Object Links: Dinge in Beziehung [1 ed.]
 9783205209591, 9783205209577

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Institut für Realienkunde des Mittelalters und der frühen Neuzeit [Hg.]

Object Links – Dinge in Beziehung f

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Formate – Forschungen zur Materiellen Kultur Band 1

Institut für Realienkunde des Mittelalters und der frühen Neuzeit (Hg.)

OBJECT LINKS Dinge in Beziehung

b ö h l au v e r l a g w i e n kö l n w e i m a r

Kontakt zu den Autorinnen und Autoren: Institut für Realienkunde des Mittelalters und der frühen Neuzeit Universität Salzburg Körnermarkt 13 A-3500 Krems an der Donau www.imareal.sbg.ac.at

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek : Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie ; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar. © 2019 by Böhlau Verlag Ges.m.b.H & Co. KG, Wien, Kölblgasse 8–10, A-1030 Wien Alle Rechte vorbehalten. Das Werk und seine Teile sind urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung in anderen als den gesetzlich zugelassenen Fällen bedarf der vorherigen schriftlichen Einwilligung des Verlages. Umschlagabbildungen: Collage aus „Evagationes spiritus“, Tafel eines ehemaligen Flügelaltars, Esztergom, Keresztény Múzeum, Ungarn (1445–1455) und den in der Bilddatenbank REALonline verfügbaren Ansichten der Objekttags: https://realonline. imareal.sbg.ac.at/detail/?archivnr=008166. Grafik: Franz Siegmeth. Evagationes spiritus: Die abschweifenden Gedanken eines betenden Menschen kreisen um eine Reihe von Objekten: Dinge, Tiere und Menschen lenken vom Gebet ab, angezeigt durch die roten Linien im Bild. Sie verweisen auf jene Objekte, die den im Bild nicht sichtbaren Menschen vom Gebet ablenken. Die Warnung der Theologen könnte zusammengefasst so lauten: Alles, was man besitzt, besitzt auch Dich. In diesem Sinne sind die roten Linien Object Links im besten Sinne, sie verbinden die Menschen mit den Objekten und die Objekte mit den Menschen. Redaktion und Korrektorat: Birgit Karl, Krems an der Donau Einbandgestaltung : Michael Haderer, Wien Satz: Franz Siegmeth, Bad Vöslau

Vandenhoeck & Ruprecht Verlage | www.vandenhoeck-ruprecht-verlage.com ISBN 978-3-205-20959-1

Inhaltsverzeichnis

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Vorwort des Reihenherausgebers Heike Schlie Object Links – Objects Link Elisabeth Gruber Making of … Object Links

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Begriffsforum

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Elisabeth Gruber Object Links. Brücken als Objekte topografischer und sozialer Vernetzung

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Thomas Kühtreiber Dinge ordnen. Adeliges Haushalten in der Frühen Neuzeit am Beispiel der Herrschaft Windhag, Gemeinde Windhaag, Oberösterreich Ingrid Matschinegg Inventarisierte Objekte verlinken: Schreibzeug, Schreibtisch, Schreibstube. Objekte und Orte des Schreibens auf Burgen (15. und 16. Jahr­ hundert)

Inhaltsverzeichnis

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Isabella Nicka Object Links in/zu Bildern mit REALonline analysieren Sarah Pichlkastner Ernährung und soziale Ungleichheit in einem ‚besonderen‘ Haus. Die Food Links des Klosterneuburger Bürgerspitals in der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts Gabriele Schichta „Habt mir auff daz pild, daz ist mir worden wild!“ Verlebendigte Objekte und verdinglichte Figuren in den Mären Der Herrgottschnitzer und Der Bildschnitzer von Würzburg Heike Schlie Bedeutungsstiftende Links und objektbiografi­ sche Konstellationen: Das Goldschmiede­werk des Nikolaus von Verdun im Stift Klosterneu­ burg

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Vorwort des Reihenherausgebers

Der vorliegende Band „Object Links – Dinge in Bezie­ hung“ ist der erste Band der neuen Reihe „Formate  – Forschungen zur Materiellen Kultur“. Sie wird vom Institut für Realienkunde des Mittelalters und der frühen Neuzeit (IMAREAL) in Krems an der Donau, das seit 2012 zur Universität Salzburg gehört, im Böhlau-Verlag herausgegeben. Entsprechend der inhaltlichen Ausrichtung des Insti­ tuts liegt der Fokus der Reihe auf der Herausgabe von Forschungsbeiträgen zur Materiellen Kultur des Mittel­ alters und der Frühen Neuzeit mit interdisziplinärer Ausrichtung: Dies kann, wie im vorliegenden Band  1, in der fachübergreifenden Konzeption und methodisch innovativen Umsetzung eines Sammelbandes, aber auch in Form von Monografien aus einzelnen Wissenschafts­ disziplinen mit klar erkennbarem Anknüpfungspotenzial für den kulturwissenschaftlichen Diskurs über Fachgren­ zen hinweg realisiert werden. Damit bietet „Formate“ eine Erweiterung zu den „Interdisziplinären Beiträgen zu Mittelalter und Früher Neuzeit“, einer Reihe, die in Kooperation mit dem Interdisziplinären Zentrum für Mittelalter und Frühneuzeit der Universität Salzburg im Winter-Verlag herausgegeben wird. Das Forschungsprofil des IMAREAL bildet den inhaltlichen Schwerpunkt der Reihe, die darüber hinaus eine Plattform für methodisch innovative, externe Beiträge zur Materiellen Kultur in Ergänzung zu den Forschungsperspektiven des Instituts bieten soll. Formal bietet „Formate“ den passenden Rahmen für Publikationen, die aufgrund ihrer Thematik, ihrer For­ schungsobjekte und/oder ihres methodischen Zugangs qualitativ hochwertige und großformatige Abbildungen in entsprechender Wiedergabe benötigen. Aus realien­ kundlicher Perspektive auf materielle Objekte gehen wir davon aus, dass Medialität und Materialität als bedeu­ tungsstiftende und sinnvermittelnde Faktoren in einer

Vorwort

produktiven wechselseitigen Beziehung stehen. Die neue Reihe trägt daher hinsichtlich ihrer Ausstattung, vor allem aber in der Formatwahl den Anforderungen der jeweiligen Publikation Rechnung: Insgesamt werden drei unterschiedliche Formate – von Hoch- bis Querformat – zur Verfügung stehen. Damit nimmt das Akronym „For­ mate“ auch auf das in dieser Hinsicht unterschiedliche Erscheinungsbild der Bände Bezug. Hinzu kommt die Möglichkeit der Publikation als E-Book, optional unter Open Access-Lizenz. Band 1 der Reihe widmet sich einer der beiden im ak­ tuellen Forschungsprogramm des IMAREAL ausgewie­ senen Forschungsperspektiven, nämlich „Object Links“. Das Buch ist von der Ideenfindung 2015 bis zur Buchwer­ dung ein Gemeinschaftsprojekt aller wissenschaftlichen Mitarbeiter/-innen, weshalb das IMAREAL auch als Herausgeber von Band 1 fungiert. Der Band erscheint im Jubiläumsjahr des 50-jährigen Bestehens des IMAREAL. Er soll für jene Form des wissenschaftlichen Zusammen­ arbeitens stehen, für die wir uns am IMAREAL entschie­ den haben: Als gleichberechtigte Partner/-innen bei der interdisziplinären Entwicklung von kulturwissenschaft­ lichen Fragestellungen, Theorien und Methoden, die in die disziplinäre Einzelforschung sowie in die Teilprojekte kleinerer Gruppen einfließen und aus der Anwendung heraus wiederum Inputs für den internen wie externen Diskurs liefern. Wir freuen uns, dass „Formate – Forschungen zur Materiellen Kultur“ eine neue Plattform für den Diskurs zur Materiellen Kultur in historischer, interdisziplinärer Perspektive bietet, die durch ihre publikationstechnischen Rahmenbedingungen ein breites Spektrum an Umset­ zungsformen ermöglicht. Krems an der Donau, im Frühjahr 2019 Die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des IMAREAL

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Heike Schlie

Object Links – Objects Link

Dieser Band ist hervorgegangen aus der Forschungsper­ spektive Object Links, seit 2015 Teil des Forschungspro­ gramms am Institut für Realienkunde des Mittelalters und der frühen Neuzeit (IMAREAL). Ziel dieses Neu­ designs war es zunächst, ein Instrumentarium zu entwickeln, welches die interdisziplinäre Arbeit zur Geschichte der Materiellen Kulturen in konzeptueller und theoretischer Hinsicht so fassen lässt, dass die Mechanismen der Entstehung, Nutzung, Handhabung, Bedeutung und Wirkung der Dinge und ihrer Materi­ alität über die Grenzen ihrer traditionellen Einordnung in die Wissenschaftsdisziplinen hinaus sichtbar gemacht werden können. Dies erforderte sowohl experimentelle Wege der interdisziplinären Zusammenarbeit (siehe Making of … Object Links in diesem Band) als auch eine intensive Verständigung über die Begrifflichkeiten, die mit dem Object Turn einhergehen und die nicht unbedingt einheitlich und konsistent verwendet werden (siehe das Begriffsforum in diesem Band). Insgesamt soll ein Beitrag geleistet werden zur Forschung über Materielle Kultur bzw. die Materialität der Kultur; zur Bedeutung der Artefakte sowie des weiter gefassten Materiellen für die jeweilige Gesellschaft, nicht nur für die  Praktiken, sondern auch für symbolische Zuschrei­ bungen und Konzepte. Dabei wird dezidiert nicht von den „Objekten“ selbst ausgegangen, sondern von den für eine bestimmte  Konstellation,  Konfiguration oder ein bestimmtes Szenarium signifikanten Verbindungen in den  Objekt­gesellschaften, die zwischen Artefakten, nicht-artifiziell Objekten und menschlichen Akteu­ ren/-innen relevant sind. Die Ausgangsthese ist, dass die Art dieser Links die Manifestation, Bedeutung und Wir­ kung der Objekte hervorbringt. Eine Wechselwirkung besteht zwischen Links und  Praktiken: Die Verlinkung gesellschaften wird u.a. durch die in den  Objekt­ Praktiken bestimmt, und die bestehenden Links triggern

wiederum die Praktiken. In dieser Dynamik der in den verschiedenen realen, potentiellen und latenten  Kon­ stellationen quasi „mobilen“, wandernden Dinge werden deren Bedeutung und Relevanz für die Kulturgeschichte in besonderer Weise sicht- und beschreibbar. Object Turn – Perspektiven der Forschung zur Materiellen Kultur Die Forschungen zur Materiellen Kultur haben eine län­ gere Tradition, als manche neu formulierten Turns sugge­ rieren.1 Der Object Turn ist eine der neueren Tendenzen, die im Bereich der Forschung zur Materiellen Kultur auf­ gerufen wird, egal ob man unter Materieller Kultur eher die Gesamtheit der von einer umrissenen Gesellschaft hervorgebrachten Artefakte versteht oder das für eine Gesellschaft diagnostizierte Denken und Handeln in Be­ zug auf alles Materielle, einschließlich Körper und physi­ scher Räume. Wie auch bei anderen der vielbeschworenen Turns ist es schwierig, den Beginn des Object Turn genau zu definieren: Verschiedene disziplinäre Stränge von „ob­ ject-centered perspectives“ haben dazu geführt, dass die „Dinge“ in allen Geistes- und Gesellschaftswissenschaften aktuell als zentrale Untersuchungsgegenstände definiert werden. Der begrifflich ältere Material Turn (eher im deutschsprachigen Raum gebräuchlich) sowie der Ma­ teriality Turn (eher englischsprachiger Raum) wiederum fassen den Trend, zunehmend und in immer zahlreicher werdenden Disziplinen das Materielle in den Kulturwis­ senschaften, Geschichtswissenschaften, in der Soziologie und den Wirtschaftswissenschaften zu berücksichtigen. Der Begriff Materiality Turn ist vor allem im Bereich der Organization Studies der Wirtschaftswissenschaften ver­ breitet und verortet sich u.a. in der Nachfolge eines His­ torischen Materialimus Marxscher Prägung.2 Der Begriff

1 Z  u einigen dieser Traditionsstränge siehe Siebenhüner 2015, 386–398. Eine Orientierung zu Traditionen und Konzepten der Forschung zur Materiellen Kultur bietet Samida et al. 2014. 2 Carlile et al. 2013.

 Die mit einem blauen Pfeil markierten Begriffe sind im Beitrag „Begriffsforum“ in diesem Band vertreten, samt einer im Rahmen der Object Links entwickelten Diskussion und Verweisen, wo der jeweilige Begriff im Buch noch verwendet wird.

Object Links – Objects Link

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ist in den Kultur- und Sozialwissenschaften aber auch synonym zum Material Turn gebräuchlich: Hier stehen die artifiziellen, physischen Dinge (Artefakte) im Fokus, nicht primär das Material von Artefakten, wie der Begriff vermuten lassen könnte. Selten finden sich differenzieren­ de Überlegungen wie die folgende: „The words material and materiality carry ambivalent meanings in vernacular English. On the one hand, material is defined as ‚things that are material‘, which emphasizes the physical aspect of things; on the other hand, it means‚ (in various non-phy­ sical applications) something which can be worked up or elaborated, or of which anything is composed‘.“ 3 Die Beschäftigung mit spezifischen Materialien sowie der techne, dem Gemacht-Sein, findet sich eher bei den Dis­ ziplinen, für die das „Machen“ oder „Verfassen“ der Dinge explizit Forschungsgegenstand sind, wie beispielsweise der Kunstgeschichte oder auch der Archäologie.4 Aber auch die Literaturwissenschaft stellt jüngst in einigen Forschungsprojekten und -verbünden das Material selbst in das Zentrum der Fragestellungen.5 Ein Blick in die zahlreichen, jene Turns thematisierenden Publikationen zeigt, dass die als relativ jung ausgewiesene Hinwendung zur Materialität in vielen Disziplinen einerseits mit wort­ reicher Rechtfertigung als Neuheit begründet wird, und dass andererseits zur theoretischen Verankerung weit zu­ rückreichende Traditionsstränge der Beschäftigung mit dem Materiellen genannt werden.6 Diese verschiedenen Herleitungen sind mit ein Grund dafür, warum Begriffe wie „Ding“, „Objekt“, das „Materielle“ und „Materialität“ alles andere als einheitlich gefasst sind. In dem gemein­ samen Interesse an den Dingen sind viele Disziplinen ei­ nander näher gerückt, ein einheitliches Verständnis der Begriffe oder kompatible Konzepte sind damit aber noch nicht gegeben.7 Der Object Turn wiederum inkludiert von seiner Potentialität her nicht nur Artefakte, sondern unter Umständen auch dezidiert Naturalia. In seinem Sog entstanden neue Disziplinen wie beispielsweise die Sammlungswissenschaften. Man würde das Sammeln

von menschlichem Zellmaterial in Biobanken8 vermut­ lich weniger im Bereich der Materiellen Kultur verorten; im Zuge des Object Turn und im Sinne einer Geschichte des Wissens können diese Sammlungen und ihre Ob­ jekte aber als ein zentraler Gegenstand definiert sein.9 Während sich hier zumindest noch vom „Ding“ sprechen lässt, unter dessen Begriff sich „handhabbare“ Entitäten artifizieller und natürlicher Provenienz (oder auch Misch­ formen) subsumieren lassen, ist für Fragestellungen der Kulturwissenschaften oder der Wissensgeschichte die Beschäftigung mit Objekten denkbar, für die das nicht gilt. In bestimmten Zusammenhängen kann es sinnvoll sein, beispielsweise auch einen Berg oder die Landschaft eines künstlich begradigten Flusses als Objekt zu definie­ ren. „Objekt“ ist also weiter gefasst als eine Entität, die in gegenstandsbezogenen Handlungs- und Planungs­ szenarien, in  Praktiken, in den jeweiligen historischen  Konstellationen eine Rolle spielen kann. Es tauchen entsprechend in all diesen Zusammen­ hängen mehrere Desiderate für ein objektzentriertes, interdisziplinäres Arbeiten auf: In vielen der Ansätze der Materiellen Kultur oder auch in den soziologischen Verhandlungen einer Bedeutung der Dinge geht es pri­ mär um Artefakte. Entitäten, die man nicht als Dinge bezeichnen würde, die aber gleichwohl in materieller Hinsicht Voraussetzung für Szenarien und  Netzwerke in materieller Hinsicht sind, sie ermöglichen oder gar ein­ schränken, werden nicht zwingend erfasst. Dies kann, wie oben schon angedeutet, eine Geländeformation sein, oder beispielweise auch eine Abfolge an begrenzten Räumen. Darüber hinaus gilt: Aus der Perspektive der Kulturwis­ senschaften gibt es das per se definierte „Ding“ nicht (im Gegensatz zur ontologischen Perspektive). Es ist nur zu erfassen, wo es als Objekt, als Gegen-Stand (obicere = entgegenstehen) in seiner Verlinkung beobachtbar wird, wo es in  Konstellationen bzw. in mit Konstellationen verbundenen  Praktiken eine Teilhabe verzeichnet und durch diese Links Bedeutungszuschreibungen erfährt.

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 ong 2003. H Hier sind vor allem die zahlreichen Arbeiten von Monika Wagner zu nennen, stellvertretend Wagner 2001. SFB 933 Materiale Textkulturen, Universität Heidelberg https://www.materiale-textkulturen.de/ [letzter Zugriff am 4.3.2019]. Siehe beispielsweise Siebenhüner 2015. Vgl. Karagianni et al. 2015, 34, die die Material Culture Studies als „höchst heterogene[s] und pluralistische[s] Forschungsfeld […] mit unterschiedlichen Forschungsinteressen und -methoden“ klassifizieren. 8 Als Beispiel sei die für die Krebsforschung eingerichtete Biobank der Universität Würzburg genannt, https://www.ukw.de/behandlungs zentren/interdisziplinaere-biomaterial-und-datenbank-wuerzburg/startseite/ [letzter Zugriff am 4.3.2019]. 9 Darüber hinaus werden im Zusammenhang eines Object Turn oft auch die wissenschaftsgeschichtlichen und wissenschaftstheoretischen Forschungen Hans-Jörg Rheinbergers genannt, die u.a. mit dem Begriff des „epistemic thing“ der Materialität der Naturwissenschaften gewidmet sind, siehe Rheinberger 1997.

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Heike Schlie

In den kulturhistorischen Disziplinen wiederum ist das überlieferte physische „Ding“ in den Bestands­ aufnahmen und Untersuchungsanordnungen unter Umständen nur isoliert zu fassen. Wenn ihm durch wissenschaftliche Deutung ein kultureller Objektstatus zugewiesen wird und es damit den Status eines Be­ deutungsträgers und Beleges einer zu rekonstruieren­ den kulturellen Praxis erhält (wie beispielweise in der Archä­ologie), kann seine tatsächliche Materialität aus dem Blick geraten.10 In dem Maße, wie das Ding zum Träger kultureller (auch symbolischer) Bedeutung wird, droht ihm eine Entmaterialisierung und ein Verlust sei­ ner Eigenschaft als physisch verfasster Gegenstand.11 So entstehen in Untersuchungen der Dingkulturen Leer­ stellen eines wirklichen Fokussierens des Materiellen in der Materiellen Kultur, d.h. sowohl des spezifischen Materials, aus dem die Dinge gemacht sind, als auch der techne ihres Gemacht-Seins.12 Die Perspektive auf die Geschichte der Materiellen Kulturen ändert sich, je nachdem, ob man „Materialität“ vom physischen Ding oder vom Material her denkt.13 Da es in jeder histori­ schen  Konstellation um eine spezifische Manifestation eines Dinges als Objekt geht, ist die tatsächliche Mate­ rialität, das konkrete Material, aus dem es gemacht ist, und wie es gemacht ist, wesentlich für seine Bedeutung in diesen Konstellationen. Auch das Material selbst hat Affordanzcharakter14 und kann zudem  Agency ent­ wickeln,15 noch bevor vom Ding oder Artefakt die Rede sein kann. Um diesen im Rahmen unserer interdisziplinären Ar­ beit manifest werdenden Desideraten zu begegnen, sind am IMAREAL folgende Forschungsperspektiven instal­ liert worden: „Object Links“ und „Materialities“.16

Warum Object Links? Der Object Turn wurde unter anderem begünstigt von theoretischen Ansätzen wie der Akteur-Netzwerk-Theorie (ANT), die nicht unbedingt von den Objekten selbst ausging, sondern zunächst von einer Neubewertung eines menschlichen Subjekts, das in seinen Vollzügen, Handlungen und  Praktiken nicht frei mit passiven anderen Entitäten schalten und walten kann, wie von einer vorherigen soziologischen Sicht eher postuliert. Mit der Zuschreibung eines Handlungspotentials an Akteure oder Aktanten (Bruno Latour) wies man den Objekten in Netzwerken und Handlungsszenarien eine grundsätzlich neue Bedeutung zu. Auch wenn man dem Objekt im Folgenden nicht prinzipiell einen expliziten Akteurstatus zugestehen wollte, so hat die ANT zumindest in vielen Disziplinen dazu geführt, dass die handlungs- und kon­ stellationsdeterminierende Rolle der Objekte und ihrer Relationen sowohl in soziologischer als auch in historio­ graphischer Hinsicht mehr berücksichtigt und fokussiert wurde: „Die Gemenge und die Netze, die keinen Platz hatten, haben nun den ganzen Platz für sich. Sie gilt es zu repräsentieren, um sie herum versammelt sich von nun an das Parlament der Dinge.“17 Theodore R. Schatzki wiede­ rum hat den Blick auf die „practice-material arrangement nexuses“ gelenkt, mit deren Hilfe er soziale Phänomene, insbesondere soziale Veränderungen deutet und erklärt.18 Nach Schatzki bilden die Akteure/-innen und die ma­ teriellen Objekte mittels der mit diesen verbundenen Praktiken ein dynamisches, gemeinsames Ganzes, das nur in dieser Gesamtheit erforscht und interpretiert werden kann. Innerhalb der oben schon erwähnten Sammlungs­ wissenschaften entstand der Begriff des „relationalen Ob­ jektes“. Während der Kulturwissenschaftler Stefan Kran­ kenhagen den Begriff des relationalen Objektes allerdings differenzierend benutzt und auf Dinge im Museum

10 Siehe dazu beispielsweise Hahn 2003 und Kienlin 2005. 11 Vgl. dazu Karagianni et al. 2015, 38. 12 Mit den bereits oben erwähnten Ausnahmen beispielsweise der Literaturwissenschaft oder der Kunstgeschichte. 13 Kühtreiber, Schlie 2017. 14 So auch thematisiert in Meier 2015, 21. 15 Wagner 2012. 16 http://www.imareal.sbg.ac.at/home/forschung/object-links/ und http://www.imareal.sbg.ac.at/home/forschung/material-i-ties/ [letzte Zugriffe am 4.3.2019]. 17 Latour 2008. 18 Schatzki 2002.

Object Links – Objects Link

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anwendet,19 würden wir grundsätzlich von einem Rela­ tionalen der Objekte ausgehen, analog zum relationalen Raumbegriff bei Martina Löw.20 Für die Verknüpfungen der Objekte interessierte sich auch der Archäologe Ian Hodder. Er entwickelte die Theorie des „Entanglement“, mit der er die Beziehung zwischen Dingen und Dingen, vor allem aber zwischen Dingen und Menschen u.a. als „practical material interlacings of humans and things“ beschreibt.21 Für Hodder haben die „entanglements“ oder „interlacings“ selbst entsprechend auch materiellen Status, was sich in methodischer Hinsicht so auswirkt: If the researcher could disentangle an entanglement in order to study the seperate strands and how they are wound round each other, then the entanglement would no longer be entangled! There is thus a need to explore the entanglement itself […] en­ tanglement is both material and immaterial.22

Auch aus unserer Sicht gehören die Object Links, in de­ nen die Objekte ihre Wirkung und Bedeutung entfalten, untrennbar zur Materialität der Kultur. Die Fragen innerhalb einer Geschichte der Dinge lassen sich daher nicht darauf reduzieren, wie sie ausgesehen ha­ ben, gefertigt, verbreitet, verwendet und mit Bedeutung aufgeladen wurden. Man kann die Fragen ganz anders stellen, beispielsweise: Wie schreiben Dinge an der Ge­ schichte mit? Welche Bedeutung haben sie in einem über ihr Gebrauchsszenarium hinausgehenden kultur- und geistes­geschichtlichen Horizont? Was ist ihre Bedeutung für eine Geschichte des Wissens; wie kann man ihren ent­ sprechenden epistemologischen Status fassen? Um diese Fragen beantworten zu können, müssen die Dinge  als Objekte beobachtbar werden in den  Konstellationen,  Konfigurationen und Szenarien der besagten Kulturen, in denen sie in irgendeiner Weise signifikante bzw. auch agierende Bestandteile sind – oder anders gesagt, es muss sichtbar sein, wie sie sich in diesen Szenarien verlinken. Die Grundidee eines Arbeitens mit Object Links im Bereich der Forschung zu Materieller Kultur liegt in der Annahme begründet, dass die Bedeutung, der Sinn und

die Wirkung nicht in einzelnen Objekten fest einge­ schrieben oder verankert sind,23 sondern in den jeweiligen räumlichen, strukturellen, situativen oder performativen Verbindungen, die zwischen Objekten untereinander bzw. zwischen Objekten und Personen entstehen, aus­ gehandelt und aktiviert werden. Im Fall komplexer und hybrider Objekte, eines Kunstwerks beispielsweise, das sich aus verschiedenen einzelnen Elementen zusammen­ setzt, bestehen solche semantischen Links auch innerhalb des Objekts selbst. Im Fall eines Objektensembles (ein Beispiel wären die Figuren eines Schachspiels) bestehen Links von relativ großer Dichte zunächst zwischen seinen einzelnen Elementen, das  Ensemble als solches kann aber wiederum als Teil einer  Objektgesellschaft ver­ linkt sein mit seiner räumlichen Umgebung, weiteren Objekten und handelnden menschlichen Akteuren/-in­ nen wie den Schachspielenden. Eine Objektgattung oder ein einzelnes, bestimmtes Objekt, die/das in den Verlinkungen innerhalb einer historischen  Konstellation, einer  Konfiguration oder eines konkreten Szenariums aktiviert und aktuali­ siert wird, kann in einer neuen Konstellation eine andere Bedeutsamkeit und Wirkung annehmen. Umgekehrt bringen modifizierte Links sowie das Hinzufügen bzw. Erscheinen von neuen Objekten jeweils neue Bedeutungs­zuschreibungen und Signifikanzen der schon bestehenden, persistenten Objekte hervor. Die meisten der Beiträge in diesem Band nehmen  Objektgesell­ schaften in den Blick, deren sich verändernde  Konstel­ lationen zwischen Zeitschnitten beobachtbar sind. Wie oben schon erwähnt, kann dasselbe Ding in der Dynamik der Konstellationen als quasi „mobiles“, wanderndes Ding zu verschiedenen Bedeutungen und Signifikanzen objektiviert sein oder werden. Auch wenn es uns in erster Linie um die Artefakte und ihre Bedeutung für „Geschichte“ geht, können durch die Object Links auch Naturalia, die im engeren Sinne Ding-Charakter haben (wie zum Beispiel Muscheln oder Steine), als Entitäten „objektiviert“ 24 sein (im Sinne eines Gegenstandes, an dem sich Denken und Handeln

 rankenhagen 2013, 393, „An relationalen Objekten werden Modi der Teilhabe wirksam, sie präsentieren sich in Form von Netzwerken 19 K und sie beschreiben eine Bewegung innerhalb und zwischen verschiedenen Netzen.“ Er erwähnt hier auch die oben in dieser Einführung bereits thematisierte Bewegtheit der Dinge, allerdings wiederum auf die Spezifika der Sammlungsobjekte bezogen. Das „Bewegtsein“ der Objekte zwischen den Netzwerken gilt (in metaphorischer Hinsicht) potenziell für alle Objekte: Die Brücke in Elisabeth Grubers Beitrag ist sowohl Objekt in der Verlinkung des Gütertransportes als auch in der Verlinkung der Verwaltung ihrer Einkünfte und ihres Erhalts. 20 Löw 2001. 21 Hodder 2012, 105. 22 Hodder 2012, 218. 23 Vgl. Hodder 2012, 3. 24 Vgl. „Objectness of things“, Hodder 2012, 13.

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Heike Schlie

ausrichtet). Es sind mit den durch Object Links ver­ bundenen Objekten auch Entitäten involviert, die wir üblicherweise nicht als Dinge bezeichnen würden; dies wurde oben mit dem „Berg“ schon angedeutet. Ein Berg ist dann Objekt, wenn er in einer bestimmten  Kon­ stellation ein „Gegenstand“ ist, an dem sich Handlung,  Praktiken, Bedeutungszuschreibungen etc. ausrichten. Durch den gegenständlichen („gegenstehenden“) Berg entsteht eine Konstellation zwischen menschlichen Akteuren/-innen und dem Berg sowie weiteren Objek­ ten, die zu unterschiedlichen Handlungen führt. Der in diesem Fall über  Agency verfügende Berg zwingt mich als Hindernis auf meinem Weg, ihn zu umgehen oder ihn zu überwinden. Hier steht der Berg den Planungen der menschlichen Akteure/-innen entgegen; er bildet mit der materiellen Masse und der Höhenerstreckung eine Wider-Ständigkeit und ändert so das Szenarium der Mobilität, bis hin zum für die Autobahn erzwungenen Tunnelbau. Auf der anderen Seite bietet er sich in „assis­ tierender“ Weise an zum Burgenbau, für Bergpredigten, von ihm wird Wasser in die Stadt geleitet usf. Im Sinne sportlich motivierter Mobilität kann der Berg mich ein­ laden oder herausfordern, ihn zu besteigen; er kann mir darüber hinaus einen weiten Blick auf die Landschaft bieten. Letztere Beispiele zeigen  Affordanzen, die sich ebenfalls durch Materialität und Höhenerstreckung ergeben. Als markantes Kennzeichen wiederum kann er zum Haus-Berg einer Stadt und somit zum Teil der kul­ turellen Identität werden. Auch in den Beiträgen dieses Bandes sind Objekte ohne Dingcharakter als material­ bedingte oder materiell bedingte Entitäten relevant. So sind im Beitrag von Elisabeth Gruber die beiden Ufer, die von der Brücke verbunden werden, Objekte innerhalb des durch den Link gebildeten Gefüges. Sie sind nicht nur die topografisch definierten Punkte, die verbunden werden, die gegenseitig durch die Brücke erreichbar werden im Sinne von Mobilität, Transport und Vernetzung, sondern bestimmen durch ihre materielle Beschaffenheit den Bau und durch das „Anbieten“ optimaler Positionierungen für die Brückenköpfe auch den genauen Ort der Brücke selbst. Im Beitrag von Ingrid Matschinegg sind die in die Süd- und Ostwand eingelassenen Fenster der Schreib­ stube in der Festung Hohensalzburg relevante Objekte für die Object Links, weil sie als Öffnungen in bestimmter Himmelsrichtung (nicht auf der Ebene ihrer Materialität Holz/Glas) den für das Schreiben benötigten Lichteinfall optimieren. Sowohl Gebäude als auch Räume können als Objekte definiert sein, wenn ihre  Konstellation und ihre  Positionierung in einem System bzw. Ensemble für die Fragestellung entscheidend sind. Object Links – Objects Link

Welche  Konstellationen von Objekten bringen welche   Praktiken hervor, und wie konfigurieren menschliche Akteure/-innen wiederum Objektgefüge in den Praktiken? Die historischen Konstellationen von den Object Links her zu perspektivieren kann in mehrere Richtungen zielen. Die Objekte und ihr So-Sein können selbst den zentralen Gegenstand der Fragestellung bil­ den, wie beispielsweise in der Kunstgeschichte: Warum entsteht ein Kunstwerk und warum nimmt es genau seine Form an, welche Funktionen und welche Wirkung hat man im Blick? Hinsichtlich einer Produktionsästhetik könnte man von dem Desiderat einer potentiellen, pro­ jizierten oder prognostizierten Funktionalität sprechen, das in einer diese Funktionalität nicht bietenden Umge­ bung von Object Links entsteht und die Produktion eines entsprechenden neuen Objektes und auch neue Object Links zur Folge hat. Dies gilt für die Einrichtung von Schreibstuben (Beitrag Ingrid Matschinegg), die Beauf­ tragung kirchlicher Ausstattungsgegenstände (Beitrag Heike Schlie), den Bau von Brücken (Beitrag Elisabeth Gruber) oder von neuen Schlossbauten (Beitrag Thomas Kühtreiber). Man kann also fragen, in welchen  Kon­ stellationen die Entstehung von Dingen ausgelöst wird. Des Weiteren lässt sich nach den Konstellationen fragen, in denen die Dinge ausgewählt, gehandhabt, genutzt, verwaltet oder auch zerstört werden. Die Food Links im Beitrag von Sarah Pichlkastner fassen das Gefüge der Akquise und Distribution der Nahrungsmittel in ei­ nem Spital. Im Sinne der  Agency oder  Affordanz der Dinge kommen wiederum Szenarien in den Blick, in denen die Dinge durch ihr So-Sein Reaktionen aus­ lösen oder zu Handlung auffordern, Wirkung ausüben, das Szenarium so beeinflussen, als ob sie selbst handeln würden. Eine Brücke kann sich über reißendem Wasser als Hinrichtungsort anbieten (Beitrag Elisabeth Gruber), eine aus drei Tafeln bestehende Amboverkleidung bietet sich zur Umarbeitung für ein (ebenso dreiteiliges) Trip­ tychon an (Beitrag Heike Schlie). Daneben gibt es Me­ dien, die auf der Metaebene der Reflexion Object Links verhandeln, indem diese beispielsweise in literarischen Erzeugnissen erzählerisch durchgespielt werden, weshalb die Objekte der Erzählung notwendigerweise mit phy­ sischen Objekten außerhalb der Erzählung verlinkt sind (Beitrag Gabriele Schichta). Schließlich lassen sich auch die Links in  Konfigurationen von dargestellten Ob­ jekten und Entitäten auf Bildern mithilfe der Methoden aus den Digital Humanities analysieren (Beitrag Isabella Nicka), und Muster und Besonderheiten in den verwen­ deten Konfigurationen können auf gemeinsame oder

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sehr spezifische Anforderungen in der Bildproduktion verweisen. Die in diesem Band versammelten Beiträge nehmen Object Links im Mittelalter und in der Frühen Neuzeit in den Blick. Die grundsätzliche Annahme, dass die kulturel­ len Mechanismen und Dynamiken gerade von den Links in den  Objektgesellschaften bestimmt werden, gilt aber epochen- und auch kulturenübergreifend. Menschen verschaffen sich Aufschluss über die materielle Welt und bewegen sich in ihr, indem sie Referenzen erkennen und Referenzen bilden. Und auch die theoretischen Konzepte zu den Dingen, ihren Begriffen, ihren Verbindungen und (symbolischen) Bedeutungen können nur im Zusammen­ hang mit den ihnen verbundenen Praktiken stehen. So wenig hier der Platz ist, einen forschungsgeschichtlichen Überblick zu den Material Culture Studies zu geben, so wenig kann auf die Diskussionen des Verhältnisses von Theorie und Praxis eingegangen werden. Doch die Konzentration auf die Links und die determinierende Rolle der Objekte in den historischen  Konstellationen und Szenarien – statt einer Reduktion der historischen Verläufe und Situationen auf den handelnden Menschen (Praxis) einerseits und den denkenden Menschen (The­ orie) andererseits – rückt die Annahme einer „Theorie durch Praxis“ als eine anders verstandene „Theorie der Praxis“ nahe. Eine solche „Theorie durch Praxis“ nämlich macht die Rolle der Praxis für die Ausbildung der Theorie über die Dinge/Objekte und über ihre Beziehungen zu den denkenden und handelnden menschlichen Akteu­ ren/-innen sichtbar. Die Theorien über die Dinge dürften weniger aus der Betrachtung der Objekte selbst entstehen als vielmehr aus der Beobachtung der Object Links, die aufgrund der ihnen eigenen Dynamiken immer wieder herausfordern, neu bedacht und bewältigt werden wollen. Im Grunde gilt die letztgenannte Überlegung auch für den methodischen Ansatz der Object Links, den wir de­ zidiert aus unserer interdisziplinären wissenschaftlichen Praxis heraus entwickelt haben. Konkret heißt dies u.a., dass wir uns jeweils mit den facheigenen Gegenständen befasst, die Links aber immer im Austausch betrachtet und diskutiert haben.25 Elisabeth Gruber nimmt ausgehend vom Beispiel der 1492 zwischen Krems und Stein auf der einen und Mau­ tern auf der anderen Seite errichteten Holzbrücke Object Links in den Blick, die durch den Bau einer Brücke im Spätmittelalter entstehen. Es wird eine  Objektgesell­ schaft analysiert, in der die Brücke je nach Perspektive Akteur, Verwaltungs- und Verhandlungsobjekt als auch

selbst ein Link zwischen Objekten oder auch Personen sein kann. Die Veränderung des Transitlinks von „Fähre“ zu „Brücke“ führt nicht nur zu einer Modifikation des Waren- und Personentransfers in der Region, die spezi­ fischen Eigenschaften der Brücke in ihren Material- und Objekteigenschaften initiiert neue, hiervon nicht direkt abhängige  Praktiken und Vernetzungen. Thomas Kühtreiber untersucht die Objektgesellschaft der Herrschaft Windhag im Zeitraum zwischen 1636 und 1690. Die Analyse der sich in diesem Zeitraum mehrfach verändernden  Konstellationen der Objekte der Schlossanlage, fassbar auf Grund zweier gedruckter Topografien und dem Stiftungsbuch des nachfolgenden Frauenklosters, erlaubt Rückschlüsse auf Herrschaftspra­ xis, adelige Haushaltsökonomie und Herrschaftskultur. Dabei wird nicht nur die rekonstruierbare Ordnung der physischen Anlage selbst in ihren Object Links, sondern auch die Rolle besagter Schrift- und Bildwerke für die Ordnungspraktiken berücksichtigt. Der Beitrag von Ingrid Matschinegg fokussiert den „Prozess der Verschriftlichung der Herrschaftspraxis“ an­ hand der Object Links in der materiellen Kultur und der Praxis des Schreibens. Sie fragt nach den   Konfigu­ra­ tionen und materiellen Bedingungen des Schreibens im Homeoffice von Adelshaushalten des Spätmittelalters und der Frühen Neuzeit. Auf der Grundlage von Inventa­ ren werden die Verbindungen der Orte und Gegenstände der Schreibpraxis erfasst, außerdem werden noch existie­ rende Schreibräume in herrschaftlichen Anlagen in den Blick genommen. Am Beispiel der Bilddatenbank REALonline erprobt Isabella Nicka die digitale Auswertung von semantischen Daten, um die Verbindungen von dargestellten Objekten in und zwischen Bildern erfassen und analysieren zu kön­ nen. Sie verwendet hierzu einen Distant Viewing-Ansatz, der die Inblicknahme und das  Clustern der darge­ stellten Entitäten vieler Werke zunächst einer digitalen Suchanordnung überlässt, um Muster und Besonder­ heiten in den Object Links zu detektieren. Mit dieser Methode können Modi der Bildproduktion und Aspekte der Bildbedeutung zutage treten, die mit der Analyse eines einzelnen Bildes oder mit seiner Abgleichung mit zufällig in den Blick geratenden Werken nicht geleistet werden. Umfassend reflektiert wird im Beitrag der Gene­ rierungsprozess von Daten, die für einen solchen Zugriff notwendig sind. Sarah Pichlkastner analysiert die Food Links zu den und in den sogenannten besonderen Häusern am Beispiel

25 Was – selbstredend – auch für diese Einführung in den Band gilt.

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Heike Schlie

des Klosterneuburger Bürgerspitals in der zweiten Hälfte des 16.  Jahrhunderts. Die Food Links der Nahrungs­ beschaffung für das Spital sind von den sich verändernden  Konstellationen an Eigenproduktion und Zukauf so­ wie Ernteerträgen und Preisen bestimmt. Die Food Links der Nahrungsversorgung im Spital machen Ungleichhei­ ten zwischen verschiedenen sozialen Gruppen anhand von materiellen Unterschiedlichkeiten (Nahrungsmittel, Koch- und Essgeschirr, Ort des Essens usw.) sichtbar. In zwei mittelhochdeutschen Kurzerzählungen – dem Herrgottschnitzer und dem Bildschnitzer von Würz­ burg  – betrachtet Gabriele Schichta Object Links auf verschiedenen Erzählebenen: Indem die Texte die Ver­ bindungen zwischen fiktionalen und nicht-fiktionalen Objekten und Figuren in wechselnden  Konfigura­ tionen‚ beobachten‘, nehmen sie autoreferenziell ihren Status als Artefakte in den Fokus. Einerseits ergeben sich dabei innerhalb der Erzählungen handlungsbeeinflus­ sende Verlinkungen zwischen Objekten sowie zwischen Objekten und Figuren, andererseits stehen die Elemente der erzählten Welt in Verbindung mit Referenzobjekten außerhalb der Erzählung, sodass über die Beachtung von Object Links methodisch kontrollierte Überlegungen zu den möglichen Rezeptions­ horizonten der Texte ange­ stellt werden können. Heike Schlie nimmt im Rahmen einer Objektbiografie des Klosterneuburger Goldschmiedewerks von Nikolaus von Verdun die sich verändernden werkimmanenten Object Links als auch die unterschiedlichen externen Links dieses Objektensembles im Augustinerchorherren-Stift in den Blick. In der Analyse dieser Links in den ver­ schiedenen  Konfigurationen des Goldschmiede­werks von 1181 und 1331 und ihrer Bedeutung als strukturelles Metanetzwerk innerhalb der sakralen und politischen

 Netzwerke des Stiftes wird sowohl die werkimmanente Bedeutungsstiftung als auch die liturgische und politische Signifikanz des Ausstattungsobjektes in den jeweiligen historischen  Konstellationen herausgestellt. Die Beiträger/-innen dieses Bandes kommen aus mehreren kulturwissenschaftlichen Disziplinen mit deren jeweils eigenen wissenschaftsgeschichtlichen Vorausset­ zungen, bearbeiten in der Regel sehr unterschiedliche Forschungsgegenstände mit fachspezifischen Methoden und verfolgen durchaus disziplinorientierte Fragestellun­ gen. Das Vorgehen, die Links in den notwendigerweise ganz unterschiedlichen  Objektgesellschaften als feste Bestandteile einer „Materialität“ der Kultur zu setzen, hat den Vorteil, einen interdisziplinären gemeinsamen Blickpunkt zu generieren und jenseits der „Gattungen“ von Gegenständen und  Praktiken über die Möglich­ keiten einer systematischen Beschreibung der Funktions­ weise solcher Links nachzudenken. Manchen geht es um Erkenntnis über die Dinge selbst, anderen geht es eher um die mit den Dingen verbundenen sozialen Praktiken, oder es geht um Kunstwerke, die mit den in ihnen ge­ setzten Object Links die außerhalb ihrer selbst liegenden „realen“  Objektgesellschaften reflektieren und theore­ tisieren. Alle diese Zielsetzungen können von den Links her aufgesucht werden: Die Fokussierung auf die Object Links ermöglicht sowohl Aussagen über die verbundenen Dinge (ihre Bedeutung und ihre Funktion, Gründe für ihre Entstehung, Persistenz oder Modifikation), über die historischen Zusammenhänge der mit Objekten verbun­ denen  Praktiken im Allgemeinen als auch über die Dynamiken und Mechanismen bestimmter historischer Ereignisse und Umstände. Diese Mechanismen sind es, die sich über die interdisziplinäre Zusammenarbeit er­ schließen lassen.

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Heike Schlie

Elisabeth Gruber

Making of … Object Links

Am Institut für Realienkunde des Mittelalters und der frühen Neuzeit stehen Object Links seit einiger Zeit im Mittelpunkt des Interesses. Als Institut, dessen inhaltliche Ausrichtung seit seiner Gründung 1969 der Erforschung von Dingen verpflichtet ist, erscheint es uns naheliegend, diese im Sinne der eingangs angesprochenen kulturwis­ senschaftlichen Entwicklungen auch eingebettet in ihre Kontexte, Funktionen und Praktiken zu betrachten. Die Einbindung des IMAREAL in den Lehr- und For­ schungskontext der Universität Salzburg, die enge Zu­ sammenarbeit mit dem Interdisziplinären Zentrum für Mittelalter und Frühneuzeit sowie neue Konstellationen im wissenschaftlichen Team an unserem Institut haben uns einen Rahmen geboten, über Materielle Kultur als Forschungsthema neu nachzudenken. Die Vielfalt der Zugänge, Interessen und Schwerpunkte, die unsere diszi­ plinären Zugehörigkeiten mit sich bringen, ließ uns nach Möglichkeiten suchen, gemeinsame Forschungsfragen hinsichtlich Materieller Kultur zu verfolgen. Wir gingen von der Frage aus, wie wir als Team, dessen Mitglieder unterschiedlichen historisch arbeitenden Disziplinen verbunden sind, einen gemeinsamen Nutzen aus unserer Vielfalt ziehen könnten. Wir wollten lernen, zwischen disziplinärem und interdisziplinärem Arbeiten zu wech­ seln und sowohl individuelle Projekte zu verfolgen als auch Fragestellungen zu bearbeiten, deren Beantwortung eine Zusammenarbeit zwischen Geschichtswissenschaf­ ten, Germanistik, Archäologie und Kunstgeschichte nicht nur notwendig macht, sondern auch einen bedeutenden Mehrwert erfahren konnte. Man möchte meinen, dass dieser Zugang an einem in­ terdisziplinären Forschungsinstitut selbstverständlich ist, und wir waren – und sind noch immer – davon überzeugt, dass dies auch der Fall ist. Will man interdisziplinär ar­ beiten, bedarf es allerdings eines steten und aktiven Be­ kenntnisses dazu, einander zuzuhören, zu verstehen und auf neue Gedanken und Ideen bringen zu wollen. Diese Erfahrung begleitete uns während unseres gemeinsamen Projektes, ein Buch zu verfassen. Am Beispiel individu­ ell gewählter Forschungsobjekte sollte der methodische

Zugang der Object Links konsequent verfolgt werden; die daraus entstandenen Texte sollten nicht nur neben­ einanderstehen, sondern aufeinander Bezug nehmen und als Ensemble einen Eindruck von den Möglich­ keiten vermitteln, die die Fokussierung auf Object Links eröffnet. Wir starteten unser Unternehmen mit einem Reflexionsprozess, als dessen Ergebnis wir zwei mögliche Formate des Umgangs mit unserem Anliegen definierten. Einerseits schien uns die Bearbeitung eines konkreten, gemeinsam auszuwählenden Objektes als gewinnbrin­ gend. Mit den jeweiligen, den einzelnen Disziplinen ver­ bundenen Fragestellungen und Methoden sollte an ein einzelnes Objekt herangegangen und dieses möglichst tiefgehend und detailliert beschrieben, analysiert und ein­ geordnet werden, so unsere Vorstellung. Die Suche nach einem dafür geeigneten Objekt stellte sich nicht nur als äußerst aufwändig, sondern vor allem als schwierig dar; Dinge zu finden, deren Überlieferung und Kontext es zulassen, aus allen beteiligten disziplinären Perspektiven betrachtet zu werden, sind rar, vor allem dann, wenn das Untersuchungsobjekt von allen gleichermaßen bearbeit­ bar sein soll. Die sehr häufig – und in vielerlei Hinsicht gewinnbringend – praktizierte Form des disziplinären ‚Zuarbeitens‘ wollten wir durch einen gleichberechtig­ ten Blick auf die Dinge erweitern. Ausgehend von sehr verschiedenen und individuell gewählten Fallbeispielen sollte die Bedeutung von Objektbeziehungen zum tiefer­ en Verständnis Materieller Kultur für unsere jeweiligen Fallbeispiele in den Blick genommen werden. Dieses auf der Basis unserer Interessen und Perspektiven entwickelte Konzept erlaubte es uns, von Anfang an Fragen auszu­ tauschen und nicht über Informationen zu verhandeln; die Brauchbarkeit von Konzepten und Begriffen zu dis­ kutieren und nicht thematische Hierarchien festlegen zu müssen. Der skizzierte Zugang erscheint uns mittlerweile nicht nur als eine innovative Form interdisziplinärer Zu­ sammenarbeit, sondern macht uns auch unglaublich viel Spaß. Dies äußert sich nicht zuletzt in den verschie­denen Formen experimenteller Arbeitsweisen, die wir uns in­ zwischen zu eigen gemacht haben.

 Die mit einem blauen Pfeil markierten Begriffe sind im Beitrag „Begriffsforum“ in diesem Band vertreten, samt einer im Rahmen der Object Links entwickelten Diskussion und Verweisen, wo der jeweilige Begriff im Buch noch verwendet wird.

Making of …

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Abb. 1: Objekte adeliger Repräsentation im Kontext von Migration und Exil visuell dargestellt.

Unsere Überlegungen wurden zu Anfang in kompe­ tenter Weise von Gert Dressel begleitet, einem in der interdisziplinären Forschung erfahrenen Kollegen und Wissenschaftscoach. Seine Heranführung an das weite Feld interdisziplinären Arbeitens hat uns für Potentiale genauso wie für damit verbundene Probleme sensibilisiert. Eines der wichtigsten Ergebnisse aus diesem Prozess war die Erkenntnis, dass die Entscheidung zur Zusammen­ arbeit, bei der Wissenschafter/-innen mit unterschied­ lichem, den Disziplinen geschuldetem Hintergrund eine gemeinsame Frage verfolgen, eine besondere Pflege der Kommunikation erfordert. Ein produktiver Dialog bedarf einer Reihe von Rahmenbedingungen, deren Herstellung allen am interdisziplinären Austausch beteiligten Perso­ nen ein Anliegen sein muss. Gegenseitiges Verständnis bedingt Interesse am Forschungsthema des Anderen, es erfordert aber auch das Vertrauen, seine eigenen Zugänge und Methoden zur Diskussion zu stellen, denn verstehen kann man nur dann, wenn Möglichkeiten des Nach­ fragens eröffnet werden, wenn Nicht-Wissen genauso akzeptiert wird wie Wissen; wenn Beobachtungspositi­ onen expliziert werden, kurz: Interdisziplinäres Arbeiten erfordert gleichberechtigte Kommunikationsräume, in denen eine wertschätzende Feedbackkultur praktiziert wird. Dieser Erkenntnis folgend, sorgten wir in jeder un­ serer Projektphasen dafür, dass Kommunikation – sowohl hinsichtlich inhaltlicher und methodischer, aber auch atmosphärischer Fragen – großen Raum und vor allem Zeit einnehmen konnte. Beobachten, Reflektieren und Verstehen – wenn auch nicht immer sofort – begleiten seither unser gemeinsames Tun. Damit wurde ein Rah­ men geschaffen, der auch jenen Mitarbeiterinnen und 18

Abb. 2: Object Links am Beispiel des Klosterneuburger Goldschmiede­ werkes. Die visuelle Umsetzung half uns, komplexe Sachverhalte besser zu verstehen und zu analysieren.

Mitarbeitern eine gewinnbringende Beteiligung an den Überlegungen ermöglichte, die sich aufgrund ihres Be­ schäftigungsausmaßes nur für einen bestimmten Zeit­ raum einbringen konnten. Den Diskussionsbeiträgen von Kateřina Horníčková und Miriam Landkammer haben wir eine Reihe erhellender Einsichten zu verdanken. Der geplante Beitrag Josef Löfflers zu Object Links im Kontext frühneuzeitlicher adeliger Repräsentationskultur konnte zu unserem Bedauern aufgrund neuer beruflicher Verpflichtungen zwar nicht fertig gestellt werden, hat aber dennoch bleibende Spuren nicht nur in der mate­ riellen Dokumentation unseres Schreibprozesses hinter­ lassen (Abb. 1). Die zahlreichen Möglichkeiten, ausführlich Rückmel­ dungen zu den Überlegungen und individuellen Fallbei­ spielen zu geben, waren ein wichtiger Schritt auf dem Weg von der Idee zum Manuskript. Kreative Formen von Feedback als visuelle Darstellungen der in den Beiträgen entdeckten Links gehörten ebenso dazu wie ein intensiver Peer Review-Prozess, in dessen Rahmen wir unsere Texte noch einmal reflektierten und deren Aussagen schärfen konnten (Abb. 2). Elisabeth Gruber

Abb. 3: Begriffe ordnen.

Dass aus unseren Überlegungen und kreativen Zu­ gängen ein greifbarer Gegenstand in Form eines Buches geworden ist, haben wir der guten Zusammenarbeit zu verdanken, die einen wichtigen Bestandteil unseres Institutsalltags darstellt. Peter Böttcher hat in gewohnt professioneller Weise für die Druckvorlagen der von uns gewählten Abbildungen gesorgt; Birgit Karl verdanken wir eine überaus sorgfältige Redaktion unserer Beiträge, und Angelika Kölbl stand mit Rat und Tat in allen Fragen der Literaturbeschaffung zur Seite. Unsere regelmäßigen Treffen sind stets anstrengend, manchmal auch mühsam, sie bringen uns jedoch Schritt für Schritt zu jenem gegenseitigen Verständnis, das wir uns für unsere Zusammenarbeit wünschen. Während wir auf diese Weise den sprichwörtlichen roten Faden durch unsere Themenfelder entwickelten, waren uns manche Dinge ein wichtiges Werkzeug. So wurden Papier, Buntstifte, Flipchart-Blöcke und Scheren zu  Objektgesellschaften, die dabei halfen, Fragestellun­ gen zu konkretisieren, Begriffe zueinander in Beziehung zu setzen und vor allem die Erinnerungsleistung unserer Gehirne nicht völlig an ihre Leistungsgrenzen zu brin­ gen (Abb. 3). Wie lässt sich etwa eine Sammlung historischer Ka­ mera-Abbildungen in Form eines Spielesets hinsichtlich seiner verbindenden Links beschreiben? In welchem Verhältnis stehen die Spielsteine eines Schachspiels zum Spielbrett, oder Wolle und Stricknadeln in Bezug zur halb fertig gestellten Socke? Zur Verdeutlichung oder Spezifizierung der unterschiedlichen Arten von Object Links, mit denen wir konfrontiert waren, bedienten wir uns mitgebrachter Alltagsgegenstände ebenso wie his­ torischer Fallbeispiele. Ein für Klettertouren individuell zusammengestelltes Set an Sicherungsgeräten diente unserem Verständnis von Objekt Links ebenso wie der Ausschnitt eines Tafelgemäldes aus dem Nördlinger Making of …

Abb. 4: Set an Sicherungsgeräten, das in seiner individuellen Zusammen­stellung an die Bedürfnisse seines Nutzers angepasst ist.

Geschlachtwanderaltar oder der schwer einzuordnende Inhalt einer ‚Krims-Krams-Lade‘ (Abb. 4, 5 und 6). Anhand dieser  Objektgesellschaften haben wir nach den entscheidenden Kriterien gefragt, die Object Links beschreiben, wie die Objekte in Beziehung zu einander stehen, welche Kategorien es gibt und welche Begriffe wir für deren Beschreibung benötigen. Die Din­ ge nicht nur in der eigenen Vorstellung präsent zu haben, sondern in ihren verbindenden Eigenschaften und Funk­ tionen real greifen zu können, half uns regelmäßig, unsere Perspektive auf die Object Links zu schärfen. Begriffe wie  Ensemble,  Objektgesellschaft oder  Cluster wurden hinsichtlich ihrer konkreten Verwendung meist erst an anschaulichen Beispielen klar. Eine scheinbar wahllos zusammengeführte Objekt-Gesellschaft in einer Krims-Krams-Lade lässt sich weniger als intentionale Konfiguration, sehr wohl aber als  Cluster von Ob­ jekten beschreiben, die im wahrsten Sinne des Wortes in keine andere Schublade passen. Genauso ließe sich 19

Abb. 6: Der Inhalt einer Krims-Krams-Lade bildet eine Objektgesellschaft.

Abb. 5: Sebastian Taig, Heimsuchung Mariens (Detail), ‚Geschlachtwanderaltar‘, 1518, Nördlingen, Stadtmuseum, REALonline 004689 (https://realonline.imareal.sbg.ac.at/detail/?archivnr=004689). Der Ausschnitt aus dem Tafelbild von Sebastian Taig für die Kloster­ kirche der Karmeliten in Nördlingen zeigt Objekte, die am Gürtel der Elisabet, der Mutter von Johannes dem Täufer, befestigt sind.

die genannte Schublade mit ihrem Inhalt als Ensemble beschreiben, nämlich dann, wenn eine bestimmte, für diesen Zweck ausgewählte Schublade dafür genutzt wird, sämtliche nicht anderweitig zuordenbare Gegenstände in dieser zu sammeln. Die Krims-Krams-Lade machte uns somit klar, dass die Passgenauigkeit von Begriffen zur Beschreibung der Object Links auch eine Frage der jeweiligen Perspektive ist. Auch dass die Kollektion an in­ dividuell ausgewählten Kletterkarabinern und Seilen eher unter den Begriff  „Ensemble“ als unter  „Cluster“ fällt, erschien damit angesichts der Anschaulichkeit des Systems an Verbindungen auch all jenen offensichtlich, die der scheinbar endlosen Debatten um Begriffe und deren Verwendung bereits müde waren. Das Erarbeiten einer gemeinsamen Begrifflichkeit, mit deren Hilfe wir unsere jeweiligen Überlegungen zusammenführen konnten, um die methodischen Über­

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schneidungen unserer individuellen Herangehensweisen sichtbar zu machen, war ein aufwändiger Prozess. Es ist uns ein großes Anliegen, unsere Auseinandersetzungen um die Verwendung von Begriffen nicht nur abzubil­ den, sondern auch zur Diskussion zu stellen und für weitere Überlegungen zu öffnen. Um dies möglichst Lektüre-freundlich zu gestalten, haben wir uns dazu entschlossen, die für uns wichtigsten Kategorien von Object Links, deren Verwendung und die damit ver­ bundenen Probleme im Rahmen des Begriffs­forums zu skizzieren. Abbildungsnachweis Abb. 1–3, 6: IMAREAL. Abb. 4, 5: IMAREAL/Peter Böttcher.

Elisabeth Gruber

Begriffsforum

Zum Gebrauch des Begriffsforums Wie im Kapitel „Making of … Object Links“ ausgeführt, ist das Begriffsforum im Rahmen des gemeinsamen in­ terdisziplinären Arbeitsprozesses als grundlegende Ver­ ständigungsebene über Objektbeziehungen entwickelt worden. Es enthält kurze Begriffserläuterungen zu spe­ zifischen Link-Kategorien von Objekten, die in mehr als einem Beitrag respektive aus verschiedenen disziplinären Perspektiven verwendet wurden. Begriffe zu spezifischen Link-Eigenschaften, die nur von einer Autorin/einem Autor verwendet wurden, finden sich nur in deren/dessen Aufsatz. Daher sind die hier vorliegenden Einträge nicht als Definitionen im enzyklopädischen Sinne intendiert, sondern umfassen jene Auswahl und Aspekte von Object Links, die für unsere Zugänge von Relevanz waren. Die Einzelbeiträge sind über diese Begriffe verlinkt: Durch die grafische Hervorhebung der Wörter in den Textpassagen und durch die Anführung der Belegstellen in den Einzelbeiträgen am Ende der Kurzerläuterung wird die Verschränkung nachvollziehbar. Ein tieferes Verständnis für die Begrifflichkeit wird über das Begriffs­ forum hinaus somit durch die Anwendung der termini in den Beiträgen und den dort enthaltenen Bezugnahmen zur Forschungsliteratur angestrebt. Deshalb wird bei den Belegstellen explizit in Klammer angeführt, wo auf die Diskussion bestimmter Begriffe in der Forschungslitera­ tur direkt verwiesen wird. Bezugnahmen zu Begriffsdefi­ nitionen in anderen Werken erfolgen im Begriffsforum nur an jenen Stellen, wo entweder die Einführung des Begriffs eine große ideengeschichtliche Tiefe aufweist (z.B. die Objektdefinition bei Immanuel Kant) oder eine bewusste Abgrenzung zu einem eingeführten Begriff mit hohem inhaltlichen Deckungsgrad („Objektgesellschaft“ versus material arrangement von Theodore R. Schatzki) gewählt wurde. Ein Begriffspaar, das für Object Links von zentraler Bedeutung ist, aber keine Link-Eigenschaft vermittelt, soll an dieser Stelle kurz diskutiert werden, und zwar „Ding“ und „Objekt“: Es gab und gibt in verschiedenen Disziplinen Ansätze, in denen es wesentlich ist, zwischen „Ding“ und „Objekt“ zu unterscheiden (u.a. Kant, La­ can). In der Kunstgeschichte steht die Differenzierung Begriffsforum

Ding/Objekt für einen Paradigmenwechsel vom „Dar­ stellen“ zum „Herstellen“. Seit dem 17. Jahrhundert meint beides den „Gegenstand“, etymologisch wird Ding von der „Rechtssache“ hergeleitet, das Objekt hingegen vom „Vorliegenden“, „Entgegengesetzten“, letztendlich vom „Gegenstand“ (objectum /obiectum vom lateinischen Verb obicere). In diesem Sinne können auch Menschen objekti­ viert werden (z.B. im Menschenhandel) bzw. umfasst der Objektbegriff im Gegensatz zu den Dingen auch Lebe­ wesen und Imaginiertes/Immaterielles. Die Unterschei­ dung Ding-Objekt ist daher relational und perspektiven­ abhängig: Erst durch das In-Beziehung-Setzen wird das Ding zum Objekt. Darauf verweist auch unser Buchtitel „Object Links – Dinge in Beziehung“. Object Links-Begriffe in alphabetischer Reihenfolge Affordanz Affordanzen sind jene Handlungsoptionen, die Objekte anbieten. Diese können mit der Intention der Herstel­ ler/-innen identisch sein (die Brücke zur Querung des Flusses nutzen), können sich aus der – kulturell geprägten – Erwartungshaltung der Nutzer/-innen speisen (Zölle einheben) oder situativ im Rahmen einer spezifischen  Konstellation sein (die Enge des Übergangs nutzen, um offene Schulden einzutreiben). Belege: Einleitung 13, Begriffsforum 21, 22, Gruber 28, 35, Kühtreiber 44, 61, 64, Matschinegg 76, 85, 86, Schichta 164 (Literatur), Schlie 186 (Literatur), 198 Agency „Agency“ bezeichnet die Wirkmächtigkeit von Objekten, die im Gegensatz zur  Affordanz nicht unmittelbar zum Objektgebrauch anleitet, sondern sich in spezi­ fischen Konstellationen von Akteuren und Aktanten entwickelt, in denen Objekte entweder Situationen und die sich aus ihnen ergebenden Handlungen verändern oder Reaktionen auslösen. In der von Bruno Latour entwickelten Akteur-Netzwerk-Theorie (ANT) werden zunächst sämtliche Entitäten, welche die Handlungen anderer Entitäten in irgendeiner Weise hervorrufen oder beeinflussen, als Akteure bezeichnet: Aus der 21

strukturalistischen Erzähltextanalyse A.J.  Greimas‘ und dessen Aktantenmodell entlehnt Latour allerdings zu­ sätzlich den Begriff „Aktant“ um zwischen menschlichen und nicht-menschlichen Akteuren zu differenzieren (bei Greimas sind Aktanten bestimmte Merkmalsbündel in der Tiefenstruktur von Texten, die sich über Rollen und Handlungsfunktionen an der Textoberfläche als Figuren oder unbelebte Objekte realisieren können). In den Beiträgen wird prinzipiell der Begriff „Akteur“ in umfassender Weise für belebte und unbelebte Entitäten verwendet, wobei den Objekten keine grundsätzliche Handlungsfähigkeit unterstellt wird, sondern Potenzial zur Handlungsanleitung ( Affordanz) und Wirkmäch­ tigkeit, das in einer bestimmten  Konstellation aktiv werden kann. Auch wenn von einem intentionalen Han­ deln der unbelebten Dinge nicht die Rede sein soll, kann im direkten Umgang mit den Objekten sowie in dessen Repräsentation und Rezeption im Modus des ‚als-ob‘ den Objekten als solchen sehr wohl eine Handlungsfähigkeit zugeschrieben werden bzw. können Objekte quasi-han­ delnd die Situationen bestimmen. Belege: Einleitung 11 (Literatur), 13, Matschinegg 76, 85, Pichlkastner 128, Schlie 186, 198 Cluster Cluster sind Gruppen von Elementen, die hinsichtlich eines Merkmals oder von Merkmalskombinationen als ähnlich beschrieben werden können und sich damit gegen andere Elemente außerhalb des Clusters absetzen lassen. Cluster zu bilden ist Teil der analytischen Perspektive. Clusteranalysen ermöglichen es, Muster und Besonder­ heiten zu erkennen und zu interpretieren. Belege: Einleitung 14, Making of 19, 20, Gruber 39, Mat­ schinegg 84, Nicka 100, 114, 120, Pichlkastner 143, 146 Dichte Die Dichte als Link-Eigenschaft beschreibt entweder die räumliche Dichte einer Objektgesellschaft ( Ensemble) oder die Dichte an Beziehungen in einem  Netzwerk. Belege: Begriffsforum 24, Kühtreiber 65, Matschinegg 88, Nicka 100 Ensemble Als „Ensembles“ werden hier räumlich dichte und ge­ genüber anderen Objekten abgegrenzte Objektgruppen bezeichnet. Sie sind hinsichtlich der ihnen zugewiesenen Intention bei der  Konfiguration potentiell statisch, können aber durch Ersetzen ( Paradigma), Entfernen oder Hinzufügen von Objekten verändert werden sowie

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durch sich ändernde Praktiken mit/in diesen andere Funktions- und Bedeutungszuweisungen erhalten. Belege: Einleitung 12, Making of 19, 20, Begriffsforum 22, Gruber 34, Kühtreiber 51, 54, 57, 59, 60, 61, 65, Matschinegg 78, 82, 84, 86, 88, Nicka 99, 117, Pichlkastner 135, 136, 140, Schichta 159, 164, Schlie 179 Framing, Reframing Das aus der Psychologie für die Kulturwissenschaften übernommene Konzept beschreibt den Deutungsrahmen von Wahrnehmungen oder kommunizierten Inhalten durch ein soziales Bezugssystem, das als „Rahmen“ oder frame bezeichnet werden kann. Durch das Verändern des gesellschaftlichen Bezugssystems (ohne Veränderung des materiellen Gefüges) oder durch das materielle Umkonfigurieren des  syntagmatischen Gefüges einer  Objektgesellschaft kommt es zu einem Reframing mit einem neuen/veränderten Deutungsrahmen/Sinngehalt. Belege: Kühtreiber 66 (Literatur), Schichta 173, 175, 176, Schlie 182 (Literatur), 186, 199 Konfiguration Unter „Konfiguration“ wird hier eine intentional herge­ stellte Zusammenstellung von Elementen zu einem Ge­ füge verstanden. Konfiguration ist sowohl eine spezifische Praktik als das Ergebnis derselben. Belege: Einleitung 9, 12, 13, 14, 15, Begriffsforum 22, Nicka 98, 104, 110 Schichta 164, 169, 170, 175 Schlie 188 Konstellation Der Begriff der Konstellation stammt aus der mittelalter­ lichen Astronomie/Astrologie und bezeichnet die temporä­ re räumliche Beziehung von Himmelskörpern in Folge der (scheinbaren) Bewegung von Wandelsternen/Planeten durch Sternbilder. Im Rahmen mittelalterlichen Analo­ giedenkens wurden Mikro- und Makrokosmos zueinander in Beziehung gesetzt, weshalb für Gestirnkonstellationen Einfluss auf irdische Vorgänge angenommen wurde. Hier wird unter „Konstellation“ die Momentaufnah­ me eines temporären, historischen Beziehungsgefüges verstanden. Als Momentaufnahme wirkt die Konstella­ tion statisch und kann daher als solche wahrgenommen werden. Sie entfaltet in dieser Situation einen bestimm­ ten Sinn/eine Funktion. Konstellationen ermöglichen bestimmte Handlungsverläufe bzw. machen sie wahr­ scheinlich. Die gleichen Dinge und Personen können zu einem anderen Zeitpunkt in einem anderen Beziehungs­ gefüge stehen und dort eine andere Funktion einnehmen bzw. einen anderen Sinn entfalten. Daher werden in

Begriffsforum

Konstellationen unterschiedliche Eigenschaften – im as­ trologischen Sinne „Aspekte“ – der Dinge oder Personen zueinander sichtbar/unsichtbar. Belege: Einleitung 9, 10, 11, 12, 13, 14, 15, Begriffsforum 21, 22, Gruber 30, 39, Kühtreiber 48, 61, 63, 64, 66, Matschi­ negg 76, 84, 85, Pichlkastner 128, 129, 132, 140, Schichta 155, 156, 159, 160, 165, 175, Schlie 179, 186, 188, 198, 203 Netzwerk „Netzwerk“ wird hier als neutraler Oberbegriff für Be­ züge zweier oder mehrerer Elemente in einem System verwendet, dem spezifische Unterkategorien von Object Links zuordenbar sind. Darüber hinaus sind Netzwerke auch als Analysekategorie verwendbar. Belege: Einleitung 10, 15, Begriffsforum 22, Kühtreiber 48, Nicka 95, Schichta 165, Schlie 179, 198 Objektgesellschaft Eine Objektgesellschaft ist das Ergebnis der  Objekt­ vergesellschaftung, bestehend aus den auf einer bestimm­ ten  Skalierungsebene durch  Praktiken verlinkten Elementen (aus Menschen wie Objekten beziehungswei­ se Objekten zueinander). Gleichzeitig entsteht auch eine materielle Gesellschaft, die über spezifische materielle Objekte und den Umgang mit diesen definiert ist. Ob­ jektgesellschaften werden größtenteils durch menschliche  Praktiken geschaffen und bilden für diese wiederum eine beeinflussende Grundlage (vgl. dazu „material arrange­ ment“ nach Theodore R. Schatzki). Da in der deutschen Sprache das Wort „Arrangement“ vieldeutig ist und zum Teil deutlich von der Verwendung bei Schatzki abweicht, wurde mit „Objektgesellschaft“ ein sprachlich besser ab­ grenzbarer Begriff gewählt. Belege: Einleitung 9, 12, 14, 15, Making of 19, Begriffs­ forum 22, 23, 24, Gruber 39, Kühtreiber 44, 47, 48, 49, 51, 53, 59, 60, 61, 64, 66, Matschinegg 76, 78, 86, 88, Pichlkastner 128, 136, 137, 140, 150, Schlie 186 Objektvergesellschaftung Als Objektvergesellschaftung wird der Prozess bezeich­ net, durch den Objekte und Menschen aufgrund von Praktiken miteinander vergesellschaftet und die Ob­ jekte damit Teil der menschlichen Gesellschaft werden. Die  Objektgesellschaften werden dadurch stets aufs Neue konfiguriert und verändert, gleichzeitig präfigu­ riert die jeweils vorgefundene  Objektgesellschaft die (Un-)Möglichkeiten dieser Vergesellschaftung. Verglei­ chend heranzuziehen sind hierfür die „practice-material arrange­ment nexuses“ nach Theodore R. Schatzki.

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Belege: Begriffsforum 23, 24, Kühtreiber 44, 47, 60, 61, 64, Pichlkastner 128, 150 Paradigma Paradigmatische Links bestehen (in Absetzung von  syntagmatischen Links) zwischen Elementen, die sich in ihrer Funktion ablösen, d.h. wenn sich ein Objekt für die Operation einer Referenzbildung an die Stelle eines ande­ ren Objektes setzt. Oft geht hiermit ein dia­chrones Ver­ hältnis bezüglich der Entstehung beider Objekte einher. Belege: Begriffsforum 22, 24, Kühtreiber 58, 63, 64, Nicka 110, 119, Pichlkastner 137, 139, 146, 148, Schichta 162, 169, Schlie 187 (Literatur), 188, 190, 191, 192, 194, 202 Positionierung Als „Positionierung“ wird hier der Ort eines Objektes bzw. einer Person in einem Gefüge bezeichnet. Positio­ nierung kann darüber hinaus auch als die Praktik des „Platzierens“ (nach Martina Löw) von Personen und Objekten in einem sozial gedachten, relationalen Raum­ gefüge verstanden werden. Dies kann sich mit einem physischen Raum decken (z.B. Raumgestaltung mit mobilen Objekten) oder auch in einem sozialen Gefüge stattfinden (z.B. Einnehmen, Zuweisen einer bestimmten sozialen Stellung/eines Rangs). Belege: Einleitung 13, Kühtreiber 45, 47, 48, Matschinegg 85, 87, Pichlkastner 127, 128, 129, 133, 135, 140, 146, 149, 150, Schichta 163, Schlie 186 Praktiken Praktiken umfassen routinisiertes, auf sozialen Mustern beruhendes menschliches Handeln (Tun und Sprechen). Sie konstituieren grundlegend  Objektgesellschaften bzw. den Prozess der  Objektvergesellschaftung. Mate­ rielle Praktiken sind soziale Praktiken unter inte­graler Einbindung materieller Objekte. Belege: Einleitung 9, 10, 11, 13, 14, 15, Begriffsforum 23, Gruber 26, 30, 35, Kühtreiber 44, 47, 48, 60, 61, Matschi­ negg 78, Nicka 99, Pichlkastner 128, 129, 139, 150, Schichta 162, 167, 172, Schlie 186, 187 Reframing  Framing Repräsentation Eine Repräsentation ist sowohl die Praktik als auch das Produkt der Relation zwischen Objekt und dessen seman­tischem Gehalt/Aussagewert. Belege: Kühtreiber 64, Matschinegg 78, Pichlkastner 143

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Skalierung Skalierungen stellen spezifische, räumlich gedachte Be­ trachtungsebenen dar, um Analysen sinnvoll durchführen zu können; z.B. auf ein Haus oder einen Ausschnitt eines Diagramms. Der Skalierung liegt die Prämisse zugrunde, dass   Objektgesellschaften bestimmte Reichweiten haben. Im raumtheoretischen Sinne werden diese durch Orte, platzierte/positionierte soziale Objekte und Men­ schen, Verbindungen und Grenzen konstituiert: Während Grenzen handlungsanleitend für unterschiedlich dimen­ sionierte Ebenen von  Objektgesellschaften (Mikro-, Meso-, Makroebene) sein können (aber nicht müssen), bieten Orte und positionierte Objekte und deren Verbin­ dungen „weiche“ Abstufungen und Übergänge verschie­ dener Skalierungen von  Objektvergesellschaftungen, die entweder statistisch-quantitativ ( Dichte: Anzahl

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und Konzentration an Verbindungen) oder qualitativ be­ stimmt werden können. Belege: Begriffsforum 23, Kühtreiber 48, 49, 60, 64, Nicka 108, Pichlkastner 128, Schichta 160 Syntagma Syntagmatische Links (in Absetzung von  paradig­ matischen Links) bestehen zwischen Elementen, die innerhalb der Operation einer Referenzbildung direkt miteinander verbunden sind, d.h. die gleichzeitig Teil ei­ ner  Objektgesellschaft sind, die durch Wahrnehmung oder Handlung aktualisiert wird, wodurch semantische Bedeutung und Wirkung entsteht. Belege: Begriffsforum 22, 23, Kühtreiber 57, 59, 64, Nicka 108, Pichlkastner 140, 141, 142, Schichta 162, Schlie 187 (Li­ teratur), 188, 190, 191, 192, 194, 199

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Elisabeth Gruber

Object Links. Brücken als Objekte topografischer und sozialer Vernetzung

Abstract As a central element of transport infrastructure, bridges represent an important element of spatial connectivity for cities during the Middle Ages and the early modern times. The construction, maintenance and operation of bridges are associated with a large number of actors, activities, and practices involved. With a special focus on bridges located in the Danube region, the paper describes the potential Objekte und ihre Bindungsqualitäten Brücken stellen einen unverzichtbaren Bestandteil von Wegenetzen und Verkehrsverbindungen dar. Als räum­ liche Verbindung zwischen zwei Seiten einer sonst nur schwer oder mit großem Aufwand überwindbaren topo­ grafischen Situation, etwa eines Gewässers oder eines Abgrundes, dienen sie dem gesicherten und vereinfachten Übergang und tragen zum Austausch von Waren und Information ebenso wie zur Verbreitung von Gefahr und Krankheit bei. Bau, Erhaltung und Instandsetzung von Brücken erfordern ein hohes Maß an Investitionen hin­ sichtlich finanzieller, personeller, materieller sowie ideeller Ressourcen. So wird in Zedlers Universallexikon Anfang des 18. Jahrhunderts die Brücke als eines der „vornemsten Wercke der Bau-Kunst“ beschrieben, welches „ein Land an das andere, so durch tieffe Gräben, Bäche, Flüsse, Klüffte und grosse Ströhme geschieden ist, gleichsam verbindet“. Die damit verbundenen Vorteile betreffen so­ wohl „die menschliche Gesellschafft“ insgesamt als auch „das Commercium“.1 Von den Nachteilen ist bei Zedler hingegen nicht die Rede; auch geht er nicht der Frage nach, wie das Fehlen von Überbrückungen mögliche Zugänge beeinflussen. Das Vorhandensein einer Brücke

of the topographical and social networking that bridges can provide or are ascribed as connections between ob­ jects and/or people. By characterizing these links, more precise statements can be made regarding how bridges are implemented as objects, how they are used and perceived, for instance to express functional or social differentiation, to depict areas of responsibility, or to convey contexts of meaning.

als Ergebnis menschlicher Intervention steht im Mittel­ punkt seines Interesses. Dementsprechend werden im Zuge der Auseinandersetzung mit Brücken auch andern­ orts Aspekte thematisiert, die das Bauwerk aus jeweils unterschiedlichen Perspektiven beleuchten.2 Als zentrales Element der mittelalterlichen und frühneuzeitlichen Verkehrsinfrastruktur wird auch in den historischen Disziplinen der Bauweise, Instandsetzung und Erhal­ tung ebenso wie Funktion und Bedeutung von Brücken einige Aufmerksamkeit zugemessen, insbesondere dann, wenn historische Brücken auch heute noch Bestandteil des Verkehrsnetzes sind und – wenn auch in reduziertem Ausmaß – genutzt werden.3 Dies wäre etwa in Regens­ burg der Fall, wo mit der Steinernen Brücke ein solches Monument noch in Gebrauch ist. Die Existenz jener etwa ab dem 13.  Jahrhundert anstelle von Flussübergängen entstandenen Holzbrücken hingegen ist meist nur mehr aufgrund der schriftlichen Überlieferung dokumentiert. Um 1220 befahl Kaiser Friedrich II. den Bau einer Stein­ brücke im fluss­ aufwärtsgelegenen Donauwörth, diese wurde jedoch nicht realisiert – es blieb bei der Holzbrü­ cke.4 Auch die 1240 erwähnte Brücke über die Donau bei Ulm ist als Holzbrücke belegt, ebenso die bereits im Mit­ telalter bestehenden donauabwärts gelegenen Brücken in

1 Z  edler 1733, Sp. 1537. 2 Einen Überblick über Bedeutung, Funktionen und Errichtung von Brücken mit div. Belegen geben Maschke 1977; Hirschmann 2005; Becker 2010; Fouquet 2018. 3 Johanek 2012, 236–238. 4 Krüger 2016, 168.

 Die mit einem blauen Pfeil markierten Begriffe sind im Beitrag „Begriffsforum“ in diesem Band vertreten, samt einer im Rahmen der Object Links entwickelten Diskussion und Verweisen, wo der jeweilige Begriff im Buch noch verwendet wird.

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Deggendorf, Kehlheim, Straubing oder Passau für den deutschen sowie in Linz, Mauthausen, Krems und Wien für den österreichischen Donauabschnitt. Sie alle sind aufgrund des verwendeten Baumaterials – Holz – nicht mehr vorhanden. Hochwasser, Eisbruch im Winter oder schlechte Wartung setzten dem für die langfristige Ver­ wendung im Wasser nur bedingt brauchbaren Material Holz zeitliche Limits. Erst mit der im 19.  Jahrhundert errichteten Ketten­ brücke in Budapest wurde nach der Steinernen Brücke in Regensburg im 12.  Jahrhundert wieder eine massive Brücke, diesmal jedoch aus Metall, über die Donau errichtet (Abb. 1). Entstehungszusammenhänge, Materialität und bau­ technische Details, räumliche Verortung, rechtliche As­ pekte oder narrative Funktionen sind Themen, die mit jeweils unterschiedlichen disziplinären Schwerpunktset­ zungen diskutiert werden. In den meisten Fällen wird von einer Perspektive ausgegangen, die entweder jene mit der Brücke befassten Akteure in den Blick nimmt oder das Bauwerk als solches fokussiert. Mit der Forschungsper­ spektive Object Links – Objects Link soll der Blick nun erweitert und explizit auf jene Verbindungen und Bezie­ hungen gelenkt werden, die zwischen den in Praktiken und Handlungen eingebundenen Objekten und jenen an diesen Handlungen beteiligten Akteuren bestehen. Spätmittelalterliche Städte als topografische und soziale Räume scheinen für diesen Zugang besonders gut geeig­ net. Der baulich, topografisch und sozial definierte Raum der Stadt ist durch Akteure und deren  Praktiken ge­ nauso wie durch deren Beziehungen zueinander geprägt.5 Die Untersuchung der daraus resultierenden vielfältigen Formen von Beziehungen eröffnet den Blick auf Nutzung und Bedeutung des topografischen und sozialen Raums sowie jener damit in Zusammenhang stehenden Ob­ jekte. Es gilt also auf Basis der überlieferten Quellen zu erfassen, wie die Verbindungen – die Links – zwischen handelnden Akteuren und den darin eingebundenen Objekten beschaffen sind, wie sie etabliert oder aufge­ löst werden und welche Bedeutung ihnen zugemessen wird. Was über handelnde Akteure, die Bedeutung und den Gebrauch von Objekten sowie die sie in Beziehung

zueinander setzenden Links ausgesagt werden kann, ist stark von der Zufälligkeit der Überlieferung beeinflusst. Aus der Perspektive der Geschichtswissenschaft spielt zunächst Text als Informationsquelle eine bedeutende Rolle, um Einblicke in die Interaktionsebenen unter­ schiedlicher Akteure und deren vielfältige Beziehungs­ geflechte zu erlangen. Urkunden, Rechnungsbücher, Inventare oder anlassbezogen entstandene Auflistungen von Objekten wie etwa Testamente bieten Grundlagen für einen ersten Zugang zur Frage nach den Akteuren und den Gebrauch von Dingen.6 Sie können Hinweise auf Nutzungszusammenhänge oder Ordnungsprinzi­ pien enthalten. Gleichwohl ist diesen auf den ersten Blick glaubwürdigen Informationen ein gewisses Maß an Vorsicht entgegen zu bringen: Nicht jedes Inventar gibt selbstredend Aufschluss über den Gebrauch der enthaltenen Objekte, und nicht jedes aufgelistete Objekt kann mit einer Gebrauchsfunktion in Verbindung ge­ bracht werden.7 Die Objekte und Objektgruppen, die in der schriftlichen Überlieferung „greifbar“ werden, sind dennoch vielfältig: Im Rahmen der städtischen Rechts­ ausübung werden beispielsweise Siegel, Siegelwachs und Typar ebenso gebraucht wie der Pranger oder Strafwerk­ zeuge, Objekte des Mautwesens oder des Richteramtes. Der Systematisierung von Verwaltungshandeln dienen Papier und Schreibgerät ebenso wie Rechenbrett und Rechensteine, Glocke und Versammlungsraum. Ein Großteil jener Dinge, die mit der Aufrechterhaltung städtischer Infrastruktur in Zusammen­hang stehen, sind vor allem in Rechnungsbüchern und Urkunden – also im Kontext der pragmatischen Schriftlichkeit überliefert.8 Darüber hinaus konstituieren Baustrukturen, topogra­ fische Gegebenheiten, archäologische Grabungsfunde ebenso wie die Überlieferung in Form von Ab-Bildern, Wertgegenständen, Gegenständen des Alltagsgebrauchs oder der sozialen Distinktion einen Raum, vermitteln soziale Beziehungen und eine durch Objektbeziehungen geschaffene zeitliche Struktur.9 Die folgenden Überlegungen dienen dazu, Art, Qua­ lität und Charakter derartiger Verbindungen zwischen Akteuren und Objekten zu beschreiben, in denen Brü­ cken eine entscheidende Rolle spielen. In beinahe jedem

5 A  us der umfangreichen Forschungsliteratur zur Rezeption von Raumtheorien am Beispiel der mittelalterlichen Stadtgeschichte vgl. Pauly, Scheutz et al. 2014; Rau 2014. 6 Objekte werden vermehrt auch aus geschichtswissenschaftlicher Perspektive thematisiert, vgl. dazu in Auswahl Simon-Muscheid 2004; Auslander 2005; Gerritsen, Riello 2015. 7 Riello 2009. Siehe dazu auch die beiden Beiträge von Ingrid Matschinegg und Sarah Pichlkastner in diesem Band. 8 Zur Systematik von Wirtschafts- und Rechnungsbüchern des Mittelalters und der Frühen Neuzeit vgl. den Sammelband von Gleba, Petersen 2015. 9 Ludwig 2015, 440. Allgemein zur Rolle von materieller Kultur als historischer Quelle vgl. Samida et al. 2014, 287–293.

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Elisabeth Gruber

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Abb. 1: Donauübergänge im österreichischen Donauabschnitt.

städtischen Raum stellen Brücken einen wichtigen Be­ standteil der Infrastruktur dar – sei es als Form der Über­ brückung von Geländeunterschieden, kleinen Rinnsalen oder großen Gewässern. Brücken seien überhaupt – so die Forschungsmeinung – ein urbanes Phänomen.10 Als Paradebeispiel für die soziale Praxis räumlicher Inter­ ventionen haben Brücken als Objekte unmittelbar und dauerhaft Einfluss auf Praktiken. Selbst die Zerstörung von Brücken zielt auf mehr als nur die Zerstörung einer physischen Verbindung ab. Als Element der sozialen Pra­ xis werden im Kontext eines Konfliktes Brücken auch im übertragenen Sinne abgebrochen. Mit der Redewendung „alle Brücken hinter sich abreißen“ hat diese Praxis auch ihren Eingang in die sprachliche Ausdrucksform gefun­ den. Mit dem Betrieb einer Brücke stand eine hohe An­ zahl an Akteuren, Handlungen und Praktiken in Zusam­ menhang. Dass Brücken per se eine verbindende Funktion innewohnt, wurde eingangs bereits festgestellt. Für sie als geschaffene Artefakte ist das Moment transgressiver Bewegung konstitutiv.11 Durch die Überbrückung von sonst schwer überwindbaren topografischen und bauli­ chen Gegebenheiten oder im Fall des metaphorischen Gebrauchs durch jene von abstrakten Hindernissen, stellen sie unverzichtbare Links dar, die Wege regulieren, ver­kürzen, erleichtern oder überhaupt erst ermöglichen. Diese für diverse Formen von Bewegung bedeutsame bis unabdingbare Funktion des Objekts Brücke macht es zu einem geradezu typischen, auf das spezifische Setting der transgressiven Bewegung zugeschnittenen Link, der Zusammenhänge in räumlicher, sozialer oder metapho­ rischer Hinsicht herstellt. Wie diese Zusammenhänge beschaffen sind, die die Brücke zu einem Link werden lassen, und vor allem, wie dieser Link zu charakterisieren ist, hängt von den unterschiedlichen Möglichkeiten der Nutzung von Brücken ebenso ab wie von den daran be­ teiligten Akteuren und deren Intentionen. Im Zentrum der Überlegungen stehen nun Brücken als Verbindun­ gen zwischen Objekten und/oder Menschen – Object Links – sowie als Objekte, die Verbindungen herstellen – Objects Link. Die Beschreibung von Link-Eigenschaften einer Brücke ermöglicht genauere Aussagen darüber, wie Brücken als Objekt eingesetzt, gebraucht und wahrge­ nommen werden, etwa um funktionale oder soziale Dif­ ferenzierung auszudrücken, um Zuständigkeitsbereiche abzubilden oder um Bedeutungskontexte zu übermitteln. Zudem stellt sich die Frage nach den Konsequenzen, die

sich aus dem Objektgebrauch ergeben: Hat die Existenz einer Brücke konkrete Auswirkungen auf die Beziehun­ gen zwischen den im städtischen Kontext fassbaren Per­ sonen und Personengruppen? Was ändert beispielsweise die Möglichkeit, einen Fluss auf einer Brücke queren zu können an den Abläufen im Bereich des Handels, der Kommunikation und welche  Affordanzen beinhalten Brücken darüber hinaus? Das für die Geschichte und das Selbstverständnis der Doppelstadt Krems-Stein an der Donau bedeutsame Privileg, eine Brücke über die Donau errichten zu dürfen, dient mir als Ausgangsbeispiel für meine Überlegungen hinsichtlich der skizzierten Fragen und Link-Optionen. Weder die bauliche noch die schriftliche Überlieferung ist für die Donaubrücke bei Krems-Stein in dem Ausmaß vorhanden, um hinreichend Antworten auf die skizzierten Fragen finden zu können. Während etwa die Brücke wohl am gleichen Ort, wenn auch seit dem 19. Jahrhundert in anderer Materialität überliefert ist, sind die Aufzeichnun­ gen über ihren Bau und Unterhalt aus der spätmittelal­ terlichen Entstehungszeit verloren gegangen. Lediglich durch bildliche Darstellungen wird die Brücke im 16. und 17. Jahrhundert in den Blick des Betrachters gerückt. Für die Beschreibung der Link-Eigenschaften bietet es sich daher an, Beispiele aus dem weiteren Donauraum und seinem Umfeld in die Überlegungen einzubinden. Braucht es eine Brücke, um Verbindungen herzustellen? Die in unmittelbarer Nähe zueinander gelegenen Städte Krems und Stein am linken und Mautern am rechten Do­ nauufer stellten im Lauf der Zeit in jeweils unterschied­ licher Intensität wichtige Verkehrsstützpunkte an beiden Seiten der Donau dar. Neben der für den Ostalpenraum bedeutenden hagiografischen Überlieferung der „Vita Severini“ aus dem Ende des 5.  Jahrhunderts, die Hin­ weise auf einen geregelten Warenverkehr auf der Donau und über diese hinweg enthält, ist die konkrete Nennung eines Warenumschlagplatzes im Bereich der Donau zwischen Passau und der Grenze des Karolingerreiches im Osten bei Mautern in der Raffelstätter Zollordnung 903/905 bemerkenswert. Als Quelle für die Organisation des Donauhandels gibt diese Zollordnung unter anderem Einblick in die differenzierte Transitbesteuerung des

10 F ouquet 2018, 49. 11 Hammer 2018, 76.

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Salztransportes.12 Zollpflichtig waren nur jene Schiffe, die Salz stromabwärts transportierten und an der Passa­ ge in Linz ihre erste Station nehmen mussten, bevor sie bei Mautern erneut ihre Abgaben in Form von Salz zu entrichten hatten. Die am rechten Donauufer gelegene Siedlung erfüllte die Funktion einer mautpflichtigen Anlandestelle – der Name Mautern spiegelt dies wider. Diese Verlegung der Mautstätte von Mautern nach Stein irgendwann im Lauf des 12. Jahrhunderts erforderte ein großes Maß an Interventionen. Donauabwärts geführte Schiffe mussten nun am linken Donauufer anlanden, um hier die entsprechende Maut entrichten zu können. Ein auf dieser Uferseite gelegenes und seit dem Ende des 12.  Jahrhunderts landesfürstliches Lehen mit Überfuhr­ recht ist ebenso ein Hinweis auf diese Praxis wie der um 1200 datierte Steiner Zolltarif, der Kaufleute aus Passau, Regensburg, Köln, Aachen, Schwaben und Italien nennt, die Handelswaren wie Tuch, Wolle, Felle, Kupfer, Zinn, Mohn, Haustiere, Pfeffer, Gewürze, Mühlsteine, Safran, Nüsse und Schwerter an der Anlandestelle in Stein zu verzollen hatten. Beinahe zeitgleich mit dem Zolltarif wird 1220 ein Rapoto de Urfar urkundlich erwähnt; die spätere Bezeichnung des Hofes als Förthof, zu dem auch eine Kapelle gehörte, war ab dem beginnenden 14.  Jahrhundert in Verwendung und bezieht sich in ab­ gewandelter Form auf dieses Recht der Überfuhr. Sowohl dieses wie auch der Zolltarif lassen ein aktives Eingrei­ fen von (landes-)herrschaftlicher Seite erkennen.13 Die Übertragung für den Handelsverkehr derart wichtiger Einrichtungen über den Fluss hinweg brachte eine Reihe von Veränderungen mit sich. Ein Hinweis darauf ist die durch Herzog Leopold VI. für das in Oberösterreich ge­ legene Stift Waldhausen erteilte Befreiung von der Maut in Stein und die zinsfreie Schifffahrt auf der Donau.14 In seiner Funktion als Lehensherr der Mautstelle ist es dem Herzog möglich, von der Maut zu befreien. Mit der Ver­ legung der Anlandestelle an das gegenüberliegende Ufer mussten buchstäblich neue Wege gesucht werden, um die Verbindung zu Mautern weiterhin aufrecht erhalten zu können. Zwischen den Siedlungen an beiden Seiten des

Donauufers entstand im Laufe der Zeit ein regelrechter Wettlauf, um die notwendigen Berechtigungen für und die Infrastruktur zur Donauquerung anbieten zu können. So erhielt 1276 der Bischof von Passau das Recht, seine im Herzogtum Österreich gelegenen Orte, darunter auch Mautern mit Mauern, Gräben, Türmen und der Errich­ tung weiterer Gebäude zu befestigen und weitere Gebäu­ de auf seinem und seiner Kirche Grund zu errichten.15 Möglicherweise erfolgte dies als Entschädigung für die Übertragung der Mautstation an das gegenüberliegende Donauufer und den damit verbundenen finanziellen Ein­ bußen. Die Ausstattung der Bürger von Mautern mit den gleichen Rechten, wie sie die Bürgergemeinde von Krems und Stein am Wasser und am Land inne hatten, erscheint in diesem Licht ebenfalls als Entschädigung ihrer mögli­ chen Einbußen durch die Verlegung der gewinnbringen­ den Mautstelle.16 Das herrschaftliche Eingreifen nimmt im Lauf des 14. Jahrhunderts zu: An topografisch passen­ den Stellen, dort wo ein Umladen auf den Landweg not­ wendig wurde, setzte die Kontrolle des Warenverkehrs durch landesfürstliche Zollstätten und die Erteilung von spezifischen Vorrechten ein, wie die urkundliche Überlie­ ferung zeigt.17 Mit derartigen Regulativen war meist eine Änderung der Schwerpunktsetzung von Handelswegen verbunden. Im Fall von Mautern und Stein verlagerte sich die Position des Warenumschlagplatzes und der damit ver­ bundenen Einnahmen zum Nachteil von Mautern nach Stein. Ob dies auch in naturräumlichen Veränderungen des Donaulaufes begründet war, die eine Anlandung der Schiffe in Stein förderten, kann aufgrund der schriftli­ chen Überlieferung nicht gesagt werden. Die Einkünfte aus dieser Mautstelle, die jährliche Zuwendungen für Schadensersatz oder die Finanzierung der Bewachung der landesfürstlichen Burg in Krems abwarfen, weisen dafür auf den Erfolg dieser Umstrukturierung hin. So ordnete Friedrich der Schöne in seinem 1327 errichteten Testament eine jährliche Vergabe von 100 Pfund aus den Einkünften der Maut in Stein an, die jenen Städte zugute kommen sollte, denen er und sein verstorbener Bruder

12 13 14 15

Knittler 1971; Knittler 1974; Knittler 1977; Knittler 1978; zusammenfassend bei Gruber 2015, 49–52, mit älterer Literatur.  nittler 1978 mit Belegen. K UBOE 2, 494, Nr. 343 (1204 April 22). UBOE 3, 453, Nr. 490 (1276 Dezember 13); St. Pölten, Eferding und Amstetten als weitere, der bischöflichen Stadtherrschaft unterge­ ordnete Städte erhielten ebenfalls dieses Recht. 16 Regesta Imperii VI/1, 273, Nr. 1079 (1275 Dezember 13). 17 Hier wäre beispielsweise das Niederlagerecht für Stein zu nennen, das 1365 urkundlich erwähnt wird. Es beinhaltet das Vorrecht, durch­ reisende Kaufleute anzuhalten und zum Verkauf ihrer Waren in der Stadt zu verpflichten. Die Ware musste zunächst „niedergelegt“, zum Verkauf angeboten werden, bevor die Verladung auf andere Transportmittel und ein Weitertransport möglich war. Zum Niederlagerecht siehe Gönnenwein 1939, 2–7.

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König Rudolf von Böhmen finanziell verpflichtet waren oder die durch Verpfändung oder ungerechte Auflagen zu Schaden gekommen sind.18 Im Rechnungsbuch der Herzöge von Österreich wird zum Jahr 1329 die Abrech­ nung der Maut in Stein detailliert aufgeführt. Sie enthält Angaben zu getätigten Ausgaben für die landesfürstlichen Bedürfnisse und auch die Burghut in Krems wird bei­ spielsweise für das Jahr 1330 aus den Einnahmen aus der Steiner Maut finanziert.19 Noch bevor durch die Überbrückung der Donau eine bequeme Passage zwischen den beiden Ufern und den dahinter liegenden Räumen nördlich und südlich der Donau geschaffen werden konnte, wurden eine Reihe von Praktiken ausgeübt, die sowohl Waren- als auch Personenströme zu lenken vermochten. Eine funktionie­ rende Anlandestelle, an der die Fracht vermautet werden musste, erforderte die passende Infrastruktur, etwa einen institutionalisierten Fährdienst, der das eine mit dem anderen Ufer verband, die mit der Einhebung der Maut verbundenen Einrichtungen wie Waage oder Lagerplätze, und eine Reihe von Akteuren, die für die Abwicklung des Betriebs Sorge zu tragen hatten und/oder diesen lenkten. Dies konnte durchaus auch zu Ungunsten des Rechtes zur Überfuhr in Stein geschehen, etwa als zu Beginn des 14. Jahrhunderts das Kloster Göttweig das Recht bestä­ tigt erhielt, sowohl sein Personal als auch seine Güter von eigenen Schiffsleuten über die Donau übersetzen zu las­ sen.20 Auch konnten die Rechte der Überfuhr auf mehrere Beteiligte verteilt sein, wie das Beispiel der Donau­querung bei Linz zeigt. Dort war das Überfuhrrecht für Pferde und Wagen Linz zugeordnet, während es den Bürgern des gegenüberliegenden Urfahr lediglich erlaubt war, Per­ sonen zu transportieren.21 Aller Eingriffe und Praktiken der Lenkung zum Trotz behielten die beiden Anlande­ stellen ihren Charakter als Ausgangs- oder Endpunkte des Landweges oder der Flussfahrt. Die Querung der Donau war zwar möglich, nicht jedoch grundsätzlich als infrastrukturelles Angebot zu jeder Zeit für alle Formen des Verkehrs zur Benützung verfügbar. Die Errichtung der Brücke änderte diese Situation grundlegend.

Die Brücke als Link In die  Konstellation von räumlicher und herrschafts­ politischer Trennung, gemeinsamer Nutzung des Raums im zugeordneten Donauabschnitt und der Notwendigkeit des Warenaustausches, die über zumindest für ein halbes Jahrtausend belegbare  Praktiken des Austausches und der Vermittlung über den Fluss hinweg verfügte, wurde am Ende des 15.  Jahrhunderts eine Brücke als ein die Donau überspannendes, relativ stabiles Element imple­ mentiert und damit in nicht unerheblichem Maß die wirtschaftliche und soziale Struktur dieser Siedlungen beeinflusst.22 Aus rechtlicher Perspektive stellten Brücken ebenso wie Straßen ein Hoheitsrecht dar, das zumeist mit Einkünften – und beträchtlichem Aufwand für deren Instandhaltung – verbunden war. Es sind daher die Terri­ torialherren, die eine Erlaubnis zum Bau einer Brücke und zur Einhebung von Brückenmauten oder Wasser­ zöllen erteilen konnten.23 Damit war mit der Errichtung einer Brücke auch eine Umlenkung des Warenverkehrs, eine Abkürzung von Wegen sowie die Beschleunigung und Verbilligung von Reisen verbunden. So brachte etwa der Bau der Regensburger Brücke am oberen Lauf der Donau zwischen 1135 und 1146 eine grundlegende Verla­ gerung des Warenverkehrs vom nördlichen Frankreich in die Donauländer mit sich. Durch deren Errichtung gewann die Route Würzburg – Nürnberg – Regensburg gegenüber jener ausgehend von Worms über Wimpfen nach Passau an Attraktivität für die Handelsreisenden.24 Als nun etwa um die Mitte des 15.  Jahrhunderts der Doppelstadt Krems-Stein ein Bündel an Rechten, das ihre Position als Wirtschaftsstandort grundlegend verän­ derte, zugesprochen wurde, befand sich darunter auch das Recht zum Bau einer Brücke.25 Das 1462 verliehene Nie­ derlagsrecht und die Erlaubnis für den direkten Handel mit Venedig unter Nutzung der Straße nach Mariazell stellte den Anfang der Begünstigungen dar. Neben Wien war dies zu diesem Zeitpunkt den Bürgern keiner ande­ ren Stadt erlaubt. Gemeinsam mit dem Ladstattrecht, das ein Verladen von Wein, Getreide und anderen Waren

18 Regesta Habsburgica 3, 224f., Nr. 1835 (1327 Juni 24). 19 Regesta Habsburgica 3, 245, Nr. 2009 (1329 Dezember 28); 1330 etwa wird aus den Einnahmen der Mauten in Stein und Mauthausen Wein an die Königin nach Graz geliefert: Regesta Habsburgica 3, 248, Nr. 2031 (1330 Jänner 13). 20 Fuchs 1901, 287f., Nr. 294 (1319 April 04). Bestätigt wird dieses Gewohnheitsrecht von den Söhnen des ehemaligen Stadtrichters in Krems, Mathias von Urvar. 21 Awecker 1953, 167. 22 Maschke 1977, 267. 23 Maschke 1977, 268; Becker 2010; Johanek 2012. 24 Maschke 1977, 272. 25 Brunner 1953, 128f., Nr. 206 (1463 Juni 17); zum Phänomen der Doppelstadt vgl. Müller 2017.

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am linken Donauufer zwischen Grein und Korneuburg nur in Krems erlaubte, machte die Erlaubnis zum Brü­ ckenbau die Doppelstadt am Ende des 15.  Jahrhunderts zu einem wirtschaftlichen Knotenpunkt.26 Für den als Wachau bezeichneten Donauabschnitt war die Stadt Krems der wichtigste lokale Handelsmarkt für Getreide, ein Umstand, der 1588 zur Erhebung des Kremser Metzens zum Landmetzen für ganz Niederösterreich führte. Die Bodenbeschaffenheit längs der Donau bei Krems-Stein ermöglichte einen einfachen Warenumschlag vom Flusszum Landverkehr, da hier stromabwärts zum letzten Mal vor dem Tullner Becken fester Boden an das Nordufer des Flusses heranreicht.27 Es schien sich dadurch eine Mög­ lichkeit zu eröffnen, den Handel mit den Regionen süd­ lich der Donau, beispielsweise mit den Eisenabbaustätten zu intensivieren. Bereits seit dem 14. Jahrhundert waren die Bürger der Doppelstadt in den Handel mit Salz aus dem Hallstätter Bergbau und in jenen mit Eisen, das in den Abbauregionen des steirischen Erzberges gewonnen wurde, involviert. Während der Transport von Salz und Eisen flussabwärts auf der Donau erfolgte, gestaltete sich die Gegenfracht flussaufwärts bedeutend aufwändiger. Das Handelsprivileg der Kremser Bürger für die Nutzung der Straße nach Venedig machte erst durch die Möglich­ keit, die Donau rasch und sicher über die Brücke queren zu können, Sinn. Für die Errichtung der Brücke wurde auf bestehen­ de Verbindungen über die Donau hinweg – durchaus basierend auf passenden topografischen Rahmenbedin­ gungen – zurückgegriffen. Im Bauprivileg legte man je­ denfalls keinen konkreten Bauplatz fest, weder die Bürger von Krems noch jene von Stein wurden bevorzugt. Für die Brücke sollten jene Stellen zwischen den beiden Städten gewählt werden, die für die Errichtung der Brückenköpfe als am besten geeignet erschienen, so der Wortlaut des Privilegs.28 Die Befreiung der Bürger von Krems von der Maut bei der 1492 in Stein errichteten Brücke ist die Folge dieser bevorzugten Behandlung.29 In zahlreichen schriftlichen Belegen wird der all­ gemeine Nutzen als Begründung für die jeweiligen Brückenbauten immer wieder hervorgehoben, wie etwa

in den Bestimmungen Herzog Albrechts II. 1439 für den Wiener Donaubrückenzoll: Die Wiener Donaubrücke war für jeden zugänglich, der gereiten, gevaren, geen, ge­ treiben und tragen mueg.30 Es sei jedem frei und unbenom­ men, die althergebrachte Form der Überfuhr auf Schiffen ober- oder unterhalb der Brücke oder den Weg über die Brücke zu Fuß oder zu Pferd zu wählen. Der Wiener Brückenbau wurde zudem damit begründet, dass viele der Bürger aufgrund ihrer Geschäfte den Fluss queren mussten und dabei häufig mit leib und gut verderbent. Unter Bezugnahme auf den immensen Aufwand, der durch die Errichtung, Instandhaltung und Sicherung (gepaw und pessrung, abtragen, antragen, verwesung und bewarung derselben prukgen) der Brücken und der Verbin­ dungswege entsteht, werden im Wiener Beispiel die zu leistenden Abgaben aufgelistet. Sie waren für alle Nutzer gleichermaßen gültig, egal ob geistlich oder weltlich, edel oder unedel oder welchem sozialen Stand sie auch immer angehörten. Auf diese Bestimmungen bezog sich der Landesfürst nun auch hinsichtlich der Brücke, die die Bürger der Doppelstadt als Verbindung zwischen den beiden Donauufern errichten konnten. Sämtliche Rechte und Pflichten, die im Rahmen der Wiener Donaubrücke anfielen, sollten gleichermaßen auch für die Brücke der Städte Krems-Stein Anwendung finden. Die zahlreichen Vorrechte den Handel und Verkehr betreffend, die für Krems und Stein am Ende des 15. Jahrhunderts formu­ liert wurden, zeigten zunächst jedoch wenig Wirkung. Ein Grund dafür ist wohl in den herrschaftspolitischen Konflikten zu suchen, in die neben zahlreichen anderen Städten des Herzogtums auch Krems und Stein invol­ viert wurden. Die Donaubrücke wurde bei jenem Tafelbild aus dem Kontext des vermutlich für die Schottenkirche in Wien angefertigten Altarretabels (1469–1475) genauso wie die räumlich nahe gelegene und institutionell verbundene Stadt Stein nicht in das Blickfeld des Betrachters gerückt, wiewohl die Darstellung der Stadt Krems im Hintergrund der Kreuzigungsszene die topografischen Gegebenheiten sehr realistisch abzubilden scheint und die Miteinbezie­ hung des zweiten Teils der Doppelstadt und einer die

26 Dies geht aus einer Privilegienbestätigung Herzog Friedrichs III. (1308–1330) von 1327 hervor. Brunner 1953, 32, Nr. 28; vgl. auch Gönnenwein 1939, 121f.; Serles 2015, 96. 27 Serles 2013. Am Südufer hingegen hatte die Herrschaft Freising in Hollenburg die Überfuhr nach Marquardsurfahr, welches im 14. Jahrhundert nach Hochwasser verödete, inne. Ich danke Thomas Kühtreiber für den Hinweis. 28 Brunner 1953, 128f., Nr. 206 (1463 Juni 17); Kerschbaumer 1885, 453. 29 Brunner 1953, 153, Nr. 251 (1492 Dezember 11). 30 Tomaschek 1879, 43, Nr. 137 (1439 Juli 04); zum allgemeinen Nutzen von Brücken vgl. Maschke 1977, 271; Fouquet 2018, 49, mit Belegen.

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Abb. 2: Ansicht von Stein, Mautern und Göttweig, aus Merian, Zeiller 1679, nach Seite 18. Die Tafel „Stein“ aus der Kupferstich-Serie von Mathäus Merian zeigt Mautern und Stein verbunden durch die die Donau überspannende Holzbrücke. Als Miniaturbild wurde im rechten unteren Viertel des Blattes die Ansicht des Benediktinerstiftes Göttweig mit der Bildinschrift Closter Ketwein ergänzt.

Donau überspannenden Holzbrücke ein repräsentatives Element hätte darstellen können.31 Die Perspektive ist im Fall des Altarretabels auf Krems beschränkt. Spätestens um die Jahrhundertwende wurde an der Brücke bereits gebaut, dies zeigt das Vorhandensein eines für den Bau benötigten Spezialgerätes, des so genannten Bruckschlägels, von dem weiter unten noch die Rede sein wird. Eine 1529 entstandene Darstellung der Donauland­ schaft bei Krems lässt jedenfalls bereits eine die Donau querende Holzbrücke erkennen.32 Die weitere Entwick­ lung zeigt, dass der Standort am Kreuzungspunkt zweier wichtiger Verkehrsachsen zu Wasser und am Land in Verbindung mit dem Bestand einer Brücke sein Poten­ tial im 16. und 17.  Jahrhundert voll entwickeln konnte.

Daran änderten auch die unterschiedlichen territorialen Herrschaftszugehörigkeiten dies- und jenseits der Donau nichts.33 Seit dem 12. Jahrhundert unterstanden die Städte Krems und Stein am nördlichen Donauufer der Herrschaft der österreichischen Landesfürsten und bildeten zunächst wichtige Stützpunkte im Zuge des Babenbergischen, und ab dem frühen 14. Jahrhundert des Habsburgischen Herr­ schaftsausbaues. Das am südlichen Donauufer gelegene Mautern hingegen gehörte seit dem 12. Jahrhundert dem Herrschaftskomplex des Passauer Bistums an. Auch wenn diese unterschiedlichen politischen Zugehörigkeiten stets durch die massive naturräumliche Trennung gewahrt blieben, so wurden durch die Brücke über die Donau Formen von Vernetzung erleichtert oder gar erst ermög­

31 R  eiter 1994, 173–190. Von den ursprünglich 24 Tafeln sind heute noch 21 Tafeln im Museum des Wiener Schottenstifts und der Österreichi­schen Galerie Belvedere erhalten. Schrein und Gesprenge sind verschollen. Zur Restaurierung siehe Koller 1994, 191–199; Dünser 2004. Die Bildtafeln sind online zugänglich unter REALonline 000302, https://realonline.imareal.sbg.ac.at/detail/?archivnr=000302 [letzter Zugriff im Juni 2019]; zu Stadtdarstellungen aus kunsthistorischer Perspektive vgl. Theisen 2017, 360–371, bes. 364f. 32 Jäger 2014. 33 Kocher 2005, 1–11.

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Abb. 3: Ansicht von Krems, aus Merian, Zeiller 1679, nach Seite 4. Die Tafel „Crembs“ aus der Kupferstich-Serie von Mathäus Merian zeigt die Ansicht der Stadt Krems – ebenso wie jene von Stein – aus südlicher Perspektive.

licht. Im Kommentar des Matthäus Merian, der Stein an der Donau in der Topographia Provinciarum Austriacarum Mitte des 17. Jahrhunderts beschreibt, ist der Brücke über die Donau ein eigener Absatz gewidmet. So gelange man über eine bis zu 800 Schritte lange, hölzerne Brücke mit 33 oder 34 Jochen in die dem Bistum Passau gehörende Stadt Mautern.34 Weiters wird ausgeführt, dass „also 3 stätt als Crembs, Stein und Mautern nahend beysammen seyn“. Die Brücke wird damit als Bindeglied hervorgeho­ ben, das drei Städte zu einem durch ein großes fließendes Gewässer voneinander getrennten Dreieck verband. Die bildlichen Darstellungen der Doppelstadt Krems-Stein auf den Kupferstichen Merians, denen jeweils ein eigenes Blatt gewidmet ist, greifen diese verbindende Eigenschaft der Brücke nur für Mautern und Stein auf (Abb. 2). Die Donaubrücke verbindet die beiden Städte dabei aus der Perspektive des südlich gelegenen Benedikti­ nerstiftes Göttweig. Zentral positioniert erscheint die geradlinig über der Donau verlaufende Holzbrücke. Den baulichen Gegebenheiten entsprechend findet die Brücke dort weder Erwähnung noch ist sie im Bild angedeutet.

Das, was durch Matthäus Merian mit der Darstellung von Stein prominent in Szene gesetzt und von Martin Zeiller kommentiert wurde, bildet eine Situation ab, die in der ersten Hälfte des 17. Jahrhunderts offensichtlich als solche wahrgenommen wurde. Nicht nur, dass die beiden Teile der Doppelstadt Krems-Stein auf zwei separaten Blättern dargestellt wurden; vielmehr erscheinen Mautern und Stein als eine durch die Brücke über die Donau mitein­ ander in Beziehung stehende Einheit. Das nahe gelegene Krems ist aus dieser Perspektive völlig ausgeblendet, ob­ wohl die beiden Städte am nördlichen Donau­ufer bereits auf eine lange Tradition als Doppelstadt zurückblicken konnten (Abb. 3). Die Brücke als Akteur Im mittelalterlichen Rechtsverständnis galten Brücken als Vermögenseigentümer und waren als solche Rechts­ person und berechtigt, ein Siegel zu führen, wie dies etwa für Regensburg belegt ist, sowie Immobilien zu besitzen,

34 Merian, Zeiller 1679, 18.

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die als Legate ausgegeben werden konnten. Einkünfte aus diesen Legaten dienten wiederum dem Brückenerhalt.35 Auch testamentarische Stiftungen konnten über die den Brücken angeschlossenen Kapellen direkt dem Brücken­ vermögen zugeteilt werden. So ermahnte etwa der Bischof von Passau 1236 seine Gläubigen, finanziell zur Herstel­ lung der Brücke im oberösterreichischen Wels beizutra­ gen und versprach ihnen dabei umfangreiches religiöses Andenken.36 Eine mögliche Rolle der Brücke als Akteur, die sie aufgrund ihrer Qualität als Rechtsperson ausübt, kann am Beispiel der Steinernen Brücke in Regensburg veranschaulicht werden. Als ältes­te Steinbrücke nördlich der Alpen ist wenig über die Umstände ihrer Entstehung bekannt.37 Aus den 40er Jahren des 12. Jahrhunderts liegt jedoch mit der Nennung der Brücke bei Regensburg als ponte optimo im Kontext der Donauüberquerung des Kreuzfahrer­heeres unter Führung des französischen Kö­ nigs ein konkreter Beleg für deren Existenz vor. Späteren chronikalen Einträgen zufolge dürften die Pfeilerfunda­ mente und die gefüllten Steinquadermauern in einer Peri­ ode besonderer Trockenheit aufgeführt worden sein. Etwa 40 Jahre nach den ersten Nennungen der Brücke erlangte eine Gruppe Regensburger cives mit Unterstützung des Bischofs und des Herzogs ein Privileg, welches den freien Zugang zur Brücke gewährleisten, Zwangsmaßnahmen, wie die Einforderung offener Geldschulden auf der Brücke, verhindern und die Zugangswege von zusätzlichen Bau­ ten freihalten sollte.38 Auf Zuwiderhandeln wurden hohe Geldstrafen ausgesetzt, die von den jeweiligen Brücken­ meistern eingenommen wurden und zur Hälfte für den Erhalt der Brücke verwendet werden konnten. So wie die Brücke zwischen Mautern und Stein verband auch die Brücke in Regensburg zwei unterschiedliche Herrschafts­ bereiche, denen der Zugang zur Brücke gleichermaßen möglich war. Damit stellten Brücken auch eine Form des Transit- und Begegnungsraumes dar, für den besondere Bedingungen geschaffen werden mussten. Auch wenn durch die Brücke eine Möglichkeit des vereinfachten Übergangs geschaffen werden konnte, so stellte sie doch nur einen begrenzten Raum dafür zur Verfügung.39 Bei hohem Aufkommen von Passanten und Fuhrwerken

konnten genauso gefährliche Situationen entstehen wie bei Konflikten, die auf der Brücke ausgetragen wurden. Die Sorge für einen geordneten Übergang war daher eine wichtige Aufgabe die geleistet werden musste. Die mit dem Privileg verbundenen Rechte wurden nicht, wie zu erwarten wäre, einer Gruppe von Personen, sondern der Brücke als eigenständige Rechtsperson verliehen. Als solches konnte die Brücke nicht nur ein eigenständiges Vermögen erwerben, sondern auch ein eigenständiges Brückensiegel führen. Damit ist die Brücke als Rechts­ person befähigt, ihre Rechtsakte selbständig – ohne Stellvertretung – zu besiegeln.40 In den mittelalterlichen Urkunden wird daher das opus ponti oder das Brücken­ werk als Empfänger von Stiftungen, Einkünften oder Strafzahlungen genannt. Besonders bemerkenswert ist der Zusammenhang zwischen Stiftungen an verschiede­ ne geistliche Einrichtungen der Stadt Regensburg, an die umliegenden Klöster und an das Brückenwerk. Allfällige Pönalzahlungen, die bei nicht erbrachten Gebetsleistun­ gen fällig wurden, fielen an das Brückenwerk und wurden vom Brückenmeister verwaltet. Diesem oblag nicht nur die Aufsicht über die der Brücke zugehörigen Erträge, sondern auch die Wahrung der Rechte der Brücke. Ihm oblag es, das Kapital pro ipsius pontis reparatione zu ver­ wenden.41 Das Vermögen der Regensburger Donau­brücke war jedoch weitaus umfassender. Bereits in der Urkunde Friedrichs II. wurde vermerkt, dass die Flächen rund um die Brückenköpfe nicht verbaut werden dürften. Diese und die unmittelbar daran angrenzenden Grundstücke gehörten ebenso wie eine Reihe von Immobilien, darun­ ter Gebäude, eine Badstube und das Salzhaus mit dem dazugehörigen Stadel, zum Grundvermögen der Brücke. Die Liegenschaften wurden meist an einzelne Bürger der Stadt verpachtet, die Einnahmen aus der Pacht flossen in das Vermögen der Brücke. Damit bilden diese Bauobjekte mit der Brücke sowohl in rechtlicher als auch in topogra­ fischer Hinsicht ein  Ensemble. In der Denkmalpflege wird dieser Begriff verwendet, um die Zusammengehö­ rigkeit schützenswerter Baukörper – Bauensembles – zu beschreiben.42 Im Fall des Brücken­kopf-Ensembles bei der Steinernen Brücke in Regensburg wird dies besonders

35 Maschke 1977, 281. 36 UBOE 3, 37f., Nr. 35 (1236 Februar 23); Holter 1955, 141. 37 Zum Bau von Brücken aus Stein, für den sich ab dem 12. Jahrhundert aus verschiedenen Gebieten Europas, etwa aus England, Frankreich, Italien oder der Iberischen Halbinsel vermehrt Belege finden: Hirschmann 2005, 224–227; zur Regensburger Brücke siehe Dallmeier 2011. 38 Volkert 2005, 276. 39 Hammer 2018, 84. 40 Becker 2010; Volkert 2005; Dirmeier 2006. 41 Volkert 2005, 271–275, mit Belegangaben. 42 Bartosch o.J., 15.

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deutlich: Als Teil des Gesamtensembles Steinerne Brü­ cke bildet der Brückenkopf gemeinsam mit den beiden lagerhäusern der Städte Regensburg und Amberg Salz­ (Regensburger und Amberger Salzstadel) und den sie verbindenden Torturm ein Ensemble, das denkmalpfle­ gerisch als solches behandelt wird. Betrachtet man die Nutzungskontexte Überquerung des Flusses, Zugang zur Stadt und Salzniederlage, wird der Ensemblecharakter auch in herrschaftspragmatischer Hinsicht deutlich. Die Brücke ermöglichte zwar den Zugang zur Stadt, gleich­ zeitig wurde dieser soweit verengt, bis schließlich das Tor passiert und die Niederlage der Handelsware geordnet durchgeführt werden konnte. Weitere Einnahmen flossen dem Brückenvermögen aus der Wahrnehmung der sich durch die Existenz dieser massiven Brücke ergebenden Möglichkeiten der Fluss­ nutzung für Gewerbebetriebe zu. Mitte des 14. Jahrhun­ derts werden Triebwerke urkundlich erwähnt, die den durch den Rückstau des Wassers oberhalb der Brücke entstandenen Wasserdruck als Antrieb nutzten. Mühlen und Hammerwerke waren auf die Infrastruktur der Brü­ cke angewiesen und hatten entsprechende Abgaben zu leisten, ebenso die Fischer, die ihre Reusen am Stauwerk und an den Pfeilern anbrachten. Und schließlich nannte die Brücke auch eine der heiligen Margarete geweihte Kapelle ihr Eigen. Dem Brückenmeister oblag nicht nur die Verwaltung von deren Einkünften, sondern er übte gemeinsam mit dem Dompropst von Regensburg auch das Präsentationsrecht des Kaplans aus. Auch wenn de facto sämtliche sich aus der Brücke als Rechtsperson und ihrem Vermögen ergebenden  Praktiken von einer natürlichen Person ausgeübt wurden, so bleibt doch die Brücke der Akteur, bei dem sich alle Verbindungslinien treffen. Die Steinerne Brücke ist als Objekt von Beginn an ein zentrales Bindeglied zwischen der Stadt und ihrem Umland. Als Rechtsperson wird sie zum Akteur, der zwar eines Vertreters in Form des Brückenmeisters bedarf, doch mit Rechts- und Geschäftsfähigkeit, Vermögen und Siegel ausgestattet ist. Die Eigenschaft der Strömungs­ kanalisation durch die Pfeiler und deren Joche wurde durch das Anlagern weiterer Funktionen, wie Fischerei und Mühlen genutzt. Diese über die eigentlichen Ange­ bote der Brückennutzung hinausgehende  Affordanz veränderte das Ensemble der Bauwerke, die konstituie­ rend für eine Brücke waren.

Die Affordanz von Brücken Brücken dienten verschiedenen Gebrauchszusammen­ hängen. Während ihr augenfälligstes Nutzungsangebot in der Überwindung von unwegsamem Gelände zu sein scheint, fallen bei genauerer Betrachtung eine Reihe wei­ terer Nutzungsmöglichkeiten und Sinnzuschreibungen auf, die den Brücken Objektcharakter verleihen.43 Auf oder nahe bei Brücken errichtete Kapellen dienten eben­ so wie die Vergabe von Ablässen für Spenden zum Bau oder Gedächtnis- und Seelgerätstiftungen dem karitati­ ven Wirken, das dem Bau und Erhalt von Brücken zuge­ messen wurde.44 Die Brücke erscheint damit als Objekt, dessen allgemeiner Nutzen so hoch bewertet wurde, dass es auch der Kirche erlaubte, zu Ablässen, Almosen und Spenden aufzurufen. Ablassbriefe, die als Gegenleistung für finanzielle Unterstützung oder Arbeitsleistung Be­ freiung von Sünden versprachen, stellten vor allem im 13. und 14. Jahrhundert keine Seltenheit dar. Für die seit dem ersten Drittel des 12.  Jahrhunderts bestehende Brücke, die bei Wels die Traun, einen Zubringerfluss der Donau im heutigen Oberösterreich quert, wurden Ablässe von fünf Bischöfen gewährt. Die Bereitstellung eines sicheren Übergangs als wichtige Motivation des Landesfürsten ist auch in den Privilegien für die Brückenbauten entlang der Donau noch im 15. Jahrhundert zu bemerken. Das kann durchaus im Sinne des fürstlichen Auftrags, für das Wohl seiner Untertanen sorgen zu müssen, interpretiert wer­ den.45 Auch die Einkünfte der zur Brücke gehörigen und dem heiligen Ägydius geweihten Kirche waren dem Er­ halt der Brücke in Wels gewidmet.46 Eine umfangreiche testamentarische Stiftung für die Brücke in Wels zeigt exemplarisch die karitative Bedeutung, die noch im be­ ginnenden 16. Jahrhundert zuerkannt wurde. Neben einer Stiftung für die Schifferzeche und das Lichtamt, bei dem das Kirchenvermögen verwaltet wurde, widmete Lorenz Mittenauer, der aus Wien stammende Vikar der Welser Stadtpfarrkirche, dem Brückenamt die finanziellen und materiellen Abgaben eines Bauernhofs zum Erhalt der Brücke über die Traun (Abb. 4). Mit den Erträgen mussten Kleider- und Holzspenden für Arme entrichtet werden, das Sondersiechenhaus ver­ sorgt und dem Stifter nach seinem Tod die Feier einer Seelen­messe gewidmet werden. Für die verlässliche Durch­ führung der Bestimmungen hatte der Brückenmeister zu

43 Hoffmann-Krayer 1927/2011, Sp. 1659–1665. 44 Maschke 1977, 281–285; Schwerdtfeger 2014, 432, 444; Hammer 2018, 76. 45 Katzinger 2014, 115. 46 Rohr 2004, 293f.; Holter 1955, 147.

Object Links. Brücken

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Abb. 4: Ansicht von Wels, aus Merian, Zeiller 1679, nach Seite 22. Die Tafel „Wels“ aus der Kupferstich-Serie von Mathäus Merian zeigt die Stadt Wels vom gegenüberliegenden Ufer der Traun. Im Bildvordergrund die Holzbrücke, die über mehrere Inseln hinweg den Fluss überspannt.

sorgen, der seinerseits einen Geldbetrag und die mate­ riellen Abgaben – vier Hühner – erhielt.47 Seine Auf­ gaben waren jenen des Regensburger Brückenmeisters sehr ähnlich: Ihm oblag die Verwaltung der Einkünfte und dienstpflichtigen Liegenschaften sowie der notwen­ digen Ausgaben. Er administrierte die Instandhaltung der Brücke, beaufsichtigte die Arbeiten, organisierte das benötigte Material. Auch die Brücke in Wels umfasste mit jenen Anfang des 16.  Jahrhunderts erwähnten acht Fleischbänken gewerbliche Einrichtungen, für die der Brückenmeister zu sorgen hatte. Zur Zeit der Stiftung Mittenauers hatte Pankraz Scheybl diese Funktion inne. Seine Bücherstiftung für das Stift Lambach und sein Epitaph im Stift Kremsmünster lassen ihn als gut situ­ ierte und in die regionalen Netzwerke eingebundene Per­ sönlichkeit erscheinen.48 Damit stehen alle jene Personen über die Stiftungen, die dem Bau und dem Erhalt der Brücke zukommen, miteinander in direkter Beziehung.

Diese Form der Vernetzung wird durch die Brücke als zentrales Objekt hergestellt. Ähnlich verhält es sich mit den Aufwendungen für den Bau und die Erhaltung von Brücken. Auch aus der Perspektive der Organisation und Durchführung von Baumaßnahmen wird die Brücke zum Objekt. Baurech­ nungen und begleitender Schriftverkehr lassen ein enges Netz an Links erahnen, in dessen Zentrum die Brücke steht. Nach Wien 1439, Krems-Stein 1463 und Linz 1479 wurde mit der Donaubrücke in Enns die vierte Brücke im Herzogtum Österreich errichtet. Auch wenn diese Brücke nur relativ kurzen Bestand hatte, so ist doch auf­ grund eines überlieferten Rechnungsbuches über deren Errichtung mehr bekannt als in den anderen Fällen. 1501 erlangten die Bürger von Enns die Erlaubnis für einen Brückenbau, der ausgehend von Mauthausen am gegen­ überliegenden Donauufer eine Anbindung an die Stadt ermöglichen sollte. Noch während der Bauzeit wurde die

47 Zinnhobler 1962, 75f. 48 Holter 1955, 138.

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Holzbrücke durch ein Hochwasser im August 1501, das so genannte „Himmelfahrtsgieß“, zerstört und konnte erst 1505 fertiggestellt werden.49 Der das Herzogtum Österreich betreffende Donauab­ schnitt bot schwierige Rahmenbedingungen für den Bau von Brücken. Breite und Fließgeschwindigkeit des Flusses erforderten besondere Maßnahmen, um eine stabile Kon­ struktion herstellen zu können. Zumindest für die Brü­ cken in Linz, Enns und Krems ist die Verwendung von so genannten Bruckschlägeln bekannt. Diese mechanische Vorrichtung dient zum Einschlagen der Holzpfähle, auf denen die Brücke aufgesetzt war. Ein schwerer, mit Eisen beschlagener Holzpflock wurde mit einer Ramme, die auf Flößen in Position gebracht wurde, in das Flussbett getrieben. Die Herstellung dieses Geräts war nicht nur aufwändig, sondern auch kostenintensiv. Die Baurech­ nungen in Enns weisen eine Reihe von Ausgaben für die Anschaffung von Material auf, das für die Herstellung des Geräts benötigt wurde. Entrindete Eichenrundhölzer wurden zu einem Schlägel mit Eisenbändern zusammen­ gebunden und mit einer Bodenplatte aus Eisen versehen. Die Vorbereitungsarbeiten beanspruchten sechs Wochen, bis der Bruckschlägel einsatzbereit war. Die Anfertigung dieses Gerätes hatte eine überregionale Vorgeschichte, die für die Frage nach der Brücke als Objekt und seinen Ver­ bindungen eine wichtige Rolle spielt. 1492 hatte Fried­ rich  III. die Bürger der Stadt Enns aufgefordert, jenen Bruckschlägel, der beim Bau der Brücke in Stein verwen­ det wurde und durch verschiedene Umstände nach Enns gelangt war, wieder nach Stein zu retournieren, wo er zur Fertigstellung der Brücke dringend benötigt wurde.50 Mit der Anfrage hatte sich ein einflussreicher Bürger von Krems und Inhaber der Maut in Stein an Friedrich III. gewandt. In dieser Funktion mag auch seine Motivation liegen, den abhanden gekommenen Bruckschlägel wieder in den Besitz der Bürger von Stein zu bringen. Bernhard Karlinger, Bürgermeister, Stadtrichter, Ratsmitglied und Einnehmer der Brückenmaut in Stein ist ab 1456 in der urkundlichen Überlieferung der Doppelstadt KremsStein und des Stifts Göttweig dokumentiert.51 Aufgrund seiner Verdienste um das Stift Göttweig wurde Karlinger bereits 1475 gemeinsam mit seiner ersten Frau Martha in

die dortige Bruderschaft aufgenommen.52 Als einfluss­ reicher Bürger veranlasste er gemeinsam mit seiner zwei­ ten Frau Maria Magdalena zahlreiche Messstiftungen in den Kirchen in Krems und Stein. Die Seitenflügel des Dreifaltigkeitsaltares in Stein zeigen ihn und seine beiden Frauen als Stifter. Die Darstellung ist heute nur mehr in einer Skizze einer Handschrift der Stiftsbibliothek Gött­ weig überliefert.53 Durch den dringenden Bedarf eines für den Brücken­ bau unerlässlichen und aufgrund seines Herstellungsauf­ wandes kostspieligen und nicht anlassbezogen wieder­ herstellbaren Gerätes traten nicht nur jene Akteure in Interaktion zueinander, die aktiv um den Verbleib des Brückenschlägels bemüht waren, der Inhaber der Maut von Stein, Bernhard Karlinger, der Landesfürst Fried­ rich III. und die Bürger von Enns. Über diese drei Ak­ teure hinaus kann der Kreis an Beteiligten auch noch weitergezogen werden: die Bürger von Krems-Stein, die Handwerker vor Ort, die Überbringer der Mitteilung des Landesfürsten etc., die jeweils wiederum individuell in ihre personenbezogenen und institutionell bedingten Links eingebettet erscheinen. In diesem Netz an han­ delnden Akteuren, die jeweils mit unterschiedlichen sozialen Praktiken in die Handlung Brückenbau mit­ einbezogen waren, entstanden nun durch das Objekt Brückenschlägel hergestellte Object Links zwischen den beiden Donaubrücken. Deren Rekonstruktion wiederum ist nur aufgrund der vorhandenen schriftlichen Überlie­ ferung möglich. Das Ennser Brücken-Beispiel kann auch noch für eine weitere Link-Eigenschaft stehen. Auf einem 1518 datier­ ten Tafelbild, das sich in der Stiftsgalerie Seitenstetten (NÖ) befindet, wurde eine der wenigen Darstellungen der Hinrichtung des heiligen Florian in Szene gesetzt 54 (Abb. 5). Beim heiligen Florian handelt es sich um einen Heiligen, dessen Verehrung im österreichisch-bayeri­ schen Raum, aber auch in Böhmen, Polen und Ungarn weite Verbreitung fand. In der „Passio Floriani“ wird das Glaubenszeugnis eines römischen Verwaltungsbe­ amten geschildert, der aufgrund seines Bekenntnisses zum Christentum im Jahr 304 hingerichtet wurde. Der

49 Rohr 2007, 205f.; zur Auswertung des Rechnungsbuches siehe Katzinger 2014, 146–179. 50 Katzinger 2014, 117–119. 51 Fuchs 1902a, 466, Nr. 1416 (1456 Mai 02). 52 Fuchs 1902b, 81, Nr. 1844 (1475 März 31). 53 Görg 1963, 29–31. 54 Holter 1965, 159, Nr. 387; Wagner, Böttcher 2012, 162; REALonline 001487, online unter: https://realonline.imareal.sbg.ac.at/detail/?archiv nr=001487 [letzter Zugriff im Juni 2019].

Object Links. Brücken

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Abb. 5: Der heilige Florian wird von der Brücke in die Enns gestürzt, Tafel eines ehem. Flügelretabels, 1518, Seitenstetten, Stiftsgalerie, Inv.Nr. 39.

Legende nach wurde er mit einem (Mühl-)Stein am Hals in die Enns geworfen und ertrank; die gefangenen Chris­ ten, denen er seinen Beistand gewähren wollte, wurden ebenfalls hingerichtet. Als Patron der Feuerwehr, gegen Feuer- und Wassergefahr, gegen Dürre und Unfrucht­ barkeit der Felder wurde die Figur des heiligen Florian in der spätmittelalterlichen und neuzeitlichen Bild­ tradition vielfältig aufgegriffen.55 Bei der direkt vor den Toren der Stadt inszenierten Hinrichtung erscheint die

bogenförmige Holzbrücke als Hinrichtungsort medial in Szene gesetzt und dominiert das gesamte Bildgeschehen. Auch bei der etwa zeitgleich entstandenen und Albrecht Altdorfer zugeschriebenen Darstellung der Hinrichtung des heiligen Florian wird ebenfalls der Ort der Handlung – die Brücke über die Enns – zentral ins Bild gerückt. Was vordergründig als Mittel zum Zweck erscheint, nämlich die „Richtstätte“ des heiligen Florian vor Augen zu führen, verweist bei näherer Betrachtung auf eine wei­ tere Link-Eigenschaft von Brücken. Für die Funktion von Brücken sowohl als Gerichts- als auch als Richtstätte gibt es zahlreiche Beispiele. Gerade ihre Rolle als Akteur im Rahmen einer eigenständigen Rechtspersönlichkeit könnte dieses Nutzungsangebot forciert haben. Die dominante Darstellung der Holzbrücke als Ort der Hinrichtung scheint ein bewusstes Element der Bild­ komposition zu sein. Als Ort von Rechtsprechung und Gerichtsvollziehung haben Brücken jedoch eine lange Tradition. So wurde etwa in Dresden oder Würzburg direkt auf der Brücke Gericht gehalten und die Brücke in Regensburg bei der Durchführung von Gerichtsstrafen miteinbezogen.56 Vor dem Hintergrund des intensiven Bemühens der Ennser Bürgergemeinde um den tech­ nisch und finanziell aufwändigen Bau der nahegelegenen Donaubrücke und die ohnehin ständig präsente Not­ wendigkeit der Instandhaltung der Brücke über die Enns erscheint jedoch die die Bildkomposition dominierende Holzbrücke mit ihren auf massiven Piloten ruhenden Rundbögen in einem anderen Licht. Die Erhaltung von Verkehrsverbindungen stellte nicht nur eine wesentliche Aufgabe städtischer Verwaltung dar, sondern erforderte große Mengen an finanziellen und personellen Ressourcen. Mit dem Bau der Brücke konnte die Bürgergemeinde der Stadt Enns an der Wende vom 15. zum 16.  Jahrhundert ihre zentrale Position am Zusammenfluss von zwei Flüs­ sen, der Enns und der Donau erheblich verbessern. Eine den Fluss überspannende moderne und stabile Brücken­ konstruktion stellte ein prestigeträchtiges Aushängeschild der Stadt dar. Object Links – Objects Link als Perspektive? Die angestellten Überlegungen hatten zum Ziel, die Forschungsperspektive Object Links – Objects Link am Beispiel von Brücken nach ihrem Erkenntniswert für die

55 Die Passio fand mehrfach Eingang in die handschriftliche Überlieferung, zum Beispiel in den Stiftsbibliotheken Lambach (9. Jh.), Admont (Ende 11. Jh.), Zwettl (Ende 12. Jh.) oder Klosterneuburg (1452). 56 Maschke 1977, 287.

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Elisabeth Gruber

historische Forschung zu befragen. Ausgehend vom Ob­ jekt Brücke wurden die verschiedenen Formen von Links in den Blick genommen, die – je nach Betrachtungs­ perspektive – Verbindungen zu den handelnden Akteu­ ren darstellen. Diese können vom Objekt Brücke selbst angeboten werden oder umgekehrt von den Akteuren wahrgenommen werden. Grundlegendes Anliegen dieses Zuganges ist die konsequente Frage nach möglichen Verbindungslinien, die von einem konkreten Objekt, einer Brücke, ausgehen können und entweder andere Objekte oder Personen in das sich entwickelnde Geflecht an Bezügen einbeziehen. Auch wenn Brücken zunächst selbst als augenscheinlicher Link zu bewerten sind, de­ ren Funktion darin besteht, eine Verbindung zwischen zwei sonst nur mit hohem Aufwand erreichbaren Seiten herzustellen, so treten bei genauerer Betrachtung noch weitere Qualitäten von Verbindungen in Erscheinung, bei denen die Brücke als Objekt und Akteur eine Rolle spielt. Die wirtschaftliche Nutzung der durch den Einbau der Brücke veränderten Strömung lässt etwa jene Links in den Vordergrund treten, die auf diese  affordante Eigenschaften von Brücken verweisen. Die Brücke als „unheimlicher Transitort“ verweist auf deren besondere rechtliche Verfasstheit als Ort des Gerichts oder als hinsichtlich rechtlicher Zugriffsmöglichkeiten stark reglementierten Bereich, der eine ungehinderte Passage bei gleichzeitig bestehenden Unsicherheiten gewährt. Als Ort von Gerichtsbarkeit, als Ort des Warenaustausches Gedruckte und ungedruckte Quellen Brunner 1953 Otto Brunner: Die Rechtsquellen der Städte Krems und Stein, Köln u.a. 1953. Fuchs 1901 Adalbert Franz Fuchs (Bearb.): Urkunden und Regesten zur Geschichte des Benedictinerstiftes Göttweig, Bd.  1: 1058–1400, Wien 1901. Fuchs 1902a Adalbert Franz Fuchs (Bearb.): Urkunden und Regesten zur Geschichte des Benedictinerstiftes Göttweig, Bd.  2: 1401–1468, Wien 1902. Fuchs 1902b Adalbert Franz Fuchs (Bearb.): Urkunden und Regesten zur Geschichte des Benedictinerstiftes Göttweig, Bd. 3: 1468–1500, Wien 1902. Merian, Zeiller 1679 Matthaeus Merian, Martin Zeiller: Topographia Provincia­ rum Austriacarum, Austriae, Styriae, Carinthiae, Carniolae,

Object Links. Brücken

und des Gewerbes ebenso wie als Ort von Mauteinnah­ men und Almoseneinwerbung bieten Brücken Angebote des Gebrauchs, die weit über deren ursprüngliche Funk­ tion der Überbrückung hinausgehen. Über die Qualität der Brücke als Akteur, als die sie durch die besondere rechtliche Verfassung bezeichnet werden könnte, ist es möglich, weitere Funktionen näher zu beschreiben, etwa deren Rolle als eigenständige Rechts­ person. Die handelnden Vertreter dieser Rechtsperson, die Brückenmeister, sind wiederum durch die Praxis von Stiftungen und allen weiteren, das Vermögen der Brücke betreffenden Aktivitäten mit den daran beteiligten Perso­ nen und Akteuren verbunden. Als Teil von  Konstellationen werden durch Brücken vorhandene Beziehungen verändert oder überhaupt erst aufgebaut. Über die Brücke und ihre Beziehungen kön­ nen daher  Cluster nachvollzogen werden, die sowohl räumliche als auch soziale Aspekte miteinbeziehen. Dazu gehört auch ihre Qualität als Rechtsperson, die wiederum eigenständige Beziehungen in neuen Konstellationen pro­voziert. Und schließlich ist am Beispiel von Brücken auch die Bildung von  Objektgesellschaften zu beobachten. Ihre Eigenschaften als Brücke zusammen mit den durch ihre Materialität und die bauliche Konstruktion bedingten Rahmenbedingungen setzen Objekte und Akteure in ei­ nem beinahe beliebig erweiterbaren Kreis in Beziehung zueinander. Tyrolis etc., Das ist Beschreibung Vnd Abbildung der für­ nembsten Stätt Vnd Plätz in den Osterreichischen Landen Vnder vnd OberOsterreich, Steyer, Kärndten, Crain Vnd Tyrol, 3. Ausgabe, Franckfurt am Mayn 1679. Regesta Habsburgica 3 Lothar Gross (Bearb.): Regesten der Grafen von Habsburg und der Herzoge von Österreich aus dem Hause Habsburg, Bd. 3: Die Regesten der Herzoge von Österreich sowie Friedrichs des Schönen als Deutschen König von 1314–1330, Innsbruck 1924. Regesta Imperii VI/1 Johann Friedrich Böhmer, Oswald Redlich (Hg.): Regesta Imperii VI. Die Regesten des Kaiserreichs unter Rudolf, Adolf, Albrecht, Heinrich VII. 1272–1313, Abt. 1 (Rudolf ), Innsbruck 1898. Tomaschek 1879 Johann Adolf Tomaschek (Bearb.): Die Rechte und Freihei­ ten der Stadt Wien Bd. 2, Wien 1879.

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Abb. 2–5: IMAREAL/Peter Böttcher.

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Abbildungsnachweis Abb. 1: Gruber, Hübl, Lindermayer.

Elisabeth Gruber

Thomas Kühtreiber

Dinge ordnen. Adeliges Haushalten in der Frühen Neuzeit am Beispiel der Herrschaft Windhag, Gemeinde Windhaag, Oberösterreich Abstract The paper examines how aristocratic practices of estab­ lishing and keeping order in the early modern period generated specific object associations, as well as pointing out the link qualities that can be identified and interpret­ ed in this context. As a case study, the Upper Austrian estate of Windhag under Joachim Enzmilner in the 17th century will be analysed with a focus on contemporary image and text sources. The establishment and acquisition of castle estates can be interpreted as an act of positioning in both the physical and the social sense. The actor participates in the social practice of exercising power by building castles and at the same time alters the object association of “territorial nobility” through his spatial and social intervention. The Methodische Vorbemerkungen Der hier vorliegende Beitrag geht der Frage nach, in­ wieweit die Forschungsperspektive Object Links auch auf die Analyse mittelalterlicher und frühneuzeitlicher Herrschaftspraktiken mit einem Mehrwert für die Ma­ terial Culture Studies anwendbar ist. Spätestens seit Otto Brunners Arbeit über die Hausökonomiken1 drehte sich die wirtschafts- und sozialgeschichtliche Forschung zur gesellschaftlichen Haus-Metaphorik der Vormoderne oftmalig um die Frage, inwieweit die stark konzeptio­ nellen Quellen der Hausökonomiken und verwandter Quellen mit der tatsächlichen Praxis in den jeweiligen Gütern und – überwiegend landadeligen – Haushalten in Relation standen.2 Mittlerweile kann man von einer Multivokalität der Forschungsansätze sprechen, in denen

same applies to the rearrangement of central elements of the physical structure of the estate: To Joachim Enzmilner, some properties of the physical and social topography of the Windhag estate afforded a reordering as a means of self-positioning, whereby the representation of this in text and image is to be regarded as part of the practices of order and not merely as a media representation. In the respective constellations of the people and objects con­ nected by the estate, specific aspects of these people and objects, which can be perceived as object links, become apparent. Through rearrangement, as well as through changed practices, these structures were embedded in new contexts of meaning. Object associations are thus both the product of social practices with objects as well as their starting point.

das Haus in historischer Hinsicht wie auch als terminus technicus sowohl für das physische Gebäude oder Bau­ ensemble als funktionale Einheit für Wohnen und Arbei­ ten unter einem Dach, für gesellschaftliche Gruppen im Sinne von Haushaltsgemeinschaften als auch für soziale Konzepte bis hin zu rechtlichen Normen stehen kann.3 Was die jüngeren Ansätze in vielen Fällen eint, ist die praxeologische Perspektive:4 Es ist das gemeinsame Han­ deln und Kommunizieren von Personengruppen unter einem Dach, wobei auch hier das Dach nicht nur physisch, sondern auch symbolisch zu verstehen ist: Damit öffnet sich das ‚Haus‘-Konzept hin zum Haushalten, das auch Tätigkeiten außer Haus 5 sowie Personen inkludiert, die nur zeitweise anwesend sind (wie Gäste) oder mit dem Haushalt ein gemeinschaftliches Netzwerk bilden (wie beispielsweise Nachbarinnen und Nachbarn). Was

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 runner 1949. B Hahn 2015 (mit weiterführender Literatur). Schmidt-Voges 2015. Zur praxeologischen Perspektive in den Kulturwissenschaften u.a. Schatzki et al. 2001; Schäfer 2016; siehe auch die Einführung im Beitrag von Sarah Pichlkastner in diesem Band mit weiterführender Literatur. 5 Schmidt-Voges 2015, 6.

 Die mit einem blauen Pfeil markierten Begriffe sind im Beitrag „Begriffsforum“ in diesem Band vertreten, samt einer im Rahmen der Object Links entwickelten Diskussion und Verweisen, wo der jeweilige Begriff im Buch noch verwendet wird.

Dinge ordnen

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dennoch bleibt, ist die Dichotomie zwischen Norm und sozialer Praxis, wobei die Hausökonomiken als litera­ rische Gattung im Sinne der „Theorie der Praxis“ 6 mit guten Gründen der normativen Seite zugeordnet werden. Der folgende Beitrag möchte diese Polarität aus Sicht eines praxisorientierten Ansatzes aufbrechen, indem hier nicht das Haus, sondern das Haushalten im Fokus steht: Haushalten umfasst nach Mary C. Beaudry „construction of identity, strategies of survival, maintenance of family and cultural traditions and foodways, and dwelling as place making“.7 Die Praktiken reichen somit von Subsistenz – der Erfüllung primärer Lebensbedürfnisse – bis hin zur Schaffung und Pflege von soziokulturellen Systemen auf Mikro- und Makroebene. Damit ist Haushalten ein pra­ xeologisches Konzept, das einerseits viel Offenheit und Flexibilität in der Anwendung für historische Phänomene bietet, aber dadurch auch die Gefahr der Beliebigkeit besitzt. Im Folgenden soll dieser Zugang daher auf ei­ nen – nach Ansicht des Autors – nicht unwesentlichen Aspekt des Haushaltens auf mehreren Ebenen untersucht werden – nämlich jenem des ‚Ordnung Schaffens‘ und ‚Ordnung Haltens‘. Dass Ordnung und Haushalt in einem ursächlichen Zusammenhang stehen, wird bereits durch Xenophon in dessen Werk Oikonomia Aristoteles in den Mund gelegt: „Es gibt nichts, was dem Menschen so nützlich und schön wäre, als Ordnung“ 8. Nur wenn die Dinge am richtigen Platz sind, kann ein Haushalt im göttlichen Sinne geführt werden. ‚Die Ordnung der Dinge‘ wird so­ mit zum einen über weltanschaulich geprägte Konzepte angeleitet, hat aber zum anderen die ‚Nützlichkeit‘ und ‚Schönheit‘ gleichermaßen im Fokus: Praxis und Theo­ rie bilden ein Ganzes. Das ‚Ordnen der Dinge‘ zielt auf Stabilität ab, die durch soziale  Praktiken permanent herausgefordert wird: Ordnungen versuchen normative Strukturen in das Denken, Kommunizieren und Han­ deln von Einzelpersonen wie ganzer Gruppen zu brin­ gen. Insofern repräsentieren Strukturen Konzepte der Stabilisierung durch Homogenisierung und bilden damit in idealisierter Form Akkulturierungsprozesse ab. Das Schaffen von Strukturen ist hingegen ein dynamischer Akt und kann im Sinne des ‚Ordnens der Dinge‘ soziale Praxis sein. Wenn soziale Praktiken nach Schatzki sowohl routinisierte Handlungen („Doing“) also auch intentio­ nale Handlungen („Saying“) beinhalten, so gilt es, bei der 6 7 8 9

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Untersuchung von Ordnung schaffenden Praktiken beide Aspekte zu berücksichtigen.9 Im Sinne der Intentionalität des ‚Dinge Ordnens‘ ist daher den Eigenschaften der angestrebten Strukturen ein besonderes Augenmerk zu schenken: Zum Zweck der Schaffung oder Aufrechterhaltung der sozialen Ordnung, die durch das Ordnen von Dingen erreicht werden soll, werden Strukturen, seien sie physischer oder sozialer Natur, von den Akteurinnen und Akteuren handlungsan­ leitende Potenziale zugewiesen. Die spezifische räumliche wie soziale Anordnung der Dinge soll die Handlungen der mit dem Haushalt verbundenen Personen lenken, anders formuliert: Jene, die Ordnung herstellen, messen dem Aggregat der Dinge eine spezifische  Affordanz zu. Ziel des geordneten Haushalts ist es, standardisierte Haltungen und Handlungsabläufe zu erreichen und über diese Routinisierung soziale Kontrolle auszuüben. Die historische Erfahrung lehrt uns aber, dass ‚Kultur‘ keines­ wegs das Ergebnis obrigkeitlicher Normierungsversuche ist, sondern dass kulturelle Standardisierungen einem per­ manenten Ausverhandlungsprozess unterliegen, in den Ordnungen einmal mit mehr, ein anderes Mal mit weniger Erfolg eingreifen. Allerdings besitzen materielle Struktu­ ren eine gewisse Persistenz. Ihre ‚Gegen-Ständlich­keit‘ zwingt nachfolgende Personengruppen, sich mit ihr in Relation zu setzen, neue Haltungen und Praktiken führen somit zu Neu-Ordnungen und Um-Strukturierungen. In diesem Sinne ist Haushalten sowohl als Konzept als auch als soziale Praxis ein ideales Untersuchungsgebiet für kulturelle Wechselwirkungsprozesse, in denen Ob­ ject Links, d.h. die Beziehungen von Menschen und Dingen, aber auch von Dingen untereinander, untersucht werden können. Diese Beziehungen zwischen Menschen und Dingen werden im konkreten Fall durch die soziale Praxis des ‚Haushaltens‘ zu einem dynamischen Ganzen: Das Haushalten kann dementsprechend als Prozess der  Objektvergesellschaftung verstanden werden, wobei alle Teile dieser  Objektgesellschaft permanent aufei­ nander einwirken. Der hier skizzierte Ansatz wird im Folgenden auf den adeligen Haushalt der Herrschaft Windhag (Gemeinde Windhaag bei Perg, Bezirk Perg, Oberösterreich) ange­ wandt. Als Kernzeitraum der Untersuchung werden die Jahre 1639 bis 1700 herangezogen, in dem die Grundherr­ schaft im Besitz der Familie Enzmilner war. Dabei wird

 chmidt-Voges 2015, 14 und Anm. 39. S Beaudry 2015, 12. Xenophon 1828, 1090; Kühtreiber 2014, 39. Schatzki 2002, 94f.

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das Augenmerk auf drei konkrete Ordnungspraktiken ge­ legt: Homemaking im Sinne der räumlichen und sozialen  Positionierung, Orte schaffen und Grenzen ziehen so­ wie Neuordnung und Persistenz. In Rückblenden werden in Bezug auf diese drei Aspekte auch frühere Herrschafts­ verhältnisse unter anderen Inhaberinnen und Inhabern vergleichend berücksichtigt und das jeweils Zeitspezifi­ sche gegenüber dem Individuellen der Enzmilner’schen Ordnungspraktiken komparativ herausgearbeitet. Die Hauptquelle dazu bietet die Topographia Windhagiana (aucta), die in zwei voneinander abweichenden Auflagen 1656 und 1673 im Druck erschien. Nur eingeschränkt stehen, wie noch auszuführen sein wird, materielle Über­ reste mit Ausnahme der örtlichen Landschaftstopografie, einzelner Reste des baulichen Ensembles sowie ehemali­ ger Ausstattungselemente desselben zur Verfügung. Homemaking als soziale Praxis des Sich-Ein-Ordnens Im Jahr 1636 wurde die Herrschaft Windhag ohne die Äm­ ter Zell und Weißenbach vom damaligen Besitzer Georg Schütter von Klingenberg an Joachim Enzmilner von und zu Kirchberg verkauft.10 Joachim Enzmilner (1600–1678) war ein sozialer Aufsteiger bürgerlicher Herkunft – ein soziales Phänomen, das seit dem Spätmittelalter im fürst­ lichen Hofdienst beobachtet werden kann.11 Er stammte aus Babenhausen an der Günz in Bayerisch Schwaben, wo sein Vater Mag. Jodok Enzmilner als lateinischer Schulmeister wirkte. Joachim studierte von 1615 bis 1620 Philosophie in Dillingen und danach bis 1624 Rechte in Ingolstadt. 1625 bzw. 1626 erwarb er für beide Studien den Doktorgrad in Wien12 und wirkte bereits 1624 /25 als Sekretär der Kammer der oberösterreichischen Stände in Linz, von 1626 bis 1637 als deren Syndikus und Advokat. Für seine 1626 im Auftrag der Stände verfasste Arbeit über den Bauernaufstand desselben Jahres wurde Enzmilner 1627 zum kaiserlichen Rat ernannt. Seine juristische Ex­ pertise bei der Ablösung der bayerischen Pfandherrschaf­ ten in Oberösterreich hatte zur Folge, dass er 1630 von Kaiser Ferdinand II. in den Reichs- und Erbländischen Adelsstand erhoben wurde.13 Bereits 1627 hatte er Maria,

die Tochter des kaiserlichen Kammersekretärs Christoph Kirchstettner, geheiratet, was Enzmilner die Tür zu den Netzwerken im Erzherzogtum Österreich unter der Enns (Niederösterreich) öffnete. So wurde er 1632 juristischer Berater der Reformations-Kommission in Niederöster­ reich sowie Mitglied der Kommission zur Durchführung der Gegenreformation. 1636 berief ihn Kaiser Ferdinand II. als Rat und Regenten des Landes Niederösterreich und als Mitglied des kaiserlichen Regierungsrates. Beide Ämter im Dienste der Habsburger übte er bis zu seinem Tod 1678 aus.14 Im selben Jahr (1636) erwarb Joachim Enzmilner von Georg Schütter von Klingenberg die mit Schulden be­ lastete Herrschaft Windhag um die beachtliche Summe von 50.000 Gulden. Die Belehnung mit derselben erfolgte 1638. Bereits 1642 wurde diese in freies Eigen (Allod) um­ gewandelt und damit die Lehensbindung gelöst.15 Die Beweggründe Enzmilners, Burg und Herrschaft Windhag zu erwerben, lassen sich nicht direkt aus den Quellen erschließen. Ein Motiv mag die Nähe zur Stadt Linz gewesen sein, da er dort bis 1637 für die Oberösterrei­ chischen Stände tätig war und auch ein Haus am Haupt­ platz besaß. Allerdings zeichnete sich seit der Berufung Enzmilners in die Reformations-Kommission in Nieder­ österreich ab, dass sein zukünftiges Wirken sich mehr nach Wien und Niederösterreich verlagern würde. Ein anderer Grund für den Erwerb mag die Tatsache gewe­ sen sein, dass die Herrschaft Windhag trotz ihrer hohen Schuldenlast über eine ‚komplette Ausstattung‘ mit zwei Burgen respektive Schlössern (Windhag und Pragtal), Märkten, Pfarren und dem einzigen Landgericht im heu­ tigen Unteren Mühlviertel abgesehen von Freistadt und Perg verfügte, wie aus dem Übergabeurbar von 1636 er­ sichtlich ist.16 Mit dem Erwerb dieser großen Herrschaft konnte sich Joachim Enzmilner vor allem aber auch sozial  positionieren, war dies doch die Voraussetzung, um zum landsässigen Adel gerechnet werden zu können. In Niederösterreich war ihm dies bereits gelungen, da er 1629 Schloss und Herrschaft Kirchberg an der Wild erworben hatte und im Zuge der Neuverleihung des väterlichen bürgerlichen Wappens 1630 durch Kaiser Ferdinand II. nicht nur in den Ritterstand und zum „Comes Palatinus“

10 G  rüll 1937, Anm. 141. 11 Vgl. Schulz 2002. 12 Biografische Literatur zur Person Joachim Enzmilners respektive zu Joachim Graf von Windhag (in Auswahl): Hitzinger 1872; Grüll 1937; Oppeker 1970a; Oppeker 1994; Oppeker 2000; Oppeker 2004a. 13 Oppeker 2000, 4 und Anm. 23–24. 14 Hitzinger 1872, 10f.; Grüll 1937, 218f. 15 Grüll 1937, 219 und 233; Valenta 2004, 22. 16 Grüll 1937, 225–230.

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erhoben worden war, sondern auch das Attribut „von und zu Kirchberg“ führen durfte.17 Mit der Erhebung von Jo­ achim Enzmilner in den Reichsfreiherrenstand 1651 wur­ de sein Prädikat bezeichnenderweise auf „Wohlgeborener Freiherr von Windhaag, Herr auf Pragtal und Saxen­ egg“ unter Weglassung seines Familiennamens Enzmil­ ner, vor allem aber auch unter Weglassung des Attributs „von Kirchberg“ geändert. Die Grundlage dafür bildete die Lehensbefreiung der Herrschaft Windhag 1642, eine mögliche Konsequenz dessen war wohl der Verkauf des Schlossgutes Kirchberg 1653.18 Die Positionierungsstrategien Joachim Enzmilners zwischen 1629 und 1636 haben somit eine räumliche und eine soziale Komponente: Zum einen lässt sich mit dem Erwerb der ersten Herrschaften Kirchberg an der Wild und Windhag seine berufliche Orientierung in den bei­ den Erzherzogtümern Österreich unter und ob der Enns erkennen. Damit gehen aber gleichzeitig auch seine Be­ mühungen einher, seinen sozialen Aufstieg in die öster­ reichische Aristokratie nicht nur durch seine Dienste für die Landstände und am kaiserlichen Hof, sondern auch durch den Erwerb von Burgherrschaften zu legitimieren. Bemerkenswert ist in diesem Zusammenhang, dass der jeweilige rechtliche Status der Herrschaft und die Nobili­ tierungsschritte Enzmilners korrespondieren: Der Erwerb der relativ kleinen Schlossherrschaft Kirchberg steht zeit­ lich knapp vor der Ernennung zum Ritter, der Erwerb der Herrschaft Windhag und deren Lösung aus der landes­ fürstlichen Lehenschaft war die Voraussetzung für die Erhebung zum Freiherren. Burg-/Schlossbesitz, recht­ liche Position und gesellschaftliche Wahrnehmung der Person bildeten somit ein Amalgam, sodass die räumliche und die soziale Positionierung letztendlich zwei Seiten einer Medaille bilden: Die Ein-Ordnung Joachim Enz­ milners im sozialen Raum Österreichs im 17. Jahrhundert. Rückblende 1: Homemaking 1290 Die Übernahme und Gründung eines Haushalts, wie sie der Herrschaftserwerb Joachim Enzmilners 1636

letztendlich darstellt, kann auch auf einer abstrakteren anthro­ pologischen Betrachtungsebene als Versuch ge­ sehen werden, seinen Platz in der ‚Welt‘ zu finden und zu schaffen – ein Prozess, den Tim Ingold als „to make oneself at home in the world“ beschrieben hat.19 Dieser Prozess kann sowohl im ökonomischen Sinne als Schaf­ fung einer Lebensgrundlage als auch im sozialen Sinne als Eingliederung in die menschliche Gesellschaft verstanden und analysiert werden. Bemerkenswerterweise lässt sich am Beispiel der Herrschaft Windhag diese Strategie des adeligen homemaking noch zwei Mal belegen: Die erste urkundlich fassbare Familie, die Burg und Herrschaft besaß, waren die „Freitel von Frühstorf“, die unter dem Leitnamen „Freitel“ /„Frietel“ seit dem 11. Jahrhundert im oberösterreichischen Machland urkundlich fassbar sind und mit der Herkunftsbezeichnung „von Friedhalms­ dorf“ (heute Frühstorf bei Arbing, ca. sieben Kilometer südöstlich von Windhaag bei Perg) seit dem frühen 13.  Jahrhundert regional verortet werden können.20 1290 sind in einer Urkunde Ulrichs II. von Kapellen unter den Zeugen Freitel und Heinrich de Winthag vertreten, womit zum ersten Mal Vertreter dieses Niederadelsgeschlechts vor Ort fassbar werden.21 In der zweiten Hälfte des 13.  Jahrhunderts dürfte nach bauhistorischer Einschät­ zung auch die Burg Windhag errichtet worden sein.22 Da aber in und um Frühsdorf bislang kein befestigter Sitz der Freitel nachgewiesen werden konnte, war Windhag möglicherweise die erste Burg im Besitz der Familie. Es ist nicht auszuschließen, dass die Freitel von Frühstorf in den Besitz einer älteren Herrschaft gelangt sind, in deren Bereich sie ihre Burg errichteten, da es auf dem nördlich der heutigen Burgruine gelegenen „Hausberg“ Hinweise auf eine mögliche Vorgängeranlage gibt.23 Be­ zeichnenderweise wird aber Freitel (II.) von Windhag ab 1298 in zumindest drei Urkunden mit dem Prädikat „Herr“ im Sinne eines Angehörigen des Ritterstandes ausgezeichnet.24 Da diese Zuschreibung keinem anderen Frühstorfer zuvor in den überlieferten Urkunden zuteil wurde, erscheint es wahrscheinlich, dass der Burgbesitz für zumindest ein Familienmitglied mit sozialem Auf­

17 Grüll 1937, 218. 18 Mayböck 2018, 3. 19 Ingold 2000, 172. 20 Siebmacher 1903, 550; Grüll 1937, 191f. 21 UBOE 4, 126, Nr. 132; Pötscher, Mayböck 2012, 32. 22 Zur Baugeschichte der Burg Windhaag Kühtreiber 2012a, 20. 23 Freundlicher Hinweis von Leopold Mayböck, Lina bei Schwertberg; siehe Kühtreiber 2012a, 17f.; Pötscher, Mayböck 2012, 32. 24 UBOE 4, 289, Nr. 311 (1298 November 25), 395, Nr. 426 (1301 Juni 15), 461, Nr. 498 (1304 Juni 15). Ausstellungsorte der Urkunden sind die Klöster Baumgartenberg und St. Florian, beide Oberösterreich und in Tagesdistanz von Windhaag, was die Reichweite des Freitel von Windhaag und jene seiner Wahrnehmung als „Herr“ indiziert. Für die Zusammenstellung der Urkundenbelege sei Leopold Mayböck herzlich gedankt.

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stieg oder wenigstens mit höherer sozialer Fremdwahr­ nehmung verbunden war 25 (Abb. 1). Die relativ späte Burgengründung der Frühstorfer in Windhag kann als Intervention in eine vorhandene, aber vergleichsweise offene  Objektgesellschaft inter­ pretiert werden: Die soziale Praxis der Herrschaftsbil­ dung und -ausübung ist gerade im Hochmittelalter eng mit Burgen­bau verknüpft: Burgen und ihre bewaffnete Besatzung waren nicht nur Mittel der Herrschaftsgewalt im engeren wie im politisch-symbolischen Sinne, son­ dern das vor­moderne Denken sah die herrschaftlichen Rechte mit dem materialisierten Sitz der Herrschaft als verbunden an.26 Da zur herrschaftlichen Durchdringung des Raumes somit der Bau und Unterhalt von Burgen mit ihren Zuge­ hörungen (Pertinenzien) ein zentrales Handlungsmuster darstellt, kann Herrschaftsausübung durch Burgen als  Objektvergesellschaftung verstanden werden: Die menschlichen Akteurinnen und Akteure schaffen mit den Burgen Knotenpunkte herrschaftlicher Praktiken, die Burgen und die mit ihnen verbundenen Strukturen erweisen sich in weiterer Folge handlungs­ anleitend für  Praktiken, die mit Herrschaftsausübung über „Land und Leute“ verbunden sind – Menschen, Objekte und Praktiken bilden somit ein dynamisches, aber auf Stabilität und Ordnung abzielendes Gefüge, womit die menschlichen Akteurinnen und Akteure Teil dieser  Objektgesellschaften werden. Im späten 13. Jahrhundert war die Gründung einer neuen Burgherrschaft im Unteren Mühlviertel eher die Ausnahme, da der Kolonisationsvorgang in diesem Mit­ telgebirgsraum abgesehen von einzelnen Waldgebieten an der Grenze zum Königreich Böhmen bis zur Mitte des 13. Jahrhunderts als weitgehend abgeschlossen gesehen werden kann. Insbesondere die donaunahe Region dürfte durch ihre Nähe zum Altsiedelland – jenen klimatisch und bodenmäßig günstigen Lagen, die seit der Jungstein­ zeit landwirtschaftlich genutzt werden – vergleichsweise früh siedlungs- und herrschaftsmäßig durchdrungen ge­ wesen sein.27 Möglicherweise ist die Standortwahl für die Burg Ausdruck dieser späten räumlichen Einordnung:

Abb. 1: Verteilung der lokalisierbaren Adelssitze im Unteren Mühlviertel (Bezirke Freistadt und Perg, Oberösterreich) zwischen 1250 und 1300 auf Basis historischer, bauhistorischer und archäologischer Daten. Roter Punkt: Burg Windhag.

Die Lage auf einem wenig prominenten Höhenrücken in einer Grabenlage ermöglichte keine visuelle Inszenierung auf Fernsicht. Allerdings könnte die Lage an einem re­ gionalen, Ost-West verlaufenden Altweg von Altenburg bzw. Münzbach als Zuwegung zum Höhenweg, der das Naarntal an dessen östlicher Seite von Perg nach Norden begleitet, ein Aspekt bei der Bauplatzwahl gewesen sein.28 Eine neue Burgherrschaft im fortgeschrittenen 13. Jahr­­ hundert war somit auch ein besonderer Positionierungs­ vorgang, der nur durch Billigung und Unter­stützung der Lehensherren – vermutlich der Herren von Kapellen  – und in sensibler Abstimmung mit den benachbarten Adelsfamilien möglich gewesen sein kann. Der Bau der Burg Windhag durch die Frühstorfer ist somit wohl ein frühes Beispiel sozialer  Positionierung: Durch das sich ‚Ein-Ordnen‘ in konkrete räumliche Herrschaftsnetzwerke

25 Vgl. zur wechselnden Wahrnehmung und „Auszeichnung“ Birngruber et al. 2012, 22 und Anm. 47; zur wechselnden Auszeichnung nieder­ adeliger kuenringischer Vasallen in der Wachau, Niederösterreich, Gneiß 2018, 226, 229, 232 und 243. 26 Kühtreiber 2009, 56. 27 Zur herrschaftlichen Durchdringung der Region im Überblick: Birngruber et al. 2012. Eine monografische Gesamtbetrachtung durch das Autorenkollektiv des Forschungsprojekts „Adel, Burg und Herrschaft im Unteren Mühlviertel 1000–1400“ erscheint voraussichtlich 2020 in den „Studien zur Kulturgeschichte von Oberösterreich“. 28 Im Stich Abriß des Uhralten Schlosses und Veste Windhag wie es vor des jetzigen Herrn Inhabers als vor c. Anno 1636 gewest in der Topo­ graphia Windhagiana aucta, der die bauliche und topografische Situation vor 1636 wiedergeben soll, wird eine Engstelle des Altweges unmittelbar westlich/oberhalb der Burg in der Legende wie folgt beschrieben: Weg zwischen felsen und thal, der oben mit laden eingefangen war als eng da kein Wagen dem andern weichen könne (TWA 1673, Stich B).

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mit einer neuen Burg änderte sich nicht nur das räumliche Herrschaftsgefüge, sondern auch die soziale  Konstella­ tion: Erst die Errichtung der Burg und die Anerkennung der Herrschaft durch die regionalen grundherrschaftli­ chen Institutionen und ihrer Besitzer/-innen – sowohl geistlich als auch adelig – schuf die Voraussetzung, dass die Freitel von Windhag nun als „Herren“ im regionalen Kontext anerkannt wurden. Wesentlich für das Verständ­ nis der Konstellationen im physischen wie sozialen Raum ist die  Skalierung auf die Makroebene des Unteren Mühlviertels sowie des angrenzenden Donauraumes: Die Zeugenlisten in den Urkunden adeliger und geistlicher Personen und Institutionen zeichnen diese Region als verdichteten Handlungsraum vor allem des Niederen Adels respektive der Vasallen des Höheren Adels aus, die als personelle  Netzwerke nachgezeichnet werden könnten.29 Die Adelssitze des Raumes präsentieren sich auf dieser Skalierungsebene als Objekte dieser offenen  Objektgesellschaft, die über die soziale Praxis der Herrschaftsausübung – und zwar unabhängig von der Frage, ob dies kooperativ oder in Konkurrenz durch die Akteurinnen und Akteure erfolgt – miteinander verbun­ den sind. Rückblende 2: Homemaking 1485 1485 belehnte Kaiser Friedrich  III. „meinen Diener und Kämmerer“ Laßla (Ladislaus) Prager mit Burg und Herr­ schaft Windhag. Dieser hatte seit 1484, damals Pfleger der landesfürstlichen Stadt Enns, durch Heirat der einzigen Tochter des Vorbesitzers Hans Tanpeck Erbanrecht auf Windhag.30 Laßla von Prag (1455–1514) war ein reicher Karrierist, der in friderizianischen Hof- und Kriegsdiens­ ten einen rasanten wirtschaftlichen und sozialen Aufstieg schaffte und unter anderem die Erbmarschallwürde im Herzogtum Kärnten erlangte. Mit dem Erwerb der Herr­ schaft Windhag 1485 gelang es ihm, in Hofnähe Fuß zu fassen, da Linz während der Kriege Friedrichs III. gegen Matthias Corvinus nach Aufgabe von Wien von 1484 bis 1485 und nochmals von 1489 bis 1493 Residenzstadt war.31 Bereits 1486, ein Jahr nach dem Erwerb von Windhag, wurde Prager in Aachen zum Ritter geschlagen. Ab 1490 gelang es ihm mit der Übernahme der Pfandherrschaft

Mauthausen eine weitere, durch die Donaumaut sehr ein­ trägliche Einnahmequelle in seine Hand zu bekommen, die in weiterer Folge den Startpunkt zu umfangreichen Besitzerwerbungen zur Erweiterung und Arrondierung der bisherigen Kleinherrschaft Windhag bildete. 1491 wurde die Herrschaft und mit ihr Laßla Prager mit ei­ nem vom bisherigen Gerichtssprengel Machland mit Sitz in Perg/Mitterberg exempten Landgericht privilegiert, zu dem auch der Markt Münzbach gehörte. Durch den Erwerb der Patronatsrechte der nah gelegenen Pfarr­ kirche von Altenburg 1492 verfügte Prager auch über einen geistlichen Mittelpunkt in seiner Herrschaft, in dem 1512 die Familiengruft als dynastische Grablege und Memorial­stätte geschaffen wurde. Um 1500 wurde er von Kaiser Maximilian  I. mit der benachbarten Pfandherr­ schaft Klingenberg, weiters mit Freistadt und dem Markt Münzbach belehnt und wenig später in den Freiherren­ stand mit dem Prädikat „Laßla von Prag, Freiherr zu Windhag“ erhoben.32 Die Stellung als Freiherr findet in der Auszeichnung der Herrschaft Windhag als „freies Eigen“ im Herrschaftsurbar von 1508 seinen Ausdruck.33 Laßla Pragers Bemühungen um die Herrschaft Wind­ hag sind somit ein drittes eindrückliches Beispiel für die sozialen  Praktiken der  Positionierung durch den Erwerb von Burgen, die sowohl den Status neuer Besitzerinnen und Besitzer als auch letztendlich den Status der Herrschaft selbst veränderten. Die Object Links werden einerseits innerhalb der jeweiligen Familien konstituiert, sie finden aber auch in ihren  Konstella­ tionen mit den Nachbarherrschaften, in der Nähe/Ferne zum Hof und letztlich auch in der Historisierung der mit den Burgen und ihren Herrschaften verbundenen Narrativen ihren Ausdruck: Auch wenn die Herrschaft im Kontext der gegenreformatorischen Maßnahmen im frühen 17. Jahrhundert nochmals in ein landesfürstliches Lehen umgewandelt werden sollte, wurden durch Laßla Pragers Aufwertungen der Herrschaft Windhag jene Voraussetzungen geschaffen, auf denen ein gutes Jahr­ hundert später Joachim Enzmilner aufbaute und auf die er sich in seinen Schriften – unter Auslassung der an­ deren, protestantischen Besitzer zwischen Laßla Prager und ihm – auch berief.34 Im Zuge der Aufnahme Enz­ milners in die Matrikel der neuen Rittergeschlechter in

29 Birngruber et al. 2012, 15–22. 30 Grüll 1937, 197; Pötscher, Mayböck 2012, 40f. 31 Mayrhofer, Katzinger 1990, 60. 32 Grüll 1937, 199–202; Pötscher, Mayböck 2012, 40–42. 33 Grüll 1937, 200. 34 So wurde im Verkaufsinventar von 1636 ausdrücklich ausgeführt, dass die Gebäude „außerhalb des Grabens“, das heißt in der Vorburg, von Laßla Prager und seiner Witwe auf freieigenem Grund erbaut worden waren: Grüll 1937, 226.

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Österreich unter der Enns 1640 erfolgte auch eine – wohl von Enzmilner initiierte – Wappenbesserung, bei der das Prager’sche Wappen als Herzschild in das Wappen Joa­ chim Enzmilners eingefügt wurde.35 Ordnungspraktiken: Orte schaffen – Grenzen ziehen Wie eingangs ausgeführt, beginnt die Haushalts­ forschung das Haus zu verlassen: Haushalten wird als Praxis verstanden, deren gemeinsamen ideologischen wie praktischen Mittelpunkt das „Haus“ als physische wie so­ ziale Einheit bildet. Damit schließen auf das Haushalten bezogene Ordnungspraktiken als holistisches Konzept sowohl das Hausinnere als auch die mit dem „Haus“ ver­ bundenen Außenbereiche mit ein, in anderen Worten: „Humans need to create order and meaning in a seem­ ingly chaotic world by transforming randomness into patterns of assumed stability“.36 Damit verschwimmen freilich die Grenzen zwischen zwei bislang komplemen­ tären Konzepten und Teildisziplinen: jener des „Hauses“ respektive der Hausforschung und jener der „Landschaft“ respektive der historischen Landschaftsforschung.37 In beiden Fällen dienen die menschlichen Interventionen im physischen Raum dazu, nach den Kriterien von Kohärenz (Organisation in wenige größere Einheiten), Komplexi­ tätsreduktion und Lesbarkeit (Besetzung des Raumes mit codierten Elementen) Ordnung zu schaffen.38 Die Totali­ tät dieses Raumkonzepts kann letztendlich nur durch das Platzieren von Dingen oder Schaffen von Orten, die kom­ munikativ durch sinngebende Erzählungen miteinander verbunden sind, erreicht werden.39 Ob nun von „Ort“ oder „Ding“ gesprochen werden kann, ist, wie im vorherigen Kapitel ausgeführt, sowohl eine Frage der  Skalierung als auch der wissenschaftlichen Perspektive: Eine Burg wird als Teil des sozialen Raums des Erzherzogtums Öster­reich ob der Enns zum Ort, aus Sicht der Objektge­ sellschaft „Herrschaft“ zum Ding. Großmaßstäbig in der Einzelbetrachtung oszilliert die Burg ebenso zwischen dem bebauten Raum, der nach innen und außen mit platzierten Dingen und den mit und in ihr handelnden Menschen konnotativ aufgeladen ist und als Einheit eines

sozialen Raumes aufgefasst werden kann, und einem Objekt als Teil der  Objektgesellschaft der konkreten Einzelherrschaft. Sowohl Haushalt als auch Landschaft sind als Konzepte somit von der Dialektik zwischen „Ort“ und Raum bzw. „Ding“ und Objektgesellschaft, beide verbunden und abgegrenzt durch den Übergang und die Grenze, gekennzeichnet.40 In der Beschreibung und Analyse von Haushalten wie auch Landschaften muss sich die Wissenschaft daher, je nach Quellenlage, sowohl dem Realraum als physischer als auch dem Anschauungsraum als sozial konnotierter Entität nähern.41  Objektgesellschaften werden zwar durch konkrete soziale Praktiken im Realraum geschaffen, ihre Bedeutung ist aber im Anschauungsraum abgebildet, wobei natürlich diese Konnotationen wiederum hand­ lungsanleitend für die Praktiken sind. Auf dieser Grund­ lage ist es möglich, Object Links auch in textlichen und bildlichen Repräsentationen von adeligen Haushalten zu beschreiben, die, wie im Fall der Herrschaft Windhag un­ ter Joachim Enzmilner, physisch ansonsten kaum Spuren hinterlassen haben. Blicken wir auf den Zeitraum, in dem Joachim Enz­ milner Inhaber der Herrschaft Windhag war (von 1636 bis zum seinem Tod 1678), so bieten sich quellenmäßig drei Zeitschnitte an: • Der Herrschaftserwerb 1636 und das damit verbunde­ ne Verkaufsurbar • Das von Joachim Enzmilner beauftragte Druckwerk Topographia Windhagiana von 1656 • Die erweiterte und überarbeitete Zweitauflage Topo­ graphia Windhagiana aucta von 1673 1636 – ‚Dinge ordnen‘ als Akt der Rechtssicherheit Das Urbar von 1636 wurde im Kontext der Besitzüber­ gabe von Georg Schütter von Klingenberg an Joachim Enzmilner verfasst und befand sich in weiterer Folge im Herrschaftsarchiv von Windhag.42 Das Dokument ist in drei Teile gegliedert: Einer Beschreibung von Schloss und Herrschaft folgen Anweisungen für die Herrschafts­ beamten bezüglich der Einbringung von Diensten und Abgaben, zuletzt kommt das eigentliche Urbar.

35 Valenta 2004, 90. 36 Bargatzky 1994, 9. 37 Kühtreiber 2014, 39–41. 38 Hellbrück, Fischer 1999, 257f. 39 Löw 2001, 199; Löw et al. 2008, 65. 40 Vgl. dazu aus landschaftsarchäologischer Perspektive Gramsch 2003, 49. 41 Doneus 2013, 39–46. 42 Eine Abschrift befand sich nach Georg Grüll im Herrschaftsarchiv Seisenberg, Niederösterreich: Grüll 1937, 225.

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von/nach Münzbach „Außerhalb des Grabens“ Rossstall Getreidekasten

von/nach Rechberg Oberer Torturm

Burg von/nach Perg Schlosskapelle

keine Zielangabe

Meierhof u.a. Ökonomiegebäude

Schloss Pragtal, Ziegelstadel, Meierhof

Hofgarten „Im Unteren Hof“

Abb. 2: Organigramm43 der Herrschaft Windhag auf Basis des Verkaufsurbars von 1636. Rot: Die Burg als ideelles Zentrum der Herrschaft. Braun: das Vorburgareal. Hellgrün: Die ökonomisch genutzten Außenbereiche der Herrschaft. Blau: Das assoziierte Schlossgut Pragtal. Pfeile: Kommunikationsstrukturen in und um das Schlossgut Windhag.

Die Beschreibung der Herrschaft folgt dabei zwei wesentlichen Ordnungsprinzipien: von innen nach außen sowie von den physischen Objekten zu den immateriellen Zugehörungen, wie Rechten, die mit Einnahmen ver­ bunden sind (Tab. 1 im Anhang und Abb. 2). Den Aus­ gangspunkt der Beschreibung und somit das ideelle wie praktische Zentrum der Herrschaft Windhag bildet das Schloss, das „soweit der Dachtropfen fällt“ landesfürstli­ ches Lehen war. An dieses schließt der Vorburgbereich

(„außerhalb des Grabens“) als freies Eigen mit der 1524 errichteten Burgkapelle44, Ökonomiebauten sowie im „Unteren Hof“ Meierhof, Taverne und Hofgarten an. Ein „Oberer Torturm“ dürfte als vorgeschobene Befesti­ gung zur Sicherung der Außenanlagen gedient haben.45 Daran schließen als periphere Zugehörungen „alte“ und „neue“ Felder und Wiesen für die adelige Eigenwirtschaft an. Mit der Herrschaft Windhag ist das seit 1564 von Andreas Prager errichtete Schlossgut Pragtal als freies

43 Als Organigramm werden diese und nachfolgende Grafiken deshalb bezeichnet, da sie die auf Kommunikationsbeziehungen beruhende Organisation der baulichen Elemente des Schlossgutes Windhag visualisiert. Die Orientierung an der Topographie dient als Beleg, dass diese  affordante Merkmale zur Organisation derselben für Joachim Enzmilner besaß und diese auch Berücksichtigung fanden. 44 Eine Stiftung der Witwe Laßla Pragers, Anna: Grüll 1937, 203. 45 Vergleichbare Türme als vorgeschobene Befestigungen finden sich in der Region bei den Burgen Clam, Mitterberg und auf Prandegg: Kühtreiber, Wagener 2009, 136 und 143.

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Eigen verbunden, von dem explizit die Ziegelproduktion („Ziegelstadel“) und der Meierhof als Zugehörungen genannt werden.46 Den Übergang von den physischen zu den immateriellen Pertinenzien stellen die Herrschaften Mitterberg und Saxenegg dar, die 1491 bzw. 1525 der Herrschaft Windhag angeschlossen wurden und 1636 materiell nur noch durch die Burgruinen repräsentiert sind.47 Den Abschluss bilden zur Herrschaft gehörende Wälder und Steinbrüche, das mit der Herrschaft Mitter­ berg 1491 verliehene Landgericht, die „kleine Salzmaut“, Fischerei- und Jagdrechte sowie Zehent- und Vogtei­ rechte in den Pfarren Münzbach, Altenburg, Pergkirchen und Rechberg 48 (Abb. 2). Die Intention der inventarhaften Beschreibung im Ver­ kaufsurbar lässt sich sowohl aus dem Erstellungskontext als auch textimmanent bestimmen: Es dient der Rechts­ sicherheit, indem Käufer/-innen und Verkäufer/-innen Übersicht über das Gut haben.49 Rechtssicherheit wird aber, wie oben in Auswahl angeführt, auch durch die ex­ plizite Nennung der Besitzqualität der einzelnen Güter, des Alters, etwaiger Vorbesitzer, von Bauherren und mit Einnahmen verbundenen Rechten angestrebt. Damit ist das Verkaufsurbar ein klassisches Rechtsdokument, das zunächst das Rechtsobjekt definiert, auf dessen Basis der Rechtsakt aufbaut. Die Gliederung in größere Einheiten, wie Burg, Vorburg, äußere Wirtschaftseinheiten sowie externe, aber angegliederte Herrschaften und Rechte er­ zeugt eine Mental Map, wobei insbesondere die zentralen Herrschaftseinheiten auch klare Grenzen besitzen: Burg und Vorburg sind durch einen Graben getrennt, Meierhof und Hofgarten im „Unteren Hof“ waren zumindest vom westlichen Vorgelände durch den „Oberen Torturm“ als Grenzmarke abgesetzt. Alle anderen Zugehörungen blei­ ben mehr oder weniger topografisch unbestimmt, auch ob sie innerhalb oder außerhalb des Landgerichts liegen, lässt sich nicht eindeutig bestimmen. Somit zerfällt die Beschreibung in ein klar bestimmbares Herrschafts­ zentrum der Burg Windhag mit ihren unmittelbaren Zugehörungen, die sowohl durch ihre räumliche Ver­ dichtung als auch durch ihre Abgrenzung vom Umland den Charakter eines  Ensembles aufweisen. Zu allen anderen Objekten bilden die herrschaftlichen Rechte

und die damit verbundenen Praktiken der Nutzung die Object links in einer offeneren  Objektgesellschaft mit Teilensembles, wie dem Schlossgut Pragtal. 1656 – ‚Dinge ordnen‘ als Akt der Selbstvergewisserung? 20 Jahre nach dem Erwerb der Herrschaft Windhag durch Joachim Enzmilner erschien bei Caspar Merian in Frankfurt am Main das Druckwerk Topographia Wind­ hagiana mit Texten und Stichen zu Schloss und Herr­ schaft Windhag. Der Autor Martin Zeiller war auch bei anderen Topographien aus dem Merian’schen Verlags­ haus tätig gewesen,50 womit bereits ein mögliches Vorbild bzw. möglicher Beweggrund für dieses ungewöhnliche Werk gegeben ist: Den nach Fürstentümern zusammen­ gefassten Druckwerken mit Stichen und Kurzbeschrei­ bungen einzelner Herrschaften durch Matthäus Merian und seine Nachfolger war ein großer Erfolg beschieden, waren diese doch zum einen durch, von besitzenden Herrschaftsfamilien finanzierte, Abschnitte sowie durch ihre breite Rezeption und dementsprechenden mehrfa­ chen Auflagen ein einträgliches Geschäft. So befanden sich in der 1654 erschienenen Topographia Provinciarum Austriacarum Anhänge mit detaillierteren Herrschaftsbe­ schreibungen, die den knappen Rahmen im Hauptteil des Buches sprengten und teilweise Widmungen aufweisen, die gesondert finanzierte Aufträge indizieren. Darunter befindet sich auch ein Abschnitt zur Herrschaft Wind­ hag, in dem von Clemens Beutler gestochene Ansichten enthalten sind, die zwei Jahre später in die Topographia Windhagiana Eingang fanden.51 Das Ungewöhnliche an der Topographia Windhagiana war die monografische Darstellung und Beschreibung einer Herrschaft, für die es um die Mitte des 17. Jahr­ hunderts wenig Vorbilder gab, zumindest keine, für die eine Vorbildwirkung für Joachim Enzmilner wahrschein­ lich gemacht werden kann.52 Um die Beweggründe Enzmilners annähernd nachvollziehen zu können, gilt es auch hier, die Entwicklung der Herrschaft und ihres Besitzers zu betrachten: Wie oben ausgeführt, wurde 1642 das landesfürstliche Lehen Windhag in ein freies Eigen

46 Grüll 1937, 227. 47 Grüll 1937, 227f. 48 Grüll 1937, 228–230. 49 Analoges gilt für die Nachlassinventare für die Rechtssicherheit bei Erbverfahren, vgl. den Beitrag von Ingrid Matschinegg in diesem Band. 50 Zu Martin Zeiller: Hassinger 1950; Brunner 1989. 51 Valenta 2004, 14. 52 Völkel 2001, 19–41; Valenta 2004, 13.

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umgewandelt. Nach Darstellung in der „Windhager Kloster­chronik“ – andere Quellen stehen zur Überprü­ fung nicht zur Verfügung – wurde noch im selben Jahr mit dem Bau des „Neuen Schlosses“ Windhag begonnen, der im Wesentlichen 1648 abgeschlossen worden sein dürfte.53 1651 erhielt Enzmilner den Titel „Wohlgeborner Freiherr von Windhaag, Herr auf Pragtal und Saxeneck“ unter Weglassung des Familiennamens, was eine weitere rangmäßige Erhöhung bedeutete. Auch wenn die bauli­ chen Maßnahmen in und um Windhag 1656 noch nicht abgeschlossen waren, dürfte zumindest die Fertigstellung der baulichen Hülle Anlass für die Erstellung der Topo­ graphia Windhagiana gewesen sein, endet doch der ge­ schichtliche Abriss der Herrschaft wie folgt: Das newe Schloß aber / mit allen seinen angehörigen Gebäwen / wie auch dem absonderlichen Meyerhoff / Lustgarten vnd Kirchel Portiuncula, ist erst seither anno 1636 durch mehr­ meldten jetzigen Herrn Inhaber erbawet vnnd zugerichtet / insonderheit aber der Platz vor dem newen Schloß / mit Außhawung eines Felsichten Bergs / vnd Außschüttung eines nechst daran gelegenen Thals / mit grosser lang=würiger Müh vnnd Arbeit / in die jetzige Form erweitert worden.54 Die Selbstdarstellung der Person und ihrer Leistungen mag daher ein Beweggrund für die kostspielige Publikati­ on gewesen sein, die als Druck noch dazu zur Verbreitung gedacht war.55 Für ihn als sozialer Aufsteiger waren Inno­ vationen ein wesentliches soziales Kapital, da er mit der Anciennität seines Geschlechts nicht reüssieren konnte. Dem Innovationspotenzial der Topografie war sich auch sein Herausgeber Caspar Merian bewusst und sah daran, wie in seiner dedicatio ersichtlich, auch für sich ein neues Betätigungsfeld.56 Gerade weil die Topographia Windhagiana als Druck ein auf Außenwirkung konzipiertes Werk darstellt, kann davon ausgegangen werden, dass die Gestaltungs­ prinzipien der Herrschaft durch Joachim Enzmilner be­ sonders betont wurden und herrschaftliches Haushalten

hier in Wort und Bild seine – idealisierte – Ordnung erfuhr. Mit 23 Textseiten, zwei Karten und 38 Darstellungen auf 21 Kupfertafeln erweist sich das Werk in Wort und Bild relativ ausgewogen, wobei die überwiegend doppel­ seitigen Kupferstiche den Abbildungen eine visuelle Do­ minanz verleihen. Der Aufbau wirkt auf den ersten Blick etwas ungewöhnlich (Tab. 1 im Anhang): Einer kurzen Beschreibung und dem geschichtlichen Abriss der Herr­ schaft Windhag folgen etwas kürzere Texte ähnlichen Inhalts über die inkorporierten Herrschaften Pragtal, Saxenegg, Mitterberg sowie den Markt Münzbach. Erst danach beginnt die Beschreibung des „Neuen Schlosses“ Windhag, wobei keine Darstellung in toto angestrebt wurde: Nacheinander werden die Schlosskapelle mit Gruft, die Bibliothek, der „Römersaal“, der „Österreicher­ saal“ und nach einem Einschub mit der neu errichteten Portiunkula-Kapelle südöstlich der Burg die Apotheke in Wort und Bild vermittelt. Danach folgen weitere Besit­ z­ungen, wie die 1653 erworbene Herrschaft Reichenau57 mit dem Sitz in Großpertholz, der Glashütte und dem Dorf Langschlag und zuletzt Haus und Garten in Wien, das Mauthaus in Neumarkt an der Ybbs 58 und der Ebels­ berger Hof bei Linz. Der Fokus des Texts in der Topographia Windhagiana liegt somit eindeutig auf den Herrschaften, wobei deren hohes Alter, sowohl bei Windhag – Die Zeit der Erbawung ist vnwissend / doch gibts der Augenschein zuerkennen / daß es ein vhraltes Schloß / vnd Veste ist 59 – als auch bei den Burgruinen Mitterberg 60 und Saxenegg 61 betont wird. Bezeichnenderweise werden das „Alte Schloss“ Windhag sowie die Veduten der Burgruinen Saxenegg und Mitter­ berg in einer Spalte der mehrteiligen Tafel N untereinan­ der gesetzt, wobei die Darstellung von Quadermauerwerk an den beiden Ruinen nochmals das vermeintlich hohe Alter grafisch auszeichnet. Selbst beim Markt Münz­ bach, der erst 1639 erworben wurde, ist in der grafischen Darstellung mit Vhralte Marckt Müntzbach tituliert.62 Die mangelnde Anciennität von Enzmilners Familie sollte auf

53 In TWA 1673, 2 ist der Baubeginn mit 1636 „nach und nach“ angegeben; die Hauptgewährsquelle ist dafür die Chronik des Klosters Windhaag und die Familienchronik von 1679 bis 1748: OÖLA StiA Windhaag, Hs. 36, fol. 19; Grüll 1937, 236; Valenta 2004, 22. 54 TW 1656, 6. 55 Siehe zu den zahlreichen Porträts Joachim Enzmilners: Oppeker 2018. 56 TW 1656, 3. 57 Grüll 1937, 223. 58 Erwerb 1654: Grüll 1937, 223. 59 TW 1656, 5. 60 TW 1656, 8: Überschrift Das abgebrochene uhralte Schloss oder öde Burgstall Mitterberg. 61 TW 1656, 8: Das alte Gemäwer / alß ein starcker Thurn / von Quaterstücken […]. 62 TW 1656, Stich I unten.

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diese Weise durch die Altehrwürdigkeit der Besitztümer ausgeglichen werden. Demgegenüber bilden die Neubau­ ten und Neuerwerbungen die zweite Gruppe an Objekten im Text, wobei wiederum der Innenraumgestaltung des „Neuen Schlosses“, der neuen Herrschaft Reichenau sowie den Stadthäusern der Vorrang gegeben wurde. Bei den Innenraumbeschreibungen im „Neuen Schloss“ sind die Sakralräume den Profanbereichen vorgereiht, wobei das ikonografische Programm von „Römer“- und „Öster­ reichersaal“, wie bereits aus den Namen hervorgeht, mit Herrscher- und Heldenporträts von der Antike bis zur Gegenwart des Bauherren die Herrschaft Windhag in den Dienst der gottgewollten translatio imperii stellt.63 Ungewöhnlich erscheint nur die Beschreibung der Apo­ theke mit „Materialstübel“ und Laboratorium an dieser Stelle.64 Dies dürfte der Tatsache geschuldet sein, dass Enzmilners erste Frau Magdalena nach den Lebens­ erinnerungen der Tochter ausgewiesene Kenntnisse in Pharmazie besaß und diese auch praktisch ausübte.65 Nimmt man allerdings die Kupferstiche der Topogra­ phia Windhagiana als Grundlage der Herrschaftsordnung durch Joachim Enzmilner, so erhält man ein anderes Bild: Durchgängig ist darin das Bemühen zu erkennen, die Herrschaft Windhag in ihrer Totalität bildlich zu reprä­ sentieren. Dies reicht von der kartographischen Ansicht der Herrschaft als erste Bildtafel in Korrespondenz zur textlichen Beschreibung am Beginn des Buches, der aller­ dings im Gegensatz zum Text vier Veduten von Schloss und unmittelbaren Zugehörungen aus allen vier Wind­ richtungen folgt.66 Nach einer Hofansicht des „Neuen Schlosses“ und der Vedute des Marktes Münzbach reihen sich die bereits erwähnten Ansichten der inkorporierten Herrschaften sowie die Innenraumansichten des „Neuen Schlosses“ sowie der Portiunkula-Kapelle an. Eine ähnli­ che Abfolge lässt sich auch bei der Herrschaft Reichenau, wenngleich nicht in derselben Opulenz, verfolgen. Blicken wir zuerst auf die Karte auf Stich A – eigent­ lich eine sehr steile Vogelschau – so präsentiert sich die Herrschaft in einer ‚wohlgeordneten Landschaft‘ (Abb. 3): Durch eine Orientierung des Plans nach Nordnordosten – erkennbar am Kompass am rechten unteren Bildrand aus

Betrachtungsperspektive – wird das Herrschaftsgebiet symmetrisch aufgespannt, wobei das Naarntal zur Linken und die schraffierten Ausläufer des Hügellandes zu den Niederungen des Machlandes das Territorium v-förmig begrenzen.67 Die zentrale Bildachse nimmt am unteren Bildrand den Ausgangspunkt von Perg, der als Marktort, obwohl außerhalb der Herrschaft gelegen, ein wesentlicher regionaler Bezugspunkt war, und reicht bis Altenburg knapp unterhalb der Bildmitte. Von Altenburg lässt sich eine waagrechte Bezugsachse zu Schloss Windhag auf der linken und nach Münzbach auf der rechten Betrach­ tungsseite spannen. Alle anderen Orte der Herrschaft, wie die ehemaligen Herrschaften Saxenegg und Mitterberg, durch Ruinen visualisiert, und die Pfarren Rechberg und Pergkirchen, liegen an der Peripherie, aber noch inner­ halb des durch Naarn und Machland gerahmten Blickfel­ des. Wie lässt sich nun diese Bildkomposition erklären? Altenburg war unter den Pragern noch vor Münzbach der Hauptort, in dem sich auch die Familiengrablege befand. Möglicherweise bestand über das Toponym auch ein vages Wissen über eine ältere Burgherrschaft, aller­ dings gibt es dafür keine schriftlichen Evidenzen.68 Mit Münzbach und Altenburg sind jedenfalls die seit 1500 zentralen Bezugspunkte in pfarrlicher wie ökonomischer Sicht gegeben, die auch über Wege direkt mit Windhag verbunden waren. Ein Blick auf das in der Karte ausge­ zeichnete Wegenetz verdeutlicht noch mehr, dass diese Orte als zentrale Objekte der  Objektgesellschaft der Herrschaft Windhag zu verstehen sind, wie die Um­ zeichnung der Karte verdeutlicht (Abb. 4). Zusätzlich sind zum Gefüge an Orten und Objekten, die durch das Wegenetz miteinander verbunden sind, auch klare Abgrenzungen definiert: Den äußeren Rah­ men bildet die Grenze des Landgerichtssprengels von 1491, der als doppelte Punktlinie ausgezeichnet ist, den inneren Rahmen als dünne Schraffenlinie die Burgfriedund Wildbanngrenze, die erstmals in einer Abschrift des 15.  Jahrhunderts überliefert und somit älter als der Landgerichtssprengel ist.69 Da die Herrschaft Mitter­ berg gemeinsam mit der Einrichtung des Landgerichts

63 Valenta 2004, 44. 64 TW 1656, Stiche N, O. 65 Grüll 1937, 220. 66 Zur Entwicklung und Interpretation topografischer Ansichten: Andraschek-Holzer 2000; Andraschek-Holzer 2004. 67 Eine Ähnlichkeit zur Herzform ist nicht ganz auszuschließen, wie diese beispielsweise der Klosterlandschaft St. Anna in der Wüste (Nieder­ österreich) in einem Stich von Martin Lerch 1689 wohl in Anspielung auf das Herz Jesu eingeschrieben wurde: Doneus, Kühtreiber 2013, 351f. und Abb. 8. 68 Zum Burgstall Altenburg Pötscher, Mayböck 2012, 31f. 69 Grüll 1937, 195 und 291 (Transkription aus dem Urbar von 1508).

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Abb. 3: Karte der Herrschaft Windhag.

übertragen und Saxenegg erst 1525 erworben wurde, liegen beide außerhalb des herrschaftlichen Burgfriedens, aber innerhalb des Landgerichts. Die einzige Herrschaft, die innerhalb des Landgerichts liegt, aber nicht zu Wind­ hag gehört, ist Innerstein, sodass der visuelle Eindruck eines geschlossenen Herrschaftsterritoriums vermittelt wird. Als zu den Herrschaftsgrenzen komplementäres Strukturierungssystem ist die Karte durch Punktlinien in Pfarrsprengel eingeteilt, und zwar sowohl innerhalb als auch außerhalb der Herrschaftsgrenzen. Die Bedeutung der Pfarrgrenzen für die Herrschaft ist einerseits durch die ausgeübten Vogteirechte und die Zehenteinnahmen verständlich, zusätzlich ist bereits im Verkaufs­urbar von 1636 das Reißgejaid – die Jagdrechte – nach Pfarren ge­ gliedert.70 Damit folgt das bildliche Programm der Herr­ schaftskarte weitgehend dem Konzept des Verkaufs­urbars von 1636.

Diese Einschätzung wird durch die Veduten und In­ nenansichten unterstützt: Durch die Vogelschauansicht und die vier Veduten aus allen vier Himmelsrichtungen wird ähnlich wie mittels der Herrschaftskarte ein Bild des ‚Ganzen Hauses‘ im Sinne einer mit allem Notwendigen versehenen, ‚vollständigen‘ Herrschaft vermittelt 71 (Abb. 5). Die geschlossene  Ensemble-Wirkung wird zum einen durch Blickachsen erzielt: Während in der Ansicht von Süden der Mittelgang des als „Schloss-Garten“ titu­ lierten Zier- und Lustgartens den Blick auf das „Neue Schloss“ lenkt (Abb. 5), ist es in der Ansicht von Westen die Blickachse, die über das Neue auf das „Alte Schloss“ zuläuft.72 Zum anderen sind es lineare Strukturen, wie die Garten- und Hofmauern sowie die künstlichen Fels­ abstufungen am „Platz vorm Schloss“, die gemeinsam mit den Gebäuden den herrschaftlichen Zentralraum in die herrschaftlichen Funktionen Wohnen – Wirtschaf­

70 Grüll 1937, 229. 71 Siehe auch Berger 1984, 62f., zitiert nach Valenta 2004, 16. 72 Clemens Beuttler, Prospect des Schlosses Windthaag von Abendt gegen Morgen, bezeichnet 1654, TW 1656 bzw. TWA 1673, Stich D.

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St. Thomas

Saxenegg

Klingenberg

Kreuzen

Zellhof

Klamm

Rechberg

Innerstein

Ausserstein

Windhaag

Altenburg

Münzbach

Baumgartenberg

Allerheiligen Pergkirchen Pragtal

Arbing

Auhof Wallsee

Mitterberg Perg

Abb. 4: Umzeichnung der Herrschaftskarte aus TW 1656 mit Hervorhebung der wichtigsten Objekte. Schwarze Toponyme: Zur Herrschaft Windhag 1656/73 gehörig. Rote Toponyme: Andere Herrschaften und Orte. Schwarze Linien: Wege. Blaue Linien: Hauptgewässer. Rotes Oval: Grenze des Landgerichts. Grünes Oval: Grenze des Wildbanns.     Marktort      Pfarrort      Dorf      Burg/Schloss      Burgruine      Kloster

ten – Verwalten gliedern. Zuwegungen und Binnenwege werden durch diese linearen Strukturen gelenkt und ver­ binden diese, analog zur Herrschaftskarte (Abb. 6). Mauern und Tore lenken die Zugänglichkeit und bilden die Grenzen der Subeinheiten des Guts, die wie folgt benannt werden können: „Altes Schloss“ – „Neues Schloss“ – Pferdehof – Lustgarten und Grotte – Vorhof und Meierhof – Außenanlagen mit Gärten, Teichen und Portiunkula-Kapelle. Ihre Zugänglichkeit ist abgestuft und definiert somit unterschiedlich exklusive Räume nach Mecksepers Modell des stufenweisen Rückzugs: 73 Die Außenbereiche wurden demnach von den Wirt­ schaftsanlagen dominiert, an denen die Zuwegungen aus

den Nachbarorten vorbei (Schloss- und Meierhofgarten) oder hindurch (Meierhof, Vorhof ) führten. Meierhof und Vorhof nehmen dabei eine Mittelstellung ein, weil hier tatsächlich verschließbare Tore eindeutig Innen- und Au­ ßenbereiche voneinander schieden. Gleiches gilt für den sogenannten „Pferdehof“ samt der weiteren Ökonomie­ bauten nördlich des „Neuen Schlosses“, durch dessen Ost­ tor Reisende aus Münzbach das Schlossareal betraten. Die nächste Exklusivitätsebene bildete das „Neue Schloss“, das von Norden durch den Pferdehof sowie von Wes­ ten durch das turmgekrönte Haupttor erschlossen war. Obwohl es sich dabei nach Fertigstellung nachweislich um das Wohngebäude der Schlossherrenfamilie mit den

73 Meckseper 2002.

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Abb. 5: Clemens Beuttler, Prospekt der Herrschaft Windhag von Süden, bezeichnet 1654.

wichtigsten Repräsentationsräumlichkeiten samt Kapelle handelte, befinden sich am Ende der Zugänglichkeits­ kette zwei andere Bereiche: Zum einen der nur über die Sala Terrena im Westflügel betretbare Lustgarten mit Grotte im Norden, zwischen Vorhof und Pferdehof gele­ gen, aber von beiden durch Terrassenstufen auch faktisch getrennt, sowie das „Alte Schloss“, das nur vom Innen­ hof des „Neuen Schlosses“ über eine Brücke erreichbar war. Während Ziergarten und Grotte als Teilensem­ bles eines giardino segreto tatsächlich einen exklusiven Rückzugsraum bildeten,74 ist dies beim „Alten Schloss“ unklar, weil dessen Nutzung nach der Errichtung des „Neuen Schlosses“ aus der Perspektive der Topographia Windhagiana eigenartig unbestimmt bleibt. Hier liefern

die ausführlichen Bildlegenden mit den Nummernsig­ naturen an den Gebäuden und Arealen entscheidende Hinweise: Sie zeigen in vielen Fällen zwischen „Altem“ und „Neuem Schloss“ eine Doppelung der Raumfunk­ tionen an, die durch das Präfix „alt“, wie beispielsweise beim „Frauenzimmer“, der Kapelle oder dem Saal im „Alten Schloss“, explizit auf dieses Faktum hinweisen. Ob die Räume in dieser Redundanz genutzt wurden, ist allerdings fraglich: Denn im kleinen vordere[n] Prospekt deß Alten Schlosses Windhaag sind im Turm neben dem Tor Predicanten stübel vnd Cammer ausgewiesen, sodass hier möglicherweise Raumbezeichnungen tradiert werden, die aus der protestantischen Herrschaftszeit der Vorbe­ sitzer stammen.75 Da diese Ansicht aber wiederum mit

74 Valenta 2004, 60–72, wobei sich die Ausführungen auf die Ausstattung der Grotte bereits auf TW 1673 beziehen. 75 Der vordere Prospekt deß Alten Schlosses Windhaag Von Niedergang gegen Auffgang, TW 1656 und TW 1673, Stich N rechts oben.

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Lustgarten und Grotte

Neues Schloss

von/nach Saxenegg

von/nach Münzbach

Pferdehof

Altes Schloss

Vorhof

von/nach Rechberg Meierhofgarten

von/nach Altenburg

PortiunkulaKapelle

Meierhof

Schlossgarten

von/nach Perg u. Pergkirchen

Abb. 6: Organigramm des Schlossguts Windhag auf Basis der TW 1656. Rot: Exklusive Kernbereiche. Braun: Das „Neue Schloss“ als Herrschaftszentrum. Grün: Vorbereiche des „Neuen Schlosses“. Hellrün: Ökonomisch genutzte Außenbereiche des Schlossgutes. Pfeile: Kommunikationsstrukturen.

den Veduten der Burgruinen Saxenegg und Mitterberg als Sinnbilder der inkorporierten Altherrschaften in ei­ ner Spalte auf demselben Stich abgebildet ist, dürfte die Rückbindung des „Neuen Schlosses“ an das „Alte Schloss“ als materielle Manifestation der Altehrwürdigkeit der Herrschaft zu verstehen sein: Das „Alte Schloss“ ist so­ mit sowohl real erfahrbares als auch medial vermitteltes und ideelles Zentrum der Herrschaft Windhag.76 Erst auf dieser Basis ist die textliche und visuelle Betonung der Leistungen Enzmilners für Schloss und Herrschaft Windhag, insbesondere auch, was die Innenraumaus­ stattungen im „Römer“- und „Österreichersaal“ anbe­ langt, verständlich: Der Auftraggeber der Topographia

Windhagiana inszeniert sich mit diesem Werk als recht­ gläubiger Diener des „Hauses Österreich“, dessen Haus­ halt Teil des großen „Österreichischen Haushalts“ ist.77 Text und Bild der Topographia Windhagiana konstruieren für diese Botschaft  syntagmatische Links auf mehr­ fachen Ebenen: Das „Schloss“ bildet als  Ensemble mit seinen Ökonomieanlagen und Gärten das Zentrum der Herrschaft. Diese wird über die Herrschaftskarte netzwerkartig mit allen weiteren herrschaftlichen Teilen­ sembles (Münzbach, Pragtal etc.) verbunden. Mittels der doppelten Delineation von Landgericht und Burgfrieden, innerhalb derer alle Besitzungen und Zugehörungen ver­ ortet sind, wird die Herrschaft zusätzlich zum Netzwerk in

76 Daher greift der von Berger 1990, 119 angeführte Begriff der „Architektonischen Traditionspflege“, der auch von Valenta 2004, 88–90 aufgegriffen wurde, zu kurz. 77 Lhotsky 1956.

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einer geschlossenen Totalität  konfiguriert. Hinsichtlich der Rückbindung der Altehrwürdigkeit bilden im Herr­ schaftszentrum das „Alte Schloss“ und das „Neue Schloss“ ein Syntagma, im Sinne des herrschaftlichen Exklusiv­ rahmens (von außen nach innen) Meierhof/Vorplatz  – „Neues Schloss“ und Lustgarten/Grotte.  Paradigma­ tisch ist hingegen die Beziehung von „Altem Schloss“ und „Neuem Schloss“ dahingehend, dass mit der Über­ tragung zentraler Raumfunktionen vom „Alten Schloss“ auf das „Neue Schloss“ das ‚aktive‘ Herrschaftszentrum auf den Neubau übertragen wurde. Gleiches gilt auch für die zentralen Herrschaftsräume selbst, ansonsten wäre die Verortung und namentliche Auszeichnung der „alten“ Herrschaftszimmer und Kapelle nicht notwendig gewesen. 1673 – Letzte Dinge regeln? Wie bereits oben ausgeführt, waren die Baumaßnahmen in und um Schloss Windhag zum Zeitpunkt des Er­ scheinens der Topographia Windhagiana 1656 als bauliche Hülle weitgehend abgeschlossen, der Innenausbau war hingegen, wie im Stiftsarchiv Windhaag überlieferte Verträge belegen, noch voll im Gange und erstreckte sich bis in die 1660er Jahre.78 Darüber hinaus gelang es Joa­ chim von Windhag vor allem im niederösterreichischen Waldviertel weitere, durchaus bedeutende Herrschaften, so 1656 Kirchstetten – die namengebende Herrschaft der Familie seiner Frau – und Groß Poppen sowie 1658 Neunzen und Rosenburg zu erwerben.79 Motiv für dieses Engagement war wohl die 1652 erfolgte Aufnahme in den Niederösterreichischen Herrenstand, allerdings blieb Windhag Stammsitz. 1669 wurde Enzmilner durch Kai­ ser Leopold I. in den Grafenstand mit dem Titel „des heil. röm. Reiches Graf und Herr von und zu Windhag auf Pragtal, Münzbach und Saxeneck, Freiherr von Rosen­ burg am Kamp, Reichenau am Freiwalde etz. etz.“ erho­ ben, womit auch die Herrschaft Windhag formell zur Grafschaft wurde.80 All dies mögen Gründe dafür sein, dass Joachim von Windhag eine erweiterte Neuauflage, die Topographia Windhagiana aucta, in Auftrag gab, die 1673 in Wien beim Verleger Leopold Voigt erschien.81 Verfasser war der ehemalige Bibliothekar in Diensten Jo­

achims von Windhag und nunmehrige Vikar des Wiener Dominikanerklosters Hyazinth Marian, der die Texte der Erstausgabe teilweise abänderte und ergänzte. Insgesamt wuchs das Werk ohne Berücksichtigung der vierseitigen Widmung auf 62 Seiten Text und 61 Kupferstichtafeln an und war damit dreimal so umfangreich wie die Erstauf­ lage. Diese Tatsache und der Verlegerwechsel indizieren, dass Graf Joachim von Windhag auf dem Höhepunkt seiner Karriere dieses Werk nun als Alleinverantwortlicher realisierte.82 Allerdings belegen Verträge, dass Clemens Beuttler, der Kupferstecher der Erstauflage, bereits 1659 mit der bildlichen Darstellung neuer Bauteile und Innen­ ausstattungen beauftragt worden war, sodass die Planun­ gen für die erweiterte Neuauflage wohl länger reiften.83 Das Ansinnen Enzmilners, Windhag als Stammsitz seiner geadelten Familie zu etablieren, war trotz seines außergewöhnlichen sozialen Aufstiegs mit herben Ent­ täuschungen verbunden: Sein einziges Kind, das das Erwachsenenalter erlebte, Eva Magdalena, trat 1648 als 14-Jährige gegen den Willen der Eltern in das Domini­ kanerinnenkloster Tulln ein. 1664 gelang es Joachim von Windhag zwar, seine Tochter zur Rückkehr nach Wind­ hag zu bewegen. Dieses Ziel erreichte er allerdings nur dadurch, dass er das „Alte Schloss“ als Kloster für seine Tochter und weitere Dominikanerinnen adaptierte. Dieses wurde 1668/73 durch den Bischof von Passau als eigenständige Kongregation anerkannt.84 Zum Zeitpunkt der Veröffentlichung der Topographia Windhagiana aucta war Joachim von Windhag längst bewusst, dass keine Erben in weltlicher Hinsicht seine Aufbauarbeit weiter­ führen würden und somit die Gründung eines Dynasten­ sitzes gescheitert war. Diese beiden durchaus widersprüchlichen Aspekte gilt es zu bedenken, wenn die Neuauflage der Topogra­ phia Windhagiana von 1673 mit jener von 1656 verglichen wird (Tab. 1 im Anhang): Auf den ersten Blick scheinen beide Ausgaben gleichläufig zu sein, wenngleich die Ausgabe von 1673 weitaus detaillierter in Wort und Bild die Herrschaften und ihre Objekte beschreibt. Dazu trägt die bereits oben erwähnte Erweiterung an Besitz bei, wobei in einem Appendix die seit 1656 veräußerten Besitzungen – das Mauthaus Neumarkt an der Ybbs, der Ebelsberger Hof bei Linz sowie der Auhof bei

78 Valenta 2004, 78, 82, 92. 79 Valenta 2004, 7. 80 Grüll 1937, 224. 81 Valenta 2004, 15. 82 Valenta 2004, 15. 83 OÖLA StiA Windhaag, Hs. 45, 373–375, zitiert nach Valenta 2004, 56. 84 Grüll 1937, 252.

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Perg – angeführt werden. Weitaus konsequenter als in der Ausgabe von 1656 wurde die Herrschaft aber von innen nach außen beschrieben. Im Aufbau entspricht sie eher dem Verkaufsurbar von 1636: Der Beschreibung des „Alten Schlosses“ folgt jene des „Neuen Schlosses“, wobei sechs Raumbeschreibungen von 1656 16 von 1673 gegenüber stehen. Nach der Deskription der periphe­ ren Ökonomiebauten und Außenbereiche rund um das Schloss folgen zunächst die im Landgericht gelegenen herrschaftlichen Objekte, wobei neben den altbekann­ ten Zugehörungen wie Schloss Pragtal, den Burgställen Saxen­egg und Mitterberg und dem Markt Münzbach mit Pfarre und Schule, neue Institutionen an letzterem Ort, namentlich das 1664 von Joachim von Windhag gegrün­ dete Dominikanerkloster sowie die im Markt verankerte Rosenkranzbruderschaft gewürdigt werden. Erst danach folgen die auf niederösterreichischem Gebiet gelegenen Herrschaften Reichenau, Rosenburg, Groß Poppen, Neunzen und Kirchstetten sowie die Häuser in Linz und Wien wie auch zuletzt der repräsentative Garten in der Residenzstadt. Der stringenten Ordnung des Äußeren entspricht auch die Beschreibung und Darstellung im Inneren des „Neuen Schlosses“, das zuletzt noch mit einem neuen Biblio­ thekstrakt (Biblioteca nova) an der Ostseite des Pferde­ hofes sowie einer Fortsetzung der Bibliothek oberhalb des Ökonomietrakts an der Nordseite des Pferdehofes (Biblioteca moderna und Kunstkammer) Erweiterungen erfahren hatte. Nachdem diese aber ausschließlich von der Alten Bibliothek im Nordflügel des „Neuen Schlos­ ses“ betreten werden konnten, können sie hinsichtlich der Raumfolge und ihrer Zugänglichkeit als Teil des „Neuen Schlosses“ angesehen werden.85 Den Beginn der Raum­ beschreibungen nimmt aber die „Galerie“ ein, die als drei­ geschossiger Arkadengang anstelle eines Ostflügels eine visuell halbdurchlässige Struktur zwischen „Neuem“ und „Altem Schloss“ darstellte. Auf den drei Ebenen wurden von unten nach oben in einem umfangreichen ikonogra­ fischen Programm die vier Weltreiche, die fürnehmste[n] Christliche[n] Kayser vor den Habsburgern sowie zuoberst die Namhafftigste[n] von erst Hochgedachten Ertz-Hauss Oestereich gewürdigt.86 Gemeinsam mit dem nun abge­

schlossenen ikonografischen Programm im „Römer“und „Österreichersaal“ können diese im halböffentlichen Raum positionierten Bild-Raumsysteme als komplexe Verortung Joachims von Windhag als Diener des Hauses Habsburg im gottgewollten Heilsplan verstanden werden. Über die von seinem „Herrenzimmer“ im Westtrakt aus­gehende Raumabfolge, die von den historisch kon­ notierten Herrscher- und Heldenräumen über die nach Fakultäten geordneten drei Bibliothekssäle mit 16.000 Büchern rund um den Pferdehof bis zur Kunstkammer als Schlussraum reicht, wurde eine Wissenssammlung mit universellem Anspruch geschaffen.87 Die Topographia Windhagiana aucta bildet dazu die konzeptionelle Klammer, indem sie den Wissenstresor des Schlossinneren mit dem Wissensraum der Herr­ schaftsökonomie im Außenbereich  syntagmatisch verbindet. Diese mediale Verschränkung von Besitzver­ zeichnissen und -beschreibungen, historiographischen Teilen und Familiengeschichten besitzt, wenn man das Medium „Druckwerke“ verlässt, eine weitaus größere zeitliche Tiefe und findet sich bereits im Codex Falken­ steinensis der bayerischen Grafen von Falkenstein aus der zweiten Hälfte des 12.  Jahrhunderts.88 Es hat seine Analogien auch im klösterlichen Kontext, wie dem Liber fundatorum Zwetlensis aus dem frühen 14. Jahrhundert.89 Die Blüte dieser Kompendien liegt aber zweifellos in der Frühen Neuzeit, wofür die sogenannten Lamberg’schen Prachturbare verschiedener Waldviertler Herrschaften (1697–1705) stellvertretend genannt werden mögen. Im Fall der Lamberg’schen Prachturbare, die als Handschrif­ ten wohl nur im Lamberg’schen Schloss Ottenstein ein­ sehbar waren, fand eine mediale Verschränkung mit zeit­ gleichen Herrschaftsdarstellungen in großen Öl­bildern für die Schlossausstattung des Hauptsitzes Ottenstein statt, womit die Urbare und Bilder als gemeinsames  Ensemble der Ausstattung von Schloss Ottenstein Teile der  Objektgesellschaft der Familie über Einzel­ herrschaften hinweg bildeten.90 Ein Grund mag auch darin liegen, dass die ebenfalls in der Frühen Neuzeit außerordentlich beliebten Hausökonomiken nebst ihrer didaktischen Bedeutung ein wesentliches Medium zur Selbstinszenierung des landsässigen Adels – vielleicht

85 Siehe dazu auch die Ausführungen in TWA 1673, 17; Valenta 2004, 78. 86 TWA 1673, 4; Valenta 2004, 29. 87 Valenta 2004, 79; zur Kunstkammer Vorderwinkler 1951. 88 Codex Falkensteinensis: Bayerische Staatsbibliothek BayHStA KL Weyarn 1; Edition und Auswertung: Noichl 1978. 89 Liber fundatorum Zwetlensis monasterii, StiA Zwettl, Hs. 2/1; Editionen Frast 1851; Rössl 1971; Kommentar zur Edition Rössl 1981. 90 Salzer 2018.

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auch gegenüber der höfisch-städtischen Gesellschaft – waren und manche dieser Werke durchaus in ihrer Ge­ staltung in Wort und Bild Ähnlichkeiten zur Topographia Windhagiana (aucta) zeigen.91 Dies gilt beispielsweise für die 1682 in Erstauflage erschienene Georgica Curiosa des Wolf Helmhards von Hohberg (1612–1688), der als pro­ testantischer Adeliger im Zwangsexil ein Idealbild auf seine ehemalige Herrschaft Rohrbach im niederösterrei­ chischen Waldviertel projizierte.92 Die stark überlappen­ den Lebenszeiten von Joachim von Windhag und von Wolf Helmhard von Hohberg lassen es trotz der kon­ fessionellen Divergenzen zumindest möglich erscheinen, dass sich die beiden wechselseitig beeinflusst haben. Der Kontext der Erstellung der Georgica Curiosa im Zwangsexil verweist auf einen Aspekt, der sich bei den Herrschaftstopographien als Muster erkennen lässt. Ei­ nige Werke lassen sich als Akte der Selbstvergewisserung durch schriftliches und bildliches ‚Ordnen‘ der eigenen Herrschaft zu neuralgischen Zeitpunkten deuten: Dazu zählen Zeiten der Besitzübergabe,93 so etwa bei den Lamberg’schen Prachturbaren und möglicherweise auch im Falle des Codex Falkensteinensis, sowie der Bedrohung des eigenen Status oder sogar des Fortbestands der Familie, wofür die sogenannte „Khevenhüller-Chronik“, die unmittelbar vor der 1624 erfolgten Zwangsexilie­ rung der protestantischen Adelsfamilie erstellt wurde und Darstellungen der Güter mit Stammbäumen und Porträts verbindet, ein Beispiel ist.94 Dies gilt, wie oben ausgeführt, auch für die Topographia Windhagiana aucta, da zum Zeitpunkt ihrer Produktion bereits klar war, dass die Etablierung eines generationenübergreifenden Dy­ nastensitzes durch Joachim von Windhag gescheitert war. Möglicherweise ist dieser Übergang von der Schloss- zur Klosterherrschaft auch im Aufbau der Topographia Wind­ hagiana aucta abgebildet: So folgt dem ersten Kapitel mit der Beschreibung des „Alten Schlosses“ Windhag ein Abschnitt über die Nutzung als Dominikanerinnen­ kloster. Ebenso sind Schlosskapelle, Gruft und Portiun­ kula-Kapelle an prominenter Stelle der Baubeschreibung des „Neuen Schlosses“ positioniert. Allerdings muss hier einschränkend betont werden, dass dies für die Schloss­ kapelle schon in der Topographia Windhagiana 1653 gilt

und als Selbstzeugnis der katholischen Religiosität Joachims von Windhag verstanden werden kann. Als Zwischenfazit kann jedenfalls konstatiert werden, dass die Topographia Windhagiana in beiden Ausgaben nicht einfach nur Repräsentationsmedium, sondern Teil der grundherrschaftlichen  Objektvergesellschaftung in unterschiedlichen  Skalierungen war: Sie ist Teil des Versuchs Joachims von Windhag, mit der Neugestaltung von Schloss und Herrschaft Windhag Mikro- und Makro­ kosmos, Innen und Außen zu verbinden und damit eine kohärente Ordnung mit klar definierbaren Einheiten zu bilden: Diese sind relationale, aber tendenziell offene  Objektgesellschaften, deren zentrale Herrschaftsorte als klar abgrenzbare und baulich/gestalterisch verdich­ tete  Ensembles mit räumlich getrennten Teilensem­ bles (Kunstkammer, Bibliothek, etc.) strukturiert sind. Diese Teileinheiten sind aber durch Handlungssettings ( Praktiken) und räumliche Gefüge wieder miteinander verbunden, wodurch sie sich als Elemente herrschaftli­ cher Objektvergesellschaftung identifizieren und inter­ pretieren lassen. Da Strukturen im physischen wie sozialen Sinne als intendierte handlungslenkende Elemente für Ordnung sorgen sollen, wird an dieser Stelle noch kurz und in Auswahl der Frage nachgegangen, welche Objekte und Elemente mit intendierter Wirkmächtigkeit in der Topo­ graphia Windhagiana enthalten sind und welche Funktio­ nen ihnen zugedacht wurden. Wie bereits oben ausgeführt, konnte mittels der Wegführung aller lokalen Verbindungen, die durch das Schloss­ areal gelenkt wurden, aber durch versperrbare Tore und Mauern hindurch führten, Kontrolle über die Mobilität im unmittelbaren Herrschaftsumfeld ausgeübt werden. Der Meierhof und der Vorplatz westlich des Schlosses bildeten dabei nicht nur das ökonomische Zentrum, sondern auch den Verkehrsknotenpunkt des Gutes. Beim Herannahen von Südosten – Altenburg und Perg – schuf die Passage zwischen Zier- und Nutzgarten räumliche Distanz zwischen der mobilen Öffentlichkeit und dem Schloss und lenkte gleichzeitig den Blick auf die Südfassade von Burg und Schloss. Auf diese Blickachsen von Süden und Westen, die mit den Hauptweglinien

91 Kühtreiber, Salzer (im Druck). Zur Verschränkung von „sozialer Umwelt“ und „natürlicher Umwelt“ in den Hausökonomiken Schmidt-Voges 2008. 92 Georgica Curiosa 1682; zur Person Hohbergs und zum Werk Brunner 1949. 93 Siehe dazu für die Habsburgischen Länder Schöggl-Ernst 2004. 94 Khevenhüller-Chronik 1623; zum Werk siehe Dinklage 1680; Kühtreiber, Salzer (im Druck); zur Materiellen Kultur der Familie Khevenhüller im Exil Löffler 2018.

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korrespondierten, nahmen die herrschaftlichen Stuben­ appartements Bezug:95 Während das „Herrenzimmer“ im Westtrakt und nahe des Haupt­eingangs zum Schloss untergebracht war, befand sich das „Frauenzimmer“ im Südtrakt mit Blick auf die Gärten.96 Die Konnotation „Herrenzimmer“ – Öffentlichkeit ist auch durch die räum­ liche Nähe zu den Gästezimmern im Nordtrakt sowie zu den repräsentativen Sälen, wie der Sala Terrena, dem „Römer“- und „Österreichersaal“ sowie den Bibliotheks­ räumen und den Sammlungen gegeben. Demgegenüber ist die räumliche Nähe von „Frauenzimmer“ und Kapelle zeittypisch,97 die gleichzeitige Verbindung von „Frauen­ zimmer“ und Apotheke konnte bereits mit dem Inter­ esse von Magdalena von Windhag an Pharmazie erklärt werden.98 Derartige Raumanordnungen sind nicht nur regionaltypisch, sondern lassen sich auch überregional als Teil gegenderter Ordnungskonzepte der Frühen Neuzeit, unter anderem in Hausökonomiken, finden.99

Errichtung des „Neuen Schlosses“, gleiches gilt für die „Alte“ und „Neue Kapelle“ und andere, bereits angeführte Raumbezeichnungen. Das Alter von Objekten erweist sich in der Ausdeutung durch Joachim von Windhag sowie durch die Positionierung im Ensemble wie auch in den Druckwerken als Merkmal mit  Affordanz: Das uhralte Schloss Windhag wie auch die durch Quader als alt konnotierten Burgruinen Saxenegg und Mitterberg stehen für die ebenso alten Herrschaftsrechte, die mit ihnen verbunden sind und im Fall der beiden Altherr­ schaften durch das Recht des Wiederaufbaus jederzeit aktiviert werden könnten:

Dynamische Objektgesellschaften: Neuordnung und Persistenz

Auffällig ist, dass erst in der Topographia Windhagiana aucta 1673 eine stärkere visuelle Betonung des „Alten Schlosses“ als in der Ausgabe 1656 durch Integration eines weiteren Prospekts Abriß des Vhralten Schlosses vnd Vesste Windthag: Wie es vor den jetzigen Herrn Inhabers als vor Anno 1636 gwest ist als dritter Stich nach dem Porträt des Grafen und der Herrschaftskarte erfolgte (Abb. 7).101 Nebst der Betonung der Anciennität der Herrschaft ermöglichte die Gegen­überstellung von altem und neuem Bauzustand auch, die Leistungen Joachim Enzmilners hervorzukehren, wie dies bereits im Vorwort der Topo­graphia Windhagiana 1656 durch Caspar Merian geschieht:

Wie aus den bisherigen Ausführungen schon ersicht­ lich ist, sind  Objektgesellschaften nicht stabil, obgleich Stabilisierung von sozialen Ordnungen und Handlungs­ routinen oftmals durch sie intendiert war und ist: Sie re­ agieren auf bereits Vorhandenes, integrieren, überprägen oder löschen dieses partiell aus. Auch diese  Praktiken im Umgang mit Altem sind Teil der  Objektvergesell­ schaftung und wiederum Folge derselben. Wie am Beispiel der Topographia Windhagiana bereits angedeutet wurde, sind die den Objekten und Räumen zugeschriebenen Eigenschaften durch ihre  Konstel­ lation zu anderen Objekten des  Ensembles „Schloss­ gut Windhag“ generiert bzw. absichtlich so konnotiert: Besonders gut erkennbar ist dies an der Betonung des ‚Alten‘ und ‚Neuen‘ in beiden Ausgaben der Topographia Windhagiana. Dabei handelt es sich um relationale Eigen­ schaften: Das „Alte Schloss“ wird erst ‚alt‘ durch die

95 96 97 98 99 100 101 102

Jedoch ist das alte Gemäwer / als ein starcker Thurn von Quaterstücken / wie auch eine Pastey / alter Zwinger und Vorhoff / noch heutiges Tages im Augenschein vorhanden / auch niemahln vererbt / sondern bey seinen Freiheiten jederzeit erhalten worden / vnd hat der Inhaber völligen Fug und Macht / dasselbe Schloß wiederumb seines Gefallens zuerheben.100

Wird nun ein newer Baw auffgeführt / und angehänckt / ein altes Werck verändert und verbessert / so sehen die Inhaber / wie fleissig die Vorfahren gewesen / und was dieselbe von ihnen ohne Wortsprechen erfordern / daß sie nemlich das angefangene Werck befördern / auß Häusern Schlösser / auß Schlössern Vestungen/ auß Flecken Stättlein / und auß Stättlein grosse Stätte machen.102

 rundsätzlich zur herrschaftlichen Entwicklung von Wohnräumen auf Burgen im deutschsprachigen Raum Hoppe 2010. G Zur Doppelung von Stubenappartements für den Burgherren und die Dame: Hoppe 2015. Vgl. den Torgauer Kapellenflügel mit Fürstinnenappartement von 1544: Hoppe 2000, 160. Die Verbindung zwischen Kapelle und chemischem Laboratorium ist allerdings auch archäologisch in Schloss Oberstockstall in Nieder­ österreich aus der 2. Hälfte des 16. Jahrhunderts belegt: von Osten 1998. Hoppe 2008; Handzel, Kühtreiber 2015. TW 1656, 8. TWA 1673, Stich B. TW 1656, 4; Valenta 2004, 89.

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Abb. 7: Abriß des Vhralten Schlosses vnd Vesste Windthag: Wie es vor den jetzigen Herrn Inhabers als vor Anno 1636 gwest.

Dieses „Anhängen und Vermehren“ 103 durch Joachim von Windhag lässt sich auch anhand des sukzessiven Ausbaus seiner Bibliotheken beobachten, die entsprechend den Buchakquisen als Bibliotheca antiqua für die Bestände bis 1550 (Errichtung vor 1654), Bibliotheca nova für die Be­ stände von 1550 bis 1650 (Bau bis 1660, Ausstattung in den frühen 1660er Jahren) sowie Bibliotheca moderna für die Bücher ab 1650 (Bau nach 1660, Ausstattung um/nach 1668) bezeichnet wurden.104 Mit dem Wechsel vom „Alten“ zum „Neuen Schloss“ als Hauptgebäude ging auch die Übertragung zentraler Raumfunktionen einher. Dies macht es möglich, Konti­ nuitäten und Veränderungen in der Anordnung heraus­

zuarbeiten: Die „Herrenzimmer“ befanden sich in beiden Anlagen über dem Haupteingang, wie dies im Ostalpen­ raum seit dem späten 15.  Jahrhundert an Burgen und Schlössern nachgewiesen werden kann.105 Während aber die Fenster der Längswand der Herrenstube im „Neuen Schloss“ nach Süden orientiert waren, zeigten jene im „Alten Schloss“ nach Norden. Das „Frauenzimmer“ im „Alten Schloss“ befand sich im östlichsten Teil des Nord­ flügels und somit wie in Pürnstein in jenem Bereich, der vom Eingang am weitesten entfernt war,106 hingegen wurde das „Frauenzimmer“ im „Neuen Schloss“ im Süd­ flügel untergebracht. Die klimatisch und lichttechnisch ungünstige Orientierung nach Norden mag im „Alten

 ine ähnliche Strategie liegt auch dem Umbau des Verduner Goldschmiedewerks im Stift Klosterneuburg durch Propst Stephan von 103 E Sierndorf im 14. Jahrhundert zugrunde, siehe den Beitrag von Heike Schlie in diesem Band. 104 Gaberson 1993; Valenta 2004, 72–85; Toifl 2013, 25–28; Oppeker 2013/15. 105 In Pöggstall und Hohensalzburg befinden sich zwar die herrschaftlichen Appartements über dem Eingangsbereich, allerdings existiert in diesen beiden Fällen keine Trennung in Herren- und Frauenzimmer: Pöggstall, Schloss Rogendorf (Niederösterreich), dendro­ chronologisch um/knapp nach 1459/60: Aichinger-Rosenberger 2017, 68f.; Hohensalzburg (Salzburg), Fürstenzimmer Leonhards von Keutschach von 1501: Riegel 2012; Schicht 2010, 111f.; Trennung in Herren- und Frauenzimmer in Pürnstein (Oberösterreich) anhand eines Nachlassinventars von 1564: Handzel, Kühtreiber 2015, 534. 106 Handzel, Kühtreiber 2015, 534.

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Schloss“ mit der baulichen Beengtheit zusammenhängen, die nur beschränkte Optionen für zusammenhängende Raumeinheiten, wie sie Herrschaftsappartements darstell­ ten, boten. Möglicherweise hing die Positionierung aber auch mit der Ausrichtung auf die Zuwegung von/nach Münzbach, dem Hauptort der Herrschaft Windhag ab 1500, zusammen. Eine ähnliche Konstellation lässt sich beispielsweise bei der Burg Rastenberg (Niederösterreich) beobachten, wo die Fenster des romanischen Wohnbaus und die Kapelle im Sinne des ‚Sehens und Gesehen Werdens‘ nach Norden auf die Landstraße von Krems nach Zwettl ausgerichtet waren.107 Das „Neue Schloss“ bot nun die Gelegenheit, die Fenster des Frauenzimmers sowie die Seitenfenster der Herrenstube auf die warme Südseite mit Blick auf die herrschaftlichen Gärten zu richten. Zudem befand sich die bereits 1525 errichtete Schlosskapelle an dieser Seite, deren Konnotation mit weiblicher Frömmigkeit auch affordante Wirkung für die Raumanordnung im Schloss ausüben konnte. Im Sinne der Frage nach der Persistenz von Alt­ objekten im Gestaltungskonzept Joachims von Windhag ist daher die Frage von Relevanz, was vom Altbestand übernommen und was abgetragen wurde: Neben dem „Alten Schloss“ als Referenzobjekt zur Altehrwürdigkeit der Herrschaft sowie der Schlosskapelle als Nukleus des „Neuen Schlosses“ ist an nächster Stelle der Meierhof zu nennen. In Bezug auf diesen war es Joachim von Windhag wichtig hervorzuheben, dass der Meierhof vor 1636 mit Stroh gedeckt war,108 nun aber gantz gewölbt 109 ist und mit fester Dach­deckung dargestellt wird. Aus dem Garten ohne Ordnung und Zier mit einem Zaun umbfangen 110 wurde der gepflegte und visuell hochpräsente Schlossgarten. Ebenso bedeutsam erscheint die Betonung der Mühen, die mit der Umarbeitung der Talenge oberhalb des Schlosses in einen weiten Vorhof einhergingen, denn dies ist der dritte Bereich, der in der Darstellung von Schloss und Herr­ schaft vor 1636 mit einem ganzen Satz gewürdigt wird.111 Es handelt sich also einmal mehr um  paradigmatische Beziehungen, die Joachim von Windhag durch diese Gegenüberstellungen konstruiert.

107 108 109 110  111 112 113 114 115

The Good, the Bad and the Ugly: Das „Neue Kloster“, das „Alte Schloss“ und das „Neue Schloss“ ab 1681 Zuletzt soll die Neu- und Umgestaltung des Schloss­ gutes Windhag nach dem Tod Joachims von Windhag 1678 für die Frage von Persistenz und neuen  Konstel­ lationen im Zuge von Neuordnungen in gebotener Kürze beleuchtet werden. Entsprechend der testamentarischen Verfügung Joachims von Windhag wurde die gesamte Herrschaft 1680 in Klosterbesitz umgewandelt.112 Ob­ wohl das vierflügelige „Neue Schloss“ mit integrierter Schlosskapelle auf den ersten Blick gute bauliche Voraus­ setzungen zur Adaptierung für ein Kloster geboten hätte, wurde der erst 1673 fertig gestellte Baukomplex mit Aus­ nahme der Kapelle auf Betreiben der Tochter Joachims, der Priorin Eva Magdalena abgerissen. Das Baumaterial diente zur Errichtung des „Neuen Klosters“ auf der An­ höhe westlich des Schlossguts, wo sich heute noch die als Pfarrhof genutzten Bauten des 1782 aufgehobenen Konvents befinden.113 Das „Alte Schloss“ blieb hingegen bestehen und diente als Wohngebäude für den Kloster­ seelsorger sowie als Wohnung für den Hof­richter mit Familie und den Hofschreiber, ebenso der Meierhof und weitere Ökonomiebauten, die zur Versorgung des Klosters dienten, während die Taverne an einen Wirt verkauft wurde.114 Grundlage für das Verständnis der ‚Neuen Ordnung‘ unter Priorin Eva Magdalena Enzmilner bietet das von ihr verfasste Windhager Stiftbüchl von 1691.115 Es beginnt mit dem Verzeichnis aller von Eva Magdalena von Windhag selbst verfassten Bücher, darunter geistliche Erbauungs­ literatur, der von ihr begonnenen Klosterchronik sowie Instruktionen für Beichtvater, Hofrichter, Hofmeister, dem Spitalmeister und den Zechpröpsten zu Münzbach, Altenburg und Rechberg. Die danach folgende Beschrei­ bung des Klosters und der Klosterherrschaft wirft ein Licht auf die ideellen und baulichen Veränderungen der Herrschaft (Tab.  1 im Anhang): Diese beginnt mit der Aufzählung der Sakral­bauten der Klosterherrschaft, be­ ginnend mit der „Alten Schlosskapelle“, der die „Neue

 ühtreiber 2012b, 265–269. K TWA 1673, Stich B, Legende zu 29. TWA 1673, Stich C. TWA 1673, Stich B, Legende zu 30. TWA 1673, Stich B, Legende zu 33, im Vergleich dazu Gehauwener Felsen u.a. in Stich G als Nordbegrenzung des „Platzes vorm Schloss“. Grüll 1937, 255. Grüll 1937, 254–267. Grüll 1937, 261f. OÖLA, StiA Windhaag, Hs. 41.

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Klosterkirche“, die Portiunkula-Kapelle und das „Neue Kloster“ folgen. Erst danach werden das „Alte Schloss“ und die mit ihm verbundenen Ökonomiebauten beschrie­ ben. Nach einer bereits aus dem Verkaufsurbar bekann­ ten Aufzählung der ökonomisch für die Eigenwirtschaft nutzbaren Güter und Gülten folgen die innerhalb der Herrschaft, aber sich außerhalb des Gutes befindli­ chen Subeinheiten, wie Schloss und Meierhof Pragtal, der Krotentalhof, Markt Münzbach mit Hoftaverne, herrschaftlichem Freihaus, Spital, Dominikanerkloster, Rosen­kranzbruderschaft und die zum Alumnat 116 umge­ wandelte Schule. Den Abschluss bilden die Aufzählung der Pfarren sowie die nach der testamentarischen Verfü­ gung des Vaters an das Wiener Dominikanerkloster über­ tragene Biblioteca Windhagiana und die ebenfalls von ihm eingerichtete Stipendienstiftung für ein Wiener Alumnat – im Übrigen die einzige Institution Joachims von Wind­ hag, die bis heute Bestand hat.117 Hingegen wurde das ab­ gerissene „Neue Schloss“ in der Beschreibung nicht mehr erwähnt, um nicht zu sagen: aus der Memoria ‚getilgt‘. Die Gründe dafür sind aus den Quellen nicht ersicht­ lich, ob es für die streng asketische Tochter Joachims von Windhag zu ‚weltlich‘ war oder ob andere biografische Gründe für die Auslöschung des väterlichen Hauptbaus maßgeblich waren, wissen wir nicht. Aus der Beschreibung lässt sich aber eine vom väter­ lichen Herrschaftskonzept deutlich abweichende Neu­ ordnung erkennen, in der das „Alte Schloss“ und die „Alte Schlosskapelle“ zum „Neuen Kloster“ hin eine klare  syntagmatische Bezugsachse bilden, um die sich die Ökonomiebauten gruppieren. Von einer Geschlossenheit des Ensembles wie in der Topographia Windhagiana kann keine Rede mehr sein (Abb. 8). Was allerdings die Ordnung der Klosterherrschaft durch Eva Magdalena mit jener des Vaters verbindet, ist die Rückbindung an das ‚Alte‘, für die neben dem „Al­ ten Schloss“ nun auch die „Alte Schlosskapelle“ genug  Affordanz bot, um erhalten zu bleiben. Durch den Abriss des „Neuen Schlosses“ und die Errichtung des „Neuen Klosters“ stehen diese beiden in einer  paradig­ matischen Beziehung: Anstelle der weltlichen Herrschaft Windhag tritt nun die Klosterherrschaft mit einem neuen ideellen wie physischen Mittelpunkt. Dem Konvent war keine gute Zukunft beschieden: Die Baumaßnahmen für das „Neue Kloster“ führten zu

einer massiven Verschuldung der Herrschaft, von der sich diese bis zur Auflösung des Klosters unter Kaiser Joseph II. 1782 nicht erholte. Das „Alte Schloss“ wurde kaum gepflegt, bereits 1734 kam es zu einem Teilein­ sturz. Die noch nutzbaren Reste wurden an einen Wirt verpachtet.118 Conclusio Am Beispiel der Herrschaft Windhag in Oberöster­ reich wurde dargelegt, dass die herrschaftliche Praktik des ‚Ordnens der Dinge‘ auf unterschiedlichen Ebenen stattfand, die die adeligen Familienmitglieder nicht nur zur Positionierung ihrer eigenen Person nutzen. Auch die herrschaftlichen Objekte wurden im Realraum und mit diesem überlappend im sozialen Raum platziert. Durch das Positionieren änderte sich die  Konstellation im Herrschaftsnetzwerk einer Region und mit dieser Modi­ fikation ging eine neue soziale Stellung ihrer Akteurinnen und Akteure einher, die Auswirkungen auf die  Objekt­ gesellschaft des landsässigen Adels hatte. Die bildliche und textliche  Repräsentation der Herrschaft war dabei Teil der Praxis der  Objektvergesellschaftung und dien­ te zur Ordnung und Stabilisierung von herrschaftlichen Verhältnissen. Sie ist somit nicht nur als passive media­ le Abbildung derselben zu werten. Wie am Beispiel der beiden Ausgaben der Topographia Wind­hagiana heraus­ gearbeitet wurde, interagieren die physischen Objekte im Realraum sowie die textlich und bildlich repräsentierten Objekte im Anschauungsraum und bilden einen gemein­ samen Bedeutungspool, der zumindest in der Intention des Auftraggebers handlungsanleitend im Rahmen der eigenen Herrschaft und nach außen – im Sinne eines Vorbilds – wirken sollte. Inwieweit die darin beschriebenen Elemente offene rela­ tionale Objektgesellschaften oder räumlich / durch Prakti­ ken verdichtete Ensembles darstellen, ist vor allem eine Frage der  Skalierung in der analytischen Betrachtung: Wie oben ausgeführt, sind Burgen zentrale Medien zur herrschaftlichen Durchdringung des Raumes, die miteinander durch gleiche/ähnliche Praktiken verschie­ dener Akteurinnen und Akteure in einer offenen, rela­ tionalen Beziehung stehen. Auf der Betrachtungsebene einzelner Herrschaften sind sowohl lose als auch dichte

116 E  in Alumnat war eine Schule mit angeschlossenem Heim, vergleichbar einem Kollegium auf Universitätsebene. 117 Oppeker 1970b; Oppeker 2004b. Die Biblioteca Windhagiana ist in den Bestand der Österreichischen Universitätsbibliothek Wien inte­ griert worden: Toifl 2013, 33–36. 118 Grüll 1937, 267f.

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Ökonomiegebäude, Taverne

von/nach Münzbach

Neues Kloster

Altes Schloss von/nach Rechberg

„Alte� Schlosskapelle

von/nach Altenburg

PortiunkulaKapelle

Meierhof

von/nach Perg u. Pergkirchen

Abb. 8: Organigramm der Klosterherrschaft Windhag nach dem Stiftbüchl von 1691. Rot: Syntagmatisch verknüpftes Zentrum der Klosterherrschaft. Grün: Ökonomisch genutzte Außenbereiche. Pfeile: Kommunikationsstrukturen.

Objektgesellschaften zu beobachten. Dies liegt zum ei­ nen daran, dass geschlossene territoriale Herrschaften vor allem im Mittelalter in den Herzogtümern Öster­ reich unter und ob der Enns selten waren und Besitz­ ungen sowie Gülten oftmals in Gemengelage vorlagen. Zum anderen muss zwischen den dominikal, das heißt eigenwirtschaftlich genutzten, und rural, das heißt von Hintersassen bewirtschafteten Objekten, unterschieden werden. Da in den Herrschaftstopografien vor allem die Dominikalgüter repräsentiert sind, entstehen in deren Beschreibung und Darstellung logischerweise Lücken und Objektcluster unterschiedlicher  Dichte. Dennoch lässt sich die Intention erkennen, das Schlossgut als mehr oder weniger geschlossenes  Ensemble darzustellen.

Dies gilt im Umfeld auch für kleinere Ensembles, wie im Falle der Herrschaft Windhag für das Schlossgut Pragtal oder den Markt Münzbach mit Pfarre, Kloster, Schule und Freihaus. Das ‚Ganze Haus‘, wie es von der älteren Forschung anhand der frühneuzeitlichen Hausökonomiken noch für ein historisches Faktum gehalten wurde, ist hinge­ gen ein idealisierendes Ordnungsprinzip, das zwar auch für die beiden Ausgaben der Topographia Windhagia­ na als Leitmotiv wahrscheinlich gemacht werden kann, dessen Wirksamkeit für die zeitgenössischen sozialen Praktiken mit guten Gründen mittlerweile hinterfragt wird. Für das ‚offene Haus‘ 119 mit durchlässigen Grenzen sprechen auch die in der Herrschaftskarte visualisierten

119 Zum Begriff und dessen Anwendbarkeit siehe auch Eibach 2011.

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Beziehungsgeflechte als Wegverbindungen zu den außer­ halb von Landgericht und Burgfrieden gelegenen Herr­ schaften und Orten, und, wo diese fehlen, zumindest die piktogrammartige Darstellung derselben. Gleiches gilt für die Veduten des Schlossgutes Windhag: Wenn alle regionalen Wege durch das Schlossareal, im Falle des Münz­bacher Weges sogar durch den Schlosshof führten, dann bedeutete dies nicht nur Kontrolle über den Ver­ kehr, sondern auch regelmäßigen Kontakt mit Personen von außerhalb der Herrschaft, ob gewollt oder nicht. Die oben dargelegten Sichtbeziehungen zwischen den Herr­ schaftsappartements und den Wegen legen eher Ersteres nahe. Selbstverständlich sind dafür viele weitere Aspekte anzuführen, wie beispielsweise die Frage der tatsächlichen Präsenz Joachims von Windhag in seiner Herrschaft an­ gesichts seiner Aufgaben als Reformationskommissär und kaiserlicher Rat, doch wurde hier versucht, in erster Linie aus der Quelle selbst zu argumentieren.120 Zuletzt soll nochmals auf die Folgen der  Konstella­ tionen innerhalb der  Objektgesellschaften durch deren Neuordnung hingewiesen werden. Zumindest in ihrer Repräsentation in der Topographia Windhagiana sowie im Stiftbüchl handelt es sich um klassisches  Reframing: Die Objekte erhalten nicht nur physisch ein neues Bezugssystem, sondern damit auch einen veränderten sinnstiftenden Deutungsrahmen.121 Die Eigenschaften der Elemente innerhalb der hier beschriebenen und analysierten Objektgesellschaften sind überwiegend relational, das heißt, wiederum auf andere Objekte innerhalb der Objektgesellschaft bezogen, so beispiels­ weise „alt“ und „neu“, aber implizit auch „profan“ und „sakral“, wie am Beispiel des Stiftbüchls von 1691 zu zeigen versucht wurde. Besonders deutlich wird dies innerhalb

von Ensembles als dichte Objektgesellschaften, wie dem Schlossgut Windhag, wo Hinzufügen, Entfernen oder Adaptieren von Elementen innerhalb des Ensembles zu entsprechenden Konnotationen führte. Die Persistenz, das heißt das Bestehenbleiben älterer Objekte in neu geordneten Objektgesellschaften, wirft die Frage nach der Affordanz derselben auf. Am Beispiel des „Alten Schlosses“ sowie der „Alten Schlosskapelle“ wurde ge­ zeigt, dass die affordanten Eigenschaften dem Objekt nicht per se eingeschrieben sind, sondern sich aus der Erwartungsperspektive der ordnenden Akteurinnen und Akteure ergeben. Somit gehen auch Personen und persistentes Objekt eine Konstellation ein, die Teil der Objektvergesellschaftung ist und nur für diese Phase der Vergesellschaftung Geltung haben muss. Etwaige Bedeutungsveränderungen von Objekten in diesen Konstellationen lassen sich dabei neben ihrer expliziten Benennung durch die andere ‚Anordnung‘ der Objekte, wie der Reihung in Beschreibungen, ihrer Zugänglichkeit oder Sichtbarkeit, erkennen und interpretieren. Dass dies auch für Menschen als Elemente der Objektgesellschaf­ ten gilt, zeigt das Beispiel der Herren von Frühstorf und ihrer Stellung und Benennung in Zeugenreihen vor und nach dem Erwerb / der Gründung der Burgherrschaft Windhag. Objekte, Menschen und Praktiken sind somit gleichrangige Elemente der Objektgesellschaften, die je nach Konstellation stabilisierende oder dynamisierende Wirkung entfalten können. Die Analyse von Object Links in mittelalterlichen und frühneuzeitlichen Herr­ schaften ermöglicht, soziale wie physische Phänomene miteinander in Sinnzusammenhänge zu bringen und ‚Kulturen des Herrschens‘ auch als gewinnbringenden Teilaspekt der Material Culture Studies zu erschließen.

120 D  ie über Jahrzehnte quellenmäßig belegbare Anwesenheit verschiedener Künstler zur Ausstattung des Schlosses ist ein weiterer Beleg für das ‚offene Haus‘: Valenta 2004, 56, 61, 78. 121 Zum Framing als Analysekategorie von Erinnerung und Erzählung u.a. Goffmann 1974.

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Verkaufsurbar 1636

Top. Wind. 1656

Top. Windh. 1673

Stiftungsbüchl 1691

„Schloss“ Windhag (Burg)

Hft. Windhaag in toto

Altes Schloss Windhaag

Alte Schlosskapelle

„Außerhalb des Grabens“

Schloss Pragtal

Dominikanerinnenkloster im Alten Schloss

Neue Klosterkirche

Kapelle

Burgstall Saxenegg

Neues Schloss Windhaag

Portiunkulakapelle

Rossstall

Burgstall Mitterberg

Galerie

Neues Kloster

Reitstübl

Markt Münzbach

Schlosskapelle und Gruft

Das „Alte Schloss“

Getreidekasten

Neues Schloss Windhag (nicht

Portiunkulakirche

Meierhof

explizit) „Im Unteren Hof“

Gruft

Bibliothek

Bräuhaus

Brauhaus

Schlosskapelle

Kunstkammer

Bäckerei (Pfisterei)

Schmiede

Bibliothek

Rüstkammer

Schmiede

Badstübl

Römersaal

Werkzeugkammer

Holzhütte

Oberer Torturm

Österreichersaal

Römersaal

Torwärterstube

Tavernen

Portiunkula-Kirche

Österreichersaal

Hoftaverne

Hofgarten

Apotheke

Tafelstube

Fischwasser, Teiche

Meierhof

Hft. Reichenau

Herrschafts-Schlafkammer

Wiesen

Weitere Wirtschaftsgebäude

Glashütte Reichenau

Schreib- Oder Vorstube

Äcker

„Alte“ Felder

Aigen Groß Pertholz

Herrschaftliches Zimmer /

Wald („Holz“)

Retirada Vier Bauerngüter

Sitz zu Groß Pertholz

Sala Terrena / Frescada

Wildbann und „Reißgejaid“

Neue Hoffelder

Dorf Langschlag

Grotte

Steinbrüche

Alte Wiesen

Springbrunnen

Töpfer (Tachet-) und Ziegelofen

Neue Wiesen

Haus in Wien

Teiche

Zehente

Schloss Pragtal mit Ziegel­ stadel, Meierhof

Garten in Wien

Apotheke und Laboratorium

Kuchldienst

Hft. Saxenegg

Mauthaus Neumarkt an der Ybbs

Weitere Wirtschaftsgebäude und -räume

Gelddienst

Hft. Mitterberg

Ebelsberger Hof bei Linz

Handwerks-Haus

Untertanen und Ämter

Landgericht

Schlossgarten

Schloss und Meierhof Pragthal

Kleine Salzmaut (nicht ausgeübt)

Schloss Pragtal, Meierhof und Zugehörungen

Krotentalhof

Fischwasser

Burgstall Saxenegg

Markt Münzbach

Wildbann und „Reißgejaid“,

Burgstall Mitterberg

Hoftaverne Münzbach

Wälder

Markt Münzbach

Freihaus Münzbach

Steinbrüche

Schule Münzbach

Spital Münzbach

Zehente

Pfarr- und Klosterkirche Münzbach

Dominikanerkloster Münzbach

Vogtei und Lehenschaft über Pfarren Münzbach, Altenburg, Pergkirchen, Rechberg

Neues Dominikanerkloster Münzbach

Rosenkranz-Bruderschaft

Rosenkranz-Bruderschaft

Alumnat Münzbach

Hft. Reichenau

Pfarre Münzbach

Glashütte Reichenau

Pfarre Altenburg

Aigen Groß Pertholz

Pfarre Rechberg

Sitz zu Groß Pertholz

Hoftaverne Rechberg

nach Pfarren gegliedert

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Verkaufsurbar 1636

Top. Wind. 1656

Top. Windh. 1673

Stiftungsbüchl 1691

Dorf Langschlag

Pfarre Pergkirchen

Kreuzsäule

Windhaag’sche Stipendien­ stiftung (Wiener Alumnat)

Hft. Rosenburg

Windhaag’sche Bibliothek

Schlosskapelle Zwei Hauptsäle Lustgarten Wildbad Andere Zugehörungen Sitz Wolfshof Freihaus Maissau Vier inneren Ämter Vier obere Ämter Vier untere Ämter Schloss und Hft. Groß Poppen mit Sitz Pernstorfer Hof zu Schlages Pfarre Groß Poppen und Oberndorf Amt und Dorf Rausmanns Legende:

Altes Schloss (mit Nachnutzungen) Neues Schloss

mit dem Schloss baulich verbundene Ökonomiebauten als Teil des herrschaftlichen Ensembles von Schloss Windhaag

 ußenanlagen als Teil des herrschaftlichen Ensembles A von Schloss Windhaag



 icht zum Schlossensemble gehörende, aber mit der n Hft. Windhaag verbundene resp. innerhalb des Land­ gerichtssprengels gelegene Besitzungen und Rechte



Externe Herrschaften und Besitzungen

Waldkirche zu Rausmanns Schloss und Hft. Neunzen Sitz Wurmbach Sitz Kirchstetten samt Zugehörung Haus in Wien Garten in Wien Haus in Wien Appendix mit seit 1656 ver­ äußerten Besitzungen Mauthaus Neumarkt a.d. Ybbs Ebelsberger Hof Sitz Auhof bei Perg

Tabelle 1

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Siglen und Abkürzungen BayHStA Bayerisches Hauptstaatsarchiv Hs. Handschrift Inv.Nr. Inventarnummer KL Kloster NÖLB Niederösterreichische Landesbibliothek OÖLA Oberösterreichisches Landesarchiv StiA Stiftsarchiv Top. Slg. Topographische Sammlung Gedruckte und ungedruckte Quellen Letzter Zugriff auf Internetlinks im Juni 2019. Frast 1851 Johannes von Frast (Hg.): Das „Stiftungen-Buch“ des Cister­ cienser-Klosters Zwettl (Fontes Rerum Austriacarum II/3), Wien 1851. Digitalisat: http://manuscripta.at/m1/hs_detail. php?ID=35889. Georgica Curiosa 1682 Wolf Helmhardt von Hohberg: Georgica Curiosa: Das ist: Umständlicher Bericht und klarer Unterricht Von dem Ade­ lichen Land- und Feld-Leben/ Auf alle in Teutschland übli­ che Land- und Haus-Wirthschafften gerichtet […], Nürn­ berg 1682. Digitalisat: http://digital.bibliothek.uni-halle.de/ hd/content/titleinfo/363108. Khevenhüller-Chronik 1623  Georg Mooshammer (Autor), unbekannter Maler: Ge­ nealogia und Beschreibung aller Khevenhüller […]. Wien, Museum für Angewandte Kunst, Inv.Nr. BI 21608. – Die beiden erhaltenen Bände der Khevenhüllerhistorie des Franz Christoph Khevenhüller: Oberösterreichisches Landes­archiv (OÖLA), Musealarchiv, Hs. 189, Khevenhüller-Historie Bd.  1 (ca. 1623), Stifts­bibliothek St. Florian, Hs. XI 508, Khevenhüller-Historie Bd. 3 (ca. 1628). Noichl 1978 Elisabeth Noichl: Codex Falkensteinensis. Die Rechtsauf­ zeichnungen der Grafen von Falkenstein, Quellen und Erörterungen zur bayerischen Geschichte N.F. 29, Mün­ chen 1978. Digitalisat und Edition online verfügbar unter https://www.bayerische-landesbibliothek-online.de/co­dex falkensteinensis. Rössl 1971 Joachim Rössl, Stift Zwettl (Hg.): Liber fundatorum Zwetlen­ sis monasterii, Hs. 2/1. „Bärenhaut“. Faksimile (Codices selecti Facsimile 73), Graz 1981. Rössl 1981 Joachim Rössl: Liber Fundatorum „Bärenhaut“. Kommentar zur vollständigen Faksimile-Ausgabe (Codices Selecti Facsi­ mile Commentarium 73), Graz 1981.

Dinge ordnen

TW 1656  Clemens Merian (Hg.): Topographia Windhagiana. Das ist: Aygentliche Delineation oder Contrafaictur, Perspectiv, Auffzug, Grund: und Außriß auff unterschiedlichen Pros­ pecten und Formen, mit beygesetzter kurtzer Historischer Beschreibung beyder Herrschafften, Windhaag und Reiche­ nau […], Frankfurt am Main 1656. TWA 1673 Hyazinth Marian Fidler: Topographia Windhagiana aucta. Das ist: Vermehrte aigentliche Delineation oder Contra­ faictur, Perspecti, Auffzug / Grund= und Abriß auff unter­ schidliche Prospecten und Form / mit beygesetzter kurtzer historischer Beschreibung der Graf= und Herrschafen Windhaag / Rosenburg am grossen Khamp […], Wien 1673. UBOE 4 Erich Trinks (Bearb.): Urkundenbuch des Landes ob der Enns, Bd. 4: 1283–1308, Wien 1867. Xenophon 1828  Xenophon: Von der Haushaltungskunst und Hiero oder Herrscherleben, in: Adolf Heinrich Christian (Hg.): Xeno­ phon’s von Athens Werke Dritte Abteilung, Neuntes Bänd­ chen, Stuttgart 1828.

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Thomas Kühtreiber

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Thomas Kühtreiber

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Abbildungsnachweis Abb. 1: Kartengrundlage: DORIS/Land Oberösterreich, Abtei­ lung für Geoinformatik und Liegenschaften. Datengrundlage Kartierung: DORIS, Berichtigungen und Ergänzungen Thomas Kühtreiber und Christian Steingruber. Abb. 2: Entwurf: Thomas Kühtreiber, Ausführung: Franz Siegmeth. Abb. 3: Aus TW 1656 und TWA 1673, Stich A. NÖLB, Top. Slg., Inv.Nr. 27723_1. Abb. 4: Entwurf: Thomas Kühtreiber, Ausführung: Franz Siegmeth. Abb. 5: Aus TW 1656, Stich G. NÖLB, Inv.Nr. 27723_7. Abb. 6: Entwurf: Thomas Kühtreiber, Ausführung: Franz Siegmeth. Abb. 7: Aus TWA 1673, Stich B. NÖLB, Top. Slg., Inv.Nr. 27723_2. Abb. 8: Entwurf: Thomas Kühtreiber, Ausführung: Franz Siegmeth. Tabelle 1: Entwurf: Thomas Kühtreiber, Ausführung: Franz Siegmeth.

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Ingrid Matschinegg

Inventarisierte Objekte verlinken: Schreibzeug, Schreibtisch, Schreibstube. Objekte und Orte des Schreibens auf Burgen (15. und 16. Jahrhundert) Abstract This paper draws attention to objects and places related to writing. Starting from the common and widespread con­ clusion that the transition from the Middle Ages to the early modern period is marked in many areas by processes of writing, the paper raises the question of whether the production of written documents in castle home offices (in Austria) can be shown. For this purpose, inventories are drawn upon, in particular those in which the movable things of the household, together with the rooms in Vorbemerkung In Zeiten von Notebooks, Smartphones, Software etc. und einer permanenten digitalen Vernetzung erfordern die herkömmlichen Bürojobs nur mehr eine reduzierte materielle Ausstattung und Infrastruktur. Mit der Digi­ talisierung können wir von jedem Ort aus arbeiten. Ar­ beitsplätze und Orte, an denen Schreibtischtätigkeiten ausgeübt werden, sind flexibel nutzbar, und werden in im­ mer stärkerem Ausmaß in das sogenannte „home­office“ verlagert, das in der Regel in den privaten Räumlichkei­ ten der Akteurinnen und Akteure angesiedelt ist. Mit der Möglichkeit, die Arbeit zumindest teilweise von zu Hause aus zu leisten, können sich die Konstellationen im häuslichen Bereich ändern: Es müssen zum Beispiel neue, arbeitsbezogene Büroutensilien in den Wohnraum inte­ griert oder Objektnutzungen flexibilisiert werden. Der

which they were located, have been recorded in writing. Writing utensils, pieces of furniture, as well as the places and spaces in which writing took place can be linked as ensembles, clusters, and object associations examined re­ garding changes in these relationships. While in the 16th century an increase in writing was discernible, writing activities increasingly shifted to separate writing spaces, which again altered the constellations of the entire object association. The evaluation of the inventories makes use of the potential of the RaumOrdnungen research database, which was developed at IMAREAL. Esstisch kann zeitweilig zum Arbeitstisch werden und im Regal oder der Kommode muss Platz frei gemacht wer­ den, um Arbeitsmittel zu verwahren, die im „homeoffice“ benötigt werden. An den Objekten im Wohnraum wird nicht nur die (multifunktionale) Raumnutzung evident, sondern „es spiegeln sich die Gesellschaftsstrukturen ei­ ner Epoche wieder“.1 Der häuslichen Schreibtischarbeit wird in der neue­ ren Forschung zur administrativen Schriftlichkeit des Adels in der Frühen Neuzeit eine wichtige Rolle zuge­ schrieben und damit auch eine neue Sichtweise auf bisher kaum beachtete oder übersehene Schreib- und Arbeits­ praktiken, die im Haus respektive in der Burg ausgeübt wurden, eröffnet.2 Mein Beitrag nimmt nun weniger die administrativen und kommunikativen Prozesse, in die der Adel am Übergang vom Spätmittelalter zur Frühen Neuzeit involviert war,3 in den Fokus, als die materiellen

1 B  audrillard 1968, 23. 2 Ludwig 2015, 190–198. Das Haus in der Geschichte ist Gegenstand des umfassenden, von Eibach und Schmidt-Voges 2015 herausgegebenen Handbuchs. Zum Konzept Haus und Haushalt siehe auch den Beitrag von Thomas Kühtreiber in diesem Band. Nolte 2007, 13 verwendet den Begriff der Schreibtischarbeit im Kontext des neuen Regierungsstils von Regenten ab dem beginnenden 16. Jahrhundert. 3 Im österreichischen Raum sind schriftlich-administrative Tätigkeiten auf Burgen ab dem 14. Jahrhundert nachweisbar (Handzel 2005). In der Frühen Neuzeit kann von einer Intensivierung der Schreibtätigkeiten in den Räumlichkeiten von Burgen und Schlössern ausgegangen werden. Forciert wurde diese Entwicklung durch schulisch und teilweise auch akademisch ausgebildete, vielfach mit fundierten juristischen Kenntnissen ausgestattete Adelige (Heiß 1992, 460–470; Matschinegg 1999, 63–71; Müller 1974) die mit ihren erlernten Kompetenzen sowohl die frühstaatlichen Verwaltungsprozesse im Großen (Schnur 1986; Stolberg-Rilinger 2013, 3–27; Emich 2011, 81–95) als auch die Verwaltungsumsetzung innerhalb des eigenen Herrschaftsbereichs, gewissermaßen im Kleinen (Sperl 1994, 12–49), neu gestaltet haben.

 Die mit einem blauen Pfeil markierten Begriffe sind im Beitrag „Begriffsforum“ in diesem Band vertreten, samt einer im Rahmen der Object Links entwickelten Diskussion und Verweisen, wo der jeweilige Begriff im Buch noch verwendet wird.

Inventarisierte Objekte verlinken

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Objekte und Räume, in denen Schriftlichkeit praktiziert wurde. Ziel ist es, den Prozess der Verschriftlichung von Herrschaftspraxis4 über das Vorhandensein einer spezi­ fischen Infrastruktur zu beschreiben, indem die Objekte und Räume des Schreibens eruiert, lokalisiert und im Analyserahmen der Forschungsperspektive Object Links interpretiert werden. Wie konfigurieren die Akteurinnen und Akteure ihre Schreibutensilien in bestehenden Raumnutzungs­ kontexten? Lassen sich daraus gemeinsame und/oder unterschiedliche Orte für das Schreiben und Lesen erschließen? Welche Veränderungen im Bereich der Innenausstattung zieht die Herausbildung eines neuen Aufgabenbereiches nach sich? Wo werden die Schreib­ arbeiten erledigt, wo die Schriftstücke verwahrt? Werden eigens dafür neue Räume eingerichtet und wie werden diese in die bestehenden Raumstrukturen integriert? Vorarbeiten Die hier vorgenommene Untersuchung stützt sich auf Vorarbeiten, die am Institut für Realienkunde des Mittel­ alters und der frühen Neuzeit (IMAREAL) im Rahmen des interdisziplinären DOC-Team Projektes „RaumOrd­ nungen“ geleistet wurden.5 Ziel dieses Projekts war es, ausgehend von den Dingen/Objekten und jenen damit in Verbindung stehenden Handlungen die historische Ent­ wicklung von Raumfunktionen und Ausstattungsmustern auf Adelssitzen des Mittelalters und der Frühen Neuzeit darzustellen. Als Quellen wurden dafür hauptsächlich Burgeninventare, archäologische Kleinfunde sowie auch einige literarische Texte aus dem Spätmittelalter heran­ gezogen und in eine Forschungsdatenbank eingearbeitet.6

Erste Auswertungen haben bereits gezeigt, dass diese breite Materialbasis weitreichende Analysen in viele Richtungen ermöglicht, darunter auch Aussagen zu häuslich-adminis­ trativer Schriftlichkeit und deren Entwicklung vom 15. bis zum 16.  Jahrhundert erlaubt.7 Auf der Grundlage dieser Vorarbeiten sollen die Raum-Objekt-Beziehungen unter dem Blickwinkel ihrer raumübergreifenden  Objekt­ gesellschaften betrachtet und die sich daraus ergebenden Object Links aufgezeigt werden. Schriftliche Inventare – Listen mit Potenzial Wie lassen sich die Schreibtischarbeiten sowie die damit verbundenen materiellen Ausstattungen und räumlichen  Konstellationen quellenmäßig festmachen? Für dieses Unterfangen werden im Folgenden vorrangig Inventare als Materialbasis herangezogen. Inventare wurden und werden im Rahmen neuer kulturgeschichtlicher Zugänge – sogenannter „turns“ – immer wieder auf ihre Belast­ barkeit als Informationsträger für die materielle Kultur vergangener Zeiten überprüft. Dabei geht es nicht aus­ schließlich um geschichtswissenschaftliche Quellenkritik im Sinne der Frage nach dem Aussagewert,8 sondern ge­ nerell um das Potenzial von Dingen im Kontext neuer Methoden und Theorien.9 Schon seit den 1970er Jahren bilden Inventare aus dem Spätmittelalter und der Frühen Neuzeit einen zentralen Quellenbestand für neue Ansätze im Bereich der interdisziplinären Erforschung materieller Kultur. Untersucht wurden schwerpunktmäßig Wohnund Lebensverhältnisse und insbesondere die materiellen Ausstattungen von Haushalten im adelig-ländlichen wie auch – in kleinerem Umfang – im städtischen Raum so­ wie von kirchlichen und klösterlichen Lebensräumen.10

4 Nolte 2007, 12–14; Sablonier 2002, 91–120, mit Forschungsstand 93–98. 5 Zum Projekt vgl. Kühtreiber 2007, 59–79; Klug et al. 2010, 179–198; Handzel et al. 2015, 15–66; Schichta, Schmid 2015, 483–506; Handzel, Kühtreiber 2015, 507–541 sowie die aus dem Projekt hervorgegangenen Dissertationen von Handzel 2011 und Schmid 2017. Das Projekt wurde von der Österreichischen Akademie der Wissenschaften gefördert. 6 http://raumordnungen.imareal.sbg.ac.at [letzter Zugriff im Juni 2019]. Die Datenbank ist frei im Internet zugänglich. 7 Vgl. Klug et al. 2010, 179–198. 8 Zum Aussagewert von Inventaren im geschichtswissenschaftlichen Kontext zuletzt Riello 2013. 9 Einen unverstellten Blick auf Gegenstände der Vergangenheit gibt es nicht. Im Prisma der neueren theoriegeleiteten Zugänge erscheinen Dinge je nach Blickwinkel als Konstrukte, die daraufhin befragt werden, ob sie reden können (Daston 2004), ob sie ein Eigenleben (Appadurai 1986) oder Eigensinn (Hahn 2015) haben, über  Agency (Latour 2000) und/oder  Affordanz (nach Gibson 1966) verfügen, um nur einige Zugänge zu nennen. Einen ausgezeichneten Leitfaden entlang der wendungsreichen Wege (und Wellen) der Theorieanwendung in den Kulturwissenschaften bieten Keupp, Schmitz-Esser 2015, 9–56. 10 Stellvertretend für die Vielzahl an Forschungen über und mit Inventaren seien hier genannt: Löffler 1977, 120–131; Van der Woude, Schuurman 1980; Mohrmann 1980, 69–86; eine Zusammenstellung der sehr produktiven ersten Forschungswelle, in der intensiv mit der Quellengattung Inventare gearbeitet wurde, enthält die internationale Bibliografie zu den Nachlassverzeichnissen von Mannheims und Roth 1984; weiters siehe Löwenstein 1991, 43–70; Herrmann 1998, 77–104. Gegen Ende des 20. Jahrhunderts ging im deutschsprachigen Raum das Forschungsinteresse zu Lebensverhältnissen etc., das sich in der Darstellung auf Inventare stützte, deutlich zurück. Unter den

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In der historischen Überlieferung tauchen Inventare in Texten ab dem 12.  Jahrhundert auf 11 und sind heute (massenhaft) in Archiven und Bibliotheken zugänglich. Als schriftliche Dokumente der kirchlichen, landes­ fürstlichen oder städtischen Obrigkeiten erfüllten sie in erster Linie den Zweck, im Zuge von Nachlassabhand­ lungen, Pflegschaftsübergaben, Verpfändungen, Besitz­ übertragungen oder Erbstreitigkeiten die beweglichen Güter des Hauses im Rahmen rechtlicher Verfügungen festzuschreiben.12 Die schriftliche Ausfertigung von Besitzverzeichnissen des Adels beginnt im mitteleuropä­ ischen Raum ab dem 12. Jahrhundert, von einer dichteren Überlieferung lässt sich erst im 15. Jahrhundert sprechen, wobei vor allem aus dem Tiroler Raum außerordentlich viele Pflegschaftsübergaben erhalten sind.13 Davon unter­ scheidet sich die Überlieferungssituation für die Nachlass­ inventare insofern, als die post-mortem durchgeführten Inventarisierungen des Nachlasses zeitlich zwar etwas später, dafür aber flächendeckend auf dem Gebiet des heutigen Österreich einsetzten. Für die hier durchzufüh­ rende Untersuchung ist die Unterscheidung zwischen Pflegschafts- und Nachlassinventaren insofern von Be­ deutung, als bei ersteren in der Regel keine persönlichen Gegenstände wie beispielsweise Kleidung, Schmuck oder persönlicher Buchbesitz verzeichnet, sondern nur jene, die den jeweiligen Burgpflegern oder Hofmeistern zur Verfügung gestellt wurden. Nachlassinventare sind dem­ gegenüber meist umfangreicher, sie listen das im Zuge der Begehung vor Ort Vorgefundene auf.14 Es handelt sich bei allen Arten von Inventarisierungen im Wesentlichen um Momentaufnahmen der beweglichen Güter eines

Haus­haltes und diese sind oft auch bei weitem nicht voll­ ständig erfasst.15 Über vollständige Listen zu verfügen, die alles real Vorhandene beinhalten, wäre aus heutiger Sicht natürlich wünschenswert, war aber in der histori­ schen Situation der Inventarisierung nicht unbedingt das Ziel. Wie in mehreren Arbeiten, die sich quellenkritisch mit Inventaren auseinandergesetzt haben, gezeigt werden konnte, ist es diesem Quellentyp inhärent, dass eine gewisse Auswahl getroffen wurde.16 Sowohl das Weg­ lassen von scheinbar wertlosen Gegenständen als auch die intendierte Unterschlagung von Wertgegenständen können Ursachen für Verzerrungen sein, die sich stärker aus dem Frageinteresse als dem Zweck der Inventarisie­ rung begründen.17 Generell stellen Inventare – wie auch viele andere praktische Listen – Ordnung her, sie fassen Dinge, die an einem Ort sind, zusammen und bringen sie in eine Einheit.18 Die Kriterien dieser Ordnungen sind unter anderem Gegenstand einer Kulturgeschichte der Verwaltung,19 zu der auch diese Studie einen Beitrag leisten möchte. Der Raum als Analysekategorie Der Raum hat sich in den letzten Jahrzehnten im Zuge des sogenannten „spatial turn“ als eine der maßgebli­ chen Analysekategorien in den Kulturwissenschaften eta­bliert.20 Die Auseinandersetzung mit Raumkonzep­ tionen, -theorien, -wahrnehmung etc. hat das räumliche Denken Disziplinen übergreifend gefördert und ein breites Bewusstsein dafür geschaffen, dass Raum niemals

Publikationen seit der Millenniumswende sei auf die Arbeiten von Bužek 2004, 468–476; Fey 2007, 473–483; Friedhoff 2006, 26–34 und Jaritz 2009, 160–166, mit der dort zitierten neueren Literatur verwiesen. Im Buchhandel für 2019 angekündigt, aber zum Zeitpunkt der Manuskriptabgabe (Feb. 2019) noch nicht erschienen, ist die zweibändige Monografie von Antenhofer. 11 Als zeitlich sehr frühes Beispiel (ca. 1168/69–75) sei hier das Verzeichnis von Wertgegenständen, Hausrat und Waffen im Codex Falkensteinensis angeführt, vgl. Noichl 1978, Nr. 104, 67f. 12 Zu den variierenden Rechtsvorschriften innerhalb der habsburgischen Länder siehe ausführlich Handzel 2011, 49–55. Grundlegend zum Erbrecht im Mittelalter Wesener 1957. 13 Die Edition von Tiroler und Vorarlberger Inventaren erfolgte bereits 1909 durch Oswald von Zingerle, weitere Editionsprojekte in diesem Umfang gibt es für den österreichischen Raum nicht, sehr wohl aber mehrere Editionen von Einzelinventaren, die im Rahmen des „RaumOrdnungen“-Projektes auch verwendet wurden. 14 Zu den unterschiedlichen Praktiken des Inventarisierens siehe Handzel 2011, 58–62 und Jaritz 2009, 163–165. 15 Zu den Aussagemöglichkeiten von Pflegschafts- und Nachlassinventaren siehe Handzel 2011, 44–73. 16 Zum Problem der (Un)Vollständigkeit Jaritz 1989, 16–17; Löwenstein 1991, 43f.; Handzel et al. 2015, 36–37; Riello 2013, 136. 17 Handzel et al. 2015, 37. Die meisten der hier untersuchten Inventare enthalten keine monetarisierten Wertangaben, daher werden in dieser Studie auch keine Aussagen darüber gemacht. Selbst wenn solche Angaben in größerer Dichte vorhanden wären, sind es keine berechenbaren ‚Marktpreise‘, wie sie in Rechnungsbüchern vorliegen, sondern Schätzwerte, in die auch individuelle Wertschätzungen einfließen. Zur komplexen Thematik des Wertes und der Wertschätzung von Dingen siehe zuletzt Hahn 2019. 18 Vgl. Eco 2011, 113–118. 19 Einen ersten Vorstoß zu einer Kulturgeschichte der Verwaltung leistete Becker 2003; konkrete Beiträge enthält z.B. der Sammelband von Hipfinger et al. 2012. 20 Einen Überblick zu den unterschiedlichen Zugängen geben Glasze, Mattissek 2009 sowie zuletzt Günzel 2017.

Inventarisierte Objekte verlinken

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als „leer“ denkbar ist, sondern in Verbindung mit  Re­ präsentations-, Macht- und Herrschaftsansprüchen steht.21 Diese im weitesten Sinn sozialen  Praktiken der Raum­erschließung und -nutzung sind wiederum mit dem Objektgebrauch eng verknüpft.22 An diesem Punkt setzt die Untersuchung an, indem sie die raumspezifischen und raumübergreifenden Links von Objekten der Schriftlich­ keit frei legt und, wenn möglich, die Verbindungen zu den historischen Akteurinnen und Akteuren herstellt. Im Rahmen des „RaumOrdnungen“-Projektes wurden daher nur solche Inventare berücksichtigt, bei denen die schriftliche Aufstellung der Hinterlassenschaft nach Innenräumen gegliedert ist, sodass raumbezogene Fragen über einen größeren Zeitraum hinweg vergleichend un­ tersucht werden können. Die Raum-für-Raum-Inventa­ risierung eröffnet nicht nur den Blick auf die räumliche Verteilung der mobilen Ausstattung, sondern ermöglicht Fragen nach den  Objektgesellschaften, spezifischen  Ensembles sowie den hinsichtlich von Raumfunktionen signifikanten Merkmalen von Objekten. Samplebildung: Auswahl, regionale Streuung, Umfang und Quellenaufbereitung Inventare sind in großer Zahl archivalisch überliefert, aber nur ein ganz kleiner Teil wurde bislang ediert.23 Selbst wenn man ausschließlich Raum-für-Raum-In­ ventare berücksichtigen würde, wäre eine vollständige Erfassung der vorhandenen Quellen mittelfristig nicht realisierbar. Deshalb wurden im Rahmen des „RaumOrd­ nungen“-Projektes 31 Inventare für die datenbankmäßige Aufbereitung nach Kriterien ausgewählt, die eine gewisse Repräsentativität in ihrer zeitlichen und räumlichen Verteilung gewährleisten. Das Inventarisierungsdatum liegt zwischen 1432 und 1602, womit Entwicklungen über eineinhalb Jahrhunderte hinweg zumindest punktuell verfolgt werden können. Die räumliche Verteilung der inventarisierten Burgen und Schlösser deckt im Wesent­

lichen den habsburgischen Länderkomplex ab (Abb.  1), mit einem räumlichen Schwerpunkt auf dem Gebiet des Erzherzogtums Österreich sowie einigen Standorten in Innerösterreich und Tirol und einer in Vorderösterreich gelegenen Burg.24 Insgesamt konnten 28 Standorte geo­ grafisch lokalisiert werden; in einem Fall wurden zwei Burgen im Besitz derselben Familie nach dem Tod des Inhabers separat inventarisiert, und von zwei Standorten liegen zwei mit zeitlichem Abstand erfolgte Inventarisie­ rungen vor. Bei der Auswahl der in die Untersuchung aufgenom­ menen Inventare wurde auf eine Streuung hinsichtlich des Umfanges an inventarisierten Gegenständen geachtet, indem sowohl mehrere sehr kurze Listen mit unter 100 als auch zwei enorm umfangreiche Verzeichnisse mit über 1.500 einzelnen Einträgen berücksichtigt wurden (Abb. 2). Insgesamt wurden aus den 31 Inventaren 11.525 Einträge in die Datenbank aufgenommen. Als Eintrag oder „Item“ wird jede im Vorgang des Inventarisierens angelegte Ein­ heit gezählt, die sich auf einen Gegenstand bezieht oder mehrere Einzelgegenstände einschließen kann. Bereits im Zuge der Datenerfassung wurden die Einzel­ bezeichnungen einem am IMAREAL entwickelten The­ saurus zugeordnet, um die Bezeichnung der materiellen Objekte in ein möglichst einheitliches System zu bringen. Bei der Erarbeitung eines kontrollierten Vokabulars und einer verbindlichen Begrifflichkeit steht man vor einem Grundproblem, das nie ganz überwunden werden kann: Genaugenommen handelt es sich bei den Inventarein­ trägen nicht um physische Gegenstände, sondern um geläufige Bezeichnungen, die im Rahmen der Inventarisie­ rung verwendet wurden, um den jeweiligen Hausrat, die beweglichen Güter wie auch die Bezeichnung für Räume und Gebäude im weiteren Sinn begrifflich und schriftlich festzuhalten. Die Bezeichnung „Tisch“ in einem Inventar ist als Aussage über einen Gegenstand zu lesen, den die inventarisierende Person vor sich hatte. Das impliziert, dass die Vorstellungen derjenigen Personen, die an der Erstellung der Inventare beteiligt waren, in das Verhältnis

21 M  aßgebliche Impulse wurden von Löw 2001 von Seiten der Raumsoziologie in die Diskussion eingebracht. Die Raumkonzepte im Projekt „RaumOrdnungen“ zusammenfassend: Handzel et al. 2015, 16–18. Weiterführend zur zentralen Bedeutung der Analysekategorie Raum siehe Schmid 2017, 7–24. 22 Immer noch grundlegend Baudrillard 1968. 23 Am umfangreichsten ist die weiter oben genannte Edition der Tiroler und Vorarlberger Inventare durch Zingerle 1909. Auf die Zitierung der Einzeleditionen muss hier aus Platzgründen verzichtet werden. 24 Es handelt sich bei Letzterer um die Mindelburg im schwäbischen Mindelheim, die über ihre Inhaber eng mit dem Tiroler Adel verbunden war; die Mindelburg wurde um die Mitte des 15. Jahrhunderts von der Tiroler Adelsfamilie Frundsberg erworben. Das hier verwendete, umfangreiche Inventar von 1586, stammt aus dem im OÖLA befindlichen Nachlass Georgs II. von Frundsberg; OÖLA, Herrschaftsarchiv Aurolzmünster Hs. 3; ein weiteres aus dem Jahr 1589 befindet sich im bayerischen Hauptstaatsarchiv in München, da die Burg wegen Erbschaftsstreitigkeiten zweimal inventarisiert wurde; BayHStA, Kurbayern Äußeres Archiv 811.

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Abb. 1: Geografische Standorte der Burgen und Schlösser, die im Beitrag genannt werden.

von Objekt und Beschreibung eingeflossen sind. Ob die vorgefundenen Dinge bei der Momentaufnahme der Inventarisierung immer klar erkenn- und benennbar waren, muss offen bleiben. Diese quellenimmanenten Verzerrungen können zwar konstatiert, aber nicht gänz­ lich aufgelöst werden und setzen sich bei der Kategori­ sierung der Quellenbegriffe über einen systematisierten Thesaurus fort, zumal es bei der Übertragung in ein nach gegenwärtigen Kriterien strukturiertes Ordnungskonzept auch Begriffe gibt, die einfach nicht zugeordnet werden können, weil es für die angeführten Bezeichnungen keine klar identifizierbaren dinglichen Entsprechungen mehr gibt. Bei der Analyse des Inventarvokabulars ist auch die Beharrungskraft regionaler Sprachverwendungen zu berücksichtigen: Man ist damit konfrontiert, dass sich Veränderungen in der Objekt- und Raumnutzung sowie daraus resultierende neue, modifizierte Bezeichnungen

erst mit einer gewissen zeitlichen Verzögerung in den Listen abbilden. Umgekehrt können auch zum Zeit­ punkt des Aufschreibens moderne Begriffe für sehr alte Gegen­stände verwendet worden sein. Probleme dieser Art müssten in einer eigenständigen linguistischen Un­ tersuchung geklärt werden.25 Abb.  3 zeigt, in ansteigender Balkenhöhe, wie oft einzelne Items zahlenmäßig über alle herangezogenen Inventare hinweg in den vordefinierten Objektgruppen repräsentiert sind. Auf einen Blick ist zu sehen, dass die jeweiligen Gruppen in der Anzahl der zusammengefass­ ten Objekte sehr stark variieren. Als kleinste Gruppe mit nur 13  Zuweisungen stehen Gegenstände, die speziell mit Strafvollzug in Verbindung zu bringen sind am Anfang der Reihe; Objektgruppen mit weniger als 100 Zuweisungen sind Musikinstrumente, messtechnische Geräte wie Uhren oder Waagen, Dekoration und weitere

25 Weiterführend zur Thematik „Sachen und Wörter“ siehe einzelne Beiträge in Schmidt-Wiegand 1981 und Kühtreiber 2007, 72–75.

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2000 1890

Anzahl der Items (n = 11525)

1630

1500

1000

936 874

620

500 366 385

407 412

438 440

266 276

58

69

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88

93

162 169 176 181 138 152 155 159 112 118 121

208 213 213

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Abb. 2: Balkendiagramm mit Namen der inventarisierten Burgen und Jahr der Inventarisierung; Reihung aufsteigend nach Anzahl der „Items“ [N =11.525 | Range = 1832].

Spezialobjekte mit profanem oder sakralem Charakter. Auf der anderen Seite der Anordnung stehen mit jeweils über 2.000 Nennungen die zahlenmäßig starken Grup­ pen Textilien, Geräte, Möbel und Behälter/Gefäße, auf die insgesamt mehr als zwei Drittel (72 %) der erfassten Gegenstände entfallen. Ganz gut erkennbar, aber mit 242 bzw. 2,1 % aller Nennungen nicht herausragend, liegt die kleine Objektgruppe Schreibzeug/Schriftstücke im mitt­ leren Bereich der Tabelle. Unter dieser Gruppe wurden alle Eintragungen subsummiert, die im weiteren Sinn mit Schreib- und Lesetätigkeiten in Verbindung stehen, nicht

eingerechnet die Schreibtische, die der Möbelgruppe zu­ gewiesen wurden. Das an sich kleine Segment „Schreibzeug/Schriftstücke“ umspannt eine durchaus facettenreiche Liste – von „Ab­ kommen“ bis „Zettel“ – auf der sowohl die Schreibuten­ silien vertreten sind, als auch Dokumente, Rechnungen und Briefe sowie eine relativ große Gruppe von Büchern (Tab.  1). Die Bestandsangaben in den Inventaren sind meist nur summarisch oder beruhen auf groben Schät­ zungen wie etwa „einige Zettel“ 26 oder „viele Bücher“ 27.

26 Verzeichnet im Inventar von Schloss Bruck 1501 in der Frauenzimmerstube TLA, Inventare A 203/1 ohne Foliierung. 27 Aufgezeichnet im Inventar von Schloss Pürnstein 1564, wo sich die Büchersammlung des verstorbenen Paul Jacob von Starhemberg, Des Herrn seligen Liberey, in einem Kasten im Gewölbe befand. Götting 1976, 19f.

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2500 2218 2044



Anzahl der Items

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Abb. 3: Balkendiagramm; Reihung aufsteigend nach Anzahl der „Items“, nach Objektgruppen zusammengefasst.

Object Links mobiler Dinge: Schreibzeug und Schreibtisch im räumlichen Kontext Schreibzeug Die Dinge der Schriftlichkeit, die zunächst aus dem umfassenden Inventarmaterial herausgefiltert wurden, um sie im ersten Schritt hinsichtlich ihrer Evidenz im Gesamt­ vergleich einschätzen zu können, werden im zweiten Schritt nun auf ihre Objektverbindungen hin analysiert. Tätigkeiten des Schreibens und Lesens erfordern eine gewisse materielle Ausstattung sowie räumliche Voraussetzungen zu deren Ausübung. Wie lässt sich die Materialität und Praxis der Schriftlichkeit aus Inventaren herausfiltern? Dazu ein einfaches, gut überschaubares,

Beispiel, das zeitlich am Beginn der ausgewählten Fälle steht: Im Jahr 1432 wurde die Ochsenburg in Niederöster­ reich – zu diesem Zeitpunkt im Besitz des Chorherren­ stifts von St. Pölten28 – im Zuge einer Pflegschaftsüber­ gabe inventarisiert;29 unter dem Betreff: Nota waz dem Talinger in das haws gen Ochsenburkch ingeben ist listet das überlieferte Inventar insgesamt 69  Items auf, die dem neuen Burgpfleger (dem Talinger) für sich und seinen Haushalt zur Verfügung gestellt wurden. Das Inventar ist in sieben Räume untergliedert, wovon sich in nur zwei Räumen Betten befanden – ein Indikator für die Anzahl der Bewohner/-innen, die in diesem Kontext als niedrig zu erachten ist. Ein mit einem Bett ausgestatteter Raum wird explizit als Gesindekammer bezeichnet, folglich bleibt der zweite Schlafraum für den Burgpfleger, ob alleine oder mit Familie muss offen bleiben. Am besten

28 Englisch, Jaritz 1976, 45. 29 Ochsenburg 1432, fol. 246r und 253r.

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Schreibzubehör: Wachs-/Schiefertafel, Griffel und Schreibfedern, Tintenbehälter, Streubüchsen, etc. Rechtsdokumente: Urkunden, „Abkommen“, Missive, Kontrakte, Schuld­bücher Administratives/pragmatisches Schriftgut: Rechnungen, Briefe, Schriftstücke und Zettel ohne nähere Definition Bücher (sofern angegeben): • Bibeltexte und Bücher für den liturgischen Gebrauch (Mess-, Gebet- und Gesangsbücher) • Religiöse Unterweisung (z.B. Luthers Tisch­ reden), Traktate • Rechtscodices, Gerichtsprozessordnungen, Landrechtsschriften • Wissenschaftliche Werke wie medizinische Schriften, historische Texte, Sprachlexika, Landkarten. Tab. 1: Aufstellung der in der Gruppe Schriftstück/Schreibzeug zusammengefassten Dinge.

ausgestattet waren im Jahr 1432 die „Neue Stube und Kammer“ (Tab. 2).30 Als materielle ‚Markerobjekte‘ für das Schreiben sind in der „Neuen Stube“ (samt der angeschlossenen Kammer) der Ochsenburg das zypressene Schreibzeug und die Wachstafel zu identifizieren. Die Schreibgegenstände – es sind die einzigen im Inventar vermerkten – befin­ den sich ohne erkennbare Verbindungen inmitten (der Aufzählung) von Gegenständen, die schwerpunktmäßig

dem Lebensbereich Essen und Trinken zuzuordnen sind, wofür eine repräsentative Ausstattung vorhanden war. Die Bezeichnung „Neue Stube“ impliziert, dass es wohl eine ältere gegeben haben muss, was aus dem Inventar auch hervorgeht. Es nennt eine spärlich ausgestattete Stube, wohl die alte Stube und zusätzlich unter der Be­ zeichnung „Dürnitz“ noch einen zweiten in der Regel beheizbaren, multifunktionalen Raum, in dem nur ein einziger Tisch inventarisiert wurde.31 Die „Neue Stu­ be“ war – dem Inventar zufolge – der bestausgestattete Raum auf der Ochsenburg. Es liegt nahe, dass in diesem zentralen Raum das Schreibzeug nicht nur aufbewahrt, sondern dort auch vom Burgpfleger im Rahmen seiner administrativen Aufgaben verwendet wurde, zumal aus anderen Kontexten hervor geht, dass die Stube auch ein Ort sein konnte, an dem Rechtsvorgänge stattfanden und verschriftlicht wurden.32 Am Beginn der Liste findet sich der Tisch, der im Rahmen der multifunktionalen Raumnutzung auch für Schreibarbeiten nutzbar war. Sitzgelegenheiten waren möglicherweise fest eingebaut,33 denn das einzige im Raum befindliche Möbelstück zum Sitzen ist der oben erwähnte hohe Sekretstuhl, also eine Art mobile Toilette, ein Stuhl, in den ein Nachttopf ein­ gesetzt werden konnte.34 Die beiden explizit genannten Schreibutensilien, das zypressene Schreibzeug und die große Wachstafel als Beschreibstoff, bilden gemein­ sam ein kleines  Ensemble. Das Schreiben auf einer Wachstafel erforderte einen harten, spitzen Griffel zum Abtragen/Auskratzen des Wachses der aus metallischem oder knöchernem Material bestand und entweder in eine Halterung aus Zypressenholz eingelassen war oder sich aber in einer solchen Hülle befand. Wachstafeln waren bis zur breiteren Verfügbarkeit von Papier im 15. Jahrhun­ dert ein gängiges Schriftspeichermedium, das sich wegen der mehrfachen Wiederverwendbarkeit besonders gut für Konzepte eignete, die anschließend auf länger haltbare

30 Ochsenburg 1432, fol. 253r; die Übertragung der in der Quelle angeführten Bezeichnungen ins Standarddeutsche folgt mit einer Ab­ weichung (Krenschüssel statt Bronzeschüssel) Kühtreiber et al. 2013, 35. 31 Zur Stube siehe Atzbach 2014; Kühtreiber et al. 2013, 32–37; Handzel, Kühtreiber 2015, 531–539; Hoppe 2010, 201–203. Die Raumbezeichnung „Dürnitz“ kommt (in verschiedenen Schreibvarianten) in mehreren Inventaren vor. Die Bezeichnung kommt aus dem Slawischen und wird dort ähnlich wie die Stube für rauchfrei beheizbare Repräsentationsräume auf Burgen verwendet; weiterführend Atzbach 2014, 200f.; zur Beheizung siehe auch Hundsbichler 1986; Hoppe 2000, 154; Feld 2006. 32 Beispielsweise wurde Anfang des 15. Jahrhunderts in Wien in der Stuba des Ulrich von Dachsberg eine Urkunde ausgestellt: in curia nostra et stuba nostre solite habitacionis; http://monasterium.net/mom/AT-NOeLA/StA_Urk/StA_Urk_2417/charter?_lang=deu&q=ulrich+dachsberg [letzter Zugriff im Juni 2019]. Bezeichnenderweise wurde in der lateinischen Raumangabe der deutschsprachige Terminus stuba als Raumbezeichnung verwendet. Umfassend zum Vorkommen der Stube, mit zahlreichen Belegstellen aus der lateinischen Überlieferung im österreichischen Raum des späteren Mittelalters Hundsbichler 1980, 29–55. 33 Laut Möller 2006, 94 „dominierten in Burgen anfangs Sitze in den Fensternischen und an die Wände gerückte Sitzgelegenheiten, vielfach gemauerte Bänke, zum Teil mit Brettabdeckung“. Zur Frage der fehlenden Sitzmöbel vlg. auch den Beitrag von Sarah Pichlkastner, S. 145, Anm. 124. 34 Kühtreiber et al. 2013, 35.

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Item in der newn stuben und kamer I newr tisch.

1 neuer Tisch

e e Item XII zynein schussel, II chren schussel, I salczvass.

12 Zinnschüsseln, 2 Krenschüsseln, 1 Salzfass

e Item II gemaltt schussel

2 bemalte Schüsseln

e Item I schussel inbendig vergoldtt.

1 innen vergoldete Schüssel

Item I kupfreynew faust.

1 kupferne Faust

Item II phans bedel.

2 Pfauenwedel

e kysten. Item II gutt

2 gute Kisten

Item I hacher secret stuel.

1 hoher Privatstuhl (Sekretstuhl)

Item II fiechtein kopf, item I lederlachen.

2 Köpfe (Trinkgefäße) aus Fichtenholz, 1 Lederlaken

e Item I silbreyns mayol.

1 silbernes Mayölglas (Becher ohne Fuß)

e Item I czypresseins schreibczeug, item I grozzew bagstafel.

1 Schreibzeug aus Zypressenholz, 1 große Wachstafel

Item II silberpecher.

2 Silberbecher

Item ayn guldein kopf.

1 goldener Kopf (Trinkgefäß)

e Item XII silbreyn loffel

12 Silberlöffel

e Item ayn vergoltew gurtel mit aym vergolten chestlein.

1 vergoldeter Gürtel mit 1 vergoldeten Kästlein

Tab. 2: Ausstattung der „Neuen Stube und Kammer“ der Ochsenburg laut Inventar von 1432.

Beschreibstoffe übertragen wurden oder für Inhalte, die nur temporär festgehalten werden mussten.35 Die Och­ senburger Quelle von 1432 enthält als einziges von den herangezogenen 31  Inventaren einen direkten Beleg für das Schreiben auf Wachstafeln. Auch die im Rahmen des Projektes „RaumOrdnungen“ geleistete Auswertung der archäologischen Kleinfunde aus zwei großen Fundkom­ plexen von Burgen in Oberösterreich verzeichnete die Schreibwerkzeuge betreffend nur einen Schreibgriffel, der aber nicht mit letzter Sicherheit als solcher angesprochen werden kann.36 Schreibtafeln finden sich in weiteren sechs Inventa­ ren 37 und sind räumlich sowohl in den multifunktionalen Stuben als auch in separaten Schreibstuben anzutreffen, die im Beobachtungszeitraum während des 15. und 16. Jahrhunderts vermehrt auf Burgen eingerichtet wur­

den, worauf ich weiter unten noch ausführlicher eingehen werde. Aus den vorhandenen Angaben lässt sich sonst nirgends so eindeutig wie beim Beispiel der Ochsenburg sagen, welche Art von Schreibtafeln – Wachs-, Holzoder Schiefertafeln – an den verschiedenen Orten in Verwendung waren.38 Ob eine „grüne, lange Schreib­tafel“ wie jene in der Herrenstube der Burg Nieder­fladnitz39 auf grün eingefärbtes Wachs oder eine in grüner Farbe be­ malte Holzfläche verweist, ist nicht zu erschließen. Eine ebenfalls grüne Schreibtafel befand sich 1561 in Kaja.40 Die inventarisierende Person notierte dazu noch die Information „alt“, nicht aber aus welchem Material der Beschreibstoff bestand, weil dies im Kontext der Situation eindeutig gewesen zu sein scheint. Schreibzeuge und Schreibtafeln waren leicht beweg­ liche Geräte und daher auch vergleichsweise einfach in

35 Jördens et al. 2015, 377. 36 Vgl. Schmid 2017, bes. Kapitel 8.14 Lesen und Schreiben, 331–351; der Schreibgriffel gehört zum Fundkomplex der Burg Reichenstein. 37 Chronologisch gereiht in Maretsch 1495, Kaja 1561, Niederfladnitz 1561, Aistersheim 1567, Maissau 1583 und Mindelburg 1586 (Quellennachweise allesamt im Quellenverzeichnis). 38 Zum Holz als Beschreibstoff vgl. Berkes et al. 2015, 386f. 39 Niederfladnitz 1561, fol. 2r. 40 Kaja 1561, fol. 5r.

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unterschiedlichen Räumen zu verwenden, sofern sich vor­ handene Tische und Sitzmöbel mitbenutzen ließen oder eigene Schreibtische verfügbar waren.41 Dieses (ideal­ typische)  Ensemble der praktizierten Schriftlichkeit ist im untersuchten Quellenbestand in unterschiedlichen  Konstellationen erkennbar. Während kleinere Utensi­ lien wie Schreibfedern und dazugehörige Werkzeuge wie etwa solche zum Zuspitzen der Schreibgeräte nur ganz selten in Inventaren aufgenommen wurden, sind sie in den archäologischen Kleinfunden besser repräsentiert 42 wie z.B. auch im Fundkomplex von Reichenstein durch ein kleines Griffangelmesser mit eiserner Klinge, wie es zum Zuspitzen von Schreibfedern verwendet wurde.43 Was man im  Cluster von Objekten des Schreibens erwarten würde, aber durchgehend fehlt, ist unbeschrie­ benes Schreibpapier.44 Trotz dieser Fehlstellen und einer sich daraus ergebenden Ungewissheit, ob sich mobile Dinge zum Zeitpunkt der Bestandsaufnahme nur zu­ fällig in der festgehaltenen Objekt­umgebung befunden haben können, soll nun der Frage nachgegangen werden, in welchen räumlichen Settings sich mehr oder weniger umfangreiche Infrastrukturen für Schreibarbeiten erken­ nen lassen. Aus dem untersuchten Quellenbestand kann folgender fragmentarischer Befund erhoben werden: Die bereits weiter oben erfassten Dinge wie Schreibtafeln, Griffel etc., die explizit dem Schreiben zugeordnet wer­ den können, sind in den Inventaren vermutlich unvoll­ ständig repräsentiert. Aus ihrer Objektumgebung lässt sich aufgrund der geringen Fallzahl von nur 16  Items kein Muster erkennen – außer, dass sie sich verstreut in Wohn-, Schlaf- und teilweise auch in Lagerräumen befanden. Interessant ist in diesem Zusammenhang ein Schreibzeug, das 1577 im zellt cämerl auf Schloss Aisters­ heim in Oberösterreich inventarisiert wurde. Namensge­ bend für die Raumbezeichnung Zeltkammer sind offen­ sichtlich mehrere Zelte, die sich die – im 16. Jahrhundert in Aistersheim ansässige – Adelsfamilie Hohenfelder 45 dort neben zahlreichen anderen, hauptsächlich auf Reisen

benötigten Gegenständen, bereithielt. Das  Ensemble in diesem Raum ist insofern bemerkenswert, als es mehr als 40  Objekte versammelt, welche wiederum unter­ schiedlichsten Nutzungen zuzuordnen sind. Es umfasst eine komplette Reiseausstattung: Zelte, Wagen mit Ab­ deckungen, Tische, Bänke, Feldbetten samt Bettzeug, Küchen- und Essgeschirr in Transporttruhen, diverse Werkzeuge u.a. zum Aufstellen der Zelte, Behälter, La­ ternen, ein Spielbrett, sogar eine Reiseuhr und das schon genannte Schreibzeug. Letzteres verlinkt die Bereiche Mobilität und Schriftlichkeit, vielleicht um gegebenen­ falls Nachrichten von unterwegs übersenden zu können oder um auch auf Reisen wichtige schriftliche Aufgaben erledigen zu können. Die unerwartete Präsenz eines Schreibzeugs im Reiseequipment ist auch in anderer Hinsicht bemerkenswert, nämlich insofern, als sich in der Schreibstube auf Schloss Aistersheim – dort, wo sich ein solches erwartungsgemäß befinden sollte – im Inventar keines nachweisen lässt. Das könnte wieder die bereits festgestellte Leerstelle sein, nach der kleinere Gegen­ stände ausgeblendet wurden, wenn sie keinen besonderen Wert hatten. Oder das mobile Schreibzeug ist im Vorfeld einer anstehenden Reise in die Zeltkammer gebracht und ins Reiseequipment integriert worden. Reiseuhren und Schreibzeug werden auch im Inventar der Mindelburg 1586 direkt hintereinander erwähnt: […] Ain klaines reis ührlen von mueter berlen in ainem futeral / sechs gemaine reis uhren / ain eisener langleter schreibzeug / zway eisene schlöggl / Drey metalen schreibzeug […] 46 befanden sich in einem wohl sehr großen und vielfältigst ausgestatteten Raum des herrschaftlichen Appartements,47 der mit In ir gnaden gwohnliche[s] zimer überschrieben ist. Was auf der Mindel­burg als Zimmer 48 bezeichnet wurde, entspricht im Wesentlichen einer ähnlichen  Konstellation wie in der eingangs vorgestellten Ochsenburg, nur in einem völlig anderen Maßstab: In beiden Fällen handelt es sich um den zentralen Wohnbereich der Burg, bezüglich der Raum­ausstattung steht das Verhältnis allein auf der

41 Zur Möbelausstattung auf Burgen (insbesondere Tische, Schreibpulte und Schreibtische) siehe Möller 2006, 95f. 42 Vgl. Bitterli-Waldvogel 2006, 133f. 43 Schmid 2017, 333. 44 Um diese offensichtliche Leerstelle füllen zu können, müssten Einkaufsrechnungen herangezogen werden (beispielhaft Mersiowsky 1998), was aber im Rahmen dieser Studie nicht geleistet werden kann. 45 Siebmacher 1885, 131–133. 46 Inventar Mindelburg 1586, fol. 11v (langleter: vielleicht länglich?, schlöggl: Schlagwerkzeug). 47 Der Terminus Appartement wurde von Hoppe 2000, 154 und Hoppe 2005a, 213–217 zur Binnendifferenzierung der Raumgruppe Stube-Kammer eingeführt. 48 Die Bezeichnung Zimmer wurde auch für das Stubenappartement verwendet, wie bei den Benennungen für „Herrenzimmer“ und „Frauen­zimmer“ deutlich wird, vgl. Handzel, Kühtreiber 2015 und Hoppe 2000; laut Hundsbichler 1986, 260 steht Zimmer begrifflich mit der Anwendung von Zimmermannstechnik zur Holzverarbeitung in Verbindung; mit Zimmer kann ein holzvertäfelter Raum gemeint sein.

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quantitativen Ebene der inventarisierten Items 1:30.49 Gemeinsam ist diesen von ihrer Größenordnung her ge­ sehen schwer vergleichbaren herrschaftlichen Räumlich­ keiten, dass sie mit Schreibutensilien ausgestattet waren. Während sich für die Schreibtätigkeit im frühen Beispiel von 1432 noch kein eigener Platz innerhalb des Raumgefüges ausmachen lässt, verweist die Ausstattung im gut 150 Jahre später inventarisierten Appartement auf eine Etablierung der häuslichen Schreibpraxis. Dafür standen dem 1586 verstorbenen Georg von Frundsberg im zentralen Wohnbereich mehrere Schreibtafeln zur Ver­ fügung, darunter eine direkt beim Bett, was auch darauf hindeutet, dass im/am Bett Schreibarbeiten verrichtet worden sein könnten.50 Zusätzlich gab es außerhalb des engeren Wohnbereiches noch eine eigene Schreibstube.51 Schreibtisch Das Nachlassverzeichnis der Mindelburg ist von allen herangezogenen Inventaren das umfangreichste und schon deshalb für den Bereich der Schriftlichkeit sehr aufschlussreich. Die Schreibsphäre im herrschaftlichen Appartement der Mindelburg manifestierte sich durch zwei Schreibtische. Auf einem davon, der mit braunem Leder überzogen war, befanden sich nicht näher definier­ te Eiseninstrumente und auf einem weiteren mit einer Platte aus schwarzem Ebenholz,52 standen ein vergoldetes Tintenfass und eine Streubüchse. Die Ausstattung mit ihrer mehrstufigen Schreib­infrastruktur verdeutlicht, dass Schreibtischarbeiten gegen Ende des 16.  Jahrhunderts zu den zentralen Tätigkeiten der adeligen Arbeitspraxis in ihrer – für die Zeit typischen – Überschneidung von Hausökonomie und Einbindung in die höfische Zentral­

verwaltung zählten.53 Die Furnierung des Tisches mit Ebenholz verlieh dem Möbelstück symbolischen Status, der durch die Verwendung des global gehandelten Luxus­ materials über das Objekt Schreibtisch hinaus weist.54 Unterstrichen wird dies noch durch das vergoldete Tinten­ fass.55 In diesem Appartement, das sich – wie bereits anderswo ausführlich dargestellt wurde 56 – hinsichtlich seiner Ausstattung in Richtung Kuriositätenkammer be­ wegte, fehlte es nicht an zahlreichen anderen, teils sehr re­ präsentativen und exotischen Gegenständen, die ebenfalls zur sozialen  Positionierung des Herrschaftsinhabers beitrugen. Im Kontext dieses Beitrages veranlasst jedoch die bemerkenswerte  Konstellation von Schreibtischen dazu, die weiteren, im Sample erschlossenen Inventare, ebenfalls auf die ‚Karriere‘ des Schreibtisches im 16. Jahr­ hundert hin zu befragen. Das Ergebnis ist folgendes: Im gesamten Bestand lassen sich an sechs Burgenstandor­ ten57 mindestens ein oder mehrere Schreibtische, die im Inven­tar als solche bezeichnet wurden, nachweisen (auf der Mindel­burg alleine sind es sieben) und an drei wei­ teren Funktionsmöbel, die in ihrer Benennung (Schreib­ kastel58, -kasten 59 und -almer 60) auf eine Kombination von Schreibfunktion und Aufbewahrung bzw. Ablage von Schriftstücken hindeuten. Es wird auch mehrmals vermerkt, dass Tischladen oder andere Vorrichtungen wie z.B. verschließbare Fächer für die Sicherung von Do­ kumenten und Wertgegenständen eingebaut waren. Die knappen Angaben zum verarbeiteten Holz, zur Größe und zu weiteren Eigenschaften lassen aber keine sichere Unterscheidung zwischen Schreibtischen und anderen im Raum befindlichen Tischen zu. Gleichzeitig ist gerade der Tisch ein Gegenstand mit einigen  Affordanzen, der im Gebrauch mehrere Handlungsmöglichkeiten

49 Auf die „Neue Stube und Kammer“ der Ochsenburg 1432 entfallen 19 Items, im gwonlichen Zimer mit den angeschlossenen Kammern auf der Mindelburg sind es 580 Items (dahinter stehen wegen der kumulativen Itemisierung noch wesentlich mehr Objekte). 50 Handzel 2011, 100; weitere Belege für die Nutzung des Schlafgemachs für Schreibarbeiten bei Herrmann 1998, 100f. Ein Tintenfässchen in Bettnähe eines Mönches spielt auch eine besondere Rolle bzw. verfügt über  Agency im Märe „Die Tinte“ von Hans Rosenplüt, ver­ öffentlicht in der Textsammlung von Grubmüller 2011, 937–943. Für den Hinweis danke ich meiner Kollegin Gabriele Schichta ganz herzlich. 51 Mindelburg 1586, fol. 58r–58v. 52 Ebenholz gelangte schon im 16. Jahrhundert über den niederländischen Handel aus Mauritius auf den europäischen Markt und war ein begehrtes Material in der Möbeltischlerei. Vgl. Duhme, Senge 2015, 35. 53 Vgl. den Beitrag von Thomas Kühtreiber in diesem Band. 54 Gerritsen, Riello 2016, 4 „ebony […] points to the global connections of the early modern world“. 55 Die Tinte selbst könnte aus Eigenproduktion stammen. Dass diese mitunter selbst erzeugt wurde, belegen die Rezepturen für Tinten­ herstellung aus der Zeit um 1600 im Hausbüchl der Grünthaler. Vgl. Sperl 1994, 117f. 56 Siehe dazu auch Handzel 2011, 99–104. 57 In chronologischer Folge: Wurmberg 1525, Niederfladnitz 1561, Mindelburg 1586, Kienburg 1586, Dobra 1595, Grafenwörth 1602. 58 Nachlass Christoph Prenner 1580, 53r–62v. 59 Haderburg 1572, fol. 15r. 60 Kaja 1561, fol. 6r.

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anbietet,61 weshalb auch die dezidiert als Schreibtische bezeichneten Artefakte nicht zwangsläufig ausschließlich als solche genutzt werden mussten. Würde man nur die als solche ausgewiesenen Schreibtische heranziehen, wäre der Befund zu spärlich, um schon von einer durchgehenden Etablierung der administrativen Schriftpraxis auf Burgen sprechen zu können. Schreibstube Da sich mobile Dinge wie Schreibutensilien in unter­ schiedliche Raumkontexte integrieren lassen, sind deren Plätze, die sich aus der Momentaufnahme der Inventari­ sierung heraus ergeben, keineswegs als stabil anzusehen. Auch lässt sich aus den Inventaren heraus in der Regel nur sehr wenig Konkretes über die häuslichen Arbeits­ praktiken sagen, da die Personen des Haushaltes in der Regel nicht fassbar sind. Nach den bisherigen Ergebnis­ sen finden sich Schreib-Infrastrukturen auf Burgen in Räumlichkeiten, die öffentlich und/oder für männliche Bewohner zugänglich waren.62 Obwohl gerade in ade­ lig-höfischen Gesellschaftsschichten Frauen nachweis­ lich als Schreibende tätig waren63 ist über die Orte des Schreibens von Frauen auf Burgen nur wenig bekannt; in den untersuchten Inventaren gibt es dazu fast keine Spuren.64 In den Frauenräumen der untersuchten Burgen wurden zwar einige Schriftstücke und Bücher inventari­ siert, die Datenbanksuche nach Schreibzeug, Schreibtisch etc. blieb ergebnislos. Mit meist nicht näher differenzier­ ten Tischen waren diese aber durchwegs ausgestattet, sodass sich der Missing Link auf der Ebene der nicht an­ hand der Inventare fassbaren kleineren Schreibutensilien vermuten lässt. Um der Frage nachzugehen, wo sich häusliche Schriftlichkeit räumlich festmachen lässt, bieten sich am vorliegenden Quellenmaterial zwei Zugänge an: über die  Objektgesellschaften im Raum, und/oder über

die Raumbezeichnungen. Bisher wurde im vorliegenden Beitrag schwerpunktmäßig der erste Zugang gewählt, in­ dem die Integration von Schreibutensilien in bestehende  Ensembles nachverfolgt und daraus auf die Raum­ funktion rückgeschlossen wurde. Dass die expandierende Schriftlichkeit mit den damit verbundenen Schreib­ praktiken im Spätmittelalter raumgreifend war und nach eigen­ ständigen Raumlösungen suchte, spiegelt sich in den ausgewerteten Inventaren in den Raumbezeichnun­ gen „Schreibstube“, „Kanzlei“ und Studiori wider.65 Die Forschung geht bei der Ausbildung von eigenen Raum­ typen für Schreibräume von zwei Modellen innenarchi­ tektonischer Lösungen aus: Zum einen die Errichtung von eigenen, vom herrschaftlichen Wohnbereich ab­ grenzbaren Räumlichkeiten für Verwaltungsaufgaben, die von Burgpflegern und bediensteten Schreibern getätigt wurden und zum anderen der Einbau von Schreibräumen direkt in den Herrenzimmertrakt bzw. das herrschaftliche Appartement. Beide Raumtypen können anhand von In­ ventaren sowohl über die Raumbezeichnungen als auch über die Object Links der Raum-Objekt-Beziehungen gut belegt werden, indem sich die Schreibsachen räum­ lich konzentriert festmachen lassen und nicht über meh­ rere Räume streuen. Auf der Ebene der Bezeichnungen indiziert die Benennung Kanzlei den Raumtyp, zu dem bedienstete Schreiber Zugang hatten, was sich zusätzlich abstützen lässt, wenn für das Personal auch Wohnberei­ che zur Verfügung gestellt wurden. Eine solche Situation wurde bei der Inventarisierung der Burg Wurmberg 1525 abgebildet und ist gleichzeitig auch der zeitlich frühes­ te Beleg für eine Kanzlei mit Büroinfrastruktur: Item, 1 langer schreibtisch mit 2 truchl, 1 lange truchl, ist lär, 1 lid­ neiner sessl, 1 drifuessater stuel, 4 stahl mit winden, 10 alte puecher vor der kanzlei am ofen, 1 schloss, auf dem sall davor 1 lange schieftafel.66 Dem Schreiber wie auch dem Pfleger stand ein eigener Erker, der mit einem mehrteiligen Bett ausgestattet war, zur Verfügung. Räumlich davon abge­

61 Ein Tisch hat z.B. die  Affordanz, verschiedenste Gegenstände (Teller wie auch Tintenfässer) darauf abstellen zu können aber auch, sich um ihn herum zu setzen (z.B. bei Besprechungen) oder sich unter ihm zu verstecken. 62 Zu Ausdifferenzierung von Frauen- und Männerräumen auf Burgen zuletzt Handzel, Kühtreiber 2015, 528–539; Kühtreiber 2014, 39–51; Hoppe 2000, 154–172; Bojcov 2000, 330f.; Butz 2006, 61f.; generell zur Burg als Lebensraum für Frauen, Nolte 2009, 141–165. 63 Zur Briefkommunikation von Frauen siehe Antenhofer 2007, bes. 214–299; als literarischer Beleg für schreibende Frauen kann hier stellvertretend das Beispiel aus Heinrich von Neustadts Abenteuerroman Apollonius von Tyrland angeführt werden, worin die weibliche Hauptfigur, Prinzessin Lucina, die Werbungsschreiben ihrer Freier auf Wachstafeln erwidert, vgl. Klug et al. 2010, 197. 64 Haßbach 1457, Bruck 1501; Mindelburg 1586 und einige Male Bücher (Wurmberg 1525 und Maissau 1583). 65 Die Schreibräume haben folgende Bezeichnungen: In des Herren Schreibstübl (Aistersheim 1567, fol. 4r); Im Schreibstubl (Haderburg 1572, fol. 15r); In der Schreibstuben (Mindelburg 1586, fol. 58r); Mer in der Canzley (Kaja 1561, fol. 5r); In der Kantzley (Wurmberg 1525, 52); Im Studiori oder Schreibstübl (Kienburg 1586, fol. 2v). 66 Wurmberg 1525, 52. Laut Zingerle 1909, 366 (Sacherklärungen) meint stahel ein „kleines Werkzeug aus Stahl, vielleicht Spitzeisen“ und passt damit zur Büroausstattung.

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setzt befand sich der herrschaftliche Wohnbereich der Burg mit Stube und Kammer – in der Sequenzierung des Inventars liegen 20 Räume dazwischen – wo keine Schreibgeräte, -tische etc. aufgelistet wurden. Eine ver­ gleichbare Raum-Objekt-Konstellation in Form einer funktional eingerichteten Kanzlei und zwei angeschlosse­ nen Räumen für die Aufbewahrung der Dokumente kann für Kaja 1561 festgestellt werden. Diese klare räumliche Trennung des Schreibraums vom Wohnbereich ist aber eher die Ausnahme. Ein erst kürzlich aufgefundenes Inventar des Göttwei­ gerhofes67 in Krems-Stein an der Donau aus dem Jahr 1530 veranschaulicht ein Setting mit zwei getrennten Schreibbereichen, die hinsichtlich ihrer Funktionalität Übereinstimmung mit der Entwicklung von Schreib­ räumen im Spätmittelalter aufweisen. Der heute noch be­ stehende Gebäudekomplex fungierte im Spätmittelalter als städtischer Wirtschaftshof des Stiftes Göttweig und bot Räumlichkeiten, die dem Abt und den Konventsmit­ gliedern während des Aufenthaltes in der Stadt bei Bedarf zur Verfügung standen.68 Für die Verwaltung wurde ein Pfleger oder Hofmeister eingesetzt – im Jahr 1530 war das Hermann Radt –, anlässlich dessen Bestellung die Anlage inventarisiert wurde. Ihm wurde im östlichen Seitentrakt ein Appartement, bestehend aus einer gut eingerichteten Stube und zwei angeschlossenen Räumen zugewiesen,

einer davon diente als Schlafkammer und der zweite als Schreibstube, in der sich nur ein Almer (Kasten) befand.69 Indem zusätzlich ein Raum dezidiert als Schreiberzim­ mer 70 ausgewiesen und mit Tisch und Bett eingerichtet war, lässt sich darauf schließen, dass es einen permanent bediensteten Schreiber gab. Im Kontext mit der Funkti­ on des Göttweigerhofes als Wirtschaftsbetrieb war dies nicht ungewöhnlich.71 Parallel dazu befand sich im rückwärtigen Nordtrakt des Hofes, in den Räumlichkeiten des Abtes, die er, wie schon erwähnt, nicht permanent bewohnte, ein an die Stube angeschlossenes, nach Süden hin ausgerichtetes und daher vermutlich helles Schreib Stiebl, 72 das mit Tisch, Bücherkasten, Pult, Schreibzeug und Streu­ büchse bestückt war. In dieser Schreibstube realisiert sich die Idee eines privaten Rückzugsraums73 für die geistige Arbeit von Männern nach dem Vorbild des italienischen Studiolos 74, ganz ähnlich wie in der klei­ nen Stube auf der Festung Hohensalzburg, die unter Erzbischof Leonhart von Keutschach im Jahr 1501 an die „Goldene Stube“ angebaut wurde.75 In einem In­ ventar aus 1587 sind im – bei der Errichtung schlicht als Stube76 bezeichneten – Bibliotheksraum ein kleiner Tisch und ein samtbezogener Sessel mit goldenen Be­ schlägen vermerkt.77 Der kleine holzvertäfelte und mit Regalbrettern versehene Raum ist noch im Zustand

67 Im Rahmen der am IMAREAL durchgeführten Forschungen zu den Wandmalereien der Göttweigerhof-Kapelle wurde die Quelle im Stifts­ archiv Göttweig von der Stiftsarchivarin Angelika Kölbl entdeckt. Stiftsarchiv Göttweig, KA–VI/I; zur Geschichte des Göttweigerhofs in Krems-Stein an der Donau siehe Kühnel 1983, 3–5; Landkammer et al. 2018, 124f. Der Gebäudekomplex wurde in seiner langen Geschichte mehrmals umgebaut; im Zuge der Generalsanierung 1977–1982 entstanden dort Wohnungen. Für die Recherche und Hilfe bei der Interpretation der bauhistorischen Unterlagen des Bundesdenkmalamtes zum Gebäudekomplex des Göttweigerhofes, mithilfe derer sich die im Inventar genannten Räume trotz der Umbauten (annäherungsweise) am Grundrissplan zuordnen lassen, danke ich Miriam Land­kammer und Thomas Kühtreiber ganz herzlich. 68 Landkammer et al. 2018, 124. 69 Göttweigerhof 1530, fol. 3v. 70 Göttweigerhof 1530, fol. 6r–v. 71 Auch das im Beitrag von Sarah Pichlkastner untersuchte Klosterneuburger Bürgerspital verfügte über ein „Schreibstübl“, das mehrfach in den Rechnungsbüchern genannt wird (aber in den Inventaren nicht vorkommt). Vgl. dazu den Beitrag von Sarah Pichlkastner, S. 145, Anm. 123. 72 Göttweigerhof 1530, fol. 2v–3r. 73 Im Konzept der Rückzugsorte bringt Stephan Hoppe die Ausdifferenzierung des Wohnraums mit den sozialen  Positionierungen der Gemeinschaft des gesamten Hauses, vor allem mit dem Bedürfnis nach Distanzierung, in Verbindung, vgl. Hoppe 2005b, 417. 74 Die Entstehung des Studiolos als Raumtyp, dessen Ausstrahlung und Vorbildwirkung für die Etablierung von Privatbibliotheken und Rückzugsräumen auch auf den nordalpinen Raum angenommen wird, wurde von Liebenwein 1977 ausführlich dargelegt. Zum Studiolo in Palazzo Ducale in Urbino vgl. Liebenwein 1977, 83–96; zur Rezeption Hoppe 2005b, 217f. 75 Vgl. Hoppe 2005b, 217f. und Hoppe 2010, 215. 76 Über der Eingangstür befindet sich die goldbemalte Aufschrift: „Erzbischof Leonhart zw Salczburg Geporn von Keutschach hat di Stuben lassen machen Anno domini 1501“. 77 Die Teiledition der Inventare von Hohensalzburg durch Ostermann enthält eine kurze Eintragung zum „kleinen Stübl“ aus der Inventarisierung 1587, Ostermann 1992, 59.

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der Erstausstattung erhalten.78 Seine Lage am Ende des Fürstentraktes gewährleistet Ruhe und die lichtbe­ günstigte Süd-Ost-Ausrichtung mit zwei Fenstern bildet ideale Voraussetzungen für Schreib- und Lesetätigkeiten. Die Entwicklung des Raumtyps „Schreibstube“ steht auch in ganz enger Verbindung mit neuen Raumord­ nungen für die Räume des Wissens in der eher städtisch geprägten Gelehrten­welt des Humanismus, wo sich die Auswirkungen der häuslichen Wissensproduktion auf die familiären und geschlechtsspezifischen Arbeitspraktiken und die damit verbundenen Unvereinbarkeiten79 deut­ licher abzeichneten als beim landsässigen Adel. Die in den Inventaren aufgelisteten Objekte und Räume geben keine direkte Auskunft über die Rückzugsbedürfnisse der Beteiligten oder mögliche Konflikte im Rahmen der Objektnutzung. Was sich auf der Basis der untersuch­ ten Inventare anhand der  Dichte an Belegen zeigen lässt, ist ein Trend hin zur eigenständigen Schreibstube auf Burgen und Schlössern, wobei dem nachträglichen Einbau solcher Räume sowohl von den jeweiligen Ge­ bäudestrukturen als auch von den finanziellen Mitteln her Grenzen gesetzt waren. Es stellt sich auch die Frage, ob das Modell des privaten Rückzugs- und Mußeraums in der Lebensrealität des Landadels eine große Rolle gespielt hat oder ob nicht eher die praktischen und wirt­ schaftlichen Erfordernisse ausschlaggebend waren, sich ein eigenes Schreibzimmer einzurichten, oder wenigstens einen Schreibtisch aufzustellen. Für eine Modernisierung der adeligen Selbstverwaltung spricht, dass sich die Orte der Verwahrung von Urkunden und anderen schriftlichen Dokumenten im Verlauf des 16.  Jahrhunderts aus den zuvor als sicherer geltenden Burgkapellen und Gewöl­ ben auf die Stuben und Kammern des herrschaftlichen Wohnbereiches verlagern bzw. zentralisieren, um sie griffbereit zu haben.80 Büchersammlungen in größerem

Umfang wie z.B. auf der Mindelburg 81 oder im Nachlass von Georg Walch82 blieben im untersuchten Sample die Ausnahme. Der gesamte Bereich des Lesens mit dem damit verbundenen Objektcluster (Bücher, Lesepulte, Bücherschränke, Regale, Sitzmöbel) sowie Bibliotheken und andere Räume, in den Lesetätigkeiten nachgewiesen werden können, sollen Gegenstand einer eigenen, noch zu leistenden Untersuchung sein, für die Inventare eine gute Quellenbasis bilden. Fazit Nicht einzelne Objekte zu beschreiben, sondern ihre Be­ deutung aus den Verlinkungen mit umgebenden Dingen,  Ensembles oder  Objektgesellschaften zu erschlie­ ßen, wurde in diesem Beitrag am Beispiel von Schreib­ utensilien und Schreibräumen versucht. Ausgehend von der in der Forschung postulierten Aussage, dass sich der Übergang vom Spätmittelalter in die Frühe Neuzeit durch Verschriftlichungsprozesse in weiten Bereichen der Administration einschließlich der in adeligen Haushalten charakterisieren lässt, wurden Burg- und Schlossinven­ tare aus dem österreichischen Raum herangezogen und auf darin verzeichnete Objekte und Orte des Schreibens hin ausgewertet. Die Ausgangsfrage, ob sich im Ergeb­ nis eine Verdichtung an Schreibobjekten zeigen lässt, konnte erwartungsgemäß positiv bestätigt werden. Das interessante an dieser Untersuchung bildete die über die Forschungsperspektive Object Links gewonnene Heran­ gehensweise, mit deren Hilfe konkrete Ansatzpunkte gewonnen werden konnten, wie Schreibpraktiken und die damit verbundenen materiellen Gegenstände in die Wohnbereiche des Adels „vorgedrungen“ sind.

78 Die Stube befindet sich in den Fürstenzimmern im 3. Obergeschoss. Pillwax 1877, 51 zitiert aus dem Bericht des Konservators Georg Pezold aus dem Jahr 1872, der auf den unveränderten Zustand des Raumes hinweist: „Dieses Cabinet hat man bei der Restauration unberührt belassen, obschon eine vandalische Art, nach Schätzen suchend, die Wände spaltete, indem diese Mängel weniger stören, als eine Erneuerung, sollte selbe auch mit allem Fleiße ausgeführt sein.“ Zur Restaurierungsgeschichte siehe Rathner [2017]. 79 Zum Diskurs über die Unvereinbarkeiten zwischen Wissensproduktion und sozialer Reproduktion vgl. – stellvertretend für seine zahlreichen Arbeiten – Algazi 2013; zur Verbindung von Wissen und Raum siehe Bahlmann et al. 2008. 80 Vgl. Klug et al. 2011, 192. 81 Zum Bücherbestand auf der Mindelburg vgl. Geldner 1967 und Handzel 2011, 99f. 82 Nachlass Georg Walch 1577, fol. 8v–11r Bücherkasten im Zimmer. Die Bücher sind im Inventar, fol. 25r–27r, mit Einzeltitel aufgelistet.

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Siglen und Abkürzungen BayHStA Bayerisches Hauptstaatsarchiv fol. Folio HA Herrschaftsarchiv HHStA Haus-, Hof- und Staatsarchiv Hs. Handschrift KLA Kärntner Landesarchiv NÖLA Niederösterreichisches Landesarchiv ÖNB Österreichische Nationalbibliothek OÖLA Oberösterreichisches Landesarchiv SLA Salzburger Landesarchiv TLA Tiroler Landesarchiv Gedruckte und ungedruckte Quellen Letzter Zugriff auf Internetlinks im Juni 2019. Haßbach 1457 Maximilian Weltin, Christina Mochty-Weltin, Karin und Thomas Kühtreiber, Ronald Woldron: Wehrbauten und Adelssitze Niederösterreichs. Das Viertel unter dem Wiener­ wald Bd. 2, St. Pölten 2003, 340–342. Hohensalzburg 1587 Inventare der Burgen und Schlösser, Bd. 3: Festung Hohen­ salzburg, bearbeitet von Johann Ostermann, Salzburg 1992, 57–103 [Anmerkung: Teiledition von SLA, Geheimes Archiv XXIII 136]. Maretsch 1495 Zingerle 1909, 60–62. Nachlass Graf Johann Meinhard von Görz 1430 Zingerle 1909, 204f. Pürnstein 1564 = Götting 1976 Wilhelm Götting (Bearb.): Burg Pürnstein. Inventar vom Jahr 1564, Linz 1976. Siebmacher 1885 J(ohann) Siebmacher: Der oberösterreichische Adel, bearbei­ tet von Alois Weiss von Starkenfels, Johann Kirnbauer von Erzstätt ( J. Siebmacher’s grosses und allgemeines Wappen­ buch 4/Abt. 5), Nürnberg 1885–1904. Sperl 1994  Das Haushaltungsbüchl der Grünthaler, bearbeitet von Alexan­der Sperl (Quellen zur Geschichte Oberösterreichs 3), Linz 1994. Wurmberg 1525 Johann Loserth: Das Archiv des Hauses Stubenberg (Sup­ plement II). Archivregister von Wurmberg aus den Jahren 1458 und 1543 nebst einem Wurmberger Schloßinventar von 1525, in: Veröffentlichungen der Historischen Landes­Kommission für Steiermark 1911, 49–58.

Inventarisierte Objekte verlinken

Zingerle 1909 Oswald von Zingerle (Hg.): Mittelalterliche Inventare aus Tirol und Vorarlberg. Mit Sacherklärungen, Innsbruck 1909.

Aistersheim 1567 OÖLA, Ständisches Archiv, Landschaftsakten, Landleute (Untergruppe B.IV.6) Hohenfeld Nr. 15/6, Schachtel 233. Arco 1579 und Alter Palast 1579 TLA, Inventare A 289.1–11. Bruck 1501 TLA, Inventare A 203/1. Dobra 1595 ÖNB, Cod. 15143 Nr. 2, http://manuscripta.at/m1/hs_de tail.php?ID=22742. Ebreichsdorf 1549 OÖLA, Ständisches Archiv, Landschaftsakten, Landleute (Untergruppe B IV. 18/18–30/Sch.277) Wöber – Zwingen­ stein. Göttweigerhof 1530 Stiftsarchiv Göttweig, KA–VI/I. Grafenwörth 1602 ÖNB, Cod. 14668, Nr. 2, http://manuscripta.at/m1/hs_de tail.php?ID=22286. Haderburg 1572 TLA, Inventare A 234/2. Horn 1550 Familienarchiv Hoyos – Rosenburg, Fasc. „Alte Inventarien“, Inventar von Horn 1550. Kaja 1561 OÖLA, HA Freistadt, II. Akten, Schachtel 733. Kienburg 1586 KLA, Familienarchiv Khünburg, C. Akten Künburg, II Herr­ schaft Kühnegg, a. Instruktionen, Relationen, Vergleiche, Inventare etc. 1574–1769. Maissau 1583  ÖNB, Cod. 14835, http://manuscripta.at/m1/hs_detail. php?ID=22450. Mindelburg 1586 OÖLA, HA Aurolzmünster, HS 3 (Nachlass Georg von Frunds­berg). Moos 1562 TLA, HA Schneeburg, Cod. 30. Nachlass Christof Prenner von Pölaw 1580 TLA, Hs. 635. Nachlass Georg Walch 1577  ÖNB, Cod. 14784, http://manuscripta.at/m1/hs_detail. php?ID=22401.

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Niederfladnitz 1561 OÖLA, HA Freistadt, II. Akten, Schachtel 733. Ochsenburg 1432 HHStA, Hs. W94 fol. 253r. Ochsenburg 1437 HHStA, Hs. W94 fol. 247r. Pottenbrunn 1520 ÖNB, Cod. 14776, 3, http://manuscripta.at/m1/hs_detail. php?ID=22393. Raabs 1561  ÖNB, Cod. 14788, http://manuscripta.at/m1/hs_detail. php?ID=22405. Sachsengang 1550  ÖNB, Cod. 14786, http://manuscripta.at/m1/hs_detail. php?ID=22403. Steuerberg 1530 KLA, Stift Millstatt/Fasz.30/Millstatt 20 Herrschaften in Kärnten No.2 Steierberg. Wasen 1577  ÖNB Cod. 14688, 3, http://manuscripta.at/m1/hs_detail. php?ID=22286. Weyerberg 1534 NÖLA, Inventar von Schloss Weyerburg: Karton 1 (A-I-1) 1.b, Johann von Lamberg zu Stein, Nr. 8 Schloss Weyerburg. Würnitz 1564 HHStA, OLMA/Kart. 47–59a.

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Ingrid Matschinegg

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Abbildungsnachweis Abb. 1: Konzept: Ingrid Matschinegg, Plangrafik: Ralf Gröninger. Abb. 2: Daten errechnet aus der RaumOrdnungen-Projektdaten­ bank http://raumordnungen.imareal.sbg.ac.at (Februar 2019). Grafik: Franz Siegmeth. Abb. 3: Daten errechnet aus der RaumOrdnungen-Projektdaten­ bank http://raumordnungen.imareal.sbg.ac.at (Februar 2019). Grafik: Franz Siegmeth. Tab. 1: Konzept: Ingrid Matschinegg, Grafik: Franz Siegmeth. Tab. 2: Daten aus: Ochsenburg 1432, Grafik: Franz Siegmeth.

Ingrid Matschinegg

Isabella Nicka

Object Links in/zu Bildern mit REALonline analysieren

Abstract The methods and approaches in the digital humanities are intended to provide us with a fresh look at sources, enable new research questions or topics, and uncover previously unknown correlations in the data material. In terms of historical visual media, however, scarcely anything has been achieved in this respect thus far, especially in com­parison to studies based on text sources. Therefore, the paper begins by shedding light on the reasons and preconditions that led to this situation with regard to semantic elements of the image. Two application scenarios will then be used to demonstrate how queries Motiv-Netzwerke untersuchen Die Verbindungen von Objekten zu anderen Entitäten in den Blick zu nehmen, ermöglicht, sie als Teile von mitun­ ter komplexen  Netzwerken betrachten und analysieren zu können. Damit werden Zusammenhänge und gebilde­ te Strukturen deutlich, die bei einer Fokussierung auf das einzelne Objekt selbst nicht offenbar werden. Um diesen Ansatz nun für die Untersuchung der Verbindungen von dargestellten Objekten in vielen Bildern fruchtbar zu ma­ chen, sind Methoden aus den Digital Humanities beson­ ders geeignet, weil damit eine mitunter sehr hohe Anzahl an zu berücksichtigenden Komponenten und relevanten Aspekten verarbeitet werden kann. Dennoch wurden sie bis dato für diesen Zweck so gut wie nie verwendet. Als Gründe dafür können einerseits die Vorbehalte gegen­ über quantitativen Auswertungen in kunsthistorischen Forschungen und andererseits das überwiegende Fehlen geeigneter Datengrundlagen zu semantischen Bestand­ teilen figurativer Bilder genannt werden. Letzteres liegt wiederum nicht zuletzt an den Bedingungen, die mit der Schaffung von solchen Datengrundlagen einhergehen.

in the REALonline image database of the Institute for Medieval and Early Modern Material Culture can be used to research links between depicted entities. The connections between motifs in the image (for instance, a person holding a jug), which are analysed as intentional configurations, form the starting point for this. On the basis of quantitative surveys, recurring solutions as well as rare or even singular arrangements and configurations of motifs can be identified. These findings serve as the foundation for qualitative investigations in which the causes of patterns and outliers can be examined, thus contributing to a better understanding of how images produce meaning. Allen drei genannten Aspekten soll deshalb im Beitrag ein angemessener Raum zukommen, ehe die Möglichkei­ ten aufgezeigt werden, die das Einbeziehen von digitalen Auswertungen semantischer Daten zu spätmittelalterli­ chen visuellen Medien für die Erforschung von Object Links in zwei Anwendungsszenarien am Beispiel der Bilddatenbank REALonline1 des Instituts für Realien­ kunde des Mittelalters und der frühen Neuzeit in Krems (IMAREAL) der Universität Salzburg veranschaulichen. Mit dem Entwurf und Aufbau der Bilddatenbank am IMAREAL wurde in der Frühzeit des Instituts in den 1970er Jahren begonnen.2 Das Interesse der Krem­ ser Forschungseinrichtung daran, wie welche Dinge in visuellen Medien verhandelt werden und in welchen Darstellungsgefügen sie stehen, kann rückblickend eben­ so als Motivation dafür geltend gemacht werden, eine Datenbank aufzubauen, die (neben den Metadaten zum Kunstwerk) semantische Bestandteile von Bildern doku­ mentier- und abfragbar macht, wie die interdisziplinäre Ausrichtung des Instituts. Die Bildquellen so zu erschlie­ ßen, dass sie nicht nur im Rahmen der Kunstgeschichte rezipiert werden können, sondern auch für vergleichende

1 O  nline kostenfrei zugänglich unter: https://realonline.imareal.sbg.ac.at [letzter Zugriff im Juni 2019]. 2 Vgl. u.a. Vavra 1980; Vavra 1983; Jaritz 1993, 15–33; Jaritz 1999, 104f.; Thaller 1980.

 Die mit einem blauen Pfeil markierten Begriffe sind im Beitrag „Begriffsforum“ in diesem Band vertreten, samt einer im Rahmen der Object Links entwickelten Diskussion und Verweisen, wo der jeweilige Begriff im Buch noch verwendet wird.

Object Links in/zu Bildern

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Untersuchungen in anderen geisteswissenschaftlichen Kontexten heranziehbar werden, stellte andere Anfor­ derungen an die Unternehmung. Zudem wurde – auch vor dem Hintergrund des Einsatzes von Computertech­ nologien bei der Erfassung und Auswertung historischer Massenquellen der Schriftkultur (z.B.  Testamente oder Inventare) – die Bilddatenbank am Institut für Realien­ kunde von Beginn an darauf ausgelegt, (auch) ein analy­ tisches Werkzeug und nicht ‚nur‘ ein Findbehelf für das angelegte Fotoarchiv zu sein. Man kann sie damit als Di­ gital Humanities-Projekt avant la lettre bezeichnen. Ihr langes Bestehen, die anhaltende Erweiterung des Daten­ materials und die konsequente Weiterentwicklung ihrer Funktionalitäten und Formen der Verfügbarmachung 3 bilden heute eine gute Basis dafür, evaluieren zu können, welchen Einfluss die Auswahl und Art der erhobenen Daten, ihre Modellierung und Abfragemöglichkeiten sowie die Visualisierung der gewonnenen Abfrageresul­ tate und die Art der Zugänglichkeit von Daten für die Untersuchung historischer Bilder haben. Damit lässt sich auch (zumindest hinsichtlich bestimmter Forschungs­ interessen) konturieren, wie eine Integration einer „digi­ talen Kunstgeschichte“ 4 im bestehenden Profil des Fachs aussehen könnte. Vorbehalte gegenüber quantitativen Erhebungen Ein Blick auf die Akteurinnen und Akteure in den Digital Humanities zeigt, dass in diesem Feld bis dato die text­ orientierten Fächer im Vergleich zu den geisteswissen­ schaftlichen Forschungsrichtungen, die Bilder analysieren,

wesentlich zahlreicher vertreten sind.5 Einer der Gründe dafür ist die vorherrschende Skepsis vieler Wissenschaf­ ter/-innen in den Bild- und Kunstwissenschaften gegen­ über dem gewinnbringenden Einsatz quantitativer Aus­ wertungen bei der Untersuchung von visuellen Medien. Einerseits wird dabei ins Treffen geführt, dass es sich bei vielen der zu analysierenden Bestände nicht um Massen­ quellen und damit nicht um Material handelt, das „funda­ mentally statistical“ sei.6 Andererseits besteht die Sorge, sich einem metrischen System zu unterwerfen, das genützt werde, um mit Zahlen, Tabellen und Visualisierungen von Datenauswertungen magere Erkenntnisse aufzupolieren, die noch dazu letztlich keine Überraschungen gegen­ über den Resultaten aus qualitativen Analysen böten.7 Den Untersuchungen werden weiters ein unreflektierter Umgang hinsichtlich des Generierungsprozesses der Da­ ten bzw. der Aussagekraft des untersuchten Korpus und eine theorieferne und eindimensionale Argumentation vorgeworfen, die von einer technopositivistischen Hal­ tung herrühren.8 Viele der Kritikpunkte sind anhand der Publikationen, auf die sie sich beziehen, nachvollziehbar. Dennoch sollte nicht vergessen werden, dass auch quali­ tative Untersuchungen (zwangsläufig) damit operieren, nur bestimmte Kontextinformationen, Vergleichsquellen, beobachtbare Indikatoren etc. zu verwenden und damit ebenfalls aus einem viel größeren vorhandenen Pool aus Möglichkeiten auswählen, um ihre Argumentation zu erstellen. In beiden Fällen werden also mit unterschied­ lichen Mitteln Konstruktionen geschaffen. Mario Carpo hat in seinem Artikel „Big Data and the End of History“ die Relation zwischen Forschungsgegenstand und Ge­ schichtsschreibung wie folgt dargestellt:

3 B  ereits am Beginn der 1990er Jahre wurde etwa an der Erstellung eines Programms (Κιείο Image Analysis System) mitgearbeitet, das u.a. Vorformen von Bildannotationsmöglichkeiten integrierte oder Bildverarbeitungsprozesse verfügbar machte, die Strukturen von Bildern für die Benutzer/-innen einfacher vergleichbar machen sollten, vgl. Jaritz, Schuh 1991 sowie Jaritz 1993. Die Datenbank – zunächst REAL genannt – wurde mit einigen Suchfunktionen 2001 als REALonline als eine der ersten geisteswissenschaftlichen Bilddatenbanken im Internet verfügbar gemacht, siehe Matschinegg 2004. Der jüngste Relaunch der Bilddatenbank, der am 10. Mai 2017 online ging, war umfassend und betraf die Überführung in ein neues Datenmodell, die Erstellung eines neuen Eingabe-GUI und eines völlig überarbeiteten und mit erweiterten Recherchemöglichkeiten versehenen Interfaces für Nutzer/-innen sowie die Verfügbarmachung der Daten über eine neo4j-Graph­datenbank, worauf ich weiter unten noch zu sprechen kommen werde. Ausführlich informieren über diese rezentesten Weiterentwicklungen Matschinegg, Nicka 2018 bzw. Matschinegg et al. 2019. 4 Johanna Drucker (2013, 7) hat angeregt, zwischen einer digitalen und digitalisierten Kunstgeschichte zu unterscheiden: „[…] a clear distinction has to be made between the use of online repositories and images, which is digitized art history, and the use of analytic techniques enabled by computational technology that is the proper domain of digital art history.“ 5 Das ist einerseits an der noch immer relativ geringen Beteiligung von Kunsthistorikerinnen und Kunsthistorikern auf Digital Humanities-Tagungen ablesbar (vgl. etwa das Programm Digital Humanities Austria-Tagung, http://dha2018.sbg.ac.at/programm [letzter Zugriff im Juni 2019]) oder in Publikationen, die sich mit der Rolle des Bildes und/oder der Kunstgeschichte in den Digital Humanities beschäftigen (z.B. Kuroczyński et al. 2018, 11f.; Sebastián Lozano 2016, 2; Svensson 2009; Zorich 2012, 6f., 20–27). 6 Drucker 2014, 11. 7 So etwa der Grundtenor der Vorwürfe bei Claire Bishop 2018. 8 Bishop 2018.

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Like the modern scientist, the modern historiographer must infer a theory (in the case of history, more often an argument or a story) from a vast archive of findings. This data is not reported as such (even though today facts and sources are often listed or referred to in footnotes), but it is subsumed and transfigured, as it were, in a larger narrative – namely, a history – that derives from the original findings, but encompasses and describes them in more general terms. […] This narrative, once again, functions as a lossy data-compression technology: only the story thus con­ strued will be recorded and transmitted and will bear and convey memories, wisdom, or meaning, whereas most of the individual events, experiences, or (in the Aristotelian sense of the term) accidents that inspired it will be discarded and forgotten.9

Anhand dieses Zitats wird deutlich, dass auch im Arbeits­prozess qualitativer Untersuchungen quantitative Erhebungen eine Rolle spielen, aber oft nur ihr Resultat vermittelt oder im weiteren Forschungsprozess verarbei­ tet wird. Diese Rechercheleistungen – selbst wenn sie in keiner Form notiert und ausschließlich im eigenen Kopf durchgeführt werden – bedürfen einer Festlegung von Kriterien (Faktoren, Merkmale) und gegebenenfalls ihrer Kombinationen. Sie basieren auf einem bestimm­ ten Ausgangsmaterial, das umfassend oder sehr einge­ schränkt sein und als primäre Quelle, in einer medialen Überlieferung oder als Idee (Text in einem Buch, Bild in meiner Erinnerung, etc.) vorliegen kann. Die Prozesse sind also prinzipiell mit jenen vergleichbar, die bei der Aufbereitung von Quellen in digitalen Korpora notwen­ dig sind. Der größte Unterschied ist dabei der Faktor der Serendipität 10, der mit sich bringt, dass im Zuge der menschlichen Erhebungen ungeplante (assoziative, restriktive, modifizierende etc.) Prozesse in Gang kom­ men können, die von einem viel größeren Netzwerk an Informationen in unserem Gedächtnis gespeist werden. Diese Verfahren sind zwar alles andere als einfach forma­ lisier- oder dokumentierbar, bringen aber mitunter jene glücklichen Zufälle zustande, die den Nährboden für un­ erwartete Entdeckungen schaffen. Um das Dargelegte zu verdeutlichen, möchte ich ein exemplarisches, wenngleich fiktives Szenario anführen: Für eine dargestellte, sehr spe­ zifische Kreuzesform wird ein Vergleichsbeispiel gesucht, das die Merkmale, Eigenschaften und Funktionen des Forschungsobjekts besser fassbar macht. Dazu können (mentale, analoge, digitale) Sammlungen von Bildern

konsultiert werden, wobei durch ausgewählte Para­meter das Suchergebnis (z.B. aus Gründen der Machbar­ keit) eingeschränkt wird. Entspricht kein Objekt den gesuchten Kriterien, wurde mit dieser Durchsicht der (virtuellen oder realen) Archive – letztlich quantitativ – erhoben, dass die zu eruierenden Merkmale im Sample nicht enthalten sind. Im Zuge des Vorgangs kann aber z.B. aufgrund eines intensiven Blaus der Kleidung von Maria in einer der gesichteten Kreuzigungsdarstellungen die Assoziation zu einem in ebensolchen Farben gehal­ tenen Einband eines Buches geweckt worden sein, das bei der Präsentation von Neuankäufen in der Bibliothek aufgelegen war und sich dem Thema der Materialität von Buchmalerei widmet. Daran knüpft sich die Erinnerung an ein Gespräch mit der Bibliothekarin über die vielen mit Goldgrund versehenen Passionsdarstellungen, die ihr beim Beschlagworten aufgefallen waren. Ist darunter nun zufällig eine Abbildung einer historisierten Initiale mit der Darstellung einer Kreuzesform, die den gesuchten Kriterien entspricht, kann entweder geschlossen werden, dass die gewählten Parameter zur Einschränkung des zuvor gesichteten Materials dazu geführt haben, dass es kein Ergebnis gab (etwa weil die Kreuzesform außer auf dem Forschungsobjekt nur in einem anderen Nutzungs­ zusammenhang oder thematischen Kontext, einer an­ deren Gattung etc. vorkommt) oder die konsultierten Bildsammlungen aus einem bestimmten anderen Grund gerade jene Bildmedien nicht inkludierten. Nur selten werden in weiterer Folge die im Zuge der Suche nach einem Vergleichsbeispiel vorgefundenen Muster und Be­ sonderheiten in der Untersuchung jedoch wiedergegeben. Um auf einer ganz allgemeinen Ebene zu fassen, wie Muster in den visuellen Medien entstehen, möchte ich die Vorgänge der Produktion und Rezeption von Bildern hier kurz beschreiben (vgl. Abb. 1): In einem spezifischen Produktionskontext wird in einer bestimmten Weise ein Bild unter Verwendung von konkreten Informationen der verfügbaren Wissens-, Erfahrungs- und Vorstellungswelt geschaffen. Im Rezeptionsprozess wiederum werden ei­ nerseits von allen sich im Bild darbietenden Informatio­ nen nur bestimmte wahrgenommen und andererseits wird nur ein Teil von dem auf das Bild Projizierbare (Wissen, Ideen, Gefühle etc.) für das Erfassen genützt. Obwohl beide Prozesse potentiell nahezu unendlich variabel sind, entstehen zu bestimmten Zeiten, in mehr oder weniger

9 Carpo 2018, 31. 10 Als Serendipität wird beschrieben, wenn durch einen ‚glücklichen Zufall‘ eine mitunter bedeutende Entdeckung gemacht wird, obwohl der Vorgang, der dazu geführt hat, eigentlich einem anderen Ziel oder Zweck dienen sollte. Als Beispiel dafür kann z.B. die Entdeckung Amerikas 1492 genannt werden.

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Visuelles Medium

Filter

Filter

Produktion

Rezeption

Abb. 1: Schematische Darstellung der Vorgänge bei Produktion und Rezeption von visuellen Medien.

geografisch oder soziokulturell abgrenzbaren Regionen, innerhalb von bestimmten Gattungen, Nutzungskontex­ ten etc. Bilder mit ähnlichen Merkmalen und Erschei­ nungsformen, während andere nie geschaffen werden. Wie unter anderem Untersuchungen aus kognitions­ wissenschaftlich ausgerichteten Forschungsrichtungen oder der empirischen Rezeptionsforschung zeigen,11 ist aber auch das Wahrgenommene nicht beliebig, sondern von unterschiedlichen Faktoren wie z.B. soziokulturel­ len Determinanten beeinflusst. In beiden Fällen sind also Mechanismen (Konventionen, Restriktionen etc.) wirksam, die als Filter (lila Balken in der schematischen Darstellung) zu einer Reduktion von Variabilität füh­ ren.12 Dadurch sind zwei wichtige Voraussetzungen und Rahmen­bedingungen für die Erforschung von Bildern gegeben: Sie bilden die Grundlage für das Herausstel­ len und Analysieren der Muster und Besonderheiten bezogen auf die  Konfigurationen von (semantischen, materiellen, formalen etc.) Aspekten in den visuellen Medien. Sie machen aber ebenso deutlich, dass im Zuge der Rezeption nur bestimmte Informationen ‚weiterver­ arbeitet‘ bzw. als Anknüpfungspunkte genützt werden können.

Welche semantischen Elemente werden analysiert? Es gibt unzählige Versuche, die Art, wie visuelle Medien funktionieren, besser verständlich zu machen. Ich möchte hier das Konzept der ikonischen Differenz von Gottfried Boehm aufgreifen, das er in seinem Aufsatz „Die Wieder­ kehr der Bilder“ wie folgt beschreibt: Was uns als Bild begegnet, beruht auf einem einzigen Grund­ kontrast, dem zwischen einer überschaubaren Gesamtfläche und allem[,] was sie an Binnenereignissen einschließt. Das Ver­ hältnis zwischen dem anschaulichen Ganzen und dem, was es an Einzelbestimmungen (der Farbe, der Form, der Figur etc.) beinhaltet, wurde vom Künstler auf irgendeine Weise opti­ miert. Die Regeln dafür sind historisch veränderlich, von Stilen, Gattungsordnungen, Auftraggebern usw. geprägt. Bilder – wie immer sie sich ausprägen mögen – sind keine Sammelplätze beliebiger Details, sondern Sinneinheiten. Sie entfalten das Ver­ hältnis zwischen ihrer sichtbaren Totalität und dem Reichtum ihrer dargestellten Vielfalt.13

Wir haben es also mit  Konfigurationen von formalen und semantischen Bestandteilen des Bildes zu tun, die gemeinsam eine neue Sinneinheit ergeben. Die Reihen­

11 V  gl. z.B. Rosenberg 2016; Ranta 2014, vor allem 87–90. 12 Das ist im Wesentlichen vergleichbar mit einer der Grundlagen, die Foucault (1993, 10f.) für sprachliche Äußerungen festlegt, nämlich dass „[…] in jeder Gesellschaft die Produktion des Diskurses zugleich kontrolliert, selektiert, organisiert und kanalisiert wird […]“. 13 Boehm 2006, 29f.

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folge, mit der wir diese „Einzelbestimmungen“ erfassen, ist (anders als etwa beim Text, der eine Leserichtung, einen Beginn und ein Ende hat) nicht prinzipiell durch das Medium festgelegt. Welche Elemente wir davon tat­ sächlich wahrnehmen, ist – wie oben erwähnt – von allen Vorgängen abhängig, die die Rezeption betreffen. Im Zuge systematischer Untersuchungen von Bildern – also etwa im Rahmen der kunsthistorischen Forschung – gehören die Strategien und Methoden der jeweiligen Disziplin zu den Mechanismen, die die Wahrnehmung bestimmter Merkmale oder Erscheinungsformen ermög­ lichen. Charles Goodwin hat im Rahmen seiner Analyse der  Praktiken des „fachlichen Sehens“ (professional vi­ sion) herausgearbeitet, dass in unterschiedlichen Berufs­ sparten konkrete Kodierungsschemata (coding schemes) entworfen und angewandt werden, die in weiterer Folge zu der Ausbildung von spezifischen Wissensstrukturen führen.14 Als eines der wichtigsten Kodierungsschemata der Kunstgeschichte kann dabei die Bildbeschreibung genannt werden, die (je nach angewandtem Zugriff ) in einer mehr oder weniger systematisierten bzw. konven­ tionalisierten Form und unter Verwendung eines mehr oder weniger standardisierten Vokabulars an einem oder zu mehreren Zeitpunkten im Forschungsprozess visuelle Phänomene in Text überführt. Kunstgeschichte ist, wie Jaś Elsner in einem provokativen Aufsatz 2010 festhält, […] at the very least, a verbal discipline of the visual, a discipline of the constant translation and re-translation of art into text, and of the belief in (or desire for) the potential transfiguration of the visual cast in verbal terms that can make it more clearly or effectively or essentially grasped.15

Bei der Analyse von semantischen Elementen eines oder mehrerer Kunstwerke steht damit am Beginn die Frage, wie diese Bildbestandteile erhoben werden und ob eine Auswahl bei der Erhebung getroffen wird. In Bezug auf die Untersuchung der Bildinhalte ist als eine der ältesten Methoden in der Kunstgeschichte die Ikonografie zu nennen, die danach fragt, welche semantischen Kompo­ nenten (Motive) z.B. innerhalb eines Bildthemas vorkom­ men. Die auftretenden Muster in den visuellen Medien in Bezug auf Kombination, Gestaltung, Anordnung,

Größenverhältnisse oder Korrespondenz der Motive, die in bestimmten Zeiträumen, soziokulturellen Gebieten etc. beobachtet werden können, wurden dabei als Typen bezeichnet. Das Festlegen von einem mehr oder weniger deutlich abgrenzbaren Segment des Bildes als Motiv (also der Zuordnung eines visuellen Bereichs zu einem begrifflichen Konzept), das Bestimmen seiner Merkmale und gegebenenfalls seiner semantischen Subeinheiten, ist ein interpretativer Akt, für den Wissen notwendig ist, das ‚außerhalb‘ des Bildes liegt. Ikonografie verstanden als ein Sammeln von Motiven und Systematisieren durch die Kategorisierung in Typen ist in der Kunstgeschichte zwar weiterhin als Basiswissen für die Disziplin, insbesondere auch in der Lehre, wichtig, ansonsten aber vor allem hinter Ansätze zurückgetre­ ten, die die Voraussetzungen und Rahmenbedingungen (Kontexte, Nutzungsszenarien, Produktionsbedingungen bzw. -anforderungen etc.) von bestimmten Komponenten und Erscheinungsformen von visuellen Medien oder von Bildsystemen16 untersuchen.17 Doch auch bei diesen letztgenannten Zugriffen ist es wesentlich zu wissen, wie ein Bild mit all seinen konfi­ gurierten Elementen in Relation zu anderen Bildern und deren Bestandteilen steht und solche Vergleiche sind – selbst wenn sie ‚nur‘ alle semantischen Komponenten und in einem reduzierten Maß formale Aspekte dieser Kom­ ponenten miteinbeziehen sollen – aufgrund der mitunter sehr hohen Anzahl an verwendeten Motiven, ihrer Sub­ einheiten und Merkmale sowohl ‚im Kopf ‘ als auch mit den Mitteln des Vergleichs in einer verbalen Beschrei­ bung kaum zu bewerkstelligen. Um sich die Schwierigkeit und Komplexität der Aufgabe vor Augen zu führen, kann man eine beliebige Bildsammlung (z.B. einige Urlaubs­ fotoalben bzw. -ordner) durchsehen, sich die Unterschiede auf der Ebene der Motive einprägen oder in Form von Bildbeschreibungen festhalten und im Anschluss eine Frage zum Gesehenen versuchen zu beantworten, die vor der Durchsicht noch nicht bekannt war (z.B.: „Wie viele der Bilder enthielten ein historisches Bauwerk und eine Person mit einem schwarzen T-Shirt?“). Für derar­ tige Anforderungen – bei denen nicht nur interessiert, ob sondern auch wie oft Bilder mit den gesuchten Kriterien im Sample vorkommen – ist es sinnvoll, die semantischen

14 Goodwin 1994, 628. 15 Elsner 2010, 24. 16 Unter Bildsystem verstehe ich ein Gefüge von zwei oder mehreren Bildeinheiten, die – indem sie zu einem  Ensemble verbunden sind – gemeinsam rezipiert werden können. Das Ensemble kann zusätzlich auch nicht-bildliche Elemente (z.B. Text, konstruktive Anteile) oder Mechanismen (z.B. Scharniere) enthalten. Als Beispiele für ein Bildsystem können unter anderem alle zugehörigen Tafeln eines Flügel­ retabels oder alle bestehenden Miniaturen in einer Handschrift angeführt werden. 17 Hourihane 2017, 5.

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Komponenten, ihre Subeinheiten und Merkmale in einer Datenbank zu erfassen. Damit wird es auch auf dieser Ebene möglich, Muster und Besonderheiten wahrzuneh­ men, die einem, wenn man bereits mit konkreten Fragen (also mit bestimmten Suchkriterien) das Material sichtet oder nur ein einzelnes Objekt analysiert, unter Umständen nicht aufgefallen wären. Distant Viewing? Neben dem eingangs bereits erwähnten, seit den 1960/70er Jahren vermehrt praktizierten Einsatz quanti­ tativer Auswertungen von historischen Schriftquellen in den Geschichtswissenschaften (z.B. in der Wirtschaftsund Sozial­geschichte)18 waren es in den letzten Jahrzehn­ ten vor allem die sprach- und literaturwissenschaftlichen Fächer, die sich mit solchen Zugriffen beschäftigten. Für eine der populärsten Methoden prägte Franco Moretti den Begriff des Distant Reading, womit einerseits kano­ nische ‚Verfestigungen‘ in der Forschung aufgebrochen werden sollen, indem eine größere Anzahl von Quellen in Untersuchungen einbezogen wird, und andererseits intrinsische Gegebenheiten in den Texten aufgezeigt werden, die bei einer Analyse eines Einzeltexts nicht zu­ tage treten.19 Morettis provokative Äußerung, man sollte lernen, wie man Texte nicht liest, oder anders formuliert: man sollte sie nur aus einiger Entfernung betrachten, wurde auch mit Kritik bedacht.20 Die Distanz ist dabei natürlich nicht räumlich zu verstehen, sondern spielt auf den Umstand an, dass bestimmte Zusammenhänge erst aus einiger Entfernung durch den Vergleich von vielen Quellen möglich werden. Der Fokus der Analyse und Interpretation liegt dabei also auf den  Clustern im Datenmaterial, die erst durch unterschiedliche rechner­ gestützte Verfahren (text mining, topic modelling etc.) und Datenvisualisierungen sichtbar werden. Die Vorbedingung für den Einsatz solcher Methoden ist die Schaffung von (großen) digitalen Korpora, die viele Texte in kodierten computerlesbaren Strukturen versammeln und die Daten in modellierter, normalisierter und parametrisierbarer Aufbereitung vorhalten.

Nachdem, wie ich oben bereits festgehalten habe, auch in Bildern wiederkehrende Muster detektierbar sind, könnte man in Anlehnung an den Distant Reading-An­ satz auch zu einer Untersuchung von Bildquellen anregen, die sich analog dazu mit Distant Viewing überschreiben ließe.21 Allerdings sind die Grundvoraussetzungen, auf denen solche Studien aufbauen müssten, andere als beim Text. Seine Überführung in einen digitalen, prozessier­ baren Code ist nämlich aufgrund der Form von Sprach­ notation in Alphabetschriften und einem bestehenden (vergleichsweise) stabilen und überschaubaren Set an zugrunde gelegten Regeln (Grammatik, Zeichensetzung etc.) möglich. Aber Bilder funktionieren anders als Text: Nonlinguistic systems differ from languages, depiction from description, the representational from the verbal, painting from poems, primarily through lack of differentiation – indeed through density (and consequent total absence of articulation) – of the symbol system.22

In seiner Besprechung der „Languages of Art“ von Nelson Goodman, aus denen das Zitat stammt, hat es W.J.T. Mit­ chell als besonders erhellend hervorgehoben, dass darin für diesen Kontext mit dem Begriff der  Dichte operiert wird. Er führt dazu weiter aus: The image is syntactically and semantically dense in that no mark may be isolated as a unique, distinctive character (like a letter of an alphabet), nor can it be assigned a unique reference or „compliant.“ Its meaning depends rather on its relations with all the other marks in a dense, continuous field. A particular spot of paint might be read as the highlight on Mona Lisa’s nose, but that spot achieves its significance in the specific system of picto­ rial relations to which it belongs, not as a uniquely differentiated character that might be transferred to some other canvas.23

Diese Einsicht ist von eminenter Bedeutung für das Ver­ ständnis der aktuell sehr unterschiedlichen Intensität, mit der in den Digital Humanities Texte bzw. Bilder analy­ siert werden: Einem Buchstaben kommt in der digitalen Welt ein anderes epistemisches Potenzial zu als einem Farbtupfen. Auch wenn, wie Johanna Drucker in ihrem Resümee zur Kritik zum Distant Reading anmerkt, ein

18 Vgl. Thaller 1990. 19 Moretti 2016. 20 Drucker 2017. 21 Klinke 2016, 17. 22 Goodman 1976, 226. 23 Mitchell 1986, 67.

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großer Unterschied zwischen „the inscriptional, notational surface and the rhetorical, cognitive effect that produces a text“ 24 besteht, können selbst einfache Analysen, wie Auswertungen zur Häufigkeit von verwendeten Wörtern oder ihrem verdichteten Einsatz, den Ausgangspunkt von Interpretationen für Forscher/-innen bilden. So würde etwa das Auszählen der Wörter in dem Text Why distant reading isn’t von Drucker, aus dem eben zitiert wurde, eine verdichtete Verwendung von „mother“ zutage fördern, also eines Wortes, das man in diesem Zusammenhang nicht unbedingt erwartet: Neunmal kommt es auf Seite 631 vor, davon alleine siebenmal in einem Absatz von nur zehn Zeilen; einmal findet es sich auf Seite 630. Die ver­ dichtete Verwendung auf Seite 631 ist eine Passage, in der Drucker anhand eines von ihr erfundenen, also fiktiven Beispiels für eine literarische Textstelle zeigt, in welchen unterschiedlichen Bedeutungen die ASCII-Zeichenfol­ ge „mother“ stehen kann. Sie zieht daraus den Schluss, dass die Methode, bei der Wörter als ein „matched letter string“ gezählt werden, nichts mit dem Ausmachen von Bedeutung oder aber mit Lesen als interpretativem Akt zu tun hat.25 Dieser Aussage – wie grundsätzlich den bei Drucker geäußerten Bedenken und dem Aufruf zu einem reflektierten Umgang mit quantitativen Methoden und den ihnen zugrunde gelegten Prämissen – kann ich voll und ganz beipflichten. Dennoch könnte das oben genannte Ergebnis der Auswertung auf eine Korrelation von Phänomenen hinweisen, die in weiterer Folge als die Verwendung eines konkreten Topos interpretiert werden und Anstoß für eine Untersuchung zur Diskursivierung des Einsatzes von technischen Methoden in den Geis­ teswissenschaften sein könnten: dem Operieren mit der Gegenüberstellung von kalkulierender, empfindungsloser Maschine und gefühlsbetontem, fürsorglichen Menschen. Das von Drucker eigens für die Argumentation erfun­ dene Beispiel auf Seite 631 (wofür sie auch ein gänzlich anderes Szenario auswählen hätte können) handelt näm­ lich von einer Mutter, die zitternd ihre unglückseligen Kinder in einer Abstellkammer vor einem furchtbaren herannahenden Sturm beschützt und dabei – das Bild der Gottesmutter vor Augen – in größter Sorge, wie sie nur eine Mutter bei der Bedrohung ihres Sprosses empfinden kann, im Dunkeln bang der Ungewissheit entgegensieht. Die zweite Stelle, an der „mother“ in dem Text vorkommt,

ist der Hinweis darauf, dass kein Textanalyseinstrument je geweint hätte, während es die Zeilen von Felix Saltens Geschichte prozessiert hat, in denen vom Tod der Mutter von Bambi erzählt wird. Bild und Text bringen – wie dargelegt – aufgrund ih­ rer medialen Bedingtheiten andere Voraussetzungen für eine Überführung in eine digital prozessierbare Form mit sich. Bestimmte Partien eines Bildes als semantische oder formale Einheiten oder als ihre Subeinheiten zu deuten ist mit einer hohen Interpretationsleistung verbunden. Menschen erledigen diese Aufgabe unter Rückgriff auf ein enormes mentales Reservoir an bekannten Sachver­ halten und Theorien, an Informationen der Erfahrungsund Gefühlswelt, durch das Wissen um andere Bilder, Ideen und Abläufe etc. Aufgrund seiner Komplexität ist dieser Prozess deshalb bis dato nur in bestimmten Zusammenhängen für Computeranwendungen formali­ sierbar (ein Beispiel wäre etwa die Gesichtserkennung). Man spricht daher vom Semantic Gap, also einer beste­ henden Kluft zwischen Mensch und Maschine. Auch wenn es im Bereich der künstlichen Intelligenz in den vergangenen Jahrzehnten erfolgreiche Ansätze gab, wie etwa das so genannte Convolutional Neural Network, ist die Applizierbarkeit solcher Methoden26 – etwa für digi­ tale Bilder von mittelalterlichen Kunstwerken – deshalb fraglich, weil der Erfolg u.a. von der Anzahl an Beispie­ len für ein Objekt abhängt, mit denen das Netzwerk trainiert wurde. Obwohl im Rahmen von Digitalisierungsprojekten von Museen, Forschungseinrichtungen und anderen Kampagnen (wie etwa dem Google Arts and Culture-Pro­ jekt)27 täglich eine Vielzahl an neuen digitalen Bildern zu Kunstwerken im Internet zugänglich gemacht wird, können diese Bilddaten – sofern sie weiterverarbeitet werden dürfen  – gegenwärtig nur auf jene automatisch extrahierbaren Merkmale hin mit digitalen Werkzeugen analysiert werden, die man in der Computer Vision als low-level-features (z.B. Farbe, Sättigung eines Pixels etc.) bezeichnet, und für die letztlich dasselbe gilt, wie für den ‚analogen‘ Farbtupfen: Auch hier ist das epistemische Potenzial der Auswertungen der Bilder für kunst- und kulturgeschichtliche Untersuchungen als eher gering einzustufen.28

24 Drucker 2017, 634. 25 Drucker 2017, 631. 26 Eine Übersicht über aktuell für digitale Bilder von Kunstwerken einsetzbare Technologien der Computer Vision bieten Lang, Ommer 2018. 27 https://artsandculture.google.com [letzter Zugriff im Juni 2019]. 28 Beispiele für einen solchen Zugang sind: Von Pippich 2016 und Hristova 2016.

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Um quantitative Auswertungen zu einzelnen Bildbe­ standteilen vornehmen zu können, müssen die einzelnen Elemente bis dato also erst manuell festgelegt werden. Ich möchte in der Folge kurz zusammenfassen, welche Informationen zu den semantischen Komponenten von Bildern in den Bilddatenbanken von Kultur- und Wissen­ schaftseinrichtungen aktuell verfügbar sind. Meist werden darin die Metadaten der visuellen Me­ dien (Kunstschaffende, Titel, Datierung etc.) möglichst detailliert erfasst, während das Ausmaß an erhobenen Daten zum Bildinhalt von den jeweiligen Ressourcen und Verwendungsinteressen der Institution abhängig ist,29 die die Datenbank betreibt, und damit erheblich variieren kann.30 In letzter Zeit werden als Alternative für die zeit- und kostenintensive Erfassung in den In­ stitutionen selbst im Rahmen des so genannten Social Taggings mehr Informationen unter anderem auch zum Bildinhalt durch Crowd Sourcing-Anwendungen er­ zielt.31 Auch an Verfahren, wie künftig Methoden des Maschinellen Sehens für solche Aufgaben fruchtbar eingesetzt werden können, wird gearbeitet.32 Aktuell ist aber die Menge an verfügbaren dichten semantischen Daten in Bilddatenbanken zu historischen visuellen Medien als verschwindend gering zu bezeichnen. Beson­ ders dargestellte Objekte und die einzelnen Bestandteile eines Settings, in das eine Szene im Bild eingebettet ist, sind davon betroffen. In den seltenen Fällen, in denen sie doch erhoben werden, geschieht dies vor allem dann, wenn es eine besonders prominente Darstellung nahelegt oder wenn – aus welchen Gründen auch immer – das übergeordnete semantische oder ikonografische Konzept (z.B. Christbaum oder Personifikation des Saturn) nicht bekannt war und auf das rückgegriffen wird (werden musste), was Panofsky als vorikonografische Ebene der Bildbeschreibung (z.B. Baum, Kerze oder Mann, Stuhl) bezeichnet hat.33 Wo dichtere semantische Informationen erhoben werden (etwa im Rahmen des Index of Medieval Art, Princeton University), wird dazu meist kein strukturiertes Datenmodell, sondern Fließtext verwendet.34 Das er­ schwert eine direkte Auswertbarkeit der Daten, und die Relationen zwischen den einzelnen Bildelementen können

aufgrund der Linearität des Textes nur eingeschränkt in die Analysen eingebunden werden. Zusammenfassend kann festgehalten werden, dass nur sehr bedingt Daten zu semantischen Bildelementen in digitalen Datenbanken erfasst wurden, die als Aus­ gangspunkt für Analysen dienen könnten. Viele darge­ stellte Bild­ elemente (z.B. Möbelstücke oder konkrete Bestandteile von Landschaften) können in unterschied­ lichsten thematischen Kontexten, in unterschiedlichen Medien und Gattungen vorkommen, und ihr ursprüng­ licher Entstehungs- oder Verwendungszusammenhang ist zudem vor allem bei mittelalterlichen Kunstwerken oftmals nicht überliefert. Können solche Kriterien nicht als Parameter für die Einschränkung bei einer Suche in einer Datenbank verwendet werden, sehen sich Wissen­ schafter/-innen in vielen Fällen mit einer zu hohen Trefferquote konfrontiert, als dass dieses Ergebnis noch ‚von Hand‘ ausgewertet werden könnte. Eine Ein­ schränkung aller auf der Seite des Bildindex zur Kunst und Architektur verfügbaren Bilder und Werke auf die Zeit zwischen 1450 und 1480 ergibt aktuell 16.470 Treffer, während nur drei dieser Datensätze (also nur 0,018 %) mit dem Begriff „Stuhl“ verschlagwortet wurden. Die Konsequenzen dieses Umstands sind vielfältig, und im Folgenden können nur einige herausgegriffen werden. Es hat einerseits dazu geführt, dass vor allem Bildelemente, die dem Setting einer dargestellten Szene zuzuordnen sind, in der Forschung im wahrsten Sinne des Wortes oft übersehen und folglich nicht in Analysen einbezogen wurden. Aufgrund des Fehlens geeigneter Findbehelfe für die angesprochenen Komponenten von Bildern wur­ den andererseits vermehrt dieselben Vergleichsbeispiele herangezogen (also z.B. die Geburt des Johannes aus dem sogenannten Turin-Mailänder Stundenbuch35 für das In­ terieur einer gehobenen Schlafkammer) bzw. können nur jene Kunsthistoriker/-innen Alternativen beisteuern, die auf ein – meist durch jahrzehntelange Arbeit an einem Spezialgebiet aufgebautes – mentales Archiv an seman­ tischen Bausteinen von vielen Bildern in ihren Köpfen zurückgreifen können. Zum einen macht die bereits angesprochene, täglich ansteigende Anzahl an verfügba­ ren Digitalisaten von Kunstwerken immer mehr darauf

29 Baca et al. 2006, 208–210. 30 Matschinegg, Nicka 2018, 12f.; Brandhorst 2013, 76. 31 Ein Beispiel ist das Projekt „artigo“, vgl. Kohle, Schneider 2017, 82f. 32 Lang, Ommer 2018. 33 Panofsky 1970, 53f. 34 Vgl. Hourihane 2014, 259. 35 Jan van Eyck, Geburt des Johannes des Täufers und Taufe Christi, sogenanntes Turin-Mailänder Stundenbuch, Turin, Museo Civico, Inv.Nr. 47, fol. 93v.

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aufmerksam, wie klein der Kanon der in der Forschung herangezogenen Kunstwerke ist. Zum anderen sind es komplexe Fragen (z.B. „Finde repräsentativ dargestellte Fenster, die links in einem visuellen Medium vorkom­ men, das eine oder mehrere weibliche Figuren zeigt, die Bücher in Händen halten.“), die verdeutlichen, dass es gerade für die Herausstellung von Mustern und Besonder­ heiten in Bildern sinnvoll wäre, auch die dargestellten Bildelemente abfragbar zu machen. Um einen Distant Viewing-Ansatz für die Untersu­ chung semantischer Komponenten in den visuellen Me­ dien anwenden zu können, fehlt es gegenwärtig also vor allem an den dafür notwendigen digitalen Korpora. Es ist aufgrund der geschilderten Ausgangssituation auch nicht weiter verwunderlich, dass Studien zu mittelalterlichen und frühneuzeitlichen Bildquellen, bei denen quantitati­ ve Methoden zur Untersuchung ihrer semantischen Be­ standteile explizit in das Forschungsdesign eines Projekts integriert werden, entsprechend selten sind.36 In REALonline wurden strukturiert erfasste Daten zu Verbindungen der semantischen Komponenten erhoben, weshalb ich nun zunächst die Datenaufnahme in dieser Bilddatenbank hinsichtlich der Art, wie Object Links erfasst werden, vorstelle und in den beiden darauffolgen­ den Abschnitten demonstrieren möchte, wie die Daten in REALonline für die Forschungen zu Verbindungen dargestellter Objekte, die quantitative Abfragen zum Ausgangspunkt nehmen, verwendet werden können. Die Rolle von REALonline für die Erforschung von Object Links 37 REALonline ist im Unterschied zu vielen Bilddaten­ banken von Kunst- und Kultureinrichtungen (wie Mu­ seen oder Bibliotheken) keine Sammlungsdatenbank und auch kein Bestand an Fotos von Kunstwerken, der spezifisch für die Verwendung in der kunsthistorischen Forschung und Lehre oder für eine Dokumentation von Kulturgütern einer Region oder eines Landes geschaffen wurde. Wie eingangs bereits erwähnt, wurde mit dem

Aufbau der Bilddatenbank am Institut für Realienkunde in Krems der Anspruch verbunden, die auf den visuellen Medien des Mittelalters (und in weiterer Folge auch der Frühen Neuzeit) 38 dargestellten Dinge im Kontext der übrigen semantischen Bildelemente zu erfassen und damit abfragbar zu machen. Es handelt sich um keine Projektdatenbank, bei der die Daten in einem relativ eng gefassten Projektzeitraum so erhoben werden sollen, dass damit ganz konkrete, unter Umständen auch schon im Vorfeld bekannte Fragen an das Material gestellt werden können. REALonline wurde mit dem Ziel aufgebaut, eine Forschungsgrundlage zu schaffen, in der ‚corpusartig‘ detaillierte und strukturierte Daten zum Bildinhalt für eine Vielzahl von Untersuchungen in unterschiedlichen Disziplinen erschlossen werden. Fotografisch dokumen­ tiert und in weiterer Folge in der Datenbank erschlossen werden die Bildquellen aus Museen, Bibliotheken, kirch­ lichen Sammlungen etc. in Österreich (aktuell etwa die Hälfte der gesamten Datensätze) und in angrenzenden Regionen in der Slowakei, in Tschechien, Deutschland, Ungarn, Slowenien und Italien sowie in einzelnen Gebie­ ten in Rumänien und Polen. In REALonline werden neben den Metadaten zu Kunstwerken und Artefakten (Material, Kunstschaffen­ de, Datierung etc.) auch Informationen zu Bildinhalten (Personen, Objekte, Tiere, Pflanzen, Handlung, Hand­ lungsort etc.) und deren Charakteristika systematisch dokumentiert. Erfasst werden dargestellte Objekte, ihre Farbe, ihre Form (z.B. gewellt) und – so erkennbar – ihr Material (z.B. Holz) sowie dargestellte Subjekte mit ihrem Geschlecht, ihrem Namen, ihrem Stand (z.B. Königin) oder ihrer Berufsbezeichnung sowie ihrem Gestus bzw. ihrer Körperhaltung (z.B. betend, sitzend). Zudem werden Beziehungen zwischen den semantischen Elementen und ihren Teilen festgehalten (z.B. hat Bezug zu, Teil von, hält, trägt Kleidung etc.). Mittlerweile sind über 1,2 Millionen semantische An­ notationen39 in mehr als 22.500 Datensätzen zu visuellen Medien unterschiedlicher Gattungen (Tafel-, Buch-, Wandmalerei, Plastik, Grafik etc.) erfasst. 2001 ging die Datenbank als eine der ersten geisteswissenschaftlichen

36 Vgl. u.a. Bell, Ommer 2017, 233–236; Lepape 2015; Bell et al. 2013; LeZotte 2008; Jaritz 1999; Vavra 1996. 37 Alle genannten Bezeichnungen von Entitäten, Abfragebeispiele, Auswertungsergebnisse und Visualisierungen beziehen sich auf den Stand von REALonline am 15.2.2019. Aufgrund von Weiterentwicklungen kann es bei den Abfragebeispielen künftig notwendig sein, geringfügige Adaptionen vorzunehmen, um zu Ergebnissen zu kommen. Bei Fragen wenden Sie sich bitte an [email protected]. 38 Der Untersuchungszeitraum beschränkte sich zunächst auf das Mittelalter, wurde in weiterer Folge aber bis zum Beginn des Dreißig­ jährigen Krieges ausgeweitet, was sich 1990 auch in der Umbenennung von Institut für mittelalterliche Realienkunde Österreichs in Institut für Realienkunde des Mittelalters und der frühen Neuzeit manifestierte. 39 Während sich Metadaten auf einen einzelnen Datensatz als Ganzes beziehen, werden in Annotationen Daten erfasst, die sich nur auf Teile eines Datensatzes beziehen. Zu Annotationen vgl. Rapp 2017.

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Bilddatenbanken online, und seit Mai 2017 ist eine überarbeitete Version mit vielen neuen Funktionen – Facetten­ suche, Geo-Browser, Zoom-View etc. – und unter­schiedlichen Möglichkeiten der Datenrepräsentati­ on im Internet verfügbar.40 Über die Suche für Expertin­ nen und Experten können alle Daten zu den Werken und den semantischen Komponenten sowie die umfassenden Thesauri in einer neo4j-Graphdatenbank abgefragt wer­ den. Damit ist eine online verfügbare Datengrundlage gegeben, die es im Rahmen dieses Beitrags erlaubt zu zeigen, in welcher Form quantitative Methoden in quali­ tative Untersuchungen eingebunden werden könnten. Es ist dabei nicht das Ziel, mit quantitativen Analysen direkt zu Forschungsergebnissen zu gelangen, sondern sie werden dazu genutzt, Korrelationen von Phänomenen zu entdecken, deren kausaler Zusammenhang in weiterer Folge durch eine qualitative Untersuchung erhoben wer­ den kann.41 Der Ansatz ist im weitesten Sinn mit dem Scalable Reading vergleichbar, der vom Altphilologen Martin Mueller für literarische Texte entwickelt wurde. Dabei sollen Untersuchungen zu einem einzelnen Text und ei­ nem ganzen Textkorpus, also Mikro- und Makroanalyse, verbunden werden: Scalable reading, then, does not promise the transcendence of reading, – close or otherwise – by bigger or better things. Rather it draws attention to the fact that texts in digital form enable new and powerful ways of shuttling between ‚text‘ and ‚context‘.42

In Anlehnung daran soll in diesem Beitrag gezeigt werden, wie Object Links untersucht werden können, welche Möglichkeiten und Herausforderungen es mit sich bringt, quantitative Auswertungen des Datenmaterials in der Bilddatenbank REALonline im Rahmen von quali­ tativen Untersuchungen zur Kunst des Spätmittelalters einzubinden. Wenn ich nun in der Folge mit dem Begriff Object Links operiere, so bezieht er sich in meinem Zusammen­ hang auf die Verbindungen, die dargestellte Dinge als Teile einer Sinneinheit mit anderen semantischen Elementen in einem visuellen Medium eingehen. Das Modell des Graphen in REALonline (Abb. 2) erfasst die

semantischen Komponenten (Entitäten) einer „Szene“, also ein über dargestellte Orts- bzw. Handlungseinheit als abgrenzbare Entität wahrnehmbares Gefüge. Dabei werden mehrere Arten von Object Links zwischen den semantischen Bestandteilen unterschieden: Je nach Posi­ tion des dargestellten Objekts im Netzwerk des Graphen ist auch die Verbindung, die es mit einer weiteren darge­ stellten Einheit oder Subeinheit eingeht, eine andere. So können etwa Objekte direkt der Szene zugeordnet sein (z.B. Szene  1 –[enthält Objekt]–> Tisch), mit anderen dargestellten Dingen (z.B. Tisch –[hat Bezug zu]–> Krug) bzw. mit einer Subeinheit (z.B. Krug –[hat Teil]–> Hen­ kel) in Verbindung oder zu einer repräsentierten Person bzw. Figur in Relation stehen (Subjekt –[hält]–> Krug; Subjekt –[trägt43]–>Mantel). Diese unterschiedlichen Arten der Verbindungen sind wesentlich daran beteiligt, wie mit  Konfigurationen von semantischen Kompo­ nenten Sinn erzeugt wird. Von diesen Object Links möchte ich eine andere Art von Verbindungen unterscheiden, die in „Objects link“, dem Zusatz zum Titel unserer Forschungsperspektive, anklingt und dort auf die Fähigkeit von Dingen an­ spielt, Relationen zu anderen Entitäten herzustellen. In meinem Zusammenhang verstehe ich darunter die herstellbaren Konnexe zwischen zwei oder mehreren dargestellten Dingen, die sich entweder auf unter­ schiedlichen Bildeinheiten eines Bildsystems44 oder auf Kunstwerken befinden, die keine direkten räumlichen Bezüge zueinander haben. Ich werde diese in der Folge als bildübergreifende Object Links bezeichnen. In der Graphdatenbank von REALonline entsprechen sie den Verbindungen zwischen einem Ding und dem dafür ver­ wendeten Thesaurusbegriff (z.B. Krug  1  –[hat Bezug zu Thesaurusbegriff ]–> Krug (C:En­ try)-->(D:Thesaurus) where ‘Kreuzestitulus’ in A.name and ‘Inschrift’ in B.name and C.form is not null return A,B,C,D

79 Boockmann (2013, 245, Kat.Nr. 330) erläutert, dass hier einzelne Zeichen Anklänge an eine hebräische Schrift zeigen. 80 Nachdem in einigen zu erfassenden Eigenschaften von Entitäten Mehrfachnennungen sinnvoll sind (z.B. wenn ein Subjekt sowohl als sitzend als auch als betend charakterisiert werden soll) werden bei der Erfassung zusätzliche Knoten für den Einzeleintrag (entry) angelegt, die ebenfalls mit dem jeweiligen Thesaurusknoten des Begriffs verbunden sind; siehe dazu auch Matschinegg et al. 2019, 27–29. 81 Die Langformen enthalten allerdings auch Abkürzungen, wie z.B. IHS statt Iesus. 82 REALonline 008206, https://realonline.imareal.sbg.ac.at/detail/?archivnr=008206 [letzter Zugriff im Juni 2019].

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Kreuzestituli lateinisch, abgekürzt (= INRI)

Kreuzestitulus lat. abgek. + griech. abgek. + ? abgek.

abgekürzt

Kreuzestitulus hebräisch, abgekürzt

hebräisch

Abb. 8: Screenshot der Graphenvisualisierung von Abfrage 2 im neo4j-Browser. Hinzugefügt sind die dunkelblauen und weißen Beschriftungen und Pfeile. Grüne Knoten sind Objekte („Kreuzestitulus“ und „Inschrift“); rosa sind die vier Thesaurusknoten. Graue Knoten sind die einzelnen Eigenschaftsknoten („hebräisch“, „lateinisch“ etc.), von ihnen gehen graue Verbindungen zu den grünen Objektknoten. Verbindungen zwischen „Kreuzestitulus“ und „Inschrift“ sind gelbe Pfeile, Relationen zwischen Objekten und Thesaurusknoten sind rosa.

lateinisch

griechisch

Kreuzestituli hebräisch + griechisch + lateinisch

Abb. 9: Jakob Mülholzer, Detail einer dreifigurigen Kreuzigungs­ gruppe in einer Szene aus dem Leben des Hl. Ludwig, um 1490/1500, Rothenburg, Evang.-Luther. Pfarrkirche.

Abb. 10: Kreuzigung Christi (Detail), 1462, Nördlingen, Stadtmuseum.

in drei Zeilen untereinander die abgekürzte Version der Inschriften in den drei Sprachen vermitteln, wenngleich nur das inri in Minuskelschrift korrekt wiedergegeben ist und die anderen beiden Schriften nur Anklänge an das Hebräische und Griechische vermitteln.83 Nur in einem Fall findet sich in REALonline die Variante, wie sie auf der bereits genannten Tafel mit der Beweinung/Grab­ legung (Abb.  6 und 7) zu sehen ist: vier hebraisierende Zeichen. Auch im Katalog von Margaretha Boockmann ist nur ein weiteres Beispiel angeführt, das ausschließlich eine

hebraisierende, abgekürzte Inschrift im Titulus bei einer dreifigurigen Kreuzigung Christi zeigt, die vermutlich aus der Werkstatt von Dieric Bouts stammt.84 Zudem konnte ich im Zuge einer umfangreichen Suche in un­ terschiedlichen Bilddatenbanken und in Publikationen zu relevanten Themen nur ein weiteres Beispiel finden, bei dem das Kreuz mit einem Titulus dargestellt ist, der nur vier hebräische/hebraisierende Zeichen umfasst: Es ist dies ein Holzschnitt mit einer Grablegung Christi aus einem deutschen Plenarium85, das 1474 bei Johann Bämler in Augsburg gedruckt wurde.86 Auf der Basis dieser Er­

83 Vgl. Boockmann 2013, 243, Kat.Nr. 432; zu den abgekürzten dreizeiligen Tituli siehe ebenda 228. REALonline 004684, https://realonline. imareal.sbg.ac.at/detail/?archivnr=004684 [letzter Zugriff im Juni 2019]. 84 Kreuzigung Christi, Werkstatt von Dieric Bouts, zwischen 1455 und 1463, Gemäldegalerie, Staatliche Museen Berlin, Inv.Nr. 533b. Boockmann 2013, 245, Kat.Nr. 468; zu Datierung und Forschungsstand siehe: Périer-D’Ieteren 2006, 369, Kat.Nr. B9. 85 Plenarien sind Werke, die Sammlungen jener Bibeltexte umfassen, die der gottesdienstlichen Lesung und Predigt zugrunde liegen, sie können aber auch Glossen zu diesen Texten enthalten. Die deutschen Plenarien gehören zu den beliebtesten Erbauungsbüchern und waren daher im Zeitalter des Drucks besonders zahlreich vorhanden, vgl. Reinitzer, Schwencke 1989. 86 https://api.digitale-sammlungen.de/iiif/presentation/v2/bsb00041183/canvas/342/view [letzter Zugriff im Juni 2019]. Es handelt sich um

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hebungen und der Auswertungen in REALonline kann davon ausgegangen werden, dass die Darstellung des Kreuzes­titulus auf der Tafel mit der Beweinung/Grab­ legung in der Österreichischen Galerie Belvedere eine besondere Bildlösung darstellt, deren Funktion in weite­ rer Folge unter­sucht werden soll. Nachdem die Tafel gemeinsam mit einer im selben Museum aufbewahrten Anbetung der Könige und 19 weiteren Tafeln, die sich im Museum im Schottenstift in Wien befinden, zu einem ehemaligen Retabel rekonstru­ iert werden kann,87 ist der Zusammenhang im Bildsystem für die Frage nach der Funktion der hebraisierenden, ab­ gekürzten Variante des Kreuzestitulus besonders wichtig. Die Ansicht des geschlossenen Flügelretabels zeigte einen Passionszyklus in zwei übereinander angeordneten Reihen von je vier Tafeln, der links oben mit dem Einzug in Jerusalem beginnt und rechts unten mit der Beweinung/ Grablegung endet. Letztere ist mit den beiden davor an­ gebrachten Tafeln mit der Kreuzigung (Abb. 11) und der Kreuztragung 88 – abgesehen von der räumlichen Nähe im  Ensemble – auch durch die einheitliche Gestaltung der Hügellandschaft im Hintergrund verbunden, die sich über die Grenzen der Bildeinheit hinweg fortzusetzen scheint. Eine Art des additiven Rezipierens kann auch für die dargestellten Kreuzes­tituli in Anspruch genommen werden. Auf der Kreuzigung Christi findet sich näm­ lich die abgekürzte, lateinische Inschrift INRI. Während anhand anderer Retabel ersichtlich ist, dass es sowohl Lösungen gab, den INRI-Titulus in einem Passions­ zyklus mit Kreuzigung und Kreuzabnahme/Beweinung zu wiederholen oder nur bei der Kreuzigung einzusetzen,89 kommt es hier also zu einem anderen Ergebnis: Das Motiv des mehrsprachigen Titulus wird quasi in zwei neue Mo­ tive aufgespalten, sodass bei der Beweinung/Grablegung das Schild mit den hebraisierenden Schriftzeichen eine Variante der INRI-Tafel in der Kreuzigung darstellt. Ehe die Motivation für eine solche Bilderfindung erörtert werden kann, soll hier auf eine wichtige Erzähl­ strategie des Retabels eingegangen werden: In mehreren

Abb. 11: Kreuzigung Christi, Tafel eines ehem. Flügelretabels (Retabel vom Hochaltar der Schottenkirche in Wien?), um oder nach 1469, Wien, Museum im Schottenstift, Inv.Nr. 18.

Einheiten des Bildsystems wurde die heilsgeschichtliche Thematik in einem Setting wiedergegeben, dass hinsicht­ lich des landschaftlichen Typus jenem des Donauraums angenähert wurde und/oder in dem – vor allem durch die Verwendung von architektonisch identifizierbaren Gebäuden oder Stadtansichten – Bezüge zu bestimmten topografischen Orten hergestellt werden konnten.90 So ist in der Flucht nach Ägypten im Hintergrund die Ansicht von Wien zu erkennen, die Heimsuchung wurde – wie anhand der Heidentürme des Stephansdoms und dem Turm der mittelalterlichen Peterskirche ersichtlich ist – in eine Gasse von Wien transferiert,91 im Hintergrund der Kreuztragung ist Krems zu sehen und womöglich sollten auch die Bauten, vor denen die Kreuzigung ins

vier hebräische/hebraisierende Schriftzeichen, die anstelle des üblicheren INRI angebracht sind. Für die freundliche Auskunft zu hebräischen Inschriften auf Bildern danke ich Martha Keil. 87 Zur Rekonstruktion vgl. Reiter 1994 und Ebert 2015, 21–28. 88 Kreuztragung: REALonline 000302, https://realonline.imareal.sbg.ac.at/detail/?archivnr=000302, Kreuzigung: REALonline 000301, https:// realonline.imareal.sbg.ac.at/detail/?archivnr=000301 [letzter Zugriff im Juni 2019]. 89 Ein frühes Beispiel für die Wiederholung des INRI-Kreuzestitels ist etwa das Passionsretabel in Klosterneuburg (REALonline 000003B, https://realonline.imareal.sbg.ac.at/detail/?archivnr=000003B), für einen abgenommenen Titulus ein Retabel aus der Barbarakirche in Wrocław von 1447 (https://www.bildindex.de/document/obj00002834?part=8) [letzte Zugriffe im Juni 2019]. 90 Vgl. Theisen 2017, 364–367; Ebert 2015, 135–143; allgemein zu Veduten als Bedeutungsträger Suckale 2009, Bd. 1, 374–377, zum Prinzip der Vergegenwärtigung vgl. Pächt 1989, 66. 91 Flucht nach Ägypten: REALonline 000306, https://realonline.imareal.sbg.ac.at/detail/?archivnr=000306; Heimsuchung: REALonline 000311, https://realonline.imareal.sbg.ac.at/detail/?archivnr=000311 [letzte Zugriffe im Juni 2019].

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Abb. 12: Zeichnung der Grabädikula in Jerusalem, Sammelhandschrift (Andechser Wallfahrtsbuch, Pilgerreiseberichte u.a.), 1458, Wien, Österreichische Nationalbibliothek, cod. 3012, fol. 74v.

Abb. 13: Zeichnung der Grabädikula in Jerusalem (Ansicht von Süd­ osten), 1487, Konrad von Grünemberg, Pilgerfahrt ins Heilige Land, Karls­ruhe, Badische Landesbibliothek, Cod. St. Peter pap. 32, fol. 45v.

Bild gesetzt wurde, mit einem Ort im heutigen Nieder­ österreich in Zusammenhang gebracht werden können. In der Beweinung/Grablegung Christi wurde zwar, wie oben bereits erwähnt, der Landschaftstypus der beiden vorhergehenden Tafeln „Kreuztragung“ und „Kreuzi­ gung“ fortgesetzt, nicht aber die Reihe von Bezügen zu konkreten Orten bzw. Stadtveduten im heutigen Nieder­ österreich wiederholt. Auffällig ist dagegen die Integra­ tion eines Motivs, dessen relativ realistische Wiedergabe vielleicht sogar die Kenntnis einer vor Ort angefertigten Skizze des Kleinbaus, um den es sich handelt, voraus­ setzt: die Grabädikula in Jerusalem.92 Heute ist nur eine Federzeichnung in einer Handschrift in Italien aus dem 14.  Jahrhundert erhalten, die bereits den Baukörper als überkuppelten Rundbau mit zwei daran vorne und hinten angebauten quaderförmigen Bauelementen wiedergibt.93

Während bis in die 1460er Jahre des 15. Jahrhunderts die wenigen erhaltenen Nachzeichnungen das Heilige Grab nur sehr schematisch vor Augen führen (Abb. 12), ist ab den späten 1480er Jahren in Pilgerberichten wie jenen des Konrad von Grünemberg (Abb.  13), spätestens aber seit dem Druck des Breydenbach’schen Reiseberichts von 1486 94 und mitunter auch vor dem Hintergrund von detailgetreueren Nachbauten, wie dem Heiligen Grab in Görlitz, eine Hinwendung zu einer realistischeren Wieder­ gabe dieses Kleinbaus zu verzeichnen. Die Darstellung der Grabädikula auf der Tafel mit der Beweinung/Grab­ legung im Belvedere ist damit die älteste bekannte im Medium der Tafelmalerei.95 Für das Setting der Beweinung/Grablegung lassen sich also vier wesentliche Merkmale ausmachen:

92 Timm 2006, 194 und Reiter 1994, 178. 93 Vgl. Biddle 1998, 46–50. 94 http://daten.digitale-sammlungen.de/bsb00026461/image_122 [letzter Zugriff im Juni 2019]. 95 Timm 2006, 194; Reiter 1994, 178.

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Verzicht auf eine Stadt- oder Ortsvedute aus dem 1.  Wiener bzw. niederösterreichischen Kontext 2. Beibehaltung des Landschaftstypus, der die Tafel mit der Kreuzigung und der Kreuztragung verbindet 3. Integration einer realistischen Darstellung der Grab­ ädikula in Jerusalem (statt einem allgemein gehalte­ nen Felsengrab oder einem leeren Sarkophag, in den Christus gelegt wird) 4. ein sich gegen jenen der Kreuzigung durch die Ver­ wendung von vier hebraisierenden Schriftzeichen ab­ setzenden Kreuzestitulus Mit Letzterem wird den Betrachterinnen und Be­ trachtern signalisiert, dass hier ein Wechseln in einen anderen Rezeptionsmodus angebracht ist: Was mit dem Einzug in Jerusalem96 in einer Stadt beginnt, die so ge­ staltet ist, dass sie für Zeitgenossen bekannt, vielleicht sogar erkennbar ist – es könnte Wiener Neustadt 97 gemeint sein –, endet in der Beweinung/Grablegung am ‚real‘ erfahrbaren Ort der Passion in Jerusalem. Der hebraisierende Kreuzestitulus bildet eine  paradigma­ tische Verbindung zum INRI-Titulus der Kreuzigung und bietet durch seine Funktion als Indikator bzw. Marker eine raffinierte Lösung für die Frage, wie zwei

verschiedene Modi von Jerusalem darstell- und wahr­ nehmbar gemacht werden können. Er illustriert aber auch, mit welchen komplexen Object Links in spätmit­ telalterlichen Darstellungen gerechnet werden sollte. Analysen wie diese können dazu beitragen, die Funk­ tionen von Bildern durch die Betrachtung und den Vergleich möglichst vieler ihrer Elemente und Aspekte, die zu Sinneinheiten konfiguriert worden sind, besser verstehen und einordnen zu können. Für das Retabel, das im Mittelpunkt der Ausführungen dieses Abschnitts stand, bedeutet das auch, mehr Anhaltspunkte für den ursprünglichen Nutzungs- bzw. Auftragskontext zu sammeln. Meist wird es als Ausstattung für den ehe­ maligen Hochaltar der Schottenkirche in Wien ange­ sehen.98 Eindeutig belegbar ist diese These aber nicht, worauf zuletzt Maria Theisen erneut hingewiesen hat.99 Die Bedeutung, die der realistischen Darstellung der Grab­ädikula in der Beweinung/Grablegung zukommt und die eigens dafür geschaffene Abwandlung des mehr­ sprachigen Kreuzestitulus-Motivs, kann als weiterer Hinweis auf den ursprünglichen Kontext des Retabels gesehen werden.100

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 EALonline 000316, https://realonline.imareal.sbg.ac.at/detail/?archivnr=000316 [letzter Zugriff im Juni 2019]. R Theisen 2017, 365. Vgl. Ebert 2015, 20; Saliger 2005, 6–11. Theisen 2017, 366f. Grossmann (1930, 111–121) nennt als Belege vor allem die in einer Handschrift (Hs. 65, Wien Schottenstift, http:// manuscripta.at/?ID=6728 [letzter Zugriff im Juni 2019]) verzeichneten Stiftungen und die darin erwähnte Versetzung des Hochaltars bei Umbauten des Chorbaus, die – vor allem nach einem Erdbeben von 1443 – notwendig geworden waren. Keine der Spezifizierungen in den Nennungen geht jedoch so weit, dass zwangsläufig das rekonstruierte Retabel mit Sicherheit damit in Verbindung gebracht werden könnte. Die von Saliger vorgebrachten Thesen (2005, 6–11), warum es sich bei dem Retabel um jenes vom Hochaltar der Schottenkirche handelt, sind teils nicht nachvollziehbar und können insgesamt ebenfalls diese Korrelation nur behaupten, aber nicht belegen. Die Tafeln sind erst am Ausgang des 18. Jahrhunderts eindeutig in der Stiftsgalerie im Schottenstift dokumentiert. 100 Geht man von der These aus, das Retabel wäre für den Hochaltar des Schottenstifts geschaffen worden, könnte die Darstellung der Grabädikula auf den Stifter, Heinrich II. Jasomirgott, verweisen. Sein Grab war zur Entstehungszeit des Retabels noch in der Kirche präsent, wie einer Urkunde von 1468 zu entnehmen ist, in der ein Jahrtag in der Schottenkirche an unnserer frawn altar gelegen an herzog Hainreichs grab, Stifter desselben gotshause begangen werden sollte (Stiftsarchiv der Schottenabtei, Urkunde 1468 September 14, http://monasterium.net/mom/AT-StiAScho/SchottenOSB/1468_IX_14.1/charter). Die von Heinrich II. ursprünglich für das gestiftete Kloster vorgesehenen Schottenmönche übernahmen wie auch in anderen Klöstern der ‚Schottenkongregation‘ die Aufgabe der Beherbergung, Unterstützung und seelsorglichen Betreuung der nach dem Heiligen Land ziehenden Pilger und christlichen Kaufleute (Rapf, Ferenczy 2002, 780). Auch wenn seit 1418 keine Schottenmönche mehr im Kloster waren, wurde die Erinnerung an den ursprünglichen Kontext wohl nicht nur hinsichtlich des Stifters lebendig erhalten. Heinrich II. ist auf dem nur wenige Jahrzehnte nach dem Retabel entstandenen sog. Babenberger-Stammbaum (REALonline 000347, https://realonline.imareal.sbg.ac.at/detail/?archivnr=000347 [letzte Zugriffe im Juni 2019]) einmal neben einem Mönch vor dem Schottenkloster dargestellt, das nicht im Stadtverband Wiens, sondern als isoliertes Gebäude am Ufer einer Fluss- bzw. Meereslandschaft repräsentiert ist. Ein weiteres Mal sieht man ihn gemeinsam mit seiner Gattin Theodora in dem linken Schiff, nach seiner Rückkunft vom zweiten Kreuzzug. Wenn es wichtig war, Hinweise auf den Stiftungskontext des Klosters im Retabel zu manifestieren, so könnte auch die Dotierung bei der Gründung (eine Auflistung findet sich bei Rapf, Ferenczy 2002, 780f.) ausschlaggebend für die Integration der Wiener bzw. im heutigen Niederösterreich liegenden Ortsansichten sein. Im Fall von Krems ist die genannte Kapelle St. Stephan allerdings, wie Helga Schönfellner-Lechner (2013) herausgearbeitet hat, als das Retabel geschaffen wurde, womöglich bereits nicht mehr existent.

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Ausblick: Object Links anhand von Tags in REALonline analysieren Im Zuge des umfangreichen Relaunchs der Datenbank REALonline wurde das Backend um eine wichtige Funktion erweitert: Damit der Zusammenhang zwi­ schen der semantischen Information, die als Begriff im Datenmodell erfasst wird, und dem Bildausschnitt, auf den sich diese bezieht, hergestellt werden kann, wurde ein Annotationstool (vgl. Abb. 2) implementiert. Es er­ laubt, bei der Erstellung eines Datensatzes mit Punkten oder Rechtecken Koordinaten für diesen Bezug festzu­ legen.101 Die Visualisierung dieser Tags wird im Front­ end von REALonline in der Tagged View angezeigt.102 Eine weitere geplante Erweiterung ist es, den Export der Daten in die neo4j-Graphdatenbank so anzupassen, dass diese Tags auch abgefragt werden können.103 Dieser Zugang würde es ermöglichen, Object Links bezüglich der Nähe oder Ferne von dargestellten Dingen zu an­ deren Elementen im Bildraum in Analysen einbinden oder die Größenverhältnisse von dargestellten Objekten als Suchparameter in Abfragen verwenden zu können. Narrative Strukturen, die wesentlich von der Verortung semantischer Bestandteile im Bild abhängig sind, würden damit ebenfalls in quantitativen Auswertungen des Daten­ materials analysierbar. Fazit Ohne sich auf die Weiten des Meeres zu begeben, um einen Seeweg nach Indien zu finden, wäre 1492 kein neu­ er Kontinent entdeckt worden. Auch in der Forschung ist es förderlich, Rahmenbedingungen zu schaffen, die Serendi­ pität zulassen und gleichzeitig Informationen in einer Form neu aufbereiten, sodass Zusammenhänge deutlich werden, die nur abseits der gängigen Wissens­ strukturen aufgefunden werden können. Mit dem stetigen Anwachsen von Bilddaten zu historischen Kunstwerken wird selbst für die zu einem vergleichsweise geringen Anteil erhaltene Kunst des Mittelalters deutlich, dass die Methoden der Digital Humanities hier Möglichkeiten schaffen können, die großen Mengen an Material zu

sortieren, filtern und auszuwerten. Dies gilt umso mehr, sobald die Ebene einzelner Aspekte von Bildern für diese Prozesse relevant werden. Hier können etwa im Sinne von Distant Viewing anhand des Vergleichs der semantischen Daten in vielen Bildern Muster und Be­ sonderheiten der Verbindungen, die dargestellte Objekte zu anderen Entitäten im Bild eingehen, detektiert werden und damit zu neuen Fragestellungen in der Erforschung spätmittelalterlicher Bilder führen und zu einem besse­ ren Verständnis beitragen, mit welchen Mitteln in den Bildern erzählt wird. Ebenso lassen Analysen von bild­ übergreifenden Links zwischen dargestellten Objekten und ihren Eigenschaften in großen Corpora visueller Medien  Cluster in den Konfigurationen deutlich wer­ den, die nicht anhand der Untersuchung eines einzelnen Kunstwerks evident werden würden. In beiden Fällen sind die Ergebnisse als Ausgangspunkte für qualitative Forschungen anzusehen, die sie kritisch evaluieren und in weiterer Folge nach den Gründen für die vorgefundenen Zusammenhänge oder Sonderlösungen fragen und die Bilder anhand ihrer weiteren Aspekte oder Einzelbestim­ mungen in ihrem Nutzungs-, Auftrags-, Produktions­ kontext etc. einbetten und untersuchen. Sie ermöglichen es aber auch, diese komplexen Zusammenhänge in einer adäquateren Form als dies verbale Beschreibungen erlau­ ben, für spätere Forschungen bereitzustellen. Aufgrund der gegenwärtig noch sehr aufwendigen Generierung können komplex strukturierte Daten, wie sie nötig sind, um etwa Analysen zu Object Links zwischen dargestell­ ten Dingen und anderen Entitäten im Bild möglich zu machen, nur in bestimmten Zusammenhängen oder für kleinere Corpora erstellt werden. Eine regere Beteiligung von Vertreterinnen und Vertretern aus den Kunst- und Bildwissenschaften, die gemeinsam mit Forscher/-innen aus den Informationswissenschaften an neuen Metho­ den arbeiten, wie diese Prozesse einfacher bzw. (semi-) automatisiert gestaltet werden können, wäre wünschens­ wert.104 Die Daten in REALonline machen jedenfalls heute schon Untersuchungen möglich, wie sie in Zukunft auch in einem größeren Umfang Teil des kunsthistori­ schen wie interdisziplinären Erforschens von Bildern sein werden.

 rinzipiell wäre es auch möglich, beliebige Polygone dafür zu verwenden, womit sich aber auch der Arbeitsaufwand erhöht, weshalb in 101 P REALonline aktuell nur Rechteck- und Punktkoordinaten gespeichert werden. 102 Der Vorgang des Annotierens wird auch tagging genannt (vgl. Rapp 2017, 255). Nachdem diese Bezeichnung z.B. in den sozialen Medien für das Annotieren von Bildern genutzt wird und damit als der gängigere Begriff gelten kann, wird er auch im Frontend von REALonline verwendet. 103 Auch diese Erweiterung wurde für REALonline schon sehr früh angedacht, vgl. Jaritz, Schuh 1991. 104 Vgl. Nicka 2017a. 

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Isabella Nicka

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Isabella Nicka

Abbildungsnachweis Abb. 1: © Isabella Nicka, Grafik: Franz Siegmeth. Abb. 2: Quelle: Backend REALonline. Abb. 3: Links oben: © Foto: IMAREAL; Rechts oben: Quelle: REALonline; Links unten: © Foto: IMAREAL/Peter Böttcher, Rechts unten: Quelle: REALonline. Abb. 4, 5, 8: Quelle: REALonline. Abb. 6, 7: © Foto: Wien, Belvedere. Abb. 9, 10: © Foto: IMAREAL/Peter Böttcher. Abb. 11: © IMAREAL. Abb. 12: © Wien, Österreichische Nationalbibliothek. Abb. 13: © Karlsruhe, Badische Landesbibliothek.

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Sarah Pichlkastner

Ernährung und soziale Ungleichheit in einem ‚besonderen‘ Haus. Die Food Links des Klosterneuburger Bürgerspitals in der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts Abstract The coexistence of people in one house or household creates its own object associations. Through the everyday practices of associating objects, specific links between objects and persons emerge. These links can be used to deduce social inequalities based on different affiliation markers such as gender or age. In this context, the paper examines an early modern institution for the care of the poor, which can be described as a “special” house because the people living there together were not part of the Häuser, Haushalte(n) und soziale Ungleichheiten Das Klosterneuburger Bürgerspital erntete im Jahr 1586 1.765 Eimer (102.370 l) Wein und damit die größte Menge, die sich im Untersuchungszeitraum finden lässt. Trotzdem bekamen die „armen Leute“ im Spital von ei­ ner Ausnahme abgesehen nur vermutlich älteren Wein, der günstig zugekauft worden war. In einem einzigen Fall handelte es sich um Wein aus Eigenproduktion und zwar des 83-jarigen gewäx. Der Tisch des Spitalmeisters kon­ sumierte hingegen fast ausschließlich eigenproduzierten Wein und dabei hauptsächlich den jüngeren aus dem Jahr 1585. Dazu kamen noch einige Eimer, die das Spital an pargeldts stat erhalten hatte.1 Wie das Beispiel verdeutlicht, lassen sich in dieser Armenfürsorgeinstitution auf der Ernährungsebene in den Quellen Links zwischen sozialen Zugehörigkeiten und Materiellem ausmachen, durch die Ungleichheiten sichtbar gemacht werden können. Vor dem Hintergrund der dem vorliegenden Sammelband zugrundeliegenden

extended nuclear family. Based on the sources (account books and inventories), various social groups can be identified in the Klosterneuburg civic hospital in the second half of the 16th century. In the context of food, a basic human need that must be provided for on a daily basis and a central component of the care provided by hospitals in the early modern period, clusters emerge in which objects associated with these groups (rooms, food, eating utensils, and the like) can be assigned. These food links make visible the social inequalities existing at the time. Forschungsperspektive „Object Links – Objects Link“ sollen daher die Food Links, d.h. die Verbindungen, die sich in ernährungsspezifischer Hinsicht zwischen Ob­ jekten und Personen ergeben, hinsichtlich ihrer Aussa­ gekraft für die soziale Differenzierung und  Positio­ nierung untersucht werden. Dabei ist auch danach zu fragen, inwieweit es im Bereich der Ernährung innerhalb einer sozialen Gruppe Unterschiedlichkeiten gab, durch die die gruppeninterne Verlinkung aufgebrochen wurde, und ob es aufgrund von Gemeinsamkeiten zu Verbindun­ gen zwischen verschiedenen Gruppen bzw. Teilen davon kam – Food (that) Links im Sinn von Objects Link. Im Mittel­punkt der Untersuchung steht das Klosterneubur­ ger Bürgerspital und damit ein exemplarisches ‚besonderes‘ Haus in der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts. Die moderne Hausforschung wandte sich in den letzten Jahren verstärkt der materiellen Kultur in den Häusern sowie den damit verbundenen Lebenspraktiken der Hausbewohner/-innen zu.2 „Doing House/Household/ the Domestic“ ist inzwischen in der sich mit dem Haus

1 S  taA Klbg, Bücher und Akten, o. Bürgerspital, A 16/3, Rechnung 1586, unpag. (Rubriken „Ausgespeiste und eingefüllte Weine“ und „Gemeine Ausgaben“). Wolfgang Bäck (Stadtarchiv Klosterneuburg) und Karl Holubar (Stiftsarchiv Klosterneuburg) danke ich für die Unterstützung bei der Recherche. Angaben zu im Beitrag verwendeten Währungen und Maßen: 1 Pfund (t.) = 8 Schilling (ß.) = 240 Pfennig (d.); 1 Eimer Wein = 58 Liter (l); 1 Pfund Fleisch = angenommen mit 0,56 Kilogramm (kg); 1 Mut Getreide = 30 Metzen (1 Metzen Klosterneuburger Maß bis mindestens 1588 wahrscheinlich ca. 45 l); vgl. dazu Sandgruber 1995, 583f.; Přibram 1938, 1–128. 2 Düllo 2014; für die Frühe Neuzeit Schmidt-Voges 2015, 2, 7. Als aktuelle Neuerscheinung auf dem Gebiet Hamling, Richardson 2017.

 Die mit einem blauen Pfeil markierten Begriffe sind im Beitrag „Begriffsforum“ in diesem Band vertreten, samt einer im Rahmen der Object Links entwickelten Diskussion und Verweisen, wo der jeweilige Begriff im Buch noch verwendet wird.

Food Links

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beschäftigenden (historischen) Forschung zu einem Schlagwort geworden.3 Um Häuser, Menschen, Dinge und  Praktiken soll es auch im vorliegenden Beitrag ge­ hen. Nicht nur beim Wohnen und Haushalten, aber hier in besonders augenfälliger Weise, ist „die materielle Dimen­ sion menschlicher Existenz mit der sozialen unauflöslich verknüpft“.4 Als praktikable Möglichkeit, das Soziale und das Materielle gemeinsam zu denken, erwiesen sich unter anderem auch in den Geschichts­wissenschaften praxeo­ logische Zugänge.5 Nach den praxis­theoretischen Über­ legungen von Theodore R. Schatzki spielen sich mensch­ liches Miteinander und damit auch soziale Phänomene immer innerhalb von wechselseitigen Verknüpfungen von sozialen  Praktiken und „material arrangements“ (Menschen und andere Lebewesen, geschaffene und natürliche Dinge) ab, wodurch sich jeweils spezifische „practice-material arrangement nexuses“ ergeben.6 Häuser können daran anknüpfend als (abgrenzbare)  Objektgesellschaften interpretiert werden, in deren gebauten Hüllen und auf den dazugehörenden Grund­ stücken immobile und mobile Objekte, Menschen und Tiere zu finden waren („material arrangements“). Wo die häusliche Sphäre beginnt bzw. endet lässt sich dennoch oft nicht eindeutig fassen, man denke etwa an das früher übliche Wäschewaschen an öffentlichen Orten außer Haus.7 Nicht alle Dinge und Lebewesen müssen dabei längerfristig mit einem Haus bzw. einer Besitzeinheit verknüpft sein, sondern können dort auch kurzfristig zir­ kulieren bzw. verweilen. Von der Wohngemeinschaft im Haus ist daher etwa die „Kopräsenz“ als eine zu einem gewissen Zeitpunkt auftretende  Konstellation von sich dort aufhaltenden Menschen zu unterscheiden.8 Die  Objektgesellschaft Haus entsteht durch die Praxis des Wohnens, Zusammenlebens und Haushaltens und wird durch den damit verbundenen Prozess der  Objekt­ vergesellschaftung von Menschen und Objekten stets aufs Neue  konfiguriert und verändert, gleichzeitig

prä­ figuriert die jeweils vorgefundene  Objektgesell­ schaft die (Un-)Möglichkeiten dieser  Vergesellschaf­ tung („practice-material arrangement nexuses“). Die  Objekt­ vergesellschaftung bringt als Resultat jedoch nicht nur eine Objektgesellschaft als Summe der auf einer bestimmten  Skalierungsebene (im vorliegenden Fall ein Haus) durch materielle  Praktiken verlinkten Menschen und Objekte, sondern auch eine jeweils spezi­ fische (Haus-)Gesellschaft hervor. Die Praxis des Zusammenlebens verschiedener Menschen in einem Haushalt bzw. der Prozess der Vergesellschaftung ist durch vielfältige soziale und ma­ terielle Beziehungen gekennzeichnet. Auch wenn in den letzten Jahrzehnten Konzepte wie das „Ganze Haus“ (Otto Brunner) hinterfragt und die damit verbundenen autoritär-paternalistischen Sichtweisen auf Häuser und Haushalte aufgebrochen wurden,9 ist dennoch von Ungleichheiten auszugehen, die auf unterschiedlichen, sich überlagernden „Zugehörigkeitsmarkern“ beruhen (Geschlecht, Alter, soziale Stellung, Aufgaben usw.).10 Eine Möglichkeit, soziale Ungleichheiten in einem Haushalt sichtbar zu machen, bietet die Beschäftigung mit dem Materiellen in Verbindung mit verschiedenen Zugehörigkeiten. Besonders geeignet erscheint dabei eines der wichtigsten Grundbedürfnisse des Menschen, das tag­täglich in ausreichender Form gewährleistet sein muss: die Ernährung. Daher werden im vorliegenden Beitrag die Food Links und auch das Food that Links in der  Objektgesellschaft Haus bzw. in einer Haus­ gesellschaft in Bezug auf soziale Ungleichheiten und damit verbundene  Positionierungen beleuchtet. Es wird dementsprechend in diesem Zusammenhang von einer Wirkmächtigkeit und damit  Agency der Dinge ausgegangen.11 Im Mittelpunkt steht dabei ein ‚besonderes‘ Haus. Häuser gab und gibt es in ganz verschiedenen Größen, Bauweisen und Nutzungsarten. ‚Besondere‘ Häuser lassen

3 So lautet etwa der Titel eines rezenten großen Schweizer Forschungsprojektes „Doing House and Family. Material Culture, Social Space, and Knowledge in Transition (1700–1850)“ (2015–2017); http://www.hist.unibe.ch/forschung/forschungsprojekte/doing_house_and_fami ly/index_ger.html [letzter Zugriff im Juni 2019]. 4 Schmidt-Voges 2015, 1. 5 Als rezente Überblickswerke Brendecke 2015; Freist 2015; Haasis, Rieske 2015. Zur praxeologischen Perspektive in Zusammenhang mit Häusern vgl. auch den Beitrag von Thomas Kühtreiber in diesem Band (bes. 44–45). 6 Stellvertretend für viele Publikationen Schatzki 2002; Schatzki 2003; Schatzki 2010. 7 Eibach 2011, 629–635. 8 Eibach 2011, 640. 9 Als rezente Zusammenfassung der Forschungstraditionen zum Thema Haus in den deutschsprachigen Geschichtswissenschaften Hahn 2015. 10 Derix 2015 (Zitat 530). 11 Harding 2015, 171–173; Derix 2015, 531f.

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sich daher auf vielfache Weise definieren. Im vorliegen­ den Fall sind damit solche Häuser gemeint, in denen eine spezifische  Konstellation an Bewohnerinnen und Bewohnern zu finden war, da dort Menschen jenseits der erweiterten Kernfamilie in einem Haushalt zusam­ menwohnten bzw. zusammenwohnen mussten.12 Durch die „gemeinsame Teilhabe an und ihr[en] Beitrag zu den materiellen und immateriellen Ressourcen des Hauses“ lässt sich diese Personengemeinschaft als gemeinsamer Haushalt ansprechen.13 Hier kommen neben Klöstern, studentischen Bursen und Straf- und Erziehungsan­ stalten etwa verschiedene Institutionen der Armen- und Krankenfürsorge infrage. Die bisherige Forschung konn­ te zeigen, dass auch das Zusammenleben der Menschen in solchen Häusern in der Frühen Neuzeit vornehmlich der Struktur und Organisation in „familialen“ Haushal­ ten entsprach.14 Falk Bretschneider spricht denn auch in Bezug auf frühneuzeitliche Zuchthäuser von einem „gemeinsamen Haus“.15 Hier soll es konkret um eine frühneuzeitliche Ein­ richtung der Armen- und Krankenfürsorge gehen: das ehemalige Bürgerspital der Stadt Klosterneuburg, die im heutigen Niederösterreich nordwestlich von Wien an der Donau liegt. Derartige Institutionen wurden be­ reits zeitgenössisch oftmals als Spitäler bezeichnet, sind jedoch mit gleichnamigen Einrichtungen im heutigen Verständnis nicht gleichzusetzen.16 In damaligen Spitä­ lern stellten im Allgemeinen die Zurverfügungstellung einer Unterkunft und einer geistlichen (und in geringe­ rem Umfang auch einer medizinischen) Betreuung sowie die Sicherstellung einer entsprechenden Ernährung die wichtigsten Fürsorgeleistungen für die dort unterge­

brachten Bedürftigen (Alte, Beeinträchtigte, Kranke, Schwangere, Wöchnerinnen, Waisen- und Findelkinder, Pilgernde usw.) dar.17 Gleichzeitig dient die Bezeichnung „Spitäler“ in der historischen Forschung als Oberbegriff für eine große Anzahl an derartigen, jedoch im Einzelnen teilweise sehr unterschiedlichen Einrichtungen in Mittel­ alter und Früher Neuzeit.18 Auch wenn das Zusammenleben in ‚besonderen‘ Häu­ sern dem Zusammenleben in anderen Häusern ähnelte, ist davon auszugehen, dass sich dort spezifische Gegeben­ heiten hinsichtlich der Ernährungssituation ausmachen lassen. Ein Kennzeichen von ‚besonderen‘ Häusern liegt in der Regel in einer Großküchen- bzw. Gemeinschafts­ verpflegung.19 In der historischen Spitalforschung wurde in den letzten Jahren die bis dahin angenommene Dicho­ tomie zwischen Personal und Insassinnen/Insassen (wie etwa durch das Konzept der „Totalen Institution“ von Erving Goffman repräsentiert) kritisch hinterfragt und durch eine differenziertere Betrachtungsweise ersetzt.20 Von ungleichen sozialen  Positionierungen inner­ halb von Spitalgesellschaften wird jedoch nach wie vor ausgegangen. Im Rahmen der Ernährungsgeschichte wurden bei der Betrachtung von Spitälern über materielle  Praktiken fassbar werdende soziale Ungleichheiten innerhalb der Einrichtungen bisher vielfach implizit, weniger oft jedoch explizit angesprochen. Dabei reichte der Blickwinkel häufig nicht über den Tellerrand hinaus; abgesehen von Speisen und Lebensmitteln wurden kaum in systematischer Weise mit Ernährung in Verbindung stehende mobile und immobile materielle Objekte miteinbezogen.21 Der vorliegende Beitrag stellt diese Perspektive in den Mittelpunkt und verknüpft dabei

12 V  gl. zur Bezeichnung ‚besondere‘ Häuser die Tagung „Besondere Häuser. Haus und Haushalt jenseits der erweiterten Kernfamilie“, die 2015 vom Arbeitskreis „Haus im Kontext – Kommunikation und Lebenswelt“ im Tagungszentrum Schloss Beuggen in Baden-Württemberg (Deutschland) veranstaltet wurde; https://www.hsozkult.de/event/id/termine-26814 [letzter Zugriff im Juni 2019]. Für die Anwendung von Schatzkis Konzept in Bezug auf ein ‚besonderes‘ Haus Rieske 2015. 13 Schmidt-Voges 2015, 8. 14 Schmidt-Voges 2015, 12. 15 Dieses Zitat findet sich bereits im Titel bei Bretschneider 2011. 16 Als Überblick zu im heutigen Niederösterreich in Mittelalter und Früher Neuzeit (bis 1700) gegründeten Fürsorgeinstitutionen und dem damit verbundenen Forschungsstand Pichlkastner, Matschinegg 2016, 61–76. 17 Als Überblicksartikel für Spitäler auf dem Gebiet des heutigen Österreich in Mittelalter und Früher Neuzeit Just, Weigl 2008; Scheutz, Weiß 2008. 18 Scheutz et al. 2008, 13. Für eine Problematisierung dieser Vorgehensweise und die damit verbundene „unmögliche Definition“ Pauly 2007, 13–18. 19 Thoms 1996; Krug-Richter 2006. 20 Scheutz 2008; Watzka 2010; Bretschneider et al. 2011. 21 Als wichtige Arbeiten zur Ernährung in frühneuzeitlichen Spitälern sind zu nennen Schlieper 1983; Jütte 1987; Krug-Richter 1994; Kühne 2006; Kleinschmidt 2012; Scheutz, Weiß 2018. Letzterer Artikel erschien in einem Sammelband zu „Essen und Trinken im Spital“, der die verschiedenen fachlichen und inhaltlichen Zugänge zum Thema aufzeigt: Dirmeier 2018. Eine Ausnahme hinsichtlich der oben erwähnten Tendenzen bildet vor allem das Buch von Kühne.

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verschiedene historische Forschungsfelder miteinander: (Agro-)Food Studies/Ernährungsgeschichte, Material Culture Studies/Geschichte der materiellen Kultur, Spital­geschichte und historische Hausforschung. Im Rahmen dieses Beitrags soll ein exemplarischer Spitalhaushalt in den 1550er bis 1580er Jahren vorgestellt und über die Food Links auf materielle und – damit eng verbunden – soziale Ungleichheiten hin analysiert wer­ den. Gerade die mikrohistorische Perspektive öffnet den Blick „für die soziale Relevanz der materiellen Kultur eines Hauses und für die Komplexität der mit ihr verbun­ den [!] Praktiken“.22 Die Wahl des Zeitraums ermöglicht zum einen vergleichsweise frühe Beobachtungen im Rah­ men der Ernährungsgeschichte, zum anderen erlaubt der Untersuchungszeitraum auch die Miteinbeziehung der durch Getreidemissernten verursachten Krisenzeit um 1570. Zunächst sollen das Bürgerspital, die Stadt und die Quellen sowie die zum Bürgerspital gehörenden Häuser und Räume vorgestellt werden. Im Anschluss wird da­ nach gefragt, wo das Essen für das Spital herkam (Food Links I), welchen sozialen Gruppen die dort Essenden angehörten (Food Links II) und welche sozialen Un­ gleichheiten sich über materielle Unterschiedlichkeiten in Zusammenhang mit Ernährung ausmachen lassen (Food Links III). Das Bürgerspital, die Stadt und die Quellen Dort, wo sich heute zwischen einer Straße namens Hundskehle und dem Kierlingbach das Landesklinikum Klosterneuburg befindet, lässt sich eine lange Tradition der Armen- und Krankenfürsorge ausmachen: Hier war

bereits das Bürgerspital der landesfürstlichen Stadt Klos­ terneuburg zu finden, dessen Existenz sich mit Sicherheit im Jahr 1337, eventuell auch bereits 1283 nachweisen lässt.23 Um die Mitte des 14. Jahrhunderts erfolgte die Errichtung der Spitalkapelle St. Urban.24 Das Spital, das in der nur wenig befestigten „Unteren Stadt“, aber in der Nähe des Hundskehlentors und damit eines Zugangs zur stärker befestigten „Oberen Stadt“ lag,25 dürfte mehrmals, vor al­ lem 1529 und 1683 durch die Osmanen, in Mitleidenschaft gezogen worden sein.26 Das Bürgerspital befand sich bis 1853 und noch einmal zwischen 1869 und 1894 an der Hundskehle; davon abgesehen war es in der Martinstraße zu finden.27 Aufgrund umfangreicher Um- und Neu­ bauten im Bereich des sich seit 1869 an der Hundskehle befindlichen Krankenhauses im 20. Jahrhundert ist von der ursprünglichen Anlage des Bürgerspitals heute nichts mehr zu erahnen.28 Das Bürgerspital war jedoch nicht die einzige und auch nicht die älteste Armen- und Krankenfürsorgeein­ richtung in Klosterneuburg (Abb. 1). Das Vorhanden­sein des Stifts in der Stadt schlug sich in einem spezifischen  konstellativen Gefüge an derartigen Institutionen nieder: Bereits 1133, kurz nach der Gründung des Stifts, ist ein eigenes Stiftspital flussaufwärts außerhalb des Wiener Tors nachweisbar, von dem Teile – vor allem die Spitalkirche St.  Gertrud sowie ein Teil des Spi­ talgebäudes – im Bereich der heutigen Leopoldstraße bis zur Gegenwart erhalten geblieben sind. Zunächst wahrscheinlich Herberge für Pilgernde, versorgte es später Bedürftige, darunter Untertaninnen/Untertanen und Personal des Stifts, sowie zahlende Pfründner/-in­ nen.29 Für die Konventsmitglieder gab es zudem seit dem 13.  Jahrhundert eine eigene Infirmarie, die sich

22 Schmidt-Funke 2015, 217. 23 Die Erwähnung von 1283 könnte sich auch auf das damals bereits existierende Stiftspital beziehen (zu dieser Einrichtung weiter unten); StiA Klbg, Urkunden 1283 und 1337 April 06; für die Wiedergabe der Urkunde von 1283 und ein Regest von jener von 1337 Zeibig 1857, 31f., Nr. XXXVIII, 264, Nr. CCLXX. Vgl. dazu Holubar 1992a, 49f.; Holubar 1994, 29; Oman 1992, 617; Oman 1996, 110f. Obwohl in den Grund­ büchern des Stifts an der Hundskehle erst ab 1436 bezeugt, dürfte sich das Bürgerspital bereits seit seiner Gründung dort befunden haben; Mazakarini 1996a, 119. 24 Zu dieser Kapelle, im Vorfeld deren Errichtung sogar ein Klosterneuburger Bürger zur päpstlichen Kurie nach Avignon geschickt worden war, Fischer 1815, Bd. 1, 360–362; Starzer 1900, 416f.; Perger 1992, 167. 25 Österreichischer Städteatlas 4/1, 1991, Mappe Klosterneuburg; https://www.arcanum.hu/hu/online-kiadvanyok/OsterreichischerStadt­ atlas-osterreichischer-stadteatlas-1/klosterneuburg-2289/ [letzter Zugriff im Juni 2019]. 26 Zu den Zerstörungen in der „Unteren Stadt“ 1529 und 1683 Röhrig 1992, 228f., 236–244. 27 Bereits 1808 war die Kapelle des Spitals entweiht und in eine Chemiefabrik umgewandelt worden, die jedoch nur einige Jahre Bestand hatte. Danach befanden sich dort zwei Häuser; Starzer 1900, 417, 506. 28 Das Krankenhaus war 1856 in der Martinstraße gegründet worden und aus einem 1813 im Bürgerspital eingerichteten Dienstbotenspital hervorgegangen; Starzer 1900, 506, 514f.; Oman 1992, 621–625. 29 Holubar 1992b, 627f.; ausführlich Holubar 1992a; Holubar 1994.

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BÜRGERSPITAL

STIFTSPITAL

SIECHENHAUS Abb. 1: Wachstumsphasenkarte von Klosterneuburg mit dem Bürgerspital, dem Stiftspital und dem Siechenhaus.

Food Links

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bis 1683 auf dem Areal des Stiftspitals befunden haben dürfte.30 Neben diesen beiden stiftischen Einrichtungen, die sich oftmals bei größeren Klöstern finden lassen, war auch die nicht nur für größere Städte typische kommu­ nale  Konstellation bestehend aus zwei verschiedenen Typen vorhanden: 31 Zusätzlich zum Bürgerspital ist ab dem 15.  Jahrhundert auch ein (Sonder-)Siechenhaus nachweisbar. Dieses lag dem Stiftspital vorgelagert noch etwas weiter stadtaus- bzw. donauabwärts an der Brü­ cke über den Weidlinger Bach, im Bereich des Gartens der heutigen Höheren Bundeslehranstalt für Wein- und Obstbau.32 Während das Bürgerspital wahrscheinlich hauptsächlich bürgerliche Arme versorgte, dürfte das Siechenhaus, wie oft üblich, der Aufnahme nicht-bürger­ licher Bedürftiger sowie von Personen mit ansteckenden bzw. ekelerregenden Krankheiten gedient haben.33 1585 wurde beispielsweise ein armes, groß schathhafftiges weib, das eben erst in das Bürgerspital gebracht worden war, wegen seiner abscheuchlichen menngl und des üblen Ge­ stanks in das Sondersiechenhaus überstellt.34 Deutlich zeigen sich in Bezug auf die verschiedenen Einrich­ tungen spezifische Links, die sich zwischen diesen und

verschiedenen Personen bzw. Personengruppen (Bür­ ger/-innen, Nicht-Bürger/-innen usw.) sowie den beiden Spitalträgern (Stadt, Stift) ergeben.35 Zurück zum Bürgerspital: In der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts bekleidete jeweils ein Bürger und Mit­ glied des Stadtrats das Spitalmeisteramt und zwar in der Regel für mehrere Jahre.36 Spätestens ab 1572 waren zu­ sätzlich zwei sogenannte Superintendenten vorhanden, die mit großer Wahrscheinlichkeit ebenso aus dem Stadt­ rat stammten und eine Kontroll- und Aufsichtsfunktion innehatten.37 Nachweislich ab 1572 dienten in Kloster­ neuburg die Überschüsse des Salzamts zur Deckung bzw. zumindest Reduzierung der Defizite des Spitalamts.38 Die beiden Ämter wurden augenscheinlich zumindest bis zum Ende des Untersuchungszeitraums in Personalunion verwaltet. In religiöser Hinsicht stand das Spital unter der Aufsicht des Stifts. Nach einer Quelle aus dem Jahr 1581 gebührten dem Propst die seelsorg und suspection deß spitals.39 Klosterneuburg gehörte in der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts nach Wien zu den damals größten Städ­ ten des Erzherzogtums Österreich unter der Enns.40 Die

30 Über den Standort der Infirmarie und – im Falle einer Lokalisierung im Stiftspital – den Zeitpunkt, an dem sie in das Stift verlegt wurde, herrscht in der Literatur Uneinigkeit (schon im 14. Jahrhundert?, nach 1529?); Fischer 1815, Bd. 1, 358f.; Zeibig 1857, XXXVII–XL; Starzer 1900, 513f.; Holubar 1992a, 93–97; Holubar 1992b, 627; Holubar 1994, 54–56. Oben ist die Ansicht Holubars wiedergegeben. 31 Zu dieser häufig zu findenden Konstellation Scheutz, Weiß 2008, 191. 32 Oman 1992, 625f.; Perger 1992, 168. Nach Starzer 1900, 508, wurde es erst 1552 gegründet. 33 Starzer 1900, 508; Perger 1992, 168. 34 StaA Klbg, Bücher und Akten, o. Bürgerspital, A 16/3, Rech. 1585, unpag. (Rubrik „Gemeine Ausgaben“). 35 Auf einem Vogelschauplan der Stadt aus der Zeit um 1780 ist über dem Siechenhaus das Wappen der Stadt und über dem Stiftspital jenes des Stifts zu finden; StiA Klbg, Sp 578; für eine Abbildung Röhrig 1973, 32–35. 36 Zu den Spitalmeistern, die teilweise auch zu zweit amtierten, Scheutz, Weiß 2008, 197f.; am Beispiel Zwettl Scheutz 2015. Bereits 1344 lässt sich ein Spitalmeister aus der Bürgerschaft nachweisen; vgl. für die entsprechenden Urkunden Anm. 39. 37 Zu diesen auch Spitalpfleger genannten Funktionsträgern, die sich hauptsächlich bei größeren Spitälern finden lassen, Scheutz, Weiß 2008, 197. Im Wiener Bürgerspital taucht die Funktion der Superintendenten ungefähr zeitgleich auf und ist ab 1563 nachweisbar; Pichlkastner 2015, 124. 38 In der Spitalrechnung des Jahres 1572 ist der Gewinn des Salzamts aus dem Vorjahr als Einnahme verbucht; StaA Klbg, Bücher und Akten, o. Bürgerspital, A 16/2, unpag. (Rubrik „Gemeiner Empfang“). Erstmals findet sich im Jahr 1580, aus dem das nächste vollständige Rechnungsbuch stammt, im Anschluss an die Spitalrechnung noch die salltzraittung. Während im Rechnungsbuch von 1580 die beiden Rechnungsabschlüsse noch getrennt voneinander geführt sind, wurden ab dem nächsten erhaltenen Rechnungsbuch von 1583 die Überschüsse des Salzamts mit dem Defizit des Spitalamts gegengerechnet, so dass sich insgesamt nur mehr ein kleines Defizit oder sogar ein kleiner Überschuss ergab; StaA Klbg, Bücher und Akten, o. Bürgerspital, A 16/3. 1480 hatte die Stadt das alleinige Recht verliehen bekommen, im städtischen Burgfrieden Salz zu verkaufen; StaA Klbg, Urkunde 1480 April 13; für ein Regest Jäger-Sunstenau 1962, 29, Nr. 55. Vgl. dazu Starzer 1900, 122; Otruba 1992, 467. 39 StiA Klbg, Kt. 213, Reskript von Erzherzog Maximilian an die Stadt Klosterneuburg vom 6. Februar 1581; vgl. dazu Oman 1992, 618. Im Zug der Errichtung der Spitalkapelle hatte Herzog Albrecht II. den Streit zwischen Stadt und Stift um die pfarrlichen Rechte 1344 entschieden und unter anderem bestimmt, dass die Seelsorge und die Gottesdienste im Spital von einem dafür zuständigen Chorherrn („Kaplan“) versehen werden sollen; StiA Klbg, Urkunde 1344 Juli 20; für eine Wiedergabe Zeibig 1857, 301–304, Nr. CCCX. Am selben Tag stellte die Stadt ebenfalls eine entsprechende Urkunde aus; StiA Klbg, Urkunde 1344 Juli 20; für eine Wiedergabe Fischer 1815, Bd. 2, 369–373, Nr. CLXIIII. Zum Stift Klosterneuburg bzw. einem dortigen Ambo, der ungefähr zu dieser Zeit (1331) in einen Flügelaltar umgewandelt wurde, vgl. den Beitrag von Heike Schlie in diesem Band. 40 Für eine Stadtansicht aus dieser Zeit (1565), die sich im Palazzo Vecchio in Florenz befindet, Röhrig 1973, 4f. Eine Kapelle, die jener des Bürgerspitals ähnelt, ist zu sehen, jedoch nicht an der richtigen Stelle.

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Stadt bildete nicht nur die größte Siedlung im Bereich des Wiener­walds,41 sondern hatte auch mehr Häuser als Krems und Wiener Neustadt, wobei Krems jedoch mehr Einwohner/-innen aufwies.42 Die Bevölkerung kann mit großer Vorsicht auf ca. 3.000 bis 4.000 Personen geschätzt werden.43 Im Untersuchungszeitraum erlebte die Stadt eine Zeit religiöser Veränderungen, die auch vor dem Spital nicht Halt machten. Um die Mitte des 16.  Jahrhunderts waren die Bewohner/-innen der Stadt und auch die Konventsmitglieder des Stifts größtenteils protestantisch. 1578 setzte Rudolph  II. die Einsetzung eines katholischen Propsts durch und damit begann die sogenannte Gegenreformation in Klosterneuburg. Während das Stift relativ schnell zum Katholizismus zu­ rückkehrte, dauerte es bei der Stadt bis zum Beginn des 17.  Jahrhunderts.44 Anfänglich kam es zu verschiedenen Protestaktionen, die die religiösen  Positionierungen der Beteiligten zum Ausdruck brachten: Zu Pfingsten 1579 wurden etwa der katholische Stiftdechant und einige Chorherren unter besonderer Beteiligung der Spitalmeis­ terin daran gehindert, den Insassinnen und Insassen des Bürgerspitals die Eucharistie nach katholischem Ritus und damit „sub una specie“ zu spenden.45 Im Februar 1581 wies Erzherzog Maximilian (III.) die Stadt an, den vorherigen Spitalmeister festzunehmen und zu verhören, da dieser verhindert habe, dass ein „armer, alter, kranker Mann“ mit dem Sterbesakrament versehen werden konnte, und zudem den aktuellen abzusetzen, da auch dieser nicht der allten catholischen relligion sein solle.46 Dass dieser An­ weisung Folge geleistet wurde, beweist ein Inventar, das am 8. März 1581 anlässlich des „Abstehens“ von Ägidius Perger sowie des Amtsantritts von Hans Ernnst angelegt wurde.47

Jedoch nicht nur in religiöser, sondern auch in klima­ tischer Hinsicht gestaltete sich der Untersuchungszeit­ raum turbulent. Innerhalb der sogenannten Kleinen Eis­ zeit in Spätmittelalter und Früher Neuzeit gehörte das letzte Drittel des 16.  Jahrhunderts zu einer besonderen Krisenzeit, die von generell niedrigen Temperaturen und sehr nassen Frühjahren und Sommern geprägt war.48 Be­ sonders schlecht fielen die Getreideernten der Jahre 1569, 1571, 1585 und 1595 aus, wobei es vor allem zwischen 1569 und 1572 zu einem enormen Preisanstieg kam.49 Neben klimatisch bedingten Missernten kam es auch zu ande­ ren Naturkatastrophen, 1572 gab es etwa im Sommer zur zeit Donauüberschwemmungen im Tullner- und Ernte­ March­feld, die zu großen Getreideverlusten führten.50 Von den steigenden Getreidepreisen war die Weinbau­ stadt Klosterneuburg besonders betroffen, da der Wert des Weins im Verhältnis zum Getreide in der Zeit zwi­ schen 1560 und 1590, vor allem aber in den 1570er Jahren, viel niedriger lag als in der Zeit davor. Die reichlichen Wein­ernten der 1570er und vor allem 1580er Jahre begüns­ tigten diese Entwicklung. Ab den späten 1580er Jahren kam es zu einer Serie von schweren Weinmissernten, die dazu beitrugen, das Verhältnis wieder zugunsten des Weins zu verbessern.51 Bisher wurde die Geschichte des Klosterneuburger Bürgerspitals ausschließlich mit Quellen aus dem Stifts­ archiv geschrieben.52 Verschiedene Archivalien haben sich jedoch auch im Stadtarchiv erhalten, jene aus dem 15. und 16.  Jahrhundert gehören – abgesehen von den städtischen Urkunden und einem Kopialbuch – zu des­ sen ältesten Beständen. Beim ältesten Stück handelt es sich um ein Grundbuch, das 1481 angelegt und bis in das

41 Otruba 1992, 453. 42 Klein 1980, 41, 51. 43 Nach einer mit einem Fragezeichen zu versehenden Quelle aus dem Jahr 1560 hatte Klosterneuburg 571 Häuser, nach dem niederöster­ reichischen „Bereitungsbuch“ von 1590/91 waren es jedoch nur 400; Otruba 1992, 453. Klein 1980, 51, schätzt die Häuseranzahl von Kloster­neuburg um 1550 auf 500. Perger 1992, 154f., geht für die Mitte des 15. Jahrhunderts bei ca. 470 Häusern von max. 4.000 Ein­ wohner/-innen aus. 44 Röhrig 1961; Röhrig 1992, 227–232. 45 Röhrig 1961, 154f.; Röhrig 1992, 231. 46 Vgl. zum diesbezüglichen Schriftstück Anm. 39. 47 Bezeichnenderweise ist die Anrede von Perger als „ehrsam und […]“ durchgestrichen; StaA Klbg, A 16/1. Ernnst machte in der Folge Karriere, 1586 scheint er als Stadtrichter auf; StaA Klbg, Bücher und Akten, o. Bürgerspital, A 16/3, Rech. 1586, unpag. (Rubrik „Notdurft zur Hereinbringung der Getreide- und Haferzehente enthalben der Donau“). Nach dem Wagenregister des Jahres 1575 war er damals Spitalschreiber gewesen; StaA Klbg, Bücher und Akten, o. Bürgerspital, A 16/43, unpag. (letztes Blatt). 48 Landsteiner 2005, 94. 49 Landsteiner 2005, 105–109. 50 Strömmer 1993, 139f. 51 Landsteiner 1993, 235–238; Landsteiner 1996, 26f.; Landsteiner 2004, 272f. 52 Auch das reichliche und detailliert beschlagwortete Quellenmaterial im Stiftsarchiv ist noch keineswegs erschöpfend ausgewertet. Im Rahmen dieses Beitrags wurde dieses jedoch mit wenigen Ausnahmen nicht herangezogen.

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Abb. 2: Ausschnitt aus dem Vogelschauplan aus der Zeit um 1725 mit dem Bürgerspital (Nr. 7) sowie dem schräg links dahinter gelegenen Bad auf der rechten und einem Teil des Stifts mit der Stiftskirche auf der linken Seite, aus StiA Klbg, Pz. 1380.

19. Jahrhundert geführt wurde.53 Für die hier im Mittel­ punkt stehende zweite Hälfte des 16.  Jahrhunderts sind im Stadtarchiv zahlreiche Rechnungen und Inventare vorhanden.54 Die zunächst noch relativ lückenhafte Serie an Spitalrechnungen beginnt mit dem Jahr 1557 und ge­ hört somit zu einer der verhältnismäßig früh einsetzen­ den derartigen Überlieferungsserien für Bürgerspitäler im heutigen Niederösterreich.55 In vollständiger Form haben sich aus dem Untersuchungszeitraum die Rech­ nungen der Jahre 1557, 1567, 1572, 1580, 1583, 1585 und 1586 erhalten, dazu kommen noch einige unvollständige Über­ lieferungen (1560, 1565, 1569, 1578) sowie einige Fragmen­ te.56 Inventare, die jeweils bei Amtsantritt eines neuen Spitalmeisters angefertigt wurden, sind für die Jahre 1550, 1568, 1581 und 1585 vorhanden.57 Ebenfalls überliefert sind zwei Verzeichnisse („Übergabe“), die jeweils zu Beginn

eines neuen Jahres (1566, 1567) die ausständigen Gelder auflisten,58 sowie ein sogenanntes Wagenregister aus dem Jahr 1575, das pro Tag die jeweils vom Spital durchgeführ­ ten Wagenfuhren verzeichnet.59 Spitalakten aus diesem Zeitraum haben sich leider nicht erhalten. Das Bürgerspital, seine Räume und die dazugehörenden Häuser Für die Food Links bzw. für deren Interpretation sind die räumlichen Gegebenheiten im Bürgerspital und den dazugehörenden Häusern von großer Bedeutung. Stadt­ darstellungen, auf denen das Bürgerspital als Gebäude gut erkennbar ist, haben sich erst aus dem 18. Jahrhundert erhalten. Auf dem Vogelschauplan aus der Zeit um 1725

53 StaA Klbg, Bücher und Akten, o. Bürgerspital, B 20/11. 54 Vermutlich blieben diese Archivalien lange im Bürgerspital selbst und kamen erst nach 1900 in das nun eingerichtete städtische Archiv; zur Geschichte des Stadtarchivs Jäger-Sunstenau 1960; Jäger-Sunstenau 1962. 55 Nach den früh einsetzenden Überlieferungsserien für die Bürgerspitäler in Perchtoldsdorf (ab 1495) und Retz (ab 1527) beginnt um die Mitte des 16. Jahrhunderts neben Klosterneuburg auch für einige andere die Überlieferung (Scheibbs ab 1547, Weitra ab 1554, Eggenburg ab 1556); StaA Scheibbs, Akten, Kt. 69; StaA Eggenburg, Kt. 131; StaA Klbg, Bücher und Akten, o. Bürgerspital, A 16/2; Marktarchiv Perchtoldsdorf, Bücher, B 125/1; StaA Retz, Kt. 112; StaA Weitra, Bücher, 7. Amtsrechnungen des Bürgerspitals, Nr. 1. 56 StaA Klbg, Bücher und Akten, o. Bürgerspital, A 16/1 (Rech. 1578 [Fragment]), 16/2 (Rech. 1556 [Fragment], 1557, 1560, 1565, 1567, 1569, 1572, 1578) und 16/3 (Rech. 1580, 1583, 1585, 1586). Im Folgenden werden diese Rechnungen mit der Angabe „Rech.“ und dem jeweiligen Jahr zitiert. Da sämtliche Rechnungen weder paginiert noch foliiert sind, erfolgt die Angabe der entsprechenden Einnahmen- und Aus­ gabenrubrik. 57 StaA Klbg, Bücher und Akten, o. Bürgerspital, A 16/1 (1581, 1585) und 2 (1550, 1568). Zur Quellengattung Inventar mit weiterführenden Angaben vgl. den Beitrag von Ingrid Matschinegg in diesem Band (76–77). 58 StaA Klbg, Bücher und Akten, o. Bürgerspital, A 16/2. 59 StaA Klbg, Bücher und Akten, o. Bürgerspital, A 16/43.

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präsentiert sich das bauliche  Ensemble des Bürger­ spitals auf folgende Weise (Abb. 2):60 Es handelte sich um mehrere Gebäudetrakte, die sich um zwei Höfe gruppier­ ten. Im hinteren, der Donau abgewandten Hof befand sich rückwärtig die Spitalkapelle ohne Turm. Die übrigen Gebäudeteile waren ein- bis zweigeschoßig, nur ein der Kirche vorgelagerter Trakt im hinteren Hof neben dem Bach dürfte höher gewesen sein. Anhand der Inventare und der Rechnungsbücher (vor allem über die Bauausgaben)61 aus der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts können das damalige Bürger­spital samt seinen Räumen sowie weitere dazugehörende Häuser rekonstruiert werden. Eine genaue Lokalisie­ rung von Räumen bzw. die Rekonstruktion von Raum­ abfolgen ist jedoch kaum möglich.62 Vermutlich in der Nähe der in den Inventaren nicht aufscheinenden Spital­ kapelle, die zeitgenössisch als Kirche bezeichnet wurde, lag eine Sakristei. Einige Räume im Bürgerspital lassen sich aufgrund der in den Inventaren dort verorteten Objekt­ensembles als hierarchisch höhergestellte Räum­ lichkeiten identifizieren: Dabei handelte es sich um die „Untere Stube“ und das wahrscheinlich darüber liegen­ de „Obere Stüblein“; beide verfügten über einen ange­ schlossenen Raum (Stüblein, Kammer). Dazu kam die „Große Stube“ oder „Raitstube“ sowie die Kammer vor der Stube des Spitalmeisters. Diese Stube selbst scheint in den Inventaren jedoch erstaunlicherweise nicht auf. Diese Bereiche des Spitals, die in den Inventaren immer zuerst angeführt sind, dürften den Leitungsfunktionen (Spitalmeister, Superintendenten) sowie sonstigen zeit­ weise anwesenden Honoratioren vorbehalten geblieben sein und deren soziale  Positionierung widergespiegelt haben.

Die „armen Leute“ waren in der sogenannten Sutte untergebracht, die sich in dem höheren Gebäude neben der Kirche befunden haben dürfte. Dieses ist wahrschein­ lich mit jenem Langhaus gleichzusetzen, das als Unter­ bringungsort der Insassinnen und Insassen bereits 1344 genannt ist.63 Auch wenn die Inventare darauf keinen Hinweis enthalten, ist davon auszugehen, dass es hier zumindest für Frauen und Männer getrennte Räum­ lichkeiten gab. In variierender Anzahl standen im Spital zudem Kammern für Personen zur Verfügung, bei denen es sich wahrscheinlich um besser gestellte Insassinnen und Insassen mit einem eigenen Wohn- bzw. Schlafraum handelte.64 1567 und auch noch 1581 ist beispielsweise die Kammer der „Zieglerin“ in den Inventaren erwähnt. Verschiedene Personalangehörige, die jeweils nur in ih­ rer Funktion genannt sind, hatten zudem einen eigenen Raum: der Schreiber, der „Übergeher“ 65, die Köchin, der Bäcker (ab 1581) und der „Kuhhalter“ (ab 1581). Von den „Wagenknechten“ ist 1550 ausdrücklich angemerkt, dass sich ihre Betten im Rossstall befanden. Es ist zu vermu­ ten, dass auch die beiden „Viehdirnen“ bei den Tieren nächtigten. In den 1580er Jahren war zudem eine Gast­ kammer vorhanden, die aufgrund der sich darin befind­ lichen Himmelbetten für vornehmere Gäste bestimmt gewesen sein dürfte. Neben einer Küche scheint ab 1568 in den Inventaren auch eine eigene „Suttenküche“ auf. Daneben gab es ein Speisegewölbe, ein zu ähnlichen Zwecken dienendes sogenanntes Mueshaus 66 und ab 1568 auch ein Milchge­ wölbe. Zudem waren zahlreiche Wirtschaftsräume vor­ handen: ein Getreidekasten, eine Weinpresse, ein Kuh-, ein Schweine- und ein Rossstall, ein Wagenstadel (ab 1581 zwei), eine Zeugkammer und zumindest 1550 auch ein

60 StiA Klbg, Pz. 1380. Auf einem zweiten Vogelschauplan aus der Zeit um 1780 ist das Bürgerspital mit großer Übereinstimmung dargestellt; StiA Klbg, Sp 578. Für Abbildungen der beiden Pläne Röhrig 1973, 24–27, 32–35. 61 Rubriken „Bau des Hauses“, „Notdurft des Bads“, „Notdurft der Kirche“. 62 In den Inventaren variiert die Reihenfolge der Raumnennungen, zudem verschwinden Räume oder kommen neu hinzu und zumindest am Beginn der Inventare scheint eine hierarchische Reihung der Räume gegeben. 63 Vgl. zu 1344 Anm. 39. Auch im Wiener Bürgerspital waren die Insassinnen und Insassen bis 1529 in einem sogenannten Langhaus untergebracht. Bei der dort ebenfalls vorhandenen Sutte dürfte es sich allerdings um eine Krankenstube gehandelt haben; Pohl-Resl 1996, 107. Im Klosterneuburger Stiftspital scheint Mitte des 16. Jahrhunderts für den Unterbringungsort der Insassinnen und Insassen ebenso der Begriff „Sutte“ auf; Holubar 1992a, 127–130; Holubar 1994, 71f. Diese Raumbezeichnung, die sich bei größeren Spitälern – wie beim Wiener Bürgerspital – eher auf den Unterbringungsort der Kranken und nicht auf jenen der gesamten Insassinnen und Insassen bezogen haben dürfte, lässt sich in verschiedenen spätmittelalterlichen und frühneuzeitlichen Spitälern finden; BWB 2, Sp. 340f. 64 Aus den Jahren 1601 bis 1603 sind einige Fälle dokumentiert, in denen Insassinnen und Insassen, die Zahlungen für die Aufnahme leisteten, eigene Kammern zugeteilt bekamen; StaA Klbg, AA 11, Nr. 14. 65 Bei einem Übergeher handelte es sich um einen „Aufseher, Kontrollor“; HLW Bd. 5, 496. In Fall des Klosterneuburger Bürgerspitals war dieser wahrscheinlich vorrangig für die Beaufsichtigung der Weingärten zuständig; zu dieser Funktion im Weinbau Landsteiner 1993, 234. 66 „Mueshaus“ wird vor allem als Speiseraum aufgelöst; etwa BWB Bd. 1, Sp. 1675f. Im vorliegenden Fall wurde es jedenfalls als Speisekammer genutzt, in der sich hauptsächlich der haltbar gemachte Fleischvorrat befand.

Food Links

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Ziegelstadel. Zusätzlich werden zahlreiche (Dach-)Böden und Keller sowie verschiedene Kämmerlein genannt. Neben dem Bürgerspital gehörten auch noch andere Gebäude in der Stadt zur  Objektgesellschaft Bürger­ spital.67 Das Bad des Spitals, das 1448 in seinen Besitz gekommen war, befand sich hinter dem Spital am Weg Richtung Hundskehlentor (Abb. 2).68 In den Inventaren ist das Bad jedoch nicht zu finden.69 Zum Spital gehörte auch das sogenannte Weinzierlhaus, in dem die Wein­ garten- bzw. Hauerknechte des Spitals wohnten. Dieses Haus, dessen Standort nicht bekannt ist – eventuell war es auch Teil des baulichen  Ensembles des Bürgerspitals selbst –, wurde laut den Rechnungsbüchern von einem besoldeten „Wirt“ geleitet.70 Nach dem Inventar von 1550 befanden sich die dort angeführten Dinge in der knecht kamern oben auf dem poden, auch unnden in dreien unnd des weinzierls kamern. Der hier genannte Weinzierl wird vermutlich mit dem Wirt gleichzusetzen sein.71 Ab 1568 scheint in den Inventaren noch ein zweites Weinzierlhaus „am Fleck bei St. Merten“ auf, das sich wohl in der Nähe der Pfarrkirche St.  Martin befunden haben dürfte, die ebenfalls in der „Unteren Stadt“, jedoch ein Stück donau­ aufwärts lag.72 Aufgrund der geringen Anzahl an Betten dürften dort allerdings viel weniger Personen unterge­ bracht gewesen sein als im anderen Weinzierlhaus. Food Links I: Die Beschaffung des Essens Um die Food Links, die sich zwischen Objekten und Per­ sonen im Spital ergeben, entsprechend interpretieren zu

können, ist es notwendig, zunächst einen Blick auf etwas anders geartete Food Links zu werfen, nämlich jene, die sich hinsichtlich der Beschaffung von Nahrungsmitteln zwischen dem Bürgerspital sowie den involvierten Ob­ jekten, Personen und Orten ausmachen lassen. Da sich mittelalterliche und frühneuzeitliche Armen­ fürsorgeeinrichtungen damals selbst finanzieren mussten, waren sie nicht nur Fürsorge-, sondern gleichzeitig auch Wirtschafts- und oftmals Herrschaftsbetriebe.73 Spi­ täler können daher als „Unternehmen für die caritas“ 74 bezeichnet werden, bei denen „sozialer Auftrag und wirtschaftliches Handeln […] eng miteinander verbun­ den“ waren.75 Die Nahrungsversorgung von Spitalgesell­ schaften beruhte auf einem jeweils spezifischen Mix aus Erwerbung, Eigenproduktion und Abgabenbezug in Na­ turalien. Inwieweit und in welchem Umfang Spitalhaus­ halte ihre Fürsorgefunktion erfüllen konnten, hing mit den vorhandenen Ressourcen sowie deren Management zusammen.76 Es kam immer wieder dazu, dass Spital­ träger den Spitälern finanziell oder auch mit Naturalien unter die Arme greifen mussten.77 Die Rechnungsbücher des Klosterneuburger Bürger­ spitals verzeichnen im Untersuchungszeitraum in fünf exemplarisch ausgewerteten Jahren (bereinigte) Ein­ nahmen und Ausgaben im Bereich zwischen 2.000 und 4.000 Pfund (Abb.  3). Die Einnahmen und Ausgaben wurden dabei verschiedenen Konten zugewiesen.78 Die mit Abstand größten Einnahmen brachten Weinverkauf und -ausschank (zwischen 78 und 85 % der Gesamtein­ nahmen). Das Bild der Ausgaben gestaltet sich differen­ zierter, doch auch hier fielen die höchsten Ausgaben für

67 Zur Objektgesellschaft Adelssitz bzw. Adelsherrschaft vgl. den Beitrag von Thomas Kühtreiber in diesem Band (bes. 45–48). 68 Mazakarini 1996b, 58–65. In den Rechnungsbüchern gibt es eine eigene Rubrik „Notdurft des Bads“. 69 1550 und 1568 ist in den Inventaren ein Badkeller genannt, in dem sich mit dem Weinbau bzw. der Weinproduktion in Verbindung stehen­de Utensilien befanden. 1581 und 1585 scheint nur mehr ein Boden über dem Badkeller auf, in dem Heu und Stroh gelagert waren. 1584/85 dürfte nach den Angaben im Rechnungsbuch ein Badkeller (derselbe?) neu erbaut worden sein, 1585 nennt sich die entsprechende Rubrik auch erstmals „Ausgaben auf Notdurft des Bads und des Badkellers“. 70 Rubrik „Dienstvolk“. 71 Zur angespannten Arbeitsorganisation im Weinbau im heutigen Niederösterreich in der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts und auch zu den nicht immer eindeutigen Funktionsbezeichnungen Landsteiner 1993. 72 Noch heute befindet sich schräg gegenüber dem ehemaligen Bürgerspital das sogenannte Häuserl am Fleck (Hundskehle 4), das laut der sich dort befindlichen Informationstafel 1550 erstmals als „Weinzierlhaus“ im Grundbuch (des Stifts?) genannt wird und sich zumindest um 1635 im Besitz der Stadt befand. Es ist allerdings fraglich, ob es sich dabei um das zweite Weinzierlhaus handelt, da hier die Bezeichnung „bei St. Merten“ keinen Sinn ergeben würde. Eventuell ist dieses Haus mit dem ersten Weinzierlhaus gleichzusetzen, wobei in diesem Fall jedoch die Bezeichnung „am Fleck“ irritiert. 73 Vgl. Scheutz, Weiß 2008, 200f. 74 So der Titel bei Stunz 2005 (Hervorhebung im Original). 75 Sonderegger 2010, 191. 76 Sonderegger 2010, 191; Dross 2013. 77 Dies war etwa für das Wiener Neustädter Bürgerspital im 16. Jahrhundert der Fall; Lechner 1965, 214–218. 78 Die Auswertung der Rechnungen basiert auf einem Kontenplan, der für die Analyse der Rechnungsbücher des Wiener Bürgerspitals erstellt wurde. Die Bilanzen wurden insofern bereinigt, als positive oder negative Rechnungsreste des Vorjahres nicht berücksichtigt

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Sarah Pichlkastner

Pfund

Prozent

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4500 4000

25 Gesamteinnahmen

3500 20

3000 2500

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Gesamtausgaben

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Ernährungsausgaben

1000 5 500 0

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Ernährungsausgaben (% der Gesamtausgaben)

0

Abb. 3: Höhe der bereinigten Gesamteinnahmen und -ausgaben sowie der Ernährungsausgaben (in Pfund) und der Anteil der Ernährungsausgaben an den Gesamtausgaben (in %).

den Weinbau an (zwischen 37 und 44 % der Gesamtaus­ gaben). Die Ausgaben im Bereich Ernährung betrugen 1557, 1567 und 1572 zwischen 23 und 25 %, reduzierten sich 1580 auf 20 % und fielen 1585 auf 13 %.79 Die unter Ernährung subsumierten Ausgaben setzen sich nicht nur aus Lebensmitteleinkäufen zusammen, hier wurden auch jene für Koch- und Essutensilien sowie für Zubereitung, Lagerung und Haltbarmachung verbucht.80 Obwohl die Höhe der Ernährungsausgaben insgesamt relativ konstant zwischen 400 und 600 Pfund lag, zeigen sich innerhalb dieser Ausgaben große Veränderungen; das betrifft besonders jene drei Unterkonten, die in zu­

mindest einem Jahr mehr als 20 % der Ernährungsausga­ ben ausmachen (Fleisch, Getreide, Wein) (Abb. 4). Im Folgenden soll kurz darauf eingegangen werden, wie diese drei Nahrungsmittel im Rahmen der  Objekt­ gesellschaft Bürgerspital eine Vergesellschaftung erfuhren. Dabei soll auch der an Fastentagen bzw. zu Fasten­zeiten anstatt Fleisch gereichte Fisch berücksichtigt werden, da diese beiden Nahrungsmittel in  paradigmati­ scher Verbindung zueinander stehen. Fleisch wurde vom Kloster­neuburger Bürgerspital sowohl – vermutlich bei lokalen Fleischhackern  – zugekauft (hauptsächlich in Form von Rindfleisch) als auch in geringerem Umfang

wurden; dazu ausführlicher Pichlkastner 2015, 125–130. Eine Änderung in der Abrechnungspraxis der Erlöse von Weinausschank und -verkauf ab der Rechnung des Jahres 1572 (Einzahlung in die sogenannte Superintendentenlade und dann von dort Auszahlung an den Spitalmeister, jedoch nicht in voller Höhe) lässt sich anhand der vorhandenen Angaben kompensieren. 79 1585 wurden hohe, nicht spezifizierte Schuldenrückzahlungen, größtenteils an die Stadt Klosterneuburg, geleistet, die mit 25 % der Gesamtausgaben zu Buche stehen. Das ist bei der Interpretation der vergleichsweise niedrigen Prozentangaben in anderen Bereichen in diesem Jahr zu berücksichtigen. 80 Verbucht sind die ernährungsspezifischen Ausgaben bis auf wenige Ausnahmen in vier Rubriken: „Fleisch und Fisch in Haus und Sutte“, „Einzige Speisen“, „Getreide, davon zu mahlen und erkauftes Mehl“, „Gemeine Ausgaben“.

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FLEISCH

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GETREIDE 20 %

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WEIN

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Abb. 4: Anteil der Ausgaben für Fleisch, Getreide und Wein an den Gesamtausgaben für Ernährung (in %).

über Eigentierhaltung selbst produziert (Schlachtung von Kühen, Kälbern, Stieren, Ochsen und Schweinen).81 Fisch musste hingegen wahrscheinlich zur Gänze zu­ gekauft werden, im Gegensatz zum Fleisch fielen hier jedoch viel geringere Ausgaben an.82 Im Bereich der Getreideversorgung war das Klos­ terneuburger Bürgerspital im Vergleich mit anderen Bürger­ spitälern wenig autark, wie eine exemplarische Untersuchung verschiedener Bürgerspitäler in den 1550er

und 1560er Jahren zeigen konnte.83 Es gab verhältnismä­ ßig viel Geld für den Erwerb von Getreide und Mehl aus, da sich eine Eigenbewirtschaftung von Äckern im Un­ tersuchungszeitraum anhand der Rechnungsbücher nicht fassen lässt. Das Bürgerspital musste den Getreidebedarf demnach zur Gänze über Einkauf und Zehentbezüge decken. Gekauftes Getreide in Form von Weizen, Rog­ gen („Korn“) und „Halbgetreide“ 84 sowie Mehl stammte hauptsächlich aus Gebieten nördlich der Donau im soge­ nannten Viertel unter dem Manhartsberg (heute Wein­ viertel); zu kleineren Teilen wurden diese Getreidesorten auch aus Österreich ob der Enns (heute Oberösterreich) und Mähren (in der heutigen Tschechischen Republik) sowie über Händler in Wien bezogen.85 Die Bezugsrechte für Zehentgetreide (Weizen, Halbgetreide, Roggen?) la­ gen ebenso auf der anderen Seite („enthalben“) der Donau und waren allesamt gegen Abgabe einer bestimmten Ge­ treidemenge verpachtet: Diese befanden sich zum einen in Kleinrötz (Gemeinde Harmannsdorf ) und Pfösing (Gemeinde Wolkersdorf im Weinviertel), zum anderen in Ebersdorf an der Zaya und Bullendorf (beide Gemeinde Wilfersdorf ) sowie Prinzendorf an der Zaya (Gemeinde Hauskirchen).86 In kleinen Mengen gänzlich zugekauft und zwar zumindest in den 1580er Jahren meist in Wien wurden „kleine“ (zweizeilige) und „große“ (mehrzeilige) Gerste, Hirse („Prein“) und Reis.87 Das Spital verfügte über umfangreichen Weingarten­ besitz und die Erträge lieferten um einiges mehr Wein, als im Spital selbst verbraucht wurde.88 Schwache Erntejahre konnten dabei durch entsprechende Vorratshaltung aus­ geglichen werden. Trotzdem kam es oftmals zu Zukäufen von Wein in geringen Mengen auf dem lokalen Markt. Auf diese Weise dürfte versucht worden sein, durch den

81 Fleisch ist in der Rubrik „Fleisch und Fisch in Haus und Sutte“ und im Rahmen von Mahlzeiten zu besonderen Anlässen auch in den „Gemeinen Ausgaben“ verbucht. Für folgende Jahre ist Erstere in den Rechnungsbüchern vorhanden: 1557, 1560, 1565, 1567, 1572, 1580, 1583, 1585, 1586. 82 Fisch ist in den Rubriken „Fleisch und Fisch in Haus und Sutte“ sowie „Einzige Speisen“ verbucht. Zur Überlieferung Ersterer Anm. 81. Letztere ist für folgende Jahre überliefert: 1557, 1560, 1565, 1567, 1572, 1580, 1583, 1585, 1586. 83 Im Vergleich wurden die Bürgerspitäler von Eggenburg, Perchtoldsdorf, Retz und Weitra untersucht; Pichlkastner 2019. 84 Mischung aus Weizen und Roggen; DWB Bd. 10, Sp. 202; Landsteiner 2001, 114, Anm. 95. 85 Das eingekaufte Getreide ist in der Rubrik „Getreide, davon zu mahlen und erkauftes Mehl“ zu finden. Diese ist für folgende Jahre überliefert: 1557, 1565, 1567, 1569, 1572, 1578, 1580, 1583, 1585, 1586. 86 Die Zehentangelegenheiten finden sich zunächst in den Rubriken „Getreide, davon zu mahlen und erkauftes Mehl“ und „Gemeine Ausgaben“, ab 1583 gibt es die eigene Rubrik „Notdurft zur Einbringung der Getreide- und Haferzehente enthalben der Donau“. Diese ist für folgende Jahre überliefert: 1583, 1585, 1586. Da es bei Klosterneuburg keine Donaubrücke gab, musste das Getreide mit Booten „über das Wasser geführt“ werden, wofür entsprechende Ausgaben anfielen. Zu den Donaubrücken sowie den Veränderungen, die eine Brücke für den Warentransport mit sich brachte, vgl. den Beitrag von Elisabeth Gruber in diesem Band (bes. 30–31). 87 Deren Einkauf ist in der Rubrik „Einzige Speisen“ verzeichnet. Zu deren Überlieferung Anm. 82. Der Einkauf in Wien lässt sich über die in der Rubrik „Gemeine Ausgaben“ verbuchten Transportkosten nachvollziehen. 88 Zu Beginn der Rechnungsbücher finden sich jeweils detaillierte Aufstellungen über „Empfang“ und „Ausgabe“ in Bezug auf Wein. Diese sind für folgende Jahre überliefert: 1557, 1560, 1565, 1567, 1569, 1572, 1578, 1580, 1583, 1585, 1586.

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Sarah Pichlkastner

Zukauf von billigerem Wein für den Eigengebrauch und den Verkauf von teurerem Wein an Dritte die Profite im Bereich des Weinsektors und somit die Einkünfte des Spitals in Zeiten einer sich verschlechternden Wein­ konjunktur zu erhöhen. Die in der Literatur genannten schlechten Wein­ernten der Jahre 1557, 1560, 1566 und 1572 in Klosterneuburg lassen sich erstaunlicherweise für das Bürgerspital nicht ausmachen.89 Hier lag der Tiefpunkt der Ernteerträge in den Jahren 1569 (ca. 150 Eimer/8.700 l) und 1565 (ca. 580 Eimer/33.640 l). Zum Vergleich: Im Re­ kordjahr 1586 wurden ca.  1.770 Eimer (102.660 l) Wein geerntet.90 Wie bereits erwähnt, kam es im Untersuchungszeit­ raum zu größeren Umbrüchen, was die Ausgaben für Fleisch, Getreide und Wein betrifft. Diese Veränderun­ gen sind, vor allem bei Fleisch und Getreide, direkt mit den ungünstigen klimatischen Bedingungen im Untersu­ chungszeitraum und damit verbundenen Preisanstiegen in Verbindung zu bringen. Als Katalysator erwies sich vor allem der enorme Getreidepreisanstieg der Jahre 1569 bis 1572, der das beim Getreide stark marktabhängige Bürgerspital von Klosterneuburg sicherlich stärker traf als andere Spitäler. Hier zeigt sich, wie  Praktiken der Nahrungsbeschaffung in einer akuten Krisenzeit adaptiert werden mussten und wie es dadurch zu kurz- oder auch längerfristig wirksamen Veränderungen der bisherigen Praxis kam. Die hohen Ausgaben für das unverzichtbare Grund­ nahrungsmittel Getreide wurden in der Krisenzeit vor­ übergehend durch eine starke Reduzierung der erworbe­ nen Fleischmenge kompensiert.91 Diese Maßnahme hing gleichzeitig auch mit einem gestiegenen Fleischpreis zusammen, dessen Anstieg jedoch viel geringer ausfiel als beim Getreide. 1572 wurde im Vergleich zu 1567 weniger als die Hälfte an Fleisch erworben (ca.  4.500 Pfund/

ca.  2.500 kg statt ca.  9.800 Pfund/ca. 5.500 kg).92 Trotz einer danach wieder erfolgenden Zunahme, wurden die erworbenen Mengen der Zeit davor nicht wieder erreicht. Dies dürfte – neben der gesunkenen Anzahl an Essen­ den93 – unter anderem damit zusammenhängen, dass der Fleischpreis zwar wieder gefallen war, sich jedoch auf einem höheren Level als zuvor eingependelt hatte und dass als Reaktion auf die Krise danach verstärkt auf eige­ ne Fleischproduktion (vor allem Schweinefleisch) gesetzt wurde; dies lässt sich anhand der in den Inventaren ver­ zeichneten Tierbestände sowie der aus den Rechnungs­ büchern ablesbaren Schlachtungen belegen.94 Hinsichtlich des Getreides kam es bereits im Herbst 1569 zu einer in Bezug auf die bisherige Erwerbungs­ praxis beispiellosen Maßnahme: Zum ersten und auch einzigen Mal wurde Gerste in einer großen Menge zu­ gekauft und zwar insgesamt 84 Metzen zu drey mallen zu Wien […] am Traitmarckht.95 Die Gerste geht hier eine  paradigmatische Verbindung mit den üblicherweise gekauften, inzwischen aber stärker als diese verteuerten Getreidesorten ein.96 Generell kann hinsichtlich des Getreides festgestellt werden, dass nach der Krisenzeit um 1570 verstärkt versucht wurde, die Zehentbezüge besser auszuschöpfen. Die verstärkten administrativen Bemühungen um die Zehente fanden ihren schriftlichen Niederschlag in den Rechnungsbüchern in der Schaffung einer eigenen Ausgabenrubrik namens „Notdurft zur Einbringung der Getreide- und Haferzehente enthalben der Donau“.97 Auch in Angelegenheit eines zwischen dem Spital und einer anderen Person strittigen Zehentrechts im Raum von Pfösing wurde das Spital aktiv und wandte sich sogar in einer Bittschrift Unterstützung suchend an die Niederösterreichische Regierung. Aufgrund der nun größeren Menge an bezogenem Zehentgetreide und der wieder gesunkenen Getreidepreise sowie der geringeren

89 Haushofer 1992, 554. 90 Zu den Ernteerträgen des Wiener Bürgerspitals von 1550 bis 1680 Landsteiner 2004, 272f. 91 Die erworbene Fleischmenge lässt sich anhand des Pfundpreises und des ausgegebenen Betrags errechnen. Da jedoch der Pfundpreis in einigen Jahren nicht in den Rechnungsbüchern aufscheint (1557, 1565, 1567, 1572), musste er für diese indirekt über die Angaben bei Přibram 1938, 293, 473, erschlossen werden. 92 Landsteiner konstatiert für das Wiener Bürgerspital hingegen nur einen „geringfügig verkleinerte[n] Fleischverbrauch“; Landsteiner 2005, 109f. 93 Vgl. dazu weiter unten. 94 Schlachtungen sind über die damit verbundenen Ausgaben in den „Gemeinen Ausgaben“ ersichtlich. Ab 1572 finden sich bei den wöchentlichen Küchenaufzeichnungen Informationen über etwaig geschlachtete Tiere (Rubrik „Fleisch und Fisch in Haus und Sutte“). In diesem Jahr und auch noch 1580 scheinen jedoch Schweine darin nicht auf, obwohl nachweislich welche geschlachtet wurden. Die Angaben in den Küchenaufzeichnungen und den „Gemeinen Ausgaben“ stimmen auch davon abgesehen nicht immer überein. 95 Rech. 1569, Rubrik „Getreide, davon zu mahlen und erkauftes Mehl“. Davon abgesehen ist Gerste immer in der Rubrik „Einzige Speisen“ bzw. als Tierfutter in der Rubrik „Kleiben [Kleie] und Gerste“ zu finden. 96 Auch das Wiener Bürgerspital verwendete 1572 in einzigartiger Weise Gerste zum Brotbacken; Landsteiner 2005, 108. 97 Vgl. dazu Anm. 86.

Food Links

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Anzahl an Essenden nahmen nun – zumindest vorläu­ fig – die Ausgaben für gekauftes Getreide und Mehl stark ab. Doch bereits 1583 und 1585 trügen angesichts wiederum steigender Getreidepreise die Zahlen in den Rechnungsbüchern, da einiges an Getreide von verschie­ denen Pfarrern vorgestreckt und erst zu einem späteren Zeitpunkt bezahlt wurde. Ein derartiges Arrangement mit einem Pfarrer taucht in den Rechnungsbüchern erst­ mals 1572 auf, in diesem Jahr wurde zumindest ein Teil des wahrscheinlich schon in den Jahren davor von diesem gelieferten Getreides bezahlt. Die nicht immer, aber doch in mehreren Fällen von Erfolg gekrönten Versuche, über Pfarrer, die in der Regel aufgrund von Zehentbezügen über einiges an Getreide verfügten, an solches zu gelangen, dürften als Beschaffungsalternativen in Krisenzeiten zu interpretieren sein. 1586 sah sich der Spitalmeister be­ müßigt, die vergleichsweise wieder hohen Ausgaben für Getreide in diesem Jahr zu rechtfertigen und erklärte am Ende der entsprechenden Rubrik, dass einerseits Ge­ treideschulden aus dem Vorjahr gezahlt worden seien und andererseits die Weinlesezeit (und damit die Verpflegung der daran beteiligten Personen)98 lange gedauert habe. Obwohl sich, wie geschildert, ein Zukauf von Wein bereits davor in einigen Jahren nachweisen lässt, scheint diese Praxis nach der Krisenzeit um 1570 aufgrund der stark verschlechterten Weinkonjunktur intensiviert wor­ den zu sein, da sie sich nun in beinahe jedem Jahr finden lässt und zudem im Schnitt größere Mengen gekauft wurden. Das Spital war demnach in der zweiten Hälfte des 16.  Jahrhunderts hinsichtlich der Nahrungsbeschaffung räumlich und auch sozial entsprechend gut verlinkt. Seine sozial-karitative  Positionierung war hinsichtlich der Etablierung/Aktivierung eines sozialen Unterstüt­ zungsnetzwerks in Notlagen, das fast ausschließlich aus Pfarrern bestand, sicherlich von Vorteil. Welche Personen bzw. Personengruppen dafür in Frage kamen, die Nah­

rungsmittel, die auf unterschiedlichen Wegen Teil der  Objektgesellschaft Bürgerspital geworden waren, zu verspeisen, soll im Folgenden beleuchtet werden. Food Links II: Die sozialen Gruppen an Essenden Zwischen Personen, die zur Spitalgesellschaft gehörten (Hausgemeinschaft und Kopräsenz), und Nahrung lassen sich in vielen Fällen Food Links finden. Wie auch in anderen mittelalterlichen und frühneuzeitlichen Spitä­ lern aßen im Klosterneuburger Bürgerspital nicht nur die Insassinnen und Insassen, sondern auch viele andere Personen, sei es regelmäßig, von Zeit zu Zeit oder nur ein oder wenige Male.99 Anhand der Quellen lassen sich dabei verschiedene soziale Zugehörigkeiten ausmachen. In den wöchentlichen Küchenaufzeichnungen in den Rechnungsbüchern des Klosterneuburger Bürgerspitals, die den Einkauf von Fleisch und Fisch dokumentieren, zeigen sich die jeweiligen  Konstellationen an Essen und Essenden. Ab 1565 findet sich dort die Anzahl der jeweils pro Woche verköstigten Personen (Abb. 5).100 Beginnend mit 1572 schnellte diese im Herbst zur Weinlesezeit in die Höhe, wenn diverse daran beteiligte Personen („Leser“, „Presser“, „Binder“ usw.) mitverpflegt wurden. Durch­ schnittlich verköstigte das Spital pro Woche 47 (1565, 1567, 1572), 45 (1580), 37 (1583), 36 (1585) bzw. 45 Personen (1586). In der Regel gingen die Einkäufe den wöchentlichen Aufzeichnungen nach in  syntagmatischer Verbindung „in Haus und Sutte“.101 Der Begriff „Haus“, der auch in anderen Zusammenhängen vorkommt, ist nicht einfach zu fassen. Es muss sich dabei um einen Teil des baulichen  Ensembles des Spitals gehandelt haben, das als solches in den Inventaren jedoch nicht unter dieser Bezeichnung genannt ist; daher bleibt unklar, welche Räume dem „Haus“ zuzuordnen sind.102 Es könnte auch sein, dass da­ mit alle Teile abgesehen von der Sutte gemeint sind.103

98 V  gl. dazu weiter unten. 99 Am Beispiel des Regensburger St. Katharinenspitals Kühne 2006, bes. 117–145. 100 Rubrik „Fleisch und Fisch in Haus und Sutte“. Vgl. für die überlieferten Jahre Anm. 81. Die wöchentlichen Aufzeichnungen beginnen in der Regel mit jener Woche, in die der Thomastag (21. Dezember, Woche 2) fällt. 1567 starten sie eine Woche später (Woche 3), 1580 und 1583 eine Woche früher (Woche 1). 1565 erstrecken sich die Aufzeichnungen über 53 Wochen. Daher finden sich in Abb. 5 54 Wochen. Die einzelnen Wochen reichen jeweils von Sonntag bis Samstag. 101 Diesbezügliche Informationen über die Essenden sind nur in den Jahren 1557, 1565 und 1572 (relativ) durchgehend für jede Woche vorhanden, ansonsten scheinen sie meist nur dann auf, wenn Externe mitverpflegt wurden. Die Angaben sind generell nicht immer eindeutig zu interpretieren. 102 Dass dezidiert ein baulicher Teil damit gemeint war, wird etwa 1578 deutlich, wenn acht Rauchfänge im hauß, sutten unnd weinzierl­ hauß gekehrt wurden; Rech. 1578, Rubrik „Gemeine Ausgaben“. 103 Dafür würde sprechen, dass in den „Gemeinen Ausgaben“ im Rechnungsbuch des Jahrs 1580 hintereinander von „Haus, Sutte und Weinzierlhaus“ sowie „Spital, Sutte und Weinzierlhaus“ die Rede ist.

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K a le nde rwo c he n Abb. 5: Anzahl an wöchentlich verköstigten Personen im Klosterneuburger Bürgerspital.

Als dort Essende lassen sich wahrscheinlich die Spital­ leitung und das Personal identifizieren. An der Seite des Spitalmeisters wirkte in der Regel seine Frau, die Spi­ talmeisterin. Die Anzahl des über die Besoldung in den Rechnungsbüchern greifbaren „Dienstvolks“ lag relativ beständig bei ca. zehn Personen: Hierzu zählten der Spi­ talschreiber, der „Übergeher“, die beiden „Wagenknech­ te“, eine Köchin, ein Bäcker (ab 1580), ein „Kuhhalter“, zwei „Viehdirnen“ sowie der „Wirt“ im Weinzierlhaus.104 Eventuell gab es auch noch mitverköstigte Angehörige sowie unbesoldetes Personal.105 Das Weinzierlhaus bzw.

die Weinzierlhäuser dürften nur an einigen wenigen Tagen im Jahr vom Spital aus verpflegt worden sein und zwar zu Ostern und meist auch am Faschingstag. In die­ sen Fällen lautete das erweiterte  Syntagma: „in Haus, Sutte und Weinzierlhaus/-häuser“.106 Das „in die Sutte“ gehende Fleisch bzw. der Fisch wa­ ren für die dort untergebrachten Insassinnen und Insassen bestimmt. Inwieweit jene mit separater Unterbringung dem „Haus“ oder der „Sutte“ zuzurechnen sind, bleibt da­ bei unklar. Eventuell könnte auch das Personal bzw. – was wahrscheinlicher ist – das niedrigere Personal, auch wenn

104 R  ubrik „Dienstvolk“. 105 Für das Jahr 1580 ist etwa ein sogenannter Suttenvater genannt, der aber aus dem Kreis der Insassen bestellt worden sein dürfte; Rech. 1580, Rubrik „Wiesen und Gärten, Heufechsung und derselben Notdurft“. 106 Irritierenderweise spiegelt sich deren Mitverpflegung in der Anzahl der verköstigten Personen gar nicht und in der Rindfleischmenge nur teilweise wider.

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es nicht in der Sutte nächtigte,107 dort gegessen haben und somit hinsichtlich der Verpflegung unter dieser sub­ sumiert sein. Die Anzahl der Insassinnen und Insassen kommt in den Quellen nicht vor und kann anhand der Küchenaufzeichnungen ausgehend von der Anzahl an verköstigten Personen vorsichtig im Durchschnitt 1565 und 1567 auf ca. 30, 1572 und 1580 auf ca. 25, 1583 und 1585 auf ca.  15 und 1586 auf ca.  20 geschätzt werden.108 Die­ se Zahlen lassen sich einigermaßen mit der Anzahl der Schlafgelegenheiten in Einklang bringen.109 Die Anzahl der in der Sutte verstorbenen Personen schwankt in den untersuchten Jahren deutlich zwischen einigen wenigen (1565, 1569) und 49 (1586) bzw. 54 Personen (1572).110 Wie für größere Bürgerspitäler üblich,111 dürfte auch jenes in Klosterneuburg vor allem Kranke und Verletzte des Öf­ teren auch nur kurzfristig aufgenommen haben. 1567 ver­ sorgte das Spital beispielsweise einen armen lantzknecht mit namen Hanß ausm Schweitzerlandt, dem von einem Barbier die erfrorenen Füße abgeschnitten wurden und der 13 Tage nach der Operation verstarb.112 Auch Kinder dürfte es in der Sutte gegeben haben, diese sind jedoch nur ein einziges Mal in den eingesehenen Quellen ge­ nannt: 1569 erhielten die armen khinder in der sutten […] phaiden (Hemden).113 Überdies fanden im Spital nach­ weislich Geburten statt: 1557 bekam beispielweise eine Frau zwei Schilling für die Hilfe bei zwei Geburten in der

Sutte.114 Im Vergleich mit den Bürgerspitälern ähnlich großer Städte in Niederösterreich ist jenes von Kloster­ neuburg hinsichtlich der Anzahl an „armen Leuten“ im Untersuchungszeitraum etwas unter dem Durchschnitt zu verorten.115 Neben den bisher genannten internen Personen, die zur Hausgemeinschaft gehörten, kamen auch verschiede­ ne externe in den Genuss einer Verpflegung durch das Spital, wenn sie dort präsent waren. Dies betrifft zum einen landwirtschaftliche Hilfskräfte sowie Handwer­ ker. Im Herbst zur Zeit der Weinlese wurden laut den Küchenaufzeichnungen – wie bereits erwähnt – „Leser“, „Presser“, „Binder“, „Bottichknechte“ und „anderes Ge­ sinde“ verpflegt.116 Auch vor der Lesezeit waren oftmals schon „Binder“ im Haus. Ebenso Verköstigung erhiel­ ten – zumindest 1557 und 1560 – „Mäher“ im Sommer sowie zeitweise „Zimmerleute“. In den 1580er Jahren lassen sich im Oktober und November überdies teilweise „Krautschneider“ und „Rübenhacker“ finden. Entspre­ chend den jeweils mitverköstigten Personen scheinen in den Küchenaufzeichnungen dementsprechend unter­ schiedliche  syntagmatische Verbindungen auf. Auch Geistliche, die zeitweise für religiöse Verrich­ tungen im Bürgerspital zugegen waren, samt anderen daran beteiligten Personen (Schreiber, Kantor, Schul­ meister usw.) wurden im Spital verpflegt. Anlässlich von

107 N  ur bei den beiden „Viehdirnen“ kommt eventuell eine Nächtigung in der Sutte infrage; vgl. dazu weiter oben. 108 Werden die Wochen (43–48) mit vielen externen Verköstigten außer Acht gelassen, fällt die durchschnittliche Anzahl an verköstigten Personen auf 47 bzw. 46 (1565, 1567), 42 (1572, 1580), 33 bzw. 32 (1583, 1585) und 38 (1586). Davon müssen die weiteren verköstigten Personen (Spitalleitung, Personal usw.) abgezogen werden. Wie schwierig eine derartige Berechnung ist, zeigt das Beispiel des Horner Spitals, das bei acht bis neun Insassinnen und Insassen und 16 weiteren permanent Verpflegten (Spitalmeister samt Familie, Personal, Sonstige) inkl. der landwirtschaftlichen Arbeitskräfte in der zweiten Hälfte des Jahres 1595 wöchentlich zwischen 26 und 52 Personen verköstigte; Tribl 2011, 268f. 109 In der Sutte gab es laut den Inventaren 1550 17, 1568 20 sowie 1581 und 1585 23 Spannbetten. Zusätzlich gab es noch weitere Kammern und Stuben mit Betten, 1568 finden sich etwa acht Schlafgelegenheiten, die nicht erkennbar dem Personal zuzuordnen sind. 110 Vgl. dazu jeweils die Rubrik „Gemeine Ausgaben“ in den Rechnungsbüchern. 1572 ist erstmals die Anzahl der Verstorbenen angegeben und ab 1580 angeführt, dass pro Person 2 ß. 4 d. für das Begräbnis zu entrichten waren. Davon ausgehend kann anhand der verbuchten Ausgaben für die Zeit vor 1572 die ungefähre Anzahl der Verstorbenen erhoben werden. 111 Für das Beispiel Wiener Neustadt Lechner 1965, 181–185. 112 Rech. 1567, Rubrik „Gemeine Ausgaben“. 113 Rech. 1569, Rubrik „Gemeine Ausgaben“. Zu den „Pfeiden“ DWB Bd. 13, Sp. 1640f. 114 Rech. 1557, Rubrik „Gemeine Ausgaben“. 115 Im Wiener Neustädter Bürgerspital lag die Anzahl an Insassinnen und Insassen im 16. Jahrhundert vermutlich etwas unter den im 17. Jahrhundert versorgten 40 bis 50 Personen; mit Zahlen für das 17. Jahrhundert Wurmbrand 1972, 88f. Das Kremser Bürgerspital, das auch für Stein zuständig war, hatte in der zweiten Hälfte des 15. Jahrhunderts wahrscheinlich rund 40 Insassinnen und Insassen; Jaritz 1981/82, 29. Eine Quelle aus dem Jahr 1570 nennt 70 Personen; Ottner 2003, 129. Das damals größte Bürgerspital in Österreich unter der Enns, jenes in der Stadt Wien mit damals bereits ca. 30.000 Einwohner/-innen (vgl. dazu Weigl 2003, 110f.), hatte um die Mitte des 16. Jahrhunderts bereits rund 300 Insassinnen und Insassen; für eine Grafik zur Anzahl der Insassinnen und Insassen in der Frühen Neuzeit Pichlkastner 2017, 50. 116 Als Essende dezidiert angeführt sind die Weinlesehelfer/-innen in den wöchentlichen Küchenaufzeichnungen in den Rechnungsbüchern 1557 und 1560 sowie danach wieder ab 1572. Interessanterweise lässt sich diese Praktik an der Menge des erworbenen Fleischs erst ab 1560 und an der Anzahl der verköstigten Personen sogar erst ab 1572 ablesen.

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Abb. 6: Auszug aus dem Inventar von 1550 mit dem Küchenstüblein, der Küche, der Sutte und dem Badkeller, aus StaA Klbg, Bücher und Akten, o. Bürgerspital, A 16/2.

wichtigen Verwaltungshandlungen (Rechnungslegung, Weingartenbeschau, Zehentverpachtung usw.) gab es für die involvierten Persönlichkeiten (Stadtrichter, Stadt­ schreiber, Mitglieder des Stadtrats usw.) besondere Ver­ köstigungsrituale durch das Spital. Sogar zum Weinkau­ fen angereiste Kaufleute konnten im Spital Verpflegung erhalten. Anders als die Verpflegung für saisonale Arbei­ ter/-innen und Handwerker, können diese auf  Reprä­ sentation ausgerichteten Mahlzeiten meist nicht über die wöchentlichen Küchenaufzeichnungen, sondern über die Rubriken „Gemeine Ausgaben“ und „Einzige Speisen“ erschlossen werden. Inwieweit sich zwischen einzelnen Personen bzw. Per­ sonengruppen und speziellen Nahrungsmitteln, Speisen oder anderen mit der Ernährung verbundenen Objekten (z. B. zinnernen oder hölzernen Tellern) spezifische Links – sei es alltäglich oder zu besonderen Anlässen – finden lassen, soll im Folgenden analysiert werden. Food Links

Food Links III: Die sozialen Ungleichheiten Um über die Food Links soziale Ungleichheiten sichtbar zu machen, ist es notwendig, anhand der aus den Quellen gewonnenen Informationen  Cluster zu bilden, in de­ nen den unterschiedlichen sozialen Gruppen an Essen­ den mit der Ernährung verbundene Objekte (Räume, Nahrungsmittel, Essutensilien usw.) zugeordnet werden. Zunächst soll danach gefragt werden, welche Links sich zwischen den Essenden sowie den Speisen zubereitenden Personen, den verschiedenen Räumen, in denen gekocht und gegessen wurde, und Koch- und Essutensilien finden lassen. Hier geben vor allem die Inventare Aufschluss. Für die Zubereitung der Speisen im Bürgerspital stand zunächst nur eine Küche zur Verfügung, in der für die verschiedenen Personengruppen gekocht worden sein dürfte (Abb.  6). Ab dem Inventar von 1568 ist zudem jeweils eine eigene „Suttenküche“ genannt, die jedoch 143

– zumindest nach der Ausstattung der 1580er Jahre – nur dem Anrichten und nicht der Zubereitung von Speisen gedient haben dürfte. Auch im Weinzierlhaus scheint der Ausstattung nach zu Beginn des Untersuchungszeit­ raums gekocht worden zu sein; von den umfangreichen Kochutensilien in den Inventaren der Jahre 1550 und vor allem 1568 war jedoch – zumindest den Angaben nach – in den 1580er Jahren kaum noch etwas vorhanden.117 Da eine tagtägliche Verpflegung der beiden Weinzierlhäuser durch die Küche des Bürger­spitals mit ziemlicher Sicher­ heit auszuschließen ist, stellt sich hier die Frage, wie die Verpflegung der Weingartenknechte in den 1580er Jahren organisiert war. Im dazukommenden zweiten Wein­ zierlhaus dürfte hingegen nicht gekocht und auch nicht gegessen worden sein; vielleicht begaben sich die dorti­ gen Weingartenknechte zum Essen in das andere Haus. Hinsichtlich der Art der Ausstattung und der genannten Materialien lassen sich in den verschiedenen Küchen keine qualitativen Unterschiede erkennen. Im Bürgerspital war ganzjährig eine Köchin angestellt, die zunächst 1557 fünf, dann sechs und ab den 1580er Jah­ ren sieben Pfund pro Jahr verdiente. Erstmals im Rech­ nungsbuch von 1580 scheint unter dem „Dienstvolk“ auch ein eigener Bäcker auf, der mit fünf Pfund etwas weniger Verdienst erhielt als die Köchin. Die beiden mit der Essenszubereitung beschäftigten Personen gehörten zu den am schlechtesten verdienenden Personalangehö­ rigen und bekamen in etwa so viel wie der „Kuhhalter“ und die „Viehdirnen“. Sie waren für die Essensversorgung der verschiedenen Personengruppen im Spital zuständig. Einzig für jene Mahlzeit, die anlässlich der Rechnungs­ legung durch den Spitalmeister zu Beginn des Folge­ jahres veranstaltet wurde, ist meist die Bezahlung eines externen Kochs bzw. einer Köchin vermerkt: Anfang 1572 bekam beispielsweise der „Stadtkoch“ für die malzeit zu der fertigen raittung, die selbst mit mehr als zwölf Pfund

zu Buche schlug, ein Pfund und zwei Schilling.118 Im grö­ ßeren Weinzierlhaus könnte eventuell der Wirt gekocht haben. Die Frage, wer wo gegessen hat, lässt sich nicht ein­ deutig beantworten. Anhand der Inventare lässt sich kein einziger dezidierter Speiseraum ausmachen. Ab 1583 ist in den Rechnungsbüchern in den Weinaufstellungen119 explizit der Tisch des Spitalmeisters genannt, den es vermutlich auch schon vorher gegeben hatte. An diesem speiste er wahrscheinlich mit seiner Frau, eventuell auch mit einem Teil des Personals und der Insassinnen/ Insassen; dass das gesamte Personal dort sein Essen zu sich nahm, scheint hingegen unwahrscheinlich.120 Dieser Tisch könnte in der Stube des Spitalmeisters gestanden sein, die – wie erwähnt – in den Inventaren nicht aufgenommen wurde. Alternativ besteht auch die Möglichkeit, dass es sich dabei um einen der haupt­ sächlich aus höherwertigem Ahorn gefertigten Tische in der „Unteren Stube“ oder dem „Oberen Stüblein“ handelte. Hier dürften mit großer Wahrscheinlichkeit auch die  repräsentativen Festmähler und Umtrunke für Leitungs-, Aufsichts- und sonstige Prestigepersonen stattgefunden haben. Die Insassinnen und Insassen scheinen in der Sutte selbst an den dort laut Inventaren vorhandenen drei „fich­ tenen, alten“ Tischen (1550), sieben „guten und bösen“ Ti­ schen (1568) bzw. sechs Tischen und einer Tafel (1581, 1585) gegessen zu haben. Ob dies auch auf jene zutraf, die über ein eigenes Zimmer verfügten, oder ob diese am Tisch des Spitalmeisters oder anderswo speisten, muss dahin­ gestellt bleiben. Jedenfalls findet sich in deren Zimmern mit einer Ausnahme kein Tisch in den Inventaren. Einzig im 1581 genannten Zimmer des „Doktors“, das aufgrund seines exquisiten Ausstattungsensembles, unter anderem mit einem „neuen“ Himmelbett, eine Sonderstellung ein­ nimmt, befand sich ein „Tischlein“.121 Fraglich ist zudem,

117 D  ie Ausstattung der beiden Weinzierlhäuser wurde nicht nach Räumen gegliedert, sondern als eine einzige durchgehende Aufzählung verzeichnet. Daher ist dort auch keine Küche dezidiert genannt. 118 Rech. 1572, Rubrik „Gemeine Ausgaben“. 119 Vgl. dazu Anm. 88. 120 Auch im Klosterneuburger Stiftspital lässt sich um die Mitte des 16. Jahrhunderts ein Tisch des Spitalmeisters nachweisen, wobei unklar bleibt, wer dort speiste; Holubar 1992a, 128; Holubar 1994, 71. Im Wiener Bürgerspital wurden am Tisch des Spitalmeisters („Erster Tisch“) neben seiner Frau auch die Geistlichen sowie einige höhere Personalangehörige verköstigt; Altmann 1860, 57. Auch im Regensburger St. Katharinenspital aßen die Spitalleitung und das höhere Personal bis 1633 gemeinsam, wobei zumindest Ende des 16. Jahrhunderts auch die sogenannten Herrenpfründner, worunter die besser gestellten Insassinnen und Insassen zu verstehen sind, mit am Tisch gesessen sein dürften; Kühne 2006, 130. 121 Bei diesem Doktor, der kein Mediziner gewesen sein muss, könnte es sich unter Umständen nicht um einen Insassen, sondern um einen im Spital tätigen Arzt handeln. 1580 wird er als „alter Doktor“ bezeichnet; Rech. 1580, Rubrik „Gemeine Ausgaben“.

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wo das Personal bzw. zumindest das niedrigere Personal sein Essen zu sich nahm; dies könnte ebenfalls in der Sutte passiert sein, vielleicht aber auch anderorts im Spi­ tal.122 Ein Tisch lässt sich nur im Zimmer des Schreibers in allen Inventaren und 1550 und 1568 auch in jenem des Übergehers ausmachen; diese dürften wahrscheinlich Schreibtätigkeiten gedient haben.123 Im großen Wein­ zierlhaus gab es nach Angabe der Inventare vier Tische, von denen 1550 angemerkt ist, dass sich einer im Zimmer des Weinzierls befand; 1581 scheinen die Tische nicht auf und dürften vergessen worden sein. Im kleinen Wein­ zierlhaus ist hingegen nur 1568 ein Tisch erwähnt. Im Gegensatz zu den vornehmeren Räumen im Spital sind weder in den Weinzierlhäusern noch in der Sutte sowie den Zimmern der separat untergebrachten Insassinnen/ Insassen und des Personals (mit Ausnahme des Zimmers des Schreibers) Sitzgelegenheiten genannt.124 In den meisten vornehmeren Räumen des Spitals – in der „Unteren Stube“ und dem „Oberen Stüblein“, den beiden anschließenden Räumen sowie der Kammer vor der Stube des Spitalmeisters – war entsprechend den Inventaren zahlreiches, meist höherwertiges Ess- und Trinkgeschirr vorhanden. Nur die „Große Stube“ bzw. „Raitstube“ war davon ausgenommen. Die Ausstattung bestand hauptsächlich aus Schüsseln und Platten sowie aus allerlei Gieß- und Trinkgefäßen, vor allem Känn­ lein in vielen verschiedenen Größen. Diese Utensilien waren hauptsächlich aus Zinn, in geringerem Umfang auch aus besserem Holz (Ahorn, Buchsbaum), Messing, „Glockenspeise“ 125 und Blech; letzteres war vor allem bei Flaschen der Fall. Dazu kamen noch andere Gerätschaf­ ten wie Mörser, Zimente126 oder Trichter. Einige wenige Dinge offenbaren dezidiert ihre Bestimmung: Krenn­ schüssel, Gewürzsieb, Essig- und Salzfässchen. Zum Decken der Tische sowie zum Abtrocknen der Hände

waren „härbene“ und „rupfene“ Tisch- und Handtücher vorhanden.127 Der Großteil der Dinge befand sich in der „Unteren Stube“ und dem „Oberen Stüblein“ selbst, die von der Ausstattung her wenig Unterschied erkennen lassen. In der Küche bzw. der Suttenküche standen hölzer­ ne Schüsseln und Teller zur Verfügung, die mit großer Wahrscheinlichkeit von den Insassinnen und Insassen so­ wie zumindest einem Teil des Personals verwendet wur­ den. Allerdings überrascht die teilweise geringe Anzahl der Teller: 1585 gab es etwa nur 13 hölzerne Exemplare, 1568 jedoch noch 120. Da jedoch Löffel in der Küche bzw. Sutten­küche beispielsweise gar nicht aufscheinen, ist da­ von auszugehen, dass die Inventare – wie in vielen Fällen – nicht vollständig waren.128 Anhand der Rechnungsbücher lässt sich der regelmäßige Ankauf von hölzernen Tellern, Schüsseln und Löffeln in größerer Anzahl nachweisen.129 Denkbar wäre zudem auch, dass die Insassinnen und In­ sassen bzw. das Personal eigenes Essgeschirr und -besteck benutzen bzw. dass sie aus einer gemeinsamen Schüssel und nicht von einzelnen Tellern aßen.130 Tisch- und Handtücher, die sich mit ihnen in Verbindung bringen lassen, scheinen in den Inventaren nicht auf. Einzig im bereits genannten Zimmer des Doktors mit seiner ex­ quisiten Ausstattung sind 1581 neben drei blechernen Schüsseln „härbene“ Hand- und Tischtücher angeführt. In einigen wenigen Räumen, die dem Personal zugeord­ net werden können, gab es Kännlein: im Rossstall für die Wagenknechte und in der Kammer des Übergehers. Im großen Weinzierlhaus waren hölzerne Teller, Schüsseln und Löffel vorhanden, wobei Letztere nur 1550 dezidiert erwähnt sind. In diesem Jahr und auch 1581 scheinen zu­ dem drei bis vier Handtücher auf. Abgesehen von einem bzw. fünf Krügen im Weinzierlhaus (1550, 1568) lassen sich anhand der Inventare in der Küche bzw. Suttenküche und

122 I m Regensburger St. Katharinenspital speisten noch Ende des 16. Jahrhunderts die sogenannten Armen Pfründner, worunter die schlechter gestellten Insassinnen und Insassen zu verstehen sind, gemeinsam mit dem niedrigeren Personal; Kühne 2006, 132, 136f. 123 In den Rechnungsbüchern ist mehrfach ein „Schreibstüblein“ genannt (etwa Rech. 1565, Rubrik „Gemeine Ausgaben“), das jedoch in den Inventaren nicht aufscheint; es könnte damit das Zimmer des Schreibers gemeint sein. Zu den verschiedenen Affordanzen von Tischen sowie zu Schreibstuben vgl. den Beitrag von Ingrid Matschinegg in diesem Band (87 und Anm. 71). 124 Ein möglicher Grund dafür könnte darin liegen, dass diese fix an der Wand befestigt und damit nicht mobil waren; vgl. dazu den Beitrag von Ingrid Matschinegg in diesem Band (82 und Anm. 33). 125 Bronze, Legierung aus Kupfer und Zinn; DWB Bd. 8, Sp. 180f. 126 Dabei handelt es sich um „zimentierte“, d.h. geeichte, Flüssigkeitsmaße; DWB Bd. 31, Sp. 1281. 127 „Härbene“ Textilien bestanden aus feinerem, „rupfene“ aus gröberem Leinen; BWB Bd. 2, Sp. 132; DWB Bd. 10, Sp. 473; DWB Bd. 14, Sp. 1532. 128 Zu Inventaren, die einen Haushalt unter Berücksichtigung verschiedener Faktoren repräsentieren („represent“), jedoch nicht eins zu eins abbilden („present“), Riello 2013. Zur seltenen Erwähnung von Tellern und Schüsseln in Spitalinventaren Scheutz, Weiß 2018, 117–120. 129 Rubrik „Gemeine Ausgaben“. 130 Zu diesen Vermutungen in Bezug auf das Regensburger St. Katharinenspital Kühne 2006, 132–134.

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den Weinzierlhäusern keine mit dem Trinken in Verbin­ dung stehenden Dinge ausmachen. Das billige Material Holz stand  paradigmatisch mit den höherwertigen Materialien, vor allem dem Zinn, in den vornehmeren Räumen des Spitals in Verbindung.131 Anhand der Rechnungsbücher lassen sich dezidierte Ankäufe von Koch- und Essutensilien für bestimmte Personengruppen bzw. Räume nachweisen.132 Häfen und Krüge wurden, obwohl Letztere – wie erwähnt – in den Inventaren kaum auszumachen sind, beispielsweise jähr­ lich „in Haus, Sutte und Weinzierlhaus/-häuser“ gekauft. Dabei erstaunt die Erwerbung von Kochgerätschaften explizit „in die Sutte“ (etwa 1567 ein Fleischkessel), in der nicht gekocht wurde. Diese Dinge dürften mit gro­ ßer Wahrscheinlichkeit nicht in der Sutte, sondern in der Küche oder Suttenküche gelandet sein und dort für die Zubereitung von Speisen für die Sutte Verwendung gefunden haben. Neben Käufen für das „Haus“ kamen auch solche für das „Hausgesinde“, worunter das (gesam­ te?) Personal zu verstehen sein dürfte, vor. Zur Lesezeit scheinen Einkäufe von Essutensilien, vor allem von Löffeln, für die dafür rekrutierten Hilfskräfte auf. Auch die vornehmeren Räume wurden teilweise mit neuen Dingen bestückt, 1569 erfolgte etwa die Erwerbung von zwei Tischtüchern auf der herrn tisch, der wahrscheinlich als einer der sich in diesen Räumlichkeiten befindlichen Tische identifiziert werden kann. Weitere  Cluster lassen sich hinsichtlich der sozialen Gruppen an Essenden und dem, was sie gegessen haben, bilden. Hierzu sind vor allem die Angaben in den Rech­ nungsbüchern heranzuziehen. In diesem Zusammenhang soll wiederum auf jene Lebensmittel eingegangen werden, deren Beschaffung bereits geschildert wurde (Fleisch/ Fisch, Wein, Getreide). Die auf einzelne Personen oder Personengruppen entfallenden Mengen können anhand der vorhandenen Quellen jedoch kaum erschlossen werden. In der Forschung wird vor allem die Quantität und Qualität des Fleischs als Marker für den jeweiligen Er­

nährungsstandard und damit auch die soziale  Positio­ nierung bezeichnet.133 Nach den wöchentlichen Küchen­ aufzeichnungen war das gekaufte Rindfleisch – soweit derartige Angaben vorhanden – in der Regel für „Haus und Sutte“ bestimmt, zu Fasching und Ostern auch für das/die Weinzierlhaus/-häuser.134 Der bereits erwähnte Tisch des Spitalmeisters taucht darin explizit erstmals Ende 1586 und damit im letzten ausgewerteten Jahr in einigen wenigen Fällen auf. Zu den internen Personen kommen, hauptsächlich im Herbst, die bereits erwähnten landwirtschaftlichen Hilfskräfte und Handwerker. In der 14.  Woche nach „Trinitatis“ 1585 (22.–29.9.) war das Fleisch etwa für folgende 44 Personen bestimmt: im hauß und sutn sambt den prössern unnd dennen personen, so faulle weinbör außbrochen und aufkhlaubt haben (Abb. 7). Einzig im Jahr 1560 ist in der Neujahrswoche (31.12–6.1.), in der Faschingswoche und den Wochen davor (21.1.–2.3.) sowie in der Woche „Resurrectionis“ (Osterwoche, 14.–20.4.) der Einkauf von Kalbsfleisch verzeichnet, wobei die größten Mengen in letzterer und der Faschingswoche be­ zogen wurden. Für wen dieses teurere Fleisch (Pfundpreis acht statt sechs Pfennig) bestimmt war, geht leider nicht hervor. Das Fleisch geschlachteter Tiere, sei es von selbst gezüchtetem oder zugekauftem Lebendvieh, lässt sich in den meisten Fällen nicht mit bestimmten Personen in Verbindung bringen.135 Nur zur Lesezeit gibt es hier Ausnahmen: Die beiden 1586 in der 18. und 19.  Woche nach „Trinitatis“ (5.–18.10.) geschlachteten Kühe waren beispielsweise am 5.  Oktober auf dem Markt in Sto­ ckerau dezidiert für die lösser unnd anders gsindt gekauft worden.136 Nur 1565 und 1567 lassen sich für die „armen Leute in der Sutte“ und das „Hausgesinde“ besondere Fleischvaria­ tionen an zwei Festtagen ausmachen: Zu Ostern erhielten sie „Flecken“ (Innereien) 137 und zu „Martini“ (11. Novem­ ber) Gänse.138 Inwieweit und in welcher Form bei den  repräsentativen Mahlzeiten für städtische Funktionäre, Honoratioren, Geistliche, Kaufleute usw. Fleisch gegessen wurde, geht aus den Aufzeichnungen nicht hervor, hier ist

131 Z  ur Verwendung von Materialien unterschiedlicher Wertigkeit im St. Katharinenspital in Zusammenhang mit sozialen Unterschieden Kühne 2006, 130–145. 132 Rubrik „Gemeine Ausgaben“. 133 Kühne 2006, 183–202; Scheutz, Weiß 2018, 131–138. 134 Vgl. zu den nicht immer eindeutigen Angaben Anm. 101. Zum Fleischkonsum in frühneuzeitlichen Spitälern im heutigen Österreich Scheutz, Weiß 2018, 131–138. 135 Vgl. zu den Schlachtungen Anm. 94. 136 Rech. 1586, Rubrik „Gemeine Ausgaben“. 137 BWB Bd. 1, Sp. 786. 138 Rech. 1565 und 1567, Rubrik „Einzige Speisen“.

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Abb. 7: Auszug aus dem Rechnungsbuch des Jahres 1585 mit den wöchentlichen Küchenaufzeichnungen (18. August bis 19. Oktober), aus StaA Klbg, Bücher und Akten, o. Bürgerspital, A 16/3, Rubrik „Fleisch und Fisch in Haus und Sutte“.

in der Regel nur die Art der Mahlzeit („Mahlzeit“, „Früh­ stück“, „Jause“, „Collation“ 139, „Nachtmahl“) genannt.140 Einzig anlässlich der Rechnungslegung erhielt die „ehrsa­ me Gemein“ 141 dezidiert „Flecken“. Das anlässlich dessen auch vorgesehene „Mahl“, das – wie erwähnt – meist von einem externen Koch bzw. einer externen Köchin zube­ reitet wurde, blieb wohl den unmittelbar daran beteiligten Personen vorbehalten. Anhand der Verpflegung mit Fisch treten soziale Ungleichheiten deutlicher zutage.142 Von ganz wenigen Ausnahmen abgesehen, scheint in den wöchentlichen Küchenaufzeichnungen neben Fleisch jede Woche der Erwerb von nicht spezifiziertem Fisch auf; dieser wurde

wahrscheinlich vor allem an den wöchentlichen Fasttagen (Freitag und Samstag) verspeist. Was sich dahinter genau verbirgt und woher dieser Fisch stammt, ist leider nicht zu eruieren. In allen untersuchten Jahren, auch als die so­ genannte Gegenreformation noch nicht eingesetzt hatte, wurde die Fastenzeit vor Ostern eingehalten, weshalb in diesem Zeitraum jeweils die höchsten Ausgaben für Fisch verzeichnet sind. Soweit Angaben vorhanden, scheint es, als ob in den 1550er und 1560er Jahren dieser Fisch, wie das Fleisch, in der Regel auch für „Haus und Sutte“ eingekauft wurde, während in der Folgezeit der Fisch hauptsächlich für das „Haus“ und etwaig anwesende Externe bestimmt war und die Sutte nur mehr fallweise in dessen Genuss

139 E  infache (Abend-)Mahlzeit; BWB Bd. 1, Sp. 1237. 140 Diese sind vor allem in der Rubrik „Gemeine Ausgaben“, in einigen Fällen auch in den wöchentlichen Küchenaufzeichnungen zu finden. 141 Hierunter dürfte die Gesamtheit der Bürger, die nicht im Stadtrat vertreten waren, zu verstehen sein; für diese Bedeutung in Wien im Mittelalter HLW Bd. 2, 489. 142 Zum Fischkonsum in frühneuzeitlichen Spitälern im heutigen Österreich Scheutz, Weiß 2018, 145f.

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kam. Diese Beobachtung korreliert damit, dass zumin­ dest in den 1580er Jahren die unter der Rubrik „Einzige Speisen“ verbuchten Ausgaben für getrocknete Meeres­ fische (Stockfisch, „Platteis“ 143 und Hering) um einiges höher waren als zuvor. Der vermutlich höherwertige (weil frische?) Fisch aus den wöchentlichen Aufzeichnungen dürfte für die Sutte überwiegend damit ersetzt worden sein, wodurch eine  paradigmatische Verbindung sicht­ bar wird. Dass es lebende Fische im Spital gab, zeigt etwa der Kauf von „Fischkaltern“ 144 aus Holz für den Brun­ nen im Hof im Jahr 1569.145 In den 1580er Jahren konnten diese wahrscheinlich auch im „Fischgrand“ 146 im „Brunn­ keller“, der in den Inventaren genannt wird, bis zu ihrer Weiterverwertung untergebracht werden. Anlässlich ihrer Kommunion, die in der Fastenzeit (Woche „Judica“, 1585 und 1586 Palmwoche) und 1585 und 1586 auch zu Neujahr stattfand, erhielten die Insassinnen und Insassen teilweise explizit Fisch.147 Zu Weihnachten ist dies nur für das Jahr 1579 in den Küchenaufzeich­ nungen angeführt. Dezidiert als Speise bei  repräsen­ tativen Mahlzeiten mit Beteiligung Externer scheint Fisch mehrmals und nicht nur in der Fastenzeit auf. In der „Auffahrtswoche“ (11.–17.  Mai) im Jahr 1572, alls die herrn aus dem closter kirchfertn ganngen, erhielten etwa drei Priester und zwei Schreiber Fisch.148 In Bezug auf das Getreide und davon hergestellte Ge­ treideprodukte können kaum Verlinkungen zu Essenden hergestellt werden. Es gab nachweislich unterschiedliche durch Abgaben oder Kauf bezogene Getreide- (Weizen, Halbgetreide, Roggen, Hirse, „kleine“ und „große“ Gerste, Reis) und Mehlsorten (Mehl, Semmelmehl). Dazu kam noch (Weizen-)Grieß.149 Das alltägliche Brot zumindest der Insassinnen/Insassen und des niedrigeren Personals wird mit großer Wahrscheinlichkeit aus Roggen oder Halbgetreide hergestellt worden sein.150 Neben Fisch sind Semmeln für die Insassinnen und Insassen

zum Teil explizit in Zusammenhang mit der Kommunion erwähnt.151 Zumindest zu Ostern 1565 und 1567 erhielten diese und das „Hausgesinde“ neben „Flecken“ auch Kip­ fel.152 Zu Allerheiligen bekamen diese beiden Personen­ gruppen meist dezidiert Striezel.153 Als ergiebiger hinsichtlich der Links erweist sich der Wein. Jener, der im Spital selbst verbraucht wurde, lässt sich über den „ausgespeisten und eingefüllten Wein“ 154 in der Weinaufstellung am Beginn eines jeden Rechnungs­ buchs fassen.155 Erst ab den 1570er Jahren finden sich hier Angaben darüber, für wen die verschiedenen in einem Jahr angezapften Eimer Wein bestimmt waren; konse­ quent durchgezogen wurde dies jedoch erst in den 1580er Jahren. Zunächst ist nur teilweise bei verschiedenen Ei­ mern die Angabe vorhanden, dass diese den „Armen (in der Sutte)“ gegeben wurden. 1578 wird zum ersten Mal, jedoch nur in einem Fall, der Spitalmeister genannt. Ab 1583 ist in diesem Zusammenhang dezidiert vom Tisch des Spitalmeisters die Rede. Das „Hausgesinde“ wird nur in ganz wenigen Fällen angeführt und verbirgt sich vermutlich – soweit nicht zumindest zum Teil am Tisch des Spitalmeisters versorgt  – unter den „Armen“. Die Weinzierlhäuser kommen kein einziges Mal vor. Werden etwaige mitverpflegte Externe außer Acht gelassen, kön­ nen für die 1580er und mit Vorsicht auch für die 1570er Jahre die Mengen an Wein pro Jahr berechnet werden, die den Insassinnen/Insassen und dem Spitalmeister bzw. dessen Tisch zugewiesen werden können. Dabei entfielen mit einer einzigen Ausnahme zwischen 65 (1572, 1583) und 80 % (1578) der im Spital verbrauchten Jahresmenge auf Erstere. Nur das Jahr 1580 fällt aus dem Rahmen, da in diesem Jahr erstaunlicherweise ca. 55 % dem Spitalmeister zugerechnet werden können. Generell kann festgehalten werden, dass gekaufter Wein beinahe ausschließlich in Zusammenhang mit den „Armen“ genannt wird. Somit kann der im Vergleich zum

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 lattfisch, Scholle; DWB Bd. 13, Sp. 190. P „Kalter“ = Behältnis; BWB Bd. 1, Sp. 1101f., 1242. Rech. 1569, Rubrik „Gemeine Ausgaben“. „Grand“ = Behältnis für Flüssigkeiten; BWB Bd. 1, Sp. 1003. Ersichtlich aus den Rubriken „Fleisch und Fisch in Haus und Sutte“, „Gemeine Ausgaben“ und „Einzige Speisen“. Rech. 1572, Rubrik „Fleisch und Fisch in Haus und Sutte“. Die Getreide- und Mehlsorten sind in den Rubriken „Getreide, davon zu mahlen und erkauftes Mehl“ und „Einzige Speisen“ zu finden. Zum Brotkonsum in frühneuzeitlichen Spitälern im heutigen Österreich Scheutz, Weiß 2018, 160–166. Vgl. dazu Anm. 147. Vgl. dazu Anm. 137. Rubriken „Gemeine Ausgaben“ und „Einzige Speisen“. Beim „eingefüllten Wein“ handelt es sich entweder um jenen Wein, der zum Ausgleich des natürlichen Abgangs (Verdunstung) in die Weinfässer nachgefüllt wurde (DWB Bd. 4, Sp. 524), oder um jenen, der zur Essigherstellung Verwendung fand. 155 Vgl. zu diesen Weinaufstellungen Anm. 88. Zum Weinkonsum in frühneuzeitlichen Spitälern im heutigen Österreich Scheutz, Weiß 2018, 166–171.

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verkauften billig zugekaufte Wein eindeutig mit den In­ sassinnen und Insassen in Verbindung gebracht werden. Im Jahr 1586 bekamen diese sogar mit einer Ausnahme nur gekauften Wein vorgesetzt. Gleichzeitig war für die „Armen“ eher der ältere Wein, der weniger wert war, be­ stimmt:156 Am augenscheinlichsten wird dies im Jahr 1585, als die Insassinnen und Insassen eigenen Wein nur aus dem Jahr 1583 und der Tisch des Spitalmeisters fast aus­ schließlich aus dem Jahr 1584 bekamen. Der zugekaufte Wein wiederum stammte hauptsächlich aus den Jahren 1582 und 1583. Externe Personen scheinen erst ab den 1580er Jah­ ren explizit auf. Landwirtschaftliche Hilfskräfte und Handwerker bekamen dabei in der Regel den auch für die Insassinnen und Insassen bestimmten Wein. Abge­ sehen von 1586 genanntem geistlichem Personal (Priester, Kantor, Schulmeister, „Choralisten“), das auch in den wöchentlichen Küchenaufzeichnungen in diesem Jahr in der Fastenzeit zum ersten Mal aufscheint, kommen keine weiteren Personen vor.157 Besondere Anlässe sind nur im Jahr 1572 (zw ansteeung meines spitllmaisterambts) und 1583 (zuer überlegung unnd raittung) erwähnt. Nach diesem Überblick über die ausgehend von den Food Links sichtbar werdenden sozialen Ungleichhei­ ten ist noch nach dem Food that Links und damit nach Unterschiedlichkeiten innerhalb einer sozialen Gruppe sowie nach Gemeinsamkeiten über soziale Gruppen hin­ weg zu fragen. Die Insassinnen und Insassen werden in Bezug auf die Ernährung nur im Gesamten fassbar, eine spezielle Verpflegung von bestimmten Insassengruppen (etwa Kindern oder Schwangeren und Wöchnerinnen) oder räumlich differenzierte Verzehrsituationen lassen sich nicht finden. Auch jene Insassinnen und Insassen, die über eine separate Unterkunft im Spital verfügt haben dürften, sind nicht eigens in den Quellen auszumachen; anders als bei der Unterbringung dürfte bei ihnen wahr­ scheinlich in Bezug auf die Ernährung kein Unterschied

gemacht worden sein.158 Es kann jedoch nicht ausge­ schlossen werden, dass diese nicht mit den übrigen In­ sassinnen und Insassen, sondern etwa mit dem Personal bzw. zumindest einem Teil davon oder gar am Tisch des Spitalmeisters speisten, wodurch auch über die Art der Ernährung und den Ort der Nahrungsaufnahme eine bessere soziale  Positionierung zum Ausdruck käme. In einem einzigen Fall im Jahr 1572 ist eine Form der Sonderkost für einen „schwachen“, allerdings vermutlich sozial besser gestellten Insassen dokumentiert: Item alls der Nepplhueber schwach gelegen unnd die gemain speiß wie annder arm leuth nit mer genießen mögen, wurden für ihn aus bevelch der herrn umb allerlay speiß die hohe Summe von über neun Pfund ausgegeben.159 Am schwierigsten als Gruppe in Bezug auf die Ernäh­ rung greifbar ist das Personal, bei dem unklar bleibt, ob es die Mahlzeiten gemeinsam zu sich nahm oder, wenn nicht, wer in wessen Gesellschaft und an welchem Ort speiste. Verbindungen zwischen dem höheren Personal und dem Spitalmeister sowie zwischen dem niedrigeren Personal und den Insassinnen/Insassen sind durchaus denkbar. Über die in den Küchenaufzeichnungen aufscheinende Bezeichnung „Haus“ scheint das Personal hinsichtlich der Ernährung eher mit der Spitalleitung verlinkt, über die besonderen Mahlzeiten an Feiertagen, wie die Striezel zu Allerheiligen, und wahrscheinlich auch den Wein lässt sich wiederum eine Verbindung zu den Insassinnen und Insassen herstellen. Auch in Zusammenhang mit den landwirtschaftlichen Hilfskräften und den Handwerkern sind die Verbindungen teils widersprüchlich. Andere soziale Zugehörigkeitsmerkmale, wie etwa Geschlecht oder Alter, haben in den Gruppen bzw. über diese hinweg keine fassbare Rolle gespielt. Wider Erwarten lassen sich in den Quellen ausgehend von der Krisenzeit um 1570 zwar deutliche Veränderun­ gen bei den Food Links hinsichtlich der Nahrungsbe­ schaffung für das Spital ausmachen, in Bezug auf die

156 B  is in das 17. Jahrhundert dürfte der Wein des Vorjahrs nach der neuen Ernte stark an Wert verloren haben. Erst danach wurde es ausgehend von verbesserten Lagerungstechniken üblich, den alten Wein teurer als den „heurigen“ zu verkaufen; Sandgruber 1996, 3f. Für den Hinweis auf die Lagerung danke ich Erich Landsteiner. 157 In den Jahren 1578 und 1580 ist noch eine kleine Menge an „verehrtem“ sowie an Kaufleute im Zug des Weinkaufs kostenlos abgegebenem Wein verzeichnet. 1586 erhielten die Viehdirne des Spitals sowie ein vermutlich für dieses tätiger Weinzierl anlässlich ihrer jeweiligen Hochzeit Wein. 158 Auch in einer Quelle aus dem beginnenden 17. Jahrhundert, die über die separate Unterbringung von einigen für ihre Aufnahme zahlenden Insassinnen und Insassen Auskunft gibt, lassen sich hinsichtlich der Ernährung keine Sonderbestimmungen finden; vgl. dazu Anm. 64. Im Stiftspital gab es Ende des 16. Jahrhunderts hingegen unterschiedliche Verpflegungsklassen bei den Insassinnen und Insassen; Holubar 1992a, 138f.; Holubar 1994, 76f. 159 Dass es sich bei ihm um einen besser gestellten Insassen gehandelt haben dürfte, zeigt der unübliche Aufwand für sein noch im selben Jahr erfolgtes Begräbnis; Rech. 1572, Rubrik „Einzige Speisen“. Zur Umsetzung der zeitgenössischen diätetischen Grundsätze hinsichtlich der Ernährung von Kranken in frühneuzeitlichen Spitälern unlängst Vanja 2018, 37–41.

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Food Links der Nahrungsversorgung im Spital selbst sind jedoch kaum Auswirkungen zu entdecken. In die­ sem Zusammenhang kann eigentlich nur der verstärkte Zukauf von billigem, älteren Wein, der vornehmlich für die Insassinnen und Insassen bestimmt war, genannt wer­ den. Daneben könnte noch die wahrscheinlich gemach­ te Ablöse von höherwertigem Fisch durch getrocknete Meeresfische für die Sutte in diese Richtung interpretiert werden. In anderen Bereichen lassen sich lediglich Ver­ mutungen anstellen: Es ist wahrscheinlich, dass etwa die 1569 gekaufte Gerste vorrangig für die Insassinnen und Insassen bestimmt war und dass diese beispielsweise die Reduzierung der Fleischmenge stärker zu spüren bekamen als andere Gruppen der Spitalgesellschaft. Resümee Das Zusammenleben von Menschen in einem Haus bzw. Haushalt bildet jeweils eigene  Objektgesellschaften aus. Durch die alltäglichen  Praktiken der  Objekt­ vergesellschaftung entstehen dabei spezifische Links zwischen Objekten und Personen, durch die auf soziale Ungleichheiten, die auf unterschiedlichen Zugehörigkei­ ten beruhen, geschlossen werden kann. Gerade die The­ matik Ernährung scheint für eine Untersuchung von über materielle Links greifbaren sozialen  Positionierungen besonders geeignet. Als Marker für soziale Ungleichheiten lassen sich materielle Unterschiedlichkeiten dann retrospektiv aus der Perspektive der Forschenden interpretieren, wenn in den Quellen selbst unterschiedliche Wertigkeiten und Zuschreibungen sichtbar werden oder wenn diese aus an­ deren Forschungen bekannt sind und daher vorausgesetzt werden können. Wie die betroffenen Menschen selbst diese materiellen Differenzierungen empfanden und wie wirkmächtig sie für sie waren, kann aus den vorhandenen Quellen nicht herausgelesen werden. Auch die dahinter

liegenden Aushandlungs- und Aneignungsprozesse blei­ ben unsichtbar. Auch wenn anhand der Quellen nicht alle Fragen be­ antwortet werden können und manche Antworten nicht eindeutig ausfallen, lässt die mikrohistorische Untersu­ chung der Food Links die über materielle Unterschied­ lichkeiten greifbar werdenden sozialen Ungleichheiten innerhalb der Spitalgesellschaft des Klosterneuburger Bürgerspitals deutlich vor Augen treten. In Bezug auf die verschiedenen sozialen Gruppen an Essenden, die jedoch nicht immer eindeutig zu fassen sind, können Ungleich­ heiten vor allem hinsichtlich der Orte der Nahrungsauf­ nahme, der Ess- und Trinkutensilien sowie der Nahrung selbst festgestellt werden, die jeweils deren  Positionie­ rung innerhalb der Spitalhierarchie widerspiegeln. Das Food that Links ist hingegen ausgehend von den diesbe­ züglich vage bleibenden Quellen nur auf der Ebene von Vermutungen zu erschließen. Um sich mit den Lebenswelten von Menschen zu be­ schäftigen bringen praxeologische Zugänge zwar wichtige Impulse für die gemeinsame Untersuchung des Materiellen und des Sozialen, hinsichtlich einer Analyse der Ausgestal­ tung der zwischen diesen beiden Ebenen bestehenden Ver­ bindungen machen sie jedoch kein Angebot. Hier liefert die Forschungsperspektive „Object Links – Objects Link“ einerseits einen Fokus auf die Beschaffenheit der Links zwischen Objekten und Objekten bzw. Personen und an­ dererseits auch die nötige Terminologie, um diese in sys­ tematischer Weise beschreiben zu können. Für eine Un­ tersuchung der sozialen Ungleichheiten, die oft nur über materielle Unterschiedlichkeiten sichtbar werden, bieten die Object Links daher eine gewinnbringende Grundla­ ge. Natürlich könnte die Fragestellung auch unabhängig von dieser Forschungsperspektive untersucht werden, der Mehrwert der Object Links liegt jedoch in einer konse­ quent durchgeführten verlinkten Analyse von Objekten und Personen sowie einer reflektierten Beschreibung der Links unter Verwendung eines spezifischen Vokabulars.

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Abbildungsnachweis Abb. 1: © Österreichischer Städteatlas 4/1, 1991, Mappe Klosterneuburg. Abb. 2: © Digitalisat: Klosterneuburg, Stiftsarchiv. Abb. 3, 4: Quelle: StaA Klbg, Bücher und Akten, o. Bürger­ spital, A 16/2 (Rech. 1557, 1567 und 1572) und 3 (Rech. 1580 und 1585). Abb. 5: Quelle: StaA Klbg, Bücher und Akten, o. Bürger­spital, A 16/2 (Rech. 1565, 1567 und 1572) und 3 (1580, 1583, 1585 und 1586), jeweils Rubrik „Fleisch und Fisch in Haus und Sutte“. Abb. 6, 7: © Foto: Sarah Pichlkastner.

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Sarah Pichlkastner

Gabriele Schichta

„Habt mir auff daz pild, daz ist mir worden wild!“ Verlebendigte Objekte und verdinglichte Figuren in den Mären Der Herrgottschnitzer und Der Bildschnitzer von Würzburg Abstract This paper analyses the object links of two short comic tales in Middle High German, Der Herrgottschnitzer (dating from the late 13th century) and Der Bildschnitzer von Würzburg (mid-15th century). Both narratives are featuring a clergyman who would like to commit adultery with a woodcarver’s wife but is framed by the couple in return: When the carver’s wife invites the cleric to their house, her husband ‘surprisingly’ returns home and the cleric is hidden among some wooden sculptures in the carver’s workshop. Thus a living human being is feigned­ ly transformed into an artefact, with all the (comic) consequences entailed by this metamorphosis, including Texte und Objekte, Texte als Objekte, Objekte in Texten Der Herrgottschnitzer und der Bildschnitzer von Würz­ burg sind zwei mittelhochdeutsche Kurzerzählungen, die durch Textsorte, Stoff und Motivik wie auch durch ihre sehr ähnliche Handlung miteinander verbunden sind. Beide Texte generieren ihren Plot auf Basis der schema­ üblichen Figurenkonstellation aus einem Ehepaar und einem Vertreter des Klerus mit ehebrecherischen Absich­ ten. Einzigartig sind die beiden Texte allerdings in Hin­ blick auf die Art, wie die aus dieser  Konstellation ent­ stehende listige Betrugshandlung inszeniert wird, denn das Ehepaar verbündet sich gegen den Freier, um diesen zu demütigen und finanziell zu schädigen, indem es ihn kurzerhand zum (Pseudo-)Artefakt macht: Eine in der Erzählung agierende Figur aus Fleisch und Blut wird so zu einem (vermeintlichen) Kunstwerk aus Holz. Diese ra­ dikale Statusänderung geschieht – so die These – zunächst

near-castration. When the clergyman is turned into a ma­ terial object, this new object is connected to various other objects inside and outside the narrative. Taking a close look at these connections promotes our understanding of how a contemporary audience might have received the texts. In addition, a raised awareness of the links between fictional and non-fictional objects and individuals in var­ ious configurations helps to reveal a high degree of auto­ referentiality in the two narratives: By zooming in onto practices of arts and crafts, by dwelling on the ontological difference between animate beings and artefacts and by playfully replacing one by the other, the texts allude to their own status as artefacts and works of art.

durch ein In-Beziehung-Setzen der Figur mit ande­ ren Objekten und Artefakten1 und entfaltet ihr volles Wirkungspotenzial auf der Erzählebene wie auch in rezeptionsästhetischer Hinsicht durch die vielschichtigen Verbindungen zwischen dem ‚neuen‘ Ding und anderen Dingen innerhalb und außerhalb der Erzählung. An die­ sem Beispiel soll exemplarisch ein In-den-Blick-Nehmen von sinnstiftenden Verknüpfungen, wie dies am Institut für Realienkunde des Mittelalters und der Frühen Neu­ zeit als Forschungsperspektive unter dem Titel ‚Object Links‘ praktiziert wird, vorgeführt und der Gewinn für eine Textanalyse demonstriert werden. Der besondere Mehrwert einer solchen, unter den Vorzeichen des New Materialism stehenden Herangehensweise liegt dabei in der methodisch kontrollierten Annäherung an die Para­ meter historischer Textrezeption, denn die materiellen Objekte in Erzählungen stehen in Beziehung zu anderen Objekten und haben gemeinsam Teil an jenen sinnstiften­ den Kontexten, die das Verständnis literarischer Werke zu

1 I ch verwende den Begriff ‚Artefakt‘ in meinem Argumentationszusammenhang spezifizierend für das von jemandem hergestellte materielle Objekt; Artefakte umfassen demnach auch – aber nicht nur – Kunstwerke und handwerklich gefertigte Gegenstände. Der Fokus liegt auf der Eigenschaft des Gemacht-Seins; ich orientiere mich hierbei an dem Artefaktbegriff der Archäologie; vgl. dazu z.B. Knappett 2008, sowie Knappett 2010, 81: „‚artefact‘ (implying human intervention) or object (implying a perceiving subject)“.

 Die mit einem blauen Pfeil markierten Begriffe sind im Beitrag „Begriffsforum“ in diesem Band vertreten, samt einer im Rahmen der Object Links entwickelten Diskussion und Verweisen, wo der jeweilige Begriff im Buch noch verwendet wird.

Verlebendigte Objekte

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einer bestimmten Zeit beeinflussen, indem sie bei deren Rezeption bestimmte Assoziationen ermöglichen, wäh­ rend sie andere unwahrscheinlich machen. So können – freilich stets im Bewusstsein der eigenen wissenschaftlich informierten und distanzierten Perspektive – historische Verständnishorizonte vorsichtig umrissen und dadurch bisherige Hypothesen zu bestimmten Texten, wo nötig, relativiert oder angepasst werden. Um über Object Links, also über Verbindungen zwi­ schen Objekten und Personen bzw. zwischen Objekten untereinander sprechen zu können, ist zunächst eine Festlegung dessen vonnöten, was denn als Objekt defi­ niert wird. In der vorliegenden Untersuchung wird der Begriff ‚Objekt‘ sehr umfassend gebraucht;2 er steht so­ wohl für reale – also physisch (und potenziell auch hap­ tisch) fassbare – materielle Objekte und deren Bestand­ teile als auch für fiktionale und medial überlieferte – also sprachlich oder bildlich dargestellte und verhandelte – materielle Objekte. Ich verstehe Texte in ihrer mate­ riellen Form (als Handschriften, aber auch ganz generell als real existierende, d.h. sinnlich fassbare Kunstwerke) ebenso als Objekte wie jene materiellen Gegenstände, die in diesen Texten vorkommen. Darüber hinaus kann ein Text abseits von seinem Status als physisch existentes Objekt (als Geschriebenes auf Pergament oder Papier, als Teil eines Codex etc.) objekthafte Züge tragen, die mit seinem Status als Kunstwerk zu tun haben. Selbst wenn ein Text nicht geschrieben ist – also nicht haptisch und visuell fassbar vorliegt –, kann er dennoch in sehr konkreter und mehr oder weniger fester Form existieren und einen konkreten Urheber haben (sei dieser bekannt oder anonym), weitergegeben, memoriert, gehört werden, und auch Reaktionen bewirken.3 Und: Als Fiktion, als

‚Geformtes‘ also4, kann ein Text auf der metaphorischen Ebene auf sich selbst zurückverweisen, sich so selbst als (virtuelles) Objekt stilisieren und in eine Reihe mit ande­ ren gemachten Objekten – beziehungsweise Artefakten – stellen.5 Diese spielerische Gleichsetzung von literari­ schem Text und Objekt (respektive Artefakt) durch die Erzählung selbst kann auf der Metaebene für verschiede­ ne in den Texten mitverhandelte Themen- und Problem­ stellungen produktiv gemacht werden und zusätzliche Sinnebenen erschließen. In und durch Erzählungen ge­ nerierte Object Links können die Grenzen zwischen den verschiedenen, oben skizzierten (medialen) Ebenen von Objekthaftigkeit überschreiten und tun dies auch, wie zu zeigen sein wird. Texte sind nicht isoliert zu sehen: Sie stehen mit ande­ ren, gleichzeitig existierenden Texten in enger oder loser Verbindung. Die Elemente, die sie beinhalten – Figuren, Objekte, Handlungen, Ereignisse und raumzeitliche settings in ihren jeweiligen  Konstellationen – stehen wiederum in Beziehung zu entsprechenden Elementen außerhalb der erzählten Welt. Diese Beziehungen nach­ zuzeichnen und zu konkretisieren ist ein schwieriges Unterfangen, da sie sich stets über wahrnehmende, rezi­ pierende historische Subjekte realisieren, deren Wissens­ horizonte und interpretierende Aktivitäten schwer zu rekonstruieren sind. Die Gefahr, einzelne Elemente in Erzählungen überzubewerten, zu vernachlässigen, oder sie vor dem Hintergrund heutiger mentaler Verfasstheiten zu bewerten, ist daher stets gegeben. Die Berücksichti­ gung von Object Links – die verstärkte Beachtung der Verbindungen von Texten mit anderen Texten,6 aber auch möglicher Beziehungen zwischen Elementen innerhalb und außerhalb der Erzählung sowie ein Fokus auf der

2 E  benso wird hier auf eine Differenzierung zwischen Objekt und Ding weitgehend verzichtet und stattdessen davon ausgegangen, dass es sich bei den hier betrachteten und untersuchten Dingen durchwegs um Objekte handelt – allein schon aufgrund der Tatsache, dass sie in den Fokus des Interesses rücken: „Things are ambiguous and undefined; when you say ‚pass me that green thing over there‘, the thing is unintelligible in some way. Objects, on the other hand, are named, understood and transparent. Objects might be pulled out of the miasma of thingness (through naming, for example). It is important to note that objecthood and thingness are relational registers, in that the status of the material entity is partly contingent upon the perceiver: a thing to one onlooker might be an object to another.“ (Knappett 2010, 82). Im Weiteren liegt der Forschungsperspektive Object Links die Annahme zugrunde, dass Dinge, sobald sie in Beziehung gesetzt werden, potenziell zu Objekten werden. 3 Ein gutes Beispiel hierfür sind Texte als Geschenke; ein geschenktes Liebesgedicht, selbst wenn es nicht in geschriebener Form vorliegt sondern z.B. nur der/dem Geliebten mündlich vorgetragen wird, ist um Vieles objekthafter als eine frei formulierte Liebeserklärung. Dies hat wesentlich zu tun mit dem performativen Status kunstvoll ‚gemachter‘ Rede, die potenziell anders wahrgenommen wird als Alltagsrede. 4 Lat. Fingere = ‚bilden, formen; sich vorstellen, erdichten‘; ursprünglich möglicherweise ‚Lehm, Ton formen‘ (vgl. Lemma „fingieren“ auf Duden online, https://www.duden.de/node/759235/revisions/1710380/view [letzter Zugriff im Juni 2019]). 5 Vgl. dazu etwa Vollmann 2016 (bes. 457f.), der dies an der Krone Heinrichs von dem Türlin zeigt. 6 Realisiert beispielsweise über räumliche Nähe, wie etwa innerhalb des Textensembles eines konkreten Überlieferungsträgers (vgl. Kapitel „Untersuchungsgegenstände: Die Texte und ihre materielle Überlieferung“ in diesem Beitrag) oder in einer bestimmten Entstehungs­ region, oder aber als inhaltlich-thematische Nähe über Stoffe, Motive, Erzählschemata usw.

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Frage, welche Arten von Links überhaupt erzählt wer­ den – kann möglicherweise dabei helfen, mittelalterliche Erzählungen angemessen(er) zu betrachten und besser zu verstehen. Untersuchungsgegenstände: Die Texte und ihre materielle Überlieferung Der Herrgottschnitzer, dessen Entstehung in der zweiten Hälfte des 13.  Jahrhunderts angenommen wird,7 ist der ältere der beiden Texte. Bereits aus der ersten Hälfte des 13.  Jahrhunderts stammen zwei altfranzösische Fabli­ aux, Le Prestre crucefié und Le Prestre teint, die mit dem Herrgottschnitzer über Thematik und zentrale Motive in engem Zusammenhang stehen, diesem aber nicht als direkte Vorlage gedient haben dürften.8 Der kluge Herr­ gottschnitzer und seine schöne tugendhafte Frau leben in einer Stadt am Rhein. Ein entlaufener Mönch, der sich in dieser Stadt als Pfarrer niedergelassen hat, stellt der Frau des Herrgottschnitzers nach und versucht vergeb­ lich, sie durch das In-Aussicht-Stellen materieller Gaben zum Ehebruch zu verführen. Das Ehepaar beschließt, den Geistlichen um sein Geld zu betrügen: Die Ehe­ frau gibt vor, ihn zu erhören und lässt den Geistlichen zu sich nach Hause kommen, wo sie ihm zunächst sein Geld abnimmt. Als daraufhin plötzlich der Ehemann – vermeintlich zufällig und unerwartet – nach Hause kommt, stellt die Frau den Mönch nackt an eines der in der Werkstatt herumstehenden Kreuze und malt ihm mit roter Farbe ‚Wundmale‘ auf ([si] hete sinen lip geroet / als in die juden heten getoet, V. 123 f.9), vorgeblich um ihn zu tarnen und vor dem Ehemann zu verbergen. Dies wird dem Mönch jedoch insofern zum Verhängnis, als der Ehemann bei genauerer Betrachtung des ‚Gekreuzigten‘

feststellt, dass dessen Leibesmitte schlecht ausgeführt wurde und messerwetzend ankündigt, hier gleich nach­ bessern zu wollen. Der nackte Mönch flieht angesichts der drohenden Kastration in Panik auf die Straße, wo­ hin ihm der Herrgottschnitzer laut schreiend folgt und dabei die Umstehenden auffordert, doch seine entlaufene Statue aufzuhalten.10 Der derart öffentlich bloßgestellte Geistliche muss in der Folge die Stadt verlassen. Der Text ist in drei Handschriften überliefert; die ältes­ te, der Heidelberger Cod. Pal. Germ. 341, stammt aus dem ersten Viertel des 14.  Jahrhunderts, die beiden anderen aus dem 15.  Jahrhundert. In der Forschung wurde stets auf die extrem schlechte Überlieferungssituation hinge­ wiesen und bei der Edition versucht, eine Text­fassung aus allen drei Überlieferungsträgern herzustellen,11 obwohl die jüngste Handschrift, der um 1475 verfasste Cod. Oct. 145 der Herzogin Anna Amalia-Bibliothek Weimar, den vollständigen Text in gut lesbarer Form beinhal­ tet 12 (Abb.  1). Die Weimarer Fassung wurde jedoch als verkürzte, paraphrasierende13 „Niederschrift nach dem Gedächtnis“ 14 abqualifiziert, während man der Heidel­ berger Handschrift als ältester Textzeugin den Vorzug gab, auch wenn sie den Text als praktisch unleserliches Fragment präsentiert (Abb. 2): Der Beginn des Textes auf fol. 92v wurde mit dem Ende der Kurzerzählung Mönch Felix überschrieben, das Blatt zwischen 92 und 93, das den Großteil des Textes enthalten hätte, wurde heraus­ geschnitten, und auf Blatt 93 wurde ebenfalls fast alles ausradiert, bevor als nächster Text die Frauenlist folgt. Auch aus der Karlsruher Handschrift wurde ein Blatt entfernt, sodass der dort enthaltene Text bei Vers 108 endet, just als die Frau den Priester in einen Raum bringt, der voller Skulpturen ist und in dem ein vorgeblich für die Ehebruchshandlung vorgesehenes Bett steht.

7 Vgl. Schirmer 1983, Sp. 1147; „wahrscheinlich noch aus dem 13. Jahrhundert“, vermutet auch Del Duca 2013, 132. 8 Del Duca 2013, 133. 9 Dieses und alle weiteren Textzitate stammen, sofern nicht anders angegeben, aus dem NGA 1967, Nr. 33 ‚Der Herrgottschnitzer‘, 229–233. 10 Vgl. das Textzitat im Titel dieses Beitrags, welches der Weimarer Handschrift des Herrgottschnitzers (HAAB Weimar Cod. Oct. 145, fol. 35v–40v) entnommen ist (fol. 39v, V. 12f.). 11 So auch bei Heinrich Niewöhner, dessen Edition 1967 im „Neuen Gesamtabenteuer“ von Werner Simon u.a. wieder abgedruckt wurde und dessen Textfassung mangels einer neueren Ausgabe auch hier im Folgenden zitiert wird. Bereits Frosch-Freiburg 1971, 107 sieht die gezwungene Konstruktion eines Textes, der so wahrscheinlich nie existiert hat, kritisch und fordert eine synoptische Ausgabe oder zumindest den kompletten Abdruck der Weimarer Fassung. 12 Die Handschrift ist online in den digitalen Sammlungen der HAAB Weimar einsehbar und beginnt mit der roten Überschrift ain spruch von dem maller, https://haab-digital.klassik-stiftung.de/viewer/resolver?urn=urn:nbn:de:gbv:32-1-10003904367 [letzter Zugriff im Juni 2019]. 13 Grubmüller 2011, 1322. 14 Schirmer 1983, Sp. 1147.

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Abb. 1: Beginn des Herrgottschnitzers mit Rubrik ain spruch von dem maller, Weimar, Herzogin Anna Amalia Bibliothek, Cod. Oct. 145, fol. 35v.

Abb. 2: Heidelberg, Universitätsbibliothek, Cod. pal. germ. 341, fol. 93r. Zu sehen ist jener Teil des Textes, der radiert wurde, bis der folgende Text mit der Rubrik ditz buchel heizet frowen list beginnt. Links sind die Reste des herausgeschnittenen Folio 92 zu erkennen, welches Beginn und Hauptteil des Textes enthalten hätte.

Es erscheint verlockend, die schlechte Überlieferungs­ lage auf den durchaus heiklen Inhalt des Märes zurück­ zubeziehen,15 denn es mag aus heutiger Sicht in der Tat befremdlich wirken, wenn ein ehebrecherischer Geistli­ cher die Stelle Christi am Kreuz einnimmt, und man ist möglicherweise geneigt, dem mittelalterlichen Publikum ein umso größeres Befremden und fromme Empörung zu unterstellen. Mangels anderer deutschsprachiger Texte, die einen Kruzifixus ähnlich inszenierten, können aber keine Vergleiche hinsichtlich der Überlieferung ange­ stellt werden (die französischen Fabliaux, die den Stoff wesentlich drastischer erzählen, sind vergleichsweise gut und vollständig überliefert). Allerdings kann ein Blick auf

die Handschrift und das darin enthaltene Textensemble durchaus aufschlussreich sein: Im cpg  341 wurde nicht nur beim Herrgottschnitzer, sondern gleich an mehreren Stellen radiert,16 wodurch der Eindruck entsteht, dass es eine gewisse Zeit nach seiner ursprünglichen Kompilati­ on das Bestreben gab, Umordnungen vorzunehmen. Bei dem Text, der ursprünglich vor dem Herrgottschnitzer stand, handelt es sich um die Ritterfahrt des Johann von Michelsberg, eine (völlig unanstößige) Kurzerzählung Heinrichs von Freiberg. Der böhmische Adelige Jo­ hann  I. von Michelsberg agierte als Gönner des Dich­ ters Heinrich von Freiberg; die Grafen von Michelsberg bzw. möglicherweise sogar Johann selbst kommen als

15 „  Es war möglicherweise die blasphemische Anstößigkeit der […] Geschichte […], die zu ihrer verstümmelten Überlieferung geführt hat“, Grubmüller 2011, 1322; „Zweifelsohne wird das mittelalterliche Publikum, und in erster Linie die Kopisten und Kleriker, die mit der Handschrift umgingen, Anstoß am Inhalt des Märes und an gewissen Szenen genommen haben“, Del Duca 2013, 132. 16 Vgl. die Auflistung der einzelnen Texte im Handschriftencensus (http://www.handschriftencensus.de/4214) sowie den digitalisierten Codex (https://digi.ub.uni-heidelberg.de/diglit/cpg341) [letzte Zugriffe im Juni 2019].

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Auftraggeber der Handschrift in Frage.17 Die Ritter­ fahrt wurde auf fol. 90v–92v radiert und ganz hinten auf fol. 373r–374v wieder eingefügt. Vorne wurde stattdessen die Kurzerzählung Mönch Felix eingefügt, die aber offen­ bar etwas mehr Platz beanspruchte. Denkbar wäre also, dass entweder aus Unachtsamkeit oder aber durch eine Fehleinschätzung des voraussichtlich für Mönch Felix benötigten Platzes ein großer Teil des Herrgottschnitzers gleich mitsamt dem Johann von Michelsberg getilgt wurde und man dann das davon übrig gebliebene Blatt ebenfalls entfernte. Diese Überlegungen sind notwendigerweise spekulativ und bedürften zu ihrer Untermauerung einer eingehenden Untersuchung des Codex  341 und seiner Genese, die im Rahmen dieser Arbeit aber nicht geleis­ tet werden kann.18 Festgehalten werden soll in diesem Zusammenhang jedoch, dass erstens für die Beurteilung der Überlieferung eines einzelnen Textes der Blick auf das gesamte  Ensemble der in der Handschrift ent­ haltenen Texte vonnöten ist und dass eine Handschrift als materielles Produkt zu verstehen ist, das durch eine Vielzahl denkbarer Faktoren beeinflusst wird, die sich jedoch in ihren jeweiligen potenziellen  Konstellationen im Nach­hinein schwer festmachen lassen. Vergleichsweise gut und vollständig überliefert ist der mutmaßlich jüngere der beiden hier betrachteten Texte, der Bildschnitzer von Würzburg. Dieser handelt von einem in Würzburg lebenden Bildschnitzer und Maler, dessen schöner Ehefrau vom örtlichen Dompropst Avancen ge­ macht werden: 60 Schock 19 Silber und Kleidung bietet er ihr für eine heimliche intime Begegnung. Auch hier betrügen der Bildschnitzer und seine Ehefrau gemeinsam den Geistlichen, indem die Frau zum Schein in das Ge­ schäft einwilligt, den Propst ins Haus kommen lässt, ihm das Geld abnimmt und daraufhin der Mann plötzlich nach Hause kommt. Der Propst allerdings wird nun nicht

zum Gekreuzigten, sondern wird durch Bemalung als Statue – sehr wahrscheinlich als Heiligenfigur, der Text lässt dies offen – zugerichtet und unter anderen bereits vor­ handenen Statuen ‚versteckt‘. Auch ihm allerdings droht die Kastration, denn der Bildschnitzer will das aus seiner Sicht zu anstößige Geschlechtsteil der Figur ab­hacken. Der Propst flieht daraufhin, wird vom Bild­ schnitzer lautstark verfolgt, schafft es aber, unerkannt in sein Haus zu gelangen. Dort verlangt der Bildschnitzer die Heraus­gabe der ‚entlaufenen‘ Figur, die er um hundert Pfund zu verkaufen beabsichtigt hätte, woraufhin der Propst dem Bildschnitzer die Figur – also de facto sich selbst – abkauft und somit gleich doppelt der Geprellte ist. Der Bildschnitzer von Würzburg ist in sechs Hand­ schriften20 überliefert, und es existieren zwei geringfügig abweichende Fassungen, wobei unklar ist, wann diese entstanden sind. Man nimmt eine Entstehung im Um­ kreis von Hans Rosenplüt an, was etwa auf die Mitte des 15. Jahrhunderts als Entstehungszeitraum deuten würde.21 Die in der älteren Forschung vorgenommene Zuschrei­ bung des Textes an Hans Rosenplüt, die wohl hauptsäch­ lich dem Überlieferungskontext geschuldet ist (fünf der sechs Handschriften enthalten Rosenplüt-Sammlungen) ließ sich nicht halten.22 Wohl aber hat man Gemeinsam­ keiten mit Rosenplüts Stil ausgemacht, die vor allem den Umgang mit dem älteren Stoff des Herrgottschnitzers be­ treffen,23 wenn man davon ausgeht, dass hier eine direkte Bearbeitung vorliegt. Die handschriftliche Überlieferung des Bildschnitzers ist gut und vollständig, obwohl auch dieser Text durchaus das Potenzial zum Skandalon hätte; immerhin wird hier der Inhaber eines hohen kirchlichen Amtes in einer real existierenden deutschen Stadt, die zudem ein bedeutender Bischofssitz ist, zum negativen Protagonisten. Es wäre also ohne weiteres möglich ge­ wesen, den Text auf eine ganz bestimmte existierende

17 Vgl. Miller, Zimmermann 2007, 129. 18 Mit kleinepischen Sammelhandschriften als Textensembles, darunter auch Cod. pal. germ. 341, hat sich jüngst Margit Dahm-Kruse ausführlich auseinandergesetzt; Dahm-Kruse 2018, bes. Kap. 7.1. 19 Dies bezeichnet grundsätzlich eine Stückzahl irgendeiner Sache, beispielsweise auch eine bestimmte Anzahl Münzen der gerade geltenden Währung, vgl. Grubmüller 2011, 1324. 20 Dresden, Landesbibl., Mscr. M 50, sog. Rosenplüt-Sammelhandschrift, entstanden 1460–62, online: http://digital.slub-dresden.de/werk ansicht/dlf/7514/243/ [letzter Zugriff im Juni 2019]; Gießen, Universitätsbibl., Hs. 1264 (Minnereden und Mären), entstanden um 1480; Leipzig, Universitätsbibl., Ms. 1590 (Mären und Freidank), entstanden 1460–65; München, Staatsbibl., Cgm 713 (Mären und Reimpaardichtungen), entstanden 1460–80; Nürnberg, Germanisches Nationalmuseum, Hs. 5339a (Mären, Reimpaarreden und Schondochs Königin von Frankreich), entstanden 2. Hälfte 15. Jh.; Nürnberg, Germanisches Nationalmuseum, Hs. Merkel 2 966 (Sprüche, Kurzerzählungen, Schwank-Dichtung), entstanden 1524–26. 21 Grubmüller 2011, 1321; Zotz 2004, Sp. 256f. 22 Hier scheinen im Unterschied zum Herrgottschnitzer, wo der Kontext der Handschriften möglicherweise zu wenig beachtet wurde, die Object Links der Handschriften zu einem Fehlschluss geführt zu haben: Der Überlieferungsverbund mit den anderen Rosenplüt-Texten wog hinsichtlich der Zuschreibung mehr als die fehlende Autornennung im Text selbst. 23 Westphal 1993, 95.

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Person zurückzubeziehen. Offensichtlich hat aber dieses inhärente Verlinkungspotenzial bei all jenen, die mit den betreffenden Handschriften umgegangen sind, nicht den Wunsch nach Zensurmaßnahmen geweckt. Inwiefern die in der Forschung mehrfach betonte „Verminderung des blasphemischen Elements“ 24 durch den Einsatz der ‚neutraleren‘ Statuen anstatt des Kruzifixes im Herrgott­ schnitzer damit in Zusammenhang stehen könnte, be­ dürfte einer tiefer gehenden Untersuchung ebenso wie die Frage, ob das Publikum etwa zweihundert Jahre nach Entstehung des Herrgottschnitzers, bedingt durch neue mediale Darbietungsformen und neue Darstel­ lungskonventionen (zu denken ist beispielsweise an Ent­ wicklungen im Passionsspiel, aber auch im Bereich des geistlichen Spiels generell, sowie an das Aufkommen der Fastnachtspiele mit ihren zunehmend derb-komischen, karnevalesken Elementen) eine höhere Toleranzschwelle hinsichtlich ‚blasphemischer‘ Äußerungen hatte. Object Links innerhalb und außerhalb von Erzählungen Im Folgenden sollen die beiden vorgestellten Mären einer Analyse hinsichtlich der in ihnen und durch sie generierten Beziehungen zwischen Objekten und zwi­ schen Objekten und Figuren unterzogen werden. Dabei erscheint es sinnvoll, zum Zweck der Übersichtlichkeit zwischen zwei Ebenen in Bezug auf die Erzählung zu unterscheiden: Object Links können sich (primär) auf der intradiegetischen Ebene entfalten, sie können aber auch auf die extradiegetische Ebene verweisen. Die Diegese bezeichnet in der Erzählforschung, vereinfacht ausgedrückt, das raumzeitliche Universum, das ein narrativer Text entwirft, die erzählte Welt. Alles, was zu dieser erzählten Welt gehört, kann folglich als ‚diege­

tisch‘ oder ‚intradiegetisch‘ bezeichnet werden; Elemen­ te außerhalb der erzählten Welt sind extradiegetisch.25 In der Praxis beeinflussen diese beiden Ebenen einander mehr oder weniger stark.26 Bei der Einschätzung von Object Links hinsichtlich ihrer Reichweite können sie aber vor allem im Sinne einer Hilfskonstruktion dazu dienen, zwei Gegenpole für eine mögliche  Skalierung zu definieren. Object Links I: Intradiegetische Links – Beziehungsgefüge zwischen Objekten und Figuren Geld Sowohl im Herrgottschnitzer als auch im Bildschnitzer von Würzburg kommt eine spezifische Figurenkonstellation zum Tragen, die für schwankhafte Ehebruchsmären konstitutiv ist: die Dreieckskonstellation aus Ehemann, Ehefrau und Freier. In unterschiedlichen Realisierungen dieses Typus kann es entweder zu einer Störung der Ehe­ gemeinschaft durch den Freier kommen, oder aber es tritt der Fall ein, dass die Ehepartner gemeinschaftlich den Freier betrügen.27 Letzteres passiert in den untersuchten Texten: Das Begehren des Freiers richtet sich auf die Ehefrau, das Begehren des Ehepaares wiederum richtet sich auf das materielle Vermögen des Freiers. Materielles Gut in Form von Geld und Luxusgütern spielt also von Anfang an eine signifikante Rolle in der Grundkonstella­ tion der Erzählungen, wobei diese Rolle im Bildschnitzer wesentlich stärker betont wird, indem der betrogene Freier doppelt bezahlen muss.28 Im Herrgottschnitzer bietet der Pfarrer der Ehefrau zu­ nächst pfenninge vil (V. 48) für den Fall, dass sie ihn er­ hört. Im Gespräch mit ihrem Mann spezifiziert die Frau das später folgendermaßen:

24 Grubmüller 2011, 1323; weiters auch Zotz 2004, Sp. 258. 25 Vgl. Genette 1998, 201f.; Martinez, Scheffel 2009, 76–89 sowie 188, 190 (Lemmata im „Lexikon und Register erzähltheoretischer Begriffe“). 26 Dies kann beispielsweise durch eine autoreferentielle Thematisierung der erzähltechnischen Konstruktion der erzählten Welt erfolgen und hat dann antimimetische Wirkung. Es kann aber auch in mimetischer Weise durch einen hohen Grad an Heteroreferenzialität, etwa durch eine besondere deskriptive Detailfülle in der erzählten Welt, geschehen. 27 Susanne Reichlin sieht in ihrer Untersuchung zur Poetik des Tauschs in mittelhochdeutschen Mären in den Ehebruchsmären eine  Konstellation, in der sich zwei konkurrierende duale Gemeinschaften – die Ehegemeinschaft und die Tauschgemeinschaft (meist aus Freier und Ehefrau) gegenüberstehen. Die Texte behandeln demnach jeweils den Ein- oder Ausschluss Dritter in solche duale Konstellationen und können zeigen, wie daraus resultierende Konflikte nicht (oder nicht primär) durch Gewalt gelöst werden, sondern durch eine neue, veränderte Tauschkooperation (Reichlin 2009, 149f.). 28 Reichlin sieht den Bildschnitzer als Erzählung von zwei Tauschgeschäften: Beim ersten, misslingenden Geschäft wird der Freier in eine Statue verwandelt, beim zweiten, erfolgreichen Geschäft erlangt er wieder die Position eines Handelspartners (Reichlin 2009, 151) – allerdings nicht jenen eines Gleichberechtigten, denn man könnte die hier vorgeführte Art des Geschäfts durchaus auch als Erpressung bezeichnen (so sieht dies z.B. Grubmüller 2011, 1323).

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si sprach: ‚er biut mir ringe, vierzic pfunt 29 pfenninge und einen belliz vehen jaergelich 30 ze lehen daz ich sinen willen tuo.‘ (V. 85–89) Der Pfarrer bietet ihr Ringe, vierzig Pfund Pfennige und einen bunten Pelzmantel,31 und zwar jaergelich bzw. ain jar lang ze lehen – er ist also offensichtlich auf ein länger andauerndes Verhältnis aus. Die Beziehung zwischen den Eheleuten jedoch wird als innig und liebevoll beschrieben, sodass die Ehefrau vertrauensvoll ihrem Mann alles er­ zählen kann. Dieser reagiert zunächst impulsiv und kün­ digt an, die Absichten des Pfarrers vehement unterbinden zu wollen; die Ehefrau jedoch erbittet eine ehrenvolle und gewaltfreie Lösung von ihm (V.  91–93). Der Ehemann unterbreitet ihr in der Folge einen Plan (den die Rezipie­ renden allerdings nicht erfahren), durch den der Pfarrer seine Ehre verlieren solle, die beiden selbst aber an Anse­ hen gewinnen könnten. Nachdem der Pfarrer zu dem ver­ meintlichen Stelldichein mit der Ehefrau gekommen ist und die pfenninge abgeliefert hat, wird er durch die bereits skizzierte List der Eheleute dazu gebracht, nackt und mit roter Farbe beschmiert auf die Straße zu laufen. Durch diese demütigende öffentliche Zurschaustellung und die daran anschließende weitere narrative Ausgestaltung der Geschehnisse durch den Ehemann, die sich wohl nicht nur an die unmittelbar Umstehenden richtet, sondern als länger andauerndes Immer-Wieder-Erzählen zu verstehen ist (der schimpf der wart gemeret sider, V. 230), verliert der Pfarrer seinen sozialen Status wie auch seine materielle Habe und muss die Stadt letztlich verlassen (V. 220–223). Auch im Bildschnitzer spielt Geld im Werben des Freiers von Anfang an eine gewichtige Rolle, allerdings kommt als zweiter wichtiger Faktor die Forderung von Verschwiegenheit ins Spiel; salopp formuliert lautet der vom Freier angestrebte Tausch hier nicht „Geld für Sex“, sondern „Geld für diskreten Sex“: [Der Propst] sprach: frau, ich wolt euch machen reich, das ich ein nacht solt bei euch ligen und west ich neur, das es blieb verswigen, ich wolt euch geben sechzig schock und darzu kaufen mantel und rock. (V. 18–22)32

Hier ist es nun die Ehefrau, von der die Initiative für den Betrug ausgeht; sie fordert später, als der Propst in ihrem Haus ist, diesen auch umgehend auf, das Geld in ihren Schoß zu schütten. Anschließend essen die beiden gemeinsam ein Brathuhn, wobei sie dann vom heimkeh­ renden Ehemann gestört werden. Nachdem der Propst von der Frau des Bildschnitzers bemalt und zwischen den Statuen versteckt wurde, sieht auch er sich von einer Kastration durch den Künstler bedroht und flieht darauf­ hin nackt aus dem Haus. Aber obwohl auch er von einem laut zeternden Bildschnitzer verfolgt wird, schafft er es unbehelligt bis zu seinem Haus und kann weitgehend unerkannt darin Zuflucht suchen. Den wild ans Haustor hämmernden Bildschnitzer fragt er daraufhin vorgeblich ahnungslos von einem Fenster aus, was er wolle. Es folgt der zweite Teil der Listhandlung, der als Zugabe den Bildschnitzer vom Herrgottschnitzer unterscheidet und einen verstärkten pekuniären Aspekt in die Handlung bringt: Auf komische Weise wird der Propst indirekt dazu aufgefordert, die entlaufene Statue – also sich selbst  – zu kaufen, denn sonst würde sein schändliches Verhal­ ten öffentlich gemacht. Der von Anfang an peinlich auf Diskretion bedachte Propst kauft nun notgedrungen die Statue, um damit gleichzeitig das Schweigen des Bild­ schnitzers zu erkaufen: der probst sprach: „hab zu deinen munt / und see dirs auch und trags [das Geld] von hinnen / das sein neur niemands von uns wird innen.“ (V. 122–124). Zu dem Zeitpunkt, als der Bildschnitzer und der Propst vor dessen Haus über den Kauf der Statue verhandeln, wird diese zur materiellen Abstraktion des Konfliktes zwischen ihnen beiden, wie Susanne Reichlin feststellt: „Die beiden Männer verhandeln über eine Skulptur, von der beide wissen, dass sie fingiert ist. Dabei ‚entsteht‘ die Statue als Vergegenständlichung des Konfliktes. Sie ist ‚Produkt‘ eines ungerechtfertigten Anspruches von Sei­ ten des Propstes und steht – da sie im Besitz des Ehe­ mannes ist – für die Macht, die dieser über den Kleriker hat. Sie ist somit eine Abstraktion ihrer Beziehungen, die sprachlich vergegenständlicht worden sind.“ 33 Man kann nun diese Feststellung noch weiter­führen und im Sinne von Object Links zuspitzen, denn die fiktive Statue wird in diesem Szenario zum ‚Linking Object‘ – obgleich sie ein virtuelles Objekt ist, repräsentiert sie doch auf sehr eindringliche Weise die Verbindung zwischen beiden

29 „Hundert Pfund“ sind es in der Weimarer Handschrift. 30 „Ein Jahr lang“ in der Weimarer Handschrift. 31 Es könnte sich dabei um Eichhörnchen oder Hermelin handeln, vgl. dazu Lemma ‚Fehe‘ im Grammatisch-Kritischen Wörterbuch der Hochdeutschen Mundart von J.C. Adelung (woerterbuchnetz.de). 32 Dieses und alle folgenden Zitate aus Grubmüller 2011, 928–935. 33 Reichlin 2009, 158.

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Männern und wirkt insofern beziehungsstiftend und -aufrechterhaltend als sie eine ‚Geschäftsbeziehung‘ zwi­ schen Propst und Bildschnitzer (bzw. mittelbar auch mit dessen Frau) begründet, die nur durch den ‚Kauf ‘ beendet werden kann. Ein interessanter Nebenaspekt ist dabei die fingierte Materialität der Statue, die der Bildschnitzer entwirft; es geht in diesem Zusammenhang vor allem um den Wert des Materials. Er wird auf der einen Seite hoch angesetzt, um den Preis in die Höhe zu treiben bzw. die hundert Pfund zu rechtfertigen, auf der anderen Seite aber iro­ nisch relativiert. Die Statue ist einerseits viel wert, denn das Verschweigen der Episode soll und wird den Propst eine hübsche Summe Geld kosten; andererseits ist die Statue nichts wert, denn der Propst tappt als Opfer seiner eigenen Triebe blindlings in die ihm gestellte Falle, wo­ für ihn der Bildschnitzer bereits vorab als gigen (Narren; V.  41) und öde[n] gauch (blöden Tölpel; V.  43) apostro­ phiert. Der materiale Aufhänger für das Spiel mit die­ ser Doppeldeutigkeit ist die zum Schnitzen verwendete Holzart: nu was er [der götze] zwar das peste erlein holz, / so ichs indert in dem walde vant. / in snitzt mein knecht mit seiner hant, klagt der Bildschnitzer laut und öffentlich­ keitswirksam, als er den Propst draußen verfolgt.34 Aus bestem Erlenholz, das der Bildschnitzer selbst im Wald gefunden und geerntet zu haben behauptet, sei die Sta­ tue gemacht – das scheint die Exklusivität zu betonen. Aus dem selbst beschafften ‚Qualitätsholz‘ habe dann sein Geselle eigenhändig die Statue geschnitzt – das scheint den Wert zu vermindern, denn warum hat nicht der Meister eigenhändig die Statue ins Werk gesetzt, bzw. warum wird die Ausführung durch den Gesellen so betont?35 Ironisiert wird dies alles nochmals dadurch, dass Erle zwar durch seine Bearbeitungseigenschaften eigentlich gut als Schnitzholz geeignet ist und tatsäch­ lich auch im fraglichen Zeitraum und der Region als solches verwendet wurde, allerdings nicht sehr häufig.

Mit Sicher­heit galt es jedenfalls nicht als besonders ex­ klusives, teures und hochwertiges Holz.36 Der Ehemann erschafft also die Statue narrativ, und zwar mit allen Implikationen ihrer Materialität – er erfindet eine Entstehungsgeschichte, gibt ihr eine Vergangenheit und gibt ihr auch eine Zukunft (es gibt einen poten­ ziellen Käufer, der sie erwerben will). Während zunächst über den Propst als Statue gesprochen wird, spricht dieser nach der Flucht mit dem Ehemann über die Statue – es herrscht nun also wieder eine Distanz zwischen beiden, und die ontologische Unterscheidung zwischen Mensch und Objekt ist wiederhergestellt. Die Statue wird so für den Propst zur „handhabbaren Bedrohung“, die bewältig­ bar ist und die letztlich durch ihren Status als käuflich erwerbbares Gut eine für beide Seiten akzeptable Lösung des Konflikts ermöglicht: Indem sie zuletzt den Besitzer wechselt, „wird die Statue zugleich materiell bezeugt und vernichtet. Denn einerseits beglaubigt die Bezahlung die Existenz der Statue, andererseits bezahlt der Propst für die Diskurshoheit über sie und damit für ihr künftiges Verschwiegen-Werden.“ 37 Die Verdoppelung des Tauschaktes im Bildschnitzer hat auf der Erzählebene sowohl eine  paradigmatische als auch eine  syntagmatische Verdichtung zur Folge. Die paradigmatische Beziehung der beiden Tausch­akte (im Sinne ihrer Wiederholung) ist gender-relevant: Der Tausch des Ehemannes überbietet den Tausch der Ehe­ frau (sie erbeutet sechzig Schock, er hundert Pfund), und beide Männer werfen der Frau das jeweilige Geld in den Schoß – die Frau ist also Ursprung und zugleich Ziel monetären und sexuellen Begehrens gleichermaßen. Über die Tauschhandlungen werden aber auch  syntagmati­ sche Links zwischen Symbolischem und Ökonomischem etabliert: Die Statue als Produkt des Symbolischen, die durch sprachliches Fingieren erschaffen wird, wird zum Konsumgut. Auf der einen Seite wird so die enorme Pro­ duktivität von Sprache als Medium, das aus dem Nichts

34 Bezeichnenderweise richtet sich die Rede des Bildschnitzers auf der intradiegetischen Ebene an ein nicht näher definiertes Publikum – die Menschen, die auf der Straße zu diesem Zeitpunkt zufällig anwesend sind –, auf der extradiegetischen Ebene aber sehr direkt an jene, die den Text rezipieren: Ihnen wird die Ambivalenz der Statue/Figur verdeutlicht. Im späteren Verkaufsgespräch mit dem Propst ist dieses ironische Spiel gar nicht mehr nötig, sondern es reicht der Verweis auf den in Geld zu beziffernden Verkaufswert des Objekts. 35 Dass spätmittelalterliche Künstlerwerkstätten arbeitsteilig organisiert waren, ist bekannt, ebenso wie dass dabei nicht jedes Werk exklusiv vom Meister gefertigt werden konnte. Wohl aber wurde durch die Auftraggeber eine Eigenhändigkeit oft explizit in schriftlichen Verträgen gefordert (ich danke meiner Kollegin Heike Schlie für diesen Hinweis), und im Fall der Werkstatt Tilman Riemenschneiders nimmt Iris Kalden beispielsweise an, dass der Meister insbesondere in der Frühzeit noch vieles selbst machte, da er sich in Würzburg erst einen guten Ruf und ein entsprechendes ‚Standing‘ als Bildschnitzer erwerben musste; Kalden 1990, 16. 36 Zur Verwendung von Erle als Schnitzholz in der süddeutschen Plastik in Mittelalter und Früher Neuzeit vgl. den Überblick in Raudies 2012, v.a. den Abschnitt zu den Holzarten 126–162, und passim. Ich danke außerdem Beate Fücker (Germanisches Nationalmuseum Nürnberg) für wertvolle mündliche Hinweise zu Erle als künstlerischem Werkstoff im Mittelalter und zu den damit verbundenen  Praktiken in den Werkstätten. 37 Reichlin 2009, 155.

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etwas zu schaffen vermag, hervorgehoben; auf der ande­ ren Seite kann das sprachliche Produkt durch Geld bezie­ hungsweise durch Kauf auch wieder eliminiert werden.38 Figur und Objekt, Figur als Objekt Während in vielen Ehebruchsmären der in der Hand­ lung zentrale Betrug durch eine Substitution in Szene gesetzt wird (eine andere Person oder ein Tier nimmt beispielsweise den Platz des Ehebrechers ein, dem so eine Flucht ermöglicht wird), kommt es hier zu einer Trans­ formation: Diese wird im Bildschnitzer zunächst durch entsprechende Ankündigungen der Ehefrau sprachlich in Gang gesetzt und in beiden Erzählungen von der Frau aktiv durchgeführt, indem nicht der Freier ihre Anwei­ sungen befolgt und selbst handelt, sondern sie ihn wie ein Objekt behandelt, ihn bemalt, bewegt und  positioniert (Bildschnitzer: sie streich dem propst die varb an / und stelt in an der götzen zeilen, V. 76f., Hervorhebung durch die Autorin) beziehungsweise montiert (Herrgottschnitzer: sie strackt in an ein criuze hin, V.  118, Hervorhebung durch die Autorin). Spätestens aber bei der Rückkehr des Ehe­ manns ist der Propst bzw. Pfarrer vollends zum Objekt geworden: Nun wird nur noch über ihn als Kunstwerk gesprochen, er selbst ist zur Sprach- und Bewegungslo­ sigkeit verdammt.39 Doch wie wird über ihn gesprochen, und als was wird er bezeichnet? Interessanterweise benutzen beide Texte den Begriff bild(e), und zwar sowohl als Bezeichnung der Produkte in der Werkstatt als auch für den Pfarrer/Propst. Das Substantiv bilde hat im Mittelhochdeutschen ein noch weiter gefasstes Bedeutungsspektrum als heute und bezeichnet nicht nur flächige bildliche Darstellungen, sondern auch dreidimensionale Objekte, also Statuen bzw. Figuren. In einem allgemeineren Sinne kann bilde aber auch überhaupt Form, Gestalt, Bildnis oder Abbild bedeuten, sowohl in einer materiellen Realisation wie auch

in virtueller Form, als mentale Vorstellung von etwas oder jemandem.40 Im Bildschnitzer wird zusätzlich noch ein weiterer Begriff für den Propst und seine unbelebten Pen­ dants in der Werkstatt verwendet, nämlich götze. Dieses im Mittelhochdeutschen sonst kaum belegte 41 Substantiv entstand ursprünglich vermutlich aus dem Diminutiv von gott und bezeichnete zunächst die figürliche Darstellung einer (nicht christlichen) Gottheit, weitete seine Bedeu­ tung aber bald auf ‚Bildwerk‘ im Allge­meinen aus; die pejorative Wandlung hin zu ‚Abgott‘ oder ‚Bildnis eines falschen/heidnischen Gottes‘ erhielt der Begriff wohl erst bei Luther.42 Rein begrifflich lassen also beide Texte viel Spielraum für die Vorstellung von dem Objekt, in das der Pfarrer/Propst transformiert wird; einen Anhaltspunkt für die Interpretation als sakrales Bildwerk liefert die Tatsache, dass während des gesamten Mittelalters die Anzahl sakraler Kunstwerke jene der profanen bei wei­ tem übersteigt. Ansonsten jedoch lässt die Begrifflichkeit hinsichtlich des Objekts eine gewisse Unschärfe bestehen, die durch den Text durchaus produktiv gemacht wird. ‚Figur‘ und ‚Objekt‘ sind in der Erzähltextanalyse zwei kategorial voneinander geschiedene Größen, die auf unterschiedlichen Ebenen gedacht werden und, je nach zugrunde gelegtem narratologischen Modell, unter­ schiedlich verortet sind. Stark verkürzt lässt sich fest­ halten, dass die (belebten) Figuren in einer Erzählung üblicherweise menschlich sind, Intentionen haben, über Emotionen und die Fähigkeit zu absichtsvollem zielge­ richteten Handeln verfügen; sie sind demnach Akteure und das fiktionale Pendant zu den ‚Personen‘ außerhalb der erzählten Welt.43 Objekte stellen hingegen in keinem narratologischen Modell eine eigene Kategorie dar, son­ dern werden üblicherweise als Teil des erzählten Raums bzw. settings begriffen. Sie sind unbelebt und zu keiner Form aktiven oder gar intentionalen Handelns befähigt; wohl aber können sie das Agieren der Figuren und somit den Fortgang der Handlung mittelbar beeinflussen. Diese

38 Reichlin 2009, 158f. 39 Vgl. Reichlin 2009, 154. 40 Vgl. dazu die Lemmata „bilde“ und „bild“ in den Mittelhochdeutschen Wörterbüchern von Lexer (http://www.woerterbuchnetz.de/cgi-bin/ WBNetz/wbgui_py?sigle=Lexer&lemid=LB02586) und Benecke/Müller/Zarncke (http://www.woerterbuchnetz.de/cgi-bin/WBNetz/wb gui_py?sigle=BMZ&lemid=BB00606) sowie im Deutschen Wörterbuch von Jacob und Wilhelm Grimm (http://www.woerterbuchnetz.de/ cgi-bin/WBNetz/wbgui_py?sigle=DWB&lemid=GB07111) [letzte Zugriffe im Juni 2019]. 41 In den Nachträgen zu Lexers Mittelhochdeutschem Wörterbuch finden sich nur noch zwei weitere Belegstellen aus den Basler Chroniken; vgl. NLexer, Lemma „götze“ (http://www.woerterbuchnetz.de/cgi-bin/WBNetz/wbgui_py?sigle=NLexer&lemid=NG01760) [letzter Zugriff im Juni 2019]. 42 Die Etymologie von götze wird sehr ausführlich erläutert bei Grimm; als ältester Beleg wird dort das Kompositum götzenträger aus dem 14. Jahrhundert angeführt, in dem götze als ‚Heiligenfigur‘ zu verstehen sei (DWB, Lemma „götze“: http://www.woerterbuchnetz.de/cgi bin/WBNetz/wbgui_py?sigle=DWB&lemid=GG24049) [letzter Zugriff im Juni 2019]. 43 Grundlegend zur Kategorie ‚Figur‘ Jannidis 2004, hier bes. Kapitel 5.

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Definition kann den vielfältigen Funktionen von Dingen in Erzählungen allerdings nicht gerecht werden. Im Ver­ such, den Dingen einen angemessenen Ort in der Erzähl­ textanalyse zuzuweisen, wurde auf das ältere Aktanten­ modell von Algirdas J. Greimas 44 zurückgegriffen und man versuchte, dessen Potenziale neu auszuloten, um eine Alternative zu den neueren, stark figurenzentrierten narratologischen Ansätzen zu finden. Als Aktankten ver­ steht Greimas die Realisierung von bestimmten formalen Rollen – beispielsweise des Adjuvanten und des Oppo­ nenten – an der Textoberfläche; diese Realisierungen sind zwar prinzipiell menschlich zu denken, das Modell lässt sich aber aufgrund seines starken Formalismus (der gleichzeitig sein großes Defizit ist) prinzipiell auch auf Objekte ausdehnen. Den Figuren als handlungsmächti­ gen Subjekten und Akteuren könnten demnach in Texten die Objekte als nichtmenschliche Aktanten gegenüber­ stehen.45 So soll es gelingen, die handlungsbeeinflussenden Qualitäten der Dinge besser in den Fokus zu stellen und zu beschreiben.46 Folgt man diesem Modell, so lassen sich auch die götzen im Bildschnitzer als Aktanten begreifen. Als der Dompropst zunächst von der Frau des Bildschnitzers durch Bemalen als götze zugerichtet und in das bereit­ stehende  Ensemble aus götzen eingegliedert wird, erscheinen ihm diese zunächst als Adjuvanten: Sie bieten ihm vermeintlichen Schutz, indem er sich ihnen optisch angleichen kann und meint, unentdeckt unter ‚Seines­ gleichen‘ die Gefahrensituation einfach ‚aussitzen‘ zu können. Die Object Links zwischen dem Propst und den götzen generieren sich also zunächst über äußere Ähnlich­ keiten und Assimilierung innerhalb des Ensembles, das aus einer unbestimmten Anzahl an Elementen besteht. In dem Moment jedoch, als sich der Bildschnitzer anschickt, das Gemächt des Propstes abzuhacken, verkehrt sich der Status der götzen unversehens ins Gegenteil und sie werden zu Opponenten des Propstes: Plötzlich gerät ihm seine erfolgreiche Assimilierung zur Bedrohung und sein vorgegebener Objektstatus wendet sich in seiner vollen Konsequenz gegen ihn. Denn die Zusammengehörigkeit innerhalb des  Ensembles definiert sich nicht nur durch den ontologischen Status der Elemente und deren äußerliche Ähnlichkeiten, sondern auch durch Macht-

und Besitzverhältnisse: Alle Elemente des  Ensembles sind Eigentum des Bildschnitzers und unterliegen so­ mit uneingeschränkt seiner Verfügungsgewalt. Object Links sind also dynamisch zu denken und können ihre Bedeutung situativ verändern, beziehungsweise können einzelne Aspekte ihrer Bedeutung situationsabhängig entweder aus- oder eingeblendet werden. Dies hängt hier auch ganz wesentlich zusammen mit dem Phänomen der  Affordanz: Elemente der physisch wahrnehmbaren Welt bergen bestimmte Potenziale in sich hinsichtlich möglicher Handlungen an und mit ihnen.47 Anders ausgedrückt ‚formulieren‘ Objekte durch ihre materielle Beschaffenheit bestimmte Angebote bezüglich des Umgangs mit ihnen; manche dieser Angebote oder Affordanzen sind offensichtlicher und gesellschaftlich verfestigt (ein Hammer bietet an, mit ihm auf andere Objekte zu klopfen), manche ergeben sich situativ. Im Fall der vorliegenden Erzählung liegt die Pointe in der Tatsache, dass aus Holz geschnitzte Statuen potenziell für jedermann, speziell aber für einen Bildschnitzer die Affordanz besitzen, sie weiter zu bearbeiten und ihnen nachträglich Teile zu entfernen, Dompröpste jedoch diese Affordanz nicht besitzen. Im Herrgottschnitzer läuft die von der Ehefrau herge­ stellte  Konfiguration auf dasselbe Ergebnis hinaus  – der Pfarrer wird von der  Affordanz seines (fingierten) Objekt­status eingeholt –, aber die Verlinkung von Figur und Objekt erfolgt hier auf etwas andere Weise. Der Pfar­ rer wird nicht primär dadurch getarnt, dass er in eine Rei­ he an der Wand stehender Statuen platziert wird, sondern dass er an ein ganz bestimmtes Objekt ‚angeheftet‘ wird, nämlich an ein Kreuz. Auch er wird zuerst durch Bema­ len präpariert und dem Aussehen eines Kunstobjektes angeglichen, aber erst durch die exklusive Verlinkung mit eben jenem einen Objekt ist das eine Kunstwerk komplett und wird der Pfarrer zu einem Teil dieser Skulptur; hier verliert der Pfarrer also nicht nur seinen Personen- bzw. Figurenstatus, sondern auch seine Individualität und In­ tegrität als abgegrenzte menschliche Entität – er wird fix mit dem Objekt verbunden, da die (zunächst wünschens­ wert erscheinende) Transformation sich erst in dieser en­ gen Verbindung realisieren kann. Nachdem die Frau ihn an eines der herumstehenden Kreuze hin strackt (V. 118),

44 Greimas 1971, 169–171. 45 Vgl. Christ 2015, 22. 46 Christ zeigt dies am Beispiel von Waffen in den Antikenepen, die ihren Besitzern nicht immer reibungslos zuhanden sind: „Das Schwert, das Turnus im Zweikampf mit Eneas ‚die Unterstützung verweigert‘, wäre ein prototypisches Aktanten-Beispiel: Es ist Opponent von Turnus und damit zugleich Adjuvant des Helden.“ Christ 2015, 22. 47 Zur Affordanz vgl. Panagiotópoulos et al. 2015.

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kommt der Schnitzer bereits mit seinem Schnitzmesser bewaffnet herein, stutzt, bleibt bei dem betreffenden Kreuz stehen und fragt: ‚wanne hant die knehte daz getan, / daz siz bilde hant gehenket?‘ (V. 129f.) Er gibt also vor, sich zu wundern, dass die Gehilfen in seiner Abwesenheit die ‚Christusfigur‘ bereits auf dem Kreuz montiert haben. Es folgt eine ausführliche und gleichzeitig ironische Beurtei­ lung der Qualität der Figur, die zwischen Lob und Tadel der Gehilfen oszilliert, bis auch hier der Künstler sich anschickt, zur ‚Nachbearbeitung‘ der Genitalregion des Pfarrers zu schreiten, woraufhin dieser die Flucht ergreift. Auch das Kreuz, das nach traditionellem narratologischen Ding-Verständnis als Attribut aufgefasst werden kann, ist in diesem Fall vom Helfer zum Gegenspieler geworden. Object Links II: Extradiegetische Links – Beziehungen zwischen erzählten Objekten und Figuren innerhalb und außerhalb der erzählten Welt Im Folgenden sollen nun jene Links in den Blick genom­ men werden, die aus der Erzählung hinausreichen oder von außen in diese hineinragen. Abhängig von Perspekti­ ve und Skalierungsebene kann damit die Erzählung selbst als Objekt bzw. Artefakt als Knoten in einem  Netz­ werk wahrgenommen werden, oder aber man kontextua­ lisiert die intradiegetisch dargestellten und verhandelten Objekte wie auch die  Konstellationen, in die sie einge­ bettet sind, über ihre Verlinkungen mit möglichen korres­ pondierenden Objekten und Konstellationen außer­halb der Erzählung. Kunstpraxis, Terminologie und Kunstverständnis In den beiden Kurzerzählungen, um die es hier geht, ist eine Konzentration auf die verschiedenen Verbindungen insofern gut möglich, als die Texte kompakt und in wei­ ten Teilen auf das Wesentliche reduziert erzählen. So ist beispielsweise die Beschreibung der Figuren knapp ge­ halten: Punktuelle Anklänge an die traditionelle descriptio48 sind bei der Ehefrau erkennbar, die über ihre Schönheit, Klugheit und Tugendhaftigkeit charakterisiert wird (er hette das allerschönste weib, / so es ein man neur sehen solt [V. 10f.] im Bildschnitzer, der schoensten wib er einez hete / die man kunde vinden da […] mit süezen siten gemeit [V. 8f., 11] im Herrgottschnitzer). Der Maler/Bildschnitzer hingegen wird über seine künstlerischen Fähigkeiten

und über seine Beziehungen definiert: Beziehungen zu Objekten (d.h. die Kunstwerke, die zu schaffen er im­ stande ist), sowie Beziehungen zu Personen und sozialen Umfeldern, mit denen er in Verbindung steht (d.h. seine Werkstatt mit den knehten, seine Position in der Stadt als geachteter Mann). Im Herrgottschnitzer wird er gar als Bürger der Stadt ausgewiesen: da saz ein maler kluoc an witzen / der kunde malen unde snitzen / und was burger in der selben stete (V. 5–7). Das Ehepaar ist angesehen (si lebeten mit wirdikeit, V.  12), der Mann hat eine Werkstatt mit mehreren Gehilfen, die dort arbeitsteilig und auf Vorrat Kunstwerke produzieren, welche zum späteren Verkauf bestimmt sind: sin knehte malten unde sniten bilde nach meisterlichen siten. der het er in der kamer wit beide geleget wider strit von silber und von golde als ers verkoufen wolde. (V. 13–18) Auch im Bildschnitzer von Würzburg wird der Mann primär über seine Fertigkeiten charakterisiert, die das Beherrschen malerischer wie auch plastischer Gestal­ tungstechniken, aber auch einen scharfen Verstand ganz im Allgemeinen umfassen. Die Erzählung handelt von einem klugen man (V. 3), der über Verstand und Kunst­ fertigkeit gleichermaßen verfügt: er was so klug an seinen witzen, / vil kunst trug er in seinem leib (V. 8f.). Die Berufsbezeichnung des Protagonisten im Bild­ schnitzer wie auch im Herrgottschnitzer lautet übrigens in sämtlichen Handschriften maler,49 nicht bildesnîder oder ähnlich. Das Anbringen einer farbigen Fassung auf den Schnitzfiguren scheint hier in seiner Bedeutung betont zu werden – inwiefern dies auf ein ästhetisches Verständnis deutet, das davon ausgeht, dass das Kunstwerk erst durch die Farbigkeit vollendet wird und seine Lebensechtheit erlangt, wäre in diesem Zusammenhang ebenso zu fragen wie ob das Malen bzw. das Anbringen der Fassung als die ‚höherwertige‘ Arbeit innerhalb des Fertigungsprozesses und folglich als Meisterangelegenheit angesehen wurde. Im Herrgottschnitzer ist von einer solchen Differenzie­ rung nicht die Rede, die Mitarbeiter in der Werkstatt malten unde sniten / bilde nach meisterlichen siten. (V. 13f.) Im Bildschnitzer übt der Meister selbst die Tätigkeiten malen und snitzen gleichermaßen aus (V.  7), über seine

48 Vgl. Halsall 1994, Sp. 549–553. 49 Die Ehefrau wird als malerinne (Herrgottschnitzer V. 36) bezeichnet.

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Gehilfen wird nur berichtet, dass sie schnitzen.50 In zeit­ genössischen non-fiktionalen Quellen scheint aber sehr wohl begrifflich differenziert worden zu sein, wird doch Tilman Riemenschneider, der 1483, also kurz nach der angenommenen Entstehungszeit des Bildschnitzers, in Würzburg seine Laufbahn als Geselle begonnen hat, im Bürgermatrikel der Stadt als Bildschnitzer bezeichnet.51 „Die Fertigkeit des Ehemannes besteht darin, das Be­ wegliche festzuhalten“, konstatiert Susanne Reichlin in zugespitzter Weise 52; der Text formuliert dies so: was ie mocht fliegen oder sweimen,53 / das konde er malen oder snitzen (V. 6f.). In Vorausdeutung auf die weitere Handlung ist diese Aussage durchaus wörtlich auszulegen; denn wäh­ rend üblicherweise das fliegende oder sich sonst wie be­ wegende Subjekt, das gemalt oder geschnitzt wird, durch den Akt des künstlerischen Schaffens gedoppelt wird (Original – Abbild), wird der Propst in der Tat ‚festge­ halten‘: Er wird zur Skulptur gemacht, mithin für eine gewisse Zeit seiner Beweglichkeit völlig beraubt und zu einem starren passiven Objekt. Erst durch die körperliche Bedrohung wird der Bann gebrochen und der Propst er­ langt seine Beweglichkeit zurück. Bei der eingehenden Betrachtung der ‚Statue‘ und der Bewertung ihrer Qualität vertritt der Ehemann zu­ nächst ein mimetisches Kunstverständnis, wenn er deren Lebens­echtheit und die gelungene Nachahmung der Na­ tur lobt. Im Bildschnitzer ist die verbale Beurteilung des ‚Kunstwerks‘ eher allgemein gehalten und äußert sich in­ direkt, als Lob des Gesellen, der gute Arbeit geleistet hat:

do sach er dem probst kopf und har. do sprach er: „sicherlich, fürwar, der knecht, der mir das pild hat gesnitzt, mit eren er oben an dem tisch wol sitzt. es ist gestalt, sam es hab leben. ich will im ein bessern wochenlon geben. (V. 87–92) Im Herrgottschnitzer schwenkt die Beurteilung des Werks durch den Ehemann von zunächst lobenden Äußerun­ gen hin zu plötzlicher Kritik und weiter hin zu einem (ironi­schen?) Lob der Gehilfen mit in Aussicht gestellter Prämie für die ‚gute‘ Arbeit: an im [dem pild] ist noch nïtz crenckt. sein mund ist rot, sein ougen prechen, die send im ausser massen schen. sein hals ist dic, sein oren langk. die knecht habent ymmer danck! ich sprich ez woll bei meinē trewē: sie haben verdient rock newen. die kauff ich in zu dissen stunden. si haben hubsche list gefunden.54 (V. 131–139) Dadurch wird zweierlei erreicht: Zum einen wird der Pfarrer verunglimpft, evoziert doch V. 134 recht eindeutig das Bild eines Esels; zum anderen wird das Kunstwerk als besonders realistisch und lebensnah, ja gar naturalistisch charakterisiert, indem es eben auch optische Makel wie­ dergibt. Gleichzeitig aber ist es dadurch in Hinblick auf

50 Falls die Texte tatsächlich eine höhere Wertigkeit des Malens implizieren würden, so läge hier insofern eine interessante Fokussierung vor, als in beiden Fällen die Ehefrau den Geistlichen bemalt; Susanne Reichlin sieht das malen und verben in Analogie zur schmückenden Rede (color dicendi), was metaphorisch auf den Text als Kunstwerk zurückverweisen mag, aber Reichlin zufolge auch als Variation des literarischen Motivs „Frau, die den Mann mithilfe rhetorischer Mittel täuscht“ zu verstehen sein kann; Reichlin 2009, 160f. 51 Kalden 1990, 13; Riemenschneider arbeitet zunächst als knecht (Bildschnitzergeselle) in einer Bildschnitzerwerkstatt, dann heiratet er die Witwe eines Goldschmieds und erlangt dadurch kostenlos das Bürgerrecht, die Meisterwürde und die Möglichkeit, einen eigenen Werkstattbetrieb zu führen. Durch weitere Eheschließungen und durch einen erfolgreichen Werkstattbetrieb steigt Riemenschneider zum gutsituierten, angesehenen Bürger auf und erlangt 1504 Zugang zum Stadtrat. Neun urkundlich belegte Aufträge bekommt er vor 1504, davon drei Aufträge von hohen geistlichen Würdenträgern: vom Würzburger Bischof, von einem Würzburger Dompropst (!) und vom Bamberger Bischof. In der Frühzeit des Werkstattbetriebs ist Kalden zufolge eine hohe Eigenbeteiligung des Meisters an der Arbeit anzunehmen, da er erstens noch seine künstlerischen Fähigkeiten in der Stadt beweisen musste und zweitens noch nicht durch politische Ämter abgelenkt war (Kalden 1990, Kap. 1.1.1 und 1.1.2). Inwieweit diese Künstlerlaufbahn als modellhaft angesehen werden kann, soll hier nicht zur Debatte stehen und kann als Fragestellung in dieser Arbeit auch nicht diskutiert werden; wohl aber kann sie als eine mögliche und zudem historisch dokumentierte Lebensform eines Bildschnitzermeisters in einer deutschen Stadt etwa im Entstehungsund Überlieferungszeitraum des behandelten Textes angesehen werden. 52 Reichlin 2009, 159. 53 Mhd. sweimen: ‚sich schwingen, schweben, schweifen, fahren‘. 54 Ich gebe hier den Wortlaut der Weimarer Handschrift wieder und folge nicht der Edition von Niewöhner im NGA, denn dieser konjiziert in V. 132f. und bringt sin munt ist rot, sin ougen sehen, / die zend im uzer mazen brehen („sein Mund ist rot, seine Augen sehen, / die Zähne strahlen außergewöhnlich“), was so in keinem der Überlieferungsträger zu finden ist. Niewöhner war offenbar bestrebt, einen korrekten Reim herzustellen (sehen-brehen statt prechen-schen) und den auf den ersten Blick etwas unklaren Sinn des Verspaares ‚richtigzustellen‘. Mhd. brëhen bedeutet ‚plötzlich und stark leuchten, glänzen, funkeln‘, ist aber, wie sowohl Benecke/Müller/Zarncke als auch Lexer einräumen, nicht immer klar von brëchen, ‚brechen‘, zu unterscheiden. Auch in der Schreibung prechen kann man daher von der Bedeutung

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seinen intendierten Verwendungszweck defizitär, denn der ästhetische Anspruch an eine Christusfigur umfasst sicherlich nicht lange Ohren und einen dicken Hals. Jedenfalls aber erscheint der Kruzifixus/Pfarrer durch den jähen Wechsel von Schön zu Hässlich als höchst ambivalente Kippfigur. In beiden Texten erfolgt die optische Prüfung der Statue durch den Ehemann in der Richtung von oben nach unten, also beim Kopf beginnend (diesem Muster folgen literarische descriptiones von Figuren üblicherwei­ se, ebenso wie Ekphrasen55 – und um solche handelt es sich hier ja eigentlich ebenfalls). Im Bildschnitzer wird diese eingehende Prüfung noch zusätzlich dramatisiert durch eine geschickte Lichtregie: Der Künstler verschafft sich in der offensichtlich dunklen Kammer einen Über­ blick über die Statuen mittels eines Lichts, bleibt an dem Propst hängen und leuchtet diesen von oben bis unten genau aus. Sein Körper wird auf diese Weise – indem nämlich seine Teile von dem Licht offenbar nur einzeln und nacheinander erfasst werden können – auch noch fragmentiert, was sowohl den Objektstatus des Propstes unterstreicht als auch den Effekt der Demütigung ver­ stärkt. In beiden Texten schließlich kippt dann bei der Leibesmitte des Pfarrers/Propstes allerdings die Betrach­ tungsweise in eine rezeptionsorientierte Perspektive. Nun geht es nicht mehr um eine möglichst lebendige, wirk­ lichkeitsnahe Darstellung, sondern darum, ob das Werk den Betrachtenden gefällt bzw. wie es von diesen beurteilt und eingeordnet wird. Die Ehefrau bringt zudem jeweils den Nutzungskontext des Objekts im Rahmen imagi­ nierter oder realer Frömmigkeitspraxis ein, wenn sie auf das Anbringen von Wachslichtern am (bzw. nahe beim?) Genital anspielt. Erweitert (und drastisch zugespitzt für den hilflos zuhörenden Kleriker) wird die Debatte durch die vom Künstler aufgerufene Option, am Kunstwerk noch nachträgliche Eingriffe vorzunehmen und dieses so

zu optimieren. Im Herrgottschnitzer fürchtet der Meister, die schlechte Ausführung könnte negativ auf ihn und sei­ nen Ruf zurückwirken. Die Handschriften bringen zwei unterschiedliche Lesarten: ich lanz niht also stan! ich muoz es balde sniden zuo, daz ez mir iht schaden tuo an miner meisterschefte.56 (V. 204–207) In der Karlsruher Handschrift folgt auf diese Ankündi­ gung des bereits messerwetzenden Künstlers direkt die Flucht des Pfarrers, und die Ehefrau kommt nicht zu Wort. Die Weimarer Handschrift hingegen bringt fol­ genden Wortlaut: Daz ist scheitzlich geschaffen, Daz muß ich anderst machen.“ Die red von dem man geschach, Nu hört wie die fraw sprach: Nu du solt es hangen lan So steckent die pauren kertzen dazuo. (V. 196a–f ) Hier sind es Bauern, die Kerzen anbringen, im Bildschnit­ zer […] kleiben die frauen ir wachslicht daran (V.  100). Der Verweis auf diese möglichen Nutzungsszenarien der Statue 57 hat hier primär komische Wirkung und stellt im Handlungsverlauf ein retardierendes Moment dar, für den zuhörenden Pfarrer/Propst wird damit Spannung er­ zeugt (ist sein Genital womöglich doch noch zu retten?) und er wird somit noch weiter auf die Folter gespannt, was wiederum das Publikum amüsiert. Dass die vorge­ spielte Fürsprache der Ehefrau nicht fruchten wird, ist für dieses ja unschwer vorhersehbar. Die fingierte Ästhetik-Diskussion in Gegenwart des in die Rolle des passiven Objekts gezwungenen Propstes

‚glänzen, leuchten, strahlen‘ ausgehen; schên bringt Lexer als Schreibvariante von schoene, und send kann insbesondere im bairischen (und für die Weimarer Handschrift wird eine Entstehung im Augsburger Raum angenommen!) als Variante von sint (3. Person Plural von sîn) erscheinen (Lexer, Lemma sîn). Das Verspaar wäre somit folgendermaßen zu verstehen: „Sein Mund ist rot, seine Augen strahlen / sie sind außergewöhnlich schön“. Der Beschreibungsfokus liegt demnach auf Mund und Augen, die (bei Christusfiguren des fraglichen Zeitraums eigentlich kaum je sichtbaren) Zähne fallen damit weg. Die ‚Figur‘ hat die Augen nicht geschlossen, sondern der sich wohl fürchtende Pfarrer hat anscheinend die Augen weit aufgerissen. 55 Vgl. dazu z.B. Brassat, Squire 2017, 63–66; 73f. 56 Auch hier ist semantisches Potenzial für Ambivalenzen vorhanden: meisterschaft verweist dem Wortsinn nach sicher zunächst auf die Kunstfertigkeit des Herrgottschnitzers bzw. auf seinen Status als Meister im Handwerk, unter der Oberfläche jedoch auch auf seine Rolle als Ehemann und auf den Pfarrer als seinen Konkurrenten im sexuellen Sinn (meisterschaft hier also im Sinne von ‚Überlegenheit, Herrschaft, Machtstellung‘); vgl. Benecke/Müller/Zarncke, Lemma „meisterschaft“. 57 Dass hier nicht auf Penisse als Kerzenleuchter im sakralen Raum referiert wird, ist klar; vielmehr wird ein Assoziationsfeld eröffnet, das  Praktiken der Heiligenverehrung und der Andacht mittels Anbringen von Kerzen, auch etwa als Votivgaben, in der räumlichen Nähe von sakralen Bildwerken und Plastiken aufruft. Grubmüller 2011, 1326, interpretiert dies so, bringt aber auch einen intertextuellen Verweis auf eine ähnlich lautende parodierende Passage aus einem frühen Nürnberger Fastnachtsspiel.

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hat einerseits einen komischen Effekt, nicht zuletzt auf­ grund der ‚Fallhöhe‘ zu ihrem niederen Gegenstand (dem Geschlechtsteil), erfüllt aber auch eine selbstreferentielle Funktion, denn es geht um die Beurteilung von Kunst­ handwerk – wobei hier eben nicht ein Kunstwerk nach dem Vorbild eines Menschen entsteht, sondern etwas Lebendiges in ein pild verwandelt wird, mit allen damit verbundenen Konsequenzen und Implikationen.58 Der Herrgottschnitzer/Bildschnitzer wird somit zu einer Art Pygmalion unter verkehrten Vorzeichen, ein neuer, komischer Prometheus. Die Faszination an Bild­ nissen und Statuen, die lebendig werden, ist ein altes Thema, das nicht nur seinen Platz in nicht-christlichen Schöpfungsmythen hat, sondern auch z.B. in den Apo­ kryphen59 in Form des kindlichen Jesus begegnet, der kleine Tonvögelchen formt und dann zum Leben erweckt, und das seit der Antike in immer wieder neuen literari­ schen Bearbeitungen durchgespielt wird – zu nennen ist im Kontext der europäischen Literatur wohl an vorderster Stelle der Rosenroman, der den Pygmalionmythos auf­ greift und mit Fragen nach den schöpferischen Fähig­ keiten von Natur und Kunst verknüpft.60 Ständekritik Ein Kleriker sollte sich durch keusches Verhalten aus­ zeichnen; die Kleriker in den beiden untersuchten Erzäh­ lungen jedoch tun dies gerade nicht, sondern werden vom Ehepaar auf ihre ‚nackte‘ Geschlechtlichkeit reduziert. Sowohl der Mönch/Pfarrer als auch der Propst bestäti­ gen diese Reduktion implizit, als sie vor der drohenden Kastration fliehen – sie werden zur Karikatur ihrer Rolle. Allerdings ist die Kritik am Klerus und die Darstellung lüsterner Geistlicher in Mären genretypisch, sodass die Statue zwar in Hinblick auf die eigentliche Rolle eines Geistlichen eine Perversion darstellt, in intertextueller Hinsicht jedoch umgekehrt die folgerichtige Vergegen­ ständlichung dieser invertierten Rolle ist.61 Dies gilt in noch wesentlich stärker zugespitzter Form im Herrgott­ schnitzer: Der Pfarrer wird zum Gegenteil von Christus stilisiert, was in materieller Form drastisch vor Augen geführt wird durch seine Inszenierung als pervertierter Kruzifixus.

In den beiden Texten werden zwei verschiedene Vertreter des geistlichen Standes kritisiert, die auf unter­ schiedlichen Stufen der klerikalen Hierarchie stehen und sowohl innerhalb der Kirche als auch außerhalb von ihr – beispielsweise aus einer städtisch-laikalen Perspek­ tive – völlig anders bewertet werden, was jeweils nicht ohne Folgen für die Handlungslogik ist. Im Bildschnitzer geht es um den probst vom tum (V. 12), also einen hohen kirchlichen Würdenträger in der Stadt; im Herrgottschnitzer dagegen agiert ein entlaufener Mönch, der sich in der Stadt als Pfarrer niederlässt und sehr darauf bedacht ist, seine Vergangenheit geheim zu halten, als Freier: Nu was ein münch abtrünnic worden von einem swarzen orden, den der tiuvel darzuo twanc daz er an leit werltlich gewant durch sinen üppigen sin, und kam zer selben stete hin […] und wart da pfarraere. nieman west daz er münich waere wan got und sin gewizzen. (V. 19–24; 27–29) Der Text lässt von Anfang an keinen Zweifel an der mo­ ralischen Bewertung der Figur und verurteilt den abtrün­ nigen Mönch aufs Schärfste. Von niederen Beweggründen und gar vom Teufel selbst dazu angestiftet verlässt er sei­ nen ‚schwarzen Orden‘,62 um in der Stadt ein weltliches Leben zu führen. Mit großem Geschick und durch große Kompetenz in den Aufgabenbereichen eines Pfarrers, die er sich angeeignet hat, gelingt es ihm, unauffällig zu leben und seine Herkunft geheim zu halten – seine Links zum Kloster sind also gewissermaßen gekappt und nur mehr Gott und seinem Gewissen bekannt. Der Teufel zwang ihn zum Verlassen des Klosters, V.  21, und die minne zwingt ihn dazu (V. 33), der Frau des Herrgottschnitzers nachzustellen. Durch diese Doppelung mit dem jeweils eingesetzten Verbum twanc wird der Mönch/Pfarrer als Opfer seiner Triebe stilisiert, der zu schwach ist, um den verschiedenen Anfechtungen zu widerstehen. Hier wird bereits seine spätere passive Opferrolle präfiguriert: So wie er bereits zum Spielball von Teufel und Minne ge­ worden ist, so wird er auch später, durchaus folgerichtig,

58 Vgl. dazu Reichlin 2009, 160. 59 Besagte Textstelle findet sich im Kindheitsevangelium nach Thomas (KThom 2). 60 Zum Pygmalionmythos im Roman de la Rose und anderen mittelalterlichen Dichtungen vgl. Kruse 2008. 61 Vgl. dazu Reichlin 2009, 155. 62 Gemeint sind mit dieser Referenz auf die Ordenstracht die Benediktiner, vgl. Del Duca 2013, 133.

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zum passiven Objekt, an dem das Ehepaar seinen Betrug ausführen kann. Die in den Texten vorgebrachte Kritik am Klerus richtet sich hauptsächlich auf die Missachtung des Keuschheitsgebotes, aber gleichzeitig auch in einem um­ fassenderen Sinn auf jegliches Fehlverhalten und damit in Zusammenhang stehende Übergriffe auf Mitglieder anderer sozialer Gruppen im städtischen Kontext. Wenn Angehörige des Klerus den Frauen und Töchtern von Handwerkern oder Kaufleuten nachstellen und diese sexuell belästigen, dann stellt dies ein Konfliktpotenzial dar; die Lösung solcher Konflikte konnte sich aber in der Praxis als durchaus komplexe Angelegenheit darstellen, unterlag doch der Klerus kirchlicher Rechtsprechung und war von der weltlichen Gerichtsbarkeit daher oft nicht oder nur unter bestimmten Voraussetzungen zu belan­ gen. Die im Herrgottschnitzer geäußerte Sozialkritik er­ fährt zudem eine weitere Pointierung durch die von der Ehefrau gewählte Formulierung, als sie ihrem Mann vom Werben des Pfarrers und von all den Dingen erzählt, die er ihr in Aussicht stellt: Schmuck, Geld und Pelz nämlich biete ihr der Pfarrer ze lehen (V.  88), sofern sie ihm zu Willen sei. Das durch diese Begrifflichkeit aufgerufene mittelalterliche Lehenswesen bildet eine Kontrastfolie zu dem in der Erzählung angestrebten ‚Lehensverhältnis‘, denn während die Beziehung zwischen Lehnsherrn und Vasall idealiter auf einer gegenseitigen Treueverpflich­ tung basierte und auf Seiten des Lehensherrn auch den Schutz des Vasallen sowie gegebenenfalls dessen Vertre­ tung vor Gericht umfasste, ist der Pfarrer lediglich auf einen Tausch materieller Güter gegen ‚Dienst‘ im Sinne sexueller Gefälligkeiten aus. Ein solches Lehen ohne die dazugehörigen personalen Verbindlichkeiten erscheint als defizitär, wenn nicht gar pervertiert, womit es sich  paradigmatisch in die Reihe der in beiden Texten vor­ geführten Defizite und Verkehrungen einfügt.

Verknüpfungen durch Assoziation: Das Spiel mit dem Sagbaren und dem Zeigbaren Ein lüsterner Dompropst, der als pervertierte Heiligen­ figur 63 inszeniert wird, ein abtrünniger Mönch, der den Gekreuzigten am Kreuz substituiert – als wie blasphe­ misch hat ein mittelalterliches Publikum solche Verlin­ kungen empfunden? Vor allem die letztere  Konfigu­ ration – der (nackte) Pfaffe mit aufgemalten Wundmalen am Kreuz – gibt zu denken und wirkt zumindest auf heutige Lesende verstörend. Wie aber wirkte sie in der historischen Rezeption? Für das mittelalterliche Spiel beispielsweise hat Hans Jürgen Scheuer gezeigt, dass sowohl ‚Niederes‘ als auch Heiliges gleichermaßen, wie die zwei Seiten einer Medaille, auf die Wahrnehmung des Heiligen durch Ostentation ausgerichtet sind.64 Sowohl im geistlichen und weltlichen Spiel als auch in schwankhaften Erzählungen kommt es immer wieder zu erstaunlich zugespitzten Engführungen von sakralen und zutiefst profanen Erscheinungen,65 sodass sich das Spektrum dessen, was offenbar als (noch) sagbar galt, als durchaus facettenreich darstellt. Erschwerend für die Be­ antwortung der Frage nach der potenziellen Anstößigkeit bestimmter Inhalte wirkt zudem, dass – berücksichtigt man die Spanne vom vermutlichen Entstehungszeitraum des Herrgottschnitzers bis zur Entstehung der jüngsten Handschrift und geht dann davon aus, dass der Text noch einige Zeit weiter rezipiert wurde – man einen Zeitraum von gut zweihundert bis zweihundertfünfzig Jahren zu beachten hat. Schriftliche Zeugnisse zur konkreten Text­ rezeption, etwa durch explizite Anspielungen in anderen Texten oder kritische Anmerkungen in nicht-fiktionalen Genres, sind nicht greifbar, und es gibt auch in motivi­ scher Hinsicht nichts Vergleichbares in anderen mittel­ hochdeutschen Dichtungen. Die Frage nach dem tatsäch­ lichen Grad an Blasphemie der Darstellung vor allem im Herrgottschnitzer wird sich also kaum beantworten lassen, zumal trotz kollektiver Frames wohl stets auch ein gewis­ ser Spielraum in der Wahrnehmung historischer Subjekte zu unterstellen ist. Es ist auch eigentlich gar nicht diese

63 Auch in Strickers Martinsnacht übrigens erfolgt – wenn auch unter anderen Vorzeichen und nicht unter Einbeziehung bildender Kunst – eine karnevaleske Überblendung von Niedrigem und Heiligem, indem ein in der Martinsnacht auf frischer Tat ertappter Rinderdieb sich nackt (!) auszieht und vorgibt, der Heilige Martin zu sein. Nacktheit erscheint dabei als wesentliches Attribut, das für die Erkennbarkeit des Heiligen nötig ist, und verweist offenbar auf dessen asketische Lebensweise ebenso wie auf die Episode der Mantelteilung. Jeden­ falls macht die Ineinssetzung eines nackten Rinderdiebs mit einem Heiligen offenbar „Transzendenz […] in der Immanenz taktisch ver­ fügbar, ohne notwendig sanktioniert zu werden“, Friedrich 2014, 98. Mit aller gebotenen Vorsicht lässt sich hier zudem ein assoziativer Object Link zu der nackten Heiligenfigur im Bildschnitzer ausmachen. 64 Scheuer 2015, 53; zur Integration des Heiligen und des Komischen im mittelalterlichen Spiel vgl. auch Scheuer 2017. 65 Wenn etwa der Protagonist des Nürnberger Vasnacht spil vom dreck als eckstein apostrophiert und auf diese Weise sehr direkt mit Christus verlinkt wird; vgl. Scheuer 2015, 42f.

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Abb. 3: Tiroler Bildschnitzer, Kruzifix, Ende 12. Jahrhundert bzw. um 1200, Wien, Österreichische Galerie Belvedere, Inv.Nr. 5986.

Frage, die hier primär interessiert, sondern eher das as­ soziative Feld, das die Texte eröffnen, und durch welche extradiegetische Elemente dieses Feld beeinflusst wird. Der Begriff Assoziation meint ja ‚Vergesellschaftung‘, und wer assoziiert, der stellt mentale Verbindungen – also Links – her. Die Object Links, um die es in der konkreten  Konfiguration vor allem im Herrgottschnitzer vorder­ gründig geht, entstehen zwischen zwei ‚Objekten‘, auf die der Text fokussiert und die metaphorisch überblendet werden: Es ist dies auf der einen Seite das Genital des Pfarrers und auf der anderen Seite das Genital Christi. Dass Körperteilen im mittelalterlichen Verständnis situa­ tiv ein Objektstatus unterstellt werden konnte (und zwar nicht nur, wenn es sich dabei beispielsweise um Prothesen handelte), und dass dieser Objektstatus insbesondere bei den Geschlechtsorganen wiederum in schwankhaften Kurzerzählungen über intentional wörtlich verstande­ ne Metaphorik literarisch produktiv gemacht wurde,

beweisen die zahlreichen verloren gegangenen, wieder gefundenen oder auf andere Weise als eigenständige materielle Entitäten wahrgenommenen Genitalien.66 Im Herrgottschnitzer erscheint die Sicht auf diese beiden Ob­ jekte einerseits merkwürdig zugespitzt, andererseits aber wird sie (absichtlich?) getrübt. Es scheint zunächst klar, dass der Herrgottschnitzer, wenn er fragt: was ist daz / daz hie ze tale hanget? (V. 194f.)67, sich auf die Geschlechtsteile des Pfarrers bezieht und in der Folge deren Verstümme­ lung androht. Andererseits aber wurde zuvor nie explizit ausgesprochen, dass die Frau des Bildschnitzers den Pfarrer wirklich vollständig entkleidet hätte, bevor sie ihn bemalte und ans Kreuz stellte. Der Text bleibt durch seine Begrifflichkeiten sowie auch durch Leerstellen in der Narration in einem Maße vage und unbestimmt, das einen gewissen Interpretationsspielraum offen lässt und eine direkte Verbindung zwischen dem entblößten Geschlecht des Pfarrers und jenem des Gekreuzigten vermeidbar macht. Dies erfolgt – so die These – durch die Möglichkeit, ein Stellvertreterobjekt assoziativ ‚zwischenzuschalten‘: den Knoten im Lendentuch des Gekreuzigten. Dieses Referenzobjekt war im zeitgenössischen Re­ zeptionshorizont mit hoher Wahrscheinlichkeit (noch) verfügbar und konnte vom Publikum der Texte an sak­ ralen Kunstwerken gesehen werden, auch wenn sich die Art der Darstellung bei Kruzifixen innerhalb des Über­ lieferungszeitraums der Texte änderte. Der Typus des Kruzifixus mit dem auffallend gestalteten Mittelknoten im Lendentuch, wie er sich beispielsweise auf Abb. 3 dar­ stellt, war vor allem in der romanischen Kunst üblich, be­ gegnet in der Plastik (auch in Elfenbeinreliefs) wie auch in anderen Medien, etwa der Buchmalerei.68 Das phalli­ sche Aussehen eines solcherart gestalteten Mittelknotens erklärt sich aus der Intention, Christus als über den Tod triumphierend darzustellen und folglich die Virilität und Kraft seiner Körperlichkeit zu betonen;69 dies beobachtet beispielsweise auch Horst Bredekamp in seiner Untersu­ chung eines Triumphkreuzes aus dem Bode Museum und weist auf die folgerichtige Logik einer Darstellungsweise, die das spannungsvoll nach oben Strebende betont.70

66 Der Übergang vom Objekt mit Werkzeugcharakter (vgl. z.B. Der Striegel des Strickers) zum eigenständigen sich bewegenden, sprechenden Akteur (z.B. Der Turney von dem Czers/Das Nonnenturnier und viele andere) ist dabei fließend. 67 Lesart der Heidelberger Handschrift. 68 Vgl. dazu die allgemeine Überblicksdarstellung bei Thoby 1959 sowie auch, speziell nach den Formen des Lendentuches kategorisiert, bei Hürkey 1983. 69 Im Gegensatz zur späteren, stärkeren Betonung des Schmerzes und Leidens Christi. 70 Bredekamp 2008, 19: „Indem sich der Körper Christi mit den verletzungsfreien Füßen zu stützen vermag, verstärkt sich der Eindruck einer aus dem Hängen in eine aufrechte Form drückenden Bewegung, die vor allem in der Seitensicht des nicht herabsackenden, sondern als leichter Bogen seine innere Spannkraft offenbarenden Körpers evident wird […]. Dem entspricht der in seiner phallischen

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Aus dieser Perspektive betrachtet würde wiederum beim Pfarrer ein Aspekt des Defizitären ironisch in den Blick genommen – denn was ze tale hangt ist nicht phallisch, das schlaff Herabbaumelnde erscheint als das Gegenteil von positiver (Heils-)Energie.71 Der Herrgottschnitzer würde in diesem Fall also die ironische ‚Bewertung‘ der Skulptur spielerisch weitertreiben indem er vorgibt, den durch seine Gesellen schlecht ausgeführten Knoten zu kritisieren (wiewohl das, was er tatsächlich sieht, das hän­ gende Genital ist). Gleichzeitig kann der Mittel­knoten im Lendentuch Christi auf das Zingulum der Ordenstracht verweisen, das als vestimentäres Symbol der Keuschheit das Versagen des Pfarrers in dieser Hinsicht in aller Deut­ lichkeit offenlegt. Ein Problem bei einer solchen ange­ nommenen assoziativen Verbindung zwischen dem Text und den genannten visuellen Darstellungen ist aller­dings die zeitliche Distanz – das in Abb. 3 gezeigte Beispiel vom Beginn des 13. Jahrhunderts ist bereits eines der jüngsten auffindbaren Beispiele dieses Kruzifix-Typus und wurde somit jedenfalls fünfzig Jahre vor dem Herrgottschnitzer geschaffen. Allerdings ist davon auszugehen, dass die älteren Kruzifixe weiter genutzt wurden72 und nicht von heute auf morgen aus dem Blickfeld der Rezipierenden verschwanden, sodass sie möglicherweise weiterhin sicht­ bar waren und für eine Assoziation in Frage kamen. Im Gegensatz zur verhüllenden Darstellungsweise der Heidelberger Handschrift bringt der jüngste Überliefe­ rungsträger, die Weimarer Handschrift von ca. 1475, eine vergleichsweise explizite Textvariante, die keine Fragen offen lässt: Wetter teuffel ist daz Daz do hangt mit schanden ploß Zwen zu lanck daz drit zu groß. (V. 194–196) Dass der Pfarrer hier als nackt adressiert und Kritik an den Größenverhältnissen seiner Geschlechtsteile geübt

wird, wird deutlich. Kann bzw. konnte jedoch im Gegen­ zug Christus am Kreuz als völlig unbekleidet imaginiert werden? Visuelle Darstellungen, auf denen Christus tatsächlich nackt wäre, erscheinen sowohl für die Plas­ tik als auch für die Malerei des Mittelalters aus heutiger Perspektive zunächst kaum denkbar (sieht man von par­ tiell enthüllenden Darstellungen, beispielsweise den ab dem 14.  Jahrhundert von Italien aus sich verbreitenden transparenten Lendentüchern sowie von den stark nach unten verrutschten und im Wind wehenden Tüchern ab etwa dem 16.  Jahrhundert ab).73 Andererseits wird Christus bei der Kreuzigung jedoch durchaus als nackt wahrgenommen – er wird im Zuge der Passion seiner Kleider samt ihrer schützenden und den Stand visuali­ sierenden Funktion beraubt, was Teil der Demütigung ist und gleichzeitig auf die mittelalterliche Bedeutung des Begriffs bloß verweist. Durch die Entblößung wird gleichzeitig auf drastische Weise Christi Menschlichkeit und Körperlichkeit betont; Christus wird dadurch zum Objekt der compassio. Im Kontext des mittelalterlichen Passions­ spiels ist davon auszugehen, dass der Schau­ spieler, der den Gekreuzigten darstellt, nicht wirklich entblößt auftritt. Nacktheit wurde in mittelalterlichen Spielen – so lässt sich dies aus Regieanweisungen und Requisitenrechnungen erschließen – üblicherweise durch ein sogenanntes lipkleit codiert; es handelt sich da­ bei um ein wohl enganliegendes und hautfarbiges Kleid (teils aus Leder gefertigt) oder aber ein einfaches Hemd. Trugen die Schauspieler dies, so ‚waren‘ sie nackt und lösten die entsprechenden affektiven Reaktionen beim Publikum aus.74 Eine den Passionsspielen nahe stehende Textgattung, in der eine tatsächliche Nacktheit Christi über die compassio-Darstellung thematisiert wird, sind die Marienklagen, in denen sich Maria der Nacktheit ih­ res Sohnes am Kreuz erbarmt und dies entsprechend ver­ balisiert. In der Bordesholmer Marienklage von 1475/7675 beispielsweise wird Christus als tatsächlich völlig nackt

Erscheinung für den modernen Blick irritierende Bauchknoten. Zu seiner Zeit aber erschien er als theologisch geforderter Hinweis auf den körperlich exaltierten ‚Sieg über Tod und Sünde‘.“ In seiner Analyse des romanischen Bronze-Kruzifixus geht Bredekamp in der Folge auch auf die offenen Augen Christi ein: „Zu dieser Sinnschicht gehören auch die keineswegs geschlossenen sondern deutlich mit ihren Pupillen ausgestatteten Augen, die den Übergang von der Brechung zur Wiederbelebung zeigen“ (ebd.), was an die mittels des mhd. Verbums brechen (‚brechen‘?/‚glänzen‘?) beschriebenen Augen des Pfarrers/Kruzifixus im Herrgottschnitzer erinnert. 71 Zur Annahme ‚echter‘, nicht durch den phallischen Gewandknoten metaphorisierter Erektionen in spätmittelalterlichen und frühneuzeitlichen Darstellungen Christi vgl. Steinberg 1996. 72 So wurde beispielsweise das romanische Triumphkreuz aus Gaal, das ebenfalls den markanten aufragenden Mittelknoten im Lendentuch aufweist, als Wegkreuz weiter genutzt, vgl. Ausstellungskatalog Niederösterreich 1976, 588. 73 Vgl. dazu die Darstellung von Thoby 1959. 74 Grafetstätter 2008, 375f. 75 Dies deckt sich sehr genau mit der Entstehungszeit der Weimarer Handschrift vom Herrgottschnitzer, und in etwa mit der Entstehungszeit des Bildschnitzers von Würzburg.

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Abb. 4: Kruzifixus, entstanden vermutlich in Passau um 1460/1470, Linz, Schlossmuseum, Inv.Nr. S 1253.

beschrieben: Maria nimmt ihren Schleier ab, um damit seine Scham zu bedecken.76 Auf geradezu überwältigend direkte Weise verlinkt mit der Verhüllung des nackten Christus, so wie sie in der Bordesholmer Marienklage ge­ schildert wird, erscheint jener wohl in Passau zwischen 1460 und 1470 geschaffene Kruzifixus, der sich heute im Schlossmuseum Linz befindet und als die älteste Skulp­ tur des nackten Gekreuzigten nördlich der Alpen gilt 77 (Abb. 4). Dieser war, so nimmt man an, für die rituelle Ein­ bindung in ein Kreuzabnahmespiel geschaffen worden, waren doch seine Arme ursprünglich mittels beweglicher Scharniergelenke in den Schultern am Rumpf befestigt,

sodass seine Arme für die Grablegung an den Körper angelegt werden konnten.78 Inhaltlich stehen die Kreuz­ abnahmespiele vor allem über die Darstellung von Trauer, Schmerz und Compassio der Gottesmutter in engem Zusammenhang mit den Marienklagen,79 und es gibt neben überlieferten Spieltexten aus Wels, Wien und aus dem Tiroler Raum eine Elevatio Crucis aus Passau, die um 1467–70 entstanden ist und eben einen solchen Kruzifixus mit schwenkbaren Armen, wie er auf Abb. 4 dargestellt ist, für Passau bezeugt.80 Hierin manifestiert sich ein überra­ schend direkter Object Link zwischen Texten, skulptu­ ralen Darstellungen und (para)liturgischen  Praktiken. Die in ganz Europa bezeugten mittelalterlichen Kruzifixe mit beweglichen Gliedmaßen dienten in besonderem Maße der Vergegenwärtigung des Heilsgeschehens, ver­ fügten über eine ihnen eingeschriebene „performative Kompetenz“ und ließen eine Manipulation nicht nur zu, sondern formulierten explizite Berührungsangebote.81 Dies beinhaltete insbesondere auch die Möglichkeit des Bekleidens eines solchen „handelnden Bildwerkes“:82 So nimmt man an, dass der Linzer Kruzifixus rituell mit einem (freilich nicht mehr physisch erhaltenen bzw. überlieferten) Lendentuch bekleidet sowie sein Kopf mit einer (ebenfalls nicht erhaltenen) Perücke bedeckt wur­ de; darüber hinaus weist der Corpus – insbesondere an den Füßen – Spuren körperlich-taktiler Verehrung auf, wie sie beispielsweise durch Küssen und intensives Be­ rühren entstehen.83 Wie stark die emotionale Wirkung eines solchen nackten Kruzifixes mit beweglichen Glied­ maßen auf die Gläubigen gewesen sein muss, lässt sich wohl nur erahnen; wohl aber kann das Bedeutungsspekt­ rum, das eine solche Darstellungsweise eröffnet, umrissen werden. Lothar Schultes weist in diesem Zusammenhang auf die typologische Verbindung zwischen Christus und Adam hin,84 die in der mittelalterlichen Kunst stets aufs Neue aufgegriffen und auf vielfältigste Weise realisiert wird. Die Nacktheit Christi symbolisiert demnach die Wiederherstellung der Unschuld und die Heilung vom Sündenfall: So wie die Nacktheit Adams den paradie­ sischen Zustand unschuldiger, heiler Menschlichkeit zum Ausdruck brachte, so drückt die Nacktheit des

76 Grafetstätter 2008, 383. 77 Für den Hinweis auf die Existenz dieses Werks danke ich meiner Kollegin Heike Schlie sehr herzlich. 78 Schultes 2015, 458. 79 Taubert 1974, 71. 80 Taubert 1974, 57. 81 Rath 2016, 159f. 82 Schultes 2015, 458. 83 Schultes 2015, 456. 84 Schultes 2015, 475f.

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Gekreuzigten die Rückkehr in diesen Heilszustand aus. Zurückbezogen auf den Herrgottschnitzer bedeutet dies, dass sich durch die Assoziation einer solchen unschuldi­ gen, heilvollen Nacktheit eine Art ‚Anti-Typologie‘ her­ stellen lässt. Die Nacktheit des Pfarrers ist eben gerade nicht von Unschuld gekennzeichnet, sondern steht für das Verhaftet-Sein des Menschen im Zustand der Sünde und für seine Erlösungsbedürftigkeit. Der postlapsarische nackte Körper bildet einen eklatanten Kontrast zu dem reinen nackten Körper des Erlösers – und steht somit offenbar in jenem „non-disjunktiven Verhältnis“ 85 zu ihm, das durch die scheinbar paradoxe Korrelation von Hei­ ligem und Profanem letztlich darauf ausgerichtet ist, das Heilige auf besonders eindringliche Weise zu bestätigen und zu vergegenwärtigen. Object Links III: Ausblick/Exkurs – Der Bildschnitzer-­ Schwank reframed Behandelt man (wie eingangs festgehalten) Texte, und in der Folge auch Teile von Texten – also einzelne Episoden, kurze Binnenerzählungen und abgeteilte Sequenzen oder ‚Sub-Plots‘ –, als Objekte, so ist davon auszuge­ hen, dass sich Object Links auch zwischen Texten und ihren Bauteilen etablieren. Zum Tragen kommen dabei zwei Ebenen: zum einen die Erzählung selbst als ein in sich zusammengesetztes Objekt (d.h. als Komposition bestehend aus Figuren, Motiven, Handlungen, Struk­ turen, die ihrerseits austauschbare Elemente sind und innerhalb der Erzählung je neu  konfiguriert werden können) und als Objekt, das wiederum (als Ganzes oder in Teilen) in ein neues, größeres Ganzes integriert wer­ den kann. Im Zuge eines solchen  Reframings 86 würde ein Text oder Textteil neu kontextualisiert und somit in geänderte Sinnzusammenhänge eingegliedert (entweder implizit oder aber explizit, als Zitat). Zum anderen wird die Objekthaftigkeit der Erzählung bzw. des Textes als Kunstwerk greifbar auf der metaphorischen Ebene, wenn nämlich der literarische Schaffensprozess gefasst wird als ein Prozess des Zusammenbauens, Anordnens und kunstvollen Konfigurierens von – für einen be­ stimmten Zweck sinnvollen und notwendigen – Teilen. Der Dichter bzw. Autor wird hierbei zum Handwerker,

literarisches Schaffen bzw. Erzählen wird begriffen als ein (erlernbarer) Vorgang des Bearbeitens von bereits vorhandenem Material oder auch als kunstvolle (Neu-) Anordnung vorgefundener Versatzstücke,87 um neue Sinnzusammenhänge zu stiften. Dies wird in mittel­ alterlichen literarischen Texten immer wieder explizit reflektiert, sei es etwa in der Metapher vom Dichter als Zimmermann bei Thomasin von Zerklaere, als Schmied bei Barthel Regenbogen, als Weber bei Michel Beheim und in vielen weiteren Beispielen.88 Es geht dabei aber um weit mehr als ‚nur‘ um das handwerklich korrekte Fügen der Teile: Es geht um Kunstfertigkeit, und es geht um die Frage, wie sich ästhetisch ansprechende, täuschend ‚echte‘ Figuren und Szenen mithilfe von Spra­ che schaffen lassen (hier dienten seit jeher ‚berühmte‘ mythische Künstler und kreative Schöpfer aus der Antike wie etwa Pygmalion, Zeuxis von Herakleia oder Prometheus als Beispiele). Darüber hinaus gilt es in diesem Verständnis von Kunstfertigkeit, das eigene Tun einerseits durch regelkonformes Vorgehen und ande­ rerseits durch Anbindung an Traditionen fundiert zu legitimieren. Das bedeutet, dass immer dann erhöhte Aufmerksamkeit geboten ist, wenn Texte handwerkliche und/oder künstlerische Schaffensprozesse thematisieren, da der Verdacht naheliegt, dass sie damit ihre eigene Gemachtheit und ihren Status als Artefakt autoreferen­ ziell in den Fokus rücken. Die erstaunliche Wanderung und Neukontextualisie­ rung des Herrgottschnitzer- bzw. Bildschnitzerschwanks kann unter diesen Vorzeichen betrachtet werden: Im 13.  Jahrhundert aus altfranzösischen Fabliaux in die deutschsprachige Dichtung entlehnt, fügt sich der Text als komisch-groteske Kurzerzählung mit den bekannten Ingredienzien – (versuchte) Ehebruchshandlung eines Klerikers, schlau angelegte Betrugshandlung des betrof­ fenen Ehepaars, Bloßstellung bzw. Erniedrigung des Kle­ rikers – in den zeittypischen literarischen Kontext mit­ telhochdeutscher Mären ein. Durch die Ineinssetzung des auf jeder Ebene defizitären betrogenen Klerikers mit dem Gekreuzigten werden vermutlich in religiöser Hin­ sicht die Grenzen des Artikulierbaren abgetastet und wird mit seinen verschiedenen semantischen Links ein durchaus spannungsvolles Diskursfeld eröffnet. Rezipiert

85 Scheuer 2015, 33. 86 Zum Begriff des  Reframings in Bezug auf Werke der bildenden Kunst vgl. auch den Beitrag von Heike Schlie in diesem Band. 87 In der Terminologie traditioneller Rhetoriklehre wäre der Ausgangspunkt dafür die inventio einer materia, die dann geformt, gegliedert und geordnet (dispositio) und mit entsprechenden sprachlichen Mitteln gestaltet wird (elocutio). 88 Vgl. dazu z.B. Trinca 2008; zum Dichter, der sich als Schaffender eines Kunstwerks inszeniert und in eine Reihe mit anderen werkschaffen­ den Instanzen stellt, vgl. etwa auch Vollmann 2017.

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wurde der Text aber – gerade deshalb oder trotzdem? – durchaus rege.89 Nach ihrer vermuteten Entstehung gegen Ende des 13.  Jahrhunderts wird die Erzählung vom 14. bis ins 16.  Jahr­hundert immer wieder handschriftlich überlie­ fert (die jüngste Handschrift des Bildschnitzers entstand um das Jahr 1525). Gegen Ende des 15. Jahrhunderts aber taucht er plötzlich als lehrhaftes Exempel bzw. als anek­ dotischer Einschub im Kontext pragmatischer Schrift­ lichkeit wieder auf: in Friedrich Riedrers Spiegel der waren Rhetoric.90 Dort erscheint die Erzählung im Vergleich zu den früheren Fassungen völlig säkularisiert und in einen gänzlich anderen Sinn- und Motivationszusammenhang gestellt, dient sie doch als lehrhafte Verdeutlichung von Riedrers Ausführungen zum Thema der richtigen, gut ge­ schulten Schreibpraxis, und darüber hinaus als „Beglau­ bigung“ für die Authentizität des Prometheus-Mythos. Der Spiegel der waren Rhetoric ist ein 1493 erschienenes Kanzleihandbuch; sein Autor Friedrich Riedrer war zu dieser Zeit Stadtschreiber und gelehrter Buchdrucker in Freiburg im Breisgau.91 Das Werk besteht aus drei gro­ ßen Teilen und setzt sich aus Übersetzungen und Bear­ beitungen lateinischer Rhetoriktraktate, allen voran der Rhetorica ad Herennium, und eigenen praxisorientierten Überlegungen zusammen. Gleichzeitig sollen humanis­ tische Gelehrtenpositionen in die konkrete Rechts- und Kanzleipraxis übertragen werden – mit dem Ziel, der gesellschaftsschädigenden Wirkung „ungemeisterter Rede“ 92 entgegenzuwirken. Riedrer kompiliert zu diesem Zweck eine Vielzahl an Zitaten, anekdotischen Episoden und rhetorischem Florilegiengut, passt dabei aber seine Zitate stets dem Kontext an und fügt nicht „willkürlich angelesenes und ungeordnetes Bildungsgut ein[…]“ 93. Ziel ist die Mäßigung der Umgangsformen und der Ausgleich von Gegensätzen durch beherrschte Rede und Schrift, die als reflektierte Kunstformen praktiziert werden. Die schlichte Nachahmung (!) des Vorgängigen reicht nicht (mehr), beziehungsweise kann sie nicht mehr Autorität und Kontinuität gewährleisten, sondern birgt eher die Gefahr der Verfälschung in sich, zumal wenn

Wissen und gelehrtes Urteil des Schreibers oder Redners fehlen.94 Im siebten Buch des Spiegels wird Prometheus als Beispiel eines Schaffenden vorgestellt, welcher als wahrer Meister der Form aus Lehm Bildnisse herzustellen ver­ mag, die von lebenden Menschen nur dadurch zu unter­ scheiden sind, dass sie sich nicht bewegen können. Dass so etwas durchaus glaubhaft und möglich ist, untermauert Riedrer nun durch die – von einem Müllersknecht als Gewährsmann vermittelte – Bildschnitzer-Episode (wo­ bei der Bildschnitzer hier nun zum Bildhauer wird, was man eventuell als humanistisch beeinflusste Annäherung an Ovid und den Pygmalion-Mythos lesen mag): Diese glychniß acht keiner vnmöglich: dann mir sagt ein müller knecht das ein iüngling in eins bildhowers hus / (darin vil gemachter götzen stundent) komen: sich mit der frowen die im verwandt wär / früntlich zuergetzen: vnd als der meister mit sampt sinen koufflüten zehus gieng Der iüngling von siner verwandten ylt: vnd uß vorcht gantz nagent zwüschen die gehownen bild stuond. Der bildschnider fürt koufflüt an dasselb end sin bilder zebeschowen: vnd hat kein vnderscheid sins eigen wercks / vnd des iünglings / wiewol er den flyssig besichtiget: mit [LXIIIIr] scheltung sines knechts das er demselben bild zevil schandbar holtz oben zwüschen beinen gelassen hett. Vordert von synem wyb ein pygel: solh überflüssig gewechs hinzehowen. Der jüngling förchtende ruckt ab statt mit vngestimikeit die bild durcheinander bewegende: entrann in sin eigen hus. Der Bildhower mit verwundern durch was geist sin götzen besessen wären: Ylt snell dem louffenden bild nach / bitz ans iünglings thür die durch inn vorm yler zuogedruckt ward: ervordert mit grüwlichem klopffen und schryen im sin entloffen bild widerumb volgen zelassen. Der iüngling ein mann von Eeren vngesumpt sich dazwüschen in kleidung verfügt / oben zum laden herab des klopffenden meinung fragt: vnd vff sin eruordren des entloffnen bilds antwort: dwyl solich bild in sin hus zuoflucht gehapt hett / vnnd veil wer: wölt ers als glück kouffen vnd behalten: vnd gab im dafür hundert guldin: hiemitt sye der

89 Frosch-Freiburg attestiert dem gesamten Textkomplex (sie zählt die altfranzösischen und deutschsprachigen Überlieferungsträger zusammen) im Vergleich zu anderen schwankhaften Erzählungen eine reiche Überlieferung und schließt auf eine große Beliebtheit, Frosch-Freiburg 1971, 107. 90 Dieser bemerkenswerte Umstand scheint erstaunlicherweise bis dato sowohl jenen, die sich mit dem Herrgottschnitzer- bzw. Bildschnitzer­ schwank beschäftigt haben als auch jenen, die zu Riedrers Spiegel der waren Rhetoric gearbeitet haben, entweder entgangen oder keiner Erwähnung wert gewesen zu sein. 91 Kleinschmidt 1992, Sp. 70f. 92 Kleinschmidt 1983, 311. 93 Kleinschmidt 1983, 305. 94 Kleinschmidt 1983, 312.

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zwyfel vorgemelter glychniß Promothei irdinin bilder vnd mentschlicher form / hingelegt.95 Die Figurencharakterisierung innerhalb der Erzählung hat sich gegenüber den früheren Varianten der Erzählung am stärksten geändert: An die Stelle des Klerikers tritt ein hinsichtlich seines Standes nicht näher definierter Jüngling, der Ehebruch mit der Frau des Bildhauers/ Bildschnitzers scheint tatsächlich stattzufinden, wird aber durch den Erzähler in keiner Weise weiter kommentiert oder moralisch hinterfragt. Im Gegenteil wird der Jüng­ ling als mann von Eeren charakterisiert und kauft die in seinem Haus Zuflucht suchende Statue, da sie ohnehin zum Verkauf steht, dem Bildhauer um hundert Gulden ab. Der Jüngling erscheint hier eindeutig als positive Figur, er ist ein gewitzter, schlauer und in moderner Dik­ tion wohl ‚smart‘ zu nennender Protagonist. Die weiteren äußeren Handlungselemente bleiben relativ konstant: Der mit Kaufinteressenten heimkehrende Bildhauer begutachtet die Statuen, unter denen sich der nackte Jüngling verbirgt, stört sich an dem ‚überflüssigen Ge­ wächs‘ zwischen dessen Beinen, das er sofort mit einem Beil zu entfernen gedenkt, woraufhin der Jüngling in sein eigenes Haus flieht, wohin ihm der Bildhauer mit Zeter und Mordio folgt. Ein ganz entscheidender Unterschied zum mittelhochdeutschen Bildschnitzer- und Herr­ gottschnitzer-Märe ist jedoch, dass der Bildhauer hier nicht den Jüngling hereinzulegen versucht, sondern selbst der Gefoppte ist. Die Elemente der Erzählung erschei­ nen zwar bekannt, aber nun ganz anders  konfiguriert: Ehefrau und Jüngling bilden eine duale  Konstellation, aus welcher der Bildhauer ausgeschlossen ist; er weiß bis zum Ende nichts vom Ehebruch. Die Tarnung unter den Statuen verdankt sich der Eigeninitiative des Jünglings, die Ehefrau ist hier nicht beteiligt. Der Bildhauer – und das ist hier die eigentliche Pointe – ist selbst nicht in der Lage, den lebendigen Jüngling von seinen Statuen zu un­ terscheiden, wiewol er den flyssig besichtiget. Dies scheint zu implizieren, dass nicht (nur) die Werke des Bildhauers die Mimesis zur Perfektion bringen, sondern umgekehrt auch der Jüngling eine perfekte Imitation der Kunstwerke darstellt. Bezeichnend ist hier auch, dass der von der Ver­ lebendigung ‚seines Werks‘ überrumpelte Künstler diese auf Besessenheit durch einen (bösen) Geist zurückführt. Komisches Potenzial eröffnet sich jedenfalls durch das

spielerische Ausloten eines Feldes, an dessen einem Pol die Charakterisierung des Bildschnitzers als ein wenig simpel gestricktes, an böse Geister glaubendes Individu­ um steht (er erkennt seiner eigenen Hände Werk nicht und lässt sich den Jüngling wie ein Kuckucksei als Opus unterschieben), und an dessen anderem Pol das Wieder­ erzählen des Mythos von der perfekten Mimesis steht, der in zahlreichen bisherigen narrativen Realisierungen vorliegt und bei einem humanistisch gebildeten städti­ schen Publikum zweifellos die entsprechenden intertex­ tuellen Links aufruft. Es stellt sich aber zusätzlich die Frage, ob jene, die den Spiegel der waren Rhetoric rezipierten, die Herkunft dieses Exempels, seine frühere  Konfiguration und sei­ nen ursprünglichen Kontext kannten – ob dieser Link also (noch) aktiv war –, und wenn ja, wie sich dies auf die aktuelle Rezeption auswirkte. Auch wenn sich diese Frage hier nicht klären lässt, so kann doch umgekehrt aus dieser Retextualisierung zumindest geschlossen wer­ den, dass eine (vergleichsweise) dürftige und zum Teil schlechte materielle Überlieferung eines Textes nicht immer zwangsläufig bedeuten muss, dass der Text nicht rezipiert worden wäre.96 Zudem wird in diesem Beispiel klar, dass eine Erzählung allein schon durch ihre Einbet­ tung in einen anderen Kontext auf ein gänzlich anderes Ziel hin funktionalisiert werden kann. Im Sinne der Ob­ ject Links bedeutet dies, dass eine Erzählung durch eine geänderte Verlinkung ihre Bedeutung ändern kann, und dass offenbar die extradiegetischen Links (Eingliederung der Episode in eine frühhumanistische Rhetoriklehre als  Reframing) auf die intradiegetischen Links (gleiche bzw. ähnliche Figurenkonstellationen generieren neue bzw. abweichende Handlungsverläufe) maßgeblich zu­ rückwirken. Zudem drängt sich der Verdacht auf, dass der neue Frame ‚Rhetorikhandbuch‘ in diesem Fall auch eine subversive Lesart der Episode ermöglichen könnte: Das Exempel wäre dann gerade kein Beweis, dass es so etwas wie perfekte Mimesis in der bildenden Kunst überhaupt geben kann, sondern würde vielmehr suggerieren, dass die Wortkunst – bei klarer Differenz des materiellen Sta­ tus – letztlich näher an die ‚Lebensechtheit‘ herankommt, sofern sie kunstgerecht praktiziert wird. Die Integration des Bildschnitzerschwanks in einen neuen Text ist hier somit als übergeordneter sinn- und bedeutungsstiftender Vorgang zu sehen, der offensichtlich Verschiebungen und

95 Knape, Luppold 2009, 172. 96 Der Stoff vom Bildschnitzer taucht in seiner ursprünglichen Form Mitte des 16. Jahrhunderts nochmals bei Hans Sachs auf, der ihn zu einem Fastnachtspiel verarbeitet und mit seiner Handlung nach Regensburg verlegt; vgl. Schmitt 1998, 94. Die intertextuellen Links, die vom Bildschnitzer-Schwank ausgehen, überwinden also offenbar gleich mehrfach literarische Gattungsgrenzen.

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Neuordnungen in den internen Links der Binnenepiso­ de bedingt und gleichzeitig die Verlinkungspotenziale des Gesamttextes maßgeblich erweitert. In dieser Hin­ sicht, und wenn man Texte wie eingangs beschrieben als Objekte begreift, lässt sich der hier beobachtete Vor­ gang durchaus mit dem  Reframing von Kunstwerken vergleichen – beispielsweise mit dem Zerlegen eines zusammen­gesetzten Objektes und der Verwendung von Teilen davon in einem neuen Werkkontext unter neuen Bedeutungs­prämissen. Dabei werden hier wie dort man­ che der ursprünglichen Links (absichtlich oder unfreiwil­ lig) entweder bewahrt und erinnert oder ausgeblendet und eliminiert. Im neuen Objekt entfalten neue Verlinkun­gen ihre Wirkung, können aber auch mit den noch vorhan­ denen älteren Links in ein Spannungsverhältnis treten, das wiederum sowohl problematisch als auch fruchtbar erscheinen kann. Fazit In der Arbeit wurde versucht, einen Weg auszuloten, wie die Analyse von Erzählungen vergleichbar gemacht Primärtextausgaben Grubmüller 2011 Klaus Grubmüller (Hg.): Novellistik des Mittelalters, Berlin 2011. Knape, Luppold 2009 Joachim Knape, Stefanie Luppold (Hg.): Friedrich Riederer, Spiegel der wahren Rhetorik (1493), Wiesbaden 2009. NGA 1967 Neues Gesamtabenteuer. Das ist Fr. H. von der Hagens Gesamtabenteuer in neuer Auswahl. Die Sammlung der mittelhochdeutschen Mären und Schwänke des 13. und 14. Jahrhunderts. Erster Band hg. von Heinrich Niewöhner, 2. Auflage hg. von Werner Simon mit den Lesarten besorgt von Max Boeters und Kurt Schacks, Berlin 1967.

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werden kann mit der Analyse von materiellen Objekten, jenseits von Ansätzen, die sich nur entweder auf die in Texten erzählten Objekte konzentrieren oder Texte als Objekte im Sinn ihrer materiellen Überlieferung als Handschriften und Drucke sehen. Es erscheint dabei sinnvoll, verschiedene Ebenen der Objekthaftigkeit in den Blick zu nehmen und das Potenzial gemeinsam verwendbarer Begrifflichkeiten und methodischer Tools wie auch einer gemeinsamen Perspektive – jener über die Object Links nämlich – zu prüfen und auszuschöp­ fen. Eine umfassende Zusammenschau und Synthese möglichst aller Links, die in einer Erzählung für die Konstruktion der erzählten Welt geknüpft werden und die von einer Erzählung ausgehen – also ihre Beziehun­ gen zu den sie rezipierenden Personen, zu Objekten au­ ßerhalb ihrer selbst und zu anderen Erzählungen – wird zwar in vielen Einzelaspekten Erkenntnisse bringen, die sicher auch durch andere, bisherige literaturwissen­ schaftliche Ansätze geleistet werden können, vermag aber bei konsequenter Verfolgung und durch die Per­ spektivenverschiebung dennoch alternative Deutungs­ möglichkeiten aufzuzeigen und Akzentverschiebungen auszulösen. Gottfried Stangler, Gerhard Winkler (Katalog des Nieder­ österreichischen Landesmuseums. N.F. 66), Wien 1976. BMZ  Mittelhochdeutsches Wörterbuch. Mit Benutzung des Nachlasses von Georg Friedrich Benecke ausgearbeitet von Wilhelm Müller und Friedrich Zarncke, 3 Bde., Leipzig 1854–1866, http://woerterbuchnetz.de/cgi-bin/WBNetz/ wbgui_py?sigle=BMZ. Brassat, Squire 2017  Wolfgang Brassat, Michael Squire: Die Gattung der Ekphrasis, in: Handbuch Rhetorik der bildenden Künste, Berlin 2017, 63–87. Bredekamp 2008 Horst Bredekamp: Der König der Könige als simulierter Android, in: Rolf Füllmann, Juliane Kreppel, Ole Löding, Judith Leiß, Detlef Haberland, Ulrich Port (Hg.): Der Mensch als Konstrukt. Festschrift für Rudolf Drux zum 60. Geburtstag, Bielefeld 2008, 15–44. Christ 2015 Valentin Christ: Bausteine zu einer Narratologie der Dinge, Berlin u.a. 2015. Dahm-Kruse 2018 Margit Dahm-Kruse: Versnovellen im Kontext. Formen der Retextualisierung in kleinepischen Sammelhandschriften, Tübingen 2018.

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Abbildungsnachweis Abb. 1: © Digitalisat: Digitale Sammlungen der HAAB, https:// haab-digital.klassik-stiftung.de/viewer/resolver?urn=urn:nbn: de:gbv:32-1-10003904367 [letzter Zugriff im Juni 2019]. Abb. 2: © Digitalisat: Heidelberger Historische Bestände – di­gital, https://digi.ub.uni-heidelberg.de/diglit/cpg341/0189 [letzter ­Zugriff im Juni 2019]. Abb. 3: © Foto: Wien, Belvedere. Online verfügbar unter https:// digital.belvedere.at/objects/4736/kruzifix [letzter Zugriff im Juni 2019]. Abb. 4: © Foto: Heike Schlie.

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Heike Schlie

Bedeutungsstiftende Links und objektbiografische Konstellationen: Das Goldschmiedewerk des Nikolaus von Verdun im Stift Klosterneuburg Abstract The Klosterneuburg goldsmithery work of Nicholas of Verdun with its triple-register typological system was created in 1181 as an ambo cladding. In 1331, it was expanded and integrated into a hinged winged retable. Thus, within its object biography, different meanings and aspects of the work‘s significance emerge. These conno­ tations are not firmly inscribed in the versions of the work, but rather are generated in the Object Links of the various historical constellations of the ambo and later of the retable. Firstly, this study examines the typological relationships of the pictorial system in terms of Object Links that are intrinsic to the work. Secondly, the links of the entire relevant object, the ambo and the retable, Objekt - Objektensemble Das ehemals als Verkleidung eines Ambos dienen­ de Goldschmiedewerk des Nikolaus von Verdun im Augustiner-Chorherrenstift Klosterneuburg (gemeinhin als Verduner Altar bezeichnet) gehört zu den monumen­ talsten Werken der mittelalterlichen Metallkunst. Das Emailwerk, welches heute als Triptychon zusammen mit dem darüber situierten und die Reliquien des Hl.  Leo­ pold enthaltenden Schrein in der Kapelle des Heiligen im Stift Klosterneuburg aufgestellt ist (Abb. 1),1 befindet sich im Wesentlichen seit seiner Fertigstellung im Jahr 1181 im Stift, wenn auch nicht genau in dieser Gestalt noch an demselben Ort. Es handelte sich bei jedem seiner verschiedenen Zustände um ein äußerst monu­ mentales Werk, in sich selbst ein  Objektensemble, das aus Hunderten von emaillierten, Bild, Schrift oder Orna­ mente enthaltenden Kupferplatten  konfiguriert wurde. Als Objekt im Sinne eines Ausstattungsstückes in der

are explored in their theological, liturgical, and political contexts. Why does a work originate as it does in one particular historical constellation, what desiderata does it fulfil as an object or an object ensemble? How does it develop significance in space and in practices, what effects has it on these actions and spaces and on further object creations, with which affordance does it presents itself for modifications in new historical constellations, and which agency does it develop as an actor in these constellations? These are questions not easy to address from a methodological perspective due to the considera­ ble complexity of the interconnections. The approach of focusing the Object Links of the work within its object biography makes it possible to systematise precisely these interconnections. Stiftskirche, zunächst als Verkleidung eines Ambos und seit 1331 als innere Schauseite eines Flügelretabels, war es wiederum Teil in  Netzwerken von Objekten und Personen, in deren  Konstellationen es selbst nicht nur als passiver Ausstattungsgegenstand, sondern als Akteur gehandelt werden muss. Das Bildprogramm ist in drei Register mit ehemals 15 (seit 1331: 17) Bildachsen aufgeteilt. Die ersten 13 (seit 1331: 15) Achsen verbinden je ein in der Mitte der Achse liegendes christologisches Motiv in chronologischer Reihen­ folge von der Verkündigung bis Pfingsten (sub gratia) mit je einem alttestamentlichen Bildmotiv aus der Zeit vor dem Gesetz (ante legem), d.h. vor der Übergabe der Gesetzestafeln an Moses auf dem Berg Sinai, in der oberen Reihe und unter dem Gesetz (sub lege) im unte­ ren Register. Die letzten beiden Achsen brechen diese Typologie auf und zeigen mit dem secundum adventum Christi und dem Jüngsten Gericht die Letzten Dinge, ge­ mäß der Einteilung der Zeitalter des Augustinus in ante

1 S  iehe Bilddatenbank REALonline (https://realonline.imareal.sbg.ac.at) Datensätze Nr. 029997–030051. Ich möchte an dieser Stelle Wolfgang Christian Huber, Martin Haltrich und Dorothee Kemper für Hilfe und Hinweise danken.

 Die mit einem blauen Pfeil markierten Begriffe sind im Beitrag „Begriffsforum“ in diesem Band vertreten, samt einer im Rahmen der Object Links entwickelten Diskussion und Verweisen, wo der jeweilige Begriff im Buch noch verwendet wird.

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Abb. 1: Nikolaus von Verdun, Goldschmiedewerk („Verduner Altar“), 1181 (mit Ergänzungen von 1331), Klosterneuburg, Augustiner-Chorherren­ stift, Leopoldskapelle.

legem, sub lege, sub gratia und sub pace.2 Das Werk umreißt damit die „gesamte Zeit“ als Heilszeit nach christlicher Vorstellung. Da der Holzträger von 1181 nicht erhalten ist und man auch die bauliche Gestalt des Ambos nicht mehr nachvollziehen kann, ist eine Rekonstruktion seiner Form schwer zu leisten.3 Einige der als original geltenden Markierungen auf den Rückseiten der Plaques legen nahe, dass drei Seiten des Ambos (mit rechteckigem oder polygonalem Grundriss) mit je vier, sieben und wiederum vier Bildachsen verkleidet waren.4 Eine von der Autorin durchgeführte Rekonstruktion des Zustandes am Ambo,

insbesondere mit der damaligen Setzung der Widmungs­ inschrift, hat die Verteilung auf drei Tafeln mit vier, sieben und vier Achsen bestätigt 5 (Abb. 2). Objektbiografie Die repräsentative Amboverkleidung wurde aus bestimm­ ten Motivationen heraus zu einem Zeitpunkt geschaffen, als Klosterneuburg als Bezugsort für die babenbergischen Markgrafen zwar noch eine große Rolle spielte, den Status

2 D  ie Einteilung findet sich im Enchiridion, in De vera religione sowie in den Expositiones zu den Paulusbriefen, siehe die Expositio zum Römerbrief Migne, PL 103, CIII, 41 und im Enchiridion Migne, PL 40, 287. Siehe für den Zusammenhang zur Typologie auch Ohly 1983, 78. 3 Siehe zu solchen Rekonstruktionen ausführlich mit Vergleichen aus der Architektur Doberer 1977, Hahnloser 1952. 4 Siehe den Plan aus der Zeit der Restaurierung (1949–1950) von Otto Nedbal, mit den Rückseitenmarkierungen der Plaques (Abb. 80 bei Buschhausen 1980). 5 Die 1331 erfolgten Zuschnitte der Schriftplaques der Widmungsinschrift lassen keinen anderen Schluss zu, siehe Schlie 2018.

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Abb. 2: Nikolaus von Verdun, Goldschmiedewerk („Verduner Altar“), 1181, virtuelle Rekonstruktion der ursprünglichen Montage samt der Disposition der Widmungsinschrift.

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als Residenz jedoch an Wien verloren hatte.6 Propst Wernher, der den Auftrag an Nikolaus von Verdun verant­ wortete, war zuvor Stiftskämmerer gewesen und trug als Propst Wesentliches zur wirtschaftlichen Konsolidierung des Stiftes bei.7 Seine Aktivitäten lassen vermuten, dass die monumentale und repräsentative Amboverkleidung eine Rolle in einem politischen Netzwerk spielte, auch wenn ihr Bildprogramm nicht explizit ikonografisch auf solche Umstände referiert. Die Entscheidung, den Ambo mit einem Werk aus der Gattung der Goldschmiedekunst so kostbar zu umkleiden, hatte man sehr wahrscheinlich auch im Hinblick auf bereits bestehende Ausstattung getroffen. Das Stift lag weit entfernt von den Zentren der europäischen Goldschmiedekunst, zählte aber mit der Verkleidung des Ambos bereits ein zweites monumen­ tales Werk in seinem Besitz. Zu seiner Erstausstattung nach der Gründung gehört ein monumentaler, nahezu viereinhalb Meter hoher vergoldeter bronzener Leuchter, der um 1130 in jener prominenten Werkstatt in Mailand entstand, in der auch die ältesten Teile der Türen von S. Zeno in Verona gegossen wurden. Der Überlieferung zufolge war er eine Schenkung durch den Begründer des Stiftes, den Markgrafen Leopold III. und seine Frau Agnes 8 (Abb. 3). Im Kontext der sakralen Topografie wiederum neh­ men sowohl die Form als auch das Bildprogramm der Amboverkleidung des Nikolaus von Verdun Bezug auf die Lesebühne, in deren Handlungsbezügen die Bilder rezipiert und aktualisiert werden. Da der Ambo laut der Widmungsinschrift von 1181 mit einem Altar verbunden war, ist eucharistische Ikonografie ebenfalls prominent vertreten. Keine 150 Jahre nach Fertigstellung der Amboverklei­ dung erfuhr das Goldschmiedewerk ein  Reframing. Propst Stephan von Sierndorf erteilte den Auftrag zu einem auf der Rückseite mit großformatigen Malereien versehenen und für den Kreuzaltar der Stiftskirche be­ stimmten Flügelretabel, dessen Innenseite dem alten Holzträger entsprechend reliefiert wurde und die nun insgesamt 944 zählenden Kupfer- und Emailplaques

aufnahm. Das Programm musste von Wiener Gold­ schmieden um zwei Achsen ergänzt werden, damit die Mitteltafel die gleiche Breite hatte wie die beiden Flügel zusammen9 (Abb. 4). Die gemalten Rückseiten gehören zu der ersten Tafelmalerei der Region und zeigen vor al­ lem im Fall des Marientodes innovative Ikonografie, das Triptychon selbst ist das älteste erhaltene Flügelretabel im Herzogtum Österreich10 (Abb. 5). Das Objekt ist nun nicht mehr mit der Lesebühne, sondern hauptsächlich mit dem Altar und entsprechen­ den Praktiken verbunden. Sein Bildprogramm erfuhr eine Modernisierung, indem sowohl der zentrale Bereich der mittleren Tafel, die Verteilung der Widmungsinschrift als auch das ornamentale Rahmensystem mit Ergänzungen neu konfiguriert wurde. Seine Umarbeitung steht darüber hinaus im Zusammenhang weiterer vom Propst beauf­ tragter Werke. Das Engagement Stephan von Sierndorfs als Auftraggeber und Modernisierer der Ausstattung im Stift muss auch als Ausdruck repräsentativ-politischer Motivation gesehen werden.11 Das gilt insbesondere für das  Reframing des Goldschmiedewerks als Tripty­ chon,12 einer Gattung, die zu der Zeit kaum verbreitet war und hohe Inszenierungswirkung bezüglich dessen hatte, was auf der inneren Schauseite bei Öffnung zu sehen war. Aus dem kultischen Gebrauch allein heraus lässt sich dies nicht erklären. Es ist in diesem Zusammenhang sinnvoll, zwischen „Werk“ und „Objekt“ zu unterscheiden. Das „Werk“ selbst unterliegt produktionsästhetischen Bedingungen: Es gibt eine Motivation für seine Herstellung, designierte Funktionen, repräsentative Ansprüche und so fort. Nach­ dem es abgeschlossen, eventuell signiert und in seine Funktionen eingesetzt ist, wird es als Objekt in Hand­ lungsräumen wahrgenommen und entfaltet in letzteren seine Wirkung. Diese Annahme einer rezeptionsästheti­ schen Dynamik, in der sich nicht nur die Wahrnehmung des Objektes, sondern auch seine Bedeutung und damit es selbst sich verändert, entspricht vielleicht nicht einem Kunstbegriff, dem zufolge das Werk als solches und das in ihm verkörperte Ingenium des Künstlers oder der

6 Die Verlegung der Residenz nach Wien geschah 1145 durch Heinrich II. ‚Jasomirgott‘, unter dem der erste spätromanische Bau von St. Stephan 1147 vollendet wurde und der in der Nähe der Wiener Residenz das Schottenkloster gründete. Siehe Fichtenau 1958, 21. 7 Rill 1961, 15. 8 Zu diesem Leuchter, seinem Erhaltungszustand, der Zuschreibung und der stilgeschichtlichen Einordnung siehe Bloch 1962, 163–173, sowie Fillitz, Pippal 1987, 120–123. Leopold gilt heute in der Forschung nicht mehr als Gründer, sondern als Akteur späterer Stiftungen für das Stift, siehe dazu Röhrig 1986. 9 Siehe dazu Buschhausen 1980, 113. Zum Umbau siehe auch Röhrig 1965 und Schlie 2017. 10 Zum Marientod siehe Nicka 2017, 92–98. 11 Fritsch 1997. Umfassend zur Auftraggebertätigkeit des Propstes Huber 1980. 12 Zum Reframing siehe das Themenheft der Zeitschrift für Kunstgeschichte, vgl. Schlie 2017.

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Abb. 3: Mailänder Werkstatt, Siebenarmiger Leuchter, um 1130, Klosterneuburg, Augustiner-Chorherrenstift.

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Abb. 4: Nikolaus von Verdun, Goldschmiedewerk („Verduner Altar“), 1181 (mit Ergänzungen von 1331), Klosterneuburg, Augustiner-Chor­ herrenstift.

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Abb. 5: Unbekannter Meister, Rückseite des Altarretabels von 1331, Klosterneuburg, Augustiner-Chorherrenstift, Stiftsmuseum, Inv.Nr. GM 1 a–d.

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Künstlerin grundsätzlich im Vordergrund steht. Der Kunstcharakter soll an dieser Stelle weder relativiert noch gar negiert werden (auch nicht für das Mittelalter), denn das Potenzial des Objektes, seine Wirkungen zu entfalten, wird zunächst begründet durch das, was es als Kunstwerk ausmacht. Aus kulturwissenschaftlicher Perspektive (und ebenso aus kunstwissenschaftlich-rezeptionsgeschichtli­ cher Perspektive) bleibt es aber nicht das gleiche Objekt hinsichtlich seiner Wirkung, seiner Bedeutungen, seiner Relevanz und seines Akteurstatus. Aus der plastischen Verkleidung eines Baukörpers mit der Funktion einer Lese­bühne, welche man zu Erfassung und Verständnis des gesamten Bild-Schriftprogramms im Raum umschreiten muss, wird die innere Schauseite eines Triptychons am Altar generiert. Diese wiederum kann zwar von einem einzelnen Standpunkt visuell erfasst werden, sie wird den Betrachter/-innen aber periodisch durch Schließen der Flügel entzogen. Das Werk des Nikolaus ist immer noch vorhanden bzw. wird nur geringfügig geändert, das Objekt verändert sich allerdings fundamental. In Kloster­ neuburg ist dies aufgrund des materiellen  Reframings besonders gut beobachtbar: Es ist unter Maßgabe dieses Ansatzes allerdings davon auszugehen, dass alle Kunst­ werke in ihrer Objektbiografie einem solchen kulturel­ len Deframing und Reframing unterliegen, auch wenn nicht in ihren materiellen Zustand eingegriffen wird. Ein Objekt in einer fürstlichen Sammlung beispielswei­ se wird zu einem anderen Objekt in einem öffentlichen Museum, selbst wenn es sich nicht materiell verändert. Das  Framing eines (Bild-)Objektes wird sowohl durch die räumlichen, performativen als auch durch weitere, außerhalb seiner selbst liegenden materiellen  Konstel­ lationen bestimmt, in denen es Bedeutung entfaltet. Auch die sich ändernden Zuschreibungen, Assoziationen und Vorstellungen über die Dinge spielen eine Rolle für die­ ses Framing. Dies bedeutet, dass auch das Framing des Goldschmiedewerks 1331 nicht auf das materielle Retabel zu reduzieren ist, sondern auf den gesamten Wahrneh­ mungsrahmen bezogen werden sollte, bestehend aus dem Ort, dem Raum und den Handlungen, an dem und in denen es inszeniert wurde. Die Fragen, warum ein Werk so und nicht anders in einer bestimmten historischen Konstellation entsteht,

welche Desiderate es als Objekt in einer  Objektge­ sellschaft oder als eigenes Objektensemble erfüllt, welche Bedeutungen es in Raum und  Praktiken ausbildet, welche Auswirkungen es auf diese Handlungen und Räume und für weitere Objektentstehungen hat, mit welcher  Affordanz13 es sich selbst für Modifikationen in neuen historischen Konstellationen anbietet, welche  Agency14 es in diesen Konstellationen als Akteur entfaltet, sind in methodischer Hinsicht aufgrund einer erheblichen Komplexität der Zusammenhänge nicht leicht zu bewältigen. Der Ansatz, die Object Links des Werkes innerhalb seiner Objektbiografie zu fokus­ sieren, ermöglicht eine Systematisierung eben dieser Zusammenhänge. Ein objektbiografischer Zugang15 erfasst sowohl die Bedingungen der Entstehung und der materiellen Ver­ änderungen des Werkes in den ihm zugehörigen Hand­ lungs- und Diskursräumen, die materiellen Vorausset­ zungen seiner Beschaffenheit und seines Objektstatus als auch seine Relevanz und seine Potentialität innerhalb der Handlungsräume. Was Bildsysteme in den jeweili­ gen historischen Konstellationen leisten und welche bild- und medientheoretischen Voraussetzungen gege­ ben sind, lässt sich nur erfassen, wenn die Dynamiken der jeweiligen Konstellation als Ganzes berücksichtigt werden. Dabei verstehe ich das Kunstobjekt nicht als ei­ nen statischen „Text“ und die historischen Bedingungen als es umgebenden „Kontext“, sondern sehe die jeweilige historische Konstellation als ein Netz von Personen und Dingen, in dem das Kunstobjekt sowohl das Produkt als auch Auslöser von Handlungen ist. Am Beispiel des Klosterneuburger Goldschmiedewerkes ist dies gerade aufgrund der mehrfachen Umarbeitungen und neuen  Positionierungen in der sakralen Topografie des Stiftes beobachtbar: Um Aussagen über das jeweilige Verhältnis von materieller Kultur und Ideengeschichte treffen zu können, muss das konstruktiv-technische bzw. künstlerische Verhältnis der verschiedenen Zustände des Objektes mit den jeweiligen Konstellationen abge­ glichen werden, in denen es selbst einen Platz einnimmt.

13 D  er Neologismus „affordance“, abgeleitet von „to afford“ (anbieten) wurde von dem Psychologen J.J. Gibson geprägt (Gibson 1982), um Eigenschaften der Dinge zu beschreiben, welche die menschlichen Akteure/-innen zum Umgang mit eben diesen Dingen ansprechen und anleiten. Der Henkel eines Kruges bietet „Greifen“ an, seine Tülle das „Ausgießen“ einer Flüssigkeit (Beispiel der Verfasserin). 14 Agency meint hier vor allem ein Handlungspotential der Dinge in Konstellationen, in denen die Dinge entweder Situationen und die sich aus ihnen ergebenden Handlungen verändern, Reaktionen auslösen, die über ihre Kernaffordanz oder Gattungsaffordanz im Rahmen ihrer ursprünglich zugewiesenen Funktion hinausgehen, oder auch die menschlichen Akteure/-innen ersetzen. 15 Zu objektbiografischen Ansätzen in der Kunstgeschichte siehe Wittekind 2015, Johlen-Budnik 2016, Bergmann 2017.

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Object Links In diesem Beitrag werden Beziehungen in Objektensem­ bles, zwischen Objekten und im Ansatz auch zwischen Objekten und Personen in verschiedenen historischen Konstellationen untersucht. Die Bedeutung, die Wirkung und das Agieren von Objekten sind nicht in einzelnen Objekten fest eingeschrieben oder verankert, sondern werden in den jeweiligen räumlichen, strukturellen, situativen oder performativen Verbindungen, die zwi­ schen Objekten bzw. zwischen Objekten und Personen entstehen, aktualisiert und aktiviert. „Bedeutung“ meint hier nicht nur den semantischen Sinn (meaning im Engli­ schen), sondern auch den Status und die Wichtigkeit des Objektes (im Sinne des englischen significance). Im Fall komplexer und hybrider Objektensembles  – beispielsweise Kunstwerke, die sich aus verschiedenen einzelnen Elementen und Medien zusammensetzen – bestehen solche semantischen und funktionalen Links auch innerhalb des Objekts selbst. Das Verständnis bzw. der Nachvollzug der Object Links innerhalb solcher Mikroebenen in der Bildrezeption kann methodisch mit den Object Links jener Makroebenen verknüpft werden, welche das ganze Objekt wiederum mit seiner räumli­ chen Umgebung, weiteren Objekten und dem Denk- und Wissenshorizont, in dem es von menschlichen Akteu­ ren/-innen verwendet wird, verbinden. Neben Analysebeispielen der Verlinkungen auf der Makro- und Mikroebene soll zwischen  syntagma­ tischen und  paradigmatischen Links unterschieden werden, unter Entlehnung der Begriffe aus der Lingu­

istik.16 Die syntagmatischen Links betreffen diejenigen Objektverbindungen, in denen in der Verbindung eines Objektes mit einem oder mehreren anderen Objekten eine Bedeutung oder Auswirkung generiert wird, wel­ che auch die Bedeutung des Einzelelements in dieser Verbindung festlegt. Syntagmatische Links bestehen zwischen Objekten, die entweder statisch miteinander verbunden sind und so in der Objektverbindung Sinn ergeben, oder zwischen Objekten, die in  Praktiken und Operationen Referenzbildungen unterliegen, die durch Wahrnehmung oder Handlung aktualisiert wer­ den. Paradigmatische Links hingegen bestehen zwischen Objekten, die sich in ihrer Funktion ablösen, z.B. wenn sich ein Objekt für die Operation einer Referenzbildung an die Stelle eines anderen Objektes setzt. Meist geht hiermit ein diachrones Verhältnis der Entstehung beider Objekte einher.17 Ein Objekt kann sowohl in  syntag­ matischen als auch in  paradigmatischen Verbindun­ gen stehen. In diesen Verbindungen konstituiert sich die Bedeutung des Objekts (sowohl im Sinne von meaning als auch von significance). In den syntagmatischen Ver­ bindungen ist dies tendenziell eher die „semantische Bedeutung“ (meaning im Englischen), in den paradig­ matischen Links die allgemein funktionale oder soziale Bedeutung, der Status des Objekts oder Ähnliches (im Sinne von significance, weight, relevance). Ich verwende die Begriffe hier nicht im Sinne eines bestimmten strukturalistischen Ansatzes, sondern als Begriffstools, die es erlauben, sinnstiftende Relationen in und von Kunstwerken genauer zu erfassen und beschreiben zu können.18

16 Begründet wurde die Begrifflichkeit Syntagma/Paradigma von Ferdinand de Saussure (de Saussure 1916). Das Syntagma ist eine Kette sprachlicher Elemente in einer konkreten Äußerung, während ein Paradigma eine Gruppe wählbarer sprachlicher Elemente bezeichnet, die alle an die gleiche bestimmte Stelle in einer Kette sprachlicher Elemente treten können, diesbezüglich austauschbar sind. Die Übertragbarkeit auf Bilder wird besonders deutlich in einer Passage aus Dalferth 2018, 178: „Jedes Zeichen steht zu anderen Zeichen aktuell in syntagmatischer Relation im Text und virtuell in paradigmatischer Relation im Code. Es hat demnach nicht nur einen Sinn (signification), sondern auch einen Wert (valeur). Zeichen, die in ihrem Sinn übereinstimmen, müssen deshalb nicht auch denselben Wert haben. Das wird deutlich, wenn man z.B. ‚mouton‘ im Französischen mit ‚sheep‘ und ‚mutton‘ im Englischen vergleicht. Der Sinn eines Zeichens ist die Relation zwischen Signifikant und Signifikat in einem Syntagma (Text), in dem es im Verhältnis von Kontrast zu und Kontiguität mit anderen Zeichen steht. Syntagmatisch verbundene Zeichen bilden sich gegenseitig einen Kontext, durch den der mit dem Wert dieser Zeichen gegebene virtuelle Sinn zu einem bestimmten Text-Sinn determiniert wird. Der Wert eines Zeichens ist dementsprechend das, was es aufgrund seiner Ähnlichkeit mit und funktionellen Differenz von allen übrigen Zeichen des Paradigmas auszeichnet.“ An die Stelle von ‚Text‘ und ‚Text-Sinn‘ ließe sich hier auch ‚Bild‘ und ‚Bild-Sinn‘ setzen. Siehe zu Paradigma und Syntagma auch in einer systematisierenden Zusammenfassung Warner 2010, 97–112. 17 Die Übertragung von syntagmatischen und paradigmatischen Beziehungen in Sprachsystemen auf Objektensembles (als eigene Systeme oder Teil von Systemen) wurde bereits erprobt, beispielsweise von Reblin 2012. Siehe dort besonders das Kapitel 2.1.1. zu den syntagmatischen und paradigmatischen Relationen als den wesentlichen Beziehungen zwischen Elementen eines Systems. Auch Reblin nutzt die Begrifflichkeit zur Kategorisierung von Relationen zwischen Objekten, in ihrem Fall Objekten im Stadtraum. Siehe dort auch „Objektkomplexe als Syntagmen“, 137–141. 18 Es sei ausdrücklich betont, dass man alle hier beschriebenen Relationen auch ohne das Hilfsmittel des Begriffspaares Syntagma/Paradigma beschreiben kann. Die Termini eignen sich allerdings gerade als Strukturbegriffe sehr gut, die Links in Netzwerken und komplexen Bildsystemen in ihrer Bedeutung und Funktionsweise herauszuarbeiten.

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Im Fall des Emailwerks bilden die Anordnung der Goldschmiedebeschläge sowie die hybride Zusammen­ stellung von triptychonalem Holzträger, Malereien und Goldschmiedewerk werkimmanente Object Links, die je­ weils ein Objektensemble auf einer Mikroebene ergeben. Dieser Aspekt einer bedeutungsstiftenden Verlinkung ist sowohl für das Positionieren von Bild und Schrift im je­ weiligen Bildsystem als auch für die im Jahr 1331 erfolgte neue Zusammensetzung des Bildsystems relevant. Das gesamte Objekt wiederum ist in seinem Entstehungs-, Bearbeitungs- und Rezeptionskontext eingebettet in ein System politischer, liturgischer, theologischer und sozia­ ler Netzwerke einer Makroebene, deren Strukturen mit den bedeutungsbildenden Links des werkimmanenten Binnensystems korrelieren können. Entsprechend soll untersucht werden, wie sich Einzelelemente des Gold­ schmiedewerks in den jeweiligen Zuständen in der Am­ boverkleidung und im Retabel verlinken, und wie sich das ganze Werk im Laufe seiner Geschichte mit seiner Umgebung verlinkt. Die Unternehmung dieser Studie ist sehr komplex und kann alle genannten Links nur anreißen. Es soll gezeigt werden, dass dasselbe Objekt (das Goldschmiedewerk bzw. einzelne seiner Elemente) immer wieder neuen Status, Bedeutung, Sinn, Wirkung sowie Akteurstatus erfährt, wenn sich Links verändern oder wenn neue entstehen. Das Klosterneuburger Goldschmiedewerk eignet sich aus mehreren Gründen für eine breite Untersuchung seiner Verlinkungen sowohl auf der werkimmanenten Mikroebene als auch auf der Makroebene seiner äußeren Verbindungen. So ist die Bedeutungskonstituierung des einzelnen Bildelements durch seine Verlinkung bereits in besonderer Weise durch das typologische System der drei Bildregister bzw. der einzelnen Bildachsen ge­ geben, in denen sich zwei alttestamentliche Bildtypen mit jeweils einem christologischen Bildtypus verbinden. Zum zweiten handelt es sich in diesem Fall um eine  Konfiguration, welche durch die technisch bedingte und potentiell reversible Montage der Kupferplaques auf einem Holzträger bestimmt ist. Im Gegensatz zu Gattun­ gen wie der Wandmalerei können in diesem Bildsystem Verbindungen vergleichsweise leicht wieder aufgehoben und Bildelemente des ursprünglichen Bestandes mit neu gefertigten Plaques kombiniert werden, wie im Jahr 1331 tatsächlich vollzogen. Zum anderen kann in der Objekt­

biografie des Werkes gezeigt werden, dass seine Object Links sich in verschiedenen historischen  Konstellatio­ nen mehrfach signifikant ändern, obwohl es an einem Ort herren­ mit konstanter Funktion (als Augustiner-Chor­ stift) verbleibt. Syntagmatische und paradigmatische Verbindungen im typologischen Bildsystem Das Klosterneuburger Goldschmiedewerk zeigt das älteste überlieferte typologische System dieses Umfangs. Viele der Typologien erscheinen hier erstmalig.19 Das typologische exegetische Konzept, das bereits im Neuen Testament mit den dortigen Referenzen auf das Alte Testament angelegt ist, ist immanent bereits ein ausge­ sprochen bildliches Konzept der similitudo.20 Dies hat Konsequenzen für seine bildmediale Umsetzung in der Kunst des Mittelalters: Im Kunstwerk werden die immer schon als ‚Bilder‘ verstandenen typologischen figurae in materielle Bilder übersetzt. Die von Nikolaus von Ver­ dun ‚erfundenen‘ Typologien sind intrinsisch mit seinen Bildfindungen verbunden, weil die theologisch relevante similitudo zwischen Typus und Antitypus durch das Emailfeld ikonisch ausgebildet wird.21 Die Semiotik der Typologie lässt sich als eine Struk­ tur aus  syntagmatischen und  paradigmatischen Verbindungen beschreiben. In der sechsten Achse wird der Einzug Christi in Jerusalem mit dem auf einem Esel in Ägypten einziehenden Moses und der Aussonderung des Osterlammes gezeigt (Abb. 6, 7, 8). Die drei einzel­ nen Szenen rufen nicht nur die jeweiligen biblischen Ereignisse auf, sondern kommentieren sich in einer wechselseitigen Bildexegese sowohl inhaltlich als auch formal. Moses und Christus werden beide als das jewei­ lige Bildfeld beherrschende Figuren auf einem Reittier gezeigt. Die Befreiung der Israeliten aus ägyptischer Gefangenschaft wird mit der Befreiung von der Erbsünde durch Christus typologisch verbunden, formal wird die Beziehung zwischen Typus und Antitypus durch die spie­ gelverkehrte Richtung der beiden Reitenden gezeigt. Die bildlich-syntagmatische Struktur der Moses-Szene und des Antitypus lautet jeweils: „x reitet auf y in Richtung z“. Christus und Moses (x) sind damit ebenso Teil ei­ nes Paradigmas (bzw. stehen in einer paradigmatischen

19 Zur Originalität des Bildsystems, das so in den schriftlichen Quellen nicht in dieser Systematik vorgeprägt ist, siehe Arnulf 1995. 20 Auerbach 1967. 21 Es gibt bereits umfangreiche Forschung zur Umsetzung der bildhaften Typologie in materielle Bilder im Klosterneuburger Werk, siehe beispielsweise Pippal 1987, Shikida 1988, Mohnhaupt 2000, Schlie 2013.

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Abb. 6: Nikolaus von Verdun, Moses zieht nach Ägypten, Goldschmiedewerk („Verduner Altar“), 1181, Klosterneuburg, Augustiner-Chorherrenstift.

Abb. 7: Nikolaus von Verdun, Einzug in Jerusalem, Goldschmiedewerk („Verduner Altar“), 1181, Klosterneuburg, Augustiner-Chorherrenstift.

Abb. 8: Nikolaus von Verdun, Aussonderung des Osterlamms, Goldschmiedewerk („Verduner Altar“), 1181, Klosterneuburg, Augustiner-Chorherrenstift.

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Abb. 9: Nikolaus von Verdun, Tau-Maler/Plage Ägyptens, Goldschmiedewerk („Verduner Altar“), 1181, Klosterneuburg, Augustiner-Chorherrenstift.

Beziehung), ebenso wie die beiden Esel (y) und die Aus­ richtungen links/rechts (z). Die genannten Beziehungen gelten nur für genau diese Bilder: Laut Ex. 4,20 ritt nicht Moses selbst auf dem Esel, sondern seine Frau und seine Söhne. Für die typologische Verknüpfung ist aber not­ wendig, dass Moses und Christus in einer paradigmati­ schen Beziehung stehen, und dies war entscheidender als Texttreue. Das zu opfernde Passahlamm im unteren Register sub lege wiederum, das in eine architektonische Struktur ge­ trieben wird, stimmt mit der Bewegungsrichtung Christi überein. Die syntagmatische Struktur ließe sich beschrei­ ben als: „x bewegt sich von links nach rechts in einen umgrenzten Bereich (y)“. Hier stehen Christus und das Lamm (x) in einer paradigmatischen Beziehung. Durch diese Bezugsetzung wird Christus zu Beginn der Passion als das „Opferlamm“ des Neuen Bundes ausgewiesen. Die Zusammenführung der  Paradigmen Moses/Christus (im Sinn von „Befreier“) und Osterlamm/Christus (im Sinn von „Opfer“) weisen nicht nur die Zusammengehö­ rigkeit von Altem und Neuen Testament bzw. die Erfül­ lung des Alten Testaments im Neuen Bund aus, sondern 190

definieren in dieser Zusammenstellung Christus als „Er­ löser“ (Befreien durch Opfer). Man kann die einzelnen narrativen Plaques samt ihrer Bildumschrift als ein  Syntagma verstehen, un­ abhängig davon, dass der Schriftzug ein eigenes text­ liches und das Bild ein bildliches Syntagma darstellt. Umschrift und Bild sind ikonisch-formal miteinander verbunden, indem erstere den Rahmen genau um­ schreibt und nachformt oder gar ihr Rahmen ist. Eine intrinsische strukturell-semantische Verbindung von Bildfeld und Schriftrahmung zeigt das Feld mit dem Tau-Maler in der heute 12. Vertikale, die Präfiguration der Aufbrechung der Hölle durch Christus (Abb.  9). Links ist Aaron dargestellt, der den Giebel eines Hauses mit dem rettenden Tau-Zeichen markiert, das die Erst­ geborenen der Israeliten vor der siebten Plage schützt, während rechts ein Engel einen Erstgeborenen der Ägypter erschlägt. Der Giebel mit dem Tau ist in den Scheitel des Kleeblattbogens eingepasst; darunter, genau in der Mitte, fließt das Blut des Lammes in einen Kelch. Hier werden durch den Kelch bereits innerbildlich die Typologien zwischen dem Tau als Schutzzeichen, dem Opferblut Christi in Verbindung mit dem jüdischen Opferlamm des Passahmahls und dem in einem Kelch konsekrierten Blut Christi in der Eucharistie mani­ fest. Die dezidierte Aufwärtsbewegung des Taumalers, die mit der Abwärtsbewegung des Engels kontrastiert wird, wird in diesem Fall von der Aufwärts- und Ab­ wärtsbewegung der Bildumschrift begleitet. Von unten nach oben liest man: Sanguine plebs postes munit (Mit dem Blut schützt das Volk die Türpfosten), vom Schei­ telpunkt abwärts (mit der bildlichen Abwärtsbewegung des Engels) heißt es Necat angelus hostes (der Engel tötet die Feinde). Die Inhalte der Verse entsprechen genau dem, was links bzw. rechts im Bild dargestellt ist. Im  Syntagma Bild/Schrift haben die Verse damit eine Bedeutung einer aufwärts weisenden Rettung und ei­ ner abwärts weisenden Verdammnis zum Tode, die sie außer­halb dieses Syntagmas so nicht haben; sie haben sie nur hier in dieser Setzung. Der Tau-Maler wiederum steht mit dem Künstler selbst in einer  paradigmatischen Beziehung: „x erschafft das Zeichen y“. Der Tau-Maler (x) malt das Tau (y) genau in der Form des lateinischen ‚Serifen-T‘, wie es auch in MVNIT darüber erscheint. Das Tau, das Aaron innerhalb des bildlichen Syntagmas malt, hat der Künstler beim Ausheben des entsprechenden Emailfeldes in Kupfer stehen lassen, und das „T“ in MVNIT hat er als Emailfeld ergraben. Damit erscheint der Künstler (gleichsam in einer Zusammenfassung Heike Schlie

der möglichen Techniken des Champlevé-Emails)22 innerhalb eines erweiterten Typologieverständnisses als Postfiguration oder Nachfolger Aarons. Nicht nur für den Künstler wird ein solcher  pa­ radigmatischer Link erstellt, sondern auch für den Propst Wernher, der das Werk in Auftrag gegeben hatte. Grundlage dafür sind  syntagmatische Verknüpfungen zwischen Widmungsinschrift, einzelnen Bildern und gegebenenfalls ihren Bildtituli. Über der Szene mit Melchisedech am Altar (Abb. 10), der Präfiguration ante legem zu Abendmahl, steht das Wort PRIMORDIA aus dem zweiten Vers der Widmungsinschrift, der gemein­ sam mit Vers 1, 3 und 4 das typologische Programm der Bildregister erklärt: QVALITER [A]ETATVM SACRA CONSONA SINT PERARATVM * CERNIS IN HOC OPERE MVNDI PRIMORDIA QV[A]ERE * LIMITE SVB PRIMO SVNT VMBR[A]E LEGIS IN IMO * INTER VTRVMQVE SITVM DAT TEMPVS GRACIA TRITVM 23 Als die Anfänge der Welt (primordia mundi) werden die Präfigurationen ante legem verstanden, die in der ersten Begrenzung (sub limite primo) zu suchen sind. In erster Linie ist natürlich die Widmungsinschrift selbst ein  Syntagma, in dem die sprachlichen Elemente wie das PRIMORDIA und das PRIMO verknüpft sind. Das PRIMORDIA über dem Bildfeld mit dem an einem mit­ telalterlichen Altar stehenden Melchisedech, der nicht nur von der biblischen Chronologie her zu den Anfän­ gen und als Bild in die erste Begrenzung (LIMITE SVB PRIMO) gehört, sondern auch als der erste Priester gilt, kann sich daher in besonderer Weise und extra-referentiell durch die Bild-Schrift-Setzung innerhalb der vertikalen typologischen Setzung auf diesen ersten Priester bezie­ hen. Laut dem Hebräerbrief ist Christus Priester nach der Ordnung des (ersten Priesters) Melchisedech (Hebr 7,17). Genau dieser Aspekt ist wiederum in der typologischen Bildachse aktiviert: Unter dem an einem zeitgenössischen mittelalterlichen Altar mit Brot und Wein in der Hand stehenden Melchisedech ist der ‚Priester‘ Christus am

Abb. 10: Nikolaus von Verdun, Melchisedech am Altar, Goldschmiedewerk („Verduner Altar“), 1181, Klosterneuburg, Augustiner-Chorherrenstift.

Tisch des historischen Abendmahls mit Brot und Wein in den Händen dargestellt. Mehr noch: Diejenigen Wör­ ter der Bildumschriften, die im Scheitel des Kleeblatt­ bogens positioniert sind, fungieren zwar zunächst einmal als Elemente des Syntagmas eben dieser Bildumschrift: VINVM CVM PANE PRESVL SACER INTVLIT ARE – Wein mit Brot brachte der heilige Vorsteher an dem Altar dar. In der Sinnverknüpfung der Vertikalen können einzelne Wörter jedoch in besonderer Weise in dem aus Bild und Schrift gebildeten Syntagma weitere Bedeutungen bilden. Im Buch Genesis (Gen  14, 18) der Vulgata wird Melchisedech als rex und sacerdos ausgewie­ sen – daher heißt es im Bildtitulus unter der Szene REX MELCHISEDECH. In der Bildumschrift dagegen wird der in den Scheitel des Bogens gesetzte Begriff praesul ver­ wendet, mit dem zu der Zeit der Entstehung des Ambos

22 Bei der Champlevé-Technik werden die Felder für das Email in das Kupfer gegraben. 23 „Auf welche Weise die heiligen Dinge der Zeitalter zusammenklingend (reimend) sind, siehst Du in diesem Werk eingegraben (peraratum). Die Ursprünge der Welt suche in der ersten Begrenzung/Bahn (limite). Die Schatten des Gesetzes sind in der unteren Begrenzung. Eingesetzt zwischen diesen beiden gibt die Gnade die dritte Zeit“ (Die Übersetzungen der Inschriften mit Überarbeitungen und Modifikationen durch die Autorin nach Röhrig 1955, Fillitz 1998 und Buschhausen 1980).

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die Vorsteher christlicher Gemeinschaften, z.B. Bischöfe, aber häufig auch Äbte, bezeichnet werden. Der Wert 24 des Zeichens praesul erlaubt es (unter den  paradigma­ tischen Möglichkeiten) im Gegensatz zu rex dezidiert, neben einer Denotation von Melchisedech zugleich in typologischer Hinsicht auf den Abt Wernher als praesul des Stiftes zu referieren. So ist nicht nur über das Bild selbst mit der Darstellung eines zeitgenössischen Altars samt Ausstattung eine Verbindung zu der Liturgie im Stift hergestellt, sondern überdies mit dem verwendeten praesul der (in der Inschrift im vorletzten Vers genannte) Propst (WERNHERVS PREPOSITVS) in das Refe­ renzsystem miteinbezogen: Melchisedech präfiguriert Christus, der Propst ist innerhalb dieser ‚Priesterordnung‘ Nachfolger Christi (und damit auch Melchisedechs). Wernher konnte sich in besonderer Weise als praesul verstehen, da der Kloster­neuburger Propst aufgrund zahl­ reicher päpstlicher Privilegien eine Sonderstellung unter den Stiften und Klöstern der Diözese und innerhalb der österreichischen Prälatenschaft besaß.25 Wernher ist zu­ dem der Begründer der Klosterneuburger Annalistik, so­ wohl die Verfassung des ersten Nekrologs als auch die seit 1177 verfassten Klosterneuburger Annalen gehen auf ihn zurück. Die Bemühungen um die Verortung des Stiftes in der Heilszeit (so versteht sich Geschichtsschreibung im Mittelalter) geht also gleichzeitig einher mit der Verbild­ lichung der gesamten Heilsgeschichte am Ambo (samt der typologischen Einordnung Wernhers selbst). Sicher braucht man die Begriffe des  Syntagmas und des  Paradigmas nicht, um typologische Referenzen und Bildsysteme zu erfassen. Sie erleichtern es allerdings, das Potenzial typologischer Bildsysteme beschreiben zu können, aus sich heraus in bestimmten Kontexten wei­ tere Typologien zu ermöglichen. Man kann für das letzte Beispiel sagen, dass der Propst Wernher als Postfiguration ins Spiel gebracht wird, neben der Präfiguration „Melchi­ sedech“ und dem Antitypus „Christus“. Viel klarer wird der Bezug aber, wenn man die paradigmatische Bezie­ hung zwischen Melchise­dech, Christus und dem Propst beschreibt: Die Postfiguration WERNHERVS, die ja im Bild-Schriftsystem nie so evident zur Anschauung

kommen kann wie der Link zwischen Präfiguration und Antitypus, entspricht genau dem eigentlich Virtuellen des paradigmatischen Links26: Erst wenn der Propst am Altar steht und die Messe vollzieht, tritt er gleichsam im Syntagma der Spendung von Brot und Wein an die Stelle Christi. Auch die unter den bildlichen Narrativen verlaufen­ den Bildtituli sind in sich kurze  Syntagmen, wie zum Beispiel das CENA DOMINI unter dem Abendmahl. Betrachten wir die Bildtituli der drei christologischen Narrative, die ehemals im Zentrum des Goldschmiede­ werks nebeneinander lagen (Abb.  11): Auf das Abend­ mahl folgten die Kreuzigung (PASSIO DOMINI) sowie die Grablegung (SEPVLCRVM DOMINI). CENA, PASSIO und SE­PVLCRVM bilden ein  Paradigma, deren Elemente mit DOMINI im Syntagma verknüpft werden. Man kann die drei gleichförmigen Bildtituli in ihrer Verknüpfung aber auch als ein eigenes Syntagma verstehen, mit dem die drei Narrative und ihre Präfigura­ tionen als eucharistisches Zentrum der Amboverkleidung hervorgehoben werden, samt der dreifachen Nennung des Herrn.27 Unterstützt wird diese Lesweise durch die in ihrer syntaktischen Gleichförmigkeit ähnlich gestalteten Bildtituli der dazugehörigen Präfigurationen sub lege: MAN IN URNA, BOTRVS IN VECTE, JOSEPH IN LACV. Wie man weitere typologische Referenzen des Werks, die quer zu der Achsenstruktur aus Typen und Anti­ typen liegen, mit den Begriffen des  Syntagmas und des  Paradigmas beschreiben kann, soll das folgende Beispiel zeigen. Das Einbringen des Manna in die Bun­ deslade (7.  Achse) und die Grablegung (ursprünglich 9. Achse) sowie die jeweils ‚einbringenden‘ Figuren Aaron und Joseph von Arimäthea werden einander angeglichen: Christus wird in das Grab gelegt wie das Manna in die Bundeslade.28 Die syntagmatische Struktur lautet: „x bringt y in z ein“. An der Stelle des x stehen jeweils Aaron und Joseph von Arimäthea: sie stehen in einer  paradigmatischen Beziehung in dieser Typologie. Das gleiche gilt für y (Manna, Christusleib) und z (Bundeslade, Grab). Im

24 Siehe Anm. 16. 25 Siehe Rill 1961, 22. Die Grundlage hierfür war, dass Leopold III. seine Gründung dem Hl. Petrus übereignet hatte, was aus dem päpstlichen Schutzbrief von 1135 hervorgeht (Rill 1961, 21). Zeichen für die Stellung des Stiftes und seines Propstes im Besonderen sind wiederholte Verleihungen von Pontifikalien, z.B. die frühe Verleihung des Hirtenstabes an Propst Marquard (1147–52). 26 Zum Virtuellen des paradigmatischen Links siehe Anm. 16. 27 Eine ausführliche Interpretation des eucharistischen Zentrums in Schlie 2013. 28 Diese eucharistisch orientierte Typologie ist noch an spätmittelalterlichen Sakramentshäusern virulent, an denen die Bundeslade in der Hand Adams als Präfiguration des (gleichzeitig als Grab Christi aufgefassten) Brotkasten des Sakramentshauses mit dem darin befindlichen Herrenleib in Gestalt der Hostie verstanden wird (Sakramentshaus von Adam Kraft in St. Lorenz in Nürnberg).

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Abb. 11: Nikolaus von Verdun, Goldschmiedewerk („Verduner Altar“), 1181 (virtuelle Rekonstruktion der Disposition der neun mittleren Bildfelder am Klosterneuburger Ambo).

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Sprachgefüge sind die Begriffe eines Paradigmas eher virtuell verknüpft: „Jedes Zeichen steht zu anderen Zei­ chen aktuell in  syntagmatischer Relation im Text und virtuell in paradigmatischer Relation im Code“.29 Man sagt beispielsweise: Der Maler malt das Bild, und es ist mitgewusst, dass an der Stelle „des Malers“ sinnstiftend in anderen Bezügen auch „der Künstler“, „Frida Kahlo“ oder „das Kind“ stehen könnte. Sowohl in der Poesie als auch in der Kunst kann die Sichtbarmachung des eigentlich Virtuellen eines Paradigmas als sinnstiftende Strategie genutzt werden.30 Die Verknüpfung der beiden Syntag­ men, des Einbringens des Manna in die Bundeslade und des Einbringens des Christusleibes in das Grab, bildet ein kunstimmanentes eigenes Syntagma mit Verweisen auf die außerhalb des Bildes sichtbaren, verwahrten und bei der Kommunion verzehrten eucharistischen Gestalten des Herrenleibes. Wie sich die Bedeutung dieser einzelnen Bestandteile der Kupferemails verändert, wenn die Montierung neu konfiguriert wird bzw. weitere Objekte hinzukommen, zeigt der Umbau des 14. Jahrhunderts mit der Ergänzung der beiden Bildachsen zu Seiten der zentralen Kreuzi­ gungsachsen. Jetzt stehen nicht mehr Abendmahl, Kreu­ zigung und Grablegung in der genannten eucharistischen Bedeutung nebeneinander, sondern der Verrat des Judas, die Kreuzigung, und die zu einer Beweinung ausgear­ beitete Kreuzabnahme: Das Zentrum erhält nicht nur Ergänzungen, sondern wird aus bestehenden und hinzu­ kommenden Elementen neu  konfiguriert (Abb. 12). Dass auch für diese drei Bildachsen ein besonderer Zusammenschluss in der Montage gilt, zeigen die neu hinzugefügten vertikalen Bänder und die zwei Doppel­ säulen zu beiden Seiten des neuen Bedeutungszentrums. Ich habe an anderer Stelle gezeigt, dass die Ergänzungen nicht nur dazu dienen, die Mitteltafel auf die erforder­ liche Breite eines schließbaren Triptychons zu bringen, sondern um zu erreichen, dass das Bildprogramm einem zu jener Zeit aktuellen Bildgebrauch und Bildverständnis angepasst wird.31 Der Judasverrat und die Beweinung werden verlinkt, indem die Häupter der Christus-Ju­ das-Gruppe und die Häupter der Christus-Maria-Grup­ pe samt Nimbierung einander angeglichen und damit in

ein antithetisches Verhältnis gebracht werden. Die  syntagmatischen Beziehungen lauten: „Judas um­ armt Christus“ / „Maria umarmt Christus“. Die Figur des Judas steht damit in einem paradigmatischen Link zu Maria. Die Sichtbarmachung dieses  Paradigmas in den Bildern weist Judas als Negativ- und Maria als Po­ sitivexemplum aus: Ersterer hat Christus verraten, Maria hat Christus beweint. Die Betrachter/-innen sollen im Angesicht des gekreuzigten Christus in ihrer Andacht dem Beispiel Mariae folgen und ihn verehren, so wie sich auch der Propst auf den neuen Malereien der Rückseite des Triptychons verehrend auf den Gekreuzigten bezieht. Durch die neuen Objekte und ihre Verlinkungen ist das Zentrum nicht mehr primär dogmatisch definiert, son­ dern dient als visuelle Unterstützung der Definition der mittleren Achsen als ‚Devotionszentrum‘ im Sinne der Andachtsbildlichkeit des 14. Jahrhunderts. Auch Widmungsinschrift und Bilder gehen im Retabel von 1331 neue Verbindungen ein. Durch die Verschiebung der alten Inschrift ergab sich, dass das SERPENTEM aus dem achten Vers der Inschrift,32 das zuvor auf der rechten Tafel in der Achse mit der Pfingstdarstellung gesetzt war, sich jetzt unterhalb der neuen Präfiguration ante legem zur Kreuzabnahme/Beweinung befindet (Abb. 13). Vielleicht war dies mit ein Grund für die Wahl des Sündenfalls als Präfiguration ante legem mit dem Baum der Erkenntnis, aus dem der Legende nach das Kreuz Christi gefertigt wurde, von dem dieser in der Darstellung darunter abgenommen wird. Das Wort SERPENTEM steht nun unter dem Bild, auf dem die Schlange des Falls der Stammeltern dargestellt ist. Die Referenz ist in diesem Fall im Prinzip die gleiche wie in­ nerhalb der Widmungsinschrift („Schlange des Sünden­ falls“), aber der direkte Bezug zum Bild verändert das Bild-Schrift-Referenzsystem. Verlinkung Goldschmiedewerk (1331) – Malereien Eine Verbindung zwischen innerer und äußerer Schau­ seite des Retabels wurde oben schon mit der Verdoppe­ lung der Kreuzigungsdarstellung im Medium der Malerei

29 Dalferth 2018, 178. 30 Dies wurde beispielsweise sehr breit für die Kunst René Magrittes untersucht, der sich mit Bild und Schrift direkt auf das Saussur’sche System des Cours de linguistique generale zu beziehen scheint. Es kann sich bei seiner Kunst aber auch um ein gleichzeitiges Phänomen handeln; um ein eher genuin künstlerisches Motiv, Zeichenstrukturen theoretisch zu fassen bzw. sichtbar machen zu wollen, die in Kunst und Poesie von jeher genutzt worden sind (siehe dazu u.a. Schmidt-Wulffen 2016). 31 Schlie 2017, 247–274. 32 VIM PER DIVINAM VENIENS REPARARE RVINAM*/ QV[A]E PER SERPENTEM DEIECIT VTRVMQVE PARENTEM * (um mit göttlicher Macht den Fall zu heilen, der durch die Schlange beide Stammeltern vertrieben hat).

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Abb. 12: Nikolaus von Verdun und unbekannter Meister, Goldschmiedewerk („Verduner Altar“), 1181 und 1331, Klosterneuburg, Augustiner-Chorherrenstift, Disposition der neun mittleren Bildfelder seit 1331.

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Abb. 13: Unbekannter Meister, Sündenfall, Ergänzung von 1331 zum Goldschmiedewerk („Verduner Altar“) von 1181, Klosterneuburg, Augustiner-Chorherrenstift.

auf der Rückseite angedeutet (Abb. 14).33 Die Anbindung der gemalten Kreuzigung an das Goldschmiedewerk ge­ schieht in mehrfacher Hinsicht: Es wird ein Tau-Kreuz gewählt, das sich – im Gegensatz zur emaillierten Kreu­ zigung von 1181 (Abb. 15) – in der emaillierten Kreuzab­ nahme von 1331 findet (Abb. 16), sich aber auch auf das ‚gemalte‘ (eigentlich emaillierte), dem lateinischen Kon­ sonanten „T“ in der Widmungsinschrift entsprechenden Tau der siebten Plage von Ägypten bezieht, der Präfigu­ ration zu Christus in der Vorhölle. Seit dem Frühchristentum gilt das mit dem Blut des Opferlammes gemalte Tau, das die Erstgeborenen der Israeliten während der siebten Plage mit der Tötung der Erstgeburt vor dem Auszug aus Ägypten schützte, als zeichenhafte Präfiguration der Kreuzigung. Diese typologische Beziehung wurde im Werk von 1181 weniger fruchtbar gemacht als eine Beziehung zwischen dem Tau-Maler und dem Künstler bzw. dem Tau und dem „T“ der Inschriften.34 Indem sich seit 1331 die gemalte Kreuzi­ gung mit dem auffälligen Tau-Kreuz auf den Tau-Maler bezieht, wird aber nicht nur die typologische Beziehung über beide Schauseiten hinweg fruchtbar gemacht, son­ dern das Werk von 1331 wird als eine Art typologisches ‚Nachfolgemodell‘ des Werkes von 1181 postuliert. Die

Plaque mit dem Tau-Maler (1181) ‚präfiguriert‘ gleichsam sowohl die spätere Plaque mit der Kreuzabnahme (und ihrem Tau-Kreuz) als auch die gemalte Kreuzigung auf der anderen Seite. Die semantischen ‚Werte‘ des Tau­ zeichens sind auch hier kontextbezogen in den verschie­ denen  Syntagmen definiert. In dem Syntagma der bib­ lischen Narration ist das Tau ein gemaltes Schutz­zeichen; im Syntagma der Widmungsinschrift, in der Verbin­ dung mit der vom Künstler ‚gemalten‘ Schrift ist es ein Schrift-Zeichen in der Form eines lateinischen „T“, im Kontext des Christus-Kreuzes ist es dessen Präfiguration. Propst Stephan von Sierndorf, der den Umbau zum Retabel verantwortete, ist im neuen Werk sowohl ein Ele­ ment in einem schriftlichen als auch in einem bildlichen Syntagma. Er ist in der ergänzten Widmungsinschrift als Auftraggeber genannt, zudem ist er mittels einer unter dem Kreuz knienden und anbetenden Figur in der gemal­ ten Kreuzigung auf der Rückseite dargestellt (Abb.  17). Beide Syntagmen verbinden sich mittels der beiden Si­ gnifikanten des Propstes: Wenn das Retabel geschlossen ist, befindet sich die gemalte Figur in der Kreuzigung genau über dem P[RAE]POSIT[US] STEPHAN[US] der ergänzten Widmungsinschrift (Abb. 18). Wir haben es hier gleichsam mit einem verschränkten, besonderen (Bild-)Syntagma zu tun: Die Schrift besagt, dass Stephan das neue Werk Christus weiht; im Bild bezieht er sich figürlich auf Christus am Kreuz. Wenn er dortselbst mittels eines Schriftbandes um Barmherzigkeit ersucht (MISERERE MEI DEVS), ist ein Verweis auf das Ver­ dienst der Stiftung mitgedacht. Das neu eingefasste Goldschmiedewerk auf der inne­ ren und die Malereien auf der äußeren Schauseite werden so auch durch die schriftliche und bildliche Nennung des Stifters bzw. Auftraggebers des Retabels verlinkt. Diese Konfiguration lässt sich allerdings kaum noch mit sprach­ theoretischen Termini erfassen: In Texten können zwei verschiedene Signifikanten, die für dasselbe Signifikat in zwei verschiedenen Sätzen bzw.  Syntagmen verwendet werden, nicht in vergleichbarer Weise aufeinander bezo­ gen werden. Die Strategie jedenfalls inszeniert die Person des Propstes in besonderer Weise, und dies mittels der Medialität des wandelbaren mehransichtigen Bildensem­ bles, in das er das Goldschmiedewerk überführen ließ. Stephan von Sierndorf war im Jahr 1317 mit landesfürst­ licher Unterstützung vom Kapitel zum Propst gewählt worden. 1319 steckte er in erheblichen finanziellen Schwie­ rigkeiten und wurde aufgrund einer Auseinandersetzung

33 Zu den Malereien siehe Fritzsche 1983 und Trattner 2000. 34 Schlie 2018.

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Abb. 14: Unbekannter Meister, Kreuzigung auf der Rückseite des Altarretabels von 1331, Klosterneuburg, Augustiner-Chorherrenstift, Stiftsmuseum, Inv.Nr. GM 1 a.

Abb. 17: Unbekannter Meister, Kreuzigung auf der Rückseite des Altarretabels von 1331, Klosterneuburg, Augustiner-Chorherrenstift, Stiftsmuseum, Inv.Nr. GM 1 a (Detail).

Abb. 15: Nikolaus von Verdun, Kreuzigung, Goldschmiedewerk („Verduner Altar“), 1181, Klosterneuburg, Augustiner-Chorherrenstift.

Abb. 16: Unbekannter Meister, Kreuzabnahme/ Beweinung, Ergänzung von 1331 zum Goldschmiedewerk („Verduner Altar“) von 1181, Klosterneuburg, Augustiner-Chorherrenstift.

Abb. 18: Nikolaus von Verdun und unbekannter Meister, Goldschmiedewerk („Verduner Altar“), 1181 und 1331, Augustiner-Chorherrenstift Klosterneuburg (Detail).

um die Rückzahlung von Schulden mit dem päpstlichen Legaten Ademar Targa 1319 exkommuniziert. Die Ex­ kommunikation wurde im Juli 1319 aufgehoben.35 Genau vier Jahre später folgte allerdings im Juli 1323 die nächste Krise mit einer Absetzung vom Propstamt durch Visita­ toren des Bischofs von Passau. Der ‚Gegenpropst‘ Ulrich konnte sich allerdings nicht durchsetzen, und Stephan

wurde im Oktober 1324 durch einen Entscheid päpstli­ cher Inquisitoren im Beisein der habsburgischen Herzöge Albrecht und Otto wieder eingesetzt.36 Diese Ereignisse in der Biografie Stephans zeugen einerseits von einem persönlichen prekären Status und andererseits von den Netzwerken des Kräftespiels und der Machtverhältnisse, in denen das Stift stand. Das Mäzenatentum Stephans

35 Fritsch 1997, 48. 36 Fritsch 1997, 49.

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 Netzwerken und ein Akteur in Vorgängen weiterer Netzwerkbildung. Hinzu kommt, dass Stephan den Leopolds­ kult in Hinblick auf eine mögliche Heilig­ sprechung Leopolds III. förderte: 1323 ließ er ein auf das Leopolds­ grab bezogenes Mirakelverzeichnis anlegen, im September 1326 wurde eine Ablassurkunde durch die päpstliche Kurie für den Besuch des Grabes ausgestellt.39 Die 1331 fertiggestellte Umarbeitung des Goldschmie­ dewerks mit einer Erhöhung seines repräsentativen und inszenatorischen Charakters kann nicht unabhängig von all diesen Umständen betrachtet werden. Syntagmatische Beziehungen der Objektensemble (Kunstwerk – Ambo / Kunstwerk – Altar)

Abb. 19: Nikolaus von Verdun, Verkündigung an Maria, Goldschmiedewerk („Verduner Altar“), 1181, Klosterneuburg, Augustiner-Chorherrenstift.

und sein Bemühen um die bildmediale Omnipräsenz sei­ ner Person in den beauftragten Werken aller Gattungen37 kann im Kontext beider Erwägungen gesehen werden. Es ist in der Kunstgeschichte des Mittelalters und auch der Frühen Neuzeit beobachtbar, dass Aufträge zu repräsen­ tativen Werken, Porträts und Ausstattungen relativ oft mit Legitimierungswünschen von Auftraggebern/-innen verbunden sind, deren Status prekäre Merkmale aufweist. Man kann den Ausstattungswillen aber auch mit der politischen Stellung des Stiftes in Verbindung bringen. Mit einer Analyse der Rechnungsbücher des Stiftes und der herzoglichen Rechnungsbücher hat Susanne Fritsch gezeigt, dass sich in der Amtszeit des Propstes sehr viele Vertreter der religiösen und weltlichen Eliten, insbeson­ dere des Hauses Habsburg, regelmäßig für mehrere Tage im Stift aufhielten.38 Das Stift war gleichsam ein Hotspot des herrschaftspolitischen und des kirchenpolitischen Geschehens; ein besonderer Knoten in den genannten

Den Überlegungen liegt die Annahme zugrunde, dass der unmittelbare Kontext der Ausstattungswerke zu ihrem Sinn, zu den mit ihnen verbundenen Bedeutungskon­ stitutionen und zu ihrer Wirkung beiträgt. Dies betrifft sowohl den Raum, die architektonische Situation, die Stellung in der sakralen Topografie der Kirche als auch die liturgischen Vollzüge. Auch die mit diesen Handlun­ gen verbundene  Agency und  Affordanz des Werkes bestimmt sich in den  Konstellationen, in denen das Objekt steht. Das Werk von 1181 umkleidete den Ambo und trat da­ mit in eine Beziehung zur Wortverkündigung. In diesem Zusammenhang hatte gleich das erste christologische Bild, die Verkündigung an Maria, eine besondere Bedeu­ tung (Abb.  19). Sie steht an einem Lesepult mit einem Aufbau aus drei Registern, die je zwei schmale Bogen­ felder enthalten, welche wiederum in jedem Register mit einem Bogen überfangen sind. Im mittleren Register ist das linke Bogenfeld weiß, das rechte rot, und in den bei­ den anderen Registern verhält es sich umgekehrt. Dies entspricht der Spiegelverkehrung in den drei Registern der Amboverkleidung: In der Verkündigung an Maria kommt der Engel von links und entspricht damit dem weißen Feld, in den alttestamentlichen Verkündigungen kommen die Engel von rechts, wieder den weißen Bogen­ feldern des oberen und unteren Registers des Lese­pults der Maria entsprechend. Die Spiegelverkehrung visuali­ siert die typologische ‚Spiegelung‘ von Typus und Anti­

37 U.a. mehrfach in der ehemaligen Kreuzgangverglasung, illuminierten Manuskripten und auf einer Patene. Siehe dazu Huber 1980, zur Patene und zum Retabel von 1331 Schlie 2017. 38 Fritsch 1997, 51–54. Im Einzelnen kann dies hier nicht aufgeführt werden; die Besuche beispielsweise der Habsburger und anderer politischer Funktionsträger waren oft verknüpft mit bedeutenden politischen Ereignissen. 39 Fritsch 1997, 51.

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typus.40 Der Ambo mit seiner dreiregistrigen Verkleidung wird in diesem Konglomerat von formalen und seman­ tischen Verschränkungen als Nachfolger bzw. als Postfi­ guration des marianischen Lesepults ausgewiesen. Oder anders formuliert: In dem Syntagma „Goldschmiede­werk am Ambo“ hat die Plaque mit dem dargestellten Lesepult eine Konnotation, die es ohne den Ambo nicht hätte. Sobald sich die Emailplaques nicht mehr am Ambo verbinden, wird dieser Link gleichsam gekappt. Gleich­ zeitig entstehen neue Links: Mit dem Umbau zum Altar­ retabel wurde eines der alten Bilder neu im Referenzsys­ tem aktiviert. Der in der Präfiguration des Abendmahls am Altar dargestellte Melchisedech hat zwar die zentrale Bedeutung neben der Achse der Kreuzigung eingebüßt, bezieht sich in der bildlichen Form aber jetzt ganz un­ mittelbar auf den Altar, an dem das Retabel aufgestellt ist, und den Priester, der dort die Messe feiert. Ein weiterer  syntagmatischer Link ist die Ausrichtung der gemal­ ten mariologischen Szenen (in der Mitte der Rückseite des Retabels am Kreuzaltar) auf den Maria geweihten Hochaltar. Die räumliche Verlinkung der einzelnen Ta­ feln mit den Goldschmiedeplaques ist nun der vorherigen diametral entgegengesetzt: Statt einen Baukörper außen zu ummanteln, den man umschreiten muss, um die Bilder und die Inschrift zu erfassen, befinden sie sich nun auf der inneren Schauseite eines Triptychons. Wenn die Flügel leicht angestellt waren, konnte man Bild- und Schriftpro­ gramm von einem Betrachterstandpunkt aus erfassen. Sie bilden nicht mehr die äußere Haut von etwas, sondern werden selbst zum ‚Inneren‘ mit einem umfassenden ‚Äußeren‘. Man kann ein solches  Reframing auch als Aufwertung von etwas Kostbaren sehen, das in der Wert­ schätzung noch gestiegen ist und den Blicken periodisch entzogen wird.

Paradigmatische Verlinkung des Werkes mit anderen Werken im Stift 1. Ambo und Leuchter Es ist vielfach die Frage gestellt worden, warum gerade zu diesem Zeitpunkt am Ende des 12. Jahrhunderts ein kom­ plexes und systematisches Bildprogramm in diese monu­ mentale Form gebracht wird. Einerseits lässt es sich nicht aus der zeitgenössischen scholastischen Theologie erklä­ ren, in der Typologie keine prominente Rolle spielt. Zum anderen ist das Bildprogramm aber ein Vorläufer jener komplexen Typologie, die – wie in der Biblia Pauperum – jedem Bild eines Zyklus’ mit chronologisch aufgeführten christologischen Szenen zwei alttestamentliche Bildtypen zuordnet.41 Warum also ein monumentales, typologisches Programm von einem der bekanntesten Goldschmiede­ meister der Zeit? Als die Amboverkleidung gefertigt wurde, bestand die romanische, 1136 geweihte Kirche des – der Überlieferung nach am Anfang des 12. Jahrhunderts von dem Markgrafen Leopold III. gegründeten – Stiftes seit 50 Jahren. Zu ihrer Erstausstattung gehörte der bereits erwähnte monumentale, über vier Meter hohe vergolde­ te, im Wachsausschmelzverfahren gegossene bronzene Leuchter. Hier scheint relativ gesichert, dass er durch Leopold III. und seine Frau Agnes gestiftet wurde. Laut Peter Bloch ist der Kandelaber in Klosterneuburg der erste romanische Leuchter, „der in formaler Übereinstimmung mit der Bildformel der Wurzel Jesse entstand.“ 42 Die christliche Interpretation der jüdischen Menora bezog die Siebenzahl der Lampen zunächst auf die sieben Gaben des Heiligen Geistes, die bei Jesaja (11,1–2) im Zusammen­ hang der Vision der Wurzel Jesse genannt sind: et egredietur virga de radice Iesse et flos de radice eius ascendet/ et requiescet super eum spiritus Domini spiritus sapientiae et intellectus spiritus consilii et fortitudinis spiritus scientiae et pietatis/ et replebit eum spiritus timoris Domini.43

40 Vgl. Pippal 1994 und Pippal 1987. 41 Die Bibliae Pauperum gibt es in dieser Form wohl seit dem 13. Jahrhundert, auch wenn die frühesten Exemplare aus dem 14. Jahrhundert stammen. Tatsächlich war eine in Wien aufbewahrte, kurz vor dem Umbau des Klosterneuburger Goldschmiedewerks wohl in Klosterneuburg selbst 1325 entstandene Biblia Pauperum Vorbild für die Wahl der alttestamentlichen Präfigurationen. Das Problem war hier nur, dass das typologische Programm des Goldschmiedewerks von 1181 systematischer arbeitet, weil konsequent je eine Präfiguration ante legem und sub lege zugeordnet werden, während diese Unterscheidung in der Biblia Pauperum keine Rolle spielt. Man wollte für den Judasverrat beide Präfigurationen aus der Biblia Pauperum übernehmen, stellte dann aber fest, dass beide sub lege einzuordnen waren. Daher wählte man Kain und Abel für das obere Register. 42 Bloch 1962, 173. 43 Biblia Sacra Vulgata. „Und es wird ein Reis hervorgehen aus dem Stamm Isais und ein Zweig aus seiner Wurzel Frucht bringen. Auf ihm wird ruhen der Geist des HERRN, der Geist der Weisheit und des Verstandes, der Geist des Rates und der Stärke, der Geist der Erkenntnis und der Furcht des HERRN“ (Lutherbibel 1984).

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sechs Arme aus, drei Leuchterarme auf der einen Seite und drei Leuchterarme auf der anderen Seite (Exodus 37,17–18).

Abb. 20: Marquard Herrgott, Zeichnung des Leuchters aus der Pinacotheca principium Austriae, 2. Auflage, 1778, Tom. IV, Tab. II, fig. 15.

Der älteste erhaltene christliche siebenarmige Leuchter aus dem Essener Münster (um 1000) entspricht formal der jüdischen Form; im Gegensatz zu den Exemplaren des 12.  Jahrhunderts weist er keine vegetabilen Formen auf. Erst zu dieser Zeit wird die Gattung des Leuchters selbst mit der Vorstellung der Wurzel Jesse verbunden, d.h. er wird formal zum ‚Stammbaum‘ Christi, der in Jesse, dem Vater König Davids, wurzelt, und auch als solcher bezeichnet, wie im Fall des verlorenen Leuchters der Abbey St. Augustin zu Canterbury: Candelabrum magnum in choro aureum quod Jesse vocatur.44 Das Verständnis der Menora als Baum war bereits durch ihre Beschreibung im Buch Exodus im Kontext der Ausstattung der Stiftshütte angelegt: [Bezalel] machte den Leuchter aus purem Gold. Der Leuchter, sein Gestell und sein Schaft, seine Kelche, Knospen und Blüten waren aus einem Stück getrieben. Von seinen Seiten gingen

Rupert von Deutz (1070–1129) deutete die von dem jü­ dischen Kult übernommene Menora als Bild der Wurzel Jesse und die Siebenzahl der Leuchten als die sieben Gaben des Heiligen Geistes im Sinne der Eschatologie. „Virga“ (Zweig) wurde nun als die „Virgo“ Maria verstan­ den, und „Flos“ als Christus. Wir haben es hier nicht nur mit der Schrift entlehnten und sie wiederum auslegenden Typologie zu tun, sondern mit der Auslegung eines im Alten Testament genannten und von den Juden nach­ empfundenen Artefakts im christlichen Sinne.45 So wur­ de auch der siebenarmige Leuchter im Stift als der wahre Nachfolger des Leuchters der Stiftshütte verstanden, weil dieser ja bereits – so in der Auslegung des Rupert von Deutz – auf Christus hin deutete. Aus diesem Verständ­ nis von Nachfolgemodellen oder Postfigurationen heraus mag die Idee entstanden sein, das Klosterneuburger Goldschmiedewerk typologisch mit Artefakten des Alten Testaments wie der Bundeslade und der Arche Noah zu verlinken, wie ich es an anderer Stelle gezeigt habe.46 Dass die typologische Bedeutung des Leuchters auch nach der Blütezeit dieser Gattung jederzeit akti­ viert und neu belegt werden konnte, zeigt seine spätere Verbindung mit der Gründungslegende des Stiftes. Er wird quasi mit einem weiteren Objekt verbunden: Sein Holzkern galt als derjenige Holunderstrauch, in dem sich der Gründungslegende nach der Schleier der Agnes in den Donauauen verfangen hatte und neun Jahre später unversehrt von Leopold  III. aufgefunden wurde. Dieser wiederum befolgte die Anweisung der Gottesmutter in einer Erscheinung, am Ort der Auffindung eine Kirche zu bauen.47 Die genealogisch-typologische Ikonografie der Wurzel Jesse wird so mit der Gründungslegende des Stiftes Klosterneuburg verwoben, oder anders gesagt, die Kirchengründung wird in sehr nachhaltiger Weise in die Heilsgeschichte inseriert. Dem kam entgegen, dass die Baumstruktur der Leuchter tatsächlich vegetabil-or­ ganisch dargestellt worden war: Der Klosterneuburger

44 Zitiert nach Bloch 1962, 167. 45 Genau betrachtet ist dies eine besonders perfide antijudaistische Typologie, da die Juden in ihrem Kult ein Artefakt gebräuchten, das auf Christus als Messias verwiese. 46 Schlie 2018. Oben wurde bereits analysiert, wie über die Inszenierung des Tau der Künstler als Postfiguration Aarons konstruiert wird. Mittels der Arche in der heute 15. Vertikale, die Ähnlichkeit mit einem Goldschmiedeschrein hat, wird der Künstler mit ihrem Erbauer Noah in Beziehung gesetzt, zumal Nikolaus von Verdun genau unter dieser Vertikale im ursprünglichen Layout der Widmungsinschrift genannt war. 47 Es lässt sich zum gegenwärtigen Zeitpunkt nicht bestimmen, seit wann die Schleierlegende, die selbst erst im 14. Jahrhundert fassbar ist, mit dem Leuchter in dieser Weise verknüpft war. Sie wurde 1371 unter dem Propst Kolomann von Laa in eine lateinische Handschrift aufgenommen. Siehe mit einem Zitat des entsprechendenTextes Muschka 2012, 233.

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Leuchter ist gar der erste, bei dem sich die vegetabile Form nachweisen lässt.48 Noch im 18. Jahrhundert war die Legende so wichtig, dass eine Zeichnung von Marquard Herrgott (Abb.  20), die nicht nur Aussehen und Maße des Leuchters verzeichnet, diesen in großen Lettern übertitelt: Lychnuchus lignum sambuceum continens.49 Gustav Mazanetz nahm in diesem Kontext an, „daß die Gestalt des Leuchters bewußt einem einstämmigen Holunderbäumchen nachgebildet wurde“ und bemerkt darüber hinaus: „(…) wie das Holunderbäumchen hat der Leuchter heute keine sichtbaren Wurzeln und seine Tropfschalen stehen wie die kelchartigen Blüten des Holunderbäumchens aus dem Laubwerk heraus“.50 Es ist aber unwahrscheinlich, dass die Gründungslegen­ de in dieser Form schon zu Zeiten der Fertigung des Leuchters bestand. Vielmehr ist zu vermuten, dass die mittelalterlich nachweisbare Bezeichnung des Leuch­ ters als sambucus (Holunderbaum), die auf seiner eher zufälligen Ähnlichkeit mit diesem beruhen mag, für die Legendenentstehung mit verantwortlich war,51 zumal er wohl bereits zu dieser Zeit als Stiftung der Markgräfin galt.52 Ein Objekt und seine Wahrnehmung bzw. Affor­ danz ist damit Ursache der spezifischen Ausbildung der Invention of Tradition der Gründungslegende. In den schriftlichen Ritualien des 15. und 16. Jahrhunderts befin­ det sich der Platz, der nach Ausbildung der Legende als der ursprüngliche Standort des Holunderstrauches galt (als penes sambucum oder circa sambucum bezeichnet) in der Nähe des Leuchters.53 In Konsequenz aller mit der Legende zusammenhängenden Traditionserfindungen wurde der Leuchter sowohl als artifizielles Abbild als auch als Container des Holunderholzes wahrgenommen, ähnlich einem ‚sprechenden Reliquiar‘.54 Der Leuchter gehörte zur ersten Ausstattung der Stiftskirche und galt als Stiftung der babenbergischen

Gründer, auch wenn er erst zu einem späteren Zeit­ punkt seinen eigenen Ort als denjenigen markierte, den die Gottesmutter für die Kirche bestimmt hatte. Beiden Werken, dem Leuchter und der Amboverkleidung, ist gemeinsam, dass sie aus vergoldetem Metall hergestellt sind, innovative typologische Programme haben und ausgesprochen monumental sind.55 Der Leuchter ‚stiftet‘ Licht, der Ambo das Wort. Der Leuchter ist der älteste erhaltene seiner Art, der dezidiert als Wurzel Jesse und damit als Stammbaum Christi dargestellt ist; das Gold­ schmiedewerk des Ambos ist das erste Werk mit einer systematischen Typologie zur Christusvita. Der Leuchter weist durch den Gründungsbezug den Status von Kloster­ neuburg als Residenz aus, vor der Anfertigung der Am­ boverkleidung verliert das Stift diesen Status. Vielleicht ist hierin einer der Gründe für den Auftrag zu sehen, als Markierung eines Anspruchs, der auch weiterhin beste­ hen soll. Und in der Tat wurde Klosterneuburg um 1200 unter Leopold VI. erneut die Residenz der Babenberger.56 2. Das Altarretabel Die Motivation für den Umbau zu einem Altarretabel ist sehr auffällig mit der Person des Propstes Stephan von Sierndorf verbunden. Das Triptychon steht grundsätzlich im Kontext der zahlreichen Werke der Ausstattung, die der Propst in Auftrag gab und die einerseits einen aus­ geprägten Modernisierungswillen und andererseits ein Fortführen von Tradition erkennen lassen. Unter anderem ließ er in den Fenstern des verglasten Kreuzgangs das dreiregistrige Programm des Goldschmiedewerks wie­ derholen (Abb. 21). Wie hier das Beispiel des Bildfeldes mit dem Roten Meer zeigt (Abb.  22), wird die Komposition der Bild­ typen weitgehend adaptiert, die Bildfelder und ihre

48 Bloch 1962, 173. Im Vergleich siehe beispielsweise den Siebenarmigen Leuchter im Münster zu Essen mit einer geometrisch-halbkreis­ förmigen Auffassung der Arme (um 1000). Aber auch die späteren „Baumleuchter“ wie in Braunschweig (um 1170) und Mailand (erstes Viertel des 13. Jahrhunderts) sind immer noch statischer und weniger organisch geschwungen als der Klosterneuburger Leuchter. Mazanetz weist zudem darauf hin, dass „der Querschnitt des fast zylindrischen Teilstückes des Stammes“ nach oben hin abnimmt, d.h. dass sich die Äste einer organischen Logik folgend verjüngen (Mazanetz 1962, 176). 49 „Der Leuchter, Holz vom Holunderstrauch enthaltend“. 50 Mazanetz 1962, 176. 51 Röhrig 1986, 82. Er bezeichnet den Leuchter als „Urbild“ des in der Legende vorkommenden Holunderbaumes. 52 Röhrig 1986, 81f. 53 Siehe dazu Mazanetz 1962, 176. 54 Dies gilt auch dann, wenn der Kausalzusammenhang – und damit der object link – anders herum verläuft und der Leuchter erst nach der Ausbildung der Legende als (der in ihr figurierende) Holunderstrauch wahrgenommen wurde. Denn sowohl für die Bezeichnung des Leuchters als sambucus als auch für die Entstehung der Schleierlegende lassen sich nur termini ante quem formulieren. 55 Der Leuchter ist nach mehreren Umbauten seiner 55 Einzelteile heute 4,08 m hoch und 2,45 m breit. Die Maße des Ambos lassen sich nicht genau festlegen; das Retabel von 1331 misst in geöffnetem Zustand ca. 5,78 m in der Breite und 1,31 m in der Höhe. 56 Siehe Seeger 1997, 99.

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Abb. 21: Unbekannter Meister, Rotes Meer, Fenster aus der ehemaligen Kreuzgangverglasung, um 1330, Klosterneuburg, Augustiner-Chorherrenstift, Leopoldskapelle.

Abb. 22: Nikolaus von Verdun, Rotes Meer, Goldschmiedewerk („Verduner Altar“), 1181, Klosterneuburg, Augustiner-Chorherren­stift.

Rahmung selbst sind dem Medium der Glasmalerei im Sinne größerer Zentralität angeglichen. Bis auf die Wid­ mungsinschrift sind in der Glasmalerei alle Schriftsys­ teme integriert, aber neu strukturiert. Die Bildumschrift ist um das gesamte Bildfeld geführt, im oberen Scheitel rechts beginnend und links endend. Über der bildlichen Darstellung befindet sich schwarz auf weiß der Schriftzug ANTE LEGEM, darunter weiß auf schwarz der Bildti­ tulus. Die Glasmalereien sind nur noch zum Teil erhalten und heute in der Leo­poldskapelle eingesetzt, wovon noch zu sprechen sein wird. Eine Rekonstruktion der ehema­ ligen Kreuzgangverglasung zeigt, dass das im Westflügel eingesetzte Programm nur die Bilder der Amboverklei­ dung wiederholte, nicht die Ergänzungen von 1331.57 Die Fenster sind nicht exakt datierbar: Sie sind aber entweder

nach dem Umbau zum Retabel entstanden oder zu ei­ nem Zeitpunkt, als der Umbau mit Ergänzungen bereits vorgenommen wurde, mindestens aber geplant war. Dies ergibt einen  paradigmatischen Link des Goldschmiede­ werks zu den Fenstern: Sie ersetzen ein Programm, das es nicht mehr gibt, und in dem die ‚eucharistische‘ Mitte der besagten neun Szenen gleichsam wieder vereint ist. Es gibt zu wenig Anhaltspunkte für eine Hypothese, aus welcher Motivation heraus dies geschah. Das alte Pro­ gramm wird bewahrt, rekonstruiert, als solches gewürdigt. Gleichzeitig wird es aber auch wieder in ‚Modernität‘ transferiert, in den Stil und die Farbigkeit der aktuellen Glasmalerei, die zu diesem Zeitpunkt einen hohen Anteil an der Entwicklung typologischen Denkens hatte.

57 Siehe dazu Frodl-Kraft 1965.

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Abb. 23: Hans Part (Werkstatt), Babenberger Stammbaum, 1489–92, Klosterneuburg, Augustiner-Chorherrenstift, Stiftsmuseum, Inv.Nr. GM 86.

Das Triptychon mit dem Babenberger Stammbaum Weitere, spätere objektbiografische  Konstellationen können an dieser Stelle nur angedeutet werden. Das Altarretabel von 1331 ist ein besonderes Triptychon, das in der Art der Einfassung und Ergänzung eines älteren Kunstwerks Allein­stellungsmerkmal hat. Ist es ein Zufall, dass um 1489, also wiederum etwa 150 Jahre später, für das Stift ein zweites ungewöhnliches Triptychon mit Allein­ stellungsmerkmalen gefertigt wird, welches ebenfalls Zeit, Geschichte und vor allem Genealogie zum Thema hat? Dem älteren Stammbaum Christi (Leuchter) wird der Stammbaum des 1485 heiliggesprochenen Markgrafen Leopolds III. ‚zur Seite‘ gestellt, in einer modernen Form der organischen Baumstruktur insofern, als dass sich auf der Mitteltafel in den gereihten und durch multiple vegetabile Schlingen verbundene Medaillons 58 weite und atmosphärisch gemalte Räume eröffnen (Abb.  23).59 Da der Leuchter im Stift 20 Jahre vor Entstehung des Baben­ berger Stammbaums an prominenter Stelle hinter dem Kreuzaltar nachweisbar ist,60 scheint es kaum vorstellbar, dass die Idee eines monumentalen Stammbaums ganz

unabhängig von seiner Existenz im Stift hätte entstehen können. Die Gattung des Triptychons wiederum bot die Möglichkeit zu szenischen Medaillons auf der Mittel­ tafel, die ausgewählte Taten und Verdienste der männ­ lichen Linie fassen und registerähnlich ordnen ließ,61 während die Darstellung der Frauen auf den Flügeln das flos-Konzept des Stammbaumes im Sinne der Wurzel Jesse umsetzte – in der originellen Weise allerdings, dass die flores als abgebrochene Sprösse (anderer Stammbäume) dargestellt sind. Auch die Markgräfin Agnes wurde auf diese Weise dargestellt, ein Modell der Stiftskirche in der Hand haltend. Syntagmatische Links in einer neuen Konfiguration: Die Leopoldskapelle im 19. Jahrhundert Tatsächlich verbunden wird das Goldschmiedewerk mit dem Leopoldskult im 19.  Jahrhundert, als das Retabel im Jahr 1833 in der Leopoldskapelle, dem ehemaligen Kapitel­saal, aufgestellt wird, in dem sich auch das Grab des Heiligen befindet. 1936 entsteht ein neuer Schrein für

58 Solche Medaillons erscheinen in der Darstellung der Wurzel Jesse bereits im Hochmittelalter, so zum Beispiel im Fall der in Canterbury entstandenen Lambeth-Bibel, ca. 1140–1150, Ms. 3, fol. 198, London, Lambeth Palace Library. 59 In der Forschung zur Ikonografie der genealogischen Stammbäume wird davon ausgegangen, dass für die Vorstellung des „Abstammens“ die Bildformel der Wurzel Jesse grundlegend ist. Im 16. Jahrhundert sind die Beispiele der den verschiedenen bildlichen Formeln der Wurzel Jesse nachempfundenen fürstlich-genealogischen Bilder ausgesprochen zahlreich. Beispiele sind die Ehrenpforte des Kaisers Maximilian von Albrecht Dürer 1515 und die Genealogie des Infanten Ferdinand von Portugal von Simon Bening (1530–34) in der Genealogia dos Reis de Portugal, Ms. Ad. 12531, London, British Library. 60 Siehe Bloch 1962, 164. 61 Es lassen sich sieben fast senkrechte Register bzw. sechs Register, die von der Horizontalen um etwa 15° abweichen, ausmachen.

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die Gebeine in Goldschmiedewerk, der dem von Niko­ laus von Verdun gefertigten Marienschrein in Tournai angeglichen wurde.62 In einer Invention of Tradition wird damit eine immer schon vorhandene Beziehung des Klosterneuburger Goldschmiedewerks zum Leopolds­ kult visuell bzw. bildlich suggeriert. Auch die Reste der Kreuzgangverglasung mit den Nachahmungen der Bild­ narrative aus der Amboverkleidung finden in den Fens­ tern der Kapelle ihren Platz. Und last but not least wird auch der siebenarmige Leuchter, für den zumindest noch 1778 das wichtigste Kennzeichen zu sein scheint, dass er den Holunderstrauch enthält, in der Kapelle aufgestellt. Der Leopoldskult wird somit aus bestehenden Objekten neu  konfiguriert. Hier entsteht ein Objektensemble, in dem der Reliquienschrein die „fehlende“ Leopold­ ikonografie des mittelalterlichen Goldschmiedewerks ersetzt oder kompensiert. Zum Fest des Hl.  Leopolds werden seine Reliquien, besonders der Schädel, mit dem 1616 von Maximilian  III. gestifteten Erzherzogshut auf dem Altar vor dem Retabel ausgestellt, und spätestens hier überblenden sich Goldschmiedewerk und die Heili­ genverehrung in der Rezeption. Fazit Was bietet der Ansatz der Analyse der Object Links für eine Untersuchung des Goldschmiedewerks sowohl in produktionsästhetischer als auch in rezeptionsästheti­ scher Hinsicht? Am Beispiel Klosterneuburgs lässt sich zeigen, dass ältere und jüngere Ausstattungsobjekte Links

zwischen den Objekten selbst sowie Links zu Personen und Narrativen ausbilden, in deren Aktivierung die Stifts­ geschichte als Teil der Heilsgeschichte wahrgenommen wird. Vor allem die methodischen Ansätze im Bereich „Kunst im Kontext“ seit den 1980er Jahren, die sowohl strukturelle werkimmanente Referenzen als auch Werk­ zusammenhänge in Entstehungs- und Gebrauchskon­ texten berücksichtigt haben,63 führten im Einzelnen zu ähnlichen Lösungsvorschlägen. Das Konzept der Object Links bietet jedoch nicht nur die Gelegenheit, mit einem aktuellen Objektbegriff zu arbeiten, sondern kann die Dynamiken und Mechanismen von Bedeutungskonstitu­ tionen, Sinnerschließungen und Wissensgenerierungen in den Kulturen aus interdisziplinären Perspektiven sehr viel weitreichender erfassen. Die ‚Bedeutung‘ des Kunst­ werks bzw. des Kunstobjektes (sowohl im Sinne von Stel­ lung/Status als auch im Sinne von seiner Semantik) steht nie für sich, sondern verbindet sich mit Räumen, Dingen, menschlichen Akteuren/-innen und deren Handlun­ gen. Gleichsam modellhaft ist hier die Kunstkammer der frühen Neuzeit, die in gewisser Hinsicht das Erbe der Kirchenschätze antritt, welche in ihren Objekten und deren Verbindungen nicht nur Heiligkeit, sondern auch Wissen versammeln. Gerade die Forschungen zur Kunstkammer als Erkenntnisgenerator und Wissens­ speicher haben gezeigt, dass in den epistemologischen Zusammenhängen das „Kunstwerk“ oder „Bild“ nicht vom „Ding“ oder „Objekt“ zu trennen ist. Aber nicht erst in den frühneuzeitlichen Kunstkammern wird durch Verknüpfungen der Objekte Wissen generiert, sondern bereits in den sakral-politischen Räumen des Mittelalters.

62 Die Beobachtung verdanke ich Wolfgang Huber, der diese Zusammenhänge im Rahmen eines Projektes zur Objektbiografie des Klosterneuburger Goldschmiedewerks näher ausführen und die Maßnahmen des 19. Jahrhunderts erörtern wird. 63 Siehe beispielsweise Belting 1985, Busch 1987, Kemp 1987.

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Abbildungsnachweis Abb. 1, 3–10, 12–19, 21–23: © Foto: IMAREAL/Peter Böttcher. Abb. 2, 11: © Rekonstruktion: Heike Schlie, Foto/Bildbearbei­ tung: IMAREAL/Peter Böttcher. Abb. 20: © Digitalisat: Klosterneuburg, Augustiner-Chorherren­ stift, Stiftsbibliothek.

Heike Schlie

Von der Idee zum Buch: Das IMAREAL-Team bei der Entwicklungsarbeit von Object Links. Fotos: Karin Praniess-Kastner.