Angiographie stellen. Dabei sind genau die zuführenden und die abführenden Gefäße zu sehen.

Wenn ein Gefäß-Nerven-Kontakt im Verlauf des N. trigeminus nachgewiesen werden kann, stellt die mikrovaskuläre Dekompression nach Jannetta nach erfolgloser medikamentöser Therapie eine erfolgversprechende Behandlungsoption dar. Bei strenger Indikationsstellung kann ein Großteil der Patienten dauerhaft von ihren Schmerzen befreit werden.

Therapie

kPrinzip

Die Therapie der Angiome besteht in ihrer operativen Entfernung bzw. im Verschluss der zuführenden und der abführenden Gefäße. Eine zuvor durchgeführte endovaskuläre Therapie kann die Operation erheblich erleichtern. Die Möglichkeiten des operativen Vorgehens hängen von der Symptomatologie, der Ausdehnung und dem Sitz des Angioms ab. Diffuse arteriovenöse Angiome sind inoperabel, ebenso Angiome im Bereich der Stammganglien.

Zur Polsterung wird zwischen Trigeminusnerv und das begleitende Gefäß (A. cerebelli superior oder die gleichnamige Vene) nach Lösung im Verlauf vom Hirnstamm zur Schädelbasis zur Dekompression ein Stück Teflonschwamm oder körpereigene Muskulatur eingelegt.

Diagnostik

557 10.6 · Entzündliche Erkrankungen

kLagerung

10.6

Entzündliche Erkrankungen

4 Halbsitzende Position oder Rückenlage. 4 Schädelfixation in der Mayfield-Halterung. Entzündliche Erkrankungen OP-Verlauf: Operation nach Jannetta 5 Über eine subokzipitale Kraniotomie wird der N. trigeminus dargestellt. Daneben verläuft beim Eintritt in den Hirnstamm häufig ein Gefäß, das den Nerv komprimiert. 5 Zur Dekompression wird ein Stück Teflon zwischen den Nerv und das Gefäß gelegt. 5 Wenn die Beschwerden danach wieder auftreten, ist eine erneute Operation nicht sinnvoll, sondern die perkutane Rhizotomie des N. trigeminus anzuwenden.

Bei Therapieversagen oder symptomatischer Trigeminusneuralgie (Tumor/MS) kann die perkutane Rhizotomie des Nervs im Bereich des Ganglion Gasseri in Kurznarkose durchgeführt werden.

10.5.4

Hier wird unterschieden zwischen entzündlichen Erkrankungen 5 der Kopfschwarte, 5 des Knochens, 5 des Gehirns und 5 seiner Hüllen.

10.6.1

Entzündungen der Kopfschwarte

Eitrige Entzündungen der Kopfschwarte entstehen nach Verletzungen (z. B. Schnitt-, Platz- und Schürfwunden), im Zusammenhang mit Furunkeln, Karbunkeln, infizierten Atheromen oder fortgeleitet von infizierten Knochenherden. Sie werden, sobald eine Einschmelzung erkennbar ist, inzidiert. Folge solcher zunächst umschriebenen Entzündungen kann eine Kopfschwartenphlegmone sein.

Spontane intrazerebrale Blutungen Therapie Antibiotika, mehrere Inzisionen, Drainagen.

Definition

Gefahr Fortleitung der Entzündung in das Schädelinnere.

Alle nichttraumatisch entstandenen Blutungen in die Hirnsubstanz.

10.6.2

Ursache Häufigste Ursache ist der Bluthochdruck. Andere Ursachen können Gefäßmissbildungen, stark vaskularisierte Tumoren, Bluterkrankheiten, degenerative Gefäßprozesse, Antikoagulationstherapie, Antikonzeptiva sowie entzündliche Gefäßprozesse sein. Die Blutungen treten meist plötzlich als sog. Schlaganfall auf. Die hypertonische intrazerebrale Massenblutung ist meist im Bereich der Stammganglien lokalisiert. Ihre Symptomatik ist gekennzeichnet durch akuten Bewusstseinsverlust bei oft gleichzeitig auftretender Halbseitenlähmung.

Therapie Das therapeutische Vorgehen hängt von der klinischen Symptomatologie und dem Sitz der Blutung ab. Patienten mit Stammhirnblutungen und Einbruch in das Ventrikelsystem haben eine ungünstige Prognose. Bei Ventrikelblutungen ist es sinnvoll eine Ventrikeldrainage zu legen; oft bleibt nur der Versuch einer intensivmedizinischen Therapie. Grundsätzlich sollten aber alle raumfordernden intrazerebralen und v. a. auch intrazerebellären, akuten Blutungen operiert werden.

Infektion der Schädelknochen

Die Schädelosteomyelitis ist selten. Sie entsteht meist fortgeleitet, so z. B. bei Infektionen der Kopfschwarte, nach Verletzungen, v. a. aber bei eitrigen Entzündungen der Nasennebenhöhlen. Die Gefahr liegt auch hier im Übergreifen des osteomyelitischen Prozesses auf das Endokranium. Dann entsteht ein sog. Epiduralabszess. Therapie Frühzeitiges chirurgisches Vorgehen mit radikaler Ausräumung, sowohl der erkrankten Knochen als auch der sekundären Abszesse, z. B. im Epiduralraum, ist angezeigt. Eine zusätzliche antibiotische Therapie ist obligat. Eine Sonderform ist die Knochendeckelosteomyelitis nach Hirnoperationen. Hier ist die Entfernung des Knochendeckels notwendig, der später als Plastik mit Knochenzement nachmodelliert und der Kopfform angepasst und eingesetzt wird (7 Abschn. 10.7.5).

10.6.3

Epiduraler Abszess

Ein epiduraler Abszess (zwischen Dura und Kalotte) kann nach Infektionen der Nasennebenhöhlen, der Warzenfort-

10

558

Kapitel 10 · Neurochirurgie

satzzellen oder nach einer Schädelosteomyelitis entstehen. Es kann zu größeren Eiteransammlungen kommen, die mit Hirndruckerscheinungen einhergehen: Lähmungen und Krampfanfälle können auftreten. Therapie Die notwendige Therapie liegt in der Freilegung und der ausreichenden Drainierung nach außen.

10.6.4

Subdurales Empyem

Abszesse zwischen Dura und Subarachnoidalraum kommen, wenn auch selten, als Folge von traumatischen Infektionen vor. Auch eitrige Hals- und Nasenentzündungen können zu einer subduralen Abszedierung führen. Klinisch zeigen sich Hirndruckzeichen, meningitische Symptome, Krampfanfälle, Halbseitenzeichen und Bewusstseinsstörungen. Therapie Die einzig sinnvolle Therapie ist die baldige

10

Trepanation mit der Eröffnung der Dura, Entleerung des Empyems und anschließender Spülung mit antibiotischer Lösung.

Tage bis Wochen oder auch nach Jahren als Spätabszess in Erscheinung. Der Spätabszess ist in der Regel immer abgekapselt und kann verkalken. Überwiegend ist das Großhirn betroffen. Klinisch finden sich meist rasch progrediente Symptome eines raumfordernden intrakraniellen Prozesses mit Herdsymptomen, evtl. epileptischen Anfällen und Hirndruckzeichen, sodass in erster Linie ein Hirntumor angenommen wird. Hinweisend sind dann eine Leukozytose und eine erhöhte Blutsenkungsgeschwindigkeit sowie in der Regel eine CRP-Erhöhung. Die Verdachtsdiagnose eines Hirnabszesses erfordert ein CCT mit Kontrastdarstellung und das NMR. Hiermit gelingen zumeist der Nachweis und die Lokalisation. Therapie Die Therapie ist abhängig von der Krankheitsphase, der Größe und der Lokalisation des Abszesses, die mit der intraoperativen Ultraschalldiagnostik kontrolliert wird. Immer besteht das Ziel in einer vollständigen Entfernung. Hierbei werden die frühen raumfordernden Abszesse zunächst punktiert und gespült. Eine intensive antibiotische Therapie ist obligat. Prognose Die Mortalität bei Hirnabszessen liegt immer

Prognose Die Prognose ist ernst, da sich im weiteren Ver-

noch bei etwa 30%.

lauf auch nach Sanierung der Empyemhöhle noch Spätabszesse bilden können.

10.6.5

Meningitiden

Eine Entzündung der Meningen ist nur dann eine Indikation zu einem neurochirurgischen Vorgehen, wenn es nach einer Meningitis zu einer Liquorzirkulationsstörung mit Hydrozephalus kommt (z. B. infolge eines Verschlusses des Aquäduktes oder des Foramen Magendii) oder infolge fehlender Liquorresorption bei Verklebung der Zisternen und der Subarachnoidalräume. Therapie In diesen Fällen ist eine externe Liquorableitung im akuten Stadium und ein ventrikuloperitonealer Shunt im chronischen Stadium notwendig (7 Abschn. 10.4.5 und 7 Abschn. 13.6.1).

10.6.6

Hirnabszess

Selten entsteht ein Hirnabszess traumatisch, viel häufiger durch Fortleitung. Die primäre Infektionsquelle ist meist eine Ohraffektion, eine Entzündung der Nasennebenhöhlen oder ein eitriger Lungen- oder Zahnprozess. Je nach Aktivität der Erreger (Staphylo-, Pneumo- oder Streptokokken) tritt er als Frühabszess schon innerhalb weniger

10.7

Schädel-Hirn-Traumata

10.7.1

Versorgung des Patienten

Immer noch sterben Tausende von Patienten jährlich an einer schweren Hirnverletzung. Die Maßnahmen, die der erste Helfer am Unfallort trifft oder unterlässt, entscheiden bei vielen Verletzten nicht nur über Leben und Tod in der Frühphase, sondern auch über den Erfolg der anschließenden Behandlung und über das Ausmaß der bleibenden Schäden.

Erstversorgung am Unfallort Zuerst sind die bekannten Maßnahmen zur Aufrechterhaltung der Vitalfunktionen erforderlich. Tritt Blut, Liquor oder Hirnbrei aus der Nase aus, ist für ein freies Ablaufen zu sorgen, damit das Eindringen in die Luftwege verhindert wird. Jede durch ein Schädel-Hirn-Trauma (SHT) bedingte Bewusstlosigkeit bedeutet absolute Lebensgefahr und erfordert nach der notärztlichen Versorgung den schnellstmöglichen und sachgemäßen Transport ins Krankenhaus. Im Allgemeinen ist die optimale Lagerung für den Transport bewusstloser Hirnverletzter die 30°-Kopf-hoch-Lagerung. Nur in Ausnahmefällen, z. B. bei Vorliegen eines traumatischen Querschnittes, ist die flache Rückenlage ratsamer.

559 10.7 · Schädel-Hirn-Traumata

Versorgung im Krankenhaus

10.7.2

Die einzelnen Maßnahmen im Krankenhaus sind nach Art und Schwere der Verletzung unterschiedlich (7 Übersicht). Sofortmaßnahmen beim Schädel-Hirn-Trauma im Krankenhaus

5 Einlieferung des Verletzten: orientierende ärztliche 5 5

5 5 5 5 5 5 5 5 5 5

Untersuchung der Atmung, des Kreislaufs, der Bewusstseinslage, der Verletzungen und der Pupillen. Sicherstellung der Atmung: Absaugen, Intubation. Schockbekämpfung: venöse Zugänge, Blutentnahmen für die Blutgruppenbestimmung und die üblichen Routineuntersuchungen, Infusion, Blutdruckkontrolle etc. Sonographie. Konsiliarisches Hinzuziehen der (Neuro)chirurgen, Ophthalmologen, des HNO-Arztes, des Kieferchirurgen, Orthopäden, Neurologen und Internisten. Trauma-CT (Ganzkörper-CT). CCT (kraniale Computertomographie). Blasenverweilkatheter. Magensonde. Tetanusprophylaxe. Operative Versorgung. Intensivtherapie. Hirndruckmessung.

Weiterbehandlung Für die Weiterbehandlung schwerer

Schädel-Hirn-Verletzungen gelten die Besonderheiten neurochirurgischer Intensivpflege.

Einteilung der Schädel-Hirn-Traumata

Um in der akuten Phase richtig handeln zu können, ist die Einteilung der verschiedenen Schädel-Hirn-Traumata notwendig. Wir unterscheiden: 4 gedecktes Schädel-Hirn-Trauma, 4 offenes Schädel-Hirn-Trauma, 4 Frakturen der Schädelbasis, 4 Hirnödem und Hirnschwellung, 4 traumatische intrakranielle Hämatome.

Gedecktes Schädel-Hirn-Trauma Definition Die Dura ist beim gedeckten SHT von den Verletzungen nicht betroffen.

Eine Unterteilung der gedeckten Schädel-Hirn-Verletzungen, abhängig von der Dauer der Störung, zeigt . Tab. 10.5. Als posttraumatischer Defektzustand des Gehirns mit prolongiertem Koma gehört das apallische Syndrom an sich zu den Schädel-Hirn-Verletzungen 3. Grades. Es nimmt dort jedoch eine Sonderstellung ein, da es auch nach nicht verletzungsbedingter Schädigung des Gehirns auftreten kann, etwa bei Vergiftungen. Dieses Zustandsbild ist durch erhaltende Elementarfunktionen des Stammhirns, wie Atmung, Kreislauf und Schlaf-wach-Rhythmus bei weitgehendem Ausfall der Großhirnfunktionen, gekennzeichnet. Solche Patienten liegen wach mit offenen Augen ohne Wahrnehmung und ohne Reaktion. Weder Berührung noch Ansprache löst eine Gegenbewegung aus; sinnvolle, bewusste Handlungen werden nicht ausgeführt. Jüngere

. Tab. 10.5 Kriterien zur Gradeinteilung gedeckter Schädel-Hirn-Verletzungen Schädel-Hirn-Trauma 1. Grades

2. Grades

3. Grades

Bewusstlosigkeit

Bis 5 min

Bis 30 min

Länger

Neurologische Ausfälle

Möglich

Möglich

Sicher

Kreislaufstörungen

Möglich

Möglich

Wahrscheinlich

Atemstörungen

Fehlend

Möglich

Wahrscheinlich

Vegetative Störungen

Möglich

Wahrscheinlich

Wahrscheinlich

Temperaturregulationsstörungen

Fehlend

Fehlend

Wahrscheinlich

Hirnschwellung, Hirnödem

Fehlend

Möglich

Wahrscheinlich

Rückbildung neurologischer Befundabweichungen

Sicher

Innerhalb 30 Tagen

Meist nicht vollständig

Rückbildung subjektiver Beschwerden

Innerhalb von Tagen

Wahrscheinlich

Dauerbeschwerden

Keine

Möglich

Wahrscheinlich

10

560

Kapitel 10 · Neurochirurgie

neuropsychologische Untersuchungen belegen, dass es sich beim apallischen Syndrom um ein Durchgangssyndrom handelt, bei dem sich durch eine intensive qualifizierte Behandlung auch nach längerer Zeit noch wesentliche Erholungen einstellen können. Dies gilt umso mehr, je jünger die Patienten sind. Zur Beurteilung der Bewusstseinslage kommt die Glasgow-Koma-Skalierung zur Anwendung. Therapiephasen des gedeckten Schädel-HirnTraumas Akute posttraumatische Phase Schockbekämpfung, Stabilisierung des Kreislaufs, Sicherung der Atemwege, Flüssigkeitsbilanzierung und Ernährung, laufende Laboruntersuchungen, Behandlung des Hirnödems, ggf. Operation, Pflege, Gymnastik. Rehabilitationsphase im Krankenhaus Pflege, Beschäftigungstherapie, Krankengymnastik.

10

Rehabilitationsphase der sozialen Eingliederung Körperliche Wiederherstellung und soziale Wiedereingliederung in einem entsprechenden Hirnverletztenzentrum. Geeignete Umschulungsmaßnahmen sind genauso erforderlich wie eine entsprechende soziale Therapie.

Offenes Schädel-Hirn-Trauma Definition Durch eine von außen einwirkende Gewalt wird Hirngewebe zerstört. Dabei weisen Haut, Knochen und Dura gleichzeitig eine durchlaufende Wunde auf.

Die Verletzungen können durch stumpfe oder scharfe Gewalteinwirkungen hervorgerufen werden. Abhängig von der Gewalteinwirkung zeigen sich umschriebene Stichverletzungen oder tiefgreifende Gewebezerstörungen. Gefahren, die hierdurch entstehen können, liegen in der komplizierenden Osteomyelitis, in der Gefahr der Meningitis und der Enzephalitis mit der weiteren Gefahr des Abszesses oder des subduralen Empyems.

sprechende Hirnareale, wie die Zentralregion, die Stammganglien, das Sprachzentrum und die Sehrinde mitverletzt sind. Der lokale Inspektionsbefund, das Röntgenbild des Schädels und das CCT mit Knocheneinstellung lassen im Zusammenhang mit der neurologischen Situation meist eine ausreichende Diagnose zu. Therapie Alle offenen Schädel-Hirn-Traumata bedürfen der primären operativen Versorgung, einmal zur Beseitigung gleichzeitiger raumfordernder intrazerebraler Blutungen und zum anderen zur Verhütung von Infektionen, wie sie oben besprochen wurden. ! Ziel der Therapie muss es sein, die offene Hirnwunde in eine geschlossene Hirnwunde zu verwandeln.

Bei jeder Wunde der Kopfhaut mit gleichzeitiger Knochenverletzung (Trümmerbruch, Impression, Defekt) muss nach der Säuberung der Hautwunde und meist einer Exzision der Wundränder die Knochenverletzung übersichtlich dargestellt werden. Bei den Impressionen und penetrierenden Verletzungen muss der Knochen im Verletzungsbereich so weit entfernt werden, bis die Duraverletzung übersichtlich freiliegt. Die traumatisch entstandene Duralücke muss meist noch zusätzlich erweitert werden, um die darunter liegende Hirnwunde einwandfrei beurteilen zu können. Vorhandene raumfordernde Blutungen werden ausgeräumt und eine sorgfältige Blutstillung durchgeführt. Die Dura wird genäht oder bei einem größeren Defekt durch ein Stück Periost, synthetisches Vlies oder synthetische Dura verschlossen. Die Knochenlücke kann entweder primär durch größere Knochenfragmente wieder gedeckt werden, oder sie wird sekundär durch Kunststoff (z. B. Palacos) oder angepasste Implantate aus Titan verschlossen. ! Allgemein gilt die Regel, offene Hirnwunden innerhalb der ersten 12 h nach der Verletzung zu versorgen.

Frakturen der Schädelbasis Frakturen der Schädelbasis führen nicht selten zu begleitenden Komplikationen: 4 Liquorfisteln, 4 Pneumenzephalus, 4 Gefäßverletzungen.

Klinik Der sehr unterschiedliche Schweregrad der Hirn-

jLiquorfisteln

verletzungen ist auch ausschlaggebend für das klinische Syndrom, sowohl hinsichtlich der Bewusstseinslage als auch im Hinblick auf allgemeine Hirnstörungen (Atmung, Kreislauf u. a.) und fokale Ausfälle. Herdförmige Störungen werden immer dann zu erwarten sein, wenn ent-

Bei sichtbarem Abfluss von Liquor aus Nase und Ohr ist die Diagnose einer Liquorfistel leicht zu stellen. Liquor muss jedoch nicht immer fließen. Bei Fisteln besteht immer die Gefahr einer aufsteigenden Entzündung der Hirnhäute und des Gehirns. Sie müssen deshalb operativ ver-

561 10.7 · Schädel-Hirn-Traumata

schlossen werden. Ohrliquorfisteln, bei denen übrigens auch ein Riss im Trommelfell und Felsenbein vorliegen muss (häufige Begleiterscheinung bei Schädelbasisfrakturen), verschließen sich oftmals von selbst.

10.7.3

Traumatische intrakranielle, extrazerebrale Hämatome

Definition jPneumenzephalus

Der Pneumenzephalus stellt eine Komplikation insbesondere der nasalen Fistel dar. Es kommt zu einem Einströmen von Luft in den Schädelinnenraum, die wegen eines an der Liquorfistel entstehenden Ventilmechanismus nicht mehr entweichen kann. jGefäßverletzungen bei Basisfrakturen

Unter den Gefäßverletzungen bei Basisfrakturen hat die Karotis-Kavernosus-Fistel eine besondere Bedeutung. Durch Verletzung der A. carotis im Bereich des Sinus cavernosus entsteht ein arteriovenöser Kurzschluss. Das arterielle Blut ergießt sich sofort in den venösen Schenkel. Klinisch charakteristisch ist der pulsierende Exophthalmus. Zusätzlich können Schädigungen des III., V. und VI. Hirnnervs auftreten, die in der Wandung des Sinus cavernosus verlaufen. Die Behandlung geschieht auf endovaskulärem Wege.

Hirnödem und Hirnschwellung Hirnödem und Hirnschwellung sind Reaktionen des Gehirns auf Schädigungen verschiedenster Art. Je nach Schwere und Schädigung werden sie mehr oder minder schnell entstehen. Beide Zustände sind gekennzeichnet durch Flüssigkeitseinstrom in das Gehirn selbst. Beim Hirnödem ist der Flüssigkeitsgehalt in den Gewebespalten des Gehirns vermehrt, bei der Hirnschwellung im Gewebe selbst. Hieraus resultiert eine Erhöhung des intrakraniellen Druckes, der sekundär wieder zur Hirnschädigung führen kann. Praktisch jeder neurochirurgische Eingriff und alle schweren Schädel-Hirn-Verletzungen, aber auch intrazerebrale Massenblutungen, Hirninfarkte, Meningitiden und Enzephalitiden sowie Vergiftungen können ein Hirnödem und eine Hirnschwellung zur Folge haben. Eine zuverlässige Messung gelingt durch spezielle Hirndruckmesssonden, die meist intrazerebral platziert werden. Eine operative Therapie dieser Zustände gibt es in der Regel nicht. Allerdings kann als allerletzte Möglichkeit unter bestimmten Voraussetzungen eine großflächige operative Entlastung z. B. bei einem malignen Hirninfarkt oder Hirnschwellung versucht werden. Insbesondere bei Kindern und Jugendlichen und jungen Erwachsenen kann so die Prognose verbessert werden.

Blutung innerhalb der knöchernen Schädelkapsel (außerhalb des Gehirns).

Im Gefolge von Schädel-Hirn-Verletzungen können innerhalb des Schädels Blutungen entstehen, die durch ihre Raumforderung und damit durch die Erhöhung des Kopfinnendruckes lebensbedrohliche Komplikationen darstellen. Ihre schnelle Diagnose und die entsprechende Behandlung durch eine Operation sind von entscheidender Bedeutung für die Prognose.

Symptome Der wichtigste Hinweis auf das Vorliegen einer intrakraniellen Blutung ist das freie Intervall. Nach einem Unfall ist der Patient gar nicht oder nur kurz bewusstlos und wacht später wieder auf. Ein Intervall von Bewusstseinsklarheit wird durchlaufen, und Stunden danach trübt das Bewusstsein des Patienten wieder ein. Diese erneute Bewusstseinseintrübung ist Folge der raumfordernden Blutung und der damit verbundenen Druckerhöhung. Schwierig wird die Beurteilung bei Verletzten mit einem Schädel-Hirn-Trauma 3. Grades, deren primäre Bewusstlosigkeit durch den Unfall unmerklich in die sekundäre Blutung übergeht. Ähnliche Schwierigkeiten bestehen bei alkoholisierten Patienten. Ein weiteres Zeichen, das den Verdacht auf eine intrakranielle raumfordernde Blutung nahe legt, ist die einseitige Pupillenerweiterung. Zu beachten sind ferner neurologische Ausfälle wie Lähmungen an der dem Hämatom entgegengesetzten Körperseite. Die Überwachung Schädel-Hirn-Verletzter hinsichtlich der Ausbildung eines intrakraniellen Hämatoms erfordert die mindestens stündlich durchzuführende Überprüfung von Puls, Blutdruck, Pupillen und Bewusstseinslage. Entsprechend ihrer anatomischen Ausbreitung und des Entstehungsmechanismus weisen die intrakraniellen Hämatome Unterschiede auf.

Epidurales Hämatom Das epidurale Hämatom liegt zwischen harter Hirnhaut und Schädelknochen (. Abb. 10.38). Es ist fast ausschließlich auf eine Verletzung der A. meningea media zurückzuführen und damit ein arterielles, sich schnell entwickelndes Hämatom. Dieses große Gefäß, das im Bereich der Schläfe die harte Hirnhaut versorgt, wird bei temporalen Frakturen leicht mitverletzt. Die temporale Schläfengegend wird dadurch zur Hauptlokalisation dieser Hämatome.

10

562

Kapitel 10 · Neurochirurgie

kPrinzip

Beseitigung der Kompressionserscheinungen durch sofortige Schädeleröffnung und Entfernung des Hämatoms sowie Blutstillung der verletzten Arterie. kLagerung

4 Rückenlage, den Kopf auf die kontralaterale Seite gedreht, in einem Kopfring oder mit den Gummipolstern einer Kopfhalterung fixiert. 4 Bei Bedarf Anlegen der Dispersionselektrode am Oberarm kInstrumentarium

Kraniotomieinstrumentarium inkl. Bohrmaschine, Standardzusatz.

10

. Abb. 10.38 Raumfordernde Wirkung eines epiduralen Hämatoms auf die Hirnstrukturen (schematisierter Längsschnitt auf Höhe von Tentoriumschlitz und Foramen occipitale magnum). 1 = lokale Wirkung auf die ipsilaterale Großhirnhemisphäre mit druckbedingter Ischämie, Verschiebung des Seitenventrikels unter die Falx cerebri zur Gegenseite. 2 = Herniation des medialen Temporallappens zwischen Tentoriumrand und Mittelhirn mit Druck- und Ischämiewirkung auf dasselbe sowie auf den gleichseitigen N. oculomotorius. 3 = Tiefertreten des ganzen Stammhirns durch supratentoriell stark erhöhten, intrakraniellen Druck, Funktionsstörung und Schädigung von Mittelhirn; später Einklemmung des tieferen Stammhirns im Foramen occipitale magnum. (Aus Siewert und Brauer 2010)

Der Verdacht auf ein epidurales Hämatom ergibt sich im Wesentlichen aus etwa 3 Verlaufssituationen: 4 Bei einem gedeckten Schädel-Hirn-Trauma kommt es zu einer sofortigen Bewusstlosigkeit, die kurze Zeit dauert; der Verletzte wird wieder wach und ansprechbar. Nach einem Zeitraum von einer bis mehreren Stunden (freies Intervall) erfolgt eine erneute Bewusstseinstrübung und Bewusstlosigkeit als Zeichen der zunehmenden Raumforderung. 4 Bei einem Schädel-Hirn-Trauma hat primär keine Bewusstlosigkeit vorgelegen, nach entsprechender Zeit setzt eine sekundäre Bewusstseinstrübung durch das anwachsende Hämatom ein. 4 Die primäre Bewusstlosigkeit nach einem SchädelHirn-Trauma hält an und wird in den folgenden Stunden zunehmend tiefer durch eine raumfordernde Blutung. Das epidurale Hämatom erfordert rasches chirurgisches Vorgehen. jEntfernung eines epiduralen Hämatoms kIndikation

Epidurales Hämatom.

OP-Verlauf: Entfernung eines epiduralen Hämatoms 5 Nach dem Team-Time-out halbrunde Inzision der Kopfschwarte über dem lokalisierten Hämatom. Die Blutstillung an den Wundrändern erfolgt z. B. am Kopfschwartenrand mit Dandy-Klemmen und am Schwartenlappen mit Raney-Clips. 5 Der Haut-Galea-Lappen wird vom Periost mit dem Messer abpräpariert und ggf. in eine feuchte Kompresse gewickelt, damit er während der Operation nicht austrocknet. Das Periost wird, ebenfalls halbrund, dort durchtrennt, wo die Trepanation geplant ist. 5 Mit einem breiten Raspatorium wird der Schädelknochen freigelegt. Bohrlöcher werden mit dem Trepanbohrer gesetzt und mit dem Kraniotom der Knochendeckel ausgesägt. Mit einem Elevatorium wird dieser angehoben, meist muss adhärente Dura noch mit einem Dissektor abpräpariert werden. 5 Blutungen aus der Spongiosa werden mit Knochenwachs gestillt. Schon beim Setzen der Bohrlöcher quillt das gestaute Blut hervor, wird abgesaugt und schafft so eine erste Druckentlastung. 5 Das Hämatom wird durch Spülung und mit dem Dissektor entfernt. Das blutende Gefäß wird aufgesucht und mit bipolarer Koagulation verschorft, mit einem Clip verschlossen und/oder mit Hämostyptikum tamponiert. 5 Zwischen Kalotte und Dura werden kleine Streifen von Fibrinschaum (Kollagenvlies o. Ä.) eingelegt, die diffuse Blutungen unter dem Trepanationsrand stillen. Sichtbare Blutungen müssen bipolar versorgt werden. 5 Die Kalottenfixation erfolgt über vorgefertigte Metallplättchen (. Abb. 10.18).

563 10.7 · Schädel-Hirn-Traumata

kPrinzip

5 Nach dem Zählen der Hirnwattetupfer und der Dokumentation der Vollzähligkeit Einlegen einer subkutanen Redon-Drainage (10–12 Charr.). Nun werden die Raney-Clips und die Dandy-Klemmen entfernt. 5 Es beginnt der schichtweise Wundverschluss. Ein zirkulärer Kopfverband beendet die Operation.

Subdurales Hämatom

Entfernung des Hämatoms, um die Hirnkompression zu beseitigen. Beim akuten Hämatom muss die Blutungsquelle versorgt werden, beim chronischen Hämatom ist die Eröffnung aller Membranen erforderlich. kLagerung

4 Rückenlage, Kopflagerung entsprechend der Lokalisation des Hämatoms seitlich auf einem Ring. 4 Bei Bedarf Dispersionselektrode an einem Oberarm. kInstrumentarium

Definition Ausgedehnte, flächenhafte Blutung im Subduralraum zwischen Dura und Arachnoidea. In diesem Spalt ist eine Ausdehnung über eine ganze Gehirnhälfte möglich.

4 Kraniotomieinstrumentarium, 4 Standardzusatz, 4 Jackson-Pratt-Drainagen in unterschiedlichen Größen. OP-Verlauf: Akutes subdurales Hämatom

5 Nach dem Team-Time-out erfolgt die Eröffnung Es sind venöse oder arterielle Blutungen aus Rindenkontusionen oder Einrissen von Sinus oder Brückenvenen, die von der Hirnoberfläche zu den Blutleitern in der harten  Hirnhaut ziehen. Bei oberflächlichen Rindenprellungsherden sind die Blutungen meist arteriell-venös gemischt; hierbei sorgt die arterielle Komponente für den weiteren akuten Verlauf. Hinsichtlich des zeitlichen Ablaufs unterscheidet man die im Folgenden beschriebenen 2 Formen.

5 5

jAkutes subdurales Hämatom

Es ist fast immer mit einer schweren Hirnkontusion verbunden und unterscheidet sich hierin vom epiduralen Hämatom. Die primäre Bewusstlosigkeit vertieft sich oder tritt nach Ablauf von Stunden erneut auf.

5

jChronisches subdurales Hämatom

Demgegenüber entwickeln sich chronische Hämatome erst in einem längeren Zeitraum von Wochen bis Monaten, gehäuft bei Patienten, die unter Antikoagulationstherapie stehen. Die wechselnde Symptomatik kann dem Bild einer Hirngeschwulst ebenso ähneln wie dem einer vaskulären Insuffizienz. Eine Sonderform des chronischen subduralen Hämatoms ist die Pachymeningeosis haemorrhagica interna, die auf einer Erkrankung der harten Hirnhaut beruht. Im Bereich der innersten Duraschicht besteht gefäßreiches Granulationsgewebe, in das es spontan oder auch bereits bei Bagatelltraumata bluten kann. Daraus können sich umschriebene und meist ausgedehnte, vielfach doppelseitige Hämatome entwickeln. jEntfernung eines subduralen Hämatoms kIndikation

Subdurales Hämatom.

5 5

des Schädels wie beim epiduralen Hämatom mit einer großzügigen halbrunden Trepanation über dem computertomographisch lokalisierten Hämatom. Die Dura wird mit einem Messerchen inzidiert und der Schnitt halbkreisförmig mit einer Duraschere erweitert. Danach wird das Hämatom durch Spülung und Saugen entfernt. Dabei muss evtl. das gequetschte Hirngewebe abgesaugt werden. Eine exakte Blutstillung erfolgt mit dem bipolaren Koagulator. Abgerissene Brückenvenen werden koaguliert, mit Clips verschlossen und/oder mit Hämostyptikum tamponiert. Besteht eine so starke Hirnschwellung, dass die Dura nicht wieder vernäht werden kann, muss eine Duraerweiterungsplastik vorgenommen werden. Der Knochendeckel bleibt wegen der bestehenden oder zu erwartenden Hirnschwellung manchmal entfernt. Bei weiter zu erwartender Hirnschwellung kann die Implantation einer Hirndruckmesssonde sinnvoll sein. In Ausnahmefällen kann der Knochendeckel tiefgefroren und bis zur Reimplantation steril gelagert werden. Nach der Entfernung der Raney- und der DandyKlemmen und dem Zählen der Hirnwatte erfolgt der übliche Wundverschluss.

10

564

Kapitel 10 · Neurochirurgie

10.7.5 OP-Verlauf: Chronisches subdurales Hämatom

5 Als kleinster, häufig ausreichender Eingriff erfolgt die Entleerung des Hämatoms über ein Bohrloch.

5 Dazu wird ein gerader Hautschnitt gelegt, die

5

5

5 5

10

10.7.4

Kopfschwarte mit einem Sperrer auseinander gehalten, das Periost inzidiert und ein Bohrloch angelegt, das evtl. mit einem Luer erweitert werden muss. Die freigelegte Dura wird mit der bipolaren Pinzette punktförmig koaguliert und dann mit einem kleinen Skalpell kreuzförmig inzidiert. Das unter Druck stehende Hämatom entleert sich. Durch das Einführen eines feuchten Nélaton-Katheters in den Subduralraum kann durch Spülung das restliche Hämatom entfernt werden. Abschließend wird eine Jackson-Pratt-Drainage eingelegt, um nachlaufende Hämatomflüssigkeit abzusaugen. Besteht eine Pachymeningeosis mit dicken Membranen und rezidivierenden Hämatomen, erfolgt die Trepanation mit Entfernung dieser Membranen. Der übliche Wundverschluss unter möglicher Zuhilfenahme eines kleinen Durapatches zum Verschluss der Durainzision beendet die Operation.

Traumatische intrakranielle, intrazerebrale Hämatome

Schädeldefekt nach osteoklastischer Trepanation

Trepanation jOsteoplastische Trepanation

Bei geplanten Operationen im frontalen, temporalen, parietalen und okzipitalen Bereich zur Entfernung von Tumoren, Angiomen oder Aneurysmen wird dem Patienten sein eigener Knochendeckel wieder angepasst, wenn am Ende der Operation keine Hirnschwellung auftritt. jOsteoklastische Trepanation

Bei frischem Schädel-Hirn-Trauma mit sichtbarer oder zu erwartender postoperativer Hirnschwellung bleibt der Knochendeckel entfernt. Nach der Trepanation wird in einer Zweitoperation eine Schädeldachplastik vorgenommen. Die Schädeldachlücken müssen aus verschiedenen Gründen verschlossen werden: 4 Jede Lücke bedeutet eine vorhandene Gefahr für das Gehirn. 4 Bei größeren Defekten können Schwankungen des intrakraniellen Druckes Ursache von Beschwerden sein. 4 Eine kosmetische Indikation gibt es bei Schädeldefekten im Gesichtsbereich.

Schädeldachplastik kIndikation

Zustand nach osteoklastischer Trepanation. Intrazerebrale Hämatome werden entweder durch Gefäßzerreißung in der Hirnsubstanz oder indirekt durch Rindenprellungsherde verursacht. Meist liegen sie im Bereich des Stirnhirns und des Schläfenhirns. Der Verlauf solcher intrazerebralen Hämatome ist uncharakteristisch. Er hängt im Wesentlichen davon ab, ob sie isoliert vorkommen oder ob noch weitere Verletzungen des Gehirns vorliegen. Klinisch sind akute subdurale Hämatome nicht von kontusionellen Schädigungen zu unterscheiden. Bei mehr chronischem Verlauf sind neben herdförmigen Ausfällen eher Symptome einer allgemeinen Hirndrucksteigerung vorhanden. Zur Therapie genügt manchmal die Bohrlochtrepanation. Die Prognose ist abhängig von der Lokalisation und Ausdehnung des Hämatoms selbst und von der zusätzlich erlittenen Hirnschädigung.

kPrinzip

Deckung des Kalottendefekts. Entweder wird der patienteneigene entfernte tiefgefrorene Knochendeckel bereitgehalten und reimplantiert, oder (heute die häufigere Möglichkeit) der Defekt wird mit einer während der Zweitoperation hergestellten Refobacin-Palacos-Platte gedeckt. Alternativ kann mittels eines Dünnschicht-CT ein passender Titandeckel angefertigt werden, oder ein PEEK-Deckel (Poly-ÄtherÄther-Keton) wird mit Kleinfragmentplatten und Schrauben (7 Kap. 3) an der Kalotte fixiert. kLagerung

4 Rückenlagerung mit entsprechend der Lokalisation des Defekts gedrehtem Kopf. 4 Der Patient liegt auf einer Wärmematte. kInstrumentarium

4 Kraniotomieinstrumentarium, 4 Standardzusatz, 4 Refobacin-Palacos, die Menge entsprechend der Größe des Defektes, 4 2,0- oder 4,5-mm-Spiralbohrer.

565 10.8 · Erkrankungen und Verletzungen des Rückenmarks, seiner Hüllen und der Wirbelsäule

OP-Verlauf: Schädeldachplastik

5 Nach dem Team-Time-out wird über die Eröffnung

5

5

5

5

10.8

des ursprünglichen Hautschnittes der Haut-GaleaLappen präpariert. Der Kraniotomiedefekt wird übersichtlich dargestellt, die nach Herstelleranweisung angerührte Refobacin-Palacos-Masse über dem Defekt einmodelliert. Zum Schutz des Gehirns liegen feuchte Hirnwattestreifen auf. Die Handschuhe werden zum Anmodellieren angefeuchtet. Das Aushärten des Knochenzements erfolgt außerhalb des OP-Gebietes, damit die Hitzeentwicklung nicht zu thermischen Schäden des Gehirns führen kann (7 Abschn. 3.4.4). Nach der Aushärtungszeit werden die Ränder der Plastik geglättet. Anschließend erfolgt die Perforation der gesamten Plastik mit einem Spiralbohrer, die die Einsprossung von Gewebe beschleunigt. Nach dem Zählen der Hirnwatte und der Dokumentation der Vollständigkeit wird die Plastik befestigt wie ein Knochendeckel (s. oben). Bei Bedarf Einlegen einer Redon-Drainage. Danach erfolgt der übliche schichtweise Wundverschluss.

Erkrankungen und Verletzungen des Rückenmarks, seiner Hüllen und der Wirbelsäule

M. Liehn, M. Brunken, M. Weißflog, A. Gudat

10.8.1

Spinale Geschwülste

Definition Alle raumfordernden Prozesse des Spinalkanals. Entweder gehen sie vom Spinalkanal selbst aus oder dringen sekundär in den Wirbelkanal ein.

Im weitesten Sinne gehören zu den spinalen Geschwülsten auch nichttumoröse raumfordernde Prozesse, wie Arachnoidalzysten, Bandscheibenvorfälle u. a. m. Entsprechend dem Aufbau der Wirbelsäule spricht man hinsichtlich der Lokalisation von zervikalen, thorakalen, lumbalen und sakralen Tumoren. Spinale Geschwülste sind im Vergleich mit Hirntumoren um ein Vielfaches seltener. Alle spinalen Geschwülste bewirken eine Kompression (Druckschädigung, Quetschung) des Rückenmarks oder der Cauda equina. Zur Differenzierung der spinalen Geschwülste nutzt man ihre Beziehung zum Rückenmark und zu seinen Häuten (. Abb. 10.39): 4 extradural = außerhalb des Durasackes, meist Karzinommetastasen, 4 intradural = innerhalb des Durasackes: 5 extramedullär = außerhalb des Rückenmarks: von den Wurzeln ausgehende Neurinome, von den Meningen ausgehende Meningeome, 5 intramedullär = innerhalb des Rückenmarks, meist Astrozytome oder Ependymome. jSymptome

Alle Prozesse, die das Rückenmark von außen komprimieren, führen zu einer zunehmenden Beeinträchtigung der Rückenmarkfunktionen, in erster Linie der Motorik, später der Blasenfunktion. Schließlich droht die Querschnittlähmung. jTherapie

Je nach Geschwulstart gibt es folgende Behandlungsformen: 4 Operation, 4 Bestrahlung und 4 Chemotherapie. Bei einigen Karzinommetastasen (Prostata, Mamma) können Hormonbehandlungen mit gegengeschlechtlichen Hormonen wie auch Kastration und Ausschaltung der Hypophyse günstig wirken. Bei den benignen Tumoren (einige Gliome, Meningeome, Neurinome, Lipome, Dermoide etc.) besteht ausschließlich die Möglichkeit einer

. Abb. 10.39a–d Lokalisation spinaler Tumoren. a Normale Verhältnisse, b extradurale Tumoren, vom Knochen ausgehend, c intradurale extramedulläre Tumoren, d intradurale, intramedulläre Tumoren. (Aus Siewert u. Brauer 2010)

10

566

Kapitel 10 · Neurochirurgie

operativen Entfernung der Geschwulst. Bei den malignen Prozessen (Sarkomen, Karzinomen u. a.) sollen Operation, Bestrahlung und Chemotherapie die therapeutische Wirksamkeit möglichst weit spannen. Im Allgemeinen sind die knochenzerstörenden spinalen Tumoren prognostisch ungünstiger zu beurteilen als die biologisch gutartigen Meningeome und Neurinome. Gliome, auch die biologisch gutartigen, sind hinsichtlich ihres Sitzes im Rückenmark prognostisch sehr zurückhaltend zu beurteilen. Kleine umschriebene Geschwülste können evtl. nach dorsaler Myotomie unter Einsatz des CO2-Lasers entfernt werden. Über mehrere Segmente reichende Gliome und die sog. Stiftgliome sind operativ schwer angehbar. Je nach Sitz droht auch beim Einsatz aller technischen Einrichtungen eine Para- oder Tetraplegie. Manchmal kann allein eine Strahlenbehandlung eine Besserung bewirken.

10.8.2

10

Spinale Gefäßmissbildungen

Es können Venektasien (pathologisch erweiterte Venen) vorliegen oder aber häufiger arteriovenöse Angiome. Meist liegen sie intradural, hier vornehmlich im Bereich  der weichen Rückenmarkhäute. Wenn sie im Rückenmark selbst liegen, werden die kaudalen Abschnitte bevorzugt. Sie sitzen vornehmlich über den Dorsalseiten des Rückenmarks und erstrecken sich über mehrere Segmente. Männer sind wesentlich häufiger betroffen als Frauen. Therapie Operation.

10.8.3

Entzündliche Erkrankungen des Spinalkanals

Unter den entzündlichen Erkrankungen des Spinalkanals, die neurochirurgisch therapiert werden, sind im Wesentlichen zu erwähnen: 4 Epiduraler Abszess: Er ist sofort zu operieren und muss entsprechend antibiotisch behandelt werden. 4 Arachnitis spinalis: Sie kann zu einer bindegewebigen Verdickung der Arachnoidea und zu Verwachsungen mit der Dura führen. Die Diagnose stützt sich auf die Vorgeschichte (Meningitis, Spondylitis, Infektionskrankheiten u. a.), den klinischen Verlauf (z. B. wechselnde neurologische Reiz- und Ausfallerscheinungen) und Liquoruntersuchungen (Eiweißerhöhung, Zellvermehrung).

10.8.4

Bandscheibenerkrankungen

Die Bandscheibe oder Zwischenwirbelscheibe (Discus intervertebralis) besteht aus einem zentralen Gallertkern (Nucleus pulposus) und einem umgebenden Faserring (Anulus fibrosus). Der Nucleus pulposus besteht aus weichem Gewebe und nimmt etwa 2/3 der Bandscheibe ein. Im jugendlichen Alter besitzt er einen hohen Wassergehalt. Vom umgebenden bindegewebigen Anulus fibrosus zusammengepresst, ist er mit einem kugelförmigen Wasserkissen zwischen den Wirbelkörpern vergleichbar. Die Bandscheibe dient als Stoßdämpfer und Polster, aber mehr noch als Gelenk des Achsenorgans Wirbelsäule. Mit zunehmendem Alter nimmt die Elastizität der Bandscheibe ab, und es kommt zum Verschleiß der Bandscheibe. Dabei handelt es sich um mechanische und stoffwechselphysiologische, altersabhängige Veränderungen in der nichtvaskularisierten Bandscheibe. Diese bilden die Voraussetzungen zum pathologischen Einreißen des Anulus fibrosus und führen zur Sequestrierung (»Vorfallen«) des Nucleus pulposus. Eine Zunahme dieser degenerativen Vorgänge in der Bandscheibe mit Elastizitätsverlust führt zu einer Lockerung im entsprechenden Bewegungsapparat (Bandscheibe, Wirbelbänder und kleine Wirbelgelenke). Die stärksten Veränderungen an den Bandscheiben mit daraus resultierenden Krankheitserscheinungen finden sich im Bereich der mittleren und unteren Halswirbelsäule sowie im Bereich der unteren Lendenwirbelsäule. Für die Entstehung eines Bandscheibenvorfalls spielt nicht nur die Druckbelastung des Nucleus pulposus eine Rolle, sondern auch die Beweglichkeit des Wirbelsäulenabschnitts. Im Bereich der Brustwirbelsäule, die durch die anhängenden Rippen wenig beweglich ist, kommen Bandscheibenvorfälle ausgesprochen selten vor. Solange der Anulus fibrosus noch intakt ist und das Gallertgewebe des Nucleus pulposus lediglich den Faserring aus dem Zwischenwirbelraum hervordrückt, spricht man von einer Protrusion (Verlagerung). Von einem Prolaps (Vorfall) wird dann gesprochen, wenn Faserring und Längsband zerrissen sind und sich Bandscheibengewebe durch die Öffnung in den Wirbelkanal quetscht. Losgelöste Bandscheibenanteile, sog. Sequester, können durch die Lücke im Faserring in den Spinalkanal hineinrutschen und wirken dort raumfordernd wie eine intraspinale Geschwulst. Hinsichtlich der Entstehung von Bandscheibenvorfällen ist bekannt, dass der Körperbau des Patienten keine Rolle spielt, und dass Männer gegenüber Frauen mit 2/3 am Krankheitsgeschehen beteiligt sind. Bereits im Kindesalter (8–15 Jahre) sind klinisch manifeste Bandscheibenschäden bekannt, auch noch im 7. und 8. Dezennium mit einem Gipfel während der mittleren Lebensjahre (30–

567 10.8 · Erkrankungen und Verletzungen des Rückenmarks, seiner Hüllen und der Wirbelsäule

50 Jahre). Welche Rolle allgemeine und berufliche Belastungen hinsichtlich der Entstehung, der Intensität und des zeitlichen Ablaufs spielen, ist unbekannt. Im Wesentlichen ist anzunehmen, dass es sich um ein anlagebedingtes Leiden handelt. Chronische Über- und Fehlbelastungen der Wirbelsäule vermögen dabei einen verschlimmernden Einfluss auszuüben. Einmalige erhebliche Gewalteinwirkung kann ebenfalls eine Verschlechterung des Grundprozesses herbeiführen, nur im Ausnahmefall hat sie eine lokale ursächliche Wirkung.

Lumbaler Bandscheibenschaden jKlinik

Die wesentlichsten klinischen Bilder sind im Folgenden dargestellt. Lumbago Meist blitzartig einschießender Kreuzschmerz,

als Folge einer Bandscheibenverschiebung (»Hexenschuss«). Mit dem Schmerz kommt es zur Verspannung und Verkrampfung der paravertebralen Muskulatur (Muskelhartspann). Diese führen wiederum zu schmerzhaft fixierter Fehlhaltung der Lendenwirbelsäule mit weitgehender Bewegungseinschränkung. Eine Rumpfbeugung ist nicht oder kaum möglich. Durch Husten, Niesen und Pressen können die Schmerzen anfallartig verstärkt werden. Ischialgie, Lumboischialgie Liegt ein Bandscheibenvorfall mehr lateral, kommt es zu einer mechanischen Irritation der in dieser Höhe austretenden Nervenwurzeln. Der Schmerz strahlt entsprechend seinem Versorgungssegment ins Bein aus. Meist liegt gleichzeitig ein Rückenschmerz vor. Lediglich bei ganz weit lateral gelegenen Vorfällen kann dieser Rückenschmerz fehlen. Sonst ist die Lendenwirbelsäule meist schmerzhaft fixiert und zeigt eine Entlastungsskoliose zur gesunden Seite. Am häufigsten betroffen sind die Zwischenwirbelräume L 4/5 und L 5/S 1. Beim Vorfall der 4. Lendenwirbelbandscheibe (zwischen dem 4. und 5. Lendenwirbel) ist die 5. Lendenwurzel betroffen. Diese bildet zusammen mit der 2., 3. und 4. Lendenwurzel und der 1. Kreuzbeinwurzel den N. ischiadicus. Der Name Ischialgie besagt also, dass es innerhalb eines Teils des Versorgungsgebietes des N. ischiadicus, nämlich des Teils, der für die 5. Lendenwurzel zuständig ist, zu radikulären Schmerzen kommt. Der sensible Wurzelanteil versorgt ein Hautareal an der Außenseite des Beins bis zur Großzehe. Bei einer Schädigung wird in diesem Dermatom einmal der mechanische Wurzelreiz, die Schmerzen, lokalisiert, und zum anderen kann man in diesem Hautbereich eine Gefühlsstörung (Hypalgesie und/oder Hypästhesie) nachweisen. Eine motorische Wurzelläsion zeigt sich in einer Störung der Zehenhebung und der Fußhebung.

Beim Vorfall der untersten, der 5. Lendenbandscheibe (zwischen dem letzten Lendenwirbel und dem Kreuzbein) wird die 1. Sakralwurzel geschädigt. Die Schmerzen strahlen mehr in die Hinterseite des Beins aus, über die Wade und Ferse bis zur Kleinzehe bzw. zum lateralen Fußrand. Entsprechend bestehen auch in diesem Bereich sensible Störungen. Der Reflexbogen für den Achillessehnenreflex läuft über die 1. Sakralwurzel, sodass der Reflexausfall auf eine Wurzelschädigung S 1 hinweist. Am Fuß werden die Zehensenkung und die Fußsenkung gestört, sodass der Zehengang behindert ist oder unmöglich wird. Wesentlich seltener kommt es zu einem Vorfall der 2. Lendenwirbelscheibe mit Schädigung der 3. Lendenwurzel oder zu einem Vorfall der 3. Lendenbandscheibe mit Beteiligung der 4. Wurzel. In letzterem Fall ist der Patellarsehnenreflex abgeschwächt oder fehlt, und motorisch ist vornehmlich der M. quadriceps betroffen. Die Schmerzausstrahlung erfolgt nur zur Vorderseite des Beins bis zum Schienbein ohne Fußbeteiligung. Verschwinden die Beinschmerzen bei bleibender Taubheit im entsprechenden Hautdermatom und bei einer kompletten Parese der entsprechenden Muskulatur, weist dies auf eine vollständige Leitungsunterbrechung der Wurzel hin. Eine sofortige Operation ist indiziert. Ein massiver medialer Bandscheibenvorfall oder ein sog. Massenprolaps kann zu einer Kompressionsschädigung der Cauda equina führen. Die Folgen sind ein kompletter oder ein partieller Ausfall aller unterhalb des Vorfalls gelegenen Nervenwurzeln mit schlaffen Lähmungen, sensiblen (Reithosensensibilitätsstörung) und vegetativen Störungen (Blasenentleerung, Defäkation, Potenz). Das Kaudasyndrom entspricht einer tiefen Querschnittlähmung und kann akut auftreten oder sich allmählich progredient oder intermittierend entwickeln. Es besteht eine absolute OP-Indikation. jDiagnostik

Die Diagnose eines Bandscheibenvorfalls stützt sich auf die typischen radikulären Schmerzen und auf die klinische Untersuchung, die die entsprechenden Ausfallerscheinungen der betroffenen Nervenwurzel zeigen soll. Der Beweis des Prolapses ist durch das MRT zu erbringen. In Zweifelsfällen kann die elektromyographische Untersuchung hilfreich sein. Differenzialdiagnostisch ist in besonderer Weise darauf zu achten, dass nichtentzündliche Wirbelaffektionen oder andere tumoröse spinale Prozesse, Polyneuropathien oder auch entzündliche und tumoröse Prozesse der Beckengegend und der Hüftgelenke, die gelegentlich ähnliche Symptome bewirken können, vorliegen.

10

568

Kapitel 10 · Neurochirurgie

Nervenwurzel noch im Duralsack komprimiert

Nervenwurzel komprimiert beim Verlassen des Spinalkanals

Diskushernie

. Abb. 10.41 Bauchlage auf Universaloperationslagerfläche 1150.30 mit Armlagerung in maximal 90° Abduktion. (Aus Krettek u. Aschemann 2005)

Duralsack

Wirbelbögen

. Abb. 10.40 Lumbale Diskushernie, die zwei Wurzeln komprimiert. (Aus Siewert u. Brauer 2010)

10

jBehandlung der lumbalen Bandscheibenvorfälle ! Konservative und operative Therapie müssen sich beim lumbalen Bandscheibenvorfall ergänzen.

Der »Teufelskreis« von Protrusion, Schmerz, Muskelverspannung und Haltungsanomalie muss durchbrochen werden. Dies kann durch Schmerzmittel, Bettruhe, Bestrahlung, Wärmeanwendung, Einreibung und Gymnastik erreicht werden. Außerdem kommen lokale Injektionen zur Anwendung (paravertebral, epidural, peridural) wie auch Moor- und Thermalbäder und z. T. komplizierte Entspannungslagerungen. Durch eine Beseitigung des Schmerzes, eine Förderung der Durchblutung und eine Entspannung der Muskulatur soll die Bandscheibe ihre normale Lage wieder einnehmen. Dies ist möglich, solange der Anulus fibrosus noch eine genügende Eigenelastizität besitzt und noch nicht völlig zerrissen ist. Chiropraktische Manipulationen sollen insbesondere der Rückführung des verschobenen Bandscheibengewebes dienen. Ist die Bandscheibe jedoch perforiert, sind konservative Maßnahmen wirkungslos. Die Indikation zur Operation eines lumbalen Bandscheibenvorfalls soll dann gestellt werden, wenn ein akutes, auch erstmaliges Wurzelkompressionssyndrom mit erheblichen neurologischen Ausfällen, wie Fußsenker-, Fußheberparesen, Oberschenkelstreckparesen, Gefühlsstörungen, einseitig, beidseitig oder kombiniert mit Blasen- und Mastdarmstörungen, als Kaudasyndrom auftreten. Diese akuten Wurzelkompressionssyndrome (. Abb. 10.40) mit mäßigen, aber typischen neurologischen Ausfällen, die mehrfach in kürzeren Abständen rezidivieren, bedürfen der unmittelbaren opera-

tiven Therapie. Bei der Operation wird nicht nur der sichtbare Vorfall entfernt, sondern auch zusätzlich das Innerste der Bandscheibe (der defekte Nucleus pulposus) soweit wie möglich ausgeräumt, um ein Rezidiv zu vermeiden. Andere operative Verfahren sind die perkutane Diskotomie, die Laserdiskotomie, die periradikuläre Therapie (PRT) oder die endoskopische Bandscheibenoperation. jBandscheibenoperation

Bei lumbalen Bandscheibenvorfällen ist der interlaminäre Zugang zur Bandscheibe die Methode der Wahl. Nur selten wird man sich zur Hemilaminektomie oder Laminektomie entschließen müssen. In der Regel werden die interlaminäre Fensterung und die Prolapsentfernung mikrochirurgisch durchgeführt. kIndikation

Diskusprolaps zwischen L 5/S 1 mit Ischialgie und Kompressionssyndrom S 1. Sitz des Prolapses ist entweder lateral, medial oder mediolateral. kPrinzip

Nach genauer Lokalisation des Vorfalls mit MRT, ggf. CT wird die Bandscheibe im Vorfallbereich inzidiert und der Gallertkern vollständig ausgeräumt und so die Spinalwurzel entlastet. Bei Anwendung der Cross-over-Technik, d. h. Freilegen des Wirbels in der Mitte, gelangt der Operateur auf beide Seiten. Dazu wird der Patient wie auch das Mikroskop vom Operateur weggekippt. Das minimiert das Weichteiltrauma. kLagerung

4 Bauchlage auf der Wilson-Bank (. Abb. 10.41) oder Seitenlage. 4 Außerhalb des OP-Gebiets sollte der Patient mit vorgewärmten Tüchern abgedeckt werden. 4 Beachtung des Strahlenschutzes.

569 10.8 · Erkrankungen und Verletzungen des Rückenmarks, seiner Hüllen und der Wirbelsäule

kInstrumentarium

4 Neurochirurgische Grundinstrumente für Laminektomie (7 Abschn. 10.2.3), 4 High-speed-Bohrmaschine mit Rosenbohrern und Diamantfräsen, 4 Standardzusatz, 4 Mikroinstrumentarium und Mikroskop.

OP-Verlauf: Operation eines Bandscheibenvorfalls

5 Nach dem Team-Time-out und der Höhenlokalisa-

5 5 5 5

5 5

5

5

5

tion mit Röntgenbildwandler wird ein medianer Hautschnitt über der Mitte zweier Dornfortsätze gelegt. Nach der Durchtrennung der Faszie entlang der Dornfortsätze mit dem Skalpell wird ein Wundspreizer eingesetzt und die Rückenmuskulatur mit dem Raspatorium an der Seite abgedrängt, auf dem der Vorfall diagnostiziert wurde. Die medialen Muskelansätze werden durchtrennt. Die Blutstillung erfolgt mit der bipolaren Pinzette und durch Kompression. Die beiden Wirbelbögen werden von der Basis der Dornfortsätze bis zum Zwischenwirbelgelenk dargestellt. Nochmalige intraoperative Höhenkontrolle unter Durchleuchtung. Evtl. muss durch das Abtragen von Anteilen der Wirbelbögen nach kranial und kaudal die Fensterung mit Stanzen erweitert werden, um die Übersicht zu verbessern. Die Darstellung der Nervenwurzel und des Duraschlauchs erfolgt mit dem Mikroinstrumentarium unter dem Mikroskop. Vorsichtig wird die betroffene Nervenwurzel mit dem feuchten Wurzelhaken nach medial verlagert und der Prolaps bzw. der Sequester mit Nervenhaken und Dissektor dargestellt. Der Sequester kann häufig in einem Stück mit der Tumorexstirpationszange entfernt werden. Liegt der Sequester subligamentär, wird das hintere Längsband mit feinem Skalpell inzidiert. Meist wird in den Zwischenwirbelraum mit Tumorfasszangen und Löffeln eingegangen. Ziel ist es, alle verschlissenen, gelösten Anteile des Nucleus auszuräumen. Nach einer Spülung mit NaCl, der sorgfältigen Blutstillung mit dem Bipolator, Hirnwatte und Hämostyptika und der Zählkontrolle werden die Faszie und die Haut genäht. Die Anlage des Verbandes beendet den Eingriff.

Der ehemalige Raum des Gallertkerns wird im Verlauf der Wundheilung zumeist bindegewebig ausgekleidet. Verglichen mit der spontan auftretenden Schädigung von Nerven und Kaudawurzeln bei abwartender Haltung sind die OP-Komplikationen gering. In weniger als 1% kommt es postoperativ zu einer blande verlaufenden, nicht bakteriellen Spondylitis, die u. a. einer längeren Ruhigstellung bedarf. Echte Rezidive an der bereits operierten Bandscheibe sind selten. Besonderes Gewicht ist auf die postoperativen Rehabilitierungsmaßnahmen zu legen. Es kommen v. a. krankengymnastische und Bäderbehandlung (Schwimmen und gezielte Bewegungsübungen) in Frage. Eine Schonzeit mit allmählich steigender Belastung ist einzuhalten.

Extraforaminaler Bandscheibenvorfall Es handelt sich um einen Bandscheibenvorfall innerhalb und außerhalb des Nervenwurzelaustrittkanals aus dem Wirbelkanal. Seine operative Behandlung erfolgt über den oberen Gelenkfortsatz, der mit einem High-speed-Bohrer aufgefräst wird. Extraforaminale Bandscheibenvorfälle werden über einen transmuskulären Zugang erreicht.

Thorakaler Bandscheibenschaden Bandscheibenerkrankungen der Brustwirbelsäule sind nicht sehr häufig. Auch der gefürchtete Massenvorfall mit medullären Ausfällen bis hin zum Querschnitt ist außerordentlich selten. Er wird wie ein sonstiger raumfordernder Prozess des thorakalen Spinalraums diagnostiziert. Je nach Lage zum Rückenmark wird die Operation über eine dorsale Laminektomie mit partieller Rippenköpfchenresektion oder einen transthorakalen Zugang operiert.

Zervikaler Bandscheibenschaden Die klinischen Bilder bei zervikalen Bandscheibenvorfällen sind zahlreich. Vorbedingung für den zervikalen Vorfall ist, wie auch in anderen Abschnitten der Wirbelsäule, die Bandscheibendegeneration. Eine viel größere Rolle spielen jedoch im zervikalen Abschnitt die Halswirbelverletzungen (Schleudertrauma) durch die andersartig ablaufenden Bewegungsmechanismen. Je nach Höhenlokalisation, mechanischer Reizung oder Schädigung nervöser Strukturen (Wurzeln, Halsmark) und Gefäße (A. vertebralis) unterscheidet man die im Folgenden beschriebenen Bandscheibenschäden. Nacken-Hinterkopf-Schmerz (Zephalgie) Vornehmlich

sind dabei die oberen Halsbandscheiben (Zervikalwirbel, C) C 2/3 und besonders C 3/4 beteiligt. Die Nackenmuskulatur ist verspannt, Kopfbewegungen sind schmerzhaft eingeschränkt mit Druckschmerz der paravertebralen Muskulatur.

10

570

Kapitel 10 · Neurochirurgie

Nacken-Arm-Schmerzen (Brachialgie ) Verspannungen der Nackenmuskulatur mit Bewegungseinschränkung des Kopfes und Zwangshaltung sind kombiniert mit einem Schulterschmerz oder einer Schmerzausstrahlung, auch Parästhesien in den Arm bis in die Finger. Dieses Krankheitsbild findet sich hauptsächlich bei Schädigungen der Bandscheibe C 5/6 und C 6/7.

Laminektomie

Foraminotomie

Vertebragener Schwindel Gleichgewichtsstörungen und Schwindel sind Begleitsymptome eines zervikalen Bandscheibenschadens. Meist wird über uncharakteristische Schwindelsensationen geklagt oder reiner Drehschwindel bei bestimmten abrupten Kopfbewegungen oder besonderen Kopfhaltungen angegeben.

10

Zervikale Myelopathie Oft handelt es sich um chronische Formen der sog. diskogenen Myelopathie (Rückenmarkschädigung) mit langsam fortschreitenden Para- und Tetraparesen und Sensibilitätsstörungen. Eventuell – jedoch keineswegs ständig – kombiniert mit Nacken-, Hinterkopfoder Arm- sowie Schulter-Arm-Schmerzen. Störungen der Blasen- und Darmfunktionen können hinzukommen. Die Markschädigung ist entweder auf eine direkte mechanische Schädigung zurückzuführen oder auf eine Drosselung der Blutzufuhr über die vordere Spinalarterie. Vornehmlich ist die Bandscheibe C 5/6 geschädigt. Nicht selten sind mehrere Bandscheiben ursächlich verantwortlich. Bei einer zervikalen Myelopathie ist es notwendig, an weitere Erkrankungen zu denken, wie Halsmarktumoren, Fehlbildungen (basiläre Impression, Arnold-Chiari-Syndrom, Densanomalien), multiple Sklerose, amyotrophe Lateralsklerose oder Syringomyelie.

anteriore Diskektomie . Abb. 10.42 Operative Zugänge zum zervikalen Rückenmark und zu den Nervenwurzeln. (Aus Siewert u. Brauer 2010)

Handeln, so ist zunächst immer die konservative Behandlung angezeigt. Auch hier sind alle Maßnahmen darauf gerichtet, durch Schmerzlinderung, Auflockerung der Muskelverspannung und Beseitigung der Haltungsanomalien die mechanischen Schädigungen der Bandscheibenverlagerungen und sekundären Wirbelveränderungen zu beheben (Analgetika, lokale Wärmeanwendung, Bäder, Bettruhe, lokale Ruhigstellung durch Schanz-Krawatte, Extensionen, lokale Injektionen und chiropraktische und krankengymnastische Behandlungen). Führen diese Maßnahmen nicht zum Erfolg, muss die Frage der Operabilität geprüft werden. Bei medullären Störungen und Wurzelschädigungen ist die Operation immer angezeigt.

jDiagnostik

Zur Sicherung der Diagnose eines zervikalen Bandscheibenvorfalls sind unbedingt erforderlich: 4 NMR oder 4 CT. Weitere Untersuchungen können die Diskographie oder manchmal noch das Myelo-CT sein. Die Darstellung der A. vertebralis dient im Wesentlichen dem Ausschluss zervikaler Gefäßtumoren. Die elektromyographische Untersuchung hat in der zervikalen Diagnostik eher größere Bedeutung als bei lumbalen Störungen. Sowohl in der Abgrenzung von Wurzelausfällen gegenüber anderen Schädigungsmöglichkeiten als auch in der Höhenlokalisation können wesentliche Informationen gewonnen werden. jTherapie

Erfordern nicht unerträgliche Schmerzzustände oder massivere neurologische Ausfälle ein schnelles chirurgisches

jOperationsmethoden

Bei erheblichen osteochondrotischen Veränderungen in mehreren Bandscheibenhöhen hat nach wie vor die Laminektomie (Entfernung der entsprechenden Wirbelbögen) ihre Bedeutung (. Abb. 10.42). Dies gilt umso mehr, wenn gleichzeitig über mehrere Segmente ein enger Spinalkanal vorliegt und das Rückenmark von ventral und dorsal bedrängt wird. Bei der Laminektomie werden in den entsprechenden Höhen Wirbelbögen entfernt. Dies ist daher eine invasive operative Maßnahme, die nur unter strenger Indikation durchgeführt werden sollte. Die instrumentelle Vorbereitung entspricht der für eine Diskotomie. Für die seltene Laminektomie selbst sollte eine Knochenschneidezange (z. B. nach Liston) bereitliegen. Ein High-speed-Fräser erleichtert die Knochenarbeit wesentlich. Häufiger kommt die Foraminotomie (. Abb. 10.42) zur Anwendung. Hierbei wird die geschädigte Nerven-

571 10.8 · Erkrankungen und Verletzungen des Rückenmarks, seiner Hüllen und der Wirbelsäule

10.8.5

. Abb. 10.43 Zwischenwirbelscheibe mit Setzinstrument (Cage). (© Fa. Intromed GmbH)

wurzel dargestellt. Der Wurzelkanal wird mit einem Rosenbohransatz im High-speed-Bohrer aufgefräst, die Nervenwurzel wird so dekomprimiert. Von diesem Zugang gelingt es, lateral gelegene freiperforierte Bandscheibenvorfälle zu entfernen bzw. lateral gelegene Randosteophyten abzutragen. Diese Operation sollte immer dann durchgeführt werden, wenn sichere radikuläre Ausfälle vorliegen. Bei vorwiegend medial gelegenen Bandscheibenvorfällen oder osteochondrotischen Knochenveränderungen in einer oder allenfalls 2 Höhen, v. a. wenn der Wirbelkanal von vorn her eingeengt ist und entsprechend das Rückenmark von vorn bedrängt ist, wird der Zugang von ventral gewählt, die ventrale Fusionsoperation. Ein standardisiertes OP-Verfahren wurde 1956 von Ralf B. Cloward entwickelt. Zahlreiche Modifizierungen erfolgten in den nächsten Jahren. Meistens wird heute die von Caspar modifizierte OP-Technik angewandt. Der Zugang zur vorderen Halswirbelsäule erfolgt zwischen dem lateral gelegenen Gefäßbündel der A. carotis und V. jugularis einerseits und der medial gelegenen Trachea und dem Ösophagus andererseits. Nach Zurückdrängen der prävertebralen Muskulatur lässt sich dann der Zwischenwirbelraum darstellen. Die unter Bildwandlerkontrolle korrekt dargestellte erkrankte Bandscheibe wird ausgeräumt, freie Bandscheibensequester werden entfernt, knöcherne Randzacken abgefräst, bis die ventrale Dura vollständig freiliegt und sich in den Zwischenwirbelraum vorwölbt. Bei diesem OP-Verfahren ist es notwendig, die der Bandscheibe benachbarten Wirbel zur besseren Stabilität der Halswirbelsäule zu verblocken. Heute werden in den Zwischenwirbelraum zumeist Cages aus Titan oder PEEK (Poly-Äther-Äther-Keton; . Abb. 10.43) eingesetzt, die eine stabile Halswirbelsäule bereits nach kurzer Zeit gewährleisten. Verschiebungen dieser Cages sind eher selten. Bei längerstreckigen Dekompressionen sollte zur Stabilisierung zusätzlich ein ventrales Platten-Schrauben-System mitbenutzt werden. Operative Eingriffe an degenerativen Knochen können Instabilitäten hervorrufen, die mit Stabilisierungsmaßnahmen wie Osteosynthesen behandelt werden müssen (7 Kap. 3).

Spinalstenose

Im Rahmen von degenerativen Wirbelsäulenveränderungen kommt es an den kleinen Wirbelgelenken zu massiven knöchernen Verdickungen. Gleichzeitig quillt das Bandgewebe auf. Besonders betroffen ist das Lig. flavum. An den Zwischenwirbelgelenken können sich, ausgehend vom Synovialgewebe, Zysten bilden. Auch Bandscheibenvorwölbungen und knöcherne Randzacken sind häufig zu beobachten. Alle diese Veränderungen führen zu einer deutlichen Verengung des Querschnitts des knöchernen Spinalkanals. Nervale Strukturen wie Rückenmark oder Spinalnerven werden so komprimiert. Nicht selten entstehen Instabilitäten in Form von Wirbelkörperverschiebungen gegeneinander, sodass der Engpass zusätzlich verstärkt wird. Die Spinalstenosen treten am häufigsten im Lumbalbereich auf, sind jedoch auch im Zervikalbereich zu finden. Eine zervikale Spinalstenose ist gekennzeichnet durch eine zunehmende Gangunsicherheit, durch Störungen in der Feinmotorik und der Tiefensensibilität. In schweren Fällen sind starke Paresen und Sensibilitätsstörungen bis zur Querschnittlähmung zu verzeichnen. Schmerzen im HWS-Bereich und in den Armen sind nicht selten. Blasenstörungen treten auf. Bei den lumbalen Spinalstenosen steht die Schmerzsymptomatik im Vordergrund, v. a. lumbale Schmerzen, die oft in beide Beine einstrahlen. Sie verstärken sich unter Belastung, sodass die Patienten nur kurze Strecken schmerzfrei gehen können (Claudicatio nervosa). Wegen der heftigen Schmerzen müssen sie dann pausieren, um erneut eine kurze Strecke gehen zu können. Oft versagen oder kribbeln die Beine unter Belastung. Die Patienten sind in der Regel gut beweglich, ein Vornüberbeugen lindert die Schmerzen. Die Patienten berichten, dass sie jedoch schmerzfrei Fahrrad fahren können. Bei höhergradigen Stenosen können auch Gefühlsstörungen und Paresen an der unteren Extremität auftreten. Seltener sind Blasen-Mastdarm-Störungen. Am häufigsten sind die Segmente L 3/4 und L 4/5 betroffen. Für die Diagnose der Spinalkanalstenose ist eine Kernspintomographie der entsprechenden Wirbelsäulenabschnitte zu fordern. Ergänzt werden kann die Diagnostik durch Funktionsaufnahmen und Computertomographie der Wirbelsäule. Eine zervikale Spinalkanalstenose wird dann operiert, wenn die oben genannten Störungen auftreten und der MRT-Befund entsprechend ist. Wird der Spinalkanal der HWS vorwiegend von dorsal eingeengt, kann er über eine Laminotomie oder Laminektomie entlastet werden. Ist die Enge durch mediale Verknöcherungen und Bandscheibenprotrusionen bedingt, werden die Bandscheibe und die

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572

Kapitel 10 · Neurochirurgie

knöchernen Randzacken von ventral her entfernt und das Segment mit einem entsprechenden Implantat versteift. Die Indikation zur Operation einer Lumbalstenose wird meist wegen einer radikulären Schmerzsymptomatik (Claudicatio nervosa) gestellt, die die Lebensqualität der Patienten erheblich beeinträchtigt.

Therapie kPrinzip

10

Ziele der Operation sind die Dekompression und Entlastung des Duraschlauches und der Nervenwurzeln. Die Lendenwirbelsäule wird an der Seite freigelegt, an der der Patient die meisten Schmerzen angibt oder an der die gravierendsten radiologischen Veränderungen zu erkennen sind. Nach Darstellung des verdickten Zwischenwirbelgelenks und der Halbbögen der Lendenwirbel des betroffenen Segments wird mit einem High-speed-Bohrer die verdickte Knochensubstanz entfernt. Das verdickte gelbe Band wird dann sichtbar und schrittweise reseziert. Das verdickte Bandgewebe kann mit der Dura verklebt sein, sodass bei der Entfernung des Bandgewebes darauf geachtet werden muss, dass keine Duraverletzung entsteht. Dann wird der Patient vom Operateur weggekippt. Mit dem Operationsmikroskop ist es jetzt möglich, über die Mittellinie zur Gegenseite zu sehen. Das degenerative Bandgewebe wird über die Mittellinie bis zur Gegenseite hin reseziert. Auch die knöchernen Veränderungen am Zwischenwirbelgelenk auf der Gegenseite werden reseziert oder weggefräst. Der Duraschlauch, der am Anfang der Operation einen deutlichen Knick oder eine deutliche Falte zeigt, verläuft nach der Dekompression wieder glatt und spannungsfrei. Manchmal erfordert eine Instabilität im operierten Segment eine zusätzliche Stabilisierung durch ein Schrauben-Stab-System und durch die Einlage von Cages in den zuvor ausgeräumten Bandscheibenraum.

10.8.6

Wirbelkörperkompressionsfrakturen

A. Gudat

Zur Reposition von Wirbelkompressionsfrakturen ist die Ballonkyphoplastie sinnvoll. Ein Ballonkatheter (z. B. Fa. Kyphon) dient zur Kompaktierung von Spongiosa und Reposition von Wirbelkörperfrakturen. Der Ballonkatheter wird im Knochen positioniert und unter Kontrolle aufgedehnt. Wenn der Ballon sich aufweitet, wird der Knochen verschoben, bis die Anatomie wiederhergestellt ist.

Kyphoplastie kPrinzip

Die Kyphoplastie ist eine minimal-invasive Methode zur Behandlung schmerzhafter und die Mobilität einschränkender Wirbelkörperbrüche. Der eingebrochene Wirbel wird durch Einspritzung eines speziellen Knochenzements wieder aufgerichtet. Es werden 2 Verfahren unterschieden: 4 Vertebroplastie: Prophylaktische Knochenzementstabilisierung von osteoporotischen Wirbelkörpern ohne Ballonaufrichtung. 4 Kyphoplastie: Knochenzementstabilisierung von frischen osteoporotisch bedingten Wirbelkörperfrakturen (1–4 Wochen alt) oder prophylaktisch bei drohenden osteoporotischen Wirbelkörperfrakturen mit Ballonaufrichtung. kIndikation

Versorgung von Wirbelkörperkompressionsfrakturen mit folgenden Ursachen: 4 primäre und sekundäre Osteoporose, 4 Knochenmetastasen, 4 multiples Myelom. kLagerung

4 Bauchlage, mit Unterstützung der Lordose durch Unterpolsterung im Thorax- und Beckenbereich des Patienten, auf einem Durchleuchtungstisch. 4 Arme werden ausgelagert; bei Versorgung im hochthorakalen Bereich Arme anlegen (Schulterblätter werden dadurch abgesenkt). 4 Einhalten der Dekubitusprophylaxe. 4 Anlegen der Neutralelektrode nach Vorschrift. 4 Bildwandler (falls möglich 2 C-Bögen). 4 Strahlenschutz für den Patienten und das Personal. kAbdeckung

4 Gemäß Abteilungsstandard. 4 Es sind lange Tücher zu verwenden, damit der C-Bogen bei Positionsveränderungen während des Eingriffes von der a.-p.-Richtung nach lateral steril bleibt. kInstrumentarium

4 4 4 4 4 4

Grundinstrumentarium, Hammer, Flachzange, Kontrastmittel, steriler Hautstift, Stichskalpell, Spezialinstrumentarium für Ballonkyphoplastie je nach Firma (z. B. Fa. Kyphon).

573 10.9 · Schädigung peripherer Nerven

10.8.7 OP-Verlauf: Kyphoplastie

5 Einrichten des oder der C-Bögen in strenger 5 5 5 5

5 5 5 5 5 5

5

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5

5 5

achsengerechten a.-p.- und lateraler Einstellung des betroffenen Wirbelkörpers. Desinfektion und sterile Abdeckung des OP-Gebiets, Team-Time-out. Markierung der Eintrittspunkte unter Röntgenkontrolle mit sterilem Hautstift. Der Zugang erfolgt in der LWS transpedikulär, in der oberen BWS extrapedikulär. Nach Festlegung der Eintrittspunkte erfolgt eine Stichinzision, durch diese wird die Biopsienadel in den Wirbelkörper unter ständiger Röntgenkontrolle eingebracht. Hierbei ist häufig ein Hammer erforderlich. Ist die korrekte Lage erreicht, wird das Stilett der Nadel entfernt und ein stumpfer Kirschner-Draht in die Kanüle und weiter in den Wirbelkörper eingeführt. Anschließend Entfernung der Biopsienadel und Einbringen des Arbeitstrokars mit Obturator über den K-Draht in Seldinger-Technik. Gleiches Vorgehen auf der gegenüberliegenden Seite. Entfernung des Obturators und Einbringen der beiden mit Kontrastmittel gefüllten Ballonkatheter in den Wirbelkörper. Füllen beider Ballons unter Beachtung des Druckund Volumenlimits (beide sind an der Druckspritze der Ballonkatheter abzulesen). Ist das Repositionsergebnis erreicht, wird der Zement vorbereitet: Zuerst wird die Flüssigkeit, dann das Pulver in den Zementmixer gegeben und solange vermischt, bis sich eine gleichmäßige, dünne Flüssigkeit gebildet hat. Dann wird der Zement in die Applikatoren gespritzt (ein Applikator hat ein Fassungsvermögen von 1,5 cm3). Ist die richtige Konsistenz des Zements erreicht (ca. 4–6 min Wartezeit nach dem Anrühren), können beide Ballonkatheter entfernt werden. Die gefüllten Applikatoren werden simultan über beide Arbeitstrokare in den Wirbelkörper gebracht und der Zement unter Verwendung eines Stößels in den Wirbelkörper appliziert. Nach korrekter Auffüllung der entstandenen Höhle im Wirbelkörper ca. 10 min warten, bis der Zement vollständig ausgehärtet ist. Alle beschriebenen Arbeitsschritte erfolgen unter ständiger Röntgenkontrolle in 2 Ebenen. Entfernung der Arbeitstrokare. Hautverschluss und Verband.

Spinale Verletzungen

M. Liehn, M. Brunken, M. Weißflog

Je nach der Ursache der Verletzung, die durch die Art der Gewalteinwirkung bedingt ist, unterscheidet man verschiedene Verletzungsformen: 4 Meist durch direkte Gewalt verursacht ist die Wirbelsäulenprellung, die Distorsion. Die dadurch ausgelösten Beschwerden und Funktionsstörungen klingen vielfach schnell ab und bedürfen keiner speziellen Therapie. 4 Durch ein Hyperflexionstrauma entsteht der klassische Wirbelkörperbruch, überwiegend im Bereich der Brustwirbelsäule, seltener auch im Bereich der Lendenwirbelsäule. Die Wirbelbögen und die Wirbelgelenke sind nicht beteiligt. Diese Wirbelkörperbrüche können mit oder ohne Bandscheibenverletzung einhergehen. 4 Bei der ausgeprägtesten Form der Wirbelsäulenverletzung kommt es, neben der immer vorhandenen Wirbelkörperfraktur, sowohl zu einer Mitbeteiligung der Bogen- und Gelenkfortsätze als auch der benachbarten Bänder und Muskeln. 4 Die folgenschwersten Wirbelsäulenverletzungen stellen die Luxationsbrüche dar; hierbei kommt es neben der Frakturierung zu Verrenkungen und Verschiebungen unterschiedlichen Ausmaßes in verschiedene Richtungen. Diese Fälle sind meist kombiniert mit einer Schädigung des Rückenmarks oder der Nervenwurzeln. 4 Wirbelluxationen ohne Fraktur finden sich fast ausschließlich im Bereich der Halswirbelsäule. Die Wirbelkörper und Gelenkfortsätze werden dabei aus ihren Verbindungen mit den benachbarten Wirbeln gerissen. Diese Luxationen sind von einer Bandscheibenzerreißung begleitet. In vielen Krankenhäusern werden die spinalen Verletzungen zusammen mit den Unfallchirurgen behandelt (7 Kap. 3).

10.9

Schädigung peripherer Nerven

Periphere Nerven sind meist gemischte Nerven, d. h. sie enthalten motorische und sensible Fasern. Infolgedessen werden Ausfälle peripherer Nerven sich immer in sensiblen und motorischen Ausfällen zeigen. Sensible Störungen machen sich als Minder-, z. T. auch als Missempfindung im Hauptversorgungsgebiet des betroffenen Nervs bemerkbar. Die Störungen von Empfindung, Schmerz, Temperatur, Tastsinn können vollständig oder teilweise sein.

10

574

Kapitel 10 · Neurochirurgie

. Tab. 10.6 Einteilung der Paresen nach Mumenthaler und Schliak

10

Grad

Kennzeichen

0

Keine Muskelaktivität Völlige Plegie

1

Sichtbare Muskelkontraktion ohne Bewegungseffekt

2

Aktive Bewegung mit Hilfestellung

3

Aktive Bewegung entgegen der Schwerkraft

4

Aktive Bewegung gegen Widerstand

5

Normale Muskelkraft

Motorische Ausfälle bei Schädigung peripherer Nerven zeigen sich durch schlaffe Paresen (Schädigung des 2. Neurons) im Gegensatz zu spastischen Lähmungen bei Schäden im Rückenmarkbereich (Schädigung des 1. Neurons). Die Schwere der Parese wird entsprechend der Muskelkraft in Schweregrade eingeteilt (. Tab. 10.6). Schädigungen peripherer Nerven betreffen neben den sensiblen und motorischen die vegetativen Fasern. Deshalb kann es zu Störungen der Durchblutung und der Trophik (Ernährung) im Versorgungsgebiet des Nervs kommen. Die klinische Diagnostik peripherer Nervenschädigung beruht auf der neurologischen Untersuchung mit Feststellung motorischer, sensibler und vegetativer Ausfälle. Dazu kommen die Elektromyographie und die Elektroneurographie.

10.9.1

Traumatische Schädigungen

Die häufigste Ursache für ein neurochirurgisches Eingreifen ist die traumatische Schädigung.

Der Erfolg einer notwendigen Nervennaht (s. unten) hängt entscheidend von verschiedenen Faktoren ab. Die Reinnervation des distalen Abschnitts und der zugehörigen Muskulatur ist zeitlich begrenzt. Sind die Wundverhältnisse frisch und ohne Verschmutzung, sind günstige Verhältnisse für eine Nervennaht gegeben. Zerstörende Umbauprozesse beginnen schon kurz nach der Verletzung nicht nur im distalen, sondern auch im proximal der Verletzungsstelle gelegenen Nervenabschnitt. Dies sind: 4 Distaler Abschnitt → Untergang von Achsenzylinder und Markscheide der Nervenfaser. 4 Proximaler Abschnitt → Neurombildung. Jenseits des ersten Jahres nach der Verletzung ist eine erfolgreiche Nervennaht nur noch in 25% gegeben. Die Wachstumsgeschwindigkeit des proximalen Axons, z. B. nach einer Nervennaht, ist unterschiedlich und beträgt ca. 1 mm/Tag. Zu den traumatischen Schädigungen gehören auch 4 iatrogene Einwirkungen, wie z. B. Injektionsschäden, unsachgemäße OP-Lagerungen, Radialislähmung nach Frakturreposition, fehlerhafte Gipspolsterung. 4 Im weiteren Sinne auch chronische Druckläsionen.

10.9.2

Schädigung aufgrund degenerativer Veränderungen

Ulnarisrinnensyndrom Schädigung des N. ulnaris im Bereich des Ellbogens, der dort besonders oberflächlich und somit schädigungsanfällig in einer Knochenrinne (»Musikantenknochen») liegt. Therapie Es besteht die Möglichkeit einer operativen Vorverlagerung des Nervs in die Ellenbeuge (7 Abschn. 3.7, Handchirurgie).

Definition Unter einer traumatischen Schädigung werden alle von außen auf den Nerv einwirkenden Kräfte verstanden, die eine mechanische, physikalische oder direkte Schädigung hervorrufen, z. B. Arbeits- und Verkehrsunfälle mit vollständiger oder unvollständiger Durchtrennung eines Nervs.

Teildurchtrennung von Nerven kann zu einer Neurombildung führen. Als therapeutische Maßnahmen sind dann die interfaszikuläre Neurolyse und die Neuromentfernung mit gleichzeitiger Nervennaht (s. unten) angezeigt. Eine totale Nervendurchtrennung führt zum vollständigen Ausfall der sensiblen, motorischen und vegetativen Versorgung im Ausbreitungsgebiet des durchtrennten Nervs.

Karpaltunnelsyndrom Schädigung des N. medianus im Handgelenk unterhalb des Lig. carpi transversum. Dieses Syndrom ist charakterisiert durch typische Schmerzen im Ausbreitungsbereich des Nervs an der Hand, die meist nachts auftreten. Des Weiteren sind sensible Störungen im Versorgungsgebiet und Atrophie des Daumenballens typisch. Therapie Die Therapie besteht in der offenen oder endoskopischen Durchtrennung des Lig. carpi transversum (7 Abschn. 3.7).

Skalenussyndrom An der Stelle, an der der Plexus brachialis durch die Lücke zwischen den Mm. scaleni und der I. Rippe tritt, kann er

575 Literatur

infolge einer Einengung dieser Lücke, häufig durch eine Halsrippe, irritiert sein.

einzelnen Nervenfaserbündel. Sie wird angewendet, wenn es zu Narbenbildung im Epineurium gekommen ist.

Therapie Wenn die konservative Therapie nicht zum Erfolg führt, kann der M. scalenus anterior an seinem Ansatz an der I. Rippe durchtrennt und ggf. die Halsrippe entfernt werden.

Nervennaht

Supinatortunnelsyndrom Der N. radialis kann am proximalen Ende des Unterarms in dem Bereich, wo er durch den M. supinator hindurchtritt, teils durch narbige Veränderungen, teils durch Tumoren (Lipome) geschädigt werden. Therapie Die operative Therapie besteht in einer Teildurchtrennung des M. supinator oberhalb des N. radialis profundus (7 Abschn. 3.7).

Tarsaltunnelsyndrom Durch eine Kompression des N. tibialis im Bereich des Innenknöchels kommt es zu einem Engpasssyndrom, das zu einer Gefühlsstörung am lateralen Fußrand führt, sowie zu distalen Tibialisparesen mit Krallenzehenstellung. Therapie Die Therapie besteht in der Spaltung des Retinakulums der Mm. flexorum (Lig. laciniatum).

10.9.3

Tumoren des peripheren Nervensystems

Bei diesen Tumoren müssen diejenigen, die von außen auf den Nerv einwirken, von den echten Nerventumoren abgegrenzt werden. Tumoren, die von außen einwirken, sind v. a. Metastasen, das Boeck-Sarkoid, Lymphdrüsentumoren, Lipome, Zysten, Fibrome und Ganglien. Zu den eigentlichen Nerventumoren gehören: 4 mesodermale Geschwülste: Fibrome, Fibrosarkome, Hämangiosarkome; 4 neuroektodermale Geschwülste: Neurinome, Neurofibrome, Neurofibromatosis Recklinghausen, Glomustumoren.

10.9.4

Operative Eingriffe an peripheren Nerven

Neurolyse Bei der Neurolyse wird ein Nerv aus seiner Umgebung gelöst. Dieser Eingriff wird v. a. bei indirekten Schädigungen peripherer Nerven durchgeführt. Unter der interfaszikulären Neurolyse versteht man die Freipräparierung der

Ist es zu einer vollständigen Durchtrennung des Nervs gekommen, ist die Nervennaht zur Kontinuitätswiederherstellung und zur Aussprossung proximaler Nervenfasern nach distal hin notwendig. Wichtig ist, dass die Verbindung der beiden Nervenenden spannungsfrei erfolgt. Dazu ist meist ein autologes Nerventransplantat, z. B. des N. suralis (Wadennerv), erforderlich. Die Vereinigung der verschiedenen Nervenstücke erfolgt unter dem OP-Mikroskop (7 Abschn. 10.2.4 und 7 Abschn. 10.2.5).

Literatur Appell HJ, Steng-Voss C (2008) Funktionelle Anatomie, 4. Aufl. Springer, Berlin Heidelberg New York Brunken M, Russel A, Fliedner E (1998) Endoskopische Ventrikulozisternostomie bei Verschlußhydrocephalus: die Alternative zum Ventil. Hamburg Ärztebl 4: 118–122 Krettek CH, Aschemann D (2005) Lagerungstechniken im OP-Bereich. Springer, Berlin Heidelberg New York Liehn M, Richter H, Kasakov L (2014) OTA-Lehrbuch. Springer, Berlin Heidelberg New York Liehn M, Schlautmann H (2013) 1×1 der chirurgischen Instrumente: Benennen. Erkennen. Instrumentieren, 2. Aufl. Springer, Berlin Heidelberg New York Pschyrembel (2014) Klinisches Wörterbuch, Buch & CD-Rom, 266. Auflage. de Gruyter, Berlin Schiebler TH, Schmid W (Hrsg) (2003) Anatomie, Zytologie, Histologie, Entwicklungsgeschichte, makroskopische und mikroskopische Anatomie des Menschen. Unter Berücksichtigung des Gegenstandskatalogs, 8. Aufl. Springer, Berlin Heidelberg New York Schiebler TH, Korf H-W (Hrsg) (2007) Anatomie, Zytologie, Histologie, Entwicklungsgeschichte, makroskopische und mikroskopische Anatomie des Menschen. Unter Berücksichtigung des Gegenstandskatalogs, 10. Aufl. Steinkopff, Darmstadt Siewert JR (Hrsg) (2001) Chirurgie, 7. Aufl. Springer, Berlin Heidelberg New York Siewert JR, Brauer RB (2010) Basiswissen Chirurgie, 2. Aufl. Springer, Berlin Heidelberg New York

10

577

Mund-Kiefer-Gesichts-Chirurgie B. Lengersdorf, I. Giersdorf, M. Liehn, G. Nehse

11.1 Überblick über das Fachgebiet Mund-, Kieferund Gesichtschirurgie – 578 11.2 Frakturen und ihre Versorgung

– 581

11.3 Tumor- und rekonstruktive Chirurgie 11.4 Weichteilchirurgie des Gesichtes 11.5 Mikrochirurgie

– 585

– 586

11.6 Chirurgische Kieferorthopädie 11.7 Lippen-Kiefer-Gaumen-Spalten Literatur

– 584

– 587 – 589

– 592

M. Liehn et al. (Hrsg.), OP-Handbuch, DOI 10.1007/978-3-662-49281-9_11, © Springer-Verlag Berlin Heidelberg 2016

11

578

Kapitel 11 · Mund-Kiefer-Gesichts-Chirurgie

11.1

Überblick über das Fachgebiet Mund-, Kiefer- und Gesichtschirurgie

Die Mund-, Kiefer- und Gesichtschirurgie ist ein relativ junges eigenständiges Fachgebiet. Sie befasst sich mit Erkrankungen der Weichteile des Gesichts sowie der Gesichtsschädelknochen. Ziel der therapeutischen Bestrebungen ist stets die Wiederherstellung der Funktion, der Form und der Ästhetik. Die Erkrankungen werden in Abhängigkeit ihres Entstehens in die in der Übersicht zusammengefassten Bereiche unterteilt. Disziplinen der Mund-, Kiefer- und Gesichtschirurgie

11

5 Traumatologie (einschließlich Chirurgie von in Fehlstellung verheilten Frakturen) 5 Tumorchirurgie 5 Operationen nach kieferorthopädischen Behandlungen (Dysgnathieoperationen) 5 Kiefergelenkchirurgie 5 Septische Chirurgie 5 Chirurgie der Speicheldrüsen 5 Chirurgie der Nasennebenhöhlen 5 Dentoalveoläre Chirurgie und Implantologie 5 Präprothetische Chirurgie 5 Plastisch-rekonstruktive Eingriffe (inkl. mikrochirurgischem Gewebetransfer) 5 Fehlbildungschirurgie 5 Ästhetische Chirurgie 5 Behandlung von kraniomandibulären Dysfunktionen 5 Behandlung akuter und chronischer Schmerzerkrankungen

Die folgenden Darlegungen konzentrieren sich bewusst auf Diagnosen, die in der MKG-Chirurgie häufig auftreten und beim Pflegepersonal im Operationssaal hinsichtlich einer effizienten Mitarbeit spezifische Kenntnisse voraussetzen. Auf die Assistenz bei der Behandlung weiterer MKGchirurgischer Krankheitsbilder wurde nicht ausführlich eingegangen, da sie lediglich Grundkenntnisse im Instrumentieren erfordern (z. B. Abszesseröffnungen, Zahnentfernungen, Behandlungen von Speicheldrüsen oder Kieferhöhlen, Entnahme von Beckenkammtransplantaten, Spalthauttransplantationen). Die Beschreibung allgemeiner chirurgischer Prinzipien erfolgte bereits in den vorangegangenen Kapiteln.

11.1.1

Aufgaben der Operationspflegekraft

Die Aufgaben und Anforderungen an die OP-Pflegekraft/ OTA sind im Fachgebiet der MKG-Chirurgie sehr vielfältig. Das OP-Personal benötigt Kenntnisse des umfangreichen Instrumentariums und dessen Bedeutung sowie Kenntnisse der Prinzipien der Allgemeinchirurgie, Gefäßchirurgie, Traumatologie und der Neurochirurgie. Auch die besonderen Aspekte der Mikrochirurgie müssen berücksichtigt werden (7 Kap. 10).

Abdeckung Das Vorgehen bei der Abdeckung des mund-, kiefer-, gesichtschirurgischen Patienten richtet sich nach dem vorgesehenen Eingriff. Bei ausschließlich am Kopf vorgenommenen Operationen wird zunächst die untere Körperhälfte abgedeckt. Es folgt die Abdeckung der Seiten einschließlich der Ohren und abschließend die Abdeckung in der Stirnregion. In einigen Kliniken wird vor der beschriebenen Vorgehensweise der behaarte Anteil des Kopfes mit zwei sterilen Dreieckstüchern versorgt. In der Mund-, Kiefer- und Gesichtschirurgie bestehen mitunter klinische Situationen, die ein Abweichen vom gewohnten Vorgehen verlangen. So muss dem Chirurgen bisweilen die Sicht auf Regionen ermöglicht werden, in denen nicht unmittelbar operiert wird. Zum Beispiel erfordert die Kontrolle der Nervenfunktion bei Eingriffen an der Ohrspeicheldrüse (sofern kein Fazialismonitoring erfolgt) freie Sicht auf das gesamte Gesicht. Gleiches gilt für ästhetische Eingriffe. Der Operateur orientiert sich bei diesen Operationen an der Situation auf der Gegenseite, die aus diesem Grund nicht abgedeckt werden darf. Eine besondere Herausforderung für die instrumentierende Pflegekraft stellen zeitgleiche Eingriffe in zwei Regionen dar (z. B. bei einer Kieferkammerhöhung durch ein Beckenknochentransplantat). Die unterschiedlichen Operationsgebiete sind durch die Abdeckung zu trennen. ! Am Becken muss steril vorgegangen werden. Im Mund hingegen ist Keimfreiheit nie zu erreichen. Auch eine Vermengung der den Operationsgebieten zugeordneten Instrumente ist zu vermeiden.

11.1.2

Instrumentarium

Neben den schon bekannten Grundinstrumentarien werden in der MKG-Chirurgie Spezialinstrumente verwendet. Häufig sind die Instrumente aus der Allgemeinchirurgie, der Traumatologie oder der Gefäßchirurgie bekannt. Dem klinischen Aspekt Rechnung tragend, wurden sie jedoch kleiner und zarter gestaltet.

579 11.1 · Überblick über das Fachgebiet Mund-, Kiefer- und Gesichtschirurgie

11.2

11.1

11.4

11.5

. Abb. 11.1 Zungenfasszange nach Collin. (© Fa. Martin) . Abb. 11.2 Mundsperrer nach Denhart. (© Fa. Martin) . Abb. 11.3a–c Mundsperrer nach Kilner-Doughty. (© Fa. Martin) . Abb. 11.4 Zungendrücker nach Tobold. (© Fa. Martin) 11.3

Um in der Mundhöhle problemlos arbeiten zu können, werden selbsthaltende Sperrer verwendet. Ein seitliches Einsetzen der Sperrer sichert eine konstante Mundöffnung. In Kombination mit einem Zungendrücker gelingt gleichzeitig die Verdrängung der Zunge aus dem Operationsgebiet. Sollte die Position der Zunge intraoperativ mehrfach zu verändern sein, erscheinen eine Haltenaht durch die Zunge oder die Zungenfasszange nach Collin (. Abb. 11.1) hilfreich. Der Denhart-Mundsperrer (. Abb. 11.2) wird seitlich in den geöffneten Mund eingeführt, mit seinen Branchen im Seitenzahngebiet des Ober- und Unterkiefers aufgesetzt und langsam geöffnet. Dieses Vorgehen setzt jedoch ausreichend bezahnte Kiefer voraus. Als Alternative stehen für den zahnlosen Kiefer beispielsweise Mundkeile unterschiedlicher Größe aus Silikon zur Verfügung.

. Abb. 11.5a, b Gerader Zungenspatel. (© Fa. Martin)

Der Mundsperrer nach Heister erlaubt die Übertragung starker Kräfte zur Vergrößerung der Mundöffnung. Die Distanz zwischen seinen Branchen sollte äußerst behutsam vergrößert werden, da ein forsches Vorgehen den Unterkiefer frakturieren kann. Der Mundsperrer nach Kilner-Doughty (. Abb. 11.3) ermöglicht es, dorsal am Gaumen und am Rachen zu arbeiten. Er besitzt auswechselbare, unterschiedlich große Spatel. Die Rinne in der Valve gestattet die Platzierung und die Fixation des Tubus nach oraler Intubation. Zungendrücker verlagern die Zunge in die gewünschte Region. Der Zungendrücker nach Tobold (. Abb. 11.4) besitzt eine quer geriefelte Auflagefläche, die ein Abgleiten von der feuchten Zunge vermeidet. Gerade und perforierte Zungenspatel dienen der Beurteilung der Zungenoberfläche (. Abb. 11.5). Für eine kurze Inspektion des oralen Situs sind sie hervorragend geeignet.

11

580

Kapitel 11 · Mund-Kiefer-Gesichts-Chirurgie

a

b

c b

a

11.6

11.7

Bohrhülse

Trokar

11.8

. Abb. 11.6a, b Raspatorium nach Obwegeser. (© Fa. Martin) . Abb. 11.7a–c Transbukkale Bohrhülse mit Schraubendreher. (© Fa. Mondeal)

11

. Abb. 11.8 Tamponstopfer nach Luniatschek. (© Fa. Martin)

Instrumente in der mund-, kieferund gesichtschirurgischen Traumatologie Das traumatologische Grundinstrumentarium und Osteosynthesematerialien wurden im Wesentlichen in 7 Kap. 3 vorgestellt. In der Mund-, Kiefer- und Gesichtschirurgie vermeiden feine Pinzetten die Quetschung von Wundrändern. Der Dissektor nach Freer (7 Abb. 12.23) und das feine, gebogene Raspatorium nach Partsch erleichtern die Lösung des Periosts vom Knochen. Das Raspatorium nach Obwegeser (. Abb. 11.6) zeichnet sich durch eine spezielle Biegung aus, die es erlaubt, den Unterkiefer im unteren Randbereich von seinem Periost zu befreien. Das in der Mund-, Kiefer- und Gesichtschirurgie am häufigsten verwendete Osteosynthesematerial entspricht in etwa der Größe des bekannten Kleinfragmentinstrumentariums (7 Kap. 3). Es werden Mini- und Mikroplatten unterschieden. Die Schrauben besitzen in der Regel ein selbstschneidendes Gewinde. Die Implantate bestehen meist aus Titan. Die Notwendigkeit einer Entfernung des Osteosynthesematerials wird von Mund-, Kiefer- und Gesichtschirurgen nach wie vor diskutiert. Der operative Zugangsweg wird in Abhängigkeit von der Lokalisation der Verletzung, dem Ausmaß der Schwellung und von möglicherweise bereits bestehenden Wunden gewählt. Sofern es möglich erscheint, erfolgt die

Osteosynthese über einen intraoralen Zugangsweg. Insbesondere im Bereich des aufsteigenden Unterkieferastes gelingt dies nur durch die Verwendung eines 90°-Winkelbohrers und Schraubendrehers bzw. mit einer speziellen transbukkal einzusetzenden Zielbohrhülse (. Abb. 11.7). Zur Anpassung von drahtfixierten Schienungen werden ebenfalls spezielle Instrumente verwendet: Flachzange, Spitzzange, Dreipunktzange nach Aderer, Tamponstopfer nach Luniatschek (. Abb. 11.8), Drahtschere, Seitenschneider. Der Tamponstopfer nach Luniatschek ermöglicht eine sichere Führung des Drahts in die gewünschte Position. Des Weiteren ist im Zusammenhang mit Schienungen auf die Notwendigkeit von Grundkenntnissen im Umgang mit Kunststoff hinzuweisen. ! Funktionelle und ästhetische Aspekte sind in der Gesichtschirurgie oberstes Gebot. Das bedeutet, dass Instrumentarium und verwendetes Nahtmaterial atraumatisch und fein sein müssen, um Korrekturoperationen zu vermeiden.

Instrumente der chirurgischen Kieferorthopädie Fehlentwicklungen oder Deformitäten der Kieferbasen mit gestörter Okklusion (z. B. Progenie) können durch

581 11.2 · Frakturen und ihre Versorgung

Umstellungsosteotomien operativ korrigiert werden. Nach Osteotomien im Unter- und/oder Oberkiefer werden einzelne Knochensegmente oder ganze Kieferabschnitte mobilisiert, verschoben und in der korrigierten Position mit Osteosynthesematerialien (7 Kap. 3, 7 Abschn. 11.6) stabilisiert. Um die Kiefersegmente voneinander zu trennen, eignen sich gerade oder gebogene Osteotome in verschiedenen Breiten. Nach der Positionierung des Meißels in der gewünschten Osteotomieregion erfolgt die Kraftübertragung unter Verwendung eines Hammers. Mitunter erfordert die klinische Situation auch die Verwendung einer oszillierenden Säge oder eines Piezo-Gerätes, das mit Hilfe von Ultraschall Knochen schneidet oder Zahnwurzeln aufbereitet. Die Ultraschallknochenbearbeitung beugt Weichteil-, Nerven- und Gefäßverletzungen vor. Eine Übersicht über die verwendeten Instrumente findet sich in 7 Abschn. 11.6.

11.2

Frakturen und ihre Versorgung

MKG-Chirurgen versorgen sämtliche Frakturen des Gesichtsschädels. Insbesondere Kombinations- oder Mehrfragmentfrakturen stellen schwere Verletzungen dar und bedürfen in der Regel einer primären Therapie.

11.2.1

Diagnostik

Nach dem Erfragen des Unfallhergangs erfolgt die klinische Untersuchung. Die Inspektion prüft das Vorhandensein von Wunden, Hämatomen, Austritt von Blut oder klarer Flüssigkeit (Liquorrhö) aus der Nase und Asymmetrien. Eine Schwellung im Augenbereich kann gelegentlich so stark ausgebildet sein, dass die Lider sich nicht mehr aktiv öffnen lassen und eine Beurteilung der Augen nur noch dem Geübten gelingt. Die anschließende Palpation kann Verhärtungen, abnorme Mobilitäten, knöcherne Stufen oder Fremdkörper eruieren. Wesentlicher Bestandteil einer mund-, kiefer-, gesichtschirurgischen Untersuchung ist die Überprüfung der Okklusion (Situation des Zusammenbisses der Kiefer), da Störungen häufig Folge einer Fraktur sind. Die Augen sollten bezüglich des Visus und der Bulbusmobilität untersucht werden. Bei Verdacht auf eine traumatisch bedingte Visusverminderung oder eine Bulbusverletzung muss eine augenärztliche Vorstellung erfolgen. Sensibilitätsstörungen können ein erster Hinweis auf eine Nervenläsion sein. Besteht Frakturverdacht, ist eine radiologische Diagnostik indiziert. Der Bruch eines bezahnten Kiefers, bei dem sich ein Zahn im Bruchspalt befindet, gilt immer als offene Fraktur,

da eine Verbindung über die Zahnalveole zur Mundhöhle besteht. Deshalb sollten Patienten mit diesen Frakturen unverzüglich ein Antibiotikum erhalten.

11.2.2

Unterkieferfrakturen

Etwa 50% aller Frakturen im Gesichtsbereich betreffen den Unterkiefer. Sie treten an unterschiedlichen Lokalisationen auf: 4 im Kieferwinkelbereich (hier häufig mit Beteiligung des Weisheitszahnes), 4 im Bereich des horizontalen Unterkieferastes, 4 am Muskelfortsatz oder 4 im Gelenkbereich. Behandlungsziel ist die primäre knöcherne Bruchheilung mit Wiederherstellung einer ungestörten Funktion. Voraussetzung dafür ist die Ruhigstellung der Knochenfragmente in anatomischer Position, die nach konservativen oder operativen Prinzipien erfolgen kann. Die Therapie ist somit vom Verletzungsmuster, vom Dislokationsgrad der Knochenfragmente und vom Zahnstatus des Patienten abhängig. Aufgrund der Weiterentwicklung von Osteosyntheseverfahren und des verwendeten Instrumentariums rückt die konservative Frakturbehandlung immer mehr in den Hintergrund.

Konservative Versorgung von Unterkieferfrakturen kIndikation

4 Nicht oder gering dislozierte Unterkieferfraktur im Bereich des Collums (Gelenkfortsatz) oder des Gelenks, 4 Frakturen des Muskelfortsatzes, 4 selten: nicht dislozierte Unterkieferkorpusfrakturen. kPrinzip

Ruhigstellung des Unterkiefers durch Einbinden zahngetragender Metallschienen (. Abb. 11.9) im Ober- und Unterkiefer und mandibulomaxillärer Fixation durch Gummi- oder Drahtschlingen (früher wurde der Begriff »intermaxillär« verwendet, er erklärt die Abkürzung IMF)

. Abb. 11.9 Drahtbogenschiene mit Quersprossen

11

582

Kapitel 11 · Mund-Kiefer-Gesichts-Chirurgie

4 4 4 4 4 4

Draht- oder Gummischlingen zur IMF, Anrührspatel, Kunststoff, 2 Dappengläser zum Anrühren des Kunststoffes, 5-ml-Spritze, Sauger. Konservative Versorgung einer Unterkieferfraktur

5 Der Patient wird mit einem wasserundurchlässigen Tuch abgedeckt.

5 Die Sprossenschienen werden derart vorgebogen, . Abb. 11.10 Drahtbogenschiene am Unterkiefermodell

11

in habitueller Okklusion. Voraussetzung dafür sind ausreichend zahntragende Kiefer. Diese Schienen werden an den Kiefer angepasst und mit Drahtligaturen an den Zähnen fixiert (. Abb. 11.10). Um einen sicheren Sitz zu erreichen, Kraftwirkungen auf die Zähne zu reduzieren und Weichteilverletzungen zu vermeiden, wird die Schiene abschließend mit einer Kunststoffschicht bedeckt (SchuchardtSchiene). Bei zahnlosen Patienten erfolgt die mandibulomaxilläre Fixation nach Eingliederung des Zahnersatzes über im Kiefer fixierte Schrauben (IMF-Schrauben) und Drahtligaturen.

5

5

kLagerung

4 Nasal intubierte Patienten liegen auf dem Rücken. 4 Patienten, die in Lokalanästhesie behandelt werden, sitzen (z.B. im Zahnarztbehandlungsstuhl). Da dieser Eingriff nicht unter sterilen Kautelen erfolgen kann, ist eine großflächige Desinfektion und Abdeckung des Patienten nicht erforderlich.

5

! Die Verwendung von Kunststoff setzt voraus, dass der Patient mit einem wasserundurchlässigen Tuch geschützt wird.

5

dass sie an der Außenfläche der Zähne platziert werden können (labial und bukkal). Die mittlere lange Quersprosse, die zur Schneidezahnkante zeigt, wird über die Zahnkante gebogen, sodass die Schiene bei der Einbindung nicht in Richtung Gingiva verrutschen kann. Die übrigen Quersprossen zeigen zur Gingiva. Die Schiene wird anschließend in der gewünschten Position gehalten und mit einzeln um die Zähne gelegten Cerclagedrähten am Kiefer fixiert, diese Ligaturen heißen »Ernst-Ligaturen«. Die verzwirbelten Drahtenden werden mit der Drahtschere gekürzt und mit der Spitzzange umgebogen. In einem Dappenglas (kleines Anrührglas) wird der Kunststoff angerührt, in eine Einmalspritze gefüllt und langsam auf die Schiene mit den Drahtenden appliziert. Nach der Aushärtung erhöht der Kunststoff die Sitzfestigkeit, reduziert die Kraftwirkung der Schiene auf die einzelnen Zähne und schützt die Weichteile vor Verletzungen durch die spitzen Drähte. Abschließend werden die auf der Kaufläche befindlichen Sprossen abgeschnitten und die Okklusion geprüft. Nach der Säuberung der Mundhöhle erfolgt die mandibulomaxilläre Fixation mit Gummischlingen oder mit Drahtligaturen.

kInstrumentarium

4 4 4 4 4 4 4 4 4 4

Wangenhalter, Langenbeck-Haken, Zungenspatel oder Zahnarztspiegel, 2 Drahtbogenschienen, die mit Quersprossen versehen sind, Drahtcerclagedrähte (ca. 0,3–0,4 mm), Seitenschneider, Flachzange, Spitzzange, Drahtschere, Tamponstopfer nach Luniatschek,

Operative Versorgung von Unterkieferfrakturen (Osteosynthese) Die Osteosynthese erfolgt vorzugsweise von intraoral, gelegentlich ist ein extraoraler Zugang notwendig. Je nach Lokalisation kommen Winkelschrauber oder das transbukkale Instrumentarium zur Anwendung. In der Regel werden Kleinfragmentplatten verwendet. Der Reposition der Fragmente folgen eine Anpassung der gewählten Platte und die monokortikale Fixierung der Platte mit Minischrauben. Dabei werden die bruchspaltnahen Schraubenlöcher zuerst besetzt.

583 11.2 · Frakturen und ihre Versorgung

a

Le Fort I

b

c

. Abb. 11.11a–c Le Fort-Einteilung der Mittelgesichtsfrakturen. a LeFort I, b LeFort II, c Le Fort III. (Boenninghaus u. Lenarz 2001/2012)

Bei der Platzierung der Osteosyntheseplatten ist der Verlauf des N. alveolaris inferior (III. Trigeminusast) und die Lokalisation der Zahnwurzeln zu beachten. Lediglich im Kiefergelenkbereich erfolgt die Stabilisierung der Knochenfragmente bis auf wenige Ausnahmen mit Schrauben. Hilfreich für eine Unterkieferosteosynthese bei bezahnten Patienten ist eine vorangegangene mandibulomaxilläre Fixation zur exakten Einstellung der Okklusion. Diese kann über Schuchardt-Schienen, IMF-Schrauben oder Ernst-Ligaturen (s. oben) erfolgen.

11.2.3

Frakturen des Mittelgesichtes

Frakturen des Mittelgesichts beinhalten Jochbein-, Jochbogen-, Oberkiefer-, Nasen-, Nasennebenhöhlenwandund Orbitawandfrakturen. René Le Fort (Chirurg, Lille, 1869–1951) stellte im Jahr 1901 eine Einteilung in drei typische, nach ihm benannte Frakturlinien vor (. Abb. 11.11 und . Tab. 11.1).

Versorgung von Mittelgesichtsfrakturen Es wird die konservative Vorgehensweise von einer operativen unterschieden.

. Tab. 11.1 Einteilung der Frakturen des Gesichtsschädels nach Le Fort Le Fort-Grad

Kennzeichen

Le Fort I

Basale Absprengung des Oberkiefers

Le Fort II

Absprengung des gesamten Oberkiefers mit der knöchernen Nase

Le Fort III

Absprengung des gesamten knöchernen Mittelgesichtes

kIndikation für eine operative Versorgung

Dislozierte Frakturen, die Funktionen beeinträchtigen (z. B. die Kaufunktion, das Sehen, die Vermittlung von Gefühl) oder das Erscheinungsbild störend verändern (z. B. deutlich asymmetrische Gesichtskontur). kPrinzip der operativen Vorgehensweise

Reposition der Gesichtsknochen und, sofern erforderlich, Fixation des Repositionsergebnisses durch eine Osteosynthese. Mitunter ist zur Sicherung der Okklusion vorher eine mandibulomaxilläre Fixation notwendig. Auch hier findet die Miniplattenosteosynthese Anwendung. Wenn der Zustand des Patienten eine zeitaufwendige Miniplattenosteosynthese nicht zulässt, kann durch eine kraniofaziale oder zygomatikomaxilläre Drahtaufhängung zunächst eine ausreichende Stabilität erreicht werden. Hierbei wird nach einer OberkieferUnterkiefer-Schienung mit mandibulomaxillärer Fixation der Oberkiefer durch eine Drahtschlinge am nächstgelegenen stabilen Gesichtsschädelknochen aufgehängt. Dies ist meist der Jochbogen oder der lateroorbitale Pfeiler.

Operative Versorgung von Jochbeinfrakturen Bei 1/4 aller Mittelgesichtsfrakturen ist das Jochbein betroffen. Die klinische Untersuchung ergibt häufig eine Stufe lateroorbital oder am Infraorbitalrand. Der Patient berichtet mitunter über eine Sensibilitätsstörung im Bereich der Wange durch Läsion des N. infraorbitalis. ! Da eine Jochbeinfraktur in der Regel den Orbitaboden einbezieht, sollte präoperativ eine Augenuntersuchung erfolgen. Neben der Bewertung des direkten Bulbustraumas sind präoperativ bestehende Augenbewegungsstörungen und Diplopien (Doppelbilder) zu dokumentieren.

11

584

Kapitel 11 · Mund-Kiefer-Gesichts-Chirurgie

a

. Abb. 11.12 Reposition einer Jochbeinfraktur mit einem Einzinkerhaken (A), intermaxilläre Fixation (B), Miniplattenosteosynthese am Unterkiefer (C)

11

OP-Verlauf: Versorgung einer Jochbeinfraktur

5 Nach der Patientenlagerung erfolgt das Team5 5

5

5 5 5

Time-out. Der Hautschnitt sollte, sofern an dieser Stelle überhaupt erforderlich, am Unterrand der lateralen Augenbraue liegen. Die Darstellung des Infraorbitalrandes und des Orbitabodens gelingt über einen infraorbitalen Zugang. Hier werden Schnittführungen unterhalb der Lidkante (subziliar beziehungsweise 1 cm unterhalb der Lidkante) und transkonjunktival unterschieden. Mitunter erfolgt über einen intraoralen Zugang die Darstellung der Crista zygomaticoalveolaris. Dann kann der Repositionshaken über diesen Zugang eingesetzt werden. Anderenfalls ist er über eine Stichinzision in der Haut unter dem Jochbeinmassiv zu positionieren (. Abb. 11.12). Der Reposition schließt sich die Miniplattenosteosynthese an. Bei Defektfrakturen des Orbitabodens ist eine Rekonstruktion notwendig, damit der Orbitainhalt nicht in die Kieferhöhle absinkt oder Augenmuskeln in ihrer Funktion beeinträchtigt werden. Hierzu eignen sich je nach Ausmaß des Orbitabodendefektes resorbierbare Membranen in verschiedenen Stärken (. Abb. 11.13) oder ein Titangitter.

b

. Abb. 11.13a, b Orbitabodendefektfraktur mit in die Kieferhöhle disloziertem Orbitagewebe einschließlich einzelner Frakturfragmente sowie Anteilen des M. rectus inferior (a). Kaudalverlagerung des Bulbus mit Abweichung der optischen Achse. b Orbitabodenrekonstruktion mit autogenem Knorpel oder Polydioxanon-Folie nach Reposition des Orbitaweichgewebes sowie teilweiser Entfernung dislozierter Orbitabodenbruchstücke. Dadurch wird die korrekte Bulbuslage erreicht. (Aus Siewert 2012)

Operative Versorgung von isolierten Jochbogenfrakturen Bei isolierten Frakturen des Jochbogens kann bei posttraumatisch fehlendem Hämatom eine Einziehung über dem Jochbogenverlauf erkennbar sein. In Abhängigkeit von der Dislokation der Fragmente zeigt sich gelegentlich zusätzlich eine mechanisch bedingte Kieferklemme. Die Therapie besteht in der perkutanen Einzinkerreposition, die nur eine kleine Stichinzision der Haut für den Repositionshaken erfordert. Eine Osteosynthese ist nicht erforderlich.

11.3

Tumor- und rekonstruktive Chirurgie

Einen breiten Raum nimmt die operative Versorgung von Neoplasien der Mundhöhle, der Nasennebenhöhlen, der

585 11.4 · Weichteilchirurgie des Gesichtes

Speicheldrüsen sowie der Gesichtshaut ein. Eine bösartige Neubildung erfordert die Resektion mit einem ausreichenden Sicherheitsabstand sowie (unter Berücksichtigung der klinischen Situation) die Sanierung der drainierenden Lymphabflusswege (Neck-Dissection). Eine Knocheninfiltration zwingt auch zur Entfernung des Knochens mit ausreichendem Sicherheitsabstand. ! Häufig resultieren bei Tumoroperationen beträchtliche Defekte mit erheblichen funktionellen Beeinträchtigungen, die insbesondere den Schluckprozess und die Sprache betreffen.

jHautdefekte

Im Rahmen der wiederherstellenden Chirurgie stehen zur Verfügung (s. auch 7 Kap. 16): 4 Hauttransplantate (Spalthaut, Vollhaut), 4 regionäre Lappenplastiken (Verschiebeplastik, Rotationsplastik, Transpositionsplastik, Dehnungsplastik, Insellappenplastik) oder 4 Fernlappenplastiken. Defektdeckungen mit gestielten Fernlappen oder mit mikrovaskulär anastomosierten körpereigenen Transplantaten können funktionelle Behinderungen reduzieren. Als sichere gestielte Fernlappen gelten der M. pectoralis-Lappen oder der M.-latissimus-dorsi-Lappen. Beide Myokutanlappen (Muskel-Haut-Lappen) können selbstverständlich auch mikrovaskulär anastomosiert werden. Als freie Transplantate besitzen darüber hinaus der Unterarm-, Oberarm-, Fibula-, Beckenkamm-, Skapula- und Paraskapulalappen Bedeutung. jKnochendefekte

Ausgedehnte Knochendefekte können mit mikrovaskulär anastomosierten Transplantaten vom Beckenkamm, der Fibula oder vom Skapularand mit oder ohne Haut behandelt werden. Der transplantierte Knochen wird mit den aus der Traumatologie bekannten Osteosyntheseplatten fixiert. Zu einem späteren Zeitpunkt eingebrachte enorale Implantate ermöglichen die Eingliederung implantatgetragenen Zahnersatzes. Erscheint eine primäre Rekonstruktion nicht sinnvoll, wird der Knochendefekt zunächst mit stabilen Rekonstruktionsplatten überbrückt. ! Bei plastisch-rekonstruktiven Eingriffen im Kopfund im Halsbereich sollten die funktionellen und ästhetischen Besonderheiten im sichtbaren Bereich bei der OP-Planung und -Durchführung berücksichtigt werden.

11.4

Weichteilchirurgie des Gesichtes

Die Versorgung von Weichteilverletzungen im Gesicht unterliegt einigen Besonderheiten. Sie werden anders versorgt als Weichteilverletzungen in der Allgemeinchirurgie. So gelten zwar alle bekannten Regeln der Wundversorgung (7 Abschn. 1.10.3), die Wundrandexzision jedoch, die sog. Anfrischung, darf im Gesichtsbereich, wenn überhaupt, nur sehr sparsam erfolgen. Das gilt insbesondere an den Augenbrauen, den Lidern und der Nase, da dort rasch schwer zu behandelnde Defekte und Narben entstehen können. Zudem gilt für Wunden im Gesicht nicht die 6-Stunden-Regel! ! Wegen der ausgezeichneten Durchblutung im Gesichtsbereich dürfen Wunden auch nach längerer Zeit vernäht werden, sofern eine engmaschige Wundkontrolle sichergestellt ist.

Die exakte Adaptation der Wundränder ist Voraussetzung für ein gutes kosmetisches Ergebnis. Genutzt wird in der Regel dünnes, atraumatisches Nahtmaterial. Ist eine Rekonstruktion von Nerven oder Gefäßen erforderlich, muss die Versorgung mikrochirurgisch erfolgen. kIndikation

Weichteilverletzungen mit Durchtrennung der Dermis. Begrenzte Verletzungsmuster können in Lokalanästhesie behandelt werden. Ausgedehnte Befunde erfordern die Exploration der Wunden und deren Therapie in Vollnarkose. kPrinzip

Inspektion und Säuberung der Wunde, exakte schichtweise Vernähung der Weichteile, ggf. interfaszikuläre Nervennaht unter dem OP-Mikroskop (Tetanusschutz klären). kLagerung

4 Rückenlage, ggf. halbsitzende Position. 4 Bei Bedarf neutrale Elektrode am Oberarm. 4 Bei erwarteter Nervrekonstruktion durch ein Interponat, z. B. mit N. suralis, wird ein Unterschenkel rasiert, leicht abgespreizt, desinfiziert und gesondert abgedeckt. kInstrumentarium

4 4 4 4

Feines Weichteilinstrumentarium, Mikroinstrumentarium, Nervstimulationsgerät (7 Kap. 2), resorbierbares, dünnes, ungefärbtes Nahtmaterial für die unmittelbar subkutane Schicht, 4 monofiles Nahtmaterial zur Hautnaht. Bereitstellung eines OP-Mikroskops.

11

586

Kapitel 11 · Mund-Kiefer-Gesichts-Chirurgie

OP-Verlauf: Versorgung einer Weichteilverletzung im Gesicht in Vollnarkose

11

5 Vor der Desinfektion wird Augensalbe in die Augen eingebracht, um die Hornhaut vor Verätzungen zu schützen. 5 Nach der Desinfektion des Gesichtes mit farblosem Desinfektionsmittel und ggf. des Unterschenkels werden der behaarte Kopf und der Körper des Patienten abgedeckt. Je nach Intubation (oral oder nasal) wird der Tubus nach der Desinfektion abgedeckt oder mit einer sterilen Folie überklebt. 5 Team-Time-out. 5 Die Verletzung wird eingehend inspiziert. Wenn nötig, wird sie mit einer NaCl-, PVP-Lösung oder Wasserstoffperoxidlösung gesäubert und/oder mit einer sterilen Bürste gereinigt. Auch in der Tiefe der Wunde müssen vor der endgültigen Wundversorgung alle Fremdkörper entfernt werden. 5 Die Wundrandexzision beschränkt sich auf zerquetschtes und eindeutig nekrotisches Gewebe. 5 Es folgt die sorgfältige Adaptation der Weichteile nach einer bipolaren Blutstillung. 5 Die einzelnen Schichten werden anatomisch korrekt zugeordnet. Stufen oder Verziehungen sollten vermieden werden. 5 Um die Haut nicht zusätzlich zu traumatisieren, wird mit atraumatischen Pinzetten gearbeitet. 5 Mitunter veranlasst das Behandlungsergebnis im Intervall zu einer zweiten Operation mit dem Ziel der Verbesserung der klinischen Situation. 5 Bei ausgedehnten kombinierten Weichteilund Knochenverletzungen kann eine ausgedehnte rekonstruktive Operation erforderlich werden. Diese erfolgt erst nach Konsolidierung der Wundverhältnisse. 5 Nervenverletzungen veranlassen in Abhängigkeit vom betroffenen Nerv zu einer mikrochirurgischen Rekonstruktion mit oder ohne Nervinterponat (7 Abschn. 11.5).

11.5

Mikrochirurgie

Operationen unter dem Mikroskop erfolgen nur mit speziellem Instrumentarium. Diese Instrumente bedürfen einer besonderen Behandlung, damit sie funktionsfähig bleiben. Sie dürfen auf keinen Fall an einen harten Gegenstand stoßen, da ihre Spitze sofort verbiegen würde. Deshalb müssen die Instrumente auf dem Instrumententisch auf industriell gefertigten Gummiunterlagen liegen.

! Das Instrumentarium wird vor jedem Anreichen von Blut gereinigt, um dem Operateur unter dem Mikroskop die Sicht auf die Instrumentenspitzen zu ermöglichen. Die Reinigung darf nur mit fusselfreien Tüchern erfolgen.

Die Mikronadelhalter besitzen häufig keine Arretierung. Zwischen Operateur und instrumentierender Pflegekraft wird abgesprochen, ob die Nadel-Faden-Kombination eingespannt angereicht wird oder ob zuerst der Nadelhalter und dann der Faden in seiner geöffneten Verpackung angegeben werden, damit der Operateur den Faden unter dem Mikroskop selbst fassen kann. Die Instrumente werden ohne den sonst wünschenswerten kleinen Druck angereicht. ! Besonders wichtig ist, dass alle Instrumente von der Pflegekraft nach Gebrauch wieder abgenommen werden, damit der Operateur nicht vom Situs wegschauen oder die Instrumente »blind« auf den Instrumentiertisch legen muss.

Dieses Vorgehen ermöglicht die ausschließliche Konzentration des Operateurs auf den Situs, spart OP-Zeit und schützt die teuren Instrumente vor Beschädigungen. Während der Operation sollte das instrumentierende Personal über ein Zweitokular (Spion) oder über einen Monitor die Operation verfolgen können, um ein situationsgerechtes Instrumentieren zu ermöglichen. Es gelten alle Kriterien der Mikrochirurgie, die in 7 Kap. 10 dargelegt wurden. Mikrochirurgische Instrumente dürfen keinesfalls Kontakt zu Magnetplatten haben, da der entstehende Magnetismus die Handhabung der Instrumente erschwert. Das Fassen der Nadel mit einem magnetischen Nadelhalter erfordert z. Β. erhebliches Geschick. Eine Ablage der Instrumente auf dem Patienten verbietet sich von selbst. Nach dem Ende der Operation wird das gebrauchte Instrumentarium in speziellen Containern fixiert und zur Aufbereitung in die ZSVA gegeben. Eine Arretierung der einzelnen Instrumente in einer Halterung verhindert, dass sie während des Transports mit anderen Instrumenten des Instrumentensiebes kollidieren.

11.5.1

Nervrekonstruktion

Die beiden Nervenden werden unter dem Mikroskop mit 2 Pinzetten aufgesucht. Wurde der Nerv vollständig durchtrennt, erfolgt zunächst die Präparation der beiden Nervenstümpfe über eine kurze Strecke mit einer Schere und einer Pinzette. Sollte eine spannungsfreie Reanastomosierung ohne Interposition eines in einer anderen Körperregion entnommenen Nervs möglich sein, wird eine End-

587 11.6 · Chirurgische Kieferorthopädie

zu-End-Anastomose vorgenommen. Nachdem das Epineurium an beiden Enden angefrischt bzw. reseziert wurde, erfolgt die Zuordnung der einzelnen Faszikel. Ist eine sofortige Anastomosierung nicht möglich, werden beide Nervenenden mit einem monofilen, nicht resorbierbaren Faden markiert und im umgebenden Gewebe fixiert. Auf diese Weise gelingt das Auffinden der Nervenstümpfe in einer Operation zu einem späteren Zeitpunkt. Zwingt ein Nervendefekt zu einer autologen Interposition, wird ein Nerv einer anderen Körperregion (z. B. der N. suralis vom Unterschenkel oder der N. auricularis magnus vom Hals) transplantiert. Das Interponat wird an beiden Enden von seinem Epineurium befreit und dann End-zu-End zwischengeschaltet. Die Anastomose erfolgt unter Verwendung von sehr feinem monofilem Nahtmaterial mit runder Nadel (6–0/10–0).

11.6

Chirurgische Kieferorthopädie

Fehlstellungen oder Deformitäten der Kieferknochen zeigen sich mitunter in Bissanomalien. Neben der klinischen Analyse erfolgt eine Auswertung einer seitlichen Fernröntgenaufnahme des Schädels. Stellungsanomalien der Kieferbasen in Bezug auf die Schädelbasis und die Relation der beiden Kiefer zueinander bestimmen die chirurgische Therapie. Durch Osteotomien im Ober- oder/und Unterkiefer können die Kieferfragmente in die gewünschte Position verschoben werden. Es folgt eine Osteosynthese mit Miniplatten und/oder Schrauben. Fehlstellungen der Zähne werden häufig schon im Kindesalter vom Kieferorthopäden mit Zahnspangen behandelt. Mitunter bestehen jedoch Veränderungen der Form oder der Lage von Ober- und Unterkiefer, die nach Abschluss des Wachstums von einem Mund-, Kiefer- und Gesichtschirurgen operativ korrigiert werden müssen. Ziele sind 4 ein guter Zusammenbiss der Zähne (Okklusion) sowie 4 ein harmonisches ästhetisches Ergebnis. Vor einer operativen Korrektur (Umstellungsosteotomie) unterzieht sich der Patient einer konservativen kieferorthopädischen Behandlung. Eine feste Klammer (Multiband) formt die Zahnbögen im Ober- und Unterkiefer aus. Besteht ein sehr schmaler Oberkiefer, erfolgt zunächst  eine chirurgisch unterstützte Gaumennahterweiterung. Der Oberkiefer wird in Vollnarkose in der Mitte geteilt, ohne die Gaumenschleimhaut zu verletzen. Zudem wird der Oberkiefer in der Le Fort-I-Ebene geschwächt. Das konservativ erreichte Behandlungsergebnis entscheidet darüber, ob sich nach der Umstellungsosteotomie

. Abb. 11.14 Mit Drahtligaturen eingebundener Kunststoffsplint zwischen Ober- und Unterkiefer nach bimaxillärer Umstellungsosteotomie (© OFA Dr. Dr. med. Manfred Giese, BWK Hamburg, mit freundlicher Genehmigung)

noch eine kieferorthopädische Weiterbehandlung anschließt. Im Rahmen der Planung der Umstellungsosteotomie durch den Mund-, Kiefer- und Gesichtschirurgen erfolgt die Auswertung klinischer und röntgenologischer Merkmale. Während einer Modelloperation, die im zahntechnischen Labor vorgenommen wird, können die geplanten Veränderungen der Kieferpositionen mit Gipsmodellen simuliert werden. Dieses Vorgehen ermöglicht die Anfertigung von Operationssplinten. Die Splinte sind Übertragungsschlüssel aus Kunststoff. Sie erleichtern bestimmte Operationsschritte, da sie eine exakte Zuordnung der mobilen zahntragenden Anteile der Kiefer zueinander ermöglichen (. Abb. 11.14). Der operative Zugang zur Verlagerung des Oberkiefers ist ein Schnitt innerhalb des Mundes vom ersten Backenzahn der einen Seite bis zum ersten Backenzahn der Gegenseite. Danach wird der Oberkiefer nach der Osteotomie horizontal etwas über dem Nasenboden (in der Le Fort-IEbene) vom Mittelgesicht getrennt. Verlagerungen des Unterkiefers setzen Osteotomien im Bereich des Unterkieferkorpus oder des aufsteigenden Astes voraus. Die operativen Methoden gestalten sich vielfältig. Am häufigsten wird der Unterkieferknochen sagittal durchtrennt (. Abb. 11.15), um nach Verlagerung der Unterkieferknochenfragmente eine möglichst große Anlagefläche für die Knochenheilung zu schaffen (z. B. Vorgehen nach Obwegeser/Dal Pont). Die sorgfältige Vorbereitung einer bimaxillären Umstellungsoperation (Verlagerung von Oberkiefer und Unterkiefer in einer Operation) setzt die Anfertigung mindestens zweier Kunststoffsplinte voraus. Der operativen Einstellung der Kiefer in die gewünschte Position folgt eine Befestigung mit Miniplatten und/ oder Schrauben (Osteosynthese).

11

588

Kapitel 11 · Mund-Kiefer-Gesichts-Chirurgie

5

5 5 . Abb. 11.15 Technik der sagittalen Spaltung in der Modifikation nach Hunsuck und Epker. (Aus Kübler et al. 2012)

kLagerung

5

4 Der nasal intubierte Patient liegt auf dem Rücken. 4 Der Kopf befindet sich in einer Kopfschale. kInstrumentarium

11

4 Wangenhalter (Spandex), 4 Langenbeck-Haken, Progeniehaken (ggf. mit Kaltlicht), Ramus-Haken, 4 AO-Raspatorium, Raspatorium nach Obwegeser (schwalbenschwanzförmig), 4 Dissektor nach Freer, 4 Fräse, ggf. Piezo-Gerät (s. oben), 4 gerade Osteotome (Flachmeißel, z. B. nach Lambotte), Keilosteotome nach Obwegeser, Tuberosteotom (gebogen), 4 Hammer, 4 Rowe-Repositionszange (für die Mobilisierung des Oberkiefers nach der Osteotomie), 4 Zungenspatel, 4 Drahtcerclagedrähte (ca. 0,3–0,4 mm), Seitenschneider, Flachzange, Spitzzange, Drahtschere, 4 Tamponstopfer nach Luniatschek, 4 Sauger, 4 individuell angepasste Operationssplinte aus Kunststoff.

5 5 5

5

5 5

OP-Verlauf: Bimaxilläre Umstellungsosteotomie 5 Vor der Desinfektion wird Salbe in die Augen eingebracht, um die Hornhaut vor Verätzungen zu schützen. Die meisten Operateure bevorzugen während der Operation eine freie Sicht auf die Augen. 5 Team-Time-Out. 5 Nach der Desinfektion des Gesichtes und des Halses werden der behaarte Kopf und der Körper des Patienten abgedeckt. Der nasal eingeführte

5 5

und nach scheitelwärts ausgeleitete Tubus wird nach der Desinfektion mit einer sterilen Folie überklebt. Dabei bleiben beide Augen frei. Nach der Darstellung des Oberkieferknochens und der Lösung der Nasenschleimhaut vom knöchernen Nasenboden erfolgt die Durchtrennung des Oberkieferknochens mit der Fräse oder dem PiezoGerät. Es folgt die vollständige Lösung des Oberkiefers vom übrigen Gesichtsschädel mit verschiedenen Meißeln. Nach dem Herunterbrechen und der Mobilisierung des Oberkiefers, der über das Weichgewebe weiterhin mit Blut versorgt wird, kann der Oberkiefer in bestimmten Grenzen verlagert werden (. Abb. 11.15). Der erste Splint wird zwischen die Kiefer eingesetzt und mit Draht über die Brackets der festsitzenden Klammern fixiert. Der Oberkiefer gelangt auf diese Weise in die gewünschte Position. Der Operateur prüft die Position der Mittellinie des Oberkiefers und die Parallelität der Oberkieferkauebene zur gedachten Verbindungslinie beider Pupillen (Bipupillarlinie). Die Osteosynthese erfolgt meist mit 4 Miniplatten (in der Regel L-förmig). Nach dem Öffnen der Drahtligaturen kann der erste Splint entfernt werden. Nun erfolgt die Darstellung des Unterkieferknochens vom Bereich der kleinen Backenzähne (Prämolaren) bis zum aufsteigenden Ast. Dabei kann eine Lichtrinne hilfreich sein. Zur Markierung der sagittalen Osteotomie dient eine Fräse. Die zunächst auf dem Unterkieferkamm gesetzten Bohrungen werden anschließend miteinander verbunden. Alternativ kann ein PiezoGerät verwendet werden. Bei der Vervollständigung der Unterkieferosteotomie im unteren Anteil mit Meißeln ist der N. alveolaris inferior zu schonen. Der zweite Splint wird eingebunden und gestattet die Zuordnung des Unterkiefers zum bereits neu positionierten Oberkiefer durch das Anlegen einer mandibulomaxillären Fixation über die Brackets. Die Osteosynthese des Unterkiefers erfolgt beidseits jeweils mit 2 Miniplatten (in der Regel gerade 4-Loch-Miniplatten). Nach dem Öffnen der IMF prüft der Operateur erneut die Okklusion. Zeigt sich ein gutes Ergebnis, kann der zweite Splint entfernt werden. Häufig wird er jedoch für eine kieferorthopädische Nachbetreuung belassen.

589 11.7 · Lippen-Kiefer-Gaumen-Spalten

a

b

c

d

e

. Abb. 11.16a–e Varianten der LKG-Spalten. a Normale Entwicklung. b Lippen- und Kieferkerbe. c Lippen-Kiefer-Gaumen-Spalte mit Weichteilbrücke am Naseneingang. d Schmale Lippen-Kiefer-Gaumen-Spalte (sekundär). e Breite Lippen-Kiefer-Gaumen-Spalte (primär)

11.7

Lippen-Kiefer-Gaumen-Spalten

Eine der häufigsten angeborenen Fehlbildungen ist die Lippen-Kiefer-Gaumen-Spalte (LKG-Spalte). Die chirurgische Versorgung beginnt möglichst frühzeitig im Säuglings- oder Kindesalter. Die Koordinierung der komplexen Therapie liegt in der Verantwortung der MKG-Chirurgen.

11.7.1

Ätiologie

Die LKG-Spalten unterliegen, ebenso wie die isolierten Spaltbildungen, einer multifaktoriellen Genese. Die angeborenen Spalten treten in vielfältigen Formen in Erscheinung (. Abb. 11.16): 4 Die isolierte Lippenspalte kann vollständig (Lippenrot und Lippenweiß) sowie unvollständig (mitunter nur Einkerbungen im Lippenrotbereich) auftreten; sie besteht einseitig oder beidseits.

4 Eine weitere Form der Spaltbildungen stellt die Lippen-Kiefer-Spalte dar. Hier dehnt sich der Spalt bis in den Alveolarfortsatz des Oberkiefers aus. 4 Die isolierte Gaumenspalte betrifft häufig den weichen Gaumen, kann aber auch den harten Gaumen einbeziehen. 4 Die häufigste Variante der Spaltbildungen ist die vollständige LKG-Spalte, die ein- oder beidseits auftreten kann. Sie reicht von der Lippe durch den Kiefer bis zur Uvula.

11.7.2

Klinik

Neugeborene sind durch ihre Fehlbildung erheblich beeinträchtigt. Die Nahrungsaufnahme durch Saugen gelingt je nach Ausmaß der Spaltbildung nicht bzw. nur unzureichend. Unbehandelt ist die spätere Sprechentwicklung gestört. Kinder mit fortbestehenden Verbindungen zur

11

590

Kapitel 11 · Mund-Kiefer-Gesichts-Chirurgie

Nase und mit zu kurzem Gaumensegel fallen durch ihre näselnde Sprache (Rhinolalia aperta) auf. Die gestörte Tubenbelüftung verursacht häufig Mittelohrentzündungen mit Ergussbildung.

11.7.3

11

Therapie

Die Rehabilitation erfordert eine interdisziplinäre Behandlung von MKG-Chirurgen, Kieferorthopäden, HNO-Ärzten und Logopäden. Unmittelbar nach der Geburt erfolgt die Anfertigung einer Trinkplatte. Dabei handelt es sich um eine individuell geformte Kunststoffplatte, die am Oberkiefer haftet und die Mundhöhle von der Nase trennt. Dadurch wird das Saugen von Milch ermöglicht. Sofern der Kiefer in die Spaltbildung einbezogen ist, kann mit der Kunststoffplatte auch die Wachstumsrichtung der Kieferkämme vorgegeben werden. Eine regelmäßige Anpassung der Platte bewirkt ein Aufeinanderzuwachsen der Kieferkämme. Auf diese Weise verkleinert sich der Kieferspalt bereits präoperativ. Die operative Therapie beinhaltet den plastisch-rekonstruktiven Verschluss der Spalten in Etappen. Bezüglich des optimalen Verschlusszeitpunktes orientieren sich verschiedene Kliniken an unterschiedlichen Konzepten. Zur Einschulung sollte der vollständige Verschluss der kombinierten Spalten erreicht sein. Die ggf. erforderliche Nasenkorrektur ist möglichst spät vorzunehmen. Patienten mit LKG-Spalten sollten regelmäßig von HNO-Ärzten untersucht werden. Die Entwicklung von Otitiden und Ergüssen veranlasst häufig zur Parazentese und/ oder zur Einlage von Paukenröhrchen (7 Abschn. 12.5.13). Eine logopädische Behandlung unterstützt die Sprechentwicklung. Je nach Bedarf muss eine psychologische Mitbehandlung erwogen werden. Spaltbildungen sind häufig mit einer Nichtanlage von Zähnen verbunden. Es bestehen vielfältige Möglichkeiten, die Betroffenen prothetisch zu versorgen. Im Folgenden wird ein erster Einblick in die sehr komplexe und schwierige Spaltchirurgie gegeben.

Operation einer Lippenspalte kIndikation

kLagerung

4 Das Kind wird auf einer Wärmematte auf dem Rücken mit dem Kopf auf einem Gelring (Kinderkopfgröße) gelagert. 4 In der Regel wird die bipolare Blutstillung Anwendung finden. Sollte ein Arbeiten mit dem Monopolargerät vorgesehen sein, ist die kleine neutrale Elektrode am Oberschenkel zu platzieren. 4 Das Kind wird mit Wärmedecken abgedeckt, um ein Auskühlen des Körpers zu verhindern. 4 Das Hautdesinfektionsmittel kann angewärmt werden, um weitere kalte Einflüsse zu vermeiden. kInstrumentarium

4 Stift oder Tinte zum Anzeichnen der genauen Schnittführung, 4 Lineal und Zirkel zum präzisen Abmessen der Distanzen, 4 feines Grundinstrumentarium (Adson-Pinzetten, Wittenstein-Schere, kleine Einzinkerhaken etc.), 4 zarte bipolare Pinzette zur Blutstillung, 4 bei Bedarf ein Diamantmesser, 4 Mikroinstrumente, 4 ggf. OP-Mikroskop mit sterilem Bezug, 4 bei Bedarf Bereitstellung einer (angewärmten) Lupenbrille, 4 körperwarme Spülflüssigkeiten.

OP-Verlauf: Verschluss einer Lippenspalte

5 Nach dem Vermessen der Spalte und der Dokumen5 5

5 5

Lippenspalte. kPrinzip

Anatomische und funktionelle Rekonstruktion der gespaltenen und fehlinserierten Muskulatur mit Bildung des vorderen Nasenbodens innerhalb der ersten 6 Lebensmonate.

5

tation der Maße wird die genaue Schnittführung eingezeichnet und ggf. fotografiert. Team-Time-out. Mit einem spitzen kleinen Skalpell oder dem Diamantmesser wird der Hautschnitt vorgenommen. Die Präparation der Muskulatur erfolgt mit einer feinen Schere, bei Bedarf mit einer Lupenbrille oder unter dem OP-Mikroskop. Nach der Darstellung der einzelnen Strukturen erfolgt die schichtweise Rekonstruktion mit feinem atraumatischem Nahtmaterial. Ein Foto zur Dokumentation bildet den Abschluss der Operation. Entscheidend sind eine korrekte Rekonstruktion der Muskulatur sowie eine symmetrische Oberlippenlänge (. Abb. 11.17). Die Möglichkeiten der Schnittführungen sind vielfältig. Am häufigsten finden Winkelschnittführungen oder Wellenschnitte (nach Pfeifer) Anwendung.

591 11.7 · Lippen-Kiefer-Gaumen-Spalten

a

b

c

. Abb. 11.17a–c Lippenplastik nach Tennison/Randall. a Aufgezeichnete Schnittführung mit dreieckigem Austauschlappen im lateralen Lippenstumpf. b Aufpräparierte Spalte mit erkennbarem Austauschprinzip. c Schichtweiser Wundverschluss. (Aus Siewert u. Stein 2012)

Verschluss des weichen und des harten Gaumens Eine Spaltbildung im Bereich des Gaumens beeinträchtigt eine regelrechte Sprechentwicklung. Im Bereich des weichen Gaumens treten unterschiedlich ausgeprägte Spalten auf. Ziel der operativen Therapie ist die funktionelle Rehabilitation der Muskulatur. Diese wird an beiden Seiten gelöst, mobilisiert und mittig vereinigt. Erst mit einem ausreichend langen und mobilen Gaumensegel kann bei bestimmten Lautbildungen ein velopharyngealer Verschluss erreicht werden. Der Verschluss im Bereich des Hartgaumens gelingt durch die Lageveränderung der nasalen und oralen Schleimhaut. Auf diese Weise wird die Spalte zweischichtig mit Weichgewebe verschlossen (. Abb. 11.18). Gelegentlich veranlassen kleine Restlöcher (Verbindungen zwischen Mund und Nasenraum) zu einem späteren Zeitpunkt zu erneuten Operationen.

a

Osteoplastik der Kieferspalte Einige Spaltzentren verschließen mit der Lippe gleichzeitig auch die Kieferspalte (primäre Osteoplastik im Alter von ca. 6 Monaten), andere ziehen den Verschluss zum Zeitpunkt der 2. Dentition (6.–12. Lebensjahr) vor. Der Kieferdefekt wird mit autologer Spongiosa (Beckenkamm) aufgefüllt. Je nach erreichtem Ergebnis können die kieferorthopädische Harmonisierung des Zahnbogens bzw. nach Abschluss des Wachstums eine Implantation geplant werden.

b . Abb. 11.18a, b Brückenlappenplastik nach Langenbeck/Ernst/ Veau/Axhausen. a Die Brückenlappen sind umschnitten und mobilisiert. Die nasale Schicht ist unter Verwendung der Vomerschleimhaut im Bereich beider Nasengänge gebildet. b Die Brückenlappen sind nach medial verlagert und bilden die orale Schicht. Die seitlichen Entlastungsschnitte sind im Hamulusgebiet locker austamponiert. (Aus Siewert u. Stein 2012)

11

592

Kapitel 11 · Mund-Kiefer-Gesichts-Chirurgie

Literatur Lenarz T, Boenninghaus HG (2012) Hals-Nasen-Ohrenheilkunde für Studierende der Medizin, 14. Aufl. Springer, Berlin Heidelberg New York Kübler A, Reuther T, Michel C, Reuther J (2012) Orthopädische Chirurgie des Gesichtsschädels. In: Hausamen J-E, Machtens E, Reuther J, Eufinger H, Kübler A, Schliephake H (Hrsg) Mund-, Kiefer- und Gesichtschirurgie, Operationslehre und -atlas, 4. Aufl. Springer, Berlin Heidelberg New York, Kap 13, S 365–414 Lenarz T, Boenninghaus HG (2012) Hals-Nasen-Ohrenheilkunde für Studierende der Medizin, 14. Aufl. Springer, Berlin Heidelberg New York Schwenzer N, Ehrenfeld M (2000a) Zahn-Mund-Kiefer-Heilkunde. Bd 1: Allgemeine Chirurgie. Lehrbuch zur Aus- und Weiterbildung, 3. Aufl. Thieme, Stuttgart New York Schwenzer N, Ehrenfeld M (2000b) Zahn-Mund-Kiefer-Heilkunde. Bd 3: Zahnärztliche Chirurgie. Lehrbuch zur Aus- und Weiterbildung, 3. Aufl. Thieme, Stuttgart New York Schwenzer N, Ehrenfeld M (2002) Zahn-Mund-Kiefer-Heilkunde. Bd 2: Spezielle Chirurgie. Lehrbuch zur Aus- und Weiterbildung, 3. Aufl. Thieme, Stuttgart New York Siewert JR, Stein HJ (Hrsg) (2012) Chirurgie, 9. Aufl. (mit integriertem Fallquiz, begründet von Martin Allgöwer). Springer, Berlin Heidelberg New York Spornitz UM (2010) Anatomie und Physiologie, 6. Aufl. Springer, Berlin Heidelberg New York

11

593

Hals-Nasen-Ohren-Chirurgie B. Lengersdorf, C. Juhran, M. Liehn, T. Grundmann

12.1 Grundlagen der Anatomie

– 594

12.2 Diagnostisches Instrumentarium 12.3 Operationsinstrumentarium

– 595

– 596

12.4 Aufgaben der Operationspflegekraft 12.5 Hals-Nasen-Ohren-Operationen Literatur

– 599

– 602

– 613

M. Liehn et al. (Hrsg.), OP-Handbuch, DOI 10.1007/978-3-662-49281-9_12, © Springer-Verlag Berlin Heidelberg 2016

12

594

Kapitel 12 · Hals-Nasen-Ohren-Chirurgie

12.1

Grundlagen der Anatomie

12.1.1

Hals

Epiglottis

Der M. sternocleidomastoideus grenzt das vordere Halsdreieck vom seitlichen ab, nach oben ist die Halsregion durch den M. digastricus begrenzt, nach unten durch den M. omohyoideus. Als Halseingeweide bezeichnet man das Zungenbein, den Kehlkopf, die Trachea, die Schilddrüse, einige Speicheldrüsen, den Rachen und den oberen Teil des Ösophagus. Diesen Organen liegen seitlich die V. jugularis und die A. carotis mit dem N. vagus an. Eine oberflächliche Halsfaszie bedeckt die Mm. sternocleidomastoidei und die Mm. trapezii. Im vorderen Bereich des Halses befindet sich das Platysma, eine Hautmuskelplatte in der Subkutis. Der NervenGefäß-Strang, bestehend aus dem N. vagus, der A. carotis communis und der V. jugularis interna, ist eingehüllt in Bindegewebe. Er liegt im Halsbereich unter dem M. sternocleidomastoideus.

12.1.2

Zungenbein N. laryngeus superior

Membrana thyreohyoidea

A. laryngea superior

Eminentia laryngea Schildknorpel Aryknorpel

Lig. cricothyroideum M. cricothyroideus

Ringknorpel Trachealspange

. Abb. 12.1 Kehlkopf: Knorpelgerüst, Membranen, äußere Muskulatur, Zungenbein. (Aus Lenarz u. Boenninghaus 2012)

rechts

Lymphabflüsse

links

Epiglottis

12

Eine zentrale Region des Lymphabflusses am Hals ist der »Venenwinkel«. Hier mündet die V. facialis in die V. jugularis interna ein.

Taschenfalte Stimmband aryepiglott. Falte Aryknorpel

12.1.3

Tracheavorderwand

Rachen

Der Rachen wird in die folgenden 3 Abschnitte eingeteilt: 4 Nasopharynx (Nasen-Rachen-Raum), 4 Oropharynx (mittlerer Rachenraum), 4 Hypopharynx (unterste Schlundgegend). Der mittlere Oropharynx beherbergt u. a. die paarig angelegten Gaumenmandeln (Tonsillen). Sie zählen zu den Lymphorganen und befinden sich rechts und links des Rachenraumes. Ihren bindegewebigen Kapseln liegen Fasern des M. constrictor pharyngis an. Die Rachenmandel im Nasopharynx dagegen ist unpaarig und befindet sich am Rachendach hinter den Nasengängen. Wird sie zu groß, v. a. bei Kleinkindern, behindert sie die Nasenatmung sowie die Belüftung des Mittelohrs durch die Ohrtrompete und muss entfernt werden. Die Tuba auditiva Eustachii (Ohrtrompete) verbindet den Nasenrachen mit dem Mittelohr. Sie kann deshalb den Druckausgleich bei Höhenveränderungen bewirken. Der Hypopharynx beginnt hinter den Stellknorpeln und endet an der Einmündung in den Ösophagus.

Recessus piriformis

. Abb. 12.2 Einblick in das Kehlkopfinnere. (Aus Lenarz u. Boenninghaus 2012)

12.1.4

Kehlkopf

Der Kehlkopf liegt etwa in Höhe des 5. Halswirbels, beim Mann etwas tiefer als bei der Frau. Der Kehlkopf wird aus Schildknorpel und Ringknorpel gebildet und sitzt der Trachea auf (. Abb. 12.1). Das Zungenbein liegt oberhalb und ist mit einer Membran am Schildknorpel fixiert. Die beiden Stimmbänder ziehen rechts und links von den Stellknorpeln aus zur Vorderkante des Schildknorpels. Der Raum zwischen den Stimmbändern wird als Stimmritze bezeichnet. Die nervale Versorgung des Larynx übernehmen der N. laryngeus inferior (genannt N. recurrens, der u. a. die Stimmbandinnervation übernimmt) und der N. laryngeus superior; beide sind Äste des N. vagus. Der Kehldeckel (Epiglottis) verschließt bei Reizen reflektorisch den Kehlkopfeingang. Beim Schlucken drückt die Zunge die Epiglottis nach unten (. Abb. 12.2).

12

595 12.2 · Diagnostisches Instrumentarium

12.1.5

Nase

Da sie in enger Beziehung zur Nase stehen, sind sie häufig bei Infektionskrankheiten mitbetroffen.

Die äußere Nase besteht aus einem knorpeligen und einem köchernen Anteil. Das knöcherne Nasenbein ist paarig angelegt und schließt seitlich an den Oberkiefer und nach oben an das Stirnbein an. Der knorpelige Anteil besteht aus dem seitlichen Dreiecksknorpel (verbunden mit dem knöchernen Nasenbein und der Nasenscheidewand) und dem Nasenspitzenknorpel, der den Nasensteg (Columella) und die Nasenflügel bildet. Hinter den Nasenlöchern wird die innere Nase vom Nasenvorhof und von der Nasenhöhle gebildet. Die Schutzhärchen (Vibrissae) im Nasenvorhof filtern die Atemluft. Die Nasenhöhle wird vom knöchern-knorpeligen Septum (Nasenscheidewand) in 2 Räume unterteilt. Oben begrenzt das Siebbein mit den Durchtrittstellen für den N. olfactorius die beiden Höhlen, unten der harte Gaumen und seitlich die Nasenmuscheln, 3 mit Schleimhaut überzogene Knochenvorsprünge, die der Befeuchtung der Atemluft dienen. Hinten gehen die Nasenhöhlen in den Nasopharynx über (. Abb. 12.3).

12.1.6

Ohr

Das Hörorgan des Menschen ist in 3 Teile gegliedert (. Abb. 12.4): 4 Äußeres Ohr mit Ohrmuschel, dem S-förmig gebogenen äußeren Gehörgang und dem Trommelfell als Abgrenzung zum Mittelohr. 4 Mittelohr, das aus der Paukenhöhle besteht, die über die Tube mit dem Nasenrachen verbunden ist, und den darin enthaltenen Gehörknöchelchen (. Abb. 12.4): 5 Hammer (Malleus), 5 Amboss (Incus), 5 Steigbügel (Stapes). Sie sorgen durch ihre Bewegungen für die Schallwellenübertragung. 4 Innenohr, das im Felsenbein liegt. Das Hörorgan liegt in der Schnecke; die Bogengänge enthalten das Gleichgewichtsorgan.

Nasennebenhöhlen (Sinus paranasales) 7 luftgefüllte Räume stehen mit der Nasenhöhle in Verbindung: 4 die Stirnhöhle (Sinus frontalis, paarig), 4 die Kieferhöhle (Sinus maxillaris, paarig), 4 die Keilbeinhöhle (Sinus sphenoidalis), 4 das Siebbeinlabyrinth (Sinus ethmoidalis, paarig) (. Abb. 12.3).

12.2

Diagnostisches Instrumentarium

Ein wichtiges Hilfsmittel in der HNO-Heilkunde ist die Lichtquelle. Hier kamen früher Stirnspiegel, heute kommen Kaltlicht-Kopflampen zur Anwendung. Durch das

Stirnhöhle Nasenmuscheln

V

Keilbeinhöhle IV III

Stirnbeinhöhle Epipharynx (Nasenrachen) mit Ohrtrompete

Orbita Siebbeinzellen

II

Nasenhöhle

Oropharynx

Rachen (Pharynx)

Kieferhöhle Hypopharynx

Mundhöhle

Zungenbein

I

Epiglottis

a

Kehlkopf

Ösophagus

Schilddrüse

Trachea

b

. Abb. 12.3a, b Topographische Übersicht Nase und Nasennebenhöhlen. a Schnitt durch Nase und Nasennebenhöhlen mit Etagengliederung des Schädels (I–V). b Seitliche Nasenwand, Nasen-Rachen-Raum, Rachen und Kehlkopf. Die roten Pfeile markieren die Kreuzung von Luft- und Speisewegen

596

Kapitel 12 · Hals-Nasen-Ohren-Chirurgie

. Abb. 12.4 Anatomische Darstellung des Ohrs. (Aus Beise et al. 2013)

zur Sehachse koaxiale Licht können die HNO-relevanten Strukturen inspiziert werden.

12.2.1

4 starres Lupenlaryngoskop, 90°-Optik (transoral; . Abb. 12.8), 4 flexibles Larynxendoskop (transnasal; . Abb. 12.7).

Ohruntersuchung 12.2.4

12

Stimmgabeluntersuchung

kInstrumentarium

4 Lichtquelle und Ohrtrichter, 4 Binokular-Mikroskop, 4 Absaugung. jMögliche Befunde

Ein wichtiges diagnostisches Hilfsmittel für den HNOArzt ist die Stimmgabel. Bei dieser grob orientierenden Untersuchung wird festgestellt, ob eine Schwerhörigkeit besteht und ob sie im Innenohr oder im Mittelohr lokalisiert ist.

4 Cerumen oder Fremdkörper, 4 Perforation oder Rötung des Trommelfells, 4 Entzündungen des äußeren Gehörgangs.

12.3

12.2.2

Nasenuntersuchung

kInstrumentarium

4 4 4 4

Lichtquelle, Nasenspekula verschiedener Größen (. Abb. 12.5), ggf. Bajonettpinzette (. Abb. 12.6) oder Watteträger, Endoskop mit starrer 0°-, 30°- oder 70°-Optik (. Abb. 12.7, . Abb. 12.8).

Das Instrumentarium ist durch die Weichteil-, Knochenund auch Mikrochirurgie sehr vielfältig (7 Kap. 11). Zusätzlich zum immer benötigten und in 7 Kap. 1 und 7 Kap. 2 beschriebenen Grundinstrumentarium kommen auch hier viele Spezialinstrumente zum Einsatz. Um eine übersichtliche Darstellung zu ermöglichen, werden die verschiedenen Spezialinstrumente zusammen mit den entsprechenden Operationen vorgestellt.

12.3.1 12.2.3

Kehlkopfuntersuchung

Operationsinstrumentarium

Adenotomie/Tonsillektomie (Entfernung der Rachen-/ Gaumenmandeln)

kInstrumentarium

4 Zungenspatel (. Abb. 12.9), 4 abgewinkelte Spiegel (. Abb. 12.10), 4 Kaltlichtquelle,

Diese Operationen werden selten zusammen durchgeführt, die instrumentelle Vorbereitung unterscheidet sich jedoch nur in den benötigten Abtragungsinstrumenten (s. unten).

597 12.3 · Operationsinstrumentarium

a

b 12.5

12.6

12.7

12.8

. Abb. 12.5a, b Nasenspekula. (© Fa. Martin) . Abb. 12.6 Bajonettpinzette. (© Fa. Martin) . Abb. 12.7 Flexibles Laryngoskop. (© Fa. Storz) . Abb. 12.8 Lupenlaryngoskop mit Winkel. (© Fa. Storz) . Abb. 12.9 Zungenspatel. (© Fa. Martin) 12.9

12.10

4 Bei Bedarf werden lange Kanülen zur Applikation des Lokalanästhetikums eingesetzt. 4 Je eine grobe, lange chirurgische und eine anatomische Pinzette. 4 Eine lange kniegebogene Pinzette für die bipolare Koagulation. 4 Präparierschere, z. B. nach Metzenbaum. 4 Mundsperrer, z. B. nach Kilner-Doughty (7 Kap. 11). 4 Tonsillenraspatorium nach Henke (. Abb. 12.11). Dies ist ein doppelseitig benutzbares, scharfes Dis-

. Abb. 12.10 Spiegel. (© Fa. Martin)

sektionsinstrument, um die Tonsille aus ihrer Kapsel zu schälen. 4 Eine in den breiten Branchen aufgebogene Tonsillenschere (. Abb. 12.12). 4 Ringmesser nach Beckmann (. Abb. 12.13). Sie müssen in verschiedenen Größen vorliegen. Damit werden die Adenoide (»Polypen«) entfernt. Diese Messer sind an der Innenkante des oberen Randes geschliffen und schälen so die Adenoide aus ihrem Lager.

12

598

Kapitel 12 · Hals-Nasen-Ohren-Chirurgie

12.11

12.12

12.13

12

12.14

12.15

12.16

. Abb. 12.11 Tonsillenraspatorium nach Henke. (© Fa. Aesculap)

. Abb. 12.14 Tonsillenschnürer nach Brünings. (© Fa. Aesculap)

. Abb. 12.12 Tonsillenschere nach Good. (© Fa. Aesculap)

. Abb. 12.15 Tonsillenfasszange nach Blohmke. (© Fa. Aesculap)

. Abb. 12.13 Ringmesser nach Beckmann. (© Fa. Aesculap)

. Abb. 12.16 Korbsauger nach Yankauer. (© Fa. Aesculap)

599 12.4 · Aufgaben der Operationspflegekraft

4 Tonsillenschnürer (. Abb. 12.14): Die in diesen Schnürer eingesetzte Drahtschlinge wird über die aus ihrer Kapsel befreite Tonsille geführt und dann angezogen, sodass die »Mandel« an der Basis abgetrennt wird. Die einzelnen Schlingen werden für jede Operation erneuert. 4 Tonsillenfasszange nach Blohmke (. Abb. 12.15): Damit können die Tonsillen während der Präparation gefasst werden. Die scharfen Zähnchen unterscheiden diese Zange von den bekannten Organfasszangen (7 Kap. 2). Über die offenen Griffe kann der Tonsillenschnürer an die »Mandel« geführt werden. 4 Korbsauger (. Abb. 12.16): Er ist gebogen und kann durch sein Körbchen keine großen Gewebeteilchen absaugen.

12.3.2

Tracheotomie/Koniotomie (Luftröhrenschnitt)

4 Zur Tracheotomie wird neben dem Grundinstrumentarium bei Bedarf ein Dilatator benutzt (. Abb. 12.17). 4 Die Art der Trachealkanüle hängt von verschiedenen Faktoren ab. Es gibt Einmalkanülen, resterilisierbare Metallkanülen, mit oder ohne Mandrin oder Sprechkanülen mit Ventil. Nach einer Operation wird in der Regel eine blockbare Trachealkanüle eingebracht. Für eine notfallmäßige Koniotomie kann das Lig. conicum mit einem Trachealtrokar durchstoßen werden (. Abb. 12.18).

12.3.3

Nasenoperationen

4 Ein wichtiges Instrument ist hier das Nasenspekulum (. Abb. 12.19, . Abb. 12.20) mit und ohne Arretierung. Nasenspekula sollten immer in verschiedenen Größen vorliegen. Bei Bedarf (z. B. in der Mikrochirurgie) kommen selbsthaltende arretierbare Spekula zur Anwendung. 4 Instrumente zur Untersuchung der Nase sind kniegebogen oder bajonettförmig. Sie erleichtern den Blick auf den Situs, ohne dass die Hand des Operateurs die Übersicht behindert (. Abb. 12.21, . Abb. 12.22). 4 Mit Raspatorien und Elevatorien wird die Schleimhaut vom Septum separiert. Hier ist ein beidseitig benutzbares Instrument von Vorteil (. Abb. 12.23).

12.3.4

Ohroperationen

Ohroperationen (ausgenommen Ohrmuscheloperationen) werden unter dem OP-Mikroskop vorgenommen. Hier werden daher überwiegend Mikroinstrumente verwendet, die eine besondere Handhabung und Pflege zur Vermeidung von Beschädigungen erfordern. Es gelten alle Hinweise, die in 7 Kap. 10 und 7 Kap. 11 für die Mikrochirurgie besprochen wurden. 4 Zur Inspektion des äußeren Gehörganges bis zum Trommelfell reichen die Ohrtrichter. 4 Tast- und Kürettierinstrumente sind z. B. die Ohrschlinge (. Abb. 12.24), ein stumpfes Instrument, um z. B. Cerumen zu entfernen und der Ohrhebel mit Knopf (. Abb. 12.25). 4 Die verschiedenen otologischen Fass- oder Löffelzangen sind kniegebogen (. Abb. 12.26). 4 Parazentesenadeln zur Inzision des Trommelfells sind kniegebogen oder seltener bajonettförmig (. Abb. 12.27). 4 Rundschnittmesser (. Abb. 12.28), Lanzettmesser (. Abb. 12.29) oder Lappenmesser (. Abb. 12.30) werden in der Mikrochirurgie bevorzugt. 4 Mikroscheren, kniegebogen, werden mit verschieden gebogenen Branchen angeboten, damit problemlos in alle Richtungen geschnitten werden kann (. Abb. 12.31). 4 Das Gleiche gilt für die Stanzen, mit denen Knochengewebe entfernt wird (. Abb. 12.32). 4 Mit dem kleinen scharfen Knochenlöffel (. Abb. 12.33) kann Knochengewebe entfernt werden (z. B. bei der Stapesplastik). 4 Zusätzlich zum erwähnten Instrumentarium benötigt man bei der Ohroperation häufig eine Bohrmaschine, wie sie Zahnärzte benutzen. Der Handgriff ist leicht abgewinkelt und nach Bedarf werden Rosenbohrer, Fräsen o. Ä. eingesetzt. Die Bohrer können mit einer integrierten Spülung ausgestattet sein, um den zu behandelnden Knochen während des Fräsens kühlen zu können. 4 In der Regel wird die instrumentierende Pflegekraft mit einer gebogenen Knopfkanüle während des Bohrens spülen.

12.4

Aufgaben der Operationspflegekraft

Auch in der HNO-Abteilung, und dort insbesondere in der OP-Abteilung, muss sehr viel Wert auf die prä-, peri- und postoperative Betreuung der Patienten gelegt werden, da viele Eingriffe in Lokalanästhesie vorgenommen werden können. Außerdem sind, z. B. durch die Rachen- und Gaumenmandeloperationen, ein großer Teil der Patienten Kinder, denen wir mit Zuwendung ihre Angst nehmen sollten.

12

600

Kapitel 12 · Hals-Nasen-Ohren-Chirurgie

12.17

12.18

12.19

12.20

12

12.21

12.22

12.23

. Abb. 12.17 Dilatator nach Laborde

. Abb. 12.21 Nasenpinzette nach Troeltsch. (© Fa. Aesculap)

. Abb. 12.18 Koniotom nach Ueckermann-Denker

. Abb. 12.22 Nasenschere nach Heymann. (© Fa. Aesculap)

. Abb. 12.19 Nasenspekulum nach Beckmann. (© Fa. Aesculap)

. Abb. 12.23 Elevatorium/Raspatorium nach Freer: Eine Seite ist stumpf, die andere scharf. (© Fa. Aesculap)

. Abb. 12.20 Nasenspekulum nach Kilian. (© Fa. Aesculap)

12

601 12.4 · Aufgaben der Operationspflegekraft

12.24

12.28

12.25

12.29

12.26

12.30

12.27

12.32

12.33

12.31 . Abb. 12.24 Ohrschlinge nach Langenbeck. (© Fa. Aesculap)

. Abb. 12.29 Lanzettmesser nach Rosen. (© Fa. Aesculap)

. Abb. 12.25 Ohrhebel nach Lucae. (© Fa. Aesculap)

. Abb. 12.30 Lappenmesser nach Plester. (© Fa. Aesculap)

. Abb. 12.26 Fasszange nach Hartmann. (© Fa. Aesculap)

. Abb. 12.31 Mikroschere. (© Fa. Aesculap)

. Abb. 12.27 Parazentesenadel nach Lucae. (© Fa. Aesculap)

. Abb. 12.32 Knochenstanze. (© Fa. Aesculap)

. Abb. 12.28 Rundschnittmesser. (© Fa. Aesculap)

. Abb. 12.33 Knochenlöffel nach House. (© Fa. Aesculap)

602

Kapitel 12 · Hals-Nasen-Ohren-Chirurgie

Die Aufgaben bezüglich der unterschiedlichen Instrumentarien und der vielfältigen Operationen gleichen den in 7 Kap. 11 beschriebenen.

12.5

Hals-Nasen-Ohren-Operationen

12.5.1

Adenotomie

kIndikation

4 Behinderung der Nasenatmung durch Hyperplasie der Rachenmandeln. Die betroffenen Kinder haben häufig Schnupfen, schlafen durch die erschwerte Nasenatmung schlecht und schnarchen. 4 Paukenergüsse durch Verlegung der Tubenostien, dadurch Schallleitungsschwerhörigkeit (→ OP: Parazentese).

Tonsillektomie/Tonsillotomie

kIndikation

4 Chronische Tonsillitis: 5 Erreger sind meist Streptokokken. 5 Die chronische Tonsillitis führt manchmal zum Peritonsillarabszess oder durch Streuung zu Folgeerkrankungen der Gelenke (Rheuma), der Nieren (Glomerulonephritis) oder zu funktionellen Herzerkrankungen. 4 Tonsillenhyperplasie (THP): 5 Sollte die Hyperplasie nur einseitig aufgetreten sein, liegt der Verdacht einer malignen Grunderkrankung nahe. 5 Bei Kindern kann die THP zum Schnarchen mit Aussetzen der Atmung führen. 4 Rezidivierende Anginen.

kPrinzip

kPrinzip

Die Adenotomie (AT) ist die operative Abtragung der adenoiden Wucherungen.

Bei der Tonsillektomie (TE) werden die gesamten Gaumenmandeln aus ihrer Kapsel herausgeschält. Bei kleineren Kindern mit Atmungsaussetzern beim Schnarchen kann eineTonsillotomie (Mandelkappung), in der Regel mit dem Laser, indiziert sein.

kLagerung

12

12.5.2

4 In Vollnarkose: Rückenlage mit rekliniertem Kopf. 4 Dieser Eingriff wird nur noch selten in Lokalanästhesie durchgeführt: Dann wird das Kind von einer Pflegekraft in halbsitzender Position gehalten. kInstrumentarium

4 4 4 4 4

Mundsperrer, Zungenspatel, Beckmann-Ringmesser, grobe Pinzetten, bi- oder monopolare Blutstillungspinzette.

kLagerung

4 In Lokalanästhesie: halbsitzende Position. 4 In Vollnarkose: Rückenlage mit rekliniertem Kopf. kInstrumentarium

4 4 4 4

Instrumente wie bei der AT/TE, mit einem Faden armierte Tupfer zur Kompression, ggf. bipolare Koagulationspinzette, Umstechung.

OP-Verlauf: Adenotomie

OP-Verlauf: Tonsillektomie

5 Nach der sterilen Abdeckung und dem Team-Time-

5 Für die vorgesehene Lokalanästhesie werden die

5

5 5 5

out wird der Mundsperrer nach Kilner-Doughty eingesetzt. Er drückt die Zunge nach unten und fixiert gleichzeitig den Tubus. Die adenoiden Vegetationen werden mit dem entsprechend großen Ringmesser an ihrer Basis abgetragen. Das Blut wird abgesaugt, eine passagere Blutstillung mit armierten großen Tupfern reicht zumeist aus. Blutende Gefäße werden mit der bipolaren Koagulationspinzette koaguliert. Zählen der Tupfer und Dokumentation der Vollzähligkeit. Die Entfernung des Mundsperrers, Absaugen und Inspektion der Mundhöhle beenden den Eingriff.

Tonsillen mit einer langen dünnen Kanüle mit dem Anästhetikum umspritzt. Dieses hat häufig einen Adrenalinzusatz, um gleichzeitig eine Gefäßverengung zu erreichen. 5 Nach dem Team-Time-out und dem Einsetzen des Mundsperrers – für Patienten mit lokaler Betäubung wird ein handgehaltener Zungenspatel verwendet – wird eine Tonsille mit der groben chirurgischen Pinzette gefasst, der vordere Gaumenbogen wird mit der Schere inzidiert und die »Mandel« mit der Tonsillenschere und dem HenkeRaspatorium im Wechsel aus ihrer Kapsel geschält. Mit dem Tonsillenschnürer wird sie vom Zungengrund abgetrennt.

603 12.5 · Hals-Nasen-Ohren-Operationen

kLagerung

5 Ein armierter Tupfer wird vorübergehend zur Kompression in das Tonsillenbett geschoben; analoges Vorgehen auf der anderen Seite. 5 Erscheint die Blutstillung unzureichend, wird abschließend eine Umstechung erfolgen. Die Tonsillen werden zur histologischen Untersuchung gegeben. ! Tonsillen werden immer seitengetrennt zur histologischen Untersuchung gegeben.

Die Tonsillektomie kann auch mit alternativen Dissektionstechniken wie dem CO2-Laser, dem Ultraschallskalpell oder dem Coblator durchgeführt werden.

Komplikationen Eine Nachblutung tritt zumeist am OP-Tag oder am 1. postoperativen Tag auf, kann aber noch nach 2 Wochen vorkommen. Leichtere Blutungen sistieren häufig spontan, wenn der Patient mit einer Eiskrawatte im Nacken aufrecht und ruhig im Bett sitzt. Lässt sich eine aufgetretene Blutung mit Tamponade oder Hämostyptika nicht stillen, muss chirurgisch interveniert werden.

12.5.3

Stützautoskopie/Laryngoskopie

Die Stützautoskopie dient der direkten Untersuchung des Kehlkopfes, wenn die indirekte Spiegelung nicht möglich oder unzureichend erscheint, kleineren operativen Eingriffen an Kehlkopf und Pharynx sowie der Entfernung von Fremdkörpern, die in Lokalanästhesie nicht geborgen  werden können. Zur besseren Übersicht wird diese Untersuchung mit Hilfe des OP-Mikroskops vorgenommen (. Abb. 12.34). kIndikation

4 Verdacht auf Larynxpapillome, Leukoplakie, Stimmlippenpapillome, Stimmbandpolypen oder Kehlkopfkarzinom. 4 Verdacht auf Fremdkörper (z. B. Fischgräten). kPrinzip

4 Direkte Betrachtung des Larynx über ein starres Laryngoskop, das auf der Brust des Patienten abgestützt ist (deshalb Stützautoskopie) unter Verwendung des Mikroskops. 4 Bei Bedarf mikrochirurgische Abtragung des Befundes ggf. mit einem CO2-Laser oder Probeentnahmen zur histologischen Diagnosesicherung.

4 Rückenlage mit leicht angehobenem Kopfteil. 4 Eine sterile Abdeckung ist nicht nötig. kInstrumentarium

4 Starre Laryngoskope in verschiedenen Durchmessern und unterschiedlichen Längen mit montierbarem Lichtleitstab und Kaltlichtkabel (. Abb. 12.35), 4 Zahnschutz für den bezahnten Oberkiefer (. Abb. 12.36), 4 Laryngoskophalter mit Bruststütze (. Abb. 12.37). 4 Verschiedene Fasszangen: 5 Doppellöffelzange, 5 gezahnte Fasszange. 4 Verschiedene Scheren (rechts gebogen, links gebogen, gerade), 4 lange Watteträger, 4 Gefäß für ein adstringierendes Medikament zum Eintauchen von Watteträgern für die Blutstillung, 4 langer Saugeransatz, 4 kleine Gefäße zum Aufnehmen der entnommenen Präparate, 4 OP-Mikroskop mit einem Objektiv mit einer Brennweite von 400 mm, 4 ggf. monopolare Handelektrode. OP-Verlauf: Stützautoskopie

5 In Intubationsnarkose wird der Kopf des Patienten rekliniert und der Zahnschutz eingesetzt. Nach dem Team-Time-out wird ein starres Laryngoskop (nach Kleinsasser oder Negus) eingebracht und mit einer Kaltlichtquelle verbunden. 5 Die Sicht auf den Kehlkopf wird eingestellt und das Laryngoskop mit der Bruststütze fixiert. Der obere Trachealanteil, die Stimmbänder und die Aryknorpel (die Stellknorpel des Kehlkopfes) können betrachtet werden. 5 Bei Bedarf können jetzt mit Fasszange, Löffelzange und Schere verschiedene Proben entnommen bzw. Papillome oder Polypen entfernt werden. 5 Die einzelnen Präparate müssen korrekt gekennzeichnet und mit ihrer Entnahmestelle bezeichnet werden.

12.5.4

Panendoskopie

Die Panendoskopie ist eine endoskopische Kombinationsuntersuchung zur fast vollständigen (Pan-) Darstellung der oberen Atem- und Speisewege. Sie wird zum Ausschluss bzw. der rechtzeitigen Diagnose von malignen Primär-

12

604

Kapitel 12 · Hals-Nasen-Ohren-Chirurgie

90

a

b

12

c

. Abb. 12.34a–c Lupenlaryngoskopie (a), flexible Endoskopie Kehlkopf (b), direkte Laryngoskopie zur Mikrochirurgie des Kehlkopfes (c). (Aus Lenarz u. Boenninghaus 2012)

tumoren, aber auch bei unbekannten Primärtumoren (CUP) durchgeführt. Diese Tumoren gehen meist von den Schleimhäuten aus. Die häufigsten Risikofaktoren sind Rauchen und übermäßiger Alkoholkonsum, v. a. von hochprozentigen Alkoholika. Aber auch das HPV (humanes Papillomavirus) scheint eine wichtige Rolle in der Entstehung der Tumoren zu spielen. HNO-Tumoren sind eher selten. Männer sind häufiger betroffen als Frauen (Verhältnis 5 : 1), häufig befinden sich die Patienten im 6. Lebensjahrzehnt. Die Panendoskopie umfasst die in der Übersicht zusammengefassten Verfahren.

Panendoskopie 5 5 5 5 5 5 5

Pharyngoskopie Hypopharyngoskopie Nasopharyngoskopie Mikrolaryngoskopie Tracheoskopie Bronchoskopie Ösophagoskopie

605 12.5 · Hals-Nasen-Ohren-Operationen

12.37 12.35

12.36

. Abb. 12.35 Operationslaryngoskop. (© Fa. Aesculap)

. Abb. 12.37 Laryngoskophalter mit Bruststütze. (© Fa. Aesculap)

. Abb. 12.36 Zahnschutz. (© Fa. Aesculap)

kIndikation

kLagerung

Ziel der Panendoskopie ist es, durch Probeentnahmen in suspekten Bereichen die Verdachtsdiagnose zu bestätigen und die genaue Ausdehnung zur Planung der späteren operativen Tumorentfernung zu ermitteln. Eine weitere Indikation ist die Tumornachsorge, für die bei einigen Tumoren eine jährliche Durchführung der Panendoskopie empfohlen wird.

Rückenlage mit leicht angehobenem Kopfteil, evtl. Unterfütterung der Schulterpartie. Eine Sterilabdeckung ist nicht notwendig.

kPrinzip

Spiegelung aller relevanten Bereiche im Kopf-Hals-Bereich mit Probeentnahme von suspekten Befunden. Die Panendoskopie wird mit unterschiedlichen starren und flexiblen Instrumenten, die z. T. schon beschrieben wurden, durchgeführt. Die Panendoskopie mit starren Instrumenten hat gegenüber der Methode mit flexiblen Endoskopen den Vorteil, dass die Sicht durch Aufspannen der Schleimhäute verbessert wird. Vor allem kann die Kehlkopfregion eingesehen werden, und Blutungen durch Biopsien können vom Operateur beidhändig gestillt werden. ! Beatmet wird bei der Bronchoskopie über das starre Bronchoskop. Daher ist der Operateur bei der Narkoseeinleitung anwesend.

Die Panendoskopie ist grundsätzlich leicht erlernbar. Allerdings besteht besonders bei voroperierten und bestrahlten Patienten und bei Tumoren des Pharynx/Hypopharynx das Risiko, dass nach der Narkoseeinleitung nicht mit einer Maske beatmet werden kann, eine Intubation aber auch nicht gelingt. ! Vorbereitungen zur Tracheotomie oder Koniotomie müssen nach Rücksprache mit dem Operateur getroffen werden.

kInstrumentarium

4 Starre Laryngoskope in verschiedenen Durchmessern und unterschiedlichen Längen mit montierbarem Lichtleitstab und Kaltlichtkabel (. Abb. 12.35), 4 Zahnschutz für den bezahnten Oberkiefer (. Abb. 12.36), 4 Laryngoskophalter mit Bruststütze (. Abb. 12.37), 4 verschiedene Fasszangen: 5 Doppellöffelzange, 5 gezahnte Fasszange. 4 Verschiedene Scheren (rechts gebogen, links gebogen, gerade), 4 lange Watteträger, 4 Gefäß für ein adstringierendes Medikament zum Eintauchen von Watteträgern für die Blutstillung, 4 langer Saugeransatz, 4 kleine Gefäße zum Aufnehmen der entnommenen Präparate, 4 OP-Mikroskop mit einem Objektiv mit einer Brennweite von 400 mm, 4 ggf. monopolare Handelektrode, 4 starre Bronchoskope, 4 starre Ösophagoskope, 4 lange Optiken 0° und 90°, 4 passende PE-Zangen, 4 feuchte Bauchtücher, 4 Gefäß für sterile Kochsalzlösung, 4 Nasenendoskop und Instrumentarium für eine PE-Entnahme, 4 Tonsillensperrer, 4 diverse Saugansätze in passenden Längen und Durchmessern.

12

606

Kapitel 12 · Hals-Nasen-Ohren-Chirurgie

OP-Verlauf: Panendoskopie

5 Nach der Patientenlagerung erfolgt das Team-

5 5 5

5

5

12

5 5

5

5

Time-out. Auch hier werden alle Textilien sorgfältig gezählt, da häufig sehr kleine Watten zum Einsatz kommen. Die Narkose wird erst eingeleitet, wenn der Operateur vor Ort ist, da zunächst die starre Bronchoskopie erfolgt (s. oben). Wenn es erforderlich ist, wird der Zahnschutz eingesetzt. Ist der Oberkiefer zahnlos, wird er durch eine feuchte Kompresse geschützt. Das Bronchoskop wird mit dem Lichtleiter verbunden und hat eine Vorrichtung für den Beatmungsschlauch, der sofort nach dem Eingehen konnektiert wird, um die Beatmung sicherzustellen. Nun erfolgt unter Sicht mit der 0°-Optik die Begutachtung der Trachea, an der Aufzweigung der Trachea (Carina) wird auf die 90°-Optik gewechselt, um beide Hauptbronchien und deren erste Verzweigungen zu untersuchen. Während der Bronchoskopie wird über Mund und Nase des Patienten ein feuchtes Bauchtuch gelegt, um ein Entweichen der Beatmungsluft zu vermeiden. Suspekte Befunde werden mit einer Biopsiezange entfernt, in ein Histologiegefäß gegeben und beschriftet. Danach erfolgt die Intubation des Patienten, die häufig durch den HNO-Arzt vorgenommen wird. Nun wird die Ösophagoskopie durchgeführt, das Endoskoprohr wird bis in den Magen vorgeschoben, und die Speiseröhre wird retrograd mit der 0°-Optik beim langsamen Zurückziehen betrachtet. Suspekte Bereiche werden in gleicher Weise wie vorher beschrieben behandelt. Mund- und Nasenhöhle werden mit dem entsprechenden Instrumentarium untersucht, und zum Schluss erfolgt die Stützautoskopie (7 Abschn. 12.5.3). Bei Bedarf wird ein adstringierendes Medikament an einem Watteträger eingebracht oder auch eine monopolare Koagulation durchgeführt. Die Zählkontrolle der Textilien und Instrumente und die Dokumentation beenden den Eingriff.

kKomplikationen

Komplikationen sind grundsätzlich selten. Der Patient kann postoperativ unter Heiserkeit leiden. Schluckstörungen sind möglich, aber auch Zahnschäden. Druckläsionen an der Speiseröhre können vorkommen, die sich aber schnell regenerieren.

Eine Perforation des Ösophagus (mit der Gefahr einer Mediastinitis) durch ein starres Instrument ist eine gefährliche, aber seltene Komplikation.

12.5.5

Tracheotomie

Der sog. Luftröhrenschnitt (Tracheotomie) ist häufig eine Notfallmaßnahme, daher sollten die Instrumente und das Vorgehen allen Beteiligten geläufig sein. kIndikation

4 Langzeitbeatmung oder eine erwartete Langzeitbeatmung. Ist bei intubierten Patienten nach ca. 4–14 Tagen eine Extubation nicht möglich oder nicht zu erwarten, sollte ein Tracheostoma angelegt werden. 4 Auch eine Teilresektion des Kehlkopfes sowie Tumorinfiltration in die Trachea sind Indikationen zur Tracheotomie. 4 Sicherung der Atemwege nach Operationen im Pharynx oder Hypopharynx mit dem Risiko einer Nachblutung. 4 Bleibende Schluckstörungen mit Aspirationgefahr nach Schädel-Hirn-Trauma oder Schlaganfall. kPrinzip

Eröffnung der Luftröhre zwecks Einsetzen einer Trachealkanüle zur künstlichen Beatmung. kLagerung

4 Rückenlage mit leicht überstrecktem Kopf. 4 Die Dispersionselektrode wird an einem Oberarm fixiert. kInstrumentarium

Siehe Instrumentarium für Tracheotomie (7 Abschn. 12.3.2).

OP-Verlauf: Tracheotomie

5 Für die Tracheotomie sind 3 verschiedene Zugänge zur Luftröhre möglich: – Obere Tracheotomie, oberhalb des Isthmus der Schilddrüse. – Mittlere Tracheotomie mit der Durchtrennung des Isthmus der Schilddrüse. (Dieser Zugang wird für eine elektive Tracheotomie am häufigsten benutzt.) – Untere Tracheotomie unterhalb des Isthmus der Schilddrüse. 5 Auch die Schnittführung variiert, meist wird der kurze Kocher-Kragenschnitt (7 Abschn. 2.1.1) oder ein medianer Längsschnitt gewählt. Nach der

607 12.5 · Hals-Nasen-Ohren-Operationen

5

5

5

5

5

5

Durchtrennung des Platysma mit dem Skalpell kann die prätracheale Muskulatur stumpf zur Seite gedrängt werden. Vielfach kann der Isthmus der Schilddrüse erhalten werden, indem er mit 2 Langenbeck- oder KocherHaken so weit kopfwärts gezogen wird, dass der 3. und 4. Trachealring freiliegt. Gelingt das nicht, wird der Isthmus zwischen 2 Klemmen durchtrennt und umstochen (7 Abschn. 2.2.3). Alle Gefäße müssen unterbunden oder elektrokoaguliert werden, um postoperative Blutungen und die damit verbundene Aspirationsgefahr zu verhindern. Nun kann die Trachea eröffnet werden durch – die X-förmige Inzision, – den Türflügelschnitt, – den rundlichen Björk-Lappen. Die Eröffnung erstreckt sich immer über 2 Knorpelspangen. Das entstehende Fenster wird mit polyfilen Haltefäden an der Haut fixiert, die sog. tracheokutanen Nähte (»mukokutane Anastomose«). Der orale Tubus wird entblockt und entfernt, die passende Trachealkanüle, deren Blockmanschette von der OP-Pflegekraft geprüft wurde, wird eingeführt und an die Beatmung angeschlossen. Zur künstlichen Beatmung empfehlen sich blockbare Tuben. Wenn keine Aspirationsgefahr mehr besteht, wird der Patient mit einer nicht blockbaren Trachealkanüle (z. B. einer Sprechkanüle) versorgt.

dem Patienten das Sprechen ermöglicht. Die Auswahl der richtigen Kanüle (. Abb. 12.38, . Abb. 12.39, . Abb. 12.40, . Abb. 12.41) richtet sich danach, ob sie zur Langzeitbeatmung oder als Dauerkanüle verwendet werden soll. Wichtig ist immer, dass die Kanüle dem Durchmesser der Trachea angepasst ist und weder zu kurz noch zu lang gewählt wird.

Komplikationen 4 Intraoperativ: heftige Blutungen, Verletzungen des Ringknorpels (sie können zu einer Ringknorpelstenose führen), Rekurrensverletzungen mit Lähmung der Stimmlippen. 4 Postoperativ: Nachblutungen oder Arrosionsblutungen, wenn die Kanüle nicht korrekt passt, Phlegmone, Pneumonie, v. a. aufgrund einer Aspiration. 4 Als Spätkomplikation gilt die Trachealstenose, v. a. bei Patienten mit einer Neigung zur Keloidbildung.

Tracheostomaverschluss Wird die Kanüle und damit das Tracheostoma nach der Heilung oder Besserung der Grunderkrankung nicht mehr benötigt, kann das Tracheostoma in Lokalanästhesie oder in Vollnarkose verschlossen werden.

12.5.6

Koniotomie

Eine Koniotomie ist eine »notfallmäßige Tracheotomie« als lebensrettende Maßnahme. Sie ersetzt nicht die Tracheostomie, sondern zieht sie nach sich.

Trachealkanülen

kIndikation

Nach der Tracheotomie wird eine Rügheimer-Kanüle mit blockbarer Manschette eingesetzt, um eine Aspiration aus dem Wundgebiet zu verhindern und den Patienten ggf. zu beatmen. Erst später erfolgt die Versorgung mit einer Trachealkanüle. Diese besteht meist aus einem doppellumigen Rohr, dessen innerer Teil, die »Seele«, beliebig oft entfernt und wieder eingesetzt werden kann. Das erleichtert die Reinigung und die endotracheale Absaugung. Nach der Tracheotomie wird die Kanüle täglich gewechselt. Fallen die Trachealwände in sich zusammen, wird das Tracheostoma mit einem überlangen Spekulum, z. B. nach Killian, offen gehalten. Dann lässt sich die Kanüle leichter einsetzen. Die Trachealkanüle hat vorn eine Platte, die die Kanüle auf der Haut aufliegen lässt. An beiden Seiten dieser Platte wird durch vorgefertigte Ösen ein Band gezogen und hinten am Hals des Patienten geknüpft. Sprechkanülen haben in ihrer Krümmung ein Fenster, durch das die Ausatemluft nach innen in den Kehlkopf gelangen kann. Durch ein Rückschlagventil in der Kanülenöffnung wird

Lebensbedrohliche akute Atemnot mit Erstickungsgefahr, z. B. durch 4 allergiebedingte Larynxschwellungen, 4 Intubationshindernisse, 4 Kehlkopffrakturen, 4 Fremdkörper. kPrinzip

Das Lig. cricothyreoideum (Lig. conicum) wird zwischen dem Unterrand des Schildknorpels und dem Oberrand des Ringknorpels mit dem Koniotom durchstoßen, der Kehlkopf eröffnet und der Patient mit einem dünnen Tubus beatmet. kLagerung

Rückenlage mit Unterpolsterung der Schultern bei rekliniertem Kopf. kInstrumentarium 7 Abschn. 12.3.2.

12

608

Kapitel 12 · Hals-Nasen-Ohren-Chirurgie

a

b

c 12.38

12

12.39

12.40

12.41

. Abb. 12.38a–c Doppelläufige Trachealkanüle. (© Fa. Aesculap) . Abb. 12.39 Doppelläufige Metallkanüle mit herausnehmbarer Innenkanüle. (© Fa. Aesculap) . Abb. 12.40 Spiral-Tracheostomiekanüle mit stufenlos justierbarem Flansch mit Blockermanschette zur Beatmung. (© Fa. Covidien) . Abb. 12.41 Ventilkanüle (Sprechkanüle) mit Loch. (© Fa. Aesculap)

12.5.7

Neck-Dissection

OP-Verlauf: Koniotomie

5 Ein 1–2 cm langer vertikaler Hautschnitt wird über dem Lig. conicum angelegt. Der Bogen des Ringknorpels ist tastbar, direkt darüber verläuft das Ligament. 5 Die Öffnung lässt sich stumpf erweitern, in Notsituationen mit dem Finger. 5 Nach dem Hautschnitt wird das Ligament mit einem Koniotom oder einem Skalpell und einem Nasenspekulum nach Killian durchstoßen. Der Trokar des Koniotoms wird zurückgezogen und der Kehlkopf eröffnet.

Eine Neck-Dissection ist eine Halslymphknotenausräumung, die, je nach Tumorstadium, einseitig oder beidseits in einer Sitzung erfolgt. Eine Kombination der Operation mit anderen Eingriffen ist je nach Ausbreitung des Primärtumors möglich, z. B.: 4 Kehlkopfresektion, 4 Unterkieferteilresektion oder 4 Zungengrundresektion mit Mandibulasplitting. Bei laserchirurgischer Resektion des Primärtumors wird die Neck-Dissection zweizeitig nach einem Intervall von ca. 2 Wochen durchgeführt.

609 12.5 · Hals-Nasen-Ohren-Operationen

kIndikation

4 Karzinome im Kopf- und Halsbereich, 4 Lymphknotenmetastasen ohne Nachweis eines Primärtumors (CUP – »carcinoma of unknown primary«).

5 Die Haut-Platysma-Lappen werden präpariert, der

kPrinzip

Entfernung der Halslymphknoten. Das Ausmaß der Operation ist abhängig von der Lokalisation und der Ausdehnung der Grunderkrankung und kann von der Schädelbasis bis zur Klavikula reichen. 4 Radikale Neck-Dissection: Lymphknotenausräumung mit umgebendem Fett sowie Resektion von 5 N. accessorius, 5 M. sternocleidomastoideus, 5 V. jugularis interna (evtl. auch A. carotis externa), 5 Glandula submandibularis. 4 Funktionelle Neck-Dissection: Lymphknotenausräumung mit umgebendem Fettund Bindegewebe. 4 Selektive modifizierte Neck-Dissektion: Lymphknotenausräumung je nach Ausmaß der Grunderkrankung.

5

5

5 5

kLagerung

4 Rückenlage, den Kopf auf die kontralaterale Seite gedreht. 4 Die neutrale Elektrode wird an einem Oberarm fixiert.

5

kInstrumentarium

5

4 4 4 4

Grundinstrumente, Sauger, bipolare Pinzette, ein Nervenreizgerät zur Identifikation des N. accessorius sowie des Mundastes des N. facialis, 4 feine Gummizügel. 4 Erweiterung der Operation auf Unterkieferteilresektion oder Mandibulasplitting: 5 Raspatorien, 5 oszillierende Säge, 5 Luer, 5 Plattenosteosynthesematerialien.

12.5.8

M. sternocleidomastoideus freigelegt und bei der radikalen Neck-Dissection zwischen 2 Klemmen mit dem Skalpell, besser mit dem Diathermiestichel, durchtrennt. Beide Muskelstümpfe werden umstochen. Der N. accessorius verläuft am Hinterrand des Muskels und wird vorsichtig mit einer feinen Schere, z. B. nach Wittenstein, dargestellt und zunächst angeschlungen. Je nach Ausdehnung des Tumors wird er später erhalten oder reseziert werden. Nach der Durchtrennung des Muskels liegt die sog. Gefäßnervenscheide mit der V. jugularis interna, der A. carotis communis und dem N. vagus sichtbar im OP-Feld. Die V. jugularis wird über eine kurze Strecke mittels Overholt-Dissektion freipräpariert, distal doppelt ligiert und zusätzlich mit kräftigem Nahtmaterial umstochen. Nach der Darstellung der A. carotis communis und des N. vagus kann der Dissektionsblock mit Schere und Pinzette kopfwärts präpariert werden. Die V. jugularis interna wird bis zum Foramen jugulare freigelegt, dort wieder doppelt ligiert und abgesetzt. Das Tumorpräparat wird unter Ligatur der V. facialis oder ggf. der A. thyreoidea superior herausgelöst, entfernt und zur histologischen Untersuchung gegeben. Wichtig ist eine topographisch exakte Nadelmarkierung auf einer Korkplatte. Nach der sorgfältigen Blutstillung, der Zählkontrolle und der Einlage von 1 oder 2 Redon-Drainagen erfolgen der schichtweise Wundverschluss und der Halsverband.

Laryngektomie

kVorbereitung und Lagerung

Sie entsprechen denen für eine Neck-Dissection (7 Abschn. 12.5.7). Eine Tracheotomie ist obligat und muss vorbereitet werden.

OP-Verlauf: Neck-Dissection

OP-Verlauf: Laryngektomie

5 Nach der Patientenlagerung und der sterilen

5 Team-Time-out. 5 Der Hautschnitt verläuft meist U-förmig am Vor-

Abdeckung erfolgt das Team-Time-out. 5 Die Hautschnittführung variiert. Meist verläuft der Schnitt am Vorderrand des M. sternocleidomastoideus mit einer zusätzlichen Inzision in Richtung der Klavikula, also T-förmig.

derrand des M. sternocleidomastoideus beidseits, 2 Querfinger oberhalb des Jugulums (GluckSoerensen-Lappen). 5 Durchtrennung der prälaryngealen Muskulatur

12

610

12

Kapitel 12 · Hals-Nasen-Ohren-Chirurgie

5 mit dem Diathermiemesser zwischen 2 Klemmen, Durchstechungsligatur der Stümpfe. 5 Die Thyreoidealappen werden dargestellt und der Isthmus zwischen 2 Klemmen durchtrennt. Die Schilddrüse wird vom Larynx abpräpariert und, wenn möglich, geschont. 5 Präparation und Eröffnung des Kehlkopfes, Darstellung der Trachea, Tracheotomie, Umintubation mit einer blockbaren Trachealkanüle. 5 Resektion je nach Ausdehnung des Tumors: Das Hauptpräparat enthält den Neck-DissectionBlock, den Kehlkopf, ggf. die Glandula submandibularis, Glandula thyreoidea und evtl. den N. accessorius. 5 Primäre Pharynxplastik durch Schlundnaht zur Trennung von Luft- und Speiseweg mit 3–0, 4–0 resorbierbarem, geflochtenem Nahtmaterial. 5 Bei ausgedehntem Hypopharynxkarzinom muss der entstandene Rachendefekt evtl. durch einen myokutanen Lappen des M. pectoralis oder durch ein mikrovaskulär anastomosiertes Unterarminterponat gedeckt werden. 5 Nach der Zählkontrolle und der Dokumentation des Zählstandes werden ein oder zwei RedonDrainagen eingelegt. Der schichtweise Wundverschluss und ein Halsverband beenden den Eingriff.

12.5.9

Septumkorrektur

4 4 4 4 4 4

Nasenspekula unterschiedlicher Größe, Nasenschere, Raspatorium nach Freer (. Abb. 12.23), ggf. schmale Meißel mit einem Metallhämmerchen, abschwellend wirkende Lösung z. B. Privin, armierte Spitztupfer. OP-Verlauf: Septumkorrektur

5 Vor dem eigentlichen Beginn der Operation werden Spitztupfer mit Privin in die Nasenlöcher gelegt, um das Anschwellen der Schleimhaut zu minimieren. Danach erfolgt das Team-Time-out. 5 Der Schnitt verläuft im Nasenvorhof als Transfixions- oder Hemitransfixionsschnitt. Mit einem kleinen Messer (Skalpell Nr. 15) wird an der Septumkante eine Inzision gelegt und das Mukoperichondrium mit einem Raspatorium nach Freer abgelöst. 5 Die Begradigung der Scheidewand erfolgt durch Abmeißelung des knöchernen Spornes oder durch gezielte Resektion des deviierten Knorpels. Das entnommene Material, Knochen und Knorpel, wird retransplantiert. 5 Häufig sind zusätzlich die unteren Nasenmuscheln hyperplastisch, die dann mit einer Nasenschere verkleinert werden (Konchotomie). Der Hemitransfixionsschnitt wird mit einer dünnen monofilen Naht verschlossen. Beide Nasenhöhlen können tamponiert werden. Alternativ kann eine Stützfolie aus Silikon eingelegt werden, die mittels durchgreifender Naht fixiert wird.

Eine Begradigung der Nasenscheidewand ist nur dann erforderlich, wenn die Verbiegung die Nasenatmung behindert.

kKomplikationen

kIndikation

4 Septumhämatom, 4 Nachblutung.

Septumdeviation: Sie kann durch ein Trauma, aber auch durch gestörtes Wachstum entstehen. 12.5.10

Nasenbeinreposition

kPrinzip

Begradigung der Nasenscheidewand, oft kombiniert mit einer Konchotomie (Muschelkappung). kLagerung

4 Rückenlage mit leicht erhöhtem Oberkörper und rekliniertem Kopf. 4 Wird monopolar gearbeitet, wird die neutrale Elektrode an einen Oberarm geklebt. kInstrumentarium

4 Grundinstrumente, 4 bipolare Koagulationspinzette,

In der Regel brechen die verknöcherten knorpeligen Anteile (Fausthieb), sehr selten die knöchernen Strukturen (scharfkantige Verletzungen, Verkehrsunfälle). Nach einer Nasenbeinfraktur mit verschobenen Fragmenten muss die Nase möglichst umgehend wieder aufgerichtet werden. Bei seitlichen Deformationen ist häufig die einfache Reposition mit dem Daumen möglich. Bei Impressionsfrakturen kommt ein Elevatorium oder die Redressment-Zange zum Einsatz (. Abb. 12.42). Nach dem Abschwellen der Nase wird sie beidseits in die Nasenöffnungen eingeführt, der frakturierte Knochen wird reponiert. Anschließend wird die Nase zur Stützung

611 12.5 · Hals-Nasen-Ohren-Operationen

kLagerung

4 Rückenlage. 4 Dispersionselektrode am gleichseitigen Oberarm. kInstrumentarium

4 4 4 4 4

Grundinstrumente, bipolare Koagulationspinzette, feine Raspatorien, Einzinkerhäkchen (AO-Häkchen, Zahnarzthäkchen), Bereitlegen von Gore-Dura, Orbitaplättchen oder Dacronnetz, 4 Vorbereitung von Fibrinkleber. OP-Verlauf: Orbitabodenreposition

5 Nach der Lagerung, der sterilen Abdeckung und

. Abb. 12.42 Nasenrepositionszange nach Cottle-Walsham. (© Fa. Aesculap AG)

häufig austamponiert, mit einem Nasengips oder einer Schiene versehen.

12.5.11

Orbitabodenreposition

Orbitabodenfrakturen sind häufig Teil von Kombinationsbrüchen des Mittelgesichtes (7 Kap. 11). Bei der »Blowout-fracture» bricht der Orbitaboden (das Kieferhöhlendach). Der M. rectus inferior, der den Blick nach unten bewegt, sowie der M. obliquus inferior, der den Blick nach schräg oben bewegt, können dabei eingeklemmt werden, sodass es zu Doppelbildern kommt. Auch der zweite Trigeminusast kann durch Bruchfragmente eingeklemmt werden, was zu Sensibilitätsstörungen im Bereich der Wange führen kann. kIndikation

4 Muskuläre Einklemmung (s. oben). 4 Verdacht auf Fremdkörper. 4 Dislozierte Fraktur, sodass die Gefahr des Absinkens des Orbitainhaltes besteht. 4 Sensibilitätsstörungen im Bereich der Wange (s. oben). kPrinzip

4 4 4 4

Abstützen des Orbitainhalts, Stabilisierung der Fragmente, Freilegung des Muskels und des Nervs, ggf. Einlegen eines Dacron-Netzes auf den Orbitaboden.

dem Team-Time-out wird über den transkonjunktivalen oder den subtarsalen Zugang der Orbitainhalt, der durch die Bruchlücke in die Kieferhöhle gefallen ist, sorgfältig reponiert. Eingeklemmte Teile des Orbitainhalts werden mit einem feinen Häkchen und einem Raspatorium aus dem Bruchspalt präpariert. 5 Der Orbitaboden muss einwandfrei reponiert sein. Kleinere Fragmente können miteinander verkeilt werden. Im Ausnahmefall wird eine Miniplattenosteosynthese vorgenommen. 5 Um den Orbitaboden wieder als glatte Fläche zu gestalten, muss er nach der Reposition mit einer resorbierbaren Kunststoffscheibe abgedeckt werden. 5 Ein Wundverschluss unter genauer Adaptierung der Schichten mit feinstem Nahtmaterial beendet den Eingriff.

12.5.12

Trommelfellperforation

Die spezielle Diagnostik des Trommelfells erfolgt mit dem Binokularmikroskop. Ein gesundes Trommelfell glänzt gräulich und zeigt keine Rötung oder Sekretansammlung im Mittelohr. Ein pathologisch verändertes Trommelfell zeigt verschiedene Bilder: 4 Eine Einziehung hat fast immer einen Unterdruck in der Paukenhöhle als Ursache. 4 Eine Vorwölbung weist auf eine Flüssigkeitsansammlung im Mittelohr hin. 4 Eine Rötung gilt als Zeichen einer Entzündung.

Ursachen 4 Trommelfelldefekte können vielfältige Ursachen haben: chronische oder akute Mittelohrentzündungen,

12

612

Kapitel 12 · Hals-Nasen-Ohren-Chirurgie

Pfählungsverletzungen oder Rupturen aufgrund eines plötzlichen Überdruckes (z. B. eine harte Ohrfeige). 4 Cholesteatom: kleiner Defekt mit fötider Otorrhö (stinkendem Ohrfluss). 4 Eine traumatische Trommelfellperforation muss meist versorgt werden; nur kleine schlitzförmige Einrisse können von selbst heilen.

Therapie der akuten traumatischen Trommelfellperforation Über einen Ohrtrichter und das Mikroskop wird die Ruptur dargestellt und mit einem kleinen Silastikläppchen geschient, um ein Eindringen von pathogenen Keimen zu verhindern. Dazu muss Blut abgesaugt und umgekrempelte Perforationsränder müssen geglättet werden. Der Patient erhält prophylaktisch ein Antibiotikum.

4 Typ I: eine einfache Trommelfellplastik (Myringoplastik), 4 Typ III: Trommelfellverschluss und Rekonstruktion der Gehörknöchelchenkette. kIndikation

4 Chronische Mittelohrentzündung mit Trommelfellperforation, 4 narbige Veränderungen, 4 Cholesteatom, 4 Kettenunterbrechung. kPrinzip

Wiederherstellung der Schallleitung durch Revision der Gehörknöchelchen und/oder Trommelfellplastik. kLagerung

12.5.13

Parazentese

kIndikation

4 Chronischer Paukenerguss, 4 Tubenfunktionsstörung mit chronischem Unterdruck des Mittelohrs.

4 Rückenlage, den Kopf zur kontralateralen Seite gedreht. Sollte monopolar gearbeitet werden, muss die neutrale Elektrode an dem seitengleichen Oberarm angebracht werden. 4 Die Operation kann sowohl in Lokalanästhesie als auch in Vollnarkose durchgeführt werden. kInstrumentarium

Therapie

12

Auf das Trommelfell wird ein Oberflächenanästhetikum  aufgebracht, über den Ohrtrichter die lanzettenartige  Parazentesenadel (bajonettförmig oder kniegebogen (. Abb. 12.27) eingeführt und ein kleiner Entlastungsschnitt in das Trommelfell gelegt. Das Sekret kann sofort ablaufen. Besonders bei Kindern mit rezidivierender Otitis media wird das Mittelohr zur Dauerbelüftung mit »Paukenröhrchen» (in Narkose) drainiert. Diese bestehen zumeist aus Titan und haben die Form einer Spule. Zur Parazentese wird das Trommelfell vorn unten inzidiert, das Sekret mit einem feinen Ohrsauger abgesaugt und ein Paukenröhrchen eingelegt. Dieses sollte mindestens ein halbes Jahr verbleiben und wird in der Regel spontan abgestoßen.

12.5.14

Tympanoplastik

Die gestörte Schallleitung soll wieder hergestellt werden, indem der Trommelfelldefekt mit körpereigener Temporalisfaszie verschlossen wird. Defekte Gehörknöchelchen können durch Titanprothesen ersetzt werden. Ein vorhandenes Cholesteatom (chronische Knocheneiterung) muss aufgrund der Gefahr der Knochenzerstörung oder der entzündlichen Ausbreitung ausgeräumt werden. Die Tympanoplastik wird in verschiedene Typen eingeteilt, die gebräuchlichsten sind:

4 Grundinstrumentarium zur Eröffnung des Mittelohrs, 4 Ohrinstrumente (7 Abschn. 12.3.4), 4 zusätzlich bipolare Koagulationspinzette. 4 Bei einer knöchernen Revision muss eine Bohrmaschine zur Verfügung stehen. 4 Das steril bezogene OP-Mikroskop wird bereitgestellt.

OP-Verlauf: Tympanoplastik

5 Nach dem Team-Time-out verläuft der Hautschnitt entweder retroaurikulär (hinter dem Ohr) oder endaural, d. h. vorn zwischen Tragus und Ansatz der Ohrmuschel im Gehörgang (endaurale Schnittführung nach Heermann). 5 Sollte für die Trommelfellplastik ein Stück Faszie benötigt werden, wird ein kleines Stück Temporalisfaszie hinter dem Ohr entnommen und bis zum Gebrauch zwischen 2 Silastikscheiben gelagert. 5 Nach der Beseitigung der Grunderkrankung wird das Trommelfell mit der Faszie unterfüttert, Silikonfolien dienen der zusätzlichen Schienung. 5 Der Gehörgang wird mit Tamponaden oder mit Salbenstreifen (z. B. bei Stapesplastik) austamponiert. Der Zugangsweg wird schichtweise verschlossen und ein Ohrdruckverband angelegt.

613 Literatur

Plastische Operationen der Nase und der Ohren, wie auch u. a. die Entfernung der Glandula parotis oder der Glandula submandibularis, gehören ebenfalls in das Spektrum der HNO.

Literatur Beise U, Heimes S, Schwarz W (2013) Gesundheits- und Krankheitslehre, 3. Aufl. Springer, Berlin Heidelberg New York Lenarz T, Boenninghaus HG (2012) Hals-Nasen-Ohrenheilkunde für Studierende der Medizin, 14. Aufl. Springer, Berlin Heidelberg New York Thurnher D, Grasl M, Riss D, Lercher P (2011) HNO-Heilkunde. Ein symptomorientiertes Lehrbuch. Springer, Wien

12

615

Kinderchirurgie P. Reifferscheid, M. Liehn

13.1 Arbeitsbedingungen in der Kinderchirurgie 13.2 Thorax

– 620

13.3 Abdomen

– 629

13.4 Bauchwand

– 657

13.5 Urogenitaltrakt

– 667

13.6 Zentralnervensystem 13.7 Tumoren

– 696

Literatur

– 702

– 687

M. Liehn et al. (Hrsg.), OP-Handbuch, DOI 10.1007/978-3-662-49281-9_13, © Springer-Verlag Berlin Heidelberg 2016

– 616

13

13

616

Kapitel 13 · Kinderchirurgie

13.1

Arbeitsbedingungen in der Kinderchirurgie

13.1.1

Allgemeine Grundlagen

In der Kinderchirurgie gelten für die OP-Pflegekraft zusätzliche besondere Bedingungen. Die altersspezifischen anatomischen und physiologischen Merkmale des Kindes, insbesondere des Neugeborenen, unterscheiden sich grundlegend von denen des Erwachsenen. Beispielhaft werden genannt: 4 Besonderheiten des Stoffwechsels des Neugeborenen wie Neigung zu Hypoglykämie und Hypokalzämie. 4 Geringeres Blutvolumen (. Tab. 13.1). 4 Wesentlich höherer Flüssigkeitsumsatz. 4 Unreife von Nieren, Leber und Lungen. 4 Erhöhte Blutungsneigung. 4 Vor jeder Operation an Früh- oder Neugeborenen ist die Vitamin-K-Prophylaxe einzuhalten (1 mg wasserlösliches Vitamin K1 i.m.). 4 Unzureichende Infektabwehrmöglichkeiten. 4 Instabiler Wärmehaushalt. Das Früh- und Neugeborene, aber auch das kranke Kleinkind haben Mühe, die Körpertemperatur konstant zu halten. Anatomisch und physiologisch ist das begründet durch: 5 die relativ größere Körperoberfläche im Vergleich zum Körpergewicht (bei Frühgeborenen ist die Körperoberfläche pro kg KG 10× größer als beim Erwachsenen), 5 das dünne subkutane Fettgewebe mit der Folge schlechter Isolierung, 5 relativ geringe Wärmeproduktion, die durch Medikamente (z. B. Muskelrelaxanzien) weiter reduziert wird; hinzu kommen Wärmeverluste durch Narkotika und die dadurch bedingte gesteigerte Hautdurchblutung. ! Bei einem unbekleideten Neugeborenen droht eine Unterkühlung, sobald sich die Umgebungstemperatur unterhalb der Thermoneutralzone befindet; diese ist abhängig vom Gestationsalter, dem Lebensalter, der Luftfeuchtigkeit und dem Allgemeinzustand des Kindes. Die Thermoneutralzone hat bei kleinen Frühgeborenen in den ersten Lebenstagen eine Breite von weniger als 0,5°C (Bührer 2013).

Wärmeverluste entstehen durch: 4 Verdunstung (z. B. der Desinfektionslösung auf der Haut, über nicht abgedeckte Darmschlingen). 4 Wärmeleitung (direkter Kontakt mit einer kühleren Oberfläche, z. B. Röntgenkassette, kalte Spüllösungen).

. Tab. 13.1 Blutvolumen. (Nach Smith u. Rowe 1993) Alter

Volumen

Frühgeborenes

85–100 ml/kg KG

Reifes Neugeborenes

85 ml/kg KG

>1 Monat

75 ml/kg KG

>3 Monate

70 ml/kg KG

. Tab. 13.2 Angemessene Temperatur des OP-Saals Alter

Optimale Umgebungstemperatur

Frühgeborene unter 1.000 g – In den ersten 6 Wochen

34–35°C

– Danach bis zur 12. Woche

31–32°C

Neugeborene mit 2–3 kg KG am 1. Tag

31–34°C

– Danach bis zum 12. Tag

28–31°C

4 Konvektion (Luftaustausch, z. B. offene Türen, raumlufttechnische Anlage). 4 Strahlung (Wärme, die das Kind an eine kühlere Umgebung abgibt, ohne sie direkt zu berühren). Nahezu alle Patienten, die unter Allgemeinanästhesie operiert werden, werden intraoperativ hypotherm. Die Abkühlung verläuft in 3 Phasen: 4 in der 1. Stunde rascher Abfall der Körpertemperatur, 4 in den folgenden 2–3 h langsamer Abfall der Körpertemperatur, 4 danach konstant erniedrigte Körpertemperatur. Wärmeverluste können verringert werden durch: 4 Angemessene Temperatur des OP-Saals (. Tab. 13.2). 4 Anwärmen von Desinfektions-, Infusions- und Spüllösungen auf Körpertemperatur. 4 Einwickeln der Extremitäten, besonders der Hände und der Füße (große Oberfläche) in Watte oder Folie, Bedecken des Kopfes mit Tuch oder Mütze aus tg-Schlauch (anästhesiologische Erfordernisse berücksichtigen!). 4 Zügiges Abdecken nach der Hautdesinfektion unter Berücksichtigung der Einwirkzeit. 4 Verwendung von elektronisch geregelten Wärmematten als Unterlage (Cave: Direkten Hautkontakt vermeiden wegen Verbrennungsgefahr der aufliegenden, schlechter durchbluteten Körperpartien auch

617 13.1 · Arbeitsbedingungen in der Kinderchirurgie

bei Wärmemattentemperatur im physiologischen Bereich; Molton zwischen Wärmematte und Haut legen, unter Beachtung der Herstellerhinweise, um Verbrennungen und Hautschädigungen zu vermeiden). 4 Kontinuierliches Temperatur-Monitoring. ! »Es gibt keine andere einzelne Maßnahme, die derart wirksam Überlebensrate und -qualität kranker Neugeborener verbessert, wie sorgfältige Kontrolle der Umgebungstemperatur!« (Obladen et al. 2001)

Je unreifer und je kränker das Kind ist, umso höher ist das Risiko von Infektionen, Druckschäden und Wärmeverlust. Das unreife Immunsystem des Früh- und Neugeborenen begünstigt nosokomiale Infektionen, die durch genaue Beachtung der Asepsis im OP eher vermieden werden können als durch eine perioperative Antibiotikaprophylaxe. Maßgebend sind nicht nur arbeitsrechtliche Verordnungen über die Temperatur in OP-Räumen sondern v. a. die Prognose des Patienten. Ebenso wichtig wie die anatomischen und physiologischen Besonderheiten sind die psychischen Bedingungen, unter denen ein Kind Krankheit und Operation erlebt. Die Trennung von den Eltern, die Ungewissheit über die bevorstehende Behandlung wird als Verlassenheit, als essenzielle Bedrohung empfunden, besonders von Kindern, die sich nicht krank fühlen (z. B. Hypospadie 7 Abschn. 13.5.5) und/oder unzureichend auf den Eingriff vorbereitet wurden. Gerade weil das Kind die erforderlichen Maßnahmen nicht immer vollständig begreifen kann, hat es Anspruch auf wahrheitsgetreue Information (ohne erschreckende Details) in einer für das Kind verständlichen Sprache. Das Kind ist als Person zu respektieren. Ein vertrauter Gegenstand (Puppe, Tuch) darf in den Einleitungsraum mitgenommen werden. Die Pflege im OP-Saal ist darauf ausgerichtet, eine Atmosphäre der Ruhe und Geborgenheit zu vermitteln. Die Betreuung der Eltern beim Eintreffen des Kindes in der Patientenschleuse schafft Vertrauen und beruhigt beide, sowohl das Kind als auch seine Eltern. ! Ein Kind im OP-Saal darf nie allein gelassen werden.

13.1.2

Größe muss der des Kindes entsprechen; es gibt im Handel geeignete Elektroden für Neugeborene.

13.1.3

Operationstechnik

Die Grundsätze der Erwachsenenchirurgie gelten auch in der Kinderchirurgie. Die Zusammenarbeit der verschiedenen Fachgruppen (Ärzte und Krankenpflegekräfte bzw. OTA der Chirurgie und ATA der Anästhesie) sollte von gegenseitiger Achtung bestimmt sein. Besonderheiten des Eingriffs und spezielle Instrumente werden im Voraus zwischen Chirurg und OP-Pflegekraft besprochen. Ein Eingriff wird erst dann begonnen, wenn alles vorbereitet ist (einschließlich Röntgenbildern, Laborbefunden, Blutkonserven). Um die Entwicklung einer Latexallergie zu verhindern, sollte bei Neugeborenen, bei denen voraussichtlich mehrere Eingriffe zur Behandlung einer angeborenen Anomalie erforderlich sind (z. B. Meningomyelozele, anorektale Anomalien, Blasenexstrophie), latexfrei  gearbeitet werden (Handschuhe, Drainagen, Verbandmaterial). Der Hautschnitt sollte einen optimalen Zugang bei einem Minimum an Gewebeschäden ermöglichen. Er wird entsprechend den Langer-Linien gelegt. Quere Laparotomiewunden sind weniger schmerzhaft und heilen besser als Längsschnitte. Gefäße werden gezielt koaguliert oder zwischen Ligaturen durchtrennt (Fadenstärke 4–0 und 5–0 ist ausreichend). Bei Früh- und Neugeborenen ist die bipolare Mikrokoagulation zu bevorzugen, in der monopolaren HF-Chirurgie die feine Nadelelektrode. Darmoberflächen sind dauernd feucht zu halten; sie trocknen bei der hohen Raumtemperatur rasch aus. Vor dem Wundverschluss muss die Wunde bluttrocken sein. Beim Knüpfen der Nähte darf kein Zug auf das Gewebe übertragen werden. Katheter und Drainagen sind kindgerecht zu fixieren. Die großen angeborenen Anomalien (Ösophagusatresie, Zwerchfellhernie, anorektale Anomalien, Blasenexstrophie) sowie die kindlichen Tumoren sind selten und sollten in Zentren mit entsprechend erfahrenen Behandlungsteams versorgt werden.

Lagerung 13.1.4

Der OP-Tisch entspricht der Größe des Kindes. Die Auflagefläche ist schmaler als bei einem Tisch für Erwachsene. Der Operateur muss im Sitzen arbeiten können. Der zu operierende Körperabschnitt wird durch Unterlegen einer Gelrolle hochgelagert. Eine Seitenlagerung kann mit unterpolsterten breiten Pflasterstreifen fixiert werden. Die Platzierung der neutralen Elektrode erfolgt nach den gleichen Kriterien wie in 7 Kap. 1 beschrieben. Die Elektrode muss flexibel sein, vollständig und dicht anliegen, ihre

Minimal-invasive Chirurgie

Minimal-invasive Techniken sind heute in den meisten kinderchirurgischen Abteilungen Standard. Sie können auch bei Säuglingen unter 1500 g Körpergewicht ohne größeres Risiko angewandt werden. Die Vorteile sind: 4 Bessere Übersicht, besonders am Hiatus oesophagei und im kleinen Becken. 4 Geringere postoperative Morbidität.

13

618

Kapitel 13 · Kinderchirurgie

4 Geringere postoperative Schmerzen, reduzierter Verbrauch postoperativer Analgetika. 4 Verbesserte Lebensqualität postoperativ: Die Kinder können früher essen, früher aufstehen, schneller ihre gewohnten Aktivitäten wieder aufnehmen. 4 Kürzere Verweildauer. 4 Bessere kosmetische Ergebnisse. 4 Der Fortgang der Operation ist für das gesamte Team besser zu erkennen. Dem stehen folgende Nachteile gegenüber: 4 Fehlendes Tastgefühl. 4 Zweidimensionales Bild. 4 Blutungen sind schwerer zu stillen. 4 Längere Operationsdauer und höhere Komplikationsraten während der Lernphasen. 4 Eingeschränkte Auswahl der zur Verfügung stehenden Instrumente (7 Abschn. 2.15).

Physiologische Besonderheiten bei Säuglingen und Kleinkindern Physiologische Besonderheiten, die bei Säuglingen und Kleinkindern berücksichtigt werden müssen, sind im Folgenden dargestellt.

jNierenfunktion

Das Pneumoperitoneum beeinträchtigt – wie beim Erwachsenen auch – passager die Nierendurchblutung. Während beim Erwachsenen die Urinproduktion nur leicht vermindert ist, kommt es bei Säuglingen in den ersten 45 min nach Anlage des Pneumoperitoneums zu einer Anurie, bei älteren Kindern zur Oligourie. Die Urinproduktion ist während laparoskopischer Eingriffe nicht geeignet zur Beurteilung der Flüssigkeitsbilanz. Postoperativ ist die Urinausscheidung in den ersten Stunden kompensatorisch erhöht. jCO2-Resorption

Wegen der bei Kindern im Vergleich zu Erwachsenen deutlich größeren peritonealen Oberfläche wird mehr CO2 resorbiert mit der Folge einer Hyperkapnie und einer respiratorischen Azidose. Die Hyperkapnie kann bis zu 3 h postoperativ andauern. jGehirn

Das Pneumoperitoneum führt zu einer Vasodilatation der Hirngefäße und zu einem Anstieg des intrakraniellen Druckes. jIntraabdomineller Druck

jHerz-Kreislauf-Effekte

13

Das Pneumoperitoneum erhöht den Cardiac Index (HerzZeit-Volumen/Körperoberfläche) und den O2-Bedarf. Die Zunahme des intraabdominellen Druckes führt durch Kompression der V. cava zu einer Verminderung des venösen Rückstroms zum Herzen und damit zu einem Abfall des Herz-Zeit-Volumens. Der periphere Gefäßwiderstand ist erhöht. Ein Volumendefizit wird schlecht toleriert. Deshalb wird das Pneumoperitoneum beim Säugling und Kleinkind langsam aufgebaut [z. B. Flow 1 l/min, Druck 8–10 (–12) mm Hg] und nur soweit, wie dies für die Übersicht erforderlich ist.

Die Erhöhung des intraabdominellen Druckes begünstigt einen gastroösophagealen Reflux und erhöht das Risiko einer perioperativen Aspiration. Der Einfluss des intraabdominellen Druckanstiegs auf die kardiorespiratorische Situation macht sich in den ersten Minuten nach Anlage des Pneumoperitoneums bemerkbar und kann vom Anästhesisten durch Änderung der Beatmungsparameter beeinflusst werden. jTemperaturregulation

Nicht angewärmtes CO2 trägt bei Säuglingen und Kleinkindern zur Hypothermie bei.

jLungenfunktion

Lagerung

Der Zwerchfellhochstand infolge des Pneumoperitoneums hat eine Verkleinerung des Lungenvolumens zur Folge, ein Ungleichgewicht zwischen Ventilation und Perfusion und einen veränderten Gasaustausch. Die funktionelle Residualkapazität der Lunge ist vermindert, Atemwiderstand und Atem-Minuten-Volumen sind erhöht. Es kommt zu Störungen des Säure-Basen-Haushalts (Abfall von pH-Wert und paO2, Anstieg von paCO2). Intraoperative Lageveränderungen (z. B. Kopftieflage) verschlechtern die respiratorischen Parameter weiter. Säuglinge tolerieren die Erhöhung des intraabdominellen Druckes schlechter als Erwachsene.

Für abdominelle Eingriffe sollten kleinere Kinder am Fußende des OP-Tisches gelagert werden. Der Patient muss so fixiert werden, dass auch extreme Positionsänderungen des OP-Tisches (Kopftieflage, Seitkippung) möglich sind und keine Lagerungsschäden provozieren.

Pneumoperitoneum Der erste Trokar wird in der Regel nach bogenförmiger Hautinzision infraumbilikal unter Sicht eingeführt. Dazu wird die Faszie dargestellt und zwischen Klemmen eröffnet. Darstellung und Eröffnung des Peritoneums, während der Assistent die Bauchdecke mit Hilfe der Klemmen hoch hält. Anlage einer Tabakbeutelnaht und Einbringen des Trokars. Schiebt man vor Gebrauch eine kurze (3–4 cm lange) Plas-

619 13.1 · Arbeitsbedingungen in der Kinderchirurgie

tikhülse auf den Trokar, so kann man ihn mit einer Naht an der Bauchwand fixieren und nach Bedarf nachjustieren. Die Arbeitstrokare werden nach Stichinzision der Haut unter Sicht eingebracht. In der Kinderchirurgie werden bevorzugt Instrumente mit einem Durchmesser von 3–3,5 mm eingesetzt, bei Säuglingen auch mit 2 mm Durchmesser. Standardisierte laparoskopische und thorakoskopische Eingriffe sind in den 7 Übersichten dargestellt.

Standardisierte thorakoskopische Verfahren 5 Lungenbiopsie 5 Abtragung von Bullae bei rezidivierendem Pneumothorax 5 Pleurodese 5 Empyemausräumung 5 Tumorbiopsie Lunge/Mediastinum 5 Duktusverschluss 5 Perikarddrainage

Standardisierte laparoskopische Eingriffe 5 Magen/Ösophagus – Kardiomyotomie – Fundoplikatio – Pyloromyotomie – Gastrostomie 5 Leber, Gallenwege, Milz – Cholezystektomie – Entdeckelung von Leberzysten – Atypische Resektion von gutartigen Tumoren der Leber – Leberbiopsie – Splenektomie/Zystenentdeckelung 5 Dünndarm, Dickdarm – Jejunostomie – Segmentresektion und Anastomose – Dünndarmatresie – Abtragung eines Meckel-Divertikels – Appendektomie – Wandbiopsien des Dickdarms zur Feststellung intramuraler Ganglienzellen – Dickdarmresektion (z. B. kombiniert laparoskopisch/transanal nach Georgeson/de la Torre bei M. Hirschsprung) – Präparation im kleinen Becken bei hohen anorektalen Fehlbildungen (Blasenhalsfistel, kloakale Fehlbildungen) – Ileopexie bei rezidivierender Invagination 5 Urogenitaltrakt – Funikulolyse, besonders bei Kryptorchismus, Fowler/Stephens-Operation – Ligatur der Testikularvenen bei Varikozele – Ovarialzystenpunktion, -detorsion – Ovarbiopsie – Nephrektomie/Heminephrektomie (auch retroperitoneal durchführbar) – Nierenbeckenplastik (auch retroperitoneal durchführbar) – Urachusexzision 5 Bauchwand – (Herniotomie) – Adhäsiolyse

Komplikationen 4 Verletzung von Blutgefäßen und von Darmschlingen, v. a. bei blindem Einbringen der Veress-Kanüle. 4 Mechanische oder thermische Verletzung von parenchymatösen und von Hohlorganen während der Präparation. Die Aufmerksamkeit minimal-invasiver Techniken in den Medien hat dazu geführt, dass immer mehr Eltern diese Technik für eine bei ihrem Kind anstehende Operation verlangen. Etablierte MIC-Verfahren müssen den Sorgeberechtigten als Behandlungsalternative angeboten werden.

13.1.5

Instrumentarium

Um ein schonendes Operieren zu gewährleisten und dem kleinen Situs gerecht zu werden, kommen feine Instrumente zum Einsatz. Im Prinzip entsprechen sie denen, die auch für erwachsene Patienten verwendet werden. Als Diathermieansatz wird eine Nadelelektrode bevorzugt. Aus Platzmangel können zur Schonung der Haut und der Organe häufig keine Bauchtücher benutzt werden, deshalb sind die Spatel mit tg-Schlauch bezogen und werden feucht angereicht. Eine Lupenbrille erleichtert das subtile Präparieren der Strukturen; ggf. wird der Einsatz eines OP-Mikroskopes notwendig. Für manche Operationen (z. B. anorektale Anomalie) wird ein Muskelstimulationsgerät benötigt. Als Nahtmaterial werden monofile oder geflochtene synthetische resorbierbare Fäden mit atraumatischer Nadel bevorzugt. Sie erfordern entsprechend feine und leichte, der Nadelgröße angemessene Nadelhalter. Die Hautnähte werden intrakutan gelegt, damit keine Fäden entfernt werden müssen. Wundheilungsstörungen und -infektionen werden nicht durch High-tech-Equipment im OP und nicht durch moderne Antibiotika verhindert, sondern durch Disziplin im OP-Saal und durch eine subtile gewebeschonende OPTechnik. Im Folgenden werden einige Operationen besprochen, die nicht der Vorgehensweise in der Erwachsenenchirurgie

13

620

Kapitel 13 · Kinderchirurgie

entsprechen. Um Überschneidungen zu vermeiden, haben wir Krankheitsbilder und Operationen, die in anderen Kapiteln dieses Buches bereits dargestellt sind, hier nicht wiederholt. Wir erheben mit diesem Kapitel keinen Anspruch auf Vollständigkeit, es soll aber helfen, sich in der Kinderchirurgie zu orientieren.

13.2

Thorax

13.2.1

Ösophagusatresie

Definition Kongenitale Anomalie, bei der die Kontinuität der Speiseröhre vollständig unterbrochen ist. In 90% der Fälle liegt zusätzlich eine Fistel zwischen Speiseröhre und Trachea vor.

Häufigkeit

13

Bei der Häufigkeit von 1 : 2500–3000 sind Jungen dezent häufiger als Mädchen (1,26 : 1) betroffen. Unter den Patienten mit Ösophagusatresie sind Zwillinge 2- bis 3-mal häufiger zu finden als im Normalkollektiv. Die Ösophagusatresie tritt sporadisch auf. Die Pathogenese ist nicht bekannt, als wahrscheinlich gilt eine multifaktorielle Genese. Familiäre Formen sind selten (etwa 1%). Das Wiederholungsrisiko in einer sonst gesunden Familie beträgt 1% und steigt auf bis zu 20%, wenn zwei Geschwister betroffen sind.

Formen der Ösophagusatresie jKlassifikation nach Vogt

Die Klassifikation nach E.C. Vogt (1929, amerikanischer Radiologe 1891–1980) ist in . Tab. 13.3 und . Abb. 13.1

dargestellt. (Die Ösophagusagenesie – das vollständige Fehlen der Speiseröhre – ist sehr selten.)

Zusätzliche Anomalien Mehr als 50% der Kinder haben eine oder mehrere zusätzliche Anomalien (Herzfehler, urogenitale, vertebrale, gastrointestinale Fehlbildungen, anorektale Anomalien). 20% sind Frühgeborene. Eine Kombination typischer Anomalien ist die VACTERL-Assoziation (»vertebral, anal, cardiac, tracheo, esophageal, renal, limb anomalies«). Nach der 18. SSW ist die pränatale Diagnose durch Sonographie möglich durch die Kombination von Polyhydramnion der Mutter mit kleiner oder fehlender Magenblase (bei Atresie ohne Fistel) und sichtbar erweitertem oberen Blindsack.

Klinische Symptome Vermehrter teils schaumiger Speichelfluss nach der Geburt, der häufig abgesaugt werden muss; der Ösophagus ist für eine Sonde nicht durchgängig, vielmehr kommt es zu einem Stopp nach 8–12 cm. Die Verlegung der Speiseröhrenlichtung führt zu einer laryngotrachealen Aspiration: Der verschluckte Speichel sammelt sich im oberen Blindsack bis zum Überlaufen und wird in die Lunge aspiriert. Folge sind Zyanoseanfälle, Atemnot und zunehmende Dyspnoe. Durch die Fistel zwischen unterem Blindsack und Trachea gelangt mit jedem Atemzug Luft nicht nur in die Lunge, sondern auch in den Magen. Der Magen wird überdehnt, das Neugeborene »erbricht« sich in seine eigene Lunge mit nachfolgender »chemischer Pneumonie« wegen der hohen Azidität des Magensekrets im Neugeborenenalter. Bei Frühgeborenen mit einer Ösophagusatresie kann in den Magen gelangte Luft zur Magenruptur mit Pneumoperitoneum führen. Dadurch wird die respiratorische Situation des Frühgeborenen weiter verschlechtert.

. Tab. 13.3 Formen der Ösophagusatresie – Klassifikation der Typen I–IV nach Vogt (1929) Typ

Kennzeichen

Häufigkeit

Dargestellt in …

Typ I

Ösophagusaplasie (keine Luftansammlung im Magen)

1%

Typ II

– Fehlen eines unterschiedlich langen Speiseröhrenabschnitts – Keine Fistel

8%

. Abb. 13.1a

Typ IIIa

– Ösophagotracheale Fistel am oberen Segment – Das untere Segment endet in einem Blindsack

1%

. Abb. 13.1b

Typ IIIb

– Oberer Speiseröhrenblindsack – Fistel zwischen unterem Ösophagus und Trachea

86%

. Abb. 13.1c

Typ IIIc

– Fistel sowohl zwischen oberem als auch zwischen unterem Ösophagusblindsack und Trachea

1–2%

. Abb. 13.1d

Typ IV

– Tracheoösophageale H-Fistel ohne Atresie

4%

. Abb. 13.1e

13

621 13.2 · Thorax

a

Typ III b

Typ III a

Typ II

b

c

Typ III c

d

Typ IV

e

. Abb. 13.1a–e Ösophagusatresieformen. a Typ II: Segmentäre Atresie ohne Fistel. b Typ IIIa: Ösophagusatresie mit oberer Fistel. c Typ IIIb: Ösophagusatresie mit unterer Fistel. d Typ IIIc: Ösophagusatresie mit oberer und unterer Fistel. e Typ IV: Isolierte tracheoösophageale Fistel (sog. H-Fistel)

Diagnose 4 Sondenprobe (10 Charr., nicht zu weich, um ein Aufrollen im oberen Blindsack zu vermeiden). 4 Röntgen (Thorax mit Abdomen): 5 Kontrastgebende Sonde in den oberen Blindsack einführen (Kontrast durch Sonde selbst oder durch Luftinsufflation). 5 Luft im Magen beweist eine Fistel zwischen Trachea und dem unteren Ösophagus. 5 Ausschluss weiterer Fehlbildungen (Herz, Wirbelsäule, Rippen). 5 Ausschluss einer Aspirationspneumonie. 4 Echokardiographie zum Ausschluss einer rechts deszendierenden Aorta.

Erstversorgung und Transport 4 Dicke Magensonde, möglichst doppelläufig, in den oberen Blindsack einführen und an Dauersog –10 bis –20 Pa (–0,1 bis –0,2 mbar) – [Umrechnungsfaktor: 100.000 entspricht 1 bar =105 Pa] anschließen (Schlürfsonde, um eine Aspiration zu verhindern). 4 Nicht füttern! 4 Lagerung: Oberkörper erhöht (45°), um den Reflux von Magensaft zu verhindern.

4 Keine Maskenbeatmung (führt zu Distension des Magens und zu gastroösophagealem Reflux über die Fistel in die Lunge). Die Eltern müssen über die Fehlbildung und ihre Konsequenzen ausführlich informiert werden.

Präoperative Maßnahmen Weitere Fehlbildungen ausschließen (Echokardiographie zum Ausschluss eines Herzfehlers bzw. einer rechts deszendierenden Aorta). Infusion, Antibiotikatherapie, SäureBasen-Haushalt ausgleichen, Vitamin-K-Gabe i.m., Körpertemperatur normalisieren. Operation innerhalb von 12 (–48) h ist in den meisten Fällen elektiv möglich. Einzelne Autoren befürworten eine präoperative Tracheoskopie, da die Lokalisation der Fistel Rückschlüsse auf den Abstand zwischen oberem und unterem Ösophagusstumpf erlaubt.

Operation kPrinzip

4 Extrapleurales Vorgehen, Verschluss der Fistel, Herstellung der Speiseröhrenkontinuität durch Endzu-End-Anastomose (primär oder sekundär). 4 Bei langstreckiger Atresie zusätzliche Gastrostomie zur enteralen Ernährung.

622

Kapitel 13 · Kinderchirurgie

kLagerung

4 Wärmematte. 4 Linksseitenlage; rechter Arm liegt auf dem Kopf, Gelrolle unter den Thorax und zwischen die Beine. 4 Neutrale Elektrode am Oberschenkel. 4 Schutz vor Wärmeverlusten (7 Abschn. 13.1.1). kInstrumentarium

4 4 4 4 4 4 4 4 4 4 4 4 4 4

Grundinstrumentarium, Kochsalzschale, Thoraxsperrer, Teflonspatel, diverse Overholts, Dissektor, Mini-Präpariertupfer, Vesselloops, Saugerschlauch mit feinem Ansatz, Fibrinkleber, Spritze (5 ml), Kanüle Nr. 1 und Nr. 17, Ropivacain, Magensonde 5 Charr., Resorbierbares Nahtmaterial: 5–0 oder 6–0, lange Fäden 4–0.

5

5

5 5

OP-Verlauf: Ösophagusatresie

5 Nach der Lagerung, der sterilen Abdeckung

13

5 5 5

5

5 5 5

und dem Team-Time-out erfolgt die dorsolaterale Thorakotomie rechts im 4. Interkostalraum (7 Kap. 6 Thoraxchirurgie). Extrapleurale Darstellung des hinteren Mediastinums. Die V. azygos kann zwischen doppelten Ligaturen durchtrennt werden. Der obere Ösophagusblindsack lässt sich mit Hilfe der präoperativ gelegten Sonde, die vom Anästhesisten bewegt wird, leicht darstellen. Er wird mit einem Haltefaden versehen (. Abb. 13.2). Zum kaudalen Ösophagus führt der N. vagus. Der (meist hypoplastische) untere Ösophagus wird mit dem Overholt unterfahren, mit einem Vesselloop angeschlungen und unter Schonung seiner Blutversorgung und der Vagusäste bis zur Einmündung in die Tracheahinterwand sparsam freipräpariert. Nach Legen von Haltenähten (6–0, atraumatisch resorbierbar) an dem kranialen und kaudalen Fistelrand wird die Fistel schrittweise durchtrennt. Von der Fistelöffnung wird ein Abstrich zur bakteriologischen Untersuchung entnommen. Fistelverschluss (. Abb. 13.3) durch hin- und zurück fortlaufende Naht unter Verwendung der

5 5

5 5 5 5 5

5

zuvor gelegten Haltenähte, die jeweils mit der gegenüberliegenden Naht verknüpft werden; die Trachea darf weder verletzt noch eingeengt werden. Der Fistelverschluss wird durch Wasserprobe auf Luftdichtigkeit geprüft. Ein Trachealdivertikel muss möglichst vermieden werden. Oberer und unterer Ösophagusblindsack werden sparsam mobilisiert (. Abb. 13.4). Eine evtl. vorhandene obere Fistel wird durchtrennt und verschlossen. Bei einem Abstand von weniger als 15 mm ist im Allgemeinen eine spannungsfreie primäre Anastomose möglich. Durch Exzision eines etwa glasstecknadelkopfgroßen Areals an seinem kaudalen Ende wird der obere Blindsack eröffnet. Die Ösophaguskontinuität wird durch einreihige End-zu-End-Anastomose mit resorbierbaren Einzelknopfnähten (6–0) hergestellt. Nach Legen der Ecknähte werden zunächst die Hinterwandnähte gelegt und nach allmählicher Approximation der Stümpfe geknüpft. Die präoperativ gelegte Sonde wird durch eine weiche 5-Charr.-Magensonde ersetzt und diese – transnasal gelegte Sonde – über die Anastomose unter Sicht in den unteren Ösophagus und weiter in den Magen geschoben. Naht der Vorderwand. Eine Anastomose unter Spannung ist möglich, in diesem Fall ist eine Thoraxdrainage zu empfehlen. Zwischen Trachea und Ösophagus kann ein etwa linsengroßes Muskelstückchen aus der Brustwandmuskulatur interponiert und mit einem Tropfen Fibrinkleber in Höhe des Fistelverschlusses fixiert werden. Kontrolle auf Bluttrockenheit. Interkostalblock durch paravertebrale Infiltration der an die Thorakotomie angrenzenden Interkostalnerven mit Ropivacain. Zählkontrolle und Dokumentation des Zählstandes. Nach Legen von Perikostalnähten (4–0) wird die Lunge unter der intakten parietalen Pleura vorsichtig gebläht und vollständig entfaltet. Die Perikostalnähte werden so geknüpft, dass ein Interkostalraum erhalten bleibt. Naht der Interkostalmuskulatur mit 6–0-Einzelknopfnähten. Schichtweise Adaptation der Brustwandmuskulatur. Subkutannaht. Hautverschluss durch fortlaufende Intrakutannaht mit atraumatischem resorbierbarem Faden (6–0).

623 13.2 · Thorax

. Abb. 13.3 Verschluss der ösophagotrachealen Fistel

. Abb. 13.2a, b Operation der Ösophagusatresie: Freilegung des kranialen und kaudalen Speiseröhrensegments über einen extrapleuralen Zugang. a Ablösen der Pleura vom kranialen Speiseröhrensegment. b Freipräparation der Einmündung des unteren Speiseröhrensegments in die Trachea. Die Enden beider Segmente sind mit Haltefäden versehen

Bei gleichzeitig bestehendem zyanotischem Herzfehler wird dieser meist zuerst korrigiert. Bei sehr unreifen Frühgeborenen ist gelegentlich ein zweizeitiges Vorgehen notwendig. In einem ersten Schritt wird die Fistel zwischen Ösophagus und Trachea verschlossen, die Anastomosierung folgt einige Tage später in einer 2. Sitzung. In einigen spezialisierten Zentren ist eine thorakoskopische Korrektur der Ösophagusatresie möglich.

Langstreckige Atresie Stets ist die Anlage eines Gastrostomas notwendig, entweder nach O. Witzel (Chirurg, Bonn, 1856–1925) oder B. Kader (1896; Chirurg, Breslau, 1863–1937) zur enteralen Ernährung.

. Abb. 13.4a, b Mobilisation des kranialen und kaudalen Speiseröhrensegments. a Scharfes Ablösen des kranialen Blindsacks von der Pars membranacea der Trachea. b Annähern der beiden Speiseröhrensegmente zur Uberprüfung der zu überbrückenden Distanz

13

624

Kapitel 13 · Kinderchirurgie

Langstreckige Ösophagusatresie

Erhaltung des nativen (eigenen) Ösophagus

Ösophagusersatz

Verlängerung des oberen Ösophagus 4 Intrathorakale Stimulation des Längenwachstums 5 Konservativ – Spontan (Puri) – Längsbougierung des oberen Stumpfes (Howard and Myers) 5 Operativ – Zirkuläre Myotomie (Livaditis) – Anteriore Lappenplastik (Gough, Bar-Maor) 4 Extrathrorakale Stimulation des Längenwachstums – Mehrzeitig nach kaudal versetzte kutane Ösophagostomie (Kimura)

Vollständig 4 Kolon (Waterston) 4 Magenschlauch aus der großen Kurvatur (Gavriliu, Heimlich) 4 Gastrische Transposition (Spitz) Teilweise 4 Magenhochzug (Schärli) nicht zu empfehlen, da Kardia intrathorakal (GERD)

Verlängerung des oberen und des unteren Stumpfes 4 Intrathorakale Stimulation des Längenwachstums 5 Fadenmethode ohne/mit Olivenbougierung (Rehbein) 5 Paravertebrale Fixierung der Stümpfe unter konstanter Spannung (Foker) 4 Extrathorakale Stimulation des Längenwachstums 5 Extrathorakale Fixierung der Stümpfe unter zunehmender Spannung (Foker) . Abb. 13.5 Therapieoptionen bei langstreckiger Atresie

13

Es gibt keine einheitliche Definition, bei welchem Abstand von einer langstreckigen Ösophagusatresie gesprochen werden kann. Bei einem Abstand von mehr als 2 Wirbelkörpern ist eine primäre Anastomose in der Regel nicht mehr möglich. Dann ergeben sich die in . Abb. 13.5 dargestellten Optionen.

Postoperative Behandlung 4 Röntgenaufnahme des Thorax (Pneumothorax? Atelektasen? Mediastinalverschiebung? Lage der Magensonde?). 4 Falls eine Anastomose unter Spannung angelegt wird: 5 Lagerung des Kindes mit ventral gebeugtem Kopf. 5 Relaxation und Beatmung für etwa 5 Tage. 4 Regelmäßiges schonendes Absaugen des oberen Ösophagus, Absaugkatheter markieren, damit nur oral der Anastomose abgesaugt wird. 4 Magensonde für 36 h offen ablaufend, nicht ziehen, nicht wechseln. 4 Einlauf 24 h postoperativ. 4 Nahrungsaufbau nach 36 h beginnen. 4 Antazida in den ersten 7 Tagen postoperativ (wegen gastroösophagealem Reflux). 4 Lunge optimal mobilisieren: Kind regelmäßig umlagern, Vibrationsmassage des Thorax. 4 Möglichst frühzeitige Extubation. 4 Kontrastmitteldarstellung des Ösophagus zwischen dem 7. und 10. postoperativen Tag.

In 10% der Fälle sind Sekundäroperationen notwendig. . Tab. 13.4 gibt einen Überblick über die möglichen Komplikationen.

Bougiegröße für Ösophaguskalibrierung/ -bougierung Die Bougiegröße für Ösophaguskalibrierung bzw. -bougierung zeigt . Tab. 13.5.

Prognose Die Überlebenschance ohne zusätzliche lebensbedrohliche Anomalien beträgt fast 100%. Einschränkungen der Lungenfunktion und Neigung zu rezidivierenden respiratorischen Erkrankungen bestehen jedoch bis ins Erwachsenenalter.

13.2.2

Ligatur des Ductus arteriosus Botalli

Definition Symptomatische Persistenz einer für den Fetalkreislauf charakteristischen Verbindung zwischen A. pulmonalis und deszendierender Aorta (persistierender Ductus arteriosus, PDA). Das Blut der A. pulmonalis fließt an der Lunge vorbei direkt in die Aorta.

13

625 13.2 · Thorax

. Tab. 13.4 Mögliche Komplikationen nach operativer Korrektur einer Ösophagusatresie Komplikation

Klinik

Therapie

Häufigkeit

Nahtinsuffizienz (in den ersten 24–48 h postoperativ)

Abszess Mediastinitis

Ösophagus drainieren Spontanverschluss in bis zu 95%

9–21%

Ruptur der Anastomose

Mediastinitis Pleuraempyem

Rethorakotomie

4%

Stenose der Anastomose

Schluckstörung Aspiration

Ösophagusbougierung in Narkose alle 3-6 Wochen über mindestens 6 Monate Gastroösophagealen Reflux behandeln

15–29%

Fistelrezidiv

Aspiration

Endoskopischer Fistelverschluss: 45% Rerezidiv Rethorakotomie: 10–22% Rerezidiv

8% (5–15%)

Kompression der Trachea durch die Aorta

Lebensbedrohliche Zyanoseanfälle und Atemstillstand

Aortopexie

selten

Gestörte Peristaltik durch Narbenbildung

Schluckstörungen (Dysphagie)

Ösophagusbougierung

bis 72%

Gastroösophageale Refluxkrankheit

Ösophagitis mit Schluckbeschwerden Rezidivierende Aspirationspneumonie Anämie Dystrophie

Medikamentös Fundoplikatio

30–65%

Anastomosenstriktur

Schluckbeschwerden

50–70% konservativ, Ca. 30 % operativ

37%

Thoraxdeformitäten, Wirbelsäulenanomalien (Skoliose)

Eingeschränkte Lungenfunktion

Physiotherapie (OP)

?

Tracheomalazie (Diagnose durch Bronchoskopie)

Atemnot Stridor

Konservativ In Einzelfällen Aortopexie

ca. 10–20%

Frühe Komplikationen

Späte Komplikationen

Anatomie Der Ductus arteriosus Botalli (erstmals beschrieben von Galen, griechischer Arzt, Rom, 129–199 n. Chr.; heute benannt nach L. Botallo, italienischer Chirurg, Paris (1530 bis ca. 1571) verbindet beim Fetus die Pulmonalarterie . Tab. 13.5 Bougiegröße für Ösophaguskalibrierung/ -bougierung Körpergewicht (kg)

Bougiegröße (Charr.)

2,5–4,0

20–24

4,0–5,5

24–28

5,5–7,0

28–32

7,0–8,5

32–34

8,5–10,0

34–36

10,0–15,0

36–40

mit der Aorta descendens, in die er distal des Abgangs der linken A. subclavia einmündet.

Pathophysiologie Im fetalen Kreislauf leitet der Ductus arteriosus das vom rechten Ventrikel ausgeworfene Blut aus der Pulmonalarterie an der nichtbelüfteten Lunge vorbei in die Aorta descendens; von dort gelangt es zum Gasaustausch in die Plazenta. Mit dem ersten Atemzug öffnet sich die Lungenstrombahn. Die Flussrichtung des Blutes im Ductus kehrt sich um, weil der systemische Gefäßwiderstand jetzt höher ist als der pulmonale. Der ansteigende Sauerstoffpartialdruck des noch durch den Ductus fließenden arteriellen Blutes führt über eine Kontraktion der Ductusmuskulatur innerhalb von Stunden und Tagen zu einem zunächst funktionellen Verschluss, der innerhalb von 2–3 Wochen bis zu 3 Monaten definitiv obliteriert. Je unreifer ein Neugeborenes ist, desto schwächer reagiert die Ductusmuskulatur auf postnatale Kontraktions-

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Kapitel 13 · Kinderchirurgie

reize. Der dann persistierende Links-Rechts-Shunt führt zur Überfüllung der Lungenarterien, zu einer Belastung des (rechten) Herzens und schließlich zu einer Minderperfusion der Organe des großen Kreislaufs, besonders des Mesenterialkreislaufs (Risiko einer nekrotisierenden Enterokolitis) und des Gehirns (Risiko einer Hirnblutung). Die daraus resultierende Hypoxie des den Ductus durchfließenden Blutes unterhält seine Persistenz und etabliert so einen Circulus vitiosus.

Symptome Klinische Hinweise auf einen PDA können sein: 4 Verschlechterung der Beatmungsparameter, 4 erhöhter Sauerstoffbedarf, 4 Tachykardie, 4 Vergrößerung der Leber, 4 niedriger Blutdruck, 4 große Blutdruckamplituden (mit niedrigem diastolischem Druck, »springender Puls«), 4 präkordiale Herzaktion, 4 Systolikum, 4 generalisierte Ödeme.

Diagnose

13

Die Diagnose kann durch Farbdopplersonographie gestellt werden, die die Flussrichtung des Blutes im Ductus feststellen und die Flussgeschwindigkeit des Blutes in den großen Arterien des Gehirns, des Mesenterium und der Nieren messen kann. Die Indikation zur Behandlung wird aufgrund klinischer Kriterien gestellt.

. Abb. 13.6 Thoraxröntgenbild eines Neugeborenen mit kongenitalem Zwerchfelldefekt links. Verlagerung des Herzens nach rechts. Einengung der gleichseitigen und der kontralateralen Lunge. (© Dr. P. Reifferscheid)

Therapie

Formen

Die Therapie obliegt i. Allg. den Kardiochirurgen (7 Kap. 7).

jLokalisation 4 Posterolateral: Bochdalek-Hernie (. Abb. 13.6;

13.2.3

Angeborener Zwerchfelldefekt

Definition Angeborene Zwerchfelllücke mit Verlagerung von Abdominalorganen in den Thorax. Hypoplasie besonders der gleichseitigen Lunge.

Häufigkeit 4 1 : 2.000–3.000 Lebendgeburten. 4 Geschlechterverhältnis männlich : weiblich = 1–2 : 1. Über 50% der pränatal diagnostizierten Feten mit angeborenen Zwerchfellhernien sterben intrauterin. Auch postnatal hat der angeborene Zwerchfelldefekt eine Mortalität von bis zu 50%.

>85% links, 12% rechts,