Nordwestgermanisch [Reprint 2012 ed.] 9783110907698, 9783110148183

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Nordwestgermanisch [Reprint 2012 ed.]
 9783110907698, 9783110148183

Table of contents :
Nordische und kontinentalgermanische Orts- und Personennamenstruktur in alter Zeit
Namenkundlich-religionsgeschichtliche Bemerkungen zur Gudme-Diskussion
The light thrown by the early place-names of Southern Scandinavia and England on population movement in the Migration Period
Historische Zeugnisse zur Däneneinwanderung im 6. Jahrhundert
Bracteate Fyn-C 1: A Surprising Encounter with Emperor Marcus Aurelius Carus?
Is There a Northwest Germanic Toponomy? Some Thoughts and a Proposal
Methodological Problems in Germanic Dialect Grouping
Gab es eine eigenständige Balder-Tradition in Dänemark?
Völker und Sprachen in Dänemark zur Zeit der germanischen Wanderungen
Zur Offasage
Neue Runeninschriften um etwa 200 n. Chr. aus Dänemark: Sprachliche Gliederung und archäologische Provenienz
Die Landnahme Englands durch germanische Stämme im Lichte der Ortsnamen
Morphologie der niederrheinischen Matronennamen

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Nordwestgermanisch

Ergänzungsbände zum Reallexikon der Germanischen Altertumskunde Herausgegeben von Heinrich Beck, Heiko Steuer, Dieter Timpe Band 13

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G_ Walter de Gruyter · Berlin · New York 1995

Nordwestger manisch Herausgegeben von Edith Marold Christiane Zimmermann

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_G_ Walter de Gruyter · Berlin · New York 1995

© Gedruckt auf säurefreiem Papier, das die US-ANSI-Norm über Haltbarkeit erfüllt.

Die Deutsche Bibliothek —

CIP-Einheitsaufnahme

Reallexikon der germanischen Altertumskunde / von Johannes Hoops. Hrsg. von Heinrich Beck ... - Berlin ; New York : de Gruyter. Bis Bd. 4 hrsg. von Johannes Hoops Ergänzungsbände / hrsg. von Heinrich Beck ... NE: Hoops, Johannes; Beck, Heinrich [Hrsg.] Bd. 13. Nordwestgermanisch. - 1995 Nordwestgermanisch / hrsg. von Edith Marhold ; Christiane Zimmermann. - Berlin ; New York : de Gruyter, 1995 (Reallexikon der germanischen Altertumskunde : Ergänzungsbände ; Bd. 13) ISBN 3-11-014818-8 NE: Marhold, Edith [Hrsg.]

© Copyright 1995 by Walter de Gruyter & Co., D-10785 Berlin. Dieses Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlages unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Printed in Germany Druck: Werner Hildebrand, Berlin Buchbinderische Verarbeitung: Lüderitz & Bauer GmbH, Berlin

Vorwort

Unter dem Titel "Nordwestgermanisch" fand in der Zeit vom 29.9.1992 bis 3.10. 1992 eine internationale Tagung am Nordischen Institut der ChristianAlbrechts-Universität zu Kiel statt. Unter dem Titel dieser Tagung werden die dort gehaltenen Vorträge nun in ausgearbeiteter Form vorgelegt, vermehrt um Beiträge von Tineke Looijenga, Groningen und Wilhelm Nicolaisen, Aberdeen. Ausgangspunkt und zentrale Fragestellung war der Begriff "Nordwestgermanisch", der seit Hans Kuhn die Diskussion um die Ausgliederung der germanischen Sprachen prägt und vor allem in der umstrittenen Frage der Bezeichnung der Sprache der ältesten runischen Denkmäler eine wichtige Rolle spielt. Es war das Ziel der Tagung, diesen Begriff in ein erweitertes Spektrum interdisziplinärer Fragen und Zugriffe zu stellen, die sich mit dem Zeitraum und dem geographischen Ort der vermutlichen Trennung des Westgermanischen vom Nordgermanischen beschäftigen sollten. Beteiligt waren die Disziplinen Sprachgeschichte, Runologie, Ortsnamenkunde, Vor- und Frühgeschichte, Geschichte, Heldensagenforschung und Religionsgeschichte. Damit erweiterte sich die Fragestellung der Tagung auf die im allgemeinsten Sinn kulturellen und sprachlichen Verbindungen zwischen den sich trennenden nord- und westgermanischen Bereichen. Die abwandernden Angeln, Sachsen und Jüten und ihre Landnahme in England und die Einwanderung der Dänen sind die historischen Ereignisse des 5. und 6. Jh.s, die mit der Trennung des Nord- und Westgermanischen in Verbindung gebracht werden. Neben den historischen Zeugnissen im engeren Sinn liegt es nahe, auch die sagenhaften Traditionen um das Lejrekönigtum in Betracht zu ziehen, vielleicht die in den letzten Jahren gefundenen "Reichtumszentren" in Stevns/Seeland und Gudme/Fünen im Sinn einer Ost-Westwanderung zu deuten (Hoffmann). Der Charakter dieser Reichtumszentren als sakrale Zentren, die solchen in Bomholm (Sorte Muld) und vielleicht auch Alt-Uppsala entsprechen, kann aus der Interpretation des namenkundlichen Materials (Beck), vielleicht auch aus späteren eigenständigen Baidertraditionen in Dänemark (Schier) vermutet werden. Daß die kulturellen Traditionen den nordund westgermanischen Bereich lange verbanden, zeigt die Untersuchung einer Heldensage, der Offasage, deren Zeugnisse bei den Angelsachsen und bei den Dänen Beziehungen nahelegen, die vom Abzug der Angeln vom Kontinent über die Zeit der Wikingerzüge bis ins Mittelalter hinein reichen (Sprenger).

VI

Vorwort

Im Mittelpunkt der Tagung standen jedoch Fragen der Sprachgeschichte. Es waren drei Fragen, die Vorträge und Diskussionen beherrschten: 1. Wie soll man sich die Trennung des west- und nordgermanischen Bereiches vorstellen? Traditionellerweise ging man davon aus, daß die Sprache der nach der Abspaltung der Ostgermanen verbleibenden Germanenstämme verhältnismäßig lange einheitlich blieb. Die Trennung wäre dann durch die Wanderbewegungen im 5. und 6. Jahrhundert erfolgt. Diese Theorie kann aber auch in Frage gestellt werden, wenn man charakteristische westgermanische Sprachneuerungen bereits in sehr viel früherer Zeit beobachten kann (Vennemann). Dann wäre die Etablierung des Westgermanischen ein sehr langsamer und sich allmählich vollziehender Vorgang. 2. Wie soll man sich den Charakter des Nordwestgermanischen vorstellen? War das postulierte Nord westgermanisch überhaupt eine einheitliche Sprache? Die Einheitlichkeit der Sprache der runischen Inschriften bis ins 6. Jh. im Bereich Norddeutschland und Skandinavien schien lange Zeit dafür zu sprechen (RunenKoine bei Makaev). Zwei Untersuchungsfelder bieten sich an: die sprachliche Überlieferung in der Frühzeit selbst: d. h. die Inschriften des 2. bis 4. Jahrhunderts. Die Untersuchungen Seebolds an den schwer deutbaren archaischen Inschriften Dänemarks scheinen dahin zu deuten, daß die Sprache dieses Bereichs ein Kontinuum von Dialekten sein könnte, das Züge aufweist, die nicht auf das spätere Skandinavisch, sondern auf den englischen Bereich weisen. Diese Vorstellung eines Kontinuums von Dialekten ließe sich auf den gesamten Bereich der nach dem Abwandern der Ostgermanen zurückbleibenden Germanenstämme übertragen. Es gab aber auch warnende Stimmen, die davon abrieten, nicht-linguistische Vorentscheidungen hinsichtlich der Gruppierung der germanischen Stämme in die linguistische Beurteilung des Sprachmaterials einfließen zu lassen, wie an einer Untersuchung der Λ-Stämme - vor allem auch unter Einbeziehung der neuen Funde von Dlerup ädal illustriert wurde (Nielsen). Ein weiteres generelles Problem stellt die Zuweisung von Inschriften zu Sprachgruppen dar, da für Abweichungen vom erwarteten Standard auch Varianten, Analogien oder Reliktformen einer älteren Sprachstufe denkbar sind, wie am Beispiel der Männernamen auf a/o und der Präteritalformen auf e/a/ai (Stoklund). 3. Ein dritter Bereich war die Auswertung des Namenschatzes, der Orts- und der Personennamen. Ein Vergleich charakteristischer Orts- und Personennamentypen Skandinaviens und des Kontinents ergab zahlreiche Übereinstimmungen zur Zeit des Altrunischen, die auf eine lange währende Zusammengehörigkeit zwischen Nordisch und Westgermanisch schließen lassen. Die Ortsnamen bestätigen die Annahme einer bestehenden nordwestgermanischen Zusammengehörigkeit, sie zeigen aber auch deutlich alte Unterschiede und frühe Ansätze einer

Vorwort

νπ

Auseinanderentwicklung, die zunächst ein Kontinuum von Dialekten ausbilden. Es ist die Frage, wann die Unterschiede so groß werden, daß wir von Westgermanisch und Nordisch als von verschiedenen Sprachzweigen sprechen können. Jütland als Grenzgebiet zwischen Nord- und Westgermanisch tritt bei den Ortsnamen deutlich ins Blickfeld (Andersson). Sehr unterschiedlich waren die Ergebnisse des Vergleichs englischer Ortsnamen mit denen Skandinaviens und des Kontinents. Während ein Beitrag versuchte, die Herkunft der germanischen Eroberer Englands anhand der Ortsnamen zu untersuchen, und zu dem Ergebnis kam, daß eine Zuweisung zu germanischen Einzelstämmen zwar unterbleiben müsse, da die Bildungsmittel und Grundwörter sehr altertümlich seien, aber immerhin das Nordgermanische als Entsprechung ausschloß (Udolph), gelangte ein anderer zur Ansicht, daß die Ortsnamentypen ein beachtliches Maß an Übereinstimmung zeigten, und die aus den sprachlichen Konsequenzen erschließbare Einwanderung der Angeln und Sachsen mit der der dänischen Wikinger im 10. Jh. vergleichbar sei, und daß es sich jeweils um große Wanderbewegungen gehandelt haben müsse (Fellows-Jensen). Bedenken gegenüber einer genaueren Bestimmung der Wanderbewegungen durch die englischen Ortsnamen wurden jedoch ebenfalls angemeldet: Ausgehend vom Postulat einer nordwestgermanischen Toponymie müsse bedacht werden, daß ein und derselbe Ortsname sowohl von Angeln und Sachsen als auch von später einwandernden Skandinaviern gegeben sein könnte auf der Basis einer gemeinsamen auf das Nordwestgermanische zurückgehenden Toponymie (Nicolaisen). Allen Teilnehmern an der Tagung danken wir für ihre Beiträge und ihre Diskussionsbereitschaft und ebenso gilt unser Dank denjenigen, die ihre Manuskripte für diese Veröffentlichung bereitstellten. Auch allen, die uns durch intellektuelle und praktische Hilfe bei der Durchführung der Tagung unterstützten, sind wir zu großem Dank verpflichtet. Und nicht zuletzt ist der Deutschen Forschungsgemeinschaft und dem Land Schleswig Holstein zu danken, deren finanzielle Hilfe die Tagung erst ermöglichte. Unser Dank gilt auch Heinrich Beck, Bonn, der diese Sammlung von Beiträgen in die Reihe der 'Ergänzungsbände zum Reallexikon der Germanischen Altertumskunde* aufnahm, und den Helfern bei der Herstellung der Satzvorlage: Frau Katja Schulz und Herr Lars Worgull, die sich um die Erstellung der Zeichensätze und die Redaktion der Beiträge überaus verdient gemacht haben. Kiel im Juli 1995

Die Herausgeber

Inhaltsverzeichnis THORSTEN ANDERSSON

Nordische und kontinentalgermanische Orts- und Personennamenstruktur in alter Zeit

1

HEINRICH BECK

Namenkundlich-religionsgeschichtliche Bemerkungen zur Gudme-Diskussion

41

GILLIAN FELLOWS-JENSEN

The light thrown by the early place-names of Southern Scandinavia and England on population movement in the Migration Period

57

ERICH HOFFMANN

Historische Zeugnisse zur Däneneinwanderung im 6. Jahrhundert

77

TINEKE LOODENGA

Bracteate Fyn-C 1: A Surprising Encounter with Emperor Marcus Aurelius Carus?

95

WILHELM NICOLAISEN

Is There a Northwest Germanic Toponomy? Some Thoughts and a Proposal

103

HANS FREDE NIELSEN

Methodological Problems in Germanic Dialect Grouping

115

KURT SCHIER

Gab es eine eigenständige Balder-Tradition in Dänemark?

125

ELMAR SEEBOLD

Völker und Sprachen in Dänemark zur Zeit der germanischen Wanderungen

155

ULRIKE SPRENGER

ZurOffasage

187

χ

Inhaltsverzeichnis

MARIE STOKLUND

Neue Runeninschriften um etwa 200 n. Chr. aus Dänemark: Sprachliche Gliederung und archäologische Provenienz

205

JÜRGEN UDOLPH

Die Landnahme Englands durch germanische Stämme im Lichte der Ortsnamen

223

THEO VENNEMANN

Morphologie der niederrheinischen Matronennamen

271

Nordische und kontinentalgermanische Orts- und Personennamenstruktur in alter Zeit VON THORSTEN ANDERSSON

1. Einleitung Die ältesten sprachlichen Zeugnisse, die wir besitzen, sind Orts- und Personennamen. Bei der Diskussion der Gliederung der germanischen Sprachen muß deshalb der Namenschatz mit beachtet werden. Besonders wichtig sind dabei die Ortsnamen, da sie geographisch fixiert sind und somit die Verbreitung sprachlicher Züge eindeutig belegen können. Auch die Personennamen sind aber von bedeutendem Interesse, um die Ausgliederung der einzelnen germanischen Sprachzweige zu beleuchten. Bis jetzt ist auch vor allem die Personennamenstruktur in diesem Zusammenhang erörtert worden. Das Thema dieses Beitrags, nordische und kontinentalgermanische Namenstruktur in alter Zeit, läßt sich in diesem Zusammenhang natürlich nicht annähernd erschöpfen. Es geht hier vornehmlich darum, einen Überblick zu geben, der hoffentlich zu weiterer Forschung anregen kann. Ehe ich mich den konkreten onomastischen Fragen zuwende, ist es nötig, die bisherige Beurteilung der sprachlichen Zusammenhänge sowie die chronologischen und geographischen Voraussetzungen kurz zu besprechen. Lange stand bekanntlich die Verwandtschaft zwischen Nordisch und Gotisch im Mittelpunkt des Interesses. Neben sprachlichen Übereinstimmungen spielte dabei auch die angenommene Auswanderung der Goten aus Skandinavien eine wesentliche Rolle. Nur recht zögernd hat die Forschung den Gedanken aufgegeben, eine Gotenauswanderung aus Skandinavien als sicher zu betrachten. Noch Rolf Hachmann (1970:451-470), der die Frage "Goten und Skandinavien" kritisch unter die Lupe genommen hat, nimmt an, daß Goten jedenfalls in Skandinavien bezeugt seien. Er geht dabei von Belegen wie Gauthigoth und Ostrogothae bei Jordanes aus, die jedoch, wie ich in einer Rezension bemerkt habe, keinesfalls beweiskräftig sind (Andersson 1970:175). Allmählich hat sich auch die Auffassung verschoben, und nach der kritischen Analyse von Ludwig RUbekeil (1992:75-95, 118-146) ist wohl die Vorstellung von Skandinavien als der ofßcina gentium oder vagina nationum am ehesten als ein Topos anzusehen, was allerdings nicht ausschließt, daß eine Auswanderung, dann wohl am ehesten in der Form kleinerer Gruppen, tatsächlich vorgekommen sein kann (vgl. Hoffmann 1992:16 lf.). Fest steht auf jeden Fall, daß die ablautenden Völkerbezeichnungen got.*gutans und aschw. g0tar (awn. gautar) sprachlich verwandt sind und daß

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Thorsten Andersson

got. *gutans mit aschw. gutar 'Einwohner von Gotland' formal identisch ist. Wo und wie der Kontakt stattgefunden hat, der für die sprachlichen Übereinstimmungen die Voraussetzung bildet (in Skandinavien, auf dem Kontinent, über Wasser?), das läßt sich durch den sprachlichen Vergleich nicht ermitteln (vgl. Penzl 1988:498f. mit Anm.8 S.505). Abzulehnen ist auch ein Versuch Wolfram Eulers (1985), in südskandinavischen Runeninschriften ("von Gotland bis hin zu den dänischen Inseln", S.14) Spuren ostgermanischer Sprache festzustellen, die er "mit der Nachricht des Jordanes und der bis heute geltenden communis opinio der Urheimat der Goten in Gotland" (S.15), wie es bei ihm heißt, verknüpfen möchte (s. auch Hyldgaard-Jensen 1990:60; Westergaard 1990:18f., 22). Eine noch nicht veröffentlichte Prüfung sämtlicher angeblich gotischer/ostgermanischer Runeninschriften in Skandinavien, die Prof. Lena Peterson, Uppsala, unternommen hat, hat ergeben, daß sichere Beispiele solcher Züge in den Inschriften fehlen. In den letzten Jahrzehnten, vor allem seit einem bekannten Aufsatz von Hans Kuhn, Zur Gliederung der germanischen Sprachen (1955), ist vor allem die Verwandtschaft zwischen Nordisch und Westgermanisch hervorgehoben worden. Von vielen Seiten wird eine nordwestgermanische Einheit angenommen, die lange nach der angenommenen Ausgliederung des Gotischen bestanden haben soll (s. Übersichten bei Gr0nvik 1981:36-56; Nielsen 1989:80-102). Während nach Kuhn (1955:14-16, 44-46 = 1969:258-260, 286-288) die vermutete nordwestgermanische Einheit bis um 500 n. Chr. bestanden habe, wird heutzutage meistens damit gerechnet, daß sich Westgermanisch erheblich früher aus dem Nordwestgermanischen herausgelöst habe, daß sich aber spezifisch nordische Sondermerkmale erst später herausgebildet hätten. Die altertümliche Sprache, die in den ältesten, ja hauptsächlich skandinavischen Runeninschriften zu finden ist, wird von vielen Forschern weiterhin als Nord westgermanisch bezeichnet, womit also eine ältere gemeinsame Sprache, die nicht mehr den westgermanischen Zweig umfaßt, gemeint ist. Andere Forscher ziehen es vor, die althergebrachte Bezeichnung Urnordisch beizubehalten, womit in der nordischen Sprachwissenschaft traditionell ungefähr die Periode um 200 - um 800 n. Chr. gemeint ist. Eine Spezialerklärung des - von westgermanischer Seite aus gesehen konservativen Charakters der Runensprache, z.B. mit beibehaltener maskuliner Nominativendung, -az usw. gegenüber -s im Gotischen und Schwund im Westgermanischen, ist von Ε. A. Makaev (1965:19-53; ausführliche Rezension von Krause 1968b:l 12-116) vorgeschlagen worden; es handle sich nach seiner Meinung um eine Art Koine (vgl. Antonsen 1986:340-343; Penzl 1989:93f.). Es könnte so aussehen, als ob es sich hier vorwiegend um eine terminologische Frage handelte. Das ist jedoch nicht der Fall. Die heutige Forschung betont eben, der gotonordischen These gegenüber, die nahe Verwandtschaft zwischen Nordisch und Westgermanisch. Es bleibt dann die Frage, wie die nordischgotischen Übereinstimmungen chronologisch zu erklären sind, eine Frage, die keinesfalls alle Forscher als genügend beantwortet betrachten. Schon die Spärlichkeit des sprachlichen Materials unterstreicht auch, daß Vorsicht hier am Platze ist.

Orts- und Personennamenstiuktur

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Mit der hier kurz umrissenen Auffassung einer nordwestgermanischen Einheit würden wir als Sprachstufen in Skandinavien nicht mehr, wie bisher üblich, mit Urgermanisch und Urnordisch, sondern eher mit Urgermanisch, Nordwestgermanisch und Gemeinnordisch vor den Einzel sprachen zu rechnen haben. Als neutraler Terminus für die altertümliche Sprache der ältesten skandinavischen Runeninschriften wäre vielleicht Altiunisch denkbar. Dieser Terminus ist auch von anderer Seite erwogen worden (Antonsen 1994:59). Wenn wir mit Hilfe der Orts- und Personennamen die sprachlichen Verhältnisse innerhalb des germanischen Sprachgebiets beleuchten wollen, geht es hauptsächlich um die erste Hälfte des ersten nachchristlichen Jahrtausends. Bei dem Ortsnamenvergleich scheidet aus historischen Gründen Ostgermanisch praktisch aus. Schon deshalb konzentriert sich das Interesse auf das Verhältnis zwischen den nord- und westgermanischen Sprachzweigen, wobei ich mich in meinem Beitrag, was Westgermanisch betrifft, hauptsächlich auf den kontinentalgermanischen Teil beschränke. Zur Problematik der Sprachverhältnisse der ersten Jahrhunderte unserer Zeitrechnung gehört weiter, daß unsere Kenntnisse der Wohnsitze verschiedener Stämme begrenzt sind. Besonders ist zu bedauern, daß wir die Verbreitung der Dänen in vorgeschichtlicher Zeit nicht näher kennen. Vor allem scheint es ungewiß zu sein, wie lange sie in Jütland ansässig gewesen sind. Zwar sind sie schon zur Zeit der ersten Erwähnungen der Stammesbezeichnung um die Mitte des ersten Jahrtausends n. Chr. durch Prokop in Jütland bezeugt. Wenn wir aber den ungefähr gleichzeitigen Bericht des Jordanes beachten wollen, sind sie wohl zwar kaum aus dem Stamm der Suetidi, der Schweden im engeren Sinne, vielleicht aber am ehesten vom skandinavischen Festland im Osten gekommen (s. dazu Wessen 1984; Nielsen 1989:5f.; Hoffmann 1992:159-175). Der Landesname Danmark, zuerst altenglisch im Reisebericht des Ohthere (9. Jh.) als Denamearc bezeugt, bedeutet sicherlich 'Grenzwald der Dänen' und bezieht sich wahrscheinlich auf die Grenze gegen die Sachsen im südlichen Schleswig (Haid 1965:178; DSL 1:27), aber das Alter des Namens kennen wir nicht (vgl. Lund 1991).

2. Ortsnamen Die komprimierte Übersicht über die Diskussion der Gliederung der germanischen Sprachen stellt die in Skandinavien beheimatete Sprache, Altrunisch, als besonders altertümlich, archaisch heraus. Die tief eingreifenden Veränderungen der gemeinnordischen Sprache, die Synkope und damit zusammenhängende Umlauterscheinungen sowie auch andere Veränderungen, treten erst ab dem 6. Jahrhundert ein. Wenn wir uns eine konkrete Vorstellung des sprachlichen Zustandes in Skandinavien und auf dem Kontinent vor der altrunischen Zeit, sagen wir vor Christi Geburt, machen wollen, müssen wir uns den Ortsnamen zuwenden. Dabei kommen (mit nordischer Terminologie) Natumamen in Frage, die sekundär auch

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Thorsten Andersson

oft als Siedlungsnamen auftreten. 1 Die ältesten Ortsnamen auf dem germanischen Gebiet finden sich vor allem unter Gewässernamen und, besonders in Skandinavien, Inselnamen. Die ältesten Namen reichen in vorgermanische, indogermanische Zeit zurück. Inwieweit auch vorindogermanische oder, allgemeiner ausgedrückt, nicht-indogermanische Namen im überlieferten Ortsnamenschatz zu finden sind, ist ungewiß. Sichere Spuren oder auch nur Anzeichen fehlen, aber es ist grundsätzlich nicht auszuschließen, daß Reste älterer Sprachen eben in Ortsnamen weiterleben, die aber den indogermanisch-germanischen Namen angeglichen worden sind (Andersson 1972:8; Holm 1987; Andersson 1988:75f„ vgl. S.69). Am ehesten wären sie dann unter den - in der Tat nicht wenigen - noch ungedeuteten Ortsnamen zu finden. Was das germanische Sprachgebiet betrifft, sollte in diesem Zusammenhang darauf hingewiesen werden, daß in Skandinavien nur mit Germanisch und dessen Vorstufen zu rechnen ist, während die Verhältnisse auf dem Kontinent insofern komplexer sind, als hier auch keltische und slawische Namen sowie im nordwestdeutschen und angrenzenden niederländischen Raum vielleicht auch andere indogermanische Namen vertreten sind. Wichtig für unsere Diskussion ist vor allem Hans Kuhns Hypothese vom sog. Nordwestblock, die z.B. Wolfgang Meid "im Kern für richtig" hält (Meid 1987:92f., Zitat S.93), andere Forscher jedoch ablehnen (s. zu dieser Frage Meid 1986 und z.B. Lühr/Matzel 1986). Wenn wir mit Kuhn im Nordwesten des Kontinents noch um Christi Geburt mit anderen indogermanischen Sprachen als Germanisch rechnen, dann wäre das germanische Kerngebiet jedenfalls nicht dort zu suchen (vgl. unten S.21). Kennzeichnend für den alten Ortsnamenschatz sind die Suffixbildungen. Dabei ist, wie sich feststellen läßt, im großen und ganzen derselbe Suffixbestand in Skandinavien und auf dem Kontinent zu finden. Morphologisch herrscht somit eine grundlegende Übereinstimmung. Beispiele finden sich in großer Zahl in der Fachliteratur. Einige Beispiele mögen hier die charakteristische Namenstruktur vergegenwärtigen. Eine Übersicht über die Typologie der Flußnamen des germanischen Sprachgebiets ist vor einigen Jahren von Oskar Bandle (1984) vorgelegt worden, auf die hier generell verwiesen wird. Das kontinentale Material ist überhaupt durch die Literatur gut bekannt. Weniger bekannt dürften die nordischen Namen sein, und da in Skandinavien auch die Inselnamen hinzukommen, die dieselbe suffixale Struktur zeigen, werden hier einige Beispiele aus dem nordischen Sprachgebiet zusammengestellt. Zu den wichtigsten Suffixen zählen -1-, -m-, -n-, -r-, -s-, -str-. Es ist in diesem Zusammenhang nötig, auf den Unterschied zwischen primärer und sekundärer Namenbildung hinzuweisen. Bei primärer Namenbildung werden Namen mit den betreffenden Suffixen direkt als Namen gebildet; bei sekundärer Namenbildung liegen schon vorhandene Wörter, die mit den betreffenden Suffixen gebildet worden sind, den Namen zugrunde

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Der deutsche Terminus Flurname (im weiteren Sinne) ist, nach üblichem Gebrauch, zu eng.

Orts- und Personennamenstruktur

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(Andersson 1988:besonders 78-85). Auf diese Problematik brauchen wir allerdings hier nicht näher einzugehen. Die hier erwähnten Suffixe sind u.a. in folgenden nordischen Namen enthalten:2 -1-: norw. Berle (anorw. Berdli m. oder BerÖla f., ursprünglich See oder Fluß; Bandle 1984:20; NSL:69), anorw. Hugl (Insel; NSL:42, 163). -in-: schw. Esman (Fluß, -n = bestimmter Schlußartikel; Strandberg 1988:41f.), norw. Simoa (< anorw. *Sigm oder * Sigma, Fluß; NSL:34, 275), anorw. Stolm (Insel; NSL:42, 299). -n-\ dän. Mern (ursprünglich Fluß; DSÄ 5:63-65), anorw. Sogn (Fjord, Flüsse; NSL:39, 290), schw. Ven (dän. Hven, Insel; Haid 1971a:77f.; Christensen/ Kousgärd S0rensen 1972:178). -r-: dän. Ganer (ursprünglich Fluß; DSÄ 2:198), norw. Hidra, Hitra (anorw. Hitr, Inseln; NSL:154f.). -s-: dän. Als (Insel; Haid 1971a:75; Christensen/Kousgärd S0rensen 1972:179), norw. Brimse (anorw. *Brimsa, Insel; NSL:42, 80), dän. Djurs (ursprünglich Fluß; DSA l:308f.). -str-\ schw. Alster (Seen, Flüsse; Andersson 1975:158f.), dän. Falster (Insel; Haid 1971a:79; Christensen/Kousgärd S0rensen 1972:180), anorw. Rekstr (Insel; NSL:43, 253). Entsprechende Bildungen sind auf dem Kontinent ebenso gut bezeugt. Aus der oben genannten Übersicht von Oskar Bandle mögen folgende Flußnamen als Beispiele genügen: -1-: Arle (S.23), Mossel (S.25); -m-: Sülm (S.25); -n-: Miele (< *Melina, S.23); -r-: Dünnem (S.25), UIra (S.23); -s-: Reppisch (< *Rabisa, S.25); -str-: Alster (S.23). Ortsnamen wie die hier angeführten gehören verschiedenen Altersschichten an. Viele sind zweifellos in vorgermanischer, andere erst in germanischer Zeit entstanden. Im großen und ganzen ist die Produktivität der genannten Suffixe, von skandinavischem Horizont aus gesehen, vor der Wikingerzeit erloschen; Namen dieser Struktur fehlen in Island und auf den Färöem, die zu dieser Zeit kolonisiert wurden. Eine strikte chronologische Schichtung der einzelnen Suffixe in den älteren Zeitperioden fällt dagegen schwer. Besonders ist zu beachten, daß gewisse Suffixe, auch wenn sie nicht mehr in der üblichen Wortbildung benutzt wurden, eben als Namensuffixe weiterhin produktiv bleiben konnten. Dies ist z.B. in Skandinavien zweifellos mit dem -η-Suffix der Fall, womit offensichtlich bis in nordische Zeit hinein Ortsnamen gebildet werden konnten. (Andersson 1980:17f.; Ders. 1985b:39).

Ich übergehe hier nordische Ortsnamen auf -und und deren eventuellen Zusammenhang mit kontinentalen Namen auf -nt-. Eine Untersuchung der nordischen -u/irf-Namen wird gegenwärtig in Uppsala vorgenommen. In dieser Untersuchung werden auch die mehrfach vorkommenden Borgund-Namen behandelt, für die sekundäre Namenbildung, d.h. Bildung aus einem schon vorhandenen Wort, angenommen worden ist.

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Thorsten Andersson

Die Schwierigkeit, die Zeit der Produktivität der einzelnen Suffixe näher festzustellen, spielt in unserem Zusammenhang nur eine untergeordnete Rolle. Es sollte jedoch hier daran erinnert werden, daß Wolfgang P. Schmid (vor allem 1986; 1989) in Beiträgen zur Theorie der sog. alteuropäischen Hydronymie, d.h. einer speziellen voreinzelsprachlichen Gewässernamenstruktur im alten Europa, anhand der Ortsnamen die Herausbildung des Germanischen hat beleuchten wollen. Er betrachtet bekanntlich das Baltikum als Ausstrahlungszentrum der "alteuropäischen Hydronymie". Von dort habe sich diese Namenstruktur, für die nicht nur bestimmte Suffixe, sondern auch Wurzeln bestimmten Inhalts angenommen werden, nach Westen verbreitet und nur am Rande das skandinavische Gebiet mit erfaßt. Der Suffixbestand auf dem Kontinent stimmt aber mit dem in Skandinavien im großen ganzen überein, was nicht Unterschiede ausschließt, die von Wichtigkeit sein können (Schmid 1986:161-164; Ders. 1989:21-25). Dies wäre von nordischer Seite, auch unter Heranziehung der bis jetzt nur in groben Zügen behandelten Inselnamen, näher zu prüfen. Die Annahme Schmids von der Verbreitung einer speziellen Gewässernamenstruktur ruht vor allem auf dem Vorkommen von Namen, die von bestimmten Gewässernamenwurzeln aus erklärt werden. Die angenommenen Wurzeln sind in den hier angeführten Beispielen u.a. durch Al- vertreten, dessen Herkunft allerdings umstritten ist und das, falls hier nicht Homonymie vorliegt, auch in einem Inselnamen wie Als vorkommt (Andersson 1984:24-26; Ders. 1985a:32-35). Im kontinentalen Namen schätz sieht Schmid einen stetigen Übergang in der Namenbildung von indogermanischer/"alteuropäischer" zu germanischer Zeit, wofür auch Jürgen Udolph (s. unten S.20) argumentiert hat. Diese Auffassung steht im deutlichen Widerspruch zu einer traditionelleren, z.B. von Oskar Bandle (1984:26f.) vertretenen Ansicht, die die Germania germanicissima, die Kerngebiete des Germanischen, in Skandinavien und Norddeutschland sieht (s. dazu Laur 1990:223-225). Das Betonen einer Ost-West-Bewegung durch Schmid und Udolph ist vor allem deswegen interessant, weil hier die Genese des Germanischen von einem neuen Gesichtspunkt aus beleuchtet wird, was vielleicht die sonst mehr oder weniger eingeschlafene Diskussion über diese Fragen neu beleben könnte. Einigkeit wird wohl nie darüber erreicht werden, wo und wie sich das Germanische herausgebildet hat. Das spielt in diesem Zusammenhang auch keine wesentliche Rolle. Schon lange vor dem Beginn unserer Zeitrechnung hatten sowohl Skandinavien wie der Kontinent am germanischen Sprachgebiet Anteil. Wichtig für uns ist vielmehr, wie sich die Ortsnamenstruktur in Skandinavien (Dänemark, Norwegen, Schweden) und auf dem Kontinent um und nach Christi Geburt allmählich verändert und auseinanderentwickelt hat. Es ist Zeit, zum nordwestgermanischen Problemkreis zurückzukehren. Wie sah die Namenlandschaft in den ersten Jahrhunderten unserer Zeitrechnung und in der Völkerwanderungszeit aus? Deutet sie auf eine frühe nordwestgermanische sprachliche Einheit oder zeigt sie schon zu dieser Zeit so große Unterschiede, daß nicht mehr mit einer engen sprachlichen Verbindung zwischen Skandinavien und dem Kontinent gerechnet werden kann?

Orts- und Personennamenstiuktur

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Diese Fragen lassen sich durch den Vergleich charakteristischer Ortsnamentypen beleuchten. Unter Ortsnamentypen verstehen wir Gruppen von Namen, die mit ein und demselben Grundwort gebildet worden sind und nicht nur vereinzelt wegen Übereinstimmungen in der topographischen Terminologie, sondern in wechselndem Umfang über größere oder kleinere Gebiete verbreitet vorkommen. Man muß sich dabei zunächst vergegenwärtigen, was das Verbreitungsgebiet eines Ortsnamentyps eigentlich aussagt. Nehmen wir als Beispiel die für Skandinavien typischen -Wn-Namen, deren älteste Schicht in der Zeit, die für unsere Problemstellung in Frage kommt, entstanden ist (Jansson 1951). Die -v/n-Namen, die als Grundwort ein altes germanisches Wort, got. winja usw. 'Wiese, Weide', haben, zeigen eine typisch westliche Verbreitung. Sie kommen gehäuft in Westschweden (in und um Västergötland), in Teilen von Norwegen vom Süden bis Tr0ndelag in der Mitte des Landes sowie, etwas spärlicher, in den nordschwedischen Landschaften Jämtland, Medelpad und Ängermanland vor (s. Karte 1). Es handelt sich hier um ein - schrittweise - kommunikativ gut zusammenhängendes Gebiet. Die Sprache des gesamten Gebiets wird zur Zeit der Bildung der -vin-Namen im großen einheitlich gewesen sein. Auch wenn wir nur die - νι/7-Namen als Quelle gehabt hätten, hätten wir auf diese enge sprachliche Verwandtschaft schließen können. Dagegen läßt sich das Bild der Verbreitung der -v/n-Namen unterschiedlich interpretieren (vgl. Jansson 1951:416-423; Pamp 1988:29). Das Grundwort war zweifellos auf dem ganzen germanischen Sprachgebiet in Skandinavien vorhanden, und die realen Bedingungen waren ja gerade für die Landwirtschaft konstitutiv, wobei allerdings zu bedenken ist, daß für Wiesen und Weiden auch andere Termini zur Verfügung standen. Theoretisch hätten die -vin-Namen in verschiedenen Teilen von Skandinavien unabhängig voneinander entstehen können. Die bezeugte nordische Verbreitung stellt aber einen Zusammenhang dar, der nicht nur darin besteht, daß das Grundwort zur Verfügung stand. Einzelne Verbreitungswege lassen sich auch leicht feststellen. So ist z.B. die Verbindung von Tr0ndelag über die Landschaft Jämtland bis zur Ostsee seit alters her gut bezeugt, und ein paar unsichere dänische Namen in Jütland hängen, falls sie -viη tatsächlich enthalten, zweifellos mit den westschwedischen Namen zusammen (Haid 1965:73f.; DSL 2:142f.; DSL 3:147). Verschiedene Zentren sind offensichtlich vorhanden, von wo aus sich die Namenmode verbreitet hat. Solche Zentren sind normalerweise nicht unabhängig voneinander entstanden, obwohl es nicht immer leicht fällt, die Verbindungswege im einzelnen festzustellen. Die Impulse, die eine Mode auslösen, setzen Kommunikation voraus, und das ganze Verbreitungsgebiet der -vin-Namen stellt auch deutliche Verkehrsgemeinschaften dar, die kettenweise zusammenhängen. Dagegen können wir kaum ein U r z e n t r u m feststellen, wo die Mode der -vinNamen zuerst hätte aufkommen können. Auszuschließen ist auch nicht, daß die -v/n-Namen verschiedene Keimzellen gehabt haben, die sich gegenseitig haben beeinflussen können.

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Karte 1. Skandinavische -Wn-Namen. (Aus: Janssen 1951, Karte 3). Gefüllte Kreise = sichere -Wn-Namen Haken = unsichere -Wn-Namen kleiner Kreis = 1 Name mittelgroßer Kreis = 2-4 Namen großer Kreis = 5-10 Namen

Auf jeden Fall bilden die -v/n-Namen einen charakteristischen nordischen Ortsnamentyp. Da es sich bei diesen Namen um ursprüngliche Flurnamen handelt, müssen wir auch davon ausgehen, daß viele Namen, die nicht sekundär zu

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Siedlungsnamen geworden sind, untergegangen sind. Es gibt aber keinen Anlaß, vom Verbreitungsbild aus anzunehmen, daß vereinzelt vorkommende Namen, z.B. einige zum Teil unsichere Namen im Mälarseegebiet, als Reste einer allgemeineren Verbreitung anzusehen wären. Eher handelt es sich vielleicht um Namen, die von einer Namenmode unabhängig sind - und keine Mode ausgelöst haben. Solche Namen wären dann am ehesten mit verstreut vorkommenden Niederschlägen des Wortes in kontinentalen Namen zu vergleichen, z.B. nl. Sinuinum (850, Bach 1953:§367; Roelandts 1969:148); die Ableitung * Winithi kommt in zahlreichen kontinentalen Namen vor, denen wahrscheinlich das entsprechende Appellativ, ahd. winithi 'Weideland', zugrundeliegt (Bach 1953:§231.1a, 337, 367; Udolph 1991:86, 119). Es ist wichtig, nicht nur den positiven Wert der Ortsnamengeographie hervorzuheben, sondern auch die Begrenzung der Schlüsse dieser Methode zu betonen. Die Verbreitung eines alten Grundworts zeigt einen sprachlichen Zusammenhang innerhalb des Verbreitungsgebiets. Das Gebiet der sprachlichen Zusammengehörigkeit kann durchaus größer sein als die Verbreitung des Grundworts. Das ist sogar meistens der Fall. So z.B. umfassen die -v/n-Namen ja nur einen Teil des nordischen Sprachgebiets. Das Fehlen dieses Grundworts in Ortsnamen auf dem Kontinent (von einzelnen Ausnahmen abgesehen) spricht ebensowenig gegen einen nordwestgermanischen Zusammenhang. Interessant ist aber, daß wir in den -v/n-Namen einen alten Namentyp vor uns haben, der spezifisch skandinavisch ist, jedoch (das heutige) Dänemark kaum berührt. Sowohl Jütland (von ein paar unsicheren Namen im Norden der Halbinsel abgesehen) als auch die dänischen Inseln stimmen mit dem Kontinent überein. Andere Ortsnamentypen bekunden dagegen einen zur selben Zeit bestehenden Zusammenhang zwischen Skandinavien und dem Kontinent. Gemeinsam für das germanische Sprachgebiet sind die Ortsnamen auf -heim. Die Herkunft dieses Grundworts ist immer noch durchschaubar; mit der Grundbedeutung des Wortes, 'Heim, Heimat', kann sich -heim bekanntlich sowohl auf größere Gebiete, z.B. in den Namen Böhmen und Trondheim, als auch, was sicherlich meistens der Fall ist, auf Dorf- und Hofsiedlungen beziehen. Ein wichtiger Unterschied zwischen kontinentalgermanischen und nordischen -Aei/n-Namen liegt in der Kombination mit verschiedenen Erstgliedem vor. In den kontinentalgermanischen Namen ist das Erstglied meistens ein Personenname (Bach 1954:§467; Debus 1985:2111), während diese Kombination in Skandinavien praktisch abzuschließen ist (Haid 1965:64; Stahl 1976:76). Hier zeigt sich im Namenschatz ein charakteristischer Unterschied zwischen Skandinavien und dem Kontinent. In der Literatur kommt ab und zu ein Zögern zum Ausdruck, die nordischen und kontinentalgermanischen -Ae/m-Namen miteinander zu verbinden. Ein Grund dazu scheint zu sein, daß die -Ae/m-Namen gerade im jütisch-sächsischen Grenzgebiet nur spärlich vorkommen (Haid 1942:26-29; Ders. 1965:60-62). Es wäre jedoch ein eigenartiger Zufall, wenn gerade in diesem Grenzgebiet kein Zusammenhang zwischen den nördlichen und südlichen Namen bestehen sollte.

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Kristian Haid (1942:34) findet es auch a priori am wahrscheinlichsten, daß ein Zusammenhang vorliegt. Er meint, daß die Frage in einem größeren Rahmen zu beurteilen wäre und daß dabei auch andere Namentypen, vor allem die -ingiNamen, mit beachtet werden müßten. Wie sich herausstellt, nimmt nun gerade der -ingi-Typ eine Schlüsselstellung in der Beurteilung der nordwestgermanischen Frage ein. Die toponymische Verbindung zwischen Skandinavien und dem Kontinent tritt eben am deutlichsten hervor, wenn wir uns den germanischen Namen auf -ingi zuwenden. Da die spezielle Ortsnamenform auf -ingi (mit der Variante -ungi) hier eine entscheidende Rolle spielt, muß sie etwas näher besprochen werden, zumal die Literatur über die kontinentalgermanischen Namen einiges zu wünschen übrig läßt. Neben den singularischen -/n^-Namen und den pluralischen -//^en-Namen stehen die -/n^/'-Namen. Die singularischen -/ng-Namen sind in diesem chronologischen Zusammenhang ohne Interesse, da das Zugehörigkeitssuffix -ing lange produktiv geblieben ist und jedenfalls in Skandinavien in der Wort- und Namenbildung immer noch verwendet wird. Die -i/i^en-Namen, eigentlich pluralische Personenbezeichnungen, sind auf dem Kontinent weit verbreitet, und Entsprechungen kommen auch in Skandinavien, auf jeden Fall in Schweden, vor, wo Namen auf aschw. -unga, -ungum (häufiger als -inga, -ingum) in begrenztem Umfang auftreten, allerdings wenigstens zum Teil sekundär zu -ungi!-ingi sein können (Stähle 1946:135-155; Haid 1965:45). Vorherrschend in Skandinavien sind aber die Namen auf -ingi, die für Dänemark und Schweden charakteristisch sind (in Norwegen fehlt der Namentyp); heute enden die Namen auf -inge, in Dänemark (Jütland) auch apokopiert als -ing. Für den -ingi-Typ hat Carl Ivar Stähle in einer Untersuchung von 1946 eine Erklärung gegeben, die in der nordischen Fachliteratur allgemeine Anerkennung gefunden hat. -ingi ist, wie schon früh erkannt (Hellquist 1904:214-216), in Skandinavien eindeutig als neutraler /a-Stamm, germ.-ingia, zu identifizieren, und dieses -ingi ist als Ableitung von Personengruppenbezeichnungen, in Skandinavien wenigstens hauptsächlich Einwohnerbezeichnungen, auf geim. -ingöz PI., zu verstehen (Stahle 1946:100-115, 123-135). Das Suffix -ia kann nach Stähle (S.161f.) entweder kollektive Bedeutung haben oder aber den Platz als den dort wohnenden Leuten zugehörig bezeichnen. So gesehen bedeutet der altschwedische Name Hasmbringi (heute Hämringe) entweder 'die Aa/nar-Einwohnerschaft' oder 'die Wohnstätte der Aamar-Einwohner' (aschw. hamar 'Stein, steiniger Hügel'). Als eine Parallele aus dem nicht-proprialen Wortschatz führt Stahle ahd. heimingi 'Heimat; Ort, wo jemand wohnt' an, das er mit Kluge als ein von *heiminga 'Heimleute, Heimgenossen' abgeleitetes Wort mit der Bedeutung 'Heimgenossenschaft' auffaßt (S.162; s. dazu auch Bach 1954:§581). Gemeinsam sowohl für die pluralischen Namen, auf germ. -ingöz, dt. -ingen, als auch für die -Ya-Bildungen ist also, daß sie von Personengruppenbezeichnungen ausgehen. Die Zweistufenerklärung der -/n^'-Namen braucht natürlich von den Benutzern dieser Namen nicht immer nachvollzogen worden zu sein. Sicherlich hat -ingi ziemlich bald als einheitliches Namenbildungssuffix dienen können (Christensen/

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Kousgärd S0rensen 1972:168 Anm.7; Pamp 1988:35). Das Fehlen des -ingi-Typs in Norwegen hängt möglicherweise damit zusammen, daß dort die Bedingungen für kollektive Siedlungen nicht so günstig waren wie in Schweden und Dänemark. In der kontinentalgermanischen Forschung sind lange meistens andere Erklärungen des -ingi-Typs vorgezogen worden. Maßgebend ist dabei in hohem Grade das Handbuch von Adolf Bach (1953:§95, 200.1.3, 212) gewesen, wo auffallenderweise nur für die Verbreitung des Namenelements -ingi auf Stähle verwiesen wird (§212, S.185). Nur am Rande wird die von z.B. Hellquist und Stahle vertretene Auffassung berührt (§200.1.3, 212, S.186f.). In einem späteren Überblick über deutsche Ortsnamen erscheint diese Erklärung überhaupt nicht (Debus 1985:2106-2111). Die alte Auffassung von -ingi als neutraler -ia-Ableitung von Personengruppenbezeichnungen ist aber auch in der kontinentalgermanischen Forschung lebendig geblieben und eben durch den Einfluß Stahles wiederbelebt worden. Maurits Gysseling (1960:1119f.) schließt sich in seinem großen Ortsnamenbuch dieser Idee an. Unter den -ingia-Namen, mit denen er rechnet, finden sich Bildungen zu -Ableitungen sowohl von Personennamen als auch von Einwohnerbezeichnungen. Der -ingia-Typ wird auch von Karel Roelandts (1969:144f.) in einer vergleichenden Studie über niederländische und schwedische Ortsnamentypen berücksichtigt. Roelandts stellt die morphologische Übereinstimmung im Ortsnamenschatz der beiden Länder fest, macht aber auf den Unterschied aufmerksam, daß die niederländischen Namen im Gegensatz zu den schwedischen hauptsächlich von Personennamen ausgehen. Besonders ist hier auf zwei neulich erschienene Aufsätze von Rob Rentenaar (1992a, b) hinzuweisen, wo endgültig die außerhalb Skandinaviens lange nicht gebührend beachtete Arbeit von Stähle in die kontinentalgermanische Forschung integriert wird. In der Analyse südwestniederländischer Ortsnamen auf -inge(n) stellt Rentenaar u.a. den -ingi-Typ fest, den er als -j'a-Ableitung von Personengruppenbezeichnungen erklärt: X-inge = 'collectiviteit van de lieden van X' oder 'collectiviteit van de lieden die wonen bij X' (1992a:8). Rentenaar (1992b:66) betont, daß die -inge(n)-Namen "zu einer großen toponymischen Familie in der Germania" gehören. Uns erscheint es besonders wichtig, die nordwestgermanische sprachliche Zusammengehörigkeit zu unterstreichen. Es ist von vornherein anzunehmen, daß auch englische Ortsnamen in diese Übereinstimmung mit einzubeziehen sind. Die englischen Namen auf -ing, die wir ja aus historischen Gründen mit den kontinentalen zusammenhalten möchten, lassen sich nämlich formal gesehen zum Teil auf germ, -ingia zurückführen, was auch vorgeschlagen worden ist (Stähle 1946:156 mit Hinweisen; Smith 1956:286f.). Die recht komplizierte Diskussion der englischen -//ig-Namen muß aber hier beiseite gelassen werden. Am wichtigsten für unsere Ausführungen ist die Identifizierung von -ingi als neutralem /a-Stamm. Während das nordische Material hier eindeutig ist, ist das kontinentalgermanische Material unterschiedlich bewertet worden (Stähle 1946: 155-163; Bach 1953:§95, 212). Nach der überzeugenden Argumentierung Stähles, die kontinentalen Namen in derselben Weise wie die nordischen

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aufzufassen, was in letzter Zeit von Rob Rentenaar hervorgehoben worden ist, ist hier aber zweifellos mit einem einheitlichen Namentyp zu rechnen, worauf neulich Karl Hyldgaard-Jensen (1989:47) nebenbei hingewiesen hat. Von entscheidender Bedeutung ist nun die Verbreitung der -/n^j-Namen. Sie sind auf einem zusammenhängenden germanischen Gebiet zu finden, das Schweden (nördlich bis Uppland und Västmanland einschließlich), Dänemark, Schleswig-Holstein, die Nordseeküste, Niedersachsen und Thüringen umfaßt (Stähle 1946:160: "trakter med gammal germansk bebyggelse"; Bach 1953:§212: "von Holland über Friesland durch Niedersachsen bis nach Thüringen"; s. Karte 2). Die

Karte 2. Schematische Übersichtskarte über die Verbreitung des -/n,gi-Namentyps in Skandinavien und auf dem Kontinent.

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-/n^i-Namen zeigen deutlich einen nahen sprachlichen Zusammenhang zwischen Skandinavien und angrenzenden Gebieten auf dem Kontinent in, sagen wir, der ersten Hälfte des ersten nachchristlichen Jahrtausends. Diese morphologische Übereinstimmung ist insofern besonders eindrucksvoll, als sie als Kontrast zu den pluralischen Namen auf germ, -ingöz zu sehen ist, die auf dem Kontinent zahlreich, in Skandinavien aber nur selten vorkommen. Semantisch gesehen zeigen die kontinentalen und skandinavischen Namen beider Typen einen auffallenden Unterschied. Die kontinentalen Namen gehen oft von Personennamen aus (Bach 1954:§579; Debus 1985:2111), während sich die skandinavischen (indirekt über Einwohnerbezeichnungen) praktisch nur auf topographische Züge beziehen (Stähle 1946:495f.; Strandberg 1993:8). Einen entsprechenden Unterschied haben wir zwischen -heim-Namen auf dem Kontinent und in Skandinavien gesehen. Diese Unterschiede mögen in verschiedenartigen sozialen Verhältnissen wurzeln; führende Einzelpersonen scheinen auf dem Kontinent eine größere, greifbarere Rolle für die Siedlungen gespielt zu haben als in Skandinavien. E s handelt sich hier aber jedenfalls nur um Modifikationen des grundlegenden toponymischen Zusammenhangs zwischen dem Kontinent und Skandinavien. Vor dem Hintergrund der -/n^i-Namen stellt es sich als natürlich heraus, auch die -heim-Namen in Skandinavien und auf dem Kontinent miteinander zu verbinden. Es ist allerdings gut möglich, daß die -Ae/m-Namen eher einen gemeingermanischen als einen nordwestgermanischen Namentyp ausmachen, obwohl die gotische Form Bepla(i)haim für Bethlehem als Beweis dafür nicht genügt (Kuhn 1953:169; Bach 1954:§577, 581). Eine alte germanische Übereinstimmung wäre dann eben in Skandinavien und auf dem Kontinent beibehalten worden. Die -i/jg/-Namen bezeugen dagegen eine eindeutige B r ü c k e n v e r b i n d u n g zwischen dem skandinavischen und dem kontinentalgermanischen Raum. Die -//Jg/-Namen machen für die Beurteilung des nordwestgermanischen Problems einen festen Anhaltspunkt aus. Das Verbreitungsgebiet des Namentyps ist zwar begrenzt, bezeugt aber unmißverständlich, daß - pauschal ausgedrückt - etwa vor und während der Völkerwanderungszeit eine sprachliche Verbindung zwischen Skandinavien und dem Kontinent über die dänischen Inseln und Jütland bestanden hat. Ebenso wie die -Aei/n-Namen zeigen die Ortsnamen auf -statt/-stedt, -Stätten/ PI. und deren Entsprechungen auf an. -stadir PI. und engl, -stead eine allgemeine germanische Verbreitung. Als Grundwort liegt awn. stadr usw. 'Platz, Stelle' vor. Die Struktur der Namen ist aber nicht ganz einheitlich. Neben pluralischen Namen kommen singularische vor. Wichtig ist auch die Unterscheidung zwischen primärer und sekundärer Namenbildung. Anhand der Art der Namenbildung ist in der nordischen Forschung grundsätzlich zwischen sog. echten und unechten -ste