Noricum, Baiern und Österreich: Lorch als Hauptstadt und die Einführung des Christentums [Reprint 2019 ed.] 9783486775778, 9783486775761

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Noricum, Baiern und Österreich: Lorch als Hauptstadt und die Einführung des Christentums [Reprint 2019 ed.]
 9783486775778, 9783486775761

Table of contents :
Vorwort
Inhaltsübersicht
I. Das römische Noricum und das Eindringen des Christentums
II. Das Stammesherzogtum Baiern und das Christentum
III. Die Karolingische Ostmark und ihre „Drei Grafschaften"
IV. Das Dreigrafschaftsgebiet in der Ungarnzeit und das „Erzbistum" Lorch
V. Österreich und das Land ob der Enns
Schlußwort
Druckfehler und Nachträge

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NORICUM BAIERN UND ÖSTERREICH LORCH ALS HAUPTSTADT UND DIE EINFÜHRUNG DES CHRISTENTUMS VON

DR. I G N A Z

ZIBERMAYR

LANDESARCHIVDIREKTOR IN LINZ-DONAU MIT VIER KARTEN

MÜNCHEN

UND

BERLIN

1944

VERLAG VON R. OLDENBOURG

Copr. 1944 R . Oldenbourg, M ü n c h e n u n d B e r l i n Druck : H o f b u e h d r u c k e r e i Jos. Feichtingers E r b e n (Inh. H a n s Woisetschläger), Linz-Donau P r i n t e d in G e r m a n y

DEM ANDENKEN MEINER FRAU gest. 31. Jänner 1928

a*

Vorwort. Der wissenschaftliche Aufbau des Zentralarchivs für Oberösterreich erforderte die Kenntnis des Werdens, vor allem der Verfassungs- und Verwaltungsgeschichte dieses Landes und der damit verbundenen Behörden, deren schriftlichen Niederschlag eine solche Anstalt zu erfassen hat. So drängte sich mir nach dem ersten Weltkrieg, als ich die staatlichen Bestände mit den ständischen zu vereinigen hatte, der Gedanke auf, eine Verfassungsgeschichte des Landes ob der Enns zu schreiben. Da dessen Kern, der Traungau, zunächst mit der Steiermark und sodann mit dem Herzogtum Österreich verbunden war, ergab sich von vorneherein ein größerer Rahmen. Dieser nahm für die Frühzeit bedeutend zu, als sich im Laufe der Arbeit erwies, daß die unscheinbare Ortschaft Lorch bei Enns einst nicht nur die staatliche und kirchliche Metropole des römischen Ufer - Noricums, sondern auch die erste Hauptstadt und Mutterkirche Baierns war. Für das Mittelalter fließen die weltlichen Quellen nur dürftig; ich war deshalb genötigt, auch die kirchlichen heranzuziehen, um aus ihnen für mein Vorhaben Schlüsse zu ziehen. Ohne es ursprünglich zu wollen, kam ich so immer mehr auf den Boden der Kirchengeschichte. Bald sah ich, wie enge Staats- und Kirchenwesen in ihren Anfängen miteinander verbunden sind und daß es ein Fehler wäre, sie getrennt zu betrachten: die staatliche Provinzial- und kirchliche Metropolitanverfassung gehen ja beide auf römisch-heidnische Wurzel zurück. Wie mein Beruf die Ursache war, dieses Werk in Angriff zu nehmen, so haben sich in seinem Inhalt auch die Eindrücke meiner Jugendzeit und Kindheit abgefärbt. Ich bin aus dem Markt St. Florian bei Linz gebürtig und wuchs so gewissermaßen vor den Mauern von Lorch neben einem Stift auf, das eine hervorragende Pflegestätte der Geschichtswissenschaft war. Im ehemaligen Lorcher Gau, der Heimat meiner mütterlichen Ahnen (St. Valentin), habe ich überdies das Gymnasium (Seitenstetten) besucht; ja, wie ich später sah, lag unweit seiner Pfarrkirche St. Laurenz schon im Jahre 1364 der „Zyperhof, darauf gesezzen ist Ymmering der Zypermayer", den ich als den ersten Träger meines Namens ansprechen kann. Der herrliche

VI

Vorwort.

Blick auf dieses bis unlängst noch einsam aus den Feldern aufragende Gotteshaus von der „Herrenleiten" meines Heimatortes gehört zu den nachhaltigsten Eindrücken, die ich dort empfing. Schon als Hochschüler, als ein heftiger Streit über die angefochtene Echtheit der Leidensgeschichte des Lorcher Heiligen entbrannte, begann ich, mich mit den damals aufgeworfenen Fragen zu beschäftigen. So haben denn Amtsleben und Jugendzeit dieses Buch geformt; da die Eindrücke der letzteren immer die nachhaltigeren sind, so liegt sein Schwerpunkt im norischen Altertum und in der baierischen Frühzeit, wo Lorch eine überragende Stelle einnahm; doch floß daraus auch für den letzten Abschnitt (Österreich), wovon ich schon einen Teil meiner Ergebnisse in der zweiten Auflage meines Buches „Das Oberösterreichische Landesarchiv in Linz" (1930) veröffentlichte, ein größerer Gewinn, als wenn ich ihn ohne diese Grundlage behandelt hätte. Die dort (S. 47) in Aussicht gestellte Schrift „Österreich und das Land ob der Enns" bildet den Schlußteil des vorliegenden Buches. Es ist mir wieder so gegangen wie mit meiner Wolfganglegende (1924), wo ich zunächst nur den Altar in Kefermarkt zu besprechen gedachte; die einleitenden Worte über die Legende des Kirchenheiligen, die ich vorausschicken wollte, sind aber dann der Hauptgegenstand geworden und das ursprüngliche Vorhaben gedieh bloß zum Anhang. Mit dem endgültigen Ausarbeiten begann ich im Jahre 1934, nach Abschluß der von mir herausgegebenen Festschrift zur Jahrhundertfeier des Oberösterreichischen Musealvereines. Den Hauptinhalt meines Buches hat schon längst ein anderer behandelt; es ist dies kein Geringerer als F r a n z K u r z, der Stiftsarchivar von St. Florian, in seinen „Beyträgen zur Geschichte des Landes Oesterreich ob der Enns", für das sie den Beginn der wissenschaftlichen Geschichtschreibung bedeuten. Der dritte Band (Linz 1808) führt den Untertitel: Merkwürdigere Schicksale der Stadt Lorch, der Granzfestung Ennsburg und des alten Klosters St. Florian bis zum Ende des eilften Jahrhunderts. Es werden am 12. April 1943 hundert Jahre voll, daß er, der Verfasser der grundlegenden Lebensbilder der mittelalterlichen Habsburger, gestorben ist. Seiner gedenke ich aus diesem Anlaß in Ehrfurcht und Dankbarkeit. Sein Hauptverdienst ist, den überragenden Wert der Urkunden erkannt zu haben, die er als unbedingt gleichzeitige und unbeabsichtigte Geschichtsquellen vor die gewollten, die erzählenden Jahrbücher und Chroniken, stellte. W a s das bedeutet, habe ich im Abschnitt über die

Vorwort.

VII

karolingischen Grafschaften und Marken erfahren, w o das Nichtbeachten der urkundlichen Grundlagen die zu Lehren ausgebauten Irrtümer verschuldete. Ja, ich muß noch weitergehen und sagen, daß man im Altreich viel zu lange an den erzählenden Geschichtschreibern des Mittelalters haften blieb. Den Unterschied fühlte ich schon als Hochschüler, als ich in München und Wien (Institut für österreichische Geschichtsforschung) studierte; er ist mir aber in seiner T r a g w e i t e erst in diesem Buch voll bewußt geworden. Im Zurückdrängen der literarischen Quellen und im Bevorzugen der Inschriften, Urkunden und Akten beruht ein Großteil der Fortschritte der Geschichtswissenschaft; das hat schon Franz Kurz zu einer Zeit gezeigt, w o die Universitäten ihre Aufgabe als geisteswissenschaftliche Forschungsstätten noch nicht erkannt hatten; hierin w a r er, der von der Landesgeschichte herkam, einer der ersten und erfolgreichsten B a h n b r e c h e r ! Beim Ausführen meines Vorhabens bemerkte ich bald, daß ich mit dem vorhandenen Schrifttum f ü r meine Z w e c k e nicht viel anfangen konnte; ich ging deshalb unmittelbar auf die Quellen selbst z u r ü c k ; das tat ich auch deshalb, um diese ohne fremde Brille auf mich einwirken zu lassen; ich wandte also wie in meinem Beruf als Archivar bewußt das umgekehrte Verfahren an, als es schulmäßig gelehrt und geübt wird. Die einschlägigen Schriften las ich oft erst dann, w e n n ich meinen Rohentwurf vollendet hatte. Die Literaturnachweise trug ich in vielen Fällen erst in der Reinschrift nach und beschränkte mich in der Regel darauf, sie anzuführen, w e n n die betreffenden Verfasser mit meinen Ergebnissen übereinstimmten. Es ist ein Grundfehler der Geschichtswissenschaft, allzusehr an dem Schrifttum und den dort vorgetragenen Lehren haften zu bleiben und viel zu wenig auf den Quellen selbst aufzubauen. Die ältere Forschung fußte auf der Überlieferung, die durch zahlreiche Fälschungen entstellt ist. Das hat für Lorch zum erstenmal Ernst Ludwig Dümmler (Berlin) in seiner oft genannten Schrift „Piligrim von P a s s a u und das Erzbisthum Lorch" klar erwiesen (1854). Die neuere Forschung ging auf diesem W e g weiter und erkannte noch eine ganze Reihe von unechten Urkunden; das ist ihr Verdienst, doch schoß sie öfter über das Ziel hinaus und schüttete manchmal das Kind mit dem Bade aus; ihr fehlte der Blick für die Zusammenhänge, da sie sich viel zu sehr auf Einzelfälle beschränkte. Mein Vorhaben war, beide Richtungen zu verbinden und die ein-

VIII

Vorwort.

schlägigen Fragen aus der Gesamtschau zu erfassen. Das vorliegende Buch will denn auch als ein in sich geschlossenes Ganzes verstanden sein; ich habe deshalb es auch vermieden, einzelne Teile herauszugreifen und sie vorher gesondert zu veröffentlichen. Hohen Gewinn brachten mir die Neuausgaben zahlreicher Quellenschriften; da hat die deutsche Wissenschaft aufs neue Werke geschaffen, die ihren alten Ruf bestätigen. Das gilt zunächst für die jüngst erschienenen Bände der Monumenta Germaniae historica. Ich weise nur hin auf die durch Bruno Krusch (Hannover) gereinigten Texte der merowingischen Heiligenleben. Die von ihm gefundene älteste Lesart „depopulata urbs" (Lorch) bei Arbeo von Freising bildet den Angelpunkt meines Buches. Ähnliches verdanke ich der neuen Ausgabe der Geographie des Ptolemäus durch Otto Cuntz (Graz) mit der richtigen, allerdings von ihm unter den Strich gesetzten Lesung „Baianoi", mit welchem Namen die Baiern in die Geschichte eintreten. So w a r es mir möglich, über meine Vorgänger weit hinaus zu kommen. Noch ein anderes, zwar schon längst vorliegendes, aber für verfassungsgeschichtliche Studien recht wenig herangezogenes Quellenbuch ist anzuführen, nämlich die Konziliengeschichte von Karl Josef Hefele, die mir den Aufbau der altkirchlichen Metropolitanverfassung und damit das Wesen der staatlichen Provinzialverwaltung erschloß. Bei näherem Zusehen zeigte sich, daß die römischen Grenzen die Grundlagen der baierischen Gaue und der karolingischen Grafschaften blieben. Auf diesem Umweg kam ich wieder dorthin, von wo ich ausgegangen war, zum Entstehen des Herzogtums Österreich und des Landes ob der Enns, die beide dem karolingischen Dreigrafschaftsgebiet entsprossen sind. Es ergab sich so ein überraschendes Fortleben des Altertums, wie es sich in deutschen Landen kaum wo anders greifbarer und dauernder wird nachweisen lassen. Doch nicht nur der abgeschiedenen Vorgänger und Wegweiser habe ich zu gedenken, sondern mir obliegt auch die Pflicht, aller derer nicht zu vergessen, die mich durch Rat und Tat unterstützten; ich kann sie nicht alle aufzählen und hebe nur jene hervor, auf deren Mithilfe ich dauernd angewiesen war. Hier sind zunächst unsere Bibliotheken zu nennen; ihre Beamten und Angestellten mußte ich stark beanspruchen. Das gilt vor allem von der Universitätsbibliothek in Wien, deren Entgegenkommen ich dankbar zu rühmen habe. Doch auch die dortige Nationalbibliothek, die Studienbibliothek in Linz und die Universitätsbibliothek in Innsbruck halfen bei Be-

Vorwort.

IX

darf gerne und nachhaltig. Einen festen Grundstock von Behelfen, die ich ständig brauchte, entlieh mir auf längere Dauer die in den geschichtlichen Fächern reichhaltige Stiftsbibliothek in St. Florian. Die benötigten Zeitschriften konnte ich in erheblichem Umfang von der Bibliothek des Landesmuseums in Linz erhalten; im Landesarchiv selbst stand mir zudem eine ausgewählte Handbücherei zu Gebote, die für die ersten Zwecke genügte. Das Beschaffen der Hilfsmittel dauerte zwar in Linz länger als in einer Universitätsstadt, doch brachte dieser Mangel wieder den Vorteil, daß ich selbständigere W e g e gehen konnte und oft mit den vorhandenen Quellen das Auslangen finden mußte, in denen ich häufig mehr fand, als mir nachträglich das einschlägige Schrifttum bot. Mit der römischen Altertumskunde habe ich mich hier zum erstenmal beschäftigt; ich bin deshalb dem Direktor des Archäologischen Instituts in Wien, Prof. Dr. Rudolf Egger, zu großem Dank verpflichtet, daß er mich hierin mit seinem sachkundigen Rat unterstützte ; er, der stark in Anspruch genommene Forscher und Lehrer, unterzog sich überdies der Mühe, die einschlägigen Druckfahnen zu überprüfen. Das Entstehen dieses W e r k e s haben meine beiden Amtskollegen, die Archivräte Dr. Alfred Hoffmann und Dr. Erich Trinks, mit reger Anteilnahme begleitet und mich vor manchem Irrtum bewahrt, in den ein in seinen Stoff vertiefter Verfasser nur zu leicht verfällt; sie haben auch den ersten Satz der Korrekturen mitgelesen. Ihnen gilt mein besonderer Dank. Der erstere von ihnen hat ferner noch die vom Verlag R. Oldenbourg in München nachträglich gewünschten Kartenbeilagen entworfen; sie sollen die räumliche Vorstellung über die in dem Buch behandelten Gebiete erleichtern und enthalten daher in der Hauptsache bloß jene Orte und Flüsse, die dort ausdrücklich genannt sind. Bei dem Mangel an ausreichenden Quellenbelegen im Altertum und Frühmittelalter w a r es bei dem hier vorliegenden ersten Versuch nicht ratsam, bestimmte Grenzen einzuzeichnen; die Skizzen sind daher nicht als geschichtliche Karten im eigentlichen Sinne, d. h. als kartographisches Abbild der gewonnenen Ergebnisse aufzufassen. Der Verlag und die Druckerei Jos. Feichtingers Erben (H. Woisetschläger) in Linz haben alles getan, um das Erscheinen dieses W e r k e s trotz schwerer Kriegszeit zu ermöglichen; letztere hat mir noch rechtzeitig das Papier verschafft, doch reicht es bloß für eine kleinere Auflage, da ich die inzwischen durch die Sperre mehr gesuchter Bedarfsgüter eingetretene Kauflust für Bücher nicht voraus sah. Die ungünstigen Zeitverhältnisse mit

X

Vorwort.

ihren besonderen Sorgen und Aufgaben sowie aufs neue auftretende Krankheiten haben mich verhindert, das ursprünglich geplante Namen- und Sachregister anzufertigen; doch wird es in den wesentlichen Fällen durch die ausführlicher angelegte Inhaltsübersicht ersetzt, die zudem die erzielten Erkenntnisse kurz zusammenfaßt. Wir haben einen Zeitraum von beinahe zweitausend Jahren zu durchschreiten und müssen uns öfter auf noch nicht begangenen, gestrüppreichen Pfaden durchwinden, wo fast jeder Tritt das vorherige Ausproben des Bodens nötig macht. Zum Lohn für diese Mühen wird aber der Blick um so weiter und genußreicher. Wir werden sehen, wie das Überkommene, wenn seine Zeit erfüllt ist, stürzt und neuen Formen weichen muß, daß aber in diesen trotz allem Wandel das Alte fortlebt. Diesen ständigen Wechsel, den wir Geschichte nennen, zeigen im vorliegenden Fall schon die Ländernamen: Noricum, Baiern und Österreich, die nacheinander die Träger des staatlichen Lebens bezeichnen: nur die Menschen mit ihren verschiedenen Rassen, Sprachen und Sitten kommen und gehen und ändern die Schilder, doch der von der Natur gegebene Rauminhalt bleibt und verbürgt ein bestimmtes Gleichmaß im Leben der sich ablösenden und vermischenden Völker! Linz, am 31. Jänner 1943. Ignaz

Zibermayr.

Inhaltsübersicht. Vorwort . . Inhaltsfibersicht

S. V—X S. XI—XXV

I. Das römische Noricum und das Eindringen des Christentums

S. 1—66

1. N o r i c u m s

S. 1—9

Grenzen

und

Heeresverfassung

Das Königreich Noricum wird römische Provinz; ihre Grenzen (Donau) S. 1 f. Das Wiener Becken kommt zu Pannonien, dafür rückt Noricums Grenze vom Hausruck bis an den Inn vor S. 3 f. Die Iiier als Westgrenze Rätiens S. 4. Regensburg und Lorch werden Legionslager S. 5 f. Kaiser Diokletian teilt Noricum in das ufer- und binnenländische S. 6 f. Die Enns scheidet die vier Militärbezirke Ufer-Noricums in zwei Hälften S. 7 f. Ufer-Noricum untersteht dem Befehlshaber von Oberpannonien S. 8 f. 2. D i e

bürgerliche Hauptstädte

Verwaltung

Noricums

und

seine S. 9—17

Kaiser Claudius als Städtegründer; Lorch erhält Stadtrecht; Wels an Stelle von Virunum Hauptstadt von Noricum S. 9 f. Lorch wird Hauptstadt von Ufer-Noricum S. 11. Die vier Stadtbezirke Salzburg, Wels, Lorch und St. Pölten und ihre Grenzen S. 11—15. Das römische Straßennetz S. 15 f. Der Inn als Grenzfluß zwischen West- und Ostrom; Illyrien und seine Hauptstadt Sirmium S. 16 f. 3. D i e

F l o r i a n l e g e n d e als erstes Zeugnis C h r i s t e n t u m s in U f e r - N o r i c u m

des S. 17—31

Altchristliche Zeugnisse in Ufer-Noricum S. 17 f. Die längere Fassung der Florianlegende ist die ältere; ihr Inhalt S. 18 f. Ihr ursprünglicher und späterer Teil S. 19 f. Abschluß der römischen Legende mit dem Todessturz Florians nach dem Auszug im Martyrologium Hieronymianum S. 20 f. Beweise für das Entstehen der Florianlegende in der Römerzeit und im Lorcher Gebiet S. 21. Die Leidensgeschichte des Bischofs Irenäus von Sirmium ihr Vorbild; Sirmium die Mutterkirche von Lorch S. 21 f. Todesart deutet auf oströmische Herkunft; Berichte über das Auffinden der Leichen von Blutzeugen meist spätere Zutaten S. 23. Die Leidensgeschichte des Bischofs Quirinus von Siscia, der ,;Vier Gekrönten" und der Afra in Augsburg S. 23 f. Die „Offenbarung" Florians ist Volksdichtung S. 24 f. Baierische Herkunft (Lorch) des Zusatzes über Florian im Martyrologium Hieronymianum (Luxeuil) S. 25 f. Florian nicht ein afrikanischer Heiliger, sondern der norische Blutzeuge S. 26. Die Märtyrerbücher aus Frankreich und Deutschland schließen alle mit dem Todessturz Florians S. 27 f. Auffindung der Leiche Florians erstmalig bei Notker von St. Gallen S. 29. Der karolingische Fortsetzer ließ die römische Legende im Wesen unberührt; diese ist echt, die karolingische Zutat bloß spätere Sage S. 30 f.

XII

Inhaltsübersicht.

4. D i e k i r c h l i c h e

Einteilung

Noricums

S. 31—41

Das Konzil von Nicäa (325) erläßt eine Kirchenordnung (Metropolitanverfassung) auf Grund der staatlichen Provinzialeinteilung und des heidnischen Kaiserkults S. 31 f. Mehrere Provinzen bilden eine Diözese S. 32 f. In den beiden norischen Provinzen je ein Metropolit zu Virunum und Lauriacum und je ein Bischof in den Stadtgauen S. 33. Der Sagenkreis über den Ursprung der Kirchen von Lorch und Aquileia S. 34 f. Sirmium und nicht Aquileia die Mutterkirche der norischen Bistümer S. 35 f. Bischof Viktorin von P e t t a u ; die Anfänge des Kirchenwesens in Noricum S. 36 f. Sirmium als Hauptkirche Illyriens Mutterkirche von Noricum S. 38—41. 5. D a s L e b e n

Severins

und der

Lorcher

Sprengel

. . S. 41—45

Die Herkunft Severins und sein Lebensbild S. 41. Die Belagerung von Lorch (477); die Enns scheidet Ufer-Noricum in eine obere und untere Hälfte S. 42. Die Rügen legen die Hand auf Lorch; dessen Sprengel erstreckt sich östlich der Enns S. 43 f. Mautern als civitas; Lorch als urbs S. 44 f. 6. L a u r i a c u m u n d T i b u r n i a a l s M e t r o p o l i t a n s i t z e in U f e r - u n d B i n n e n-N o r i c u m z u r Z e i t S e v e r i n s u n d die z w e i K i r c h e n p r o v i n z e n R ä t i e n s

S. 45—57

Der Landesbischof wird Metropolit; das Christentum zur Zeit Severins; Constantius als pontifex von Lorch S. 45 f. Der Titel pontifex für den P r o vinzialpriester der Hauptstadt S. 47 f. Der heidnische pontifex in Wels und der christliche von Lorch; Constantius w a r Metropolit von Ufer-Noricum S. 48 f. Mautern als Bistum S. 49 f. Tiburnia als Hauptstadt von ganz Noricum und Sitz des Obermetropoliten für beide Provinzen; Noricum eine eigene Diözese und daher nicht Aquileia unterstellt S. 50 f. Bischof Valentin von Rätien II war Metropolit von Augsburg; Säben in Tirol als Rest der Augsburger Kirche S. 52 f. Chur als Metropolitansitz des ersten Rätiens mit dem Stadtgebiet von Como S. 53 f. Die civitas Noricum Prokops w a r Virunum S. 54 f. Abzug der Römer aus Ufer-Noricum (488); das Herzogtum Österreich als sein Erbe S. 56 f. 7. D i e z w e i K i r c h e n p r o v i n z e n h ä l t n i s zu A q u i l e i a

Noricums

und

ihr

VerS. 57—63

Aquileia als Metropolitansitz von Venetien S. 57 f. Der Titel Patriarch und Erzbischof S. 58f. Aquileia nicht die Mutterkirche der norischen Bistümer; die Bittschrift der langobardischen Bischöfe (591) S. 59 f. In Binnen-Noricum vier Bistümer: Virunum (Metropolitansitz), Teurnia, Celeia und Aguntum; aus Binnen-Noricum wird Karantanien S. 60—62. Die Urkunde Karls des Großen (811) über die Draugrenze spricht nicht für die Eigenschaft Aquileias als Mutterkirche Noricums S. 62 f. 8. L o r c h a l s a n g e b l i c h e r

Sitz eines Erzbischofs

. . . S. 63—66

Rückgang des Christentums in Ufer-Noricum; nach dem gefälschten Schreiben des Papstes Symmachus (um 500) Lorch angeblich Sitz eines Erzbischofs für Pannonien S. 63 f. Echter Kern hievon Metropolitansitz für Ufer-Noricum; Noricum kein „Vorland Italiens", sondern Zugehör Pannoniens S. 65 f.

XIII

Inhaltsübersicht. II. Das Stammesherzogtum Baiern und das Christentum

S. 67—277

l.Die

S. 67 — 78

Herkunft

der

Baiern

Die Verwechslung der Baiern mit den keltischen Boiern in Böhmen; die Baiern als angebliche Nachkommen der Markomannen in Böhmen S. 67. Baia bezeichnet eine Bucht (Bai) und gehört in die Gegend des Schwarzen Meeres; der Name Istrien für Baiern S. 68 f. Urheimat der Baiern an der Mündung der Donau in das Schwarze Meer; sie sind Ost- und nicht Westgermanen; die Baianoi des Ptolemäus; ihr zweites Siedelland die Westkarpathen S. 70 f. Die Baibari des Jordanis saßen nicht an der oberen Donau, sondern in den Karpathen S. 71 f. Die Baianoi des Ptolemäus die erste Erwähnung der Baiern; das Bainaib der Langobarden ist nicht Böhmen, sondern Baia in Oberungarn S. 73. Der Landesname Baia wandert mit seinen Bewohnern; die Baiern keine Abkömmlinge der Markomannen; ihr Einmarsch erfolgte die Donau aufwärts; ihr erstes Ziel das Gebiet zwischen Wiener Wald und Enns; ihre Westgrenze die Iiier S . 74 f. Erste Kunde von der Landnahme der Baiern in ihrer neuen (dritten) Heimat bei Venantius Fortunatas; der Lech als Fluß Baierns; Augsburg bleibt christliche Wallfahrt für die Romanen S. 76. Die nachfolgende Ankunft der Slaven in Karantanien und deren erste Kämpfe mit den Baiern S. 77 f. 2. D e r B e g i n n Franken

der

Abhängigkeit

der

Baiern

von

den S. 78—81

Das Schreiben des Frankenkönigs Theudebert an Kaiser Justinian für Baiern belanglos S. 78. Die Agilolfinger kein fränkisches, sondern ein einheimisches Geschlecht S. 79 f. Die Königin der Langobarden Theudelinde stammt nicht aus Baiern, sondern ist fränkischer Herkunft; die Baiern werden erst mit dem Vordringen der Slaven von den Franken abhängig S. 80 f. 3. D i e i r i s c h e n G l a u b e n s b o t e n in A l e m a n n i e n

und ihr e r s t e s

Wirken S . 81—86

Die Taufe des Frankenkönigs Chlodwig und ihre Folgen; irische Mönche in Gallien und der Anfang der Bekehrungen bei den Germanen S . 81 f. Kolumban der Jüngere, der Gründer des Klosters Luxeuil in Burgund, beginnt mit Eustasius und Gallus die Bekehrung der Alemannen in Bregenz; letzterer errichtet im Arboner Forst eine Zelle (St. Gallen) S . 83 f. König Dagobert I. verlegt den Bischofsitz von Windisch im Aargau nach Konstanz; die kirchliche Zugehörigkeit des Gaues Arbon S. 84 f. 4. D i e

erste

Bekehrung

Baierns

S . 86—96

Eustasius der erste Glaubensprediger bei den Baiern; diese waren keine Arianer, sondern Heiden S. 86 f. Der Frankenkönig Chlotar II. als Auftraggeber; kein Einvernehmen mit Rom; um 620 Beginn der Bekehrung in Baiern S. 88 f. Chlotars II. Sohn Dagobert I. als ihr Fortsetzer; unter ihm schon Bischöfe in Baiern mit festen Sitzen in den Gauen und nicht Wanderbischöfe S . 90 f. Dagobert bestimmt die Grenzen der Konstanzer Kirche; die Bistümer Würzburg und Augsburg S. 92 f. Vermerk über die Augs-

XIV

Inhaltsübersicht. burger Afra und den Lorcher Florian im Martyrologium Hieronymianum von Luxeuil zeugt für ein Fortleben des Christentums bei den in Baiern verbliebenen Romanen S. 94 f. Lorch als Sitz des Herzogs Mittelpunkt der Tätigkeit des Eustasius und daher erste Mutterkirche Baierns S. 95 f.

5. L o r c h die erste Hauptstadt Baierns. Ihr Untergang als U r s a c h e der zweiten B e k e h r u n g . . .

S. 96—107

Nach dem Ableben Dagoberts (639) die Baiern wieder frei; ihr Rückfall ins Heidentum; neuer Aufstieg der Franken unter dem Hausmeier Pippin dem Mittleren (687); der Angelsachse Willibrord als Erzbischof von Utrecht bei den Friesen; sein Einvernehmen mit Rom (Bonifatius) S. 9 6 f . Der Schotte Kilian bei den Thüringern (Würzburg); seine Romreise als Beginn der zweiten Bekehrung; Herzog Theodo von Baiern (696—717/18) S . 98 f. Die Zerstörung von Lorch durch die Awaren Anlaß zur zweiten Bekehrung S. 99 f. Lorch die erste Hauptstadt der Baiern S. 101 f. Der Glaubenslehrer Emmeram will nach Lorch gehen, doch Herzog Theodo hält ihn als Landesbischof in seiner neuen Hauptstadt Regensburg zurück 102 f. Seine Ankunft erfolgte vor jener Ruperts in Salzburg; Herrscherjahre Theodos; die Zerstörung von Lorch ist um 700 anzusetzen S. 104 f. Das Stammesgebiet der Baiern begann im Osten am Wiener Wald; der Name Noricum für Baiern; die Enns- und Lechgrenze nicht ursprünglich, sondern erst die Folge von Niederlagen S. 106 f. 6. D i e

Traun

als

Grenzwehr

Baierns

S. 107—112

Die Traun Ostgrenze für die Walchen-, Parschalken- und -ing-Orte und Westgrenze für die Siedlungen der Slaven S. 108f.; keltische (illyrische) Namen in Resten (Lorch) an der Traun- und Ennsmündung und östlich von ihr S. 109 f. Folgen der Verödung nach der Zerstörung von Lorch; die Traun auch Abschluß in den Bodenfunden und den Besitzverhältnissen S. 110 f. Die Traun befestigte Ostgrenze Baierns nach dem Untergange Lorchs S. l l l f . 7. D e r

Landesbischof

Emmeram

von

Regensburg.

.

S. 112—124

Die Sendung Emmerams eine Folge der Niederlage der Baiern S. 112. Das Eindringen der Slaven ostwärts der Traun verursacht durch die Preisgabe von Lorch; Theodos Flucht nach Regensburg S. 113 f. Emmeram von Regensburg, Rupert von Salzburg und Korbinian von Freising gehören in die Zeit desselben Herzogs Theodo, unter dem Lorch unterging S. 115 f. Theodo noch Heide und erst von Emmeram getauft S. 116 f. Regensburg wird jetzt Mutterkirch^ Baierns; „Heidenkapelle" und Dom (St. Peter) S . 117 f. Emmeram verstand die Sprache des Landes nicht; sein gewaltsamer Tod; als vom König eingesetzter Landesbischof war er Sendling aus dem Frankenreich S. 118 f. Sein vorzeitiges Ableben erleichterte Salzburg den Aufstieg zum Erzbistum Baierns S. 120. In Regensburg das altchristliche Zweikirchenwesen: Bischofskirche (Dom) St. Peter und Friedhofskirche S t . Georg (St. Emmeram) S. 121. Bischof Erhard S. 122 f. Im Dom Kanoniker, an der Friedhofskirche Mönche für die Totenfeiern; Bischof zugleich Abt S. 123 f.

XV

Inhaltsübersicht. 8. B i s c h o f

Rupert

von

Salzburg

. . S. 124—152

Das Wirken Ruperts in Salzburg von c. 710—720; das Salzburg nicht zustehende Erzbistum w a r der Grund, ihn als „Apostel Baierns" auszugeben S. 124 f. Das Fehlen einer älteren Lebensgeschichte Ruperts S. 125 f. Die Notitia Arnonis als echte Grundlage; die Lebensbilder Ruperts keine wirklichen Geschichtsquellen, sondern Legenden S. 126 f. Die „Kurzen Nachrichten" mit der Wandersage Ruperts; die Unglaubwürdigkeit ihrer Angaben (Seekirchen) S. 127—129. Das erste Gotteshaus in Salzburg war nicht St. Peter, sondern die Martinskirche S. 130. Der von Virgil erbaute Dom (St. P e t e r ! ) ; die Friedhofskirche St. Peter w a r niemals Hauptkirche; Salzburg war bei der Ankunft Ruperts nicht verfallen S. 131 f. Der Name ecclesia Petena für Salzburg S. 132. Das Grab Maximilians in Bischofshofen und die christlichen Romanen S. 133 f. Das wertlose Heiligenleben des angeblichen (Erz)bischofs Maximilian von Lorch S. 135 f. Die Gesta Ruperti wollen Salzburg den kirchlichen Vorrang vor Regensburg (Emmeram) sichern S. 137 f. Rupert war nicht erster Landesbischof in Regensburg; dessen Kirche und die falschen Theodone S. 139 f. Salzburg verlegt dagegen die Ankunft Ruperts in die Zeit der Landnahme der Baiern; die Salzburger Legende und die Forschung S. 140 f. Ruperts erfundene Reise nach Lorch (Hauptstadt) S. 141 f. Rupert kein Wanderbischof, seine Reisen sind erdichtet; die Conversio und der Anspruch Salzburgs auf Pannonien S. 143 f. Der vorzeitige Weggang Ruperts von Salzburg; Virgil brachte erst seine Gebeine zurück S. 144 f. Die Leidensgeschichte Trudperts aus dem Schwarzwald; die irische Herkunft der ersten Glaubensprediger in Baiern S. 145 f. Die Friedhofskirche St. Peter und Rupert als ihr Erbauer S. 147 f. Das Kanonikatstift Salzburg und das Frauenkloster Nonnberg S. 148—151. Rupert w a r nicht Abtbischof, sondern Bischof und Abt von Salzburg S. 152. 9. B i s c h o f

Korbinian

von

Freising

S. 152—159

Korbinian stammt aus Gallien; seine erfundenen Romreisen; Beginn seines Wirkens in Freising um 715 S. 153 f. Sein schroffes Auftreten gegen Herzog Grimoald kennzeichnet ihn als Sendling des Frankenreichs; die von ihm bewirkte Ehetrennung seines Landesherrn; Korbinians Flucht nach Mais bei Meran S. 155. Seine Rückkehr nach Freising eine Folge des Sieges Karl Martells (725); die Taufe des Herzogs Hugbert; das bald folgende Ableben Korbinians S. 156 f. Die Zweikirchenordnung in Freising: der Dom war Maria (und nicht Benedikt), die Friedhofskirche Stephan geweiht S. 157 f. Korbinian als Bischof und Abt der Gründer der Freisinger Kirche S. 158 f. 10. D i e

Romreise

des

Herzogs

Theodo

(716)

S. 159—164

Entschluß Theodos zur Annahme des Christentums; nach dem Tode Pippins (714) seine Reise nach Rom S. 159 f. Die römische Gesandtschaft in Baiern und ihre Vorschriften; der geplante Sitz eines Erzbischofs; die Preisgabe der irischen Kirche S. 161 f. Kurzer Rückfall ins Heidentum als Folge des Ablebens Theodos S. 163 f.

XVI

Inhaltsübersicht.

11. H e r z o g Der

Hugbert

späte

als

Zeitpunkt

Wiedervordringen

Gründer

der

des

des

Gründung

Heidentums;

Bistums

der P a s s a u e r Vollzug

Passau

Kirche

bereits

im

S . 165—171

verursacht

durch

Einvernehmen

mit

R o m ; der von G r e g o r III. geweihte erste Oberhirte von P a s s a u Vivilo steht in keinem, Zusammenhang mit dem Untergang von L o r c h ; Domkirche S t . S t e phan und Marienstift S . 165 f. boten B o n i f a z

Das neue Bistum nicht v o m päpstlichen S e n d -

(739), sondern schon von Herzog Hugbert

kein W a n d e r b i s c h o f S . 166.

Die S e v e r i n s k i r c h e ;

gegründet;

Vivilo

der T r a u n g a u gehörte bis

in die Zeit K a r l s des G r o ß e n zur S a l z b u r g e r und nicht zur P a s s a u e r S.

167.

Vivilo als angeblich letzter Erzbischof

dichtete Flucht nach P a s s a u S . 168 f.

von L o r c h

Kirche

und seine

er-

D e r erste Aufenthalt des päpstlichen

L e g a t e n B o n i f a z in B a i e r n ; Abt Sturm von Fulda der erste Benediktiner aus B a i e r n S . 169 f.

Nicht die Glaubensboten, sondern die fränkischen

Könige

sind die wirklichen B e k e h r e r des L a n d e s ; die T r e u e des V o l k e s im Glaubensleben S . 12.

Die

171.

kirchliche

nifatius

Neuordnung

Baierns

durch

Bo-

(739)

S. 172—187

S c h r e i b e n G r e g o r s III. an die Bischöfe der P r o v i n z B a i e r n und Alemanniens über die Ankunft des B o n i f a z und an diesen S . Bericht

des

Geschichtschreibers

Baiern vor Bonifaz

Willibald

keine Wanderbischöfe,

S.

172 f.

Der

173 f.

entsprechende

Die

Oberhirten

sondern vier wirkliche

der fünfte E m p f ä n g e r gehört nach Augsburg (Alemannien) S . 175 f. verliert

das

S . 177 f.

Gebiet

zwischen

Iiier und L e c h ,

der

Staatsgrenze

in

Bischöfe; Baiern

wird

(744)

B o n i f a z anerkennt nicht das W e r k der irischen Bischöfe S . 178 f.

D e r B e g r ü n d e r des baierischen K i r c h e n w e s e n s ist Herzog T h e o d o und nicht Bonifaz S . 180. Das

Wort

Die baierischen Glaubensboten keine W a n d e r b i s c h ö f e S . 181 f.

peregrinus

bischöfe S .

182 f.

gleichbedeutend

nur Aushilfen für die Sprengelbischöfe; K i r c h e S . 184 f. S.

13.

mit

die irischen

Kloster-

nie L e i t e r von Bistümern,

sondern

sie sind keine E i g e n a r t der

irischen

Die W a n d e r b i s c h ö f e

schottisch;

Das W e r k des B o n i f a z in B a i e r n wird s t a r k

überschätzt

186 f.

Bonifaz

im

Kampfe

Salzburg

mit

Bischof

Virgil

von

'

S . 187—194

D e r von den F r a n k e n geschlagene Herzog Odilo verläßt Schirmherr

des

von

Pippin

gesandten

Virgils;

Papst

B o n i f a z und

Zacharias

wird

anerkennt

diesen nicht als B i s c h o f und geht gegen dessen L e h r e über die Kugelgestalt der

Erde

vor

S.

doch v e r w e i g e r t

187 f.

Virgil bleibt V e r w a l t e r

ihm R o m

sieben J a h r e

des S a l z b u r g e r

lang die W e i h e

S.

189 f.

Bistums, Virgil

und nicht B o n i f a z hat d a s künftige K i r c h e n w e s e n B a i e r n s bestimmt S . 191 f. D e r spätere Kirchenstreit in B a i e r n beweist, daß keine Bischofskirche Bonifaz als ihren Gründer seinem

eigenen

b e t r a c h t e t e ; dieser konnte nicht einmal als

Orden

in B a i e r n

eine Heimstätte

schaffen;

blieben bis in die Zeit K a r l s des Großen irisch S . 193 f.

Benediktiner

dessen

Klöster

XVII

Inhaltsübersicht. 14. W a r

Klosterbischof

Pirmin

Benediktiner?

,

. .

S . 194—214

Karl Martell unterwarf schon in den Jahren 722 und 723 Alemannien S . 194 f. Der von ihm gesandte Klosterbischof Pirmin gründet 724 die Abtei Reichenau bei Konstanz S . 195f.; seine irische Herkunft; er und sein Nachfolger E d d o werden vertrieben S. 197 f. Pirmin errichtet d a s Kloster Murbach im Elsaß S . 199 f. Beide Abteien ursprünglich nicht benediktinisch, sondern Verbandsklöster von Luxeuil S . 200 f. Verunechtete Stiftbriefe, nach denen Kolumbanund Benediktinerregel verbunden waren S . 201—203. D a s Eindringen der Benediktinerregel im Frankenreich erst seit dem Bündnis seiner Hausmeier (Könige) init R o m ; Kloster Flavigny in Burgund irisch S . 204 f. D a s Wort peregrinus S . 205 f. D a s angebliche Zusammentreffen Pirmins mit Bonifaz S. 206 f. Pirmins Heimat nicht sicher, doch seine Kirchenart irisch S . 207 f. Irische Reste in Reichenau; St. Gallen zuerst kolumbanisch und seit 747 benediktinisch S. 208 f. Reichenau wird unter Abt W a l d o (786—806) Benediktinerkloster S . 210 f. Die Bitturkunde von Flavigny ist in ihrer Urform nicht benediktinisch, sondern kolumbanisch S. 211 f. Klöster Alemanniens und Baierns ursprünglich irisch; Fulda (744) älteste Benediktinerabtei im rechtsrheinischen Deutschland; Bonifaz und nicht Pirmin der erste Sendbote des Benediktinerordens in Deutschland S . 213. 15. D i e V o l k s r e c h t e d e r das Christentum

Baiern

und

Alemannen

und S. 214—232

D a s Volksrecht der Baiern zeigt die Zeitmarken ihrer Bekehrung S . 214. Sein Vorwort erweist als Anlaß ein fränkisches Königsgesetz zur Einführung des Christentums bei den abhängigen S t ä m m e n S . 215 f. Die Glaubwürdigkeit der unter König Dagobert abgefaßten Vorrede S . 216—220. Die zwei oberdeutschen Volksrechte bestehen a u s dem K ö n i g s g e s e t z (Christentum) und dem Gewohnheitsrecht (Heidentum) S . 221. D a s von König Chlotar II. erlassene Gesetzbuch der Alemannen geht wie das für Baiern auf den Reichstag des J a h r e s 615/16 zurück S . 221—223. D a s Schriftwesen in Baiern beginnt mit der Annahme d e s Christentums; dessen Schutzbrief das Königsgesetz S . 223f. In Alemannien und Bajern jeder Gau ein bischöflicher Sprengel; die Rechtsstellung d e s H e r z o g s S . 225 f. Die zweite Aufschrift des um 704 erneuerten alemannischen G e s e t z e s ; S c h w a b e n d a m a l s selbständiger als Baiern unter Herzog Theodo S . 226 f. B e w e i s das G e s e t z über die Tötung des vom König eingesetzten Landesbischofs ( E m m e r a m ) S . 228 f. Christliche Z u s ä t z e zum heidnischen Gewohnheitsrecht S . 230 f. Königsgesetz und Volksrecht versinnbilden den Kampf zwischen Christentum und Heidentum S . 231 f. 16. D i e

Bekehrung

der

Karantanen

S . 232—241

D a s Eindringen der Alpenslaven zwischen Traun und Wiener Wald (700—777); Absichten, die S l a v e n zu bekehren; seit 743 die Karantanen von den Baiern (Odilo) abhängig S. 232 f. Ihr von den A w a r e n bedrängter Herzog Boruth entscheidet sich für die Annahme d e s Christentums S . 233 f. In der Karnburg die erste christliche Kirche; Salzburg übernimmt im Einvernehmen Odilos mit R o m die Bekehrung Karantaniens, der später die Germanisierung folgt S . 234 f. Landbischof Modest gründet drei Hauptkirchen: Maria Saal, b

XVIII

Inhaltsübersicht. Lurnfeld und Ingering, wovon die beiden ersten an römische Bischofsitze anknüpfen S. 235—238. Die kirchliche Einteilung w a r nicht das Ende, sondern der Beginn der Bekehrung; Karantanien erhielt keine eigene Landeskirche, sondern blieb Salzburg unterstellt S. 238 f. Der Sieg Tassilos (772) begründet die dauernde Herrschaft des Christentums und der Deutschen in den Alpenländern S. 239 f. Der noch nicht zum Bischof geweihte Virgil entsendet Modest um 750 nach Kärnten; Tassilo stiftet das Kloster Innichen im Pustertal (769) S. 240 f.

17. H e r z o g O d i l o Klöster Odilo als erster Mondsee (748) Pirmins; Monte Bonifaz kommt 18. D i e e r s t e n

als

Gründer

kolumbanischer S. 241—246

Klostergründer in Baiern S. 241 f. Niederaltach (741) und irische Klöster mit schwäbischen Mönchen aus der Schule Cassino nicht das Mutterkloster von Mondsee S. 242—245. als Klostergründer in Baiern nicht in Betracht S. 245 f.

bischöflichen

Stifte Baierns

S. 246—250

Das passauische Eigenkloster Kühbach ursprünglich nicht für Benediktinerinnen, sondern für Gottgeweihte Jungfrauen bestimmt; das vom Freisinger Domstift abhängige Schliersee nicht als Benediktinerabtei geschaffen S. 247—249. Die bischöflichen Stifte auf dem Lande (Bischofshofen, Otting) mit gemischten Verbänden (Kanoniker und Mönche) nicht benediktinisch S. 249 f. 19. D i e G r ü n d u n g d e s K l o s t e r s K r e m s m ü n s t e r (777) und die W ie d e r b e s ie d 1 u n g des östlichen Traungaues S. 250—257 Zweck der Gründung wie bei Innichen die Bekehrung der eingedrungenen Slaven und die Absicht, den von Theodo aufgegebenen Teil des Traungaues wieder zu besiedeln S. 250 f. Der in drei Abschriften überlieferte Stiftbrief und die entsprechende Urkunde Karls des Großen (791) S. 251 f. Virgil von Salzburg weihte das Münster als zuständiger Sprengelbischof; die ersten Mönche keine Benediktiner, sondern irischer Art aus Pirminklöstern (Niederaltach); der erste Abt Fater S. 252 f. Der Tassilokelch weist auf irische Wurzel S. 254. Die ersten baierischen Siedlungen östlich der Traun; der Stiftbrief von K. als Beweis für die vorausgegangene Preisgabe (Verödung) S. 255 f. Die Großtat Tassilos als Wiederbesiedler und Germanisator des östlichen Traungaues; der Stiftbrief das erste Zeugnis für das Vordringen der Slaven in den östlichen Traungau S. 256 f. 20. D a s W i e d e r v o r d r i n g e n über die Enns S t a m m e s g r e n z e am W i e n e r W a l d e

bis

zur S. 257—265

Der umstrittene Zusatz über den Grunzwitigau (a. d. Traisen) ist späterer Einschub S. 257 f. Die Enns Militär-, der Wiener Wald Stammesgrenze der Baiern S. 258 f. Das Verbleiben der Baiern ostwärts der Enns nach Verlust der Hauptstadt Lorch S. 259 f. Das Vordringen der Slaven in das norische Unterland und der Anlaß zum Awarenkrieg Karls des Großen (791) S. 261 f. Baierns Ostgrenze ursprünglich der Wiener Wald, w o erst das Reich der Awaren begann S. 262 f. Der Unterschied des Siedlungsbildes zwischen östlichem Traungau und norischem Unterland S. 263—265.

XIX

Inhaltsübersicht. 21. B a i e r n

verliert

sein

Herzoghaus

(788)

S. 265—271

Germanische Eigenkirche und römischer Rechtsbegriff S. 265. Tassilo gerät als Eigenkirchenherr in Gegensatz zu den Bischöfen S. 266 f. Sein Sturz (788) S. 267 f. Baiern wird fränkische Provinz S. 268 f. Frankenreich — Christentum und Ostkolonisation S. 270 f. 22. B a i e r n

erhält

in S a l z b u r g

ein E r z b i s t u m

(798) . . S. 271—277

Nicht die Hauptstadt Regensburg, sondern Salzburg wird auf Verlangen Karls des Großen Sitz des Erzbistums S. 271 f. Rom betrachtete Rupert nicht als Apostel Baierns S. 272 f. Der Einspruch der Bischöfe gegen Arn (Salzburg) S. 273 f. Das neue Erzbistum hätte in die Hauptstadt und an die Donau (Regensburg) gehört S. 275 f. Der Streit zwischen Salzburg und Passau um Pannonien; Baiern ein Donauland und der Verlust Lorchs als Hauptstadt; dessen kirchlicher Anfall an Passau S. 276 f. III. Die Karolingische Ostmark und ihre Drei Grafschaften 1. B a i e r n

als

fränkische

. . . . S. 278—376

Provinz

S. 278—280

Der Traungau als östliche Mark Baierns; aus ihr w u r d e die Mark ob der Enns S. 278. Die Provinz Baiern blieb erhalten; die verschiedenen Stufen der Grafen, von denen jener der Hauptstadt (dux) die andern beaufsichtigt S. 279. Aus der römischen civitas wird der baierische Gau und aus ihm die fränkische Grafschaft; Karl der Große ließ die von ihm aufgehobenen Stammesherzogtümer als Provinzen bestehen S. 280. 2. D e r U n t e r g a n g d e s A w a r e n r e i c h e s u n d d i e Grenze Karantaniens und Pannoniens

neue S. 280—284

Die Feldzüge 791 und 796 bis an die Raab und Donau, die jetzt Nord- und Ostgrenze wird; Widerstand der Awaren erst an der Grenze Pannoniens S. 280 f. Karl der Große errichtet die Pannonische Mark in zwei Abschnitten; Südgrenze wird die Drau S. 281 f. Die Grenze gegen das Reich der Mährer (Tullner Feld) S. 282 f. Traungau und norisches Unterland (Dreigrafschaftsgebiet) wie Karantanien dem Präfekten Pannoniens unterstellt; durch Verbleib des Gebietes von Salzburg bei Baiern der Hausruck wieder Scheidelinie S. 283 f. 3. D i e

Karolingische

Ostmark

S. 284—287

Die Mark nach rechtsgeschichtlicher Lehre; die verschiedenen Namen für das neu eroberte Awarien (Karantanien) S. 284 f. Der Name „Ostmark" für Pannonien und Karantanien sowie das baierische Dreigrafschaftsgebiet und die daraus entstandene Unsicherheit im Gebrauche dieses W o r t e s ; Karl der Große hat nur die Pannonische, aber nicht auch eine „Karantanische Mark" geschaffen S. 286 f. 4. F r ä n k i s c h e

Grafschaft

und

Mark

S. 288—295

Die Irrtümer der rechtsgeschichtlichen Lehren über die fränkische Verfassung mit dem vermeintlichen Fehlen von Provinzen S. 288 f. Die Ostmark und Friaul w a r e n nicht anders eingerichtet und ebenso befestigt wie die Spanische Mark S. 290 f. Das W e r k Karls des Großen ein Abbild der kirchlichen Meb*

Inhaltsübersicht.

XX

tropolitanverfassung mit den P r o v i n z e n als Grundlage; W a l a h f r i d S t r a b o als W e g w e i s e r S. 291 f. An Stelle des abgesetzten S t a m m e s h e r z o g s leitete jetzt ein comes et dux die P r o v i n z S. 292 f. Der Titel „ P r ä f e k t " für die Markgrafen der O s t m a r k , denen je ein dux in Karantanien und P a n n o n i e n u n t e r s t a n d ; Graf Gerold, der P r ä f e k t v o n Baiern, v e r s a h noch die O s t m a r k ; seine Stelle glich jener des Erzbischofs Arn S. 293 f. 5. D i e

Grafschaften

Karantaniens

S. 295—297

Hauptquelle die Salzburger Conversio; sie ist bloß auf Karantanien aber nicht auf P a n n o n i e n zu beziehen S. 295 f. Karantanien zerfiel in drei Grafschaften, deren Sprengel jenen der drei Hauptkirchen (Maria Saal, L u r n und Ingering) e n t s p r a c h e n S. 296 f. 6. D i e

Grafschaften

Pannoniens

S. 298—306

Die O s t m a r k begann nicht an der Enns, sondern an der Großen Tulln S. 298 f. O b e r p a n n o n i e n zerfiel w i e in der Römerzeit in z w e i civitates; der Name C a r n u n t u m f ü r Karantanien S. 300 f. Inhaber der nördlichen Grafschaft der P r ä f e k t ; W i e n als W ä c h t e r des Engpasses in das Reich, Tulln als Vorort S. 301 f. Die Namen Möns Cetius, C u m e o b e r g und Wiener W a l d sprechen für den Wechsel der G r e n z e ; in Unterpannonien z w e i Grafschaften: Moosburg und Dudleipa S. 303 f. Einfall der Ungarn (900) und Bau der E n n s b u r g ; St. P ö l t e n als zeitweiser Sitz des Markgrafen; hernach K a r n b u r g S. 305 f. 7.

Das mit der Ostmark ach a ft s g e b i e t

verbundene

DreigrafS. 306—312

Das norische Unterland und der T r a u n g a u als „Grenzabschnitt der P r o v i n z Baiern im O s t e n " (Dreigrafschaftsgebiet) S. 306 f. Lorch als Sitz des baierischen G r e n z g r a f e n unter dem P r ä f e k t e n der O s t m a r k (Pannonien) S. 308—312. 8. D a s D r e i g r a f s c h a f t s g e b i e t Zollordnung

in d e r

Raffelstettener S. 312—323

Die aus drei Grafschaften bestehende Grenzgrafschaft Aribos zwischen Rosdorf u n d mindestens Mautern gehört noch zur P r o v i n z Baiern; die z w e i Grafschaften östlich d e r Enns enge v e r b u n d e n , T r a u n g a u angehängt S. 313 f. Raffelstetten liegt an der westlichen G r e n z e der Lorcher Grafschaft, die als Sitz des G r e n z g r a f e n den V o r r a n g innehat S. 314 f. Rosdorf ist südlich der Donau im Umkreis der Schaunburg (Aschach) zu suchen; römische V o r g ä n g e r für die Zollstellen S. 316 f. Eine karolingische Grafschaft im N o r d e n der Donau ausgeschlossen; der Traungau als Mutterland für den dort neu ger o d e t e n B o d e n ; d e r Aufstieg von Linz als Handelsplatz S. 318 f. Ebersburg (Ybbs) als Zollstätte der Lorcher Grafschaft S. 319 f. Mautern als Zollort; ist nicht E b e r s b u r g ; jede Grafschaft ein eigenes Zollgebiet S. 320 f. Die G r e n z e n der drei Grafschaften; das W o r t civitas für Grafschaft (Lorch) S. 322 f. 9. D i e

drei

Pilgrim-Synoden

S. 324—329

Die G r e n z e n des Bistums P a s s a u ; die S y n o d e n Pilgrims gehören in die Anf a n g s j a h r e seines W i r k e n s S. 324 f. Die P f a r r t a g e in Lorch und Mautern für d a s Gebiet zwischen der Enns und dem W i e n e r W a l d S. 325 f. Die

XXI

Inhaltsübersicht. S y n o d e zu Mistelbach bei W e l s für den T r a u n g a u ; im Norden der Donau noch Naarn S . 326 f.

Ostgrenze die Enns,

ja

Die Namen und Zugehörigkeit

der P f a r r o r t e als W e g w e i s e r für die Missionsarbeit

(Untergang von

Lorch);

daher keine B i s t ü m e r , sondern bloß Hauptkirchen; die Grenzen der drei Altpfarren entsprechen jenen der drei G r a f s c h a f t e n ; ihre Grundlagen sind römisch S. 10.

328.

Florian s e in

als

Schutzheiliger

der

Ennsgrenze

und

S t if t

S . 329—347

Nach der P r e i s g a b e von L o r c h wird Florian Schutzheiliger der S . 329 f.

Ennsgrenze

Die S i e g e Karls des G r o ß e n über die A w a r e n und die Gründungs-

s a g e von S t . Florian (karolingische L e g e n d e ) ; Begräbnisplatz

ein

natürlicher

Zufluchtsort

Name „ I p f " als Ortsbezeichnung;

von

ihr Inhalt; der Lorch

S.

vermeintliche

331—333.

Der

die angebliche G r a b e s k i r c h e ein W e r k

B e w o h n e r des L o r c h e r Gaues S . 333 f.

der

Die e r s t e n Zeugnisse für sie S . 335 f.

Die Reginolfurkunde mit dem F l o r i a n g r a b zu B u c h schließt einen Zusammenhang mit dem Altertum aus und läßt B a i e r n als Siedler und Gründer erkennen S . 336 f.

D a s Entstehen des Stiftes S t . F l o r i a n ; L i n z kein Zugehör zu ihm

S . 337—339.

Die Ungarneinfälle bringen das ursprünglich selbständige Heilig-

tum in Abhängigkeit

vom Hochstift P a s s a u

S . 339—342.

Bischof Altmann

führt regulierte Chorherren ein und fügt für sie der bisherigen K i r c h e ( F l o rian) einen Chorraum (Maria) a n ; das F e h l e n der Gebeine Florians S . 343—346. Die J o h a n n e s k i r c h e in St. Florian löst L o r c h als Pfarrgotteshaus ab S . 346 f. 11. D i e

Fortdauer

des

Christentums

in

Lorch

.

.

.

S . 347—358

S t . L a u r e n z in L o r c h als Metropolitankirche für Ufer-Noricum S . 347 f. jüngst

ausgegrabene

Angerkirche

war

als

baierische

punkt für die erste Bekehrung S . 348—350.

Hofkapelle

D a s romanische

in L o r c h nicht Grundlage der B e k e h r u n g B a i e r n s S . 350—352.

Die

AusgangsChristentum

Die S t . L a u -

renzkirche als S i t z eines passauischen Chorbistums S . 352—355.

Der Ver-

such Pilgrims, sie an Stelle des zerstörten P a s s a u zum S i t z eines E r z b i s c h o f s für B a i e r n und P a n n o n i e n zu erheben (977) S . 12. D e r

kirchliche

Kampf

um

Pannonien

356—358. und

Mähren

a)Oberpannonien

S . 358—376 S . 358—366

K a r l der G r o ß e überweist P a s s a u das norische Dreigrafschaftsgebiet bis zur Großen

Tulln,

Salzburg

ganz P a n n o n i e n

mit Tulln und W i e n

Die Echtheit der Urkunde Ludwigs des Deutschen

S.

358—360.

(830), in der P a s s a u die

nördliche Grafschaft in Oberpannonien e r w i r b t ; W o l f g a n g als Glaubensprediger bei den Ungarn S . 360—366. b)Unterpannonien

und

Mähren

S . 366—376

P a s s a u b e k e h r t die Mährer; Moosburg als Mittelpunkt der salzburgischen Mission S . 366 f.

Die B r ü d e r Cyrill und Method als griechische Glaubensprediger

bei den S l a v e n ; letzteren ernennt R o m zum E r z b i s c h o f von P a n n o n i e n S . 368 bis 370.

Sein Kampf mit Salzburg und P a s s a u S . 371—373.

dieses Kirchenstreites S . 373—376.

Das

Wesen

XXII

Inhaltsübersicht.

IV. Das Dreigrafschaftsgebiet in der Ungarnzelt und das „Erzbistum" Lorch

S. 377—415

1. D i e U n g a r n e i n f ä l l e u n d d e r U n t e r g a n g d e r K a rolingischen Ostmark S. 377—384 Die Niederlage der Baiern bei Preßburg (907) und ihre Folgen S. 377—380. Die Magyaren zerreißen das Dreigrafschaftsgebiet: der Traungau verbleibt bei Baiern; die Mark Rüdigers vom Lorcher Feld bis zur Großen Tulln unter der Oberhoheit der Ungarn S. 380—384. 2. D i e O t t o n i s c h e O s t m a r k ( Ö s t e r r e i c h ) S. 384—389 Markgraf Burkhard und die Babenberger (Leitha- und Marchgrenze) S. 384 f. Der Bau der Styraburg; der Traungau nicht mit der Mark der Babenberger verbunden, zu der nur die Ennsburg gehörte S. 386 f. Die Markgrafschaft kein einheitliches Gebiet (Grafschaft u n d Mark) S. 387f. Das Aufkommen des Namens Österreich; der Unterschied zwischen der Ostmark der Karolinger und Ottonen S. 388 f. 3. B i s c h o f P i l g r i m v o n P a s s a u u n d d a s „ E r z b i s t u m " Lorch S. 389—415 Pilgrim verbreitet das Christentum in Ungarn S. 389 f. Gran wird der Sitz eines eigenen Erzbischofs (1001) S. 391 f. Der Plan Pilgrims, auf Grund angeblicher, von der Lorcher Kirche abgeleiteter Rechte, Erzbischof von Baiern und Pannonien zu werden S. 392—394. Die von ihm gefälschten Bullen; der Widerstand Salzburgs S. 394—398. Die verunechtete Arnulfurkunde macht aus dem ersten Passauer Bischof Vivilo den letzten Erzbischof von Lorch S. 399 f. Kaiser Otto II. verweigert den Titel eines pontifex von Lorch S. 400 f. Pilgrims Plan ist im Jahre 977 zu Lorch gereift nach seiner Flucht aus dem zerstörten Passau S. 402 f. Alle Kaiserurkunden, in denen er pontifex von Lorch heißt, sind verunechtet; er ist der Urheber der Lorcher Fabel; seine Aussaat reifte erst viel später S. 404—408. Die Fälschungen Pilgrims und die Geschichtswissenschaft S. 409 f. Sein Streben als Wiedererwecker der Hauptstadt Lorch und die ursprüngliche Aufgabe Baierns im Osten S. 410—414. . V. Österreich und das Land ob der Enns 1. D a s L a n d i m N o r d e n d e r D o n a u Das Lichten des Nordwaldes erst nach den Ungarnkriegen Donau aus; im Waldviertel Vordringen tiefer und früher als Scheidelinie die Isper S. 416 f. Die Riedmark mit dem Westgrenze zählte zu Österreich (Grafschaft); von da an Mühl das zum Traungau gehörige Gebiet S. 418—420.

S. 416—539 S. 416—420 vom Süden der im Mühlviertel; Haselgraben als bis zur Großen

2, Ö s t e r r e i c h w i r d H e r z o g t u m (1156) S. 420-^26 Eigenes Landrecht in Österreich und das Aufkommen des Wortes Austria S. 420 f. Österreich wird Herzogtum (Privilegium minus) S. 422. Der Name der „Drei Grafschaften" erinnert an die Karolingerzeit; ihr nach den Ungarnkriegen verbliebener Rest ist wie ehedem südlich der Donau zu suchen; nicht nur die Mark, sondern auch die mit ihr verbundene (Lorcher) Grafschaft (Austria superior, aber nicht der Traungau) zum Herzogtum erhoben; daher als Sinnbild zwei Fahnen S. 423—426.

Inhaltsübersicht. 3. D e r

Kampf

XXIII

um d a s L a n d d e s s t e y r i s c h e n

Herzogs

S. 426—442

Der Traungau erwächst aus dem römischen Stadtgebiet Wels; seine Grafen (Wels-Lambach, Ottokare von Steyr) unterstanden als solche den Herzogen von Baiern, als Markgrafen (Steiermark) jenen von Kärnten S. 427 f. Der Versuch der Babenberger, den Traungau zu gewinnen (1156); die irrige Angabe der Quellen, wonach das Gebiet von der Enns bis Rotensala schon damals zu Österreich gekommen wäre, läßt den Traungau als verbliebene Einheit erkennen S. 428—431. Der letzte Sproß der Ottokare erhält den Titel eines Herzogs (1180), aber die Steiermark wird dabei sowenig zum Herzogtum erhoben als der Traungau S. 431—433. Kaiser Friedrich I. hatte keinen Anlaß, das Land Ottokars zu erhöhen, sondern wollte die Babenberger für den Verzicht auf Baiern entschädigen S . 433 f. Der Name Styria im Titel des neuen Herzogs bedeutet ursprünglich nicht nur die Steiermark, sondern auch den Traungau S . 435 f. Der St. Georgenberger Erbvertrag (1186) und der Ubergang des Landes des steyrischen Herzogs an die Babenberger; Traungau und Steiermark bleiben noch verbunden S. 437—442. 4. D i e

Abtrennung des T r a u n g a u e s vom Lande des s t e y r i s c h e n H e r z o g s und seine Angliederung a n d a s H e r z o g t u m Ö s t e r r e i c h (1240)

S. 442—453

Baierns Anspruch auf den Traungau S . 443 f. Herzog Friedrich II., der Streitbare (nicht erst König Ottokar von Böhmen), trennt ihn von der Steiermark und verbindet ihn mit Österreich S. 444 f. Der herzogliche Schreiber zu Enns; das Jahr 1240 bringt das Wiederaufleben des Dreigrafschaftsgebietes S . 445 f. Die älteste Angabe über die Ybbsgrenze (1246) S. 447. Die landesfürstlichen Urbare und' die Ennsgrenze S. 448 f. Der Amtskreis des landesfürstlichen Schreibers zu Enns umfaßte den Traungau und das Gebiet zwischen der Enns und Ybbs S . 449—451. Die Ybbs als kirchliche Grenze (Archidiakonat Lorch) S. 452 f. 5. D e r T r a u n g a u w i r d a l s L a n d o b d e r E n n s Oberösterreichs

ein

Teil S. 454—462

Der Name Oberösterreich geht von dem Gebiet zwischen Enns und Ybbs auf den Traungau über S . 454 f. Der Hauptmann von Oberösterreich hatte den gleichen Sprengel wie der Landschreiber; Enns als Vorort S . 455—457. Der obere Teil Österreichs (Austria superior) ist der Lorcher Gau; das „obere Land jenseits der Enns" („Land zwischen Donau und Enns") als „Teil Oberösterreichs" an Baiern verpfändet (1276) S . 457 f. Das gleichzeitige Auftauchen der Namen „Oberösterreich", „ob der Enns", „Ennsland" und ihr Inhalt S. 459—462. 6. O b e r ö s t e r r e i c h

und das L a n d

ob der

Enns

. . . . S. 462—470

Der Name „ob der Enns" drängt den von „Oberösterreich" zurück S . 462 f. Die Enns keine Grenze im Siedlungsbild S. 463 f. Die „Hauptmannschaft ob der E n s " in Linz (Wallseer) reichte bis zur Ybbs S. 464 f. Dasselbe gilt für die Formel „Städte ob der Enns" S. 465—467. Aus „ob der Enns" wird Österreich oder Land ob der Enns S. 467 f. Der Name „Landl" zeigt den Traungau bloß als ein Zugehör S . 469 f.

XXIV 7. D i e

Inhaltsübersicht. „Mark

ob

derEnns"

Herzogs

Rudolf

IV.

. . .

S. 470—478

Der Große Freiheitsbriei Rudolfs IV. will die „Mark ob der Enns" (Traungau) als alten Teil des Herzogtums Österreich vortäuschen S. 470 f. Die Wittelsbacher halten dauernd an der Ennsgrenze fest S. 472 f. Die Zugehörigkeit der Herren von Schaunberg zum Landadel Österreichs S. 474—477. Der Traungau als verbliebene Gebietseinheit läßt erst die Geschichte des Landes ob der Enns richtig verstehen S. 477 f. 8. D a s A u f k o m m e n Enns

des

Wappens

des

Landes

ob

der S. 478—481

Der Fünfadlerschild S. 478 f. Das Wappen des Landes ob der Enns geht wohl auf Rudolf IV. zurück und findet sich schon in einer vor 1395 entstandenen Handschrift des Wiener Hofes; seine Vorlage das Wappen der Herren von Machland S. 479 f. Der Traungau erscheint in ihm mit der Riedmark zum erstenmal zu einer Landeseinheit (Österreich ob der Enns) verbunden S. 481. 9. D i e V e r s e l b s t ä n d i g u n g

des L a n d e s

ob d e r

Enns

. S. 481—504

Adel und Landtage S. 481 f. Erster Generallandtag zu Wien (1397) S. 482 f . Anzeichen einer beginnenden Absonderung der Stände ob der Enns von jenen zu Wien (1408) S. 483 f. Das Landeswappen auf Münzen (1416) und Siegeln (1418); die ersten ständischen Urkunden S. 484 f. Das Land ob der Enns Albrechts VI. erstreckte sich bis an die Ybbs; der Dekanat Lorch reichte ebenfalls bis dorthin S. 486—489. Die drei Teile Österreichs, wovon der Hauptteil ostwärts der Ybbs einheitlich war, während jener westlich von ihr in zwei durch die Enns getrennte Hälften zerfiel S. 489 f. Das Verhältnis 1 : 2 zeigt sich im Heer- und Steuerwesen; die vier Viertel des Landes (1478) S. 491 f. Das Vordringen der Ungarn bis an die Enns (1481) macht diese wieder zur festen Grenze S. 492 f. Das Neu- und Altösterreich Friedrichs III. S. 494. Ober- und Niederösterreich hatten je einen eigenen Schutzheiligen S. 495. Durch die Verselbständigung des Landes ob der Enns verliert sein Wappen den früheren Rang gleich nach dem Herzogtum Österreich S. 496 f. Die Nieder-, Inner- und Oberösterreichischen Erblande (Maximilian I.) S. 498 f. Das von ihm errichtete „Regiment" als Behörde des Landesfürsten in Enns; die Vizedome; die Verordneten; der Titel „Landeshauptmann" S. 499 f. Der Zweifel über die staatsrechtliche Zugehörigkeit des Landes ob der Enns zu Baiern oder Österreich S. 501 f. Das Oberösterreich und Ennsland der Humanisten ist das eigentliche Land ob der Enns; ihr Osterland; der Wunsch Maximilians I. in dem von ihm erworbenen Sankt Wolfgang begraben zu werden S. 502—504. 10. D e r R a n g s t r e i t Steiermark

des

Landes

ob

der

Enns

mit S. 5 0 4 - 5 1 8

Der Titel „Markgrafschaft" für das Land ob der Enns und das Verlangen seiner Stände nach einem eigenen Erzherzogtum; der Ausbruch des Rangstreites (1510) S. 504 f. Der Versuch Ferdinands I., das Land ob der Enns in seinen Großen Titel aufzunehmen S. 506. Das Wesen und der Verlauf

Inhaltsübersicht.

XXV

des Rangstreites S. 507 f. Sein Höhepunkt auf dem Linzer T a g (1614); die Streitschriften S. 509 f. Der Kampf um das höhere Alter; die S t ä n d e ob d e r E n n s halten richtig an der Einheit ihres L a n d e s fest; die Steierer w e r f e n ihnen vor, sie seien bloß ein Landl; der Rangstreit und die angebliche E r h e b u n g der Steiermark zum Herzogtum S. 510—517. Die verbliebene Einheit des T r a u n g a u e s ; die Schlacht am W e i ß e n Berge (1620) und ihre Folgen S. 517 f. 11. D a s L a n d ob der Ständewesens

Enns

im

Niedergange

des S. 519—528

Die Habsburger und Wittelsbacher als Beschützer der alten Kirche, die Stände als Anhänger des Protestantismus; die Verpfändung des Landes an Baiern (1620) S. 519 f. Die staatsrechtliche Unklarheit, eine Ursache der Bauernkriege S. 520 f. Der Name „ O b e r ö s t e r r e i c h " als Volksausdruck; der W e r t des umstrittenen L a n d e s für das Haus Habsburg in der Denkschrift von Franz Christoph Khevenhiller (1628); der S t u r z des Adels und der Ausgang des Rangstreites (1632) S. 522 f. Die Heldenzeit Österreichs; sein Kampf mit Baiern und das Land ob der Enns; der E r w e r b des Innviertels (1779), das mit ihm und Salzburg v e r b u n d e n w i r d S. 524—528. 12. D a s L a n d o b v i n z (1783)

der

Enns

wird

eine

besondere

ProS. 528—533

Die Zentralisation der Verwaltung unter Maria Theresia; die Kreisämter (1752); Josef II. trennt d a s Land ob der Enns politisch von Niederösterreich und errichtet eine eigene „ob der Ennsische R e g i e r u n g " in Linz (1783); doch verbindet das Gerichtswesen noch beide L ä n d e r (Niederösterreich ob und unter der Enns) S. 528 f. Das Land ob der Enns erhält ein Bistum (1784); der Dekanat Lorch tritt seine P f a r r e n östlich der Enns an die Diözese St. Pölten ab (1785); die Eons wird hiedurch politisch und kirchlich eine feste Grenze S. 530 f. Die Franzoseneiniälie und ihre vorübergehenden Folgen S. -532. 13. Ö s t e r r e i c h o b d e r E n n s t u m (1861)

wird

eigenes

ErzherzogS. 533—539

Die Ereignisse des J a h r e s 1848 führen zur Aufhebung des U n t e r t a n e n v e r b a n d s s ; die E n n s wird auch in der Gerichtseinteiluug zur Grenze, indem das neue Bezirksgericht Enns den alten Sprengel o s t w ä r t s von ihr verliert; die „vereinigten Landescollegien" S. 533—535. Das F e b r u a r p a t e n t (1861) bringt das Aufhören des S t ä n d e w e s e n s und behandelt das Kronland ob der Enns als eigenes E r z h e r z o g t u m ; dieses erhält hiedurch den V o r r a n g vor den Herzogtümern Salzburg und Steiermark S. 535—537. Der Zerfall der ÖsterreichischUngarischen Monarchie (1918) und seine Folgen; das Verschwinden des Flußnamens Enns im Titel der Bundesländer Ober- und Niederösterreich S. 537 f. Schlußwort Kartenbeilagen

S. 539—543

I. Das römische Noricum und das Eindringen des Christentums. 1. Noricums Grenzen und Heeresverfassung. Das Königreich Noricum ist das älteste staatliche Gebilde, das wir in den Ostalpen kennen; es vereinigte in mehreren Gaugemeinden verschiedene illyrisch-keltische Stämme. Ihre Hauptstadt (urbs) war das nur dem Namen nach bekannte, aber nicht genau bestimmbare Noreia, das als Ort des ersten Zusammenstoßes zwischen Germanen (Cimbern und Teutonen) und Römern im Jahre 113 vor Chr. denkwürdig geworden ist 1 ). Damals standen die norischen Könige im Bunde mit Rom: hiedurch tritt ihr Reich in das Licht der Geschichte. Schon Cäsar gedachte zur Abwehr der landsuchenden Völkerschaften die Grenzen Italiens bis über die Alpen vorzuschieben; es gelang ihm jedoch bloß, Gallien zu erobern und die Reichsgrenze bis an den Rhein auszudehnen; an die Donau ist erst sein Nachfolger A u g u s t u s vorgedrungen. Im Jahre 15 vor Chr. fiel ihm das Königreich von Noreia (Noricum) zu, das als solches noch eine Zeitlang bestehen blieb. Die Umbildung des norischen Völkerstaates in eine römische Provinz begann Kaiser Claudius (41—54 n. Chr.); das geht schon aus seinen zahlreichen Städtegründungen hervor, die uns noch beschäftigen werden. Die alten Grenzen des Königreiches wurden schon vor ihm geändert und den militärischen Bedürfnissen Roms angepaßt. Die etwa ein Jahrhundert später abgefaßte Geographie des Ptolemäus bringt bereits andere Scheidelinien, als sie das frühere Königreich hatte. Nach ihm reichte die norische Provinz von der Mündung des Inns bis zum Wiener Walde und von der Donau bis zu den Karawanken 2 ). In der angegebenen Form blieben sie bis zum Ende der Römerherrschaft bestehen. Westlich von Noricum lag das gleichzeitig gewonnene Rätien (Vindelizien) und östlich schloß sich das schon 35 vor Chr. eroberte und im Jahre 10 nach der Zeitwende als Provinz eingerichtete Pannonien an. 2

F. Miltner, Die Lage von Noreia, Carinthia I, 131. Jahrg. (1941) S. 289 ff. ) 0 . Cuntz, Die Geographie des Ptolemaeus (1923) S. 72. 1

2

I. Das römische Noricum und das Eindringen des Christentums.

Im Norden blieb die D o n a u unverändert eine feste Scheidelinie ; sie trennte ursprünglich die keltischen Boier, die dem Lande Böhmen den Namen gegeben haben, von den Bewohnern des norischen Königreiches. Während der Römerzeit wurde sie die Schnittlinie zweier ganz verschiedener Völker und Welten: Römer und Germanen stießen hier aneinander, als einige Jahrzehnte vorher die Markomannen und Quaden die Boier besiegten und Böhmen und Mähren besetzten. Das nördliche Donauufer begleitet von Regensburg fast bis zur Mündung des Kamp ein mächtiges, aus Kuppen und Niederungen bestehendes Waldgebiet, der Nordwald, der damals noch nicht besiedelt w a r und in seiner Undurchdringlichkeit dem Durchzuge feindlicher Streitkräfte bedeutende Hindernisse in den Weg stellte. Am gangbarsten unter den elenden Salzsteigen, die nach Böhmen führten, w a r die beinahe an den Kerschbaumer Sattel anschließende Feldaistsenke, die eine Verbindung mit der Moldau ermöglichte. Der Mündung der Aist in die Donau gegenüber, fast dort, wo diese die Enns aufnimmt, entstand jene bedeutende Grenzfeste, die für die Geschicke des ganzen Landes bestimmend wurde; es war dies das spätere Standlager L a u r i a c u m , dessen Name noch heute in der unscheinbaren Ortschaft Lorch bei Enns fortlebt. Viel gefahrdrohender als Einbruchsstelle der Markomannen und Quaden w a r das von ihnen bewohnte Marchfeld, dessen Fluß bis in das Mährische Gesenke die Landschaft aufschließt und dort einen Anschluß an das Quellgebiet der Oder findet; die ihnen folgende „Bernsteinstraße" stellte die kürzeste und gangbarste Verbindung mit der Ostsee her. Das der Marchmündung gegenüberliegende Wiener Becken ist nach Norden nur durch die Donau geschützt und liegt zudem gegen Osten offen da; der Wiener Wald riegelt es bloß vom Westen ab. Nach Süden bot sich ferner auf dem uralten Handelswege zwischen der Ostsee und Adria die kürzeste, von der Natur vorgezeichnete Eintrittspforte nach Italien. Diesen Gefahren suchten die Römer durch die beiden großen Standlager Carnuntum (Petronell) und Vindobona (Wien) vorzubeugen; dort war ihre Schlüsselstellung gegen die Markomannen und Quaden, vor der naturgemäß Lauriacum stark zurücktrat. Die Namen der drei Festungen verraten in ihren illyrisch-keltischen Wurzeln, daß sie in ihren Ursprüngen noch auf das norische Königreich zurückreichen, das namentlich seit dem Einfalle der Markomannen in Böhmen seine Nordgrenze schützen mußte. Es ist sicher bezeugt, daß das Wiener

3

1. Noricums Grenzen und Heeresverfassung.

Becken anfangs zu Noricum gehörte. Das Königreich erstreckte sich demnach mindestens bis an die Leitha, ja reichte als Ödland wohl bis an die Raab; dort fanden die aus Böhmen versprengten Reste der Boier Zuflucht 1 ). Wie im Osten die Grenze bis an den Wiener Wald zurückgeschoben wurde, so hat sie wahrscheinlich im Westen eine Erweiterung erfahren. Ptolemäus bezeichnet zwar den Inn als Grenzfluß, nennt aber vorher das an dessen rechtem Ufer gelegene Boiodurum (Innstadt bei Passau) als einen Vorort Vindeliziens. Dieser Widerspruch dürfte wohl so zu erklären sein, daß das Gebiet der von ihm dort als wohnhaft genannten Sevaken beide Innufer umfaßte; es gehörte mithin ebenso wie jenes der Alaunen (im Chiemgau) und Ambisontier (im Pinzgau, Bisoncio = Pisendorf bei Zell am See) ursprünglich zu Vindelizien und wurde erst von den Römern zu Noricum geschlagen. Das frühere Königreich begann im Westen demnach nicht am Inn, sondern erst am Hausruck, der alten Grenze des Traungaues, bzw. des Landes ob der Enns 2 ). Wir haben schon bei Lauriacum, Vindobona und Carnuntum aus den Namen geschlossen, daß die erste Anlage der Kastelle nicht erst auf die Römer, sondern schon auf die Noriker zurückgeht. In gleicher Weise ist Boiodurum, wo die Vindeliker an der gefährdeten Grenze gegenüber der Ilzmündung und damit am rechten Innufer einen Waffenplatz anlegten, an dem sich eine Siedlung anschloß, keltischen Ursprunges. Der Name Castra Batava (Passau) hingegen ist viel jünger und rührt erst von den Römern her. Für die richtige Deutung der beiden an sich nicht vereinbaren Stellen bei Ptolemäus mit der späteren Grenzziehung am Inn spricht ferner die an sich auffällige Tatsache, daß nachmals ein und dieselbe Stadt zwei verschiedene Namen führte. Die bisherige Erklärung, die Passauer Altstadt habe anfangs Boiodurum geheißen und der Name sei nachträglich auf das norische Ufer übertragen worden 3 ), ist schon an sich unwahrscheinlich. Wir glauben vielmehr, er sei an seiner ursprüngF. Kenner, Noricum und Pannonia, Berichte u. Mittheil, des AlterthumsVereines zu Wien 11 (1870) S. 15, 19. 2 ) P. Reinecke, Die örtliche Bestimmung der antiken geographischen Namen für das rechtsrheinische Bayern, Der Bayerische Vorgeschichtsfreund 6 (1926) S. 24 u. 38 rechnet mit der Ausdehnung der Sevaken (mit Wels als Vorort) bis an die untere Enns; R. Heuberger, Rätien 1 (1932) S. 66, 75. 3 ) P. Reinecke, Zur Frühgeschichte von Passau, Niederbayer. Monatsschrift 6 (1917) S. 2 ff.; F. Wagner, Die Römer in Bayern, 4. Aufl. (1928) S. 64. 1*

4

I. D a s römische Noricum und das Eindringen des Christentums.

liehen Stelle haften geblieben und habe sich deshalb nicht auf das rätische Ufer ausdehnen oder dort doch nicht dauernd festhalten können, als inzwischen der Inn als Landesgrenze festgelegt wurde. Die beiden verschiedenen Ortsbezeichnungen zeugen demnach nicht für einen nachträglichen Namenswechsel, sondern sind durch die von den Römern vorgenommene Grenzveränderung veranlaßt. Nach demselben Schriftsteller scheidet der Lech Vindelizien von Rätien. Im Gegensatze hiezu bezeichnet er jedoch das am linken Ufer gelegene Augsburg als eine Stadt Vindeliziens; auch da scheint wieder die frühere Zugehörigkeit durch, wie der nach dem Gründer, dem Kaiser Augustus, gebildete Ortsname Augusta Vindelicum beweist. Wir schließen daraus, daß nicht der Lech, sondern die Iiier westliche Stammesgrenze war, worauf auch der Name der dort wohnenden Likaten hindeutet, die doch wohl an beiden Ufern jenes Flusses gesessen sind, nach dem sie bezeichnet werden. Es wird immer behauptet, Noricum habe anfangs keine Legionsbesatzung gehabt und sei bloß durch Hilfstruppen (auxilia) verteidigt worden. Das ist schon an sich wenig glaubhaft, als schwer anzunehmen ist, daß ein so wichtiger Punkt wie Lorch und andere Vorposten an der Donau nicht römischen Bürgertruppen, sondern nur einheimischen Verbänden anvertraut worden wären. Da Hilfstruppen, wie schon ihr Name sagt, keinen selbständigen Wirkungskreis voraussetzen, so bedürfen sie der Anlehnung an eine Hauptmacht. Diese stand zum größten Teile im Wiener Becken, w a r aber auch auf andere wichtige Plätze des norischen Donauabschnittes verteilt. So finden sich Grabsteine der legio XV Apollinaris in Carnuntum und Wien, die beweisen, daß sie schon in der ersten Kaiserzeit am dortigen Donauufer stand, da sie schon um das Jahr 70 nach Palästina (Jerusalem) kam; sie war jedoch nicht allein auf die beiden genannten Lager verteilt, sondern auch Lorch wird die gleiche Besatzung gehabt haben, da ein Ennser Grabstein, das älteste Denkmal der Römerherrschaft in Oberösterreich, das Ableben eines Soldaten desselben Truppenkörpers vermerkt 1 ). Im Jahre 73 n. Chr. ließ Kaiser Vespasian das bisher aus Erdwällen und hölzernen Werken bestehende Lager zu Carnuntum in Stein neu erbauen; dasselbe war anschließend in Vindobona der Fall; beide Standlager erhielten je eine Legion. Wenn wir im Ka*) (Th. Mommsen) Corpus inscriptionum latinarum 3/2 (1873) Nr. 5680; A. Gaheis, Lauriacum, Führer durch die Altertümer von Enns (1937) S. 41 f.

1. Noricums Grenzen und Heeresverfassung.

5

stelle zu Mauer-Oehling an der Url, zu Traismauer und in Wallsee Ziegelstempel der 10. und 14. Legion, die in Wien und Carnuntum ihr Hauptquartier hatten, und in Linz einen Grabstein eines Soldaten der ersteren feststellen können 1 ), so sehen wir auch da wieder dieselbe Verteilung der Streitkräfte am Donauufer wie vorhin; dem Befehlshaber des Wiener Beckens unterstand mithin schon damals der norische Grenzschutz. Einen einschneidenden Wechsel brachten die Markomannenkriege (169—180). Der Feind war in Rätien, Noricum und Pannonien eingedrungen und belagerte Aquileia, das die Römer schon im Jahre 183 vor Chr. als festes Bollwerk zum Schutze Italiens angelegt hatten. Das war der Grund, daß Kaiser Mark Aurel, der die eingefallenen Germanen wieder in ihre früheren Wohnsitze zurückdrängte, den Grenzschutz an der Donau bedeutend verstärkte ; er füllte die große Lücke zwischen den Hauptfestungen am Rhein (Straßburg und Mainz) und an der Donau (Carnuntum und Vindobona) durch zwei neue Legionslager aus: es waren diese C a s t r a R e g i n a (das Lager am Regen = Regensburg; 179 vollendet) und L a u r i ac u m (Lorch, ausgebaut um 205); für beide Standlager schuf er je eine Legion: die legio II Italica übernahm den Schutz der norischen Provinz, die legio III Italica hatte Rätien zu decken. Als Stützpunkt für die Verteidigung Noricums war Lauriacum vortrefflich geeignet: es w a r durch seine Lage in der Nähe des Zusammenflusses der Donau und Enns nicht nur gegen Norden, sondern auch gegen Osten gut geschützt; wie es als eine feste Sperre gegenüber der Freistädter Senke diente, so bot es bei Bedarf eine Deckung für einen Aufmarsch nach Böhmen, das man damals als Provinz „Marcomannia" dem römischen Reiche einzuverleiben gedachte. Seine günstige Lage an der Donau wurde noch dadurch erhöht, daß die ihrem Laufe folgende Straße vor Lorch mit ') J. Oehler, Die Römer in Niederösterreich, 21. Jahresbericht des MädchenObergymnasiums zu W i e n VI (1913) S. 9 f.; 12 (Seitenstetten), 13, 20, 22; E. Polaschek, St. Pölten u. Umgebung in römischer Zeit in: Die Arbeitsgemeinschaft, Zeitschrift der Volks- und Hauptschullehrer St. P ö l t e n s 9 (1933) S. 113; Corp. inscript. lat. 3, Nr. 5689. Der auf keltische Wurzel zurückgehende Ortsname Lentia für Linz an der Donau und dessen Lage gegenüber dem Haselgraben w e i s e n mit dem genannten Grabsteine schon auf eine sehr frühe Anlage eines Kastells als Sperre gegen Norden. Für ein noch höheres Alter und die hervorragende Bedeutung von Linz in der Keltenzeit sprechen die urgeschichtlichen Befestigungen in seiner Umgebung.

6

I. D a s römische Noricum und das Eindringen des Christentums.

dem Hauptverkehrswege aus dem Westen, die von Ovilava (Wels) aus auch den Übergang über den Pyhrnpaß nach Italien vermittelte, zusammentraf. Die Enns, die in ihrem Laufe tief in die Alpen eindringt und das unwegsame Gebirge weithin nach Süden aufschließt, gewährte eine Verbindung mit den berühmten Erzlagern Noricums und in weiterem mit Italien. Lauriacum war zudem beinahe in der Mitte des ufernoriscben Verteidigungsabschnittes gelegen. Durch Anlage eines Hafenplatzes für die Donauflotille und einer Schildfabrik wurde seine militärische Bedeutung noch erhöht. Es verdient hervorgehoben zu werden, daß der Steinbau des Lagers zunächst nicht an die frühere Erdbefestigung in Lorch anknüpfte, sondern am rechten Ennsufer bei Albing, das der Aistmündung noch näher gegenüber lag, versucht wurde; erst als sich dieser Punkt wohl wegen Hochwassergefahr nicht als geeignet erwies, entschied man sich noch vor dem Jahre 191 n. Chr. wieder für den alten Platz in Lorch 1 ). Die Längsrichtung des rechteckigen Lagers richtet sich nicht gegen Norden, wo die dem Strome vorgelagerten Waldzonen ein natürliches Hindernis bildeten, sondern nach Osten und zeigt hiedurch, daß man schon damals die Gefahr weniger unmittelbar von der Donau, als vielmehr im Umwege über Niederösterreich von der Enns her befürchtete. Rom verteidigte hier gegen die Markomannen nicht nur die Sicherheit Noricums, sondern schützte zugleich den Übergang über den Pyhrnpaß nach Italien. Den Truppen der zweiten Legion oblag nicht nur die Verteidigung der Ennsmündung, sondern auch der Schutz einer Anzahl der Hauptfestung Lorch unterstellter Kastelle (burgi) und Wachtposten in Noricum. So läßt sich aus Ziegelstempeln mit ihrer Aufschrift und aus Soldatengrabsteinen ihr Standort nicht nur westlich, sondern auch östlich der Enns feststellen. Wichtige Änderungen schuf der Neuaufbau des römischen Reiches unter Kaiser D i o k l e t i a n (284—305). Die bis dahin bestehende Vereinigung von Heeres- und bürgerlicher Verwaltung hob er auf und verkleinerte die Provinzen. Noricum zerfiel von nun an in zwei Hälften, wovon die nördliche an der Donau lag und nach ihr ripense ( U f e r - N o r i c u m ) benannt wurde, die südliche, gebirgige mediterraneum ( B i n n e n - N o r i c u m ) hieß. Die Trennungslinie richtete sich nach dem Hochkamme der Tauern, wäh*) Gaheis, Lauriacum S. 6, 39 f.

1. N o r i c u m s

G r e n z e n und

Heeresverfassung.

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rend der Unterlauf der Enns Ufer-Noricum selbst wieder in zwei ziemlich gleiche Teile schied. Das im Norden und Osten von der Donau umschlossene Pannonien, das bereits Kaiser Traian zwischen den Jahren 105 und 107 in Pannonia superior und inferior (Ober- und Unterpannonien) zerlegte, erfuhr eine abermalige Unterteilung; ersteres bestand jetzt aus Pannonia prima, wohin das ursprünglich zum Königreich Noricum gehörige Wiener Becken und die Boier Wüste zählten, und in das südliche Savia (Saveland); Unterpannonien zerfiel nunmehr in Pannonia secunda zwischen Save und Drau und in das nördliche Valeria, so benannt nach der Tochter des Kaisers. Rätien schied sich seither gleichfalls in zwei Teile, wobei Vindelizien zu Raetia secunda, der östlichen Hälfte, zählte, die das Flachland zwischen Iiier und Inn und die Talschaften Tirols umfaßte 1 ). Diokletian verstärkte ferner den Grenzschutz und schuf die legio I Noricorum, welche die Wacht ostwärts der Enns zu besorgen hatte. Die dort früher gestandene zweite Legion wurde verringert und hatte nur mehr das Gebiet westwärts von ihr zu decken. Die E n n s bildete von jetzt an eine scharfe Scheidelinie der Befehlsgewalt. Wir sehen das deutlich nicht nur aus Funden an Ziegelmarken, sondern auch aus dem amtlichen Handbuche der Militärkommanden, der N o t i t i a d i g n i t a t u m 2 ) , die in der vorliegenden Form beiläufig aus der Zeit um 400 überliefert ist. Aus ihr sind die Standplätze der zweiten Legion wie jene der I Noricorum zu entnehmen; Präfekturen der ersteren finden sich in Joviacum (Eferding?) 3 ), in dem hier erstmals genannten Lentia (Linz) und Lauriacum, solche der letzteren zu Ybbs (Adiuvense) und Mautern (Favianae). Dieselbe Teilung des norischen Befehlsbereiches in je einen Abschnitt ober- und unterhalb der Enns wird uns in dem Lebensbilde des Mönches Severin begegnen; sie lebt fort in den Ländernamen Österreich ob und unter der Enns. Dieser Fluß als Scheidelinie macht auch verständlich, daß in der ersteren Quelle bei Lentia von einem „unteren Teile" der zweiten Legion gesprochen wird 4 ); ihr Bezirk zerfiel mithin wieder in zwei ' ) Hellberger, R ä t i e n 1, S. 69,

303.

( 0 . S e e c k ) Notitia dignitatum (1876) S. 196—198. 3

) In Eferding ist ein r ö m i s c h e s Kastell n a c h w e i s b a r .

L i m e s , A n z e i g e r der A k a d e m i e

E. N o w o t n y , V o m D o n a u -

der W i s s e n s c h a f t e n in W i e n ,

Jahrg. 1925, S. 90 f.;

d a z u u n t e n S. (452 f.). 4

) P r a e f e c t u s l e g i o n i s s e c u n d a e Italicae partis inferioris, L e n t i a e .

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I. D a s r ö m i s c h e N o r i c u m und d a s E i n d r i n g e n d e s C h r i s t e n t u m s .

Abschnitte, in einen oberen und unteren, wobei zu letzterem Linz gehörte. Die gleiche Einteilung gilt folgerichtig für die erste norische Legion östlich der Enns. Ihr Hauptstandort war anscheinend Mautern, w o schon die bedrohliche Lage gegenüber den Mündungen der Krems und des Kampflußes es nahelegte, ein stärkeres Kastell zu errichten; fürYbbs wird ausdrücklich ihr „oberer Teil" erwähnt 1 ). Es besteht demnach jeder Legionsabschnitt aus zwei Teilen, einem oberen und unteren, so daß U f e r - N o r i c u m i n v i e r M i l i t ä r b e z i r k e z e r l e g t w a r , d i e in g l e i c h e r H ä l f t e d i e Enns schied. Wir erkennen daraus, daß die Römer sich strenge an die Zweiteilung ihrer Truppenkörper hielten, wie ja auch ihr Legionslager in einen oberen und unteren Teil zerfiel. Diese Zweiteilung ist auch in der politischen Abgrenzung zu finden und gehört fast zum eisernen Bestände der Gliederung der Provinzen. Die Römer folgten hiebei einem alten Brauche der orientalischen Völker 2 ). Die Einteilung in der späteren Ostmark ist gleichfalls wieder von diesem uralten Grundsatze beherrscht. Noch viel wichtiger' erscheint die Angabe desselben Handbuches, daß sämtliche Streitkräfte von der Innstadt bei Passau bis nach Raab (Arrabona) dem Befehlshaber (dux) von Pannonia I unterstellt waren 3 ). Wie scharf da die Grenze nach dem Flußlaufe gezogen war, erhellt deutlich bei der Innmündung: Boiodurum gehört noch zu dem Befehlsbereich von Pannonien, während Castra Batava schon zu jenem der beiden Rätien zählt 4 ). Wir sehen hier wieder die Abhängigkeit Ufer-Noricums von Pannonien; es erscheint als sein Zugehör. Schon im Königreiche Noricum war das Alpenvorland mit dem Wiener Becken verbunden: das änderte sich auch nicht, als dieses zu Pannonien geschlagen wurde. Für eine solche Zusammengehörigkeit spricht die schon hervorgehobene Tatsache, daß Noricum bis auf die Markomannenkriege keiner eigenen Legion bedurfte; die Wacht an der Donau besorgten bis dahin auch dort neben Hilfstruppen Abteilungen der angrenzenden Standlager Oberpannoniens. Wenn wir eine solche P r a e f e c t u s legionis primae N o r i c o r u m militum Liburnariorum c o h o r t i s quintae partis superioris,

Adiuuense.

P r a e f e c t u s legionis Liburnariorum primorum

Noricorum,

Fafianae.

A . G ö t z e , K l e i n a s i e n zur Hethiterzeit (1924) S. 6 f., 13, 27. 3

) S u b dispositione viri

spectabilis d u c i s P a n n o n i a e

Notitia dignitatum S . 198, 200.

p r i m a e et Norici

ripensis.

2. Die bürgerliche Verwaltung Noricums und seine Hauptstädte.

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Verbindung noch im Schematismus der späteren Kaiserzeit finden, so sehen wir, daß sie auch dann nicht aufhörte, als Noricum schon eigene Legionen besaß; sie liegt eben zu sehr in der geographischen Lage und in den Bedürfnissen des Grenzschutzes begründet. Dieses Abhängigkeitsverhältnis blieb selbst dann aufrecht, als sich seit den Hunneneinfällen mit ihren Folgen (Schlacht von Adrianopel 378) die bisher vom Norden drohende Gefahrenzone immer mehr nach dem Osten verschob: Oberpannonien war ja nach dieser Seite noch ungedeckter als gegen Norden, wo die Donau eine Schutzwehr bot. Ufer-Noricum hingegen war da nicht nur durch den Wiener Wäld, sondern auch durch größere, in die Donau mündende Alpenflüsse gedeckt. Die geschützte Lage und die damit verbundene schwächere Besatzung brachten es mit sich, daß es dauernd in dem Dienstbereich des stark gefährdeten, aber viel besser mit Italien verbundenen pannonischen Befehlsabschnittes verblieb; es bildete für ihn eine Sicherung und war dadurch bleibend sein Anhängsel. Das gleiche Verhältnis lebte noch in der Karolingerzeit auf, indem die aus Ufer-Noricum gebildeten drei Grenzgrafschaften trotz ihrer staatsrechtlichen Zugehörigkeit zu Baiern dem Präfekten der Ostmark (Pannonien) unterstellt waren.

2. Die bürgerliche Verwaltung Noricums und seine Hauptstädte. Der Schwerpunkt des Königreiches lag im Gebirge, wo die reichen Erzlager und Bergschätze einen frühen Wohlstand schufen. Kaiser Claudius knüpfte bei seinen Städtegründungen hieran an; schon sein Beiname macht sie als solche kenntlich und verkündet ihren gleichzeitigen Ursprung: es sind dies die municipia Claudia zu V i r u n u m (Zollfeld bei Klagenfurt), das zugleich die neue Hauptstadt und der Sitz des Landpflegers (procurator) wurde, Teurnia (St. Peter im Holz bei Spittal a. d. Drau), Celeia (Cilli), Aguntum (Stribach bei Lienz) und Juvavum (Salzburg); dazu kommt noch Sabaria (Steinamanger), das aber nicht mehr zu Noricum, sondern schon zu Pannonien zählte. Jede Stadt (municipium, später civitas) hatte als Verband latinischer (römischer) Bürger einen ausgedehnten Landbezirk zugewiesen, der von dort aus verwaltet und nach ihr benannt wurde. Das ganze Land wurde hiedurch in eine Reihe solcher Stadtgaue zerlegt. Wir sehen aus dem Vorgehen des Kaisers Claudius, daß der südliche Teil Noricums eine

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I. Das römische Noricum und das Eindringen des Christentums.

italische Verwaltung erhielt, deren Mittelpunkte im ganzen der Draulinie folgen, während im Norden des Landes nur ein leiser Ansatz hiezu zu beachten ist; die Donau selbst blieb für Städteanlagen noch gemieden. Kaiser Vespasian verstärkte zwar den Grenzschutz; er oder ein Sohn von ihm schuf aber nicht dort, sondern wieder im südlichen Noricum ein neues Stadtgebiet Flavia Solva (Wagna bei Leibnitz in Steiermark). In Pannonien liegt das von den Flaviern zur Stadt erhobene Scarbantia (Ödenburg) schon viel stromnäher. Kaiser Hadrian (117—138) oder sein Nachfolger Pius führte die italische Verwaltung auch im Norden durch: Aelia Ovilava (Wels) und Aelium Cetium (St. Pölten), beide im Alpenvorlande, bezeichnen diese Absicht. In Pannonien erlangten damals Carnuntum und Aquincum (AltOfen) Stadtrechte. Während die neuen Gründungen in Noricum doch noch einige Entfernung von der Donau aufweisen, liegen sie in der Nachbarprovinz schon hart an ihrem Ufer. Von welchem Kaiser Vindobona zur Stadt erhoben wurde, ist bisher nicht festgestellt. In Pannonien gelangt mithin das Städtewesen im Norden zu rascherer Entfaltung als in Noricum; in ersterem bewirkten eben die vorhandenen Standlager und der Durchzug der Hauptverkehrsstraße nach Italien einen Vorsprung. In Noricum tritt mit dem Einzüge der zweiten Legion ein Umschwung ein: es wird jetzt kaiserliche Provinz unter einem senatorischen Statthalter (legatus Augusti pro praetore), dem Befehlshaber der Legion; das Hauptgewicht des Landes verschiebt sich hiedurch nach Norden, in das Alpenvorland. Kaum hatte sie ihr neues Lager in Lauriacum bezogen, verlieh Kaiser Caracalla der anschließenden Siedlung zwischen den Jahren 211 und 217 das Recht einer Stadt (municipium) 1 ); es war die letzte Rangerhöhung solcher Art auf österreichischem Boden. Derselbe Kaiser (und nicht schon Mark Aurel) hat wohl auch die Stadt Wels zu einer Kolonie erhoben, wie aus ihrem neuen Namen Colonia Aurelia Antoniana Ovilava zu schließen ist. Diese Auszeichnung ist wahrscheinlich erst damals erfolgt, als die zweite Legion in Lorch ihr Lager bezog und deren Befehlshaber in Wels seinen Sitz nahm. Da er nicht nur die militärische, sondern auch die politische Verwaltung zu führen hatte, trat O v i I a v a an die Stelle von Virunum und wurde Hauptstadt von ganz Noricum; erst später, als dieses geteilt war, *) E. Bormann in: Der Römische Limes in Österreich 11 (1910) S. 140 f.

2. Die bürgerliche Verwaltung Noricums und seine Hauptstädte.

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stieg L a u r i a c u m hiezu empor, freilich nur mehr für das Uferland; für die binnenländische Hälfte übernahm diese Aufgabe wieder Virunum. So löst sich der Zweifel, ob Wels oder Lorch Hauptstadt war dahin, daß beide diese Eigenschaft besaßen, jedoch vorerst das als Stadt ältere Ovilava, wo eben deshalb die Verbindung aus dem Süden (Italien) über den Pyhrnpaß mit jener aus dem Osten zusammentraf; Lauriacum kam erst dann an die Reihe, als die Lagerstadt emporgeblüht war. Den zeitlichen Vorrang von Wels als Hauptstadt verrät ferner die Peutinger Tafel, eine aus dem vierten Jahrhundert stammende Reisekarte, die Ovilava mit zwei Türmen hervorhebt, während sie das als Stadt jüngere Lorch ohne besonderen Vermerk, ja in entstellter Form als Blaboriciaco verzeichnet. Die gleiche Reihenfolge wird uns für den Sitz des Oberpriesters der Provinz begegnen: in Wels ist ein heidnischer, in Lorch ein christlicher pontifex bezeugt (S. 48 f.). Dasselbe Vorrücken der Hauptstadt aus dem Süden nach dem Norden, den Standlagern der Legionen folgend, finden wir in Pannonien, wo nach der Teilung der Provinz das durch Kaiser Traian zur Kolonie erhobene Pettau an der Drau (Colonia Ulpia Traiana Poetovio), hernach Savaria und schließlich Carnuntum 1 ) für Oberpannonien, bzw. Pannonia prima hiezu aufstiegen; auch in Unterpannonien, das den ursprünglichen Hauptort von ganz Pannonien, das von den Flaviern zur Stadt erhobene Sirmium (Mitrowitz an der Save) in sich schloß, erlangten Sopianae (Fünfkirchen) und hernach Aquincum (Ofen) den Rang einer Hauptstadt. Ufer-Noricum zerfiel nach der Notitia dignitatum in vier Militärbezirke, je zwei beiderseits der Enns, die dem dux von Oberpannonien in Carnuntum unterstanden. Die bürgerliche Verwaltung führte jetzt jedoch der praeses von Ufer-Noricum zu Lauriacum. Doch fielen die Sprengel beider Gewalten noch immer zusammen, so daß ebenfalls v i e r p o l i t i s c h e G e m e i n w e s e n (civitates) nachweisbar sind: Juvavum, Ovilava, Lauriacum und Cetium. Da von ihnen drei westlich der Enns liegen, so scheint hier aufs erste ein Widerspruch vorhanden zu sein; das ist in Wirklichkeit jedoch nicht der Fall; es befinden sich auch da je zwei Verwaltungsbezirke beiderseits der Enns, so daß tatsächlich eine Übereinstimmung feststellbar ist. Um das aufzuzeigen, wollen wir die Grenzen der vier Stadtgemeinden zu bestimmen suchen. Die Dürf') Oehler, Römer in Niederösterreich S. 19 f.

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I. Das römische Noricum und das Eindringen des Christentums.

tigkeit der Quellen gestattet freilich keinen zwingenden Beweis, doch ermöglichen Rückschlüsse aus der folgenden Zeit einen annähernden Grad der Zuverlässigkeit. Als erste römische Stadtgemeinde ist uns C l a u d i u m J u v a v u m begegnet, das auch als civitas Juvavensium bezeugt ist. Ihr Umfang läßt sich aus römischen Meilensteinen, welche die Entfernung nach dieser Stadt angeben, beiläufig schließen. Ihr Gebiet erstreckte sich auf beiden Seiten des gesamten Flußlaufes der Salzach, ja noch darüber hinaus ostwärts des Inns, der von seiner Mündung in die Donau bis an das Ödland an der Ziller Rätien von norischen Stadtbezirke Juvavum schied; der spätere Pinzgau und Chiemgau, sowie das Innviertel gehörten daher noch dazu, so daß er die Gaue der Ambisontier, Alaunen und einen Teil der Sevaken zusammenfaßte. Im Osten war wohl schon der Hausruck die Trennungslinie vom Welser Kreise; der Mösendorfer Meilenstein in Vöcklamarkt (201 n. Chr.) rechnet die Entfernung noch von der Salzachstadt; wir kommen so beiläufig zur alten Grenze des Landes ob der Enns, die bei Wesenufer die Donau erreichte und bis zum Jahre 1779 Baiern von Österreich trennte 1 ); das Mondseeland zählte noch zu Juvavum, worauf ein Grabstein in der dortigen Klosterkirche, den ein Salzburger Ratsbürger (decurio) sich und seiner Frau errichtete, einen allerdings nicht sicheren Hinweis gibt. Im Südosten war die Höhe des Radstädter Tauerns Scheidelinie; dort begann der Bereich der Stadt Teurnia; der heute zu Salzburg einbezogene Lungau war mithin damals nach Binnen-Noricum zuständig. Der genannte Gebirgspaß vermittelte eine Verbindung nach Italien und brachte das an ihrem Endpunkt befindliche Salzburg zu noch früherer Blüte als das ebenfalls an der Einmündung einer Südstraße gelegene Wels. Wenn dort noch heute die Stadt und das dazu gehörige Land in dem verbliebenen Restbestande denselben Namen (Salzburg) führen, so lebt in der Gleichheit der Bezeichnung bis jetzt die römische Sitte der civitas fort. Es verbleibt noch die Strecke zwischen dem Hausruck und der Enns, das von der Traun geteilte Stadtgebiet von O v i 1 a v a, das dem späteren Traungau entsprach und seinen natürlichen Mittelpunkt in der am genannten Flusse angelegten Bürgerstadt Wels ') W . Schauer, Stadt und Stadtgebiet in Österreich zur Römerzeit, Ungedruckte Dissertation in der Universitätsbibliothek W i e n (1936) S. 206 rechnet fast den ganzen Innkreis zum Stadtgau Oviiava (mit Karte über sämtliche Stadtbezirke von Uferund Binnen-Noricum).

2. Die bürgerliche Verwaltung Noricums und seine Hauptstädte.

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hatte, deren feste, über die Häuserzone hinausgehenden Mauern sie als Fliehburg in den Zeiten der Not erscheinen lassen; hiebei reichte jedoch durch die ganze Zeit der Römerherrschaft die Südgrenze bis an die Tauern. Der in Wels gefundene und im dortigen Museum verwahrte Meilenstein mit der Zahl eins ist zwar ein neuer Beweis für die Stadteigenschaft von Ovilava, da von dort aus die Entfernung gerechnet wurde, ist aber für unsere Zwecke als Grenzangabe nicht verwendbar. Es erhebt sich nun die Frage, welchen Bezirk das zuletzt zur Stadt erhobene und Ovilava benachbarte L a u r i a c u m zugewiesen erhielt. Westlich der Enns war nicht mehr viel zu erhalten, doch östlich von ihr stand ein weites Feld offen, da der nächste Vorort Cetium beträchtlich entfernt war. E s stellte sich da von selbst das Bedürfnis ein, hiefür einen neuen Mittelpunkt zu schaffen. Erinnern wir uns hiebei, daß die Römer zunächst nicht in Lorch, sondern am rechten Flußufer in Albing das neue Legionslager zu errichten anfingen, ein Entschluß, der nicht nur den Bedürfnissen des Grenzschutzes besser zu entsprechen schien, sondern auch jene der bürgerlichen Verwaltung viel mehr erfüllt hätte; nur durch die Not getrieben verblieb es wieder bei Lorch. E s entsteht so ein ganz eigenartiges Bild, das uns durch mehr als ein Jahrtausend begegnen wird: der Vorort westlich der Enns und das von ihm geleitete Gebiet ostwärts von ihr. Schon im Leben des Mönches Severin wird es uns in dieser Gestalt entgegentreten: kirchlich läßt es sich bis zur Josefinischen Pfarregulierung (1785) und im Gerichtswesen bis 1850 verfolgen. Im Westen der Enns umfaßte der Lorcher Bezirk bloß die nächste Umgebung der Stadt; es entstand hiedurch ein Mißklang mit der Heereseinteilung, als Diokletian für die untere Hälfte Ufer-Noricums eine eigene Legion schuf. Im Osten läßt sich noch vor dem Aussterben der Babenberger die Ybbs, der nächste größere Wasserlauf, als Grenze nachweisen 1 ). Als letzterrichteter Stadtgau war der Lorcher der kleinste, aber er erlangte, als er Sitz des Statthalters wurde, die führende Stellung und den Vorrang vor den anderen; das verdankte er dem mächtigen Standlager; sein Gebiet erstreckte sieh vorwiegend auf den im Mittelalter gerodeten Ennswald, der seinen Namen von seinem Vororte westlich des Flusses empfing. l

) I. Zibermayr, Das Oberösterr. Landesarchiv in Linz, 2. Aufl. (1930) S. 39.

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I. Das römische Noricum und das Eindringen des Christentums.

Der nächste Bezirk C e t i u m dehnte sich an den beiden Ufern der Traisen aus, deren Quellgebiet ebenso wie jenes der Traun, Ybbs und Erlaf später der Südgrenze Ufer-Noricums entspricht. Die Stadt führt ihren keltischen Namen vom mons Cetius, dem Wiener Walde, der sonach in seinem Hauptteile in ihr Gebiet eingeschlossen war. Damit stimmt die Angabe eines zu Nietzing östlich von Tulln gefundenen Meilensteines, der die Entfernung von der Traisenstadt rechnet; dorthin ist naturgemäß das ganze Tullner Feld zu weisen, so daß wir als Ostgrenze zu jenem Höhenzuge gelangen, der bei Greifenstein zur Donau abfällt. Klosterneuburg gehörte schon zu Pannonien, da die beiden dort erhaltenen Meilensteine von Vindobona aus zählen. Im Westen stehen uns keine sicheren Zeugnisse zur Verfügung; ein Grabstein einer dem Rate von Cetium angehörigen Familie zu St. Leonhard am Forst spricht für die Ausdehnung des Gemeindegebietes bis mindestens an die Melk. Da der Sprengel von Lauriacum nach dem Leben Severins wenigstens bis an die Url reichte, so kommt nur die Ybbs oder Erlaf als Grenzlinie der beiden Bezirke in Betracht. In der eben angeführten Quelle wird uns als civitas das in geringer Entfernung nördlich gelegene Favianis begegnen, das wir als wichtige Donaufestung bereits kennen; am Ende der Römerherrschaft hat demnach Cetium seine Stelle als Stadtgemeinde wohl an das geschütztere Mautern abgeben müssen, da nicht anzunehmen ist, daß auf so engem Raum zwei Munizipien gleichzeitig bestanden. Ptolemäus erwähnt von den vier genannten Stadtgemeinden Ufer-Noricums bloß Salzburg und das nur unter dem Namen des Kaisers, der es begründet hat. Wir können es daher nicht als Vorort der Alaunen ansprechen; der war eher das von ihm gleichfalls erwähnte Bedaium (Seebruck am Chiemsee), worauf Denkmäler der dort verehrten Göttinnen Alaunae hinweisen. Eine ähnliche Rolle dürfte Boiodurum bei den Sevaken eingenommen haben. Juvavum trat an deren Stelle und kam so in die Mitte der von ihm geleiteten Stämme, da die Ambisontier südlich wohnten; es faßte die aus Vindelizien ausgeschiedenen Völkerreste zusammen. Östlich der Enns zählt derselbe Schriftsteller Arelate (Pöchlarn) als Hauptort auf. Wir sehen schon aus diesen wenigen Beispielen, daß die Römer bei ihren Städteanlagen und der damit verbundenen Einführung ihrer Verwaltung sich einzig und allein an die Bedürfnisse des Grenzschutzes hielten und daher bei Bedarf die Einrichtungen der keltischen Völkerschaften durchbrachen; deren

2. Die bürgerliche V e r w a l t u n g Noricums und seine H a u p t s t ä d t e .

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Vororte mußten daher vor den neugeschaffenen Städten zurücktreten. W e d e r J u v a v u m noch Ovilava, Lauriacum und Cetium w a ren in vorrömischer Zeit Mittelpunkte von G a u e n ; die ersten drei knüpfen wohl an keltische Siedlungen an, bei Cetium deutet z w a r der Name darauf hin, doch weist dieser nicht auf den Ort, sondern auf das ihm zugeteilte Waldgebirge hin. Mit Ausnahme von Lauriacum liegen die drei übrigen Hauptorte inmitten des ihnen zugewiesenen Landgebietes; auch das zeigt an, daß sein Stadtrecht das letzte w a r . Die einzelnen Städte verband ein vorzügliches S t r a ß e n n e t z , das zunächst dem Grenzschutze und der Verwaltung, aber auch dem Handel und G e w e r b e diente. Zur Sicherung der eroberten Provinzen verbesserte Rom die alten Verkehrswege und legte eine Reihe neuer Verbindungen mit Italien a n ; überdies bedurfte es solcher zum gegenseitigen Schutze der Donaubefestigungen. Die Römer sind als Meister des Straßenbaues b e k a n n t ; sie haben gerade hierin durch b e w u n d e r n s w e r t e Leistungen schicksalsbestimmend für sich und die Zukunft gewirkt. D a s älteste und wichtigste Band mit dem Süden w a r die bereits e r w ä h n t e Völkerstraße an die Adria; sie führte schon durch das Königreich Noricum und blieb auch später, als sie zu Pannonien kam, für die verkleinerte P r o v i n z die Hauptverkehrsader. Ihr Ausgangspunkt w a r Aquileia; sie berührte Emona (Laibach)—Celeia—Poetovio—Savaria—Scarbantia und endete in Carnuntum, bzw. in Vindobona, w e n n wir die Abzweigung von Ödenburg hinzurechnen. Da jedoch Noricum nicht an den Süden, sondern an den Osten angegliedert w a r , so w a r e n für seine Verwaltung von noch entscheidenderem Einfluß die Donau und jene Straße, die von Pannoniens Hauptstadt Sirmium über Sopianae nach Steinamanger führte, dessen Lage am Vereinigungspunkte der Süd- und Ostverbindung es zum zweiten Hauptort hera n w a c h s e n ließ; von da ging sie w e i t e r über Scarbantia—Vindobona nach Cetium—Lauriacum—Ovilava—Juvavum—Bedaium—Augusta Vindelicum bis Augusta T r e v e r o r u m (Trier), das gleich Sirmium zur Residenz römischer Kaiser aufstieg und seit Diokletian die Hauptstadt Galliens w a r ; sie berührte sich zum Teile mit der Donauuferstraße, die von Ratisbona — Boiodurum bis Carnuntum die einzelnen Legionsabschnitte am Grenzstrome verband. Zur unmittelbaren Verbindung Noricums mit Italien legten die Römer eine Alpenstraße mit zwei Abzweigungen a n ; sie führte von Aquileia über Virunum — Rottenmanner Tauern — P y h r n p a ß nach

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I. D a s römische Noricum und das Eindringen des Christentums.

Ovilava und berührte so die beiden ersten Hauptstädte der Provinz; sie ging demnach nicht der Steyr und Enns entlang an das Standlager Lauriacum, sondern im Umwege über (Kirchdorf) Wels. Vom Hauptstrang zweigte beim Gurktal ein Übergang über den Radstädter Tauern, der bei Werfen die Salzach erreichte, nach Juvavum ab; in Mauterndorf im Lungau mündete später eine etwas kürzere Verbindung mit Salzburg ein, die von Teurnia und damit von der der Drau entlang führenden Straße ausging und einen alten Verkehrsweg über die Niederen Tauern benützte. Die. Straßen nach Ovilava und Juvavum führten über den Hochkamm der Alpen und waren daher im Winter lange verschneit und nicht gangbar; die Römer waren daher auch dann noch auf die Straße Aquileia—Carnuntum angewiesen, die den Hauptstock der Alpen umging. Von Italien aus betrachtet mußte denn schon hiedurch Noricum ein Zugehör zu Pannonien werden; auf sich allein gestellt, war von dort aus das Uferland nicht zu halten. Das tritt klar beim Zusammenbruche der Römerherrschaft hervor (S. 55 f.). Die unterworfenen Völkerschaften zwischen Adria und Donau faßten die Römer in ein einheitliches Steuer(Zoll)gebiet zusammen und nannten es 111 y r i e n. Als Diokletian das römische Reich teilte, wurde der I n n G r e n z s t r o m z w i s c h e n Westen u n d O s t e n . Sein Schwiegersohn Galerius bekam als der von ihm für das Morgenland auserwählte Mitherrscher (Cäsar) den Verwaltungssprengel Illyrien und nahm seinen Sitz in Sirmium; er gebot vom Unterlaufe des Inns bis zur Mündung der Donau in das Schwarze (pontische) Meer. Die Scheidung Illyriens in eine westliche und östliche Hälfte geht auf Kaiser Konstantin (323—337) zurück, der die große Reichsreform seines Vorgängers Diokletian zum Abschluß brachte: die verkleinerten und dadurch etwas mehr als hundert zählenden Provinzen wurden in zwölf Diözesen und diese in vier Präfekturen, die den Reichsteilen entsprachen, zusammengefaßt. Eine davon bildete Illyrien 1 ); es zerfiel in die beiden Diözesen West- und Ostillyrien, wovon erstere (Illyricum occidentale oder Diözese Pannonia) neben den vier Teilen der letztnamigen Provinz noch Dalmatien sowie Ufer- und Binnen-Noricum umfaßte. S i r m i u m wurde hiedurch d r e i f a c h e H a u p t s t a d t : von der Provinz (Unterpannonien), der Diözese (Westillyrien) und der ') Th. Mommsen, Gesammelte Schriften 5 (1908) S. 570 u. 6 (1910) S. 288 f.

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3. Die Florianlegende als erstes Zeugnis des Christentums usw.

Präfektur (Illyrien); Ostillyrien (Diözese Mösien) hatte Tessalonich (Saloniki) als Vorort. Das Aufkommen Konstantinopels als Neurom und Hauptstadt des Oströmischen Reiches führte zur völligen Teilung, die vorübergehend im Jahre 379 und endgültig nach dem Ableben des Kaisers Theodosius (395) erfolgte: die Osthälfte wurde abgetrennt und ging an den Osten über; Westillyrien verblieb beim Westen und kam zur Präfektur Italien mit dem Sitze in Mediolanum (Mailand), wozu u. a. die zur gleichnamigen Diözese gehörigen Provinzen Venetien mit Istrien (Aquileia) und Rätien zählten. Damit wurde der Südlauf der Donau die Grenze zwischen Ost- und Westreich. Sirmium verlor seinen Rang als Sitz der Präfektur und sank zum Vororte einer Diözese herab, an deren Südostecke es ungünstig lag. Noricum blieb dauernd mit Pannonien verbunden und in diesem Räume, in dem sich die pontische Tier- und Pflanzenwelt mit der baltischen begegnet, berührte sich der griechische Osten mit dem lateinischen Westen; der letztere drängte seinen Nebenbuhler zurück. In die Zeit dieser folgenschweren Umgestaltung fällt ein Ereignis von weltgeschichtlicher Bedeutung, der Sieg des Christentums. 3. Die Florianlegende als erstes Zeugnis des Christentums in Ufer-Noricum. Über das Auftreten des Christentums in Noricum geben uns wie anderwärts Bodenfunde nur dürftige Hinweise; sie stammen zudem alle erst aus der Zeit, als der neue Glaube nicht mehr verfolgt wurde, sondern vom römischen Staate bereits anerkannt war. Selbst von da an finden sich in Ufer-Noricum, wenn wir von nicht ganz sicheren Belegen absehen, bloß zwei altchristliche Zeugnisse vor: ein Grabstein, den ein römischer Soldat in Ovilava seiner Gattin Ursa, einer „gläubigen Christin" (chrestiana fidelis) setzen ließ, bemerkenswert in seinem Inhalte durch die Vermischung mit heidnischen Vorstellungen, indem die Verstorbene noch in die Unterwelt (Tartarus) versetzt wird 1 ), und eine aus Lauriacum stammende Öllampe mit dem Namenszeichen Christi im Linzer Landesmuseum 2 ); eine vor hundert Jahren in Salzburg aufgefundene frühchristliche Bronze*) Im Stadtmuseum zu W e l s ; E. Diehl, Inscriptiones latinae christianae veteres 1 (1925) Nr. 1336. 2 ) 3. Jahresber. d. Museal-Vereines Laureacum (Enns 1904) S. 25 (Lichtbild). 2

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I. D a s römische Noricum und das Eindringen des Christentums.

Inschrifttafel ist leider verschollen 1 ). Reste von Kirchenbauten aus dieser Zeit, wie solche in Virunum, Teurnia, Celeia und Aguntum zum Vorscheine gekommen sind, haben sich bisher für Ufer-Noricum nur in Lauriacum vorgefunden; sie w e r d e n uns noch beschäftigen. Dafür bietet hier die schriftliche Überlieferung Zeugnisse von so hohem W e r t e , wie sie aus anderen römischen Provinzen an der Donau, ja auch am Rheine nicht bekannt sind; es sind dies zwei Quellen, von denen eine, die Florianlegende, am Beginne, die andere, das Leben des Mönches Severin, am Ende der christlichen Römerherrschaft steht. Die F l o r i a n l e g e n d e liegt in zwei Fassungen 2 ) vor, einer längeren und k ü r z e r e n ; außerdem wird der Blutzeuge noch in dem den Namen des hl. Hieronymus führenden Martyrologium erwähnt. W ä h r e n d die ältere Forschung der kürzeren F o r m der Legende den Vorzug gab und ihre Abfassung ganz oder doch im Kerne noch in die Zeit des Frühchristentums verlegte, glaubte ihr jüngster Herausgeber Bruno Krusch in einem Nachtrage zum eben genannten Martyrerbuche die Keimzelle für das Entstehen der Legende zu sehen, deren Niederschrift er erst in die karolingische Zeit v e r l e g t e ; er bestritt zunächst das Leben des Heiligen und anerkannte schließlich bloß den e r w ä h n t e n Zusatz als echte Quelle, aber nicht die Legende; er sah in ihr einen Vorläufer der bekannten P a s s a u e r Fälschungen. Seine Behauptungen sind so wenig haltbar wie die seiner Gegner, welche die Legende in ihrer Gänze in die römische Zeit verlegten. Als bleibender Gewinn ist jedoch die von ihm gewonnene Erkenntnis zu buchen, daß nicht die kürzere, sondern die längere Fassung unseres Heiligenlebens die ältere sei; entscheidend ist ferner ihre von ihm erkannte Abhängigkeit von der Leidensgeschichte des Bischofs Irenäus von Sirmium. Die Legende erzählt uns folgendes: (I.) In der Zeit der Kaiser Diokletian und Maximian (Galerius?) erhob sich eine Verfolgung gegen die Christen. Damals v e r w a l t e t e A. Huber, Geschichte der Einführung u. Verbreitung des Christenthums in Südostdeutschland 1 (1874) S. 230—237 (mit Tafel). 2 ) Die längere Fassung bei B. Krusch, Der hl. Florian und sein Stift, Neues Archiv (der Gesellschaft für ältere deutsche Geschichtskunde) 28 (1903) S. 386—392; die kürzere bei H. P e z , Scriptores rerum Austriac. 1 (1721) S. 36. ü b e r den Stand der Frage A. Hauck, Kirchengesch. Deutschlands 1, 4. Aufl. (1904) S. 359 Anm. 1; K. u. M. Uhlirz, Handbuch d. Gesch. Österreichs 1 (1927) S. 56f.; Polaschek, St. Pölten a . a . O . S. 117 f. Im folgenden ist I = die römische Legende, 11 = die karolingische Fortsetzung.

3. Die Florianlegende als erstes Zeugnis des Christentums usw.

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Ufer-Noricum der Statthalter Aquilinus, der nach seiner Ankunft in Lorch die Christen eifrig ausforschen ließ: es wurden vierzig ergriffen und nach vielen Martern eingekerkert. Als hievon der ehemalige Amtsvorsteher Florian, der damals im Stadtgebiete von Cetium (St. Pölten) wohnte, erfuhr, eilte er nach Lorch und bekannte sich als Christ. Auf das hin forderte ihn der Statthalter auf, den Göttern zu opfern; doch Florian weigerte sich und blieb auch dann noch standhaft, als er ihn mit Knütteln schlagen und seine Schulterblätter mit geschärften Eisen brechen ließ. Schließlich fällte er das Urteil und befahl, ihn von der Brücke mit einem Stein um den Hals in die Enns zu stürzen. (II.) Der ihn hinabstieß, erblindete, der Fluß erschrak und setzte seinen Leichnam auf einem aufragenden Felsen ab, w o ihn ein Adler mit ausgespannten Flügeln in der F o r m des Kreuzes beschützte. Da nun offenbarte sich der Heilige einer Frau und zeigte ihr die Stelle an, w o er zu finden w ä r e . Auf sein Erscheinen hin spannte sie Zugtierchen (animiola) ein, fuhr zur Enns und fand den Leichnam, den sie aus Furcht vor den Heiden mit Gesträuch und L a u b w e r k verbarg. Auf dem W e g e zu dem angewiesenen Bestattungsorte ermüdete das dürstende Gespann und kam nicht mehr v o r w ä r t s ; da entsprang auf das Gebet der Begleiterin hin eine sprudelnde Quelle, die noch heute fließt; die erquickten Tierchen blieben auf der Weiterfahrt an dem Orte stehen, den der Heilige bezeichnet hatte. W e g e n der heftigen Verfolgung begrub sie ihn eilig und heimlich unter der E r d e ; dort nun geschehen viele Wund e r : es w e r d e n böse Geister ausgetrieben, Fiebrige geheilt und alle Kranken, die hoffen, erlangen Barmherzigkeit. Die erwähnten vierzig Bekenner starben im Kerker. (I.) Das geschah zu Ufer-Noricum in Lauriacum in den Tagen Diokletians und Maximians, als Aquilinus Statthalter w a r . . . Wenn wir die Legende als Ganzes betrachten, so fällt sofort auf, daß sie bis zum Sturze Florians in die Enns natürliche Vorgänge berichtet, w ä h r e n d von da an sich W u n d e r an W u n d e r reiht. Die Reden beim Verhöre tragen z w a r auch den Stempel nachträglicher Erfindung an sich und verfolgen deutlich den Zweck, zu erbauen, a b e r sie halten sich noch in natürlichen Grenzen; sie bringen dieselben Gedanken und Worte, wie sie sich in derartigen schriftstellerischen Erzeugnissen des ausgehenden christlichen Altertums immer wieder finden. Vielleicht ist es erst eine spätere Ausschmückung, 2*

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I. D a s römische Noricum und das Eindringen des Christentums.

daß Florian eigens zu dem Zweck, um sich als Christ zu bekennen, nach Lorch gekommen sei. Seine hohe Stellung als erster Beamter des Statthalters läßt vielmehr vermuten, daß er als Christ bekannt w a r ; vielleicht wurde er deshalb bei Beginn der allmählig einsetzenden Verfolgung aus dem Dienste entlassen 1 ) und lebte daher nicht mehr in der Hauptstadt, sondern im Stadtgebiete von Cetium. Als angesehenster Blutzeuge von Lauriacum fand er einen eigenen Darsteller seines Leidens, der jedoch mit seinem Todessturze in die Enns abbrach; erst viel später berichtete ein anderer über die angebliche Auffindung seines Leichnams und fügte der umständlichen Schilderung seines Vorgängers einen kurzen Bericht über die Entstehung der nach dem Heiligen benannten Wallfahrt an. Die ältesten Handschriften der längeren Fassung der Legende stammen aus den Klöstern Bobbio in Oberitalien und St. Lambrecht in Steiermark und befinden sich gegenwärtig in Rom (Vatikan) 2 ) und Graz; sie gehören dem Ende des neunten und dem Beginne des zehnten Jahrhunderts an und kommen dem ursprünglichen Wortlaute zwar am nächsten, bringen aber ihrem späteren Entstehen entsprechend die Legende bereits in ihrer letzten Form mit der Auffindung und Bestattung der Leiche. Ihr gegenüber weist der Zusatz zum Martyrologium Hieronymianum, aus der dem Ende des achten Jahrhunderts angehörigen Berner Handschrift noch die Inhaltsangabe der Urform auf, die mit der Ausführung des Todesurteiles abschließt; sie meldet zum 4. Mai: In Ufer-Noricum der Geburts(Todes-)tag Florians, eines gewesenen Amtsvorstehers des Statthalters, auf dessen Befehl er mit einem Stein um den Hals von der Brücke in die Enns gestürzt wurde, wobei ihm, wie alle Umstehenden sahen, die Augen brachen 3 ). 1

) Nach d e m ersten Edikte. Eusebius, Kirchengesch. VIII/2. Ausgabe von E. Schwartz u. Th. Mommsen 2 (1908) S. 742 f. 2 ) Mon(umenta) Germ(aniae), Script(ores) rer(um) Merov(ingicarum) 7 (1920) S. 802. 3 ) 4. Non. Mai. In Africa natale Celestini, — Petri et in Nurico Ripense loco Lauriaco natale Floriani ex principe officii presidis, ex cuius iussu, ligato s a x o collo eius, de ponte in fluvio Aniso missus est, oculis crepantibus praecipitatum, videntibus omnibus circumstantibus. Krusch, Der hl. Florian S. 343. Die Berner Handschrift bringt einen Auszug aus einer sehr alten, dem Urtexte der Legende nahestehenden Vorlage. Das zeigt nicht bloß der genaue Amtstitel Florians, sondern auch das auf ihn bezogene praecipitatum. Krusch S. 347 f. Die Lesung praecipitatoris in: Acta Sanctorum, Novembris tom. 2/2 (1931) S. 229 ist daher nicht gerechtfertigt; sie gehört erst einer späteren Zeit an.

3. Die Florianlegende als erstes Zeugnis des Christentums usw.

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Dieser Eintrag galt zuletzt als Hauptbeweis für das Leben und Leiden des Blutzeugen Florian; man konnte nicht leugnen, daß dessen Amtstitel princeps officii praesidis tatsächlich aus dem Altertume stammen müsse, da er später nicht mehr im Gebrauch war. Es gilt nun, die Frage zu beantworten, ob die Legende erst nachträglich aus diesem kurzen Zusätze entstanden ist oder ob sie in ihrer ersten Abfassung noch in die römische "Zeit zurückgeht und somit als Quelle für das Martyrolog anzusprechen ist. Das gegenseitige Verhältnis zwischen ihm und der Legende ist ferner für die Kenntnis wichtig, ob unser Heiligenleben noch in einer der Urform nahen Gestalt vorliegt oder später erheblich verändert worden ist. In beiden findet sich Noricum bereits geteilt; für Lorch wird in gleicher Weise die römische Form Lauriacum und nicht die mittelalterliche Lavoriacum gebraucht; hier und dort wird mit ziemlich denselben Worten als Todesart der Sturz in die Enns angegeben; ebenso ist die Amtsbezeichnung des Heiligen überall die gleiche, nur läßt die Legende das ex und presidís w e g ; sie bringt auch nicht zum Ausdruck, daß er damals nicht mehr im Dienste stand und unterläßt es, seinen Todestag anzugeben. Doch finden sich in ihr auch Angaben, die noch in die römische Zeit zurückreichen, ohne daß sie der Berner Handschrift entnommen sein können. Es ist schon lange aufgefallen, daß der Statthalter zum Gerichtstage nach Lauriacum sich erst begeben mußte (adveniens praeses in Castrum Lauriacensem). Da die letzten Verhöre der Christen gewöhnlich in den Hauptstädten, wo seit Diokletian die Statthalter ihren Amtssitz hatten, stattfanden, so sehen wir, daß der Verfasser sehr wohl wußte, daß entweder Aquilinus damals erst diese Würde erlangte oder Lauriacum noch nicht Hauptstadt war oder es eben erst wurde. Tatsächlich besaß mindestens bis dahin Ovilava diese Eigenschaft; der Wechsel der Hauptstadt fällt wohl mit der Teilung Noricums und vielleicht auch dem Ausbruche der Verfolgung zusammen. Die genaue Kenntnis hievon läßt vermuten, daß die erste Abfassung der Legende nicht nur in römischer Zeit, sondern auch in der Heimat erfolgt ist. Dasselbe gilt für die Erwähnung von Cetium als civitas; auch da fand später ein Wandel statt, indem im Leben Severins Favianae als solche erwähnt wird. Ein mittelalterlicher Verfasser hätte über derartige Kenntnisse, die wir erst heute wieder gewonnen haben, niemals verfügen können. Wir wissen jetzt, daß als Vorlage für die Legende die Leidensgeschichte des Bischofs Irenäus von Sirmium diente; hiedurch wird

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I. Das römische Noricum und das Eindringen des Christentums.

ihre Echtheit nicht in Frage gestellt; im Gegenteil: dieser Zusammenhang bildet vielmehr einen neuen Beleg für ihre Nachbildung in römischer Zeit und eröffnet einen Hinweis, von wo Lauriacum seine kirchliche Einrichtung erhielt. Wir sehen hier zum erstenmal, wie diese der politischen Einteilung folgt. S i r m i u m, die Hauptstadt Illyriens, war bei der Zugehörigkeit Noricums zur Diözese Pannonien zugleich d i e M u t t e r k i r c h e v o n L a u r i a c u m . So wurde hier die Leidensgeschichte des obersten kirchlichen Hirten bekannt; damit erwachte zugleich der Wunsch, nach diesem Vorbilde über den Martertod des einheimischen Heiligen ein Schriftstück zu verfassen. Es sind wohl einige Sätze hieraus wörtlich entlehnt, doch ist die Legende Florians viel ausführlicher und in ihrer Grundlage durchaus selbständig. Mit der Zerstörung von Sirmium in den Jahren 441 und 582 fand sein kirchlicher Vorrang ein Ende; wenn nach drei Jahrhunderten der griechische Glaubensprediger Method die Würde eines Erzbischofs von Pannonien erhielt, so ist das nicht dahin auszulegen, als ob Rom hiedurch das erloschene Erzbistum Sirmium erneuert hätte (S. 368 f.). Ein karolingischer Verfasser hätte nach so langer Unterbrechung wohl kaum auf die alte AbhäHgigkeit, die erst jetzt wieder ans Licht tritt, geraten können. Die Legende Florians ist noch weniger wie jene des Irenäus gleichzeitig: das sagen in beiden schon die einleitenden Worte. Die Abfassung der ersteren dürfen wir etwa ein Jahrhundert nach dem Ereignisse ansetzen; nach dem Untergange von Sirmium und der Preisgabe Pannoniens durch die Kömer hört die ehedem bestehende feste Verbindung mit Noricum auf. Die Anleihe aus der Irenäuslegende erstreckt sich bloß auf die Erzählung bis zum Todessturze Florians und auf die der Wiederholung der Zeitangaben folgenden Schlußworte. Der jugendliche Bischof Irenäus von Sirmium war ebenfalls ein Opfer der Verfolgung durch Diokletian; er wurde mit dem Schwerte an der Savebrücke hingerichtet und seine Leiche in den Fluß geworfen. In der Legende beruft sich der Statthalter beim Verhöre auf königliche Befehle, die das Wassergrab anordnen 1 ). Die Donauund die Balkanprovinzen standen damals unter der Herrschaft des Mitkaisers Galerius (Valerius Maximianus), der als großer Christenfeind und als Anstifter der Verfolgung bekannt ist. In seinem ') Irenaeum inobedientem praeceptis regalibus in fluvium praecipitari 0 . Gebhardt, Ausgewählte Märtyrerakten (1902) S. 164.

iubeo.

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Länderbereiche erfolgte sie daher mit besonderer Heftigkeit und Grausamkeit. Denselben Tod wie Florian litt der greise Bischof Quirinus von Siscia, der in Savaria mit einem Mühlsteine um den Hals von der Brücke in die Güns gestürzt wurde; die fünf christlichen (pannonischen) Bergwerksarbeiter in den Steinbrüchen bei Sirmium, die später als die „Vier Gekrönten" zur Verehrung gelangten, wurden lebend in bleiernen Särgen in den Fluß (Donau oder Save) geworfen. In beiden Fällen liegen ausführliche Legenden vor, deren Urkern ebenfalls noch in die spätrömische Zeit zurückreicht. In Rätien hingegen, das zur Präfektur Italien (Mailand) zählte, findet sich schon eine andere Todesart; da meldet die Afralegende, daß ihre Heldin zu Augsburg den Feuertod auf der Lechinsel fand 1 ). Schon aus diesen wenigen Beispielen erhellt, daß im Herrschaftsgebiete des Galerius die bekenntnistreuen Christen tot oder lebendig in die Flüsse geworfen wurden. Andere Vorgänge aus dem Ostreiche zeigen, daß das Meer damals ihr Massengrab wurde. Den Grund dieser Anordnung gibt uns Eusebius in seiner „Kirchengeschichte" an: die Kaiser wollten verhindern, daß die Opfer der Verfolgung wieder auferstehen (V/2) und von ihren Glaubensbrüdern als „Götter angebetet" werden (VIII/6); sie strebten mithin durch Vernichtung der sterblichen Überreste der Blutzeugen die Heiligenverehrung zu verhindern. Nach der gegebenen Sachlage müssen wir annehmen, daß es bei der letzten großen Verfolgung den Christen nur selten gelang, der Leiber ihrer Glaubenshelden habhaft zu werden. Aus all dem ergeben sich für die Beurteilung der Legenden aus dieser Zeit zwei wichtige Schlüsse: die Angabe des Wassertodes, bzw. Wassergrabes ist in ihnen nicht etwa eine spätere Erfindung, sondern deutet auf ihre Herkunft aus römischer Zeit und weist auf den Osten; sie bildet daher einen Beweis für ihre Glaubwürdigkeit; die Berichte über die Auffindung der Leichen sind mit großer Vorsicht aufzunehmen; sie sind zumeist spätere Zutaten. Das Heiligenleben des Bischofs Irenäus von Sirmium entspricht mithin den tatsächlichen Verhältnissen am besten; es hört dort auf, als sein eben hingerichteter Körper in den Fluß geworfen wird. Von den fünf pannonischen Märtyrern erfahren wir, daß sie 42 Tage 1

) Mon. Germ., Script, rer. Merov. 7, S. 203 f.

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nach ihrem Tode ein Christ auffand und in seinem Hause beisetzte 1 ). Beide Legenden liegen nicht nur in lateinischer, sondern auch in griechischer Fassung vor und zeigen uns wieder die Gemischtsprachigkeit Pannoniens. Die Quirinuslegende bringt die Nachricht, ihr Bischof sei unweit der Stelle, wo er ertrunken sei, wieder aufgefunden worden; dort sei eine Gebetsstelle entstanden; seine Leiche ruhe in der Kirche (basilica) beim Ödenburger Tor 2 ); sie verschweigt uns, wo er während der mehrjährigen Verfolgung, in der alle Gotteshäuser niedergerissen wurden, verborgen gehalten wurde. Zwei gleichzeitige Quellen hingegen, die Chronik des Eusebius-Hieronymus 3 ) und ein Gedicht des Prudentius 4 ), brechen mit dem Tode des Bischofs ab und wissen nichts von einer Auffindung seiner Leiche. Die darüber hinausgehende Aussage der Legende ist mithin erst eine spätere Zutat und daher nicht glaubwürdig. Wie ferne die Frühzeit des Christentums dem Reliquienkult stand, beweist der Wunsch des unter Kaiser Traian gemarterten Bischofs Ignatius von Antiochien, von den Zähnen der wilden Tiere zerfleischt und in deren Bauche spurlos begraben zu werden, um nach seinem Tode niemandem zur Last zu fallen 5 ). Noch deutlicher als bei den pannonischen Heiligen sehen wir die Volksdichtung an der Florianlegende am Werke. Schon aus ihr erhellt, daß die Zeitgenossen des Blutzeugen seinen Leib nicht bestatten konnten; sie sagt ja selbst: er o f f e n b a r t e sich einer Frau (manifestavit se cuidam feminae) 6 ) und zeigte ihr den Ort an, wo er zu finden w ä r e ; diese setzte ihn sodann wegen der Verfolgung eilig an einem versteckten Orte u n t e r der Erde bei (sub terra deposuit); erst Wunder zeigten sein verborgenes Grab an. Seine Leiche hat also außer der von dem Heiligen auserwählten Acta Sanctorum, Novembris tom. 3 (1910) S. 778. ) Ebendort Juni tom. 1 (1741) S. 383. 3 ) Ausgabe von R. Helm 1 (1913) S. 229. ") Ausgabe von A. Dressel (1860) S. 381. 6 ) L. A. W i n t e r s w y l , Die Briefe des hl. Ignatius von Antiochien (Freiburg i. B. 1938) S. 34. fi ) W e d e r die längere noch die kürzere Fassung der Legende kennen in ihren besseren Handschriften den Namen der Frau, die Florian bestattete; er wird erst im 10. Jahrh. erfunden und eingefügt, hat jedoch romanischen Klang (Valeria). Ihr in der Krypta der Stiftskirche von St. Florian befindlicher Grabstein kann daher nicht als Zeugnis für die Legende und damit für die Grabstätte Florians gelten. Mitteilungen) des Instituts (für österreichische Geschichtsforschung) 27 (1906) S. 165 f. (K. Uhlirz). 2

3. Die Florianlegende als erstes Zeugnis des Christentums usw.

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Frau niemand gesehen; auch später nicht; eben deshalb verlegt wohl die Sage die Offenbarung noch in die Verfolgungszeit, die diesen Mangel erklären soll. Auf jeden Fall ist das vorgebliche Erscheinen des Heiligen ein Beweis, daß in Wirklichkeit seine Leiche nicht gefunden und bestattet wurde; denn wäre der entseelte Körper in der Tat entdeckt worden, so hätte ja unser Glaubensheld keinen Anlaß gehabt, sich zu „offenbaren". Daß die Legende auch nach der Verfolgung die Gebeine des Blutzeugen nicht auffinden läßt, stempelt sie zu einem Erzeugnis echter Volksdichtung, der jede beabsichtigte Täuschung ferne liegt; sie ist, wie wir noch sehen werden, auch in diesem Teil vom Werte und gewiß keine „karolingische Fälschung". Schon aus den bisherigen Ausführungen folgt, daß unsere Legende keineswegs aus dem Martyrolog des Hieronymus geschöpft ist. Dieses überliefert uns als neue Nachricht bloß den Todestag. Es liegen daher zwei selbständige Quellen vor. Der Schreiber der Berner Handschrift fügte zu dem, w i e sich gleich zeigen wird, auseinander gerissenen Eintrag über Florian zur Klarstellung einen kurzen Auszug aus der Legende hinzu. Dieser ist uns deshalb von hohem Werte, als er uns noch eine Inhaltsangabe der Urform bietet, die eine „Offenbarung" Florians, d. h. eine Auffindung seiner Leiche nicht kennt. Wäre der Schreiber hierüber unterrichtet gewesen, so hätte er das ebenso vermerkt, wie er es bei dem Priester Montanus getan hat, der bei derselben Verfolgung von Singidunum (Belgrad) nach Sirmium floh: da berichtet er ausdrücklich, sein ertränkter Körper sei bei dem neunten Meilensteine zum Vorschein gekommen 1 ). Es wird nicht schwer zu erraten sein, woher der Schreiber seine Quelle bezog. Die aus Metz stammende Berner Handschrift überliefert die in Gallien erweiterte Fassung des Martyrologs, die wohl um 627/28 im K l o s t e r L u x e u i l (Luxovium) in Burgund entstand (S. 20). Die dort lebenden Mönche vollzogen eben damals die erste Einführung des Christentums in Baiern. Dieses Zusammentreffen erklärt am besten, woher sie die Kunde vom Martertode Florians erlangten: eben aus Baiern, ja aus Lorch, das als damalige Hauptstadt (S. 94 f.) Ausgangspunkt des Bekehrungswerkes war. Die Kenntnis hievon hat sich demnach durch die am Tatorte und in Ufer-Noricum verbliebenen Romanen und durch die von ihnen über') Acta Sanctorum, Novembris tom. 2/2, S. 162.

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I. D a s r ö m i s c h e N o r i c u m und das E i n d r i n g e n d e s C h r i s t e n t u m s .

lieferte Legende erhalten; von einer Bergung der Leiche wußte sie damals indes noch nichts; in dieser Grundform überbrachten sie schon die ersten christlichen Glaubensboten nach Gallien (Luxeuil), als sie vorübergehend in Baiern wirkten. Als Urheimat des Martyrologs gilt nach dem ihm vorangehenden Briefwechsel Oberitalien (Aquileia). Dorthin ist die Kenntnis vom Martertode Florians noch früher, spätestens nach dem Abzug der Römer aus UferNoricum (487) gedrungen, da seither die verbliebene Kirchenprovinz Binnen - Noricum nach Aquileia gehörte. W i r können daher mit gutem Grunde annehmen, daß der Lorcher Blutzeuge mit seinen vierzig Genossen schon in die ursprüngliche Fassung Aufnahme fand. Wir haben uns bisher bloß auf die B e r n e r Handschrift beschränkt und die Texte, die die e t w a s ältere Echternacher in P a r i s und die Weißenburger in Wolfenbüttel bieten, unberücksichtigt gelassen. Die beiden letzteren zählen Florian irrig unter den afrikanischen Heiligen auf, wobei die eine ihn noch dazu zum Vortage (3. Mai) einreiht, die andere, jedoch in entstellter Form, den Hinweis auf Ufer-Noricum und Lauriacum noch erkennen läßt. Der Fehler ist dadurch entstanden, daß der Lorcher Heilige ihnen angereiht ist; er steht zwischen ihnen und Silvanus, der, wie Eusebius (VIII/13) berichtet, als Bischof von Gaza (Hauptstadt Cäsarea) in Palästina mit 39 anderen unter Diokletian enthauptet wurde. Durch ein Versehen der Abschreiber geschah auch da ein Irrtum, indem aus ihnen in unmittelbarem Anschluß vierzig Genossen Alexanders, bzw. Cölestins oder gar 40 Märtyrer von Alexandrien wurden. W i r können heute nicht mehr feststellen, ob diese in ihren ersten Einträgen zu Florian oder Silvanus oder beiden gehörten, doch spricht die W a h r s c h e i n lichkeit für ersteren, da nur bei ihm genau dieselbe Zahl vorkommt. Nebenbei sei aus einer anderen Quelle vermerkt, daß angeblich in dem eben e r w ä h n t e n Gaza im Jahre 637 gleichfalls ein Florian mit Calanicus und wieder vierzig Genossen von den Arabern (Sarazenen) getötet wurde 1 ). Da unsere Legende in ihrer Urform älter ist als das Martyrolog, so kann von einer Umwandlung eines afrikanischen Florian in den Lorcher gar keine Rede sein; dieser ist vielmehr ein bodenständiger Glaubensheld und kein f r e m d e r ; der angeblich afrikanische hingegen beruht bloß auf einem Verstoß der Abschreiber und ist in der Tat kein anderer als er. Die Aufnahme ') A n a l e c t a B o l l a n d i a n a 23 (1904)

S. 295 f.

3. Die Florianlegende als erstes Zeugnis des Christentums usw.

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seines Namens in den berühmten Heiligenkalender ist nicht erst eine spätere Zutat, sondern geht noch auf den Grundstock dieses Werkes zurück; er ist ja allen Handschriften gemeinsam und jene aus Metz (Bern) berichtigt demnach mit ihrer genauen Angabe des Sachverhaltes nur einen Irrtum. Das Martyrologium Hieronymianum war Anlaß und Vorbild für eine Reihe ähnlicher Sammlungen, die wenig Besonderheiten bieten, da sie zumeist mehr von ihren Vorgängern, als von den Quellen ihrer Zeit und des Ortes ihres Entstehens beeinflußt sind. Aus Frankreich, wo die Mönche von Luxeuil den Gedenktag des Lorcher Blutzeugen zu Ehren brachten, ist zunächst das aus der ersten Hälfte des neunten Jahrhunderts stammende Märtyrerbuch von Lyon (Diakon Florus) zu nennen; es setzt das denselben Titel führende Werk des Angelsachsen Beda fort und reiht den dort fehlenden Namen ein. Der Eintrag des gallischen Verfassers ist mit jenem der Berner Handschrift beinahe gleichlautend: er läßt bloß den Amtstitel Florians weg, bezieht aber das Brechen der Augen nicht mehr auf den Tod des Heiligen, sondern macht daraus ein Erblinden des neu eingeführten Schergen als Strafe dafür, daß er ihn hinabstieß 1 ). Vielleicht entstand das Wunder aus einem Irrtume eines Schreibers, der aus dem ihm vorliegenden kurzen Vermerke den Sachverhalt nicht mehr verstand. In der Tat läßt sich dieser aus der Leidensgeschichte ganz natürlich erklären: Florian war durch die vorangegangenen Martern so geschwächt, daß er noch knapp vor seinem Sturze in die Enns starb. Erzbischof Ado von Vienne (gest. 874) übernimmt in seiner Sammlung die Stelle über Florian fast wörtlich von seinem Lyoner Vorgänger, läßt aber den Namen des Statthalters weg und verkürzt den Ortsnamen Lauriacum in das unverständliche Lauria 2 ). Sein Nachfolger, der Mönch Usuard von Saint Germain, der um 875 auf Befehl Karls des Kahlen ein solches Gedenkbuch verfaßte, begnügt sich mit der den Worten seiner Vorgänger folgenden Angabe, der Blutzeuge sei auf Befehl des Statthalters mit einem Steine um den Hals in Ufer-Noricum in die Enns gestürzt worden; er läßt hiebei den Namen der Stadt weg 3 ). T. H. Quentin, Les martyrologes historiques du m o y e n S. 212; J. Migne, Patrologia latina 94 (1862) S. 902. 2 ) Ebendort 123 (1852) S. 260. ') Ebendort 124 (1852) S. 19.

âge

(Paris

1908)

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I. D a s römische Noricum und das Eindringen des Christentums.

Auf deutschem Boden ist es der Fuldaer Abt und spätere Erzbischof von Mainz, Hrabanus Maurus, der in seinem zwischen den Jahren 842 und 854 abgefaßten Märtyrerbuche zuerst des Lorcher Heiligen gedenkt, ohne jedoch den Ort selbst zu erwähnen; er sagt: zu Ufer-Noricum hätte der Statthalter Aquilinus, als er sich von Florian (im Verhöre) überwunden sah, das Todesurteil gefällt und befohlen, ihn zur Enns zu führen und von der Brücke zu stürzen 1 ). Als Vorlage diente ihm hiebei die kürzere Fassung der Legende, an deren Wortlaut er sich hält. Etwas früher, um 840, entstand im Kloster Reichenau am Bodensee aus dem den Namen des hl. Hieronymus tragenden Werke ein Märtyrerbuch, dessen Verfasser zum 4. Mai wohl Florian erwähnt, aber dessen Heimat nicht kennt 2 ). Wir können Ähnliches bei Hraban vermuten; auch ihm dürfte das Lavoriacum (Lauriacum) seiner Vorlage unverständlich gewesen sein und er hat es wohl deshalb weggelassen. Das nach dem Kloster Fulda benannte Märtyrerbuch fußt nicht auf ihm, sondern folgt fast im Inhalt und Wortlaut den französischen Sammelwerken; es nennt wohl Ufer-Noricum und Lauriacum, läßt jedoch den Namen des Flusses weg 3 ). Das anschließende Martyrologium Ottobonianum bietet von allen Nachahmern des Hieronymianums in unserem Falle den ältesten Text, der fast wörtlich der Berner Handschrift entlehnt ist; es bringt sogar den genauen Amtstitel des Heiligen, wobei es bloß das ex wegläßt. Das Brechen der Augen bezieht jedoch auch sein Verfasser nicht mehr auf Florian, sondern macht daraus ein Erblinden aller jener, die ihn hinabstürzten 4 ). Alle diese Martyrologien hören ausnahmslos mit dem Todessturze des Heiligen auf und bringen nichts von einer Bergung seiner Leiche; auch Hraban nicht, obwohl er der kürzeren Legende folgt. Diese, oder wahrscheinlicher ein Auszug aus ihr, lag ihm also noch nicht vollendet vor; denn sonst hätte er, der in anderen Fällen der Beisetzungen der Leiber gerne gedenkt, es wohl auch diesmal nicht unterlassen. Die Verehrung der Heiligen knüpft ja gerade an ihre Grabstätten an und stand damals schon in hoher Blüte. Das Schweigen der älteren Märtyrerbücher über die Leiche Florians Migne, Patrol, lat. 110 (1864) S. 1142 f. ) IV Non Mai Alexandria martyrum X L et alibi F l o r i a n i . . . Quartalschrift für christl. Altertumskunde 3 (1889) S. 221. 3 ) H. R o s w e y ( d u s ) , Martyrologium Adonis . . (Rom 1745) S. 662. 4 ) Ebendort S. 680. 2

Römische

3. Die Florianlegende als erstes Zeugnis des Christentums usw.

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läßt darauf schließen, daß im Altertume und frühesten Mittelalter von ihr noch nichts bekannt war. Wie langsam sich die Sage von der Auffindung der Gebeine Florians bildete und verbreitete, zeigt uns das Märtyrerbuch, das um das Jahr 896 im Kloster St. Gallen (Schweiz) entstanden ist und den Mönch N o t k e r den Stämmler zum Verfasser hat. Seine Hauptquellen sind seine Vorgänger Ado und Hraban. Über Florian erzählt er mit Anführung des Ortes Lauriacum und des Namens des Statthalters folgendes: der Heilige sei nach übermäßigen Schlägen und Zerfleischungen mit einem Steine um den Hals in die Enns gestürzt worden; als hiebei die Schergen (lictores) von göttlicher Furcht erfaßt zurückschreckten, hätte ihn ein Jüngling, der verwegener war als sie, hinabgestoßen; dieser w ä r e sofort erblindet. Eine dienstbare Welle, so fährt er fort, setzte den Leib des Blutzeugen auf einem versteckten, aufragenden Felsen ab, wo ein Adler solange Wache hielt, bis der Heilige einer frommen Frau (cuidem religiosae feminae) erschien und ihr befahl, seine Leiche wegzubringen 1 ). Damit bricht sein Bericht ab, der für uns deshalb beachtenswert ist; als er zwar die Legende fortsetzt, aber noch nicht beendet: eine endgültige Beisetzung des Heiligen wird also erst in die Wege geleitet! Die bezügliche Sage ist demnach nicht vor der karolingischen Zeit entstanden; der Leib Florians ruhte mithin nach der Vorstellung des Volkes noch während der Awarenkriege an der gefährdeten Ennsgrenze und hat erst, als seine Wacht nach den Siegen Karl des Großen dort entbehrlich wurde, ein würdiges Heiligengrab gefunden, an dem eine Andachtstätte des dankbaren und hilfsbedürftigen Volkes entsteht. In einer St. Emmeramer Handschrift der Münchener Staatsbibliothek aus demselben Jahrhundert liegt zum erstenmal die Legende in ihrer kürzeren Fassung vollständig vor; der St. Gallener Schreiber hatte hievon noch keine genaue Kenntnis, sondern benützte eine etwas ältere Vorlage. In diesem Zusammenhange wird das Schweigen seiner Vorgänger über eine Auffindung des toten Florian noch besser verständlich: es wird zu einem stummen Zeugnis für den Verlust der Leiche, dem die unfertige Aussage Notkers noch höhere Beweiskraft verleiht. ') Migne, Patrol, lat. 131 (1853) S. 1077 f. Auf einem alten Berichte fußt noch der Humanist J. Cuspinian, Commentarli (Austria) (Basel 1552) S. 664, der auch keinen Begräbnisort angibt: Floriani corpus in quandam petram est delatum, contra naturam aquae, indicante aquila expansis alis, corpus divi Martyris, et postea a sacris uiduis et matronis sepulturae traditum.

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I. Das römische Noricum und das Eindringen des Christentums.

Die ersten Urkunden, die von einer Grabstätte des Lorcher Heiligen Kunde geben, gehören in die Zeit Karls des Großen. Damals, nach den siegreichen Awarenkriegen, entstand die Gründungssage von St. Florian, die uns noch beschäftigen wird. Mit ihr erhielt die Legende ihren jetzigen Abschluß und ihre letzte und bleibende Gestalt: deren Überlieferung stimmt demnach in ihrem Beginne mit den ersten urkundlichen Zeugnissen der Wallfahrt gut überein; der schriftliche Niederschlag der Volkssage ließ nicht lange auf sich warten. An dieser Stelle kommen bloß die Veränderungen in Frage, die das alte römische Heiligenleben hiedurch erfuhr. Es läßt sich hier derselbe W e r d e g a n g feststellen, den wir bei Legenden so oft beobachten können. Sie sind häufig nicht in einem Zuge als einheitliches W e r k entstanden, sondern ein allmählich Gewordenes. Bestimmte Erlebnisse des Volkes bilden den Anlaß, einen neuen Zug hinzuzufügen. Es heben sich in ihnen oft die Nöten und W ü n s c h e ganz verschiedener Zeiten ab. Die geringere Gewandtheit der mittelalterlichen Schriftsteller im Ausdrucke macht es meist nicht schwer, die einzelnen Schichten abzuheben: sie ließen es gewöhnlich damit bewenden, daß sie die vorgefundenen Texte nicht antasteten, sondern das, w a s sie zu sagen hatten, einfach anfügten. Auf diese Weise ist auch die römische Florianlegende von einer Überarbeitung verschont geblieben und im alten G e w ä n d e belassen worden. Der karolingische Fortsetzer fügte in ihr trotz seiner Wundersucht keinen einzigen übernatürlichen Zug ein, sondern überlieferte sie im ganzen so, wie er sie vorfand. W i r wissen nicht einmal, ob bei dem Amtstitel des Blutzeugen erst er das belangreiche ex und praesidis wegließ. Mit der Erblindung des Jünglings, der Florian in die E n n s stürzt, setzen die W u n d e r ein. Um seine Tat zu erklären, läßt der F o r t s e t z e r der Legende den Heiligen vor Vollführung des Urteils noch eine Stunde beten; damit beginnt die Einfügung in den alten T e x t (Et oravit bis praesidis?). Der neue setzt mit den W o r t e n über das Erschrecken des Flusses (Tunc fluvius suscipiens) ein und reicht bis zu den berichteten W u n d e r n am Grabe Florians (misericordiam consecuntur). Die Angabe, seine vierzig Gefährten w ä r e n alle im Kerker gestorben, ist wohl kaum der römischen Vorlage entnommen; die Wiederholung der Datierung jedoch stammt sicher von ihr. 1 Als zusammenfassende Übersicht sei wiederholt: das Hauptzeugnis für das Leben und den Martertod Florians ist seine Leidens-

4. Die kirchliche Einteilung Noricums.

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geschichte, die in römischer Zeit entstand und in karolingischer fortgeführt w u r d e ; sie ist die früheste Quelle, welche die Kirchengeschichte Österreichs aufzuweisen hat. Ihr gegenüber kommt das Martyrologium Hieronymianum erst in zweiter Linie in B e t r a c h t ; der Eintrag in die B e r n e r Handschrift ist jedoch deshalb wichtig, als er die Möglichkeit bietet, den römischen und karolingischen Teil der Legende scharf auseinander zu halten. D a s Leben und Leiden Florians sind demnach gut bezeugt; die Auffindung und Bestattung seiner Leiche ist indes nur als spätere Sage zu werten. 4. Die kirchliche Einteilung Noricums. D a s Toleranzedikt vom Jahre 311 brachte den Sieg des Christentums: Kaiser Konstantin g e w ä h r t e ihm nicht nur Duldung, sondern begünstigte es auch; seit damals schon drängte es das Heidentum zurück und schickte sich bald darauf an, alleinige Staatsreligion zu werden. Kaum hatte jedoch die Kirche die Freiheit gewonnen, drohte ihr eine neue Gefahr in der Lehre des alexandrinischen Priesters Arius, der die göttliche Wesensgleichheit Christi leugnete. Zur Beilegung der ausgebrochenen Streitigkeiten berief Konstantin das K o n z i l v o n N i c ä a i n Bithynien (325); die führende Rolle in der Leitung der Kirche beanspruchte eben nach heidnischer Sitte der Kaiser (pontifex maximus) 1 ). Das zeigt sich auch dadurch, daß die Kirchenordnung, die es bei dieser Gelegenheit erließ, auf der staatlichen Einteilung in Provinzen beruhte, deren Hauptstädte nunmehr auch kirchlich die vorgeschriebenen Mittelpunkte wurden (Metropolitanverfassung) 2 ). D a ist nun eine Einrichtung zu nennen, die der neugeschaffenen Reichskirche unverkennbar als Muster diente; es w a r das der heidnische K a i s e r k u l t . Gleich dem Christentum kam er aus dem Osten. Dort w a r es seit altersher üblich, die Herrscher als Götter zu verehren. Seit Augustus übernahm Rom diese Sitte, deren Ausübung nach den Provinzen des Reiches geregelt w a r : der meist gemeinsame Tempel der römischen Stadtgöttin und des Kaisers (ara Romae et Augusti) w a r der Festort, an dem die Abgeordneten der P r o v i n z jährlich einmal ihre Opfer darbrachten, den Festspielen beiwohnten und sich bei dieser Gelegenheit zu Landtagen (concilia) ') K. Voigt, Staat und Kirche von Konstantin dem Großen bis zum Ende der Karolingerzeit (1936) S. 22—26, 75 f. 2 ) So u. a. E. Caspar, Geschichte des Papsttums 1 (1930) S. 120 u. 584.

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I. Das römische Noricum und das Eindringen des Christentums.

versammelten. Den Vorsitz führte hiebei der O b e r p r i e s t e r d e r P r o v i n z (sacerdos provinciae), der in Illyrien auch häufig pontifex hieß. Ihm unterstanden, wie Eusebius (VIII/14) berichtet, die Priester in den Städten der betreffenden Provinz. Seine Stellung glich mithin jener des christlichen Metropoliten, der nicht nur den kirchlichen Sprengel seiner Hauptstadt versah, sondern auch die Bischöfe der Provinz beaufsichtigte und auf den von ihm berufenen Provinzialsynoden den Vorsitz führte. In dieser Hinsicht bestimmte der vierte Kanon des Konzils von Nicäa: der Bischof soll von allen (Bischöfen) der Provinz (kr.^jyla) aufgestellt werden, von denen bei der Weihe wenigstens drei anwesend sein müssen; die Bestätigung falle hiebei dem Metropoliten zu; der fünfte ordnete für jede Provinz jährlich zweimal Synoden an und der achte stellte als Richtschnur auf, daß in jedem Stadtbezirke (iroXi?) nur ein Bischof sein dürfe 1 ). Damit w a r in der Kirche der Provinzialverband endgültig festgelegt; seither führt der Bischof der Hauptstadt den Titel „Metropolit" 2 ). Die folgenden Konzilien bauten diese Bestimmungen noch weiter aus. So beschloß jenes von Antiochien (341): die Bischöfe jeder Provinz sollen wissen, daß ihr Amtsbruder in der Hauptstadt (Metropolit) die Sorge habe für die ganze Provinz; ihm gebühre daher auch der Vorrang vor den übrigen Bischöfen der Provinz; eine grundlegende Verfügung, die uns den baierischen Kirchenstreit erst verständlich machen wird. Bischöfe auf dem Lande (Chorbischöfe) dürfen bloß von dem Bischöfe jener Stadt, wohin der betreffende Landbezirk gehört, bestellt werden. Kein Bischof dürfe es wagen, in einer fremden Eparchie (Provinz) sein Amt auszuüben, ohne hiezu von dem Metropoliten des auswärtigen Bezirkes gerufen zu sein; in anderem Falle sei seine kirchliche Verrichtung ungültig und er selbst solle abgesetzt werden 3 ). Die zweite allgemeine Kirchenversammlung zu Konstantinopel (381) verbietet den Bischöfen, die D i ö z e s e n zu vermengen und zu überschreiten; dieses Wort findet sich hier im kirchlichen Sprachgebrauche zum erstenmal und bedeutet, anders wie heute, den weltlichen Großbezirk, also die Vereinigung mehrerer Provinzen zu einem der zwölf mächtigen Sprengel des Reiches; dieses Verbot sagt daher nichts neues, son* ) C. J . Hefele, Conciliengeschichte 1, 2. Aufl. (1873) S. 382 f., 387 und 408. 2 ) K. Müller, Kirchengesch. 1/1, 3. Aufl. (1941) S. 556 f. 3

) Hefele, Conciliengesch.

1, S. 516 f.

4. Die kirchliche Einteilung Noricums.

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dern dehnt bloß einen Grundsatz, der in den Provinzen bereits geübt wurde, auf die nächst höhere Verwaltungseinheit aus 1 ). Die beiden letzten Verfügungen sollen uns richtungweisend sein für die umstrittene Frage, von wo Noricum kirchlich abhängig war. Die Kirchenversammlung von Chalcedon (451) spricht als Richtschnur aus, daß in jeder Provinz nur ein Metropolit sein dürfe. Sollte sich ein Bischof von der Entscheidung seiner Provinzialsynode oder seines Metropoliten beeinträchtigt fühlen, so dürfe er seine Streitsache vor den „Eparchen der Diözese" (Obermetropoliten) bringen. Wenn der Kaiser einen neuen Stadtbezirk errichtet, so habe der entsprechende kirchliche Sprengel (j:«pot%ia) der staatlichen Ordnung zu folgen 2 ). Nach diesen Bestimmungen dürfen wir also mit folgender Kirchenordnung rechnen: die Hauptstadt der Provinz ist zugleich kirchlicher Mittelpunkt mit einem Metropoliten; ihm untersteht in jedem Stadtbezirke der Eparchie ein Bischof; er selbst ist als Bischof der Hauptstadt von dem Metropoliten der Diözese und dieser wieder nach staatlichem Muster von jenem der Präfektur abhängig. Wenn wir diese Richtschnur auf Noricum anwenden, so ergibt sich folgendes Abbild: je ein Metropolit in beiden Provinzen, wovon dem zu Lauriacum je ein Bischof in den Stadtbezirken UferNoricums und jenem zu Virunum je einer in den Stadtgauen BinnenNoricums unterstellt ist; die beiden ersteren sind als Bischöfe der norischen Hauptstädte unmittelbar dem Metropoliten der Diözese Westillyrien, bzw. der Präfektur Illyrien zu Sirmium untergeordnet. Das ist freilich ein ganz anderes Bild, als uns die gegenwärtige Forschung bietet: sie hält Lauriacum nur für einen einfachen Bischofssitz und noch dazu als den einzigen in ganz Ufer-Noricum; für Binnen-Noricum nimmt sie zwar mehrere Bistümer an, aber auch keinen Metropolitansitz; alle diese kirchlichen Sprengel unterstellt sie dem Metropoliten von Aquileia. Es käme daher ihr eher der Nachweis zu, warum die kirchliche Ordnung Noricums ganz und gar nicht dem staatlichen Aufbau und den ihm nachgebildeten Konzilsbeschlüssen entspricht, als daß wir deren Geltung für unsere zwei bescheidenen Provinzen erst noch aufzeigen müssen. ' ) Hefele, Conciliengesch. 2 (1875) S. 16. 2

) Ebendort S. 517 u. 521;

E . S c h w a r t z , Acta conciliorum oecumenicorum 2/2

(1936) S. 89—91.

3

34

I. Das römische Noricum und das Eindringen des Christentums.

Nach den Lorcher Fälschungen hat Lauriacum in den Zeiten der Verfolgung die Keime des Christentums von Predigern des Apostolischen Stuhles empfangen; ja die erste Bulle wagt sogar nach der Vorlage zu behaupten, Lorch sei von denselben Aposteln gestiftet wie Rom selbst 1 ); die Herkunft und das hohe Alter sollten eben die Berechtigung des bestrittenen Erzbistums begründen. Die nicht viel vor 1300 abgefaßte „Geschichte der Passauer Bischöfe" rückt das genannte Ereignis ebenso bis in die Tage des Apostels Petrus hinauf, dessen eigenen Schülern sie dieses Werk in Lorch in gleicher Weise zuschreibt, wie für Aquileia, Mailand und andere Hauptkirchen; sie beruft sich hiebei auf die Schriften vermeintlicher Schüler des Evangelisten Markus, des Hermagoras und Fortunat, und schöpft so zum erstenmal aus dem Sagenkreis der Kirche von Aquileia 2 ). Ihr folgt die mit ihr entstandene Lebensbeschreibung des angeblichen Lorcher Bischofs Maximilian3) und zum Teile auch jene der Klausnerin (Inklusin) Wilbirg zu St. Florian, die der dortige Propst Einwik (gest. 1313) verfaßt hat 4 ). Zu gleicher Zeit bekamen die Fabeln von Aquileia in den Geschichtsquellen von Kremsmünster, die zumeist unter dem Namen ihres Verfassers Bernardus Noricus zusammengefaßt werden 5 ), festeren Bezug; da heißt es einmal, der Apostel Petrus hätte den Evangelisten Markus nach Aquileia entsendet, der dort den Hermagoras zum ersten Bischof weihte; dieser bekehrte den Syrus und Evencius, die in den benachbarten Städten predigten, darunter et Laudanensi, que Laureacus dicitur; sie verwechseln hier, wie in einem Zusätze zur oben erwähnten Geschichte der Passauer Bischöfe, Lodi in Oberitalien mit Lorch; bald hernach ist noch folgendes zu lesen: der von Petrus nach Aquileia beorderte Markus weihte dort Hermagoras zum Bischof; durch letzteren und seinen Gefährten Fortunat k o n n t e (poterat) die Kirche zu Lauriacum, wenn sie überhaupt schon gegründet war, den Samen des Christentums empfangen. Nach dem Jahr 1300, als die Bürger (von Enns) ihr ') W . Lehr, Piligrim, Bischof von Passau, und die Lorcher Fälschungen (1909) S. 30 f., 41. Mon. Germ., Script. 25 (1880) S. 617; Script. 2 (1829) S. 261; Leges III, Concilia 2'2 (1908) S. 588. 3 ) Acta Sanctorum, Octob. tom. 6 (1868) S. 52. ") Pez, Script, rer. Austriac. 2 (1725) S. 218. 5 ) Mitt. des Instituts 49 (1935) S. 512.

35

4. Die kirchliche Einteilung Noricums.

dem Verfalle entgegengehendes (Pfarr)gotteshaus (im gotischen Stile) erneuerten, kam, so erzählt der Verfasser weiter, an der Ostseite ein Inschriftenstein zutage, dessen Sinn ihm nicht ganz klar wurde, der sich aber nach seiner Meinung auf die Stiftung der (bischöflichen) Kirche bezog; er teilte, so gut er es vermochte, die Inschrift mit. W i r können daraus feststellen, daß es sich hiebei um einen römischen Soldatengrabstein handelte, der sich heute im städtischen Museum zu Enns befindet 1 ). Diese Nachricht ist nicht minder beachtenswert, als jene der gleichzeitigen Stiftschronik von St. Florian über den Münzfund bei Steyr 2 ), zumal hier wie dort der Versuch vorliegt, einen römischen Bodenfund wissenschaftlich zu verwerten. Von den beiden Angaben der Kremsmünsterer Quelle hat namentlich die erstere Schule gemacht und hat mit noch anderen Fabeleien bis tief in die Zeit der Aufklärung, ja in ihrem Kern bis heute Glauben gefunden. Die spätere Legende ließ gar, wie eine Inschrift am 1568 vollendeten Ennser Stadtturm verkündet, die Evangelisten Markus und Lukas persönlich nach Lauriacum kommen, um dort das Christentum zu verkünden 3 ). Die gegenwärtige Forschung leugnet zwar übereinstimmend den apostolischen Ursprung der Lorcher Kirche, vermeint jedoch noch immer als deren Stifterin jene von Aquileia annehmen zu müssen. Die genannte Sage findet eben dadurch eine scheinbare Stütze, daß tatsächlich seit dem Abzüge der Römer aus dem Uferlande (488) die Bistümer B i n n e n - Noricums (Karantaniens) A q u i l e i a unterstanden. In neuerer Zeit hat zum erstenmal der hochverdiente Erforscher der älteren Passauer Bischofsgeschichte Ernst Dümmler mit Hinweis auf bestimmte Quellenstellen kurz auf den Zusammenhang mit Sirmium hingewiesen, in dessen Bischöfen er die Metropoliten der allfälligen Vorgänger des einzig bekannten Bischofs von Lorch Konstantius erblickt 4 ). Viel eingehender und entschiedener hat der bekannte Kirchengeschichtschreiber Alois Huber Sirmium als Mutterkirche der norischen Bistümer aufgezeigt, wobei er freiMon. Germ., Script. 25, S. 644, 652; Lauriacum S. 47 f.; in: Archäolog.

Corp. inscript. lat. 3/2 Nr. 5671;

epigraph. Mitteil, aus Österreich

2

) Mon. Germ., Script. 9 (1851) S. 750 f.

3

) J.

Leidinger,

Gaheis,

dazu M. Hansiz, Germania s a c r a 1 (1727) S. 82 f. u. A. B a u e r

Untersuchungen

17 (1894)

zur P a s s a u e r

S. 166—169.

Geschichtschreibung

d.

Mittel-

alters, Sitzungsber. d. Münchener Akademie d. Wissenschaften, Jahrg. 1915, 9. Abh. S. 102 f. u. 124 f. 4

) In seinem grundlegenden Buche

Lorch"

„Piligrim von P a s s a u

und das Erzbisthum

(1854) S. 2 u. 148 f. 3*

36

I. Das römische Noricum und das Eindringen des Christentums.

lieh den unmöglichen Versuch verband, die in den Salzburger Urkunden erwähnte ecclesia Petena als die Pettauer Kirche nachzuweisen 1 ); doch auch er hielt Lauriacum nur für einen einfachen Bischofssitz und unterstellte ihn daher nach dem Untergange von Sirmium dem Metropoliten von Aquileia. Für die Stiftung der Lorcher Kirche durch Aquileia liegt keine andere Quelle vor, als die Passauer Uberlieferung, der sonst die Forschung ängstlich aus dem Wege geht; sie setzt in diesem Falle erst nach mehr als einem Jahrtausend und noch dazu in verschiedener Form ein, ja die vorausgehenden Fälschungen kennen noch keine solche Herkunft, sondern für sie ist die unmittelbar von Rom eingesetzte Lorcher Kirche der Ausgangspunkt des Bekehrungswerkes in ganz Noricum und Pannonien. Es genügt daher nicht, den Ursprung aus apostolischer Zeit zu leugnen und jenen aus Aquileia aufrecht zu erhalten, sondern es muß der eine wie der andere abgelehnt werden. Die erste Quelle über das Eindringen des Christentums in Noricum ist die Florianlegende. Von früheren Verfolgungen fehlt uns jede Nachricht. Das ist auch in Pannonien nicht anders, wo Märtyrerakten ebenfalls erst aus der Zeit Diokletians vorliegen. Aus ihnen ersehen wir, daß dort die Statthalter zuerst auf die Bischöfe griffen 2 ). So geschah es in Sirmium (Irenaeus episcopus urbis Sirmiensium) und Siscia (Quirinus). Das gleiche wissen wir von Poetovio, wo uns in dem ebenfalls für seinen Glauben gestorbenen Viktorin der erste Bischof im alten Österreich (Steiermark) begegnet; er w a r ein bekannter Kirchenschriftsteller und beherrschte die griechische Sprache besser als die lateinische. Das beweist wieder die in Pannonien herrschende Sprachmischung und deutet auf seine Herkunft aus dem Osten. In der genannten Provinz war also das Kirchenwesen noch vor den Beschlüssen des Konzils von Nicäa wenigstens teilweise eingerichtet und daher zum mindesten im Entstehen. Von Noricum können wir dies nicht feststellen: weder ein römisches Heiligenleben noch das Martyrologium Hieronymianum Im Archiv für österr. Gesch. 37 (1867) S. 22 ff.; ferner noch in seiner Gesch. der Einführung des Christentums 1, S. 66 ff. Die ecclesia Petena ist die Salzburger Kirche. 2 ) Nach dem zweiten Edikte. Eusebius, Kirchengeschichte VIII/2.

4. Die kirchliche Einteilung Noricums.

37

kennen einen norischen Bischof aus der Verfolgungszeit. Die erste Nachricht über ein Kirchenwesen aus Noricum erhalten wir aus einem Schreiben der Konzilsteilnehmer von Sardika (Sofia) aus dem Jahre 343 an die alexandrinische Kirche; es werden in ihm die dort vertretenen Provinzen namhaft gemacht; unter ihnen erscheint auch „Noricum" 1 ). In der an der Spitze stehenden Liste sind Spanien, Gallien, Mösien und Pannonien in der Mehrzahl angeführt, bei letzterem noch dazu Siscien (Savia), sowie beide Dazien eigens erwähnt. Wenn daher mit anderen Noricum nur in der Einzahl vorkommt, so hatte eben bloß eine der zwei Provinzen einen Abgesandten gestellt. Es fragt sich also noch welche. Nach der Teilung war es, wie das Leben Severins von Eugippius deutlich zeigt, nach dem Sprachgebrauche üblich, unter Noricum das binnenländische zu verstehen, während Ufer-Noricum immer als solches bezeichnet wird. Es ist daher das gleiche in diesem Falle anzunehmen: es war also nur Binnen-Noricum vertreten, doch nicht das Uferland. Die Kirchenversammlung erreichte, daß bald hernach der große Vorkämpfer gegen den Arianismus Athanasius als Bischof von Alexandrien wieder eingesetzt wurde. In seinen Schriften gedenkt er außer in dem erwähnten Schreiben noch zweimal einer größeren Anzahl von Provinzen, deren Bischöfe den Beschlüssen von Sardika beitraten, oder mit dem Verfasser, wie er sagt, in Eintracht und Frieden lebten; auch in diesen beiden Fällen erscheint der Name „Noricum" wieder in der Einzahl 2 ). Es läßt sich demnach zur Zeit des Konzils von Sardika nur für Binnen-Noricum auf eine kirchliche Einrichtung schließen; es hatte damals mindestens einen Bischof (in der Hauptstadt); von Ufer-Noricum fehlt noch jedes Zeugnis. Wenn daher die Florianlegende von Opfern der Verfolgung in letzterem berichtet, so dürfen wir deshalb noch durchaus nicht an ein vorhandenes Kirchenwesen denken. Dafür läßt uns die Eigenschaft Florians als hoher Beamter den Weg erkennen, auf dem die ersten Keime des neuen Glaubens eindrangen; durch die römische Verwaltung, deren Rückgrat und verantwortlicher Träger bis auf Diokletian allein das Heer, vor allem die legio II Italica, war. Die Kirchengründung braucht daher durchaus nicht erst der Anfang des Christentums gewesen sein, sondern es konnte bereits früher auf Bekenner zählen, die aus Gegenden stammten, wo die neue Lehre 1 2

) J. P . Migne, Patrologia graeca 25 (1857) S. 312. ) Ebendort S. 249 u. 725.

38

I. D a s r ö m i s c h e N o r i c u m und das E i n d r i n g e n des C h r i s t e n t u m s .

schon tiefer Wurzel gefaßt hatte. Die Frage, woher die ersten Keime eindrangen, läßt sich daher gar nicht beantworten. Da wird wohl auch Aquileia als mächtiger Handelsplatz neben anderen Städten manche Aussaat bewirkt haben. Die Frage ist daher enger zu fassen und muß sich auf die Einrichtung des Kirchenwesens beschränken. W i r haben auch da keine andere Richtschnur als die römische Verwaltung, zumal, wie wir wissen, sich ihr die kirchliche anschloß. Da ist nun für Aquileia, die Hauptstadt von Venetien, kein Platz; sie leitete ja damals noch ein einfacher Metropolit (S. 58) und gehörte zu einer ganz anderen Provinz und Diözese! Deren Grenzen zu überschreiten oder zu vermengen, war ja durch Konzilsbeschlüsse strenge verboten, die gegebenenfalls sogar mit der Absetzung drohten und eine kirchliche Handlung für ungültig erklärten. Wenn ein solcher Grundsatz schon bei einzelnen Verrichtungen galt, um wieviel weniger ist dann an eine Mutterkirche in einem fremden Verwaltungsbezirke zu denken, die einen Dauerzustand bedeutet hätte. W i r haben zudem bestimmte Quellenangaben, die beweisen, daß Sirmium tatsächlich die kirchliche Stellung besaß, die ihm nach den Konzilsbeschlüssen zukam. S o nennt der Kirchengeschichtschreiber Sokrates (11/18), der Fortsetzer des Eusebius, Sirmium eine Stadt der Illyrier und fügt hinzu, daß dort Photinus den Kirchen vorstehe 1 ). Auf der von Kaiser Gratian berufenen Synode von Aquileia (381) verurteilte der kurz vorher von Ambrosius von Mailand eingesetzte Bischof Anemius von Sirmium den Arianismus und sprach namens seiner ganzen Kirchenpräfektur, wenn er seine Stadt als Haupt von Illyrien und sich als Bischof hievon bezeichnete 2 ). Mit beiden gleichzeitigen Quellenangaben stimmt genau die spätere Gesetzessammlung des Kaisers Justinian überein, die in ihrer elften Novelle (535) hervorhebt, Sirmium sei in alter Zeit weltliche und geistliche Hauptstadt von Illyrien gewesen 3 ). Umstritten und stark angefochten ist bloß die angefügte Nachricht, es sei noch bei seiner Zerstörung (441) Sitz der Präfektur gewesen und diese sei erst Ausgabe von Hussey 2

) Caput

civitatis 3

omne

sum.

) Cum fuerat

Schoell

Illyrici,

non

J . D . Mansi,

( O x f o r d 1893) S . 80. nisi

civitas

Conciliorum

est

Sirmiensis.

collectio

3

Ego

(1759)

igitur

episcopus

enim in antiquis t e m p o r i b u s Sirmii p r a e f e c t u r a f u e r a t c o n s t i t u t a , Illyrici

fastigium

tarn

in civilibus

quam

u. G. Kroll, C o r p u s iuris civilis 3 ( 1 9 0 4 ) S . 94.

in

illius

S. 604. episcopalibus

ibique

causis.

R.

4. Die kirchliche Einteilung Noricums.

39

damals durch die Flucht des Präfekten mit dem entsprechenden Kirchenrang nach Tessalonich übertragen worden 1 ). Die erstgenannte Stadt ging damals noch nicht unter, sondern lebte noch über ein Jahrhundert als christliches Gemeinwesen fort, bis ihr die Awaren ein Ende bereiteten (582). Dem Bischof von Sirmium waren demnach sämtliche Metropoliten seiner Präfektur, bzw. Diözese unterstellt, denen wieder die Bischöfe ihrer Provinzen untergeordnet waren. Nach der Teilung Illyriens unterstand er selbst als kirchliches Oberhaupt der westlichen Hälfte dem Bischöfe der Präfektur Italien zu Mediolanum. Zur Wahl und Weihe des schon genannten Bischofs Anemius begab sich Ambrosius von Mailand, wie sein Sekretär Paulinus berichtet, nach Sirmium (375)2). Das Eingreifen des großen Mailänder Bischofs bedeutet einen kirchengeschichtlichen Wendepunkt: von da an war Westillyrien der römischen Kirche und damit der lateinischen Kultur dauernd gewonnen. Im Bunde mit ihm spielte in den damaligen Lehrstreitigkeiten auch Aquileia eine hervorragende Rolle. Bis dahin bildete ganz Illyrien einen Hauptherd des Arianimus; namentlich der schon erwähnte Bischof Photinus, der noch weiter ging als Arius und Christus als bloßen Menschen bezeichnete, hatte nach dem Konzile von Sardika als Bischof von Sirmium und durch seine griechischen und lateinischen Schriften viele Anhänger gewonnen, aber zugleich die eigenen Reihen verwirrt; deshalb setzte ihn eine dortige Kirchenversammlung bald ab (351). Sein Nachfolger Germinius war gleichfalls anfangs Arianer. Dasselbe läßt sich, wie Sulpicius Severus in seiner Chronik (11/38) erzählt, von fast allen Bischöfen der beiden Pannonien sagen 3 ), ja eine Zeitlang drang die Spaltung auch in Oberitalien ein. In den erbitterten Streitigkeiten hören wir von Noricum nichts; damit ist jedoch nicht gesagt, daß es hievon nicht ergriffen wurde. Den Weg zur Glaubenseinheit hatte schon Kaiser Konstantius II. beschritten, indem er im Gegensatze zur bisherigen Übung im Jahre 341 jedes heidnische Opfer verbot und die Schließung der Tempel befahl, ja auf ersteres kurz darauf sogar die Todesstrafe ') E. Stein, Untersuchungen zur spätrömischen Verwaltungsgeschichte, Rheinisches Museum für Philologie 74 (1925) S. 357—359. s ) Migne, Patrol. lat. 14 (1845) S. 30 f. Über das strittige Jahr der Wahl R. Egger in: Jahreshefte des Österr. Archäolog. Instituts in W i e n 21/22 (1922) S. 334 Anm. 19. 3 ) Corp. script, eccles. lat. 1 (1866) S. 91 u. 116.

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I. D a s römische Noricum und das Eindringen des Christentums.

und den Vermögensentzug setzte. Theodosius I. erneuerte diese Verfügungen und verlangte von seinen Untertanen noch das Bekenntnis zu den Beschlüssen von Nicäa (380). Gleichwohl kam Pannonien noch immer nicht zur Ruhe. Im Gefolge der denkwürdigen Schlacht von Adrianopel (378), die das Ende der Römerherrschaft einleitete, fielen die Ostgoten und Alanen ein und nahmen es in Besitz; den Nordwesten hielten seit c. 395 die Markomannen besetzt; in bedrohlicher Nähe, in der Theißebene, begründeten die gefürchteten Hunnen ein mächtiges Reich, dessen König Attila auch die Oberhoheit in Pannonien ausübte. Die römische Verwaltung im Lande w u r d e hiedurch zeitweilig unterbrochen. Noricum w a r von solchen Ereignissen mehr verschont. Da zeigte sich w i e d e r der Vorteil seiner geschützteren Lage, wodurch es jetzt für Rom ein wertvollerer Besitz w a r als das viel reichere und bedeutendere Pannonien. Nun begegnen wir dem ersten Zeugnisse eines Kirchenwesens auch für den uferländischen Teil; es ist dies das Heiligenleben Florians, dessen Abfassung in jene Zeit fällt: in der Gegend des Geschehnisses entstanden, spricht es für eine dort bestehende Kirche; mindestens von da an (etwa 400) wird mit einer solchen in Lauriacum zu rechnen sein. Es fragt sich nun, w e r hat sie b e g r ü n d e t ? Nach den Konzilsbeschlüssen oblag diese Aufgabe in den Provinzen dem Eparchen der Diözese; darnach w a r es Sache des Metropoliten von Sirmium, in den Hauptstädten W e s t illyriens entsprechend vorzusorgen, so daß also der erste Bischof von Ufer-Noricum in dessen Hauptstadt von ihm einzusetzen w a r . Dafür fehlt freilich eine bestimmte Quellenangabe, doch bietet auch hiefür die römische Florianlegende einen augenfälligen Hinweis: sie ist ja jener des Bischofs Irenäus von Sirmium nachgebildet; ihr Verfasser hat demnach nicht aus Aquileia, sondern aus Sirmium sein Muster bezogen. In Übereinstimmung mit den Konzilsbeschlüssen läßt diese unbestreitbare Tatsache den Schluß zu, daß die Mutterkirche Ufer-Noricums in der Hauptstadt Westillyriens zu suchen ist, dessen Teil es w a r . Wie schon in der römischen Florianlegende Lauriacum als Hauptort Ufer-Noricums hervortritt, so w ü r d e die unmittelbare Gründung seiner Kirche durch Sirmium w i e d e r für seine Eigenschaft als Hauptstadt sprechen. Auf jeden Fall ist sie nicht nur ein glaubwürdiger Beleg für den Martertod ihres Heiligen, sondern bildet auch in der Zeit und Form ihrer Abfassung den

41

5. Das Leben Severins und der L o r c h e r Sprengel.

ersten Hinweis auf ein in Ufer-Noricum eingerichtetes Kirchenwesen und dessen Herkunft aus Sirmium. Beide norische Provinzen erscheinen bei Einführung des Christentums wieder als ein Anhängsel von Pannonien. 5. Das Leben Severins und der Lorcher Sprengel. Die nächste und letzte Quelle, die uns über die Zustände Noricums berichtet, ist das Lebensbild Severins; es ist von dessen Schüler, dem späteren Abte Eugippius, im Jahre 511 verfaßt und reicht vom Tode des Hunnenkönigs Attila (453) bis zum Abzüge der Römer (488); es erzählt in schlichter Form das Ende ihrer Herrschaft an der Donau und bringt Nachrichten von ganz hervorragendem Werte, in deren Mittelpunkt der Heilige als Tröster und Schutzgeist steht; örtlich umfaßt es vorwiegend die schwer bedrängten Kastelle Ufer-Noricums und fügt noch ein angrenzendes Stück vom ersten Pannonien als auch vom zweiten Rätien hinzu 1 ). Severin hat seine Heimat verschwiegen; er galt lange als Afrikaner, doch geht diese Annahme bloß auf verderbte Handschriften zurück; er lebte als Mönch und gründete Klöster. Aus der Vorrede des Eugippius wissen wir, daß seine Sprechweise durchaus die lateinische w a r ; er kam aus dem Osten und lebte dort eine Zeitlang als Einsiedler; sein W e g in das uferländische Noricum führte ihn durch Pannonien, wo er sich im nordwestlichen Grenzgebiet aufhielt. Wir finden auch da die enge Zusammengehörigkeit beider Provinzen, so daß sein Kommen wieder die Herkunft aus dem Osten aufweist; wahrscheinlich war Pannonien seine Heimat (S. 47), denn wäre er aus dem Süden gekommen, so hätte er nur die norischen Pässe benützen können, da die Ostgoten in Pannonien damals die Zugänge nach Italien sperrten. Das Lebensbild Severins ist als kulturgeschichtliche Quelle von einzigartigem Werte schon viel benützt worden. Wir wollen uns im folgenden nur auf den bisher kaum berücksichtigten verfassungsgeschichtlichen Inhalt beschränken. Der römische Grenzschutz erhielt sich im norischen Verteidigungsabschnitt viel länger als im ersten Pannonien. Seinen Zusammenbruch schildert eindringlich Eugippius. Schrittweise hatte J

) Eugippii Vita s. Severini

in:

Mon. Germ., Auetores antiquissimi

und Schulausgabe von Th. Mommsen

(1898);

(Linz 1853) u. C. Rodenberg, 3. Aufl. (1912).

Übersetzungen u. a. von

1/2

(1877)

C. Ritter

42

I. D a s römische Noricum und das Eindringen des Christentums.

sich die römische Besatzung vor den im Westen eindringenden Alemannen, Thüringern und Herulern zurückziehen müssen; vor der Lagerfestung Lauriacum kam deren Vorrücken zum Stillstand. Das norische Unterland ist in der Gewalt der im Norden der Donau, im freigewordenen Quadenlande, seßhaft gewordenen Rugier; deren Hauptburg ist Krems. Das gute Einvernehmen Severins mit ihrem Könige verbessert das Los der dorthin geflüchteten Römer; ihr letztes Bollwerk ist Favianis. In der Nähe hievon befand sich das Hauptkloster Severins. Der Zeitpunkt der vergeblichen Belagerung Lorchs läßt sich aus unserer Quelle näher bestimmen; sie erfolgte, als der germanische Heerführer Odoaker das weströmische Reich stürzte und König wurde (23. August 476), da dieser schon als solcher eben damals an Severin ein Schreiben richtete 1 ). Der Ansturm auf Lauriacum ist demnach entweder zu Ende des Jahres 476 oder für das nächste anzusetzen. Unmittelbar voraus ging die Einnahme von Batavis (Passau) durch die Thüringer. Die Baierische Chronik Joh. Aventins (gest. 1534) verlegt die Zerstörung dieser Stadt in das Jahr 4772). Ihre Zeitbestimmung wird demnach richtig sein. Die nachfolgende Belagerung Lorchs und der sich unmittelbar anschließende Abzug der flüchtigen Römer wird daher gleichfalls in das Jahr 477 zu setzen sein. Der Ennsfluß wird jetzt die Grenze verschiedener Hoheitsgebiete: die römische Besatzung gibt nunmehr den oberen Teil Ufer-Noricums, das spätere Land ob der Enns, ganz auf und zieht sich nach Lauriacum und in das Land unter der Enns zurück. Nach dem Lebensbilde Severins bildet der genannte. Fluß ebenfalls eine feste Scheidelinie; darum spricht es von den „oberen befestigten Orten" der Provinz (Norici Ripensis oppida superiora c. 11), den „oberen Kastellen" (superiora castella c. 22 u. 30) und jenen im „oberen Teil der Donau" (oppidorum in superiore parte Danubii c. 28). Vom frühen Mittelalter bis tief in die Neuzeit (1850) finden sich Quellenangaben, die beweisen, daß das Gebiet östlich der Enns nach Lorch (Enns) gehörte. Daß wir es hiebei mit einer römischen Einrichtung, die fortlebte, zu tun haben, zeigt das Lebensbild Severins. Das Kapitel über die Räumung der Stadt Lauriacum (31) gibt hiefiir ') C(ap). 32; K. Reich, Gesch. Regensburgs v o m 5.—7. Jahrh., Verhandlungen des Histor. Vereines von Oberpfalz u. Regensburg 74 (1924) S. 17 f. ! ) Aventins sämtliche W e r k e 4/2 (1883) S. 1174.

5. Das Leben Severins und der Lorcher Sprengel.

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eine Anzahl von Hinweisen; es erzählt folgendes: als Feletheus (Feva), der König der Rügen, hörte, daß sich die Bewohner der von den Feinden eingenommenen befestigten Orte auf den Rat Severins nach Lauriacum begeben hätten, zog er mit einem Heere gegen die Enns, um sie unverzüglich in seine Gewalt zu bringen und fortzuführen; er wollte sie in feste Plätze verteilen, die ihm tributpflichtig w a r e n ; darunter befand sich die Stadt Favianis, die von den Rügen bloß durch die Donau getrennt war. Auf das hin baten die geängstigten Flüchtlinge Severin, er möge dem Könige entgegen ziehen, um dessen Sinn zu mildern. Der Heilige brach eilig auf, verbrachte die ganze Nacht auf der Reise und begegnete ihm früh morgens „am zwanzigsten Meilenstein vor der Hauptstadt" (in vicesimo ab urbe miliario); er als ihr Abgesandter flehte ihn um Mitleid an für die Unterworfenen (subditis). Der König erwiderte, er könne nicht ruhig zusehen, wie diese von den Alemannen und Thüringern getötet und verschleppt würden, wo er in der Nähe tributpflichtige Orte besäße, wo er sie ansiedeln könnte. Severin entgegnete ihm, nicht er, der König, sondern die Gnade Gottes hätte sie dem Verderben entrissen, auf daß sie „ihm noch eine Weile Untertan sein könnten" (ut tibi paulisper obsequi valeant) und bittet ihn, ihm die Untertanen (subiectos) anzuvertrauen, damit sie nicht durch sein Heer fortgeschleppt und aufgerieben statt verpflanzt werden. Auf das hin zog sich der König mit seinen Truppen zurück und Severin führte die Flüchtlinge aus Lauriacum in das Unterland. Eugippius hatte nicht die Absicht, eine Geschichtsquelle zu liefern, sondern wollte mit dem Lebensbilde seines ehemaligen Vorgesetzten die Gläubigen erbauen; es ist deshalb häufig ausgeschmückt. So ist in diesem Falle nicht anzunehmen, der König der Rugier wäre mit Heeresmacht selbst nach Lorch gezogen, um Flüchtlinge zu empfangen; er wird wohl zum Entsätze der von den Feinden schwer bedrängten Festung herangerückt sein. Auf die Kunde hievon dürften die Belagerer ihr Vorhaben aufgegeben haben. Lauriacum w a r der einzige feste Platz, den sie im zweiten Rätien und im ufernorischen Oberland nicht einnehmen konnten; daran dürften sie wohl die starken Mauern des Lagers und das Eingreifen der Rügen gehindert haben. Severins Sache wird wohl nur gewesen sein, den König zu bitten, die Flüchtlinge schonend zu behandeln. Doch sei dem wie immer. Bemerkenswert ist für uns die Tatsache, daß der König der Rügen seine Hand auf Lauriacum legt und die dortigen Insassen als seine Untertanen betrachtet. Es ist nicht glaub-

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I. Das römische Noricum und das Eindringen des Christentums.

haft, daß er den bedrohten Platz vollständig räumen ließ und den festen Brückenkopf, der den Übergang über die Enns sperrte, aufgab; er wird ihn vielmehr dadurch gesichert haben, daß er die fremden und überzähligen Bewohner abschieben ließ. Das wird umso nötiger gewesen sein, als die Zivilstadt wohl kaum befestigt war, sondern nur das daneben befindliche Lager, so daß die Mauern und Tore, von denen Eugippius (c. 30) spricht, sich auf dieses bezogen. In keinem Falle ist es angängig, hiebei von einem Untergange von Lorch zu sprechen; dieses blieb vielmehr unter dem Schutze der Rügen bestehen, da sie es als einen Teil ihres Hoheitsgebietes betrachteten. Die Stadt Lauriacum und das anschließende Land unterhalb der Enns erscheinen auch da als etwas Zusammengehöriges. Das war nichts Neues; die Ortsangabe über das Zusammentreffen Severins mit dem Könige zeigt es uns als alte Einrichtung; der zwanzigste Meilenstein war von Lorch aus berechnet und gehörte hiedurch zu dessen Stadtgebiet. Das Itinerarum Antonini (Caracalla) gibt zweimal für die gleiche Entfernung Loco Felicis an 1 ); die betreffende Stelle befand sich also beim Kastell Mauer an der Url. Damit ist bewiesen, daß der Stadtbezirk von Lauriacum sich ostwärts über die Enns ausdehnte und mindestens bis an die Url reichte. Östlich schloß sich jener von Cetium an, an dessen Stelle jetzt Favianis getreten war. Dafür zeugt wieder Eugippius; er benennt den letzteren Ort wiederholt mit civitas und spricht überdies in dessen Nähe von einem zweiten Meilenstein (c. 3 u. 4), so daß also auch von hier eine Zählung ausging, die auf die Eigenschaft einer Stadt hinweist. Lauriacum erwähnt der Verfasser nicht nur öfter als civitas, bzw. deren Bewohner als cives, sondern zweimal auch als urbs (c. 30 u. 31); letztere Bezeichnung gebraucht er einzig und allein hier; damit ist schon angezeigt, daß es Hauptstadt (von Ufer-Noricum) war, wie wir schon vorhin, bei der vielsagenden Stelle über den zwanzigsten Meilenstein, übersetzt haben. Die durch die Lorcher Fälschungen verwirrte Forschung hat nicht nur diese Eigenschaft, sondern auch jene einer einfachen Stadt geleugnet. Durch *) Loco Felicis-Lauriaco m. p. XX. 0 . Cuntz, Itineraria Romana (1929) S. 34 f.; vgl. E. Polaschek in: Jahrb. f. Landeskunde von Niederösterr. N. F. 21 (1928) S. 20, 23 f.

6. Lauriacum und T i b u r n i a als Metropolitansitze u s w .

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die Auffindung des schon früher erwähnten Stadtrechtes wird zwar letzteres nicht mehr bestritten, doch lassen sich noch immer Zweifel hören, ob Lauriacum wirklich Hauptstadt war. Ein solcher Beweis ist schon deshalb unerläßlich, weil hievon der kirchliche Rang abhängig ist; doch sind da keine anderen Zeugnisse vorhanden als die schon genannten. Wir wollen deshalb den umgekehrten Weg einschlagen, der deshalb aussichtsreicher ist, als die kirchlichen Angaben viel reichhaltiger sind; gelingt nämlich der Nachweis, daß Lauriacum der Sitz eines Metropoliten war, so ist die Richtigkeit unserer Auslegung des Ausdruckes urbs bei Eugippius offenkundig. 6. Lauriacum und Tiburnia als Metropolitansitze von Ufer- und Binnen-Noricum zur Zeit Severins und die zwei Kirchenprovinzen Rätiens. Es ist in der Natur der Verhältnisse gelegen und entspricht der auf dem Konzil von Nicäa festgelegten Verfassung, daß die Gründung einer Landeskirche von der jeweiligen Hauptstadt ausgeht; auf solchem Wege wird sie Mutterkirche der Provinz und deren Bischof Landesbischof. Seine Aufgabe ist es, an den Vororten der Stadtgaue (civitates) Amtsbrüder einzusetzen; er wird somit zeitlich und hiedurch im Vorrange der erste von ihnen, dem der Vorsitz, die prima sedes (episcopalis), zukommt; er bleibt demnach, auch wenn er später nur den Sprengel seiner Hauptstadt selbst versieht, als Metropolit der Oberpriester der Provinz, der seine Amtsbrüder in den zugehörigen Städten zu überwachen hat. Bei der Quellenarmut dieser fernen Zeit dürfen wir nicht erwarten, hierüber näheres zu erfahren. Das Auftreten Severins setzt erst ein, als das Kirchenwesen bereits eingerichtet war. Ufer-Noricum war damals schon dem Christentum gewonnen; doch finden sich daneben noch immer Reste des Heidentums; so trieb in Cucullis (Kuchel a. d. Salzach) ein Teil des Volkes noch Götzendienst, obwohl auch dort schon ein Gotteshaus stand, an dem mehrere Priester wirkten (c. 11 u. 12). Es wird auch sonst kaum ein Ort erwähnt, an dem nicht einer Kirche gedacht wird; in Lauriacum gab es bereits deren mehrere, da es heißt, die Armen sollten sich in einer (in una basilica c. 28) versammeln. Es werden auch schon Mönchszellen erwähnt. Von Spuren des Arianismus in der römischen Bevölkerung ist nichts mehr zu hören, doch hingen die Rugier diesem Bekenntnis an, so daß sich noch immer Reibungen ergaben.

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I. Das römische Noricum und das Eindringen des Christentums.

Im dreißigsten Kapitel berichtet Eugippius, Severin hätte an Konstantias, den Oberhirten von Lauriacum (ad. s. Constantium, eiusdem loci pontificem), eine Botschaft gesendet. In ihm begegnet uns der erste beglaubigte Bischof der uferländischen Hauptstadt. Eugippius bezeichnet ihn als p o n t i f e x und gibt ihm damit einen Titel, den er bloß einmal dem P a p s t e zuteil w e r d e n läßt (c. 46); im übrigen benennt er einen Bischof ständig mit episcopus, ohne hiebei auf den jeweiligen Rang Rücksicht zu nehmen. Es w ä r e deshalb ein Irrtum aus dem Gebrauch eines niederen Titels zu schließen, daß dessen T r ä g e r nicht etwa einen höheren Rang gehabt hätte. Es ist z w a r nach dem damaligen Sprachgebrauche jeder pontifex ein episcopus (sacerdos), aber deshalb braucht nicht jeder episcopus ein pontifex zu sein, genau so wie jede urbs eine civitas ist, aber nicht jede civitas eine urbs. Lauriacum führt bei Eugippius außer diesen beiden letzteren Bezeichnungen noch jene eines oppidum und locus. Das w i r d gewöhnlich als Willkür gewertet. Die Regellosigkeit ist jedoch nur scheinbar, da in der Benennung doch eine Ordnung liegt: bei niederen Stufen wird niemals die höhere, jedoch bei oberen häufig die untere angeführt. Die Forschung sieht gegenwärtig in Konstantius nur einen einfachen Bischof 1 ); früher hielt sie ihn jedoch auf Grund der Lorcher Fälschungen f ü r einen Erzbischof (archiepiscopus) und gab ihm damit einen Titel, der damals erst im Aufkommen w a r und eine höhere W ü r d e als die eines einfachen Metropoliten bedeutete (S. 64). Doch ändern Titel im Laufe der Zeit oft ihren ursprünglichen Sinn. So heißen seit dem frühen Mittelalter alle Metropoliten Erzbischöfe. Es ist immer der gleiche Vorgang: zuerst gebührt ein Titel bloß einer kleineren G r u p p e ; später jedoch erweitert sich der Kreis. So w a r es auch bei der Würde eines pontifex: für das christliche Altertum bedeutet er einen Bischof höheren Ranges, einen Metropoliten; später jedoch, als hiefür der Titel eines Erzbischofs aufkam, verliert er seinen ursprünglichen Gehalt und wird auch für einen einfachen Bischof gebraucht. Noch deutlicher ersehen w i r den Wandel bei der Bezeichnung sacerdos, die in frühchristlicher Zeit Bischof (episcopus), später jedoch P r i e s t e r bedeutete. Dasselbe gilt für Diözese: ursprünglich ein Begriff, der m e h r e r e Provinzen zusammenfaßt, wird er später das, w a s ursprünglich Bistum oder *) S o schon F. Kurz, B e y t r ä g e zur Geschichte des Landes Oesterreich ob der Enns 3 (1808) S. 74; vgl. Huber, Petena S. 60 f.

6. Lauriacum u n d T i b u r n i a als Metropolitansitze u s w .

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P f a r r e (parochia) w a r . Es gilt daher, für jede Zeit den jeweiligen Inhalt einer Begriffsbezeichnung erst zu bestimmen. W i r wollen deshalb den Titel pontifex bei einem anderen gleichzeitigen Schriftsteller verfolgen, da ihn Eugippius so wenig v e r w e n det. Da ist Magnus Felix Ennodius (gest. 521) zu nennen, dessen Hauptwerk das von ihm verfaßte Lebensbild des bekannten Bischofs Epiphanius von P a v i a (Ticinum), seines Vorgängers, bildet; dieser erscheint hier wiederholt als pontifex, mehrmals noch dazu in Verbindung mit urbs 1 ). In seinen Briefen und Gedichten gibt er den Bischöfen von Aquileia und Mailand denselben Titel. In dem von ihm beschriebenen Leben des Mönches Antonius spricht er von einem Constantius pontifex 2 ), der wohl niemand anderer w a r als der Lorcher. Das besagt nicht nur der gleiche Titel, sondern auch die enge Verbindung mit Pannonien und Severin. Gleich diesem dürfte Konstantius dorther stammen, da er nach dem Tode des norischen Heiligen (gest. 482) die Erziehung seines in der civitas Valeria geborenen Neffen Antonius übernahm. Da dieser von vornehmer Abkunft w a r und schon im Alter von e t w a acht Jahren, nach dem Tode seines Vaters, Severin anvertraut wurde, dürfte für dessen Heimat gleich wie für Konstantius der Stadtbezirk Aquincum (Ofen) oder Sopianae (Fünfkirchen) in Betracht kommen. Wir gelangen auch da wieder in die Nähe von Sirmium und auf die Donau als Verbindung; sie als Schutzwall und Hauptverkehrsader UferNoricums w a r auch die vorwiegende Vermittlerin des neuen Glaubens. Auf frühchristlichen (Grab)inschriften läßt sich der Titel pontifex für Illyrien nicht belegen; doch findet er sich mehrmals in Oberitalien; er wird hier für die Bischöfe von Ravenna, Mailand und Vercelli verwendet, wobei in letzterem Falle noch die Verbindung mit urbs dazu tritt 3 ). Schon die wenigen Beispiele zeigen, daß es sich hiebei zumeist um Städte von ganz h e r v o r r a g e n d e m Range handelt; w i r wissen überdies, daß die P ä p s t e häufig den gleichen Titel gebrauchen, ja daß er heidnischen Ursprungs ist und ursprünglich dem römischen Könige gebührte. S p ä t e r fielen die Obliegenheiten des staatlichen Gottesdienstes einem eigenen Kollegium, den pontifices, zu. Aus Illyrien liegen eine Reihe von Inschriften vor, die uns über die Verwendung des genannten Titels in heidnischer Zeit Kunde ' ) Mon. Germ., A u c t . antiqu. 7 (1885) S. 85, 87, 89, 95 f., 99. 2

) E b e n d o r t S. 153 f., 163,

3

) Diehl, Inscript. lat. Christ. 1, Nr.

187. 1004 f., 1043, 1050 f.

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I. Das römische Noricum und das Eindringen des Christentums.

geben. So lautet eine in Poetovio auf einen sacerdos provinciae Pannoniae superioris und eine andere auf einen pontifex coloniae Poetovionensium 1 ). Da Pettau die Hauptstadt von Oberpannonien war, liegt es nahe, beide Titel gleich zu setzen und im pontifex den Oberpriester der Provinz zu sehen, zumal er ja wie später der christliche Metropolit den Sprengel der Hauptstadt versah. Daß beide Anreden dasselbe bedeuten, zeigt eine Inschrift aus Troesmis (Iglitza bei Galatz), der Hauptstadt von Untermösien, wo es heißt: sacerd(os) provin(ciae) et bis duumvira(lis) ob hon(orem) pontifi(catus); es wird hier also von einem Pontifikat des Oberpriesters der Provinz gesprochen; zudem ist dort auch der Titel pontifex belegt 2 ). Dieselbe Amtsbezeichnung findet sich auch sonst noch öfter auf illyrischen Inschriften, kommt aber — und das zeugt abermals für die Gleichheit — wieder nur für Hauptstädte vor; so wird noch die Würde eines pontifex in Savaria (Pannonia I)3), Salona (Dalmatien) 4 ), Dyrrachium (Durazzo, Epirus nova) 5 ), Sarmizegetusa (Värhely, der Sitz des Landtages der „drei Dazien") 6 ), Porolissum (bei Mojgräd, Dacia Porolissensis) 7 ), Viminacium (Kostolatz an der Donau, Obermösien) 8 ) und Troas (Mysien) 9 ) hervorgehoben. In Noricum ist in einer Lambacher Inschrift für O v i 1 a v a ein pontifex bezeugt, der früher Kaiserpriester (flamen) in Cetium war 1 0 ); zu jener Zeit war Wels die Hauptstadt der ungeteilten Provinz und damit Sitz des Oberpriesters. Wenn daher bei Eugippius der erstere Titel für Lauriacum begegnet, so zeugt er gleich der von ihm gebrauchten Benennung urbs für die Eigenschaft einer Hauptstadt, die mithin gewechselt hat (S. 10 f.). Doch nicht nur das. Viel wichtiger ist die Beibehaltung des gleichen Amtstitels trotz Änderung des Glaubens: der Oberpriester der 1

) M. Abramic, Führer durch P o e t o v i o (1925) S. 34. ) Corp. inscript. lat. 3/1 (1873) Nr. 773 = 6170, 6217. 3 ) Ebendort Nr. 4156, 4178: sacerdos pontifex colonia Savaria. Ebendort Nr. 1933, 2028, 2066, 2081. 5 ) Ebendort Nr. 605, 607. 6 ) Ebendort Nr. 1141, 1473, 1497, 1513. 7 ) Ebendort Nr. 2866. 8 ) Ebendort Nr. 1655. 9 ) Ebendort Nr. 384. 10 ) Ebendort Nr. 5630. Der Grabstein war schon seit dem Mittelalter im Kreuzgange des Klosters Lambach eingemauert. E. Trinks, Die Gründungsurk. u. Anfänge des Benediktinerklosters Lambach, Jahrb. d. Oberösterr. Musealvereines 83 (1930) S. 112. Im Jahre 1941 wurde er leider von dort entfernt und in das Stadtmuseum W e l s verbracht. 2

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6. L a u r i a c u m und Tiburnia als Metropolitansitze u s w .

Provinz wird sowohl in heidnischer als auch christlicher Zeit als pontifex bezeichnet. D a zeigt sich an einem lehrreichen Beispiele, wie die römische Kirche seit Konstantin (Nicäa) die Einrichtungen des Kaiserkultes in ihrer Verfassung zum Vorbild nahm: die Einteilung nach Provinzen bildete hier wie dort eine feste Grundlage, die sich auf das gesamte Reich e r s t r e c k t e ; in dem einen wie dem anderen Falle handelte es sich schließlich um die Staatsreligion, die nach dem Muster d e r weltlichen Verwaltung eingerichtet wurde 1 ). Konstantius w a r also nicht allein Bischof für den engeren Sprengel von Lauriacum, sondern für ganz Ufer-Noricum. W ä r e er der erste Oberhirte von Lorch gewesen, so hätte er als Landesbischof zunächst noch keine Amtsbrüder in den civitates von Juvavum, Ovilava und Favianae besessen. Für die letztgenannte Stadt bringt jedoch das Leben Severins Angaben, die darauf schließen lassen, daß dort ein Bischof seinen Sitz hatte. Daraus folgt, daß die kirchliche Einrichtung Ufer-Noricums damals bereits ausgebaut w a r und K o n s t a n t i u s v o n L o r c h so tatsächlich als M e t r o p o l i t anzusehen ist. Damit haben w i r einen weiteren Beweis gefunden, daß pontifex in der letztgenannten Bedeutung zu verstehen ist. Eugippius e r w ä h n t nämlich in Favianis einen „Tribun Mamertinus, der später zum Bischof geweiht wurde" 2 ). Bald nachher sagt er, „Severin hätte die Bitte, die bischöfliche W ü r d e anzunehmen, abgeschlagen" 3 ). Das alles spielt sich nach seinem Lebensbilde schon bald nach seiner Einreise ab, als er in Favianis den ersten Aufenthalt nahm, also noch vor seinem längerdauernden Besuche der bedrängten Kastelle im oberen Uferland und in Rätien, somit vor der Rückkehr in sein Lieblingskloster. Es liegt auch sonst nach dem ganzen Sachverhalt nahe, beide Nachrichten zu verbinden: die Bürger von Favianis baten zuerst Severin, ihr Bischof zu werden, und wählten erst, als er abschlug, den Tribun Mamertinus. In ihm einen Nachfolger des Konstantius zu sehen, ist schon deshalb nicht anzunehmen, weil dieser Severin überlebte. Dá Favianis das Erbe *) S c h o n O. Hirschfeld, Zur G e s c h . d. r ö m i s c h e n Kaisercultus,

Sitzungsber.

d.

B e r l i n e r A k a d e m i e d. W i s s e n s c h a f t e n , Jahrg. 1888/2, S. 862 s a g t : „daß die christliche Kirche für ihre C o n c i l i e n u n d P r i e s t e r die ä u ß e r e n F o r m e n , N a m e n und A b z e i c h e n nicht z u m g e r i n g s t e n Theil d e m p r o v i n z i a l e n Kaiserculte entlehnt hat." 2

) Mamertinum..

tune tribunum, qui p o s t e p i s c o p u s ordinatus est. c. 4.

die e r s t e n B i s c h o f s l i s t e n

von

Passau

halten Mamertinus

für

e i n e n Bischof

Schon von

F a v i a n a e (irrig W i e n ) . Mon. Germ., Script. 13 (1881) S. 364. 3

) Episcopatus

quoque

h o n o r e m ut

suseiperet

postulatus

praefinita

responsione

conclusit s u f f i c e r e . c. 9.

4

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I. Das römische Noricum und das Eindringen des Christentums.

von Cetium als civitas antrat, so w u r d e es auch nach kirchlicher Vorschrift ein Bischofsitz; e s ist daher Mamertinus dort und nicht in Lauriacum einzuordnen, wohin er bloß mittelbar als Suffragan gehörte. Bischof Pilgrim von Passau hat im Kampfe um das E r b e des untergegangenen Lauriacum begonnen, sich als pontifex zu bezeichnen, erreichte aber hiefür nicht die kaiserliche Bestätigung (977). Die Ottonische Reichskanzlei bescheinigte ihm jedoch bei dieser Gelegenheit, daß Lorch in alter Zeit ein Metropolitansitz (prima sedes) gewesen sei. Die viel verkannte Urkunde wird uns noch beschäftigen (S. 356 f.); sie zeigt uns, daß die kaiserliche Kanzlei noch damals den Titel pontifex in seinem ursprünglichen Sinne w e r t e t e und ihn daher nicht für Pilgrim gelten ließ; sie bestritt jedoch in keiner W e i s e den V o r r a n g des Lorcher Bischofs, ja bestätigte ihn noch eigens; sie steht damit ganz im Einklang mit unseren Ausführungen, für deren Richtigkeit sie zeugt. W e n n das uferländische Noricum zur Zeit Severins ein vollständig eingerichtetes Kirchenwesen besaß, so ist das noch eher von Binnen-Noricum zu erwarten. Eugipp nennt T i b u r n i a (Teurnia) ausdrücklich die Hauptstadt des Landes und sagt, daß deren Bürger den P r i e s t e r Paulinus „nötigten, die erste Stelle im höchsten Priestertum zu übernehmen" 1 ). Bald darauf berichtet er, derselbe Bischof hätte an „alle Kastelle seiner Diözese" (universa dioecesis suae castella c. 25) Mahnschreiben gerichtet. D a s oberste P r i e s t e r t u m ist das Bischofsamt und dessen erste Stelle in der Provinz ist die W ü r d e des Metropoliten; der principatus summi sacerdotii ist mithin zum mindesten gleich prima sedes episcopalis. Die Forschung will sogar diese in Verbindung mit raetropolis ganz klaren W o r t e abschwächen und in Paulinus nur einen einfachen Bischof sehen; sie w e r t e t fernerhin das W o r t Diözese nach unserem heutigen Sprachgebrauche. Das geht für die Zeit des Frühchristentums nicht a n ; wir sahen bereits, daß für das Konzil von Chalcedon (451) die Diözese ein höherer und größerer Verwaltungskörper w a r , als die Provinz, da der „Eparch der Diözese" Berufungen gegen Verfügungen der ihm unterstellten Metropoliten zu entscheiden hatte (S. 33). „Diözese" bedeutet daher bei Eugippius zum mindesten zwei Provinzen, eben die beiden norischen. ') Nam cives Tiburniae, quae est metropolis Norici, coegerunt praedictum virum summi sacerdotii suscipere principatum. c. 21.

6. Lauriacum und Tiburnia als Metropolitansitze usw.

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Dieses eine Wort belehrt uns sinnfällig über den gewaltigen Wandel der Zeiten: das unscheinbare Tiburnia war in Westillyrien die Erbin des von den Hunnen zerstörten Sirmium geworden! Als zugleich Pannonien verloren ging, verblieb als alleinstehender Rest das verkleinerte Noricum, das seinen Rang als „Diözese" bloß seiner Teilung verdankte. Tiburnia war daher damals nicht nur Hauptstadt von Binnen-Noricum, sondern auch Metropole von ganz Noricum und stand damit zugleich über der uferländischen urbs Lauriacum. Jetzt verstehen wir, warum Eugippius die Würde des Bischofs von Tiburnia ganz besonders hervorhebt; dessen principatus summi sacerdotii umfaßte eben außer der binnennorischen Kirchenprovinz auch noch das Aufsichtsrecht über den pontifex von Lauriacum! Damit fallen endgültig zwei Behauptungen von großer Tragweite: der Aussage der Lorcher Fälschungen über die überragende Stellung des Oberhirten von Lauriacum ist hiedurch der letzte Boden entzogen, w o er nicht einmal nach dem Untergange von Sirmium über ganz Noricum gebot; er war nur Metropolit von UferNoricum; eine Diözese Tiburnia schließt überdies Aquileia als kirchlichen Vorort für jede der beiden norischen Provinzen vollständig aus; auch nach dem Verluste von Pannonien trat nicht etwa Aquileia, das damals (452) gleichfalls von den Hunnen zerstört wurde, bzw. das an seine Stelle vorgerückte Grado das Erbe von Sirmium an, sondern zur Zeit Severins bildete Noricum eine für sich allein bestehende „Diözese", die der Präfektur zu Mediolanum unmittelbar unterstand. Der Glanz und der Rang Sirmiums gingen überhaupt nicht an den Westen, sondern auf den Osten über, wohin die Flucht vor den Hunnen sich richtete: der wahre Erbe war die Hauptstadt Ostillyriens Thessalonich in Mazedonien; das erhellt schon daraus, daß die Gebeine des Stadtheiligen Demetrius (Dimitrovica, Mitrowitz) dahin übertragen wurden 1 ). Die Mahnbriefe des Bischofs Paulinus von Tiburnia ergingen demnach nicht nur an die Kastelle des von ihm selbst verwalteten Kirchensprengels, sondern auch an jene seiner Provinz, ja auch Ufer-Noricums. Letzteres deutet Eugippius zudem noch dadurch an, daß er ihn dies auf den Rat Severins tun läßt und sich jene Maßregel gegen die Alemannen richtete, die das norische Uferland ') J. Zeiller, Les origines chrétiennes dans les provinces Danubiennes de 1' empire Romain (Paris 1918) S. 81 f. 4*

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I. D a s römische Noricum und das Eindringen des Christentums.

ständig bedrohten. So verstehen wir auch die regen Beziehungen zwischen beiden: Teurnia hatte damals als metropolis Norici auch den Großbezirk der Hauptstadt Lauriacum zu überwachen. Bei einer anderen Gelegenheit gedenkt Eugippius eines kurz vorher verstorbenen „ A b t e s V a l e n t i n , e i n s t B i s c h o f s v o n R ä t i e n" 1 ). Der Gebrauch der Mehrzahl lenkt zunächst den Gedanken auf beide rätischen Provinzen, so daß also auch Valentin eine ähnliche Stelle bekleidet hätte wie Paulinus von Tiburnia oder wie in heidnischer Zeit der pontif(ex) sacr(orum) Raet(iorum) 2 ). Das ist jedoch schon deshalb nicht anzunehmen, weil in Noricum durch den Zerfall der Diözese Westillyrien nur eine Ausnahme vorliegt ; Eugippius gebraucht zudem das Wort „Rätien" ständig in der Mehrzahl, wobei er immer bloß von dem Noricum angrenzenden zweiten spricht: so ist bei ihm die obere Donau in partibus Raetiarum (c. 3) gelegen und Quintanis (Künzing a. d. Donau) nennt er secundarum municipium Raetiarum (c. 15). Valentin war jedoch nicht bloß ein, sondern d e r Bischof des zweiten Rätiens; er besaß als solcher die Würde des Metropoliten und hatte seinen Sitz neben dem Statthalter in der Hauptstadt Augusta Vindelicum (Augsburg). Eugippius folgt einer altchristlichen Sitte, wenn er ihn nach der Provinz benennt. So hieß der schon genannte Ignatius von Antiochien „Bischof von Syrien"; auch zur Zeit des Eusebius wird der Metropolit häufig als „der Bischof der Provinz" bezeichnet 3 ); desgleichen bedient sich in demselben Sinne Papst Gregor der Große in seinen Briefen wiederholt dieser Ausdrucksweise. Valentin war also nicht einfacher Bischof und kann daher seinen ordentlichen Sitz nicht in Passau gehabt haben, sondern gehört nach A u g s b u r g , der Hauptstadt des zweiten Rätiens; er könnte in der Dreiflüssestadt höchstens eine Zeitlang als Flüchtling geweilt haben, als der Einbruch der Alemannen erfolgte, von dem uns das Leben Severins berichtet. In Folge der unaufhörlichen Bedrängnisse rettete die Kirche von Augsburg ihren Fortbestand durch das Verlegen ihres Sitzes nach Tirol, wo sie sich schließlich auf der Felsenburg von *) abbatis sui sancti Valentini, Raetiarum quondam episcopi. c. 41. ) Corp. inscript. lat. 5 (1872) Nr. 3927. Die Mehrzahl hat sich eingebürgert durch den Titel dux Raetiarum, der militärisch auch nach der Teilung über das gesamte Rätien gebot. 3 ) A. Harnack, Die Mission und Ausbreitung des Christentums in den ersten drei Jahrhunderten 1, 4. Aufl. (1924) S. 471, 482. 2

6. Lauriacum und Tiburnia als Metropolitansitze usw.

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Säben bei Brixen dauernd einrichtete. Wie anders könnten sich die Vorsteher dieser Kirche als die Bischöfe des zweiten Rätiens bezeichnen? Gerade ihre Eigenschaft als Oberpriester der Provinz verweist ihre Herkunft auf die Hauptstadt; sie führten (gleich den Statthaltern) ihren alten Titel fort, als der größte Teil ihres ursprünglichen Gebietes bereits längst verloren war. Gleichwohl behielten sie ihren früheren Rang; deshalb erscheint in einer Bittschrift der unter langobardischer Herrschaft stehenden Bischöfe des Erzbistums (archiepiscopus) von Aquileia an Kaiser Mauritius aus dem Jahre 591 Ingenuinus von Säben an erster Stelle. Sein Vorgänger Martinus (Marterninus) nennt sich gleichfalls: episcopus sanctae ecclesiae Sabionensis secundae Raetiae 1 ). Die Säbener Kirche als Rest und Fortsetzung der Augsburger gibt uns für Noricum einen wichtigen Hinweis: auch da werden viele Bewohner bei dem Einfalle der Alemannen im Gebirge einen zuverläßlicheren Schutz gesehen haben, als in den Kastellen an der Donau und im Uferland unter der Enns. Die Hauptstadt des ersten Rätiens war C u r i a (Chur in der Schweiz). Deren Bischof war mithin der Metropolit dieser Provinz; sie gehörte zur Diözese Italien (Mailand). Im Jahre 451 fand dort eine Synode statt, die der Oberhirte dieser Stadt im Auftrage des Papstes berufen hatte, um seinen unterstellten Amtsbrüdern Gelegenheit zu geben, den Beschlüssen von Chalcedon beizutreten. Unter den Teilnehmern zeichnet nun der Bischof von Como für sich und „seinen abwesenden Bruder", den episcopus ecclesiae Curiensis primae .Rhaetiae 2 ). Dessen Sprengel umfaßt wieder nicht allein den Stadtbezirk von Chur, sondern auch, wie ausdrücklich angegeben ist, jenen der Provinz. Wenn nun für ihn der Bischof von Como unterfertigt, so liegt es nahe, in diesem einen Suffragan von Chur zu sehen, so daß also damals das Stadtgebiet von Como auch politisch zum ersten Rätien (Tessin) gezählt haben wird. Die ecclesia Curiensis war mithin als Kirche der Hauptstadt jene des ersten ') Heuberger, Rätien 1, S. 132, 171—183, 293—299, 323 f., der schon den Zusammenhang der Kirchen von Augsburg und Säben vermutet, jedoch in deren Vorstehern nur einfache Bischöfe sieht. Ihm folgt 0 . Schweiwiller, Der hl. Valentin, Zeitschr. f. Schweizerische Kirchengesch. 34 (1940) S. 7—9. B e m e r k e n s w e r t ist, daß der Statthalter des z w e i t e n Rätiens gleichfalls dorthin floh. Das spricht ebenfalls für den Rang Valentins als Metropoliten von Augsburg. *) Heuberger, Rätien 1, S. 132 Anm. 103.

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I. D a s r ö m i s c h e N o r i c u m und das Eindringen des Christentums.

Rätiens und deren Oberhirte war nicht nur Bischof in, sondern auch v o n dieser Provinz; er gehörte als solcher in die Reihe der pontifices 1 ) (S. 85). E s ist noch zu erklären, wieso in Binnen-Noricum Tiburnia zur Hauptstadt emporstieg, wo doch früher und später Virunum als solche oder doch als die Hauptkirche aufscheint. Das ist ein Anzeichen, daß auch dieses Land zur Zeit Severins verkleinert war, indem einen Teil die in Pannonien seßhaften Ostgoten besetzt hielten. Eugippius erzählt ja auch, daß sie Tiburnia belagerten (c. 17) und dem Könige der Rügen den Durchzug nach Italien verweigerten (c. 5 ) ; sie beherrschten somit die Hauptverkehrsstraße Carnuntum bzw. Vindobona—Savaria—Poetovio—Celeia—Aquileia. Wenn nun im Leben Severins nicht Virunum, sondern Tiburnia als Hauptstadt genannt wird, so ist zu vermuten, daß sie außer Cilli auch das Klagenfurter Becken erobert hatten und somit die ganze Südostecke Binnen-Noricums Pannonien angliederten. In diesem Zusammenhange erklärt sich eine viel umstrittene Quellenstelle des griechischen Geschichtschreibers Prokop; dieser berichtet in seinem „Gotischen Krieg" (111/33), Kaiser Justinian hätte den Langobarden die -¿X-.? Nwpi/öv (c i v i t a s N o r i c u m ) , Pannonien und „viele andere Orte" abgetreten (546). Die Verbindung beider Provinzen deutet bereits an, daß die Langobarden dieselben Gebiete bekamen, als ihre Vorgänger, die Ostgoten, besaßen: Pannonien und die eben erwähnte Südostecke von Binnen-Noricum mit der Hauptstadt Virunum. Diese war hiebei eingeschlossen; das geht auch aus der Bezeichnung civitas Noricum hervor. Die Forschung ist sich über diese Ausdrucksweise noch nicht einig: sie versteht darunter entweder die ganze Provinz, wobei sie zwischen der uferländischen und binnennorischen schwankt, oder nur Teile hievon: vordem Lauriacum, jetzt Untersteiermark (Pettau-Cilli) 2 ). E s wäre doch merkwürdig, wenn civitas soviel wie provincia bedeutete; da hätte doch Prokop das erste Wort weggelassen und wie bei Pannonien allein Noricum zu sagen gebraucht; er verwendete es eben bloß als Teilbezeichnung: es handelt sich also darum, welchen Abschnitt er meinte. Civitas in Verbindung mit dem Namen einer Provinz ist, wie schon die Zusammensetzung vermuten läßt, Diehl, Inscript. lat. Christ. 1, Nr. 2

) R. E g g e r ,

1079.

C i v i t a s Noricum, W i e n e r Studien 4 7 (1929) S. 151.

6. Lauriacum und Tiburnia als Metropolitansitze usw.

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jener Bezirk, wo sich die Hauptstadt befindet. So ist die civitas Valeria, die uns bereits begegnete, das dort führende municipium, wo der Statthalter und der Oberpriester der Provinz (Metropolit) ihren Sitz hatten, also die Hauptstadt mit ihrem engeren Gebiet: Sopianae (Fünfkirchen) oder später Aquincum (Ofen) 1 ); eben deshalb verbindet sich damit der Name der Provinz. In gleicher Weise ist unter urbs (civitas) Pannonia der Kreis der Hauptstadt Sirmium zu verstehen. Die civitas Noricum ist deshalb entweder der Stadtbezirk von Lauriacum oder Virunum. Da jedoch damals das Uferland von den Römern längst aufgegeben war und vielleicht schon in den Besitz der Baiern kam, so steht einzig und allein hiefür V i r u n u m 2 ) in Frage, zumal seit Diokletian das Wort Noricum in der Regel nur das binnenländische bedeutet. Für die Richtigkeit unserer Auslegung spricht ferner die Verwendung dieser Ausdrucksweise im Mittelalter, das sie noch sehr genau kannte: so nennt die schon erwähnte Kremsmünsterer Quelle (um 1300) die baierische Hauptstadt Regensburg noch civitas Noricum 3 ). Die Ostgoten und Langobarden besaßen somit außer Pannonien das Stadtgebiet von Virunum und das dazwischen liegende von Celeia, das den „vielen anderen Orten" zuzuzählen sein wird. Auf solche Weise kam Binnen-Noricum um seine frühere Hauptstadt; an deren Stelle trat Tiburnia. Jetzt begreifen wir, wie schwer für Rom die Verteidigung des norischen Uferlandes wurde; nicht nur die Hauptverbindung über Pannonien (Aquileia—Carnuntum—Lauriacum) war schon seit c. 450 gänzlich ausgeschaltet, sondern es w a r auch die wichtige Straße Virunum—Ovilava unterbrochen; der Verkehr ging bloß über den Plöckenpaß—Teurnia—Radstädter Tauern. Im Winter, wo die Alpenpässe verschneit waren, w a r ein Fortkommen oft unmöglich. Wie gefahrvoll der Weg über das Gebirge war, zeigt Eugippius; Soldaten von Passau, die den Sold von Italien holten, wurden von „Barbaren" erschlagen (c. 20); zweien Mönchen drohte der gleiche Tod (c. 37); der Noriker Maximus, der mit zahlreichen Gefährten Kleider für *) Corp. inscript. lat. 3, Nr. 3485: sacerd(otalis) provinciae. ) So schon K. Hauser, Die Karnburg eine ostgothische Festung, Mitth. d. CentralCommission f. Erforsch, u. Erhalt, d. Kunst- u. histor. Denkmale N. F. 16 (1890) S. 42. 3 ) civitatem edificans, Noricum appelavit tarn urbem quam regionem. Hec vero c i v i t a s . . . nunc . . Regenspurch . . . appellatur. Mon. Germ., Script. 25, S. 639 f. u. S. 659: civitates W a w a r i e , scilicet Lauräacus, Patavia, Noricus, que nunc dicitur Ratispona. 2

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I. D a s römische Noricum und das Eindringen des Christentums.

die Gefangenen und Armen an Severin brachte, wurde auf der Höhe der Alpen während einer Nacht eingeschneit; als seine Schar schon am Leben verzweifelte, wiesen ihr die Spuren eines Bären den Weg (c. 29). Da wird wieder offenbar, wie sehr Ufer-Noricum mit Pannonien zusammenhing; ohne dessen Besitz war es von Italien aus auf die Dauer nicht zu halten (S. 16). König Odoaker kannte das Land aus eigener Anschauung. Nach seinem Siege über die Rugier, die in Italien einfallen wollten, drohte ihm die gleiche Gefahr von dem Ostgotenfürsten Theoderich. Da gab er die Grenzwacht an der Donau auf und verlegte sie auf die Alpenkette (488). Nach Eugippius erging der Auswanderungsbefehl an alle Römer; ihnen schlössen sich sämtliche „Provinzialen" in den befestigten Orten am Ufer der Donau an; hiebei führten sie die Leiche Severins (gest. 482) mit nach Italien (c. 44). Der Rückzug erstreckte sich jedoch nicht allein auf das bisher von den Rugiern beherrschte Gebiet unter der Enns; von dort war ja bei dem Fehlen eines Paßweges damals nur durch das norische Oberland eine Verbindung mit Italien möglich, da in Pannonien die Ostgoten den Zugang sperrten. Die Heere Odoakers konnten daher nur durch das spätere Oberösterreich in das Rugiland einrücken; der Abzug der Römer mußte gleichfalls auf demselben Wege erfolgen. Die Räumung bezog sich daher nicht bloß auf die Donaukastelle des Unterlandes, sondern auf ganz Ufer-Noricum, aber wohl kaum auf das rätische Flachland 1 ). Es war eine militärische Maßnahme, eine Zurücknahme des Grenzschutzes: die im Dienste Roms stehenden Soldaten und Beamten wurden abgezogen; mit ihnen gingen alle, die von den römischen Einrichtungen lebten und mit ihnen verbunden w a r e n ; es w a r im Wesen nur ein A b z u g d e r R ö m e r , aber nicht der Romanen. Die einheimische Bevölkerung blieb in ihrer Heimat; sie hatte keinen Anlaß, einem fremden Herrn zu folgen. Das Fortleben der früheren Namen und römischen Überlieferung schließt eine vollständige Räumung des Landes aus. Odoaker oder der ihm 493 nachfolgende Theoderich haben bei der Preisgabe des Donauraumes wohl die bisherige Grenze zwischen dem ufer- und binnenländischen Noricum geändert und den Schutzwall ihres Reiches näher an den Rand des Gebirges vorverlegt. So endete nach einem Zeitraum von fast einem halben Jahrtausend die römische Herrschaft in Ufer-Noricum. Damals erhielt es seine Bestimmung als Grenzland, die in anderer Form sein Erbe ') Heuberger, Rätien 1, S. 125.

7. Die z w e i Kirchenprovinzen Noricums und ihr Verhältnis zu Aquileia.

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Österreich zu erfüllen hatte. Dessen Herzstück, die Länder unter und ob der Enns, verraten noch in der Namengebung die römische Wurzel: sie sind nach jenem Flusse benannt, den die Römer zur Scheidelinie zwischen dem norischen Ober- und Unterlande bestimmten und stammen aus einer Zeit, in der der Norden der Donau noch nicht besiedelt war. Die frühere Dreiteilung des Herzogtums Österreich wird die römischen Grundlagen noch deutlicher aufzeigen. Fürwahr, nichts spricht lauter für die gewaltigen Leistungen Roms in unserer Heimat als das bleibende Fortleben seiner Einrichtungen und Werke! 7. Die zwei Kirchenprovinzen Noricums und ihr Verhältnis zu Aquileia. Nach Preisgabe des Uferlandes kam Binnen-Noricum zu Italien; es blieb jedoch eine eigene Provinz: der bekannte Erlaß des Königs Theoderich wegen des Rindertausches mit den Alemannen ist ja an die „norischen Provinzialen" gerichtet (c. 507) 1 ); darunter sind damals nur die Bewohner jenes Teiles von Noricum zu verstehen, der noch zum Reiche des Ostgotenkönigs gehörte 2 ). Dasselbe gilt mithin auch kirchlich: der Bischof von Teurnia oder später nach dem Wiedererwerb vonVirunum war dessen Oberhirte der Metropolit von Binnen-Noricum; er verlor bloß nach Abtrennung des uferländischen Teiles die Eigenschaft eines Eparchen der Diözese und war hernach dem Obermetropoliten von A q u i l e i a unterstellt, das dort nunmehr an die Stelle des untergegangenen Sirmium trat: die Bischofssitze von Binnen-Noricum gehörten demnach auch jetzt nicht unmittelbar zu Aquileia, sondern waren nur durch die Person ihres ihnen vorgesetzten Metropoliten in Teurnia, bzw. Virunum davon abhängig. Aquileia war seit Diokletian die Hauptstadt der Provinz Venetien mit Istrien; als solche war sie der Sitz ihres Oberpriesters (pontifex) 3 ). Bei Einführung des Christentums blieb sie gleichfalls kirchlicher Mittelpunkt der genannten Provinz; deren Bischof führte demnach den Titel eines pontifex (S. 47) oder Metropoliten, In dieser Würde gingen ihm um das Jahr 442 zwei Schreiben des Papstes Mon. Germ., Auct. antiqu. 12 (1894) S. 104. ) H. Zeiß, Die Nordgrenze des Ostgotenreiches, Germania, Korrespondenzblatt der Rom. German. Kommission des Deutschen Archäolog. Instituts 12 (1928) S. 33 f. 3 ) Corp. inscript. lat. 5 (1872) Nr. 1015. 2

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I. Das römische Noricum und das Eindringen des Christentums.

Leo I. zu, worin er ihm in dem einen beauftragt, eine Provinzialsynode einzuberufen und in dem andern „Metropolitanbischof der Provinz Venetien" nennt 1 ). Bis dahin war der Bischof von Aquileia nur einfacher Metropolit, dessen Sprengel nicht über die Grenzen seiner großen Provinz hinausging; schon deshalb kann dort nicht die Mutterkirche der norischen Bistümer gesucht werden. Das änderte sich erst dann, als Aquileia die Oberhoheit über andere Provinzen erlangte; damit wurde dessen Bischof Obermetropolit. Diese Gelegenheit bot sich, als er nach dem Zusammenbruche der Römerherrschaft an der Donau die Aufsicht über Binnen-Noricum und Raetia II erlangte. Noch mehr stieg seine Macht im Dreikapitelstreite, als sich ihm im Kampfe gegen Rom die benachbarten Bischöfe anschlössen. Damals erst legten die Oberhirten von Aquileia den Grund zu ihrer überragenden Stellung: der stolze und im Abendlande ungewöhnliche Titel eines Patriarchen, den sie sich, wie Papst Pelagius (556—561) klagt, selbst beilegten 2 ), offenbart deutlich sichtbar den erreichten Erfolg; allgemein bürgert sich der Patriarchentitel für Aquileia und Grado erst seit der Karolingerzeit ein, wo er auch in die Papsturkunden eindringt. Der angemaßte Patriarchat erforderte den apostolischen Ursprung, den die Gründungssage wohl schon früher erfand: die Kirche von Aquileia w a r auch da nicht verlegen und will sogar dem berühmten Patriarchat Alexandrien den Rang ablaufen, indem sie den Evangelisten Markus zuerst in die istrisch-venezianische Hauptstadt und erst dann nach Afrika zur Kirchengründung ziehen läßt. Ein anderer Titel, den die Oberhirten von Aquileia bald annahmen, weist wieder auf ihre obermetropolitane Stellung; sie nannten sich auch Erzbischöfe. Die Bezeichnung a r c h i e p i s c o p u s weist in Verbindung mit jener eines Patriarchen auf einen ganz besonderen Rang, wie er ursprünglich nur wenigen Hauptsitzen der Christenheit zukam 3 ). Es war schon ein Abgehen vom ursprünglichen Herkommen, daß der Obermetropolit von Tessalonich in der Kirchenversammlung zu Chalcedon (451) als „Erzbischof" angeführt wird 4 ). Allgemeiner wird der Titel, als Kaiser Justinian in der elften Novelle seines Gesetzbuches seine Heimat Prima Justiniana von J

) ad metropolitanum episcopum provinciae Venetiae. Ph. Jaffe u. F. Kaltenbrunner, Regesta pontificum Romanorum 1 (1885) S. 59 Nr. 398/9. ^ Caspar, Gesch. d. Papsttums 2 (1933) S. 294 f. 3) P. Hinschius, S y s t e m d. kathol. Kirchenrechts 1 (1869) S. 546 u. 2 (1878) S. 6. 4 ) Mansi, Concilia 6 (1761) S. 1081 f.

7. Die z w e i Kirchenprovinzen Noricums und ihr Verhältnis zu Aquileia.

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Tessalonich abtrennte und sie zum Sitze eines archiepiscopus erhob (535); es wird da ausdrücklich vermerkt, er solle nicht bloß Metropolit, sondern auch Erzbischof sein und einer Reihe von Kirchenprovinzen vorstehen 1 ). Wenig später legte sich im Dreikapitelstreite Maximian von Ravenna den gleichen Titel bei (um 553) 2 ); kurz darauf (591) geschah in Aquileia dasselbe (S. 53). In diesen und anderen Fällen handelt es sich immer um einen Kirchenfürsten, der über mehrere Provinzen gebot. Noch Isidor von Sevilla (gest. 636) hebt den Vorrang eines archiepiscopus vor den Metropoliten hervor 3 ). Der Kirchensprengel von Aquileia ward nach Erlangen der Obermetropolitanwürde ein dreifacher: das eigene zur Hauptstadt gehörige Bistum, das der Provinz Venetien-Istrien und der darüber hinausreichende, der seinem Träger den Rang eines Erzbischofs verlieh. Eine Unterordnung unter Aquileia bedeutete daher durchaus noch nicht eine Zugehörigkeit zur gleichnamigen Kirchenprovinz. Aus all dem folgt, daß der Aufstieg der venezianischistrischen Hauptstadt zur Obermetropole viel zu spät erfolgte, um als Mutterkirche der norischen Bistümer in Betracht zu kommen. Die Bittschrift der langobardischen Bischöfe an den Kaiser Mauritius von Ostrom aus dem Jahre 591 bezeichnet deren verstorbenen Oberhirten Elias von Aquileia (572—585) bereits als Erzbischof; die Gesuchsteller sprechen ferner von drei Kirchen ihres Konzilsbereiches und bringen auch,allerdings in entstellter Form,deren Namen: Virunum, Tiburnia und Agunt mit dem Beisatze, es hätten dort eine Zeitlang gallische (fränkische) Bischöfe die Priester eingesetzt 4 ). Unter dem Ausdruck nostri concilii ist hier nicht die engere Kirchenprovinz Aquileia zu verstehen, sondern der darüber hinausgehende Amtsbereich des Erzbischofs; hiefür zeugt ja schon die Anschrift an den Kaiser, worin sich die Bittsteller als Bischöfe von Venetien und dem zweiten Rätien bezeichnen. Wenn schon das letztere in seinem *) non solum metropolitanus, sed etiam archiepiscopus fiat. Ausgabe v o n Schoell u. Kroll 3, S. 94 u. 655. 2 ) Mon. Germ., Script, rerum Langobard. (1878) S. 331. 3 ) praesidet, tarn metropolitanis quam episcopis caeteris. Migne, Patroi. lat. 82 (1859) S. 291. 4 ) in tribus ecclesiis nostri concilii id est Breonensi Tiburniensi et Augustana Galliarum episcopi constituerant sacerdotes. Im verbesserten Wortlaute bei R. Egger, Frühchristi. Kirchenbauten im südlichen Norikum (1916) S. 136; Heuberger, Rätien 1, S. 159.

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I. D a s römische Noricum und das Eindringen des Christentums.

bescheidenen Überreste eine eigene Provinz geblieben ist, so gilt das noch vielmehr für das binnenländische Noricum. Die angeführte Quellenstelle zeigt uns zudem die kirchliche Einteilung dieses Landes fast vollständig; nach ihr übte dort der Patriarch von Aquileia schon vor dem Einfalle der Langobarden (568) die Oberhoheit aus, da das vorübergehende Eindringen der fränkischen Bischöfe noch früher anzusetzen ist. In dem Leben Severins wird Teurnia als Hauptstadt erwähnt. Wenn nun vor deren Bischofssitz in der Bittschrift von 591 ein anderer genannt wird, so kann dieser nach kirchlichem Brauche nur einer sein, der einen höheren Rang einnahm: das war einzig und allein das eine Weile verloren gegangene Virunum, das wieder seine frühere Eigenschaft als metropolis erhalten hatte; eben deshalb steht Agunt (Augustana) an letzter Stelle, da Teurnia als einstmalige Platzhalterin für die abgetretene Hauptstadt den zweiten Rang bekleidete. Es fehlen noch Flavia Solva und Celeia. Die erstgenannte Stadt wurde um 400 zerstört, die letztere, welche die Feinde abgenommen hatten, kam gleich Virunum wieder an Binnen - Noricum zurück. Eine zwischen den Jahren 572 und 577 stattgehabte Kirchenversammlung von Grado (Aquileia) bringt den Namen eines Bischofs Johannes von Cilli; vor ihm unterschrieb sein Amtsbruder von Teurnia, nach ihm jener von Agunt. Diese Reihenfolge stimmt wieder mit der vorigen überein; doch ist zu bemerken, daß die Liste nicht mehr in ihrer Urform, sondern bloß in späteren Abschriften vorliegt 1 ). Cilli ist noch später (590/91) als Sitz desselben Oberhirten anzunehmen; eine jüngst in seiner Umgebung gefundene Inschrift deutet gleichfalls auf eine Bischofsstadt 2 ). Es lassen sich demnach in Binnen-Noricum vier Bistümer: Virunum, Teurnia, Celeia und Agunt feststellen, deren Namen den dort bekannten civitates entsprechen. Die Teilnahme ihrer Oberhirten an einer vom Patriarchen von Aquileia einberufenen Synode zeigt wieder an, daß sie ihm unterstellt waren. Da die kirchliche Einrichtung Binnen-Noricums zur Zeit des Konzils von Sardika (343/44) bereits angefangen hatte, so war sie längst vollendet, als Severin im Uferlande auftrat, zumal sie ja auch dort, wo sie später begann, schon abgeschlossen war. Wir finden ') Mon. Germ., Script, rer. Langob. S. 393 u. Leges III, Concilia 2/2, S. 588. ) R. Egger, Eine altchristl. Bischofsinschrift, Mitteil, des A'ereines klassischer Philologen in W i e n 4 (1927) S. 6. 2

7. Die z w e i Kirchenprovinzen Noricums und ihr Verhältnis zu Aquileia.

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daher in seiner Lebensbeschreibung für beide Provinzen je einen Metropoliten und ferner noch einen Bischofssitz in Favianis. Dazu kommt nun der bestimmte Nachweis, daß in Binnen-Noricum vier civitates je einen Bischof hatten; es war eine in mindestens vier Bischofspfarren geteilte Kirchenprovinz mit einem Metropoliten, der das Gebiet seiner Hauptstadt selbst verwaltete und zudem in den anderen zugehörigen Sprengein die Aufsicht führte. Das gleiche ist für das vier civitates umfassende Uferland anzunehmen: dem Metropoliten von Lauriacum unterstand nicht bloß der engere Bezirk der Hauptstadt und ein Suffragan zu Favianis, sondern auch, wie wir aus der Kirchenordnung schließen müssen, je einer in Ovilava und Juvavum; es haben daher auch dort Bischöfe gewaltet, wenn zwar hiefür ein bestimmter Beleg fehlt. Dasselbe gilt für Flavia Solva in Binnen-Noricum. Mit der Räumung des Uferlandes gingen die Geschicke Noricums auseinander; die römische Kultur verliert an der Donau und im Vorfelde der Alpen ihren Halt und zieht sich in das zu Italien gezogene Binnenland zurück, wo sie noch eine Nachblüte erlebt; freilich war auch dies'e oft gestört, da es ja jetzt Grenzland geworden w a r ; nach mehr als einem Jahrhundert erlischt sie auch dort um 600 durch das Eindringen der von den Awaren vorgeschobenen Slaven (Slowenen oder Wenden [Windische] und Kroaten). Die Zeit der Oberhoheit der Kirche von Aquileia dauerte daher dort bloß ein Jahrhundert. Die gewaltsame Änderung der Verhältnisse und das Ende der Römerherrschaft zeigt schon der Namenswechsel: aus Binnen-Noricum wird jetzt das Land K a r a n t a n i e n , das wieder an das Zollfeld (Virunum) anknüpft und dort in der Karnburg am Karnberg (Ulrichsberg) sich einen neuen Mittelpunkt schafft; eben daher, aus keltischer Wurzel, leitet es seine Bezeichnung her. Der Name des Gaues ist schließlich auf das Land und seine Bewohner übergegangen 1 ), wie dort auch sonst vorrömische Berg-, Fluß- und Ortsnamen dauernd erhalten blieben. Die Alpenslaven (Karantanen) traten im eroberten Lande das erstemal mit der römischen Kultur in Berührung, die sich jedoch vor ihnen ebenso zurückzog wie früher im Uferlande vor den dort 4

) P . Lessiak, (1922) S. 96 i.

Die

kärntnischen

Stationsnamen,

Carinthia

I,

112.

Jahrg.

62

I. D a s römische Noricum und das Eindringen des Christentums.

eingewanderten B a i e r n ; damit verfiel auch die christliche Kirche und deren Einrichtungen; es herrschte abermals das Heidentum. Dieser Rückschlag dauerte eineinhalb Jahrhundert, bis die neubekehrten Baiern das Land unterwarfen und von Salzburg aus die besiegten Slaven zu Christen m a c h t e n ; sie schufen (um 767) in Maria Saal am Zollfelde ein eigenes Chorbistum, das somit gleichfalls an Yirunum anknüpfte, eine zweite Hauptpfarre auf dem Lurnfelde (Tiburnia) und eine dritte zu Ingering in Steiermark (für Flavia Solva?). Es w a r damals also noch genau die frühere Einteilung der norischen Kirche bekannt. Dieses Vorgehen beweist wieder den Vorrang Virunums vor Tiburnia: das Chorbistum Maria Saal erstand wie jenes von Lorch an Stelle eines untergegangenen Metropolitansitzes. D a s spricht dafür, daß hier wie dort das neue Staatsgebilde die Einrichtungen der römischen Zeit nicht zerstörte, sondern übernahm und fortführte 1 ). Mit dem Siege der Baiern über die Karantanen wird die abgebrochene Verbindung zwischen Ufer- und Binnen-Noricum wieder hergestellt. Die Kirche von Aquileia versuchte wohl, ihre alten Rechte auf letzteres wieder zu erneuern und trat Salzburg entgegen; sie hatte jedoch bloß den Erfolg, daß Karl der Große im J a h r e 811 das umstrittene Land zwischen ihnen teilte und die Drau als Scheidelinie bestimmte, so daß erstere bloß den südlichen Teil bekam. In dem gegenseitigen Streite berief sich der Salzburger Oberhirte Arn auf päpstliche Entscheidungen der letzten Jahre, wonach die P r o v i n z Karantanien seiner Kirche zugehöre. Patriarch Ursus hingegen bewies aus vorgewiesenen Synodalakten, daß die dortigen Bischofssitze (civitates) vor dem Einfalle der Langobarden in Italien (568) Aquileia unterstellt waren 2 ). Es w ü r d e sich nicht lohnen, eine spätere Urkunde an dieser Stelle zu besprechen, da wir aus viel früheren Quellen mehr wissen, als in ihr enthalten ist; sie gilt jedoch als Zeugnis für die irrige Behauptung, Aquileia sei in römischer Zeit die Mutterkirche aller norischen Bistümer gewesen, ja sie bilSo schon H. Braumülier, Noriker und Karantanen, Carinthia I, 123. Jahrg. (1933) S. 25—31; unten S. 236 f. ^ nam Ursus patriarcha antiquam se auctoritatem habere asserebat et quod tempore, antequam Italia a Longobardis fuisset invasa, per synodalia gesta, que tunc temporis ab antecessoribus suis Aquilegiensis ecclesie rectoribus agebantur, ostendi posse, predicte Karantane Provincie civitates ad Aquilegiam esse subiectas. ( W . Hauthaler u. F. Martin) Salzb(urger) Urk(unden)b(uch) 2 (1916) S. 11.

8. Lorch als angeblicher Sitz eines Erzbischofs.

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det hiefür die einzige Stütze, die immerhin Glauben beanspruchen könnte. In Wirklichkeit ist sie jedoch ein stummes Beweismittel für das Gegenteil: sie zeugt einzig und allein für die Zuständigkeit der Kirche von Aquileia in Binnen-Noricum (Karantanien) in der Zeit vor 568, ohne auch nur anzudeuten, daß die Abhängigkeit weiter zurückreiche; sie weiß nicht einmal von einer Fortdauer nach der Flucht des ersten Patriarchen Paulinus nach Grado (568); sie sagt durchaus nicht, daß etwa die binnennorischen Bischofssitze zur Kirchenprovinz Aquileia gehört hätten und läßt die Art der Unterstellung offen. W ä r e es je einmal ein Bestandteil seiner engeren Kirchenprovinz gewesen, so hätte Ursus in einem solchen Streitfalle alle Ursache gehabt, darauf hinzuweisen. Da hätte er aber auch über umfassendere Beweismittel verfügt; daß er so wenig vorbringen konnte, weist allein schon auf ein loses und kurz dauerndes Abhängigkeitsverhältnis hin. W ä r e nun gar Aquileia die Mutterkirche aller norischen Bistümer gewesen, so hätte ja von dort auch der römische Vorläufer des Widersachers, Juvavum, seinen Ursprung herleiten müssen. Das w ä r e das wirksamste Mittel gewesen, Salzburg entgegenzuhalten. Der Patriarch spricht jedoch nur von Karantanien, ohne auch da irgendwie zu bemerken, seine Kirche hätte dort die Bischofssitze gegründet. Da er keine stärkeren Beweise vorbringen konnte, verblieb der Hauptteil bei Salzburg, dessen Anrechte viel jünger w a r e n : die Mutterkirche von ganz Noricum w a r eben das untergegangene Sirmium! 8. Lorch als angeblicher Sitz eines Erzbischofs. Kaum hatten die Römer Ufer-Noricum geräumt, als es, wie das Leben Severins berichtet (c. 40), neuerdings verwüstet wurde. Ob fremde Kriegsscharen bloß durchzogen oder eine Zeitlang verblieben, wissen wir nicht. Das Schwinden der römischen Kultur äußert sich in einem undurchdringlichen Dunkel. Wie lange noch das Christentum in der einheimischen Bevölkerung, unter der sich auch Heiden befanden, bestehen blieb und wie es die Eroberer verdrängten, läßt sich gleichfalls nicht feststellen. Das Schweigen der Quellen und die nachfolgende Bekehrung der Baiern sprechen für eine langdauernde Herrschaft des Heidentums, das demnach dort früher beginnt als in Binnen-Noricum. In dieser Verfallszeit des Christentums im Uferlande soll nun die Kirche von Lauriacum zum Metropolitansitze von ganz Panno-

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I. D a s römische Noricutn und das Eindringen des Christentums.

nien und deren Oberhirte Theodor zum Erzbischofe ernannt worden sein, eine Rangerhöhung, die Papst Symmachus (498—514) zugleich mit der Verleihung des Palliums, einer weißwollenen Binde mit eingewirkten schwarzseidenen Kreuzen, die bei bestimmten Hochämtern als Schulterschmuck zu tragen war, vorgenommen hätte 1 ). Daß hiebei der Schreiber einer späteren Vorlage folgte, zeigt der formelhafte Beisatz, der Lorcher solle es nach der Sitte seiner Kirche gebrauchen; hat doch erst derselbe Papst angefangen, diese bis dahin im Abendlande nur von ihm allein getragene Auszeichnung an einen Stellvertreter (Vikar) zu verleihen: der erste bekannte Fall ist die Übersendung des Palliums an Cäsarius von Arles, den Primas von Gallien (513)2). Lorch wäre ferner durch römische Gnade noch früher der Sitz eines Erzbischofs geworden als Ravenna und Aquileia, die sich diesen Titel selbst schufen (S. 59). Es ist schon längst erwiesen, daß das angebliche Schreiben an Theodor ein späteres Machwerk ist 3 ); es steht mit noch anderen unechten Bullen in engem Zusammenhange, als deren Urheber Bischof Pilgrim von Passau (971—991) anzusehen ist. Das Erzbistum Lorch gilt demnach als seine Erfindung 4 ). Sicher ist, daß die fraglichen Fälschungen im Kampfe gegen Salzburg um die Zuweisung Pannoniens entstanden. An dieser Stelle handelt es sich bloß um die Aussagen für das Altertum. Für die römische Zeit ist Lauriacum als Sitz eines Erzbischofes vollkommen ausgeschlossen. Damals war dieser Titel im Abendlande noch nicht gebräuchlich, er kam nur dem Papste zu und, als er später aufkam, bezeichnete er die Würde eines Obermetropoliten für mehrere Provinzen. Das hat wohl der Fälscher noch gewußt; nach ihm war Lorch der Sitz des Oberhirten der „Provinz der Pannonier", womit sinngemäß die den gleichen Namen führende Verwaltungseinheit (Diözese) gemeint ist, wozu auch Ufer-Noricum gehörte. Der Erzbischof von Lauriacum wäre demnach wie vordem der Bischof von Sirmium Obermetropolit von Pannonien und Ufer-Noricum gewesen, nur mit dem Unterschied, daß jetzt letzteres als Hauptland zu gelten hätte. Die Zusammengehörigkeit beider Gebiete in der Römerzeit ließe es als ') te magistrum et archiepiscopum tuamque sanctam Lauriacensem ecclesiam provincie Pannoniorum sedem fore metropolitanam. Bei Lehr, Piligrim, Bischof von Passau S. 30 f. 2 ) Hinschius, S y s t e m d. kath. Kirchenrechts 2, S. 25. 3 ) Kurz, Beiträge z. Gesch. d. L. ob der Enns 3, S. 75—81. 4 ) Dümmler, Piligrim v. Passau S. 42, 70.

8. Lorch als angeblicher Sitz eines Erzbischofs.

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möglich erscheinen, daß der Obermetropolit von Pannonien in Noricum (Lauriacum) seinen Sitz gehabt hätte. W e n n nun auch dessen Oberhirte in Wirklichkeit mit Pannonien nichts zu schaffen hatte und niemals Erzbischof w a r , so folgt daraus keineswegs, daß er e t w a deshalb nur einfacher Bischof gewesen w ä r e ; er w a r , w a s die Ottonenzeit noch sehr wohl wußte, gewöhnlicher Metropolit. Damals w a r für einen solchen schon längst die Bezeichnung „Erzbischof" üblich. W i r dürfen daher auch in diesem Falle nicht die inzwischen erfolgte Titeländerung v e r g e s s e n : im Sinne späterer Begriffsbildung w a r demnach Lauriacum schon ein Erzbistum, jedoch noch nicht für die Römerzeit; da w a r es nur der Sitz d e s Bischofs der Provinz, des Metropoliten für Ufer-Noricum; die angebliche Ausdehnung über Pannonien ist daher unmöglich. Das E r z b i s t u m L o r c h ist demnach, w e n n es auch erst eine spätere Zeit erfunden hat, doch im Vorrange der gleichnamigen Hauptstadt (metropolis) einigermaßen begründet und daher steckt auch in ihm ein geschichtlicher Kern. Jetzt, w o wir die enge Verbindung von Noricum und Pannonien in römischer Zeit kennen, erscheint es durchaus sachgemäß, wenn die gefälschten Bullen beide Provinzen als e t w a s Zusammengehöriges behandeln. Die Natur der Verhältnisse, die der Lauf der Donau bestimmte, bringt nach der Bekehrung der Baiern eine Wiederholung: die Ausbreitung des Christentums hält sich abermals an den mächtigen Strom, nur die Richtung hat sich g e ä n d e r t ; jetzt geht es nicht mehr von Ost nach West, sondern umgekehrt, es folgt dem Flußlaufe. Eben deshalb kann P a s s a u zur Verfechtung seiner Ansprüche auf das Altertum zurückgreifen; in beiden Fällen wies ja die Donau den W e g und bot eine viel bequemere und zuverlässigere Fahrbahn als sie die beschwerlichen und im Winter verschneiten Alpenpässe hätten abgeben können. Die von Natur gegebene Mutterkirche von Noricum w a r daher das nahe der Donau gelegene Sirmium und nicht das durch den Hochkamm der Alpen abgeschlossene Aquileia. Das gilt auch für Binnen-Noricum, w o der Lauf der Drau wieder auf den Osten weist. Doch darauf sah die Forschung nicht. In unseren Geschichtsbüchern bildet Noricum ein „Vorland Italiens". Diese Bezeichnung geht auf den berühmten Altertumsforscher Theodor Mommsen zurück, der es in seiner „Römischen Geschichte" z w a r bei den Donauländern behandelt, jedoch hierüber folgendes b e m e r k t : „Nach 5

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I. Das römische Noricum und das Eindringen des Christentums.

keiner Richtung hin ist Italien für den Landverkehr so wie gegen Nordosten aufgeschlossen"; nach einigen Zeilen, in denen er u. a. auf die Handelsstadt Aquileia und Emona (Laibach) hinweist, fährt er f o r t : „ W ä h r e n d in den Nachbarländern Raetien und Pannonien die Denkmäler römischer Sprache entweder fehlen oder doch nur in den größeren Centren erscheinen, sind die Thäler der Drau, der Mur und der Salzach und ihrer Nebenflüsse bis in das hohe Gebirge hinauf erfüllt mit Zeugnissen der hier tief eingedrungenen Romariisierung. Noricum w a r d ein Vorland und gewissermaßen ein Theil Italiens" 1 ). Das könnte also höchstens für Binnen-Noricum gelten, aber niemals für das Uferland; es trifft jedoch auch für ersteres bloß f ü r die Zeit zu, als das letztere aufgegeben und die verbliebene Südhälfte zu Italien kam (488 bis um 600). Das Nachleben des Altertums hat dort um mehr als ein Jahrhundert länger gedauert als an der Donau. Das äußert sich auch in der Zahl der verbliebenen Denkmäler. Noch viel m e h r fällt jedoch der Unterschied in die W a a g schale, den hiebei die spätere Zeit schuf: man vergleiche da nur d a s als Völkerstraße benützte und heftig umkämpfte Donauland mit der geschützten Lage Karantaniens, das durch den Wall der Alpen abgeschlossen ist; da, im Gebirge, blieben natürlich viel mehr römische Denkmäler erhalten, als in der offenen Ebene. In der Fülle einer so weit zurückliegenden Oberlieferung reden demnach mehr die Schicksale der späteren Zeit als die Jahre des Entstehens. Einen viel zuverlässigeren Schluß als die Zahl der erhaltenen Denkmäler lassen die Flußläufe zu: diese führen alle zur Donau und weisen mit ihr auf den Osten. Noricum w a r in der Römerzeit kein „Vorland Italiens", sondern ein Zugehör Pannoniens, mit dem es in der militärischen, staatlichen und kirchlichen Verwaltung enge verbunden w a r ; erst als dieses für Rom verloren ging und deshalb das norische Uferland aufgegeben w e r d e n mußte, w u r d e BinnenNoricum für ein Jahrhundert ein Teil Italiens. Da w a r jedoch das Kirchenwesen schon längst eingerichtet, so daß Aquileia nicht einmal als Mutterkirche für Binnen-Noricum in F r a g e kommt. Wie sehr die von den Römern geschaffene Verbindung von Noricum und Pannonien in der Natur begründet ist, zeigt das Vorgehen Karls des Großen bei Errichtung der Ostmark, welche die frühere Zusammengehörigkeit beider Länder wieder erneuerte. Th. Mommsen, Römische Gesch. 5, 6. Aufl. (1909) S. 180 f.

II. Das Stammesherzogtum Baiern und das Christentum. 1. Die Herkunft der Baiern. Die Herkunft der Baiern ist noch heute umstritten; die dürftigen Nachrichten, die hierüber vorliegen, lassen auch für die Zukunft keine sicheren Ergebnisse erwarten. Schon die erste, aus irischer Feder stammende Geschichtsquelle, die uns über die Verkündigung des christlichen Glaubens in dem nach ihnen benannten Lande berichtet, verwechselt sie mit den keltischen Boiern, den ersten Bewohnern Böhmens (S. 86). Die baierischen Geschichtschreiber des ausgehenden Mittelalters und besonders Aventin haben diese Ansicht weiter v e r b r e i t e t ; der Irrtum hat sich auch politisch unheilvoll für das deutsche Volk ausgewirkt: das schmähliche Bündnis Baierns mit Napoleon suchte noch hierin seine Rechtfertigung. Doch damals, in den Tagen der Fremdherrschaft, w u r d e der baierische Volksstamm im Kampfe gegen seine Staatslenker seiner germanischen Abstammung sich b e w u ß t ; man dachte zunächst an die Goten. Im Jahre 1837 hat Kaspar Zeuß, der verdiente Erforscher germanischer Frühzeit, in seinem bedeutsamen Buche „Die Deutschen und die Nachbarstämme" und bald darauf (1839) in einer kleinen Schrift „Die Herkunft der Baiern" deren Abkunft von den Markomannen in Böhmen verfochten. Nach ihm stammen die Baiern aus dem Lande Baia, das* er nach dem dem siebenten Jahrhundert zugehörigen Geographen von Ravenna an der Elbe sucht und mit Böhmen gleichsetzt ( B a i a = B a i o h e i m = B o i o h e i m ) ; da ferner die dort lange seßhaften Markomannen spätestens seit dem Kriegszuge Attilas nach Gallien (451) aus der Geschichte verschwinden 1 ), und nach einem Jahrhundert die Baiern in dem von den Römern geräumten norischen ') Mon. Germ., Auct. antiqu. 2 (1878) S. 201. Für jene, welche die Richtigkeit dieser Nachricht anzweifeln, gilt die Notitia dignitatum mit ihrem tribunus gentis Marcomannorum als letzte Quelle. Ausgabe von Seeck S. 197. Dieser Teil der Markomannen saß im Wiener Becken. Ihre Königin Fritigil gilt als Christin. R. Egger in: Der Römische Limes in Österreich 16 (1926) S. 110 f. D a Ufer-Noricum in den Befehlsbereich Oberpannoniens gehörte, s o standen wohl auch dort Markomannen als römische Grenztruppen. L. Schmidt, Geschichte der deutschen Stämme bis zum Ausgang der Völkerwanderung 1, 2. Aufl. (1938) S. 185. 5*

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II. D a s Stammesherzogtum Baiern und das Christentum.

Uferlande und im zweiten Rätien auftauchen, so setzt er beide Volksstämme der Germanen gleich und hält daher die Baiern für Abkömmlinge der ersteren; er blieb also wieder an Böhmen haften, aber nicht mehr an dessen keltischen Bewohnern, den Boiern, sondern an ihren Nachfolgern den germanischen Markomannen. Der ähnliche Wortklang, Baier (im Volksmunde Boar) und Boier, hat da eine Verwirrung gestiftet, die noch heute nicht behoben ist. Bei der Dürftigkeit der Quellen setzte sich die Lehre von Zeuß durch und ist auch jetzt noch die herrschende; es ließen sich bisher nur vereinzelte Stimmen dagegen hören, die nicht durchdrangen. Da hat nun jüngst in dem Streite um das Wort Baier (Baiwarii oder Bajuvarii), der im Anschlüsse an die angefochtene Neuausgabe ihres Volksrechtes entstand, Bruno Krusch den überzeugenden Nachweis geliefert, daß Baia nicht Böhmen ist, sondern der Geograph von Ravenna hiebei fälschlich die Beschreibung der Donau aus Jordanis Gotengeschichte, der ihr sechzig schiffbare Nebenflüsse zuspricht, auf die Elbe überträgt; richtig ist sein Hinweis, daß Baia (griechisch dem Wortsinne nach nicht ein Binnenland ist, sondern ursprünglich eine Bucht (Bai), ein Mündungsgebiet eines großen Stromes ins Meer oder ein Hafen sein muß; er glaubt deshalb die Erklärung des Wortes Baiern aus Baia verwerfen zu müssen 1 ). Nach der herkömmlichen Erklärung sind die Baiwarii, Bajuwarii die Leute von Baia, indem das erste Glied das Land, das zweite, germ. warjöz, Einwohner bedeutet. Das letzte Wort bekommt erst durch Beigabe eines Ländernamens seinen vollen Sinn, so daß wir doch an ein Siedlungsgebiet denken müssen, dessen Name auf seine Bewohner übergegangen und mit ihnen gewandert ist. Das Namen gebende Land ist nach seinem Wortgehalt an einer Meeresbucht zu suchen, die wir als Urheimat, oder richtiger als Wohnraum der ersten Seßhaftigkeit bezeichnen können. Die griechische Wortform Baias paßt freilich nicht für die Mündung der Elbe, doch sie entspricht um so besser jener der Donau in das Schwarze Meer (PonB. Krusch, Der Bayernname, Neues Archiv 47 (1928) S. 50 if. Die bezügliche Stelle des Kosmographen von Ravenna lautet: Patria quae dicitur Albis (Maur)ungani, (que) montuosa per longum quasi ad orientem multum extenditur, cuius aliqua pars B a i a s d i c i t u r . . . Hec patria habet non modica flumina — inter cetera fluvius grandis qui dicitur Albis et navigabilia sexaginta —, quae in Oceano funduntur. L. Schmidt, Die Baiern und der Geographus Ravennas, Mitt. des Instituts 54 (1941) S. 213. — A. Lhotsky, Studien zur Ausgabe der Österr. Chronik d e s Th. Ebendorfer, Deutsches Archiv f. Gesch. d. Mittelalters 6 (1943) S. 234—244.

1. Die Herkunft der Baiern.

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tus Euxinus); dieses gehörte ja in den Kulturkreis Griechenlands. Es wird daher wohl kaum ein Zufall sein und ist noch viel weniger eine „Schwindelei" des Geographen von Ravenna, wenn er für seine Beschreibung von Baias die untere Donau als Grundlage nimmt; die Ursache hiefür dürfte darin zu suchen sein, daß er, wie schon Krusch bemerkt hat, Dacia (Rumänien) mit Dania (Dänemark) verwechselt; das gibt uns aber auch schon einen Fingerzeig, daß Baias in die Gegend des Schwarzen Meeres gehört. Bei dem Versagen der Quellen bleibt als einziger Leitstern die Sprache und der Wortsinn des Namens, der uns die Richtung zeigt. Die Baiern waren demnach ursprünglich Anwohner einer Meeresbucht, die wir aber nicht im Norden, sondern schon ihrer Wortform nach im griechischen Osten zu suchen haben. Ihr Stammesname weist daher auf eine Benennung durch die Nachbarschaft und spricht nicht für eine Eigenschöpfung. Die Sage bezeichnet als Urheimat der Baiern Armenien 1 ); sie führt daher ebenfalls in die Gegend des Schwarzen Meeres; sie ist jedoch erst seit den Kreuzzügen bezeugt, so daß nicht zu sagen ist, ob diese eine alte Erinnerung neu belebt oder deren ursprüngliche Form verändert haben. Die Gestade des Schwarzen Meeres als Urheimat der Baiern führen wieder zur Donau, der gegebenen Vermittlerin zwischen Ost und West, als Verbindung zwischen den alten und neuen Wohnsitzen. In einer Handschrift des neunten Jahrhunderts, die aus dem Kloster Wessobrunn stammt und auch das berühmte, nach ihm benannte Gebet enthält, findet sich in einer Glosse über Ländernamen zweimal der Name I s t r i e n f ü r B a i e r n , und zwar beidemal verbunden mit der Donau 2 ). Die römischen Schriftsteller gebrauchen den Namen Ister für die u n t e r e Donau, so daß nach dem ursprünglichen Sprachgebrauche Istrien dorthin gehört; auch der Schreiber der Handschrift unterscheidet noch zwischen Ister und Danubius (obere Donau). Istrien ist also hier nicht die mit Vene') S. Riezler, Geschichte Baierns 1/1, 2. Aufl. (1927) S. 23. ^ Es heißt da von der Donau: Septim hostis in portum fluit. Istria. Peigira. Ister. Danobius de niue nomen accepit; das andermal: Istrie. Paigirae. Ister. Danobia. P . Kretschmer, Ein verschollener frühmittelalterlicher Name von Bayern oder der Bayrischen Ostmark, Anzeiger der Akademie der Wissenschaften in Wien, 75. Jahrg. (1939) S. 31 f.; J. A. Schmeller, Bayerisches Wörterbuch, 2. Aufl. (1872) S. 218 f.

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II. Das Stammesherzogtum Baiern und das Christentum.

tien verbundene Halbinsel, sondern das Land am Ister, das Donauland. Dieser Name kommt aber weder für die obere, noch die mittlere Donau in Frage, da die Baiern ihre zweiten Wohnsitze (in Ungarn) nördlich, ihre dritten (in Baiern), jedoch südlich von ihr innehatten; für alle zwei war sie bloß Grenzfluß. Istrien ist demnach das Land b e i d e r s e i t s der unteren Donau. Auf diesem Wege kommen wir schon an ihre Mündung und an das Schwarze Meer, wofür überdies der Name Baias zeugt. Der Schreiber der Wessobrunner Handschrift hat ganz recht, wenn er Baiern mit Istrien gleichsetzt, indem er das Peigira nicht mit Danubius, sondern mit Ister verbindet; wir dürfen aber hiebei nicht an das spätere (dritte oder zweite), sondern müssen noch an das erste Siedelland denken; es schimmert daher in seiner Nachricht noch eine Kunde von der Urheimat seines Volkes durch. Der Name Istrien bedeutet hier mithin nichts anderes als Baia; der eine rührt vom Strome, der andere vom Meerbusen her, in den er sich ergießt. Die zwei Wortformen für dieselbe Gegend stützen sich so gegenseitig; sie erweisen in ihrer Verbindung, d a ß d i e U r h e i m a t d e r B a i e r n b e i d e r s e i t s d e r M ü n d u n g d e r D o n a u in d a s S c h w a r z e M e e r z u s u c h e n i s t . Ihre drei verschiedenen Wohnsitze an diesem Strome machen sie zu einem ausgesprochenen Donauvolke, dessen Geschicke so enge mit ihm verbunden sind, daß sie nicht voneinander zu trennen sind: die Elbe und Böhmen (Markomannen) scheiden daher vollständig aus; es eröffnet sich als Weg des Einmarsches die Donaustraße vom Osten her; Ufer-Noricum, und nicht das zweite Rätien (Regensburg) erscheint sohin als Kernland ihrer dritten Wahlheimat mit Lorch als erster Hauptstadt! Die Baiern sind deshalb nicht zu den West-, sondern zu den O s t g e r m a n e n zu rechnen! Zum erstenmal nennt unsere Vorfahren P t o l e m ä u s in seiner schon genannten Geographie: er erwähnt sie unter den germanischen Völkerschaften als B a i a n o i (Jk:avoO, die er östlich von den Q u a d e n ansetzt; er sagt „unter diesen die Eisengruben und der Lunawald und unter letzterem (Kleine und Weiße Karpathen) das an Zahl große Volk der B a i e r n bis zur Donau" 1 ). Vorher spricht er bei der Elbe von den Baginochaimai (Ba-^voyaifj-ai, Ikivoyaijiai); vielleicht vermengt er hier wieder Altes und Neues und versteht *) KouaSoi, Ö'f"

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oi B a icivoi [isypi Toü Axvoo'io') 7t2Ta;j.oO. Vgl. Ausgabe von Cuntz S. 65.

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1. Die Herkunft der Baiern.

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darunter die Vorgänger der von ihm bald hernach genannten Markomannen, die Boier (Hoio/a^oi), die jedoch Kelten waren. Bisher stand auch die Lesung Baianoi nicht fest, indem hiefür stets Baimoi (Baiuo'.) in den Texten zu finden ist; diese W o r t f o r m hielt man wieder für eine Verkürzung der Baioaimoi (Batoai^ot), so daß man die angeblichen Baimoi aus Böhmen stammen ließ 1 ). Es ist wieder die schon festgestellte Verwechslung von Baier und Boier, die nachmals sogar in die älteste Quelle eindrang. Diesen irrtümlichen Lesearten ist entgegenzuhalten, daß die richtige W o r t f o r m entschieden Baianoi ist; sie steht ja in der besten Handschrift (X), die nach dem Urteile der berufensten Kenner in ihrem W e r t e alle anderen überwiegt 2 ). Da die Quaden Pannonien gegenüber siedelten, sind die Wohnsitze der Baianoi beiläufig dort zu suchen, w o die Donau vom Osten nach Süden abbiegt; sie saßen demnach am Fuße des Slowakischen (Schemnitzer) Erzgebirges, wohin die von Ptolemäus genannten Eisengruben die Richtung weisen. Er hebt noch ihre große Volkszahl hervor, so daß wir in ihnen einen eigenen Stamm zu erblicken haben. Auffällig bleibt allerdings, daß kein anderer Schriftsteller des Altertums sie e r w ä h n t ; vielleicht erklärt sich das daraus, daß ihre Siedlungen nicht in der viel umkämpften Donauebene zu suchen sind, sondern in den geschützten Karpathen lagen. Das nächstemal begegnet uns der Name der Baiern in der Gotengeschichte des Jordanis (c. 55), der sie als östliche Nachbarn der S c h w a b e n bezeichnet 3 ). Als Zeit ihrer Abfassung gilt das J a h r 551; wir wissen zudem, daß sie zum Großteile einen Auszug aus dem früh verlorenen W e r k e seines Vorgängers Cassiodor darstellt, das in die J a h r e 526 bis 533 gehört. Aus diesem Grunde verlegen viele Forscher die Einwanderung der Baiern in Noricum vor diese Zeit, die beiläufig mit der nachträglich berechneten Jahresangabe (508) der viel späteren Salzburger Annalen 4 ) übereinstimmt. Jordanis erS o schon K. Zeuß, Die D e u t s c h e n und die N a c h b a r s t ä m m e (Manuldruck 1925) S . 118 f. 2

) Cuntz S. 9 f., der den B e f u n d v o n M o m m s e n über d e n V o r z u g der Vatikanhandschrift bestätigt. W e n n er trotzdem B a i m o i in den T e x t aufnimmt, s o folgt er der herkömmlichen Ansicht, daß d i e s e s W o r t aus Baioaimoi z u s a m m e n g e z o g e n sei. 3 ) regio illa S u a v o r u m ab Oriente Baibaros habet. Mon. Germ., Auetor. antiqu. 5/1 (1882) S. 130. 4 ) Mon. Germ., Script. 9, S . 766; vgl. noch S. 550 u. 562; H. Zeiß, B e m e r k u n g e n zur frühmittelalterl. Gesch. Baierns, Zeitschr. f. bayer. L a n d e s g e s c h . 4 (1931) S. 357 f., 361.

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II. D a s Stammesherzogtum Baiern und das Christentum.

zählt da von einem Kriegszuge der Goten gegen die Schwaben, der vor das Jahr 471 fällt 1 ). Die Wohnsitze der ersteren befanden sich damals in P a n n o n i e n ; dem entspricht die Angabe, sie hätten im W i n t e r die zugefrorene Donau übersetzt und w ä r e n ihren Gegnern, die demnach jenseits derselben hausten, in den Rücken gefallen. Das allein schließt schon die obere Donau aus, so daß die ungarischen Schwaben und nicht die Alemannen in B e t r a c h t kommen; damals, in der Zeit Severins, hatten die Römer Ufer-Noricum noch nicht geräumt. Es ist daher nicht einmal wahrscheinlich, daß da (tunc) die Alemannen, wie Jordanis erzählt, mit den (ungarischen) S c h w a b e n verbündet w a r e n . Das dürfte ebenso eine spätere Textverderbnis sein, wie seine Angabe, das Land der Schwaben (Suaven) hätte im W e s t e n die Franken, im Süden die Burgunder und im Norden die Thüringer zu Nachbarn. Das w a r zur Zeit des Geschehnisses (um 470) bestimmt nicht der Fall. Dieser Zusatz ist daher erst später erfolgt, als die Baiern bereits in die obere Donaugegend ausgewandert und hiedurch Nachbarn der Alemannen gew o r d e n waren. Die älteste und beste Handschrift w a r die im Jahre 1880 leider v e r b r a n n t e Heidelberger, die vielleicht noch dem achten Jahrhundert angehörte, so daß wir den T e x t des Jordanis nur aus späteren Abschriften kennen. Die in unseren heimatlichen Quellen nicht gebräuchliche W o r t f o r m Baibari deutet indes auf eine sehr frühe Zeit und geht wohl noch auf Jordanis zurück 2 ). Ist aber das der Fall, so gehören die Baiern an die mittlere Donau, die er genau kennt. Prokop, der gleich darauf seinen „Gotenkrieg" verfaßte, bezeichnet als südliche Nachbarn der Thüringer die S c h w a b e n (lo^aßoi) und Alemannen (1/12); er erzählt hiebei auch von vergangenen Ereignissen 3 ); es ist daher bei ihm ebenso wie bei Jordanis nicht sicher, ob bei dem einen die in der G e g e n w a r t s f o r m gebrachte Nennung der Baiern im mittleren und bei dem anderen ihr Fehlen im oberen Donaugebiet noch für die Zeit gilt, als beide ihr W e r k abfaßten; doch stimmen ihre Angaben hiefür überein. Die Schwaben in Ungarn nahmen die Wohnsitze der zu Beginn des fünften Jahrhunderts zum Teile fortge*) E. A. Quitzmann, Die älteste Gesch. d. Baiern bis 911 (1873) S. 60, der schon diese Kämpfe an die mittlere Donau verlegt und S. 78 f. Baia in den Karpathen sucht, aber dabei noch irrig an die Markomannen denkt. Riezler, Gesch. Baierns 1/1, S. 96. 2 ) E. Sievers in: Beiträge zur Gesch. der deutschen Sprache und Literatur 50 (1927) S. 257 Anm. 1. 3 ) Ausgabe von J. Haury 2 (1905) S. 64.

1. Die Herkunft der Baiern.

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zogenen Quaden ein, als deren zurückgebliebene Reste sie gelten (Quadensueven) 1 ). Jordanis sagt, das Land Suavien sei Dalmatien benachbart und auch nicht weit von Pannonien entfernt (c. 53). Daß er es mit Savien (an der Sau) verwechselt, ist schon deshalb nicht denkbar, weil dieses ja zu Pannonien gehörte und er ausdrücklich hervorhebt, es sei davon namentlich dort, w o die Goten wohnten, e t w a s abgelegen. W i r dürfen daher in keinem Falle an Alemannien denken, so daß Suavien an die ungarische Donau gehört, w o f ü r ja auch noch das 54. Kapitel zeugt, das der umstrittenen Stelle unmittelbar vorangeht. Dasselbe gilt für die ebendort genannten Baiern. W e n n Jordanis sie als östliche Nachbarn der S c h w a b e n bezeichnet, so stimmt seine Angabe mit der des Ptolemäus überein, der die B a i a n o i in die gleiche Gegend verlegt. W i r haben daher in diesen und nicht erst in den Baibari des Jordanis die e r s t e E r w ä h n u n g d e r B a i e r n zu sehen; in beiden Fällen gehören sie nach Ungarn und noch nicht an die obere Donau. Das Hereinzerren der Franken, Burgunder und Thüringer ist erst spätere Zutat, die dadurch veranlaßt sein dürfte, daß ein Abschreiber von S c h w a b e n und Baiern in Ungarn nichts mehr w u ß t e und einen Irrtum zu berichtigen vermeinte, indem er die Verhältnisse seiner Zeit auf die frühere übertrug. Jordanis scheidet mithin als frühestes Zeugnis für die Seßhaftigkeit der Baiern in ihrer neuen Heimat ebenso aus wie die fränkische Völkertafel 2 ), die lange irrig als ältester Beweis hiefür galt. Als erstes bekanntes Siedlungsgebiet der Baiern erscheinen sowohl bei Ptolemäus als bei Jordanis die W e s t k a r p a t h e n . Die Angabe des gotischen Geschichtschreibers ist freilich nicht ganz sicher, da sie mit einem Textverderbnis verbunden ist. Die W a n d e r sage der L a n g o b a r d e n nennt ein Land Bainaib (Banthaib) 3 ). Da diese den W e g nach der Donau nahmen, das Rugiland und hernach Pannonien besetzten, so liegt es nahe, hiebei an die Gegend (aib) des oberungarischen Baia zu denken 4 ); Böhmen kommt demnach als Siedelraum für die Langobarden ebensowenig in Frage wie bei den Baiern. Schmidt, Gesch. d. deutschen Stämme 1, S. 163, 186, der die Baiern noch zu den W e s t g e r m a n e n rechnet. 2 ) Bei Krusch, Der Bayernname S. 70 f. 3 ) Mon. Germ., Script, rer. Langobard. S. 3 u. 54. 4

) Vgl. K. Müllenhof, Deutsche Altertumskunde 4 (1920) S. 561; H. Brinkmann, Sprachwandel und Sprachbewegungen in althochdeutscher Zeit (1931) S. 202.

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II. D a s Stammesherzogtum Baiern und das Christentum.

Das fast vollständige Schweigen der Quellen spräche zunächst dafür, daß die Baiern aus einem Landstriche kamen, der ganz außerhalb des Schauplatzes des geschichtlich beschriebenen Völkergeschehens gelegen w a r . Doch weisen Ptolemäus und Jordanis übereinstimmend in das Waldgebirge von Oberungarn in die Nähe eines römischen Grenzlandes, das inmitten einer bewegten Geschichte stand. Das macht die Herkunft der Baiern nur noch rätselh a f t e r ; doch läßt sich ihre Geschichte noch immer weiter zurückverfolgen, als die eines anderen deutschen Stammes. Auf der gewonnenen Grundlage können wir den Irrtum beim Geographen von Ravenna besser begreifen, wenn er Baias z w a r in das Elbeland verlegt und doch für die Beschreibung des Flusses die Donau hernimmt; seine Verwechslung geht wohl auf Ptolemäus zurück, der (11/10) die Elbe mit den Baginochaimai und gleich darauf (11/11) das Sudetenland mit den Markomannen und Quaden und östlich davon bis an die Donau die Baianoi nennt. Der Kosmograph von Ravenna schildert nämlich (IV/18) das Elbeland mit Baias und fährt dann (IV/19) sogleich fort: an diese Gegend grenzen die weit ausgebreiteten Gefilde der beiden Pannonien, das sind das untere und obere 1 ). Diese Aufeinanderfolge bringt also B a i a s in die unmittelbare Nachbarschaft der mittleren Donau und Pannoniens. W i r gelangen so zu dem dritten Zeugnis über die Heimat der Baiern, das mit den beiden ersteren genau übereinstimmt. Das W o r t Baia bedeutet daher z w a r sprachlich eine Meeresbucht, doch ist in geschichtlicher Zeit der Landesname mit seinen Bewohnern bereits gewandert und findet sich dreimal an der mittleren und später dauernd an der oberen Donau. Das alleinige Vorkommen an diesem Strom weist auf die Küsten des S c h w a r z e n Meeres als Urheimat; ihre nächsten Sitze w a r e n nördlich, ihre letzten westlich von P a n nonien, das einemal nördlich, das anderemal südlich der Donau und damit zuletzt auf römischem Kulturboden. Für die Abkunft der Baiern von den Markomannen fehlt jedes Zeugnis; es w ä r e doch merkwürdig, wenn sie bei ihrem angeblichen Abzug aus Böhmen von dort einen Namen mitbekommen hätten, den sie in diesem Lande gar nicht führten. Eine Nachricht, daß die Markomannen das Sudetengebiet verlassen hätten, findet sich 19. Item confinales eiusdem regionis sunt patrie longe lateque dilatissime due que nominantur Pannonie, id est inferior et superior. J. Schnetz, Itineraria Romana 2 (1940) S. 56.

1. Die Herkunft der Baiern.

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überhaupt nicht vor. Der zeitliche Abstand zwischen beiden germanischen Stämmen ist überdies so beträchtlich, daß die Annahme ihrer Gleichheit schon an sich wenig glaubhaft ist. Dasselbe gilt für die s c h w e r gangbaren W e g e durch den Böhmerwald, auf denen sie ihre neue Heimat erreicht haben sollten. Auch da ist wieder die Natur der beste F ü h r e r ; sie weist abermals auf die Donaustraße. Das w ü r d e sogar für den Fall gelten, als die Baiern aus Böhmen gekommen wären, da ihre bequemste Verbindung in diesem Falle der der March folgende uralte Handelsweg gewesen wäre, der sie zur Donau gebracht hätte. Daraus folgt, daß die Baiern zuerst das norische Uferland und dann erst das vindelizische Flachland besetzten. Da sie ein volkreicher Stamm waren, für den ersteres bei seinen zahlreichen Waldflächen und Bergen kaum ausgereicht haben wird, so ist an eine bald anschließende Landnahme in Rätien zu denken. Wenn hierüber jede Kunde fehlt, so folgt daraus noch keineswegs, daß der Einmarsch friedlich erfolgt ist; ja, in Vindelizien weist das Einverleiben des alemannischen Stadtgaues Augsburg in ihren Staatsverband auf erfochtene Siege. Die Annahme, die Baiern hätten bei ihrem Einzüge nur das Gebiet zwischen Enns und Lech besetzt, ist nicht zutreffend und überträgt spätere Zustände auf frühere. Da sie vom Osten kamen, so w a r das G ebiet zwischen Wiener Wald und Enns nicht zu umgehen, sondern bildete ihr e r s t e s Z i e l . Im W e s t e n machten sie auch nicht am Lech, sondern erst an der 111 e r, der Provinzgrenze 1 ), Halt, so daß sie Ufer-Noricum und hernach das zweite Rätien vollständig besetzten (S. 93). Ihr Einmarsch wird seinem Zeitpunkte nach mit dem Vordringen der Langobarden in Ungarn zusammenhängen, die ja hiebei Bainaib besetzten. Nach dem Zusammenbruche des Hunnenreiches (453) nahmen die Gepiden das Land zwischen Theiß, Donau und Karpathen in Besitz; nach dem Abzüge der Ostgoten aus Pannonien erlangten sie das Gebiet von Sirmium, das fortan ihre Hauptstadt wurde. Im Einvernehmen mit Kaiser Justinian erhielten jedoch die Langobarden P a n nonien (S. 54); sie unterwarfen sich die S c h w a b e n in Ungarn und besiegten im Bunde mit den Awaren die Gepiden. Im Jahre 568 zogen ') L. Schmidt, Zum Ursprung der Baiern, Zeitschr. f. bayer. Landesgesch. 10 (1937) S. 13 u. Gesch. d. deutschen Stämme 1, S. 194 f., der sich zugleich mit Recht dagegen ausspricht, in der jüngst entdeckten Runeninschrift zu Karstad im südlichen N o r w e g e n das älteste Vorkommen des Namens Baiern zu sehen, doch hiefür irrig Cassiodor als erstes Zeugnis gelten läßt (S. 228).

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II. D a s S t a m m e s h e r z o g t u m B a i e r n und d a s

Christentum.

sie nach Italien und führten die abhängigen Völkerschaften mit sich; unter diesen werden nicht nur die Schwaben, sondern auch Noriker genannt, wobei jedoch nicht Baiern zu verstehen sind, sondern Bewohner der von Ostrom gleichfalls abgetretenen civitas Noricum 1 ). Die Langobarden überließen ihr Gebiet den Awaren, gleich den Hunnen einem asiatischen Volke, das ebenso wie vordem diese an der mittleren Donau und Theiß ein mächtiges Reich gründete. Die erste Kunde über die Landnahme der Baiern in ihrer neuen Heimat bringt der Dichter V e n a n t i u s F o r t u n a t u s . Dieser trat um das Jahr 565 von Ravenna aus eine Wallfahrt zum Grabe des Bischofs Martin von Tours an, die er etwa ein Jahrzehnt später in der Vorrede zu seiner Gedichtsammlung kurz berührt. Da zählt er die Flüsse auf, die er überschritt: die Drau in Noricum, den Inn im Breonenlande, den Lech in Baiern 2 ). Am Ende seines Lobgedichtes auf den gallischen Bischof spricht er ein zweitesmal, in verkehrter Folge, von seiner Alpenreise und sagt, daß in Augsburg die Gebeine der hl. Afra ruhen. „Wenn die Straße offen ist", so fährt er fort, „und dich nicht der Baier hindert, so ziehe in das Gebirge, wo in der Nähe die Sitze der Breonen liegen; du betrittst sie dort, wo der Inn in reißendem Strudel daher strömt", worauf er eines in Tirol gelegenen Valentinheiligtums gedenkt 3 ). Es ist schon lange aufgefallen, daß er Baiern bloß am Lech, aber nicht beim Inn erwähnt, sondern dort das Breonenland nennt. Das wird zumeist so gedeutet, daß die Baiern bis dahin noch nicht bis ins tirolische Hochgebirge vorgedrungen waren 4 ). Das ist zwar wahrscheinlich, zumal ihr Einmarsch wohl damals erst erfolgte, aber nicht sicher. Gleich hernach nennt er den Lech als Fluß Baierns, so daß Augsburg noch dorthin zu zählen ist. Das bestimmt zu wissen, ist um so wichtiger, als es nach unserem Schriftsteller auch zur Zeit der heidnischen Herrschaft eine christliche (romanische) Wallfahrt blieb. Da es Furtunat bereits in den Händen Mon. Germ., Script, rer. L a n g o b . 2

) Drauum

Norico,

Oenum

Breonis,

S. 4,

59, 87.

Liccam

Baiuaria.

Mon. Germ.,

Auct.

antiqu. 4/1 (1881) S. 2; dazu u n t e n S. 177 f. 3

) Si v a c a t ire v i a m n e q u e t e B a i o v a r i u s (Baiuarius) qua v i c i n a s e d e n t B r e o n u m loca, p e r g e per i n g r e d i e n s rapido qua g u r g i t e v o l v i t u r inde Valentini benedicti templa

R ä t i e n 1, S. 41—43, 295 f. 4

) E b e n d o r t S. 275.

require.

obstat,

Alpem,

Aenus. Ebendort

S. 368; d a z u

Heuberger,

1. Die Herkunft der Baiern.

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der Baiern traf, so liegt in seinem Bericht ein unanfechtbares Zeugnis vor, daß diese das christliche Bekenntnis duldeten und dessen Ausübung kein Hindernis bereiteten 1 ). Da seine Reise ihrem Einzüge zeitlich sehr nahe steht, läßt sich zwar nicht sicher sagen, daß er damals im Flachland schon vollendet und im Gebirge noch im Gange war, doch kann es als wahrscheinlich gelten. Für das norische Uferland fehlt jede die baierische Landnahme betreffende Nachricht; gerade dadurch gewinnen die Angaben Fortunats an Wert, da wir aus ihnen den Schluß ziehen können, daß sie in der östlichen Provinz vorausging. Der Einmarsch der Baiern in ehemals römisches Kulturland ist ebenso in Dunkel gehüllt wie ihre Vorzeit. Ihre sichere Geschichte beginnt erst mit Fortunat. Sie sind der letzte deutsche Stamm, der in Germanien seßhaft geworden ist: die Lage ihrer neuen Heimat südlich der Donau und angefügt den Alemannen, Franken und Sachsen weist auf ihre Herkunft aus dem Osten. Hiefür zeugt auch ihre Sprache, in der schon längst griechische und ostgermanische (gotische) Einflüsse festgestellt sind (S. 87 f.). Dem Vormarsch der Baiern an die obere Donau folgte bald die Ankunft der S1 a v e n. Diese standen unter der Oberherrschaft der Awaren und waren ihre Vorhut. Zum erstenmal hören wir um das Jahr 595 von Kämpfen der Baiern unter ihrem Herzoge Tassilo (I.) gegen die neuen Eroberer; sie fielen in das Slavenland (Sclaborum provincia) ein, erfochten dort einen Sieg und kehrten mit reicher Beute heim. Gleich darauf vernichtete aber der neue Feind gegen 2000 Baiern, da ihm die Awaren zu Hilfe kamen. Wenig später, um 610, gewannen die Slaven bei Agunt über die Baiern die Oberhand und plünderten ihr Gebiet: doch diese sammelten sich wieder und vertrieben sie aus ihrem Lande 2 ). Aus dem letzten Berichte ist zu ersehen, daß Kämpfe im oberen Drautale unter Tassilos Sohn Garibald stattfanden; die Baiern hatten also damals bereits den Brenner überschritten und waren so unmittelbare Nachbarn der Karantanen geworden. Die slavische Welle ergoß sich jedoch nicht nur dorthin, sondern überflutete gleichzeitig Die Germanen waren in Glaubenssachen im allgemeinen duldsam. So galt es nach Gregor von Tours, dem Geschichtschreiber der Franken, bei den W e s t goten nicht als sträflich, beim Vorbeigehen an Altären der Heiden und an christlichen Gotteshäusern beiden seine Ehrfurcht zu beweisen. Mon. Germ., Script, rer. Merov. 1, 2. Aufl. (1937) S. 252. 2

) Mon. Germ., Script, rer. Langob. S. 118, 120, 133.

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II. D a s Stammesherzogtum Baiern und das Christentum.

auch die Sudetenländer 1 ); sie brach sich demnach am norischen Uferlande. D a s Vordringen der Slaven, bzw. Awaren w a r die Folge der Vernichtung des Gepiden-Reiches und der Abwanderung der Langobarden aus Pannonien. Ufer-Noricum als ein im Osten, Süden, aber auch im Norden vom Slavenmeer umbrandeter Landdamm einer germanischen Völkerschaft ersetzt uns den fehlenden Quellenbeweis für den dort vorausgegangenen Einmarsch der Baiern. In deren ersten Kämpfen in der neuen Heimat erkennen wir bereits ihre hohe Sendung und ihren künftigen Beruf: sie w e r den die Grenzwacht und Schutzwehr des deutschen Volkes im Südosten und Vorposten an einem der Hauptwege nach Italien! 2. Der Beginn der Abhängigkeit der Baiern von den Franken. Nach der herkömmlichen Lehre w ä r e n die Baiern seit ihrem Eintritte in die Geschichte von den F r a n k e n abhängig gewesen. Als Beweis hiefür dient ein Brief von deren König Theudebert (534 bis 548) an Kaiser Justinian, worin er die ihm untertänigen Völker aufzählt und sagt, die Grenzen seiner Herrschaft erstrecken sich von der Donau und dem pannonischen Grenzwalle bis zum Weltmeer (Ozean) 2 ). In Wirklichkeit sagt dieses Schreiben eher das Gegenteil; es nennt die Baiern unter den unterworfenen Stämmen überhaupt nicht und schweigt auch über Rätien und Noricum. Von den in der Nähe befindlichen Völkern e r w ä h n t der Frankenkönig nur die Thüringer, die n o r d w ä r t s der Donau wohnten. Das Gebiet zwischen ihr und dem Meere ist eben nicht im Süden, sondern im Norden zu suchen, so daß unter dem „ O z e a n " das Atlantische Weltmeer und nicht die Adria zu verstehen ist; darauf führt schon die gebrauchte Wortform, die für eine vom Lande eingeschlossene Bucht ungewöhnlich wäre 3 ). Die Baiern w a r e n damals wahrscheinlich noch gar nicht in ihrer neuen Heimat. Es ist kaum anzunehmen, daß sie dorthin gezogen w ä r e n und gleich auf ihre Freiheit verzichtet hätten. Das geschah wohl erst, als sie von den Slaven, b z w . Awaren bedrängt w a r e n ; ') E. Schwarz, Die Ortsnamen der Sudetenländer als Geschichtsquelle (1931) S. 47 f. 2 ) septemtrionalem plagam Italiaeque Pannoniae cum S a x o n i b u s . . . per Danubium et limitem Pannoniae usque in oceanis litoribus . . dominatio nostra porrigetur. Mon. Germ., Epist. 3 (1892) S. 133. 3

) S o schon H. Zeiß in seiner dankenswerten „Quellensammlung für die Gesch. des bair. Stammesherzogtums bis 750" im Bayer. Vorgeschichtsfreund 7 (1927) S. 41; dazu noch Heuberger, Rätien 1, S. 259 f.

2. Der Beginn der Abhängigkeit der Baiern von den Franken.

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einem solchen Gegner w a r e n sie auf die Dauer nicht gewachsen und bedurften daher eines Rückhaltes im mächtigen Frankenreiche, von dem ihre westlichen Nachbarn, die Alemannen, schon abhängig waren. Man geht häufig noch weiter und bezeichnet das Herzogshaus der Baiern, die A g i 1 o 1 f i n g e r, als fränkisches Geschlecht. Das ist deshalb nicht glaubhaft, als diese noch zu Beginn ihrer beiden Bekehrungen heidnisch waren, und die Könige des Frankenreiches schon seit der Taufe Chlodwigs (507) 1 ) dem katholischen Glaubensbekenntnis anhingen. Gregor von Tours (gest. 594) sagt vom Könige Chlotar I. (555—561), er hätte die Gattin seines verstorbenen Vorgängers Theudebald, namens Walderada, zur Frau genommen, sie aber auf den Tadel der Geistlichkeit hin verlassen und ihr Herzog Garibald zum Manne gegeben 2 ). Da der Verfasser der „Geschichte der F r a n k e n " die Baiern überhaupt nicht erwähnt, so ist schon an sich unwahrscheinlich, in unserem Falle an einen Fürsten dieses Volkes zu denken; in ihm dürfte viel eher ein einheimischer Großer verborgen sein; es ist zudem sehr fraglich, ob die Baiern damals (um 555) schon an der oberen Donau w r aren. W a l d e r a d a w a r eine Tochter des Langobardenkönigs Wacho. Aus diesem Grunde befaßt sich mehr als ein Jahrhundert später die „Herkunft" (Origo) dieses Stammes mit der genannten Ehe Garibalds, wobei sie diesen keinesfalls als Baiern bezeichnet 3 ). Der Geschichtschreiber der Langobarden Paulus Diaconus (gest. um 797), der die Schrift seines Vorgängers benützte, teilt Garibald der Gefolgschaft des Frankenkönigs zu 4 ). Wenn daher die Origo an a n d e r e r Stelle sagt, Authari (König der Langobarden) bekam als Gattin Theudelinde, eine Tochter Garibalds und W a l d e r a d a s „von Baiern" (de Baiuaria) 3 ), so dürfte der letzte Zusatz nicht ihr selbst entstammen, sondern von einem späteren Abschreiber hinzugefügt sein. Der Name Garibald w a r nämlich im Agilolfinger Hause gebräuchlich; so hieß ein Sohn Tassilos (I), der zu Agunt von den Slaven besiegt w u r d e ; sie beide sind die ersten beglaubigten Agi-1) B. Krusch, Chlodovechs Taufe in Tours 507 und die Legende Gregors von Tours (Reims 496), Neues Archiv 49 (1932) S. 457ff. und Sitzungsber. der Berliner' Akademie der Wissenschaften, Jahrg. 1937, S. 109ff.; dazu Deutsches Archiv für Gesch. d. Mittelalters 2 (1938) S. 585 f. 2 ) dans ei Garivaldum ducem. Mon. Germ., Script, rer. Merov. 1, S. 141. 3 ) tradidit eam Garipald in uxorem. Mon. Germ., Script, rer. Langob. S. 4. 4 ) uni ex suis, qui dicebatur Garipald, in coniugium tradidit. Ebendort S. 60. 5 ) Ebendort S. 5.

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II. Das Stammesherzogtum Baiern und das Christentum.

lolfinger. Es ist daher leicht möglich, daß schon Vorfahren Tassilos den Namen seines Nachfolgers Garibald führten. Der Diakon Paulus berichtet noch, daß der (langobardische) Herzog Ewin um 575 eine Tochter des „Baiernkönigs" Garibald heiratete; bei diesem w ä r e am ehesten an einen Agilolfinger zu denken, doch bringt er auch die eben genannte Kunde gleich nach Angaben aus dem Frankenreiche 1 ). Derselbe Geschichtschreiber meldet ferner, daß (um 589) „König" Garibald durch den Anmarsch der Franken in Not geriet, weshalb seine Tochter Theudelinde mit ihrem Bruder Gundoald nach Italien flüchtete 2 ). Dieser späteren und mit mancherlei Sagen verbundenen Nachricht steht jedoch der Bericht eines viel früheren, dem siebenten Jahrhunderte angehörigen fränkischen Geschichtschreibers, des sog. Fredegar, entgegen, der Theudelinde ausdrücklich dem Königshause seines Vaterlandes entsprossen sein läßt und deren Flucht mit ihrem Bruder Gundoald der Gegnerschaft der bekannten Königin Brunhilde zuschreibt 3 ). Theudelinde hat sich dadurch einen Namen gemacht, daß sie nach dem frühen Tode ihres ersten Gemahls im Bunde mit P a p s t Gregor dem Großen die Langobarden dem katholischen Bekenntnisse zuführte. Das zeugt für die Richtigkeit der Angabe Fredegars, der sie für seinen S t a m m beansprucht. Ihre Herkunft aus einem katholischen Lande macht ihr Vorgehen viel verständlicher, als w e n n sie als baierische Prinzessin einer heidnischen Herrscherfamilie entsprossen w ä r e ; sie ist daher wie ihr Vater Garibald aus der baierischen Geschichte zu streichen und wieder in die fränkische einzusetzen 4 ). Damit fällt aber auch die Annahme, daß die Agilolfinger ein fränkisches Geschlecht und als solches christlich gewesen w ä r e n ; sie w a r e n gleich ihrem Volke Heiden und daher ein einheimisches Herrscherhaus 5 ). E s fehlt deshalb jeder Grund, in der Zeit der Landnahme der Baiern von deren Abhängigkeit von dem Frankenreiche zu sprechen. Die schriftliche Überlieferung über die Baiern setzt erst ein, als sie ihr Land gegen die anrückenden Slaven zu verteidigen hatten (um 595). Gleich hernach fielen die Awaren in Thüringen ein ' ) filiam Garibaldi Baioariorum regis. Mon. Germ., Script, rer. Langob. S. 97. 2 ) Ebendort S. 110. 3 ) Teudelende e x genere Francorum. Mon. Germ., Script, rer. Merov. 2 (1888) S. 133 f; vgl. noch S. 146 u. 156. 4 ) D a s tat schon F. W . Rettberg, Kirchengeschichte Deutschlands 2 (1848) S. 178—181, 187 f. 5 ) Dazu Riezler, Gesch. Baierns 1/1, S. 143.

3. Die irischen Glaubensboten und ihr erstes Wirken in Alemannien.

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und gerieten so in harte Kämpfe mit den F r a n k e n ; zugleich standen sie in Feindschaft mit den Langobarden 1 ). Deren Geschichtschreiber Paulus Diaconus, der hiebei wohl aus verlorenen Quellen schöpft, liefert uns hierüber die ersten Nachrichten; er beginnt mit folgendem S a t z e : „In dieser Zeit w u r d e Tassilo (I) vom Frankenkönig Childebert (II) in Baiern als König eingesetzt" 2 ). Das ist die f r ü heste Kunde von einer Abhängigkeit Baierns von den F r a n k e n ; es ist wohl kaum Zufall, sondern in der Sachlage begründet, daß der Verlust der Freiheit mit dem Vordringen der Slaven (Awaren) zusammenhängt. Bis dahin dürften die Baiern ihre Selbständigkeit behauptet haben. Vielleicht hat erst damals der Titel ihres Herrschers gewechselt, indem hiedurch aus einem freien König ein abhängiger Herzog wurde. Doch fehlt hierüber eine gleichzeitige Quelle: der von Paulus Diaconus gebrauchte Titel ist noch nicht beweisend. 3. Die irischen Glaubensboten und ihr erstes Wirken in Alemannien. Die Taufe des Königs Chlodwig, eines der folgenschwersten Ereignisse in der Glaubensgeschichte der bisher heidnischen oder arianischen Germanen, w u r d e nicht nur für das Reich der Franken bedeutungsvoll, sondern auch für die von ihnen unterworfenen Völker. Schon das erwähnte Schreiben Theudeberts an Kaiser Justinian spricht von einem mit der Ausdehnung seiner Herrschaft verbundenen „Fortschritt der Katholiken" (profectus catholicorum). Heiden und Christen lebten dort zunächst noch friedlich nebeneina n d e r ; es dauerte noch ein halbes Jahrhundert, bis die heidnischen Götzenbilder, Gelage, Gesänge und Tänze verboten wurden. Bis dahin hören wir von keinen Gewaltmaßnahmen. Die abhängigen Stämme konnten so noch lange Heiden bleiben. Wir wissen das von den Nachbarn der Baiern, den Alemannen 3 ), die schon Chlodwig besiegte und dessen Enkel Theudebert (534—548) neuerdings unterwarf. Die nachdrückliche Bekehrungsarbeit bei den germanischen Völkern beginnt nach der Ankunft der i r i s c h e n M ö n c h e in Gallien; diese leiten auf dem Festlande einen bedeutsamen Wandel ein. *) Mon. Germ., Script, rer. Langob. S. 120 f. 2) His diebus Tassilo a Childeperto rege Francorum aput Baioariam rex ordinatus est. Ebendort S. 118. 3 ) Hauck, Kirchengesch. Deutschi. 1, S. 123 f., 331. 6

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II. Das Stammesherzogtum Baiern und das Christentum.

Die fränkischen Könige verlangen von da an von den abhängigen Stämmen die Annahme des Christentums; es beginnt somit schon damals jene Politik, die später in den blutigen Kämpfen Karls des Großen gegen die heidnischen Sachsen grell hervortritt. F ü r die F r a n k e n bedeutete in zunehmendem Maße die Ausbreitung des Christentums die Sicherung ihrer Herrschaft; ihre Könige lenken mit dem von ihnen vertretenen Staatskirchentum in die Bahnen der römischen Kaiser ein. Für die untertänigen Völker jedoch w u r d e ihr heidnischer Glaube das Sinnbild und Bollwerk der Freiheit. Darin liegen die äußeren Erfolge der fränkischen Glaubensboten, aber auch die großen Schwierigkeiten, die sie zu überwinden hatten. Zu der zweifachen Aufgabe, die sie als Diener ihrer Kirche und als politische Sendlinge der fränkischen Könige zu erfüllen hatten, kam noch eine ebenso große dritte Bestimmung: sie w u r d e n die ersten L e h r e r der lateinischen Schrift, die mit ihnen eindringt, und erhellen das Dunkel, das auf der germanischen Frühgeschichte h a f t e t ; die ältesten schriftlichen Denkmale, die uns begegnen, sind die „Volksr e c h t e " der Baiern und Alemannen im christlichen Kleide als Schutzmittel für die Missionsarbeit; freilich verblaßt und erlischt mit der Tätigkeit der Verkünder des neuen Glaubens die Erinnerung an die heidnische Vorzeit; die Kenntnis von ihr geht fast gänzlich verloren. Die Kirche Irlands gilt in der Hauptsache als eine Schöpfung des hl. P a t r i c k (gest. 461) 1 ). Die Abgeschlossenheit der Insel v e r u r sachte es, daß sie in der Eigenart ihrer Frühzeit und ihres Stammes v e r h a r r t e und die Entwicklung des Christentums auf dem Festlande nicht mitmachte. D a s brachte sie später in Gegensatz zu Rom, namentlich zu der von dort seit Gregor dem Großen ausgehenden angelsächsischen Mission und zum Benediktinerorden. Die Hoffnung auf Gottes Lohn und die den Iren innewohnende Reiselust führte ihre Priester und Ordensleute zum Verzichte auf ihre Heimat und brachte sie in fremde L ä n d e r ; damit fanden sie den W e g , unter heidnischen Völkern die Lehre Christi zu verkünden. Das W i r k e n der irischen (schottischen) Mönche fußt und v e r h a r r t in der Zeit Severins, dessen Weltflucht, Klosterleben und W a n d e r schaft ein ähnliches, abwechslungsreiches Muster bietet, und geht *). Sein Aufenthalt im Inselkloster LSrins (Südostküste Frankreichs) ist zu bezweifeln, doch weilte er wohl einige Zeit in Gallien. K. Müller, Der hl. Patrick, Nachrichten von der Gesellschaft der Wissenschaften zu Göttingen 82 (1931) S. 91 f.

3. Die irischen Glaubensboten und ihr erstes Wirken in Alemannien.

noch auf zurück 1 ).

altchristliche,

aus

dem

Osten

kommende

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Vorbilder

Der Mann, der das irländische Kirchenwesen nach Gallien verpflanzte, w a r K o l u m b a n d e r J ü n g e r e ; mit zwölf Gefährten, wie es damalige Sitte w a r , traf er dort um das Jahr 590 ein. Seine bedeutende Persönlichkeit überragt in ihrem tiefgreifenden Schaffen alle seine Zeitgenossen in der fränkischen Kirchengeschichte. Seine Gründung, das schon genannte K l o s t e r L u x e u i l (Luxovium) in Burgund, w u r d e eine Pflanzschule strengster Zucht und Bußfertigkeit sowie weit umspannender Wirksamkeit, da von dort eine Reihe solcher Ableger ausging. Die von ihm verfaßte Ordensregel, für die ihm wohl die Gewohnheiten seines Heimatklosters Bangor als Vorbild dienten, verdrängte alle anderen in Gallien und dessen Nachbarschaft und herrschte dort bis zum Eindringen der Benediktinerregel. Nach zwanzigjähriger Wirksamkeit mußte er das Land verlassen, da sein starres Festhalten an den irischen Kirchengebräuchen die burgundischen Bischöfe verbitterte und sein schroffes Auftreten gegen die Unsittlichkeit am Königshofe sein Verbleiben verkürzte. Bei König Theudebert von Austrasien fand er freundliche Aufnahme: ja dieser bewog ihn, seinen Plan, nach Italien zu ziehen, aufzuschieben und sich im nahen B r e g e n z, der alten Hauptstadt der keltischen Brigantier, niederzulassen, um dort die A l e m a n n e n für den christlichen Glauben zu gewinnen. Das w a r der Beginn der Bekehrung der dem Frankenreiche unterworfenen S t ä m m e (610); der Gedanke hiefür ist demnach vom Königtum und nicht von Kolumban ausgegangen. Unter dessen Gefährten sind seine Schüler E u s t a s i u s u n d G a l l u s zu nennen, von denen der eine bald hernach als erster Apostel in Baiern wirkte, der andere dauernd in der Gegend des Bodensees zurückblieb. Auf ihre Predigt hin fanden viele zu Chris t u s ; andere, die z w a r schon getauft aber abgefallen waren, kehrten wieder zurück 2 ). Daß neben dem dort herrschenden Heidentume x

) Das hiefür gebrauchte Wort peregrinatio ist die xeniteia (?svixsia) der Mönche des Morgenlandes. H. Campenhausen, Die asketische Heimatlosigkeit im altkirchlichen und frühmittelalterlichen Mönchtum (Tübingen 1930) S. 11 f. 16—23; K . W e b e r , Kulturgesch. Probleme der Merowingerzeit im Spiegel frühmittelalterl. Heiligenleben, Studien u. Mitt. zur Gesch. des Benediktiner-Ordens 48 (1930) S. 356, 365—369. 2 ) Multi . . ad Christi fidem conversi, baptismum sunt consecuti; aliosque, quos iam lavacro ablutus error detinebat profanus, ad cultum euangelicae doctrinae . . . reducebat (Jonas). Mon. Germ., Script, rer. Merov. 4 (1902) S. 102 f. = Schulausgabe von B. Krusch (1905) S. 214. Jonas bezeichnet B r e g e n z noch als urbs. 6*

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II. Das Stammesherzogtum Baiern und das Christentum.

doch schon solche waren, die bereits einmal in die Kirche aufgenommen wurden, deutet auf verbliebene Reste von Romanen. Das begonnene Werk wurde schon nach drei Jahren unterbrochen, als Theudebert von seinem Bruder Theuderich besiegt und vertrieben wurde (612). Wegen dessen feindlicher Gesinnung war Kolumban früher von Burgund gewichen; auf das hin verließ er jetzt auch Bregenz und zog nach Italien; dort gründete er das Kloster Bobbio bei Pavia und starb bald hernach (615); in einem Mönche dieses Ordenshauses, Jonas, fanden er und Eustasius bald hernach einen Schilderer ihres bewegten Lebens. Gallus blieb gegen den Willen seines Meisters zurück; als Strafe hiefür durfte er, solange Kolumban lebte, nicht mehr Messe lesen. So flüchtete er denn, um das Verbot seines Abtes zu befolgen, in die Wildnis des Arboner Forstes und errichtete dort an der Steinach eine Zelle, aus der das nach ihm benannte Kloster erwuchs. Seine Lebensbeschreibungen sind erst spätere Werke und stehen daher an Glaubwürdigkeit gegenüber Jonas weit zurück; die älteste von ihnen ist fast eineinhalb Jahrhundert nach seinem ungewissen Todesjahr geschrieben. Hätte die Wirksamkeit der Glaubensboten auf dem Boden der römischen civitas Brigantium länger gedauert, so wäre Bregenz der kirchliche Mittelpunkt der schwäbischen Bodenseegegend geworden. Es kam anders. König Dagobert I. (629—639) verlegte, wie wir aus einer jüngst herausgegebenen St. Gallener Geschichtsquelle des Dichters Notker des Stammlers, der uns als Verfasser eines Märtyrerbuches bereits begegnet ist, erfahren, den seit dem sechsten Jahrhundert nachweisbaren Bischofssitz von Vindonissa (Windisch im Aargau) nach K o n s t a n z am Bodensee 1 ); damit kam ein künftiges Bistum in Bregenz nicht mehr in Frage. Die allerdings spätere Nachricht Notkers paßt zu dem, was wir sonst noch von den genannten Glaubenspredigern und den beiden Königen erfahren, so gut, daß wir an ihrer Richtigkeit nicht zu zweifeln brauchen. Sie straft die schon öfter bedenklich befundenen Angaben der Lebensbeschreibungen des Gallus über das Verhältnis seiner Gründung zum Bistume Konstanz Lügen: das hat zu Lebzeiten des Heiligen offenbar noch gar nicht bestanden, da sie den Namen des ersten Bischofs (Marcianus) nicht kennen; die drei Oberhirten, die sie angeben (Gaudentius, Johannes und Boso), gehören wohl auf den Stuhl von 2

) Mon. Germ. P o e t a e lat. 4 (1923) S. 1107; dazu F. B e y e r l e in der Zeitschr. f. Rechtsgesch., Germ. Abt. 49 (1929) S. 291 f.

3. Die irischen Glaubensboten und ihr erstes Wirken in Alemannien.

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Chur, auf dessen Grund die Galluszelle stand, oder sind frei erfunden. Bis zur Verlegung des Bistums von Vindonissa zählte der Arboner Gau nämlich schon seiner Lage nach kirchlich zur Hauptstadt des ersten Rätiens. Dort ist durch das viel stärkere Verbleiben der rätoromanischen Bevölkerung das Christentum weit mehr haften geblieben, als in Vindelizien. So erscheint es ganz natürlich, daß nach der Landnahme der Alemannen die Gegend nördlich des Bodensees heidnisch wurde, hingegen im Arboner Gau auch dann noch kirchliche Einrichtungen erhalten blieben. Der benachbarte p o n t i f e x, der Kolumban und seine Schar zu Bregenz mit Lebensmitteln versorgte 1 ), war daher nicht ein Bischof von Konstanz, sondern der M e t r o p o l i t v o n C h u r ; es wird wohl derselbe Viktor gewesen sein, der im Jahre 614 auf der Pariser Synode die rätische Hauptkirche vertrat 2 ). Das weist auf seine Zuständigkeit im Arbongau und erklärt dort den Bestand der Seelsorge. Mit dieser Feststellung ist aber ein Bistum Konstanz für die Zeit der Ankunft der genannten Glaubensboten schwer vereinbar, ja ihre Wirksamkeit in Bregenz wird erst dadurch erklärlich, daß am Bodensee eine bischöfliche Kirche noch nicht bestand. So wurde der Gau Arbon und damit die Kirche von Chur der Rückhalt ihrer Mission, zumal Bregenz am Zugange zu den Graubündener Pässen gelegen ist, und nach dem Weggange Kolumbans für dessen widerspenstigen Schüler und Landsmann Gallus die ständige Zuflucht. Ein Wechsel trat erst mit der Verlegung des Bischofssitzes von Vindonissa nach Konstanz ein; damit kam das gesamte Uferland des Sees kirchlich dorthin. Noch wichtiger ist der allgemeine Schluß, den wir aus den geschilderten Vorgängen ableiten können: in Alemannien blieben mehr noch wie in Baiern neben dem Heidentume der Eroberer Reste des Christentums bestehen, deren Träger die unterworfenen Ro*) quidam pontifex ex vicinis urbibus. Jonas, Schulausgabe S. 215. Ebenso w e i s e n die Worte des Gallus aus dessen ältester Vita „Ego urbem et pontificatum contempsi" (Mon. Germ., Script, rer. Merov. 4, S. 252) wieder nicht auf den Bischofstuhl von Konstanz, sondern auf den Metropolitansitz von Chur, da damals der Titel pontifex einem einfachen Bischof noch nicht gebührte (S. 50). Ein Bistum Konstanz hat daher v o r Dagobert nicht bestanden; er als Gründer hat erst seine Grenzen festgesetzt (S. 92 f.). Die späteren Lebensschilderer des Gallus verwechseln daher Chur mit Konstanz, wohin die Zelle ihres Meisters erst zuständig wurde, als Dagobert einen Bischofssitz am Bodensee errichten ließ. Es ist demnach unrichtig, w e n n noch J. Ahlhaus, Die Alamannenmission u. die Gründung des Bistums Konstanz, Schriften zur Gesch. d. B o d e n s e e s 62 (1935) S. 69, letzteres zeitlich vor die erstere setzt. Mon. Germ., Leges III, Concilia 1 (1893) S. 192.

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II. D a s Stammesherzogtum Baiern und das Christentum.

manen waren; es ist dasselbe Ergebnis, das uns schon in Augsburg an der Grabstätte Afras begegnete. 4. Die erste Bekehrung Baierns. Inzwischen war das Reich der Franken nach inneren Kämpfen und Teilungen im Jahre 613 unter König Chlothar II. wieder zur Staatseinheit erwachsen; eine solche Kräftigung zeitigte von selbst ein machtvolleres Auftreten gegen die Nachbarn. Das Beispiel, das Theudebert für Alemannien gegeben hatte, wandte jetzt der neue König für alle abhängigen Völker an. Die Durchführung oblag wieder den irischen Mönchen; ihr Leiter war der Nachfolger Kolumbans als Abt von Luxeuil, der schon genannte Burgunder E u s t a s i u s . Dieser wollte, wie uns Jonas erzählt, um den Auftrag seines Meisters zu vollziehen, die den Franken unterworfenen Stämme für ihre Kirche gewinnen. So begab er sich denn zu den Warasken (in Burgund), „die teils dem Götzendienste ergeben, teils vom Irrglauben des Photinus und Bonosus befleckt waren. Als er sie bekehrt hatte, zog er zu den Boiern, die jetzt B a i e r n heißen; er wies sie mit großer Mühe nach der Grundregel des Glaubens zurecht und gewann sehr viele von ihnen; nachdem er dort einige Zeit verweilt hatte, entsandte er kluge Männer, die das begonnene Werk eifrig fortsetzen sollten; er selbst kehrte nach Luxeuil zurück" 1 ). Das ist die erste Kunde, die wir von einer Einführung des Christentums in Baiern erfahren. Während der Berichterstatter bei den Warasken neben dem Götzendienst noch Bekenntnisse von zwei arianischen Bischöfen erwähnt, fehlt bei den Baiern jede Teilung von Heiden und Christen, so daß bei ihnen an einen einheitlichen Volksglauben zu denken ist. Das ist um so mehr anzunehmen, als derselbe Jonas auch bei den Alemannen in Bregenz die Glaubensunterschiede eigens hervorhebt. Wenn er ferner diesmal nur von einem Elementarunterrichte (liniamentum fidei) spricht, so deutet das mit den vielen Mühen, deren er hier gedenkt, auf das noch vorherrschende Heidentum; so erklärt sich auch der Unterschied des Ergebnisses: bei den Warasken voller Erfolg, bei den Baiern aber nicht, da hier im ersten Anlaufe eine Anzahl noch nicht gewonnen werden konnte. Hos ad fidem conversos, ad Boias, qui nunc Baioarii vocantur, tendit, eosque multo labore inbutos fideique liniamento correctos, plurimos eorum ad fidem convertit . . . Jonas, Schulausgabe S. 244; dazu oben S. 67.

4. Die erste Bekehrung Baierns.

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Die Verbindung der beiden Völkerschaften, die uns im Leben des Eustasius begegnet, führte bald zu einem Irrtume. Schon die Vita der Äbtissin Salaberga weiß von einem Übergreifen der Bonosianer nach Baiern zu erzählen. In der Tat handelt es sich da aber, wie der jüngste Herausgeber ihrer Lebensbeschreibung festgestellt hat, nur um eine Verwechslung, die ihrem erst dem neunten Jahrhundert angehörigen Verfasser unterlaufen ist 1 ). Es fehlt daher, da auch früher und später keine Quelle zu finden ist, jede Grundlage, von einer Anhängerschaft der Baiern an den Arianismus in irgend einer Form zu sprechen. Im Gegenteil: alle nachfolgenden Angaben, so dürftig sie auch sind, weisen wie der wortkarge Bericht des Jonas auf die Alleinherrschaft des Heidentums. Die Herkunft der Baiern aus dem Osten macht es allerdings wahrscheinlich, daß sie das Christentum schon in ihrer zweiten Heimat (Karpathen) kannten. Da im Umkreise von Pannonien der Arianismus herrschte, so käme gerade diese Bekenntnisform für sie in Frage. Da glauben nun neuere Vertreter der Sprachwissenschaft aus der nur in Baiern vorkommenden Bezeichnung des Dienstags als Ergetag schließen zu dürfen, daß damit der Tag des Arius, des Stifters der Arianer, gemeint sei 2 ). Bei der Deutung auf einen so scharf umrissenen Mann würde es jedoch nicht genügen, daß unter den Baiern Anhänger von ihm zu finden wären, sondern da müßte doch wohl dessen Bekenntnis bei ihnen Staatsreligion gewesen sein. Wir wissen weder das eine noch das andere, ja in letzterem Falle würde ein Rückfall ins Heidentum die Beibehaltung einer Wochentagsbezeichnung nach ihm erst recht ausschließen. Es findet sich daher für die neue Namenserklärung kein geschichtlicher Anhaltspunkt. Die frühere Deutung mit Tag des Ares, des Kriegsgottes der Griechen, dürfte demnach eher zutreffend sein, zumal die Urheimat der Baiern im Unterlaufe der Donau zu suchen ist. Die Wochentagsnamen kamen aus dem Orient zu den Griechen; so gelangten sie auch zu den Baiern und Slaven, ohne daß wir deshalb stets eine gotische Vermittlung annehmen müssen. Da bei den Griechen die Kirchensprache viel mehr durchdrang als bei den Römern, so finden wir bei den aus dem Osten gekommenen Völkern mehr christliche Bezeichnungen als im Westen. So erklären sich Mon. Germ., Script, rer. Merov. 5 (1910) S. 51 (B. Krusch); dazu H. Zeiß in: Zeitschr. f. bayer. Landesgesch. 2 (1929) S. 354 f. ^ E. Kranzmayer, Die Namen der W o c h e n t a g e in den Mundarten von Bayern und Österreich (1929) S. 75 f.; Brinkmann, Sprachwandel S. 110 f.

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II. Das Stammesherzogtum Baiern und das Christentum.

die Wochentage Pfinztag (Donnerstag) und Pherintag (Freitag), die gleich dem E r t a g nur bei den Baiern vorkommen, als Lehnworte aus der griechischen Volkssprache. Solche Beispiele aber genügen bei dem Fehlen anderer Belege nicht für einen Nachweis des Christentums in der Frühgeschichte der Baiern, sondern sie zeugen bloß f ü r deren Herkunft aus dem Osten. Zwischen Jonas und der Lebensbeschreibung der Äbtissin Salaberga steht dem Alter nach eine andere, die z w a r in ihrem letzten Teile auf ersterem fußt, doch in ihrer Einleitung zum Bekehrungsw e r k in Baiern eine selbständige Nachricht bringt: die Vita des späteren Abtes A g i l , der gleich Eustasius ein Schüler Kolumbans w a r und mit ihm in dem genannten Lande als Glaubensbote wirkte. Da erfahren wir den Anlaß für ihre Entsendung nach B a i e r n ; ihr Verfasser beruft sich hiebei auf einen Synodalbeschluß, der gleich in den Anfang der Alleinherrschaft des Königs Chlothar II. zu setzen ist, da er unmittelbar vorher darauf hinweist: „es hätten zu den benachbarten Völkerschaften erprobte Männer abzugehen, um sie von ihren Irrlehren wieder in den Schoß der Kirche zurückzuführen und jenen, die überhaupt noch nicht Christen seien, w ä r e das E v a n gelium zu verkünden." W ä h r e n d er wie Jonas bei den W a r a s k e n das Heidentum und den Arianismus hervorhebt, weiß er von den Baiern nur zu sagen, es hätten sich „sehr viele zum Glauben der Christenheit bekehrt", so daß auch er bei ihnen nur an Heiden denkt 1 ). Nach dem Berichte des Jonas erscheint das B e k e h r u n g s w e r k als ein W u n s c h und Vermächtnis Kolumbans. Da dieser am 23. Nov e m b e r 615 zu Bobbio starb, so gelangen wir auf diese W e i s e auf das nächstfolgende J a h r als den Beginn der Ausführung. Damit stimmt beiläufig die obige Angabe aus dem Leben Agils überein, da König Chlothar II. im J a h r e 613 Alleinherrscher wurde. Noch näher trifft mit dem Todesjahre Kolumbans der T a g von Bonneuil bei P a r i s zusammen, den Fredegar e r w ä h n t 2 ) ; er bezog sich nur auf Burgund und w a r auch von weltlichen Großen besucht. Da jedoch das Kloster Luxeuil dort gelegen w a r , so ist die Beschränkung auf diesen Reichsteil kein Hindernis; eher könnte man sich noch daran . . synodica definitione dirigere peritissimos viros, qui vicinas gentes, falso errore deceptas, ad gremium sanctae matris ecclesiae revocarent: et quibus necdum Christus annuntiatus fuerat, fulgenti eloquio, e v a n g e l i c a r e n t . . . plurimos eorum (Baiern) ad fidem christianitatis converterunt. Acta Sanctorum, August tom. 6, S. 580. ^ Mon. Germ., Script, rer. Merov. 2, S. 143.

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stoßen, daß die Synode, von der das Leben Agils spricht, in ihrem ursprünglichen Wortsinne eine Kirchenversammlung sein sollte. Da jedoch bei der Entsendung von Glaubensboten die staatlichen Vorteile bestimmend w a r e n , so läge es nahe, den Anlaß hiezu von einer Versammlung ausgehen zu lassen, die jedoch das ganze Reich und nicht einen Teil hievon umfassen sollte. Es läßt sich daher w e der die Art noch der Ort des in F r a g e stehenden Reichstages näher bestimmen, doch ist die Abhaltung eines solchen für den angegebenen Zweck sehr wahrscheinlich und erhellt auch aus den Überschriften der Volksrechte der Baiern und Alemannen. Auf jeden Fall bleibt der Zeitansatz um 616 für den allgemeinen Beginn des Bekehrungsw e r k e s bestehen, so daß er mit der damals stattgefundenen Tagung zu Bonneuile, den man gewöhnlich als Ausgangspunkt hiefür bezeichnet, so ziemlich zusammenfällt. Das ganze Unternehmen w a r trotz seiner kirchlichen Grundlage ein W e r k des fränkischen Königs und seines Adels; der Papst in Rom w a r hiebei völlig ausgeschaltet 1 ). Neben Eustasius und Agil wird noch ein anderer Mönch von Luxeuil genannt, der in Baiern tätig w a r : es w a r dies jener Agrestius, der, ohne dort Erfolge zu erzielen, sich von da nach Aquileia begab, w o er den Gegnern Roms beitrat 2 ); nach seiner Rückkehr in sein Kloster geriet er in offenen Zwiespalt mit Eustasius. Da dieser am 2. April 629 starb, so fällt die Kirchenversammlung zu Mäcon, die sich damit befaßte, und der nach einem J a h r e nach ihr erfolgte Tod des Agrestius. noch früher. Die Zeit des Ablebens beider und ihres Meisters Kolumban (615) bietet mit den dazwischen liegenden Ereignissen wieder ein Mittel, den Beginn des allgemeinen B e k e h r u n g s w e r k e s annähernd zu bestimmen; w i r gelangen auch da beiläufig auf den schon angeführten Ansatz. Da Eustasius zuerst bei den W a r a s k e n wirkte, so wird er seine Tätigkeit als Glaubensbote in Baiern um das Jahr 620 begonnen haben. Wie die hervorgehobenen Schwierigkeiten, denen er dabei begegnete, auf das dort noch stark wurzelnde Heidentum deuten, so weist der erzielte Erfolg auf den Einfluß und die Nachhilfe des fränkischen Königs, der im gleichen J a h r e starb als e r ; das ständige Verbleiben von Glaubenspredigern spricht für den Beginn 1

) A. Dopsch, Wirtschaftl. u. soziale Grundlagen der europ. Kultureniwicklung 2, 2. Aufl. (1924) S. 284 f. ^ Mon. Germ., Script, rer. Merov. 4, S. 123.

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der Einrichtung des Kirchenwesens in dem zuletzt für das Christentum gewonnenen süddeutschen Stamme. Die erste Bekehrung der Baiern ist ein Werk des fränkischen Königs Chlothar II., angeregt und durchgeführt von den nach irischer Art lebenden Mönchen von Luxeuil. Was er begonnen, setzte sein Sohn und Nachfolger Dagobert 1. (629—639) kräftig fort. Dessen Macht vergrößerte sich durch seinen Sieg über die Wenden. Als im Reiche der Awaren Kämpfe mit den Bulgaren ausbrachen und diese besiegt wurden, flüchteten, wie Fredegar berichtet, 9000 von ihnen mit Weib und Kind und suchten Schutz bei Dagobert. Dieser befahl den Baiern, sie über Winter in ihren Gehöften aufzunehmen. Als sie dort aufgeteilt waren, ließ der König auf den Rat der Franken sie alle in einer Nacht töten; nur wenige entkamen dem Blutbade 1 ). Dieser grausame Vorfall lehrt uns, unter wie harter Botmäßigkeit die Baiern damals gehalten wurden. Ein so hoher Grad der Unterwürfigkeit trug dazu bei, den Verlauf des Bekehrungswerkes zu beschleunigen. Wir wissen zudem, daß der König auf Wunsch mit Zwangsmitteln einschritt. So ließ sich Bischof Amandus, der in Gent an der Scheide den Friesen das Christentum verkündete, von ihm ermächtigen, im Falle, daß die freiwillige Taufe verweigert werden sollte, sie auf dessen Befehl zu erzwingen 2 ). Von einer solchen Gewaltmaßregel hören wir zwar in Baiern nichts, doch zeigt der rasche Abfall vom Christentume nach seinem Tode, daß auch da der Zwang herrschte. Dagobert war der letzte wirkliche König aus dem Hause der Merowinger; nach seinem Tode schüttelten die Baiern die Fremdherrschaft ab und kehrten damit wieder zum Heidentum zurück. Die erste Bekehrung der Baiern läßt sich demnach in ihrer Dauer verhältnismäßig genau bestimmen; sie begann um 620 und erstreckte sich mindestens bis 639; die Zeitspanne umfaßt so beiläufig zwanzig Jahre. Die Art ihrer Durchführung läßt ihre Erfolge zwar groß, aber nur äußerlich erscheinen. Die Forschung verlegt in irriger Auslegung übereinstimmender Quellenberichte aus dem Leben des hl. Bonifatius die Errichtung der Mon. Germ., Script, rer. Merov. 2, S. 157. ) Ebendort5, S. 437; Hauck, Kirchengesch. Deutschi. 1, S. 324. Dagobert ließ auch auf Anstiften des byzantinischen Kaisers Heraklius in seinem Reiche alle Juden taufen. Mon. Germ., Script, rer. Merov. 2, S. 153 (Fredegar). 2

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Bistümer in Baiern erst in das Jahr 739; vorher hätte es dort keine kirchliche Einteilung in „Diözesen" gegeben, sondern bloß Wanderbischöie, die ohne festen Sitz auf ihren ständigen Reisen das Christentum verkündeten. Ein solches Bild der Bekehrung ist schon an sich lebensunwahr, denn ohne g e r e g e l t e Seelsorge hätte ein so schwieriges W e r k gar nicht vollbracht werden können. Jedes Gemeinwesen, sei es weltlich oder kirchlich, verlangt eine stetige Verwaltung und diese wieder erfordert eine feste Einteilung in Sprengel mit ständigen Amtssitzen ihrer Leiter. Man vergesse ferner nicht, daß die ersten Glaubensboten nach Baiern aus dem Frankenreiche kamen, wo eine geordnete Kirchenverfassung bestand und daß oberster Schirmherr der fränkische König war. Wenn wirklich Bonifaz dort die kirchliche Einteilung geschaffen hätte, so folgt daraus noch gar nicht, daß nicht schon ein Jahrhundert vor ihm in gleichem Lande eine solche bestand; der dazwischen liegende Rückfall ins Heidentum hatte sie eben zerstört, so daß wieder neu zu beginnen war. Es ist deshalb in keiner Weise ein Widerspruch mit der Tätigkeit des päpstlichen Legaten, wenn das Baierische Volksrecht, das nach den klaren Worten seiner Vorrede in die Zeit des Königs Dagobert I. gehört, öfter Bischöfe erwähnt. Im Gegenteil, diese Angaben passen sehr gut zu dem, was wir sonst von diesem Könige erfahren. Das genannte Volksrecht liefert den bestimmten Beweis, daß unter dem erwähnten Herrscher Baiern bereits kirchlich eingeteilt w a r : es spricht einmal (1/9) von einem Sprengelbischof (episcopus in parrochia), das anderemal (1/11) von dem „Bischöfe des betreffenden Gaues" (episcopus civitatis illius) 1 ). Schon diese beiden Stellen widerlegen die landläufige Ansicht, als ob in Baiern vor Bonifaz nur Wanderbischöfe gewirkt hätten; sie weisen vielmehr darauf hin, daß jeder Gau seinen eigenen Bischof hatte und damit in diesem Lande die herkömmliche Kirchenordnung bestand: jede civitas w a r der Sitz eines Bischofs, wie es der altkirchliche Brauch verlangte. Es wurde schon erwähnt, daß König Dagobert das Bistum von Vindonissa nach Konstanz übertrug. Die Zuweisung neuen Gebiets aus dem Heidenlande ließ es rätlich erscheinen, den Bischofssitz näher dorthin zu rücken: eben deshalb ging man ja davon ab, in Mon. Germ., Leges 5/2 (1926) S. 279, 283.

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Bregenz einen kirchlichen Mittelpunkt zu errichten. Eine solche Verschiebung erforderte eine neue Sprengeleinteilung, die der Vergrößerung Rechnung trug. Wir erfahren hievon durch eine Urkunde Kaiser Friedrichs I. vom 27. November 1155, die sich auf eine Einteilung König Dagoberts beruft: der Kaiser bestätigt in ihr die Ausdehnung der Konstanzer Kirche, wie sie der genannte Merowinger König festgesetzt hatte 1 ). Das Werk Dagoberts wird häufig bestritten, obwohl das damals schon verchristlichte Volksrecht der Alemannen die kirchliche Einteilung des Landes ausweist (9—13). In der genannten Urkunde heißt der erste Bischof dieser Stadt Marcianus. Sein Name stimmt also mit der Liste, welche die Lebensbilder des Glaubensboten Gallus bringen, nicht überein. Das spricht aber nach den früheren Feststellungen (S. 84 f.) nicht mehr gegen, sondern vielmehr für die Glaubwürdigkeit ihres Inhaltes. Auffällig und neu ist die große Ausdehnung des Bistums, das entgegen den bisherigen Grundsätzen mehrere Gaue Alemanniens in sich vereinigte. Das ist jedoch wieder kein Verdachtsgrund, zumal wir wissen, daß die Konstanzer Diözese die größte in ganz Deutschland blieb, sondern findet seinen natürlichen Grund in der Eigenschaft der Bischofsstadt als kirchlicher Mittelpunkt des Bodenseegebietes, wo der Wasserweg nach allen Seiten den Verkehr erleichterte. Den meisten Anstoß erregte, daß W ü r z b u r g in so früher Zeit schon Bistum gewesen wäre, das doch erst Bonifaz begründet hätte 2 ). Wenn wir jedoch erwägen, daß die Franken schon früh (531) die Thüringer besiegten und ihren Staat auflösten, ja daß erst derselbe König Dagobert ihnen wieder einen eigenen Herzog gab, so fällt ein solches Bedenken; denn, wenn der so eifrig für die Ausbreitung des Christentums tätige Merowinger dort wieder einen Landesfürsten (Radulf) einsetzte, so war dieser gewiß kein Heide 3 ). Die Bekehrung Thüringens beginnt daher bestimmt nicht später als jene Baierns; hier wie dort tritt freilich wieder ein Rückfall ins Heidentum ein. Es besteht daher kein Grund, ein Bistum Würzburg zur Zeit des Königs Dagobert zu leugnen, zumal in Baiern unter ihm bischöfliche Sprengel nachweisbar sind. J. Meyer, Thurgauisches Urkundenbuch 2 (Schaffhausen 1883) S. 144 f., der die Echtheit der Urkunde ausführlich begründet. 2 ) Rettberg, Kirchengesch. Deutschi. 2, S. 102; Hauck 1, S. 342 Anm. 1. 8 ) Radulf war wahrscheinlich Franke. A. Bigelmair, Die Anfänge des Bistums Würzburg in: Festschrift für S. Merkle (1922) S. 16 f.

4. Die erste Bekehrung Baierns.

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Neben dem Volksrechte bietet hiefür die von dem genannten Merowinger vollzogene Kircheneinteilung gleichfalls einen Hinweis; sie erwähnt ja ein B i s t u m A u g s b u r g, als dessen Scheidelinie gegen Konstanz die 111 e r bestimmt wird; es kommt damit wieder die römische Westgrenze Rätiens zum Vorscheine. Diese Ubereinstimmung und die Wiedererrichtung des Lechbistums sprechen dafür, daß die Landnahme der Baiern sich bis zum Iiier erstreckte und somit die gesamte civitas Augustana trotz ihrer alemannischen Stammeszugehörigkeit in merowingischer Zeit ein Bestandteil des baierischen Staates war. Da das Bistum bis zur Iiier reichte, so gilt das auch für den Stadtgau; beide griffen, wie schön die Lage ihres Verwaltungsmittelpunktes andeutet, auch über das rechte Lechufer hinüber. Die Ausdehnung der spätmittelalterlichen und heutigen Diözese überliefert im W7esten fast völlig den ursprünglichen Zustand, indem die Iiier Grenzfluß geblieben ist; sie hat auch östlich des Lech keine großen Einbußen erlitten 1 ); es lebt so in ihr noch der Hauptkern der römischen civitas Augustana fort. Hätte damals Baiern nur bis an den zuletzt genannten Fluß gereicht, so wäre wohl dieser und nicht die Iiier die Ostgrenze des Konstanzer Bistums geworden, da es sich kaum gelohnt hätte, jenes von Augsburg bei Einbuße seines halben Sprengeis zu erneuern. Das war noch vor der Verlegung des Bischofssitzes von Vindonissa nach Konstanz der Fall, da die hiedurch bewirkte Sprengeleinteilung das Bistum Augsburg ebenso berücksichtigt wie Basel und Chur. Augsburg ist also als Bistum des baierischen Staates anzusehen; es ist das erste, das uns begegnet, wofür allerdings nur die Friedrichsurkunde für Konstanz zeugt, da die früheren Jahreszahlen,welche die Forschung bringt, bloß auf einer Verwechslung mit Agunt beruhen. Ein Bischofssitz in der Lechstadt setzt auch andere in den übrigen Vororten der Gaue voraus. Wir kommen so zu der hervorgehobenen Bestimmung des Baierischen Volksrechtes, daß jede civitas einen eigenen Bischof hatte, und zu demselben König Dagobert, der das Gesetz erließ. Die von ihm vollzogene Abgrenzung der Konstanzer Kirche ist daher nicht als Einzelfall aufzufassen, sondern beweist in Verbindung mit den Volksrechten der Alemannen und Baiern die grundlegende Wirksamkeit des genannten Merowingers auf dem Gebiete des Kirchenwesens in diesen beiden Ländern und in Thüringen zur Zeit ihrer ersten Bekehrung. Vgl. die Karten im Lexikon für Theologie u. Kirche 1, 2. Aufl. (1930) S. 806 f. (Augsburg) u. 6 (1934) S. 175 (Konstanz).

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II. D a s Stammesherzogtum Baiern und das Christentum.

Aus einheimischen Quellen erfahren wir über die Tätigkeit der ersten Glaubensboten in Baiern nichts; ihre Wirksamkeit w a r viel zu kurz, um eine Nachricht aus dem Kreise der Betroffenen hervorzurufen. Der folgende Rückfall ins Heidentum vernichtete zudem alle Kirchengründungen, die solche Ansätze hätten ausbilden können. Doch fand der Aufenthalt der Mönche von Luxeuil in Baiern nicht nur in ihren Lebensbildern einen kurzen Vermerk, sondern färbte sich auch in der in Gallien erweiterten Fassung des Martyrologium Hieronymianum ab. Derselbe Forscher, der mit guten Gründen das genannte Kloster in Burgund als Ursprungsort hiefür annahm, wies schon darauf hin, daß wohl Eustasius selbst nach seiner Rückkehr von Baiern die Verehrung der Augsburger Afra in seine Abtei übertrug, so daß sie dort in dem in seinen letzten Lebensjahren (627/28) ergänzten Märtyrerbuch gleich viermal gefeiert wird 1 ). Das gleiche gilt für den Lorcher Blutzeugen Florian, für den der Sachverhalt noch klarer aufliegt. Wenn da der Schreiber in den Stand gesetzt wurde, den Irrtum seiner Vorgänger zu berichtigen, indem er den angeblichen Afrikaner ausmerzte und hiefür richtig den Lorcher mit Angabe von dessen Amtseigenschaft und Todesart einsetzte (S. 25 f.), so schöpfte er sein Wissen am besten von seinem Abte, von dem berichtet wird, daß er aus Baiern wieder in sein Kloster zurückkehrte. Dieses seltene Zusammentreffen zeugt aufs neue für das Entstehen der Zusätze in Luxeuil in den Jahren nach der Rückkunft des Eustasius von dem Lech und der Donau. Neben dem Lorcher Glaubenshelden wird also noch die Augsburger Heilige besonders berücksichtigt; diese Verbindung stützt unsere Annahme, daß die Bischofsstadt am Lech damals zu Baiern zählte und daher in das Bekehrungswerk der Mönche des burgundischen Klosters eingeschlossen war. Dazu kommt noch eine dritte Feststellung, die für uns noch wichtiger ist. Die Vermittlung der beiden Heiligenleben in das entlegene Ordenshaus der Glaubensprediger setzt die Kenntnis des Martertodes und damit der Legende an den Tatorten voraus. Eustasius und Genossen fanden demnach in Baiern doch eine Grundlage vor, auf der sie aufbauen konnten: die zurückgebliebenen R o m a n e n . Die heidnischen Eroberer hatten sie zwar hörig gemacht und sahen mit Stolz auf sie herab; doch blieben bei ihnen noch immer Reste des B. Krusch, Zur Afralegende und zum Martyrol. Hieronym., Neues Archiv 24 (1899) S. 294, 321 f.

4. Die e r s t e B e k e h r u n g Baierns.

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Christentums erhalten. Wie anders hätten die Mönche von Luxeuil eine Kunde von dem Martertod der beiden Bekenner aus der Zeit des Kaisers Diokletian in ihre Heimat bringen können? Der klare Zusatz über den Lorcher Heiligen und die Vermerke über die Augsburger Blutzeugin verbreiten mithin einen leisen Schimmer über das Glaubensbekenntnis der Romanen in Baiern; sie blieben auch nach dem Abzüge der Römer aus Noricum bis zur ersten Bekehrung der Baiern christlich. Das war doch nur dadurch möglich, daß diese bis dahin die von ihnen nicht angenommene Lehre duldeten und ausüben ließen. So konnte Fortunat das Grab Afras besuchen, wenn auch Augsburg in den Händen der Baiern war. Doch wie schwer mußte es den Eroberern fallen, jetzt auf einmal das Glaubensbekenntnis der Unterworfenen annehmen zu sollen, deren Sprache sie später ganz zu verdrängen vermochten! Über den Ort der Wirksamkeit der ersten Apostel in Baiern schweigen die gleichzeitigen Quellen. Der Ausgangspunkt ihrer Tätigkeit wird indes nicht schwer zu erraten sein; naturgemäß weist der Weg in die Hauptstadt des Landes, zum Sitze des Herzogs, zumal ihr Werk auf Betreiben einer auswärtigen Macht erfolgte, die den ganzen Volksstamm von sich abhängig gemacht hatte. Das werden wir gleich bei der zweiten Bekehrung sehen. Damals w a r freilich schon Regensburg Hauptstadt. Bei der ersten Einführung des Christentums in Baiern hingegen besaß noch L o r c h diese Eigenschaft; da haben wir auch den Mittelpunkt für die Tätigkeit des Eustasius und seiner Gefährten zu suchen, so daß sie am Ort des Martertodes Florians wirkten. Wenn Bischof Pilgrim, der Wortführer der Passauer Überlieferung, in einer allerdings in anderer Form vollzogenen Kaiserurkunde des Jahres 977 Lorch v o r dem Zusammenbruche Baierns als dessen Mutterkirche und bischöfliche Kathedrale bezeichnete (S. 356), so war er ganz im Rechte. Durch die Zerstörung der Stadt durch die Awaren verlor sie jedoch ihren Vorrang und an ihre Stelle trat Regensburg eben zu dem Zeitpunkte, als die zweite Bekehrung begann. Hierin, im Wechsel der Hauptstadt und damit der Mutterkirche, liegt die Tragik der baierischen Kirchengeschichte. Wir stehen da vor dem Ursprünge des Lorcher Streites. Gerade dieser ist ein neuer Beweis, daß die Einrichtung des baierischen Kirchenwesens schon während der ersten Einführung des Christentums begann und von der damaligen Hauptstadt ausging. Hätte erst Bonifaz die Bistümer in Baiern geschaffen, so

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II. Das Stammesherzogtum Baiern und das Christentum.

wäre der Lorcher Kirchenstreit ein unerklärliches Rätsel. Der Rückfall ins Heidentum vernichtete allerdings bald die erste Aussaat; so ging der ununterbrochene Bestand verloren und, da die zweite Bekehrung nicht mehr an die frühere Mutterkirche anknüpfte, sondern eine neue schuf, so entschwand Lorch endgültig der Vorrang. Doch die Erinnerung an die alte Herrlichkeit blieb; von da an begleitet der Schatten der untergegangenen Hauptstadt wie ein Gespenst die baierische Kirchengeschichte. 5. Lorch die erste Hauptstadt der Baiern. Ihr Untergang als Ursache der zweiten Bekehrung. Mit dem Tode Dagoberts (639) kam das Reich der Merowinger in Verfall. Die Schwäche der Königsgewalt brachte den Baiern und anderen abhängigen Stämmen wieder die Freiheit. Diese benützten sie, um wieder zum heidnischen Glauben ihrer Väter zurückzukehren. Bei den Franken mußte erst das aufkommende Geschlecht der Karolinger (Arnulfinger) durch das Amt der Hausmeier zur Herrschaft gelangen, um die abgefallenen Fürstenhäuser wieder unterwerfen zu können. Durch die Schlacht von Tertri (687) gelangte P i p p i n d e r M i t t l e r e zur unumschränkten Macht; sie bezeichnet den „Beginn der Größe des karolingischen Hauses" 1 ). Damit entfaltete sich wieder der bisher unterbundene Eifer für die Ausbreitung des Christentums. Im Jahre 690 war der Angelsachse W i 11 i b r o r d an der Rheinmündung gelandet; er gedachte bei den F r i e s e n als Glaubensprediger zu wirken und erbat sich hiefür — und das ist das Neue — die Erlaubnis und den Segen des Papstes. Viel mehr als die irische Mission legte nämlich die angelsächsische den Hauptwert auf die ausdrückliche Billigung Roms. Das ist um so natürlicher, als die Bekehrung Englands von dort selbst ausgegangen war, indem Gregor der Große (590—604) die ersten Glaubensboten auf diese Insel entsandt hatte. Mit diesem Werk ging der noch junge Benediktinerorden über die ursprüngliche Absicht seines Gründers und Stifters der Abtei Monte Cassino, Benedikt von Nursia (gest. um 550), der in seiner Regel die Verpflichtung festgelegt hatte, den Gelübden in einem und demselben Kloster nachzuleben (stabilitas), hinaus: er sollte jetzt auch im Heidenlande wirken und die germanische Welt E. Mühlbacher, Deutsche Geschichte unter den Karolingern (1896) S. 31.

5. Lorch die erste Hauptstadt der Baiern. Ihr Untergang usw.

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für das Christentum gewinnen. Da die Franken eben die Friesen besiegt hatten, so wandte sich Willibrord an Pippin mit der Bitte, sein Vorhaben zu fördern. Die großen Erfolge, die er bald erreichte, sind ein sichtbarer Beweis für die tatkräftige Hilfe des fränkischen Hausmeiers; ja dieser griff in die Ordnung des Kirchenwesens selbst ein und drängte auf die Schaffung einer eigenen Kirchenprovinz für das bisher heidnische Friesland; an ihrer Spitze sollte ein E r z bischof stehen. Es begegnet uns hier dieser Titel bereits in Verwendung für einen einfachen Metropoliten. Im Jahre 695 empfing Willibrord in Rom die bischöfliche Weihe und erhielt das Pallium. Pippin wies ihm als Sitz die Burg (castellum) Utrecht a n ; hier erbaute der neue Erzbischof eine Kirche zu Ehren des Heilandes und errichtete ein Kloster 1 ). W e n n wir ferner hören, daß er ein zerstörtes, aus der Zeit Dagoberts stammendes Gotteshaus erneuerte r n d dem hl. Martin weihte, so lehrt uns diese Anknüpfung an das W e r k des genannten Merowingers, daß sich auch in Friesland die Bekehrung in zwei durch den Rückfall ins Heidentum getrennten Abschnitten vollzog; ja auch Willibrord mußte nach dem Tode Pippins (714) flüchten, als die Friesen sich wieder freier fühlten und kehrte erst nach dem Tode ihres Herzogs Radbod (719) nach Utrecht zurück. An seiner Seite wirkte kurze Zeit der Angelsachse W y n f r i t hB o n i f a t i u s , nachmals päpstlicher Abgesandter in Baiern. Das Beispiel Frieslands ist schon deshalb lehrreich, als es zeigt, daß dort die kirchliche Einrichtung nicht erst am Ende der zweiten Bekehrung, sondern fast an deren Beginne steht. Noch wichtiger ist die hier zum erstenmal feststellbare Verbindung mit Rom bei der fränkischen Mission auf dem Festlande; der erste kraftvolle Hausmeier aus karolingischem Hause versucht da bereits einen anderen W e g als die früheren Merowinger Könige: die angelsächsisch-benediktinische Richtung gerät so bald in den Kampf mit der irisch-kolumbanischen, wobei Willibrord noch einen Übergang darstellt, indem er z w a r Angelsachse w a r , aber aus einem irischen Kloster hervorging; vielleicht hat ihn deshalb der Benediktiner Bonifaz alsbald verlassen. Hauck, Kirchengesch, Deutschi. 1, S. 438 f.; Caspar, Gesch. d. Papsttums 2, S. 691. Das Kloster war wohl irischer Art und noch kein Ordenshaus der Benediktiner. 7

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II. Das Stammesherzogtum Baiern und das Christentum.

Noch vor Willibrord fällt die Ankunft des Schotten K i l i a n bei den T h ü r i n g e r n . Nach seiner allerdings erst vor 840 entstandenen, jedoch auf einer älteren Vorlage fußenden Leidensgeschichte holte er für seine Glaubenspredigt die Zustimmung Roms ein, ja ihr Verfasser gibt diese Nachricht so genau in ihrem Zeitpunkte an, daß an ihrer Richtigkeit kaum zu zweifeln ist; er sagt nämlich zuerst, ihr Held wolle sich deshalb zum P a p s t e Johann (V) begeben, fügt aber später hinzu, er hätte ihn nicht mehr am Leben angetroffen, sondern sei von seinem Nachfolger Konon empfangen worden 1 ). Da ersterer am 2. August 686 starb und letzterer am 21. Oktober auf den päpstlichen Stuhl gelangte, so fällt die Romreise Kilians in das Ende des J a h r e s 686 und der Beginn seiner Wirksamkeit in W ü r z burg (castellum) gleich nachher; er gehört mithin nicht der ersten Bekehrung an, sondern leitet die zweite ein. Nicht lange hernach (non multo post) g e w a n n er den Herzog Gozbert für das Christentum und taufte ihn; dessen Beispiel folgte das ganze Volk. Der große Erfolg läßt eine starke Hand fühlen, die dahinter stand; sie wird z w a r nicht genannt, aber es w a r keine andere als jene des siegreichen Hausmeiers Pippin des Mittleren. Es trat jedoch bald ein Rückschlag ein, der dem irischen Bischöfe das Leben kostete (689 ?). Aus seiner Leidensgeschichte ist die genaue Angabe der Romreise hervorzuheben, die noch vor jener Willibrords fällt. Solche Nachrichten in den Lebensbildern irischer Glaubensprediger w e r d e n gewöhnlich bezweifelt und als nachträgliche Einschübe erklärt. Das trifft gewiß zumeist zu, doch geht es nicht an, sie alle zu v e r w e r f e n . Die Romreise ist nämlich weniger als Unterschied zwischen irischer (kolumbanischer) und angelsächsischer (benediktinischer) Art zu werten, sondern bildet vielmehr ein bestimmendes Merkmal der verschiedenen Politik der fränkischen H e r r s c h e r : die Merowinger Könige führten bei den unterworfenen Völkern die erste Bekehrung kraft eigener Machtvollkommenheit durch, ihre Hausmeier jedoch suchten bei der zweiten die Verbindung mit Rom. Wenn wirklich Pippin an die Stelle des einheimischen Herrschergeschlechtes ein fränkisches setzte 2 ), so ließe sich diese Veränderung am besten als Folge des Martertodes Kilians erklären. Der Hausmeier erreichte selbst dann noch nicht einen bleibenden Erfolg, Mon. Germ., Script, rer. Merov. 5, S. 723 f. ^ S o Hauck, Kirchengesch. Deutschi. 1, S. 386 i.

5. L o r c h die erste Hauptstadt der B a i e r n .

Ihr Untergang usw.

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als die neuen Herzoge sich an Willibrord w a n d t e n ; noch Bonifaz mußte thüringische Stammeshäuptlinge veranlassen, den unlängst (dudum) empfangenen christlichen Glauben w i e d e r anzunehmen 1 ). Die B e k e h r u n g Thüringens zeigt in ihren S c h w a n k u n g e n geradeso w i e jene der B a i e r n und anderer unterworfener S t ä m m e den Grad der Abhängigkeit vom F r a n k e n r e i c h e ; eben deshalb w a r das Glaubensbekenntnis so jäh wechselnd, weil es auf politischer Grundlage aufgebaut w a r : cuius regio illius et religio! Gegen die A l e m a n n e n v e r m o c h t e Pippin der Mittlere nicht viel auszurichten. W i r hören z w a r von Heereszügen, die er in den J a h r e n 709 bis 712 gegen sie unternahm, doch zeigt gerade deren jährliche W i e d e r k e h r und das Fehlen einer gleichzeitigen Sieges* nachricht, daß ihm eine Unterwerfung nicht gelang 2 ). F ü r das Ausbleiben eines Erfolges spricht auch das S c h w e i g e n über einen F o r t gang des Christentums; hätte Pippin wirklich gesiegt, so würden wir wie bei den anderen S t ä m m e n schon zu seiner Zeit von einer neuen B e k e h r u n g der Alemannen v e r n e h m e n ; ja, dann w ä r e auch ihr V o l k s r e c h t noch unter ihm und nicht erst später „erneuert" worden (S. 226). D a s wird sich deutlich bei den B a i e r n zeigen, die ihm ganz Untertan wurden. Davon meldet z w a r kein gleichzeitiger Geschichtschreiber, so daß die Forschung noch immer annimmt, B a i e r n sei unter Herzog T h e o d o (696—717/18) vom F r a n k e n r e i c h e unabhängig g e w e s e n ; ihm, dem Herzog, wird denn auch die (zweite) Bekehrung als eigenes W e r k zugeschrieben, obwohl auch er nur ein B e a u f t r a g t e r des fränkischen Hausmeiers w a r , der die Glaubensboten entsandte. Pippin hatte in diesem Falle nicht nötig, einen Heereszug zu unternehmen, sondern für ihn fochten, ohne es zu wollen, die Awaren. D a zeigt sich wieder, daß die B a i e r n auf sich selbst angewiesen, ihrem östlichen Nachbar nicht gewachsen waren und dringend der Hilfe des F r a n k e n r e i c h e s bedurften. W i r stehen v o r der Z e r s t ö r u n g v o n L o r c h , auf die Pilgrim von P a s s a u als den Grund allen Unheils hinweist. E s ist eigentlich überflüssig, davon zu sprechen, daß die jüngere Forschung, die alle seine Aussagen ablehnt, ihm hier Glauben schenken w ü r d e ; sie verlegt vielmehr gewöhnlich den Untergang von L o r c h noch in die !

) ( W . Levison)

^ E. Mühlbacher, 2. Aufl. (1908) S . 8.

Vitae s. Bonifatii (Schulausgabe 1905) S . 32. Die

Regesten

des

Kaiserreiches

unter

den Karolingern 1,

1 0 0

II. D a s S t a m m e s h e r z o g t u m

Baiern

und d a s

Christentum.

Zeit des Altertums. Daß davon keine Rede sein kann, lehrt das Leben Severins, nach dem diese Stadt unter dem Schutze der Rugier erhalten blieb. Für ihr Weiterbestehen sprechen ferner die Münzfunde: das byzantinische Gold- und Kupfergeld läßt sich hier bis in das siebente Jahrhundert nachweisen 1 ). Richtig ist auch, wenn die Überlieferung der Passauer Kirche den Untergang von Lorch den Awaren zuschreibt, nur geht sie in die Irre, ihn mit der angeblichen Flucht ihres ersten Bischofs, den sie zum letzten Erzbischof von Lorch stempelt, zu verbinden; sie setzt daher die Zerstörung der Stadt drei' Jahrzehnte zu spät an. Eine Aussage Pilgrims, wo er Lorch vor der Zerreißung und Verödung (ante discidium et desolationem) Baierns als Mutterkirche dieses Landes bezeichnete, kennen wir schon (S. 95). Zwei Urkunden der Passauer Fälschungen sprechen gleichfalls von der eben erwähnten Verwüstung, wovon eine deutlich ausführt, daß die Awaren dieses beispiellose Unglück veranlaßten und dabei Lorch zerstörten; sie sagt, daß die Wildheit der Hunnen ( = Awaren) nicht allein diese Stadt, sondern auch die ringsum anliegende Gegend verwüstete und völlig verödete 2 ). Der Zusammenbruch war so groß, daß die Kunde von ihm sich durch Jahrhunderte fortpflanzte und in der Lorcher Sage einen dauernden Niederschlag erhielt. Die zweite Bekehrung Baierns geht auf diesen folgenschweren Kriegszug der Awaren zurück und knüpft unmittelbar daran an. So kommt es, daß eine viel frühere, zeitlich nahestehende Nachricht, die in ihrem wahren Inhalte bisher freilich kaum zu verstehen war, die Richtigkeit der Passauer Überlieferung bestätigt. W i r meinen die bekannte Stelle über die Verwüstung der Ennsgegend durch die Awaren im Leben E m m e r a m s (Haimhrams), des ersten Glaubensboten, den Pippin der Mittlere nach Baiern entsandte, aus der Feder des frühesten Geschichtschreibers aus diesem Lande, des Bischofs Arbeo (Aribo) von Freising; er hat es um das Jahr 770 verfaßt. Alle bisherigen Ausgaben sprachen dabei von „zerstörten Städten" (urbes depopulatae) an dem genannten Fluß. Nun waren in dessen O. G. Elmer,

Kaemmel, Der

Die

römische

Anfänge

deutschen

Geldverkehr

Lebens

in L a u r i a c u m

in

Österreich

(1879)

und

Ovilava,

Wiener

S.

127;

Numis-

m a t i s c h e Zeitschrift 67 ( 1 9 3 4 ) S . 32. 2

etiam

) q u o r u m b a r b a r i c a feritas non solum p r e d i c t a m L a u r i a c e n s e m c i v i t a t e m in c i r c u i t u

adiacentes

P i l i g r i m v o n P a s s a u S. 15, 41,

regiones 49.

depopulavit

atque

funditus

desolavit.

verum Lehr,

5. Lorch die erste Hauptstadt der Baiern. Ihr Untergang usw.

101

Umkreis damals überhaupt keine größeren Siedlungen, da ja Steyr noch gar nicht bestand. Es kann deshalb nur eine einzige, ja nur d i e Hauptstadt gemeint sein, wofür schon die Bezeichnung als urbs ohne Namensbeigabe spricht, die Arbeo sonst nur bei Regensburg verwendet 1 ); also urbs noch im ursprünglichen Sinne als Hauptstadt, wie schon Eugippius die berühmte Lagerstadt an der Enns genannt hat. Für Lorch zeugt demnach nicht nur die angeführte Umgebung, sondern auch die Bezeichnung als urbs schlechthin. Es handelt sich demnach um nicht Geringeres als um den Nachweis, daß L a u r i a c u m a l s d i e u r b s u n d k i r c h l i c h e Metropole von U f e r - N o r i c u m die e r s t e Haupts t a d t d e r B a i e r n wurde und bis dahin blieb. W a r sie das wirklich, so ist auch in Lorch der Ausgangspunkt der ersten Christianisierung in Baiern zu suchen; damit ist aber auch das Geheimnis der Lorcher Sage gelüftet und der Urgrund der darnach genannten Fälschungen erhellt; diese, die bisher als erfunden galten, werden so auf einmal trotz ihren vielen Unrichtigkeiten für die Frühgeschichte Baierns ein Eckstein, von dem freilich das spätere Rankenwerk zu entfernen ist. Das Leben Emmerams hat jüngst durch Bruno Krusch eine vorzügliche Ausgabe erfahren, die wieder einmal zeigt, was gute, auf verläßliche Lesearten zurückgehende Texte für die Geschichtsforschung bedeuten. Die von ihm gefundene Pariser Handschrift, die der ursprünglichen Fassung am nächsten steht, kennt noch keine zerstörten Städte im Umkreis der Enns, sondern redet noch deutlich in der Einzahl von der d e p o p u l a t a u r b s ! Die nicht immer klare und noch ungefüge Ausdrucksweise Arbeos haben spätere Abschreiber bald nicht mehr verstanden und zu verbessern gesucht und dadurch, wie sich in unserem Falle zeigt, nur noch mehr verwirrt. So blieb der tiefere Sinn dieser Stelle bis jetzt verborgen, die nunmehr nach Klärung des Sachverhaltes ein so wichtiger Q u e l l e n b e l e g für die Frühgeschichte der Baiern wird, daß sich mit ihm an Bedeutung kein anderer messen kann; er liefert uns den Schlüssel zum Verständnis der vergangenen und folgenden Ereignisse: die depopulata urbs wird der Angelpunkt, um den sich nicht erst die Einführung des Christentums, sondern schon der Einzug unserer Vorfahren in Ufer-Noricum dreht. Nicht nur das; die mit S. Rietschel, Die Civitas auf deutschem Boden (1894) S. 54.

102

II. Das Stammesherzogtum Baiern und das Christentum.

dem Untergange Lorchs verbundene Zerstörung Baierns war auch das folgenschwerste Ereignis für die Zukunft: sie legte den Keim zur späteren Abspaltung seines Ostens, wie sie uns in der Doppelstellung der „Drei Grafschaften" der Karolingischen Ostmark und sodann im Entstehen und in der Verselbständigung des Herzogtums Österreich entgegentreten wird. Die Kenntnis dieser Verhältnisse ermöglicht es, den in manchem dunkeln Bericht Arbeos über die Einführung des Christentums in Baiern besser zu verstehen; er erzählt uns folgendes: Als Emmeram, Bischof seiner Vaterstadt Poitiers (Pictavium) in Aquitanien, hörte, daß die Awaren in Pannonien noch Heiden waren, sann er darauf, dort das Christentum zu verkünden. So überschritt er die Loire, durchzog predigend Gallien und kam über Alemannien zu den Baiern nach Regensburg, „das aus behauenen Steinen aufgeführt zur Festung und Hauptstadt dieses Stammes herangewachsen w a r " 1 ) . Dort herrschte damals Theodo als Herzog, dem Emmeram seine Absicht kundgab. Zu jener Zeit, so fährt Arbeo im nächsten Abschnitt (5) fort, bestand Kriegszustand zwischen den Baiern und Hunnen (Awaren); das Gebiet b e i d e r s e i t s der Enns war verwüstet und b e i n a h e (pene) verödet sowie d i e H a u p t s t a d t (u r b s) z e r s t ö r t , so daß die Wälder von wilden Tieren wimmelten, weil die Menschen sich nicht mehr getrauten, dieses Land zu betreten; jedermann hielt, wenn ihm auch einer eidlich Sicherheit gelobte, ein solches Versprechen mehr als Hinterlist als für ein Zeichen freundlicher Gesinnung 2 ). Wegen des noch nicht beendigten Krieges, wie er sagt, ließ der Herzog Emmeram nicht fortziehen, sondern bot ihm die Stelle eines Landesbischofs (pontifex provinciae) oder, falls er diese nicht annehmen wollte, die eines Provinzialabtes (abbas provinciae) und hiefür entsprechenden Grundbesitz an. *) ad Radasponam pervenit urbem, qui ex sectis Iapidibus constructa, in metropolim huius gentis in a r c e d e c r e v e r a t ( e x c r e v e r a t ) . Vita Haimhrammi, Schulausgabe von B. Krusch (1920) S. 32.

Uber den keltischen Namen Radaspona, der hier zum

erstenmal erscheint, J . Schnetz 2

) Eo

namque tempore inter

in: Zeitschr. f. Ortsnamenforsch. 6 (1930) S. 141 ff. Hunorum et gentem Baiuvariorum

orta est dis-

cordia, ita ut a vastantium manibus circa amnem Anisem interiacentem

depopulate

urbis pene deserte esse videbatur, ut saltus bestiis in augmentum daretur intellegi, quia humana fragilitas huc illuc transire adstrictus

aliquis a

quodam

fuisset,

diffidebat,

penitus

tamen

quia quamvis maius

benignitatem aestimaretur. Krusch (Schulausgabe) S. 33 f.

iurandi vinculo

insidie quam

ostensam

5. L o r c h die erste H a u p t s t a d t der Baiern. Ihr U n t e r g a n g u s w .

103

Arbeo verschweigt, daß der Glaubensprediger ein Sendling des fränkischen Hausmeiers w a r , wie uns d a s Baierische Volksrecht zeigen wird (S. 229f.); ja er will den Anschein erwecken, seine Reise hätte den A w a r e n gegolten. Den für die Baiern unglücklichen Ausgang des Krieges gibt er zu, denn er führt die Verwüstung an der Enns als Hindernis an, daß sein Held die Fahrt fortsetzen konnte. Dieser Einwand stimmt schon deshalb nicht, weil Emmeram gar nicht diesen Fluß zu überschreiten brauchte, um nach Pannonien zu gelangen; es w ä r e ihm ja der viel bequemere Donauweg offen gestanden. W i r ahnen da schon, daß seine Sendung nicht den Awaren, sondern den Baiern selbst gegolten hat und sein eigentliches Ziel Lorch w a r . Das setzt aber dessen Eigenschaft als Hauptstadt voraus, von der er aus sein Wirken als Landesbischof beginnen wollte. Der Bericht Arbeos über den Untergang von Lorch durch die Awaren stimmt mit der Sage genau überein: die depopulata urbs ist eben die in der P a s s a u e r Uberlieferung ausdrücklich als zerstört genannte civitas Lauriacensis. Beide Angaben verdienen daher volle Glaubwürdigkeit, ja die namentliche Anführung Lorchs in ihr beseitigt den letzten Zweifel an der Absicht Arbeos, mit urbs die alte Hauptstadt Baierns und die gleiche Örtlichkeit zu meinen. Die von ihm gebotene Kunde ist die einzige, die wir über die Schicksale von Lauriacum seit Severin erhalten: in beiden Fällen erscheint es als urbs. Arbeo deutet zudem an, daß Regensburg erst zu dieser Stellung „herangewachsen" w a r und gibt damit selbst zu, daß es ursprünglich nicht diese Eigenschaft besaß; eben deshalb hebt er den neuen Rang besonders hervor. Mit anderen W o r t e n : Emmeram wollte als Sitz des Landesbistums Lorch, Theodo hingegen verharrte auf der neuen Hauptstadt Regensburg. Den Grund für das Verhalten des aus dem Frankenreich gekommenen Glaubenspredigers haben wir schon genannt: er wollte an die frühere „Mutterkirche", wie sie Pilgrim bezeichnete, wieder anknüpfen und nicht eine neue schaffen und daher das W e r k seiner Vorgänger dort fortsetzen, wo sie begonnen hatten. Im Widerstreite zwischen Herzog und Emmeram verbirgt sich das Ringen zwischen der alten und neuen Haupts t a d t ; es w a r ein Verhängnis, daß die zweite Bekehrung eben begann, als Lorch unterging und so der Wechsel der Hauptstadt eine andere Mutterkirche ins Leben rief; der Keim für einen Zwist, der Jahrhunderte währte, w a r damit gelegt.

104

II. Das Stammesherzogtum Baiern und das Christentum.

Wenn Emmeram die Stelle eines L a n d e s b i s c h o f s (pontifex provinciae) erhielt, so setzt das schon voraus, daß er bei seiner Ankunft der einzige und damit erste Bischof in Baiern war und daher seine Sendung jener von Rupert in Salzburg vorausging 1 ). Daß dieser nicht der „Apostel Baierns" war, erhellt schon daraus, daß sein Wirken weder von der alten, noch von der neuen Hauptstadt ausging. Die Angabe der Rupertuslegende, ihr Heiliger wäre der erste Glaubensbote in Baiern gewesen und hätte Theodo getauft, entspricht nicht dem kirchlichen Herkommen und ist erst später erfunden, um die Salzburg nicht zustehende Metropolitanwürde zu rechtfertigen (S. 124 f.). H e r z o g T h e o d o , der uns im Leben Emmerams und Ruperts sowie Korbinians, des dritten Sendlings aus dem Frankenreiche, begegnet, ist der erste dieses Namens in der Reihe der geschichtlich beglaubigten Agilolfinger und ein und derselbe Landesfürst; erst spätere Quellen wissen von gleichnamigen Vorgängern zu erzählen; doch entspringt deren angebliches Vorhandensein bloß dem Kampfe der Salzburger Kirche um das höhere Alter uiid damit um den Vorrang. Die allerdings viel späteren Jahrbücher von Kremsmünster und die schon erwähnte Geschichte der Bischöfe von Passau nennen als Beginn seiner Herrscherzeit das Jahr 696 und fügen hinzu, ihn hätten die Frankenkönige eingesetzt 2 ). Zum Jahre 706 bieten die ersteren die Nachricht, Emmeram sei zu Regensburg gemartert worden; als Zeit des Ablebens des genannten Herzogs führen sie 717 an. Mit der letzten Angabe stimmen die Salzburger Annalen fast überein, die 718 als Todesjahr bringen 3 ). Alle drei Quellen verDarauf hat schon M. Heuwieser, Die Entwicklung der Stadt Regensburg im Frühmittelalter in: Aus Regensburgs Vergangenheit (1925) S. 149 f. hingewiesen, der jedoch wie andere nach der späteren Überlieferung die Ankunft Emmerams zu früh ansetzt. Vor ihm haben schon J. Widemann, Kleine Beiträge zur älteren Geschichte Baierns, Oberbayer. Archiv 59 (1915) S. 6 f. und M. Doeberl, Entwickelungsgesch. Bayerns 1, 3. Aufl. (1916) S. 64 f. ebenso gereiht. Doch haben bereits M. Hansiz, Germania sacra 2 (1729) S. 39, 50 und J. Schaukegl, Von den alten Noricum und Vindelicien oder Österreich und Bäuerland 1 (1794) S. 211 (handschriftlich im Stiftsarchive Seitenstetten) Emmeram vor Rupert auftreten lassen. 2 ) 696. Theodo II. dux Wawarie per reges Francorum efficitur (preficitur). Mon. Germ., Script. 9, S. 550 u. 25, S. 625. Die Abhängigkeit der Baiern von den Franken unter Pippin dem Mittleren melden auch die früheren Jahrbücher von Metz. Ebendort 1 (1826) S. 317, 320. 3 ) Ebendort 9, S. 551, 563, 768.

5. Lorch die erste Hauptstadt der Baiern. Ihr Untergang usw.

105

dienen hierin umso eher Glauben, als sie eine alte Vorlage verraten, da damals schon 652 als das Sterbejahr des ersten Regensburger Bischofs galt. Sicher bezeugt ist nur die Romreise Theodos im Jahre 716; sie bietet doch einen festen Haltpunkt, der in der Hauptsache die Richtigkeit der obigen Angaben bestätigt. Das Jahr 696 als der Antritt seiner Herrschaft fällt so auffällig mit der in der Rupertuslegende angeführten Zeit der Ankunft ihres Heiligen zusammen, daß sie den Anschein erweckt, ihr Verfasser habe, um Regensburg zuvorzukommen, mit Absicht auf den ihm noch genau bekannten Beginn der Wirksamkeit des genannten Herzogs vorgegriffen. Emmeram ist bestimmt noch unter diesem getötet worden, da seine Regensburger Tätigkeit, wie Arbeo berichtet (c. 7), nur drei Jahre währte. Wenn sein gewaltsames Ableben in das Jahr 706 fällt, so ist seine Ankunft für 703 zu rechnen. Die eben vorausgegangene Z e r s t ö r u n g v o n L o r c h ist demnach u m 7 0 0 a n z u s e t z e n . Mit diesem verhängnisvollen Geschehnis war die alte Bedeutung für immer dahin; die düsteren Schatten, die der Untergang der ersten Hauptstadt auf Jahrhunderte geworfen hat, sind die laut klagenden Zeugen für die geschwundene Herrlichkeit. Lorch als urbs setzt den Besitz des norischen Unterlandes für Baiern voraus. Wir wissen ja, daß der dazugehörige Stadtbezirk (Gau) schon seit dem Altertum in seinem Hauptteil ostwärts der Enns sich erstreckte. Es ist demnach gewiß zutreffend, wenn Aventin berichtet, die Awaren hätten die Liegenschaften der Baiern u n t e r der Enns mit Feuer und Schwert verwüstet und Lorch zerstört 1 ). Der Vater der baierischen Geschichte fußt zwar hiebei auf den Lorcher Fälschungen und irrt deshalb im Jahresansatze, indem er den Tod des Herzogs Hugbert (737), des Stifters der Passauer Kirche, als Anlaß des Überfalls nimmt, doch ist in ihnen nirgends gesagt, daß die Awaren bei der Einnahme von Lorch das Land unter der Enns verheert hätten; ihm dürfte daher doch noch eine andere Quelle vorgelegen haben, die hievon zu melden wußte. Die Eigenschaft Lorchs als erste Hauptstadt der Baiern ist ein Beweis, daß sie gleich bei ihrem Einzüge das norische Unterland besetzten; sie kamen eben vom Osten und nahmen es daher noch früher in Besitz als das dazugehörige Oberland. Das S t a m m e s Hunni et Abares audita morte ducis Boiorum, quecunque Boii infra Anassum possedere, ferro, fiamma vastant, Laureacum delent, excindunt. Sämtliche Werke 2 (1882) S. 389.

106

II. D a s Stammesherzogtum Baiern und das Christentum.

g e b i e t unserer Vorfahren reichte demnach ursprünglich vom Inn über die Enns hinaus bis zum Wiener W a l d e ; es w a r also die ganze P r o v i n z Ufer-Noricum mit der früheren H a u p t s t a d t . Die bisherige Meinung, die Enns sei ständig die Grenze zwischen ihnen und den A w a r e n gewesen, trifft daher nicht zu; die Q u e l l e n , die sie als Scheidelinie zwischen beiden bezeichnen, stammen alle ausschließlich erst aus dem J a h r e 791, dem Beginne des Kriegszuges Karls des Großen gegen die Awaren, und lassen den genannten Fluß nur als befestigte Linie (limes), aber nicht als Abschluß der baierischen Wohnsitze erkennen (S. 258 f.). Nach Vernichtung ihres Reiches ließ derselbe König, als er die Ostmark schuf, die Grenze Baierns mit ihr nicht e t w a an der Enns aufhören, sondern erst am Wiener W a l d e (Große Tulln); dort begann die eigentliche Mark, die damals die Provinzen Pannonien und Karantanien umfaßte. Das Gebiet von der Enns bis zum Wiener Walde verblieb ebenso bei Baiern wie der Traungau und sie zusammen bildeten die „Drei Grafschaften", deren Befehlshaber (Grenzgraf) jedoch dem Präfekten der Ostmark unterstellt wurde 1 ). Karl der Große behandelte mithin den Landstrich zwischen Enns und W i e n e r W a l d nicht als neu erobert, sondern bloß als alten Besitz und ließ die wirkliche Mark deshalb mit der Großen Tulln anfangen. Im Nibelungenliede erstreckt sich das Reich des Hunnenkönigs Etzel ebenfalls nicht bis an die Enns, sondern nach ihm liegt wieder erst Tulln im „ O s t e r l a n d " ; dazwischen schiebt sich die Mark Rüdigers von Pechelaren, der jedoch dem genannten Könige Untertan ist. Das Osterland ist also nichts anderes als das Hunnenland, Awarenland, die Ostmark, mit einem W o r t e : Pannonien. Das uferländische Noricum und Pannonien blieben also noch in ihren Grenzen bestehen, als Baiern und A w a r e n dort ihre Sitze aufschlugen. Eben deshalb konnte der Diakon Paul in seiner Geschichte der Langobarden (111/30) mit Recht sagen: „die Provinz der Noriker, die der Volksstamm der Baiern bewohnt, berühre im Osten P a n n o nien" 2 ). Diese gelehrte Ausdrucksweise zeigt sinnfällig das Bestreben Karls des Großen, auf das römische Altertum zurückzugehen und dort w i e d e r anzuknüpfen. Das vermochte er hier um so leichter, als die alten Grenzen fortbestanden. *) Zibermayr, Landesarchiv Linz S. 45; unten S. 287. 2 ) Noricorum siquidem provincia, quam Baioariorum populus ab Oriente Pannoniam. Mon. Germ., Script, rer. Langob. S. 109.

inhabitat,

habet

6. Die Traun als Grenzwehr Baierns.

107

Jetzt verstehen wir, wenn frühmittelalterliche Quellen öfter Baiern mit Noricum gleichsetzen oder diesen Volksstamm als Noriker bezeichnen. Diese Namengebung erinnert noch daran, daß das erste Siedlungsgebiet der Baiern das ehemals römische Uferland Noricum w a r und mithin die Landnahme auf Grund der früheren Provinzgrenzen erfolgte; damit ist aber auch das zweite Rätien als erstes Ziel des Einmarsches ebenso ausgeschlossen wie Regensburg als ursprüngliche Hauptstadt. Das Wort Noricum für Baiern spricht demnach wieder dafür, daß Lauriacum auch bei der Landnahme Hauptstadt blieb. Die gleiche Eigenschaft bewahrte es auch dann noch, als die Baiern über den Inn vordrangen und Rätien erlangten. Dieses w a r demnach zunächst nur Nebenland. Mit dem Untergange von Lorch verschiebt sich jedoch der Schwerpunkt des Reiches und geht auf den Westen über; dann erst wird Rätien Hauptland, ja (Ufer-)Noricum bricht auseinander und muß sich in seinem Osten (Dreigrafschaftsgebiet) mit der Rolle eines Koloniallandes bescheiden. Die Baiern konnten, da bei ihrem Einzüge Binnen-Noricum noch mit Italien politisch verbunden war, sich nicht nach Süden ausdehnen. Da ihnen dieser natürliche W e g abgeschnitten war, so mußten sie, wenn die uferländische Provinz für ihre Volkszahl nicht ausreichte, nach dem Westen ausgreifen und über den Inn vordringen. Als sie noch das zweite Rätien erhielten, besaßen sie ein Staatswesen, das im Verhältnis zu seiner großen Längenausdehnung viel zu schmal w a r . Die gegebene Folge war, daß sie im Laufe der Geschichte im Osten und später im Westen Einbußen erlitten, jedoch nach Süden vorstießen, den Langobarden die Grafschaft Bozen und auf kurze Zeit die Maiser Gegend (Meran) entrissen und die slavischen Karantanen unterjochten. Die uns bekannten Grenzen Enns und Lech sind demnach nicht schon ursprünglich, sondern erst das Ergebnis von Niederlagen, die ihnen ihre mächtigen Anrainer, die Awaren und Franken, beibrachten; sie umfassen die Kernstücke zweier verstümmelter Provinzen. 6. Die Traun als Grenzwehr Baierns. Der Untergang von Lorch bedeutet einen solchen Wandel in der baierischen Geschichte, daß wir ihn in seinen Folgen noch näher betrachten wollen. Da reden zunächst die O r t s n a m e n eine vernehmliche Sprache: die für romanische (welsche) Siedlungen zeu-

108

II. Das Stammesherzogtum Baiern und das Christentum.

genden Walchen- und Parschalkenorte (Parschalk = Zinsknecht) sind o s t w ä r t s der Traun recht wenig vertreten, w ä h r e n d gegen den Attersee und um Salzburg sie sich immer mehr häufen und viel früher belegt sind 1 ). Das ist schon lange aufgefallen, ja ihre dortige Dichte hat die Meinung erweckt, die Salzburger Gegend sei das Ziel s p ä t e r e r Zuwanderung von Romanen g e w e s e n 2 ) ; eine solche w ä r e in der Tat gegeben, wenn beim Awareneinfalle und dem Untergange von Lorch die in seiner Umgebung und im norischen Unterlande befindlichen Bewohner hätten flüchten müssen. Daß dem wirklich so w a r , läßt sich nicht nur aus dem Wechsel der Hauptstadt und der Sage, sondern auch aus der Sprache der Ortsnamen und den Besitzverhältnissen schließen. So sind in dem Gebiet zwischen der Enns und Großen Tulln überhaupt noch keine urkundlich beglaubigten Walchen- und Parschalkenorte festgestellt worden. W e s t w ä r t s des erstgenannten Flusses bis zur Traun finden sich nur vier Walchenörtlichkeiten in den Gerichtsbezirken W e y e r und Grünburg sowie ein Wallerstampf (Walchenstampf) in der Gemeinde St. Florian; ein Parschallern läßt sich bloß bei Sierning nachweisen 3 ). In derselben Weise sind östlich der Traun bis zum W i e n e r Walde im Gegensatz zu ihrer W e s t s e i t e ' d i e germanischen (altbaierischen) -ing-Orte aus der ersten urkundlichen Überlieferung überhaupt nicht mehr v e r t r e t e n und auch die später erwähnten sind gleich den Namen auf -heim viel dünner gesät, so daß der große Unterschied sofort diesen Fluß als Trennungslinie erkennen läßt; von da an wird ihr Verbreitungsgebiet nach W e s t e n immer dichter 4 ). Die BeE. Schwarz, Walchen- u. Parschalkenorte im alten Noricum, Zeitschr. für Ortsnamenforschung 1 (1925) S. 94—96, 99; A. Janda, Die Barschalken (1926) S. 9 f. (mit Karte). Th. Grienberger, Die Ortsnamen des Indiculus Arnonis und der B r e v e s Notitiae Salzburg., Mitteil, der Gesellschaft für Salzburger Landeskunde 26 (1886) S. 6; J. Strnadt, Uber die Herkunft der Romanen des Indic. Arn., Altbayer. Monatsschrift 14 (1917) S. 25 f. (mit Karte), der freilich ohne allen Grund auf zugewanderte Räter denkt; E. Gamillscheg, Romania Germanica 2 (1905) S. 272. 3 ) K. Schiffmann, Histor. Ortsnamen-Lexikon des Landes Oberösterreich 1 (1935) S. 62 u. 2, S. 492, 496. 4 ) E. Schwarz, Die Ortsnamen des östlichen Oberösterreich (1926) S. 138, 141; dazu die ungefähre Gesamtübersicht bei K. Schiffmann, Das Land ob der Enns (1922) S. 79, 88; H. Weigl, Die Grundlagen der modernen Besiedlung Niederösterreichs, Jahrb. für Landeskunde von Niederöst. N. F. 23 (1930) S. 34 f.; W . Steinhauser, Zur Herkunft, Bildungsweise u. siedlungsgesch. Bedeutung der niederösterr. Orts- u. Flurnamen, ebendort 25 (1932) S. 43 f.

6. Die Traun als Grenzwehr Baierns.

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nennungen mit der Endung -ing und -heim zählen zu den ältesten germanischen Ortsnamen und kommen nach der Karolingerzeit zum Erlöschen. Da in Baiern erst mit dem Siege des Christentums nach der zweiten Bekehrung die Schrift dauernd eindringt, treten sie viel zu spät auf, um aus ihnen für die Landnahme Schlüsse zu ziehen; ja man glaubte sogar, aus der Verbreitung der -ing-Orte die Richtung des Einzuges feststellen zu können und meinte, dieser sei von den Böhmerwaldpässen nicht nach Oberösterreich (Linz), sondern auf Regensburg erfolgt. Rätien wäre demnach das erste Ziel der Landnahme gewesen 1 ). Daß davon weder in der einen noch der andern Hinsicht die Rede sein kann, hat die frühere Darstellung bereits gezeigt und wird die folgende noch bekräftigen. Der Fall von Lorch und die Verlegung des Herzogs'sitzes nach Regensburg führte letzten Endes zur Preisgabe des Gebietes beiderseits der Enns. So konnten dorthin die Slaven aus Karantanien vordringen. In diesem Zusammenhange gewinnt eine schon lange beobachtete Erkenntnis Bedeutung. Ihre geschlossenen Siedlungen erreichen bei der Traun ihr Ende und westlich von ihr sind sie nur mehr vereinzelt zu finden; zwischen der Enns und Steyr und ostwärts von ihnen in Niederösterreich dicht gedrängt, werden sie gegen die Traun hin wie ebenso vom Süden her immer dünner 2 ). Sowohl die Benennungen der mittleren und kleineren Wasserläufe und der sie begleitenden Bergkuppen, als auch die verschiedenen Ortsnamen mit der Sprachwurzel „windisch" (Wenden) weisen deutlich auf einen slavischen Siedlungsraum. In der fruchtbaren Ebene des Voralpenlandes jedoch hat sich die keltische (illyrische) Namengebung erhalten: Donau, Enns und Traun sowie der kleine Ipfbach bei St. Florian wie der Ortsname Lauriacum (Lorch) sind von den Römern und Baiern übernommen und fortgeführt worden 3 ); der Name ihrer Hauptstadt (Loracha) und der Ipf machten bereits die althochdeutsche Lautverschiebung mit und waren daher schon um das Jahr 600 in ihrem Munde4). Im ehedem norischen Unterlande stammen die Flußnamen Erlaf, Traisen und wahrscheinlich Ybbs, Tulln sowie vielleicht auch Url in gleicher Weise noch aus dem Altertume; jedoch ist dort kein einziger SiedSo u. a. L. Schmidt, Die Einwanderung der Baiern, Das. Bayerland 38 (1927) S. 588 und Gesch. der deutschen Stämme 1, S. 199 f. So schon Kaemmel, Anfänge deutschen Lebens S. 160—162. 3 ) Schwarz, Die Ortsnamen S. 6, 12, 17, 27. ') E. Schwarz, Über antike Namen in Österreich als Zeugen von Völkerberührungen, Wiener prähistor. Zeitschr. 18 (1931) S. 286.

110

II. Das Stammesherzogtum Baiern und das Christentum.

lungsname aus der Vor- oder Römerzeit erhalten geblieben. Von den Namen der Wasserläufe sind die Ybbs (Ibosa) und Erlaf (Arlape) sehr früh eingedeutscht worden und weisen in ihrem Lautaussehen ebenfalls noch in die Zeit vor dem Eindringen der Slaven und mithin bald nach der Landnahme der Baiern. Welch a n d e r e r germanischer Stamm als dieser käme da noch in Frage, w o wir keinen zweiten kennen, der im norischen Unterlande länger seßhaft gew e s e n w ä r e ? Wir haben hierin einen neuen Anhaltspunkt zu erblicken, daß auch dieses ursprünglich baierisches Stammesgebiet w a r . Die Enns scheidet in der Ortnamenforschung als Grenzfluß a u s ; diese Rolle spielt in ihr vielmehr die Traun. Westlich von ihr ist scheinbar das älteste baierische Siedlungsgebiet, w ä h r e n d das Land östlich davon bis zum Wiener W a l d auf den ersten Blick Züge s p ä t e r e r Besiedlung aufweist; doch bei näherem Zusehen zeigen sich auch da in der Unterschichte noch vorrömische Orts- und Flußnamen, die in ihrer Verdeutschung auf die Zeit bald nach dem Einzüge der Baiern in Noricum zurückgehen. Die Verödung und die darauf folgende slavische Welle, die nach dem Untergang von Lorch hereinbrach, haben eben die ursprünglichen Formen zumeist ausgelöscht und nur wenige bestehen lassen. Das norische Unterland zeigt so im Bilde seiner Orts- Berg- und Flußnamen in abges c h w ä c h e r Form dasselbe Antlitz wie das Gebiet zwischen Enns und T r a u n ; je weiter wir uns von letzterer nach Osten entfernen, desto dünner wird die ältere Schicht; es w u r d e eben erst allmählich w i e d e r zurückgewonnen, w a s verloren w a r und der westliche Teil kam hiebei früher daran als der östliche. Die Traun wieder und nicht die Enns bildet auch eine Scheidelinie in den Bodenfunden. Die merowingischen Grabfunde germanischen W e s e n s dehnen sich vom Westen her geschlossen über S c h w a b e n und Baiern nur bis zur Traun aus und finden dort ihr E n d e ; o s t w ä r t s von ihr sind bloß Inseln solcher Art festgestellt; auf ufernorischem Boden sind da bisher nur Micheldorf (bei Kirchdorf) und das Tullner Feld zu nennen. In den Germanengräbern des mittleren Donaugebietes fehlen überhaupt spätmerowingische T y p e n ; es sind jedoch Funde aus der unmittelbar vorausgehenden Zeit vertreten 1 ). P. Reinecke, Die archäolog. Hinterlassenschaft der Awaren, Germania, Korrespondenzblatt der Rom.-Germ. Kommission des Deutschen Archäolog. Instituts 12 (Bamberg 1928) S. 89f., w o eine Fundkarte beigegeben ist; dazu F. Wiesinger, Die Heimat im Wandel der Zeiten ( W e l s 1932) S. 68 f.

6. Die Traun als Grenzwehr Baierns.

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Dasselbe Ergebnis tritt bei den Besitzverhältnissen zu Tage. Von den ersten Kirchengründungen w a r , da P a s s a u erst später Bischofssitz wurde, einzig Salzburg im Osten gelegen; es dehnte sich mithin dorthin am weitesten a u s ; aber auch hier bildet anfangs wieder die Traun eine feste Grenze. Die Liegenschaften, die Herzog Theodo für sie in dem nach diesem Flusse benannten Gau stiftete, haben als äußersten Ort im Osten Bachmanning bei Lambach 1 ). Der Traungau umfaßte ursprünglich das gleiche Gebiet wie die civitas Ovilava und reichte demnach vom Hausruck bis an die Tore von Lorch, so daß ihn der Fluß, der ihm den Namen gab, in fast zwei gleich große Hälften schied. Die westliche wird in den Urkunden häufig auch als Ufgau (oberer Gau) bezeichnet. Dieser blieb als altbaierisches Siedlungsland erhalten, w ä h r e n d der untere, d. h. o s t w ä r t s der Traun gelegene Teil nach der Preisgabe von Lorch gleich dem norischen Unterlande verödete. Die beiden Hälften des Traungaues fügte später Herzog Tassilo wieder fest zusammen, als er das Kloster Kremsmünster gründete, dessen Stiftbrief (777) ebenfalls die Richtigkeit der Angaben Arbeos und Pilgrims über die v e r heerenden Folgen des Awareneinfalls erweist (S. 256); das Land unter der Enns verband erst Karl der Große wieder mit Baiern. Alle diese Beobachtungen lassen darauf schließen, daß die Baiern nach dem Aufgeben ihrer ersten Hauptstadt die Traun als befestigte Ostgrenze ihres S t a a t s w e s e n s ausbauten. W i e ehedem Odoaker den römischen Grenzschutz auf den Hochkamm der Alpen zurücknahm, so taten jetzt die Baiern Ähnliches in ihrem verwüsteten Osten und wählten als feste Verteidigungslinie die Traun. Es geschah die zweite Räumung, indem jetzt Baiern und Romanen, die gefährdet w a r e n und fernerhin Anspruch auf Schutz vor den gefürchteten A w a r e n erhoben, hinter die Traun zurückweichen mußten. Dieser Fluß erscheint daher noch früher befestigt als die Enns. Im Jahre 776 wird der Vorort des Traungaues Wels (Ovilava) als Festung genannt 2 ). In gleicher Eigenschaft begegnet uns e t w a s später, als schon die Macht des Awarenreiches gebrochen w a r , Linz, das keltisch-römische Lentia (799) 3 ). Beiläufig zu derselben Salzb. Urkb. 1 (1910) S. 5 und 2 (1916) A 3, 19. ) Actum in Castro quae nuncupatur Uueles. (Th. Bitterauf) Die Traditionen des Hochstifts Freising 1 (1905) S. 99. 3 ) in pago Trungouue in loco cui vocabulum est Linze ad ipso castro. (M. Heuwieser) Die Traditionen des.Hochstifts Passau (1930) S. 40. 2

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II. D a s Stammesherzogtum Baiern und das Christentum.

Zeit erscheint Lambach 1 ) zwar nur als Ortsname, jedoch durch seine beherrschende Lage an der Traun und als spätere Stammburg der Grafen von Wels-Lambach schon durch die bloße Nennung auf seine Stellung als altes Castrum hinweisend, woran noch heute der Adler im Klosterwappen erinnert. Die Traun war demnach stark befestigt und hatte, wie uns der Bericht Arbeos ahnen läßt und die Sprache der Ortsnamen belehrt, nach der Zerstörung von Lorch die Aufgabe, als Schutzwehr gegen die Awaren zu dienen. Der Entschluß Theodos, Regensburg als Hauptstadt zu wählen, kam so fast einer Preisgabe des Landes an und unter der Enns gleich. 7. Der Landesbischof Emmeram von Regensburg. Das war die Lage, als Emmeram in Baiern eintraf. Nun werden wir die Erzählung seines Geschichtschreibers besser verstehen, so daß wir nochmals auf dessen Angaben zurückkommen müssen. Daß der Abgesandte Pippins des Mittleren noch während des Krieges nach Regensburg gekommen wäre und erst vom Herzoge die Zerstörung von Lorch erfahren hätte, ist nicht glaubwürdig; seine Sendung war vielmehr eine Folge der schweren Niederlage der Baiern, die sie zwang, bei den Franken Schutz und Hilfe zu suchen. Der Preis hiefür w a r die Anerkennung der Oberhoheit und die Annahme des Christentums. Die von Arbeo angeführte Verwüstung und die ihr folgende Verödung beiderseits des Ennsflusses erscheint jetzt nicht mehr übertrieben, sondern wahrheitsgemäß; während letztere die Pässauer Überlieferung völlig (funditus) nennt, gibt er hiefür ausdrücklich einen minderen Grad (pene) an. Doch war bei der Ankunft Emmerams noch nicht ganz entschieden, ob der fluchtartige Rückzug des Hofes ein dauernder bleiben sollte; in anderem Falle hätte ja der eben angelangte Glaubensprediger nicht für Lorch eintreten können und er hätte es gewiß nicht getan, wenn diese Stadt und Gegend gänzlich verlassen gewesen wären. Sein Eintreffen ist daher alsbald nach dem Zusammenbruche erfolgt und erst dieser hat seine Sendung ermöglicht. Lorch als Mutterkirche wäre nur denkbar gewesen, wenn es seine frühere Eigenschaft als Hauptstadt zurückerlangt hätte. Der Versuch Emmerams, gfeich seinen Vorgängern an der Enns sein Wirken zu eröffnen, beweist, daß die Baiern nach dem Einbrüche der Awaren keineswegs das norische Unterland abtreten mußten, sondern ihr Staatswesen dank der fränSalzb. Urkb. 2, A 19.

7. Der Landesbischof Emmeram von Regensburg.

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löschen Hilfe erhalten konnten; daher kann Arbeo nach wie vor an zwei Stellen (c. 3 u. 4) sagen, die Awaren wohnen in Pannonien. Mit der Absicht des Glaubensboten, nach Lorch zu gehen, ist nicht einmal die Ansicht vereinbar, die Baiern hätten den Slaven etwa als Bundesgenossen der A w a r e n das Gebiet o s t w ä r t s der Traun überlassen müssen, da er in einem solchen Falle Theodo nicht hätte zumuten können, dorthin wieder die Hauptstadt zu verlegen. Die Slaven sind vielmehr erst dann in das entvölkerte Gebiet vorgedrungen, als die geflüchteten Baiern nicht mehr in ihre früheren Sitze zurückkehrten. Manche Siedlungen aus der Römerzeit überdeckten sich wieder mit Wald, der erst im hohen Mittelalter dauernd gerodet wurde. Das wird man besonders vom mächtigen Ennswald, der sich bis an die Ybbs erstreckte, sagen dürfen; daß der Gau der ufernorischen Hauptstadt Lauriacum in römischer Zeit so menschenleer gewesen sei, ist kaum anzunehmen. Das lehren schon die Ergebnisse der wenigen Ausgrabungen, die bisher veranstaltet wurden. Nach dem Untergange von Lorch w u r d e das Gebiet ostw ä r t s der Traun vorwiegend slavisch, doch blieben in den günstigen und fruchtbaren Lagen der Donauebene, wie die Orts- und Flußnamen zeigen, noch immer Baiern zurück; daß diese hier die besseren und geschützteren Plätze (Lorch) behielten, spricht nicht nur dafür, daß sie schon früher da waren, sondern auch ständig die Herren blieben. Der tiefere Grund, der die Rückkehr der Baiern in ihre früheren Sitze östlich der Traun verhinderte, w a r wohl die mangelnde Volkszahl. Der baierische S t a m m hätte z w a r entweder die zwei norischen oder die beiden rätischen Provinzen annähernd besetzen können, da deren Süden gebirgig war, er reichte aber nicht aus, das fruchtbare Uferland vom Wiener Wald bis zur Iiier zu bebauen. Die geflüchteten Baiern und Romanen fanden zudem im W e s t e n noch ergiebigeren und durch die vorhergehende reichere römische Besiedelung erschlossenen Boden, als er ihnen ostwärts der Enns zur Verfügung stand und w a r e n dort viel weniger den Raubzügen wilder Völkerschaften ausgesetzt. Das Schutzbedürfnis ist überhaupt in alter Zeit hoch anzuschlagen. Das sehen w i r deutlich in der Wahl der zwei baierischen Hauptstädte und dem Verhalten des Hofes nach dem Falle von Lorch. Bei der Flucht begnügte sich Theodo nicht, e t w a in Passau seinen Sitz aufzuschlagen, sondern zog Regensburg vor. Der Grund lag aber nicht e t w a darin, als ob letzteres eine günstigere Verkehrslage an der Donau hätte, sondern hierin ist die Dreiflüssestadt ihm 8

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überlegen, ja diese war noch dazu in der Mitte der beiden uferländischen Provinzen gelegen und hat durch den dort einfließenden Inn und dessen Nebenfluß die Salzach eine natürliche Verbindung mit dem gebirgigen Teil des Landes und zu den Alpenpässen. Arbeo führt uns auch da auf die richtige Fährte, wenn er bewundernd die wuchtigen Mauern und Türme der neuen Hauptstadt hervorhebt und sie eine uneinnehmbare Festung nennt 1 ). Wie in Lorch war ihr Kern das mächtige Legionslager, das mit seinen vielen Bauten und freien Plätzen schon in spätrömischer Zeit die bedrängte Bevölkerung in seine starken Wälle aufnahm, so daß die anliegende Stadt gar nicht befestigt zu werden brauchte. Die Baiern fanden für ihre Hauptstädte nirgends einen besseren Schutz, als in den ehemaligen Legionslagern und wählten daher zuerst Lorch und nach dessen Zerstörung den zweiten solchen Platz an der Donau in Regensburg. Der schönste Bau im Lager, das Prätorium, der Sitz des römischen Befehlshabers und der Heiligtümer, beherbergte nun den baierischen Hof. In Enns (Lorch) erinnert daran der Flurname „in der Pfalz", der noch im Jahre 1343 für eine Grundfläche auf dem Boden des einstigen Hauptquartiers gebraucht wird 2 ). In Regensburg wurde ebenfalls das römische Lager der Mittelpunkt der Stadt; wahrscheinlich wählte auch da Theodo seinen Sitz im ehemaligen P r ä torium und schuf daraus die herzogliche Burg 3 ); sie blieb der „festeste Platz im Lande" 4 ). Emmeram hatte allen Grund, an Lorch festzuhalten, da die Baiern als künftige Christen auf die fränkische Hilfe gegen die östlichen Heiden hoffen durften. Das Verbleiben der alten Hauptstadt wäre nicht nur kirchlich, sondern auch politisch für sie zum Vorteil gewesen. Es w a r auch der letzte kraftvolle Vorstoß, den die Awaren über die Enns unternahmen. Die eigentliche Aufgabe des baierischen Stammes war ja von Anbeginn im Osten gelegen; dort die Grenzwacht gegen wilde Völker zu halten, war seine hohe Sendung. i) Urbs, ut praediximus, Radaspona inexpugnabilis, quadris aedificata lapidibus, turrium exaltata magnitudine, puteis habundans. c. 6. zwischen der pharr (St. Laurenz) und unsern V r o w n chirichen (Maria Anger) niderhalben dez w e g s und in der phaltz genant. Urkundenbuch des Landes ob der Erms 6 (1872) S. 459. 3

) H. Walderdorff, Römerbauten auf dem Alten Kornmarkt (jetzt Moltke-Platz) in Regensburg, Verhandlungen des Histor. Vereins von Oberpfalz u. Regensburg 5-1 (1902) S. 301 f. 4

) Riezler, Gesch. Baierns 1/1, S. 563; R. Gradmann, Süddeutschland 2 (1931) S. 433.

7. Der Landesbischof Emmeram von Regensburg.

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Wie anders und besser hätte er da seinen Beruf erfüllen können, wenn Lorch die Hauptstadt geblieben w ä r e ! Der Entschluß Theodos entsprang nur der augenblicklichen Not und berücksichtigte nicht die Vergangenheit und noch viel weniger die Zukunft; so öffnete er die Tore den Slaven, so daß seine Nachfolger genötigt waren, in mühsamer Kleinarbeit den ursprünglichen Stammesboden wieder zu besiedeln. Den Antrieb hiezu verstärkte die Kraft des jungen Christentums, das darnach drängte, die heidnischen Nachbarn ostwärts der Traun und in Karantanien zu gewinnen. Das geschah wie bei ihnen selbst im Wege der Unterwerfung. Arbeo will die Bekehrung Baierns als ein freiwilliges Werk Theodos erscheinen lassen; er läßt daher diesen Emmeram die Stelle eines Landesbischofs anbieten, worauf er im Gegensatz zur Verwüstung der alten Hauptstadt und der beginnenden Verödung an der Enns die reiche Fruchtbarkeit um Regensburg und dessen einzigartige Festigkeit als neue urbs hervorhebt; in den Wäldern der Umgebung stellt er Rehe, Hirsche und anderes Edelwild den Raubtieren an der Enns gegenüber. Mit anderen Worten: Arbeo hebt die Vorzüge von Regensburg stark hervor, um begreiflich erscheinen zu lassen, daß sein Held dort und nicht in Lorch seine Wirksamkeit eröffnete. Gleich hernach, im nächsten Abschnitt (7), nennt er die Bewohner neu bekehrt und sagt, sie hätten den Götzendienst noch nicht ganz abgelegt, weil die Väter ihren Nachkommen mit dem Kelche Christi auch die Verehrung ihrer Götter hinterlassen hätten 1 ). Der Landesbischof (pontifex) wäre deshalb dort geblieben, um das Heidentum völlig auszurotten; drei Jahre lang hätte er so das Gebiet des genannten Herzogs durchzogen. Derselbe Schriftsteller nennt in dem von ihm gleichfalls verfaßten Leben seines Vorgängers Korbinian von Freising seine Stammesgenossen noch roh und erst jüngst bekehrt 2 ). Die Salzburger „Nachrichten" sprechen bei Rupert von den „jungen Zeiten des Christentums" 3 ). Die drei Glaubensboten standen demnach am Beginne der Einführung des neuen Glaubens; schon der Zusammenklang der eben mitgeteilten Aussagen Sed habitatores eius neoffiti eo namque in tempore idolatriam radicitus ex se non extirpaverunt, quia ut patres calicem Christi commune et demoniorum suisque prolibus propinaverunt. 2 ) quia paene in Christianitatis religione gens nostra, ut ruda adhuc fuerat, novicitate conversionis erat. Schulausgabe von B. Krusch (1920) S. 203. 3 ) his novellis temporibus Christianitatis. Salzfe. Urkb. 2, A 5. 8*

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II. Das Stammesherzogtum Baiern und das Christentum.

beweist es bei aller Dürftigkeit. Da nach ihrem Auftreten ein länger dauernder Rückfall ins Heidentum nicht mehr stattfand, gehören sie alle drei in den Anfang der zweiten Bekehrung. Es geht daher nicht an, das Wirken dieser drei Sendlinge aus dem Frankenreiche zeitlich zu trennen und sie mehreren Herzogen gleichen Namens zuzuweisen; sie sind alle zusammen in die Herrscherjahre jenes Theodo einzureihen, unter dem Lorch als Hauptstadt unterging und das Christentum in Baiern dauernd siegte. Der Bericht Arbeos über die Ankunft Emmerams läßt nicht erkennen, daß Theodo damals noch Heide war. Es ist die gleiche Schönfärberei, wenn er für eben diese Zeit bei seinem Volksstamme eine im Erbwege fortgepflanzte Mischung von Christentum und Heidentum vorgibt. Das wird für die unterworfenen Romanen zutreffen, aber nicht für ihre Herren, die Baiern. Da die erste Bekehrung rund zwanzig Jahre währte und mit dem Ableben des Königs Dagobert (639) aufhörte, so waren bis zur Sendung Emmerams beiläufig sechzig Jahre verflossen. Es mögen sich immerhin bis dahin noch dürftige Reste und Spuren des neuen Glaubens im Brauchtume des Volkes erhalten haben, doch war er im wesentlichen verschwunden. Arbeo überträgt da Zustände seiner Zeit auf eine frühere und widerspricht sich hiebei selbst, wenn er unmittelbar vorher seinen Stamm neubekehrt nennt; ein solches Werk war nur bei einem Rückfalle ins Heidentum nötig. Wir müssen hierin der Salzburger Legende den Vorzug geben, die von einer völligen Neuschöpfung des Christentums ausgeht, wobei freilich nicht Rupert, sondern Emmeram als der „Apostel Baierns" anzusprechen ist. Auf jeden Fall bringt diese Bezeichnung ganz richtig zum Ausdruck, daß nicht die erste, sondern die zweite Bekehrung als Ausgangspunkt des Christentums in Baiern zu betrachten ist. Das erweist sich auch dadurch, daß aus der Zeit des Eustasius und Genossen keine einzige Nachricht aus Baiern stammt, sondern nur fremde Quellen über ihr dortiges Wirken berichten. Die beiden Werke Arbeos bilden erst den Beginn des im Lande selbst entstandenen Schrifttums. Aus all dem folgt, daß Theodo Heide war und erst von Emmeram getauft wurde. Das erstere gilt für das gesamte Volk. Der neue Sendbote aus dem Frankenreich hatte daher nicht ein gesunkenes Christentum zu heben, sondern das wieder kräftig erstandene Heidentum auszurotten. Die Taufe des Landesfürsten stand nicht am Ende, sondern am Beginn der Bekehrung und versinnbildlichte diese

7. Der Landesbischof Emmeram von Regensburg.

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für den ganzen Stamm. Noch die späte Regensburger Überlieferung weiß hievon zu berichten: sie kennt eine „Heidenkapelle" in der H e r z o g s b u r g , in der Theodo getauft w u r d e 1 ) ; sie irrt nur darin, daß sie das Rupert tun läßt. Eine zur „Alten Kapelle", der Stiftskirche der Pfalz, gehörige Urkunde des J a h r e s 1392 e r w ä h n t in dortigem Gotteshaus eine „kleine Kapelle", die sie als die erste Kirche auf baierischem Boden hervorhebt 2 ). Zwei andere Urkunden desselben Archivs aus dem gleichen Jahre nennen sie den „Anfang aller Gotteshäuser in Baiern" 3 ). Auf jeden Fall ist die Mutterkirche des ganzen Landes bei der zweiten Bekehrung in der neuen Hauptstadt Regensburg zu suchen; davon weiß also dort die mündliche Überlieferung noch in später Zeit zu berichten. Arbeo läßt dieses W e r k vom Herzoge Theodo ausgehen; dessen Hof hat daher als Ausgangspunkt für die Einführung der neuen Lehre in Baiern zu gelten. Bei der Ankunft E m m e r a m s w a r e n der Herzog und sein Volk noch Heiden; es w a r also die Gemeindekirche mit dem Taufbrunnen (Baptisterium) erst zu erbauen. Es klingt deshalb durchaus glaubwürdig, wenn die Sage in der herzoglichen B u r g ein Heiligtum sucht, in dem Emmeram, der Sendbote des fränkischen Königs, seine ersten kirchlichen Handlungen verrichtete und Theodo taufte. Das geschah noch früher, als die Domkirche erstand und leitete die Bekehrung ein. Die Keimzelle des Christentums in Baiern w a r auf alle Fälle der herzogliche Hof; das sagt ja, w e n n auch in anderer Form, Arbeo aus; es ist deshalb dort der „Anfang aller Gotteshäuser in Baiern" zu suchen. Die B i s c h o f s k i r c h e in Regensburg w a r S t . P e t e r , d e r D o m , den eine dort im Jahre 932 abgehaltene Provinzialsynode ausdrücklich als die Mutterkirche der Stadt bezeichnet; sie hätte ebenso gut sagen können, „des ganzen S t a m m e s " ; doch das auszusprechen unterließ sie aus begreiflichen Gründen: den Vorsitz führte nämlich der Erzbischof von Salzburg, dessen Kirche selbst nunmehr den ersten Rang beanspruchte. Es erscheint zunächst als Widerspruch, wenn eine Urkunde die Hofkapelle und ein Provinzialkonzil den Dom als Mutterkirche hervorhebt. Doch dürften beide Recht haben, indem eben nach dem Bau der Bischofskirche und der Bekehrung *) F. Janner, Gesch. d. Bischöfe von Regensburg 1 (1883) S. 44. ^ vetus capellula... Norice seu Bavarice telluris prima omnium ecclesiarum et exordium existit. J. Schmid, Die Urkunden-Regesten des Kollegiatstiftes u. 1. Frau zur Alten Kapelle in Regensburg 1 (1911) S. VII f., 85. 3 ) chlain Altenchappelle zu Altenchappelle... dy ein anvankch ist aller gotz häuser in Bayrn. Ebendort S. 85 f.

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II. Das Stammesherzogtum Baiern und das Christentum.

des Volkes die Eigenschaft der Mutterpfarre von der kleinen Hofkapelle auf den Dom überging. Vielleicht läßt darauf auch der Wortlaut des Synodalberichtes schließen, wenn er sagt: der Petersdom, der zur Mutterkirche der Stadt beim Wassertor vor alters „erwachsen" war 1 ). Es ist dasselbe Wort, das Arbeo bei Regensburg gebraucht, um dessen neue Eigenschaft als Hauptstadt zu bezeichnen. Wie dort Lorch als Vorgängerin zu erweisen ist, so wird hier der Dom als Bischofssitz seine Keimzelle in der herzoglichen Burg gehabt haben. Den Bau der St. Peterskirche hat vielleicht noch Emmeram begonnen; in der Urkunde, die sie zum erstenmal erwähnt, ist er schon als zweiter Schutzheiliger genannt (778)2). Arbeo schildert Emmeram als einen Mann von hohem, ebenmäßigem Wuchs, der mit Frauen nicht weniger umzugehen verstand, als mit Männern, als enthaltsam und mildtätig, doch unbeugsam gegen die Mächtigen; er rühmt dessen große Beredsamkeit, welche die Herzen zu bewegen vermochte. Doch können hierin die Erfolge nicht so groß gewesen sein, da sein Geschichtschreiber bald darauf zugibt, Emmeram habe die Sprache des Landes nicht gekannt und sich deshalb eines Dolmetschers namens Vitalis bedient 3 ). Trotz seinem germanischen Namen (Haimhramm) wird er als Vertreter der irischen Kirche keltischem oder romanischem Blute entsprossen sein. Den Mittelpunkt der Schilderung Arbeos bildet der gewaltsame Tod seines Heiligen und die befremdenden Umstände, die ihn veranlaßten. Uta, eine unverheiratete Tochter Theodos, sah der Geburt eines Kindes entgegen, als dessen Vater sie Emmeram bezeichnete. Auf das hin ergriff ihr Bruder Lantpert den Bischof bei Kleinhelfendorf im Bezirksamt Rosenheim auf der Flucht — Arbeo macht aus ihr eine beabsichtigte Romreise — nannte ihn höhnisch seinen „Schwager" (Aie, episcope et gener noster! c. 14) und ließ ihn so gräßlich verstümmeln 4 ), daß dieser bald darauf auf der Fahrt nach *) ecclesia s. Petri apostolorum principis, quae mater ecclesiarum Regiae civitatis iuxta portam aquarum antiquitus excreverat. Mon. Germ., L e g e s 3 (1863) S. 482. 2 ) ad casam, que constructa est in honore s. Petri et s. Emme[rammi], (J. Widcmann) Die Traditionen d. Hochstifts Regensburg und Klosters St. Emmeram (1942) S. 5; dazu Vorwort S. V Anm. 1. 3 ) qui dum linguam non novisset, per interpretem, quendam religiosum presbyterum Vitalem, c. 3. 4 ) Nach den Freisinger Traditionen 1, S. 78 f. wurde dort einige Jahrzehnte später eine Kirche erbaut.

7. Der Landesbischof Emmeram von Regensburg.

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Aschheim (bei München), wohin ihn dessen Gefährten brachten, starb. Den Leichnam begruben sie an dem Platze, wo sich die Kirche St. Peter erhob; nach einiger Zeit jedoch wurde er nach Regensburg überführt und dort vor dessen Mauern i n der ( F r i e d h o f s ) k i r c h e S t . G e o r g beigesetzt 1 ), ohne daß der Trauerzug die Stadt selbst und die Hauptkirche in der Burg betrat. Derselbe Geschichtschreiber läßt zwar Emmeram die Schuld auf sich nehmen, aber dann doch wieder ableugnen und nennt den Sohn eines Richters als Vater des zu erwartenden Kindes; er gerät durch seine zum Teile unglaubwürdigen Angaben in Widerspruch. Wie hätte auch der erste Bischof in einem noch heidnischen Lande ohne Not ein solches Opfer für einen anderen verantworten können, zumal er die Herzogstochter auch dadurch nicht zu entlasten vermochte! Nun sehen wir auf einmal klar die Abhängigkeit Baierns vom Frankenreich. Pippin läßt in das Stammesrecht eine verschärfte Satzung einfügen, welche die Tötung des v o m K ö n i g e e i n g e s e t z t e n Landesbischofs (pontifex) mit unermeßlicher Buße bedroht (1/10); daraus erkennen wir deutlich, daß Emmeram ein Sendbote des Frankenreiches war und deshalb unter dessen Schutze stand (S. 229 f.); er wurde schließlich doch in Regensburg bestattet — nach Arbeo entsteht, um das durchzusetzen, vom Westen her ein heftiges Unwetter in der Dauer von vierzig Tagen (c. 32)2) — und Lantpert, der voreilige und grausame Rächer seiner Schwester, wird (mit dieser) außer Landes verwiesen; denn, so fährt das hier erneuerte Gesetz fort, „wenn der Bischof selbst einem anderen gegenüber schuldig wird, so erdreiste sich jener nicht, ihn zu töten, weil dieser der höchste Priester (summus pontifex) ist, sondern lade ihn vor den K ö n i g oder den Herzog oder sein Volk". Bei größerer Schuld werde der Bischof nach den kirchlichen Vorschriften des Amtes enthoben oder verbannt; wegen Totschlag, U nz u c h t (fornicatio) oder Hochverrat soll er verurteilt werden 3 ). Die Aufnahme einer solchen auf das eben eingetretene Geschehnis in Baiern zugeschnittenen Bestimmung in das Gesetz zeigt, daß der fränkische Hof sein Einschreiten für den von ihm gesandten Landesbischof nur auf dessen Amt, aber nicht auf die Person bezogen 1

) in beati Georgii ecclesiam deferentes, et ibi, ut erat dignus, sub humo in honore sepelierunt. c. 34. 2 ) Das ist nicht wörtlich zu nehmen, sondern gemahnt an die ebensolange kirchliche Fastenzeit. Dieselbe Zeitdauer im Leben Korbinians c. 24. 3 ) Mon. Germ., Leges 5/2, S. 281—283.

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II. D a s Stemmesherzogtum Baiern und das Christentum.

wissen wollte; daß er aber jetzt auf einmal eine solche Trennung und ihr entsprechende Fassung vornahm und mit der Möglichkeit der Schuld seines Sendboten rechnete, spricht ebenso gegen die von Arbeo behauptete Unschuld E m m e r a m s wie das Verhalten Theodos und seines Hauses. Der peinliche Vorfall und das damit verbundene frühe Ableben des ersten Glaubensboten w a r e n für das eben gepflanzte Christentum in Baiern ein harter Schlag; namentlich w a r hievon die neue Mutterkirche betroffen. Wie anders und gefestigter w ä r e ihre Stellung gewesen, hätte E m m e r a m länger und tiefgreifender schaffen können! Sein jäh und übel abgeschnittenes W i r k e n hat es Salzburg erleichtert, Regensburg nachmals den Rang abzulaufen und sich selbst als Mutterkirche Baierns auszugeben; so erlangte die Stiftung Ruperts und nicht die Hauptstadt das Erzbistum. Die Tätigkeit Emm e r a m s sollte den Eckstein in der baierischen Kirchengeschichte bilden und w a r kaum, daß er sie begann, schon wieder unterbrochen; das herzogliche Haus, auf dem sein Wirken fußte, w a r verärgert. Die Gedenkstätten seines Leidens und Todes verödeten, wie Arbeo berichtet (c. 25 u. 29), in dessen Sprengel sie sich nunmehr befanden. Als Theodo und seine Söhne gestorben w a r e n und mit Herzog Odilo ein anderer Zweig des agilolfingischen Hauses zur Herrschaft gelangte, siegte das Christentum in Baiern endgültig. E s w a r dieselbe Zeit, als der päpstliche Legat Bonifaz im Lande erschien. Der von ihm in Regensburg eingesetzte Bischof Gaubald ließ die Gebeine E m m e r a m s aus dem Bodengrabe in St. Georg erheben und dort in einem von ihm errichteten kostbaren Grabmale beisetzen (c. 35) 1 ); damit begann dessen Verehrung, die allgemach jene des ursprünglichen Schutzheiligen Georg zurückdrängte 2 ); daneben e r w u c h s nachmals das angesehene Benediktinerkloster Sankt E m m e r a m zum dauernden Gedächtnis. Daß die Regensburger Kirche ihren Gründer bald zum Blutzeugen aufsteigen ließ, bietet einen neuen Fingerzeig: sie sah in der unmenschlichen Art, wie der Rächer des herzoglichen Hauses ihren ersten Oberhirten zurichten ließ, nicht nur einen Akt der Blutrache, sondern auch einen Ausfluß des Hasses gegen den Verkünder ihrer L e h r e ; sie fühlte, daß Lantpert *) Heuwieser, Regensburg S. 159 f., der bereits in St. Georg die Friedhofsund S. 168 ff. in St. Peter die ständige Hauptkirche erkannt hat, wobei jedoch der von ihm behauptete Fortbestand aus der Römerzeit nicht in Frage kommt. 2 ) Eine Urkunde des Jahres 776 spricht bereits von der ecclesia, ubi corpus sacratum s. Emmerammi iacet. Regensb. Trad. S. 3; dazu S. 1 u. 6.

7. Der Landesbischof Emmeram von Regensburg.

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damit nicht nur ihn, sondern ebenso sie selbst treffen wollte. In dieser Hinsicht w a r Emmeram gewiß auch ein Opfer seines Glaubens, das noch auf die volle Herrschaft des Heidentums und damit auf den Beginn der Bekehrung hinweist. In Regensburg lassen sich demnach zwei Gotteshäuser nachweisen, die Bischofskirche St. P e t e r (Dom) in der Stadt und außerhalb deren Mauern die Friedhofskirche St. Georg. Es ist das noch die altchristliche Form, wie sie in spätrömischer Zeit in den civitates zu finden ist. Schon das Zwölftafelgesetz bestimmte, daß die Verstorbenen außerhalb der Mauer der Stadt bestattet w e r d e n mußten. Ein schönes Beispiel hiefür ist in Rom S. Lorenzo fuori le mura. In Regensburg erfüllte diese Aufgabe die St. Georgskirche. Schon der Name ihres Schutzheiligen läßt vermuten, daß sie in ihrer Weihe nicht römischen, sondern erst fränkischen Ursprunges ist und mithin als eine Schöpfung E m m e r a m s zu gelten hat. Doch hat derselbe Glaubensprediger dort das frühere Kirchenwesen wieder erneuert. W i r dürfen das wohl sagen, weil doch die an das mächtige Lager Castra Regina sich anschließende Siedlung die Eigenschaft einer civitas gehabt haben wird und deshalb schon in römischer Zeit einen Bischof besaß. Als solcher unterstand er dem Metropoliten von Augusta Vindelicum, w ä h r e n d jetzt die neue Hauptstadt selbst als Sitz des Landesbistums alle Aussicht hatte, kirchlich das zu werden, w a s im Altertume Augsburg w a r . Der Unterschied w a r nur der, daß jetzt die Stadt nicht mehr außerhalb, sondern innerhalb der Lagermauern w a r ; die Örtlichkeiten wechselten, doch die alte Einteilung blieb, indem nunmehr die Gemeindekirche (Bischofskirche) in den Platz des ehemaligen Lagers rückte, die Friedhofskirche aber außerhalb der Umwallung verblieb. Mit der Landnahme der heidnischen Baiern fiel das römische Kirchenw e s e n innerhalb der Stadt und konnte sich höchstens außerhalb der Mauern halten. Die romanische Bevölkerung konnte daher nicht der Vermittler sein. E s w a r e n vielmehr die Glaubensboten, die es überbrachten. Das ist um so eher bei den schottischen Mönchen anzunehmen, da sich ja im abgeschlossenen Irland das spätrömische Kirchenwesen am längsten erhalten h a t ; ja auch in den gallischen und fränkischen Städten befanden sich damals noch die Friedhöfe außerhalb der Mauern. Solange Pippin der Mittlere lebte, w u r d e die zweite Bekehrung nicht unterbrochen; daran änderte auch die Tötung des ersten

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II. Das Stammesherzogtum Baiern und das Christentum.

Glaubensboten nichts. Von Nachfolgern Emmerams wissen wir zwar recht wenig und das auch nur aus späteren Quellen. Arnold, der nach mehr als drei Jahrhunderten im Grabeskloster des ersten Regensburger Bischofs lebte, nennt als solche Lupus und Ratharius; letzterem schenkte nach seiner Angabe der schon genannte Herzog Hugbert (gest. 737) ein Gut 1 ). Wenn der Geschichtschreiber von St. Emmeram zwar für diese frühe Zeit nicht immer Glauben verdient — er nimmt ja bereits irrig zwei Theodone an — so liegt kein Grund vor, an den Namen der beiden von ihm angeführten Bischöfe zu zweifeln, zumal er den zweiten mit einer Nachricht verbindet, die nur aus einer urkundlichen Quelle geschöpft sein kann. Auffällig ist es jedoch, daß er den in der Nähe des Domstiftes zu Niedermünster bestatteten Bischof E r h a r d nicht nennt. Dessen viel spätere Lebensbeschreibung gibt auch keinen Ort seiner Wirksamkeit an, sondern sagt nur, er hätte als Mönch und Bischof in Baiern gepredigt, sei schottischer Herkunft gewesen und stamme aus dem Gebiete der (südfranzösischen) Kreisstadt Narbonne. Wenn sie als Zeitpunkt seiner Ankunft die Herrscherjahre Pippins, des Vaters Karls des Großen, angibt 2 ), so verwechselt sie den genannten Karolinger wohl mit dessen Großvater gleichen Namens, den wir als den Mittleren bezeichnen. Es schimmert also auch da noch die damalige Abhängigkeit Baierns vom Frankenreiche durch. Erhard gehört demnach noch in den ersten Beginn der zweiten Bekehrung und ist wahrscheinlich gleich nach Emmeram einzureihen, da ja der letztgenannte Hausmeier schon im Jahre 714 starb. Daß er nicht in St. Georg, sondern in Niedermünster begraben ist, dürfte ebenfalls dafür sprechen, da er dort wohl als Gründer seine Ruhestätte fand; ein Frauenstift zählte nämlich, wie wir gleich bei Salzburg (Nonnberg) sehen werden, zu den ersten Erfordernissen einer Domkirche. An seiner Eigenschaft als Bischof und an seinem Wirken in Baiern ist nicht zu zweifeln, da ihn auch das Salzburger Verbrüderungsbuch in der gleichen Würde erwähnt. Dieses verzeichnet zuerst ausführlich die Reihe der ersten Salzburger Oberhirten beginnend mit Rupert und bringt später an anderer Stelle eine Aufzählung der übrigen Bischöfe in Baiern aus dem Beginne der zweiten Bekehrung: Emmeram (Regensburg), Korbinian (Freising), Agnellus, Vivilo (Passau) und auf gleicher Höhe mit letzterem: Er*) Mon. Germ., Script. 4 (1841) S. 549, 565; dazu Heuwieser, Regensburg S. 175 f. 2) Mon. Germ., Script, rer. Merov. 6 (1913) S. 13.

7. D e r L a n d e s b i s c h o f E m m e r a m v o n

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Regensburg.

hardus ep. 1 ); dieser ist von demselben Schreiber, der um 784 den Grundstock anlegte, nachgetragen. Daraus ist schon zu ersehen, wie wenig Salzburg die anderen Kirchen berücksichtigte und von ihnen wissen wollte. Wohin Erhard gehört, ist so wenig zu sagen, als von Agnellus, der bestimmt nicht für Säben in Betracht kommt, da dieses Bistum damals noch nicht erneuert w a r 2 ) ; ersterer ist um so eher in die neue Hauptstadt zu verweisen, als er dort bestattet ist; er zählt nicht zu den von Bonifaz abgesetzten Bischöfen, deren Namen wir noch erfahren werden und ist noch vor ihm einzureihen. Wichtig ist für uns bloß das eine, daß in Regensburg ebenso wie in Salzburg Emmeram und Rupert unmittelbare Nachfolger hatten; schon daraus ist zu erkennen, daß nicht erst der päpstliche Sendbote die baierischen Bistümer geschaffen hat. Wenn Arnold zu berichten weiß, in seiner Stadt hätten seit Gaubald auf dem Bischofsstuhle Mönche und Weltgeistliche abgewechselt, indem einem Ordensmann immer ein Kanoniker folgte und umgekehrt 3 ), so wird sich dieser Brauch nach der ursprünglichen Teilung der Pfarrkirche in Stadt- und Friedhofskirche richten, wobei letztere als der Sitz der Mönchsgemeinschaft und die Taufkirche als jene der Kanoniker anzusprechen ist. So erklärt sich auch, warum Emmeram in St. Georg begraben und auch später, als Theodo und seine Söhne gestorben waren, nicht in die (Burg-) Domkirche gebracht wurde: er zählte eben zu den Ordensmännern, worauf schon die genannte Stelle bei Arbeo schließen läßt, der Herzog hätte ihm, falls er nicht Landesbischof werden wollte, das Amt eines Provinzialabtes angeboten. Seine Angaben weisen somit schon von Anbeginn auf den gleichen Wechsel in Regensburg hin, wie ihn später Arnold schildert. Die von Emmeram bekleidete Doppelstelle als Landesbischof (Burg, bzw. Dom) und Abt (Friedhofskirche) läßt ersehen, daß damals noch die altchristliche Kirchenordnung herrschte; sie ist schon bei Eugippius zu finden, wenn er Valentin, dem Metropoliten von Mon.

Germ.,

Necrol. 2

(1904)

S. 26;

dazu

S.

Herzberg-Fränkel,

Uber

das

ä l t e s t e V e r b r ü d e r u n g s b u c h v o n S t . P e t e r in S a l z b u r g , N e u e s A r c h i v 12 ( 1 8 8 7 ) S . 67 f. *) H e u b e r g e r , 3

ita

R ä t i e n 1, S . 193.

) . . . vicissim

ut,

si

antecessori

sibi

antecessor succederei

R e g e n s b u r g S . 1 7 3 f.

succedebant

esset

in huius e p i s c o p a t u

canonicus,

canonicus.

Mon.

fieret

successor

Germ.,

monachi

monachus,

S c r i p t . 4,

S. 559;

atque et dazu

cononici,

iterum

huic

Heuwieser,

124

II. Das Stammesherzogtum Baiern und das Christentum.

Augsburg, beide Würden zuspricht (c. 41). Der klösterliche Verband an der Friedhofskirche geht ebenfalls noch auf eine römische Sitte zurück; er wird sein Entstehen den Totenfeiern verdanken, die damals, wie das Leben Severins erzählt (c. 15 f.), darin bestanden, daß die Gläubigen im Gotteshause vor aufgestellter Bahre die ganze Nacht unter Psalmengesang durchwachten. Der Heilige pflegte seine Mönchszelle wohl deshalb bei der Kirche außerhalb der Mauer zu errichten, weil dort der Friedhof war. Die gleichen Verhältnisse werden wir in Salzburg und Freising finden. 8. Bischof Rupert von Salzburg. Der zweite Glaubensprediger, der aus dem Frankenreiche nach Baiern kam, w a r Bischof Rupert; er erhielt als seinen Sitz Salzburg zugewiesen. Da Emmeram, wie aus der Strafbestimmung des Volksrechtes über die Tötung des Landesbischofs (pontifex) zu erkennen ist, bei seinem Ableben (706) noch der einzige Bischof im Lande war, so ist die Ankunft Ruperts in Salzburg erst nachher anzusetzen. W i r werden zudem erfahren, daß dieser den Herzog Theodo überlebte und noch unter dessen Sohne Theodebert w i r k t e ; sein Aufenthalt in Salzburg fällt so beiläufig in die Jahre 710 bis 720; es w a r ihm gegönnt, die Einrichtung der ihm anvertrauten Kirche zum Abschlüsse zu bringen; er schuf die Hauptkirche in der Salzburg mit einem Kanonikat- und Frauenstifte und das Gotteshaus am Friedhofe mit einem Männerkloster; hernach hat er seine Bischofsstadt verlassen und ist in der Fremde gestorben. Die überragende Stellung Salzburgs haben erst seine beiden großen Nachfolger Virgil (c. 747—784) und Arn(o) (785—821) geschaffen; ersterer vollführte die Einführung des Christentums im unterworfenen Karantanien und machte hiedurch sein Bistum zum größten Kirchensprengel seines Landes; letzterer, ein Freund Karl des Großen, erhielt im Jahre 798 das Pallium und die W ü r d e eines Erzbischofs für Baiern. Dieses w a r damals nicht mehr Stammesherzogtum, sondern ein Bestandteil des Frankenreiches, so daß allein der Wille des Kaisers ausschlaggebend w a r . Salzburg bekam so einen Vorrang, der nicht dem kirchlichen Herkommen entsprach und das ältere Recht der Hauptstadt Regensburg verletzte; ja auch die untergegangene Metropole Lorch meldete sich später durch das inzwischen erstandene Bistum Passau zum Wort. Dieses w ä r e zudem nach der Zertrümmerung des Awarenreiches durch seine Lage

8. Bischof Rupert von Salzburg.

125

an der Donau kirchlich der natürliche A n w ä r t e r auf das eroberte Pannonien g e w e s e n ; doch erhielt letzteres ebenfalls das abgelegene Salzburg, so daß dieses mit Karantanien kirchlich die ganze Ostmark vereinte. Um die errungene Stellung vor den zunehmenden Anfechtungen zu schützen, sah sich die Salzburger Kirche genötigt, ihre Vergangenheit den Forderungen der Gegenwart anzupassen: sie reihte die Ankunft ihres Stifters zeitlich an die erste Stelle; so entstand der „Apostel Baierns". Das höhere Alter bedingte ja erst den Anspruch auf den V o r r a n g ; das w a r strenge eingehaltener Grundsatz. Die Geschichte des Altertums, des Mittelalters und auch der Neuzeit ist zu einem erheblichen Teil von solchen Rangstreitigkeiten ausgefüllt, die oft Jahrhunderte nicht zur Ruhe kamen. Das lehren ja deutlich die schon öfter e r w ä h n t e n Lorcher Fälschungen, die den Ursprung ihres Bistums in die apostolische Zeit zurückführen. Das Bestreben der bischöflichen Kirchen, ihr Entstehen in eine möglichst frühe Zeit zu verlegen, will daher nicht so sehr eitle Ruhmsucht befriedigen, als vielmehr gesteigerte Ansprüche begründen. In dieser Hinsicht hat gerade die Erneuerung der Metropolitanverfassung unter Karl dem Großen durch solche Legenden das Bild der Vergangenheit verfälscht 1 ). Ihre harmlose F o r m darf nicht über ihre oft weitgehenden Forderungen täuschen; derartige bewußte Erfindungen wollen nachträglich Ansprüche rechtfertigen, die eigentlich nicht bestehen, und verfolgen im dichterischen Kleide ähnliche Ziele wie die Urkundenfälschungen. In diesem Zusammenhange ist leicht zu verstehen, daß über das W i r k e n Ruperts keine gleichzeitige Quelle vorliegt. Das fällt um so m e h r auf, als sein Nachfolger und Landsmann Virgil, der ihm zu Ehren den Dom erbauen und seine aus der Ferne heimgebrachten Gebeine dort beisetzen ließ (774), doch wohl Sorge getragen haben wird, die Taten seines Vorgängers festzuhalten. Solches ist doch gerade bei ihm, dem gelehrten Manne, anzunehmen, der das schon e r w ä h n t e Verbrüderungsbuch anlegen ließ und Arbeo aufmunterte, das Leben Korbinians aufzuzeichnen, wie w i r aus der vorangestellten Widmung erfahren. Da diesem W e r k erst die Geschichte Emm e r a m s nachfolgte, so gilt die Anregung auch für letztere. Bei einer *) Das hat schon W . Levison, Die Anfänge rheinischer Bistümer in der Legende, Annalen des Hist. Vereins f. d. Niederrhein 116 (1930) S. 14 ff. vermutet.

126

II. Das Stammesherzogtum Baiern und das Christentum.

derartigen Sachlage w ä r e es doch merkwürdig, wenn Virgil es unterlassen hätte, für den Stifter seiner eigenen Kirche vorzusorgen. Wir haben daher allen Grund zu glauben, daß eine ältere Lebensgeschichte Ruperts vorhanden war, als wir sie heute besitzen; ihr Fehlen gibt zu denken. In den damals in Salzburg entstandenen Geschichtsquellen tritt der erwähnte Umschwung deutlich hervor. Vor der Erhebung zum Erzbistume liegt nur eine einzige Nachricht vor und die ist erst wenige Jahre früher angefertigt worden: die N o t i t i a A r n o n i s , ein Güterverzeichnis der Salzburger Kirche aus dem Jahre 790, veranlaßt durch den Sturz des letzten baierischen Stammesherzogs Tassilo und den Übergang der Herrschaft an Karl den Großen (788). Ihr Verfasser, der Diakon Benedikt, zählt da alles auf, w a s die Herzoge des Landes an die Domkirche widmeten. Darnach schenkte Herzog Theodo an Rupert die Stadt (oppidum) und die obere Burg (castrum superius); in letzterer errichtete dieser die Bischofskirche und schuf daneben (iuxta) ein Frauenstift zu Ehren Mariens (Nonnberg); mit einer ausführlichen Geschichte des Baues der Maximilianszelle in Bischofshofen und des Anlasses hiezu finden die Taten des Stifters ein Ende. Der Bearbeiter führt Rupert als „Bischof" und „Bekenner" an und bezeichnet ihn immer bloß als „Herrn", hebt ihn jedoch niemals als „heilig" oder „selig" hervor. Wohl hat Virgil seine Gebeine nach Salzburg bringen und in dem von ihm errichteten Dome beisetzen lassen und so die Verehrung als Heiligen vorbereitet; der eigentliche Kult beginnt indes erst mit der Erhebung Salzburgs zum Erzbistume. Die päpstliche Bulle, die Leo III. aus diesem Anlaß an die bairischen Bischöfe richtete, nennt Rupert bereits pontifex und „heilig"; damit w a r dieser als solcher von höchster kirchlicher Stelle anerkannt 1 ). Die Worte, mit denen in ihr und in der erstgenannten Quelle der Leiche Ruperts gedacht wird, sind in ihrer Gegenüberstellung lehrreich: Notitia Arnonis (790): ad episcopatum b. Petri . . ., ubi et domnus Hrodbertus episcopus atque confessor una cum sotiis corpore requiescit. Salzb. Urkb. 1, S. 4.

Päpstliche Bulle (798): e c c l e s i a e . . b. P e t r i . . . ibique requiescit corpus sacri pontificis Hruodberti unäcum venerabilibus suis sodalibus scilicet Chunialdo atque Kyslario, quorum corpora ibidem a fidelibus honorantur. Salzb. Urkb. 2, S. 6.

8. Bischof Rupert von Salzburg.

127

Im Verlaufe von einem halben Jahrhundert entstehen jetzt drei neue, immer redseliger w e r d e n d e Quellen, deren letzte als Denkschrift über die Verdienste der Salzburger Kirche um die Einführung des Christentums in Baiern, Karantanien und Pannonien (Conversio) um das Jahr 870 angesetzt wird. Mit der beginnenden Legendenbildung verbindet sich die bewußte Absicht, die erhaltene erzbischöfliche W ü r d e vor Anfechtungen sicherzustellen: das angesprochene höhere Alter sollte den errungenen Vorrang rechtfertigen und auf die Dauer festhalten. In den Lebensbeschreibungen Ruperts haben wir daher keine eigentlichen Geschichtsquellen, sondern nur L e g e n d e n zu erblicken: sie sind daher in den Angaben über ihren Heiligen nur dort v e r w e n d b a r , w o andere glaubwürdigere Zeugnisse mit ihnen übereinstimmen; für die Zeit ihrer Abfassung verdienen sie jedoch als Fingerzeige für die Ängste und Sorgen des jungen Erzbistums um so höheren W e r t , als aus diesen Jahren w e d e r von Regensburg noch bei P a s s a u Nachrichten vorliegen. Rupert erscheint in ihnen als der himmlische und irdische Anwalt für die Verteidigung der Metropolitanrechte der von ihm gestifteten Kirche; er verdeckt und schirmt die v e r w u n d b a r e n Stellen 1 ). Die erste Form der Gründungssage der Salzburger Kirche findet sich in den „ K u r z e n N a c h r i c h t e n " (Breves Notitiae), die in baldigem Anschluß an das Arnonische Güterverzeichnis abgefaßt sind und dieses fortführen und ergänzen. Schon die schwankende Bezeichnung Ruperts als „Herr", dann aber schon als „selig" und „heilig" und einmal als beatus pontifex zeugt für ihr frühes Entstehen bald nach der Erhebung Salzburgs zum Erzbistume; vielleicht w a r diese der Anlaß, das frühere Güterverzeichnis zu erneuern und mit geschichtlichen Nachrichten über die Stiftung der Kirche zu verbinden. Nach ihnen hat Rupert den Herzog Theodo mit den baierischen Großen vom Heidentume zum Christentum bekehrt und getauft; mit Ein Vergleich mit der Wolfganglegende macht diesen Hinweis noch deutlicher: w i e in der Gründungssage der Salzburger Kirche deren Zwiespalt mit Regensburg sich abfärbt, so findet dort der Kampf des Klosters Mondsee mit Salzburg und Regensburg dichterische Gestalt. I. Zibermayr, Die St. Wolfganglegende, 80. Jahresber. des Oberösterr. Musealvereins (1924) S. 167—172 = Sonderausgabe S. 31—36.

128

II. Das Stammesherzogtum Baiern und das Christentum.

seiner Erlaubnis, sich einen Bischofssitz zu suchen 1 ), zog er im Lande herum und kam schließlich in den Salzburggau zum Wallersee, wo er eine Kirche zu Ehren des Apostels Petrus erbaute; hernach schenkte ihm der Herzog den dazugehörigen Ort (Seekirchen). Bald darauf erkannte jedoch der Bischof, daß dieser Platz als sein Sitz nicht geeignet wäre, suchte deshalb einen besseren und gelangte so nach Salzburg; dort fand er viele alte (römische) Baulichkeiten verfallen, fing deshalb an, die eingerissene Wildnis zu beseitigen und begann hernach die (Haupt)kirche und andere Gebäude zu errichten, die ein B i s c h o f s s i t z (episcopatus) erforderte-). Sodann kam der Herzog und schenkte ihm den Ort (locus) und die obere Burg. Die Einführung des Christentums in Baiern wird hier bereits als ein Werk Ruperts hingestellt, indem dieser angeblich Theodo bekehrte und taufte. Davon kann keine Rede sein, doch ist zum Unterschiede zur Erzählung Arbeos das eine richtig, daß die zweite Bekehrung nicht eine Hebung des gesunkenen Christentums, sondern eine Neuschöpfung war und eben deshalb mit der Taufe des Herzogs begann. Der Verfasser verschweigt ebenso wie der Geschichtschreiber Emmerams, daß hiebei der fränkische König, bzw. Hausrneier der treibende Anlaß w a r und läßt gleich ihm das Bekehrungswerk mit freiem Willen des Herzogs geschehen; er stellt jedoch anders wie jener nicht den Landesfürsten, sondern Rupert selbst als den eigentlichen Urheber hin. Von der Schilderung seiner Taten kann nur die Gründung der Salzburger Kirche als glaubwürdig gelten. Der wirkliche Sachverhalt ist leicht zu erkennen: wie Theodo Emmeram als dem Landesbischof Regensburg zuwies, so bestimmte er für Rupert Salzburg, wie nachmals für Korbinian Freising. Gleich diesem war der zweite nur einfacher Sprengelbischof und nicht, wie uns die Legende Glauben machen will, der erste Landesbischof, der an zeitlichem Alter Emmeram und die anderen Glaubensprediger überragt. Wenn RuP r i m o igitur Theodo dux Baioariorum dei omnipotentis gratia instigante et beato Rùdberto episcopo predicante de paganitate ad Christianitatem conversus et ab e o d e m episcopo baptizatus est cum proceribus suis Baioariis. Item Theodo dux dedit ei potestatem circuire regionem Bawariorum et eligere sibi locum ad episcopii sedem. Salzb. Urkb. 2, A 2. 2 ) Inveniens ibi multas c o n s t r u c t i o n s antiquas atque dilapsas cepit ibi hunc locum expurgare, ecclesiam construere aliaque edificia erigere ad episcopii dignitatem pertinentia. Ebendort A 3.

129

8. Bischof Rupert von Salzburg.

pert vom Herzoge das Recht erhielt, seinen Sitz selbst zu bestimmen, so erhob er durch seine persönliche Wahl Salzburg zum kirchlichen Mittelpunkt Baierns. Die von ihm begnadete Stadt hat demnach als Mutterkirche vor den anderen den Vorrang, selbst vor der Hauptstadt, und ihr gebührt daher das Anrecht auf das neugeschaffene Erzbistum! W i e wenig die Angaben der ersten Gründungssage der Salzburger Kirche in den „Kurzen Nachrichten" stimmen, läßt sich durch einen Vergleich mit dem Arnonischen Güterverzeichnisse leicht zeigen. Nach dem letzteren schenkte erst Theodebert, der Sohn Theodos, Rupert den Ort Seekirchen, nach den ersteren jedoch bereits der Vater 1 ). Es ist immerhin möglich, daß Rupert n a c h Einrichtung der Salzburger Kirche als deren Bischof in Seekirchen zu Ehren des Apostels Petrus ein Gotteshaus erbaute; in keinem Falle geschah dies jedoch noch vor seiner Ankunft in Salzburg und noch dazu als Bischofssitz. Ein solcher durfte ja nach altkirchlichem Grundsatze nur in den Städten (Verwaltungsmittelpunkten), aber nicht auf offenem Lande in einem unscheinbaren Dorf errichtet werden 2 ). Eine Bischofskirche in Seekirchen ist noch unglaubwürdiger, als ihr Bau vor der Grundschenkung des Herzogs; sie gehört als einfaches Pfarrgotteshaus frühestens in die Zeit Theodeberts, aber nicht Theodos. Letzterer hat natürlich auch zuerst Salzburg an Rupert vergabt und dann erst hat dieser den Kirchenbau begonnen und nicht umgekehrt. Nach der Legende wäre Seekirchen ebenso eine untergegangene Mutterkirche Baierns, als dies bei Lorch der Fall ist. Warum Salzburg später danach griff, lag wohl im Namen des Schutzheiligen. Petrus war nicht nur der oberste Schirmherr des Papstes und der Lieblingsheilige des karolingischen Hauses, sondern auch der Patron der baierischen Mutterkirche in Regensburg. Diese galt es nun nach Salzburg zu übertragen, um Rupert als den Apostel des Landes zu erweisen. Die von ihm gestiftete Hauptkirche in Salzburg befand sich nach dem Arnonischen Güterverzeichnis in der Salzb. Urkb. 1, S. 6, 50 u. 2, A 3. 2)

Auf Grund alter

Konzilsbeschlüsse

bestimmt

noch

ein Kapitular

Karls

des

Großen v o m J a h r e 789: quod non oporteat in villolis vel in agris episcopos constituí. Mon. Germ.,

L e g . II, Capitul.

1 (1883) S. 55.

Dasselbe

Verbot

enthält

auch ein

Schreiben des P a p s t e s Zacharias an Bonifaz v o m 1. April 743. Mon. Germ., Epistolae 3 (1892) S. 302 =

Epistolae selectae 1 (1916) S. 87.

9

130

II. D a s S t a m m e s h e r z o g t u m

Baiern und d a s Christentum.

oberen Burg 1 ); sie w a r also das erste Gotteshaus, das er dort errichtete und damit die Mutterkirche seines Bistums. Nun erwähnen die „Kurzen Nachrichten" eine in der Salzburg befindliche M a r t i n s k i r c h e 2 ), die keine andere sein kann als das vorhin von Rupert erbaute Gotteshaus im oberen Kastell. Daß wir es bei ihr nicht mit einer einfachen Burgkapelle, sondern mit der H a u p t k i r c h e zu tun haben, zeigt die in beiden Quellen angeführte Martinsmesse, an der seit Theodebert die jährlichen Salzlieferungen an das Frauenstift Nonnberg fällig w a r e n 3 ) . Die von Rupert erbaute Bischofskirche in Salzburg w a r also nicht dem Apostel Petrus, sondern dem aus Savaria (Steinamanger) stammenden fränkischen Bischöfe Martin von T o u r s geweiht, dem Schirmherrn der Merowinger und ihres Volkes; sie stand nach einer von Aventin erwähnten Inschrift vielleicht auf den Grundfesten oder doch in der Nähe eines römischen Merkurtempels 4 ). Da das Bistum Salzburg von der Regensburger Landeskirche aus gegründet wurde, der es auch zunächst unterstand, so liegt es nahe, daß es ursprünglich nicht denselben Schutzheiligen h a t t e ; dessen Übernahme ist vielmehr erst später mit der Absicht erfolgt, die hauptstädtische Bischofskirche zu verdrängen und sich an deren Stelle zu setzen. Der von Virgil erbaute Dom w a r der E r s a t z für die Martinskirche in der B u r g ; in der späteren Weihenachricht erscheint er bloß als Ruprechtskirche 5 ). Das geschieht nur deshalb, weil dort die Gebeine des Heiligen ruhten; dieser w u r d e zunächst nicht Haupt-, sondern Nebenpatron. Da die Martinskirche auch später mit gleichem Namen e r w ä h n t wird 6 ), so hat Virgil ihren Schutzheiligen nicht in die neue Hauptkirche überführt, sondern diese schon dem Apostel P e t r u s geweiht. Im Titel iuxta i p s u m e p i s c o p a t u m in Castro superiore, q u e m d o m n u s H r o d b e r t u s

epis-

c o p u s a t q u e c o n f e s s o r p r i m u m edificavit, que et S a l z b u r c appelavit. Salzb. Urkb. 1, S . 13. 2

) contra

ecclesiam

s. Martini,

que

sita

est

in Castro

Iuuauensi.

E b e n d o r t 2,

A 7. S c h o n der v e r d i e n t e F. V. Zillner, G e s c h . der Stadt S a l z b u r g 1 (1885) S . 215 f. hat in ihr die e r s t e Kirche v o n S a l z b u r g erkannt. 3

tini.

) usque ad f e s t u m s. Martini. E b e n d o r t 2, A 6.

Salzb. Urkb. 1, S. 14;

u s q u e ad p i s s a m s. Mar-

Im Jahre 861 feierte König L u d w i g der D e u t s c h e d a s Mar-

tinsfest ( m i s s a s. Martini) zu S a l z b u r g .

Mon. Germ., Script. 30/2 (1934) S. 741.

4

) Aventins Werke

а

) 774. T r a n s l a t i o s. Hrodperhti. — D e d i c a t i o e c c l e s i a e s. R o d p e r c t i . Mon. Germ.,

Script. 30/2, S. 734.

4/2 (1883) S. 719;

Der D o m

Corp. inscript. lat. 3/2, Nr. 5533.

erhebt sich vielleicht an der Stelle d e s

Marktplatzes (forum). 0 . K l o s e und M. Silber, J u v a v u m (1929) S. 13 f. б

) S a l z b . Urkb. 2, S. 61, 134.

römischen

8. Bischof Rupert von Salzburg.

131

des Arnonischen Güterverzeichnisses (790) erscheint sie bereits als „episcopatus b. Petri, w o der Leib des Herrn Rupert bestattet ist". In Regensburg wie in Salzburg war also die bischöfliche Kirche zunächst in der Burg. Während jedoch in der Hauptstadt der Name des Schutzheiligen auf den Dom überging, so daß dieser Petrus und Emmeram geweiht wurde, blieb in der Salzachstadt die Martinskirche zwar als solche bestehen, verlor jedoch ihre Eigenschaft als Hauptkirche. Die Weihe des prächtigen Domes an den Apostel Petrus ist das f r ü h e s t e Anzeichen, daß Salzburg Anspruch erhebt, die erste Kirche des Landes zu sein und der Hauptstadt ihren kirchlichen Vorrang streitig machen will. Das bald hernach angelegte Verbrüderungsbuch bekundet in seinen ersten Bischofslisten dieselbe Absicht: wie arm bedacht erscheint da Regensburg und wie überreich Salzburg! Bischof Arn hat das vollführt, was sein unmittelbarer Vorgänger Virgil begann. Da schon vordem Rupert die von ihm errichtete Klosterkirche dem Apostel Petrus geweiht hatte, so besaß Salzburg — und das ist das Befremdende — jetzt zwei Gotteshäuser zu Ehren des Apostelfürsten, nämlich den Dom, der später eben deshalb nach dem Grabe des Stifters (Rupert) und seines Erbauers (Virgil) benannt wurde, und die Abteikirche Sankt Peter. So entstand der noch jetzt herrschende Irrtum, der Bischofsitz hätte ursprünglich an letzterer Stelle gehaftet, was schon eine Urkunde Erzbischofs Konrad I. (1139) zu erzählen weiß 1 ). Das bald hernach verfaßte Leben Virgils fügt noch hinzu, die Eigenschaft der Hauptkirche (Kathedrale) sei von dort mit den Gebeinen Ruperts an den Dom übertragen worden (774)2). Wie in Regensburg sind auch in Salzburg die Bischofs- und Friedhofskirche zu unterscheiden; für diese kommt allein die Klosterkirche St. Peter in Betracht, die je einmal so wenig Domkirche war wie St. Georg in Regensburg, aber auch das Grab Ruperts niemals besaß. Daß Haupt- und Nebenkirche derselben Stadt den gleichen Schutzheiligen aufweisen, gibt schon zu denken und läßt darauf schließen, daß das ursprünglich nicht der Fall war. Während Arbeo die Stärke der Mauern und Türme von Regensburg rühmt, sagen die „Kurzen Nachrichten" aus, Salzburg sei bei der Ankunft Ruperts in vielen alten Gebäuden verfallen und vom Gestrüppe überwuchert gewesen. Diese Angabe bezieht sich,' wie die nächste Quelle, die Vita Ruperti, zeigt, auf die römischen Bau2

Salzb. Urkb. 2, S. 281. ) Mon. Germ., Script. 11 (1854) S. 87. 9*

132

II. D a s Stammesherzogtum Baiern und das Christentum.

lichkeiten, wovon letztere alle, die ersteren hingegen viele verfallen sein lassen. Das wird zunächst für die Kirchen gelten. Die Forschung hat schon lange erkannt, daß hier von einer Verödung keine Rede sein kann, wogegen schon die Vergabung des Oppidums an Rupert spricht 1 ). Salzburg blieb um so mehr geschont, als der Ansturm der Awaren an der Traun zum Stillstande kam und westlich hievon die baierischen und romanischen Siedlungen erhalten blieben, ja durch die Flucht aus Lorch und Umgebung vermehrt wurden. Es fällt auf, daß beide Quellen den Namen der Stadt und des Flusses in römischer und deutscher Bezeichnung bringen. Das zeugt für die Doppelsprachigkeit der Gegend und für ihre überwiegend romanische Bevölkerung. Die ältesten Urkunden kennen überdies einen sonst nirgends vorkommenden Namen für Salzburg, das sie urbs Petenensis und deren Kirche s i e e c c l e s i a P e t e n a heißen 2 ), wobei wir wohl noch an eine illyrische Wortform denken müssen. Salzburg tritt uns daher in dreifacher Namensform entgegen, so daß also die deutsche noch nicht durchgedrungen und daher die untergeordnete ist. Das zeigt sich auch darin, daß nach der Legende erst Rupert den Namen Salzburg, der wohl von den nahen Salzstätten herrührt, und Pongau gegeben haben soll. Wenn irgendwo in Baiern, so wäre hier der Ort gegeben, an dem sich am ehesten der ununterbrochene Bestand des Christentums seit der Römerzeit nachweisen ließe. Niemand hätte mehr Grund gehabt, dies zu tun, als die Salzburger Kirche, als sie um den Vorrang kämpfte. Da ist es nun sehr bedeutungsvoll, daß gerade sie es ist, die das Christentum in Baiern erst von Rupert an rechnet, diesen zum ersten Verkünder macht und bis dahin das Heidentum gelten läßt; sie leitet ihren Ursprung also nicht von den Romanen, sondern aus frischer Wurzel ab. Wäre die ecclesia Petena etwa von anders woher nach Salzburg übertragen worden, so wäre wieder gerade dessen Kirche es gewesen, die im Kampfe gegen Passau, das sich als Erbe Lorchs ausgab, darauf hingewiesen und davon ihren Ursprung hergeleitet hätte. Nichts von all dem: bei ihr ist erst Rupert der Apostel Baierns! Die einzige Spur eines alten Kernes findet sich in der Erzählung über die Auffindung der Leiche eines als heilig verehrten M a x i Dopsch, Grundlagen d. europ. Kulturentw. 1 (1923) S. 176—183. ) Arno Petenensis urbis episcopus, que nunc appelatur Salzburch (790) und ecclesiae Juvauensium, que et Petena nuncupatur (798). Salzb. Urkb. 2, S. 1 f., 6. 2

133

8. Bischof Rupert von Salzburg.

m i 1 i a n, die sowohl das Arnonische Güterverzeichnis und in erweiterter und teilweise veränderter, ausgeschmückter Form die „Kurzen Nachrichten" enthalten. Nach ersterem gingen zwei Brüder nach Pongau (Bischofshofen) an der Salzach, um dort zu jagen und Gold zu waschen und sahen hiebei in den meisten Nächten zahlreiche Lichter und andere Zeichen. Auf ihre Meldung hin überzeugte sich Rupert selbst von dem Sachverhalt, bat darauf den Herzog Theodo um die Erlaubnis, dort eine Zelle erbauen zu dürfen und erhielt sie. Der Bischof ließ nun dort die Stelle roden, an ihr ein Bethaus (oratorium) errichten, wreihte es zu Ehren Maximilians, wie wir aus der Aufschrift erfahren, und bekam vom Landesfürsten die Örtlichkeit für die Salzburger Kirche. Nach den „Kurzen Nachrichten" erkrankte jedoch Theodo während des Baues der Zelle, überließ das Herzogtum Baiern seinem Sohne Theodebert und ermahnte ihn, dem Christentum treu zu bleiben 1 ). Mit dessen Genehmigung weihte Rupert die Kirche (ecclesia) zu Ehren des genannten Maximilians, nannte den Ort Pongau und erhielt von dem anschließenden Forst des Herzogs drei Quadratmeilen. Der Widerspruch zwischen beiden Quellen wird wohl so aufzufassen sein, daß Theodo zwar noch lebte, jedoch für ihn sein Sohn die Herrschaft führte. Der Bischof schickte dann von Salzburg ihm unterstehende Mönche und andere Geistliche dorthin und richtete für Tag und Nacht den Gottesdienst ein 2 ). W i r sehen auch da im Kleinen die Teilung zwischen Ordenspersonen und Weltgeistliche, wie wir sie an den bischöflichen Kirchen finden. Inzwischen wurden die Brüder von den benachbarten heidnischen Slaven (Karantanen) vertrieben, die die Zelle zerstörten. Herzog O d i l o (737—748) ließ sie erst wieder herstellen und erweitern; dieser, so beginnt vielsagend der Bericht des zweiten Teiles, f i n g a n , Kirchen zu bauen und zu vergrößern sowie die Diener Gottes zu lieben 3 ). Da er nicht wußte, daß Rupert die Zelle errichtet hatte, übergab er sie seinem Kaplan Ursus, der sie von ihm erbeten hatte. Dagegen erhob der von ihm zum Bischof ernannte Virgil Einspruch, ließ die Rechtsverhältnisse erheben und *) eique ad Christianitatem suam libenter obedire. Salzb. Urkb. 2, A 4. 2

) domnus Rùtbertus

episcopus misit ibidem

monachos

suos

et alios

et fecit ibi officium Dei fieri iugiter die noctuque ad lauden et gloriam Dei.

clericos Eben-

dort A 5. 3

) Prefatus quoque dux Ottilo . . .

servos diligere. Ebendort A 10.

cepit edificare et ampliare ecclesias

et Dei

134

II. D a s Stammesherzogtum Baiern und das Christentum.

konnte noch Schüler Ruperts und einen Sohn des Kanzlers Theodos als Zeugen verwenden 1 ). Nach der berühmten Stelle Arbeos über den Untergang von Lorch und dessen Zusammenhang mit dem Beginn der zweiten Bekehrung erfahren wir über diese in dem hier nur zum Teil mitgeteilten Berichte über den Bau der Maximilianszelle an meisten. Rupert fand also bereits unter der romanischen Bevölkerung an der Salzach Spuren einer Heiligenverehrung; eben deshalb errichtete er in Bischofshofen eine Kirche, aus deren Weihe an Maximilian zu entnehmen ist, daß dieser dort bestattet war. Aufmerksam wurde er dadurch, daß an dessen Grabe die Umwohner nach altchristlicher Sitte zur Nachtzeit Lichter brannten; die „Kurzen Nachrichten" wissen außerdem noch von dem in Legenden häufig erwähnten wunderbaren Duft, den die Leiche ausströmte, zu erzählen. Es war also ein ausgesprochenes Heiligengrab, jedoch ohne Gotteshaus. Das läßt wohl darauf schließen, daß bei den Romanen des Salzachgaues z w a r noch immer bis zur Ankunft Ruperts christliche Gebräuche herrschten, jedoch erst dieser den hiefür erforderlichen Kirchenbau ermöglichte. Die öffentliche Ausübung des Gottesdienstes war also wohl unmittelbar vorher verboten, denn sonst hätten wahrscheinlich die Bewohner von Bischofshofen an der Grabstätte schon vorher ein Bethaus errichtet. Während die Baiern, wie wir vermuteten, bis zur ersten Bekehrung ungehindert die Romanen bei ihrem christlichen Glauben beließen, unterdrückten sie nach derselben das Christentum nicht nur bei ihrem Stamme, sondern auch bei den unterworfenen Keltoillyriern; wie die Franken bei ihnen kein Heidentum duldeten, so ahmten sie jetzt deren Vorgehen nach und verboten umgekehrt die christliche Lehre, wo sie sie fanden. W ä r e diese schon vor der ersten Bekehrung ausgerottet worden, so hätte sie sich kaum bis zur Ankunft Ruperts in dürftigen Resten halten können; die Romanen wären dann bei seinem Erscheinen ebenso Heiden gewesen wie die Baiern. Auf alle Fälle hatte der neue Salzburger Bischof in seinem Gau viel besseren Untergrund für sein Wirken als seine Amtsbrüder in Regensburg und Freising. Über Herkunft, Leben und Stand des als heilig verehrten Maximilian erfahren wir kein W o r t ; wir können bloß vermuten, daß er ein Romane w a r ; ob jedoch der Pongau seine Heimat war oder ob erst seine Leiche dorthin von anderswo geflüchtet wurde, wissen *) Salzb. Urkb. 2, A 8 f.

8. Bischof Rupert v o n Salzburg.

135

wir so wenig, als w a s später mit ihr geschah. Eine Urkunde Königs Karlmann e r w ä h n t die Leiber (corpora) eines B e k e n n e r s (confessor) Maximilian und einer M ä r t y r e r i n Felicitas, die er in der von ihm erbauten Stiftskirche in Otting beisetzen ließ (878); da sie eine Urkunde desselben Herrschers aus dem Vorjahre dort noch nicht anführt und nur von Uberresten (reliquiae) sehr vieler Heiligen, aber nicht von einem wirklichen Leib (corpus) spricht, so dürfte sie Karlmann wohl erst auf dem dazwischen liegenden Kriegszuge nach Italien e r w o r b e n haben 1 ). Das gilt wenigstens für Felicitas, die in Rom gemartert und begraben wurde. Die herkömmliche Annahme, der Maximilian in Pongau und Altötting sei dieselbe P e r son, ist daher nicht sicher. Nach dem Jahre 976 wußte Bischof Pilgrim von P a s s a u die „Kapelle" Altötting als Eigenherr an sein Hochstift zu bringen 2 ); er ließ als solcher die Gebeine Maximilians von dort in seine Domkirche überführen, w o seit 764 die Leiche des schon genannten Bischofs Valentin bestattet w a r . Nach einer auf seine Bitte ausgestellten Urkunde Königs Otto III. vom Jahre 985 ruhen sie alle zwei als Bekenner bereits in seiner Bischofskirche, wobei noch der Metropolit von Rätien den Vorrang einnimmt, indem er zuerst genannt wird 3 ). Das zeigt, wie wenig Pilgrim hiebei noch an einen Zusammenhang mit der Lorcher Kirche dachte, als deren Erzbischof die spätere P a s s a u e r Überlieferung Maximilian bezeichnet; hätte er diesen dafür gehalten, so w ü r d e gerade er, der „Erfinder" des angeblichen Erzbistums, ihn vor Valentin gereiht haben. In den ihm zugeschriebenen Lorcher Fälschungen kommt der Name Maximilian noch gar nicht vor, so daß beide Beobachtungen übereinstimmen. Eine Urkunde vom 24. Juni 1203 nennt Valentin noch vor Maximilian als Bekenner 4 ). Im Jahre 1291 wurden sie beide im Mittelschiff des neu hergerichteten Domes in einem P r a c h t g r a b e neuerdings beigesetzt; die J a h r b ü c h e r von Osterhofen, die darüber berichten, bringen Maximilian bereits als Bischof von Lorch und Blutzeugen und reihen ihn deshalb vor Valentin; das ist Mon. Germ., Dipl. r e g u m Germ, e x Stirpe Karol. 1 (1934) S. 287, 304. ) D i e Urkunde v o m 17. Juni 907, w o n a c h K. L u d w i g das Kind Altötting an P a s s a u v e r g a b t hätte, ist eine v o n Pilgrim veranlaßte Fälschung. E. Mühlbacher, Z w e i w e i t e r e P a s s a u e r Fälschungen, Mitteil, des Instituts 24 (1903) S. 430 f. 2

3 ) ubi s. Uualentinus et Maximiiianus Mon. Germ., Diplom. 2/2 (1893) S. 420. 4

c o n f e s s o r e s Christi corpore

requiescunt.

) J. W e i s , Urkunden d e s Cistercienser-Stiftes Heiligenkreuz, F o n t e s rer. Austriac. 2. Abt. 11 (1856) S. 33.

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II. D a s Stammesherzogtum Baiern und das Christentum.

um so auffälliger, als sie hiebei sonst wörtlich dem Fortsetzer Hermanns von Niederaltach folgen, der noch Valentin zuerst nennt 1 ). Aus diesem Anlaß entstand das schon erwähnte Leben Maximilians, dessen Verfasser, wie er selbst sagt, deshalb zur Feder griff, weil noch kein solches vorhanden w a r : sein Held, geboren in Celeia (Cilli) erscheint hier nicht nur als Erzbischof von Lorch, sondern auch als Märtyrer seiner Geburt'sstadt. Sein Leidenstod soll im Jahre 281 geschehen sein 2 ), so daß zwischen dem behaupteten Geschehnis und dem entsprechenden Berichte über ein Jahrtausend dazwischen liegt. Unter den angeführten Kaisern Carus, Carinus und Numerian fand überhaupt keine Christenverfolgung statt; der Verfasser folgt hierin der Leidensgeschichte des Pelagius, eines Schutzheiligen der Konstanzer Kirche, der im gleichen Jahre zu Emona (Laibach) für seinen Glauben gestorben sein soll. Im übrigen ist die ganze Geschichte in ihrem Entstehen eine späte Ausgeburt der Lorcher Fälschungen, die sie fortsetzt. Vor dem Todessturz Florians (304) ist nicht einmal ein Bischof, geschweige ein Erzbischof für die Hauptstadt Ufer-Noricums glaubhaft. Maximilian war weder Bischof noch Blutzeuge; eben deshalb bezeichnen ihn die älteren Quellenzeugnisse nur als Bekenner und reihen ihn nach Valentin. Das ganze Heiligenleben des angeblichen Lorcher Bischofs ist daher wertlos, wie schon die ältere Forschung erkannt hat 3 ), so daß alle Mühen in ihm doch einen wahren Kern zu finden, vergeblich sind 4 ). Von all dem, w a s wir über Maximilian hören, ist nur jener in Bischofshofen sicher bezeugt; alles andere ist ungewiß, ja zumeist viel später erfunden. Früher verehrte in ihm auch die Freisinger Kirche, wie die im Jahre 1710 erbaute Maximilianskapelle im Dome zeigt, den ersten Glaubensboten, der bei ihr gewirkt hätte. Die beiden ältesten Quellen, die über die Stiftung der Salzburger Kirche noch vorliegen, sind fast nach einem Jahrhundert entstanden und sind außerdem nicht mehr in der Urschrift, sondern bloß in viel späteren Abschriften vorhanden. So erklärt es sich auch, daß sie hie und da nicht übereinstimmen, doch sind die Unterschiede nicht ') Mon. Germ., Script. 17 (1861) S. 414, 538, 550. ) Acta Sanctorum, Octob. tom. 6 (1868) S. 52—57; G. Ratzinger, Forschungen zur bayr. Gesch. (1898) S. 376 f. 3 ) So u. a. Kurz, Beiträge z. Gesch. d. L. ob d. Enns 3, S. 29—38. 4 ) D a s versucht u. a. noch F. Poxrucker, Der hl. Maximilian, Verhandlungen d. Histor. Vereins für Niederbayern 58 (1925) S. 167 ff. 2

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8. Bischof Rupert von Salzburg.

wesentlich. Die getreueste Grundlage bleibt das Arnonische Güterverzeichnis; in den nach Erhebung zum Erzbistum abgefaßten „Kurzen Nachrichten" beginnt bereits die Legende zu wuchern; in ihren erzählenden Beigaben tritt Salzburg als die angebliche Mutterkirche Baierns schon klar hervor. Inzwischen waren Karl der Große und Arn gestorben, so daß für die Verfechter der Vorrechte der neuen und alten Hauptstadt noch immer Aussicht bestand, Salzburg zurück zu drängen. Beide haben es versucht. Das junge Erzbistum ist deshalb genötigt, darauf zu antworten. Um die vorhandene Blöße zu verdecken, hält es seinen Anspruch nicht mehr so offen und klar, sondern nur mehr in versteckter Form aufrecht, läßt aber dafür Rupert vour seiner Ankunft in Salzburg auf einmal nach Regensburg und Lorch ziehen. Das ist der Zweck und Inhalt der G e s t a ( V i t a ) R u p e r t i, deren Entstehen ihr letzter Herausgeber um das Jahr 850 ansetzt 1 ). Gegen das Recht der zurückgesetzten Hauptstadt kehren sich schon die viel erörterten Anfangsworte der Legende, indem sie Rupert „im zweiten Jahr des fränkischen Königs Childebert" sein angebliches Apostelamt in Baiern beginnen lassen 2 ); sie sagen hiebei nicht, den wievielten König dieses Namens sie meinen; aber damals bestand noch kein Zweifel, daß es der letzte und somit der dritte (694—711) war. Da dieser zwischen dem 3. September und 13. Dezember des erstgenannten Jahres auf den Thron gelangte, so fällt sein zweites Herrscherjahr (696) mit dem Antritte des Herzogtums in Baiern durch Theodo zusammen (S. 104 f.). Wäre Rupert wirklich so früh in R e g e n s b u r g eingelangt, so käme seine Ankunft v o r jener Emmerams zu stehen; nur darauf kam es der Salzburger Kirche im Kampfe um den Vorrang an, so daß ein anderer Grund für die geheimnisvollen Anfangsworte nicht zu finden ist; sie sind in versteckter Form gegen den berechtigten Anspruch Regensburgs gerichtet, das gleich im Anschluß daran als erstes Wirkungsfeld des Salzburger Bischofs ausgegeben wird. Ein Vergleich mit der Lebensbeschreibung Emmerams, deren dunkler Stil dem Verfasser vorschwebt, lehrt dasselbe. Rupert ist W . Levison, Die älteste Lebensbeschreibung Ruperts von Salzburg, Neues Archiv 28 (1903) S. 310 f., der freilich mit Hauck, Kirchengesch. Deutschi. 1, S. 372 Anm. 1 irrig annimmt, die „Kurzen Nachrichten" w ä r e n erst nachher entstanden und von ihr abhängig; dazu E. Klebel, Kirchliche und weltliche Grenzen in Bayern, Zeitschr. f. Rechtsgesch., Kanonistische Abt. 28 (1939) S. 261 f. 2

) Tempore Hiltiperhti regis Francorum, anno Mon. Germ., Script, rer. Merov. 6 (1913) S. 157.

scilicet

regni

illius

secundo.

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II. D a s Stammesherzogtum Baiern und das Christentum.

auf einmal zum Bischof von Worms erhöht und stammt überdies aus königlichem Geschlecht; er ist demnach nicht vielleicht erst in Baiern zu dieser Würde gelangt, sondern ist ebenso wie Emmeram bereits als Bischof gekommen. Während dieser jedoch bloß auf der Durchreise Baiern berührt und nur wegen der Zerstörung von Lorch auf Wunsch des Herzogs in Regensburg zurückbleibt, wird Rupert durch eine Gesandtschaft feierlich in das Land (provincia) eingeladen und läßt sich erst auf vieles Bitten und nach eingeholter Kundschaft hiezu bewegen. In einem festlichen Empfange nimmt ihn der Herzog in Regensburg 1 ) auf, wo der erbetene Gast den Landesfürsten und andere Große „zum wahren Glauben Christi bekehrt und in der heiligen Lehre bestärkt" 2 ). Von einer Taufe des Herzogs ist hier so wenig die Rede wie bei Arbeo, ja es könnte sich nach dem genauen Wortlaut ebensogut um die Bekehrung einer christlichen Sekte (Arianer) handeln, zumal bald hernach nicht von einem Bau, sondern bloß von einer Erneuerung der Kirchen (ecclesias Dei restaurare) gesprochen wird. Das ist indes nur eine ungenaue Ausdrucksweise; der wirkliche Sinn ist hier der gleiche wie in den „Kurzen Nachrichten" und in der „Bekehrungsgeschichte" (Conversio): Rupert sollte als der „Apostel Baierns" erscheinen, der den Herzog Theodo bekehrte, wozu ja die von den beiden anderen Quellen erwähnte Taufe gehörte. Der Verfasser nennt wohl den fränkischen König, dessen Hausmeier dahinter stand, doch braucht das nicht mit der damaligen Abhängigkeit Baierns notwendig verbunden werden, da er gleich nach ihm Rupert als Bischof von Worms vorführt. Der treibende Anlaß für dessen Reise nach Baiern geht ja bei ihm nicht vom Könige, sondern vom Herzoge aus, der auch nach Arbeo den nicht eingeladenen Emmeram zurückhält: nicht dieser, sondern Rupert erscheint somit berufen und hat Theodo in Regensburg bekehrt. Die Legende will hiedurch hervorheben, daß ihr Heiliger ohnedies zuerst in der Hauptstadt (als Landesbischof) gewirkt, aber später diese ebenso wie die Kirche am Wallersee aufgeben und Salzburg zum Sitz seiner ganz Baiern umfassenden Wirksamkeit auserwählt habe. Die stille Abwehr des Einspruches der Regensburger Kirche ist hierin unverkennbar, indem Rupert den ihr gebührenden Vorrang mit Vollmacht des Herzogs nach Salzburg überträgt!

2

in Radesbona suscepit civitate. Ebendort S. 158. ) ad veram Christi fidem convertit et in sacra corroboravit religione.

8. Bischof Rupert v o n Salzburg.

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Indem wir nun sehen, daß das junge Erzbistum seinen Ursprung von der Hauptstadt herleitet, so erkennen wir auch' das Vorhaben, das die Legende verfolgt: sie will einzig und allein das Recht Salzburgs als Mutterkirche Baierns erweisen. So erfassen wir auch den tieferen Sinn der scheinbar harmlosen Anfangsworte, welche die Ankunft Ruperts unauffällig in das erste Herrscherjahr Theodos hinaufrücken; sie verraten schon den eigentlichen Zweck: die Salzburger Kirche sollte älter als jene von Regensburg erscheinen und ihr gegenüber den Vorrang und eben hiedurch den Anspruch auf das Erzbistum haben. Die gleiche Absicht zeigt das damals in Salzburg entstandene Gedicht über die Bischöfe in Baiern, das die Reihenfolge der Regensburger Oberhirten erst mit dem von Bonifaz abgesetzten Wikterp beginnen läßt 1 ). Die bestimmte Zeitangabe der Legende zeugt demnach nicht für eine frühere Ankunft Ruperts in Baiern und sein angebliches Apostelamt, sondern beleuchtet die Schleichwege, die Salzburg gegangen ist, um das Erzbistum zu erhalten. Seine Wirksamkeit als erster Glaubensbote in Regensburg ist ebenso frei erfunden wie seine Berufung aus Worms. Tatsächlich wird Rupert als Bischof von Salzburg dem Hauptkloster in Regensburg entnommen sein, so daß ein früherer Aufenthalt von ihm dort wohl anzunehmen ist, aber keinesfalls als Landesbischof, sondern nur als Mönch oder Priester. Daß Salzburg mit dem zweiten Herrscherjahre Childeberts wirklich das erste des Herzogs Theodo in Baiern traf, beweist das Verhalten der Regensburger Kirche: sie sah sich, um ihren Altersvorrang zu wahren, genötigt, einen noch früheren Theodo anzunehmen, unter dem ihr Stifter Emmeram gekommen sein soll; sie unterschied deshalb nach dem schon genannten Mönch Arnold einen Theodo, dessen Söhne nicht auf den Thron gelangten, und einen anderen, unter dem Rupert nach S a l z b u r g und Korbinian nach Freising kam 2 ). Zur ersteren Ansicht verleitete Arbeos Leben Emmerams, das nur die mit dessen Tod im Zusammenhange stehenden Kinder Uta und Lantpert nennt, während jenes von Korbinian die anderen Söhne aufzählt, die ihrem Vater nachfolgten. Arnold hält daher richtig daran fest, daß Emmeram v o r Rupert einlangte und verlegt das bischöfliche Wirken des letzteren nur nach Salzburg, bezieht es daher noch nicht auf Regensburg. Dessen Domherr Hugo Lerchen*) Mon. Germ., Script. 13 (1881) S. 352 = P o e t a e lat. 2 (1884) S. 638. ) Mon. Germ., Script. 4, S. 549.

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II. D a s Stammesherzogtum Baiern und das Christentum.

feld erwähnt um 1200 Emmeram zum Jahr 680 und nach mehr als einem Jahrhundert gelangt man dort auf 652 als Sterbejahr des ersten Landesbischofs, woran die Zukunft festhält 1 ); ja die Salzburger Sage dringt auch, wie wir schon sahen, in der Hauptstadt durch, indem in der „Heidenkapelle" Rupert Theodo getauft haben soll. Die Salzburger Kirche fand in ihrer Legende einen guten Anhalt, indem diese nicht sagt, unter welchem König Childebert ihr Stifter nach Baiern kam; sie ging zunächst, um einen Vorsprung vor Regensburg zu haben, auf den zweiten (gest. 595) zurück und nahm als Todesjahr Ruperts 623 oder 628 an 2 ), ja kam schließlich auf den ersten König dieses Namens (gest. 558) und berechnete 533 oder 544 als Sterbejahr ihres Gründers. Dessen Wirken hätte demnach schon bald nach der Einwanderung der Baiern begonnen, die wohl deshalb unter einem Herzog Theodo im Jahre 508 erfolgt sein soll. Im Rangstreite Salzburgs mit Regensburg wurde Rupert der „Apostel Baierns", der in der Zeit seiner Ankunft nicht allein Emmeram, sondern sogar Eustasius überholt hätte. Auf diese Weise entstanden immer neue Theodone — Aventin zählt deren sieben — die zwar als die „falschen" schon lange erkannt, aber noch immer nicht ganz beseitigt sind 3 ). Dem gegenüber sei wiederholt, daß die glaubwürdigen Geschichtsquellen Baierns nur e i n e n Herzog Theodo kennen, unter dem das von den Awaren zerstörte Lorch als Hauptstadt unterging und an deren Stelle Regensburg trat. Der damit verbundene Zusammenbruch brachte Baiern in Abhängigkeit von dem Frankenreiche und veranlaßte die zweite Bekehrung, die Emmeram einleitete und Rupert sowie Korbinian unter demselben Landesfürsten fortsetzten. Noch viel größer war die Verwirrung, die durch den unrichtigen Zeitansatz in der Frage der Einführung des Christentums in Baiern entstand; sie wurde zu einem Streite über das Zeitalter Ruperts, der Jahrhunderte andauerte und eine Flut von Schriften hervorrief. Während die Salzburger Legende das Wirken ihres Heiligen immer *) W i e d e m a n n im Oberbayer. Archiv 59, S. 5 f. ) Mon. Germ., Script. 9, S. 563, 571, 767. 3 ) B. Sepp, Die bayer. Herzoge aus dem Geschlechte der Agilulfinger und die falschen Theodone, Oberbayer. Archiv 50 (1897) S. 3, 10 f. 2

8. Bischof Rupert von Salzburg.

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früher ansetzte, ging die Forschung den umgekehrten Weg, stieg mehr und mehr herauf und langte schließlich bei dem schon vergessenen dritten Childebert an, mit dem die erstere begonnen hatte. Der Begründer der Urkundenlehre Johann Mabillon war zwar nicht der erste, der in ihm einen Zeitgenossen unseres Theodo erkannte, hat aber seine Ansicht wissenschaftlich begründet (1672) und hiedurch den Anstoß gegeben, die Frage näher zu erörtern 1 ); nachhaltig trat dann der Jesuit Markus Hansiz für das Jahr 696 als Zeit der Ankunft Ruperts ein 2 ). Die Verteidiger der Salzburger Überlieferung haben jedoch noch lange hartnäckig an ihrem Irrtume festgehalten und sich auf Childebert II. zurückgezogen, obwohl dieser kein Zeitgenosse eines Herzogs Theodo, sondern Tassilos (I.) war, den er einsetzte, und in den „Kurzen Nachrichten" nach Bischof Virgil Schüler Ruperts einvernehmen läßt, so daß zwischen beiden letzteren nur ein Lebensalter dazwischen liegen kann 3 ). Uber das Zeitalter Ruperts ist nun doch endlich eine Einigung erfolgt, indem jetzt hiefür übereinstimmend die Zeit um 700 angenommen wird, doch ist die Verwirrung, die die Salzburger Sage angestiftet hat, noch immer nicht ganz behoben, indem die wenigen Forscher, die richtig Emmeram vor Rupert reihen, meist irrig zwei Theodone annehmen, während die anderen den Salzburger Heiligen noch immer an die erste Stelle setzen. Dadurch, daß dieser nach dem Gründer der Regensburger Kirche in Baiern erschien, fällt sein Auftreten in keinem Falle, wie die Legende Glauben machen will, in das zweite Jahr Childeberts III, sondern höchstens in das Ende dieses Herrschers, aber bestimmt noch vor das Ableben seines Hausmeiers Pippin des Mittleren (714) und des Herzogs Theodo. Die Salzburger Kirche leitet ihren Ursprung nur von der neuen Hauptstadt ab, sondern auch Legende läßt nämlich Rupert mit Vollmacht des deren Ort für seinen Sitz suchen; so gelangte

und Vorrang nicht von der alten. Die Herzogs einen aner auf der Donau

x ) F. Blumberger in: Jahrbücher der Literatur 73 (Wien 1836) S. 244 f.; Rettberg, Kirchengesch. Deutschi. 2, 194 f.; P . Karner, Austria sancta (1913) S. 10 f. 2 ) Hansiz, Germania sacra 2, S. 35 ff., 50 f. 3 ) In Salzburg selbst hat zuerst J. V. Zillner, Salzburg. Kulturgesch. in Umrissen (1871) S. 221 die Tätigkeit Ruperts in die Zeit Childeberts III. oder, w i e er richtiger sagt, Pippins des Mittleren, verlegt, in dem er bereits — und das verdient vermerkt zu w e r d e n — die Ursache und treibende Kraft des Bekehrungswerkes vermutet.

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II. Das Stammesherzogtum Baiern und das Christentum.

nach L o r e h1), wo er predigte und durch sein Gebet viele Kranke heilte. Die vorgegebenen Wunder deuten ebenso wie der Ausdruck Lavoriacensis civitas erst auf die karolingische Zeit, wo Lorch Vorort des baierischen Dreigrafschaftsgebietes war. Die angebliche Reise des Glaubensboten dorthin ist bereits öfter bestritten worden. Die einschlägige Stelle im Leben Emmerams, der schon seinen Sitz in der alten Hauptstadt an der Enns aufschlagen wollte, aber seine Absicht wegen der beginnenden Verödung dieser Gegend aufgeben mußte, zeigt uns deutlich, daß der nach ihm erschienene Rupert noch weniger dorthin kam. Doch erfassen wir jetzt den Zweck, welcher der Legende hiebei vorschwebte; sie wollte nach Abweisung der Regensburger Ansprüche den erstorbenen, aber später von Passau wieder erstrebten Vorrang der einstigen Metropole Lorch ebenso bekämpfen; daher läßt sie Rupert von der neuen Hauptstadt unmittelbar in die alte ziehen; sie anerkennt hiemit zwar deren ursprüngliche Eigenschaft als solche, bestreitet jedoch ihren kirchlichen Fortbestand durch die für dort vorgegebene Tätigkeit ihres Heiligen als Heidenbekehrers: die alte Hauptstadt wäre nämlich Rupert als kirchlicher Mittelpunkt Baierns so wenig geeignet erschienen als die neue; er hätte ebenso, fährt sie fort, am Wallersee sich niederlassen können, habe sich jedoch für Salzburg entschieden. Dieses Bistum bekommt somit durch seinen ununterbrochenen Bestand ein höheres Alter als Regensburg und Lorch, von wo ihr Stifter als erster Glaubensbote wieder weggezogen wäre. Es ist das erste Aufleuchten der Sage über den Untergang der Hauptstadt Lorch! Die Legende läßt Rupert sodann an den Wallersee und hernach nach S a l z b u r g ziehen und an beiden Stellen zu Ehren des Apostels Petrus eine Kirche bauen. Davon war weder in Regensburg noch in Lorch die Rede. Daß sie hiebei in der Salzachstadt nicht etwa das spätere Benediktinerkloster, sondern die Bischofskirche mit dem dazugehörigen Kanonikatstift (Domkapitel) meint, zeigen die angeführten Worte über die „Wohnstätten der für den K i r c h e n d i e n s t bestimmten Männer" 2 ), da sie den Ausdruck sique tandem perveniens ad Lavoriacensem civitatem. Mon. Germ., Script, Merov. 6, S. 159. 2 ) aedificans ecclesiam, quam in honore sanetissimi Petri prineipis apostolorum dedieavit, ac demum claustram cum ceteris habitaculis ad ecclesiasticorum virorum pertinentibus [usum], Ebendort S. 160; dazu S. 148 f. rer.

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„Mönch" (monachus) vermeidet und auch die „Bekehrungsgeschichte" ebendort bloß solche der Kleriker (habitaculis clericorum) hervorhebt. Die Aussage der Legende ist daher auch hier unrichtig, da Rupert ja die Martinskirche und Virgil erst den P e t e r s dom errichtete; sie konnte um so unauffälliger über diesen Wechsel hinweggehen, da die von ersterem geschaffene Mönchskirche denselben Apostel als Schutzheiligen hatte. So entstand der schon früher v e r m e r k t e Irrtum, eben diese sei in ihrem Ursprung die Bischofskirche gewesen, deren Eigenschaft erst Virgil auf den Dom übertragen hätte. Das Leben Ruperts drückt sich auch hier wieder unklar aus, indem es nur vom Bau einer Peterskirche spricht, w ä h r e n d die „Kurzen Nachrichten" den Stifter z w a r ausdrücklich die Bischofskirche errichten lassen, aber hiebei deren Titelheiligen nicht nennen, den sie. erst später nebenher erwähnen. Das hat u. a. den Anlaß gegeben, letztere Quelle später anzusetzen als erstere, da diese nicht von der Gründung eines Bistums spricht, die doch erst Bonifaz vollzogen hätte (739). Die erdichteten Reisen Ruperts ließen zudem in ihm einen „Wanderbischof" vermuten. Jetzt, w o diese in Wegfall kommen, und Salzburg als sein einziges Wirkungsfeld übrig bleibt, sehen wir, daß auch da die „Kurzen Nachrichten" weit zuverlässiger aussagen als die Gesta Ruperti, die viel mehr von den erfundenen Reisen ihres Heiligen zu erzählen wissen und daher erst später entstanden sind. W i e wenig indes ihr Verfasser daran dachte, seiner Kirche die Eigenschaft eines Bistums in der Gründungszeit zu bestreiten, zeigt der von ihm kurz vorher für den Stifter v e r w e n d e t e Ausdruck sanctus pontifex; er meinte daher nicht nur die Bischofskirche für Salzburg, sondern für ganz Baiern. Hernach, fährt er fort, hätte Rupert sein Vaterland (patria) aufgesucht und von dort zwölf Schüler und die (gottgeweihte) Jungfrau Erindrud mitgebracht, für die er in der Salzburg ein Frauenstift nach kanonischer Vorschrift (S. 149) errichtete. Am Tage der Auferstehung (27. März) w ä r e er gestorben; an seiner ehrenvoll bestatteten Leiche geschähen viele Wunder. Für die Lebensgeschichte Ruperts bringt die seinen Namen tragende Quelle w e n i g ; sie bietet bloß dessen Todestag und die Nachricht, daß er in Salzburg (bei der Bischofskirche) ein Kanonikatund Kanonissenstift gründete; alles andere, w a s neu ist, ist erfunden und verfolgt den vergeblichen Zweck, die Salzburger Kirche als die älteste in Baiern zu erweisen, um hiedurch ihren bestrittenen Anspruch auf das Erzbistum zu rechtfertigen.

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II. Das Stammesherzogtum Baiern und das Christentum.

Der Denkschrift über die Bekehrung der Baiern und Karantanen (C o n v e r s i o) geht eine Lebensgeschichte Ruperts voran (c. 1), die auf den Gesta fußt; aus ihr sind deshalb nur die Zutaten zu erwähnen. Die Salzburger Kirche dehnt hier die Reisen ihres Stifters gar nach Unterpannonien aus und läßt ihn erst auf der Rückfahrt nach Lorch gelangen 1 ). Damals war dieses Land noch in den Händen der heidnischen Awaren. Rupert hätte so wenig wie Emmeram Aussicht gehabt, dort Erfolge zu erzielen. Anders w a r es jedoch nach den Siegen Karls des Großen, die dem Christentum den Weg dahin eröffneten und das neu eroberte Gebiet der Salzburger Kirche zuführten. Da erstand ihr jedoch unvermutet ein Gegner in dem griechischen Glaubensprediger Method, den Papst Hadrian II. (867 bis 872) zum Erzbischof von Pannonien ernannte. Salzburg drohte hiedurch die Gefahr, sein junges Missionsgebiet zu verlieren. In dieser Not entstand die für den Papst bestimmte Denkschrift, in der Rupert als Vorgänger Arns als Heidenbekehrer nach Unterpannonien geht, ein späterer Einschub, der schon lange als solcher erkannt ist, da unmittelbar vorher ausdrücklich gesagt ist, die Erlaubnis des Herzogs Theodo hätte nur für sein Land gegolten. Wie Rupert durch seine Predigt in Lorch den Weiterbestand dieser Kirche bestreitet, leugnet er auf gleiche Weise durch sein vorgegebenes Wirken in Pannonien fremde Ansprüche. Die Salzburger Kirche erscheint so in beiden Fällen als der allein berechtigte Anwärter. Gerade hier ersehen wir deutlich, daß die Reisen ihres Stifters nicht Wirklichkeit sind, sondern für bestimmte Zwecke erfunden wurden. Der Aufenthalt Ruperts in Regensburg und Lorch sollte den Ursprung seiner Stiftung aus beiden Hauptstädten herleiten, Seekirchen hatte die Aufgabe, den Apostel Petrus als Schutzheiligen der Mutterkirche nach Salzburg zu überführen und die Fahrt nach Pannonien diente dazu, um Salzburgs Vorrecht auf dieses Land zu erweisen. Überall wo dem jungen Erzbistume Gefahr droht, erscheint sein Kirchengründer als Beschützer! Neu ist die Angabe der Denkschrift, Rupert hätte sich selbst einen Nachfolger gegeben und wäre lange vor seinem Ableben an seinen eigenen Sitz zurückgekehrt 2 ). Das der Lebensgeschichte un*) Tunc supradictus vir Domini accepta licentia per alveum Danubii usque ad fines Pannoniae inferioris spargendo semina vitae navigando iter arripuit; sicque tandem revertens ad Lauriacensem pervenit civitatem. Mon. Germ., Script. 11 (1854) S. 5 u. Neuausgabe von M. Kos (Laibach 1936) S. 127. 2 ) proprium sibi ordinavit successorem. Ipse vero praesciens longe ante diem vocationis suae, confirmatis discipulis ad propriam remeavit sedem. c. 1.

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mittelbar angefügte Bischofsverzeichnis spricht ebenfalls von einem W e g g a n g e Ruperts (post excessum b. Hrodberti pontificis). Diese bestimmte Aussage, der schon oft widersprochen wurde, bestätigt die neu aufgefundene Salzburger Geschichtsquelle; sie meldet: im J a h r e 774 ist der Leib Ruperts nach Salzburg überführt worden 1 ); sie bezeichnet ihn noch nicht als Heiligen und geht daher auf eine gleichzeitige Vorlage zurück. D a civitas nicht nur die Stadt, sondern auch den von dort geleiteten Bezirk bedeutet, so mußte die Leiche erst in den Bistumssprengel eingeführt werden. Rupert ist daher nicht in Salzburg gestorben und auch nicht im Kloster St. P e t e r beigesetzt gewesen, sondern erst anläßlich der Weihe des Domes dorthin aus der Ferne herbeigeholt worden. Für die Richtigkeit dieser Ansicht spricht noch ein anderer Grund. W i r w e r d e n sehen, daß nach dem Ableben des Herzogs Theodo wieder ein kurzer Rückfall ins Heidentum eintrat. Das hat schon der sterbende Vater befürchtet, als er seinen Sohn Theodebert ermahnte, dem Christentume treu zu bleiben. Zur selben Zeit ist ja auch Korbinian aus Freising geflüchtet, der zum Unterschiede von Rupert später jedoch wieder zurückkehrte. Es ist daher nicht glaubhaft, daß der Stifter der Salzburger Kirche sich einen Nachfolger e r w ä h l t hätte, sondern sein W e g g a n g wird ein erzwungener gewesen sein, der es ihm unmöglich machte, für sich einen anderen als Bischof zu bestellen. Darauf deutet auch sein Titel confessor hin. Erst die Siege Karl Martells, des Sohnes Pippins des Mittleren, bereiteten dem Christentume in Baiern wieder einen Boden. Die stattliche Reihe der unmittelbaren Nachfolger Ruperts im Verbrüderungsbuche erregt daher gerade von hier aus betrachtet Bedenken, zumal die Tätigkeit des Stifters erst später anzusetzen ist, als die Legende vorgibt, und überdies vorzeitig unterbunden wurde. W i r wissen weder, w o h e r Rupert stammt, noch wohin er von Salzburg gegangen ist. Die vor seiner Legende entstandene Leidensgeschichte Trudperts, der als Einsiedler im S c h w a r z w a l d e von seinen Knechten erschlagen wurde, nennt ihren Heiligen einen leiblichen Bruder Ruperts und bezeichnet beide als Irländer 2 ). Das vorgegebene Verwandtschaftsverhältnis wird auf den Gleichklang des Namens zurückgehen, der dem alemannischen Heiligen, dessen Ge*) 774. Translatus est Ruodbertus in civitatem Iuvavensem. Mon. Germ,. Script. 30/2, S. 734; dazu E. Klebel, Eine neuaufgefundene Salzburger Geschichtsquelle, Mitt. d. Gesellschaft f. Salzb. Landeskunde 61 (1921) S. 39. 2 ) Mon. Germ., Script, rer. Merov. 4, S. 357 f. 10

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beine im Jahre 815 erhoben wurden, Zugkraft verschaffte, da damals der Stifter der Salzburger Kirche, wie die fremde Quelle selbst hervorhebt, eben in großen Ruf gelangte. Ihre Angabe, der eine wie der andere stamme aus Irland, verdient eher Glauben, doch waren sie keine Brüder, da der Schwarzwalder Einsiedler wohl um ein Jahrhundert früher lebte und noch der Zeit der ersten Bekehrung angehört 1 ). Auf jeden Fall war das Kirchenwesen, das Emmeram, Rupert und Korbinian aus dem Frankenreiche nach Baiern brachten, irisch und leitet wenn nicht aus demselben Kloster (Luxeuil), so doch aus dem gleichen Kreise seinen Ursprung ab, von dem die erste Bekehrung ausging. Da ersterer gar nicht die Landessprache beherrschte, so dürfte er ebenso wie sein Nachfolger Erhard ein Schotte gewesen sein. Das gleiche gilt für den Gründer der Freisinger Kirche. Wie bei Rupert darf uns auch bei seiner Verwandten Erentrud der germanische Wortklang ihrer Namen nicht täuschen; letztere war, wie die jüngst erfolgte Öffnung ihres Schreines ergab, nach ihrer goldblonden Haarfarbe zu schließen, ebenfalls aus weiter Ferne gekommen 2 ). Die engsten Genossen des ersten Salzburger Bischofs Chuniald und Gisilar führen einen iroschottischen Namen. Über die Herkunft des Bischofs Virgil sind wir zuverlässig unterrichtet; er entstammte einem Kloster Irlands, Aghaboe, w o er Abt war. Da liegt nun die Annahme nahe, daß der von ihm zu Ehren gebrachte Stifter der Salzburger Kirche sein Landsmann war; vielleicht hat er dessen Gebeine, wenn nicht aus Gallien, gar aus seiner Heimat holen müssen. Ruperts kurze Tätigkeit in Baiern ist ein neuer Beweis, daß nicht er, sondern erst Virgil die überragende Stellung Salzburgs geschaffen hat; .dieser war es, der den Boden bereitete, auf dem die Legende aufbaut und das Erzbistum erwächst. So entsteht die Gründungssage der Salzburger Kirche, welche die Taten ihres Stifters vergrößert und ihn zum Apostel und ersten Landesbischof Baierns erhebt, um die das herkömmliche Ausmaß übersteigenden Wünsche und Ansprüche seiner großen Nachfolger Virgil und Arn zu rechtfertigen. Das erste Gotteshaus und die bischöfliche Hauptkirche in Salzburg war nicht St. Peter, sondern St. Martin. Nach den Erforder*) M. Bek in: Beiträge zur Gesch. von St. Trudpert, hg. v. Th. Mayer (Freiburg i. B. 1937) S. 66—69. 2 ) F. Martin, Neues von der h. Erentrudis, Mitteil, der Gesellschaft f. Salzb. Landesk. 66 (1926) S. 178.

8. Bischof Rupert von Salzburg.

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nissen des damals noch geltenden altchristlichen Kirchenwesens war jedoch neben der P f a r r k i r c h e (St. Martin) noch eine F r i e d h o f s k i r c h e außerhalb der Stadtmauern nötig, die nur S t . P e t e r sein kann. Als solche w a r sie auch Sitz einer Mönchsgemeinschaft, welche die Totenfeiern besorgte. Als Zeugnis hiefür dient das dort entstandene Verbrüderungsbuch, das noch heute in der Urschrift vorliegt. Da in ihm Rupert nicht nur als Bischof, sondern auch als Abt bezeichnet wird, und eine Friedhofskirche zu den ersten Erfordernissen einer P f a r r e gehört, so w ä r e Rupert als Gründer auch dann anzunehmen, w e n n hierüber keine ausdrückliche Nachricht vorläge. Es ist begreiflich, daß die Salzburger Quellen von den Anfängen des Klosters St. P e t e r nichts verlauten lassen, da zu ihrer Zeit ja der genannte Apostel schon der Schutzheilige der neuen Bischofskirche w a r . Doch ist ein solcher Hinweis in einem Gedichte des bekannten Abtes Alkuin 1 ) (gest. 804) enthalten: er preist Rupert einmal als Erbauer, der auch die Weihe vollzog 2 ); dabei kann er nicht den eben erst von Virgil errichteten Dom, sondern nur das Friedhofskloster meinen. Damals w a r St. P e t e r vielleicht schon ein Ordenshaus der Benediktiner. Das w a r es jedoch keineswegs seinem Ursprünge nach 8 ), sondern gegründet hat es Rupert für eine Mönchsgemeinschaft irischer Art 4 ). W a n n die Umwandlung erfolgte, ist ni,cht bekannt; wahrscheinlich erst unter Arn, als Karl der Große überall in Deutschland die Benediktinerregel zu fördern begann. Das Ordenshaus w a r ein Eigenkloster des Erzbischofs. Nach dem Berichte des Traditionsbuches erhielt es im J a h r e 987 bestimmte Güter zum Nutzgenuß zurückerstattet 5 ); von da an erst tritt es als eigener Wirtschaftskörper in das volle Licht der Geschichte. Nach der Aufhebung St. E m m e r a m s in Regensburg (1812) w a r es das älteste, bis jetzt bestehende Kloster Deutschlands. Der Petersfriedhof wird z w a r nicht vor dem J a h r e 1170 ausdrücklich erwähnt 6 ), doch bezieht sich auf ihn schon ein Gedicht *) Der Angelsachse Alkuin war ursprünglich Mönch irischer Art. Später näherte er sich jedoch dem Benediktinerorden. W . Delius, W a r Alchvin Mönch?, Theolog. Studien u. Kritiken 103 (1931) S. 471 f. 2 ) In ecclesia s. Petri, quam s. Ruodbertus d e d i c a v i t . . . Quam pater egregius Hrodperctus fecerat olim. Mon. Germ., P o e t a e lat. 1 (1881) S. 335. 3

) Diesen Irrtum enthält bereits die schon erwähnte Urkunde Erzbischofs Konrad I. aus dem Jahre 1139. Salzb. Urkb. 2, S. 281. 4 ) Das hat schon E. Tomek, Gesch. der Diözese S e c k a u l (1917) S. 64 f. erkannt. 5 ) reddiderat usui. Salzb. Urkb. 1, S. 253. 6 ) Ebendort 1, S. 489; F. Martin, Das Urkundenwesen d. Erzbischöfe v. Salzburg, Mitt. d. Instituts, Ergbd. 9 (1915) S. 714 f. 10*

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II. Das Stammesherzogtum Baiern und das Christentum.

Alkuins 1 ), ja er dürfte noch in die römische Zeit zurückgehen. Rupert hat wohl deshalb den sonnenlosen Fleck hart am Felsen des Mönchsberges für das von ihm errichtete Kloster gewählt, weil dort der Begräbnisplatz war. Die in die Wand eingesprengten Höhlen, Katakomben genannt, dürften ebenfalls darauf hindeuten. Wenn dem so ist, so kann hier an einer Nebenkirche so wenig je einmal der Bischofssitz gewesen seih, als in St. Georg in Regensburg: hier wie dort war die Hauptkirche jene, wo sich das Kanonikatstift befand; die Mönchgenossenschaft war in beiden Fällen am Friedhofe, so daß Lage und Zweck der Ordenshäuser von St. Peter in Salzburg und St. Emmeram (St. Georg) in Regensburg gut übereinstimmen. Daher nennt auch das Verbrüderungsbuch Rupert episcopus et abbas, wovon sich der erste Titel auf die Haupt- (St. Martin) und der zweite auf die Klosterkirche (St. Peter) bezieht. Juvavum war schon in römischer Zeit als civitas der Sitz eines Bischofs. Das war Erfordernis der Kirchenordnung. Dorthin kam auch Severin. Wenn da Eugippius von einer Kirche n e b e n der Stadt (iuxta oppidum c. 13) zu berichten weiß, in der sein Heiliger den Abendgottesdienst beging, und gleich darauf von einem vorbereiteten Begräbnis erzählt, wobei die Teilnehmer einen Scheintoten vor die Zellentür des Gottesmannes legten, so sehen wir diesen abermals bei der Friedhofskirche hausen und wirken. Es wird wohl schon der stimmungsvolle Begräbnisplatz gewesen sein, an dem Rupert sein Kloster erbaute. Salzburg wird zwar erst wieder anläßlich der Weihe des Domes (774) und des Aufenthaltes Karls des Großen (803) als civitas (Juvavensis) bezeichnet 2 ), hat aber auch in der Zwischenzeit seinen Rang als Vorort des Salzachgaues beibehalten, wofür die Bistumsgründung Ruperts zeugt. Bischof und K a n o n i k a t s t i f t (Domkapitel) gehören zusammen. Daher bestimmte die baierische Synode des Jahres 770 zu Dingolfing, daß die Bischöfe nach den kirchlichen Vorschriften (cánones), die Äbte nach der Klosterregel leben sollten 3 ). Den gleichen Unterschied sahen wir schon in den „Kurzen Nachrichten" beim Berichte über den Bau der Maximilianszelle durch Rupert und wir Mon. Germ., Poetae lat. 1, S. 338. ) Mon. Germ., Script. 30/2, S. 734, 736. 3 ) De eo quod episcopi iuxta canones et abbates monasteriorum iuxta regulam viventes, ita constituit. Mon. Germ., Leg. Ili, Concilia 2/1 (1906) S. 94. 2

8. Bischof Rupert von Salzburg.

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begegnen ihm nochmals bei jenem über die Kirche zu Otting unter Bischof Virgil, wo sich auch das Wort canonicus bereits vorfindet 1 ). Es ist wieder ein altchristlicher Brauch. Es ist ja bekannt, daß schon Bischof Augustin (gest. 430) an seiner Kirche zu Hippo in Afrika das gemeinsame Leben der Weltpriester nach bestimmten Richtlinien einführte. Die Regel Chrodegangs von Metz (um 755) und die Satzungen von Aachen (816) setzten das Werk fort und schufen feste, allgemein gültige Formen. In den letzteren, die K. Ludwig der Fromme an Erzbischof Arn übersandte, finden sich auch noch ähnliche Weisungen für das Leben der Stiftsfrauen 2 ). Die Augustinerregel selbst führte im Salzburger Domstifte erst Erzbischof Konrad I. ein (1123)3). Wie in den Beschlüssen von Aachen die Vorschriften für das gemeinsame Leben der männlichen und weiblichen Stiftsinsassen an den Pfarrkirchen zusammengefaßt sind, so finden wir schon in der Salzachstadt neben der Bischofskirche (mit den Kanonikern) auch ein F r a u e n s t i f t ( N o n n b e r g ) . Das war in seinem Ursprung nicht etwa wie später eine Gemeinschaft von Nonnen, sondern eine Vereinigung „Gottgeweihter Jungfrauen". Eine Deo sacrata erwähnt schon das Arnonische Güterverzeichnis, das überdies das von Rupert neben der Bischofskirche errichtete Stift als solches der Kanonissen (monasterium puellarum) bezeichnet. Die „Kurzen Nachrichten" nennen es übereinstimmend ein „Kloster für heilige Jungfrauen" 4 ) und heißen Erentrud eine „Gottgeweihte Dienerin" (ancilla Deo sacrata). In der Lebensbeschreibung Ruperts hören wir bereits von der dort eingeführten kanonischen Lebensweise (sicut canonicus deposcit ordo). Da sie früher bei der Bischofskirche zum erstenmal von einem Kanonikatstift spricht, so sehen wir jetzt die volle Glaubwürdigkeit dieser Nachricht, da die Gründung des daneben stehenden Kanonissenstiftes eine solche Gemeinschaft für Kanoniker als schon bestehend voraussetzt. Daß die beiden Pfarrstifte auf der Salzburg waren, zeigt auch an, daß dort ursprünglich die Bischofskirche war und nicht im Kloster St. P e t e r ; erst Virgil verlegte sie in dessen unmittelbare Nähe durch den Bau des Domes. Da er hiebei den Schutzheiligen änderte und den gleichen wählte, den 2

) 3 ) 4 ) Urkb.

Salzb. Urkb. 2, A 5 und 12; dazu oben S. 142 f. Mon. Germ., Leges III, Concil. 2/1, S. 317 f., 422 f., 458 f. A. Brackmann, Die Kurie u. die Salzburger Kirchenprovinz (1912) S. 35. monasterium sacris virginibus ad habitandum in servicio Dei. Salzburger 2, A 5.

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II. Das Stammesherzogtum Baiern und das Christentum.

schon das anstoßende Ordenshaus besaß, so entstand um so leichter der Irrtum, das Kloster am Friedhofe wäre „die W i e g e " von Salzburg gewesen, ein Wort, das auch deshalb abzulehnen ist, als Rupert in keiner Weise als Neugründer der Stadt bezeichnet werden kann; er fand ja diese wie die Burg nicht zerstört und noch weniger verwüstet vor. W i e er wird Erentrud aus Regensburg gekommen sein. W i r haben da vielleicht sogar einen leisen Hinweis, indem das Marienstift später ein von ihm in der Nähe errichtetes Gotteshaus dem Bischöfe der Hauptstadt Erhard weihte, der als Gründer von Niedermünster anzunehmen ist. Dieses wird das Mutterhaus gewesen sein, welches das Salzburger Stift besiedelte. Das Verbrüderungsbuch schließt unmittelbar an das Verzeichnis der verstorbenen Priester, Diakone und Kleriker die Reihenfolge der abgeschiedenen sanctimoniales und nennt da an erster Stelle Arindrud abbatissa 1 ). Beide dem Ordensleben entnommenen Titel kommen auch für die Kanonissen vor, gerade so wie damals ein Vorsteher eines Kanonikatstiftes (Propst) manchmal auch Abt genannt wird 2 ). Die Kanonissen führten nach dem Vorbilde der altchristlichen gottgeweihten Jungfrauen bei der Pfarrkirche ein gemeinsames, klosterähnliches L e b e n ; sie waren keine wirklichen Ordensfrauen und genossen manche Freiheiten. Viele von ihnen gehörten vornehmen Kreisen an, ja gar manche Stifte beschränkten sich auf freiständische Insassen und nahmen nur Adelige auf. Die Kirche hinwieder w a r bestrebt, ihnen ihre Sonderart zu nehmen und wollte sie zu wirklichen Nonnen machen. So führte Bischof Wolfgang von Regensburg (972—994) im Frauenstifte Niedermünster die Benediktinerregel ein 3 ). Bei den engen Beziehungen, die zwischen ihm, dem Erneuerer des Benediktinerordens, und dem Erzbischofe Friedrich I. herrschten, wie wir sie in der Reform des Klosters St. Peter (987) wahrnehmen können, dürfen wir dasselbe für Nonnberg erwarten. Bestimmt nachweisbar ist indes dort die Benediktinerregel erst seit Erzbischof Konrad I. (1144) 4 ). Doch war damit der Kampf nicht beendet; die eingewurzelten Gewohnheiten waren meist stärker als Mon .Germ., Necrol. 2, S. 29. 2)

K. H . S c h ä f e r ,

Die Kanonissenstifter

im deutschen Mittelalter

(1907) S.

127,

140 ff.; ders., Pfarrkirche und Stift im d. Mittelalter (1903) S. 125 ff. 3)

Mon. Germ., Script. 4, S. 533 f.;

dazu K. H. Schäfer,

Kanonissen

und Dia-

konissen, Römische Quartalschrift für christl. Altertumskunde 24 (1910) S. 51. 4)

Salzb. Urkb. 2, S. 3ä4;

dazu 4 (1933) S. 59 f.

8. Bischof Rupert von Salzburg.

151

der Zwang. Die Visitatoren des J a h r e s 1451/52 bekamen noch den Widerstand zu spüren, ja Niedermünster und einige andere Frauenstifte leugneten hiebei ihre Zugehörigkeit zum Benediktinerorden 1 ). Als Virgil die Bischofskirche von der Salzburg in den von ihm erbauten Dom übertrug, folgte auch das Kanonikatstift. Die Martinskirche erscheint zum letztenmal in einer allerdings auf Vorurkunden beruhenden Besitzbestätigung des J a h r e s 11992). Nur das Frauenkloster verblieb auf seinem Platze und gab nach dem Verfalle der oberen Burg der Siedlung den Namen Nonnberg; es ist die älteste deutsche Frauenabtei, die noch heute besteht; ihrem Ursprünge nach w a r sie jedoch nicht ein Ordenshaus der Benediktinerinnen, sondern ein Kanonissenstift und so ein Teil der ehemaligen Bischofskirche auf der Salzburg. Das Verbrüderungsbuch zählt zweimal die Liste der Nachfolger Ruperts auf und bringt das letztemal die Aufschrift: „Die Reihenfolge der Bischöfe und Äbte der Salzburger Kirche" 3 ). Die Bischöfe w e r d e n nicht nur als solche, sondern auch zugleich mit dem Abtstitel bezeichnet; sie w a r e n eben die Vorsteher zweier Gotteshäuser, der Stadt- und Friedhofskirche, und zweier Gemeinschaften, des Kanonikatstiftes und des Mönchsklosters. Der Titel Abt gilt wohl für letzteres, w e n n er auch damals manchmal für den eines Propstes vorkommt. Das Friedhofskloster leitete der Bischof nicht selbst, sondern da v e r t r a t ihn ein Mönch in der A b t s w ü r d e ; dieser wird daher in der Liste genannt. Das Domstift wird der Bischof selbst geführt haben, da von einem Stellvertreter (Propst) keine Rede ist. Aus diesen Beobachtungen ergibt sich gleichfalls, daß der Sitz der ersten Bischöfe nicht das Friedhofskloster, sondern die Haupt(Stadt-)kirche in der Salzburg w a r . W e n n auch für die kurze Zeit des Bestandes bis zu dem von Bonifaz eingesetzten Johannes die vielen Namen Zweifel auslösen, so wird der angegebene Wechsel hievon nicht berührt, da er den eingeführten Brauch überliefert. Bei diesen Verhältnissen ist nicht einmal sicher, ob Rupert Mönch *) I. Zibermayr, Die Legation des Kardinals Nikolaus Cusanus und die Ordensreform in der Kirchenprovinz Salzburg (1914) S. 50 Anm. 2, 55—57. 2 ) Salzb. Urkb. 2, S. 722. 3 ) Möns. Germ., Necrol. 2, S. 18 u. 46: Ordo episcoporum abbatumque Ivvavensis ecclesiae. Ruodpertus ep. et. abb., Anzogolus abb., Vitalis ep. et abb., Sauolus abb., Izzio abb., Flobrigisus ep. et. abb., Johannes ep. et. abb., Virgilius ep. et. abb.

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II. D a s Stammesherzogtum Baiern und das Christentum.

w a r ; er könnte trotz dem freigegebenen Abtstitel Weltgeistlicher gewesen sein. Die Forschung bezeichnet ihn häufig als „Abtbischof" und will damit sagen, daß er noch nicht ordentlicher Bischof (Ordinarius) und Bistumsverweser war, sondern nur Klosterbischof nach irischer Art. Seit der Ankunft Kolumbans in Gallien gab es dort n e b e n den wirklichen Sprengelbischöfen Mönche, die in ihren Gemeinschaften bischöfliche Verrichtungen selbständig ausübten. In Baiern indes w a r es vorerst, um das Bekehrungswerk zu beginnen, nötig, eine geregelte Seelsorge nach fränkischem Muster einzurichten. Das hätten w e d e r Wander- noch Klosterbischöfe vermocht, sondern hiezu w a r e n feste Bischofssitze in den Vororten der Verwaltung unerläßlich. Rupert w a r kein Abtbischof, sondern B i s c h o f und A b t , d. h. ordentlicher Bischof des Salzburger Sprengeis. Daß der Abtstitel beigesetzt ist, ist nicht allein irische Sitte, sondern kommt schon in altchristlicher Zeit vor, da wir beide Bezeichnungen im Leben Severins für Valentin von Rätien (c. 41) finden. Bischof und Abt ist daher die volle, Bischof allein die gewöhnliche Anrede. Der Doppeltitel hängt wohl mit der Zweikirchenordnung zusammen und deutet auf eine wirkliche Bischofspfarre. Aus der Reihenfolge der Nachfolger Ruperts sehen wir, daß die Angaben der „Kurzen Nachrichten", er hätte einen Bischofssitz (Bistum) gründen wollen und Salzburg hiezu ausersehen, richtig ist. An dieser Auffassung hat die von ihm gestiftete Kirche festgehalten und ihren Kampf um den Vorrang in Baiern unter dem Namen Rupert ausgefochten. Das konnte sie nur tun, wenn er Gründer eines wirklichen Bistums war, da ein höheres Alter nur an einem festen Sitze mit Grund und Boden haften kann; sie knüpft daher nicht an das W e r k des Bonifaz an, sondern geht weiter zurück bis auf ihren tatsächlichen Stifter und findet hiebei die Billigung Roms. Rupert war daher nicht Kloster- noch Wanderbischof, sondern der wirkliche Gründer und erste ordentliche Bischof der Salzburger Kirche, jedoch nicht für ganz Baiern, sondern nur für den Sprengel seiner Stadt. 9. Bischof Korbinian von Freising. Korbinian w a r der dritte und letzte Glaubensbote aus der zweiten Bekehrung Baierns; er bekam als Sitz Freising an der Isar zugewiesen. Sein Leben w a r der erste Gegenstand einer geschichtlichen

9. Bischof Korbinian von Freising.

153

Würdigung, die wir aus diesem Lande kennen; mit ihm als dem Begründer seiner Kirche eröffnete Bischof Arbeo (765—783) seine schriftstellerische Tätigkeit; er nennt seinen Vorgänger gerne Gottesmann (vir Dei), wie Eugippius seinen Meister Severin. W i r erfahren freilich nicht viel über das W e r k des Stifters; es überwiegen in der Lebensgeschichte, w e n n sie auch nicht viel mehr als vierzig Jahre nach dem Tode des Heiligen entstanden ist, die W u n derberichte und das, w a s bleibt, ist auch noch häufig frei erfunden und s c h w e r verständlich. Doch genügt es, um die Grundlagen feststellen zu können. Die Heimat Korbinians läßt sich wieder nicht sicher bestimmen; nach Arbeo stammte er aus der Gegend von Melun an der Seine 1 ). Da er, der selbst Südtiroler w a r , jedoch hiebei von einem bergigen Lande redet, so hielten manche das Castrum Maiense (Mais bei Meran) für den Geburtsort beider. Doch spricht bei ersterem sonst alles für Gallien. Sein Geschichtschreiber läßt ihn von seiner ersten Romreise, die z w a r nicht stattfand, dorthin zurückkehren (c. 9) und f e r n e r von da (a Gallorum partibus c. 15) nach Baiern ziehen. Auf die gleiche Herkunft weist ferner die Germanuskirche, die Arbeo ausdrücklich als im Bezirk (Umkreis) der Hauptstadt gelegen bezeichnet 2 ). Ihr Schutzheiliger starb als Bischof von P a r i s (576). W e n n nun an einem ihm geweihten, aber schon dem Verfalle entgegengehenden Gotteshause Korbinian eine Zelle errichtete, in der er ein klösterliches Leben führte, so wird das in der Nähe von P a r i s g e w e s e n sein. So begreift sich leicht, daß Pippin der Mittlere von ihm Kenntnis erhielt, ihn reich beschenkte (c. 5) und zu sich berief (c. 10). W i r kommen so auf diese Weise w i e d e r auf die Kraftquelle, von der die Bekehrung Baierns ausging und fortwirkende Antriebe gewann. Wie zur Zeit des Eustasius und Gefährten w a r jetzt noch immer Gallien das Land, das die Glaubensboten stellte. Korbinian gehört daher in den gleichen Kreis, der die erste wie die zweite B e k e h r u n g Baierns bewirkte und ständig n ä h r t e : zu den aus Gallien kommenden Priestern und Mönchen irischer Abstammung oder doch Lebensart. Sein Vater (Waldekis) starb noch vor seiner Geb u r t ; seine Mutter (Corbiniana) benannte ihn daher nach sich selbst; ex regione Militonense ortus fuit, ex vico qui nuncupatur Castrus. c. 1. Schulausgabe von B. Krusch (1920) S. 189; J. Widemann, Die Herkunft des hl. Korbinian, Altbayerische Monatsschrift 13 (1915) S. 16 f. 2

) Castro, qui paene relieta in urbe apparebat distructa. c. 2.

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II. Das Stammesherzogtum Baiern und das Christentum.

er wird daher dem Blute nach nur von ihrer Seite aus ein Kelte gewesen sein. Als er in Baiern erschien, hatte Theodo sein Reich bereits mit seinen Söhnen geteilt 1 ); er kam zunächst zu dem Vater (nach Regensburg) und erst von da zu dessen Sohn Grimoald nach Freising. Damit ist schon angedeutet, daß er zuerst in der Hauptstadt wirkte und daher dort dem Landesbischofe unterstand; er wird deshalb die bischöfliche Weihe erst erhalten haben, als Theodo in Freising ein Bistum errichten ließ. Nach Arbeo hätte freilich Papst Gregor II. ihn in Rom schon früher zum Bischöfe geweiht, ja dieser hätte ihm die Vollmacht erteilt, auf dem ganzen Erdkreise zu predigen und das Pallium verliehen; er bezeichnet ihn wohl deshalb häufig als pontifex 2 ). Ist schon die zweite Romreise sehr zweifelhaft, so ist die erste bestimmt erfunden, zumal Gregor II. erst im Jahre 715 Papst wurde, wo Korbinian nicht mehr in Gallien, sondern schon in Baiern war. Arbeo schöpfte da aus dem Leben des Bonifatius 3 ) und wollte nachträglich die kanonische Sendung seines Vorgängers erweisen: eine solche ist aber, wie sich gleich zeigen wird, vor der Romreise des Herzogs Theodo (716) ausgeschlossen. Während dieser, als er noch Alleinherrscher war, Rupert nach Salzburg berief, wies er erst nach der Teilung seines Landes Korbinian Freising als Sitz an. Zwischen der Gründung der beiden Bistümer liegen daher einige Jahre als Zeitraum. Korbinian wird mithin um 715 seine Stelle im Teilfürstentume Grimoalds zu Freising angetreten haben. Das bei der Romfahrt abgeschlossene Übereinkommen des Herzogs mit dem Papste Gregor II. setzt die Teilung als bereits bestehend voraus. Da der Baiernfürst bald darauf starb, und seine Söhne dem Christentum wenig geneigt waren, so fällt die Ankunft Korbinians in Freising sicher noch in die letzten Lebensjahre Theodos. Er ist der einzige Glaubensbote Baierns, der uns persönlich greifbar entgegen tritt. Sein herrisches, aufbrausendes Wesen läßt Arbeo provinciam quadrifarie sibi et sobolis dividens partibus. c. 15. ) ad summum per singulos deducens gradus pontificalem deduxit honorem, c. 8. Recepto palleo cum sanctiones beati principis apostolorum Petri. c. 9. B. Arnold, Zur Vita Corbiniani, Wissenschaftl. Festgabe zum 1200jährigen Jubiläum des h. K. (1924) S. 67 f. will dieses Wort hier nicht liturgisch verstanden wissen, sondern denkt an eine Hülle (Umschlag) für Briefe. 2

3

) Krusch (Schulausgabe Arbeos) S. 139.

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9. Bischof Korbinian von Freising.

scharf hervortreten. Bemerkenswert ist sein schroffes Auftreten gegen den Herzog Grimoald, aus dem zu schließen ist, daß er noch ein Sendbote des am 16. Dezember 714 verstorbenen Hausmeiers Pippin war, denn nur durch dessen kräftigen Arm gestützt konnte er ein solches Vorgehen wagen. Als bei der gemeinsamen Tafel Grimoald einmal von dem vom Bischöfe gesegneten Brote seinem Hunde vorwarf, stieß Korbinian voll Zorn mit einem Fußtritt den Tisch um, daß die silbernen Schüsseln auf den Boden flogen, sagte dem Herzoge ins Gesicht, er sei des Segens unwürdig und verließ den Saal. Da sann, fährt Arbeo fort, die ergrimmte Gattin des Fürsten Pilitrud auf Mord, indem sie ihrem Manne einredete, der „irische Bischof" 1 ) habe ihm das als Schimpf angetan. Doch Grimoald bewahrte seine Ruhe, warf sich dem Gottesmann zu Füßen und empfing von ihm den Friedenskuß. Wenn wir alles dichterische Beiwerk weglassen, so bleibt bestehen, daß der Herzog gegen den Willen seiner Gattin nachgab. Noch viel schwerer wog die von Korbinian betriebene Ehetrennung seines Landesherrn. Pilitrud war nämlich früher mit Theodoald, dem verstorbenen Bruder ihres zweiten Mannes, verheiratet. Solche Ehen waren bei den Germanen gebräuchlich, doch verbot sie die Kirche 2 ) und ihr folgend das Baierische Volksrecht (7/1). Deshalb verlangte der Bischof die Scheidung der Ehe seines Herzogs und rief so den Ingrimm der betroffenen Frau hervor. Wir erfahren das gleiche u. a. aus dem Leben Kilians und des Angelsachsen W y n nebald, der ebenfalls kurze Zeit in Baiern wirkte 3 ). Doch wurde Korbinian noch rechtzeitig vor dem bevorstehenden Anschlage gewarnt und floh nach Mais bei Meran, das früher noch zum Herzogtume Theodos gehörte (c. 23), inzwischen aber wohl schon an die Langobarden verloren gegangen war (c. 30). Arbeo beruft sich hiebei auf die Aussage seines Vorgängers und Erziehers Erembert, den er einen Bruder seines Heiligen nennt. Es mag schon sein, daß die gekränkte Frau an dem fremden Glaubensboten, der sie von ihrem Manne zu trennen suchte, Rache üben wollte. Doch war der Grund des Weggehens ein tieferer. Wir hörten ja schon, daß damals Rupert Salzburg verlassen mußte. Der Tod Theodos brachte für die Einführung des Christentums wieder einen Rückschlag; seine beiden noch lebenden Söhne wandten sich ihm ab, als sie von dem *) episcopum, Brittanorum origine ortum. c. 26. 2 ) A. Knecht, Handbuch des kathol. Eherechts (1928) S. 503 if. 3 ) Mon. Germ., Script, rer. Merov. 5, S. 725; Script. 15/1 (1887) S.

lllf.

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II. D a s Stammesherzogtum Baiern und das Christentum.

durch das Ableben Pippins geschwächten Frankenreich nichts mehr zu befürchten hatten. Da Theodebert in Salzburg auch bald starb und dessen Sohn Hugbert wohl noch nicht mündig war, gebot Grimoald über das ganze Herzogtum 1 ). Doch w a r inzwischen das Frankenreich unter dem Hausmeier K a r l M a r t e l l wieder zur Reichseinheit und Macht gelangt; er besiegte die mit den Alemannen verbündeten Baiern (722), unterwarf die letzteren bald vollends, betrat damals zum erstenmal das Land (S. 195) und führte;, w i e der Fortsetzer Fredegars berichtet, Pilitrud und ihre Nichte Swanahild mit sich fort (725) 2 ). Grimoald fiel durch Mörderhand (c. 31). Der Sieg Karl Martells war entscheidend für die Wiedereinführung des- Christentums. Der fränkische Hausmeier setzte H u g b e r t als Herzog ein, der sofort Korbinian zurückrief und „sich mit ihm durch das Bad der heiligen Taufe verband" 3 ). Ein vielsagender Hinw e i s ! Die bisherige Erklärung, der heimgeholte Bischof hätte ein Kind des Herzogs getauft, ist eine Ausflucht, die dem Wortlaute nicht entspricht. Wir müssen vielmehr annehmen, daß bis dahin Hugbert noch Heide w a r und bei Übernahme des Herzogtums Karl Martell geloben mußte, Christ zu werden. Es ist durchaus glaubwürdig, daß Theodebert, den sein sterbender Vater vergeblich ermahnte, dem Christentume treu zu bleiben, seinen Sohn Hugbert nicht hatte taufen lassen. Auf jeden Fall ist der neue Sieg des Christentums ein W e r k Karl Martells, der hierin dem Beispiele seines Vaters Pippin folgte. Die Unterwerfung Baierns, der Antritt des Herzogtums durch Hugbert und die Rückberufung Korbinians stehen in so enger Verbindung, daß der Zeitpunkt dieser drei Ereignisse in rascher Aufeinanderfolge zusammenfällt; das w e i s t schon darauf hin, daß Karl Martell den tiefgreifenden U m s c h w u n g bewirkt hat. D a s geschah schon alles im Jahre 725 und nicht erst 728, als er zum zweitenmal in Baiern weilte. In manchem gleicht das Schicksal Korbinians jenem des Bischofs Valentin von Rätien; der eine mußte von Freising, der andere von Augsburg v o m Felde seines Berufes w e i c h e n und im Gebirge Tirols südlich des Brenners Schutz suchen. Dort setzten beide ihre Tätigkeit fort und warteten auf bessere Zeiten. So verstehen wir die besondere Verehrung, die Korbinian für Valentin hegte, so daß er an *) a totius (gentis) principe Crimoaldo. c. 23. 2 ) Mon. Germ., Script. 1, S. 8 f., 87; Script, rer. Merov. 2, S. 175. 3 ) Hucpertus cum intrasset in r e g n u m . . . virum Dei r e v o c i t a n s . . . sacro fontis sociavit lavacro. c. 32.

et

sibimet

9. Bischof Korbinian von Freising.

157

dessen Grabstätte ein Kirchlein erbaute und dort beigesetzt sein wollte. Nach seiner Rückkehr nach Freising dauerte sein Wirken nicht mehr lange, er starb bald darauf und wurde seinem Wunsche gemäß nach Mais überführt. Da jedoch die Langobarden die Gebeine Valentins nach Trient brachten, und Herzog Tassilo sie kurz nachher von dort nach Passau überführen ließ (vor 764), so sorgte der eben Bischof gewordene Arbeo desgleichen für die Rückkunft der Leiche des Stifters seiner Kirche (765) 1 ) und weihte den eben damals vollendeten Dom 2 ). Da zwischen dem Ableben des Heiligen und dessen endgültiger Beisetzung in Freising ein Zeitraum von vierzig Jahren liegt (c. 28), so kommen wir auch auf diesem Wege wieder auf 725 oder kurz nachher als Todesjahr. Die Einsetzung Hugberts als Herzog und die damit verbundene Heimkehr Korbinians erfolgte mithin schon im Jahre 725. Sein Wirken in Freising war also nicht von langer Dauer. Doch läßt sich dort noch unter ihm wieder die Zweikirchenordnung feststellen, so daß er tatsächlich als Gründer des dritten Bistums in Baiern zu betrachten ist. Die H a u p t k i r c h e war M a r i a geweiht und befand sich gleichfalls in der Herzogsburg; in ihr bekam er seine bleibende Ruhestätte 3 ); aus ihr erwuchs der Dom, der dem Hügel, der ihn trägt, den Namen gab (Domberg). Von dem dazugehörigen männlichen und weiblichen Kanonikatstift läßt Arbeo nichts verlauten, ja er sagt auch nicht, daß Korbinian die Marienkirche errichtete, sondern erwähnt diese bloß bei Bedarf, wie er es im Leben Emmerams bei der Georgskirche in Regensburg tut. Wie hier dieser und Rupert in Salzburg wird Korbinian nach seiner Rückführung von Mais der zweite Schutzheilige der Freisinger Kirche. Der als Geschichtschreiber berühmte Bischof Otto (1138—1158) will wissen, daß der Stifter seiner Kirche bei der Ankunft in Baiern den Freisinger Berg erhielt, w o er zu Ehren Benedikts ein Gotteshaus und Kloster erbaut hätte 4 ). Diese Nachricht ist in ihrem letzteren Teil bestimmt unrichtig, da von einer Verbindung Korbinians mit dem Krusch (Schulausgabe) S. 116, 122 f. ) In einer Urkunde des Jahres 769 heißt es: Arpio episcopus qni hanc basilicam dedicavit. Freisinger Trad. 1, S. 60. 3 ) . . vir Dei ad Castrum iré vellisset vespertinas ad beatae Mariae ecclesiam. c. 29, 34 u. S. 234. 4 ) Chronik 5/24, Schulausgabe von A. Hofmeister, 2. Aufl. (1912) S. 251. 2

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II. D a s Stammesherzogtum Baiern und das Christentum.

genannten Orden noch keine Rede sein kann 1 ). Auf diesem Irrtume beruht auch die Bezeichnung der Benedikt geweihten Kirche als „Alter Dom". Dem gegenüber ist festzuhalten, daß die Bischofskirche mit einem Kanonikatstifte verbunden w a r und nur die Friedhofskirche ein Mönchskloster angeschlossen hatte. Die Benediktskirche in Freising ist daher nicht mit der anstoßenden Bischofskirche Korbinians gleichzusetzen; der Schutzherr der ersteren wird auch erst im Jahre 825, und da bloß an zweiter Stelle erwähnt 2 ). Die Marienkirche in der Herzogsburg w a r zur Zeit Korbinians das einzige Gotteshaus auf dem Domberge; sie und nicht die erst später im Osten angebaute Benediktskirche ist der Alte Dom. Ihm gegenüber lag auf einem anderen Hügel die S t e p h a n s k i r c h e, die für den F r i e d h o f diente. Arbeo sagt, daß dort Anserich, ein Gefährte Korbinians, begraben liegt (c. 18); später erw ä h n t er, daß in diesem auf dem benachbarten Berge gelegenen Bethause der Frühmorgengottesdienst (die Matutin) gehalten w e r d e und der Heilige, der im Ort (villa publica) ein Haus besaß, sich dort noch eine kleine Wohnstätte errichten ließ 3 ). W i r erfahren z w a r w i e d e r nicht, w e r die Stephanskirche erbaut hat, doch kommt hiefür abermals Korbinian als Stifter und erster Bischof in Betracht. Als Friedhofskirche w a r mit ihr nach damaligem Brauch eine Mönchsgenossenschaft verbunden, welche die nächtlichen Totenfeiern besorgte; daß dort eine solche schon damals bestand, zeigt noch die gemeinsame Mette, an der Korbinian mit der Domgeistlichkeit („Klerus") teilzunehmen pflegte, w ä h r e n d er in der Marienkirche die Abendandacht (Vesper) besuchte (c. 29). Nachmals ist aus dem Gotteshause am Friedhofe das bekannte Benediktinerkloster Weihenstephan erwachsen. Ob Korbinian Mönch oder Weltpriester w a r , geht aus der unklaren Fassung Arbeos nicht sicher h e r v o r ; einmal spricht er von einem beschaulichen Leben seines Heiligen in der Zelle, das anderemal von dessen eigenem Hause in Freising, von der Annahme kostbarer Geschenke, dem gewonnenen Reichtume und den Reisen mit prächtigen Pferden. Die Freisinger Kirche hält Korbinian mit Recht als ihren Stifter. Das aber kann er nur dann gewesen sein,

rische S. 342 2 ) 3 )

Das hat schon S. Mitterer, Die Bedeutung des hl. Bonifazius für das b a y e Klosterwesen, Stud. u. Mitt. z. Gesch. d. Benediktiner-Ordens 46 (1928) f. vermutet. in domo s. Marie et s. Benedicti. Freis. Trad. 1, S. 448 f. in vicino monte b. Stephani oratorio, c. 27.

10. Die Romreise des Herzogs Theodo (716).

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w e n n er wirklicher Bischof w a r . W i r dürfen das bei ihm um so mehr behaupten, als wir deutlich seine doppelte Eigenschaft als Bischof (Marienkirche) und Abt (St. Stephan) wahrnehmen können. Das Salzburger Verbrüderungsbuch nennt ihn gleich nach Emmeram 1 ) und zeigt hiedurch an, daß er in Freising keinen Vorgänger hatte und somit als Gründer dieser Kirche und deren erster Bischof zu betrachten ist. Freising w a r im baierischen Kirchenstreite nicht beteiligt und erreichte auch räumlich nicht jene Ausdehnung, um sich mit Regensburg, Salzburg und P a s s a u und ihren großen Missionsgebieten messen zu können. Dafür aber hat es geistig eine hervorragende Rolle gespielt: es stellte in Bischof Arbeo den ersten Geschichtschreiber Baierns und lieferte in dem vom Dompriester Kozroh um 824 angelegten Traditionsbuche den ältesten Urkundenvorrat aus diesem Lande. Im Gegensatz zu den drei anderen Bistümern des Landes fehlt hier jede Spur einer römischen Wurzel.

10. Die Romreise des Herzogs Theodo (716). Die Zerstörung der Hauptstadt Lorch durch die A w a r e n hatte Herzog Theodo in Abhängigkeit Pippins des Mittleren g e b r a c h t : der vom schweren Unglücke gebeugte Baiernfürst mußte sich von seinen Göttern verlassen fühlen und sich fragen, ob die frühere fränkische Oberhoheit und der Christengott für sein Land nicht besser gewesen w ä r e n , als die kurze verhängnisvolle Freiheit, die zu einer Niederlage führte, wie sie sein Reich noch nie erlebte. Es hatte sich wieder gezeigt, daß Baiern allein nicht imstande w a r , das mächtige Awarenreich im Zaume zu halten und daher dringend der Mithilfe der Franken bedurfte. Deren Schutzherrschaft und die damit verbundene Annahme des Christentums w a r e n doch ein viel geringerer Preis, als die Untertänigkeit unter die Awaren. Baiern mußte sich endgültig entscheiden, ob es zum christlichen W e s t e n mit seiner höheren Kultur oder zum heidnischen Osten mit seinen wilden Völkerschaften hinneigen wollte. . Es ist das unvergängliche Verdienst des Herzogs Theodo an diesem schicksalshaften Scheidewege einen Entschluß gefaßt zu haben, der seinen Stamm aus der Vereinsamung herausriß und in die christliche Welt des Abendlandes einfügte. Die Wahl Regensburgs als Hauptstadt an Stelle Lorchs zeigt schon äußerlich die Abkehr vom Osten und den Anschluß an den W e s t e n . Am 16. Dezember 714 Mon. Germ., Necrol. 2, S. 26.

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starb Pippin. Das Fehlen seiner starken Hand schwächte die Macht des Frankenreiches. Theodo hatte jetzt die Möglichkeit, selbständigere Wege zu gehen. Das tat er auch, aber nicht etwa in dem Sinne, daß er gleich seinen Vorgängern und Nachfolgern gewagt hätte, von dem eben angenommenen Glauben abzufallen, sondern er suchte vielmehr die bisher mangelnde Verbindung mit R o m ; er begab sich selbst im Jahre 716 in die ewige Stadt und sicherte sich dort einen neuen Rückhalt für sein Reich. Das wird der wahre Grund seiner Pilgerfahrt gewesen sein, denn die „Kurzen Nachrichten" lassen die überzeugungstreuen Christen auf dem Herzogsstuhle erst mit Odilo beginnen, von dem sie sagen, er hätte begonnen, Kirchen zu bauen und die Priester zu lieben (S. 133). Es war das erstemal, daß ein Baiernfürst an den Gräbern der Apostel erschien; die Lebensbeschreibung des Papstes Gregor II. hebt daher ausdrücklich dieses denkwürdige Ereignis hervor 1 ). Die Geschichtsforschung läßt Theodo während seiner ganzen Herrscherzeit als unabhängigen Herzog schalten; sie beruft sich hiebei auf seine im Jahre 716 in Rom erfolgten Verhandlungen mit dem Papste. Doch das ist nur ein Beweis einer verhältnismäßigen Selbständigkeit für das angeführte Jahr, aber noch lange nicht für seine frühere Tätigkeit als Herzog. Pippin war eben kurz vorher gestorben und daher konnte der nun weniger abhängige Fürst wieder mehr nach eigenem Ermessen handeln. Daß er jedoch vorher ganz und gar dem genannten Hausmeier botmäßig war, erweist die Geschichte der zweiten Bekehrung und der Zusatz im Baierischen Volksrecht über die Tötung des Landesbischofs (S. 229 f.). Theodo strebte nach einer eigenen, vom gallischen Verbände losgelösten Landeskirche; ihm war die Zusammenarbeit mit Rom lieber als mit dem Frankenreiche; da konnte er sich noch freier fühlen, ja gegen seinen Bedränger eine Stütze finden; schon damals sollte Baiern der Sitz eines Erzbischofs und nach dem Muster Englands eine dem Papste unmittelbar unterstellte Kirchenprovinz werden 2 ). Die Romreise unternimmt nicht wie in Friesland der zur Leitung der Landeskirche bestimmte Kirchenfürst, sondern der Stammesherzog selbst. Hierin zeigt sich deutlich der Unterschied zwischen dem angelsächsischen und irischen Kirchenwesen; und gerade hieTheodo quippe dux gentis Baioariorum cum alios gentis suae ad apostoli beati Petri limina orationis voto primus de gente eadem occurrit. L. Duchesne, Le liber pontificalis 1 (Paris 1886) S. 398. 2 ) Caspar, Gesch. des Papsttums 2, S. 693.

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durch beansprucht die Fahrt Theodos nach Rom einen um so höheren W e r t : sie bedeutet in ihrem tieferen Wesen eine Abkehr von der irischen Kirche und sucht die Verbindung mit Rom; sie ist eine Vorstufe für das Auftreten des päpstlichen Sendboten Bonifaz in Baiern. Wie diesem nach mehr als zwanzig Jahren dort kein dauernder Erfolg beschieden war, so dürfen wir einen solchen um so weniger jetzt erwarten, zumal der Herzog bald darauf starb und seine Söhne andere Wege gingen. In Baiern blieb auch später allen Bemühungen entgegen bis auf die Zeit Karls des Großen und seines Freundes Arn von Salzburg die irische Priesterschaft herrschend, wie das bedeutsame Wirken Virgils deutlich offenbart; nicht sein Gegner Bonifaz, sondern er selbst blieb Sieger; freilich mußten sich von jetzt an die irischen Bischöfe der römischen Kirchenleitung fügen; Arbeo läßt daher auch seine beiden Glaubensboten nach Rom ziehen und verlegt so spätere Zustände auf eine frühere Zeit. Das Ergebnis der Reise Theodos zu den Gräbern der Apostel w a r die Entsendung einer römischen Gesandtschaft nach Baiern; die Weisung, die ihr Gregor II. am 15. Mai 716 mitgab, hat sich abschriftlich erhalten; sie ist ein überaus kostbares Zeugnis für die Auffassung Roms, wie nicht minder für die kirchlichen Zustände Baierns; nach dessen Volksrecht ist sie das älteste Schriftstück, das wir von der Einführung des Christentums in diesem Lande kennen; erweist ersteres den fränkischen Einfluß, so schaltet dieses letzteren aus und setzt hiefür den römischen. Das bedeutete für Theodo die Preisgabe des irischen Kirchenwesens; hiefür erlangte er jedoch den Beistand Roms. 1. Die päpstlichen Gesandten sollten sich auf einer im Einvernehmen mit dem Herzoge berufenen Versammlung von Geistlichen, Richtern und allen Großen beraten; Weihe und Rechtgläubigkeit der Priester hätten sie zu überprüfen, wobei alle, die den Anforderungen nicht entsprächen, zu entfernen w ä r e n ; den anderen, welche die Probe bestünden, hätten sie die kanonische Sendung zu erteilen. 2. Es sei zu beachten, wie sich jeder Priester zur Kirche verhalte ; bei den geistlichen Verrichtungen wären die Vorschriften des päpstlichen Stuhles zu befolgen. 3. Im Sprengel jedes Teilherzogs sollte ein darnach abgegrenztes Bistum errichtet werden: wären nach der jeweiligen Teilung des Landes drei oder vier oder mehrere, so sollte der bevorzugte Ii

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(vornehmste) Sitz für den E r z b i s c h o f vorbehalten werden 1 ). Die Gesandten hätten drei Bischöfe beizuziehen und mit ihnen im Glauben und Rufe erprobte Männer mit Vollmacht des Apostels Petrus und nachfolgender päpstlicher Bestätigung zu Bischöfen zu weihen und einzusetzen (S. 32). 4. Sollten sie einen finden, der würdig wäre, Erzbischof zu werden, so hätten sie diesen nach Rom kommen zu lassen; in anderem Falle würde der Papst selbst Vorsorgen. 5. Zur Priesterweihe dürfen die Bischöfe keinen zulassen, der ein zweitesmal oder nicht eine Jungfrau geheiratet habe oder nicht lesen und schreiben könne; desgleichen sollen sie alle ausschließen, die körperlich verstümmelt oder bemakelt seien. Die folgenden Bestimmungen betreffen das Volk; sie zeigen, daß dieses noch stark mit heidnischen Gedanken durchsetzt war, und weisen daher auf ein frisch gepflanztes Christentum. Wir können uns hierüber noch kürzer fassen, zumal sie teilweise auf fremden Vorlagen beruhen: Verwandtenehen seien untersagt; alle Speisen gelten als rein, außer solchen, die schon vorher den Göttern geopfert wurden; über die Nichtigkeit der Traum- und Zeichendeutereien sei das Volk aufzuklären; heidnischer Aberglaube wie Zauberei und Wahrsagerei sei zu verbieten; an Sonntagen dürfe nicht gefastet werden; das Heilmittel der Buße müsse als unumgänglich notwendig erklärt werden; es dürfe niemand zweifeln, nach seinem Tode wieder mit demselben Körper aufzuerstehen, mit dem er auf Erden wandelte; der Teufel und sein Anhang werde ewig brennen. Der päpstliche Auftrag verdient deshalb besondere Aufmerksamkeit, weil er deutlich zeigt, daß Rom die von den bisherigen Glaubensboten geleistete Vorarbeit mit Stillschweigen überging; es leugnete die kanonische Sendung der in Baiern wirkenden Bischöfe und damit die Gültigkeit ihrer geistlichen Verrichtungen; es anerkannte deshalb auch nicht das Bestehen der von ihnen geleiteten Bistümer: Weihe und Einsetzung der Bischöfe sowie die kirchliche Einteilung des Landes hatten erst die päpstlichen Gesandten zu vollziehen. Wenn schon bisher Regensburg, Salzburg und wohl auch Freising der Sitz eines Bischofs war, so folgt daraus, daß jedes der reservato praecipuae sedis loco pro archiepiscopo r e s e d e n d o . . . Mon. Germ., Leges 3 (1863) S. 452. Die ganze Vorschrift übersetzt Janner, Gesch. der Bischöfe von Regensburg 1, S. 53—58.

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von dort geleiteten Teilfürstentümer ein eigenes Bistum war. Nichts anderes sah die päpstliche Weisung vor, ohne aber nur irgendwie das große Werk der zweiten Bekehrung zu erwähnen und es als gültig anzusehen. Hierin, in der zwar nicht ausgesprochenen, aber doch deutlich spürbaren Verwerfung des irischen Kirchenwesens, liegt ihr entscheidender W e r t ; sie ist der Geburtsbrief des römischen Christentums in Baiern. Kirchenrechtlich bemerkenswert erscheint, daß dieses Schriftstück den Titel Erzbischof bereits für den einfachen Metropoliten und das Wort Diözese schon für ein gewöhnliches Bistum gebraucht. Aus dem Bericht über den Bau der Maximilianszelle erfahren wir, daß Rupert unter Theodo und noch unter dessen Sohne Theodebert in Salzburg Bischof w a r ; er wirkte also bestimmt im Jahre der Romfahrt seines Herzogs. Da die päpstlichen Sendboten überhaupt keinen Bischof im Lande anerkennen durften, sondern bei jedem erst Weihe und Rechtgläubigkeit zu prüfen hatten, so sehen wir, daß Rom für Rupert keine Ausnahme machte; auch das bietet einen Fingerzeig, ihn als irischen Bischof zu betrachten. Dasselbe gilt für Korbinian, da er wahrscheinlich schon vor Antritt der Romreise Theodos Bischof von Freising war. Über die Durchführung fehlt jede Kunde. Wir wissen nur, daß das geplante Erzbistum, wofür damals, da Lorch aufgegeben war, einzig und allein Regensburg als neue Hauptstadt und Ausgangsort der zweiten Bekehrung in Betracht kam, nicht geschaffen wurde. Als nahezu ein Jahrhundert später Leo III. auf den Wunsch Karls des Großen entgegen dem kirchlichen Herkommen Salzburg zum Sitz eines Erzbischofs erhob, sagt er selbst, Baiern sei schon seit langer Zeit als Kirchenprovinz ausersehen gewesen, doch sei der Plan durch verschiedene Hindernisse nicht ausgeführt worden 1 ). Diese sind nicht schwer zu erraten: der vorzeitige Tod Theodos und die anschließenden Wirren in Baiern, die wieder einen vorübergehenden Rückfall ins Heidentum brachten; nachmals, beim Auftreten des Bonifatius, ließ es die veränderte Politik der fränkischen Hausmeier nicht mehr zu, daß sich Landeskirchen bildeten. *) a multis iam temporibus ab ista sancta sede (metropolis) fuit praeordinata, sed diversarum rerum eventu inpediebatur usque temporibus nostris. Salzburger Urkb. 2, S. 8. 11*

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Auf den Rückgang des Christentums nach dem Ableben Theodos weist noch ein anderes Vorkommnis. Im Jahre 719 betrat Bonifaz zum erstenmal baierischen Boden, ohne hier diesmal länger zu verweilen ; er zog bloß durch und begab sich nach Thüringen, um dort im päpstlichen Auftrag zu wirken 1 ); er kam damals von Rom und hatte die Aufgabe, „die wilden Völker Germaniens" (inmanissimos Germaniae populos) zu besuchen und zu prüfen, ob sie für die Annahme der christlichen Lehre zu gewinnen wären. Sein Vorbeigehen an Baiern weist darauf hin, daß Rom damals nichts von diesem Lande erhoffte und sich lieber für Thüringen entschied; es w ä r e jetzt, drei Jahre nach dem Übereinkommen mit Theodo, die Zeit an sich gegeben gewesen, wenn nicht ein Rückschlag erfolgt wäre. W i r dürfen jedoch aus all dem nicht den Schluß ziehen, als sei die päpstliche Gesandtschaft des Jahres 716 gar nicht in Baiern eingetroffen und ihre Vollmacht vom 15. Mai sei bloß ein unausgeführter Entwurf geblieben. W i e w ä r e bei einer solchen Annahme die überraschende Tatsache zu erklären, daß das wertvolle Briefstück in mehreren, allerdings späteren Handschriften 2 ) überliefert ist? Im Gegenteil, die wiederholte Abschrift des päpstlichen Abkommens mit Theodo spricht dafür, daß es in Baiern hernach als erste Grundlage der kirchlichen Einrichtung des Landes angesehen w u r d e ; das weist doch auf eine begonnene Durchführung hin, die freilich bald unterbrochen, aber später nach dem Antritte des Herzogtums durch Hugbert (725) wieder aufgenommen wurde. Es ist daher anzunehmen, daß Rupert und Korbinian noch vor dem Ableben Theodos die kirchliche Sendung von Rom erhielten 3 ). Da das Todesjahr des Herzogs 717 (oder 718) und sein Sterbetag der 11. Dezember 4 ) war, so hatten die römischen Gesandten noch genügend Zeit, den Auftrag des Papstes zu erfüllen. Daher brauchte Bonifaz das kanonische Recht in Baiern nicht erst zu begründen, sondern stellte es bloß wieder her (S. 174). Doch w a r Rom nicht imstande, dort das Christentum aufrecht zu erhalten. Das vermochte erst das kraftvolle Auftreten Karl Martells; damit kam freilich wieder der fränkisch-irische Einfluß. *) Incognitosque Baguariorum et confines Germaniae términos adgrediens, in Thyringeam iuxta mandatum apostolicae sedis considerando progressus est. Vitae s. Bonifatii (Schulausgabe) S . 22. 2 ) Mon. Germ., Leges 3, S. 235. 3 ) S o für Rupert schon Hansiz, Germania sacra 2, S. 48, 50. 4 ) Mon. Germ., Necrolog. 2, S. 74.

11. Herzog Hugbert als Gründer des Bistums Passau.

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11. Herzog Hugbert als Gründer des Bistums Passau. . Schon Theodo plante entsprechend der von ihm in seinen letzten Lebensjahren eingeführten Vierteilung des Landes ein viertes Bistum ; hiefür zeugt das von ihm geschlossene Abkommen mit Rom. Sein Tod und der nachfolgende Rückfall ins Heidentum verhinderten den Vollzug seines Vorhabens. So kommt es, daß die Bischofskirche von Passau um so viel später als die anderen drei ins Leben trat; auch das weist auf den dazwischen erfolgten Rückschlag hin. Als nun der von Karl Martell eingesetzte Herzog Hugbert wieder die von Theodo vorgezeichnete Bahn beschreiten mußte, ließ er den Plan seines Großvaters verwirklichen. Die Gründung fällt noch in seine letzten Herrscherjahre; das beweist das älteste Traditionsbuch des Hochstiftes, das ihn unter den ersten Spendern der D o mk i r c h e S t . S t e p h a n anführt 1 ); sie ist nicht nur als Abschluß der kirchlichen Einteilung Baierns wichtig, sondern auch deshalb, als sie bereits im Einvernehmen mit Rom erfolgte; das einst von Theodo dort geschlossene Übereinkommen war sohin wieder zur Geltung gelangt. Das hier zum erstenmal deutlich nachweisbare Eingreifen des Papstes in die kirchlichen Verhältnisse Baierns erhellt daraus, daß Gregor III. (731—741) den ersten Oberhirten des neuen Bistums, V i v i 1 o, zum Bischof weihte. Daß dies er selbst und nicht Bonifaz besorgte, weist darauf hin, daß die Gründung der Passauer Kirche noch vor der Wirksamkeit des Legaten in Baiern erfolgte, zumal dieser ihn absetzen wollte; hiezu kommt noch, daß Willibald, der uns sein Leben schildert, weder Passau noch Vivilo nennt. Da der am 11. Februar 731 auf den Thron erhobene Papst sagt, er selbst habe ihn geweiht, so kann dessen bischöfliche Wirksamkeit nicht früher begonnen haben und steht daher mit dem Untergange Lorchs (um 700) in keinem Zusammenhang. Im zweiten Herrscher jähre Odilos (738?) weihte der neue Bischof ein Marienstift der Gottgeweihten Jungfrauen, dessen Örtlichkeit nicht angegeben und daher umstritten ist 2 ). Wenn wir an das Salzburger Beispiel denken, wo Rupert am Ende seines Werkes das Marienstift Nonnberg errichtete, so liegt der Gedanke nahe, auch in dem eben geschaffenen Bistume Passau als Ort die Bischofsstadt selbst anzunehmen; das Fehlen des Ortsnamens ist gleichfalls so am besten zu erklären. Es galt zunächst, den Sitz des 2

tradedit Hupperht dux ad s. Stephanum. Passauer Trad. S. 4. ) Ebendort S. 2.

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II. Das Stammesherzogtum Baiern und das Christentum.

Bistums einzurichten; es ist daher schon an sich nicht wahrscheinlich, bei dem neuen, von dort aus errichteten Frauenstift an eine entferntere Gegend zu denken; ein solches war vielmehr zunächst ein festes Zugehör zur Bischofskirche und mit ihr ebenso verbunden wie das männliche Domstift. Wenn im Traditionsbuche die Schenkung nicht im Rotahgau, sondern im Matahgau eingereiht ist, so bildet das kein Hindernis, da dort auch andere Örtlichkeiten nicht in den entsprechenden Gauen aufgeführt sind; sie trägt in diesem Falle zudem noch die Form der Aktaufzeichnung und weist schon hiedurch auf eine spätere Überarbeitung hin, die frühere Geschäftsurkunden (cartae) zusammenfaßte. Das angegebene zweite Herrscherjahr Odilos paßt zudem noch vorzüglich als Zeitansatz, um an die Weihe eines Frauenstiftes in Passau (Niedernburg) als Abschluß der Einrichtung der neuen Bischofsstadt zu denken 1 ). Auf jeden Fall ist der Beginn des Passauer Bistums noch vor der Sprengelabgrenzung durch Bonifaz (739) anzusetzen. Wir können daher sagen, wenn im zweiten Herrscherjahre Odilos die Passauer Kirche in ihren Erfordernissen fertig dastand, so fällt der Hauptteil der Arbeit noch unter Herzog Hugbert. Es kann daher gar keine Rede sein, daß Bonifaz erst dieses Bistum ins Leben gerufen hätte und der vom Papste geweihte Vivilo vorher nur „Wanderbischof" gewesen wäre; er war vielmehr gleich seit Anbeginn erster Oberhirte von Passau und erhielt als solcher seine Weihe in Rom; eben deshalb beließ ihn Gregor III. entgegen dem Wunsche seines Abgesandten an der ihm ursprünglich verliehenen Stelle. Aus all dem folgt, daß Herzog Hugbert das Bistum Passau gründete und Vivilo es einrichtete. Die Hauptkirche St. Stephan lag wieder in der (herzoglichen) Burg, im Castrum, wie eine Urkunde des Jahres 754 besagt 2 ); es war das wie in Regensburg der Boden und Bereich der römischen Lagerfestung (Castra Batava); sie knüpfte an jenes Gotteshaus an, das zur Zeit Severins, wo die bürgerliche Bevölkerung bereits in das Lager geflüchtet war, Hauptkirche war 3 ). In deren Nähe wird auch das von Eugipp zweimal erwähnte Taufhaus (baptisterium) gestanden sein (c. 22); ob dieses auf eine Bischofskirche schließen läßt, ist möglich, aber nicht sicher 4 ). *) 2 ) 3 ) 4 )

M. Heuwieser, Gesch. d. Bistums Passau 1 (1939) S. 279 f. Pass. Trad. S. 5. Heuwieser, Gesch. d. Bistums Passau 1, S. 220 f. Ebendort S. 35 f.

11. Herzog Hugbert als Gründer des Bistums Passau.

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Derselbe Geschichtschreiber erzählt an gleicher Stelle, daß sein Meister bei einem „außerhalb der Mauern der Stadt Batavis an einem Orte namens Boiotro jenseits des Inn" befindlichen Gotteshause sich eine Zelle errichtet hatte. Das wäre wieder der Lage nach dem altchristlichen Brauche entsprechend die Friedhofskirche, wenn sie nicht in einer anderen Provinz (Noricum) gelegen wäre. Das Kirchlein dürfte ebenso wie jenes in Künzing (Quintanis c. 15) aus Holz gewesen sein. Sein Standplatz ist beiläufig da anzunehmen, wo sich heute die Severinskirche zu Beiderwies (Boiodurum) erhebt; diese erinnert in ihrem Namen an das dortige Wirken des norischen Gottesmannes und wird zum erstenmal um 1120 als solche erwähnt. Ihre Bauzeit ist sehr früh anzusetzen, da die jüngst erfolgten Ausgrabungen im Kern des Langhauses eine frühmittelalterliche Kirchenanlage ergaben, die zu den ältesten ihrer Art auf deutschem Boden zählt 1 ). Es ist mithin an eine Bauschöpfung zu denken, die zeitlich nahe an die Gründung des Bistums heranreicht, ja vielleicht ist in ihr nach Lage und Namen noch ein Überrest jener Friedhofskirche enthalten, welche die neue Bischofsstadt benötigte; leider ist, anders wie in Regensburg, Salzburg und Freising, in Passau außerhalb der Stadt kein Männerkloster zu finden, das dort als Wegweiser dienen könnte. Es ist schade, daß wir über die Sprengelabgrenzung nichts erfahren ; das um so mehr, als wir dann auch die staatliche Einteilung wüßten. Die römischen civitates lebten in ihren Grundzügen als baierische Gaue fort; doch ergaben sich im Laufe der Zeit verschiedene Änderungen. So brachte der Untergang von Lorch nicht nur den Verlust des Landes unter der Enns, sondern bedingte auch die Aufgabe des Gebietes östlich der Traun. Der nach ihr benannte Gau wurde so gespalten; Wels verlor mithin seine führende Stelle als Vorort und kam als Bischofssitz nicht mehr in Frage. Sein nächster Anrainer Salzburg war der naturgegebene Nachfolger, ja das junge Bistum hatte die Möglichkeit, seine Hand auf die zerstörte Hauptstadt Lorch auszustrecken. Als später die Passauer Kirche ins Leben trat, änderte sich daran wohl kaum etwas. In römischer Zeit bildete der Inn die Provinzgrenze, so daß sich die neue Bischofsstadt mehr auf rätischen, als auf norischen Boden erstreckt haben wird; es reichte bestimmt nicht gleich bis an die Enns *) H. Hörmann, St. Severin zu Passau (1935) S. 4, 120;

Heuwieser 1, S. 224 f.

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II. Das Stammesherzogtum Baiern und das Christentum.

(S. 253). Ein voller Wechsel ergab sich erst, als Karl der Große die Awaren niederwarf und Salzburg Pannonien zuwies. Da nun erhielt Passau das Gebiet der untergegangenen Hauptstadt Lorch. Als bald darauf Salzburg noch Sitz des baierischen Erzbischofs wurde (798), breitete sich ein immer heftiger werdender Zwiespalt zwischen den beiden Kirchen vor: Passau war seiner Lage an der Donau nach der natürliche Erbe von Lorch; es barg in sich ebenfalls den Drang nach dem Osten, wohin es der Lauf des Stromes wies. So verknüpfte sich allmächlich das Geschick des eingegangenen Metropolitansitzes Lorch mit dem Aufstiege des jungen Hochstiftes Passau; dieses hatte nur dann die Möglichkeit, seinen Widersacher zurückzudrängen, wenn es ein höheres Alter nachweisen konnte. Das bot einzig und allein die von den Awaren zerstörte und von den Baiern aufgegebene Hauptstadt Lorch, die freilich damals heidnisch und nicht christlich war. Je mehr die Zeit seit dem verhängnisvollen Unglücke verstrich, desto weniger fiel es auf, wenn Passau sich allmählich als unmittelbarer Nachfolger der ehemaligen Lorcher Kirche ausgab; so machte denn Pilgrim seinen ersten Bischof Vivilo zum letzten Erzbischof von Lorch, der nach dessen Zerstörung durch die Awaren mit Erlaubnis des Herzogs Odilo seinen Sitz nach Passau verlegt und ihn hiedurch fortgepflanzt hätte 1 ). Die Erinnerung an den denkwürdigen Untergang Lorchs durch die Awaren bildete den glaubwürdigen Nährboden, auf dem ein solches Trugbild erwachsen konnte; dazu war freilich nötig, die Preisgabe der Hauptstadt und die Flucht aus ihr mit der Gründung der Passauer Kirche unmittelbar zu verbinden und sie deshalb um etwa vierzig Jahre später anzusetzen. Es ist daher unrichtig, wenn die neuere Forschung die Zerstörung Lorchs durch die Awaren leugnet; irrig ist nur die spätere Zeitangabe, aber an dem Ereignis selbst ist nicht zu zweifeln, da es durch Arbeo bezeugt ist und die zweite Bekehrung des Landes einleitet. Der Untergang der heidnischen depopulata urbs steht zwar mit der dauernden Einführung des Christentums in Baiern in unmittelbarer Verbindung, aber nicht durch Passau, sondern durch die zweite Hauptstadt Regensburg: dorthin Vérunechtete Urk. K. Arnulfs vom 9. Sept. 898: sedem, quam Viuulo quondam s. Lauriacensis aecclesie archiepiscopus post excidium et miserabilem barbaricam devastationem . . Lauriacensis aecclesiae . . . primus episcopavit Otilone . . duce concedente . . . in a e c c l e s i a . . . s. S t e p h a n i . . collocavit. Mon. Germ., Dipl. Karol. 3 (1940) S. 249.

11. Herzog Hugbert als Gründer des Bistums Passau.

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flüchtete der herzogliche Hof und eben an dieser Stelle trat die zweite Mutterkirche Baierns ins Leben. Wenn auch die Flucht „des letzten Erzbischofs" Vivilo von Lorch nach Passau frei erfunden ist, so fußt sie doch auf einer echten Volkssage, deren Kern die Zerstörung der ersten baierischen Hauptstadt Lorch ist; sie ist freilich inhaltlich entstellt und auf bestimmte Forderungen zugeschnitten und macht aus dem Abzüge des Hofes nach Regensburg eine erfundene Übertragung der nicht mehr bestehenden Lorcher Kirche nach Passau, um so gegenüber Salzburg ein höheres Alter vorzutäuschen. Die Lorcher Sage ist daher nicht in Passau entstanden, sondern wurde dort für die eigenen Bedürfnisse verfälscht. Das jüngste Bistum Baierns wollte das älteste sein, um so Anrecht auf die erstrebte erzbischöfliche Würde und Pannonien zu haben. Von Vivilo selbst wissen wir nicht viel; er richtete als erster Oberhirte von Passau die dort von Hugbert gegründete Hochkirche ein; seinem Blute nach dürfte er gleich seinem zweiten Nachfolger Sidonius, dem Genossen Virgils, ein Irländer gewesen sein; als erster vom Papste geweihter Bischof Baierns hielt er sich auch gegen Bonifaz. Viel bekannter wurde er durch die Sage als „letzter Erzbischof von Lorch", der vor den Awaren nach Passau geflüchtet und dorthin seine Würde übertragen hätte. Während die Kirchen von Regensburg, Salzburg und Freising ihren ersten Bischof in den Ruf der Heiligkeit brachten, führte Passau seinen Gründer in die Volkssage ein und machte ihn zum Opfer des Unterganges der ersten Hauptstadt, um den anderen den Rang abzulaufen. Den Anforderungen der Passauer Kirche gegenüber ist festzuhalten, daß nicht, wie sie vorgibt, das Christentum in Baiern aus römischer Wurzel erwuchs, sondern als Neuschöpfung entstanden ist: Ausgangspunkt für die beiden Bekehrungen des Landes war zuerst die alte (Lorch) und sodann die zweite Hauptstadt (Regensburg), niemals jedoch und in keiner Weise die Dreiflüssestadt und ebensowenig Salzburg. In die letzte Zeit Herzogs Hugbert fällt ferner der erste Aufenthalt (und die zweite Ankunft) des päpstlichen Sendboten B o n i f a z in Baiern; dieser hatte inzwischen (722) in Rom die bischöfliche Weihe und zehn Jahre später die Würde eines Erzbischofs erhalten; er war als Leiter der Mission in Germanien — und das ist das Neue — Rom unmittelbar unterstellt, ohne dabei einen festen Sitz inne zu haben und über eine bestimmte Kirchenprovinz zu verfügen 1 ). Uber Voigt, Staat u. Kirche seit Konstantin S. 346 f.

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sein damaliges Verweilen weiß Willibald bloß zu berichten, sein Heiliger hätte dort mit großem Fleiß gepredigt und viele Kirchen besucht; als einziges bestimmtes Ereignis führt er nur die Verdammung eines Ketzers Eremwulf an 1 ). Schon das deutet darauf hin, daß Bonifaz damals nicht tiefer in das baierische Kirchenwesen eingriff und die Dauer seines Besuches kurz w a r ; vielleicht wollte der Papst von ihm zunächst nur einen Bericht über die dortigen Zustände. Die wenigen Worte, die Willibald bietet, sind zudem noch teilweise richtig zu stellen oder doch einzuschränken: es ist kaum glaublich, daß damals, nach einem eben überwundenen Rückschläge des erst kurz vorher begonnenen Bekehrungswerkes, schon viele Gotteshäuser in Baiern bestanden; sagen doch die gut unterrichteten Salzburger Nachrichten, Hugberts Nachfolger Odilo hätte erst begonnen, Kirchen zu bauen und auszustatten; sie bringen damit deutlich zum Ausdruck, daß bis dahin außer den in den Herzogsburgen geschützten Bischofskirchen nur wenige Gotteshäuser vorhanden waren. Es lebten jedoch schon damals aufrichtige Christen im Lande. Das zeigt die hieher gehörige Aufnahme Sturms, des späteren Gründers und Abtes von Fulda, in die Gefolgschaft des Heiligen; er war der erste Baier, den wir als Ordensmann (Benediktiner) kennen und stammte aus vornehmem Geschlechte. Die Masse des Volkes selbst war aber noch, wie Eigil, der Schilderer seines Lebens, sagt, „durch alte Berührungen mit den Heiden und verkehrte Lehren angesteckt" 2 ). Wenn die „Kurzen Nachrichten" Odilo als ersten Freund der Kirche und der Priester rühmen, bringen sie ihn in Gegensatz zu seinen Vorfahren. Schon hiedurch ist bewiesen, daß die Einführung des Christentums in Baiern nicht von den Landesfürsten ausging; auch danach wufde also diesen die neue Lehre aufgedrängt. Wir erinnern uns da sofort der wichtigen Stelle im Baierischen Volksrecht, wonach der Landesbischof nicht vom Herzoge, sondern vom 1

) Hisque omnibus rite confectis, Baguariorum temporibus Hugoberti ducis adiit térras praedicationisque Studium apud eos diligentissime exercuit et multas considerando circuit ecclesias. Vitae s. Bonifatii S. 35, 141. 2

) ab antiquis tarnen paganorum contagiis et perversis dogmatibus infectos. Mon. Germ., Script. 2, S. 366; dazu M. Tangl, Bonifatiusfragen, Abhandl. d. Berliner Akad. d. Wissenschaften, Jahrg. 1919, Nr. 2, S. 34 f.

11. Herzog Hugbert als Gründer des Bistums Passau.

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Könige eingesetzt ist (1/10), um zu wissen, wer als Gewaltträger dahinter steht. Beide Angaben stützen und ergänzen sich daher gegenseitig und zeigen, daß die zweite Bekehrung ebenso wie die erste ein Werk der fränkischen Königsgewalt ist. Der Unterschied liegt bloß in äußeren Formen: während das erstemal die Einführung des Christentums in Baiern die merowingischen Könige Chlothar II. und Dagobert I. vollzogen, geht die zweite Bekehrung auf die fränkischen Hausmeier Pippin den Mittleren und seinen Sohn Karl Marten zurück; hier wie dort war sie eine Folge der staatlichen Abhängigkeit vom Frankenreiche. Die Wirksamkeit der Glaubensboten beansprucht mithin durchaus nicht jene überragende Bedeutung, die ihnen die spätere Zeit zuschreibt, indem sie ihnen das schwierige Werk zumißt; nicht sie, sondern die fränkischen Könige sind die eigentlichen Bekehrer des Landes; ohne diesen Rückhalt hätten sie nicht viel vermocht. Wie hätten auch die ersten Glaubensprediger, die anfangs nicht einmal die Landessprache beherrschten, mit der Gewalt und Überzeugungskraft ihrer Worte durchschlagende Erfolge erzielen können? Das äußere Gelingen war ihnen freilich verbürgt. Ihre Aufgabe, innere Unterwerfung zu erzielen, w a r jedoch durch die Herkunft ihrer Berufung erschwert: das Volk sah zunächst in ihnen nicht Verkünder einer neuen Heilslehre, sondern Sendlinge einer verhaßten Fremdherrschaft. Sie hatten daher ein unendlich schwieriges Werk zu vollbringen und mußten hiefür ihr Leben einsetzen, ohne hoffen zu dürfen, viel auf innere Zustimmung rechnen zu können; sie hatten nur den einen Trost, daß die Fortdauer der fränkischen Herrschaft und die Zeit allmählich das richten werden, w a s sie selbst besorgen wollten. Das baierische Volk hat keine andere Haltung eingenommen als seine Herzoge; es blieb gleichfalls innerlich noch lange dem Glauben seiner Väter und den heidnischen Göttern treu und nahm das Christentum zunächst nur äußerlich an. Sein Verhalten zur neuen Lehre w a r nicht viel anders als später zur Zeit der Glaubensspaltung; der Unterschied liegt wieder nur in der politischen Entwicklung: nachmals hat der Landesherr das Bekenntnis seiner Untertanen bestimmt, jetzt hingegen die Reichsgewalt; früher wie später hat das eigentliche Landvolk nicht aus innerem Drange seinen Glauben gewechselt, sondern hat ihm stets, solange es konnte, seine Treue bewahrt.

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II. D a s Stammesherzogtum Baiern und das Christentum.

12. Die kirchliche Neuordnung Baierns durch Bonifatius (739). Während der päpstliche Abgesandte das erstemal in Baiern nur durchzog und das zweitemal das Kirchenwesen unberührt ließ, suchte er es bei seinem dritten Aufenthalte neu zu gestalten. Das ging um so leichter, als O d i l o der erste baierische Herzog war, der dem Christentume nicht nur äußerlich, sondern auch innerlich ergeben war und gleich Theodo am Papste einen Rückhalt gegen das Frankenreich zu gewinnen suchte. Die erhaltenen Briefe des Bonifatius geben hierüber hinreichenden Aufschluß. Noch während der Anwesenheit des Heiligen in Rom hatte Gregor III. „die Bischöfe in der Provinz der Baiern und Alemanniens Wiggo, Liudo, Rydolt und Phyphylo sowie Adda" 1 ) aufgefordert, seinen Stellvertreter mit gebührenden Ehren zu empfangen; er ermahnt sie zugleich Glauben und Gottesdienst nach Vorschrift der römischen Kirche und den Weisungen seines Abgesandten zu halten sowie den Brauch und die Lehre des Heidentums oder der herumziehenden Briten oder falscher, irrgläubiger Priester oder Ehebrecher zurückzuweisen 2 ); sie sollten ferner das Volk von den Totenopfern ferne halten. W o es sein Legat befehle, hätten sie zu einer Kirchenversammlung zusammenzutreten, sei es an der Do«au oder in der Stadt Augsburg (in civitate Augusta) oder wo immer dieser es für gut befände. Am 29. Oktober 739 antwortet Gregor III. bereits auf einen nicht mehr vorhandenen Bericht, den ihm Bonifaz aus Baiern erstattet hatte; darnach fand dieser das Volk außerhalb, der kirchlichen Ordnung, indem es keine Bischöfe im Lande hätte außer einen namens Vivilo, den wir selbst, sagt der Papst, vor einiger Zeit weihten; eben deshalb, so lautete die Nachricht seines Sendboten, hätte er mit Zustimmung des Herzogs und der Großen d r e i a n d e r e episcopis in provincia Baioariorum et Alamannia constitutis Viggo, Liudoni, Rydolto et P h y p h y l o seu Addae.

Mon. Germ., Epistolae

selectae 1 (1916) S. 70.

Der Herausgeber M. Tangl hat ferner noch die Briefe d e s Bonifatius (1912) und dessen Leben von Willibald (1920) in den „Geschichtschreibern der deutschen Vorzeit" übersetzt. 2

) Et gentilitatis ritum et doctrinam

vel venientium

Brittonum vel

falsorum

sacerdotum hereticorum sive adúlteros aut undecumque sint rennuentes ac prohibentes abiciatis. Mon. Germ., Epistolae selectae 1, S. 71.

12. Die kirchliche Neuordnung Baierns durch Bonifatius (739).

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zu Bischöfen geweiht und das Land in vier Sprengel geteilt, so daß jeder Bischof seine Pfarre (Diözese) habe 1 ). Gregor III. lobt das Vorgehen seines Stellvertreters und ermahnt ihn, die Uberlieferung des römischen Stuhles zu lehren. Betreffs der Priester, bei denen die Gültigkeit ihrer Weihe zweifelhaft war, indem nicht feststand, ob jene, die sie weihten, Bischöfe waren oder nicht, weist der Papst seinen Bevollmächtigten an, Männer guter Führung, die im Dienste Christi brauchbar sind und das heilige Gesetz kennen, die Weihe zu erteilen. Jene, die zwar in der Sprache der Heidenschaft, aber doch im Namen der Dreieinigkeit getauft wurden, sollen durch Handauflegen und mit dem Salböl gefirmt werden. Bischof Vivilo, fährt der Papst fort, sei von ihm geweiht; habe er sich irgendwie gegen die kanonische Vorschrift vergangen, so soll ihn Bonifaz nach der Überlieferung der römischen Kirche belehren und zurechtweisen. Schließlich erinnert ihn Gregor, der angekündigten Synode am Ufer der Donau nicht zu vergessen und sich dort kraft apostolischer Machtbefugnis einzuführen; er möge nicht erlahmen, das Wort des Heils zu predigen, damit das Christentum wachse und sich ausbreite. Willibald, der bereits aus der Briefsammlung seines Helden schöpfte, weiß hierüber im siebenten Abschnitte folgendes zu sagen: Bonifaz weilte bei den Baiern viele Tage predigend, erneuerte die Heiligtümer des Glaubens und vertrieb die Zerstörer der Kirchen und Verderber des Volkes. Von diesen, fügt er hinzu, maßten sich einige schon seit langem fälschlich das Bischofsamt an 2 ), gar manche übertrugen das Priestertum sich selber, andere hinwieder verführten eine- große Menge, indem sie dies und vieles weitere erdichteten. Da, fährt er fort, hielt der heilige Mann Herzog und Volk ab von der ungerechten, ketzerischen und falschen Sekte und von den unzüchtigen Priestern, die es betrogen 3 ). Dann teilte er das Land im Einverständnis mit dem Herzoge in vier Sprengel, denen Igitur quia indicasti perrexisse te ad gentem Baioariorum et invenisse eos extra ordinem ecclesiasticum viventes, dum episcopos non habebant in provincia nisi unum nomine Uiuilo, quem nos ante tempus ordinavimus, et quia cum assensu Otile ducis eorumdem Baioariorum seu optimatum provinciae illius tres alios ordinasses episcopos, et in quattuor partes provinciam illam divisistis, id est quattuor parrochiae, ut unusquisque episcopus suum habeat parrochium. Ebendort S. 72. 2 ) Quorum alii pridem falso se episcopatus gradu praetulerunt. Vitae s. Bonifatii S. 37. 3 ) ducem cunctumque vulgum ab iniusta hereticae falsitatis secta et fornicaria sacerdotum deceptione cohercuit. Ebendort S. 38.

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II. Das Stammesherzogtum Baiern und das Christentum.

er vier geweihte Bischöfe vorsetzte: der erste namens Johannes erhielt den Stuhl von Salzburg, der zweite, Erembert, bekam Freising und der dritte, Gaubald, empfing das Hirtenamt in der Stadt Regensburg. Als Bonifaz, so schließt Willibald seinen Bericht, die christliche Ordnung und das kanonische Recht in Baiern wieder hergestellt hatte 1 ), kehrte er zu den eigenen Kirchen zurück. Die Aussage des päpstlichen Abgesandten, er habe keine Bischöfe in Baiern angetroffen außer einen, hat die Forschung viel verwirrt: sie hält alle kirchlichen Oberhirten in Baiern vor Bonifaz für Wanderbischöfe und macht erst diesen dort zum Gründer der Bistümer; eben deshalb setzt sie auch das Baierische Volksrecht, das bereits bischöfliche Sprengel kennt, um ein Jahrhundert zu spät an; sie bezieht daher jetzt auch die im erstgenannten Schreiben Gregors III. erwähnten Bischöfe mit Ausnahme Vivilos alle auf Alemannien. Dem steht schon der Titel entgegen, der zuerst von einer Provinz Baiern spricht, während er für Alemannien nur den Landesnamen anführt und es Baiern nachsetzt. Die Anrede meint daher nicht etwa die Provinzen Baiern und Alemannien, sondern versteht in diesem Sinne nur das zuerst bezeichnete Land und denkt mithin bei Alemannien bloß an einen Teil; ja das Schriftstück verrät uns diesen noch näher, indem es später von der civitas Augusta spricht, wo allenfalls die angekündigte Synode stattfinden, wenn sie nicht an einem Donauorte (Regensburg, Passau) zusammentreten sollte. Daß dem wirklich so ist, ist auch aus der Art, wie die Bischofsnamen verbunden sind, zu ersehen: vor dem vierten (Vivilo) steht ein et und nach ihm ein seu; er schließt mithin eine Reihe ab und der nächste Name (Adda) steht vereinzelt, so daß er auf Alemannien (Augsburg) zu beziehen ist. Dazu kommt noch eine andere Beobachtung. Die vierte Stelle für Vivilo entspricht dem Alter, in dem die baierischen Bistümer errichtet wurden: 1. Regensburg, 2. Salzburg, 3. Freising und 4. Passau. Der Phyphylo des päpstlichen Schreibens ist daher bestimmt der erste Oberhirte der letztgenannten Stadt; er w a r dem Rang seiner Kirche nach der letzte Bischof von Baiern und steht daher am Ende der Reihe der Oberhirten dieses Landes, so daß das et vor seinem Namen durchaus begründet erscheint. Nach der Rangordnung müßte daher Wiggo (Wikpert) als Bischof nach Regensburg, Liudo nach Salzburg und Rydolt nach Freising gehören. *) et canonum sunt iura in Baguariis recuperata. Vitae s. Bonifatii S. 39.

12. Die kirchliche Neuordnung Baierns durch Bonifatius (739).

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Der erstere ist als Regensburger Oberhirt bestimmt nachweisbar, ja das schon erwähnte Salzburger Gedicht läßt die dortige Bischofsreihe mti ihm beginnen und bezeichnet ihn ausdrücklich als Vorgänger Gaubalds 1 ); er entstammte dem Hause der Agilolfinger und ist hochbetagt im Jahre 756, bis in seine letzten Tage mit Bücherschreiben beschäftigt, wohl in St. Emmeram gestorben 2 ). Aus all dem ist zu schließen, daß ihn Bonifaz absetzte und er nachher seinen Lebensabend im genannten Regensburger Kloster verbrachte 3 ). Seine Verwandtschaft zum Herzogshause dürfte bewirkt haben, daß er erst als drittes Opfer seine Stelle verlor, da Willibald seinen Heiligen vorher Salzburg und Freising besetzen läßt. Die „Kurzen Nachrichten" erzählen, daß der herzogliche Kaplan Ursus bei der Maximilianszelle in Pongau eine Kirche durch den sprengellosen Bischof Liuti einweihen ließ 4 ), wogegen Virgil Einsprache erhob und dort jeden Gottesdienst verbot. Seinen Namen bringt auch das Salzburger Verbrüderungsbuch und fügt ihn der Reihe der baierischen Bischöfe an 5 ). Da ihn das päpstliche Schreiben dem Range der Salzburger Kirche entsprechend an zweiter Stelle erwähnt, so ist er derselbe, den die dort entstandenen Geschichtsquellen ebenfalls als Bischof nennen; er gehört demnach bestimmt in die Salzachstadt. Daß er nicht in der Liste der Salzburger Bischöfe aufscheint, deutet wie sein Titel (episcopus vacans) darauf hin, daß ihn Bonifaz nicht anerkannte und er damit seinen Stuhl verlor. Da der im Papstbriefe als vierter erwähnte Vivilo Passau zuzusprechen ist und Wiggo nach Regensburg sowie Liudo nach Salzburg gehörte, so bleibt für den an dritter Stelle genannten Rydolt nur Freising übrig; das ist um so eher anzunehmen, als auch seine Reihung dem Altersrange seiner Kirche entspricht. Gregor III. kennt in seinem Schreiben demnach bereits, bevor er Bonifaz nach Baiern entsendet, dort vier Bischöfe, deren Namen er nach dem Altersrange ihrer Sitze reiht. Das allein schon setzt eine kirchliche Einteilung dieses Landes voraus und schließt Wan*) Mon. Germ., Script. 13, S. 352 = Poetae lat. 2, S. 638. 2 ) Mon. Germ., Script. 1, S. 18; Aventins W e r k e 2 (1882) S. 375. 3 ) Das hat schon Rettberg, Kirchengesch. Deutschi. 2, S. 269 f. erkannt. 4 ) et unum vacantem episcopum n(omine) Liuti ibidem advocavit. Salzb. Urkb. 2, A 9. Er w a r also nicht episcopus vagans, sondern vacans. 5 ) Liudinus ep. Mon. Germ., Necrol. 2, S. 26.

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II. Das Stammesherzogtum Baiern und das Christentum.

derbischöfe als Leiter des dortigen Kirchenwesens aus; es hat also dort schon v o r d e m A u f t r e t e n d e s B o n i f a z B i s c h ö f e m i t f e s t e n S i t z e n gegeben, deren Zahl nach wie vor vier blieb. Die Sprengeleinteilung des Landes geht daher nicht auf den römischen Sendboten zurück, sondern lag ihm schon vor; er mag sie in Einzelheiten berichtigt haben, zumal das knapp vorher entstandene Bistum Passau manche Veränderung in den Grenzen mit sich gebracht haben wird und das Fehlen von Teilherzögen seit Hugbert ein solches Beginnen erleichterte. Doch hinderte schon der Grundsatz, daß die kirchliche Einteilung der staatlichen folgen müsse, ein selbständiges Vorgehen des Legaten, ja die beiden Berichte hierüber heben eigens das Einverständnis des Herzogs Odilo hervor. Bonifaz schuf daher hierin nichts Neues, sondern anerkannte bloß das Alte: Baiern zerfiel nach wie vor in vier Bistümer! Das Schreiben Gregors III. an die baierischen Bischöfe ist noch aus einem anderen Grunde überaus wichtig; aus ihm läßt sich bei dem vorgeschriebenen Ubereinstimmen der politischen und kirchlichen Grenzen der sichere Schluß ziehen, daß damals das B i s t u m A u g s b u r g (civitas Augustana) staatsrechtlich • zu Baiern gehörte; es war ein Zugehör zum Herzogtum, da, wie die Anschrift zeigt, der Bischofssitz auf alemannischem Gebiete lag; in anderem Falle hätte ja das Stammesherzogtum nicht vier, sondern fünf Bistümer gezählt. Baiern zerfiel demnach damals in vier Gaue (civitates) mit den Vororten Regensburg (Hauptstadt), Salzburg, Freising und Passau und gebot noch überdies über das ganze Stadtgebiet Augsburg, das seiner Völkerschaft nach ursprünglich zu Alemannien gehörte. Das spricht dafür, daß die Baiern die Alemannen aus Rätien verdrängten und das Land bis an die Iiier besetzten; sie beließen zwar im Westen die vorgefundene Bewohnerschaft, trennten sie jedoch vom Stammlande ab und machten sie sich Untertan. Dieses Ergebnis lehrt aufs neue, daß die Baiern zunächst in Noricum einwanderten und erst von da aus nach Kämpfen mit den Alemannen ins zweite Rätien vordrangen und es bis zur römischen Grenzlinie besetzten. Der Dichter Fortunat nennt daher mit vollem Recht den Lech einen Fluß Baierns, da sich dessen Staatsgebiet noch über ihn hinaus erstreckte. Bis in die Zeit des Herzogs Odilo vermochte Baiern die Illergrenze zu halten, denn das Papstschreiben setzt sie als noch bestehend voraus, weil es das Bistum Augsburg mit Bischof Adda dieser Provinz anfügt (S. 93).

12. Die kirchliche Neuordnung Baierns durch Bonifatius (739).

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Nach Einhards Leben Karls des Großen bildete der Lech die Stammesgrenze zwischen den Baiern und Alemannen; damals war er jedoch auch schon Staatsgrenze 1 ). Der Wechsel wird noch unter Herzog Odilo erfolgt sein. Am 22. Oktober 741 starb Karl Martell, der ruhmreiche Besieger der Araber, der mächtige Hausmeier; gleich einem selbständigen Fürsten teilte er sein Reich unter seine beiden Söhne Karlmann und Pippin, wobei ersterer den deutschen Osten (Austrasien) erhielt. Das benützten die unterworfenen Völkerschaften, allen voran die Baiern, sich wieder selbständig zu machen. Im Jahre 743 erlitten diese an dem genannten Fluß eine schwere Niederlage. Der Fortsetzer Fredegars sagt hiebei, die Franken seien mit dem gesamten Heere in Baiern eingerückt und bis an den Lech gezogen 2 ), so daß, falls wir seinen Bericht wörtlich nehmen dürfen, der genannte Fluß zu Baiern gehörte, da die Franken dort einmarschierten und dann erst auf ihn trafen. Seine Angabe stimmt demnach mit der Anschrift des ersten Schreibens Gregor III. überein, da es ja die Bischofsstadt Augsburg zu Baiern rechnet. Nach den späteren Jahrbüchern von Metz gerieten bei diesem Treffen der vom Papste Zacharias (741—752) als Vermittler abgesandte Priester Sergius und Bischof Gaubald von Regensburg in fränkische Gefangenschaft 3 ). Anders wie früher, wo der Abfall vom Frankenreiche in Baiern stets eine Abkehr vom Christentume bedeutete, führte diesmal der Krieg mit dem alten Gegner zu einer engeren Verbindung mit Rom, das freilich vergeblich verhandelte. Doch eröffnet die Sendung des Sergius einen Blick in die Absichten des Baiernherzogs Odilo; er suchte gerade so wie Theodo einen Rückhalt am Papste im Kampfe für seine Selbständigkeit. Der besiegte Fürst behielt zwar, als er mit Karlmann im Jahre 744 Frieden schloß 4 ), seine Würde, doch erlitt sein Land, nach den kirchlichen Folgezuständen zu schließen, eine empfindliche Einbuße: die auffällige Errichtung der Bistümer Eichstätt (745) und Neuburg-Staffelsee 5 ) ist nur so zu erklären, daß die staatlichen Grenzen andere ge*) Is fluvius Baioarios ab Alamannis dividit. Cuius in ripa castris conlocatis, priusquam provinciam intraret. Schulausgabe von G. Waitz (1911) S. 14. 2 ) Conpulsi sunt generalem cum Francis in Bagoaria admoveri exercito; venientesque super fluvium qui dicitur Lech. Mon. Germ., Script, rer. Merov. 2, S. 180. 3

) Mon. Germ., Script. 1 S. 327 f.

4

) (F. Kurze) Annal. Fuld. (Schulausgabe 1891) S. 4. 5 ) Hauck, Kirchengesch. Deutschi. 1, S. 534—536; F. Zoepfl, Um das Bistum Neuburg-Staffelsee, Zeitschr. f. bayer. Landesgesch. 13 (1942) S. 94—101. 12

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II. Das Stammesherzogtum Baiern und das Christentum.

w o r d e n waren, da sie in ihren ländlichen Mittelpunkten nicht den kirchlichen Vorschriften entsprachen. Die Gründung des letzteren zeigt an, daß damals Baiern das Land zwischen Iiier und Lech v e r lor und dieser jetzt Staatsgrenze wurde. Die Augsburger Kirche büßte ferner noch das Gebiet östlich von ihm ein und an ihre Stelle trat dort das baierische Bistum Neuburg-Staffelsee. Dieses bestand indes nicht lange, da nach dem Sturze des Herzogshauses durch Karl den Großen die Diözese Augsburg wieder ihr altes Gebiet zurück erhielt D a s Kirchenwesen Baierns w a r demnach bei der Ankunft des Bonifaz vollständig g e o r d n e t : vier Bischöfe mit festen Sitzen im Lande selbst und noch ein hauptsächlich alemannisches Bistum in Augsburg. Nach all dem wird man nicht mehr sagen dürfen, erst Bonifaz hätte dieses Land kirchlich eingeteilt und eingerichtet. Gregor III. kennt ja ausdrücklich in seinem Geleitsbriefe für ihn die baierischen Oberhirten als Bischöfe an, deren Namen er anführt. Sein nächstes Schreiben an seinen Abgesandten selbst zeigt uns dasselbe. W e n n dieser nach Rom berichtete, er hätte in Baiern keine Bischöfe im Lande gefunden außer Vivilo, so meinte er damit nur solche, die den kanonischen Vorschriften entsprachen und deren Weihe er als gültig anerkannte; er hatte auch bei dem P a s s a u e r Bischöfe Bedenken, so daß ihn der Papst eigens erinnern mußte, er selbst hätte ihn geweiht. Bei den übrigen ist Gregor III. mit der Absetzung einverstanden, indem er es billigt, daß Bonifaz an deren Stelle „drei andere w e i h t e " (tres alios ordinasses episcopos); er sagt daher nicht, sein Abgesandter hätte zu Vivilo, als dem angeblich einzigen Bischof im Lande, noch drei weitere neu hinzugegeben, wie die Forschung glaubt. Das ist schon deshalb nicht möglich, da in diesem Falle Vivilo Landesbischof gewesen w ä r e und damit den Vorrang vor den anderen gehabt hätte. D a hätte es P a s s a u gar nicht nötig gehabt, auf Lorch zurückzugreifen, sondern w ä r e von sich selbst aus die Mutterkirche Baierns gewesen. Der Bericht Willibalds erklärt uns den tatsächlichen Vorgang noch näher. Nach ihm setzte Bonifaz zuerst den Bischof von Salzburg, dann den von Freising und schließlich jenen von Regensburg ein. Die angeführte Reihenfolge, die den in P a s s a u belassenen Vivilo nicht nennt, v e r r ä t schon, daß er vorher in den erst bezeichneten Städten die dort befindlichen Oberhirten entfernte. Alle drei w a r e n keine anderen als jene, von denen er früher vermerkt, einige

12. Die kirchliche Neuordnung Baierns durch Bonifatius (739).

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hätten sich bereits s e i t l a n g e m (pridem) das Bischofsamt angemaßt. Schon seine Angaben widerlegen die Ansicht, als ob erst Bonifaz das Kirchenwesen Baierns begründet hätte; denn wäre das wirklich der Fall gewesen, so hätte er nach kirchlicher Vorschrift zuerst mit der Hauptstadt Regensburg beginnen müssen und nicht vorher Salzburg und Freising besetzen dürfen. Das war nur möglich, weil bereits vor ihm die vier Bistümer bestanden und alle Bischofstühle vergeben waren. Da Bonifaz jetzt auf einmal gleich drei Bischöfe, die er bei seinem vorigen Aufenthalte noch unangetastet ließ, nicht anerkannte, so erklärte er auch ihr vorausgegangenes Werk für ungültig; eben deshalb nahm er eine neue Sprengeleinteilung vor. Dieser Vorgang besagt daher durchaus nicht, daß vorher keine solche bestand, sondern bedeutet im gleichen Sinne nur das eine, daß er sie so wenig wie die abgesetzten Bischöfe als kanonisch gültig anerkannte. Hätte Bonifaz tatsächlich erst die Sprengeleinteilung geschaffen, so wäre er als der Gründer der Bistümer in Baiern zu betrachten. Da hätte er aber dann bestimmt in seiner Meldung an den Papst diesen um die entsprechenden Errichtungsurkunden gebeten, wie er das bei den von ihm neu geschaffenen Bistümern Würzburg (Ostfranken), Buraburg (Hessen) und Erfurt (Thüringen) tat 1 ). Doch davon schweigt die Antwort Gregors III. Willibald schließt zudem seinen Bericht mit den vielsagenden Worten, sein Heiliger hätte in Baiern das kanonische Recht w i e d e r h e r g e s t e l l t (recuperata); damit gibt er selbst zu, daß es dort schon vorher eingeführt war, aber wieder verloren ging; er legt also den Brief Gregors III. an Bonifaz ganz anders aus als die Forschung und versteht richtig den Sachverhalt 2 ). Da erhebt sich die Frage, wann ist zum erstenmal in Baiern das kanonische Recht eingeführt worden? Das können nur die Abgesandten Gregors II. im Jahre 716 getan haben; die hatten schon die Weisung, im Sprengel jedes Teilherzogs ein Bistum zu errichten, H. Nottarp, Die Bistumserrichtung in Deutschland im achten Jahrh. (1920) S. 124 ff.; dazu Caspar, Gesch. d. Papsttums 2, S. 789f. 2 ) Schon der Benediktiner Arnold von St. Emmeram verkennt ihn, indem er wirkliche Bischöfe in Baiern vor Bonifaz nicht anerkennt: Gaubaldus, ante quem non solum haec eadem de qua nunc nobis est sermo, sed et ceterae in Baioaria absque certis episcopis post Romana tempora erant ecclesiae. Mon. Germ., Script. 4, S. 549. 12«

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II. Das Stammesherzogtum Baiern und das Christentum.

da Rom schon damals die Rechtmäßigkeit der dort wirkenden Bischöfe leugnete (S. 161 f.). Herzog Theodo ist mithin der Begründer des baierischen Kirchenwesens in doppeltem Sinne, indem er in Regensburg, Salzburg und Freising Bischofssitze schaffen und sie hernach durch den genannten Papst bestätigen ließ. Dieser verlangte in den von ihm erteilten Richtlinien nach den Beschlüssen von Nicäa bei Bischofsweihen die Anwesenheit von drei Bischöfen und, da der zuständige Metropolit fehlte, seine eigene Bestätigung. Die irische Kirche nahm es bei der Auswahl der Bischöfe nicht so genau, wie schon deren übergroße Zahl vermuten läßt 1 ). Ihre Weihen und Verrichtungen anerkannte daher bereits Gregor II. nicht und forderte deshalb den Aufbau des Kirchenwesens in Baiern vom Grunde aus. Das vorzeitige Ableben Theodos vereitelte jedoch das Werk, kaum als es begonnen war (S. 164). Der von Karl Martell eingesetzte Hugbert hatte bei Übernahme des Herzogtums nur die Gebote des fränkischen Hausmeiers zu befolgen, dem für Baiern ein Einvernehmen mit Rom nicht genehm war. Darauf deutet die Aussage Willibalds hin, daß die von Bonifaz abgesetzten Bischöfe schon lange im Amte waren. Doch als der baierische Fürst in Passau ein viertes Bistum errichtete, wirkte der Papst (Gregor III.) schon wieder mit, da er Vivilo weihte. Das war die Sachlage, die Bonifaz vorfand; eben deshalb entfernte er die ersten drei, beließ den vierten und grenzte die Bistümer neu ab, wie sie schon früher bestanden; er ergänzte daher bloß und schuf nicht von der Wurzel aus. Schon die germanischen Namen der von ihm nicht anerkannten Bischöfe (Wiggo, Liudo und Rydolt) zeigen, daß wir in ihnen keine „herumziehenden Briten" erblicken dürfen, ja der Papst forderte sie noch auf, gegen die letzteren aufzutreten. Das alles weist auf ihre fränkische, bzw. baierische Herkunft, aber doch auch auf die dort bestehende irische Kirchenart hin. Rom sah in ihren Vertretern, soferne sie nicht seinen Anforderungen entsprachen, eine ketzerische Sekte. Im übrigen beweisen die ganzen Vorgänge, daß Herzog Hugbert denselben Weg ging, wie ihn sein Großvater begonnen hatte. Sein Nachfolger Odilo hingegen beschritt die umgekehrte Bahn, als er zunächst Bonifaz gewähren ließ, jedoch nach der für ihn unglücklichen Schlacht am Lech vom fränkischen Hofe den irischen Bischof Virgil beigegeben erhielt, der hernach, zunächst ohne die *) E. Loening, Gesch. d. deutschen Kirchenrechts 2 (1878) S. 445.

12. D i e kirchliche N e u o r d n u n g B a i e r n s durch Bonifatius (739).

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Weihe zu erhalten, das baierische Kirchenwesen bestimmte. Die gesamten Vorgänge, die wir da erleben, spiegeln getreu den ständigen Kampf, den Baiern gegen das Frankenreich führte, wobei es wiederholt Rom zu gewinnen suchte. Dieses hinwieder bot ihm hiebei einen Rückhalt, um dort Fuß fassen zu können. Die baierischen Glaubensboten waren keine Wanderb i s c h ö f e , da sie alle einen festen Sitz hatten. Als Emmeram zum Landesbischof bestellt wurde, hatte er schon seinen Sprengel, eben die gesamte Provinz und die Hauptstadt Regensburg als bleibenden Aufenthaltsort. Als später Rupert nach Salzburg und Korbinian nach Freising entsendet wurden, hatte jeder wieder seinen Bezirk, den betreffenden Gau; damit wurde der Regensburger Landesbischof zwar immer mehr auf seinen Stadtgau beschränkt, aber dafür hatte er nach kirchlicher Sitte die Aufsicht über seine beiden Amtsbrüder. Das war nach irischer Kirchenart auch nicht anders; deshalb spricht ja Arbeo in unmittelbarem Zusammenhang mit dem Landesbischof von einem Provizialabte: das Regensburger Mutterkloster bekam so je eine Tochterstiftung in Salzburg und Freising. Wie kann man in einem Atem alle drei Glaubensprediger nach den Orten ihrer Wirksamkeit benennen und sie zugleich als sprengellose Wanderbischöfe bezeichnen! Das eine hebt doch das andere auf. In Salzburg kennen wir zudem die Namen sämtlicher Nachfolger Ruperts; dadurch ist schon diese Stadt als ihr fester Amtssitz erwiesen. Die Gründung der drei Bistümer Regensburg, Salzburg und Freising erfolgte noch unter Herzog Theodo, so daß die Einrichtung des Kirchenwesens in Baiern nicht erst als Abschluß, sondern vielmehr wie in Friesland als Beginn des Bekehrungswerkes zu bezeichnen ist; hiefür zeugt ja schon die eben angeführte Stelle bei Arbeo, wonach Emmeram gleich bei seiner Ankunft die Stelle eines Landesbischofs erhielt. Die Einführung des Christentums als amtliche Maßregel hat einen solchen Weg von selbst vorgezeichnet, so daß naturgemäß die politischen Mittelpunkte des Landes die Ausgangsorte der Bekehrung wurden; hiemit waren aber auch schon die Grenzen der kirchlichen Sprengel von vornherein festgelegt. Die natürlichen Gegebenheiten, die kirchliche Sitte und das Gebot des Landesfürsten ließen es daher nicht zu, daß etwa Rupert im Freisinger Bezirke oder Korbinian in Salzburg wahllos gottesdienstliche Handlungen vollzog. Nach Regensburg als Hauptstadt wurden Salzburg und Freising als Vororte der von

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II. D a s Stammesherzogtum Baiern und das Christentum.

Theodos Söhnen geleiteten Teilfürstentümer die ersten Pfarren (Bistümer) des Landes (S. 90 f.). Die Wanderbischöfe bildeten daher in der irischen Kirchenordnung nicht ihr Wesen, sondern dienten bloß als Ergänzung; sie waren bei ihren Verrichtungen an die zuständigen Bischöfe gewiesen, als deren Gehilfen sie anzusehen sind; sie sind nicht viel anders als die Chorbischöfe und später die Weihbischöfe nur mit dem Unterschied, daß sie nicht einem und demselben Sprengelbischof bleibend unterstanden, da sie sich in ihrer Tätigkeit nicht auf einen einzigen Amtskreis beschränkten; nur in dem fortwährenden, dem schottischen Reisetriebe entsprechenden Wechsel zeigt sich eine Besonderheit. Gleichzeitige Nachrichten über Wanderbischöfe sind sehr dürftig 1 ). Schon das zeigt an, daß sie bei weitem nicht jene Rolle spielten, die ihnen die Forschung zuschreibt. Die wenigen Angaben, die über sie vorliegen, sind überdies auch nicht immer so bestimmt, um sie sicher verwerten zu können. Das ist schon bei dem ersten Hinweis der Fall, der sich hierüber vorfindet. Die burgundische Kirchenversammlung von St. Jean de Losne, die zwischen 673 und 675 stattfand, verfügt, daß in einem Stadtgau nicht zwei Bischöfe sein dürfen, außer es sei einer ein peregrinus 2 ). Wir wissen, daß schon das Konzil von Nicäa ein solches Verbot erließ, doch schränkte es dies in keiner Weise ein. Das taten auch spätere Kirchenversammlungen nicht, sondern geschah auf einmal jetzt in einem Lande, wo sich seit einiger Zeit das Hauptkloster der irischen Mönche von Luxeuil befand. Das spricht schon dafür, daß hier unter peregrinus zunächst niemand anderer als ein Mitglied dieses Ordens zu verstehen ist, das neben dem Sprengelbischof wirkte. Es muß daher nicht ein Wanderbischof gemeint sein, der nur durchreist, sondern wird ein Bischof sein, der von der Fremde (Irland) gekommen ist und einen ständigen Aufenthaltsort (im Kloster) hat. Das Wort peregrinus gebraucht bereits Kolumban in seinen Briefen für sich und seine Mönche als gleichbedeutend mit schottisch 3 ); auch das Baierische Volksrecht kennt es schon in diesem Sinne (4/30 f.). Denselben Beinamen geben die „Kurzen Nachrichten" dem eben in *) Im Wortlaute bei Nottarp, Bistumserrichtung in Deutschi. S. 39 Anm. 2. ) Ut duo episcopi in una civitate non sint nisi peregrinus. Mon. Germ., Concilia 1 (1893) S. 218; H. Frank, Die Klosterbischöfe des Frankenreiches (1932) S . 2 2 . 2

3

) Mon. Germ., Epist. 3 (1892) S. 162, 165, 176; dazu unten S. 205 f.

12. Die kirchliche Neuordnung Baierns durch Bonifatius (739).

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Salzburg eingelangten Virgil 1 ); eine Urkunde Karls des Großen (788) bezeichnet ebenso den ihm beigegebenen Bischof Doddogrecus 2 ). Ein episcopus peregrinus ist daher nicht notwendig den Wanderbischöfen zuzurechnen, sondern bedeutet bloß einen irischen Klosterbischof (S. 200), der freilich unter Umständen auch die erstere Eigenschaft gehabt haben kann. Der Ausdruck episcopus vagans, den angeblich die Synode von Ver (755) gebraucht, ist wohl nur ein späterer Lesefehler und bedeutet ursprünglich bloß einen Bischof ohne Sprengel, also einen vacans, wie w i r bei Liuti von Salzburg sehen. Mit solchen befaßt sich bereits das Konzil von Antiochien (341) 3 ). Da sich ferner die fränkische Synode ausdrücklich auf die Vorschriften der Kirchenv ä t e r beruft, so hat sie nur Bischöfe ohne eigene Sprengel im Auge, die nicht notwendig Wanderbischöfe sein müssen 4 ). Die erste sichere Nachricht über Wanderbischöfe bringt die Verfügung von Verberie (756), die ihnen die Weihe von Priestern verbietet 5 ). Unbestimmter ist schon wieder die Angabe der Kirchenversammlung von Chälons (813), daß sich in manchen Orten Schotten aufhielten, die sich Bischöfe nennen; deren Weihen erklärt sie als ungültig 6 ). Alle diese Bestimmungen, die aus dem Frankenreiche vorliegen, zeigen, daß es sich um irische Bischöfe handelt, die keinen eigenen Sprengel hatten und daher dem ordentlichen Bischöfe (Ordinarius) unterstellt w a r e n ; sie w a r e n nicht selbständig, sondern nur Gehilfen der zuständigen Bischöfe. Nicht anders w a r es auf dem Boden des späteren Deutschlands. Die erste Synode, die dort im April 742 Karlmann abhielt, um die kirchlichen Schäden aus der Zeit seiner Vorgänger zu heilen, setzte über alle Bischöfe in den Stadtbezirken (per civitates episcopos) den päpstlichen Gesandten als Erzbischof; hiebei w a r das beiden Brüdern gehörige Baiern nicht vertreten, das damals, vor der Schlacht am Lech, sich wieder selbständig gemacht hatte. Sie bestimmt zunächst, daß jeder P r i e s t e r im Bistum (parrochia) einem Salzb. Urkb. 2, A 8. ) Mon. Germ., Dipl. Karol. 1 (1906) S. 219. Eine Freisinger Urkunde (804) nennt ihn advena episcopus Scottus. Freis. Trad. 1, S. 183. 3 ) Hefele, Conciliengesch. 1, S. 518. 4 ) Darauf hat schon Frank, Kloster.bischöfe S. 26 f. hingewiesen. 5 ) Ut ab episcopis ambulantibus per patrias ordinatio presbiterorum non fiat. Mon. Germ., Capitul. 1 (1883) S. 41. 6 ) Sunt in quibusdam Iocis Scotti, qui se dicunt episcopos esse. Mon. Germ., Concilia 2/1 (1906) S. 282. 2

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II. Das Stammesherzogtum Baiern und das Christentum.

Bischof unterstellt sei. Gleich hernach verfügt sie, daß „alle, von wo immer herkommenden unbekannten Bischöfe und Priester vor der Prüfung durch eine Synode zu einem kirchlichen Dienste nicht zugelassen werden" 1 ). Die Wanderbischöfe waren niemals Leiter von Bistümern, sondern versahen nur Aushilfen für die zuständigen Sprengelbischöfe. Nach dem Ausbau der Seelsorge auf dem Lande hörte ihre Wirksamkeit von selbst auf, da sie nicht mehr nötig war. Aus Baiern selbst liegt über Wanderbischöfe keine einzige gleichzeitige Nachricht vor, die jeden Zweifel ausschließt. Papst Gregor III. warnt in dem Geleitbriefe für Bonifaz die baierischen Bischöfe nur vor den herumziehenden Briten und falschen Priestern, doch spricht er im folgenden Schreiben an seinen Abgesandten von Geistlichen, die ihre Weihen von „Männern" (viri) empfingen, die unbekannt und von denen es nicht feststeht, ob sie Bischöfe sind. Da Baiern ein neu bekehrtes Land war, das seine Priester aus dem Frankenreiche erhielt, so werden viele von ihnen ihre Weihen schon dort empfangen haben; doch läßt noch immer der verbleibende Rest, der naturgemäß in Baiern selbst zur Priesterschaft gelangte, auf das Wirken von Wanderbischöfen im Herzogtume schließen. Ihr fortwährendes Herumziehen und die Ungewißheit über ihre Herkunft zeitigten viele Gebrechen, zumal als die harte Zucht, die Kolumban forderte, nachließ und die fränkische Kirche immer mehr entartete. Klagt doch Bonifaz selbst (742), daß bei ihr nach Aussage bejahrter Männer seit mehr als achtzig Jahren keine Synode stattgefunden und sie ebensolange keinen Erzbischof hätte; die Bischofstühle wären dort zumeist habgierigen Laien und eingedrungenen, der Unzucht und dem Gelderwerb fröhnenden Geistlichen nur zum weltlichen Genuß überantwortet; er geißelt hernach scharf die in der Priesterschaft herrschende Wohllust und fährt dann fort, es gäbe dort Bischöfe, die zwar behaupten, keine Wüstlinge und Ehebrecher zu sein, die aber Trinker, Zänker oder Jäger sind, im Aufgebote zu Felde ziehen und mit eigener Hand Blut von Christen und Heiden vergießen 2 ). Wenn auch Bonifaz in seinem glühenden Eifer in manchem übertreibt, so bleibt doch bestehen, daß, wie 3

) omnes undecumque supervenientes ignotos episcopos vel presbíteros ante probationem synodalem in aecclesiasticum ministerium non admitteremus. Mon. Germ., Concilia 2/1, S. 3; vgl. dazu S. 35 ( S y n o d e von Soissons). 2 ) Mon. Germ., Epistolae selectae 1, S. 82.

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Papst Zacharias antwortet, im Reiche Karlmanns die kirchliche Satzung und Zucht ganz und gar gewichen war 1 )Kein Wunder, daß bei dem Niedergange der fränkischen Kirche auch die irische Priesterschaft immer mehr von ihrer ursprünglichen Höhe herabsank und in die zu bekehrenden Länder Glaubensboten entsandte, die in ihrem Leben ihrer hehren Sendung nicht entsprachen. Erinnern wir uns hiebei der schweren Anklage, die das baierische Herzogshaus gegen Emmeram erhob; auch von Korbinian sagte, wie gleichfalls Arbeo berichtet (c. 36) eine Frau aus, sie hätte mit ihm geschlechtlich verkehrt. Wenn auch die baierische Kirche ein Ableger der fränkischen war, so war sie es doch vorwiegend in ihrem besseren Teil, dem irischen. So scharfe, Einzelheiten bringende Urteile sind daher über das neubekehrte Land nicht zu hören. Papst Gregor III. mahnt daher bloß die gleich hernach abgesetzten Bischöfe, ehebrecherische Priester zurückzuweisen. Willibald weiß nur zu berichten, sein Heiliger hätte Herzog und Volk von der ketzerischen Sekte und den unzüchtigen Priestern, die es betrogen, zurückgehalten. Bonifaz selbst schweigt zwar hierüber, doch redet dafür sein Vorgehen, daß er von vier Bischöfen gleich drei absetzte und auch den vierten entfernen wollte, eine beredte Sprache. Die Fragwürdigkeit der von ihm nicht anerkannten Weihen kann nicht der Grund sein, da er, wie die päpstliche Antwort zeigt, das Hauptgewicht auf gutes Verhalten (bona actio) zu legen und sie bei Priestern in einem solchen Falle zu wiederholen hatte. So schlimm, wie es das Strafgericht des Legaten Glauben machen will, war die Lage der baierischen Kirche bestimmt nicht. Nichts spricht lauter für die feste Grundlage der dort von den Iroschotten geleisteten Missionsarbeit, als die unleugbare Tatsache, daß das von Bonifaz fortgeführte Werk guten Bestand hatte. Die von ihm gegründeten Bistümer in Hessen und Thüringen (Büraburg und Erfurt) hingegen gingen bald wieder ein, weil eben keine Unterlage da war, auf die er hätte aufbauen können. Von den irischen Mönchen selbst liegen keine Berichte vor, so daß nur solche Vergleiche auf annähernde Wirklichkeit schließen lassen. Die wandernden Priester und Bischöfe hat übrigens nicht etwa die keltische Kirche eingeführt. Schon der Ordensstifter Benedikt spricht im ersten Abschnitte seiner Regel von dem herumziehenden *) quod omnis ecclesiastica regula sive disciplina ab eadem provincia funditus abolita est. Mon. Germ., Epistolae selectae 1, S. ST.

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II. Das Stammesherzogtum Baiern und das Christentum.

Mönche (gyrovagus), der sein Leben lang Länder durchwandert und drei oder vier Tage in einer Herberge verbringt; er nennt diese Art unbeständig und hält sie der Wohllust sowie der Völlerei ergeben 1 ). Das sind dieselben Klagen, zu denen sich d"er Benediktiner Bonifaz in Baiern veranlaßt sah; sie sind übrigens dort noch viel später zu hören. So sah sich die Synode von Reisbach noch im Jahre 798 genötigt, die Bischöfe zu beauftragen, gegen die herumwandernden Geistlichen vorzugehen, die sich als Bischöfe ausgäben und sich herausnähmen, Kirchen und Priester zu weihen 2 ). Nach seinem Auftreten lassen sich also dort noch lange nachher immer die gleichen Ubelstände feststellen, so daß er sie nicht auszurotten vermochte; er hatte es eben nicht mit einer Besonderheit des von ihm untersuchten Landes zu tun, sondern mit einem Zeitübel, das auch anderswo herrschte. Das scharfe Vorgehen des Bonifaz gegen das irische Kirchenwesen wird manchmal auf seine angelsächsische Stammesart und auf den Haß, der zwischen beiden Völkern herrschte, zurückgeführt. Für eine solche Annahme liegt kein hinreichender Grund vor. Hat doch bereits im Jahre 716 Gregor II. die in Baiern wirkenden (irischen) Bischöfe nicht anerkannt (S. 163). Bonifaz tat dort nichts anderes als das, was schon der genannte Papst wollte; er fällte übrigens über die fränkische Kirche ein viel härteres Urteil als über die keltische; der von ihm eingesetzte Bischof Gaubald von Regensburg erhob die Gebeine Emmerams und Burchard von Würzburg tat das gleiche für Kilian, wobei der Legat selbst die Erlaubnis des Papstes Zacharias erwirkte 3 ). Die Geschichte der Ordensreformen liefert ähnliche Beispiele. Wie hart klingt manchmal ein Befund nach einer Untersuchung und wie rasch meldet nachher ein anderer derselben Richtung von dem gleichen Kloster eine hohe Blüte. Das erklärt sich daraus, daß jede Observanz ihre besonderen Lebensgewohnheiten hatte, die deren Vertreter im Ubereifer manchmal schon dort forderten, wo sie noch gar nicht eingeführt w a r e n ; ihnen erschien in solchen Fällen jedes *) H. Grünewald, Die pädagogischen Grundsätze der Benediktinerregel (1939) S. 113—117, 141. 2 ) praevideant, ut istis girovagis, qui circumeunt mundum et seducunt multos, dicunt se esse episcopos, quod non sunt, et per praesumptionem aecclesias Dei praesumunt sacrare, clericos ordinare, alios ad presbyterii gradum benedicere, quod nullatenus oportet hoc fieri. Mon. Germ., Concilia 2/1, S. 200 f. 3

) Mon. Germ., Script, rer. Merov. 5, S. 728.

13. Bonifaz im Kampfe mit Bischof Virgil von Salzburg.

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Abweichen von ihrer Richtschnur als eine Verfehlung 1 ). Bonifaz sah als Angelsachse und Benediktiner und hatte daher landfremde Verhältnisse und eine ganz andere Ordensregel im Auge als das irische Kirchenwesen und die Vorschriften Kolumbans ihm darboten. Das allein schon genügt, sein scharfes Eingreifen zu erklären, ohne dabei an Rassenhaß denken zu müssen 2 ). Doch dürfen wir nicht nach seinem harten Urteil m e s s e n ; er hebt bloß Dinge hervor, die ihm als Fehler erschienen, übersah aber vollends wie einst Gregor II. (716) das große W e r k , das die irischen Glaubensboten vollbrachten. Seine Leistung erschien hiedurch der Nachwelt viel größer als sie w a r . 13. Bonifaz im Kampfe mit Bischof Virgil von Salzburg. Den schwersten Kampf hatte Bonifaz mit V i r g i l , dem Nachfolger des von ihm eingesetzten Bischofs Johannes von Salzburg, auszufechten. Herzog Odilo erscheint hier auf einmal nicht mehr als Beschützer des Legaten, sondern als Schirmherr Virgils. Das w a r e n die Folgen seiner Niederlage am L e c h ; er w a r jetzt nicht mehr unabhängig, sondern mußte die Wünsche der fränkischen Hausmeier erfüllen. Virgil verließ als Abt des Klosters Aghaboe in Irland seine Heimat und kam eben ins Frankenreich, als dieses mit Baiern Krieg führte. Pippin fand Gefallen an dem gelehrten Mann, behielt ihn fast zwei Jahre bei sich und entsandte ihn sodann nach Baiern. Am 1. Juli 746 schreibt P a p s t Zacharias an Bonifaz, es hätten sich zwei dort wirkende Mönche Virgilius und Sidonius über ihn beschwert, daß er in einem Falle die Taufe hätte wiederholen lassen, w o der sie spendende Priester den Namen der Dreifaltigkeit bloß aus Unkenntnis der lateinischen Sprache nicht ganz richtig auss p r a c h ; er billigt hierin nicht das Vorgehen seines ängstlichen Abgesandten 3 ). Am 1. Mai 748 a n t w o r t e t derselbe P a p s t u. a. auf ein Schreiben, worin Bonifaz über Virgil und dessen Lehre bittere Klage f ü h r t e : „Du, heiliger Bruder, gabst uns bekannt, daß jener Virgil — w i r wissen nicht, ob er als P r i e s t e r zu bezeichnen ist — deshalb, weil du ihn der Irrlehre überführt hast, beim Baiernherzoge Zibermayr, Die Legation des Kard. Nik. Cusanus S. 28 f. ) Ähnlich urteilt Hauck, Kirchengesch. Deutschi. 1, S. 557 f. 3 ) Mon. Germ., Epistolae selectae 1, S. 141. 2

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Odilo gegen dich schürt, um Haß zwischen dir und ihm zu säen; er behauptet dabei, von uns losgesprochen und in einem Bistume Nachfolger eines verstorbenen Bischofs geworden zu sein aus der Zahl der vier, die du eingesetzt hast 1 ). Das ist keineswegs wahr, denn nur ,seine Bosheit hat ihm das vorgelogen'. W a s aber seine verkehrte und sündhafte Lehre betrifft, die er wider Gott und zum Schaden seiner Seele geäußert hat, — wenn es sich nämlich klar erweist, daß er lehrt, es gäbe noch unter der Erde eine zweite Welt und andere Menschen und ebenso Sonne und Mond — dann berufe eine Synode ein, entkleide ihn der Priesterwürde und verstoße ihn dann aus der Kirche." Der Papst fügt noch hinzu, er habe auch dem genannten Herzog geschrieben und Virgil zu sich vorgeladen; die Berichte über ihn und Sidonius habe er zur Kenntnis genommen und sie beide verwarnt; er versichert ihm noch, ihm mehr zu glauben als ihnen, ermahnt ihn jedoch, sich nicht vom Zorne hinreißen zu lassen und Geduld zu üben. Das Schreiben läßt uns die Schärfe des Kampfes ahnen, den Bonifaz mit Virgil zu bestehen hatte. Dieser, der Sendling des fränkischen Hausmeiers, war nicht nur stärker als der Abgesandte des Papstes, sondern ihm auch geistig weit überlegen; er war ein hervorragender Vertreter irischer Gelehrsamkeit und gehörte zu den ganz wenigen, die nach der vergessenen Lehre der Griechen wieder die Kugelgestalt der Erde verfochten und daraus auf das Vorhandensein von Gegenfüßlern (Antipoden) schlössen. Seine Zeit hingegen sah in ihr eine Scheibe und glaubte, das aus der Bibel beweisen zu können. Dem Bonifaz galt daher Virgil als Ketzer. Wie sich dieser zu rechtfertigen verstand, wissen wir nicht; doch blieb er noch lange verdächtig, da er erst viel später die bischöfliche Weihe erhielt. Sein mit ihm verbundener Mitbruder Sidonius erscheint am 8. August 754 urkundlich als Bischof von Passau 2 ). Nach der „Bekehrungsgeschichte" (Conversio) entsandte Pippin von seinem Hoflager den Abt Virgil zum Herzoge Odilo nach Baiern und verlieh ihm dort den Bischofsstuhl von Salzburg. Dieser weigerte sich jedoch nach derselben Quelle fast zwei Jahre lang, die Weihe anzunehmen und ließ die gottesdienstlichen Verrichtungen 1

) unius defuncti ex quattuor Ulis episcopis, quos tua illic ordinavit fraternitas, diocesim obtinere. Mon. Germ., Epistolae selectae 1, S. 178. 2 ) Passauer Trad. S. 5.

13. Bonifaz im Kampfe mit Bischof Virgil von Salzburg.

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eines Bischofs durch seinen Landsmann Doddogrecus besorgen; endlich, so fährt sie fort, gab er den Bitten des Volkes nach und empfing am 15. Juni 767 die Bischofsweihe 1 ). Die Forschung hat schon lange erkannt, daß die angeführten Jahresangaben nicht stimmen und hat jüngst mit guten Gründen die Bischofsweihe Virgils auf den 15. Juni 755 angesetzt 2 ); doch gelangt auch sie hiebei auf einen Zeitpunkt, wo Bonifaz und Papst Zacharias kurz vorher gestorben waren. Es bleibt also zwischen Ernennung und Weihe noch immer ein Zeitraum von mehr als sieben Jahren. Die auffallende Tatsache wird in der irischen Sonderart erklärt, wonach der Abt öfter einen Bischof neben und unter sich gehabt hätte. Das trifft in diesem Falle schon deshalb nicht zu, als eine eben durch den Tod des von Bonifaz eingesetzten Johannes freigewordene Stelle eines ordentlichen Sprengelbischofs (Ordinarius) zu besetzen war. Dieser war knapp vor dem zuletzt genannten Papstschreiben vom 1. Mai 748 mit dem Tode abgegangen und bald hernach starb Odilo. Die „Kurzen Nachrichten" melden, daß er noch Virgil den erledigten Salzburger Bischofsstuhl übertrug 3 ). Ihre Aussage widerspricht keineswegs der Angabe der „Bekehrungsgeschichte", wonach diesem Pippin den Salzburger Sitz verlieh, da der Herzog ja als unterjochter Fürst im Auftrage seines Oberherrn zu handeln hatte. Jetzt begreifen wir den Sachverhalt des eben erwähnten Briefes, wo Zacharias auf eine Beschwerde seinem Abgesandten Bonifaz antwortet. Damals (1. Mai 748) war Virgil bereits ernannter Bischof, wenn auch der Papst sagt, er wisse nicht, ob er als Priester zu bezeichnen sei, da er später selbst anfügt, der als Ketzer angeklagte Oberhirt behaupte, in Baiern der Nachfolger eines verstorbenen Bischofs geworden zu sein, den sein Stellvertreter eingesetzt hatte. Als Odilo noch selbständig war, ließ er demnach die Bischöfe in seinem Lande vom Papste auswählen; jetzt auf einmal nimmt dieses Recht der siegreiche Hausmeier des Frankenreiches P i p i n u s . . misit eum praefato duci Otiloni, ac concessit ei episcopatum Salzburgensem. Qui dissimulata ordinatione ferme duorum annorum spatiis, habuit s e c u m proprium episcopum comitantem de patria nomine Dobdagrecutn ad persolvendum episcopale officium, c. 2. Letzterer hatte später die Abtei Chiemsee inne. Mon. Germ., Dipl. Karol. 1 (1906) S. 219; dazu Riezler, Gesch. Baierns 1/1, S. 198 Anm. 3. 2

) Krusch in der Schulausgabe Arbeos S. 132f.; Widemann im Oberbayer. Archiv 59, S. 12 f. 3 ) cum Vigilivs peregrinus donante Otilone duce suscepit reginem ipsius Iuuauensis sedis et episcopatum. Salzb. Urkb. 2, A 8.

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II. Das Stammesherzogtum Baiern und das Christentum.

in Anspruch. Ein ähnlicher Vorfall ergab sich wohl aus gleichem Anlaß dort bereits im Jahre 744 (November), w o Zacharias auf Betreiben seines Abgesandten einen nicht als Bischof anerkannte, der behauptete, von ihm selbst geweiht worden zu sein 1 ). Derselbe P a p s t stellt jetzt ebenfalls in Abrede, von der Nachfolge Virgils e t w a s zu wissen, ja wir erfahren, daß dieser schon damals angeklagt w a r . Die schon angeführte Lösung entspricht genau der Sachlage: der von Pippin ernannte Salzburger Bischof bleibt V e r w a l t e r des ihm verliehenen Bistums, doch Rom verweigert ihm die bischöfliche W e i h e ; deshalb ist Virgil genötigt, einen mit ihr versehenen Stellvertreter an der Seite zu haben, der für ihn die einem Sprengelbischof zukommenden gottesdienstlichen Handlungen verrichtet. Ob da eine gegenseitige Vereinbarung zwischen Pippin und dem P a p s t e vorliegt und welche Rolle hiebei Odilo und Virgil gespielt haben, wissen wir nicht. Doch läßt sich aus dem Streite um die Maximilianszelle ermessen, wie tatkräftig letzterer die Rechte seines Hochstiftes verteidigte und wie fest und unbeugsam er seinem Herzoge e n t g e g e n t r a t ; ja er ließ, wie wir schon wissen, die von dem Hofkaplan des Odilo dort erbaute und seinem zweiten Vorgänger Liuti geweihte Kirche schließen und verbot in ihr den Gottesdienst 2 ). Virgil steht eben wie die ersten Glaubensboten in diesem Lande unter fränkischem Schutze und darf sich daher ein solches Vorgehen erlauben. Die Bischöfe von P a s s a u (Sidonius) und Regensburg (Sigirich) kamen ebenfalls vom königlichen Hoflager 3 ). Inzwischen starb Odilo (748) und ihm folgte dessen erst siebenjähriger Sohn T a s s i l o , den Pippin auf einem Heereszug gegen seinen in Baiern eingedrungenen Stiefbruder Grifo als Herzog einsetzte 4 ). Nach dem Ableben seiner Mutter Hiltrud (754), einer S c h w e s t e r Pippins, übernahm dieser die Vormundschaft über seinen unmündigen Neffen, doch nicht mehr als Hausmeier, sondern schon als König der Franken. Um diese W ü r d e zu erhalten, benötigte Pippin den P a p s t ; die Salbung vollzog Bonifaz; es w a r das erstemal, daß Rom entscheidend in die Geschicke des Frankenreiches eingriff (751). *) 2 ) 3 ) 4 ) cium.

Mon. Germ., Epistolae selectae 1, S. 107, Salzb. Urkb. 1, S. 16 u. 2, A 8 f. Hauck, Kirchengesch. Deutschi. 2 (1912) S. 437 f. P i p p i n u s . . Tassilonem in ducatu Baioariorum conlocavit per suum benefiAnnales regni Franc., Schulausgabe S. 8.

13. Bonifaz im Kampfe mit Bischof Virgil von Salzburg.

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Diesem Ausgleich entspricht die Lage der Kirche in Baiern; es blieb die irische Art, doch schwand auch nicht mehr die feste Verbindung mit dem Apostolischen Stuhl. So erhielt schließlich auch Virgil die bischöfliche Weihe. Während die erste, mit Rom noch in keinem Zusammenhange stehende Bekehrung (Eustasius) Lorch, die zweite Regensburg als Mittelpunkt hatte, tritt dank der Tatkraft ihres Oberhirten jetzt die Salzachstadt in die führende Stelle. Aus dem päpstlichen Schreiben vom 1. Mai 748 erfahren wir auch, wieso das kam. Als Virgil in Baiern eintraf, waren alle vier Bischofsstühle besetzt, doch hatte ihn Pippin wohl schon für den nächst freiwerdenden bestimmt. Von den Oberhirten, die Bonifaz weihte, starb zunächst Bischof Erembert von Freising; dieser scheint noch in einer Urkunde vom 12. September 743 auf, dürfte jedoch alsbald mit Tod abgegangen sein, da gleich darauf ein Sitz frei wurde, wie das erwähnte Schreiben des Papstes Zacharias vom 5. November 744 dartut, wenn es sich nicht auf das damals geschaffene Bistum Neuburg bezieht; am 12. Februar 747 tritt bereits sein Nachfolger Josef auf 1 ). Vom Ableben Vivilos von Passau kennen wir gleichfalls nicht das Jahr; doch hatte er nicht lange gewirkt, da nach ihm und vor Sidonius sich aus dem Salzburger Verbrüderungsbuche ein Bischof Beatus nachweisen läßt 2 ), der in die Dreiflüssestadt gehört. Das wiederholt erwähnte Papstschreiben vom 1. Mai 748 bringt bereits das Hinscheiden des Bischofs Johannes von Salzburg und auch die Nachfolge Virgils. Es war dabei durchaus nicht beabsichtigt, etwa Regensburg zu übergehen; dort waltete noch Gaubald bis zum Jahre 761 seines Amtes. Der Grund für die kommende Vorherrschaft Salzburgs auf kirchlichem Gebiete liegt zunächst in der überragenden Persönlichkeit Virgils, der keine andere an die Seite gestellt werden kann; dazu kam, daß das eben damals eroberte Karantanien an Salzburg angrenzte, so daß dem gleichen Bischof die Aufgabe zufiel, dort das Christentum zu verbreiten; so wurde sein Kirchensprengel der größte des Landes. Es ist kein gutes Zeichen für Bonifaz, daß er einen so hervorragenden Mann nicht aufkommen lassen wollte; Pippin besaß da einen viel besseren Blick; nicht ersterer, sondern Virgil hat das kommende Schicksal der Kirche in Baiern bestimmt. Das dortige Wirken des päpstlichen Abgesandten ist demnach bei weitem nicht *) Freising. Trad. 1, S. 27 f. Die Zeitangaben hat der Herausgeber um ein Jahr zu spät angesetzt. 2 ) Mon. Germ., Necrol. 2, S. 26.

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II. Das Stammesherzogtum Baiern und das Christentum.

so bedeutsam, als die Forschung meint: er hat da weder das Kirchenwesen eingerichtet, noch die Verbindung mit Rom herbeigeführt ; das eine wie das andere war schon geschehen; er hat aber auch nicht durch die Auswahl der von ihm eingesetzten Bischöfe für die Zukunft richtunggebend gewirkt, sondern das tat ausgerechnet der von ihm so heftig bekämpfte Virgil. Wohl aber hat sich Bonifaz, dessen „Charakter größer war als sein Talent" 1 ), um die sittliche Hebung der Geistlichkeit, die Einheitlichkeit der Lehre und des Gottesdienstes große Verdienste erworben; in diesem Sinne ist er wirklich ein Erneuerer (Reformator) zu nennen. Im übrigen ist sein Wirken in Baiern ohne tiefgreifenden Einfluß und nachhaltige Wirkung geblieben: das im Auftrage Virgils angelegte Verbrüderungsbuch von Salzburg nennt nicht einmal seinen Namen und auch der folgende Kirchenstreit übergeht gleichfalls vollends sein Werk. Eine L a n d e s k i r c h e (Metropolitanverfassung), die der natürliche Abschluß gewesen wäre, hat Bonifaz so wenig erreicht, als Theodo. Das war nach der Niederlage Odilos am Lech (743) nicht mehr möglich, da auch im Frankenreiche die ehemaligen Kirchenprovinzen nicht mehr bestanden. Eine baierische Landeskirche hätte zudem in den Augen der fränkischen Hausmeier eine Stärkung des Stammesbewußtseins und damit des Selbständigkeitsdranges bedeutet. Deshalb ist Bonifaz über das Werk des Theodo nicht hinausgekommen. Baiern bestand nach wie vor nur aus Bistümern, die dem päpstlichen Abgesandten unmittelbar untergeben waren. Die Stellung des Bonifaz war zunächst bloß eine persönliche, da er anfangs nicht einmal an der Spitze einer deutschen Diözese stand und erst später (747) Mainz erhielt. Obwohl er als Erzbischof über das ganze deutsche Missionsgebiet gebot, war er nur einfacher Metropolit, da ihm keine Kirchenprovinzen, sondern bloß Bistümer unterstanden. Als Papst Leo III. auf Betreiben Karls des Großen den Salzburger Oberhirten Arn zum Erzbischof für Baiern erhob (798), spricht er mit keiner Silbe von Bonifaz, weist jedoch auf den im dortigen Dom ruhenden Leib des pontifex Rupert hin (S. 126). Unter dessen Namen focht Salzburg den nunmehr beginnenden Kampf um den Vorrang aus, dasselbe Bistum, das sich auf den ersten Bischof *) Hauck, Kirchengesch. Deutschi. 1, S. 592.

13. B o n i f a z im K a m p f e mit Bischof Virgil v o n S a l z b u r g .

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(Johannes) hätte stützen können, den Bonifaz einsetzte und weihte. Ebensowenig berief sich auf dessen W e r k Passau, ja letzteres ging noch weiter zurück als Salzburg und gab sich als unmittelbarer Nachfolger des ehemaligen Metropolitansitzes Lorch aus. Hätten tatsächlich die in Baiern wirkenden Bischöfe vor Bonifaz keine festen Sitze gehabt und w ä r e n sie ohne Sprengel gewesen, so hätte der Rangstreit erst mit seinem Auftreten beginnen und hieran anknüpfen müssen. Da w ä r e die Hauptstadt Regensburg gar an letzter Stelle gestanden. Doch so verschieden die Streitteile urteilten, griffen alle auf eine frühere Zeit zurück. Das beweist, daß keine Bischofskirche Baierns Bonifaz als ihren Gründer betrachtete. Wie wenig dieser dort bleibende Einrichtungen zu schaffen vermochte, zeigt die Tatsache, daß er nicht einmal dem Orden, dem er selbst angehörte, eine dauernde Heimstätte errichten konnte. Von den Bischöfen, die er in diesem Lande einsetzte, wissen wir Näheres bloß von Willibald von Eichstätt, der Angelsachse und Mönch von Monte Cassino, wo er die Regel Benedikts erneuern half, sowie ein Bruder des schon genannten Abtes Wynnebald war 1 ). Das Streben des päpstlichen Abgesandten w a r , in allen Klöstern die B e n e d i k t i n e r r e g e l einzuführen. So beschloß in seinem Beisein die erste deutsche Synode (742), daß alle Mönche und Nonnen nach ihr leben müssen 2 ). Doch galt das nur für das Reich Karlmanns, aber nicht für Baiern. Der Sieg Virgils über Bonifaz macht es nicht glaubhaft, daß dort das irische Klosterwesen mit dem Auftreten des Legaten sein Ende gefunden hätte. W i r hörten schon, daß sein Ordensbruder Sturm aus Baiern nicht in der Heimat, sondern in Fulda wirkte. Dasselbe gilt für seinen V e r w a n d ten und Geschichtschreiber Eigil. Arn, der z w a r in Freising zum Priester herangebildet wurde, verließ ebenfalls sein Land und w u r d e Abt von St. Amand (ursprünglich irisches Kloster Elnon) in Flandern (782). Doch schon nach drei Jahren kehrte er zurück und erhielt die Nachfolge Virgils als Bischof von Salzburg. Mit ihm erst schwindet das irische Klosterwesen in Baiern und gelangt die ehedem von Bonifaz vertretene Benediktinerregel zu Herrschaft. Nach ihr ordnen um das Jahr 800 baierische Synoden Klosterange! ) Mon. Germ., Script. 15/1, S. 102, 104 f. u. 109 f. 2

) Et ut m o n a c h i

et ancille

Dei monasteriales

iuxta r e g u l a m s. B e n e d i c t i

or-

dinare et v i v e r e , v i t a m propriam g u b e r n a r è s t u d e a n t . Mon. Germ., Concilia 2/1, S . 4.

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II. Das Stammesherzogtum Baiern und das Christentum.

legenheiten 1 ). Es entspricht daher nicht dem geschichtlichen Verlaufe, in den ältesten Ordenshäusern Baierns gleich vom Anfange an Benediktinerklöster zu sehen. Das wurden sie erst seit der Zeit Karls des Großen. Diese brachte hierin die Erfüllung dessen, was Bonifaz wollte; auch da zeigt sich, daß Virgil stärker war als er. Doch, während in der Frage des kirchlichen Vorranges der irische Bischof die Zukunft bestimmte, indem er Salzburg die Führung verschaffte, ließ sich nach seinem Ableben das von ihm vertretene Ordensleben in Baiern nicht länger halten und an seine Stelle trat nunmehr auch dort die schon von seinem Gegner geforderte Regel Benedikts, die an innerem Gehalt jene Kolumbans überragte. Dadurch gewann Bonifaz bei ihren Jüngern, die ihn als Ordensheiligen emporhoben, an Ansehen, so daß sie das große Werk, das er für sie verrichtete, auch auf seine anderen Leistungen übertrugen; hiefür zeugt bereits das verfehlte Urteil des Mönches Arnold von St. Emmeram, der vor seiner Wirksamkeit in Baiern keine Sprengelbischöfe gelten läßt (S. 179). Die Forschung teilt noch heute allgemein diese Ansicht. Das ist um so mehr zu verwundern, als sie sonst das Aufkommen der christlichen Lehre in Baiern viel zu früh ansetzt. Wie hätte dort bei dem Fehlen jedes geordneten Kirchenwesens der neue Glaube solange bestehen können! 14. War Klosterbischof Pirmin Benediktiner? Pippin der Mittlere, der die Baiern in voller Abhängigkeit hielt, konnte gegen die Alemannen keine dauernden Erfolge erzielen (S. 99); nach seinem Tode (714) glückte es auch den ersteren, die drückenden Fesseln zu lockern. Wie die Jahrbücher von Lorsch erzählen, gelang es erst seinem Sohne Karl Martell, in einem Kriegszuge des Jahres 722 sie beide zu besiegen 2 ). Schon kurz darauf (723) erhoben sie sich, wie die Fuldaer Annalen andeuten, aufs neue 3 ). Die Chronik des Fredegar erwähnt für diese Zeit eine siegreiche Heerfahrt Karls gegen Baiern (S. 156) und setzt hinzu, daß er hiebei Alemannien durchzog 4 ); er*) sicut in regula s. Benedicti continetur. Mon. Germ., Concilia 2/1, S. 210. 2 ) 722. Karlus Alamannos et Baioarios armis subegit. Mon Germ., Script. 1, S. 114. 3 ) 723. Iterum Alamanni et Norici pacis iura temerare nituntur. Annal. Fuld. (Schulausgabe 1891) S. 2. 4 ) Alamannosque et Suavos lustrat. Mon. Germ., Script, rer. Merov. 2, S. 175.

14. W a r Klosterbischof Pirmin Benediktiner?

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gänzend bemerken die Salzburger Jahrbücher, er habe im Jahre 725 zum e r s t e n m a l Baiern betreten 1 ). Wenn wir alle diese Nachrichten zusammenfassen, so ergibt sich, daß die Alemannen bereits in den Jahren 722 und 723 entscheidend geschlagen wurden, da der Kriegszug Karls von 725 allein gegen die Baiern gerichtet war, denn er durchzog ungehindert Schwaben; wenn er ferner damals erst baierischen Boden betrat, so erhellt daraus, daß die früheren Kämpfe vornehmlich gegen die Alemannen gerichtet waren: nicht erst 725, sondern schon in den Jahren 722 und 723 hat Karl Alemannien unterworfen. Daß dem wirklich so ist, zeigt klar die Sendung des irischen Bischofs P i r m i n ; sie fällt in das Jahr 724 und war ebenso ein Werk Karl Martells wie die gleich hernach in Baiern folgende Rückberufung Korbinians nach Freising. Die Gründung der A b t e i R e i c h e n a u bei Konstanz bedeutete in Wirklichkeit nichts anderes, als den Versuch, das verfallene Christentum bei den Alemannen wieder zu heben. Der Stiftbrief ist zwar in vorliegender Gestalt eine spätere Fälschung, geht jedoch auf eine echte Urkunde Karl Martells zurück 2 ); die angeführte Zeitangabe vom 25. April 724 entspricht demnach den Tatsachen. Dasselbe Jahr führen übrigens die Reichenauer Geschichtsquellen an 3 ). Dieses Eingreifen Karls war die unmittelbare Folge seiner Siege in den Jahren 722 und 723; die Angaben der Lorscher und Fuldaer Annalen verdienen daher volle Glaubwürdigkeit. Kurze Zeit darauf (730) mußte er jedoch schon wieder gegen die Alemannen kämpfen, die sich mit ihrem Herzoge Lantfrid aufs neue erhoben 4 ). Sein Land wird darauf vom Frankenreiche noch abhängiger, während Baiern jetzt sich freier zu machen wußte. Die Reichenau (Augia dives) verdankt ihren Namen den dort wohnenden Mönchen, die aus ihr eine Insel der Fruchtbarkeit gestalteten; sie war jedoch, als sie Karl Martell Pirmin schenkte, nicht, wie die Legende Glauben machen will, eine Wüstenei mit Schlangen und Gewürm, sondern bereits bewirtschaftet. Das be*) 725. Carolus primum in Baioariam venit. Mon. Germ., Script. 1, S. 87; dazu S. 8 f. 2 ) K. Brandl', Die Reichenauer Urkundenfälschungen (1890) S. 90 f. 3 4

) Mon. Germ., Script. 2 (1829) S. 37 u. 5 (1844) S. 98. ) Ebendort 1, S. 8 f.

13*

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II. Das Stammesherzogtum Baiern und das Christentum.

weist schon ihr ursprünglicher Name „Sintleozzesauua", der nach dem ersten Ansiedler der Au und dem „Gründer" des späteren Klosters geformt ist; sie w a r damals Königsland, wie die Schenkung des fränkischen Hausmeiers dartut. Die Wahl des neuen Klosters auf einer Insel des Bodensees weist nicht bloß auf irischen Brauch hin, sondern noch mehr auf das Schutzbedürfnis des fränkischen Bollwerkes in feindlicher Umwelt; das sie auf allen Seiten umschließende Wasser machte sie zu einem Castrum, das an die Lage der ersten Bischofssitze in den heidnischen Ländern gemahnt. Der an den Herzog Lantfrid und den Grafen (des Gaues Untersee) Bertold gerichtete Schutzbrief sagt aus, Pirmin sei mit seinen fremden (irischen) Mönchen zur Wanderschaft im Namen des Herrn aus Gallien nach Alemannien gezogen; er hätte ihm die genannte Insel überwiesen, um dort durch ihn ein Kloster zu erbauen und die Benediktinerregel zu lehren 1 ). Der schwäbische Herzog hatte daher bloß einen Auftrag zu vollziehen: es kann daher keine Rede davon sein, daß etwa er oder ein anderer Pirmin herbeigeholt hätte; dieser war vielmehr ein Sendling des fränkischen Hausmeiers, genau so wie die baierischen Glaubensboten und daher ebenso wie letztere nicht erbeten. Etwa hundert Jahre nach der Gründung von Reichenau berichtete ein Mönch des Klosters Hornbach (Gamundia) in der Rheinpfalz, wo Pirmin starb (753) und begraben wurde, über dessen Leben und Taten. Nach ihm bewog ein schwäbischer Adeliger namens Sintlaz den fränkischen Bischof, sich in Reichenau niederzulassen; es wäre dort (in illorum patria), so lautete die Klage, kein Seelsorger vorhanden, der dem christlichen Volke zu angemessenen Zeiten das Wort Gottes verkünde; Pirmin möge daher eine Zeit lang dorthin kommen, damit nicht das seiner Hirten beraubte Volk wiederum in das Heidentum zurücksinke, denn es sei durch die Unwissenheit seiner Lehrer stumpf geworden im Glauben an Christus und vielfach wieder in den alten Irrtum verfallen 2 ). Es ist schon lange erkannt, daß die hier eingeführte Person des Adeligen *) Perminius episcopus una cum peregrinis suis monachis de partibus Galliae in fines Alamannorum ad peregrinandum propter nomen domini venerat; quem gratante animo in nostro mundburdio suscepimus et ei locum ad habitandum insulam nuncupantem Sindlezzeisauua concessimus, quatenus ibidem monasterium construat et regulam s. Benedicti ibidem doceat. Brandi, Die Reichenauer Urkundenfälschungen S. 90. 2

) Acta Sanctorum, Novemb. tom. 2/1 (1894) S. 34 f.

14. War Klosterbischof Pirmin Benediktiner?

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Sintlaz frei erfunden ist 1 ), doch wird der beschriebene kirchliche Niedergang des Landes zutreffend und mit ein Grund gewesen sein, daß der siegreiche Hausmeier Pirmin dorthin entsandte. Da dieser jedoch nicht als Sprengelbischof, sondern nur als Klostergründer auftrat, so ist die Angabe des Hornbacher Mönches auch darin richtig zu halten, daß damals das schwäbische Bodenseegebiet nicht mehr heidnisch, sondern schon äußerlich christlich war. Die Angabe, es wäre dort kein Seelsorger vorhanden, stimmt schon deshalb nicht, als eine wenig frühere St. Gallener Urkunde einen solchen bezeugt (S. 209) und der Verfasser selbst gleich hernach auf die Unwissenheit der Glaubensprediger hinweist. Der nahe Bischofsstuhl in Konstanz war daher schon besetzt (Audoin?), zumal in anderem Falle Karl Martell seinen Sendling Pirmin wohl dorthin und nicht nach Reichenau berufen hätte; dieser hatte daher, anders wie die baierischen Glaubensboten, nicht das Christentum erst neu zu begründen, sondern bloß dessen gesunkenen Geist zu erneuern und zu heben. Das leuchtet auch aus der Antwort hervor, die der eingeladene Pirmin gegeben haben soll, er könne das angetragene Predigeramt nicht ohne Einverständnis mit dem zuständigen Sprengelbischof 2 ) oder ohne Auftrag des Papstes übernehmen. Wenn auch die ganze Erzählung mit der anschließenden Romreise wieder erdichtet ist, so spiegelt sie doch darin richtig den Sachverhalt, daß Pirmin nicht Sprengel-, sondern nur Klosterbischof war; er war mithin episcopus peregrinus, der neben dem episcopus civitatis (Konstanz) wirkte (S. 182). Seine irische Herkunft färbt sich auch in der folgenden Sage ab, der Papst (Gregor II.) hätte, als er ihn am Grabe des Apostels Petrus traf und erfuhr, er wäre ein Bischof aus dem Westen (Gallien), sich geäußert: „vor solchen Menschen müssen wir uns hüten" 3 ). Pirmin, so fährt die Legende fort, kniete jedoch nieder und stellte seinen Pilgerstab auf den glatten Steinboden, ohne ihn anzulehnen; er fiel trotzdem nicht um und blieb solange aufrecht stehen, bis der Gottesmann sich erhob und ihn wieder in die Hand nahm. Auf das hin hätte der darob erstaunte Papst den Fremdling freundlich aufgenommen. Schon diese Fabel läßt erkennen, daß Rettberg, Kirchengesch. Deutschi. 2, S. 56 f. ) non esse Iicitum alterius episcopi diocesim causa docendi aliquem sibi usurpare sine consensu praesulis. Acta Sanct., Novemb. 2/1, S. 36. 3 ) eum episcopum esse et de occidentali parte venire. Quibus dixit: De talibus nos praecavere oportet. Ebendort S. 36. 2

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II. Das Stammesherzogtum Baiern und das Christentum.

Pirmin kein Benediktiner, sondern ein irischer Bischof war. Der dem Papste in den Mund gelegte Ausspruch entspricht genau dem Verhalten Roms gegen die ebenfalls aus Gallien berufenen Glaubensboten in Baiern. Hermann von Reichenau (gest.-1054) nennt Pirmin chorepiscopus et abbas und bringt so richtig zum Ausdruck, daß dieser nicht Sprengelbischof w a r ; der Titel „Landbischof und Abt" kommt der Tätigkeit des Gründers seines Klosters am nächsten und entspricht dem Wandel der Zeit; er irrt jedoch, wenn er meint, die schwäbischen Fürsten Bertold und Nebi hätten Pirmin bei Karl empfohlen, sondern dieser entsandte den Klosterbischof nach Alemannien aus eigenem Entschluß, ja gegen den Wunsch der Großen des Landes. Das deutet Hermann gleich hernach unbewußt selbst an, indem er für das Jahr 727 meldet, Theobald, ein Sohn des Herzogs Gottfried, hätte aus „Haß gegen Karl" 1 ) Pirmin aus Reichenau vertrieben. Richtig ist auch seine fernere Angabe, der ausgewiesene Bischof hätte an seiner Stelle den Abt Eddo (Heddo) eingesetzt und sich sodann in den Elsaß begeben, um dort andere Ordenshäuser einzurichten. Der Schlag w a r also gegen den fränkischen Hausmeier und dessen Sendling und nicht gegen das junge Inselkloster gerichtet, das jetzt ein Stammesangehöriger zu leiten bekam. Die Wirksamkeit Pirmins dauerte so dort nur drei Jahre. Doch auch sein Nachfolger Eddo mußte, wie Hermann zum Jahre 732 berichtet, wieder aus Feindschaft gegen Karl vorübergehend weichen; jetzt vertrieb der Hausmeier den Herzog Theobald und setzte den nach Uri (Schweiz) geflüchteten Eddo abermals in Reichenau ein, erhob ihn jedoch bald darauf zum Bischöfe von Straßburg. Als im Jahre 736 der zuständige Sprengelbischof Audoin von Konstanz und kurz hernach der Nachfolger Eddos Keba, seinem Namen nach wohl noch ein Gefährte Pirmins, starb, erhielt der Mönch Ernfrid (Arnfrid) von Reichenau beide Würden; von nun an erscheinen für die nächste Zeit Abtei und Bistum in einer Hand vereinigt 2 ). Von Vorgängern Audoins auf dem Bischofsstuhl von Konstanz erfahren wir fast durch ein Jahrhundert nichts; dieser erst ist der nächste, ausreichend beglaubigte Nachfolger des in der Dagobert-Urkunde erwähnten Marcianus (S. 92). Schon die dürftigen 2

ob odium Karoli. Mon. Germ., Script. 5, S. 98. ) Mon. Germ., Script. 2, S. 37 u. 5, S. 98.

14. W a r Klosterbischof Pirmin Benediktiner?

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Nachrichten zeigen, daß die Gründung von Reichenau nicht mit einer gewöhnlichen Klosterstiftung gleichzusetzen ist, sondern ihr der Zweck zugrunde lag, den Sitz des Bistums, vor dessen Toren es lag, in die Hand zu bekommen. Karl Martell knüpft hiemit an das Werk König Dagoberts, des Stifters der Konstanzer Kirche, an; wie schwer es ihm gelang, sein Ziel zu erreichen, zeigt, daß sein erster Abgesandter und dessen Nachfolger wieder weichen mußten. Im Elsaßgau hatte Graf Eberhard auf eigenem Grunde und Boden das in einer Einöde gelegene Kloster M u r b a c h gegründet und überließ Pirmin, es einzurichten; es erhielt jetzt den bezeichnenden Namen Vivarius peregrinorum. Auf Bitten beider gewährte Theuderich IV. dem neuen Männerstifte am 12. Juli 727 Königsschutz und Immunität, ja befreite es mit Hinweis auf eine vorgelegte Urkunde von der bischöflichen Gewalt. Es fällt daher auf, daß das einschlägige Privileg des Bischofs Widegern von Straßburg erst am 13. Mai des nächstfolgenden Jahres erlassen ist 1 ). Alle zwei Urkunden liegen nicht mehr als Urstücke vor, weisen ein späteres Siegel auf, sind jedoch ihrer Schrift nach nur etwa ein Jahrhundert nach der Handlung auf echter Vorlage entstanden. Die WidegernUrkunde stimmt zudem im Formulare fast wörtlich mit einer anderen des schon genannten Bischofs Eddo vom 27. September 749 überein, welche die Gründung eines Klosters auf der Rheininsel Arnulfsau bestätigt. Derselbe Straßburger Oberhirte, den die Reichenauer Uberlieferung als Gründer des nach ihm benannten Klosters Ettenheim bezeichnet, soll nach seinem Testamente vom 13. März 762 mit Zustimmung Pippins die dort von seinem Vorgänger Wicgerinus errichtete, aber in Verfall geratene Mönchszelle erneuert und für dreißig Benediktiner gestiftet haben 2 ). In allen diesen Urkunden steckt ein echter Kern, doch sind sie später mehr oder weniger verunechtet worden. Am getreuesten ist noch die Königsurkunde überliefert; sie läßt Murbach an erster Stelle zu Ehren Mariens gestiftet sein und die dortigen Mönche unter der „heiligen Regel" ein Einsiedlerleben führen 3 ). Die gleichzeitige Urkunde Widegerns hingegen setzt am *) Beide Urkunden im Wortlaute in: Acta Sanct., Nov. 2/1, S. 15—17. 2 ) P. Wentzcke, Regesten der Bischöfe v o n Straßburg 1 (1908) S. 220 f., 223 f. 3 ) famuli Dei sub s. regula solitariam vitam fruantur. Acta Sanct., Nov. 2/1, S. 15.

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II. D a s Stammesherzogtum Baiern und das Christentum.

Beginne als Schutzheilige die Apostel voran, nennt dann erst Maria, bringt sie jedoch später in der Reihenfolge der Königsurkunde und spricht sich über die befolgte Regel, die die letztere nicht bezeichnet, auch verschieden a u s : sie redet zuerst von den Satzungen in den gallischen Ordenshäusern Lerins (Insel bei Toulon), Sankt Moritz (Agaunum, Rhonetal in der Schweiz) und Luxeuil sowie den Regeln der Väter besonders Benedikts und Kolumbans 1 ) und führt dann an, daß Bischof Pirmin mit seinen fremden Mönchen in Murbach nach der Regel Benedikts lebe, erwähnt später hiefür noch einmal dessen Satzungen, ja nennt diese außerdem noch f ü r die übrigen Ordenshäuser seines Verbandes 2 ). Die erteilten Freiheiten stimmen im Wesen mit den Grundsätzen überein, wie sie in den irischen Klöstern Galliens gang und gäbe w a r e n : die Murbacher Mönche können zur Vornahme der kirchlichen Weihen ihren eigenen Bischof halten oder einen fremden nehmen, haben das Recht aus ihrer Mitte oder von einem im Verbände stehenden Ordenshause einen Abt zu wählen und dürfen dort auch im Bedarfsfalle Rat und Hilfe suchen. An der Richtigkeit der Angaben ist um so weniger zu zweifeln, als der König und Widegern die angeführten Vollmachten auf Bitte Pirmins erteilten, der eben die in Frage kommende Stelle eines Klosterbischofs bekleidete und die von ihm eingerichteten Ordenshäuser zu einem Verbände zusammenfügte. Seine Tätigkeit ist für uns umso bemerkenswerter, als in Baiern das Amt eines Klosterbischofs nicht nachweisbar ist; sie zeigt klar, daß es in Alemannien nicht Wesen, sondern bloß Zugehör w a r , indem auch dort zuerst ordentliche Bistümer mit Sprengelbischöfen erwuchsen. D a schwäbische Ordenshäuser Mönche nach Baiern entsandten, so ist es wichtig zu erfahren, welche Regel sie befolgten. Aufs neue erhellt, wie enge zusammengehörig die Einführung des Christentums in Baiern und Alemannien ist: hier wie dort kamen die ersten Glaubensprediger aus Luxeuil; die zweite Bekehrung Baierns w a r wiederum ein W e r k der irischen Kirche; die Verbindung mit der ersten Gründung des alemannischen Klosterbischofs läßt für beide Teile auf die gleiche W e s e n s a r t schließen. -1) in partibus Gallearum . . . precipue monasteria Lirinensis, Agaunensis, Luxoviensis, et in universo mundo sub regulas s. patrum, maxime b. Benedicti et s. Columbani. Acta Sanct., Nov. 2/1, S. 16. 2 ) alia monasteria iam dicti Perminii episcopi de illas congregationes peregrinorum, quem sub uno modo petitiones vel uria s. institutione b. Benedicti quoadunavit. Ebendort S. 16 f.

14. W a r Klosterbischof Pirmin Benediktiner?

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Ein Benediktiner Pirmin paßt so wenig in dieses Bild, als sein Amt als Klosterbischof für den eben angeführten Orden. Da Murbach mit Reichenau den geistlichen Stifter gemeinsam hat, so müssen beide Klöster dieselbe Regel aufweisen; dem widersprechen aber schon die Gründungsurkunden: die Reichenauer Mönche sollen die Satzungen Benedikts befolgen, w ä h r e n d der Freiheitsbrief W i d e g e r n s z w a r auch diese auffällig hervorhebt, aber doch früher Kolumbans von Luxeuil und seines W e r k e s ausführlich gedenkt; die ganze Aussage e r w e c k t hiedurch einen zwiespältigen Eindruck. Lerins und St. Moritz sind viel älter als Luxeuil und hatten in ihren ursprünglichen Vorschriften noch morgenländischen Einschlag (Basilius); wie ihr ständiger Zusammenhang mit dem letztgenannten Hause aufweist, traten sie jedoch später mit der Stiftung Kolumbans in einen Verband, so daß auch bei ihnen seine Regel zur Herrschaft gelangte. Schon eine Urkunde König Dagoberts (635) für das Kloster Rebais (Dep. Seine-et-Marne) kennt den Bund der drei genannten Ordenshäuser 1 ). Jonas berichtet ausdrücklich, daß in der neuen Stiftung die Regel seines Meisters Kolumban eingeführt wurde 2 ). Im Widerspruch zu ihm hebt jedoch für dieses eben erstandene Kloster eine nicht mehr in der Urschrift vorliegende Urkunde des zuständigen Sprengelbischofs Burgundofaros von Meaux zweimal die Satzungen Benedikts und Kolumbans hervor 3 ), erw ä h n t aber dabei auch die Freiheiten von St. Moritz, Lerin und Luxeuil. Die beiden einander nicht entsprechenden Aussagen sind schon lange aufgefallen und verschieden beurteilt w o r d e n ; die einen halten sich an die Nachricht des Jonas 4 ), andere wieder, unter ihnen Angehörige des Benediktinerordens, vertrauen jedoch ganz und gar der Angabe der Urkunde ohne zu untersuchen, ob sie nicht später J

) monasteria s. Agaunensium, Lirinensium, Lirxoviensium. Mon. Germ., Dipl. 1 (1872) S. 17. 2 ) supra fluviolum Resbacem (Rebais) ex supradicti viri (Kolumban) regula monasterium construxit. Schulausgabe von Krusch S. 210. 3 ) peregrinos sub regula b. Benedicti, et ad modum Luxoviensis monasterii . . . regulam ipsius b. Benedicti vel b. Columbani. J. M. Pardessus, Diplomata . . . ad res Gallo-Francicas spectantia 2 (Paris 1849) S. 40. 4

) So Hauck, Kirchengesch. Deutschi. 1, S. 309 Anm. 1.

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II. Das Stammesherzogtum Baiern und das Christentum.

verändert wurde 1 ). Ließe es sich immer noch verstehen, daß Kolumban die Regel Benedikts kannte und berücksichtigte, obwohl die von ihm aufgestellten Satzungen seine persönliche Tat sind, so erregt die seiner Art nicht entsprechende Bevorzugung des fremden Ordensgründers Bedenken und legt den Gedanken nahe, hiebei an einen nachträglichen Einschub aus jener Zeit zu denken, wo der Benediktinerorden die Vorherrschaft erlangt hatte; wie schon eine im Jahre 811 aufgeworfene Frage zeigt, wollte dieser eine andere Mönchsgemeinschaft sogar in der Vergangenheit nicht mehr gelten lassen 2 ). Da Rebais von Anbeginn mit Lerins, St. Moritz und Luxeuil in gleichem Verbände stand, ja seine erlangten Freiheiten auf jenen des letztgenannten Klosters beruhen 3 ), so hätte Kolumban sogar in seiner eigenen Stiftung nicht an erster Stelle die von ihm verfaßten Satzungen, sondern jene Benedikts eingeführt 4 ); er, der selten selbständige und eigenwillige Mann, wäre demnach als wirklicher Ordensstifter kaum mehr zu bezeichnen, sondern wäre in der Hauptsache bloß als Verbreiter einer fremden Regel anzusehen. Wenn schon nicht er selbst, so hätten dies noch seine beiden nächsten Nachfolger Eustasius und Waidebert tun müssen. Mit anderen W o r t e n : hätte in Luxeuil und seinen Ablegern schon seit Beginn die Benediktinerregel den Vorrang gehabt, so wäre die irische Lebensart nicht Wesen, sondern nur Zutat gewesen; wie hätte da die ganz eigenartige Einrichtung des Klosterbischofs, die der Benediktinerorden so wenig kannte wie den entsprechenden Verband, sich solange halten können und wie wäre der scharfe Kampf des Benediktiners Bonifaz gegen die irischen Priester und Mönche zu verstehen, wenn letztere ohnedies Ordensgenossen gewesen w ä r e n ; da wären ja seine eigenen Leute eine „ketzerische S e k t e " gewesen! Gerade sein und der Päpste Vorgehen gegen die irischen Mönche beweisen, daß in ihnen recht wenig von der in Rom begünstigten Benediktinerregel zu spüren war. Das hat noch der Verfasser der *) S o A. Zimmermann, Kalendarium Benedictinum 1 (Metten 1933) S. X L ff. 2

) Mon. Germ.,

Cap. 1, S.

161 f.; H. Schubert,

Gesch. der christlichen

Kirche

im Frühmittelalter (1921) S. 615. 3

) Das hat schon B . Krusch, Die Urkunden von Corbi, Neues Archiv 31 (1906)

S. 347 f. vermutet. 4

) Der verunechtete Stiftbrief

für Solignac

(632) läßt nicht nur dort,

sondern

auch in Luxeuil die Regeln Benedikts u. Kolumbans gelten. Mon. Germ., Script, rer. Merov. 4, S. 747 f.; dazu Hauck, Kirchengesch. Deutschi. 1, S. 291 Anm. 6.

14. W a r Klosterbischof Pirmin Benediktiner?

203

Pirminlegende nachgefühlt, als er seinen Heiligen dem Papste am Petersgrabe begegnen läßt. Das gleiche zeigt der scharfe Kampf, der in England zwischen den beiden Mönchsgemeinschaften entbrannte 1 ). Die Freiheiten von Luxeuil, bzw. Rebais waren für alle später entstandenen irischen Klöster vorbildlich; in deren ebenfalls nicht mehr in der Urschrift vorliegenden Gründungsurkunden ist wieder die Regel Benedikts jener Kolumbans vorangestellt 2 ). Wir sehen dasselbe in der Widegern-Urkunde für Murbach, die den Namen Kolumban bloß anfangs und wieder nur an zweiter Stelle erwähnt und später ganz wegläßt; sie geht also, wie schon der angeführte Verband mit Luxeuil dartut, auf die Freiheiten des letztgenannten Klosters zurück und erweist Murbach als Gründung irischer Art. In der Zwischenzeit von einem Jahrhundert haben sich die Gegensätze zwischen irischen Mönchen und Benediktinern nicht etwa verringert, sondern, wie das Auftreten des Bonifaz beweist, noch verschärft, da auf der einen Seite vorwiegend keltische Schottländer, auf der anderen Angelsachsen standen. Es ist daher die Bevorzugung der Benediktinerregel in den Gründungsurkunden der nachfolgenden irischen Stiftungen ebensowenig glaubhaft wie für die Zeit Kolumbans. Ihr Eindringen war dadurch erschwert, daß, wie noch das Murbacher Beispiel zeigt, alle irischen Ordenshäuser einen Verband (congregatio) bildeten, der dem Mutterkloster Luxeuil unterstand. Auf diesem Boden erwuchsen zahlreiche Gebetsverbrüderungen, die sich in den schottischen Klöstern schon in früher Zeit finden. In der äußeren Verfassung waren sie alle dem Orden Benedikts überlegen. Einzelne Bestimmungen seiner Regel haben jedoch um so eher Aufnahme gefunden, als jene Kolumbans keine Tagesordnung kannte, aber als ganzes w a r das solange nicht der Fall, bis die irische Sonderart beseitigt war, ja man kann bei den großen Verschiedenheiten sagen, das eine schließt das andere aus. Ist es schon an sich wenig glaubwürdig, daß gleichzeitig in einem Kloster zwei verschiedene Regeln gelten sollen, so ist es noch verwunderlicher, daß die fremde die des eigenen Ordensstifters schon vom Beginne an zurückgedrängt und dabei doch das schottische Mönchtum Galliens so viel Kraft aufgebracht hätte, seine Eigenart noch in neubekehrte Länder zu verpflanzen. Gerade Zimmermann, Kaiend. Benedict. 1, S. LVI f. Die entsprechenden Stellen bei Hauck, Kirchengesch. Deutschi. 1, S. 297.

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hiefür ist das Auftreten Pirmins, in dem das keltische Wesen noch ungebrochen entgegentritt, ein lehrreiches Beispiel, das viel schwerer wiegt, als die wenig glaubhaften Regelangaben in den nur abschriftlich überlieferten Gründungsurkunden. In Wirklichkeit verdankt der Benediktinerorden seinen Sieg dem Eingreifen Roms, das ihn seit Gregor dem Großen begünstigte. Solange das Papsttum in Gallien nichts zu sagen hatte, ist entschieden an der Vorherrschaft der Kolumbanregel festzuhalten, da die Königsgewalt sich auf die irischen Ordenshäuser stützte. Der erste Förderer des Benediktinerordens im Frankenreiche war der schon genannte Hausmeier Karlmann, der im Ostreiche mit Hilfe des päpstlichen Abgesandten Bonifaz die von Rom geförderte Regel einzuführen gedachte. W ä r e sie schon so verbreitet gewesen, als die Stiftbriefe in ihrer heute vorliegenden Gestalt wahr haben wollen, so hätte es nicht erst der starken Hand seines Neffen Karls des Großen bedurft, ihr zum endgültigen Erfolge zu verhelfen. B e i der Ungewißheit und Zweideutigkeit der Überlieferung ist es viel besser, sich an die Geschichte des äußeren Verlaufes und an die Richtlinien zu halten, welche die auch da ausschlaggebenden politischen Ziele und Rücksichten bieten; gerade daß die Benediktinerregel zur römischen wurde, bildet einen festen Leitstern: das war für ihr Durchdringen im Frankenreiche ein Erschwernis, solange die dortigen Könige im Kirchenwesen ihre eigenen Wege gingen, führte jedoch zum vollen Siege, als sie und ihre Hausmeier sich mit den Päpsten verbündeten. Die Frage des Eindringens der Benediktinerregel im Frankenreiche bedarf daher einer neuen Prüfung, die in jedem einzelnen Falle das Alter der Überlieferung zu beachten und die Aussagen der Urkunden miteinander zu vergleichen hat. S o ist es, um nur ein Beispiel herauszugreifen, an sich schon nicht wahrscheinlich, daß in dem in der Nähe von Luxeuil gelegenen Kloster Flavigny in Burgund, wie der in Abschrift vorliegende Stiftbrief des Abtes Widerad vom 17. Mai 719 vorgibt — er behauptet es gleich dreimal — damals schon einzig und allein die Benediktinerregel galt. Das ist schon deshalb nicht möglich, weil dieses Ordenshaus gleich Murbach im irischen Klosterverbande von Luxeuil Lerins und St. Moritz stand, wie das Testament desselben Abtes vom 18. Jänner 722 klar aussagt 1 ). Die nur wenige Jahre jüngere Widegern-Urkunde für das Pardessus,

Diplomata

2, S. 326 u. 401.

14. War Klosterbischof Pirmin Benediktiner?

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elsäßische Kloster in den Vogesen führt doch noch nach der Regel Benedikts jene Kolumbans an, die sie später ebenfalls wegläßt. Der gleiche Verband setzt doch hier wie dort dieselben Satzungen voraus, so daß auch in Flavigny keine anderen Vorschriften gelten konnten wie in Murbach. In Alemannien und Baiern herrschte dieselbe Ordensregel als in Gallien, da dieses das Ursprungsland w a r und der große Verband des gemeinsamen Mutterklosters Luxeuil für die Gleichheit der Satzungen sorgte; hier wie dort w e r d e n die Mönche als peregrini bezeichnet. Das W o r t kommt aus Gallien, w o Kolumban mit seinen Gefährten landete, und begegnet dort noch im Jahre 858 als gleichbedeutend mit schottisch 1 ); in demselben Sinne fanden wir es in Baiern gebraucht (S. 182 f.); das gleiche gilt für Alemannien, wie die Stiftbriefe von Reichenau und Murbach d a r t u n ; zwei Urkunden für das irische Kloster Hönau bei Straßburg bezeichnen zudem wieder die peregrini ausdrücklich als schottisch 2 ). In allen diesen Fällen dürfen wir freilich — das bedingt schon die hohe Zahl der kolumbanischen Klöster — nicht nur an irokeltische Stammesabkunft, sondern müssen auch an die von der „Insel der Heiligen" hergebrachte Kirchenart denken. Unter peregrinus ist demnach in diesem Zusammenhange zunächst ein Irländer, sodann aber auch ein Mönch anderen Blutes zu verstehen, der in ein nach schottischer Lebensart geregeltes Ordenshaus eintrat. So wissen w i r aus einer Urkunde des Gründers von Murbach Eberhard, daß die dortigen Insassen aus verschiedenen Ländern stammten 3 ). Das gleiche gilt auch für die gallischen Ordenshäuser, in denen die Mönche als peregrini e r w ä h n t w e r d e n ; sie w a r e n ebensowenig Benediktiner wie Pirmin, sondern befolgten die Regel Kolumbans. Eine Urkunde des Hausmeiers Pippin aus dem Jahre 706 nennt die Mönche des vom Angelsachsen Willibrord errichteten Klosters Echternach peregrini und spricht von der heiligen Ordnung, die sie befolgen 4 ). Es dürfte sich auch da noch um Anhänger irischer Kirchenart handeln, da die Zugehörigkeit Willibrords zum Benedik*) Hospitalia peregrinorum, sicut sunt Scottorum. Mon. Germ., Capitul. 2, S. 434. ) peregrinos gentis Scotorum. Schoepflin, Alsatia dipl. 1, S. 61; peregrinis Scotorum. Mon. Germ., Dipl. Karol. 1, S. 111. 3 ) Romanus abba cum peregrinis monachis suis, quem Dominus de diversis provinciis quoadunavit. Acta Sanct., Nov. 2/1, S. 18. 4 ) secundum ordinem sanctum. Mon Germ., Diplom. 1, S. 94. 2

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tinerorden bestritten ist 1 ). Während in den fränkischen Quellen das Wort peregrinus gleich iroschottisch zu verstehen ist, verliert es in den angelsächsischen immer mehr diesen besonderen Sinn, wird seltener und bildet sich wieder um in den allgemeinen und ursprünglichen Begriff als fremdländisch, wobei freilich noch das Wandern im Dienste Christi mitklingt. So sagt Bonifaz von seinen Schülern, sie seien fast alle peregrini 2 ); unter den von ihm hiebei erwähnten Mönchen sind aber nicht mehr Anhänger Kolumbans, sondern schon Benediktiner zu verstehen. Der päpstliche Abgesandte ist zwar ebensowenig als Apostel Deutschlands zu bezeichnen, wie Severin für Ufer-Noricum, Rupert für Baiern oder Pirmin für Alemannien, aber er w a r der erste zielbewußte Verbreiter der von Rom geförderten Benediktinerregel auf deutschem Boden. So verstehen wir die Schwierigkeiten, die er zu überwinden hatte, viel besser zu würdigen, da er im Klosterleben nicht seinen eigenen Orden zu erneuern, sondern ihn erst einzuführen hatte. Der Hornbacher Mönch gibt an, Pirmin sei vor seinem Ableben noch Bonifaz begegnet, der von Mainz sich eigens aufgemacht hätte, um den irischen Bischof zu besuchen; knapp vorher läßt er seinen Heiligen noch über die Benediktinerregel lange Gespräche führen und nennt ihn noch früher „kundig, Bekenner der Benediktinerregel in allem zu leiten" 3 ). In seinen Worten klingt noch der Übergang nach; das von Pirmin gegründete Kloster w a r noch nicht lange in den Händen der Benediktiner; der Verfasser, ein großer Verehrer seines Ordensbruders Bonifaz, wußte sehr wohl noch, daß sein Heiliger, den er als Stifter seines Hauses in Ehren bringen wollte, als irischer Bischof dem überwundenen und in den eigenen Kreisen nicht gerne gesehenen Orden angehörte; er hüllt ihn deshalb in ein benediktinisches Kleid, aus dem gleichwohl der irische Mönch noch hervorlugt; das geht schon aus dem angeblichen Wunder am Petersgrabe hervor, um den Papst mit der Herkunft des angekommenen Fremdlings zu versöhnen. Sein Vorgehen gleicht den Urkundenabschreibern, die in der Regelangabe den Namen Benedikt voranstellten und jenen Kolumbans nachsetzten oder wegJ. Ebrard, Die iroschottische Missionskirche (1873) S. 380 f. ) Mon. Germ., Epistolae selectae 1, S. 213. 3 ) gnarus regulam s. Benedicti observare volentes in ómnibus procurare. Acta Sanct., Nov. 2/1, S. 38, 42. 2

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ließen; wie sie hebt auch der Verfasser die später eingeführte Regel mehrmals hervor, so daß es wie dort auffällt. Gleich Arbeo von Freising und der Rupertuslegende verschweigt er die Herkunft seines Heiligen und macht ihn zum Bischof einer gallischen Stadt. Die reiche Briefsammlung des Bonifaz und dessen Geschichtschreibers Willibald kennen Pirmin überhaupt nicht. Das spricht dafür, daß der angelsächsische (römische) Bischof aus dem Benediktinerorden mit dem irischen nichts zu tun hatte 1 ) und der letztere seine Gründungen noch in ihrer Ursprünglichkeit zu wahren verstand. Den Forschern hat die Person des Pirmin immer Verlegenheiten bereitet; viele traten zwar schon längst für dessen irische Herkunft ein, sahen aber immer mehr ein, daß dies mit seiner ihm zugeschriebenen Eigenschaft als Benediktiner nicht vereinbar sei; sie hielten jedoch alle verkehrt an letzterer fest; manche ließen lieber den Schottländer fallen und erblickten in ihm einen Angelsachsen oder gar Dänen, ja auch Westgoten. Die meisten hingegen, unter ihnen der letzte Herausgeber des Lebens Pirmins der Bollandist de Smedt, verfechten die alte Ansicht und sehen in ihm einen Irländer, ja es liegt auch der Versuch vor, seinen Namen auf altkeltische Wurzel zurückzuführen 2 ). Die Meinung, Pirmin wäre Angelsachse gewesen, hängt bloß mit seiner angeblichen Eigenschaft als Benediktiner zusammen und ist daher nicht begründet. Nicht besser steht es mit der westgotischen Abkunft. Diese wird aus der ihm zugeschriebenen Schrift Dicta abbatis Priminii (Scarapsus) geschlossen 3 ). E s liegt indes hiefür kein hinreichender Grund vor, da die ältere Namensform nach den Urkunden Perminus ist und er in ihnen wie in der Legende immer als Bischof aufscheint, während der Verfasser des genannten „Predigtbuches" nach einer um das Jahr 800 entstandenen Einsiedler-Handschrift ein Abt Priminius w a r ; ja auch das ist nicht sicher, da andere Textüberlieferungen entweder keinen Verfasser nennen, oder als solchen einen Papst Gregor ausgeben. E s ist nicht einmal erweisbar, daß Pirmin die ihm zugeschriebene Schrift gekannt und benützt hat und noch viel weniger darf er als deren Verfasser bezeichnet werden. *) (1925) 2) 3)

So schon F. Flaskamp, Zur Pirminforschung, Zeitschr. f. Kirchengesch. 44 S. 201 f. H. Timerding, Die christl. Frühzeit Deutschlands 1 (1929) S. 250. Bei G. Jecker, Die Heimat des hl. Pirmin (1927) S. 34 ff.

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II. D a s Stammesherzogtum Baiern und das Christentum.

Pirmin war seinem Kirchenwesen nach bestimmt irischer Art. Die von ihm errichteten Klöster bildeten einen Verband, den er als ihr Bischof leitete; sie waren mit dem von Kolumban gegründeten Luxeuil verbunden. Das war rein keltische Sitte, wie wir sie nur in Irland, Gallien und den von dort bekehrten Ländern, aber nicht anderswo kennen; er war weder ein Angelsachse noch Westgote aber auch kein Benediktiner, sondern ein schottischer Mönchsbischof. Die Grabinschrift, die Rhabanus Maurus verfaßte, sagt, Pirmin hätte die Heimat, sein Volk und seine Verwandten verlassen, wäre in die Fremde gezogen und hätte den Stamm der Franken aufgesucht 1 ). Dadurch ist erwiesen, daß er kein gebürtiger Franke war. Nach Angabe des Hornbacher Mönches predigte er in lateinischer und deutscher (fränkischer) Sprache 2 ). Das zeigt an, daß er an der romanisch-germanischen Sprachgrenze wirkte, als ihn Karl Martell an den Bodensee berief. Von den in der WidegernUrkunde namhaft gemachten Klöstern, die mit Murbach verbunden waren, würde St. Moritz am ehesten als das Ordenshaus in Betracht kommen, aus dem der Gründer von Reichenau hervorging. Das ist jedoch noch nicht entscheidend für seine Stammeszugehörigkeit, da die Grabinschrift ihn aus der Fremde in das Frankenreich kommen läßt. Wenn auch seine Heimat nicht sicher ist, so zeigt doch die von ihm vertretene Kirchenart an, daß er in denselben Kreis gehörte, dem die anderen schwäbischen und baierischen Glaubensprediger entsprossen. R e i c h e n a u gilt als die älteste Benediktinerabtei des rechtsrheinischen Deutschlands; von hier aus hätte die dort befolgte Regel ihren Siegeszug nach Alemannien und Baiern angetreten. Das ist schon deshalb nicht der Fall, als der Stifter Pirmin kolumbanischer Klosterbischof und daher kein Benediktiner war. So verstehen wir auch, daß das von ihm errichtete Bodenseekloster eine namhafte Zahl irischer Handschriften aufwies, von denen noch heute Reste vorhanden sind, und in seinen Baulichkeiten sowie ältesten Mönchsnamen ebensolche Einflüsse sich finden 3 ). *) Deseruit patriam, gentem, simul atque propinquos. Ac peregrina petens, aethera promeruit. Gentem hic Francorum quaesivit. Acta Sanct., Nov. 2/1, S. 24. 2 ) utraque lingua, Romana scilicet Francorumque. Ebendort S. 34. 3 ) K. Beyerle, Die Kultur der Abtei Reichenau 2 (1925) S. 648, 656, 676 f., 680 f., 849, 1134.

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Ein Vergleich mit der Geschichte des nahen Klosters S t . G a 11 e n lehrt dasselbe, ja macht es wahrscheinlich, daß Reichenau erst von dort die B e n e d i k t i n e r r e g e l erhielt. Wir hören nämlich noch von einer anderen Maßregel Karl Martells; er ließ an der Ruhestätte des Einsiedlers an der Steinach ein Ordenshaus erstehen und setzte dort den aus Chur berufenen Otmar als Abt ein. Das Grab war zwar in der Zwischenzeit verwüstet worden, aber gleichwohl verblieb eine kleine Schar Geistlicher als Wächter. Das geschah, so sagt die von Walafrid Strabo verfaßte Lebensbeschreibung, von den Tagen Dagoberts bis auf Karl, den Vater Karlmanns und Pippins 1 ); er hebt hiemit die Zeit des Rückganges des Christentums hervor und will ausdrücklich bemerken, daß dieses sogar da nicht ganz unterbrochen wurde. Die gebotene Angabe läßt sich auf ihre Richtigkeit überprüfen: Herzog Gottfried schenkt (um 700) auf Bitte des Seelsorgers des Galluskirchleins dorthin den Ort Biberburg am Neckar, um am Grab des Heiligen ein Licht zu stiften 2 ). Als Zeitpunkt des Eingreifens Karls gibt das Leben Otmars die Anfangsjahre seines Wirkens als Hausmeier und Hermann von Reichenau das Jahr 720 an 3 ), so daß St. Gallen und Reichenau auf Geheiß Karl Martells ziemlich gleichzeitig als Ordenshäuser ins Leben traten. Das Galluskloster w a r bestimmt von Anfang an nicht Benediktinerabtei, sondern befolgte die Satzungen Kolumbans 4 ). Nach Walafrid Strabo übergab erst Karlmann, als er nach seinem letzten Siege über die Alemannen seiner Würde entsagte und nach Italien zog, um dort Benediktiner zu werden, im Jahre 747 dem Abte Otmar die von ihm geförderte Regel, um sie dort einzuführen 5 ) ; es ist das früheste Beispiel, das wir in Alemannien kennen; seit der ersten deutschen Synode, die der Benediktinerregel in allen Klöstern des fränkischen Ostreichs Geltung verschaffen wollte, waren bereits fünf Jahre verstrichen. Mit dem Weggange *) Mon. Germ., Script, rer. Merov. 4, S. 318 f. ' ) H. Wartmann, Urkundenbuch der Abtei St. Gallen 1 (1863) S. 1. 3 ) Mitteil, des St. Gallener Geschichtsvereins 12 (1870) S. 122; Mon. Germ., Script. 5, S. 97. 4 ) Eine St. Gallener Urkunde des Jahres 745 sagt bloß, Abt Otmar lebe sub nurmam regulärem confirmatam. Wartmann 1, S. 14. 5 ) libellum, quem Benedictus pater de coenobitarum conversatione composuerat, eidem abbati tradidit, . . ut in loco sibi commendato . . regularis ordinem institueret vitae. Mon. Germ., Script, rer Merov. 4, S. 320. Eine St. Gallener Urkunde des Jahres 779 nennt die Benediktinerregel ausdrücklich als für das Kloster verbindlich. Wartmann 1, S. 85. 2

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II. Das Stammesherzogtum Baiern und das Christentum.

Karlmanns fehlte der eifrige Gönner. So hat denn im Bodenseegebiete wie in Baiern erst die Zeit Karls des Großen und seines Sohnes Ludwig die bewußte Abkehr vom irischen Klosterleben und die ständige Annahme der Benediktinerregel gebracht. Die älteste, noch in der Urschrift erhaltene Urkunde Reichenaus von Ludwig dem Frommen aus dem Jahre 815 nennt als Schutzheilige Maria und Petrus und gibt die Benediktinerregel als dort bereits geltend an 1 ). Zwei Jahre später erhält das Kloster die gereinigte Regel in einer Abschrift, die noch heute in einer St. Gallener Handschrift erhalten ist und als ihr bester Text gilt. Dieser steht der damals noch in Monte Cassino vorhandenen Urschrift des Ordensstifters am nächsten, die Karl der Große im Jahre 787 hatte abschreiben lassen. Auf solchem W e g e kamen die deutschen Klöster in den Besitz des echten Textes, zumal Ludwig der Fromme die Ordenszucht einheitlich zu gestalten suchte, wie die Aachener B e schlüsse des Jahres 817 kundtun; mit ihnen ist der Erhalt der reinen Regel in Reichenau verbunden 2 ). Im Jahre 724 gründet Pirmin Reichenau als irisches Kloster; nach der erwähnten Urkunde Ludwigs des Frommen (815) ist es bereits in den Händen der Benediktiner. Wann hat sich dort der Wechsel vollzogen? Diese Frage läßt sich mit ziemlicher Sicherheit beantworten: unter A b t W a l d o (786—806). Sein Name begegnet zunächst als Abt des Klosters St. Gallen (782) 3 ); er verließ es jedoch bald, da er als solcher nicht dem Bischöfe von Konstanz unterstellt sein wollte; er trat in Reichenau ein und erlangte dort bald dieselbe Würde, die er in St. Gallen bekleidete. Das hohe Vertrauen, das er bei Karl dem Großen genoß, wie seine vorübergehende Wirksamkeit als Bischof von Pavia und schließliche B e rufung als Abt von Saint-Denis (Dionysius) bei Paris dartun, deutet ebenso auf seine Zugehörigkeit zum Benediktinerorden, wie seine Herkunft aus St. Gallen. Die Benediktinerregel verlangt (c. 58) bei Eintritt in die Mönchsgemeinde ein schriftliches Gelöbnis, worin der Aufzunehmende ständigen Aufenthalt in der Klostergemeinschaft (stabilitas), mönx

) Schoepflin, Alsatia dipl. 1, S. 63.

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) L . T r a u b e , T e x t g e s c h . der regula s. Benedicti, Abhandl. der Münchener Aka-

demie der Wissenschaften 25/2 (1910) S. 32 f., 63 f., 90. 3) Wartmann, Urkundenbuch 1, S. 93.

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chischen Lebenswandel (convers[at]io morum) 1 ) und Gehorsam (oboedientia) verspricht. Die betreffende Profeßurkunde wird in der Form einer Bittschrift (petitio) ausgestellt. In dem um das Jahr 825 begonnenen Verbrüderungsbuche von Reichenau findet sich das angeführte dreigliederige Benediktinergelübde und trägt an der Spitze den Namen Walto, an den es gerichtet ist 2 ). Das ist kein anderer als der eben erwähnte Abt Waldo und beweist, daß unter ihm bereits in Reichenau tatsächlich die angeführte Regel Benedikts herrschte. Unmittelbar voran geht jedoch noch eine andere Profeßurkunde, die das Gelöbnis der conversatio morum nicht enthält, sondern bloß die beiden anderen Verpflichtungen zum Gehorsam und zur stabilitas. Der letztere Begriff beinhaltet zudem auch nicht den Aufenthalt in ein und derselben Klostergemeinschaft, wie ihn Benedikt fordert, sondern die stabilitas conversationis in congregatione, d. i. die Beharrlichkeit im Mönchsleben 3 ), die nicht auf ein einzelnes Ordenshaus beschränkt zu sein braucht, sondern in einem anderen (desselben Verbandes) fortgesetzt werden kann. Das dem wirklich so ist, zeigt das an den Anfang gestellte peregrinare im Namen Christi. Schon die Eingangsworte weisen daher nicht auf eine benediktinische, sondern irische Mönchsgenossenschaft. Gleich hernach folgen Anklänge an die Regel Kolumbans und Benedikts. Einen fast gleichen Wortlaut weist die Bitturkunde (petitio) der Mönche von Flavigny auf, die als die „älteste und bedeutsamste fränkisch - benediktinische Profeßformel" gilt 4 ). Das ist sie schon deshalb nicht, als Benedikt die conversatio morum verlangte, die hier nicht gefordert wird; es ist an keine zweigliederige Benediktinerformel zu denken, wenn der Ordensstifter drei Forderungen bei der Aufnahme gestellt hat. Das allein schon deutet auf einen anderen Ursprung, der auch klar zu erkennen ist: die Profeßurkunden von Reichenau und Flavigny sind in ihrer Urform nicht benediktinisch, sondern kolumbanisch und gelten nicht nur für diese beiden Stiftungen, sondern auch für den ganzen Verband von Luxeuil; die in ihnen enthaltene stabilitas erstreckt sich ebenfalls, Grünewald, Päd. Grundsätze S. 6—10, 113, 117; F. Friedrich, Conversatio morum, Stud. u. Mitt. z. Gesch. d. Benediktinerordens 59 (1942) S. 200 ff. 2 ) Mon. Germ., Libri confraternitatum (1884) S. 330. 3 ) I. Herwegen, Gesch. der benediktinischen Profeßformel in dessen: Beiträge zur Gesch. des alten Mönchtums, Heft 3 (1912) S. 21 f. 4 ) Ebendort S. 14; dazu Frank, Klosterbischöfe S. 169—179.

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anders wie bei den Söhnen Benedikts, nicht allein auf das Aufnahmekloster, sondern ebenso auf die gesamte Vereinigung mit ihren Ordenshäusern und Mönchszellen, so daß sie mit der geforderten peregrinatio nicht im Widerspruche steht. Flavigny war nicht Benediktinerkloster (S. 204 f.), sondern gehörte demselben Verbände an wie Reichenau. Da es kurz vorher ins Leben trat, so erklärt sich umso leichter die Gleichheit der Bitturkunde, die eben auf dieselbe Zeit hinweist, in der Pirmin wirkte. Beide Gelübdeformel weisen daher noch in die Tage des Entstehens der zwei genannten Klöster, ohne daß aber dabei Pirmin sie gerade von Flavigny nach Reichenau zu bringen brauchte, da sie ja in allen irischen Verbandshäusern die gleiche Form hatte. Sagt doch die Widegern-Urkunde für Murbach ausdrücklich, Pirmin hätte die von ihm geleiteten schottischen Gründungen durch die Vorschrift eines und desselben Aufnahmegelübdes 1 ) und nach der e i n e n Satzung Benedikts geeint. Da hören wir auf einmal, daß im Verbände von Luxeuil nicht, wie die Urkunde früher angibt, die Regeln Benedikts und Kolumbans herrschten, sondern eine einzige als Richtschnur galt. Die aber kann nur jene des Stifters des burgundischen Mutterklosters gewesen sein. Dafür zeugt nicht nur dessen angeführter Name, sondern auch die zweigliederige Gelöbnisform, die nicht auf den Ordensgründer Benedikt zurückgeht, sondern gallischen Ursprunges ist 2 ). Der Gebrauch des Wortes petitio in der Widegern-Urkunde läßt deshalb Murbach nicht etwa als Benediktinerabtei erscheinen, sondern beweist vielmehr, daß der irische Klosterverband ebenfalls ein Aufnahmegelöbnis forderte, das jedoch, wie wir aus den Beispielen von Flavigny und Reichenau wissen, nicht drei-, sondern zweigliederig war. Wir erfahren aus einem Schreiben Kolumbans, daß er schon bei Eintritt in seinen Mönchstand Gelübde verlangte 3 ). Die Urform geht daher noch auf ihn selbst zurück. Wenn wir die zwei Profeßurkunden des Bodenseeklosters miteinander vergleichen, so ergibt sich die Tatsache, daß die erstere, die nur das Versprechen der Beständigkeit und des Gehorsams fordert, in ihrer Grundform irisch-kolumbanisch, die letztere hingegen, die außerdem die conversatio morum verlangt, benediktisub uno modo petitionis. Oben S. 200 Anm. 2. ) S o schon Herwegen, Gesch. d. bened. Profeßformel S. 50. 3 ) contra vota venientes primae conversionis. Mon. Germ., Epist. 3, S. 159. 2

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nisch ist. Da im Verbrüderungsbuch zwischen beiden der Name des Abtes Waldo steht, so zeigt dieser an, daß er es war, der von der zwei- auf die dreigliederige Bittformel überging 1 ). Wir dürfen daraus den wichtigen Schluß ableiten, daß bis auf ihn Reichenau die Regel Kolumbans, wie- sie Pirmin einführte, beobachtete; erst Abt Waldo brachte mithin dort die Satzungen Benedikts zur Geltung. Aus all dem ergibt sich wieder, daß Pirmin kein Benediktiner w a r ; er gehörte vielmehr dem Verbände des burgundischen Ordenshauses Luxeuil an, das die erste Bekehrung Schwabens und Baierns einleitete und setzte das von dort begonnene Werk auf gleiche Art fort. Das gilt auch für das Land des Herzogs Odilo, da dieser für die von ihm gegründeten Abteien die ersten Mönche aus schwäbischen Ordenshäusern berief. B a i e r n g e h ö r t e d a h e r so gut w i e A l e m a n n i e n dem i r i s c h e n K l o s t e r v e r b a n d e a n und in beiden Herzogtümern galt ursprünglich nur die Regel Kolumbans. Nicht das von Pirmin gestiftete Reichenau, sondern das vom päpstlichen Abgesandten Bonifaz ins Leben gerufene F u l d a (744) w a r die e r s t e B e n e d i k t i n e r a b t e i im rechtsrheinischen Deutschland; den Grund und Boden ließ Karlmann beistellen; sie entstand gleich nach der von ihnen gemeinsam abgehaltenen Synode. Wir kennen nicht die Gelöbnisform, die Sturms Mönche ablegten, doch wissen wir genau, für was Bonifaz mit voller Kraft kämpfte: um die conversatio morum, den Kampf um den sittlichen Aufstieg, den sein Ordensstifter verlangte. Dem entsprach die dreigliederige Bittformel, die jetzt wieder allmählich aufkommt und die zweiteilige immer mehr zurückdrängt. Darin spiegelt sich das gegenseitige Ringen und der wachsende Sieg des Benediktinerordens, der das irische Mönchtum endlich mit Hilfe Karls des Großen vollständig überwältigt und fast die Alleinherrschaft erreicht. Fulda und nicht Reichenau war die Keimzelle für den Umschwung: ersteres bedeutete das Neue, letzteres hingegen setzte nur das Alte fort. Bonifaz und nicht Pirmin ist der erste Sendbote des Benediktinerordens in Deutschland; das zeigt schon seine enge Verbindung mit Rom, die letzterem fehlte. Wie lange sogar in Italien der Verband von Lerins, St. Moritz und Luxeuil seinen Einfluß behauptete, zeigt eine Urkunde Karls des Großen vom 24. Mai 775 für das *) Das hat schon E. Munding, Abtbischof Waldo (Beuron 1924) S. 60

vermutet.

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II. Das Stammesherzogtum Baiern und das Christentum.

Kloster Farfa im Herzogtum Spoleto, die ihn noch als bestehend und wirksam erwähnt 1 ). Doch auch in Deutschland war das irische Klosterleben noch nicht beendet. Es lebte, wenn auch in anderen Formen, wieder auf, als der Schotte Marianus im Jahre 1072 mit Gefährten nach Regensburg kam und bald hernach das Ordenshaus St. Jakob begründete. Von dort aus entstanden einige Ableger in Franken, Schwaben und Österreich, die alle dem Regensburger Abt unterstanden; sie befolgten später die Benediktinerregel, doch behielten sie lange manche ihnen eigentümliche Bräuche bei. Das Schottenkloster in Wien erinnert in seinem Namen, obzwar es schon Herzog Albrecht V. (1418) deutschen Ordensangehörigen übergab, noch heute an die Wanderlust der irischen Mönche und ihr Wirken als erste Verkünder des Christentums in A'lemannien und Baiern. 15. Die Volksrechte der Baiern und Alemannen und das Christentum. Die Bekehrung der Baiern war das Werk der fränkischen Könige und ihrer Hausmeier; sie erfolgte in zwei Abschnitten, wovon der eine beiläufig von 620 bis 640 reicht, der andere hingegen um das Jahr 700 beginnt; der letztere knüpfte wieder an die frühere Grundlage an und setzte sie fort. Das gleiche Bild und dieselben Zeitmarken zeigt das B a i er i s c h e V o l k s r e c h t ; es nennt als die christlichen Gesetzgeber ausdrücklich die fränkischen Könige und unter ihnen Chlothar und Dagobert als Vollender, die wir schon als die ersten Verbreiter der neuen Lehre bei den unterworfenen Völkern kennen; die damals schon verordnete Bistumseinteilung tritt uns in ihm ebenso entgegen, wie der Beginn der zweiten Bekehrung mit einem Landesbischofe. Als früheste schriftliche Quelle aus Baiern weist es noch deutlich auf die enge Verbindung des Aufkommens unseres Schriftwesens mit dem Eindringen des Christentums. Der Zusammenhang des Bekehrungswerkes mit den vom Frankenreich abhängigen Nachbarländern kommt in ihm gleichfalls zum Vorschein. monasteria Lirinensium, Agaunensium et Luxoviensium, ubi prisca patrum Basilii, Benedicti, Columbani vel ceterorum patrum regula custodiri videtur. Mon. Germ., Dipl. Karol. 1, S. 141. Die Urkunde liegt bloß in späterer Abschrift vor, s o daß auch hier der N a m e Benedikts erst eingefügt wurde, als das Kloster seinem Orden angehörte.

15. Die Volksrechte der Baiern und Alemannen und das Christentum.

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Der kirchliche Ursprung des Volksrechtes erhellt klar aus dem Vorworte (Prolog); überdies handelt das erste Kapitel (Titel 1) ausschließlich von der rechtlichen Lage der Kirche; damit im Zusammenhange steht noch Titel 2 über die Stellung des Herzogs, der als vom fränkischen Könige eingesetzter Amtsherzog erscheint 1 ). Gemeinsam ist beiden Teilen wie der Vorrede, daß sie nicht für Baiern allein bestimmt sind; sie setzen ausdrücklich mehrere Provinzen voraus und reden von Bischöfen und Herzogen, die der König dort (in provincia illa) bestellt (1'9). An der Spitze der kirchlichen Satzungen steht überdies noch dazu als Überschrift: „Dieses wurde beschlossen von dem Könige, seinen Vornehmen und dem gesamten christlichen Volke, das im Reiche der Merowinger lebt" 2 ); es ist daher der Geltungsbereich nicht zweifelhaft. In solchen Bestimmungen hat der um die Erforschung der deutschen Rechtsgeschichte hochverdiente Heinrich Brunner schon lange Reste eines merowingischen Königsgesetzes gesehen, das er auf Dagobert zurückführte 3 ). Hiezu ist zu bemerken, daß er die Grundfrage ohne Zweifel richtig erkannte; es handelt sich ausdrücklich um ein Königsgesetz, das jedoch nicht gänzlich verschollen, sondern in seinem hauptsächlichen Inhalt in den beiden oberdeutschen Volksrechten noch erhalten ist. Warum es die fränkischen Herrscher mit ihnen verbanden, ist noch zu erklären. Hier wie dort war derselbe Zweck maßgebend: unser Königsgesetz ist in seinem Wesen nichts anderes als die mit staatlichen Mitteln erstrebte Einführung des Christentums in den zwei den Franken unterworfenen Stammesgebieten; das christliche Gesetz wird dem heidnischen Gewohnheitsrechte vorangestellt; in beiden Fällen war das zugleich der Anlaß zur s c h r i f t l i c h e n Aufzeichnung, um den heidnischen Brauch um so sicherer zurückzudrängen. So !) Mon. Germ., Leges 5/2 (1926) S. 197—203 u. 267—311; es sei hier noch auf die schöne Lichtdruckausgabe der Ingolstädter Handschrift durch K. Beyerle, Lex Baiuvariorum (1926) und den Neudruck von K. A. Eckhardt in den Schriften der Akademie für Deutsches Recht (1934) verwiesen, die beide eine deutsche Ubersetzung beigaben. 2 ) Hoc decretum est apud regem et principes eius et apud cunctum populum Christianum, qui infra regnum Meruungorum consistunt. Mon. Germ., Leges 5/2, S. 267 (261). 3 ) H. Brunner, Uber ein verschollenes merowingisches Königsgesetz des 7. Jahrh., Sitzungsber. der Berliner Akademie der Wissenschaften, Jahrg. 1901, S. 932—955 = dessen Abhandlungen zur Rechtsgesch. 1 (1931) S. 598—628; seine Deutsche Rechtsgesch. 1, 2. Aufl. (1906) S. 420—422, 453, 457—459.

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II. D a s Stammesherzogtum Baiern und das Christentum.

finden wir zugleich einen Wegweiser für die Zeit ihrer Abfassung: die Einführung des Christentums und die damit verbundenen Anfänge des Schriftwesens fallen mit der ersten Aufzeichnung der beiden Volksrechte unmittelbar zusammen. Das fränkische Königsgesetz steht nicht am Ende, sondern vielmehr am Beginne der christlichen Missionsarbeit; es war der unentbehrliche Schutzbrief für die ersten Glaubensboten und die von ihnen errichteten Gotteshäuser; mit ihm wurde das Christentum zur Staatsreligion erhoben und dadurch das Heidentum abgeschafft! Das V o r w o r t belehrt uns ausführlich über die Entstehung. Der Beginn mit Moses als dem Verkünder der göttlichen Gesetze und den Nachrichten über die griechischen und römischen Gesetzgeber ist den Origines des Bischofs Isidor von Sevilla entlehnt. Darnach wird ein Gesetz als g e s c h r i e b e n e Anordnung erklärt, da es, wie schon der Name (lex) sage, vom lesen (legere) komme; es sei eben dadurch vom Rechtsbrauche (mos), der zwar althergebracht (longa consuetudo) aber ungeschrieben sei, unterschieden. Mit der Gesetzgebung der Franken setzt der selbständige Teil ein: König Theuderich habe das Recht der Franken, Alemannen und Baiern aufzeichnen lassen und habe hiebei das, w a s er anzufügen fand, hinzugegeben und das Unschickliche entfernt. Was dabei gemeint ist, sagen uns die gleichfolgenden Worte: er habe d i e G e w o h n h e i t der Heiden nach dem Gesetze der C h r i s t e n g e ä n d e r t 1 ). Was aber König Theuderich wegen der alt eingewurzelten Lebensgewohnheiten der Heiden nicht habe verbessern können, das habe hernach König Childebert begonnen, Chlothar aber vollendet. Dies alles habe Dagobert, „der ruhmreiche König" (rex gloriosissimus), durch die „erlauchten Männer" (per viros inlustros) Claudius, Chadoindus, Magnus und Agilolfus erneuert (renovavit) und alle alten Gesetze verbessert und sie jedem Stamme schriftlich übergeben, wo sie bis heute noch in Kraft seien. In die Richtigkeit der Angaben der Vorrede hat die rechtsgeschichtliche Forschung in zunehmendem Maße Zweifel gesetzt und sich hiebei wieder einmal selbst den Weg verrammelt, der über Et quae erant secundum consuetudinem paganorum mutavit secundum legem christianorum. Mon. Germ., L e g e s 5/2, S. 202.

15. Die Volksrechte der Baiern und Alemannen und das Christentum.

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die Entstehung Aufschluß gibt. Bei vorurteilsloser Prüfung ergibt sich nämlich, daß die Vorrede in seltener Ausführlichkeit und Klarheit uns die richtige Bahn weist; sie spricht ja bei den genannten Stämmen ausdrücklich vom Beginne der c h r i s t l i c h e n Gesetzgebung, die das heidnische Gewohnheitsrecht zurückdrängte; damit ist schon gesagt, daß deren Anfang mit der Einführung des Christentums zusammenhängen muß. Die einleitenden Worte des Vorwortes aus Isidor von Sevilla lenken unsere Blicke zunächst in das Westgotenreich, w o der genannte Bischof lebte und im Jahre 636 starb; es ist also dieselbe Zeit, die uns am Schlüsse mit dem Namen des Königs Dagobert begegnet. Bei den Westgoten hat das Christentum viel früher Wurzel gefaßt als bei den Franken; es war bei ihnen jedoch zunächst in arianischer Form verbreitet. Sie verloren im Jahre 507 den gallischen Teil ihres Reiches an die Franken. Der schon genannte König Chlodwig, ihr Besieger, ließ sich taufen und wählte das katholische Bekenntnis seiner romanischen Bevölkerung. Gleichwohl ist die westgotische Gesetzgebung, als deren Schöpfer König Eurich (466 bis 485) zu bezeichnen ist, bei ihnen und durch sie bei den zwei oberdeutschen Stämmen Vorbild geworden. Eine solche Gemeinsamkeit zeigt sich schon darin, daß unsere Vorrede sich nicht nur in Handschriften mit baierischem, alemannischem und salischem, sondern vereinzelt auch mit westgotischem Rechte findet. Während in Spanien die westgotische Gesetzgebung fortgeführt wurde, blieb sie in Gallien in der Form Eurichs in Kraft, der auf das Gesetzeswerk des römischen Kaisers Theodosius II. (438) zurückgegriffen hatte. In dieser ursprünglichen Gestalt (Antiqua) fand sie auch in die beiden oberdeutschen Volksrechte Eingang; auch das zeugt für die fränkische Vermittlung und spricht für die Richtigkeit der Zeitangaben der Vorrede 1 ). Die Angabe des Vorwortes, schon der Frankenkönig Theuderich habe das Recht seines Stammes wie das der Alemannen und Baiern aufzeichnen lassen, ist freilich nifcht haltbar; doch steckt auch darin ein echter Kern; wir müssen nur die beiden zuletzt genannten Stämme ausschalten und dürfen bloß an die Franken denken. Unter Theuderich kann nur der Sohn Chlodwigs gemeint sein. Da dieser erst während seiner Herrscherjahre sich taufen ließ, so ist an sich schon wahrscheinlich, daß die christliche Gesetzgebung erst unter F. Beyerle in: Zeitschr. f. Rechtsgesch., Germ. Abteil. 45 (1925) S. 443f.

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II. Das Stammesherzogtum Baiern und das Christentum.

seinem Sohne durchgriff; und nur letztere und nicht die heidnische hat das Vorwort in selbständigem Teile im Auge. Für dessen Glaubwürdigkeit spricht ferner die weitgehende Übereinstimmung mit der Einleitung zum salischen Rechte 1 ); nur die Angabe über den Urheber der christlichen Gesetzgebung im Frankenreich ist verschieden, indem hier Chlodwig als deren Schöpfer angeführt wird; sonst sind an beiden Stellen Childebert und Chlothar als Fortsetzer und Vollender bezeichnet; da der salische Prolog Dagobert noch nicht kennt, so ist er älter als unser Vorwort und noch unter Chlothar entstanden. Beide Quellenstellen sind demnach selbständig, da sonst auch der Name des ersten christlichen Gesetzgebers übereinstimmen müßte; was in den einleitenden Worten des salischen Rechtes nicht ganz deutlich bloß als unvollkommen erklärt wird, erscheint in unserem Vorwort klar mit heidnisch umschrieben. Bei solch gegenseitiger Ergänzung und Übereinstimmung zweier selbständiger Quellenangaben wäre es auffallend, wenn nicht auch die beiden verschiedenen Nachrichten über den Beginn der christlichen Gesetzgebung in Einklang gebracht werden könnten. Hat diese vielleicht noch Chlodwig in Angriff genommen, aber sein Sohn erst vollendet? Allem Anscheine nach liegt eine solche Verbindung vor; wir können sogar auf ein Ereignis hinweisen, das hiefür spricht: die e r s t e f r ä n k i s c h e Kirchenversamml u n g z u O r l e a n s . Diese war die letzte Amtshandlung Chlodwigs, von der wir Kenntnis haben; er selbst hat noch die Bischöfe Galliens zusammenberufen, wobei auch die des ehemaligen westgotischen Reiches eingeschlossen w a r e n ; in ihrer Gesamtheit waren 32 versammelt; am 10. Juli 511 ließen sie in einem ausführlichen Berichte ihre Beschlüsse vom Könige bestätigen 2 ); am 27. November desselben Jahres ist er gestorben. Der westgotische Einfluß zeigt sich auch bei dieser Gelegenheit, indem manche Bestimmungen aus der Synode von Agde (506) wiederholt wurden 3 ). Es ist ein ausgesprochenes Staatskirchentum, das uns schon bei dem ersten Konzil katholischen Bekenntnisses im Frankenreiche begegnet. Die gefaßten Beschlüsse berührten jedoch nicht allein die kirchliche, sondern auch die staatliche Gesetzgebung. Inmitten J. H. Hessels, L e x Salica (1880) S. 422. ) Mon. Germ., Concilia 1 (1893) S. 2—14. 3 ) Hefele, Conciliengesch. 2, S. 661. 2

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eines vielfach nur äußerlich christlichen, innerlich aber heidnischen Volkes hätte die kirchliche Strafgewalt nicht viel bedeutet; eine solche konnte sich ja nur bei den Priestern und Dienern der Gotteshäuser auswirken. Der weltliche Arm und die staatliche Gerichtsbarkeit w a r e n nicht zu entbehren, um den bischöflichen Weisungen volle Geltung zu verschaffen; es handelte sich doch um nichts w e niger, als um den Kampf des Christentums gegen das Heidentum. Dessen Gebräuche konnten nur durch ein Königsgesetz zurückgedrängt werden, das vom kirchlichen Geiste durchdrungen w a r . Das vorzüglichste Mittel, das junge Christentum zu festigen, w a r ein von heidnischen Gewohnheiten gereinigtes Volksrecht; das w a r nur durch ein die Anforderungen der Kirche berücksichtigendes Königsgesetz zu ändern. Diese Aufgabe hat Chlodwig z w a r durch Einberufung der Bischöfe eingeleitet, er konnte sie jedoch nicht mehr in den drei Monaten, die ihm noch zu leben beschieden w a r e n , beendigen, sondern mußte den Abschluß seinem Sohne Theuderich überlassen. Das erste Königsgesetz, das sich mit der Befestigung der christlichen Lehre im Frankenreiche befaßte, geht daher nicht nur auf ihn, sondern auch auf seinen Vater zurück; beide Vorreden sagen daher nur scheinbar verschieden aus und jede dürfte im Rechte sein. Die erste fränkische Synode und das durch Chlodwig vorbereitete und von Theuderich herausgegebene Königsgesetz stehen demnach wahrscheinlich im Zusammenhange; sie hat f ü r dieses als Ausgangspunkt zu gelten; als Zeit der Abfassung kommt somit das Ende des Jahres 511 oder der Beginn von 512 in Betracht. Das salische Recht enthält z w a r keine Bestimmungen, die als heidnisch angesprochen w e r d e n können, aber es erscheint noch nicht im christlichen G e w ä n d e ; die Aufzeichnung ist eben bei den mit einer romanischen Bevölkerung verbundenen Franken noch vor Annahme des Christentums erfolgt, so daß dieser Wendepunkt nicht offensichtlich aufscheint; das ergänzende Königsgesetz ist daher in ihm nicht enthalten, sondern w u r d e selbständig erlassen; eben deshalb ist es in der Urform nicht mehr erhalten. Das schwierige W e r k der christlichen Gesetzgebung w a r nicht auf einmal möglich, so daß auch noch spätere Könige daran gearbeitet h a b e n ; der fernere Ausbau ist bedingt durch die Fortschritte des Christentums. Wenn in beiden Vorreden Childebert als Fortsetzer genannt wird, so dürfen w i r hiebei schon an den ersten, den Sohn Chlodwigs, denken; w i r wissen ja von ihm, daß er heidnische

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Gelage, Gesänge und Tänze verbot und die Grundbesitzer anwies, auf ihrem Boden die Götzenbilder zu entfernen; er bekennt sich hiebei zu dem Ausspruche, daß die Bekehrung ihm selbst zum Verdienste, seinem Volke aber zum Heile gereichen werde; zugleich begründet er die Notwendigkeit seiner Mitwirkung mit der Erkenntnis, daß ohne sie die kirchlichen Vorschriften nicht so befolgt würden, als es sein sollte 1 ). Als Vollender wird Chlothar bezeichnet, unter dem die planmäßige Ausbreitung des Christentums bei den abhängigen Stämmen begann. Die letzte Hand legte Dagobert an, der das Königsgesetz überprüfen, bessern und jedem untertänigen Stamme schriftlich übermitteln ließ. Die Namen der vier gesetzeskundigen Männer, die ihn hiebei unterstützten, sind auch aus anderen Quellen als seine Zeitgenossen sichergestellt 2 ); es besteht daher kein berechtigter Grund, an der Richtigkeit der Angabe zu zweifeln. Unter Dagobert ist nicht nur das Königsgesetz in seiner letzten Gestalt erstanden, sondern auch die Vorrede abgefaßt worden. Darauf weist deutlich die ihm zugebilligte Auszeichnung in der Nennung seines Namens mit „ruhmreich" (gloriosissimus) und seiner Helfershelfer mit „erlaucht" (inluster); alle seine Vorgänger sind bloß einfach als Könige bezeichnet. Der Schlußsatz mit dem Hinweis auf die Geltung bis zum heutigen Tage (quae usque hodie perseverant) kann nur ein nachträglicher Zusatz aus der Zeit der zweiten Bekehrung Baierns sein, wo auch in unmittelbarer Folge der Ermordung Emmerams die Strafbestimmungen über die Tötung des Landesbischofs verschärft wurden. Der Rückfall ins Heidentum nach dem Ableben Dagoberts unterbrach eben die Anerkennung des von ihm schriftlich übergebenen Königsgesetzes, als die fränkische Oberhoheit vorübergehend abgeschüttelt wurde. Der Vorzug des Volksrechtes der Baiern gegenüber dem der Alemannen äußert sich darin, daß unser Königsgesetz in ihm noch in viel ursprünglicherer Form erhalten blieb und nicht wie bei dem letzteren auf das eigene Land zugeschnitten wurde. Dieselbe Treue *) Mon. Germ., Capitularia reg. Franc. 1 (1883) S. 2 f. ) E. Mayer, Die oberdeutschen Volksrechte (1929) S. 80 Anm. 109, der bereits im Einklänge mit der älteren Forschung w i e d e r für die Glaubwürdigkeit des Vorwortes eintritt; ebenso F. Beyerle, Die süddeutschen Leges und die m e r o w . Gesetzgebung, Zeitschr. für Rechtsgesch., Germ. Abt. 49 (1929) S. 372 ff. und K. Hohenlohe, Das Kirchenrecht der Lex Bajuvariorum (1932) S. 28 f. 2

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an der Urform der Überlieferung zeigt sich im Vorworte, indem die letzten Worte über die Fortdauer des Gesetzes nicht dort eingesetzt wurden, wohin sie sinngemäß gehörten (nach omnia vetera legum), sondern ohne jede Veränderung des vorliegenden Textes am Schlüsse angehängt wurden; der scheinbare Widerspruch, der hiedurch entstand, ist daher nicht ein Beweis für mindere, sondern im Gegenteil für erhöhte Glaubwürdigkeit. Nach unserem Vorworte bestehen demnach die beiden oberdeutschen Volksrechte aus zwei Teilen: dem Königsgesetze (lex) und dem Gewohnheitsrechte (mos); das eine versinnbildlicht das Christentum, das andere das Heidentum. Wir kennen ihren Inhalt also nicht in der ursprünglich heidnischen Gestalt, sondern nur in jener veränderten Form, welche die Annahme des Christentums mit sich brachte. Das geschah erst unter den Königen Chlotar II. und Dagobert, aber nicht schon unter dem Sohne Chlodwigs Theuderich; freilich geht das in Alemannien und Baiern erlassene Königsgesetz in seiner Urform auf ihn als den ersten christlichen Gesetzgeber des 'Frankenreiches zurück. Es ist demnach allmählich entstanden und ein gemeinschaftliches Werk der Könige Theuderich, Childebert und Chlothar; Dagobert hat bloß die letzte Gestalt gegeben; nur diese ist uns überliefert; am reinsten liegt sie im Baierischen Volksrechte vor. Sowohl im baierischen wie im alemannischen Rechte steht das Königsgesetz an der Spitze. Eine solche Bevorzugung ist kein Zufall, sondern zeigt vielmehr, daß in diesen beiden Stammesgebieten, anders wie bei den Franken, unser Königsgesetz der Anlaß und Anfang der schriftlichen Aufzeichnung der beiden Volksrechte w a r : das dort herrschende Gewohnheitsrecht wurde, soferne es der christlichen Lehre nicht entgegenstand, an die vom König erlassenen kirchlichen Satzungen angehängt. Die Verbindung von Königsgesetz und Volksrecht spiegelt den Kampf wieder, den die Einführung des Christentums absetzte; damit leuchtet auf einmal ein heller Lichtstrahl in das Dunkel der heidnischen Vorzeit! Während das Volksrecht König Dagobert seine letzte buch der A l e m a n n e n den erfahren hiebei zugleich, daß

der Baiern nach dem Vorwort dem Gestalt verdankt, trägt das GesetzNamen Chlothars an der Stirne; wir es auf einem von ihm einberufenen

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Reichstage 33 Bischöfe, 34 Herzoge und 72 Grafen sowie das übrige Volk beschlossen 1 ). Die Überschrift gemahnt an die schon mitgeteilte (S. 215) im Baierischen Volksrecht, nur daß dieses die Zahl der vornehmen Teilnehmer nicht angibt, wofür es aber das Volk ausdrücklich als das des merowingischen Reiches bezeichnet; hier wie dort steht sie an der Spitze der kirchlichen Vorschriften. Die zwei Aufschriften besagen demnach dasselbe und ergänzen sich gegenseitig, wie ja auch der ganze Inhalt des Königsgesetzes an beiden Stellen auf gemeinsamer Grundlage beruht; es war wohl eine und dieselbe Reichsversammlung, die die Einführung des Christentums oder besser dessen Erhebung zur Staatsreligion sowohl für Baiern als auch für Alemannien verkündete. Wir erinnern uns da sofort an den zwei Jahre nach dem Regierungsantritte Chlothars II. stattgefundenen Reichstag, über den das Leben Agils berichtet: die dort beschlossene Entsendung von Glaubenspredigern (S. 88 f.) und die Verkündung unseres Königsgesetzes stehen demnach in engem Zusammenhange. Schon mit Eustasius und Agilus kam das Königsgesetz nach Baiern, so daß es eben so gut wie das für Alemannien den Namen Chlothars führen könnte; daher sagt ja auch die Vorrede, dieser habe es vollendet und Dagobert es jedem Stamme schriftlich übergeben. Die verschiedenen Namen der Gesetzgeber bedeuten keinen Widerspruch, da wir ja in beiden Fällen dasselbe gemeinsame Werk der fränkischen Könige vor uns haben; das Vorwort für das Volksrecht der Baiern gilt eben so sehr für das der Alemannen, wie dessen Aufschrift mit Chlothar als Gesetzgeber für das erstere. Auf einem Reichstage des Jahres 615/16 wurden die bei den Franken bestehenden kirchlichen Rechtssätze und Einrichtungen auch auf Alemannien und Baiern ausgedehnt. Mit der christlichen Lehre verkündeten die ersten Glaubensboten zugleich unser Königsgesetz und führten es durch: es war ihr sicherer Geleitsbrief und die Richtschnur ihrer Handlungen. Aus all dem folgt: in der Aufschrift des alemannischen Rechtes ist unter dem Namen Chlothar nicht ein späterer (IV.), sondern Incipit lex Alamannorum, quae temporibus Hlodharii regis una cum principibus suis, id sunt 33 episcopis et 34 ducibus et 72 comitibus, vel cetero populo constituta est. Mon. Germ., L e g e s 5/1 (1888) S. 62; dazu der schon angeführte Neudruck von Eckhardt

(1934) S. 2 f. mit beigegebener

Übersetzung.

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schon der zweite gemeint 1 ); das für Baiern erlassene Königsgesetz schöpft nicht aus dem für Alemannien, sondern beide gehen auf einen gemeinsamen Reichstagsbeschluß des Jahres 615/16 zurück. Jetzt verstehen wir auf einmal, w a r u m die beiden oderdeutschen Volksrechte den Schutz der Kirche so in den Vordergrund stellen und gleich damit beginnen; sie zeigen uns so deutlich ihren eigentlichen Z w e c k : sie verdanken ihre schriftliche Zusammenfassung dem vorangestellten Königsgesetze zum Schutze des aufgedrungenen Christentums; das Kirchenrecht und nicht das Volksrecht ist der Grund ihrer Aufzeichnung; das, w a s hievon noch übrig blieb, w u r d e ihm nachträglich angehängt. Demselben Zwecke diente das hiedurch eingeführte irisch-fränkische S c h r i f t w e s e n . Wie sehr dessen Beginn in Baiern mit der Annahme des Christentums zusammenfällt, zeigt klar die erste Bestimmung des Königsgesetzes, die die Schenkungen an die Kirche r e g e l t : Vergabungen einer freien P e r s o n für das Seelenheil darf nach Abzug des Anteiles für die Kinder niemand hindern, auch nicht der König (noch der Herzog); der Inhalt der Rechtshandlung ist durch eine Urkunde (per epistolam) zu bekräftigen mit eigener Hand und Zuziehung von mindestens sechs Zeugen; diese sollen ihre Hände auf die Urkunde legen und ihre Namen sind dort einz u t r a g e n ; hernach ist vor dem zuständigen Priester das Schriftstück auf den Altar zu legen; nach Ausstellung und Übergabe der Urkunde sollen w e d e r der Schenker noch seine Nachkommen eine Befugnis hierüber h a b e n ; der Bischof soll alles Kirchengut verteidigen. Mit der Ankunft der ersten Glaubensprediger kam sonach das römisch - rechtliche Verfahren und damit der Schriftbeweis. Der bisher in Baiern übliche Zeugenbeweis trat hiedurch allmählich in den Hintergrund. Die Schrift w a r für die neuen Sendboten des Frankenreiches zumal inmitten einer ihnen anfangs feindlichen Umwelt ein viel sichereres Schutzmittel als die mündliche Zeugenauss a g e ; eben dadurch w u r d e n die aus den Bedürfnissen des Alltags entstandenen Urkunden die Schrittmacher für das Eindringen der Schrift. Solche Verträge und Vergleiche galten als unumstößlich (16/16) und erlangten hiedurch eine höhere Rechtskraft. Der Rückfall ins Heidentum hat freilich alle schriftlichen Zeugnisse aus der Aus der Zahl der angegebenen Bischöfe hat schon Mayer, Die oberdeutschen Volksrechte S. 47 f. auf ihn geschlossen und damit wieder die Ansicht der älteren Forschung zu Ehren gebracht.

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Zeit der ersten Bekehrung vernichtet; das älteste erhaltene Denkmal bildet das mit der Ankunft Emmerams wieder eingeführte Königsgesetz mit dem anschließenden Volksrecht. Seine erste B e stimmung w a r wie in Alemannien die Quelle des künftigen Reichtums und der Machtstellung der wieder geschaffenen Landeskirche. Das gilt nicht minder von den gleich nachfolgenden Verfügungen, die ebenfalls dem Schutze des kirchlichen Besitzes und Vermögens dienen, indem sie dessen Schmälerung durch spätere Reue des Gebers oder Widerspruch seiner Erben oder durch Diebe zu verhindern suchen; auch die Knechte und Mägde eines Gotteshauses erscheinen als fester Bestandteil des Kirchenvermögens, indem deren Flucht die Anstifter und Helfer mit Strafe und Ersatz bedroht; bei Tötung eines Bediensteten hat der Übeltäter für ihn zwei gleichwertige zu stellen. Wenn freie Männer Kirchengut in Brand stecken, so sollen sie nach dem baierischen Recht 40 Goldschillinge als Buße zahlen und außerdem für jeden durch ihre Untat eingestürzten Dachfirst noch 2 4 ; außerdem ist der entstandene Schaden vollwertig zu ersetzen; Knechten jedoch, die sich desselben Frevels schuldig machen und auf frischer Tat ertappt werden, sollen die Hände abgehauen und die Augen ausgestochen werden. Gotteshäuser besaßen das Asylrecht, so daß Verbrecher, die die Kirchentüre überschritten hatten, dort nicht mit Gewalt ergriffen werden durften; bei ihrer Bestrafung war der Priester der betreffenden Kirche zu hören (1/7). Wie die Gotteshäuser und das Kirchengut den besonderen Schirm des Gesetzes genossen, so w a r das gleiche bei ihren Priestern und Dienern am Altare der Fall; alle diese waren in ihrer persönlichen Sicherheit durch das dreifache, bzw. doppelte Wehrgeld geschützt; letzteres galt auch für die Mönche, die nach ihrer Regel im Kloster lebten. Wenn jemand eine Nonne, d. i. eine Gottgeweihte, aus dem Frauenstift entführt und diese gegen das kirchliche Gesetz heiratet, so hat ihn nach dem baierischen Rechte der Bischof des betreffenden Gaues (episcopus civitatis illius 1/11) unter dem Beistande des Königs oder des Herzogs zu belangen; er muß die Entführte auf jeden Fall zurückstellen und dem Kloster den doppelten B e t r a g als Buße entrichten, den gewöhnlich der Räuber einer fremden Braut zahlt; wenn er es verweigert, soll er außer Landes verwiesen werden. Priester und Diakone dürfen keine fremde Frau bei sich im Haushalte haben, um nicht in Versuchung zu fallen, sondern allenfalls nur ihre Mütter, Töchter und leiblichen S c h w e -

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stern. Die Abgaben und Dienste der Hörigen und Knechte der Kirche sind genau geregelt. Schon aus den dürftigen Angaben, die das erste Kapitel des Königsgesetzes bietet, geht hervor, daß die Einrichtungen der fränkischen Kirche einfach auf die untertänigen Stämme übertragen wurden. Wir finden daher in Alemannien wie in Baiern die gleiche Gliederung beabsichtigt: jeder Gau sollte einen bischöflichen Sprengel bilden wie die Wortverbindung episcopus civitatis bezeugt. Gerade dieser deutlich wahrnehmbare Diözesanverband hat den Anlaß zu dem Irrtum gegeben, das Baierische Volksrecht könnte nicht vor das Jahr 739, den Zeitpunkt der angeblichen Bistumsgründung durch Bonifaz, zurückreichen (S. 90 f.). Die allgemeine Fassung des für mehrere Stammesgebiete erlassenen Königsgesetzes läßt darauf schließen, daß alle die angeführten Bestimmungen in den einzelnen Ländern nicht schon von vornherein den dort herrschenden Zuständen entsprachen, sondern zunächst bloß beabsichtigt waren; sie wurden gleich zu Beginn des Bekehrungswerkes einheitlich nach dem fränkischen Muster festgesetzt, um so rascher zum Ziele zu gelangen 1 ). Ein zwingender Beweis, daß die kirchliche Einteilung Alemanniens und Baierns vollendet und hier wie dort jeder Gau der Sitz eines Bischofs wurde, ist nach dem allgemeinen Wortlaute des Königsgesetzes nicht gegeben. Die verhältnismäßig lange Dauer des ersten Abschnittes des Bekehrungswerkes sowie dessen zwangsweise Durchführung lassen jedoch darauf schließen, daß die beiden neubekehrten Länder kirchlich eingeteilt w a r e n ; darauf weisen ja zudem die schon angeführte Urkunde König Dagoberts über die Abgrenzung der Konstanzer Kirche und die Zeugnisse für Lorch als einstige Mutterkirche Baierns. Das zweite Kapitel, das über die Rechtsstellung des Herzogs handelt, gehört seiner allgemeinen Fassung nach auch noch zum Königsgesetze. Seine Person als vom König eingesetzter Amtsherzog ist besonders geschützt: wer ihn tötet, ist seines Lebens verlustig. Es finden sich im ganzen Abschnitte zwar keine kirchlichen Vorschriften mehr, aber wir wissen, daß niemand in gleichem Grade wie er für den Fortschritt des Bekehrungswerkes verantwortlich war. Die Bischöfe und Priester erscheinen ihm gegenüber nur als Helfershelfer. Der Schwerpunkt ruhte bei ihm; war er und *) Das erkennt schon Rettberg, Kirchengesch. Deutschi. 2, S. 25 u. 218 f.

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seine Familie christlich, so w a r es auch bald das Land. Das Fehlen jeder Bestimmung hierüber in den zwei oberdeutschen Volksrechten deutet darauf hin, daß dieser Teil des Königsgesetzes noch älter ist als der erste und in seinem Entstehen noch in eine Zeit zurückreicht, wo die fränkischen Herrscher von den abhängigen Fürsten noch nicht das christliche Bekenntnis forderten. Anders als das baierische Recht führt das alemannische noch eine zweite Aufschrift: „Im Namen Christi beginnt das Gesetz der Alemannen, das zur Zeit Lantfrids, eines Sohnes Gottfrieds, erneuert worden ist" 1 ). Näher erklärt wird das Zustandekommen durch die gleich folgenden Worte des Einganges, es liege hiebei eine Übereinkunft zwischen dem Herzoge und den Großen des Landes auf einer Stammesversammlung vor 2 ). Von den beiden genannten Herzögen wissen wir, daß ersterer 709 starb und letzterer in einem Kriegszuge des Jahres 730 gegen den fränkischen Hausmeier Karl Martell sein Leben verlor 3 ). Das Stammesfürstentum Alemanniens erlosch bald darauf. Während das dem Frankenreiche ferner gelegene Baiern nach dem Tode Dagoberts auf einige Zeit sich unabhängig zu machen wußte, gelang dies dem dazwischen liegenden und an beide angrenzenden schwäbischen Herzogtume nicht so ganz; es konnte z w a r seine Fesseln lockern, doch erfreute es sich nie lange der Freiheit. Nach dem Ableben des Herzogs Gottfried vermochte Pippin der Mittlere auf seinen Kriegsfahrten keine durchschlagenden Erfolge zu erzielen; nach seinem Tode (714) ist um so weniger an einen entscheidenden Sieg der Franken zu denken. Dieser war erst seinem Sohne Karl Martell in den Jahren 722 und 723 gegönnt, wie die gleich nachfolgende Sendung Pirmins beweist, an deren Beginn der ihm übergebene Schutzbrief an Herzog Lantfrid steht (S. 195 f.). Dieser erneuerte demnach das Königsgesetz wohl in derselben Zeit, als Pirmin vor den Mauern der Bischofsstadt Konstanz das Inselkloster Reichenau begründete; das ist um so mehr anzunehmen, als der aus dem Frankenland kommende Glaubensprediger schon nach drei Jahren aus „Haß gegen Karl" wieder weichen mußte. Daß dabei *) In Christi nomine incipit textus lex Allamannorum, qui temporibus Lanfrido filio Godofrido renovata est. Mon. Germ., Leges 5/1, S. 62. ^ Convenit enim maioribus nato populo Allamannorum una cum duci eorum Lanfrido vel citerorum populo adunato. Ebendort S. 63. 3 1 Mon. Germ., Script. 1, S. 23 f.; dazu S. 8.

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seine Schöpfung nicht zugrunde ging, zeigt an, daß Pirmin das Christentum nicht völlig neu einführen mußte, sondern nur aufzurichten brauchte. In Alemannien blieb nämlich, anders wie in Baiern, nach der ersten Bekehrung der neue Glaube erhalten, verfiel jedoch immer mehr, je weniger der fränkische Einfluß sich fühlbar machte. Das erweisen die Frühgeschichte des Klosters St. Gallen (S. 209) und die damit übereinstimmende Klage, die das Leben Pirmins über die kirchliche Lage des Landes bietet (S. 196 f.). Das Wort renovare ist uns schon im Vorwort zum baierischen Gesetze begegnet; es bedeutete da für die Mitarbeit Dagoberts am merowingischen Königsgesetz nicht das Erneuern oder Wiederherstellen eines entschwindenden oder gar nicht mehr geltenden Rechtszustandes, sondern bloß das Überprüfen und Verbessern der bestehenden Ordnung. Ähnlich wird die Tätigkeit Lantfrids im alemannischen Gesetz aufzufassen sein; doch erforderten die große Zeitspanne, die dazwischen liegt, und die in ihr ausgefochtenen Freiheitskämpfe ein viel stärkeres Umarbeiten und Verändern. Nach dem Ableben des genannten Königs vermochte Lantfrid als Stammesfürst sogar in der Zeit des Hausmeiers Karl Martell, wie die Vertreibung Pirmins und das Volksrecht zeigen, eine gewisse Selbständigkeit zu behaupten. Das renovare bedeutet auch in ihm nicht (wie das bei der zweiten Bekehrung der Baiern der Fall war) das Wiedereinführen eines völlig Entschwundenen, sondern nur das veränderte Erneuern eines im Wesen doch nie ganz Ausgelöschten. Das letztere bedingt schon das Fortbestehen des Christentums, das da einen sicheren Wegweiser bildet. Die kirchlichen Satzungen blieben daher in der Hauptsache bestehen, doch war die Stellung des Herzogs gegenüber dem Könige eine wechselnde, je nachdem die Abhängigkeit größer oder schwächer war. Der eingetretene Wandel findet auch im Volksrechte seinen Niederschlag: Karl Martell gelang es nicht, die Alemannen so stark abhängig zu machen, als sie vor hundert Jahren waren; nicht der fränkische König oder Hausmeier erscheint jetzt als Erneuerer des Gesetzes, sondern der von ihm unterworfene Herzog; dieser nimmt nunmehr eine größere Macht ein und tritt daher in eigenem Namen auf, wobei er freilich nicht seinen, sondern fremden Willen zu befolgen hat; aus dem allgemeinen, für alle unterworfenen Stämme berechneten Königsgesetze wird so ein nur für Alemannien zugeschnittenes und gültiges Eigenrecht. 15*

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Hierin besteht ein bedeutender Unterschied zum baierischen Rechte; nach diesem tritt in dem Grade der Abhängigkeit des Landes vom Frankenreiche kein Wechsel ein: zur Zeit Pippins des Mittleren ist Baiern ihm genau so stark unterworfen als zur Zeit Dagoberts. Eben aus diesem Grunde hat das merowingische Königsgesetz hier vielmehr die ursprüngliche und allgemeine Gestalt bew a h r t ; es wurde, ohne zunächst geändert zu werden, zu Beginn der zweiten Bekehrung wieder eingeführt; es trägt daher die Neuauflage nicht so deutlich an der Stirne. Gleichwohl ist auch da eine solche schon aus dem Schlußsatze des Vorwortes, wo die Geltung des Gesetzes bis zum heutigen Tage betont wird, zu verspüren. Noch erheblich stärker ist die „Glanzstelle" 1 ) des Volksrechtes, die über die Tötung des Landesbischofs handelt (1/10), verändert worden; sie fällt schon durch ihr unerhörtes Strafausmaß aus dem Rahmen des Gesetzes und läßt schon daraus auf eine spätere Verschärfung schließen, die ein Sonderfall veranlaßt hat. Das zeigt auch ein Vergleich mit dem alemannischen Rechte, das hierin eine viel mildere Fassung aufweist, indem es als Strafe für die Ermordung eines Bischofs das dreifache Wehrgeld festsetzt und erklärend hinzufügt, er werde in allem so gebüßt wie der Herzog. Es liegt wohl auch da nicht mehr der ursprüngliche Wortlaut vor 2 ), doch kommt er ihm hier bedeutend näher, als die entsprechende Stelle im baierischen Rechte. Wir hörten schon von dem gewaltsamen Tode des Regensburger Bischofs E m m e r a m , der beschuldigt wurde, die Herzogstochter verführt zu haben, und wissen, daß ihn als Rache hiefür ihr Bruder grausam hinmorden ließ (S. 118 f.). Um eine so schwere Untat für die Zukunft zu vermeiden, erhöhte der fränkische Hof im Volksrechte den ursprünglichen Strafsatz: es werde ein Gewand von Blei nach des getöteten Oberhirten Gestalt hergestellt und der Täter soll soviel an Gold erlegen, als das Gewicht ausmacht. Eine so hohe Buße erscheint als Warnungstafel und diese hat als solche nur dann einen Sinn, wenn sie s o f o r t nach der Freveltat errichtet wird. Für die unbedingte Gleichzeitigkeit der Satzung mit der Ermordung Emmerams haben wir noch einen anderen Beleg: einzig und allein hier erscheint der Ausdruck pontifex, und zwar gleich dreimal; das baierische Gesetz B. Krusch, Die Lex Bajuvariorum (1924) S. 263. 2

) Mayer, Oberdeutsche Volksrechte S. 97.

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kennt ihn sonst so wenig wie das alemannische, sondern beide bezeichnen ständig den Leiter eines Bistums als episcopus. Wir denken da sofort an die Stelle bei Arbeo, als Herzog Theodo den angekommenen Emmeram einladet, als pontifex provinciae zu bleiben (c. 5); er war also als erster und einziger Bischof im Lande in wahrem Sinne der Landesbischof; und nur von einem solchen ist an dieser Stelle des Gesetzbuches die Rede. Der Ausdruck pontifex statt des sonst gebrauchten Wortes episcopus verrät schon, daß hier der frühere Text des Königsgesetzes, der noch aus dem milderen Strafsatz des alemannischen Rechtes durchschimmert, nach dem gewaltsamen Hinscheiden Emmerams einem viel schärferen hat weichen müssen. Noch wichtiger ist der Beginn der veränderten Satzung, der die entscheidenden Worte enthält: „Wenn einer d e n B i s c h o f , d e n d e r K ö n i g e i n g e s e t z t oder das Volk sich zum Landesbischof gewählt hat, tötet 1 );" er klingt an an die Anfangsworte über die Ermordung des Herzogs (2/1), von dem ebenfalls gesagt ist, daß ihn der König bestimmt (ordinavit) oder das Volk sich erkoren hat. Da dieses bei Beginn der zweiten Bekehrung noch heidnisch war, so kommt für die Berufung Emmerams bloß der fränkische König in Betracht. Es ist merkwürdiger Weise noch niemandem eingefallen, diese berühmte Stelle des baierischen Gesetzes auf die Sendung des ersten Regensburger Landesbischofs zu beziehen 2 ); man verband sie häufig mit dessen gewaltsamem Tod, verwendete sie aber nie auf seine Ankunft; sie gilt jedoch für sein Kommen und Sterben. Durch ihre unbedingte Gleichzeitigkeit wird der Bericht Arbeos, als habe Herzog Theodo den Glaubensboten Emmeram bei dessen angeblicher Durchreise zu den Awaren eingeladen, im Lande zu bleiben, Lügen gestraft: die Einsetzung des ersten Landesbischofs in der Hauptstadt war also nicht ein Werk des Herzogs, sondern des fränkischen Königs, oder noch genauer seines Hausmeiers Pippins des Mittleren! Baiern erscheint hiemit in voller Abhängigkeit vom Frankenreiche. Wir sehen hier aufs neue, wie wenig in Herzog Theodo damals ein selbständiger Herrscher zu erblicken ist. So ist auch zu verstehen, wenn Arbeo von x

) Si quis episcopum, quem constituit rex vel populus elegit sibi pontificem, occiderit. Mon. Germ., Leges 5/2, S. 281. 2 ) Einen Anlauf hiezu versucht F. Beyerle in der schon erwähnten Abhandlung in der Zeitschr. f. Rechtsgesch. 49, S. 295 f., gibt ihn aber dann wieder auf, da er wie alle anderen Forscher in Theodo irrig einen selbständigen Herzog sieht.

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seinem Glaubenshelden rühmt, er sei gegen die Mächtigen mit Löwenmut aufgetreten 1 ). Das konnte er nur wagen, wenn eine kraftvolle Persönlichkeit ihn schützte; diese war aber nicht der besiegte und abhängige Baiernfürst, sondern der starke Hausmeier des merowingischen Königs. Die zweite Bekehrung Baierns war mithin abermals ein W e r k des Frankenreiches und zeugt daher für die Abhängigkeit des Landes zur Zeit Pippins des Mittleren. Während dieser in Alemannien keine bleibenden Erfolge erzielte, erscheint Baiern, wie die zweite, fast unveränderte Auflage des Königsgesetzes beweist, unter ihm in voller Unterwürfigkeit. Warum ein solch greller Unterschied? W i r haben die Frage schon beantwortet: es war der Untergang der alten Hauptstadt Lorch mit seinen weitgehenden Folgen! Das düstere Ereignis wirft auch da seine Schatten: der unglückliche Awarenkrieg brachte Baiern wieder in Abhängigkeit vom Frankenreiche und w a r der Anstoß zur zweiten Bekehrung und diese wieder führte zur Neuauflage des Königsgesetzes. Arbeo verschweigt alle diese Folgeerscheinungen, gibt uns aber, ohne es zu wollen, die Ursache der Bekehrung bekannt, indem er auf den Awareneinfall und den Verlust der alten Hauptstadt Lorch hinweist; damit ist aber auch aus ihm eine Unterwerfung Baierns unter das Frankenreich doch mittelbar zu schließen, wenn er auch die Tatsache selbst verheimlicht und seinen Landsleuten die Bekehrung als freiwilliges W e r k des herzoglichen Hauses hinstellen will; in Wirklichkeit war Theodo da nur der unfreiwillige Vollstrecker des Willens Pippins des Mittleren und dessen Sendlings, des schon nach drei Jahren ermordeten Emmeram! In dem dem Königsgesetze angehängten Gewohnheitsrechte der Baiern und Alemannen verblieben noch jene Reste aus der Heidenzeit, die nicht der christlichen Sitte widerliefen. Doch erforderte diese auch da manche Zusätze. Neu ist das Verlangen nach der Heiligung des Sonntags und das Verbot der Arbeit an diesem Tage, wobei sich beide Volksrechte ausdrücklich auf die Heilige Schrift berufen. Die Bestimmungen hierüber sind hier wie dort ziemlich gleich, doch sind die für die Baiern noch eingehender und strenger. Sie besagen: Wenn ein Freier an einem Sonntag knechtliche Arbeit verrichtet, wenn er *) contra potentes erectus leonis fortitudinem ostendebat. c. 7.

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Ochsen am Wagen einspannt und ausfährt, so soll er den rechts gehenden verlieren; wenn er aber Heu mäht oder Korn schneidet, so soll es ihm ein- oder zweimal verwiesen werden; und wenn er sich nicht bessert, so soll er mit 50 Rutenstreichen gezüchtigt werden; wenn er wieder rückfällig wird, so verliere er ein Drittel seines Besitzes; und wenn er dann noch nicht nachgibt, dann büße er seine Freiheit ein und werde zum Knecht, da er am heiligen Tage nicht hat ein Freier sein wollen. Ist er aber ein Knecht, so soll er Stockschläge empfangen und falls er wieder bei einer Sonntagsarbeit betroffen wird, so verliere er seine rechte Hand. Auch auf Reisen soll der Sonntag ein Ruhetag sein. Unmittelbar voraus geht (7/1) das Verbot der unerlaubten Ehen, das mit jenem im alemannischen Gesetze wörtlich übereinstimmt, nur ist es in letzterem dem Gebot über die Heiligung des Sonntags nachgesetzt (39). Beide Volksrechte bestimmen hierin folgendes: Blutschänderische Ehen sind verboten. Es ist nicht gestattet, als Ehefrau zu haben die Schwiegermutter, Schwiegertochter, die Stieftochter, die Stiefmutter, die Tochter des Bruders, die Tochter der Schwester, die Gattin des Bruders, die Schwester der eigenen Frau. Kinder von Brüdern und Schwestern sollen miteinander unter keinem Vorwande verheiratet werden. Die hiegegen handeln, sollen von den Ortsrichtern getrennt werden und alles Vermögen verlieren, das dem Fiskus zufällt. Wenn es Leute geringeren Standes sind, die sich durch eine unerlaubte Ehe beflecken, so sollen sie die Freiheit verlieren und unter die Fiskalknechte eingereiht werden. Ehen in der Blutsverwandtschaft untersagte als gegen die menschliche Natur gerichtet wohl schon das heidnische Gesetz der beiden oberdeutschen Stämme. Die Kirche jedoch forderte noch mehr und verbot u. a. auch Ehen in der Schwägerschaft. Wir wissen das schon aus der Geschichte Korbinians, der die Ehe seines Herzogs anfocht, weil dieser die Witwe seines Bruders geheiratet hatte. Eine solche gegen das Herkommen verstoßende Forderung erschwerte das mühsame Werk der Bekehrung, so daß wir im Leben der ersten Glaubensprediger öfter hievon hören. Aus all dem sehen wir, daß die Einführung des Christentums bei den Baiern und Alemannen auf dem merowingischen Königsgesetze aufgebaut ist, das ebenfalls ohne Kenntnis der Bekehrungsgeschichte dieser Stämme nicht richtig verstanden werden kann. Die gleichen Herrscher, die ihnen den neuen Glauben aufnötigten,

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II. Das Stammesherzogtum Baiern und das Christentum.

erließen auch die erforderlichen Gesetze und stellten sie den heidnischen Gewohnheitsrechten voran: Königsgesetz und Volksrecht sind so hier wie dort zusammengefügt und versinnbildlichen in ihrer Verbindung und Reihung noch heute den siegreichen Kampf des Christentums mit dem Heidentum! 16. Die Bekehrung der Karantanen. Der Untergang der Hauptstadt Lorch und die damit verbundene Preisgabe des Gebietes östlich der Traun war für die Baiern um so gefährlicher, als sie befürchten mußten, daß ihre alten Gegner, die Alpenslaven, mit denen sie schon seit ihrem Einzüge schwer zu kämpfen hatten, das aufgegebene Land besetzen würden. Das ist denn auch in der nächsten Folgezeit geschehen. Die Karantanen schoben sich nicht nur in den Raum zwischen Wiener Wald und Enns ein, sondern stießen auch in den verlassenen Teil des Traungaues vor. Neben der Sprache der Orts-, Gewässer- und Bergnamen liefern uns zwei tief eingreifende Ereignisse die Zeitmarken: die Zerstörung von Lorch durch die Awaren (c. 700) als Beginn und die Gründung des Klosters Kremsmünster (777) als Endpunkt. Die Alpenslaven benützten die Schwäche ihrer Nachbarn nicht nur zum Vordringen in die aufgegebenen Landstriche, sondern durchbrachen sogar die geschützten Grenzen und zerstörten die von Rupert errichtete Maximilianszelle im Pongau; die „Kurzen Nachrichten" bezeichnen sie da als sehr grausame Heiden 1 ). Absichten, die Slaven zu bekehren, werden bereits frühzeitig gemeldet. Schon Kolumban dachte daran, ihnen das Christentum zu verkünden, als er von Bregenz aufbrach; doch gab er seinen Plan auf und zog nach Italien 2 ). Bald darauf hat auch Amand, der Gründer von Elnon, das gleiche gewollt; nach seiner allerdings erst nach einem Jahrhundert entstandenen Lebensgeschichte überschritt er die Donau, um ihnen zu predigen, kehrte jedoch, da er nichts ausrichtete, bald wieder zurück 8 ). Solche Versuche versprachen um so weniger Erfolg, als die Slaven damals den Awaren untertänig waren. 1 ) propter inminentes Sclauos et crudeles paganos; propter Sclauos crudelissimos paganos. Salzb. Urkb. 2, A 5 u. A 8. 2 ) Joñas, Schulausgabe S. 216 f. 3 ) Mon. Germ., Script. rer. Merov. 5, S. 440.

16. Die Bekehrung der Karantanen.

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Die ersten Zeugnisse, die über das Verhältnis zwischen Baiern und Karantanen vorliegen, zeigen stets beide Völker als Feinde. Doch bringen auf einmal die Jahrbücher von Metz die Kunde, daß neben Sachsen und Alemannen auch Slaven den Herzog Odilo in der für ihn unglücklichen Schlacht am Lech (743) unterstützten 1 ). Damals gerieten die Baiern wieder unter fränkische Oberherrschaft. Während die Mithilfe der Sachsen und Alemannen wohl eine freiwillige war, dürfte der Zuzug der Alpenslaven darauf zurückzuführen sein, daß diese Odilo vorher in Abhängigkeit zu bringen verstand. Der Anlaß hiezu waren nach der in Salzburg um das Jahr 870 entstandenen „Bekehrungsgeschichte" (Conversio) die Awaren, welche die Karantanen so bedrängten, daß deren Herzog Boruth bei den Baiern Schutz suchte. Diese eilten ihnen zu Hilfe und besiegten mit vereinten Kräften die Awaren, wofür sich die Alpenslaven den ersteren unterwarfen und Geiseln stellten. Unter diesen befand sich der Sohn des Herzogs Boruth, Cacatius, und sein Neffe Cheitmar, die beide christlich erzogen und getauft wurden. Der Salzburger Berichterstatter, der für diese Vorkommnisse die einzige Quelle bildet, erzählt schlicht und wahrheitsgetreu, doch ist ihm darin nicht zuzustimmen, wenn er die Annahme des Christentums durch die beiden Geiseln als einen Wunsch des slavischen und heidnischen Vaters, bzw. Onkels hinstellt 2 ). Wir erinnern uns da sofort an die Angabe Arbeos, Herzog Theodo hätte Emmeram gebeten, im Lande Baiern als Glaubensprediger zu wirken (c. 5). Die Lage Boruths beim Herannahen der Awaren w a r fast ebenso verzweifelt, als jene des Baiernherzogs nach dem Falle seiner Hauptstadt Lorch, 'nur war ersterer vorsichtiger und sah noch vor dem Unglücke um einen Helfer aus. Der Preis war in beiden Fällen der gleiche: Unterwerfung und Annahme des Christentums. Die Baiern waren gelehrige Schüler der Franken geworden und befolgten jetzt das an ihnen selbst erprobte Beispiel. 1 ) Baioarii . . . . in adiutorium S a x o n e s et Alamannos et Sclavos secum habuerunt. Mon. Germ., Script. 1, S. 327 f. 2 ) coeperunt Huni eosdem Quarantanos hostili seditione graviter affligere. Fuitque tunc dux eorum Boruth nomine qui Hunorum exercitum contra eos iturum Bagoariis nunciari fecit rogavitque eos sibi in auxilium venire. Illi quoque festinando venientes expugnaverunt Hunos et obfirmaverunt Quarantanos, servitutique eos regum si'.biecerunt, similiterque confines eorum. Duxeruntque inde secum obsides in B a goariam. Inter quos erat filius Boruth nomine Cacatius, quem pater eius more christiano nutrire rogavit et christianum facere; sicut et factum est. Et de Cheitmaro filio fratris sui similiter postulavit. c. 4 (Ausgabe von Kos S. 130).

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II. Das Stammesherzogtum Baiern und das Christentum.

Boruth stand gerade so wie Theodo vor der schwerwiegenden Frage, sich für das Heidentum und die Awaren oder für die Baiern und das Christentum zu entschließen; auch er mußte sich in seiner vereinsamten Lage zwischen einem östlichen und westlichen Feind für das ihm als geringer scheinende Übel entscheiden. So schlössen sich denn zwei alte Gegner zu einem gemeinsamen Bunde gegen einen dritten, ihnen noch gefährlicher gewordenen Widersacher und Bedränger zusammen. Wie vor fünfzig Jahren wurde wieder der drohende Einbruch der Awaren der eigentliche Anlaß zur Flucht ins Christentum. Boruth wußte genau so wie Theodo, daß er nur um diesen Preis zuversichtlich eine ständige Hilfe gegen die wilden Awaren erwarten könne; er blieb zwar Heide, ließ aber seinen Sohn und Neffen im Glauben seiner westlichen Nachbarn erziehen, um in Hinkunft für sein Volk auf deren sicheren Beistand hoffen zu können. Nach dem Tode Boruths setzten die Baiern auf Geheiß der Franken den in Baiern erzogenen Cacatius als Herzog ein. Dieser w a r der erste christliche Landesfürst in Karantanien und hatte, wie wir hinzufügen können, die Aufgabe, die Bekehrung seines Landes zu beginnen. Da diese ebenso wie in Baiern vom Herzogshofe ausging, so haben wir auch dort in der Herzogsburg (Karnburg) die erste christliche Kirche zu suchen. Als er schon nach drei Jahren starb, kehrte mit Erlaubnis des Königs Pippin der ebenfalls christlich erzogene Cheitmar zurück und erhielt die Herzogswürde; dieser hatte bisher in Chiemsee gelebt und nahm von dort den Priester Maioranus, den Neffen des Abtes Lupus mit, der ihn einst aus der Taufe gehoben hatte; er ließ als Herzog kein Jahr vergehen, ohne Bischof Virgil in Salzburg aufzusuchen. Die „Bekehrungsgeschichte" spricht anfangs nur von den Baiern und hebt erst bei der Herzogseinsetzung die fränkische Oberhoheit hervor. Die Forschung hat diesen Unterschied schon lange beachtet und setzt deshalb mit Recht den Erwerb Karantaniens noch vor das Jahr 743, in dem Herzog Odilo in der Schlacht am Lech seine Selbständigkeit verlor. Erzbischof Arn wies in seinem Streite mit dem Patriarchen Ursus von Aquileia (811) ausdrücklich darauf hin, daß schon Papst Zacharias und dessen Nachfolger Karantanien der Salzburger Kirche zugesprochen hätten (S. 61 f.). Da der genannte Papst bereits im Jahre 741 auf den Thron kam, so läßt sich der aus der „Bekehrungsgeschichte" gewonnene Zeitansatz mit der Angabe Arns gut verbinden; dieser beruft sich überdies auf seine Vor-

16. Die Bekehrung der Karantanen.

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gänger, so daß neben Virgil auch noch der von Bonifaz eingesetzte und vor dem 1. Mai 748 verstorbene Bischof Johannes in Betracht kommt. Damals w a r auch das Verhältnis Odilos mit Rom besonders enge, wie die Teilnahme des päpstlichen Abgesandten Sergius im baierischen Heere bei der Niederlage am Lech dartut. Nach kirchlichem Brauche wäre die Bekehrung Karantaniens eigentlich Sache des Patriarchen von Aquileia gewesen, zu dessen Obermetropolitansprengel bis zum Einfalle der Slaven die Bistümer des Landes gehörten. Darum erhob nachträglich Ursus Anspruch, erreichte jedoch nach dem Schiedssprüche Karls des Großen nur die Draulinie. Das Gebiet nördlich von ihr verblieb bei Salzburg, dessen junges Bistum das große Werk vollbracht hatte. Die Bekehrung Karantaniens zeigt wieder, wie sehr die kirchliche Einteilung von der staatlichen Zugehörigkeit abhängig ist: weil Baiern Karantanien erwarb, wurde von dort aus das Christentum eingeführt und Aquileia übergangen. Es ist staunenswert, daß als nächster Anrainer die Salzburger Kirche, die bis dahin noch nicht ein halbes Jahrhundert bestand, allein eine so große Aufgabe übernehmen konnte. Das verkündet doch laut, daß sie schon damals wohl gefestigt dastand und eine hohe Stufe einnahm. Die Einführung des Christentums in Karantanien erfolgte bereits in engem Einvernehmen mit Rom, dessen damalige Päpste ausdrücklich Salzburg hiezu bevollmächtigten; und eingeleitet hat das ganze Unternehmen der erste der Kirche wirklich ergebene Agilolfinger O d i l o , d e s s e n größtes W e r k e s w a r : er verstand nicht nur Karantanien für sein Land zu erwerben, sondern sorgte auch, durch dessen Bekehrung den erlangten Zuwachs auf die Dauer zu festigen. Das war aber auch die Grundlage der später folgenden Germanisierung, die nicht nur den von Theodo aufgegebenen und von den Alpenslaven besiedelten Landstrich ostwärts der Traun wieder dem baierischen Stamme und seiner Sprache zurückbrachte, sondern auch darüber hinaus die Länder Steiermark und Kärnten dem deutschen Volke gewann. Nach einiger Zeit, so fährt die Salzburger Quelle fort, bat Cheitmar den Bischof Virgil, sein Volk zu besuchen und im Glauben zu festigen. Das konnte dieser selbst zwar nicht tun, doch entsandte er an seiner Stelle (sua vice) den ( L a n d ) b i s c h of ( C h o r b i s c h o f ) M o d e s t mit anderen Priestern und erteilte ihm die Vollmacht, Gotteshäuser und Geistliche nach kanonischer Vorschrift zu weihen. Als sie dort ankamen, errichteten sie eine Kirche zu Ehren Mariens, eine andere im Gau Lurn. und eine dritte im (steieri-

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II. D a s Stammesherzogtum Baiern und das Christentum.

sehen) Ingeringtale und besorgten das noch an vielen anderen Orten 1 ). Die für den Papst bestimmte Denkschrift (Conversio) nennt nur die drei Hauptkirchen, die der neu angekommene Landbischof weihte; alle anderen, ihnen unterstehenden Gotteshäuser übergeht er. Diese Angabe ist nicht nur für die Kirchengeschichte wichtig, sondern auch, was immer übersehen wird, für die politische Landesgeschichte. Da die kirchliche Einteilung der staatlichen zu folgen hatte, so wissen wir, daß das von den Baiern eroberte Karantanien d r e i G a u e umfaßte; deren Vororte erhielt jeder eine Hauptkirche. Darauf deutet schon der Ausdruck i n L i b u r n i a c i v i t a t e für das zweite Gaugotteshaus. Schon der Wandel des Namens zeigt die ganze Entwicklung: Teurnia = Tiburnia = Liburnia = Lurn. Das Lurnfeld (St. Peter im Holz) blieb Mittelpunkt der Verwaltung des von dort aus geleiteten Gaues. Der allmähliche Übergang des alten Stadtbezirkes von Teurnia in den Gau (später Grafschaft) Lurn ist auch aus den Grenzen zu schließen: im Süden und Osten wenigstens, das ist bereits erkannt, sind sie dieselben geblieben 2 ). Das Bistum Tiburnia wird zuletzt in der Bittschrift der langobardischen Bischöfe an den Kaiser Mauritius in Ostrom aus dem Jahre 591 erwähnt (S. 59); es steht da ebenfalls an zweiter Stelle. Da kurz nachher der Slavene'inbruch erfolgte und hiedurch das Kirchenwesen unterging, so ist nicht anzunehmen, daß etwa jetzt nach beiläufig 150 Jahren die Erinnerung hieran die Ortswahl veranlaßte. Der wirkliche Grund liegt vielmehr in dem Weiterbestehen der früheren staatlichen Einteilung. St. Peter im Holz (Oberkärnten) bekam die neue Hauptkirche deshalb, weil es wie ehedem Vorort des von dort geleiteten Bezirkes blieb. Die Alpenslaven haben also in der Hauptsache die Einrichtungen der römischen Verwaltung beibehalten und fortgeführt. Mit dieser Erkenntnis haben wir aber auch schon den Ort der ihr vorausgestellten Marienkirche bestimmt. Diese ist das spätere M a r i a S a a l unweit des Herzogstuhles auf dem Zollfelde und gegenüber der Karnburg, dem Sitz des Herzogs; sie knüpft sowohl an die alte Bischofskirche von Virunum an und führt zugleich das erste christliche Heiligtum in der slavischen Herzogsburg fort. Der Qui venientes Carantanis dedieaverunt ibi ecclesiam sanetae Mariae, et aliam in Liburnia civitate, seu ad Undrimas, et in aliis quam plurimis locis. c. 5. D a s seu ist hier w i e oben S. 172 Anm. 1 und unten S. 249 Anm. 4 mit „und" zu übersetzen. 2 ) R. Egger, Teurnia (1924) S. 8.

16. Die Bekehrung der Karantanen.

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neue Landbischof hatte seine Hauptkirche in unmittelbarer Nähe des Landesfürsten, der für den Fortgang der Bekehrung dem Herzoge von Baiern genau so verantwortlich war, wie ehedem Theodo in Regensburg dem fränkischen Hausmeier. Virunum blieb also auch in der slavischen Zeit der Hauptort des Landes wie ehedem unter den Römern und hatte daher den Vorrang vor dem deshalb an zweiter Stelle stehenden Tiburnia. Schon der Name K a r n b u r g (civitas Carantana) 1 ) ist ein sichtbarer Hinweis, daß im Stadtgebiete von Virunum das Herz Karantaniens und der Sitz des Stammesherzogs zu suchen ist (Klagenfurter Becken); sie, die Nachfolgerin der ehemaligen civitas Noricum (S. 54f.), gab jetzt als Hauptort dem ganzen Lande und dessen Bewohnern den Namen (S. 61). Die noch heute im Volksmunde gebräuchliche Einteilung in Oberund Unterkärnten, die allerdings erst in der kirchlichen Abgrenzung des dreizehnten Jahrhunderts überliefert ist 2 ), geht in ihrem Wesen noch auf die keltorömischen Stadtbezirke Virunum und Teurnia zurück. Die dritte Hauptkirche ließ Modest im I n g e r i n g t a l e errichten. Als solche ist sie schon durch ihre ausdrückliche Nennung gleich nach der von Maria Saal und im Lurnfelde kenntlich. Wie diese beiden als geistliche Mittelpunkte je eines Gaues hervorgehoben werden, so ist die gleiche Eigenschaft für die dritte anzunehmen. Ad Undrimas bezeichnet nicht nur die Örtlichkeit Ingering, sondern auch den Sprengel, der von dort verwaltet wurde; der Ausdruck entspricht genau dem unmittelbar vorausgehenden in Liburnia civitate. Das Gotteshaus selbst läßt sich nicht mit Gewißheit bestimmen, doch besteht, und das ist die Hauptsache, über die Gegend kein Zweifel; sie ist der Umkreis von Knittelfeld 3 ), in dessen Nähe später das steierische Landesbistum Seckau erstand (1218). Während die von Modest errichteten Hauptpfarren Maria Saal und Lurn örtlich und in ihrem Umfange an bischöfliche Kirchen aus der Römerzeit anknüpfen, so ist das bei der steierischen nicht mehr so Mon. Germ., Dipl. Karol. 3 (1940) S. 285; Mon. hist. ducatus Carinthiae 3 (1904) S. 35. 2 ) A. Jaksch in: Erläuterungen zum Hist. Atlas der österr. Alpenländer 1/4 (1914) S. 25 f. s ) M. Felicetti, Steiermark im Zeiträume vom 8. bis 12. Jahrh., Beiträge zur Kunde steierm. Geschichtsquellen 10 (1873) S. 30; Tomek, Gesch. d. Diözese Seckaul, S. 70 f.; H. Pirchegger, Die kirchl. Einteilung der Steiermark vor 1783, Erläut. zum Hist. Atlas der österr. Alpenländer, 2. Abt. 1 (1940) S. 3 f.

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II. Das Stammesherzogtum Baiern und das Christentum.

ganz der Fall: der Bereich deckt sich wohl zum Teil mit dem untergegangenen Bistum Flavia Solva, doch i s t . d e r neue Mittelpunkt mehr nach Nordwesten gewandert. Neben Virunum und Teurnia wird in der Bittschrift der langobardischen Bischöfe (591) noch Agunt als Bistum genannt. Wenige Jahrzehnte später begann dort der Zusammenstoß zwischen Baiern und Alpenslaven. Der Name Pustertal (pustu = wüst) erinnert noch heute, daß der Schauplatz der verheerenden Kämpfe der Sprengel von Agunt war. Die Stadt selbst ging unter. Ihre Rolle als Trägerin des Christentums übernahm später das erneuerte Bistum Säben (Brixen). Da für die Gegend von Agunt die Tätigkeit des Landbischofs Modest nicht erwähnt wird, so ist anzunehmen, daß dieser Stadtkreis von Karantanien bereits abgetrennt war und schon früher zu Baiern kam. Wenn wir das von Modest betreute Gebiet Karantaniens mit dem ehemaligen Binnen-Noricum vergleichen, so fehlt außer Agunt auch noch der Bezirk der römischen Stadt Celeia (Cilli), wo wir noch um das Jahr 600 einen Bischof erwähnt fanden. Die Angabe der „Bekehrungsgeschichte" über die Stiftung von drei Hauptpfarren in Karantanien ist noch aus einem anderen Grunde bedeutsam; sie zeigt an, daß die k i r c h l i c h e E i n t e i l u n g des Landes nicht das Ende, sondern der B e g i n n d e r B e k e h r u n g w a r 1 ) ; hier ist das viel deutlicher zu sehen als in Baiern. Virgil entsandte nicht etwa einen Wanderbischof, der im Lande herumzog, sondern einen Landbischof mit einem festen Sitze in der Nähe des Herzogs. Das war der eigentliche Anfang der Bekehrung, für die Modest bald hernach in den zwei übrigen Gauen noch je einen neuen Mittelpunkt schuf; dort aber walteten keine Bischöfe mehr, sondern Pfarrer, die ihm unterstellt waren. Karantanien wurde — und das ist das Neue — als Missionsgebiet behandelt, das dauernd von der Salzburger Kirche abhängig blieb. Oberster Priester in Karantanien ward der Salzburger Bischof, der dorthin einen Stellvertreter in der Würde eines Landbischofs entsandte. Das war ein Gebietszuwachs, der nochmals so groß war, als je ein anderes Bistum Baierns an Umfang zu verzeichnen hatte. Salzburg erhielt hiedurch einen Sprengel, der von der Ziller in Tirol und dem Chiemsee bis an die Ostgrenze Karantaniens und von der Donau bis über die Drau reichte. Das war der erfolgversprechendste Weg, *) Das ist schon Hauck, Kirchengesch. Deutschi. 2, S. 469

aufgefallen.

16. Die Bekehrung der Karantanen.

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den Vorrang in Baiern zu erlangen. Karantanien hatte keine Aussicht eine eigene Landeskirche zu erhalten, sondern blieb dauernd Salzburg unterstellt. Das zeigte sich noch später, als dieses dort die Bistümer Gurk, Seckau und Lavant ins Leben rief, deren Inhaber der jeweilige Erzbischof ernannte. Bischof Modest blieb bis an sein Lebensende in Karantanien und ist, nach seinem in der von ihm erbauten Kirche zu Maria Saal befindlichen Grabmal, einem vorromanischen Tischaltar, zu schließen, dort begraben 1 ). Nach seinem Tode, so fährt die Salzburger Quelle fort, lud Herzog Cheitmar den Bischof Virgil neuerdings ein, zu ihm zu kommen. Doch brach eben damals ein Aufstand aus, so daß nicht er selbst sich dorthin begab, sondern an seiner Stelle den Priester Latinus entsandte, der jedoch, als abermals das Volk sich erhob, wieder fortging. Nachdem der Aufruhr unterdrückt war, schickte Virgil nacheinander die Priester Madalhoh und Warmann. Nach dem Tode des Herzogs Cheitmar verblieb überhaupt einige Jahre kein Geistlicher im Lande 2 ), bis der neu eingesetzte Herzog Waltunc wieder von Salzburg Priester erbat, deren Namen die Denkschrift bringt. Das geschah, so schließt sie, unter Bischof Virgil. Wir erkennen hier deutlich den Widerstand des Volkes, das wieder frei sein und zum Glauben seiner Väter zurückkehren wollte. Es kam darum nach dem Ableben Cheitmars zum offenen Kampfe mit Baiern, dessen junger Herzog T a s s i l o i m J a h r e 7 7 2 d i e K a r a n t a n e n b e s i e g t e ; es war das, bemerken die Jahrbücher von St. Emmeram, zur gleichen Zeit als Karl der Große in Sachsen die Eresburg und Irminsäule zerstörte 3 ). Das w a r der entscheidende Sieg, der den vollen Erfolg brachte und die dauernde Herrschaft der Deutschen über die Slaven in den Alpenländern begründete. Der neue Herzog Waltunc mußte das unterbrochene Werk der Bekehrung wieder aufnehmen und wandte sich deshalb an Virgil. Von nun an war der Bestand des Christentums in Karantanien und in K. Ginhart, D a s Modestusgrab in Maria-Saal, J. Strzygowski-Festschrift (1932) S. 63 f. 2 ) Mortuo autem Cheitmaro et orta seditione aliquot annis nullus presbyter ibi erat. c. 5. 3 ) Mon. Germ., Script. 30/2, S. 733. Auf diese Kämpfe bezieht sich wohl auch der Brief eines irischen (peregrinus) Priesters Klemens an Herzog Tassilo, in dem er ihn mit Hinweis auf die Bibel zum tapferen Kampf gegen die Heiden auffordert. Mon. Germ., Epist. 4 (1895) S. 496 f.

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II. Das Stammesherzogtum Baiern und das Christentum.

den von dort einige Zeit besetzten Gebieten Baierns gesichert. Eben damals erfolgte die Weihe des Domes in Salzburg (774), der erst der vorausgegangene Sieg Tassilos eine feste Grundlage für den beanspruchten Vorrang gab (S. 130 f.). Auf Grund der dürftigen Angaben läßt sich beiläufig die Zeit festsetzen, in welcher der Landbischof Modest die Einführung des Christentums in Karantanien begann. Es war nicht erst das Jahr 7671), in dem angeblich nach der „Bekehrungsgeschichte" Virgil die Bischofswürde erlangt hat, sondern schon früher. Dieser erhielt die Weihe bereits am 15. Juni 755 (S. 189 f.). Wir wissen zudem, daß ihm Herzog Odilo schon um 747/48 den erledigten Salzburger Stuhl verlieh, so daß zwischen Ernennung und Weihe beiläufig sieben Jahre liegen. In eben dieser Zeit, um 750, wird der neue Bischof Modest entsendet haben; er hatte damals allen Grund, nicht selber nach Karantanien zu gehen, um das große Werk zu eröffnen, da er ja nicht die erforderliche Weihe besaß; er beauftragte deshalb den Landbischof Modest. Da dieser dort einige Zeit wirkte und erst nach seinem Tode allmählich ein solcher Rückschlag eintrat, daß mehrere Jahre kein Priester im Lande bleiben konnte, so ist die Zeitspanne der Bekehrung vor dem Siege Tassilos (772) länger und daher natürlicher. Der Name Virgils bürgt dafür, daß das Vorgehen der von ihm entsendeten Glaubensboten der irischen Kirchenart entsprach; einzelne von ihnen, wohl Modest selbst, waren wahrscheinlich seine Landsleute. Der Rückfall ins Heidentum dauerte in Karantanien nicht solange als in Baiern, so daß Virgil noch fortsetzen konnte, was er als junger Bischof begonnen hatte.

Die Zeit der Schwäche Baierns nach der Zerstörung Lorchs hatten die Alpenslaven benützt, nicht nur im Traungau und im Lande unter der Enns vorzudringen, sondern sie taten das gleiche auch Drau aufwärts an ihrer Grenze gegen Tirol, dem ehemals heiß umkämpften Bezirke von Agunt. Daß dort baierischer Boden verloren ging, zeigt die Gründung des K l o s t e r s I n n i c h e n (India) auf der Hochebene des Pustertales. Herzog Tassilo stiftet es im Jahre 769 an einer wüsten und bisher unbewohnten Stelle und schenkt es dem Abte Atto von Scharnitz, auf dessen Bitte er den gewünschten *) So Jaksch, Gesch. Kärntens 1, S. 59.

17. Herzog Odilo als Gründer kolumbanischer Klöster.

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Landstrich widmete, zu dem Zwecke, um „das ungläubige Geschlecht der Slaven auf den Pfad der Wahrheit zu führen" 1 ). In der in Bozen ausgestellten Urkunde erscheint als letzter Zeuge Bischof Alim, der bereits auf den Stuhl von Säben gehört, in dessen Sprengel Innichen lag; das untergegangene osträtische Bistum war also kurz vorher als baierisches wiedererstanden 2 ). Wenn nun in dessen Gebiet noch heidnische Alpenslaven hausten, so sehen wir, daß diese dorthin vorgestoßen waren und das erneuerte Bistum sie noch nicht bekehrt hatte; eben deshalb gründet Tassilo das Ordenshaus. Innichen war jedoch nicht selbständig, sondern gehörte dem im Jahre 763 ebenso in einer Einöde (bei Mittenwald) ins Leben gerufenen Peterkloster Scharnitz. Über dessen Entstehen belehrt uns wieder eine Urkunde, die schon deshalb bemerkenswert ist, als sie füglich als der erste, in Baiern erhalten gebliebene Stiftbrief einer Mönchsgemeinschaft anzusprechen ist; bald darauf (772) verlegte sie ihren Sitz nach Schlehdorf am Kochelsee 3 ). W a s Tassilo in Tirol begann, setzte er wenig später im Traungau fort und ließ dort das Kloster Kremsmünster errichten, das gleichfalls der Bekehrung der eingedrungenen Karantanen zu dienen hatte.

17. Herzog Odilo als Gründer kolumbanischer Klöster. Bei Einführung des Christentums in Baiern hören wir bloß von dem Bau der Hauptkirche mit anschließendem Kanonikat- und Kanonissenstift sowie dem Friedhofsgotteshause mit Männerkloster in der jeweiligen Bischofsstadt. Nur von Rupert erfahren wir, daß er im Pongau die Maximilianszelle errichtete, die, als sie die Alpenslaven zerstörten, nach längerem Verfalle Herzog Odilo wiederherstellen ließ. Bei dieser Gelegenheit gesteht der Verfasser der „Kurzen Nachrichten", der genannte Fürst hätte angefangen, Kirchen zu bauen und die Priester zu lieben. Von seinen Vorgängern *) antiquo tempore inamen atque inhabitabilem esse cognovimus . . . propter incredulam generationem Sclauanorum ad tramitem veritatis deducendam. Freis. Trad. 1, S. 62. 2 ) Heuberger, Rätien 1, S. 193 f. D a s von ihm vermutete Eingehen des spätrömischen Bistums ist schon deshalb gesichert, als dieses bei Weiterbestehen den Vorrang vor allen baierischen Bischofssitzen und den Anspruch auf das Erzbistum gehabt hätte. 3

) Freis. Trad. 1, S. 46 f., 81. 16

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II. D a s S t a m m e s h e r z o g t u m Baiern und das C h r i s t e n t u m .

kennen wir in der Tat keine einzige Klostergründung; erst er hat begonnen, solche Stiftungen in seinem Lande ins Leben zu rufen. Das erste Kloster, das er erstehen ließ, w a r N i e d e r a l t a c h an der Donau. Dessen dritter Abt Urolf (um 800) weiß über die Anfänge seines Hauses folgendes zu sagen: es sei dem hl. Mauritius geweiht und von Odilo errichtet worden, der aus Alemannien mit Erlaubnis Pippins und des Bischofs Eddo zwölf Mönche herbeirief 1 ). Der genannte Oberhirt gehört nach Straßburg und ist uns schon in Reichenau als Nachfolger Pirmins begegnet. Diese Namen bezeichnen bereits die Richtung, die Odilo einschlug: es w a r nicht der von Bonifaz geförderte Benediktinerorden, sondern die irische Mönchsgemeinschaft, die nach der Regel Kolumbans lebte; hiefür zeugt ja auch der Name des gewählten Hauspatrons Mauritius, des Schutzheiligen des Klosters von St. Moriz (Agaunum) in der Schweiz, das mit Luxeuil in engem Bunde stand. Die zwölf neuen Mönche mit ihrem Abte Eberswind w a r e n also Schüler Pirmins, die dessen Lebensart in Baiern einzuführen hatten; es ist deshalb nicht nötig, sie alle von Reichenau herzuleiten, aber sie stammen aus schwäbischen Ordenshäusern, die nach den neuen Weisungen lebten. Da sehen wir, wie wichtig es ist, die Regel zu kennen, die Pirmin zu befolgen lehrte; es w a r e n die Satzungen Kolumbans, die er neu belebte und nicht die Benediktinerregel! Der Gründer von Reichenau ist deshalb nicht nur der Neugestalter des Klosterlebens in Alemannien, sondern auch in Baiern. Die in der ersten Hälfte des elften Jahrhunderts entstandenen Altacher Annalen setzen die Gründung ihres Hauses in das J a h r 741 und erwähnen vorher, daß Herzog Tassilo damals das Licht der Welt erblickte 2 ). Die neu aufgefundenen Salzburger Jahrbücher bringen die gleiche Zeitangabe der Geburt des Sohnes Odilos 3 ). Ob beide Altacher Nachrichten in einem inneren Zusammenhange stehen, ist z w a r nicht ersichtlich, doch liegt es nahe, sie zu verbinden; es w ä r e sehr wohl möglich, daß der beglückte Vater aus Freude und Dank hiefür, daß ihm ein Sohn geschenkt wurde, sich zur Gründung eines Klosters entschloß. Auf jeden Fall gehören beide Ereignisse in ein und dasselbe J a h r ; auch andere nachfolgende Quellen, darunter Mon. Boica 11 (1771) S. 14. ) 741. Natus est Thassilo. Monasterium Altha construitur divo Mauricio. Mon. Germ., Script. 20 (1868) S. 782. 3 ) Mon. Germ., Script. 30/2, S. 732. 2

17. H e r z o g Odilo als Gründer k o l u m b a n i s c h e r

Klöster.

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der berühmte Geschichtschreiber Hermann von Niederaltach, geben 741 als Gründungsjahr an 1 ). Hermann von Reichenau hingegen führt als Jahr der Stiftung von Niederaltach 731 an 2 ). Da jedoch zu dieser Zeit Odilo noch gar nicht Herzog w a r , so v e r w i r f t die Forschung mit Recht diesen Zeitansatz und hält sich an 741 3 ). W i r können demnach sagen: Herzog Odilo hat die Klostergründungen in Baiern mit der Stiftung von Niederaltach im J a h r e 741 eröffnet und hiebei schwäbische Mönche herbeigerufen, die aus der Schule Pirmins kamen. Und das tat er schon nach zwei Jahren, als der Benediktiner Bonifaz als Abgesandter des P a p s t e s die Bischöfe irischer Kirchenart in seinem Lande absetzte. W i r sehen hier deutlich, wie der Herzog schon v o r der Ankunft Virgils und trotz seiner engen Verbindung mit Rom an der kolumbanischen Grundlage seiner Landeskirche festhält. Die Benediktinerregel w u r d e in Niederaltach erst in der Zeit Karls des Großen eingeführt. Eine Urkunde Ludwig des Deutschen (848?) gibt sie bereits als dort bestehend an 4 ). Schon die Lage des Ordenshauses am Nordufer der Donau weist darauf hin, daß seinem Stifter auch wirtschaftliche Ziele vors c h w e b t e n : es hatte die große Aufgabe zu beginnen, den mächtigen Nordwald zu lichten. Ein zweites Kloster, das sein Entstehen auf Odilo zurückführt, ist M o n d s e e im Matahgau. Es liegt z w a r auch hier keine gleichzeitige Nachricht vor, doch liefert das kostbare Traditionsbuch, das dort im neunten Jahrhundert entstanden ist, einen festen Anhaltspunkt. Es ist in ihm eine Urkunde überliefert, die am 10. Juli des ersten H e r r s c h e r j a h r e s Tassilos (748) ausgestellt ist und Opportunus als Abt des den Heiligen Michael und P e t r u s geweihten Gotteshauses bezeichnet 5 ). An anderer Stelle vermerkt am Rande eine Hand des zwölften Jahrhunderts, Pippin habe im J a h r e 748 nach dem Ableben Odilos Tassilo als Herzog eingesetzt und, fügt sie hinzu, dessen Vater habe nicht lange vorher das Kloster Mondsee errichtet, wie in der Chronik und in diesem Buche zu finden !) Mon. Germ., Script. 3, S. 35; 11, S. 198; 17, S. 361, 369. 2

) Ebendort

3

) S o u. a. H e u w i e s e r ,

4

) Mon. Germ.,

5

) Urkb. d. L. o b der E n n s 1 (1852) S. 49 f.

5, S. 98. G e s c h . d. B i s t u m s P a s s a u 1, S . 283 f.

Dipl. Karol.

1 (1934) S.

64 f. 16*

244

II. Das Stammesherzogtum Baiern und das Christentum.

sei 1 ). Auch nachfolgende Hausgeschichten von Mondsee nennen Odilo als Gründer und geben als erstes Jahr seiner Stiftung 748 an 2 ). Aventin, der noch die sehr alten, heute leider verschollenen J a h r b ü c h e r von Mondsee dort benützte 3 ), führt gleichfalls das Entstehen des Michaelsklosters auf Odilo zurück 4 ). Im e r w ä h n t e n Traditionsbuche hat eine Hand des zwölften J a h r hunderts ein Gedicht eines e t w a s früheren Mondseer Mönches 5 ) eingetragen, das in leonischen Versen die Gründung von Mondsee besingt; er feiert ebenfalls Odilo als Stifter und bemerkt ferner, die ersten Mönche seien von Monte Cassino gekommen 6 ). Hätte das wirklich zugetroffen, so w ä r e Mondsee schon seit Beginn ein Benediktinerkloster g e w e s e n ; da hätte also Odilo, anders als in Niederaltach, gerade zu dem Zeitpunkte, als er Virgil als Bischof von Salzburg einsetzte, in dessen Sprengel Ordensgenossen des von letzterem so heftig bekämpften Bonifaz aus Italien kommen lassen. Das ließe sich eher noch für das Bistum Eichstätt erklären, w o ein Mitbruder des Bonifaz Willibald Bischof w a r , der früher in Monte Cassino dem bekannten Abt P e t r o n a x (gest. 747) geholfen hatte, das in Verfall geratene Klosterleben zu erneuern 7 ). Kurz vorher (744) hatte der Baier Sturm auf Geheiß seines Meisters Bonifaz das Benediktinerkloster Fulda gegründet. Es w a r daher wirklich nicht nötig, aus so weiter Ferne fremdsprachige Jünger Benedikts einzuführen, w o solche gleichen oder doch germanischen Blutes in der Nähe w a r e n . In der Tat hat Mondsee seine ersten Brüder eben dorther bezogen als Niederaltach. Das zeigt noch heute das um das Jahr 825 begonnene Verbrüderungsbuch von Reichenau, w o die Äbte und Mönche beider von Odilo gestifteten Ordenshäuser unmittelbar nacheinander in der Reihenfolge ihres Entstehens eingetragen sind. Schon die angeführten Namen weisen auch im Michaels*) 748 . . et ipse domnus Otilo non longe antea construxit cenobivm Maninse, ut in chronica et in hoc libro inuenitur. Urkb. d. L. ob d. Enns 1, S. 24 u. 93 f. 2 ) (B. Lidl) Chronicon Lunaelacense (1748 aus Anlaß der Jahrtausendfeier erschienen) S. 6. 3

) Zibermayr, Die St. Wolfganglegende S. 12, b z w . 148.

4

) Aventins W e r k e 2 (1882) S. 391 u. 5 (1886) S. 92.

5

) Zibermayr, Die St. Wolfganglegende S. 16, b z w . 152. 6 ) Cassino de Monte legunt — et adhuc ibi degunt — Domnos claustrales, habuit necNorica t a l e s . — Mon. Germ., Script. 15/2, S. 1101. 7 ) S. Brechter, Monte Cassinos erste Zerstörung, Stud. u. Mitt. z. Gesch. d. B e nediktinerordens 56 (1938) S. 122 f.

17. Herzog Odilo als Gründer kolumbanischer Klöster.

245

hause fast durchgehends auf germanische Herkunft 1 ). Monte Cassino kommt daher als Mutterkloster von Mondsee nicht in Betracht. Die Angabe des Dichtermönches stammt erst aus einer Zeit, wo sein Ordenshaus längst Benediktinerkloster war und entspringt wohl nur dem Bestreben um den Vorrang, zumal er noch hinzufügt, damals hätte Noricum noch keine solchen Mönche gehabt. Mit anderen Worten: Mondsee will das erste Benediktinerkloster Baierns sein und hierin an Alter sogar das auch nach dem Gedichte vorher entstandene Niederaltach übertreffen. Das Reichenauer Verbrüderungsbuch verzeichnet nicht nur die ältesten Äbte und Mönche der beiden Stiftungen Odilos, sondern fügt auch noch gleich darauf die Liste der Insassen der Klöster Mattsee, Metten und Chiemsee an; dann bringt es die Namen der Brüder von Feuchtwangen (Bistum Augsburg) und schließlich jene „aus dem Verbände des hl. Bonifatius vom Kloster Fulda" 2 ). Von den neu genannten Ordenshäusern kennen wir Chiemsee schon als Sitz des schottischen Klosterbischofs Doddogrec, des Gehilfen Virgils, und als Unterrichtsstätte des karantanischen Herzogs Cheit* m a r ; nach allerdings späteren, jedoch glaubhaften Quellen hat es der eben bezeichnete Salzburger Oberhirt am 1. September 782 geweiht 3 ) ; es war also bestimmt ein irisches Kloster. Das können wir aber auch von den anderen aus Baiern genannten Konventen annehmen, die mit dem von Pirmin errichteten Reichenau verbrüdert w a r e n ; letzteres hatte ja anfangs die gleiche Eigenschaft und erhielt erst später unter Abt Waldo (786—806) die Benediktinerregel. Dafür spricht überdies, daß der ihr schon verpflichtete Mönch bei Fulda eigens seines Ordensbruders Bonifaz gedenkt. Hätte dieser in Baiern Klöster ins Leben gerufen, so hätte der Schreiber nicht ermangelt, das ebenfalls zu vermerken. Wir können also sagen: Odilo hat als erster Klostergründer in seinem Lande keine Benediktiner eingeführt, sondern kolumbanische Mönche aus Alemannien kommen lassen; gerade sein Vorgehen lehrt aufs neue, daß Reichenau und die mit ihm verbundenen schwäbischen Ordenshäuser nicht als Benediktinerklöster ins Leben traten, sondern diese Eigenschaft erst später erwarben. In Baiern wie in Alemannien war also die Grundlage des Klosterwesens irisch. Das hiebei gewonnene Bild entMon. ) XVI. nominata. 3 ) Mon. 2

Germ., Libri confrat. (1884) S. 187. Nomina fratrum de c o n g r e g a t o n e s. Bonifacii de monasterio quod Fulta Ebendort S. 194—199. Germ., Script. 9, S. 536, 564; 11, S. 85.

246

II. Das Stammesherzogtum Baiern und das Christentum.

spricht ganz und gar dem Wesen der ersten Bekehrungsgeschichte beider Länder. Alle späteren Nachrichten, als hätte sich Bonifaz irgendwie an Klosterstiftungen in Baiern beteiligt 1 ), sind ebenso frei erfunden, wie seine angebliche Begegnung mit Pirmin. Neben Niederaltach und Mondsee zählen Mattsee, Metten und Chiemsee zu den ältesten Ordenshäusern Baierns. Odilo selbst hat jedoch nur die zwei ersten begründet, da er ja Mondsee knapp erst vor seinem Tode ins Leben rief. Seinen Gedächtnistag begingen seine beiden Stiftungen am 18. Jänner 2 ). Da Opportunus als Abt von Mondsee bereits am 10. Juli des ersten Herrscherjahres Tassilos urkundlich erwähnt wird, so ist Odilo am 18. Jänner 748 gestorben. Es hat demnach den Anschein, Mondsee verdanke sein Dasein dem letzten Willen des sterbenden Herzogs. Die Abtei verehrte in dessen Sohn Tassilo ihren zweiten Gründer 3 ); auch das zeugt für die ihm zugefallene Aufgabe, den väterlichen Entschluß in die Tat umzusetzen bzw. zu vollenden. Nach seinem Sturze wurde Mondsee Reichsabtei, ein Vorgang, der ebenfalls auf den agilolfingischen Ursprung und mithin auf ein Eigenkloster dieses Geschlechtes schließen läßt. 18. Die ersten bischöflichen Stifte Baierns. Manche Bistümer, die erst später entstanden, verlegten, um einander im Vorrange zu übertreffen, ihren Ursprung in die Zeit des frühesten Christentums. Dasselbe Bestreben läßt sich bei den Ordenshäusern feststellen. So leiteten einige von ihnen ganz ohne Grund ihre Anfänge von den Herzogen Odilo und Tassilo ab. Doch schimmert da noch die Tatsache durch, daß vor dem erstgenannten Fürsten keiner seiner Vorfahren ein Kloster ins Leben rief, zumal der Gründer von Niederaltach auch in der Sage an der Spitze steht. Andere Ordenshäuser hinwieder wollten für sich das Bestehen der Benediktinerregel noch in die Zeit des Bonifatius hinaufrücken. Das trat schon bei Mondsee hervor. Ein weiteres Beispiel, das noch früher anzusetzen wäre, liefert das älteste Traditionsbuch des Hochstiftes Passau. Da erzählt eine Aktaufzeichnung, die zwar auf Grund einer verbrieften Vorlage, jedoch um ein Jahrhundert später entstanden ist, von dem Bau einer Zelle mit Kirche für Benedikti-1) Bei Mitterer in: Stud. u. Mitt. z. Gesch. d. Benediktinerordens 46, S. 358. " 2 ) Mon. Germ., Necrol. 4 (1920) S. 30; Chron. Lunaelac. S. 8. 3 ) Mon. Germ., Script. 25, S. 640 (B. Noricus).

18. Die e r s t e n bischöflichen Stifte B a i e r n s .

247

nerinnen noch aus den T a g e n der Herzoge Hugbert und Odilo zu K ü h b a c h am Kößlarnerbache ( R o t t h a l m ü n s t e r ) 1 ) ; unmittelbar anschließend berichtet eine Geschäftsurkunde (carta), daß Irminswind, die T o c h t e r des Stifters, das von diesem errichtete Klösterchen nach dem Ableben der zunächst bedachten „Nonnen" (sanctimoniales) dem Bistume P a s s a u widmete, w o b e i jedoch von B e nediktinerinnen nichts v e r l a u t e t ; die Spenderin bat noch ihre V e r w a n d t e n , den König Karl zu ersuchen, ihren letzten Willen zu bestätigen. D a s tat er in einer Urkunde, die gleichfalls bloß abschriftlich überliefert i s t 2 ) ; doch spricht diese nur von dem von der „Matrone" Irminswind v e r g a b t e n Eigengute mit Gotteshaus, so daß hier w e d e r von einer Zelle noch von Nonnen die R e d e i s t ; dabei beruft sich die königliche Kanzlei noch auf die v o r g e w i e s e n e S c h e n kungsurkunde, die demnach ursprünglich nicht viel anders gelautet haben wird. Die Benediktinerregel hat daher in dem genannten Stifte v o r Karl dem Großen in keinem Falle gegolten; diese Angabe enthält nur die im Traditionsbuche vorangestellte Aktaufzeichnung, die erst nach den beiden Urkunden entstanden ist. Die W i r k lichkeit wird hier nicht s c h w e r festzustellen sein: die bei der geschenkten Kirche entstandene Zelle w a r ursprünglich ein Heim für G o t t g e w e i h t e Jungfrauen, wie schon das in der Geschäftsurkunde zum Ausdrucke gebrachte E r b r e c h t ihrer Insassinnen andeutet; es herrschte dort keine andere Lebensregel, als sie in den weiblichen Domstiften B a i e r n s zu finden w a r ; darauf w e i s t auch ihre Eigenschaft als Eigenkloster des Hochstiftes P a s s a u . Noch ein Ordenshaus B a i e r n s ist zu nennen, in dem angeblich schon seit seinen ersten Anfängen die Benediktinerregel gegolten h a t ; es ist dies S c h l i e r s e e . Die Art seines Entstehens zeigt der abschriftlich überlieferte Stiftbrief vom 21. J ä n n e r 779, der zugleich erweist, w i e stark die christliche Gedankenwelt in dem noch vor kurzem heidnischen Volke B o d e n gefaßt hatte. Fünf B r ü d e r gaben das weltliche L e b e n auf und erbauten auf ihrem gemeinsamen Erbbesitze in einer wüsten Einöde (in v a s t a solitudine heremi) in herkömmlicher W e i s e (more solito) ein kleines Kloster (cellula) und ein cellulam s u a m una [ c ] u m s a n c t i s [ m o n ] ialibus sub r e g u l a [s. B e n e ] d i c t i . P a s s . T r a d . S . 2 9 f.

S . Mitterer, Die bischöflichen E i g e n k l ö s t e r in den v o m hl. Bonifatius

7 3 9 g e g r ü n d e t e n b a y e r . D i ö z e s e n ( 1 9 2 9 ) S. 145 b e z w e i f e l t das, a b e r nur für die Zeit Hugberts. 2

) Mon.

Germ.,

Dipl.

Karol.

1, S .

228 f.

248

II. Das Stammesherzogtum Baiern und das Christentum.

Kirchlein (oratorium). Auf ihre Bitte weihte es Bischof Arbeo von Freising, übernahm die Oberhoheit und sandte ihnen einen Lehrmeister (magister), den sie nach zwei Jahren zum Abte wählten. Der genannte Oberhirt weihte ihn und setzte den, wie die Urkundenabschrift sagt, nach der Regel Benedikts Erkorenen ein; fortfahrend bemerkt sie, die Brüder hätten beschlossen, diese Ordensregel einzuführen und sich selber einen Abt zu wählen, während der Bischof ihn zu weihen habe; sollten hiefür geeignete Männer im Kloster fehlen, so hätten dessen Insassen aus dem Domstifte (de domo episcopali) sich einen Vorsteher zu wählen 1 ). Es fällt auf, daß hier gleich zweimal angegeben ist, welche Ordensregel herrschen soll, während damals in allen anderen klösterlichen Stiftbriefen Baierns davon nie die Rede ist. Die ganze Form der Abfassung zeigt schon, daß sie nicht in einem Zuge entstanden ist: zuerst wird erwähnt, die Brüder hätten ihren Lehrmeister zum Abte gewählt und erst nachträglich, als sie ihn dem Bischof zur Weihe vorführten, ist hinzugefügt, es sei dies nach der Regel Benedikts geschehen, die aber dem Nachsatze zufolge erst eingeführt werden soll. Der erkorene Abt Perhtcoz begegnet in einer anderen Freisinger Urkunde des Jahres 772 als Priester 2 ); er gehörte ohne Zweifel dem Domstift an, woher auch in Zukunft bei Bedarf der Abt von Schliersee gewählt werden sollte. Die natürliche Folge wäre demnach, daß auch dieses ein Benediktinerkloster gewesen sei. Das ist eine irrige Angabe, die der Geschichtschreiber Otto von Freising bringt. Der bald nach ihm wirkende Conradus Sacrista, der im Jahre 1187 begann, die Tätigkeit Kozrohs fortzusetzen, ist es auch, der den Stiftbrief von Schliersee überliefert; damals herrschte tatsächlich in Freising der Irrtum, Korbinian hätte auf dem dortigen Domberge ein Benediktinerkloster errichtet (S. 157 f.). So konnte leicht die falsche Ansicht aufkommen, das davon abhängige Schliersee hätte gleichfalls die Regel Benedikts beobachtet. Es ist daher wichtig zu wissen, daß nicht der als getreuer Abschreiber bekannte Kozroh, sondern bloß Conradus Sacrista die Schlierseer Gründungsurkunde bringt, da von ersterem nur die Uberschrift des Stiftbriefes, aber nicht die von ihm eingetragene Abschrift erhalten geblieben ist; daß Konrad öfter den ihm vorliegenden Text änderte, zeigt sich schon in den Ortsnamen, die

2

Freis. Trad. 1, S. 1121. ) Ebendort S. 80.

249

18. Die ersten bischöflichen Stifte Baierns.

er gewöhnlich in die Sprache seiner Zeit umsetzte; so machte er aus dem alten Klosternamen Slearseo, wie ihn Kozrohs „Renner" bringt, einmal ein Slierseo, das anderemal ein Slerse. Aus all dem erhellt, daß Schliersee in der Zeit Arbeos kein Benediktinerkloster w a r ; es besaß keine andere Eigenschaft als das Freisinger Domstift, von dem es abhängig war. Zu jeder Bischofskirche gehörte damals ein Kanonikat- und Kanonissenstift und ebenso aber auch eine mönchische Gemeinschaft an der Friedhofskirche. Alle drei waren vermögensrechtlich verbunden und bildeten in ihrer Gesamtheit die „Familie" des Bischofs. Die Zeugenreihe einer Urkunde des Jahres 807 hebt davon einen Erzpriester, fünf Priester, sechs Diakone und vier Mönche hervor 1 ). Schon daraus ist zu entnehmen, daß das Freisinger Domstift kein Benediktinerkloster, sondern eine weltpriesterliche Gemeinschaft w a r ; die wenigen Mönche, die sie erwähnt, gehören in das Friedhofsgotteshaus (St. Stephan). E s ist nicht einmal sicher, ob diese schon damals Benediktiner waren, noch weniger gilt das für die Zeit vor Karl dem Großen. Nach einer Urkunde des Jahre 769 hat das „Münster (monasterium) Korbinians, wo dessen Leib ruht" — es ist dies eih anderer Name für das Marienstift (Dom) — an der Spitze einen „Rektor" 2 ). Mit den Klöstern an den Dom- und Friedhofskirchen der Bischofsstädte waren aber auch auf dem Lande geistliche Häuser verbunden, die von ihnen abhängig waren und nach den gleichen Regeln lebten. So entsandte Rupert in die Maximilianszelle im Pongau ihm unterstehende Mönche u n d a n d e r e Priester 3 ), so daß hier ein gemischter Verband an einer und derselben Kirche feststellbar ist. Dasselbe gilt auch für das Kloster Otting im Chiemgau, wofür der Gründer dem Bischöfe Virgil das Recht geben mußte, die geistliche „Familie" zu leiten, ihr den Abt zu bestimmen und aus Salzburg Mönche u n d (sive) Kanoniker beizustellen 4 ). Die „Kurzen Nachrichten" gebrauchen hiebei zum erstenmal das bei uns im allgemeinen erst nach den Aachener Beschlüssen (819) sich einbürgernde

2 3

Freis. Trad. 1, S. 230. ) Ebendort S. 59. ) monachos suos et alios clericos. Salzb. Urkb. 2, A 5. et monachos de ipsa sede ibidem ponere sive canonicos. Ebendort 2, A 12;

dazu Mitterer,

Bischöfl. Eigenklöster

S.

17,

70 f.,

der sive mit

„oder"

übersetzt;

Nottarp, Bistumserrichtung S. 64 Anm. 2. Vgl. oben S. 172 Anm. 1 und S. 236 Anm. 1.

250

II. D a s S t a m m e s h e r z o g t u m Baiern und d a s C h r i s t e n t u m .

W o r t canonicus, das in solchem Zusammenhange nichts anderes ausdrücken will als den Unterschied des in einer Gemeinschaft lebenden Weltgeistlichen vom Mönche (monachus); das gegenseitige Verhältnis bedeutet aber — und dafür bürgt der Bericht über den Bau der Maximilianszelle mit seinem et alios clericos — in diesem Falle nicht ein „ e n t w e d e r — oder", sondern eine mit „und" zu verbindende Zusammengehörigkeit. Der gemischte Verband in den bischöflichen Stiften erinnert noch an die altchristliche Zweikirchenordnung. Die Stifte Scharnitz-Schlehdorf, Innichen und Schliersee standen in gleichem Verhältnisse zur Bischofskirche in Freising wie die Maximilianszelle und Otting zu Salzburg. In ihnen haben wohl im Wesen dieselben Regeln gegolten wie sie damals in allen bischöflichen Eigenklöstern Baierns h e r r s c h t e n ; sie w a r e n die Vorläufer der späteren Chorherrenstifte, welche die mönchische Eigenschaft abstreiften und nach der Aachener Regel lebten. Bei solchen Verhältnissen ist es ausgeschlossen, daß irgend ein Bischofskloster Baierns in agilolfingischer Zeit die Benediktinerregel beobachtete. Das gilt demnach auch für Schliersee. Es ist das um so zuversichtlicher anzunehmen, als sie damals auch noch nicht einmal in den von Odilo gegründeten Ordenshäusern eingeführt w a r . Da wird w i e d e r aufs neue klar, daß erst Karl der Große und nicht schon Bonifaz den Umschwung b e w i r k t e : der Untergang des Stammesherzogtums und die Erhebung Salzburgs zum Erzbistum bringen das Ende der irischen Grundlagen und schaffen die von Rom gewollten Verhältnisse; damit w a r auch die Bahn frei für das Emporkommen des Benediktinerordens in Baiern.

19. Die Gründung des Klosters Kremsmünster (777) und die Wiederbesiedlung des östlichen Traungaues. Den vom Herzoge Odilo eingeschlagenen Weg, auf dem Lande Ordenshäuser zu errichten, setzte sein Sohn und Nachfolger T a ss i 1 o tatkräftig fort. Das veranlaßte er hauptsächlich dort, w o es galt, das u n t e r w o r f e n e Volk der Alpenslaven dem Christentume zu gewinnen. Das w a r der Anlaß, daß er zu Innichen im P u s t e r t a l ' e i n Kloster erbauen ließ. Der gleiche Grund schwebte ihm vor, als er K r e m s m ü n s t e r ins Leben rief (777). Doch leiteten ihn hiebei nicht minder wirtschaftliche und politische Absichten, wie schon der Ort und das Ausmaß seiner Stiftung zeigt: er wollte den von seinen

19. Die Gründung des Klosters Kremsmiinster ( / / / ) usw.

251

Vorfahren aufgegebenen Teil des Traungaues, der schon in Gefahr stand, an ein fremdes Volk verloren zu gehen, wieder fest mit seinem ehemaligen Mutterlande verbinden. Die Weihe geschah fünf Jahre nach seinem Siege über die Karantanen, so daß der Entschluß mit diesem zusammenhängt; nach ihm w a r die Gründung des Münsters an der Krems die hervorragendste Tat seines Lebens; sie w a r auch die größte Klosterstiftung Baierns, die an Ausmaß und W i r k u n g alle anderen weit überragt. Der Stiftbrief ist z w a r nicht mehr als Urstück, aber doch in drei von einander unabhängigen Abschriften erhalten, die freilich erst fünfhundert Jahre später entstanden 1 ). Wichtig ist, daß bald nachher Karl der Große den überwiesenen Besitz in einer Urkunde vom 3. Jänner 791 bestätigte, die z w a r wieder bloß in einer nur ein J a h r hundert früheren Abschrift vorliegt als jene der Gründungsurkunde, aber doch nach dem damals noch vorhandenen Urstücke verfertigt ist 2 ). Herzog Tassilo errichtete, so sagt der Stiftbrief, im dreißigsten Jahre seines Fürstentums und im ersten seines Sohnes Theodo nach dem Brauche seiner Vorfahren zu Ehren des Erlösers ein Kloster an der Krems und setzte über dieses einen Abt namens Fater mit zugeeigneten Mönchen, um dort eine Gemeinschaft für geistliches Leben zu schaffen und übergab hiefür folgende Untertanen und Liegenschaften: die Bewohner der Gegend, w o das Ordenshaus erstand, und alles, w a s sie dort anbauten und noch urbar machen w e r d e n ; das Salzsieden am Sulzbach (Bad Hall) und drei Leute, die das besorgen; die Orte Sipbachzell (Sippach) und Leombach, w o wieder die Mönche roden können, soviel sie wollen; das Land zwischen den beiden Ipfbächen, das er, der Herzog, selbst ausmessen will und vierzig Unfreie, die er von anderswo dorthin verpflanzte (40 casatos aliunde adtractos); die Slaven-Zehnerschaft (Dekanie) des Supans P h y s s o mit den Diensten und Erträgnissen, die sie bisher ihm (dem Herzoge) zu leisten hatten, innerhalb eines bestimmten, vom Abte Fato und dem Priester Arn mit Beihilfe anderer vermessenen Bezirkes, den sie nicht überschreiten durften; dreißig abgabepflichtige Slaven an der Dietach; den dortigen Forst und an der Sierning, w o die Slaven ohne Erlaubnis des Herzogs rodeten; den agilolfingischen x ) B. Pösinger, Die Stiftungsurkunde des Klosters Kremsmünster, 59. Programm des dortigen Stiftsgymnasiums (1909) S. 9, der den vollen Text der drei Fassungen in Lichtbildern bringt und sorgfältig vergleicht. 2 ) Mon. Germ., Dipl. Karol. 1, S. 227 f.

252

II. Das Stammesherzogtum Baiern und das Christentum.

Wirtschaftshof (villa publica) zu Alkofen (Allinchhofa) mit Vorbehalt eines späteren Umtausches; die von ihm (Tassilo) abgegrenzten Wälder und Wiesen zu Pettenbach im Almtal; den vermarkten Bezirk zu Eberstallzell (Eporestal); zwei Weingärten zu Aschach (a. d. Donau) und drei an der Rodl mit ebensovielen Winzern ; zwei Bienenzüchter, sechs Handwerker (Schmiede) und zwei Fischer; und endlich die Kirchenabgaben von Alburg, Sulzbach und Vils(hofen). Den überwiesenen Klosterbesitz 1 ) verbürgt die bald nachher ausgestellte Königsurkunde Karls des Großen, die zwar kürzer aber gleichwohl genauer abgefaßt ist als der Stiftbrief. Doch weisen die Abschriften der Gründungsurkunde noch einen Zusatz auf, den das Königsdiplom nicht kennt. Darnach soll Tassilo noch einen Salzsieder an der größeren Saline (Reichenhall), das Weiderecht auf den herzoglichen Gründen, die das Volk „Forst" nennt und schließlich einen zinsbaren Knecht „ad Crunzwitim" dem eben erstehenden Ordenshaus übereignet haben. Als Zeugen waren zugegen drei Bischöfe, fünf Äbte und drei Grafen sowie ebenso viele Gefolgsleute; ausgestellt ist der Stiftbrief bereits im Kloster Kremsmünster; er bedeutet somit den Abschluß, die Weihe. Es war eine Tat, die über den herkömmlichen Rahmen hinausging. Das beweisen schon die Zahl und Würden der anwesenden Zeugen. An ihrer Spitze erschien Virgil von Salzburg, der wohl das neue Münster einweihte; an seiner Seite standen Sindbert von Regensburg und Walderich von Passau. Es wäre nun wissenswert, wer von ihnen der zuständige Sprengelbischof war, ob also Kremsmünster zum Bistum Salzburg oder Passau gehörte. Aus der Reihenfolge der Zeugen ist hierüber nichts zu entnehmen, da sie nach ihrem Amtsalter angeführt werden. Das zeigt sich deutlich bei den Namen der Äbte, nach denen Mondsee Niederaltach vorausgeht, da noch Opportunus, aber nicht mehr Eberswind am Leben war. Abt Atto von Scharnitz vertrat das Bistum Freising, dessen Bischof Arbeo nicht zugegen war. Die Teilnehmerliste der Synode von Dingolfing (770) nennt sechs Bischöfe und dreizehn Äbte 2 ); es w a r also bei der Weihe des Klosters Kremsmünster fast die Hälfte der kirchlichen Würdenträger Baierns erschienen. *) Eine gute Übersichtskarte bei Pösinger, Stiftungsurk. S. 49, w o b e i mit Ausnahme von Kremsmünster die Kirchenzeichen w e g g e h ö r e n . -') Mon. Germ., Concilia 2/1, S. 97.

jedoch

19. Die Gründung des Klosters Kremsmünster (777) usw.

253

Doch läßt sich die aufgeworfene Frage ziemlich sicher beantworten. Da das Bistum Salzburg um zwei Jahrzehnte früher als das zu Passau entstand, so gehörte der obere Traungau (Ufgau) ursprünglich zu ersterem. Das gleiche gilt nach dem Vorstoß Tassilos über die Traun für den unteren mit Lorch 1 ), da innerhalb einer Grafschaft nicht zwei Bischofssprengel sein durften, wie noch deutlich ein Kapitulare Karls des Großen ausspricht (806) 2 ). Passau wird den Traungau wohl erst mit dem norischen Unterlande erhalten haben, als Salzburg von demselben Kaiser Oberpannonien bekam. So ist denn bestimmt anzunehmen, daß Virgil noch als zuständiger Bischof das Münster an der Krems einweihte. Nach Bernardus Noricus hat Tassilo den Abt Fater und die diesem beigegebenen Mönche aus Niederaltach entnommen. Bei den eingeführten Ordensvorschriften denkt er (ut videtur) an das Kloster Monte Cassino und mithin an die Benediktinerregel 3 ). Kremsmünster gilt auch heute noch gerade so wie Niederaltach und Mondsee schon vom Ursprünge an als Benediktinerabtei. Wenn die ersten Insassen vom Moritzkloster an der Donau stammen, so waren sie wieder Schüler Pirmins und daher Mönche irischer Art. Auf jeden Fall bezeichnet der Kremsmünsterer Geschichtschreiber damit richtig, ohne es zu wissen, die Herkunft der eingeführten Ordensregel. Ob alle Brüder dorther kamen, ist freilich fraglich; es ließe sich bei der Regelgleichheit ebenso gut an Mondsee und andere Pirminklöster denken. Der Name Fater findet sich im Reichenauer Verbrüderungsbuch nicht bei Niederaltach, wohl aber als Mönch von Mondsee und Metten 4 ), so daß ein sicherer Schluß nicht möglich ist; auch ein Priester der Freisinger Kirche und Kaplan des Herzogs hieß so, der jedoch als Weltgeistlicher trotz seinem engen Verhältnis zum Stifter um so weniger als Leiter einer Ordensgemeinschaft in Betracht kommt; als der gleiche Name in Freising *) Schon Klebel, Kirchl. u. weltl. Grenzen (oben S. 137 Anm. 1) S. 253 ff., 262 f. weist den Traungau zunächst der Salzburger Kirche zu. 2 ) Ne in una civitate duo sint episcopi. Mon. Germ., Capitularía 1, S. 133. Das Wort civitas ist hier noch im römischen Sinne als Stadtbezirk (Gau) zu verstehen. Die übliche Ubersetzung mit „Stadt" oder „Burg" versagt da. W i e hätten bei der geringen Volkszahl in karolingischer Zeit in einer „Stadt" z w e i Bischöfe wirken können! 3 4

) Mon. Germ., Script. 25, S. 629, 643. ) Mon. Germ., Libri confrat. S. 187, 189.

254

II. Das Stammesherzogtum Baiern und das Christentum.

noch nachher begegnet, Leben getreten war 1 ).

als das Münster an der Krems schon ins

Kremsmünster besitzt ein Andenken an sein Entstehen, wie es kein anderes Ordenshaus aufzuweisen v e r m a g : den nach einer Inschrift vom Stifter und seiner Gemahlin Liutbirg, der Tochter des letzten Langobardenkönigs Desiderius, gespendeten und nach ihm benannten Tassilokelch. Diese älteste Goldschmiedearbeit auf baierischem Boden ist hier deshalb hervorhebenswert, als das vergoldete Kupfergefäß bandartig verschlungene und mit eingestreuten Tier- und Pflanzenmustern versehene Zierformen aufweist, die an die irischen Ornamente in den damaligen Bilderhandschriften erinnern. Es ist deshalb zu vermuten, daß der Herzog den Kelch in einem Ort in Auftrag gab, der im Bannkreise irokeltischer Kultur stand. Das aber w a r e n die Bischofsstädte seines eigenen Landes, allen voran Salzburg, w o der Schotte Virgil den Krummstab führte 2 ). Das seltene Kunstdenkmal ist demnach aus der irischen Wurzel des Kirchenwesens in Baiern erwachsen und zeugt dafür, daß bis zum Entstehen des Klosters Kremsmünster die ursprüngliche Grundlage im W e s e n unberührt blieb; daraus folgt aber auch, daß dorthin Tassilo keine Benediktiner, sondern kolumbanische Mönche berief. Die Stiftung des Münsters an der W e r k der irischen Kirche in Baiern, es hört in jener Gegend auf, w o einst meram beginnen wollte; es leitet den des Unterganges der alten Hauptstadt

Krems w a r das letzte große von dem wir Kunde h a b e n ; Eustasius anfing und w o EmVersuch ein, die bösen Folgen Lorch wieder gut zu machen.

Seit dem düsteren Berichte Arbeos über die verheerenden Folgen des Awareneinfalles, der um das Jahr 700 die Gegend an der Enns v e r w ü s t e t e und veröden ließ (c. 5), fehlt über den östlichen Traungau durch sieben Jahrzehnte jede Nachricht. Es w a r das die Zeit, w o die Alpenslaven eindrangen. Doch als Odilo die Karantanen unterwarf, bekam Baiern auch die Oberhoheit über die in das von Theodo aufgegebene Gebiet östlich der Traun vorgestossenen Split*) Freis. Trad. 1, S. 65, 121; dazu B. Pösinger, Die Rechtsstellung des Klosters Kremsmünster, Archiv für d. Gesch. der Diözese Linz 3 (1906) S. 57 f., der in Abt Fater den herzoglichen Kaplan sieht. 2 ) G. Swarzenski, Die Salzburger Malerei von den ersten Anfängen bis zur Blütezeit des romanischen Stils (1913) S. 8; J. Braun, Das christliche Altargerät (1932) S. 71; E. Schaffran, Tassilo-Kelch u. Tassilo-Leuchter in Kremsmünster, Christi. Kunstblätter 81 (Linz 1940) S. 19 f.

19. Die G r ü n d u n g d e s Klosters K r e m s m ü n s t e r (777) u s w .

255

ter. Das gab den Antrieb, den verlorenen Mutterboden wieder aufs neue zu gewinnen und das eingedrungene Fremdvolk zurückzudrängen. Die ersten Zeugnisse über baierische Siedlungen östlich der Traun liefert das Traditionsbuch des Klosters Mondsee. Im 25. Herrscherjahre Tassilos (772), zur Zeit seines großen Sieges über die Karantanen, übergibt dem Michaelshause ein Weltpriester Reginolf die ihm gehörige Kirche zu Rohrbach bei St. Florian mit Haus, Hof, einem Weingarten und allen Grundstücken, die er dort vor dem Ableben seines Vaters besessen hatte, sowie fünf Unfreie mit Zustimmung des Herzogs. Ein J a h r später erhält die gleiche Abtei ebendort das liegende Eigentum eines Helfrich mit zwei Hörigen 1 ). Es wird allgemach Licht in dem bisher undurchdringlichen Dunkel; die baierische Rodung hatte aufs neue begonnen. Da gründet Tassilo im Jahre 777 inmitten einer vorwiegend von Slaven bewohnten Gegend das Münster an der Krems. Diese Tat w a r der zielbewußte und großzügig veranstaltete Vorstoß über die Traunlinie, dem die Absicht zugrunde lag, bis an die Ennsgrenze vorzudringen, Kremsmünster sollte das feste Bollwerk werden, von dem aus die Siedlung planmäßig eingeleitet und von w o aus der hier seßhaft gewordene slavische Volksteil dem Christentume und damit in der Folgezeit der germanischen Kultur gewonnen werden sollte. W a s der Stiftbrief von Kremsmünster vorenthält, sagt ausdrücklich jener von Innichen: hier wie dort verfolgte Tassilo die gleiche Absicht, die lange entvölkerte Gegend w i e d e r zu besiedeln und die dorthin vorgedrungenen Slaven zu bekehren. W a s Innichen im Kleinen, das sollte das Münster an der Krems im Großen werden. Dessen Gründungsurkunde spricht auch ohne Kenntnis des Vorbildes von Innichen eine beredte S p r a c h e : das in seiner Geschlossenheit ohne Beispiel dastehende und schier unermeßliche Gebiet, das Tassilo seiner Lieblingsschöpfung widmete, verkündet ja laut, daß dieser Boden bisher noch nicht vergeben und zusammenhängendes Herzogsgut w a r ; zahlreiche Siedlungszellen — je eine an den durchfließenden G e w ä s s e r n — beleuchten jetzt die bisher finstere Gegend gleich S c h e i n w e r f e r n ; nicht nur in den bergigen (sla*) Urkb. d. L. ob der Enns 1, S. 66 u. 69. Eine Ubersichtskarte über den Mondseer- und Kremsmünsterer Besitz in der Gegend von St. Florian bei J. Strnadt, Die Passio s. Floriani, Archival. Zeitschr. N. F. 8 (1899) S. 65. Die erstgenannte Urkunde (772) ist das älteste Zeugnis für den Weinbau in Oberösterreich. Die Kirche zu Rohrbach wurde im Jahre 1790 abgebrochen.

256

IL Das Stammesherzogtum Baiern und das Christentum.

vischen) Teilen, sondern auch in der fruchtbaren Ebene zwischen den beiden Ipfbächen erhält Kremsmünster weite und geschlossene Liegenschaften, ja gerade dorthin verpflanzt der Herzog vierzig Unfreie von anderswoher, um roden zu lassen; fast von Traun bis an die Enns und von St. Florian bis gegen den Almsee reicht der Besitz. Fürwahr, es w a r eine Großtat des Herzogs Tassilo, wofür er, der Unglückliche, den dauernden Dank der Nachwelt verdient hat! Bis in unsere Gegenwart feierte alljährlich am 11. Dezember seine Abtei den Gedenktag an ihren Stifter; er war jedoch nicht nur deren Gründer, sondern wurde vornehmlich durch sie auch zum eigentlichen Schöpfer jenes deutschen Kernlandes, das der nachmaligen Steiermark den Namen gegeben hat und später der triebkräftige Wurzelstock für das Land Österreich ob der Enns geworden ist. Der Stiftbrief von Kremsmünster bildet im Vereine mit den angeführten Beobachtungen einen überzeugenden Beweis für die Richtigkeit der Angabe Arbeos, daß nach dem verheerenden Einfalle der Awaren, der die Hauptstadt Lorch zerstörte, die Gegend an der Enns verödete; die nachfolgende slavische Besitznahme ist ja nur hiedurch zu erklären. Jedes neue Kloster, das unbebauten Boden zu roden hatte, bekam, da dieser zunächst noch keine Erträgnisse abwarf, auch Kulturland, das den nötigen Unterhalt sicherstellte, oder andere Abgaben zugewiesen. Der Stiftbrief vermengt zum Teil beide Arten des zugewiesenen Besitzes, doch hält sie die Urkunde, womit ihn Karl der Große bestätigte, scharf auseinander. Da ergibt sich die wichtige Tatsache, daß die königliche Kanzlei das Land zwischen Traun und Enns deutlich von dem Gebiete westwärts des erstgenannten Flusses scheidet, indem sie mit dem schon in der Westhälfte des Traungaues gelegenen Wirtschaftshofe Alkoven allen Besitz aufzuzählen beginnt, der den nötigen Unterhalt für das neue Ordenshaus zu bieten vermag. Dieses w a r genau in der Mitte des Rodlandes zwischen Traun und Enns gelegen, so daß schon die Lage des Münsters auf die Größe der ihm übertragenen Aufgabe hinweist. Der Stiftbrief ist das erste Zeugnis, das urkundlich beweist, daß Slaven in den Traungau vorgedrungen waren und gerade deren Vorhandensein verleiht der Tat Tassilos einen besonderen W e r t ; sie durften bestimmte Bezirke nicht überschreiten und hatten ihre Leistungen vorgeschrieben. Die baierischen Siedler mußten, wie beim überwiesenen Land zwischen den beiden Ipfbächen zu ersehen ist, erst herbeigeholt werden; der Stiftbrief nennt denn

20. Das Wiedervordringen über die Enns bis zur Stammesgrenze usw.

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auch östlich der Traun keinen einzigen —ing-Ort. Wenn ein so fruchtbarer Boden, wie ihn der Umkreis von St. Florian aufweist, entvölkert war, so zeugt das wieder dafür, daß der östliche Traungau wirklich eine Zeitlang verödet war. Um das große Werk, ein so umfassendes Gebiet wieder dem baierischen Mutterlande zu gewinnen, planmäßig und zielbewußt vollbringen zu können, stiftete Tassilo hiefür nur e i n Kloster, stattete es aber dafür um so reichlicher aus: tradidi, quod potui beteuert er als Spender. Ein erst wieder urbar zu machendes Gebiet kann noch keine Kirchen aufweisen, die bereits Erträgnisse abwerfen. Die drei Gotteshäuser, die der Stiftbrief als abgabepflichtig nennt, sind daher nicht im östlichen Traungau zu suchen, sondern gehören in ein ständig bewohntes und bebautes Land. Daß dem wirklich so ist, beweist die Urkunde Karls des Großen (791), die hiefür den Donaugau angibt, wobei ausdrücklich zu bemerken ist, daß nicht allein die zuletzt genannte Kirche in Vilshofen, sondern auch jene in Sulzbach (Nebenfluß der Vils) und Alburg (bei Straubing) in Baiern zu suchen ist; eben deshalb nennt sie das Königsdiplom erst nach Alkoven, womit es das Kulturland beginnen läßt, so daß deutlich die Traun als Trennungslinie zwischen dem ununterbrochen bebauten und daher höheren E r t r a g abwerfenden Boden und dem zeitweise aufgegebenen und deshalb noch nicht leistungsfähigen Grunde zu erkennen ist: das gesamte Gebiet ostwärts der Traun bis zur Enns (den unteren Traungau) behandelte daher Tassilo als erst zu rodendes Neuland. Den Weinbezug erhielt das neue Ordenshaus bereits aus heimischen Reben zu Aschach im oberen Traungau und an der Rodel, während ihn ehedem Herzog Theodo der Salzburger Kirche aus seinen Rieden im Donaugau bei Regensburg liefern ließ 1 ). 20. Das Wiedervordringen über die Enns bis zur Stammesgrenze Baierns am Wiener Walde. Der viel umstrittene Zusatz des Stiftbriefes von Kremsmünster faßt Widmungen ganz verschiedener Art zusammen, die teilweise schon früher hätten Platz finden sollen und die hier ohne jedes innere Verbundensein einfach angehängt sind. Vollends entscheidend ist, daß sie die bald nachher entstandene Königsurkunde gar !) Salzb. Urkb. 1, S. 5 u. 2, A 4. 17

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II. D a s S t a m m e s h e r z o g t u m Baicrn und das C h r i s t e n t u m .

nicht kennt. Das allein schon genügt, den ganzen Zusatz abzulehnen 1 ). Es geht daher nicht an, diese oder jene Stelle herauszuheben, sondern es handelt sich um den gesamten Einschub; daher ist es ein vergebliches Bemühen, aus ihm die bekannte Stelle über den G r u n z w i t i g a u , der hier zum erstenmal e r w ä h n t sein soll, zu retten und aus ihr Schlüsse zu ziehen 2 ). Die ältere Forschung hat zumeist diesen in F r a g e kommenden Gau in Baiern gesucht; das lag schon deshalb nahe, als sein Narne nach den abgabepflichtigen Kirchen des Donaugaues folgt. Die neueren Forscher verlegen indes mit Recht den Grunzwitigau nach Niederösterreich, in die Gegend an der Traisen 3 ). Nun erhebt sich aber die Frage, welchen W e r t eine solche vermeintliche Gabe von einem zinsbaren Knechte in so ferner, damals noch alleinstehender Lage für das Kloster haben sollte; dabei müßte man sinngemäß noch die weit o s t w ä r t s der Enns liegende Gegend zum Kulturland rechnen, aus dem das neue Ordenshaus Einkünfte bezog. Mit anderen W o r t e n : die zinsbaren Dienste des einen Hörigen hätten für das neue Kloster nur dann einen Nutzen abgeworfen, wenn sie mit anderen größeren E r t r ä g nissen aus demselben Landstriche verbunden gewesen w ä r e n ; nach dem Inhalte des Stiftbriefes kämen aber nur der Ufgau oder Donaugau in Frage. Nach dem Untergange der Hauptstadt Lorch dieß Herzog Theodo das ganze Land vom Wiener Wald bis zur Traun räumen. Diese bildete von da an die geschützte Grenze. Als Tassilo das Kloster Kremsmünster ins Leben rief, rückte er den Grenzschutz bis an die Enns v o r ; daher fand sich ursprünglich im Stiftbriefe, wie ihn Karl der Große bestätigte, nicht eine einzige Örtlichkeit, die unterhalb dieses Flusses gelegen w a r . Als der genannte König im J a h r e 791 den Kriegszug gegen die Awaren eröffnete, galt die Enns als die b e s t i m m t e (certus) Grenze zwischen diesen und den B a i e r n ; so bezeichnen sie die fränkischen Reichsannalen 4 ). Die *) D a s h a t schon P ö s i n g e r , Stiftungsurk. S. 69—72 getan. 2 ) S o K. Helleiner, Die G r i i n d u n g s u r k u n d e für K r e m s m ü n s t e r und der G r u n z witigau, Mitteil. d. Instituts, E r g b . 11 (1929) S. 121—128, der f ü r d e r e n volle Echtheit eintritt u n d deshalb B a i e r n unter Tassilo über die Enns fiinaus e r s t r e c k e n läßt; d a g e g e n schon H e u w i e s e r , Gesch. d. B. P a s s a u 1, S. 300 A n m . 78. 3

) M. V a n c s a , Gesch. N i e d e r - u. O b e r ö s t e r r e i c h s 1 (1905) S. 163 A n m . 3. 0 n a m is fluvius inter Baioariorum a t q u e H u n o r u m t e r m i n o s medius c u r r e n s c e r t u s d u o r u m r e g n o r u m Iimes h a b e b a t u r . Annales regni F r a n c . (Schulausgabe v. F. Kurze, 1895) S. 89. A n d e r e Belege für die E n n s g r e n z e bei J. S t r n a d t , Die G e b u r t des L a n d e s ob der Enns (Linz 1886) S. 11 Anm. 2.

20. Das Wiedervordringen über die Enns bis zur Stammesgrenze usw.

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auffallende Angabe setzt demnach neben der geschützten Militärgrenze an der Enns auch noch eine andere voraus, die nicht mehr gesichert und daher auch nicht so genau bestimmbar w a r . Das w a r die alte Stammesgrenze am Wiener Walde, die Karl der Große nach seinen Siegen über die Awaren w i e d e r erstehen ließ, indem er den „Baierischen Grenzabschnitt im Osten" bis an die Große Tulln hinausrückte (S. 105 f.). Von da an begann Pannonien oder jetzt die eigentliche Karolingische Ostmark. Die Jahrbücher von St. Maximin in Trier melden ebenfalls zum Jahre 791, Karl der Große sei über Omuntesdorf nach Pannonien aufgebrochen 1 ). Die Richtigkeit der Ortsangabe bestätigen die neu aufgefundenen Salzburger Annalen 2 ). Der angeführte Ort lag demnach an der Grenze Baierns, über die der Kaiser in Pannonien eindrang; dieses begann gleich o s t w ä r t s von Omuntesdorf, das mithin noch vor der Großen Tulln im W e s t e n des Wiener Waldes zu suchen ist. Das setzt aber auch schon die damals erfolgte Grenzziehung Karls des Großen voraus, so daß es nicht sicher ist, ob Omuntesdorf schon vorher bestand, oder ob es erst nach dem Siege über die Awaren als Grenzort in das Leben gerufen wurde. Der Verfasser der Jahrbücher wollte bloß den W e g zeigen, auf dem der König in Pannonien eindrang und nahm hiefür den am weitesten im Osten gelegenen Ort Baierns. Seine Angabe kann also, wenn sie auch bald hernach abgefaßt ist, genau genommen nur als Beleg für den Verlauf der vom Könige festgesetzten Scheidelinie zwischen Baiern und Pannonien gelten; sie beweist, daß dieses nicht schon an der Enns, sondern erst viel weiter östlich begann. W i r kommen so wieder zur alten Stammesgrenze, die seit dem Falle von Lorch umstritten w a r ; inzwischen w a r e n also rund hundert Jahre verflossen, so daß sie wohl noch im Gedächtnisse haften konnte, ohne daß deshalb dort ein Rest baierischer Siedlung erhalten bleiben mußte. Die Frage, ob abgesplitterte Baiern das Gebiet zwischen Enns und Wiener W a l d noch bis zu den Siegen Karls des Großen über die A w a r e n bewohnten, läßt sich w e d e r aus der zu wenig faßbaren Ortsangabe der beiden Jahrbücher, noch aus dem sehr anfechtMon. Germ., Script. 13 (1881) S. 22. ) Karolus perrexit in Pannoniam ultra Omuntesdorf. Mon. Germ., Script. 30/2, S. 734; dazu Klebel in: Mitt. d. Salzb. Landeskunde 61, S. 4 3 f . Die Annales Fuldenses (Schulausgabe von F . K u r z e ) erwähnen für das Jahr 890 (S. 118) einen Omuntesperch in der gleichen Gegend. 2

17*

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II. D a s S t a m m e s h e r z o g t u m Baiern und d a s C h r i s t e n t u m .

b a r e n Zusätze des Stiftbriefes von Kremsmünster beantworten, sondern ist nur auf Grund allgemeiner Beobachtungen zu klären. Urkundliche Nachrichten sind erst seit der zweiten Bekehrung Baierns v o r h a n d e n ; in ihnen findet sich jedoch keine einzige, die eine Örtlichkeit o s t w ä r t s der Enns betrifft, sondern sämtliche beinhalten Landstriche, die w e s t w ä r t s des genannten Flusses liegen; ja aus ihnen läßt sich deutlich verfolgen, wie zunächst die Traun die Endlinie darstellte und erst später mit der Gründung von Kremsmünster die Grenze bis an die Enns vorrückt. Alle Urkunden rühren von Bischofskirchen oder Klöstern her, w o sie zumeist in Traditionsbüchern überliefert sind; sie hängen also mit dem F o r t g a n g e des neuen Glaubens zusammen. Wenn demnach keine geistliche Stiftung Baierns mit einer Siedlung o s t w ä r t s der Enns verbunden w a r , so konnte sie dort auch nicht das Christentum verbreiten. Die kirchliche Scheidelinie stimmt daher mit der Militärgrenze an der Enns (certus limes) überein; dort hörte also damals Baiern als staatliches Gebilde auf. W i e die Richtung des Einmarsches vom Osten her, die W a h l von Lorch als erster Hauptstadt, der Name Noricum für das Land und nicht minder die Grenzziehung Karls des Großen schließen lassen, begann der erste Siedlungsraum der Baiern am W i e n e r Walde. Als Herzog Theodo nach dem verheerenden Einbrüche der A w a r e n seine Hauptstadt nach Regensburg verlegte, gab er das Gebiet o s t w ä r t s der Traun auf. So konnten die Slaven eindringen und das preisgegebene Gebiet besetzen. Aus den Namen der Gewässer, Berge und Orte ist zu entnehmen, daß sie hauptsächlich die bergigen Teile des Landes erlangten; d a s weist auf die Richtung ihres Einzuges aus dem Süden (Karantanien). Im nördlichen Teil, der Donauebene, blieben aber, wie dieselben Quellen vermuten lassen, Reste der früheren Bevölkerung zurück (S. 109 f.). Es ist schon an sich nicht wahrscheinlich, daß alle Baiern das von den Awaren v e r w ü s t e t e Gebiet verlassen hätten. Es w a r ein Zurückziehen des Grenzschutzes, wie es ehedem Odoaker veranlaßte, als er Ufer-Noricum räumen ließ. So wie damals Romanen zurückblieben, ist dasselbe jetzt bei den bedrängten Baiern anzunehmen, zumal sie als ausgesprochenes Bauernvolk um so mehr an der Scholle hafteten. Ihre auf dem alten Boden verharrenden Splitter kamen so außerhalb ihres früheren staatlichen Verbandes und w a r e n auf sich selbst angewiesen; je weiter sie von der befestigten Traunlinie entfernt waren, um so gefährdeter w a r e n sie. W i r dürfen jedoch nicht allein in der Umgebung von Lorch das Verbleiben von

20. D a s Wiedervordringen über die Erms bis zur Stammesgrenze usw.

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baierischen Siedlern vermuten, sondern können dasselbe auch für das fruchtbare Tullner Feld annehmen 1 ), Von diesem Standpunkte aus betrachtet, w ä r e es also immerhin möglich, daß Omuntesdorf schon bestand, als Karl der Große in Pannonien eindrang. Nach der P r e i s g a b e der Hauptstadt Lorch haben die Awaren deren Gebiet nicht beansprucht, da noch E m m e r a m dort seine Wirksamkeit entfalten wollte. Das Land zwischen Traun und Wiener Wald begann zu veröden, da es die Baiern aufgaben und die Awaren nicht besetzten; doch schoben sich dahin deren Untertanen, die Slaven, vor. So w u r d e das Gebiet allmählich den Baiern entfremdet und kam in die Botmäßigkeit der Awaren. Herzog Odilo gelang es, aus deren Herrschaft die Karantanen zu befreien und diese von sich abhängig zu machen. Der Sieg Tassilos (772) schuf eine dauernde Oberhoheit über ihr L a n d ; er wußte auch den östlichen Traungau wieder fest mit seinem Herzogtume zu verbinden. Doch das Gebiet zwischen Enns und Wiener Wald blieb strittig. Die Jahrbücher von St. E m m e r a m melden zu 783, die Awaren seien bis an die Enns gekommen, doch hätten sie dort keinen Schaden angerichtet; ihre Angabe bestätigen die neu aufgefundenen Salzburger Annalen, doch verlegen sie den Kriegszug auf das Vorjahr 2 ). Diese Nachricht läßt sich in doppeltem Sinne auslegen: w e n n der angeführte Feind bis an die Enns vordrang, so w a r dort nicht sein ständiger Aufenthalt; daß er dabei nichts verwüstete, spricht dafür, daß er das durchzogene Land als sein eigenes betrachtete. Es drohte also schon damals der Kriegsausbruch, doch kam es zu keiner offenkundigen Schlacht. Kurz darauf, in dem nämlichen Jahre als Karl der Große Tassilo seines Herzogtums verlustig erklärte, fand ein Kampf zwischen Baiern, b z w . Franken und den Awaren auf dem Ybbsfelde statt, wobei letztere unterlagen 3 ). Im Jahre 790 kamen deren Gesandte nach W o r m s und unterhandelten mit dem Könige über den Verlauf der zwischen ihnen strittigen Grenze. D a s w a r , sagt der Chronist, der eigentliche Anlaß zum kommenden Kriege 4 ). Diesen begann Karl der Große von der Enns Darauf deutet auch die S. 110 Anm. 1 erwähnte Fundkarte bei Reinecke hin. ) 783. Huni ad Enisam venerunt, sed ibi nocuerunt nihil. Mon. Germ., Script. 30/2, S. 734f.; dazu Aventins Werke 5, S. 110 u. Riezler, Gesch. Baierns 1/1, S. 316 Anm. 1. 3 ) Annales regni Franc. S. 82 (788). 4 ) Agebatur inter eos de confiniis regnorum suorum, quibus in Iocis esse deberent. Haec contentio atque altercatio belli, quod postea cum Hunis gestum est, seminarium et origo fuit. Ebendort S. 87. 2

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II. Das Stammesherzogtum Baiern und das Christentum.

aus, wobei sich ihm die Awaren erst am Wiener Wald und beim Kampflusse entgegenstellten (S. 280). Aus allem ergibt sich folgende Sachlage: Baierns gesicherte Grenze w a r damals die E n n s ; ostw ä r t s von ihr bis zum Wiener Walde w a r der Besitz fraglich; dort erst, an der Scheidelinie von Pannonien, begann die feste Grenze des Awarenreiches. Mit anderen W o r t e n : Enns und Große Tulln w a r e n die militärisch gesicherten Flußläufe und das dazwischen liegende Gebiet bildete das ungeschützte und daher strittige Vorfeld. Daraus darf geschlossen werden, daß sich die angeführten Grenzstreitigkeiten auf das Gebiet unterhalb der Enns bezogen 1 ): Karl der Große beanspruchte für den Staat Baiern dessen ehemalige Stammesgrenze am W i e n e r Wald, die A w a r e n hingegen wollten dort ihre errungene Oberhoheit aufrecht erhalten. Noch wichtiger als die Kenntnis des Herganges ist der Ausgangspunkt des Streites, da in ihm der tiefere Grund zum Verstehen der geschilderten Ereignisse liegt; er besteht darin, daß bei der Landnahme der Baiern nicht die Enns, sondern der Wiener W a l d ihre Ostgrenze w a r . Die große Einbuße an ursprünglichem S t a m m e s gebiete läßt auf eine verhängnisvolle Niederlage schließen, deren Folgen zum Teil noch Herzog Tassilo, aber gänzlich erst Karl der Große zu beheben vermochte. Es ist nicht zu verwundern, daß die Zugehörigkeit des von den Baiern aufgegebenen Landes solange unsicher w a r und dieses zuletzt nicht nur sie, sondern auch die A w a r e n beanspruchten; lehrt doch die Geschichte des Landes ob der Enns, daß noch beim Ableben des Kaisers Maximilian I. (1519) nicht feststand, ob es zu Baiern oder zu Österreich zu zählen sei 2 ). Die Forschung ist an dieser schwierigen F r a g e vorbeigegangen und hat fast d u r c h w e g s die Enns und den Lech als Grenzflüsse der Baiern seit der Landnahme gehalten; sie hat dabei nicht mit dem Wandel des Völkerlebens und -ringens gerechnet. Doch hat schon der Münchener Staatsarchivar Vinzenz Pallhausen in einer P r e i s schrift des J a h r e s 1796 die Ansicht vertreten, daß das Land Baiern seit Beginn im W e s t e n w e n i g s t e n s bis an den Lech gereicht hätte, ja daß es nach den Worten des Dichters Venantius Fortunatus (S. 76) sogar über diesen Fluß hinaus gegangen sein könnte; bald 1) Das haben schon J. Heyrenbach (gest. 1779), Von der östlichen Gränze des Landes an der Ens, Hs. 102, S. 86—89, des Haus-, Hof- u. Staatsarchives W i e n u. Helleiner, Gründungsurk. für Kremsmünster S. 126 f. vermutet. 2 ) Zibermayr, Landesarchiv Linz S. 3 6 f . ; unten S. 501.,

20. D a s W i e d e r v o r d r i r i g e n über die Erms bis zur S t a m m e s g r e n z e u s w .

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hernach sagt er vom Osten seines L a n d e s : „Baierns Gränzen erstreckten sich damals viel weiter, als bis an die Ens, nämlich bis an den Kahlenberg oder das Cetische Gebirg wie ehemals das Norikum" 1 ); er kam dadurch auf die richtige Fährte, daß er auf der römischen Provinzeinteilung fußte und richtig annahm, die Awaren w ä r e n ebenso wie ihre Vorgänger die Langobarden bloß in Pannonien seßhaft gewesen. Seine Meinung drang jedoch nicht durch, obwohl die genannte Preisschrift noch jetzt in den wissenschaftlichen W e r k e n häufig angeführt wird. Am nächsten kommt ihm der gediegene Geschichtschreiber von Österreich Alfons Huber, nach dem die Baiern „anfangs vielleicht bis zum Wiener W a l d e " Besitz ergriffen 2 ). Es handelt sich noch den Unterschied des Siedlungsbildes zwischen dem östlichen Traungau und dem Viertel ober dem Wiener W a l d aufzuzeigen. W ä r e Tassilo östlich der Enns zur vollen Herrschaft gelangt, so hätte er dort wohl nach dem Beispiele von Innichen und Kremsmünster Klöster gegründet. Aus der römischen und karolingischen Einteilung ist zu erkennen, daß das norische Unterland aus zwei civitates, bzw. Grafschaften b e s t a n d ; ihre Vororte w a r e n beidemal Lorch und Mautern. Die Namen der entsprechenden baierischen Gaue sind nicht bekannt, doch w a r e n sie, wie aus der unmittelbaren Vor- und Nachzeit zu schließen ist, ebenfalls zwei, ja die Wahl von Lorch als Hauptstadt erweist das Verbleiben dieses Vorortes auch bei der Landnahme. Es hätte also in jedem Gau zum mindesten ein Ordenshaus erstehen müssen. W ä r e das geschehen, so w ü r d e wohl das Siedlungsbild ebenso ausgefallen sein, wie im östlichen Traungau. Es kam jedoch anders. Die entscheidenden Siege Karls des Großen eroberten das Gebiet der A w a r e n zunächst bis zur Raab, ja bald darauf kam ganz Pannonien in seine Hand. Der Raumgewinn w a r viel zu mächtig, als daß ihn der König entsprechend besiedeln konnte. Der Mangel an Volkszahl ließ große Lücken entstehen. Die W a h r u n g des Grenzschutzes erforderte zunächst, daß Pannonien und vor allem dessen Osten bevölkert wurde. Das davon weit abgelegene Gebiet westlich des Wiener Waldes w a r *) V. P a l l h a u s e n , W a n n , und w i e lange w u r d e B a i e r n in öffentlichen S c h r i f t e n N o r i k u m g e n a n n t , Hist. Abh. d e r Münchener A k a d e m i e d e r W i s s e n s c h a f t e n (1307) S. 505, 508. 2 ) A. H u b e r , Gesch. Ö s t e r r e i c h s 1 (1885) S. 64. Dasselbe v e r m u t e t M. F a s t linger, W i n t p o z i n g in: Riezler-Festschrift (1913) S. 22 f.

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II. Das Stammesherzogfum Baiern und das Christentum.

jetzt gesichertes Nebenland geworden, so daß der Kaiser sich nicht selbst darum kümmerte, sondern die Sorge hiefür anderen überließ: an Stelle planmäßiger Besiedlung trat die freie Wahl der B e w e r b e r . So besagen drei Urkunden Ludwigs des Deutschen, daß sein Großvater (Karl der Große) dem Kloster Niederaltach Ländereien in der W a c h a u und Aggsbach (830) sowie im Ennswalde zwischen der Donau, Ybbs und Url (863), dem Ordenshause in Herrieden zu Pielach, Melk und Grünz (831), von dem der Name Grunzwitigau abgeleitet wird, überließ, ohne ihnen hiefür eine Urkunde auszuhändigen 1 ). So erhielt die Abtei Kremsmünster Besitz im Grunzwitigau (828), w o deren Mönche schon vorher ein Gotteshaus errichtet hatten 2 ); das Kloster Mondsee besiedelte wohl damals schon die Gegend um Steinakirchen 3 ). Das Hochstift Regensburg bekam Grund und Boden an der Erlafmündung mit der Herilungoburg (832), die Salzburger Kirche Gebiet an der Ybbs (837) 4 ). Schon aus den wenigen Beispielen ist zu ersehen, daß unter Karl dem Großen nur schwache und bloß zufällige Ansätze zur Kolonisation im Viertel ober dem W i e n e r Walde vorhanden sind. Erst sein Enkel Ludwig der Deutsche hat da durchgreifender gewirkt 5 ), jedoch schon fast ein Jahrhundert später als im östlichen Traungau, so daß es nicht zu v e r w u n d e r n ist, wenn im Lande unter der Enns, anders wie dort, kein einziger Siedlungsname aus der Vor- oder Römerzeit lebendig erhalten blieb. Nicht einmal ein wirklicher Gauname ist dort überliefert, da der nach einem unscheinbaren Orte benannte Grunzwitigau kein eigener Verwaltungskörper w a r , sondern nur eine Gegend bezeichnet. Es fehlte hier ferner — und das betrifft die Form — ein einheitlicher Mittelpunkt, von dem aus die gewaltige Siedlungsarbeit hätte zielbewußt eingeleitet w e r d e n können. Das Beispiel, das Herzog Tassilo für den inneren Ausbau des unteren Traungaues gab, als er das Ordenshaus Kremsmünster erstehen ließ, ahmte in der Ostmark kein einziger Karolinger nach. D a s älteste Kloster Niederösterreichs ist St. Pölten, das erst eine Urkunde Ottos II. aus dem Jahre 976 erwähnt 6 ), so daß seine Anfänge Mon. Germ., Dipl. Karol. 1, S. 2 f., 156 f. ) Mühlbacher, Reg. S. 333 Nr. 850. 3 ) Zibermayr, Die St. Wolfganglegende S. 13, b z w . 149. 4 ) Mon. Germ., Dipl. Karol. 1, S. 9 f., 30. 5 ) Vancsa, Gesch. Nieder- u. Oberösterr. 1, S. 147 f., der noch andere Landschenkungen anführt. Mon. Germ., Dipl. 2/1 (1893) S. 151. 2

21. Baiern verliert sein Herzogshaus (788).

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vor den Ungarnstürmen z w a r möglich, aber nicht sicher sind; die Tegernseer Sage, die es in der Zeit Tassilos entstanden sein läßt, ist nicht haltbar. Ein Vergleich der Geschicke des östlichen Traungaues mit denen des Landes zwischen Enns und Wiener Wald zeigt so recht erst, w a s die Gründung des Klosters Kremsmünster bedeutete; auf diesem Untergrunde erstrahlt die Tat Tassilos in um so hellerem Lichte: sie wirkt in kleinerem Rahmen, erscheint ruhig und überlegt; das W e r k seiner fränkischen Nachfahren jedoch steht vor einem Übermaß und entschwindet ihren Händen; es hinterläßt so durch die Vielheit der B e w e r b e r einen ziel- und planlosen Eindruck. Das färbt sich noch heute in dem verschiedenen Siedlungsbilde ab: der östliche Traungau erscheint da lichter und klarer als das fast dunkle Gebiet zwischen der Enns und dem Wiener Walde. 21. Baiern verliert sein Herzogshaus (788). Herzog Theodo hatte drei Bistümer errichten lassen: Regensburg, Salzburg und Freising; die Bischofskirche zu Passau schuf einige Jahrzehnte später sein Nachfolger Hugbert. Das w a r die Sprengeleinteilung, wie sie der päpstliche Abgesandte Bonifaz vorfand und bestätigte; sie ist auch später im Wesen unberührt geblieben; nur Freising erlitt eine größere Einbuße in Tirol, als der eingegangene Bischofssitz in Säben, der später nach Brixen verlegt wurde, wieder erstand. Ein neuer Zug in das Kirchenwesen Baierns drang ein, als Herzog Odilo Landklöster ins Leben rief; so recht spürbar wird das erst unter seinem Sohne Tassilo, der den W e g seines Vaters kräftig fortsetzte. Sie handelten als Grundherren und blieben auch nach Stiftung eines Ordenshauses dessen Eigentümer, da den eingeführten Mönchen nur der Nutzgenuß zustand; sie setzten den Abt ein und beanspruchten als Oberherren ein gewisses Aufsichtsrecht. Es w a r das die germanische Rechtsauffassung der Eigenkirche oder des Eigenklosters. Nach römischem Brauche hingegen w a r der Bischof der Verwalter des gesamten Kirchengutes seines Bistums. So bestimmte es auch die erste Satzung des Baierischen Volksrechtes. Den Gegensatz zwischen dem germanischen und römischen Rechtsbegriffe zeigt klar die Art und Weise, wie das Stift Otting entstand: Graf Gunter wollte als Gründer sein Eigentum nicht völlig preisgeben, wogegen Bischof Virgil schroff den römischen

266

II. D a s S t a m m e s h e r z o g t u m Baiern und das C h r i s t e n t u m .

Standpunkt v e r t r a t und für sein Bistum die Zugehörigkeit der ins Dasein tretenden Zelle forderte 1 ). Dieses eine Beispiel zeigt schon, daß selbst der Irländer Virgil sich da strenge an die kanonischen Vorschriften hielt. Eine solche Haltung konnten die Bischöfe jedoch bloß bei Stiftern geringeren Standes einnehmen, aber nicht gegenüber dem Landesfürsten. Das erweist unzweideutig die Gründungsurkunde von Kremsmünster, wonach Tassilo als Eigenklosterherr den Abt einsetzte und die Zinse seiner Kirchen im Donaugau dem neuen Ordenshause widmete. Den beginnenden Gegensatz zwischen ihm und den Bischöfen zeigt bereits die Synode von Aschheim (756): sie rühmt z w a r von dem damals noch sehr jugendlichen Herzoge, er wisse in der Bibel besser Bescheid als alle seine Vorgänger 2 ), doch gleich darauf legt sie ihm ans Herz, die von ihnen oder ihm selbst gestifteten Gotteshäuser ungeschmälert zu lassen und stellt fest, daß nach den Beschlüssen der Konzilien die Bischöfe über alle kirchlichen Angelegenheiten zu verfügen hätten s ); sie erinnert noch den Herzog, daß der römische Erdkreis diese Vorschriften anerkenne und der von seinen Vorfahren geschlossene Vertrag (das Baierische Volksrecht) sie einschärfe. Aus den Briefen Alkuins ist zu entnehmen, daß der Zehent als Kirchensteuer die Bekehrung der Sachsen sehr erschwerte 4 ). Die Beschlüsse von Aschheim tun kund, daß er damals bereits in Baiern eingeführt w a r . Die Bischöfe fordern den Herzog auf, in den Fällen, wo er v e r w e i g e r t wird, die doppelte Abgabe eintreiben zu lassen und von den Säumigen nach Maßgabe ihres Vermögens Strafgelder zu erheben. Nach den kirchlichen Satzungen verbot das Baierische Volksrecht (7/1) die Verwandtenehen, wobei es die S c h w ä g e r schaften einbezog. Die genannte Kirchenversammlung sah sich veranlaßt, den Herzog zu ermahnen, diese Vorschrift durchzuführen und bei Zuwiderhandeln (wie es das Volksrecht 7/2 verlangt) mit Entzug des Vermögens vorzugehen. Zehente und Verwandtenehen bereiteten der Bekehrung so große Hindernisse, daß immer wieder der Landesfürst eingreifen mußte. Wie sehr die Macht der Kirche gestiegen w a r , zeigt das Verlangen an den Herzog, bei seinen GeSalzb. U r k b . 1, S. 10 u. 2, A 12 f. ) in sensu sanetae scripturae precessoribus tuis m a t u r i o r a p p a r e r i s . Mon. Germ., Concilia 2/1, S. 56. 8 ) ut o m n e s res ecclesiasticas in potestate episcoporum sint. E b e n d o r t S. 57. 4 ) Mon. Germ.. Epistolae 4 (1895) S. 154. 2

21. Baiern verliert sein H e r z o g s h a u s

(/88).

267

richtssitzungen einen Priester beizuziehen, um das zu fällende Urteil mit dem „Salze des göttlichen W o r t e s zu w ü r z e n " 1 ) ; die Bischöfe wünschen ferner, daß den herzoglichen Sendboten (missi) ein Geistlicher beigegeben werde. Wie weit der jugendliche Fürst solchen in sein Hoheitsgebiet eingreifenden Forderungen entgegenkam, ist nicht feststellbar; doch sicher ist, daß er in der F r a g e des Eigenkirchenwesens seine eigenen W e g e ging. Der sich hiedurch anbahnende Gegensatz zwischen ihm und den Bischöfen w u r d e noch dadurch verschärft, daß die Klöster Seelsorge ausübten und eigene Pfarreien errichteten. Dagegen w a n d t e sich bereits der Landtag von Neuching (772). Diese von weltlichen und geistlichen Großen besuchte Zusammenkunft verlangte vom Herzoge, er solle sowohl das Leben der Ordenshäuser wie die Amtsbefugnisse der Bischöfe regeln; sie nahm als Grundsatz an, daß die Seelsorge ausschließlich Sache des bischöflichen Amtes sei, die Klöster dürften sie nur mehr auf ihrem Grunde und Boden ausüben, es w u r d e ihnen jedoch verboten, P f a r r e n zu besitzen. Die Äbte mußten versprechen, sich nicht mehr in die Seelsorge einzudrängen, denn diese stünde nach den kanonischen Vorschriften den Bischöfen zu 2 ). Doch w a r damit der Zwiespalt nicht beendet, da noch später, als schon Karl der Große Herr von Baiern w a r , die Kirchenversammlung zu Reisbach (800) den Mönchen verbot, P f a r r e n innezuhaben 3 ).

Tassilo geriet durch sein Festhalten am Begriffe des Eigenkirchenwesens in einen bedenklichen Gegensatz zu den Bischöfen. Das wirkte sich für ihn um so unheilvoller aus, als sein Verhältnis zu Karl dem Großen immer unerträglicher wurde. Als siebenjähriger Knabe w a r er nach dem Ableben seines Vaters (748) mit fränkischer Hilfe Herzog von Baiern geworden. König Pippin w a r sein Vormund, dem er, als er wehrhaft wurde, den Vasalleneid leistete (757); doch schon sechs Jahre darauf entzog er sich beim Kriegszuge seines Oheims in Aquintanien der Heerespflicht. Von da an herrschte er als unabhängiger Fürst in Baiern und unterwarf ganz aus eigener Kraft dauernd die Karantanen (772). Damals w a r Karl der Große bereits fränkischer König, der in demselben Jahre siegreich gegen ut sit s e n t e n t i a v e s t r a Dei sale condita. Mon. Germ., Concilia 2/1, S. 58. ) E b e n d o r t S. 104 f.: dazu Ratzinger, F o r s c h u n g e n z. b a y r . Gesch. S. 508 ff. s ) Mon. Germ., Concilia 2/1, S. 210, 215. 2

268

II. Das Stammesherzogtum Baiern und das Christentum.

die heidnischen Sachsen zog und gleich nachher das Reich der Langobarden zertrümmerte. Einem solchen Gegner w a r Tassilo nicht g e w a c h s e n ; kurz darauf erneuerte er vor ihm zu W o r m s seinen Treueid (781); vielleicht steht das bald nachfolgende E r scheinen der A w a r e n an der Enns, wie schon Aventin vermutete, damit im Zusammenhange. Als der baierische Herzog sich w i e d e r frei machen wollte, rückte Karl der Große nach den jüngst v e r öffentlichten Bruchstücken einer verlorenen Regensburger Chronik in v i e r Heeresgruppen gegen ihn vor und lagerte am Grenzflusse Lech 1 ); dort erschien Tassilo, unterwarf sich und anerkannte zum drittenmal die fränkische Oberhoheit. Doch schon im nächsten Jahre ließ ihn der König auf dem Reichstage zum Ingelheim festnehmen und beschuldigte ihn, mit den A w a r e n sich verbunden zu h a b e n ; diese unternahmen damals in der Tat einen Vorstoß, wurden jedoch am Ybbsfelde geschlagen (S. 261). Der Herzog w u r d e zum Tode verurteilt, doch begnadigte ihn der König und verbannte ihn, seine Gattin und Kinder in verschiedene Klöster. Sechs J a h r e darauf legte Tassilo auf der Synode von Frankfurt am Main — es ist dies sein letztes Auftreten in der Geschichte — vor den Abgesandten des P a p s t e s und den Bischöfen des Reiches ein Reuebekenntnis ab und leistete auf sein Herzogtum Verzicht; Karl verzieh ihm, doch mußte der entthronte Fürst im Mönchsstande verbleiben. Es liegen über die ganzen Vorgänge nur fränkische Quellen vor, die das Vorgehen Karls des Großen zu rechtfertigen suchen; doch bekundet das spätere Erscheinen des geschorenen Herzogs in Frankfurt, daß er noch Anhänger hatte, die sich mit dem königlichen Urteile nicht abfinden konnten. Sein wenig ruhmvolles Ende darf uns nicht v e r gessen lassen, in ihm den ersten Vorkämpfer des Deutschtums im Osten zu sehen. Karl verlieh das erloschene Herzogtum nicht mehr einem Stammesfürsten, sondern ließ es durch seine Grafen v e r walten (S. 279) 2 ). Das Haus der Agilolfinger, das solange die Geschicke Baierns lenkte, w a r jetzt als Herzogsgeschlecht erledigt. Schon die Merowinger verfolgten das Ziel, die abhängigen Völker dadurch noch fester an sich und ihr Reich zu ketten, daß sie ihnen das ChristenMon. Germ., Script. 30/2, S. 1489. ) Tassilo tarnen postmodum ad regem evocatus neque redire permissus, neque provincia, quam tenebat, ulterius duci, sed comitibus ad regendum commissa est. Einhardi Vita Karoli Magni (Schulausgabe 1911) S. 14. 2

21. Baiern verliert sein Herzogshaus (788).

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tum aufnötigten. Dieses w u r d e nun tatsächlich das einigende und gemeinsame Band, das die einzelnen Stämme zusammenschloß. Die erste Bekehrung Baierns w a r noch nicht von Dauer, doch brachte die zweite letzten Endes den gewünschten Erfolg. Die Saat, die Pippin der Mittlere ausgestreut hatte, brachte für Karl den Großen die volle E r n t e : Baiern w a r nicht nur christlich geworden, sondern verlor jetzt noch sein Herzogshaus und wurde eine fränkische P r o vinz; ein christliches Baiern konnte damals bloß ein fränkisches sein, wie ehedem ein heidnisches unabhängig und frei w a r . Die Agilolfinger versuchten in ihrer Kirchenpolitik den Mittelweg: schon Herzog Theodo schloß ein Abkommen mit Rom und Odilo verband sich noch enger mit dem Papste. Der Zweck, den sie hiebei verfolgten, ist nicht schwer zu finden: sie suchten in Rom eine Stütze gegen das Frankenreich. Das zeigt klar das Auftreten des päpstlichen Abgesandten Sergius am Lech. Doch als Pippin König w u r d e und in Italien den Kirchenstaat begründete, w u r d e für Baiern die Hoffnung auf einen Rückhalt immer geringer; ja der Bund zwischen dem P a p s t e und den Franken w a r d noch enger, als Karl der Große das Reich der Langobarden zerstörte. Tassilo bekam das deutlich zu fühlen. Hadrian I. bemühte sich z w a r ehrlich für ein tragbares Verhältnis zwischen den beiden streitenden Teilen, trat aber, als der Zwiespalt nicht mehr zu überbrücken w a r , offen gegen den Baiernherzog auf. Schon Abt Sturm von Fulda versuchte seinen ehemaligen Landesfürsten mit dem Könige auszusöhnen. W e n n Eigil dabei von einer „übernommenen Gesandtschaft" spricht 1 ), so ist als Auftraggeber wohl der P a p s t zu denken. Doch w u r d e das Verhältnis zwischen Karl und Tassilo bald wieder schlechter. Die Bischöfe Baierns scheinen hiebei ihrem Herzoge immer weniger Gefolgschaft geleistet zu haben. Vom Freisinger Oberhirten Arbeo, dem ersten Geschichtschreiber seines Landes, ist bekannt, daß ihm Tassilo und dessen Frau vorwarfen, er hinge dem Könige Karl treuer an als ihnen 2 ); die Freisinger Kirche hingegen klagte sie beide an, ihr ungerecht Güter entzogen zu haben 3 ); in allen zwei Fällen behauptete sie, das Herzogspaar hätte je ein Kloster zu ihrem Schaden begünstigt. *) 2 ) Trad. (1937) 3

suscepta Iegatione. Mon. Germ., Script. 2, S. 376. dicentes eum fideliorem esse domino Karolo regi et Francis quam illis. Freis. 1, S. 183; dazu H. Löwe, Die karolingische Reichsgründung und der Südosten S. 21 f., 41.

) Freis. Trad. 1, S. 313 f.

270

II. D a s S t a r r . m e s h e r z o g t u m Baiern und d a s C h r i s t e n t u m .

Kurz bevor für Tassilo das Unheil nahte, starb Bischof Virgil von Salzburg nach fast vierzigjähriger, ruhmvoller Tätigkeit am 27. November 784; an seine Stelle trat im nächsten Jahre der spätere Freund Karls des Großen Arn. Dieser, von Geburt ein Baier, w a r d in Freising zum Priester herangebildet und besaß damals bereits die Abtwürde von Elnon im Hennegau; bei seiner Wahl hat wohl der König und nicht der Herzog das entscheidende W o r t gesprochen, wie schon ehedem des ersteren Vater Pippin Virgil nach Salzburg berufen hatte. Als der Zwiespalt zwischen Karl und Tassilo immer gefahrdrohender wurde, sandte letzterer den neuen Bischof der Salzachstadt mit dem zweiten Abte von Mondsee Heinrich nach Rom (787), um den Papst als Vermittler anzurufen. Der König zeigte sich wohl versöhnlich und drang auf den Abschluß eines Abkommens, doch hatten hiezu die Abgesandten des Baiernherzogs keine Vollmacht; darauf bedrohte der P a p s t Tassilo mit dem Banne, falls er die geschworenen Eide nicht einhielte, die zu erfüllen er bereits sechs J a h r e früher in einer eigenen Gesandtschaft gemahnt hatte. Aus dem ganzen Zwiste tritt immer deutlicher hervor, daß P a p s t und Bischöfe als Anhänger Karls a u f t r a t e n ; so besiegelten sie den Untergang des Herzogs. Die junge Kirche Baierns w a r damals schon so erstarkt, daß hiebei ihre Vertreter entscheidend mitwirkten. Einen Rückhalt in der Geistlichkeit scheint Tassilo nur in den Klöstern besessen zu haben, die aber zu schwach waren, um ihrem Herzoge helfen zu können. Das Ende Tassilos unterbrach ihr rasches Ansteigen. Die Karolinger gründeten kein einziges Ordenshaus in Baiern und begannen dort, bereits bestehende Mönchsgemeinschaften an kirchliche W ü r d e n t r ä g e r zu übereignen; so verlieh Karl der Große Mondsee seinem Kaplan Hildebold, Erzbischof von Köln. Das enge Verhältnis Tassilos zu den Klöstern läßt es gleichfalls wieder naheliegend erscheinen, daß sie noch Mönche irischer Lebensart und keine Benediktiner innehatten. So erfüllte sich das Schicksal Baierns, das zwischen zwei mächtigen Nachbarn gelegen w a r . Theodo rettete einst die T r ü m m e r seines Landes vor den heidnischen Awaren, als er bei den Franken Schutz suchte. Die erzwungene Annahme des Christentums band indes sein Reich so stark an die letzteren, daß es schließlich ihre Provinz w u r d e ; damit öffnete aber Karl der Große den W e g nach dem Osten, indem er gleich nach dem Sturze Tassilos das Awarenreich zerstörte und so Baiern von seinem östlichen Gegner befreite.

22. Baiern erhält in S a l z b u r g ein E r z b i s t u m (r9S).

271

Sein Anfall an das Frankenreich (788) w a r d in der Folge der Ausgansspunkt für die Ostkolonisation der deutschen Stämme, die der Nordostsiedlung vorausgeht und sie bedingt 1 ); die eine wie die andere zählt zu den größten Taten des deutschen Volkes! 22. Baiern erhält in Salzburg ein Erzbistum (798). Der jungen Landeskirche e r w u c h s durch den mächtigen Bodengewinn eine neue Autgabe: sie hatte das Christentum nunmehr nach Pannonien zu bringen, von dem es einst nach Noricum gekommen w a r . Die übertragene Obliegenheit w a r so groß, daß nicht mehr ein einzelnes Bistum sie in die W e g e leiten konnte; es galt vielmehr die Kirchensprengel des Landes zusammen zu fassen, um das schwere W e r k zu vollbringen. Baiern sollte jetzt endlich eine einheitlich geleitete Landeskirche erhalten mit einem E r z b i s c h o f an der Spitze; das schien um so nötiger, als nunmehr der Herzog, der eine gewisse Einheit und Oberleitung des Kirchenwesens verbürgte, wegfiel. Der Wunsch, der schon dem Vollstrecker der zweiten Bekehrung Theodo und dem P a p s t e Gregor II. vorschwebte, erfüllte sich durch die von Karl dem Großen herbeigeführten Gegebenheiten: das neue Erzbistum w a r aber nicht bloß der natürliche Abschluß eines lange geplanten Werkes, sondern steht zugleich auch am Beginne der Südostmission des Reiches im eben eroberten Pannonien 2 ). Nach dem Untergange des Herzogtums in Baiern bestand für das Frankenreich keine besondere Gefahr mehr, dort Sonderbestrebungen befürchten zu müssen. Dadurch w a r es auch möglich, die Hauptstadt des Landes zu übergehen und den Sitz des Erzbistums in eine entlegene Alpenstadt zu verpflanzen, w o ein dem Könige befreundeter Bischof den Krummstab f ü h r t e ; vielleicht erschien es für ihn und sein Reich nicht ohne Nutzen, die kirchliche Hauptstadt Baierns von der weltlichen zu trennen; so kam S a l z b u r g an die erste Reihe und Regensburg mußte zurücktreten, ein eigenartiger Fall, der jedem kirchlichen Herkommen widersprach. Doch blieb das Salzburger Beispiel damals nicht vereinzelt; es entsprach vielmehr der selbstbewußten T a t k r a f t Karls, daß, als er als oberster Kirchenherr E. Klebel, Siedlungsgeschichte ) A. B r a c k m a n n , Die A n f ä n g e e u r o p a und d e r e n T r ä g e r , J a h r b ü c h e r dessen G e s a m m e l t e A u f s ä t z e (1941) 2

des deutschen S ü d o s t e n s (1940) S. 49. der a b e n d l ä n d i s c h e n K u l t u r b e w e g u n g in Ostf ü r Geschichte O s t e u r o p a s 3 (1938) S. 202 ff. = S. 94 ff.

272

II. Das Stammesherzogtum Baiern und das Christentum.

seines Reiches die entschwundene Metropolitanverfassung wieder erneuerte, für die von ihm eingeführten Stellen der Erzbischöfe Männer seines besonderen Vertrauens wählte, ohne dabei auf den römischen Brauch Rücksicht zu nehmen 1 ). In einem Schreiben vom 20. April 798 bezeichnet P a p s t Leo III. Arn bereits als Erzbischof der baierischen Kirchenprovinz und verleiht ihm das Pallium 2 ), das dieser in Rom empfing 3 ). Gleich anschließend beruft sich der Papst in einem Briefe an Karl den Großen, worin er ihn hievon verständigt, ausdrücklich auf das dahin gehende Verlangen des Königs 4 ); in einem eigenen Schriftstücke an die Bischöfe Baierns antwortet er ihnen auf die Bitte, in ihrem Lande einen Erzbischof einzusetzen, er hätte dem Willen des Königs entsprechend Arn hiezu geweiht 5 ). Es läßt sich somit klar erweisen, daß für die Wahl Arns und Salzburgs einzig und allein der Entschluß Karls des Großen maßgebend w a r und der P a p s t nur der Vollstrecker des königlichen Willens w a r . So erklärt sich auch leicht, daß das kirchliche Gewohnheitsrecht hiebei nicht maßgebend w a r . B e m e r k e n s w e r t ist die bescheidene Rolle, die bei der Erhebung Salzburgs zur kirchlichen Hauptstadt Baierns der angebliche Apostel dieses Landes spielt. Der Name Rupert wird bloß in dem päpstlichen Schreiben an die dem eben ernannten Metropoliten Arn unterstellten Bischöfe mit dem Hinweise erwähnt, daß in der Salzachstadt in der dem Apostelfürsten P e t r u s geweihten Domkirche der Leib des „hl. pontifex Rupert mit zwei Gefährten ruhe, deren Körper die Gläubigen v e r e h r e n " (S. 126). W ä r e er wirklich der erste Verkünder des Christentums in Baiern gewesen, so hätte Leo III. nicht nötig gehabt, auf das Verlangen des Königs Karl hinzuweisen, als er Arn zum Erzbischöfe ernannte, da Salzburg in einem solchen Falle ohnedies im kirchlichen Range an erster Stelle gestanden hätte. Dasselbe w ä r e zugetroffen, wenn die in diesen Urkunden e r w ä h n t e ecclesia P e t e n a älteren Ursprungs gewesen *) Hauck, Kirchengesch. Deutschi. 2, S. 212 f. 2 ) Salzb. Urkb. 2, S. 2—4. 3 ) Mon. Germ., Script. 30/2, S. 736. 4 ) regalis excellentia mandasset nobis per ipsum, quod Arnoni episcopo pallium tribueremus et in provincia Baiouvariorum archiepiscopum constitueremus. Salzb. Urkb. 2, S. 5. 5 ) unäcum consensu et volúntate . . . Caroli . . . regis vobis ordinavimus . . . archiepiscopum, videlicet Arnonem. Ebendort 2, S. 6. Das w e i ß noch ein halbes Jahrhundert später der Salzburger Dichter, der die ersten Bischöfe Baierns besungen hat. Mon. Germ., P o e t a e lat. 2, S. 638.

22. Baiern erhält in Salzburg ein Erzbistum (798).

273

und in ihrem Fortbestande nach Salzburg übertragen w o r d e n w ä r e (S. 132). W e d e r in dem einen, noch in dem anderen Falle hätte sich ein Widerspruch gegen das Vorgehen Roms erheben können. Die Wahl Arns zum Erzbischofe mit dem ausdrücklichen Hinweise auf den Willen Karls zeigt klar, daß Salzburg keine dem kirchlichen Gewohnheitsrechte entsprechenden Ansprüche hatte und daher nicht älter w a r als die anderen Bistümer des Landes. Daraus folgt, daß Leo III. keineswegs Rupert als den Apostel Baierns betrachtete. Diese Eigenschaft hat erst die Salzburger Kirche erfunden, als sich der offene Kampf gegen sie erhob. Solange Karl der Große und Arn lebten, hatte sie nichts zu befürchten, doch als letzterer am 24. Jänner 821 starb, kam sie in Gefahr, den ihr nicht gebührenden Vorrang zu verlieren. In diesen für sie angstvollen Tagen m a g wohl die Salzburger Gründungssage, wie sie im Vorworte zu den „Kurzen Nachrichten" vorliegt, abgefaßt sein. Doch erhoben die Bischöfe Baierns gleich nach der Wahl Arns gegen ihn Widerstände. Das geht aus dem Schreiben hervor, das Leo III. zwei J a h r e später, am 11. April 800, an sie abgehen ließ: er sah sich veranlaßt, sie und die Geistlichkeit Baierns eigens zu ermahnen, Arn volles Vertrauen zu schenken, in allen Angelegenheiten gemeinsammit ihm vorzugehen und in kanonischen Streitfragen ihn entscheiden zu lassen und nicht die weltlichen Gerichte anzurufen; dabei erinnert sie der Papst, daß der Apostolische Stuhl befugt sei, in jeder Provinz der Christenheit eine Hauptstadt zu bestimmen und dort einen Erzbischof einzusetzen, wie er es bei ihnen getan h ä t t e ; seine Vorgänger hätten ja schon in ihrem Lande ein Erzbistum vorgesehen, doch w ä r e dieser Plan durch verschiedene Hindernisse bis jetzt nicht verwirklicht worden (S. 163), w o er auf Rat und Geheiß des Königs Karl 1 ) nach kirchlicher Vorschrift einen Metropolitensitz bestimmt und einen Erzbischof geweiht hätte 2 ). Der P a p s t vermeidet es hiebei ängstlich, auf den springenden Punkt einzugehen und ergeht sich bloß in allgemeinen Klagen. Die Bischöfe Baierns haben sich gewiß nicht darüber beschwert, daß sie zu einer Landeskirche mit einem Erzbischof zusammengefaßt wurden, sondern sie konnten sich bloß damit nicht abfinden, daß ganz gegen kirchlichen Brauch die Hauptstadt des Landes übergangen und Salzburg als Sitz des Erzbischofs bestimmt *) cum Consilio atque c o n s e n s u . . . Caroli regis. Salzb. Urkb. 2, S. 8. 2 ) constituimus v o b i s metropolitanam s e d e m eiusque pastorem ordinavimus . . . archiepiscopum. Ebendort S. 8.

18

274

II. D a s S t a m m e s h e r z o g t u m B a i e r n und d a s

Christentum.

wurde. Da überdies Arn erst im Jahre 785 Bischof wurde, war er noch dazu nach seinem Weihealter einer der jüngeren Bischöfe in Baiern. Das Schreiben reiht sie nach ihrem persönlichen Range: Alim von Säben, Waltrich von Passau, Hatto von Freising, Adalwin von Regensburg und Sintpert von Neuburg (Staffelsee). Die baierische Landeskirche umfaßte daher, Salzburg eingerechnet, damals sechs Bistümer. Schon Gregor I. hatte es zur festen Regel gemacht, daß die Bischöfe nach ihrem Weihealter zu reihen wären (599) 1 ). An diese Aufeinanderfolge hält sich Leo III. in dem erwähnten Schreiben, so daß dieses keinen Aufschluß gibt über das Alter und den damit verbundenen Rang des Sitzes, sondern bloß über die Person des Oberhirten, der ihn innehatte. Es ist dieselbe Gepflogenheit, wie sie der Stiftbrief von Kremsmünster in seiner Zeugenreihe aufweist. Doch ist das genannte Schreiben Leos III. in anderer Hinsicht sehr lehrreich: es zeigt unzweideutig, daß gleich nach der Wahl Arns zum Erzbischof sich ein Widerspruch gegen ihn geltend machte; es hat also nicht erst die Folgezeit hieran etwas auszusetzen gehabt. Der Verfasser der um das Jahr 1300 entstandenen Geschichte der Passauer Bischöfe, der bereits in vollem Bannkreise der Lorcher Ansprüche steht, beschuldigt Erzbischof Arn, er hätte durch Lug und Trug sich von dem verblendeten Papste Leo das Pallium zu verschaffen gewußt und es seiner Kirche entrissen 2 ). Es erübrigt sich, darauf einzugehen, daß Passau noch weniger berechtigt war als Salzburg, Erzbistum zu werden; doch ist diese Stelle trotz ihren Irrtümern deshalb beachtenswert, als sie zeigt, wie wenig man später verstand, warum die Salzachstadt den kirchlichen Vorrang erhielt. Passau warf deshalb Arn vor, er hätte den Papst getäuscht, da er die tieferen Gründe und das persönliche Eingreifen Karls des Großen nicht mehr erkannte und die Frage nur nach dem Vorteil seines Bistums beurteilte. Noch auffälliger muß der Vorrang der Salzburger Kirche empfunden werden, als eben damals die pannonische Frage in den Vordergrund trat. Die natürliche Verkehrsader zwischen dem neu *) Mon. G e r m . , E p i s t o l a e 2 (1899) S. 214; d a z u F. Martin, D e r R a n g d e r S a l z burger S u f f r a g a n b i s c h ö f e , Mitt. d. Instituts 52 (1938) S. 157 f. 2

) Arn l u v a v e n s i s

e p i s c o p u s per trufas et b u f a s a L e o n e papa

cecato

Pallium

P a t a v i e n s i b u s subripuit. Mon. Germ., Script. 25, S. 620. Ähnlich urteilt der F o r t s e t z e r der J a h r b ü c h e r

von

Kremsmiinster:

Mon. Germ., Script. 9, S. 551.

Arn

. . Pataviensi

ecclesie

surripuit

Pallium.

22. Baiern erhält in Salzburg ein Erzbistum (798).

275

eroberten Lande und Baiern war die Donau. Jetzt wäre tatsächlich die ehemalige Hauptstadt Lorch der gegebene Punkt gewesen, von dem aus das Christenutm in das Awarenland hätte getragen werden können, wie es Arbeo schon Emmeram zuschreiben möchte (c. 4 f.); es erwachte so von selbst wieder die Erinnerung an die frühere glanzvolle Rolle der untergegangenen Stadt; wenn schon diese fehlte, so war doch Passau seiner Lage nach viel eher berufen, eine solche Aufgabe zu übernehmen, als das hiefür weniger günstig gelegene Salzburg. Mit den Kräften der Vergangenheit verbanden sich nunmehr jene der Gegenwart, die Rolle Lorchs zu erneuern, da die Donau jetzt wieder wie ehedem die natürliche Vermittlerin war. Diese ging aber durch das Vorgehen Karls des Großen leer aus und das rächte sich. Während im übrigen Deutschland die Erzbistümer an den großen Strömen, am Rhein und an der Elbe, entstanden, überging derselbe König, der im Jahre 791 seinen Kriegszug gegen die Awaren von Regensburg und Lorch aus eröffnete, die Donau, als er in Baiern ein Erzbistum errichten ließ; er verletzte durch das Übergehen der baierischen Hauptstadt nicht nur die Rangordnung, sondern übersah auch, w a s viel schwerer wog, die von der Natur gegebenen Verhältnisse. Das neue Erzbistum hätte an die Donau (Regensburg) gehört 1 ), zumal dort ohnedies die weltliche Hauptstadt war und König Karl eben damals den Weg nach Pannonien freimachte. Das wäre für die nächste Folgezeit um so entsprechender gewesen, als Ludwig der Deutsche dorthin die Hauptstadt des Ostfränkischen Reiches verlegte und die letzten Karolinger ebenda ihre Königspfalz schufen. Freilich grenzte das Regensburger Bistum nicht unmittelbar an Pannonien, sondern es war ihm Passau vorgelagert, in dessen Kampfe das Vorrecht der Donau sich unentwegt zum Worte meldete. Dafür hatte Regensburg als anschließendes Missionsgebiet Böhmen, über dessen Bekehrung sichere Nachrichten jedoch erst seit dem Jahre 845 vorliegen 2 ). Bis in die Zeiten des Bischofs Wolfgang gehörte Böhmen zur Regensburger Kirche, da erst um 973 in Prag ein Landesbistum erstand. Als Salzburg zur kirchlichen Hauptstadt Baierns aufstieg, erstreckte sich der Regensburger Sprengel nördlich noch wenig über die Donau hinaus, da erst Odilo, als er Niederaltach gründete, den Das hat schon A. Hofmann, Das deutsche Land und die deutsche Geschichte (1923) S. 555 f. hervorgehoben. 2 ) Annales Fuld., Schulausgabe S. 35. 18*

II. Das Stammesherzogtum Baiern und das Christentum.

276

Nordwald zu roden begann; er konnte sich an Umfang bei weitem nicht mit dem von Salzburg messen, das zudem bereits Karantanien besaß und eben damals noch dazu Pannonien erhielt; die Salzachstadt lag ferner viel besser in der Mitte des Landes als das in den nördlichsten Donauwinkel vorgeschobene Regensburg. Die früheste Nachricht, die auf einen Widerstand der zurückgesetzten Hauptstadt gegen Salzburg hinweist, ist die Rupertlegende, nach der ihr Heiliger sein W e r k in Regensburg beginnt; doch läßt sie ihn gleich darauf auf der Donau nach Lorch ziehen. Passau verficht später die vermeintlichen Rechte der untergegangenen Hauptstadt, als deren Erbin es sich ausgibt. Lorch wird nach dessen von Arbeo erwähnten Zerstörung (um 700) erst im Jahre 791 als Ausstellungsort zweier Freisinger Urkunden wieder genannt 1 ). E s war dies in demselben Jahre, im Monate September, als Karl der Große vor dem Awarenkriege dort das Lager aufschlug und sein Heer in dreitägigen Litaneien und Fasten den Segen Gottes für sein großes Unternehmen erflehen hieß 2 ). Zunächst entbrannte, wie noch zu zeigen ist, der Kampf zwischen Salzburg und Passau um Pannonien. Der beanspruchte Vorrang der Dreiflüssestadt bekam einen äußeren Schein, als es Lorch erhielt und hatte seinen tieferen Grund in der bevorzugten Lage der untergegangenen Hauptstadt an der großen Fahrstraße in das eroberte Land. Deshalb erreichte der Streit um das Erzbistum seinen Höhepunkt, als später der Sieg über die Ungarn am Lechfeld (955) aufs neue den Zugang nach Pannonien eröffnete. Bischof Pilgrim setzte das W e r k seiner Vorgänger in großem Zuge fort; in ihm wehrte sich nicht nur die aufgegebene Hauptstadt, sondern noch mehr die zurückgesetzte Donau; die erstere bildete die äußere Form, die letztere den wahren Inhalt. Die Frühgeschichte der Baiern zeigt diesen Stamm als Donauvolk. Der unglückselige Streit um das Erzbistum lehrt aufs neue, daß dieser Strom für ihre Wohnsitze die Lebensader war. Das muß widerwillig sogar die Rupertlegende zugeben, indem sie ihren Heiligen seine Tätigkeit an der Donau beginnen (Regensburg) und ' ) in locum quae dicitur Lorahha in monte nuncupante Uuartperc. Freis. Trad. 1, S. 147. Der hier genannte W a r t b e r g kann nur der spätere

St. Georgenberg

der schon für das Römerlager als Aussichtsposten gedient haben dürfte. — in loco situm in tabernaculis prope oppido nuncupante Loriaca. S. 148. 2

) Annales regni F r a n c . S. 8 8 ; Mon. Germ., Epistolae 4, S. 528.

sein,

Actum

22. Baiern erhält in Salzburg ein Erzbistum (798).

277

fortsetzen (Lorch und Pannonien) und erst in Salzburg vollenden läßt; sie brauchte einen „Wanderbischof", um ihr Ziel zu erreichen. Der ihm zugeschriebene Umweg zeigt schon, daß Salzburg nicht der natürliche Sitz des Erzbistums war. Baiern war und blieb ein Donauland und die kirchliche Hauptstadt hätte daher wie die weltliche an seinen Strom gehört, zumal kurz vorher Karl der Große Pannonien eroberte. Der W e g der Donau weist nach Osten. Schon jetzt rächte es sich, daß Herzog Theodo Lorch dauernd aufgab. Regensburg lag als neue Hauptstadt zu weit im Westen, so daß die anschließende Bekehrung des Landes zwar dort begann, die Ostaufgabe aber bald darauf Salzburg übernahm. Als dann hernach Passau Sitz eines Bistums wurde, war Regensburg in seiner natürlichen Fahrstraße von zwei vorgelagerten Kirchensprengeln abgeriegelt. So spielt sich denn in der pannonischen Frage der Hauptkampf zwischen den beiden östlichen Bistümern Baierns ab, von denen keines das Anrecht auf das Erzbistum hatte.

III. Die Karolingische Ostmark und ihre „Drei Grafschaften". 1. Baiern als fränkische Provinz. Herzog Tassilo w a r es nicht mehr gegönnt, die Grenzen seines Reiches über die Enns auszudehnen und das von ihm zurückgewonnene Karantanien durch festen E r w e r b des norischen Unterlandes nach Osten abzurunden. Sein Kampf gegen den Frankenkönig Kar! hinderte ihn, sein im Traungau begonnenes W e r k fortzuführen. Ja, die Awaren, die er hätte zurückdrängen sollen, rückten in sein Land ein, als er eben abgesetzt w a r (788). In zwei Heeren, von denen eines gegen Baiern, das andere gegen Italien vorging, erschienen sie auf dem Kampfplatze. Die Annales Sithienses melden hierüber kurz und bündig: die Awaren wurden in der M a r k B a i e r n s und Italiens von den königlichen Heeren besiegt und in die Flucht geschlagen 1 ). Die Reichsannalen ergänzen diese Nachricht und sagen, die Awaren hätten mit dem einen Heere die Mark Friaul, mit dem anderen Baiern angegriffen 2 ). Auf diese Weise ist Friaul als Mark Italiens — sie erscheint als solche hier zum erstenmal — unzweideutig festgestellt. Dasselbe gilt für Baiern, als dessen Mark seiner Lage nach der an Awarien unmittelbar angrenzende T r a u n g a u anzusprechen ist. Das ist auch daraus zu entnehmen, daß hiebei die Awaren auf ihrem Rückzüge am Ybbsfelde geschlagen wurden (S. 261). Es w a r ihr letzter Vorstoß über die Ennslinie. Die Aufgabe des Traungaues als östliche Mark Baierns ist hier bereits vorgezeichnet. Karl der Große hat ihn hernach mit dem norischen Unterland zum Dreigrafschaftsgebiet verbunden und dieses als „Baierischen Grenzabschnitt im Osten" dem Markgrafen der Ostmark unterstellt. So wurde allmählich der Traungau von seinem *) Avares in marca Baioariae atque Italiae a regis exercitibus vieti atque fugati sunt. Mon. Germ., Script. 13, S. 36. 2 ) uno marcam Foroiuliensem, altero Baioariam adgressi sunt. Annal. regni Frane. S. 83.

279

1. Baiern als fränkische Provinz.

Stammlande losgelöst; er erwuchs hiedurch zum festen Wurzelstock, aus dem sich später das Land ob der Enns bildete; aus der ursprünglichen marca Baioariae wurde die gespenstige marca supra Anasum 1 ). Schon ihr Name zeigt an, wie in der Gedankenwelt des Volkes die Jahrhunderte währende Aufgabe des Traungaues als der Grenzwacht Baierns im gefährdeten Osten fortlebte. König Karl erschien, als er den Herzog Tassilo abgesetzt hatte, selbst in B a i e r n und ordnete den Grenzschutz und die Verwaltung 2 ). Seine Tätigkeit gleicht jener des Bonifaz, als dieser die Kirchensprengel Baierns abgrenzte: der eine wie der andere bestätigte im Wesen das Vorhandene. Die Provinz Baiern wurde nicht aufgelöst, sondern blieb bestehen, nur trat an Stelle des Stammesherzogs ein vom Könige ernannter Graf 3 ). Die baierischen Gaue wurden fränkische Grafschaften. Da der Stiftbrief von Kremsmünster unter den Zeugen bereits drei Grafen anführt, so brauchten auch diese Stellen nicht erst neugeschaffen werden. Ihr Amt erstreckte sich bereits nach römischem Brauche auf den Stadtgau, die civitas. In solchem Sinne läßt bereits das Leben Severins den comes Pierius im norischen Unterlande wirken (c. 44). Desgleichen übt nach dem Baierischen Volksrecht der Graf in dem nach ihm benannten Amtsbereich seine Befugnis aus 4 ). Wenn daher Einhard in seinem Leben Karls des Großen sagt, sein König hätte Baiern Grafen anvertraut (S. 268), so bedeutet das nichts anderes, als daß er das Stammesherzogtum beseitigte und das Land unmittelbar durch seine Beamten verwalten ließ. Die Grafen waren in ihrem Range nicht gleich, sondern einer von ihnen übte über die anderen ein Aufsichtsrecht aus: der Graf der Hauptstadt (dux) versah nicht nur seinen Sprengel, sondern überwachte wie der Erzbischof die Amtsgenossen seiner Provinz. In der kirchlichen Verfassung läßt sich die römische Grundlage besser ablesen als in den Grafschaftsämtern, aber sie ist hier wie dort gegeben. Daraus folgt schon, daß die Provinz Baiern erhalten blieb. Der Graf, gleich welcher Art, war ein Beamter des Königs, der ihn nach Belieben ein- und absetzen konnte; hierin liegt der Unterschied vom Stam*) Zibermayr, Landesarchiv Linz S. 37 f., 44 f.; 2)

fines vel m a r c a s

Baioariorum

disposuit;

unten S. 470.

eandem

provinciam

cum suis ter-

minis ordinavit atque disposuit, quomodo salvas Domino protegente contra iamdictos A v a r o s esse potuissent. Annal. regni F r a n c . S. 84 f. 3)

Riezler, Gesch. Baierns 1/1, S. 343 f.

4)

curam habeat comes in suo comitatu. 2 / 5 ; dazu 2 / 1 4 .

280

III. D i e K a r o l i n g i s c h e Ostmark und ihre „Drei Grafschaften".

mesherzog, der nach dem Volksrechte (3/1) immer aus dem Hause der Agilolfinger sein mußte. Die fränkischen Grafschaften wurden in der späteren Karolingerzeit nach ihren jeweiligen Inhabern bezeichnet; wohl findet sich hiebei noch öfter der Name des Gaues. Wie wenig dieser Wandel im Volke Anklang fand, zeigen die Traditionsbücher, deren Privaturkunden die Angabe nach Gauen unbeirrt beibehalten. Aus all dem ist zu ersehen, daß aus der spätrömischen civitas der baierische Gau und aus ihm die fränkische Grafschaft wird, wobei aber wohl zu beachten ist, daß das schon vor Karl dem Großen der Fall war, da ja der fränkische Einfluß in Baiern schon mit dessen Bekehrung einsetzt. Die weltliche und kirchliche Verfassung waren in ihrem Wesen gleich und gehen in ihren Grundlagen auf römische Wurzel zurück. Daraus folgt aber auch, daß K a r l d e r G r o ß e d i e v o n i h m a u f g e h o b e n e n S t a m m e s h e r z o g t ü m e r gleichwohl als P r o v i n z e n s e i n e s R e i c h e s b e s t e h e n l i e ß . So blieb auch Baiern als Staatswesen erhalten. Das ist schon daraus zu erkennen, daß er es zu einer eigenen Kirchenprovinz erheben ließ; der Stelle des neuen Erzbischofs entspricht weltlich jene des Obergrafen, des Präfekten (S. 294); auch da weist wieder die quellenreichere Kirchengeschichte den rechten Weg. 2. Der Untergang des Awarenreiches und die neuen Grenzen Karantaniens und Pannoniens. Das mächtige Frankenreich war jetzt imstande, mit den A w a r e n endgültig abzurechnen. Deren Staatswesen war schon so morsch geworden, daß es nach den erlittenen Niederlagen von der Karte verschwand. Mit den großen Heereszügen des Jahres 791 begann Karl der Große sein Werk; es war ein gemeinsames Unternehmen aller deutschen Stämme und bleibt als solches denkwürdig. In drei Aufgeboten rückte er vor; er selbst zog von Lorch aus mit dem Hauptheere südlich der Donau und stieß am Westabhang des Wiener Waldes (Cumeoberg) auf die befestigten Anlagen des Feindes; die Friesen und Sachsen kamen vom Norden und warfen den Gegner an der Mündung das Kampflusses zurück; in der Mitte zwischen beiden Heeresgruppen führten Schiffe auf der Donau den Kriegsbedarf mit. Als die Baiern Karantanien ihrem Staate einverleibten, w a r die militärische Lage für die Awaren im norischen Unterlande unhaltbar geworden; sie waren ja jetzt auf zwei Seiten

2. Der Untergang des Awarenreiches usw.

281

von den Baiern und im Norden durch die Donau sackartig eingeschnürt. So zogen sie es vor, den von Slaven und Baiern dünn besiedelten Raum überhaupt nicht zu verteidigen und erst an der Grenze Pannoniens in festen Schanzwerken ihren starken Gegner zu erwarten. In kurzem Siegeszuge eroberte Karl der Große das Awarenland bis an die Raab. Die von ihm befehligten Streitkräfte kehrten über Steinamanger (Sabaria), die anderen durch Böhmen (per Beehaimos) zurück 1 ). Die letzte Angabe ist das erste Zeugnis für die Seßhaftigkeit der Tschechen in Böhmen und zeigt, daß der Weg der Friesen und Sachsen schon auf dem Hinmarsche durch dieses Land erfolgte. Ihr Zug ging daher nicht etwa längs des unwegsamen Nordufers der Donau, sondern stieß erst an der Mündung des Kampflusses auf diesen Strom. Noch war die Hauptmacht der Awaren ungebrochen; erst der Feldzug des Jahres 796 brachte ihre endgültige Niederlage. Pippin, ein Sohn Karls, zog von Italien heran und warf sie über die Theiß zurück 2 ). Aus dem Niederringen der Awaren in zwei, fünf Jahre auseinanderliegenden Feldzügen, ergibt sich eine für das Einrichten des Grenzschutzes und der politischen Verwaltung wichtige Folgerung: die Raab und damit das alte Oberpannonien wurde so der erste Verteidigungsabschnitt. Der große Gebietserwerb des Jahres 796 beließ die Raab noch immer als Grenzlinie bestehen: an ihr begann jetzt nur nicht mehr die erste, sondern die zweite Verteidigungszone. Das geht aus der kirchlichen Einteilung hervor, die Pippin unmittelbar nach seinem Siege verfügte. Salzburg erhielt nach der „Bekehrungsgeschichte" als Missionssprengel das Gebiet am Plattensee zwischen der Raab, Drau und Donau 3 ). Es war dies nichts anderes, als der von den Franken zuletzt eroberte Hauptteil Awariens, der mithin von der Raab bis zur Donau reichte. Letztere tritt hier als neue Ostgrenze des Karolinger Reiches hervor; sie war jetzt nicht nur im Norden, sondern durch ihre Wendung nach Süden auch gegen Osten der natürliche Schutzwall. Das Land zwischen ihr und der Theiß wurde nicht besetzt und bevölkert, sondern der Wildnis überlassen: es verstärkte als „Awarenwüste" — Annal. regni Franc. S. 88 f. ) Hunis trans Tizam fluvium fugatis. Ebendort S. 99. 3 ) partem Pannoniae circa lacum Pelissa inferioris, ultra fluvium qui dicitur Hrapa, et sic usque ad Dravum fluvium et eo usque ubi Dravus fluit in Danubium. Conversio c. 6 (Ausgabe von Kos S. 132). 2

282

III. Die Karolingische Ostmark und ihre „Drei Grafschaften".

so nennt es schon die Chronik des Abtes Regino von P r ü m 1 ) — den mächtigen Grenzstrom Pannoniens. Die Raab erscheint jetzt w i e d e r wie im Feldzuge des Jahres 791 als Scheidelinie; sie w a r somit die frühere Reichsgrenze. Die Salzburger Quelle gibt ferner die Drau als Grenze an. Das gilt jedoch nur für Unterpannonien, aber noch nicht für Karantanien. Bald hernach, so fährt der Verfasser der „Bekehrungsgeschichte" fort, hat Karl der Große im Oktober 803 zu Salzburg die Zuweisung seines Sohnes urkundlich bestätigt. Die natürliche Folge dieses Abkommens war, daß Unterpannonien südlich der Drau (Untersteiermark, Krain, nördliches Kroatien und Slawonien) zum Herzogtum Friaul und kirchlich zum P a t r i a r c h a t Aquileia geschlagen wurde, da kurz darauf (806) der Kaiser einen Beschluß des Konzils von Chalzedon (451) erneuern ließ, wonach eine P r o vinz nicht zwischen zwei Metropoliten geteilt sein durfte 2 ). Seit 811 trifft das gleiche für Karantanien nach dem Schiedssprüche desselben Kaisers zu 3 ). Die Drau w u r d e mithin von da an fast in ihrem ganzen Laufe die Grenze zwischen Karantanien, Pannonien und der Mark Friaul. Diese brauchte nicht erst geschaffen zu w e r den, sondern w a r schon vorhanden; sie w u r d e jedoch bedeutend vergrößert. Das W e r k Karl des Großen bestand sohin einzig und allein in der in zwei Abschnitten erfolgten Errichtung der pannonischen Mark, die im Vereine mit dem Herzogtum Friaul das den A w a r e n abgenommene Grenzgebiet zu bewachen hatte (S. 362 f.). An Stelle der A w a r e n erwuchs dem Frankenreiche in den Marchslaven ein gefährlicher Feind. Die Reichsannalen erwähnen für das Jahr 822 unter den zinspflichtigen Slavenvölkern zum erstenmal M ä h r e r (Marvani) 4 ). Ihr Name bedeutet nichts anderes als Marcha n w o h n e r und drückt aus, daß der Kern ihres Reiches die March w a r . Nicht nur o s t w ä r t s von ihr, sondern auch westlich davon reichte es im Süden bis zur Donau heran. Das der Ostgrenze P a n noniens als Ödland vorgelagerte Vorfeld fehlte hier. Zum Frankenreich gehörte östlich von der Kampmündung bloß das Becken der *) Pannoriorum et Avarum solitudines (889). Regin. Chron. Schulausgabe von F. Kurze (1890) S. 132. 2 ) Ut nequaquam inter dúos metropolitanos provincia dividatur. Mon. Germ., Capitul. 1, S. 133, u. 2, S. 515. 3 ) Über die staatsrechtlichen Folgen schon Jaksch, Gesch. Kärntens 1, S. 75. 4 ) Annal. regni Franc. S. 159.

2. Der Untergang des Awarenreiches u s w .

283

Schmida und das Wagramland im nördlichen Tullner Feld; diesen im ersten Awarenkrieg (791) eroberten Landstrich schenkte im Jahre 877 König Karlmann der Reichsabtei Kremsmünster 1 ). Als diese während der Ungarneinfälle zum passauischen Eigenkloster herabsank, ging auch das Land an der unteren Schmida an das Hochstift über. Bischof Pilgrim war daher berechtigt, den Kremsmünsterer Besitz mitzuzählen, als er sich die Liegenschaften seiner Kirche in der Ostmark vom Baiernherzog Heinrich bestätigen ließ. Das nördliche Tullner Feld erscheint da wieder, nur anders bezeichnet, jedoch mit dem bedeutsamen Zusatz, daß dort die mährische Grenze sei 2 ). Die Gegend von Stockerau war demnach schon in der Zeit der Karolinger die Grenze beider Staaten; es gehörte demnach das gesamte Tullner Feld einschließlich seines im Norden der Donau gelegenen Teiles zum Frankenreiche; auch westlich der Kampmündung ist der ebene Streifen hinzu zu zählen 3 ). Da schon die vom Kaiser Mark Aurel (gest. 180 n. Chr. zu Wien) besiegten Markomannen eine schmale Uferzone im Norden der Donau abtreten mußten 4 ), so griff Karl der Große auch hier wieder einen Gedanken aus der Römerzeit auf, als er das nördliche Tullner Feld seinem Reiche einverleibte. Die Donau war also wie in der Römerzeit die Ost- und Nordgrenze von Pannonien. Ein Gebietsverlust trat bloß im Süden ein, als Karl der Große die Drau zur Scheidelinie Karantaniens bestimmte. Die Westgrenze des eroberten Landes blieb der Westabhang des Wiener Waldes (S. 259); aber auch nicht so ganz, da jetzt der König den Traungau als östliche Mark Baierns mit dem norischen Unterlande verband und dem Präfekten Pannoniens unterstellte, wie ehedem Ufer-Noricum dorthin gehörte; es fehlte bloß das Gebiet von Juvavum, das als Salzburggau beim Stammlande fest verblieb; war früher da der Inn die Scheidelinie, so war sie jetzt der Hausruck. Schon aus diesen vorläufigen Angaben erhellt, daß Karl der Große die Verwaltung des römischen Reiches wieder zu erneuern suchte und an sie anknüpfte; er hat auch Ka*) Mon. Germ., Dipl. Karol. 1, S. 288. 2 ) ultra Danubium usque ad Mareuinos términos. Pass. Trad. S. 80. Die Aktaufzeichnung ist echt. 0 . Mitis, Studien zum älteren österreichischen Urkundenwesen (1912) S. 84 f. 3 ) E. Klebel, Die Ostgrenze des Karol. Reiches, Jahrb. f. Landeskunde von Niederösterr. 21 (1928) S. 362 f. (Festschrift f. 0 . Redlich). 4 ) J. Klose, Roms Klientel-Randstaaten am Rhein und an der Donau (1934) S. 82.

284

III. Die Karolingische Ostmark und ihre „Drei Grafschaften".

rantanien, das frühere Binnen-Noricum, hinzugefügt, das er allerdings bald hernach zu Gunsten von Friaul durch die von ihm geschaffene Draugrenze beschnitt. 3. Die Karolingische Ostmark. Nach rechtsgeschichtlicher Lehre ist die M a r k (im wirklichen Sinne) „ein ursprünglich nicht zum Reich gehöriges, den Nachbarn abgewonnenes Gebiet, das durch Anlage fester Plätze, Aufstellung militärischer Posten und anderes besonders geschützt w a r d und dem eigentlichen Reichsboden gewissermaßen als Vorhut diente" 1 ). Auf diese Art w ä r e also bloß das in zwei Abschnitten eroberte Pannonien als wirkliche Mark anzusprechen. Das kann aber schon nicht mehr gelten für Karantanien, das die Baiern schon früher eroberten und Karl jetzt mit dem neu gewonnenen Awarenlande verband. Ihre Oberhoheit über die dortigen Fürsten blieb aufrecht. Das zeigt sich darin, daß, als die slavischen Häuptlinge abgesetzt wurden, an deren Stelle b a i e r i s c h e Grafen traten (S. 295); daher rechnet auch der Altacher Fortsetzer der Jahrbücher von Fulda Karantanien zur Ostseite Baierns, als er zum Jahre 901 vermerkt, die Ungarn hätten dorthin einen verheerenden Einfall unternommen 2 ). Geichwohl umfaßte die von Karl dem Großen geschaffene Mark im Osten nicht nur Pannonien, sondern auch Karantanien; das eine wie das andere w a r nacheinander ihr Kern. Das norische Unterland und der Traungau waren als die drei ihr zugeteilten Grenzgrafschaften Baierns die ständige Beigabe. Das neueroberte Land führte die mannigfaltigsten Benennungen: die W o r t e Pannonien, Hunnien, Awarien (Awarenland) weisen auf die wechselvolle Geschichte, und der Ausdruck „Osten" (oriens, orientalis plaga) zeigt die Himmelsrichtung. Wie ein vorgetriebener Keil erscheint in ihm das damit verbundene Karantanien; als dieses seit Karlmann (856) das Hauptland wurde, wird der Name dieser Provinz auch als Bezeichnung für das frühere Awarien gebraucht. Nicht nur Unterpannonien 3 ), sondern auch Oberpannonien wird hie *) G. Waitz, Deutsche Verfassungsgesch. 3, 2. Aufl. (1883) S. 370; dazu E. Fueter, Geschichte der neueren Historiographie (1911) S. 488. 2 ) Ungari australem partem regni illorum (Baiern) Caruntanum devastando invaserunt. Annal. Fuld. S. 135. 3 ) S o schon H. Pirchegger, Karantanien und Unterpannonien zur Karolingerzeit, Mitt. d. Instituts 33 (1912) S. 299 f., 308 f.

3. Die Karolingische Ostmark.

285

und da in den Namen Karantanien eingeschlossen. In der durch Zusätze bemerkenswerten Übersetzung der Weltgeschichte des Orosius durch König Alfred von England (871—901) heißt es: im Süden der Mährer auf der anderen Seite der Donau sei das Land „Carendre" (Karantanien) südlich bis zu den Bergen, die Alpen heißen; und ferner östlich vom „Carendranland" über die Wüste (Awarenwüste) liege Bulgarien 1 ). Abt Regino von Prüm gebraucht gleichfalls den Namen Karantanien für das damit verbundene Pannonien, wenn er die am Plattensee befindliche Moosburg dorthin rechnet (S. 304); ebenso der Auszug aus der Salzburger „Bekehrungsgeschichte" (S. 374). Hiemit erscheint der Name Karantanien auf ganz Pannonien, auf das obere und untere, ausgedehnt; es wäre auch nicht einzusehen, warum er nur auf einen Teil Pannoniens und nicht auf dessen Gesamtheit zu beziehen wäre. Dasselbe gilt für den Namen Slavinien (Slavenland), der nicht nur für Kärnten, sondern auch für Pannonien, ja in einer Königsurkunde des Jahres 837 auch für das norische Unterland gebraucht wird 2 ); er richtet sich nach der Mehrzahl der Bewohnerschaft und hat daher allgemeine Bedeutung, da hier wie dort die Zahl der Slaven jene der Baiern überwog, wie schon nach der „Bekehrungsgeschichte" zu schließen ist, deren Verfasser erst zuletzt seine eigenen Stammesgenossen nennt 3 ). Denselben Wechsel zeigt die Bezeichnung der Mark. Im Jahre 826 werden die Grafen Balderich (Friaul) und Gerold als Befehlshaber des awarischen und an gleicher Stelle als Präfekten des pannonischen Limes bezeichnet 4 ). Der Name „Wendenmark" (Winidorum marca), der uns bei Hinkmar von Reims für das Jahr 864 begegnet 5 ), weist auf Kärnten und ist schon eine alte Bezeichnung dieses Landes nach seinen Bewohnern 6 ); sie bedeutet daher nichts anderes als Karantanien und gilt jetzt auch für den dazugehörigen Grenzabschnitt von Pannonien; nicht nur ihrem Inhalte nach, sondern auch in ihrer Zielrichtung w a r sie eine slavische 1

) H. S w e e t , King Alfred's Orosius 1 (London 1883) S. 16. ) quoddam territorium in Sclauinia in loco nuncupante Ipusa iuxta Ipusa flumen. Mon. Germ., Dipl. Karol. 1, S. 30. 3 ) coeperunt populi sive Sciavi vel Bagoarii inhabitare terram. c. 10. 4 ) comités et Avarici limitis custodes; comités ac Pannonici Iimitis praefecti. Annal, regni Franc. S. 169. 5 ) Mon. Germ., Script. 1, S. 465. 6 ) Hauptmann, Polit. Umwälzungen S. 245. 2

286

III. D i e K a r o l i n g i s c h e O s t m a r k und ihre „Drei G r a f s c h a f t e n " .

Mark, da sie sich hauptsächlich gegen solche Völkerschaften kehrte 1 ). Die Bezeichnungen pannonische und windische Mark werden jetzt zwei verschiedene Ausdrücke desselben Begriffes; gemeint ist immer nur die von Karl dem Großen errichtete pannonische Mark als gemeinsame Grenzwacht Pannoniens und Karantaniens unter einheitlichem Oberbefehl. Das beweist schon die Nachricht der Fuldaer Jahrbücher, die zum Jahre 861 melden, Karlmann hätte die Befehlshaber (duces) des pannonischen und karantanischen Grenzabschnittes vertrieben und d i e M a r k (marcam) von seinen Anhängern ordnen lassen 2 ). Keine Bezeichnung umschreibt so den ganzen Umfang. Das gilt auch für den Namen O s t m a r k . Der deutsche Osten reichte ja von der Ostsee bis zur Adria. Wie hätte daher die pannonische Mark die Ostmark des fränkischen Reiches sein sollen! Sinn und Inhalt gewinnt der Ausdruck nur von Baiern aus gesehen; er weist daher in seiner Herkunft auf unsere Heimat und damit auf den Volksmund. Es ist deshalb auch nicht Zufall, daß er sich in den fränkischen Geschichtsquellen nicht vorfindet, dagegen in einer einheimischen gebraucht wird. Die Salzburger Jahrbücher bringen den bedeutsamen Wechsel des Jahres 856 mit folgenden, die letzten Ausführungen bestätigenden Worten: Karlmann erhielt den Oberbefehl über d i e Grenze; es wird ihm die Ostmark anvertraut"). Wir kennen den Wortlaut freilich nur aus den Auszügen des baierischen Geschichtschreibers Aventin; deßungeachtet ist an der Gleichzeitigkeit um so weniger zu zweifeln, als schon lange vor ihm die Garstener Jahrbücher bei derselben Gelegenheit uns den gleichen Namen überliefern 4 ). Unter der Ostmark sind wieder wie vordem Pannonien und Karantanien zu verstehen: das ist ja schon daraus zu entnehmen, daß beide Provinzen Karlmann tatsächlich unterstanden. Dazu gehörte 1

) (Hludowicus)

chas contra

Sclavos

K a r l o m a n n o quidem dedit N o r i c a m , id est B a i o a r i a m , et m a r et L a n g o b a r d o s

(869).' Mon.

Germ.,

Script. 2,

S. 325.

custodia

commissa

erat

(Ado

von Vienne). 2

) Karlmannus..

expulit

enim

duces,

quibus

Panno-

nici limitis et Carantani, a t q u e per s u o s m a r c a m ordinavit (861). Annal. Fuld. S. 55. 3

) 856

Carolomanus

ccmmendatur. 4

terminum

accepit

procurandum;

marchia

orientalis

(ei)

Mon. Germ., Script. 30/2, S . 744.

) 856. — K a r l a m a n n o m a r c h i a orientalis e s t c o m m e n d a t a . Mon. G e r m . Script. 9,

S. 565;

d a z u H. Breßlau, D i e

ältere S a l z b u r g e r Annalistik, Abhandl.

A k a d e m i e der W i s s e n s c h a f t e n , Jahrg. 1923, Nr. 2, S. 28 f., S. 46 f .

der

Berliner

3. Die Karolingische Ostmark.

287

das norische Unterland und der Traungau als e i n h e i t l i c h e s Gebiet, das z w a r staatsrechtlich bei Baiern verblieb, aber gleichwohl dem Markgrafen von Pannonien und Karantanien als fester Rückhalt unterstand. Es w a r daher ein Verhängnis, den Begriff der Ostmark schon für die Karolingerzeit auf diesen damals fern von der Ostgrenze gelegenen Landstrich zu übertragen 1 ), ja ihn nachträglich gar nur auf das Gebiet zwischen Enns und dem Wiener Wald einzuengen 2 ). Der Cumeoberg w a r ja damals nicht das Ende, sondern erst der eigentliche Beginn der O s t m a r k ! Manche Forscher haben freilich nebenbei diesen Begriff auch auf Pannonien ausgedehnt, aber ihn doch zunächst immer für das norische Unterland verwendet 3 ). Es entstand so eine Unsicherheit im Gebrauche des Namens, so daß manchmal gar nicht zu unterscheiden ist, welcher Länderteil jeweils unter Ostmark gemeint ist. Bei dem zunehmenden W i r r w a r r ist es daher nicht zu verwundern, daß der irrige Glaube entstand, Karl der Große habe zwei Verwaltungsgebiete geschaffen, „die Karantanische Mark und die Ostmark" 4 ). Solchen Meinungen gegenüber ist hier nochmals zu betonen, daß dieser einzig und allein den pannonischen Grenzschutz ins Leben rief und mit ihm das schon früher (788) gewonnene Karantanien v e r b a n d ; hiebei schlug er das norische Unterland zu Baiern, unterstellte es aber gleichwohl, vergrößert durch den Traungau, dem Markgrafen; es w a r dies der aus den viel gesuchten „Drei Grafschaften" bestehende „Baierische Grenzabschnitt im Osten" (S. 307), den der König mit der Ostmark verband. Diese selbst bestand somit aus den beiden Provinzen Karantanien und Pannonien und dem baierischen Dreigrafschaftsgebiet. Neben der Grenzw a c h t des fränkischen Reiches im Osten bestand so noch immer eine solche Baierns, nur w a r auch sie dem Markgrafen der Ostmark untergeordnet. Der Irrtum geht auf E. Dümmler, Uber die südöstl. Marken des fränkischen Reiches unter den Karolingern, Archiv f. Kunde österr. Geschichtsquellen 10 (1853) S. 13 zurück; dazu unten S. 502 Anm. 1. 2 ) E. Dümmler, Geschichte des Ostfränkischen Reiches 1, 2. Aufl. (1887) S. 27 f. 3 ) M. Büdinger, Österreichische Geschichte 1 (1858) S. 167 f.; F. Krones, Handbuch der Gesch. Österreichs 1 (1876) S. 274; Kaemmel, Anfänge S. 207; Huber 1, S. 84 f.: Vancsa 1, S. 161 f. Von ihnen hat Krones allein Karantanien einbezogen; die anderen rechneten dieses zu Friaul. 4 ) So noch Jaksch, Gesch. Kärntens 1, S. 73 u. Uhlirz, Handbuch der Gesch. Österreichs 1, S 64.

288

I I I . Die Karolingische Ostmark und ihre „Drei Grafschaften".

4. Fränkische Grafschaft und Mark. Die rechtsgeschichtliche Forschung unterscheidet für die gefährdeten Grenzgebiete zwei Arten von Verwaltungssprengeln: die Grenzgrafschaften und die Marken; sie verlegt hiebei erstere auf alten Grenzboden des Reiches, letztere auf das neueroberte Land. Das Merkmal der Unterscheidung erblickt sie vor allem in der G r a f s c h a f t , die sie für das Ostfränkische Reich in dreifacher Stufung verteilt sieht: im Innern nur kleinere, unmittelbar dem Königtum unterstellte Grafschaftsbezirke, gegen die Reichsgrenze hin deren mehrere, in einer Hand vereinigt, unter einem Grenzgrafen und auf Markboden bloß einen ungeteilten und daher großen Sprengel, geleitet von einem Markgrafen. Letzteres soll aber allein für den deutschen Osten gelten: „Man kann gut unterscheiden zwischen solchen Marken, welche in Gaue oder Grafschaftsbezirke eingeteilt waren, und anderen, bei denen dies nicht erkenntlich ist. Grafschaften finden wir zunächst in der bretonischen und in der spanischen Mark vor. In den nordöstlichen, östlichen und südöstlichen Marken jedoch ist eine Einteilung in Grafschaften in der Zeit Karls des Großen nicht nachweisbar. Das mag bei den beiden zuerst genannten Gruppen gemäß ihrer geringen Ausdehnung nur natürlich erscheinen; unklar sind aber die Gründe, welche den Kaiser bewogen, nicht auch die awarische und die friaulische Mark in besondere kleinere Verwaltungsdistrikte zu zerlegen" 1 ). W i r hätten also „eine nicht in Grafschaften eingeteilte Mark" 2 ), in der mithin „die ordentlichen Einrichtungen der fränkischen Verwaltung nicht durchgeführt" waren 3 ). Ganz anders jedoch im alten Reiche: dort war „die einzige durchgreifende politische Gliederung die in Grafschaften" 4 ), „denn als staatsrechtlichen Begriff kannte die fränkische Verfassung nur die als Grafschaften (comitatus) organisierten Gaue" 5 ). In merowingischer Zeit gab es wohl noch größere Amtssprengel, „die Herzogtümer oder Dukate, auch Provinzen genannt", die Karolinger jedoch „haben das Herzogtum als besonderen Verwaltungsbezirk beseitigt" 6 ). „Den fehlenden Mittelbezirk schuf sich der J

) M. Lipp, Das fränkische Grenzsystem unter Karl dem Großen (1892) S. 54.

2

) R. Schröder, Lehrbuch der deutschen Rechtsgeschichte, 7. Aufl. (1932) S. 142.

3

) Brunner, Deutsche Rechtsgeschichte 2 (1928) S. 232.

4

) Ebendort

S. 195.

5

) Schröder,

Lehrbuch

6

) Brunner, Deutsche Rechtsgeschichte 2, S. 194 f.

S. 130.

4. Fränkische Grafschaft und Mark.

289

fränkische Staat durch die Ausbildung der Grafschaft" 1 ). Um noch deutlicher zu werden, seien überdies folgende Sätze angeführt: „eine Einteilung des Reichs in größere Verwaltungskörper, in Provinzen, bestand nicht"; „so bildete das Reich einen einzigen Verwaltungskörper"; „ihm fehlte von der Ausnahmsstellung Italiens und Aquitaniens abgesehen, jede administrative Gliederung"; „nach der alten Landteilung zerfiel es in eine Unzahl kleinerer Verwaltungsbezirke, in die Gaue oder, wie sie schon nach dem an ihrer Spitze stehenden Beamten hießen, die Grafschaften" 2 ). Mit anderen Worten: das fränkische Reich kennt in seinem alten Bestände keine Mittelbehörden, sondern nur Königtum und Grafengewalt und im deutschen Osten für den neueroberten Teil, die Marken, keine Unterbehörden (Grafschaften), sondern bloß den dem König unterstellten Markgrafen, dem höchstens aus dem alten Reichsverbande mehrere Grenzgrafschaften beigegeben waren. Die praktische Verwaltung eines so großen Reiches müßte bei solch unnatürlicher Einteilung allerdings versagen; sie benötigt immer und überall in gleicher Weise Mittel- und Unterbehörden; es ist daher von vorneherein schwer einzusehen, warum die Marken eine so ganz andere Verwaltung besessen haben sollten, als die alten Provinzen. Im Gegenteil, sollte man meinen, das fränkische Reich wäre bestrebt gewesen, seine Verfassungseinrichtungen auf die neu eroberten Provinzen zu übertragen; das doch um so mehr, als der Grenzschutz, soll er sich wirksam erweisen, schon an sich eine Unterteilung verlangt. Warum sollten solch natürliche Forderungen nur in der Bretonischen und Spanischen Mark erfüllt gewesen sein? Und so war es auch nicht. Der Irrtum der Forschung ist leicht aufzuklären: sie begann eben da, wo sie aufhören sollte und endete dort, wo sie hätte anfangen sollen. Solch schwierige Fragen können nur im Wege der landesgeschichtlichen Forschung von Provinz zu Provinz gelöst werden, und erst aus solchen Ergebnissen lassen sich allgemein gültige Regeln ableiten. Man ging aber da den verkehrten Weg und fing beim Gesamtreiche an und ordnete die Länder in die herrschende Lehre ein. *) Cl. Schwerin, Grundzüge der deutschen Rechtsgeschichte, 2. Aufl. (1941) S. 80. 2 ) Mühlbacher, Gesch. d. Karol. S. 271 f. Viel richtiger dagegen F. Dahn, Die Könige der Germanen 8/2 (1899) S. 10 f., 16; 8/3, S. 115 f., 120 f. Das andere Schrifttum bei E. Klebel, Herzogtümer und Marken bis 900, Deutsches Archiv für Gesch. d. Mittelalters 2 (1938) S. 1—5. 19

290

III. Die Karolingische Ostmark und ihre „Drei Grafschaften".

Quellenkritisch ausgedrückt heißt die F o r d e r u n g : der verfassungsrechtliche Aufbau des fränkischen Reiches muß sich in erster Linie auf die regionalen Urkunden stützen; die erzählenden Geschichtsquellen haben ihnen gegenüber nur als Ergänzung zu dien e n ; das bisherige Schrifttum ist vorwiegend bloß als Stoffsammlung, aber nicht als Richtschnur zu benützen. W i e Karl der Große in der Verwaltung der Provinzen nicht jene grundstürzenden Neuerungen einführte, sondern sich damit begnügte, an Stelle des Stammesherzogs einen königlichen Beamten einzusetzen, so ist noch weniger die Schöpfung des fränkischen Grenzschutzes, der Marken, sein W e r k . Von einem „ganz neuen, großartigen Gedanken" 1 ) dieses Herrschers kann hiebei keine Rede sein. Seine zahlreichen Kriege und die damit verbundenen Eroberungen sind nur der Anlaß, daß jetzt häufiger von der Grenzsicherung gesprochen wird. Eine solche hat sicher schon vor ihm bes t a n d e n ; das der menschlichen Natur innewohnende Schutzbedürfnis verlangt doch von selbst Maßnahmen zum Schutze der staatlichen Grenzen, um die Bewohner vor feindlichen Überfällen zu schützen. Die germanischen Völker hatten zudem von den Römern einen geregelten Grenzschutz kennen gelernt, ja diesen für sie zum Teil selbst besorgt. Noch unbegreiflicher erscheint die Ansicht, es hätte Marken ohne Grenzschutz gegeben. Auch in dieser Hinsicht wird häufig die O s t m a r k als ein Gegenstück zur Spanischen Mark hingestellt. So führt u. a. das sonst vortreffliche Hauptwerk über die Karolingerzeit den Unterschied zwischen den beiden mit folgenden W o r t e n a u s : „Die Spanische Mark w a r eine eigentliche Militärgrenze, S c h u t z w e h r und Ausfallpforte zugleich gegen einen unbezwungenen und unbezwingbaren Gegner, umspannt von einem Gürtel von Festungen. Die Südostmarken stehen nicht mehr einem drohenden Feind gegenüber, der militärische Zweck tritt in den Hintergrund, an der weitgestreckten Grenze fehlen die sicheren Bollwerke, nicht einmal die Besiedlung v e r m a g bis an die mittlere Donau vorzudringen, aus der auch die Römer eine starke Verteidigungslinie zu schaffen verstanden hatten; als einmal die Südslaven *) L. Werner, Gründung u. Verwaltung der Reichsmarken, Jahresber. des Gymnasiums zu Bremerhaven 1895, S. 14; dagegen schon Lipp, Das fränkische G r e n z s y s t e m S. 6 u. A. Hofmeister, Markgrafen u. Markgrafschaften im Ital. Königreich, Mitt. d. Instituts, Ergbd. 7 (1907) S. 245.

4. Fränkische Grafschaft und Mark.

291

sich erheben, als dann die Mährer die Ostmark bedrohen und die Ungarn heranbrausen, liegt das offene Land schutzlos da; erst dann dachte man an die Anlegung einer Feste gegen jene und baute an der Enns, der einstigen Avarengrenze, eine Burg gegen diese" 1 ). In Wirklichkeit waren die O s t m a r k u n d F r i a u l nicht anders eingerichtet als die Spanische M a r k ; sie waren nicht nur in Grafschaften eingeteilt wie diese, sondern besaßen auch ihre festen Verteidigungswerke an den Grenzen. Nach dem „Mönch von St. Gallen" befolgte Karl der Große den Grundsatz, keinem der Grafen mit Ausnahme von jenen, die an den gefährdeten Grenzen standen, mehr als eine Grafschaft zuzuteilen 2 ). W i e ein Bischof unmittelbar nur ein Bistum zugewiesen erhielt, so verwaltete ein Graf in eigener Person in der Regel bloß eine Grafschaft. König Karl gab lediglich das Verbot, mehrere Gaugrafschaften in einer Hand zu vereinigen; es lag aber durchaus kein Hindernis vor, die ohnedies einzeln verteilten Grafschaften im überkommenen Provinzialverbande zu belassen. Das zeigen klar die kirchlichen Rechtsgrundsätze: ein Erzbischof versah wie jeder andere Bischof nur eine Diözese, daneben unterstanden ihm gleichwohl noch die anderen Bischöfe- der gleichen Provinz. Das ist ja bis heute so geblieben; unter den Bischöfen einer Kirchenprovinz bekleidet einer die Würde des Metropoliten, die mit einem bestimmten Amtssitze und Sprengel verbunden ist. Genau so haben wir uns die karolingische Grafschaftsverfassung vorzustellen: innerhalb der alten Provinz ist ein Grafensitz (des Hauptortes) gegenüber den anderen bevorrechtet, indem dessen Inhaber nicht nur die zuständige Grafschaft verwaltet, sondern auch die übrigen Amtsgenossen überwacht. Aus der Klasse der Grafen ragt demnach in jeder Provinz einer aus ihnen ebenso hervor, — er führt den alten Namen dux — wie der Erzbischof unter den Bischöfen seines Metropolitansprengeis. Walahfrid Strabo, der bekannte Abt von Reichenau (838—849), der vorher am Kaiserhofe in Aachen lebte, vergleicht denn auch, nachdem er die Erzbischöfe den Königen gleichgesetzt ! ) Mühlbacher, Gesch. d. Karol. S. 188. 2

) Karolus nulli comitum, nisi his qui in confinio vel termino barbarorum con-

stituti erant, plus quam unum comitatum aliquando concessit.

Mon. Germ., Script. 2,

S. 736.

19*

292

III. Die Karolirigische Ostmark und ihre „Drei Grafschaften".

hat, d i e d u c e s m i t d e n M e t r o p o l i t e n u n d d i e B i s c h ö f e m i t d e n G r a f e n ; er fügt noch hinzu, in jeder Provinz könne bloß einer die Stelle des dux bekleiden und weist zum besseren Verständnis auf den von Karl dem Großen erneuerten Konzilsbeschluß von Chalcedon hin, wonach eine Provinz nicht unter zwei Metropoliten aufgeteilt sein durfte (S. 282) 1 ). Die Forschung kennt seine Hinweise, die er noch weiter ausführt, zwar schon lange, legt ihnen aber kein Gewicht bei 2 ). Sein Vergleich der duces mit den Metropoliten und von den Grafen mit den Bischöfen trifft voll und ganz zu; hierin liefert uns Walahfrid den Schlüssel zur wahren Erkenntnis der fränkischen Verfassungsgeschichte. W e r sich die Mühe nimmt, sie aus römischer Wurzel zu erklären, den wird das auch nicht Wunder nehmen, da Staat und Kirche hiebei aus gleicher Quelle schöpfen; bei letzterer tritt das bloß deshalb klarer hervor, weil bei ihr mehr Quellen fließen und der bis heute verbliebene Fortbestand zeugt. Das Beispiel des Reichenauer Abtes ist deshalb nicht nur in den gebotenen Beispielen lehrreich, sondern zeigt auch den Weg, der zu beschreiten ist, um die fränkische Verfassung besser zu begreifen: Kirchengeschichte und Kirchenrecht erschließen hiefür erst das richtige Verständnis. Der Vergleich der duces mit den Metropoliten zeigt schon, daß Karl der Große keine Provinzen auflöste, sondern sie bestehen ließ; deshalb findet sich nach wie vor in den Quellen häufig der Ausdruck provincia. Die Grundlage der fränkischen Reichsverwaltung war die Grafschaft; sie führte die Aufgabe der römischen civitas fort. Ihr Inhaber war der Graf; das war der Vorsteher jeder Provinz ebenso, da er ja Leiter eines Grafschaftsprengeis (der Hauptstadt) war. Sein genauer Titel war daher ein doppelter: comes et dux; der einfache dagegen entweder der eine oder der andere. Jeder dux war ein comes, aber nicht jeder comes ein dux, genau so wie jeder Metropolit ein Bischof, aber nicht jeder episcopus ein Metropolit (Erzbischof) ist. Wie schon das Leben Severins erweist, führten *) Deinde archiepiscopos, mus;

qui ipsis metropolitanis praeminent, regibus

confera-

metropolitanos autem ducibus comparemus, quia, sicut duces singularum sunt

provintiarum, ita et illi in singulis provintiis singuli ponuntur; unde in Calcedonensi concilio iubetur: „Ne una provintia in dúos metropolitanos mités vel praefecti in saeculo,

in Orientis partibus per singulas urbes et praefecturas gubernationes. 2)

Waitz,

singulas esse

Mon. Germ., Capit. 2, S. 515. Deutsche

dividatur."

Quod

hoc episcopi ceteri in ecclesia explent. Ferunt

Verfassungsgeschichte 3, S. 436 f.

coenim

episcoporum

293

4. F r ä n k i s c h e G r a f s c h a f t und M a r k .

die kirchlichen Würdenträger — es war dies wohl Ausdruck christlicher Demut — häufig den niederen Titel (S. 46); auch in fränkischer Zeit wird öfter der untere Grafenrang statt des höheren gebraucht; hier wie dort ist in der scheinbaren Regellosigkeit doch eine gewisse Ordnung. Das ist um so leichter möglich, als in dem einen Falle das Bischofsamt und in dem anderen die Grafengewalt die wirkliche und dauernde Grundlage war. Der Leiter einer Provinz war nicht mehr ein irgendwie selbständiger Stammesherzog, sondern ist bloß unter seinen gräflichen Amtsgenossen bevorrechtet; er ist nur mehr primus inter pares, wie der Erzbischof unter den Bischöfen seiner Provinz 1 ); er versah wie der Metropolit in der Hauptstadt die prima sedes, verwaltete deren Sprengel und beaufsichtigte noch wie dieser die Suffragane die Grafen seiner Provinz. Walahfrid setzt ferner den Amtstitel comes mit praefectus gleich; andere Quellenstellen bezeugen dasselbe 2 ). Doch scheint die letztere Amtsbezeichnung hauptsächlich für die Grenzgrafen in Gebrauch gekommen zu sein. Der Titel P r ä f e k t für die Markgrafen der Ostmark und von Friaul ist uns bereits begegnet (S. 285); er erscheint hier noch neben dem Grafentitel. Das gleiche gilt, wie wir soeben sahen, für Britannien. Da die Marken Gebiete waren, die mehrere Grafschaften vereinigten, so erlangte hiedurch der Standesname Präfekt eine höhere Bedeutung. Das kommt schon dadurch zum Ausdruck, daß er noch zu dem Grafentitel hinzugefügt wird. Ein solches Grenzgebiet konnte mehr als eine Provinz umfassen. So haben wir von Karlmann schon gehört, er habe die duces von Pannonien (Rihheri) und Karantanien (Pabo) vertrieben, als er die Ostmark innehatte 3 ); er selbst bekleidete als „Prälat der Karantaner" die „Würde der Präfektur" 4 ). Dasselbe trifft für den von ihm für ganz Kärnten eingesetzten Grafen Gundakar zu, So comitibus

z. B . W i d o Brittaniam

comes,

qui in m a r c a B r i t t a n i a e p r a e s i d e b a t ,

ingressus;

Wido

comes

ac

praefectus

una

Brittanici

e o d e m a n n o ( 7 9 9 ) c u m sociis c o m i t i b u s t o t a m B r i t t o n u m p r o v i n c i a m

cum

sociis

limitis,

qui

perlustraverat.

A n n a l . regni F r a n c . S . 108 f. 2)

Bei W a i t z ,

Deutsche Verfassungsgesch.

2, 3. Aufl.

( 1 8 8 2 ) S . 2 6 u. 3, S.

383:

D a h n , K ö n i g e d e r G e r m a n e n 8 / 3 , S . 121 f. 3)

O b e n S . 2 8 6 A n m . 2 ; R i h h e r i c o m e s e x i l i o . . sus. S e d i t i o P a b o n i s c u m

c o m i t i b u s . Mon. G e r m . , S c r i p t . 3 0 / 2 , S . 744; *) Karlmannus, folger, hic

dem

quidem

Grafen

filius regis,

qui

Gundakar,

heißt

praefecturae

dignitatem

sociis

d a z u B r e ß l a u , S a l z b . Annal. S . 47 f.

praelatus es

dann:

hoc

modo

erat et

Carantanis. praelatus

promeruit.

Von

est

Annal.

seinem

Nach-

Carantanis... Fuld.

S.

5 6 f.

Et

294

I I I . Die Karolingische Ostmark und ihre „Drei Grafschaften".

der nach dem S t u r z e des königlichen P r i n z e n v o r ü b e r g e h e n d noch das Awarenland erhielt. D e m einen w i e dem anderen unterstanden demnach als P r ä f e k t e n die P r o v i n z e n Karantanien und Pannonien mit j e einem dux. Als im J a h r e 788 T a s s i l o abgesetzt wurde, b e k a m die P r o v i n z B a i e r n ein S c h w a g e r Karls, G r a f Gerold. Im J a h r e 791, bei B e g i n n des A w a r e n k r i e g e s , als der genannte König zu L o r c h sein L a g e r aufschlug, b e g e g n e n uns dort Arn und Gerold als seine S e n d b o t e n 1 ) . B e i d e führten w e n i g e J a h r e später den Chorbischof T h e o derich in sein neues Amt in der eroberten Mark ein 2 ), als S a l z b u r g zu K ä r n t e n noch P a n n o n i e n als Missiongebiet erhalten hatte. W i e sehr B a i e r n ein g e s c h l o s s e n e r Bestandteil des F r a n k e n r e i c h e s blieb, zeigt schon die T a t s a c h e , daß es jetzt (798) K a r l der Große zu einer eigenen K i r c h e n p r o v i n z erheben ließ. D e r kirchlichen Stellung Arns entspricht politisch j e n e G e r o l d s : auch er v e r s a h außer B a i e r n noch Karantanien und P a n n o n i e n , so daß drei P r o v i n z e n ihm unterstellt w a r e n ; sein amtlicher T i t e l w a r : Graf Gerold, P r ä f e k t von B a i e r n 3 ) . Als solcher v e r e i n i g t e er eine Machtfülle, die in ihrem äußeren Umfange die der früheren S t a m m e s h e r z o g e weit übertraf. Als e r s t e r B e f e h l s h a b e r im eroberten Awarenlande nahm er eine Zeitlang seinen S i t z in S t . P ö l t e n , wo er die ihm v o m Hochstifte P a s s a u überlassenen Einkünfte aus der Martinskirche zu L i n z b e s t ä t i g t e (799)4) j m gleichen J a h r e ist er im Kampfe gegen die A w a r e n gefallen. Nach seinem T o d e wurde die O s t m a r k von B a i e r n geschieden der und erhielt in dem Grafen G o t r a m einen eigenen P r ä f e k t e n , schon drei J a h r e s p ä t e r beim Kastell Güns in den letzten Kämpfen gegen die A w a r e n mit dem Grafen Kadaloh (von F r i a u l ? ) gleichfalls den T o d fand 5 ). Gerolds Nachfolger in B a i e r n wurde G r a f Audulf. D a ß auch unter ihm die g e s a m t e P r o v i n z als solche bestehen blieb, zeigt der Freis. Trad. 1, S . 147. ) Arn et Geroldus comes perducentes in S c l a v i n i a m . . commendantes IIII episcopo (Theoderich) regionem Carantanorum et confines eorum occidentali parte Dravi fluminis, usque dum Dravus fluit in amnem Danubii. Conversio c. 8. 3 ) Geroldus comes, Baioariae praefectus. Annal. regni Franc. S. 10S. 4 ) Actum ad Treisma. Pass. Trad. S . 40 f. 5 ) Mon. Germ., Script. 30/2, S. 737. 2

295

5. Die Grafschaften Karantaniens.

klare Wortlaut einer Freisinger Tradition des Jahres 819 1 ); außer der Verwaltung Baierns versah er noch den Grenzschutz gegen die Tschechen auf dem Nordgau (Oberpfalz) 2 ).

5. Die Grafschaften Karantaniens. Wie Baiern nach dem Sturze Tassilos eine eigene Provinz blieb, so w a r dies auch bei K a r a n t a n i e n der Fall; dazu kam nun nach dem Siege über die Awaren das diesen abgenommene Land, die Provinz Pannonien; beide werden in den Urkunden manchmal auch ausdrücklich als solche bezeichnet. Die hiefür häufig gebrauchten Ländernamen Karantanien, Pannonien (Awarenland) sind nicht allein als geographische Begriffe zu werten, sondern sind öfter auch als politische Verwaltungsbezirke zu verstehen. Sie sind deshalb in der Regel von einander zu scheiden. Die Hauptquelle für die Geschichte der Karolingischen Ostmark ist die schon wiederholt genannte Salzburger „Bekehrungsgeschichte" ; dort sind auch die Namen der ersten Präfekten (Markgrafen) in der Reihenfolge verzeichnet: Gotram, Werner, Albrich, Gottfried, Gerold. Während deren Markgrafschaft, so fährt sie fort, walteten in jenen zur Salzburger Kirche gehörigen Teilen Herzoge, deren (slavische) Namen sie anführt. Nach diesen einheimischen Fürsten begannen die b a i e r i s c h e n duces Helmwin, Albgar und Pabo das genannte Land als Grafschaft zu leiten. Als dieser Wechsel vollzogen war, übernahm Ratbod den Schutz der Grenzen (c. 10). Ihm und seinen Vorgängern als Markgrafen waren die slavischen Herzoge und hernach die baierischen duces unterstellt. Von den letzteren ist uns Pabo schon begegnet: nach den Salzburger Jahrbüchern hat er sich mit den ihm zugeteilten Grafen gegen Karlmann erhoben (S. 293). Die von ihm verwaltete Provinz w a r demnach in mehrere Grafschaften zerlegt, die z w a r einzeln verteilt, aber ihm gleichwohl als Obergrafen (dux) unterstellt waren. Sein Befehlsbereich w a r jedoch bloß eine Provinz; es ist daher die Annahme, er hätte sowohl in Karantanien, als auch in Unterpannonien *) Audulfus super provincia Baiouuariorum tarn potenter et honorabiliter a pio imperatore

Karolo,

deinde etiam

a Hluduuuico eandem

provinciam praevidere regere et gubernare. 2

) Mon. Germ., Capitul. 1, S. 123, 127.

potestatem

Freis. Trad. 1, S. 338.

accepit

hanc

296

III. Die Karolingische Ostmark und ihre „Drei Grafschaften".

gleichzeitig geboten, schon aus dem Grund unmöglich, als ja beide Ländergebiete verschiedene Provinzen waren. Das gleiche gilt von seinen Vorgängern, den slavischen Fürsten und baierischen Grafen. Der unklare Wortlaut der Q u e l l e n s t e l l e und die irrige Meinung, Karantanien hätte zu Friaul gehört, waren der Anlaß, sie zunächst alle nach Unterpannonien zu verlegen, das ja auch zum Gebiete der Salzburger Kirche zählte. Die neuere Forschung, die hiebei sowohl an Karantanien als auch an Unterpannonien denkt 1 ), geht ebenso in die Irre, da sie keine Provinzgrenzen berücksichtigt: Grafen von Unterpannonien konnten nur dem dux von Pannonien unterstehen, niemals jedoch jenem von Karantanien. Aus diesem Grunde ist die bisher strittige Stelle der Conversio einzig und allein auf Karantanien zu beziehen. Pannonien war durchaus kein „Anhängsel" von Karantanien, sondern wie dieses eine eigene Provinz: ihre gegenseitige Verbindung geschah nur durch die Person des gemeinsamen Präfekten (Markgrafen). In wie viele Grafschaften Karantanien zerfiel, ist aus den Urkunden nicht zu entnehmen. In einer Königsurkunde Ludwigs des Deutschen aus dem Jahre 864 wird der als Gegner Karlmanns bekannte Gundakar als „Graf von Karantanien" bezeichnet, wobei der Zusatz „und das Volk jener Provinz" noch ausdrücklich angibt, daß hiebei das Land als solches gemeint ist 2 ). Als Karlmanns Sohn Arnulf, der nach seinem Vater das Grenzgebiet im Osten leitete, den ostfränkischen Thron bestieg (887), verlieh er Karantanien dem Grafen Rupert. Nach diesem wird ,zum erstenmal in einer Urkunde König Arnulfs (891—893) eine Kärntener Grafschaft in der Gegend der Gurk bezeichnet 3 ); es ist wohl derselbe Rupert, der vorher in einer anderen Urkunde des gleichen Königs (889) als „Grenzgraf" (comes terminalis) genannt wird 4 ); er gehörte dem Hause Wilhelm an, das damals die mit der Ostmark verbundenen drei Grenzgrafschaften Baierns (tres comitatus) leitete; er versah daher, als er von da nach Karantanien kam, dort wohl kaum bloß eine Grafschaft, sondern die ganze Provinz. Sein Nachfolger, der tapfere Pirchegger, Karantanien und Unterpannonien S. 277, 299. ) comes de Karantana et populus ipsius terre. Mon. Germ., Dipi. Karol. 1, S. 160. 3 ) in comitatu Ruodperti in regno Ca(rantano iuxta) flumen Gurca. Mon. Germ., Dipi. Karol. 3, S. 161. ") Ebendort S. 93. 2

297

5. Die Grafschaften Karantaniens.

Markgraf (marchio) Liutpold, ein Neffe (nepos) des Königs, wird als Verwalter der karantanischen Grafschaften in zwei Königsurkunden erwähnt: Ingering bei Knittelfeld in Obersteiermark (895) und Gurk (898) werden seiner Grafschaft zugezählt 1 ). Daß schon damals Ingering und Gurk nicht in einem und demselben Amtssprengel lagen, sondern zwei verschiedene Bezirke darstellten, die ihm unterstanden, zeigt die kirchliche Einteilung. Die verheerenden Einfälle, die in den kommenden Jahren die Ungarn nach Pannonien und in das norische Uferland unternahmen, waren wohl für Liutpold der Anlaß, dorthin seinen Standplatz zu verlegen und das Land Karantanien anderen Händen anzuvertrauen. S o finden wir im Jahre 904 in Steiermark eine Grafschaft Ottokars, die u. a. das Leobnertal umfaßte; dort schenkte König Ludwig (das Kind) einem Sohn des eben genannten Grafen, Arpo (Aribo), Liegenschaften an der Mur 2 ). Allem Anscheine nach gehörte diese Gegend damals zum gleichen Amtssprengel, in dem Ingering lag und Vorort w a r : Ottokar ist mithin nicht nur als Nachfolger Liutpolds in der steirischen Grafschaft, sondern auch von ganz Karantanien aufzufassen. Aus den Urkunden läßt sich bloß feststellen, daß die eben genannte Provinz in Grafschaften eingeteilt war, aber begreiflicherweise nicht, in wie viele. Doch ermöglichen es die Nachrichten, die dort über die Einführung des Christentums vorliegen, ihre Zahl zu ermitteln. Der Landbischof Modest ließ drei Hauptkirchen errichten, deren Sprengel nach kirchlicher Vorschrift mit den staatlichen Grenzen, d. i. hier den Grafschaften zusammenfallen. Ihre Vororte waren Karnburg (Maria Saal), Lurn und Ingering, wovon bekanntlich die beiden ersten an römische civitates, bzw. Bischofsitze anknüpfen (S. 236). Aus dieser Angabe der „Bekehrungsgeschichte" ist zu erkennen, daß K a r a n t a n i e n i n d r e i G r a f s c h a f t e n z e r f i e l , an deren Mittelpunkten die drei Hauptkirchen des Landes erstanden. Dasselbe Ergebnis wird uns im Traungau und im norischen Unterlande begegnen. ' ) in loco Undrina in comitatu Livpoldi in orientalibus partibus Charanta nominatis — in Charentariche in comitatu ipsius consanquinei nostri curtem, quae dicitur Gurca. Mon. Germ., Dipl. Karol. 3, S. 209, 2

) in valle

quae

dicitur

Liupinatal,

246.

in comitatu

eiusdem

Urkundenbuch des Herzogthums Steiermark 1 (1875) S. 16; rantanien u. Unterpannonien S. 306 f.

Otacharii.

( J . Zahn)

dazu Pirchegger,

Ka-

298

III. Die Karolingische Ostmark und ihre „Drei Grafschaften".

6. Die Grafschaften Pannoniens. Wie Karantanien so war auch die Provinz P a n n o n i e n in Grafschaften eingeteilt. Der erste Siegeszug Karls des Großen ging bis an die Raab; hiedurch wurde dieser Fluß Grenzlinie im Osten. Im Westen reichte der pannonische Verwaltungsabschnitt bis zur Großen Tulln (Wiener Wald) und setzte sich in der Südrichtung wohl in Anlehnung an die römische Grenze zwischen Noricum und Pannonien über die Mürz und Mur bis zur Drau fort; die Nordgrenze w a r die Donau. Da die Forschung die römischen Provinzgrenzen zu wenig beachtete, hat sie früher Karantanien in karolingischer Zeit einen Umfang zugesprochen, den es in keinem Falle besaß. Nicht nur der Wiener Neustädter Bezirk, die spätere Grafschaft Pütten, gehörte damals zu Pannonien 1 ), sondern auch das Gebiet ostwärts der Mur. Solange keine Urkunden vorliegen, die anders aussagen, wird man sich auch in den Fällen, wo keine bestimmten Nachrichten vorhanden sind, viel sicherer an die römischen Grenzen halten als an die späteren. Wenn die Mark mit dem neu eroberten Lande zu beginnen hätte, so müßte die Enns die Scheidelinie zwischen Baiern und der Ostmark sein. Das ist auch die allgemeine Annahme. So war es aber nicht: nicht die Enns, sondern der Wiener Wald trennte beide voneinander. So heißt es in den Fuldaer Jahrbüchern von der Zusammenkunft zwischen Kaiser Karl III. (dem Dicken) und dem mährischen Fürsten Zwentibald (884) an der Großen Tulln: sie habe an der Grenze Baierns und des Slavenlandes stattgefunden 2 ). Daß diese aber nicht etwa völkisch, sondern staatlich anzusehen ist, dessen sind die zahlreichen Slaven Zeugen, die im norischen Unterlande und im Traungau seßhaft waren. Die Liegenschaften, die König Arnulf der Abtei Kremsmünster im Jahre 893 zu Mautern (?), am Kamp, an der Perschling und anderen Orten verlieh, werden gleichfalls als an der Grenze Baierns und Slaviniens gelegen ange-

*) So schon J. Lampel, Uber die Mark Pütten, Blätter d. Ver. f. Landeskunde von Niederösterreich N. F. 22 (1888) S. 160 f. 2

) Imperator in terminis Noricorum et Sclavorum cum Zuentibaldo colloquium habuit; Imperator per Baiowariam ad Orientem proficiscitur veniensque prope flumen Tullinam Monte Comiano colloquium habuit. Annal. Fuld. S. 101 u. 113.

6. Die Grafschaften Pannoniens.

299

führt 1 ). D i e O s t m a r k b e g a n n a l s o e r s t a n d e r G r o ß e n T u l l n . Wir kommen so wieder beiläufig an die römische Grenze, den Wiener Wald, heran; dort war aber auch ursprünglich die Stammesgrenze der Baiern, so daß Paulus Diaconus mit vollem Rechte sagen kann, die Provinz Baiern berühre im Osten Pannonien (S. 106). Doch zählte im Altertum das Tullner Feld noch zu Noricum, so daß der Hauptteil des Wiener Waldes zum Stadtgebiete von Cetium (St. Pölten) gehörte (S. 14). Ob schon die Baiern bei ihrer Landnahme oder erst Kaiser Karl die Große Tulln als Scheidelinie festsetzten, wissen wir nicht. Eine Königsurkunde Ludwig des Deutschen aus dem Jahre 859 rechnet den Ort Tulln bereits zu Pannonien 2 ); er befand sich eben östlich des gleichnamigen Flusses, so daß der ganze Wiener Wald jetzt zu Oberpannonien zählte. Mit anderen Worten sagt der Dichter des Nibelungenliedes dasselbe, wenn er hervorhebt, die Stadt Tulln liege im Osterland und vorher bei der Stelle über Melk bemerkt, die Straße dorthin (ins Osterland) führe gegen Mautern. In der Stadt Tulln erwartet denn auch König Etzel seine Braut Kriemhilde; die Große Tulln war eben die Grenze zwischen der Mark Rüdigers und dem Osterlande. Die österreichische Hofsitte, in Tulln die Braut des Landesfürsten festlich zu empfangen 3 ), geht in ihrem tieferen Sinne auf die Erinnerung zurück, daß die Große Tulln einmal Grenzfluß jenes Reiches war, das mit dem Wiener Wald seinen Anfang nahm (S. 384). Der zuerst eingerichtete Verteidigungsabschnitt war O b e r p a n n o n i e n . In der Römerzeit zerfiel es in die zwei keltischen Völkerschaften der Azalier und Boier 4 ). Eine solche Zweiteilung *) quicquid Uuillihelmus et Engilscalchus germani fratres comités videlicet quondam strenui terminales vel coheredes — ad Eporespurh, ad Campe sive ad Persiniccham quamque in aliis Baioariae scilicet atque Sclavinie locis vel terminis habuerunt. Mon. Germ., Dipl. Karol. 3, S. 176. Die Urkunde liegt leider nur mehr in späteren Abschriften vor. Kremsmünster war, soviel wir wissen, in Mautern begütert, wofür die dortige Agapituskirche zeugt. Vielleicht hat erst der Kopist an Stelle von Mautern Eporespurch eingefügt, da auch eine e t w a s spätere Aktaufzeichnung beide Orte irrig gleichsetzt (unten S. 321). 2

) Tullina, situs in regione Pannonia. Mon. Germ., Dipl. Karol. 1 (1934) S. 139. ) Zarncke, Beiträge zur Erklärung und zur Gesch. des Nibelungenliedes, Berichte über die Verhandlungen der Leipziger Gesellschaft der Wissenschaften 8 (1856) S. 198 f. 4 ) civitatium duarum Boior(um) et Azalior(um). Kaemmel, Anfänge S. 304 f. 3

300

III. Die Karolingische Ostmark und ihre „Drei Grafschaften".

läßt sich für dieselbe Gegend auch in der karolingischen Zeit nachweisen. In einer Urkunde Ludwigs des Deutschen aus dem Jahre 844 wird ein geschenktes Gut zu Brunn (Lebenbrunn) am Zöbernbach (nw. Güns) als in jener Dorfmark gelegen bezeichnet, in der die Grafschaften des Ratbad und Rihhar aneinandergrenzen 1 ). Beide Grafen sind uns schon begegnet, der eine ist wohl kein anderer als der Präfekt, der andere der nachmals verbannte dux von Pannonien. Etwas deutlicher wird die Abgrenzung der beiden Verwaltungssprengel durch zwei Urkunden desselben Königs aus dem Jahre 860 über die Grafschaft Ulrichs, der als Nachfolger Rihhars angesehen wird: eine hievon nennt Liegenschaften am Zöbernbache und zwischen diesem und der Spratz (Rabnitz), die andere führt als Schenkung Steinamanger und Pinkafeld an 2 ). Dadurch, daß Sabaria als civitas bezeichnet wird, erscheint Steinamanger als Vorort der von dort geleiteten Grafschaft Ulrichs. Diese reichte im Norden bis an die Gegend von Lebenbrunn: ihr natürlicher Abschluß wird da das Wechselgebiet und der Semmering, die heutige Landesgrenze zwischen Niederösterreich und Steiermark. In dasselbe Grenzgebiet führt eine Schenkung König Karlmanns an Kremsmünster (877), die zwischen den Spratzbächen lag und von den zwei Grafen Arathot und Ernst umritten wurde 3 ). Die gleiche Zweiteilung weist die Regelung der Bistumsgrenze zwischen Salzburg und Passau (830) auf, die uns noch beschäftigen wird. Damit haben wir die Grundlage gewonnen, einer Frage näher zu treten, die manche Zweifel ausgelöst hat. Die fränkischen Reichsannalen melden, es sei im Jahre 805 der Fürst der Awaren vor Karl dem Großen mit der Bitte erschienen, seinem von den Slaven bedrängten Volke neue Wohnsitze inter Sabariam et Carnuntum 4 ) anzuweisen. Der Kaiser willfahrte dem Wunsche und ließ dort die Awaren unter ihrem Stammesfürsten als Vasallenstaat bestehen. Die christlich gewordenen Awarenreste verschwinden bald aus der Geschichte; nach karantanischem Muster werden demnach auch ad Brunnaron, quod circumcapiebat Ratpero clericus iuxta rivolum qui vocatur Seuira in marca, ubi Radpoti et Rihharii comitatus confiniunt. Mon. Germ., Dipl. Karol. 1, S. 50. Graf Ratbod schenkt 837 sein Eigen zu Tulln an St. Emmeram. Regensb. Trad. S. 36. 2 ) in comitatu Odolrici, id est mansos X X in loco qui dicitur Sauariae et inde inter Sprazam et Sauariam; Sabariam civitatem et Peinihhaa, sicut Odolricus comes noster et missus de ipsis rebus eas circuivit. Mon. Germ., Dipl. Karol. 1, S. 146, 148. *) Ebendort S. 288. ) Annales regni Franc. S. 119.

4

301

6. Die Grafschaften Pannoniens.

dort bald nachher fränkische Grafen die einheimischen Fürsten ersetzt haben. Die ältere Forschung hat unter Carnuntum immer die römische Lagerstadt an der Donau verstanden und demnach die unterworfenen Awaren zwischen Petronell und Steinamanger versetzt. Das ist schon deshalb nicht anzunehmen, als hiedurch der awarische Klientelstaat auf die zwei Grafschaften Oberpannoniens, in die nördliche und südliche, verteilt gewesen wäre. Die neuere Forschung hingegen versteht unter Carnuntum Karantanien, das öfter mit dem gleichen Namen bezeichnet wird, wie die römische Stadt an der Donau 1 ). Nach dieser Auslegung kommen die Wohnsitze der Awaren zwischen Steinamanger und Steiermark zu liegen. Die Grafschaft Ulrichs erscheint so als die natürliche Fortsetzung des awarischen Vasallenstaates, ja vielleicht sogar als später Sproß der keltoromanischen Gaugemeinde der Boier. Die nördliche Grafschaft Oberpannoniens tritt uns als solche bloß einmal entgegen; als ihr Inhaber erscheint der Präfekt. Das wird wohl nicht Zufall sein. Die geographische Lage verleiht diesem Verwaltungssprengel die höchste Wichtigkeit. Schon die alten Römer haben dort zur Sicherung der Donaustraße zwei wichtige Lagerfestungen in fast unmittelbarer Nähe gehabt. Als später die Gefahren vom Osten drohten, wurde der militärische W e r t dieser Gegend noch größer. Für das fränkische Reich war dort der Schlüsselpunkt der Grenzwacht im Südosten. Die Donaustraße und der Alpenkamm waren ja die weithin sichtbaren Wegweiser für eindringende Feinde. Und da, wo sie am nächsten zusammenreichen, kommt W i e n als Wächter des Engpasses, der ins Reich führte, zur steigenden Bedeutung. Der Kern der Ansiedlung ist zwar das Römerlager, aber der Name dürfte, wenn auch slavisch vermittelt, doch keltischen Ursprungs sein 2 ). Dieselbe Ortsbezeichnung findet sich im Steyrtal und anderen Gegenden Oberösterreichs 3 ). Das erstemal begegnet uns der Name Wien (Wenia) in den jüngst entdeckten Salzburger Annalen für das Jahr 881 4 ). Die Art der Angabe A. Dachler, Die letzte Erwähnung des Stadtnamens Carnuntum, d. Ver. f. Landeskunde v. Niederösterr. 1 (1903) S. 236 f.

Monatsblatt

2 ) Wien, sein Boden und seine Geschichte (1924) S. 167 (H. Voltelini) und 253 f. (R. Much). 3 ) K. Schiffmann, Hist. Ortsnamen-Lexikon des Landes Oberösterreich 2 S. 530 f. 4

) Primum bellum cum Ungaris ad W e n i a m .

(1935)

Mon. Germ., Script. 30/2, S. 742.

302

III. Die Karolingische Ostmark und ihre „Drei Grafschaften".

weist schon auf die militärische Wichtigkeit des O r t e s ; hier w u r d e den erstmals eingedrungenen Ungarn, die die östlichen G r e n z w e r k e bereits überrannt hatten, nachhaltiger Widerstand geleistet. Die künftige Rolle Wiens als starkes Bollwerk gegen den Osten, eine hehre Aufgabe, die es ruhmvoll durch Jahrhunderte erfüllt hat, ist schon in den wenigen W o r t e n der Salzburger Quelle vorgezeichnet. Es erscheint zunächst auffällig, daß gerade diese Gegend in den Urkunden nicht e r w ä h n t w i r d ; in der Ebene zwischen dem Wiener Walde und den Leithabergen tritt w e d e r ein slavischer noch deutscher Ort hervor 1 ). Der Grund wird nicht s c h w e r zu erraten sein: in der Grafschaft, die die südöstliche Einfallspforte ins Frankenreich zu bewachen hatte, w e r d e n wir eben zumeist militärische Siedlungen zu suchen h a b e n ; da war wohl wie in der Römerzeit der Grenzsoldat (limitaneus) zugleich Krieger und B a u e r ; von schriftlichen Aufzeichnungen wie bei den klösterlichen Siedlungsgemeinden kann daher keine Rede sein. Für die fehlenden Urkunden liefert jedoch die Ortsnamenkunde den Nachweis, daß das Wiener Becken in karolingischer Zeit bestimmt besiedelt w a r : die ingOrte um Wien gehen in ihrer Entstehung auf diese frühe Zeit zurück 2 ). W i r dürfen dabei nicht vergessen, daß damals die Gefahr vom Norden, w o das mährische Reich unmittelbar an die Donau grenzte, noch viel näher lag als vom Osten. Es w a r e n die gleichen Grenzen wie zur Römerzeit; wir können daher mit denselben Erfordernissen der Verteidigung rechnen, zumal der mährische Nachbar fast ständig im Gegensatz zum fränkischen Reiche stand. Da Carnuntum damals nicht mehr bestand, so fand von selbst Wien an Stelle Vindobonas seine militärische Auferstehung. Politischer Mittelpunkt w a r es damals indes noch nicht; hiefür kommt vielmehr das in den fränkischen Reichsannalen als civitas erwähnte T u 11 n in Betracht 3 ); das w a r durch seine Lage w e s t lich des W i e n e r W a l d e s viel geschützter als Wien. Im Volksmunde galt es zudem als Hauptstadt, bevor Wien hiezu e r w u c h s ; auch Jans Enikels (Einenkels) Fürstenbuch aus der Zeit um 1270 bezeichnet es als solche und ebenso die „Österreichische Chronik von den 95 H e r r s c h a f t e n " 4 ) ; ferner nennt es noch eine Urkunde des Her*) Kaemmel, Anfänge S. 271. 2 ) Much a. a. 0 . S. 260 f. 3 ) iuxta Comagenos civitatem in monte Cumeoberg. Annales regni Franc. S. 89. 4 ) Tuln w a s des landes houptstat, als man mich e z tihten bat. Mon. Germ., Deutsche Chron. 3 (1900) S. 599 u. 6 (1909) S. 88.

6. Die Grafschaften Pannoniens.

303

zogs Rudolf IV. (1364) als eine Hauptstadt des Landes Österreich 1 ). Für diese Eigenschaft Tullns spricht auch dessen kirchliche Stellung. Dort war nämlich der ursprüngliche Sitz des Passauer Weihbischofs, ja als dieser später in Wien seinen ständigen Aufenthalt nahm, war noch immer Tulln als Pfarre in seinem Besitze; der Pfarrer von Tulln galt eben als der Erzpriester Österreichs 2 ). Bei solchem Zusammentreffen ist es wohl kaum Zufall, wenn Tulln ebenso wie Wien den Adler und das Kreuz im Siegelbilde führt 3 ); der Grenzschutz wurde eben zuerst von Tulln und dann erst von Wien aus geleitet. Der Wechsel der Grenze und der politische Wandel im Gebiete des Wiener Waldes drückt sich schon in dessen verändertem Namen aus: aus dem Möns Cetius der Römerzeit wird unter Karl'dem Großen der Möns Comagenus (Cumeoberg), wovon der eine wie der andere den Vorort bezeichnet, von dem aus er verwaltet wurde: w a r es im Altertum das norische St. Pölten (Aelium Cetium), so war es jetzt das pannonische Tulln (Comagenum civitas). Später, nach dem Aussterben der Babenberger (1246), als an Stelle von Tulln Wien Hauptstadt des Herzogtums Österreich wurde, veränderte der Möns Comagenus seinen Namen in Wiener Wald, der für das Jahr 1332 zum erstenmal urkundlich belegt ist 4 ). Das Frankenreich, das nicht einmal Oberpannonien ausreichend besiedeln konnte, war noch viel weniger imstande, das im Jahre 796 eroberte U n t e r p a n n o n i e n zu bevölkern. Einhard bezeichnet sie beide in seinem Leben Karls des Großen als jeglichen Bewohners entbehrend 5 ). Die in der Salzburger „Bekehrungsgeschichte" namhaft gemachten slavischen Fürsten gehören nicht hieher, sondern nach Karantanien (S. 296). Die Besiedlung Unterpannoniens setzt erst unter dem Markgrafen Ratbod ein. Zu ihm war der vom Herzog Moimir von Mähren aus Neutra vertriebene Slavenfürst Priwina geflohen. Nachdem dieser Christ geworden war und in der Martinskirche zu St. Pölten die Taufe empfangen hatte, erhielt er nach wechselvollem Wanderleben das im zweiten J

) ) 3 ) 4 ) 2

Das Bundesland Niederösterreich 1920—1930 (Wien 1930) S. 467 (K. Lechner). A. Kerschbaumer, Gesch. der Stadt Tulln, 2. Aufl. (1902) S. 242, 263. Ebendort S. 19. Das T ist nur eine andere Form des Kreuzes. A. Schachinger, Der Wienerwald (1934) S. 116; dazu S. 97. testatur vacua omni habitatore Pannonia. c. 13.

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III. Die Karolingische Ostmark und ihre „Drei Grafschaften".

Awarenkrieg eroberte und kirchlich Salzburg zugesprochene Land zwischen Raab, Drau und Donau als Lehen und wenig später (847) von Ludwig dem Deutschen in das Eigentum 1 ). In der Sumpfgegend des Plattensees ließ er sich als eigenen Sitz eine Wasserburg erbauen, die bald hernach den Namen M o o s b u r g erhielt. Die Festigkeit ihrer Anlage erregte solches Aufsehen, daß Abt Regino von Prüm an der fernen Eifel sie als Besonderheit der Ostmark — er gebraucht hiefür den Namen des damaligen Hauptlandes Karantanien (S. 284 f.) — eigens hervorhebt und als wohlbewehrtes und fast unnahbares Bollwerk bezeichnet 2 ). Dort weihte im Jahre 850 der Salzburger Erzbischof Liupramm die erste Kirche zu Ehren Mariens. Schon die stattliche Zahl von Gotteshäusern, die ihr folgten, zeigt, wie sehr es Priwina und sein Sohn Kozel verstanden, Ansiedler herbeizurufen; diese waren hauptsächlich Deutsche, wie schon die Ortsnamen verraten. Von den außerhalb der civitas Moosburg befindlichen Kirchen wird jene in Dudleipa an erster Stelle genannt 3 ). Derselbe Ort, der bei Radkersburg gesucht wird, erscheint in einer allerdings umstrittenen Urkunde des Königs Arnulf aus dem Jahre 891 als Name einer Grafschaft 4 ); diese gehört nicht nach Karantanien, sondern östlich der Mur, nach Unterpannonien, wie schon der in der eben genannten Urkunde angeführte Namen des Fürsten Kozel andeutet. Dudleipa bezeichnet soviel als Zufluchtstätte des Stammes der slavischen Dudleben 5 ); die Grafschaft wird hier wieder nach dem Hauptort bezeichnet und umfaßte das Siedlungsgebiet der Dudleben. Wir haben hier ein Seitenstück zu der aus einem awarischen Vasallenstaat hervorgegangenen Grafschaft Steinamanger in Oberpannonien. Neben Dudleipa läßt sich nur Moosburg, das in den Urkunden als urbs und regia civitas erscheint, als Grafschaft ansprechen, so daß wir in Unterpannonien zwei Komitate nachweisen können. Conversio c. 10 u. 11; dazu K. Schünemann, Die Deutschen in Ungarn bis zum 12. Jahrh. (1923) S. 2 ff. 2 ) Schulausgabe von Kurze (1890) S. 117. Der Nachweis, daß hiemit nicht Moosburg in Kärnten, sondern in Unterpannonien gemeint sei, bei Pirchegger, Karantanien und Unterpannonien S. 307—310. 3

) et foris civitatem in Dudleipin. Conversio c. 11. ) in comitatu Dudleipa vocato in loco Ruginesfeld, sicut Chocil dux quondam inibi ad opus suum habere visus est. Mon. Germ., Dipl. Karol. 3, S. 287; vgl. noch S. 285: ad Tudleipin. 5 ) Hauptmann, Polit. Umwälzungen S. 234. 4

6. Die Grafschaften Pannoniens.

305

Da Kozel durch die Berufung des griechischen Glaubenspredigers Method die Bahn seines Vaters verließ, kam sein Herrschaftsgebiet wieder unmittelbar unter fränkische Verwaltung. W i e hoch König Arnuli den militärischen W e r t der Moosburg zu schätzen wußte, beweist sein Itinerar: sowohl in den Jahren 888 und 889 als auch 890 weilte er dort 1 ); wenig später (896) übertrug er sie einem slavischen Fürsten zur Grenzwacht 2 ). Die auf sie gesetzten Hoffnungen konnten sich freilich nicht erfüllen; Pannonien war viel zu schwach besiedelt, um einen wirksamen Grenzschutz zu verbürgen. W i e wenig die einzelnen Grenzwerke aus Mangel an Geschlossenheit ausreichten, belehrt die nächste Folgezeit. Im Jahre 900, nach dem Ableben des Kaisers Arnulf, vermochten die Ungarn, die sich kurz vorher an den Tiefebenen der Donau und Theiß niedergelassen hatten, über die Enns nach Baiern einzubrechen. Auf ihrem Rückzüge gelang es Markgraf Liutpold, einen Teil ihres Heeres auf dem linken Donauufer bei Linz zu besiegen. Den Ort der Schlacht erfahren wir aus den jüngst aufgefundenen Salzburger Jahrbüchern 3 ). In unmittelbarem Anschluß hieran erstand zum Schutze des Reiches vor künftigen Überfällen die stark befestigte Ennsburg 4 ), die den besten Übergang über den Fluß sperrte und das tiefer gelegene Ostufer beherrschte. W i r haben schon gesehen, daß der gemeinsame Präfekt von Baiern und der Ostmark Gerold eine Zeitlang seinen Sitz in S a n k t P ö l t e n aufschlug; wir haben ferner gehört, daß dort der zum Markgrafen Ratbod geflohene Fürst Priwina die Taufe empfing. Wir dürfen daher wohl annehmen, daß die spätere Traisenstadt ursprünglich der gewöhnliche Aufenthalt der Präfekten der Karolingischen Ostmark war. Ihre militärische Befehlshaberstelle wies sie zweckentsprechend an jenen Fluß, der vor der Enns für den an der Donaulinie eingebrochenen Feind das größte Hindernis darstellte; das nahe Tullner Feld war überdies ein geeigneter Sammelplatz für Feldtruppen, um im Bedarfsfalle die Grenzwerke sowohl im Norden (Donau) als auch im Osten (Wien) zu verstärken; der römische Etappenort Aelium Cetium war daher in anderer Form wieder erstanden! Wenn wir daher hören, daß unter Karlmann und ' ) Mon. Germ., Dipl. Karol. 3, S. 29, 61, ) Annal. Fuld. S. 130.

112.

2 3

) Mon. Germ., Script. 30/2, S. 744 zu 8 9 9 :

4

) Annal. Fuld. S. 134 f. zu 900:

Ungari ad Linza interfecti.

validissimam urbem in littore Anesi fluminis

muro obposuerunt.

20

306

III. Die Karolingische Ostmark und ihre ,.Drei Grafschaften".

Arnulf die im wohlgeschützten Kärnten gelegene Karnburg der ständige Aufenthaltsort der Markgrafen wurde, so gleicht ein solcher Entschluß nahezu einer freiwilligen Preisgabe Pannoniens. Die Folgezeit hat denn auch klar bewiesen, das das geteilte Frankenreich das den Awaren abgenommene Land weder ausreichend besiedeln, noch bei drohender Gefahr ernstlich halten konnte.

7. Das mit der Ostmark verbundene Dreigrafschaftsgebiet. Die politische Einteilung Karantaniens und Pannoniens, die eigentlich nicht in den Rahmen dieses Buches gehört, habe ich deshalb berücksichtigt, um jene des n o r i s c h e n U n t e r l a n d e s u n d . T r a u n g a u e s um so klarer in ihrem Wesen zu erfassen. Es ist schon lange erkannt, daß das Gebiet zwischen dem Passauer und Wiener Walde von Oberpannonien zu scheiden ist und eine zusammengehörige Einheit darstellt 1 ). Das Verhängnis w a r nur, daß dieser damals weit von der gefährdeten Grenze gelegene kleine Landstrich für die Karolingische Ostmark gehalten wurde, indem man diese irrig mit der späteren aus der Ottonenzeit gleichsetzte. Noch schlimmer wurde das Versehen, als die inzwischen ausgebildete Unterscheidung von Grenzgrafschaft und Mark auf diesen verhältnismäßig winzigen Bezirk angewendet w u r d e : das Land zwischen der Enns und dem Wiener Walde galt nun als „Ostmark" und der Traungau als die dazugehörige Grafschaft 2 ). Damit w a r die ursprünglich erkannte Einheitlichkeit auch noch zerrissen. Da ferner nach rechtsgeschichtlicher Lehre auf Markboden keine Grafschaft gesucht werden durfte, begann der herrschende W i r r w a r r : die Streitfrage nach den „ D r e i G r a f s c h a f t e n", die mit der Ostmark verbunden waren. Die Einteilung der Provinzen Karantanien und Pannonien in Komitate hat uns klar gezeigt, daß diese nicht an der Enns aufhören. Mit dieser Erkenntnis ist die Bahn frei, um die Frage zu beantworten, die uns im folgenden beschäftigen soll. Die Urkunden werden uns über Lage und Umfang des Dreigrafschaftsgebietes verläßlichen Aufschluß geben. Die baierischen Bischöfe bezeichnen sich in ihrer Beschwerde an den P a p s t über die kirchlichen Verhältnisse in Mähren (900) als

2

Dümmler, Siidöstl. Marken S. 13 und oben S. 287. ) Dümmler, Gesch. d. Ostfränk. Reiches 1, S. 27 f.

7. Das mit der Ostmark verbundene Dreigrafschaftsgebiet.

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solche von ganz Noricum, das auch Baiern genannt werde 1 ). Der Name Noricum hiefür weist darauf hin, daß das anfängliche Siedlungsgebiet unseres Volksstammes Ufer-Noricum war (S. 107). Wenn nun die Provinz Baiern in karolingischer Zeit bis eur Großen Tulln reicht, so stimmt das auffällig mit ihrem römischen Namen Noricum. Mit anderen Worten: Karl der Große hat das Gebiet zwischen der Enns und der Großen Tulln nicht als neu erobertes, sondern als zurückgewonnenes Land behandelt; er nahm zu diesem alten Besitz Baierns noch dessen frühere Mark im Osten, den Traungau, hinzu und schuf vom Passauer bis zum Wiener Walde einen eigenen Verwaltungssprengel: den „ G r e n z a b s c h n i t t d e r P r o v i n z B a i e r n i m O s t e n " 2 ) . Nicht nur der Traungau, sondern auch das Land zwischen der Enns und der Großen Tulln gehörte demnach staatsrechtlich zu Baiern. Der Unterschied trat freilich nicht scharf hervor, da ja das norische Unterland trotz seiner Zugehörigkeit zu Baiern gleich dem Traungau dem Markgrafen der Ostmark unterstellt war. Es ist daher durchaus kein Widerspruch, wenn eine Urkunde Karls des Großen (811) die Pielachmündung nach Awarien verlegt 5 ), oder wenn der Einfluß der Erlaf in die Donau gleichfalls dorthin gezählt wird (832)4). Mit anderen Worten sagt die schon erwähnte Urkunde Ludwigs des Deutschen aus dem Jahre 837 dasselbe, wenn sie ein Gebiet an der Ybbs zum Slavenland rechnet (S. 285). Eine allerdings nicht einwandfreie Urkunde Ludwigs des Frommen (814) nimmt den schon in vorgeschichtlicher Zeit besiedelten Ort Kronstorf westlich der Enns gleichfalls für Slavinien in Anspruch 5 ); sie kann das deshalb tun, als die in der Nähe von Lorch gelegene Ortschaft zu dessen Stadt- und Pfarrgebiet gehörte, das sich ja ehe*) per totam Noricam, que et Bauuaria conversatur. (G. Friedrich) Cod. dipi, regni Bohemiae 1 (1907) S. 29. 2 ) Willihaimus et Engilscalchus t e r m i n u m r e g n i B a i o w a r i o r u m in o r i e n t e a rege, id est seniore Hludowico, concessum contra Maravanos tenuerunt (884). Annal. Fuld. S. 110; dazu S. 111: terminum Baiowariorum praetenderunt. 3 ) locum quendam in Avaria, ubi Bielaha fluvius Danubium ingreditur. Mon. Germ., Dipl. Karol. 1, S. 284. 4 ) in provintia Auarorum, id est locum, ubi antiquitus Castrum fuit, qui dicitur Herilungoburch, ubi Erlafa in Danubium cadit. Ebendort S. 10. 5 ) Granesdorf, que est sita in parte Sclauanorum. Urkb. d. L. ob der Enns 2 (1856) S. 13; Mühlbacher, Reg. S. 247 f. Nr. 555. Die Kirche von Kronstorf zählte ursprünglich zur Stadtpfarre Enns. P. Schmieder, Lorch und Ens, 30. Bericht des Linzer Museums (1871) S. 9. 20*

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III. Die Karolingische Ostmark und ihre „Drei Grafschaften".

dem weitaus in der Hauptsache ostwärts der Enns erstreckte. Auf der anderen Seite führt eine Urkunde Arnulfs (888) ein Gut Neuhofen im Traungau noch für Baiern an 1 ), obwohl auch dahin die Machtbefugnis des Präfekten der beiden Provinzen Pannonien und Karantanien reichte. Bei der nicht eindeutigen Rechtslage des Dreigrafschaftsgebietes ist das eine wie das andere Vorgehen zulässig. In einer Urkunde Ludwig des Deutschen für Niederaltach heißt es, das Kloster habe von der Erlaubnis Karls des Großen, in Pannonien Siedlungsland in Besitz zu nehmen, Gebrauch gemacht. Die namhaft gemachten Güter befanden sich indes westlich der Großen Tulln, ja zum Teil in dem zwischen Donau, Ybbs und Url liegenden Ennswalde (863)2). Solche Beispiele dienen gerne zum Hinweis, daß die karolingische Zeit die römischen Bezeichnungen nicht mehr in ihrem wirklichen Inhalte kannte, sie nur mehr als literarische Begriffe und nicht in politischem Sinne verwertete 3 ). Davon kann hier keine Rede sein; abgesehen davon, daß das norische Unterland lange mit Pannonien verbunden war, ja schon in römischer Zeit mit dem Oberland dem Befehlshaber von Oberpannonien unterstand, war es auch jetzt dem Präfekten der Ostmark unterstellt. Die staatsrechtliche Zugehörigkeit zu Baiern trat nach außen viel weniger hervor, als daß es in der Verwaltung mit Pannonien und Karantanien durch die Person des Markgrafen verbunden war. Mit gleichem Rechte könnte man daher schließen, daß die karolingische Zeit Karantanien und Pannonien nicht auseinander zu halten wußte. Solche scheinbare Widersprüche haben ihren tieferen Grund in der politischen Verbindung dieser Länder. Wie genau man damals noch die Grenze zwischen Noricum und Pannonien kannte, zeigt der Vertrag, den Chorbischof Madalwin mit der Passauer Kirche über sein Erbe im Jahre 903 abschloß: er setzt das Gebiet ostwärts des Wiener Waldes mit Pannonien gleich und unterscheidet es deutlich vom norischen Unterlande 4 ). Ja, noch viel später verlegt der Verfasser des Lebens des Bischofs Altmann von Passau nicht nur St. Florian, sondern auch Göttweig nach Ufer-Noricum 5 ). 1 ) in Bavariae partibus sitas in pago Trungouue . . . curtem unam Niuuanhoua. Mon. Germ., Dipl. Karol. 3, S. 14. 2 ) Ebendort 1, S. 156 f. 3 ) So noch Schünemann, Die Deutschen in Ungarn S. 133. 4 ) Urkb. d. L. ob d. Enns 2, S. 50; dazu K. Giannoni, Gesch. d. Stadt Mödling (1905) S. 15 f. 5 ) Mon. Germ., Script. 12 (1856) S. 231, 237; dazu 0 . Brunner, Land u. Herrschaft, 2. Aufl. (1942) S. 224.

7. D a s mit der Ostmark verbundene Dreigrafschaftsgebiet.

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Schon seit der Zeit Karls des Großen war der Traungau mit der Ostmark verbunden. In einem Kapitulare des Jahres 805 werden den Kaufleuten Grenzpunkte gesetzt, bis wohin sie in die Slavenländer und in die Awarenprovinz Handel treiben durften. Als solche werden u. a. Forchheim, Priemberg, Regensburg und L o r c h genannt. In den ersten drei Orten hatte der uns als Nachfolger Gerolds in Baiern bekannte Präfekt Audulf und in Lorch der schon als zweiter Markgraf (bei Karantanien) genannte Werner als königlicher Sendbote die Waffeneinfuhr in die neueroberten Grenzmarken zu verhindern; sie handelten daher nicht mit vorübergehender Amtsbefugnis, sondern als ständige Beamte 1 ). Lorch liegt beiläufig im Mittelpunkte des „Baierischen Grenzabschnittes im Osten" und dort haben wir auch den Sitz des Grenzgrafen zu suchen. Das war jedoch nicht Werner selbst, sondern ein ihm dort unterstellter Graf. Als solcher erscheint im Jahre 827 Wilhelm, der i m A u f t r a g e d e s P r ä f e k t e n G e r o l d (der Ostmark) einen Grenzstreit zwischen dem Gotteshause zu Puchenau nördlich der Donau bei Linz und den dort ansäßigen Slaven schlichtet 2 ). Derselbe Wilhelm oder sein gleichnamiger Sohn begegnet uns in einer schon erwähnten Urkunde des Königs Karlmann für Kremsmünster, wo er dessen Besitz an der Schmida im Norden der Donau als einst zuständiger Graf begangen und bezeichnet hatte 3 ). Sein Verwaltungsbezirk umfaßte daher nicht nur den Traungau, sondern auch das ganze norische Unterland bis zur Großen Tulln, der gegenüber die Schmida der Donau zufließt; er war natürlich auch dort dem Präfekten der Ostmark unterstellt; Abgesandte des eben genannten Markgrafen Gerold II. bestimmten ja auch die Grenzen eines anderen Kremsmünsterer Besitzes im Grunzwitigau an der Traisen (828)4). Die Amtswirksamkeit Wilhelms war von langer Dauer: schon im Jahre 821 erfolgte vor ihm und Bischof Reginhar von Passau ein Traditionsakt zu Rufling bei Linz 5 ) und noch 853 tritt er in einer sehr bemerkenswerten Schenkung seines ad Foracheim et ad Breemberga et ad Ragenisburg et ad Lauriacum Warnarius. Mon. Germ., Capit. 1, S. 123.

praevideat

Audulfus,

Uuillihelm comis secundum Keroldi iussionem quesivit. Freis. Trad. 1, S. 469. ) sicut hoc Willehelmus c o m e s quondam ad id monasterium circuiit atque signavit. Mon. Germ., Dipl. Karol. 1, S. 288. 4 ) sicut missi Geroldi comitis designaverunt. Urkb. d. L. ob d. Enns 2, S. 11. Actum est autem hoc in loco nuncupante ad Linza coram Reginhario episcopo simulque Uuillihelmo comite. Pass. Trad. S. 66; Regensb. Trad. S. 15, 33. 3

I I I . D i e K a r o l i n g i s c h e O s t m a r k und ihre „ D r e i G r a f s c h a f t e n " .

310

umfassenden Landbesitzes zwischen Aist und Naarn sowie von der Donau bis tief in den Nordwald ohne bestimmten Grenzabschluß an das Kloster St. Emmeram in Regensburg hervor 1 ). Trotz diesen und anderen Vergabungen für sein Seelenheil konnte er noch weite Liegenschaften an seine beiden Söhne und Nachfolger in der Grenzgrafschaft, Wilhelm und Engelschalk, vererben. Deren Machtbereich w a r der gleiche wie der ihres Vaters: der gesamte Grenzabschnitt Baierns in der Ostmark 2 ); sie fielen im Kampfe gegen die Mährer (871) 3 ). Nach ihrem Tode erhielt Aribo, der jedoch ein anderer ist, als der denselben Namen (Arpo) führende Sohn des Grafen Ottokar von Karantanien (S. 297), die erledigte Grafschaft 4 ). Die noch minderjährigen Söhne aus dem Hause Wilhelm wurden übergangen. Als sie jedoch herangewachsen waren, forderten sie die Nachfolge als ein ihnen zustehendes Erbe zurück und verdrängten Aribo aus dem baierischen Grenzabschnitte (882). ,Es begannen wilde Kämpfe, die durch mehr als zwei Jahre dauerten und das östliche Pannonien verwüsteten 5 ): Aribo hatte am mährischen Fürsten Zwentibald, die Enkeln Wilhelms am Markgrafen der Ostmark Arnulf Bundesgenossen gefunden. Dieser hat nachmals als deutscher König seinen ehemaligen Schützlingen wegen deren Untreue ihre Liegenschaften am Kamp und an der Perschling entzogen und an Kremsmünster vergabt. Das Haus Wilhelm war erledigt und starb aus, bald nachdem Kaiser Karl III. bei seiner schon erwähnten Zusammenkunft mit dem mährischen Herzog an der Großen Tulln die schwere Fehde beigelegt hatte (S. 298). Die Grafschaft Aribos umfaßte wie jene Wilhelms und dessen Söhne und Enkel nicht nur das norische Unterland, sondern auch den Traungau. Als Inhaber des letzteren erscheint er urkundlich 1

) u s q u e in N o r t u u a l t in h a n c p a r t e m silve sine termini c o n c l u s i o n e . Mon. G e r m . ,

Dipl. K a r o l . 1, S . 88. - ) Annal. F u l d . S . 110 ( o b e n S . 307). 3

) Mühlbacher, R e g . S . 631 Nr. 1488 c.

4

) A r b o in c o m i t a t u m d o m i n o

5

) P a n n o n i a d e H r a b a f l u m i n e a d o r i e n t e m tota d e l e t a est.

rege concedente

successit.

Annal. F u l d .

S.

110.

Annal. F u l d . S . 113.

D a m i t ist U n t e r p a n n o n i e n ( s o s c h o n S c h ü n e m a n n , D i e D e u t s c h e n in U n g a r n S . 16 f.) und nicht d a s L a n d z w i s c h e n

R a a b und d e m W i e n e r W a l d e

Ostfränk.

[1888]- S . 225)

R e i c h e s 3, 2.

Aufl.

gemeint.

Dieser

( D ü m m l e r , G e s c h . d. auch

von

anderen

ü b e r n o m m e n e I r r t u m geht w i e d e r darauf z u r ü c k , daß die O s t m a r k K a r l s d e s G r o ß e n mit j e n e r a u s der O t t o n e n z e i t

verwechselt

wird.

7. D a s mit der O s t m a r k v e r b u n d e n e

311

Dreigrafschaftsgebiet.

zum erstenmal im J a h r e 876 1 ). Drei Urkunden König Arnulfs weisen Liegenschaften an der Krems im Traungau gleichfalls der Grafschaft Aribos zu 2 ). Dasselbe gilt für eine Urkunde König Ludwigs IV. aus dem Jahre 903 mit Güterschenkungen bei Kirchdorf an der Krems 3 ). Wie im Traungau, so ist auch im norischen Unterland Aribo als Inhaber der Grafschaft mehrfach bezeugt. Eine Urkunde Arnulfs (888) hebt hervor, daß er im Grunzwitigau als Grenzgraf waltet, eine andere desselben Königs (892) teilt Melk seinem Komitate zu 4 ). Das schon erwähnte Testament des passauischen Chorbischofs Madalwin (903) teilt die Gegend bei Wolfsbach zwischen der Enns und Url gleichfalls dem Herrschaftsbereiche Aribos zu 5 ). Dieser verlor noch ein zweitesmal vorübergehend seine Stellung. Als im Jahre 898 in Mähren Streitigkeiten in der herzoglichen Familie ausbrachen, entsandte Kaiser Arnulf die beiden Markgrafen Liutpold und Aribo mit Heeresmacht dorthin 6 ). Nachträglich stellte sich heraus, daß letzterer auf Antrieb seines Sohnes Isanrich die Zwistigkeiten in Mähren geschürt hatte. Der totkranke Kaiser setzte deshalb Aribo ab und nahm dessen aufständischen Sohn bei der Erstürmung Mauterns gefangen 7 ). In dieser Zeit leitete Markgraf Liutpold mit der Ostmark auch unmittelbar den baierischen Grenzabschnitt: in einer undatierten Urkunde des Kaisers Arnulf, die in den Dezember 898 gesetzt wird, heißt es, Hartkirchen (bei Aschach an der Donau) liege in der Grafschaft Luitpolds 8 ); er verwaltete also damals den Traungau. in

pago

qui

dicitur

Trungaui

in

comitatu

Arbonis.

Mon. Germ.,

Dipl.

Karol. 1, S. 285. 2

) in l o c o N e z z i l a p a c h

(Nöstelbach)

dicto iuxta rivum, qui dicitur C h r e m i s a . .

in c o m i t a t u Arbonis in p a g o T r u n g o v u i ; iuxta r i v u m S c a l a h a in c o m i t a t u Aribonis: in c o m i t a t u Aribonis in l o c o n o m i n a t o S c a l a h a . E b e n d o r t 3, S. 15 f., 32, 63. 3

) in v a l l e

q u e dicitur

Öliupespurc

comitatu

Arbonis.

Mon.

hist.

ducatus

Ca-

rinthiae 1 (1896) S. 45. 4

) in orientalibus partibus in p a g o Grunzuuiti dicto, ubi A r b o terminalis

praeesse visus est;

in c o m i t a t u A r b o n i s

in

loco

Medelicha.

comes

Mon. Germ.,

Dipl.

Karol. 3, S. 48, 143. 5

) in c o m i t a t u

Arbonis

comitis

in loco,

qui dicitur W o l u e s w a n c .

Urkb. d. L.

ob der E n n s 2, S. 50. 6

) m a r c h i o n e s suos,

7

) Arbo

8

) in c o m i t a t u Liutpoldi c o m i t i s nostri in l o c o Hartchirihha.

Liutbaldum scilicet

et A r b o n e m

comitem.

Annal. Fuld. S. 132.

ob hanc c a u s a m praefectura sua caruit ad t e m p u s . E b e n d o r t S. 132. Mon. Germ., Dipl.

Karol. 3, S. 260.

D e r N a c h w e i s für Hartkirchen im T r a u n g a u bei E. Hager,

St.

und

Otmarkapelle

d. Oberösterr.

nachmalige

Musealvereines

St.

(1924)

Wolfgangkirche

S. 121—123.

in

Pupping,

80.

Die

Jahresber.

312

III. Die Karolingische Ostmark und ihre „Drei Grafschaften",

Bei dessen in der ganzen Karolingerzeit nachweisbaren Verbindung mit dem norischen Unterlande ist das gleiche auch vom Gebiete zwischen der Enns und der Großen Tulln anzunehmen. Den ganzen „Baierischen Grenzabschnitt im Osten" versah somit vorübergehend Liutpold, ohne damals hiefür einen eigenen Grenzgrafen beigegeben zu haben. Es liegt wohl kein unzweideutiger Beweis vor, daß Aribo dem Markgrafen Liutpold unterstellt w a r . Wenn wir jedoch bedenken, daß das Haus Wilhelm ständig dem Präfekten der Ostmark untergeordnet war, so ist das gleiche Abhängigkeitsverhältnis von dem neu eingesetzten Aribo anzunehmen. Auf solche Weise erklärt es sich auch leicht, daß vorübergehend an dessen Stelle Liutpold als Grenzgraf aufscheint. Beim Ungarneinfalle des Jahres 900, als der Traungau zu verteidigen war, hören wir nichts von Aribo, wohl aber vom Markgrafen Liutpold, der die eingedrungenen Magyaren besiegte (S. 305); auch die auf Grundlage einer echten Vorlage nicht viel später entstandene Urkunde Ludwigs IV. vom 19. Jänner 901, womit die eben errichtete Ennsburg an den alten Schutzheiligen der Gegend, Florian, vergabt wird, nennt wohl Liutpold aber nicht Aribo 1 ). Dessen Wiederkehr als Grenzgraf ist deshalb nicht ein W e r k Arnulfs, sondern erst seines Nachfolgers Ludwig; das vorhin genannte Testament des Chorbischofs Madalwin vom Jahre 903 führt ihn wieder in seinem früheren Range an. 8. Das Dreigrafschaftsgebiet in der Raffelstettener Zollordnung. Der Name Aribo ist noch mit einer Urkunde verknüpft, die zwar als handelsgeschichtliches Zeugnis und älteste Zollvorschrift bereits viel beachtet wurde, aber in ihrem verfassungsrechtlichen Inhalte noch recht wenig gewürdigt ist: mit der bekannten R a f f e l s t e t t e n e r Z o l l o r d n u n g (903—905). In ihrem unschätzbaren W e r t e für die Zustände der Donauländer erinnert sie an das Leben Severins; hier wie dort fällt ein heller Lichtstrahl in das Dunkel einer untergehenden Kultur; wie in dem einen Falle uns noch das Ende der Römerherrschaft in scharfen Umrissen vor Augen tritt, so erscheinen in dem anderen die letzten Züge ihres Abglanzes im karolingischen Reiche. Die baierischen Bischöfe, Äbte und Grafen hatten sich bei König Ludwig (dem Kinde) beschwert, daß sie bei ihren Reisen nach dem !) Mühlbacher, Reg. S. 800 Nr. 1994.

8. D a s D r e i g r a f s c h a f t s g e b i e t in der R a f f e l s t e t t e n e r Zollordnung.

313

Osten ungerecht mit Zöllen und Mauten belastet würden. Auf das hin befahl der König dem Markgrafen (marchio) Aribo, die Zollrechte und die Art, wie sie ausgeübt werden, zu erheben und gab ihm hiezu als seine Abgesandten den Erzbischof Theotmar von Salzburg, den Bischof Burkhard von P a s s a u und einen Grafen Ottokar bei. Der Ort der Versammlung w a r das an einem Seitenarme der Donau liegende R a f f e l s t e t t e n , eine noch heute bestehende Ortschaft beim Bahnhofe Asten—St. Florian. Vor ihnen sagten nun 41 namentlich angeführte Zeugen aus, w o und in welcher Form und Höhe zur Zeit der Könige Ludwig (des Deutschen) und Karlmann die Zölle eingehoben wurden. An der Spitze der Zeugenreihe treten gleich hintereinander zwei Vikare hervor, w ä h r e n d der dritte erst an 26. Stelle erscheint; v o r a u s geht der Satz, daß diese alle für den Zoll in der G r a f s c h a f t A r i b o s Zeugnis ablegten. Bedeutungsvoll fährt sodann die Aktaufzeichnung f o r t : diese und alle übrigen, die in d i e s e n d r e i G r a f s c h a f t e n angesehene (vollfreie) Männer waren, befragte hiebei eidlich Markgraf Aribo 1 ). Nach ihrer Aussage befanden sich Zollstätten zu Rosdorf, Linz, an der Enns 2 ) zu Ebersburg und Mautern. Der Amtsbereich Aribos erscheint somit durch die Angabe der ihm unterstehenden Zollstellen in der Längsausdehnung urkundlich festgestellt und zerfällt in drei Grafschaften, die zu Rosdorf beginnen und mindestens bis Mautern reichen. Aribo selbst vereinigt somit als Grenzgraf drei Komitate in seiner Hand, die wieder je ein Stellvertreter (vicarius) unmittelbar verwaltet. Der Ort der Amtshandlung Raffelstetten liegt in einer der drei Grafschaften, da das Weistum sie ausdrücklich als „diese" bezeichnet. Es gilt eine allgemeine Klage der nach dem Osten reisenden B a i e r n abzustellen, sagen die einleitenden W o r t e : ihr Inhalt zeigt wieder, daß nicht nur der Traungau, sondern auch das Land o s t w ä r t s der Enns zur *) Et

isti

sunt,

W a l t o vicarius, hiis

tribus

qui

iuraverunt

Durine v i c a r i u s . . . comitatibus

pro

theleneo

ecclesie,

residente cum

loco, qui dicitur Raffoltestetun. Lampel

comitatu

Arbonis:

Isti et ceteri o m n e s , qui i n

n o b i l e s fuerunt, post

rogati ab A r b o n e m a r c h i o n e in presentía T h e o m a r i sulis P a t a v i e n s i s

in

Eigil v i c a r i u s . . .

peractum iuramentum

inter-

archiepiscopi et P u r c h a r d i

eis O t a c h a r i o

comité,

Mon. Germ., Capitul. 2, S. 250;

pre-

in i p s o placito übersetzt

in: Jahrb. f. L a n d e s k u n d e v o n N i e d e r ö s t e r r . 1 (1902) S . 22—27,

von

der

in J.

dort

die Karol. O s t m a r k und ihre D r e i G r a f s c h a f t e n behandelt. 2

) D i e v e r m e i n t l i c h e Zollstelle an der Uri g e h t auf e i n e n F e h l e r

punktion

zurück.

K. Schiffmann,

Instituts 37 (1917) S. 480 u. 487.

Die

Zollurkunde

von

in der

Raffelstetten,

Inter-

Mitteil.

d.

314

III. Die Karolingische Ostmark und ihre „Drei Grafschaften".

P r o v i n z Baiern zählte: hier wie dort handelt es sich um die V o r r e c h t e desselben S t a m m e s in der Zollbehandlung. Von Landungsplätzen östlich des Wiener Waldes ist keine Rede, da dieses Gebiet nicht zum baierischen Grenzabschnitte gehörte; auch Tulln erscheint nicht auf, da der gleichnamige Fluß die Grenze zwischen Baiern und der Ostmark bildete. Deren P r ä f e k t gebot jedoch gleichwohl über die Enns hinauf bis an die W e s t g r e n z e des Traungaues. Die Zollordnung nennt Aribo zweimal marchio; auch die Jahrbücher von Fulda heißen ihn so, doch reihen sie ihn unmittelbar hinter dem Markgrafen Liutpold (S. 311), so daß er wohl nur Grenzgraf der baierischen Dreigrafschaftsmark im Osten w a r . Der unter den drei Abgesandten des Königs erwähnte Ottokar w a r wohl der schon angeführte Graf von Karantanien. Von den drei Vikaren w e r d e n zuerst zwei genannt, der dritte jedoch erscheint erst viel später. Die seltsame Form, wie sie erw ä h n t sind, stimmt überraschend mit jener der drei Pilgrim-Synoden überein: wie dort die zwei Kirchenversammlungen zu Lorch und Mautern in eine Aktaufzeichnung zusammengezogen sind und die dritte zu Mistelbach (bei Wels) in eigener Ausfertigung vorliegt 1 ), so begegnen uns in der Raffelstettener Zollordnung zwei Grafschaften w i e d e r enge verbunden und die dritte ihnen angehängt. Nach dem Vorbilde der drei genannten Kirchenversammlungen haben wir demnach auch da in den zwei zuerst genannten Grafschaften jene östlich der Enns und in der dritten den Traungau zu erblicken. Die hier zum Ausdruck kommende Zweiteilung entspricht dem Verlaufe der Geschichte, in der lange Zeit die Enns Grenzfluß w a r . So erklärt sich auch, daß durch viele Jahre zwei Brüder ein und derselben Familie (Haus Wilhelm) den baierischen Grenzabschnitt verwalteten. Wohin gehörte da Raffelstetten? Die Lorcher Synode redet nur von Zehentrechten dieser Kirche im Osten der Enns; Lorch gehörte daher in der Verwaltung nicht mehr zum Traungau, sondern w a r der Vorort der unmittelbar östlich der Enns anschließenden Grafschaft. Daß dem wirklich so ist, zeigt klar das Nibelungenlied; die Mark Rüdigers von Pechelarn schloß gleichfalls' noch das W e s t u f e r der unteren Enns in sich: als Kriemhild mit ihrem Gefolge über die Traun kam, e r w a r t e t e n sie am Lorcher Felde 2 ) die Mannen Pass. Trad. S. 81 f. ) D 6 si über die Trüne körnen bi Ense üf daz velt. 10. Aufl. (1940) S. 210. 2

Ausgabe von K. Bartsch,

8. D a s D r e i g r a f s c h a f t s g e b i e t in der R a f f e l s t e t t e n e r Zollordnung.

315

Rüdigers mit dessen Gemahlin Gotelind. Eben darum zählte auch später (977) die Ennsburg trotz ihrer geographischen Lage im Traungau zur Grafschaft des babenbergischen Markgrafen Liutpold (S. 386 f.). So verstehen wir auch, wenn der unechte Stiftbrief von St. Florian (1071) bemerkt, die Kirche dieses Heiligen hätten einst älteste Bewohner des Lorcher Gaues gegründet 1 ) oder eine ebenfalls gefälschte Urkunde des Bischofs Ulrich von Passau (1113) sie ebendorthin verlegt 2 ). Da Raffelstetten sowohl von Lorch als auch von St. Florian kaum eine Stunde entfernt ist, so lag auch der Ort der Versammlung in jenem Bezirke, der von Lorch aus geleitet wurde; nach dem Wortlaute des Nibelungenliedes reichte ja das Ennsfeld fast bis zur Traun. Obwohl die Zollregelung von West nach Ost erfolgte, so erscheinen gleichwohl die Zeugen aus dem Traungau nicht an erster Stelle, sondern sind ebenso wie in den Aufzeichnungen der Pilgrim Synoden denen der beiden anderen Grafschaften nachgestellt. Die Wahl des Tagungsortes wird wohl damit zusammenhängen, daß dort die westliche Grenze der Lorcher Grafschaft war, in welcher der baierische Markgraf selbst seinen ständigen Sitz hatte; eben darum steht sie stets an erster Stelle. Neben dem Kapitulare vom Jahre 805, das Lorch als Überwachungsort des Grenzhandels nennt, bildet auch die Raffelstettener Zollordnung einen Beweis, daß Lorch nicht nur der Vorort der von dort geleiteten Grafschaft, sondern auch der Sitz des baierischen Grenzgrafen im Osten w a r ; von dort bewachte er die Eintrittspforte in das eroberte Awarenland. Gaugrenze und Grafschaftsgrenze fallen daher beim T r a u ng a u nicht ganz zusammen: das Lorcher Feld, die Ennsburg, Sankt Florian und Kronstorf zählten bereits zu einer anderen Grafschaft. Als westlichster Ort des traungauischen Bezirkes ist uns Hartkirchen bei Aschach begegnet; der Name des Pfarrdorfes bezeichnet die an dem „Hart" erbaute Kirche. Hiemit ist der Passauer Wald gemeint, der in seinen östlichen Ausläufern bis dahin reichte. Daß dort die Westgrenze der baierischen Mark im Osten und damit des Traungaues lag, zeigt klar die Raffelstettener Zollordnung: die e c c l e s i a m b. Floriani m a r t y r i s Christi, q u o n d a m in p a g o Lauriacensi ab antiquissimis terre illius incolis iuxta rivulum, qui Ypha dicitur, f u n d a t a m . Urkb. d. L. ob d. E n n s 2, S. 95. -) e c c l e s i a m b. Floriani m a r t y r i s Christi in p a g o Lauriacensi. E b e n d o r t S.

146.

316

III. Die Karolingische Ostmark und ihre „Drei Grafschaften".

vom Westen kommenden Schiffe, sagt sie, zahlen, sobald sie den Passauer Wald verlassen haben und zu R o s d o r f oder sonstwo anlegen und Handel treiben wollen, als Zoll IV2 Pfennig. Wollen sie aber weiter hinab fahren, so entrichten sie zu Linz von je einem Schiffe drei Scheffel Salz; sie genießen hernach das Recht zu landen und Handel zu treiben bis in den Böhmischen Wald. Die Fahrzeuge sind also nicht gezwungen, in Rosdorf zu landen, sie können auch, wenn sie wollen, bis Linz weiterfahren und haben dann dort erst den Zoll zu begleichen. Rosdorf erscheint somit gewissermaßen als eine Zweigstelle von Linz, um den Händlern, die nur oberhalb davon ihre Waren verkaufen wollen, einen unnötigen Weg zu ersparen. Von einem Eintrittszoll, den alle Schiffe zu erlegen hätten, kann daher keine Rede sein; der Traungau war eben ein alter Besitz Baierns. W o lag nun Rosdorf, die erste Zollstelle in der baierischen Mark im Osten? Die Zollordnung sagt selbst, am Austritte des Passauer Waldes. Eben dadurch sind über die Lage des Ortes Zweifel entstanden, da in diesem Falle die geschichtliche und geographische Bezeichnung nicht übereinstimmt. Der Passauer Wald gilt nämlich jetzt als eine Fortsetzung des Baierischen Waldes und kommt deshalb nördlich der Donau zu liegen, südlich der Längstalfurche der Großen Mühl; man hat deshalb häufig unter Rosdorf Landshaag (gegenüber Aschach) verstanden, das jedoch niemals eine Mautstelle war. Dem gegenüber ist festzustellen, daß alle Urkunden des frühen Mittelalters ausnahmslos den Wald im Norden als Nordwald oder Böhmischen Wald bezeichnen; nach ihnen erstreckte er sich vom Regen (Baierischer Wald) bis an den Unterlauf des Kamp 1 ). Der Passauer Wald (Passauer Hart) 2 ) gehört daher ursprünglich südlich der Donau und ist demnach nichts anderes als der heutige Sauwald; aus den Angaben mittelalterlicher Schriftsteller läßt sich zudem dasselbe feststellen, indem sie den Traungau von ihm an bis zur Enns rechneten 3 ). Rosdorf ist daher wie alle anderen Zollstellen des baierischen Grenzabschnittes südlich der Donau und nicht nördlich hievon zu suchen. *) Belege bei Kaemmel, Anfänge S. 208 Anm. 4 u. K. Lechner, Gesch. d. B e siedlung des Waldviertels, Jahrb. f. Landeskunde v. Niederösterr. N. F. 19 (1924) S. 14 f. 2 ) Mon. Germ., Dipl. Karol. 2/1 (1936) S. 214 f.; Pass. Trad. S. 26, 72 f. 3 ) a silva Pataviensi addidit usque Anesum. Mon. Germ., Script. 9, S. 554 u. unten S. 428 Anm. 4.

8. Das Dreigrafschaftsgebiet in der Raffelstettener Zollordnung.

317

Der gleiche Ortsname begegnet uns in einer schon erwähnten Königsurkunde Ludwigs des Deutschen aus dem Jahre 853 und erscheint da als ein vom Grenzgrafen Wilhelm der Regensburger Kirche geschenkter Besitz 1 ). Da das Kloster St. Emmeram schon seit dem Jahre 776 weite Liegenschaften westlich des Aschacher Baches bekam 2 ), so wird wohl der neue Besitz zu Rosdorf anschließend östlich hieran anzunehmen sein. Hiefür spricht die Landung des totkranken Regensburger Bischofs Wolfgang in dem damals noch an der Donau gelegenen Pupping und sein Ableben in der dortigen Otmarkapelle (994)3). Dieser Anlegestätte in der Nähe der Mündung der Aschach entspricht heute Brandstatt, die gegenwärtige Schiffshaltestelle von Eferding, das jetzt drei Kilometer vom Strome entfernt ist, während es ursprünglich ebenso wie Pupping unmittelbar an der Donau lag. In dieser Gegend, im Umkreise der nachmaligen Schaunburg, ist ohne Zweifel die Zollstelle Rosdorf zu suchen; sie war nichts anderes als die Vorläuferin der späteren Aschacher Maut. Dort, in der Nähe von Hartkirchen, verläßt die Donau das Urgestein, den Passauer Wald, und tritt auf beiden Seiten in die Ebene ein. Das fruchtbare Eferdinger Becken mit Wels, dem Vorort des Traungaues, im Hintergrunde war doch als Landestelle viel mehr geeignet als das damals viel schwächer bevölkerte Nordufer der Donau. Von dort führte überdies ein Flußübergang zur Königsstraße (Via regia) nach Böhmen. Da w a r es nun am günstigsten, die Zollstelle an jener Stelle zu errichten, wo die Überfuhr über den Strom am leichtesten zu bewerkstelligen war. Das war nun weniger bei Aschach der Fall, da hier der mächtige Fluß wegen seiner Enge und Tiefe schwieriger zu übersetzen ist. Gegen Eferding zu hingegen teilte er sich in mehrere Arme und Inseln, wofür noch heute die unfern der Nibelungenstadt befindliche Ortschaft Wörth zeugt 4 ). Rosdorf hatte indes nicht nur einen Nachfolger, sondern auch einen Vorgänger und der w a r Joviacum. Hier wie zu Ybbs (Adiuvense) und Mautern (Favianae) befanden sich nach der Notitia dignitatum die Schiffstruppen der Liburnarier 5 ); es waren diese Plätze *) Mon. Germ., Dipl. Karol. 1, S. 88. ) Regensb. Trad. S. 3f., 33f.; J. Strnadt, Peuerbach, 27. Bericht des Linzer Museums (1868) S. 89. 3 ) Hager, Die St. Otmarkapelle S. 117 f., 124. 4 ) R. Sommer, Die Nibelungenwege von W o r m s über W i e n zur Etzelburg (Gießen 1929) S. 109 f. 5 ) Ausgabe von Seeck S. 198; Polaschek, St. Pölten (oben S. 5 Anm. 1) S. 115. 2

318

III. D i e K a r o l i n g i s c h e O s t m a r k u n d i h r e „ D r e i G r a f s c h a f t e n " .

an den unteren Ausgängen der drei norischen Donauengen gelegen; sie entsprachen also den baierischen Zollstellen Rosdorf, Ebersburg und Mautern der Raffelstettener Urkunde. Es ist auch da wieder wahrzunehmen, wie Karl der Große an die W e r k e der römischen Kaiser anknüpfte und sie fortzusetzen suchte. Das ging hier um so leichter, als Röm sich dabei von den natürlichen Verhältnissen des Donaulaufes leiten ließ und sich ihnen klug anpaßte. In den Norden der Donau war die baierische Siedlung erst im Vordringen und hielt sich noch nahe dem Ufer; sie bevorzugte auch da zunächst den ebenen Schlierboden. Die vorhin e r w ä h n t e Schenkung des Grafen Wilhelm an Regensburg umfaßte in der Hauptsache die Donauniederung zwischen Aist und Naarn. Einen solchen Fingerzeig gibt uns auch das im nächsten Abschnitt behandelte P f a r r e n v e r z e i c h nis der Mistelbacher S y n o d e : eine selbständige P f a r r e w a r nur N a a r n ; Puchenau und Katzbach gehörten kirchlich zu Linz. Da diese Gotteshäuser alle zur Altpfarre Mistelbach zählten, so sehen wir, daß sie ein Bestandteil der Traungauer Grafschaft w a r e n . Die Raffelstettener Zollordnung beweist dasselbe. W e n n die Schiffe, sagt sie, in Linz den Zoll entrichtet haben, so können sie landen und Handel treiben bis zum Böhmischen Wald (Nordwald). Linz erscheint hier als Ausgangspunkt des Handels nach Böhmen. Die Traungauer Grafschaft deckt sich sonach wieder nicht mit dem alten Gau, sondern reicht über die Donau in den Nordwald hinein. Damit ist zugleich die schon an sich naheliegende Tatsache erhärtet, daß dort die baierische Besiedlung vom Süden der Donau aus erfolgte. Der Traungau erscheint sonach als Mutterland des neu gerodeten Bodens im Norden der Donau und eben deshalb bildeten zunächst der alte und neue Teil politisch eine Einheit. Die karolingische Zeit, die nicht einmal die fruchtbaren Ebenen Pannoniens zu besiedeln vermochte, äst daher sicher nicht tiefer in den Nordwald vorgedrungen: die dürftigen Angaben, die hierüber aus dieser Zeit vorliegen, entsprechen demnach der Wirklichkeit. Es ist deshalb ganz und gar ausgeschlossen, auch nur eine der drei Grafschaften n o r d w ä r t s der Donau zu suchen 1 ). Sie lagen vielmehr eine neben der anderen südlich davon und sind nichts anderes als der östliche Überrest des römischen Ufer-Noricum; nur im Westen ist eine Verkürzung erfolgt, indem *) S o n o c h (1902) S . 234 f.

K. Uhlirz,

Jahrbücher

d.

Deutschen

Reiches

unter

Otto

II.

8. D a s Dreigrafschaftsgebiet in der Raffelstettener Zollordnung.

319

die Grenze nicht mehr bis an den Inn, sondern bloß bis zur alten oberösterreichischen Landesgrenze, dem Hausruck, reichte. Der Traungau mit dem politischen Vororte Wels und dem kirchlichen Mittelpunkt Mistelbach hatte als eigentliche Zollstelle das an der Donau gelegene L i n z . Damit war zum Aufschwünge dieses Ortes der Grund gelegt; in der Zukunft sollte es nicht nur Wels, sondern auch Enns überflügeln. Die Haupthandelsstraße war damals die Donau und daher ist seit dieser Zeit, in der der Strom nicht mehr feindliche Völker trennte, das Emporstreben von Linz gegenüber Wels leicht zu erklären. Linz und Lorch-Enns hingegen waren beide an der Donau, ja letzteres noch an der Mündung der Enns; als Hauptstadt von Ufer-Noricum sowie erster Sitz der baierischen Herzoge und später als Vorort des Dreigrafschaftsgebietes war es Linz ursprünglich weit überlegen. Nach Norden hatte die Enns in der Freistädter Senke eine natürliche Fortsetzung, während Linz im Haselgraben einen Verbindungsweg mit Böhmen hatte; es wurde durch die unmittelbare Lage am Strome und die festeren Ufer für den zunehmenden Nord-Südhandel geeigneter als Enns 1 ). Neben den geographischen Verhältnissen spielten aber auch die politischen eine Rolle, um Linz endgültig den Vorzug zu verschaffen. Die Ausscheidung Lorchs aus dem Traungau, dessen Vorort später Steyr wurde, und seine Zuteilung an den damals kaum besiedelten Ennswaldgau hat dem Vorrange von Enns völlig das Rückgrat gebrochen; dem Aufsteigen von Linz als Haupthandelsplatz des Traungaues war damit der W e g geebnet; es beherrschte deshalb um so leichter den Salzhandel nach Böhmen. Die Raffelstettener Zollordnung beweist schon klar diesen Wandel: Linz ist Ausgang des Handels nach dem Norden, Enns jedoch Durchzugspunkt des Verkehrs nach dem Osten. Diese Rolle spielte Lorch schon im Kapitulare des Jahres 805. Nach dem Raffelstettener Weistum haben die Salzwagen, welche die Enns auf der vorgeschriebenen Straße gegen die Url überschreiten, einen vollen Scheffel zu leisten; von den Schiffen sind jedoch jene aus dem Traungau befreit. Es handelt sich hiebei im Gegensatze von Rosdorf um einen Einfuhrzoll, da hier das neu eroberte Gebiet beginnt. Da dieses jedoch mit dem Traungau unmittelbar verbunden wurde, waren dessen Bewohner befreit. Die'Zollstelle der Lorcher Grafschaft N. Krebs, Die Ostalpen und das heutige Österreich 2, 2. Aufl. (1928) S. 370 f.

III. Die Karolingische Ostmark und ihre „Drei Grafschaften".

320

war nicht Enns, sondern E b e r s b u r g ; dort zahlte jedes baierische Schiff wie früher in Linz und später zu Mautern drei Scheffel Salz. Da Linz ohnedies Zollort war, so wurde als nächster nicht das nahe Enns, sondern das ferner gelegene Ebersburg gewählt. Über dessen Lage sagt unser Weistum: die Schiffe dürfen nach ihrem Austritt aus dem E n n s w a 1 d nicht früher landen und Handel treiben, als bis sie Eparesburg erreicht haben. Die Überlieferung der Zollordnung, die nicht mehr als Urstück vorliegt, sondern wieder nur in einer Abschrift der schon erwähnten Lonsdorfer Handschrift, läßt freilich bei Angabe des Waldes eine Lücke. Die hiefür gewählten Lesearten „Passauer Wald" oder „Böhmer W a l d " kommen nicht in F r a g e : der eine hört ja schon bei Aschach auf und der andere reicht bis zum Kamp. So bleibt einzig und allein die Wahl für den Ennswald, der am gleichnamigen Flusse seinen Anfang nahm und über die Url bis an die Ybbs sich erstreckte 1 ). Die Zollstelle ist auch hier wieder nicht im schwach besiedelten Nordwalde, sondern im verkehrsreicheren Südufer der Donau zu suchen. Die Wahl ist um so leichter, als die späteren Donaumauten überraschend mit jenen der Zollordnung übereinstimmen: Aschach, Linz, Ybbs und Mautern. Sonach wäre Eparesburg nichts anderes als die Ybbsburg, das spätere Ybbs. Viel wichtiger ist, daß dessen Lage der Angabe des Weistums genau entspricht; nach dem Austritte aus dem Ennswalde kommt als nächste Landungsstelle nur das schon als Römerort (Ad pontem Ises) bekannte Ybbs in Frage, das an der Stelle liegt, wo die Donau die Greiner Enge verläßt. Der Name Ebersburg dürfte mit dem bekannten und dort begüterten Geschlechte der baierischen Grafen von Ebersberg zusammenhängen 2 ); wahrscheinlich ist die Ybbsburg gleich der Ennsburg ein gegen die Ungarn errichtetes Bollwerk, da von den Ebersbergern überliefert wird, sie hätten eine Burg gleichen Namens gegen die Magyaren erbaut. Die Grafschaft im Ennswalde hatte demnach als politischen und kirchlichen Mittelpunkt Lorch, als Zollstelle Ybbs.

Anders war dies bei der dritten Grafschaft mit dem Vorort M a u t e r n am Ausgange der Wachau, von deren Nordufer aus Schon A. Luschin hat in: an den Ennswald gedacht; 2

) A. Lohr,

Beiträge

Archiv 60 (1916) S. 240.

Gesch. der Stadt Wien 1 (1897) S. 404 Anm. 1

dort auch ein Lichtbild der Raffelstettener Zollordnung. zur

Gesch.

des

mittelalterl.

Donauhandels,

Oberbayr.

8. Das Dreigrafschaftsgebiet in der Raffelstettener Zollordnung.

321

der Unterlauf des Kamp einen W e g nach Böhmen eröffnete: dort w a r nicht nur der Sitz der weltlichen und kirchlichen Verwaltung, sondern auch die Zollstelle. Neben dem Inlandszoll w a r hier auch ein Ausfuhrzoll zu entrichten. Solche, die in Mähren Handel treiben wollen, zahlen nämlich für ihr Schiff einen Schilling, bei der Rückkehr jedoch gehen sie frei durch; ein Ausfuhrzoll wird also nur in das angrenzende Ausland, nicht aber in die Ostmark erhoben; letzteres geschah eben schon an der Enns. Im übrigen wurden die Abgaben für jede Grafschaft eingefordert und w a r e n auch an den drei Hauptzollstätten in gleicher Höhe festgesetzt: jede Grafschaft w a r somit ein eigenes Zollgebiet. Die Raffelstettener Zollordnung läßt in ihren Angaben klar erkennen, daß die Ebersburg nicht Mautern ist, da sie ausdrücklich von zwei Zollstätten redet und beide Orte nacheinander als solche in der Fahrbahn aufzählt. Ihr gegenüber tritt die schon erwähnte Aktaufzeichnung über die Rechte der P a s s a u e r Kirche im Dreigrafschaftsgebiet, die Herzog Heinrich II. von Baiern feststellen ließ (985—991) an Glaubwürdigkeit zurück, wenn sie in einem Beisatze Mautern und Ebersburg gleichsetzt. Der erste Eintrag im ältesten Traditionsbuch von Passau aus der Mitte des elften Jahrhunderts ist z w a r im W e s e n echt (S. 283), doch ist die vorliegende Gestalt des Aktes erst später entstanden, da es von der abgehaltenen Versammlung heißt, sie hätte zur Zeit und in G e g e n w a r t des Bischofs Pilgrim stattgefunden 1 ). Das unmittelbar nachfolgende, von a n d e r e r Hand verfertigte Stück 2 ), das die zwei ersten Synoden desselben Oberhirten behandelt, sagt, die zweite von ihnen hätte in der Agapituskirche zu Mautern getagt 3 ). Da findet sich also der ursprüngliche Ortsname ohne Beigabe des angeblich zweiten. Der genannte Heilige weist auf das dort ehedem begüterte Kloster Kremsmünster (S. 298 f.), das den Eber im Klosterwappen führt, so daß der erste Schreiber wohl hiedurch veranlaßt wurde, die von den Ebersbergern erbaute Ybbsburg mit Mautern zu verwechseln. Das ist ein Anzeichen, daß schon damals der Name Ebersburg im Verschwinden w a r ; er haftete ursprünglich, wie auch der Beisatz des ersten Schreibers erkennen läßt, bestimmt nicht an Mautern, *) tempore pontificatus et presentía Piligrimmi episcopi Muotarum, que Eparespurch nominatur. Pass. Trad. S. 79 f. 2 ) I. Zibermayr, Das älteste Traditionsbuch des Hochstiftes Passau, Instituts 26 (1905) S. 383 f. 3

Mitt. des

) secundo autem in basílica s. Agapiti martiris Mutarun. Pass. Trad. S. 81. 21

322

III. D i e K a r o l i n g i s c h e Ostmark und ihre „Drei G r a f s c h a f t e n " .

da der Kopist selbst den letzten Ortsnamen zuerst nennt. So steht denn auch die F o r m seiner Angabe im Einklänge mit der in der Raffelstettener Zollordnung gebrachten Reihenfolge der Mautstellen. Es w ä r e nur noch die Grenze zwischen dem Lorcher und Mauterner Sprengel zu ziehen: hierüber lassen uns leider die Quellen im Stiche; nach der späteren Geschichte zu urteilen, dürfte die Scheidelinie der Ybbsfluß oder die Erlaf gewesen sein; der nachmalige Dekanat Lorch geht in seinen Wurzeln auf die Karolinger zurück, ja reicht noch in die Römerzeit hinauf, da er in seinem Wesen nichts anderes ist als das frühere Stadtgebiet von Lauriacum. Die Ostgrenze der dritten Grafschaft w a r die Trennungslinie zwischen dem baierischen Grenzabschnitte und der O s t m a r k : die Große Tulln. Die Südgrenzen aller drei Grafschaften sind schon in dem ausgedrückt, daß diese der verbliebene Rest von UferNoricum sind, seitdem es nach dem Abzüge der Römer verkürzt w a r : die Quellen der T r a u n (Dachstein), Ybbs, Erlaf (Oetscher) und Traisen weisen ihren Verlauf. Die Beständigkeit gilt im W e s e n auch für die e t w a s nach Westen geschobene Ostgrenze und die Nordgrenze (Donau), w o seither nur ein schmaler Streifen von Neuland hinzukam. Am meisten w u r d e die W e s t g r e n z e verändert, da hier der Salzburggau und das spätere Innviertel wegfielen und der Hausruck den Abschluß bildete. Die Angaben der Urkunden über die Ausdehnung der Grafschaft Aribos, nach denen nicht nur der Traungau, sondern auch das norische Unterland zu ihr gehörte, entsprechen somit ganz und gar den Bestimmungen der Zollordnung; aus dieser ersehen wir zudem noch, daß der gesamte Grenzbezirk Aribos in d r e i Grafschaften zerfiel, die den drei Kirchensprengeln der Pilgrim-Synoden entsprechen. Sie gehörten zwar staatsrechtlich zu Baiern, waren aber in der Verwaltung mit der Ostmark verbunden, da der baierische Markgraf dem Präfekten von Karantanien und Pannonien unterstellt w a r . Im Volksmunde hieß dieses Gebiet das der „Drei Grafschaften", womit schon deren Zusammengehörigkeit angedeutet wird. In ihnen siedelten Baiern und Slaven 1 ), die in der Zollbehandlung die gleichen Vorrechte genossen. In Ufer-Noricum hat sich bis zum Ende der karolingischen Zeit in der Grundlage die römische Einteilung erhalten; nur die civitas J

) Bawari

v e r o vel S c i a v i istius patrie. Mon. Germ., Capit. 2. S. 251.

8. Das Dreigrafschaftsgebiet in der Raffelstettener Zollordnung.

323

Juvavensium ist entfallen und ist nicht mehr mit dem Dreigrafschaftsgebiet verbunden. Es nimmt daher nicht wunder, wenn die römische Ausdrucksweise nach dem Amtssitze, die sich gegenüber angewendet wird. Solche Benennungen sind uns schon für Lurn, Steinamanger, Tulln und Moosburg begegnet; es ist das die alte römische Ausdrucksweise nach dem Amtssitze, die sich gegenüber der neuen nach dem Gau oder nach dem Namen des Grafen noch immer erhalten hat. So tritt auch L o r c h schon im Leben Ruperts als civitas hervor (S. 141 f.) und eine um 900 entstandene Aktaufzeichnung des Passauer Traditionsbuches gibt ihm die gleiche Eigenschaft 1 ). Die civitas Lavoriacensis ist daher nichts anderes als entweder der Vorort Lorch oder aber auch der dazugehörige Bezirk (pagus Lauriacensis). In gleicher Weise erscheint auch Mautern als civitas (899)2). Es sind dies die beiden Orte, in denen Bischof Pilgrim Synoden über die Zehentrechte seiner Kirche im Lande zwischen der Enns und dem Wiener Walde abhielt. Da damals derselbe Oberhirt die gleichen Kirchensteuern aus dem Traungau in einer dritten Versammlung zu Mistelbach feststellen ließ, so ist das naheliegende Wels als Vorort der Grafschaft ob der Enns zu halten. So lebten in Ufer-Noricum die römischen Stadtbezirke und baierischen Gaue in den karolingischen Grafschaften fort. Lorch, die einstige Hauptstadt von Ufer-Noricum und des Stammesherzogtums Baiern, war jetzt Vorort des Dreigrafschaftsgebietes geworden; es war nur mehr ein matter Schein der ehemaligen Herrlichkeit. Der Abstieg war eine Folge des Unterganges dieser Stadt durch die Awaren und der Wahl Regensburgs zum Sitze der Herzoge. Diese Tat Theodos führte letzten Endes zur Absplitterung des von ihm aufgegebenen Landes, das jetzt trotz seiner Zugehörigkeit zu Baiern der Markgraf der Ostmark verwaltete; aus ihm erwuchs später das ebenfalls aus drei Teilen bestehende Herzogtum Österreich. Die Keimzelle für seine Verselbständigung war die Preisgabe der Hauptstadt Lorch, die in der Folge für Baiern die Einbuße seines Ostlandes beförderte, da für die großen Aufgaben im Osten, wohin der Lauf der Donau den Weg wies, die neue Hauptstadt Regensburg zu weit im Westen gelegen w a r ! *) civitas Lahoria. Pass. Trad. S. 76. 2 ) civitas Mutarensis. Annal. Fuld. S. 133. 21*

I I I . Die K a r o l i n g i s c h e O s t m a r k und ihre „ D r e i

3 2 4

Grafschaften".

9. Die drei Pilgrim-Synoden. Als nach den Siegen Karls des Großen über die Awaren Salzburg ganz Pannonien erhielt, bekam Passau das Dreigrafschaftsgebiet und rückte so bis an den Wiener Wald vor; da erst trat es das Erbe des untergegangenen Bischofssitzes Lorch an. Der Grundstock der Passauer Kirche lag im ehemaligen Rätien und enthielt im Wesen die Gegend zwischen dem Inn und der Isar. Ihr ursprünglicher Umfang ist nirgends verzeichnet; die durch das Vordringen Karls des Großen veränderten Grenzen überliefert das Nibelungenlied. Bischof Pilgrim begleitet seine Nichte Kriemhilde durch sein ganzes Gebiet; er empfängt sie an der Westgrenze seines Sprengeis zu Pledelingen an der Isar, führt sie durch Passau, Eferding, geht mit ihr über die Enns, ist noch in Pöchlarn und Melk zugegen und verabschiedet sich von ihr erst vor der Grenze des Osterlandes, wo das heidnische Reich Etzels beginnt 1 ). P i l g r i m hat nach der Überlieferung seiner Kirche im Jahre 971 den Passauer Stuhl bestiegen. Diese Angabe wird zutreffend sein, da er ein Jahr später bei der Wahl Wolfgangs zum Bischof von Regensburg bereits mitwirkte. Ihm fiel die hehre Aufgabe zu, nach dem herrlichen Siege Ottos des Großen über die Ungarn auf dem Lechfelde (955) das zurückgewonnene Dreigrafschaftsgebiet wieder fest mit seinem Sprengel zu verbinden. Das veranlaßte ihn, dort die Zehentrechte seiner Kirche v o r, dem Ungarneinfall zu erheben, um sie auf der a l t e n Grundlage wieder zu erneuern 2 ). E s geschah das in den drei, im vorigen Abschnitt angeführten S y n oden zu Lorch, ' Mautern und Mistelbach bei Wels. Wie in der Raffelstettener Zollordnung die Zeugen des Landes zwischen der Enns und dem Wiener Walde verbunden und denen des Traungaues vorangestellt sind, so sind die beiden Synoden Pilgrims zu Lorch und Mautern in einem Aktenstücke behandelt; der Traungau folgt in einer eigenen Aufzeichnung unmittelbar nach. Beide Berichte sind im ältesten Traditionsbuch des Hochstiftes Passau überliefert und finden sich dort anschließend an den schon erwähnten Akt über die Versammlung des Baiernherzogs Heinrich II. in der Ostmark. x

) Zarnke,

2

) decimationem

montis

ante

potestate

Nibelungenlied infra

proximam

predicts

et fuisse et a d h u c

S. 172.

prescriptos

barbaricam

sánete

limites sue

Patauiensis

iure e s s e d e b e r e .

Anesi

desolationis

aecclesie Pass. Trad.

scilicet

fluminis

devastationem

sibique S . 81.

presidentium

et in

Comageni dicione

et

episcoporum

P. Die drei Pilgrim-Synoden,

325

Alle drei Stücke sind von verschiedenen Händen eingetragen und tragen die Schriftzüge aus der Zeit des Bischofs Berengar (1013 bis 1045) 1 ); auch die Lonsdorfer Handschrift enthält sie, in der jedoch die vom Herzoge Heinrich einberufene Tagung den Kirchensynoden nachfolgt; die letzteren überliefert überdies eine Göttweiger 2 ) und Kölner Handschrift 3 ). Aus dem folgt schon, daß alle drei Stücke keine zusammengehörige Einheit bilden; es ist deshalb nicht angängig, die drei Kirchensynoden zeitlich nach der Versammlung des Herzogs Heinrich anzusetzen, weil sie im ältesten Traditionsbuche ihr nachfolgen. Der Grund, daß sie ein Schreiber des Bischofs Berengar nachtrug, wird bloß darin zu suchen sein, daß sein Oberhirt am 4. Dezember 1025 vom Könige Konrad II. die Zehente in der Ostmark im Norden der Donau erhielt 4 ). Das wird den Anlaß gegeben haben, der ähnlichen Tätigkeit Pilgrims im Süden des genannten Stromes sich zu erinnern. Die Versammlung des Herzogs Heinrich II. wird nach 985 eingereiht, weil ihn in diesem Jahre König Otto III. wieder mit Baiern belehnte. Doch haben die Synoden des kaisertreuen Pilgrim früher stattgefunden und gehören gleich in die Anfangsjahre seiner Wirksamkeit. Den ersten Pfarrtag ließ der genannte Bischof in L o r c h in der Laurentiuskirche abhalten. Diese wird hier noch mit ihrem einfachen Namen bezeichnet, während eine von Pilgrim erwirkte Urkunde Ottos II. vom Jahre 977 sie schon nach Stephan und Laurenz benennt (S. 356); es dürfte daher die Synode noch vorher stattgefunden haben, da der erwähnte Oberhirt selbst es war, der dort den Schutzheiligen seiner Hauptkirche einführte. Doch ist der im Traditionsbuch eingetragene Akt nicht in der ursprünglichen Form überliefert, da er ausdrücklich angibt, die Versammlung hätte zur Zeit des Bischofs Pilgrim stattgefunden 5 ). Die zweite Synode tagte in der Agapituskirche zu M a u t e r n, die also, da über beide Zusammenkünfte bloß ein Aktenstück vorliegt, dem Gotteshause zu Lorch als dem erstgenannten irgendwie angegliedert war. Beide Versammlungen setzten die Zehente zwischen deT *) Zibermayr, Passauer Traditionsbuch S. 384. 2 ) A. Fuchs, Die Traditionsbücher des Benediktinerstiftes Göttweig, rer. Austriac., 2. Abt. 69 (1931) S. 557 f. 3 ) Neues Archiv 48 (1930) S. 62 f. 4 ) Mon. Germ., Dipl. 4 (1909) S. 54. 5 ) tempore Piligrimi episcopi synodo aggregata. Pass. Trad. S. 81.

Fontes

326

III. Die Karolingische Ostmark und ihre „Drei Grafschaften".

Enns und dem Wiener Walde fest. Die Grenze zwischen den beiden Sprengein erfahren wir wieder nicht; später war sie die Ybbs. Als Mutterpfarre für Mautern wird Lorch zu gelten haben; andere Orte werden nicht genannt. Wichtig ist, daß von Zehenten westw ä r t s der Enns keine Rede ist; dort war eben das Pfarrgebiet von St. Laurenz so klein, daß die Erträgnisse gar nicht berücksichtigt werden. Es ist noch immer das gleiche Bild, welches das römische Stadtgebiet von Lauriacum gewährt, das sich ebenfalls in seinem Wesen ostwärts des angegebenen Flusses ausdehnte; daher gehörte die junge Ennsburg (977) trotz ihrer Lage im Traungau zum Amtsbereich des babenbergischen Markgrafen Leopold I. (S. 386 f.). Der Traungau war damals mit dem Lande unter der Enns nicht mehr verbunden. Über die M i s t e l b a c h e r S y n o d e liegt ein eigener Bericht vor. Der Treffpunkt der Tagung ist heute eine unscheinbare Ortschaft, die nicht einmal ein eigenes Gotteshaus aufweist; sie gehört zur Gemeinde Buchkirchen bei Wels. Es sind deshalb öfter Zweifel geäußert worden, ob dort wirklich die Synode stattfand. Das Urbar von Kremsmünster (um 1300) bringt jedes Bedenken zum Schweigen: es führt in Mistelbach eine Kirche zu Ehren Johannes des Täufers an, die zwar schon verfallen war, aber im Volksglauben noch als die Mutterkirche galt 1 ); sie war die Urpfarre des Traungaues und als solche der kirchliche Mittelpunkt nicht nur des Ufgaues, sondern später auch des neu besiedelten Gebietes zwischen Traun und Enns; ihr Wirkungskreis reichte demnach fast bis an die Tore von Lorch, zu dessen Pfarre bloß St. Florian, Raffelstetten und Kronstorf gehörten. Mistelbach war daher der Ausgangspunkt der Bekehrung des oberen und unteren Traungaues, Lorch hingegen hatte sein Arbeitsfeld ostwärts der Enns und begann erst seine volle Wirksamkeit, als Karl der Große die Awaren niedergeworfen hatte. Die im Traungau abgehaltene Synode rechnete zum Vorort Mistelbach die Pfarren Sierning, Naarn, Schönering, Linz mit den Zehenten von Katzbach und Puchenau sowie Krenglbach. Die letz') Item Mistelbach c o n s t r u c t a . . . et consecrata in honore s. Johannis Bapt Hec dicitur olim mater ecclesia extitisse, sed destructa penitus e x t i t i t . . . K. Schiffmann, Die mittelalterlichen Stiftsurbare des Erzh. Österreich ob der Enns 2 (1913) S . 223. Ihre Nachfolgerin dürfte die ebenfalls Johannes dem Täufer g e w e i h t e und ehedem dem Kloster Kremsmünster gehörige Stadtpfarrkirche von W e l s sein. Ebendort S. 212.

9. Die drei

Pilgrim-Synoden.

327

teren Orte kommen als w e s t w ä r t s der Traun gelegen hier weniger in F r a g e ; sie gehörten ja zum stets bewohnt gebliebenen Ufgau. Doch zeigt die Zugehörigkeit der wenigen Orte n o r d w ä r t s der Donau zur Johanneskirche in Mistelbach, daß die Altpfarre des Traungaues gleich dem weltlichen Sprengel von Wels über den Strom hinüber ging und sich dort auf das neu gewonnene Land erstreckte. Noch wichtiger sind die P f a r r e n Sierning und Naarn: erstere liegt ähnlich wie das benachbarte Kremsmünster inmitten der Traun-Ennsplatte und umfaßte das Zwischenland der beiden Flüsse; letztere versah das früh besiedelte Lößgebiet n o r d w ä r t s der Donau und befindet sich gar östlich von L o r c h ! Die Namen der zu Sierning zehentpflichtigen Örtlichkeiten (Garsten, Sarning, Burg Steyr, Reith bei Christkindl, Wolfschwenger bei Aschach, Schwamming, Tinsting) weisen sämtlich auf die Gegend zwischen der Steyr und Enns, w ä h r e n d Sierning selbst westlich davon gelegen ist. Wir sehen sonach, daß nicht nur bei der Lorcher, sondern auch bei der Mistelbacher Synode die Enns die Grenze der beiden Kirchensprengel bildet 1 ). Dem Traungauer Kirchentag w a r es besonders darum zu tun, die Zehente der Altpfarre Sierning festzustellen 2 ); er hebt sie an erster Stelle hervor und gibt dazu alle abhängigen Örtlichkeiten an. Das wird so zu verstehen sein, daß kurz vorher die Gegend o s t w ä r t s der Traun, gleich dem norischen Unterland, zeitweilig aufgegeben w a r und jetzt w i e d e r belegt wurde. Da hat also, als Herzog Tassilo das Traun-Ennsgebiet wieder besetzte, Mistelbach in Sierning eine P f a r r e geschaffen, um das neugewonnene Gebiet kirchlich einzurichten; ihre schon hervorgehobene Lage in der Mitte der Gegend und ihr mächtiger Umfang sprechen ebenso wie bei Kremsmünster für ein neues W e r k im großen; daß neben dem slavischen Zustrom die frisch gepflanzten Triebe immer mehr germanischen (baierischen) Einschlag erhielten, verkünden die Namen der zehentpflichtigen Ortschaften. Lehrreich ist die Zugehörigkeit von N a a r n z u r J o h a n n e s k i r c h e i n M i s t e l b a c h . Das besagt, daß diese die Seelsorgestelle im Nordufer der fernen Donauebene noch zu einer früheren Zeit errichtete, bevor das viel näher gelegene Lorch als kirchlicher ') D a s „Wolfesvuanch" der Mistelbacher S y n o d e ist daher nicht jenes der Urkunden der Jahre 823 und 903 (Urkb. d. L. ob d. Enns 2, S. 10, 50), da letzteres ausdrücklich als an der Url gelegen bezeichnet wird. 2 ) inprimis ad Sirnihca. Pass. Trad. S. 82.

328

III. Die Karolingische O s t m a r k und ihre „Drei G r a f s c h a f t e n " .

Mittelpunkt in Wirksamkeit trat. Der Grund hiefür w a r wohl wieder kein anderer, als die Zerstörung dieser Stadt durch die Awaren und die anschließende Preisgabe des Gebietes o s t w ä r t s der Traun. Und damit kommen wir wieder zu unserem Ausgangspunkte zur ü c k : der Untergang von Lorch hat auch auf den Gang der Missionsarbeit seinen Schatten geworfen. Die Wiedereinführung der christlichen Lehre folgte deutlich von W e s t nach Ost. Das hinter der befestigten Traunlinie gelegene Mistelbach w a r die geschützte Altpfarre, von der aus Salzburg, als Tassilo über den genannten Fluß vorstieß und Kremsmünster gründete, die verlorenen Keime des Christentums bis an die Enns, ja im Norden der Donau noch d a r ü b e r hinaus vortrug und zum Aufblühen brachte. Die wenigen P f a r r n a m e n , welche die Pilgrim-Synoden überliefern, sind der W e g w e i s e r der kirchlichen Missionsarbeit. Das dürftige Kartenbild, das aus ihnen entsteht, färbt gleichwohl den Untergang der ersten Hauptstadt noch deutlich ab und läßt seine schweren Folgen im Spiegelbilde schauen. Die Pilgrim-Synoden haben die gleiche Zeit im Auge wie die Eaffelstettener Zollordnung: die letzten Jahre der Herrschaft der Karolinger knapp vor dem Zusammenbruch durch die Ungarneinfälle; sie ergänzen sich in ihren Angaben gegenseitig und zeigen, daß die weltliche und kirchliche Verwaltung dieselbe Einteilung und die gleichen Grenzen hatte: den drei Grafschaften und den drei Zollbezirken entsprachen drei Altpfarren. Ihre Wurzeln liegen — und das ist nicht minder bedeutsam — noch in der Römerzeit und sind die drei civitates Ovilava (Wels), Lauriacum (Lorch) und F a v i a n a e (Mautern). So hat sich denn im ehemaligen Ufer-Noricum die römische Grundlage der Verwaltung über die Zeit der Landnahme der Baiern erhalten; sie ist noch unter den Karolingern im W e s e n unerschüttert; dafür zeugen die Raffelstettener Zollordnung mit ihren drei Grafschaften und die drei Pilgrim-Synoden. Unsere Vorfahren haben den Staatsaufbau der Römer ebenso übernommen, wie sie die von ihnen errichteten Straßen und Häuser und die bestellten Felder benützten. Ja, auch das Christentum lebte fort, obwohl sie Heiden waren, da es bei den unterworfenen Romanen Zuflucht fand. W ä h r e n d jedoch später der ständig beim Stammlande verbliebene Salzburggau ein eigenes Bistum erhielt, bekam das zeitweilig verloren gegangene und nachher der Ostmark zugewiesene Dreigrafschaftsgebiet ebenso wie Karantanien bloß drei Haupt-

10. Florian als Schulzheiliger der Ennsgrenze und sein Stift.

329

p f a r r e n ; das drückt schon aus, daß das eine wie das andere nur als Kolonial(Missions-)land galt. IG. Florian als Schutzheiliger der Ennsgrenze und sein Stiit. Nach der Notitia dignitatum w a r die Enns eine Trennungslinie der Befehlsgewalt (S. 7 f.); der römische Grenzschutz folgte indes dem Laufe der Donau. Seit der Landnahme der Baiern in UferNoricum drohte jedoch die Hauptgefahr ständig vom Osten her; bereits seit Anbeginn hatten sie in der Geschichte jenen hehren Beruf zu erfüllen, der nachmals in der Ostmark feste Gestalt und bleibenden Namen gefunden hat. Ihr mit wechselndem Erfolg geführter Kampf gegen die A w a r e n brachte sie in den Verlust ihrer ersten Hauptstadt Lorch und damit des norischen Unterlandes sowie des unteren Traungaues, bis endlich Herzog Tassilo den Grenzschutz bis an die Enns vortragen konnte; vorher hatte fast sieben Jahrzehnte die Traun als befestigte Schutzwehr Baierns zu dienen. Die Gegend östlich von ihr verödete und w a r ohne jede Abwehr den Feinden preisgegeben. In der Zeit solcher Not sah der zurückgebliebene Rest der Romanen seinen Retter in dem L o r c h e r B l u t z e u g e n Florian. Dessen Legende verklärt dichterisch diesen Schicksalswandel. In ihrer ursprünglichen F o r m weiß sie nur vom Todessturze des Heiligen von der Ennsbrücke zu erzählen, ohne von der Bergung seines Leichnams e t w a s zu berichten. Jetzt nun verleiht ihr die Enns als Grenzfluß eine auf diese Aufgabe weisende Fortbildung: der Fluß erzittert voll Schrecken bei Aufnahme der Leiche und die Wogen spülen sie an das U f e r ; dort ruht nun der entseelte Körper auf einem Felsen, wo ihn ein Adler mit ausgebreiteten Flügeln in F o r m des Kreuzes beschützt 1 ). Der Adler w a r in heidnischer Zeit das Hauptfeldzeichen der römischen Legionen; daneben w a r er auch Floheitszeichen der Kaiser und w u r d e auf Münzen geprägt. Konstantin der Große ersetzte ihn durch das christliche Kreuz (Labarum), drang aber damit nicht voll durch. Beide Sinnbilder bedeuten in ihrem Wesen dasselbe: Sieg und Rettung. In diesem Sinne kennen bereits die Tunc fluvius suscipiens martyrem Christi expavit, et elevatis undis suis, in quodam locum aeminentiori in saxo corpus eius exposuit. Tunc, annuente favore divino, advenicns aquila, expansis alis suis in modum crucis, cum protegebat. Neues Archiv 28, S. 391.

330

III. Die Karolingische Ostmark und ihre „Drei Grafschaften".

Babylonier brauchen

den Adler als Wappenbild, ja als Doppeladler schon die Hettiter 1 ).

ge-

In der Denkweise des schwer bedrängten Volkes heiligt und schirmt mithin Florian als erster christlicher Blutzeuge von Lorch unter dem Feldzeichen des Adlers und Kreuzes die gefährdete Ennsgrenze und verteidigt sie und damit die Bekenner seines Glaubens mit himmlischer Kraft vor dem Anstürme der heidnischen A w a r e n ! Seine Rolle gleicht jener des ihm gleichzeitigen Demetrius, des Stadtheiligen von Sirmium-Tessalonich, den, ähnlich den Göttern Homers, die spätere Legende in Engelsgestalt gegen die vordringenden A w a r e n (Slaven) mitkämpfen, die Bürger anfeuern und zum Siege führen läßt 2 ). Daß dem wirklich so ist, zeigt die christliche Kunst: aus dem Kanzleivorsteher des Statthalters (princeps officii praesidis) wird ein Soldat, dem sie die Abzeichen des mittelalterlichen Rittertums verleiht. Lanze (Fahne) und Schild w e r d e n für beide in die Rüstung gesteckten Heiligen ihre Kennzeichen, ja Florian erscheint manchmal auch mit dem Herzoghut als Landesfürst und wird so als Hort des christlichen Abendlandes das v e r k ö r p e r t e Sinnbild des künftigen Österreichs und dessen Schutzheiliger; als solcher führt er auf seinem Schilde das Fünfadlerwappen 3 ) ; er setzt so gewissermaßen die Rolle des Genius Noricorum 4 ), des heidnischen Landespatrones, fort. Fürbitter bei Feuersgefahr wird er erst mit dem Ende des Mittelalters 5 ), doch ') Reallexikon für Vorgeschichte 1 (1924) S. 22. 2

) Acta Sanctorum, Octobr. tom. 4 (1780) S. 143—189. D a s gleiche Bild bringt die Jakoblegende, die ihren Heiligen in wundertätiger W e i s e in den Kampf gegen die Mauren in Spanien eingreifen läßt (Santiago de Compostela). Ebendort, Jul. tom. 6 (1729) S. 37—39. 3 ) Zibermayr, Landesarchiv Linz S. 43 und Tafel 7. 4 ) R. Egger, Ausgrabungen in Kärnten, Jahreshefte d. Österr. Archäolog. Institutes in W i e n 15 (1912), Beiblatt S. 26 f. Zibermayr, Wolfganglegende S. 58 f., b z w . 194 f. W i e w e n i g Florian in der eigenen Heimat anfangs als Feuerschiitzer bekannt war, zeigt Bernardus Noricus, wenn er folgende Begebenheit erzählt: um das Jahr 1200 hätte ein fremder Pilger das eben abgebrannte Ordenshaus in Kremsmünster besucht und den verängstigten Brüdern geraten, den „heiligen Bekenner" Florinus (war der Sohn eines Briten, der um das Jahr 900 im Vinschgau lebte) als Helfer bei Feuersgefahr zu verehren. S. Rettenpacher, Annales monasterii Cremifanensis (1677) S. 172; M. Pachmayr, Hist. chron. series abbatum et religiosorum monasterii Cremif. (1777) S. 100. Die neuen Ausgaben von J. Loserth, Die Geschichtsquellen von Kremsmünster im 13. u. 14. Jahrh. (1872) S. 108 Und in: Mon. Germ., Script. 25, S. 651 bringen, w i e ich mich aus der Handschrift des Bernardus (Cod. Cremif. der Stiftsbibl. 401,

10. Florian als Schutzheiliger der Ennsgrenze und sein Sfift.

331

behält er auch da noch die ritterliche Rüstung bei und ist als Schreinswächter neben St. Georg auf den gotischen Flügelaltären zu sehen, wie diesem im Osten an Stelle des Lorcher Blutzeugen Demetrius an die Stelle tritt 1 ); es kommt nur noch das brennende Haus hinzu, das seine Hand mit einem Wasserkübel begießt. Karl der Große hat als E r n e u e r e r der römischen Kaiserwürde den Adler wieder zu Ehren gebracht 2 ), so daß die Verbindung beider Sinnbilder, wie sie sich in der Legende vorfindet, nicht vor seiner Zeit anzusetzen ist. Das zeigt schon das auf eine e t w a s ältere Vorlage zurückgehende Marterbuch Notkers des Stammlers, das bloß den Adler, aber noch nicht das Kreuz kennt (S. 29). Wie im Glauben des Volkes der König der Vögel die unbestattete Leiche Florians beschützt, so schirmt dieser die gefährdete Ennsgrenze. Hier hatte sich, wie schon erwähnt, das Heer Karls des Großen in dreitägigem Fasten auf den Kriegszug des J a h r e s 791 vorbereitet: der siegreiche Adler w u r d e tief in das A w a r e n land vorgetragen. Damit hatte die W a c h t Florians am Ennsflusse ihren Zweck verloren; er offenbart sich nun nach der Legende einer frommen Frau (Valeria), weist sie auf die Fundstelle hin und gibt ihr den Ort an, w o er bestattet sein will. Das dankbare Volk bereitet hiemit seinem Schutzheiligen eine bleibende Ruhestätte, w o es ihn in seinen Anliegen aufsuchen kann. Das Stiftswappen von St. Florian, Adler und Kreuz, erinnert noch heute an die hehre Aufgabe des Lorcher Blutzeugen an der Ennsgrenze; es ist ein Sinnbild des Grenzschutzes gegen die Awaren und ein Hinweis auf den Ursprung der Wallfahrt. Neben dem Adler als W ä c h t e r ist es ein in den kirchlichen Sagen öfter vorkommender Zug, daß sie eine fromme Frau auserwählen, den entseelten Körper des Blutzeugen zu bestatten. So erscheint in der Sebastian- und Vituslegende der getötete Held fol. 60) selbst überzeugte, statt Florini confessoris irrig Floriani confessoris. Die Legende des Florinus in: Analecta Bollandiana 17 (1898) S. 199—204 gibt keinen Anhaltspunkt für die Eigenschaft ihres Glaubenshelden als Feuerpatron; vielleicht, daß er seine Gewalt über das Wasser zeigte, indem er nach ihr dieses in Wein verwandelte. Florians Namensähnlichkeit und dessen mit Wundern geschmückter Wassertod waren wohl die Ursache, daß letzterer ihn in seiner Eigenschaft als Fürbitter bei Feuersgefahr ablöste; ebenso verdrängte er den vorher gleichfalls hiefür verehrten Blutzeugen Laurentius, den Schutzherrn der Kirche von Lorch, der wohl w e g e n des erlittenen Feuertodes g e g e n Brände angerufen wurde. J 2

) K. Künstle, Ikonographie der Heiligen (1926) S. 179, 265. ) E. Gritzner, Symbole u. Wappen des alten Deutschen Reiches (1902) S. 15 f.

332

III. Die Karolingische Ostmark und ihre „Drei Grafschaften".

einer Frau, um ein Begräbnis zu erhalten 1 ). Wie im Leben Florians deutet auch hier das „Kundgeben" des Heiligen auf den Verlust der Leiche und damit auf eine spätere Zeit. Ihnen gegenüber weist die Legende des Anastasius, eines Bürgers von Aquileia, der in Salona, der Geburtsstadt des Kaisers Diokletian, auf dessen Befehl im Meere, mit einem Stein beschwert, ertränkt wurde, noch einen natürlichen Inhalt auf, wenn sie zu berichten "weiß, den toten Körper des Blutzeugen hätte eine reiche Frau, Asklepia, suchen und bestatten lassen 2 ). Lösen schon ihre Angaben über das Auffinden der Leiche mit dem Steine so manche Zweifel aus, die es sehr fraglich erscheinen lassen, ob der in die Tiefe des Meeres versenkte Heilige wirklich zum Vorschein kam, so ist in den anderen Fällen die Aussage der Legende schon an sich ein Beweis, daß der Körper des Getöteten verloren ging. Nach der Gründungssage von St. Florian soll ein Gespann von kleinen Zugtieren die Leiche des Lorcher Blutzeugen dorthin gebracht haben, wohin er selbst wollte. Die gleiche Art der Begräbnisfahrt findet sich im Leben des irischen Glaubenspredigers Gallus. Zwei ungezähmte Pferde führen den Toten an den von ihm selbst bestimmten Platz, wo sie stehen bleiben (St. Gallen) 3 ). In der Sebaldlegende bringen wilde Ochsen den verstorbenen Pilger nach dem von ihm gewünschten Ort (Nürnberg), wo sie nicht mehr fortzubringen sind 4 ). Die Quelle, die angeblich auf das Gebet der begleitenden Frau entspringt, um die dürstenden Zugtiere zu erquicken, fließt, sagt der Fortsetzer der Legende, als Zeugnis der Verdienste des Heiligen noch heute fort 5 ); er meint damit wohl keine andere, als das Wallfahrerbrünnlein am Fuße des Berges, über das sich seit mehr als achthundert Jahren das Johanneskirchlein erhebt. Das ist der erste Augenschein, auf den sich der Verfasser beruft. Als die Zugtiere ihren Durst gelöscht hatten, brachten sie Florian an den von ihm bestimmten Ort, wo sie nicht mehr weiter J. de Voragine, Legenda aurea, deutsch von R. Benz 1 (Jena 1925) S. 171, 527. 2 ) R. Egger in: Forschungen in Salona 3 (Wien 1939) S. 136, 141. 3 ) Mon. Germ., Script, rer. Merov. 4, S. 274 f. 4 ) Acta Sanctorum, August torn. 3 (1737) S. 765, 772. °) statimque in eodem loco fons adfluentissimus erupit, qui ad testimonium meritorum eius usque hodie perseverat. Neues Archiv 28, S. 392.

10. Florian als Schutzheiliger der Ennsgrenze und sein Stift.

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konnten. Die Begleiterin begrub nun da ihren Schatz heimlich u n t e r der Erde (S. 24); dort, so schließt die mittelalterliche Legende in herkömmlicher Form, geschehen Wunder und Heilungen. Das ist das zweite Zeugnis, auf das der Schreiber hinweist. Sein nicht nur durch die vorgegebenen Wunder, sondern auch in dem manchmal dichterischen Schwung verratenden Stil vom römischen Teil der Legende sich abhebender Bericht läßt erkennen, daß dessen Verfasser den Leib Florians nicht gesehen hat, da dieser nach seinen eigenen Worten in der Erde ruht; dessen Grabstelle zeigten nach ihm bloß wunderbare Gebetserhörungen an; hätte er ihn noch geschaut, so würde er nicht nur auf die noch sprudelnde Quelle, sondern auch auf den körperlichen Überrest seines Heiligen hingewiesen haben; es sind also auch nach ihm bloß Anzeichen vorhanden, die für das vermeintliche Floriangrab sprechen, aber nicht mehr das Gerippe des Lorcher Blutzeugen selbst, das nach wie vor verborgen bleibt. Die Legende sagt, Florian wollte an einem verborgenen Orte (secretiore loco) bestattet sein, wo ihn die fromme Frau eilig und heimlich begrub; sie begründet das mit der damals herrschenden Verfolgung (der Christen). Das gibt uns einen Fingerzeig, wie gerade die Gegend um St. Florian in der Sage auserkoren war, die Grabstelle des Lorcher Heiligen zu werden. Von der Stätte seines Todes aus gesehen, sind dort die ersten Bodenerhebungen, die das Lorcher Feld begrenzen; sie bilden zum Teil steile Hänge (Leiten), die von tiefen Gräben und Schluchten durchzogen sind; es ist ein Erdboden, auf dem der Laubwald (Buche) gerne gedeiht und Verstecke begünstigt; es war ein natürlicher Zufluchtsort von Lorch. Für den Bau des späteren Stiftes mußten buchstäblich Berge abgegraben und Abhänge untermauert werden, um die nötige Bodenfläche für das Gebäude zu gewinnen 1 ). Das war der verborgene Ort, den die Legende ihren Heiligen wünschen läßt. Im Stiftbrief von Kremsmünster, in dem Tassilo seiner Gründung das Land zwischen den Ipfbächen zuspricht, führt diese Gegend noch gemeinhin den Namen nach dem sie durchfließenden Gewässer 2 ); er mußte dorthin sogar fremde Siedler verpflanzen, um seine Gabe nutzbar zu machen. Noch vorher war das Kloster Mond*) A. Czerny, Kunst u. Kunstgewerbe im Stifte St. Florian (Linz S. 50, 145, 151. 2 ) in loco vero, quod vocatur Ipfa. Urkb. d. L, ob d. Enns 2, S. 3.

1886)

334

III. Die Karolingische Ostmark und ihre „Drei Grafschaften".

see im nächsten Umkreis von St. Florian begütert (S. 255). Die überwiesenen Bodenflächen w a r e n zum Großteil eben oder doch günstiger gelegen als die Örtlichkeit am vermeintlichen Grabe des Heiligen; dieses bestand noch kaum, sondern w a r eben erst im W e r d e n und ist wohl das Ergebnis der Volkssage. Die Angabe des Stiftbriefes von St. Florian, wonach Bewohner des Lorcher Gaues dort das Gotteshaus errichtet hätten (S. 315), entspricht den natürlichen Gegebenheiten und ist daher durchaus glaubwürdig. Die dürftigen Anfänge inmitten von Ländereien reicher Abteien zeigen schon an, daß hier nicht ein Unternehmen eines vermögenden Grundherrn, sondern das W e r k des armen Volkes vorliegt. Der v e r s t e c k t e Platz des aufkommenden Heiligtumes läßt vermuten, daß eher dessen Aufsuchen den Kirchenbau, als dieser die Wallfahrt veranlaßt hätte. Die Marterbücher gedenken Florians schon seit dem Hieronymianum; daneben hat sich in Baiern (Lorch) das Gedächtnis an ihn erhalten, wie der aus Gallien (Luxeuil) stammende Zusatz in der B e r n e r Handschrift dartut (S. 94). Eustasius und Genossen haben mit dem Überbringen der Nachricht vom Leidenstode Florians in ihr Hauskloster den Lorcher Blutzeugen so recht erst bekannt gemacht, da der von ihnen veranlaßte und v e r b e s s e r t e Eintrag das Vorbild für die nachfolgenden Marterbücher wurde. Neben Lorch hat sich auch in Salzburg, wohin nach dem Falle der ersten Hauptstadt sich Romanen flüchteten (S. 108), das Andenken an Florian erhalten: Alkuin besingt es in seinen Gedichten 1 ). Soviel die dürftigen Quellen erkennen lassen, ist das Gedächtnis an ihn in der Gegend seines Sterbens niemals erloschen; es hat auch den Untergang von Lorch überdauert. Da erhebt sich nun die Frage, ob nicht doch sein vermeintliches Grab an der Ipf der feste Halt w a r , an dem sein Andenken fortleben konnte. Es ist schon lange aufgefallen, daß das Leben Severins, der längere Zeit in Lauriacum den hart bedrängten Bewohnern Trost spendete, mit keiner Silbe seiner gedenkt. Aus der ersten Bekehrung Baierns sickert z w a r das von den Romanen festgehaltene Gedächtnis an ihn durch, doch kennt dieses noch kein Grab, sondern schließt, wie die älteren karolingischen Marterbücher erkennen lassen, mit dem Todessturze des Blutzeugen a b ; ') Mon. Germ., Poetae lat. 1, S. 339.

10. Florian a l s Schutzheiliger der E n n s g r e n z e und sein Stift.

335

erst Notker der Stammler weiß zu berichten, daß seine Leiche geborgen wurde, sagt aber noch nicht w o (S. 29). Die frühesten Nachrichten über eine G r a b s t e l l e F l o r i a n s an der Ipf bringt das älteste Traditionsbuch des Hochstiftes Passau. Eine Frau Liutswind und eine andere mit Namen Prunnihil schenken ihr ganzes oder teilweises Vermögen dem genannten Heiligen 1 ). Beide Stücke enthalten keine Jahresangaben, gehören aber, wie die Straftormel verrät, in die Zeit des Königtums Karls des Großen in Baiern (788—8Ü0); sie erscheinen in der Handschrift, wie man e r w a r t e n möchte, jedoch nicht in den Vergabungen des Traungaues, sondern befinden sich unter dem Mattiggau. Das w ä r e also St. Florian bei Uttendorf im Innkreise, das jedoch urkundlich viel zu spät auftritt 2 ), um für eine so frühe Zeit ernstlich in F r a g e zu kommen. St. Florian bei Schärding (Wihenflorian) ist ebenfalls nicht gemeint, da es im Rottachgau lag und nicht Eigentum des Bischofes von Passau, sondern des dortigen Domkapitels w a r . Das gesuchte Heiligtum kann somit nur St. Florian bei Linz sein, das nachweislich Eigenkirche des genannten Hochstiftes war, so daß ein Eintrag einer Schenkung an sie im dortigen Traditionsbuch gerechtfertigt erscheint. Der Schreiber des Mattiggaues entfaltete seine Tätigkeit erst um das Jahr 900, so daß sein Eintrag kein Beweis ist, daß St. Florian schon unter König Karl dem Großen zu P a s s a u gehört haben muß, sondern erst für seine Zeit. Gotteshäuser, die ihre selbständige Eigenschaft verloren und erst nachträglich bischöfliche Eigenkirchen wurden, haben ja gewöhnlich ihren Urkundenvorrat an ihre Oberherren ausliefern müssen. Die Schenkungen der beiden Frauen nennen kein Grab, sondern bringen nur den Namen des Heiligen; die erste Urkunde ruft in der Strafformel sinngemäß Florian, die zweite Stephan an, so daß in letzterem Falle der Name des Heiligen bei der Abschrift wohl verändert wurde. Eine aus Münchsmünster stammende Handschrift, die sich gegenwärtig in Brüssel befindet, führt gleichfalls Florian an. Den in ihr befindlichen Eintrag hat bereits Aventin mitgeteilt: der Schreiber v e r m e r k t e am Ende, sein W e r k hätte er in Hunnien während des Kriegszuges des Jahres 819 (gegen den Slavenfürsten Liudewit) begonnen, es aber apud s. Florianum beendet 3 ). Alle drei Anad s a n c t u m Floriani. Schiffmann, s

) Aventins

P a s s . Trad. S. 41 f.

Ortsnamen-Lexikon

W e r k e 2, S. 519.

2, S. 319.

336

III. Die Karolingische Ostmark und ihre „Drei Grafschaften".

gaben setzen bereits eine Kirche des Heiligen und ein geistliches Haus an ihr voraus. Den ersten sicheren Einblick g e w ä h r t eine Urkunde, die ebenfalls im ältesten Traditionsbuch des Hochstiftes P a s s a u eingetragen ist und dort richtig unter den Widmungen im Traungau aufscheint. Ein Priester Reginolf übergibt im Falle seines Ablebens den ihm gehörigen Besitz zu Ansfelden (Alpunesfeld in pago Trungouue) an die Stephanskirche in der Dreiflüssestadt in G e g e n w a r t des Landbischofs (vocatus episcopus) Erchanfrid und erneuert später seine Gabe gegen Lehen zu Oftering und Tegernbach vor dessen Nachfolger Otkar zu „B u c h, wo der kostbare Blutzeuge Florian leibhaftig bestattet ist" 1 ). Diese Doppelurkunde, die in die Jahre 815 bis 830 zu setzen ist, wird gerne als Beweis angeführt, daß dort der Heilige damals tatsächlich begraben w a r ; sie bringt jedoch nur den Glauben der Zeit zum Ausdruck, der da die Ruhestätte an den in der Legende vermerkten W u n d e r n zu erkennen vermeinte; wie ihr Verfasser die Gebeine des Heiligen nicht sah, so schaute sie noch weniger der Schreiber der Urkunde, zumal die beiden Bischöfe Erchanfrid und Otkar nicht mehr als Vorgänger Vivilos gelten können. Die Reginolfsurkunde diente früher irrig als Hauptzeugnis für die Fortdauer des Bistums Lauriacum und dessen Zusammenhang mit P a s s a u . Da sie erst in die karolingische Zeit gehört, so stellt sie keine Brücke zu dem untergegangenen Bistum Lorch h e r ; sie beansprucht jedoch in ihrer Aussage über das Floriangrab an der Ipf einen hohen W e r t ; nach ihr gehört es unzweideutig in den Traungau, in die Ortschaft Buch bei Ansfelden. Ihre Ortsangabe läßt erkennen, daß die vermeintliche Ruhestätte des Lorcher Blutzeugen an einer b a i e r i s c h e n Siedlung lag; w ä r e , wie die Hausgeschichte von St. Florian vorgibt, dort der Körper des Heiligen gleich nach seinem Todessturze in die Enns geborgen worden, so hätte die hiebei erwachsene Örtlichkeit ebenso wie die Stadt Lorch oder die Ipf ihren keltischen oder römischen Namen behalten müssen. Der baierische Siedlungsname Buch zeigt schon an, daß das mit ihm verbundene Grab Florians nicht in das Altertum zurück reicht, sondern jünger ist, als die an ihm gelegene O r t s c h a f t ; der Name des Heiligen hat hier wie öfter den *) ad Puoche. ubi preciosus martyr Florianus corpore requiescit. Pass. Trad. S. 60.

10. Florian als Schutzheiliger der Ennsgrenze und sein Stift.

337

der Siedlung verdrängt 1 ). Beide Bezeichnungen geben in der Art, wie sie zusammengefügt sind, dasselbe Bild, das die Marterbücher darbieten, die erst reichlich spät von der Bergung der Leiche Florians zu melden wissen. Da die Gegend beiderseits der Enns seit dem Untergange von Lorch verödet war, so hat, wie der Stiftbrief von Kremsmünster beweist, die Ipfgegend erst Tassilo wieder neu besiedelt (777); das besorgten dort, wie die Ortsnamen Buch und Rohrbach verraten, keine Slaven, sondern Baiern. Weder die Siedlung, noch das mit ihr verbundene Grab Florians reichen daher in die Zeit der ursprünglichen Landnahme, sondern erst in die letzten Herrscherjahre des genannten Herzogs, bzw. in die Zeit des Königtums Karls des Großen zurück. Das Aufkommen der bleibenden Ruhestätte des Lorcher Blutzeugen war daher eine unmittelbare Folge des Entstehens des karolingischen Abschlusses seiner Legende und der Anlaß ihrer Niederschrift; ein Zusammenhang mit dem römischen Altertum ist hiebei deshalb ausgeschlossen: nicht Romanen, aber auch nicht Slaven, sondern die inzwischen christlich gewordenen B a i e r n haben das Heiligtum F l o r i a n s an d e r Ipf e r s t b e g r ü n d e t . Nicht nur Bischof Oktar hat Schenkungen für das Passauer Hochstift zu Buch entgegengenommen, sondern vielleicht schon sein Vorgänger Erchanfrid, da das genannte Traditionsbuch die Gabe eines Priesters Sigirich in Hörsching und an der Traun anführt, die dieser am Grabe eines Heiligen überwies; den Ort der Handlung hat leider der Abschreiber ausgelassen, doch weist das von ihm angegebene ad sanctum entweder auf das neue Heiligtum an der Ipf oder nach Lorch (St. Laurenz) 2 ). Es ist naheliegend, daß der beginnende Zulauf der Gläubigen immer mehr Kräfte erforderte, so daß dort bald ein S t i f t für mehrere Priester erstand. Da dieses jedoch allmählich erwachsen sein wird, so läßt sich hiefür wieder kein bestimmtes J a h r anführen. Eine nicht mehr in der Urschrift vorliegende Urkunde Ludwigs des Frommen vom 28. Juni 823 will wissen, sein Vater Karl (der Große) hätte u. a. der Kirche von Passau die Zelle St. Florian mit Linz überwiesen 3 ); sie liegt doppelt ausgefertigt vor, wovon die kür*) Noch viel später findet sich der Ortsname Buch mit dem hl. Florian bunden.

ver-

J . Stülz, Gesch. des reg. Chorherrn-Stiftes St. Florian (1835) S. 8, 203.

2

) P a s s . T r a d . S. 57 f.

3

) cellulam s. Floriani c u m Linzea.

Urkb. d. L . ob d. Enns 2, S. 10.

22

338

III. Die Karolingische Ostmark und ihre „Drei Grafschaften".

zere, in der Lonsdorfer Handschrift überlieferte Fassung im Wesen echt sein dürfte, während die längere, die in zwei angeblichen Urstücken erhalten ist, nachweisbar ein im Auftrage des Bischofs Pilgrim tätiger Schreiber (S. 404 f.) auf Grund der ursprünglichen Vorlage herstellte 1 ). Da ist es nun auffällig, daß die beiden erst später zum Vorteile der Passauer Kirche entstandenen Machwerke weder von St. Florian, noch von Linz etwas erwähnen; das läßt schon ahnen, daß die in Frage kommende Stelle in der echten Urkunde Ludwigs nicht enthalten war und daher erst nach der Zeit des genannten Bischofs eingefügt wurde. Nach der schon angegebenen Urkunde vom 20. Juni 799 über die Martinskirche und Burg zu Linz waren beide königliches Eigentum. Karl der Große gab das Gotteshaus seinem Kaplan Rodland als Lehen (beneficium) und überließ es hernach dem Hochstifte Passau zum Nutzgenuß und zur Verwaltung 2 ), womit auch Einkünfte aus der anschließenden Burg verbunden w a r e n ; diese selbst jedoch blieb nach wie vor in der Hand des Königs; es kann daher keine Rede sein, daß sie etwa die Kirche von Passau besessen hätte 3 ). Das gleiche gilt für den unterhalb gelegenen Ort. Das bezeugt eine Urkunde, die zwischen die Jahre 840 und 860 gehört und dort ausgestellt ist 4 ). Die wichtige Rolle, die er, wie die Raffelstettener Zollordnung beweist, schon damals im Donauhandel spielte, spricht schon dafür, daß der König einen so einträglichen Handelsplatz (mercatus) nicht einem fremden Besitzer überließ; Linz ist daher während der ganzen Zeit der Karolinger als locus publicus zu betrachten. W i e hätte ein so bedeutender Zollort Zugehör des eben entstandenen Heiligtums an der Ipf sein sollen! J a , nicht nur dieses, sondern auch das Hochstift Passau scheidet als Inhaber aus: die Stephanskirche bekam damals weder Linz, noch die erst im Werden befindliche Zelle zu Buch. Die betreffende Stelle der Königsurkunde ist nur ein späterer Einschub und deshalb abzulehnen. Die Absicht des Fälschers 5 ) wird nicht schwer zu erraten sein: er schob bloß das hernach erworbene Eigentumsrecht seines Hochstiftes an St. Florian vor, um Mühlbacher, R e g . S. 308 Nr. 778. 2

) r e x ipsum pontificem

rebus

ipsius sub

regendum.

omni

(Waldrich) per suam clementiam

custodia

vigilanti

cura

et

pastorali

ipsam capellam gubernatione

P a s s . T r a d . S. 40.

3

) Strnadt, P a s s i o s. Floriani

4

) loco publico nominato Linza. P a s s . T r a d . S. 67.

S. 80;

Krusch, Der hl. Florian S. 600.

6

) Über die Zeit Strnadt, P a s s i o

Floriani S. 105 f. u. 9 (1900) S. 284.

vel

tradidit

339

10. Florian als Schutzheiliger der Ennsgrenze und sein Stift.

das begehrte von Linz zu erlangen; die Rechte seines Bischofs an der Martinskirche in Linz waren nicht ausreichend, um auf die Stadt Anspruch zu erheben; doch wußte auch er noch, daß seine Kirche das Heiligtum an der Ipf nicht etwa selbst errichtete, sondern erst später erhielt. Hätte wirklich Karl der Große die „Zelle" St. Florian an Passau übereignet, so würde das für den agilolfingischen Ursprung sprechen; da wäre Tassilo als ihr Gründer zu betrachten; er, der große Gönner der Klöster, hätte sie aber gewiß reichlicher ausgestattet. Die Unglaubwürdigkeit des Einschubes in der Königsurkunde läßt gleichfalls wieder die eben entstandene Floriankirche zu Buch als ein Volksheiligtum der nächsten Umgebung erscheinen, das als solches schon an seiner Armut kenntlich ist. Das erstemal wird St. Florian als Kloster in einer Urkunde des Königs Arnulf vom 1. April 888 erwähnt, wo er dort weilte und das Ordenshaus von Kremsmünster mit Gütern am Kremsbach bedachte 1 ). Derselbe Herrscher schenkte vier Jahre später (am 15. Feber 892) dem hl. Florian (ad s. Florianum) Liegenschaften im nahen Rohrbach 2 ). Damals wird sein Stift noch selbständig gewesen sein; ein Oberherr oder Fürbitter wird nicht erwähnt. Gleich nach dem Ableben Arnulfs, als ihm Ludwig das Kind folgte, beginnt eine leidvolle Geschichte. Die U n g a r n benützten diesen Anlaß und drangen unerwartet über die Enns vor (900); ein Teil ihres Heeres wurde bei Linz abgeschnitten und geschlagen (S. 305), doch vernichteten sie vorher, wie der Altacher Fortsetzer der Fyldaer Jahrbücher sagt, an einem Tage im Umkreis von zehn Meilen alles mit Feuer und S c h w e r t 3 ) ; sie waren damals noch Heiden und sahen es daher vor allem auf die Gotteshäuser und Klöster ab. So klagen die Bischöfe von Baiern in ihrem gleichzeitigen Schreiben an den Papst über die Bekehrung Mährens, in ganz Pannonien wäre, fast keine einzige Kirche mehr zu sehen 4 ). Das gilt auch für das damit verbundene Dreigrafschaftsgebiet. Actum ad monasterium s. Floriani. Mon. ) Ebendort S. 142 i. s ) Igitur ex inproviso cum manu valida et vium regnum Baiowaricum ostiliter invaserunt, longum et in transversum igne et gladio cuncta prostraverint. Annal. Fuld. S. 134. 4 ) in tota Pannonia . . tantum una non hemiae 1, S. 32.

Germ., Dipl. Karol. 3, S. 32.

2

maximo exercitu ultra Anesum fluita ut per quinquaginta miliaria in caedendo et devastando in una die appareat

ecclesia.

Cod.

dipl.

Bo22*

340

III. Die Karolingische Ostmark und ihre „Drei Grafschaften".

Eine unechte, wieder auf Pilgrims Anstiften zurückgehende Urkunde vom 19. Jänner 901, womit Ludwig das Kind dem Stifte St. Florian die Ennsburg vergabt haben soll, läßt den damaligen Bischof Richar klagen, die Heiden (pagani) hätten den Teil seines Bistums, wo St. Florian liege, verwüstet 1 ); an anderer Stelle erwähnt sie noch, es sei dort das Erdengrab des Lorcher Blutzeugen 2 ); als Empfänger tritt hier jedoch nicht nur das Stift, sondern auch der Bischof von Passau auf, dessen Nachfolger noch hieran teilhaben sollen 3 ). Diese Urkunde ist auf Grundlage einer echten Vorlage entstanden: die Tatsache, daß St. Florian knapp vorher verwüstet wurde, bestätigen mit anderen Worten die hier benützten Fuldaer Jahrbücher; dafür wird das Stift auch einen Ersatz aus des Königs Hand bekommen haben: es war jedoch — und das ist das Neue — jetzt nicht mehr selbständig. Daß damals schon die Kirche von Passau Rechte auf das Volksheiligtum an der Ipf beanspruchte, zeigt eine im Traditionsbuch überlieferte Aktaufzeichnung, womit ein Graf Gunter Gott und dem hl. Florian sowie dem dortigen Weltpriesterverbande 4 ) eine ihm als Lehensherrn gehörige Liegenschaft zwischen der Enns und dem Erlabache (Erilelaf) 5 ) in die Hände des Bischofs Richar mit dem Vorbehalte übergibt, daß sie nach seinem Tode an das genannte Stift zurückfallen sollte 6 ). Der Spender hat seine Gabe zu Passau übereignet und der Akt hierüber eröffnet im Traditionsbuch die Schenkungen im Traungau; das Stift zu Buch wird hier am frühesten als weltgeistliches bezeichnet; es war ein Verband von Chorherren, der wohl nach der Aachener Regel lebte, da nach einem Auftrage Ludwigs des Frommen Erzbischof Arn sie in seiner quedam pars d y o c e s i s sue, ubi s. Floriani martiris monasterium constructum esse cognoscitur, ex improuiso deuastata est. Urkb. d. L. ob d. Enns 2, S. 47; Mühlbacher, Reg. S. 800 Nr. 1994; dazu S. 814 Nr. 2044. 2 ) in quo eiusdem beatissimi martiris corpus uenerabiliter humatum est. 3 ) ut idem episcopus tarn de ciuitate, quamque e x ipso proprio suique successores libera perhenniter fruantur potestate. 4

) Deo et s. Floriano martyri Christo et congregationi clericorutn ibidem in loco die noctuque servientium. Pass. Trad. S. 76. 5 ) Das von Günter verliehene Lehengut kann sich nicht von der Enns bis zur fernen Erlaf erstreckt haben; schon Strnadt, Passio s. Floriani S. 70 hat in dem z w e i t e n Gewässernamen den Erlabach gesehen, der in der Gegend von Behamberg entspringt und bei Erlakloster in die Donau mündet. 6 ) in manum Rihharii humilis antjstitis manu potenti . . ea videlicet ratione, ut post obitum vite sue cum omni integritate ad s. Florianum domum redeat.

10. Florian als Schutzheiliger der Ennsgrenze und sein Stift.

341

Provinz einzuführen hatte 1 ). Die Schenkung ist nicht datiert, gehört jedoch in die Zeit des Bischofs Richar, der Ende 899 den Oberhirtenstuhl bestieg 2 ), aber schon nach drei Jahren starb 3 ); sie fällt daher kaum vor 900, wo die Ungarn über die Enns vorbrachen, um so mehr als hier zum erstenmal die Kirche von Passau als Oberherrin des Stiftes erscheint. Bei einem so eigenartigen Zusammentreffen drängt sich, nach den Schicksalen anderer Klöster zu schließen, der Gedanke auf, das hart mitgenommene Haus sei hiebei nicht bloß ein Opfer der Ungarn, sondern auch des Bischofs von Passau geworden. Von Richar erzählen die Jahrbücher von Fulda, daß er an der Seite des Markgrafen Liutpold an jener Schlacht im Norden der Donau teilnahm, bei der 1200 Magyaren ertranken 4 ); das war, so wissen wir jetzt, das Treffen von Linz. Vielleicht hat der junge König Ludwig ihm das verwüstete Stift St. Florian verliehen, um seine Verdienste zu belohnen und den Wiederaufbau zu fördern; der spätere Stiftbrief, der die Zerstörung von St. Florian in die Zeit Vivilos zu verlegen sucht, nennt denn auch richtig den Bischof Richar als den ersten Oberhirten von Passau, der sich des verfallenen Klosters „annahm" 5 ). Lehrreich ist der Hinweis auf ähnliche Vorgänge in dem benachbarten Ordenshause. Die Jahrbücher von Kremsmünster lassen den Niedergang ihres Klosters mit 900 beginnen und machen hiefür zunächst die Bischöfe von Passau und dann erst die Ungarn verantwortlich 6 ). Der Anfang des Abstieges war also auch hier der Überfall der Magyaren in dem genannten Jahre. Die nachfolgenden Beutezüge der Ungarn und der mit der unheilvollen Schlacht von Preßburg (907) verbundene Verlust von Pannonien lassen es als wahrscheinlich erscheinen, daß beide Klöster zeitweilig verlassen waren und ihre Gebäude auch dann noch verwüstet wurden. Es trat für lange ein unsicherer Zustand ein, der in manchem an die Folgen der damals schon zwei Jahrhunderte zurückliegenden Zerstörung von Lorch durch die Awaren erinnert. Die Bischöfe und *) Mühlbacher, Reg. S. 282 f. Nr. 678. ) Annal. Fuld. S. 133. 3 ) Am 12. August 903 wird bereits sein Nachfolger Burkhard als Bischof erwähnt. Urkb. d. L. ob d. Enns 2, S. 47 f. 4 ) Annal. Fuld. S. 135. 5 ) Urkb. d. L. ob d. Enns 2, S. 95 f. 6 ) 900. Abhinc videtur vacasse nostra abbacia, propter desidiam episcoporum Pataviensium, sive infestacionem Hunorum, qui et Ungari nuncupantur. Mon. Germ., Script. 9, S. 552. 2

342

III. Die Karolingische Ostmark und ihre „Drei Grafschaften".

weltlichen Herren suchten sich überdies für ihre Verluste an den Klöstern und deren Ländereien schadlos zu halten; das tat zudem noch im großen Herzog Arnulf von Baiern, der Sohn des Markgrafen Liutpold. Die ehemalige Reichsabtei Kremsmünster kam nunmehr ebenso in die Hände der Bischöfe von Passau wie das Florianhaus. Dasselbe Schicksal erlitt das Stift St. Pölten, das den Raubzügen der Ungarn noch mehr ausgesetzt war. Endlich setzte diesen die Schlacht am Lechfelde (955) ein dauerndes Ende. In einer Urkunde des Kaisers Otto II. vom 22. Juli 976 ließ sich Pilgrim von Passau die Freiheiten seiner Kirche und darunter deren Rechte an den drei genannten Klöstern bestätigen, wobei St. Florian zwar zuerst, jedoch im Unterschiede zu den beiden anderen bloß als Zelle (cella) erwähnt wird 1 ). Nach all dem läßt sich schließen, daß das Stift zu Buch ursprünglich selbständig w a r und e r s t n a c h 9 0 0 von der Kirche zu P a s s a u erworben wurde; da das nachweislich noch unter dem drei Jahre später bereits nicht mehr lebenden Bischof Richar der Fall war, so fällt der Verlust seiner Unabhängigkeit zwischen die Jahre 900 bis 903 und ist eine Folge des ersten Ungarneinfalles in den Traungau; das Hochstift Passau scheidet demnach als Gründer des Gotteshauses an der Ipf aus; die Angabe des unechten Stiftbriefes, die Florian geweihte Kirche hätten Bewohner des Lorcher Gaues errichtet, ist mithin vollauf glaubwürdig; sie war ihrem Ursprünge nach wirklich ein Volksheiligtum! Eine Folge des Verlustes der Freiheit war die Übergabe der Besitztitel an den neuen Klosterherrn; so kamen die ältesten Urkunden nach Passau und von nun an wurden Schenkungen an den hl. Florian im Traditionsbuch des Hochstiftes verzeichnet, bzw. frühere nachgetragen. Da ist es nun als Ereignis zu vermerken, daß die Urkunde, worin König Heinrich II. am 20. Juli 1002 den verarmten Brüdern (fratres) eine Hube an der Ipf schenkte, um ihrer Not einigermaßen abzuhelfen, im Stifte verbleiben konnte; dort befindet sie sich noch heute als älteste Originalurkunde von Oberösterreich 2 ). Der genannte Kaiser, der in der Schule des bekannten Regensburger Bischofs Wolfgang, eines Benediktiners, erzogen war, nahm sich der ausgesogenen Klöster an und suchte sie wieder selbständiger zu machen; darum preist ihn auch ein Mönch von Mon. Germ., Dipl. 2/1, S. 151. Für Kremsmünster noch die Urkunde Ottos II. v o m 21. Juni 975 auf S. 125; dazu Heuwieser, Geschichte d. Bistums Passau 1, S. 292. 2 ) Mon. Germ., Dipl. 3 (1903) S. 8.

10. Florian als Schutzheiliger der Ennsgrenze und sein Stift.

343

Mondsee, das schon König Ludwig der Deutsche dem Hochstift Regensburg übereignet haben soll, als Retter seines Ordenshauses 1 ). Doch war die Freiheit noch lange nicht errungen. Bischof A l t m a n n v o n P a s s a u (1065—1091) führte, wie bald nachher der Verfasser seines Lebens vermerkt 2 ), in St. Florian an Stelle der Weltpriester r e g u l i e r t e C h o r h e r r e n ein, die nach der Augustinerregel leben; der um mehr als ein Jahrhundert später verfertigte Stiftbrief gibt hiefür das Jahr 1071 an 3 ). Nach ihm hätte erst der genannte Bischof die von den Ungarn zerstörten Mauern der Stiftskirche wieder hergestellt, sie eingedeckt und hernach das Münster mit fünf Altären geweiht 4 ). Da wäre also das Heiligtum an der Ipf mit dem vermeintlichen Grabe Florians weit über ein Jahrhundert in Schutt und Asche gelegen. Ist eine solche Nachricht schon an sich nicht glaubwürdig, so wird das Bedenken noch verstärkt, als noch viel früher der Verfasser des Lebens des nachmals als selig verehrten Bischofs davon kein W o r t zu berichten weiß, ja den Wiederaufbau des von den Magyaren verwüsteten Stiftes noch reichlich spät dem Vorgänger Altmanns Engelbert (1045—1065) zuschreibt, der nach ihm dort Weltpriester einsetzte 5 ). E s ist indes weder die eine noch die andere Angabe richtig, da nach der von Pilgrim erwirkten Urkunde Ottos II. (976) und jener des Königs Heinrich II. (1002) das hart mitgenommene St. Florian als kleines und dürftiges Stift erhalten blieb. Als im Jahre 1291 die Stiftskirche in gotischem Stile vollendet wurde, entstand im Anschluß daran eine „Kirchweihchronik", der verschiedene Hände Ablaßbriefe und Weiheurkunden oder aus ihnen geschöpfte Nachrichten anfügten. Da findet sich die Angabe, daß an einem 25. Juni der Tempel des hl. Florian (templum s. Floriani) mit drei Altären zu Ehren Mariens, des Lorcher Blutzeugen Mon. bzw. 2

Germ.,

Dipl.

Karol.

1,

S.

246;

Zibermayr,

Wolfganglegende

S.

16,

152. ) et

religiosas

personas

ad

serviendum

ibi Deo

congregavit.

Mon.

Germ.,

Script. 12, S. 231. 3

) canonicos

regulares

Deo

ibi perpetuo

seruituros

instituentes.

Urkb.

d.

L.

o b d . E n n s 2, S. 96. Der Zweifel v o n Hauck, Kirchengesch. Deutschi. 4 (1913) S. 35S f., ob schon Altmann regulierte Chorherren einführte, ist nicht begründet. Brackmann, Kurie u. Salzb. Kirchenprov. S. 14 f. 4

) murosque

monasterii

quondam

a b Ungaris

ipsum monasterium cum quinqué altaribus 5

) (locus) ab Ungaris destructus;

ricis est mancipatus.

dirutos

cum

tecto

resarcientes,

consecrauimus.

denuo ab Egilberto episcopo reparatus,

Mon. Germ., Script. 12, S. 231.

cle-

344

III. Die Karolingische Ostmark und ihre „Drei Grafschaften".

und des Kreuzes geweiht wurde. Unmittelbar darauf berichtet der gleiche Schreiber, Bischof Altmann habe in den Jahren 1088 und 1090 zwei Altäre geweiht, wovon der eine (St. Peter) neben dem Chore, der andere (St. Stephan) in diesem selbst gelegen war 1 ). Das sind also die fünf Altäre, die nach dem unechten Stiftbrief der genannte Oberhirt schon im Jahre 1071 mit dem Münster konsekriert hat. Bei den Weihenachrichten fällt auf, daß zuerst ein Altar Mariens und dann erst der Florians genannt wird. Das läßt darauf schließen, daß die Stiftskirche jetzt zwei Patrone besitzt, indem dem früher immer allein genannten Lorcher Blutzeugen auf einmal die Mutter Christi vorangestellt ist. Daß sich das wirklich so verhält, zeigen einige Urkunden, die die Jahreszahlen 1111 und 1115 führen; sie benennen die Stiftskirche nach Maria und Florian 2 ). Der bisherige Schutzheilige muß sich mit der zweiten Stelle begnügen; .doch dringt dieses Beginnen nicht durch; in den späteren Urkunden erscheint wieder Florian allein. Als im Jahre 1235 das Gotteshaus abbrannte, erfolgte ein Neubau. Kaum w a r der Chor vollendet, stürzte dessen Gewölbe ein. Das auf die Neuheit des Stiles zurückgehende Unglück erklärt der Verfasser der Kirchweihchronik damit, daß es Gott mißfallen habe, das Werk des „seligen Bischofs" niedergerissen zu sehen 3 ). Nach all dem ist nicht zu zweifeln, daß Altmann den Chor errichtet hat. Da er an gleicher Stelle auch das reguläre Leben einführte, so liegt es nahe, beide Nachrichten zu verbinden. Nach den damaligen Vorschriften gehörte der Chor zur Klausur und durfte daher von weiblichen Personen nicht betreten werden. So war man genötigt, die Gotteshäuser der Klöster in zwei Teile zu zerlegen: der Chor blieb den Brüdern vorbehalten, das Langhaus diente den Laien; es entstanden so gewissermaßen zwei Kirchen, die ein Emporeaufbau (Lettner) trennte. Aus diesem Grunde sah sich Altmann veranlaßt, zur vorhandenen Floriankirche einen eigenen, für sich abgeschlossenen Chorraum hinzuzufügen. Der frühere Hauptaltar zu Ehren des Lorcher Blutzeugen behält seine frühere Eigenschaft für das ehemalige Gotteshaus, das jetzt Langschiff wird; der Chor bekommt einen eigenen Hauptaltar, der Maria Stülz, Gesch. v. St. Florian S. 253; Czerny, Kunst S. 23—25. ) monasterium b. Marie virginis et preciosi martyris Christi Floriani. Urkb. L. ob d. Enns 2, S. 139, 142, 149. 3 ) F. Kurz, Oesterreich unter den Königen Ottokar und Albrecht I. 2 (1816) S. 269. 2

d

10. Florian als Schutzheiliger der Ennsgrenze und sein Stift.

345

geweiht ist. Daraus folgt schon, daß der Platz des Florianaltars jetzt der Lettner wurde. Dorthin gehörte aber auch nach damaliger Gepflogenheit der Kreuzaltar. So liegen denn bloß über den Bau des Chores und des Lettners, aber nicht über das eigentliche Langhaus Weihenachrichten vor; das blieb also im Wesen unverändert. Daß dem wirklich so ist, zeigt die Kirchweihe des Jahres 1291, die, da der Chor schon früher vollendet war, sich nur mehr auf das Langschiff erstreckte. Ihr Chronist berichtet, daß der Altar, der in besonderem Florian als dem Schutzheiligen der Kirche geweiht war, auf dem Lettner (ambo) stand 1 ); auch da muß der Lorcher Blutzeuge den Platz, der ihm eigentlich allein gebührt hätte, mit anderen teilen. Der Kreuzaltar war nach demselben Berichterstatter in der Mitte der Kirche und unterhalb des Lettners; dort ruhten nach dem Volksglauben die nicht lange vorher aufgefundenen Gebeine der sagenhaften Valeria 2 ); sie lag also zu den Füßen des oberhalb auf dem Lettner befindlichen Florianaltars. Dieser war die Andachtstätte der Wallfahrer und befand sich ebenfalls in der Mitte des Gotteshauses 3 ). Die gleichen Verhältnisse treten in St. Wolfgang am Abersee noch deutlicher hervor. Als der Kardinallegat Nikolaus Cusanus im Jahre 1451 dem Kloster Mondsee erlaubte, Ordensbrüder in beliebiger Zahl bei der Wallfahrtskirche zu belassen, verlangte er von ihnen, auch da das reguläre Leben zu beobachten. Die Folge davon war, daß jetzt die eben im Bau befindliche Kirche zweigeteilt wurde. In gleich nachher angefügtem Chore schuf bald darauf Michael Pacher seinen weltberühmten Altar zu Ehren Mariens, während der frühere, Johannes dem Täufer geweihte Hauptaltar, den nach der Legende Bischof Wolfgang mit eigenen Händen errichtete, noch jetzt in der Mitte des Gotteshauses Chor und Langschiff trennt; auch er war die Andachtstätte der Wallfahrer 4 ). Der Verfasser der Kirchweihchronik meint, die Gebeine Florians wären im ersten Heiligtum an der Ipf vorhanden gewesen, seien aber von den Vorfordern wegen der Einbrüche der Heiden (Ungarn) irgendwo im Münster, am ehesten im Chor, verborgen worcum altari, quod est in ambone. D e o et b. eius genitrici et sanctis angelis et omnibus sanctis, specialiter patrone ecclesie, b. Floriano martyri. Kurz, Österreich unter Ottokar 2, S. 273. 2 ) Czerny, Kunst S. 45, 47; dazu S. 18. 3 ) ad altare in medio monasterii. P e z , Script. 1, S. 50. 4 ) Zibermayr, Wolfganglegende S. 49 f., b z w . 185 f. Die ursprüngliche Kirche am Abersee w a r daher Johannes und nicht, w i e ich dort annahm, Maria geweiht.

346

III. Die Karolingische Ostmark und ihre „Drei Grafschaften".

den 1 ); er hat sich das Fehlen des Leichnams schon nimmer erklären können und gelangt so zu diesem ganz unverbürgten Ausweg. Kaiser Maximilian wollte den Lorcher Blutzeugen und Schutzheiligen von Oberösterreich als Vorkämpfer gegen die vordringenden Türken benützen und ließ deshalb im Jahre 1514 nach den fehlenden Gebeinen graben 2 ). Es w a r vergebens, doch zeigt sein Vorgehen, wie damals noch der Glaube an Florian als Schutzwehr gegen die anstürmenden Heiden fortlebte. Ja noch viel später beim prächtigen Neubau des Stiftes nach den Türkenkriegen findet der siegreiche Kampf gegen den Osten in Bildwerken und Deckenmalereien einen ergreifenden Ausdruck: der herrliche Marmorsaal erscheint in seinem künstlerischen Kleide als ein Siegestempel nach glücklicher Abwehr der aufs neue drohenden Gefahr aus dem Osten. Das Heiligtum an der Ipf ist so früh entstanden, daß nicht anzunehmen ist, es sei seinem Ursprünge nach P f a r r k i r c h e gewesen; diese war, so läßt sich aus der Lage schließen, das nahe Lorch, zumal zu dessen Gau der junge Ort gehörte. Die Stiftskirche hat erst spät Pfarrechte erlangt; das zeigen die hierüber vorliegenden Urkunden, die alle gefälscht sind und deutlich das Bestreben zeigen, das einträgliche Begräbnisrecht und das Besetzungsrecht der Ortspfarre zu erlangen 3 ). Wenn es in einer solchen Urkunde, welche die Jahreszahl 1113 trägt, heißt, der Propst von St. Florian habe das Recht, einen von seinen Mitbrüdern als Ortspfarrer einzusetzen, doch müsse dieser täglich im gemeinsamen Speisesaal und Schlafraum sich einfinden, so ist daraus zu ersehen, daß die Pfarre nicht unmittelbar mit der Stiftskirche verbunden, aber doch in der Nähe war. Das war damals gewöhnlich der Fall, da die alten Klöster die äußere Seelsorge nicht als ihre Aufgabe betrachteten; so findet sich denn häufig in Orten, wo Klöster liegen, neben der Ordenskirche noch ein eigenes Pfarrgotteshaus. Das kann in St. Florian nur die J o h a n n e s k i r c h e sein, die der Nachfolger Altmanns, Bischof Ulrich (1092—1121), weihte 4 ). In ihr entspringt die Quelle, die nach der Sage die von der Last der Leiche Florians erschöpften Zugtiere tränkte; sie war die zweite AnKurz, Österreich unter Ottokar 2, S. 275. ) Czerny, Kunst S. 81 f. 3 ) R. J. Walter, Die echten u. gefälschten Privilegien des Stifts St. Florian, Archival. Zeitschr. 41 (1932) S. 72, 81. 4 ) ecclesia s. Johannis ad fontem. Stülz, St. Florian S. 253; Czerny, Kunst S. 52. Ähnlich in Kremsmünster. Th. Dorn, Abriß der Baugesch. v. K. (Linz 1931) S. 5 f. 2

11. Die Fortdauer d e s Christentums in Lorch.

347

dachtstätte der Wallfahrer; ein Bild des berühmten .Malers Albrecht Altdorfer hält das noch heute fest 1 ); sie mit ihrer Quelle, dem Florianibründl 2 ), war die gegebene Taufkirche und daher Johannes dem Täufer geweiht. Das führt uns dazu, die Mutterpfarre von St. Florian zu behandeln und die Kirche von Lorch in ihrem Entstehen zu verfolgen. 11. Die Fortdauer des Christentums in Lorch. Die um das Jahr 400 abgefaßte Florianlegende läßt auf ein in L a u r i a c u m eingerichtetes Kirchenwesen schließen, als dessen Schöpfer die Bischöfe von Sirmium zu betrachten sind (S. 40). Das von ihnen geschaffene Bistum Lorch umfaßte nach damaligem Brauche zwei Gotteshäuser, die Bischofskirche in der Stadt und die Friedhofskirche vor den Mauern. Das bürgerliche Gemeinwesen, das neben dein Legionslager erwuchs, wird kaum eigene Wehrbauten besessen haben, da seine Bewohner in den Zeiten Severins angewiesen waren, im Lager Schutz zu suchen. In der Nähe des Bahnhofes Enns erhebt sich ein noch heute ziemlich einsam gelegenes Gotteshaus, das als Schutzheiligen den römischen Blutzeugen L a u r e n t i u s führt; es dient als Friedhofskirche und war ehedem die Pfarrkirche dieser Stadt. Nach der Aussage Pilgrims gilt es als die ehemalige Metropolitankirche von Lauriacum. Seine Angabe wird richtig sein. Auf der Bodenfläche, wo sich die Lorcher Kirche erhebt, ist im Jahre 1910 ein den Reichsgöttern Jupiter, Juno und Minerva geweihter Altar gefunden worden, so daß das christliche Heiligtum als Nachfolger des kapitolinischen Tempels anzusehen ist, der nach dem Vorbilde Roms gewöhnlich den genannten drei Gottheiten gewidmet war 3 ). Unweit davon befand sich das römische Lager, dessen Tor an der Rückseite (porta decumana) fast bis dorthin heranreichte. Inzwischen ist noch die Lage der Zivilstadt geklärt und der an das Kapitol anschließende Marktplatz (forum) aufgedeckt worden 4 ). Aus all dem geht hervor, daß die Lorenzkirche im Mittelpunkte der römischen K. Scherfler, Albrecht Altdorfer in St. Florian, Christi. Kunstblätter 54 (1913) S. 86 f.; H. Tietze, A. Altdorfer (1923) S. 117. 2 ) iuxta fontem s. Floriani. Pez, Script. 1, S. 50. 3 ) E. Bormann in: Der Römische Limes in Österreich 11 (1910) S. 154. 4 ) Jahreshefte des Österr. Archäol. Institutes in W i e n 26 (1930) S. 280f.: Gaheis, Lauriacum S. 23 f., 33 f.

348

III. Die Karolingische Ostmark und ihre „Drei Grafschaften".

Stadt in der Nähe des kapitolinischen Tempels erbaut wurde und daher als Hauptgotteshaus des dortigen Bischofssitzes zu gelten hat; sie ist also ihrem Ursprünge nach nicht als Friedhofskirche entstanden, sondern bekam diese Eigenschaft erst später. Als Severin in Lauriacum wirkte, war das Lager bereits von den Truppen entblößt und diente als Zufluchtstätte des bedrängten Volkes und der dahin aus den oberen Kastellen Geflüchteten. Das war aber, so wird aus den Angaben seines Schülers Eugippius deutlich, nur in der Zeit besonderer Gefahr; sonst floß das Leben in der Umgebung des Lagers weiter dahin; ja, der Schilderer seines Lebens vergißt nicht anzuführen, daß auch da noch die Saaten bestellt wurden (c. 18) und läßt seinen Meister dem Volke anraten, die gesamte Habe in die Festung zu bringen, damit der Feind, dessen Einbruch eben befürchtet wurde, nichts für seinen Unterhalt fände und so durch Hunger genötigt würde, wieder abzuziehen (c. 30). Wenn der Mann Gottes (vir Dei) die Armen in e i n e r Kirche versammeln ließ (c. 28), so ist daraus auf mehrere Gotteshäuser zu schließen, die also noch immer fortbestanden. Das gilt auch für die bischöfliche Hauptkirche, an welcher der pontifex Constantius wirkte (c. 30); sie wurde wohl in diesen gefahrvollen Zeiten, als ständig feindliche Scharen heranzogen, in das Lager verlegt. In ihm ist ein christliches Heiligtum nachweisbar, das noch aus heidnischer Wurzel erwachsen ist. Grabungen des Jahres 1936 haben auf dem Boden der ehemaligen A n g e r k i r c h e, die sich unweit des römischen Prätoriums erhob, den Grundriß einer apsidenlosen Saalkirche mit freistehender, halbrunder Priesterbank ans Licht gebracht, deren Kennzeichen und Einfachheit für ihren frühchristlichen Ursprung zeugen 1 ); sie ist bisher das einzige Gotteshaus spätrömischer Zeit und Art, das in Ufer-Noricum aufgedeckt wurde, während im binnenländischen Teile schon mehrere solche Bodenfunde bekannt sind. In den gedrängten Maßverhältnissen (18.20 m Länge und 7.30 m Breite) gehört die Lorcher Basilika zu den kleineren Vertretern dieser Baugruppe; sie erstand aus dem Gebäude des Militärspitals, so daß nicht feststellbar ist, ob sie schon als Garnisonskirche diente, oder erst errichtet wurde, als die Stadt *) E. S w o b o d a , Lauriacum, Grabungen in Enns im Jahre 1936, Jahreshefte des Österr. Archäolog. Institutes 30 (1937) S. 284 ff. u. Jahrb. d. Oberösterr. Musealvereines 87 (1937) S. 439 ff.

349

11. Die Fortdauer des Christentums in L o r c h .

in das Lager verlegt wurde; auf ihren Grundfesten erhob sich später, etwas erweitert, ein romanisches und hernach ein gotisches Gotteshaus, das bis zum Jahre 1792 bestand: es war das die im unechten Stiftbriefe von St. Nikola in Passau (1075) zum erstenmal urkundlich erwähnte Marienkapelle in der Burg Lorch 1 ). Auffällig ist, daß das von der St. Laurenzkirche bloß 600 m entfernte Kirchlein eigene Pfarrechte innehatte, die es auf dem Boden des ehemaligen Lagers ausübte; dort, im Prätorium, bestand, als Lorch Hauptstadt war, die Burg des Herzogs, woran noch ein Flurname erinnert (S. 114). E s ist daher in der Angerkirche die ehemalige, mit Sonderrechten ausgestattete Pfalzkapelle zu erblicken; vielleicht denken an diese noch die Schreiber der ältesten Urkunden, wenn sie sie stets mit Kapelle bezeichnen 2 ). Da erhebt sich nun die Frage, seit wann das ehemals römische Gotteshaus als baierische Pfalzkapelle zu betrachten ist. Das kann nur für die erste Bekehrung gelten, da die zweite ja bereits an Regensburg anknüpft; es war also die Zeit des Eustasius und Genossen, welche die Kunde vom Martertode Florians nach Luxeuil brachten (S. 94 f.). Das ganze erinnert an die gleichen Verhältnisse in der zweiten Hauptstadt Regensburg, wo der Sage nach Rupert den Herzog Theodo in der „Heidenkapelle" der Burg getauft haben soll (S. 117). In diesem Zusammenhange gewinnt eine Angabe der Kremsmünsterer Jahrbücher Wert, wonach derselbe Bischof die Marienkirche in Lorch geweiht hätte 3 ). Beide Nachrichten sind zwar unrichtig, aber der in ihnen zum Ausdruck gebrachte Volksglaube enthält einen wahren Kern. Aus der Geschichte der Bekehrungen wissen wir, daß sie gewöhnlich von der Herzogsburg ausgingen; die in ihnen eingerichtete Kapelle war daher die Keimzelle des Christentums in dem betreffenden Lande. Daraus folgt, daß Emmeram den Herzog Theodo in dessen Burg, in der „Heidenkapelle", taufte. Da bei der ersten Bekehrung Baierns noch Lorch die Hauptstadt war, so wird wohl die Annahme zutreffen, daß Eustasius dort den damaligen Herzog in der Pfalzkapelle, also in der späteren Angerkirche, in die christliche Ge*) capellam

s. Marie

in

civitate

Laureacensi.

Urkb.

d.

L.

ob

d. Enns 2,

S. 107, 138, 607. 2)

Das hat schon J . Schicker, Die Kirche Maria auf dem Anger außerhalb Enns,

Jahrb. d. Oberösterr. Musealvereines 87 (1937) S. 449 u. 453 erkannt. 3)

Hic (Rupertus) etiam apud Lauriacum s. Marie ecclesiam consecravit.

Germ., Script. 9, S. 550.

Mon.

350

III. Die K a r o l i n g i s c h e O s t m a r k und ihre „Drei G r a f s c h a f t e n " .

meinde aufnahm; in ihr ist also die Mutterkirche der ersten Bekehrung zu suchen; sie w a r als solche die Vorgängerin der Sankt Laurenzkirche, wie die Regensburger Hofkapelle als jene des dortigen St. Petersdomes zu gelten hat. Wenn die Sage beide Vorkommnisse unrichtig mit Rupert verbindet, so ist das nur damit zu erklären, daß sie diesen irrig als „Apostel Baierns" betrachtet; im übrigen hat der Volksglaube die Urzellen des Christentums in Baiern im Gedächtnisse treu bewahrt; daher läßt auch die Rupertlegende ihren Heiligen nach Lorch ziehen (S. 141 f.). Die Pfarrechte der von ihm auf der Salzburg errichteten Martinskirche (S. 130), die im Wesen auch dann noch verblieben, als Virgil den Dom erbaut hatte, erinnern an jene der Angerkirche in Lorch und an deren Verhältnis zum späteren Pfarrgotteshaus St. Laurenz. Der bald folgende Rückfall ins Heidentum und die Zerstörung der ersten Hauptstadt durch die Awaren mit der folgenden Preisgabe des Gebietes ostwärts der Traun erstickten die gepflanzten Grundlagen des Christentums, die erst Herzog Tassilo dort wieder erneuerte. Wohl schon unter ihm, der nach Bernardus Noricus in Lorch seinen Sitz aufschlug 1 ), entstand die Pfalzkapelle aufs neue; sie führte wahrscheinlich ihre Eigenschaft auch unter den Karolingern fort, wo die frühere Hauptstadt Vorort des Dreigrafschaftsgebietes war. Wenn der Volksglaube Rupert als Gründer des Gotteshauses von Lorch bezeichnet, so bringt er richtig zum Ausdruck, daß dort das Kirchenwesen nicht mehr ungebrochen fortlebte und daher auf frischer Wurzel gepflanzt werden mußte. W ä r e St. Laurenz, als Baiern zum erstenmal bekehrt wurde, noch der Bischofsdom für die Romanen gewesen, so hätte Eustasius dort anknüpfen können und nicht die ehedem christliche Lagerkirche in der Herzogburg erneuern brauchen, um den heidnischen Stammesfürsten zu taufen. Die älteste Wiege des Christentums in Baiern war also nicht die St. Laurenzkirche in Lorch, sondern das eben wieder entdeckte altchristliche Gotteshaus in der Pfalz, das nach der Sage der angeblich erste Glaubensprediger Rupert geweiht hat. Der Zusammenhang mit dem Altertum, der bei den zwei ältesten Kirchen in Enns nachweisbar ist, spricht für eine langjährige Fortdauer des Christentums bei den zurückgebliebenen R o m a n e n . Es konnte sich daher auch das Andenken an den Blutzeugen Florian i ) Mon. Germ., Script. 25, S.

644.

11. Die Fortdauer des Christentums in Lorch.

351

erhalten. Für die nicht unterbrochene Stetigkeit zeugt zudem der Name Lorch, der aus dem römischen Lauriacum entstanden ist. Auf die Dauer w a r freilich das Christentum bei den Romanen zum Verdorren bestimmt, da es aus seinem früheren Zusammenhang herausgerissen wurde und inmitten eines heidnischen Volkes, das die Herrschaft erlangt hatte, einen harten Stand hatte. Die natürliche Folge war, daß das Kirchenwesen allmählich zerfiel und die abgeschlossene und bedrängte Priesterschaft in ihrer Bildung herabsank; die Christengemeinden blieben wohl bestehen, aber es lebte bloß der Volksglaube fort. Als Pippin die Awaren endgültig niedergeworfen hatte, fand an den Ufern der Donau eine Synode statt, um die kirchlichen Verhältnisse des neu eroberten Landes zu ordnen (796). Die Teilnehmer fanden da als Täufer Geistliche, die weder lesen noch schreiben konnten (clerici inlitterati, idiotae) 1 ). Es ist daher anzunehmen, daß in Pannonien noch damals Christengemeinden bestanden 2 ). Wenn das dort sogar unter der Herrschaft der heidnischen Awaren möglich war, so ist das gleiche noch eher bei den Baiern glaubhaft. Das Fortleben der Christengemeinden ist nicht nur für die Kirchengeschichte belangreich, sondern ist zugleich ein wertvolles Zeugnis für das dauernde Vorhandensein vorgermanischer Volksreste; diese waren die im Awarenlande wie in Baiern zurückgebliebenen Romanen illyrisch-keltischer Herkunft. Es ist also damit zu rechnen, daß in Lorch bei diesen das Christentum solange fortlebte, als die Stadt, bestand; es ging auch dann noch nicht ein, als Herzog Theodo das Gebiet ostwärts der Traun preisgab, da, nach den Ortsnamen zu schließen, die geflüchteten Romanen um Salzburg Schutz suchten und fanden. Wenn daher Pilgrim behauptet, der letzte „Erzbischof" von Lorch, Vivilo, sei von dort bei der Zerstörung der Stadt durch die Awaren nach Passau geflohen und hätte dahin seinen kirchlichen Sitz verlegt, so ist auch darin ein echter Kern verborgen: die Flucht der christlichen Romanen aus der aufgegebenen Hauptstadt und das Weiterleben ihres Glaubensbekenntnisses westlich der Traun. Wie schon Eustasius in Lorch nicht an die christliche Gemeinde der Romanen anknüpfte, so taten das ebenso wenig Emmeram in Regensburg J

) Mon. Germ., Concilia 2/1, S. 176. ) Egger in: Forschungen in Salona 3, S. 115. Uber die Fortdauer des Christentums am Rhein H. Aubin, Von Raum und Grenzen des deutschen Volkes (1938) S. 39, 52 f, 216 f., 221. 2

352

III. Die Karolingische Ostmark und ihre „Drei Grafschaften".

und Rupert in Salzburg; auch sie pflanzten das Christentum auf frischer Wurzel und gingen wieder von der Burg des Herzogs aus. Rom anerkannte später nicht das Werk der irischen Bischöfe in Baiern; ebenso gingen diese an den Uberresten des romanischen Christentums vorüber und bauten auf neuer Grundlage auf, die hier wie dort die Herzogburg war. Es ist deshalb Pilgrim in dem Sinne zuzustimmen, daß das Christentum in Lorch bis zum Untergange dieser Stadt fortlebte, doch war dort schon früher die Bischofskirche der Romanen nicht mehr in einem Zustande, um aus ihr die Bekehrung der Baiern ableiten zu können. Das war ebenso in Regensburg und sogar zu Salzburg der Fall, wo Emmeram und Rupert wieder frisches Erdreich pflanzten. Doch noch entscheidender als die kirchlichen Gegebenheiten, welche die ersten Glaubensboten vorfanden, waren wohl rassische Gesichtspunkte und Unterschiede: die Baiern waren das Herrenvolk, die illyrisch-keltischen Romanen ihre Unterworfenen. Die fränkischen Könige (Hausmeier) haben wahrscheinlich deshalb nicht auf sie, die christlichen Hörigen, die Bekehrung des Landes aufbauen lassen, sondern wollten bei der heidnischen (germanischen) Herrenschichte eine eigene Grundlage schaffen; es sollte den Baiern erspart bleiben, ihr neues Glaubensbekenntnis von ihren Untertanen ableiten zu müssen. Das älteste Traditionsbuch von Passau erwähnt eine Schenkung an eine „ K i r c h e d e s h l . L a u r e n t i u s " ; die in subjektiver Form ausgestellte Urkunde führt keine Jahresangabe und findet sich unter den Gabbriefen aus dem Rottachgau 1 ). Die gleiche Handschrift eröffnet unter den Schenkungen aus dem Traungau eine schon angeführte Widmung des Grafen Gunter an das Stift Sankt Florian und nennt in demselben Akt eine Gabe seines Vasallen Eigil an den „hl. Laurenz, dessen Uberreste in dem Gotteshause bei der Burg Lorch nahe an der Mauer ruhen"; der zweite Spender übergibt sie dem dort angestellten Priester (Pfarrer) 2 ). Das sind die beiden einzigen Stücke des Traditionsbuches, die den Namen des Blutzeugen Laurenz bringen; hier wie dort handelt es sich um ') ) secus Trad. 2

ad aecclesiam s. Laurenti. Pass. Trad. S. 4. ad s. Laurentium cuius reliquiae in ecclesia que prope civitatem Lahoria murum constructa est requiescunt et eidem prebitero itluc servienti. Pass. S. 76.

11. Die Fortdauer des Christentums in Lorch.

353

eine Eigenkirche des Hochstiites, die, wie der letzte Fall zeigt, zugleich Pfarrgotteshaus war. Das läßt es als wahrscheinlich erscheinen, daß es sich um ein und dasselbe Heiligtum handelt; der erste Eintrag gehört demnach nicht in den Gau der Rottach, sondern der Traun; es liegt hier wohl wieder ein Fehler des Abschreibers vor, wie das schon bei der frühesten Gabe an St. Florian, die unrichtig in den Mattiggau gereiht ist, feststellbar war. Wenn das zutrifft, so gehört das erste Stück nicht vor die letzte Zeit des Herzogs Tassilo, der die Gegend ostwärts der Traun wieder zu besiedeln begann oder in die Anfangsjahre Karls des Großen, also um das Jahr 800. Nach der Preisgabe der Stadt Lorch erloschen auch die dürftigen Reste des Kirchenwesens der Romanen. Das zeigt wieder Pilgrim, wenn er Vivilo als angeblich letzten Erzbischof von dort nach Passau flüchten läßt; die von ihm einberufene Mistelbacher Synode deutet das gleiche an, wenn sie Naarn zu ihrem Bereiche zählt. Die Pfarre Lorch mußte daher, als Tassilo über die Traun vorstieß, neu errichtet werden. Es ist deshalb zu vermuten, daß Laurenz als ihr Schutzheiliger erst jetzt gewählt und nicht aus der Kirche des Altertums abgeleitet wurde. Der erste Eintrag über sie im Traditionsbuch stammt noch aus der Zeit nach 850, so daß damals das Hochstift Passau schon Eigentümer sein mußte; es erwarb also das Laurenz-Gotteshaus noch früher als St. Florian; ja der Besitz der Pfarrkirche w a r wohl der Anlaß, das nahe gelegene Stift an sich zu ziehen, um seine Liegenschaften bei der Enns abzurunden. Das geschah allerdings erst, als die Ungarn drohend ihr Haupt erhoben und alle Errungenschaften im Dreigrafschaftsgebiet in Frage stellten. Der zweite Eintrag über die Laurenzkirche gehört in diese Zeit und zeigt uns bereits den gestiegenen Wert des Gotteshauses, das sich bereits des Besitzes von Gebeinen des römischen Blutzeugen zu rühmen glaubt. Seine in der Aktaufzeichnung angegebene Lage nahe an der Mauer zeigt uns, daß damals der Sitz des Grenzgrafen und seiner Gefolgschaft das ehedem römische Lager, die baierische Herzogburg, war, wogegen die Siedlung um die Kirche offen dalag. Gerade in jener Zeit erstand auf der nahen Höhe des Wartbergs (St. Georgenberg) die E n n s b u r g, deren in aller Eile errichteten Mauern zum Großteil aus den damals noch reichlich vorhandenen Gebäuderesten der Römerzeit stammen. Dies war der Anfang vom wirklichen Untergange von Lorch, da das gegen die Ungarn er23

354

III. Die Karolingische Ostmark und ihre „Drei Grafschaften".

richtete Bollwerk buchstäblich aus den Überresten von Lauriacum erbaut w u r d e : die Ennsburg ist daher nicht bloß in ihrer Bestimmung, sondern auch in ihren Grundfesten die tatsächliche Nachfolgerin des nahen Römerlagers, wie die Stadt, die später um sie erwuchs, als ein verkleinertes Nachbild der ehemaligen urbs von Ufer-Noricum erscheint; ihr Pfarrgotteshaus war bis zum Jahre 1553 St. Laurenz zu Lorch 1 ), das noch bis heute ihre Friedhofskirche geblieben ist. Der tatsächliche Erbe von Lauriacum ist daher das nahe Enns, das noch durch Jahrhunderte seine aus dem Altertume stammende Rolle fortzusetzen suchte. L o r c h war in der karolingischen Zeit Vorort des Dreigrafschaftsgebietes, wo der dem Präfekten der Ostmark unterstellte baierische Grenzgraf den Eintritt in das Awarenland bewachte. Da war es nun natürlich, daß dieselbe Örtlichkeit kirchlicher Mittelpunkt eines Sprengeis wurde, der in Größe und Grenzen dem weltlichen Herrschaftsbereiche entsprach. Eine solche Wahl war um so näherliegend, als Lauriacum einst den Sitz des Metropoliten von Ufer-Noricum bildete. Wir erwarten hier die für ein Missionsland übliche Stelle eines Chorbischofs, wie sie Modest in Virunum für Karantanien bekleidete. Doch ergibt sich hier eine Schwierigkeit, indem der Bestand von Lorch durch die Awaren zeitweilig unterbunden war, während der ihm ursprünglich unterstellte Welser Sprengel in seiner westlichen Hälfte als Ufgau unangetastet blieb; dort erstand bei der zweiten Bekehrung Mistelbach als kirchlicher Mittelpunkt eher als Lorch und hatte somit jetzt als Pfarre ein höheres Alter. Doch als die ehemalige Hauptstadt Sitz des baierischen Grenzgrafen wurde und so in dessen Abschnitt an die erste Stelle trat, erlangte auch die dort befindliche Pfarre wieder den verlorenen Vorrang. Aus der Wirksamkeit der episcopi vocati Erchanfrid und Otkar war zu ersehen, daß letzterer in Buch, am Grabe Florians, Schenkungen eines Priesters Reginolf entgegennahm (S. 336). Ihm deshalb das genannte Stift als Sitz zuzuweisen 2 ), ist deshalb nicht angängig, als der oberste Priester eines Kirchensprengels an eine Hauptpfarre gehört. Diese könnte bloß Mistelbach oder Lorch sein. Die Schenkungen, die Erchanfrid und Otkar für Passau empfingen, An seine Stelle tritt mit Urkunde K. Ferdinands I. v o m 22. August 1553 die dortige Minoritenkirche. Orig. Stadtarchiv Enns. 2 ) Hauck, Kirchengesch. Deutschi. 2, S. 474.

11. Die Fortdauer des Christentums in Lorch.

355

betreffen bloß Ortschaften im Traungau; man hat in ihnen deshalb Landbischöfe für den betreffenden Gau gesehen 1 ); sie hätten also ihren Sitz in Mistelbach haben müssen. Passau kommt als gewöhnlicher Aufenthaltsort für ersteren nicht in Betracht, da in einem Akt, nach dem er dort eine Gabe aus dem Traungau in Empfang nimmt, ausdrücklich seiner vorübergehenden Anwesenheit gedacht ist 2 ). Dasselbe war bei Otkar in Buch der Fall. Es ist allerdings zuzugeben, daß beide Landbischöfe bloß im Zusammenhange mit Orten aus dem Traungau erwähnt werden. In den anderen Gauen, die das Passauer Traditionsbuch anführt, kommen sie nicht vor. Wir dürfen jedoch nicht übersehen, daß dessen vorliegende Reste das Gebiet zwischen Enns und dem Wiener Walde nicht behandeln; dieser Teil ist entweder verloren gegangen oder überhaupt nicht angefertigt worden. Nach dem Muster von Karantanien erstreckte sich dort die Wirksamkeit des Chorbischofs auf die gesamte Provinz, also auf drei Grafschaften. Der Traungau wird deshalb kaum einen eigenen Landbischof gehabt haben, da in einem solchen Falle dasselbe für Lorch und Mautern anzunehmen w ä r e ; weit eher ist zu erwarten, daß die Tätigkeit Erchanfrids und seines Nachfolgers Otkar nicht nur den Mistelbacher Bezirk umfaßte, sondern auch auf das Gebiet zwischen der Enns und der Großen Tulln sich ausdehnte. Als ihr Sitz wird deshalb wohl die Pfarrkirche zu Lorch, St. Laurenz, zu betrachten sein 3 ), in deren unmittelbaren Nähe der baierische Grenzgraf über drei Grafschaften gebot. Die drei PilgrimSynoden zeigen zudem, wie enge die kirchliche Verfassung der weltlichen (Raffelstettener Zollordnung) sich anschloß. Der passauische Chorbischof wird demnach ebenso wie der salzburgische in Karantanien über drei Hauptpfarren gesetzt gewesen sein, wovon er die rangerste selbst versah, die beiden anderen jedoch überwachte. Ein das Dreigrafschaftsgebiet umfassendes Chorbistum Lorch zu St. Laurenz w a r ebenso ein Abglanz des ehemaligen Metropolitansitzes Lauriacum für Ufer-Noricum, wie das bei Maria Saal (Virunum) für Karantanien der Fall war. Die Synode, die P i 1 g r i m zu Lorch abhalten ließ, fand in der Laurenzkirche statt, die hiedurch als Gotteshaus einer Hauptpfarre *) M. Fastlinger, Die wirtschaftliche Bedeutung der bayerischen Klöster in der Zeit der Agilulfinger (1903) S. 127. 2 ) ad Patauiam civitate, quando Erchanfridus vocatus episcopus cum suis fidelibus ibidem fuisset. Pass. Trad. S. 58. 3

) Dasselbe vermutet Heuwieser, Gesch. d. Bistums Passau 1, S. 203. 23*

III. Die Karolingische Ostmark und ihre „Drei Grafschaften".

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hervortritt 1 ); sie ist hier noch einzig und allein dem genannten Blutzeugen Roms geweiht. Aus dem schon läßt sich schließen, daß die Tagung in seine ersten Bischofsjahre gehört (S. 325). Da diese zudem seine oberhirtliche Tätigkeit im Dreigrafschaftsgebiet eröffnet, so erscheint hier Lorch als dessen kirchlicher Vorort. Den Höhepunkt des Ansehens für die Laurenzkirche bedeutet es, als sie zum viertenmal erwähnt wird; es wird zwar hiebei jetzt auf einmal dem bisherigen Schutzherrn der Bistumsheilige von Passau, Stephan, vorangestellt: eine von Pilgrim erwirkte, noch als Urstück vorliegende Urkunde Ottos II. vom 5. Oktober 977, worin ihr der Kaiser sein Landgut bei der Ennsburg (praedium Anesapurhc) und zehn Königshuben zu L o r c h übergibt, erinnert daran, daß sie in alter Zeit der S i t z e i n e s M e t r o p o l i t e n gewesen sei 2 ). Die kaiserliche Kanzlei nahm keinen Anstoß, hier den vom Empfänger vorgelegten Entwurf 3 ) in vollem Sinne anzuerkennen; sie gab unumwunden zu, daß St. Laurenz ehedem Hauptkirche einer eigenen Provinz w a r ; sie dachte hiebei an die Zeit der Römer, wo in Lauriacum ein pontifex (provinciae) seines Amtes über ganz Ufer-Noricum waltete (S. 49 f.). Pilgrim wollte indes viel mehr. In seiner in den Passauer Kopialbüchern erhaltenen Vorlage hätte er den Kaiser bescheinigen lassen, daß das in Lorch befindliche Gotteshaus der beiden Blutzeugen Stephan und Laurenz v o r dem Zerfall und der Verödung des baierischen Reiches die M u t t e r k i r c h e und bischöfliche Kathedrale w a r ; so sollte es auch fortan seine frühere Ehre und Würde kraft kanonischer Machtbefugnis wieder erlangen 4 ); er hoffte, die ehemalige Herrlichkeit erneuern zu können, erbat, in den dortigen Sitz eingeführt zu werden, und schlug für sich und seine Nachfolger vor, sich nach ihm (Lorch) benennen und den 1

) in Lauriacensi aeclesia oratorio s. Laurentii martyris Christi. P a s s . Trad. S. 81. ) s. Lauriacensi ecclesiae, quae in honore s. Stephani sanctique Laurentii martyrum foris murum aedificata est, ubi antiquis etiam temporibus prima sedes episcopalis habebatur. Mon. Germ., Dipl. 2/1, S. 190. Der letzte Ausdruck ist nicht zeitlich als Sitzverlegung von Lorch nach Passau aufzufassen, wie Dümmler, Pilgrim S. 61 u. a. meinen, sondern bedeutet nach dem Kirchenrecht den Sitz des Bischofs der Hauptstadt (metropolis), also den Metropoliten (oben S. 45). Hauck, Kirchengesch. Deutschi. 3 (1906) S. 180 Anm. 2. 2

3

) quam prime sedis antiquitus presulatum fore novimus. ) s. Lauriacensis ecclesia . . . ante discidium et desolationem regni Bauvariorum mater ecclesia et episcopalis cathedra fuit, ita deinceps pristino honore ac dignitate canonica auctoritate perfruatur. Mon. Germ., Dipl. 2/1, S. 191. 4

11. Die Fortdauer des Christentums in Lorch.

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Titel pontifex führen zu dürfen 1 ). Das geschah kurz nachher, als in einem fast zweijährigen Bürgerkriege Passau mit der Stephanskirche zerstört wurde; der begehrliche Gesuchsteller ermangelt auch nicht, am Eingange der Urkunde die hiebei erlittenen Schäden grell hervorzuheben. Unwillkürlich denkt man da an die erdichtete Flucht des „Erzbischofs" Vivilo aus dem durch die Awaren verwüsteten Lorch nach Passau, die sein angeblicher Nachfolger in ähnlicher Notlage in umgekehrter Folge erlebte (S. 403). Doch die kaiserliche Kanzlei strich die ganze Stelle und leugnete hiemit die Eigenschaft des Laurenz-Gotteshauses als Mutterkirche Baierns (S. 95); sie gestattete auch nicht, daß sich Pilgrim als Lorcher pontifex ausgab (S. 46) und verneinte damit, daß das Bistum Passau das Erbe des Lorcher sei (S. 168 f.). So hatte der Bittsteller nicht den gewünschten Erfolg, da er mit dem untergegangenen Metropolitansitz Lauriacum, den ihm Otto II. bescheinigen ließ, nichts ausrichten konnte. Bei dieser Sachlage hatte es nichts auf sich, wenn der ehrgeizige Bischof den Schutzheiligen seiner Kirche auf Lorch übertrug. Dem setzte sich die kaiserliche Kanzlei nicht entgegen. Aus der gestatteten Nebensächlichkeit ist zu schließen, daß Pilgrim der Vater des Gedankens ist, die Herkunft seines Bistums von Lorch abzuleiten, da die unter ihm vorher abgehaltene Synode bloß von der Laurenzkirche spricht. Der unmittelbare Anlaß zu diesem Vorgehen war die Z e r s t ö r u n g v o n P a s s a u , die es Pilgrim zweckmäßig erscheinen ließ, seinen Sitz dauernd nach Lorch zu verlegen. Das unterließ er zwar, weil er den damit beabsichtigten Zweck nicht erreichte, doch verpflanzte er dorthin den Schutzheiligen seiner Kirche. Nicht das von ihm ersonnene Erzbistum Lorch, sondern dessen angeblicher Zusammenhang mit Passau ist der Kern der Lorcher Fabel; das erste nützte ihm ja nichts, wenn dessen Bestand in Passau nicht unmittelbar fortgeführt wurde, sondern eingegangen war. So ist denn die Urkunde Ottos II. der Schlüsselpunkt zur Kenntnis der Lorcher Frage, die uns noch beschäftigen wird. Pilgrim wollte nicht bloß das Laurenz-Gotteshaus zur Metropolitankirche Baierns erhoben wissen, sondern ging noch daran, *) Quam etiam presentí precepto nostro renovamus atque roboramus et iam sepe dicte sánete Lauriacensi sedi venerabilem Piligrimum reintronizamus antistitem, quatinus amodo tam ipse quam omnes sui successores Lauriacenses fiant et nominentur pontífices.

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III. Die Karolingische Ostmark und ihre „Drei Grafschaften".

es als Sitz des Erzbischofs für Pannonien anerkannt zu sehen (S. 63 f.). Der Name des alten Schutzheiligen hatte durch die siegreiche Schlacht am Lechfelde, die am Laurentiustage (10. August) des Jahres 955 stattfand, neues Ansehen erfahren. Wie auf seine Fürbitte nach dem Glauben der Zeit Otto der Große die Ungarn bei Augsburg entscheidend schlug, so wollte sie Pilgrim von dem ihm geweihten Heiligtume in Lorch aus zum Christentum bekehren. Das Gotteshaus des römischen Blutzeugen Laurentius in Enns wird durch seine reiche Vergangenheit zu einem Eckpfeiler der baierischen Kirchengeschichte; es erstreckt seine Wurzeln noch in die Römerzeit und überragt als ehemalige Metropolitankirche von Ufer-Noricum alle Gotteshäuser Österreichs an Alter und Ansehen; als erste, allerdings wieder untergegangene Mutterkirche Baierns gehört es zeitlich noch vor den Petersdom in Regensburg; neben den in der Erde ruhenden Uberresten der benachbarten Angerkirche und der „Heidenkapelle" in der zweiten Hauptstadt bildet es eine Keimzelle des Christentums in Baiern. 12. Der kirchliche Kampf um Pannonien und Mähren. a) O b e r p a n n o n i e n . Um über die Frage der kirchlichen Zugehörigkeit Pannoniens zu entscheiden, ist zu vergegenwärtigen, daß Karl der Große das Awarenreich in zwei großen Feldzügen niederwarf: die erste Kriegsfahrt setzte im Jahre 791 ein und endete an der Raab; das Land östlich von ihr (Unterpannonien) fiel erst fünf Jahre später in seine Hände. Die Annahme, das zunächst eroberte Oberpannonien hätte schon vom Anfange an kirchlich zu Passau gehört 1 ), ist bestimmt nicht richtig. Wie wäre es denkbar, daß bei der Heerfahrt des Jahres 791, die Bischof Arn im Feldlager des Königs begleitete 2 ), Salzburg leer ausgegangen w ä r e ? Wenn nach dem zweiten Siegeszuge (796) die „Bekehrungsgeschichte" (Conversio) die Raab als westliche Grenze des Salzburger Sprengeis anführt (c. 6), so besagt das durchaus nicht, daß P a s s a u damals bis dorthin reichte; die für den Papst bestimmte Denkschrift hat bloß Unterpannonien im Auge und will nur hervorheben, daß Salzburg das eben gewonnene Gebiet östlich der Raab bekam; dieser Fluß erscheint hier lediglich als x 2

) So noch Heu wieser, Gesch. d. Bistums Passau 1, S. 207 f. ) Freis. Trad. 1, S. 147 f.

12. Der kirchliche Kampf um Pannonien und Mähren.

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Abschluß des alten und Beginn des neuen Abschnittes; es war gar kein Anlaß, über das Land westlich der Raab, das ohnehin bereits (an Salzburg) vergeben war, aufs neue zu verfügen. Nach dem in zwei Teilen erfolgten Verlaufe haben wir uns die Übergabe der Missionsbezirke so vorzustellen: 791 oder 796 erhielt Passau das Gebiet vom Hausruck bis zur Großen Tulln, Salzburg hingegen im ersten Jahre das Land zwischen dieser und der Raab und im letzten noch den übrigen Teil des eroberten Awarenreiches, so daß der gleich hernach zum Erzbischof erhobene Arn von da an die gesamte Provinz Pannonien zu bekehren und zu versehen hatte. Der Missionssprengel von S a l z b u r g begann also nicht erst an der Raab, sondern schon an der G r o ß e n T u 11 n, die ihn von jenem von Passau trennte. Für eine solche Annahme spricht auch ein Vergleich der kirchlichen Verhältnisse in Tulln und Wien. In dem alten Vororte wie in der späteren Hauptstadt hat Passau erst spät Pfarrkirchen errichtet. Zum Bau der Stephanskirche in Tulln schenkte Kaiser Heinrich II. im Jahre 1014 einen Platz außerhalb des Ortes 1 ). Es ist nicht anzunehmen, daß hier, am Sitze des späteren Erzpriesters von Österreich und Weihbischofs, erst damals ein Pfarrgotteshaus geschaffen wurde; es werden vielmehr schon vorhandene Pfarrechte dorthin übertragen worden sein. Deutlicher ist derselbe Vorgang in Wien zu beobachten. Im Jahre 1137 überließ Markgraf Leopold dem Bischöfe Reginmar von Passau die ihm gehörige Kirche St. Peter, um sie wie die übrigen Gotteshäuser der Stadt dem Pfarrer von Wien zu unterstellen 2 ). Da bald darauf gleichfalls außerhalb der Stadtmauern auf Passauer Boden die St. Stephanskirche erstand, so brachte man den Sitz des in der Urkunde angeführten Wiener Pfarrers damit in Zusammenhang. Das ist nun nicht gut möglich, da es zweifelhaft ist, ob die letztere damals schon im Bau war 3 ). Gewiß ist, daß die Rechte der früheren Stadtpfarre nach der Weihe der Stephanskirche dorthin übertragen wurden. Vorgänger war indes nicht St. Peter, sondern St. Ruprecht, da das letztgenannte, auf römischen Grundmauern errichtete Gotteshaus Jans Enenkel in seinem um 1270 "Äilna extra civitatem. Mon. Germ., Dipl. 3, S. 397. ) A. Mayer in: Gesch. der Stadt Wien 1, S. 464. 3 ) Darauf hat mit beachtenswerten Gründen E. Klebel, Zur Frühgeschichte Wiens, Abhandlungen zur Gesch. und Quellenkunde der Stadt W i e n 4 (1932) S. 39 ff. hingewiesen, der es dahingestellt sein läßt, ob die in der Urkunde des Jahres 1137 gemeinte Pfarrkirche St. Ruprecht oder St. Stephan ist. s

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III. Die Karolingische Ostmark und ihre „Drei Grafschaften".

abgefaßten Fürstenbuche noch als die alte Pfarre kennt 1 ). Die Urkunde des Jahres 1137 besagt daher, daß der Markgraf seine Eigenkirche St. P e t e r der Pfarre St. Ruprecht einordnete. Diese unterstand damals schon dem Bistum Passau und hatte als Schutzheiligen den Gründer der von ihm so heftig bekämpften Salzburger Kirche! Das läßt vermuten, daß sie schon zu einer Zeit ins Leben trat, als Wien noch zum Missionsbezirke der Salzachstadt gehörte. Nach der Volkssage sollen gar Schüler Ruperts das nach ihm benannte Gotteshaus und St. Peter begründet haben, während eine andere Legende letzteres auf Karl den Großen zurückführt; zu dessen Zeit will auch die Martinskirche zu Klosterneuburg entstanden sein 2 ). Wenn auch das vorgegebene Alter, das in Wien augenscheinlich der gegenseitige Wettstreit hervorrief, nicht stimmt, so ist doch auffällig, daß drei nahe beieinander liegende Gotteshäuser die Namen der drei Bistumsheiligen von Salzburg führen. Das läßt auf das Wirken von Glaubensboten aus dieser Stadt auf Wiener Boden schließen. Das kann aber nicht vor den Siegen Karls des Großen über die Awaren, aber auch nicht lange hernach geschehen sein 3 ). E s ist deshalb anzunehmen, daß die erste, in der Altstadt gelegene W i e n e r Kirche (St. Ruprecht) noch Bischof Arn oder sein Nachfolger begründet hat. E s liegt zudem ein urkundlicher Beleg vor, daß Salzburg anfangs die Diözesangewalt in ganz Pannonien und damit auch in Wien und Tulln ausübte. Eine K ö n i g s u r k u n d e Ludwigs des D e u t s c h e n v o m 1 8 . N o v e m b e r 8 3 0 erzählt uns, es sei zwischen dem Erzbischofe Adalram von Salzburg und dem Oberhirten Reginhar von Passau ein heftiger Streit ausgebrochen über das Missionsgebiet östlich des Wiener Waldes 4 ). Der Salzburger behauptete, sein (unmittelbarer) Vorgänger Arn hätte diesen Sprengel inngehabt und dort gepredigt, der Passauer hingegen erklärte, ohne hiefür Gründe anzuführen, die Seelsorge in jener Gegend stünde ihm zu. Der König schlichtete nun den ihm vorgebrachten Zwiespalt durch einen Vergleich, indem er als beiderseitige Grenze den Spratzbach von seinem Ursprünge an bis zum Einfluß in die *) in Wienne si diu pharr wart gnant. Mon. Germ., Deutsche Chroniken 3, S. 601. ) A. Starzer, Gesch. d. landesf. Stadt Klosterneuburg (1900) S. 20. Martinskirchen begegneten uns schon zu Linz (S. 294) und St. Pölten (S. 303). 3 ) U. a. E. Tomek, Kirchengesch. Österreichs 1 (1935) S. 84 f. 4 ) super parrochia, que adiacet ultra Comagenos montes. Mon. Germ., Dipl. Karol. 1, S. 244. 2

12. Der kirchliche Kampf um Pannonien und Mähren.

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Rabnitz (alia Spraza) und von da an diese und die Raab, die sie aufnimmt, bestimmt: alles was westlich hievon gelegen sei, gehöre zu Passau, hingegen habe das gesamte Land, das östlich und südlich sich erstrecke, nach wie vor bei Salzburg zu verbleiben. Die Urkunde ist leider nicht als Urstück erhalten, sondern bloß in zwei späteren Abschriften überliefert, wovon das Lonsdorfer Kopialbuch die ältere enthält; sie ist wegen ihrer kanzleimäßigen Gebrechen schon lange als fehlerhaft erkannt und gilt als eine Passauer Fälschung des 12. Jahrhunderts. Den Vertretern der Urkundenlehre entgegen tragen mehrere Forscher kein Bedenken, den angegebenen Ausgleich als geschichtliche Tatsache zu verwerten 1 ). Ludwig der Deutsche lehnte sich im Jahre 830 mit seinen Brüdern gegen seinen gleichnamigen Vater (den Frommen) auf, soll jedoch verhindert haben, daß dieser entthront werde. Von da an erlangte er eine größere Selbständigkeit und urkundet jetzt auch für das ihm schon früher zugesprochene Baiern mit den dazugehörigen Nebenländern. Der angeführte Ausgleich zwischen Salzburg und Passau gehört zu den ersten von ihm ausgestellten Urkunden und ist demnach nicht vor 830 (statt 829) anzusetzen. Wenn nun der Eingang der Urkunde (Invocatio und Intitulatio) nach einer solchen seines Vaters gestaltet ist, so ist das als Zeichen des Übergangs zu werten; das Schwanken zwischen Altem und Neuem spricht ja für den Beginn der Herrscherzeit Ludwigs des Deutschen, also für das Jahr, das der in Frage kommende Vergleich angibt. Der Schluß hinwieder (Rekognition, die Zählung der kaiserlichen Regierungsjahre und die Richtigkeit jener Ludwigs des Deutschen) weist Eigentümlichkeiten auf, die in der königlichen Kanzlei eben damals kaum drei Jahre im Gebrauche waren. Wie sollte ein späterer Fälscher solche Kenntnisse und Feinheiten ausklügeln oder die entsprechenden Vorlagen auffinden! Schon das allein zeigt, daß in dem Beiwerke und Gehäuse, in dem der Inhalt steckt, trotz manchen Verstößen und Zutaten ein echter Kern vorhanden ist. Im übrigen ist die Fassung jener Urkunde nachgebildet, in der Karl der Große den Grenzstreit zwischen Salzburg und Aquileia schlichtet (811). Das ist aber wieder kein Grund, sie als spätere Fälschung zu erklären, sondern bildet vielmehr einen Hinweis auf gleichzeitiges Entstehen. Für die Missionsarbeit im eroberten Pannonien kamen die drei Nachbarbistümer Passau, Salzburg und Aquileia in Betracht. Das Bei Mühlbacher, Reg. S. 564 Nr. 1341.

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III. Die Karolingische Ostmark und ihre „Drei Grafschaften".

erstere verfügte über den unmittelbaren Donauweg, das zweite hatte im anschließenden und jetzt damit verbundenen Karantanien sich eine feste Grundlage geschaffen, das letztere lag von allen drei Anwärtern dem neuen Schauplatz am nächsten. Es ist noch ein Brief Alkuins erhalten, in dem er, der seine ganze Teilnahme der Bekehrung der Awaren und der ihnen untertänigen Völker zuwandte, den ihm befreundeten Patriarchen Paulinus von Aquileia auffordert, sich diesem Werke zu widmen 1 ). Eben damals (796) beteiligte sich der genannte Kirchenfürst an der schon erwähnten Synode der Bischöfe, die an der Donau stattfand und das große Unternehmen einleitete, worüber uns ein von ihm abgefaßter Bericht über die dabei behandelte Tauffrage belehrt 2 ). Sein Arbeitsfeld w a r der mit dem Herzogtum Friaul verbundene Teil von Unterpannonien südlich der Drau. Passau hinwieder bekam noch weniger und hatte neben dem Traungau bloß das Land zwischen Enns und der Großen Tulln zu betreuen. Alles andere Gebiet zwischen dieser und der Drau hatte Salzburg zu versehen, das von früher her schon Karantanien besaß. Da der Anteil so verschieden ausfiel und die weniger günstig gelegene Salzachstadt ein viel größeres Missionsgebiet zugewiesen erhielt als die beiden anderen Bewerber zusammen, so ist es begreiflich, daß diese nicht zufriedengestellt waren und Salzburg zu verdrängen suchten. Das erreichte zunächst Aquileia, das seine alten Besitztitel auf Karantanien hervorholte; es gelang ihm zwar nicht das frühere Binnen-Noricum ganz zurück zu erhalten, doch erreichte es auch hier die Draugrenze, die es in Unterpannonien schon besaß. Das geschah in dem schon erwähnten Ausgleich, den Karl der Große am 18. Juni 811 veranlaßte: da verfügte er, daß für K a r a n t a n i e n die in der Mitte der Provinz durchfließende Drau die Grenze zwischen den beiden Metropolitansprengeln Salzburg und Aquileia sein sollte 3 ); der Kaiser knüpfte wohl auch da, wie neuere Ausgrabungen schließen lassen, an eine frühere Grenze an, da das Drautal am Ende der Römerzeit befestigt war 4 ). Das Ergebnis des Abkommens war, daß Aquileia seine Nordgrenze gleichmäßig auf!) Mon. Germ., Epistolae 4 (1895) S. 143 f. 2 ) Mon. Germ., Concilia 2/1, S. 172—176. 3 ) iussimus, ut Dravus fluvius, qui per mediam illam provinciam currit, terminus ambarum d y o c e s e o n esset. Salzb. Urkb. 2, S. 12. 4 ) R. Egger, Ausgrabungen in Feistritz a. d. Drau, Jahreshefte des Österr. Archäolog. Institutes in W i e n 25 (1929), Beiblatt S. 213 f.

12. Der kirchliche Kampf um Pannonien und Mähren.

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runden konnte, indem die Drau von jetzt nicht nur in ihrem Unter-, sondern auch fast im ganzen Oberlaufe die Scheidelinie zwischen den beiden Erzbistümern wurde. Der vom Kaiser veranstaltete Ausgleich ging auf Kosten von Salzburg, das jetzt Südkarantanien verlor 1 ). Der angerufene Schiedsspruch hatte auch politische Folgen; da eine Provinz nicht zwischen zwei Metropoliten geteilt sein durfte, so kam auch in Karantanien, so wie es in Unterpannonien schon geschehen war, das Land südlich der Drau zur Mark Friaul (S. 282). E s läßt sich leicht ausdenken, daß solche Erfolge die am meisten verkürzte Passauer Kirche anspornen mußten, Ansprüche zu erheben. Das tat sie auch; die angefochtene Urkunde des Jahres 830 berichtet, daß sie von Salzburg das an den Wiener Wald östlich anschließende Pfarrgebiet (Oberpannonien) verlangte. Ludwig der Deutsche handelte ebenso wie sein Großvater Karl der Große, indem er das umstrittene Gebiet teilte. Da Oberpannonien aus zwei Grafschaften bestand, so bekam eine (die nördliche) Passau, die andere verblieb nach wie vor bei Salzburg. Es muß sich also auch hier wieder die kirchliche Grenze mit der weltlichen decken; hiefür zeugt die schon angeführte Urkunde desselben Königs aus dem J a h r e 844 über das an der Scheidelinie von zwei Grafschaften gelegene Gut zu Lehenbrunn und der natürliche Abschluß des Gebirges am Wechsel (Semmering); die dortige Wasserscheide stellt eine uralte Grenze dar, die wohl schon die beiden Völkerschaften der Azalier und Boier schied. Altkirchliche Grundsätze und das Reichsgesetz bestimmten dasselbe: wie eine Provinz nicht zwischen zwei Metropoliten aufgeteilt werden konnte, so durften nach der gleichen Vorschrift (806) in einer Grafschaft nicht zwei Bischöfe wirken (S. 253). Wenn schon Oberpannonien zwischen Salzburg und Passau geteilt werden sollte, so mußten beide von den zwei Grafschaften je eine ganz erhalten. Und das ist auch geschehen; so kamen Tulln und Wien an Passau. Erzbischof Adalram verteidigte die Rechte seiner Kirche in Oberpannonien mit dem Hinweise darauf, daß sein Vorgänger Arn dort die Seelsorge ausübte und predigte; von sich selbst sagte er nichts. Bischof Reginhar dagegen erklärte bloß, das umstrittene Missionsgebiet (parrochia) gehöre zu Passau. Das läßt darauf schließen, daß dieses dahin schon vorgedrungen war. Salzburg hatte östlich des Wiener Waldes die Bekehrung begonnen, w a r aber ^

Hauptmann, Politische U m w ä l z u n g e n S . 276.

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III. D i e Karolingische Ostmark und ihre „Drei Grafschaften".

dann, als es dazu noch Unterpannonien bis zur Drau erhielt, zunächst hier in Anspruch genommen und konnte dem Lande westlich der Raab nicht mehr jene Aufmerksamkeit widmen, die erforderlich gewesen wäre. Das scheint Passau nach dem Ableben Arns zu einem Vorstoß über den Wiener Wald benützt zu haben. Daß der Erfolg von Aquileia dazu ermunterte, zeigt die verdächtigte Urkunde des Jahres 830, die dem Schiedsspruch Karls des Großen über die Draugrenze in Karantanien (811) nachgebildet ist. Das gewährt einen Hinweis, daß sie in der königlichen Kanzlei entstanden ist, w o die Vorlage leicht zu beschaffen war. Wäre sie gefälscht, so müßte das in Salzburg oder Passau geschehen sein. Das erstere fällt aus, da doch niemand eine Urkunde erfinden wird, die ihm Schaden einbringt. Doch auch die Kirche in der Dreiflüssestadt kommt als Urheberin nicht in Frage, da es von ihr sinnwidrig wäre zu erklären, Erzbischof Arn hätte in dem umstrittenen Gebiet gepredigt: sie hätte ja damit bloß einen Anspruch Salzburgs bekräftigt und gegen sich selbst ausgesagt! Jene Forscher, die von einer in Passau gefälschten Urkunde sprechen, handeln daher lebensfremd, da sie das natürliche Denken des Menschen außer acht lassen und nur nach dem im Formelkram verkrusteten Gehäuse, aber nicht nach dem Inhalte urteilen. Wenn die Urkunde weder in Passau noch in Salzburg, deren Kirchen sich in dem behandelten Streit entgegentraten, entstanden ist, so kommt als ihr Verfertiger keiner der Empfänger, sondern einzig und allein der Aussteller, d. i. die königliche Kanzlei, in Betracht. Das zeugt aber dafür, daß sie in ihrem Wesen echt ist; die gerügten Verstöße sind daher erst später bei der Abschrift entstanden. Die Zuständigkeit der Passauer Kirche östlich des Wiener Waldes läßt sich für die Zeit der Karolinger aus anderen Quellen nicht beweisen. Das erste Anzeichen, daß die Stephanskirche auf Pannonien Anspruch erhebt, ist das Auftreten Pilgrims. Gleich nach seiner Wahl zum Bischöfe war er bestrebt, die besiegten Magyaren für das Christentum zu gewinnen. Schon für das Jahr 972 melden die Annalen des Klosters Einsiedeln in der Schweiz, dessen Mönch Wolfgang sei zu den Ungarn e n t s a n d t worden 1 ). Es kann also keine Rede davon sein, daß dieser auf eigene Faust dort gepredigt hätte 2 ), sondern er tat das in höherem Auftrage. Wer diesen er*) 972. Wolfgangus monachus ad Ungaros missus est. Mon. Germ., Script. 3, S. 143. 2 ) So u. a. Hauck, Kirchengesch. Deutschi. 3, S. 175 f.; dazu Janner, Gesch. d. Bischöfe v . Regensburg 1, S. 354 Anm. 5.

12. Der kirchliche Kampf um Pannonien und Mähren.

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teilte, läßt sich daraus erkennen, daß ihn Pilgrim alsbald zurück berief. So berichten Arnold und Othloh, die Geschichtschreiber von St. Emmeram 1 ). Den Grund, warum der Bischof das veranlaßte, kennen wir nicht; doch dürfte er darin gelegen sein, daß der Heimgeholte gleich darauf auf seinen Rat Oberhirte in Regensburg wurde. Der Rückruf Pilgrims an Wolfgang ist das erste Zeugnis, daß Passau östlich des Wiener Waldes Diözesanrechte ausübte. Wenn der entsandte Glaubensprediger dem an ihn ergangenen Befehle, nach Passau zu kommen, folgt, so anerkennt er hiemit Pilgrim als den für ihn dort zuständigen Bischof. Den Ort der Wirksamkeit Wolfgangs führen die Regensburger Quellen nicht an; sie sagen bloß, er habe vom östlichen Noricum aus die Grenzen Pannoniens überschritten 2 ). Die Sage macht Kirchberg am Wechsel zum Sitze Wolfgangs als Glaubensprediger 3 ); sie ist jedoch viel zu spät und an sich wenig glaubwürdig, zumal dieser bei den heidnischen Ungarn und nicht bei den von ihnen unterworfenen Christen gewirkt haben wird. Die Ansprüche Pilgrims gingen auf ganz Pannonien; für seine Zwecke hätte der Schiedsspruch Ludwigs des Deutschen wenig Sinn gehabt. Das gilt noch mehr für die nachfolgende Zeit, als Ungarn eine eigene Kirche erhielt und so für Passau verloren war. Das spätere Vordringen der Babenberger änderte daran nicht viel: das Land ostwärts der Leitha blieb dauernd in der Herrschaft der Arpaden. Ja, auch im Südosten büßte Passau den Wiener-Neustädter Bezirk ein; die Grafschaft Pütten gelangte nämlich an Karantanien und hiedurch kirchlich an Salzburg; es war der spätere Archidiakonat ultra montes; schon der hiefür geprägte Name bringt die Unnatur der neuen Grenze zum Ausdruck. Welchen Zweck hätte es bei solchen Veränderungen nachher für Passau gehabt, eine Urkunde zu verfertigen, die als Grenzen Gewässer angibt, die damals schon in Ungarn lagen? Der Schiedsspruch Ludwigs des Deutschen ist auch deshalb nicht später gefälscht, als die Raab und Spratz nach der Herrschaft der Karolinger als Grenzflüsse nicht mehr in Betracht kamen; er kann nur in die vorgegebene Zeit gehören und ist daher inhaltlich echt. Die Passauer Landbischöfe Anno, Albrich und der schon erwähnte Madalwin, von denen der erste von Ludwig dem Deutschen x

) Acta Sanctorum, Nov. tom. 2/1 (1894) S. 558, 572. ) Pannoniae petiit confinia. 3 ) Zibermayr, Wolfganglegende S. 44, b z w . 180. 2

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III. Die Karolingische Ostmark und ihre „Drei Grafschaften".

den Nutzgenuß an einem Gute an der Leitha (833) und zu Kirchbach bei Tulln (836) bekam, der zweite von demselben Könige Ländereien zwischen dem Wiener Wald und der Raab erhielt (859), der dritte ebenfalls in jener Gegend Liegenschaften besaß (903)1) gehören in ihrer Wirksamkeit vielleicht in die nördliche Grafschaft Oberpannoniens mit dem Sitze in Tulln, w o später der Erzpriester (Weihbischof) von Österreich seines Amtes waltete. b) U n t e r p a n n o n i e n

und

Mähren.

Für Passau w a r der Besitz der nördlichen Grafschaft in Oberpannonien deshalb wichtig, als sie den besten Zugang zum benachbarten Reiche der M ä h r e r eröffnete. Diese waren bereits im Jahre 822 den Franken zinspflichtig (S. 282), so daß sich von da an die Möglichkeit bot, sie zu bekehren. Die allerdings späteren und schon im Bannkreise der Lorcher Fabel stehenden Listen der Bischöfe von Passau sagen von dem vorhin genannten Reginhar, er hätte im Jahre 831 alle Mährer getauft und nennen ihn deshalb als deren Bischof 2 ). Das wäre also ein Jahr später gewesen, als derselbe Oberhirte das Wiener Becken als Sprengel erhalten hatte. Der Schiedsspruch Ludwigs des Deutschen und die Angabe der Passauer Bischofslisten fügen sich daher gut aneinander. Das Streben, Mähren zu bekehren, wird wohl für Reginhar eine Triebfeder gewesen sein, sein Anrecht auf Oberpannonien geltend zu machen. Die Mährer waren damals den Franken noch untertänig; das zeigen die Jahrbücher von Fulda, die für 846 anführen, König Ludwig der Deutsche sei gegen sie gezogen, da sie „auf Abfall sannen" 3 ). Die bald folgende Mainzer Synode (852) bezeichnet sie als noch ungeformte Christen 4 ). Die baierischen Bischöfe erklären in ihrem Schreiben an Papst Johann IX. (900), Mähren gehöre seit der Zeit, als dort das Christentum begann, zu Passau 5 ); sie setzen jedoch hinzu, seine Bewohner hätten den neuen Glauben wieder verlassen. Der auch hier wieder eingetretene Rückfall hängt, wie sie hinzufügen, mit einem Kriege (gegen die Franken) zusammen, so daß J

) Mon. Germ., Dipl. Karol. 1, S. 11, 21 f„ 142; Urkb. d. L. ob d. Enns 2, S. 50. ) 831. Regenharius episcopus Matavorum baptizat omnes Moravos. Mon. Germ., Script. 25, S. 623 u. 655 (Bernardus Noricus). 3 ) ad Sclavos Margenses defectionem molientes profectus est. Annai. Fuld. S. 36. 4 ) in rudem adhuc christianitatem gentis Maraensium. Mon. Germ., Capit. 2, S. 189. °) ab exordio christianitatis eorum. Cod. dipl. Bohemiae 1, S. 30. 2

12. Der kirchliche Kampf um Pannonien und Mähren.

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hiefür der von ihnen geplante Abfall des Jahres 846 in F r a g e kommt. Die P a s s a u e r Nachricht, Bischof Reginhar hätte die Mährer zu bekehren begonnen, ist demnach glaubwürdig. Ihr Herzog Moimir hatte eben damals den benachbarten Slavenfürsten P r i w i n a aus Neutra vertrieben, der bei den Karolingern Schutz suchte, das Christentum annahm und das Gebiet am Plattensee erhielt, w o er in Moosburg seinen Sitz aufschlug (S. 303 f.). Diese w u r d e in der Folge der Mittelpunkt der salzburgischen Mission in Unterpannonien. Der am 4. Jänner 836 verstorbene Erzbischof Adalram weihte bereits, wie die „Bekehrungsgeschichte" (c. 11) berichtet, in Neutra eine Kirche, die später der Sitz eines Bischofs wurde, während Moosburg erst im Jahre 850 ein Gotteshaus bekam. Salzburg ließ nach derselben Quelle sein dortiges Missionsfeld durch einen Erzpriester versehen, deren erster der Hofgeistliche Priwinas w a r . Bald erstand eine Reihe von Kirchen, deren Gläubige teils Slaven, teils Deutsche w a r e n . Doch stellten sich dem günstigen Anlaufe bald Hindernisse in den W e g . W i e ehedem Karantanien und das Dreigrafschaftsgebiet, so erhielten jetzt Pannonien und Mähren nicht ein bodenständiges Kirchenwesen, sondern beide w u r d e n Missionsbezirke von Salzburg, P a s s a u und Aquileia: der neugewonnene Markboden bekam keine eigenen Bischöfe, sondern deren Aufgaben versahen die benachbarten Bistümer des Frankenreiches. Gleichzeitig nahm jedoch Karl der Große die Sachsen, obwohl auch sie damals noch Heiden w a r e n , gleich in das engere Reichsgebiet auf, ohne hiefür erst den Vorhof einer Mark zu schaffen; er ließ ferner für dort sogleich einen eigenen Bischof weihen. Der Grund dieses auffälligen Unterschiedes wird wohl im Germanentum der Sachsen gelegen sein, die hiemit in die gleiche Stufe wie das Herrenvolk der Franken und die übrigen deutschen Stämme traten 1 ). Ihnen gegenüber w a r e n die A w a r e n und Slaven untergeordnet und bevormundet. So ist es begreiflich, daß auch diese nach größerer Selbständigkeit und damit im Zusammenhange nach einem eigenen Kirchenw e s e n s t r e b t e n ; für sie bedeutete ja das Christentum zugleich die Abhängigkeit vom Frankenreiche. D a s trat schon bei den Baiern h e r v o r und w u r d e bei den Slaven durch die Verschiedenheit der Sprache noch verschärft. Ihr Fürst Ratislav, der Neffe Moimirs, w a n d t e sich nach seinem Abfall vom fränkischen Reiche um das Aubin, Raum u. Grenzen d. deutschen Volkes S. 118 f.

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III. Die Karolingische Ostmark und ihre „Drei Grafschaften".

Jahr 863 an den byzantinischen Kaiser Michael mit der Bitte, ihm griechische Glaubensprediger zu senden. Dessen Wahl fiel auf das gebildete Brüderpaar C y r i l l ( K o n s t a n t i n ) u n d M e t h o d, die aus Tessalonich stammten; da in dessen Umkreise Slaven wohnten, verstanden sie auch noch deren Sprache ; ja Cyrill übersetzte die Bibel in das Slavische und erfand hiefür eine eigene Schrift (die glagolitische); er wurde so der Begründer des slavischen Schrifttums. Ihre Wirksamkeit in Mähren erhielt hiedurch ganz andere Erfolge, als sie den der Landessprache weniger kundigen Priestern aus Passau je beschieden waren. Nach wenigen Jahren berief sie Papst Nikolaus I. nach R o m ; doch als sie dort ankamen, w a r er eben verschieden (867). Sein Nachfolger Hadrian II. nahm sie freundlich auf, doch starb Cyrill dort bereits am 14. Feber 869; eben damals stellte aber König Ludwig seine Oberhoheit über Mähren wieder her, so daß Method wo anders sein Arbeitsfeld suchen mußte. Das geschah bei Kozel, dem Sohne Priwinas, in M o o s b u r g , der beide Brüder auf ihrer Hinreise nach Rom als Gäste aufnahm. Als einfacher Priester vermochte sich jedoch der griechische Glaubensprediger gegen Salzburg nicht durchzusetzen. So entsandte ihn Kozel nach Rom und erbat für ihn die Bischofsweihe 1 ); auf das hin erhob Hadrian II. M e t h o d z u m E r z b i s c h o f v o n P a n n o n i e n. Das Ansuchen des Slavenfürsten am Plattensee war dahin gegangen, das untergegangene Erzbistum Sirmium wieder zu erneuern, um so die Rechte der Salzburger Kirche unwirksam zu machen: war nämlich sein Land eine eigene Kirchenprovinz, so hatte er dies erreicht. Der eigentliche Anreger dürfte jedoch Method selbst gewesen sein, da in dem Antrage nicht eine slavischheidnische Kunde, sondern eine kirchliche Sage vorliegt; nach ihr war Andronicus, ein Freund des Apostels Paulus, der erste Bischof der pannonischen Hauptstadt. Sirmium erhob sich wieder, als es die Hunnen zerstört hatten; im Jahre 582 fiel es nach hartnäckigem Widerstande in die Hände der Awaren. Nach den Siegen Karls des Großen kam dort das Land südlich der Drau und damit Sirmium zum Herzogtum Friaul und kirchlich zu Aquileia; es lag jetzt also *) ut illum

ordinaret

episcopum in Pannonia

in sedem

s. Andronici

apostoli.

E . Dümmler, Die pannonische Legende vom hl. Methodius, Archiv f. Kunde österr. Geschichtsquellen 13 (1854)

S. 160.

12. Der kirchliche Kampf um Pannonien und Mähren.

369

außerhalb des Machtbereiches von Kozel. Das griechisch-römische Bistum war damals schon längst erloschen; eben deshalb kam ja der seines kirchlichen Ranges entkleidete Ort mit Umgebung an den Patriarchat Aquileia; und das tat ausgerechnet derselbe Kaiser, der sonst so gerne an das Altertum anknüpfte. Der Papst war daher gar nicht in der Lage, das untergegangene Erzbistum zu erneuern und es Method zu verleihen 1 ); er hätte auch in anderem Falle es kaum getan, da von einem erloschenen Bischofssitze keine Rechte abzuleiten w a r e n ; er ernannte denn auch, wie aus mehreren Briefen zu schließen ist, den von Kozel abgesandten griechischen Priester zum Erzbischof von Pannonien, ja auch der mährischen Kirche 2 ). Nach kirchlichem Brauche werden Bistümer nie nach einem Lande, sondern, wie einst die römische civitas, nach der Stadt des Sitzes benannt. Method war also, wie schon die Titel zeigen, nicht Erzbischof von Sirmium, sondern von Pannonien; er wird zuerst in Moosburg am Hofe Kozels gewirkt haben 3 ); nach dessen Ableben, als Unterpannonien wieder fränkische Grafen verwalteten, verlegte er seine Tätigkeit wieder an die March, deren Flußgebiet niemals zu Pannonien gehörte. Sein Sitz sollte der kirchliche Mittelpunkt aller Slaven an der mittleren, ja auch der unteren Donau werden; dieser war aber noch nicht fest bestimmt, so daß hiefür der Ländername trat. Seine Stellung war also genau so gedacht, wie sie vor mehr als hundert Jahren Bonifaz für Deutschland erhielt: als vom päpstlichen Stuhle entsandter Heidenapostel 4 ). Pannonien galt also in Rom ebenso wie ehedem Germanien als Missionsland, das erst später in Sprengel geteilt werden sollte. Der Papst entsandte Method in ähnlicher Weise nach Pannonien, wie ehedem der König der Franken Emmeram nach Baiern beorderte, um dort als pontifex provinciae zu wirken; der eine, *) So u. a. Heuwieser, Gesch. d. Bistums Passau 1, S. 156, der jedoch S. 168 die Aufgabe des Method richtig mit der des Bonifaz vergleicht. Bald hernach kam das Gebiet von Sirmium an das Reich der Bulgaren. Karte bei G. Ostrogorsky, Gesch. d. byzantinischen Staates (1940) S. 185. 2 ) Methodium, Pannonicum archiepiscopum legatione apostolice sedis ad gentes fungentem (873); M. archiepiscopo Pannoniensis ecclesie (879); M. r. archiepiscopo s. ecclesie Marabensis (880). Mon. Germ., Epistolae 7 (1928) S. 161, 222, 286. 3 ) Diimmler, Pannonische Legende S. 189 uv dessen Gesch. d. Ostfränk. Reiches 2, 2. Aufl. (1887) S. 263, 382. 4 ) Bonifatio archiepiscopo provinciae Germaniae (742/43); B . . . legatus Germanicus sedis apostolice (746/47); B. legatus Germanicus catholice apostolice Romane ecclesiae (747). Mon. Germ., Epist. selectae 1 (1916) S. 96, 157, 161. 24

370

III. Die Karolingische Ostmark und ihre „Drei Grafschaften".

wie der andere hatte noch keine Suffragane, wenn auch der erstere bereits Erzbischof war. Rom behandelte daher Pannonien und Mähren noch als H e i d e n 1 ä n d e r, obwohl in dem ersteren Salzburg mehr als siebzig, in letzterem Passau beiläufig vierzig Jahre wirkte; es sah die Vorarbeit der beiden Bistümer nicht als berechtigt an und ging über sie hinweg; es handelte jetzt wieder wie ehedem Gregor II. (S. 161) und nach ihm Bonifaz (S. 178 f.) in Baiern, welche die von den fränkischen Hausmeiern entsandten irischen Bischöfe nicht anerkannten. Und das war noch nicht alles: Method erhielt von Hadrian das unerhörte Zugeständnis, nicht nur, wie es bisher geschah, in der Predigt, sondern auch in der Messe die slavische Sprache anwenden zu dürfen. Der Papst verlieh dieses beispiellose Vorrecht gegen den Rat seiner Umgebung. Das zeigt schon, daß seine Pläne viel weiter gingen, als der Antrag des Kozel: Hadrian wollte die Slaven aus dem Machtbereiche des griechischen Ostens entreißen und sie dauernd mit Rom verbinden. Es war jetzt in anderer Form wieder die schon im Altertum umstrittene Zugehörigkeit Illyriens (Pannoniens) zum griechischen Osten oder lateinischen Westen aufgerührt. Nach der Absicht des Papstes hätte Method Erzbischof aller Slaven werden sollen, die er dauernd an Rom ketten wollte; deshalb gab er ihm, dem Künder ihrer Schrift- und Kirchensprache, so lockende Vorrechte; gerade sie sollte alle Slaven zu einer großen Einheit verbinden; mit ihr hoffte er Ostrom aus dem Felde zu schlagen. In der gleichen Absicht versuchte derselbe Papst vom griechischen Kaiser B u l g a r i e n als einen Teil des ehemaligen Illyriens in Anspruch zu nehmen. Der dortige Fürst Bogoris (Boris) wurde um das Jahr 864 Christ und bat den byzantinischen Herrscher, in sein Land Priester zu senden; eben damals hatte er aber auch eine Zusammenkunft mit König Ludwig dem Deutschen zu Tulln, um Frieden zu schließen. Diesen benützte er dazu, den Aufstand seiner Großen, die den neuen Glauben nicht annehmen wollten, niederzukämpfen; er wandte sich jetzt sowohl an König Ludwig, als auch an den Papst Nikolaus I. mit der Bitte, ihm Glaubensprediger zu senden. Die Wahl des Königs fiel auf den Mönch des schwäbischen Klosters Ellwangen, Ermanrich, der gleichzeitig (866) Bischof von Passau wurde. Im nächsten Frühjahre brach dieser nach Bulgarien auf, kam aber schon zu spät, da dort bereits römische

12. Der kirchliche Kampf um Pannonien und Mähren.

371

Geistliche Fuß gefaßt hatten; er kehrte deshalb unverrichteter Dinge wieder zurück; der deutsche Vorstoß nach Bulgarien war damit gescheitert, aber ebenso konnte sich dort Rom nicht auf die Dauer behaupten und mußte vor Konstantinopel zurückweichen. Ermanrich w a r der erste Oberhirte von Passau, der mit einer großen Aufgabe im Osten betraut w a r ; auf seinen Pfaden wandelt später, nach den Siegen über die Ungarn, Bischof Pilgrim. Noch viel schmerzlicher war für das Frankenreich die kirchliche Einbuße in Pannonien und Mähren, wo Salzburg und Passau den Grund gelegt hatten; wurden diese verdrängt, so hatte der fränkische König dort nichts mehr zu sagen. Wohl noch im Jahre 870 begann Method in P a n n o n i e n — und damit beginnt der eigentliche Kirchenstreit mit Salzburg — als Erzbischof zu schalten 1 ); er und sein Bruder hatten von Anbeginn nicht übersehen, daß sie noch im Bannkreise des fränkischen Reiches zu wirken hatten und suchten im Einvernehmen mit ihren Fürsten wohl deshalb ihre Stütze in Rom und nicht in Konstantinopel, von wo sie gesendet waren. Unter dem Schutze des Königs Ludwig konnte gleichwohl Salzburg hoffen, den in sein Missionsgebiet eingedrungenen Method zurückzudrängen. Erzbischof Adalwin berief eine Synode und lud Method vor, der in Rücksicht auf die abhängigen Fürsten Kozel und Ratislav erschien 2 ). Es kam zu einem heftigen Zwist. Bischof Ermanrich von Passau ließ sich soweit fortreißen, daß er gegen den Vorgeladenen mit der Reitpeitsche losgehen wollte. Die baierischen Bischöfe warfen Method vor, er sei in ihren Sprengel eingedrungen; der Angeklagte jedoch verantwortete sich damit, daß das umstrittene Gebiet nicht ihnen gehöre, sondern nach Rom zuständig sei und sie selbst gegen die Kirchengesetze die alten Grenzen (antiquos fines) überschritten hätten; sie anerkannten nicht den vom Papste ernannten Erzbischof und wiesen ihn als Gefangenen in ein Kloster, wo er fast drei Jahre zubringen mußte. Gleich hernach wandte sich der Verurteilte nach Rom um Hilfe 3 ). Das war der Anlaß, daß Salzburg, um sein Recht zu beweisen, jene Denkschrift ausarbeiten ließ, die als „Bekehrungsgeschichte der Baiern und Karantanen" (Conversio) bekannt ist: ihr Verfasser greift hiebei bis auf den Gründer seiner Kirche Rupert zux

) Uber den Zeitpunkt Hauck, Kirchengesch. Deutschi. 2, S. 723 Anm. 2. ) Heuwieser, Gesch. d. Bistums Passau 1, S. 158 f. 3 ) Dümmler, Pannonische Legende S. 160 f. 2

24*

372

III. Die Karolingische Ostmark und ihre „Drei Grafschaften",

rück und erzählt noch, wie dessen Nachfolger das Christentum nach Karantanien verpflanzten; für Unterpannonien kann er sich bereits auf eine 75jährige Tätigkeit seines Erzstiftes berufen und er nennt die Gotteshäuser, die es dort bis zum Auftreten eines „gewissen Griechen Method" (c. 12) ins Leben rief; es waren nicht viel mehr als dreißig; seine ruhige und sachliche Art verleiht der von ihm verfaßten Schrift einen unvergleichlichen Wert. Papst Hadrian II. konnte dem gefangenen Erzbischof, den er selbst ernannt hatte, nicht mehr helfen. Um so tatkräftiger schritt für ihn, ermutigt durch einen Aufstand in Mähren, in dem das Volk die deutschen Priester vertrieb, sein Nachfolger Johann VIII. ein; er entsandte im Mai 873 einen eigenen Legaten, um Ludwig dem Deutschen sagen zu lassen, daß kraft unverjährbarer Rechte Pannonien kirchlich dem Apostolischen Stuhle unterstehe; Einbrüche der Heiden hätten zwar Rom lange verhindert, dorthin Geistliche zu entsenden, doch könnte es sein Anrecht aus Synodalakten beweisen. Der König gab nach den Waffenerfolgen der Mährer nach. Gleichzeitig befahl der Papst dem Erzbischof Adalwin von Salzburg, Method wieder in seinen Sprengel einzuführen; den Bischof Ermanrich von Passau lud er nach Rom vor, um sich zu rechtfertigen 1 ). Die beiden letztgenannten Empfänger starben bald darauf. Der neue Papst untersagte jedoch Method den Gebrauch der slavischen Kirchensprache, mußte jedoch im Jahre 879 sein Verbot erneuern, da der wieder eingesetzte Erzbischof nach der Anklage seiner Gegner sich nicht daran hielt 2 ). In M ä h r e n übergab Herzog Swatopluk, der Neffe von Ratislav, Method das ganze Kirchenwesen. Johann VIII. ordnete es im Juni 880: er bestätigte den Genannten dort als Erzbischof und unterstellte ihm das neugeschaffene Bistum Neutra und ein erst noch zu errichtendes und weihte für das erstere den ihm vom mährischen Fürsten vorgeschlagenen Schwaben Wiching als Bischof 3 ). Die Wahl des letzteren und die damit zugestandene Zweisprachigkeit der Landeskirche schufen bald einen Zwiespalt, in dem der der slavischen Kirchensprache weniger geneigte Swatopluk sich auf seine Seite stellte. Am 6. April 885 starb Method und bald verfiel *) Mon. Germ., Epist. 7, S. 281—286. 2 ) Audimus etiam, quod missas cantes in barbara, hoc est in Sclavina Ebendort S. 161. 3 ) Ebendort S. 222 f.

linqua.

12. Der kirchliche Kampf um Pannonien und Mähren.

373

auch dort sein Werk, das in Pannonien schon seit dem Ableben des Fürsten Kozel nicht mehr gedieh. Nach ihm leitete sein Widersacher Wiching die mährische Kirche, der jedoch bald (893) Kanzler des Königs Arnulf und hernach (899) Bischof von Passau wurde. Das bereits erwähnte Schreiben der baierischen Bischöfe an Papst Johann IX. (900) ist das letzte Zeugnis in dem heftigen Kirchenstreite und behandelt das Wirken des Passauer Bistums in Mähren, das dorthin zuerst das Christentum brachte; es ist seinem Inhalte nach eine Beschwerdeschrift gegen den Versuch des Herzogs Moimir, des Sohnes Swatopluks, das mährische Erzbistum zu erneuern; es ist der Salzburger Denkschrift an die Seite zu stellen, die schon früher für Pannonien die gleiche Gefahr bekämpfte. Doch weder die Slaven noch die Franken, aber auch nicht Rom und Konstantinopel erreichten ihr Ziel: Sieger wurden die Ungarn, die sowohl das mährische Reich zerstörten, als auch am 4. Juli 907 bei Preßburg den baierischen Heerbann vernichteten; sie brachten wieder die Rückkehr zum Heidentum. Der Versuch, in unmittelbarer Nachbarschaft des fränkischen Reiches eine slavische Volkskirche zu schaffen, w a r gescheitert; als dauerndes Ergebnis blieb jedoch die slavische Schrift und Kirchensprache, die außerhalb des römischen Machtbereiches über Bulgarien hinweg in Rußland eine neue Heimat fand. Wichtiger als der den politischen Ereignissen folgende Verlauf ist für uns das Wesen des Streites. Salzburg und Passau kämpften für die deutsche Reichskirche, die in Pannonien Karl der Große geschaffen hatte; er w a r es ja, der das eroberte Land zwischen Raab, Donau und Drau der Salzburger Kirche zuteilte; daß hiebei der Papst nichts zu sagen hatte, beweist die Salzburger Denkschrift, die im Kampfe für das Recht ihrer Kirche ein etwaiges Einvernehmen mit Rom gewiß nicht unerwähnt gelassen hätte. Karl der Große hat das von ihm gehandhabte Staatskirchentum nicht erst begründet, sondern er setzte hierin das Vorgehen der Merowinger fort; diese und nicht etwa die Päpste haben die irischen Glaubensprediger nach Baiern entsendet, als sie es von sich abhängig gemacht hatten. Um sich dem fränkischen Drucke zu entziehen, wandte sich Herzog Theodo schon im Jahre 716 nach Rom und suchte eine eigene Landeskirche zu schaffen; sein späterer Nachfolger Odilo handelte nicht anders; beide fanden hierin die Mithilfe der Päpste,

374

III. Die Karolingische Ostmark und ihre „Drei Grafschaften".

erreichten jedoch nicht den beabsichtigten Zweck. Der letztere und sein Sohn Tassilo führten, als sie Karantanien erobert hatten, dort nicht selbst das Christentum ein, sondern das hiezu berufene Bistum Salzburg ließ sich sein Recht von Rom bestätigen; Erzbischof Arn berief sich ja in dem Schiedssprüche Karls des Großen über die Draugrenze (811) eigens auf die Vollmachten, die seinen Vorgängern die Päpste Zacharias, Stephan und Paul (741—767) erteilten 1 ). Die Agilolfinger suchten das Einvernehmen mit Rom und hofften dort eine Stütze zu finden gegen das mächtige Frankenreich. Nicht anders handelten die slavischen Fürsten in Pannonien und Mähren; auch sie wollten sich der fränkischen Oberhoheit entziehen und fanden dafür einen Rückhalt zunächst in Konstantinopel, aber dann in Rom; für sie war die Abhängigkeit noch empfindlicher, als sie, da sie anderer Sprache waren, kein eigenes Kirchenwesen besaßen, sondern fremden Bistümern unterstanden; sie teilten das Schicksal mit Karantanien. Dieses scheidet jedoch aus dem Kirchenstreite aus 2 ), da es bereits baierische Grafen verwalteten; überdies hätten die Päpste es Salzburg nicht entziehen können, ohne die von ihren Vorgängern erteilten Rechte zu verletzen. Anders lag die Sache jedoch bei Pannonien und Mähren. Wie die Karolinger in der kirchlichen Mission die Politik der Merowinger fortsetzten, so verblieb Rom auf dem Standpunkt, den Gregor der Große eingenommen hatte, als er die Bekehrung heidnischer Völker in großem Stile begann. Dieser hatte selbständig zu den Angelsachsen Glaubensboten entsendet und betrachtete das als Aufgabe des Papsttums: die neubekehrten Länder sollten unter dem Schutze und der Aufsicht Roms stehen. Seine Nachfolger dachten nicht anders, konnten sich jedoch gegen die Übermacht der fränkischen Herrscher nicht durchsetzen. Nach dem Ableben Karls des Großen ging aber deren Ansehen immer mehr zurück, so daß die Päpste schon damals ihre Rechte auf die Mission geltend machten 3 ); ihr Einfluß stieg noch viel mehr. Regino von Prüm nennt den im Jahre 867 verschiedenen Nikolaus I. einen zweiten Elias; L ö w e , Reichsgründung S. 52, 83, 92. ) Das Excerptum de Karantanis läßt zwar Method aus Karantanien fliehen, doch ist dabei Unterpannonien zu verstehen (oben S. 284 f.): Fugatus a Karantanis partibus intravit Moraviam. Ausgabe von Kos S. 140. 3 ) Brackmann, Kulturbewegung in Osteuropa S. 208 f. = Gesammelte Aufsätze S. 100 f. 2

12. Der kirchliche Kampf um Pannonien und Mähren.

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er habe den Königen geboten, als wäre er der Herr der Erde 1 ). Wenn schon die baierischen Herzoge in Rom Schutz fanden und eine eigene Kirchenprovinz erhoffen durften, so war das jetzt für die slavischen Fürsten um so aussichtsvoller. Daß diese bei letzteren slavisch werden sollte, war bei der herrschenden Landessprache nicht anders zu erwarten; daß ihr jedoch Hadrian II. noch die slavische Kirchensprache zusprach, deutet auf die Absicht, den drohenden Einbruch Ostroms auszuschalten und erklärt sich aus der Doppellage Pannoniens zwischen dem griechischen Morgenund dem lateinisch-germanischen Abendlande. Das Werk Methods w a r hiedurch sehr erleichtert. Es ist jedoch nicht zu übersehen, daß im Herrschaftsbereiche Kozels neben den slavischen Siedlungen eine Reihe deutscher bestanden. Dasselbe war in Mähren der Fall, weshalb eben später Swatopluk einem Schwaben das neue Bistum Neutra übertragen ließ. Es kann daher weder hier noch dort von einem rein slavischen Staatswesen gesprochen werden; das schließt schon die fränkische Oberhoheit und zumal in Pannonien die Aufnahme des flüchtigen Fürsten Priwina aus. Die slavische Kirchenprovinz hätte an der mittleren Donau ein unabhängiges Staatswesen vorbereitet, in dem der König und die deutschen Ansiedler nichts gegolten hätten. Das Vorgehen Roms war ein Unrecht gegen die Kirchen von Salzburg und Passau, die dorthin das Christentum gebracht hatten und ein Vorstoß gegen das Frankenreich, dem es wie keinem verpflichtet w a r ; hätte es, wie es vorgab, ein unverjährbares Anrecht auf Illyrien gehabt, so hätte es dies gleich nach den Siegen über die Awaren bei Karl dem Großen anmelden müssen und nicht erst jetzt, wo ohne sein Zutun andere die Grundlagen gelegt hatten. Das allein maßgebende höhere Alter besaßen in Pannonien und Mähren die Kirchen von Salzburg und Passau, aber nicht Method; Sirmium war nicht mehr zu zählen, da es als Bistum schon längst untergegangen war. Der einzige Grund, den Rom ins Treffen zu führen hatte, war der, daß Salzburg und Passau hiefür keine päpstlichen Vollmachten nachweisen konnten; dagegen vermochten sich jedoch die baierischen Bischöfe darauf berufen, daß Pannonien zum Reiche gehörte und Mähren ihm untertänig w a r ; es galt für sie also hier wie dort das fränkische Reichsrecht, das dem Könige sehr hohe kirchliche Rechte verlieh. Der Plan Hadrians II. war gewiß großzügig, doch hatte er bei der Abhängigkeit der slavischen Fürsten schon an sich wenig Ausx

) Schulausgabe von F. Kurze (1890) S. 94.

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III. Die Karolingische Ostmark und ihre „Drei Grafschaften".

sieht auf Erfolg; auch ohne das Dazwischentreten der Ungarn wäre er kaum verwirklicht worden: die bestehenden Rechte sind doch in der Regel stärker als die längst verblichenen; diese als „unverjährbar" durchzusetzen, hätte es der Oberhoheit des Papstes über Könige und Fürsten bedurft, die damals noch nicht gegeben w a r ; dabei ist nicht zu übersehen, daß in jener Zeit die Vorstufe der Bekehrung die Unterwerfung war, die nicht die. Päpste, sondern die fränkischen Könige besorgten. Doch siegte auch hier, wie so oft, weder das eingebildete, noch das wirkliche Recht, sondern es entschied einzig und allein die Macht.

IV. Das Dreigrafschaftsgebiet in der Ungarnzeit und das „Erzbistum" Lorch. 1. Die Ungarneinfälle und der Untergang der Karolingischen Ostmark. Das Ableben des tatkräftigen Kaisers Arnulf (899) und die Nachfolge seines unmündigen Sohnes Ludwig des Kindes hatten es den Ungarn ermöglicht, das mährische Reich zu zerstören und in Baiern einzubrechen. Um letzteres für die Zukunft zu verhindern, begann jetzt die Anlage fester Plätze an wichtigen Flußübergängen. So erstand die Ennsburg (900), die in den Drei Grafschaften den Bau neuer wehrhafter Standorte einleitet. Die Ennslinie sollte der letzte Schutz sein, um das Stammesgebiet zu schirmen, wenn schon die Bollwerke Pannoniens und des noch wenig befestigten norischen Unterlandes nicht mehr den Ansturm aufhalten konnten. Wie am Ende der Awarenzeit war die Enns abermals ausersehen, der certus limes zu werden. Und das kam sehr rasch und gelang nicht einmal ganz. Am 4. Juli 907 vernichteten die Ungarn das baierische Heer bei P r e ß b u r g — den Schlachtort erfahren wir aus den neu aufgefundenen Salzburger Jahrbüchern 1 ) — wobei Markgraf Liutpold und mit ihm die Bischöfe von Salzburg, Freising und Säben sowie zahlreiche Adeljge und der größte Teil des Heeres den Tod fanden; es war nach dem Untergang von Lorch die schwerste Niederlage, welche die baierische Geschichte kennt; sie zeitigte Folgen, die auch heute noch nicht überwunden sind: Pannonien war damit dauernd verloren und die deutsche Siedlung, das Werk mehrerer Menschenalter, brach dort jäh zusammen; Baiern w a r nunmehr wie in den Zeiten der Awaren den Feinden unmittelbar preisgegeben. Mit dem Ableben Ludwigs des Kindes (911) starb das Haus der deutschen Karolinger aus; das von Karl dem Großen gegründete germanisch-romanische Staatengebilde fiel damit auseinander. Die *) 907. Bellum Pessimum Script. 30/2, S. 742.

fuit ad Brezalauspurc

IIII non.

Julii. Mon.

Germ.,

378

IV. Das Dreigrafschaftsgebiet in der Ungarnzeit

usw.

Schwäche der Königsgewalt im ehemaligen Ostfranken brachte wieder die Stammesherzogtümer in die Höhe, so daß Arnulf von Baiern, der schon genannte Sohn des Markgrafen Liutpold, wie ehedem die Agilolfinger als selbständiger Fürst herrschen wollte. Der hiedurch hervorgerufene Zwiespalt verhinderte eine planmäßige Abwehr der gefährlichen Nachbarn in Pannonien, ja war für diese der gegebene Anlaß, ihre Raubzüge immer wieder zu erneuern. Die hohen Schäden und Kosten, die daraus erwuchsen, nötigten den Herzog, seine Hand auf das Kirchengut zu legen; darunter litten am meisten die Klöster. Die ungarischen Reiterscharen waren schon kurz vorher über den Inn vorgedrungen. Die Salzburger Jahrbücher vermerken eine Schlacht von Neuching bei Erding (910) und einen großen Sieg des Herzogs Arnulf am eben genannten Flusse (913), wo viele Ungarn ertranken. Doch — u n d das beleuchtet die düstere Zeit — findet bald darauf, wie der Langobarde Liutprand berichtet, ihr Uberwinder im Kampfe gegen König Konrad I. bei ihnen Zuflucht 1 )! Nach dessen Tode (918) ließ er sich von seinen Baiern zum Könige wählen; die Salzburger Jahrbücher, die uns dieses früheste Gegenkönigtum in der deutschen Geschichte melden, gebrauchen hiebei zum erstenmal für das neu geschaffene Reich den Ausdruck: regnum Teutonicorum 2 ). Doch kurz nachher unterwarf sich Arnulf dem von den Franken und Sachsen gewählten Könige Heinrich I. (919—936), der für das entstehende Reich, das alle deutschen Stämme umfaßte, die festen Grundlagen legte. Heinrich I. war es auch, dessen Vorarbeit die Aussicht schuf, die Ungarn zu besiegen. Einen mit ihnen abgeschlossenen Waffenstillstand, der einen neunjährigen Frieden brachte, benützte er, um ein Reiterheer zu schaffen und feste Plätze anzulegen. Im Jahre 933 brachte er ihnen, als sie im Sachsenlande wieder erschienen, eine schwere Niederlage bei, deren Ort „Riade" früher an der Unstrut, jetzt aber bei Merseburg gesucht wird 3 ). Zehn Jahre später errang über sie Herzog Bertold von Baiern, der Bruder des kurz vorher (937) verstorbenen Arnulf, einen glänzenden Sieg bei Wels an der Traun 4 ). Doch sechs Jahre darauf drangen die Un*) Breßlau, Salzburger Annalistik S. 56—59; B. Höman, Gesch. d. ungar. Mittelalters 1 (1940) S. 118. -) Mon. Germ., Script. 30/2, S. 742. 3 ) W . Radig, Heinrich I. (1937) S. 89 f. 4 ) E. Köpke und E. Dümmler, Kaiser Otto der Große (1876), Jahrbücher der* Deutschen Geschichte, S. 130.

1. D i e Ungarneinfälle

und der U n t e r g a n g

usw.

379

garn in den Nordgau ein, wo sie jedoch Herzog Heinrich I. von Baiern, der Bruder des Königs, wieder vertrieb; ja der Nachfolger Bertolds drang sogar in Pannonien ein und fügte ihnen dort schwere Verluste bei 1 ). Der ruhmvolle Abschluß all dieser verheißungsvollen Kämpfe war der herrliche Sieg, den der Sohn des Königs, Otto I. der Große, am Laurentiustage (10. August) 955 auf dem L e c h f e l d e , in der Nähe des von Bischof Ulrich heldenmütig verteidigten Augsburg, über den an Zahl weit überlegenen Gegner erfocht. Die Ungarn waren damals am Kampfplatze erschienen, als ein Aufstand gegen den König, in dem auch dessen Sohn Liudolf, Herzog von Schwaben, und baierische Große beteiligt waren, ihnen den Weg zu bahnen schien; auch die Slaven im Osten der Elbe waren eben daran, einen Überfall zu wagen. Doch in der entscheidenden Stunde der Gefahr standen alle vier deutschen Hauptstämme fest zusammen und errangen mit Hilfe der Tschechen einen durchschlagenden Erfolg. Die Ungarn wagten — das war der bleibende Gewinn — in Hinkunft nicht mehr, ihre blutigen Beutezüge weiter auszudehnen; der Friede und die Ruhe an der Ostgrenze Baierns war damit im Wesen gesichert. Was das für die abendländische Kultur bedeutet, ist daraus zu ermessen, daß auf die fünfhundertjährige Herrschaft der Römer an der mittleren Donau eine ebenso lange Zeitspanne folgte, in der die aus dem Osten kommenden Hunnen, Awaren und Magyaren in immer wiederkehrenden Raubzügen Deutschland verwüsteten; darunter litt am meisten das Uferland an der Donau, das die gegebene Einfallspforte war. Wie bei den Anstürmen der Awaren die Kraft Baierns zur Abwehr nicht ausreichte, so war auch gegen die Ungarn das Zusammenwirken aller Stämme erforderlich, um die Gefahr endgültig zu bannen. Und doch war das Ergebnis jetzt ein ganz anderes. König Karl hatte in gewaltigen Schlägen den Feind in dessen Sitzen niedergeworfen, während sein späterer Nachfolger, der wie er den Namen des „Großen" führt, sich mit der Abwehr begnügen mußte. Es fällt auf, daß er nicht nachher, gleich seinem Vorgänger, den Feind in dessen Lande niederwarf und Pannonien zurück erwarb. Die Fortdauer der Slavenkämpfe, der Zug nach Italien, wo Otto die Kaiserkrone empfing (962), ließen den Wiedererwerb Pannoniens zurückRiezler,

G e s c h . B a i e r n s 1/1, S. 532 f.

380

IV. Das Dreigrafschaftsgebiet in der Ungarnzeit

usw.

treten, so daß die Ungarn dort dauernd seßhaft wurden; sie nahmen das Christentum an und retteten hiedurch den Bestand ihres Staates; ihnen erwuchs als geschichtlicher Beruf die Aufgabe, im Donauraume die Slavenwelt zu trennen, in der sie als Keil hineinreichen. Karl der Große verfügte schon nicht über die nötige Volkszahl, Pannonien zu besiedeln und mußte dort zum Teile auch Slaven heranziehen. Der Erfolg war bloß ein vorübergehender, der nicht hiezu verlockte, sein Beispiel nachzuahmen, zumal die den Ottonen zu Gebote stehende Bewohnerzahl jetzt nach den vielen Kriegen und Kämpfen noch weniger ausgereicht hätte. Das gewährte den bleibenden Gewinn, das unter den Karolingern vernachlässigte Dreigrafschaftsgebiet planmäßig zu besiedeln und dauernd zu erhalten, ja auch noch darüber hinaus den Weststreifen Pannoniens für immer in Besitz zu nehmen. Die Lechfeldschlacht machte wenigstens zum Teile die Folgen der Niederlage von Preßburg (907) wett und brachte die Geburtstunde des deutschen Österreich. Die nun entstehende Ostmark, deren Wurzel die beiden Grafschaften des norischen Unterlandes bilden, war zwar ein viel kleineres, aber dafür dauerndes Gebilde, aus dem späterhin eine Großmacht erwuchs. Es fragt sich noch, welche Schicksale der mit Pannonien verbundene „ B a i e r i s c h e Grenzabschnitt im Osten" durch die Siege der Ungarn erlitt. Der Einfall des Jahres 900, der erste Ansturm seit den Tagen der Awaren, w a r bloß vorübergehend. Die Raffelstettener Zollurkunde zeigt noch klar das Weiterbestehen der früheren Verhältnisse im norischen Uferlande; kurz vorher (903) vermachte der Passauer Chorbischof Madalwin die ihm gehörigen Güter jenseits des Wiener Waldes sowie zwischen der Url und Enns seiner Kirche 1 ). Den grundstürzenden Wandel brachte erst die unglückliche Schlacht von Preßburg; sie verursachte nicht nur den Verlust von Pannonien, sondern auch die teilweise Preisgabe der ihm zugeteilten Drei Grafschaften westlich des Wiener Waldes; das Herzogtum Karantanien kam wieder zu Baiern. Es bildeten sich abermals Verhältnisse aus, die jenen aus der letzten Awarenzeit ähnlich waren. Die Ungarn besetzten das Dreigrafschaftsgebiet so wenig wie die Awaren; es ward wieder ein umstrittenes Zwischenland, das Urkb. d. L. ob d. Enns 2, S. 50.

1. Die Ungarneinfälle und der Untergang usw.

381

den Baiern zwar verblieb, aber der ständigen Gewalt der Magyaren ausgesetzt war. Seine Lage war so gefährdet, daß die geringe Volksdichte noch mehr zerrann; auch da braucht man bloß an die Awarenzeit zurückdenken, um sich für die fehlenden Nachrichten einen teilweisen Ersatz zu schaffen; doch von einer völligen Preisgabe des gewonnenen Siedlungsraumes ist jetzt noch viel weniger zu sprechen als ehedem. Im Jahre 926 verunglückte Bischof Drakolf von Freising im Donaustrudel bei Grein tödlich 1 ); diese allerdings spätere und nicht bestimmte Angabe bringt der schon genannte Domherr Konrad (Sacrista); die Reise Drakolfs galt wohl den im norischen Unterlande befindlichen Liegenschaften seiner Kirche 2 ). Mit diesem Berichte stimmt die allerdings wieder viel spätere, jedoch aus Wolfhers Leben des Abtes und späteren B i schofs Gotthard (von Hildesheim) geschöpfte Angabe Hermanns von Niederaltach überein, Herzog Arnulf von Baiern hätte seinem Kloster Ländereien fast in ganz Baiern und auch in Österreich (Austria) entzogen 3 ). Da das bedeutende Ordenshaus an der Donau schon in der Zeit der Karolinger über reichen Besitz im norischen Unterlande verfügte, so ist die Aussage seines berühmten Geschichtschreibers nicht anzuzweifeln. Die baierische Wirtschaft und deren Abhängigkeit von dem Mutterlande hat daher dort auch während der Vorherrschaft der Ungarn weiter bestanden. Für das Land unter der Enns liegt aus dieser Zeit keine einzige Urkunde v o r ; doch sind für den Traungau drei gleichzeitige Zeugnisse vorhanden. Zwei Jahre nach der unglücklichen Schlacht bei Preßburg, am 19. Feber 909, verlieh König Ludwig (das Kind) einem Grafen Arbeo, der wohl der schon genannte Sohn Ottokars von Karantanien (S. 297) und nicht der frühere Grenzgraf war (S. 310) 4 ), sowie dem Erzbischof Pilgrim von Salzburg auf Lebenszeit die Abtei Traunsee (Trunseo); deren Standort war vielleicht Altmünster 5 ). Eine Aktaufzeichnung des Salzburger Traditionsbuches aus dem Jahre 930 erwähnt geschenkte Huben im Traungau Et ut dicitur, in periculo quodam Danubii, quod vulgo dicitur Paige, vivendi finem fecit. Mon. Germ., Script. 24, S. 320. 2 ) K. Lechner, Besiedlungs- u. Herrschaftsgesch. des Waldviertels (1937) S. 33 f. 3 ) Mon. Germ., Script. 17, S. 370. 4 ) cuidam corniti nomine Arbo. Salzb. Urkb. 2, S. 76. 5 ) Huber, Einführung des Christentums 3 (1874) S. 197f.; dazu F. Krackowizer, Gesch. d. Stadt Gmunden 1 (1898) S. 104 f., der an das erst später gegründete Nonnenkloster Traunkirchen denkt.

382

IV. Das Dreigrafschaftsgebiet

in der Ungarnzeit

usw.

an der Fils bei Bachmanning in der Grafschaft Meginhards 1 ). Eine Königsurkunde Ottos I. vom 13. Juli 940 bringt eine Gabe von Landgütern an einen Vasallen des Herzogs Bertold, Grafen Markward, in der Nähe von Peuerbach im Ufgau in der Grafschaft des Empfängers 2 ). Alle drei Schenkungen erweisen den Traungau als baierische Grafschaft, wobei die erste und dritte — Markward gehört einer Kärntener Sippe an — auf die kommende Verbindung mit Karantanien hinweisen. So lassen denn auch die Salzburger Jahrbücher die Niederlage der Ungarn bei Wels (943) in Baiern im Traungau stattfinden 3 ). E s fragt sich noch, ob der Gau an der Traun mit dem norischen Unterland wie in der Zeit der Karolinger vereinigt blieb. Die Antwort darauf gibt zwar keine gleichzeitige Quelle, doch läßt sich hiefür aus dem Nibelungenliede ein ziemlich sicherer Schluß ziehen. Die M a r k R ü d i g e r s v o n P e c h e l a r n reichte nach ihm über den Unterlauf der Enns herauf und schloß noch deren W e s t ufer in sich: seine Gemahlin Gotelind zog zu diesem Flusse hinauf, überschritt ihn und erwartete Kriemhild am Lorcher Felde, wo Zelte aufgeschlagen waren und sich beide Frauen begrüßten (S. 314 f.). Da war die alte Westgrenze des römischen Stadtbezirkes von Lauriacum, dessen Hauptteil im norischen Unterlande lag. Vorher erwähnt der Dichter Eferding, das er noch zum Baierland rechnet; der Traungau gehörte also auch nach ihm zum Herzogtum, das am Lorcher Felde, wo Rüdiger die angekommenen Gäste zu bewirten hatte, endete. Der ganze Traungau w a r also jetzt vom norischen Unterlande bereits getrennt und war wieder unmittelbar mit seinem Stammlande verbunden; er war also nicht mehr dem dortigen Markgrafen unterstellt. Die Mark Rüdigers stand nach dem Nibelungenliede unter der Oberhoheit des Hunnenkönigs Etzel (Attila). Da damals Noricum noch nicht germanisch, sondern römisch war, so kann diese Zeit nicht in Betracht kommen. Die nachfolgende Herrschaft der Awaren wird ebenfalls nicht gemeint sein, da das Land unter der Enns weniger von Baiern als von Slaven besiedelt war, während es im Nibelungenliede ganz deutsch erscheint. Unter den Karolingern in Trungouue hobas V ad Aulisam iuxta Pahmannun in comitatu Meginhardi. Salzb. Urkb. 1, S. 99. 2

) in pago Ufgovve in comitatu eiusdem Marchvvardi

iuxta rivum

Mon. Germ., Dipl. 1 (1884) S. 119; dazu Strnadt, Peuerbach S. 92. 3

) in B a i o w a r i a

in T r u n g o w e .

Mon. Germ., Script. 30/2, S. 743.

Fuehtebah.

1. Die Ungarneinfälle und der Untergang usw.

383

war, wie schon die Raffelstettener Zollurkunde beweist, der Traungau von Baiern abgetrennt und mit dem norischen Unterlande zu einer Einheit verbunden; der Eintritt in das Dreigrafschaftsgebiet lag am Ausgange des Passauer Waldes (Rosdorf) und nicht an der Enns. Der Sänger kann daher auch diese Zeit nicht im Auge haben. In seinem Liede tritt uns als Westgrenze der Mark Rüdigers die gleiche entgegen, die wir unter den ersten Babenbergern finden, wo zwar die Ennsburg, aber nicht der Traungau zu ihrer Grafschaft gehörte. Letzteren verwalteten damals die Herren von Wels und Lambach, nach deren Aussterben (1056) er an die steyrischen Ottokare überging. Als Österreich hundert Jahre später Herzogtum wurde, verblieb der Traungau bei Baiern. Die Ennsburg mit anschließendem Orte war jedoch inzwischen den Babenbergern entglitten und in die Hände der Ottokare gelangt. Das war bestimmt im Jahre 1175 schon der Fall, wo der Klosterneuburger Fortsetzer sie als dem Markgrafen gehörig bezeichnet und durch Getreue seines Herzogs verwüsten läßt 1 ). Der letzte Ottokar beruft sich in einer Urkunde des Jahres 1191, in der er Enns Handelsfreiheiten verleiht, bereits auf einen von seinem verstorbenen Vater erfolgten Gunsterweis, den er erneuert 2 ). Die Ennsburg mit dem anschließenden Marktorte war also schon zu jener Zeit in der Gewalt der steyrischen Ottokare, wofür auch das Wappen der Stadt, der Panther, spricht. Jetzt verstehen wir einen Vorgang, den das Reichersberger Traditionsbuch berichtet. Am 14. März 1176 entschied Heinrich der Löwe als Herzog von Baiern vor der Kirche (St. Laurenz) in Enns einen Rechtshandel, bei dem Markgraf Ottokar selbst beteiligt war, und überschritt nachher mit Gefolge die Brücke über die Enns, an deren rechtem Ufer er mit Herzog Heinrich II. von Österreich zusammentraf 3 ). Der Unterlauf der Enns erscheint hier als feste Grenze zwischen den beiden Herzogtümern, so daß die Ennsburg jetzt zu Baiern (Traungau) gehörte. Kurz nachher, um 1200, fand die Nibelungensage in Niederösterreich ihren Abschluß und ihre dichterische Gestalt. Das Lied bringt jedoch nicht die damalige Grenze zwischen Baiern und Österreich, x

) Mon. Germ., Script. 9, S. 631. Urkb. d. L. ob d. Enns 2, S. 431. Nach einer allerdings nicht echten Urkunde des Jahres 1143 war schon damals Enns in der Hand des steyrischen Markgrafen, da dieser in der Pfarrkirche St. Laurenz zu Lorch die Freiheiten des Klosters Garsten bestätigt. Ebendort S. 211. :!

) Ebendort 1, S. 349; dazu Strnadt, Peuerbach S. 206 f. und Geburt S. 83; J. Ficker, Vom Reichsfürstenstande 2/3 (1923) S. 104 f. (P. Puntschart.)

384

IV. Das Dreigrafschaftsgebiet

in der Ungarnzeit

usw.

sondern eine frühere; der Sänger ist also der ihm zur Kenntnis gelangten Sage getreu geblieben und hat sie nicht seiner veränderten Zeit angepaßt; er bringt jene Scheidelinie, die nach der Schlacht bei Preßburg das baierische Dreigrafschaftsgebiet verstümmelte; nach ihm gehört der Traungau zum Stammland, die Ennsburg und nächste Umgebung jedoch bis hinab zum Wiener Walde zur Mark Rüdigers, die mit Pannonien (Ungarn) wieder verbunden ist. Der baierische Graf hatte jetzt als Oberherrn den Fürsten der Magyaren, die wie die Awaren als die Erben des Hunnenreiches galten. Sein Sitz war jetzt nicht mehr das am Westende befindliche Lorch, sondern das beiläufig in der Mitte gelegene Pöchlarn (Herilungoburg). Wie Bischof Pilgrim von Passau im Nibelungenliede handelnd auftritt 1 ), so dürfte auch der hehre Markgraf Rüdiger in seiner ihm zugeschriebenen Amtsgewalt und Machtbefugnis nicht frei erfunden sein; er gebot, wie der Sänger anzeigt, vom Lorcher Felde an bis zum Wiener Walde und unterstand der Oberhoheit der Ungarn. Der Dichter erwähnt Traismauer als eine Burg Etzels; er nennt noch Melk^ und läßt den Wirt Astold die Gäste die Straße über Mautern ins „Osterlant" (Osterriche) weisen, als dessen erste, auf dem Wege liegende Stadt er Tulln bezeichnet; dorthin zieht Etzel der ihm verlobten Kriemhild mit großem Gefolge entgegen und empfängt sie; in Wien feiert er mit ihr die Hochzeit. Die Mark Rüdigers endigt daher an der Großen Tulln 2 ) und das eigentliche Reich des Hunnenkönigs oder besser der Ungarn, das Osterland des Dichters, beginnt erst dort; es ist mithin im Osten, anders wie im Westen, dieselbe Grenze, die für die Zeit der Karolinger nachweisbar ist (S. 298 f.). 2. Die Ottonische Ostmark (Österreich). Die siegreiche Schlacht am Lechfelde (955) befreite das Land unter der Enns von jeder Oberhoheit der Ungarn; dessen Mutterland Baiern kam so wieder in den vollen Besitz seines ehemaligen Stammesgebietes. Als erster Markgraf erscheint Burkhard, der schon zur Zeit des Bischofs Adalbert von Passau (945—971) als solcher genannt wird 3 ); bei dieser Gelegenheit wird St. Pölten als in seinem Landkreise gelegen erwähnt. Eine Urkunde Ottos I. vom x)

Uber sein Verhältnis zu ihm G. Roethe, Nibelungias u. Waltharius, Sitzungsber,

d. Berliner Akademie 2)

H. Neufert,

Der

d. Wissenschaften, Weg

Jahrg.

der Nibelungen

1909/1, S. 657 ff.

(Charlottenburg

1892)

S. 20 f. u. a.

halten die Mark Rüdigers irrig für das Osterland; dazu unten S. 5 0 3 f . 3)

Adalbertus episcopus sub Purchardo marchione.

P a s s . T r a d . S. 80.

2. Die Ottonische Ostmark (Österreich).

385

18. Oktober 972 für dasselbe Hochstift — sie ist seit der Raffelstettener Zollordnung die erste gleichzeitige Nachricht über das norische Unterland — bezeichnet die W a c h a u als im Amtsbezirke des nämlichen Markgrafen befindlich 1 ). Urkundlich läßt sich demnach sein Machtbereich bis an die Traisen nachweisen, doch w a r nicht dort die Grenze, sondern am Wiener W a l d e ; ja vielleicht hat diese noch unter ihm die Große Tulln überschritten, da kurz darauf die schon e r w ä h n t e Aktaufzeichnung über die Versammlung des Baiernherzogs Heinrich (II.) im Lande unter der Enns (S. 283) den P a s s a u e r Besitz bis nach Greifenstein reichen läßt 2 ). Die genannte Zusammenkunft fand bereits unter seinem Nachfolger Liutpold (in m a r c a Liutbaldi marchionis) statt, der zum erstenmal am 21. Juli 976 als Markgraf erscheint 3 ). Im gleichen Jahre setzte Otto II. Heinrich II. (den Zänker) als baierischen Herzog a b ; ob der Wechsel in der Markgrafschaft der Anlaß oder die Folge dieser Wirren w a r , steht nicht fest 4 ); Kärnten erhielt eben damals einen eigenen Herzog. Leopold I. w a r wohl kein Baier, sondern ostfränkischer Abkunft; mit ihm beginnt die Reihe der Babenberger, die nahezu dreihundert Jahre (bis 1246) die Geschicke Österreichs leiteten und dessen Aufstieg tatkräftig förderten 5 ); mit Hilfe des Kaisers Heinrich III. gelang es ihnen bald (1043) gegen Ungarn die Leitha- und Marchgrenze zu gewinnen, die eine bleibende Scheidelinie w u r d e . Daß der Zusammenhang nur gestört, aber nicht unterbrochen w a r , zeigt die nunmehr kräftiger einsetzende Besiedelung: sie erfolgte auf Grund der alten Besitztitel. Neben den baierischen Hochstiftern und den hart mitgenommenen Klöstern treten nunmehr hochfreie Geschlechter stärker h e r v o r : nicht allein Baiern, sondern auch Franken, ja sogar Sachsen und Schwaben betätigen sich als Siedelherren 6 ). *) in loco qui dicitur Vuachoua in ripa Danubii in comitatu Burchardi marchionis. Mon. Germ., Dipl. 1, S. 577. 2 ) usque in cacumen montis Comageni et ita usque ad Hangintenstein. Pass. Trad. S. 80. 3 ) Mon. Germ., Dipl. 2/1, S. 149. 4 ) Doeberl, Entwicklungsgesch. Bayerns 1, S. 124 f. 5 ) Über ihre umstrittene Herkunft Vancsa, Gesch. Nieder- u. Oberösterr. 1, S. 196 Anm. 2. 6 ) E. Klebel, Besiedelungsgeschichte Deutschösterreichs in: G. Branca, Die Blutsgemeinschaft im Großdeutschen Reich (1939) S. 22—27. Ein unmittelbarer Einfluß der Ottonen läßt sich hiebei nicht nachweisen. K. Kasiske, Das Wesen der ostdeutschen Kolonisation, Histor. Zeitschr. 164 (1941) S. 286. 25

386

IV. Das Dreigrafschaftsgebiet in der Ungarnzeit

usw.

Mit der siegreichen Schlacht am Lechfelde war noch nicht alle Gefahr beseitigt. Die Nachricht des Thietmar von Merseburg, Bischof Michael von Regensburg (941—972) wäre bei einem Angriffe der Ungarn auf die Bewohner des Ostens diesen mit anderen baierischen Großen zu Hilfe geeilt, gehört wohl erst in diese Zeit 1 ). Der Aufstand des Jahres 976 hat die Magyaren aufs neue veranlaßt, ihre Grenzfehden zu wiederholen. So erzählt eine Urkunde Ottos II., Bischof Wolfgang von Regensburg habe den seit langem aufgegebenen Ort Steinakirchen im ehemaligen Awarenlande 2 ) mit Ansiedlern aus Baiern wieder bevölkern lassen. Um nun diese vor Angriffen der Ungarn zu schützen, verlieh ihm der Kaiser das Recht, am Zusammenflusse der Großen und Kleinen Erlaf die Wieselburg (Zuisila) 3 ) zu erbauen. Eine von dem Passauer Bischof Pilgrim kurz nachher erwirkte Kaiserurkunde Ottos III. (985) zeigt, daß damals noch die Ungarn seinen östlichen, an die Barbaren angrenzenden Kirchensprengel 4 ) nicht zur Ruhe kommen ließen, so daß er wieder verödete. Der schon früher begonnene Burgenbau, der in seiner Anlage am Zusammenfluß zweier Gewässer noch an die Zeit der Römer erinnert, setzt sich daher fort. So entstand nunmehr am Einflüsse der Steyr in die Enns die S t y r a b u r g, die zum erstenmal in den Pilgrim - Synoden aufscheint 5 ); als ihre Erbauer haben wohl die Grafen des Traungaues zu gelten; sie verstärkte die schon vorher (900) errichtete Ennsburg, die in der Hand der ersten Babenberger w a r ; eben deshalb wurde nicht diese, sondern erstere der Sitz jenes Geschlechtes, das die nach ihr benannte Steiermark e r w a r b ; hiedurch überflügelte bald die Burg der Traungauer jene der Babenberger, ja Enns fiel schließlich durch seine abgeschnittene Lage den steyrischen Ottokaren zu. Das allein zeigt schon, daß der Traungau nicht mit der Mark der Babenberger verbunden w a r ; zu ihr gehörte, wie die schon erwähnte Urkunde Ottos II. vom 5. Oktober 977 (S. 314 f.) beweist, zwar die Ennsburg, aber nur diese und ihr Mon. Germ., Script, rer. Germ., N o v a Series 9 (1935) S. 72; dazu Riezler, Gesch. Baierns 1/1, S. 550 Anm. 1. 2 ) in terra quondam Auarorum. Mon. Germ., Dipl. 2/1, S. 232. Über die Echtheit der Urkunde Zibermayr, Wolfganglegende S. 14 f., b z w . 150 f. 3 ) Zuisila bedeutet das Zusammenfließen zweier Gewässer. t 4 ) in orientali plaga barbarorum limiti adiacentis. Mon. Germ., Dipl. 2/2, S. 420. 5 ) Pass. Trad. S. 82.

387

2. Die Ottonische Ostmark (Österreich).

nächster Umkreis 1 ). Das Land der Ottokare hingegen umfaßte ostwärts der Enns den Gaflenzer Bezirk (S. 493). Der Mark des ersten Babenbergers fehlte daher schon der Traungau; sie reichte von der Ennsburg bis zum Wiener Walde, erstreckte sich im Norden ebenso wie das ehemalige Dreigrafschaftsgebiet nicht viel über das Flachland der Donau hinaus und behielt im Süden die alten Grenzen bei; als Abschluß galten da nach wie vor die Gebirge Karantaniens 2 ). Das von der Ungarngefahr befreite Gebiet unter der Enns führt in der Kanzleisprache, wie die Kaiserurkunde über den Bau der Wieselburg zeigt, zunächst den alten Namen als ehemaliges Awarenland oder es heißt, wie andere Zeugnisse dartun, „östliche Gegend". In den meisten Fällen wird es nach dem Namen seines Inhabers bezeichnet, das einemal als Grafschaft, das anderemal als Mark oder als beides zusammen. Das allein zeigt schon, daß die Markgrafschaft nicht ein einheitliches Gebiet darstellt, sondern, wie schon die zusammengesetzte Namensform ausdrückt, aus zwei Bezirken besteht, der Grafschaft u n d Mark (comitatus e t marchia); in gleicher Weise wird ja auch der Markgraf als comes und marchio bezeichnet. Das Land zwischen der Enns und dem Wiener Walde w a r schon seit der Zeit der Römer zweigeteilt: es waren die beiden civitates Lauriacum und Cetium (später Favianae). Unter den Karolingern lassen sich dort ebenfalls zwei Grafschaften nachweisen: Lorch und Mautern. Als nun Pannonien an die Ungarn verloren war, wurde der Wiener Wald die Grenze gegen ein feindliches Land. Die naturgegebene Folge war, daß die dort anschließende Grafschaft (Mautern) Markboden wurde, während jene an der Enns als solche verblieb; es ist demnach der comitatus als oberer Teil im ehemaligen Lorcher Kreise, die Mark hingegen als *) praedium Anesapurhc nuncupatum in pago Troungouue in ripa Anesi fluminis in coraitatu Liutpaldi.

Mon. Germ., Dipl. 2/1, S. 190.

Da die vom Passauer

Bi-

schof Pilgrim erwirkte Urkunde die Ennsburg nicht nur als in der Grafschaft Liutpolds,

sondern

auch

im Traungau

befindlich

F o r s c h e r irrig auch diesen zur Babenberger

erwähnt, Mark.

so

rechneten

die

meisten

Den richtigen Sachverhalt hat

schon Strnadt, Peuerbach S. 84 u. Geburt S. 40 erkannt. 2

) S o läßt eine Urkunde

im Ennswalde

ad montana

(1909)

Der

S . 289.

scheide",

Konrads II. (1034) den Besitz der Freisinger Carinthiam

Stiftbrief

von

d. i. der W a s s e r s c h e i d e

respicientia

Seitenstetten zwischen

reichen.

(1116)

Kirche

Mon. Germ.,

spricht

von

der Enns und Ybbs

der

Dipl. 4 „Karint-

( J . Strnadt,

Das

Gebiet zwischen der Traun und Enns, Archiv f. österr. Gesch. 94 [1907] S. 486 f.) und meint hiebei die Grenze zwischen den Ländern Österreich und

Steyr.

25*

388

IV. Das Dreigrafschaftsgebiet in der Ungarnzeit

usw.

unterer Abschnitt östlich der Ybbs (Erlaf) zu suchen, wobei freilich die Scheidelinie zwischen beiden nicht genau feststeht. Aus den Urkunden läßt sich weder der Umfang der Grafschaft noch jener der Mark erkennen, da sie die angegebenen Örtlichkeiten weniger in den engeren Bezirk, als vielmehr in den Gesamtbereich des Markgrafen einreihen wollen und daher zwischen Grafschaft und Mark nicht scharf unterscheiden; doch verlegt keine einzige von ihnen die Mark auf die Grafschaft, während sie diese öfter dorthin übertragen 1 ); es geht mithin auch aus ihnen hervor, daß die Grafschaft die westliche und die Mark die östliche Hälfte darstellt. Neben dem .amtlichen Namen setzt sich in der Kanzleisprache jetzt auch der volkstümliche durch. So heißt es in einer für die Freisinger Kirche bestimmten Urkunde Ottos III. vom 1. November 996, Neuhofen (an der Ybbs, südöstlich von Ulmerfeld) liege in einer Gegend, die gemeinhin als Ö s t e r r e i c h bezeichnet werde, in der Mark und Grafschaft des Grafen Heinrich, des Sohnes des Markgrafen Liutpold 2 ). Da der hier zum erstenmal vorkommende Ausdruck Österreich der Volkssprache entnommen ist, so ist er von Baiern aus gesehen, und darf nicht nach dem Gesamtreiche bemessen werden; er haftet sowohl auf der Mark als auch, wie andere Urkunden zeigen, auf der Grafschaft 3 ) und bezeichnet jetzt den östlichen Überrest des nunmehr an der Enns beginnenden ehemaligen Dreigrafschaftsgebietes, des „Baierischen Grenzabschnittes im Osten" (terminus regni Baiowariorum in Oriente S. 307). Bei einem Vergleich der Ostmark aus der Zeit der Karolinger mit jener aus den Tagen der Ottonen tritt einem ein großer Unterschied entgegen: früher ein Präfekt mit zwei Provinzen (Pannonien und Karantanien) und dem baierischen Grenzabschnitte (Drei Grafschaften); jetzt jedoch ein Markgraf, der bloß eine winzige Grafschaft und eine kleine Mark zu versehen hatte; seine Macht war noch geringer als die des ehemaligen baierischen Grenzgrafen, der über drei Grafschaften gebot. Da Pannonien verloren und Ka*) Näheres bei V. Hasenöhrl, Deutschlands südöstl. Marken, Archiv f. österr. Gesch. 82/1 (1895) S. 426—428, 551—555 u. Tafel 3 (Karte). 2 ) in regione vulgari vocabulo Ostarrichi in marcha et in comitatu Heinrici comitis filii Liutpaldi marchionis in loco Niuuanhova dicto. Mon. Germ., Dipl. 2/2, S. 647; dazu J. Schnetz, Der Name „Österreich" und seine Geschichte, Germanien, Jahrg. 1938, S. 106—109. 3 ) Mon. Germ., Dipl. 2/2, S. 711, 3, S. 2, 398 u. 5, S. 489.

3. Bischof Pilgrim von Passau und das „Erzbistum" Lorch.

389

rantanien selbständig war, so unterstand jetzt der österreichische Markgraf unmittelbar dem Herzoge von B a i e r n; es w a r nur mehr ein dürftiger Überrest verblichener Herrlichkeit; es verblieb nicht viel mehr als der alte Name. Dieser lebte im Volksmunde ebenso fort als jener der „ D r e i G r a f s c h a f t e n " , die eben so wenig noch bestanden als die von Karl dem Großen errichtete Mark. Beide Ausdrücke verschmolzen fast zu einer Einheit, indem die neue Ostmark sowohl der dürftige Rest der karolingischen, als auch der Rumpf des ehedem dazugehörigen Dreigrafschaftsgebietes war. Die Karolingische und Ottonische Mark im Osten sind daher scharf auseinander zu halten und nicht, wie es häufig geschieht, zu verwechseln. Schon die große Vergangenheit verhieß dem kleinen Kernlande zwischen der Enns und dem Wiener Walde eine hoffnungsreiche Zukunft; es entwuchs bald seinem Mutterlande und wurde die Herzkammer eines mächtigen -Reiches, das den alten Namen (Österreich) fortführte und später sogar Ungarn umschloß. 3. Bischof Pilgrim von Passau und das „Erzbistum" Lorch. Sowohl im römischen als auch im karolingischen Pannonien rangen der griechische Osten und der lateinische, bzw. germanische Westen um die Vorherrschaft. Das änderte sich auch nicht unter der Herrschaft der U n g a r n . Deutlich zeigt sich das zu dem Zeitpunkte, als sie das Christentum annahmen. Die ersten Glaubensboten dorthin entsandte der griechische Hof, noch bevor die Schlacht am Lechfelde die Angriffskraft der Magyaren gebrochen hatte 1 ). Im Jahre 970 erlitten diese bei ihren Streifzügen nach dem Osten bei Konstantinopel eine vollständige Niederlage; sie waren nun zwischen zwei mächtigen Reichen eingeklemmt, wurden so seßhaft und beschritten den Weg, ein wirkliches Staatswesen zu begründen; dieses w a r das W e r k der Arpaden, der Nachkommen Arpads, ihres Großfürsten bei der Landnahme, das die sieben ungarischen Stämme allmählich einigte. Inmitten einer christlichen Umwelt konnte sich das bisherige Heidentum nicht mehr halten und mußte weichen. Das w a r gerade die Zeit, als Bischof P i l g r i m seine Wirksamkeit in Passau zu entfalten begann. Sein Blick richtete sich sofort auf das Land der Dümmler, Pilgrim S. 34 f.; Schünemann, Die Deutschen in Ungarn S. 32 f.

390

IV. Das Dreigrafschaftsgebiet in der Ungarnzeit

usw.

Magyaren, das eben reif zur Annahme des Christentums geworden war. Die Lage seiner Bischofsstadt an der Donau wies ihm von selbst diesen Weg, zumal sein Bistum dort angrenzte; er wurde der Wortführer und Vorkämpfer des natürlichen Rechtes dieses mächtigen Stromes, der die nächste und beste Zufahrt nach Ungarn darbot; hier herrschte an demselben Flusse zu Gran seit 972 der Arpade Geisa, der geneigt war, sein Volk der neuen Lehre zuzuführen. Als ersten Glaubensboten entsandte Pilgrim den Benediktiner Wolfgang nach Pannonien (972); er rief ihn jedoch alsbald zurück und verschaffte ihm den freigewordenen Bischofsstuhl von Regensburg (S. 364 f.). Der nächste Mönch, der in Ungarn zu wirken begann, entstammte ebenfalls einer Abtei in der Schweiz; es w a r der aus St. Gallen hervorgegangene Bischof Prunwart, der den Fürsten und viel Volk der Ungarn bekehrte; seiner gedenkt das in seinem Kloster geführte Totenbuch 1 ); auch ihn wird Pilgrim entsandt haben. Der Kaiserhof war daran nicht unbeteiligt; am großen Reichstage zu Quedlinburg (973), den Otto I. kurz vor seinem Ableben abhielt, waren magyarische Große als Vertreter ihres Herzogs (Geisa) zugegen 2 ). In einem Schreiben an Papst Benedikt VII. sagt der Passauer Bischof selbst, er habe es übernommen, den Ungarn das Christentum zu verkünden, ja er sei von ihnen eingeladen worden, zu kommen oder Glaubensprediger zu entsenden; daraufhin habe er Mönche (monachi) und Priester aller Grade dorthin gelangen lassen; als Frucht hievon hätten sich ungefähr 5000 taufen lassen 3 ). Daß Pilgrim tatsächlich in Ungarn die Keime des Christentums legte, beweist noch heute der Schutzherr des Domes in Gran, der dem Bistumsheiligen von Passau geweiht und als die älteste Kirche dieses Landes zu bezeichnen ist; der Taufname ihres ersten Königs, des Sohnes von Geisa, Stephan, führt gleichfalls dorthin. Es kann daher keinem Zweifel unterliegen, daß die Bekehrung der Ungarn von der Kirche zu Passau und nicht von jener von Salzburg und noch viel weniger von dem damals erst errichteten Bistume Prag ausgegangen ist. Im Missionslande selbst war wieder die Burg des Herrschers die Keimzelle für die Aussaat. Prunwarti episcopi, iste s. Galli servus erat et plurimos Ungariorum cum rege ipso convertit. Mon. Germ., Necrol. 1, S. 466. 2 ) A. Brackmann, Die Ostpolitik Ottos des Großen, Hist. Zeitschr. 134 (1926) S. 254 f. = Gesammelte Aufsätze S. 151 f. 3 ) Lehr, Pilgrim S. 44.

3. Bischof Pilgrim von Passau und das „Erzbistum" Lorch.

391

Im Altertum w a r die Mutterkirche Pannoniens Sirmium. In der Zeit der Karolinger w a r dort vorwiegend der Bischof von Salzburg Verkünder des Christentums; P a s s a u w a r daran erst später und nur teilweise beteiligt, bekam aber noch Mähren zugewiesen; doch w a r das alles bloß Missionsgebiet ohne eigene Bischofssitze und w u r d e von den beiden Bistümern unmittelbar b e t r e u t ; Pannonien w a r eben eine karolingische Mark und Mähren dem Frankenreich untertänig. Jetzt jedoch besaßen die Ungarn ein selbständiges S t a a t s w e s e n , das daher über kurz oder lang eine eigene Landeskirche beanspruchen mußte. D a s lag schon im Zuge der Zeit und im erwachenden Selbstbewußtsein der Völker. Deutsche Könige hätten zwar, wenn sie kraftvoll w a r e n , den in der Natur liegenden Verlauf aufhalten, aber niemals auf die Dauer verhindern können. Ist das sogar in dem von der christlichen Vergangenheit unberührten Norden eingetroffen, so gilt das erst recht für die Länder südlich der Donau, die in der Römerzeit ein wohl ausgebildetes Kirchenwesen besaßen, das noch nicht vergessen w a r . So erhielt damals das von den deutschen Herrschern abhängige Polen einen Bischofssitz in Posen (968), der dem gleichzeitig gegründeten Erzbistum Magdeburg angegliedert w u r d e ; doch schon bald nachher (1000) w u r d e dieses slavische Land aus dem von Otto I. geschaffenen Magdeburger Obersprengel ausgeschieden und bekam eine eigene Kirchenprovinz in Gnesen. Das ebenfalls untertänige Böhmen, d a s bisher nach Regensburg zuständig w a r , s c h w a n g sich ebenso vorerst zu einem Landesbistum in P r a g (973) auf, das bis zum Jahre 1344 dem Erzbischof von Mainz unterstand, dann aber gleichfalls ein selbständiges Erzbistum w u r d e . Die Zugehörigkeit zur deutschen Reichskirche w a r daher hier wie dort bloß vorübergehend, je nach dem Grade der staatlichen Abhängigkeit kürzer oder länger dauernd. Es w a r daher in dieser Hinsicht noch weniger in Ungarn eine bleibende Frucht zu erwarten, sondern bloß die entsagungsvolle Vorarbeit zu leisten, um dann wieder abzudanken. Im Jahre 1001 erhob König Stephan seine Hauptstadt G r a n zum Sitze eines Erzbischofs 1 ) und ordnete im Einvernehmen mit Rom das Kirchenw e s e n seines Staates. Das Land der Magyaren w a r hiedurch aus dem kirchlichen Zusammenhange mit dem Reiche endgültig gelöst. Der deutsche König hatte dort nichts mehr zu sagen, doch oblag Schünemann, Die Deutschen in Ungarn S. 47 f.

392

IV. Das Dreigrafschaftsgebiet in der Ungarnzeit

usw.

ihm als römischem Kaiser die Aufgabe, ebenso wie in Polen das christlich gewordene Land als jüngsten Sproß der Kirche zu schirmen 1 ). P a p s t Silvester II. hatte allen Grund, König Stephan in dessen Bestreben, eine eigene Volkskirche zu schaffen, auf jede W e i s e zu unterstützen; in anderem Falle hätte er zu befürchten gehabt, Ungarn der griechischen Kirche zuzuführen; dann entsprach es ja schon seit den Tagen Gregors des Großen der Politik Roms, das Aufkommen von selbständigen, d. h. nur von ihm abhängigen Landeskirchen zu fördern (S. 374 f.). Der Plan Pilgrims von Passau, Ungarn seinem Kirchensprengel unterzuordnen, hatte wenig Aussicht, dauernden Erfolg zu erzielen, weil das zu bekehrende Land nicht den deutschen Herrschern untergeordnet, sondern selbständig w a r . Ungarn hätte ja nur dann der deutschen Kirche eingegliedert ,werden können, wenn es ein Bestandteil des Reiches gewesen w ä r e 2 ) . D a s als letztes Bistum in Baiern gegründete P a s s a u hatte kein in der Geschichte begründetes Anrecht, Salzburg zu verdrängen und Pannonien seinem Sprengel irgendwie einzuverleiben. D a richtete sich der Blick des strebsamen Bischofs auf die nun ihm, jedoch ehedem zum Salzburger Sprengel gehörige ehemalige Metropolitankirche zu L o r c h , die jenem Blutzeugen geweiht war, an dessen Gedächtnistag König Otto I. in der Schlacht am Lechfelde einen glänzenden Sieg über die Ungarn erfocht; hatte doch der ruhmgekrönte Herrscher gelobt, als Dank hiefür dem hl. Laurentius in Merseburg ein Bistum zu stiften 3 ). Unter dem Schutze des jetzt volkstümlich gewordenen Märtyrers gedachte Pilgrim sein W e r k zu vollführen (S. 357 f.); doch konnte er das nur im Reiche, aber nicht in Ungarn tun, w o der Name des römischen Blutzeugen an eine schwere Niederlage erinnerte; dort arbeitete er mit dem alten Bistumsheiligen S t e p h a n ; ja w e n n er diesen dem Schutzherrn der Lorcher Kirche vorsetzte, so schien es, als ob jene von Passau die unmittelbare Nachfolgerin w ä r e ; dabei kam ihm die Volkssage über den Untergang der ersten 1

) A. Brackmann, Kaiser Otto III. und die staatliche Umgestaltung P o l e n s u. Ungarns, Abh. d. Berliner Akademie d. Wissenschaften, Jahrg. 1939, Nr. 1, S. 23 f. und Zur Entstehung d. ungar. Staates, Jahrg. 1940 Nr. 8, S. 16 f. = Gesammelte Aufsätze S. 254 f. -) D a s wird fast immer übersehen und Pilgrims Plan als aussichtsreich bezeichnet. Sachgemäßer urteilt Uhlirz, Jahrbücher Ottos II. S. 96. 3 ) Chronik des Thietmar von Merseburg, Script, rer. Germ. 9 (1935) S. 49.

3. Bischof Pilgrim von Passau und das „Erzbistum" Lorch.

393

Hauptstadt der Baiern zu Hilfe, die ihm die Möglichkeit bot, Lauriacum als Sitz eines Erzbischofs auszugeben, der bei der Flucht sich in Passau niedergelassen hätte! Die Namen Stephan und Laurentius besagen somit dasselbe als Passau und Lorch und erwecken in ihrer Verbindung den Anschein, als ob die eine Kirche die andere fortführte und ablöste: aus Lorch — Passau wird Passau — Lorch. Nun, wo es die Ungarn zu bekehren galt, rächte sich wieder der Fehler des Herzogs Theodo, seine Hauptstadt an der Enns, die jetzt das natürliche Ausfallstor gewesen wäre, dauernd preisgegeben und seinen Sitz in das zu weit im Westen gelegene Regensburg verlegt zu haben. Der Plan Pilgrims erinnert an das von Arbeo dem Landesbischof Emmeram zugeschriebene Vorhaben, nach Lorch zu gehen, um dort den Awaren das Christentum zu verkünden. Doch war das jetzt zu spät, zumal Karl der Große nicht das hiefür geeignete Passau, das die Aufgabe Lorchs hätte am besten übernehmen können, sondern das von der Donau abseits gelegene Salzburg bestimmt hatte; auch das Vorgehen des Frankenkönigs, das den Streit der Kirche von Passau mit jener der Salzachstadt auslöste, zeitigte noch jetzt böse Folgen: es entbrennt ein neuer, heftiger Kampf zwischen Pilgrim von Passau und dessen Oheim Erzbischof Friedrich von Salzburg, der ihm durch sein Fürwort den Stuhl Vivilos verschafft hatte 1 ). Das war jetzt um so gefährlicher, als die griechische Kirche schon in Ungarn Fuß gefaßt hatte und nicht wie vorher im karolingischen Pannonien erst später als Bewerberin auftrat. Das schließliche Ergebnis scheint nunmehr nicht anders gewesen zu sein als ehedem: die beiden Streitteile riefen einen dritten Anwärter herbei, der einen vorübergehenden Sieg davon trug. Der byzantinische Hof ging zwar auch jetzt wieder leer aus, aber wie einst mit Hilfe Roms Erzbischof Method Salzburg und Passau aus Pannonien verdrängte, so setzte in Ungarn der zweite Bischof von Prag Adalbert das von Pilgrim begonnene Werk fort; nach seinem von Bruno von Querfurt bald hernach verfaßten Leben schickte er Sendboten an Geisa und begab sich hernach selbst dorthin, um dem neu zu bekehrenden Volke einen „Schatten des Christentums aufzudrücken" 2 ); schon diese dürftige Nachricht zeigt, daß Passau sein jüngst errungenes Missionsgebiet bald wieder aufgeben mußte; das geschah noch bevor König Stephan dort ein selbständiges Kirchenwesen schuf. Von *) Mon. Germ., Script. 11, S. 172 b (Vita Godehardi). 2 ) Ebendort 4, S. 603, 607.

394

IV. Das Dreigrafschaftsgebiet

in der Ungarnzeit

usw.

Salzburg ist weder jetzt noch früher etwas zu hören; doch erwähnt das Verbrüderungsbuch von S t . P e t e r den König Stephan und dessen Ehefrau Gisela 1 ), die Tochter des Baiernherzogs Heinrich II. und S c h w e s t e r des gleichnamigen Kaisers, die an der B e kehrung der Ungarn hervorragend beteiligt war und ihre Witwenschaft als Nonne des Frauenklosters Niedernburg in Passau beschloß. Da Rom selbst Salzburg aus Pannonien verdrängte, indem es Method zum Erzbischof dort bestellte, so erhob auf dessen nunmehr wieder fruchtbar gewordenes Erbe Pilgrim als nächster Anrainer Anspruch; auch er hoffte, Erzbischof von Pannonien zu werden, ohne jedoch seinen bisherigen Sprengel preisgeben zu müssen, dem er Ungarn angliedern wollte. Für einen solchen weitreichenden Plan bot nun Passau als jüngstes Bistum in Baiern keinerlei Handhabe; so klammerte er sich denn an den kurz vor der Gründung seiner Kirche erfolgten Untergang der ersten Hauptstadt Lorch und gab sich als Nachfolger der dort in der Römerzeit wirkenden und später angeblich geflüchteten Metropoliten aus. Deren Gebiet war freilich bloß Ufer-Noricum, doch war dieses mit Pannonien verbunden; die bischöfliche Hauptkirche von Lauriacum war zudem eine Tochter von Sirmium. E s w a r daher nicht einmal sehr auffallend, wenn Pilgrim in der gefälschten Bulle des Papstes Symmachus Lauriacum zur Urkirche von Pannonien und deren Leiter zu Erzbischöfen erhob. Das Wirken des angeblich ersten von ihnen (Theodor) setzte er freilich in eine so frühe Zeit (um 500), wo es einen solchen Titel im Abendlande noch gar nicht gab, ja er ließ ihn auch das Pallium empfangen, das damals bloß der Papst allein trug (S. 63 f.). Entsprechend der beabsichtigten Bekehrung der Ungarn erscheint jetzt nicht mehr Pannonien als Hauptland, von dem aus Ufer-Noricum die Keime des Christentums empfing, sondern umgekehrt Lauriacum als Urzelle und Samenkorn, von wo aus das jetzige Ungarn befruchtet wurde. Pilgrim hätte demnach bloß eine Aufgabe übernommen, die seine erfundenen Lorcher Vorgänger schon vor fast einem halben Jahrtausend erfüllten. Von den als Lorcher Fälschungen erkannten Bullen gibt sich die soeben erwähnte des Papstes Symmachus den Anschein, als ob schon am Ende des Altertums und knapp vor Beginn der baieMon. Germ., Necrol. 2, S. 46.

3. Bischof Pilgrim von P a s s a u und das „Erzbistum" L o r c h .

395

rischen Landnahme Lorch die Mutterkirche Pannoniens gewesen sei. Die zweite hat die Zeit der Bekehrung der Awaren im Auge und läßt den Papst Eugen II. (824—827) dem Oberhirten von Lorch (Passau) Urolf die erzbischöfliche Würde und das Pallium, ja auch das Apostolische Vikariat im Awarenlande und Mähren verleihen; sie erinnert, ohne den Namen zu nennen, an das Wirken Methods als päpstlichen Legaten in diesen Ländern; dort hätten zur Zeit der Römer und Gepiden sieben Bistümer — deren Zahl stimmt auffällig mit jener der ungarischen Stämme überein — bestanden, die sämtlich von Lorch abhängig gewesen wären. Die drei folgenden von den fünf päpstlichen Bullen betreffen den Bischof Gerhard von Lorch (Passau). Die erste von ihnen, angeblich von Papst Leo VII. (936—939) erlassen, ist ein Begleitschreiben anläßlich der Verleihung des Palliums und bestimmt, wann dieses nach dem Herkommen zu tragen sei. Eine zweite Bulle des gleichen Papstes betrifft das Kirchenwesen in Baiern und will Gerhard als Metropoliten dieses Landes erscheinen lassen, dem die Bischöfe von Salzburg, Regensburg, Freising und Säben zu gehorchen hätten. Die für uns wichtigste ist die letzte von ihnen, nach der Agapet II. einen zwischen den Erzbischöfen Herold von Salzburg und Gerhard von Passau ausgebrochenen Streit über das Recht, das Pallium zu tragen, zu Gunsten des letzteren entscheidet. Die Hauptstadt Lauriacum, so begründet der Papst seinen Schiedsspruch, sei von altersher der Sitz eines Metropoliten u n d Erzbischofes gew e s e n 1 ) ; das könne aus einigen, vom Alter bereits angegriffenen Schriften im Archive von St. Peter bewiesen werden. Lorch habe im Anfange der aufkeimenden Kirche und während der grausamsten Verfolgung von Lehrern aus Rom die Grundlehren des Christentums empfangen (S. 34) und von da sei der neue Glaube nach Ober- und Unterpannonien gedrungen; den kirchlichen Oberhirten der beiden Provinzen habe einzig und allein der Erzbischof von Lorch bis zu den Zeiten der Hunnen (Awaren) vorgestanden, bis deren Wildheit nicht nur die Stadt (Lorch) zerstörte, sondern auch die umliegende Gegend völlig veröden ließ (S. 100). Da hätten die Bischöfe notgedrungen ihren Sitz anderswohin (alio) verlegt und auf ihren erzbischöflichen Rang verzichtet 2 ). Erst in jüngerer Zeit, Lauriacensem sedem. 2

enirn urbem

antiquitus metropolitanam fore et

archiepiscopii

Lehr, Pilgrim S. 41.

) Inde quidem contigit, ut episcopi hac necessitate compulsi sede ilia deserta

atque alio translata simul etiam archiepiscopalem ipsius sedis desererent

honorem.

396

IV. Das Dreigrafschaftsgebiet in der Ungarnzeit

usw.

als Baiern keinen Metropoliten hatte, habe Arn von Salzburg diese W ü r d e erlangt. Das bezeuge die Geschichte des heiligen Archives. Jetzt aber, w o Ruhe und Sicherheit zurückgekehrt seien, setze er (der P a p s t ) Gerhard wieder als Erzbischof von Lorch ein und v e r leihe ihm aufs neue das Pallium. Um weiteren Zwistigkeiten vorzubeugen, teile er Baiern in zwei Kirchenprovinzen 1 ) und weise dem Erzbischof Herold von Salzburg das westliche, Gerhard jedoch das östliche Pannonien mit dem Awarenland, Mähren und den (dazu gehörigen) Slaven zu mit der Befugnis, dort bei Bedarf Bischöfe einzusetzen. Sollte jedoch Herold damit nicht einverstanden sein, so w e r d e Salzburg seinen eben zugesprochenen Anteil verlieren; in diesem Falle sei das obere Pannonien mit dem unteren zu v e r binden und Gerhard zu unterstellen. Der Plan Pilgrims wird aus den fünf Bullen klar ersichtlich: er wollte seine Kirche zur Metropole des zu bekehrenden Ungarn machen und die dort zu errichtenden Bistümer ihm selbst unterordnen. Um den Schein alten Rechtes zu erwecken, stützte er sich auf die ehemalige Metropolitankirche des mit Pannonien verbundenen Ufer-Noricum, die er zum Sitze des E r z b i s c h o f s f ü r Baiern und das Ungarland erhoben wissen wollte. Diesen W e g mußte er beschreiten, da der Staat Geisas selbständig w a r und nicht einfach wie in der Zeit der Karolinger als Missionsland einem baierischen Bistum einverleibt werden konnte; deshalb brauchte er einen Erzbischof, den er nicht gut nach Passau, sondern viel eher nach Lorch, der alten Hauptstadt Baierns, verlegen konnte. Seine Aufgabe sah er darin, Salzburg in Pannonien nicht wieder aufkommen zu lassen und es von dem im eigenen Mutterlande nicht nach Gebühr erlangten Vorrange zu verdrängen. Dieses eigentlich der neuen Hauptstadt Regensburg zustehende Recht benützte er nun selbst und deshalb berief er sich auf Lorch als den ehemaligen Sitz des römischen Statthalters und kirchlichen Metropoliten sowie der ersten Herzoge in Baiern. Da er nicht hoffen konnte, den bisherigen Erzbischof aus dessen Befugnissen vollständig auszuschalten, so hätte er sich damit begnügt, sowohl Baiern als auch Ungarn zwischen P a s s a u und Salzburg aufteilen zu können, so daß das eine wie das andere eine eigene Kirchenprovinz g e w o r d e n w ä r e ; in Baiern hätten demnach entgegen den Beschlüssen der Konzilien *) divisis duabus Norice regionis provinciis. Lehr, Pilgrim S. 42.

3. Bischof Pilgrim von Passau und das „Erzbistum" Lorch.

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und dem Reichsrechte (S. 282) zwei Metropolitansprengeln entstehen sollen, wovon jedem von ihnen ungarische Bistümer unterstanden w ä r e n ; anders wie in der Zeit der Karolinger hätte jetzt P a s s a u ' d e n östlichen, Salzburg hingegen den westlichen Teil von Pannonien zu betreuen gehabt. Es ist verständlich, daß Erzbischof Friedrich sich damit nicht begnügen wollte und an den von seinen Vorgängern erworbenen Rechten festhielt. Diese waren ohne Zweifel auf seiner Seite, während der von der Donau vorgeschriebene Weg der Natur das Vorgehen Pilgrims verstehen läßt; er wollte die Preisgabe Lorchs als Hauptstadt wenigstens kirchlich wieder gut machen und Salzburg in dessen sowohl in Baiern als auch in Pannonien nicht zustehenden Vorrechten beschneiden; er übersah dabei, daß für das Mutterland nicht er, sondern der von ihm auf den Regensburger Stuhl gebrachte Bischof Wolfgang zuständig gewesen w ä r e ; doch dieser wehrte sich so wenig wie seine Vorgänger, ja er ließ sogar zu, daß Böhmen aus seinem Sprengel ausgeschieden und in P r a g ein eigenes Bistum erhielt. Erzbischof Friedrich hingegen antwortete Pilgrim mit der gleichen Waffe, indem auch er in einer gefälschten Bulle Zuflucht suchte. Nach ihr hätte Papst Benedikt VII. (977) dem erstgenannten Erzbischofe das Apostolische Vikariat in ganz Baiern und in Pannonien, dem oberen und unteren 1 ), verliehen, wie es dessen Vorgänger besessen hätten, so zwar, daß niemand in den genannten Provinzen sich das Pallium anmaßen und Bischöfe weihen oder sonst eine erzbischöfliche Handlung verrichten dürfe als der Salzburger Oberhirt. Wer, gleichviel ob Bischof oder Geistlicher, sich dem widersetze, sei verflucht. Sollte jemand durch Freunde oder irgend einen Betrug einen Teil jener Würde sich aneignen, so enthebe er ihn seiner Stelle, weil es unerlaubt sei, daß ein Bischof ohne Zustimmung seiner Amtsbrüder das Pallium oder andere erzbischöfliche Vorrechte von Rom zu erlangen suche. Es ist noch eine zweite Bulle desselben Papstes zu nennen, die sich an die Erzbischofe in Deutschland sowie an Kaiser Otto (II.) und den Herzog Heinrich von Baiern richtet; sie geht wieder auf Pilgrim als Urheber zurück. Dieser beruft sich hierin auf die in Rom von ihm vorgelegten Schriftstücke, unter denen die Bulle des Symmachus ausdrücklich erwähnt wird und auf die Blutzeugen, die *) in tota Norica provincia et in tota Pannonia superiori scilicet et inferiori. Salzb. Urkb. 2, S. 100. W e g e n der Jahresangabe unten S. 402.

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IV. Das Dreigrafschaftsgebiet in der Ungarnzeit

usw.

in Lorch gelitten hätten. Benedikt verleiht ihm daraufhin das Pallium und seiner an Ungarn angrenzenden Kirche in Lorch die Eigenschaft eines Metropolitansitzes, da sie allen Gotteshäusern Pannoniens an Alter und durch ihre erzbischöfliche Würde voranstehe; sie sei jedoch vor l a n g e r Zeit durch den Überfall der benachbarten Barbaren (Awaren) zerstört und verödet, so daß sie jedes christlichen Bewohners entbehre 1 ). Ohne der Siege Karls des Großen über die Awaren zu gedenken, rühmt das Schreiben die Erfolge Ottos I. über die Ungarn, die jetzt nach der Taufe verlangen, so daß es angezeigt sei, bei ihnen, den Mährern und Slaven Bischöfe zu weihen, die dem Erzbischof von Lorch unterstehen sollen. Weil Salzburg den Untergang von Lorch für seine Zwecke ausgenützt habe, so werde dieses künftig von der Abhängigkeit von dort befreit und soll selbst Metropole sein, denn letzteres dürfe nicht seiner Vorrechte beraubt werden, die älter und gewichtiger seien als jene von Salzburg 2 ). Deshalb, so wiederholt die Bulle, erhebe er die Vorsteher der Lorcher Kirche zu Erzbischöfen und löse sie los von aller Abhängigkeit von Salzburg. Die Grenzen zwischen beiden in Ungarn habe bereits Papst Agapet bestimmt, so zwar, daß Salzburg Ober-, Lorch. (Passau) jedoch Unterpannonien versehen solle. Von den beiden Erzbischöfen in Baiern solle, wie es Gregor der Große für England bestimmt habe, jedesmal der Weiheältere den Vorzug haben, so daß jeder Streit entfalle. So setze er denn Pilgrim zum Erzbischofe von Lorch ein, verleihe ihm das Pallium und die Vorrechte eines Apostolischen Vikars in den neu zu bekehrenden Ländern. In Ungarn erreichten weder Pilgrim noch Erzbischof Friedrich ihr Ziel; Pannonien w a r für Salzburg und Passau noch eher verloren, als nach den Siegen Karls des Großen über die Awaren. So blieb denn zwischen beiden Gegnern bloß der Kampf um die Würde des Erzbischofs in Baiern. Wenn Ungarn für Passau wegfiel, hatte es nicht viel Hoffnung, den Vorrang im Mutterlande zu erhalten, da das Bistum Salzburg durch den Verbleib von Karantanien viel ex omnibus gcclesiarum diocesibus Pannonie hec antiquitate et archiepiscopii dignitate e s s e primitiva creditur, que iam multis retroactis temporibus ex vicinorum frequenta populatione barbarorum deserta et in solitudinem redacta nulluni Christiane professionis habitatorem meminit. Lehr, Pilgrim S. 49. 2 ) Quoniam autem Salzburgensis ecclesia metropolis abusa est subiectione sancte Lauriacensis ecclesie pontificii obliterata et adtenuata sua dignitate ex devastatione barbarorum, quam propterea perceptis apostolicis privilegiis nequaquam patimur privari, cum et priora sint Salzburgensibus et ideo auctoritativa.

3. Bischof Pilgrim von P a s s a u und das „ E r z b i s t u m " Lorch.

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größer w a r . Pilgrim konnte zudem nicht mehr auf Mähren zählen, das kirchlich zu dem neugegründeten Bistum P r a g kam, da es kurz vorher an R e g e n s b u r g gelangt w a r . Die eben genannten päpstlichen Bullen und Handschreiben v e r meiden den Namen P a s s a u und erhöhen die dortigen Bischöfe Urolf, Gerhard und Pilgrim zu Erzbischöfen von L o r c h ; sie gestatten j e doch den G e b r a u c h des Palliums nicht bloß an den herkömmlichen Feiertagen, sondern auch an den T a g e s f e s t e n der Blutzeugen S t e phan und Laurenz und jener Heiligen, die in ihrem. Kirchensprengel bestattet sind 1 ). D a s ist der einzige Hinweis, der auf den Zusammenhang von L o r c h und P a s s a u deutet. Pilgrim bedurfte jedoch für sein Ziel, Erzbischof für Ungarn mit dem Sitze in L o r c h zu werden, nicht bloß der Erlaubnis Geisas und der Zustimmung Roms, sondern auch — und das besonders — der Mithilfe des Kaisers. Darauf konnte er z w a r hoffen, als er ein treuer Anhänger von ihm w a r , doch das w a r auch sein W i d e r s a c h e r Erzbischof Friedrich von Salzburg. Otto II. hatte daher allen Grund, alles zu vermeiden, w a s einen von ihnen beiden auf Kosten des anderen gefördert hätte. S o verhielt es sich denn auch und daher blieb alles so, wie es w a r ; der W e g Pilgrims w a r zudem so abenteuerlich, daß der K a i s e r ihm nicht folgen konnte, ohne die Grundlagen des bisherigen K i r c h e n w e s e n s in B a i e r n zu erschüttern. Die ihm vorgelegten U r kunden sollten die B r ü c k e bilden, die von L o r c h nach P a s s a u führte; sie zeigen wieder, daß der angebliche Zusammenhang zwischen beiden und nicht das erfundene Erzbistum der Kern der L o r c h e r F a b e l ist. Doch sind sie auch aus einem anderen Grunde entscheidend: sie liegen nämlich zum Teile noch als Urstücke und E n t würfe vor, an denen die äußeren Merkmale sichtbar sind; die päpstlichen Bullen hingegen sind bloß in zwei späteren Abschriften überliefert, die nicht über das zwölfte Jahrhundert hinabreichen, w o v o n die aus P a s s a u stammende W i e n e r und die aus R e i c h e r s b e r g herrührende Kölner Handschrift auf eine nicht erhaltene gemeinsame Vorlage zurückgehen 2 ). Pilgrim äußert sich am klarsten über den von ihm behaupteten Zusammenhang zwischen L o r c h und P a s s a u in einer Urkunde des Kaisers Arnulf aus dem J a h r e 898, die an seinen V o r g ä n g e r W i c h i n g *) nec non in festivitate sancii Stephani protomartiris Christi sanctique Laurentii et ¡Horum sanctorum, qui corporaliter in tua requiescunt 2

) Ebendort S. 18 f.

parrochia. Lehr S. 34.

400

IV. Das Dreigrafschaftsgebiet in der Ungarnzeit

usw.

gerichtet ist und dessen Kirche Rechte an der Stadt und Schutz verleiht; er beruft sich da auf Urkunden der Kaiser Karl und Ludwig, nach denen Erzbischof Vivilo von Lorch, als die Awaren diese Stadt zerstörten, seinen Sitz im Einverständnis mit Herzog Odilo nach P a s s a u verlegte (S. 168); aus dem ersten, vom Papste Gregor III. geweihten Oberhirten von Passau macht er hier den letzten Erzbischof von Lorch, wobei er freilich einen Zeitraum von fast vierzig Jahren überspringen muß und vergißt, daß das verwüstete und preisgegebene Lorch noch heidnisch war und die gleich nachfolgende zweite Bekehrung des Landes in Regensburg begann. Doch liegt in dem erzwungenen Abzüge aus der ersten Hauptstadt ein echter Kern, der seiner Aussage einen glaubwürdigen Untergrund verleiht: Vivilo verkörpert durch seine angebliche Flucht förmlich das fliehende Volk, das bei der Preisgabe von Lorch nach dem Westen zog; ja vielleicht ist der baierische (heidnische) Volksteil nach Passau gewandert, wie der romanische (christliche) nach Salzburg. Die Kirche der Dreiflüssestadt konnte nur als u n m i t t e l b a r e Nachfolgerin jener von Lorch ein höheres Alter und damit Ansprüche geltend machen; ihr erster Bischof Vivilo mußte also letzter Oberhirte von Lorch werden. Die Sitzverlegung also und damit der Fortbestand w a r für Pilgrim noch wichtiger als das von ihm vorgegebene Erzbistum, da dieses allein ihm nicht die Anwartschaft auf die Nachfolge gegeben hätte. Während die Agapet-Bulle den letzten Oberhirten von Lorch, ohne seinen Namen zu nennen, beim Untergange der Stadt anderswohin (alio) ziehen läßt, macht die Arnulf-Urkunde aus dem ersten Bischof von Passau den letzten Erzbischof von Lorch und vereinigt in der Person Vivilos beide Sitze zu einer Einheit. Alle von Rom der Lorcher Kirche eingeräumten Vorrechte wären so von selbst an Passau übergegangen, so daß Pilgrim sie bloß zu erneuern brauchte. Sein Ziel war bei Papst und Kaiser dasselbe, doch war er dem ersteren gegenüber, als dem besser Unterrichteten, in der Sprache vorsichtiger. In engem Zusammenhange mit der Arnulf-Urkunde steht die von dem gleichen Schreiber verfertigte vom 5. Oktober 977, wonach Otto II. der Kirche von Passau sein Landgut bei der Ennsburg übergibt; sie liegt in einem nicht bestätigten Empfängerentwurfe und als genehmigtes Urstück vor (S. 356—358). Pilgrim wollte nach ersterem das Laurenz-Gotteshaus zu Lorch, das hier bereits als Schutzherrn den Passauer Heiligen Stephan voranstellt, als ehemaligen Metropolitansitz (S. 49 f.) und als untergegangene Mutter-

3. Bischof Pilgrim von Passau und das „Erzbistum" Lorch.

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kirche Baierns (S. 95 f.) anerkannt und es in seinen früheren Rechten erneuert sehen; deshalb erbat er, sich nach Lorch zu benennen und den Titel pontifex führen zu können. Der Kaiser jedoch willfahrte in seiner Antwort dem Wunsche des Gesuchstellers bloß in nebensächlichem Maße, indem er nichts einwendete, daß der Bischof den Bistumsheiligen nach Lorch übertrug und das dortige Gotteshaus als längst eingegangenen Metropolitansitz erklärte. Damit hatte Pilgrim nichts gewonnen, da er von einem erloschenen Bistume keine Rechte ableiten konnte; so durfte er sich denn weder nach Lorch zeichnen, noch den gewünschten Titel pontifex führen: der erstrebte Zusammenhang zwischen Passau und Lorch war hiedurch gefallen. Der kaiserliche Entschuß zeigt den Kern der Sache: nicht darauf kam es an, ob Lorch ehedem ein Bistum oder Erzbistum war, sondern einzig und allein auf den fälschlich behaupteten Zusammenhang mit Passau; n i c h t d a s E r z b i s t u m , sondern d i e S i t z ü b e r t r a g u n g w a r d a s W e s e n t l i c h e . Pilgrim hätte sein Ziel auch in dem Falle erreichen können, daß Lauriacum bloß Bistum gewesen wäre, wenn er den ununterbrochenen Bestand hätte nachweisen können; nur als verbliebene Mutterkirche Baierns hätte Lorch-Passau Anspruch auf die erzbischöfliche Würde gehabt; der Nachweis des e h e m a l i g e n Metropolitansitzes wurde zwar anerkannt, aber nicht die Fortdauer; damit hatte Pilgrim verloren. Ohne der Wahrheit Abbruch zu tun, hätte Otto II. das Lorcher Gotteshaus auch als untergegangene Mutterkirche Baierns anerkennen können, da die erste Bekehrung von dort, die zweite jedoch von Regensburg ausging, nachdem Herzog Theodo seinen Sitz von Lorch dahin verlegt hatte. Darin, i m W e c h s e l d e r H a u p t stadt und damit der Mutterkirche, l i e g t d e r Urs p r u n g d e s L o r c h e r S t r e i t e s , der in seinem Wesen nichts anderes bedeutet, als den verlorenen Vorrang wenigstens kirchlich wieder zurück zu gewinnen. Doch fehlte hier der kaiserlichen Kanzlei der tiefere Einblick, da Salzburg als den Begründer des Kirchenwesens in Baiern Rupert ausgab. Wie doch beide Kirchen mit entgegengesetzten Mitteln für ihr höheres Alter und damit um den Vorrang kämpfen: Salzburg brauchte Heiden, Passau Christen mit einem Bischof! Den ersten greifbaren Versuch, die einstige Lorcher Herrlichkeit wieder zu erneuern, bildet die von Pilgrim vorbereitete Ur26

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IV. Das Dreigrafschaftsgebiet in der Ungarnzeit

usw.

k ü n d e , die d e r K a i s e r j e d o c h nicht in d e m g e w ü n s c h t e n S i n n e guthieß. D e r v o r g e l e g t e E n t w u r f b e d e u t e t den Anfang, d a s in d e r Kanzlei a u s g e s t e l l t e U r s t ü c k jedoch b e r e i t s d a s E n d e d e s L o r c h e r S t r e i t e s , d e n erst eine viel s p ä t e r e Zeit w i e d e r a u f n a h m . F ü r Pilg r i m w a r d e r V e r s u c h s c h o n v o m B e g i n n e an v e r l o r e n . Die von ihm v o r b e r e i t e t e n P a p s t b u l l e n , die noch viel w e i t e r gingen und L a u r i a c u m als Sitz eines E r z b i s c h o f s f ü r P a n n o n i e n gelten ließen, h a t e r w o h l k a u m v o r g e l e g t 1 ) , da sie ihm nichts nützten, w e n n e r nicht als e r b b e r e c h t i g t e r Nachfolger e r w i e s e n w a r . Alle diese Machw e r k e sind w o h l gleichzeitig ausgereift, w i e sie auch auf den n ä m lichen U r h e b e r und d e n s e l b e n V e r f a s s e r z u r ü c k g e h e n . Als Zeit d e s voll a u s g e h e g t e n P l a n e s ist d a s J a h r 977 zu b e t r a c h t e n und als O r t d e s E n t s t e h e n s hat — L o r c h zu gelten. Als König Otto II. den T h r o n bestiegen h a t t e , e m p ö r t e sich g e g e n ihn H e r z o g Heinrich II. (der Z ä n k e r ) . Dieser w u r d e d e s h a l b in H a f t g e s e t z t , doch g e l a n g es ihm zu entfliehen und in B a i e r n einen v e r h e e r e n d e n B ü r g e r k r i e g zu e n t f e s s e l n ; er schloß sich in R e g e n s b u r g ein, doch e r o b e r t e d e r Kaiser im Juli 976 die H a u p t s t a d t . E s w a r d a s die Zeit, in der sich Bischof W o l f g a n g in sein E i g e n k l o s t e r Mondsee z u r ü c k z o g , ein Ereignis, das die N a c h w e l t z u m volkstümlich g e w o r d e n e n Einsiedlerleben am A b e r s e e umdichtete 2 ). Noch blutiger verlief d a s J a h r 977, als sich Heinrich d e r Z ä n k e r e r a u f s neue e r h o b und im B u n d e mit den H e r z o g e n von K ä r n t e n und B ö h m e n der S t a d t P a s s a u b e m ä c h t i g t e . Am 8. und 20. S e p t e m b e r ist d e r Kaiser im L a g e r v o r d e r Stadt, am 1. O k t o b e r in d i e s e r selbst n a c h w e i s b a r 3 ) . Ja, nicht n u r im g e g e n s e i t i g e n K a m p f e erlitt die S t a d t große S c h ä d e n , sondern noch n a c h h e r : P i l g r i m klagt gleich darauf, der Kaiser h ä t t e sich genötigt g e s e h e n , die w e h r h a f t e n A n l a g e n zu v e r n i c h t e n 4 ) , u m den A u f r ü h r e r n ihren f e s t e n S t ü t z p u n k t künftig zu n e h m e n . Die S t a d t t r u g ü b e r d i e s schon im V o r j a h r e N a r b e n d a v o n ; selbst die S t e p h a n s k i r c h e w u r d e nicht g e s c h o n t , w i e aus einer U r k u n d e O t t o s II. v o m 22. Juli 976 h e r v o r geht5). 1

) ) 3 ) 4 ) 2

So schon aus anderen Gründen Heuwieser, Gesch. d. B. Passau 1, S. 67 f. Zibermayr, Wolfganglegende S. 11, b z w . 147. Uhlirz, Jahrbücher Ottos II. S. 93 f. Mon. Germ., Dipl. 2/1, S. 189 f. restaurationem destructae aeclesiae s. Stephani. Ebendort S. 155.

3. Bischof Pilgrim von Passau und das „Erzbistum" Lorch.

403

Es ist ausgeschlossen, daß der kaisertreue Pilgrim inmitten der von Gegnern besetzten Stadt hätte verbleiben können. W i e sein Amtsbruder Wolfgang mußte auch er seinen Bischofssitz verlassen; gleich ihm wird er in dem von der Kriegsnot verschonten Südosten seines Bistums Schutz gesucht haben. Da drängt sich die F r a g e auf, ob er nicht das Schicksal, das er dem ersten P a s s a u e r Bischof Vivilo andichtet, in umgekehrter Folge selbst erlebte; seine Flucht von P a s s a u nach Lorch w ä r e so der gegebene Anlaß der von ihm erfundenen Fabel. Das Bild des aus dem zerstörten Lorch fliehenden und nirgends Sicherheit findenden Oberhirten zeigt schon in seiner natürlichen Farbenglut die aus den Kämpfen des Lebens geflossene Frische. Wenn Pilgrim gleichzeitig, wie die Kaiserurkunde des Jahres 977 zeigt, den Schutzheiligen seiner Kirche nach Lorch verpflanzte, so lag der tiefere Grund hiefür wohl darin, daß er w ä h r e n d der damaligen Kriegsnot in Lorch seinen Sitz aufgeschlagen hatte. Das bisherige Laurenz-Gotteshaus erfüllte mithin jetzt zugleich die Aufgabe der zerstörten Stephanskirche. Es ist daher sehr wahrscheinlich, daß P i l g r i m schon im Jahre 976, als Wolfgang in Mondsee weilte, n a c h L o r c h f l ü c h t e t e ; ja noch sicherer ist das gleiche für das Jahr 977 anzunehmen, wo P a s s a u vollständig zerstört w a r . F ü r das neue Arbeitsfeld in der Ostmark und in Ungarn w a r zudem Lorch günstiger gelegen als seine Bischofsstadt. Da die Dreiflüssestadt v e r w ü s t e t dalag, so drängte sich ihm der Gedanke auf, seinen Sitz d a u e r n d wegzuverlegen und im Schutze der Ennsburg bei der untergegangenen Metropolitankirche zu verbleiben, zumal er zu hoffen wagte, deren verblichenen Glanz wieder erneuern zu können. Seine Absicht, sich für immer in Lorch niederzulassen, zeigt die von ihm eben damals vorbereitete Urkunde, wonach er und seine Nachfolger nicht mehr nach Passau, sondern n a c h L o r c h z u b e n e n n e n seien und jeder den Titel p o n t i f e x führen sollte 1 ). Die kaiserliche Kanzlei ging nicht darauf ein: Pilgrim blieb nach wie vor Bischof von P a s s a u ; das W o r t Lorch hatte für seinen Titel ebenso zu entfallen, wie der davon abgeleitete eines pontifex. Der erstrebte höhere Rang wird da noch mehr der Grund gewesen sein, das Vorhaben Pilgrims abzulehnen, als der von ihm geäußerte Wunsch, sich nach Lorch zu benennen. Der von ihm gewünschte Titel eines pontifex weist auf die Lebensbeschreibung Severins, die den damaligen Lorcher Bischof Konstantius, der die W ü r d e eines *) Ähnlich schon Ratzinger, Forschungen z. bayr. Gesch. S. 366, 368. 26*

404

IV. Das Dreigrafschaftsgebiet

in der Ungarnzeit

usw.

Metropoliten für Ufer-Noricum bekleidete, so bezeichnet (S. 49 f.). Pilgrim sowohl als auch der Kaiser werteten diesen Titel höher als den eines einfachen Bischofs; wäre damals schon pontifex und episcopus amtlich gleich gehalten worden, so hätte kein Grund bestanden, dem kaisertreuen Anhänger seinen Wunsch zu verweigern. Otto II. durchschaute die Absicht des Gesuchstellers, in dem erstrebten Titel pontifex die Brücke zur erzbischöflichen Würde zu finden, die Pilgrim vom Papste zu erlangen hoffte. Nach all dem ist zu schließen, daß die Lorcher Fälschungen nicht in Passau, sondern in dem Orte, nach dem sie bezeichnet werden, entstanden oder doch ausgereift sind. Als ihr erster Urheber erscheint tatsächlich Pilgrim. Der abgelehnte Entwurf für die Urkunde Ottos II. vom 5. Oktober 977 ist der erste greifbare Versuch für Pilgrims Fälschungen: dies gilt sowohl für die angeblichen päpstlichen Bullen, die vorher keinen Sinn gehabt hätten, als auch für die Kaiserurkunden. Diesen Zusammenhang ausdrücklich hervorzuheben, ist deshalb nötig, als einige von ihnen, die eine frühere Jahresangabe tragen, als echt gelten, obwohl sie schon Pilgrim nach Lorch bezeichnen und ihm den Titel pontifex geben. Wenn Otto II. in der Enns-Lorcher Urkunde (977) das nicht zuließ, wie hätte er das früher ruhig geschehen lassen! E s sind daher alle Kaiserurkunden, die Pilgrim nicht als Bischof von Passau, sondern als pontifex von Lorch bezeichnen, verdächtig, wenn sie auch sonst inhaltlich keine Bedenken erregen; sie sind dann eben nachträglich im Titel verunechtet. Das besorgte zudem in allen Fällen die bekannte Hand des Gehilfen Pilgrims, der fälschlich als Kanzleibeamter Ottos II. und daher nach dem Erzkaplan Willigis als W C bezeichnet wird; eben deshalb gelten die von ihm geschriebenen Urkunden als echt 1 ). Häufig wird die Zerstörung von Passau (977) als Anlaß für die Fälschungen Pilgrims gewertet 2 ); diese sollten also die durch Feuer vernichteten Urstücke zum Teile ersetzen; man schreibt Der

Irrtum geht

auf die sonst gründliche Arbeit

von K. Uhlirz,

Die

Ur-

kundenfälschung zu P a s s a u im zehnten Jahrh., Mitt. d. Instituts 3 (1882) S. 181 ff., 209 zurück. Instituts, Dienste land

bis

Schon Th. Sickel, Erläuterungen

Ergbd. 2 Pilgrims zum

(1888)

S. 87,

gestanden

Ende

des

ist;

ebenso

elften

Jahrh. 1

Karol. 3, S. 247. 2)

135 ff.

Dümmler, Pilgrim S. 63 f.

hat

zu den Diplomen Otto II., Mitt. richtig

E . Stengel, (1910)

vermutet, Die

daß W C

Immunität

S. 171 f. und

Mon.

in

nur

d. im

Deutsch-

Germ.,

Dipl.

3. Bischof Pilgrim von P a s s a u und das „Erzbistum" L o r c h .

4 0 5

überhaupt viel zu sehr den Verlust von Urkunden Bränden zu. Als Pilgrim aus seiner Bischofsstadt flüchten mußte, hat er natürlich die wenigen Urstücke, die vorhanden waren, nicht zurück gelassen, sondern mitgenommen. Das bezeugt schon das Vorhandensein des ältesten, aus der Mitte des neunten Jahrhunderts stammenden Traditionsbuches. E s liegt daher ein anderes Verfahren nahe, das sein Schreiber übte: dieser hat die geretteten Urkunden als Vorlage für seine Fälschungen benützt, ihnen das echte Siegel entnommen und seinen Machwerken aufgedrückt, jedoch die wirklichen Urschriften vernichtet; er und nicht der Brand ist mithin als Zerstörer der ältesten Passauer Urkunden anzusehen. Die von ihm geschriebenen Stücke sind demnach von vorneherein verdächtig: es ist in jedem Falle zu achten, ob sie nicht gefälscht, oder doch verunechtet sind. Der Titel eines pontifex für Lorch findet sich bereits in einer jetzt als echt gehaltenen Urkunde des Kaisers Otto I. vom 18. Oktober 972, womit Pilgrim den Passauer Besitz in der Wachau bestätigt erhielt 1 ); sie gibt damit übereinstimmend zugleich als Bistumsheilige Stephan u n d Laurenz an. Auffällig ist ferner, daß die Urkunde mit gleicher Zeitangabe, nur wenig verändert, in derselben Schrift nochmals vorliegt 2 ). Es ist weder die eine, noch die andere in der überlieferten Gestalt einwandfrei. Der bisher ungewohnte Titel und Laurenz als Bistumsheiliger sind sicher erst einige Jahre später hinzugefügt worden, als Pilgrim Passau verlassen und in Lorch seinen Sitz aufgeschlagen hatte. Das ist vor 976 nicht geschehen. Wenn also an beiden Urkunden der Inhalt zu keinem B e denken Anlaß gibt, so sind sie in ihrem vorgegebenen Zusammenhange mit Lorch verunechtet: die ursprüngliche Urkunde w a r noch an Pilgrim als Bischof von Passau gerichtet und bloß für Stephan als alleinigen Bistumsheiligen bestimmt. So spricht auch das Schreiben, das Otto I. kurz nachher Pilgrim zukommen ließ, um ihm den zu den Ungarn gesandten Bischof Bruno zu empfehlen, bloß von seiner Eigenschaft als Bischof von Passau 3 ). Die folgenden Stücke, die für Pilgrim den Titel eines Lorcher pontifex bringen, rühren ebenfalls alle von seinem Handlanger her. So bringt eine Urkunde Ottos II. vom 11. September 973, worin er Pilgrim den Besitz einer Hofstatt in Regensburg bestätigt, die bereits Bischof Adalbert er*) s. Lauriacensis aeclesie v . pontifici Piligrimo. ) Ebendort 2/1, S. 36.

Mon. Germ., Dipl. 1,

2 3

) Biligrimo v. Bataviensis ecclesie episcopo. Ebendort 1, S. 586.

S. 577.

406

IV. Das Dreigrafschaftsgebiet

in der Ungarnzeit

usw.

worben hatte, gleichfalls den Lorcher Titel und nennt als Bistumsheilige Stephan und Laurenz; sie bezeichnet seinen Vorgänger Adalbert das einemal als episcopus, das anderemal gleich ihm als pontifex, erwähnt aber für die ursprüngliche Schenkung bloß den Blutzeugen Stephan als Empfänger 1 ). Eine Urkunde Ottos II. vom 22. Juli 976, worin er der Kirche von Passau einen Teil des in der Stadt zu entrichtenden Zolles überläßt, hebt Pilgrim gleichfalls wieder als Lorcher pontifex hervor 2 ); doch, da es sich darum handelt, die zerstörte Stephanskirche wieder herzustellen, erscheint bloß diese allein und nicht auch das Laurenz-Gotteshaus in Lorch als Empfänger; der Lorcher Titel ist auch hier erst nachträglich eingefügt worden, da die kaiserliche Kanzlei ihn ein Jahr später verwarf. Das ergibt sich schon daraus, daß Otto II. mit der gleichen Zeitangabe wieder in Regensburg zwei Urkunden für Pilgrim ausstellt, in denen dieser, wie herkömmlich, bloß als Bischof von Passau aufscheint 3 ); sie rühren abermals von demselben Schreiber her, der die übrigen Machwerke verfertigte. Aus all dem erhellt, daß alle an Pilgrim gerichteten Urkunden, in denen er als Lorcher pontifex vorkommt, zum mindesten im Titel verunechtet sind. Die Urkunde vom 5. Oktober 977 war sein erster Versuch, sich nach Lorch benennen zu dürfen; er mißglückte. Es war der einzige Schritt, den er hiefür unternahm: weder früher noch später läßt sich eine echte Urkunde beibringen, in der als Empfänger die Lorcher Kirche erscheint. Die nächste vom 30. September 985, in der Otto III. Pilgrim Abgaben aus der Mark des Grafen Liutpold überweist, nennt ihn wie ehedem bloß als Vorsteher (praesul) der Passauer Kirche, doch später einmal pontifex. Neu ist jedoch, daß jetzt in der Stephanskirche in Passau neben Valentin noch der Bekenner (confessor) Maximilian ruht4), den erst die spätere Legende zum Blutzeugen und Erzbischof von Lorch erhebt; hätte bereits Pilgrim in ihm einen solchen gesehen, so würde er das in seinem Kampfe um den Vorrang bestimmt hervorgehoben und benützt haben. Mon. Germ., Dipl. 2/1, S. 69 f. Schon Dümmler, Pilgrim S. 63 hat die drei U r kunden verdächtigt, sie später jedoch als echt erklärt. Noch schärfer hat sich gegen sie und die folgende F . Blumberger, Die L o r c h e r Fälschungen, Archiv für Gesch. 46 (1871) S. 268—272 2)

österr.

ausgesprochen.

P . s. Lauriacensis aecclesiae pontifex. Mon. Germ., Dipl. 2/1, S. 155.

3)

P . s. Patauiensis aeclesiae episcopus, bzw. presul. Ebendort S. 151, 153 f.

4)

Ebendort 2 / 2 , S. 420.

3. Bischof Pilgrim von P a s s a u und das „ E r z b i s t u m " Lorch.

407

Die Ennsburg-Urkunde Ottos II. zeigt im Vergleich mit dem nicht bestätigten Entwürfe deutlich, daß der Kaiser es nicht zuließ, daß der Passauer Bischof sich nach Lorch benannte; er wies einen solchen Titel als nicht berechtigt zurück. Das gilt aber nicht bloß für die Zeit Pilgrims. Hätte wirklich dessen Vorgänger Adalbert schon den Titel eines Lorcher Bischofs geführt, so wäre jetzt kein Anlaß gewesen, hiegegen einzuschreiten. E s ist daher ausgeschlossen, daß diesen die Ingelheimer Synode des Jahres 948 als Lauriacensis ecclesiae episcopus bezeichnete 1 ). Da die ursprünglichen Akten nicht mehr erhalten sind, so ist der ungewöhnliche Titel bloß eine spätere Zutat, wie denn auch einige Handschriften, die sie unverändert übernommen haben, ihn richtig als Bischof von Passau anführen 2 ). E s kann daher keine Rede davon sein, daß Adalbert sich je einmal nach Lorch bezeichnete; er erscheint ständig bloß als Bischof von Passau. Der erste Oberhirte dieser Stadt, der sich nach Lorch benannte, w a r also Pilgrim. Wenn der Kaiser das nicht gelten ließ, so ist damit erwiesen, daß seine Kanzlei nicht daran glaubte, daß der erste Bischof von Passau Vivilo früher in der untergegangenen Hauptstadt Lorch seinen Sitz gehabt habe; sie wußte demnach noch, daß das Bistum Passau eine eigene und bodenständige Gründung war und nicht eine ältere Kirche fortsetzte. Damit war aber auch schon der von Pilgrim aufgeworfene Streitfall entschieden; er hatte keine Aussicht mehr, einen Erfolg zu erzielen. Es war ein kurzer Wahn, der erst viel später seine dunklen Schatten warf, als die Kenntnis über die Anfänge des Christentums in Baiern völlig entschwunden war. Aus den dürftigen Quellen läßt sich demnach noch heute ersehen, daß P i l g r i m d e r U r h e b e r d e r L o r c h e r F a b e l ist, die einen Zusammenhang mit Passau vortäuschen will. Der von ihm gewählte Titel eines pontifex weist auf das Leben Severins als Quelle. Da keine anderen Zeugnisse vorlagen, so erfand er sie und dehnte das Tätigkeitsfeld des angeblichen Erzbischofs von Lorch auf das zu bekehrende Ungarn (Pannonien) aus. Das weist wieder auf niemand anderen als Pilgrim als Fälscher, da später eine solche Verbindung nicht mehr bestand. Die Hoffnung, den Vorrang in Baiern zu erringen, gab ihm die Rolle Lorchs als erster Hauptstadt, an deren Untergang er anknüpfte; er schöpfte da wohl aus der Mon. Germ., Constitutiones 1 (1893) S. 13. 2

) S o schon Blumberger S. 266 f. u. Heuwieser 1, S. 74 f.

408

IV. Das Dreigrafschäftsgebiet in der Ungarnzeit

usw.

Volkssage, die er entstellte und für seine Zwecke benützte: er machte aus dem noch heidnischen Lorch ein christliches; sie gab gleichwohl neben dem Leben Severins seinem Machwerke einen Schimmer von Glaubwürdigkeit. In Passau war das Wissen um das Entstehen des Bistums noch lange lebendig, so daß Pilgrim zunächst nicht einmal dort durchdrang; es haftete zudem so stark auf dem Erdreich, auf dem es erwachsen war, daß der Plan, dauernd nach Lorch zu übersiedeln, trotz den erlittenen Kriegsschäden nicht gelang. Es war die Zeit noch immer nicht soweit vorgeschritten, daß der von ihm ausgestreute Same hätte Boden fassen können. Doch zeigen die vorliegenden Bischofslisten hiefür bereits einen Einschlag, wenn sie dem ersten Oberhirten Vivilo fälschlich eine Amtsdauer von zweiundzwanzig Jahren geben und ihn als Erzbischof bezeichnen; sie beginnen allerdings erst mit dem zwölften Jahrhundert. Im Anschluß daran entstand eine Reihe der angeblichen Erzbischöfe von Lorch, als welche Theodor, Konstantius, Urolf, Gerhard und Pilgrim erscheinen 1 ). Die vor 1300 abgefaßte „Geschichte der Passauer Bischöfe" läßt die Anfänge der Lorcher Kirche noch weiter zurückreichen und nennt unter deren „Erzbischöfen" bereits den sagenhaften Blutzeugen Maximilian 2 ). Auf Grund der erdichteten Vorzeit erlangte späterhin Passau sogar einige Erfolge; damals, wo Ungarn ausgeschaltet war, handelte es sich bloß um die Exemption von der Kirchenprovinz Salzburg und um das Pallium. Das erreichte Passau vorübergehend in den Jahren 1415 und 1420s), für ständig gedacht jedoch in der Bulle Benedikts XIII. vom 1. Juni 1728; es war das der Ersatz für das an das neue Erzbistum Wien abgegebene Viertel unter dem Wiener Walde. Am 12. Oktober, dem Feste Maximilians, nahm Bischof Josef D. Graf Lamberg in der Kirche St. Laurenz zu Enns die entsprechende päpstliche Urkunde entgegen und empfing wenige Tage später in der Passauer Domkirche das erzbischöfliche Pallium 4 ). Doch war auch das nicht von Dauer; seit 1817 ist Passau wieder Mon. Germ., Script. 13, S. 362, 364. -) Ebendort 25, S. 620. 3 ) Hansiz, Germania sacra 1, S. 493, 498. 4 ) J. Lohninger, Die Stadtpfarrkirche zu Lorch-Enns (Linz 1918) S. 28: K. Schrödl, Passavia sacra (1879) S. 376.

3. Bischof Pilgrim von P a s s a u und das „Erzbistum" L o r c h .

409

einlaches Bistum und steht unter dem Erzbischofe von MünchenFreising. Noch verwirrender war das Unheil, das die Machwerke Pilgrims in der Geschichtswissenschaft anrichteten. Die von ihm gefälschten Bullen verwendete zum erstenmal der Chorherr Magnus von Reichersberg (gest. 1195) 1 ). Von da an kam die Lorcher Fabel nicht mehr zur Ruhe und trieb noch neue Blüten. Die ärgsten Auswüchse beseitigte zwar der Jesuit M. Hansiz in seiner Geschichte des Bistums Passau, die als erster Band (Metropolis Lauriacensis) seiner Germania sacra im Jahre 1727 erschien, aber in eigentlichem Wesen hielt er, wie schon der Titel verkündet, an ihr fest. Der erste Anlauf gegen die Lorcher Fälschungen erfolgte von jener Stadt aus, gegen die sie gerichtet waren. So bezweifelte J. Kleinmayrn 2 ) die Echtheit aller Lorcher Bullen. Noch weiter ging M.Filz in seinen Schriften über das „wahre" Zeitalter Ruperts; er hielt sie alle für gefälscht und erklärte als den einzigen wirklichen Bischof von Lorch den im Leben Severins erwähnten Konstantius, ja er erkannte, daß die Stadt Lorch gegen Ende des siebenten Jahrhunderts von den Awaren gänzlich zerstört und nicht wieder hergestellt wurde; wie hätte da, so schließt er richtig, nach mehr als vierzig Jahren Bischof Vivilo von dort nach Passau flüchten können 3 ). Einen grundlegenden Wandel führte E. Dümmler in seinem hier oft genannten Buche „Piligrim von Passau und das Erzbisthum L o r c h " herbei, das im Jahre 1854 erschien. Der damals erst vierundzwanzigjährige Verfasser erwies unumstößlich, daß sämtliche Lorcher Bullen und die Urkunde des Kaisers Arnulf für Bischof Wiching gefälscht seien und stellte in Pilgrim deren geistigen Urheber fest. K. Uhlirz vervollständigte in der vorhin genannten Abhandlung über die Passauer Fälschungen (1882) den Beweis und erkannte auf Grund der äußeren Merkmale in den Kaiserurkunden für Passau die Hand des Helfershelfers Pilgrims. W . Lehr unterzog sich in seiner Schrift „Piligrim, Bischof von Passau, und die Lorcher Fälschungen" (1909) der Aufgabe, den Stil, der bloß in Abschriften *) Mon. Germ., P a s s a u e r Stücke

Script. Christoph

17 (1861) S. 481 f. Gewold

im

Aus Reichersberg hat die

J a h r e 1611

zuerst

unechten

veröffentlicht.

Lehr,

Pilgrim S. 18. Die angebliche Pallienverleihung des Papstes S y m m a c h u s schon bei C. Bruschius, De L a u r e a c o (Basel 1553) S. 48 f. (mit J a h r e s a n g a b e 499). 2

) Nachrichten v o m Zustande der Gegenden u. Stadt J u v a v i a (1784) S. 75—78.

3

) Im 7. Bericht über das Linzer Museum (1843) S. 69, 71.

410

IV. Das Dreigrafschaftsgebiet in der Ungarnzeit usw.

vorliegenden Pallienbullen mit den bezüglichen Kaiserurkunden zu vergleichen; er fand hier wie dort den gleichen Verfasser, eben den irrig als W C bezeichneten Schreiber. Nach anfänglichen Widersprüchen ist der Nachweis Dümmlers heute Gemeingut der Wissenschaft geworden: Pilgrim gilt jetzt überall als Anstifter der Lorcher Fälschungen. Doch fehlte es an der nötigen Kenntnis des Kirchenrechtes, um ihren Inhalt richtig zu deuten: man wußte nicht, daß die prima sedes episcopalis der Sitz eines Metropoliten sei und nahm den Ausdruck zeitlich als Sitzverlegung von Lorch nach Passau (S. 356 Anm. 2); es ist zudem noch viel zu wenig erforscht, wie die kirchlichen Begriffe und Titel im Laufe der Zeit sich gewandelt haben. So verkannte man den Kern der Frage und erklärte als Lorcher Fabel das angebliche Erzbistum und nicht dessen vorgetäuschten Zusammenhang mit Passau. Man übersah ferner das Walten der Volkssage, auf die der Fälscher aufbaute, um den erforderlichen Glauben zu erlangen 1 ). Der Grundpfeiler, auf dem Pilgrim sein Werk errichtete, w a r der U n t e r g a n g der S t a d t L o r c h durch die Awaren, ein Ereignis, dem die Gründung des Bistums Passau zeitlich nicht fern stand. Seine Fälschungen sind das Klagelied über die entschwundene Lorcher Herrlichkeit. Schon da zeigt sich, daß das Wesen der Frage die durch die Flucht und Preisgabe der Stadt glaubwürdig aussehende Verlegung des Sitzes nach Passau bildet. Der von ihm behauptete Fortbestand von Lorch bis zur Zerstörung durch die Awaren läßt sich aus Arbeos Leben des Landesbischofs Emmeram als richtig erweisen. Die Eigenschaft von Lauriacum als Hauptstadt von Ufer-Noricum erhellt aus dem nach dem Leben Severins dort wirkenden pontifex Konstantius. Lorch als Mutterkirche vor dem verheerenden Awareneinfall weist auf denselben Vorrang in der Frühzeit der Baiern, als Eustasius die erste Bekehrung des Landes vollzog. Der Ausgangspunkt für Pilgrim ist also hier wie dort L o r c h a l s H a u p t s t a d t ; von dieser bevorzugten Rolle leitet er den erstrebten kirchlichen Vorrang ab: das römische Erzbistum und die ursprüngliche Mutterkirche Baierns. Mit dem ersteren verbindet er sein Verlangen auf das zu bekehrende Ungarn und macht deshalb aus dem tatsächlich nachweisbaren Metropolitansitz für Ufer-Noricum ein Erzbistum für Pannonien mit dem Sitze in Lauriacum. Das läßt er ebenso wie die *) Darauf haben schon E. Mühlbacher, Zur ältesten Kirchengesch. d. L. ob der Enns, Linzer Theol.-prakt. Quartalschrift 21 (1868) S. 131 u. Huber, Einführung d. Christentums 4 (1875) S. 473 hingewiesen.

3. Bischof Pilgrim von Passau und das „Erzbistum" Lorch.

411

Mutterkirche Baierns fortbestehen bis zum Einfall der Awaren um 700 und sodann nach Passau übertragen; freilich übersieht er dabei, daß diese ein heidnisches und nicht ein christliches Lorch zerstörten; die erste Mutterkirche Baierns war dort nicht von langem Bestände und schon vor der Preisgabe der Hauptstadt eingegangen. Trotz allen diesen Irrtümern ist der Kern überall echt: Lauriacum als Metropolitansitz in der Römerzeit, Lorch als anfängliche Mutterkirche der Baiern und der Verlust des Vorranges als Hauptstadt durch den Awareneinfall. Pilgrim wird so mit Arbeo ein Wegweiser und Führer durch die Frühgeschichte Baierns. Nach der Preisgabe von Lorch knüpfte die unmittelbar folgende zweite Bekehrung gegen den Rat des ersten Landesbischofs Emmeram an die neue Hauptstadt Regensburg an. Das, der Wechsel der Mutterkirche, sowie die nicht dem Kirchenrechte entsprechende, auf den Willen Karls des Großen hin erfolgte Erhebung Salzburgs zum Erzbistum, waren die tieferen Ursachen des durch die Aussicht auf Pannonien hervorgerufenen Lorcher Streites zwischen Passau und Salzburg. Der erste Vorkämpfer, ja Anstifter in diesem verwirrenden Zwiste war Bischof Pilgrim. Vorher ist keine Nachricht zu finden, die auf einen früheren Versuch hinweist: Passau rührte sich um sein vermeintliches Vorrecht so wenig, wie das allein berechtigte und zurückgesetzte Regensburg mit seinen falschen Theodonen (S. 139 f.). So hat denn, soviel wir wissen, erst Pilgrim den Anstoß gegeben und dabei eine Frage aufgerollt, die durch Jahrhunderte nicht zur Ruhe kam. Das einzige Mittel, das ihm, um sein beanspruchtes Vorrecht zu erlangen, zu Gebote stand, war der schicksalshafte Untergang und die Preisgabe der ersten Hauptstadt, die Herzog Theodo nach Regensburg verlegte. Da in Baiern wider kirchliches Herkommen nicht die Hauptstadt der Sitz des Erzbischofs wurde, so konnte dieser ebenso gut in Passau seines Amtes walten als in Salzburg. Den Anlaß, diese Frage aufzuwerfen, bot die bevorstehende Bekehrung Ungarns, die viel besser von der Donau als von der Salzachstadt durchzuführen w a r ; auch da rächte sich der Fehler Karls des Großen, der damit bei den Awaren den von ihm zum Erzbischof erhobenen Arn betraut hatte. Pilgrim war also sowohl für Passau als auch für Lorch der Anwalt der Donau, die sich durch ihn zum Worte meldete. Es war im Urgründe ein Kampf der geographischen Gegebenheiten gegen künstliche Formungen der Politik, ein Aufbäumen der Natur gegen ihr nicht gerecht ge-

412

IV. Das Dreigrafschaftsgebiet in der Ungarnzeit

usw.

wordenes Menschenwerk. Pilgrim wollte in seinem Ansprüche auf Pannonien Lorch zum Ausgangspunkt nehmen und der ehemaligen Hauptstadt seines Stammes zugleich wieder wie ehedem Emmeram die verloren gegangene Eigenschaft der Mutterkirche des Landes zurückgewinnen; er kämpfte gegen die Folgen des mehr der Person (Arn) als der Sache dienenden Vorgehens Karls des Großen und des zu sehr auf den Augenblick eingestellten Entschlusses des Herzogs Theodo, der übersah, daß, wie uns heute bewußt ist, die eigentliche Aufgabe seines Landes im Osten lag. Doch es war bereits zu spät: Lorch hatte seine führende Rolle ausgespielt und konnte den verblaßten Glanz nicht wieder erneuern. Pilgrim bildet ferner einen beredten Zeugen gegen das dem päpstlichen Abgesandten Bonifaz zugeschriebene Werk, der Begründer der baierischen Kirche zu sein (S. 192 f.); hätte wirklich dieser erst die Bistümer des Landes geschaffen, so wäre nicht später zwischen Salzburg und Passau ein Kampf um das höhere Alter ausgebrochen. So bieten denn die Lorcher Fälschungen rein methodisch ein ungemein lehrreiches Beispiel. Nach allgemeiner Ansicht gelten unechte Urkunden bloß für die Jahre, in denen sie entstanden sind, als verwendbare Belege; für die frühere Zeit wird ihren Angaben der W e r t abgesprochen. Das war denn auch der Grund, daß man den Aussagen Pilgrims über die kirchliche Vergangenheit Lorchs keinerlei Glaubwürdigkeit beimaß. Ein solches Vorgehen ist weltfremd. Wie hätte Pilgrim bei seinen umstürzenden Ansprüchen auf einen Erfolg hoffen dürfen, wenn er sich nicht irgendwie hätte auf Tatsachen stützen können! Sein Hinweis auf das Leben Severins, das man bisher allein als Quelle gelten läßt, wäre von vornherein aussichtslos gewesen. Was hätte ihm denn ein römischer Metropolitansitz genützt, wenn dieser in Baiern nicht fortgeführt worden w ä r e ! Er hatte also nachzuweisen, daß der Zusammenhang gewaltsam unterbrochen wurde, um ihn im Wege der Rechtsnachfolge wieder erneuern zu können. Diese Aussicht bot der Untergang von Lorch durch die Awaren, ein Ereignis, auf das er sich immer wieder beruft. Pilgrim wird so zum Kronzeugen für den Fortbestand Lorchs über das Altertum hinaus, den die Forschung noch immer nicht zugeben will. Da springt nun die depopulata Urbs Arbeos im Leben Emmerams ein, um jeden Zweifel zu beheben; er und Pilgrim ergänzen und stützen sich gegenseitig. Lorch konnte bloß dann die Mutterkirche des Landes sein, wenn es der Sitz des Her-

3. Bischof Pilgrim von Passau und da$ „Erzbistum" Lorch.

413

zogs w a r ; während Arbeo den Namen der untergegangenen Hauptstadt an der Enns nicht angibt, führt ihn Pilgrim ausdrücklich an: L o r c h w a r a l s o d i e d e p o p u l a t a u r b s ! Pilgrim wird hiedurch zum beredten Verkünder ihrer Eigenschaft als erster Hauptstadt der Baiern: was Arbeo bloß kurz andeutet, führt er näher aus und leitet davon den erstrebten Vorrang ab; er wird so zum Wortführer einer erst neu zu schaffenden Frühgeschichte der Baiern. Der tiefere Grund des Lorcher Streites lag darin, daß die ehemalige Metropole von Ufer-Noricum die erste H a u p t s t a d t d e r B a i e r n war, so daß hier auch die ursprüngliche M u t t e r k i r c h e zur Zeit des Eustasius zu suchen ist. Der Untergang der Stadt durch die Awaren veranlaßte Herzog Theodo, seinen Sitz in das geschütztere Regensburg zu verlegen, das jetzt bei der zweiten Bekehrung des Landes der neue Mittelpunkt wurde. So hatte denn Baiern zwei Mutterkirchen, von denen die beiden Bekehrungen ihren Ausgang nahmen. Ein Jahrhundert später erhielt Salzburg den ihm nicht gebührenden Vorrang, der es, um das erlangte Erzbistum zu begründen, veranlaßte, Rupert als Apostel des Landes auszugeben. Das war zunächst gegen das allein berechtigte Regensburg gerichtet. Jetzt aber brach der Streit wegen der Bekehrung Ungarns aus, so daß das viel näher gelegene Passau als scheinberechtigter Erbe Lorchs auf den Plan trat. In beiden Fällen dreht sich der Streit um das höhere Alter und damit um den Vorrang: die Rupertus-Legende ist der Beginn, die Lorcher Fälschungen sind das Ende des gleichen Schauspiels! Die schon im Besitze des Erzbistums befindliche Salzburger Kirche konnte sich damit begnügen, ihren Gründer als den ersten Heidenbekehrer Baierns vorzutäuschen; das erst um sein angebliches Anrecht kämpfende Passau hingegen benötigte, um sein Ziel zu erreichen, unechte Urkunden, die noch in das christliche Altertum zurückreichen sollten. Pilgrim beschwor das Gespenst der untergegangenen Hauptstadt und suchte deren kirchliche Rechte wieder zu erwecken; er wollte wie Emmeram nach Lorch ziehen; wie diesen Herzog Theodo daran verhinderte, so widersetzte sich jetzt Kaiser Otto II. Das Schicksal von Lorch war damit besiegelt. Sein Name bedeutet den Anfang des Christentums in Ufer-Noricum und in Baiern, ja auch die von Regensburg ausgehende zweite Bekehrung des Landes knüpft sich an den Untergang der aufgegebenen Hauptstadt. D i e F r ü h g e s c h i c h t e B a i e r n s ist d a h e r nur von L o r c h

414

IV. Das Dreigrafschaftsgebiet in der Ungarnzeit

usw.

a u s z u v e r s t e h e n . D a s gilt schon für die Landnahme wie für die Einführung des Christentums. So bildet denn Lorch das Erdreich, auf dem Staat und Kirche in Baiern ihre ersten Wurzeln gefaßt haben. Die geschichtliche Sendung wies demnach zuerst auf den Osten, auf den Kampf gegen die Awaren. Als diese jedoch Lorch zerstörten, verlegte Herzog Theodo seinen Sitz nach Regensburg und schuf dort die zweite Mutterkirche des L a n d e s ; diese hatte ihre Zielrichtung auf das zu bekehrende Böhmen, das von Lorch ebenso leicht zu erreichen gewesen w ä r e ; sie w a r schon zu abgelegen, als es die A w a r e n zu bekehren galt, da ihr die Bistümer Salzburg und P a s s a u vorgelagert waren. So gründete denn Karl der Große sein W e r k auf die Salzachstadt, die er zum Sitze des Erzbischofs und zum Ausgangspunkt für die Bekehrung P a n noniens erkor. Als nun nach der Schlacht am Lechfelde die Ungarn, ihre Nachfolger, für das Christentum zu gewinnen waren, da zeigte sich aufs neue, daß die eigentliche Aufgabe Baierns im Osten lag. Das hat Pilgrim klar erkannt und wollte deshalb Lorch wenigstens kirchlich wieder in den verlorengegangenen Rang zurück vers e t z e n ; gerade die von ihm veranlaßten Lorcher Fälschungen zeigen an, w o das wirkliche Tätigkeitsfeld Baierns zu suchen ist: es w a r das äußerste Bollwerk der deutschen Stämme gegen asiatische Horden an der Haupteinfallspforte der Donau. D a Herzog Theodo und seine Nachfolger diesen von der Lage des Landes gestellten Auftrag durch die Wahl Regensburgs zur Hauptstadt zurücksetzten, übernahm seine Rolle im Osten ein anderer, von ihm ursprünglich abhängiger Staat, Ö s t e r r e i c h , der sich in Wien einen unvergleichlichen Mittelpunkt schuf und hiedurch sein Mutterland bald überflügelte, ja allmählich zur Großmacht erwuchs. Es ist dabei nicht zu übersehen, daß auch da mit der Zunahme des V e r k e h r s die Donau ein gewichtiges W o r t mitspricht; diese wird erst von P a s s a u an, w o sie den größeren Inn aufnimmt, ein w i r k licher, für die Schiffahrt voll benützbarer Strom, w ä h r e n d sie Baiern noch als junger Fluß durchläuft. Der Inn, einst die W e s t g r e n z e Noricums und die Scheidelinie zwischen dem W e s t e n und Osten des Römischen Reiches, w u r d e erst nach langen Kämpfen zwischen den Wittelsbachern und Habsburgern, die der Geschichte des zwischen ihnen liegenden Landes ob der Enns ihre Besonderheit verleihen, der feste Abschluß beider Staaten (1779), so daß das erstarkte Österreich Baiern aus dem Erbe Noricums ganz verdrängte und an dessen ursprüngliche, Stelle trat. Ja, das am nördlichen Donauknie gelegene

3. Bischof Pilgrim von Passau und das „ E r z b i s t u m " Lorch.

4 1 5

Regensburg konnte nicht einmal im verbliebenen Rätien seinen Rang als Hauptstadt behaupten; es wurde jedoch schon frühzeitig (um 1250) Reichsstadt. Seit 1508, als Baiern wieder ein ungeteiltes Gesamtherzogtum wurde, schwang sich dort München als Hauptstadt empor, die jedoch nicht mehr in den Osten, sondern nach dem Süden (Brenner) weist. Doch das darzustellen, kann nicht mehr Aufgabe dieses Buches sein, das aus einer landesgeschichtlichen Studie erwachsen ist und bloß Lorch als Hauptstadt behandeln wollte. An ihren einstigen Vorrang als solche und Mutterkirche suchte Pilgrim anzuknüpfen, so daß sein Wirken mit der Einführung des Christentums in Baiern in engem Zusammenhange steht. Seine Rolle als verunglückter Wiedererwecker von Lorch schließt das Frühkirchenwesen dieses Landes ab und bildet demnach den natürlichen Endpunkt der Geschichte der untergegangenen Hauptstadt, der depopulata urbs Arbeos. Zum Abschluß soll noch ein kurzer Umriß angefügt werden, wie Österreich sich von Baiern absplitterte und welche Rolle da der zwischen ihnen gelegene und von beiden beanspruchte Traungau (Land ob der Enns) spielte. Hiebei soll aufgezeigt werden, daß dort die in der Römerzeit festgelegten Grenzen der ufernorischen Stadtgaue (civitates) fortbestanden und die drei von Karl dem Großen wieder eingerichteten Grafschaften in der Dreiteilung des Herzogtums Österreich weiterlebten; auch da fällt auf Lorch-Enns noch ein Abglanz, der an seine große Vergangenheit erinnert. Wie sehr hier das römische Ufer-Noricum das Rückgrat geblieben ist, erweisen noch die bis zum Jahre 1918 üblichen Ländernamen Österreich unter und ob der Enns; diese gemahnen noch an die Angaben der Notitia dignitatum und an das Leben Severins, in denen gleichfalls derselbe Fluß den oberen und unteren Teil von Ufer-Noricum scheidet.

V. Österreich und das Land ob der Enns. 1. Das Land im Norden der Donau. Bis zum Ende der Herrschaft der Römer war die Donau die Nordgrenze ihres Reiches. Das änderte sich auch nicht, als die Baiern Ufer-Noricum besetzten. Paulus Diaconus bezeugt beides in seiner Geschichte der Langobarden, indem er für die Zeit des Königs Odoaker diesen Strom als Scheidelinie des nördlich davon befindlichen Rugenreiches anführt; auch für später, als die Baiern eingewandert waren, läßt er den gleichen Flußlauf als Abschluß gelten 1 ). Die Gründung des Donauklosters Niederaltach durch Herzog Odilo (741) erscheint als der erste Versuch, dem von Regensburg bis zum Manhartsberge reichenden Nordwalde bewohnbares Land abzugewinnen. Im Stiftbriefe von Kremsmünster weist Tassilo seinem Kloster drei Weingärten an der Mündung der Rodl mit eben so vielen Winzern zu 2 ). Die Zeit der Karolinger, als Baiern ein Bestandteil des fränkischen Reiches war, ist im Norden der Donau gleichfalls nicht über die ersten Schritte hinausgekommen; sie besiedelte die ebenen Uferflächen, drang aber noch nicht in die Bergeshöhen vor: der Unterlauf der Aist und Naarn (das spätere Machland), die Gegend um Krems, das untere Kamptal, die Ebene von Wagram erscheinen bereits erschlossen. Doch waren schon früher Alpenslaven nordwärts der Donau gedrungen, wie der schon erwähnte Grenzstreit des Jahres 827 zu Puchenau dartut; diesen schlichtete der baierische Grenzgraf im Auftrage des Präfekten (S. 309). Der Amtsbezirk des Lorcher Grafen reichte mithin über die Donau. Das nördlich von ihr neu gewonnene Rodungsgebiet gehörte demnach ursprünglich zum Altsiedelland südlich davon. Der Vorstoß in den N o r d w a 1 d erfolgte also in diesem Falle vom Traungau aus. Das gleiche gilt für den Ort Naarn, da dessen Pfarre, als Lorch von den Awaren zer-

2

Mon. Germ., Script, rer. Langob. S. 56 f., 109. ) Pösinger, Stiftungsurkunde S. 64.

1. Das Land im Norden der Donau.

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stört w a r , von Mistelbach gegründet w u r d e (S. 318). Nicht anders w a r es im norischen Unterlande; auch da versah jede der zwei Grafschaften nördlich der Donau jenen Streifen, den sie dort hinzu gewann. Eigene Amtsbezirke w a r e n daher in karolingischer Zeit im Norden der Donau nicht eingerichtet. Als Pannonien verloren und die Ungarngefahr beseitigt war, da kam erst die Zeit, um den Nordwald zu lichten; das war, zumal als die Leitha- und Marchgrenze gegen Ungarn und Mähren aufgerichtet w a r , der einzige Weg, die kleine Ostmark zu vergrößern. Bis dahin w a r nicht einmal das ebene Marchfeld genügend ausgenützt; hier haben erst die salischen Kaiser, vor allen Heinrich III., ihre wirksame Hilfe geliehen. B e w u n d e r n s w e r t schritt das Siedelwerk, alle Bergeshöhen überwindend, im Waldviertel (ober dem Manhartsberge) vor. Als Österreich Herzogtum w u r d e (1156), w a r der Oberlauf des Kamp bereits überschritten und fast jener der T h a y a erreicht, so daß beinahe der spätere Grenzabschluß gegen Mähren erlangt w a r . W a s das bedeutet, zeigt ein Vergleich mit dem benachbarten Mühlviertel, dem gegenüber das Waldviertel einen noch einmal so breiten Landstreifen darstellt. Im oberösterreichischen Teile des Nordwaldes erschloß die Rodung bis dahin (1156) bloß die Südhälfte; der noch übrige Teil bis zur Moldau w u r d e erst ein Jahrhundert später gelichtet. Das ganze W e r k ist zudem als Kampf für deutschen Boden zu werten, da die Tschechen von Böhmen aus nach Süden vorstießen und hier schon seit dem Untergange von Lorch Alpenslaven eingedrungen waren. Dabei gab es auf dem neu gewonnenen Markboden östlich des Wiener Waldes, im Ennswalde und in der Gebirgsgegend noch viel zu tun; doch konnte man da an das W e r k der Vorfahren anknüpfen und es fortführen. Entsprechend der Zweiteilung Österreichs in Mark und Grafschaft hatte jeder Amtsbezirk im Süden der Donau einen dazugehörigen Sprengel im Nordwalde. Da im norischen Unterlande die Grenze zwischen Mark und Grafschaft die Erlaf oder Ybbs war, so ist am gegenüberliegenden Stromufer von der nur wenig westlich einmündenden Isper dasselbe anzunehmen. Dieser Flußlauf, die Grenze zwischen W a l d - und Mühlviertel (Machlandviertel), war also wohl schon ursprünglich die Scheidelinie zwischen Mark und Grafschaft. Aus einer Kaiserurkunde Ottos III. vom Jahre 998 erfahren wir, daß Nöchling im Gau Österreich und in der Grafschaft des Markgrafen Heinrich zwischen der Isper und dem Sarmingbache 27

418

V. Österreich und das Land ob der Enns.

gelegen sei 1 ). Ein halbes Jahrhundert später (1049) verleiht Kaiser Heinrich III. der Passauer Kirche den Wildbann in ihrem in der Grafschaft des Markgrafen Adalbert zwischen dem Sarming- und Kreuzener Bache (bei Grein) befindlichen Besitz 2 ). Das Gebiet westlich der Isper erscheint demnach schon seit dem Bestehen der Babenberger Mark als in der Grafschaft Österreich gelegen. Das beweist, daß das Land zwischen den angeführten Gewässern im Norden der Donau zu der südlich von ihr gelegenen Grafschaft westlich der Erlaf (Ybbs) gehörte. Viel zuverlässiger läßt sich die Westgrenze bestimmen. Der Mündung der Enns in die Donau hätte an deren anderem Ufer am besten die Aistsenke entsprochen. Da jedoch in der ersten Zeit der Babenberger die Ennsburg mit nächster Umgebung noch zu Österreich gehörte, so daß auch das Stift St. Florian ursprünglich dahin zu rechnen ist, so reichte die Lorcher Grafschaft noch westlich über die Aist. Es war das die gerodete Mark, die R i e d m a r k, das Waldgebiet von der Aist bis zum Haselgraben gegenüber Linz, deren Hauptpfarren St. Florian zu versehen hatte. Dessen dort befindliche Liegenschaften befreit nun Leopold III. von Österreich von den ihm als Markgrafen gebührenden Abgaben (1115)3). Diese Urkunde beweist klar, daß die hier zum erstenmal genannte Riedmark zu Österreich zählte, und zwar ihrer Lage nach zum westlichen Teil, der Grafschaft. Mit gleicher Befugnis schirmt später (1171) Herzog Heinrich II. den dort befindlichen Besitz des Klosters Garsten 4 ); unter ihm wird eine Kapelle zu Haselbach (heute St. Magdalena bei Linz) ausdrücklich erwähnt. Die Westgrenze Österreichs im Norden der Donau war der nach dem durchfließenden Bach benannte Haselgraben. Ursprünglich gehörte bis auf die Zeit der letzten Babenberger zur Riedmark noch das östlich der Aist sich ausbreitende Machland (S. 425). ') predium Nochilinga nuncupatum in p[ago] quoque Osterriche vocitato ac comitatu Heinrici march[ionis] et inter fluviis Ispera et Sabinicha nominatis situm. Ivlon. Germ., Dipl. 2/2, S. 711. 2 ) in comitatu Adalberti marchionis et intra geminas fluminum Sabinichi et T v minichi ripas. Ebendort 5, S. 316. Über die Gewässernamen V. Handel-Mazetti, Der Burgfried v o n Grein, Unterhaltungsbeilage der Linzer T a g e s - P o s t 1907 Nr. 6 und 7 mit Karte. 3 ) a redibitione vel reditu mei iuris in Ridmarcha vel in omnibus locis mei regiminis trans Danubium positis. Urkb. d. L. ob d. Enns 2, S. 149. infra terminos Rietmarchie et in Austria. Ebendort S. 345.

1. Das Land im Norden der Donau.

419

Westlich des Haselbaches begann der Sprengel der im Jahre 1110 von den Herren von Wilhering-Waxenberg gestifteten Pfarre Gramastetten, die im Westen bis zur Kleinen Rodl, im Süden zur Donau und im Norden bis nach Böhmen (Moldau) reichte 1 ). Ausgangspunkt für die Rodung dieses Gebietes war die am Fuße des Kürnberges liegende Stammburg der Wilheringer, aus der im Jahre 1146 ein Zisterzienserkloster hervorging; es ist also auch hier wieder der Vorstoß vom Süden der Donau aus erfolgt, so daß das gewonnene Neuland wieder zu jener Grafschaft zu rechnen ist, von der aus das Unternehmen begann. Das war in diesem Falle der von den Herren von Wels-Lambach geleitete Traungau. Als diese ausstarben (1056) und ihren letzten Sitz Lambach in ein Kloster verwandelten, erhielten ihre Grafenrechte die Ottokare in Steyr, deren Burg jetzt der Vorort des Traungaues und der nach ihnen benannten Steiermark (Kärntener Mark) wurde. Wenn wir nun hören, daß in den Jahren 1147/48 Ulrich von Wilhering im Gefolge des steyrischen Markgrafen einen Kreuzzug mitmacht und kurz darauf (1154), als der Babenberger Bischof Eberhart den Stiftbrief von Wilhering bestätigt, Ottokar als erster Zeuge auftritt 2 ), so ist der bestehende Zusammenhang leicht zu erkennen: der steyrische Markgraf erscheint hier nicht nur als der Landesherr des von Reun bei Graz bevölkerten Klosters, sondern auch als jener der Stifterfamilie und des von ihr im Norden der Donau erschlossenen Neulandes. Der Haselbach w a r also die Grenze zwischen dem von den Babenbergern geleiteten Österreich und dem Gebiete der Grafen des Traungaues, der steyrischen Ottokare. Da nach der Mistelbacher Synode Naarn noch zum Traungau zählte, so ist in der Zwischenzeit die Grenze an den Haselbach zurückgerückt worden. Anschließend an die Kleine Rodl war der stattliche, bis an die Große Mühl reichende Besitz der Herren von Windberg, den Eppo mit der von ihm errichteten Pfarrkirche zu Niederwaldkirchen zumeist an das Stift St. Florian vergälte (1108)3). Die Große Mühl, die spätere Grenze des Herzogtums Österreich gegen Baiern 4 ), die Urkb. d. L. ob d. Enns 2, S. 129. ) E. Trinks, Die Gründungsurkunden des Zisterzienserklosters Wilhering, Jahrb. d. Oberösterr. Musealvereines 82 (1928) S. 87, 95. 3 ) Urkb. d. L. ob d. Enns 2, S. 127. 4 ) Westlich der Großen Mühl lag die zu Baiern gehörige Grafschaft im Ilzgau. Urkb. d. L. ob d. Enns 1, S. 491 und 2, S. 637. 2

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420

V. Österreich und das Land ob der Enns.

beiläufig gegenüber dem Ende des früheren Passauer Waldes (Rosdorf) in die Donau mündet, hat demnach im Nordwalde als westliche Scheidelinie des Traungaues zu gelten 1 ); dieser reichte mithin dort von ihr bis zum Haselgraben. Die Grafengewalt der Herren von Wels-Lambach und ihrer Nachfolger, der steyrischen Ottokare, erstreckte sich also, anders wie in der Zeit der Karolinger, schon beträchtlich auf das Land im Norden der Donau. Doch fällt da bei einem Vergleich mit dem Waldviertel auf, um wieviel tatkräftiger und zielbewußter die Babenberger im Norden der Donau ihr Werk begannen; diese hatten, als sie Herzoge wurden, dreimal mehr dem Nordwalde an Land abgerungen und dem deutschen Volke gewonnen als die Traungauer Grafen zu Lambach und Steyr. Da sehen wir, wo der Grund des großen Unterschiedes liegt: in der Persönlichkeit der Unternehmer und nicht in der hier wie dort vorhandenen Höhenlage und der damit verbundenen Unwirtlichkeit des Klimas. Die Babenberger erscheinen auch da wieder als das rührige Geschlecht, das die Größe Österreichs begründet hat; sie sorgten, daß dieses ein Donaustaat werde und machten hiedurch den genannten Strom zur Lebensader ihres Reiches. Die Grafen von Lambach und Steyr hingegen hat der Erwerb der Kärntener Mark (1035) frühzeitig von der Donau abgelenkt; ihr Blick richtete sich auf das Alpenland; der Mittelpunkt ihres Herrschaftsgebietes wurde die mittlere Mur (Graz).

2. Österreich wird Herzogtum (1156). Der überlegenen Tätigkeit der Babenberger gelang es, nicht nur ihre Mark innerlich zu kräftigen und zu vergrößern, sondern auch im Gesamtgefüge des Reiches eine bevorzugte Stelle zu gewinnen; sie waren zudem mit den Königshäusern der Salier und Staufer enge verbunden. In ihrem Machtbereiche (principatus terrae istius) herrschte schon seit den Tagen Leopolds III. (1095—1136) ein eigenes Landrecht, wie der Verfasser des Lebens des Bischofs Altmann bezeugt (ius illius terrae) 2 ). Noch kurz bevor Österreich Herzogtum wurde, tritt hiefür als lateinischer Name das Wort *) Das wohl noch am Hofe der Babenberger entstandene Landbuch von Österreich und Steier nennt als Grenzen beider den Salletwald bei Peuerbach und die (Große) Mühl. Mon. Germ., Deutsche Chroniken 3, S. 713. 2 ) Mon. Germ., Script. 12, S. 236; Brunner, Land u. Herrschaft S. 223.

2. Österreich wird Herzogtum (1156).

421

Austria auf 1 ), das sinngemäß für die Grafschaft und die damit verbundene Mark gilt. Das gleich nachher geschaffene Herzogtum umfaßte ebenso Grafschaft und Mark (ducatus = comitatus e t m a r chia). Ruhte der Schwerpunkt zuerst auf der Grafschaft, so ging er seit dem zunehmenden E r s t a r k e n und Wachsen der Mark immer mehr auf diese über. So befreit Herzog Heinrich von Österreich die von seinem Bruder Otto gegründete Propstei Neustift bei Freising von allen Leistungen auf seinen in „unserem Herzogtume und unserer Mark" gelegenen Gütern mit Ausnahme des Marchfutters und B u r g w e r k s (1164) 2 ); hier wird Mark und Herzogtum unterschieden; erstere w a r eben bloß ein Teil hievon; letzteres umfaßte also auch noch die Grafschaft. Im Jahre 1139 bekam Markgraf Leopold IV. von Österreich das dem übermächtig gewordenen Hause der Weifen aberkannte Herzogtum B a i e r n; dessen S c h w e r p u n k t w ä r e Wien geworden, das bald hernach der Sitz der Babenberger w u r d e ; es schien ein glänzender Aufstieg bevorzustehen 3 ). Doch w a r er nicht von D a u e r ; ja Leopold und sein Bruder und Nachfolger Heinrich II. (Jasomirgott) w u r d e n ihres unerwartet erlangten Herzogtums niemals froh, wenn auch der Weife Heinrich der Löwe, der Sachsen zurück erlangte, im J a h r e 1143 ausdrücklich auf Baiern verzichtete. Als Friedrich I. B a r b a r o s s a deutscher König w u r d e (1152), w a r er gleich nach seiner W a h l bestrebt, den langen Streit um Baiern endgültig beizulegen. D a s w a r jedoch eine schwierige Sache, da Herzog Heinrich Jasomirgott auf seinem Rechte v e r h a r r t e . Nach mehreren vergeblichen Versuchen, ihn zu gewinnen, sprach der Reichstag von Goslar (1154) das Herzogtum Baiern Heinrich dem Löwen zu. Der eben damals unternommene Römerzug schob z w a r den Streitfall noch hinaus, doch setzte der Kaiser, als der Babenberger noch immer widerstand, im Oktober 1155 Heinrich den L ö w e n zum Herzoge von Baiern ein. So mußte denn der zum Markgrafen von Österreich erniedrigte Herzog, um nicht ganz zu verlieren, am Ende noch zufrieden sein, w e n n er sein Land, ohne es vergrößert zu sehen, aus Baiern ausscheiden und als selbständiges Herzogtum erhalten konnte. Der K. Lechner, Grafschaft, Mark u. Herzogtum, Jahrb. f. Landeskunde von Nied.Österr. 20 (1926) S. 50 f. 2

) in ducatu nostro et in marchia nostra. Mon. Boica 9 (1767) S. 566. ) G. Pölnitz, Deutsches Volkstum u. österr. Gesch., Histor. Jahrbuch 55 (1935) S. 426 f. 3

422

V. Österreich und das Land ob der Enns.

Reichstag von Regensburg brachte am 8. September 1156 den endgültigen Ausgleich oder richtiger Verzicht auf Kosten der Reichseinheit 1 ). Bischof Otto von Freising, der als Bruder des Babenbergers an den entscheidenden Vorgängen beteiligt war, berichtet hierüber aus seinem Gedächtnisse folgendes: Heinrich von Österreich stellte unter dem Sinnbilde von sieben Fahnen dem Kaiser das Herzogtum Baiern zurück; dieser belehnte damit Heinrich den L ö w e n ; der letztere aber gab mit z w e i Fahnen die Ostmark und die seit altersher dazugehörigen Grafschaften zurück; hernach erhob der Kaiser die Mark und die vorgenannten Grafschaften, die im Volksmunde „die Drei" hießen, nach dem Spruche der Fürsten zu einem Herzogtum und überantwortete dieses mit den beiden Fahnen dem Babenberger Heinrich und dessen Frau (Theodora, der Nichte des oströmischen Kaisers Emanuel) 2 ). Ein Freiheitsbrief vom 17. September 1156 ( P r i v i l e g i u m m i n u s ) erzählt noch kürzer den in Regensburg stattgefundenen Hergang, nach dem der Herzog von Österreich (dux Austrie) auf das Herzogtum Baiern verzichtete, worauf es der Kaiser dem Herzog von Sachsen (Heinrich dem Löwen) verlieh; dieser gab in seiner neuen Eigenschaft als Herzog von Baiern die Mark Österreich (marchiam Austrie) mit allen Gerechtsamen und Lehen, die einst Markgraf Leopold von Baiern innehatte, heraus, worauf der Kaiser die Mark Österreich zum Herzogtum erhob 3 ); er belehnte damit den Babenberger Heinrich und dessen Frau. Eine Reihe besonderer Vollmachten und Vorrechte legten für das klöine Herzogtum eine so feste und selbständige Grundlage, daß daraus späterhin eine Großmacht erwuchs; doch Baiern und Österreich wurden auseinander gerissen, so daß künftig der deutsche Einfluß im Südosten geschwächt w a r ; die vom Kaiser Friedrich I. ausgestellte Urkunde wurde in der Folge zum Geburtsbrief Österreichs, das seinen ver*) H. Simonsfeld, S. 475—477;

Jahrbücher

des Deutschen Reiches unter

Friedrich I.

H. Hirsch, Österreichs W e r d e n im Deutschen Reich, Deutsches

(1908) Archiv

für Landes- u. Volksforschung 2 (1938) S. 649 f. 2

) m a r c h i a m Orientalem cum comitatibus ad eam ex antiquo pertinentibus red-

didit.

Exinde de eadem marchia cum predictis comitatibus, quos tres dicunt, iudi-

cio principum

ducatum

fecit.

Gesta

Friderici

I. imperatoris,

Schulausgabe

v. G.

W a i t z , 3. Aufl. (1912) S . 160. 3

) marchiam Austrie in ducatum commutavimus.

gewählte Urkunden zur Verfassungsgesch. alter (1895) S. 9.

E . Schwind u. A. Dopsch, Aus-

der deutsch-österr. Erblande

im

Mittel-

2. Österreich wird Herzogtum (1156).

423

heißungsvollen Mittelpunkt in Wien fand, wo die Donau, die Ausläufer der Alpen, Sudeten und Karpathen zusammenstoßen und wichtige Verkehrswege von allen vier Himmelsrichtungen einmünden. Das neue Herzogtum Österreich erstreckte sich im Süden der Donau von der Leitha bis zur Enns und im Norden des genannten Stromes von der March bis zum Haselgraben; es zerfiel nach wie vor in zwei Teile: in die Mark von der Leitha bis zur Erlaf (?) und von der March bis zur Isper und in die Grafschaft von der Erlaf bis zur Enns und von der Isper bis zum Haselgraben. Die Nordgrenze war beiläufig der Oberlauf der Thaya und Moldau1). Im Süden gehörte die von dem Lambacher Grafen Gottfried (1042) eroberte Grafschaft Pütten (Wiener Neustädter Bezirk) zu Steiermark, während im übrigen die Grenzlinie zwischen ihr und Niederösterreich (Karintscheide) sich nicht änderte. Der Traungau blieb, wie gleich gezeigt werden soll, im Besitze der Ottokare zu Steyr ein Bestandteil Baierns und scheidet demnach jetzt noch aus. Der Bericht Ottos von Freising läßt die Mark und die mit ihr von altersher verbundenen, aber nur noch im Namen, jedoch nicht mehr in der Zahl verbliebenen „ D r e i G r a f s c h a f t e n" 2 ) zum Herzogtum erhoben sein; die Kaiserurkunde hingegen spricht bloß von der zum Herzogtum gewordenen Mark Österreich. Beide bezeugen, daß zu jener Zeit der Schwerpunkt schon auf die Mark übergegangen w a r ; das damit verbundene Grafschaftsgebiet war daher damals bloß ein Zugehör, das ausdrücklich zu erwähnen, die kaiserliche Kanzlei nicht mehr für nötig fand. Die Angaben Ottos von Freising über die mit der Mark seit jeher verbundenen „Drei Grafschaften" erinnern an die Zeit der Karolinger, wo sie noch als Beigabe der großen Ostmark (Pannonien) in ihrer ursprünglichen Form und Zahl bestanden; sie werden in der Raffelstettener Zollurkunde erwähnt und reichen nach ihr vom Austritte des früheren Passauer Waldes (Rosdorf) bis über Mautern hinab (S. 313); man kann sagen, vom Hausruck bis zur Großen !) Kurz, Beiträge zur Gesch. d. L. ob d. Enns 4 (1809) S. 519 f.: J. Strnadt, Das Land im Norden der Donau, Archiv f. österr. Gesch. 94 (1905) S. 127 f., 133 f.; H. Hirsch, Zur Entwicklung der böhm.-österr.-deutschen Grenze, Jahrb. d. Vereines f. Gesch d. Deutschen in Böhmen 1 (1926) S. 18 f. 2

) Der Stand der Fragen über die österreichischen Freiheitsbriefe und die „Drei Grafschaften" bei Uhlirz, Handbuch d. Gesch. Österreichs 1, S. 94 f.; dazu Zibermayr, Landesarchiv Linz S. 44—46.

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V. Österreich und das Land ob der Enns.

Tulln (Wiener Wald); ihr Mittelpunkt war Lorch, in dessen Nähe die Zollabredung stattfand. Das war der „Bäuerische Grenzabschnitt im Osten", den ein dem Präfekten der Ostmark unterstellter Grenzgraf verwaltete (S. 307). Den in seiner Hand vereinigten drei Grafschaften entsprachen, wie die Pilgrim-Synoden von Lorch, Mautern und Mistelbach bei Wels zeigen, ebensoviele Kirchensprengel, von denen die zwei ersten von der Enns bis zum Wiener Walde reichten; hier wie dort gehen die Wurzeln noch auf die drei römischen civitates Lauriacum, Favianae und Ovilava zurück (S. 328). In der Schlacht von Preßburg (907) vernichteten die Ungarn das Werk Karls des Großen: Pannonien ging verloren, ja die Baiern konnten als sicheren Besitz bloß den Traungau halten, den sie wieder mit ihrem Stammlande verbanden (S. 381 f.). Das karolingische Dreigrafschaftsgebiet w a r damit auseinander gerissen. Als die Babenberger das Land von der Enns bis zum Wiener Walde bekamen, verfügten sie bloß über den aus zwei Grafschaften bestehenden Rest. Da östlich hievon schon das Reich der Ungarn begann, so war die natürliche Folge, daß die dritte Grafschaft (Mautern) die Eigenschaft einer Mark erhielt; es blieb also bloß die mittlere der drei Grafschaften, der Lorcher Gau, in dem von Karl dem Großen geschaffenen Sinne als Komitat erhalten (S. 387 f.). Die neue Ostmark der Babenberger bestand somit aus Grafschaft u n d Mark (comitatus e t marchia). Es ist schon lange erkannt, daß ihre Mark nicht mit einer Mehrzahl von Grafschaften, sondern bloß mit einer einzigen verbunden war 1 ). So spricht denn auch noch später die erweiterte Fassung des Österreichischen Landrechtes von „der Grafschaft" und scheidet sie von dem Lande 2 ). Der Gebrauch der Einzahl dient zugleich als Name, als anderer Ausdruck für das damals (vor 1266) schon nachweisbare Oberösterreich (Austria superior), das ursprünglich das Gebiet zwischen der Enns und Ybbs und nicht das Land ob der Enns bezeichnete (S. 454 f.). Die mit der Mark verbundene Grafschaft war früher das Mittelstück des karolingischen Dreigrafschaftsgebietes; sie wurde ehedem von Lorch aus geleitet, wo der baierische Grenzgraf seinen Sitz hatte und genoß demnach den Vorrang; auf ihr blieb denn auch der ursprüngliche Name haften. Wie das Herzogtum Österreich in Mark und Graf1

) J. Lampel, Die Babenbergische Ostmark u. ihre Tres comitatus, Ver. 5. Landeskunde von Niederösterr. 4 (1905) S. 363. 2 ) Schwind-Dopsch, A u s g e w . Urk. S. 103.

Jahrb. d.

2. Österreich wird Herzogtum (1156).

425

schait zerfiel, so war es auch kirchlich geteilt, wovon die letztere der Lorcher Dekanat war. Dem aus zwei Teilen, dem Ober- und Unterland, zusammengesetzten Herzogtum entspricht auch der Vorgang, daß der Kaiser, als er dem Babenberger Österreich verlieh, ihn mit zwei Fahnen belehnte: eine versinnbildlichte die Mark, die andere die Grafschaft. Wären noch andere Grafschaften mit der Mark verbunden gewesen, hätte der Kaiser, so darf man wohl schließen, für eine jede noch eine Fahne überreicht. Die Grafschaft (Austria superior) wurde demnach ebenso zum Herzogtum erhoben, wie die mit ihr verbundene Mark, jedoch nicht auch der Traungau, die spätere marchia supra Anasum, die erst Herzog Rudolf IV. einbeziehen wollte (Privilegium maius). Es liegt demnach auch im Sinnbilde der zwei übereigneten Fahnen wieder dieselbe Gleichung vor: comitatus (Austria superior) e t marchia (Austria) = ducatus; das neue Herzogtum bestand daher ebenso wie die Markgrafschaft aus Oberund Nieder(Unter-)österreich, dem Lande von der Enns (Haselgraben) bis zur Ybbs (Isper) und von da bis zur Leitha und March; es ist wieder die schon seit dem Altertum gebräuchliche Zweiteilung in Ober- und Unterland in der Form von Grafschaft und Mark. Wichtig ist die Angabe von Otto von Freising, daß die Grafschaften, die den Namen der „Drei" führen, schon von a l t e r s h e r (ex antiquo) mit der Mark verbunden w a r e n ; sie sind daher nicht etwa eine Beigabe, die erst in jüngerer Zeit im Wege des gerodeten Neulandes im Norden der Donau hinzukam; dieses gehörte ja entweder zum Lorcher Gau (S. 417 f.) oder zur Mark. Wir müssen sie daher wie ehedem in der Zeit der Karolinger südlich des genannten Stromes suchen; die hiefür in Anspruch genommene Riedmark und das Machland, die schon wegen ihrer Einheitlichkeit nicht zwei Grafschaften bilden konnten 1 ), scheiden daher auch jetzt noch ebenso aus wie das Waldviertel; es bleibt für sie bloß, da nunmehr der Traungau wegfällt, das norische Unterland; ja auch dieses kommt nicht mehr in seinem vollen Umfange in Betracht, da die ehemals dritte Grafschaft (Mautern) in der Zeit der Babenberger zur Mark geworden war. Das Wort „von altersher" führt uns daher wieder auf denselben Weg, auf das verbliebene und deshalb den früheren Namen führende Mittelstück des karolingischen Dreigrafschaftsgebietes, auf den Lorcher Gau. Otto von Freising sagt demnach, 1

) Das hat schon Strnadt, Das Land im Norden der Donau S. 100 f. betont.

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V. Österreich und das Land ob der Enns.

Kaiser Friedrich habe nicht nur die Mark, sondern auch die mit ihr seit jeher verbundene Grafschaft zum Herzogtum erhoben; es ist wieder die gleiche Angabe: comitatus e t marchia = ducatus, wobei, wie schon der spätere Name Österreich unter der Enns andeutet, als geschichtsbildender Grundstock bloß das Land südlich der Donau zu gelten hat. Das karolingische Dreigrafschaftsgebiet ist die Keimzelle und der feste Kern der Markgrafschaft Österreich; nur aus der Tat Karls des Großen ist das Entstehen der künftigen Großmacht zu begreifen. Es ist deshalb ein vergebliches Beginnen, die vielerörterte Frage der „Drei Grafschaften" erst mit der Ostmark der Babenberger zu beginnen; das verbietet schon der Hinweis Ottos von Freising, daß sie schon seit „altersher" mit ihr verbunden waren; doch ist auch hier wieder die mächtige Ostmark Karls des Großen (Pannonien) von der kleinen seit der Zeit der Ottonen scharf auseinander zu halten; aus dem ehemaligen Zugehör, dem baierischen Grenzabschnitte, w a r ja nach den Ungarnkriegen eine eigene Mark geworden, die, so winzig sie war, die alte Aufgabe so glücklich fortsetzte, daß sie der Kern einer Großmacht im Osten wurde; doch fehlte ihr, wie schon ihr Anfang zeigt, das nötige deutsche Hinterland, um ihre Sendung inmitten fremder Völkerschaften in ursprünglichem Sinne ganz verwirklichen zu können; sie war nicht wie zur Zeit Karls des Großen eine Ostmark des Reiches, sondern Baierns geworden, dessen Stammesgebiet ja ursprünglich bis zum Wiener Wald reichte. 3. Der Kampf um' das Land des steyrischen Herzogs. Der natürliche Mittelpunkt des Traungaues ist Wels, das römische Ovilava. Sein Stadtgebiet reichte im Osten auch dann, als Lauriacum den Rang einer civitas erhielt, bis an die Enns; im Westen w a r wohl der Hausruck die Grenze (S. 12); im Norden bildete die Donau, im Süden die Gebirgskette der Tauern die Scheidelinie: es ist dies das Kernland, aus dem später Österreich ob der Enns erwuchs. Nach dem Abzug der Römer rückte die Grenze Binnen-Noricums fast bis an den Rand der Alpen vor (S. 56), so daß wohl schon damals das Quellgebiet der Traun (Totes Gebirge, Dachstein) den Abschluß bildete. Die baierische Landnahme hat die angeführten Grenzen unberührt gelassen und nur den Namen

3. Der Kampf um das Land des steyrischen Herzogs.

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geändert; so wurde a u s d e m r ö m i s c h e n Stadtgebiete Wels der Traungau; dieser umfaßte ursprünglich den g a n z e n Lauf des Flusses, nach dem er benannt ist 1 ). Seine bestimmende Lebensader ist die Donau, in welche die Traun mündet. Doch schufen die Römer einen neuen Verkehrsweg, der das norische Uferland mit dem Süden (Italien) verband, den Ubergang über den Pyhrnpaß; er mündete in Ovilava in die Donaustraße ein. Das unmittelbar anschließende Binnen-Noricum wurde hiedurch in den Bannkreis der Donau gezogen, die den Grenzschutz des Reiches und einen wichtigen Handelsweg bildete. Ovilava wurde schon damals eine Zeitlang die Hauptstadt von ganz Noricum, eine Rolle, die später Steyr auch für die nach der letzteren Stadt benannte Kärntener Mark übernahm. Schon da zeigt sich, daß nicht der Traungau der Steiermark, sondern diese dem norischen Uferlande angegliedert wurde: das beweist sowohl der von Steyr abgeleitete Name, als auch die Anziehungskraft des mächtigen Stromes, der den Großteil ihres Eisens (Innerberg) ebenso aufnahm, wie das Salz von Hallstatt und Aussee. Die Donau und der Pyhrnpaß formten mithin das Geschick des Traungaues und verliehen ihm geschichtsbildende Kraft. Der Drang zur Donau zeigt sich aufs neue, als nach dem Untergange von Lorch (c. 700) die Alpenslaven aus Karantanien in das ostwärts der Traun preisgegebene Gebiet eindrangen. Die beiden letzten Agilolfinger Odilo und Tassilo unterwarfen ihr Land und fügten das ehemalige Noricum wieder zusammen. Karl der Große verband nach seinen Siegen über die Awaren den Traungau nebst den zwei Grafschaften des norischen Unterlandes sowie Karantanien mit der Ostmark (Pannonien). Sein Vorgehen erinnert an den römischen Grenzschutz, bei dem das uferländische Noricum dem Befehlshaber (dux) von Oberpannonien unterstand. Als die Ungarn erobernd vordrangen, kam auch das Land unter der Enns unter ihre Oberhoheit, doch fiel der Traungau wieder ganz an Baiern zurück. Die nach der Schlacht am Lechfelde (955) errichtete Mark der Babenberger reichte zunächst bloß von derEnnsburg bis zum WienerWalde (S.387). Den Traungau verwalteten die G r a f e n v o n W e l s - L a m b a c h ; schon ihnen *) Das erhellt aus der kirchlichen Einteilung, nach der Aussee zur Pfarre Traunkirchen gehörte. P . Schmieder, Matricula episcopatus Passavtensis saec. XV. (Wels 1885) S. 43; Felicetti, Steiermark, 2. Abt. S. 16.

428

V. Österreich und das Land ob der Enns.

gelang es, die Mark an der mittleren Mur mit den dazugehörigen Grafschaften zu erwerben (1035). Als sie bald hernach ausstarben, erhielten die O t t o k a r e v o n S t e y r den Traungau und die Kärntener Mark (1056). Ihr Amt w a r demnach ein geteiltes: als Grafen des Traungaues unterstanden sie den Herzogen von Baiern, als Markgrafen der Karantaner Mark waren ihnen jedoch, wie deren damaliger Name 1 ) und ihr Wappen, der Panther, das alte Feldzeichen der Herzoge von Kärnten 2 ), beweisen, diese übergeordnet. Es zeigt sich auch hier wieder, daß die Donau und mit ihr der Traungau ein stärkeres Bindeglied für die von Kärnten abgesplitterte Mark w a r als deren Mutterland. Kirchlich gehörte der Traungau (Archidiakonat Lambach) nach Passau, die Mark an der Mur jedoch zählte zum Bistum Salzburg (Seckau). Das natürliche Bestreben der Babenberger mußte nach dem dem Laufe der Donau folgenden Vorbilde Roms und Karls des Großen dahin gehen, den Traungau wieder zu gewinnen, zumal die Lorcher Grafschaft (zwischen Enns und Ybbs) ein viel zu kleines Hinterland für ihre Mark war. Eine passende Gelegenheit hiezu bot sich, als Heinrich Jasomirgott für die Rückgabe von Baiern entschädigt und als Preis hiefür sein Land ein Herzogtum werden sollte (1156). Da meldet ein nachträglicher Zusatz zu einer kurzen Chronik, die nicht viel später ein Melker Mönch für den Sohn und Nachfolger des Herzogs Heinrich, Leopold (1177—1194), verfaßte, Österreich habe, als es Herzogtum wurde, noch das Gebiet von der Enns bis zum „Flusse" R o t e n s a l a und die Grafschaft Bogen erhalten 3 ). Nach mehr als einem halben Jahrhundert sagt Abt Hermann von Niederaltach mit anderen Worten dasselbe; er läßt die Gerichtsgewalt des neuen Herzogs von Österreich von der Enns bis zum Walde bei Passau, der Rotensala heißt, reichen 4 ); es ist das eine marcha

Karentana

(1058); marchia

Carintina

(1059). Urkb. d. Steierm.

1,

S. 74 f. 2 ) Jaksch, Gesch. Kärntens 1, S. 317, 394 f. 3 ) dilatatis videlicet terminis a flumine Anaso usque ad fluvium qui dicitur Rotensala, addito et comitatu Pogen. Mon. Germ., Script. 24 (1879) S. 71. Uber die Grafschaft B o g e n : Ficker, Reichsfürstenstand 2/3, S. 102. 4 ) iudiciariam potestatem principi Austrie ab Anaso usque ad silvam prope Pataviam, que dicitur Rotensala, protendendo. Mon. Germ., Script. 17, S. 382.

3. Der Kampf um das Land des steyrischen Herzogs.

429

Nachricht, die bald darauf auch in andere Geschichtswerke überging und zum Teile noch heute als richtig gilt 1 ). Die Angabe Hermanns erinnert in ihrem Inhalte an eine ähnliche in der Raffelstettener Zollordnung, nach der Schiffe, die den P a s sauer Wald verlassen, bei Rosdorf eine Maut zu entrichten h a b e n ; es handelt sich also in beiden Fällen um den östlichen Ausläufer des P a s s a u e r Waldes, den der Altacher Abt Rotensala nennt; zum Unterschied von dem Melker Mönch weiß er, daß hiebei nicht ein Gewässer, sondern ein Forst gemeint ist. Es ist schon längst festgestellt, daß darunter der Salletwald bei Peuerbach, die alte Grenze zwischen Österreich und Baiern, zu verstehen ist 2 ). Mit anderen W o r t e n : es ist die alte Landesgrenze von Österreich ob der Enns, der Hausruck, die Westgrenze des Traungaues und des römischen Stadtgebietes von Wels, ja des einstigen Königreiches Noricum, eine Scheidelinie, die einer tausendjährigen Eiche vergleichbar allen Stürmen der Zeit standgehalten h a t ! Die Nachricht des Melker Mönches und des Abtes von Niederaltach will also besagen, daß im Jahre 1156 das eben entstandene Herzogtum Österreich das ganze Gebiet von der Enns bis zum Salletwalde bei P e u e r b a c h erhalten habe. Ihre Angaben sind z w a r der Zeit nach nicht richtig, aber gleichwohl dadurch bedeutsam, als sie dieses als eine bestehende und z u s a m m e n g e h ö r i g e Einh e i t auffassen; es w a r nichts anderes als der gesamte Traungau, der ehedem römische Stadtbezirk Wels, der, trotzdem jetzt S t e y r als Burg der Ottokare sein Vorort w a r , in altem Bestände sich erhielt und späterhin als Land ob der Enns weiterlebte und sich v e r größerte. Der Raumbegriff bleibt also durch Jahrhunderte unberührt und bloß der hiefür gebräuchliche Name ändert sich: aus der civitas Ovilava wird der baierische Traungau und aus diesem Österreich ob der Enns (Austria supra Anasum) 3 ). Die herrschende Lehre, 1 ) H. Pirchegger, Bayern, Österreich u. der Traungau bayer. Landesgesch. 13 (1942) S. 389, 401 f. 2

1156—1192, Zeitschr. f.

) A. J. Lipowsky, Versuch einer Abhandlung von dem Ursprünge, vormaligen Besitzern, und Umständen der Grafschaft Schärding (München 1771) B 3; Pritz, Gesch. d. L. ob d. Enns 1, S. 265. 3 ) Eben damals war nach einer Urkunde von c. 1249 die Gerichtsgrenze des Traungaues im W e s t e n noch immer der Salletwald: in districtu iudiciorum dictorum de Schaumberclj per Traungeu et Tunawetal, cuius termini usque Rotensala protenduntur. Urkb. d. L. ob d. Enns 3 (1862) S. 162.

430

V. Österreich und das Land ob der Enns.

daß dieses erst allmählich aus verschiedenen Bestandteilen zusammengefügt sei, ist daher ein Irrtum; sie verwechselt, wie so oft, hier wieder den Begriff der Grundherrschaft mit dem der Staatsgewalt. Wie kaum wo anders ist das nachmalige Oberösterreich (Gau Oberdonau) aus einem natürlich abgeschlossenen Gebietssprengel und schon in der Zeit der Römer gepflanzten Wurzelstock erwachsen, der in sich die Kraft trug, späterhin eine eigene Landesgemeinde mit besonderem Rechte, d. h. ein „Land" zu werden 1 ). Baierische Forscher haben schon lange geleugnet, daß das Land ob der Enns (Traungau) im Jahre 1156 mit dem eben Herzogtum gewordenen Österreich vereinigt wurde 2 ); sie beriefen sich hiebei auf den bereits erwähnten Gerichtstag Heinrichs des Löwen in Lorch (1176) und auf sein gleich hernach erfolgtes Zusammentreffen mit Herzog Heinrich II. von Österreich am Ostufer der Enns (Seite 383); damals war also der Traungau noch fest mit Baiern verbunden, so daß es schwer fällt zu glauben, er sei zwanzig Jahre vorher an Österreich gelangt. Ihre Ansicht drang jedoch nicht durch und blieb unbeachtet. Viel später hat ein anderer Forscher aufs neue erkannt, daß das Jahr 1156 für das Land ob der Enns (Traungau) bedeutungslos war 3 ). Da er jedoch den Zusatz des Melker Mönches zu spät ansetzte, sind wieder Zweifel aufgetaucht; ohne Frage ist dieser seinem Alter nach vor Hermann von Niederaltach einzureihen und steht an erster Stelle. Doch, sollte auch der angeführte Nachtrag noch von dem Schreiber des Textes selbst herrühren 4 ), so geschah das erst später, da er eine andere Tinte aufweist; es ändert sich daher nicht das Ergebnis, daß er ursprünglich in der für den Herzog Leopold bestimmten Fassung nicht enthalten w a r : er ist und bleibt ein späterer Zusatz, der der Aussage gleichzeitiger Urkunden n i c h t entspricht. So läßt eine unverdächtige Urkunde des Herzogs Ottokar von Steyr, worin er dem Kloster Admont am 27. Dezember 1186 einen Schutzbrief erteilt, die Gegend an der Brunner, Land und Herrschaft S. 220. ) I. G. Lori, Chronolog. Auszug d. Gesch. v. Baiern (München 1782) S. 637 u. Pallhausen in der oben S. 263 Anm. 1 erwähnten Preisschrift S. 538 f. 2

3

) Strnadt, Peuerbach S. 204—207 u. Geburt d. L. ob d. Enns S. 82—86. ) K. Uhlirz in: Göttingische gelehrte Anzeigen 170 (1908) S. 308f. u. 171 (1909) S. 718 f. 4

3. Der Kampf um das Land des steyrischen Herzogs.

431

Krems („Hezemannisdorf" bei Kirchdorf) um Wels und bei Enns noch immer in Baiern (Bawaria) gelegen sein 1 ). Es besteht daher kein Zweifel, daß der Traungau, solange ihn die steyrischen Ottokare verwalteten, nicht zu Österreich zu zählen ist. Doch ist die Annahme gerechtfertigt, daß Heinrich Jasomirgott, als er Herzog wurde, ihn schon als Preis für den Verzicht auf Baiern forderte, ihn jedoch n i c h t bekam 2 ); da hätte er also wirklich, wie die Angabe des Melker Mönches ahnen läßt, die Salletgrenze begehrt und dabei gehofft, das alte Dreigrafschaftsgebiet wieder erstehen zu lassen! Friedrich I. hatte allen Grund, dem Herzoge von Österreich entgegen zu kommen, zumal er sah, daß er mit der Rückgabe Baierns an das Weifenhaus seinen Zweck nicht erreichte. Der gemeinsame Weg des Kaisers mit Heinrich dem Löwen hielt nicht lange an; der alte Gegensatz zwischen Staufen und Weifen brach wieder hervor. Im Jahre 1176 verweigerte der Herzog von Baiern und Sachsen die Heeresfolge, als Friedrich I. im Kampfe mit den lombardischen Städten stand; diese siegten bei Legnano. Im Jänner 1180 erklärte der Kaiser Heinrich den Löwen dessen beider Herzogtümer verlustig und verlieh bald hernach (im Juni) auf dem Reichstage von Regensburg Baiern dem Pfalzgrafen Otto von Wittelsbach. Im Anschlüsse daran erhielt der jugendliche Markgraf Ottokar von Steyr, der in dem gleichen Jahre wehrhaft geworden war, den T i t e l u n d d i e W ü r d e e i n e s H e r z o g s . Die Jahrbücher von Admont, Kremsmünster und Zwettl, die das berichten, sagen kein Wort, daß hiebei dessen Land zum Herzogtum erhoben wurde; nach ihnen erhielt bloß Ottokar für seine Person den Namen und den Rang eines Herzogs 3 ). Mit ihren Angaben stimmt genau die Aussage, die Ottokar in einer von ihm ausgestellten Urkunde vom 29. November 1182 von sich selbst macht, wenn er hervorhebt, Gott 1

) Urkb. d. Steiermark 1, S. 627. Für den Jahresansatz 0 . Wonisch, Uber das Urkundenwesen der Traungauer, Zeitschrift d. Hist. Vereins f. Steiermark 22 (1926) S. 120 f. Eine e t w a s frühere Admonter Tradition, die den gleichen Ort „Hezimannisdorf" zu Österreich (Austria) rechnet (Urkb. d. Steierm. 1, S. 401), liegt nur in einer Abschrift A. Muchars vor. 2 ) So schon A. Huber, Uber die Entstehungszeit der österr. Freiheitsbriefe, Sitzungsber. d. Akademie der Wissenschaften in W i e n 24 (1860) S. 21. 3 ) Mon. Germ., Script. 9, S. 541, 546, 585; C. Heigel u. S. Riezler, Das Herzogthum Bayern zur Zeit Heinrichs des L ö w e n u. Ottos I. v o n Wittelsbach (1867) S. 206.

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V. Österreich und das Land ob der Enns.

habe ihn gewürdigt, seinen Titel und Rang erhöht zu sehen 1 ); ja der neue Herzog bezeichnet sich noch manchmal als Markgraf (marchio) 2 ). Der Unterschied wird klar, wenn wir an Österreich denken; hier wurde, wie Otto von Freising und der Kleine Freiheitsbrief ausdrücklich hervorheben, das L a n d zum Herzogtum erhoben 3 ), während im Traungau und in der Kärntener Mark nur der (letzte) Markgraf die Würde eines Herzogs bekam; Österreich w a r also Real-, das Land Ottokars hingegen bloß Personalherzogtum. Mit anderen Worten: in Österreich haftete das Recht auf dem Lande, so daß jeder Nachfolger des ersten Herzogs von sich aus wieder denselben Rang bekleidete, während im Hoheitsgebiet Ottokars IV. dessen Nachfolger erst aufs neue die Würde eines Herzogs zu erhalten hatte; hier leitet, anders wie in Österreich, das Land seinen Rang von der Person seines Gebietsherrn ab. Deutlich bringt die Verschiedenheit Kaiser Friedrich I. selbst zum Ausdruck, wenn er im Kleinen Freiheitsbriefe die Mark Österreich zum Herzogtum erhoben sein läßt, während er in einer Urkunde des Jahres 1184, worin er das Kloster Admont in den Schutz des Reiches nimmt, den vorhin genannten Rechtstitel (ducatus) vermeidet und zweimal das Gebiet des von ihm erhöhten Ottokars als das „Land des steyrischen Herzogs" bezeichnet 4 ). Der Traungau und die Kärntener Mark waren also in streng rechtlichem Sinne kein Herzogtum, wenn sie beide zusammen auch manchmal gleichzeitige Urkunden und Geschichtschreiber so (ducatus) benennen, sondern das „Land des steyrischen Herzogs", das seinen Titel und Rang von dem Hoheitsträger empfängt; daneben findet sich auch jetzt noch öfter der Name „Mark", die jedoch — und das ist das Neue — auf einmal nach der Stammburg des ersten Herzogs Ottokar bezeichnet wird (marchia Styrie) 5 ). Die allgemeine Lehre, Kaiser Friedrich I. hätte im Jahre 1180 die Steiermark zum Herzogtum erhoben, ist daher nicht richtig; sie ist zudem noch un1 ) Deus nomen et honorem nostrum dignatus est augere. Urkb. d. Steierm. 1, S. 586; dazu Ficker, Reichsfürstenstand 1 (1861) S. 104 f., 187 f. 2 ) Urkb. d. Steierm. 1, S. 591 f. 3 ) Dasselbe sagen die Klosterneuburger Jahrbücher: Marchionatus Austrie mutator in ducatum. Mon. Germ., Script. 9, S. 615. 4 ) in tota terra ducis Stirensis; per omnem terram ducis Styrensis. Urkb. der Steierm. 1, S. 597. 5 ) H. Pirchegger, Gesch. d. Steierm. 1, 2. Aufl. (1936) S. 264 f.

3. Der Kampf um das Land des steyrischen Herzogs.

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genau, da damals ja der Traungau mit der Kärntener Mark als „Land des Herzogs" verbunden w a r ; es müßten daher ebenso wie in Österreich Grafschaft u n d Mark zum Herzogtum erhoben sein und nicht bloß ein Teil hievon. Die Angaben der J a h r b ü c h e r von Admont, Kremsmünster und Zwettl, wonach im Jahre 1180 der letzte der Ottokare den Titel und die W ü r d e eines Herzogs erhielt, sind deshalb w ö r t l i c h zu nehmen und dürfen nicht dahin umgedeutet und verengt werden, als ob damals „die Steiermark" ein Herzogtum geworden sei; sie stimmen ja zudem mit den urkundlichen Worten Ottokars und der maßgebenden Namengebung des verleihenden Kaisers „Land des Herzogs" gut überein. Es w ä r e deshalb bei einem Zweifel der Beweis nötig, daß Friedrich I. im J a h r e 1180 die Steierm a r k und nur diese (ohne Einschluß des Traungaues) zum Herzogtum erhöht hätte, als daß hier umgekehrt die Richtigkeit der Quellenaussagen erhärtet w e r d e n mußte. Die Erhebung Österreichs zu einem Herzogtum vollzog sich auf Grund eines lehenrechtlichen Aktes und w a r in dem Augenblicke vollzogen, als Heinrich Jasomirgott von den sieben Fahnen Baierns zwei zurück erhielt 1 ). Der Kleine Freiheitsbrief (Privilegium minus) verbriefte bloß die Vorrechte, die das Haus Babenberg und das neue Herzogtum hiebei erhielten; die Urkunde beruft sich ja ausdrücklich auf den Regensburger Reichstag und s a g t : „wir h a b e n " dort unter dem Beifall der Reichsfürsten die Ostmark in ein Herzogtum verwandelt (commutavimus) und dieses dem Babenberger Heinrich und dessen Gemahlin Theodora übergeben (concessimus). Die vor Zeugen vollbrachte Rechtshandlung hatte denselben W e r t wie eine Urkunde und machte diese entbehrlich. So liegen denn über die Regensburger Staatsakte der Jahre 1156 und 1180, die zur Erhebung Österreichs zum Herzogtum und zur Rangerhöhung Ottokars von S t e y r führten, keine urkundlichen Zeugnisse vor. Doch lassen sich aus den dürftigen Angaben der damaligen Geschichtschreiber die Zusammenhänge ahnen: nach ihnen bedeutet das Verfahren des J a h r e s 1156, das Österreich zum Herzogtum erhob, e t w a s Endgültiges, w ä h r e n d die Vorgänge von 1180 betreffs des Landes Ottok a r s allem Anscheine nach nichts Abschließendes, sondern bloß Vorbereitendes darstellen. Da erhebt sich bei der Nachbarschaft der beiden Hoheitsgebiete und den für Österreich unbefriedigenden H. Hirsch, Das Recht der Königserhebung durch Kaiser und Papst im hohen Mittelalter, Festschrift für Ernst Heymann (1940) S. 223. 28

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V. Österreich und das Land ob der Enns.

Ausgang des J a h r e s 1156, das ihm keinen Z u w a c h s brachte, die Frage, ob nicht der Regensburger Reichstag von 1180 das alles wieder erörtern mußte, w a s sein Vorgänger von 1156 aufgerollt h a t t e : es ging ja in beiden Fällen im wesentlichen um das Schicksal Baierns, dessen erledigtes Herzogtum hier wie dort neu zu vergeben w a r . Der Sohn Heinrichs Jasomirgott, Leopold V., konnte doch nicht vergessen haben, welche Opfer sein Vater mit dem Verzicht auf Baiern gebracht h a t t e ; w e n n er nun schon dieses jetzt, w o es wieder unbesetzt w a r , nicht zurück erhielt, so konnte er doch auf den wohl bereits von seinem Vater beanspruchten Traungau hoffen; ja, da dieser mit der Kärntener Mark in der Hand eines siechen Jünglings w a r , durfte er jetzt noch mehr e r w a r t e n . Der letzte Ottokar von Steyr erhielt den Titel eines Herzogs schon in sehr jugendlichem Alter. Für Kaiser Friedrich lag daher, wenn er auch mit ihm v e r w a n d t w a r , kein Anlaß vor, den kaum dem Knabenalter entwachsenen Jüngling, der noch keine Verdienste aufweisen konnte, besonders zu e h r e n ; dagegen mußte ihm daran gelegen sein, dem österreichischen Herzog Leopold V. entgegen zu kommen. Die Vorgänge des Regensburger Reichstages von 1180 setzten hierin wohl das W e r k fort, das schon im J a h r e 1156 dort begonnen h a t t e ; sie scheinen indes jetzt darauf abgestimmt zu sein, den Übergang des Landes Ottokars an das Haus Babenberg vorzubereiten und zu erleichtern. Bei diesem Vorhaben spielte der mächtige Eigenbesitz Ottokars eine entscheidende Rolle; nur derjenige, der ihn als Erbe in die Hand bekam, konnte dort als wirklicher L a n d e s h e r r sich durchsetzen. Es w a r daher alles zu tun, um Ottokar hiefür zu gewinnen. So wird er zur W ü r d e eines Herzogs gelangt sein, um ihn in dieser Eigenschaft für den Plan des Kaisers geneigt zu m a c h e n ; zugleich w a r er als Platzhalter für den dahinter stehenden Babenberger zu gebrauchen. Es lag daher kein Anlaß vor, das L a n d Ottokars zu einem Herzogtum zu erhöhen, sondern es w a r bloß in den Besitz des Inhabers eines wirklichen Herzogtums ü b e r z u f ü h r e n ; allem Anscheine nach w a r es ein vor dem Kaiser abgeschlossenes Abkommen zwischen dem österreichischen und steyrischen Landesfürsten 1 ) (S. 471 f.). Jetzt im J a h r e 1180, w o das Herzogtum Baiern erledigt w a r , bot sich der gegebene Anlaß, den umstrittenen Traungau abzutrennen. ') Ficker, Reichsfürstenstand 2/3, ?. 106—108.

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3. Der Kampf um das Land des steyrischen Herzogs.

Es liegt kein Grund vor, dasselbe für die Kärntener Mark zu behaupten, die ja nicht von dort, sondern von Karantanien abhängig w a r 1 ) ; doch war der Kampf um den Traungau die treibende Ursache. Daß die Mark Ottokars nicht zu Baiern, sondern zu Kärnten gehörte, zeigt klar das Wappen, der schwarze Panther in weißem Felde, wogegen für den Traungau dasselbe Wappentier Weiß in Blau auf die baierische Panthergruppe hinweist 2 ). Die Zweiteilung des Hoheitsgebietes der Ottokare zeigt sich demnach deutlich in den beiden verwendeten Feldzeichen, die auch die entsprechende Zugehörigkeit in den verschiedenen Farben desselben Wappentieres aufweisen. Das markgräfliche Gebiet wurde indes dem Mutterlande Kärnten gegenüber immer selbständiger, so daß die wirkliche Abtrennung im Jahre 1180 an den tatsächlichen Verhältnissen nicht viel geändert haben wird. Das gehobene und dadurch freiere Amt eines Markgrafen führte ja von selbst, wie bei Österreich zu sehen ist, zur Unabhängigkeit; das brachte die Wirksamkeit in gefährdetem Grenzlande mit sich. So besaßen die Markgrafen von S t e y r schon im Jahre 1166 eine Münzstätte zu Fischau im Püttener Gebiet (Wiener Neustädter Bezirk) 3 ). Im Traungau hingegen läßt sich ihre Münzhoheit nicht vor 1180 nachweisen. Doch gleich darauf, als Ottokar Herzog wurde, werden in Enns geprägte Pfennige erwähnt (c. 1185); bald nachher (1191) erscheint dort ein Münzpächter 4 ). Die Ennser Münzstätte des Herzogs Ottokar deutet darauf hin, daß damals der Traungau bereits von Baiern abgetrennt war. Noch klarer ist dies aus dem Namen zu ersehen, den sein Land jetzt bekam; der Machtbereich des neuen Herzogs wird auf einmal nach seiner Stammburg benannt; seit 1181 heißt er in den Urkunden Herzog von S t e y r (dux Styrie) 5 ). Sein aus zwei verschiedenen B e standteilen zusammengesetztes Hoheitsgebiet tritt nunmehr nach außen als eine in sich geschlossene Einheit auf, ein Beweis, daß es -1) S o schon F . Krones,

Verfassung und Verwaltung der Mark und des Herzog-

thums Steier (1897) S. 71—73, und jetzt H. Pirchegger, Siedlungsgesch. u. staatsrechtliche Beziehungen der Steiermark zu Baiern, Zeitschr. f. b a y e r .

Landesgesch.

12 (1939) S. 205 f. 2 3 4

) R. Siegenfeld, Das Landeswappen ) Urkb. d. Steierm. 1, S. 462. ) Ebendort S. 619;

der Steiermark

(1900) S. 223.

Urkb. d. L . ob d. Enns 2, S. 429; dazu A. Luschin, W i e n e r

Münzwesen im Mittelalter (1913) S. 9 f., 11 f., 41 f., 45 f. 5

) Urkb. d. Steierm. 1, S. 580 f. 28*

436

V. Österreich und das Land ob der Enns.

jetzt weder von Baiern noch von Kärnten abhängig und daher selbständig ist: es erscheint tatsächlich als das „Land des Herzogs", gleichviel, ob der ehedem hier oder dort zuständige Sprengel gemeint ist. Der Name S t y r i a, Steyrland, gilt mithin ursprünglich — und das ist wichtig — nicht nur für die spätere Steiermark, sondern auch für den Traungau, von wo er nach der Lage der Stammburg ausging. Als Herzog Leopold VI. in Wien (Schottenkloster), das schon damals eine der blühendsten Städte auf deutschem Boden war, ein Landesbistum begründen wollte, begnügte er sich zunächst mit dem dritten und vierten Teil Österreichs, erhöhte jedoch bald sein Anliegen auf die Hälfte, wobei der Passauer Kirche noch immer der andere Halbteil sowie „ein großer Teil von Steyr" verblieben wären (1209)1). Da diese in der Kärntener Mark keinen Sprengel besaß, so kann unter der magna pars Styrie bloß der Traungau gemeint sein 2 ); hier erscheint also der Name der Burg Steyr als Bezeichnung des nächst umliegenden Landes (ob der Enns). Wäre der Plan Leopolds verwirklicht worden, so hätte wohl das von ihm erstrebte Bistum die ganze Mark umfaßt und bis an die Ybbs gereicht. Als im Jahre 1237 Bischof Rüdiger von Passau dem Kaiser Friedrich II., der eben damals den gleichnamigen Babenberger dessen Herzogtümer verlustig erklärte, die Lehen seines Hochstiftes in Österreich und Steyr verpfändete 3 ), kann unter dem letzteren Lande wieder nicht die Mark verstanden werden, da dort die Kirche der Dreiflüssestadt keinen Besitz hatte; es ist auch hier wieder der Name Steyr für den Traungau gebraucht. Noch eine Urkunde des Jahres 1340, als dieser längst zu Österreich zählte, sagt aus: die „stat Steyr gehört von alter zv dem Land zv Steyr" 4 ). Dasselbe bezeugt Kaiser Maximilian I. im Jahre 15125). Das gleiche trifft für die Stadt Enns zu, deren Bürger nach einer Urkunde des Herzogs Albrecht II. vom Jahre 1347 „alle di recht habend, di vnsser

1

) Mon. Boica 28/2, S. 276, 281: medietatis Austrie ac magne partis Styrie. ) So schon Krones, Verf. u. Verw. S. 229; H. Krabbo, Die Versuché der Babenberger zur Gründung einer Landeskirche in Österreich, Archiv f. österr. Gesch. 93 (1905) S. 23; J. Lunzer, Steiermark in der deutschen Heldensage, Sitzungsber. d. Akad. d. Wissenschaften in W i e n 204 (1929) S. 108. 2

3 ) feoda omnia, que Liupoldus quondam Austrie et Styrie dux in n t r a q u e terra tarn ab eo (Rüdiger) quam a sua ecclesia Patauiensi uidelicet tenuerat titulo feodali. Urkb. d. L. ob d. Enns 3, S. 63 f. 4 ) Ebendort 6 (1872) S. 342. 5 ) Preuenhueber, Annal. Styr. S. 13, 18.

3. Der Kampf um das Land des steyrischen Herzogs.

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puriger zu Steir habend" 1 ). Die Wappenbilder beider Städte, die gleich denen der steyrischen §tarhemberger einen weißen Panther führen, erinnern noch an das alte, später ganz außer Gebrauch gekommene Feldzeichen des Traungaues 2 ). Wie die Burg Steyr als Herrschersitz Ottokars den Namen hergab für die von dort geleitete Mark an der mittleren Mur, so ging hinwieder deren Eigenschaftsbezeichnung auf den Traungau über, der noch später öfter als Mark erscheint. So läßt der von Herzog Rudolf IV. gefälschte Große Freiheitsbrief (Privilegium maius 1358/59) bereits für das Jahr 1156 die hier zum erstenmal auftauchende „Mark ob der Enns" von Baiern abgetrennt und sie zusammen mit Österreich zu e i n e m Herzogtum erhoben werden 3 ); später hieß sie eine Zeitlang „Markgrafschaft der Enns" 4 ); auch das ist ein Ausdruck, der noch an die einstige Verbindung mit der Steiermark erinnert. Wäre der Traungau nicht bald nach dem Aussterben der Ottokare mit Österreich vereinigt worden, so hätte er mit der Kärntener Mark als „Herzogtum Steyr" zu einer äußeren Einheit erwachsen können. Für hier genügt der Nachweis, daß „das Land des steyrischen Herzogs" im Jahre 1180 Reichslehen wurde, das als solches von jeder Abhängigkeit von Baiern und Kärnten gelöst w a r ; damit war der Grund gelegt, es beim Ableben des letzten Ottokars den Babenbergern zuzusprechen, die als Reichsfürsten keines anderen Laienfürsten Leute sein konnten. Doch w a r vorher noch vieles zu tun. Leopold V. von Österreich mußte sorgen, den gewaltigen Eigenbesitz des ihm verwandten Herzogs in seine Hand zu bekommen. Das war dadurch möglich, daß dieser an einer unheilbaren Krankheit, dem Aussatze, litt; er hatte deshalb keine Nachkommen zu erwarten. So schlössen denn beide am 17. August 1186 am S t . G e o r g e n b e r g e bei Enns einen Erbvertrag, in dem Ottokar den Babenberger zu seinem Nachfolger mit dem Hinweise bestimmte, ihre zwei Länder wären benachbart und würden besser von einem Fürsten geleitet: wer das Herzogtum Österreich innehätte, sollte auch über das Herzogtum Steyr !) Urkb. d. L. ob d. Enns 7 (1876) S. 19. 2 ) Siegenieid, Landeswappen d. Steierm. S. 195—198, 219—223. 3 ) marchionatum Austrie et dictam marchiam supra Anesum commutavimus in ducatum. Schwind-Dopsch, A u s g e w . Urk. S. 11. 4 ) Zibermayr, Landesarchiv Linz S. 36 f.; unten S. 504.

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V. Österreich und das Land ob der Enns.

herrschen 1 ). Ottokar vermachte ihm sodann seinen ungewöhnlich reichen Eigenbesitz an Grund und Boden, an fürstlichen Gütern und Burgen, überwies seine Dienstmannen, deren Rechte — und das war der Zweck der Urkunde — er sicherstellte, und verfügte, daß sein Erbe die Patronate der Kirchen und Vogteien der von seiner Familie gestifteten Klöster selbst in der Hand behalte. Am 8. Mai 1192 starb Ottokar und schon am 24. desselben Monats und Jahres belehnte Kaiser Heinrich VI., der Sohn Barbarossas, auf dem Reichstage zu Worms den Herzog Leopold V. und dessen ältesten Sohn Friedrich mit dem Lande des ersten und letzten Herzogs von Steyr. Das geschah, wie die Klosterneuburger Jahrbücher, der Chorherr Magnus von Reichersberg und die „Geschichte des Kreuzzuges Friedrichs I." berichten, in besonders feierlicher Form 2 ). Die eben genannte Quelle sagt vorher, wobei sie sich zum Teile an die Zwettler Fortsetzung 3 ) anlehnt, daß Ottokar dem Babenberger v o r d e m K a i s e r F r i e d r i c h sein Land letztwillig zugeeignet habe; sie gedenkt ferner der vielen Mühen, die der Erwerb gekostet habe 4 ). Wann und wo Friedrich I. zustimmte, wird nirgends erwähnt. Auf jeden Fall geschah dies vor dem St. Georgenberger Erbvertrag, da Ottokar nicht ermächtigt gewesen wäre, sein Land an einen andern Reichsfürsten zu vergaben ; denn das war Sache des Kaisers. Den Unterschied zwischen Eigenbesitz (Allod) und Reichsamt bringen die Zwettler Jahrbücher (1186) klar zum Ausdruck, indem sie Ottokar bloß über sein Erbe, den Kaiser hingegen über Land und Herzogtum verfügen lassen 5 ). Das, w a s wir über die vorhergegangenen Verhandlungen wissen, ist recht dürftig; auf dem Mainzer Reichstage (1184) war zwar Herzog Leopold von Österreich, aber nicht Ottokar zugegen, der sich vertreten ließ6). So dürfte denn doch die Annahme berechtigt sein, daß Ottokar bereits auf dem Regensburger Reichstage (1180), 1

) qui ducatum tenuerit Austrie, ducatum quoque regat Styrie. SchwindDopsch, A u s g e w . Urk. S. 20. 2 ) Mon. Germ., Script. 9, S. 619; 17, S. 519; Script, rer. Germ. N. S. 5 (1928) S. 100 f.: excellentissime investiti sunt. 3 ) Mon. Germ., Script. 9, S. 544. 4 ) terram coram imperatore Friderico sub testamento assignaverat, post multos labores suscepit. Dux Styrensis omnem hereditatem suam testatus est Liupoldo duci Austrie; imperator etiam terram et ducatum sibi ipsius contradidit. Mon. Germ., Script. 9, S. 543. 6 ) K. Rauch, Die Erwerbung des Herzogtums Steiermark durch die Babenberger, Zeitschr. f. Rechtsgesch., Germ. Abt. 38 (1917) S. 274 f.

3. Der Kampf um das Land des steyrischen Herzogs.

439

als er zum Herzog emporstieg, vor dem Kaiser die Zusage abgab, sein Land den Babenbergern zu hinterlassen: Versprechen und Titel erscheinen so voneinander bedingt. Der Kaiser wollte den Herzog von Österreich für den abermaligen Entfall Baierns befriedigen und erfüllte das, w a s zum Teile schon dessen Vater im Jahre 1156 als P r e i s gefordert h a t t e ; es w a r im Grunde wieder der Kampf um den Traungau, nur mit dem Unterschied, daß jetzt bei dem zu erwartenden Aussterben der Ottokare noch deren Mark hinzukam. W ä r e der Traungau schon im J a h r e 1156 an Österreich gekommen, so hätte der Markgraf von Steyr statt nach Baiern lehenrechtlich dorthin gehört. Jetzt konnte ihn und noch dazu die damit verbundene Mark, zu deren Hauptstadt nun Graz an der Mur emporstieg, Leopold V. unmittelbar übernehmen. Die Grenze Baierns w a r d damit bis an den Hausruck und an die Große Mühl 1 ) zurückgerückt, da zum Traungauer Sprengel ja auch das Gebiet im Norden der Donau von ihr bis zum Haselgraben zu zählen ist. Doch wurde das Land ob der Enns damals noch nicht zum Herzogtum Österreich geschlagen, sondern blieb vorläufig, wenn es auch an die Babenberger überging, noch mit der Steyrischen Mark verbunden. Der E r w e r b Leopolds V. w a r zudem noch eine völkische Tat, da zu jener Zeit schon, wie die Zwettler Jahrbücher zu erzählen wissen 2 ), die Ungarn auf die Grenzen der Mark Ottokars Anspruch erhoben. Das Herzogtum Österreich w a r mit dem Zuwachs seines Landes zu einem kraftvollen Gebilde im Südosten Deutschlands erw a c h s e n ; es beschritt die erste Stufe zur kommenden Großmacht, zu der es wieder zumeist durch E r b v e r t r ä g e emporstieg; diese verbürgten den zugewachsenen Königreichen und Ländern ein größeres Maß von Freiheiten, als es siegreiche Kriege eines Eroberers vermocht hätten 3 ). Das „Land des steyrischen Herzogs" w u r d e auch jetzt nach dem Übergange an den Babenberger Leopold V. nicht ein wirkliches Herzogtum. In dessen innerem Gefüge behält auf jeden Fall ebenso wie in Österreich (S. 421) die Mark ihre frühere Eigenschaft bei 4 ). *) Strnadt, Geburt d. L. ob d. Enns S. 93. 2 ) Mon. Germ., Script. 9, S. 544. 3 ) A. Chroust, Geschichtliche Aufsätze u. Vorträge (1939) S. 221 f. So heißt es in einer Urkunde des Herzogs Friedrich II. aus dem Jahre 1242 per Stiriam et marchiam. Salzb. Urkb. 3, S. 535; für kurz vorher (1236) sagen die Salzburger Jahrbücher, Kaiser Friedrich II. feierte Weihnachten zu Graz in der Mark: apud Greze in marchia. Mon. Germ., Script. 9, S. 786.

440

V. Ö s t e r r e i c h und das Land ob d e r Enns.

Eine Urkunde König Richards vom 9. April 1262, worin er Ottokar von Böhmen belehnt, unterscheidet noch ausdrücklich zwischen dem Herzogtum Österreich und der Markgrafschaft Steier 1 ). Diese ist daher ebensowenig wie der Traungau zum Herzogtum erhoben worden, sondern das Herzogtum Steier(mark) entstand, wie so oft, allmählich im Wege des Gewohnheitsrechtes, als die Babenberger Landesherren wurden; sie nannten sich von da an Herzoge von Österreich und Steyr (dux Austrie et Styrie), so daß im Laufe der Zeit ihr Titel ebenso wie in der Mark Krain auf das Land überging; doch reden noch die Marbacher Jahrbücher für 1237 in der Sprache des Kaisers Rotbart, wenn sie vom Herzog der Steyrischen Mark sprechen 2 ). Österreich und Steyrland blieben in der Zukunft durch die Person des Landesfürsten von Österreich verbunden: der Herzog des Hauptlandes bekleidete dieselbe Würde für das Nebenland; es war ein ähnliches Verhältnis, wie es während der Ungarnzeit zwischen den Herzogtümern Baiern und Karantanien bestand. Das Steyrland war ursprünglich, wie schon aus der Georgenberger Handfeste hervorgeht, bloß ein staatsrechtliches Zugehör zu Österreich, wie früher Kärnten zu Baiern. So berief Herzog Leopold VI. die Dienstmannen von Österreich u n d Steyr zu einem gemeinsamen Hoftage nach Linz (1207)3). Das zeigt sich auch aus dem Schicksale des Traungaues, der kurz hernach als „Land ob der Enns" von ihm (Steyrland) getrennt und mit Österreich als dritter Teil des Herzogtums verbunden wurde; es verblieb als selbständiger Rest bloß die S t e i e r m a r k , die als solche König Richard vom Herzogtum Österreich scharf unterscheidet (1262), während der Traungau damals schon in letzterem enthalten war. Die Verschiedenheit und der Wechsel der amtlichen Benennungen sowie die bald nachfolgende Zerreißung des Hoheitsgebietes sprechen nicht dafür, daß das Land Ottokars — das gilt sowohl für den Traungau, als für die mit ihm verbundene Steiermark — im Jahre 1180 oder 1192 ein wirkliches Herzogtum wurde; es w a r schon vom Ursprünge an als Zugehör d u o s n o b i l e s principatus, G e rm.,

d u c a t u m v . Austrie

Constit. 8 (1926) S. 569;

et m a r c h i o n a t u m

V . Hruby, A r c h i v u m

coronae

regni

Styrie.

Mon.

Bohemiae

1

(1935) S. 19, 21. -) m i n i s t e r i a l e s ducis de m a r c h i a Stirensi. s

) presentibus

E n n s 2, S.

307.

universis

ministerialibus

Mon. Germ., Script. 17, S. 178.

Austrie

et

Styrie.

Urkb.

d. L.

ob

d.

3. Der Kampf um das Land des steyrischen Herzogs.

441

für Österreich gedacht, um die Babenberger für den Verzicht aui Baiern zu entschädigen (S. 471 f.). Das änderte sich auch in der Zukunft nicht; deshalb ließen sich die steyrischen Dienstmannen, als Kaiser Friedrich II. den gleichnamigen (letzten) Babenberger seines Herzogtumes (Österreich und Steyr) entsetzte, im April 1237 zu Enns von ihm versprechen, ihr Land nicht mehr, wie es bisher üblich war, mit Österreich zu verbinden, sondern es einem besonderen Reichsfürsten zu verleihen 1 ). Doch bald versöhnten sich die beiden; ja der Kaiser ließ den Plan ausarbeiten, die Herzogtümer Österreich und Steyr „zum Namen und zur Würde eines Königreichs" und den Herzog selbst zum Könige zu erheben sowie aus dem Lande Krain ein Herzogtum zu machen, dessen Fürst dem Babenberger unmittelbar unterstellt sein sollte (1245)2). Österreich und Steyr wären da ein einziges Reich (regnum) geworden, dessen König das Hauptland hätte stellen müssen. Die Eigenschaft des mit ihm verbundenen Nebenlandes drückt sich sogar noch in späterem Namen „Herzogtum Steiermark" aus, der in seinem inneren Widerspruche auf das unausgeglichene Entstehen hinweist. Während aus der Ottonischen Ostmark und der ihr angeschlossenen Grafschaft das Herzogtum Österreich wurde, erwuchs aus dem Traungau und der Mark an der Mur kein Herzogtum Steyr, sondern es verblieb, als ersterer hievon getrennt wurde, die Steier m a r k , die noch in ihrem beibehaltenen Namen ihre ursprüngliche Wesensart kundgibt und erkennen läßt, daß das vorangestellte Herzogtum nicht von dem Lande ausgeht; es war eben in seinem Entstehen kein Real- sondern ein Personalherzogtum, das seinen Rang aus seiner auf dem Regensburger Reichstag des Jahres 1180 vorbereiteten Verbindung mit dem Herzogtum Österreich empfing. Als am 15. Juni 1246 Friedrich der Streitbare an der Leitha in siegreichem Kampfe gegen die Ungarn den Tod fand und mit ihm sein ruhmreiches Geschlecht im Mannesstamme erlosch, klagt der Fortsetzer der Garstener Jahrbücher mit vollem Rechte: „ Ö s t e r r e i c h und S t e y r , g l e i c h s a m ein e i n z i g e s Land, sitzt im Staube traurig und seufzend, seiner Fürsten und Erben beporrigamus, non principi Austrie ut hactenus fuit consuetum, qui pro tempore fuerit, sed specialiter speciali principi eundem ducatum Styrie porrigi. SchwindDopsch, Ausgew. Urk. S. 78. ") ducatus Austrie et S t y r i e . . . ad nomen et honorem regium t r a n s f e r e n t e s . . Mon. Germ., Constit. 2 (1896) S. 359 f.

442

V. Österreich und das Land ob der Enns.

raubt" 1 ); es w a r derselbe Herrscher, der den Traungau von der Mark an der Mur trennte und mit seinem Herzogtum verband. Der spätere Verlauf ihrer nun getrennte Wege gehenden Geschichte wird uns im Rangstreite zwischen ihnen noch beschäftigen; auch dieser läßt erkennen, daß weder die Steiermark noch der Traungau, aber auch nicht beide zusammen, jemals zu einem Herzogtum erhoben wurden (S. 516). Der Volksmund hält das dauernd fest, wenn er nach wie vor von der „Steyrischen Mark" spricht 2 ), ein Wortbegriff, der noch heute in der „Steiermark" getreu fortlebt und schon im Namen zu erkennen gibt, daß ihr der Wesensinhalt verblieben ist. • 4. Die Abtrennung des Traungaues vom Lande des steyrischen Herzogs und seine Angliederung an das Herzogtum Österreich (1240). Nach dem Ableben des letzten Ottokars blieb sein Hoheitsgebiet noch einige Zeit unangetastet: die Mark an der Mur und der Traungau waren nach wie vor verbunden. Dessen Amtsname (pagus Trungowe) verschwindet immer m e h r ; er wird zuletzt in einer Urkunde des Kaisers Heinrich IV. für Kremsmünster erwähnt (1099)3) und erhält sich bloß länger als geographischer Begriff im Volksmunde 4 ). Dafür taucht jetzt wieder in einer Kaiserurkunde für dasselbe Kloster (1181) die allgemeine Bezeichnung „Land" (provincia) auf 5 ); >es ist das ein Titel, der in der fränkischen Zeit nach römischem und kirchlichem Vorbilde mehrere Grafschaften (civitates) umfaßte; schon dieser Ausdruck erweist, daß der Traungau nicht zersplittert wurde, sondern als Verwaltungseinheit erhalten blieb; dafür zeugt auch die Einheitlichkeit seines Volkstums; doch, was früher ein Gau, eine Grafschaft war, führt jetzt den höheren Namen eines Landes (einer Provinz). *) Austria et Stiria quasi terra una sedet in pulvere tristis et gemebunda, suis principibus et heredibus desolata. Mon. Germ., Script. 9, S. 598. s ) So kennt das vor 1380 entstandene z w e i t e Seitenstettener Urbar ein Officium in marchia Styriensi (fol. 1), die im ersten (um 1300) noch als Karinthia aufscheint. Stiftsarchiv Seitenstetten; J. Chmel, Aeltestes Urbarium der Abtei Seitenstätten, Archiv f. Kunde österr. Geschichtsqu. 1 (1848) S. 11; ferner die vorhin genannten Marbacher Jahrbücher. 3

) Urkb. d. L. ob d. Enns 2, S. 122. ) Schiffmann, Ortsnamen-Lexikon 1, S. 217 u. 3 (1941) S. 119. 5 ) Urkb. d. L. ob d. Enns 2, S. 373. 4

4. Die Abtrennung des Traungaues usw.

443

Im Jahre 1212 erscheint in einer St. Florianer Urkunde des Herzogs Leopold VI. dessen Dienstmanne Ortolf von Volkenstorf als Landrichter 1 ); er bekleidete damit eine Stelle, die ihn als Vorgänger des späteren Landeshauptmannes ansprechen läßt 2 ). In gleicher Eigenschaft kommt er ein Jahr später in drei Urkunden des gleichen Stiftes vor 3 ). Kurz darauf (1217) bezeichnet ihn Herzog Leopold in einer Kremsmünsterer Urkunde noch genauer als „Richter des Landes, in dem dieses Kloster gelegen ist" 4 ); in derselben W ü r d e führt ihn gleich hernach Kaiser Friedrich II. an 5 ). Der Traungau w a r damals noch nicht mit Österreich verbunden. Das beweist schon die Zeugenreihe der Stadtrechtsurkunde von Enns (1212), die Leopold VI. auf den Rat und das Zureden steyrischer Geschlechter (einschließlich des Traungaues und des Püttener Gebietes) erließ 6 ). E t w a ein Jahrzehnt später tritt noch der Schreiber des Herzogs (scriba ducis) Heinrich von Merin, der in einer Urkunde des J a h r e s 1222 als scriba Styrie aufscheint 7 ), als Amtsträger in Steyr auf, w o er über Ansprüche des Klosters Garsten auf kleine Landgüter in Weistrach (Landkreis Amstetten) entscheidet 8 ). Herzog Ludwig I. von Baiern nennt im Jahre 1220 das Kloster Gleink als in den „unteren Teilen Baierns in der N a c h b a r s c h a f t Ö s t e r r e i c h s gelegen" 9 ) und bezeichnet (1225) das Tal Windischgarsten als „innerhalb der rauhesten und äußersten Grenzberge Baierns" befindlich 1 0 ); er rechnet also den Traungau nach wie vor zu Baiern, schließt jedoch hievon Österreich und Ortolfus de Uolchinstorf ministerialis noster iudex provincie. Ebendort S. 554. ) V. Preuenhueber, Hist. Catalogus neben kurzer Beschreibung vber das ErtzHertzogthumb Österreich ob der Ennß (Wien 1652) S. 28 beginnt mit ihm (1204) das Verzeichnis der Landeshauptleute u. sagt, Ortolf v. V. „wird in Brieffen genennt Iudex Provincialis supra Anasum, Landrichter ob der Ennß" = Annal. Styr. S. 409. 3 ) Urkb. d. L. ob d. Enns 2, S. 559, 563, 570. ') iudici provinciae in qua eadem ecclesia sita est. Schwind-Dopsch, Ausgew. Urk. S. 49. 5 ) Urkb. d. L. ob d. Enns 2, S. 591. 6 ) Schwind—Dopsch, A u s g e w . Urk. S. 43, 46. 7 ) Urkb. d. Steiermark 2, S. 284 f. 8 ) Kurz, Beiträge zur Gesch. d. L. ob d. Enns 2, S. 532. 9 ) s i t u m . . in inferioribus Noricorum partibus Austrie conterminis. Urkb. d. L. ob d. Enns 2, S. 620. 2

10 ) in ualle dicta Windiskegaersten, que interiacet asperrimis montanis ultirais Noricorum partibus conterminis. Ebendort S. 655.

444

V. Österreich und das Land ob der Enns.

die ehedem von Karantanien abhängige Mark an der Mur aus. Das unklare staatsrechtliche Verhältnis war dem Lande ob der Enns schon im Entstehen in die Wiege gelegt und führte zu einem unausgesetzten Kampfe zwischen Österreich und Baiern, der immer dann aufloderte, wenn eines von beiden in Not geriet. Nach dem Ableben Herzogs Leopold VI. folgte dessen Sohn Friedrich II. der Streitbare, der seine Länder in arge Wirren stürzte; ja, zu Beginn des Jahres 1237 sah sich Kaiser Friedrich II. veranlaßt, ihn seiner Herzogtümer verlustig zu erklären und nahm sie in eigene Hand. Am 3. Jänner des genannten Jahres beauftragt dieser zu Graz Albero von Pollheim, einen Ennser namens Rupert zu verhalten, die dem Domstifte Seckau schuldigen Zinsen zu entrichten 1 ); kurz hernach, am 20. Feber, bestimmt er den eben bezeichneten Landrichter zum Beschützer des Klosters Wilhering 2 ). Albero von Pollheim erscheint da als Nachfolger Ortolfs von Volkenstorf, nur mit dem Unterschied, daß diesen der Herzog, jenen jedoch der Kaiser bestellte. In der gleichen Zeit, am 28. Feber 1237, bestätigte der Kaiser, als er noch in Wien weilte, die Mautfreiheit desselben Ordenshauses, indem er allen Richtern und Mautnern in Ö s t e r r e i c h u n d z u W e l s 3 ) auftrug, die vom verstorbenen Herzoge Leopold erteilte Vollmacht in Kraft zu halten 4 ). Diese Urkunde ist das erste Anzeichen der beginnenden Lostrennung des Traungaues von der Mark an der Mur und der früheste Hinweis auf seine nun kommende Vereinigung mit dem Herzogtum Österreich. Der Name Wels erinnert in seiner Verbindung mit einer Länderbezeichnung an die einstige Rolle als Vorort des Traungaues und ist ein Vorbote des bevorstehenden Zusammenschlusses, den die nachfolgenden Urkunden vielfach mit „Österreich u n d ob der Enns" benennen 5 ). Der Traungau, ehedem der Sitz eines eigenen Grafengeschlechtes, wird jetzt ein Anhängsel des Herzogtums Österreich, dessen dritter und stets !) Urkb. d. Steiermark 2, S. 453. 2 ) Alberoni de Pollenhaim iudici prouinciali. Urkb. d. L. ob d. Enns 3, S. 48. 3 ) per Austriam et in Welse. Ebendort S. 49. 'O Einen solchen Freibrief hatten bereits Leopold V. (1188) u. VI. (1202) s o w i e Friedrich I. (1197) erteilt. Ebendort 2, S. 410, 458, 488. Eine Urkunde Herzogs Friedrich II. für Wilhering (1242) wendet sich an die Mautner und Richter iuxta Danubium. Ebendort 3, S. 114. 5 ) per Austriam et supra Anasum (1266). Ebendort S. 344.

4. Die Abtrennung des Traungaues usw.

445

umstrittener Teil. Seine Lage an der Donau weist ihn wieder dorthin, w o er einst zur Zeit der Karolinger und Römer gehörte; die Raffelstettener Zollordnung mit ihren drei Grafschaften, ja auch die Notitia dignitatum, die die ufernorischen Grenzabschnitte dem dux von Oberpannonien unterstellte, erwachen in nur wenig abgeändertem Zustande zu neuem L e b e n ; es zeigt sich wieder, daß die von der Natur vorgezeichneten W e g e auf die Dauer stärker sind als ihnen entgegenstehendes Menschenwerk; eben deshalb „siegte die Donaulinie über die Pirn- und Ennsstraße" 1 ). Herzog Friedrich II. kämpfte glücklich um seine Hausmacht, doch sah er sich genötigt, dem Böhmenkönig Wenzel das Land im Norden der Donau für die Zusage der Hilfe zu versprechen. Doch am Weihnachtstage 1239 versöhnte er sich mit dem Kaiser und kam wieder in den Besitz seiner Herzogtümer. Am längsten hielten sich von ihm die steyrischen Adeligen ferne 2 ), denen der Kaiser verheißen hatte, ihr Land nicht mehr mit Österreich zu verbinden (S. 441). Ihr bleibender Widerstand mag wohl ein Anlaß gewesen sein, den Traungau von der Kärntener Mark abzutrennen und ihn zu Österreich zu schlagen, um einem künftigen Aufruhr vorzubeugen oder ihn doch abzuschwächen. So bleibt aus dem Erbe des letzten Ottokars bloß die Steiermark für sich bestehen, w ä h r e n d der Traungau verwaltungsmäßig mit Oberösterreich (Land zwischen Enns und Ybbs) vereinigt wird, das nunmehr in zwei durch den erstgenannten Fluß getrennte Hälften zerfällt und vom Hausruck bis an die Ybbs reicht, wozu noch im Norden der Donau das Gebiet von der Großen Mühl bis zur Isper gehört. Das Vorgehen des letzten Babenbergers zeigt wieder, daß er Österreich und Steyr gewissermaßen als ein Land behandelte. Das geschah sofort nach dem Ausgleiche mit dem Kaiser, wie aus einer St. Florianer Urkunde vom 1. Dezember 1240, in der die Propstei eine Hube bei Asten erhielt, zu schließen ist. In ihr erscheint nämlich als erster Zeuge ein h e r z o g l i c h e r S c h r e i b e r z u E n n s mit dem Namen Meinhard 3 ), der in gleicher Eigenschaft wenig später (1243) abermals in einer Urkunde desselben Stiftes Pirchegger, Gesch. d. Steiermark 1, S. 280. ) A. Ficker, Herzog Friedrich II. der letzte Babenberger (1884) S. 87 f.; Pirchegger, Gesch. d. Steiermark 1, S. 205. 3 ) Meinhardus scriba dvcis in Aneso. Urkb. d. L. ob d. Enns 3, S. 85. 2

446

V. Österreich und das Land ob der Enns.

vorkommt 1 ). Aus dem Amtskreise des landesfürstlichen Schreibers in Enns geht, wie nachfolgende Urkunden beweisen, unzweideutig hervor, daß sein Sprengel nicht nur den Traungau, sondern auch das Gebiet zwischen der Enns und Ybbs umfaßte. Das Jahr 1 2 4 0, wo er zum erstenmal auftritt, ist demnach ein Wendepunkt in der Verfassungsgeschichte der Herzogtümer Österreich und S t e y r ; es bedeutet das W i e d e r e r s t e h e n d e s e h e m a l i g e n D r e i grafschaftsgebietes; es ist der Beginn des Zusammenschlusses des Traungaues, für den jetzt der Name „ob der Enns" aufkommt, mit Österreich 2 ); auf der anderen Seite bereitet es das Ende des alten Personalherzogtums S t e y r vor und setzt den Anfang für die allein gebliebene Steiermark; es verbleibt bloß der Titel, doch schwindet fast die Hälfte des Inhalts; so entsteht später der an sich widerspruchsvolle Name: Herzogtum Steiermark. Der landesfürstliche Schreiber war ein Finanzbeamter des Herzogs, der Vorgänger des späteren Hubmeisters oder Vizedoms; er hatte die herzoglichen Einkünfte und Gefälle zu verrechnen. In Österreich ist zum erstenmal ein landesherrlicher Schreiber für das J a h r 1216 bezeugt 3 ). W i e schon der Titel (scriba Austrie) besagt, umfaßte sein Wirken ursprünglich das ganze Herzogtum, das aus der Mark und der dazu gehörigen Grafschaft bestand. Dasselbe gilt für den seit 1222 erwähnten scriba Styrie (S. 443). Das dritte Schreiberamt entstand zu Enns, als der Traungau vom Herzogtum abgetrennt und mit Österreich verbunden wurde (1240); es vereinigte je einen Teil von beiden Ländern und Ämtern und hatte denselben Aufgabenkreis. Die Stelle eines herzoglichen Schreibers in Enns setzt dort auch jene eines Landrichters (iudex provinciae) voraus; in der älteren Fassung des Österreichischen Landrechts (1237) heißt es ja ausdrücklich: es „sol des landesherren Schreiber an des richter Seiten sitzen" 4 ). *) Meinhardus scriba. Urkb. d. L . ob d. Enns 3, S. 122. 2

) Von einer „Geburt des Landes ob der E n n s " in jener Zeit zu sprechen, wie

das Strnadt in seinem so betitelten Buche getan hat, ist unrichtig; nicht

erst

damals

geschaffen,

R ö m e r z e i t : civitas Ovilava = 3

) A. Dopsch,

Beiträge

sondern

bestand

4

Gebietseinheit

zur

Gesch.

d.

Finanzverwaltung

Ausgew.

Urk. S. 73, Art.

einer Gesch. des österr. L a n d r e c h t s im 13. Jahrh., Heft 3 (1935) S. 350 f.

Österreichs

dessen Verfassungs- u.

d. Mittelalters (1928) S. 401 f., der das Schreiberamt

) Schwind-Dopsch,

es wurde ja

schon

seit

der

im

13.

Traungau = .Land ob der Enns!

Jahrh., Mitt. d. Instituts 18 (1897) S. 248 f. = gesch.

als

70;

Wirtschafts-

ausführlich

behandelt.

dazu K. Ganahl,

Mitt. d. Instituts,

Versuch

Ergbd.

13.

4. Die Abtrennung des Traungaues usw.

447

Jetzt wird das beiläufig in der Mitte gelegene E n n s als Sitz des Landrichters und Landschreibers ein neuer Vorort für die Verw a l t u n g ; es erbt die Rolle Lorchs, das als urbs von Ufer-Noricum und erste Hauptstadt Baierns sowie als Mittelpunkt des karolingischen Dreigrafschaftsgebietes ebenfalls auf beide Ufer des gleichnamigen Flusses sein W i r k e n e r s t r e c k t e ; es ist ein Nachklang der untergegangenen Herrlichkeit, ein matter Schimmer des verlorenen Glanzes. Wels und S t e y r treten nunmehr ihm gegenüber zurück, doch dauert der Vorrang der Stadt Enns nicht lange, da er bald auf Linz übergeht. Der Fortsetzer der Garstener Jahrbücher meldet, nachdem er des Ablebens Friedrichs II. des Streitbaren gedacht hat (1246), von einer Zwietracht unter den Dienstmannen im Bezirke der Enns und Traun, d. h. o b e r h a l b d e r Y b b s 1 ). Die Art der Angabe — sie ist die älteste Nachricht über die Ybbsgrenze — läßt erkennen, daß damals schon der Traungau mit dem Lande unter der Enns verbunden w a r ; die Ybbs erscheint hier als O s t g r e n z e ; es ist die gleiche F o r m der Bezeichnung, die viel später noch Kaiser Friedrich III. in einem Schreiben an die Feldhauptleute des Machlandes anwendet, wenn er von seinen Leuten „ob der Enns vnd Ybs gesessn und wonhafftn" spricht (1467) 2 ). Doch dürfte bis auf Herzog Friedrich II. nicht die Ybbs, sondern eher die beinahe geradlinig von ihrem Ursprungssee bei Maria Zell (Steiermark) zur Donau (Pöchlarn) fließende Erlaf die beiden Abschnitte Österreichs getrennt h a b e n ; für diese Annahme spricht die kirchliche Einteilung, bei der die Ybbs keine scharfe Scheidelinie bildet, sondern sich dort die beiden aneinander grenzenden Dekanate Lorch und Mautern überschneiden (S. 489). Der obere Teil Österreichs (Oberösterreich) w i r d demnach wohl ursprünglich das Gebiet zwischen Erlaf und Enns umfaßt haben, verlor jedoch jetzt vermutlich den Streifen zwischen Erlaf und Ybbs, der zur Mark geschlagen wurde, erhielt aber als Ersatz hiefür den ehedem mit der Steiermark verbundenen Traungau. Auf dem W e r k e des letzten Babenbergers fußt der Ofener Friede (1254) zwischen den Königen Ottokar II. von Böhmen und discordia inter ministeriales circa Anesum et Trunam id est superius Ibsam constituios. Mon. Germ., Script. 9, S. 598. Das gleichzeitige Urbar des Hochstiftes Passau führt den Besitz zwischen Traun und Enns mit der Aufschrift circa Trunam et Anasum an. A. Maidhof, Die Passauer Urbare 1 (1933) S. 146. 2 ) J. Chmel, Regesta Friderici III. (1859) S. 497 Nr. 4886.

448

V. Österreich und das Land ob der Enns.

Bela von Ungarn: erster bekam das Püttener Gebiet und den Traungau sowie das ganze Herzogtum Österreich, letzterem fiel die Steiermark zu 1 ) oder, wie der Garstener Mönch zutreffend bemerkt, „die Mark, die Steyr genannt wird" 2 ); er hat also, wenn er den Traungau von der Mark an der Mur abtrennte, nichts Neues geschaffen, sondern das, was vorangegangen war, bloß staatsrechtlich anerkannt und dadurch verfestigt; Niederösterreich erhielt damals seine natürliche Südostgrenze am Semmering und Wechsel 3 ). Doch schon im Jahre 1260 gewann Ottokar von Böhmen durch den Sieg von Kroissenbrunn (1260) die Steiermark wieder zurück, so daß er das ganze Erbe der Babenberger vereinigte. Doch nicht für lange; denn nicht im Q u e l l g e b i e t der Elbe, sondern im Wiener Becken lag der Schwerpunkt von Österreich und der damit verbundenen Steiermark. Die Königswahl Rudolfs von Habsburg (1273) leitete den Umschwung ein, der in der für die Vorherrschaft der Deutschen an der Donau entscheidenden Schlacht auf dem Marchfelde bei Dürnkrut und Jedenspeigen Ottokar von Böhmen Land und Leben kostete (1278) und Wien zur Hauptstadt eines mächtigen Reiches emporhob. In den Aufgabenkreis des landesfürstlichen Schreibers gehörte auch, die Einkünfte seines Herrn aus Grund und Boden aufzuzeichnen 4 ). Das älteste Urbar aus der Zeit der Babenberger ist, wie die Aufschrift zeigt, unter den Herzogen Leopold (VI.) und Friedrich (II.) entstanden 5 ); es enthält deren reichen Besitz in Österreich (ostwärts der Enns) und in der Riedmark (per totam Austriam) und ist noch vor dem Jahre 1240 angelegt, denn der Traungau ist in ihm noch nicht enthalten; die Liegenschaften der Hofmark Steyr sind eigens verzeichnet 6 ). Die Urbare aus der Zeit Ottokars von Böhmen (1251—1276) bringen jedoch bereits die veränderten Verhältnisse und verbuchen nicht nur die Güter des Herzogs mit ihren Erträgnissen in Österreich samt der Riedmark, sondern führen auch seine *) illam porcionem Stirie cum toto ducatu Austrie. Urkb. d. L. ob d. Enns 3, S. 205; Orig. Schloßarchiv Krummau an der Moldau. 2 ) marchia vero, que Styria dicitur. Mon. Germ., Script. 9, S. 600. 3 ) Vancsa, Gesch. Nieder- u. Oberösterr. 1, S. 501. 4 ) A. Dopsch, Die landesfürstlichen Urbare Nieder- u. Oberösterreichs aus dem 13. u. 14. Jahrh. (1904) S. LXVI. 5 ) Ebendort S. 1. 6 ) Nota inquisitionem factam per ducem in Stiria. S. 247.

449

4. Die Abtrennung des Traungaues usw.

Einkünfte aus dem Traungau mit der Hofmarjc Steyr an, ja sie bringen noch, ohne einen Abschnitt zu machen, jene aus dem Gebiete zwischen der Enns und Ybbs. Die Enns bildet sohin keine Grenze mehr; das landesfürstliche Gut dies- und jenseits des genannten Flusses ist bereits einheitlich zusammengefaßt 1 ). Dasselbe Ergebnis läßt sich aus den wenigen Urkunden feststellen, die den herzoglichen Schreiber von Enns erwähnen. So entscheidet ein solcher namens Heinrich an dem Orte seines Wirkens nach einer Seitenstettener Urkunde über die Zugehörigkeit gewisser Güter in St. P e t e r in der Au (1258) 2 ); es handelt sich also um einen Besitz, der ostwärts der Enns, doch westlich der Ybbs gelegen ist; dessen Schicksal wird im gleichen Orte ausgetragen, wo noch vor nicht langer Zeit Ottokar von S t e y r seine Lande dem Herzog in Österreich vermachte. Nicht viel später (1267) tritt der Ennser Schreiber Konrad an der Seite des Landrichters von Österreich Grafen Heinrich von Hardeck zu Amstetten in einer Angelegenheit auf, die freisingische Anrechte (Markt Aschbach) westlich der Ybbs betrifft 3 ). In demselben Jahre findet sich der gleiche Konrad als „Notar des Königs" unter den Zeugen einer Urkunde des Propstes von Ardagger 4 ). Sein Nachfolger Gozzo stellt als procurator Anasy zu Enns eine Urkunde aus, die einen Vergleich des Abtes von Seitenstetten über Lehen an der Uri enthält (1273) 5 ). Wie weit sich der Sprengel des landesfürstlichen Schreibers von Enns nach Osten erstreckte, geht aus den Urkunden nicht herv o r ; doch läßt sich sein Auftreten bis an die Ybbs (Amstetten) nachweisen; weiter reichte er auch nicht, da nach den Garstener Jahrbüchern derselbe Fluß eine Scheidelinie war. Da der Schreiber des Landesherrn nach dem älteren Landrechte an der Seite des Landrichters zu sitzen hatte, so hatten beide den gleichen Bezirk -1) S. X C I X — C I , 2

w o der Herausgeber die Sachlage schon richtig erkannt hat.

) I. Raab, Urkb. d. Ben.-Stiftes Seitenstetten, Fontes rerum Austriac. 2. Abt. 33

(1870) S. 61. 3

) J . Zahn, C o d e x dipi. Austriaco-Frisingensis, Fontes rerum Austriac. 2. Abt. 31

(1870) S. 287 f. im J a h r e

Derselbe H. v. Hardeck leitet als judex provincialis per Austriam

1268 das Landtaiding zu W e l s . Urkb. d. L . ob d. E . 3, S. 355.

das ein Beweis, daß sein Sprengel nach wie vor ganz Österreich umfaßte;

Es

ist

dazu

A. W r e t s c h k o , Das österr. Marschallamt im Mittelalter (1897) S. 62 f. 4

) G. Frieß,

Gesch. d.

einstigen

Collegiat-Stiftes

Ardagger,

Archiv

f.

österr.

Gesch. 46 (1871) S. 481. 5

) Urkb. v. Seitenstetten S. 91.

29

450

V . Österreich und das Land ob der E n n s .

zu versehen. Aus einer Urkunde König O t t o k a r s für E r l a k l o s t e r (1262) wissen wir, daß die Enns keine Gerichtsgrenze bildete, da sie von einem „Landgericht unterhalb der Traun und E n n s " spricht; sie erwähnt f e r n e r noch einen „unteren Gerichtssprengel über Amstetten h i n a u s " 1 ) ; auch nach ihr ist mithin die Y b b s die G r e n z e des L a n d g e r i c h t e s ( B u r g E n n s ) ; so siegelt in einer Urkunde des J a h r e s 1360 für E r l a k l o s t e r ein „Landrichter zwischen der Y b b s und der E n n s " 2 ) . Nach einer Urkunde Ottokars von B ö h m e n (1251) berührten sich an gleichem W a s s e r l a u f e die erste (untere) und zweite ( o b e r e ) Maut ( = Austria I et I I ) ; für die erste Mautzone w a r in Stein die Gebühr zu e n t r i c h t e n ; dafür w a r dann der W e g frei bis an die Y b b s ; in dem zweiten Abschnitt w a r e n Zollstätten zu Ybbs, Mauthausen und L i n z 3 ) ; auch da bildet nicht mehr die Enns, sondern die Y b b s die Scheidelinie. Das w a r seit dem Zeitpunkte der Fall, als der T r a u n g a ü von der Kärntener Mark abgetrennt und mit Österreich vereinigt wurde. Das geschah a b e r nicht erst im Ofener Frieden (1254), da schon nach dem drei J a h r e v o r h e r ausgestellten Mautbriefe O t t o k a r s der an der Y b b s beginnende zweite Zollabschnitt über die E n n s hinaus ging. D a s früheste Auftreten des landesfürstlichen S c h r e i b e r s zu Enns ist mithin das erste Zeugnis für das Verbundensein des Landes ob der Enns mit dem Herzogtum Ö s t e r r e i c h ; nicht das J a h r 1254 und noch w e n i g e r 1260 4 ), sondern schon 1 2 4 0 ist daher als Anfang zu s e t z e n ; es w a r das nicht ein W e r k O t t o k a r s von Böhmen, sondern eine T a t des letzten B a b e n bergers Friedrich. D e r A m t s k r e i s des herzoglichen S c h r e i b e r s zu Enns e r s t r e c k t e sich nicht bloß auf das Land zwischen E n n s und Ybbs, sondern umfaßte auch den Traungau. So beurkundet der schon erwähnte S c h r e i b e r Heinrich, daß das Stift Spital am P y h r n den Markt in W a r t b e r g und einen Hof an der K r e m s vor dem Herrn W o k ( W i * ) in judicio n o s t r o provinciali infra flumen T r o y n ( T r a u n ) et flumen A n a s u m . . . in judicio inferiori ultra Amsteden. Urkb. d. L. ob d. E n n s 3, S . 292. 2)

M. H é y r e t , Zur G e s c h . d. Erlaklosters, B e r i c h t e u. Mitt. d. Altertumsvereines

zu W i e n 20 (1881) S . 106 Anm. 6. 3)

mutarii

in transitu prime mute sc. in S t e i n

pro iure suo recipiant

tantum

64 denarios, et sic a S t e i n usque ad Ips libere transibunt. In secunda uero uidelicet in Ips . . . U r k b . d. L . ob d. Enns 3, S . 179. 4)

S o S t r n a d t , G e b u r t d. L. ob d. E n n s

S . 113.

muta

4. Die Abtrennung des Traungaues usw.

451

tigone) und ihm im Rechtswege erlangt habe (1256)1). Sein Nachfolger Gozzo tritt als Leiter des Schreiberamtes von Enns zweimal (c. 1265 u. 1278) für Spital am Pyhrn auf, als es Güter im Garstental zurück erhielt 2 ). Für unseren Zweck ist aus der Tätigkeit des Landschreibers 3 ), wie er später genannt wird, bloß das eine entscheidend, daß sie sowohl den Traungau, als auch das Gebiet zwischen der Enns und Ybbs umfaßte. Dazu gehörte der damit zusammenhängende Teil im Norden der Donau zwischen der Großen Mühl und der Isper; doch liegen hiefür keine Urkunden vor; es ist bloß das Auftreten Witigos für Garsten bezeugt, der im Vereine mit dem Hofnotar des Herzogs von Österreich dem Abte bestätigt, die Kapelle zu Haselbach (Sankt Magdalena) dem Pfarrer von Tauersheim (St. Peter bei Linz) verliehen zu haben (1255)4). Aus dem Amtssprengel des herzoglichen Schreibers von Enns ist klar zu erkennen, daß nunmehr der Traungau und das Land zwischen der Enns und Ybbs miteinander verbunden sind und zusammen gehören; hiezu zählt noch das entsprechende Land im Norden der Donau zwischen Isper und Großer Mühl, das zunächst kirchlich ebenfalls von Enns (Lorch) abhängig war. Nach den Pilgrim-Synoden war die Mutterpfarre für den Traungau Mistelbach bei Wels, die im Norden der Donau noch Naarn umfaßte. Das Gebiet zwischen der Enns und dem Wiener Walde war damals schon in zwei Kirchensprengel (Lorch und Mautern) *) coram domino W o k o u e et me. B. Schroll, Urkunden-Regesten zur Gesch. d. Hospitals am Pyrn, Archiv f. österr. Gesch. 72 (1888) S. 218. Der Rosenberger Witigo war der unmittelbare Vorgänger Heinrichs, der zunächst neben ihm als Landschreiber tätig war; ersterer wurde noch, wie die Garstener Jahrbücher melden, im gleichen Jahre im Speisesaale d e s Stiftes St. Florian von Ortolf von Volkenstorf ermordet. Mon. Germ., Script. 9, S. 600. ") G. gubernatori scribatus Anasi. Urkb. d. L. ob d. Enns 3, S. 343; Gozzo, procurator Anasy. Schroll, Reg. S. 221, 227. 3 ) Chunrat der lantschribär (1282). Urkb. d. L. ob d. Enns 3, S. 546. 4 ) W . scriba Anesi. Ebendort S. 224. Taffelshamer oder Petteringer Pfarr (1737). M. Rupertsberger, Ebelsberg einst u. jetzt (Linz 1912) S. 122 f. Taberesheim wird bereits 885 als Maut erwähnt. Mon. Germ., Dipl. Karol. 2, S. 205; es ist als solche (Salz) an dem Einflüsse der Traun in die Donau (Zizlau) anzunehmen. Der Name Tauersheim ging auch auf deren gegenüberliegendes Ufer (Steyregg) über, so daß manche dort den Ursprung suchen. V. Handel-Mazzetti, Die Kapelle in Haselbach und ihre Mutterpfarre Tauersheim, 66. Jahresber. d. Linzer Museums (1908) S. 16—24, 44—48. 29*

452

V. Österreich und das Land ob der Enns.

geteilt; die kirchliche Abgrenzung folgte eben der weltlichen. Wir haben deshalb auch für das Herzogtum Österreich mit zwei Hauptpfarren zu rechnen, an deren Spitze später als Vertreter des Bischofs Archidiakone standen. Ihr Aufkommen in dem Bistume Passau ist noch nicht untersucht. Im Jahre 1221 erscheint für Österreich ein archidiaconus marchie 1 ) und 1227 2 ), c. 1240 3 ), 1242 4 ) und 1243 5 ) kommt ein archidiaconus Austrie vor. Noch früher bezeichnet eine Urkunde des Herzogs Ottokar von Steyr (1180—1192) den Propst von Ardagger als Archidiakon 6 ) und im Jahre 1226 tritt ein Konrad von St. Valentin als solcher auf 7 ). Da Lorch damals nicht zu Österreich, sondern nach Steyr gehörte, so ist es fraglich, ob es noch den Sprengel zwischen Enns und Ybbs zu versehen hatte; vielleicht hat es bei dem Wechsel des Landesherrn den Osten verloren, aber hiefür gleichzeitig einen Ersatz westlich der Enns und nördlich der Donau aus der Hauptpfarre des Traungaues erhalten. In das Dunkel wirft eine Urkunde des Bischofs Rüdiger von Passau aus dem Jahre 1242 auf einmal einen Lichtstrahl; sie erwähnt einen Archidiakonat Lorch und weist ihm die Pfarrkirchen zu Linz, Sierning, Tauersheim (St. P e t e r bei Linz), (Nieder-)Neukirchen (bei St. Florian), Aitenfelden, Hartkirchen (bei Eferding) und Weistrach (bei St. P e t e r in der Au) zu; diese hatten bestimmte Beträge abzuführen, die dazu dienten, die Domkirche zu Passau zu beleuchten (Kathedraticum) 8 ). In derselben Angelegenheit liegt ein noch ausführlicheres Verzeichnis der steuerpflichtigen Pfarrkirchen für die Dekanate Lorch und Naarn aus dem Jahre 1331 vor 9 ), die zusammen, wie der bald nachher erfolgte Eintrag in die Lonsdorfer Handschrift bezeugt, den archidiaconatus Lauriacensis bildeten 1 0 ); hiebei erwähnt letzterer als östlichste Pfarren Opponitz und Amstetten. Da fällt sofort der Zusammenklang mit der W i r k samkeit des herzoglichen Schreibers von Enns auf, die ebenfalls *) A. Meiller, Regesten zur Gesch. d. Markgrafen u. Herzoge Österreichs aus dem Hause Babenberg (1850) S. 128. 2 ) Urkb. d. L. ob d. Enns 2, S. 665. 3 ) Ebendort 3, S. 92. 4 ) Salzb. Urkb. 3, S. 536. 5 ) J . Lampel, Urkb. d. aufgeh. Chorherrenstiftes St. Pölten 1 (1891) S. 57. 6 ) Frieß, Kollegialstift Ardagger S. 51. 7 ) Urkb. d. L. ob d. Enns 2, S. 663. 8 ) Ebendort 3, S. 112. 9 ) Passauer Urbare 1, S. 704 f. 1 0 ) Mon. Boica 28/2 (1829) S. 488 f.

4. Die Abtrennung des Traungaues u s w .

453

dort endigte. Und in der Tat bildet die Urkunde Rüdigers den unanfechtbaren Beweis, daß die Enns damals schon (1242) ihre frühere Eigenschaft als Grenzfluß verloren hatte und ein Teil ihrer Rolle auf die Ybbs übergegangen w a r ; sie bestätigt mithin unsere frühere Annahme, daß im Jahre 1240 der Traungau vom Lande des steyrischen Herzogs abgetrennt und mit Österreich (Gebiet zwischen Enns und Ybbs) unmittelbar verbunden wurde; es erscheint auch hier wieder Herzog Friedrich II. und nicht erst Ottokar von Böhmen als Schöpfer und Vollzieher. Sehr bemerkenswert ist, daß die zwei großen Kirchensprengel, die Passau zu Beginn des vierzehnten Jahrhunderts schuf, ebenfalls an der Y b b s aneinander stießen; an ihrer Spitze stand je ein Offizial, der die Archidiakone zu beaufsichtigen hatte; der eine von beiden hatte seinen Sitz in Passau (obere Diözese), der andere vollzog die gleiche Aufgabe in Wien (Maria Stiegen) für den unteren Sprengel 1 ). Der auffällige Einschnitt der Ybbsgrenze tritt da klar hervor und wirkte auf Jahrhunderte; das war ebenfalls eine Folge der Tat des letzten Babenbergers, denn in anderem Falle wäre die Enns die feste Scheidelinie geblieben. Der Dekanat Naarn (später Gallneukirchen) umfaßte das Land im Norden der Donau zwischen Großer Mühl und Isper. Seine damalige Zugehörigkeit zum Archidiakonate Lorch zeigt an, daß er auch politisch zum Sprengel des herzoglichen Schreibers von Enns gehörte; das ist deshalb hervorzuheben, als hiefür sonst keine Urkunden vorliegen. Der Dekanat Lorch erstreckte sich jetzt, anders als unter den Karolingern, auch ein gutes Stück westlich der Enns; es zählten nunmehr auch Peuerbach, Eferding, Natternbach, Pucking, Hartkirchen und Wesen zu ihm; es sind das lauter Pfarren, deren Gebiet ursprünglich nach Mistelbach gehörte. Der an seine Stelle getretene Archidiakonat Lambach hatte hiedurch eine starke Einbuße erlitten; er umfaßte jetzt bloß den eigenen Dekanat in der Welser Gegend mit dem Salzkammergute. Der Archidiakon von Lorch 2 ) hatte demnach fast denselben Amtskreis zu versehen, als der herzogliche Schreiber oder der Landrichter zu Enns; es fehlte ihm bloß der Archidiakonat Lambach, der zwar von der Donau und Enns zurückweichen mußte, aber doch an der mittleren und oberen Traun einen Rest einstiger Größe zu bewahren vermochte; auch da zeigt sich wieder die günstige Lage von Lorch. A. Kerschbaumer, Gesch. d. Bisthums St. Pölten 1 (1875) S. 518. ) archydiaconus Laureacensis (1242 u. c. 1250). Urkb. d. L. ob d. Enns 3, S. 116, 171; damals bekleidete diese W ü r d e der Propst von St. Florian. 2

454

V. Österreich und das Land ob der Enns.

5. Der Traungau wird als Land ob der Enns ein Teil Oberösterreichs. Die Wiedervereinigung des Traungaues mit der Grafschaft unter der Enns findet in der Folge auch im gemeinsamen Namen vernehmlichen Ausdruck: 0 b e r ö s t e r r e i c h (Austria superior), der sowohl den einen wie den anderen Teil bezeichnet; späterhin verstand man darunter bloß das Land ob der Enns, doch ursprünglich haftete er, wie gleich gezeigt werden soll, nicht an diesem, sondern auf dem Gebiete zwischen Enns und Ybbs, der mit der Mark verbundenen Grafschaft; er ging erst auf den Traungau über, als dieser mit ihm verbunden wurde. Oberösterreich war daher zunächst bloß als oberer Teil Österreichs das Land zwischen der Enns und Ybbs. Das wurde bisher deshalb übersehen, als alle Forscher die wenigen Urkunden, die den Namen Oberösterreich in der ersten Zeit des Vorkommens führen, nur auf das spätere Land ob der Enns beziehen, so daß sie dabei das Gebiet zwischen ihr und der Ybbs außer Acht lassen 1 ). E s liegen indes ganz bestimmte Zeugnisse vor, daß er auch hiefür, den ehemaligen Ennswald, verwendet wurde. Um das festzustellen und besser zu erkennen, wollen wir die zeitliche Folge verlassen und uns zunächst mit den Quellenstellen befassen, die keinen Zweifel aufkommen lassen. So haben im Notizbuche des Bischofs Konrad III. von Freising zwei in die Jahre 1310 und 1311 gehörige Einträge über Einkünfte folgenden Wortlaut: „In Oberösterreich in den Ämtern Waidhofen, Hollenstein, Ulmerfeld, Planken (Gemeinde Wolfsbach), St. Peter und Aschbach" 2 ). Alle die genannten Orte liegen östlich der Enns zwischen ihr und der Y b b s ; es ist also die obere Gegend Österreichs, für die der Schreiber den Namen Oberösterreich gebraucht und das er von dem später folgenden Niederösterreich (Austria inferior) unterscheidet. Österreich zerfällt also auch nach ihm in zwei Teile, in Ober- (Grafschaft) und Niederösterreich (Mark). E s ist das bisher der einzige Beleg, der klar und unzweideutig beweist, daß Austria superior auch das Gebiet zwischen Enns und Ybbs bezeichnet. Wenn hiefür keine älteren Der Nachweis, daß das L a n d ob der Enns bloß ein Teil von

Oberösterreich

w a r , das bis zur Ybbs reichte, schon bei Zibermayr, Landesarchiv Linz S. 39—41. 2)

In Austria superiori in officiis Waidhouen,

s. P e t r i

et Aspach. Zahn,

S . 55 und 57.

Holnstein, Vdmaruelt,

Planchen,

Cod. Austr. Fris., Fontes rer. Austr. 2. Abt. 36

(1871)

5. Der Traungau wird als Land ob der Enijs usw.

455

Zeugnisse vorlägen, so w ä r e schon aus dem Verlaufe der Geschichte sicher zu erkennen, daß der ursprüngliche Namensträger nicht der Traungau (Land ob der E n n s ) ist, sondern die ständig mit der Mark Österreich verbundene Grafschaft, der alte, im Osten bis an die Y b b s reichende L o r c h e r Gau sein m u ß : O b e r ö s t e r r e i c h g i n g also zunächst im W e s t e n nicht über die Enns h i n a u s , sondern überschritt erst diesen Flußlauf, als der Traungau hinzukam; damit übertrug sich allmählich auch der Name, der in seinem Umfange soviel gewann, als das zur Mark verkürzte Herzogtum S t e y r hievon einbüßte. Die Macht des Landesfürsten beruhte auf dem Heerbefehle und der Gerichtsgewalt. Sein V e r t r e t e r w a r der ( L a n d e s - ) H a u p t m a n n, bzw. Landrichter, der in seinen beiden Ämtern eine Doppelaufgabe zu erfüllen hatte. Im J a h r e 1275 erscheint zum erstenmal in einer Gleinker Urkunde B u r k h a r d von Klingenberg, Marschall von Böhmen, als Hauptmann von Enns (capitaneus Anesi). W a s das bedeutet, sagt uns bald darauf (1276) ein Auftrag des Königs Ottokar, der ihn als „Hauptmann von O b e r ö s t e r r e i c h " (capitaneus Austrie superioris) b e z e i c h n e t 1 ) ; darunter ist hier nicht nur das Gebiet zwischen Enns und Ybbs, sondern auch das Land ob der E n n s (Traungau) zu v e r s t e h e n ; er hatte denselben Sprengel zu verwalten als der an seiner Seite befindliche Landschreiber. Als „Hauptmann von O b e r ö s t e r r e i c h " führte sein Nachfolger Heinrich, Markgraf von Hachberg, den Vorsitz bei einem G e r i c h t s t a g e zu Linz ( 1 2 8 0 ) 2 ) ; er w a r also Heerführer (Hauptmann) und Landrichter in einer P e r s o n . Am 27. D e z e m b e r 1282 belehnte König Rudolf vt>n Habsburg seine Söhne Albrecht und Rudolf mit den Herzogtümern Österreich (Austria) und S t e y r ( S t y r i a ) , sowie mit Krain und der Windischen Mark und verlieh ihnen alle Ehrenrechte und Freiheiten, wie sie die Herzöge Leopold und Friedrich sowie König Ottokar besaßen 3 ). D a s Land ob der E n n s wird hier nicht eigens g e n a n n t ; es ist, wie in früheren und späteren Urkunden, in „ Ö s t e r r e i c h " inbegriffen. Das Herzogtum S t e y r w a r damals bloß die S t e i e r m a r k , da ihm der Traungau fehlte. D a s s e l b e gilt für die Urkunde, womit König Rudolf die genannten L ä n d e r am 1. Juni 1283 seinem erstgeborenen Sohne Urkb. d. L . ob d. Enns 3, S . 430, 435. 2)

capitaneus Austrie superioris.

3)

Schwind-Dopsch,

Ebendort S. 520.

Ausgew. Urk. S. 132.

456

V. Österreich und das Land ob der Enns.

Albrecht allein übertrug 1 ). Dieser verlieh schon vorher, am 24. Juli 1281, als Reichsverweser „über Osterrich und über S t e y r " nach dem Rate der Landherren der Stadt Wien, die er gleich seinem Vater (1277) 2 ) „des riches houptstat in Osterrich" nennt, ein Niederlagsrecht, wobei er unter jenen den Ulrich von Kapellen als „lantrihter ob der E n s " anführt; als solcher zählte dieser eben zu den Landherren Österreichs und war daher einer wichtigen Rechtshandlung außerhalb seines Sprengeis mit Otto von Haslau, „dem lantrihter ze Osterrich" zugezogen 3 ). Der gleiche Kapeller erscheint als erster in der Zeugenreihe einer Urkunde von Spital am Pyhrn (1282) als „Hauptmann der Stadt Steyr, Landrichter von Oberösterreich" 4 ); sein Amtstitel erscheint sowohl mit Oberösterreich, als auch mit dem Lande ob der Enns verbunden 5 ). Dieses war dem Flächeninhalte nach größer und an Wohlstand reicher als das ursprüngliche Oberösterreich (Gebiet zwischen der Enns und Ybbs) und beherbergte auch den Sitz der Verwaltung; es wird deshalb führend und tritt um so mehr hervor, als der frühere Titelträger ihm gegenüber allmählich so verschwindet, daß der erste Wortinhalt vergessen wird und sein Begriff letzthin allein mit dem Lande ob der Enns verbunden bleibt. Das vollzog sich um so leichter, als am Ende des Mittelalters das Gebiet zwischen Enns Und Ybbs verwaltungsmäßig vom Traungau getrennt und wieder mit der Mark Österreich unmittelbar verbunden wurde; da wird die Enns wieder sichtbare Grenze, die das eigentliche Land ob der Enns von dem Herzogtum Österreich scheidet. Wie bei Abtrennung des einstigen Stadtgebietes von Wels, dessen letzter Name (Steyr) auf der lange mit ihm verbundenen Mark haften bleibt, so bezieht jetzt umgekehrt der Traungau als Zugehör zu einem anderen Lande dessen Titel; hier wie dort verliert ihn das namengebende Gebiet und er geht dauernd auf den anhangenden Teil über. In buntem und verschlungenem Wechsel des Namens und seines Inhaltes birgt sich die vielfach ungeklärte und schicksalhafte Geschichte des einstigen Traungaues; um ihn tönt nicht nur der ständige Streit zwischen 1) 2)

Schwind-Dopsch, Ausgew. Urk. S. 133. Ebendort S. 115.

3)

Ebendort S. 127.

4)

VIricus de Capella, capitanevs Stirensis ciuitatis, iudex provincialis superioris

Austrie. 5)

Urkb. d. L . ob d. Enns 3, S. 542.

iudex prouincialis supra Anasum (1282). Ebendort S. 543;

super Anasum (1283).

Schwind-Dopsch, Ausgew. Urk. S. 136.

iudex provincialis

457

5. Der Traungau wird als L a n d ob der Enns usw.

dem Lande ob der Enns und Steiermark, sondern noch stärker der heftige Kampf zwischen Österreich und Baiern. Das Gebiet zwischen Enns und Ybbs bildete staatsrechtlich einen Teil, und zwar den zweiten des Herzogtums Österreich; es war jedoch in der Verwaltung mit dem Lande ob der Enns verbunden, wo die Stadt Enns als Erbe von Lorch für beide der Vorort war. Man hat schon mehrmals Enns als Hauptstadt des damaligen Oberösterreich bezeichnet 1 ); das trifft zu, doch ist wohl zu beachten, daß dabei nicht nur das später hinzugekommene Land ob der Enns, sondern auch der eigentliche Namensträger (Gebiet zwischen Enns und Ybbs) zu verstehen ist. W ä r e ersteres für sich allein gewesen, so hätte nicht das am äußersten Osten gelegene Enns, sondern das in der Mitte gelagerte Wels den alten Vorrang zurück gewonnen, oder es wäre schon damals Linz in den Vordergrund getreten. E s gibt noch andere Zeugnisse, die bei näherem Zusehen dartun, daß der ehemalige L o r c h e r G a u d e r o b e r e T e i l Ö s t e r r e i c h s wurde. Am 1. Mai 1276 erläßt König Ottokar von Böhmen dem Bischöfe Konrqd von Freising den ihm als Landesfürsten gebührenden Marchfutterhafer aus Ulmerfeld, Waidhofen und Hollenstein und befiehlt seinen Amtsleuten in Ober- und Niederösterreich, ihn nicht einzuheben 2 ). Ein Jahr später bekam der Hauptmann von Enns (capitaneus Anasi) Konrad von Summerau (Ruine zwischen Wallsee und Ardagger) den Auftrag, den Freisinger Bischof im Besitze von Aschbach nicht zu behelligen; in einem anschließenden Befehle an ihn bezeichnet König Rudolf noch die Güter der gleichen Kirche als in „deiner Prokuratur in den oberen Teilen Österreichs" gelegen und weist ihn an, den Freisinger Besitz in O b e r ö s t e r r e i c h (in superiori Austria) zu schirmen 3 ). Da das Hochstift damals, anders als in der Frühzeit, im Lande ob der Enns keine Liegenschaften innehatte, so kann in diesem Falle unter „Oberösterreich" bloß das Gebiet zwischen Enns und Ybbs verstanden J . Lampel, Das G e m ä r k e des Landbuches, Blätter d. Ver. f. Landeskunde v. Niederösterr.

N. F . 21

(1887)

S. 292;

Dopsch, Beiträge

S. 258

=

dessen

Verfas-

sungs- u. Wirtschaftsgesch. S. 413. 2

) in terra superioris vel inferioris Austrie.

3

) Ebendort

partibus Austrie.

S. 362,

375;

circa

districtum

Fontes rer. Austriac. 31, S. 333. tue

procuracionis

in

super(ior)ibus

458

V. Österreich und das Land ob der Enns.

werden, wo die Hauptmasse seiner Ländereien lag. Der gleiche Summerauer hatte bald darauf (1277) wieder in königlichem Auftrage den Abt von Admont zu St. Peter in der Au in den Besitz von Gütern einzuführen 1 ). Zu derselben Zeit fordert ihn Burggraf Friedrich von Nürnberg auf, seine Veste Allhartsberg (zwischen Amstetten und Waidhofen) nicht noch mehr zu zerstören 2 ). Eine andere Admonter Urkunde (1283) spricht von Lehen und Zinsen „in den oberen Teilen Österreichs" um Freienstein (Gemeinde Neustadtl bei Ardagger) und Nöchling (nördlich der Donau) 3 ); auch diese Quelle gebraucht die Mehrzahl und zeigt an, daß Oberösterreich geteilt war. Ein Schreiben des Erzbischofs Friedrich von Salzburg an König Rudolf (1277) redet ebenfalls von Teilen Oberösterreichs 4 ). Dasselbe lassen die Worte schließen, die der Wiener Fortsetzer der klösterlichen Jahrbücher anwendet, als er erwähnt, König Rudolf habe das Land ob der Enns an Baiern verpfändet (1276); er nennt es „das obere Land jenseits der Enns" und spricht „v o n d e m T e i l e O b e r ö s t e r r e i c h s", den der Habsburger als Pfand versprach, so daß der bezeichnete Fluß wieder Grenze wurde 5 ). Herzog Heinrich von Baiern bezeichnet denn auch in einer Urkunde des Jahres 1277 das Land ob der Enns als seinen Bezirk 6 ) und stellt noch am 29. November 1278 zu Linz eine Urkunde aus, in der er dem Kloster Wilhering die Mautfreiheit bestätigt 7 ). Das Land ob der Enns w a r demnach reicht das ganze, sondern bloß ein Teil Oberösterreichs. Die Salzburger Jahrbücher reden denn auch (1278) von der Rückgabe des verpfändeten Landes zwischen Donau und Enns 8 ), so daß auch nach ihnen das „obere" Österreich (zwischen Enns und Ybbs) mit der Riedmark hiebei nicht eingeschlossen war. J. Wichner, Gesch. d. Benediktiner-Stiftes Admont 2 (1876) S. 375 f. ) A. Starzer u. 0 . Redlich, Eine Wiener Briefsammlung (1894) S. 120. 3 ) in superioribus partibus Austrie circa F r e i e n s t e i n . . Wichner, Gcsch. d. Stiftes Admont 2, S. 403; dazu Dopsch, Landesfürstl. Urbare S. XCIX. versus partes superioris Austrie. Fontes rer. Austriac. 31, S. 364. 2

5 ) terram superiorem ultra Anasum. Mon. Germ., Script. 9, S. 708, 729, und 712: pro parte Austrie superioris, quam . . . 6 ) in districtu nostro super Anasum. Urkb. d. L. ob d. Enns 3, S. 464. 7 ) Ebendort S. 490 f. 8 ) per resignationem terre inter Danubium et Anasum posite. Mon. Script. 9, S. 805; 0 . Redlich, Rudolf von Habsburg (1903) S. 275, 363—365.

731

Germ.,

5. Der Traungau wird als Land ob der Enns usw.

459

Am 1. Juli 1264 stellt Konrad von Summerau als „Landrichter von O b e r ö s t e r r e i c h" 1 ) zu Linz einen Gerichtsbrief aus, womit er dem Kloster Garsten den Gutshof Speck zuerkennt; es ist das der Zeit nach das erstemal, daß uns der Name Oberösterreich begegnet; er bezeichnet hier wieder nicht allein das Land ob der Enns, sondern ganz Oberösterreich von dem Hausruck bis zur Ybbs. In dem gleichen Jahre, am 8. September, setzt König Ottokar seine Dienstmannen, Richter und Mautner in Ober- und Niederösterreich 2 ) in Kenntnis, daß er das Kloster Mondsee von aller Maut befreit habe; es ist dies die erste Urkunde, die das „untere" Österreich (Austria inferior) als solches ausdrücklich erwähnt und von dem „oberen" scheidet 3 ). Gleichzeitig taucht der Name „ o b d e r E n n s " auf. Um das Jahr 1265 wendet sich König Ottokar an die Äbte, Pröpste und Klosterbewohner „ob der Enns" (super Anasum) und übernimmt die Vogtei 4 ). In einer schon erwähnten Urkunde vom 22. Jänner 1266 reiht er Österreich das Gebiet „ob der Enns" an 5 ). Dieses nennt er hier zwar, wie es auch sonst in den landesfürstlichen Urkunden ständig geschieht, so wenig in seinem Titel als früher, wo er sich bloß als Herzog von Österreich und Steyr bezeichnet, doch hängt er es gleich darauf ersterem an. Wenn die herzoglichen Schreiber in Enns später als „bei, an oder um der Enns" auftreten 6 ), so ist darunter das Gebiet zwischen dem Hausruck und der Ybbs, also auch ein Teil des Landes unterhalb des erstgenannten Flusses einzubeziehen. Am 5. November 1279 bestätigte König Rudolf zu Linz dem Kloster Kremsmünster die althergebrachte Zollfreiheit und richtete seinen Befehl an die Amtmänner, Richter und Mautner von Österreich, Steyr und dem E n n s 1 a n d e 7 ). Da das Herzogtum Öster*) jvdex prouintie Austrie superioris. Urkb. d. L. ob d. Enns 3, S. 321. 2 ) per superiorem et inferiorem Austriam. Ebendort S. 325. 3 ) Ebenso der Fortsetzer der Garstener Jahrbücher, w e n n er sagt, Ottokar von Böhmen herrsche seit 1252: in inferioribus et superioribus eiusdem terre (Austrie) partibus. Mon. Germ., Script. 9, S. 599. 4

) Urkb. d. L. ob d. Enns 3, S. 579. Krones, Verf. u. Verw. S. 32 Anm. 2 nennt schon für das Jahr 1256 W o k v o n Rosenberg als „Landrichter ob der Enns", doch ist für ihn ein solcher Titel nicht belegbar. Wretschko, Marschallamt S. 63 Anm. 116. 5

) per Austriam et supra Anasum. Urkb. d. L. ob d. Enns 3, S. 344. ) scriba (procurator) apud Anasum (1269), per Anasum (1270), circa Anasum (1272). Ebendort S. 365, 376, 393. 7 ) per Austriam, Styriam et Anasum. Ebendort S. 511. 6

460

V. Österreich und das L a n d ob der Enns.

reich im Westen bis an die Enns reichte, so ist unter dem Flußnamen der alte Traungau zu verstehen; Ennsland ist daher hier nicht das Gebiet beiderseits dieses Wasserlaufes, sondern bloß jenes westlich hievon, das eben von der baierischen Pfandherrschaft gelöst war. Wenn jedoch dieser damals aufkommende Gebietsname einzeln vorkommt, so wird darunter wie beim herzoglichen Schreiber von Enns (scriba per Anasum) ganz Oberösterreich (Hausruck bis Ybbs) zu verstehen sein. So spricht ein Mautbrief des Herzogs Friedrichs I. aus dem Jahre 1304 von den „Dienstmannen im Ennslande" (ministeriales per Anasum) 1 ). Der reine Flußname als Landesbezeichnung verschwindet bald wieder; doch taucht er am Ende des Mittelalters in neuer Gestalt und verkleinertem Sinne als „Markgrafschaft der Enns" und „Ennsland" auf 2 ), worauf wir noch zu sprechen kommen. Di© Humanisten, die solche Titel zumeist gebrauchen, haben da auf einen Namen zurückgegriffen, den der Traungau zu führen begann, als von ihm die Steiermark abgetrennt und er mit Oberösterreich (Lorcher Gau = Ennswald = Ennsland) verbunden wurde (1240); er ist deshalb noch älter, als das meist gebrauchte „ob der Enns" 3 ), das schon seine Lage näher bezeichnet. Daß die Urkunde des Königs Rudolf das Ennsland zwar eigens nennt, aber Steyr nachsetzt, ist ein Vorbote des kommenden Rangstreites zwischen beiden Ländern, der durch mehr als ein Jahrhundert nicht zur Ruhe kam; es ging eben um die staatsrechtliche Frage, ob Österreich ob der Enns ein selbständiges Land sei, oder bloß ein Zugehör zum (Erz)herzogtum Österreich (unter der Enns). In der ersten Zeit der Habsburger, als Abt Heinrich von Admont Landschreiber der Steiermark (1279—1297) war 4 ), hatte er später die gleiche Stelle auch in Oberösterreich zu versehen (1285) 5 ); es ist dabei wieder nicht nur das Land ob der Enns anzunehmen, sondern auch noch das Gebiet zwischen dieser und der Ybbs einzuschließen. Ein Jahr darauf tritt er als Hauptmann und Landschreiber von S t e y r und Enns hervor 6 ). Das war nur eine vorübergehende Maßnahme, *) Urkb. d. L . ob d. Enns 4 (1867) S. 472. 2

) Zibermayr, Landesarchiv Linz S. 36 f.; unten S. 501—504.

3

) „ob der E n s e " 1290.

4

) Ebendort 3, S. 507 u. 4, S. 251.

5

) scriba Styrie et superioris Austrie.

Urkb. d. L. ob d. Enns 4, S. 127. Ebendort S. 32 =

Wichner,

Gesch. des

Stiftes Admont 2, S. 416. 6

) capitaneus a c scriba Styrie

et Anasi.

W i c h n e r 2, S. 419;

F . Martin,

Regesten d. Erzbischöfe u. d. Domkapitels v. Salzburg 1 (1928) S. 156 f.

Die

5. Der Traungau wird als Land ob der Erms usw.

461

die in dem besonderen Vertrauen, das Heinrich von Admont bei König Rudolf und dessen Sohn Albrecht genoß, begründet war. Doch ist aus der Verschiedenheit der beiden den gleichen Rang betreffenden Titel, von denen der erste die neue, der zweite die alte Ausdrucksform bringt, wieder ersichtlich, daß der herzogliche Schreiber zu Enns ganz Oberösterreich, also das Gebiet zwischen dem Hausruck und der Ybbs, zu betreuen hätte. Am 23. März 1299 bestätigt König Albrecht zu Zürich das hergebrachte „Gerichtsrecht ob der Enns" (gerihtes reht ob der Ens); er verwendet hiebei den Begriff „Land" 1 ). Es ist hiebei zunächst an den Traungau zu denken, zumal dieser als Gebietseinheit erhalten blieb. Das Herzogtum Österreich hatte sein eigenes Landrecht, das sowohl für die Mark als auch die Grafschaft galt. Doch da es sich in der vorliegenden Urkunde offensichtlich um die Schranne des Landrichters handelt, und kurz vorher Ulrich von Kapellen nicht nur als solcher von „ob der Enns", sondern auch von „Oberösterreich" erwähnt wird (S. 456), so ist es fraglich, ob hier nur der Traungau als „Land" gemeint ist; es könnte immerhin ein einheitliches Gerichtsrecht für ganz Oberösterreich in Frage kommen. Es ist deshalb im einzelnen Falle nicht sicher, ob der jeweilige Gebietsname in engerem oder weiterem Sinne zu werten ist. Die Wirrnis, die darob entsteht, erschwert trotz den jetzt häufiger werdenden Urkunden die genaue Kenntnis der staatsrechtlichen Verhältnisse, ja macht sie zum Teil undurchsichtig. Ähnliches ist uns schon in der Zeit der Karolinger begegnet, als Pannonien und Karantanien zur Ostmark verbunden waren; auch da wird manchmal der Name des führenden Landes für das angeschlossene gebraucht (S. 284 f.). Gleichwohl läßt sich folgendes Ergebnis feststellen: Im Jahre 1240 trennt der letzte Babenberger Friedrich II. den Traungau vom Lande des steyrischen Herzogs ab und macht ihn zu einem Zugehör seines Herzogtums Österreich; er verbindet ihn unmittelbar mit Oberösterreich, dem Gebiete zwischen Enns und Ybbs, das als neuen Vorort das zwischen beiden Teilen gelegene Enns erhält. Der Traungau verliert hiedurch allmählich seinen bisherigen Namen (Steyr) und erlangt den von Oberösterreich, zu dem er gehört, und kommt seiner Lage nach als westliche Hälfte hievon zu dem Titel „ob der Enns"; ja dieser wird, da hier der Sitz des Landrichters *) Schwind-Dopsch, Ausgew. Urk. S. 157 f.;

dazu Ganahl, Landrecht S. 349f.

462

V. Österreich und das Land ob der Enns.

und L a n d s c h r e i b e r s ist, verbunden mit dessen Amtsbezeichnung als Hauptteil für das G a n z e gewählt und bezeichnet in solchen Fällen auch noch das Gebiet zwischen der Enns und Y b b s sowie die mit diesem verbundene Riedmark. Die Namen „ O b e r ö s t e r r e i c h " und „Land ob der E n n s " sind demnach begrifflich nicht immer d a s s e l b e ; wie der e r s t e r e sowohl das Ganze, als auch eine Hälfte hievon b e zeichnen kann, so ist ebenso der letztere in der Amtssprache nicht immer gleich zu w e r t e n , da er nicht bloß den W e s t t e i l zu bedeuten braucht, sondern unter Umständen auch das Ganze ( O b e r ö s t e r r e i c h = Land ob und unter der Enns bis zur Y b b s ) in sich schließt.

6. Oberösterreich und das Land ob der Enns. Von den beiden gleichzeitig auftretenden Titeln O b e r ö s t e r r e i c h und Land ob der E n n s verschwindet der erstere bald — er erscheint noch in den J a h r e n 1310 und 1311 für das Gebiet zwischen Enns und Y b b s (S. 454) — und es siegt auf der ganzen Linie der zweite. D a s spricht schon dafür, daß der Name „ob der E n n s " immer mehr als Teil für das G a n z e v e r w e n d e t wird. W i e er noch bis in die jüngste Zeit auch für das zu ihm im Norden der Donau gehörige Mühlviertel, j a dort bis hinab an die schon weit östlich des Einlaufes der Enns gelegene Isper, gebraucht wurde, so gilt er in den mittelalterlichen Urkunden amtlich ebenso für das damals mit ihm verbundene G e biet zwischen E n n s und Y b b s . D a s endlich einmal zu erkennen, ist ein dringendes Gebot für das richtige Verständnis der österreichischen L a n d e s g e s c h i c h t e . D e r bisher als geschichtlicher W e l l e n b r e c h e r geltende E n n s f 1 u ß w ä r e demnach eher Verbindungsstrich 'denn Grenzschnitt. Und in der T a t , nicht nur in den G e schichtsbüchern, sondern auch in der politischen und kirchlichen Einteilung gleicht die Enns heute noch einer unnatürlichen Mauer, die wie ehedem der Inn gleichsam zwei fremde S t a a t e n trennt. Man d e n k e : der B e w o h n e r von Ennsdorf (am rechten Ufer) darf in einer Rechtsangelegenheit nicht über die B r ü c k e zum Amtsgericht Enns, dem kleinen Gerichtssprengel, der auf zwei anderen Seiten w i e d e r fast vor den T o r e n der S t a d t die Amtsgerichte S t . Florian und Mauthausen liegen hat, sondern muß nach Haag und für das Landgericht nicht in das nahe Linz oder S t e y r , sondern nach St. P ö l t e n ; jener in Ramingsteg kann in gleichen Fällen nicht in wenigen Minuten das Amts- und L a n d g e r i c h t in S t e y r beanspruchen, sondern hat in St. P e t e r , b z w . S t . Pölten sein R e c h t zu s u c h e n ! Haben da nicht jene Stimmen recht, die Niederösterreich erst bei Amstetten b e -

6. Oberösterreich und das Land ob der Enns.

463

ginnen lassen, weil das Gebiet zwischen Enns und Ybbs in der Natur aufs engste mit dem Lande ob der Enns verbunden ist und schon nach dem Kartenbilde als ein eingetriebener Pfahl in das Fleisch des jetzigen Gaues Oberdonau erscheint? Das wird jeder erkennen, der auf der Donau von Linz nach Grein fährt, w o der Strom nach Mauthausen gleich der Enns wieder die beiden Länder teilt; der Ennsgrenze entspricht eben an ihrer Mündung die Aistsenke und nicht die Isper; daher gehörte im hohen Mittelalter die Riedmark nicht zum Traungau, sondern zur O s t m a r k ! Den engen wirtschaftlichen Zusammenhang für das Gebiet beiderseits der unteren Enns zeugt schon das äußere S i e d 1 u n g sb i l d : hier wie dort ist der stattliche, um einen auf jeder Seite geschlossenen, mehr oder minder rechteckigen Wirtschaftshof angelegte Vierkanter die führende Hausform der bäuerlichen A n w e s e n ; sein Vorkommen beschränkt sich im wesentlichen auf die Gegend vom Hausruck (Salletwald) bis an die Ybbs und auf den entsprechenden Boden nördlich der Donau bis an die Isper, da jedoch bloß im Altlande der Ebene, aber nicht auf den dahinter gelegenen Höhen, welche die späteren Formen des Waldhufen- und Angerdorfes zeigen 1 ). Dort oben und südöstlich hievon beginnt bereits die geschlossene Sammelsiedlung in planmäßig angelegten Dörfern, die in der nun anhebenden Mark und im Nordwalde ü b e r w i e g t ; doch sendet der Vierkanter noch o s t w ä r t s der Ybbs einen Keil bis hinab an die Pielach; er ist demnach in der Tat „die oberösterreichische Hofform", wobei jedoch nicht die Enns als Grenze zu gelten hat 2 ). Wie schon sein manchmal schloßähnliches Aussehen verrät, ist er ein eindrucksvoller Abschluß aus den letzten Jahrhunderten, doch — und das ist das Entscheidende — geht seine Wurzel auf den Einzelhof zurück, der in seinem Entstehen älter ist als die bereits eine vorgeschrittenere Wirtschaftsform aufweisenden Dorfanlagen im neugewonnenen Siedellande. Doch steht die Wissenschaft da erst vor den Anfängen: die Fluren, auf denen die mächtigen und stolzen Einzelgehöfte aufragen und Sternen gleich im Landschaftsbilde aufleuchten, sind noch so wenig untersucht, wie F. Brosch, Siedlungsgesch. d. Amtes Leonfelden, Jahrb. d. Oberösterr. Musealvereines 84 (1932) S. 234 f. 2 ) E. Kriechbaum, Das Bauernhaus in Oberösterreich (1933) S. 18 f.; A. Klaar, Die Siedlungsformen Niederösterreichs, Jahrb. f. Landeskunde v. Niederösterreich N. F. 23 (1930) S. 44 mit Karte und dessen Siedlungsformenkarte Österreichs (1942) S. 26, Blatt Niederdonau.

464

V. Österreich und das Land ob der Enns.

jene der Dorfsiedlungen und der nach bestimmten Regeln geteilten Felderwirtschaft. Nicht besser steht es mit den Ortsplänen der Städte und Märkte, die zunächst in ihrem unregelmäßigen Aufbau als allmählich gewordene und sodann als planmäßig angelegte zu scheiden sind; sie bieten in ihrem Entstehen dasselbe Bild wie die Einzelhöfe, bzw. Weiler und die späteren Dorfsiedlungen. Doch ist schon jetzt aus dem rohen Umrisse zu erkennen, daß das Dreigrafschaftsgebiet das Altsiedelland darstellt, während die Mark und der Nordwald als später hinzugewachsenes Ausbauland zu bezeichnen sind. Das oaierische Stammland hört demnach nicht an der Enns auf, sondern erstreckt sich in seinem fruchtbaren Teile noch weiter östlich bis fast an den Wiener Wald; die zwei karolingischen Grafschaften östlich der Enns sind das Kernland, aus dem die Ostmark erwachsen ist; diese ist in ihrer Wurzel ebenso baierisch als der Traungau, doch später noch mehr zerstört und teilweise anders besiedelt. Seit dem Jahre 1288 erscheint zum erstenmal Eberhard von W a 1 s e e in einem Schiedspruche des Rates von Linz als Landrichter ob der Enns 1 ). Sein aus Schwaben eingewandertes Geschlecht bleibt seitdem beinahe ununterbrochen durch fast zwei Jahrhunderte im Besitze dieser Würde. Der genannte Titel, anfangs wechselnd mit Hauptmann und jeder verbunden entweder mit dem Namen Oberösterreich oder ob der Enns, setzt sich zunächst in der Form durch, wie er in der bezeichneten Urkunde aufscheint; es tritt zunächst der Titel Hauptmann zurück und der Name Oberösterreich verschwindet. Doch heißt Eberhard von Walsee schon im Jahre 1300 „Hauptmann ob der Enns" 2 ) und sein Amt nicht viel später (1322) „Hauptmannschaft ob der Enns" 3 ). Dessen gleichnamiger Träger, der Sohn des vorigen, nennt sich 1330 Hauptmann zu Linz und zwei Jahre später als solcher von ob der Enns 4 ); dort, auf der Burg, w a r sein Sitz; deshalb spricht der Teilungsvertrag zwischen den Herzogen Albrecht III. und Leopold III. vom 25. Juli 1373 von der „stat ze Lyncz, da die haubtmanschaft ob der Ens hin gehört" 5 ). In einer Urkunde des Jahres 1349 tritt der Walseer *) ) 3 ) 4 ) 5 ) 2

Urkb. d. Ebendort Ebendort Ebendort Ebendort

L. ob d. Enns 4, S. 82. S. 369. 5 (1868) S. 333. S. 585 u. 6, S. 43. 8 (1883) S. 656.

6. Überösterreich und das Land ob der Enns.

465

noch als „hauptman ob der Ens vnd lantrichter" auf 1 ); seitdem bleibt der erstere Teil beständig durch das ganze Mittelalter, den zweiten hingegen führten ihm unterstellte Beamte, die zumeist Lehensleute seines Geschlechtes waren 2 ). In allen diesen Fällen bezeichnet der Ausdruck „ob der Enns" das von ihm verwaltete Gebiet in seiner Gesamtheit, also noch über die Enns hinaus; es ist wieder der Teil, wo sich der Amtssitz befindet, für'das Ganze verwendet. Daß dem wirklich so ist, beweist die Chronik der Abtei Zwettl, die zum Jahre 1408 meldet, Reinprecht von Walsee habe als Hauptmann zu Linz die gesamte Provinz bis an die Ybbs verwaltet 3 ); diese hatte also damals noch denselben Umfang, den sie im Jahre 1240 bekam. In gleichem Sinne ist die öfter wiederkehrende Formel „ S t ä d t e o b d e r E n n s " aufzufassen; auch da sind die bürgerlichen Gemeinwesen zwischen ihr und der Ybbs einzuschließen, so daß hier ebenfalls der obere Teil für das Ganze gebraucht wird. Die Bürger von Ottensheim (1228), Perg (1269), Königswiesen (1279) und Steyregg (1282) erhielten von den Landesfürsten die Handelsrechte, wie sie Enns und Linz besaßen 4 ); ebenso wie diese im späteren Oberösterreich gelegenen Märkte genoß in gleicher Zeit das östlich der Enns befindliche Aschbach Ennser Recht 5 ). Im Jahre 1311 verlieh Königin Elisabeth, die Witwe Albrechts I., den Hallstättern die Freiheiten der Bürger von Laufen, Gmunden und anderer „Städte ob der Enns" 6 ); ebenso Herzog Albrecht III. (1392) den Leuten von Ischl 7 ). Derselbe Ausdruck kommt in einer Urkunde des Jahres 1368 vor, in der die Brüder Albrecht III. und Leopold III. den Bewohnern des Ortes Wallsee die nämlichen Rechte zuerkennen 8 ). *) Urkb. d. L. ob d. Enns 7 (1876) S. 153. In einer Urkunde des Jahres 1336 heißt er capitaneus iudexque prouincialis terre Austrie super Anasum, in z w e i anderen gleichzeitigen Fällen Pfleger ob der Enns. Ebendort 6, S. 197, 202, 215. 2 ) M. Doblinger, Die Herren von Walsee, Archiv f. österr. Gesch. 95 (1906) S. 276 Anm. 2. 3 ) R. de Walsse, e o d e m tempore capitaneus in Lyncz, qui regebat totam provinciam in t e m p o r e . . . usque ad Ibs sub suo dominio. Mon. Germ., Script. 9, S. 698. 4 ) Urkb. d. L. ob d. Enns 2, S. 672 f., 3, S. 367, 501; A. Hoffmann, Die oberösterr. Städte u. Märkte, Jahrb. d. Oberösterr. Musealvereins 84 (1932) S. 194; dazu S. 98 Anm. 96. 5 ) O. Mitis, Niederösterr. Stadtrechte im 13. Jahrh., Jahrb. f. Landeskunde von Niederösterr. N. F. 3 (1904) S. 253 f. 6 ) Urkb. d. L. ob d. Enns 5, S. 39. 7 ) Ebendort 11 (1941) S. 115. 8 ) alle recht vnd freyheit, die vnser stött ob der Ennß habent. V. Handel-Mazzetti, Wallsee u. Sindelburg an der Donau, Monatsblatt d. Ver. f. Landeskunde von Niederösterr. 5 (1910) S. 101. 30

466

V. Österreich und das Land ob der Erms.

Die genannten Herzöge bestätigen bald darauf (1377) den Bürgern von Ybbs das Recht, die obere Straße nach Venedig wie die anderen „Städte ob der Enns" zu benützen 1 ). Die Gleichartigkeit der Handelsvorteile der bürgerlichen Gemeinwesen zwischen Hausruck (Salletwald) und Ybbs spricht ebenfalls für das Verbundensein des Gebietes hüben und drüben der unteren Enns, die damals keine Grenze bildete, sondern beide Hälften zu einer Einheit zusammenschloß. Das kommt schon dadurch zum Ausdruck, daß hier wie dort auch in Stadtangelegenheiten der Hauptmann ob der Enns gebot. S o erscheint in der Urkunde, in der Herzog Rudolf IV. den Bürgern von Waidhofen am 15. August 1361 erlaubt, eine Brückenmaut zu errichten, als Gegenzeichner Johann Trawner, der eben damals vorübergehend diese Stelle bekleidete 2 ). B e i den Städten ist klar zu ersehen, wie sehr die Gegend westlich der Enns jene östlich von ihr an Einfluß und Macht überwog. Man denke da nur an das fruchtbares Ackerland einschließende Viereck der Städte Steyr, Enns, Linz und Wels, alle Brückenorte im Schutze von Burgen, für deren günstige Verkehrslage schon die Tatsache spricht, daß sie alle einmal Hauptstädte waren; ihr Aufund Abstieg spiegelt nicht nur die Geschichte des engeren Landes, sondern bringt auch jene in weitem Umkreise: Ovilava war urbs von Noricum, Lauriacum solche von Ufer-Noricum und erster Sitz der baierischen Herzoge, W e l s und Steyr waren nacheinander die Vororte der Traungauer Grafen und Linz sollte die Hauptstadt von dem kommenden Lande ob der Enns werden; sie lagen in dessen „Zentralraum", im „Verkehrsviereck der Mitte" 3 ), wo die Traun (Salz) und Enns (Eisen) in die Donau einmünden sowie der Venediger W e g (Pyhrnpaß) mit der Hauptverkehrsstraße von Süddeutschland in das Wiener Becken zusammentrifft. Mit ihnen konnten sich Waidhofen, Ybbs und Freistadt nicht entfernt messen. Gerade hier ist gut zu erkennen, daß das spätere Oberösterreich das J . Chmel, Der österr. Geschichtsforscher 1 (1838) S. 14. 2)

G. Frieß, Gesch. d. Stadt Waidhofen a. d. Ybbs, Jahrb. f. Landeskunde von

Niederösterr. 1 (1868) S. 101;

F . Kürschner, Die Urkunden H. Rudolfs IV., Archiv

f. österr. Gesch. 49 (1872) S. 73.

Das damals von den baierischen Herzögen an die

Habsburger verpfändete Schärding erhielt am 24. September

1364 von Rudolf IV.

gleichfalls die Rechte, „die all unser stette in unserm h e r z o g t u m b zu Osterrich ob der E n s habent", 3)

A. F . Oefele, Script, rer. Boicarum 2 (1763) S. 189.

E . Kriechbaum, Oberösterreich, Landschafts- und Kulturbilder (Braunau 1925)

S. 40 f., 116.

6. Oberösterreich und das Land ob der Enns.

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alte östlich der Enns bei weitem an Wohlhabenheit und Ansehen überwog, ja daß deshalb dort die Amtssitze für beide Hälften entstanden. Das geschah um so leichter, als die landesfürstlichen Burgen zu Enns und Steyr ja auch den herzoglichen Besitz im ehemaligen Lorcher Gau zu verwalten hatten, wo sonst in der Hauptsache die Hochstifter Freising (Waidhofen) und Bamberg (Haag) begütert waren; schon der frühere Name „Ennswald" für diese Gegend erinnert daran, daß ihr Vorort von Beginn an westlich des genannten Flusses in der Ennsburg lag, die das Erbe von Lauriacum übernahm. Enns als Hauptstadt von Oberösterreich (Hausruck bis Ybbs) w a r ein verkleinertes Abbild von Lauriacum sowohl in der Eigenschaft als urbs wie als civitas; der römische Untergrund ist auch da wieder sichtbar. Das unmittelbar am Donaustrom gelegene Linz übernahm bald die Rolle von Enns, da es durch den jetzt besiedelten Nordwald drei Zugänge in das salzarme Böhmen bot und der Traun näher lag als das nur über die Aistsenke verfügende und ziemlich abseits des Stromes liegende Enns. Im ganzen gesehen w a r der Aufstieg von Linz ein Sieg der Donau über die Traun (Wels) und Enns (Steyr und Enns) (S. 319, 386). Die staatsrechtliche Stellung des späteren Landes ob der Enns war bis zum Zusammenbruche des Kaiserstaates nicht geklärt, da der Herrscher in seinem Titel es niemals anführte, sondern sich bloß „Erzherzog zu Österreich" nannte. Bei dieser Sachlage ist es um so weniger möglich, bei den mittelalterlichen Urkunden in jedem einzelnen Falle zu sagen, was unter „ob der Enns" gemeint ist. Wenn sich König Ottokar im Jahre 1265 an die Pröpste von „ob der Enns" wendet und kurz darauf (1266) von „Österreich und ob der Enns" spricht (S. 459), so ist in ersterem Falle wohl ganz Oberösterreich (Hausruck bis Ybbs) verstanden; im zweiten Beispiel ist jedoch die Enns und nicht die Ybbs als Grenze zu denken. Doch das zu unterscheiden, war gar nicht nötig, da beide Teile staatsrechtlich zusammen gehörten: Nieder- und Oberösterreich bildeten damals e i n Land, das Herzogtum Österreich. So heißt es in einer Urkunde des Jahres 1321: „land nyderthalb der Enns vnd oberhalb der Enns" 1 ), wobei der bezeichnete Fluß die alte Staatsgrenze war, die nicht erwähnte Ybbs aber die beiden Verwaltungssprengel schied. Das schon angeführte Teilungsabkommen von 1373 Stiftsarchiv Wilhering, Kopialbuch A, S. 239. 30*

468

V. Österreich und das Land ob der Enns.

nennt es „herczogtum ze Österreich enderthalb der Ens und ob der E n s " 1 ) ; der bald darauf folgende Neuberger Vertrag (1379) spricht von dem „land und hertzogtum ze Osterreich oberthalb und niderthalb der E n s " und nennt „Österreich u n d das land ob der Ens" 2 ). Diese Titel zeigen, daß der Traungau etwas Beigegebenes war. Noch genauer heißt es in der allerdings umstrittenen, aber doch echten Urkunde, in der die Schaunberger (S. 475) ihre Güter und Rechte dem Herzoge Rudolf IV. zu Lehen geben (1361), „land ze Österreich under der Ens und ob der Ens ietwederr seit der Tün a w " 3 ) ; nicht viel später (1388) nennt es eine Urkunde Albrechts III. „das land ze Österreich oberhalben vnd nyderhalben der Ens enhalben vnd hiedishalben der Tunaw" 4 ). In allen diesen Fällen ist immer das ganze Herzogtum (tota Austria) gemeint, wobei der frühere Traungau einzurechnen ist. Doch findet sich der Titel „Land" auch bald für Oberösterreich allein; er ist uns so bereits zweimal begegnet, einmal in einer Urkunde des Jahres 1299, wie König Albrecht I. das hergebrachte „Gerichtsrecht ob der E n n s " bestätigt (S. 461) und das anderemal, als sich Eberhard von Walsee (1336) „Hauptmann und Richter des Landes Österreich ob der Enns" nennt (S. 465 Anm. 1). In zweitem Falle ist ganz Oberösterreich vom Hausruck bis an die Ybbs gemeint. Die zuletzt genannte Walseer Urkunde bietet zudem den ersten Beleg für den kommenden Titel „ Ö s t e r r e i c h ob der Enns" (Austria super Anasum), während jener von Oberösterreich (Austria superior) bereits für 1264 nachweisbar ist (S. 459). Die letztere Bezeichnung geht vom Gebiete zwischen der Enns und Ybbs aus, die erstere vom Traungau (ob der Enns); wie beide Teile zusammen gehören, so übertragen sie auch gegenseitig ihre Namen, so daß Oberösterreich gleich Österreich ob der Enns wird; doch ist darin zunächst in dem einen wie dem anderen Falle das gesamte Land zwischen Hausruck (Salletwald) bis zur Ybbs mit dem entsprechenden Zugehör im Norden der Donau zu verstehen. Für „Österreich ob der E n s " (1362) 5 ) findet sich auch fast gleichzeitig der Ausdruck „land ob der Ens" (1349) 6 ), wobei, da es sich um

2) 3) 4) 5) 6)

Urkb. d. L. ob d. Enns 8, S. 655. Schwind-Dopsch, Ausgew. Urk. S. 270, 272. Ebendort S. 199. Urkb. d. L. ob d. Enns 10 (1939) S. 498. Ebendort 8, S. 109. Ebendort 7, S. 141.

469

6. Oberösterreich und das Land ob der Enns.

das dort herrschende R e c h t handelt, wieder nicht feststeht, beidemale der genannte Fluß oder, die Y b b s als Ostgrenze gelten hat.

ob zu

Als die S t e i e r m a r k vom Traungau abgetrennt wurde, behielt die erstere den R a n g eines L a n d e s bei, nach dem sich der Herzog nach wie vor b e z e i c h n e t e ; der Traungau hingegen verlor die Eigenschaft eines eigenen staatlichen Gebildes und wurde ein wenig beachtetes Zugehör zum Herzogtum Österreich. W ä h r e n d B a i e r n schon seit 1255 in O b e r - und Niederbaiern sich zu scheiden begann, wonach dessen Herzöge später auch benannt werden 1 ), blieb im Titel der österreichischen H e r r s c h e r das Land ob der E n n s stets unberücksichtigt. Doch scheint der neue E r w e r b öfter im Namen des Landes auf: „Österreich und ob der E n n s " , so daß letzteres auch da ein Anhängsel darstellt. Aus einem alten Gau mit einem eigenen Grafengeschlechte, das ihm noch eine Mark anzufügen v e r m o c h t e , w a r ein Gebietsteil geworden, den ein fremder L a n d e s h e r r seinem Herzogtume einverleibte. Die Eigenschaft des nicht selbständigen, sondern einem anderen Reichsfürstentume angehängten K r e i s e s drückt sich in dem jetzt hiefür aufkommenden W o r t e L ä n d 1 e i n (Ländchen) aus, eine Bezeichnung, die sich öfter für kleine B e z i r k e findet. S o führt das bald nach 1300 entstandene Trau.nkirchener Urbar den B e s i t z des Klosters im Salzkammergut als „dienst und czins von Y s c h e l aus dem lentlein" an (Ischelland) 2 ). Nicht viel später erzählt die „Österreichische Chronik von den 95 Herrschaften", Markgraf Heinrich habe, als der K a i s e r sein Land zum Herzogtume erhob, noch das „lendel b e y E n s und C h r e m b s " erhalten, ja sie kleidet die Ü b e r g a b e sogar in die boshafte F o r m eines Schimpfes, als ob Friederich I. hiedurch den durch die v e r w e c h s e l t e n P e l z e verärgerten Empfänger besänftigen wollte 3 ). D a s hier angeführte Ländlein ist nichts anderes als der Traungau, so daß das alte Oberösterreich (Enns bis Y b b s ) da nicht mitzählt, sondern bloß das Herzstück des L a n d e s ob der Enns gemeint ist. D a s ist schon daraus zu erkennen, ! ) Urkb. d. L . ob d. Enns 7, S. 662, 670 u. 8, S. 143; Mon. Germ., Script. 9, S. 513; 0 . Stolz, Land u. Landesfürst in B a y e r n u. Tirol, Zeitschr. f. bayer. Landesgesch. 13 (1942) S. 175. 2)

Schiffmann,

3)

Mit dem schimph

Pracht gen S. 93.

Oberösterr.

Österreich

also

Stiftsurbare 1, S. 370. herczog

zu dem

lande.

Hainreich

das lendel

bey

Mon. Germ., Deutsche

Der zweite lateinische Auszug nennt es darnach: t e r r a m

Anasum. G. Leidinger, Veit Arnpeck, Sämtliche Chroniken

E n s und

Chroniken

6

Krems (1909)

supra Krembs et

(1915) S. 741 Anm. 3.

470

V. Österreich und das Land ob der Enns.

daß der Verfasser (Leopold Stainreuter in Wien), der auf Geheiß Rudolfs IV. sein Geschichtswerk begann, den Erwerb schon in das Jahr 1156 fallen läßt, als Österreich Herzogtum wurde. Seine Angabe sagt mit anderen Worten dasselbe, was der Melker Mönch und Abt Hermann von Niederaltach berichten, nach denen damals das neue Herzogtum Österreich noch das Gebiet von der Enns bis Rotensala (Salletwald) erhalten hätte (S. 428). Das Ländlein an der Enns und Krems ist daher der Traungau, das spätere „Landl", das seinen Wortsinn im Rangstreite erlebte, als es mit seinen Ansprüchen weichen mußte; noch lange nachher haftete an dem Namen ein übler Beigeschmack, doch entstammt er dem Volksmunde 1 ). 7. Die „Mark ob der Enns" Herzogs Rudolf IV. Die ungeklärte Lage des Landes ob der Enns gibt sich schon in dem ziemlich gleichzeitigen Auftauchen der verschiedenen Namen kund, die es bezeichnen sollen. Ein anderer Titel, der wie das „Landl" bloß den westlich der Enns befindlichen Gebietsteil Österreichs einschließt, ist die „ M a r k o b d e r E n n s" (marchia supra Anasum), die zuerst im Großen Freiheitsbriefe auftaucht, den Herzog R u d o l f IV. auf Grund der echten Vorlage um 1358/59 gefälscht hat. Gleich den eben genannten Geschichtschreibern will auch er die „Mark ob der Enns" im Jahre 1156 von Baiern abgetrennt wissen, ja schon damals hätte sie Kaiser Friedrich I. zusammen mit der Markgrafschaft Österreich zu e i n e m Herzogtum erhoben (S. 437). Sein Vorgehen greift in eine alte Wunde und rollt den unseligen Zwiespalt von 1156 und 1180 zwischen Baiern und Österreich'auf; es ist wieder der bekannte Streit um das Land ob der Enns, der beide Nachbarn nicht zur Ruhe kommen ließ. Auf dem Regensburger Reichstage hat Kaiser Friedrich I. sowohl die Mark als auch die Grafschaft, also Unter- und Oberösterreich (Gebiet zwischen Enns und Ybbs), zum Herzogtum erhoben, jedoch nicht den, wie es scheint, ursprünglich geforderten Traungau, der nach wie vor bei Baiern im Besitze der steyrischen Ottokare verblieb. Das geschah auch nach dem Sturze Heinrichs des Löwen (1180) nicht, wo der letzte Traungauer nur den Titel eines Herzogs erhielt. *) S o schreibt M. Fuhrmann, Alt- u. Neues Österreich 1 (Wien 1734) S. 355: „Man nennet diß Land nicht ohne Schimpf das Landl und dessen Einwohner die Ländler"; dazu Preuenhueber, Annal. Styr. S. 21 (R. Strein).

7. Die „Mark ob der Enns" Herzogs Rudolf IV.

471

Im J a h r e 1356 hatte Karl IV. die Goldene Bulle erlassen, die das Haus Habsburg von der Kurwürde ausschloß. Das w a r der Anlaß für den jugendlichen und tatkräftigen Herzog, eine Anzahl von Urkunden zu fälschen, in deren Mittelpunkt der Große Freiheitsbrief stand; sie sollten seinem Herzogtume, das ehedem vor anderen Reichsfürstentümern bevorrechtet w a r , wieder zu neuem Glänze verhelfen, ja ihm die völlige Landeshoheit und Unabhängigkeit vom Reiche verschaffen; von seinen Inhabern hätte der älteste als „Pfalzerzherzog" allein die Herrschaft zu führen und sollte den Kurfürsten gleich gehalten werden. Doch Karl IV. durchschaute die Schliche seines Schwiegersohnes und anerkannte dessen Machwerke nicht, die im frühhumanistischen Anhauch und um das Alter und damit den Vorrang des Herzogtums Österreich zu beweisen sogar römische Freiheitsbriefe von Julius C ä s a r und Nero vorzutäuschen w a g t e n ! Wie Bischof Pilgrim von P a s s a u den erstrebten Vorrang der Lorcher Kirche schon von einem P a p s t des christlichen Altertums herleiten wollte, so griff Rudolf IV. noch weiter zurück und suchte die Anfänge seines S t a a t s w e s e n s mit heidnischen Herrschern Roms zu verbinden. Alle zwei erreichten z w a r für sich nicht den gewünschten Erfolg, doch wirkten ihre erfundenen Erzeugnisse irreführend auf ihre Nachfolger und schufen ein verzerrtes, Unheil stiftendes Geschichtsbild. In beiden Fällen spaltete sich das Land ob der Enns, dem Lauf der Donau folgend, vom W e s t e n (Baiern) ab und verschmolz mit den Geschicken des Ostens. Der Große Freiheitsbrief nennt Österreich „den Schild und das Herz des hl. Römischen Reiches" 1 ) und zeigt klar das Ziel Rudolf IV., die staatsrechtliche Stellung der „Mark ob der Enns" eindeutig festzulegen und sie aus einem losen Anhängsel zu einem festen Bestandteile seines Herzogtums zu m a c h e n : statt der Enns sollte der Salletwald (Hausruck) die Grenze seines Herzogtums im W e s t e n sein; es ist wieder der alte Kampf zwischen Österreich und Baiern. W a s dem ersten Babenberger Herzog Heinrich nicht gelang, wollte Rudolf nachholen und gab sich hiebei den Schein wohl erworbenen Rechtes. Es fällt dabei sofort auf, daß auch die Vorgänge des J a h r e s 1180 keine festen Verhältnisse geschaffen haben, da solche später weitere Schritte unnötig gemacht hätten. W ä r e wirklich der Traungau mit der zu Karantanien gehörigen *) terram Austrie, que clippeus et cor sacri Romani imperii esse Schwind-Dopsch, A u s g e w . Urk. S. 11.

dinoscitur.

472

V. Österreich und das Land ob der Enns.

Mark an der Mur Herzogtum geworden, so hätte Baiern ihn in gleicher W e i s e verloren, als im Jahre 1156 Österreich; es hat später als Grenze seines Landes z w a r die Enns, aber nicht den Salletwald anerkannt. Das spricht wieder dafür, daß Markgraf Ottokar von S t e y r im J a h r e 1180 bloß den Titel eines Herzogs erhielt, und mithin die Herzöge von Österreich als seine Nachfolger im Lande ob der Enns bloß die Rechte der Grafen des Traungaues ausübten (S. 434). Nach der Auffassung der Wittelsbacher gehörte der Traungau nach wie vor staatsrechtlich zu Baiern, w e n n auch dort die österreichischen Herzoge wie freie Fürsten schalteten; so rechnet denn auch Ludwig I. das Kloster Gleink (1220) und das Tal Windischgarsten (1225) zu Baiern und anerkennt bloß die Enns und das Tote Gebirge als Grenze (S. 443); er hält also an dem Begriffe des alten Stammesherzogtums fest und verfolgt dabei politische Absichten 1 ). Eine Beihilfe fanden solche Ziele in dem Fortleben des ehemaligen Mutterlandes im Volke. So verzeichnen die zwei ältesten Urbare der Abtei Seitenstetten, von denen das erste um 1300, das zweite über ein halbes Jahrhundert später entstand, den Besitz ihres Gründers Udiskalk von Stille und Heft am Ostabhange des Hausrucks (Ufgau) als in Baiern befindlich 2 ). Noch auffälliger ist es, w e n n die damals abgefaßten Geschichtsquellen von Kremsmünster (Bernardus Noricus) den Standort ihres Klosters im Traungau nach Baiern verlegen; sie nennen ihn ausdrücklich einen Gau dieser „ P r o v i n z " und lassen ihn im Osten von Österreich, im Süden von Steiermark, im Westen von Baiern und im Norden von Böhmen begrenzt sein 3 ); an anderer Stelle bringen sie jedoch die Nachricht, Kaiser Friedrich I. habe, als er die Markgrafschaft Österreich zu einem Herzogtum erhob, das Gebiet von der Enns bis zum P a s s a u e r Wald von Baiern abgetrennt und es zu ersterer geschlagen 4 ); sie vermeiden hier wie dort den neu aufgekommenen Amtsnamen „ob der Enns". Der Kremsmünsterer Mönch erklärt also den Traungau M. Spindler, Die Anfänge des bayer. Landesfürstentums (1937) S. 173 f. ) Stiftsarchiv Seitenstetten; Chmel, Ältestes Urbar von S. S. 12 f. 3 ) Generalis locus nostri monasferii est Wawaria, specialis Traungaeu, singularis mons super Chremsam. Itaque nostrum monasterium situm est in territorio cuiusdam alia pagi Traungaeu dicti, W a w a r i e provincie, Germanie regionis Traungaeu est pagus Wawarie, ab Oriente habens Austriam, a meridie Styriam, ab occidente Wawariam, a septemtrione Bohemiam. Mon. Germ., Script. 25, 641 f. ') ablata parte W a w a r i e provincie ab Anaso sursum usque ad silvam Pataviensem et addita provincie orientali sive Austrie. Ebendort S. 664. 2

7. Die „Mark ob der E n n s " Herzogs Rudolf IV.

473

als einen Bestandteil von Baiern, läßt ihn aber gleichwohl an dieses Land grenzen, so daß auch bei ihm eine zwiespältige Auffassung zum Vorschein kommt, zumal er ihn an anderer Stelle zu Österreich rechnet. Dazu trat noch die Gleichheit des Volkstums. So sagt ein späterer Bearbeiter der Leidensgeschichte Florians, der Blutzeuge habe sich (als er von St. Pölten nach Lorch zog) von den unteren Teilen Österreichs zu den oberen begeben, die er dem baierischen Volksstamme zuweist 1 ). Bemerkenswert ist auch, daß die Herzöge von Baiern in dem Vertrage, den sie im Jahre 1379 zu Ried mit Albrecht III. schließen, sagen: „sein land Österreich und das lannd ob der E n n s " ; sie unterscheiden daher zwischen beiden und bezeichnen zwar ersteres als ihm gehörig, aber nicht das letztere, das sie wieder als besonderes „lannd" anführen; ebenso verhält sich hier der österreichische Herzog, wenn er sagt „vnser land Österreich vnd das land ob der Ens" 2 ). Das ist um so auffälliger, als die Habsburger in ihren Urkunden sonst daran festhalten, Österreich und ob der Enns seien e i n Land. W i e wenig Baiern die Ennsgrenze preisgab, zeigt noch deutlicher der Vertrag, den es kurz vorher (1367) mit Ungarn abschloß, wo sie beide Österreich aufteilen wollten und den genannten Fluß als gemeinsame Scheidelinie festlegten 3 ). Aus all dem erhellt schon, daß Rudolf IV. sehr wohl erkennen mußte, daß die „Mark ob der Enns" ursprünglich nicht zum Herzogtum Österreich gehörte; er kann also nicht das alte Oberösterreich zwischen Enns und Ybbs (Austria superior) mit dem später hinzugekommenen Traungau (Austria supra Anasum) verwechselt haben. Das Oberösterreich, das die Habsburger zu verwalten hatten, war also ein Land geteilten Rechtes, indem das Herzogtum an der Enns aufhörte und der westlich hievon anschließende Traungau bloß sein umstrittenes Anhängsel war. Da galten also die Vorrechte, die das Herzogtum Österreich von allen anderen Reichsfürstentümern heraushob, nicht; dabei w a r das mit Oberösterreich verbundene Land ob der Enns der führende Gebietsteil, dessen Name in der amtlichen Sprache für das Ganze gebraucht wurde. W ä r e die „Mark ob der Enns", wie der Große Freiheitsbrief vorgibt, schon im *) Florianus in inferioribus partibus Austriae W a b a r i c a e passurus. P e z , Script,

ad partes superiores gentis

rer. Austriae. 1, S. 45.

2

) Urkb. d. L . ob d. Enns 9 (1906) S. 744—746.

3

) Huber, Gesch. Österreichs 2 (1885) S. 291.

474

V. Österreich und das Land ob der Enns.

Jahre 1156 ein Bestandteil des Herzogtums Österreich geworden, so hätte sich dort nicht eine fremde Gerichtsgewalt bilden können; dem stand ja der echte Freiheitsbrief (das Privilegium minus) entgegen, der den Herzog zum obersten Inhaber der Gerichtshoheit in seinem Lande erklärte 1 ). Damit stehen wir vor der viel umstrittenen Frage der Rechtsstellung der H e r r e n v o n S c h a u n b e r g , die zu beantworten deshalb nötig ist, als mit ihr die bisherige Annahme, das Land ob der Enns sei aus verschiedenen kleineren Bestandteilen zusammengefügt und erst allmählich zu einer Einheit erwachsen, steht oder fällt. W ä r e wirklich das nach seiner Hauptburg bei Eferding benannte Geschlecht seit seinem Aufkommen reichsunmittelbar gewesen, so w ä r e der Traungau kein geschlossenes Gebiet geblieben, sondern auseinandergerissen und zersplittert worden. Ihr Gerichtsbezirk reichte ja um 1250 vom Salletwalde (S. 429) bis fast an die Tore von Linz. Da wäre also das Land ob der Enns im Süden der Donau bloß auf das Gebiet zwischen der Traun und Enns beschränkt gewesen. In Wirklichkeit gehörte ihr mächtiger Besitz zwischen Hausruck und Linz ehedem ebenso zum Traungau wie später zum Lande ob der Enns, so daß ihre früheren Herren die steyrischen Ottokare und Babenberger waren, denen die Habsburger folgten. Ein Sproße der Schaunberger wird zum erstenmal in zwei Wilheringer Urkunden des Jahres 1161 erwähnt 2 ). Aus ihrer Zeugenschaft in den landesfürstlichen Urkunden geht hervor, daß sie zu dem landsässigen Adel gehörten 3 ). Ihr Aufstieg zur Reichsfreiheit w a r erst eine Folge des steten Kampfes um den Traungau zwischen Baiern und Österreich, in deren Mitte ihr Herrschaftsgebiet lag; sowohl die Wittelsbacher, als auch die Habsburger suchten sie für sich zu gewinnen. Seit dem Jahre 1316 erscheinen sie als Grafen von Schaunberg, eine Standeserhöhung, die wohl auf die zwiespältige Königswahl von 1314 zwischen Ludwig dem Baiern und Friedrich von Österreich zurückgeht 4 ); eine Urkunde von 1317 spricht von ihrer Grafschaft 5 ). Da der Sohn Albrechts I. bei Mühldorf (1322) unter*) J. Berchtold, Die Landeshoheit Oesterreichs nach den echten und unechten Freiheitsbriefen (1862) S. 156—159. 2 ) Urkb. d. L. ob d. Enns 2, S. 312, 314. 3 ) D a s erkannten schon A. Huber, Gesch. d. Herzogs Rudolf IV. v o n Oesterreich (1865) S. 58 f. u. E. K. Winter, Rudolf IV. von Österreich 1 (1934) S. 221 f., 243. 4 ) Strnadt, Peuerbach S. 378. 5 ) Urkb. d. L. ob d. Enns 5, S. 196.

7. Die „Mark ob der Enns" Herzogs Rudolf IV.

475

lag und vor ihm schon König Heinrich von Luxemburg gegen das Haus Habsburg auftrat, so w a r für die Schaunberger der Zeitpunkt gekommen, sich von Österreich immer unabhängiger zu machen; sie besaßen vom Reiche die Maut zu Aschach 1 ) und erhielten von Kaiser Ludwig dem Baiern 1331 den Blutbann, den sie jedoch „nach des landes r e c h t " auszuüben hatten 2 ). Ihre erlangten Vorrechte hat ihnen Kaiser Karl IV. im J a h r e 1355 bestätigt 3 ). Gleichwohl verblieben die Schaunberger auch dann noch bei Österreich und sind niemals zu voller Reichsunmittelbarkeit aufgerückt. Das beweist die Hausordnung, die Herzog Albrecht II. am 25. November 1355 erließ; da erscheinen in der Urkunde, in der er seine Söhne als gleichberechtigt erklärte, die Schaunberger als Zeugen unter den „lanthern" nach den Grafen von Maidburg 4 ). Solches geschah also genau zu der Zeit, als sie auf dem Höhepunkte ihrer Macht standen. Als kurz darauf (1358) Rudolf IV. zur Herrschaft gelangte, w a r es sein Bestreben, die volle Landeshoheit wieder herzustellen. Dem diente ebenfalls der Große Freiheitsbrief. W e n n dessen Rechtskraft nicht schon an der Enns, sondern erst am Salletwalde aufhörte, so w a r für eine eigene Gerichtsgewalt der Schaunberger kein Platz mehr. Und dieses Ziel haben Rudolf IV. und sein nachfolgender Bruder Albrecht III. tatsächlich erreicht. Das für sie günstige Ergebnis spricht schon dafür, daß es sich hier nicht um Jahrhunderte alte Vorrechte handelte; die beiden Habsburger haben hier nur erst kürzlich Verlorengegangenes wieder hergestellt. Das geschah zunächst in dem mit unzureichenden Gründen angefochtenen Vertrage von W e i t r a vom 16. Juni 1361, in dem die Schaunberger dem Herzog Rudolf IV. als ihrem Landesherrn die hohe Gerichtsbarkeit, die sie von geistlichen Fürsten und vom Kaiser unmittelbar zu Lehen trugen, abtreten, um sie von ihm zu empfangen 5 ); es ist nicht einzusehen, w a r u m er nach fünfzehn Jahren von Albrecht III. auf Grund einer echten Vorlage gefälscht sein sollte; da w a r e n ja doch Aussteller und Zeugen zumeist noch am Leben. In ihm findet sich bereits ein Hinweis auf den Großen Freiheitsbrief, der hier seine ersten Früchte zeitigte. Rudolf IV. hat es verstanden, in klugem Einvernehmen mit den Schaunbergern seinen Zweck zu erreichen. 2

) 3 ) 4 ) 5 )

Lohr, Donauhandel S. 233 f. Urkb. d. L. ob d. Enns 6, S. 19. Ebendort 7, S. 420. Schwind-Dopsch, Ausgew. Urk. S. 190. Ebendort S. 197—202.

476

V. Österreich und das Land ob der Enns.

Als nach seinem frühen Ableben (1365) Albrecht III. und Leopold III. ihm nachfolgten, dauerte das gute Verhältnis zunächst noch fort. Graf Ulrich von Schaunberg bekleidete in den Jahren 1369, 1370 und 1372 die Stelle eines Hauptmannes ob der Enns 1 ), ja er bezeichnet in zwei Urkunden wie der Vertrag von Weitra die Habsburger als seine „Herren". Doch kam es bald darauf (1380) zur großen Schaunberger Fehde, in deren Verlauf Albrecht III. ihre Hauptburg belagerte; am 13. Oktober 1383 erfolgte in Linz der Friedensschluß, in dem Graf Heinrich „vnsern genedigen herren herczog" versprach, die jüngst abgeschlossenen Verträge getreulich zu halten 2 ). Die Macht der Schaunberger war jetzt dauernd gebrochen, doch genossen sie bis zu ihrem Aussterben (1559) noch manche Vorrechte: sie blieben in der Reichsmatrikel eingetragen, doch als „Schaunberg im Lande a n der Enns", ja sie erhielten von dem Luxemburger Kaiser Sigismund abermals den Blutbann (1415)3). Über die spätere Rechtsstellung der Schaunberger gewährt einen lehrreichen Einblick ein Brief des Humanisten Johann Fuchsmagen an den Abt Johann Schreiner in Kremsmünster vom 29. September 1507; er schreibt darin: dem Grafen Georg zu Schaunberg gebühre kein anderer Titel als den übrigen Baronen, wobei es nichts ausmache, daß dessen Ratgeber ihn einen freien Reichsgrafen nennen; jene Freiheit vermehre nicht den Rang seiner Grafschaft; wenn schon, so sei es ein vereinzelter Fall und erhöhe nicht die Würde, sondern die Freiheit; seine Anhänger mögen tun und träumen, wie sie wollen: er gehöre zum Landadel Österreichs und sei da dem Gerichte (Landrecht) und dem Fürstenhofe (Hofgericht) unterworfen 4 ). Urkb. d. L. ob d. Enns 8, S. 421, 474, 584, 608. ) Ebendort 10, S. 209f.; dazu S. 173f. 3 ) O. Stowasser, Zwei Studien zur österr. Verfassungsgesch., Zeitschr. f. Rechtsgesch., Germ. Abt. 44 (1924) S. 140—143. Richtiger urteilt F. Kurz, Oesterreich unter K. Rudolf IV. (1821) S. 121 f., der zum Vergleiche andere Reichsgrafengeschlechter heranzieht. U. a. bemerkt schon G. A. Hoheneck, Genealogie der Stände ob der Enns 2 (1732) S. 593, daß die Schaunberger bis 1548 in der Reichsmatrikel eingetragen waren. 2

*) Domino comiti non est alius titulus dandus quam baronibus aliis nec refert quod consiliarii sui dicant eum liberum imperii comitem; nichill illa libertas addit dignitati comitatus. Si esset daret solum exemplum non augeret dignitatem sed libertatem. Attamen agant et sopirent sui quam velint. Est provincialis Austrie et ibi subditus sortitur etiam forum sicut apud vel in aula principis. R. Newald, Beiträge zur Gesch. d. Humanismus in Oberösterreich, Jahrb. d. Oberösterr. Musealvereines 81 (1926) S. 208.

7. Die „Mark ob der Enns" Herzogs Rudolf IV.

477

E s ist wieder die im Mittelalter öfter hervortretende zwiespältige Rechtslage, die nach der jeweiligen Macht der Landesfürsten s c h w a n k t ; doch sind die Schaunberger in Österreich trotz allen Freiheiten, die sie vom Reiche bekamen, stets der Landeshoheit der Habsburger unterstanden, w e n n auch der Grad ein verschiedener w a r . Dasselbe gilt für ihren Besitz in Baiern, w o sie von den Wittelsbachern abhängig blieben 1 ). Die Schaunberger gehören daher zu dem vom Reiche bevorrechteten Landadel Österreichs und Baie r n s ; eine reichsunmittelbare Grafschaft hat im Traungau niemals b e s t a n d e n ; als sie sich zu bilden drohte, wußte Rudolf IV. es rechtzeitig zu verhindern. Das Land ob der Enns ist daher nicht aus verschiedenen Splittern allmählich entstanden, sondern w a r als staatliche Einheit immer vorhanden. Seine Wiege ist der Traungau, der im Laufe der Zeit über seinen Rahmen hinauswuchs, aber immer der Kern des vergrößerten Landes geblieben ist. Dieses w e t t e r h a r t e Grundgehäuse haben nicht erst die Baiern gezimmert, sondern schon die Römer geschaffen, die in ihrem Stadtgau Wels (civitas Ovilava) ein so festes Gebilde ins Leben riefen, daß es alle Stürme der Jahrhunderte nicht zu zerreißen vermochten. Der Hausruck, die Donau, die Enns und das Tote Gebirge boten eben so natürliche Grenzen, daß die in ihnen enthaltene Einheit nie auseinander fiel, sondern immer gew a h r t blieb. Fürwahr, der Traungau w a r ein triebkräftiger Wurzelstock, wie ihn nicht viele Länder aufweisen können; auf ihm beruhte denn auch das W e s e n des Landes und dessen Eigenart, die es nicht unterdrücken ließ; es begnügte sich daher auch nicht, ein Anhängsel eines anderen Herzogtums zu bleiben, sondern wollte ein eigenes Land sein! Seine Geschichte ist nur aus ihm, seiner lebenskräftigen Herzkammer, zu erkennen und zu verstehen. W ä r e das Land ob der Enns bloß ein später entstandenes Splitterwerk gewesen, so hätte es sich mit seiner bescheidenen Rolle als umstrittene Beigabe zu einem anderen Herzogtume leichter abfinden können; in dem Kampfe um seine Selbständigkeit und einen höheren R a n g meldete sich eben die durch ein Jahrtausend g e w a h r t gebliebene Einheit des Traungaues immer aufs neue zum W o r t e ; daher ist auch später, als Kaiser Friedrich III. den Großen Freiheitsbrief reichsrechtlich anerkannte (1453), das Land ob der Enns *) Brunner, Land u. Herrschaft S. 231 f., 248 Anm. 3.

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V. Österreich und das Land ob der Enns.

nicht mit dem Herzogtume Österreich zu einer Einheit verschmolzen, sondern hat auch dann noch seine Selbständigkeit beansprucht, ja sie noch hartnäckiger verfochten. 8. Das Aufkommen des Wappens des Landes ob der Enns. Als Österreich zum Herzogtum erhoben wurde (1156), übernahm Heinrich Jasomirgott gleichzeitig den Kaiseradler (schwarzer Adler in goldenem Felde) als W a p p e n 1 ). Daneben erscheint schon früh als Heroldsbild der Bindenschild, der silberne Querbalken in Rot; ihn führen bereits nach dem Zweitältesten deutschen Wappenbuch, der Ebulo-Handschrift in der Stadtbibliothek zu Bern (1197), die beiden Ritter, die den englischen König Richard Löwenherz in Erdberg (Wien) gefangen nahmen (1192)2). Seit 1230 findet sich der Bindenschild auf den Siegeln des letzten Babenbergers Friedrich des Streitbaren und verdrängt das Adlerbild 3 ); so zeigt ihn auch nicht viel später in Farben das älteste St. Florianer Kopialbuch 4 ). Neue Verhältnisse bahnt erst Herzog Rudolf IV. an, indem er, der im Jahre 1361 sich den Titel eines Erzherzogs beilegte 5 ), ein Wappen schuf, das den von ihm vertretenen Gedanken der Staatseinheit und Unteilbarkeit ausdrücken sollte; er als ältester wollte über seine herzoglichen Brüder gleich einem Erzbischof über den Bischöfen stehen. Neben dem österreichischen Bindenschild erscheint auf einmal ein W a p p e n m i t f ü n f g o l d e n e n A d l e r n auf blauem Felde, das zum erstenmal auf einem Siegel vom 18. Juni 1359 vorkommt 6 ); es ist in einem gewissen Sinne eine Rückkehr zum alten Adlerschilde, wobei vielleicht jedes Wappentier ein Land des Gesamtherzogtums bezeichnen soll. Da die Habsburger Kärnten *) Mitis, Studien zum österr. Urkundenwesen S. 340 f. ) Propyläen-Weltgeschichte 3 (1932) S. 523; K. Lechner, Wappen u. Farben des Gaues Niederdonau in ihrer histor. Entwicklung (1942) S. 6 f. Die Wappensage, w o nach den Bindenschild damals Herzog Leopold V. auf dem Kreuzzuge erfochten hätte, zuerst in der Österr. Chronik der 95 Herrschaften. Mon. Germ., Deutsche Chroniken 6, S. 101, 216. 3 ) Siegenfeld, Landeswappen der Steiermark S. 36. 4 ) Mitis, Studien S. 142 Anm. 1. 5 ) Kürschner, Die Urkunden Rudolfs IV. S. 15 f. 6 ) K. Sava, Die Siegel der österr. Regenten (1869) S. 115 f.; Vancsa 2, S. 136 f. Schon M. Herrgott, Monumenta aug. domus Austriacae 1 (1750) S. 34 hat in den fünf Vögeln, die man vordem als Lerchen hielt, Adler erkannt und das Entstehen des Wappens in die Zeit Rudolfs IV. zurückgeführt. 2

8. Das Aufkommen des Wappens des Landes ob der Enns.

479

im Jahre 1335, Tirol jedoch erst 1363 erwarben, so fällt letzteres noch weg. So w e r d e n wohl die fünf Adler die Herzogtümer Österreich, Steiermark, Kärnten, das Land Krain und die Mark ob der E n n s versinnbildlichen 1 ), also jene Länder, die Maximilian I. als Niederösterreichische Lande (1499) oder Fürstentümer (1502) zusammenfaßte. Der Fünfadlerschild drang jedoch in dem beabsichtigten Sinne als Gesamtwappen aller österreichischen Länder 2 ) nicht durch, blieb jedoch allmählich auf dem Herzogtum Österreich haften und w u r d e das zweite Landeswappen Niederösterreichs. Daß es bloß auf das eigentliche Herzogtum beschränkt blieb, erklärt sich daraus, daß inzwischen das Land ob der Enns ein besonderes W a p p e n erhielt. Rudolf IV. hat nach dem Großen Freiheitsbriefe die „Mark ob der Enns" zu einem festen Bestandteil des Herzogtums Österreich machen wollen. Das glückte ihm jedoch nicht, ja es geschah das Gegenteil: die eigene „Mark ob der Enns" splitterte sich um so leichter vom Hauptlande ab und w u r d e aus einem Anhängsel allmählich ein selbständiges Land. Wie so oft in der Geschichte, namentlich in der quellenarmen Frühzeit, ist das W a p p e n das erste Anzeichen eines Eigenlebens. Das gilt auch für das Land ob der Enns. Dessen Wappen dürfte ebenfalls schon auf Rudolf IV. zurückgehen, der entgegen seinem ursprünglichen Vorhaben zum ersten Schrittmacher der künftigen Selbständigkeit wurde. Die Handschrift 2765 der Wiener Nationalbibliothek, die in ihrem prächtigen Buchschmucke eine glänzende Probe der habsburgischen Hofkunst darstellt, enthält ein Liturgisches Lehrbuch (Rationale divinorum officiorum) des Bischofs Wilhelm Duranti (gest. 1296 zu R o m ) ; der Hofkaplan Albrechts III., Leopold Stainreuter, der Verf a s s e r der Chronik der 95 Herrschaften, hat es für seinen Herrn in das Deutsche übersetzt und hiemit im Jahre 1384 begonnen; vollendet w u r d e es erst zwischen 1404 und 14063). Da findet sich nun auf der 42. Blattseite im Randschmucke unten in der Mitte ein Siegelbild Albrechts III., wie er zu P f e r d e reitet und den Binden1 ) Im Neuberger Vertrag (1379) heißt es: „Österreich und das land ob der Ens, Steyr, Kernden und Krain". Schwind-Dopsch, Ausgew. Urk. S. 272. 2 ) K. J. Heilig, Leopold Stainreuter, der Verfasser der sog. Österr. Chronik, Mitteil. d. Instituts 47 (1933) S. 251. Schon am 2. August 1360 erscheint der Fünfadlerschild zum letztenmal auf den Siegeln Rudolfs. Lechner, Wappen u. Farben S. 13. 3 ) Heilig, L. Stainreuter S. 266 f.

480

V. Österreich und das Land ob der Enns.

schild hält. In den anderen Rändern sind die Landeswappen in Rundbildern angebracht und darunter links unten das erste L a n d e s w a p p e i f v o n o b d e r E n n s . Da der genannte Herzog bereits am 29. August 1395 starb, so ist dieses Blatt noch vorher entstanden und ausgeschmückt worden. Wir dürfen daher das früheste Vorkommen des oberösterreichischen Landeswappens, das auch das erste Blatt ziert, um das Jahr 1390 ansetzen; es tritt uns hier bereits vollkommen ausgebildet entgegen; es ist gespalten: rechts ein goldener Adler in schwarzem Felde, links vier weiß-rote Pfähle. Die erste Kunde aus dem Wiener Hofe läßt es als wahrscheinlich erscheinen, daß Albrechts III. älterer Bruder Rudolf IV. als Schöpfer zu gelten hat. Das ist umso glaubhafter, als bereits der Neuberger Vertrag (1379) das Bestehen des oberösterreichischen Landeswappens voraussetzt, wenn er im Anschlüsse an die Länder „Österreich und das land ob der Ens, Steyr, Kernden und Krain" sagt: „Wir sein auch überain komen, daz sich unser yetwederr von allen den obgenanten landen und herscheften geschreiben und auch Wappen und banyer davon gefüren mag als vor" 1 ). Seine Vorlage war das Wappen der Herren von M a c h 1 a n d, bei dem jedoch bei aller sonstigen Gleichheit der Adler weiß und das Feld rot ist. Ein echtes Siegel der um 1160 ausgestorbenen Machländer ist zwar nicht erhalten, doch läßt die Herkunft des Wappens aus dem von ihnen gestifteten Kloster Baumgartenberg immerhin auf Glaubwürdigkeit schließen; es findet sich in Farben zweimal in dem um 1330 angelegten Urbar dieser Abtei 2 ), sowie auf einer Siegelurkunde vom 6. März 13903). Es fällt auf, daß für das Wappen des Landes ob der Enns eine Vorlage verwendet wurde, die der erst später hinzugekommenen Riedmark und nicht dem Kernlande, dem Traungau, entstammt. Eine Grafschaft Machland wird zum erstenmal urkundlich im Jahre 1290 erwähnt 4 ); ihr Gebiet gehörte schon früher zum Herzogtum Österreich als der Traungau und erscheint demnach hier als Grundstock; doch verkündet der beibehaltene Name „ob der Enns", daß nach wie vor der als Einheit verbliebene römische Stadtgau Wels die führende Stelle einnahm. Das neue Wappen ist indes Schwind-Dopsch, A u s g e w . Urk. S. 272. D a s hat schon J. Lohriinger, Oberösterreichs W e r d e g a n g (Linz 1918) S. 53 f. erkannt. 2 ) Im Landesarchive zu Linz. Abgebildet in: Heimatgaue 9 (Linz 1928) S. 276 f. und Unteres Mühlviertel 1 (Wien 1930) S. 141 f.; Urkb. d. L. ob d. Enns 2, S. 248. 3 4

) Jahrbuch des Oberösterr. Musealvereines 84 (1932) Sj. 57. ) Urkb. d. L. ob d. Enns 4, S. 120; Hasenöhrl, Südöstl. Marken S. 467 f.

9. Die Verselbständigung des Landes ob der Enns.

481

nicht nur durch die bevorzugte Rangstellung des Landes im Norden der Donau bemerkenswert, sondern noch mehr dadurch, daß in ihm seine Verbundenheit mit dem Traungau wieder sichtbar hervortritt. Die Donau verdrängt auch da die Enns, indem der eine Teil nördlich von ihr geradeso als triebkräftiger Wurzelstock sich kundgibt, als der andere (Traungau) im Süden. Vom Gebiete zwischen der Enns und Ybbs ist auf einmal nichts mehr zu spüren, doch ist von ihm sein bisheriges Zugehör nördlich des Stromes abgetrennt und wie in der Zeit der Karolinger, wo die Pfarre Naarn kirchlich zu Mistelbach zählte, abermals mit dem Traungau vereinigt. Das spätere, uns vertraut gewordene Erzherzogtum Ö s t e r r e i c h o b d e r E n n s l e u c h t e t in s e i n e m W a p p e n z u m e r s t e n m a l a l s e i n e g e s c h l o s s e n e E i n h e i t a u f ; es ist das die von Rudolf IV. hervorgezogene „Mark ob der Enns", zu der er schon das Machland (Riedmark) rechnet; sie und das ihr zugehörige Wappen erscheinen da als von einander bedingt. Das Werk Rudolfs IV., das sich hierin gegen Baiern richtete, wirkte in der Folge entgegen den Absichten des Urhebers in verkehrter Richtung: es bildete den ersten Anstoß zur nachmaligen Absplitterung des Landes vom Herzogtum Österreich 1 ). 9. Die Verselbständigung des Landes ob der Enns. Wie die fürstliche Gewalt gegenüber der königlichen stetig wuchs, stieg umgekehrt der Einfluß des A d e l s auf die Entschlüsse des Landesherrn. So treten denn schon auf dem Georgenberger Vertrag (1186) die Grafen und Dienstmannen des Landes Steyr (Traungau und Steiermark) bedeutsam hervor. Nicht viel später (1207) fand ein gemeinsamer Hoftag der österreichischen und steyrischen Ministerialen in Linz statt (S. 440). Das Reichsgesetz vom 1. Mai 1231 band die Fürsten bereits in wichtigen und neuen RechtsNäheres wird Archivrat Dr. Alfred Hoffmann (Linz) in seiner Studie über das Wappen des Landes ob der Enns bringen, die dieses und den Fünfadlerschild im Zusammenhang mit den gefälschten Freiheitsbriefen behandeln wird; nach ihm zielen auch die beiden Wappenschöpfungen Rudolfs IV. dahin, ein möglichst hohes Alter der Herrschaft Österreich v o r z u w e i s e n und ihr Entstehen auf römische Wurzel zurückzuführen; mit d e m eigenen W a p p e n d e s Landes ob der Enns sollte zugleich dessen Unabhängigkeit von Baiern und die Zugehörigkeit zu Österreich (Wappenähnlichkeit: Adler und Farben Weiß-Rot) versinnbildet werden. Seit 5. Oktober 1942 ist das frühere Landeswappen von Oberösterreich das Wappen des Reichsgaues Oberdonau. Verordnungs- u. Amtsblatt f. Oberdonau, Jahrg. 1942, S. 268. 31

482

V. Österreich und das Land ob der Enns.

fällen an die Zustimmung der „Besseren und Größeren des Landes" 1 ). Nach dem älteren Landrechte (1237) war auch bei der „Frage auf schädliche Leute" der Rat der Herren erforderlich 2 ). Das Emporblühen der Städte brachte es mit sich, daß auch diese einen Einfluß erlangten. Die Hausverträge der Jahre 1355 und 1364 erwähnen sie bereits neben dem Adel 3 ). Als Rudolf IV. (1359) eine allgemeine Getränkesteuer einheben ließ, geschah dies nach „ainem gemainem und offenn gesprech mit allen lantherren rittern und chnechten in Österreich" 4 ). Wenige Monate darauf wies er Eberhard von Walsee, den Hauptmann ob der Enns, an, die Herren und auch „die eltisten und die pesten auz den steten ob der Ens" zu befragen über die Einfahrt in die Enns 5 ). Eine Urkunde Albrechts III. (1373) hebt die „herrn ritter und knecht stett und auch die gemain der lanntschaft" hervor 6 ). Das letztere damals aufkommende Wort bezeichnet den Zusammenschluß der einzelnen Stände zu einer Gemeinschaft. Die passende Gelegenheit, wo die Vertreter der verschiedenen Gebietsteile ihre Wünsche und Forderungen vorbringen konnten, boten die L a n d t a g e . Die erste Kunde hievon bringt ein an die Stadt Enns gerichtetes Ladschreiben der Herzoge Wilhelm und Albrecht IV. vom 6. Dezember 1396, zwei Ratsmitglieder zu ihnen zu entsenden, um Mittel und Wege zu finden, die drohende Türkengefahr abzuwehren 7 ). Die Angabe „haben wir all vnser prelaten herren ritter vnd knecht vnd auch stett in allen vnsern landen her zu vns besandt" zeigt, daß es sich um einen Generallandtag handelt; sie läßt zudem erkennen, daß in jedem Lande das Ständewesen voll ausgebildet war, indem neben den Herren, Rittern und Städten nunmehr auch die Prälaten aufscheinen. Wie in Böhmen und Baiern hat sich auch in Österreich das Landtagswesen nicht erst im fünfzehnten, sondern schon im vierzehnten Jahrhundert ausgebildet. Der unglückliche Ausgang der Schlacht von Nikopolis (1396) hat zum erstenmal die österreichischen Länder einander näher gebracht; unter Maximilian I. verbindet die gleiche Gefahr sie wieder zu einer losen Gemeinschaft.

2

) 8 ) 4 ) 5 ) fi ) 7 )

Mon. Germ., Constituí. 2, S. 420. Sehwind-Dopsch, A u s g e w . Urk. S. 58 f. Ebendort S. 190, 235. Ebendort S. 195. Orig. Landesarchiv Linz, Ennser Urkunden. Urkb. d. L. ob d. Enns 8, S. 632. Zibermayr, Landesarchiv Linz S. 47 u. Tafel 8.

483

9. Die Verselbständigung des Landes ob der Enns.

Das erwähnte Ladschreiben, in Österreich das älteste Zeugnis solcher Art, zeigt die Landtage bereits in ihrer letzten Stufe, als gemeinsame Tagung der habsburgischen Länder. Ihr Grundstock war das Herzogtum Österreich, dessen Name nicht nur auf das es leitende Fürstengeschlecht der Habsburger, sondern auch auf den Umkreis der von ihnen hiezu erworbenen Länder überging; so entstand der Titel „Haus Österreich", der zunächst die Herrscherfamilie (Wiener Hofburg) nach ihrem Kernlande bezeichnete, bald jedoch die Gesamtheit ihres Machtbereiches als Einheit zusammenfaßte 1 ); er findet sich bereits in einem Schreiben der Stadt Enns an Herzog Leopold IV. vom 5. Oktober 1409, worin ihn die Bürger bitten, sie nicht an Baiern gelangen zu lassen, sondern beim „Haus Österreich" verbleiben zu dürfen 2 ). Wenn auch das Herzogtum Österreich in zwei Teile zerfiel, die getrennt verwaltet wurden, tagten doch die Stände gemeinsam: wie im Titel des Landesfürsten erschien es auch auf den Landtagen als Einheit. Die Erbansprüche der Habsburger und die mit ihnen verbundenen Streitigkeiten und Teilungen erhöhten in zunehmendem Maße die Macht der Stände. Im Bundbrief vom 6. August 1406 vereinigten sich die vier „Partien" (Parteien) des „Fürstentumes Österreich und des Landes ob der Enns" im Kampfe um die Vormundschaft für ihren jungen Landesherrn Albrecht V. (II.) 3 ); der Streit war nach dem Ableben des Herzogs Wilhelm zwischen seinen Brüdern Leopold, Ernst (Steiermark) und Friedrich (Tirol) entstanden. Inmitten der Wirrnisse des Jahres 1408, von denen der Zwettler Chronist in beweglichen Worten berichtet und wobei er den Hauptmann ob der Enns Reinprecht von Walsee als Hort der bedrängten Klöster und Städte rühmt 4 ), berief dieser von Linz aus am 20. Juli, wie wir aus seinem Schreiben an den Bürgermeister, Richter und Rat von Freistadt wissen, die Prälaten und Vertreter der Städte ob der Enns nach Enns, um dort mit ihnen zu beraten, „was vnserm jungen hern (Albrecht) lannden vnd lewten nu das nucz ist vnd pesst ze tun sey" 5 ). Es gilt das als das erste Beispiel 0 . Redlich,

Gesch.

Österreichs 6 (1921) S. 4.

2

) E . M. L i c h n o w s k y ,

3

) Schwind-Dopsch, Ausgew. Urk. S. 3 0 0 f . ; Vancsa 2, S. 2 1 8 f .

4

) Mon.

5

) F . Wirmsberger,

Gesch. d. Hauses Habsburg 8 (1844)

S. D X I Nr. 1113 b.

Germ., Script. 9, S. 697 f. Regesten aus dem Archiv von Freistadt, Archiv f. Kunde

österr. Gescbichtsqu. 31 (1864) S. 299;

Diplomatar im Landesarchiv

zu Linz. 31*

484

V. Österreich und das Land ob der Enns.

eines Teillandtages im eigentlichen Lande ob der Enns 1 ); doch leitete damals noch, wie der Zwettler Chronist sagt, Reinprecht von Walsee die ganze Provinz bis an die Ybbs. Die Vorgänge des Jahres 1408 waren ein Vorspiel der künftigen Abspaltung, zumal bald darauf, am 7. Oktober, in Enns ein Übereinkommen zwischen den streitenden Brüdern Leopold und Ernst zustande kam, das ersterem vor dem endgültigen Schiedspruch ein Verfügungsrecht über das Land ob der Enns absprach 2 ). Ja, wir wissen aus dem Bruchstücke einer Urkunde, daß Reinprecht von Walsee und die Landherren in Österreich ob der Enns mit Herzog Ernst ein förmliches Bündnis schlössen 3 ). Doch ist dabei noch immer das Gebiet zwischen der Enns und Ybbs einzuschließen. Das zeigen die Beschwerden der Städte ob der Enns (1415), in denen als Ladstätten Wallsee, Ardagger und Neuheim am Dürnfeld 4 ) genannt werden; ja es wird hiebei über den Mautner zu Ybbs Klage geführt, er hebe gegen Recht die ganze Gebühr wie von einem Fremden ein 6 ). Wenn noch vorher (1410) die Herzoge Leopold und Ernst Reinprecht von Walsee beauftragen, vorzusorgen, daß zwischen Sindelburg und Ebelsberg keine Handelsniederlagen errichtet werden, sondern die Waren nach Enns zu verbringen seien 8 ), so erhellt aus dieser Vollmacht dasselbe: das Gebiet beiderseits der Enns war damals noch ein zusammengehöriger Bezirk, der dem Hauptmanne ob der Enns unterstand. Beim Ableben Reinprechts von Walsee (1422) rühmt die Kleine Klosterneuburger Chronik die Treue, mit der er seinen Herzog Albrecht gegen dessen Vettern Leopold, Ernst und Friedrich unterstützte. Die gleiche Quelle bringt kurz vorher folgende Nachricht: „in demselben jar (1416) ließ herczog Albrecht schlagen ein neue müncz und ließ darauf präckhen den schilt landes ob der Ens und nit Oesterreich . . . . aber es gieng großer Unwillen daraus, darumb x

) Vancsa 2, S. 275 f.

2

) vntz auf den benanten ausspruch mit den preläten herrn ritter vnd knechten steten landen vnd l ä w t e n ob der Enns noch mit irem leib vnd gut nichtz ze schaffen haben in dhainen w e g . A. Rauch, Script, rerum Austriac. 3 (1794) S. 489; Vancsa 2, S. 239 f. 3 ) R. Strein, Annales historici, Landesarchiv Linz, Schlüsselberger Archiv Hs. 8, S. 452; dazu Zibermayr, Landesarchiv Linz S. 105 Anm. 17; Vancsa 2, S. 229 f. 4 ) Oberhalb Enghagen. Schiffmann, Ortsnamen-Lexikon 1, S. 226. 5

) Wirmsberger, Reg. v. Freistadt S. 307 f.;

6

) F. Kurz, Oesterreichs Handel in älteren Zeiten (1822) S. 87.

Vancsa 2, S. 256 f.

9. Die Verselbständigung des Landes ob der Enns.

485

das er das nicht nach einer ganczen landtschaft gethan het" 1 ). Wir gehen kaum fehl, den Einfluß des Walseers, welcher der erste Ratgeber seines Herrn war, auch hier zu vermuten 2 ). Unter Herzog Ernst (1418) erscheint das neue Landeswappen zum erstenmal auf seinem Siegel; damit w a r es hier wie dort landesfürstlich anerkannt. Dasselbe ist bei Albrecht V. (1420) der Fall, wo es gleich nach dem seit 1408 wieder aufkommenden Fünfadlerwappen folgt 3 ). Das allmähliche Selbständigwerden der Landschaft ob der Enns zeigt sich auch im Urkundenwesen; jetzt auf einmal setzt das ständische Archiv ein, dessen ältestes Stück dem Jahre 1421 zugehört; es ist ein Schadlosbrief Albrechts Y. und richtet sich an die Grafen, Herren, Ritter und Knechte des „lanndes ze Österreich und ob der Enns"; er legt eine einmalige Steuer auf die Weingärten, um die Hussiten in Böhmen und Mähren zu bekämpfen; Urstücke hievon bekamen beide Teile, ja in Wien finden sich noch drei Urschriften vor 4 ). Derselbe Herzog w a r der erste Habsburger, der als Deutscher König Österreich, Böhmen und Ungarn vereinigte und die spätere Großmacht anbahnte; er verwirklichte damit ein Ziel, auf das schon Rudolf von Habsburg, Albrecht I. und Rudolf IV. hinarbeiteten; doch starb er, der tüchtige Herrscher, viel zu früh am 27. Oktober 1439 und hinterließ ein nachgeborenes Kind Ladislaus, für das der älteste Sohn des Herzogs Ernst, Friedrich V. (III.) die Vormundschaft übernahm. Es begannen nun nicht nur in Österreich, sondern auch in Böhmen und Ungarn Kämpfe um die Nachfolge, aus denen letzten Endes der zähe und langlebige Kaiser Friedrich als Sieger hervorging. Auf dem Welser Landtage vom 9. Jänner 1452 — er war die erste Vollversammlung der Stände im Lande ob der Enns 5 ) — als der Aufruhr gegen ihn, der eben zum Kaiser gewählt war, *) H. J. Zeibig, Die kleine Klosterneuburger Chronik, Archiv f. Kunde österr. Geschichtsquellen 7 (1851) S. 243, 246; A. Luschin, D a s Münzwesen in Österreich ob u. unter der Enns, Jahrb. f. Landeskunde v. Niederösterr. 13 u. 14 (1915) S. 271 f., w o die neue Münze abgebildet ist; ebenso in: Die österr.-ungar. Monarchie in Wort u. Bild, Oberösterreich u. Salzburg (1889) S. 86. Der entstandene „Unwille" bezieht sich nicht auf das Wappen, sondern die Münze. 2 ) So schon Vancsa 2, S. 255. 3 ) Sava, Siegel d. österr. Reg. S. 132, 135; Lohninger, Oberösterreichs W e r d e gang S. 74 f. 4 ) Zibermayr, Landesarchiv Linz S. 52. 5 ) A. Nicoladoni, Zur Verfassungs- und Verwaltungsgesch. d. österr. Herzogtümer, 61. Jahresber. d. Linzer Museums (1903) S. 205, 213, 215.

486

V. Österreich und das Land ob der Enns.

ausbrach, schlössen diese mit denen von Niederösterreich einen Bund und wahrten ihre alten Vorrechte 1 ). Zu den Wirrnissen der Zeit kam noch der Familienstreit zwischen ihm und seinem Bruder Albrecht VI. und Vetter Siegmund von Tirol um das Erbe des jungen Königs Ladislaus (gest. am 20. November 1457), in dessen Verlauf Böhmen und Ungarn sich wieder losrissen. Ja, es trat — es w a r das erste- aber auch letztemal — der Fall ein, daß das dem Herrscherhause den Namen gebende Kernland, das, obgleich es in der Verwaltung in zwei Teile zerfiel, doch immer eine Einheit bildete, auseinander gerissen wurde: Friedrich behielt auf Vorschlag der Stände das „lannd Oesterreich niderthalb der Enns", Albrecht VI. hingegen gewann am 27. Juni, bzw. 21. August 1458 das „lannd ob der Enns" 2 ). Das letztere — es erscheint schon seit 1446 auch als „ f ü r s t e n t h u m b Österreich ob der Enns" 3 ) — bekam jetzt einen eigenen Landesfürsten, der seinen Hof in Linz (Schloß) aufschlug 4 ); er, der stets geldbedürftige Herrscher, ernannte für sich einen Kanzler (Georg von Stein) 5 ), einen Münz- 6 ) und Hubmeister 7 ); damit w a r bis zu seinem Tode (2. Dezember 1463) das Land ob der Enns ein selbständiges Glied des Hauses Österreich. Das zeigt sich auch in seinen herzoglichen Siegeln: während früher das Landeswappen bloß auf den großen Siegelbildern aufscheint, findet es sich bei ihm jetzt auch auf kleinen 8 ). Da erhebt sich nun die Frage, was ist unter dem Lande ob der Enns Albrechts VI. zu verstehen? Ist dabei bereits der genannte Fluß als Grenze zu rechnen? Nach dem Wortlaute wird das auch allgemein angenommen, aber es trifft nicht zu; es ist auch hier wieder die Ybbs als Scheidelinie zu betrachten, die noch damals beide Teile Österreichs schied; gerade in dieser Zeit, wo sie fest geF . Kurz, Oesterreich unter Kaiser Friedrich

dem Vierten 1 (1812) S. 267 f.;

J . Chmel, Materialien zur österr. Gesch. 1 (1837) S. 368—370. 2)

Ebendort 2 (1838) S. 155;

3)

Chmel, Materialien 1, S. 222.

F . Kurz, K. Friedrich IV., 1, S. 283—287.

4)

J . Chmel in: Fontes rerum Austriac.

2. Abt. 2 (1850) S. 106 f.

Der Huldi-

gungseid der Freistädter bei Wirmsberger, Regesten S. 338. 5) Lichnowsky, Gesch. d. H. Habsburg 7 (1843) S. C C L X X V I I I Nr. 34, w a r schon früher sein Kanzler in den Vorlanden, wie ein Kanzleiregister beweist. 6)

Stein

(1454—55)

Inventare des General-Landesarchivs zu Karlsruhe 1 (1901) S. 221 Nr. 348.

Chmel,

Materialien 2, S. 159!.,

170,

180f.;

dazu

J . Kolb,

Die Münzen

Erzh. Österreich ob d. Enns, 40. Bericht d. Linzer Museums (1882) S. 9—20. 7)

W i r m s b e r g e r , Reg. v. Freistadt S. 338 f.

8)

S a v a , Siegel S. 151; Lohninger, Oberösterreichs W e r d e g a n g S. 74.

des

9. Die Verselbständigung des Landes ob der Enns.

487

trennt waren, zeigt sich deutlich, daß der Name des Landes, w o der Herzog seinen Sitz hatte, als Teil für das Ganze gilt. Österreich ob der Enns bedeutete im späteren Mittelalter, anders wie in der Neuzeit, das Amtsgebiet zwischen dem Hausruck und der Ybbs und von der Großen Mühl, b z w . Ranna bis zur Isper; man darf sich also dabei von dem Wortlaute nicht irreführen lassen und muß den Ausdruck nur nach dem damals verstandenen Sinne werten, der von dem Amtssitze ausging. Die Enns hat dabei bloß als alte Staatsgrenze des Herzogtumes Österreich zu gelten, da das Gebiet w e s t lich von ihr zunächst bloß sein Anhängsel w a r , das dann — und das v e r w i r r t den Sinn — freilich Hauptteil w u r d e ; ja dieser zog noch, wie sein W a p p e n zeigt, die Riedmark (Machland) an sich, so daß d a s alte Oberösterreich (zwischen Enns und Ybbs) wenn auch nicht staatsrechtlich aber doch verwaltungsmäßig zu seinem Zugehör herabsank. Die v e r w o r r e n e Rechtsstellung des Landes ob der Enns und sein nicht ganz geklärtes Verhältnis zu Österreich, ja auch zu Baiern bildet die geheimnisvolle Tragik der Geschichte des T r a u n g a u e s ; gerade an ihm rächte sich die halbe Lösung, die die Jahre 1156 und 1180 brachten. Die drei karolingischen Grafschaften, die in dem Zahlennamen erhalten blieben, als sie tatsächlich nicht mehr bestanden, sind ein sprechender Beweis für ihre innere Zusammengehörigkeit; aber auch da zeigt sich schon die Zwiespältigkeit: sie unterstanden dem P r ä f e k t e n der Ostmark (Pannonien), gehörten aber staatsrechtlich zu Baiern. Das vermochten die nachfolgenden Herzoge von Österreich z w a r für ihre frühere Markgrafschaft, aber nicht für den später hinzugekommenen Traungau zu ändern, den die Ungarnkriege von seinem Zusammenhange mit dem norischen Unterlande gelöst h a t t e n ; so blieb er denn nach dem Aussterben seines Herrschergeschlechtes in der Folge ein unverstandenes Reststück, das Gegenstand des ständigen Kampfes sowohl im Innern (Österreich) als nach Außen (Baiern) w a r . Jetzt, unter Albrecht VI., w a r nicht nur das eigentliche Land ob der Enns vom Herzogtum getrennt, sondern auch noch die Urzelle, die Grafschaft (Lorcher Gau), von w o die Mark e r w u c h s und e r s t a r k t e ! Sein Land ob der Enns hatte noch im ganzen den Umfang, den es im Jahre 1240 bekam, als der landesfürstliche Schreiber in Enns sein Amt a n t r a t ; den Verlust des Gebietsstreifens südlich der Moldau an Böhmen unter König Ottokar 1 ) — das damals (1259) gegründete Kloster Hohenfurth w a r noch von Wilhering aus besiedelt Hirsch, Böhmisch-österr.-deutsche Grenze (oben S. 423 Anm. 1) S. 19.

488

V. Österreich und das Land ob der Enns.

worden — ersetzte bald nachher der Gewinn der Herrschaft Falkenstein, des Gebietes von der Ranna bis zur Großen Mühl, das König Albrecht I. eroberte (1289) 1 ); es war das ein Teil des zur Passauer Kirche gehörigen Ilzgaues, des Landes der Abtei (Niedernburg), für den jetzt der Name Mühelland auftritt. Doch blieb in der Folge auch da die Landeshoheit noch umstritten; so spricht eine Urkunde des Jahres 1382 von der „vest Sprinczenstain (bei Rohrbach) mit allem Zugehör, es lig in dem Mühellant oder in Osterreich oder in B e y r n " 2 ) ; sie rechnet also das Mühelland weder zu dem einen noch zu dem andern Herzogtum, sondern beläßt es stillschweigend bei dem früheren Inhaber: Österreich übte dort, wie andere Urkunden beweisen, zwar Herrscherrechte aus, aber gleichwohl gab die P a s sauer Kirche ihre alten Anrechte nicht auf. Wichtiger ist, daß das ursprüngliche Oberösterreich damals noch mit dem wirklichen Lande ob der Enns verbunden war. Das ist aus den ersten Urkunden, die Albrecht VI. als eigener Landesfürst ausstellte, zu ersehen: er bestätigt (1459) die Handelsvorteile der Ladstätte zu Enghagen, womit das Verbot einer solchen zwischen Ebelsberg und S i n d e l b u r g eingeschlossen war (S. 484), und erneuert die Rechte der Stadt Passau an den Mauten zu Linz und Y b b s ; bald darauf (1460) schlichtet er einen Handelsstreit zwischen den Städten S t e y r und W a i d h o f e n und überläßt am 13. Oktober 1461, als der Bruderkrieg abermals entbrannte, seinem Hofmeister und Hauptmanne ob der Enns Wolfgang von Walsee das Ungelt zu Y b b s 3 ). Der Machtbereich Albrechts VI. erstreckte sich mithin nicht nur auf den alten Traungau und die mit ihm schon fest verbundene Riedmark (bis zur Isper S. 492), sondern er umfaßte auch noch das Gebiet zwischen der Enns und Ybbs. W i e vordem bedeutet auch jetzt noch der Name „Land ob der Enns" nicht nur dieses im engeren Sinne, sondern schließt manchmal auch noch sein amtsmäßiges Zugehör zwischen Enns und Ybbs ein (S. 461 f.). Um die Zeit, als Albrecht VI. die Einheit Österreichs zerbrach, findet sich eine Quellenangabe, die deutlich beweist, daß der Ybbsfluß die Scheidelinie zwischen dem Lande ob und unter der Enns bildete: das Spielgrafenamt (Zeche der Spielleute) des letzteren Strnadt, Das Land im Norden der Donau S. 211—216. 2)

Urkb. d. L . ob d. Enns 10, S. 106.

") Pritz, Gesch. d. L. ob d. Enns 2, S. 136; burg 7, S. C C C X X I X

Nr. 605;

Lichnowsky, Gesch. d. H. Habs-

Diplomatar im Landesarchive

zu Linz.

9. Die Verselbständigung des Landes ob der Enns.

489

reichte im Westen „vonn Waidhoffen gen Amstetten, vonn Amstetten gen Ibs" und fand da sein Ende 1 ). Umgekehrt hatte damals kirchlich der Dekanat Lorch, wie eine gleichzeitige Passauer Matrikel zeigt, an der Ybbs seine östliche Grenze. Zu ihm zählten dort die Pfarren Göstling, Hollenstein, Opponitz, Ybbsitz, Waidhofen, Amstetten, St. Georgen am Ybbsfelde, Neustadtl, Allhartsberg, Windhag, Neuhofen und Euratsfeld, wobei die vier letzteren schon östlich von ihr liegen, während die am linken Ufer befindliche Stadtpfarre Ybbs noch zu Mautern gehörte. Der Dekanat Gallneukirchen (früher Naarn) im Norden der Donau erstreckte sich mit Grein, Struden und Waldhausen bis an die Isper, fand jedoch im Westen an der Großen Mühl sein Ende, so daß das obere Mühelland auch dann noch beim Archidiakonat Passau verblieb, als es Albrecht I. erobert hatte; ja das ursprünglich zum Lorcher Sprengel gehörige Altenfelden (S. 452) zählte jetzt dorthin. Zwischen den Dekanaten Lorch und Gallneukirchen bildete nunmehr die Donau einen festen Abschluß, so daß Steyregg zu letzterem, Tauersheim (Sankt P e t e r bei Linz) hingegen zu ersterem gerechnet wird 2 ). An der Ybbs jedoch überschneiden sich die beiden dort aneinander grenzenden Dekanate, so daß es aussieht, sie wäre erst später, als die ersten Pfarren bereits errichtet waren, Scheidelinie geworden. Das spricht dafür, daß das erst Friedrich II. der Streitbare getan hat, als er den Traungau mit dem Herzogtum Österreich verband. Schon die gleichnamige Markgrafschaft zerfiel in zwei Teile: Grafschaft und Mark (comitatus et marchia); beide zusammen erhob Kaiser Friedrich I. zum Herzogtum (1156) und drückte das sinnbildlich dadurch aus, daß er dem ersten Herzog Heinrich Jasomirgott zwei Fahnen überreichte. Österreich wies demnach schon zwei Teile auf, bevor ihm Friedrich der Streitbare den Traungau angliederte; es bestand aus dem oberen (Grafschaft) und dem unteren Teil (Mark), wie sich noch das Lehenbuch Albrechts III. (1380—1394) ausdrückt 3 ). Als der Traungau hinzu kam (1240), gliederte sich das Herzogtum Österreich nach wie vor verfassungsmäßig in zwei Teile, wenn es auch in Wirklichkeit drei umfaßte, da der obere aus zwei ganz verschiedenen, durch die Enns getrennte Hälften zusammengesetzt w a r ; ja die westliche w a r reichsrechtlich -1) K. Schalk, Urk. Beiträge zur Gesch. d. Spielgrafenamts

in Niederösterr. im

15. Jahrh., Blätter d. Ver. f. Landeskunde v. Niederösterr. N. F . 14 (1880) S. 313. 2)

Schmieder, Matricula episcop. P a s s a v . S. 20, 23, 25, 39 f., 47 f., 57.

3)

ad inferiorem partem Austrie.

Urkb. d. L . ob d. Enns 10, S. 795.

490

V. Österreich und das Land ob der Enns.

nicht mit ihm verbunden, sondern ihm bloß aus landesfürstlicher Gewalt angehängt: Osterreich (unteres und oberes) u n d ob der Enns! Doch verschmolzen das alte und neue Oberösterreich immer mehr, wie die gegenseitige Annahme des Landesnamens zeigt, so daß, als das Jahr 1458 das alte Herzogtum für kurze Zeit auseinander riß, Traungau und Riedmark mit dem Gebiet zwischen der Enns und Ybbs als Anteil Albrechts VI. vereinigt blieben. W i e das Herzogtum Österreich zweigeteilt war, so trat dasselbe bei Oberösterreich ein, als es den Traungau hinzu bekam. Das ersehen wir aus dem im Kremser Landtage des Jahres 1449 beschlossenen Heeresaufgebot, das nach alter Gepflogenheit folgendermaßen aufzubringen w a r : „albeg den zehenten in dem land zu Osterreich niderhalb der Ybs, von der Ybs vntz an die Enns den fünf zehenten und im land ob der Enns den zwantzigisten man" 1 ). Das Gebiet ostwärts der Ybbs war also einheitlich, das westlich von ihr gelegene jedoch in zwei Abschnitte zerlegt, welche die Enns trennte. Der Bezirk zwischen dieser und der Ybbs wird hier eigens erwähnt, doch weder zu dem einen noch zu dem anderen Land gerechnet; er zählte eben staatsrechtlich zu ersterem, wurde jedoch von letzterem verwaltet; darin zeigt sich seine zwiespältige Zugehörigkeit. In demselben Sinne spricht Kaiser Friedrich III. in dem schon erwähnten Schreiben (1467) an die Feldhauptleute im Machlande von seinen Leuten „ob der Enns und Ybs gesessn und wonhafftn" (S. 447); man sieht daraus, daß sowohl der eine wie der andere Fluß eine Grenzlinie war, wenn auch der zweite als innere meist nicht genannt wird und hier zum letztenmal als solche erscheint. Neben den alten, geschichtlich gewordenen Landesgrenzen der Enns und Ybbs tritt jedoch, als der Nordwald besiedelt war, schon früh die Donau als innere Scheidelinie auf. So setzte König Ottokar von Böhmen in Österreich „vier lantrihtaer, zwen enhalb Tunowe, zwen dishalb" ein 2 ). Darin ist bereits die Einteilung nach Vierteln vorgebildet, wie sie mit den Hussitenkriegen deutlich offenbar wird. Herzog Albrecht V. bestellte in „allen Riviern des Lands sunder Hauptleut" (1422) 3 ), um die drohende Gefahr abzuwehren. In einer Bittschrift des Jahres 1458 sagen die vier Stände Österreichs: „in *) A. F . Kollar, Analecta monumentorum Vindobonensia 2 (1762) S. 1371. 2)

Mon. Germ.,

3)

P a c h m a y r , Series abbatum Cremifan. S. 224.

Constitutiones 2,

S. 607.

9. Die Verselbständigung d e s Landes ob der Enns.

491

yedes virtail mit vir briefen, in das lannd ob der Enns in die zway tail in yedes mit vir briefen" 1 )- Wie diese acht Urkunden zu verteilen waren, läßt sich aus einer Kriegsordnung des Jahres 1431 schließen, in der es heißt: „acht haubtleut in dem landt ob der Enns, vier hie dishalb Donau und vier enhalb Donau" 2 ). Das Land ob der Enns bekam demnach acht, das unter der Enns jedoch sechzehn Briefe, also zweimal acht. Dieses Verhältnis 1 : 2 , in dem das Land ob der Enns als ein Drittel des ganzen Herzogtums Österreich gilt, tritt uns auch bei der mit dem Heer- und Aufgebotswesen enge zusammenhängenden Aufteilung der Abgaben und Steuern wiederholt entgegen. Als Kaiser Friedrich im Jahre 1478 an den eingedrungenen König Matthias Hunyadi (Corvinus) von Ungarn „den Anschlag in die 100000 fl." zu erlegen hatte, teilte er ihn so auf, daß Oberösterreich 32.000 fl. beitragen mußte; er begründete das damit, „das Land ob der Ennß sey allweg für den dritten Theil des Fürstenthums Österreich, in den Theilungen und sonsten, gehalten worden" 3 ). Kurz nachher heißt es in dem gleichen Aufgebot, es hätten die „lanndtleut desselben furstentumb Österreich under der Enns zwen tail, und die lanndtleut ob der Enns den dritten tail" aufzubringen 4 ). Dabei ist hier wie dort die Enns als Scheidelinie anzunehmen. Für das Ständewesen bildete diese wohl schon seit der Abspaltung der Vertreter des eigentlichen Landes ob der Enns einen festen Abschluß, so daß jene des Bezirkes zwischen der Enns und Ybbs ständig die niederösterreichischen Landtage besuchten. In deren Namen war der Abt von Seitenstetten auf dem Linzer Landtage des Jahres 1473 zugegen 5 ). Der ihm erteilte Auftrag ist das einzige Zeugnis, das bisher hiefür bekannt ist. Zum erstenmal tritt uns das Land ob der Enns klar in der neuen, uns geläufig gewordenen Gestalt in der Vierteleinteilung des Jahres 1478 entgegen, wo von dem „viertail am Hausrugk zwischen der Tunaw und Trawn", „dem viertail zwischen der Trawn und Enns", „dem viertail im Muhellanndt" und „dem Machlanndt" die Rede ist; Chmel, Materialien 2, S. 154. ) F. Stöller, Österreich im Kriege gegen die Hussiten (1420—1436), Jahrb. f. Landeskunde v. Niederösterr. N. F. 22 (1929) S. 85. 3 ) Preuenhueber, Annal. Styr. S. 131. 4 ) J. Chmel, Mon. Habsburg. 1/3 (1858) S. 402. 5 ) Wirmsberger, Reg. von Freistadt S. 363 f. 2

492

V. Österreich und das L a n d ob der Enns.

jedem von ihnen hatten zwei Hauptleute vorzustehen 1 ). Auffällig ist hier, daß der vorausgegangene Linzer Landtag, der das verfügte, zwar das Machland zum Lande ob der Enns rechnet, jedoch nicht das Gebiet zwischen der Enns und Ybbs, aus dem doch die Riedmark erwachsen ist. Das tut schon, ohne den Namen des Herzogtums zu nennen, eine Urkunde des Königs Ladislaus vom 19. November 1455, wenn sie von der „lehenschaft niderhalb der Enns und niderhalb der Isper, enhalb und dishalb der Tunaw" spricht 2 ). W i r sehen in beiden Fällen das alte Oberösterreich bereits auseinandergerissen, indem seine nördliche Hälfte zwar zum Lande ob der Enns gezählt wird, jedoch nicht mehr ihr Ursprungsgebiet südlich der Donau, der Lorcher Gau. Der alte Traungau erscheint in der Vierteleinteilung des Jahres 1478 deutlich in zwei, durch den genannten Fluß getrennte Abschnitte zerlegt, wovon der obere dem ehemaligen Ufgau, das Viertel zwischen ihr und der Enns dem unteren 3 ) entspricht, ein Beweis, wie ständig da die ursprünglichen Grenzen erhalten blieben. Die Scheidelinie zwischen dem Mühelund dem Machlande (dem späteren Schwarzviertel) wird wohl damals noch wie ehedem der Haselgraben gebildet haben, zumal das Gebiet westlich von ihm seinem Entstehen nach als traungauisch (ottokarisch), das östliche hingegen als babenbergisch anzusprechen ist. So erinnert denn die verbliebene Zugehörigkeit des Machlandes (Riedmark) zum Lande ob der Enns noch an das vormalige Verbundensein des Traungaues mit dem ursprünglichen Oberösterreich. Die Kämpfe Friedrichs III. mit den Böhmen und Ungarn wurden für Österreich immer verhängnisvoller; die ersteren plünderten mehrmals das Land im Norden der Donau, die letzteren drangen bis an die Enns vor (1481) und errichteten dort bald hernach Schanzen, die sie nach ihrem Anführer Tettauer benannten; von hier plünderten sie die Umgebung bis zum Ableben ihres Königs, der zu Wien, wohin er seinen Hof verlegte, am 6. April 1490 starb 4 ). Der Chmel, Mon. Habsburg. 1/2 (1855) S. 689.

Im J a h r e 1467 heißen die Anführer

des Mühl- und Machlandviertels Hauptleute „enhalb der T u n a w ob der E n n s " . Chmel, R e g e s t a Frid. S. 496 f. Nr. 4876 f., 4890. 2

) Orig. Landesarchiv

Schaunberg,

Linz;

Denkschriften

der

J . Stülz, Akademie

Zur der

Gesch.

d. Herren

u.

Grafen

von

in W i e n 12

(1862)

Schiffmann, Oberösterr.

Stifts-

Wissenschaften

S. 331 Nr. 981. 3

) in inferiori Traungae.

Mondseer Urbar 1416.

urbare 1, S. 259. 4

) Preuenhueber, Annal. S t y r . S. 132f., 1 3 6 f . ; Kurz, K. Friedrich IV. 2, S. 1 7 8 f .

9. Die Verselbständigung des Landes ob der

Enns.

493

Kaiser war in diesen unheilvollen Tagen in das Reich geflüchtet, verbrachte jedoch seine letzten Jahre (1489—1493) im Schlosse zu Linz, wo er noch den Siegeszug seines Sohnes Maximilian nach Niederösterreich erlebte. Auf diese Weise war die Enns wieder eine feste Grenze geworden, so daß das Gebiet zwischen ihr und der Ybbs sich noch mehr von dem Lande oberhalb der Enns absonderte und sein Geschick wieder mit dem unteren Österreich verband; und so ist es in der Hauptsache in der Folgezeit geblieben. Am 15. November 1492 entschied der Kaiser auf die Beschwerde des Abtes von Garsten, dessen Leute „enhalb der Enns im Weyer, zu Kaflenntz vnd dasselbs umb, auch herdishalb der Enns gesessen", nicht nur vom Lande ob der Enns, sondern auch von Niederösterreich besteuert wurden, daß sie künftig wie ehedem bloß an ersteres ihre Anschläge abzuführen hätten 1 ). Der genannte Fluß war, als die Ungarn dort Schanzen errichteten, Steuergrenze geworden, so daß die Bewohner ostwärts von ihm nach Wien abgabepflichtig wurden. Das galt vorübergehend auch für den dort gelegenen Gaflenzer B e zirk (provincia Gavelenz), der jedoch seiner Herkunft nach nicht babenbergisch, sondern ottokarisch war 2 ). Das wird der Grund gewesen sein, daß ihn trotz seiner Lage im Osten der Enns der Kaiser nach wie vor beim Lande der Traungauer beließ. Kurz vorher, am 10. März 1490, nennt er Linz, als er der Stadt die Wahl eines Bürgermeisters und Richters erlaubte, „ain haubtstat vnnsers furstentumbs Österreich ob der Enns" 3 ) und erläßt für dieses kurz darauf eine verbesserte Gerichtsordnung 4 ). Friedrich III. erlebte dort noch den gewaltigen Aufstieg seines Hauses: sein Sohn Maximilian hatte durch Heirat das reiche Burgund erworben, war römischer König geworden und vereinigte alle habsburgischen Länder wieder in einer Hand. Fürwahr, Österreich schickte sich an, die Weltherrschaft anzutreten: A. E. I. 0 . U. Dieser Wahlspruch entstand jedoch nicht erst damals, sondern ihn gebraucht er schon als jugendlicher Landesfürst seit 1435, als er das steierische Erbe antrat und den B a u seiner Burg Wiener Neustadt Zibermayr, Landesarchiv Linz, S. 40 f.; G. Grüll, Der Markt W e y e r und sein Archiv ( W e y e r 1937) S. 11. s

) Urkb. d. L . ob d. Enns 1, S. 119, 125, 1 8 7 f . ; 2, S. 188f., 328, 426, 434, 574;

6, S. 10; Kartenskizze bei Strnadt, Gebiet zwischen der Traun u. Enns S. 487. 3

) Orig. Stadtarchiv Linz;

4

) Pritz, Gesch. d. L . ob d. Enns 2, S. 724.

Kurz, Österreichs Handel S. 240.

494

V. Österreich und das Land ob der Enns.

fortsetzte 1 ); er zeigt, wie sehr den Kaiser in allen seinen Handlungen trotz allen Mißerfolgen der unerschütterliche Glaube an den Endsieg beherrschte; dieser gab ihm die Kraft, durch zähe Ausdauer und Standhaftigkeit alle seine Feinde zu überwinden. Es entspricht daher dem Wesen dieses glaubensstarken Herrschers, daß er die Gedankengänge seines Vorfahren Rudolfs IV. wieder aufnahm. Das zeigt sich schon darin, daß er als Kaiser am 6. Jänner 1453 die gefälschten Freiheitsbriefe Österreichs reichsrechtlich anerkannte, wobei er die Glieder seiner steierischen Linie zu Erzherzogen erhob 2 ). Wie jener als ältester der Brüder die Erbländer allein beherrschte, so wollte er es auch für sich. Sein gleiches Streben drückt sich in den jetzt aufkommenden Namen „N e u-" und „A 11 ö s t e r r e i c h" aus 3 ); ersteres wird wohl nichts anderes bedeuten als das „Haus Österreich", d. i. die Gesamtheit der habsburgischen Länder, das letztere meint das Kernland, die alte Markgrafschaft 4 ); zum erstenmal finden sich diese Titel in einem Wappenbuche des Jahres 14455): Altösterreich führt das Fünfadlerwappen, Neuösterreich den Bindenschild. Dem Entstehen nach richtiger wäre es, wenn der letztere für Altösterreich wäre belassen worden, wogegen das spätere Fünfadlerwappen für Neuösterreich gelten sollte; doch wollte Rudolf IV. sein Werk als das ältere erscheinen lassen. Da nach seinem baldigen Ableben die anderen Länder nicht das Fünfadlerwappen annahmen, so blieb es auf das alte Herzogtum beschränkt, das jedoch daneben den Bindenschild beibehielt. So führte denn in Hinkunft zum Unterschied von den anderen Ländern das Herzogtum Österreich häufig zwei Wappen, das alte (Bindenschild) und das neue (Fünfadlerwappen). Doch wollte der Kaiser das Wappen Neuösterreich als Sinnbild seines Hauses verwendet wissen; so gewährt er im Jahre 1458 dem Grazer Bürger Balthasar Eckenberger und dessen Erben das Recht, Münzen zu schlagen, auf deren einer Seite J- Jobst, Die Neustädter Burg und die k. u. k. Theresianische Militärakademie (1908) S. 1, 62; Zibermayr, Landesarchiv Linz, Titelbild. 2 ) Schwind-Dopsch, Ausgew. Urk. S. 368—372. 3 ) In der Leichenordnung K. Albrechts II. (1439) sind die beiden Ländernamen noch nicht vertreten. V. Preuenhueber, Collectanea genealogica, Landesarchiv Linz, Schlüsselberger Archiv 30, S. 624—626; Annalen 105, fol. 417 f. 4

) Siegenfeld, Landeswappen S. 150; Vancsa 2, S. 452. ) Zibermayr, Landesarchiv Linz, Tafel 6, w o b e i zu bemerken ist, daß die dort und im Titelblatte angeführten drei Wappen nicht als B e w e i s für die Dreiteilung Österreichs gelten können. 5

495

9. Die Verselbständigung des Landes ob der Enns.

„New Österreich gezaichent und geprekt seinen" 1 ); c. 1464 erlaubt er den Messerern zu S t e y r auf ihren Erzeugnissen „unsern und unsers haws Österreich schilt New-Österreich" anzubringen, ein Recht, das jene von W e l s bereits besaßen 2 ); am 6. Juli 1480 verleiht er dem eben zur Stadt erhobenen Markte Baden (bei Wien) das Wappen Neuösterreich 3 ) usw. Der Fünfadlerschild findet sich als Landeswappen des Herzogtums zu jener Zeit in einem Miniaturbildnis des Lorcher Heiligen Florian (S. 330), das vor 1450 anzusetzen sein wird 4 ). In der Gestalt eines Ritters mit Speer und Schild tritt er uns hier als Schutzheiliger von Oberösterreich entgegen, wobei wohl der Lorcher Gau und sicher das daran im Westen anschließende Land ob der Enns zu verstehen sind 5 ). Das ist daraus zu schließen, daß Niederösterreich auch einen eigenen Schutzheiligen hatte, den in Melk bestatteten Kolomann, der als irischer Pilger in Stockerau ermordet wurde (1012); ihn wollte schon Friedrich der Streitbare, als er den Gedanken seiner Vorgänger aufnahm, in Wien ein Landesbistum zu gründen, zum Schutzheiligen seines Herzogtums erhoben wissen (1244) 6 ). Die Zweiheit Österreichs kommt wieder dadurch zum Ausdruck, daß sowohl das obere, als auch das untere einen besonderen Kirchenheiligen aufweist; und das ist schon für die Zeit anzunehmen, bevor der Traungau hinzukam. Beide verdrängte der in dem von ihm gegründeten Stifte Klosterneuburg begrabene Markgraf Leopold III. (gest. 1136), den schon Rudolf IV. heilig gesprochen haben wollte, was dann der auch hier in dessen Spuren wandelnde Kaiser Friedrich III. tatsächlich erreichte (1485); doch erst Kaiser Leopold I. hat ihn „zum Schutzpatron des ganzen Landes Österreich" erklärt (1663) 7 ). In den einander entsprechenden Taten der Landesfürsten zeigt sich da abermals ihr Streben nach der Einheit des Herzogtums. 3

) Schwind-Dopsch, Ausgew. Urk. S. 386.

2

) A. Zimmermann, Urk. u. Reg. aus dem Haus-, Hof- u. Staatsarchive in Wien,

Jahrbuch

d.

Kunsthist.

Sammlungen

des

Kaiserhauses

1

(1883)

S.

XVII.

Nach

einer Urkunde K. Ferdinands I. (1544) durften die Messerer von Waidhofen an der Y b b s das gleiche Zeichen schlagen.

Frieß, Gesch. d. Stadt Waidhofen S. 128 f.

3

) Chmel, Mon. Habsburg. 1/3, S. 417.

4

) Zibermayr, Landesarchiv Linz S. 4 3 u. Tafel 7.

>) Urkb. d. L. ob d. Enns 2, S. 249. fl ) Ratzinger, Forschungen zur bayrischen :

7

Gesch. S. 388.

) H. Maschek, Legende u. Verehrung d. hl. Leopold, Jahrbuch d. Österr. L e o -

gesellschaft

1936, S. 191 f.

496

V. Österreich und das L a n d ob der Enns.

In den beiden eben genannten Wappenbüchern der Jahre 1445 und 1446 erscheint zuerst Alt- dann Neuösterreich und sodann unmittelbar anschließend das Land ob der Enns. In einer anderen gleichzeitigen Handschrift, die ein Melker Mönch für den jungen Ladislaus geschrieben hat, findet sich jedoch folgende Reihenfolge: Neu-, Altösterreich, Mähren, Land ob der Enns, Steyr, Kärnten 1 ). In der vom Herzoge Friedrich V. (III.) errichteten Grazer Hofkirche (Dom) kommt in den Scheitelfeldern des Chorraumes, der als Bauzeit die Jahreszahl 1450 trägt, in der Wappenfolge das Land ob der Enns erst nach dem Elsaß 2 ); auf der berühmten Wappenwand, die derselbe Kaiser in der St. Georgskirche zu Wiener Neustadt anfertigen ließ (1453), begegnet es nach der Windischen Mark 3 ), auf seinem Prunkwagen zu Graz nach Krain vor Portenau 4 ); das ist der Platz, wo es sich auch gewöhnlich auf den landesfürstlichen Siegeln findet. Und das änderte sich auch in der Folgezeit nicht: in dem prächtigen Marktbuche zu Grein (c. 1490) reiht es sich Cilli an 5 ); auf dem kunstvollen Hochgrabe des Kaisers in der Stephanskirche zu Wien folgt es Portenau 6 ); in der Gedenktafel in der Stadtpfarrkirche zu Linz, wo sein Herz und die Eingeweide beigesetzt sind, ist es bloß im Außenkreise zwischen Kärnten und Pfyrt angebracht 7 ); auf dem Innsbrucker Wappenturme (1499) ist es nach Kyburg anzutreffen 8 ) und auf den beiden Holzschnittwerken dem „Triumphzuge" (1512) und in der „Ehrenpforte" (1515) Maximilians I. an der gleichen Stelle 9 ) usw. Das Wappen des Landes ob der Enns, das ursprünglich gleich dem des Herzogtums folgte, verliert seinen Rang und erscheint immer mehr an untergeordneter Stelle; es w a r das eine unvermeidliche Folge der Verselbständigung der Landschaft: solange beide Länder einen gemeinsamen *) Cod. 23*, fol. 4 ' — 7 der Nationalbibliothek in W i e n . 2

) A. I. Quiqueran-Bauieu, Der Grazer Dombezirk, Zeitschr. f. Denkmalpflege 5

(1931) S. 230. 3

) Jobst, Neustädter B u r g S. 131, 135, 145.

4

) Das steiermärkische

5

) E . S t r a ß m a y r , Die Stadt Grein u. ihr Archiv (Grein 1931) Tafel 8.

6

) F. Wimmer

Landesmuseum

u. E . Klebel,

Joanneum

Das Grabmal

(1911) S. 320.

Friedrichs

des Dritten

im

Wiener

Stephansdom (1924) S. 30. 7

) Jahrbuch der Stadt

Linz

1935, S. 144 f.;

J . Fließer, Die Linzer

Stadtpfarr-

kirche (1936) S. 19.

gen

8

) O. Redlich, Der alte Wappenturm zu Innsbruck, 2. Aufl. (1907) Tafel.

9

) F . Schestag,

Kaiser

Maximilians I. Triumph,

d. Kaiserhauses 1 (1883)

3. Aufl. (1908) S. 294.

S. 163;

V. Scherer,

Jahrb. d. Kunsthist. Dürer,

Klassiker

der

SammlunKunst 4,

9. Die Verselbständigung des L a n d e s ob der Enns.

497

Landtag aufwiesen, waren ihre Wappen auch nicht zu trennen; anders wurde es jedoch, als die Stände des Landes ob der Enns sich von denen des Herzogtums absonderten; und das trat seit dem Streite um die Vormundschaft über Ladislaus den Nachgeborenen und dem Siege der Stände über das Landesfürstentum im Jahre 1452 (Landtag zu Wels) ganz offenkundig hervor und zeigt sich von da an auch in der Reihenfolge des Landeswappens. Wie früher die Stände gegen die fortwährenden Erbteilungen der Habsburger auftraten und die Einheit des Herzogtums gewahrt wissen wollten, so bemühte sich jetzt umgekehrt Kaiser Friedrich, die beiden Landschaften wieder zusammen zu bringen; er berief deshalb im Jahre 1467, da sich „das land ob der Enns getailt vnd gesundert hiett von dem land ze Osterreich" einen Landtag nach Linz 1 ). Kurz darauf, auf dem Tage zu Groß-Enzersdorf (1472) treten die niederösterreichischen Stände dafür ein, der Kaiser möge sie „mitsambt dem lannd ob der Enns beyeinannder beleiben und steen lassen, als das bey seinen voruordern und fursten von Österreich gehalten ist und von einander nit getailt werden, als ain zeit her geschehen" 2 ); sie beschweren sich ferner, daß die „landtleut ob der Enns" nicht „mitleiden" wollen, wenn eine Steuer auf das Land Österreich gelegt werde, obgleich das „lannd underhalb und ob der Enns von alterher zusamb gefast sey" 3 ). Auf dem Kremser Landtage des Jahres 1478 erschienen vom Lande ob der Enns zwar die Prälaten und Städte, jedoch nicht der Adel 4 ); bald hernach (1480) ladet der Kaiser die Freistädter ein, Vertreter nach Wien zu entsenden, um über die Kriegsläufe und andere Dinge zu beraten 5 ). Das Vordringen der Ungarn schnitt in der Folge das letzte Band entzwei und verwirklichte das Streben des Landes ob der Enns nach Selbständigkeit immer mehr. D a s gleiche Verhalten zeigte Maximilian I. noch kurz vor dem Tode seines Vaters, als die Stände des Landes ob der Enns daran dachten, ihm für sich allein zu huldigen (1493); er lehnte das mit der Begründung a b : das Land sei klein und zähle bloß sechzig Ver) 3) 4) 5) noch österr. Kaiser 2

A. Rauch, Script, rer. Austriac. 3 (1794) Anhang S . 166. Chmel, Mon. Habsburg. 1/3, S . 337; dazu dessen Materialien 2, S . 312. Chmel, Mon. Habsburg. 1/3, S . 371. Ebendort 1/2, S . 646 f.; Chmel, Materialien 2, S. 346. Wirmsberger, Reg. v. Freistadt S . 365. Diese Angaben stammen aus der ungedruckten Institutsarbeit (1927) von Dr. Alfred Hoffmann, Die oberS t ä n d e und L a n d t a g e . (Von der Revolution im J a h r e 1452 bis zum T o d e Friedrichs III.) 32

498

V. Österreich und das L a n d ob der Enns.

t r e t e r 1 ) ; e r nahm denn auch in W i e n nach einem gemeinsamen Landtage die Erbhuldigung der beiden L ä n d e r zugleich entgegen 2 ). Noch auffälliger sind die Geschehnisse unter seinem Enkel F e r dinand I., der, als er in den fünf österreichischen Herzogtümern die Herrschaft antrat, in Linz zwar Ende Mai 1521 die Hochzeit mit der ungarischen Königstochter Anna feierte, sich jedoch gleich darauf am 5. Juni in Y b b s von den Ständen der L ä n d e r unter und ob der Enns g e m e i n s a m huldigen ließ 3 ). Schon die Markgrafschaft Österreich zerfiel, wie schon mehrmals hervorzuheben w a r , in zwei Abschnitte, den oberen (Grafschaft) und unteren (Mark); der e r s t e r e wurde bedeutend v e r größert, als der Traungau hinzukam (1240), so daß allmählich der Name des L a n d e s ob der Enns den von O b e r ö s t e r r e i c h v e r d r ä n g t e ; dafür kam dieser dann mit neuem Inhalte auf. Als die Habsburger im J a h r e 1363 Tirol erwarben, begannen sie ihre ausgedehnten L ä n d e r nach dem Vorbilde und der L a g e ihres Herzogtums ebenfalls in z w e i T e i l e zu scheiden, in den „ o b e r e n " (1387) und „nideren" (unteren); die ersteren (Tirol und die Vorlande) nannten sie zunächst die „oberen österreichischen" (1450) und sodann die „oberösterreichischen erblande" (1498), denen sie die „niederösterreichis c h e n " entgegenstellten 4 ). Die letzteren bestanden aus Österreich unter und ob der Enns, Steiermark, Kärnten und K r a i n ; von ihnen hießen die drei am Schlüsse genannten (mit zeitweise einem gemeinsamen L a n d e s h e r r n ) die „inneren" oder „innerösterreichis c h e n " ; schon eine Urkunde des J a h r e s 1446 redet von dem „nidern innern lannd enhalb vnd herdishalb des S e m e r i n g " 5 ) . Diese drei zu einer g e w i s s e n Einheit verbundenen L ä n d e r w a r e n in ihrem W e s e n nichts a n d e r e s als das alte Karantanien oder Binnen-Noricum, aus V. Kraus, Maximilians I. vertraulicher Briefwechsel mit Sigmund Freiherrn zu Stettenberg 2)

Prüschenk,

(1875) S. 91.

Preuenhueber, Annal. S t y r . S. 157;

Pritz, Gesch. d. L. ob d. Enns 2, S. 185 f.

Das „ W i e n e r Libell" v o m 25. Jänner 1494 iaßt ebenfalls die Freiheiten beider Landschaften zusammen.

Vancsa 2, S. 552 f.

3)

V. Kraus, Zur Geschichte Oesterreichs unter Ferdinand I. (1873) S. 68 f.

4)

0 . Stolz,

Archiv-

u.

Registraturwesen

schwäbischen) Regierung im 16. Jahrh. Fellner-H. K r e t s c h m a y r ,

Die

österr.

der

oberösterreichischen

(tirolisch-

Archival. Zeitschr. 43 (1934) S. 82 f.; Zentralverwaltung 1,

Abt. 2

(1907)

Th. S. 4 :

,,regim[ent] unser ober- und niderösterreichischn e r b l a n [ d e n ] " (1498). 5)

Chmel, Reg. Frid. S. 208 Nr. 2070; dazu V. Thiel, Der Begriff Innerösterreich

und seine geschichtliche Auswirkung, Jahrb. d. Österr. Leogesellschaft 1931, S. 109 f.

9. Die Verselbständigung

des Landes ob der Enns.

499

dessen Wurzel sie erwuchsen, wobei jedoch nicht mehr Kärnten, sondern die von den österreichischen Landesfürsten früher erworbene und daher rangältere Steiermark (mit der Hauptstadt Graz) das Hauptland wurde. Seit Maximilian I., der je eine Gruppe seiner Erblande zu einer höheren Einheit verband, erhält auf einmal das W o r t „oberösterreichisch" einen anderen Sinn. Und das geschah zur gleichen Zeit, als die Humanisten den alten Namen Austria superior für das Land ob der Enns wieder zu Ehren brachten. So werden denn die in ihrem Inhalte ohnedies schwankenden Bezeichnungen noch verworrener. E s ist das ein Vorgang, wie wir ihn jetzt mit dem mehrdeutigen Ausdruck „Ostmark" erleben. Unter „Oberösterreich" ist daher zu den verschiedenen Zeiten nicht immer dasselbe Land zu verstehen, sondern es kann darunter im Mittelalter das Gebiet zwischen Enns und Ybbs (Erlaf) sowie das Land ob der Enns und insbesondere seit Maximilian I. vorübergehend auch Tirol und die Vorlande gemeint sein; erst nach ihm wird „Oberösterreich" und „Land ob der Enns" der gleiche Namensbegriff, wovon der eine als der volkstümliche, der andere als der amtliche zu bezeichnen ist. Die Herrscherzeit Maximilians I. ist gekennzeichnet durch die Einführung einer geordneten Verwaltung: eigene, häufig nach römischem Rechte vorgebildete Beamte mit festen Sitzen und einem geregelten Aktenverkehr schufen die Grundlagen für das Entstehen kanzleimäßiger Archivkörper 1 ). Wie die oberösterreichischen faßte er auch die niederösterreichischen Erbländer zu einer höheren Verwaltungseinheit zusammen und errichtete für sie ein besonderes „Regiment" als Behörde des Landesfürsten mit dem Sitze in E n n s ; es ist der letzte Schimmer der alten Lorcher Herrlichkeit; doch kaum war es im Jahre 1501 gegründet, verlegte er es schon nach Linz, wo es bis 1510 verblieb, um dann nach Wien zu übersiedeln 2 ). Der Grund hiefür ist sehr bemerkenswert; es ist wieder der alte Einwand, der wie ein roter Faden die Geschichte des Landes ob der Enns durchzieht: die anderen Länder der niederösterreichischen Gruppe betrachteten es als „Ausland" 3 ). Jedes von ihnen erhielt außerdem einen Vizedom, der die Aufgaben des früheren HubZibermayr, Landesarchiv Linz S. 31—33, 53. 2

) Im J a h r e 1504 wanderte es w e g e n des baierischen Krieges nach

(A. S t a r z e r )

Beiträge

zur Geschichte

der

Niederösterr.

Statthalterei

Schärding.

(Wien

1897)

S. 7, 9, 15. 3

) Vancsa 2, S. 573, 587.

32*

500

V. Österreich und das Land ob der Enns.

meisters zu besorgen hatte. So wurde das Land ob der Enns wie einst vorübergehend unter Albrecht VI. wieder ein eigener Finanzbezirk. Erster „Vicztum ob der Enns" war Kaspar Perkhaimer zu Wirting bei Wels, der bereits in einer Lambacher Urkunde vom 16. Jänner 1499 als solcher aufscheint 1 ). In gleicher Weise führte Maximilian nach Tiroler Vorbilde für jede der niederösterreichischen Landschaften „Verordnete" ein (1508)2), die als ständiger Ausschuß ihre Geschäfte zu besorgen hatten; mit ihnen beginnt auch bei den Ständen ein geordnetes Kanzleiwesen mit einem festen Sitze; ihr Name ist aus dem Steuerwesen hervorgegangen; doch setzt ihr bleibendes Wirken nicht in allen Ländern gleichzeitig ein: für Wien liegt schon seit 1492 eine Liste von ihnen vor 3 ); in Linz jedoch sind sie zwar seit 1510 nachweisbar 4 ), treten aber so recht erst nach dem Bauernkrieg des Jahres 1525 hervor, als sie das Landschaftliche Gültbuch anzulegen hatten 5 ). W a r früher der „Hauptmann ob der Enns" bloß der Vertreter des Landesfürsten, so wurde er mit dem Aufkommen der Stände auch deren Oberhaupt. Seit 1480 bürgert sich der Titel „landhaubtman" ein, den zum erstenmal (1480) König Matthias Corvinus gebraucht 6 ). Im Jahre 1493 ersuchen die Stände Maximilian I., ihnen einen vertrauenswürdigen „landthaubtman" zu setzen 7 ); der gleiche Kaiser ernennt später (1513), nach dem Ableben des Obersten Hauptmannes und Regenten der Niederösterreichischen Länder Wolfgang Freiherrn von Pollheim, Wolfgang Jörger zum „Landshauptman seiner Marggrafschafft ob der Ennß" 8 ), verwendet jedoch daneben auch den alten Titel. Siegmund Freiherr von Herberstein erwähnt ihn als „Landshauptman ob der Ens" 9 ). Dessen Nachfolger Cyriak Freiherr von Polheim wird 1521 Landeshauptmann, wozu bald hernach vermerkt wird, daß seine Vorgänger bloß „Haupt*) Vancsa 2, S. 571 f.; Zibermayr, Landesarchiv Linz S. 7 3 f . 2 ) Haus-, Hof- u. Staatsarchiv in Wien, Maximiiiana (Angabe von Prof. Dr. Burkhard Seuffert in Graz). 3 ) Vancsa 2, S. 585. 4 ) B. Seuffert, Drei Register aus den Jahren 1478—1519 (1934) S. 385; Landesarchiv Linz, Annalen 1, fol. 90, 94'f., 99, 103, 105, 167', 202. Eine Instruktion für sie aus 1523 fol. 447'—449'. 5 ) Zibermayr, Landesarchiv Linz S. 53 f. 6 ) Kurz, Österreich unter K. Friedrich IV. 2, S. 266. 7 ) Kraus, Max. Briefwechsel S. 97. 8 ) Preuenhueber, Hist. Catalogus S. 120 = Annal. Styr. S. 427. 9 ) Th. G. Karajan in: Fontes rer. Austriac. 1. Abt. 1 (1855) S. 140.

9. Die Verselbständigung des Landes ob der Enns.

501

mann" geheißen haben 1 ); von da an war der neue Titel ständig im Gebrauche und verschwand erst mit 1. April 1940. Der Zweifel über die staatsrechtliche Zugehörigkeit des Landes ob der Enns (S. 443 f.) bestand noch immer fort, wie schon der vorhin genannte Ausdruck „Ausland" andeutet. In gleichem Sinne sagt der bekannte Humanist Eneas Silvius Piccolomini, der Hofbeamte Friedrichs III. und spätere Papst Pius II., als er das den Passauer Bischöfen gehörige Schloß Ebelsberg beschreibt (1444): es liege auf dem Gebiete der „Markgrafschaft der Enns" zwischen Baiern und Österreich; manche halten sie für einen Teil des letzteren, nachdem dort ein Herzogtum errichtet wurde 2 ). Nach dem Ableben des in Wels verstorbenen Kaisers Maximilian (1519) fragt der Verfasser der Grabinschrift bei Konrad Peutinger an, ob er diese Stadt Baiern noch zu Österreich zählen, sondern besser schreiben: „das Grenze beider Provinzen suchen, so daß sie jeder von ihnen zugeschrieben werden könne; er selbst habe sie zu ersterem gerechnet. Der Augsburger Stadtschreiber erwidert ihm, er solle sie weder zu Baiern noch zu Österreich zählen, sondern besser schreiben: „das Ennsische Wels", denn das Land werde weder nach dem einen noch dem anderen, sondern „ob der Enns" benannt 3 ). In Baiern galt nach wie vor die Enns als Grenze von Österreich; so sagt Aventin: „die Äbern (Awaren) und Haunen (Ungarn) namen die land under der Enns ein, so wir ietzo das erzherzogtumb Österreich nennen" 4 ). Nicht anders urteilt übrigens Thomas Ebendorfer in seinem Chronicon Austriacum, wenn er von der Markgrafschaft der Babenberger Preuenhueber, Hist. Catalogus S. 126 = ösierr. Musealvereines 81 (1926) S. 52.

Annal. Styr. S. 428; Jahrb. d. Ober-

-) castellum hoc in ea terra est, que ínter Bavariam et Austriam iacet marchionatus Anasi; quidam volunt, hanc e s s e portionem Austrie, postquam ibi ducatus erectus est. R. Wolkan, Der Briefwechsel d e s E n e a s Silvius Piccolomini, Fontes rer. Austriac. 2. Abt. 61 (1909) S. 427; übersetzt von J. Chmel in: Denkschriften der Akademie d. Wissenschaften in W i e n 2 (1851) S. 322. 3 ) Michael Hummelberg aus Ravensberg an K. Peutinger: de loco, ubi caesar hominem exuit, ambigo Austriae ne an Bavariae tribuendus sit. Sunt qui utriusque provinciae limitem atque ideo utrique adscribí posse dicant. E g o Bavariae adtribui. Peutinger erwidert: Vere e g o nec „Austriam" nec „Bavariam" ponerem, sed potius „apud Anasanam Welsam". Provincia enim haec non Austrica nec Bavarica, verum supra Anasum a p p e l l a t e . E. König, Konrad Peutingers Briefwechsel (1923) S. 316, 318 f.

") Aventins Werke 5 (1886) S. 29.

502

V. Ö s t e r r e i c h und das Land ob der Enns.

sagt, „die Ostmark, die wir nun Österreich heißen" 1 ). Noch viel später bezeichnet Matthias Flacius (Illyricus) in seiner Vorarbeit zu den „Magdeburger Zenturien", dem Catalogus testium veritatis (1556), die Stadt Steyr an der Grenze Österreichs und Baierns gelegen 2 ). Der Verfasser des Baumgartenberger Kopialbuches aus dem Jahre 1511 gibt an: „die beiden Isper, die obere und untere, trennen Österreich von dem Ennslande auf der einen Seite (der Donau), auf der anderen der Ennsfluß" 3 ). Kurz vorher nennt er es „Oberösterreich", wenn er sagt, das Wappen des Klosters Baumgartenberg sei jenes von Austria superior 4 ); er gebraucht damit einen Titel, der schon lange abgekommen war, aber jetzt, als die Humanisten wieder die alten Urkunden hervorholten, zu neuem Leben erwachte; schon früher verwendet ihn König Matthias Corvinus in dem Friedensvertrag mit dem Kaiser Friedrich vom Jahre 14775). Wichtig ist, daß der Verfertiger des Baumgartenberger Kopialbuches zum erstenmal unzweideutig den Namen Oberösterreich für das spätere Land ob der Enns benützt, da er ausdrücklich den bezeichneten Fluß als seine Ostgrenze bezeichnet und er das anderemal es als Ennsland erwähnt; beide Begriffe bedeuten mithin bei ihm ein und dasselbe; zum Unterschied von früher schließt er jedoch damit das Gebiet zwischen Enns und Ybbs nicht mehr ein. Dieses entfällt daher in Hinkunft nicht nur staatsrechtlich, sondern auch verwaltungsmäßig 8 ), wogegen das Machland (Isper) endgültig bei dem Lande ob der Enns verbleibt, wie dies schon das Landeswappen, die Ladislausurkunde des Jahres 1455 und die Vierteleinteilung von 1478 kundtun (S. 491 f.). Das Oberösterreich (Ennsland) unter Maximilian ist daher bereits das allbekannte, das man bisher unrichtig auch auf das Mittelorientalem marchiani, quam nunc vocitamus Austriam. Pez, Script. 2, S. 697. ) Stier. Est civitas in finibus Austriae ac Bavariae. (Lugdun. 1597) S. 912. 3 ) Im Landesarchiv zu Linz, fol. 2': duplex Ischper, superior et inferior, diuidens Austriam a terra Anosi in v n o latere; et Anosus fluuius ab alio latere diuidit Austriam a terra Anasi. Urkb. d. L. ob d. Enns 2, S. 249. J ) Arma monasterii Pawngartennperg sunt arma superioris Austrie. 5 ) omnes status, tarn superioris quam inferioris Austrie. Kurz, Österreich unter K. Friedrich IV. 2, S. 260. 6 ) S o sagt wenig später der Humanist Wolfgang Lazius in seiner topographischen Tabelle der Viertel Niederösterreichs „Ennß und Erla die wasser v o n nidergang schaiden von dem land ob der Ennß". F. Oberhummer u. F. Wieser, W. Lazius, Karten der österr. Lande (1906) S. 21. 2

9. Die Verselbständigung des Landes ob der

503

Enns.

alter übertrug. Der genannte Herrscher hat es noch erweitert, indem er im baierischen Erbfolgekriege u. a. das Mondsee- und Wolfgangland erwarb und es mit ihm verband (1506); ja der Kaiser war dem berühmten Wallfahrtsorte am Abersee so ergeben, daß er noch auf seinem Sterbelager zu Wels daran dachte, sich dort, wo er ein Ordenshaus errichten wollte, begraben zu lassen; Erzbischof Leonhard von Salzburg jedoch ließ als Pfandherr ihm hievon abraten, um das Kloster Mondsee nicht zu schädigen 1 ). Das „Ennsland" und „Oberösterreich" der Humanisten ist daher ein anderes als das ursprünglich geschaffene; sie haben die alten Begriffe für die Zustände ihrer Zeit verwendet und damit ein Fehlurteil verursacht, das bis heute nicht behoben ist. Der fortwährend geänderte Name des Landes offenbart dessen ungewisse und umstrittene Zugehörigkeit. In der Leichenordnung Friedrichs III. (1493) heißt e s : „das landt v o n der Ens" 2 ), wo es als jüngstes Glied den Zug der österreichischen Länder eröffnet; auf einem habsburgischen Familienbildnis (1494) erscheint es als Terraentia (Terra Entia) 8 ); noch im Jahre 1580 tritt ein von dem Humanisten Kaspar Brusch (Bruschius, gest. 1559) verfaßter Reiseführer durch Oberösterreich als Iter Anasianum in die Öffentlichkeit 4 ). Noch klarer ist das ungeschichtliche Vorgehen derselben Geistesrichtung aus dem von ihr wiedererweckten Namen „Osterland" zu ersehen, der gleichfalls jetzt einen anderen, der Zeit entsprechenden Sinn erhält. Während im Nibelungenliede Astolt zu Melk der Kriemhild und ihrem Gefolge den W e g in das Osterland gegen Mautern weist und nach ihm sich erst Tulln dort befindet 5 ), so daß es sich bloß auf Pannonien, aber nicht auf Ufer-Noricum bezieht, verändern schon Jans Enikel und die Chronik der 95 Herrschaften den ursprünglichen Sinn des Wortes, indem sie es nur für das eigentliche Herzogtum 2

) Nach seinem Schreiben v o m 11. Jänner 1519 an Abt Wolfgang Haberl. Lan-

desarchiv Linz, Diplomatar; Zibermayr, Wolfganglegende S. 63—65, bzw. 199—201. 2

) Frühdruck der Nationalbibliothek in W i e n . J . Unrest, ö s t e r r . Chronik nennt

er bei der gleichen Gelegenheit „das Lannd an der E n n s " ; vorher übergeht er es und spricht nur von den „vier Landn, Osterreich, Steyr, Kernndtn und Krain". S. F . Hahn, Collectio monumentorum 1 (1724) S. 741, 789. 3

) H. Glück,

Kinderbildnisse

aus

der

Sammlung

Margarethas

von

Österreich,

Jahrb. d. Kunsthist. Sammlungen des Kaiserhauses 25 (1905) S. 233 f. 4

) In:

wurde

N. Reusner,

Hodoeporicum

eine Waldbeschreibung

„zw

(Basel

1580)

baiden Länndern

S. 405—412. nach

Im

Jahre

der E n n ß "

1575

angelegt.

C. Böhm, Die Handschriften des k. u. k. Haus-, Hof- u. Staats-Archivs (1873) S. 268. 5

) Ausgabe von B a r t s c h (10. Aufl.) S. 214, 216; oben S. 384.

504

V. Österreich und das Land ob der Enns.

(Avara = Osterland = Österreich) verwenden 1 ); die Stände ob der Enns hingegen reden auf einmal von den „bayden Osterlanden", dem „Osterlandt vnder vnd ob der Ennß" und dem „Osterland vnder der Enns" 2 ). Reichte das „Ennsland" und „Oberösterreich" der Humanisten im Osten bloß bis an die Enns, so umfaßte ihr „Osterland" nicht nur den oberen Teil Pannoniens, sondern auch noch das norische Unterland und den Traungau. 10. Der Rangstreit des Landes ob der Enns mit Steiermark. Die Verlegenheit Maximilians, was er mit dem von dem Herzogtum Österreich sich absondernden Lande ob der Enns anfangen sollte, zeigt sich auch in der Titelfrage: er wollte es seit 1505 „M a r k g r a f s c h a f t" nennen („Marggrafschafft der Ennß", „Fürstenthumb vnnser Marggrafschafft ob der Ennß", „Marggrafschafft des Lands der Ennß", „Marggrafschafft ob der Ennß") 3 ); es ist das ein Name, den zum erstenmal Rudolf IV. in dem von ihm gefälschten Freiheitsbrief gebrauchte (marchia supra Anesum); nachher verwendete ihn Eneas Silvius (marchionatus Anasi) und jetzt suchte ihn Maximilian amtlich einzuführen. Doch die Stände wehrten sich dagegen am Augsburger Tage (1510) und sagten, Kaiser Friedrich I. — sie nennen ihn unrichtig den „anndern" — habe zu Regensburg am 17. September 1156, als er das „Furstentumb Osterreich ob der Enns" mit jenem von unter der Enns vereinigte, „bede lannd zu hertzogtumb e n gemacht"; sie beanspruchten daher in ihrem Irrtume die gleiche Eigenschaft und dieselben Rechte wie Österreich unter der Enns, da in anderem Falle ihr Land „in seinem alten titel gemynndert" würde 4 ). Der Kaiser gab wohl nach, aber nicht die anderen Länder der niederösterreichischen Gruppe, wie aus ihrem Verhalten zu ersehen ist; eben damals setzten sie durch, daß der Sitz ihres „Regimentes" von Linz nach Wien verlegt wurde, da ihnen auf einmal das Land ob der Enns als „Ausland" galt. Das Jahr 1510 ist demnach als Anfangspunkt eines Mon. Germ., Deutsche Chroniken 3, S. 735 u. 6, S. 25, 62 f. ) K. Eder, Die Stände des Landes ob der Enns 1519—1525 (Linz 1926) S. 13 Anm. 36; dazu Brunner, Land u. Herrschaft S. 225 f. 3 ) Landesarchiv Linz, Landtage; Annalen 1, fol. 25', 42', 52, 85; Pritz, Gesch. d. L. ob d. Enns 2, S. 202; A. Nagl, Der Innsbrucker Generallandtag v o m Jahre 1518, Jahrb. f. Landeskunde v. Niederösterr., N. F. 17 (1919) S. 19. 2

4

) Landesarchiv Linz, Augsburger Libell vom 10. April 1510.

10. Der Rangstreit d e s L a n d e s ob der E n n s mit S t e i e r m a r k .

505

Kampfes zu betrachten, der durch mehr als ein Jahrhundert die ständischen Gemüter nicht zur Ruhe kommen ließ und als „R a n g s t r e i t " („Präzedenzstreit") in die Geschichte der niederösterreichischen Länder eingegangen ist; er wirkte sich besonders verhängnisvoll für das Land ob der Enns aus und ist eine späte Folge des Machwerkes, das Rudolf IV. in dem Großen Freiheitsbriefe in die Welt setzte; dessen Vorgehen ist aber wieder verursacht durch die halben Lösungen, die die Regensburger Reichstage von 1156 und 1180 sowie d a s Jahr 1240 brachten, w o Herzog Friedrich II. der Streitbare den Traungau vom Lande des steyrischen Herzogs abtrennte und mit Oberösterreich v e r b a n d ; ja man kann noch weiter zurückgehen und der Zeit gedenken, w o der Sieg der Ungarn bei P r e ß b u r g (907) das alte karolingische Dreigrafschaftsgebiet auseinander riß und die Enns zur Grenze Baierns machte. Diese und nicht die Traun w a r der Schicksalsfluß des Traungaues geworden, w a s sich in dem neuen Namen „Ennsland" deutlich kundgibt. Der Rangstreit ist in seinem tieferen Sinne nichts anderes als die Auseinandersetzung über die wechselvollen Schicksale der „Drei Grafschaften": Österreich u n d das Land ob der Enns! Das ungeklärte staatsrechtliche Verhältnis zwischen beiden w a r die Ursache des unheilvollen Zwistes, der in dem Augenblicke begann, als die drohende Türkengefahr den Kaiser nötigte, die einzelnen Länder zu Ausschußlandtagen zusammen zu rufen. Da auf einmal erhob sich die Frage des Ranges, des Vortrittes, der Sitzordnung, der Reihenfolge bei der Stimmenabgabe und Unterschrift; so entbrannte der Kampf um die „Session und P r ä z e d e n z " . Der Titel „Markgrafschaft der E n n s " sollte besagen, daß dieses Land für sich kein Herzogtum sei, sondern ihm nur dann diese Eigenschaft gebühre, w e n n es mit Österreich unter der Enns verbunden ist. W e n n sich demnach die Stände hievon trennten, so sinke das Land, das sie zu v e r t r e t e n hatten, wieder an die Stufe zurück, die es einnahm, bevor es mit Österreich vereinigt und mit ihm ein Herzogtum w u r d e . Der Kaiser wie seine Zeit hielten eben den Großen Freiheitsbrief Friedrichs I. für echt und glaubten irrig, dieser hätte nicht nur die Markgrafschaft Österreich, sondern auch die von ihm angeblich hinzugegebene „Mark ob der Enns" zu e i n e m Herzogtum erhoben. Maximilian v e r w e n d e t e von da an für das Land ob der Enns z w a r nicht mehr den Titel „Markgrafschaft", nannte es aber auch nicht „Erzherzogtum", sondern nach dem Beispiele seines Vaters „Fürstentum".

506

V. Österreich und das Land ob der- Erms.

Doch begann sein Nachfolger Ferdinand I., der durch den Erwerb Böhmens und Ungarns (1526) den Grund für die künftige Großmacht legte, es seit 1522 „Erzherzogtum Österreich ob der Enns" zu nennen 1 ), bezeichnete es jedoch daneben auch als „Fürstentum" 2 ), ja er versuchte als einziger Habsburger, in seinem Großen Titel den Namen des umstrittenen Landes einzuführen und nannte sich (nach Kyburg) „Marckhgraf des heiligen Römischen Reiches der Ens" (1523) 3 ) oder von „ob der Enß" (1528) 4 ). Das hielten denn auch die Steiermärker den Ständen von ob der Enns vor, doch diese erwiderten, der Titel „des heiligen Römischen Reichs Marggrafschafft ob der Ennß" sei ein „Irrtum der Kanzlei" (error cancellariae) gewesen; Kaiser Ferdinand hätte selbst ihn abgestellt und seither sei er niemals mehr gebraucht worden 5 ). In ihm fanden sie einen Gönner, da sie die Erhebung der Stände von unter der Enns, die mit dem Blutgerichte von Wiener Neustadt (1522) endete, nicht mitmachten 6 ). Später bemerken sie, derselbe Kaiser hätte im Jahre 1559 ihr Land nicht nur „für sich selbsten in abstracto für ein Ertzherzogthumb pronuncirt, sonder auch darüber in öffentlichen Truckh publiciert" 7 ); sie dürften da die am 1. Oktober des genannten Jahres von ihm erlassene und in Wien gedruckte „Lanndtgerichts Ordnung des Ertzhertzogthumbs Osterreich des Lanndts ob der Enns" meinen, da ein ihr beigelegtes Schreiben besagt, es sei bei dieser Gelegenheit abermals lange verhandelt worden, ob man das unzufriedene Land ein Fürstentum oder Erzherzogtum nennen solle; doch hätte sich der Kaiser, wie die Gerichtsordnung zeige, für letzteren Titel entschieden 8 ). Der umständliche Name hielt sich aber nicht lange und wich bald wieder dem früheren und einfacheren Erzherzogtum Österreich ob der Enns. Ferdinand I. schuf ferner für dieses im Jahre 1535 das erste *) Landesarchiv Linz, Annalen 1, fol. 405, 430 ff. 2 ) S o in der gedruckten „Ordnung des Landesrechtens des Ertzhertzogtumb Osterreich ob der Enns (1535). Landesarchiv Linz, Landschaftsakten Bd. 775. 3 ) Lands Handvest des löbl. Hertzogthums Crain (Graz 1598) fol. 16', 17', IS'. 4 ) R. Strein, Landhandtvest oder Freyhaiten des löbl. Ertzhertzogthumbs Österreich ob der Ennß (1599). Landesarchiv Linz, Annalen 110, fol. 357; Lands Handvest d. löbl. Ertzhertzogthumbs Kharndten (Druck 1610) S. 188 (1535?). 5 ) Landesarchiv Linz, Annalen 105, fol. 157 f., 189, 354'. 6 ) Vancsa 2, S. 644, 647; K. Eder, Studien zur Reformationsgesch. Oberösterreichs 1 (Linz 1932) S. 389 f. 7 ) Landesarchiv Linz, Annalen 105, fol. 605. 8 ) Landesarchiv Linz, Landschaftsakten Bd. 46.

10. Der Rangstreit des Landes ob der Enns mit Steiermark.

507

selbständige Erbamt, das „Erbkämmereramt", das er dem (dritten) Vizedom Johann Fernberger verlieh 1 ). Nach seinem Ableben (1564), als sein Sohn Maximilian II. in Österreich zur Herrschaft gelangte, gestand dieser die von den Ständen schon lange gewünschte besondere Erbhuldigung zu, die er am 28. Dezember 1565 im Schlosse zu Linz entgegennahm 2 ); es war das die Zeit, wo sie als weithin sichtbares Zeichen ihrer Selbstherrlichkeit ein stattliches Landhaus erbauten. Von da an wiederholte sich der gleiche Vorgang bei jedem neuen Landesfürsten bis auf Maria Theresia (1743). Das war eine neue Errungenschaft, die das Land ob der Enns im Kampfe um seine Selbständigkeit aufweisen konnte; es wollte ebenso wie das Land unter der Enns ein besonderes (Erz)herzogtum sein. Maximilian II. verlieh ihm zudem ein zweites Erbamt, indem er im Jahre 1570 die Jörger zu Tollet zu Erblandhofmeistern ernannte und bezeichnete es ständig als „Erzherzogtum" 3 ). Der Rangstreit entbrannte zum erstenmal offen beim Innsbrucker Tage des Jahres 1518, als die nieder- und oberösterreichischen Länder ihre Vertreter dorthin entsandten. Während beim Wiener Generallandtage von 1396, als die Türkengefahr begann, die Stände von unter und ob der Enns als eine Einheit auftraten, sonderten sich jetzt die letzteren von ihnen ab und wollten als e i g e n e s Erzherzogtum gelten; sie beanspruchten als solches ihren Platz gleich hinter dem von Österreich unter der Enns, mit dem sie bisher verbunden waren, und wollten deshalb vor den Abgesandten der Herzogtümer Steiermark, Kärnten und Krain nicht zurückstehen. Diese waren jedoch darüber einig, daß Österreich unter und ob der Enns e i n Erzherzogtum sei; falls aber das zweitgenannte eine eigene Wesenheit und besondere Körperschaft bilden wolle, so sinke es zu einer Markgrafschaft herab und sei als solche das letzte Glied der niederösterreichischen Gruppe; es gehöre dann hinter Krain; sie fanden dabei nicht bloß den Beifall der Stände *) K. Planck-Planckburg, Die Landeserbämter und reich ob der Enns (Linz 1929) S. 17. 2 ) Pritz, Gesch. d. L. ob d. Enns 2, S. 269 f. 3 ) M. Wutte, Ein Rangstreit zwischen Ober- und Histor. Vereines für Steiermark 15 (1916) S. 110 f., Rechtsstreit über die von den Ständen ob der Enns ihres Landes erkannt hat.

die Erbhuldigungen in Öster-

Innerösterreich, Zeitschr. d. der zuerst sein W e s e n als beanspruchte Selbständigkeit

508

V. Österreich und das Land ob der Enns.

von unter der Enns, die hiedurch ihre Landschaft geschmälert sahen, sondern auch die Zustimmung des Landesherrn 1 ). Da die Abgesandten von Österreich ob der Enns an ihrem Verlangen festhielten und demnach sich nicht mit der fünften Stelle begnügten, sondern die zweite beanspruchten, so kam es zu einem heftigen Streit, den der Kaiser nicht beilegen konnte. Das kommt schon dadurch zum Ausdruck, daß die Stände ob der Enns das Hauptlibell nicht siegelten, um nicht den geforderten Rang preiszugeben, sondern für sich eine eigene gleichlautende Urkunde durchsetzten 2 ). Als Maximilian bald darauf (1519) in Wels starb, konnten sich die niederösterreichischen Länder beim Leichenbegängnis wieder nicht über den Vortritt einigen, so daß, wie Herberstein berichtet, die Kleinode, die getragen werden sollten, auf den Sarg gelegt wurden; nach ihm versuchte man auf dem anschließenden Tage zu Bruck an der Mur (1519) den Ausweg, die Länder in W o r t und Schrift nicht nach ihrer Reihenfolge zu nennen, sondern bloß in der Gesamtheit als „Niderösterreichische Lannde" anzuführen und deren Vertreter nicht nach dem Range ihrer Länder auftreten, sondern „durcheinannder" stehen und gehen zu lassen 3 ); doch lebte bei der Reise der Länderabgeordneten an das Hoflager Karls V., eines Enkels Maximilian I., in Spanien der Zwist wieder auf, obwohl man vorher beschlossen hatte, bei deren Zusammentreffen in Villach (1519) alle Irrungen „von wegen der Session und Standt" zu vermeiden 4 ). Da das Land ob der Enns in der Rangfrage nirgends Hilfe fand und allein blieb, so gab es auf dem Augsburger Reichstage (1525) nach und beauftragte seine Abgesandten dafür zu sorgen, daß Österreich unter und ob der Enns zwar für ein einziges Erzherzogtum gelte, aber doch zwei verschiedene Länder bilde 5 ); doch erfuhren sie hiebei eine Absage ihres Hauptlandes, das mit ihnen nicht vermengt sein wollte. Beim Regensburger Reichstage des Jahres 1532 indes kam es wieder zu Zerwürfnissen mit den innerösterreichischen Ländern, die sich dadurch ausgleichen ließen, daß die Vertreter abermals wie zu Bruck an der Mur nicht nach dem beanspruchten Range, sondern zwanglos standen und gingen. In beiden Annalen 105, fol. 187, 346; Eder, Die Stände d. L. ob d. Enns S. 12 f. ) Krainer und Kärntener Landhandfeste fol. 54, bzw. S. 107 f. :1 ) Fontes rer. Austriac. 1. Abt. 1, S. 141, 160 f. F. Krones, Vorarbeiten zur Quellenkunde u. Gesch. d. L a n d t a g s w e s e n s Steiermark, Beiträge zur Kunde steierm. Geschichtsquellen 6 (1869) S. 92. s ) Eder, Studien zur Reformationsgesch. Oberöst. 2 (1936) S. 12 f. 2

der

509

10. Der Rangstreit des Landes ob der Enns mit Steiermark.

Fällen stellte Ferdinand dem Lande ob der Enns Schadlosbriefe aus, daß diesem aus dem jeweils eingehaltenen Vorgange für die Zukunft kein Nachteil erwachsen solle 1 ). Da nach dem Ableben Ferdinands I. (1564) seine Erbländer geteilt wurden, wobei seine Söhne Maximilian II. u. a. Österreich unter und ob der Enns, Karl Steiermark, Kärnten und Krain bekamen, so entfiel für einen Rangstreit jeder Anlaß; er entbrannte erst wieder, und da besonders heftig, bei dem bekannten Linzer Tage des Jahres 1614, zu dem Kaiser Matthias, ein Sohn Maximilians II., die österreichischen und böhmischen Länder sowie Ungarn einberufen hatte, um die Gefahren zu bannen, die wieder von den Türken drohten (Siebenbürgen); gleich bei Beginn der Zusammenkunft verlangten die Steiermärker wieder den Vortritt vor dem Lande ob der Enns. Doch meldeten sich jetzt auch noch die Mährer 2 ), deren Markgrafschaft als Nebenland von Böhmen ein ähnliches, immer loser werdendes Verhältnis zu ihm aufwies wie Österreich ob zu dem von unter der Enns 3 ). Da die Ländervertreter sich nicht einigen konnten und auch den Vorschlag des Kaisers, für diesmal das Land ob der Enns mit Sitz und Stimme zum Erzherzogtum Österreich zu ziehen, nicht annahmen, fand die feierliche Eröffnung, die schon für Ende Juli angesetzt war, erst am 11. August 1614 statt. Zwei Tage vorher trug Matthias den streitenden Teilen auf, binnen drei Monaten ihre Anrechte nachzuweisen und die entsprechenden Urkunden vorzulegen, um für die Zukunft jeden Zwist zu vermeiden. Die Steiermärker, Kärntener und Krainer erschienen nicht bei den gemeinsamen Sitzungen, sondern berieten gesondert, wie ehedem (1518) die Abgesandten des Landes ob der Enns am Innsbrucker Tage 4 ). Doch die beiden Streitteile nahmen ihre Aufgabe so gründlich, daß die gestellte Frist nicht eingehalten, sondern mehrmals verlängert wurde. Die Landschaft ob der Enns legte ihre mit 33 Beilagen („Einschüssen") belegte „Justifikationsschrift" 5 ) am 9. Feber Landesarchiv Linz, Ständische Urkunden = Annalen 105, fol. 89 f. 2

) A. Gindely, Der erste österr. Reichstag zu Linz im J a h r e 1614, Sitzungsber.

der Akademie der Wissenschaften in W i e n 40 (1862) S. 248. 3

) W ä h r e n d das Land ob der Enns als Markgrafschaft im landesfürstlichen Titel

vor Burgau kam, folgt später Mähren erst diesem.

Krainer Landhandfeste fol. 19' ff.

4

) Mitt. d. Archivs für Niederösterreich 1 (1908) S. 200 f.

5

) A. Meli, Grundriß

der

Steiermark (1929) S. 422 f.

Verfassungs-

und Verwaltungsgeschichte

des

Landes

510

V. Österreich und das Land ob der Enns.

1615 in zwei Stücken der kaiserlichen Hofkanzlei vor, die eines an die Innerösterreicher weitergab. Deren Antwort erfolgte als „Deduktionsschrift" am 28. März 1616, der in 22 Beilagen zahlreiche Federzeichnungen von landesfürstlichen Siegeln und nachgemalten Wappen beigegeben sind 1 ). Doch damit noch nicht genug: es erflossen noch „Vorstellungen" und „Gegenvorstellungen" der beiden Parteien, ja die „Schlußschrift" der Steiermärker, der noch eine der Stände ob der Enns folgte, führt die Zeitangabe vom 18. März 16192); aus der Frist von drei Monaten waren fünf Kampfjahre geworden! Noch vorher hatten die Stände in Linz Hieronymus Megiser, den letzten Vertreter des Humanismus in den Alpenländern — er war früher in Klagenfurt — in ihre Dienste genommen, der im Sommer 1613 zunächst als Vorstand der ständischen Bücherei sein Amt begann; doch am 30. Mai 1615, nach Beginn des Rangstreites, erhielt er die Stelle eines landschaftlichen „Historicus" 3 ); das Land ob der Enns hatte mehr als ein anderes nötig, seine beanspruchten Rechte aus der Geschichte zu erweisen. Doch waren alle Mühen auf beiden Seiten vergeblich; hier wie dort fehlte die Kenntnis der Frühgeschichte und das Wissen begann erst mit dem Auftreten der Stände. Den Steiermärkern erwuchs hiedurch ein großer Vorteil, da sie auf die erweisbaren Schwächen im Werden des Landes ob der Enns hinweisen konnten, während diesem die Möglichkeit mangelte, auf das unsichere Entstehen des steiermärkischen Herzogtums einzugehen. Beide wußten nicht mehr, daß sie einmal zusammen e i n Land, das des steyrischen Herzogs, bildeten. Hätte wirklich Kaiser Friedrich I. es zum Herzogtum erhoben (1180), so müßte das auch für den damit verbundenen Traungau gegolten haben, zumal in dessen damaligem Vororte die Burg des Landesherrn lag, die der Mark den Namen gab. Das ständische Brauchtum behielt das sogar im Gedächtnis, Dedvction Schrifft der dreyer Hertzogthumb Steyr, Khärnthen vnd Crain in caussa praecedentiae vor den Ständen ob der Enß. Landesarchiv Linz, Landschaftsakten. 2

) F. Krones, Ergebnisse einer archivalischen Reise nach Linz, Veröffentlichung e n d. Hist. Landes-Commission für Steiermark 13 (1901) S. 146 f., 165. Der schon erwähnte Annalen'band 105, ein Foliant von 672 Blättern, enthält alle Schriften und Gegenschriften samt Beilagen über den Rangstreit (1614—1619). 3 ) M. Doblinger, Hieronymus (1905) S. 447 f.

Megisers Leben und W e r k e , Mitt. d. Instituts 26

10. Der Rangstreit des Landes ob der Enns mit Steiermark.

511

indem unter den landesfürstlichen Städten S t e y r den ersten Platz behielt 1 ), ja wir können da noch weiter zurückgehen und hinzufügen, daß im Prälatenstand Kremsmünster als ältestes Rodekloster des Traungaues dauernd den Vorsitz führte. Die früheste Urkunde, die die Steiermärker als erste Beilage vorwiesen, w a r der Sankt Georgener Vertrag (1186), der aber, w a s die Stände ob der Enns wieder nicht wußten, nicht nur die Mark, sondern auch ihr Land, den Traungau, zum Herzogtum Österreich b r a c h t e ; für sie begann die Geschichte mit dem verfälschten Freiheitsbriefe von 1156, dessen echte Vorlage indes ihr Land gar nicht b e r ü h r t e ; sie knüpften ihre Rechte an die „Mark ob der Enns", die Rudolf IV. dort einschmuggelte; ihr ältestes Beweisstück w a r demnach der Große Freiheitsbrief, nach dem Kaiser Friedrich I. ihr Land mit Österreich zu e i n e m Herzogtum erhoben hätte (1156). Der Streit um den Vorrang in einer W ü r d e w a r der Kampf um deren höheres Alter. Das haben wir schon in dem Kirchenstreit zwischen Salzburg und P a s s a u gesehen; der gleiche Grundsatz w a r auch jetzt noch allgemeine Rechtslehre: Quod prior in dignitate (sc. ducali), sit etiam prior (potior) in ordine 2 ); das frühere Erlangen einer W ü r d e schafft also den Vorrang. Darnach w ä r e also unter den niederösterreichischen Ländern zuerst Kärnten gestanden, zumal dessen Stände die Ansicht ihres damaligen Geschichtschreibers Megiser vertraten, nach der schon Karl der Große im Jahre 791 ihr Land zu einem Erzherzogtum erhoben hätte 3 ). Da Karantanien jedoch auseinanderfiel und seinen eigenen Herzog verlor, so w a r auch hier das Alter der Zugehörigkeit zum Hause Österreich bestimmend. Von den fünf niederösterreichischen Ländern w a r das Herzogtum Österreich das maßgebende und führende Kernland; nach ihm benannte sich auch das Herrscherhaus und ihm fügte es die übrigen Länder nach deren Range und der Zeit ihres E r w e r b e s an. So kam nach dem Aussterben der Ottokare (1192) das Land des steyrischen Herzogs, als dieses noch den Traungau und die Mark an der Mur umfaßte, an Österreich; es w a r der erste Zuwachs eines ganzen Landes und daher stand es im Range an zweiter Stelle. Den Ständen in Österreich unter der Enns, die eifersüchtig den Vorrang ihres 1

) Preuenhueber, Annal. Styr. S. 20. ) Annalen 105, fol. 46', 213, 392', 574', 611', 616'. s ) H. Megiser, Annales Carinthiae (Leipzig 1612) S. 493 f„ 660 f.; Annalen 105, fol. 611'. 2

512

V. Österreich und das Land ob der Enns.

Landes wahrten, erschien die Steiermark als das „mindere" Land (1507) 1 ); damals hatte sich von ihnen Österreich ob der Enns schon abgetrennt und wollte ein „besonderes" Land sein. Die Habsburger erlangten Kärnten im Jahre 1335 und darum stand ihr Herzogtum an dritter Stelle; ihm folgte Krain, dessen letzte Teile erst Rudolf IV. (1364) erhielt, als viertes Glied. Als die Stände ob der Enns sich von denen Unterösterreichs abspalteten und ein „anderes" Land sein wollten, hatte es Maximilian auf einmal mit fünf niederösterreichischen Ländern zu tun; da begann der Rangstreit. Die Innerösterreicher ließen ihrem Wettbewerber nur dann den Vortritt, wenn er wie vordem bloß Zugehör von dem Lande unter der Enns blieb und verteidigten so auch dessen Rechte und den Wunsch des Landesherrn. Ihr Standpunkt war stets der gleiche, während die Stände ob der Enns ihn wechselten, indem sie einmal ein „sonderbares" Erzherzogtum, das anderemal aber nur eine eigene Landschaft sein wollten; in letzterem Falle ruhte der Kampf, in anderem flackerte er immer aufs neue auf, ja loderte manchmal mächtig empor. Der Streit zwischen dem Lande ob der Enns und Steiermark war im Grunde ein Familienzwist zwischen zwei Geschwistern; sie beide kämpften um das angeblich höhere Alter ihres Herzogtums und um die frühere Zugehörigkeit zu Österreich und wußten nicht, daß sie da vor einander nichts voraus hatten, sondern das gleiche Schicksal erlebten, indem sie als e i n Land in gleichem Jahre (1192) und an demselben Tage zu Österreich kamen. Die Stände ob der Enns glaubten indes darauf stolz sein zu können, daß ihr Land früher ein Herzogtum wurde als die Steiermark; sie vermeinten da neun Jahre voraus zu sein 2 ), indem sie die irrige Annahme ihrer Gegner hinnahmen, die Steiermark sei im Jahre 1165 zum Herzogtume erhoben worden; doch fiel es ihnen schon auf, daß hiefür keine Urkunde vorliege, da die gedruckte Landhandfeste ihrer Widersacher („darinn sie doch all ire Freyheiten mit sonderm Fleiß zusamen getragen") sie nicht enthalte 3 ). Doch die Steierer ließen sich nicht beirren, ja sie vermeinten, da einige Geschichtsschreiber Österreich erst 1161 oder 1166 zum Herzogtum erhoben Vancsa 2, S. 588. ) Annalen 105, fol. 320, 344', 569'. 3 ) Ebendort fol. 136, 322. 2

10. Der Rangstreit des Landes ob der Erms mit Steiermark.

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wissen wollen 1 ), noch um ein Jahr ein höheres Alter aufzuweisen als das Land, nach dem sich das Herrscherhaus benannte; trotzdem gewähren sie diesem „gar willig" den Vorrang, aber vor dem hievon abgetrennten Lande ob der Enns wollen sie nicht zurückstehen 2 ): denn dieses sei „von alters hero ein Bayrische March gegen Österreich gewesen" und für sich allein weder ein Fürstentum und noch weniger ein Herzogtum, sondern bloß eine Markgrafschaft oder nur ein Teil (membrum vel pars) eines Erzherzogtums 3 ). Wenn sogar bei Österreich Zweifel auftauchten, wann es Herzogtum wurde, obwohl hiefür eine wenn auch verfälschte Urkunde vorlag, so ist das bei Steiermark, wo keine Grundlage vorhanden war, um so begreiflicher. Die Stände ob der Enns weisen denn auch hin, daß die Geschichtsgelehrten „etwas ungleich schreiben", wann Steiermark ein Herzogtum wurde, und „auch gar hohe und fürneme Leuth hierinn zweiflich gemacht" haben 4 ); sie heben ferner noch hervor, ihr Land wäre früher (1156) zu Österreich gekommen als Steiermark, Kärnten und Krain und es gebühre ihnen schon deshalb der Vorrang 6 ). Wie die Herzogtümer Steyr, Kärnten und Krain nur dem Hause, aber nicht dem Lande Österreich Untertan sein mochten, so beklagen sich die Stände ob der Enns, daß ihre Gegner sie einem anderen Lande „gleichsamb undtersteckhen" und aus fünf bloß vier Erbländer machen wollen; sie halten daran fest, daß Österreich unter und ob der Enns nicht ein „einig", sondern jedes ein „absonderliches" Land und Erzherzogtum sei und wollten diesem gegenüber nicht „geringer", ihm weder „underworffen noch zuegehörig" sein, ja sie dehnen das sogar auf die frühere Zeit aus und gebrauchen das Wort „niemallen"; doch erwidern ihnen die Steiermärker mit Recht, sie suchten entgegen dem Freiheitsbrief (Privilegium maius) aus einem zwei Erzherzogtümer zu machen 6 ). Den Irrtum der Stände ob der Enns scheint der gleichzeitige Geschichtschreiber Preuenhuber ebenfalls zu teilen, wenn er sagt, Friedrich I. hätte auf dem Regensburger Reichstage (1156) die damals Cuspinian, Commentarii (Austria) S. 608 (1161), 623 (1166); es w a r e n bloß Druckfehler, die aus den lateinischen Ziffern entstanden. Megiser, Annales Carinthiae S. 807 (1156), jedoch S. 808 (1166). 2 ) Annalen 105, fol. 212', 224. 3 ) Ebendort fol. 137', 147', 183. 4 ) Ebendort fol. 322, 573'. 5 ) Ebendort fol. 395'. 6 ) Ebendort fol. 46', 51 f., 65', 186, 226, 588, 617' f. 33

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V. Österreich und das Land ob der Enns.

vom Stammlande abgetrennte „ B a y r i s c h e March" „zugleich neben" der Markgrafschaft Österreich zu einem Herzogtum erhoben 1 ). Gleichwohl leitet sie dabei ein richtiger Grundgedanke: die Mark ob der Enns sei schon v o r 1156 ein „aigen Landt" gewesen; hätte wirklich Friedrich I. sie zu Österreich geschlagen und dieses dabei zum Herzogtum erhoben, so hätte er ihr mehr entzogen als gegeben und ihre Freiheiten dazu verwendet, um ein anderes Land zu erhöhen; ein solcher Vorgang wäre für ihre Heimat keine Gabe und Gnade, sondern eine Strafe und Ungnade gewesen; doch hätten der Kaiser und der neue Herzog die eine wie die andere Markgrafschaft nur fördern und begnaden wollen. Wichtig und zutreffend ist es, daß sie unter allen Umständen an der E i n h e i t ihres Landes festhalten und den Einwurf der Steiermärker, die Herzoge von Österreich hätten es nur stückweise erworben, scharf zurückweisen: wenn Linz, Wels, Ottensheim u. a. erst Herzog Leopold VI. erkauft hätte — sie geben für die aus dem Landbuche von Österreich und Steyer geschöpfte Nachricht nicht ganz richtig das Jahr 1208 an 2 ) — so sei das kein Beweis, daß diese Orte nicht schon vorher zum Lande ob der Enns gehört hätten, da doch schon die tägliche Erfahrung zeige, daß ausländische Fürsten in anderen Ländern ansehnliche Herrschaften und Güter haben, die nicht unmittelbar dem Landesherrn zugehören 3 ); sie unterscheiden genau zwischen Land und Besitz und verwerfen daher auch die heutige Lehre, die noch immer an der Annahme der Steiermärker festhält, ja sie noch erweitert hat. Diese bemerken im übrigen richtig, daß erst Rudolf IV. den Titel Erzherzog einführte und „beede Land ain Österreich und Erzherzogthum sein"; das zeige sich auch in dem Titel, der das „Wörtl Österreich" für beide Länder bloß einmal gebrauche 4 ). Wenn jetzt auf einmal die Stände ob der Enns alle Gemeinsamkeit mit dem Lande unterhalb der Enns ablehnen und jede Zugehörigkeit ableugnen, so ist das ein Anzeichen, wie weit sie sich im Streite fortreißen ließen: das prächtige Renaissanceportal, das Preuenhueber, Cataiogus S. 8 = Annal. Styr. S. 406. Sein Vorgänger Strein, den er sonst gerne ausschreibt, läßt noch Österreich und die Mark ob der Enns zu einem Herzogtum erhoben sein (Landesarchiv Linz, Schlüsselberger Archiv, Handschrift 8, S. 265 f.). 2 ) Mon. Germ., Deutsche Chroniken 3, S. 720f.; E. Trinks, Beiträge z. Gesch. d. Benediktinerklosters Lambach, Jahrb. d. Oberöst. Musealvereines 81 (1926) S. 110L, 113 f. : ») Annalen 105, fol. 326, 335', 392 f. 4 ) Ebendort fol. 197, 571', 587, 611.

10. D e r Rangstreit des Landes ob der Enns mit Steiermark.

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ihre Vorgänger im Linzer Landhause errichteten, führte ihnen doch täglich beim Ein- und Ausgehen die Verbundenheit vor, indem ihr Wappen von dem Fünfadler- und Bindenschild umgeben erscheint. Es ist ferner nicht zu vergessen, daß alle damals vorliegenden Geschichtsbücher im Banne des Großen Freiheitsbriefes standen, wonach Kaiser Friedrich I. im Jahre 1156 die Mark ob der Enns mit jener unterhalb dieses Flusses zu e i n e m Herzogtume verbunden hätte, „also das nun bayde vorgenanten tail ain land Österreich genant und gehaissen wirdet; doch hat yeder tail des benanten lands seine aigne landschran und recht", schreibt noch eine Klosterneuburger Quelle aus dem Ende des Mittelalters 1 ). Doch war das noch nicht alles; sie mußten noch viel ärgere Dinge hören. Die Steiermärker hielten ihnen vor, ihr Land sei ein „schlechtes Herzogtum und noch schlechters Erzherzogthumb" und bloß eine „Marggrafschafft"; der „gemeine Mann" nenne es nur das „Ländl" 2 ) (provinciola) 3 ); es sei daher unbillig, wenn dieses sich über „drey Länder oder provincias" erheben wolle; es sei „kein ganzes Erzherzogthumb", sondern bloß der dritte Teil in Bezug auf die vom Lande Österreich unter der Enns, das zwei Drittel zu leisten habe, übernommenen Steuern 4 ). Mit anderen Worten: es sei kein für sich besteuertes und daher selbständiges Land, sondern nur ein Landl, ein Zugehör zum Erzherzogtum Österreich. Es hatte sich also seit dem Mittelalter im ständischen Steuerwesen (S. 491) nichts geändert: nach wie vor zahlte das eigentliche Erzherzogtum Österreich beiläufig zwei, das damit verbundene Land ob der Enns ein Drittel. So geschah es auch auf dem schon erwähnten Innsbrucker Tage (1518) 5 ). Die Linzer Stände bekennen denn auch im Rangstreit, „daß dieses Landt und Ertzherzogthumb ob der Enns zu undterschiedlichen malen halb sovil bewilligt habe, alß das Erzherzogthumb undter der Ennß"6). Sie müssen sich ferner (Ladislaus Sunthaim) Der löblichen fürsten und des lands Österrich alt harkomen und regieren. Frühdruck (Basel 1491) in der Landesbibliothek zu Wien. 2 ) D a s heben auch Strein und Preuenhueber, Catalogus S. 13 f. = Annal. Styr. S. 406 hervor. 3 ) S o bezeichnen es schon C. Bruschius, De Laureaco (1553) S. 21 u. W . Lazius, D e gentium aliquot migrationibus (1600) S. 283. 4 ) Annalen 105, fol. 197', 199', 202', 215, 567'. 6 ) H. J. Zeibig, Der Ausschuß-Landtag der österr. Erblande zu Innsbruck 1518, Archiv f. Kunde österr. Geschichtsqu. 13 (1854) S. 268, 270, 279; Eder, Die Stände d. L. ob d. Enns S. 16 f. 6 ) Annalen 105, fol. 351, 434.

33*

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V. Österreich und das Land ob der Enns.

aus den Siegeln der Landesfürsten nachweisen lassen, daß ihr Land zu unterst gereiht war und in deren Leichenordnungen voran, also in Wirklichkeit nachging. Doch viel klarer sprachen die landesfürstlichen Titel, die das Land ob der Enns überhaupt nicht nennen, sondern es bei Österreich einschließen; so war es denn auch nicht ein Stand des Reiches, sondern es bildete in der Tat nur ein nachträglich dem Herzogtum Österreich angehängtes Zugehör, dessen früherer Rang als Grafschaft des Traungaues nur dadurch erhöht war, daß die letzten Inhaber die Mark an der Mur erwarben; so lebte sie denn, da sie in ihrem Teile, anders als die mit ihr verbundene Kärntener Mark, zu Baiern gehörte, als Baierische Mark (marcha Bavarica) im Gedächtnis fort. So wollten denn die Steiermärker das Land ob der Enns bloß als Markgrafschaft gelten lassen, wobei sie allerdings vergaßen, daß ihre eigene Mark ehedem mit dem Traungau verbunden w a r und so wenig wie dieser zum Herzogtum erhoben wurde. Beide Teile des „Landes des steyrischen Herzogs" sind nicht durch einen Rechtsakt in den Rang eines Herzogtums gekommen, sondern nur allmählich im Gewohnheitsrechte, vornehmlich im Wege der landesfürstlichen Titel, hiezu erwachsen, wobei der eine (Steier) zum Herzogtum, der andere (Land ob der Enns) zum Erzherzogtum gedieh. So bildet denn ein Vergleich der Geschichte beider Länder einen neuen Beweis, daß Kaiser Friedrich I. weder das eine noch das andere Glied des Landes der Ottokare, aber auch nicht beide zusammen, zu einem Herzogtum erhob, sondern bloß dem letzten Inhaber der Markgrafschaft Steyr den Titel eines Herzogs verlieh (S. 431 f.). Das Land, von dem aus die Traungauer die Kärntener Mark erwarben und das ihr den bleibenden Namen gab, wo noch der letzte Herzog seinen Sitz hatte und wo er sein gesamtes Herrschaftsgebiet an Österreich vergabte, hatte wirklich keinen Anlaß, vor der Steiermark zurückzutreten; es war ihr gleichberechtigt. Doch war es von ihr abgetrennt und bloß ein Zugehör zum Herzogtum Österreich geworden; und dagegen bäumten sich seine Stände auf. Sie wiesen im Rangstreite darauf hin, daß ihr Land einen nur ihm zukommenden Namen, „uralte sonderbare" Grenzen, ein eigenes Wappen, seine besonderen Landeshauptleute, Landtage, Erbhuldigungen, Erbämter, Freiheiten und Gerichte habe, die es deutlich von Österreich unter der Enns unterscheiden 1 ). Doch finden die x ) Annalen 105, fol. 48', 323 f., 575, 617; I. Luca, Landeskunde von Oesterreich ob der Enns 1 (1786) S. 104.

10. Der Rangstreit des Landes ob der Enns mit Steiermark.

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Steiermärker heraus, daß das Wappen ob der Enns erst spät aufscheint, während ihres schon die Ottokare und Babenberger gebrauchten; es wird ihnen hiebei nicht bewußt, daß bis zum Jahre 1240 der steyrische Panther auch für den Traungau galt; sie geben auch zu verstehen, daß der Gebrauch eines Wappens nicht die Selbständigkeit eines Landes erweise, da auch die Grafschaften Cilli und Ortenburg u. a. ein eigenes Wappen führen und dennoch zum Herzogtum Steier, bzw. Kärnten oder anderswohin gehören. Eigene Erbämter hätte das Land ob der Enns bis auf Maximilian I. nie gehabt, sondern jene des (Erz)Herzogtums Österreich hätten sich hinauf erstreckt. Wenn ein Königreich (Böhmen) viele Landschaften habe, so sei es recht und billig, daß ein ihm nahestehendes Erzherzogtum zwei besitze, da sogar Baiern als Herzogtum über mehrere verfüge. Dasselbe gelte für die Landtage und Huldigungen sowie die anderen aufgezählten Dinge, die „nichts sonderlichs bedeutten" und sich auch anderswo (Baiern) vorfinden 1 ). Der Rangstreit gewährt in all den Fragen, die er aufwirft und beantwortet, einen lehrreichen Einblick in das auf dem Herkommen begründete Ständewesen Österreichs und über das gegenseitige Verhältnis der ältesten habsburgischen Erblande. Die Geschichte des Landes ob der Enns erscheint in ihm als ein Teil des Ganzen und tritt besonders in seinem Verhältnis zum (Erz)herzogtum Österreich scharf hervor. In dieser Hinsicht ist der Rangstreit vorbildlich für den Betrieb der Landesgeschichte zu nennen, die allzugerne bei ihren Grenzen Halt macht; auch hier gilt das W o r t : die Grenzen sollen wie ein mächtiger Flußlauf nicht scheiden, sondern verbinden, zumal dessen Zugehörigkeit wechselt. Da-s hat das Land ob der Enns erfahren, indem es als Traungau zum karolingischen Dreigrafschaftsgebiet gehörte, in der Ungarnzeit jedoch wieder Mark Baierns wurde und später mit der Steiermark und hernach mit dem Herzogtum Österreich verbunden war, von dem es für seinen dorthin abgegebenen einen neuen Namen empfing; und dabei hat der alte Traungau als landrechtliche Einheit seine Grenzen behalten und ist in seinem festen Bestände von Baiern durch den Hausruck, gegen Steiermark durch das Totengebirge (Dachstein) und zu Österreich durch die Enns geschieden geblieben; doch hat er nach Norden die Donau überschritten und neues Siedelland bis zum Böhmerwald !) Annalen 105, fol. 141', 184, 221—223, 329, 576, 581.

518

V. Österreich und das Land ob der Enns.

(Moldau) erschlossen. Es ist verständlich, daß ein solches von der Natur gesegnetes Raumgebiet von so starker Festigkeit sich nicht dauernd mit der Nebenrolle eines Zugehörs zu einem anderen Lande begnügen, sondern wieder seine Selbständigkeit erkämpfen wollte; es sah nicht ein, warum es vor anderen Ländern zurücktreten sollte und wollte nicht als allmählich zusammengekauftes Stückwerk, sondern als Landeseinheit behandelt sein (S. 477 f.). Doch führten die Streitschriften die Sache nicht weiter, sondern den tatsächlichen Abschluß brachte ein Ereignis, das in der österreichischen Ständegeschichte einen einschneidenden Wendepunkt bedeutet : die denkwürdige Schlacht a m W e i ß e n B e r g e bei Prag (8. November 1620). Mit ihr war die Macht der Stände gebrochen und der Sieg des absoluten Fürstentums eingeleitet. Das Land ob der Enns hatte sich mit den böhmischen Ständen und dem herbeigerufenen „Winterkönig" Friedrich V. von der Pfalz verbündet und war mit ihnen geschlagen worden. Kaiser Ferdinand II. hatte es in der Not, um Waffenhilfe zu erlangen, an seinen Vetter Maximilian I. von Baiern verpfändet und eine ähnliche Wahl treffen müssen, wie ehedem sein Ahnherr Rudolf von Habsburg. Im Jahre 1625 mußte Österreich ob der Enns dem Kaiser sämtliche Freiheitsbriefe ausliefern, die es erst 1628, als die Pfandherrschaft zu Ende ging, nur teilweise bestätigt, zurückerhielt 1 ). Gleichwohl flackerte, als sich König Ferdinand III. mit der spanischen' Infantin Maria vermählte (1631), der Rangstreit noch einmal auf. Doch endlich, am 16. Feber 1632, entschied der Kaiser endgültig: das Land ob der Enns sollte kein besonderes Erzherzogtum sein, sondern nur als Glied von dem von Österreich gelten und mit ihm bei Zusammenkünften der Ländervertreter sitzen und stimmen; beide wurden demnach, wie es der Große Freiheitsbrief vorsah, als ein Gesamtherzogtum betrachtet; erst hernach sollten Steiermark, Kärnten und Krain, aber jedes als besonderes Herzogtum, befragt werden; alle drei, oder je eines von ihnen, hätten in dem Falle, daß das Land ob der Enns mit ihnen allein (ohne Österreich unter der Enns) zusammenkäme, vor ihm den Vorrang. Es war dies der Standpunkt, den die Steiermärker immer verfochten; Innerösterreich hatte gesiegt: das Land ob der Enns fand sich als besonderes Erzherzogtum nicht anerkannt, sondern blieb nach wie vor nur ein Teil von dem von Österreich 2 ). Pritz, Gesch. d. L. ob d. Enns 2, S. 371; Zibermayr, Landesarchiv Linz S. 36. ) Wutte, Rangstreit S. 112f.; Meli, Grundriß S. 423; Landesarchiv Linz, Landschaftsakten Bd. 51. 2

11. Das Land ob der Enns im Niedergange des Ständewesens.

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11. Das Land ob der Enns im Niedergange des Ständewesens. Als der Rangstreit am Innsbrucker Tage (1518) offen entbrannte, hatte eben Martin L u t h e r seinen Kampf mit der bis dahin allein herrschenden Kirche begonnen. Schon beim Linzer Landtage des Jahres 1525, als der erste Bauernaufstand ausbrach, meldete sich die neue Lehre zum Wort 1 ). Wie die Annahme des Christentums in Baiern nicht von dem Volke, sondern von dem hiezu beauftragten Herzogshofe ausging, so ist jetzt das Emporkommen der neuen Lehre in Österreich wieder nicht eine Tat des Bauernstandes, sondern ein Werk des A d e l s und des Bürgertums: hier wie dort hat das Landvolk das Glaubenserbe* seiner Väter treu bewahrt und es nur zögernd gewechselt. Das war aber auch nicht anders, als das Luthertum Wurzel geschlagen hatte, und der alte Glaube in der Gegenreformation wieder um die verlorene Herrschaft rang. Der Kampf zwischen alter und neuer Lehre wurde bald Gegenstand der Politik, wobei die eine im Landesfürstentum eine feste Stütze fand, die andere bei den weltlichen Ständen; deren Macht stärkte die drohende Türkengefahr, da der Kaiser auf ihre Mithilfe angewiesen war. Das gilt für ganz Österreich, doch ging im Glaubenskampfe das im Rangstreite allein stehende Land ob der Enns den anderen Ständen voran; das Linzer Landhaus wurde die Hochburg des Protestantismus und der Adelsverschwörer gegen das Haus Habsburg; dessen Feinde konnten alle auf ihren Beistand rechnen. Gerade zu der Zeit, als der Rangstreit zu Ende ging, stieg die Gefahr aufs höchste. Im Jahr 1619 war Kaiser Matthias gestorben und ihm folgte Ferdinand II., der Sohn Karls von Steiermark, von dem nach seinem Vorgehen in Innerösterreich zu erwarten war, daß er die von Maximilian II. und Matthias den adeligen Ständen im Lande unter und ob der Enns zugesicherte Glaubensfreiheit aufheben werde und der alten Lehre wieder zum Siege verhelfen wolle. Da verbanden sich, wovon schon die Rede war, die Linzer Stände mit jenen von Böhmen und schlössen sich dem nach Prag gerufenen Winterkönig Friedrich von der Pfalz, einem Kalviner, an, während jene von Wien rechtzeitig einlenkten. Die weltlichen Stände waren damals schon gespalten, indem die ältere Schicht am Augsburger Bekenntnis (Luther) festhielt, das jüngere Geschlecht jedoch der Genfer Lehre (Kalvin) zuneigte. Die Schlacht vom Weißen Berge bezeichF. Stauber, Die Stände ob der Enns (1859) S. 47 f., Handschrift im Landesarchiv zu Linz; Eder, Studien zur Reformationsgesch. Oberösterr. 1, S. 413.

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V. Österreich und das L a n d ob der Enns.

net nicht nur die Niederlage der Glaubensneuerer, sondern bildet auch das Ende der ständischen Herrlichkeit. E s war ein Glück für die Habsburger, daß gleich ihnen die Wittelsbacher in Baiern ein Hort der alten Kirche blieben. Bei den ungeklärten staatsrechtlichen Verhältnissen des Landes ob der Enns hätte es in anderem Falle Baiern um so leichter gehabt, seine Anrechte geltend zu machen. Maximilian versuchte es auch und nahm das ständig umstrittene Land in Pfand (1620), gab es jedoch nach acht Jahren im Münchener Vertrage gegen die Oberpfalz wieder heraus und verzichtete im Westfälischen Frieden (1648) für sich und seine Erben auf alle Ansprüche 1 ). Der große Bauernaufstand des Jahres 1626 war der Grund, daß der baierische Kurfürst das ursprünglich heiß begehrte Land wieder preisgab; nach seinen Worten w a r „das ob der Ensisch Nöst", der „nidus alles Unhails" (1620) 2 ). Der Heldenmut der Bauern war zwar fruchtlos als Glaubenskampf — als solcher war er nach der Schlacht am Weißen B e r g e schon verloren, als er ausbrach —, hat jedoch dem Hause Habsburg den Besitz des gefährdeten Landes gerettet. Das grausame Frankenburger Würfelspiel, das ihn einleitete, wurde in der Folge das Glückspiel zwischen Baiern und Österreich um den Besitz des Landes. Die armen Bauern waren das Opfer der verhängnisvollen Politik der Stände, die sie nachahmten; die aber wieder w a r das natürliche Ergebnis der staatsrechtlichen Unklarheit über die Zugehörigkeit und Wesenheit des Landes: seine schwierige L a g e zwischen Österreich und Baiern als mehr oder minder loses, aber immer umstrittenes Anhängsel bildete die wahre Ursache „alles Unhails". Das unsichere staatsrechtliche Verhältnis hat das Land schwer büßen müssen und in hohe Kosten und Blutopfer gestürzt, die vorwiegend die Untertanen zu tragen hatten. Die ständige Formel: „Österreich und ob der Enns", wie sie so oft in den Urkunden erscheint, bildet den Schlüssel zur Erkenntnis seiner Geschichte, die sich eben dadurch von jener der anderen Länder, mit denen es zeitweise verbunden war, deutlich unterscheidet und ihr eine besondere Note verleiht. Das zeigt sich klar bei den B a u e r n k r i e g e n , ' deren Zahl und Ausmaß die Augen Europas schon damals auf das kleine Land richRiezler, Gesch. Baierns 5 (1903) S. 155 f., 315 f., 649; matisches Handbuch 1 (1855) S. 8 1 :

F. W . Ghillany, Diplo-

r e n u n t i e t . . . omnique praetensioni in Austriam

superiorem. 2

) F . Hurter, Gesch. K. Ferdinands II. 1 (1857) S. 664, 673 f.

11. Das Land ob der Enns im Niedergange des S t ä n d e w e s e n s .

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teten; sie fassen das religiöse, wirtschaftliche und staatsrechtliche Verhältnis des Landes zu einer Einheit zusammen und sind die lodernden Flammenzeichen des glühenden Brandherdes 1 ). Bauernaufstände als Folge des religiösen und wirtschaftlichen Druckes haben auch die Nachbarländer erlebt; doch hören sie in Unterösterreich, wohin der Aufruhr der Jahre 1594 bis 1597 aus dem damit verbundenen Lande ob der Enns übergegriffen hatte, schon auf, als sie in letzterem erst in großem Stile und seltener Härte beginnen 2 ). Den Unterschied schuf die besondere staatsrechtliche Lage, die das Begehren des Bundesgenossen (Baiern) und der Feinde der Habsburger hervorrief; der hier stärker als anderwärts vorhandene Gegensatz zwischen den Landesfürsten und den Ständen, bot für sie einen bleibenden Anreiz, an der schwächsten Stelle einzudringen; die ihres Glaubens wegen Verfolgten und Ausgewiesenen verschärften noch die vorhandenen Schwierigkeiten; dadurch wurde das Land ob der Enns ein ständiger Herd von Unruhen. Kaum als der Aufstand des Jahres 1626 niederbrach, erhoben sich die Bauern wieder, als der Schwedenkönig Gustav Adolf zu nahen schien (1632). Sein Schlachtentod zu Lützen in Sachsen verhinderte das zwar, doch nahmen seinen Plan die ihm folgenden Heerführer wieder auf. Noch am Ende des Dreißigjährigen Krieges, knapp vor dem Friedensschlüsse, drohte ein neuer Einfall der herbeigerufenen Schweden, die Baiern und einen großen Teil Böhmens besetzt hielten, ja schon Wien gefährdeten (1648) 3 ). Doch damit war das Trauerspiel beendet, das die ränkevolle Politik der Stände seit langem angezettelt hatte und letzten Endes die Bauern büßen mußten, die „treuen Herzens mit einer Tapferkeit und Zähigkeit fochten", wie sie anderwärts ihre Standesgenossen „kaum jemals sonst" bewährten 4 ). Die entstandenen Kriegsschäden ließen sich zwar heilen, aber die Blutopfer und die große Zahl der w e g e n ihrer Standhaftigkeit im Glauben Ausgewiesenen 5 ) waren Eder, Studien z. Reformationsgesch. Oberösterr. 2, S. 5 f., 409 f., 415 f. ) 0 . Schiff, Die deutschen Bauernaufstände von 1525 bis 1789, Histor. Zeitschr. 130 (1924) S. 201—204. 3 ) A. Czerny, Bilder aus der Zeit der Bauernunruhen in Oberösterreich. 1626, 1632, 1648 (1876) S. 273 ff. 4 ) F. Stieve, Der oberöst. Bauernaufstand des Jahres 1626, 2. Aufl. 1 (1904) S. 344; dazu E. Mühlbacher in: Mitt. d. Instituts 14 (1893) S. 166f. 5 ) „Und man kann nicht behaupten, daß dieser letzte Schritt notwendig gew e s e n wäre." Huber, Gesch. Österreichs 5 (1896) S. 243. S o urteilte schon der baierische Statthalter Adam von Herbersdorf (1627). Stieve 1, S. 341 f. 2

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V. Österreich und das Land ob der Enns.

unwiederbringlich dahin; den Heimgebliebenen war die Liebe zum Vaterland und ererbten Boden heiliger als das neue evangelische Bekenntnis 1 ). Der Kampf zwischen Glaube und Heimat hat nirgends in Österreich so ergreifenden Ausdruck gefunden als im Lande ob der Enns; er ist seine Heldenzeit! Kaum war der Adelsaufstand des Jahres 1619 niedergebrochen, bemerkt der Hofrichter von Spital am Pyhrn, wo vorher Karl Jörger als ständischer Oberhauptmann arg gehaust hatte, in einem Briefe vom 1. Jänner 1621: „Sonst ist es Gott lob in O b e r o e s t e r r e i c h zimblich still" 2 ). Da findet sich der deutsche Volksausdruck für Austria superior, der den amtlichen (Land ob der Enns) immer mehr zurückdrängt und ihn schließlich (1918) ablöst. Die baierische Pfandnahme zeigte so recht, was der Besitz des als „Landl" herabgesetzten Traungaues für Österreich und sein Herrscherhaus bedeutete. Das spricht in überzeugenden Worten Franz Christoph Khevenhiller, der Geschichtschreiber Ferdinands II., damals sein Gesandter am spanischen Hofe zu Madrid, als Inhaber der Herrschaften Frankenburg, Kammer und Kogl Mitglied des obderennsischen Herrenstandes, in einer Denkschrift aus, die er für den Kaiser verfaßte (1628); er rät ihm darin, unter allen Umständen an dem Rückerwerb des versetzten Erzherzogtums festzuhalten, „in Bedenckung, daß sie davon Ihren lobl. Nahmen führen, und daß es ein Schlüssel zu beyden berühmten Wasser-Stromen, der Donau und Ens ist, und ein solcher Paß, dadurch der Käyser und Euere Konigl. Maj. durch Volcker und Macht aus Teutschland in Italien einander die Hände bieten, und den niemand, wann auch alle andere in Niederland und Franckreich verlegt und verwehrt werden, verhindern und versperren, und woher man aus Unter-Oesterreich und Hungarn grosse Mengen Volcker geschwinde und leichtlich haben kan"; ja er hebt gleich darauf hervor, daß selbst die geheimen Räte des Kaisers erklärt hätten, es w ä r e besser, „das Königreich Böheim verkauffen, als Ober - Oesterreich versetzen" 3 ). Der Verfasser gebraucht da K. Pleyer, Die Reichweite der Deutschen Reformation, Histor. Zeitschr. 153 (1936) S. 280. 2 ) E. Hager, Aus d e m Leben eines ständischen Oberhauptmannes, 58. Jahresber. d. Staatsgymnasiums zu Linz (1909) S. 28. 3 ) F. Chr. Khevenhiller, Annales Ferdinandei 11 (1726) S. 298.

11. Das Land ob der Enns im Niedergange des S t ä n d e w e s e n s .

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in einem Schriftstück, dem amtliche Eigenschaft beizulegen ist, für seine Heimat den Namen „Oberösterreich", den er auch sonst abwechselnd mit dem alten Ausdrucke verwendet, wie er denn auch von den „Ober- und Nieder-Oesterreichischen Ständen" (1619) spricht 1 ), ohne dabei noch an alle habsburgischen Länder zu denken, sondern bloß das Hauptland meint. Selbst Kaiser Ferdinand II. nennt in einem Schreiben an Herbersdorf das „Erzherzogtum ob der Enns" einmal „Oberösterreich" (1627)2). Wenn auch das verpfändete Land zurückkehrte, so spielte es gleichwohl nicht mehr eine besondere Rolle. Das zeigt sich an dem Ausgange des Rangstreites (1632), der es als Zugehör zu Österreich unter der Enns beließ. Viel Schuld liegt im Wechsel des Adels, da der alte zum erheblichen Teile seine Heimat verließ und der neue (katholische) oft zugewanderte dem Hofe dienstbar wurde. Wenn noch kurz vorher der Führer des Aufruhrs, Georg Erasmus Freiherr von Tschernembl, stolz verkündete, „Am Adel liegt alles," „Wir suchen Uniones, Correspondenzen mit der ganzen Welt, haben überall Abgesandte" 3 ), so war der führenden Schichte nach der Schlacht am Weißen Berge nicht nur der Übermut, sondern auch das Rückgrat gebrochen: Herr und Gebieter war jetzt der Landesfürst; da ist klar zu erkennen, welchen Wechsel und Einschnitt das Jahr 1620 bedeutet. Das war auch in den übrigen Fürstentümern Habsburgs nicht anders, doch fällt im Lande ob der Enns der Unterschied stärker auf, da der Abstand zwischen ehedem und jetzt größer war. Der Name „Oberösterreich" dringt durch die jetzt in Schwung kommenden Reiseführer in weitere Kreise. So bezeichnet es Matthäus Merian gewöhnlich auf diese Weise, was schon dadurch zum Ausdruck kommt, daß er gleich am Beginn seiner Topographie vom „Land ob der Enß oder Ober-Oesterreich" spricht, wobei er den letzten Ausdruck durch Fettdruck hervorhebt; er vergleicht es mit dem Erzherzogtum Österreich und erwähnt da, daß in ersterem zum Unterschied von dem letzteren die sieben landesfürstlichen Städte Linz, Steyr, Wels, Enns, Freistadt, Gmunden und Vöcklabruck im Landtage den vierten Stand bilden, zwei Verordnete und einen Syndicus haben. In seinem Werke zittert noch der Rangstreit nach, 2

) Khevenhiller, Annal. Ferd. 9 (1724) S. 671. ) Stieve, Bauernaufstand 1, S. 342. 3 ) J. Stülz, Zur Charakteristik des Freih. Georg Erasmus v o n Tschernembl, Archiv f. Kunde österr. Geschichtsqu. 9 (1853) S. 174 Anm. 1, 189 f. 2

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V. Österreich und das Land ob der Enns.

den er erwähnt, ja er ist so ängstlich, daß er die Orte des Landes ob der Erins nicht gesondert aufführt, sondern mit denen von Niederösterreich vermengt und so das Erzherzogtum Österreich als eine Einheit erscheinen läßt; doch liegt St. Wolfgang am Abersee nach einem ihm zugekommenen Berichte im „Ländl ob der Enß" 1 ). Den Text verfaßte nicht er, sondern der Steiermärker Martin Zeiller, der vorher bei den Ständen in Linz angestellt war 2 ); dessen gleich darauf (1651) zu Ulm unter dem eigenen Namen erschienener „Fidus Achates oder getreuer Reisgefert" zeigt demnach das gleiche Abbild; auch hier steht gewöhnlich Oberösterreich für das Land ob der Enns. Wenn auch mit dem neuen Adel die Macht der Landtage gebrochen war, so bestand die ständische Verfassung noch immer fort. Die bleibenden Geldverlegenheiten der Herrscher ließen zunächst den Landtagen ein gewisses Maß von dem bisherigen Eigenleben. Die wieder drohender werdende! Türkengefahr veranlaßte die Stände, die alten Schanzen an der Ostgrenze des Landes wieder auszubessern, bis zunächst bei St. Gotthard (1664) und dann bei dem heldenhaften Entsätze von Wien (1683) der Halbmond endgültig zurückgedrängt wurde. Kaum war im Osten die Ruhe zurückgekehrt, so brach ein neuer Brandherd im Westen aus, als nach dem Ableben des letzten Sprossen aus der spanischen Linie des Hauses Habsburg (1700) Ludwig XIV. von Frankreich Ansprüche auf die dortige Erbfolge erhob und ihn Kurfürst Max Emanuel II. von Baiern unterstützte. Nach Grenzkämpfen mit wechselndem Erfolge führte Prinz Eugen, der größte und volkstümlichste Feldherr jener Zeit, bei Höchstädt (1704) einen entscheidenden Schlag, der Baiern in seine Hände brachte. Österreichs Heldenzeit brach an, das nach den glänzenden Siegen über die Türken den W e g zur Großmacht beschritt. Schon unter Kaiser Leopold hatte man begonnen, sein die Ostalpen, Sudeten und Karpathen umfassendes Erbreich als „österreichisch" zu bezeichnen und jetzt (1703) kam hiefür das Wort „Monarchie" auf 3 ). Der flüchtige Kurfürst wäre schon damals geneigt gewesen, sein Stammland gegen andere Gebiete an das Haus HabsM. Merian, Topographia provinciarum Austriacarum (1649) S. 9 f, 55. s

) E. Straßmayr, Die Beziehungen des Topographen Martin Zeiller zu den oberösterr. Ständen, Heimatgaue 2 (1921) S. 15 f. 3

) Redlich, Gesch. Österreichs 6, S. 5.

11. Das Land ob der Erms im Niedergange des Ständewesens.

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bürg abzutreten; zum mindesten schien dem Kaiser das Innviertel zuzufallen, dessen Bauern sich im Jahre 1705 dem Aufstande der Oberpfalz anschlössen. Doch der Friede von Rastatt (1714) setzte den Kurfürsten wieder in seine Würde ein, aber immerhin erklärte sich Frankreich geneigt, einem etwaigen Tauschgeschäfte zwischen Österreich und Baiern sich nicht zu widersetzen. Max Emanuel wäre bereit gewesen, gegen die spanischen Niederlande (Belgien) weite Teile seines Stammlandes an Österreich abzutreten, doch verlangte dieses ganz Baiern, ein Gedanke, der in anderer Form nach mehr als einem halben Jahrhundert später (1784) wieder auftauchte, aber dann an dem Widerspruche des preußischen Königs Friedrich des Großen scheiterte 1 ). Der Kampf zwischen Baiern und Österreich lebte neuerdings auf, als der letzte Habsburger Karl VI. starb und ihm seine Tochter Maria Theresia folgte (1740), die gegen den denkwürdigen Rat des Prinzen Eugen, der sie mit dem wittelsbachischen Kurprinzen vermählt wissen wollte (1735)2), den länderlosen Herzog Franz Stephan von Lothringen geheiratet hatte. Da erhob Kurfürst Karl Albert Anspruch auf die gesamten österreichischen Erblande, fiel im Lande ob der Enns ein und ließ sich in Linz von den Ständen huldigen. Die junge Königin war darob so ergrimmt, daß sie zunächst daran dachte, die ganze Landschaft aufzulösen 3 ); doch bald wendete sich das Kriegsglück und kurz darauf (1743) nahm Maria Theresia die Huldigung — sie war die letzte in Linz — entgegen. Die baierischen Ansprüche aufOberösterreich gründeten sich nach einer damals verfaßten Denkschrift auf den Irrtum des Großen Freiheitsbriefes, wonach Kaiser Friedrich es von Baiern abgetrennt und mit Österreich vereinigt und Rudolf von Habsburg es nach der baierischen Pfandnahme vollends weggenommen und seinem Hause zugebracht hätte 4 ). Die tapfere Frau, die gegen eine Welt von Feinden um den Bestand ihres Reiches kämpfte, durfte es noch erleben, daß sie nach dem Aussterben der Münchener Linie der Wittelsbacher im Teschener Frieden (1779) ein Stück von Niederbaiern zwischen Inn, *) U. a. Doeberl, Entwicklungsgesch. Bayerns 2, 3. Aufl. (1928) S. 167f., 344f.; Redlich, Gesch. Österreichs 7, 2. Aufl. (1942) S. 139 f. 2 ) Ebendort S. 287, 293. 3 ) J. Schwerdfeger, Der baierisch-französische Einfall in Ober- und Niederösterreich (1741), Archiv f. österr. Gesch. 87 (1899) S. 401. 4 ) Nach der ebendort S. 367 Anm. 1 angegebenen „Gründlichen Ausführung".

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V. Österreich und das Land ob der Enns.

Salzach und Donau erhielt, das jetzt den Namen „Irinviertel" bekam 1 ) ; damit wurde der erstgenannte Fluß die Westgrenze Österreichs und des Landes ob der Enns, mit dem es verbunden wurde. Die Ansprüche der Kaiserin stützten sich auf eine Urkunde des Königs Sigismund vom 21. März 1426, wonach dieser dem Herzog Albrecht V. von Österreich das Straubinger Ländchen verschrieb 2 ). Vorher hatte sie schon in einem Staatsvertrage mit dem Bischof von Passau (1765) die Grenze mit dem anrainenden Hochstifte geregelt, eine Übereinkunft, die wenig später (1782) Josef II. ergänzen ließ 3 ). Doch war noch kein dauerndes Ergebnis erreicht. Baiern verbündete sich wieder mit Frankreich; es kam die bittere Zeit der Franzoseneinfälle unter Kaiser Napoleon, wo die Wittelsbacher abermals die Ennsgrenze erreichen wollten 4 ). Im Schönbrunner Frieden (1809) mußte Österreich das Innviertel und einen Teil des Hausruckkreises abtreten. Durch den Münchener Staatsvertrag vom 14. April 1816 erhielt das Land ob der Enns wieder seine frühere Westgrenze, ja auch ein Teil des ehemaligen Erzstiftes Salzburg wurde damals mit ihm vereinigt. Mit dem dauernden Erhalt des Innviertels kam ein Bestreben Österreichs zum Abschluß, das schon in die Zeit der Babenberger zurückreicht; bereits Herzog Friedrich II. erwarb Schärding und Ried, um dort Fuß fassen zu können; die Besitznahme von Neuburg am Inn durch den Habsburger Albrecht I. ist da ebenfalls als Vorläufer zu nennen 5 ). Seit dem Jahre 1156, wo Österreich von Baiern getrennt und ein eigenes Herzogtum wurde, bestand zwischen beiden Staaten eine kaum überbrückbare Spannung, die bei jeder Gelegenheit immer aufs neue aufriß. Daran hatte das dazwischen liegende Land ob der Enns am meisten zu leiden; seine Zugehörigkeit war oft umstritten und sein staatsrechtliches Verhältnis nie ganz geklärt. Das verleiht seiner Geschichte ein besonderes Merkmal; es stand an der Scheide zwischen Altsiedel- (Baiern) und Ausbauland (Österreich), entglitt A. Arneth, Geschichte Maria Theresias 10 (1879) S. 640; K. Meindl, Die Vereinigung des Innviertels mit Österreich (Linz 1879) S. 28. 2 ) Ebendort S. 8; Doeberl, Entwicklungsgesch. Bayerns 1, S. 311. 8 ) Luca, Landeskunde u. Chronik zur Gesetzkunde d. L. ob der Enns 4, S. 13 bis 24; Pritz, Gesch. d. L. ob d. Enns 2, S. 530, 540f.; J. Heider, Regesten des Passauer Abteilandes (München 1934) S. 286 f. (mit Karte). Die frühere Grenze Österreichs reichte nach Westen bis Jandelsbrunn und Wildenranna. 4 ) E. Mühlbacher, Die literarischen Leistungen des Stiftes St. Florian (Innsbruck 1905) S. 187 Anm. 5 ) Lohninger, Oberösterreichs Werdegang S. 41, 63.

11. Das L a n d ob der Enns im Niedergange des Ständewesens.

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dem ersten und wurde von letzterem aufgesaugt. Wie das Streben Baierns darauf ging, Österreich wieder zu erwerben, so wollte dieses jenes an sich reißen. Das trat besonders hervor, als das Habsburger Reich Großmacht wurde und war dann umso dringender, als es den Hauptteil Schlesiens an Preußen verlor (1742): da hätte, um nicht die Vorherrschaft der Deutschen in seinem Völkergemisch zu gefährden, der Erwerb Baierns den erforderlichen Ersatz geboten. So wurde denn die außenpolitische Lage des Landes ob der Enns noch unheilvoller als die Unklarheit seiner inneren staatsrechtlichen Verhältnisse. Baiern hat niemals vergessen, daß die Markgrafschaft Österreich ursprünglich ein Stück seines Stammesherzogtums war. Für die Habsburger wurde es, zumal als sie Böhmen und Ungarn besaßen, immer mehr eine Lebensfrage, ihren deutschen Kern zu erhalten, ja sie mußten auf den Zuwachs eines ihm gleichsprachigen Gebietes bedacht sein. In dieser Hinsicht bedeutet der MünchenerVertrag von 1816 einen Wendepunkt: er hat den über mehrere Jahrhunderte dauernden Zwist zwischen Österreich und Baiern endgültig aus der W e l t geschafft, doch hat ersteres damals die letzte Gelegenheit vorübergehen lassen, genugsam deutschen Boden zu gewinnen und sich im Reiche zu verankern 1 ). Baiern bekam nicht nur das fruchtbare Hinterland Salzburgs, sondern auch die Rheinpfalz. Wenn schon der große Wurf nicht gelang, daß ein wetteifernder Staat den andern einsteckte, so trat an seine Stelle der kleinere Wunschzettel, in dem Österreich wenigstens den Inn, Baiern jedoch mindestens die Ennslinie erreichen wollte. Das war seinem Inhalte nach nichts anderes, als der Kampf um das Land ob der Enns, der bei jeder Gelegenheit aufflammte und das Wesen seiner äußeren Geschichte bildet. Da gelang es nun der Großmacht, die alte Westgrenze von Ufer-Noricum, den Inn, zu erreichen, ohne freilich die ehemalige civitas Juvavensium ganz zu erhalten; immerhin bildete das mit Oberösterreich verbundene Salzburg weitaus die Hauptmasse des bis zum Ennsfluß reichenden oberen Teiles von Ufer-Noricum. Im Wandel der Zeit hatte indes dieser Gebietsteil durch den Untergang der ehemaligen Hauptstadt und kirchlichen Metropole Lorch eine solche Einbuße erlitten, die Salzachstadt hingegen als Sitz des baierischen Erzbistums und angesehene Reichsfürstenstadt einen derartigen Aufstieg genommen, daß sie sich nicht dauernd unterordnen ' ) R. Landauer,

Die Einverleibung Salzburgs durch Österreich, Mitt. d. Gesell-

schaft f. Salzburger Landeskunde 73 (1933) S. 1 f., 31 f.

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V. Österreich und das Land ob der Enns.

ließ und nach dem verloren gegangenen Eigenleben strebte. Nannte sich doch Kaiser Franz I. in dem Patente vom 22. April 1816, womit er von ihr, die er schon früher für kurze Zeit an Österreich gebracht hatte, wieder Besitz ergriff, u. a. Herzog von Lothringen, S a l z b u r g , Steyer, Kärnten, Krain usw.; seine Nachfolger befolgten im Großen und Mittleren Titel die gleiche Regel; auch da zeigte sich also noch ein Abglanz der zwar gesunkenen, aber noch immer nicht verblichenen Herrlichkeit. Der Name Österreich ob der Enns, dessen Kreisstadt sie wurde, hingegen kam jetzt hierin so wenig vor als ehedem. Es war doch ein Unding, ein Herzogtum einem Nebenlande eines Erzherzogtums anzugliedern. Der Titel „K. K. Landesregierung in dem Erzherzogthume Oesterreich ob der Enns" blieb nach wie vor der gleiche. Der Vorschlag, hierin auch das Herzogtum Salzburg anzuführen, drang nicht durch. Darin zeigt sich schon der Widerspruch. Dieser kann nur so aufgeklärt werden, daß Salzburg ebenso wie das Land ob der Enns, mit dem es verbunden wurde, als Zugehör zum Erzherzogtum Österreich aufzufassen ist 1 ). Das Sturmjahr 1848 sprengte denn auch den unnatürlichen Zusammenschluß; seit 1. Jänner 1850 war Salzburg ein selbständiges Kronland und bekam eine eigene Statthalterei; doch verlor es im Jahre 1860, nach dem unglücklichen Kriege in Italien, vorübergehend wieder seine Freiheit, indem es abermals bis 15. Mai 1861 Linz unterstellt war 2 ). 12. Das Land ob der Enns wird besondere Provinz (1783). Wie Maximilian I. den ständischen Freiheiten Abbruch zufügte, als er rechtskundige Beamte anstellte, so tat das in großem Maria Theresia. Ihre Herrscherzeit bedeutet einen bedeutsamen Wandel: jetzt beginnt die umfassende Zentralisation der Verwaltung, die das Eigenleben der einzelnen Länder immer mehr beschnitt und deren Wirken nach erteilten Richtlinien gleichmäßig regelte. Von ihrem Reformwerke in den Provinzen ist es als eine bleibende Tat zu werten, daß sie Kreisämter schuf (1752); dadurch fing sie an, den Grundherren die Untertanen zu entziehen, die so in unmittelbaren Das zeigt das damals erschienene Buch von A. A. Schmidl, Das Erzherzogthum Oesterreich mit Salzburg (Stuttgart 1838), das alle drei Länder als Einheit behandelt. 2 ) G. A. Pichler, Salzburgs Landes-Geschichte (1865) S. 1018, 1027, 1038; ReichsGesetz-Blatt für das Kaiserthum Oesterreich, Jahrg. 1860, S. 6, 199.

12. Das Land ob der Enns wird besondere Provinz (1783).

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Verkehr mit dem absoluten Staate traten; sie hatte in ihrer Bedrängnis das Versagen der ständischen, bzw. grundherrlichen Verwaltung kennen gelernt und baute daher ihren Staat auf eigener Grundlage auf. Von da an führen die Landschaften nur mehr ein Schattendasein. Die Landeshauptmannschaft in Linz war schon von dem Zeitpunkte an, als Maximilian I. die Niederösterreichische Regierung errichtete, dieser unterstellt. Die von Maria Theresia ins Leben gerufene „Repräsentation und Kammer" änderte das nur vorübergehend (1749 bis 1759). Einen noch stärkeren Umschwung veranlaßte ihr Sohn J o s e f II.; er hob die Verordnetenausschüsse auf und vereinigte deren Geschäfte mit den staatlichen Länderstellen. Die von ihm am 21. Juli 1783 geschaffene „ o b d e r E n n s i s c h e R e g i e r u n g " in Linz 1 ), der er auch das bisher von der Hofkammer in Wien verwaltete Salzkammergut unterstellte (1786), blieb dauernd selbständig und bekam einen eigenen Präsidenten (später Statthalter); damit war das Land ob der Enns in politischer Hinsicht von Niederösterreich losgelöst 2 ). In Wien verblieb bloß die gemeinsame Lehenstube, die schon seit 1552 die Lehenbücher für beide Länder getrennt führte 3 ); ihr bereiteten erst die Ereignisse des Jahres 1848 ein Ende. Seine den Ständen abgeneigte Denkweise drückt sich schon darin aus, daß er sich nicht huldigen ließ. Im Gerichtswesen rief er als zweite Instanz die Appellationsgerichte ins Leben, wobei er am 1. Mai 1782 eine solche Stelle in Wien für den „Bezirk des Landes Niederosterreich unter und ob der Enns" errichten ließ 4 ). In der Folge gebraucht denn häufig die Gerichtssprache den Namen Niederösterreich auch für das Land ob der Enns 5 ). Seither weisen die Schematismen und Instanz-Kalender für das Erzherzogtum Österreich ob der Enns bis 1817 das „K. K. Appellazion- und Kriminal-Obergericht in Niederösterreich ob und unter Enns" zu Wien auf. Das von ihm Pritz, Gesch. d. L. ob d. Enns 2, S. 610 f., 622 f. ) Starzer, Beiträge z. Gesch. d. niederöst. Statthalterei S. 66, 77. 3 ) E. Frieß, Die neuzeitlichen landesfürstlichen Lehenbücher der niederösterreichischen Lande, bzw. von Österreich unter und ob der Enns im Überblicke, Festschrift d. Herald. Ges. „Adler" f. A. Siegenfeld (Wien 1924) S. 23, 28 f. 4 ) Josefs II. Gesetze und Verfassungen im Justizfache 1 (1786) S. 153 f. Schon vorher sagt Heyrenbach in der oben S. 262 Anm. 1 erwähnten Handschrift S. 11: „das Land unter der Ens, welches mit dem Lande ob der Ens das eigentliche Niederösterreich ausmacht." 6 ) Strnadt, Erläuterungen zum Hist. Atlas S. 82. 34 2

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V. Österreich und das Land ob der Enns.

aus der Eisenobmannschaft Steyr umgewandelte Berggericht (1783) umfaßte gleichfalls beide Länder 1 ). Wie Josef II. für Österreich ob der Enns eine wirkliche Landesstelle schuf, die von jener in Wien losgelöst war, so trennte er es auch kirchlich von Passau und gab ihm ein eigenes Bistum in Linz (1784). Von seinen Vorgängern hatte Kaiser Friedrich III. nur je ein Zwergbistum zu Wien und Wiener Neustadt (1469) durchsetzen können, wovon ersteres unter Karl VI. zum Erzbistum aufrückte (1722). Den Versuchen der sonst so tatkräftigen Babenberger, in Österreich ein Landesbistum zu schaffen, w a r überhaupt kein Erfolg beschieden. Das Fehlen eines das ganze Erzherzogtum umfassenden Kirchensprengels und seine Abhängigkeit von dem im gleichnamigen Reichsfürstentum gelegenen Passau gab ihm noch immer das Aussehen eines Koloniallandes und war auch rein kirchlich betrachtet ein Schaden, wie das besonders die Zeit der Glaubensspaltung offenbarte 2 ). Der erfolgreiche Kampf gegen den Eigennutz der Passauer Bischöfe verleiht der Tat Josefs II., gemessen an dem vergeblichen Bemühen seiner Vorgänger, die volle Größe: er schuf nicht nur das Bistum Linz, sondern verlegte jenes von Wiener Neustadt nach St. Pölten und setzte als Grenze zwischen beiden die Enns fest. Jetzt erst wird dieser Fluß auch eine kirchliche Scheidelinie; bis dahin besaß diese Eigenschaft noch immer die Ybbs, die das obere Passauer Offizialat von dem unteren trennte (S. 453). Der Dekanat Lorch, der am Ende des Mittelalters einen erheblichen Teil westwärts der Enns umfaßte, hatte diesen Abschnitt nach einer Passauer Matrikel aus dem Jahre 1633 an den damals neugeschaffenen Dekanat Linz abgeben müssen und erstreckte sich nunmehr fast zur Gänze östlich der Enns bis an die Ybbs; in Oberösterreich verblieb ihm bloß die Stadt Enns 3 ); er bot so aufs neue ein Abbild der römischen Bischofstadt Lauriacum. Das ist nicht zu verwundern, da auch politisch die Enns damals noch nicht eine so feste Grenze bildete; hatte doch noch später (1657) der Bannrichter zu Linz, der Stellvertreter des Landesfürsten in Sachen des Blutgerichts, nicht nur in Oberösterreich seines Amtes zu walten, sondern w a r auch östlich der Enns bis zur Ybbs zuständig 4 ). Sein WirPritz, Gesch. d. L. ob d. Enns 2, S. 634; Zibermayr, Landesarchiv Linz S. 97. -) Eder, Studien z. Reformationsgesch. Oberöst. 1, S. 1—4, 82 f. 3 ) F. Pritz in: Notizenblatt der Akademie der, Wissenschaften in W i e n 3 (1853) S. 470; Eder, Studien z. Reformationsgesch. Oberöst. 1, S. 4 f. ') Jahrbuch d. Vereines f. Landeskunde im Gau Oberdonau 88 (1939) S. 51.

12. D a s L a n d ob der Erms w i r d b e s o n d e r e P r o v i n z (1783).

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kungskreis bewahrte so noch das Gedenken, daß im späteren Mittelalter der Hauptmann ob der Enns bis an die Ybbs gebot. Noch deutlicher färbt sich das kirchlich ab, da erst auf Befehl Josefs II., wonach das neue Bistum Linz ganz Oberösterreich umfassen sollte, der Unterlauf der Enns nicht nur politisch, sondern auch kirchlich eine feste Grenze wurde; im Jahre 1785 ging demnach der ganze Lorcher Dekanat mit Ausnahme der Stadtpfarre Enns an die Diözese St. Pölten über 1 ). Der große Wandel, der damals eintrat, drückt sich deutlich in den Steuerbüchern des Landes aus: während die Theresianischen Rektifikationen (1748) noch Gebietsteile bis zur Ybbs umfassen, erscheint im Josefinischen Kataster (1788) die Enns als scharfe Scheidelinie: an ihr schließen für beide Länder die damals geschaffenen Steuergemeinden ab. Im Gerichtswesen jedoch bildeten nach wie vor die Länder unter und ob der Enns als „Niederösterreich" eine Einheit. Das Landgericht Burg Enns hatte seinen Sprengel noch immer ostwärts des genannten Flusses und gehörte zu Unterösterreich 2 ). Das Land ob der Enns als eigene Provinz ist mithin erst ein Werk Josefs II., der es politisch von Niederösterreich (Wien) und kirchlich von Passau frei machte und hiedurch Linz die Eigenschaft einer wirklichen Hauptstadt verlieh. Das Vorgehen desselben Kaisers gegen die Stände zeigt deutlich, wie wenig die früheren Machthaber noch bedeuteten. Das erwies bald in großem die an seinem Lebensabende ausgebrochene Revolution in Frankreich, die ganz Europa erschütterte. Wohl hat sein Bruder Leopold II. als Nachfolger die Verordnetenausschüsse wieder erstehen lassen, doch war das nur eine Äußerlichkeit; im Wesen blieben die von seinem Vorgänger errichteten Grundfesten bestehen und behielten auch noch in der Folge, wenn auch seit dem Umbrüche des Jahres 1848 in anderer Form, bis zum Untergange des Kaiserstaates (1918) ihre Dauer und Kraft. Das Bestreben Josefs II., einen Einheitsstaat zu schaffen, war nicht gelungen. Kaum w a r er gestorben, hatte es Leo1

) M. Hiptmair,

G e s c h . d. B i s t h u m s Linz

(1885)

S. 46, 491.;

Kerschbaumer,

G e s c h . d. B i s t h u m s St. P ö l t e n 2 (1876) S. 50 f., 5 3 f. 2) Histor. A t l a s der österr. Alpenländer, A. Grund, E r l ä u t e r u n g e n S. 205.

(Wien

1. Abt. 1. Lief. (1906) Blatt 5;

1910) S . 196 f.;

dazu

Mitt. d. A r c h i v s f. N i e d e r ö s t e r r . 1,

In g l e i c h e r W e i s e b i l d e t e n für die militärische Einteilung d e s J a h r e s 1779

die E n n s u n d Isper keine G r e n z e der W e r b e b e z i r k e . Luca, L a n d e s k u n d e 4, S . 89. 34*

532

V. Österreich und das Land ob der Enns.

pold II. mit einer Reihe von Sonderwünschen zu tun. So glaubten die Stände von Oberösterreich den Tag für gekommen, um zu erklären, „das Land ob der Enns benötige eine eigene Verfassung, die sich von derjenigen der übrigen Erblande unterscheiden m ü s s e " 1 ) ; sie waren nicht zufrieden, daß sein älterer Bruder in Linz eine unabhängige Landesstelle geschaffen hatte und dachten noch in einer Zeit, die schon andere Sorgen drückten, nur an ihre Freiheiten und Vorrechte. Als sein Sohn Franz die Herrschaft antrat (1792), begannen die Drangsale der Franzosenkriege. Inmitten der Wirrnisse legte Franz die deutsche Kaiserkrone nieder und richtete ein erbliches Kaisertum Österreich ein, das alle habsburgischen Länder aus den Ostalpen, Sudeten und Karpathen zu einem geschlossenen Herrschaftsgebiete (Monarchie) zusammenfassen sollte (1804) 2 ); er verwirklichte in anderer und erweiteter Form das, w a s schon dem letzten Babenberger Friedrich dem Streitbaren vorschwebte, als dieser sein Herzogtum Österreich (mit dem Steyrerlande) zu einem Königreiche erhoben wissen wollte. Von den feindlichen Einfällen ist jener des Jahres 1809 dadurch denkwürdig, daß Österreich „als erste deutsche Macht den Befreiungskampf gegen Napoleon im Zeichen des Volkskriegs eröffnet hatte" 3 ); er traf das Land ob der Enns besonders hart. Der Schönbrunner Friede brachte ihm eine so starke Einbuße (S. 526), daß sein Bestand als eigenes Land wieder in Frage gestellt war. E s erfolgten schon Anstalten, die noch junge Landesstelle in Linz aufzulösen und sie wieder mit jener in Niederösterreich zu verbinden, sowie auch die ständischen Geschäfte mit der Landschaft in Wien zu vereinigen 4 ). W ä r e das geschehen, so hätte es einen Rückfall in die Zustände des Mittelalters bedeutet. Die folgenden Ereignisse ließen die Wesenheit der Verfassung solange unberührt, bis die Stürme des Jahres 1848 dem Wirken der Stände immer mehr ein Ende bereiteten. Noch nach dem Ableben des Kaisers Franz, als sein Sohn Ferdinand den Thron bestieg, bemühten sie sich, ihm ihren Erbhuldigungseid in Linz leisten zu dürfen. Doch ließ ihnen am 22. Mai 1835 der Kaiser eröffnen, es hätte schon bei den drei letzten Herrschern kein solcher Akt in P.'Mitrofanov,

Josef II. 1 (1910)

S. 307.

2

) E . Bernatzik,

3

) H. Rößler, Österreichs Kampf um Deutschlands Befreiung 1 (1940) S. 10.

4

) I. Zibermayr,

Franzosenkriegen,

Die österr. Verfassungsgesetze, 2. Aufl. (1911) S. 4 9 f. Die Flüchtung

des Archives

der oberöst. Landschaft

78. Jahresber. des Linzer Museums (1920) S. 76.

in den

13. Österreich ob d e r E n n s wird eigenes Erzherzogtum (1861).

533

Oberösterreich stattgefunden und dabei habe es zu verbleiben 1 ). Dieser Bescheid darf umso weniger befremden, als sich auch der dahingehende Wunsch der Stände von Steiermark, die für Graz das gleiche wollten, nicht erfüllte 2 ). 13. Österreich ob der Enns wird eigenes Erzherzogtum (1861). Die Februar- (Paris) und Märzereignisse (Wien) des Jahres 1 8 4 8 entfachten einen Umsturz, der den in seinen Grundfesten noch mittelalterlichen Aufbau des Staats- und Wirtschaftslebens beseitigte: der Untertanen- und Lehensverband wurde aufgelöst und der Bauernstand erhielt die Freiheit. Am 23. März versammelte sich der Linzer Landtag zum letztenmal nach dem ständischen Herkommen; er hatte von nun an in steigendem Maße den vom Volke gewählten Vertretern zu weichen. Der am 3. September 1848 abgefaßte Entwurf für eine neue Landesverfassung beginnt mit dem bedeutsamen Satze: „Oberösterreich ist ein einziges untheilbares Erzherzogthum" 3 ). Die Volksvertreter gebrauchen da den in ihren Schichten gebräuchlichen Landesnamen, der den amtlichen bald verdrängen sollte; sie erklären ihr Land als ein einziges, d. h. für sich allein bestehendes Erzherzogtum, das mithin von jenem unter der Enns vollständig losgelöst erscheint und nennen es unteilbar. Das war gerade damals nötig, wo sich Salzburg abtrennte, ja auch noch die Gefahr bestand, daß mit ihm auch noch das Innviertel abfallen sollte 4 ). Viel einschneidender war die politische Organisation des Landes, die unter Kaiser Franz Josef I., einem Neffen Ferdinands, erfolgte. Mit 1. Jänner 1850 übernahm die Statthalterei zu Linz „den vollen Wirkungskreis, welchen die obderennsische Regierung über das K r o n l a n d O b e r ö s t e r r e i c h ausgeübt hat" 5 ); im gleichen Zeitpunkt begannen die an Stelle der Kreisämter getretenen Landesarchiv Linz, Präsidialakten der Statthalterei. ) Meli, Grundriß S. 647. 3 ) Landesarchiv Linz, Landtag 1848; K. Hugelmann, Die österr. Landtage im Jahr 1848, Archiv f. österr. Gesch. 111 (1928) S. 268. s

*) L. Edlbacher, Landeskunde von Ober-Österreich, 2. Aufl. (Wien 1888) S. 361; Bernatzik, Die österr. Verfassungsgesetze S. 115; Hugelmann, Die österr. Landtage S. 335 f. 5

) Allgemeines Landesgesetz- u. Regierungsblatt für das Kronland ob der Enns, Jahrg. 1850, S. 128.

Oesterreich

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V. Österreich und das L a n d ob der Enns.

Bezirkshauptmannschaften zu wirken, die ihr unterstellt wurden; diese übernahmen nicht nur deren Geschäfte, sondern auch jene der seit 1774 bestehenden Distriktskommissariate 1 ) und der politischen Gegenstände der Pfleggerichte. Im Gerichtswesen wurde jetzt das Land ob der Enns von dem unter der Enns getrennt und bekam in Linz ein Oberlandesgericht, das am 1. Juli 1850 seine Tätigkeit aufnahm und auch Salzburg umfaßte; ihm wurden Landes-(Kreis-)gerichte und die an Stelle der Pfleggerichte geschaffenen Bezirksgerichte unterstellt. Der S t a a t übernahm hier wie dort die Aufgaben der herrschaftlichen Grundobrigkeiten, denen das Aufhören des Untertanenverbandes den Boden entzogen hatte. Da erfolgte nun, und das ist für uns wieder wichtig, dasselbe Vorgehen, das Josef II. gewählt hatte, als er das Bistum in Linz ins Leben rief; jetzt erst wird die Enns in ihrem Unterlauf eine feste Grenze, die einer Mauer gleicht ( S . 4 6 2 1 ) : Zusammenhänge, die seit der Römerzeit bestanden, werden auf einmal jäh auseinander gerissen. Man kann sagen, daß mit dem 1. Juli 1850 die Burg Enns plötzlich ihr Antlitz verkehrte; sie, die bisher immer ihren Blick nach dem Osten wandte, hatte ihn nunmehr nach Westen zu richten; damit erlosch der letzte Schimmer des römischen Stadtgaues Lorch, der civitas Lauriacensis! Das neue B e zirksgericht Enns umfaßte ebenso wie die Bezirkshauptmannschaft Steyr, zu deren Sprengel es gehörte, bloß Orte, die westlich der Enns liegen 2 ); es wurde deshalb in seinem Gebiete in derselben W e i s e unnatürlich eingepreßt und zusammengezwängt wie der gleichnamige kirchliche Dekanat; es zählte nur 15 Steuergemeinden und wurde in die dritte Klasse eingereiht, während das anschließende Bezirksgericht St. Florian 29 umfaßte und zur zweiten gehörte; das eine ,wie das andere entstammte in der Hauptmasse dem früheren Landgerichte Tillysburg. Bisher w a r bloß das Gebiet des Landgerichtes Stadt Enns westlich des gleichnamigen Flusses gelegen 3 ), während jenes der Burg Enns östlich von ihm gelagert war und zum „Kreise Ober-Wienerwald" gehörte (S. 531); aus ihm erwuchsen jetzt die Bezirksgerichte Seitenstetten (später St. P e t e r i. d. Au) und Haag, die dem Landesgerichte (später Kreisgerichte) St. Pölten unterstellt wurden 4 ). Doch schon nach vier Jahren, als die „geHoffmann, Die oberöst. S t ä d t e und Märkte S. 79 Anm. 30. 2

) Landesgesetzblätt 1850, S. 132 f., 325, 335.

3

) Strnadt, Erläuterungen zum Hist. Atlas S. 116 f. Allgemeines Reichs-Gesetz-

u. Regierungsblatt f. d. Kaiserthum

J a h r g . 1849, S. 364 f., das eben damals begründet wurde. Anm. 1.

Oesterreich,

Starzer, B e i t r ä g e

S. 112

13. Österreich ob d e r E n n s wird eigenes Erzherzogtum (1861).

535

mischten Bezirksämter" entstanden, wurde das Oberlandesgericht Linz aufgehoben und mit jenem in Wien vereinigt 1 ). Die (Pillersdorfsche) Verfassung vom 25. April 1848 wollte die westlichen „Länder" der Monarchie zum Staate „Österreich" zusammenfassen 2 ). Kaiser Franz Josef nennt sie in seinem Patente vom 4. März 1849 über die Reichsverfassung „Kronländer" und gewährleistet jedem von ihnen Selbständigkeit, wobei er jedoch wie sein Vorgänger das „Erzherzogthum Oesterreich ob und unter der Enns" noch als eine Einheit behandelt 3 ). Sein Patent vom 30. Dezember desselben Jahres hingegen trennt zum erstenmal beide Länder, so daß jedes von ihnen als eigenes Erzherzogtum erscheint; das eine wie das andere erhält eine besondere Urkunde, die jedem von ihnen die Selbständigkeit zuerkennt 4 ). Wäre das durchgeführt worden, so hätten nicht nur die ständischen Verfassungen aufgehört, um Volksvertretungen zu weichen, sondern es wäre auch das Land ob der Enns von Niederösterreich völlig losgelöst gewesen. Doch trat bald ein Rückschlag ein; die Verordnetenausschüsse lebten in erweiterter Form als „vereinigte Landescollegien" wieder auf, die über ein Jahrzehnt die Landesgeschäfte auf ständischer Grundlage weiterführten 5 ). Einen grundlegenden Wandel bringt erst das kaiserliche Patent vom 26. Feber 1861 ( F e b r u a r p a t e n t ) , das als eine Folge des kurz vorher (1859) verlorenen Krieges in Italien zu betrachten ist; es führt auf staatsrechtlichem Felde das aus, was die Erhebung des Jahres 1848 auslöste, aber nur wirtschaftlich erreichte; die landständischen Verfassungen, die seit mehr als einem halben Jahrtausend auf die Geschicke der Länder bestimmend einwirkten, werden endgültig beseitigt und an ihre Stelle treten Landtage auf Grundlage einer wirklichen Volksvertretung, bei der auch der freigewordene Bauer mitzureden hatte; an die frühere Zeit erinnert *) Reichs-Gesetz-Blatt 1854, S. 838, 916; J. Strnadt, Materialien z. Gesch. der Entwicklung d. Gerichtsverfassung im Lande ob der Enns, Arch. f. öst. Gesch. 97 (1909) S. 276. D a s Oberlandesgericht Linz trat am 1. April 1939 wieder ins Leben, doch umfaßt es jetzt bloß den Gau Oberdonau. Gesetzblatt für das Land Österreich, Jahrg. 1939, S. 629. 2 ) Bernatzik, Die österr. Verfassungsgesetze S. 101—103. 3 ) Reichs-Gesetz-Blatt 1849, S. 151. 4 ) Ebendort 1850, S. 1 f., 23 f. 5 ) Darstellung über die Amtswirksamkeit des ob der ennsischen vereinigten Landes-Collegiums (Linz 1861) S. 5 f.

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V. Österreich und das Land ob der Enns.

nur mehr die Kurie des Großgrundbesitzes, da die ehemaligen Vertreter der landesfürstlichen Städte durch neue Abgeordnete aus einem stark erweiterten Wahlkreise so vermehrt wurden, daß die frühere Grundlage kaum mehr sichtbar w a r ; an die Stelle des vereinigten Landeskollegiums erscheint der vom Landtage gewählte Landesausschuß. Da nennt sich Kaiser Franz Josef I. im Titel zwar in herkömmlicher Form Erzherzog von Österreich, doch führt er im Texte sowohl das Land unter wie auch jenes von ob der Enns als eigenes Erzherzogtum an und bezeichnet sie als „unsere Erzherzogthüm e r" 1 ). Der Unterschied wird sofort klar, wenn wir als Beispiel Schlesien heranziehen, wo er sich im Titel zwar Herzog von Ober- und Niederschlesien heißt, aber in der Urkunde beide Teile des genannten Herzogtumes als eine Einheit zusammenfaßt. Es ist das erstemal, daß die Krone in einem Reichsgesetz von z w e i Erzherzogtümern spricht und damit einen Wunsch erfüllt, den die Stände des Landes ob der Enns schon seit Maximilian I. anstrebten (S. 504); aus einem Nebenlande und Zugehör zum Erzherzogtum Österreich w a r jetzt ein ihm gleichberechtigtes Erzherzogtum geworden! Das drückt sich darin aus, daß es von jetzt an als solches v o r den Herzogtümern Salzburg und Steiermark gereiht wird; es hatte erreicht, was es im Rangstreit vergeblich zu erlangen hoffte. Der große Erfolg, der darin gelegen war, wird voll erkennbar, wenn wir auf Mähren blicken: dieses vermochte sich gleichfalls von seinem Hauptlande (Böhmen) abzusplittern, blieb aber stets bloß Markgrafschaft, zu der es Kaiser Friedrich I. erhoben hatte (1182); gleich Oberösterreich erscheint es zum erstenmal in dem nicht durchgeführten kaiserlichen Patente vom 30. Dezember 1849 als selbständiges Kronland 2 ). Den wirklichen Abschluß des Alten und den Beginn des Neuen bedeutet für beide jedoch erst das Staatsgrundgesetz vom 26. Feber 1861, welches das brachte, was das eben erwähnte Patent wollte: eine vom Volke und aus ihm gewählte Landesvertretung mit einem freilich begrenzten Wirkungskreise, der das ständische Vorbild noch immer erkennen läßt. Wie so oft blieb auch da die Sache und es änderte sich bloß die Form; doch bot die im Kaiserstaate verbliebene Doppelverwaltung die Möglichkeit, den einzelnen VölOrig. Landesarchiv Linz; Reichs-Gesetz-Blatt 1861, S. 69 f. Das sah schon der Kremsierer Entwurf des Jahres 1848 vor. Bernatzik, Die österr. Verfassungsgesetze S. 115. 2

) Reichs-Gesetz-Blatt 1850, S. 181 f.; Hugelmann, Die österr. Landtage im Jahre 1848, Archiv f. österr. Gesch. 115 (1940) S. 37, 84 f., 101.

13. Österreich ob d e r E n n s wird eigenes Erzherzogtum (1861).

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kern, deren Zusammenleben durch den seit 1848 schärfer entbrennenden Sprachenstreit immer schwieriger wurde, ein gewisses Maß von Eigenleben zu verbürgen. Das Februarpatent ist mithin staatsrechtlich der Schlußstein des Mittelalters und die Grundfeste der neuen Landesordnungen; mit ihnen haben wir uns nicht mehr zu befassen. Der unglückliche Krieg mit Preußen (1866) brachte das Ende des Gesamtstaates Österreich in der Form des „Ausgleiches" mit Ungarn (1867), nach dem die „Österreichisch-Ungarische Monarchie" in zwei voneinander unabhängige und nur durch die Person des gemeinsamen Herrschers vereinte Hälften zerfiel, in die „im Reichsrate vertretenen Königreiche und Länder" und in die „Länder der ungarischen Krone". Die Vorherrschaft in Deutschland w a r ebenso dahin wie jene der Deutschen im Völkerstaate, seitdem das fast tausendjährige Band mit dem Reiche zerschnitten war. Seine Tage waren gezählt. Im, wie wir jetzt sagen müssen, ersten Weltkriege vollbrachte Österreich im Bunde mit ihm „eine ganz im Sinne der alten Überlieferung von Heer und Reich gelegene weltgeschichtliche Tat, eine letzte große Leistung zum Schutze des Abendlandes" 1 ); der Staat, der fast durch ein Jahrtausend die Vormauer im Kampfe gegen den Osten war, sank in Trümmer (1918). Die untergegangene Monarchie an der Donau war in ihrem Wesen die Erbin Pannoniens oder noch mehr der mächtigen Ostmark, die Karl der Große begründete, und besorgte die Grenzwacht an dem einzigen deutschen Strom, der nach dem Osten fließt; ihre hohe Aufgabe, die eindringenden Horden aus dem Morgenlande, die jetzt Türken hießen, abzuwehren, hat sie ruhmvoll erfüllt: während die Hunnen, Awaren und Magyaren über die Enns vorstoßen konnten, mußten die Osmanen zweimal vor Wien Halt machen (1529, 1683); wie die Karolinger das eroberte Awarenland nicht durchdringen und behaupten konnten, so ist auch sie letzten Endes an der ungarischen Frage (Ausgleich) gescheitert; sie ging in dem gleichen Zeitpunkte unter, als ihr Gegenspieler, die Türkei, aus Europa verschwand. Von der ehemaligen Großmacht verblieb ein Rumpf, der, noch verstümmelt, in seiner Kleinheit an das Österreich gemahnt, über das seit 1363 Rudolf IV. gebot. Brachte das Jahr 1848 das Ende des Ständewesens, so bedeutet jenes von 1918 das Erlöschen des Landesfürstentums, H. Kretschmayr,

Geschichte von Österreich, 2. Aufl. (1936) S. 226.

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V. Österreich und das L a n d ob der Enns.

die beide zusammen bisher die Grundlage des staatlichen Lebens gebildet hatten. Durch den Wegfall des Herrscherhauses verschwanden die zwei einzigen Erzherzogtümer, die auf deutschem Boden erwachsen waren. Das Aufhören des Titels eines Erzherzogs von Österreich zersprengte das letzte Band, das beide Länder noch zu einer Einheit zusammenfaßte. Die Namen Österreich ob und unter der Enns kamen gleichfalls außer Gebrauch; an ihre Stelle traten im Jahre 1918 die Bundesländer Ober- und Niederösterreich, so daß hier wie dort die volkstümliche Bezeichnung auch die amtliche wurde 1 ). In ihren Namen lebte indes noch die frühere Zusammengehörigkeit fort, wenn sie auch jetzt völlig getrennt waren. Doch verschwand im Titel der Flußname Enns, die inzwischen eine wirkliche Grenze zwischen beiden geworden w a r ; damit sank auch der letzte Anklang an das Altertum dahin, wo das Land im Norden der Donau noch nicht besiedelt war und der Unterlauf des genannten W a s s e r laufes das obere und untere Ufer-Noricum schied; es ist wahrhaft erstaunlich, daß über einen Zeitraum von mehr als eineinhalb J a h r tausend die römische Wurzel im Namen zweier Länder sichtbar erscheint. Das gewährt schon ein Anzeichen, daß in ihrem staatlichen Aufbau die gleiche Grundlage fortlebte. W i e ehedem die Traun den nach ihr bezeichneten Gau in zwei Hälften schied, so tut das schon seit dem Mittelalter die Donau. Auf diese W e i s e ist sowohl Ober- als auch Niederösterreich in tatsächlichem Sinne ein Donauland. Das lehrt schon der Verlauf seiner Geschichte, wie ihn in mattem Abglanze das vorliegende Buch aufzeigt. Ihr ursprüngliches Verbundensein weisen selbst noch die neuen Namen Ober- und Niederdonau auf, die nur im Rahmen des kurzlebigen „Landes Österreich" richtig zu verstehen sind; sie wurden gewählt, als die Ostmark wieder ein Bestandteil des deutschen Großreiches wurde (1938); hiedurch entfielen die Bundesländer mit ihren Landtagen und an ihre Stelle traten Reichsgaue; damit kam seit 1. April 1940 auch der tausendjährige Name Österreich amtlich außer Gebrauch. Ober- und Niederösterreich sind in ihren Grundfesten das Stromland der Raffelstettener Zollordnung, wie es Karl der Große aus D a s „Landesgesetz- und Verordnungsblatt ob der E n n s " erscheint zum erstenmal am und Verordnungsblatt für

Oberösterreich".

für das Erzherzogtum

11. Dezember

1918 als

Österreich

„Landesgesetz-

Schlußwort.

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Baiern ausschnitt und als die „Drei Grafschaften" nach römischem Vorbilde mit dem Osten (Pannonien) verband; es ist das Gebiet zwischen Aschach und dem Wiener Walde, also der Kern der beiden ehemals verbundenen Länder. An der Donau, dem Wege der Nibelungen, drang deutsche Kraft und ihre Kultur nach dem Osten vor; da war die ehemalige Mark und das spätere Herzogtum Österreich das letzte Bollwerk und Ausfallstor; es war die deutsche Wacht an der Donau und, als es zumeist durch Erbverträge zur Großmacht erwachsen war, der friedliche Vermittler und Lehrmeister für fremde Völkerschaften, Aufgaben, die es durch ein Jahrtausend heldenmütig und ruhmvoll erfüllt hat!

Schlußwort. Zum Abschluß wollen wir den verfassungsgeschichtlichen Kern unseres Buches eigens zusammenfassen, da das Einbeziehen des Kirchenwesens den eigentlichen Faden, nämlich den s t a a t lichen Aufbau des österreichischen Donaul a n d e s in seinem Werden und eisernem Fortbestand aufzuzeigen, öfter zum Abreißen brachte. Es handelt sich da um die Aufgabe, die der Titel des Buches stellt: Noricum, Baiern und Österreich in ihrem inneren Zusammenhang und stufenweisen Aufbau zu erkennen. Noricum bildet in seinem uferländischen Teil den Grundstock zunächst für das Stammesherzogtum Baiern und dann für das von ihm abgesplitterte Dreigrafschaftsgebiet Karls des Großen und schließlich für die Ostmark der Ottonen, die wiederum die Keimzelle der Großmacht Österreich wurde. Die Lebensader aller dieser staatlichen Gebilde war die Donau, die ihre Geschichte und deren Stetigkeit bestimmte. Schon Ufer-Noricum war ein Süddonauland, dessen Eigenschaft nur die aus den Alpen kommenden Zuflüsse mitformten, wogegen der waldige und unwegsame Norden von keinem größeren Wasserlauf durchzogen wird, da die March erst jenseits des Wiener Waldes einmündet. Die Geschichte dieses Donauraumes entspricht dem Wesen seiner Landschaft: wie diese im Gegensatz zum städte- und verkehrsreichen Rhein sich vielfach unberührt erhalten hat, so sind hier auch die von den Römern festgelegten Grenzen und Sprengel nur wenig angetastet auf uns gekommen. Der Grund hiefür ist darin zu suchen, daß die Donau sich

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Schlußwort.

nicht in ein Weltmeer, sondern in eine Binnensee ergießt. Landschaft und Geschichte zeigen so — und das gibt ihnen ihren anziehenden Reiz — den nur wenig geänderten Natur- bzw. Urzustand. Die viel erörterte Frage der „Kontinuität" läßt sich hier nicht nur aus den geschichtlichen Quellen erweisen, sondern auch aus der sich gleichbleibenden Wesenheit der Landschaft schließen und ergänzen. Den Drehpunkt dieser geschichtsbeständigen Verhältnisse bildete die Enns, die bereits das römische Ufer-Noricum in einen oberen und unteren Abschnitt schied. Schon hierin liegt die Wurzel des künftigen Herzogtums Österreich mit seinem späteren Anhängsel „ob der Enns", das vorher als Traungau mit der Steiermark ebenso verbunden w a r wie ehedem Ufer- und Binnen-Noricum (Karantanien) eine einzige Provinz bildeten. Wie im künftigen Österreich lag schon in der Römerzeit der Schwerpunkt im Wiener Becken, das ursprünglich zum Königreich Noricum gehörte, jetzt aber zu Oberpannonien kam; dennoch blieb es im früheren Gefüge erhalten, da Ufer-Noricum dem Befehlshaber in Carnuntum unterstand. Wie das Gebiet zwischen Inn und Wiener Wald schon damals eine Beigabe zu Pannonien bildete und später Karl der Große das aus dem norischen Uferland verbliebene Dreigrafschaftsgebiet dem Markgrafen der Ostmark (Pannonien) überwies, so wurde später, als die Ungarn sein W e r k längst zerstört hatten, der Traungau ein Zugehör zum Herzogtum Österreich. Das alle umliegenden Gegenden an Wert überragende Wiener Becken gewann mit dem Lande ob der Enns im Westen anschließend an die zu ihm gehörige Lorcher Grafschaft einen Zuwachs, der dem Lauf der Donau folgend, von sich aus nach Osten einen Anschluß suchte. Die Formel „Österreich und ob der Enns" ist der wahre Inhalt und das feste Rückgrat dieses Buches; sie durchzieht wie ein roter Faden fast alle erörterten Fragen und verbindet sie zu einer zusammengehörigen Einheit. Seit der Landnahme der Baiern bildete der Wiener Wald die Ostgrenze ihres Stammesgebietes; dessen erster Mittelpunkt war Lorch. Der Einmarsch unserer Vorfahren zerreißt zunächst die frühere Verbindung mit Oberpannonien und bewirkt den Anschluß an Rätien; ja, nach dem Untergang von Lorch (um 700) wird Regensburg ihre zweite Hauptstadt. Die anschließende Preisgabe des Gebietes zwischen der Traun und dem Wiener Wald und der fol-

Schlußwort.

541

gende Zuzug von Alpenslaven brachten dem baierischen Stamm den Verlust seines gefährdeten Ostteils, der von da an vom Mutterboden absplitterte und in der Folge die Eigenschaft des ersten und ältesten Koloniallandes auf deutschem Boden gewann. Als Karl der Große die Awaren vernichtete, fügte er zwar die drei östlichen Grafschaften Baierns zusammen, verband sie aber nach römischem Vorbild mit Pannonien. An die Stelle der von ihm geschaffenen großen Ostmark trat nach den Ungarnkriegen die kleine der Babenberger, die das Dreigrafschaftsgebiet wieder auseinanderriß und das Wiener Becken aufs neue erobern mußte. Der Traungau war nun von ihm getrennt in der Hand der Grafen von Wels-Lambach und später der Ottokare von Steyr. Als Österreich im Jahre 1156 Herzogtum wurde und aus Baiern dauernd ausschied, trachteten seine Herzoge schon darnach, den ganzen Traungau bis zum Hausruck (Salletwald) hinzu zu bekommen; doch gelang ihnen dies erst wenig später (1192), als sie nach dem Aussterben des genannten Geschlechtes nicht nur den Traungau, sondern auch die damit vereinigte Steiermark gewannen. Herzog Friedrich II., der Streitbare, trennte diese beiden Hoheitsgebiete und verband den Traungau unmittelbar mit dem oberen Teil von Österreich, der von der Enns bis zur Ybbs reichte. So wurde das Land ob der Enns ein Zugehör zu Österreich und dessen dritter Teil. Rudolf IV. wollte die von Baiern nie aufgegebene „Mark" seinem Herzogtum fest eingliedern und zu einem auch urkundlich gesicherten Bestandteil desselben machen (Großer Freiheitsbrief); er gab dem Lande ob der Enns ferner ein Wappen, um auch äußerlich seine Einheit und Zugehörigkeit zum Hause Österreich zu versinnbilden. Doch die Stände ob der Enns wollten nicht in dem Herzogtum Österreich aufgehen, sondern hielten an der bisher innegehabten Eigenständigkeit ihres Gebietes fest; sie sonderten sich von jenen zu Wien immer mehr ab und versammelten sich auf besonderen Landtagen. Der unter Maximilian I. ausbrechende Rangstreit mit der Steiermark zeigt den Inhalt ihres Strebens: er ist im Wesen ein Kampf um die beanspruchte Selbständigkeit des Landes, ohne deshalb den früher mit dem Herzogtum Österreich zugleich innegehabten Rang verlieren zu wollen. Doch erst Josef IL, der die mittelalterlichen Grenzen und Bindungen grundsätzlich nicht mehr beachtete, trennte es verwaltungsmäßig vom Lande unter der Enns ab und schuf hiefür in Linz eine selbständige Regierungsstelle, durch die das bisherige „Landl" die Eigenschaft einer Provinz bekam. Die einschneidenden

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Schlußwort.

Ereignisse von 1848 brachten das Ende der Grundobrigkeiten und des Ständewesens und änderten das ganze Gefüge des Kaiserstaates und der mittelalterlichen Rangordnungen. So erhielt Österreich ob der Enns im Februarpatent des Jahres 1861 den Titel und die Würde eines eigenen Erzherzogtums. Wie sich schon in den Namen der beiden nach der Enns benannten Länder die römische Wurzel offenbart, so läßt sich diese noch deutlicher in ihren Grenzen und Sprengein erkennen. UferNoricum zerfiel in vier Militärbezirke, bzw. bürgerliche Stadtkreise, und zwar je zwei beiderseits der Enns, wovon der bis zum Inn reichende Stadtgau Salzburg ursprünglich nicht ein Bestandteil des Königreiches Noricum war. Dieses begann erst am Hausruck, der späteren Westgrenze des Dreigrafschaftsgebietes. Von hier bis zum Wiener Wald lagerten die drei Stadtgaue Wels, Lorch und St. Pölten (Mautern), deren Gefüge die Landnahme der Baiern überdauerte und bis zum Untergang ihrer Hauptstadt Lorch verblieb. Herzog Tassilo stieß über die Traun bis zur Enns vor (Kremsmünster) und fügte den zerrissenen Traungau wieder zusammen. Karl der Große brachte das ostwärts davon aufgegebene Gebiet wieder an Baiern zurück und vereinigte es mit dem Traungau, schloß es jedoch als Ganzes verwaltungsmäßig an Pannonien an. Doch die Ungarn vernichteten sein Werk und dehnten ihre Herrschaft bis zum Wiener Wald aus; die nachfolgende Ostmark der Babenberger begann daher zunächst dort und reichte ursprünglich nur bis zu der ihnen gehörigen Ennsburg. So blieb denn bloß der Lorcher Gau als Grafschaft erhalten, während der anschließende Bezirk von St. Pölten (Mautern) hiedurch die Eigenschaft einer Mark bekam, die sich bald bis zur Leitha und March ausdehnte. Seit 1246 schied nachweisbar die Ybbs Grafschaft und Mark. An ihr begann der Lorcher Gau, dessen Gebilde schon im Leben Severins als östlich der Enns gelegen erscheint; in der dort angegebenen Grundform blieb er im Gerichtswesen bis 1. Juli 1850 aufrecht. Die gleiche Beständigkeit weist der Traungau auf, der als Nachfolger des römischen Stadtgaues Wels am Hausruck (Salletwald) anfing und bis zur Enns reichte. Die ihn in zwei Hälften zerlegende Traun teilte ihn in den oberen (Ufgau) und unteren, wovon sich das Hausruck- und Traunviertel ableiten (S. 491). Die Tatsache, daß die österreichischen Landesfürsten schon anläßlich der Erhebung ihrer Mark zu einem Herzogtum (1156) ihren Herrschaftsbereich von der

Schlußwort.

543

Enns bis zum Salletwald ausdehnen wollten, beweist, daß der Traungau noch damals ein eigenes Territorium bildete; deshalb w a r es auch Herzog Friedrich II. möglich, ihn von Steiermark abzutrennen und mit Österreich zu verbinden. So ist denn das Land ob der Enns nicht ein erst nachträglich aus verschiedenen Splittern künstlich zusammengefügtes Stückwerk, sondern geht als einheitliches Gebiet in seinem kräftigen Wurzelstock bis in die Römerzeit zurück. W ä h r e n d damals Ufer-Noricum militärisch unter der Oberhoheit von Oberpannonien stand, wird es durch die Landnahme der Baiern auf sich selbst gestellt. Das w a r die große Zeit Lorchs, w o es als ehedem römische Hauptstadt der Sitz ihrer Herzoge w u r d e . Wie Regensburg es nach seinem Untergang als Metropole ablöste, so übernahm später, als der Traungau (Land ob der Enns) mit Österreich vereinigt w a r , seine Rolle Wien. Es ist nicht auszudenken, wie sich die Zukunft gestaltet hätte, w e n n das in der Mitte zwischen Regensburg und Wien gelegene Lorch Baierns Hauptstadt geblieben w ä r e . Doch konnten w i r einen Zeugen anführen, der an die alte Herrlichkeit anknüpfte und Lorch zum Sitz eines Erzbischofs erheben und mit Pannonien (Ungarn) verbinden wollte: Pilgrim von Passau.' Die Landnahme der Baiern, ihre erste Bekehrung, ja auch der Beginn der zweiten sind mit Lorch ebenso unzertrennbar verbunden, wie die unseren Vorfahren ursprünglich gegebene Sendung, nach dem awarischen (slavischen) Osten zu wirken. Erst als Lorch fiel und das zu sehr im Weste'n gelegene Regensburg seine Aufgabe nicht erfüllen konnte, trat an seine Stelle allmählich Wien, das dank seiner unvergleichlichen Lage Mittelpunkt einer Großmacht wurde, die als Schutzmauer Deutschlands den Donauraum weithin beherrschte und vor den eindringenden Türken sicherte. W i e der staatliche Aufbau der nach der Enns benannten Länder sich wenig änderte und ihre landschaftliche Eigenart vielfach unversehrt erhalten blieb, so gilt das gleiche dank dem unabänderlichen W a l t e n des mächtigen, nach dem Osten weisenden Stromes, für den geschichtlichen Beruf ihrer Bewohner, ob das Reich nun Noricum, Baiern oder Österreich hieß.

Ziberrnayr,

Noricum, Baiern

und

Österreich

(1 9 4 4).

Druckfehler und Nachträge. S. S. S. S. S.

7 Amn. 3: . . fällt Klammer w e g . 12 Z(eile) 10: . . vom statt von. 13 Anm. 1: . . nach S. 39: ; unten S. 447. 58 Z. 1: . . ihn statt ihm. 69 Anm. 2: . . nach S. 218 f.: ; E. S t e i n m e y e r u. E. Sievers, Die althochdeutschen Glossen 3 (1895) S. 610. S. 76 letzte Z.: . . F o r t u n a t statt Furtunat. S. 93 Z. 7: . . zur statt zum. S. 109 Anm. 4: . . nach S. 286: Die Namen Lorch und Ipf finden sich auch in Alemannien. K . W e i l e r , Gesch. d. s c h w ä b . S t a m m e s (1944) S. 14 f. S. 110 Z. 22/23: . . a b g e s c h w ä c h t e r statt a b g e s c h w ä c h e r . S. 133 Anm. 3: . . nach Ebendort A 10: ; unten S. 170. S. 135 Z. 27: . . Eine . . 1203 entfällt; d a f ü r : Eine P a s s a u e r Urkunde von 1289 (nennt). S. 135 Anm. 4: J. Weis . . S. 33 ist zu streichen; d a f ü r : Urkb. d. L. ob d. Enns 4 (1867) S. 113; dazu Mon. Germ., Script. 17 (1861) S. 414. S. 168 Z. 5: . . bereitete statt breitete. S. 175 S. 3: . . mit statt mti. S. 177 Anm. 5: . . nach 101: u. 14 (1944) S. 395 f. S. 184 Z. 30 u. S. 186, Z. 3: . . Wollust s t a t t Wohllust. S. 211 Z. 18: . . Daß statt Das. S. 256 Z. 4: . . der T r a u n statt T r a u n . S. 261 Z. 26: . . nach Schlacht: (S. 268). S. 262 Anm. 1: nach S t a a t s a r c h i v e s : u. cod. 7274 der Nationalbibliothek in W i e n sowie (Helleiner). S. 323 Z. 3 ist zu streichen und dafür einzufügen: römische Bezeichnung civitas häufig für einen G r a f s c h a f t s o r t (angewendet). S. 324 Z. 11: . . Plattling*) statt Pledelingen. *) M. H e u w i e s e r , P a s s a u u. das Nibelungenlied, Zeitschr. f. b a y e r . Landesgesch. 14, S. 13 f. s. 326 Z. 15: . P f a r r g o t t e s h a u s statt Gotteshaus. s. 337 z. 20: . . O t k a r statt O k t a r . s.360 z.30: . . innegehabt statt inngehabt. s. 402 z. 15: . . nach der Z ä n k e r : (S. 385). s. 402 z. 23: . Zänker statt Z ä n k e r e r .

S. 406 letzte Z.: . . nach haben: (S. 135). S. 443 letzte Z.: . . nach B a i e r n : (S. 472). S. 453 Anm. 1: A. K e r s c h b a u m e r . . S. 518 ist zu streichen; d a f ü r : *) J. Oswald, D e r organisatorische Aufbau des Bistums P a s s a u , Zeitschr. f. Rechtsgesch., Kanonist. Abt. 30 (1941) S. 135, 138 f. S. 463 Z. 11: . . zeigt s t a t t zeugt. S. 463 Z. 25: in das Melktal statt an die Pielach. S. 463 Anm. 2: . . nach K a r t e : u. 28 (1944) S. 275 sowie (dessen). S. 482 Anm. 7: . . nach Tafel 8: u. Urkb. d. L. ob d. Enns 11 (1944) S. 565 f. S. 484 Z. 3: . . nach Y b b s : (S. 465). S. 500 Z. 19/21: Seit 1480 . . gebraucht ist zu streichen; d a f ü r : Seit Ende des Mittelalters b ü r g e r t sich der Titel „lanndtshaubtman ob der E n n s " ein, den zum erstenmal der Kremser L a n d t a g des J a h r e s 1478 gebraucht"). S. 500 Anm. 6: Kurz . . S. 266 ist zu streichen; d a f ü r : Chmel, Materialien 2, S. 345; Vancsa 2, S. 502. S. 501 Z. 4: . . (S. 472) statt (443 f.). S. 501 Z. 14 ist zu streichen und dafür einzufügen: Baiern oder Österreich zuweisen solle; es gäbe solche, die dort die (Grenze). S. 503 Anm. 5: . . nach oben S.: 106, 384. S. 519 Anm. 1: . . nach 1, S. 413: u. 2, S. 8 f. S. 520 Z. 14: . . Beistrich streichen. S. 521 Anm. 1: . . nach S. 5 f.: 231 ff. S. 521 Anm. 5: . . nach S. 243: So urteilten schon d e r baierische Statthalter Adam von Herbersdorf und Kardinal Melchior Klesl (1627). Stieve 1, S. 341 f.; F. Chr. Khevenhiller, Annales Ferdinandei 10 (1724) S. 1481 f. S. 524 Anm. 3: . . nach S. 5: Schon das F o r m b a c h e r Traditionsbuch nennt das Österreich der letzten B a b e n b e r g e r m o n a r c h i a Austrie. Urkb. d. L. ob d. Enns 1, S. 693. S. 530 Anm. 2: . . nach 82 f.: u. 2, S. 24 f., 44 f.

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